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German Pages [240] Year 1964
H a r m Alpers · Die Versöhnung durch Christus
HARM
ALPERS
Die Versöhnung durch Christus Zur Typologie der Schule von Lund
VANDENHOECK & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schiink Band 13
( c ) Vandenhoeck & Ruprecht, Güttingen 1964.
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Kötben/Anhalt
Wege
Vorwort Ein in Deutschland wenig beachtetes Kapitel schwedischer Theologie wird in der vorliegenden Arbeit über die Typen der Versöhnungslehre dargestellt und kritisch untersucht. Die vorwiegend in den dreißiger und vierziger Jahren erschienenen Veröffentlichungen zur Versöhnungstypologie — später erschienene Literatur, vor allem aus dem englischen Sprachraum, wurde mit Rücksicht auf den Umfang des Buches nur in Auswahl herangezogen — haben u. E. bleibende Bedeutung, weil sie die Grundfrage nach dem Verständnis des uns im Glauben geschenkten Heils in neuer Weise auf werf en und beantworten. In ihrer Weise sind sie auch ein Beitrag zu der von den Delegierten des Lutherischen Weltbundes in Helsinki begonnenen Debatte um eine neue Gestalt der Rechtfertigungslehre. — Da die Literatur deutschen Theologen schon aus sprachlichen Gründen schwer zugänglich ist, wurde Wert darauf gelegt, die Autoren selbst ausführlich zu Wort kommen zu lassen ; das mag die große Zahl der Anmerkungen rechtfertigen. Dem Lutherischen Weltbund sei an dieser Stelle für ein großzügiges Stipendium, das mir ein zweimonatiges Studium in Lund ermöglichte, aufrichtig gedankt. In dieser Zeit wurde besonders durch Herrn Professor D. Ragnar Bring mein Studium gefördert. Mein Dank gilt ebenso Herrn Dr. G. Hornig und manchem treuen Helfer bei der Übersetzung der schwedischen Zitate. — Mir ist bei meinem Aufenthalt in Schweden die Eigenständigkeit der Theologen, die man im Ausland häufig als Lunder Schule zusammenfaßt, bewußt geworden; sie mögen mir verzeihen, wenn ich im Untertitel die zweifellos doch vorhandene Gemeinsamkeit wieder in diesem nur wegen seiner Kürze sich nahelegenden Begriff zum Ausdruck brachte. Die entscheidenden Anregungen und Hilfen verdanke ich aber meinem Lehrer, Herrn Professor D. Dr. h. c. Paul Althaus, der mit unermüdlicher Anteilnahme das Fortschreiten meiner Arbeit bis zur Drucklegung verfolgte ; sie wurde von der Theologischen Fakultät der Friedrich-AlexanderUniversität zu Erlangen am 13. November 1959 als Dissertation angenommen. — Schließlich fühlt sich der Verfasser Herrn Professor D. Dr. Schlink zu besonderem Dank für die Bereitschaft verpflichtet, diese Untersuchung in die „Forschungen zur oekumenischen und systematischen Theologie" aufzunehmen. H e r m a n n s b u r g , im Oktober 1963.
Harm Alpers
Inhalt Einleitung
1
Α. Vorläufige Einordnung und Charakterisierung der Typen
6
I. Die Versöhnungstypologie im Rahmen der Motivforschung
6
a) Die Methode der Motivforschung
6
b) Agape — das christliche Grundmotiv im Gegenüber zum Nomoemotiv . .
8
c) Grundmotive, Typen und Vorstellungsformen : Die Begriffe in ihrem Verhältnis zueinander
12
d) Zum Verständnis des Begriffes „Versöhnung"
14
II. Darstellung der Versöhnungstypen a) Der klassische Typ: Versöhnung durch Christus als Sieg der Agape über die „Mächte" 1. 2. 3. 4.
Der dualistische Hintergrund Der Mensch in der Gewalt der Mächte Das Heilswerk Christi: Einheit von Erlösung und Versöhnung Die Rechtfertigung als vergegenwärtigte Versöhnung
b) Der lateinische Typ : Die Versöhnung als stellvertretende Satisfactionsleistung Christi an die göttliche Gerechtigkeit
19 20 20 22 24 32 34
1. Die Spannung zwischen Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.. 2. Die Sünde als Schuld 3. Die Heilstat Christi als menschliche Erfüllung göttlicher Rechtsforderungen 4. Das Auseinanderfallen von Versöhnung, Rechtfertiguug und Heiligung
34 35
39
c) Der „subjektivistisohe" Typ: Versöhnung als Erkenntnis der von Christus verkündigten unveränderlichen Liebe Gottes zu den Menschen
40
d) Die Versöhnungstypen und die hinter ihnen stehende Christentumsdeutung
45
36
Ι Π . Zur Vorgeschichte der Aulénschen Typologie in der neueren deutschen und schwedischen Theologie 47 a) Rückblick auf die bisher vorherrschende Alternative: Objektive oder subjektive Versöhnungslehre Î
47 VU
b) Ansätze zur „klassischen" Versöhnungstheologie in Deutschland 1. Im Biblizismus 2. Bei Johann Christian Konrad von Hofmann 3. Bei Hermann Mandel
49 52 53 64
c) Ansätze zum klassischen Typ in der schwedischen Theologie
73·
B. Kritische Analyse der Grundlagen, Struktur und Hauptbegiffe des klassischen und lateinischen Versöhnungstyps 81 I. Überblick über die Diskussion um die Versöhnungstypen
81
II. Der „dualistische" und der „legalistische" Rahmen des klassischen und des lateinischen Versöhnungstyps a) Die Problematik des „reinen" Dualismus 1. Der Mensch in der Gewalt der widergöttlichen Mächte 2. Das Gericht und die Souveränität der Liebe Gottes im Verhältnis zur Herrschaft der Mächte 3. Die Schranken der rein dualistischen Perspektive α) Das Fehlen des anthropologischen Bezuges für das Gottesbild . . ß) Die dualistische Interpretation von De servo arbitrio γ) Die Agape Gottes und die monistische Begrenzung des Dualismus
84 85 86 89 93 93 95 97
b) Der „begrenzte Dualismus" 1. Das Verhältnis der beiden Dualismusformen zueinander 2. Das Problem des innergöttlichen Dualismus 3. Das Gesetz als der gute Wille Gottes des Menschen Heil und Verderben
101 101 106
c) Lateinischer Legalismus ? 1. Das Verständnis des Rechtes in der ursprünglichen Gottesgemeinschaft 2. Sünde als Gesetzesübertretung 3. Gottes Zorn als Gegenwartsgericht oder als zukünftige Vergeltungsstrafe ?
119 121 125
d) Zusammenfassung
134
109
129
III. Das Versöhnungsgeschehen als Satisfactio Christi im lateinischen Typ
. . . 137
a) Die Satisfactio Christi als Gnadenhandeln Gottes zur Wiederherstellung des Menschen
137
b) Die Satisfactio Christi als vernünftige und gerechte Gnade : Zur Kritik an Anselms Satisfactionstheorie 1. Die Notwendigkeit der Satisfactio ix) nicht als Heilsbedingung, sondern als Mittel der Heilsverwirklichung β) nicht um Gottes-, sondern um unseretwillen γ) Die Notwendigkeit der Satisfactio und die unmotivierte Liebe . . .
VIII
142 142 142 144 145
2. Die Satisfactio Christi als Sachwert oder als Hingabe der Person Christi ? 146 3. Gottheit und Menschheit Christi im Satisfactionswerk 148 4. Die Bedingungen des Heilsempfanges 150 c) Der Legalismus der lutherischen Orthodoxie in der Satisfactionslehre, kritisch untersucht 153 1. Temperamentum iustitiae et misericordiae 2. Oboedientia Christi Oboedientia activa β) Oboedientia passiva 3. Das Werk Christi als Satisfactio et Meritum 4. Die Verknüpfung von Christologie und Soteriologie 5. Forensische Rechtfertigung und Erneuerung
153 156 156 159 160 164 166
d) Zusammenfassung
169
IV. Christus victor — Satisfactio Christi: Der klassische Versöhnungstyp in seinem Verhältnis zum lateinischen 170 a) Das Versöhnungsgeschehen als Befreiung des Menschen von den Verderbensmächten durch Christi Kampf und Sieg 170 1. 2. 3. 4. 5.
Grundzüge und Probleme der Kampfsoteriologie 171 Das klassische und das lateinische Verständnis der Stellvertretung . 174 Die Bedeutung der rechtlichen Hilfsvorstellungen 178 Die Rechtfertigung als Form der Heiligung 181 Zusammenfassung 183
b) Die Verschmelzung des lateinischen und klassischen Typs in Luthers Versöhnungs lehre 184 1. Klassische Bilder — lateinische Grundlinie in der Darstellung Werkes Christi 2. Freiheit und Gehorsam in Christi Stellung zum Gesetz 3. Das stellvertretende Strafleiden Christi als Überwindung des richtes Gottes 4. Recht und Grenzen der Rechtsbegriff lichkeit bei der Deutung Werkes Christi 5. Die vergegenwärtigte Versöhnung als Gerechtsprechung und rechtmachung
des 184 186 Ge188 des 191 Ge196
V. Das Neue Testament als Zeuge für den klassischen Versöhnungstyp ? . . . . 200 a) Die Dämonenaustreibungen im Neuen Testament
200
b) Passionsberichte und Lösegeldwort
201
c) Gerechtigkeit und Gesetz Gottes bei Paulus
203
' d) Zusammenfassung
210
IX
C. Zusammenfassung: Anthropozentrische oder theozentrische Theologie ? — Die Problematik der Typenkonstruktion im Blick auf das christliche Menschenbild 212 I. Kritik an der Fixierung und Bewertung der unterscheidenden Typenmerkmale im klassischen und lateinischen Typ 212 II. Die Bedeutung des „klassischen Impulses" für die christliche Versöhnungslehre 215 I I I . Die Gefahren des einseitigen Theozentrismus im klassischen Versöhnungsdenken 217 IV. Die Methode der Motivforschung als Schranke für das Verständnis des christlichen Versöhnungsglaubens 218 V. Die Versöhnung als Überwindung der Alternative: oder Theozentrizität
Anthropozentrizität 219
Abkürzungsverzeichnis
221
Literaturverzeichnis
222
X
Einleitung „Lasset euch versöhnen mit Gott!" — in diese kurzen Bitte und Ermahnung kann Paulus das Evangelium, das die Kirche auszurichten hat, zusammenfassen. Denn das ,„Wort von der Versöhnung" ist das Herzstück der kirchlichen Verkündigung und die Mitte des christlichen Glaubens; es stand daher auch vielfach im Zentrum der theologischen Besinnung über seinen Inhalt. Um das rechte Verständnis dieses Wortes hat die christliche, zumal die abendländische Theologie seit den Tagen Anselms erbittert gerungen; in der neueren Kirchen- und Theologiegeschicbte wurde der Streit um subjektive oder objektive Versöhnungslehre zum Streit um das Wesen des Christentums überhaupt. Heute ist — jedenfalls in der deutschsprachigen Theologie — die Versöhnungslehre kaum mehr Gegenstand heftiger Kämpfe. Sie behauptet zwar in der Dogmatik meist ihre Ehrenstellung, aber das eigentliche theologische Interesse hat sich meist anderen Problemen zugewandt. Die schließlich unfruchtbar gewordenen Kontroversen um objektive oder subjektive Versöhnungslehren mögen dazu beigetragen haben, daß — zum Schaden der Sache — dort, wo es um centrum et nervus totius religionis Christianae1 geht, keine wesentlichen neuen Fragestellungen und Impulse zu entdecken sind. In dieser Lage scheinen uns die Bemühungen Auléns und anderer schwedischer Theologen beachtenswert, durch die Konstruktion einiger weniger, wesentlich voneinander unterschiedener Versöhnungstypen die Aufmerksamkeit wieder auf das eigentliche Zentrum der Theologie zu lenken 2 . Vor allem führt die Wiederentdeckung und scharfe Konturierung 1 Zitiert aus A. Knös, Sylloge thesium theologicarum. ., S. 28, Upsala 1754, bei R. Josefson, Andreas Knös' teologiska âekâdning, S. 43 ; dort heißt es vorher, der Eigenart der orthodoxen Versöhnungslehre entsprechend: „Satisfactio Christi vicaria est. ..". 2 Vgl. dazu H.-H. Schrey, ThLZ 1949, Sp. 527. Die Lutherrenaissance in der neuern schwedischen Theologie: „Diese Lutherforschung hat aber zugleich eine aktuelle theologische Bedeutung über die schwedische Kirche hinaus, weil sie nicht rein historisch bleibt, nicht in der Fülle des geschichtlichen Details aufgeht, sondern immer zu einer Gesamtanschauung vorzudringen sucht, systematische Lutherforschung ist. Sie läßt sich von Luther die Rangordnung der theologischen Problematik weisen und kann daher auch für die deutsche Theologie ein gutes und wichtiges Korrektiv werden. Bei Aulen und Nygren, aber nicht minder bei Lindroth wird die Theologie ganz entscheidend von dem lutherischen „Grundmotiv" der Versöhnung
1
des sogenannten klassischen Versöhnungstyps, der sich in die enge Alternative objektive oder subjektive Versöhnungslehre nicht einfügen läßt, aus den ausgefahrenen Geleisen der bisherigen Versöhnungsdebatten heraus. Bisher hat merkwürdigerweise diese neuartige Versöhnungstypologie, deren Grundlinien auch in deutscher Sprache dargelegt wurden 3 , in Deutschland kein sehr lebhaftes Echo gefunden 4 . Auch die auf der Aulénschen Typologie aufbauenden dogmengeschichtlich — systematischen Arbeiten 6 sind meist ebensowenig wie die kritischen Stimmen aus Schweden und Finnland 6 bekannt. (In England und Amerika fielen, wohl dank der Übersetzung des für unseren Fragenkreis grundlegenden Werkes von Aulén ins Englische — unter dem programmatischen Titel : Christus victor — seine Anregungen auf fruchtbareren Boden 7 .) Die relativ geringe Beachtung, die die von Aulén erarbeiteten Versöhnungstypen bisher in Deutschland gefunden haben, rechtfertigen wohl den Versuch, einmal das Neuartige dieses schwedischen Beitrages zur Versöhnungslehre darzustellen und kritisch zu untersuchen. Der Anspruch, durch die Wiederentdeckung des lange verkannten, genuin christlichen Versöhnungsdenkens den Weg zum klassischen Christentum für die Gegenwart wieder frei zu machen 8 , verdient eine gründliche Prüfung, denn in der und der göttlichen Kondeszendenz her gestaltet. Es wird hier sichtbar, daß das eigentliche theologische Grundproblem nicht die Offenbarung ist, sondern die Versöhwuny. Das Problem der Offenbarung bleibt ein formales, das seine eigentliche Herkunft in der Aufklärung und dem Idealismus hat, während das Problem der Versöhnung das eigentlich biblische materiale Grundthema der Theologie sein muß." ® G. Aulén, Die drei Typen der christlichen Versöhnungslehre ; s. auch ders., Das christliche Gottesbild. 4 Vgl. vor allem E. Hirschs Rezension von Den kristna försoningstanken; K. Heim, Die Haupttypen der Versöhnungslehre; G. Wehrung, Gerechtigkeit Gottes; P. Althaus, Die christliche Wahrheit II, S. 260f. ; O. Wolff, Die Haupttypen der neueren Lutherdeutung. 5 R. Bring, Dualismen hos Luther (dies Werk ist freilich vor G. Auléns Hauptarbeit, in der die Typen herausgestellt werden, entstanden ; aber es übernimmt doch die von G. Aulén in der STK 1928, S. lOff., Försoningsmotivet inom den kristna idéhistorien schon skizzierte Typisierung) (s. dazu R. Bring, a. a. O., S. 68ff. ; ähnlich auch schon G. Aulén, Den kristna gudsbilden); H. Lindroth, Försoningen; G. Aulén, Den kristna försoningstanken; ders., Den allmänneliga kristna tron). • Siehe bes. R. Josefson, Andreas Knös' teologiska àskâdning; Α. Sjöstrand, Satisfactio Christi; O. Tiililä, Das Straf leiden Christi. 7 Siehe dazu ausführlicher (auch zu Anm. 4—6) S. 81—84 (bes. S. 83f.). " G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 267f.: „Ich persönlich bin dessen gewiß, daß die Christentumsdeutung, die nicht diesen finsteren Daseinsmächten unumwunden in die Augen sieht und die nicht gleichzeitig von dem Triumphton beherrscht ist, heute alle Bedeutung verloren hat. Wenn es so ist, würde das bedeuten, daß der Weg für „das klassische Versöhnungsmotiv" — für klassisches Christentum sich öffnet." — Siehe auch P. Althaus, Die christliche Wahrheit II, S. 261. 2
Tat kommt das im klassischen Typ enthaltene Menschenbild und Heilsverständnis dem Lebensgefühl des „modernen Menschen" wohl stärker entgegen als die bisher als kirchlich geltende „lateinische" Versöhnungstheorie. Die Form, in der diese schwedischen Beiträge zur Versöhnungslehre meist dargeboten werden, verrät freilich nichts von ihrer Aktualität. Es handelt sich im wesentlichen um sogenannte ideengeschichtliche Untersuchungen zum Versöhnungs- oder Dualismusmotiv in der Theologiegeschichte oder bei einzelnen Theologen, also nach unserem Sprachgebrauch um dogmengeschichtliche Abhandlungen (im weiteren Sinne)9. Die Grundgestalten des Versöhnungsdenkens, wie es faktisch in der Geschichte des Christentums geübt wurde, werden herausgearbeitet. Doch das eigentliche Anliegen ist dabei ein systematisches : die Ermittlung und möglichst scharfe Abgrenzung des genuin christlichen Versöhnungstyps10. Wir sehen, der letzten Intention der Forschungen Auléns entsprechend, auch unsere Aufgabe hauptsächlich in der systematischen Darstellung und Kritik der Versöhnungstypen und ihrer Bestimmung des „echt Christlichen". Es geht also nicht primär um die historische Frage, ob etwa die altkirchlichen Theologen, die Aulén als Zeugen für den klassischen Typ anruft, diesem wirklich zuzurechnen sind, sondern um die systematische, ob der klassische Typ, wie ihn Aulén aus der Alten Kirche herleitet, wirklich ungebrochen und unverkürzt die christliche Versöhnungsbotschaft enthält. Aulén kommt dabei zu seinem Ergebnis durch die Konfrontation der verschiedenen Typen; eine kritische Prüfung des Anspruchs, den Aulén für den klassischen Typ erhebt, schließt daher auch die Frage nach der Richtigkeit der Charakterisierung der Gegentypen ein. Insofern muß doch im Interesse einer gerechten systematischen Würdigung auch die mehr theologiegeschichtliche Frage, ob die Grundintentionen des in seiner „Christlichkeit" angefochtenen Typs richtig wiedergegeben sind, gestellt werden. — Es wäre ja an sich auch eine Kritik am klassischen Typ denkbar, die völlig von der dogmengeschichtlichen Fragestellung abstrahierte und eine etwaige Gegenposition ganz selbständig entfaltete. Da aber diese Gegenposition in der Geschichte der Theologie schon ausgebaut und von Aulén berücksichtigt wurde, erscheint es — trotz der dadurch bedingten Verquickung von dogmengeschichtlicher und systematischer Fragestellung — sinnvoller, von ihr bei der Kritik auszugehen und dazu zuerst die 9 Das gilt für G. Aulén, Den kristna försoningstanken ; H. Lindroth, Försoningen; R. Bring, Dualismen hos Luther, von der Gegenseite auch für A. Sjöstrand und O. Tiililä. Eine Ausnahme macht (neben dem Aufsatz von A. Nygren, Versöhnung als Gottestat) Auléns Dogmatik, die aber doch an diesem Punkt im wesentlichen nur die Ergebnisse der „ideengeschichtlichen" Untersuchung bringt. 10 Das Einleitungs- und Schlußkapitel in G. Aulén, Den kristna fürsoningstanken. — Näheres s. S. 6—14.
3
Richtigkeit ihrer Darstellung zu überprüfen. Auch die Frage, inwieweit bestimmte Versöhnungslehren dem klassischen Typ, der vorher an Hand anderen Materials konstruiert wurde, ihrer Grundstruktur nach eingeordnet werden können, wird uns beschäftigen müssen. Damit bekommen die dogmengeschichtlichen Probleme jedoch nur eine untergeordnete Bedeutung für die Beantwortung der systematischen Grundfrage nach dem für den klassischen Typ erhobenen Anspruch, den genuin christlichen Versöhnungsgedanken zu entfalten, und werden daher auch nur in den Grundzügen, soweit nötig, behandelt. Zur Klärung dieser Grundfrage ist zunächst die Darlegung des klassischen Versöhnungstyps in seinem Gegenüber zu den beiden anderen Typen, wie Aulén sie sieht, notwendig (A II). Um in Methode und Absicht der typologischen Arbeit einzuführen, wird eine kurze Skizze über die Grundzüge der sogenannten lundensischen Motivforschung vorausgeschickt (AI). Der systematischen Darstellung der Aulénschen Typenkonstruktion schließt sich ein Rückblick auf ähnliche, bisher in der Geschichte der Versöhnungslehre unternommene Versuche an, der „kirchlich-lateinischen" Versöhnungstheorie und den subjektiven Versöhnungsanschauungen eine dritte, schriftgemäße Gestalt der Versöhnungslehre entgegenzusetzen. Da auch in diese Richtung weisende Impulse in der früheren schwedischen Theologie besprochen werden, wird so die Aulénsche Arbeit in einen größeren theologiegeschichtlichen Zusammenhang gestellt, aus dem heraus ihre Bedeutung und Eigenart erst recht erkannt werden kann (A III). Nach einer Übersicht über die bisher um Auléns Werk: „Der christliche Versöhnungsgedanke" geführte Diskussion (Β I) wollen wir uns selbst in diese Diskussion einschalten. Zunächst werden wir den dualistischen Hintergrund des klassischen Versöhnungstyps analysieren und im Vergleich mit der näher zu untersuchenden „legalistischen" Struktur des lateinischen Typs ein Urteil über den klassisch-christlichen Charakter der dualistischen Grundkonzeption erarbeiten11. Auch die Interpretation Luthers als des Vollenders der klassisch-dualistischen Tradition wird uns in diesem Zusammenhang beschäftigen (B II). Auf diesem Hintergrund werden wir dann die Darstellung des Versöhnungsgeschehens selbst in den beiden von Aulén herausgearbeiteten und so unterschiedlich beurteilten Typen untersuchen und nach dem Recht solcher Typisierung und des für den klassischen Typ geltend gemachten Anspruchs fragen, allein unverfälschter 11 Da der dritte „subjektiv-anthropozentrische" Typ für das eigentliche ¡Anliegen Auléns und seiner Anhänger — die möglichst klare Herausarbeitung eines selbstän' digen „objektiven" (sc. des klassischen) Versöhnungstyps gegenüber dem bisher allein recht gewürdigten lateinischen — keine große Bedeutung hat, werden wir uns mit einer kurzen Skizze dieses Typs begnügen, der auch bei Aulén nicht wesentlich anders gesehen wird als bisher von den Vertretern des lateinisch-orthodoxen Versöhnungstyps.
4
Ausdruck christlichen Versöhnungsglaubens zu sein. Wie im vorhergehenden Teil wird auch hier die dogmengeschichtliche Kritik an der Wiedergabe des lateinischen Typs wichtige Voraussetzung für die Stellungnahme zur klassischen Soteriologie sein (B III). Diese Stellungnahme wird beider Analyse spezifisch „klassischer" Ausformungen der christlichen Versöhnungslehre vorbereitet und zuletzt in der Auseinandersetzung mit Auléns Lutherdeutung im Sinne des klassischen Versöhnungstyps vollzogen. Dabei zeigt es sich, daß die Entscheidung darüber, was als „echt christlich" zu gelten habe, zuletzt bei der Beantwortung der Grundfrage aller lutherischen Theologie nach dem Verständnis von Gesetz und Evangelium fällt, das hier in einer durch das Thema bedingten Sichtweise zur Sprache kommt (Β IV). Bei der Erörterung der zusammenfassenden Auslegung und „Typisierung" der neutestamentlichen Versöhnungsbotschaft durch Aulén wird sich unsere Entscheidung bewähren müssen (Β V). Rückblickend wird der abschließende Teil noch einmal die treibenden Kräfte und bleibend bedeutsamen Züge des schwedischen Beitrags zur Versöhnungslehre herausstellen, aber auch auf die Schranken und Gefahren der Typologie und der angewandten Beurteilungsmaßstäbe hinweisen (C).
δ
Α. Vorläufige Einordung und Charakterisierung der Typen I. Die Versöhnungstypologie im Rahmen der Motivforschung a) Die Methode der
Motivforschung
Wir deuteten in der Einleitung die methodische Eigenart der uns beschäftigenden schwedischen Arbeiten zur Versöhnungslehre schon kurz an : Durch möglichst klare Unterscheidung einiger Hauptformen christlichen Versöhnungsdenkens und die Untersuchung ihrer „Entwicklung" wollen sie zur klaren Erkenntnis der genuin christlichen Gestalt des Versöhnungsdenkens führen. I n dieser Weise wird in der sogenannten Lunder-Motivforschung, deren Methode die uns interessierenden, grundlegenden Arbeiten Auléns und Lindroths folgen, dogmengeschichtliche und systematische Theologie miteinander verbunden. Neben dem starken Interesse an der Wissenschaftlichkeit der Theologie, das uns hier nicht weiter beschäftigen soll 12 , ist das Bemühen, zu einer Bestimmung des Wesens des Christentums zu kommen, für die Motivforschung charakteristisch. Die wissenschaftliche Erkenntnis dieses „Wesens" ist Voraussetzung für die Ermittlung des echt Christlichen auf allen Gebieten der Dogmatik, besonders natürlich in ihrem Herzstück, der Versöhnungslehre. Wie aber kommt es nun zu einer zutreffenden Beschreibung des Wesens des christlichen Glaubens ? Nygren antwortet — da Aulén weithin dieselbe Terminologie gebraucht, allerdings ohne sie näher zu entfalten, macht er sich doch wohl auch im wesentlichen die bei Nygren gegebene Füllung 12
Siehe dazu vor allem Den allmänneliga kristna tron, § 1, S. 13ff. Die Objektivität, die rein wissenschaftlich deskriptive Aufgabe der Theologie verbietet nach G. Aulén und A. Nygren jegliche wertende Stellungnahme. Sie hindert aber nicht, daß sich im besonderen die systematische Theologie bemüht, aus den vielfältigen, als mehr oder weniger christlich geltenden Glaubensvorstel[ungen das eigentlich Christliche, die dem christlichen Glauben wesenhaft zugehörigen Aussagen über das Gottesverhältnis zu ermitteln. Es geht ihr dabei ja nur darum, ihr Forschungsobjekt möglichst klar und von allen mehr zufälligen Begleiterscheinungen und Entstellungen gereinigt darzustellen. Irgendeine Entscheidung über den Wahrheitsgehalt oder die Verbindlichkeit des christlichen Glaubens wird nicht gefällt. Siehe dazu auch A. Nygren, Eros und Agape, S. 20. — Trotzdem läßt sich natürlich nicht bestreiten, daß für den Christen mit dem Urteil über die größere oder geringere „Christlichkeit" einer „Glaubensvorstellung" ein Werturteil ausgesprochen ist. Wenn wir bei Aulén u. a. von Wertungen sprechen, verstehen wir sie in diesem Sinne.
6
der Begriffe zu eigen13 — durch die Erkenntnis des alle Glaubensinhalte färbenden, zueinander ordnenden und letztlich zusammenfassenden „Grundmotives" : „Mit dem Grundmotiv einer Anschauung meinen wir ihre Antwort auf eine Frage von so grundlegender Art, daß sie unter kategorialem Gesichtspunkt als Grundfrage bezeichnet werden kann 1 4 ." Es gibt einige wenige Grundfragen, die zu stellen und in irgendeiner Weise zu beantworten zum Wesen des Menschen gehört (nach Nygren) ; es sind vor allem die großen Lebensfragen der Menschheitsgeschichte nach dem Wahren, dem Guten, dem Schönen und dem Ewigen — die erkenntnistheoretische, ethische, ästhetische und religiöse Frage 15 . Auf die für uns hier wichtige religiöse Grundfrage geben die positiven Religionen die Antwort in der Weise, daß in dem „Grundmotiv" einer jeden Religion das Typische, in allen Einzelantworten Wiederkehrende dieser Antwort an den Tag kommt. Aufgabe der systematischen Theologie ist es, das spezifisch christliche Grundmotiv herauszuarbeiten. In irgendeiner bestimmten Grundaussage oder Grundgestimmtheit, die Ausdruck einer neuen Lebenseinstellung ist, muß dies Spezifische erfaßbar sein16, das dann in der Geschichte des Grundmotives sich mit den Grundmotiven anderer Religionen brechen, gefährdet, unterdrückt sein kann, aber doch das eigentlich Bestimmende bleibt und die Eigenart der Religion prägt. Die Aufgabe der theologischen Motivforschung besteht darin, Theologie und Frömmigkeit daraufhin zu untersuchen, wie weit sie legitime Ausformungen des christlichen Grund moti vs sind oder von anderen Motiven her in ihrer genuinen Christlichkeit getrübt oder verzerrt sind. Freilich kann die Theologie dabei das christliche Grundmotiv nicht als eine von vornherein eindeutige und in seinen Wirkungsmöglichkeiten fixierbare Größe zum festen Maßstab für die Beurteilung aller theologischen Bemühungen und Gestaltwerdungen im christlichen Frömmigkeitsleben machen. Vielmehr „wächst" das Grundmotiv erst recht in der Begegnung und Auseinandersetzung mit anderen Grundmotiven, erst da entfaltet es die in ihm schlummernden Potenzen. So führt erst die Geschichte des Grundmotivs zur vollen Erfassung des Motives selbst. Denn erst wenn es in der Geschichte im Kampf mit anderen Motiven wirksam wird, ist es, was es ist. „Wenn wir die beiden Motive (sc. Agapemotiv = christliches Grundmotiv und Erosmotiv) gegeneinander abgegrenzt haben, so geschah dies nicht, um einen leicht anwendbaren Maßstab für die Unter 1 3 Vgl. G. Aulén, Den allmänneliga- kristna tron, S. 150—152 (Grundmotiv) — S. 91 (Motiv und Vorstellungsform). 14 A. Nygren, Eros und Agape, S. 22. 1 5 Ebd. 1β Vgl. zum ganzen Abschnitt: A. Nygren, Eros und Agape, S. 13—26. — Zur Kritik: G. Wingren, Die Methodenfragen der Theologie, S. 20—36, 91—108.
2
80B1 Alpers, Versöhnung
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Scheidung zwischen Wertvollem und Minderwertigem in der christlichen Ideengeschichte zu besitzen, sondern dies geschah, weil der K a m p f zwischen diesen beiden Motiven der Schlüssel zum Verständnis dessen ist, was tatsächlich in der Geschichte des christlichen Gedankens geschehen ist 1 7 ." Trotzdem läßt sich' natürlich nicht leugnen, daß das aus der Geschichte erst in seinem ganzen Reichtum gewonnene christliche Grundmotiv n u n auch als kritische Instanz gegenüber den in dieser Geschichte auch und sehr häufig auftretenden Verzerrungen und Entstellungen dieses Grundmotivs geltend gemacht wird. „Wir werden oft Gelegenheit haben, nachzuweisen, wie das Agapemotiv durch Vermischung mit dem Erosmotiv abgestumpft und u m seine Wirkung gebracht wird 1 8 ." Nur m i t dem klaren Blick f ü r Eigenart und Einfluß der widerstreitenden Motive ist also eine sinnvolle ideengeschichtliche Untersuchung unter leitenden Gesichtspunkten möglich, die hilfreich zum rechten Erfassen des christlichen Grundmotivs ist 1 9 . E s besteht ein Wechselverhältnis zwischen dem in der Geschichte vorliegenden Material und dem durch den Forscher zu erhebenden Grundmotiv : Einerseits k a n n er es n u r aus ihm gewinnen, und die Richtigkeit seiner Konzeption muß sich am Material bewähren, andererseits gebraucht er dieses Grundmotiv auch als kritische Instanz gegenüber dem vorliegenden Material 2 0 . Dieses Verfahren entspricht etwa dem sogenannten hermeneutischen Zirkel: Die Schrift offenbart uns, „was Christum t r e i b t " ; das, „was Christum t r e i b t " , i s t wiederum Kriterium f ü r die Normativität der Schrift. b) Agape — das christliche Grundmotiv im Gegenüber zum Nomosmotiv Wir fragen, wie es dem „Zirkelverfahren" entspricht, das Resultat schon provisorisch vorwegnehmend, das sich f ü r uns an der Geschichte des christlichen Versöhnungsgedankens bewähren m u ß : Welches ist das auf die geschilderte Weise aus der christlichen Ideengeschichte zu gewinnende Grundmotiv, das als prägende K r a f t in allen christlichen Glaubensvorstellungen erkennbar sein m u ß ? Das „Ewige", nach dem der Mensch fragt, 17 Eros und Agape, S. 170f. (mit Kontext). — Siehe G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 23. — Siehe aber auch A. Nygren, Eros und Agape, S. 18f., wo der wissenschaftliehe Charakter der Motivforschung betont wird, da die Grundmotive von den Äußerungen der Religion her verifizierbar seien; denn ohne sie fehlt ihnen der Zusammenhang. 18 Eros und Agape, S. 20; man vergleiche etwa als ein sehr markantes Beispiel dio Darstellung der Passionsmystik (S. 522f.). 19 A. a. O., S. 170f. 20 Zu letzterem s. Anm. 18; zu ersterem Eros und Agape, S. 18f. und 178: „Die Frage, die es hier zu beantworten gilt, ist also, ob man überhaupt durch wissenschaftliehe Analyse das Grundmotiv oder die Grundkonzeption einer gegebenen Religionsform feststellen kann. Die Antwort auf diese Frage kann nur ein klares Ja sein" (S. 18).
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wird für den christlichen Glauben in dem Gott, der Agape ist, offenbar. Die göttliche Agape ist also das Grundmotiv, auf das alle christlichen Glaubensaussagen irgendwie bezogen sind. Welche folgenreiche Bedeutung die Bestimmung der göttlichen Agape als des christlichen Grundmotivs hat, mögen einige grundsätzliche Worte Auléns über das Agapemotiv zeigen: „Dieses (nämlich, daß Gott in Gemeinschaft mit dem Sünder tritt) bedeutet zunächst, daß das Gottesbild in seinem Allerinnersten die Züge der Liebe trägt. Nichts kann über Gott ausgesagt werden — sei es über seine Macht oder seinen Gegensatz gegen das Böse oder irgendetwas anderes —, das nicht letztlich eine Aussage über Gottes Liebe ist. So faßt die johanneische Aussage : „Gott ist Agape" nicht nur das für das Neue Testament Wesentlichste zusammen, sondern auch alles, was überhaupt über die Qualität des christlichen Gottesbildes ausgesagt werden kann. Keine anderen göttlichen „Eigenschaften" können der Liebe zur Seite treten, noch weniger können sie etwas aussagen, was die Liebe zunichte machen könnte. Nichts Entscheidenderes kann in der Frage nach dem christlichen Gottesbild gesagt werden als das, was in dem Wort gesagt wird: Gott ist Agape 2 1 ." Bei einer solchen Zusammenballung der christlichen Botschaft in einen Begriff kommt alles auf die rechte Entfaltung dieses Begriffs an. Entscheidend ist, daß die Agape ein theozentrisches Gottesverhältnis konstituiert, in dem Gott der Herr und der allein Gebende, der Mensch nur der Empfangende ist. Es gibt nichts am Menschen, das Gottes Liebe zu ihm motivieren könnte. „Erst wenn jeder Gedanke an den Wert des Gegenstandes ausgemerzt wird, weiß man, was Agape ist 2 2 ." Nichts als der Liebeswille Gottes motiviert sein Liebeshandeln, und nichts anderes als die grundlose göttliche Liebe gibt den Menschen einen Wert 2 3 . Gottes Liebe ist Agape auf der Basis der Sünde ; sie verwandelt den Sünder nicht in einen Heiligen, um ihn lieben zu können, sondern liebt den Sünder so, daß er heilig wird. Aber nicht im Blick auf seine zukünftige Heiligkeit liebt Gott den Sünder, sondern ohne alle Nebenabsichten, auch auf die Gefahr hin, „verlorene Liebe" zu üben, die vom Menschen verschmäht wird 24 . Dabei 21
G. Aulén, Den allmänneliga kristna tron, S. 151. Eigenartig ist, daß Aulén die Agape Gottes als ein christliches Grundmotiv bezeichnet (a. a. O., S. 150). Ob die unlöslich mit ihr zusammenhängende, dem Nächsten zugewandte menschliche Agape als das andere Grundmotiv, das ethische, gedacht ist? 22 Eros und Agape, S. 47. — Zum Verhältnis von Theozentrizität und Agape s. S. 24 f. und 139ff., bes. S. 140. 23 Vgl. bes. Eros und Agape, S. 45ff. : Der Sinngehalt der Agape. 24 Eros und Agape, S. 541 : „Mit paradoxer Zuspitzung könnte man Luthers Auffassung in die Formel fassen: Gottesgemeinschaft auf der Basis der Sünde, nicht auf der Basis der Heiligkeit." — Zur „verlorenen Liebe" s. S. 575—577 (Caritatis est falli); s. auch die Lutherzitate, die zeigen, in welchem Maße Gottes Liebe verlorene Liebe ist, die trotzdem nicht aufhört, die undankbaren Sünder zu lieben. 2*
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bleibt, wie Aulén mit Recht wesentlich stärker als Nygren hervorhebt, diese Agape unerbittlicher Widerspruch gegen die Sünde; die Liebe ist zugleich Gericht über den alten Menschen 25 . Sie bleibt auch gegenüber allen feindlichen Mächten die souveräne und alles in ihren Dienst zu nehmen fähige Macht 26 . Dieses christliche Agapegrundmotiv wird scharf gegen das alttestamentliche und auch im Christentum immer wieder durchbrechende Nomosmotiv abgegrenzt. Es wird freilich nicht geleugnet, daß das Nomosmotiv als Hintergrund für das Agapemotiv eine wichtige Bedeutung behält : Nur der, der den Weg des Nomosmotivs gegangen ist, kann Eigenart und Tiefe des Agapemotivs ganz ermessen. Diese psychologische, etwas verklausuliert behauptete Notwendigkeit des Nomosmotivs als negativer Vorbereitung zur rechten Aneignung des Agapemotivs schließt aber den radikalen Widerspruch zum christlichen Grundmotiv nicht aus : Nur so wie zur Vergebung die Sünde, gehört zum Agapemotiv das Nomosmotiv 2 7 . Das Nomosmotiv ist anthropozentrisch bestimmt: Es treibt den Menschen zu dem Versuch, die Gottesgemeinschaft auf der Ebene des Rechtes unter Berufung auf die eigene Gesetzeserfüllung zu erlangen und ist darin der schärfste Widerspruch zur theozentrischen Agapegemeinschaft. Jede Vorstellung von einer Rechtsgemeinschaft zwischen Gott und Mensch gehört in den Bereich des Nomosmotivs, wie es das Alte Testament beherrscht 2 8 : „Das Verhältnis zwischen Gott und Mensch wird hier unter dem Aspekt gegenseitiger Rechte und Pflichten aufgefaßt. Durch seine Leistungen gewinnt der Mensch .Verdienst' vor Gott, er (sc. Gott) wird ihm dadurch etwas schuldig. Und auf der anderen Seite : Dafür, daß Gott dem Menschen seine Güter (sitt goda) zuteil werden lassen soll, kann und muß 25 Siehe G. Aulén, Den allmänneliga kristna tron, S. 156ff. : Der Gegensatz der Liebe gegen das Böse ; bes. Abschnitt 2: Der Zorn der Liebe, S. 159ff. — Bei A. Nygren, Eros und Agape, S. 65ff. : Liebe und Gericht. Bei Nygren wird nur betont, daß die verschmähte Liebe Gottes dem Verächter zum vernichtenden Gericht wird, während Aulén hervorhebt, daß die göttliche Liebe gerade dem, den sie ergreift, weh tun muß, damit sie ihm als göttliche Liebe begegnen kann. 24 G. Aulén, Den allmänneliga kristna tron, S. 163ff. 27 Siehe Eros und Agape, S. 185. — Die Schwierigkeiten, die sich dadurch ergeben, daß der Gegensatz Agapemotiv — Nomosmotiv nicht jede positive Beziehung des Agapemotivs zum Gesetz Gottes ausschließen darf, werden später in anderem Zusammenhang und etwas anderer Form zur Sprache kommen. — Siehe dazu die Auseinandersetzung zwischen Nygren und Wingren auf Grund von Wingrens Kritik an Nygren in „Die Methodenfragen der Theologie" in den zahlreichen Diskussionseinlagen der STK 1956 und 1957. — Zum Verhältnis Gesetz-Nomosmotiv bei Nygren vgl. bes. STK 1956, S. 148-156. 28 Eros und Agape, S. 183: „Das Grundmotiv für die alttestamentliche Frömmigkeit ist nicht Agape, sondern Nomos." — Zur Charakterisierung der Rechtsgemeinschaft a. a. O., S. 40ff.
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er von ihm gewisse Leistungen fordern29." Das auch auf dieser Basis mögliche Liebesverhältnis zwischen Gott und Mensch ist ein motiviertes, Gott liebt nur den, der sich seiner Liebe würdig zeigt oder zumindest seine Unwürdigkeit bereut. So bleiben die Rechtsgesichtspunkte im Sinne der iustitia distributiva normativ und setzen der Liebesgemeinschaft zwischen Gott und Mensch enge Grenzen, innerhalb deren für die unbedingte Sünderliebe Gottes kein Raum ist 30 . Damit ist aber überhaupt der theozentrische Charakter der Gottesgemeinschaft preisgegeben, der verlangt, daß Gottes Souveränität in der Setzung und Gestaltung der Gemeinschaft nicht in irgendeiner Weise durch menschliche Rechtsansprüche, durch Normen, die dem schöpferischen göttlichen Liebeshandeln übergeordnet sind, durch ein mit Gottes Schöpferma j estât in seinem Gnadenhandeln konkurrierendes, heilwirkendes menschliches Handeln begrenzt werde 31 . So muß zuletzt das Nomosmotiv total der neuen Agapeordnung, in der alle Rechtsgesichtspunkte ihre Geltung verloren haben, weichen 32 . Dann kann auch schließlich das Verhältnis des Christentums zum Judentum — und d. h. für Nygren und Aulen auch das Verhältnis des Neuen Testaments zum Alten Testament — trotz aller Anknüpfungen nur ein gegensätzliches sein ; es handelt sich schließlich im Judentum ( = alttestamentliche Religion) und Christentum doch um zwei verschiedene, einander widerstreitende Religionen, die Religion des Nomos- und die des Agapemotivs 33 . 29
A. Nygren, Filosofisk och kristen etik, S. 249. Eros und Agape, S. 42. Zwar wird auf S. 42, Anm. 3., u n d S. 44 auch für d a s Alte Testament von „unmotivierter" Liebe — nicht von Sünderliebe — gesprochen, aber das ändert an der Gültigkeit der zusammenfassenden Formel nichts : „Die Liebe selbst ist in das Gesetzesschema eingeordnet" (S. 179). Siehe auch G. Aulén, Den allmänneliga kristna tron, S. 51: „Das Gottesverhältnis innerhalb des (sc. Alten) Bundes ist ein Rechtsverhältnis. Die Barmherzigkeit, um welche es sich von Gottes Seite handeln kann, ist prinzipiell unter einen nomistischen Gesichtspunkt gestellt. So heißt es charakteristisch: (folgt Zitat v o n P s . 103,17f). Auch wenn es denkbar ist, daß das eine oder andere Mal ein Dispens von den Forderungen des Gesetzes vorkommen könnte — wie in weit späterer Zeit bei Thomas von Aquino —, so hebt dies keineswegs das F a k t u m auf, daß die Gnade sich prinzipiell innerhalb des mit dem Gesetz gegebenen Rahmens bewegt. Das Gottesverhältnis ist prinzipiell als ein Rechtsverhältnis a u f g e f a ß t . " — Wichtig ist noch Nygrens Verständnis des Gerechtigkeitsbegriffes im J u d e n t u m und Alten T e s t a m e n t : „ D a s Verhalten Gottes zum Menschen erhält sein Gepräge nicht von der iustitia distributiva, sondern von der Agape, nicht von der vergeltenden Gerechtigkeit, sondern von der schenkenden Liebe" (Eros und Agape, S. 41: Altes Testament und J u d e n t u m sind hier in den Negationen gemeint). 31 Siehe etwa A. Nygren, Eros und Agape, S. 541 f. 32 Eros u n d Agape, S. 56: „ W o die spontane Liebe u n d Güte sich offenbaren, ist. die Rechtsordnung antiquiert." S. 179: „Gottes Liebe h a t keinen Platz im R a h m e n des Gesetzes. Das legalistische Schema fällt in Stücke." 33 Bei Nygren (Eros und Agape, S. 183ff.) rechtfertigen die (hauptsächlich f ü r die Urchristenheit aktuellen) messianischen Weissagungen und die „psychologische Notwendigkeit" des nomistischen Hintergrundes den Gebrauch des Alten Testaments in der Kirche. Bei Aulén wird das Neue Testament zwar als Erfüllung des Alten Testa30
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c) Grundmotive, Typen und Vorstellungsformen: hältnis zueinander
Die Begriffe in ihrem
Ver-
Der Kampf dieser „Religionen" wird aber auch in der Geschichte des Christentums weitergeführt, und das jeweils beherrschende Grundmotiv spiegelt sich in allen wesentlichen Glaubensaussagen wider 3 4 . Es ist nun die Aufgabe der Motivforschung, dieses in der Aussage über einen christlichen Glaubenssatz mehr oder weniger verborgen wirksame Grundmotiv dort aufzuspüren und nachzuweisen, wie die Einzelbestimmungen dieses Glaubenssatzes letztlich von dem Grundmotiv her geprägt sind. Angewandt auf die uns hier beschäftigende Lehre von der Versöhnung bedeutet das, daß die grundsätzlich voneinander unterschiedenen Versöhnungslehren verschiedenen Typen zugeordnet werden, hinter denen auch unterschiedliche Gottesbilder und damit letztlich verschiedene Grundmotive stehen 3 5 . Freilich fordert nicht jede Umgestaltung der Versöhnungslehre gleich die Zuweisung zu einem neuen Typ, da die Lehrunterschiede u. U . das dahinter stehende Gottesbild nicht wesentlich verändern. E s könnte sich bei den ,,Lehrunterschieden" nur u m einen zeitbedingten Wandel der Vorstellungsformen handeln, der nur die Form betrifft. Überhaupt sind v o n der Verwendung bestimmter Vorstellungsformen her noch keine sicheren Schlüsse auf die Zugehörigkeit einer „Versöhnungslehre" zu einem bestimmten T y p möglich. Vorstellungsformen — wie etwa der kultische Opfer-
ments bezeichnet, aber diese Erfüllung ist, wie an den Begriffen Gesetz, Verheißung und Opfer illustriert wird, praktisch die Aufhebung des Alten Testaments. Letztlich gilt: „Die Rechtsreligion (des Alten Testaments) ist ersetzt worden durch das Gottesverhältnis der spontanen, unverdienten Liebe" (Den allmänneliga kristna tron, S. 54). Siehe auch Das christliche Gottesbild, S. 21—27. ..Dies ist (sc. die neue Art der Gottesgemeinschaft) — um Jesu Bild in Matth. 9,17 anzuwenden — der neue Wein, der die alten Schläuche zerreißen und das Christentum aus dem Judentum als eine vollständig neue Religion hervorgehen lassen sollte" (Eros und Agape, S. 40). — So stimmen Nygren und Aulén in der Beurteilung des Verhältnisses von Christentum und alttestamentlicher Religion überein. Allerdings bringt Auléns neueste fünfte Auflage seiner Dogmatik gerade hier entscheidende Änderungen gegenüber der vierten; in ihr wird die Kontinuität der heilsgeschichtlichen Linie vom Alten Testament zum Neuen Testament sehr viel stärker betont, und von der emphatischen Gegenüberstellung der alttestamentlichen Rechtsund der neutestamentlichen Liebesreligion bleibt nur ein wesentlich schwächerer Nachklang am Schluß übrig (Den allmänneliga kristna tron, 5. Auflage, S. 46). 34 Man vergleiche dazu, wie bei Nygren (Eros und Agape, S. 175ff.) der Kampf der drei, verschiedenen Religionsformen zugehörigen Grundmotive, Nomos, Eros und Agape im Christentum dargestellt wird. 35 G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 34: „Die Ausgestaltung des Versöhnungsgedankens hat ein entscheidendes Wort über die Beschaffenheit des Christentumstyps zu sagen — dieses um so mehr, als die Präge nach Christus und seinem Lebenswerk direkt zurückführt auf den tiefsten Inhalt des Gottesglaubens: Das Gottesbild wird mit großer Deutlichkeit im Versöhnungsgedanken widergespiegelt." 12
oder der rechtliche Genugtuungsgedanke — können sogar verschiedenen Typen gemeinsam sein; nur erhalten sie jeweils im Zusammenhang ein anderes Gewicht oder verschiedene Deutungen : Im lateinischen Versöhnungstyp etwa wird (nach Aulén) das Opfer als menschliche, Gott dargebrachte Leistung, im klassischen als Ausdruck für die Schwere des Weges der göttlichen Liebe zum Menschen verstanden 36 . Wir haben also zu unterscheiden zwischen den jeweils einheitlich die Ganzheit des Christentumsverständnisses bestimmenden Grundmotiven und den ihnen jeweils zugeordneten Lehrtypen, in denen sich auf einem bestimmten Gebiet der christlichen Glaubenslehre — zum Beispiel der Versöhnungs-, Sünden- oder Abendmahlslehre — das jeweilige Grundmotiv widerspiegelt, und schließlich den Vorstellungsformen. Diese Vorstellungsformen, deren sich ein Typ bedient, können wechseln, können auch verschiedenen Typen gemeinsam sein, ohne daß damit die Eigenständigkeit und der Grundcharakter eines Typs preisgegeben wird 37 . Die von uns zu untersuchenden Versöhnungstypen sind nicht das Ergebnis einer „Freihandkonstruktion" von einem gegebenen Agape- oder Nomosmotiv aus, sondern sie sind als Zusammenfassungen der wesentlichen, eigengeprägten Versöhnungsanschauungen innerhalb der christlichen „Ideengeschichte" gewonnen worden und wollen nichts anderes sein als eine dem geschichtlichen Sachverhalt gerecht werdende Profilierung der treibenden Kräfte und Gegenkräfte auf diesem Gebiet. Dabei interessieren die möglichst reinen Ausprägungen der Typen mehr als die zahlreichen Kompromiß versuche oder auch unbe wußte, aber unorganische Motivmischungen, die in der Aulénschen Darstellung zurücktreten. Natürlich liegt es im Wesen der Motivforschung, daß sie zwischen Wichtigem und Unwichtigem scheiden muß, daß sie hinter wechselnden Formen gleiche Grundanliegen herausspüren muß, daß sie um der Klarheit willen typische Merkmale zuspitzen muß und darum die Legitimation ihrer Ergebnisse durch das geschichtliche Material niemals mit mathematischer Präzision erbringen kann. Im ganzen aber handelt es sich trotzdem um eine auf historischem Gebiet nachprüfbare Konstruktion von Typen, hinter denen 38
G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 265f. und Den allmänneliga kristna tron, S. 91ff. : Hier werden Lehre und Vorstellungsform in engen Zusammenhang gebracht. 37 Aulén unterscheidet nicht so scharf zwischen Typ und Grundmotiv. Er verwendet einen sehr weiten Motivbegriff. So kann er sogar sagen : „Meine Absicht ist, zu versuchen, die verschiedenen Haupttypen zu analysieren, in denen das christliche Versöhnungsmotiv hervortrat" (Den kristna försoningstanken, S. 23). Uns scheint es der Absicht der Motivforschung am ehesten zu entsprechen, wenn man von verschiedenen Versöhnungstypen spricht, in denen die verschiedenen Grundmotive — oder auch eine Mischung verschiedener Grundmotive — in Erscheinung treten.
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jeweils ein — manchmal verschiedene Vorstellungsformen durchdringendes — Grundmotiv aufgespürt wird 38 . d) Zum Verständnis des Begriffes
„Versöhnung"
Ehe wir nun — mit den Grundzügen der angewandten Methode und ihren Grundbegriffen vertraut — zur Darstellung der Versöhnungstypen übergehen können, muß der in den Typen zwar nachher verschieden gedeutete und beleuchtete Versöhnungsaspekt des Heilsgeschehens doch seinem vom Begriff her schon gegebenen, der typologischen Näherbestimmung vorausliegenden Inhalt nach umschrieben werden. Was ist also unter Versöhnung zu verstehen ? „Versöhnung ist Wiederherstellung eines gestörten Verhältnisses zwischen Personen 3 9 ." Aus dieser Definition Mandéis ergibt sich schon, daß in unserem Zusammenhang von Versöhnung nur dort die Rede sein kann, wo es um die Wiederherstellung der ursprünglichen, aber gestörten Beziehung des Menschen zu Gott geht, daß also die andere Perspektive des christlichen Heils als Erlösung, als Befreiung von bösen Mächten, von allen Nöten und Schrecken des menschlichen Daseins uns nur soweit interessieren kann, als sie im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Gottesgemeinschaft des Menschen steht 4 0 . Die „negative Voraussetzung" der Versöhnung ist ein Feindschaftsverhältnis zwischen den Partnern, das von (mindestens) einem Partner verschuldet ist. Der besondere Wert des Begriffes „Versöhnung" liegt darin, daß hier in einem dem Bereich des rein personalen, mitmenschlichen Lebens entnommenen Worte die Heilsbedeutung Christi für uns beschrieben wird und dieses Heil, wenn man so will, ganz theozentrisch „ n u r " als Wiederherstellung der Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch in den Blick genommen wird. Daß unser Wort in das menschliche Gemeinschaftsleben gehört, gilt zumindest für das eine wichtige griechische Äquivalent (απο) (κατ) αλάσσειν — vgl. auch 1. Kor. 7,11; Mt. 5,24 (διαλάσσω) —41, vielleicht auch ursprünglich für das deutsche Wort „versöhnen" = „sühnen", das wohl den Weg zur Überwindung von Uneinigkeit, meist durch einen Mitt38
Siehe schon die Themastellung Auléris: „Die Geschichte des christlichen Versöhnungsgedankens" (Den kristna. försoningstanken, S. 5); s. auch S. 34: „Wenn die Umrißzeichnung der Geschichte des Versöhnungsgedankens, welche eben gegeben wurde, legitimiert werden k a n n . . . " — Über die Methode der Motivforschung äußert sich Aulén hier nicht. Zu vergleichen ist A. Nygren, Eros und Agape, S. 17ff. N y gren urteilt sehr zuversichtlich über die wissenschaftliche Stringenz seiner Methode ; kritischer ist G. Wingren, Die Methodenfragen der Theologie, S. 95f. 39 A. Mandel, Christliche Versöhnungslehre, S. 1. 40 Zur Unterscheidung von Erlösung und Versöhnung vgl. R E 3 V, S. 460ff. s. v. Erlösung (auch noch für das Folgende). 41 Siehe ThWNT 1, S. 255ff. (s. ν. καταλάσσω).
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1er, angibt. Allerdings h a t L u t h e r auch die stark kultisch geprägte Terminologie für das Heilswerk Christi — Ιλάσκεσϋαι usw. — m i t „Versöhnung" und „versöhnen (versühnen)" wiedergegeben und h a t t e dazu wohl schon von dem damaligen W o r t v e r s t ä n d n i s her A n l a ß 4 2 . Aber in jedem F a l l e gibt doch der Begriff — auch wenn er sich v o n dem kultischen Gebrauch mit herleitet — dem Heilsgeschehen als einem personalen Geschehen zwischen Gott und Mensch unzweideutig Ausdruck 4 3 . E s entspricht auch dem Begriff, wenn Aulén gegenüber der für die Geschichte des Versöhnungsgedankens verhängnisvollen starren Alternative objektive oder subjektive Versöhnung betont, daß diese als zwischenpersönliches Geschehen auf beide Seiten, auf Gott und Mensch, Auswirkungen habe und daher niemals bloß objektiv oder subjektiv verstanden werden könne 4 4 . Denn selbst wenn der die Versöhnung herbeiführende P a r t n e r schon vorher,, versöhnl i c h " gesinnt war, so bedeutet es doch auch für ihn etwas anderes, ob er es m i t einem gegen ihn und seine Liebe verschlossenen und rebellierenden oder einem von seiner Versöhnungstat bezwungenen P a r t n e r zu tun h a t 4 5 . 42 Siehe bei M. Kahler, Die Lehre von der Versöhnung, den interessanten Einleitungsabschnitt über die Begriffsgeschichte. Zur Geschichte des deutschen Wortes und Luthers Bibelübersetzung s. dort S. 8ff. und die einschlägigen etymologischen Wörterbücher s. v. Versöhnung. Ursprünglich ist im Deutschen mit Sühne ( = Versöhnung) vielleicht ein Urteil, das zur Wiederherstellung des friedlichen Verhältnisses zwischen den verfeindeten Partnern führt, gemeint. 43 Vgl. ThWNT I I I , S. 3 0 0 - 3 2 4 (s. ν. ίλάσκεσ&αι usw.), auch zur Wandlung der Wortbedeutung. Aus dem menschlichen Versuch der Umstimmung Gottes wird das Handeln Gottes am Sünder. Man wird daher auch nicht zwischen der Versöhnung Gottes (expiatio = ίλααμός) und der durch diese bedingten Versöhnung des Menschen (reconciliatio = χαταλλαγή) unterscheiden können: Chr. Luthardt, Kompendium der Dogmatik, S. 173; vgl. zur Bedeutung der kultischen Bilder auch P. Althaus. Die christliche Wahrheit I I , S. 242f. 44 Aulén hält allerdings mit Betonung daran fest, daß auch der klassische Typ eine „objektive" Versöhnungslehre vertritt. Doch soll der Begriff „objektiv" in diesem Zusammenhang stärker die der menschlichen, subjektiven Heilsaneignung „vorausliegende Gegebenheit" und universal-kosmische Bedeutung der Versöhnungstat bezeichnen denn Gott als „Objekt" der Versöhnung. Vgl. Den allmänneliga kristna tron, S. 266: „Was besonders den klassischen Versöhnungsgedanken der Christenheit betrifft, ist es nach dem Vorhergehenden ganz deutlich, daß er in eminentem Sinne einen „objektiven" Zug hat : das, was durch das vollendete (fullkomnade) Lebenswerk Christi zustande gekommen ist, hat für die Sicht des Glaubens im höchsten Grade den Charakter von etwas objektiv Gegebenem. Aber das ist auf der anderen Seite ebenso deutlich, daß dieser Versöhnungsgedanke auch eine .subjektive' Seite hat, insofern als die Gottestat der Versöhnung ständig von neuem im menschlichen Leben verwirklicht wird. . . " (etwas anders, traditioneller Den kristna försoningstanken, S. 26). 45 Vgl. Rom. 5,9f.: der Schluß a minori ad maius. — Die unbedingte „Vorrangstellung" Gottes im Versöhnungsgeschehen bringt das Neue Testament dadurch zum Ausdruck, daß Gott immer der Versöhnende und der Mensch der Versöhnte ist. „Die Versöhnung ist nicht wechselseitig in dem Sinn, daß beide in gleicher Weise aus
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Gibt uns so der Begriff selbst schon gewisse Hinweise auf den Bereich, in dem sich das unter ihn befaßte Heilsgeschehen abspielen muß, sagt er auch an sich schon etwas über die vorausgesetzte Ausgangslage aus, so läßt er doch für die Gestaltung des Aktes selbst weiten R a u m : „Es ist an und für sich denkbar, daß eine Versöhnung zwischen zwei Partnern auf verschiedene Weise zustande kommt. Sie kann verwirklicht werden durch Verhandlungen von Seiten beider Partner, sie kann auch verwirklicht gedacht werden durch die Vergleichsmaßnahmen (förlikningsätgärder) eines dritten vermittelnden (mellankommande) Parts, und sie kann schließlich verwirklicht werden durch die Handlungsweise des einen Partners 4 6 ." Auch die Art und Tiefe des Gegensatzes der beiden Partner wird sich auf den Vollzug der Versöhnung auswirken; je nachdem ob der Feind stärker als ein von bösen Mächten aufgehetzter und mitgerissener Mensch oder als eigenmächtiger Aufrührer und Beleidiger des anderen gedacht wird, kann die Versöhnung stärker in einer Lösung jenes Partners von den verderblichen Mächten oder in der Vergebung seiner Schuld sich vollziehen. Dem eigentlichen Begriffsinhalt ist die zweite Deutung gemäßer. Auléns Definition der Versöhnung geht dagegen in die erstgenannte Richtung: „Das Heil ist seinem innersten Charakter nach eine Versöhnung : ein Aufrichten des zerbrochenen (brutna) Gemeinschaftsverhältnisses zwischen Gott und Welt. Wenn das Gemeinschaftsverhältnis durch das gegen den Gotteswillen streitende Böse zerbrochen war, so handelt es sich zunächst um das Zerbrechen und die Überwindung der Macht, welche Gott und die Welt trennt. Das in Christus ausgeführte Gotteswerk sieht der Glaube damit primär als ein Erlösungs- und Befreiungswerk. . . . Aber gerade dieses Erlösungswerk ist gleichzeitig im innersten eine Versöhnungstat : Das Überwinden des Gottfeindlichen ist gleichzeitig und vor allem Versöhnung, die Aufrichtung eines Gemeinschaftsverhältnisses zwischen Gott und Welt 4 7 ." Feinden zu Freunden würden, sondern gerade in der Versöhnung ist die Überordnung Gottes über die Menschen in jeder Beziehung gewahrt" (ThWNT I, S. 255). Andererseits ist damit nicht ausgeschlossen, daß das Versöhnungsgeschehen auf Gottes Stellung zur Menschheit zurückwirkt, die vorher von der Feindschaft des Menschen gegen Gott ihr Gepräge erhielt. Das Verstricktsein des Menschen in die Selbstsucht, die Gottes Liebesgebot nicht erfüllen kann (Rom. 8,7c), und demgemäß das Stehen unter dem Mißfallen (Rom. 8,8), Zorn, Gericht Gottes sind das Wesentliche am Zustande des Menschen vor der Versöhnung (ThWNT I, S. 258). 48 G. Aulén, Den allmänneliga kristna tron, S. 249 f. 47 G. Aulén, Den allmänneliga kristna tron, S. 249. —Als instruktives Gegenstück mag hier die Definition von Bengel auf Grund von 2. Kor. 5,18ff. stehen: „Expiatio sive propitiatio, ίλασμός-άπολντρωσιζ, redemtio (a peccato et miseria) est in fundo unicum beneficium sc. restitutio peccatoris perditi Redemtio est respectu hostium et reconciliatio est respectu dei. atque hie voces Ιλασμός et καταλλαγή iterum différant. ίλασμός tollit offensam contra deum, καταλλαγή est δίπλενρος et tollit a) indignationem dei adversum nos 2. Cor. 5,19, b) nostramque abalienationem a deo 2. Cor. 5,20 (ad Rom. 3,24)" (zitiert bei Kahler, a. a. 0 . , S. 16f.). Kahler weist auf die ver-
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Noch stärker kommt diese Verschiebung im Versöhnungsbegriff im folgenden Zitat zum Vorschein :, ,Um eine Versöhnung handelt es sich schon deswegen, weil durch den Sieg über die feindlichen Mächte eine verwandelte und von Versöhnung geprägte Situation zwischen Gott und Welt zustande kommt 4 8 ." — Da uns die Näherbestimmung „von Versöhnung geprägt" hier, wo es um eine Definition gerade der Versöhnung geht, nichts helfen kann, bleibt also nur das Zustandekommen der verwandelten Situation zwischen Gott und Mensch als Definition von Versöhnung. Damit ist aber der Begriffsinhalt nicht voll wiedergegeben : Denn zwei wesentliche Elemente fehlen oder treten doch zurück : Einmal daß die Versöhnung ÍFieáerherstellung des ursprünglichen, schöpfungsmäßigen, rechten GottesVerhältnisses ist, zum andern daß der Mensch als Feind und Empörer gegen Gott versöhnt wird 49 . Für Aulén bedeutet Versöhnung also lediglich, daß die vorher nicht vorhandene Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch gestiftet wird. Diese Gemeinschaftsstiftung, die Versöhnung, vollzieht sich nach Aulén durch die Überwindung der Mächte, die Erlösung. Damit bleibt — jedenfalls begrifflich die „Versöhnung" (in der Deutung Auléns) der Erlösung vorgeordnet, da ja die feindlichen Gewalten um der Aufrichtung der Gottesgemeinschaft willen besiegt werden. Insofern kann sich wohl auch Aulén Nygrens Definition des Christentums als „Versöhnungsreligion 51 " zu eigen machen. Gerade darin liegt ja die theozentrische52 Ausrichtung des christlichen Glaubens begründet, daß für ihn das Heil und die Versöhnung als „Friede mit Gott" (Rom. 5,1) zusammenfallen. hältnismäßig untergeordnete Bedeutung des reconciliatio-Begriffes in der alten Dogmatik hin. Kernbegriff war wohl die satisfactio im munus sacerdotale. 48 Den kristna försoningstanken, S. 11. 49 Wenn etwa ein Herrscher einen seiner Untertanen, der im Krieg von den Feinden gefangen und dadurch von seinem Herrn getrennt war, zurückkaufte, war für den Untertan eine neue Situation geschaffen, aber man würde doch niemals von seiner Versöhnung mit dem Herrscher sprechen, noch weniger, wenn überhaupt auf ein ursprüngliches, ungebrochenes Verhältnis gar nicht reflektiert wird, sondern die sogenannte Versöhnung einfach nach Analogie des Sklavenloskaufs vorgestellt wird, wo dann freilich primär das Verhältnis zu dem Käufer ins Auge gefaßt wird. 50 Praktisch richtet sich Auléns Interesse, wie sich zeigen wird, hauptsächlich auf die nähere Entfaltung des Erlösungsgeschehens. Auch begrifflich sind Auléns Formulierungen nicht immer einheitlich. So wird in Den kristna försoningstanken, S. 127, für die Alte Kirche und Paulus davon gesprochen, daß die Erlösung die Versöhnung „einschließe"; damit ist aber die Versöhnung als ein Teilstück der Erlösung untergeordnet. 51 Vgl. A. Nygren, Filosofisk och kristen etik, S. 239. 12 Der etwas vage Begriff „theozentrisch" besagt hier, daß Gott der Aktive, Handelnde, Bestimmende in einem Geschehen, Verhältnis oder ähnlichem ist (vgl. dazu Anm. 143; H. Lindroth, a. a. O., S. 360 und 364). So ist der klassische Versöhnungsgedanke deswegen theozentrisch, weil es hier Gott selbst ist, der die bösen Mächte überwindet. Althaus verwendet den Begriff in der Soteriologie anders: vgl. Grund -
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Wie schon an Rom. 5,1 ff· deutlich wird, ist eine strenge Unterscheidung zwischen Versöhnung und Rechtfertigung nicht ganz leicht, wenn man nicht die sogenannte objektive und subjektive Seite des Heils zum Schaden der Sache und gegen den paulinischen Sprachgebrauch (siehe die Parallelität von Rom. 5,9 und 10) auseinanderreißen will 53 . Doch hat die kirchliche Unterscheidung der „objektiven" Versöhnung als causa meritoria 5 4 der Rechtfertigung von ihr selbst als der Heilszueignung an den einzelnen darin ihr Recht, daß sie die göttliche Setzung der Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch in Christi Tat begründet sieht und der doppelseitigen Beziehung des Versöhnungsgeschehens gegenüber den rein „subjektiven" Versöhnungsanschauungen, die eigentlich ebenso wie eine rein objektive, d. h. von der Rechtfertigung gelöste, schon dem Begriff widersprechen, Rechnung trägt 5 5 . Man kann das Verhältnis auch so umschreiben (diese Umschreibung ist wohl sachgemäßer als die durch den Begriff causa meritoria, der den wesentlich weiteren, die „Rechtfertigung" mit umfassendem Inhalt der Versöhnung verkürzt) : Die Versöhnung — nun allerdings schon verstanden als die durch Christus vollzogene Versöhnung — gibt die Antwort auf die Frage, wie sich die Rechtfertigung des Sünders ereigne 56 . Man muß allerdings die Verschiedenheit der Bilder, die einmal mehr den Weg zur Gemeinschaft, einmal mehr die Setzung der Gemeinschaft selbst als einen schöpferischen, göttlichen Rechtsakt im Auge haben, berücksichtigen. Das Ergebnis unseres vorläufigen Definitionsversuches ist also: Die Versöhnung ist Wiederherstellung der von Menschen schuldhaft zerbrochenen Liebesgemeinschaft zwischen Gott undMensch durch und in Jesus Christus. Da Gott und Mensch an diesem Verhältnis beteiligt sind, hat das
riß der Dogmatik II, S. 109ff. Anselms Versöhnungslehre ist für ihn theozentrisch, weil in ihr das Heil vor allem in der dem Sünder wieder zugewendeten Barmherzigkeit Gottes gesehen wird und die Erlösung vom Übel eine untergeordnete Bedeutung bekommt. Da diese Erlösung von den kosmischen Mächten (s. Gal. 4,3) in der Alten Kirche als entscheidende Heilstat Christi gilt, bezeichnet Althaus ihre Soteriologie als „kosmozentrisch". 53 Vgl. z. B. die Gleichsetzung von Versöhnung und Rechtfertigung (für das Neue Testament) bei P. Althaus, Die christliche Wahrheit II, S. 242 und 401. 54 So J. Gerhard, Loci XVII, Cap. II § 31. 55 Siehe S. 15f.; vgl. auch P. Althaus, Die christliche Wahrheit II, S. 254f. 66 Vgl. dazu M. Kahler, a. a. O., S. 17: „Das Wort (sc. reconciliatio) bekommt seinen Wert bei ihm (sc. Calvin) nicht durch die deutliche Anschauung von der Rechtfertigung, sondern auch für ihn bietet vielmehr dieser Ausdruck die nähere Erklärung von ,Rechtfertigung', weil in ihm ausgesagt ist, wie Gott Sünden vergibt." — Bei Aulén werden die beiden Teile seiner Christologie (Den allmänneliga kristna tron, S. 231—358), in denen erstens die Versöhnung (S. 231—285) und zweitens die Rechtfertigung ( = Vergebung; S. 286—358) im Zentrum stehen, als Heilsermöglichung lind -Verwirklichung voneinander unterschieden.
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Geschehen auf beiden Seiten Auswirkungen. Insofern umfaßt die Versöhnung die Rechtfertigung. Andererseits ist es denkbar, daß dritte Mächte der Versöhnung hindernd im Wege stehen ; insofern kann auch ihre Überwindung für die Versöhnung Bedeutung haben. Aber diese selbst ist ex definitione ein Geschehen zwischen Gott und Mensch ; daher muß, wenn wirklich der christliche Glaube in der Versöhnung seinen nervus und sein centrum besitzen soll, dieses personale Verhältnis im Mittelpunkt stehen. Damit wird nicht von einer Begriffsdefinition über das christliche Heilsverständnis entschieden, es wird damit nur gesagt, daß die Bezeichnung des Christentums als „Versöhnungsreligion" dann verwirrend und durch eine der Sache gemäßere zu ersetzen ist, wenn dieses Verhältnis nicht im Mittelpunkt steht. Im übrigen läßt die Begriffsbestimmung für den Vollzug der Versöhnung, wie aufgezeigt wurde, noch mancherlei Möglichkeiten offen. Als Deutungen oder, vielleicht besser, Versuche theologischer Besinnung über diese — vorläufig nur in ihrem vorgegebenen Begriffsumfang bestimmte — Versöhnung zwischen Gott und Mensch wollen wir nun die von Aulén entwickelten Versöhnungstypen betrachten. II. Darstellung der Versöhnungstypen In drei Haupttypen geschieht nach Aulén diese theologische Deutung oder denkerische Aneignung des christlichen Versöhnungsgeschehens, in drei Typen, die bis in das Zentrum der Glaubenserkenntnis, bis in die Schilderung des Gottesbildes, voneinander geschieden sind 57 . Um einen Eindruck von der Geschlossenheit der einzelnen Typen und ihrer Eigengeprägtheit in der Aulénschen Darstellung zu vermitteln, zeichne ich zunächst, hauptsächlich im Anschluß an die grundlegende Aulénsche Arbeit — soweit möglich ohne auf historische Fragen einzugehen —, die Typen nach und hoffe, daß auch hierbei das Aulén bei seiner Konturenzeichnung bewegende Anliegen deutlich wird: „Meine Absicht ist, . . . zu versuchen, die verschiedenen Haupttypen zu analysieren, in welchen das christliche Versöhnungsmotiv in Erscheinung tritt, so daß die Eigenart eines jeden so klar wie möglich sichtbar werden möge 5 8 ." Das Hauptinteresse richtet sich dabei auf die Analyse des erst von Aulén in seiner Eigenständigkeit und entscheidenden theologischen Bedeutung recht entdeckten (zum Geschichtlichen s. A. I I I ) sogenannten klassischen Typs, der im Neuen Testament, in der Alten Kirche und bei Luther klar, wenn auch nicht immer in gleicher Tiefe, ausgeprägt ist und auch im 57 Vgl. dazu besonders das letzte Kapitel aus G. Aulén, Den kristna försoningstanken: Rückblick und prinzipielle Beleuchtung. 5 8 Ebd., S. 23 — Zur Verdeutlichung wird auch Auléns Dogmatik (Den allmänneliga kristna tron, 4. Auflage), die ganz von der „klassischen Christentumsdeutung" beherrscht wird, herangezogen.
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Mittelalter noch latent neben dem lateinischen Typ wirksam war 59 . Wir nehmen für diesen ganzen Abschnitt (A II) in der Regel den Standpunkt Auléns ein, versuchen allerdings die Ergebnisse begrifflich schärfer als Aulén zu fixieren. — (Wenn bei der Darstellung des klassischen Typs der Eindruck entstehen sollte, daß die zunächst dargelegten Grundzüge nicht recht zu den jeweils folgenden „vertiefenden" paulinisch-lutherischen Gedanken passen wollen, so handelt es sich nach Aulén um einen Irrtum. Aulén betont noch stärker als wir selbst die bei allen Unterschieden im. einzelnen durchgehende strukturelle Einheit des Typs. Wir haben — auch im Blick auf die folgende Kritik — die Besonderheiten der paulinischhitherischen „Vertiefung", wie Aulén sie sieht, kräftiger hervorgehoben.) a) Der klassische Typ: Versöhnung durch Christus als Sieg der Agape über die ,,Mächte" 1. D e r d u a l i s t i s c h e H i n t e r g r u n d
Worin zeigt sich die Eigenart des klassischen Typs ? Das Versöhnungsdrama ereignet sich in einer vom Teufel und anderen Verderbensmächten beherrschten Welt, um deren Befreiung von diesen „Mächten" Gott kämpft. Es ist also die dualistische Weltsicht, die diesen Versöhnungstyp kennzeichnet60. Nicht alles, was in der Welt geschieht, ist Gottes Wille. Weder die Sünde noch das aus ihr resultierende Übel geht auf den göttlichen Willen zurück, sondern auf einen gottwidrigen Willen, der Gottes Schöpfer- und Liebeswillen zerstörerisch entgegenwirkt. „Das bedeutet nicht (sc. daß die Liebe die härtesten Mittel für ihre Absichten gebrauchen kann), daß die Sünde und das Böse, das seinen Ursprung in ihr hat, Äußerungen des göttlichen Willens wären. Man kann nicht auf Gottes Willen zurückführen, was direkt der Offenbarung und Handlungsweise dieses Willens im Christuswerk widerstreitet" 61 . Im Interesse des Agapemotives, der letzten Triebkraft des klassischen Versöhnungstyps, muß also dieser Dualismus behauptet werden, weil eine monistische „Weltanschauung" Gottes Allmacht zu einer qualitätslosen Allursächlichkeit umfälschen muß. Und doch handelt es sich, trotz dieser Selbständigkeit der bösen Gewalten, zu denen auch Sünde und Tod und im vertieften paulinischen und lutherischen Verständnis auch Gottes Zorn und Gesetz in einer bestimmten Perspektive gehören, nicht um einen absoluten metaphysischen Dualismus zwischen zwei gleichrangigen und gleichmächtigen Prinzipien. — Denn es wird — zunächst in offenbarem Widerspruch zu dem Vorherigen — doch an Gottes letzter Souveränität festgehalten und durch sie der Dualismus Den kristna försoningstanken, z. B. S. 13 f. Vgl. ebd., z. B. S. lOf. und 257. 6 1 Den allmänneliga kristna tron, S. 217 (vgl. auch den ganzen wichtigen Abschnitt: Der Gotteswille und der Geschehensablauf [händelseförloppet]). 59
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begrenzt: „Gott ist der Souveräne, aber gleichzeitig der, welcher gegen feindliche Mächte kämpft. Die Verderbensmächte sind gegen den Gotteswillen feindliche Mächte, aber sie sind gleichzeitig eine Art Exekutoren dieses Willens und insofern Ausdruck für sein Verhältnis zur Menschheit" 6 2 . Das heißt, daß Gott die von ihm nicht geschaffenen und ihm widerstrebenden Mächte in seinen Dienst zwingt, daß die Gewalten, die gegen Gottes Willen in der Welt wirken, doch letztlich seinem Willen unterworfen werden. Freilich seheint hier, wie sich im folgenden herausstellen wird, auch eine fortdauernde, Gottes Willen entgegengesetzte Wirkweise dieser Mächte angenommen zu sein; sie gehen nicht darin auf, Vollstrecker des göttlichen Willens zu sein. Ein rational nicht mehr erfaßbares Schillern zwischen dem „reinen" Dualismus: „Gott — Verderbensmächte als Widersacher" — und seiner Begrenzung: „Gott — Verderbensmächte als Vollstrecker des göttlichen Willens" ist so für den klassischen Versöhnungstyp charakteristisch. „Einerseits ist der Teufel Feind, Verführer und Usurpator, andererseits hat er sich ein gewisses „ R e c h t " über die Menschen erworben. Der erstgenannte Gedanke macht das dualistische Element anschaulich — den Gegensatz zwischen dem Gotteswillen und dem Teufel als dem Repräsentanten und der Inkarnation des Bösen. Der zweite Gedanke macht dagegen die Begrenzung des Dualismus anschaulich: Das Böse ist nicht eine mit Gott gleichgestellte Macht — soweit der Teufel über die Menschen herrscht, hat er letztlich seine Gewalt von Gott und steht als eine Art Exekutor des Gerichtes der Gerechtigkeit Gottes über den sündigen und schuldigen Menschen 6 3 ." Doch bleibt die dualistische Kampfperspektive auch dann, wenn die Verderbensmächte als Exponenten des göttlichen Gerichts betrachtet werden, in Geltung; denn Gottes ewiger Liebeswille widerstreitet seinem vernichtenden Gerichtszorn, der in den Verderbensmächten wirksam ist. Diese besonders Luther eigene Anschauung, die gerade die unmittelbar auf Gott in ihrer Gerichtsfunktion bezogenen Mächte, seinen Zorn und sein Gesetz, als die gefährlichsten Gegenspieler des göttlichen Heilswillens ansieht, verlegt also die dualistische Perspektive zuletzt in Gottes Wesen selbst. „Zunächst können wir eine Spannung zwischen dem Gedanken an Gott als den souveränen und an ihn als den in der Welt der Geschichte kämpfenden und siegenden wahrnehmen. Wir begegnen einer sehr stark hervortretenden dualistischen Perspektive, aber dieser Dualismus ist auf der anderen Seite in seiner Reichweite begrenzt. Nun erweist sich indessen bei näherer Untersuchung, daß diese Spannung in eine andere übergeht : Das Versöhnungswerk ist einerseits als ein Kampf gegen und ein Sieg über die „Verderbensmächte" gedacht, aber auf der anderen Seite stehen diese Den kristna försoningstanken, S. 2G1. •8 Ebd., S. 98. 42
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Verderbensmächte, oder jedenfalls einige unter ihnen, in einer inneren Relation zum Gotteswillen. Solche Verderbensmächte wie Tod, Teufel, Gesetz und Zorn sind zugleich Träger und Ausüber des Gerichtes Gottes über die Menschheit. Von diesem Gesichtspunkt gesehen, enthält also die Siegestat des Versöhnungswerkes die Aufhebung dieses auf der Menschheit lastenden Gottesgerichts. Diese zuletzt angedeutete Spannung wird also in Gottes eigenes Wesen hineinverlegt und bekommt ihre schärfste Ausformung in dem Gedanken an die Spannung zwischen der göttlichen Liebe und dem göttlichen Zorn c l ." Wir können also um der begrifflichen Klarheit willen für den klassischen Typ zwischen einem „reinen" Dualismus, in dem sich Gottes Heilswille und die satanischen Verderbensmächte als Feinde gegenüberstehen, und einem „begrenzten" Dualismus unterscheiden, in dem Gottes Gnade wider seinen Zorn kämpft und die Verderbensmächte diesem göttlichen Zorneswillen untergeordnet sind. Beide Dualismusformen treten — innerhalb der einen klassischen „Versöhnungslehre" in einem rational schwer durchschaubaren Verhältnis zueinander — auf. 2. D e r M e n s c h i n d e r G e w a l t d e r M ä c h t e
Des Menschen heillose Situation in diesem dualistischen Machtgefüge besteht darin, daß er hilflos der Tyrannis der Verderbensmächte, dem Teufel, der Sünde und dem Tode ausgeliefert ist, die unlöslich miteinander verkettet sind und ihn von Gott trennen 6 5 . Auch die Sünde ist nicht primär des Menschen eigene Tat, sondern Knechtschaft unter einer fremden Macht (die freilich die Schuld des Menschen nicht aufhebt). Sie ist eigentlich die Egozentrizität, die Gefangenschaft des Menschen in sich selbst, die schreckliche Tyrannis des Ego, die für die Herrschaft des göttlichen Liebeswillens keinen Raum läßt 6 6 . So ist die Sünde „ein Bestandteil des Todes" 6 7 , der als Trennung von dem ewigen, unvergänglichen Leben Gottes die in der Alten Kirche vielleicht am stärksten hervortretende und am meisten gefürchtete Unheilsmacht ist 6 8 . Im Teufel — als dem Führer des Machtblockes — fassen sich die widergöttlichen Gewalten zusammen 64
Ebd., S. 257f. Über die enge Zusammengehörigkeit der drei Mächte vgl. etwa ebd., S. 48ff. 66 Vgl. Den allmänneliga kristna tron, S. 290: „Wenn Glaube bedeutet, unter Gottes Herrschaft zu leben, so bedeutet die Sünde als Unglaube offenbar, daß Gott nicht die Herrschaft besitzt, daß etwas anderes als Gottes Liebeswille diese Herrschaft besitzt. Damit wird die Sünde glsichzeitig negativ und positiv bestimmt. Diese andere Macht, von der der Mensch in der Sünde beherrscht wird, ist keine andere als sein eigenes Ich. Indifferenz oder Feindschaft gegen den göttlichen Willen.. . ist eo ipso Egozentrizität. ' ' 67 N. Bonwetsch, Die Theologie des Irenaus, S. 80f. (zitiert bei G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 51). 68 Vgl. dazu G. Aulén, a. a. O., S. 51f., auch S. 81f. ; Aulén ist hier freilich bemüht, die Bedeutung der Verderbensmacht Sünde im Zusammenhang mit dem Tod zu betonen. 65
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und machen den Menschen zu ihrem ohnmächtigen Sklaven 69 . Am gefährlichsten und verwirrendsten bemächtigt sich — in der vertieften paulinischen und lutherischen Form des klassischen Typs — das Böse des Menschen, wenn es ihm in der Gestalt des Gesetzes als Verderbensmacht begegnet und ihn auf den Weg der Selbsterlösung durch seine Werke der Gesetzeserfüllung treibt — ihn also in seiner Egozentrizität beläßt, ja vielmehr diese erst recht hervortreibt. Im Grunde, in seiner letzten Intention auf die Agape des Menschen hin ist das Gesetz zwar gut, aber in seiner faktischen Imperativischen Gestalt ist es als solches böse, weil es den Menschen nicht nur wegen seiner Gesetzesübertretung verurteilt, sondern auf den Weg der Selbstbehauptung gegenüber Gott durch die eigene Leistung treibt und somit grundsätzlich zwischen Gott und Mensch ein Rechtsverhältnis als teuflische Karikatur der gnadenhaften, wahren Gottesgemeinschaft aufrichtet und so dem Menschen den Zugang zu dem wahren Gott der Agape versperrt. „Die Doppelseitigkeit, welche wir in der altkirchlichen Theologie in der Frage nach der Stellung des Todes und des Teufels wahrnehmen und welche sich darin zeigte, daß diese einerseits feindliche Mächte und andererseits Ausüber des göttlichen Gerichtswillens waren, — diese Doppelseitigkeit tritt nun bei Paulus in einer noch weit mehr zugespitzten Form auf : Das Gesetz ist auf der einen Seite heilig und gut, ein direkter Ausdruck für den göttlichen Willen und auf der anderen eine Verderbensmacht. — Wenn nun nach Paulus das Gesetz auch diese Stellung als Verderbensmacht hat, liegt das nicht nur — und nicht einmal zunächst — daran, daß das Gesetz unversöhnlich die Sünde verdammt. Die entscheidende Ursache liegt noch tiefer: Der Weg der .Werke', welchen das Gesetz empfiehlt oder, richtiger gesagt, gebietet, kann in Wirklichkeit nie zur Erlösung führen. Er führt, gerade als der Weg menschlicher Verdienste (Rom. 4,4), nicht zu Gott, sondern weg von Gott, immer tiefer in die Sünde hinein. . . (Rom. 7,9) 70 ." 69
Ebd., S. 53. Ebd., S. 121f. Für Luthers Stellung zum Gesetz als Verderbensmacht ebd., S. 189—192. Vgl. auch Den allmänneliga kristna tron, S. 255: „Das Gesetz ist ja als solches heilig und gut, ein direkter Ausdruck für den Gotteswillen. Aber dieser Ausdruck für die Forderung des Gotteswillens wirkt nun auf der anderen Seite als eine Verderbensmacht. Dem Gesetz fehlt die Möglichkeit, den Menschen von der Gewalt der Sünde zu erlösen, ja der Weg, welchen das Gesetz als solches anweist, ist zuletzt kein anderer als der der Selbsterlösung." Vgl. Den kristna försoningstanken, S. 190ff., bes. S. 191f. : „Diese Grundansicht (grundsyn) Luthers zeigt, daß der Gedanke an die Rechtsordnung als Regulierung des Verhältnisses zwischen Gott und Menschen ihm so wenig die Grundlage für alles geistige Leben ist, daß sie ihm im Gegenteil als dessen Zerstörung erscheint." Nach Den kristna försoningstanken, S. 121 f. scheint es dagegen so, als ob die Verderbensmächte damit, daß sie in den Dienst des göttlichen Gerichtswillens gestellt werden, ihren verderblichen Charakter verlieren. Jedenfalls wird das für das Gesetz behauptet und damit das Verständnis des zweifachen Dualismus erschwert. 70
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8051 Alpera, Versöhnung
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Hier wird freilich auch der Umschlag des „reinen" in den „begrenzten" Dualismus besonders anschaulich: Denn das Begreifen des menschlichen Verderbens als göttliches Gericht, das in der Alten Kirche in der mit mancherlei Vorbehalten und vielfach nicht konsequent durchgeführten Behauptung eines Rechtes des Teufels auf den Menschen zögernd und tastend aufdämmerte, ist dort zu größerer Klarheit und wesentlicherer Bedeutung gekommen, wo der Mensch unter dem Verdammungsurteil des göttlichen Gesetzes gesehen wird. Während Aulén aber, wie wir sahen, auch und sogar vor allem das Gesetz in seiner anderen Funktion 71 als rein widergöttliche Verderbensmacht betrachtet, kann die letzte und am engsten mit Gott verbundene, ja Gott — „teilweise" — selbst repräsentierende Verderbensmacht, sein Zorn, nur im Rahmen des begrenzten, „innergöttlichen Dualismus" als schon gegenwärtig wirksame Strafgewalt 72 gegen den Sünder verstanden werden. Mit Recht betont Aulén, daß erst hier Luthers Theologie der Versöhnung sich vollende : Daß des Menschen tiefste Verlorenheit nicht in seiner Gefangenschaft unter gottfremde Mächte, sondern in seiner Verwerfung durch den den Sünder verdammenden Gott besteht. Diese gottbezogene Sündenerkenntnis ist dem christlichen Glauben wesentlich (und hätte u. E. von Aulén in seiner Lutherdarstellung viel stärker betont werden müssen). „Der Zorn ist der expressive Ausdruck für die eigene, unmittelbare, direkte Reaktion des Gotteswillens gegen den sündigen Menschen73." 3. D a s H e i l s w e r k C h r i s t i : E i n h e i t v o n E r l ö s u n g und V e r s ö h n u n g
Aber nicht nur von dieser zweiten Perspektive des „begrenzten Dualismus" aus stellt sich das Heilswerk Christi, die dramatische Schlacht Gottes mit dem Teufel und seinem Gefolge zur Befreiung der nicht schuldlos in ihre Gefangenschaft geratenen Menschen, als Versöhnungstat dar, nein, der Sieg Christi über die Verderbensmächte ist als solcher schon die Versöhnung. „Das Hauptthema ist der Gedanke an die Versöhnung als ein göttliches Kampf- und Siegeswerk, an Christus als den, der mit den Verderbensmächten des Daseins kämpft und über sie siegt, an die Tyrannen', unter welche die Menschheit geknechtet ist und unter welchen sie 71 Ob es sich wirklich um eine andere Funktion handelt, wird uns noch beschäftigen müssen (S. 109—119) ; in den zitierten Textstellen (s. S. 23) ist deutlich zwischen verurteilender und den Menschen zur Selbsterlösung versuchender Funktion des Gesetzes unterschieden. 72 Den kristna försoningstanken, S. 192. 73 Ebd., S. 193; im ganzen kommt aber das dem „begrenzten Dualismus" entsprechende gottbezogene Sündenverständnis nicht sehr stark zum Ausdruck. Zu der zentralen Bedeutung der Lehre vom göttlichen Zorn für Luther vgl. Den kristna försoningstanken S. 192: „Das Thema vom göttlichen Zorn als Verderbensmacht und von seiner Überwindung führt uns in das Allerinnerste von Luthers Theologie."
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leidet, der Gedanke an Gott als den, der hierdurch die Welt mit sich versöhnt 74 ." Es ist wichtig, bei alledem, was als Kommentar und Ergänzung diesem Satz noch hinzuzufügen sein wird, nicht zu vergessen, daß doch für Aulén hier das Entscheidende gesagt ist, daß sich dieses Generalthema des Christus victor als Grundakkord durch das ganze Werk hindurch verfolgen läßt. Es ist bezeichnend, daß in dieser Formulierung des Hauptthemas von dem „begrenzten Dualismus" überhaupt nicht die Rede ist, daß die Brechtsperspektive gar nicht anvisiert wird; es ist auch wichtig, darauf zu achten, daß zum Thema nicht die Frage gemacht wird, wie Christus die Mächte überwindet, wie das mirabile duellum zwischen Christus und dem Teufel ausgetragen wird. Entscheidend ist vielmehr zweierlei: erstens: Das Heilsgeschehen, die Versöhnung, ist ein Kampfgeschehen, in dem Christus die dunklen Gewalten, die den Menschen in der Hand haben, ihn ängstigen und quälen, besiegt; und zweitens: Der eigentlich Handelnde in diesem Geschehen ist durch den Menschen Christus hindurch Gott selbst. Nur Gott kann die feindlichen Gewalten niederzwingen, nur er kann den Menschen von Sünde, Tod und Teufel befreien; darum ist der klassische Versöhnungstyp nur auf dem Grunde der letztlich in seinem Interesse ausgebildeten altkirchlichen Trinitätslehre und Christologie denkbar; denn nur, wenn das „homoousios" gilt, ist auch der Sieg Christi wirklich Gottes eigener und darum wirksamer Sieg. ,,Das Versöhnungsmotiv ist in unmittelbarem Zusammenhang mit der Christologie ausgestaltet worden — es wäre vielleicht überhaupt am richtigsten zu sagen, daß die altkirchliche Christologie auf dem Grunde des Versöhnungsgedankens emporgewachsen ist. Alles kommt darauf an, daß es das Göttliche selbst ist, das in die Welt der Sünde und des Todes eintritt und hier die Siegestat ausführt. Dahinter steht der Gedanke, daß keine andere als die göttlicheMacht die Verderbensmächte überwinden kann. Auf diesem Grundgedanken ruht die ganze altkirchliche Christologie, ihre Betonung der Inkarnation, ihre Rede von der .göttlichen Natur' in Christus75." Gewiß wird die Menschheit Christi nicht geleugnet, aber sie ist nichts anderes als kämpferischer, siegender Liebeswille, der „Ort" der Offenbarung des „göttlichen Wesens", das Agape ist. Nicht die Menschheit Christi ist im Versöhnungsgeschehen aktiv, sondern der Gottmensch handelt immer qua deus und gebraucht seine Menschheit nur als Werkzeug 76 . Und dieses göttliche Handeln kann nur ein Kämpfen 74
A. a. O., S. 10. Den kristna försoningstanken, S. 25f. " Ebd., S. 254f. ; S. 255: „. . . Christus ist der Mensch, in welchem das göttliche .Wesen' hervortritt und durch welchen Gott selbst sein Befreiungs- und Versöhnungswerk ausführt." Den allmänneliga kristna tron, S. 224ff. S. 236: „Zunächst besteht nun wohl Veranlassung, zu unterstreichen, daß es sich für den christlichen Glauben um eine Inkarnation des göttlichen Liebeswillens handelt." 75 7
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des göttlichen Liebeswillens um den Menschen, Durchbrechung und Zerstörung der alten, widergöttlichen Rechts-, Gesetzes- und Todesordnung sein, Vernichtung der Ausführungsorgane dieser heillosen Ordnung. Zur Schilderung sind nur die im klassischen Typ dominierenden militärischen Begriffe recht brauchbar 77 , sie bieten nach Aulén größere Möglichkeiten als etwa die rechtlichen 78 (oder wohl auch die kultischen), da es hier im Grunde nur um das niederzwingende göttliche Nein zu diesen Mächten und den Siegesjubel 79 über ihre Vernichtung geht. Kampf und Sieg Gottes in Christus über die Mächte — dieses göttliche Erlösungswerk ist nun nicht, wie man es bisher in der Theologie meist getan hatte, scharf von der Versöhnung zu unterscheiden, sondern gerade darin besteht die Eigenart des klassischen Typs, daß die Erlösung gleichzeitig Versöhnung ist 8 0 . Der Mensch unter der Herrschaft der Mächte konnte ja nicht unter Gottes Herrschaft leben, er lebte ohne und gegen Gott ; da aber Gott sich nicht mit dem Bösen selbst versöhnen kann, kann er sich mit dem Menschen nur durch die Überwindung dieses Bösen versöhnen 8 0 8 . Damit schließt die Aufhebung der Herrschaft der Mächte auch die Eröffnung der Gottesgemeinschaft ein ; der Christ ist nicht nur von allerlei Übel erlöst, sondern er ist auch wieder unter Gottes Herrschaft gekommen und in seine Gemeinschaft hineingezogen. So wird nun das zunächst rein als Erlösungsgeschehen geschilderte Siegeswerk Christi auch als Versöhnungstat, als Ausdruck des Gemeinschaft stiftenden göttlichen Liebeswillens betrachtet, der von oben in die Welt herabsteigt und den Menschen vom Bösen freikämpft und so mit sich versöhnt. Der Versöhnungsaspekt wird hier sekundär an das schon vorher unter dem Erlösungsaspekt gedeutete Heilsgeschehen herangetragen 81 . 77 Vgl. etwa in Den allmänneliga kristna tron, S. 255ff. den zweiten Abschnitt über die Versöhnung unter der bezeichnenden Überschrift „Sieg und Versöhnung". 7 8 G. Aulén. Die drei Haupttypen des christlichen Versöhnungsgedankens, Zsyst Th 1930/31, S. 525f. Anm. 1, Hier meint Aulén, Hirschs Aussagen über Kampf und Leiden auf die Kampf- und Siegfesbilder übertragen zu können, und kommt so (gegen Hirsch) zu dem Schluß, daß die Kampf- und Siegesbilder größere Möglichkeiten als die des Gerichtes und Spruchs in sich schließen. 7 9 Der Triumphton ist für den klassischen Typ charakteristisch: vgl. z. B. Den kristna försoningstanken, S. 251, 268 u. ö. 8 0 Ebd., S. 10: „Ich stelle also zuerst fest, daß wir es wirklich mit einem Versöhnungsmotiv zu tun haben. Es geht nicht an, den eben berührten Gedankengang (s. S. 25) in Gegensatz zu einer später entstandenen ,Versöhnungslehre' zu stellen und zu sagen, es handle sich um einen Erlösungs-, aber nicht um einen Versöhnun gsgedanken. ' ' s ° a Den allmänneliga kristna tron, S. 253: „Daß Gott die Welt mit sich versöhnt, kann ja nämlich nicht bedeuten, daß Gott sich mit dem Bösen versöhnt." 81 Vgl. dazu etwa, wie in Den allmänneliga kristna tron nach einer ausführlichen Darstellung des Siegeswerkes Christi der Versöhnungsaspekt auf S. 253 eingeführt wird. „Wir haben in dem Vorhergehenden Christi vollendetes Lebenswerk vom Ge-'
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Die Frage, die sich hier nahelegt, wenn das Erlösungswerk als solches auch Versöhnungstat sein soll, und die die Alte Kirche bezeichnenderweise auch mehrfach beschäftigt hat, lautet, warum der allmächtige Gott seinen Feinden nicht einfach durch sein gebietendes Wort (bzw. mit äußerer Gewalt) die Macht genommen habe 82 . Warum die Erniedrigung Christi, die Inkarnation, das Leiden und schmachvolle Sterben des ewigen Gottessohnes, warum das harte, bittere Opfer Gottes, wenn noch ein anderer Weg offen blieb ? Soweit die Antwort im Rahmen der reinen Dualismusperspektive gegeben wird, kann sie nur im Blick auf den Menschen begründet werden : Ihm wird durch Christi Selbsthingabe, durch sein Opfer, durch seine Teilnahme an dem Geschick des in Sünde und Vergänglichkeit, in Schrecken und Angst versunkenen Menschen die Stärke der göttlichen Liebe offenbar. „Die tiefste Ursache dafür, daß Gott diesen Weg (sc. durch Inkarnation, Leiden und Sterben Christi) geht, finden die alten Väter in einer inneren göttlichen Notwendigkeit — der Notwendigkeit der göttlichen Liebe — begründet. . . . Gottes Liebe konnte. . . nicht deutlicher demonstriert werden als dadurch, daß Gottes Sohn in unsere Gemeinschaft eintrat und unsere Leiden und das Böse, das auf uns lastet, trug 83 ." Selbst mit dem wunderlichen und anstößigen Theologumenon von der Überlistung des Teufels durch Christi Kreuzestod und Auferstehung, woran der für Christi Gottheit blinde Teufel zuschanden werden mußte, wollen manche altkirchlich-,,klassischen" Theologen hervorheben, daß es die Allmacht der göttlichen Liebe ist, an der das Böse zugrunde geht·. „Hinter allen phantastischen Spekulationen steht in jedem Fall der Gedanke, daß die Macht des Bösen im letzten Grunde sich selbst betrügt, wenn sie der Macht des Guten, des Göttlichen begegnet. Sie wird besiegt, wenn sie glaubt, sie sei mächtig zum Siegen 84 ." Doch der klassische Versöhnungstyp kommt neben diesen, mehr im Bereich der sogenannten „subjektiven" Versöhnungslehre verbleibenden Antworten86 auch zu „objektiven" Aussagen über ein auf Gott bezogenes sichtspunkt des Kampf- und Siegesmotivs aus gesehen. Wir haben noch nicht direkt den Versöhnungsaspekt ins Auge gefaßt. Unsere Analsye muß sich nun darauf einstellen, aufzuzeigen, in welcher Weise der durch Christi Lebenswerk geschehene Sieg über die Verderbensmächte sich für den christlichen Glauben zugleich als eine Versöhnungstat darstellt." — Vgl. auch ebd., S. 10 (erst Thema — dann Versöhnungsaspekt). — Wir erinnern auch an das in Anm. 50 Gesagte. Aulén hält seine gelegentlichen Versuche, den Versöhnungsaspekt logisch dem Erlösungsaspekt vorzuordnen, 82 Den kristna försoninestanken, S. 83 f. nicht durch. 83 Ebd., S. 84f. 8 4 Den kristna försoningstanken, S. 99f. 85 Das gilt doch auch für das zuletzt Gesagte. Der Teufel wird ja nicht um seiner selbst willen, sondern um des Menschen willen nicht durch bloße Gewalt besiegt. E r wird überlistet, damit der Mensch dabei der Macht des Guten über das Böse ansichtig werde. — Auf die meist unlöslich mit dem Theologoumenon von der Überlistung des Teufels gekoppelte Vorstellung von seiner Rechtsfunktion gehen wir im folgenden im Text ein.
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Versöhnungsgeschehen, wenn er es in den Rahmen des „begrenzten Dualismus" einzeichnet. In diesem Rahmen erhalten dann auch die Rechtsvorstellungen für das Werk Christi eine gewisse — sekundäre — Bedeutung : Gott trägt dem Recht des Teufels Rechnung, indem er ihn nicht einfach mit bloßer Gewalt überwindet, sondern ihm mit der Person Christi ein angemessenes Lösegeld gibt 86 ; allerdings wird die immer mit einer gewissen Unsicherheit behandelte Rechtsperspektive nicht festgehalten, da schließlich der Teufel um sein Lösegeld betrogen wird und damit aus dem Teufel als dem Vollstrecker göttlichen Gerichtes wieder der bloße Gegenspieler Gottes geworden ist. Aulén hat diesen schillernden, schnell umschlagenden Rechtsaspekt mit dem sportlichen „fair play" 87 verglichen — und damit hervorgehoben, daß das Heilswerk Christi im „klassischen" Denken nicht in den Rahmen einer zwingenden Rechtsordnung eingespannt ist, sondern zur tieferen Begründung des Werkes Christi nur zeitweilig die Rechtskategorien aufnimmt 87 a , um sie bald wieder fallen zu lassen oder nur noch scheinbar aufrecht zu erhalten 88 . Worin liegt der Wert dieser rechtlichen Betrachtung des Werkes Christi ? „Sie (sc. die hinter der Rede vom Recht des Teufels liegende Tendenz) beabsichtigt eigentlich nichts anderes, als die menschliche Verantwortung und die menschliche Schuld hervorzuheben — das Gericht, welches auf der Menschheit lastet, ist ein gerechtes Gericht. — Das Tastende und Schwankende in der altkirchlichen Theologie zeigt sich darin (visar sig däri : — im Deutschen eigentlich sinnvoller — „erklärt sich daraus"), daß man sich nur mit einer gewissen Unsicherheit zutraute, gleichzeitig diese beiden Gedanken festzuhalten und klar hervorzuheben : den Gedanken an den Teufel als Feind und an den Teufel (sozusagen) als den Repräsentanten der Gottheit, den Gedanken an das Recht und an die Begrenzung des Dualismus 89 ." ββ Mt. 20,28 wird in der Alten Kirche nicht einheitlich auf den Teufel ala Empfänger des Lösegeldes ausgelegt (vgl. ζ. B. Gregor von Nazianz bei G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 90f.), aber sehr selten direkt auf Gott bezogen. Von einem gewissen — vielfach allerdings nur dem Menschen gegenüber geltenden — Recht des Teufels wird häufig gesprochen. Vgl. G. Aulén, a. a. O., S. 8ßff., bes. S. 88; vgl. auch H. Mandel, Christliche Versöhnungslehre, S. 211ff., bes. S. 214. 87 G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 57 und 98. 87a Mandel scheint anzunehmen, daß das Recht des Teufels (überhaupt nur) postuliert wird, um Inkarnation und Passion Christi begreiflich zu machen: „Die Menschwerdung Gottes ist das Interesse, aus dem das Anrecht des Teufels an den Menschen betont wird" (S. 214). 88 Besonders deutlich wird das bei Gregor von Nyssa trotz seiner krampfhaften Bemühungen, auch die Überlistung des Teufels als göttlichen Gerechtigkeitserweis zu verstehen. Vgl. Den kristna försoningstanken, S. 95ff. Aulén spricht hier S. 97 im Anschluß an Rashdall von „quasilegaler" Betrachtungsweise. 89 Ebd., S. 99. Daß es sich bei dem zweiten Gedanken nicht nur um eine Begrenzung des Dualismus, sondern auch um den Fortbestand eines „begrenztenDualismus" handelt, dazu s. das Zitat bei Anm. 64.
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So ermöglicht es die Doppelgesichtigkeit der „Mächte", ihre Überwindung durch das Heilswerk Christi auch als Versöhnung Gottes, als Gottes Versöhntwerden zu verstehen; denn wenn dem Teufel nicht nur „all' sein' Gewalt", sondern auch ..all' sein Recht" genommen wird, dann wird damit auf eine „organische" Weise auch eine Umwandlung in dem Verhältnis Gottes zur Welt erreicht, Gott wird versöhnt. Daher brauchen sich die von den Vertretern des klassischen Typs auf die Frage nach dem Empfänger des Lösegeldes gegebenen Antworten gar nicht auszuschließen: Wenn dem Teufel als Funktionär des göttlichen Gerichtswillens das Lösegeld gezahlt wird, kann es gleichwohl Gott als der Stifter dieser Gerichtsordnung empfangen. Freilich muß Gott nicht im Namen einer ihn bindenden, starren Rechtsordnung des Lösegeld als Bedingung der Versöhnung entgegennehmen, sondern „das Opfer ist in der göttlichen ,Ökonomie' das Mittel, durch welches sich der Versöhnungswille verwirklicht — ein Mittel, welches gleichzeitig erweist, was Gott die Verwirklichung der Versöhnung kostet 90 ." Gott bleibt also auch als der Empfänger des Lösegeldes der Geber, er bleibt auch als der Versöhnte der Versöhner, der aber im Versöhnungsgeschehen in gewisser Weise auf seine eigene Ordnung in der Welt Rücksicht nimmt, der sie nicht einfach willkürlich durch einen Gewaltspruch, sondern durch das Eingehen in sie, durch das Wirksamwerden der göttlichen Liebe in ihr schließlich „organisch" überwindet und durchbricht. „Es ist Gottes Ordnung und Ökonomie in der Welt, daß der Sünder dem Verderben und dem Teufel gehört ; und diesem Willen Gottes gilt also das Opfer im letzten Grunde91." Gerade in der Anwendung der Opfervorstellung auf das Versöhnungswerk wird dieser eigenartige Doppelaspekt deutlich : Gott ist der Opfernde, er opfert in Christus sich selbst, seine göttliche Lebens- und Liebesfülle in die Welt des Todes und des Bösen hinein — und doch gilt auch ihm das Opfer Christi, insofern Gott um des Opfers Christi willen sein verderbenbringendes Gericht über den Menschen aufhebt. Aber diese „passive" Seite der Versöhnung bleibt der aktiven ganz untergeordnet 92 . Jeder Gedanke an eine vom Menschen her Gott dargebrachte versöhnende Leistung, die Gott dann nur anzunehmen hätte, fehlt, weil alles Interesse an der göttlichen Aktivität haftet. 80 G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 104; für das Vorhergehende vgl. S. 103 f. 91 H. Mandel, a. a. O., S. 219, zitiert bei G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 104; vgl. auch S. 84ff. 92 Eine ausführlichere Interpretation der „objektiven" Seite gibt Aulén nicht, man wird ihn wohl im Sinne der eben skizzierten ökonomischen Versöhnungslehre zu verstehen haben. Zum Doppelaspekt des Opfers vgl. a. a. O., S. 62, 102f. und Den almänneliga kristna tron, S. 258f. Auch bei der Interpretation der athanasianischen Gedankenkreise von der Schuldbezahlung und vom Strafleiden wird die Wirkung der Bezahlung und des Leidens auf Gott nicht näher behandelt.
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Mit ganz anderer Unmittelbarkeit und Betonung kommt die Doppelseitigkeit der göttlichen Versöhnungstat — Gott der Versöhner läßt sich versöhnen — zur Geltung, wenn im Rahmen des „begrenzten" Dualismus die Versöhnung als Kampf zwischen Gottes Liebe und Gottes Zorn gedeutet wird, der mit dem Sieg der Liebe Gottes, die siegreich durch den Zorn hindurchbricht, endet. I n Christi Unterstellung unter das Zornesgericht, in dem stellvertretenden Opfer und Strafleiden, in seiner Hingabe an den Willen des „zornigen" Gottes, in diesem Kampf mit Gott, in dem wir unterliegen müßten, überwindet die in Christus offenbare göttliche Liebe den Zorn, erweist sie sich als mächtiger, als Gottes innerstem Wesen, seiner „ N a t u r " gemäßer als der Zorn 93 . Und doch, so wenig Christi Leiden und Sterben dem Zorn Gottes im rechtlichen Sinne genug tut, ihm einen vollwertigen Ersatz für die ihm eigentlich verhaftete Menschheit gibt, so macht der kämpfende und siegende Christus doch nicht einfach Gottes Zorn zunichte, sondern schmilzt ihn ein in die göttliche Liebe ; nur in Einheit mit ihr richtet er nun allein sein Werk, den Kampf gegen das Böse, aus 9 4 . Hier wird deutlich, daß es sich im Gedankenkreis des sogenannten „begrenzten" Dualismus nicht wie beim „reinen" Dualismus um die „Abschaffung" des göttlichen Gerichtsernstes handeln kann, sondern nur darum, daß in Christi Tun und Leiden dem Menschen dieser Ernst als das heilsame Nein der göttlichen Liebe begegnet. Ähnliches gilt für Christi Überwindung des Gesetzes: In seiner gegenwärtigen, faktischen Gestalt wird es von Christus als dem göttlichen Liebeswillen und der Grundordnung des Verhältnisses von Gott und Mensch zuwider zerbrochen, muß es seine Ohnmacht erfahren, auch Christus auf seinen Weg der Selbstbehauptung vor Gott zu zwingen und ihn dann mit Recht zu verdammen. Aber — so viel kann man wohl aus einigen zurückhaltenden, auf die Gesamtkonzeption allerdings wenig einflußreichen Andeutungen Auléns entnehmen — die Aufhebung des Gesetzes durch Chri83 Vgl. Zitat auf S. 21 f. ; G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 192ff. ; S. 195: „Es ist ein göttliches Werk, wenn Christus sich dem göttlichen Zorn unterstellt und die Last der Strafe trägt, welche durch diesen Zorn auf der Mensohheit ruht. Die göttliche Liebe bricht auf diese Weise durch den Zorn hindurch. Duroh das stellvertretende Werk wird es von der Liebe überwunden, welche letztlich nach Luther die ,Natur Gottes' ist." Vgl. auch Den allmänneliga kristna tron, S. 266f., 259ff. 94 Zur Ablehnung des juristisch ausgeformten Satisfaktionsgedankens überhaupt vgl. Den kristna försoningstanken, S. 244f. : „Aber diese Gotteshandlung der Versöhnung ist als solche ein Verlassen des Weges der Rechtsordnung : Die Versöhnung hat keinen Raum innerhalb der Kategorie des Rechts, (sondern) nur innerhalb (der Kategorie) der unergründlichen Liebe, der göttlichen Agape." Vgl. auch S. 262. — Den allmänneliga kristna tron, S. 256: „Der göttliche Zorn wird so .versöhnt', wird sozusagen eingeschmolzen in die Liebe." Vgl. auch über den Zorn der Liebe in Den allmänneliga kristna tron, S. 159ff.
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stus schließt doch die Bewahrung der res ipsa in sich : Wieder geht es nicht darum, daß dem Gesetz dadurch genug getan würde, daß alle Strafen, die das Gesetz mit Recht über die schuldigen Menschen verhängen könnte, von Christus abgebüßt würden; nein, es wird vielmehr offenbar, daß in der Agape des Kreuzes, die contra rationem et legem 85 , über und gegen alle Normen und Regeln des Rechtes, die Gemeinschaft mit dem Menschen sucht, doch die spontane, selbstlose Liebe als die eigentliche Substanz des Gesetzes verwirklicht wird und daß das Zerbrechen der alten Form nur das Mittel zur Erfüllung des zuletzt gemeinten Inhaltes ist. „Die Lage ist hier die, daß die Verschärfung im Blick auf den Inhalt des Gesetzes — die Forderung des spontanen Handelns — die ganze legalistische Betrachtungsweise sprengt und das Gesetz als Verderbensmacht enthüllt 9 6 ." So bleibt auch in der Perspektive des „begrenzten" Dualismus das klassische Kampfmotiv beherrschend, auch hier ordnet es sich die Rechtsgesichtspunkte als gelegentliche Hilfsmittel souverän unter, und doch ist es sehr verständlich (—u. E. freilich noch viel zu wenig —), wenn Aulén gerade im Blick auf Luthers Konzentration auf die sogenannte innergöttliche Spannung von einer Vertiefung des klassischen Motivs gegenüber seiner Ausformung in der Alten Kirche spricht 97 . Denn erst hier wird die gegensätzliche Qualität der beiden streitenden Mächte ganz offenbar, erst hier, wo sich die Aufmerksamkeit auf die Kampfesweise richtet, tritt die siegende Macht als Zieftesmacht, die Macht des göttlichen Opfers, der Stellvertretung, des Leidens ins rechte Licht, und erst hier wird das christliche Agapegrundmotiv als treibende K r a f t im klassischen Versöhnungstyp klar erkennbar. Erst hier wird ja auch das Gewicht der Feinde, die die göttliche Liebe zu überwinden hat, in seiner ganzen Schwere spürbar ; erst hier wird die Axt an die Wurzel des Schreckensregimentes der Verderbensmächte gelegt, wo ihnen ihre göttliche Legitimation abgesprochen wird; denn soweit sie eine mit dem göttlichen Liebeswillen vereinbare Funktion auszuüben hatten, ist nun an ihre Stelle der „eingeschmolzene" 95 Zu dieser wohl auf Luther zurückgehenden Wendung s. Den kristna försoningstanken, S. 262 und P. Althaus, Die christliche Wahrheit II, S. 405, Anm. 1, Verweis auf Luther WA 39 I, 219 (zu contra legem): „Ego sum re vera supra legem et non curo earn. Nam Deus me credentem etiam contra legem salvat, quae vult, ut non nisi justi salventur. At Deus etiam injustos salvat." 96 Den kristna försoningstanken, S. 191, auch den Kontext S. 189—192 und S. 262: „Die göttliche Liebe ist unmotiviert und unergründlich, ,contra rationem et legem', sie durchbricht die ganze Rechtsordnung, aber gleichzeitig ist die Forderung auf das äußerste verschärft worden." 97 „Mit diesem Thema — der Überwindung des Zorns — ist der für das klassische Versöhnungsmotiv charakteristische Gedankengang weiter und tiefer fortgeführt (förts längre fram och djupare in) worden als sonst je. Die eigenartige Doppelperspektive dieses Versöhnungsmotivs — Gott als der, welcher gleichzeitig versöhnt und versöhnt wird — ist hier in neuer, schärferer Beleuchtung hervorgetreten" (Den. kristna försoningstanken, S. 196).
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Zorn als der väterlich richtende und im Gericht doch den Sünder bewahrende Zorn getreten. Wenn auch erst in dem Rahmen des begrenzten Dualismus, wie er bei Luther klar ausgestaltet ist, das Wunder der göttlichen Liebestat und der höchste Grad der menschlichen Verlorenheit, aus der der Mensch errettet wird, voll erkannt werden mögen, bedeutet nach Aulén diese Verlagerung des Kampfes auf eine andere Ebene doch keine grundsätzliche Umgestaltung des klassischen Versöhnungstyps, dessen wesentlicher Inhalt sich in dem Gedanken zusammenfaßt, daß in Christi Kampf und Sieg über die Verderbensmächte sich Gottes Versöhnung mit der Welt vollzieht (s. S. 34) ; mehr oder weniger tiefe Auslegungen dieses Grundgedankens können an der strukturellen Einheit des Typs in der Alten Kirche, im Neuen Testament und bei Luther nichts ändern98. 4. Die R e c h t f e r t i g u n g als v e r g e g e n w ä r t i g t e Versöhnung Wie diesem T y p im ganzen trotz der starken, im dualistischen Denken begründeten Paradoxe ein einheitlicher, beherrschender Grundgedanke eigen ist, der eine organische Verbindung aller auf die Versöhnung bezogener christlichen Glaubensaussagen gewährleistet, das zeigt sich — wie in der Zuordnung von Christologie und Soteriologie— auch in dem „organischen'' Verhältnis von Rechtfertigung und Versöhnung zueinander. Die Rechtfertigung liegt eigentlich schon in der Versöhnung beschlossen, sie ist die (durch den Geist vermittelte) 99 gegenwärtige Wirksamkeit des Christus victor im einzelnen Menschen, der Gegenwartsaspekt im ewigen Siege des Versöhners. „Der durch Christus gewonnene Sieg über die Verderbensmächte ist ein ewiger ,Sieg' und daher auch ein Sieg im Jetzt. Die Rechtfertigung' (rättfärdiggörelse) 103 ist, von diesem Gesichtspunkt gesehen, im Grunde kein anderer Akt als die Versöhnung — die Rechtfertigung ist, so könnte man sagen, die Präsensseite der Versöhnung, da der Gotteszorn in der Gegenwart dem Segen weicht 101 ." Es ist der lebendige, allen Zeiten 08 V g l . Auléns Auaeinandersetzung m i t Hirsch darüber in Z s y s t T h V I I I , S. 625: „ W e n n (also) das klassische M o t i v durch die ungebrochene Gottestat und die durchbrochene Rechtsordnung, das lateinische M o t i v umgekehrt durch die ungebrochene Rechtsordnung und die durchbrochene Gottestat charakterisiert wird, dann ist es auch unwiderlegbar, daß dasselbe M o t i v bei L u t h e r und in der A l t e n K i r c h e vorhanden ist. D i e Gemeinschaft zeigt sich in der Struktur des Motivs. E s ist dann auch kein Z u f a l l , daß L u t h e r , wenn er v o n der Versöhnung spricht, zu den dramatischen Bildern zurückkehrt." Vorher w i r d allerdings nachdrücklich betont, daß es sich bei L u t h e r um eine wesentliche V e r t i e f u n g des M o t i v s handle. 99 D i e V e r m i t t l u n g durch den Geist ist nach A u l é n besonders der A l t e n K i r c h e w i c h t i g ( D e n kristna försoningstanken, S. 251). 100 D e r v o n Aulén wenig geschätzte B e g r i f f R e c h t f e r t i g u n g ( v g l . Den allmänneliga kristna tron, S. 319f.) figuriert hier bezeichnenderweise nur in Anführungszeichen. 101 D e n kristna försoningstanken, S. 252.
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gegenwärtige Kyrios Christus, der in seiner Gemeinde Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit, Gottesgemeinschaft durch den Sieg über die tyrannischen Mächte schafft, der Christus in nobis, der täglich spiritualiter zu uns kommt und doch kein anderer ist als der ein für allemal gekommene: ,,. . . der lebende, stets wirkende Christus ist nach seiner Qualität ganz und gar bestimmt von der auf dem Weg der Selbsthingabe siegenden, souveränen Liebe. Das Christuswerk behält zu allen Zeiten und in allen Lagen gerade diese Qualität: In diesem fortgehenden Werk wird diese Siegestat der Liebe über die zeitlichen und räumlichen Begrenzungen des irdischen Lebenswerkes erhöht 102 ." Freilich wird gelegentlich auch die — die Wirksamkeit des Christus in nobis übergreifende — Bedeutung des Heilswerkes Christi pro nobis betont : „Insoweit muß indessen der Christus pro nobis vor den Christus in nobis gestellt werden, als Gottes Vergebungstat seinen Grund nicht in dem von Christus ,in uns' ausgeführten Werk hat, sondern dieses im Gegenteil seinen Grund in der göttlichen Versöhnungstat propter Christum hat 103 ." Aber Gottes Vergebung, die nichts anderes als die Rechtfertigung ist 104 , meint ja im Grunde das allerdings in dem ein für allemal geschehenen Versöhnungskampf Jesu begründete und ihn aktualisierende Wirksamwerden Christi in uns, das Wirken der die Sünde überwindenden göttlichen Agape in uns. So vollendet sich in der „Rechtfertigung" die Versöhnung, so wird in ihr die durch das geschichtliche Werk Jesu ermöglichte Gemeinschaft des Sünders mit Gott Wirklichkeit105. Vergebung oder Rechtfertigung sind also nicht vom Verdienst Christi her motivierte, richterliche Akte Gottes, sondern Ausdruck für die engste persönliche Verbundenheit von Gott und Mensch: „Gerade weil das Gottesverhältnis das Allerinnerste des Personlebens berührt, ist die ,Vergebung' der gleichzeitig unmittelbarste und expressivste Ausdruck für die Liebestat Gottes, durch welche er den sündigen Menschen überwindet und bezwingt und ihn in eine Verbindung mit sich bringt, welche den Charakter der Lebensgemeinschaft hat 106 ." So zeigt sich auch am Zielpunkt der Versöhnung noch einmal der Charakter des klassischen Typs : Nicht um kühle, rational einleuchtende Deduktionen geht es ihm, sondern um die unmittelbare Wirklichkeit des menschlichen Lebens. Und diese Wirklichkeit heißt für den Menschen Kampf; 102
Den allmänneliga kristna tron, S. 269; vgl. auch S. 316ff. Ebd., S. 270. 101 Ebd., S. 319: „Sachlich gesehen liegt in diesem Wort (Rechtfertigung) wenn es nämlich in seiner tiefsten Bedeutung gefaßt wird, ganz derselbe Inhalt wie in ,Vergebung der Sünden'." 105 Ebd., S. 232: „Der erste (sc. Unterteil) — (die Siegestat der Versöhnung) — beabsichtigt, die Art und Weise klarzulegen, in welcher die göttliche Liebe selbst das Heil des Menschen möglich macht." Vgl. auch Anrn. 56. — Zur Rechtfertigung als Präsensseite" der Versöhnung vgl. das Zitat auf Seite 32. 106 Den allmänneliga kristna tron, S. 318. 103
Kampf gegen eine unübersehbare Phalanx dunkler Daseinsmächte, denen der auf sich selbst gestellte Mensch hoffnungslos preisgegeben ist; diese Wirklichkeit heißt aber für den Christen Sieg, Triumph über die Tyrannen, denn der Stärkere ist über den Starken gekommen und hat ihn bezwungen ; er hat die Menschen freigekämpft und Gottes Herrschaft über ihnen aufgerichtet; ihre Liebesgemeinschaft mit Gott ist zugleich ihr Sieg über die Sünde, ist Leben und Seligkeit 107 . b) Der lateinische Typ: die Versöhnung als stellvertretende leistung Christi an die göttliche Gerechtigkeit
Satisfactions-
Neben diesem Zeugnis lebensvollen, kämpferischen und sieghaften Versöhnungsglaubens drängt sich allmählich in die christliche Ideengeschichte auf abendländischem, „lateinischem" Boden eine andere, vom Geiste des Nomosmotives geprägte Versöhnungstheorie, die sogenannte lateinische, ein, die auf der Grundlage der moralistischen altkatholischen Bußlehre heranreift und sich von Tertullian über Cyprian bis Anselm zu einer geschlossenen Lehre entwickelt 108 . Sie ist eigentlich die große Verderberin auch der nachlutherischen Versöhnungstheologie, weil es ihr für lange Zeit gelang, den Anspruch zu behaupten, die einzige objektive Versöhnungslehre darzustellen. Demgegenüber gilt es nun, ihren radikalen Gegensatz gegenüber dem anderen „objektiven" Versöhnungstyp, dem klassischen, herauszuarbeiten 109 . 1. Die Spannung zwischen Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Schon in der Ausgangslage zeigt sich ein bemerkenswerter Unterschied : der kämpferische Dualismus Gott—Teufel ist ganz zurückgetreten; der „reine" Dualismus spielt keine wesentliche Rolle mehr 110 , da der Teufel 107 Ygi Zitat bei Anm. 106 ; Den kristna försoningstanken, S. 267f. : Eine ähnliche Zusammenfassung des Aulénschen Anliegens in einigen wuchtigen Sätzen. 1 0 8 A. a. O., S. 141—146: Die Anselmsche Versöhnungslehre selbst wird hier als bekannt vorausgesetzt. Es geht nur darum, die besonderen Akzentsetzungen Auléns herauszuarbeiten, die er an ihr vornimmt, um sie gegen die klassische zu kontrastieren. Zum Nomos-Motiv vgl. das für den lateinischen Typ charakteristische Zitat aus Brunner: „. . . das Gesetz ist das Rückgrat, das Knochengerüst, der granitne Grund der geistigen W e l t " (a. a. 0 . , S. 146 ΓΕ. Brunner, Der Mittler, S. 414]). io» Vgl. die kurze Charakterisierung der bisherigen Geschichtsschreibung über die Versöhnungslehren: Den kristna försoningstanken, S. 5ff. — Zur Eigenart des klassischen Typs ebd., S. l l f . no Vgl. Den kristna försoningstanken, S. 153: „Was den Dualismus betrifft, so wird dies Thema das eine und andere Mal von Anselm berührt. E r polemisiert lebhaft gegen den alten Gedanken, daß dem Teufel irgendein Lösegeld gegeben werden sollte. Dagegen kann er von Christi Werk als einer Überwindung des Teufels sprechen und diese Vorstellung an den Versöhnungsgedanken knüpfen. Aber diese Aufnahme des dualistischen Motivs ist in Wirklichkeit nur etwas rein Zufälliges. Das Thema spielt überhaupt keine sachliche Rolle".
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nur im Rahmen des „begrenzten" Dualismus als Vollstrecker der Strafe für die menschliche Sünde Bedeutung hat. Die Verderbensmächte als solche könnte Gottes Machtspruch ohne weiteres vernichten, nur die Schuld der menschlichen Sünde macht die Versöhnung notwendig, und auf jene allein konzentriert sich das Interesse 111 . Mit ihr steht die Spannung in Gott — eine Entsprechung zu dem „begrenzten" Dualismus von Gottes Liebe und Zorn im klassischen Typ — in engem Zusammenhang, deren Lösung die lateinische Versöhnungslehre geben will. Es ist die Spannung von Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit; die Gerechtigkeit, die justitia distributiva, erscheint dabei ganz an der Norm des als ewiger, göttlicher Schöpfungsordnung feststehenden Gesetzes orientiert. Diese göttliche Eigenschaften — besonders die Gerechtigkeit — bringen Gottes unmittelbares, persönliches Walten in Gericht und Gnade nicht in derselben eindrucksvollen Weise wie der klassische Typ zum Ausdruck 112 . Es ist nicht ein erdrückendes Heer feindlicher Gewalten, das den Menschen mit Vernichtung bedroht, sondern das göttliche Recht, die Ordnung des Gesetzes, die ihn schuldig spricht und zur ewigen Strafe oder zur Satisfaktionsleistung verurteilt 1 1 3 . 2. D i e S ü n d e a l s S c h u l d
Dementsprechend besteht die Sünde vornehmlich in der Übertretung des Gesetzes, sie wird auf dem Boden der altkirchlichen und mittelalterlichen Bußlehre stärker moralistisch als die Gottes Ordnung verletzende, abzubüßende Einzeltat denn als unentrinnbare Verderbensmacht aufgefaßt 1 1 4 . Freilich wird die Schuld der Sünde, die Gott als der Herr des Gesetzes nicht einfach in schwächlicher Nachsicht ungesühnt vergeben und die der Sünder auch nicht wieder gut machen kann, sehr stark betont ; — und doch ist die Sünde dort noch nicht in ihrer ganzen, des Menschen Personzentrum zerstörenden Tiefe ernst genommen, wo die Möglichkeit der Satisfaktion durch eine menschliche Leistung — sei es auch die eines wegen seiner Sündlosigkeit allein dazu befähigten Vertreters — noch ins 111 Vgl. Cur Deus homo I, 6 und 7; vgl. ζ. Β. I, 6: „Si ergo (sc. Deus) non vult punire peccata hominum, liber est homo a peccatis et ab inferno et a potestate diaboli, quae omnia propter peccata patitur,et reeipit ea quibus propter eadem peccata pri vatur. Nam in cuius potestate est infernus aut diabolus... nisi eius qui fecit omnia". 112 Den kristna försoningstanken, S. 258 und S. 194f. 113 Ebd. S. 154f. und S. 246f., wo ausdrücklich der Gedanke, daß die Sünde (als Schuld gegen Gott) im lateinischen Typ personaler gefaßt sei als im klassischen, abgelehnt wild. 114 Den allmänneliga kristna tron, S. 288: „Ist man geneigt, die Religion moralistisch zu fassen. . . und das für die Religion Wesentliche in der Erfüllung gewisser gegebener Bestimmungen und Vorschriften zu sehen, so wird man die Sünde vor allem in der Übertretung dieser Vorschriften sehen." Vgl. auch Den kristna försoningstanken, S. 246.
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Auge gefaßt und die Sünde damit doch gewissermaßen als eine vom Menschen ablösbare und übertragbare Sache behandelt wird. „Das kann mit guten Gründen gesagt werden, daß — solange man überhaupt mit der Möglichkeit einer an Gott gegebenen Satisfaktion für das Verbrochene (förbrutna) rechnet — das ein unwiderlegliches indicium dafür ist, daß der radikale Gegensatz Gottes zur Sünde abgestumpft worden ist 115 ." 3. D i e H e i l s t a t C h r i s t i a l s m e n s c h l i c h e E r f ü l l u n g g ö t t l i c h e r Rechtsforderungen
Ebenso wie die Sünde wird nun auch das Heilswerk Christi in die vor, während und nach der Versöhnung unerschütterlich geltende Ordnung des Gesetzes und die zu ihr gehörigen Rechtskategorien hineingepreßt. Der entscheidende Gesichtspunkt für das Verständnis der Versöhnung ist, daß auch hier die Rechtsordnung ungebrochen in Geltung bleibt, daß die misericordia Gottes seine justitia distributiva nicht außer Kraft setzt. So wird nicht Christi Inkarnation und sein ganzes Lebenswerk bis zur Vollendung in der Auferstehung als eine durchgehende göttliche Siegestat beschrieben, sondern allein der Tod als vom Gesetz her überpflichtmäßige Leistung, als vollwertige Satisfaktion für alle Sünden der Menschen — d. h. als Äquivalent des von der Menschheit Gott geschuldeten Gehorsams— gedeutet, die Gott den Erlaß der ewigen Strafe für die Menschen ermöglicht 116 . Da den rechtlichen Prämissen gemäß der Mensch zur Satisfaktionsleistung verpflichtet ist, muß auch Christi Sterben als ein menschliches Werk verstanden werden. Nur die menschliche Ersatzleistung kann die Menschheit von der Verbüßung der ewigen Strafe befreien: „Die ganze Beweisführung in ,Cur Deus homo' geht darauf aus, nachzuweisen, wie der Mensch ist (blir tili), welcher so beschaffen ist, daß er wirklich die Satisfaktion geben kann, welche Gott unbedingt fordert. Das ist der Nerv im Ganzen. Der Mensch muß Satisfaktion geben — und das ist gerade das, was durch Christi Satisfaktionswerk geschieht111." Die Versöhnung ist also in einer im Namen der Menschheit von Christus qua homo Gott dargebrachten Leistung, um seine Gerechtigkeit zufriedenzustellen, begründet, es ist der Mensch —, sei es auch der einmalige, sündlose Mensch Christus —, der im Geiste des Nomosmotivs auf der Rechtsebene unter Berufung auf seine Werke mit Gott verkehrt ; freilich hat Gott selbst erst durch die Sendung seines Sohnes der vorher dazu unfähigen Menschheit ermöglicht, wieder auf diese Weise Gott zu nahen, aber diese vorgängige göttliche Liebestat ändert nichts daran, daß das eigentliche Versöhnungsgeschehen dann doch ein Rechtsgeschäft ist, bei dem Gott 115 116 117
Den kristna försoningstanken, S. 158 (auch Kontext) und S. 246ff. Ebd., S. 154f. Ebd., 8. 149f.
sich der menschlichen Leistung entsprechend verhält. „Die Linie von oben nach unten wird von einer anderen Linie von unten nach oben gekreuzt, dadurch daß liier der Gedanke an eine Leistung von unten eingeführt wird. 1 1 8 ." Gott ist nicht wie im klassischen Motiv gleichzeitig der Versöhnende und der Versöhnte, sondern teils Versöhner (als Initiator der Versöhnnng), teils wird er versöhnt 118 ". „Aber wenn also die Gotteshandlung, die Linie von oben nach unten gebrochen ist, so ist dagegen das Rechtsschema ungebrochen 119 ." So läßt sich schlagwortartig der Gegensatz des lateinischen Typs zum klassischen zusammenfassen: Hier im Geiste des Agapemotives : Ungebrochene Gottestat und durchbrochene Rechtsordnung — dort im (Un)geist des Nomosmotives : Gebrochene Gottestat und ungebrochene Rechtsordnung 1 1 9 8 . Nun könnte man dagegen freilich einwenden, daß Anselm ja die altkirchliche Christologie übernehme, es sich also in der Versöhnung bei ihm in demselben Grade wie in der Alten Kirche um eine Gottestat handeln müsse. Aber Aulén sieht in der „orthodoxen" Christologie bei Anselm nur ein ehrfürchtig mitgeschlepptes Traditionsstück, das sich nur mühsam in seine auf Christi menschliche Leistung basierende Soteriologie einbauen läßt. „Die ganze Betonung liegt darauf, daß Christus das Satisfaktionswerk als Mensch, qua homo, ausführt. Es ist offenbar eine Hilfsvorstellung, wenn Anselm — in Anknüpfung an ältere lateinische Vorstellungen — das Argument vorbringt, daß Christi Werk, dank der Vereinigung der göttlichen Natur mit der menschlichen, einen größeren Wert bekommt, als es sonst besäße 1 2 0 ." So leistet in völliger Verkehrung der altkirchlichen Intention die Gottheit Christi seiner und damit der Menschheit überhaupt nur Hilfestellung, damit sie ihre eigene Gerechtigkeit vor Gott behaupten kann. In diesem Rechtshandel bleibt der göttlichen Barmherzigkeit nur noch der ihr von der göttlichen Gerechtigkeit zugewiesene Platz: „Die göttliche Liebe wird von der göttlichen Gerechtigkeit reguliert (regieras) und bewegt sich innerhalb der von dieser sorgfältig abgesteckten Bahnen 1 2 1 ." Ebd., S. 152f. Den krist.na försoningstanken, S. 1B3: „Die charakteristische Doppelperspektive des klassischen Versöhnungsmotivs, nach welcher Gott gleichzeitig versöhnt und versöhnt wird, ist nun verschwunden. Statt dessen geschieht eine Spaltung : Gott ist teils Subjekt und teils Objekt des Versöhnungswerks — das erste im Blick auf die Veranlassung und Anordnung, das zweite im Blick auf die Ausführung selbst." 1 1 9 Ebd., S. 154. 1 1 S » Vgl. ebd., S. 157. 1 2 0 A. a. O., S. 150f. ; vgl. auch den auf das Zitat folgenden Abschnitt. 1 2 1 A. a. O., S. 263. Für die lutherische Orthodoxie vgl. Den kristna försoningstanken, S. 218: „Was das zugrunde liegende Gottesbild betrifft, so ist die gesetzgebende und vergeltende Gerechtigkeit unbedingt als die übergeordnete Macht gedacht. Sie schreibt die Bedingungen vor, unter denen es der göttlichen Liebe erlaubt wird, einzugreifen. Nach diesem Gedankengang ist diese Liebe im letzten Grunde von 118
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So ist das Ergebnis der Satisfactio Christi eine rationale Ausgleichung zwischen göttlicher Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, bei der beide nicht „zu ihrem Recht" gekommen sind: Die Personbezogenheit und Unerbittlichkeit des göttlichen Gerichtes ist verkannt, wenn es mit Ersatzleistungen abgefunden werden kann ; die Unmotiviertheit, die alle rechtlichen Panzer sprengende Souveränität der göttlichen Agape ist verzerrt zu einer untergeordneten, in das Gefängnis der vergeltenden Gerechtigkeit Gottes eingesperrten göttlichen „Eigenschaft" der Barmherzigkeit 122 . Dabei bleibt es auch in der lutherischen Orthodoxie trotz mancher Umgestaltungen, die sie an der Anselmschen Konzeption vornimmt : Weder das Verständnis der Satisfactio selbst als Strafleiden noch die Ausweitung des genugtuenden Werkes Christi auf die Oboedientia activa ändern etwas daran, daß der tätige und leidende Gehorsam als menschliche Leistung nach der Norm des Gesetzes als des ewig verbindlichen Gotteswillens gewertet wird und so die vergeltende Gerechtigkeit Gottes als der hervorstechende Zug im Gottesbild "den altprotestantischen Gottesbegriff verdirbt" 1 2 3 . I m Gegenteil wird mit eherner Systematik die rechtliche Betrachtungsweise nur noch konsequenter durchgeführt. Gegen diesen Ansatz im rationalen legalistischen Denken, das zur Versöhnung die Zufriedenstellung der göttlichen Gerechtigkeit durch menschliche Werke fordert, vermögen auch die christologischen Neubildungen der Orthodoxie, die an sich — besondes in der Lehre von der communicatio idiomatum — die Gottheit Christi stärker hervortreten lassen möchten, nicht anzukommen ; im Grunde bleibt die Gottheit Christi auf ihre wertgebende Funktion für die Kompensation, die Christus qua homo Gott darbringt, beschränkt 1 2 4 . Damit bestimmt das sonst so leidenschaftlich bekämpfte Leistungsdenken, die Werkgerechtigkeit, der Versuch der menschlichen Selbstbehauptung vor Gott im Luthertum weiterhin das Zentrum der Christentumsdeutung, ohne daß die Orthodoxie erkennt, daß sie damit doch an der entscheidenden Stelle die sonst heftig abgelehnten Grundgedanken der lateinischen Bußlehre teilt 125 . Anfang an suspekt. Sie muß sorgfältig bewacht und behütet (garderas) werden, damit sie sich nicht etwas vornimmt, was gegen die Forderung der göttlichen Gerechtigkeit streitet." 122 Vgl. bei Anm. 121 und Den allmänneliga kristna tron, S. 265: „Der Gedankengang erweist, daß im Grunde weder die,Gerechtigkeit' noch die Barmherzigkeit in ihrer vollen christlichen Tiefe erfaßt wurden." 123 Zu dem Zitat Den kristna försoningstanken, S. 212f. (Zitat aus E. Hirsch, Die Theologie des Andreas Osiander, S. 246) — Zur Beurteilung der Abweichungen der lutherischen-orthodoxen von der anselmischen Versöhnungslehre vgl. S. 216ff. 124 Den kristna försoningstanken, S. 220f. ; S. 221: „Auf die Frage nach der Bedeutung der göttlichen Natur antwortet man regelmäßig auf die alte, wohlbekannte Weise: sie gibt dem Werk, welches zunächst von der menschlichen Natur als agens ausgeführt wird, einen unendlichen Wert." 125 Ebd., S. 215 und 158f.
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4. D a s A u s e i n a n d e r f a l l e n
von Versöhnung, Heiligung
Rechtfertigung
und
In ihrem Denkschema wird nun auch die für den lateinischen Typ schwierige Frage nach dem Verhältnis von Rechtfertigung und Versöhnung beantwortet. Das eigentliche Versöhnungsgeschehen, die Leistung der für Gott notwendigen Satisfactio, spielt sich ja ohne Beteiligung des Menschen xiur zwischen Gott und Christus ab. Es schafft nur die Voraussetzungen dafür, daß Gott sich dem Menschen wieder zuwenden kann — bis auf Philippi hat man sich doch gescheut, in letzter Konsequenz der Rechtsgesichtspunkte zu folgern: Christi Genugtuung gibt dem Menschen den Rechtsanspruch, das ewige Leben von Gott zu fordern 126 . In einem dem eigentlichen Versöhnungsgeschehen gegenüber selbständigen Akt wird dem Menschen, der sich in der rechten Weise auf dem Empfang der Gnade bereitet (bzw. der glaubt) 126a , das Verdienst Christi als für ihn gültige Satisfactio zugeeignet. Dieser rein forensische göttliche Gnadenakt, dem doch die rechtliche Motivierung nicht fehlt, schafft auch nur rechtlich, nicht eigentlich personal in der Gemeinschaftsbeziehung zwischen Gott und Mensch neue Voraussetzungen. Der Mensch ist infolge des ihm zuerkannten Straferlasses — zumindest bei Anselm — wieder auf den Stand Adams vor dem Sündenfall zurückgeführt, ist damit aber grundsätzlich wieder auf den Leistungsweg und unter die Gesetzesordnung gewiesen. Die Konzentration der Versöhnung auf die juristisch betrachtete Schuldfrage macht es unmöglich, die nova vita des Christen in einen organischen Zusammenhang mit dem in der Rechtfertigung übereigneten Ertrag der Versöhnung, dem Schuld- und Straferlaß, zu bringen. So wird auch die Heiligung ein gegenüber der Rechtfertigung selbständiges Geschehen ; das Leben in der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus und sein Sieg über die bösen Mächte im glaubenden Menschen haben mit der versöhnenden Sühneleistung Christi und dem richterlichen Imputationsakt Gottes kaum mehr etwas zu tun 1 2 7 . Ebd., S. 219 wird Philippi zitiert. Vgl. Den allmänneliga kristna tron, S. 348f.: „Bezeichnend ist der Satz der lutherischen Scholastik, daß Gott ex praevisa fide rechtfertigt — der Glaube wird hier als eine menschliche Bedingung gefaßt."— Tür Anselm vgl. Cur Deus homo 11,19: „Quemadinodum autem sit ad tantae gratiae participationem accedendum et quomodo sub illa vivendum, nos ubique sacra scriptura docet. . .". 127 Zum Auseinanderfallen der drei „Akte": Versöhnung, Rechtfertigung, Heiligung vgl. Den kristna försoningstanken, S. 252f. : „Es handelt sich . . . um eine Reihe von Akten, die in einem in jedem Fall relativ lockeren (fristàende) Verhältnis zueinander stehen. Die .Versöhnung' besteht in der Gott dargebotenenen Satisfaktion und in der Annahme durch Gott. Die Menschen haben nur insoweit mit diesem Akt zu tun, als Christus ihr Repräsentant ist. Die .Rechtfertigung' ist ein anderer Akt, in welchem Gott Christi Verdienst auf die Menschen überträgt. Auch hier liegt keine direkte Relation Christi zu den Menschen vor. Unter diesen Umständen muß das, was man Erneuerung oder Heiligung (das Wort in seinem engeren Sinne genommen) 128
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8051 Alpers, Versöhnung
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Die Versuche, das göttliche Liebeswunder der Versöhnung rational zu begreifen, ja es sogar als rational notwendig zu postulieren128, es dem Rechtsdenken und damit letztlich dem menschlichen Selbstbehauptungswillen vor Gott anzupassen, nehmen ihm seine bezwingende Gewalt und seine großartige Geschlossenheit ; nicht mehr der Jubel über die Gegenwart des Versöhners im Glauben, der Triumph der Gemeinde des Christus victor durchtönt die Theologie der Versöhnung, sondern die durch Anselms Versöhnungstheorie aufgeklärte Vernunft findet trotz mancher fragwürdiger Konstruktionen die Rechtmäßigkeit und Vernunftgemäßheit des göttlichen Gnadenhandelns einleuchtend und stellt darum am Schluß mit Boso befriedigt fest, daß doch alles mit rechten Dingen zugeht und gibt dem zuletzt in der Überzeugung: „Nihil rationabilius" Ausdruck129. c) Der „subjektivistische" Typ: Versöhnung als Erkenntnis der von Christus verkündigten unveränderlichen Liebe Gottes zu den Menschen Und doch forderte gerade dies befriedigte: „Nihil rationabilius" seit Anselms Tagen die Kritik durch einen neuen, dritten Versöhnungstyp heraus ; es ist also nicht die direkt nur sehr selten — bei Luther etwa in gelegentlicher Bemängelung des Genugtuungsbegriffes 130 — geäußerte Kritik seitens der Vertreter des klassischen Versöhnungstyps gemeint, sondern der im Namen der Vernunft und der Moral vorgebrachte Protest gegen den objektiv-forensischen Charakter der lateinischen Versöhnungelehre, gegen ihre Verrechtlichung der ethischen Elemente, gegen den legalistischen Strafleidensgedanken und das anthropopathische Gottesbild des „beleidigten" und Genugtuung fordernden Privatmannes 131 . Der positive Beitrag dieses aus der Kritik des lateinischen Typs entstandenen und von ihm — von Abaelard bis Ritsehl — immer negativ abhängig gebliebenen subjektivistischen, anthropozentrischen oder idealistischen Typs 132 richtet sich nennt, als noch ein besonderer Akt ohne organischen Zusammenhang mit den vorhergehenden erscheinen." — Zur Rückverweisung auf den Leistungsweg vgl. a. a. O., S. 168: „Wenn es um die Frage nach der Buße für nach der Taufe begangene Sünden geht, spricht man auf die der lateinischen Theologie gewöhnliche Weise davon, daß die Menschen sich Verdienste vor Gott erwerben können." — Zur Kritik an der Verengung der Versöhnung auf die Schuldperspektive hin, in der die Vergebung wesentlich als Straferlaß bestimmt wird, vgl. a. a. 0., S. 250. 128 Den kristna försoningstanken, S. 218f. J29 Vgl. außer den bisher zitierten Stellen a. a. O., S. 263. 130 Siehe G. Aulén, Das christliche Gottesbild, S. 215, Anm. 1 (nach Th. Harnack, Luthers Theologie, Bd. II, S. 270). 131 Den kristna försoningstanken, S. 223: „Diese (sc. die Versöhnungslehre der Orthodoxie) wird einer rationalen Kritik unterworfen", und a. a. O., S. 226; vgl. auch: Die drei Haupttypen ZsystTh VIII, S. 528. 132 Zu der wechselnden Namensgebung vgl. Den kristna försoningstanken, S. 235, wo die Bezeichnung „subjektiv" eingeschränkt wird, da ja in abgeschwächter Weise doch das Gegenüber Gottes als Partner des Versöhnungsgeschehens seine Bedeutung behält. — Siehe auch ZsystTh VIII, S. 631, wo die Bezeichnung „idealistisch" als
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vor allem auf die im lateinischen Typ vernachlässigte subjektive Seite der Versöhnung, die sogenannte Heilsaneignung, die hier allein zum theologischen Problem wird, da Gottes unveränderlicher Heils- und Liebeswille mit der Menschheit, der keiner Versöhnung bedarf, von vornherein als selbstverständlich feststeht 1 3 3 . Die dualistische Perspektive ist daher in beiden Gestalten — als reiner und begrenzter Dualismus — völlig verschwunden. Die biblischen Teufelsvorstellungen werden als in ihrer fragwürdigen Genese aufgeklärte zeitbedingte Akkomodationen, die Spannung zwischen Zorn und Liebe oder Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes als unerträglicher Anthropopathismus abgetan ; Gottes Zorn und Strafgerechtigkeit sind nur Wahngebilde des sündigen Menschen (die höchstens für die wenig interessierende Eschatologie Bedeutung haben — so Ritsehl). Da Gottes gütige Vaterliebe die fraglose Voraussetzung (und nicht das im Evangelium t a t h a f t offenbarte Wunder) ist, fehlt für eine vorwiegend objektiv orientierte Versöhnungslehre jedes Verständnis 134 . Diesem „humanisierten" Gottesbild entspricht im subjektiven Typ der „relativierte" Sündenbegriff. Die Sünde ist nicht aktiver, urböser Widerspruch des Menschen in seiner Totalität gegen den göttlichen Willen, sie ist auch nicht eine den Menschen in gottfeindlicher Bestimmtheit haltende tyrannische Verderbensmacht, sondern dem Menschen anhaftende moralische oder religiöse Un Vollkommenheit, Hemmung des zu entwickelnden Gottesbewußtseins. Es handelt sich — wie es dem evolutionistischen Denken der Zeit entspricht — beim sündigen Menschen mehr um einen Zustand der Unterentwicklung, um eine noch mangelhafte Erkenntnis der Güte Gottes und ein unvollkommenes Wollen als um völlige Verlorenheit und Gottesferne 135 . prägnanteste gewählt wird. Wenn aber auch die Versöhnungslehre der Aufklärung dem dritten Typ zugerechnet werden soll, ist der Name wohl zu einseitig. — H. Lindroth, Försoningen, S. 364, spricht vom „subjektivistisch-anthropozentrischen" Versöhnungstyp. 133 Zur Un Veränderlichkeit der Liebe Gottes vgl. Den kristna försoningstanken, S. 225f. — Zur Übereinstimmung des zweiten und dritten Typs vgl. G. Aulén, ZsystTh VIII, S. 532; H. Lindroth, a. a. O., S. 364f. — Zur „Heilsaneignung" als Hauptproblem der subjektivistischen Versöhnungslehre: „Man empfindet die mangelnde Relation zwischen Christus und den Menschen als eine Schwäche und bemüht sich darum, vor allem den psychologischen Einfluß Christi auf den Menschen aufzuzeigen", ZsystTh VIII, S. 534. Damit wird der Begriff der Versöhnung völlig vereinseitigt, ja schließlich, wenn die Gottbezogenheit überhaupt zurücktritt, um seinen Sinn gebracht. 134 Zum Dualismus: Den kristna försoningstanken, S. 21 ff. — Zur Ablehnung der Spannung von göttlicher Liebe und Gerechtigkeit vgl. G. Aulén, Das christliche Gottesbild, S. 303f. — Vgl. auch im folgenden das Zitat über A. Ritsehl: „Der Mensch soll sein Mißtrauen gegen Gott, d. h. gegen Gottes Güte, aufgeben" (s. bei Anm. 139). iss Yg] j ) e n kristna försoningstanken, S. 225 und 248. — Zum Evolutionismus bei Schleiermacher vgl. Das christliche Gottesbild, S. 307ff. — Zu Ritschis Sünden. 4*
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Demgemäß schafft die Versöhnung auch nicht eigentlich neue Tatbestände, das Werk Christi ist wesentlich Offenbarung, nicht im tathaften, sondern demonstrativen Sinn dieses Wortes. An der Erscheinung des idealen Menschen in der Welt wird uns das Urbild des wahren Menschen offenbar, der ganz ungebrochen in der Lebensgemeinschaft mit dem gütigen Vatergott lebt 136 . Die Hauptfrage für diesen Typus ist nun, wie dem Menschen diese Lebenskräfte Christi mitgeteilt werden können, wie er dadurch als ein mit sich, mit Gott und der Welt versöhnter, harmonischer Mensch existieren, sich selbst behaupten könne. Es ist letztlich die anthropozentrische Frage nach der harmonischen Stellung des Menschen im Kosmos, der Wahrung seines Selbst- und Freiheitsbewußtseins angesichts der von ihm immer stärker erkannten bedrohlichen Determination durch die Naturgesetzlichkeiten, auf die die Erlösungs- und Versöhnungslehre in dem subjektivistisch-idealistischen Typ antworten soll, gerade auch bei seinen bedeutendsten Vertretern Schleiermacher und Ritsehl, die trotz vielfältiger Vertiefungen und ernsthafterer christologischer Bemühungen doch in der subjektivistisch-anthropozentrischen Grundtendenz das rationalistische Erbe übernehmen 137 . Das läßt sich bei Schleiermacher schon aus der Reihenfolge und Füllung der Begriffe,, Erlösung und Versöhnung" entnehmen : „Schleiermachers Anordnung dieser beiden Begriffe wird durch die anthropozentrische Deutung, welche er ihnen gibt, möglich gemacht und folgt aus ihr. Diese beruht darauf, daß die, Erlösung' von ihm in erster Linie als eine Lebenserhöhung betrachtet wird, und darauf, daß die V e r söhnung' wesentlich ein durch diese Lebenserhöhung gewonnenes kosmisches Heimatgefühl ist, eine neue, von ungestörter Harmonie geprägte Stellung zum Universum, die daher rührt, daß der Mensch durchschaut, Verständnis, a. a. O., S. 334. — Da der dritte Typ sehr verschiedenartige Theologien umfaßt, können die jeweiligen Begriffsumschreibungen natürlich nur in sehr grober Annäherung den einzelnen Theologen gerecht werden. Es wird von Aulén auch anerkannt, daß die von ihm behandelten „idealistischen" Theologen Schleiermacher und Ritsehl zumindest die Tendenz haben, den in der Aufklärung unerträglich verflachten und stellenweise fast preisgegebenen Versöhnungsgedanken durch die Christozentrizität der Erlösungslehre (bei Schleiermacher und Ritsehl) und (bei Ritsehl auch) durch ein ernsthafteres Sündenverständnis zu vertiefen, das den positiv empörerischen Charakter der Sünde und dementsprechend ihre Schuld und die entscheidende Heilsbedeutung der Vergebung hervorhebt. Aber Aulén weist auch nach, wie das im wesentlichen doch festgehaltene rationalistisch verharmloste Gottesbild die besseren Ansätze schließlich wieder verdirbt (vgl. Das christliche Gottesbild, S. 307—335, bes. S. 314ff.. 321, 333f., aber auch S. 332f.). 136 Vgl. ZsystTh VIII, S. 528: „Statt des besänftigten Gottes will man den sanften Gott predigen. Diesen Gott habe Jesus verkündigt und durch sein ganzes Leben bestätigt." — Vgl. Den kristna försoningstanken, S. 230f., über Jesus „als,Religionsideal', .Urbild', welches in sich ein absolut vollkommenes und seliges Gottesbewußtsein trägt". — Zum demonstrativen Charakter der Offenbarung vgl. O. Wolff: Haupttypen der neueren Lutherdeutung, S. 206f. (für Ritsehl). 137 Den kristna försoningstanken, S. 227ff. und die folgenden Zitate.
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wie alles in einem Abhängigkeitsverhältnis von Gott steht und daher auch das, was zu stören scheint, es in Wirklichkeit nur scheinbar tut 1 3 8 ." Ähnliches gilt für Ritsehl: „Das für Ritsehl Entscheidende hegt darin, daß der Mensch sein Mißtrauen (oder seinen Irrglauben: misstro) gegen Gott aufgibt: Dieses beruht auf einer falschen Auffassung von Gottes Wesen und wird beim Anblick von Christi bis zum Tode festgehaltener Berufstreue zerstreut, welche eine Offenbarung der göttlichen Liebe enthält. Die ,Versöhnung' steht wie bei Schleiermacher im Hintergrund : Sie ist eine Folge des neuen Gottesverhältnisses und bedeutet — wie bei Schleiermacher ·— zunächst ein neues Verhältnis zur Welt, charakterisiert durch Selbstbehauptung und Weltherrschaft. Der anthropozentrische Zug ist also auch hier stark 139 . . . .Das höchste Ziel des Gottesglaubens soll darin bestehen, dem Menschen zur Selbstbehauptung und Weltherrschaft zu verhelfen, und so ist also die Gottesgemeinschaft nicht eigentlich um ihrer selbst willen da 1 4 0 ." Damit daß die Gottesgemeinschaft des Sünders nicht das eigentliche Ziel des Versöhnungsgeschehens ist, hängt es nun eng zusammen, daß die Christologie auch an der Gottheit Christi, an Gottes Gemeinschaft stiftendem Handeln durch Christus kein vitales Interesse mehr hat. Christus ist vielmehr die etwas abstrakt und schemenhaft wirkende Verkörperung des Menschheitsideals, und nur darin sind noch letzte Reste alter objektiver Versöhnungslehre erkennbar, daß Gott „dank Christi idealen Menschseins (mänsklighet) die Menschheit in einem neuen, versöhnenden Lichte sieht 141 ." Das ist außer einer in fernem Hintergrund wirkenden, alles bedingenden göttlichen Kausalität 141 der schwache Rest, der von der Gottestat der Versöhnung gewahrt geblieben ist, die dem klassischen Typ solche Dynamik und Kraft gegeben und die göttliche Liebe als Opfer und Sieg, als schöpferische Macht in der Menschheitsgeschichte hatte wirksam werden lassen. So heftig — trotz des eben angeführten, ein wenig in diese Richtung weisenden Zitates — gegen die mißverstandene Orthodoxie der Gedanke an eine Umstimmung Gottes durch das Werk Christi bestritten wird, so wird nun doch, der moralistischen Gesamthaltung zufolge, Gottes Güte und Wohlwollen von der Bekehrung, dem sittlichen Fortschritt des Menschen oder ähnlichem abhängig gemacht, auch wenn in gewissem Maße Christus als Repräsentant dieser (Gott wohlgefälligen) Menschheit gilt: „Wieweit die ,Versöhnung' zustande kommt oder nicht, beruht auf dem, was beim Menschen geschieht, auf seiner Bekehrung, Reue usw. Gottes Haltung gegenüber dem Menschen ist also direkt abhängig von seiner Haltung 138 139 140 141
Ebd., S. 230. Ebd., S. 232. Das christliche Gottesbild, S. 326. Den kristna försoningstanken, S. 257; vgl. auch den Kontext. 43
gegenüber G o t t 1 4 2 . " E s ist das aller anthropozentrischen Religion eigene D e n k e n v o n u n t e n nach oben, das sich im orthodoxen Legalismus u n d im aufklärerischen u n d idealistischen Moralismus und Ethizismus in verschiedener Weise geltend m a c h t ; hier wird immer Gottes Handeln u n d Urteil an menschliche Maßstäbe, menschliche Leistung u n d menschliches Begehren gebunden und daher nicht als Gottes unmotivierte, schöpferische Liebestat erkannt u n d v o n d e m ihrer unwürdigen und immer tinwürdig bleibenden Sünder anerkannt 1 4 3 . Diese kurze Skizze der Grundlinien des dritten T y p e s mag für unsere Aufgaben genügen. Er wird in unserer weiteren Arbeit nicht mehr stark hervortreten, da er auch bei den uns beschäftigenden, schwedischen Theologen, wenn überhaupt, mehr die Rolle eines „Zerfallproduktes" des lateinischen T y p s spielt, d e m er trotz aller Polemik in seiner anthropozentrischen Grundhaltung, die sich im lateinischen T y p — noch m i t starken theozentrischen Elementen versetzt — ankündigte, verhaftet bleibt 8 · 1 4 3 . Seine eigentlichen Verdienste hat er auch mehr in der berechtigten Opposition gegen die juridische Gestalt des lateinischen Versöhnungstyps; die Entfaltung der eigenen Versöhnungsanschauung bleibt demgegenüber tastend und u n b e s t i m m t u n d variiert v o n Abaelard bis Ritsehl vielfäl142
A. a. 0., S. 236; vgl. auch den Kontext. Daß Aulén in mancher Hinsicht in dem lateinischen Typ ein auf halbem Wege stehengebliebenes Mittelglied zwischen klassischem und anthropozentrischem Typ sieht, wird besonders bei der abschließenden Vergleichung deutlich, in der die Stellung, welche die drei Typen zu zentralen „Gesichtspunkten" des christlichen Glaubens einnehmen, untersucht wird. Hierbei kann man „absteigende" Linien von der ungebrochenen (klassisch) über die gebrochene (lateinisch) zur preisgegebenen (anthropozentrisch) Gottestat; von der Sünde als Verderbensmacht (klassisch), über den juridisch versachlichten Sündenbegriff (lateinisch) zum relativierten (anthropozentrisch) ; vom Dualismus im klassischen zu der Spannung der göttlichen Eigenschaften im lateinischen bis zur Aufhebung aller Spannungen im anthropozentrischen Typ konstatieren. — „Daher kann festgestellt werden, daß die charakteristisch christliche Konzeption, welche das klassische Versöhnungsmotiv beherrscht, innerhalb des lateinischen Typs gebrochen ist (remnar), dadurch daß hier ein störendes Element eingeführt wurde, und daß sie innerhalb des dritten Haupttyps aufgelöst wurde, in dem Maße, wie die subjektive Orientierung konsequent durchgeführt wurde" (Den kristna försoningstanken, S. 260). Sehr viel schärfer als bei Aulén wird bei Lindroth der lateinische Versöhnungstyp als anthropozentrisch bezeichnet: „Trotz dieses tiefgreifenden Unterschiedes besteht doch insofern eine gewisse Übereinstimmung zwischen den beiden (sc. den lateinischen und subjektivistischen) Versöhnungstypen, als beide — wenn auch in verschiedener Weise — anthropozentrisch orientiert sind" (H. Lindroth, Försoningen, S. 364). In der Konsequenz der Herleitung des lateinischen Versöhnungstyps aus dem Nomosmotiv liegt diese Beurteilung durchaus; schwer zu entscheiden ist die Frage, was für ein Motiv hinter dem subjektiven Typ steht — in der idealistischen Theologie ist ja zweifellos auch das Erosmotiv wirksam, aber in dem aufklärerischen Moralismus ist wohl das Nomosmotiv bestimmend, freilich in einer anderen Gestalt als im Legalismus. 143
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tig 144 . Da Auléns Typologie vor allem die Eigenprägung des klassischen Typs am Herzen liegt, tritt der subjektive Typ mehr in den Hintergrund ; denn der Unterschied zwischen klassischem und subjektivem Typ scheint offensichtlich, während der klassische und lateinische Typ unter dem Schlagwort „objektive Versöhnungslehre" häufig verwechselt wurden. Daher sieht Aulén seine Hauptaufgabe darin, diese beiden Typen möglichst klar zu fixieren und gegeneinander abzugrenzen; der dritte Typ erhält dabei mehr die Bedeutung einer Zusammenfassung der Erweichungsund Auflösungstendenzen, die die lateinische Versöhnungslehre ständig begleiten und bedrohen, aber ihren Schwächen auch fast notwendig zugeordnet sind 145 · 148 . d) Die Versöhnungstypen deutung
und die hinter ihnen stehende
Christentums·
Es ist ein meisterhaft klar und scharf konturiertes Bild der Grundlinien christlichen Versöhnungsdenkens, das Aulén in seinem Werk zeichnet; die ganze Vielfalt und verwirrende Fülle von Systemen, Gedanken und Bildern wird im wesentlichen in die drei großen eben beschriebenen Haupttypen eingefangen, die jeweils einer umfassenden Christentumsdeutung zugehören. So werden die „Bestandteile" der verschiedenen Versöhnungslehren nach ihrem organischen oder unorganischen Verhältnis zueinander untersucht und auf das zugrunde liegende Gottesbild bezogen. Von dem Gottesbild und damit letztlich vom beherrschenden Grundmotiv her soll noch einmal zusammenfassend die Verschiedenartigkeit der Typen beleuchtet werden : Im klassischen Typ offenbart sich in der Versöhnung die göttliche Liebe, indem sie hinabsteigt in das Elend, in dem der Mensch ohne Gott zu leben verdammt ist; sie opfert sich hinein in das Sünden-, Todes- und Zornesverhängnis des sündigen Menschen; ihr Opfer ist Tat, Kampf und schließlich Sieg der souveränen Liebesmacht über die Unheilsmächte dieses Äons und damit zugleich Anbruch der Herrschaft des göttlichen Liebeswillens im Herzen der von ihm bezwungenen Menschen. 144 Zur Anerkennung des Reinigungsprozesses der Aufklärung und Ritschls: Aulén: Das christliche Gottesbild, S. 305f. und 332; S. 306 wird auch die Schwäche der Neubildungen betont. 145 Zur Aufgabenstellung vgl. Den kristna försoningstanken, S. 11—13. — Vgl. zu Abaelard, a. a. O., S. 163ff. 146 Eine wichtige mittelalterliche, aber weit über das Mittelalter hinaus wirksame, betont „subjektive" Ergänzung des objektiven lateinischen Typs ist die sogenannte Passionsmystik, die zur Imitatio des leidenden Christus aufruft; sie hat auch stark auf den Pietismus und das evangelische Passionslied überhaupt eingewirkt und wesentlich dazu beigetragen, auch in der Frömmigkeit dem klassischen Versöhnungstyp seinen beherrschenden EinfluB zu nehmen (vgl. Den kristna försoningstanken, S. 166-168).
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I m lateinischen Typ fordert der gerechte Gott des Gesetzes vom Menschen die genugtuende Leistung für seine Sünde zur Versöhnung; und doch hilft er durch die Sendung Christi nachsichtig dem schwachen Menschen zur Erfüllung seiner Forderung. Der Tod Christi gibt als solche Erfüllung dem gerechten und auch barmherzigen Gott die Möglichkeit, durch das schuldvergebende und die Strafe erlassende Urteil die Gemeinschaft m i t dem Menschen wieder aufzunehmen, der sich in rechter Weise das Verdienst Christi aneignet. Im anthropozentrischen Typ wird der Mensch durch die Begegnung mit dem in ungebrochener Gottesgemeinschaft lebenden Idealmenschen Christus von allen Wahnvorstellungen über einen zürnenden oder in seinem Wesen gespaltenen Gott frei und dessen inne, daß Gott immer und unveränderlich den Menschen liebe, ihm seine Sünden als menschliche Schwachheit vergebe, aber doch auf sein gutes oder böses Leben mit väterlicher Güte oder Strenge reagiere. Diese Gewißheit um die in unserem Lebensschicksal wirksame Güte Gottes versöhnt den Menschen mit Gott, aber auch mit den Ordnungen in der Welt, die seinen Selbstbehauptungswillen als Geistwesen gefährdeten. So muß das klassisch christliche Agapemotiv auch auf dem Felde der Versöhnungslehre gegen die vom Nomosmotiv und anderen nichtchristlichen Motiven gespeisten Gegenlehren kämpfen. Denn der einheitlich theozentrische Charakter des christlichen Glaubens, der unter Verzicht auf alles rationale Begreifen Gott in Christo allein als unsern Versöhner bekennt und von seiner Liebesmacht alle entgegenstehenden Macht- und Rechtspositionen überwunden weiß, wird im lateinischen und subjektivistischen Typ durch das letztlich anthropozentrisch bedingte Festhalten an legalistischen, moralischen und rationalen Normen getrübt. Der an solchen Normen orientierten Versöhnung wird der Charakter der unmotivierten und ungebrochenen Gottestat genommen, und das Heil selbst wird stärker unter die anthropozentrischen Aspekte des Schuld- und Straferlasses oder des harmonischen kosmischen Lebensgefühls als unter den theozentrischen des neuen Lebens in der Gemeinschaft mit Gott gestellt. Aber — mit dieser Gewißheit schließt Aulén seine Darstellung — trotz aller Unterdrückungen und Fehlbeurteilungen, die sich das klassische Motiv im Laufe der Kirchengeschichte hat gefallen lassen müssen, lebte es in der Christenheit, bald beherrschend, bald mehr im verborgenen weiter, und jetzt scheint die Zeit wieder einmal reif dafür zu sein, daß es aus der Verborgenheit heraustrete und sich in seiner lebendigen, kraftvollen Dramatik, mit seinem tiefen Einblick in die dunkle Anziehungskraft der die menschliche Existenz bedrohenden Daseinsmächte, vor allem aber in seiner triumphierenden Gewißheit um die Heilsgegenwart des Christus victor bezeuge und auch in unserer Welt dem der Kirche und vor allem der traditionellen Versöhnungslehre fremd gewordenen modernen Menschen als die echte und 46
zukunftsträchtige, auch ihn ansprechende klassische Christentumsdeutung begegne 147 . III. Zur Vorgeschichte der Aulenschen Typologie in der neueren deutsdien und schwedischen Theologie N u r am Schluß seines Werkes macht Aulén einige wenige allgemeine Andeutungen darüber, daß sich in der neusten Zeit langsam wieder eine Erkenntnis der Eigenart des in der offiziellen Theologie seit der Orthodoxie fast vergessenen klassischen Motivs anbahne 1 4 8 . E s wird aber auch zum rechten systematischen Verständnis der Typologie förderlich sein, wenn wir ihre Wegbereiter in der deutschen und schwedischen Theologiegeschichte kurz ins Auge fassen und so das Aulénsche Werk in einem größeren Zusammenhang sehen lernen. a) Rückblick subjektive
auf die bisher vorherrschende
Alternative:
Objektive
oder
Versöhnungslehre ?
Aulén h a t sicherlich recht, wenn er den seit der Auseinandersetzung Abaelards m i t Anselm bestehenden Gegensatz zwischen lateinisch-objektiver und subjektiver Versöhnungslehre als das — mindestens seit dem Rationalismus — beherrschende Thema der Debatten u m das Versöhnungsverständnis bezeichnet 1 4 9 . Dieser Gegensatz war im Mittelalter autoritativ zugunsten des lateinischen Typs entschieden und auch im Zeitalter der Orthodoxie trotz der sozinianischen Kritik im großen und ganzen vom vorherrschenden lateinischen T y p niedergehalten worden. Nach Auléns Darstellung band die trotz aller Mängel imponierende Konsequenz und „eisenharte" 1 6 0 Ausformung der lateinischen Versöhnungslehre in der Orthodoxie auch weiterhin die Gegner in ihre Fragestellungen, 147
Zum ganzen vergleiche außer den früher mitgeteilten Belegen den Schlußabschnitt von Den kristna försoningstanken, S. 237—268; zur Verständnislosigkeit gegenüber dem Versöhnungsgedanken in der Moderne Den allmänneliga kristna tron, S. 257 (die Schuld daran hat nach Aulén im Grunde der auch heute noch vorherrschende lateinische Typ). 148 Den kristna försoningstanken, S. 241: „Das könnte in der Tat gesagt werden, daß man hier und da sowohl in dem Bestreben, den ,subjektiven' Gedankengang zu vertiefen, wie auch die lateinische Theorie zu mildern, tastende, mehr oder minder bewußte Wendungen in Richtung auf das klassische Versöhnungsmotiv antreffen kann." „Das christliche Gottesbild", auf das in Den kristna försoningstanken Bezug genommen wird, würdigt die in Richtung auf den klassischen Typ weisenden Gedanken dei schwedischen Theologen Söderblom und Billing. Vgl. bes. S. 363—372. 149 Den kristna försoningstanken, S. 239f. 150 Ebd., S. 218: „Der Gedanke der ungebrochenen Rechtsordnung ist mit eisenharter Konsequenz durchgeführt. Das gibt dem Gedankengebäude eine unleugbare Monumentalität. Es ist in einem spröden und strengen Stil aufgebaut, der, wie sich erwiesen hat, lange dem Sturm der Zeit trotzen konnte."
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sie erlaubte ihnen nicht, gleichsam neben dem Gegner, sondern nur gegen ihn die eigene Anschauung zu entwickeln. Die in der Verwendung juridischer Begriffe zum Ausdruck kommende extreme Objektivität forderte die Kritik des „Subjektivismus" heraus, der nun seinerseits mit der Preisgabe der unmittelbaren göttlichen Beteiligung das Versöhnungsgeschehen verarmen ließ. Die unglückliche Alternative „Umstimmung" Gottes oder des Menschen151 verurteilte den mit größter Leidenschaft und Erbitterung geführten Streit zwischen dem lateinischen und dem „subjektivistischen" Versöhnungstyp zur Unfruchtbarkeit, weil dabei keine Lösung ins Blickfeld trat, die die berechtigten Anliegen auf beiden Seiten aufnahm und doch vor dem Auseinanderfallen der beiden Seiten bewahrte. Dazu waren auch die Kompromißformen zwischen den beiden Typen, die im 19. Jahrhundert vielfach ausgebildet wurden, nicht imstande, weil ihnen gerade das beherrschende, einheitliche Grundmotiv fehlte 162 . Wie erklärt es sich, daß in dieser tragischen Versöhnungsdebatte, die auch mit eingehendem Studium der Geschichte des christlichen Versöhnungsgedankens verbunden war 163 , der klassische Versöhnungstyp auf beiden Seiten kaum erkannt, jedenfalls aber nicht als vollwertiger eigenständiger Versöhnungstyp, der zur Überwindung der Gegensätze der beiden anderen Typen hätte führen können, gewürdigt wurde ? Aulén führt dafür verschiedene Gründe an: 1. Es fehlte das Interesse für einen Versöhnungstyp, der sich nicht in den Rahmen der beherrschenden Fragestellung einordnen lassen wollte. 2. Da auch der klassische Versöhnungstyp offenbar einer „objektiven" Versöhnungsanschauung Ausdruck gab, wurde er von Freunden und Gegnern der lateinischen Versöhnungstheorie mit dieser als eine noch unentwickelte Vorstufe in Verbindung gebracht, zumal er verschiedene Vorstellungskomplexe wie den Opfer- und Stellvertretungsgedanken, bei Luther auch die Begriffe satisfactio und meritum Christi mit der lateinischen Theorie gemeinsam hatte. 3. Da der klassische Typ nicht in einer geschlossenen, rational ausgeformten Theorie auftrat und sich mancher anstößiger Vorstellungen (Überlistung des Teufels; mythisierende Personifizierungen von Sünde, Teufel, Tod, Gesetz usw.) und naiv drastischer (grotesker) Bilder bediente 151 Vgl. dazu die schon zum „Begriff der Versöhnung" angebrachte Kritik auf Seite 15f.; vgl. auch BE 20, S. 574. Zur Abhängigkeit des „subjektivistischen" vom lateinischen Typ vgl. Den kristna försoningstanken, S. 235: „Man wendet sich vor allem gegen den Gedanken, daß Gott in irgendeinem Sinne versöhnt oder .umgestimmt' werden müßte." 152 Vgl. a. a. O., S. 240. 153 Z. B. F. Chr. Baur, Die christliche Lehre von der Versöhnung; G. Thomasius, Christi Person und Werk; A. Ritsehl, Die christliche Lehre von Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. 1 ; auch Th. Harnack, Luthers Theologie mit besonderer Beziehung auf seine Versöhnungs- und Erlösungslehre.
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(Christus als Fischköder, als Lockspeise in der Mausefalle), waren sich beide Lager in dem Urteil über die Minderwertigkeit dieses Typs einig. Man machte sich nicht die Mühe, den hinter den anstößigen Bildern liegenden Grundintentionen nachzuspüren. Auch das Interesse an der Vernünftigkeit der Versöhnungslehre auf beiden Seiten sträubte sich gegen die zweifellos vorhandenen irrationalen Elemente im klassischen Typ. 4. Vor allem aber war es die tief im Lebensgefühl des 18. und 19. Jahrhunderts begründete Ablehnung des christlichen Dualismus, die das rechte Erfassen des von diesem Dualismus ganz und gar geprägten klassischen Typs verhinderte. Man glaubte sich auf Grund des Nachweises der Herkunft des dualistischen Denkens aus dem Parsismus zu einem abwertenden Urteil über seine Bedeutung für den christlichen Glauben berechtigt ; das nicht wegzuleugnende Hervortreten des Dualismus im Urchristentum wurde als zeitbedingte Akkomodation und damit als für die gegenwärtige Theologie bedeutungslos angesehen 154 . 5. Schließlich hat auch die in der Dogmatik des 19. Jahrhunderts zwar nicht immer gleichsinnig, aber doch ziemlich allgemein durchgeführte Unterscheidung von Erlösung und Versöhnung dazu geführt, den klassischen Typ als bloße Erlösungslehre zu betrachten 155 , die statt der Aufrichtung der personalen Gottesgemeinschaft durch die Vergebung der Sünde und Schuld die mystisch-realistische Teilhabe an dem unvergänglichen, göttlichen Leben Christi als das eigentliche Heilsgut ansieht und daher natürlich nicht als vollgültiger theologischer Ausdruck christlichen Versöhnungsglaubens gewertet werden kann 156 . Ee sind also nach Aulén einerseits geschichtliche Fehldeutungen infolge einer nicht genügend tief dringenden Interpretation der vorliegenden Vorstellungen und Begriffe, andererseits und wohl vor allem — weithin wohl auch die Fehldeutung bedingend — schwerwiegende weltanschauliche Voraussetzungen eines optimistisch-rationalen Daseinsverständnisses, die den Bfick für Eigenart und Wert des klassischen Versöhnungstyps verbauen. b) Ansätze zur „klassischen1' Yersöhnungstheologie in Deutschland Nun hat sich aber doch nicht die gesamte nachreformatorisclie Entwicklung der evangelischen Versöhnungslehre in die eine vorherrschende Typenalternative hineinzwängen und sich durch die Gegnerschaft zur Orthodoxie zu einer subjektivistischen Versöhnungslehre treiben lassen. Es gab neben der rationalistischen und idealistischen Kritik an der 154
Den kristna försoningstanken, S. 14—23. Den kristna försoningstanken, S. 10 und 229; vgl. z. B. A. Ritsehl, Th. Harnack, 0. Kirn in RE s. ν. Erlösung und Versöhnung, und viele andere, siehe aber auch schon A. Bengel bei Anm. 47, Seite 16. IM Vgl. dazu etwa RE V, S. 465f. — Gegen diese Deutung der altkirchlichen Heilslehre Β. aber G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 35. 165
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Orthodoxie 167 auch eine mit dem Pietismus anhebende und in der sogenannten biblizistischen Theologie doch recht vernehmbare, bei Aulen freilich kaum erwähnte Ablehnung der Orthodoxie, die ebensowenig die subjektivistische Versöhnungslehre bejahte, die andererseits keineswegs vor dem dualistischen Motiv und gewissen Irrationalitäten zurückschreckte. 1 6 8 Allerdings berufen sich die Vertreter dieser in mancher Hinsicht „klassischen" Versöhnungstheologie — inwiefern ist gleich zu zeigen —159 zunächst wohl nur auf die Heilige Schrift; seit Johann Christian Konrad von Hof mann wird auch Luther 1 6 0 und wohl erst seit Hermann Mandel mit starken Vorbehalten auch die altkirchliche Tradition als Zeuge für diese Versöhnungsauffassung herangezogen 161 . Es handelt sich also mehr um einen — gewiß, vom Standpunkt Auléns gesehen, mit allerlei Anleihen und Zugeständnissen an die anderen „Typen" belasteten — Neudurchbruch des klassischen Versöhnungsgedankens als um Aufnahme alter Traditionen. Aber gerade darum lohnt es sich, diese Neugestaltung dee klassischen Typs ins Auge zu fassen 169 ' 162 . Es kann sich für uns in diesem Zusammenhang nicht um eine vollständige Wiedergabe der in Frage kommenden Versöhnungslehren, sondern nur um den Hinweis auf die in ihnen zutage tretenden „klassischen" Züge handeln. In ihrer Kritik am lateinischen Typ arbeiteten schon die „Sozinianer" und die Aufklärungstheologen dem klassischen Typ in die Hände, wie ja auch Aulen in seiner Kritik am lateinischen Typ weithin von Ritsehl und Adolf von Harnack abhängig ist 163 . Sie betonten vor allem die Undurchführbarkeit des Gedankens an eine ungebrochen in Geltung bleibende Rechtsordnung im Versöhnungsgeschehen, indem sie darauf hinwiesen, 156 Man wird ja auch schon im Blick auf die Versöhnungslehre Hegels und seiner theologischen Schüler (bes. Baur) fragen dürfen, ob sie sich noch in den „subjektivistisch-anthropozentrischen" Typus einordnen läßt. 158 Zögernd deutet Aulen darauf hin in Den kristna försoningstanken, S. 241 (das Zitat wurde in Anm. 148, S. 47 ausgeschrieben). — Zum Pietismus: „. . . Zuweilen, wie z. B. bei Spener, begegnet man der Bildwelt des klassischen Motivs, das hängt wahrscheinlich mit der stark neutestamentlichen Orientierung des Pietismus zusammen." Im ganzen wird aber der Pietismus doch als Wegbereiter des „Subjektivismus" angesehen: „Am wichtigsten im Blick auf die kommende Entwicklung war aber wohl doch, daß die ,Wiedergeburt* an Stelle der forensisch gefaßten Rechtfertigung das Leitwort wurde. Damit geschah eine Verschiebung in Richtung auf das Subjektive, welche für die folgende Entwicklung einflußreich wurde" (a. a. 0., S. 224). 159 Die Frage, ob wirklich alle Gestalten des christlichen Versöhnungsglaubens in das Schema der drei Typen eingefangen werden können, lassen wir hier noch einmal dahingestellt und stellen uns vorläufig auf den Boden der Aulénschen Typologie. leo Ygi d a z u o. Wolff, Haupttypen der neueren Lutherdeutung, S. 27—41. 161 H. Mandel, Christliche Versöhnungslehre, S. 211—231. 162 Zu der Typisierung der biblischen Versöhnungslehre, vgl. H. Mandel, a. a. O., 163 S. 249 ff. Vgl. dazu A. Sjöstrand, Satisfactio Christi, S. 61.
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daß eine solche keine exklusive Stellvertretung des Schuldigen zuläßt, daß diese auch in Christi oboedientia activa und passiva gar nicht geleistet sei, daß aber vor allem nach einer vollständigen satisfactio und satispassio Christi im Namen der Menschheit von Vergebung der Sünden gar nicht mehr die Rede sein könne, da es sich ja nun bei dem Erlaß der Sündenschuld nicht um einen göttlichen Gnaden-, sondern einen Rechtsakt handele, zu dem Gott auf Grund des Werkes Christi verpflichtet sei. Zudem lasse dieses Rechtsgeschäft zwischen Gott und Menschen jede Verbindung mit der Erneuerung des Christen vermissen 164 . Aber es gelang nur wenigen, mit dieser Kritik eine positive Gestalt der Versöhnungslehre zu verbinden, welche dem Werk Christi eine über die „Heilsaneignung" 165 hinausreichende Bedeutung zukommen ließ. Darin waren sich freilich auch diese wenigen mit den „Aufklärern" einig, daß Gottes Liebeswille die unbedingte Voraussetzung und nicht erst das Resultat des Versöhnungsgeschehens sei und daß gerade in dem Verständnis der Versöhnung als Offenbarung des göttlichen Gnadenwillens mit der Menschheit das Spezifische des christlichen Versöhnungsglaubens zum Ausdruck komme 166 . Aber das schließt nicht aus, daß erst die Versöhnung das Mittel ist, durch das Gott auf dem Wege der Überwindung hindernder Mächte, die reale, nicht wegzuleugnende Korrelate des menschlichen Sünden- und Schuldbewußtseins sind, seinen Willen zur Liebesgemeinschaft mit dem Menschen ungebrochen verwirklichen kann 167 . 194
Näheres vgl. etwa A. Ritsehl, Rechtfertigung und Versöhnung I 2 , S. 325 bis
329. 165 Auf sie wird nach Aulén und Lindroth das Heilswerk Christi im anthropozentrischen Typ verengt. Vgl. dazu die Darstellung des subjektivistischen Typs nach Lindroth, Försoningen, S. 365: „Leidet indes der orthodoxe Versöhnungstyp an dem Grundmangel, daß er den Zusammenhang zwischen dem objektiven Handeln Gottes und der subjektiven Heilsaneignung nicht ohne Schwierigkeit aufzeigen kann, so liegt bei dem subjektivistisch-anthropozentrischen Typ das Hauptinteresse gerade auf der subjektiven Ausgestaltung des Versöhnungswerks im Leben des Menschen." 166 Dafür mag ein Zitat von Hof mann genügen: „Gottes ewiger Liebeswille vollbringt sich in der Geschichte, welche sich zwischen ihm und der Menschheit begibt; sie ist von der hierfür in die Geschichtlichkeit eingegangenen, nämlich selbst geschichtlich gewordenen und damit Zeit und Geschichte setzenden Dreieinigkeit Gottes umschlossen, in welcher sich nun sein ewiges Wesen seinem Liebeswerke, wie ewiger Weise seinem Liebeswillen, vermittelt" (Schutzschriften III, S. 3). 167 Für A. Collenbusch s. B. Steffen, Hofmanns und Ritschis Lehren über die Heilsbedeutung des Todes Jesu, S. 23f.; für Hofmann s. etwa O. Wolff, Haupttypen der neueren Lutherdeutung, S. 36f. ; vgl. S. 37: „In der vollkommenen Berufsbewährung des Gottessohnes ist der Menschheit dieser faktische Anfang eines neuen Verhältnisses der Gerechtigkeit, der Liebesgemeinschaft mit Gott geschenkt. Die Gesetzesordnung, die als ,Folge der Sünde' in dieser Welt herrschte, hat er tatsächlich erfüllt und damit von innen her überwunden ; indem sie ihm ihr Äußerstes t a t , zerbrach sie an ihm."
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1. A n s ä t z e z u r k l a s s i s c h e n „ V e r s ö h n u n g s t h e o l o g i e " im B i b l i z i s m u s Es sind wohl zuerst wieder die ,,Biblizisten" Collenbusch und Menken168, die das Versöhnungswerk Christi wesentlich als Erlösung von Sterblichkeit und Sündlichkeit 1 6 9 und als Vernichtung der Sünde überhaupt ausdeuten 1 7 0 . Es geht also nicht darum, daß Christus Strafe oder Zorn Gottes zu tragen habe 1 7 1 , sondern daß er das nach einem für Gott und die bösen Mächte gemeinsamen, verbindlichen „Recht" Erforderliche tut, u m deren Macht über den Menschen zu brechen. Das geschieht dadurch, daß Jesus die sündliche Natur der adamitischen Menschheit annimmt, sie aber durch seine Bewährung in allen Versuchungen, schließlich vor allem aber durch sein Todesopfer kreuzigt und endlich zunichte macht. Wir finden hier also das dem klassischen Dualismusdenken eigentümliche Ineinander von Rechts- und Kampfkategorien wieder. Ein gewisses Recht der Verderbensmächte wird anerkannt, aber die Anerkennung und Erfüllung der Rechtsforderung bedeutet zugleich die Vernichtung der Mächte 1 7 2 . Freilich führt hier die Betrachtung der Sündlichkeit als eines dem Menschen anererbten Schadens zu einer bedenklichen Verflachung des Schuldge188 Siehe dazu A. Ritsehl, Rechtfertigung und Versöhnung I 2 , S. 610ff. ; B. Steffen Heilsbedeutung, S. 13—28; H. Mandel, Versöhnungslehre, S. 250—252. — Von den in ihrer Reichweite nicht ganz geklärten (vergleiche die Kritik Steffens an Ritsehl), offenbar aber recht geringfügigen Lehrunterschieden zwischen Collenbusch und seinem Schüler Menken können wir hier absehen. 1,9 Vgl. B. Steffen, a. a. 0., S. 19: „Unsere Sündlichkeit und Sterblichkeit ist ein Unrechtleiden, von dem uns zu erlösen, Gott seinen Sohn an die Welt als Mittler sandte" (Zitat aus Menken nach Gildemeister, Leben und Wirken des Dr. Gottfried Menken, Bremen 1861). 170 Vgl. B. Steffen, a. a. O., S. 21: „Die Sünde selbst (ist) vernichtet" durch die Abschlachtung des Sündopfers Jesus. 171 „Daß Jesus in seinem Tode die Strafen des göttlichen Zornes getragen habe", ist Irrtum der „finsteren Scholastiker" (B. Steffen, a. a. O., S. 27), ja nicht nur eine heidnische, sondern eine teuflische Lehre (vgl. H. Mandel, Christliche Versöhnungslehre, S. 249). 172 Vgl. B. Steffen (mit Zitaten aus Menken und Collenbusch), a. a. O., S. 23: „Indem er (sc. Jesus) die Sünde in seinem Fleisch Stück für Stück überwand, ist ihr überhaupt das Recht an der menschlichen Natur genommen. Indem er das Äußerste, was die unersättliche Rache und ein Haß ohne Grenzen hatte erfinden können, bis zum Höhepunkt der Schrecken von Gethsemane durch Satans Zorn erduldete und als ein Überwinder des Reiches der Finsternis in den Tod ging, hat er nach Urteil und Recht die obrigkeitliche Gewalt über den Fürsten des Todes gewonnen. Aus dieser Zuspitzung des Rechtsbegriffes geht hervor, daß die Rechtmäßigkeit des Todes Jesu von Collenbusch nicht als bloße Zweckmäßigkeit oder sittliche Notwendigkeit' gedacht ist, sondern daß das Kreuz die Aufrechterhaltung der auch von den bösen Geistern anerkannten allgemeinen höchsten Norm bedeutet." Siehe auch H. Mandel, a. a. O., S. 251f., wo mehr der Vernichtungs(Kampf)-, ale der Rechtsaspekt hervorgehoben wird.
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dankens 173 , wie auch der ganzen „Macht- und Vernichtungsperspektive" entsprechend das Resultat des Heilswerks nicht primär in der Vergebung der Schuld, sondern in der Überwindung der Sünde gesehen wird, die der Christus in uns wirkt 174 , aber nur — und hier wird die „klassische" Unbedingtheit der göttlichen Liebe empfindlich eingeschränkt — „wenn der Hohepriester durch das Verhalten der Menschen dazu ,berechtigt'wird 175 ." 2. A n s ä t z e z u r k l a s s i s c h e n „ V e r s ö h n u n g s t h e o l o g i e " bei J o h a n n C h r i s t i a n K o n r a d von H o f m a n n
Diesen ersten impulsiven, wissenschaftlich schon formal und inhaltlich wegen des unhaltbaren Sündenverständnisses und der Preisgabe des sola fide unbefriedigenden Einbruchsversuchen des klassischen Typs in die neuprotestantische Theologie gab der große Lutheraner v. Hofmann176 die wissenschaftliche Gestalt und notwendige Durchklärung und Vertiefung 177 . E r ist sich dabei durchaus seiner erheblichen Abweichungen von der Lehrweise der lutherischen Orthodoxie bewußt 178 und wird deswegen von den der Orthodoxie am stärksten verpflichteten Vertretern des Neuluthertums, Philippi und Thomasius, entschieden abgelehnt 179 . Die Anklage Philippis auf bloßen Subjektivismus, die in seiner Versöhnungslehre nur eine Variante der Ausformungen des anthropozentrischen Typus sieht, kann Hof mann aber mit guten Gründen zurückweisen180. Neben der für 173 Vgl. dazu Anm. 169 und B. Steffen, a. a. O., S. 19: Sündlichkeit und Sterblichkeit werden als von Adam, durch, seine, aber oline unsere Schuld uns vererbter Schaden betrachtet; doch muß zur Aufhebung des Schadens ein Schadenersatz auf Grund der allgemein verpflichtenden Rechtsordnung geleistet werden. 174 Vgl. A. Ritsehl, a. a. O., I, S. 613: „(Jesus) hat. . . die menschliche Natur in seiner Person unsündlich gemacht." — S. 614: „Die Schuld ist das Geringere, die Sünde ist das Schwerere und Tiefere" (zitiert aus Menkens Schriften, Bd. 6, S. 220). — Zur „pietistischen" Vorrangstellung des „Christus in uns" vor dem „Christus für uns", vgl. B. Steffen, a. a. O., S. 14f. und A. Ritsehl, a. a. O., S. 614. 175 Vgl. B. Steffen, a. a. 0 . , S. 24. 176 Für unsere Aufgabe wurden besonders A. Ritsehl, Rechtfertigung und Versöhnung I 2 , S. 614—623; O. Wolff, Die Haupttypen der neueren Lutherdeutung, bes. S. 25—62; B. Steffen, Hofmanns und Ritschis Lehren über die Heilsbedeutung des Todes Jesu; P. Bachmann, J . Chr. K. von Hofmanns Versöhnungslehre und der über sie geführte Streit; O. Tiililä, Das Straf leiden Christi, S. 28—34; Joh. Haußleiter, Grundlinien der Theologie Chr. K. von Hofmanns in seiner eigenen Darstellung, S. 31—60, 80—82 herangezogen. Es konnte sich hier nicht um selbständige Quellenforschung handeln, sondern es ging nur darum, die Beziehung der in den genannten Schriften gebotenen Grundlinien der Hofmannschen Versöhnungslehre zu dem vorhin dargestellten klassischen Versöhnungstyp aufzuzeigen. In dieser Richtung gehen auch die Erörterungen der Versöhnungslehre Hofmanns bei Wolff und Tiililä. 177 A. Ritsehl, a. a. O., I, S. 616. 178 B. Steffen, a. a. O., S. 59f. 179 Die wichtigste Literatur zu dem Streit um Hofmanns Versöhnungslehre bei J . Haußleiter, a. a. O., S. 80—82. iso Vgl. P. Bachmann, a. a. O., S. 36ff.
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ihn maßgeblichen Berufung auf das Zeugnis der Heiligen Schrift glaubt er auch in Luther einen Zeugen zu haben für seine „neue Weise, alte Wahrheit zu lehren". 1 8 1 I m übrigen kritisiert Ritsehl auch bei ihm mit Recht die Eigenart der Biblizisten, ihre systematischen Erkenntnisse ohne Rücksicht auf die bisherige dogmengeschichtliche Entwicklung und in souveräner Ignorierung der herkömmlichen Terminologie vorzutragen 182 . „Der dreieinige Gott hat sich in Folge dessen, daß sich der Mensch durch Satans Wirkung zur Sünde hatte bestimmen lassen, welche ihn zum Gegenstande des Zornes Gottes machte, — um das mit der Schöpfung gesetzte Verhältnis zwischen ihm und der Menschheit zur vollkommenen Liebesgemeinschaft zu vollenden, in den äußersten Gegensatz von Vater und Sohn begeben, welcher ohne Selbstverneinung Gottes möglich war, nämlich in den Gegensatz des um der Sünde willen der Menschheit zürnenden Vaters und des sündlos dieser Menschheit zugehörenden, unter allen Folgen ihrer Sünde bis in den durch Satans Wirkung ihm widerfahrenden Tod des Verbrechers sich bewährenden Sohnes, so daß, nachdem Satan dieses Äußerste an ihm getan hatte, was er dem Sündlosen infolge der Sünde zu t u n vermochte, ohne etwas anderes als die schließliche Bewährung zu erreichen, nunmehr das Verhältnis des Vaters zum Sohne ein Verhältnis Gottes zu der im Sohn neu beginnenden Menschheit war, welches nicht mehr durch die Sünde des von Adam stammenden Geschlechtes, sondern durch die Gerechtigkeit des Sohnes bestimmt war 1 8 3 ." I n diesem inhaltreichen Satz, der zugleich als Probe Hof mannscher Diktion hier stehen mag, faßt Hofmann für den aufmerksamen Leser die Grundzüge seiner Versöhnungslehre markant zusammen : 1. Gott ist und bleibt während des Versöhnungsvorganges das alleinige Subjekt des Heilsgeschehens — denn auch die um der Vollendung der göttlichen Liebesgemeinschaft mit dem Menschen notwendige Setzung eines spannungsvollen Gegenübers zwischen Gott dem Vater, der die der Verwirklichung des ewigen Gotteswillens widerstreitende Selbstbestimmung 181 Vgl. Hinweise bei O. Wolff, a. a. O., S. 34 und 36 und S. 57—62: Leider ist aus Wolffs fesselnd geschriebener Hof mann-Darstellung wegen der spärlichen Belege und der in die Darstellung eingebauten allgemeinen Entwicklung der Grundzüge des klassischen Typs nach Aulén nicht immer klar ersichtlich, was wirklich Hofmanns Äußerungen zur Sache und was des Verfassers Interpretationen sind. 182 Vgl. A. Ritsehl, a. a. 0., I, S. 614f. Vgl. auch die allerdings anfechtbare Kritik der theologischen Methode der biblizistischen Theologie, ebd., S. 607f. 183 J. Haußleiter, a. a. O., S. 81 aus von Hofmanns „begründeter Abweisung eines nicht begründeten Vorwurfs" (Erlanger Zeitschrift für Protestantismus und Kirche, Februar/März 1866, S. 179). Haußleiter schreibt a. a. O., S. 81 zu dem zitierten Satz: „Dieser Satz ist das Thema des ganzen Streites geworden." 184 Aus B. Steffen, a. a. O., S. 116 und 179 ist zu entnehmen, daß mit „Zorn" — jedenfalls ursprünglich — im Grunde nicht anderes gemeint ist. Siehe auch A. Ritsehl, a. a. O., I, S. 620, der gegen die unauffällige neue Sinngebung traditioneller Begriffe protestiert. Siehe auch Ziffer 5.
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des Menschen sieh in den Sündenfolgen auswirken läßt 184 , und dem Sohn, dessen gottheitliches Ich die menschliche Natur „unter der durch die Sünde gesetzten Bedingtheit annimmt" und in der Bewährung seines Mittlerberufs geschichtlich der Heilige wird, der er in Ewigkeit schon ist, ist ein innergöttliches Geschehen185. 2. Die innergöttliche Spannung hebt die Einheit des im Vater und im Sohn gleichermaßen wirksamen Liebeswillens nicht auf, der sich ungebrochen im Versöhnungsgeschehen vollbringt: „Gottes ewiger Liebeswille vollbringt sich in der Geschichte, welche sich zwischen ihm und der Menschheit begibt s · 166 ." „Als keiner Ergänzung von außen, keines umstimmenden Antriebes von der Menschheit her bedürftig, wird vielmehr die göttliche Liebe als freies, handelndes, schaffendes Subjekt eines Erlösungshandels geschaut, durch das sie aus eigener Wesensfülle gnadenhaft die Welt mit sich selber versöhnt 186 ." Das „Geschichtlichwerden"187 Gottes in der Spannung von ewigem Vater und menschgewordenem Sohn ist also gerade der Weg, den die göttliche Liebe zur Überwindung der die Vollendung der Gottesgemeinschaft hindernden Sünde in die Menschheit geht. 3. Demgemäß ist es auch über jeden Zweifel erhaben, daß das agens im Versöhnungsgeschehen die Gottheit Christi ist, so sehr auch die menschliche Bewährung Jesu in seinem Beruf gegenüber den Versuchungen zur Sünde betont wird 188 . Aber es ist ja der „menschgewordene Gott" 189 , der den Mittlerberuf ausübt. Wenn man die christologische Konsequenz der eigenartigen, wohl unbewußt theosophisch beeinflußten Trinitätslehre Hofmanns mit Bachmann so zusammenfassen kann : ,,. . . mit der Menschwerdung Jesu ist die menschliche Natur, mit seinem Sterben die unter der Sünde leidende Menschennatur in das Gottesleben hineingenommen" 190 , 184
S. S. 54. Siehe B. Steffen, a. a. O., S. 56 und 74; über die verwickelten trinitarischen Bestimmungen s. J. Ohr. K. von Hofmann, Schutzschriften III, S. 9 ff. (bei J. Haußleiter, a. a. O., S. 38ff.). Das Ganze steht unter der eindeutigen Überschrift: „Die Heilsverwirklichung selbst war nur die Verwirklichung des ewigen Liebeswillens Gottes". Vgl. dazu auch P. Bachmann, a. a. O., S. 25f. und 66. iss o . Wolff, a. a. O., S. 33. Der Zorn Gottes des Vaters gegen den Sohn gerade in seiner schrecklichsten Auswirkung ist zugleich Vollzug seines Gnadenwillens. Vgl. Schutzschriften III, S. 14: „Und wenn er (sc. Gott der Vater) nun seinen Gnaden willen betätigt, selbst ihr (sc. der Menschhheit) Heil zu schaffen, so muß sie endlich auch darin seinen Zorn erfahren, daß er dem Satan Raum gibt, durch diejenigen, welche zu gläubiger Hinnahme seines Heilswerkes ungewillt sind, alles, was daran menschlich natürlich ist, zunichte zu machen. Eben hierdurch bringt er aber sein Gnadenwerk seinerseits zur Vollendung." 187 Zu dem Terminus und dem Gedanken s. das Zitat in Anm. Ifiß, S. 51. 188 Die Anhypostase der menschlichen Natur Christi und ihre Enhjpostase im ewigen Sohne werden eindeutig gelehrt (Schutzschriften III, S. 10f.). 1911 Zum Zusammenhang und zum Begriff s. P. Bachmann, a. a. 0., S. 25. 190 Ebd., S. 25. 185
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8051 Alpers, Versöhnung
dann ist überhaupt damit wohl eine Teilung des Werkes Christi nach dem Schema : hier Handeln Christi qua homo — dort qua Deus unmöglich gemacht. 4. Aus dem eingangs angeführten Zitat wird deutlich, daß dieses Werk Christi anders als in der othodoxen Yersöhnungslehre primär auf den Satan bezogen ist. „Die ringende Liebe Gottes selber ist es, die die satanische kosmische Macht zur letzten Selbstdämonisierung treibt, um sie gerade in ihrer furchtbar geballtesten Form zu zerschlagen, um überwindend selber inmitten dieser Welt der Verlorenheit wirkliches geschichtliches Ereignis werden zu können 1 9 1 ." Die Sündenfolgen, unter denen die Menschheit zu leiden hat und die beim späteren Hofmann wie in unserem eingangs angeführten Zitat auch als Zornesäußerungen Gottes beschrieben werden können, bestehen vor allem darin, daß Gott dem satanischen Verderbens- und Verführungswerk in der Welt Raum gibt und diesen satanischen Willen in der Kreuzigung und Verfluchung des Gottessohnes durch die Menschheit das Äußerste vollbringen läßt, dessen er fähig ist 192 . Darunter, unter dieser letztlich auf den Urbösen zurückgehenden und dadurch erst ihre dämonische Tiefe erhaltenden Feindschaft der Menschheit gegen ihn und nicht unter einem auf ihn speziell gerichteten göttlichen Zorn oder einer von ihm nicht verschuldeten, ihm aber zudiktierten Strafe leidet Christus 193 . „Was er leidet, stammt nicht von oben, sondern von unten 1 9 4 ." So kommt an dieser Stelle der klassische Dualismus mit seiner dramatisch-kämpferischen Sicht des Heilswerkes Christi wieder zum Durchbruch, und gerade in diesem Zusammenhang kann sich Hofmann auch auf Luther — etwa die späteren Verse in: „Nun freut euch, liebe 181
O. Wolff, a. a. O., S. 37. Siehe J. Chr. Κ. von Hofmann, Schutzschriften III, S. 16: „Endlich (viertens) erfuhr er den Zorn Gottes wider die sündige Menschheit auch insofern, als Gott der Feindschaft gegen das Heilswerk (welches nunmehr in seiner eigenen Person und Geschichte bestand), bis dahin Raum gab, daß er ihn um alles das brachte, was ihn menschlich natürlicherweise als den Heiland erscheinen ließ. . . . Er erlitt dies mit der Gewißheit, daß hierin Gottes Zorn wider d e sündige Menschheit, dessen Äußerstes war, sein eigenes Heilswerk der Feindschaft Satans preiszugeben, seine Endschaft erreichte. . .". 183 vgl. Schutzschrift III, S. 103: „Zwischen ihr (sc. der kirchlichen Lehre von der stellvertretenden Genugtuung) und der meinigen bleibt der sehr wesentliche Unterschied, daß nicht der Sohn Gegenstand des Zornes Gottes des Vaters ist, wenn auch nur stellvertretungsweise, sondern die Menschheit, und daß nicht die Strafe, welcher die unerlöste Menschheit auf ewig anheimgefallen wäre, an dem Sohne vollzogen worden, sondern ihm sein Heilandsberuf Ursache aller Leiden geworden ist, welche derselbe infolge seines Einkommens in die adamitische Menschheit mit sich brachte" (zitiert bei Chr. Luthardt, Kompendium der Dogmatik S. 186). 194 Q Tiililä, a. a. O., S. 30, zitiert aus O. Bensow, Die Lehre von der Versöhnung, S. 80. 192
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Christengemein" oder den letzten Abschnitt der Erklärung von Gal. 3,13 im großen Galaterkommentar — berufen 195 . 5. Trotz dieser dualistischen Grundorientierung kann aber Hofmann (wie Luther) den — von ihm anfangs allerdings kaum gebrauchten — Begriff des Zornes Gottes in die Versöhnungslehre aufnehmen und auch das satanische Wirken als göttliches Zornesverhängnis verstehen "· 192 und damit auch eine Art innergöttliche Spannung lehren. Freilich ist Gottes Zorn hier wesentlich anders als im lateinischen Typ gedeutet : E r ist nicht die drohende zukünftige Strafe der Verdammten, sondern das sich in der Menschheitsgeschichte vollziehende Gericht Gottes über die Sünder im Todesverhängnis, welches sich im Gefühl der Sündigkeit, in den die Sünde beim Sünder steigernden Versuchungen und schließlich dem Preisgegebensein an den übermächtigen satanischen Willen auswirkt 196 . Es handelt sich mehr um ein um der Sünde willen nun einmal von dem heiligen Gott, der die Sünde haßt, so geordnetes Schicksal des Menschen als um ein direktes, unerbittliches und den Menschen in seiner Existenz vor Gott vernichtendes „Nein Gottes" zum Sünder 197 . So ist es auch möglich, daß der sündlose Christus dieses Zornesverhängnis Gottes sich widerfahren läßt, also die Auswirkungen des göttlichen Zornes (in einer durch seine Sündlosigkeit modifizierten Weise) als Übel an sich erfährt und mit der Bewährung unter diesen Übeln den Zorn selbst überwindet, der sich im Haß der Menschen gegen Christi Werk am furchbarsten äußert 198 . Mit diesem schwer faßbaren Begriff des von Gottes Willen eigentümlich gelösten, mehr der Natur, als der Person des Menschen zugewandten 199 Zornes Gottes will Hofmann einerseits die Heiligkeit Gottes, seinen Haß gegen die Sünde, andererseits aber vor allem den unbedingten Primat des auch dem Sünder weiter geltenden göttlichen Liebeswillens hervorheben 200 . Vgl. O. Wolff, a. a. O., S. 59ff. Schutzschriften III, S. 24: „Daß sie der göttlichen Bestätigung ihres Verhältnisses zu Gott, nämlich jenem vierfachen Verhalten Gottes gegen sie unterstand, vermöge dessen sie des leiblichen Todes war, ein böses Gewissen hatte, der verführenden und der feindlich gewaltsamen Machtausübung Satans anheimfiel, (war die andere Seite des Übels, aus welchem sie der Erlösung bedurfte)" (zitiert aus Haußleiter). 187 Siehe B. Steffen, a. a. O., S. 72ff. und S. 116ff.; bei B. Steffen, a. a. O., S. 116, wird der „Zorn Gottes" bezeichnenderweise dahingehend verstanden, daß Gott die Polgen der Sünde sich auswirken läßt. — Nachdrücklich wird die gleichzeitig fortdauernde Liebe Gottes zur Menschheit betont. 188 So kann von Hofmann in den späteren Schutzschriften (noch anders die Schutzschrift II, s. Anm. 193) dem Gegner auch so weit entgegenkommen, daß er sogar von einem „Ertragen des Zorns" durch Christus spricht. „Zorn" ist dann aber ein Synonym für diç aus der Sünde folgendenÜbel(Schutzschrift III, S. 13ff.); zudem zeigt S. 15, daß sich die „Zorneserfahrung" für den Sündlosen gegenüber dem Sünder erheblich modifiziert. 199 Entsprechend dem Sündenbegriff, vgl. Schutzschriften III, S. 4ff. 200 Vgl. B. Steffen, a. a. O., S. 116f.; s. O. Wolff, a. a. O., S. 37ff.; Wolffs Behauptung, daß „Gott in aktivem Zorne des Sünders Feind" sei, widerstreitet aller195 186
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Damit ist gegenüber dem lateinischen Typ, der von der strafenden Gerechtigkeit, vom Zorne Gottes und seiner Bezeugung im bösen Gewissen des Menschen her denkt, wieder der entgegengesetzte „klassische" Ausgangspunkt gewonnen, der die Zorneswirkung und -erfahrung ganz dem göttlichen Heils- und Liebeswillen ein- und unterordnet. 6. Es entspricht auch der „klassischen" Betrachtungsweise, wenn die Sünde201 als Sichbestimmenlassen durch die verführerische satanische Macht einen mehr passiven Charakter für den Menschen erhält 202 . Allerdings folgt daraus bei Hofmann eine unerträgliche Verflachung des Sündenverständnisses, da die Sünde nun nicht mehr direkt als gottfeindlicher Wille, sondern als vom Teufel irregeleitetes, weil von Gott fortgeleitetes Begehren nach Lebenssteigerung verstanden wird203. Die Sünde geht von der Naturseite des Menschen, seiner „durch die Leiblichkeit seines Lebens vermittelten Gemeinschaft mit der Welt" aus 203a ; von hier aus verführt ihn der Satan dann freilich auch zur sündigen Selbstbestimmung seiner Person. — Also: Sünde ist nicht unerklärliche, empörerische Auflehnung des Menschen wider Gott. Vielmehr führen ursprünglich ein fehlgeleitetes Begehren „und in der Folge die Übel in der sündlichen Natur des Menschen zur widergöttlichen Selbstbestimmung 204 " des Menschen, die aber doch die Lebensgemeinschaft mit Gott nicht aufhebt 205 . Obwohl der Tod dem Menschen auch als Schuldstrafe der Sünde begegnen soll 206 , offenbart doch das Gesamtverständnis vom Zorne Gottes und von der Sünde schon, daß die Bewertung der Sünde als Schuld zurücktritt 207 . 7. Vor allem aber zeigt sich in der Art, wie negativ die Heilsbedeutung des Versöhnungsgeschehens angegeben wird, wie sehr Hofmann in den Machtkategorien denkt: im Leiden und Sterben Jesu erschöpft sich die Sünde, indem sie sich bis zum Äußersten steigert. „Indem im Leiden und Sterben erst das Äußerste zur Verwirklichung gekommen ist, welches der Mittler des Heils leiden und leisten konnte, oder indem er (wie es S. 212 heißt) die Sünde als die Feindschaft wider das Heilswerk bis zu ihrer Erschöpfung über sich hat ergehen lassen, ging das durch die Sünde bestimmte Verhältnis Gottes in ein zugleich diesem selbst und dem göttdings Steffen und auch den sehr vorsichtigen Ausführungen von Hofmanns in Schutzschriften III, S. öff. (J. Haußleiter, a. a. O., S. 33ff.). 201 0. Wolff, a. a, O., S. 29ff. und 37ff. 202 Vgl. J. Chr. Κ. von Hofmann, Schutzschriften III, S. 7 : Hier wird deutlich, daß der „passive" Charakter nicht nur der Ursünde Adams eignet. 203 Ebd., S. 6 — Zu dieser Verflachung des Sündenbegriffes vgl. auch B. Steffen, a. a. 0., S. 72 und 0. Wolff, a. a. 0., S. 45ff. 203 a Schutzschriften III, S. 7. 204 Ebd., S. 5. 206 Schriftbeweis I, S. 38, zitiert bei 0. Wolff, a. a. 0., S. 4(i. 20β Schutzschriften III, S. 14. 207 O. Wolff, a. a. O., S. 46.
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lichen Liebesratschluß entsprechendes und also die Sünde gutmachendes Ende aus (S. 334)"208. Leiden und Sterben Christi sind nur der Endpunkt seiner Bewährung im mittlerischen Beruf 209 , der Betätigung seiner Heiligkeit gegenüber den satanischen Versuchungen und unter den Übeln der dem göttlichen Zorn unterstehenden Welt. Jesus „mußte" sterben, weil er nach Gottes Willen seine Heiligkeit unter den härtesten Bedingungen, die ihm auferlegt werden konnten, bewähren sollte 210 . Die „Gutmachung der Sünde" besteht also darin, daß Jesus sich auch unter der Erfahrung ihrer versucherischen Macht und ihrer sein irdisches Leben zerstörenden Übel nicht zur widergöttlichen Selbstbestimmung verleiten ließ, sondern im Gehorsam der Mensch Gottes blieb 211 . Wenn Hofmann für dies Geschehen auch den Begriff der Sühnung der Sünden verwendet, entwickelt er dabei doch einen ganz untraditionellen Sinn des Begriffs: Sühnung geschieht hier nicht durch Auferlegung eines dem Bösen entsprechenden Übels, sondern durch die Tat des Guten, „welches er (nämlich der Täter) durch das seinem Bösen entsprechende Übel zum Widerspiel seines Unrechts gestaltet sein läßt." Diese Tat vollbringt aber im Versöhnungsgeschehen nicht der, der gesündigt hat, sondern der, an dem gesündigt worden ist, und sie kommt nicht dem zugute, an dem gesündigt worden ist, sondern dem, der gesündigt hat 212 . Die Sühnung der Sünde besteht also in ihrer göttlichen Überwindung in der Weise, daß Christus ihr die Macht nimmt, das Verhältnis des Menschen zu Gott zu stören, (ohne doch dabei seinen Haß gegen die Sünde aufzugeben) 213 . Nur diesem Zwecke dient auch das „Geschichtlichwerden" Gottes in dem Gegenüber von ewigem Vater und menschgewordenem Sohn, das trotz Hofmanns häufiger Verwendung dieses Wortes kein eigentlicher Gegensatz im Sinne der populären Deutung des lateinischen Typs ist; denn das Gegenüber von Vater und Sohn in der Geschichte ist nach Hofmann nur ein Mittel zur „Ausrichtung des ihnen beiden gemeinsamen Liebeswillens" 214 , zur Überwindung der die Gottesgemeinschaft des Menschen hindernden Sünde 215 . Wenn man also auch darin, daß die Folgen der Sünde nicht übersehen werden, in gewisser Weise die „Genugtuung", die 208 A. Ritsohl, Rechtfertigung und Versöhnung I, S. 618 : Die Stellenangaben innerhalb des Zitats beziehen sich auf Hofmann, Schriftbeweis 11,1. 209 Damit bekommt das ganze Lebenswerk Christi einen einheitlichen Heilssinn: s. O. Wolff,a. a. 0., S. 35. 210 B. Steffen, a. a. O., S. 57: Zitat aus Enzyklopädie, 6. Lehrstück, S. 81. 211 P. Bachmann, a. a. O., S. 22. 212 Schutzschriften III, S. 26f. 213 Siehe B. Steffen, a. a. 0., S. 74. 214 Schutzschriften III, S. 24. 215 Dazu auch P. Bachmann, a. a. 0., S. 66; O. Wolffs, a. a. 0., S. 38 gezogene Parallele zu dem mirabile duellum zwischen Zorn und Liebe Gottes bei Luther ist recht gewagt, da Hofmanns Begriff des Zornes, an Luther gemessen jedenfalls, „eine gewaltige Metonymie" ist.
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Gottes verletzte Heiligkeit verlangt, geleistet sehen mag 216 , — eigentlich hat doch das Werk Christi nicht zum Ziel, Schuld- oder Strafforderungen der göttlichen Gerechtigkeit zu erfüllen, sondern die neue Menschheit, die neue Gerechtigkeit des Menschen vor Gott zu begründen. Die Versöhnung ist von seiten Gottes des Vaters und des Sohnes „Geschenk der iustitia Dei passiva" an den Menschen, sie läßt da, „wo die Sünde war, Gerechtigkeit an ihrer Statt erstehen 2 1 7 ." Diese Deutung des Heilsgeschehens wird aus der Heiligen Schrift, aus den Berichten von der Passion Jesu im Zusammenhang seines ganzen Lebenswerkes und der alttestamentlichen Heilsgeschichte, besonders ihrer Opferinstitutionen und der Gottesknechtslieder selbst erhoben und nicht a priori aus einem als norma normans für alles göttliche Handeln geltenden Begriff der vergeltenden göttlichen Gerechtigkeit deduziert 218 . Denn „das Gesetz steht weit unter Christi Gerechtigkeit" 2 1 9 , die als sündenüberwindende Tat überhaupt nicht von dem juridischen Postulat der Äquivalenz von Schuld und Sühne her erfaßt wird, die aber gleichwohl sich als Bewährung seiner Heiligkeit zu erkennen gibt 220 . Wie die Verklammerung von Schuld und Gesetz, wie der für die Orthodoxie ohne Satisfaktion um der unverbrüchlichen Geltung des Gesetzes willen unaufhebbare reatus culpae et poenae für die Vergebung der Schuld überhaupt keine Rolle mehr spielt, wie einfach durch das Zustandekommen der neuen Gerechtigkeit die alte Schuld zu existieren aufhört, mögen Hofmanns eigene Worte verdeutlichen: „Des ersten Übels, daß sie vor Gott schuldig war, ist sie (nämlich die Menschheit) dadurch erledigt worden, daß sich ihr Christus mit seiner ewigen, heiligen und geschichtlich sündlosen Person und mit seiner Selbstbewährung unter allen Bedrängnissen, welche ihre Sünde hierfür mit sich brachte, zu einem neuen, in. der ewigen Dreieinigkeit wurzelnden und den ewigen Willen Gottes verwirklichenden Anfang setzte, welchem gegenüber der vorige, den sie sich selbst gesetzt hatte, samt allem, worin derselbe fortbestand, ein lediglich vergangener war 2 2 1 ." Wenn die Vergangenheit einfach in dem Augenblick, in dem die neue Gerechtigkeit verwirklicht ist, versinkt, braucht Christus auch nicht stell216 Siehe O. Wolff, a. a. O., S. 39, Verweis auf Schutzschrift II, S. 79; vgl. aber auch Schutzschrift III, S. 27, wo die von Hofmannsche Intention deutlicher herauskommt: „Nicht für sich hat der Dreieinige etwas in Anspruch genommen, was ihn entschädige für das ihm angetane Unrecht, sondern der Menschheit zugute hat er innerhalb seiner selbst kraft seiner ewigen Lebendigkeit seine ewige Heiligkeit betätigt und damit seine ewige heilige Liebe erzeigt, welche nicht das Ihre sucht, sondern das, was des andern ist." 217 O. Wolff, a. a. O., S. 32f., Zitat aus Schutzschriften III, S. 25. 218 Schutzschriften III, S. 28, vgl. auch O. Wolff, a. a. O., S. 29ff. 2)9 Ebd., S. 32. 220 Ebd., S. 30. 221 Schutzschriften III, S. 22.
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vertretend die Schuld der Menschen zu tragen, er braucht nicht statt unser das dem Schuldigen drohende Gericht des göttlichen Zornes zu erleiden, sondern er braucht uns nur den neuen Anfang an unserer Statt 2 2 2 , in unserer unter den Auswirkungen des göttlichen Zornes stehenden Welt zu schenken, indem er uns das durch die (überwundene) Sünde nicht mehr gestörte neue Gottesverhältnis eröffnet. Hieran wird wieder deutlich, wie stark Christus als Vertreter Gottes empfunden wird, der durch sein „Geschichtlichwerden" die Menschheit in seine, durch die Überwindung der Sünde geschichtlich bewährte, ewige Liebesgemeinschaft mit dem Vater hineinnimmt 223 . 8. „So wird die Rechtfertigung des einzelnen im Glauben mit der im Versöhnungswerke des Herrn geschehenen Rechtfertigung der Menschheit identisch" 224 . Christus begreift als der zweite Adam die ganze Menschheit in sich, so daß alle, die an Christus glauben, an seinem Verhältnis zu Gott teilhaben, das nach der Erschöpfung der Sünde in Christi Tod seit der Auferstehung Christi auch durch die Sündenfolgen nicht mehr getrübt ist 225 . — Dieser Glaube an Christus ist die normale Haltung des Menschen, da es seiner Natur entspricht," nach dem in Christo vorhandenen Leben zu begehren und den Wert der in ihm vorhandenen Gerechtigkeit daran zu erkennen, daß sie jenes Lebens Voraussetzung und Teilhaberschaft an ihr die Bedingung ist für die Teilhaberschaft an ihm 2 2 6 " — eine allerdings sehr anthropozentrische Begründung des Glaubens. Das einst vom Teufel irregeleitete Bedürfnis nach Lebenssteigerung wendet sich nun nach den traurigen Erfahrungen, die es unter der Herrschaft des Teufels gemacht hat, Christus zu und sieht in dem durch ihn vermittelten rechten Gottesverhältnis das Mittel zu seiner Erfüllung — zu solch eudämonistischer Deutung fordert Hofmann hier heraus. Wer nicht jedenfalls in der Form der Sehnsucht nach dem Heil diesen Glauben hat, gehört nicht eigentlich zur Menschheit, er vereinzelt sich und geht verloren 227 . Die Gläubigen aber haben ihre Existenz in dem von Gott geliebten Sohn, „sie sind Gegenstand einer allen Zornes ledigen Liebe des Vaters geworden" 228 und werden durch den Geist der Vergebung ihrer Sünden im oben bezeichneten Sinne gewiß und empfangen Christi Gerechtigkeit und Heiligkeit als eine umschaffende Macht in ihrem Leben, da Christus in ihnen mit seinem Leben und Sterben lebendig wirksam ist 2 2 9 . Mag auch der 222 Zu der berühmten Unterscheidung: „statt unser — an unserer Statt" s. O. Wolff, a. a. 0 . , S. 33f. 223 Β. Steffen, a. a. 0 . , S. 75. 224 Ebd., S. 77. 225 Ebd., S. 75f. 226 Schutzschriften III, S. 26. 227 Ebd., S. 30f. 228 Ebd., S. 28. î2 » 0 . Wolff, a. a. 0 . , S. 40; vgl. Schutzschriften II, S. 31.
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einzelne ein Sünder bleiben, die „Quelle aller Schuld", die Sünde, ist in der Gemeinde, in der der neue Anfang gesetzt ist, zum Versiegen gebracht 230 , ihre Macht durch das von Christus auch unter den Folgen der Sünde festgehaltene Liebesverhältnis zu Gott gebrochen, ja, sie ist nun selbst nicht mehr Gegenstand des Zornes Gottes! 231 Zusammenfassung
Die Rechtfertigung als Aktualisierung der geschichtlichen Versöhnung im Leben des Einzelnen zu interpretieren, auch die universale Bedeutung des Versöhnungsgeschehens herauszuarbeiten, liegt zwar durchaus im Sinne des klassischen Typs. Aber während für den klassischen Typ im Christenleben der Kampf Christi gegen die Verderbensmächte weitergeführt wird und ihre bedrängende und bedrohende Wirklichkeit auch in der vita Christiana immer wieder erfahren und immer neu zunichte gemacht werden muß, handelt es sich bei Hofmann nur darum, daß Christus die Früchte des Sieges austeilt, die anzunehmen der Mensch sich eigentlich nicht weigern kann. Das Bewußtsein der Wiedergeburt, der Zugehörigkeit zu Christus macht die reliquiae carnis zu bedeutungslosen Schemen, die es in einer dem christlichen Besitzstand entsprechenden Gesinnung mehr und mehr zu überwinden gilt. Denn das Sein in Christo, das neue Leben ist ein Tatbestand, Besitz der Wiedergeborenen. Im Grunde ist der Ausfall der Schuldperspektive und die damit verbundene Preisgabe der unbedingten Präponderanz des „Christus für uns" vor dem „Christus in uns" an der bedenklichen „Beschreibung" der Gerechtfertigten schuld ; die Verkennung der personalen Tiefe der Sünde und der allem menschlichen Aneignen immer weit vorausliegenden und überlegenen göttlichen Versöhnungstat verhindert die Sicht des Christen als simul iustus et peccator 232 ; daß hier doch „klassische" Momente — zu einer im Ergebnis allerdings „unklassisch" wirkenden Konsequenz getrieben — wirksam sind, wird sich im folgenden noch zeigen. Im Ganzen aber bleibt der Hofmannsche Neuansatz in der Versöhnungslehre als eigengeprägte Gestalt wesentlich klassischen Versöhnungsdenkens bedeutsam, gerade auch darum, weil er über Auléns in mancher Hinsicht recht allgemein gehaltene Bestimmungen des klassischen Versöhnungstyps hinausgeht, wenn er etwa der Frage nach der Überwindung des B. Steffen, a. a. 0 . , S. 127. Ebd., S. 74 und 118 : „Denn durch sie (sc. die Sühne) hört die Sünde der Menschheit auf, Gegenstand des Zornes Gottes zu sein" (!!). 232 Siehe O. Wolff, a. a. O., S. 42—57; Wolffs scharfe Kritik an Hof mann steht hier in einer gewissen Spannung zu der positiven Beurteilung derselben Lehraussagen im vorausgehenden, darstellenden Teil, in dem ihn die leidenschaftliche Ablehnung einer vergröberten „legalistischen" Orthodoxie immer wieder an die Seite Hofmanns treibt. 230
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Zornes durch die Liebe, nach der Art und Weise der Besiegung der Sünde, den christologischen Konsequenzen der klassischen Versöhnungsdeutung nachgeht 2 3 3 . Daß dort, wo man von der großzügigen Skizze zur nüchternen Einzeldarstellung übergeht, die Probleme verwickelter, die Alternativen differenzierter und Schwächen spürbarer werden, kann Hofmanns Beispiel gegenüber Aulén trotz der Verschiedenheiten im einzelnen lehren. Mag man auch manches an der Hofmannschen Gotteslehre als Spekulation überflüssig finden, im Ganzen kann man nicht sagen, daß er im Erklärenwollen des Unerklärlichen zu weit gegangen sei; denn ehe nicht die Bezogenheit des Heilsgeschehens auf die Existenz des Sünders und des Gerechtfertigten herausgearbeitet ist, sind die in einem Versöhnungstyp angelegten Möglichkeiten nicht wirklich fruchtbar gemacht, und in dieser Hinsicht hat Hof mann sicher eher zu wenig als zu viel getan; es ist ihm nicht völlig gelungen, das klassische, kosmisch-universelle, kämpferische Heilsdrama als das freisprechende Vergebungswort an den unter Gottes Gerichtsurteil beschlossenen Menschen aus der Distanz zu lösen und „in die Existenz" zu bringen. Inwiefern mit Christi Tod die Sünde wirklich endgültig erschöpft sei, inwiefern mit Christus die neue gerechte Menschheit ins Leben getreten sei, ist immer wieder gefragt und von Hofmann nie befriedigend beantwortet worden und wird sich wohl auch ohne konsequente Unterscheidung zwischen dem Geltenden und den sogenannten „Tatbeständen" nie beantworten lassen 234 . Aber weder die offen gebliebenen Fragen noch die an sich dem klassischen Typ inadäquate „bewußtseinstheologische Methode" noch die Aulén recht fremde Form der Darstellung können die Tatsache verdunkeln, daß Hofmann wohl als der markanteste neuprotestantische Vertreter einer eigenständig ausgeformten Gestalt des klassischen Versöhnungstyps anzusehen ist. Die Energie, mit der er den göttlichen Liebeswillen in das Zentrum der Versöhnung stellt, der Mut, mit dem er gegen den Zeitgeist den Vollzug des göttlichen Liebeswillens als Überwindung und Erschöpfung der satanischen Sündenmacht in Christi Leben und Sterben erfaßt, die Ablehnung des legalistischen Äquivalenzdenkens, die Ganzheitsschau, die die Rechtfertigung als vergegenwärtigte Versöhnung und damit als Wirken des Christus in uns organisch in Christi Heilswerk einbezieht, schließlich der biblisch-theozentrische Einsatz bei dem göttlichen Handeln in 2 3 3 Daß Hofmann an diesen Punkten über Auléns thetiscke Sätze hinauskommt, liegt vor allem daran, daß ihn seine starke Betonung der Gottheit Christi nicht hindert, Christi Menschheit und seinen besonderen Mittlerberuf, seine Bewährung im Gehorsam wesentlich stärker und lebendiger herauszuarbeiten, als Aulén es auch in seiner Dogmatik tut (vgl. den Abschnitt: Propter Christum in Den allmänneliga kristna tron, S. 256—263). 234 Siehe dazu P. Bachmann, a. a. O., S. 31f.; s. auch O. Wolff, a. a. O., S. 46f.; S. 61 f. kehrt Wolff, ohne es ganz zuzugeben, gegen Hofmann doch zum „orthodoxen Luther" zurück.
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Christus selbst gegenüber allen Bedürfnissen und Forderungen menschlicher Rationalität und Legalität — alle diese Grundzüge seiner Versöhnungslehre offenbaren deutlich die Eigenart klassischen Versöhnungsdenkens bei Hofmann. Der versöhnungstheologische Neuansatz Hofmanns ist 235 , so heftig er zunächst von den meisten anderen „Neulutheranern" abgelehnt und so einseitig von Ritsehl manche seiner mit dem subjektivistischen Typ zu vereinbarenden Intentionen aufgenommen wurden, doch auch in der Folgezeit keineswegs unfruchtbar geblieben. Während die Preisgabe des Stellvertretungsgedankens und die Abschwächung des Schuldgesichtspunktes bei den „Positiven" wohl kaum weiter nachwirkten, so wurde nun doch weithin die Versöhnung als göttliche Liebestat, gerade auch als Tat, nicht bloßes Erleiden Christi gedeutet, es wurde neben der Exklusivität des Werkes Christi (pro nobis) stärker die inklusive Seite, das Wirken Christi in uns betont und eine organische Beziehung von Rechtfertigung und Versöhnung herzustellen versucht. In dieser Richtung haben besonders Schlatter und Kähler bei aller Eigenständigkeit Anliegen Hofmanns aufgenommen, während das dualistische Motiv außerordentlich stark die Heimsche Versöhnungslehre prägt, die aber andererseits in ihrer Konzentration auf die Schuldgesichtspunkte stark von Hof mann abweicht 236 . Man wird diese und manche andere „moderne" Versöhnungslehren kaum in die Aulénsche Typologie einfügen können ; von ihr aus gesehen sind sie Kompromißlösungen, die zumeist wichtige Anliegen aller drei Typen aufnehmen. Wir begnügen uns daher hier mit der Charakterisierung dieser einen, relativ rein „klassischen" Versöhnungslehre, an der die besondere Gestalt des klassischen Typs in der neuprotestantischen Theologie verdeutlicht werden sollte, und stellen wie Otto Wolff mit Bedauern fest, daß Aulén „diesen seinen eigenen Lutherforschungen so parallel gerichteten Bemühungen keine erinnernde Bedeutung schenkt". 3. B e i H e r m a n n M a n d e l
Aulén erwähnt aber auch das Werk Hermann Mandéis 237 nur beiläufig 238 , in dem wohl zum erstenmal in der Geschichte der christlichen 215
Auf der biblizistischen Linio „Collenbusch-Menken-von Hofmann" liegtauch die Versöhnungslehre von J. T. Beck (vgl. A. Ritsehl, Rechtfertigung und Versöhnung I, S. 627ff.), der allerdings die Rechtsmomente wieder stärker betont. 236 Ausführlichere Darstellung der Versöhnungslehren seit von Hofmann mit besonderer, mehr polemischer Berücksichtigung des klassischen Versöhnungsmotivs bei O. Tiililä, a. a. O., S. 8—70. 237 Christliche Versöhnungslehre, Leipzig 1916. 238 In Den kristna försoningstanken, S. 104 zitiert Aulén zustimmend das Urteil Mandela über Gregor von Nazianz; S. 71 wird Mandéis Aufteilung der griechischen Theologie in eine kosmologisch-ontologische und eine ethisch-religiöse Epoche abge-
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Versöhnungslehre die eigenständigen Versöhnungstypen, die im wesentlichen mit den Aulénschen identisch sind, nachgewiesen werden und auch der „klassische" als der genuin christliche in den Mittelpunkt des Interesses rückt 2 3 9 . Gewiß sind die Unterschiede zwischen Mandel und Aulén beträchtlich. Aulén verzichtet auf alle apriorischen Deduktionen, er hält sich an die faktisch ausgebildeten Versöhnungsanschauungen und sucht aus ihnen die Haupttypen zu ermitteln, während Mandel den umgekehrten Weg geht: Ihm geht es zunächst um die Klarstellung der Grundbegriffe sowie der grundsätzlichen Möglichkeiten für die Gestaltung der Versöhnungslehre und schließlich um die Herausarbeitung einer befriedigenden
Vollstrecker des göttlichen Zorngerichts zu sein, eingeschränkt und umgewandelt in die widerspruchsvolle göttliche Selbstbezeugung durch seinen Zorn und seine Gnade. Die Verderbensmächte bleiben dabei im Grunde in der Relation zu Gottes Heilswillen, was sie sind : Gottes Feinde und Usurpatoren, aber gerade als solche herrschen sie nicht aus eigener Macht über den Menschen, den sie in seiner Auflehnung gegen das Angebot der göttlichen Liebesgemeinschaft, in seinem Ungehorsam gegen Gottes Gebot festhalten, worin sie ihn die Verkehrung, Entleerung und Vergänglichkeit seines Seins und seiner Welt erleben lassen — gerade so, indem sie die gottgewollte menschliche Existenz vor Gott zerstören, behaftet Gott selbst durch sie den Menschen bei seiner Schuld 401 . „Begrenzung des Dualismus" — bedeutet so gesehen nicht etwa Verflachung, Verharmlosung des Bösen, sie bedeutet auch nicht etwa die Annahme eines bösen Willens in Gott selbst, da die Frage nach dem auctor peccati auch hier keine (rational befriedigende) Antwort findet, da Gottes Gericht ja den schon schuldigen Menschen in seiner Sünde und seinem Todesschicksal umtreibt 402 . —„Begrenzung des Dualismus" meint vielmehr: Das menschliche Verderben ist zutiefst nicht ein wenigstens teilweiser und zeitweiliger Triumph der bösen Mächte über Gott den Herrn, sondern von diesem Herrn über uns verhängte Wirklichkeit. Mit dem Begriff Begrenzung ist hier nicht gemeint, die „Mächte" hätten innerhalb eines von Gott begrenzten Spielraums die Freiheit, zu tun und zu lassen, was sie wollten, ja sich gegen ihn zu emMenschheit lastet." — Beim Vergleich dieBes Zitate mit dem folgenden läßt sieh ein direkter Widerspruch nur dann bestreiten, wenn entweder „scholastisch" zwischen Wirken und Zulassen des göttlichen Willens oder — nach Aulén ebenfalls „scholastisch" — im Widerspruch zum Agapegrundmotiv zwischen einem göttlichen Liebesund Gerichtswillen unterschieden wird: „Der Glaube weigert sich, das, was das Evangelium auf den Satan zurückführt, auf Gottes Willen zurückzuführen. Und er (sc. der Glaube) sagt daher, daß die Verödung und das namenlose Leid, das die Sünde im Gefolge hat, ebenso fern von Gottes Liebeswillen ist wie die schwärzeste Finsternis vom strahlendsten Sonnenschein" (Den allmänneliga kristna tron, S. 218, s. S. 70. 401 Da Sjöstrand die Zwiefältigkeit der göttlichen Offenbarung in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt, muß er die beiden Dualismusaspekte als einander ausschließend betrachten. Vgl. A. Sjöstrand, a. a. O., S. 85. — In seiner Kritik an Auléns Verwischung der Unterschiede zwischen den beiden Aspekten hat er freilich recht. 402 Hiermit ist die von Aulén mehrfach vorgetragene Kritik am „Monismus" überhaupt berücksichtigt (vgl. etwa Den allmänneliga kristna tron, S. 226ff.), sein Anliegen ist nicht die Befriedigung der Ratio.
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pören, im übrigen aber, jenseits dieser Grenze, müßten sie dagegen Gottes Willen ausführen; es geht vielmehr um einen unter verschiedenen, ζ. T. nur begrenzt gültigen Perspektiven beurteilten Tatbestand 403 — d. h. : Der erste Aspekt des menschlichen Verderbens als bloßer Sklaverei unter gottlosen Gewalten ist ein vorläufiger, angesichts der christlichen Gottesoffenbarung sich zunächst aufdrängender, es aber nur einseitig erfassender; der zweite Aspekt ganz derselben menschlichen Wirklichkeit nimmt in sich den ersten auf, da er ja den Widerspruch des Bösen und des Übels gegen den göttlichen Heilswillen unvermindert bestehen läßt, aber er führt ihn weiter auf Gottes Widerstand gegen den Menschen zurück; Gottes Liebe muß diesen Widerstand Gottes gegen das Böse überwinden. So spitzt sich in der die Gegensätze auf das Gottesverhältnis zurückführenden, den ursprünglichen Gedanken an verschiedene Machtblöcke „begrenzenden1" Neuformung das Dualismusproblem auf den umstrittenen Gedanken eines sogenannten „innergöttlichen Dualismus" zu, richtiger könnte man wohl sagen, die innerhalb des dualistischen Rahmens auf die Überwindung der bösen Mächte ausgerichtete Versöhnungslehre bekommt eine stärker auf Gott bezogene Gestalt, wenn sie, von der Frage nach dem gnädigen Gott ausgehend, auf die Aufhebung des Gerichtes als der Rechtsgrundlage für die Herrschaft der Mächte das entscheidende Gewicht legt. Die verhängnisvolle, unentrinnbare Verderbensmacht aller bösen Mächte gründet gerade in ihrer Legitimation durch den göttlichen Gerichtswillen ; sonst sind sie in ihren bloßen, äußeren Wirkungen gegenüber dem von seiner Schuld vor Gott befreiten Menschen letztlich ungefährlich, da ihm gegenüber dann das Wort des Paulus gilt: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?" (Rom. 8,31). Obwohl Aulén in seiner Charakteristik des klassischen Typs diesen sogenannten „begrenzten Dualismus", wie gezeigt, durchaus auch als Grundlage der Versöhnung würdigt, so bleibt doch, wie schon dargelegt wurde, der reine Dualismus für das dogmatische Denken und die Ermittlung der Grundlinien des klassischen Typs beherrschend; nur in zweiter Linie, in einem sekundären, untergeordneten Gedankengang wird jeweils auf die Organfunktion der Mächte eingegangen und die Aufhebung des Gerichtes als in die Entmächtigung des Bösen eingeschlossen erwiesen404. Es bleibt erstaunlich, wie eine in anderer Beziehung betont 4 0 3 Man kann, da der „Dualismus" oder — vorsichtiger — die Spannung ja auch im zweiten Aspekt bestehen bleibt, an dem Begriff der „Begrenzung" Kritik üben (vgl. A. Sjöstrand, a. a. O., S. 80ff.), doch bringt er ein wesentliches Moment des Gestaltwandels zum Auedruck: Der zweite Dualismus ist, insofern er an der einen Gottheit Gottes in irgendeiner Weise Maß und Schranke findet, begrenzt. 4 0 1 Erst nach längerer Erörterung über das Heilswerk Christi als göttliche Liebestat wird der Versöhnungsaspekt entfaltet; vgl. das Zitat in Anm. 81, S. 26f. aus Den allmänneliga kristna tron, S. 253; s. auch S. 249, wo die Überwindung der gottfeindlichen Mächte, das Erlösungshandeln Gottes als der primäre Gesichtspunkt geltendgemacht wird.
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„theozentrische" Theologie (s. Anni. 52, S. 17f.) liier die Rangordnung vertauscht, so daß die Gottbezogenheit der Mächte die Thematik des klassischen Typs nicht wesentlich bestimmt. Besonders in der Dogmatik gewinnt man den Eindruck, in der Konsequenz des klassischen Denkens läge eigentlich eine strikte durchgeführte Trennung des göttlichen Gerichtshandelns vom Walten der Verderbensmächte, die zu einer einheitlich dualistisch orientierten Kampftheologie und zur Preisgabe des „begrenzten Dualismus" führen müßte; dieser begrenzte Dualismus, das Begreifen des menschlichen Verderbens als göttlichen Gerichtes verträgt, wo es überhaupt anerkannt wird, eigentlich nicht, nur als sekundäre Grenzaussage behandelt zu werden; „denn — zu dieser Konsequenz muß eine Theologie, für die das Verhältnis des Menschen zu Gott im Zentrum steht, eigentlich getrieben werden — was hätten alle Verderbensmächte zu bedeuten, wenn sie nicht der Ausdruck des Gegensatzes Gottes gegen den sündigen Willen wären?" (s. Anm. 249, S. 67) 2. D a s P r o b l e m d e s „ i n n e r g ö t t l i c h e n
Dualismus"
Verständlich wird die Aulénsche Zurückhaltung gegenüber der Behauptung einer doppelten Gottesoffenbarung, wenn daraus die naheliegende Folgerung auf einen „innergöttlichen Dualismus", auf einen im Wesen Gottes begründeten Widerspruch in sich selbst gezogen wird. Aulén meint, die orthodoxe Entgegensetzung von Gottes Liebe und Gerechtigkeit habe zu dieser Konsequenz geführt, und stimmt darum in diesem Punkt der aufklärerischen Kritik zu: „Wohl ist es ein Gewinn, wenn die Aufklärung von dem Dualismus, den die Orthodoxie in Gottes eigenes Wesen gelegt hatte, wegkommt. . ," 405 , da die Annahme einer solchen Zwiespältigkeit in Gottes Wesen die Preisgabe des reinen Agapemotivs bedeuten würde. Andererseits läßt sich Aulén in der Interpretation der lutherischen Kampf bilder doch zu Sätzen treiben, die man nur im Sinne eines innergöttlichen Dualismus verstehen kann: „Der Kampf (sc. zwischen Gottes Liebe und Zorn) wird so in das göttliche Wesen selbst hineingetragen" 406 . Ja, er gibt auch ausdrücklich zu, daß hier eine „Analogie" zu der lateinischen Spannung von göttlicher Liebe und Gerechtigkeit bestehe, die Luther nur durch 405 Siehe G. Aulén, Das christliche Gottesbild, S. 306; s. auch Den allmänneliga kristna tron, S. 161: Die dualistische Entgegensetzung von Liebe und Gerechtigkeit verdunkelt legalistisch das christliche Gottesbild, das die Gerechtigkeit als eine Bestimmung der göttlichen Liebe betrachtet. 406 Ebd., S. 256. — Das im übrigen fast gleichlautende Lutherreferat in Den kristna försoningstanken enthält an dieser Stelle noch eine einschränkende, u. E. sehr notwendige Beifügung: „Der Kampf wird sozusagen in das göttliche Wesen selbst zurückgeführt" (S. 193). — Auf S. 258 wird allerdings auch ohne Einschränkung von einer Spannung in Gottes Wesen zwischen seinem Heilswillen, der im Kampf mit den Verderbensmächten steht, und seinem Gerichtswillen gesprochen, der diese Mächte legitimiert.
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die Einführung des lebendigeren, dynamischeren Begriffes des Zornes stärker zuspitze 407 . Vor allem aber zeigt sich wohl in der unbedingten Überlegenheit der Liebesmacht über den Zorn Gottes für Aulén der Abstand von dem lateinischen „Dualismus", in dem sich die vergeltende Gerechtigkeit schließlich als beherrschende Kraft erweise408. — Während Aulén nur in dieser lutherischen Gestalt offensichtlich zögernd den Grenzgedanken einer innergöttlichen „Spannung" aufzunehmen wagt, trägt Lindroth keine Bedenken, ganz mythisch-drastisch von einem tobenden Kampf in Gottes eigenem Wesen zu sprechen. „„Fluch" und „Segen", „Gottes Zorn" und „Gottes ewige Gnade und Barmherzigkeit in Christus", die Verderbensmacht und die erlösende Macht werden also in Gottes eigenes Wesen verlegt. In der kühnsten Weise wird also Gottes Wesen als zu gewaltsamster Intensität gesteigerter, spannungsgeladender Kampf gezeichnet.... Aus dem Streit, der innerhalb von Gottes dunklem Wesen tobt zwischen dem „Fluch", der Gottes Zorn ist, und dem „Segen", der Gottes Gnade und Barmherzigkeit ist, erhebt (höjer) sich der „Segen" als Sieger, der „Segen in Christus"" 409 . Gewiß scheinen Luthers Äußerungen nicht nur an der hier gedeuteten Stelle 410 , sondern häufiger jenen von Lindioth beschworenen Kampf, der in Gottes dunklem Wesen tobe, zu schildern oder vorauszusetzen — etwa, wenn Luther in Gethsemane Gott wider Gott streiten sieht 411 oder wenn er dem Angefochtenen rät, von Gott zu Gott zu fliehen 412 — ein Gedanke, der 107 V g l j ) e n kristna försoningstanken, S. 194: „Es hat sein besonderes Interesse, diesen Gedankengang (sc. von der Überwindung des göttlichen Zornes durch die göttliche Liebe) mit der lateinischen Versöhnungstheorie zu vergleichen. Auch für diese handelt es sich ja in gewissem Maße um eine Spannung bei Gott — eine Spannung zwischen der vergeltenden Gerechtigkeit auf der einen und der Liebe auf der anderen Seite. Hier liegt also eine gewisse Analogie vor. Der Unterschied ist zunächst nur der, daß die »Spannung' bei Luther in einer unendlich stärker (oändligt mycket mere !) zugespitzten Form begegnet."—Auf S. 195 ist nicht nur von einer „gewissen", sondern von „größter" „Analogie" hinsichtlich des Ausgangspunktes die Rede. 408 Siehe dazu etwa die Gegenüberstellung der klassischen und lateinischen „Lösung" der Spannung in Den kristna försoningstanken, S. 258. 409 H. Lindroth, Försoningen, S. 194f. und 200. 410 Es handelt sich um die Hauptbelegstelle Brings, Auléns und Lindroths für das klassisch-dualistische Versöhnungsmotiv bei Luther aus Luthers Exegese von Gal. 3,13 im Großen Galaterbriefkommentar (WA 40, I, 440 [Druck]): „Sic Maleditioni quae est Divina ira per totum orbem terrarun, idem certamen est cum Benedictione, hoc ist, cum aeterna gratia et misericordia Dei in Christo." 411 Vgl. 0 . Tiililä, a. a. O., S. 243 aus WA 45, 370 zur Gethsemaneperikope : „Denn da streydet Got mit Gott." 412 Vgl. etwa WA 19, 223: „... widder Gott zu Gott dringen und ruffen."Ebd., 224: „Sihe eyn solch gros ding ists zu Gott zu komen, das man durch seynen zorn, durch straffe und ungnade zu yhm breche als durch eytel dornen, ja durch eytel spieße und schwertter." Ebd., 229 : „(Das Herz). . . wende sich von Gott dem richter zu Gott dem vater" (vgl. auch ähnlich WA 10 III, 136). — In WA 10 1 1, 279f. werden diese Spit-
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freilich sowohl der Ehrfurcht vor dem unergründlichen Geheimnis der Majestät Gottes, die Luther sonst so nachdrücklich fordert, wie seiner tiefsten Glaubensüberzeugung, daß Gottes Natur und Wesen eitel Liebe sei, widerspricht 413 . Die lutherischen „Spitzensätze" über den „Streit Gottes mit G o t t " dürfen u. E. nicht von ihrem anthropologischen Bezugspunkt, unter dessen Voraussetzung allein sie gelten, gelöst werden, sie müssen als in „tatsachenhafte Objektivität" umgesetzte Aussage aus der „Sphäre des personhaften Geschehens" 414 zwischen Gott und Mensch, als bildhaft verobjektivierender Ausdruck für die vita Christiana, als Weg von der Erfahrung des Gerichtes Gottes zu seiner Gnade gewürdigt werden und dürfen nicht als an sich, „objektiv" gültige Aussagen über das christliche Gottesbild fixiert werden (s. Anm. 412 und 413). R. Bring wendet sich mit Recht gegen eine solche Interpretation der lutherischen „Grenzaussagen": „ F ü r Luther gilt sowohl, daß Gott ständig gegen den Fürsten des Bösen k ä m p f t — an diesem Kampf sind die Menschen beteiligt —, als auch daß Gott der Souveräne ist, der überall waltet und von dessen Zorn der Teufel seine Macht holt. Der Schritt, einen Dualismus in Gottes Wesen zwischen Liebesund Zorn willen als zwei ewig gültiger Ordnungen anzunehmen, scheint klein, aber ist entscheidend. Luther t u t diesen Schritt nicht. Drastisch schildert er den Kampf. Seine kühnen Bilder beabsichtigen nicht, eine mythologische Erklärung rationeller Art zu geben, sondern etwas zu veranschaulichen, was für den Glauben eine Tatsache ist 4 1 5 ." Womöglich noch eindeutiger als Luther weist die Orthodoxie die Aufspaltung der simplicitas Gottes zu einem Dualismus in Gott ab und betont — fast nominalistisch — die Uneigentlichkeit der Rede von verschiedenen göttlichen Eigenschaften, die der Verschiedenheit der Gotteserfahrung Rechnung tragen soll, verzensätze über einen innergöttliehen Dualismus aber bedeutsam eingeschränkt, wenn Luther zu Mt. 23,37 seine Aussagen über die „Ohnmacht" des göttlichen Liebeswillens gegenüber dem menschlichen Willen — und damit doch auch des deus revelatus gegenüber dem deus absconditus — als unzureichende menschliche Redeformen bezeichnet. „Wilche spruch sind alle gesagt nach unßerm fühlen und dunckel, nit nach dem weßentlichen stand gottlicher natur." 413 Zur „Relativität" des christlichen Zeugnisses von Gottes Sein s. Anm. 412. Das gilt auch für die im lumen gratiae unlösbare Frage nach der Einheit des Gottes der universalen Heilsabsicht und des Gottes der doppelten Prädestination. Vgl. zu Mt. 23,37 in De servo arbitrio : „Huius itidem Dei incarnati est fiere, deplorare, gemere super perditione impiorum, cum voluntas maiestatis ex proposito aliquos relinquat et reprobat, ut pereant" (WA 18, 689). — Doch wird (nach WA 18, 786) im lumen gloriae der eine gerechte Wille des in seinem Handeln für das lumen naturae et gratiae noch zwiespältigen Gottes der Inkarnation und der Majestät offenbar werden. 414 Gogarten verwendet die zitierten Ausdrücke bei der Beurteilung der mythischen Bilder für die Niederringung der „Mächte" durch Christus, also in verwandtem Zusammenhang (Die Verkündigung Jesu Christi, S. 363). 415 R. Bring, Dualismen hos Luther, S. 359.
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objektiviert also auch — wissend, was sie t u t — „personhaftes Geschehen" : ,,Si proprie et accurate loqui velimus, deus nullas habet proprietates, sed mera et simplicissima est essentia, quae nec realem differentiam nec ullam vel rerum vel modorum admittit compositionem. Quia vero simplicissimam dei essentiam uno adaequato conceptu adaequate concipere non possumus, ideo inadeaquatis et distinctis conceptibus inadaequate essentiam divinam repraesentantibus eam apprehendimus, quos inadaequatos conceptus attributa vocamus. E t sic intellectus noster distinguit, quae a parte rei distincta non sunt 4 1 6 ." Nur unter ähnlichen Vorbehalten läßt sich unser Begriff des „begrenzten Dualismus" aufrechterhalten — wir stimmen darin der von Aulén wohl eigentlich gemeinten Ablehnung eines echten, innergöttlichen Dualismus durchaus zu, halten aber daran fest, daß der Ungläubige in den Verderbensmächten und durch sie hindurch dem Zorne Gottes und nur ihm begegnet, solange ihn nicht dieses Gericht zur Preisgabe seiner eigenmächtigen Selbstbehauptung vor Gott und zur Neubegründung seiner Existenz in der Gnade führt. Dahin will das Gerichtshandeln Gottes nach dem „Vorurteil des Glaubens" schließlich führen, ohne daß dieses Ziel, dem Christen sichtbar, auch immer erreicht würde, ja ohne daß der Glaubende Gottes Prädestinationshandeln schon mit diesem Gnadenwillen vereinigen könnte. 3. D a s G e s e t z a l s der g u t e W i l l e Gottes d e s M e n s c h e n H e i l u n d Verderben
Wie macht sich die Konzentration auf den von uns nun näher bestimmten „begrenzten Dualismus", auf den Unterwegscharakter der christlichen Existenz von Gott dem Richter zu Gott dem Vater in der Darstellung der „unversöhnten" menschlichen Existenz bemerkbar? Auch hier wird die Verkehrung des Daseins durch die Preisgabe des Menschen an die übermächtige, den Menschen in sich, sein selbstsüchtiges Begehren und Handeln, seine Vergangenheit verschließende ,,Sünde" nicht geleugnet, auch hier wird die Ferne vom ewigen göttlichen Sein, die sich in der unserem Leben aufgeprägten Signatur des Todes kur.dtut, als lastendes Verhängnis empfunden, auch hier weiß man von der über alles menschliche Einzelwollen 416
Quenstedt, zitiert nach Chr. Luthard, a. a. O., S. 70 (dort ohne genaue Quellenangabe). — Es scheint mir ein großer Mangel der Arbeiten Auléns und Lindroths zu sein, ( aß sie hier wie so oft die Aussagen der Orthodoxie allzu gegenständlich, allzu sehr als Aussagen einer rationalen Metaphysik nehmen und die Eigenart der nur uneigentlich gemeinten Verobjektivierung von Glaubensaussagen, die „nur" in relatione gelten, nicht berücksichtigen. Das Motiv zu solcher Objektivierung dürfte wohl die Wahrung des Wirklichkeitscharakters der Gottesbezeugung sein, ähnlich wie heute der unschöne und fragwürdige Begriff der „objektiven Heilstatsachen" diesem Anliegen dienen sol). — Zum Dualismus in Gott siehe für die Orthodoxie bei Aulén Anm. 405, S. 106. — Zu dem Problem s. auch Sjöstrand, a. a. O., S. 481 ff.
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und -verschulden hinausgreifenden, verführerischen und zerstörerischen Herrschaft des Bösen in dieser Welt, aber das Begreifen dieses menschlichen Verderbens als göttlichen Gerichtes fordert Antwort auf die Frage, wie denn in, mit und unter jener Seinsentfremdung unseres kreatürlichen Lebens Gott selbst an uns wirke und inwiefern wir vor dem Angesicht Gottes unsere geschöpfliche Bestimmung verfehlen. Hier bewegen uns diese Fragen nicht um ihrer selbst willen, sondern im Lichte der Versöhnungstat Christi, die aus dem verdammenden Gericht errettet, aber damit auch die Tiefe jenes Gerichtes offenbart, damit der Versöhnte nicht von neuem unter seinem Urteil zugrunde gehe. Es ist das Gesetz Gottes, dessen Urteil über den Sünder sich an ihm vollzieht, es ist das Gesetz als der gerechte, heilige und gute Gotteswille, das dem Menschen in jedem Augenblick seines Lebens gilt und seine ganze Person ständig unter das Gebot und Urteil Gottes stellt, das Gesetz, das offenbart, daß der Mensch stets — ob er will oder nicht — coram Deo, unter den Augen des Herrn, leben muß. Dieser sein Geschöpf ganz für sich fordernde Gotteswille, den der Mensch als lebendiges Gegenüber Gottes in der personhaften Bejahung sich als seinen Willen zu eigen machen sollte, ist ihm — mit Luther zu reden — valde iucunda 417 , solange er aus der ungebrochenen Gemeinschaft mit Gott sein Leben empfängt, ja, gerade in diesem Empfangen vollzieht sich im Grunde auch seine Erfüllung des Gottes willens. Das unaufhebbare Gegenüber von Gott und Mensch, die Personalität der Gottesgemeinschaft wird nur so recht aktualisiert, daß das Geschöpf Gottes im Hören und Tun des gebietenden Gotteswillens sein gottebenbildliches Leben aus den Händen des Schöpfers empfängt. Dem Menschen nach Gottes Bild begegnet dieser Wille nicht als etwas ihm Wesensfremdes, etwas, das er unwillig, nur unvollkommen und mit halbem Herzen tut, sondern der Gehorsam gegen diesen Willen, dieses Leben in dem Worte Gottes ist seine Freude, ist sein „spontaner" Wille. ,,Die Spontaneität steht hier also nicht im Gegensatz zur Forderung als solcher, sondern bezeichnet stattdessen gerade eine Reaktionsweise angesichts der Forderung 4 1 8 ." — Wohl noch sachgemäßer, dem unlöslichen Ineinander von Forderung und Gabe noch stärker Rechnung tragend, formuliert Bring: „Die Spontaneität und die Befolgung von Gottes Befehl stehen somit nicht im Gegensatz zueinander; Gottes Befehl wird nicht als etwas 417 WA 39 I, 364: „Adam cum primum conditus esset, noil solum ei lex poesibilia, sed etiam (valde)iucunda." 418 A. Sjöstrand, a. a. O., S. 106 (formuliert im Blick auf Bring und Lindroth). — Wir verwenden mit Bring, Lindroth und Aulén den Begriff der „Spontaneität", obwohl wir mit Sjöstrand (ibd.,) der Ansicht sind, daß der Begriff der „Freiwilligkeit" das Gemeinte: die völlige Ungezwungenheit, das freudige Sichzueigenmachen des göttlichen Willens adäquater wiedergibt und der bleibenden Abhängigkeit des Geschöpfes vom Schöpfer, seinem Leben aus dem Willen Gottes besser Rechnung trägt.
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Äußeres vernommen, sondern der Mensch vollbringt Gottes Befehl in seiner ganzen Haltung und all seinem Handeln, wenn er im Glauben lebt; der Glaube selbst ist die Erfüllung von Gottes Befehl 4 1 9 ." Insofern können auch Bring und Lindroth v o n der letzten Einheit von Gesetz und E v a n gelium, der aufs äußerste verschärften Forderung und der Gabe Gottes sprechen: „Wir werden sehen, wie diese Überwindung des Gesetzes nach Luther zutiefst dessen Verschärfung enthält, so daß das Gesetz in der letzten B e d e u t u n g (nämlich als Verderbensmacht) mit dem Vorzeichen der Forderung und des Gerichtes weichen und ersetzt werden m u ß von d e m Gesetz in seiner idealen Gestalt. Hier ist dann die Gerechtigkeit nicht mehr von der spontanen, frei hervorquellenden Liebe und die Forderung nicht v o n der Gnade geschieden, nicht das Gesetz v o m Evangelium, sondern Gerechtigkeit und Liebe, Forderung und Gabe liegen ineinander 4 2 0 ." 419
R. Bring, Glaube und Werke, S. 48. H. Lindroth, a. a. 0., S. 204f. (zitiert bei Sjöstrand, a. a. O., S. 104f.). — Vgl. R. Bring, Dualismen hos Luther, S. 224f. ; s. auch G. Aulén, Den allmänneliga kristna tron, S. 340 zum Begriff „Spontaneität". Hier wendet Aulén den Begriff auf das praktische Christenleben an und findet in ihm den Verzicht auf die religiöse Selbstrechtfertigung ausgesprochen, der aber die menschliche Aktivität im Gehorsam gegen die Befehle des Geistes nicht mindert. — Bei Bring (vgl. auch Glaube und Werke, S. 175f. und die gesamte Behandlung des Gegensatzes von Glauben und Werken in diesem Buch — s. auch Dualismen hos Luther, S. 224f. und 287ff.) wird in Glaube und Werke (S. 47) nicht geleugnet, daß das Leben des Glaubenden im Gehorsam gegen Gottes Gebote gelebt wird, die von ihm aber im Unterschied zu den „Werken des Gesetzes" nicht als Werke des Menschen getan werden, der sich in vermessener Eigenständigkeit gegenüber Gott behaupten will. Der Glaubende — und das heißt ja: der Mensch nach Gottes Willen — hat nur so teil an Gottes Leben, lebt nur so in der ihm gemäßen Weise Gottes eigenes, djTiamisches, vorwärtsschreitendes Leben, daß er immer von neuem Gottes gebietendes Wort empfängt und in seinem Handeln vollzieht im Unterschied zu dem „Gebot der Gesetzesgerechtigkeit" ; freilich empfängt er es nicht als ein Mittel, um durch seinen, für Gott wertvollen Gehorsam gegen diese Gebote Gottes Huld zu gewinnen — vielmehr empfängt er das Gebot selbst schon als Gabe des sich ihm schenkenden Gottes. — So verstanden braucht dann aber offenbar das evangelische Gottesverhältnis das sogenannte „äußere" Gebot nicht auszuschließen, da es für den Glaubenden — wie Luthers Verständnis des Ersten Gebotes zeigt — die von Christus her gefällte Grundverheißung: „Ich bin der Herr, dein Gott" in sich schließt und dem status nascendi des Christseins entsprechend den Menschen dazu aufruft, in actu der zu werden und zu sein, der er (nach Gottes Urteil) ist. So gesehen markiert das Gebot nicht den Abstand zwischen des Menschen faktischer Existenz und der göttlichen Forderung und treibt ihn nicht zu dem verzweifelten Bemühen, aus eigenen Kräften diesen Abstand zu überwinden, sondern eröffnet ihm in lebendiger Bewegung in jedem Augenblick wieder neu die Gemeinschaft mit dem allezeit handelnden Gott, der ihn in sein Werk hereinruft. Siehe dazu auch W. Joest, Gesetz und Freiheit, S. 117: „Das trennende, isolierende Gegenüber ist aufgehoben, aber die lebendige Spannung bleibt erhalten. Und daß diese Spannung erhalten bleibt, daß ich das Wort (nach dem Zusammenhang = Gebot) hören und zu ihm J a sagen darf, daß ich das Einswerden, das Gott vollzieht, selbst mitvollziehen darf, gerade das ist vollendete Freude und Freiheit." 420
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Aus diesen Zitaten möchte man schließen, daß das Gesetz als solches — und das heißt doch als der gute, gerechte Wille Gottes an den Menschen, als Gemeinschaftsordnung zwischen Schöpfer und Geschöpf — gut und f ü r den Menschen heilsam sei, doch nun ziehen unsere Theologen die auch in den Contexten der gegebenen Zitate schon angedeutete Konsequenz, daß das Gesetz, sofern es in der Form des Imperativs an den Menschen heranund ihm gegenübertrete, als solches böse, eine Verderbensmacht, sei. „Das Gesetz ist gut, soweit es dem göttlichen Willen Ausdruck gibt. Aber gleichzeitig ist das Gesetz eine böse Macht, eine Verderbensmacht. Es reizt zur Sünde und vermehrt die Sünde. Um das zu verstehen, muß man nicht nur beachten, daß das Gesetz des Menschen mangelndes Vermögen, des sündigen Menschen Unvermögen verdammt und insoweit eine Verderbensmacht ist, sondern auch und vor allem, daß nach Luther der Weg' des Gesetzes überhaupt nicht zum Ziele führen kann, — daß dessen Weg sich als ein falscher Weg, der Weg der Werke, der Weg von unten nach oben enthüllt. Als Ausdruck für den Gotteswillen fordert das Gesetz, daß der Mensch spontan, freiwillig, nicht auf Befehl handeln soll. Aber auf der anderen Seite schafft das Gesetz gerade durch seine Gebotsform ein Rechtsverhältnis, charakterisiert durch Befehle, denen gehorcht werden muß 4 2 1 ." Wenn grundsätzlich das Gebot, die Forderung des Gehorsams, der von der Agape konstituierten Gottesgemeinschaft widerspricht — unabhängig davon, wie der Mensch auf diese Forderung reagiert —, dann enthält es rein logisch einen Selbstwiderspruch, indem es etwas fordert, das seinem Wesen nach nicht gefordert werden kann: die spontane Liebe. Es wird hier also entgegen manchen zunächst anders lautenden Aussagen über das schöpfungs- bzw. evangeliumsgemäße Gottesverhältnis des Menschen (s. Anm. 418—420) doch schon in der Konstituierung eines Gegenübers von gebietendem Gott und gehorsamem Menschen ein der Agaperelation widersprechendes Rechtsverhältnis gesehen und damit doch im Grunde das Gesetz als solches, da es ja ex definitione befehlenden Charakter hat, als böse betrachtet. Oder es setzt umgekehrt das Gebot als solches schon den Sündenfall voraus, wie Bring in seiner Lutherdeutung nachzuweisen versucht, die sich freilich mit der Charakterisierung des Urstandsgebotes als valde iucunda schwer zusammenreimen läßt: „Adam war gut durch den Beistand der Gnade. Aber als das Gute ihm im Äußeren begegnete, fiel er. Daß das Gute ihm überhaupt als ein Äußeres begegnete, als Gesetz und Gebot, zeigt, daß Adams Wille hierbei (härvidlag) nicht mehr gut war. Gutsein (godhet) bedeutet für Luther Einheit zwischen Gottes und des Menschen Willen. Da waltet kein Unterschied zwischen 421
G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 191, ebenso Den allmänneliga kristna tron, S. 52. Vgl. auch ebd., S. 255 und R. Bring, Dualismen hos Luther, S. 166 und A. Nygren. Eros und Agape, S. 572 (zitiert bei Sjöstrand, a. a. 0., S. 104).
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Gesetz und Evangelium, sondern das Gesetz ist Evangelium. Dieses Gutsein ist indessen für Luther nicht ein für allemal gegeben, sondern ist von lebendigem Charakter. Wie Gott schaffendes Leben ist, so ist der wirklich gute Wille lebendig, ständig aktiv und ständig im Werden und Vorwärtsschreiten. Nun aber stellt Luther fest, daß Adam vor ein äußeres Gebot gestellt wurde, das besagt, daß sein Wille nicht in voller Gotteseinheit stand und ständig von neuem ins Leben trat (bleve tili) als aktive, schaffende Güte 422 ." Es verwundert, wenn Bring, der den dynamischen Charakter der Einheit des Menschen mit Gott hervorhebt, die im stets neuen, lebendigen Einswerden mit dem göttlichen Willen durch die Tat der Liebe Ereignis wird, nun doch in dem Gebot als solchem schon ein Signal für den eingetretenen Sündenfall erkennt, da Bring schon das von außen, von Gott her an den Menschen gerichtete, gebietende Wort zum lebendigen Wirken des Geistes Gottes im Menschen in Widerspruch setzt. Aber ist mit dem Gebot als solchem wirklich solch ein Widerspruch gegeben ? Wenn die Spontaneität des Glaubenden nicht naturhaft, sondern personhaft verstanden wird und in dem Gebot der gebietende Gott als der Geber aller guten Gaben ergriffen wird, scheint uns trotz der zahlreichen Lutherstellen, die von der Freiheit des Christen vom Gesetz und von der Spontaneität des christlichen Handelns sprechen, hier kein Widerspruch zur freudigen Bejahung des Gesetzes durch den Glaubenden zu liegen 423 . 422 R. Bring, Dualismen hos Luther, S. 286. Das hier und im folgenden von Bring ausgelegte Luther-Zitat lautet : ,,Nam, etsi primus homo non erat impotens assistente gratia, tarnen in hoc praecepto satis ostendit ei Deus, quam esset impotens absente gratia" (WA 18, 67öf.). Daß „in hoc praecepto" auf den Eria β des Gebotes gedeutet werden muß, ist mir zweifelhaft. Der Gedankengang besagt vielleicht, daß Adam trotz des ihm gegebenen Gebotes fallen mußte, sobald er sich auf die Kräfte seines liberum arbitrium verließ; die imperativische Gestalt des Gesetzes berechtigt auch hier nicht zu der Meinung, daß der Mensch es nach der Devise : „Wenn du willst, so kannst du" aus freien Stücken zu erfüllen vermöge. 423 Vgl. dazu W. Joest, a. a. O., bes. S. 109ff. : Hier wird unter der Überschrift „Das Gesetz als Paraklese — Keine Einschränkung der hilaritas und spontaneitas des Glaubens" für Luther nachgewiesen, daß das Gebieten Gottes und der Gehorsam des Christen durchaus nicht der echten, lebendigen Gottesgemeinschaft widerstreiten. (Noch stärker ist weithin die paulinische Paränese von dieser evangelischen Zuordnung von Indikativ und Imperativ bestimmt [s. W. Joest, a. a. O., S. 150f., bes. S. 153; vgl. etwa Rom. 6,1—11; 1. Kor. 5,7; 2. Kor. 6,16f.; Gal. 5,25; Eph. 5,8 bis 10]). Man wird Luthers Natur- und Fruchtbilder nicht grundsätzlich in Gegensatz gegen jedes Gebieten stellen dürfen, sondern die Frontstellung gegen das Zwingen und Drängen des Gesetzes beim Sünder, der mit seinem innersten Wollen und Sein diesem Gesetz widerstrebt, im Auge behalten müssen. — Von daher scheinen mir die folgenden Bestimmungen Nygrens, Brings und Lindroths, die im formulierten Gesetz als solchem einen logischen Widerspruch finden, zu abstrakt und prinzipiell, m. E. gelten sie nur mutatis mutandis in der Begegnung des Sünders mit dem isolierten Gesetz, nicht für das Gesetz an sich: „Das Gesetz ent-
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Nicht daß das Gesetz etwas fordert, was seinem Wesen nach nicht gefordert werden kann, erweist seine Verderblichkeit, sondern daß es den aus der Gemeinschaft mit Gott gelösten Menschen nur in seinen „isolierten" Forderungen trifft, ohne ihm den die Erfüllung schaffenden Herrn des hält im Grunde einen inneren Widerspruch. Es fordert ja freie Hingabe an Gottes Willen. Aber gleichzeitig wird es gerade dadurch, daß es fordert, ein Hindernis f ü r diese freie, spontane Hingabe. . ." (A. Nygren, Eros und Agape, S. 572). „Die Forderung des Gesetzes sollte nämlich im Grunde nicht als Forderung erfüllt werden, sondern sollte, wenn sie überhaupt erfüllt werden sollte, vor und unabhängig von jedem Gebot erfüllt sein, da nämlich die Sittlichkeit als solche nicht im Gehorsam gegen Gebote bestehen sollte, sondern das sittliche Handeln sollte — wenn es wirklich sittlich wäre — spontan sein, also unabhängig von jedem Gebot" (R. Bring, Dualismen hos Luther S. 166). „Das Gesetz mag selbst diese freie, spontane Liebe fordern, aber als eine solche Forderung h a t es seinen eigenen Inhalt aufgehoben — denn die Spontaneität kann nie gefordert werden." (H. Lindroth, a. a. 0 . , S. 192). — Abgesehen von den schon erwähnten Zusammenhängen, in denen auch die vita Christiana bei Bring und Lindroth als Gehorsam gegen konkrete Befehle Gottes beschrieben wird, sei auf eine bedeutsame Wandlung in der Wertung des Gesetzes bei Aulén hingewiesen, wie sie in den Verschiedenheiten der 4. und 5. Auflage seiner Dogmatik (Den allmänneliga kristna tron) besonders in dem Abschnitt über „Christentum und J u d e n t u m " (4. Auflage, S. 49ff.) bzw. „Der christliche Glaube und die alttestamentliche Religion" (5. Aufl., S. 41ff.) zutage tritt. Während in der 4. Auflage — vgl. die auch in der Dogmatik wiederkehrenden, bei Anm. 421 zitierten Sätze — das Widereinander der alttestamentlichen Rechts- und der neutestamentlichen Agape-Religion beherrschend im Zentrum steht, betrachtet die 5. Auflage, in der das bei Anm. 421 angeführte Zitat und der dazu gehörige Kontext gestrichen sind, das Christentum wesentlich stärker als Erfüllung und insofern auch als Ende des Gesetzes. Am Schluß wird eine dem Gedankengange der 4. Auflage ganz fremde und mit dem bei Anm. 421 gegebenen Zitat kaum vereinbare „Sicherung" gegen „antinomistische" Fehldeutungen vorgen cm men: „Die gesetzliche, moralistische Perspektive im Gottesverhältnis ist verschwunden, aber Gottes Gebote und Befehle besitzen ungebrochene und unbedingte Gültigkeit u n d treten in der T a t mit verschärfter Klarheit in dem Gottesverhältnis, in dem Gottes Liebe waltet, hervor" (6. Auflage, S. 46). — I n dieselbe Richtung weist auch eine andere kleine Änderung: A. a. 0 . , heißt es in der 4. Auflage (S. 266): „Der Weg, den das Gesetz als solches anweist, wird zuletzt kein anderer als der der Selbsterlösung." In der 5. Auflage (S. 216): „Der Weg, den das Gesetz als solches anzuweisen scheint. . ." (s. o.). Danach ist nun offenbar das Gesetz nicht schon wegen seiner Imperativischen Gestalt als solcher verderbenbringend. — Auch R. Bring kommt in neuester Zeit zu wesentlich anderen Ergebnissen hinsichtlich des bleibenden Rechtes des fordernden Gesetzes als in seiner früheren Luther-Deutung. Inwiefern sich die Abweichungen aus der Verschiedenheit der Deutungsobjekte ergeben, inwieweit sie auch Ausdruck einer Wandlung der theologischen Position des Interpreten sind, ist freilich schwer zu sagen: „Daher ist der Glaube so wenig gegen Gottes Willen im Gesetz, daß im Gegenteil gerade der Glaube den Gehorsam in sich schließt. Gerecht zu werden durch Glauben, bedeutet also, im rechten Erfüllen des Gesetzes zu leben, im Gehorsam vor dem Gott, der im Gesetz spricht, in der Unterordnung unter seinen Willen und in der Anerkenntnis, daß Gott recht h a t und recht handelt" (STK 1957, S. 144: Mose lag och Kristue). —
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Gesetzes selbst zu vergegenwärtigen. Es ist der ewige, gute, fordernde Gotteswille, wie er auch dem Glaubenden weiter gilt, der dem Sünder zur tötenden, verurteilenden Verderbensmacht wird, aber nicht das Gesetz, sondern die Sünde ist an dieser, seiner unheilvollen Funktion schuld 424 . Das Gesetz findet nicht mehr den von Gottes Geist ergriffenen, aus seinem Worte lebenden und ihm geöffneten Menschen vor, sondern den aus seinen eigenen Kräften, aus seinem freien Willen, nach seinen Normen und Wünschen sich seine Existenz schaffenden Menschen ; nicht aus Gottes Anrede empfängt er immer wieder neu sein Personsein als Leben durch und vor Gott, sondern er nimmt seine Persönlichkeit wie einen Raub hin, er etabliert sich als in sich geschlossene, selbständige Persönlichkeit neben Gott ; diesem in sich selbst gefangenen Ich tritt Gottes Gesetz als ein fremder Wille gegenüber, der von ihm Unmögliches, die Grundlagen seiner ichhaften Existenz zerstörende Hingabe seiner selbst an Gottes Willen fordert, der ihn daher mit all seinen guten und bösen Taten total verurteilt, weil ihm trotz aller scheinbaren Werke des Gesetzes in seiner go'ttlosen Grundausrichtung „Herz und Hand des Gesetzes" fehlen. Auf diese, die Sünde aufdeckende Funktion ist das dem Sünder begegnende Gesetz beschränkt, hier, für seinen usus elenchticus am Sünder gelten ζ. T. die paradoxen Aussagen Brings und Lindroths über das Gesetz425 (vgl. Anm. 423). So hört der heilige, gerechte Gotteswille nicht auf, die Existenz des Menschen, nun des Sünders zu begleiten, so bleibt der Mensch ein Mensch coram Deo, von Gott festgehalten durch das an ihn — auch in seinem aus der Liebesgemeinschaft mit Gott gelösten Leben—ergehende Gesetz, das ihm nun freilich nicht mehr Ruf zum Leben, sondern Proklamation der Verwirktheit .seines Lebens ist. Es ist zum Erfassen der Eigenart des begrenzten Dualismus wichtig zu sehen, wie hier Gottes eigener, guter Wille dem von ihm abUnsere Kritik berührt sich in wesentlichen Punkten mit der Sjöstrands, die auf S. 100—110 hauptsächlich gegen Bring, Lindroth und Aulén scharf den (bestrittenen) logischen Seibetwiderspruch zwischen der fordernden Gestalt des Gesetzes und seinem nicht befehlbaren Gehalt einerseits von dem (anerkannten) ethisch-religiösen Widerspruch andererseits unterscheidet - das Gesetz fordert vom Sünder die Glaubensspontaneität und kann ihn doch, so wie er faktisch ist, gerade durch diese Forderung nur in seiner egozentrischen Spontaneität bestärken. So auch H. Lindroth, a. a. O., S. 202f., während S. 192 (s. Zitat in Anm. 423) unklarer bleibt. „Cum natura ipsa depravata et corrupta sit, non potest bona et sancta lex per se in tali natura meliorem effectum habere" (WA 39, I, 560). 425 Vgl. hierzu die gehaltvolle Besinnung bei Joest, besonders in dem zusammenfassenden Abschnitt S. 129ff. — Hier wird auch mit Recht kritisiert, daß in der Theologie aus den verschiedenen Weisen, in denen das Wort Gottes dem Menschen begegnet, grundsätzlich widersprechende Prinzipien (Seins- und Sollensethik, Gesetzes- und Gnadenreligion) abgeleitet wurden, ohne Rücksicht auf die „Relativität" der christlichen Glaubensaussagen (a. a. O., S. 238). A. a. 0., Anm. 94 wird dementsprechend sehr vorsichtig auch an Auléns „Christlichem Gottesbild" Kritik geübt, die z. T. auch Lindroth und Bring trifft.
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gekehrten Menschen z u m Verderben wird, nicht— wie in der Perspektive des reinen Dualismus — an sich d e m göttlichen Liebeswillen gegenüber fremde, ja feindliche Mächte. E s ist darum auch nötig, primär die verurteilende, die Sünde aufdeckende Funktion des Gesetzes, das darin Gottes eigenes, gültiges Urteil über die gottlose Menschheit ausspricht (vgl. dazu R o m . 8,1; Gal. 3,13; R o m . 2,1) im Auge zu haben u n d zu erkennen, wie Gott selbst mit dem Urteil seines Gesetzes d e m Sünder zum Verderben wird. D a r u m hat Luther auch im Gegensatz zur Alten Kirche im Gesetz die primäre, die anderen als solche erst qualifizierende Verderbensmacht gesehen, weil erst durch das Gesetz, durch das Offenbarwerden des Sünders vor d e m richtenden Gott sein Verderben als Schuld, als Auflehnung u n d N e i n gegen Gottes Willen u n d der unaufhebbare Widerspruch zwischen G o t t und Mensch recht an den Tag k o m m t . Nur weil Tod und Teufel u n d allo Kreaturen m i t dem Rechtstitel dieses göttlichen Gesetzes den Menschen in die Enge und in die Arme des verurteilenden Gottes treiben, sind sie so furchtbar 4 2 6 . U n d doch bereiten sie gerade auch durch diese Gerichtspredigt den Sünder auf das E v a n g e l i u m , das dem unter das ausweglose Gericht des Gesetzes V e r h a f t e t e n verkündet wird 4 2 7 . 426
Siehe R. Bring, Dualismen hos Luther, S. 156 : „Es wurde schon hervorgehoben, daß man von den Anfechtungen aus Luthers Gleichstellung des Gesetzes und der übrigen Tyrannen verstehen kann. Das, was den Teufel wirklich furchtbar machte, war seine Verbindung mit Gottes Gesetz und Zorn. Die Sünde wird für Luther eine Macht, die das Gewissen dadurch plagt und tyrannisiert, daß sie Schuld in sich schließt. Die böse Macht bekommt so in einer Weise (pâ ett satt) ihre Macht von Gott; wenn es nicht so wäre, könnte es Luther leicht mit ihrem Angriff nehmen. Da Luther dagegen wahrnimmt, wie der Teufel Gottes Zorn und die Verdammnis des Gesetzes androht, wurde er für ihn wirklich satanisch. Die Macht, die die Tyrannen haben, ist ja gerade ihre Macht zu verdammen, aber diese besitzen sie nur durch die Verbindung mit dem Gesetz und dem Zorn." — Vgl. dazu auch P. Gogarten, Die Verkündigung Jesu Christi, S. 292—299, vgl. bes. S. 297: „Was dem Menschen hätte Leben sein sollen, nämlich daß er von ganzem Herzen Gott gehört, das ist ihm, weil er sich ihm verschloß, zum Tod geworden. Daß sich ihm der Ursprung seiner selbst in die Todesmacht verwandelt hat, das ist die grauenhafte Erkenntnis, die das Gewissen dem Menschen bringt." Nur weil in der Begegnung mit den Mächten diese „Erkenntnis" ihn bedrängt, sind sie so furchterregend, vgl. P. Gogarten, a. a. O., S. 296 für Tod und Teufel. — Siehe auch H. Mandel, a. a. O., S. 45f. über die durch Gottes Gericht erregten Schrecken des Gewissens und die dazu angeführten LutherZitate, vgl. oben bei Anm. 378, 379 und 382, S. 97 f. 427 Ein sehr drastisches Wort über die Dialektik von Gesetz und Evangelium, das wieder einmal Licht auf die „Relativität" des göttlichen oder teuflischen Handelns wirft, sei hier angeführt: „Ich weiß wohl, daß Gottes Wort (die Gnade Gottes) eine große Lüge werden muß, auch in mir selbst, ehe es die göttliche Wahrheit wird; wiederum weiß ich, daß des Teufels Wort muß zuvor die zarte göttliche Wahrheit werden, ehe sie zu Lügen wird ; ich muß dem Teufel ein Stündlein die Gottheit gönnen und unserem Gott die Teufelheit zuschreiben lassen; es ist aber damit noch nicht aller Tage Abend, es heißt doch zuletzt: seine Güte und Treue waltet über uns. . . Summa: Gott kann nicht Gott sein, er muß zuvor ein Teufel werden, und wir köanen 116
Bei Aulén spielt diese verurteilende Funktion des Gesetzes nur eine untergeordnete Rolle, viel deutlicher tritt es als Verderbensmacht in Erscheinung, wenn es m i t seiner Forderung den Menschen auf den W e g der Werke treibt, damit er sich durch sie das Heil verschaffe. Wir sahen in unserem darstellenden Teil schon, daß Aulén diese beiden F u n k t i o n e n des Gesetzes nebeneinander stehen läßt; die Verlagerung des Interesses auf die zweite F u n k t i o n hat dann zur Folge, daß nun auch d a s Gesetz, da es den Menschen ja gerade auf den dem göttlichen Erlösungswillen entgegengesetzten W e g der Selbsterlösungsversuche treibt, als eine jedenfalls in Teilfunktionen v o n Gott gelöste Verderbensmacht im Sinne des reinen Dualismus zu stehen k o m m t . E s heißt nicht, wie in R o m . 7,12, daß der gerechte u n d heilige Gotteswille als solcher für den Sünder eine Verderbensmacht ist, sondern das Gesetz an sich ist doppelseitig: „auf der einen Seite heilig und gut, ein direkter Ausdruck für den göttlichen Willen, und auf der anderen eine Verderbensmacht" (vgl. Seite 24). F ü r eine solche Betrachtung, die das Gesetz aus den Relationen z u m Menschen löst und seine Wirkungen in diesen Relationen zu Eigenschaften, die ihm an sich zukommen, macht, m u ß dieses Gesetz ein in sich widersprüchliches, unglückliches Gebilde werden, dessen Ungenügen dann aber d e m Gesetzgeber und nicht den von ihm Betroffenen, die den verpflichnicht in den Himmel fahren, wir müssen denn zuvor in die Hölle fahren, können nicht Gottes Kinder werden, wir werden denn zuvor des Teufels Kinder" (WA 31, I, 250 und 249: zitiert bei H. Mandel, a. a. 0., S. 57 [Orthographie nach Mandel]). D. h. Gottes Wort ( = Gottes Gnade) kann bzw. soll für mich (in bestimmter Situation: der Sicherheit) teuflisch werden, während des Teufels Wort (hier wohl = Verdammungsurteil des Gesetzes) mir als göttliche Wahrheit gegolten haben muß, ehe mir das Evangelium gilt. Nicht eigentlich als selbständige Wesenheit, sondern gleichsam als Personifizierung des isolierten und in solcher Isolation teuflischen Gerichtes Gottes erscheint hier der Teufel. — A. Sjöstrand, a. a. O., S. 109 scheint den „Umschlag" von der aufs äußerste gesteigerten „egozentrischen Spontaneität" zur Glaubensspontaneität zu sehr zu rationalisieren, wenn er schreibt : „Die tiefste Forderung ist die Bedingung für die tiefste Spontaneität, den Glauben. Der Glaube ist gerade die Spontaneität angesichts des ersten Gebotes, das ist die freie, freiwillige Unterwerfung (underkastelse) unter des Gesetzes erste und alle anderen darin eingeschlossenen Forderungen." Hier scheint die Verschärfung und Vertiefung der Forderung fast von selbst zum „Umschlag" zu führen; auch S. U l f . bekommt die Satisfactio Christi nur subsidiären Charakter: indem sie als stellvertretende Erfüllung der Gerichtsforderungen dem noch im egozentrischen Leistungsdenken befangenen Sünder verkündet wird und ihn so von der Angst vor dem Gericht Gottes und dem Haß gegen ihn befreit, hilft sie mit zur Entbindung der sich dem ersten Gebot und damit dem ganzen Gesetz freiwillig unterwerfenden Glaubensspontaneität! Bei allem Verständnis für eine denkende Erhellung des Mysteriums der Versöhnung — dieser allzu rationale und im Verständnis des Werkes Christi wirklich legalistische Gedankengang wird dem Wunder des Evangeliums nicht gerecht! — Sjöstrand weiß ja auch am gegebenen Ort mehr zu sagen, und hier bereitet jedenfalls eine Anmerkung darauf vor: „Das dürfte klar sein, daß dieser Gedanke (sc. der Satisfaktionsgedanke) sich nicht in einer psychologisch-intuitiven Erklärung erschöpft" (a. a. O., S. 112, Anm. 3). 117
tenden Charakter eines solchen Gesetzes eigentlich gar nicht anerkennen können, zur Last fallen würde 428 . Jedenfalls sieht man bei Aulén nicht, wie die beiden „Seiten" des Gesetzes zusammengehören. Nun ist aber offensichtlich die verurteilende Funktion, die das Gesetz am Sünder ausübt und die natürlich der Güte des Gesetzes nicht Abbruch tut, von der verführenden gar nicht zu trennen. Der usus elenchticus des Gesetzes erschöpft sich nicht darin, daß dem Gewissen die Schuld seines von Gott abgewandten Lebens offenbar wird; vielmehr vollzieht sich das wirksame Urteil des Gesetzes gerade darin, daß der Sünder diesem vernichtenden Urteil ausweichen möchte, daß er durch seine Taten den Schuldspruch des Gesetzes über sich Lügen strafen möchte und sich nun auf der Basis seines gottentfremdeten, in sich selbst gegründeten Personseins daran macht, die Forderungen des Gesetzes als ihm verfügbare Möglichkeit, sich zu Gott in das rechte Verhältnis zu setzen, zu erfüllen. Damit aber verfällt er gerade aufs neue dem Urteil des vom ersten Gebot her auszulegenden Gesetzes, weil er sich so durch seine eigenen Werke zum Schöpfer seines Heils machen will und damit seine geschöpfliche Bestimmung verfehlt (vgl. dazu Anm. 420). So vollzieht sich Gottes Urteil gerade darin, daß der Mensch sich vom Gesetz dazu treiben läßt, immer mehr seine Geschöpflichkeit zu verleugnen, immer stärker auch sein Gottesverhältnis nach den Maßstäben seines egozentrischen Wesens zu gestalten und so gerade durch seine „Gesetzeserfüllung" erst recht dem verdammenden Urteil des Gesetzes zu verfallen. Gottes im Gesetz ausgesprochener Wille erweist sich auch hier als wirksame Macht, die, so wie sie den Glaubenden ruft, ganz zu sein, was er in Wahrheit ist, hier den Sünder zwingt, nun ebenso ganz und unverstellt das zu sein, was er ist ; insofern ist das Gesetz gegeben, damit es die Sünde mehre. „Seine verurteilende Macht bekommt das Gesetz gerade dadurch, daß es gut ist, dadurch, daß es etwas ausdrückt, was von Gott kommt. Gerade der Umstand, daß es Ausdruck für Gottes Gerechtigkeit ist — so kann man es also paradox sagen—, macht es böse; je direkter und vollständigeres mit der Forderung der Gerechtigkeit Gottes zusammenhängend gedacht wird, um so furchtbarer wird es in seinem totalen Verdammen und um so mehr steigert es die Egozentrizität und die Bosheit des Menschen 429 ." Gerade die Gebotsgestalt des Gesetzes verleitet den Menschen zu der Annahme, seine Forderungen seien erfüllbar 430 , und gibt so der Anklage 428
Siehe dazu A. Sjöstrand, a. a. O., S. 108f. R. Bring, Dualismen hos Luther, S. 156 — vgl. dazu auch A. Sjöstrand, a. a. O., S. 106 mit Hinweisen auf R. Bring, a. a. O., S. 167 und H. Lindroth, a. a. O., S. 192. — Vgl. auch A. Sjöstrand, a. a. O., S. 108, den Hinweis auf die Gerichtsfunktion als das erste und alles Entscheidende im Gesetz (als Verderbensmacht). 430 Ygi dazu etwa in De servo arbitrio (in WA 18, 672ff.) Luthers Polemik gegen die These des Erasmus, dem Menschen könne sinnvollerweise ein Gebot nur gegeben werden, wenn er die Fähigkeit besitze, es zu erfüllen. 429
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des Gesetzes immer mehr Recht, je mehr er, statt der Anklage standzuhalten, seine — jedenfalls relative — Unschuld zu erweisen versucht. Daran kann auch die Tatsache, daß heute noch häufiger als zu Luthers Zeiten der Versuch der Selbstrechtfertigung des „autonomen" (mündigen) Menschen subjektiv mehr oder weniger gelingen mag, nichts ändern. Wenn sich heute auch weithin das Gericht des Gesetzes nicht mehr direkt im Gewissen des Menschen vernehmbar über den Sünder vollziehen mag, so ereignet es sich jedoch — für den Christen unübersehbar — darin, daß der Mensch weiter versuchen muß, aus sich selbst, aus seinem Werk seine Existenz aufzubauen, aus ihm sein Heil, ja seinen Gott zu schaffen, und daß er gerade darin am Leben vorbeigeht und das Heil, das er sucht, nicht findet. J e weniger er diese „Tragik" seines Daseins empfindet, um so trauriger ist es um ihn bestellt, denn auch hier gilt : „Die schlimmste Anfechtung ist die, keine Anfechtung zu haben" — jedenfalls solange nicht das Maß erreichter Zufriedenheit, sondern die geschöpfliche Bestimmung des Menschen zur Gemeinschaft mit Gott die Norm des Urteils abgibt. o) Lateinischer
Legalismus?
So entschieden also daran festzuhalten ist, daß das isolierte Gesetz dem Sünder nur zum Verderben gegeben ist und seine „Gesetzeserfüllung" als Erlösungsweg verwerfliche Gesetzlichkeit, Legalismus ist, so darf doch nun der Begriff „Legalismus" nicht unbesehen überall dort zur Verurteilung einer Theologie angewandt werden, wo überhaupt das Gottesverhältnis unter dem Gesichtspunkt des Gesetzes und seiner Erfüllung dargestellt wird 431 . Bring, Lindroth und schließlich auch Aulén (vgl. Anm. 420 und 423) haben selbst erkannt, daß im schöpfungs- bzw. evangeliumsgemäßen Gottesverhältnis das Gesetz nicht abgeschafft ist, sondern „in seiner idealen Gestalt" weiter gilt 432 . Es ist freilich richtig und macht die Scheu vor der un431 O. Tiililä, a. a. 0., S. 23f. kritisiert mit Recht bei Aulén die allzu undifferenzierte Verwendung des Begriffes „Gesetz und Rechtsordnung", meist in malam partem. 432 Erstaunlich positiv äußert sich Aulén über Gesetz und Rechtsordnung im Zusammenhang seiner Schöpfungslehre: „Der christliche Schöpfungsglaube ist untrennbar verbunden mit dem Gedanken an Gottes Gesetz. In der Relation Schöpfer — Schöpfung liegt nämlich unmittelbar eingeschlossen der Gedanke an ein Gesetz, eine bestimmte Ordnung. . .. Wenn hier vom Gesetz gesprochen wird, handelt es sich dabei auch um Recht : Gesetz und Recht gehören untrennbar zusammen. Aber das Charakteristische für dieses Gesetz oder Recht der Schöpfung, für diese Rechtsordnung der Schöpfung, ist, nach dem, was wir gesehen haben, daß alles hier zuletzt auf die Forderung des göttlichen Liebeswillens hingeführt und von ihr bestimmt wird" (G. Aulén, Den allmänneliga kristna tron, S. 210f.). Von dem grundsätzlichen Wider-
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eingeschränkten Verwendung des Begriffes Gesetz in diesen Zusammenhängen verständlich, daß besonders Paulus und Luther vom Gesetz ganz überwiegend in seinem Zusammentreffen mit dem Sünder Ui d seiner Heilsbedeutung sprechen und es daher vornehmlich als die dem Evangelium entgegenstehende und von ihm überwundene und außer Kraft gesetzte Verderbensmacht werten 433 . Aber trotzdem hält auch Paulus daran fest, daß er durch den Glauben das Gesetz aufrichte (Rom. 3,13), daß das δικαίωμα des Gesetzes von dem Glaubenden erfüllt werde (Rom. 8,4), und Luther spricht von der Liebe der Gerechtfertigten zum Gesetz und dem „angenehmen Gehorsam" 4 3 4 . Vor allem aber wird aus der paulinischen Zuordnung von Indikativ und Imperativ (s. Anm. 423) u. E . deutlich, daß das Gebieten (auch das sogenannte äußere Gebieten) Gottes und der diesem Gebieten entsprechende Gehorsam des Menschen nicht schon Zeichen einer Verkehrung der ursprünglichen Liebesgemeinschaft von Gott und Mensch sind. Wenn, wie es bei Aulén scheint, schon durch Gebot und Gehorsam eine Rechtsordnung konstituiert wird (s. Anm. 421), dann gehört eine solche Rechtsordnung durchaus zur Gottesgemeinschaft nach biblischem Verständnis (s. auch Anm. 433). Nicht zwischen Liebe und Spontaneität auf der einen, Gebot und Gehorsam auf der anderen Seite ist zu unterscheiden, sondern zwischen dem Gesetz, wie es den Glaubenden ruft, das ihm geschenkte Heil der Gottesgemeinschaft immer neu in seiner ganzen Existenz wirksam werden zu lassen, und demselben Gesetz, wie es dem aus sich selbst lebenden Sünder als etwas Fremdes gegenübertritt, ihn zum Widerspruch oder zu verzweifelten Versuchen der Selbsterlösung reizt 4 3 6 . streit von Hechts- und Liebesordnung, von gesetzlich geforderter und spontaner Liebe ist hier nichts zu hören. Ausdrücklich wird auch betont, daß Christus dieses Schöpfungsgesetz wieder zu Gehör gebracht habe. — Wenn hier auch vornehmlich vom usus politicus die Rede ist, so ist doch mit der Grundbestimmung, daß die Relation Schöpfer — Geschöpf rein gesetzlich normiert sei, ihr Charakter als Liebesgemeinschaft zwischen Gott und Mensch nicht aufgehoben. Vgl. die Darlegungen Nygrens auf Sfite 10f., die in starker Spannung zu dieser Schöpfungslehre stehen, die auch bei Aulén kaum mit der Soteriologie abgestimmt ist. (Sehr viel vorsichtiger und zurückhaltender gebraucht die 5. Auflage an dieser Stelle den Begriff des Gesetzes, S. 179f.). 13S ,j e r Begriff „Gesetz" meist für die Art und Weise, wie das Gesetz dem Sünder begegnet, ihn verurteilt und auf den Weg der Selbsterlösung treibt, gebraucht wird, könnte man fragen, ob man auch terminologisch zwischen diesem am Sünder wirksamen Gesetz und dem ursprünglichen Schöpfungsgebot bzw. dem Adhortativ oder der Paraklese des Evangeliums unterscheiden soll. Die Einheit des Begriffs hat aber den Vorzug, die Einheit des Willens Gottes in den verschiedenen Begegnimgsweisen zum Ausdruck zu bringen. 1 5 4 Vgl. zu Paulus: P. Althaus, NTD, z. St. — Zu Luther: W. Joest, a. a. O. S. 109ff. 435 Die grammatische „Unlogik" des Satzes bringt vielleicht am deutlichsten die Notwendigkeit, vom Gesetz stets in relatione zu reden, zum Ausdruck.
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1. Das V e r s t ä n d n i s des R e c h t e s in der ursprünglichen Gottesgemeinschaft Von hier aus ist die Frage nach der legalistischen Grundstruktur des lateinischen Typs im Blick auf die Darlegung des schöpfungsmäßigen Gottesverhältnisses und des Sündenverständnisses und im Zusammenhang damit auch der iustitia distributiva zu stellen 436 . Bei Lindroth wird der legalistische Charakter des ursprünglichen Schöpfungsverhältnisses nach Anselm scharf betont ; Gott stellt an den Menschen bestimmte Forderungen, für deren Erfüllung der Mensch sich zu entscheiden hat, um auf diesem Wege das Ziel, die ewige Seligkeit zu gewinnen. „Gottes Schöpfungsordnung und Weltplan hat zum Inhalt, daß Gott fordert, was ihm zukommt, sein Recht, seine Ehre, um als Gegenleistung die Seligkeit im Schauen und Genießen Gottes zu verleihen. Die Seligkeit als das Ziel für Gottes Schöpferordnung ist also nicht eine unbedingte Gabe, unmotivierte Gnade, sondern dadurch bedingt, daß der Mensch sich Gottes Willen unterwirft und Gott so sein Recht bekommt und in gebührendem Maße geehrt wird. Die Gerechtigkeit auf der Seite der Geschöpfe, der Gehorsam gegen Gottes Willen ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel, die Seligkeit zu erlangen 4 3 7 ." Diese Wertung des Gesetzes als einer durch menschliche Leistungen zu erfüllenden Heilsbedingung, dieses auf Leistung und Gegenleistung beruhende Verhältnis zwischen zwei im Prinzip auf gleicher Ebene verkehrenden Partnern — das ist allerdings ganz eindeutig legalistisch. Aber es bleibt doch sehr zu fragen, ob Lindroth hier Anselms Intentionen in seiner Interpretation der Schöpfungsordnung zwischen Gott und Mensch wirklich gerecht geworden ist. Zu einer legalistischen Sicht des Gottesverhältnisses paßt es schlecht, wenn Anselm, wie Lindroth an anderer Stelle selbst hervorhebt, die Bewahrung der urständlichen Gerechtigkeit mcht als verdienstliche Leistung, sondern einfach als das naturgegebene Handeln ansieht; denn wenn keine Leistung vorliegt, kann auch nicht von Gegenleistung gesprochen werden, dann wird man aber auch die Bewahrung der Gerechtigkeit kaum mehr als bloßes Mittel zum Zweck ansehen können: ,,Im Zustand der Gerechtigkeit ist das Bewahren der 436 Eine umfassende Erörterung der dogmen- und theologiegeschichtlichen Fragen zur Deutung Anselms und der lutherischen Orthodoxie bei Aulén und Lindroth ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Nur an den für die ganze Konstruktion des lateinischen Versöhnungstyps entscheidenden Punkten soll die Richtigkeit der Deutung geprüft werden. Die Kritik muß sich dabei im wesentlichen an Sekundärliteratur halten, besonders an Maclntyre und R. Hermann für Anselm und an Sjöstrand für die Orthodoxie. (Uns liegt besonders an dem Nachweis, daß dogmatische Vorentscheidungen, etwa über das Verhältnis von Rechts- und Liebesordnung und den Wert des klassischen Dualismus, das Urteil über die Theologen des lateinischen Typs bestimmen.) 437 H. Lindroth, Försoningen, S. 78.
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Gerechtigkeit keine Verpflichtung , kein Sollen, keine Forderung, sondern ein Sein, Natur 438 ." Auch die Begründung der Verleihung der Gerechtigkeit macht eigentlich den bloßen Mittelcharakter der bewahrten Gerechtigkeit unmöglich: „Ad hoc itaque factam esse rationalem naturam certum est, ut summum bonum super omnia amaret et eligeret, non propter aliud, sed propter ipsumi39." Dementsprechend lehnt Maclntyre die utilitaristische Deutung entschieden ab und stellt die Bewährung der Gerechtigkeit mit dem „Genießen" Gottes sehr eng zusammen: „St. Anselms assertion that rational nature is created by God to love the summum bonum for itself, and on no other grounds, brings out the nonutilitarian character of the opening sentence of 1.1 (leg. II.1). The blessedness of enjoying God, which was his purpose in creating man, is not to be regarded as a pleasant consequence, which is to be anticipated if he discerns, loves and follows the right and the good, and above all the summum bonum, and which may operate as an additional incentive to virtue. In fact the blessedness is itself right discerning, loving and following the summum bonum 440 ." Freilich war nach Anselm offensichtlich dem urständlichen Leben in der Gerechtigkeit schließlich noch eine Vollendung in der Seligkeit bestimmt (also beides nicht direkt, wie es bei Maclntyre scheint, identifiziert)441, aber nicht im Sinne der meritorischen Bedingtheit des zweiten durch das erste, sondern der Vollendung und Überbietung des schon Gegebenen; man könnte an das Verhältnis von christlichem Glauben und eschatologischem Schauen als Analogie denken. Auch die Urstandslehre der Orthodoxie, in der ja die grundsätzliche Konzeption des Gottesverhältnisses zum Ausdruck kommt, kann man schwerlich als legalistisch und in diesem Sinne „rechtlich" bezeichnen (gegen Lindroth) 442 . Das Gesetz war im „Urzustand" dem Menschen nicht Ebd., S. 123. Cur Deus homo 11,1 ; es ist auffällig, daß Lindroth (S. 78) dasselbe Zitat bringt, aber die wichtigen Schlußworte: „non propter aliud, sed propter ipsum" ausläßt. Daß in der Anthropologie, einer stärkeren „religiösen" Verselbständigung des Menschen gegenüber Gott, in der rationaleren, juridischen Begrifflichkeit bedeutsame Abweichungen von der reformatorischen Theologie vorhanden sind, soll nicht geleugnet werden. Es scheint uns aber häufig so, als ob sich hinter einer unangemessenen Terminologie doch eine größere Nähe zum reformatorischen Denken verberge. Reine Willkür bzw. bloßer Abfall von der reformatorischen Christusverkündigung dürfte die bewußte Anknüpfung Melanchthons und der lutherischen Orthodoxie an Anselm wohl kaum gewesen sein. 440 J . Maclntrye, St. Anselm and his Critics, S. 63f. 441 Vgl. dazu etwa Cur Deus homo 11,3: „Quemadmodum igitur, si non peccasset homo, cum eodem quod gerebat corpore in incorruptibilitatem transmutandus erat.. .". 442 Vgl. H. Lindroth, a. a. O., S. 326: „Die Orthodoxie sieht in Übereinstimmung mit Anselm und der Scholastik überhaupt das Grundverhältnis zwischen Gott und Mensch zutiefst als ein rechtlich geartetes an." 438
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etwas Fremdes, auch keine die Unmittelbarkeit der Gottesgemeinschaft trübende Zwischeninstanz, seine Erfüllung nicht eine um anderer Zwecke willen vollbrachte Leistung, sondern umgekehrt trat gerade in der wesensmäßigen Gebundenheit des ursprünglichen Menschen an und in Gottes Gesetz seine Gottebenbildlichkeit am deutlichsten zutage, da ja Gott „sich selbst im Gesetz abgemalt hat 4 4 3 ." „Das Gesetz vor dem Fall ist Gottes Ebenbild. Das war die vollkommene Herrlichkeit, in welcher der Mensch wie in einem klaren Spiegel und Konterfei (ävmalning) seines Schöpfers Majestät darstellte ( ?) (ställde för ögonen), nämlich in der Vernunft einen vollkommenen Verstand und eine wahre Kenntnis von Gott und allen himmlischen, weltlichen und natürlichen Dingen, im Herzen und Willen und allen Kräften eine wirkliche Gerechtigkeit und Übereinstimmung der Neigung mit Gottes Willen und Gesetz wie auch eine glückliche Freiwilligkeit und Geneigtheit, alles zu vollbringen, was Gott wohlgefiel. . ," 4 4 4 So bringt das Gesetz als Schöpfungsordnung die qualitative Bestimmtheit des Gotteswillens zum Ausdruck ; ihn in der Gottesgemeinschaft sich stets neu zu eigen zu machen, bleibt des Menschen Freude und Bestimmung. Man wird schwerlich aus der Bezeichnung des urständlichen Seins als iustitia originalis — ein Begriff, der sein Recht mühelos aus der Heiligen Schrift beider Testamente und aus Luther herleiten könnte 4 4 5 — mit Aulén für die Orthodoxie schon die Rechtsqualität des ursprünglichen Gottesverhältnisses im legalistischen Sinne folgern dürfen: „Schon durch die Schöpfung wird das Verhältnis zwischen Gott und Welt als ein Rechtsverhältnis statuiert. Der Mensch ist von Anfang an mit iustitia originalis behaftet. Der Begriff selbst zeigt, daß primär von einem Rechtsverhältnis die Rede ist. . .. Das Normale ist das Rechtsverhältnis 4 4 6 ." Aber weder ist, vom Blickpunkt des Menschen betrachtet, ein Rechtsverhältnis — in dem früher gekennzeichneten Sinne der verdienstlichen Leistung (s. Anm. 29, S. lOf.) als Mittel zum Erwerb der Gottesgemeinschaft — für die Hauptvertreter des lateinischen Typs als „das Normale" anzusehen, noch ist ohne 443 Vgl. A. Sjöstrand, a. a. 0., S. 329 — vgl. auch den Kontext und in der Anmerkung ebd. das Material zu Joh. Gerhards Gesetzesverständnis. 444 A. Sjöstrand, a. a. O., S. 443. 445 Wenn Paulus an zahllosen Stellen das „Heilsgut" als iustitia bezeichnet, ist es naheliegend, den Begriff auch für den Urständ anzuwenden; vgl. auch Luthers Erklärung zum zweiten Artikel: „daß ich ihm diene in ewiger Gerechtigkeit. ..". 446 G. Aulén, Das christliche Gottesbild, S. 272; S. 271 werden zu Beginn des Abschnittes die Begriffe Legalismus und Rechtsordnung gleichsinnig gebraucht: „Wir haben im ersten Kapitel die Orthodoxie als antimoralistischen Legalismus bezeichnet. . . . Wir wollen im folgenden sehen, wie der Gedanke der Rechtsordnung den Ausgangspunkt für die ganze Christentumsdeutung und Weltanschauung der Orthodoxie bildet."
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weiteres auf Gottes Seite dieses Verhältnis „normalerweise" primär von der iustitia distributiva, in deren Schatten die misericordia sich nur schwach entfalten kann, geprägt. Wir hörten schon, daß die Rede von den beiden göttlichen Eigenschaften nur „uneigentlich" zu verstehen sei (s. Seite 109). Vor allem aber gilt es zu erkennen, daß nur die Sünde an dem „Auseinandertreten" der göttlichen Eigenschaften schuld ist. Das „Normale" ist die auch für den Blick des „normalen" Menschen ununterscheidbare Einheit von Gottes Gerechtigkeit und Liebe, wie für den „ursprünglichen" Menschen das Gesetz, die Proklamation der Gerechtigkeit Gottes, nichts anderes als der Ruf in die Liebesgemeinschaft mit Gott ist (Ich bin der Herr, dein Gott, d. h., die Gemeinschaft besteht; du sollst Gott, deinen Herrn lieben. . ., d.h., lebe in ihr), Ausdruck der Liebe Gottes, ja des brennenden Eifers seiner Liebe für den in seinen Geboten lebenden Menschen. „Weil der Mensch in seinem Urzustand noch ,heil' ist, ist auch Gott ,heil', .problemlos'. Weil der Mensch noch in seinem Wesen dem Gesetz gemäß fungiert, liegen Gottes Liebe und Gerechtigkeit noch ineinander 447 ." Erst nach dem Sündenfall treten für den Sünder zunächst Gottes im Gesetz offenbare und sich vollziehende Gerechtigkeit und seine wunderbarer Weise trotz der Menschen Untreue nicht aufhörende Liebe auseinander, (ehe er im mirabile temperamentum der satisfactio Christi von neuem die ihm, dem Sünder, geltende Einheit der göttlichen Treue zu sich selbst und zu ihm glauben darf448). Gott ist der strenge, vergeltende Richter nur für den gefallenen Menschen, der sich dem über ihn ergehenden Urteil des Gesetzes beugen muß. Anselm und die Orthodoxie haben dieser unausweichlichen Gerichtswirklichkeit für den Sünder in ihrer starken Betonung der iustitia distributiva Gottes Rechnung getragen, damit die Gefahr heraufbeschwörend, daß das Relations Verhältnis zu einer an sich Gott zukommenden eigenständigen göttlichen „Eigenschaft" wurde. Man wird aber zumindest für die Orthodoxie die Kautelen nicht übersehen dürfen und von dem Ausgangspunkt des angefochtenen Gewissens, das ganz unter das Gericht Gottes beschlossen ist, die der Perspektive des Menschen unter dem Gesetz entsprechenden Lehren von den göttlichen „Eigenschaften" und ihrer Spannung verstehen müssen449. 447 A. Sjöstrand, a. a. O., S. 451f. Für dies urständliche Gottesverhältnis sind die Nygrenschen Merkmale der Agape, ihre Unmotiviertheit, das Wagnis der „verlorenen" Liebe, noch nicht recht anwendbar; sie können sich erst am gefallenen Menschen erweisen. Insofern als die Tiefe und unbezwingbare Kraft der Agape erst am schuldigen Menschen ganz offenbar wird, kann man von der felix culpa sprechen. Auch bei Anselm stehen iustitia und misericordia nicht nur gegeneinander: vgl. „Misericordia tua nascitur ex tua iustitia; hoc itaque modum iustum est, ut. . . facias bonos de malis" (zitiert bei K. Barth, Kirchliche Dogmatil· II, 1, S. 426f.). 418 449
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Vgl. A. Sjöstrand, a. a. O., S. 462f. Siehe auch ebd., S. 350f.
2. Sünde als Gesetzesübertretung Aus den Darlegungen über die urständliche, „normale" Funktion des Gesetzes ergibt sich schon, daß wir in der Definition der Sünde als Übertretung des Gesetzes nicht unbedingt eine legalistisch-moralistische Verzerrung des Sünden Verständnisses sehen können450. Für Anselm und die Orthodoxie heißt Erfüllung des Gesetzes wirklich mehr als die Leistung bestimmter Werke, es kommt vielmehr entscheidend auf die rechte Weise der Erfüllung, das „Herz des Gesetzes" an, das nur der Glaubende hat, während der erbsündige Mensch ohne Christus in seiner sündigen Grundausrichtung nichts anderes als Gesetzesübertreter sein kann 451 . In der Behauptung der Unerfüllbarkeit dieser eigenartigen „Rechtsnorm", die vom Menschen etwas rechtlich niemals Erzwingbares fordert, die gerade die bloße Legalität als Heuchelei enthüllt, zeigt sich deutlich, daß trotz der häufigen Anwendung juristischer Termini die Etikette: „Rechtsgemeinechaft zwischen Gott und Mensch", den tieferen, hinter der scheinbar eindeutigen Terminologie verborgenen Motiven, denen die Motivforschung nachspüren will, nicht gerecht wird. Auch bei Anselm ist die Sünde - trotz Lindroth 452 — mehr als der bloße Mangel einer von Gott geforderten Leistung oder Qualität, wenn Anselm auch häufig ähnliche Formeln zur Bestimmung der Sünde verwendet, weil er sie zur Begründung der Satisfaktionslehre gebraucht. Aber es wird nun doch auch die ganz eigengeartete, inhaltliche Bestimmtheit dessen, was formal als „Nichterfüllung" einer Rechtsverpflichtung umschrieben wird, deutlich : Es ist ja nicht irgendein Gesetz, gegen das der Mensch verstoßen hat, sondern es ist seine schöpfungsmäßige Bestimmtheit, die ihm gegebene Pulchritudo, welche er in seiner spontanen Unterordnung unter den göttlichen Willen besaß, die er durch seinen Ungehorsam pervertiert. Nicht einer Leistung, die Gott für sich fordert, versagt sich der Mensch, sondern gegen Gottes gute, ihm heilsame Schöpfungsordnung lehnt er sich auf. „Quae (sc. rationalis natura) cum vult quod debet, deum honorât; non quia tili aliquid confert, sed quia sponte se eius voluntati et dispositinoni subdit, et in rerum universitate ordinem suum et eiusdem universitatis pulchritudinem, quantum in ipsa est, servat. Cum vero non vult quod debet, deum, quantum ad illam pertinet, inhonorat, quoniam non se 450
So G. Aulén, Den allmänneliga kristna tron, S. 288.
Siehe dazu A. Sjöstrand, a. a. O., S. 343ff. Im ersten, neunten und zehnten Gebot wird auch die rechte Form der Gesetzeserfüllung, d. h. im Grunde die urständliche Gottebenbildlichkeit, geboten. 451
452 Seine Darstellung des Anselmschen Sündenverständnisses versucht, dem Titel: „Sünde als Mangel an iustitia" entsprechend, den rein negativen Charakter des Anselmschen Sündenbegriffs nachzuweisen.
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sponte subdit illius dispositioni, et universitatis ordinem et pulchritudinem quantum in se est, perturbât. . ." 4 6 3 . Gewiß ist die schöpfungsmäßige Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch nach Anselm — ebenso wie nach Aulén! (vgl. Anm. 432) — eine Rechtsgemeinschaft, insofern der Mensch dem Willen Gottes, dem er sponte, seiner Natur gemäß, sich unterwirft, sich auch unterwerfen soll. Aber dieser Rechtscharabter der Gottesgemeinschaft tritt für den Menschen ja erst in der — von Aulén und Lindroth wohl eigentlich bekämpften — Form einer als Heilsbedingung unter Androhung von Strafe geforderten Pflicht der Gesetzeserfüllung in Erscheinung, wenn das Recht gebrochen ist. Im Urständ dagegen, im „normalen" Gottes Verhältnis, stehen weder Sein und Sollen, noch Rechts- und Liebesgemeinschaft in Konflikt miteinander. — Daß Gott in diesem „Rechtsverhältnis" nicht etwas, nicht eine sachliche Leistung, sondern den ganzen Menschen fordert, bringt Anselm unmißverständlich zum Ausdruck: „In oboedientia vero quid das Deo, quod non debes, cui iubenti totum quod es et quod habes et quod potes debes ?" 4 5 4 So liegt doch in der Negativität der Sünde, in dem „Verneinen der von Gott gewollten Gerechtigkeit", in der „absentia debitae iustitiae" 455 eine eminente Positivi tat, eine durchaus aktive Auflehnung gegen Gottes Willen, von der Anselm in dem von Lindroth bei der Darlegung des anselmschen Sündenverständnisses merkwürdigerweise überhaupt nicht herangezogenen programmatischen Kapitel 1,21 :,Quanti ponderis sit peccatum' auch deutlich spricht. ,Si videres te in conspectu dei, et aliquis tibi diceret : ,aspice illuc' ; et deus econtra : ,nullatenus volo ut aspicias' : quaere tu ipse in corde tuo quid sit in omnibus quae sint, pro quo contra voluntatem dei deberes ilium aspectum facere. . . . Sic graviter peccamus (sc. contra voluntatem Dei ilium aspectum facientes), quotienscumque scienter aliquid parvum contra voluntatem dei facimus, quoniam semper sumus in conspectu eius, et semper ipse praecipit nobis ne peccemus'4Ββ. Wir können daher Lindroths Kritik an dem einseitig negativen Sündenbegriff Anselms im Sinne eines bloßen Mangels nicht zustimmen: „Die Ungerechtigkeit oder Sünde wird daher nicht in positiver Weise bestimmt und nicht als Wollen eines positiven Bösen aufgefaßt, sondern wird negativ als Nichtwollen der Gerechtigkeit bestimmt 457 ." Wenn Gott gebietet, nach rechts zu blicken, und der Mensch schaut stattdessen nach links — um bei Anselms Beispiel zu 453 Cur Deus homo I, 15. Daß mit dem Begriff Rechtsverhältnis die Schöpfungsordnung zwischen Gott und Mensch nicht erschöpfend charakterisiert ist, wird auch in R. Hermanna Aufsatz, der die Satisfactio Christi von Anselms Schöpfungsdenken her interpretiert, deutlich. Vgl. ZsystTh I, bes. S. 377ff. Zur Auseinandersetzung s. H. Lindroth, a. a. 0 . , S. 73—83 u. ö. 454 Cur Deus homo I, 20. 455 Zu diesen Termini vgl. H. Lindroth, a. a. O., S. 113. 456 Cur Deus Homo 1,21. 457 H. Lindroth, a. a. 0 . , S. 113.
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bleiben —, dann tut er doch damit etwas „positiv Böses", ja etwas durch keine menschliche Tat wieder Gutzumachendes, weil die Auflehnung gegen Gottes Willen aus allen Kategorien innermenschlicher Verfehlungen und Satisfaktionen herausfällt; der Gedanke eines der Hauptvertreter des klassischen Typs, des Athanasius, die Sünde könnte, wenn sie nicht mit dem Tode verbunden wäre, durch die bloße Reue gesühnt werden, muß hier unter dem Eindruck der ungeheueren Schwere der Sünde als Auflehnung des Geschöpfes gegen den Schöpfer entschieden zurückgewiesen werden 458 . Das unerbittliche Festhalten an der unentrinnbaren Verantwortlichkeit des Menschen vor Gott, die unbedingte Gewißheit: ,Semper sumus in conspectu Dei' gibt Anselms Schrift die gerade durch die rationale Form zwingende Strenge und macht in einer heroischen Ausschließlichkeit das Recht Gottes auf den Menschen in seiner anerschaffenen Gerechtigkeit und die Schuldigkeit des Menschen, diesem Rechte Genüge zu tun, zum letztlich allein bewegenden Thema in der Geschichte des Menschen mit Gott; seit der Mensch dieses debitum iustitiae originalis nicht mehr sponte, von Natur aus, leistet, lastet auf ihm außer der natürlich unverändert geltenden Forderung dieses debitum iustitiae die weitere des debitum satisfaciendi, der unendlichen Schuldenlast genug zu tun, die er mit jeder, auch der geringfügigsten Auflehnung gegen die Majestät seines Schöpfers und seine Weltordnung auf sich lädt, wenn er nicht auf ewig im Angesicht des wider ihn gerichteten, strafenden Gottes leben will 459 . Die Tiefe und Ausweglosigkeit menschlicher Schuldverfallenheit, das durch allen menschlichen „guten Willen" nicht zu behebende crimen laesae maiestatis 460 , der Abwendung des Geschöpfes vom Schöpfer, das „theozentrische" Grundverhältnis scheint uns hier trotz der Kritik Auléns und Lindroths am Moralismus und der Negativität des Sündenund Schuldbegriffes in ganz anderer Schärfe erfaßt zu sein als im altkirchlich-klassischen Typ. Selbst bei Athanasius besteht die Schuld der Sünde wesentlich darin, daß in Adam die Menschheit durch die Übertretung von Gen. 2,17 das Todesverhängnis über sich heraufbeschworen hat, wird die Schuld also gar nicht mit der Unmittelbarkeit und Eindringlichkeit Anselms als aktuelle Verantwortlichkeit bewußt gemacht 461 . 458 Ygj Athanasius, De incamatione VII : „Wenn also nur Sünde und nicht auch Vernichtung als deren Folge dagewesen wäre, dann wäre es wohl mit der Reue gut gewesen" (zitiert bei 0 . Tiililä, a. a. 0 . , S. 149). Siehe auch Auléns nicht überzeugende Auseinandersetzung mit der Stelle in Den kristna försoningstanken, S. 81 f. Dagegen Cur Deus homo 1,21. Das berühmte Nondum considerasti etc. richtet sich gegen Bosos Vermutung, die Reue könne die Sünde tilgen. 459 Vgl. dazu H. Lindroth, a. a. 0 . , S. 115; J . Maclntyre, a. a. 0 . , S. 76f. 460 Aus der maiestas Gottes folgt wohl die Unendlichkeit der Schuld gegen ihn, germanischem Rechtsdenken entsprechend, vgl. J . Maclntyre, a. a. 0 . , S. 78 (Teil 3, 1,1, 2). 461 Vgl. dazu De incarnatione verbi: bes. 1—6; s. auch 0 . Tiililä, a. a. O., S. 151. 127
Wieviel fremder noch den meisten anderen griechischen Vätern dies Bewußtsein war, mag die Begründung zeigen, mit der Gregor von Nazianz es ablehnt, das Lösegeld in Matth. 20,28 als Gabe an Gott zu verstehen: „Würde es aber dem Vater bezahlt, so frage ich : wie ? Denn der Vater hält uns ja nicht in seiner Gewalt 462 ." Anselm würde nur antworten können: Semper sumus in conspectu Dei. — Die Frage, ob Anselm nun nicht doch durch eine quantitative und versachlichende Betrachtungsweise den Sündenbegriff verflacht habe, wird uns bei der Erörterung des Satisfaktionsbegriffes noch beschäftigen müssen. Hier sei nur im Bück auf die ja auch in 1,21 zur Erläuterung des Pondus Peccati herangezogenen quantitativen Begriffe mit Baur die Grenzstellung des Unendlichkeitsbegriffes hervorgehoben: ,,. . . Die quantitative Bestimmung wird von selbst zu einer qualitativen, wenn die Schuld der Sünde an sich als eine unendliche bestimmt ist 4 6 3 ." Auch dem tyrannisierenden Walten der Sünde als Verderbensmacht, das den Menschen unter dem Zwange des non posse non peccare festhält, trägt Anselm auf seine Weise Rechnung, wenn er die Menschen mit dem in die Grube gefallenen und daher zur Ausführung der Befehle seines Herren unfähigen Knecht vergleicht. Freilich wird auch hier neben der Unentrinnbarkeit der Sünde vor allem die Schuld der Unentrinnbarkeit betont, die Schuld, daß sich der Mensch freiwillig dem Satan auslieferte und ihn über sich herrschen ließ 464 . So läßt sich allerdings deutlich feststellen, wie die „Verderbensmächte" mehr vor- und beiläufig als gottfeindliche, den Menschen knechtende Mächte betrachtet werden, weil ihre Existenz angesichts der Allmacht Gottes nicht ernsthaft bedrohlich sein kann, so492 H.Mandel, a. a. 0 . , S. 219; Gregor von Nazians: Orationes 45; Kap. 22: „et δέ τφ πατρί, πρώτον μεν πώς; ουκ ύπ εκείνον γάρ έγκρατονμεόα." 463 F. Chr. Baur, Die christliche Lehre von der Versöhnung, S. 168f. 464 Cur Deus homo 1 , 2 4 . - 1 , 7 , 2 2 und 23 wird davon gesprochen, daß der Mensch unter der Herrschaft des Teufels stehe, freilich ohne daß dadurch der ganz auf die Frage nach der Möglichkeit des Schulderlasses konzentrierte Gedankengang wesentlich beeinflußt würde. Im ganzen wird die Sünde — dem betont voluntaristischen Denken Anselms entsprechend — primär als menschlicher Willensakt und nicht so sehr als Versklavung unter feindliche Mächte ausgelegt (beide Gesichtspunkte brauchen sich aber keineswegs auszuschlijßen). — Obwohl u. E. in dem bei Anm. 456 zitierten Abschnitt (1,21) und a. a. 0 . manche Züge, die Lindroth in Anselms Sündenbegriff vermißt, wenigstens anklingen, ist zuzugeben, daß die formal-negative Bestimmung der Sünde um der durch sie gegebenen Anknüpfungsmöglichkeiten für den Satisfaktionsgedanken willen vorherrscht; allerdings wollte Anselm in diesem Zusammenhang wohl auch keine erschöpfende Lehre von der Sünde geben. Siehe noch Lindroth, a. a. O., S. 116: „Hätte Anselm statt dieser negativen Bestimmung die Sünde in positiver Weise als dämonischen Aufruhr gegen Gott, satanische Selbstüberhebung gegen Gott, Egozentrizität statt Theozentrizität, Ichsucht statt Hingabe an und Gehorsam gegen Gott bestimmt, so wäre der Ernst der Sünde in noch prägnanterer Weise in Erscheinung getreten."
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lange sie nur als Gottes Widersacher sich am Menschen vergreifen. Es entspricht dem Leitgedanken des „begrenzten Dualismus" : „Was hätten alle Verderbensmächte zu bedeuten, wenn sie nicht der Ausdruck des göttlichen Gerichtes über die Menschheit wären ?" (vgl. Anm. 249, S. 67), wenn Anselm schon in den Einleitungskapiteln von den Ungläubigen die rein •dualistische Perspektive als unzureichende Voraussetzung zum Verständnis des Versöhnungsgeschehens erweisen läßt 4 6 5 und auch die lutherische Orthodoxie die an ihrem Ort — etwa für die christliche Ethik — durchaus angewandte, eindeutige Entgegensetzung von Gott und Teufel für die Versöhnungslehre zu der „Dialektik" von Gericht und Gnade umgestaltet 466 . Allerdings haben Anselm und wohl auch die Orthodoxie nicht so eindringlich wie Luther den konkreten Vollzug dieses Gerichtes durch die Verderbensmächte geschildert, die nun mit dem Rechtstitel des göttlichen Gesetzes und dem Anspruch, letztgültige, unentrinnbare Wirklichkeit (des gegenwärtigen Gottes) zu sein, eine wahrhaft bedrohliche, weil den Sünder im Gewissen anfechtende Macht über ihn ausüben. 3. G o t t e s Z o r n a l s G e g e n w a r t s g e r i c h t o d e r a l s z u k ü n f t i g e V e r geltungsstrafe ?
So wirkt Gottes Gesetz, indem es Tod, Teufel und alle Kreaturen in ¡seinen Dienst stellt, Gottes Zorn, die der Sünde korrespondierende Gotteswirklichkeit, über deren Verhältnis zu „Gottes Wesen" wir nicht mehr zu sprechen brauchen. Es geht uns hier nur noch um die „Erscheinungsform" -dieses Zornes nach klassischem und lateinischem Verständnis. Besonders nachdrücklich wurde von Mandel 467 , aber ähnlich, wenn auch weniger betont, auch bei Hofmann (s. S. 57), Aulén 468 und Lindroth 469 die realistische Auffassung vom Zorn Gottes als vorwiegend präsentisch-immanenter Wirklichkeit im klassischen Typ gegen die transzendent-futurische im lateinischen geltend gemacht, d. h. für den klassischen Typ: „Die Welt ist bereits gerichtet; hier ist nicht die Frage, wie du in den Brunnen fallest, Cur Deus homo 1,6 und 7. Vgl. Α. Sjöstrand, a. a. 0 . , S. 318ff.; für den aus der Schuldverhaftung befreiten Christen ist jetzt der Kampf gegen das Böse ein eindeutiges, erfüllbares Gebot, •da das Böse den Rechtsanspruch auf den Menschen verloren hat und der Mensch daher zu aussichtsreichem Kampf ermächtigt ist. 467 H. Mandel, a. a. O., S. 25ff. 468 Vgl. Anm. 250, S. 67. 469 VgL Lindroths Kritik an Anselm (a. a. O., S. 109f.): „Das Bedenkliche im Blick auf Anselms Darlegung des Strafinhalts dürfte. . . teils darin liegen, daß die Strafe keinen positiven Inhalt bekommt, teils darin, daß sie als etwas bloß Futurisches gedacht wird, als Entzug der künftigen Seligkeit." — Siehe auch das Folgende zur Kritik der Orthodoxie (S. 309) : „Nach Quenstedt und der orthodoxen Anschauung im allgemeinen ist Gottes Zorn in erster Linie etwas Zukünftiges im jüngsten Gericht." — Zur Antikritik s. A. Sjöstrand, a. a. O., S. 65—68. 465
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sondern wie du aus dem Brunnen herauskommst 1 7 0 ." D. h. aber vor allem r Gottes Zorngericht ist nicht eine besondere Straf- oder gar Racheaktion gegen einen Teil der Menschen, sondern es ist die natürlich-organische Auswirkung der Ablehnung des göttlichen Liebeswillens. Der Mensch, der nicht aus Gott leben will, fällt dem Tode, den „natürlichen Sündenfolgen" nach dem ihn dann treffenden Gesetz der vergeltenden Gerechtigkeit (das man auch oder vielleicht besser Kausalgesetz nennen könnte) anheim 471 . In dem faktischen, innerweltlichen Geschehen, an dem der Mensch täglich teil hat und dessen Nöte und Sorgen er erfährt, in dem der Egoismus und die Vergänglichkeit des Menschen zutage treten, wirkt sich Gottes Zorn und Strafe aus. Diesem Geschehen bleibt Gott in gewisser Weise immanent, der Widerspruch des Menschen zu dem heiligen Gotteswillen wird ihm im Verfehlen seiner Existenz bzw. im bösen Gewissen mehr oder weniger bewußt 4 7 2 . Besonders nach Mandel47®, doch auch nach den Lutherinterpretationen Auléns und Lindroths 4 7 4 erklingt in und hinter allen Erscheinungsformen des Zornes unüberhörbar die Stimme des richtenden Gottes. Zumindest für Luther kann der Begriff des „immanenten" Zorngerichts nicht im Sinne eines ohne Gottes unmittelbare Beteiligung sich vollziehenden Naturprozesses interpretiert werden : Ob Gott zürnt, indem er Seuchen oder Krankheit schickt, indem er den Reichen zu Boden schlägt oder ihn gerade zum vermessenen Stolz auf seinen Reichtum treibt, indem er überhaupt gerade den Sünder in seiner Sünde beläßt und sie sich erst recht „auswachsen" läßt, — er ist doch selbst in seinem fremden Werk, das er durch seine Kreaturen ausführt, gegenwärtig und wird in der Anfechtung als der der Sünde Widerstehende erfahren 475 , er widersteht aber 470 EA 4,129 (in WA nicht aufgenommen. Rörersche Bearbeitung der Hauspostillen). 471 Siehe bes. H. Mandel, a. a. O., S. 25f.: „Wenn die Sünde die Selbstbestimmung gemäß der eigenen Lust und Selbstliebe ist, die Gott den Herrn ausschließt, so zieht sie mit Naturnotwendigkeit ihre Straffolgen nach sich. . ." — Vgl. aber auch G. Aulén, Den allmänneligakristna tron, S. 192: „Auch der Vergeltungsgedanke hat seine relative Berechtigung, insoweit er der strafenden Gerechtigkeit elementaren Ausdruck gibt, der Grundregel, daß das Böse sein Urteil und seine Strafe bekommen muß in Übereinstimmung mit der Lebensordnung, welche gebietet, daß Böses mit innerer Notwendigkeit Böses nach sich zieht." Siehe auch Anm. 394 und 395, S. 102. 472 Vgl. dazu besonders H. Mandel, Die empirischen Erscheinungsformen des Gerichtes, S. 36—68, auch L. Pinomaa, a. a. O., S. 80—114. 473 Vgl. dazu unsere Darstellung Mandéis Seite 64ff. 474 Vgl. G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 193 bei Anm. 72 und 73, S. 24 — H. Lindroth, a. a. O., S. 195f. gibt folgende dialektische Bestimmung: „So ist der Zorn etwas, was Gott zugehört, ja Ausdruck für Gottes intensivste persönliche Reaktion gegen die Sünde. Und doch ist der Zorn gleichzeitig etwas für Gott Fremdes, eine Verderbensmacht, die, wenn sie sich ungehemmt geltend machen dürfte, alle Gottesgemeinschaft zunichte machen würde." 475 Siehe dazu außer den schon angeführten Abschnitten aus Mandel und Pinomaa noch Pinomaa, a.a. O., Der Zorn Gottes als Erfahrung, S. 163—182 ; auch W. Eiert, Mor-
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nicht weniger, wenn das Gewissen schweigt und in äußerer Ruhe und Gesichertheit die totale aversio Gottes vom Menschen sich ereignet : Tunc magis irascitur deus, quando nihil irascitur 476 . So sehr Aulén bei Luther anerkennt, daß er gegenüber der lateinischen Haltung, die in der Bevorzugung der rechtlichen Terminologie ein kühleres, unpersönlicheres Verständnis des göttlichen Gerichtes verrät, im Zorn „den expressiven Ausdruck für die unmittelbare, direkte Reaktion des Gotteswillens gegen den sündigen Menschen" 477 gefunden habe, so wenig kommt bei Aulén in seiner Darstellung des „Gerichts der Strenge" diese unmittelbare Beteiligung Gottes zur Geltung, vielmehr wird man tatsächlich stark an einen unabhängig vom persönlichen Gotteswillen verlaufenden Prozeß erinnert 4 7 8 ; jedenfalls ist von dem „Gewissensgericht", das gerade diese unmittelbare Reaktion des Gotteswillens gegen den sündigen Menschen spürbar macht, nicht die Rede 479 . — Gerade an dem Gewissensgericht aber, in dem die situationsbedingte Gestalt gegenüber der durch sie vermittelten Begegnung mit dem richtenden Gott ganz zurücktritt, wird deutlich, wie alle Erfahrungen des Zorngerichtes Gottes in der Zeit Antezipation des Endgerichtes sind: „Das Endgericht ist schon in der Gegenwart wirksam, •die Wirkungen des Zorngerichtes, obwohl sie einerseits vom Urfall hervorgerufen sind, sind andererseits Vorboten des jüngsten Gerichts 4 8 0 ." Daß Gottes Gericht schon im Gange ist, schließt also für Luther keineswegs die lebendige Erwartung des zukünftigen Gerichtes aus, das dem gegenwärtigen seinen Ernst und sein Gewicht gibt, insofern in ihm schon der ewige Gott, an dem sich des Menschen ewiges Schicksal entscheidet, ihm begegnet. Die Frage an den lateinischen Typ kann also nur lauten, ob er diese Prolepse des Endgerichtes in der Gegenwart nicht kenne. Die Unterscheiphologie des Luthertums I, S. 33—35; hier wird das Zornesverhältnis als Feindschaft charakterisiert und der Zorn Gottes als Erfahrung der unabänderlichen Einheit von Schuld und Schicksal dargestellt (vgl. auch Th. Harnack, a. a. O., I, S. 221—274). — Zu dem Problem der Unmittelbarkeit des göttlichen Zornes vgl. bes. L. Pinomaa, a. a. O., S. 89ff. : Dadurch daß Gott sein Handeln an den Ungläubigen meist — aber nicht immer: s. Pharao — hinter dem Wirken seiner Kreaturen verbirgt, kann der Ungläubige überhaupt den Zorn Gottes noch ertragen. — Die letzte „wesentliche" Einheit des Gottes der Barmherzigkeit und des Zornes wird auch hier betont. 476 WA 3,330 „. . . et dimittit in desyderiis suis ire impios, crescere et proficere, et non destruit nos." 477 Den kristna försoningstanken, S. 193. 178 Den allmänneliga kristna tron, S. 192 f. (s. auch Anm. 471). 479 Auch der Abschnitt über „Sünden- und Schuldbewußtsein" (a. a. O., S. 308f.) spricht nicht von dem durch Gottes Zorn angefochtenen, sondern von dem durch Gottes Liebe erleuchteten Gewissen. Vom usus elenchticus legis ist so gut wie gar nicht (a. a. O., S. 398 und S. 255) die Rede; zu S. 255 siehe die bei Anm. 421 und 428 auf Seite 112 und 118 vorgebrachte Kritik. 480 L. Pinomaa, a. a. Q., S. 123; s. auch den ausführlichen Abschnitt über das „Jüngste Gericht" S. 118—152.
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dung von immanentem und transzendent-verhängten Gericht bei Mandel scheint uns dagegen letztlich unzutreffend, da sich jedes Gerichtsgeschehen auch irgendwie immanent nach mechanischen, soziologischen, biologischen, psychologischen oder anderen Naturgesetzlichkeiten erklären lassen wird, andererseits aber dieses selbe Geschehen in der Gottesbeziehung als göttliches Gerichtsurteil und insofern „transzendent-verh ä n g t " verstanden werden kann 4 8 1 . Sinnvoll ist dagegen die Unterscheidung von „ s t u m m e m " und „redend e m " Zornesgericht, die etwa der Unterscheidung in der verurteilenden Wirkung des Gesetzes entspricht: Entweder wird es als unerfüllbar vom Sünder erkannt und treibt ihn in die Anfechtung ; oder er versucht durch die ihm mögliche Erfüllung des Gesetzes sich vor Gott zu behaupten; so kann Gottes Zorngericht, indem es überhaupt nicht als Schickung Gottes oder jedenfalls nicht als „verdientes" Gericht angenommen wird, den Menschen weiter in seiner Gesetzesgerechtigkeit oder bloßen „Ungerechtigkeit" verhärten oder verstocken, oder es kann als solches mehr oder weniger — in seiner Radikalität erst vom Christen — erfahren werden u n d den Menschen in die Enge, ja in die Verzweiflung vor Gott treiben 4 8 2 . Wie steht es mit diesen vielgestaltigen Vorboten des Jüngsten Gerichts im lateinischen Typ ? Bei Anselm ist, wie Lindroth (vgl. Anm. 469) hervorhebt, kaum von ihnen die Rede ; in der Gegenwart scheint die Strafe durch Gottes Geduld 4 8 3 noch in suspenso gehalten zu werden, wenn auch Anselm in dem Umgetriebenwerden durch die unbeantwortete Frage: „Quid sum miser tunc dicturus, quando iudex sit v e n t u r a s ? " , Strafe genug gesehen haben mag; aber darauf wird allerdings in Cur Deus homo kaum reflektiert, wenn auch die ungeheure Schwere der Schuldverhaftung eindrücklich herausgestellt wird. Nach 1,15 scheint freilich der Übertreter des göttlichen Willens unmittelbar in die Arme des strafenden Gottes zu laufen, der alsbald für die „Wiederberichtigung" in der gestörten Schöpfungsordnung durch die Bestrafung oder Satisfaktion des Sünders sorgt: „ I t a quam vis homo vel malus angelus divinae voluntati et ordinationi subiacere nolit, non tarnen eam fugere valet, quia si vult fugere de sub volúntate iubente, currit sub voluntatem punientem ; . . . et hoc ipsum quod perverse vult aut agit, in universitatis praefatae ordinem et pulchritudinem summa sapientia convertit. Ipsa namque perversitatis spontanea satisfactio vel a non satisfaciente poenae exactio. . . in eadem universitate suum tenent locum et ordinis pulchritudinem." 481
Da diese Terminologie Mandéis wohl in pantheisierenden Zügen seines „Gottesbegriffes" wurzelte, ist sie von Aulén und Lindroth auch nicht direkt aufgenommen. 482 Siehe dazu E. Hirsch, Das Gericht Gottes, ZsystTh 1, S. 197—226; P. Althaus, Das Kreuz Christi (Theologische Aufsätze I) S. 12—17. · 483 Vgl. dazu Rom. 3,25; 9,22.
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Aber die Strafe ist doch wohl nichts anderes als der Entzug der Seligkeit 484 , die allerdings den Menschen nicht eines zufälligen donum superadditum, sondern seiner Bestimmung beraubt und damit doch auch seine Gegenwart entleert. Die Gegenwärtigkeit des göttlichen Zorngerichtes wird deutlicher als bei Anselm in der Orthodoxie herausgearbeitet, wie Sjöstrand gegen Lindroth (vgl. Anm. 469) dargetan hat. Die Sünde hat den Reatus culpae et poenae zur Folge, d. h. : Beatus culpae est obligatio, qua homo, propter actum legi morali difformem, sub peccato et macula quasi constrictus tenetur, ut ab ilio actu peccator detestabilis censeatur et denominetur. — Reatus poenae est obligatio, qua peccator a Deo, iudice irato, obstrictus tenetur, ad sustinendam vindictam culpae, non remissae 485 . Ganz allgemein kann Reatus als „Strafverhaftung" bestimmt werden486, die schon in der Gegenwart, besonders in der Sünde als Strafe der „Erbsünde" — hier wird dieselbe Erscheinung teils als kausal-immanente Folge, teils als transzendent-verhängte Strafe gewertet487 — zum Strafvollzug führt. Dabei können die Grenzen zwischen gegenwärtigem und zukünftigem Gericht, die angesichts der hier eingeführten Kategorie der Ewigkeit überhaupt fragwürdig werden, verschwimmen: ,,. . .Der Mensch hat sich die ,Larve' Satans angezogen", d. h., „daß er nicht allein in scheußliche Sünden und Unreinheiten gefallen und mit Finsternis und Blindheit in der Vernunft geschlagen ist, mit Bosheit und Feindschaft gegen Gott im Herzen und Unwilligkeit zu allem Guten in allen seinen Gliedern, sondern auch dazu, daß er unter des Teufels Tyrannei gekommen ist, in geistliche -und leibliche Verderbnis, Gewalt des Todes, Pein der Hölle und ewige Verdammnis, die dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist 4 8 8 ." Wenn so die Ewigkeit in die Weltzeit hereinbricht, wird auch die Behauptung der Übernahme der Höllenstrafe durch Christus nicht schon um der Verschiedenheit der Zeitdimensionen willen absurd. — Im ganzen können wir einer gewissen Verschiebung der Akzente vom gegenwärtigen auf den zukünftigen Zorn im lateinischen Typ gegenüber dem klassischen keine entscheidende Bedeutung zumessen (so besonders Mandel), da auch für Luther das gegenwärtige Zorngericht Vorbote des Jüngsten Gerichtes ist und andererseits die lutherische Orthodoxie diese 484 Anselm, Cur Deus homo 1,14. — Siehe auch R. Hermann, a. a. O., S. 379: Jede Störung der Ordnung tritt, da Gottes Wirksamkeit nie unterbrochen ist, „ohne weiteres" in das Stadium der Wiederberichtigung ein, ob diese nun vom Menschen selbst als spontane Genugtuung oder von Gott als Strafvollzug durchgeführt wird. 485 D. Hollazius, Examen theologicum acroamaticum: P . I I , Cap.II, Qu. 18 und 19. 486 Siehe A. Sjöstrand, a. a. O., S. 332: Laurentius Paulinus Gothus, De pecc. th. 123: „Reatus est peccati effectua, quo praovicatores ad certas poenae obligantur." 487 Vgl. A. Sjöstrand, a. a. 0 . , S. 333. 488 Ebd., S. 333f.
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Vorboten durchaus ernst nimmt und Anselm sie nicht ausschließt489. Auch die stärkere Unmittelbarkeit, in der Luther die Erfahrung des göttlichen Zorns gegenüber den kühleren Bestimmungen bei Anselm und im Luthertum zum Ausdruck bringt, kann kaum als typentrennend bewertet werden. d)
Zusammenfassung
Als Ergebnis unserer Untersuchung stellt sich also auch hier wie bei dem Gesetzes- und Sünden Verständnis heraus, daß die Differenzen zwischen dem lateinischen Typ und dem lutherischen Zweig des klassischen Typs nicht so schwerwiegend sind, wie es nach dem Schema Mandéis und Auléns zunächst scheint. Andererseits zeigte sich bei der Prüfung der Grundvoraussetzung der klassischen Versöhnungslehre, des dualistischen Hintergrundes, im Vergleich mit der lateinischen, daß die typologische Einheit des klassischen Typs recht problematisch ist 490 . Der griechisch-altkirchliche Zweig, der u. E. im großen und ganzen auch die Behandlung der dualistischen Perspektive in der Aulénschen Dogmatik bestimmt, wird von der rein dualistischen Grundstimmung beherrscht: Gott und Teufel als Widersacher, der Mensch seit der Verführung durch den Teufel Sklave der Verderbensmächte, Gott der mächtige und schließlich übermächtige Befreier der Menschen aus den Ketten Satans. Der ohnmächtige, seiner Vergänglichkeit und Schwäche preisgegebene Mensch ist fern, durch Welten getrennt von der unerschöpflichen Lebens- und Lichtfülle, der sieghaften Kraft und Klarheit göttlichen Seins ; ihm gegenüber ist des Menschen Leben im Bannkreis der Verderbensmächte leer, öde und nichtig, von Leiden und Qualen gezeichnet, den Signaturen der armseligen Macht des letztlich Ohnmächtigen, der nur aus der Negation leben kann und dessen Gewalt an der Souveränität Gottes zunichte werden muß, die, ubi et quando visum est deo, des Teufels Macht zerbricht und die in Ketten Gebundenen befreit. „Tastend und schwankend" 491 wird freilich auch im klassisch-altkirchlichen Typ davon gesprochen, daß der Teufel oder Tod ein gewisses, nach einigen Theologen sogar göttlich legitimiertes Recht auf den Menschen habe ; und auch Aulén sieht dort, wo Gott nicht gegenwärtig ist, sein Gericht sich vollziehen. Dieser richtende Gott ist aber im menschlichen Verderben selbst nicht wirksam, nicht er ist es, an dem der Sünder zuschanden wird; nicht er ist die furchtbarste Verderbensmacht, die all die anderen als ihre „Ruten und Waffen" gebraucht; der Gerichtsgedanke bleibt für den 489 Siehe auch A. Sjöstrand, (a. a. O., S. 68), der bestreitet, daß hier eine echte Alternative aufgestellt sei. leo verzichten für die Zusammenfassung in der Regel auf den Nachweis der Belege und verweisen dafür auf die vorhergehende ausführliche Darstellung. 491 Den kristna försonigstanken, S. 99, vgl. auch Seite 28.
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klassisch-altkirchlichen Dualismus und für Aulén zuletzt nur sekundäre Hilfs vor Stellung, die die rein dualistische Konzeption allmählich abschwächt, aber die Grundstimmung nicht wesentlich beeinflußt. Insofern hat Mandel recht: „Gericht Gottes war den altkirchlichen Theologen kein naheliegender Gedanke 4 9 2 ." „Semper sumus in conspectu Dei" könnte demgegenüber als Motto des begrenzten Dualismus gelten. Immer haben wir es letztlich mit Gott zu tun, sei es im Glauben mit dem Gott der Gnade, sei es im Unglauben mit dem Gott des Zorns; denn „wie du glaubst, so hast du" 4 9 3 . Gottes Treue und Wahrhaftigkeit, seine heilige und gute Ordnung, sein Eifer gegen das Böse und alle seine Kreaturen sind uns zum Gericht, zum Verderben geworden ; der Mensch, der nicht mehr aus Gottes Güte sein Sein empfangen, ihm Rede und Antwort stehen will, der nicht mehr Geschöpf sein will, sondern sich selbst zum Schöpfer macht, kann doch der Macht Gottes nicht entkommen. Aus den Armen des Vaters ist er entlaufen und fällt in die Hände des Richters. Von dieser, dem griechisch-christlichen Denken wohl fremden „Personalisierung" und ,, Relati vierung" des Gottesbildes her gesehen bedeutet die „Zufügung" der Verderbensmächte Zorn und Gesetz zu der „altklassischen" Trias bei Luther doch mehr als eine gewisse Vertiefung dieses Typs; es handelt sich trotz zahlreicher gleichbleibender Vorstellungsformen um eine völlige Umstruktierung des altklassischen Typs, bei der sich die Rangordnung der Verderbensmächte dem kurzen programmatischen Satz Luthers entsprechend: „Viel großer ist schuld denn peynn, sund denn tod" 4 9 4 , verschiebt. ,In conspectu Dei' behaftet das Gesetz den Sünder bei 492
H. Mandel, a. a. 0 . , S. 219. Siehe dazu ähnlich Luther WA 37,452. 494 W A 1 0 ι 1 , 7 1 8 . Siehe dazu auch WA 40 II,3f„ wo die libertas ab ira dei der Freiheit von den anderen Mächten weit vorgeordnet wird (Nachschrift zu Gal. 5,1): „Est libertas a lege, peccatis, morte, a potentia diaboli, ira dei, extremo iudicio. Ubi ? in conscientia, Ut sic iustus sim, quod Christus sit liberator et reddat liberos, non carnaliter, non politice, diabolice, sed theologice, i. e. tantum in conscientia. Et hec est incomprehensibilis, ut ceterae libertates sint stilla, guttula ad maiestatem theologicae libertatis: Esse liberum ab ira dei inaeternum. Sequitur etiam alia libertas, ergo etiam libertas a peccato. Sic mortem victam. . . Sic lex. . ". (die Stellung des Gesetzes ist eigenartig). Gewiß ist damit verbotenus nicht dasselbe wie im Druck gesagt, da terminologisch Zorn Gottes und die übrigen Verderbensmächte in der Nachschrift nicht wie dort unterschieden werden: „Ea (sc. libertas) est, qua Christus nos liberavit, non e Servitute aliqua humana aut vi Tyrannorum sed ira aeterna." Aber es entsteht ein völlig schiefes Bild, wenn bei Aulén (Den kristna försoningstanken, S. 202f.), (Aulén zitiert nach R. Bring, Dualismen hos Luther, S. 181f.) als handschriftliche Grundlagen für diesen Satz nur der erste Satz des obigen Nachschriftzitates (Est. . . iudicio) gebracht wird. Wenn man den in Nachschrift und Druck ziemlich gleichsinnigen Kontext mit ins Auge faßt, erscheint die im Druck vorgenommene Differenzierung nicht so gänzlich willkürlich und vom lutherischen Text her unmotiviert wie beim Vergleich der herausgelösten Sätze. Es wird dann auch deutlich, daß das non im Druck nicht ganz wörtlich genommen werden darf, da ja auch nach 193
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8051 Alpere, Versöhnung
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seiner Schuld, ohne ihm einen Ausweg zu zeigen, und zwingt ihn, in das Angesicht des zornigen Gottes zu blicken. — Es sind die bekannten mythisch-dramatischen Bilder, die die Verderbensmächte Gesetz oder Zorn als Person darstellen, es erscheinen auch vielfach die traditionellen Zusammenstellungen der Mächte, die als Organe Gottes diesen Zorn über die Menschen ausrichten, aber ihr nun ganz in das Gewissen verlegtes 496 , verpersön lichtes Schreckensregiment üben sie doch zutiefst darin aus, daß sie die unentrinnbare Sündenschuld und demgemäß den verdammenden Zorn Gottes „aufblasen". Der Gott des Unglaubens steht mit der Heerschar der Verderbensmächte gegen den Gott des Glaubens, die Dramatik und Anschauungsfülle der rein dualistischen Vorstellungen ist in den „begrenzten" Dualismus hineingeholt und veranschaulicht nun die Bewegtheit des Verhältnisses des Menschen zu Gott. Es ist des Menschen Schicksal, seine Würde und sein Verhängnis, Gottes Geschöpf zu sein, in Zeit und Ewigkeit unter seinen Augen zu leben, ihm Verantwortung für sein Sein und Handeln schuldig, seinem Urteil verfallen zu sein und von diesem Urteil, von seiner Schuld — bewußt oder unbewußt — umgetrieben, sich seiner Bestimmung — fecisti nos ad te — niemals entledigen zu können. Das ist keine ihm inhärierende, aufweisbare Qualität des Menschen, kein vom Bösen unberührter Wesenskern, sondern seine mit dem Menschsein gesetzte Gottbezogenheit 496 . So schwere Gefahren die konsequent verwendete juridisch-rationale Terminologie, ini deren Gewand der lateinische Versöhnungstyp den „begrenzten Dualismus" kleidet, heraufbeschwört, da diese Begrifflichkeit zur Legalisierung der Gottesbeziehung und Moralisierung des Schuldverständnisses verführen kann, so bedenklich auch die Erstarrung der zwiefachen Relation Gott-Mensch zu einer Art von „göttlichen Eigenschaften" ist, so haben wir doch an einigen Beispielen zu zeigen versucht, daß hinter dem Druck der Freiheit vom Zorn Gottes die Freiheit von den Tyrannen folgt. Der Druck huldigt im ersten Satz der bis in unsere Tage in der Theologie verbreiteten Manier, um der Hervorhebung des Primären willen das Sekundäre völlig auszuschließen bzw. unechte Alternativen aufzustellen. Aber ein Unterordnungs- oder Folgeverhältnis und damit der Ansatz zu einer Unterscheidung von Versöhnung und Erlösung findet sich auch bei Luther selbst (Nachschrift). Als einziges „charakteristisches" Beispiel Auléns für die „latinisierende" Sinnverschiebung im Druck gegenüber der Handschrift des Großen Galaterkommentars kann ich daher die angeführte Stelle nicht so überzeugend finden, wie es zunächst scheint. Vgl. Anm. 494: tantum in conscientia. Vgl. dazu FC SD I, 26—45; s. auch W . Eiert, Morphologie des Luthertums I, S. 38: „Kahler erkannte von seinen biblischen Voraussetzungen aus, daß der Begriff des Zornes nachdrücklich die Persönlichkeit Gottes bei seiner Reaktion auf die Sünde betone. Seine Auswirkung betone ferner, daß auch der aus der Gemeinschaft mit Gott Ausgeschlossene in seiner Schätzung niemals auf den Wert einer Sache herabsinke" (M. Kähler, Wissenschaft der christlichen Lehre, 1905 3 , §§ 327, 333). 495 406
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der legalistischen Schale die „klassisch-lutherischen" Intentionen erkennbar sind — freilich in einer weniger angemessenen Gestalt, z. T. formelhaft verfestigt und verengt; z . T . (bei Anselm) von wirklich typisch „katholischen" Tendenzen durchkreuzt und gefährdet. Wir bejahen damit noch stärker als Aulén die Gemeinsamkeit der Ausgangslage im klassischlutherischen und lateinischen Typ 4 9 7 , während u. E. der altkirchlich-klassische Typ wesentlich anders, im echten Sinne dualistisch, orientiert ist. III. Das Versöhnungsgeschehen als Satisfactio Christi im lateinischen Typ a) Die Satisfactio Christi als Gnadenhandeln Gottes zur des Menschen
Wiederherstellung
Aber nun tritt nach Aulén gerade auf dem Hintergrund einer relativen Gemeinsamkeit in der Ausgangslage zwischen lateinischem und klassischem Typ lutherischer Ausprägung der Gegensatz der Typen bei der Darstellung der Versöhnung selbst um so deutlicher in Erscheinung 498 . Vor allem ist· (nach Aulén) der von Anselm ins Zentrum der Deutung des Versöhnungsgeschehens gerückte Begriff der Satisfactio Christi499 zum Merkmal legalistischer Christentumsdeutung geworden; mag er auch im klassisch lutherischen Typ, durch die Einordnung in andere Zusammenhänge seines legalistischen Charakters entkleidet, ein gewisses Heimatrecht erworben haben 600 , von Hause aus gehört er in das moralistisch-legalistische Denken lateinischer Bußtheologie, die Anselms Lehre vom Werk Christi „zugrunde liegt und von der aus die charakteristische Struktur der Versöhnungelehre ihre Erklärung bekommt 5 0 1 ". Mit einem bei der sonst genetisch wenig 497
Den kristna försoningstanken, S. 194f. Ebd., S. 194f. 489 Die Begriffe satisfacere (satisfactio) und mereri (meritum) sind wohl schon vor Anselm gelegentlich auf das Werk Christi angewendet worden, aber erst von ihm /,u festen, mit prägnanterem Inhalt gefüllten Formeln ausgebildet worden. Aulén (Den kristna försoningstanken, S. 142) glaubt schon bei Cyprian die Übertragung der Bußterminologie auf das Werk Christi zu finden. Siehe dazu auch A. v. Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte.I, S. 614; F. Loofs, Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte 4 , S. 493, Anm. 3; vgl. auch J. Mac Intyre, a. a. O., S. 82ff. und dort weitere Literatur. 500 Aulén gibt sogar in Das christliche Gottesbild, S. 204 zu, daß bei Luther der Begriff eine viel größere Bedeutung habe als in der spätmittelalterlichen Theologie, deren soteriologisches Interesse sich viel stärker auf die Sakramentslehre konzentriere. Aber Aulén betont im folgenden auch stark die Neuakzentuierung des Begriffs bei Luther. 501 Den kristna försoningstanken, S. 143; ganz ähnlich formulierte Harnack (a. a. O., III, S. 390-f.) : „Anselm erhob die Grundsätze der Bußpraxis zum Grundschema der Religion überhaupt"; vorsichtiger Loofs: „Anselms Satisfaktionslehre ist die Deutung des Werkes Christi mit dem Begriffsmaterial der Bußlehre." 488
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interessierten Motivforschung502 erstaunlichen Interesse wird die Verwurzelung in und wesenhafte Zugehörigkeit zu der katholischen Bußtheologie für die Anselmsche Versöhnungslehre behauptet 503 , da sie deren für die Christenbuße gebräuchliches Begriffsmaterial auf Christus anwendet. Während nach Bring, Aulén und Lindroth bei Luther dieselbe Beschlagnahme der Begriffe meritum und satisfactio für das Werk Christi Ausdruck seiner Ablehnung menschlicher Satisfaktionsleistungen und Verdienste ist 504 , ohne aber zu einer Wertung des Werkes Christi als überdimensionaler Bußleistung zu führen, haftet an Anselms gleichlautenden Formeln der Geruch katholischer Werkgerechtigkeit. Nun kann es ja durchaus sein, daß es nicht das Gleiche ist, wenn zwei das Gleiche sagen, aber man kann den Unterschied dann schwerlich aus den übereinstimmenden Formeln an sich erheben605. Gerade die Tatsache, daß auch Luther den Begriff satisfactio gebraucht , sollte eine Warnung sein, seinem Stammbaum — mag man ihn nun vor allem im römischen oder germanischen Recht oder (am nächstliegenden) im lateinischen Bußwesen finden506 — allzugroßes Gewicht beizulegen und dem Autor von vornherein einen völlig sinngleichen Gebrauch zu unterstellen, wenn er ihn auf das Werk Christi anwendet. Es deutet doch auch bei Anselm manches darauf hin, daß er den Begriff nur als Analogie und Verständnishilfe gewertet wissen will und ihn durch seine „Taufe" bedeutsam umprägt 507 . 502 Vgl. dazu A. Nygren, Eros und Agape, S. 17 : „Das Hauptgewicht einer solchen Motivforschung liegt — im Unterschied von der historisch genetischen Forschung — weniger auf dem historischen Zusammenhang und der genetischen Abkunft der Motive als auf ihrem charakteristischen Sinngehalt und ihren typischen Ausprägungen." 503 Ygj ( j Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 158f. und 143 : „Es kann kaum stark genug betont werden, daß die lateinische Versöhnungstheorie auf dem Felde der Bußlehre aufgewachsen ist." 504 vgl. dazu bes. den Abschnitt bei Bring, Dualismen hos Luther, S. 175ff. : „Christi Verdienst als Bezeichnung des sola gratia". — Siehe auch H. Lindroth, Försoningen, S. 219ff. (Satisfactio und meritum bei Luther). So klingt aber doch das auf Seite 36 oben angeführte Aulén-Zitat. Über die langwierigen Debatten, auf die wir uns hier nicht einlassen wollen, s. H. Lindroth, a. a. O., S. 65—83. Daß Anselm tatsächlich das „Begriffsmaterial" (wie Luther) vor allem aus der lateinischen Bußpraxis übernommen hat, ist durchaus zuzugeben; die Frage ist nur, ob er die überkommenen „Vorstellungsformen" nicht wesentlich umgestaltet hat, als er sie auf Christus anwandte. 507 Besonders nachdrücklich hat J . Mac Intyre gegen die voreiligen Schlüsse auf die Sinngehalte der Begriffe nach ihrer Herkunft protestiert: „The situation which St. Anselm is endeavouring to describe is without exact analogy in private or public law; it arises from the unique relation in which God, the Creator, stands to man, His creature. Even it is said that the analogy consists in the use of the term satisfactions it must immediately be plain that the analogy has been broken through completely in the use to which it is put" (a. a. O., S. 79f.). — S. 87f.: „The meaning 505
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Schon das debitum, das durch die satisfactio Christi „beglichen" werden soll, sprengt, wie wir sahen, alle Analogien menschlicher Schuldverpflichtungen: Es ist unendlich, weil Auflehnung des Geschöpfes gegen den Schöpfer; es ist vom Menschen selbst gar nicht zu begleichen, weil dieser sich immer schon in der Totalität seines Seins Gott schuldet und zudem als Sünder nicht einmal zur Erfüllung dieser seiner Pflicht der spontanen Hingabe an Gottes gnädigen Schöpfungswillen mit ihm fähig ist 508 . Wie die Schuld des Ungehorsams gegen den göttlichen Willen eine personale ist, so kann die Satisfabtionsleistung, die nach Anselm der Schuld entsprechen muß, auch nur eine personale sein: die Hingabe des gottmenschlichen Lebens in den Tod, die Vollendung des Gottesdienstes Christi am Kreuz ist diese satisfaktorische Tat, die „unendlicher", mächtiger ist als alle menschliche Schuld, weil dieses Leben des Gottmenschen, der sich in voller Freiheit zum Leiden, Kämpfen und Sterben, zur Bewährung seiner Gemeinschaft mit dem Vater bis zum Tode am Kreuz bestimmte, „liebenswerter ist, als alle Sünde hassenswert" sein kann 5 0 9 . — Dem leichtfertigen Ungehorsam Adams und aller Glieder der adamitischen Menschheit gegen Gottes Willen, der Begründung ihrer Existenz auf ihren eigenen, nicht mehr in Gott verfaßten Willen, entspricht der bis zum Verzicht auf alle Ansprüche eigenständigen Lebens „festgehaltene Lebensgehorsam" 510 Christi, seine Hingabe an den harten Willen Gottes auch da, wo er das Letzte, was der Mensch Gott geben kann, den Tod zu seiner Ehre, forderte : Der Freiwilligkeit, mit der sich Adam dem Teufel zuwandte und von ihm besiegen ließ, korrespondiert nun auch die Freiwilligkeit des Gehorsams Christi 511 . Nicht als Pflichterfüllung, als Erlegung eines debitum leistet of the word (sc. satisfaction) as it appears in Anselmic soteriology is to be discovered therefore, not by a historical analysis of previous uses of it, but by an examination of the place which it occupies within his scheme. For in an very real sense he builds up his own interpretation of it as the work proceeds, so that in the end we have an entirely new conception. This purpose he achieves particulary by the association of satisfaction with the Death of Christ — an original departure in the usage of the term — and, as a consequence, in this new reference the word aquires significance, implication and shades of thought which are not to be found — nor should one expect to find them — in it's previous history. This kind of occurence is frequently taking place in the history of theological language and usage. It happened when the word,ransom' and .propitiation' were applied to the Death of Christ by the earliest writers ; in the new reference these words were ,baptised' into an new meaning, which had certainly association with the old in that the same words were still used, but in which these associations were radically .transformed'." Siehe auch die zusammenfassende scharfe Kritik an Anselms Kritikern in diesem Punkt a. a. O., S. 202f. 608 Siehe Seite 127 f. 509 Siehe Cur deus homo II, 11 ; 14. und 15. Zitat aus 11,14: „ . . . vita haec plus est amabilis, quam sint peccata odibilia". 510 R. Hermann, ZsystTh I, S. 392: „Jesu Sterben ist festgehaltener Lebensgehorsam." 511 Cur deus homo II, 11.
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er ihn, sondern die Unterordnung unter den göttlichen Willen ist seiner N a t u r wesensnotwendig, ist nicht äußerer Zwang, sondern eigene Bestimmung, freier Wille dessen, der als einziger Mensch kraft der communicatio idiomatum wirklich schuldlos aus sich heraus leben könnte, der aber nun gerade kraft eben dieser communicatio idiomatum gar nicht anders kann, als die ihm eigene Vollmacht sponte, freiwillig in den Dienst Gottes zu stellen ; denn sein Wille h a t nicht nur an der Freiheit, sondern auch an der Güte des göttlichen Willens teil 5 1 2 . Dieser Mensch besiegt durch seinen freien, i m Tode festgehaltenen Lebensgehorsam den Teufel, der bei Anselm seine Macht nur durch den Gehorsam des Menschen gegen ihn b e k o m m t , der darum ohnmächtig das Feld räumen muß, w e n n der wieder in der rectitudo, in der Gemeinschaft m i t Gott lebende Mensch seinen Verführungskünsten unzugänglich bleibt 6 1 3 . Dieses — bis in den T o d nur dem Willen des Vaters folgende — gottmenschliche Leben ist also der unendliche Wert, der alles außer Gott übersteigt 6 1 4 . Wir müssen den W e r t doch wohl d a h i n verstehen, ,,daß das personhafte Wirklichgewordensein gottheitlichen Lebens in dieser em512 Vgl. dazu vor allem Cur deus homo 11,10: „Peccare non potuit quia non potuit velie peccare." Zum Verständnis der communicatio idiomatum vergleiche besonders ebd. : „Quapropter quoniam deus perfecte habet a se quidquid habet ille maxime laudandus est de bonis quae habet et servat, non ulla necessitate, sed, sicut supra dixi, propria et aeterna immutabilitate. Sic ergo homo ille qui idem ipse deus erit, quoniam omne bonum quod ipse habebit, a se habebit, non necessitate sed liberiate, et a se ipso iustus et idcirco laudandus erit. Quamvis enim natura humana a divina habeat quod habebit, idem tamen ipse a se ipso, quoniam duae naturae una persona erunt, habebit." — Vgl. auch die beiden letzten Abschnitte in 11,18. Statt immutabilitas wird trotz der oben referierten Kritik Anselms an der Verwendung des Begriffes in diesem Zusammenhang in Cur deus homo noch häufig gleichsinnig von necessitas gesprochen. Siehe auch die treffende Zusammenfassung der Erörterung durch Boso: „Video plane illum hominem quem quaerimus, talem esse oportere qui nec ex necessitate moriatur, quia omnipotens erit, nec ex debito quia numquam peccator erit, et mori possit ex libera volúntate, quia necessarium erit" (II, 11). Siehe dazu J . Maclntyre, a. a. O., S. 142—151 und S. 191: „St. Anselm says often that God is himself good and the source of all goodness, while the son Whose Will is one with the Father's is in full agreement with the decision that the honour and justice of God are to be satisfied." Zur communicatio idiomatum und ihrer ähnlichen Ausgestaltung in der altlutherischen Lehre s. ebd., S. 139—142. 513
Vgl. Cur Deus homo 11,11 (s. auch 1,23). — Zur Bezeichnung der ungeschuldeten Lebenshingabe Jesu als Gehorsam s. die ausführliche Besprechung der etwas verworrenen Darlegungen Anselms bei J . Maclntyre, a. a. O., S. 154—167. Vgl. 1,10: „Potest enim recte intelligi, quia per illam piam voluntatem, qua voluit filius pro salute mundi mori, dedit illi pater, non tamen cogendo, mandatum (Joh. 14,31) et calicem passionis (18,11), et non pepercit illi, sed pro nobis tradidit ilium (Rom. 8,32) et mortem illius voluit, et quia ipse filius oboediens fuit usque ad mortem (Phil. 2,8), et didicit ex Us quae passus est oboedientiam (Hebr. 5,8)." 514 Vgl. 1,21; 11,14; 1,10: „Pro nobis spontanea volúntate se ipsum tradidisse (Röm. 8,32) recte dicitur : quis neget dici quia pater, a quo talem voluntatem habuit, illi non perpecit, sed pro nobis tradidit ilium et mortem eius voluit t Hoc etiam 140
pirischen Welt so hoch über alles gestellt wird. Der vollkommene Gerechte als lebendiger Mensch mit leiblichem Leben, als konkrete Person, als Tatsache, die dasteht inmitten einer Welt und Geschichte, über welcher die unerledigte Frage der Schuld steht, das ist ein Stück wirklicher Vollendung inmitten einer Kreatur, die bestenfalls nach diesem Ziel nur immer vergeblich auf dem Wege ist" 5 1 6 . Dieses Gott aufgeopferte Leben ist die Satisfaktion, die Gott „empfängt", nicht eine Sache, auch nicht eine Leistung, sondern das zur ursprünglichen Gottebenbildlichkeit wieder restituierte Geschöpf gibt Gott, was Gottes ist. Gott ist aber nicht nur der Empfänger, sondern auch und zugleich als das personbildende Agens im Gottmenschen der Geber der Satisfactio, er ist in der Person des Sohnes der Opfernde, der sich durch seine menschliche Natur, in einem geschöpflichen Leben, Gott darbringt 516 . Gott selbst hat die menschliche Natur angenommen, um ihr ihre ursprüngliche Würde, die sie in der sündlosen Gottesgemeinschaft hatte, zurückzugeben und sie so wieder Gott, d. h. sich selbst, wohlgefällig zu machen. Er hat den gefallenen Menschen, die beschmutzte Perle, nicht im Schmutz liegen lassen, sondern sie in Jesus Christus aufgenommen und gereinigt, damit er sie wieder rein und klar in seinen Schmuckkasten legen und an ihr sich freuen könne. Gott kann um der Würde willen, die er seinem höchsten Geschöpf verliehen hat, nicht so tun, als ob er es nicht sehe, wenn das Geschöpf seine Würde mit Füßen tritt, und ihr nicht in diesem Sinne ihre Sünde „einfach vergeben"61611. Gott kostet seine Vergebung mehr als ein bloßes Übersehen der „Schwachheit" seiner Kreatur, nein, es kostet Gott die Hingabe seiner selbst an den gefallenen Menschen, nur durch die Satisfactio Christi kann sich seine Vergebung vollziehen ; sie ist nichts anderes als das der Menschheit zu eigen gegebene Leben Jesu Christi, in dem sie Gott wohlgefällig ist, wenn sie sein Leben, dieses alle debita übersteigende unendliche „Verdienst", als ihre Genugtuung, als die ihr vom Vater geschenkte Person, als modo indeclinabiliter et aponte servando acceptam a pâtre voluntatem filius ,factu,s est illi oboediens usque ad mortem,'' (Phil. 2,8), et didicit ex its quae passus est oboedientiam (Hebr. 5,8)' id est quam magna res facienda sit per oboedientiam. Nam tunc est simplex et vera oboedientia, cum rationalis natura non necessitate sed sponte servat voluntatem a deo acceptam." 5 , 5 R. Hermann, ZsystTh I, S. 389f. 518 Siehe 11,18: „Quare quoniam idem ipse est deus, filius dei, ad honorem suum ee ipsum sibi sicut patri et spiritui sancto obtulit, id est humanitatem suam divinitati suae, quae una eademque trium personarum est" (s. auch den Kontext). Der Opfernde ist hiernach eindeutig die gottmenschliche Person Christi, in der nach den christologischen Prämissen die Gottheit das Personbildende ist. Siehe dazu die Erörterung der Cristologie im folgenden S. 1 9ff. 5 ! 6 a Das Bild von der Perle (1,19). — 1,24 wird auch vom Menschen aus argumentiert. Die „bloße Sündenvergebung" würde ihn gar nicht selig machen können. — Vgl. auch 11,16: „Tanto ergo mirabilius deus ilium restituit quam instituit, quanto hoc de peccatore contra meritum, illud non de peccatore nec contra meritum fecit·." 141
Neusetzung und Neuanfang ihres Seins in der rechten Weise empfängt. Die Satisfactio Christi offenbart, daß es nicht zwei Götter, der Gott der Gerechtigkeit und der Liebe, der Gott der Vergebung und der Vergeltung sind, mit denen es der christliche Glauben zu tun hat, sondern daß der eine und selbe Gott durch das eine und selbe Werk seine heilige Schöpfungsordnung, seine und seines Geschöpfes Gerechtigkeit wieder aufrichtet und seine unermeßliche Liebe zu seinem Geschöpf mit der Gabe der Satisfactio beweist. „Nempe quid misericordius intelligi valet, quam cum peccatori tormentis aeternis damnato et unde se redimat non habenti deus pater dicet : accipe unigenitum meum et da pro te ; et ipse filius : toile me et redime te ì Quasi enim hoc dicunt, quando nos ad Christianam fidem vocant et trahunt. Quid etiam iustius, quam ut ille cui datur pretium maius omni debito, si debito datur affectu, dimittat omne debitum?" 617 b) Die Satisfactio Christi als vernünftige und gerechte Gnade : Zur an Anselms Satisfactionstheorie
Kritik
Nun kann freilich schon der letzte kühl-juristisch, ja fast handelsvertragsmäßig formulierte Satz Bedenken gegen die vorgetragene Deutung wachrufen, und nicht nur er. Ja, es kann und soll gar nicht bestritten werden, daß Anselms Terminologie, daß manche sophistische Beweisverfahren, ja auch wirklich disparate Gedanken die gegebene Deutung erschweren und ihr zu widersprechen scheinen. Aber getreu dem Grundsatz der Motivforschung, hinter anfechtbaren Termini und Analogien die wirklich bestimmenden Gedanken aufzuspüren, glaubten wir, stark angeregt und beeinflußt von Hermann und Mclntyre, in der angegebenen Richtung die Grundlinien der anselmschen Versöhnungslehre deuten zu müssen. Wir können uns hier nur kurz mit den Hauptargumenten Auléns und Lindroths, die gegen eine solche Deutung sprechen würden, auseinandersetzen. 1. Die N o t w e n d i g k e i t der Satisfactio « Die Notwendigkeit der Satisfactio nicht als Heilsbedingung, sondern als Mittel der Heilsverwirklichung Die unbedingte Notwendigkeit der Satisfactio läßt keinen Raum für Gottes freies Gnadenhandeln, denn die Erlegung der Satisfactio muß als Bedingung der Gnade verstanden werden ; dementsprechend legt Lindroth den von uns eben zitierten Abschnitt folgendermaßen aus: „Diese iusta misericordia besteht, wie wir eben hörten (s. o. unser Anselmzitat), darin, daß Gott die Schuld erläßt, nachdem er eine Bezahlung (pretium) empfangen hat, die alle Schuld übersteigt. Diese Bezahlung hat Christus ge517
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Cur deus homo 11,20.
geben durch seinen überaus verdienstvollen Tod, und der Ertrag dieses Verdienstes Christi muß im Namen der Gerechtigkeit auf seine Stammverwandten, die Menschen, übergehen. Solcher Art ist Gottes große und gleichzeitig gerechte Barmherzigkeit nach Anselm(!). Das Verhältnis zwischen Luther und Anselm an diesem Punkt ist so, daß der erstere die grundlose, unmotivierte göttliche Liebe hervorhebt, der letztere eine göttliche Liebe und Barmherzigkeit, die durch eine vorliegende rechtliche Leistung motiviert ist" 5 1 8 . Ist Gottes Barmherzigkeit nach Anselm wirklich solcher, solch kümmerlicher Art, daß von Barmherzigkeit schon kaum mehr die Rede sein kann ? Gibt Lindroths Auslegung an dieser Stelle Anselms Interpretation der misericordia Dei wirklich zutreffend und erschöpfend wieder ? Unser Abschnitt sagt doch mit nicht zu überhörender Klarheit, daß das ganze Satisfactionswerk eine große T a t der Barmherzigkeit Gottes am Menschen ist; der Vater schenkt den Sohn, der Sohn sich selbst „ohne all unser Verdienst und Würdigkeit" (contra meritum) uns Sündern hin." Tanto ergo miserabilius deus ilium restituit quam instituit, quanto hoc de peccatore contra meritum, illud non de peccatore nec contra meritum facit" 6 1 9 . Die Satisfaktion Christi ist nicht Bedingung einer durch sie vom Menschen zu verdienenden Vergebung, sondern sie selbst ist Vollzug göttlichen Vergebens. Die iusta misericordia ist nicht eine depotenzierte misericordia, nicht eine zu neunzig Prozent vom Menschen verdiente Barmherzigkeit, sondern sie ist volle, den Menschen wirklich zurechtbringende, ihn in das rechte Gottesverhältnis wiedereinsetzende Barmherzigkeit. Die Alternative sola misericordia — iusta misericordia darf nicht vom lutherischen Gebrauch der partícula exclusiva her verstanden werden. Die Ablehnung der sola misericordia bedeutet hier nicht die Abschwächung der göttlichen Gnade durch menschliches Leisten, sondern Abwehr einer schwächlichen Barmherzigkeit, die durch ihr Vergeben keine neuen Tatbestände, keine Wiederherstellung der Rechtsordnung zwischen Gott und Mensch zu schaffen vermag, die Anselm darum besser gar nicht Barmherzigkeit genannt hätte; nur die iusta und magna 5 2 0 misericordia ist im eigentlichen, biblischen Sinne Barmherzigkeit. 518 H. Lindroth, a. a. O., S. 176 (in Auseinandersetzung mit von Engeström über Luthers Verhältnis zu Anselm). 519 Cur deus homo 11,16 (s. auch, wie vorher an die Stelle der ursprünglichen Alternative: „aut satisfactio aut poena" die neue „aut poena aut misericorida" tritt): „ . . . postquam vero factus est, peccando meruit ut, quod et ad quod factus erat, perderei, quamvis non perdiderit omnino quod factus erat, ut esset qui jmniretur aut cui deus misereretur." 520 In 1,24 wird vor allem betont, wie eine Barmherzigkeit, die sich mit der menschlichen Sünde abfände, Gottes (und des Menschen) unwürdig wäre (s. auch Anm. 516 a) ; darum wird in Lib. II die Alia misericordia in der Satisfactio Christi ge-
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β ) Die Notwendigkeit der Satisfactio : nicht um Gottes-, sondern um unseretwillen Nun kann auch Lindroth im folgenden nicht ganz außer acht lassen, daß bei Anselm das Satisfaktionswerk Christi selbst schon Erweis göttlicher Barmherzigkeit ist. Aber diese Sicht der Satisfactio wird nach Lindroth gleich wieder dadurch entwertet, daß sie ja um der Aufrechterhaltung der Schöpfungsordnung willen notwendig ist. „Christi freiwilliger Opfertod ist nach Anselm nicht ein Ausdruck für Gottes unverdiente Barmherzigkeit, sondern ein notwendiges, rationell und rechtlich motiviertes Moment in Gottes Weltplan und eine notwendige Bedingung für die Wiederherstellung der Rechtsordnung 6 2 1 ." Gegen diesen, ähnlich schon von Bodo erhobenen Einwurf hat Anselm selbst das Unzutreffende der dort aufgestellten Alternative nachgewiesen : „Quare multo magis (add. als bei entsprechendem menschlichen Verhalten), si deus facit bonum homini quod incepit, licet non deceat eum a bono incepto deficere, totum gratiae debemus imputare, quia hoc propter nos, non propter se nullius egens incepit. Non enim illum latuit quid homo facturus erat, cum illum fecit, et tamen bonitate sua illum creando sponte se ut perficeret inceptum bonum quasi obligavit. . . Quae scilicet nécessitas non est aliud quam immutabilitas honestatis eius, quam a se ipso et non ab alio habet, et idcirco improprie dicitur necessitas. Dicamus tamen quia necesse est, ut bonitas dei propter immutabilitatem suam perficiat de homine quod incepit quamvis totum sit gratia bonum quod facit" 6 2 2 . Gottes ganzes Schöpfungs-, Erhaltungs- und Erlösungswerk ist eine umfassende Gnadentat des Gottes, der nichts für sich, sondern alles für uns sucht und gefunden und gegenüber der sola misericordia (1,12) als magna et iusta gepriesen. — Entsprechendes gilt von dem Verständnis der Vergebung: „In fact, it could be said that there are for St. Anselm two species of forgiveness of sin, the one possible and the other impossible for God, according to whether the necessary satisfaction has or has not been made. It is a great pity that St. Anselm did not use different words for these two senses (he uses dimittere throughout), for they are two quite different conceptions of forgiveness. . . . It will be important to remember that St. Anselm regards the latter sense as a genuine form of forgiveness, and not simply as an alternative to forgiveness or the remission of sins without punishment. In other words,St. Anselm's full theory will be that it is through satisfaction that forgiveness takes place" (J. Maclntyre, a. a. O., S. 107). 521
H. Lindroth, a. a. O., S. 177. — Siehe auch den Kontext S. 176ff. Lindroths Charakterisierung von Anselms Gottesbegriff durch das Lutherzitat: „Justus dat precium et mercedem pro merito" (ebd., S. 177) widerspricht etwa der folgenden Anschauung: „Tanto ergo mirabilius deus illum restituit quam instituit, quanto hoc de peccatore contra meritum, illud non de peccatore nec contra meritum fecit" (bei Anm. 519). Ähnlich auch der Abschnitt 11,20. 522
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Cur deus homo 11,5.
tat, und dessen strenge Forderung nur die Erhaltung der Ordnung und Güte seiner Schöpfung im Auge hat 523 . γ) Die Notwendigkeit der Satisfactio und die „unmotivierte" Liebe Dürfen wir aber angesichts der zwingenden Rationalität, in die Gott nach Anselm sein Liebeshandeln eingebettet hat, noch von „grundloser Agape" im klassischen Sinne sprechen ? Ich glaube wohl, wenn wir „grundlos" mit Nygren als „unmotiviert", d. h. durch keine menschliche Leistung oder Qualität motiviert, verstehen824. Unmotivierte Agape Gottes ist dann nicht in der von den Ungläubigen (bei Anselm)625 getadelten Weise schlechthin sinnlose Liebe, die ohne jeden Grund den Tod Christi will. Wenn die Agape des Kreuzes sich so, wie es nach Lindroths Deutung ihrer „Grundlosigkeit" den Anschein hat 626 , gegen jede Deutung und Sinngebung sperrte, dann wäre nicht nur Anselm, sondern die gesamte christliche Theologie seit dem lytron-Wort Jesu auf einem gefährlichen Irrwege. Gewiß hat Anselm das Heilsgeschehen in besonders provozierender Form als den vernünftigen und notwendigen Weg der göttlichen Liebe gedeutet. Aber diese Rationalität fußt doch auf einer unableitbaren, allein in Gottes, vom Menschen her „unmotivierter" Liebe begründeten Voraussetzung, der Erschaffung des Menschen zur Seligkeit527. Wir mögen zurückhaltender in unserer Sinndeutung des Heilsgeschehens sein, wir mögen nicht den heute gegenüber Anselm sehr verflachten Begriff der Rationalität verwenden, um die innere Notwendigkeit der göttlichen Liebe, um die aller menschlichen Untreue gegen Gott zum Trotz unwandelbare Treue Gottes 523 Die nur von pantheisierenden Strömungen angefochtene Lehre von der „Selbstgenügsamkeit" Gottes, die durch die „immanente Trinitätslehre" geschützt wurde, macht die Annahme „egoistischer" Motive in Gottes Handeln völlig unmöglich. 524 A. Nygren, Eros und Agape, S. 45: „Vergeblich sucht man nach einem Grund für die Liebe Gottes in der Beschaffenheit des Menschen, der Gegenstand seiner Liebe ist. Gottes Liebe ist .grundlos' ; natürlich nicht in dem Sinne, daß sie jeden Grundes entbehre, daß sie willkürlich und zufällig sei. Im Gegenteil soll gerade die Notwendigkeit der göttlichen Liebe zum Ausdruck gebracht werden, wenn sie als grundlos bezeichnet wird, es soll damit hervorgehoben werden, daß sie nicht auf einem fremden Grund ruht." Siehe aber auch Anm. 338, S. 87f., in der vom Schöpfungsglauben her die Grundlosigkeit der Agape in Frage gestellt wird. 525 Cur deus homo 1,6. 526 Lindrotli schreibt (a. a. O., S. 174) als Interpretation zu Cur deus homo 1,6: „Die unmotivierte Liebe erscheint mit anderen Worten vom Gesichtspunkt rationaler Beweisführung, den Anselm in Cur deus homo anlegen will, als Unvernunft und hat daher keinen Zusammenhang mit seiner Satisfaktionstheorie, die ein notwendiges Moment im Nachweis der vernunftgemäßen Notwendigkeit der Offenbarung ausmacht. (Anmerkung Lindroths: In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß Anselm eine fides quaerens intellectum vertritt und daß sein theologisches Programm : credo, ut intellegam ist. In einer solchen Theologie kann das Unmotivierte keinen Platz haben.)" 527 Siehe auch H. Lindroth, a. a. O., S. 44.
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zum Menschen darzutun und im Versöhnungsgeschehen aufzuzeigen. Aber — und darum geht es ja in unserem Zusammenhang — man kann nicht sagen, daß die immanente Folgerichtigkeit des göttlichen Gnadenhandelns bei Anselm ausschließt, daß es sich um reine, unverdiente Gnade handelt. 2. Die S a t i s f a c t i o C h r i s t i als S a c h w e r t o d e r als H i n g a b e d e r Person Christ ? Aber widerspricht es nicht dem Wesen solcher Gnade, daß sie sich in einem „isolierten F a k t u m " , der Leistung eines kunstvoll ausgewogenen Äquivalentes für das debitum satisfaciendi manifestieren soll 528 ? Eine solche Deutung des Werkes Christi wird durch die Verwendung quantitativer Kategorien zur Hervorhebung seines Wertes nahegelegt 529 , vor allem aber dadurch, daß allein der Tod Christi als überpflichtmäßige und daher genugtuende Tat gilt, während der Lebensgehorsam Christi als pflichtmäßig und daher nicht genugtuend angesehen wird 530 . Durch diese Auseinanderreißung des Zusammengehörigen wird die Einheit der Gabe des ganzen Christus an uns gefährdet, der Tod scheint nicht mehr als Vollendung des ganz in Gott gegründeten und ihm hingegebenen Lebens verstanden, sondern tatsächlich ein „isoliertes F a k t u m " 5 3 1 geworden zu sein. — Die Frage bleibt aber, ob Anselms eigentliche Intentionen in dieser rechnerischen Wertung des Todes Christi wirklich zum Ausdruck kommen. Der „unendliche W e r t " war ja auch in 11,14 schon eigentlich dem gottmenschlichen Leben selbst beigelegt, und die datio vitae kann doch nur als letzte Hingabe eben dieses, schon vorher ganz Gott gehörigen Lebens so unendlich wertvoll sein. Vor allem zeigt Anselms Christologie in ihrer Ausführung der communicatio idiomatum (vgl. Anm. 512), daß er das ganze Leben und Sterben Christi als ungeschuldete Tat des Gottmenschen auch nach seiner menschlichen Natur betrachten konnte, denn diese hat von der göttlichen Natur die Aseität, die Fähigkeit, aus sich zu 628
H. Lindroth, Försoningen, S. 155: „Anselm hat auf eine rational-quantitative Weise sowohl die Sünde wie Christi Lebensopfer bestimmt. Auf Grund des unendlichen Wertes von Christi Leben, das er freiwillig zu Gottes Ehre opferte, hat die Satisfaktion einen unendlichen Wert. Sie wiegt alle denkbaren Sünden auf. Das bedeutet, daß das Versöhnungswerk definitiv zu Ende geführt ist. Dieses Verdienst Christi liegt vor als ein ruhender Besitz, eine sachliche Garantie dafür, daß Gottes Weltplan nie von irgendeiner künftigen Sünde verschoben werden kann. Diese ganze Betrachtungsweise fällt mit der rationell dinglichen Art der Anschauung im übrigen zusammen." 629 Cur deus homo, 11,14. 630 Vgl. Cur deus homo 11,11. 531 G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 165; im übrigen ist die Kritik an Anselm, wie unser darstellender Abschnitt zeigte, im wesentlichen in Übereinstimmung mit Lindroth, der sie ausführlicher begründet.
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existieren und sicli bestimmen zu können, verliehen bekommen 532 . Sie kann aber wesensmäßig, wie wir sahen, nicht anders, als sich zur Erfüllung des göttlichen Willens bestimmen. Die noch unqualifizierte Asëitât ist also eine Konstruktion, um die Freiwilligkeit, die Unabhängigkeit von allem äußeren Zwang zu betonen; in Wirklichkeit hätte Christus sich selbst verleugnet, wenn er einen anderen Weg als den seines Gehorsams gegen den Heilswillen des Vaters gegangen wäre; so wie Gott sich selbst verleugnen würde, wenn er seine Freiheit nicht in der Unwandelbarkeit seiner Gerechtigkeit und Güte offenbarte. I n diesen häufig angestellten Betrachtungen über die Einheit von Freiheit und Notwendigkeit in Christi Leben und Sterben scheint uns Anselms eigentliche Überzeugung am ehesten herauszukommen: Darin liegt der „unendliche W e r t " des Lebens und Todes Christi, daß hier die Spontaneität der Hingabe an Gott als innerste Notwendigkeit gelebt und im Leiden bewährt wird 633 . — Mit dem von Anselm verwendeten Begriff aus der Bußlehre, dem Begriff des meritum Christi, ist freilich jene Einheit von Freiheit und Bindung sehr unglücklich bezeichnet. Denn Christi Hingabe an den göttlichen Willen liegt ja jenseits des für den meritum-Begriff wesentlichen Unterschiedes von pflichtmäßigen und überpflichtmäßigen Werken, da ihm der Wille Gottes nicht als ein abzuleistendes debitum, sondern als sein Lebensinhalt begegnet 634 . Wenn diese Hingabe Christi, dieser „unendliche Wert", wirklich die wiederberichtigende satisfactio für die Sünde sein soll, muß sie als solche dem Sünder, indem sie seine Schuld tilgt, jene urständliche rectitudo wiedergeben, in der die Erfüllung des „debitum iustitiae" nicht als eingeforderte Leistung, sondern als das seiner Natur gemäße Wollen und Handeln erscheint 535 . Damit aber wird vollends deutlich, wie letztlich die Satisfactio Christi so wenig wie die Sünde als eine sachhafte, quantitativ bestimmbare Größe behandelt werden kann. 532 Vgl. J. Maclntyre, a. a. O., S. 184: „When the notion of aseitas is introduced, then whatever the Deus-homo does, in Life or Death, is full of merit, for He owes no one anything." — Zur Auseinanderreißung von Lebensgehorsam und Hingabe in den Tod vgl. ebd., S. 168-172. 533 Die Erörterung der Problematik von Freiheit und Notwendigkeit im Blick auf Gottes und Christi Werk beginnt in Cur deus homo 1,8—10 und wird in 11,5; 10 und 11; 16, 17 und 18 wieder aufgenommen; vgl. dazu J. Maclntyre, a. a. 0., bes. S. 146-151; R. Hermann ZsystTh I, S. 391-396 und IX, S. 454ff. 534 Diesen Gedanken bringt Anselm in eigenartiger Form zum Ausdruck, wenn er bestreitet, daß Christus in seinem Leiden und Sterben unglücklich gewesen sei: ,,. . . non est miseria apprehendere sapienter nulla necessitate aliquod incommodum secundum voluntatem" (11,12). 635 Vgl. J 24 und die Interpretation bei H. Lindroth, a. a. 0., S. 124f. Hier wird die subjektive Bedeutung, die Befreiung vom Bewußtsein der ausweglosen Schuldverfallenheit, durchaus erkannt; aber daß mit der Befreiung vom debitum satisfaciendi sich auch die Erfüllungsweise für das „debitum iustitiae" in die urständliche wandeln muß, wird nicht gesehen. Vgl. im übrigen Seite 121 f.
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3. G o t t h e i t u n d M e n s c h h e i t C h r i s t i im S a t i s f a c t i o n s w e r k
Wir glauben auch nicht, daß Anselms Christologie nur von dem Verständnis der Satisfactio Christi als einer überdimensionalen menschlichen Bußleistung her beurteilt werden müßte und daher der Gottheit Christi nur eine sekundäre Bedeutung zugewiesen werden könnte; Aulén (in Anm. 120, S. 37) sieht freilich in dem Festhalten an der Gottheit Christi nur ein Mittel zur Aufwertung des von Christus qua homo durchgeführten Satisfactionswerkes, das als solches nicht göttliches, sondern menschliches Werk ist 636 . Demgegenüber hat besonders Sjöstrand deutlich nachgewiesen, daß Anselms Christologie in vollem Einklang mit der othodox-altkirchlichen Fassung steht, nach der die gottmenschliche Person, in welcher die Gottheit personbildend, also bestimmend ist, in der Versöhnung durch ihre menschliche Natur, qua homo, handelt. Anders hat auch die Alte Kirche nicht lehren können, weil nach allgemein kirchlicher Auffassung die Gottheit leidensunfähig ist 837 . Wichtiger ist nun allerdings die Frage, ob die korrekte Christologie organisch mit der Soteriologie verbunden ist, d. h. ob wirklich das Versöhnungsgeschehen als Gottestat durch den mit Gott geeinten Menschen Christus dargestellt ist. Wir sahen schon, es geht nach Anselm in der Satisfactio um die Restitution des Menschen als Gottes sich frei zur Hingabe an ihn bestimmendes Geschöpf, also allerdings um ein nur im und am Menschen vollziehbares 538 Vgl. auch H. Lindroth, a. a. O., S. 93f. ; S. 94: „Der Gedanke wird dagegen völlig natürlich und klar, wenn gesagt wird, daß Christus als Mensch seine Menschheit zum Opfer bringt." 537 Sjöstrand setzt sich mit Lindroths Kritik an R. Hermanns Auslegung von Cur deus homo 11,18 (Schluß) auseinander. — Die Verteidigung Hermanns bei Sjöstrand ist u. E. überzeugend (vgl. Anm. 516: Das Agens oder Principium quod, ist hier wie in Christi ganzem Lebenswerk die zweite Person der Trinität, die die menschliche Natur in die Einheit der Person aufgenommen hat; das Principium quo kann grundsätzlich die Gottheit oder die Menschheit oder können beide in der ihnen gemäßen Weise sein). — Im „Christlichen Gottesbild" spricht Aulén im Anschluß an A. v. Harnack vorsichtiger über die Unterschiede von Ost und West in der Christologie (S. 91f.). Aber auch hier entsteht der Eindruck, als ob die „wertgebende Punktion der Gottheit Christi" auf das Handeln der Person als solche gar keinen Einfluß hat. Gegen diese unpersönlich-mechanische Deutung der Gottheit Christi spricht etwa folgende christologische Besinnung Anselms: „Ad hoc enim valuit in Christo diversitas naturarum et unitas personae, ut quod opus erat fieri ad hominum restaurationem, si humana non posset natura, faceret divina, et si divinae minime conveniret, exhiberet humana; et non alius atque alius sed idem ipse esset, qui utrumque perfecte existens, per humanam solveret quod illa debebat, et per divinam posset quod expediebat" (11,17). Dazu: „Unde necesse erat, ut deus hominem assumerei in unitatem personae, quatenus qui in natura solvere debebat et non poterai, in persona esset qui posset" (11,18). — (Zum Ganzen s. bes. A. Sjöstrand, a. a. 0., S. 130—139; J. Maclntyre [Kritik Auléns], a, a. O., S. 197—199).
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Geschehen 838 . Während die Ermächtigung der Verderbensmächte sich durchaus als bloße Gottestat ohne die Inkarnation vorstellen läßt 5 3 9 , ist die Satisfactio als Gestaltwerdung des neuen, ganz und frei sich Gott zu eigen gebenden Menschen schlechterdings ohne die Inkarnation Christi unmöglich. Wenn also Anselm alles Gewicht darauf legt, daß Gott in der Versöhnung durch einen wahren Menschen handelt und durch das Opfer dieses Menschen unser Heil schafft, werden wir darin doch keinen Verrat an der „echt christlichen" Christologie erkennen dürfen, denn es steht auch für Anselm fest, daß Gott der Handelnde, nicht nur in der Sendung des Sohnes, sondern im Sohn selbst ist. Was der Mensch nicht kann, tut Gott 5 4 0 . Der Mensch kann sich keinen neuen Anfang setzen, er kann die Last seiner Schuld, die ihm jedes freie, ungezwungene Gottesverhältnis unmöglich macht, nicht abschütteln, er kann seinen Willen, der nichts anderes mehr wollen kann als sündigen, nicht ändern, er kann sich seine Sünden nicht vergeben 541 . Gott aber kann den in die Gemeinschaft seiner Person aufgenommenen Menschen neu bestimmen, daß sein Wille nichts anderes als den Willen Gottes tun will, er kann die ausweglose Verkettung von Schuld und Schicksal durchbrechen, indem er den Menschen schafft, der sich nicht nach seiner sündigen Natur, sondern aus dem ihm geschenkten gottheitlichen Leben bestimmen kann, will und daher muß. Gott vollendet in Christus durch das zuletzt auch Anselm unerklärbare Wunder der Annahme, der völligen Durchdringung und personalen Einheit mit dem „neuen Menschen", durch das Opfer dieses reinen Menschenlebens, sein Schöpfungswerk 542 . In dieser Richtung ist der Wert der Gottheit Christi zu erfassen, nicht als ein die Person und ihre Tat gar nicht beein638 Wie oben (Anm. 637) wird häufig statt von satisfactio von restauratio oder restitutio des Menschen gesprochen, vgl. ζ. B. 11,16 (Anm. 619); 11,8 (Nam per 589 Vgl. 1,7. quemeumque in statum suum restituatur). 640 Vgl. ¿je Nachweise bei Anm. 637. — Vgl. die Kapitel 11,6—9, die um die Not541 Vgl. 1,24. wendigkeit und Wirklichkeit der Gottheit Christi kreisen. 542 Siehe dazu auch die eigene Deutung Anselms im ersten Teil (S. 13?ff.). — Daß sich auch für Anselm das Geheimnis Christi nicht in lauter Rationalität auflöst, wird daran deutlich, daß für Anselm die Sündlosigkeit eines Menschen innerhalb der sündigen Menschheit so wenig wie die Vereinigung von Gott und Menschheit erklärlich ist. Auf die heilsnotwendige Frage nach dem Grund und Sinn der Menschwerdung Christi gibt Anselm eine Antwort, auf die spekulative Frage aber nach der Denkmöglichkeit der Gottheit und Sündlosigkeit Christi im Zusammenhang der sündigen Menschheit gibt er keine Antwort. Vgl. 11,16: „Postquam constat hominem ilium deum et peccatorum esse reconciliatorem, dubium non est eum omnino sine peccato esse. Hoc autem esse non valet, nisi absque peccato de massa peccatrice sit assumptus. Qua vero ratione sapientia dei hoc fecit, si non possumus intelligere, non debemus mirari, sed cum veneratione tolerare aliquid esse in secretis tantae rei quod ignoremus. . . . Quantum etiam est deum et hominem sic in unum convenire, ut servata integritate utriusque naturae idem sit homo qui deus ? Quis ergo praesumat· vel cogitare quod humanus intellectus valeat penetrare, quam sapienter, quam mirabiliter tam inscrutabile opus factum sit ?"
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flussender Faktor, der nur in Gottes Augen die Leistung höher qualifiziert, sondern als Einbruch und Gabe neuen, gottgehörigen Lebens in die Welt, das Schuld und Macht der Sünde bricht 543 . Es wird freilich schon hier deutlich, daß eine gleichsam Christus zerstückelnde Christologie, die eindeutig festlegen möchte, wann und wieweit Christus hinsichtlich der principia quo qua homo bzw. qua Deus handelt, die Einheit der Person Christi nicht ernstnimmt 644 . Sie kann daher auch der Eigenart seiner Satisfactio nicht gerecht werden, da diese, gerade als menschliche Tat zur Ehre Gottes, göttliches Werk zum Heil des Menschen ist 5 4 4 a . 4. D i e B e d i n g u n g e n d e s H e i l s e m p f a n g e e
Darüber, wie nun die Satisfactio Christi faktisch im Leben des Glaubenden wirksam werde, sagt Anselm in Cur deus homo — der Themenstellung entsprechend — wenig. Mehrmals wird ein ihrer würdiges Verhalten gefordert 645 , ja in einem Gleichnis wird bei wiederholtem Ungehorsam eine menschliche „satisfactio" zur Bedingung gemacht, damit das Versöhnungswerk am Schuldigen wirksam werde. Um mehr als die rechte Aneignung der allein wirkungskräftigen Versöhnungstat handelt es sich also auch hier nicht 546 . Alle Nachfolge Christi ist sinnlos, wenn sie nicht Form der Aneignung des Verdienstes Christi ist, lutherisch gesprochen: Imitatio non facit filios, sed filiatio facit imitatores 547 . Jedenfalls kann man — besonders im Blick auf 1,16 — Anselm nicht, wie Aulén meint, einfach mit Tertullian auf eine Stufe stellen, der für die nach der Taufe begangenen Sünden nur auf die menschliche satisfactio rekurrierte648. 543 Vgl. dazu vor allem R. Hermann, ZsystTh I, S. 387—391; β. auch J . Maclntyre, a. a. O., S. 122: „His (sc. Anselm's) intention is not only that no one less than God himself is in possession of physical objects, such as an infinity of universes, that might be greater than all that is not God, and so none other than God can make t h a t immense offering, but, further, and more important still, none but God has the uprigthness of will, the purity of heart and the truthfullness of mind which are essential in anyone seeking to make satisfaction for sinful men." 544 Wenn es so auch von Aulén natürlich nicht gemeint ist, so hemmt doch das einseitige Bestehen auf dieser Unterscheidung, die zum entscheidenden Kriterium der Typologie gemacht wird, den Blick für das unlösliche Ineinanderliegen von echt menschlicher Tat und göttlichem Handeln in ihr und durch sie. 544 a Cur deus homo 1,10 : „Immo maxime decet talem patrem tali filio consentire, si quid vult laudabiliter ad honorem dei et utiliter ad salutem hominum (quae aliter fieri non potuit)." 545 Cur deus homo II, 19. 546 Ebd., 11,16: et si contingent u t post hanc veniam iterum peccent, si digne satisfacere et corrigi deinceps voluerint, per eiusdem pacti efficaciam iterum veniam recipiant. 547 Ebd., II, 19: Frustra quippe imitatores eius erunt, si meriti eius participes non erunt. 548 Vgl. G. Aulén, a. a. O., S. 158 und die Kritik J . Maclntyres, a. a. O., S. 176ff. — Bei Tertullian muß nach der Sündenvergebung in der Taufe der Christ seine weiteren Sünden durch eigene „Satisfaktion" gutmachen, während für Anselm die
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Es bleibt inmerhin beachtlich, daß in dem zitierten zusammenfassenden Schlußabschnitt die Bedingungen für die Aneignung der Gabe Christi angesichts der überwältigenden Größe der Gabe selbst auf die kleine Kautele: ,,si debito datur affectu" zusammengeschrumpft sind. Gewiß müssen wir es bedauern, daß Anselm in solchen Zusammenhängen die im Grunde mit seiner Einsicht in die totale Verpflichtung des Menschen gegenüber Gott und die allein wirksame Satisfactio durch Christus unvereinbare „Büßterminologie" gelegentlich wieder aufleben läßt, aber sie bleibt doch eine Randerscheinung 649 ; gegen die Forderung der Heilsaneignung durch die Nachfolge, das Leben nach der Schrift, aber kann man an sich wohl schwerlich etwas einwenden, allerdings müßte auch dies als Gottes Heilswerk am Menschen verstanden werden. Lindroth will den Rechts- und Leistungscharakter des durch die Versöhnung bestimmtenGottesverhältnisses, besonders dadurch zum Ausdruck bringen, daß er seine Identität mit dem urständlichen hervorhebt. Wie Adam hat der Gerechtfertigte das debitum iustitiae noch zu leisten, aber es gilt dann doch auch für ihn, daß ihm dieses debitum nicht mehr als lastende Verpflichtung aufliegt, sondern daß die Erfüllung dieses Debitum das seiner Natur Gemäße ist, daß er sich, wenn er es erfüllt, nach Anselms Worten, schon in einer Art Seligkeit befindet 550 . Durch die Versöhnung wird nach Anselm allerdings keine Gottesgemeinschaft auf der Basis der Sünde errichtet 551 , sondern der Sünder wird wirklich wieder zum Gerechten, Gottes Vergebung schafft durch die Satisfactio den neuen Menschen. Diese Hervorhebung des schöpferischen Charakters der Vergebung wird man kaum als „typisch katholisch" bezeichmenschliche Satisfaction nur die rechte Bereitung auf den Empfang der Satisfaction Christi ist. „Genugtuend" ist allein diese. 549 Am störendsten macht sie sich bei der Erörterung der Überpflichtmäßigkeit des Todes Christi bemerkbar, wenn Anselm hier die Virginität als Beispiel für ein Opus supererogativum anführt (11,18)); eigentlich ist diese nun wirklich „katholische" Verdiensttheologie mit Anselms Haupttendenz, gerade den echten freiwilligen Gehorsam gegen den ganzen, vollen Gotteswillen als „heiliges Müssen" des Gerechten zu verstehen, unvereinbar. Sie läßt für die Wahl zwischen einem harmlosen Gottesgebot für Durchschnittschristen und einem besonderen für die „Kerngemeinde" keinen Raum, vollends nicht für die Erfüllung non propter Deum ipsum, sed propter aliud (sc. praemium). Nam tunc est simplex et vera oboedientia, cum rationalis creatura non necessitate, sed sponte servat voluntatem a deo acceptam (1,10). Vgl. auch R.Hermann, ZsystTh I X , S. 463: „Als Protestant sieht man es mit Freuden, daß gerade einem Anselm die Begründung des Verdienstgedankens nicht recht gelingt." 550 Cur deus homo 1,19 wird vom Urständ als einer beatitudo gesprochen, allerdings in etwas abgeschwächtem Sinn. 561 Zu dem u. E. sehr anfechtbaren Begriff s. bes. A. Nygren, Eros und Agape, S. 641-545. 11
8051 Alpers, Versöhnung
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nen können, denn „Gerechtigkeit und Heiligkeit" sind wohl nicht nur nach katholischer 652 , sondern auch nach evangelischer „Christentumsdeutung" die Basis des Gottesverhältnisses. Wirklich ist unsere Gerechtigkeit und Heiligkeit freilich nicht in unserem empirischen Sein, sondern in Gottes Urteil, das aber auch nach lutherischer Lehre anhebend, bruchstückhaft unser Leben umgestaltet. Denn Gott nimmt dem Menschen die bisherige Basis seines Menschseins, die Sünde, er vergibt sie ihm und spricht ihn gerecht, „auf daß er ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit" 663 . Soweit Anselm mit der Wiederherstellung der urständlichen rectitudo nur dies meint, daß der Christ in der Nachfolge Christi wieder ganz sich Gott zu eigen gibt und in seiner nova oboedientia doch auf die Vollendung der Glaubensgemeinschaft mit Gott durch das Schauen hofft, ist er nicht nur „guter Katholik", sondern auch „guter Lutheraner". Aber soweit die nova oboedentia aus de,r freien Hingabe zum verdienstlichen Werk, die christliche Hoffnung zur Erwartung der Belohnung verzerrt wird, der Christ suo merito selig werden zu können meint 654 , hat Anselm mit seinen eigenen Intentionen auch das Evangelium verraten. — Doch wenn auch Anselm die Einflüsse des eÌTien Elementes „lateinischer" Tradition, der „moralistischen" Meritum-Theologie, nicht ganz verleugnen kann, so sind sie doch nicht die treibenden Kräfte seiner Theologie. Nicht wie der Mensch suo merito selig werde, hat Anselm die Kirche gelehrt, sondern wie groß und gerecht die Barmherzigkeit Gottes sei, uns erwiesen in der Satisfactio Christi contra meritum. 562 So H. Lindroth, a. a. 0., S. 119 : „Eine Seligkeit anders als auf der Grundlage der Gerechtigkeit und Heiligkeit ist für Anselm als gut katholischen Christen undenkbar." 553 Freilich zerstört der Mensch ständig die ihm geschenkte Basis wieder, und so muß er immer von neuem wiederhergestellt werden. Und doch erfaßt dieser Totalaspekt (totus iustus — totus peccator) auch nach Luther nicht die ganze Wirklichkeit des Christseins, die auch „augustinisch" unter dem Aspekt des partim iustus — partim peccator im Sinne eines Progressus der iustitia gesehen wird. Siehe dazu W. Joest, a. a. O. 554
Anselm spricht an der Stelle, die für Lindroths Anselmauslegung von entscheidender Bedeutung ist, nicht vom Menschen, sondern von den guten Engeln, die nicht erst durch die Angst vor der Strafe der gefallenen Engel in der Wahrheit befestigt wurden, sondern suo merito (11,17). Obwohl der Zusammenhang, in dem die Wendung gebraucht wird, ganz peripher ist und auch nicht vom Verdienen der Seligkeit die Rede ist, kann man natürlich trotzdem die Anwendung der Formel auf das Gottesverhältnis der Kreatur als typisch und grundsätzlich bedeutsam werten. — Freilich sollte man nicht übersehen, daß in dem Abschnitt, der programmatisch das Schöpfungeziel des Menschen behandelt, nicht vom meritum des Menschen als Bedingung des Heils die Bede ist, sondern von der reinen Gottesliebe, die sich im Sohauen und „Genießen" Gottes vollenden wird. Nicht zum Leisten und Verdienen, sondern zur Freude an Gott hat Gott den Menschen erschaffen: „At si nihil pretiosius cognoscitur deus fecisse quam rationalem naturam ad gaudendum de se, valde alienum est aboe, ut ullam rationalem naturam penitus perire sinat" (Cur deus homo 11,4). 152
c) Der Legalismus der lutherischen Orthodoxie in der — kritisch untersucht
Satisfactionslehre
Hierin ist Anselm auch Lehrer der lutherischen Kirche geworden, deren Bekenntnis (s. Anm. 328, S. 84) und Theologie trotz bedeutsamer Umgestaltungen im einzelnen doch in Grundgedanken und Terminologie mit Anselm so eng verwandt ist, daß die Zusammenfassung unter einen gemeinsamen Versöhnungstyp wohl berechtigt ist 656 . Wir gehen unserer Fragestellung gemäß hier nur den Elementen der orthodoxen Versöhnungslehre nach, die das Bild, das wir nach Aulén im ersten Hauptteil vom lateinischen Typ gegeben haben, noch weiter modifizieren, als es eben bei unserer Anselmdeutung geschehen ist 566 . Aulén selbst hat auf die merkwürdige Umgestaltung des ursprünglichen, lateinischen Typs durch Aufnahme reformatorischer Elemente in der Orthodoxie aufmerksam gemacht und die dadurch entstandene Widersprüchlichkeit der orthodoxen Versöhnungslehre unter der Bezeichnung : „Antimoralietischer Legalismus" zum Ausdruck bringen wollen. Diese Formel will besagen : Gewiß war man in der Orthodoxie bemüht, die Zueignung der Versöhnung, das Rechtfertigungsgeschehen, in der Nachfolge Luthers als reine Gnadentat unverkürzt zur Geltung zu bringen, aber die Versöhnung als die Ermöglichung der Rechtfertigung vollzieht sich „gut lateinisch" nach den ungebrochen gültigen Regeln der Rechteordnung, des vergeltenden Gesetzes, das die menschliche Leistung zur Bedingung des göttlichen Wohlgefallens macht 5 5 7 . Klafft hier zwischen Versöhnung und Rechtfertigung der breite Graben, der Nomos- und Agape motiv voneinander trennt ? 1. T e m p e r a m e n t u m i u s t i t i a e e t m i s e r i c o r d i a e
Die Problematik wird an dem wohl von Melanchthon geprägten Begriff: temperamentum iustitiae et misericordiae, in dem die orthodoxen Theologen vielfach den Ertrag der Versöhnung zusammenfassen, deutlich 658 . Gerade an diesem Begriff, den Aulén und Lindroth als Mittelweg, Kompromiß zwischen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit deuten, hat sich, wie wir 556 Im Unterschied zu Aulén betrachtet Lindroth zwar die Anselmsche und orthodoxe Versöhnungslehre als zwei verschiedene Typen, aber auch er betont doch stark die Übereinstimmung mit Anselm im „Grundmotiv": „. . .Das zeigt, daß Quenstedt sich in Übereinstimmung mit Anselm letztlich das Verhältnis zwischen Gott und Mensch als ein Rechtsverhältnis denkt" (a. a. O., S. 308). 556 Dabei setzen wir die Lehre selbst im wesentlichen als bekannt voraus und fragen nach den hinter den Lehrformulierungen oft verborgenen Intentionen. 557 Vgl. G. Aulén, Das christliche Gottesbild, S. 25öf. ; s. dort die Darstellung der orthodoxen Versöhnungslehre, S. 256—271. 558 Zu Herkunft und Bedeutung des temperamentum-Begriffee vgl. A. Sjöstrand a. a. O., S. 469—489 (Auseinandersetzung mit Lindroth) und R. Josefson, a. a. O., S. 85f.
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sahen, ihre Kritik entzündet : An ihm soll vollends die Abstumpfung der siegenden, souveränen, unmotivierten Liebe deutlieh werden, sie muß sich auf Kompromisse mit der für Gottesbild und Versöhnungslehre eigentlich normativen, vergeltenden Gerechtigkeit einlassen, ihr Platz ist nur dort, wo sie gesetzlich legitimiert und motiviert ist 659 . — Nun haben aber R. Josefson und A. Sjöstrand nachzuweisen versucht, daß das mirabile temperamentum nicht ein vernünftiger Kompromiß ist, sondern vielmehr das unbegreifliche Wunder der unverkürzten Einheit von Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit (vgl. Anm. 558). Dieses mirabile temperamentum, d. h. Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen Christi bringt es an den Tag, daß die Liebe Gottes, für die nach dem Gesetz gegenüber dem schuldigen Sünder kein Platz mehr blieb, sich aller Untreue des Menschen zum Trotz behauptet hat und nun als Causa principalissima 560 unserer Erlösung wirksam wird:,,O Wunderlieb, o Liebesmacht, du kannst, was nie kein Mensch gedacht, Gott seinen Sohn abzwingen, o Liebe, Liebe, du bist stark, du streckest den in Grab und Sarg, vor dem die Felsen springen" — singt darum der größte orthodoxe Liederdichter, wenn er dichterisch die orthodoxe Versöhnungslehre entfaltet. In der Sendung und Hingabe des Sohnes an sein Gericht offenbart der Vater seine unergründliche, unmotivierte Liebe, in seiner Inkarnation und Passion offenbart der Sohn die gleiche Agape : „Nichts, nichts hat dich getrieben zu mir vom Himmelszelt als das geliebte Lieben, damit du alle Welt in ihren tausend Plagen und großen Jammerlast, die kein Mund kann aussagen, so fest umfangen hast 5 6 1 ." Ähnlich beschreiben die orthodoxen Dogmatiker das Satisfactionsgeschehen als das größte und unbegreiflichste göttliche Liebeswunder; von einer Abschwächung der K r a f t und Unergründlichkeit dieser Liebe ist nichts zu spüren, sie opfert — gleichviel ob vom Vater oder vom Sohne her 569
Siehe H. Lindroth, a. a. O., S. 297f. und G. Aulén, Das christliche Gottesbild. S. 265îf. ; s. auch Den kristna försoningstanken, S. 219ff. 660 A. Sjöstrand, a. a. O., S. 456 : An der von Sjöstrand zitierten Stelle macht gerade ein orthodoxer Lutheraner Luther zum Vorwurf, daß er in der Erklärung des Glaubensbekenntnisses nicht ausdrücklich von der Liebe Gottes als der causa principalissima unseres Heils spreche: „Si vero Lutheranam articuli primi Canonici explicationem consideremus, de Causa prima et principalissima iustificationis et salutis (Immensa sc. Dei patrie Misericordia, quam missione filii unigeniti, ad opus redemptionis humani generis perficiendum, sufficientissime declaravit), altissimum est silentium." Daß die missio des Vaters das ganze Werk Christi umschließt, geht aus dem bald darauf folgenden Zitat hervor: „Ubicunque enim im Scriptura ex professo et velut in propria sede agitur de Justificatione Pidei seu Fide iustificante ; Ibi proprium et adaequatum eius objectum statuitur Misericordia seu gratia Dei Patris, in Christi Merito nobis oblata" (aus: Laurentius Paulinus Gothus Exegeseos Paulinianae, in Catechismum Divinum seu Canonicum, et Lutheranum επεξήγηαις, Ubsaliae 1641, S. 98f.). 561 EKG, 62,3 und 10,5.
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•gesehen — das Liebste, alles was sie hat, Reinheit, Freude, Leben für ihre Feinde 662 . Wenn Gottes vergeltende Gerechtigkeit der hervorstechendste Zug im orthodoxen Gottesbild wäre, hätte man nicht mit solcher Eindrücklichkeit Christi Person und Werk als Offenbarung des göttlichen Liebeswillens gegen die Sünder, die jeden Rechtsanspruch auf Gottes Liebe verwirkt haben, preisen können 663 . Gottes vergeltende Gerechtigkeit, Gott, wie er im Gesotz für den Sünder offenbart ist, kann nur die Bestrafung der Sünder fordern, und allein Gottes Barmherzigkeit kann die Satisfactio Christi begründen: „Nam non ideo frustra in Scripturis praedicatur misericordia Dei, quia ea fundata est in Satisfactione Christi: sed vel inde potius clarius ea elucescit. Nam haec ipsa Satisfactio Christi est Effectue Misericordiae divinae vere gratuitus 6 6 4 ." Satisfactio Christi heißt das Werk dieser Barmherzigkeit; darin liegt beschlossen, daß diese Barmherzigkeit sich in dem Vollzug und dem Erleiden des Gerichts der göttlichen Gerechtigkeit erweist, daß der Gott der unmotivierten, schenkenden Güte nicht aufhört, der Gott der unerbittlichen Forderung und des Gerichts über den Sünder zu sein. Aber — mirabile temperamentum — Gott selbst vollzieht und erleidet in Christus sein Gericht, er tritt an unsere, der Sünder Stelle ; er selber ist erschienen zur Sühne für sein Recht, misericordiae (sc. Dei) enim est, quod et sibiipsi satisfecit 666 : Denn unsere, der schuldigen und Gott verschlossenen Menschen „satisfactio" hätte nur unser Verderben sein können 8 6 6 — nun aber hat Christus für uns der Gerechtigkeit Gottes genug getan, Gott aber hat sich durch seine Selbstentäußerung im Werke Christi selbst behauptet als 562 Siehe dazu A. Sjöstrand, a. a. O., S. 456f. das Referat aus Quenstedt, der Christi Leben, Leiden und Sterben in Anlehnung an die bernhardinische, sogenannte Christusmystik als göttliche Liebestat darstellt. Siehe auch H. Lindroth, a. a. O., S. 311. 563 A. Sjöstrand, a. a. O., S. 456 und 465 wird Rom. 5,6 und 8 zitiert bzw. unzweideutig darauf angespielt. — Ebd., S. 466: „Wenn man sich darauf besinnt, welchen Inhalt die Liebe nach Quenstedts Beschreibung (oben) hat, so muß man sich ja sagen, daß sie dasselbe wie die Satisfaction ist." 564 A. Sjöstrand, a. a. O., S. 479 aus L. Hutter, Loci communes, Wittenberg 1661, S. 408a. — Siehe auch unsere Arbeit bei Anm. 446 und 448, S. 123f.: Sjöstrand (a. a. 0., S. 462f.) betont, daß in der Orthodoxie das Evangelium als unableitbares „Faktum" anerkannt werde und nicht als Ergebnis apriorischer, legalistischer Konstruktionen sich gleichsam von selbst ergebe. 565 A. Sjöstrand, a. a. O., S. 479 (L. Hutter, a. a. O., S. 409b f.); zu admirabile temperamentum vgl. ebd., S. 468, Anm. 7 (Zitat aus Quenstedt, Pars III, Cap. III, Membruta II, Sect. I, th. XLI, S. 249a). — S. 459f. betont Sjöstrand, daß in der Versöhnung die Gerechtigkeit Gottes nach orthodoxer Lehre zum Zuge kommen muß. 566 Ebd., S. 475, Anm. 7 aus Melanchthon Brev. comm. in Matth. Op. omn. III, Wittenberg 1563, S. 284: „Iustitia Dei est, ut post lapsum Adam et Eva sint damnati ad poenas aeternae, sicut diaboli."
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der in seiner Gerechtigkeit und seiner Güte eine Gott; da wo die Sünde mächtig wurde und den Gott des Gesetzes von dem Gott der Gnade isolierte und die Gnade Gottes zunichte machen wollte, ist die Gnade viel mächtiger geworden und hat im Werke Christi für den Sünder wieder den ganzen Gott, der sein Gericht zum Werkzeug seiner Gnade macht, ans Licht gebracht. Denn dem Sünder gilt die oboedientia activa und passiva Christi; Christi Person und Werk, ist Gottes Geschenk an ihn, er ist vor Gott wieder der Gerechte, dem des Vaters ganze Liebe gehört. Es ist ganz und gar eine aliena iustitia, von der der Gerechtfertigte lebt. Insofern bedeutet allerdings das mirabile temperamentum eine Milderung des strictum ius, das aber in seiner Isolierung von der Liebe gar nicht volle, ganze Gerechtigkeit sein kann, und offenbart die auch von orthodoxen Theologen durchaus eingestandene Irrationalität der Theorie, die trotz ihrer scheinbar bis zum letzten durchgehaltenen Rationalität doch zu der vom legalistischen Denken her ganz widersinnigen Konsequenz der wunderbaren Einheit richterlicher Gerechtigkeit und sündenvergebender Liebe kommt: „Diese Selbstüberwindung' liegt in der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Es war eine .Selbstüberwindung', auf das strictum ius zu verzichten und den Sohn zu opfern. Der Verzicht auf das strictum ius bedeutet gerade das Opfer des Sohnes. Und diese Einheit schließt auch ein, daß Gott durch seine .Selbstüberwindung' im Grunde sich selbst behauptet, so nämlich, daß im Opfer der Liebe die göttliche Gerechtigkeit zum Ausdruck kommt. Und daher ist im Grunde gerade die ,Milderung' (förlindring) im temperamentum die verwunderliche Einheit, in der beide, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, in Erscheinung treten, ohne irgendeine .Milderung' im üblichen Sinne" δβ7 . Von einer Abschwächung der göttlichen Liebe kann in der Tat keine Rede sein, solange man daran festhält, daß Gottes Liebe nur als sündenvergebende und -überwindende wirksam werden kann. 2. O b o e d i e n t i a C h r i s t i
tx) Oboedientia activa Die „Irrationalität" dieses göttlichen Liebeshandelns kommt in der orthodoxen Theologie stärker als bei Anselm zum Ausdruck, da hier die bei Anselm wohl anklingende Deutung des Werkes als exklusive Stellvertretung konsequent durchgeführt ist. Konnte man sich bei Anselm noch, 5 , 7 Sjöstrand, Satisfactio Christi S. 486. — Zur Gerechtigkeit des Glaubenden auf Grund der Imputatio des doppelten Gehorsams und zum Wundercharakter der Rechtfertigung vgl. ebd., S. 388ff. — J . Gerhard (Loci: De Iustif, §49) betont die Irrationalität der Satisfaktionslehre, da sonst nur bei Geldschulden Satisfaction geleistet werden könnte. Vgl. dazu A. Sjöstrand, a. a. O., S. 407. — Noch wesentlich schärfer hebt Flacius (Clavis I, S. 443, r. 38ff.) das allem Rechtsdenken anstößige Paradox der Satisfactio Christi hervor.
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wenn man sich an den bloßen Begriff der von der Strafe unterschiedenen satisfactio hielt, die uns zugute kommende Wirkung der „Leistung Christi" nach Analogie anderer Satisfactionen erklären, bei denen es nur auf die Zahlung des erforderlichen Wertes ankommt, wobei der Schuldner und der Erstattende verschiedene Personen sein können, so versagt für die exklusive Stellvertretung im persönlichsten Bereich der Strafschuldigkeit und Gehorsamsverpflichtung jede Analogie (s. Anm. 567). Diese analogielose Stellvertretung, diese freiwillige Übernahme der „Rolle" des schuldbeladenen Menschen, seiner unausweichlichen Verhaftung an Forderung und Gericht des Gesetzes, aber arbeitet die orthodoxe Versöhnungstheologie bei ihrer Neuformung der anselmischen Lehre scharf heraus : Pro me — steht nicht nur über dem Tode, sondern über dem ganzen Leben Jesu ; seine Erfüllung des göttlichen Gebotes in dem Tun des göttlichen Willens und in dem Erleiden des Gerichtes über die sündige Menschheit, oboedientia activa und passiva Christi, geschehen uns zugut, damit wir vom Gesetz als heilsbedingender Macht zwischen Gott und uns in jeder Form frei würden. Die Lehre von der stellvertretenden oboedientia activa ist also nicht einfach als letzte über Anselm hinausgetriebene Konsequenz legalistischen Versöhnungsdenkens® 68 zu werten, sondern als Ausdruck für das nun auch begrifflich verpersönlichte Verständnis der Satisfaction 6 6 9 . Nicht infolge einer überpflichtmäßigen Leistung, sondern durch die im freien Gehorsam in allem Handeln und Leiden ganz Gott hingegebene Person J e s u Christi wendet sich der „ganze", der in seiner Gerechtigkeit und Barmherzigkeit eine Gott dem Menschen wieder zu, wird dieser gerecht. Konsequenter noch als bei Anselm wird einerseits die völlige Freiheit Christi vom Gesetz, die er kraft der communicatio idiomatum auch im Blick auf die menschliche Natur von vornherein besaß, und andererseits die willige Unterordnung unter das Gesetz, die oboedientia Christi, hervorgehoben. Damit ist von vornherein ausgeschlossen, daß Christus das Gesetz als Heilsbedingung erfüllt habe 5 7 0 . Wir sahen schon im Zusammenhang So G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 217. Siehe dazu FC SD 111,68: „(Et hoc modo) fides nostra respicit in personam Christi, quatenus illa pro nobis legi sese subiecit, peccata nostra pertulit, cum ad Patrem suum iret, solidam absolutam et perfectissimam oboedientiam (iam inde a nativitate sua sanctissima usque ad mortem) Patri suo coelesti pro nobis miserrimis peccatoribus praestitit." Vgl. dazu auch W. Eiert, Morphologie des Luthertums I, S. 102f. Zum doppelten Gehorsam FC SD 111,15. S7e FC SD 111,15: „Cum enim Christus non tantum homo, verum Deus et homo sit in una persona indivisa, tam non fuit legi subiectus, quam non fuit passioni et morti (ratione suae personae) obnoxius, quia Dominus legis erat. Earn ob causam ipsius oboedientia (non ea tantum, qua Patri paruit in tota sua passione et morte, verum etiam, qua nostra causa sponte sese legi subiecit eamque oboedientia illa sua implevit) nobis ad iustitiam imputatur, ita ut Deus propter totam oboedientiam (quam Christus agendo et patiendo, in vita et morte sua nostra causa Patri suo coelesti praestitit) peccata nobis remittat, pro bonis et iustis nos reputet et salute 648
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der Urstandslehre, daß auch für den lateinischen T y p eine solche Gesetzeserfüllung propter aliud in Wahrheit gerade keine Erfüllung wäre (s. Anm. 439 und 440, S. 122). Von Christus aber wird das Gesetz als Gebot der gottebenbildlichen Vollkommenheit erfüllt, jener Vollkommenheit, in der Gott seine Freiheit ganz in der „Erfüllung" seines Gesetzes erweist. Durch die Vollkommenheit Christi, die in der Sünde zerbrochene, restituierte geschöpfliche Einheit von Spontaneität u n d Gehorsam gegen Gottes Gesetz leuchtet die Vollkommenheit Gottes, die letzte Einheit seiner Treue gegen sich selbst und seine Kreatur hindurch 5 7 1 . Darum ist nun auch mit Christi oboedientia für den Glaubenden jedes „gesetzliche" Gottesverhältnis zu Ende, das nicht v o n Gottes frei geschenkter Gnade lebt, die nicht durch die Erfüllung von Rechtsforderungen bedingt ist und damit an der oboedientia Christi teilhat, indem der Christus pro nobis als Christus in nobis v o m Glaubenden Besitz ergreift. In· diesem Sinne kann Quenstedt in Übereinstimmung mit Luther davon sprechen, daß Christus uns v o m Fluch, aber nicht v o m Gehorsam des Gesetzes befreit habe. Trotz Lindroth braucht darin noch keine legalistische D e u t u n g des Werkes Christi und der Gottesbeziehung 8 7 2 des Gerechtfertigten zu liegen. aeterna donet." —Vgl. noch J . Gerhard, Loc. de Juetif., § 57: „Si enim Christus iuxta humanam naturam non est Dominus Legis, utique ut homo est legi subiectus obstrictus ad Deum diligendum ex toto corde etc. ergo dilectione illa sua non potuit legem pro nobis implere" (A. Sjöstrand, a. a. O., S. 381). 511 Zu dieser Ausdeutung vgl. Seite 122f. ; vgl. A. Sjöstrand, a. a. O., S. 330 (A. 9) : „Deo quidem haec libertas (sc. a jure, qua arbitrium non obligatur, ut iuxta aliquam legem velit, eligat, agat, th. 12) competit, ut vere sit α τ ε ού ιος, nec ulli obligetur: interim cum Deus sit ανταγαϋόν et ipsa Charitas, ideo sibi ipsi lex est, contra quam nihil velie, eligere aut reprobare potest: quomodo tamen liberrime vult et eligit" (Jonas Magni, Disputatio de libero arbitrio, Ubsaliae 1629, th. 12 und 14). Siehe auch A. Sjöstrand, a. a. O., S. 170f. (Zitat aus H. E. Weber, Reformation, Orthodoxie und Rationalismus I, S. 301) : „So ist das Gesetz durch Chri tue überwunden — aber freilich durch die Erfüllung in der Tiefe und Fülle des Anspruchs, und diese Erfüllung dient gerade wieder dem Wirksammachen: So wie Christus es erfüllt, verliert das Gesetz eben nicht seinen Anspruch." 572 Vgl. H. Lindroth, a. a. O., S. 309f.; dort wird auf S. 310 ablehnend Quenstedts Distinktion zitiert : „Non dicit simpliciter a lege nos liberatos esse per Christum quasi liberati simus ab omni legis oboedientia. . . . Sed ab execratione seu maledictione legis", s. dazu aber Luther, WA 36,37: „Christus hat uns vom Fluch, nicht vom Gehorsam des Gesetzes befreit." — Zur völligen Aufhebung des Gesetzes in der alten heilsbedingenden Bedeutung dank Christi oboedientia activa et passiva vgl. A. Sjöstrand, a. a. O., S. 367 (Anm.) ; unter Berufung auf J . Gerhards Loc. de Justif. § 61,3: „Zu beachten ist (nun), daß Christi aktiver Gehorsam sich nicht nur auf die negative Schuldverpflichtung, sondern auf die Erfüllungsschuldigkeit überhaupt bezieht. Christi aktiver Gehorsam umfaßt nicht nur das Vergangene, die Schuldverpflichtung, sondern auch das Zukünftige, die Gesetzesverpflichtung überhaupt." — Siehe dazu den ganzen Abschnitt bei A. Sjöstrand, a. a. O , S. 353—373. Anders H. Lindroth, a. a. O., S. 324: „. . . Die stellvertretende aktive Gesetzeserfüllung muß bedeuten, daß der Mensch von der Pflicht, dem Gesetz zu gehorchen, erlöst ist. Aber 158
β) Oboedientia passiva Vielmehr geht es zuletzt in der oboedientia des Christen um die conformitas mit Christus selbst, so wie umgekehrt Christus mit dem Sünder in seinem Straf leiden „konform" wurde. Das Erleiden der Höllenstrafen durch Christus ist wohl kaum als eine nur um der rechnerischen Äquivalenz willen notwendige dogmatische Konstruktion gemeint, der zuliebe plötzlich die jenseitige Hölle mit ihren Strafen gleichsam vom Himmel herabfallen muß 573 , sondern als stärkster Ausdruck für die volle Solidarität Christi mit dem Sünder, dessen Höllenstrafen ja durchaus im reatus culpae et poenae schon gegenwärtig sind. Wenn die Orthodoxie hier von der oboedientia passiva Christi spricht, meint sie ja offensichtlich etwas anderes als ein mechanisches Abbüßen bestimmter Strafen, sie meint doch offensichtlich gerade das gehorsame, an Gott im Gericht festhaltende Durchleiden der Gottverlassenheit; und gerade in diesem gehorsamen Hinnehmen des Gerichts aus Gottes Händen, in der Umklammerung des ganzen Gottes, wo nur sein Nein hörbar wird, liegt die Überwindung des Gerichtsfluches. In dieser uns zugesprochenen oboedientia passiva Christi ist der Fluch der Strafe aufgehoben, ist die Vergebung der Sünde, das heimliche J a unter dem lauten Nein Gottes für den Glaubenden gegenwärtig 5 7 4 . Das eigentdas widerspricht natürlich der gesetzlichen Grundorientierung der Orthodoxie. So erweist es eich als unglücklich, Christi Heilswerk als stellvertretende oboedientia activa zu bestimmen." — Lindroth und Aulén (Den kristna försoningstanken, S. 213) sehen nicht die von H. E. Weber und Sjöstrand empfundene Problematik, die sich für die Orthodoxie dadurch ergibt, daß sie in den gesetzlichen Kategorien von der Überwindung des Gesetzes spricht (vgl. A. Sjöstrand, a. a. O., S. 369). — Davon, daß „Luthers Gedanke, daß das Gesetz von einer Seite gesehen, ein Tyrann und eine Verderbensmacht ist und insofern durch Christi Lebenswerk besiegt wird, nun ganz und gar verschwindet" (Aulén, a. a. O.), kann keine Rede sein. J.Gerhard, a. a. 0., betont ausdrücklich, daß Christus uns von der Strafe und der Last der heilsbedingenden Forderung des Gesetzes befreit habe, freilich, wie auch Luther hervorhebt, durch seine stellvertretende Gesetzeserfüllung. — Zum Verhältnis von Christus pro und in nobis vgl. A. Sjöstrard, a. a. O. S. 348f., bes. L. Hutter, Loci communes, S. 420a: ,,. . . Sacrificium Christi tantam habet vim et efficaciam, ut Iustificatio Legis in nobis impleretur. . . . ut δικαίωμα Legis, hoc est, Iustitita absolutissima, quam Lex a nobis flagitat, et requirit, impleretur non a nobis, sed f'r νμϊν, in nobis: Quia Christus, qui Legem pro nobis implevit, in nobis est, hoc est, per fidem in nobis habitat, Ephes. 3,17." 573 G. Aulén, Das christliche Gottesbild, S. 263f.; vor allem aber H.Mandel, a. a. O., S. 87: „Nur wie durch einen Deus ex machina kann die ewige Verdammnis auf den Vertreter gelegt werden. . ." s " Sjöstrands Behandlung von oboedientia activa und passiva im Zusammenhang der orthodoxen Imputationslehre (a. a. 0 . S. 353—373; 389—412) bringt die Ausrichtung des Werkes Christi auf die Sündenvergebung gut zum Ausdruck. — Lindroth (a. a. O., S. 320ff.) interpretiert den orthodoxen Strafleidensgedanken, als ob es Gott danach nur um eine mechanische Vergeltung für die menschliche Sünde gehe, bei der ihm das Objekt im Grunde gleichgültig sei. Dem widerspricht aber doch die Betonung des Gehorsams Christi in der Strafverbüßung und die Orientierung des Glaubens an 159
liehe Problem liegt in dem Zusammenhang des göttlichen Zuspruchs des Gehorsams Christi mit der Hineingestaltung des Glaubenden in den Christus oboediens, in der von der Orthodoxie nicht genügend sichtbar gemachten Bewegungsrichtung von exklusiver zu inklusiver Stellvertretung im Verlaufe der vita Christiana (vgl. Anm. 572 Schluß). Das Anliegen der Orthodoxie, das sie zu der forensisch-exklusiven Ausgestaltung der Versöhnungslehre führt, ist offensichtlich, die Genügsamkeit und Vollkommenheit des göttlichen Versöhnungs- und Rechtfertigungswerkes nicht mit menschlichen Halbheiten zu verquicken und dadurch abzuschwächen. Darin liegt gewiß auch, daß der Trost des Evangeliums gefährdet wird, wenn er nicht unabhängig von der Erneuerung der Gerechtfertigten gültig ist 575 . 3. D a s W e r k C h r i s t i a l s s a t i s f a c t i o u n d
meritum
Dieser Trost liegt in der durch die oboedientia activa und passiva vollzogenen Satisfactio Christi. Dem angefochtenen Gewissen gilt der Trost des Satis : der göttlichen Gerechtigkeit ist genug geschehen, das Gesetz ist erfüllt. Aber wir sahen bei der Interpretation der „Teile" des Satisfaktionswerkes schon: Der in ihm beschlossene Trost führt aus der Anfechtung durch das Gesetz über das gesetzliche Denken im Gottesverhältnis hinaus : Die Erfüllung des Gesetzes für uns ist in der Freiheit Christi vom Gesetz geschehen ; der Schuldspruch des Gesetzes ist für uns durch die Anerkennung seines Urteils als Urteil des Gottes, der auch im Gericht unser Gott bleiben will, aufgehoben. Trotz aller Betonung der strengen Äquivalenz von Satisfactio und Gesetzesforderung an den Menschen im Interesse des angefochtenen Gewissens kann faktisch das Äquivalent vom legalistischen Denken her niemals als wirklich gleichwertig nachgewiesen werden ; dieser Vorwurf ist ja auch seit den Tagen Sozinians — im geschlossenen Rahmen legalistischen Denkens durchaus mit Recht — der Orthodoxie gemacht worden 576 . der Person Christi (s. Anm. 569), beides Gesichtspunkte, die bei einer mechanisch sachhaften Betrachtung der Strafe und der Stellvertretung bedeutungslos wären. Siehe W. Eiert a. a. O., I, S. 103. 575 Siehe A. Sjöstrand, a. a. O., S. 389f. : „Die Rechtfertigung als richterlicher Akt soll also die Gnade als Huld gegenüber jedem Versuch, sie mit einer Qualität im Menschen zu identifizieren, hervorheben" (Verweis auf Gerhard, Loc. de Justif., § 28,6 bei A. Sjöstrand, a. a. 0., S. 390). Der forensische Rechtfertigungsbegriff vereinigt die genuin lutherische Betonung der Alleinwirksamkeit Gottes zu unserem Heil gegen alle römischen Irrlehren mit dem „Trostmotiv" (Eros und Agape, S. 564 bis 568). Lindroth erkennt (a. a. O., S. 301f.) zwar diese Tendenz für die orthodoxe Rechtfertigungslehre an, die aber moralistisch-meritorisch verfälscht sei; so sieht er auf S. 316 doch in dem anthropozentrisch-melanchthonischen Trostmotiv den eigentlichen Grund für die juridisch-objektive Ausgestaltung der orthodoxen Rechtfertigungslehre. 576 Die Äquivalenz kommt nur dadurch zustande, daß Gott der Handelnde ist, andererseits widerspricht der Gedanke, daß Gott sich selbst Satisfaktion gibt, allen
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Ebenso leicht ist der andere Aspekt, unter dem Christi Werk wie bei Anselm betrachtet wird, rationaler Kritik zugänglich. Die Meritum-Perspelclive paßt zunächst weder zu der von der Reformation wieder entdeckten und von der Orthodoxie bejahten Grundstruktur des Gottesverhältnisses noch zu der starken Betonung der oboedientia Christi677. In der Tat ist der aus der dogmatischen Tradition übernommene Begriff unglücklich, ebenso unglücklich wie der Nachweis der Verdienstlichkeit von Christi Werk mit dem Argumente, daß Christus für sich selbst auch nach seiner Menschheit wegen der ihr übereigneten göttlichen Eigenschaften nicht zum Gehorsam gegen das Gesetz verpflichtet gewesen wäre (vgl. Anm. 570). Damit wird wieder auf eine unzulängliche Weise versucht, die Spontaneität des Gehorsams Christi begreiflich zu machen und mit seiner Heilsbedeutung für uns in Verbindung zu bringen. Denn das ist der eigentliche Sinn dieser zweiten Betrachtungsweise des Werkes Christi, neben die Beziehung des Heilewerkes auf die göttliche Gerechtigkeit die andere auf den Menschen selbst zu stellen: „Das Meritum hat als opus indebitum seinen Haftpunkt gerade in der göttlichen Subjektivität und bringt zum Ausdruck, daß Christi Werk, hervorgegangen und vollbracht in Gottes Liebe, auf den Menschen gerichtet ist. Das Meritum fixiert die Dimension der Liebe in Gott und damit auch die göttliche Subjektivität im Versöhnungswerk, obwohl der Meritumgedanke nicht vom Gedanken an die göttliche Objektivität freigemacht werden kann 6 7 8 ." Da Christus sein Gott nicht geschuldetes Werk nicht sich selbst zugutekommen läßt, sondern seinen Ertrag oder Lohn den Menschen zuwendet, kann die meritorische Linie so gedeutet werden : das Werk des Gottmenschen ist göttliche Liebestat an uns. Könnte man zunächst durchaus dieselbe „Sache", die Befriedigung der Gerechtigkeit Gottes, quoad Deum als Satisfactio, quoad hominem als ihm übereignetes Meritum betrachten, so machen doch die orthodoxen Väter, die überhaupt so unterscheiden, z. T. auch einen inhaltlichen Unterschied zwischen Satisfactio und Meritum: „Die Satisfaction kompensiert das gegen Gott begangene Unrecht, sühnt die Gesetzesübertretungen, bezahlt die Schuld und befreit vollständig von den ewigen Strafen. Das Meritum versetzt uns wieder in den Gnadenstand und erwirbt uns den Gnadenlohn der Sünder : das will sagen, Sündenvergebung, Rechtfertigung und ewiges Leben" 579 . Mag man hier noch an dieselbe Sache, einmal negativ — vom Gesetz her —, einmal positiv — vom Evangelium her — bezeichnet, denken, so wird an der Einbeziehung der ErRechtsanalogien und offenbart den vorläufigen, letztlich an die Grenze ihrer Ausdrucksmöglichkeiten geführten Charakter der gesetzlichen Betrachtungsweise (s. A. Sjöstrand, z. B. S. 543f.). 5 " Zur Kritik s. etwa H. Lindroth, a. a. O., S. 3 0 2 - 3 0 5 , 3 1 7 - 3 2 6 . " 8 A. Sjöstrand, a. a. O., S. 384. . »» Ebd.
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höhung Christi in sein meritorisches Werk— während sie in der Regel nicht zur Satisfactio gerechnet wird 580 — der größere Begriffsumf ang des Meritum Christi deutlich. Freilich ist der Begriff nun in seiner eigentlichen, moralistischen Bedeutung völlig verblaßt 6 8 1 . Doch läßt nach Sjöstrand gerade dieser weite Meritumbegriff gegenüber der Satisfactio im engeren Sinne den Liebes- und Gnadencharakter des Werkes Christi klar hervortreten: „Daß die Begriffe Satisfactio und Meritum in den Akten der Entäußerung zusammenfallen, bedeutet, daß diese Liebe mit Gerechtigkeit gesättigt ist (mättad med). Daß das Meritum einen weiteren Geltungsbereich hat als die Satisfaction, bedeutet wiederum, daß die Satisfaction doch gleichsam nur ein Durchgangsglied für die göttliche Liebe im Satisfactionswerk ist. So weisen beide Begriffe, wo sie nebeneinanderstehen, auf ein zentrales Problem hin, nämlich auf das Verhältnis zwischen Gottes Gerechtigkeit und seiner Liebe im Versöhnungshandeln. Man könnte es so ausdrücken : Keine rechtfertigende Gnade Gottes, die nicht alle Forderungen der Gerechtigkeit in sich schließt, aber: Keine rechtfertigende Gnade Gottes, welche gleichsam innerhalb der Grenzen der Gerechtigkeit stehen bliebe in dem Sinne, daß das Gesetz doch verborgen die Herrschaft besäße und die Liebe nur eine Art Anhang an die Gerechtigkeit wäre 5 8 2 ." Freilich bleibt der Begriff Meritum trotz der kühnen Ausdeutung Sjöstrands als solcher unbefriedigend, da er seine Herkunft aus dem Bereich legalistisch-moralistischen Denkens kaum verleugnen kann und daher als Ausdruck für den Gnadencharakter der Versöhnung ganz ungeeignet ist ; in diesem Falle bedeutet die „Taufe" des Begriffes seine völlige Sinnentleerung und dient daher nicht der Klarheit 5 8 3 . Aber das sachliche, mit dem fragwürdigen Begriff wahrgenommene Anliegen, den positiven Effekt des Versöhnungswerkes in der Rechtfertigung und Beseligung der Menschen herauszustellen, sollte darum nicht verkannt werden: Es ist, wie Sjöstrand mit Recht hervorhebt, die rein dualistische Erlösungsperspektive, unter die das Heilswerk Christi damit gestellt wird 584 , eine Perspektive, die der Orthodoxie keineswegs fremd 580 Anders FC SD 111,14, wonach auch Christi Auferstehung satisfaktorische Bedeutung hat: „Iustitia ilia, quae coram Deo fidei aut credentibus ex mera gratia imputatur, est oboedientia, passio et resurrectio Christi, quibus ille legi nostra causa satisfecit et peccata nostra expiavit." Hier sind wieder Person und Werk Christi m unauflöslicher Einheit gemeint und ist wohl im Zusammenhang mit der Resurrectio auch an die das Gesetz überwindende „Kräftigkeit" der Satisfactio gedacht. 581 Siehe dazu H. Lindroth, a. a. 0 . , S. 304f. 582 A. Sjöstrand, a. a. O., S. 387. 583 Er kann eigentlich nur den polemischen Akzent: „Nicht unser, sondern Christi Verdienst" haben; nur auf den Gegensatz, nicht auf den gemeinsamen Begriff „Verdienst" kommt es an. 584 A. Sjöstrand. a. a. O., S. 386: „Wenn wir hier dem Kommenden vorgreifen und fixieren, daß die Akte der Erhöhung, wie sie hier bestimmt werden, eigentlich
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war 585 , ja, in der sie erst die Versöhnung sich verwirklichen sah: „Mors Christi ad justitiam acquirendam nobisque applicandam otiosa fuisset, nisi de peccato, morte et Satana victor ex mortuis resurrexisset 586 ." Wenn hier Versöhnung und Erlösung noch wie Karfreitag und Ostern zwei verschiedene Akte zu sein scheinen, so ist für die strengere dogmatische Behandlung die Erlösung, die Entmächtigung der Verderbensmächte, in die Versöhnung als den Erwerb der Schuldfreiheit eingeschlossen, da jene Mächte ja im Grunde nichts anderes sind als die schrecklichen Gestaltwerdungen dieses Schuldspruches in der menschlichen Wirklichkeit, mit dessen Geltung und den Menschen in die Sünde bindender K r a f t auch sie ihre verderbliche Gewalt über den Menschen verlieren 587 . So können Versöhnung und Erlösung als „diversae notiones formales jsive respectus unius ejusdemque beneficii" 588 bezeichnet werden. Dieses Eingeschlossensein der Erlösung in die Versöhnung ist leicht verständlich, wenn die Versöhnung als Gottestat angesehen wird ; wenn die vollgültige Satisfactio die Zuwendung Gottes in seiner Ganzheit zum wiederhergestellten, heilen Menschen ist, dann schließt diese Zuwendung den Sieg über die zwischen Gott und den Menschen stehenden Mächte in sich, die nun — zu bloßen Feinden Gottes geworden — nur noch ohnmächtige Gefangene im Triumphzug des erhöhten Christus victor sind. „Obwohl wir nicht neugierig erforschen sollen, was Christus in der Hölle ausrichtete, so geht doch aus dem klaren Schriftzeugnis hervor, daß die Höllenfahrt ein Zeichen des ruhmvollen Sieges Christi war, den er über den Teufel und sein ganzes Reich gewann, das durch Christi Leiden und Tod und seinen ganzen Gehorsam vollständig vernichtet und umgestürzt wurde. Dadurch hat Christus sein Siegeszeichen in der Hölle selbst aufgerichtet, daß er nach der Grablegung um der Vernichtung und Entwaffnung der unversöhnlichen Feinde des Menschengeschlechtes willen seine Macht und Majestät erzeigte, so daß sie wirklich (an)erkennen inußten, daß der nicht dem Rechtsaspekt, sondern dem, was wir den eigentlich dualistischen Aspekt genannt haben, zugehören, so wird deutlich, daß auch der Begriff meritum seine Rolle im Grunde ausgespielt hat, wenn er mehr als das Resultat der satisfaktorischen Handlung bedeuten soll." 585 Aulén sieht (Den kristna försoningstanken, S. 221) die in der Oi-thodoxie gelegentlich verwandten klassischen Ausdrücke und Bilder als sachlich bedeutungslos an. Im folgenden verbuchen wir für die Orthodoxie (gegen Aulén) die wichtige Rolle des eigentlichen Dualismus und seine Verbindung mit dem Satisfaktionsbegriff aufzuzeigen. 586 J. Gerhard, Loc. de Justif., § 232, zitiert bei A. Sjöstrand, a. a. O., S. 632. 687 Siehe R. Josefson, a. a. O., S. 63—74. S. 68: „Die Genugtuung ist das Strafleiden, und da zu den Strafen auch Sünde, Tod und Teufel gehören, schließt diese satisfactio zugleich einen Sieg über die geistlichen Feinde in sich." — Vgl. auch A. Sjöstrand, a. a. O., S. 532—539. 58B R. Josefson, a. a. 0., S. 94 (nach J. Victorin).
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Kopf der Schlange von dem Weibessamen zertreten wurde" 5 8 9 . — Versöhnung und Erlösung gehören offenbar trotz Aulén 590 auch für den lateinischen Typ — zumindest in seiner hier besprochenen orthodoxen Gestalt — organisch und untrennbar zusammen, ja sie sind wie im klassischen Typ zwei Seiten derselben Sache, aber im Unterschied zu der Akzentuierung dort wird in der Orthodoxie nicht die Versöhnung in die Erlösung, sondern die Erlösung in die Versöhnung eingeschlossen gedacht. Die Satisfactio Christi schließt auch den Sieg über die „Mächte" in sich, aber dieser Sieg ist Frucht der Satisfactio und nicht umgekehrt 5 9 1 . Die alle Mächte überwindende „Kräftigkeit" der Versöhnungstat hängt, wie wir sahen, für die orthodoxe Theologie daran, daß Gott in Christus der Versöhner ist. 4. D i e V e r k n ü p f u n g v o n C h r i s t o l o g i e u n d
Soteriologie
„Gott in Christus" — könnte man als Leitgedanken über die eifrige christologische Arbeit des orthodoxen Luthertums schreiben, das keineswegs — wie es nach Auléns Darstellung scheint — die überkommene Christologie nur als ein ehrwürdiges, aber eigentlich unpassendes Traditionsstück übernahm 5 9 2 ; denn die in ihren Einzelzügen gewiß recht scholastische Ausgestaltung der communicatio idiomatum (besonders das als christologische Neuerung heftig umstrittene genus auchematicum) sollte doch nur die volle Gegenwart Gottes in dem verachteten Menschen Christus sicherstellen 593 . Die christologische Bemühung um die Gottheit Christi kann aber nicht als freischwebende Spekulation, auch nicht als sekundäre Hilfskonstruktion zur Abendmahlslehre beurteilt werden, sondern ist durchaus organisch auf die Soteriologie hin angelegt. Die Lehre \ r on der communicatio idiomatum zielt auf das genus apotelesmaticum, in dem die 588
A. Sjöstrand, a. a. 0 . , S. 536 (zitiert aus L. P. Gothus, Theses de officio d o m i n i . . . 106ff.): Hier ist unmißverständlich ausgesagt, daß das Satisfactionsgeschehen selbst, Christi Leiden, Tod und Gehorsam, die Überwindung der Mächte in sich schließt, die durch Christi Höllenfahrt und Auferstehung offenbar gemacht wird. Siehe auch A. Sjöstrand, a. a. 0 . , S. 531 über die Kraft der satisfactio. Ähnlich ist der Gedankengang Kol. 2,14f. 590 Vgl. Anm. 585. 591 A. Sjöstrand, a. a. O., S. 538f. 692 G. Aulén bestreitet (a. a. 0 . , S. 220f.), daß die christologischen Neuerungen der lutherischen Orthodoxie für die Versöhnungslehre bedeutsam gewesen seien. 61,3 Siehe dazu etwa W. Eiert, a. a. O., I, S. 205: „Es darf. . . nicht aus den Augen gelassen werden, daß die Absicht des genus auchematicum dahin geht, die reale Mitteilung jener Eigenschaften (sc. der proprietates divinae vgl. PC S D VIII,65) an die menschliche Natur Christi nachzuweisen. Das bedeutet aber dann, daß naoh dieser Darstellung Gott seine ihm selbst wesentliche Gewalt über Leben und Tod, seine unbedingte Herrschaft, seinen Willen zur Reinigung der Menschen von Sünden an den Menschen Christus gebunden hat. Und dies ist ein grundlegendes Moment der auch für die Rechtfertigungslehre unerläßlichen Auffassung Luthers vom Deus incarnatus."
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beiden anderen genera erst realisiert werden. Im Erlösungswerk Christi handelt die Person Gottes des Sohnes nach ihren beiden Naturen mit dem einen apotelesma, dem Heil der Menschen, und zwar so, daß in dem Wirksamwerden einer Natur die ganze Person handelt (genus idiomaticum) und darüber hinaus das Werk der menschlichen Natur auf Grund der ihr übereigneten göttlichen Eigenschaften als solches schon (allerdings infolge ihrer Enhypostase im Logos) „in göttlicher Kraft und Mündigkeit" geschieht (genus auchematicum)594. Man mag manches gegen die christologischen Theorien der lutherischen Orthodoxie einzuwenden haben, die beiden Hauptvorwürfe Auléns, daß in ihr die menschliche Natur das eigentliche agens der Versöhnungshandlung sei und daß ihre Christologie keine organische Beziehung zur Soteriologie habe 595 , kann sie mit Recht zurückweisen: 1. In der Versöhnung wird die göttliche Person zwar wesentlich durch die allein leidensfähige, menschliche Natur wirksam, aber das heißt nach den Ausführungen über das Verhältnis von Person und Natur nicht, daß die Menschheit Christi das eigentliche agens sei. Ein Bild von Hollaz mag das Gemeinte verdeutlichen: „Wie man, wenn Petri Leib eine Wunde beigebracht wird, nicht nur sagt, PetriLeib sei verwundet, sondern Petrus oder Petri Person wirklich verwundet ist, obwohl seine Seele nicht verwundet werden kann, ebenso leidet nicht nur der Leib oder die menschliche Natur Christi, wenn Gottes Sohn nach dem Fleische leidet , sondern Gottes Sohn oder die Person des Sohnes Gottes leidet wirklich, obwohl die göttliche Natur nicht leiden kann 6 9 6 ." — Aus der Leidensunfähigkeit der göttlichen Natur folgt aber nicht, wie Gerhard ausdrücklich hervorhebt, daß sie nur in einem mechanischen Sinne wertgebende Bedeutung habe, vielmehr ist sie zuinnerst aktiv beteiligt und gibt dadurch dem Werke Christi seine versöhnende und erlösende Kraft 8 9 7 . Auch im orthodoxen Passionslied wird die Gottheit des Versöhners stark betont (vgl. etwa EKG 59,12 : Wir bitten dich, wahr Mensch und Gott; 60,5: Gott wird gefangen; 61,2: Es hat sich selbst der wahre Gott für mich verlorenen Menschen gegeben in den Tod; 64: 0 Welt, sieh hier dein Leben. . .; 594 Siehe dazu ausführlich A. Sjöstrand, a. a. O., S. 499—626, β. auch Chr. Luthardt a. a. 0 . , S. 148—154; vgl. E . Hirsch, Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik, S. 321 bis 340. 595 Siehe G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 221, zitiert ζ. T. in Anm. 124: „Auf die Frage nach der Bedeutung der göttlichen Natur antwortet man regelmäßig in der alten wohlbekannten Weise : Sie gibt dem Werk, welches zunächst von der menschlichen Natur als agens ausgeführt wird, einen unendlichen Wert. Letztlich liegt derselbe Mangel organischen Zusammenhange zwischen Christologie und Versöhnungslehre vor, der von Anfang an den lateinischen Typ kennzeichnet." δ9β D. Hollazius, Examen theologicum acromaticum, P. III, Sect. I, Cap. 3. Qu. X L I V , Prob. b. (zitiert bei A. Sjöstrand, a. a. O., S. 623). 595 Referat und Interpretation von J . Gerhard (Loc. de Pers. et Offic. Chr. § 182) bei A. Sjöstrand, a. a. O., S. 529f.
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70,1 : Doch sieht mein Glaube wohl an dir, daß Gottes Majestät und Zier in diesem Leibe wohnen). 2. Die Entgegnung Sjöstrands auf den von Aulén behaupteten Widerspruch von Christologie und Soteriologie in der Orthodoxie mag die oben gegebenen Hinweise zusammenfassen: ,,. . .Abgesehen von den klaren Aussagen der Orthodoxie, daß die Erschaffung der zusammengesetzten' (sammansatta) Person Christi ganz und gar um des Amtes Christi willen geschehen sei und daß dieses (Amt) nach seiner Person bewertet werden müßte usw., schließt vor allem gerade das dritte genus (sc. apotelesmaticum) der Eigenschaftsmitteilung jeden Versuch aus, die Christologie im engeren Sinne und das Versöhnungshandeln voneinander zu trennen. Denn dieses genus ist ja gerade das genus des Heilshandelns, in dem das Verhältnis zwischen Person und Naturen hinsichtlich des Subjekts das oben dargelegte ist. Aber dieses genus ist, um mit Mentzer zu reden, zusammengesetzt aus den zwei vorhergehenden. Das bedeutet aber, daß man gerade bei der Behandlung der Person, d. h. der Christologie im engeren Sinne, das Versöhnungshandeln in sie hineingelegt h a t 6 9 8 . " 5. F o r e n s i s c h e R e c h t f e r t i g u n g und E r n e u e r u n g Dieses Versöhnungshandeln Christi kommt erst zum Ziel in der Rechtfertigung, als deren causa meritoria (s. Anm. 54, S. 18) es daher auch vielfach besprochen wird; weil das Heilswerk Christi in das Rechtsfertigungsgeschehen hinein gehört, konnten wir schon bei der Erörterung der oboedientia activa und passiva Christi von ihrer Relation zur Rechtfertigung nicht ganz absehen. Da Versöhnung und Rechtfertigung im Grunde nur die gedankliche Entfaltung des admirabile commercium zwischen dem Sünder und Christus, Christus und dem Sünder sind, müssen ja ständig beide „Partner" im Blickfeld stehen. Freilich macht es Lindroth der Orthodoxie gerade zum Vorwurf, daß sie die Lebendigkeit und Wirkkraft des „wunderbaren Wechsels" durch ihre Umsetzung in die streng forensische Rechtfertigungslehre preisgegeben habe. Aus dem Glauben als der Lebensgemeinschaft mit Christus, dem Existenzwandel von der Egozentrizität zur Theozentrizität wird nun die Entgegennahme des Verdienstes Christi ; die Gemeinschaft mit Gott besteht im Empfang seines Urteils, das den Sünder um der Satisfactio Christi willen gerecht spricht 599 . Warum diese Verzerrung der Agapegemeinschaft, in der der lebenschaffende Christus dem Gläubigen wieder innewohnt, zu bloßen Urteilssprüchen % Offenbar weil der Orthodoxie das Urteil Gottes wichtiger war als seine erfahrbare Gestaltwerdung im Menschenleben, auch als die spürbare Gottesgemeinschaft und der „religiöse Kraftzuschuß". In der Herbheit und Strenge der orthodoxen Theologie liegt auch ihre, wenn man so 698 589
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A. Sjöstrand, a. a. O., S. 525f. Siehe dazu H. Lindroth, a. a. O., S. 313f.
will, theozentrische Größe: Gewiß geht es in dieser Theologie um des Menschen Heil und Seligkeit, um seinen Trost — aber sein Heil und sein Trost liegen nicht in der Befriedigung menschlicher Wünsche und Sehnsüchte, in irgendeiner Glückseligkeit und Zufriedenheit, auch nicht in einer Lebenserfüllung in dieser Welt; sein Trost liegt jenseits des empirischen Menschseins, von dort her gesehen besteht des Menschen Heil in dem viel kritisierten „getrösteten" Sünderelend; sein Trost ist nur das eine in foro coeli dem Sünder zugesprochene Wort der Vergebung. Und doch ist dies eine Wort für die orthodoxe Theologie die alle anderen Realitäten in den Schatten stellende, in ihrer Vorläufigkeit und Scheinbarkeit aufdeckende, allein gültige und allein den Menschen rettende Wirklichkeit — darin gibt sie Gott die Ehre, daß sie nicht in des Menschen Handeln und Sein, seinem Erfahren und Fühlen, sondern allein in Gottes Wort Inhalt und Ziel des Menschseins, Heil und Trost beschlossen sieht. — Darum wird coram Deo der Glaube tatsächlich zum „Hohlraum", der mit den beneficia Christi gefüllt wird, „er ist nur da, um zu empfangen, und dadurch da, daß er empfängt 6 0 0 ." Der Glaube kommt hier nicht als opus per sese dignum 601 , nicht nach seiner psychologischen Qualität in Betracht, sondern als der „Ort", an dem die Vergebung der Sünde auf den Menschen auftrifft. Als solcher, als reines Empfangen, ist er die völlige Gerechtigkeit des Menschen, als solcher ist er des Heils gewiß, weil er nicht in sich gegründet ist, sondern Person und Werk Christi sich zusprechen läßt 6 0 2 . „Fides est vera cognitio Christi et utitur beneficile Christi et régénérât corda"603. Melanchthon und die Orthodoxie haben trotz der starken Zuspitzung ihrer Soteriologie auf die forensische Rechtfertigungslehre nun doch die erneuernde Kraft des Glaubens und ihren Zusammenhang mit dem Werk Christi nicht ganz übersehen. Nachdem die Rechtfertigung selbst von allen menschlichen Bedingtheiten freigehalten, nachdem jede katholisierende Begründung ihrer Gültigkeit und Gewißheit auf die im Menschen gewirkte Erneuerung abgewehrt und damit fraglos ein echt lutherisches Anliegen gewahrt worden war, konnte die Orthodoxie sich nun auch der Bedeutung des Glaubens für die nova vita des Christen zuwenden und dabei durchaus mit Luther betonen, daß aus der Einwohnung Christi, ja W. Eiert, Morphologie des Luthertums I, S. 75. Zum Ganzen vgl. S. 69ff. ; S. 66 zur Betonung der rechtliehen Momente: „Es liegt darin (se. im rechtlichen Moment) die Anerkennung eines unbedingt Geltenden, ohne das im Stadium des Urerlebnisses die Angst vor Gott zur bloßen Dämonenfurcht, in der Sphäre des Evangeliums aber die Ichbezogenheit des Glaubens . . . zum bloßen Utilitariemus würde."
«01 FC SD 111,13 - Ap. 11,86.
e 0 J Zur Gefahr der Mißdeutung des Glaubens als psychisch faßbarer Qualität vgl. W. Eiert, a. a. Ο., I, S. 93 —S. auch R. Bring (Glaube und Werke, S. 66), schon für Melanchthon.
603
12
Ap. 11,46.
8051 A'pers, Versähnuni;
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der Dreieinigkeit samt der Menschheit Christi im Gläubigen die Erneuerung hervorgehe 6 0 4 . Freilich scheint der später immer weiter ausgebaute ordo salutis in keinem rechten, organischen Verhältnis zur Rechtfertigung selbst mehr zu stehen und die „klassische" Unmittelbarkeit, in der Rechtfertigung und Erneuerung Gegenwartsvollzug der Versöhnung Christi sind, verlorengegangen (vgl. Seite 39f.). Aber dieser Eindruck r ü h r t von einem Mißverständnis des orthodoxen ordo salutis h e r : dieser ordo will ja nicht die Entwicklungsstufen des christlichen Glaubenslebens beschreiben, sondern die eine Heilsgabe nach verschiedenen Seiten entfalten; vor allem liegt der Orthodoxie dabei am Herzen, den Unterschied zwischen der Wirklichkeit unseres Seins vor Gott und unseres Seins in der Welt herauszuarbeiten ; diese begriffliche Unterscheidung verschiedener Stufen im ordo salutis darf nicht in zeitlich aufeinanderfolgende Akte aufgelöst werden: „Wiedergeburt, Rechtfertigung, Vereinigung und Erneuerung sind der Zeit nach zugleich und hängen enger als ein mathematischer P u n k t ineinander, also daß sie nicht auseinandergerissen u n d ausgesondert werden können 6 0 6 ." Diese ineinanderliegenden Momente der Heilsaneignung sind nun aber auch mit dem Heilshandeln Christi organischer verknüpft, als es der — Heilstat Christi und Heilszueignung unglücklich miteinander verbindende —Begriff causa meritoria erkennen läßt. Denn der rechtfertigende Glaube ist nicht nur ermöglicht durch, sondern bleibt gerichtet auf den totus Christus (s. Anm. 569, S. 157),unddieGerechtsprechung des Sünders, die ihn um des Strafleidens Christi willen von der Strafschuld der Sünde löst, bleibt untrennbar mit der Einwohnung des Herrn verbunden, durch die der Glaubende von der Macht und Gewalt der Sünde frei wird 60e . So bleibt zuletzt doch wohl in der umständlicheren Sprache und trotz der über Luther hinausgehenden Differenzierungen im ordo salutis schließlich sein Zeugnis vom admirabile commercium gewahrt, wenn Calov die unio mystica definiert: „Unio mystica est conjunctio vera et realis atque arctissima divinae humanae Christi theanthropou n a t u r a e cum homine renato, quae virtute meriti Christi per verbum et saorament u m fit ita u t Christus cum homine renato unum spiritum constituât et in 604 Siehe dazu W. Eiert, a. a. O., S. 64—78 einerseits, S. 123—154 andererseits. — Vgl. die Aufeinanderfolge im ordo salutis: Iustificatio (Regneratio), Unio mystica, Renovatio (Sanctificatio) (vgl. Chr. Luthardt, a. a. O., S. 216ff.). 805 J. A. Quenstedt III,614ff. zitiert nach E. Hirsch, a. a. 0., S. 365. 608 Das bei der vorigenAnmerkung gegebene Zitat fährt fort : „Jedoch nach unserer Weise zu begreifen, stehen der Ordnung nach Wiedergeburt und Rechtfertigung vor dieser mystischen Vereinigung. Wenn mämlich der Mensch in der Wiedergeburt mit dem Glauben beschenkt ist und durch den Glauben gerechtfertigt ist, dann erst fängt er an, gute Werke zu tun. Die Erneuerung aber steht hinter der Vereinigung. . .. Daß aber die heiligen Regungen, der Eifer in der Andacht (studium pietatis), die Liebe zum Nächsten usw. nicht Mittel unsererseits, sondern Wirkungen und Zeichen der im Akte existierenden mystischen Vereinigung sind, ist klar aus 1. Joh. 3,6."
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ipso et per ipsum operetur, eaque quae agit aut patitur fidelis sibi appropriet ut non vivat homo quod ad divinam vitam per se, sed in fide filii dei, donec ad coelestem vitam evehatur" 6 0 7 . Die trinitarische Gestalt dieser Lehre schließlich zeigt, daß auch die lutherische Orthodoxie das Heil nicht in der „Teilhabe an irgendetwas Göttlichem" 608 , sondern in der vollen Gottesgemeinschaft verwirklicht sah ; man mag es bedauern, daß der osiandrische Streit diese Tatsache ein wenig verdunkeln mußte, weil es zur scharfen begrifflichen Unterscheidung zwischen der Gerechtsprechung als der heilsbegründenden Tat und der Herstellung der Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch als ihrer Folge zwang. Wenn man aber das Ganze der orthodoxen Soteriologie im Auge behält und sich wegen der Verhaftung dieser Dogmatik an einen gewissen scholastischen Formalismus nicht von vornherein abgestoßen fühlt, wird man mit den allzu einfachen und wiederum allzu formelhaften kritischen Urteilen vorsichtiger sein, zumal hier weithin wirklich das Erbe der Reformation verwaltet wird 609 . d)
Zusammenfassung
Unsere, auf die hinter den juristischen Formeln verborgenen theologischen Anliegen gerichtete Untersuchung hat für Anselm und die Orthodoxie und damit trotz aller bedeutsamen Verschiedenheiten zwischen beiden für die Satisfactionslehre des lateinischen Typs ein wesentlich anderes Bild als die Skizze Auléns 610 ergeben: Wir haben gesehen, daß auch im lateinischen Typ die Agape nicht nur die veranlassende, sondern die im ganzen Versöhnungsgeschehen wirksame und treibende Kraft ist, daß Gott selbst Urheber, Vollstrecker und Empfänger der Satisfactio ist, daß die Darbringung der Satisfactio selbst nicht Bedingung für die göttliche Gnade, sondern diese Gnade selbst in ihrem Vollzuge ist. Da Gott selbst in seinem Liebeswillen mit der Menschheit auch in der Satisfactio Christi als menschlicher Gehorsamstat der handelnde, die Menschheit Christi bestimmende bleibt, trifft für den lateinischen Typ die schlagwortartige Kennzeichnung Auléns : „Gebrochene Gottestat" nicht zu, vielmehr fügen sich, besonders in der lutherisch-orthodoxen Ausformung, die vertiefte altkirchliche Christologie und die eigene Soteriologie, die wie jene nur als Bezeugung der Gewißheit: „Gott war in Christo" verständlich ist, durchaus organisch ineinander. Nach dieser Soteriologie geschieht die Versöhnung zwischen Gott und Menschen durch das Satisfactionsgeschehen, die Wiederherstellung des Calov, zitiert nach Chr. Luthardt, a. a. O., S. 228. So behauptet H. Lindroth, a. a. O., S. 328. eo» Siehe dazu W. Eiert, a. a. 0 . , I, S. 87—93. e l ° Siehe dazu unsere Darstellung S. 34 ff. 607
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schöpfungsgemäßen, wahren Menschen, der im urständlichen Gottesverhältnis lebt, für den die Huld Gottes, die sein Sein umfängt und trägt, und die Forderung der göttlichen Gerechtigkeit, die ihn ganz für sich beansprucht, ineinanderliegen ; daß Gottes Agape in dem wahren Menschen Jesus Christus, dessen Speise es ist, den Willen des Vaters zu tun, — in dessen oboedientia activa und passiva das alte gesetzliche Gottesverhältnis des Menschen zu Ende geht (Strafleiden) und die neue Kreatur ans Licht kommt — sich dem Menschen wieder zuwendet, will die Satisfactionstheorie in einer formelhaft verfestigten Gestalt aussagen. Es geht ihr nicht um die Wahrung der „ungebrochenen Rechtsordnung" als eines legalistischen Vergeltungsprinzips, sondern es geht ihr um die Gestaltwerdung der Vergebung als der Liebesmacht, die nicht leere Worte spricht, sondern den neuen Menschen in der rechten „Verfassung" vor Gott schafft und der Menschheit zu eigen gibt. Person und Werk Christi als Geschenk Gottes an die Menschheit sind Inhalt der Satisfaction als göttlicher, schöpferischer Neuanfang des in Schuld und Sünde ausweglos verstrickten Menschentums, als die nun von Gott her dem Menschen geltende Wirklichkeit und Würde, die in seiner innerweltlichen Existenz zu realisieren der in der unio mystica mit Christus geeinte Mensch ermächtigt und befähigt ist. So verstanden ist die Satisfactionstheorie nicht eine unzulässige Rationalisierung des Versöhnungsmysteriums, sondern Ausdruck des Bemühens, die anthropologische Bedeutsamkeit der christologischen Aussagen zu erfassen, in diesem Sinne das Evangelium in die Existenz zu bringen. Freilich gelingt dieses Erfassen weder Anselm noch der lutherischen Orthodoxie vollkommen, da sie nur der einen Seite des admirabile commercium, der Stellvertretung Christi für uns, voll gerecht werden, während die daraus folgende conformitas des Christen mit Christus stark in den Hintergrund rückt. Aber der ernsthafte Versuch, vom bloßen bildhaften Schildern des Werkes Christi in Gestalt eines mythischen Kampfes zwischen Christus und übermenschlichen Mächten zu der Beantwortung der Frage zu kommen, wie dieses Geschehen auf die menschliche Existenz vor Gott bezogen ist und sie trifft, ist als wesentliche Vertiefung des altkirchlich-klassischen Versöhnungsdenkens zu werten. IV. Christus victor — Satisfacto Christi: Der klassische Versöhnungstyp in seinem Verhältnis zum lateinischen a) Das Versöhnungsgeschehen als Befreiung von den Verderbensmächten durch Christi Kampf und Sieg Mit unserer Beurteilung der lateinischen Satisfactionstheorie haben wir auch schon implizite unser Urteil über den von Aulén aufgestellten klassischen Τ3Φ, dem sich das Versöhnungsgeschehen zunächst hauptsächlich als ein Kampfgeschehen, als Niederzwingen gottfeindlieher Mächte durch Christus darstellt, gesprochen, wir müssen es nun aber noch näher ent170
wickeln. Da die „klassische" Sicht des Werkes Christi bei Aulén u. E. am reinsten in der Darstellung der Alten Kirche und den einschlägigen, von dieser Darstellung stark beeinflußten Abschnitten der Dogmatik zum Vorschein kommt 611 , halten wir uns zunächst an sie (vgl. dazu auch Anm. 330 und 331, S. 85f.)· 1. Grundzüge und Probleme der Kampfsoteriologie Dem rein dualistischen Gesamtrahmen des klassischen Typs entsprechend erscheint Christus als der göttliche Sieger über die vielfältigen Verderbensmächte 612 ; nicht auf die Frage des unter dem Gericht Gottes nach dem gnädigen Gott verlangenden Menschen gibt diese Versöhnungslehre zunächst Antwort, nicht auf das in Christus wieder hergestellte Bild des mit Gott geeinten Menschen und des um Christi willen mit dem Menschen wieder vereinten Gottes weist sie hin, sondern diese Lehre sieht die göttliche Liebesmacht anders wirken : Zuerst und entscheidend geht es um die Machttaten Christi, die er im Namen Gottes in der Welt vollbringt, um seinen siegreichen Kampf mit Dämonen und bösen Geistern613 und schließlich am Kreuz mit dem Fürsten der Welt, nicht auf Gott und zu ihm hin ist sein Wirken gekehrt, in diesem Sinne ist es nicht „theozentrisch", sondern „kosmozentrisch"614, den dunklen Gewalten, die in der Welt herrschen, zugewandt. Gott tritt eigentlich jetzt erst, in Christus, im neuen Aon auf den Plan ; daß auch die vergangene, vorchristliche Geschichte des Menschen eine Geschichte mit und vor Gott war, spielt eine geringe Rolle. Erst jetzt, nachdem Christus über die Tyrannen triumphiert hat, unter deren Herrschaft die Menschen völlig ihr Eigentum geworden waren, kann von Gottesherrschaft gesprochen werden, die sich im fortgesetzten Kampf des durch den Geist in dem Glaubenden präsenten Christus vollzieht 615 . So volltönend und kraftvoll auch in „monumentaler Schlichtheit" 616 vom Kampf und Sieg Christi über die Mächte gesprochen werden kann, so läßt sich doch die Frage, inwiefern dieser Kampf und sein Ergebnis eigentlich ein den Menschen betreffendes, auch für seine Existenz wirksames Geschehen sei, nicht unterdrücken, da ja faktisch die von Christus „potentiell" überwundenen Mächte weiter existieren. Die Christustat der Versöhnung kann gewiß auch mit Kampfbildern umschrieben werden, aber sie können nur den formalen Rahmen bilden, in dem dann das Interesse • u Vgl. Den kristna försoningstanken, S. 38—107. — Den allmänneliga kristna tron, bes. S. 247—266. 612 Zum ginzen folgenden Abschnitt ist stets unsere S. 20 ff. gegebene Darstellung zu vergleichen. 613 Vgl. dazu den neutestamentlichen Teil in: Den kristna försoningstanken, bes. S. 133ff. 6U Siehe zu den Begriffen: P. Althaus, Grundriß der Dogmatik II, S. 109. 615 Vgl. Anm. 47 und 48, S. 16 f. (Den allmänneliga kristna tron, S. 249 und Den kristna försoningstanken, S. 11); vgl. dazu auch S. 85 ff. " · G. Aulén, Den allmänneliga kristna tron, S. 252.
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an dem den Rahmen eigentlich sprengenden Inhalt des mirabile duellum haften müßte. R. Bring sagt mit Recht zu der Darstellung der Versöhnung als Kampfgeschehen: „Formal könnten wir nun diese Weise, die Versöhnung zu betrachten, aus dem Anlaß nennen wollen, daß man innerhalb des allgemeinen Vorstellungsschemas von Gottes Kampf mit den bösen Mächten den Kampf sich auf verschiedene Weise denken kann, der Inhalt kann mehr oder weniger klar angegeben sein. . . . Das Wichtigste vom inhaltlichen Gesichtspunkt ist, wie die Liebe oder der Gott gedacht wird, der kämpft, und wie die Mächte gedacht werden, die im Kampf überwunden werden 6 1 7 ." Gewiß wird bei Aulén auch der paradoxe Charakter des Kampfes als Erleiden der feindlichen Gewalt nicht übersehen, aber das Hauptthema des Versöhnungstypus ist doch nicht die alle Analogien sprengende „Kampfesweise", sondern die Tatsache des Kampfes und des Sieges selbst (vgl. S. 24f.). So scheinen sich zunächst im lateinischen und klassischen Typ zwei völlig verschiedene Auffassungen der Versöhnung gegenüberzustehen : Dort die stellvertretende Gehorsamsleistung Christi an Gott im Handeln und Leiden Christi, hier der Triumph des göttlichen Siegers über die gottfeindlichen Gewalten. Wendet man sich aber den beiden „Vorstellungskreisen" näher zu, dann merkt man, wie sich bei der genaueren Entfaltung des Versöhnungsgeschehens die Typen in ihren Deutungen nähern. Wir sahen schon: Auch für den lateinischen Typ ist die Kampfperspektive der umfassende, weite Rahmen, die Besiegung der Mächte der Erfolg der Versöhnung, während die Satisfactio Christi eigentlich die eigenartige Kampfesweise, den Weg zum Siege angibt, an dem freilich für den lateinischen Typ alles Interesse haftet, da ihn die kausale Frage beschäftigt : Cur Deus homo ? Warum mußte Christus Mensch werden und solches leiden ? Die „klassische" Frage lautet zwar demgegenüber: „Ad quid enim descendebat ?" 6 1 8 Sie fragt also mehr nach dem Erfolg als nach dem Ge617
So R. Bring in seiner Rezension von G. Aulén, Den kristna fôrsoningstanken, STK 1931, S. 361. 618 Irenaeus, Adv. haeres. 11,14,7 zitiert bei G. Aulén, Den kristna fôrsoningstanken, S. 40. — Noch einmal sei betont, daß wir hier im Rahmen unserer vorwiegend systematisch interessierten Untersuchung auf die Frage, ob die Wiedergabe der „altkirchlichen Versöhnungstheologie" im Sinne des klassischen Typs dem Material gerecht werde, nicht eingehen können. Vgl. dazu unsere Einleitung. Zur dogmengeschichtlichen Kritik s. O. Tiililä, a. a. 0., S. 123f. zu Irenaeus: Die Bedeutung der Menschheit Christi, des Mittleramtes Christi, des für unseren Ungehorsam sühnenden Gehorsams (s. dazu adv. haeres. III, 16,9; 18,7; V, 17,1) erhält wohl bei Aulén nicht den gebührenden vollen Ton (vgl. Den kristna fôrsoningstanken, S. 66—87). — Entsprechendes gilt für die Athanasius-Deutung, in der Athanasius' entscheidende Neuerung, die Betonung der Notwendigkeit des Kreuzestodes Christi um der Treue Gottes zu seinem Gesetz willen, zunächst kaum erwähnt wird (vgl. Den kristna fôrsoningstanken, S. 80 und lOlf.; vgl. O. Tiililä, a. a. O., S. 139—152). 172
schehen selbst, aber auch die Theologen des klassischen Typs werden schon durch die Besinnung auf die Eigenart der in dem mirabile duellum überwundenen Mächte dazu getrieben, auch über die der eigenartigen ,,ethisch religiösen" Qualität der Mächte entsprechende Kampfesweise nachzudenken. Wenn die klassische Versöhnungstheologie die Frage stellt, warum Gott nicht mit äußerer Gewalt oder durch ein Dekret die bösen Mächte überwunden habe, dann kündigt sich in dieser Frage die Abwendung von einem mythisch-gegenständlichen Denken an, das jedenfalls begrifflich die Existenzbezogenheit des Heilsgeschehens trotz aller poetischen Kraft und Anschaulichkeit nicht zum Ausdruck zu bringen vermag (vgl. S. 27ff.). In einer freilich oft ganz unangemessenen Begrifflichkeit, besonders aus dem rechtlichen Bereich 619 , soll die Besonderheit des „bösen Feindes", der den Menschen mit ganz anderer, viel stärkerer, sein Personund Willensleben umgreifender Kraft als sonst ein äußerer Gegner in der Gewalt hat, herausgarbeitet und die Anwendung der einzigartigen „Gegenmittel" begründet werden. Wie der Feind des Menschen in innigster Verbindung mit ihm steht, von ihm unscheidbar sein innerstes Sein und Wesen durchdringt, ihm näher ist „als seine eigen Hemd" (Luther), so muß auch der Retter des Menschen in diese unheilvolle Verfilzung menschlich-teuflichen Lebens, in die vom Bösen beherrschte und durchdrungene Menschenwelt eintreten, wenn er ihre falschen Bindungen und Verkettungen lösen will. So erhält das mirabile duellum zwischen Gott und Teufel sein bezeichnendes Gepräge dadurch, daß es auf der menschlichen Ebene ausgetragen wird, daß die siegende und kämpfende Agape sich im Menschen Christus in alle Armseligkeit und Not menschlichen Lebens mitleidend herabsenkt und gerade in diesem Verzicht auf die scheinbar „göttlichsten" Attribute der Kraft und Macht im äußeren Sinne sich als wahrhaft göttliche Agape bewährt, die sich für das Ziel ihrer Liebe, die Überwindung des Bösen, ganz aufopfern kann. Opfer, Hingabe, Straferduldung — das sind die „paradoxen" Waffen, mit denen die göttliche Liebe ihren Kampf gegen das Böse führt, letztlich ist darum auch im klassischen Versöhnungsmotiv kein anderer als der Gekreuzigte der Versöhner, und sein Kämpfen ist Leiden und Sterben, Einsamkeit und Ohnmacht. Denn nur wenn das Böse dem scheinbar ohnmächtigen und leicht zu überwältigenden Guten auf seiner Ebene begegnet, wenn es blind bleibt für die ihm verborgene, un, 1 9 A. Mandel (a. a. O., S. 212ff.) deutet die altkirchliche Verwendung der Rechtebegrifflichkeit wohl weithin richtig, wenn er in ihr nur ein sogenanntes „Recht" des Teufels gegenüber dem Menschen, nicht gegenüber Gott ausgesprochen findet, ein „Recht", das eine organische Überwindung des Teufels ohne Gewalt notwendig macht. Eigentlich handelt es sich aber nicht um das zu respektierende „Recht" des Teufels, sondern um die Art und Weise seiner Herrschaftsausübung gegenüber dem Menschen, die die Inkarnation Christi um des Menschen willen notwendig machte (vgl. dazu auch A. Sjöstrand, a. a. O., S. 75—77).
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berechenbare „Potenz" der Güte Gottes, kann das Böse überwunden, durch das Inkognito Gottes im menschlich-sündigen Leben gleichsam betrogen werden. Nur so — auf unserer Ebene — kann das Böse uns zugute entmächtigt, können wir befreit werden 620 . 2. D a s k l a s s i s c h e u n d das l a t e i n i s c h e V e r s t ä n d n i s der S t e l l v e r t r e t u n g Wie verhält sich der in dieser Weise inhaltlich bestimmte Kampfaspekt zu dem die lateinische Satisfaktionslehre letztlich beherrschenden Stellvertretungsgedanken ? Wie Hofmann 6 2 1 kommt auch Aulén im Verlauf der Interpretation der göttlichen Kampfes- und Siegestat als eines Heilswerks, dem Menschen zugute geschehen, zu der Konsequenz, daß es dann auch, soll es wahrhaft in unserem menschlich-sündigen Leben wirksam werden können, an unserer Stelle sich ereignet haben müsse, da, wo wir in dieser Welt menschlicher Begrenztheit, Todesbedrohung und Sündenmacht stehen. Aber während Hofmann ausdrücklich bestreitet, damit auch die Stellvertretung, ja gar das stellvertretende Strafleiden Christi wieder zu lehren 622 , legt Aulén großes Gewicht darauf, dem Stellvertretungsgedanken als dem Herzstück des Christentums gerecht geworden zu sein. Freilich inwiefern Christi Werk stellvertretende Bedeutung habe, erfährt man nur aus einem kurzen Satz : „Der Kampf, der hier geführt wurde, und der Sieg, der hier gewonnen wurde, ist ein Kampf und ein Sieg um unseretwillen, uns zugut, uns zum Heil und zur Erlösung. Aber das ist offenbar zugleich an unserer Stelle geschehen, insofern als hier ein Werk ausgeführt wurde, das wir nicht ausführen konnten. Dieses stellvertretende Sieges werk bekommt indessen erst seine rechte Tiefe, wenn wir beachten, daß es gleichzeitig ein Versöhnungswerk ist, durch welches Gott gleichzeitig versöhnt — und versöhnt wird, durch welches daher ein neues Verhältnis zwischen Gott und der Welt geschaffen wird" 6 2 3 . Mit dieser Näherbestimmung des Kampfgeschehens ist aber der Begriff der Stellvertretung gar nicht wirklich erreicht: Denn die Tatsache, daß Christus etwas für uns tut, was wir nicht t u n können, begründet an sich noch kein Stellvertretungsverhältnis, erst wenn hinzukommt, daß Christus damit unsere eigene Schuldigkeit, unsere Verpflichtung erfüllt, das t u t bzw. wird, was wir tun bzw. sein sollen, kann von Stellvertretung im eso vgl. dazu Den kristan försoningstanken, S. 99f. (unsere Arbeit S. 27) und Den allmänneliga kristna tron, S. 256—263: Propter Christum. 621 Vgl. unsere Hofmann-Darstellung, bes. S. 60f. βϊ2 Siehe ebd., S. 58—64. 623
G. Aulén, Den allmänneliga kristna tron, S. 261 — s. für das Vorhergehende auch den Kontext, S. 260f. 174
strengen Sinne die R e d e sein 6 2 4 . F ü r eine solche Stellvertretung ist aber i m R a h m e n des reinen, klassischen K a m p f d e n k e n s kein P l a t z , solange nicht
die
Perspektive
des begrenzten
Dualismus,
in
dem
allein
die
menschliche V e r a n t w o r t u n g und Schuld v o r G o t t in den Blick k o m m e n können, einbezogen wird. Z w a r versucht, w i e w i r oben zeigten, die klassische Versöhnungstheologie gewiß,
„Notwendigkeit"
und
Bedeutung
der
wahren
Menschheit
Christi als der d e m Menschen i m K a m p f m i t d e m Bösen allein hilfreichen Gestaltwerdung der göttlichen A g a p e darzutun. A b e r schließlich ist doch der Sieger, der d o r t an unserer Stelle k ä m p f t , ein anderer als w i r ; die Mächte, die ihn angreifen, können ihn i m innersten nicht a n f e c h t e n ; das Zornverhängnis, das er m i t erleidet, ist doch nicht der auf ihn gerichtete Z o r n Gottes, j a letztlich s t a m m t doch das, was er leidet, nicht eigentlich v o n G o t t , sondern aus der W e l t , „ n i c h t v o n oben, sondern v o n u n t e n " 8 2 5 . 821 Zum Begriff der Stellvertretung s. bes. P. Althaus, Das Kreuz Christi, Theologische Aufsätze I, S. 36 ff. — Von wirklicher Stellvertretung kann nur die Bede sein, wenn der Stellvertreter etwas ausrichtet oder erleidet, was eigentlich Schuld oder Aufgabe des Vertretenen ist. Hofmanns Unterscheidung zwischen Handeln „an unserer Statt'· und „statt unser" ( = Stellvertretung) ist daher durchaus sinnvoll. 625 Für das Zitat s. unsere Hofmann-Darstellung Punkt 4, S. 56f. — Für G. Aulén s. Den allmänneliga kristna tron, S. 259f. den Abschnitt über das Strafleiden Christi: „Das vor allem für den christlichen Glauben Bedeutungsvolle liegt darin, daß die in das Menschenleben eingetretene göttliche Liebe sich auch niederbeugt und in voller Solidarität die Bürde des ganzen Leidens, der Schuld und des Strafgerichts trägt, das seinen Ursprung in der Sünde hat. Seine äußerste Zuspitzung bekommt dieses Leiden der Liebe dadurch, daß die Last auch und vor allem ein Leiden unter dem göttlichen Zorn ist. Der Zorn, der auf der Menschheit ruht, trifft die Liebe in ihrem Allerinnersten. Es muß indessen besonders unterstrichen werden, daß, wenn hier gesagt wird, Christus büße in seinem Werk den göttlichen Zorn, dies nach christlicher Glaubensüberzeugung nicht bedeuten kann, daß dieser Zorn direkt auf Christus und sein Werk gerichtet wäre, sondern stattdessen bedeuten muß, daß die christliche Liebe im Christuswerk in volle Solidarität mit der Welt eintritt und in des Wortes tiefstem Sinne mit der Welt leidet, auf welche der göttliche Zorn gerichtet ist." Aus dem letzten Satz wird deutlich, daß es sich trotz der vorausgehenden zugespitzten Formulierungen um ein Leiden Christi unter den die Welt treffenden Zornfolgen handelt; Christus leidet wohl darunter, daß die Welt unter dem Gericht Gottes steht, aber dieses Gericht betrifft ihn nicht unmittelbar, der Zorn Gottes ist ja nicht gegen ihn gerichtet. Das letztere mag, wenn man den theologischen Standort im Himmel einnimmt, und damit aus dem für uns nur möglichen theologischen Denken in relatione herausfällt, richtig sein, obwohl etwa Matth. 26,31 („Ich werde den Hirten schlagen") anders klingt. Aber darauf kommt es nicht an ; entscheidend ist vielmehr, daß der leidende Christus gerade diesen Unterschied zwischen der vom Zorn Gottes unmittelbar betroffenen Welt und seinem nur mittelbar von ihm berührten Ich nicht machen will und machen kann, daß er wirklich als Schuldiger, von Gott Verfluchter und Verlassener leidet. Siehe dazu P. Althaus, Gesammelte Aufsätze: Kreuz Christi, S. 32f. (mit Verweis auf M. Kähler), bes. S. 33: „Vielleicht daß es die tiefste Auffassung der Sündlosigkeit Jesu ist, sie darin zu er-
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Die tiefste Angefochtenheit der menschlichen Existenz, die Anfechtung durch die Schuld vor Gott, ist der Menschheit Christi, die nur als makelloses Instrument der Gottheit wirkt, fremd, steht sie doch, schon vom christologischen Ansatz her, der immer ein wenig vom vere homo abbrechen möchte, völlig problemlos, gleichsam von Natur, (selbstverständlich) ganz auf Gottes Seite 626 . Darum ist es im klassischen Typ doch zuletzt nur die der Welt zugewandte Außenseite unseres menschlichen Peraonseins, an der Christus als unser Bruder teilhat ; er leidet nur die offenbaren Schmerzen der Menschheit mit; den eigentlichen Stachel, der in ihnen allen verborgen wirkt, spürt er nicht; das Gericht des gegenwärtigen, zürnenden Gottes trifft ihn nicht eigentlich selbst, mag er auch die Folgen mitempfinden. So bleibt der klassische Versöhnungstyp auf halbem Wege zum echten Stellvertretungsgedanken stehen, weil er nicht das Leiden des Menschen an Gott als sein tiefstes Elend und die Heilung dieses Leidens als Kern und Stern der Versöhnungstat Christi in den Mittelpunkt rückt. Hier schreckt der klassische Typ vor dem letzten entscheidenden Schritt zurück: E r wagt es nicht, Christus als den peccator peccatorum 6 2 7 an unserer S t a t t unter dem Schuldspruch und Verdammungsurteil des göttlichen Gerichtes zu bekennen, er wagt es nicht, ihn vor Gott in unsere Sünden und Schuld „eingewickelt", in unsere Gottverlassenheit hineingestoßen zu denken, trotz aller behaupteten Solidarität Christi mit uns bleibt Christus doch zuletzt in seinem Gottesverhältnis der Unangefochtene ; f ü r diese tiefste Solidarität, auf die die lateinische Satisfactionslehre hinzielt und die sie kennen, daß er um sie nicht wußte, und unter Gottes Gericht den Sündern ein Sünder wurde?" (vgl. dazu auch S. 142ff. und 201f. In der 5. Aufl. (S. 221 — vgl. mit 4. Aufl, S. 260) ist bei Aulén mit Recht in diesem Zusammenhang das Zitat aus Althaus' Aufsatz, das von Christ Leiden unter Gott sprach, gestrichen worden; denn auch Auléns Sätze über das Tragen des göttlichen Zornes durch Christus bleiben doch von Althaus' Intention, wie sie etwa im obigen Zitat zum Ausdruck kommt, weit entfernt. Tiililä (a. a. O., S. 33, Anm. 1) weist mit Recht an diesem Punkt auf die Verwandtschaft Auléns mit Hofmann hin ; s. unsere Hofmann-Darstellung S. 57 f. ; s. auch unseren Abschnitt über den Zorn Gottes S. 129 ff. ,2e Von Versuchungen und Anfechtungen Christi (Gethsemane; viertes Rreuzeswort ; Versuchung) ist bei Aulén nie die Rede. - Das „vere homo" wird zwar bei Aulén gelegentlich pflichtgemäß verteidigt (Den kristna försoningstanken, S. 65 und S. 254f.; Den allmänneliga kristna tron, S. 240ff.); im ganzen aber kommt die soteriologische Bedeutung der Menschheit Christi — Christus unser Bruder — nicht zu ihrem Recht. — Siehe im übrigen P. Althaus, Kritik an der Anhypostasenlehre : Die christliche Wahrheit II, S. 225f. 627 Das Wort ist natürlich im paulinisch-lutherischen Sinn zu verstehen: Nicht durch die Tat, sondern durch die Übernahme der Schuld ist Christus ein Sünder. Vgl. 2. Kor. 5,21. Vgl. WA 40 I, 448; WA 5,603 und 604; WA 27,109: „Christus est verus peccator qui nullum (sc. peccatum) fecit et tarnen reus omnium." Siehe auch O. Tülilä, a. a. O., S. 233ff.
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bei aller terminologischen Unvollkommenheit doch aussagen möchte, hat der klassische Kampfaspekt keinen Raum 6 2 8 ; denn Christus ist wohl der „Vertreter" Gottes unter den Menschen, er führt Gottes Kampf gegen das Böse durch sein Opfer, seine Selbsthingabe an des Vaters Willen, sein Leiden und Sterben und ist in alledem in seinem Willen und Wesen ομοούσιας τω πατρί ; daß er aber bis zur Übernahme unserer Schuld als seiner eigenen, in seiner Verfluchung durch Gott unser Vertreter, ομοούσιος ήμϊν, geworden, coram Deo zum Sünder κχτ'εξοχήν gemacht worden ist, kann in dem einlinigen Denkschema des klassischen Versöhnungsdenkens nicht ausgesagt werden. Die „monumentale Schlichtheit" der klassischen Versöhnungslehre ist um den teuren Preis erkauft, daß die Verwurzelung aller Macht des Bösen über den Menschen in seiner Schuld vor Gott aus den Augen verloren ist; damit wird dann aber auch die personale Tiefe des Werkes Christi gefährdet : Christus hält als Repräsentant der schuldigen, angefochtenen Menschheit vor dem richtenden Gott stand und durchleidet in einer dem in sich sündigen Menschen unzugänglichen Tiefe die Schuld unseres sündigen Menschseins629; denn Christus steht nicht, „in die Toga der Sündlosigkeit" 630 gehüllt, neben dem sündigen Menschen, sondern in der σαρξ άμιχρτίας mitten unter ihnen und leidet mehr als sie alle unter ihrer von Gott scheidenden Macht. So ist er unser Stellvertreter vor Gott; aber erst dadurch, daß er das harte Gericht Gottes als Gottes Gericht anerkennt und annimmt, daß er in der oboedientia passiva sich willig zur Sünde machen läßt und doch an dem zürnenden, strafenden Gott als seinem Gott und barmherzigen Vater festhält, überwindet er den tötenden Stachel des göttlichen Gerichts, schmilzt er die Liebe Gottes wieder in seinen Zorn hinein und überwindet damit auch den Stachel des Bösen, der in dem durch das Böse ausgesprochenen, unerbittlichen Nein Gottes zum Schuldigen spürbar wird631. — Gewiß muß auch dies Letzte betont werden : Die Versöhnungstat Christi schließt wirklich die Überwindung des Bösen als einer dem Menschen tödlichen Verderbensmacht in sich, der Versöhner Christus ist auch der Sieger 632 , aber alle Jubel- und Triumphklänge der klassischen Versöhnungstheologie verhallen im Leeren, wenn sie nicht anheben mit dem ernsten Grundakkord der Stellvertretung Christi vor Gott für den sündigeft Menschen ; nur wenn Christus unsere Sünde geworden ist, kann auch sein Sieg unser Sieg werden. Dem Wesen der personalen Stellvertretung ent«28 Yg] , j a z u besonders die Lehre von der oboedientia passiva in der othodoxlutherischen Gestalt des lateinischen Typs S. 159 ff. Siehe dazu H. Mandel, a. a. O., S. 171; unsere Darstellung S. 69f. «30 Siehe M. Kahler, Dogmatische Zeitfragen II 1 , S. 399 (s. P. Althaus, Theologische Aufsätze I, Kreuz Christi, S. 32f.). 631 Siehe dazu S. 150 ff. 432 Siehe dazu für die Orthodoxie immerhin S. lßOff. 629
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spricht es, daß das Resultat, der Sieg Christi über das Böse, nicht unser Sieg werden kann, wenn die Person Christi nicht wirklich an unsere, des Sünders Stelle getreten ist und nicht nur mit Gott unter der gottfeindlichen Welt, sondern auch an Gott in unmittelbarer Betroffenheit des Gewissens durch sein Gericht über die Schuld der Sünde gelitten hat. 3. Die B e d e u t u n g der r e c h t l i c h e n H i l f s v o r s t e l l u n g e n Wir haben in unserem darstellenden Teil 633 schon darauf hingewiesen, daß sich „tastend und schwankend" auch im klassischen Typ zu dem reinen Kampfaspekt ein stärker rechtlich ausgeformter Hilfsgedanke herausbildet, der nun doch die Gottbezogenheit des Versöhnungswerkes Christi zum Ausdruck bringen soll. Für sie ließ der Hauptgedanke keinen Platz ; denn wenn der Kampf gegen die Verderbensmächte als solcher von Auléii als Versöhnungsgeschehen gewertet wurde, konnte dabei Gott nur als das Subjekt dieser Versöhnung, der Gemeinschaftsstiftung durch Beseitigung der Hindernisse, die dieser Gemeinschaft entgegenstehen, in Betracht kommen. Gott wirkt die Versöhnung dadurch, daß er in die gottlose Welt seinen Sohn, die Gestaltwerdung der vom Bösen nicht zu überwindenden Agape, die die Gemeinschaft mit dem Sünder sucht und findet, hineinopfert. Versöhnung bedeutet hier also göttliche Gemeinschaftsstiftung zwischen Gott und Mensch durch Überwindung dritter Mächte, die sich zwischen die beiden Partner gedrängt haben; in diesem Zusammenhang wird auf die vorgängige schuldhafte Zerstörung der Gemeinschaft und auf die darum zu ihrer Wiederaufrichtung notwendig gehörende Vergebung ( = Schulderlaß) kaum reflektiert 634 . Doch nun kann der Kampf Christi gegen die Mächte auch als Vollzug göttlichen Vergebens beurteilt werden, wenn diese Mächte als Gestaltwerdungen des göttlichen Gerichtes angesehen werden und ihre Vernichtung daher als Aufhebung dieses Gerichtes zu stehen kommt. Christus besiegt nicht nur die Feinde Gottes, sondern überwindet auch Gottes eigenen, in diesen Feinden repräsentierten Widerstand gegen den sündigen und schuldigen Menschen; mit der Herrschaft der Mächte wird auch Gottes Widerstand gegen den Menschen als Sünder gebrochen, wird Gott „versöhnt". Es ist freilich unmittelbar deutlich, daß dieses Versöhntwerden Gottes mit den Kampfkategorien nicht wirklich adäquat umschrieben werden kann; die Schuld, Gottes Gericht und Strafe können ja nicht im 633
Vgl. S. 27—29. Siehe S. 16 u.; in diesem Sinne entwickelt der Hauptabschnitt der Dogmatik zunächst (bis S. 254) die Versöhnungslehre unter der Überschrift: Sieg und Versöhnung (Den allmänneliga kristna tron, S. 250ff.) — Grundsätzlich gilt jedenfalls für die gesamte Versöhnungslehre: „Nichts ist lebensnotwendiger (mera vitalt) für den christlichen Glauben, als daß das Versöhnungswerk in Christus ein Siegeewerk ist" (ebd., S. 263). 634
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selben Sinne wie das Böse einfach „niedergekämpft" werden. I n einem zweiten Gedankenkreis b e t r a c h t e t daher der klassische T y p die Gegner als rechtlich geschützte, göttlich legitimierte Widersacher Christi, mit denen Christus nur unter Anerkennung ihres R e c h t e s „ k ä m p f e n " k a n n 6 3 5 . Der „ K a m p f " vollzieht sich nun so, daß Christus sich als Lösegeld (λντρον) d e m Teufel für die ihm eigentlich verhaftete sündige Menschheit hingibt und insofern sein R e c h t auf den Menschen respektiert. Freilich wird, wie wir sahen, die Rechtslinie nicht konsequent festgehalten, vielmehr — trotz der grundsätzlich behaupteten göttlichen Legitimation des Teufels — meist ziemlich bald zugunsten der Betrugstheorie durchbrochen oder zu den Regeln eines „fair p l a y " erweicht. Die beschränkte Respektierung des R e c h t e s der Mächte kann also k a u m im Sinne des lateinischen Satisfactionsdenkens verstanden werden, das eine Erweichung, j a eine schließliche Preisgabe der göttlichen Gerechtigkeitsforderung an den Menschen entschieden ablehnt und die unklare Verquickung von einem (relativen) teuflischen und einem (absoluten) göttlichen R e c h t nicht kennt. Vom lateinischen Versöhnungsdenken her gesehen muß überhaupt diese ganze sekundäre klassische Hilfskonstruktion mit den labilen Rechtsvorstellungen als ein unklares Kompromißgebilde erscheinen : Denn da der Teufel als solcher Verführer und Feind Gottes ist, k a n n von einem von G o t t zu respektierenden R e c h t e nicht die R e d e sein, nur von einer Kampfesweise, die um des Menschen willen der personzerstörenden Gewalt des Teufels R e c h n u n g t r ä g t und ihn daher durch den Menschen Christus „an unserer S t e l l e " „organisch, h u m a n " überwindet. D a m i t sind aber noch keine Rechtsgesichtspunkte geltend gemacht. H a t der Teufel als Verführer (d. h. als solcher) in sich kein R e c h t , so besteht doch das göttliche Gerichtsurteil, das er vollstreckt, zu R e c h t ; diesem göttlichen R e c h t kann aber die klassische Lösegeldtheorie nicht genugtun: Durch die unglückliche Koppelung der Gedanken — Anerkennung des R e c h t e s und Überlistung des Teufels — wird sowohl Gottes unbedingtes Nein gegen das B ö s e erweicht — G o t t muß j a doch wohl irgendwelche Spielregeln anerkennen, wenn er ein „faires S p i e l " m i t dem Teufel h a t ! —, als auch vor allem der E r n s t und die unbedingte Geltung des göttlichen Gerichtsurteils abgeschwächt. W a s ist denn das für ein göttliches R e c h t , um dessen Vollzug sich G o t t schließlich selbst betrügen kann ? W a s wird aus dem W e r k e Christi, wenn es in ihm im Grunde nur um die scheinbare Anerkennung eines scheinbaren R e c h t e s g e h t 6 3 6 ? 035 Hier ist „Recht" anders als in Anm. 619 als „göttlich sanktioniertes" Recht gemeint. Aulén macht überhaupt nicht durchgehend die dort erwähnte Unterscheidung zwischen zweierlei Recht. Vgl. dazu A. Sjöstrand, a. a. O., S. 79f. und G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 98f. e S i Siehe dazu Sjöstrands Kritik (a. a. O., S. 77) ; das Recht des Teufels ist nur ein scheinbares, da er ja Gott gegenüber im Unrecht ist; sein „Recht" wird auch nur
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Die notwendige Kritik an der unglücklichen Gestalt der eigentlich „klassischen" Versöhnungslehre soll uns nicht blind machen für die tiefeil Intentionen, die hinter dem Theologoumenon von der Überlistung des Teufels stecken, wenn sie als die notwendige Verborgenheit der sich selbst in die menschliche Armut entäußernden göttlichen Agape für den vernünftiglegalistischen, letztlich teuflischen „Gottesglauben" interpretiert wird 637 . J a , sogar der Verbindung von Erfüllung des teuflischen Rechtsanspruches und Überlistung kann Luther einen guten Sinn abgewinnen: Der Teufel merkt gar nicht, daß Christus in seinem Leben, Leiden und Sterben ja das Gesetz, dessen Übertretung von Seiten der Menschen ihm, dem Widersacher, allein seine Macht über die Menschen gab, erfüllt hat, er merkt gar nicht, daß gerade die Stunde seines höchsten Triumphes über Christus am Kreuz auch die Stunde des Sieges Gottes über ihn ist : Indem der schuldlose Christus den Fluch des Gesetzes erleidet und doch dem Herren des Gesetzes gehorsam bleibt, verliert das Gesetz und verlieren mit ihm die anderen bösen Mächte ihre verdammende Gewalt über Christus und die Seinen®38. Diese lutherische Interpretation der klassischen „Satanologie" setzt aber — gut lateinisch — die volle Zufriedenstellung der göttlichen Gerechtigkeitsforderung voraus 639 und kann schwerlich nur im Sinne einer abgeschwächt rechtlichen, quasilegalen 640 und damit letztlich unernsthaften Interpretation des Werkes Christi als fair play 6 4 1 mit dem Teufel gedeutet werden. Vielmehr besagt die lutherische Deutung, daß die Mächte durch Christi Erfüllung ihres Rechtsanspruchs „überlistet" werden, daß ihre Verderbensmacht — allem äußeren Schein zum Trotz — mit ihrer scheinbar anerkannt, da er letztlich doch betrogen wird. — Die scharfe Ablehnung der Beziehung des Lösegeldwortes auf den Teufel durch Gregor von Nazianz (Oratio 45, Kap. 22) gegen Gregor von Nyssa (Große Katechese Kap. 21ff., bes. 23,1) zeigt deutlich die Unsicherheit in der altkirchlichen Versöhnungslehre an diesem Punkte. Siehe dazu R. Bring, Dualismen hos Luther, S. 133. A. a. 0 . , S. 160ff., bes. S. 162: „Aus Luthers Weise, in den angeführten Texten die Bedeutung der Auferstehung Christi darzustellen, ist ganz klar ersichtlich, daß er keine Spannung zwischen der Darstellungsweise, nach der der Teufel überlistet wurde, und der (anderen), nach der er seine Macht über Christus durch Überschreitung seines Rechts verlor, empfindet." 839 Siehe dazu R. Bring, a. a. 0., S. 174: „Das Gesetz, das in einer Hinsicht sich als Inbegriff des Guten darstellte, wurde zu der bösen Macht kat'exochen. Es konnte daher nur von dem überwunden werden, der ,die Gerechtigkeit' selbst war; gerade weil seine Macht auf seiner Gerechtigkeit beruhte, mußte diese Überwindung ein Zufriedenstellen der Gerechtigkeitsforderung in sich schließen." — Vgl. auch WA 44,697: „Ich hab verloren, schreien sie (sc. die Verderbensmächte) all, mit einander, agnoscunt se summo et pleno iure ac ¡ustissime victos esse." M 0 So G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 97. 641 So ebd., S. 57 und 98. 837
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Sanktionierung von Gott her steht und fällt, daher fallen muß, wenn Christus ihnen ihre Basis, die menschliche Schuld, fortnimmt. Die „Rechtsordnung" kann nicht einfach willkürlich vom Kampfdenken her an einem Punkte durchbrochen werden, sondern nur durch die Erfüllung hindurch verliert die göttliche Schuldforderung an den Menschen für ihn ihren bedrohlichen Charakter. So gewiß also die Ansätze der klassischen Versöhnungslehre vom lateinischen Typ her vertiefender Deutung fähig sind, so bleibt doch im Rahmen des klassischen Typs selbst die eigentlich objektive Versöhnungslehre, auch bei Aulén, im Bereich des „Tastenden und Schwankenden" ; nur zögernd und mit vielen Kautelen wird auch von Gottes Versöhntwerden, von einer „positiven Bedeutung" des Lebenswerkes Christi für den „Gotteswillen" gesprochen®42. Im ganzen beherrscht die Kampflinie, die nur den gottfeindlichen Charakter der Mächte im Auge hat, die Agapelinie von oben nach unten, der „kosmozentrische" Zug, das Versöhnungsdenken. Die dem klassischen Kampfdenken eigentümliche, gänzlich problemlose, undifferenzierte Auffassung der Versöhnung als „ungebrochene Gottestat" muß letztlich mit dem Verzicht auf die objektive „Versöhnungslehre" bezahlt werden. Wie wir gezeigt haben, kann in einem differenzierteren Sinne auch im lateinischen Typ von ungebrochener Gottestat gesprochen werden. 4. D i e R e c h t f e r t i g u n g a l s F o r m d e r
Heiligung
Dieses Dominieren der Kampflinie muß folgerecht auch das Bild von der „Heilsverwirklichung" im Glaubenden bestimmen. In der Konsequenz des Aulénschen Ansatzes läge es, die Versöhnung nur insoweit für verwirklicht zu halten, als der Christus praesens seinen Kampf gegen die Verderbensmächte erfolgreich in uns ausführt, soweit also unsere Erneuerung voranschreitet 643 . Wenn Aulén in diesem Zusammenhang doch den Vorrang der ein für allemal geschehenen göttlichen Vergebungstat (propter Christum pro nobis) vor dem Wirken des Christus in nobis betonen möchte, 8 4 2 G. Aulén, Den allmänneliga kristna tron, S. 253f. und S. 259 finden sich äußerst zurückhaltende, formelhafte Wendungen (S. 256 auch im Luther-Referat) im Sinne einer „objektiven" Versöhnungslehre (Gott ist Objekt der Versöhnung), die ebenso inhaltsarm wie die entsprechenden Wendungen in Den kristna försoningetanken bleiben, vgl. dazu Anm. 92, S. 29. 6 1 3 Siehe dazu unsere Arbeit S. 32ff., wo die Rechtfertigung als vergegenwärtigte Versöhnung beschrieben wird; — sie müßte folgerecht wie diese primär als siegreicher Kampf gegen die bösen Gewalten im Menschen und seiner Welt verstanden werden. Vgl. G. Aulén, Den kristna försoningstanken, S. 252, wo die ganze Problematik des Verhältnisses von Christus pro und in nobis als gegenstandslos beiseite geschoben wird. — Die Wiedergabe des Begriffes Rechtfertigung als rättfärdiggörelse leitet zudem von vornherein die Gedanken in der Richtung einer effektiven Rechtfertigungslehre.
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m u ß er gegen seine eigentliche Intention die Vergebung 6 4 4 doch v o n der erneuernden Wirksamkeit des Christus in nobis unterscheiden 6 4 5 u n d damit im Prinzip das Recht der v o n der lutherischen Orthodoxie so streng durchgeführten Abhebung der forensischen Gerechtsprechung v o n der effektiven Gerechtmachung anerkennen. D a s ist aber nur dann sinnvoll, w e n n die Versöhnung nicht primär als siegreicher Kampf gegen die gottfeindlichen Mächte, sondern als stellvertretendes, gehorsames Erleiden des göttlichen Gerichtes gedeutet wird. Die Rechtfertigung — im engeren Sinne — besteht dann in der uns durch Christus geschenkten Gnadengegenwart Gottes hinter den zunächst bleibenden, nun aber entrechteten u n d damit schließlich auch entmächtigten Gerichtsmächten, denen der Christus in nobis dann in der Erneuerung mehr und mehr auch für die faktische Christenexistenz den B o d e n entzieht. W e n n sich aber die Versöhnung als Besiegung der gottfeindlichen Verderbensmächte vollzieht, die sie auch in ihrer Eigenschaft als Vollstrecker des Gerichtes Gottes aufhebt, dann müßte konsequenterweise auch die Heiligung — als Siegeswerk des Christus in nobis — die logische Priorität vor der Rechtfertigung ( = Gerechtsprechung) haben, wie in Auléns ursprünglicher dogmatischer Konzeption auch die Rechtfertigung der Heiligung völlig untergeordnet wird 6 4 6 . Die K a m p f - und Siegesperspektive fordert die ,,Reali 844 Dieser von Aulén als Synonym von Rechtfertigung gebrauchte, aber — da nicht aus dem Rechtsleben stammend — bevorzugte Begriff schillert ebenso wie der Begriff „Rechtfertigung" zwischen Gerechtsprechung und Gerechtmachung, bzw. begreift beides in sich. 645 Vgl. S. 33 m. ; s. auch Den allmänneliga kristna tron, S. 322, wo im Zusammenhang der lutherischen „Paradoxie" des simul iustus et peccator Aussagen im Sinne einer rein „forensischen" Rechtfertigungslehre begegnen können: „Der Mensch ist und bleibt unter den Bedingungen des Erdenlebens ganz peccator, aber er ist gleichzeitig ganz iustus in dem Sinne, daß er propter Christum von Gott akzeptiert und ihm angenehm ist." In der 2. Aufl. der Dogmatik wird folgerichtiger die „Sündenvergebung als Form der Realisierung der Heiligung" unter der Hauptüberschrift für die „Heilsaneignung": „Realisierung und Existenz der Heiligung" mit scharfer Kritik an der forensischen Rechtfertigungslehre behandelt. Eine Entsprechung zu dem obigen Zitat findet sich nicht, obwohl auch hier betont wird, daß Gottes volle Vergebung trotz unserer bleibenden Sünde Wirklichkeit sei (s. den Abschnitt: „die Paradoxalität der Vergebung" S. 259). Wenn die Vergebung sich aber darin erschöpft, Realisierung der Heiligung zu sein, ist schwer einzusehen, wie sie in dieser Welt je eine volle, unabhängig von des Menschen Fortschreiten in der Heiligung gültige Vergebung sein soll. Die Preisgabe der begrifflichen Unterscheidung von forensischer und effektiver Rechtfertigung muß auch zur Preisgabe der Gewißheit um die Vollkommenheit des extra nos liegenden Heils unabhängig von aller Heilsverwirklichung in nobis führen. — Vgl. auch S. 166 ff. 346 Vgl. Anm. 645: Zur 2. Auflage der Aulénschen Dogmatik. — Damit stehen wir dann aber im Prinzip bei der „römisch-katholischen" Rechtfertigungslehre, und es wird daher wohl begreiflich, wenn das Vorwort der englischen Ausgabe von „Den kristna försoningstanken" Auléns Arbeit als wertvollen Beitrag zur interkonfessionellen Verständigung wertet, so wenig die scharfe Polemik gegen Anselm das
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tat" dee gegenwärtigen Werkes des Christus in uns, ihr gegenüber muß das „nur" coram deo reale neue Sein in der Huld Gottes propter Christum zurücktreten. 5. Zusammenfassung So rundet sich das Bild des klassisch-altkirchlich-aulénschen Versöhnungstyps in seinem Gegenüber zum lateinischen: Gottes kämpfende, siegende Liebe zieht den mit seiner ganzen Person unter dem Bösen gefangenen Menschen wieder in ihre Gemeinschaft, indem die Reinheit und innere Vollmacht des Liebesopfers Christi die Macht des Bösen über den Menschen bricht; damit, daß sich die Liebe Gottes in dem an unserer Stelle in den Kampf getretenen Menschen Christus als souverän über das Böse erwiesen hat und ständig neu im Wirken des Christus praesens erweist, endet auch Gottes — in den Verderbensmächten verkörperter — Widerstand gegen den Sünder. — Gewiß will dieser Versöhnungstyp weithin das genuine, christliche Agapemotiv zur Geltung bringen 647 ; aber von der tiefer dringenden christlich-lateinischen Anthropologie her bleibt der klassische Typ doch nur eine nicht genügend durchreflektierte Vorstufe christlichen Versöhnungsdenkens, die der unausweichlichen und für den Sünder allein wahrhaft tödlichen Gottbezogenheit aller menschlichen Existenz nicht gerecht wird, die darum auch die Bedeutung der stellvertretenden Schuldübernahme Christi, seiner Gesetzeserfüllung und schließlich auch der Unterscheidung von faktisch-innerweltlicher und „nur" coram Deo „realer" Existenz nicht in den rechten Blick bekommen kann. So groß die formalen Vorzüge der monumentalen Schlichtheit und Klarheit der Linienführung, der Plastik und Drastik der Anschauungsformen im klassischen Typ gegenüber dem juridischen Formalismus der Lateiner sein mögen, inhaltlich ist in dem recht spröden Gefäß lateinischer Verständigkeit doch der wertvollere Schatz geborgen. Luther ist es u. E. gelungen, die zweifellos — schon vom Formalen her — im lateinischen Typ angelegten Gefahren durch Übernahme der berechtigten Anliegen und eindruckszunächst vermuten lassen möchte. (Doch vielleicht ist Anselm in dieser Frage gerade der bessere „Lutheraner"!) — Vgl. dazu Th. Dierks, Reconciliation and Justification, S. 44t. und 152f. M ' Freilich wird, wie Nygren nachweist, bei den meisten der von Aulén als Kronzeugen für den klassischen Versöhnungstyp aufgeführten Theologen das Agapemotiv stark von Einflüssen des platonischen Erosmotivs durchkreuzt. Vgl. dazu Gregor von Nyssa, für den das von Aulén (Den kristna försoningstanken S. 85f.) geschilderte schöne Bild von der göttlichen Liebe als einer sich gegen ihre Gewohnheit herabneigenden Flamme nach Nygren gar nicht typisch ist: Eros und Agape, S. 334: „Und doch ist es nicht das Agape-, sondern das Erosmotiv, wovon Gregorius' Anschauung geprägt wird." Auch bei Athanasius sind in der Aulén ganz fremden Deutung der Gottebenbildlichkeit sehr starke Einflüsse des Erosmotivs erkennbar (A. Nygren, a. a. O., S. 328—332). 13 8061 Alpers, Versöhnung
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vollen Vorstellungsformen des klassischen Typs zu überwinden, ohne doch den Grundintentionen der lateinischen Tradition untreu zu werden oder die organische Ganzheit seiner Versöhnungstheologie sprengen zu lassen 648 . b) Die Verschmelzung des lateinischen und klassischen Motivs in Luthers Versöhnungslehre 1. K l a s s i s c h e B i l d e r — l a t e i n i s c h e G r u n d l i n i e i n der D a r s t e l l u n g
des W e r k e s C h r i s t i I n Luthers Versöhnungsanschauung lebt nun — etwa im Großen Galaterkommentar und zahlreichen Osterpredigten — die unerschöpfliche Bildfülle, in der altkirchliche Theologen das mirabile duellum plastisch und drastisch schilderten, wieder auf: Die Verderbensmächte begegnen als persönliche Wesen, als gewaltige mythische Ungetüme, Drachen, Krokodile oder Riesenfische, sie werden von Gott durch Christus geködert, überlistet und betrogen, brechen schließlich ohnmächtig zusammen oder platzen, da ihnen der fette Bissen nicht bekommt, auseinander; ein schauerliches — fast möchte man sagen: tragikomisches— „Spiel", das Gott mit dieser vielgestaltigen Phalanx der Verderbensmächte treibt, die als Sünde, Tod und Teufel, Gesetz, Zorn, Fluch und böses Gewissen uns vor die Augen gemalt werden 649 ; ein Drama, das nur Gott selbst zum guten Ende führen kann, da der Mensch den furchtbaren Mächten gänzlich ohnmächtig preisgegeben ist: Alles hängt darum hier an der Gottheit Christi, an Christus als dem Repräsentanten des kämpfenden und siegenden Gottes in der Welt, der in der Verborgenheit, den verblendeten, groben Augen der bösen Mächte unsichtbar, in Niedrigkeit und Leiden den vernichtenden Schlag gegen den Teufel führt, ihn in seiner Blindheit gegen Gottes Offenbarung sub contrario zum Mißbrauch seines Rechtes verleitet und schließlich zum Bekenntnis zwingt, pienissimo iure seine Herrschaft verwirkt zu haben(vgl. Anm. 638 und 639). Und dieses Geschehen von einst ist zugleich Gegenwart: Christus kämpft heute spiritualiter im Glaubenden, in Niedrigkeit und Verborgenheit weiter gegen die immer noch in der Welt herrschenden Mächte, der Glaubende wird in diesem wunderlichen Krieg von Sieg zu Sieg mitgerissen, er steht in jenem gewaltigen Resurrexit 6 5 0 des ersten Ostertages und gehört in das Gefolge des triumphierenden Auf648 Wir beschränken uns daher im folgenden darauf, vornehmlich die Zuordnung lateinischer und klassischer „Elemente" in Luthers Versöhnungsanschauung zu untersuchen und beziehen uns dafür hauptsächlich auf das Material und die Darstellungen von R. Bring, H. Lindroth, G. Aulén, W. Eiert, O. Tiililä und Th. Harnack. 649 Eine reiche Materialsammlung bei R. Bring, Dualismen hos Luther, S. 103 bis 132. 650
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WA 36,161 f.
erstandenen 651 . Diese in der Lutherdeutung häufig ungebührlich in den Hintergrund gedrängte „klassische" Kampf- und Siegeslinie in seiner Soteriologie beherrscht nun bei Aulén, modifizierter doch auch bei Bring und Lindroth die Deutung der lutherischen Versöhnungslehre. Allerdings sahen wir schon, daß auch die Besonderheit der lutherischen „Klassik" hervorgehoben wird, die Konzentration auf die Verderbensmächte Zorn und Gesetz und ihre Überwindung 652 . Wie daher für Luther notwendig der sogenannte „begrenzte Dualismus" den Hintergrund der Versöhnungslehre bildet, wurde schon nachgewiesen 653 . Es muß jetzt noch aufgezeigt werden, wie auch die Darstellung der Versöhnungstat Christi selbst von dieser Vorrangstellung des Gesetzes und Zornes Gottes und ihrer Entsprechung, der Schuld, im Menschenleben her ihr besonderes Gepräge erhält. So häufig auch die Mächte, die Christus überwindet, in einer langen Reihe scheinbar gleich gewichtiger Glieder auftreten können und der Kampf gegen sie eine einheitliche Vernichtungstat zu sein scheint, so spricht doch Luther gelegentlich aus, worum es eigentlich und alles andere mitentscheidend im Versöhnungsgeschehen geht: „Nu ist das vil großer, das er vns gegen gott sicher und unsser gewissen zufriden macht, das nitt gott und wyr selbs widder vns Seyen, denn das er die creaturen uns unschedlich macht, denn es vil grosser ist schuld denn peyn, sund denn todt. Syntemal die sundt den todt bringt, und on sund der todt nit wer oder yhe nit schedlich were. . . . Das ist gar eyn hoher trotz, das eyn mensch gegen seyn sund, gegen seyn boss gewissen, gegen gottes schrecklichen tzorn kan setzen dissen priester, mit festem glawben sagen und bekennen : Tu es sacerdos in eternum" 6 5 4 . Nur wenn die eindeutige Ausrichtung des Versöhnungsgeschehens auf das Leben und Leiden des schuldigen Menschen vor dem heiligen Gott für Luther festgehalten wird, können die verschiedenartigen, oft eigentümlich die „Vorstellungskomplexe" miteinander verflechtenden Äußerungen Luthers über das Werk Christi recht verstanden werden. Für Luther gipfelt dieses Werk Christi sicherlich in der „Aufhebung" des göttlichen Zornes und der Überwindung des Gesetzes als Verderbensmacht, das 651
Vgl. etwa WA 6,133 (zitiert bei R. Bring, a. a. O., S. 179). Vgl. S. 23 f. 653 Vgl. S. 101 ff. 654 WA Χ, I, 1, 718. — Siehe auch Anm. 494, S. 135f. — vgl. auch WA 44, 697, 21ff. : Die interessante Unterscheidung von go'el und podä'), die etwa der späteren von Versöhnung und Erlösung entspricht. Vgl. dazu Th. Harnack, Luthers Theologie II, S. 231ff., wo neben vielen in ihrer Echtheit mit Recht umstrittenen doch auch einige markante echte Luther-Zitate zu finden sind, welche die — natürlich rein begriffliche — Unterscheidung von Versöhnung und Erlösung rechtfertigen könnten. Vgl. etwa auch WA 40, I 501 ff. Vgl. S. 503 (Druck): „Tupeccator manebis, hoc est, non morieris et ira ipsius manente." (Die Nachschrift ist an dieser Stelle etwas verworren). 053
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Luther mit besonderer Vorliebe im „altklassischen Gewände" darstellt. Aber derselbe Christus, der den Stockmeister und Tyrannen Gesetz 656 vertreibt und dadurch unser Herr wird, erlöst uns doch nicht vom Gesetz durch Abtun und Zerbrechen des Gesetzes als solchen, sondern durch die Gabe eines freiwilligen Geistes, dem Gottes Gesetz so wohl gefällt, daß er wollte, es wäre nicht anders β6β . Das Gesetz als Verderbensmacht für den Sünder wird überwunden, das Gesetz als Gebot für den Gerechtfertigten wird nun erst möglich und aufgerichtet — beides wird im Werke Christi, in seinem Erfüllen und Erleiden, seinem Besiegen und Zerbrechen des Gesetzes offenbar. 2. F r e i h e i t u n d G e h o r s a m in C h r i s t i S t e l l u n g zum Gesetz (vere Deus — vere homo) Denn Luther beschränkt sich nicht darauf, die alten Kampfbilder zu reproduzieren, sie sind für ihn mehr der eindrucksvolle Rahmen, in den das farbige Bild der Versöhnungstat Christi eingefügt wird. Worum sich gewiß auch schon die altkirchliche Theologie bemühte, der Einzigartigkeit des Kampfes Christi gerecht zu werden, das geschieht nun in ganz neuer und wesentlich tiefer dringender Weise bei Luther, wenn er entfaltet, wie und wodurch die Erlösung geschehen sei. Durch freiwillige Gesetzeserfüllung und gehorsames Strafleiden hat Christus die Versöhnung vollzogen. Luther betont dabei, wie ζ. T. auch Anselm und später die Orthodoxie, die Ungeschuldetheit des Gehorsams und Leidens Christi, aber — mit Bring — wird man darin noch weniger als bei Anselm eine meritorische Deutung des Werkes Christi im moralistischen Sinne ausgesprochen finden — im Grunde geht es um die in der Gottheit Christi begründete Freiheit Christi von der für den Sünder unausweichlichen, verderblichen, Gottes Gericht über ihn vollziehenden Macht des Gesetzes 667 . Aber darin vollendet sich nun die freie, spontane Gesetzeserfüllung Christi als unbedingter Hingabe an Gottes Liebeswillen, daß Christus das Äußer655
Siehe GK Erklärung zum zweiten Artikel. ese WA 10 1 1,362 : „Alsso hatt Christus das gesetz erfüllet und allis than auß freyem willen, nit aus nott und tzwang des gesetz. . . . Wie erlosset er aber vom gesetz ? Wie gesagt ist, nit durch tzubrechen und abethun des gesetzes, sondern durch gäbe eynes freywilligen geystes." Von den Christen heißt es: „Sie sehen das Drohen und Belohnen des gesetzes nit an — das yhn gottes gesetz so woll gefeilt, wollten, es war nit anders." Siehe dazu W. Eiert, Morphologie des Luthertums I, S. 98ff., auch die wichtigen Ausführungen übel· die Bedeutung der Rechtsbegrifflichkeit S. 65ff. Vgl. WA 36,37 : „Christus hat uns vom Fluch, nicht vom Gehorsam des Gesetzes befreit." — Siehe dazu, auch wieder mit dem oben erwähnten Vorbehalt zu den Zitaten, Th. Harnack, a. a. 0., S. 280—294. 657 Vgl. dazu R. Bring, a. a. O., S. 197—205. — Zum ganzen folgenden LutherAbschnitt vergleiche unsere Darstellung der orthodoxen Versöhnungslehre S. 153ff., in der Wesentliches schon vorweggenommen wurde.
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ste tut, was die im Gesetz gebotene Agape tun kann: Christus „vergißt" gleichsam seine Sonderstellung als einziger Mensch, der Hand und Herz des Gesetzes hat ; so sehr lebt er in der Erfüllung des Gesetzes, daß er nicht an den ihm gebührenden Lohn für seinen Gehorsam, sondern nur an die unter ihrer Schuldverhaftung leidenden Menschen denkt und mit ihnen unter der Schuld des sündigen Menschseins und dem in den Verderbensmächten waltenden Gericht des Gesetzes steht und dort als einer der ihren in der σάρξ άμαρτίχς für sie einsteht, ihre Schuld, ihr Erschrecken vor der Sünde, ihre Verlassenheit vor Gott, ihre Aufechtungen wegen ihrer Unwürdigkeit und des unergründlichen Prädestinationsratschlusses Gottes als die eigenen durchleidet, ja sie viel tiefer durchleidet als der gegen die ganze unerbittliche Schärfe des Gerichts wegen seiner Sünde schon abgestumpfte Mensch. Nicht mechanisches Abbüßen eines bestimmten Strafmaßes, sondern Durchleiden der menschlichen „Schuldnotlage" bis zum letzten meint die Strafleidenslehre Luthers, die kein Umgehen, sondern nur das gehorsame Auf sichnehmen der Strafe kennt. So ist auch die von der oboedientia activa gar nicht zu trennende oboedientia passiva höchste Aktivität, T a t Christi und als solche gottheitlich bestimmter Akt 6 5 8 . So sehr liegen für Luther vere homo und vere deus ineinander, daß für ihn gerade da, wo Christus bis zur Sündenanfechtung unser Bruder wird, wo er der niedrigste und ärmste wird, seine Gottheit um so majestätischer gegenwärtig ist. „Ille homo, qui flagris caesus, qui sub morte, sub ira Dei, sub peccato et omni genere malorum est infimue, est summes Deus 6 6 9 ." So gewiß es richtig und wichtig ist, zu betonen, daß es nach Luthers Deutung Gottes Liebeswille ist, der sich im Strafleiden Christi vollbringt, so ist es doch nicht minder wesentlich, der von Luther immer wieder leidenschaftlich hervorgehobenen Bedeutung des wahren, angefochtenen Menschseins Christi, seiner vollkommenen Solidarität mit uns, an der das ganze Evangelium hängt, gerecht zu werden 680 . Da Aulén dieser Seite der Versöhnungsthe658 Zur Strafleidenslehre s. bes. Vogelsang, Der angefochtene Christus bei Luther und O. Tiililä, Das Strafleiden Christi, S. 196—260. — Die wichtigste Luther-Quelle ist wohl seine Auslegung des 22. Psalms in WA V (operationes in psalmos). Vergleiche auch die im Text folgenden Luther-Zitate. — Zur letzten Einheit von oboedientia activa und passiva als Erfüllung des Gesetzes vergleiche R. Bring, Dualismen hos Luther, S. 203: „Daß Christus das Gebot des Gesetzes erfüllt und dessen Strafe erlitten hat, sind für Luther nicht eigentlich zwei verschiedene Dinge, sondern ein und dieselbe Tat. Christi Menschwerdung, sein Leben in Niedrigkeit, ist eigentlich nichts anderes als seine Selbsthingabe in Leiden und Tod, sondern ein und dasselbe. Das letztere ist die Kulmination des ersteren; so ist auch die Unterstellung (ingâendet) unter die Verdammnis des Gesetzes gleichsam die Kulmination der Unterwerfung Christi unter sein Gebot." Vgl. auch das Folgende. 659 WA 43,580. 6βο Ygi Elerts Entwicklung des „propter Christum" bei Luther „von unten her", Luthers Forderung entsprechend, man müsse in der Theologie von unten anheben. Siehe Morphologie des Luthertums I, S. 97 ff.
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logie Luthers nicht nachgeht, da er Luthers Auslegung der Gethsemaneperikope, des Kreuzigungsberichtes, von Jes. 53, vor allem aber die Auslegung von Ps. 22 überhaupt nicht heranzieht, fehlt seiner Lutherdeutung der Boden, auf dem allein das Kampfmotiv recht gewürdigt werden kann 6 6 1 . Zweifellos schlägt aber in dieser Auslegung, wo Luther, von der Sorge um die Vollgültigkeit des pro nobis, um die bis in die Wurzeln unserer Existenz vor Gott hinabreichende Bruderschaft Christi mit uns getrieben, sich zu der kühnsten und tiefsten Exegese von Ps. 22 vorwagt, die wohl je geschrieben ist, nicht weniger das Herz reformatorischen Christusglaubens als in den breiten Entfaltungen des Kampf moti vs. Ein kleiner Ausschnitt möge für das Ganze stehen: „Cum autem percussio dei, qua pro peccatis percutit, non solum poena mortis sit, sed et pavor atque horror perturbatae conscientiae, quae iram aeternam sentit et sic habet, ac si in aeternum esset derelinquenda et proiicienda a facie Dei, . . certe pronum sequitur, et ipsum fuisse passum horroremque conscientiae perturbatae et iram aeternam gustantis 6 6 2 ." Nicht um der mechanischen Äquivalenz von menschlicher Schuld und Christi Strafe, sondern um der Wirklichkeit der Gegenwart des gnädigen Gottes willen, des humanus Deus 663 , auch in der äußersten Angefochtenheit des Glaubens, muß Luther die Angefochtenheit zur Hölle in das Strafleiden Christi einschließen. 3. D a s s t e l l v e r t r e t e n d e S t r a f l e i d e n C h r i s t i a l s Ü b e r w i n d u n g Gerichtes Gottes
des
..Nondum enim habes Christum, etiamsi noris eum Deum et hominem esse, sed tunc vere habes eum, eum credis hanc purissimam personam tibi donatam a Patre, ut esset Pontifex et Redemptor, imo Servus tuus, qui exuta innocentia et sanctimonia sua et suscepta persona tua peccatrice portaret Peccatum, Mortem et Maledictionem tuam ac fieret hostia et maledictum pro te, ut sic a maledicto legis te liberaret" 664. Dieser Stellvertretungsgedanke ist nicht die von Bring als lateinische Hilfsvorstellung Luthers charakterisierte Auffassung der Versöhnung : Danach wird das Werk Christi als ein Wert an sich — ohne Beziehung auf die Situation des Glaubenden, als eine Leistung betrachtet, die der Mensch nur geltend zu machen braucht, um Gott jederzeit dazu zu bestimmen, daß er seinen Zorn fahren läßt. Des Menschen Glauben besteht dann in dem Fürwahrhalten der wunderbaren Tatsache, daß der Tod Christi (als 661
Von alledem ist in Den kristna försoningstanken, S. 172—206 (Luther-Abschnitt) und auch den einschlägigen Abschnitten der Dogmatik nicht die Rede. Daß auch die sonst von Aulén angeführten Zitate oft eigenartig verkürzt werden, hat A. Sjöstrand, a. a. O., S. 90ff. nachgewiesen. ββ2
W
A
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(
6 0 3
663 WA 40 I, 78f. zum Wort humanus Deus, zitiert bei R. Bring, a. a. O., S. 142. Zum Erleiden der Höllenstrafen durch Christus vgl. WA V, 603—606.