Die Variabilität frühneuzeitlicher Staatlichkeit: Die niederländische „Staats“-Formierung der Statthalterlosen Epoche (1650–1672) als interkontinentales Regiment 3515119841, 9783515119849

Durch den Unabhängigkeitskrieg gegen die Spanier (1568–1648) etablierten die Niederländer eine souveräne politische Enti

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Table of contents :
VORWORT
INHALT
I PROBLEMSTELLUNG UND FORSCHUNGSANLIEGEN
1. EINLEITUNG
Hinführung zum Thema
Untersuchungsgegenstände
Staatsbildung vs. Staats-Formierung
Staat als Kategorie in der Geschichtswissenschaft
Die deutsche Forschungsdebatte zu frühneuzeitlicher Staatlichkeit
2. QUELLENLAGE
3. AUFBAU UND VORGEHENSWEISE
II ÜBERBLICK ZUR FORSCHUNGSLAGE
1.BEGRIFFSGESCHICHTE
Die Bedeutungsebenen des frühneuzeitlichen Staats-Begriffs
Das Lexem Staat in Zedlers Universallexikon
Der Staats-Begriff in Übersetzungen der Werke Hugo Grotius’
2. THEORIEN DER STAATSBILDUNG
Bedingungen der frühneuzeitlichen Staatsbildung
Die Staatsbildungstheorie Charles Tillys – Das soziologisch-historische Modell
Wolfgang Reinhard und die deutsche Debatte zur Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit
3. ALTERNATIVE THEORIEN DER STAATSBILDUNG
Zusammengesetzter Staat oder dominium politicum et regale?
Die Vereinigten Niederlanden als Republik?
Die Körperschaft als Element der Staats-Formierung
Zusammenfassung
4. DIE NIEDERLÄNDISCHE STAATS-FORMIERUNG
Alternatives Erklärungsmodell von Staatlichkeit
Das Konzept der Verräumlichungsregimente
Kritik am Konzept der Verräumlichungsregimente
III DER WEG DER NÖRDLICHEN NIEDERLANDEN IN DIE UNABHÄNGIGKEIT
1. ANLASS ZUR SPALTUNG
Die Geographie der niederen Lande
Die niederen Lande unter habsburgischer Herrschaft
2. DIE ETAPPEN DES AUFSTANDS
Die bilderstürmenden Rebellen
Die Dordrechter Union – Erste Institutionalisierung der Unabhängigkeitsbewegung
Die Genter Pazifikation – Das letzte gemeinsame Bekenntnis der 17 Provinzen
3. DIE UNION VON UTRECHT
Die Bedeutung der Utrechter Unionsakte für die niederländische Staats-Formierung
Die politischen Konsequenzen der Utrechter Unionsakte
Johannes Althusius’ Politica – Die politische Bedeutung der Körperschaft
Otto von Gierkes Genossenschaftstheorie – Die territoriale Bindung von Körperschaften
Die souveränen Akteure in der politischen Kultur der Utrechter Union
Die autoritäre Herrschaft in der Utrechter Union
4. DIE BEGRÜNDUNG STÄNDISCHER HERRSCHAFT
Die Übertragung der Oberhoheit auf Wilhelm I. von Oranien
Die Lossagung von der spanischen Oberhoheit
François Vrancks Justificatie van Deductie – Grundlage ständischer Souveränität
Die politische Ordnung der Utrechter Union nach dem Erlass der Acte van afzwering
IV EXKURS: DIE SCHWEIZER GEMEINWESEN
1. VERGLEICHENDE BETRACHTUNG DER REGIMENTE
Alte Eidgenossenschaft und die Drei Bünde
Die Schweizer Gemeinwesen im Vergleich zur Utrechter Union
Der Einfluss des Calvinismus in der Utrechter Union
V DER LANGE WEG ZUR UNABHÄNGIGKEIT
1. VOM WAFFENSTILLSTAND ZUM WESTFÄLISCHEN FRIEDEN
Der 12jährige Waffenstillstand – Die faktische Anerkennung der Unabhängigkeit
Exkurs: Hugo Grotius’ Eigentumsverständnis – Die Grundlage der niederländischen Staats-Formierung
Arminianer vs. Gomarianer – Religionsdebatte mit innenpolitischem Konfliktpotential
2. DIE VEREINIGTEN NIEDERLANDEN AUF DER EUROPÄISCHEN BÜHNE
Der Erbstreit in Jülich-Kleve – Die Verteidigung der eigenen Grenzen
Die niederländische Unterstützung für die Protestanten in Böhmen – Ein Vergleich der Rebellionen
3. STÄDTEBEZWINGER UND KRIEGSMÜDIGKEIT
4. DER FRIEDE VON MÜNSTER
Die völkerrechtliche Anerkennung der niederländischen Unabhängigkeit
Wilhelms II. Griff nach der Macht
VI DIE STATTHALTERLOSE EPOCHE
1. DIE INNENPOLITISCHEN MACHTVERHÄLTNISSE
Das Austarieren der Macht
Die Instructie voor den Raad van State – Formierung der niederländischen Staatlichkeit
2. AMSTERDAM – VOM ENTREPÔT ZUM GLOBALEN PORTAL
Clé Lesgers Gateway-System
Zentralisierung des Handels- und Finanzwesens in Amsterdam
Die Amsterdamer Regentennetzwerke
Kommunalismus in den Vereinigten Niederlanden? – Das globale Portal Amsterdam
3. KRIEG UM DIE BEHERRSCHUNG DES EUROPÄISCHEN SEEHANDELS
Der Navigation Act von 1651
Der Erste Englisch-Niederländische Wirtschaftskrieg
Das Engagement der Vereinigten Niederlanden in den Nordischen Kriegen
Englands Angriff auf die niederländische Vormacht auf See
4. DIE NIEDERLÄNDISCHEN HERRSCHAFTS- UND VERRÄUMLICHUNGSSTRATEGIEN
Die niederländische Dominanz im Seehandel – Konfliktreiche Strategie
Manifestation der ständisch-korporativen Herrschaft
Das Rampjaar 1672 – Erschütterung des niederländischen Staats
Der Staats-Begriffs in Johann de Witts Korrespondenz
VII GESCHICHTE DER VOC – STRUKTUR UND AUFBAU
1. VOORCOMPAGNIËN VS. ESTADO DA INDIA
2. DE MARE LIBERUM – NATURRECHT AUF HANDEL
3.VERTRETERIN DES NIEDERLÄNDISCHEN STAATS IN ASIEN
Die Vereenigde Ooostindische Compagnie – Abbild der politischen Struktur der Vereinigten Niederlanden
Der Oktroi von 1602 – Grundlage politischer Macht
4. DIE POLITIK DER GENERALGOUVERNEURE
Die Suche nach einem rende-vous – Von Pieter Both bis Laurens Reael
Jan Pietersz. Coen – Die Gründung Batavias und die ersten Ansätze des niederländischen Kolonialismus
Die Strategien der VOC in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts
Die VOC als ökonomische Akteurin
Der Aufstieg der VOC zur politischen Akteurin in Asien
Die Beherrschung der Distributionswege – von Antonio van Diemen bis Joan Maetsuycker
Das Jahr 1641 – Umschlagpunkt für das niederländische Herrschafts- und Verräumlichungsregiment
Das Agieren der VOC nach dem Frieden von Münster
Manifestation der Macht – Die VOC unter Joan Maetsuycker
5. DAS NIEDERLÄNDISCHE VERRÄUMLICHUNGSREGIMENT IN ASIEN
6. DIE GELDPOLITIK DER VOC – VERBINDUNGEN ZUR AMSTERDAMER WECHSELBANK
7. DER STAATS-BEGRIFF IN DEN QUELLEN DER VOC
VIII DAS HAAGSE BESOGNE – BINDEGLIED ZWISCHEN VOC UND GENERALSTÄNDEN
1. DER ORT INTERKONTINENTALER DEBATTEN
Der Staats-Begriff in den Quellen des Haagse Besogne
IX DER NIEDERLÄNDISCHE STAAT IN DER STATTHALTERLOSEN EPOCHE
1. PIETER DE LA COURTS ANALYSE DES HOLLÄNDISCHEN SEEHANDELS-STAATS
2. VERGLEICH DER NIEDERLÄNDISCHEN VERRÄUMLICHUNGSREGIMENTE IN ASIEN UND EUROPA
3. DAS INSTRUMENTARIUM DES NIEDERLÄNDISCHEN STAATS
4. POTENTIAL DER ANALYSE
5. HERRSCHAFTS-FORMIERUNG – EIN ERKLÄRUNGSMODELL
ANHANG
APPENDIX I–IV
APPENDIX V – VERPACHTUNGSVERTRAG – VOC AN VAN EMMERSEEL VOM 27. MAI 1668
APPENDIX VI – PROTOKOLLE, GEHEIME VERTRÄGE, VERORDNUNGEN DER VOC IN COLOMBO
APPENDIX VII – BRIEF DE WITTS AN CORNELIS DE GRAEFF
APPENDIX VIII – MEMORANDUM JOHAN VAN OLDENBARNEVELTS
APPENDIX IX – BRIEF GASPAR FAGELS AN DE WITT, 9. OKTOBER 1670
APPENDIX X – BRIEF GASPAR FAGELS AN DE WITT, 11. OKTOBER 1670
APPENDIX XI – BRIEFE SASBURGS, DE GRAEFFS, DER BÜRGERMEISTER AMSTERDAMS
APPENDIX XII – BRIEFE AN DE WITT – VERWENDUNG DES STAATS-BEGRIFFS
APPENDIX XIII – PROTOKOLLE DES HAAGSE BESOGNE – 1655–1665
APPENDIX XIV – ACTE VAN AFZWERING VAN PHILIPS II
APPENDIX XV – JUSTIFICATIE OF DEDUCTIE
APPENDIX XVI – AUSZÜGE AUS DEM FRIEDENSVERTAG VON MÜNSTER
APPENDIX XVII – BRIEF DE WITTS AN DIE DORDRECHTER STADTREGIERUNG
APPENDIX XVIII – BRIEF DE WITTS AN BEVERNINGH UND NIEUWEPORT
APPENDIX XIX – BRIEFE DE WITTS AN VAN BEUNINGEN VON 1656
APPENDIX XX – BRIEF DE WITTS AN VAN BEUNINGEN, 9. FEBRUAR 1657
APPENDIX XXI – BRIEF DE WITTS AN VAN BEUNINGEN, 22. JUNI 1657
APPENDIX XXII – BRIEF DE WITTS AN BÜRGERMEISTER
APPENDIX XXIII – BRIEFE VIVIENS AN DE WITT VON 1665
APPENDIX XXIV – ACTE VAN HARMONIE
APPENDIX XXV – BRIEF DER VOC-KAMMER ZEELANDS AN GROTIUS
APPENDIX XXVI – AUSFÜHRUNGEN OLDENBARNEVELTS ZUM OCTROI
APPENDIX XXVII – AUSZUG AUS DEM 1. OCTROI DER VOC VON 1602
APPENDIX XXVIII – AUFZEICHNUNGEN JAN PIETERSZ COENS
APPENDIX XXIX – BRIEF JOAN MAETSUYCKERS AN DIE HEREN XVII
APPENDIX XXX – PROTOKOLL DES HAAGSE BESOGNE VON 1654
APPENDIX XXXI – PROTOKOLL DES HAAGSE BESOGNE VON 1664
QUELLEN - UND LITERATURVERZEICHNIS
NACHSCHLAGEWERKE
SEKUNDÄRLITERATUR
QUELLEN
ARCHIVE
INTERNETQUELLEN
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Die Variabilität frühneuzeitlicher Staatlichkeit: Die niederländische „Staats“-Formierung der Statthalterlosen Epoche (1650–1672) als interkontinentales Regiment
 3515119841, 9783515119849

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Oliver Krause

Die Variabilität frühneuzeitlicher Staatlichkeit Die niederländische „Staats“-Formierung der Statthalterlosen Epoche (1650–1672) als interkontinentales Regiment Geschichte Franz Steiner Verlag

Beiträge zur Europäischen Überseegeschichte – 105

Oliver Krause Die Variabilität frühneuzeitlicher Staatlichkeit

beiträge zur europäischen überseegeschichte vormals: Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte

Im Auftrag der Forschungsstiftung für vergleichende europäische Überseegeschichte begründet von Rudolf von Albertini, fortgeführt von Eberhard Schmitt, herausgegeben von Markus A. Denzel, Mark Häberlein und Hermann Joseph Hiery Band 105

Oliver Krause

Die Variabilität frühneuzeitlicher Staatlichkeit Die niederländische „Staats“-Formierung der Statthalterlosen Epoche (1650–1672) als interkontinentales Regiment

Franz Steiner Verlag

Coverabbildung: Karte der Indischen See. Vom Kap der Guten Hoffnung bis Japan Nationaal Archief Den Haag, Nummer toegang: 4.VEL, Inventarisnummer: 312, Kaartcollectie Buitenland Leupe, Kaart van de Indische Zee, van de Kaap de Goede Hoop tot Japan, 17 eeuw. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2018 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11984-9 (Print) ISBN 978-3-515-11988-7 (E-Book)

VORWORT Der interkontinentalen Dimension der frühneuzeitlichen Staats-Formierung in den Niederlanden nachzuforschen, eröffnete mir in den letzten Jahren nicht nur wissenschaftliche Horizonte. Die Reisen in die Kulturen und Archive der Niederlande, Indiens und Sri Lankas führten zu gewinnbringenden Einsichten weit über die Wissenschaft hinaus. Es verpflichtet mich demnach nicht nur der erfolgreiche Abschluss der vorliegenden Studie zum Dank an meine Familie und Wegbegleiter, sondern auch der Gewinn an persönlichen Erfahrungen, die ich im Zuge meiner wissenschaftlichen Arbeit machen durfte. Eingereicht wurde die Arbeit als Dissertationsschrift an der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften der Universität Leipzig im Wintersemester 2015/2016. Die Idee der Studie erwuchs in den Seminaren Herrn Prof. Dr. Reinhard Blänkners an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Mein Doktorvater Herr Prof. Dr. Manfred Rudersdorf bot mir an der Universität Leipzig die Gelegenheit, mein Dissertationsprojekt zu verwirklichen, das durch ein sächsisches Landesgraduiertenstipendium gefördert wurde. Beiden danke ich für die zahlreichen Anregungen und das Vertrauen, dass sie in mich setzten. Das begleitende Promotionsstudium an der Research Academy Leipzig (RAL) war ein effizienter Rahmen für die stetige Ausarbeitung der Thematik und das stringente Verhaftet bleiben im Schreiben. Die RAL würdigte die Dissertation mit dem Promotionspreis des Jahres 2016 im Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften. Mittel aus dem DAAD-Projekt „A New Passage to India“ finanzierten meine Forschungsaufenthalte im Tamil Nadu Archiv, Chennai, und dem National Archiv Sri Lankas, Colombo. Quellen aus beiden Archiven bilden das Gerüst für die Argumentation der Interkontinentalität der niederländischen Staats-Formierung. Zudem danke ich Herrn Prof. Dr. Lothar Schilling für die Möglichkeit, meine Zwischenergebnisse in seinem Oberseminar in Augsburg zur Diskussion zu stellen. Bei Frau Prof. Dr. Ute Wardenga und Eric Losang vom Leipziger Leibniz-Institut für Länderkunde bedanke ich mich für die Anregungen zur Visualisierung der Forschungsergebnisse. Ein besonderer Dank gilt meinen Eltern, Ilona und Jens-Hagen Krause, ohne deren ideelle Unterstützung und anhaltende Ermunterung es mir unmöglich gewesen wäre, mein Vorhaben zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Dem liebevollen und unentwegten Verständnis meiner Verlobten Simona May verdanke ich die Fertigstellung der endgültigen Fassung. Für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe der Beiträge zur Europäischen Überseegeschichte und die Verleihung des Martin Behaim-Preises danke ich der Gesellschaft für Überseegeschichte e.V. und ihrem Vorsitzenden Prof. Dr. Mark Häberlein. Leipzig, Januar 2018

Oliver Krause

INHALT Vorwort ........................................................................................................ 5 I PROBLEMSTELLUNG UND FORSCHUNGSANLIEGEN ..................... 13 1. Einleitung ............................................................................................... 13 Hinführung zum Thema ..................................................................... 13 Untersuchungsgegenstände ................................................................ 19 Staatsbildung vs. Staats-Formierung ................................................. 22 Staat als Kategorie in der Geschichtswissenschaft ............................ 26 Die deutsche Forschungsdebatte zu frühneuzeitlicher Staatlichkeit .. 28 2. Quellenlage ............................................................................................ 30 3. Aufbau und Vorgehensweise ................................................................. 33 II ÜBERBLICK ZUR FORSCHUNGSLAGE ............................................... 37 1.Begriffsgeschichte ................................................................................... 37 Die Bedeutungsebenen des frühneuzeitlichen Staats-Begriffs .......... 37 Das Lexem Staat in Zedlers Universallexikon .................................. 44 Der Staats-Begriff in Übersetzungen der Werke Hugo Grotius’ ....... 48 2. Theorien der Staatsbildung .................................................................... 52 Bedingungen der frühneuzeitlichen Staatsbildung ............................ 52 Die Staatsbildungstheorie Charles Tillys – Das soziologisch-historische Modell ................................................. 54 Wolfgang Reinhard und die deutsche Debatte zur Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit.............................................. 65 3. Alternative Theorien der Staatsbildung ................................................. 71 Zusammengesetzter Staat oder dominium politicum et regale?......... 71 Die Vereinigten Niederlanden als Republik?..................................... 77 Die Körperschaft als Element der Staats-Formierung ....................... 78 Zusammenfassung .............................................................................. 83 4. Die niederländische Staats-Formierung ................................................. 84 Alternatives Erklärungsmodell von Staatlichkeit .............................. 84 Das Konzept der Verräumlichungsregimente .................................... 91 Kritik am Konzept der Verräumlichungsregimente ........................... 94 III DER WEG DER NÖRDLICHEN NIEDERLANDEN IN DIE UNABHÄNGIGKEIT .................................................................................. 101 1. Anlass zur Spaltung ............................................................................. 101 Die Geographie der niederen Lande ................................................ 102 Die niederen Lande unter habsburgischer Herrschaft ...................... 105

8

Inhalt

2. Die Etappen des Aufstands .................................................................. 108 Die bilderstürmenden Rebellen ........................................................ 108 Die Dordrechter Union – Erste Institutionalisierung der Unabhängigkeitsbewegung.............. 113 Die Genter Pazifikation – Das letzte gemeinsame Bekenntnis der 17 Provinzen ..................... 116 3. Die Union von Utrecht ......................................................................... 121 Die Bedeutung der Utrechter Unionsakte für die niederländische Staats-Formierung ...................................... 121 Die politischen Konsequenzen der Utrechter Unionsakte ............... 124 Johannes Althusius’ Politica – Die politische Bedeutung der Körperschaft ..................................... 130 Otto von Gierkes Genossenschaftstheorie – Die territoriale Bindung von Körperschaften ................................... 135 Die souveränen Akteure in der politischen Kultur der Utrechter Union ......................................................................... 139 Die autoritäre Herrschaft in der Utrechter Union ............................ 143 4. Die Begründung ständischer Herrschaft .............................................. 148 Die Übertragung der Oberhoheit auf Wilhelm I. von Oranien ........ 148 Die Lossagung von der spanischen Oberhoheit ............................... 150 François Vrancks Justificatie van Deductie – Grundlage ständischer Souveränität................................................. 159 Die politische Ordnung der Utrechter Union nach dem Erlass der Acte van afzwering .......................................... 165 IV EXKURS: DIE SCHWEIZER GEMEINWESEN .................................. 171 1. Vergleichende Betrachtung der Regimente ......................................... 171 Alte Eidgenossenschaft und die Drei Bünde .................................... 171 Die Schweizer Gemeinwesen im Vergleich zur Utrechter Union ... 173 Der Einfluss des Calvinismus in der Utrechter Union ..................... 176 V DER LANGE WEG ZUR UNABHÄNGIGKEIT .................................... 179 1. Vom Waffenstillstand zum Westfälischen Frieden.............................. 179 Der 12jährige Waffenstillstand – Die faktische Anerkennung der Unabhängigkeit ............................. 179 Exkurs: Hugo Grotius’ Eigentumsverständnis – Die Grundlage der niederländischen Staats-Formierung ................. 190 Arminianer vs. Gomarianer – Religionsdebatte mit innenpolitischem Konfliktpotential ............... 207 2. Die Vereinigten Niederlanden auf der europäischen Bühne ................ 216 Der Erbstreit in Jülich-Kleve – Die Verteidigung der eigenen Grenzen ............................................ 216 Die niederländische Unterstützung für die Protestanten in Böhmen – Ein Vergleich der Rebellionen ......................................................... 221

Inhalt

3. Städtebezwinger und Kriegsmüdigkeit ................................................ 227 4. Der Friede von Münster ....................................................................... 230 Die völkerrechtliche Anerkennung der niederländischen Unabhängigkeit .............................................. 230 Wilhelms II. Griff nach der Macht ................................................... 233 VI DIE STATTHALTERLOSE EPOCHE ................................................... 237 1. Die innenpolitischen Machtverhältnisse .............................................. 237 Das Austarieren der Macht .............................................................. 237 Die Instructie voor den Raad van State – Formierung der niederländischen Staatlichkeit................................ 241 2. Amsterdam – Vom Entrepôt zum globalen Portal .............................. 246 Clé Lesgers Gateway-System .......................................................... 246 Zentralisierung des Handels- und Finanzwesens in Amsterdam ..... 252 Die Amsterdamer Regentennetzwerke............................................. 262 Kommunalismus in den Vereinigten Niederlanden? – Das globale Portal Amsterdam........................................................ 268 3. Krieg um die Beherrschung des europäischen Seehandels .................. 270 Der Navigation Act von 1651........................................................... 270 Der Erste Englisch-Niederländische Wirtschaftskrieg..................... 277 Das Engagement der Vereinigten Niederlanden in den Nordischen Kriegen .............................................................. 281 Englands Angriff auf die niederländische Vormacht auf See .......... 288 4. Die niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien .... 293 Die niederländische Dominanz im Seehandel – Konfliktreiche Strategie ................................................................... 293 Manifestation der ständisch-korporativen Herrschaft ...................... 296 Das Rampjaar 1672 – Erschütterung des niederländischen Staats . 297 Der Staats-Begriffs in Johann de Witts Korrespondenz .................. 302 VII GESCHICHTE DER VOC – STRUKTUR UND AUFBAU ................ 309 1. Voorcompagniën vs. Estado da India .................................................. 309 2. De mare liberum – Naturrecht auf Handel ........................................... 317 3.Vertreterin des niederländischen Staats in Asien.................................. 319 Die Vereenigde Ooostindische Compagnie – Abbild der politischen Struktur der Vereinigten Niederlanden ....... 319 Der Oktroi von 1602 – Grundlage politischer Macht ...................... 328 4. Die Politik der Generalgouverneure .................................................... 334 Die Suche nach einem rende-vous – Von Pieter Both bis Laurens Reael .................................................. 334 Jan Pietersz. Coen – Die Gründung Batavias und die ersten Ansätze des niederländischen Kolonialismus.................. 338 Die Strategien der VOC in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts ............................... 348

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10

Inhalt

Die VOC als ökonomische Akteurin ............................................... 349 Der Aufstieg der VOC zur politischen Akteurin in Asien ............... 354 Die Beherrschung der Distributionswege – von Antonio van Diemen bis Joan Maetsuycker ............................. 359 Das Jahr 1641 – Umschlagpunkt für das niederländische Herrschafts- und Verräumlichungsregiment ... 361 Das Agieren der VOC nach dem Frieden von Münster ................... 374 Manifestation der Macht – Die VOC unter Joan Maetsuycker ........ 376 5. Das niederländische Verräumlichungsregiment in Asien .................... 380 6. Die Geldpolitik der VOC – Verbindungen zur Amsterdamer Wechselbank ....................................... 387 7. Der Staats-Begriff in den Quellen der VOC ........................................ 390 VIII DAS HAAGSE BESOGNE – BINDEGLIED ZWISCHEN VOC UND GENERALSTÄNDEN .............................................................. 399 1. Der Ort interkontinentaler Debatten..................................................... 399 Der Staats-Begriff in den Quellen des Haagse Besogne.................. 404 IX DER NIEDERLÄNDISCHE STAAT IN DER STATTHALTERLOSEN EPOCHE............................................... 407 1. Pieter De la Courts Analyse des holländischen Seehandels-Staats ..... 407 2. Vergleich der niederländischen Verräumlichungsregimente in Asien und Europa ................................................................................. 414 3. Das Instrumentarium des niederländischen Staats ............................... 418 4. Potential der Analyse ........................................................................... 423 5. Herrschafts-Formierung – Ein Erklärungsmodell ................................ 424 ANHANG ..................................................................................................... 427 Appendix I–IV ......................................................................................... 428 Appendix V – Verpachtungsvertrag – VOC an van Emmerseel vom 27. Mai 1668 ............................................ 429 Appendix VI – Protokolle, geheime Verträge, Verordnungen der VOC in Colombo ....................................................... 431 Appendix VII – Brief de Witts an Cornelis de Graeff ............................. 442 Appendix VIII – Memorandum Johan van Oldenbarnevelts ................... 445 Appendix IX – Brief Gaspar Fagels an de Witt, 9. Oktober 1670 ........... 447 Appendix X – Brief Gaspar Fagels an de Witt, 11. Oktober 1670 .......... 448 Appendix XI – Briefe Sasburgs, de Graeffs, der Bürgermeister Amsterdams................................................................ 450 Appendix XII – Briefe an de Witt – Verwendung des Staats-Begriffs ... 453 Appendix XIII – Protokolle des Haagse Besogne – 1655–1665 ............. 456 Appendix XIV – Acte van afzwering van Philips II ................................ 471 Appendix XV – Justificatie of Deductie .................................................. 474

Inhalt

Appendix XVI – Auszüge aus dem Friedensvertag von Münster............ 476 Appendix XVII – Brief de Witts an die Dordrechter Stadtregierung ...... 478 Appendix XVIII – Brief de Witts an Beverningh und Nieuweport ......... 480 Appendix XIX – Briefe de Witts an van Beuningen von 1656................ 481 Appendix XX – Brief de Witts an van Beuningen, 9. Februar 1657 ...... 482 Appendix XXI – Brief de Witts an van Beuningen, 22. Juni 1657.......... 483 Appendix XXII – Brief de Witts an Bürgermeister ................................. 484 Appendix XXIII – Briefe Viviens an de Witt von 1665 .......................... 485 Appendix XXIV – Acte van Harmonie .................................................... 487 Appendix XXV – Brief der VOC-Kammer Zeelands an Grotius ............ 489 Appendix XXVI – Ausführungen Oldenbarnevelts zum Octroi .............. 490 Appendix XXVII – Auszug aus dem 1. Octroi der VOC von 1602 ........ 491 Appendix XXVIII – Aufzeichnungen Jan Pietersz Coens ....................... 492 Appendix XXIX – Brief Joan Maetsuyckers an die Heren XVII ............ 495 Appendix XXX – Protokoll des Haagse Besogne von 1654 ................... 498 Appendix XXXI – Protokoll des Haagse Besogne von 1664 .................. 499 QUELLEN - UND LITERATURVERZEICHNIS....................................... 503 Nachschlagewerke.................................................................................... 503 Sekundärliteratur ...................................................................................... 503 Quellen ..................................................................................................... 523 Archive ..................................................................................................... 527 Internetquellen.......................................................................................... 528

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I PROBLEMSTELLUNG UND FORSCHUNGSANLIEGEN 1. EINLEITUNG Hinführung zum Thema In Heinz Dieter Kittsteiners wissender Nachfrage, „[w]er […] diese ,Generalstaatenʻ [seien], die der spanischen Linie des Hauses Habsburg so viel zu schaffen machen“,1 glimmt die Verwunderung über den Machtanspruch der niederländischen Ständeversammlung gegenüber dem übermächtigen spanischen Königshaus am Ende des 16. Jahrhunderts auf, der seine entschiedene Antwort auf die Einordnung des Phänomens und die Bezeichnung der politischen Entität folgt, die aus der 80 Jahre anhaltenden Rebellion (1568–1648) in den Niederlanden erwuchs. „Schon ihre Selbstbezeichnung ist Programm. Betrachtet man den Dreißigjährigen Krieg als ,Staatengründungskriegʻ, dann kann die staatliche Geburt des modernen Europa nach dem Anteil beurteilt werden, den entweder die Stände oder die königliche Zentralgewalt in diesem Prozess spielten. […] Ein Ständeverband, der sich so lange gegen eine Weltmacht und ihre brutale Soldateska zur Wehr setzte, musste ein Staat sein. ,De Staten generael vande gheunierrede Nederlandenʻ – das ist der treffende Name des aus der Rebellion der Stände hervorgegangenen Staates; […].“2

Die Entscheidung Kittsteiners, die Provinzen als Staat zu bezeichnen, ist weniger unproblematisch als seine Ausführungen es vermuten lassen. Die Gestalt von Staatlichkeit in europäischen Territorien der Frühen Neuzeit ist Gegenstand einer sehr divergenten Forschungsdebatte, in der sich die Untersuchung mit der Frage positioniert, ob in den Vereinigten Niederlanden3 im 17. Jahrhundert eine erfolgreiche Staats-Formierung4, basierend auf ökonomischen Strategien, orientiert an 1 2 3

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Kittsteiner, Heinz Dieter: Die Stabilisierungsmoderne. Deutschland und Europa 1618–1715, München: Carl Hanser Verlag, 2010, S. 44f. Ebda., S. 46f. In der Forschung werden verschiedene Bezeichnungen für die sieben nördlichen Provinzen der Niederlande, die sich zu einer politischen Einheit zusammenschlossen, verwendet. Am Ende des 16. Jahrhunderts kursierte die Bezeichnung Union von Utrecht, erst im 17. Jahrhundert setzte sich die Bezeichnung Vereinigte Niederlande durch. Teilweise wurde die politische Entität als Republik der Vereinigten Niederlande, häufiger als Staat der Vereinigten Niederlande in den Quellen benannt. In der Dissertation wird für den Zeitraum nach der Unabhängigkeitserklärung gegenüber dem spanischen König die Bezeichnung die Vereinigten Niederlanden verwendet, da die politische Entität eine Föderation verschiedener Territorien war, die sich als niedere Landen bezeichneten. Deswegen wird im Gegensatz zu den vorherrschenden Untersuchungen zur niederländischen Geschichte die Pluralform verwendet, um stärker auf den föderativen Charakter der politischen Entität im 17. Jahrhundert hinzuweisen, der sich auch in der niederländischen Bezeichnung Koninkrijk der Nederlanden zeigt. Vgl. dazu: ’t Hart, Marjolein: The Dutch wars of independence, warfare and commerce in the Netherlands, 1570–1680, Modern wars in perspective, New York/London: Routledge, 2014,

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I Problemstellung und Forschungsanliegen

globalen Handelsaktivitäten der politischen Akteure, stattfand.5 Eine solche Interpretation steht im Widerspruch zur bisherigen Forschung, die den Vereinigten Niederlanden im Gegensatz zu Kittsteiner für das 17. Jahrhundert die Staatlichkeit abspricht. Um den Blick der Forschung auf die niederländische Staats-Formierung erweitern zu können, muss im Voraus über einige Grundannahmen der Forschung zu frühneuzeitlicher Staatlichkeit nachgedacht werden. Es wird nicht versucht, die politische Ordnung in den Vereinigten Niederlanden in die Theorien zur frühneuzeitlichen Staatsbildung einzuordnen, sondern bewusst die These einer Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden formuliert, die aus zwei grundlegenden Komplexen besteht.6 Der erste Komplex ist

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S. 5f. ’t Hart spricht von territorialer Staats-Formierung im Zusammenhang mit der Bedeutung der militärischen Entwicklungen in den Vereinigten Niederlanden. Der Begriff StaatsFormierung soll in der vorliegenden Arbeit nicht zwangsläufig mit der Rolle des Kriegs in Zusammenhang gestellt werden, sondern als abstrakter Begriff fungieren, der Staatlichkeit durch die Kombination unterschiedlicher Attribute flexibler auf verschiedene Herrschaftsordnungen anwendbar macht, wenn der Begriff im zeitgenössischen Verständnis existierte. Demzufolge können auch Formationen unter anderer Bezeichnung auftreten, die das jeweils zeitgenössische Verständnis wiedergeben. Um die Formulierungen zu vereinfachen, wird von Beginn an von Staats-Formierung gesprochen, obwohl deren Beschreibbarkeit Ziel der Untersuchung ist. Wenn von Staats-Formierung in Bezug auf die Vereinigten Niederlanden in der Hinleitung zum Untersuchungsgegenstand gesprochen wird, bleibt die Annahme einer solchen bis zum semantischen und inhaltlichen Nachweis hypothetisch. Die Dissertation schließt an Paul Kennedys Interpretation des Wandels von Herrschaftsordnungen an. Siehe dazu: Kennedy, Paul: Aufstieg und Fall der großen Mächte, Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt, Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag, 1987; zum Wandel von Institutionen in diesem Zusammenhang siehe: North; Douglass C.: Institutionen, institutioneller Wandel und Wirtschaftsleistung, Tübingen: J.C.B. Mohr, 1992. Siehe zu den Theorien der Staatsbildung in der Frühen Neuzeit u. a.: Baumgart, Peter (Hg.): Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen: Ergebnisse einer internationalen Fachtagung; Arbeitstagung „Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen“ vom 29. Oktober – 1. November 1980, Berlin/New York: de Gruyter, 1983; Blänkner, Reinhard: „Absolutismus“ und „frühmoderner Staat“. Probleme und Perspektiven der Forschung, in: Vierhaus, Rudolf (Hg.): Frühe Neuzeit – Frühe Moderne? Forschungen zur Vielschichtigkeit von Übergangsprozessen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992, S. 48–74; Blockmans, Wim: Geschichte der Macht, Völker, Staaten, Märkte, Frankfurt/New York: Campus, 1998; Blockmans, Wim; Tilly, Charles (Hg.): Cities and the Rise of States in Europe, A.D. 1000– 1800, Boulder: Westview, 1994; Burkhardt, Johannes: Der Dreißigjährige Krieg als frühmoderner Staatsbildungskrieg, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994), S. 487– 499; Clark, Samuel: State and Status, The Rise of the State and Aristocratic power in Western Europe, Cardiff: University of Wales Press, 1995; Creveld, Martin van: Aufstieg und Untergang des Staates, München: Gerling-Akad.-Verlag, 1999; Duchhardt, Heinz: Europa am Vorabend der Moderne 1650–1800, Stuttgart: Eugen Ulmer, 2003; Ertman, Thomas: Birth of the Leviathan, Building States and Regimes in medieval an early modern Europe, Cambridge: Cambridge University Press, 1999; Glete, Jan: War and the State in Early Modern Europe, Spain, the Dutch Republic and Sweden as fiscal-military states, 1500–1660, London/New York: Routledge, 2002; ’t Hart, Marjolein: The making of a bourgeois state, War, politics and finance during the Dutch revolt, Manchester/New York: Manchester University Press, 1993; Koenigsberger, H. G.: Monarchies, States Generals and Parliaments, The Netherlands in the Fifteenth and Sixteeenth Centuries, Cambridge/NY: Cambridge University Press, 2001; Krü-

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die etymologische und semasiologische Untersuchung des niederländischen Worts Staat7 als Beschreibungskategorie für politische Entitäten. Der zweite Schritt innerhalb des Komplexes dient der Herausarbeitung der Attribute der als Staat bezeichneten politischen Entität. Diese Untersuchung verläuft parallel zur Darstellung der Ereignisse der niederländischen Geschichte. Im zweiten Komplex werden die globalen Strategien der politischen Akteure in den Vereinigten Niederlanden sowohl in Europa als auch im Zuge des Ausgreifens nach Asien durch die Handelsunternehmungen der niederländischen Vereenigde Oost-Indische Compagnie (VOC)8 untersucht, die letztlich die Formierung des niederländischen Staats aus der Kombination verschiedener Herrschaftsinteressen und -strategien ergab. Die Wahl der Strategien und die niederländische Wirtschaftsordnung waren maßgeblich von den geographischen Bedingungen bestimmt. Formierung bedeutet, dass aus einer Vielzahl möglicher Strategien, Akteure eine bestimmte Anzahl wählen und diese miteinander kombinieren, was auf abstrakter Ebene zur Entwicklung eines Erklärungsmodells für die niederländische Staatlichkeit führt, das sich sowohl begrifflich von der universalen Kategorie Staat als auch von den Annahmen einer teleologischen Entwicklung von Staatlichkeit löst. Wenn im Folgenden von Staat in Bezug auf die Vereinigten Niederlanden gesprochen wird, dann geschieht dies im Rahmen des dargestellten Erklärungsmodells. Für die spezifische Beschreibung der niederländischen Staats-Formierung ist zudem das Nachdenken über die Kategorie Territorium als wichtiges Element von

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ger, Peter (Hg.): Das europäische Staatensystem im Wandel, Strukturelle Bedingungen und bewegende Kräfte seit der Frühen Neuzeit, München: Oldenburg Verlag, 1996; Mann, Michael: Geschichte der Macht, Vom Römischen Reich bis zum Vorabend der Industrialisierung, Bd. 2, in: Geschichte der Macht, 4 Bände, Frankfurt a. Main: Campus-Verl., 1991; Marquardt, Bernd: Universalgeschichte des Staates, Von der vorstaatlichen Gesellschaft zum Staat der Industriegesellschaft, Münster: LIT, 2009; Oestreich, Gerhard: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin: Duncker & Humblot, 1969; Oestreich, Gerhard; Oestreich, Brigitta (Hg): Strukturprobleme der frühen Neuzeit : Ausgewählte Aufsätze, Berlin: Duncker & Humblot, 1980; Reinhard, Wolfgang: Geschichte des modernen Staates, Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München: Beck, 2007; Tilly, Charles: Coercion, Capital and European States, AD 990–1992, Cambridge/Oxford: Blackwell, 1990; Timmermann, Heiner (Hg.): Die Bildung des frühmodernen Staates – Stände und Konfessionen, Saarbrücken-Scheidt: Dadder, 1989. Es wird sich in der Analyse des niederländischen Begriffs Staat zeigen, dass es während des 17. Jahrhunderts eine Lautverschiebung gab. Wurde der Begriff zu Beginn des Jahrhunderts noch als staet niedergeschrieben, tritt er in den Quellen der zweiten Jahrhunderthälfte in Großschreibung und mit der Vokaldopplung -aa- auf. Um keine Verwirrung zu erzeugen, wird der Begriff immer Staat geschrieben, auch wenn die Schreibweise zu Beginn des Jahrhunderts davon abwich. Siehe zur Veränderung der niederländischen Sprache im 17. Jahrhundert: Torn; Pijnenburg; Leuvenstijn; van der Horst: Geschiedenis van de Nederlandes taal, Amsterdam: Amsterdam University Press, 1997, S. 227–360. Die Vereenigde Oost-Indische Compagnie (VOC) wurde im Jahr 1602 gegründet und trieb vor allem Handel mit Gewürzen. Im weiteren Verlauf wird näher auf die Gründung der VOC und ihre Entwicklung eingegangen. Die Benennung der Kompanie ergibt sich aus der Bezeichnung Südostasiens als Ostindien. Beides (Südostasien und Ostindien) sind im europäischen Kontext konstruierte Bezeichnungen.

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Staatlichkeit notwendig. Um die niederländische Staatlichkeit im 17. Jahrhundert beschreiben zu können, muss von einem Raum des sozialen Handelns ausgegangen werden, da die niederländische Staats-Formierung nicht nur in einem transkontinentalen Kontext durch Aktivitäten auf verschiedenen Kontinenten erwächst, sondern insbesondere vom Agieren der Niederländer in den Räumen zwischen den Kontinenten bestimmt wurde.9 Die wichtige Rolle des Meeres als Raum, auf dem die Niederländer im 17. Jahrhundert Handels- und Frachtschifffahrt betrieben und zu dessen Beherrschung die Kontrolle über Meerengen und Seestraßen von entscheidender Bedeutung war, kann kaum überbewertet werden. Aus diesem Grund spielt der Begriff Raum für die Beschreibung der niederländischen Staatlichkeit im 17. Jahrhundert eine weit wichtigere Rolle als Territorium.10 Sowohl zur politischen Ordnung der Vereinigten Niederlanden in Folge des Unabhängigkeitskriegs im 16. und 17. Jahrhundert als auch zum Ausgreifen der VOC im 17. Jahrhundert, an deren Aktivitäten die globale Dimension der niederländischen Staats-Formierung aufgezeigt werden soll, liegen zahlreiche Publikationen vor. In der Bewertung der maritimen Vormacht der Niederländer im 17. Jahrhundert in Bezug auf Europa besteht in der Forschung ebenso ein Konsens, wie über den eingeschränkten Einfluss der VOC auf das südostasiatische11 Handelsnetzwerk, in dem die Niederländer lediglich partizipierten, es jedoch nie absolut dominierten.12 Der Gewinn liegt nicht in der Erforschung neuer Fakten, sondern in der Verknüpfung der niederländischen, globalen ökonomischen Strategien zur Beherrschung der Warenströme und der Formierung von politischer Herrschaft in den Vereinigten Niederlanden, die bisher separat voneinander betrachtet wurden, da keine direkte Beeinflussung von Erfahrungen der Niederländer in Südostasien auf die Transformation der politischen Ordnung in den Vereinigten Niederlanden nachweisbar ist.13 Ein vollkommen neuer Aspekt, ist die Genese des niederländischen Staats-Begriffs, der sowohl aus den Quellen der VOC und der politischen Institutionen in den Vereinigten Niederlanden als auch den Korres-

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Vgl. dazu: Wessling, Henk: Overseas History, in: Burke, Peter (Hg.): New Perspectives on Historical Writing, Cambridge: Polity Press, 1991, S. 67–92. Die bereits seit der Antike beschriebene Thalassokratie, eine Herrschaft, die von der Beherrschung des Meeres und der Handelsrouten geleitet war und vor allem im Mittelmeer präsent war, ist grundsätzlich vom gleichen Interesse bestimmt, wie die Herrschaftsstrategien der Niederländer im 17. Jahrhundert. Ausschlaggebender Unterschied ist die Ausdehnung des Interessengebiets auf einen interkontinentalen Raum, der zusätzliche Strategien erforderte. Der Begriff „Südostasien“ ist eine Kategorie, die aus einem europäischen Blickwinkel heraus entstand, der die kulturelle Vielfalt und politischen Konstellation der bezeichneten Region sehr vereinfacht. Die bestehende Verwendung des Begriffs gibt indes ein räumliches Verständnis der Region wieder, weswegen der Begriff im Folgenden zur groben Beschreibung des Interessengebiets der VOC genutzt wird. Siehe dazu: Vries, Jan de: Connecting Europe and Asia: A Quantitative Analysis of the CapeRoute Trade, 1497–1795, in: Flynn, Dennis O; [u.a.]: Global Connections and Monetary History, 1470–1800, Aldershot, Ashgate, 2003, darin: S. 35–106. Siehe dazu: Gelderen, Roelof van; Wagenaar, L.: Sporen van de Compagnie, De VOC in Nederland, Amsterdam: Baatafsche Leeuw, 1988.

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pondenzen wichtiger politischer und wirtschaftlicher Akteure herausgearbeitet wird. Der Fokus liegt auf der Interpretation der Ereignisse und Aktivitäten der Akteure im Kontext der Thesen der niederländischen Staats-Formierung. Dazu ist es indes unumgänglich, intensiv auf die Ereignisse einzugehen, um an einschlägigen Quellen, wie dem Waffenstillstandsabkommen der Niederländer mit der spanischen Krone von 1609, die wirtschaftlichen Interessen der Niederländer aufzuzeigen, die nahezu alle wichtigen politischen Entscheidungen bestimmten. Nur so lässt sich die Formierung der niederländischen Staatlichkeit in Verknüpfung mit der etymologischen und semantischen Untersuchung nachvollziehen. Die Komplexität der Abhandlung ist durch die beiden Untersuchungsgegenstände – die Ereignisse und politischen Akteure in den Vereinigten Niederlanden und im asiatischen Herrschaftsgebiet der VOC – und den zeitlichen Rahmen bedingt, der vom Beginn des Unabhängigkeitskriegs 1568 bis zum Ende der Ersten Statthalterlosen Epoche14 (1650–1672) reicht, wobei die Statthalterlose Epoche die Kernzeit für die charakteristische Ausbildung der niederländischen StaatsFormierung darstellt, die untersucht werden soll. In Europa konzentriert sich die Untersuchung auf das niederländische Agieren in der Nordsee. Die Aktivitäten im Mittelmeer bleiben außen vor, da sich die Strategien der Niederländer hinreichend an deren Handeln in der Nord- und Ostsee aufzeigen lassen. Wenn die Ökonomie die Grundlage der niederländischen Herrschaftsordnung war, müssen die wirtschaftlichen Strategien untersucht werden, um die politische Ordnung hinreichend erklären zu können.15 In der Forschung gilt die Frühe Neuzeit als Epoche der beginnenden Territorialstaatlichkeit. Gemäß der bestehenden Forschung entwickelte sich ein frühmoderner Staat, der von Zentralisierungen der Zwangsmittel und der Administration gekennzeichnet war. Das Personal in den Armeen und politischen Gremien wurde professioneller. Der das Gewaltmonopol innehabende Monarch beherrschte ein klar definiertes Territorium. Diesem dargestellten Muster widersprach die Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert. Die Vereinigten Niederlanden etablierten sich nach der Lossagung von Philipp II. als Landesherrn der niederländischen Provinzen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als föderalistische Union, die von den etablierten städtischen Kaufmannsfa14 Im 18. Jahrhundert gab es eine zweite Statthalterlose Epoche (1702–1747). Statthalter waren im 16. Jahrhundert in den Niederlanden Vertreter der habsburgischen Herrscher. Nach der Unabhängigkeitserklärung existierte das Amt weiterhin. Die Besetzung wurde allerdings von den einzelnen Provinzen entschieden. Die Vereinigten Niederlanden bestanden aus sieben, in der föderalen Ständeversammlung stimmberechtigten Provinzen, die jeweils einen Statthalter beriefen, wobei meist ein Mitglied des Hauses Oranien gewählt wurde. 15 Siehe zur Veränderung der ökonomischen Grundlagen besonders in der Provinz Holland während des 80jährigen Kriegs: Fritschy, W.: A ,financial revolution‘ reconsidered; public finance in Holland during the Dutch Revolt, 1568–1648, Economic History Review 62, 2004, S. 57–89; ’t Hart, M. C.: The merits of a financial revolution: public finance,1550–1700, in: Dies.; Jonker, J; Zanden, J. L. van (Hg.): A Financial History of The Netherlands, Cambridge: Cambridge University Press, 1997.

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I Problemstellung und Forschungsanliegen

milien und deren Netzwerken dominiert und gelenkt wurde, ohne einem Monarchen die Oberhoheit für die Union zu übertragen.16 Die Mehrzahl der Forschungen zu frühneuzeitlicher Staatlichkeit betrachtet diese Transformation der politischen Herrschaft in den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts daher nicht als erfolgreichen Weg der Staatsbildung.17 Mit die Konstatierung der Erfolglosigkeit des politischen Transformationsprozesses in den Niederlanden unter dem Paradigma moderner Staatlichkeit während des 17. Jahrhunderts verknüpften sich für die Untersuchung Fragen, die aus der Rolle der Vereinigten Niederlanden im europäischen und globalen Machtgefüge erwuchsen.18 Welche Faktoren waren für die Sonderstellung der Vereinigten Niederlanden ausschlaggebend? Warum wird einer der bedeutendsten ökonomischen und politischen Akteure des 17. Jahrhunderts als Anomalie der in der Frühen Neuzeit als grundlegendem Prozess geltenden Staatsbildung angesehen? Welche Erklärungskraft besitzen die Theorien zur frühneuzeitlichen Staatsbildung, wenn neben den Vereinigten Niederlanden auch England als Anomalie angesehen wird?19 Sind die globalen Aktivitäten der Vereinigten Niederlanden und Englands für den Ausschluss verantwortlich, weil Akteure in beiden Territorien Instrumente nutzten und politische Ordnungen schufen, die ihren expansiven Interessen dienten und so dem Prozess der Zentralisierung der Administration und politischen Macht entgegenwirkten, in anderen Bereichen wie dem Finanzwesen und dem Handel allerdings auf der Zentralisierung beruhten? Diente die ökonomische Zentralisierung der Steigerung politischer Macht bestimmter Akteure, die gleichzeitig in der Wirtschaft und der Politik der Vereinigten Niederlanden aktiv waren? Der Blick auf die Ökonomie und Verräumlichung von Herrschaft der Niederländer steht im Mittelpunkt der Untersuchung.20 Die eurozentrischen Axiome der Staatsbildungstheorien müssen überdacht werden, um eine eigenständige Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden beschreiben zu können.

16 Siehe zur Bedeutung von Familiennetzwerken: Adams, Julia: The Familial State: Ruling Families and Merchants Capitalism in Early Modern Europe, Ithaca, New York: Cornell University Press, 2005; Castells, Manuel: The rise of the network society: economy, society, and culture, Malden, MA: Blackwell Publishers, 1996; zur theoretischen Betrachtung von Netzwerken siehe u. a.: Granovetter, Mark: The Stength of Weak Ties: A Network Theory Revisited, in: Marsden, Peter V.; Nan Lin (Hg.): Social Structure and Network Analysis, Beverly Hills, CA: Sage, 1982, S. 105–30. 17 Zu nennen sind dabei insbesondere die Arbeiten von: Reinhard, Geschichte des modernen Staates; Blockmans, Geschichte der Macht; Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates; Mann, Geschichte der Macht. Sie liefern einen tiefgreifenden Überblick zu den Theorien der Entstehung von moderner Staatlichkeit. 18 Siehe zur Modernität der Vereinigten Niederlanden: Vries, Jan de: On the Modernity of the Dutch Republic, JEcH, 33 (1973), S. 191–202. 19 Siehe dazu Reinhard, Geschichte des modernen Staates. Jan Glete wendete die Thesen Brewers auf die Verhältnisse in den Vereinigten Niederlanden an. Siehe dazu: Brewer, John: The Sinews of Power, War, Money and the English state, 1688–1783, Cambridge: Harvard University Press, 1990; Jan Glete, War and the State in Early Modern Europe. 20 Siehe dazu u. a.: Hodder, B. W.; Lee, Roger: Economic Geography, London, 1974.

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Untersuchungsgegenstände Konkreter Gegenstand der Untersuchung ist die Gestalt und Beschreibbarkeit der Herrschaftsstrategien in den Vereinigten Niederlanden zwischen 1650 und 1672 als spezifisch niederländische Form frühneuzeitlicher Staats-Formierung im globalen Kontext. Die Epoche prägt eine besondere Art der Staatlichkeit innerhalb der niederländischen Staats-Formierung, die von den globalen ökonomischen Interessen der herrschenden Regenten-Oligarchie durch das Ausgreifen nach Südostasien bestimmt wurde. Diese Elite war besonders in der Epoche nach dem Westfälischen Frieden in der Lage, ihre ökonomischen Interessen politisch durchzusetzen.21 Begründet ist dieser Umstand durch eine Veränderung in der Konstellation der politischen Ordnung. Im genannten Untersuchungszeitraum etablierte sich in den Vereinigten Niederlanden eine für Europa einzigartige politische Struktur, in der auf mittelalterlichen Traditionen fußende korporative und genossenschaftliche Elemente fortbestanden.22 Die Union umfasste im 17. Jahrhundert die sieben nördlichen Provinzen23 der ehemaligen Habsburgischen Niederlanden.24 Nach dem Beginn des Unabhängigkeitskriegs 1568 behielten alle rebellischen Provinzen ihre weitgehenden 21 Vgl. dazu: Lademacher, Horst: Phönix aus der Asche? Politik und Kultur der niederländischen Republik im Europa des 17. Jahrhunderts, Münster/New York/München/Berlin: Waxmann, 2007, S. 64ff; Zanden, Jan Luiten van; Prak, Maarten: Towards an economic interpretation of citizenship: The Dutch Republic between medieval communes und modern nationstates, in: European Review of Economic History, 10 (2006), S. 111–145. 22 Zur Betrachtung der Korporation als Faktor für die Transformation politischer Strukturen in der Frühen Neuzeit vgl. u. a.: Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates; Schilling, Heinz: Gab es im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen städtischen „Republikanismus“? Zur politischen Kultur des alteuropäischen Stadtbürgertums, in: Koenigsberger, Helmut Georg (Hg.): Republiken und Republikanismus im Europa der Frühen Neuzeit, München: Oldenburg Verlag, 1988, S. 101–143. Auf den korporativen Charakter der Herrschaftsordnung macht auch Wolfgang Reinhard in seiner Untersuchung zur Geschichte des modernen Staats aufmerksam. Allerdings betont Reinhard den defizitären Charakter einer genossenschaftlich organisierten Herrschaft ohne das Vorhandensein eines absoluten Monarchen in Bezug auf die Staatsbildung. Vgl. dazu weiterführend: Blockmans, Geschichte der Macht, S. 303; Cerman, Markus; Luft, Robert: Untertanen, Herrschaft und Staat in Böhmen und im „Alten Reich“, München: Oldenburg, 2005; Davids, Karel; Lucassen, Jan (Hg.): A miracle mirrored, Cambridge: University Press, 1995. Horst Lademacher betont hingegen den korporativen Charakter des Gemeinwesens in den Vereinigten Niederlanden. Siehe dazu: Lademacher, Horst: Staat, natie en nationaliteitsbesef, S. 15f. 23 Zu Beginn der Revolte 1568 und auch nach der Gründung der Utrechter Union, aus der die Vereinigten Niederlanden hervorgingen, war die Gestalt und Zusammensetzung der Union noch nicht gefestigt. Amsterdam blieb bis 1578 dem spanischen König Philipp II. treu. Eine feste Zusammensetzung der Union konstituierte sich erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Zur Union der Vereinigten Niederlanden gehörten die Provinzen Holland, Seeland, Gelderland, Utrecht, Drenthe, Friesland und Groningen mit den jeweiligen umliegenden Landen und Städten. Vgl. dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 233–240. 24 Zur Geschichte der Niederlanden unter den Habsburgern siehe u. a.: Tracy, J. D.: Holland under Habsburg Rule 1506–1566: The Formation of a Body Politic, Berkeley, CA: University of California Press, 1990.

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Rechte innerhalb der neu gegründeten Union, was ihr den Charakter einer Föderation gab.25 Alle Provinzen bewahrten ihre Selbständigkeit. Außenpolitisch agierte die Union als politische Einheit, nach innen verteilte sich die Macht auf die einzelnen Provinzen und deren Städte. Auf allen Ebenen der föderativen Strukturen regierten Ständeversammlungen.26 Das traditionelle politische Mitbestimmungsrecht des Adels war in den abtrünnigen Provinzen bereits nach der Revolte auf den Einfluss der Ritterschaft und der Statthalter27 der einzelnen Provinzen beschränkt. Das Amt des Statthalters, das dem Amtsträger zu Beginn der Revolte und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entscheidenden Einfluss auf die Politik der rebellischen Provinzen gegeben hatte, blieb ab 1650 unbesetzt. Die Nichtbesetzung des Statthalterpostens in den wichtigsten Provinzen28, bestimmte die Besonderheit der Untersuchungsepoche. Zu Beginn der Revolte gegen den spanischen König war Wilhelm I. von Oranien als Statthalter der Provinzen Holland und Seeland von entscheidender Bedeutung. Wilhelm I. brach spätestens 1572 mit dem spanischen König. Er wandte sich als Statthalter Hollands und Seelands gegen Philipp II. und stieg zum Anführer der Rebellion und Widersacher seines Lehnsherrn auf. Wilhelm I. verpflichtete sich mit dem Beginn der Rebellion den Ständen, die ihn beriefen und bezahlten, wodurch er ein nicht unbedeutendes politisches Mitsprachrecht in der 1579 ge-

25 Auf den föderativen Charakter weist die Forschungsliteratur unter Bezugnahme auf Grotius hin, der in seinem Werk die Union als Föderation der einzelnen Provinzen beschreibt. Siehe dazu: Konegen, Norbert; Nitschke, Peter (Hg.): Staat bei Hugo Grotius, Baden–Baden: Nomos, 2005. 26 Vgl. dazu: XIX. 29. januari 1579. Unie van Utrecht, Artikel I.–V., in: Blécourt, Anne Siberdinus de; Japikse, Nicolas: Klein plakkaatboek van Nederland, Verzamling van ordonnantiën en plakkaten betreffende regeeringsvorm, kerk, en rechtsprak 8 (14e eeuw tot 1749), Groningen, Den Haag: J. B. Wolters, 1919, S. 120–121. 27 In den Provinzen wurde ein Statthalter eingesetzt. Oft wählten mehrere Provinzen den gleichen Statthalter. Schon unter burgundischer und habsburgischer Herrschaft existierte dieses Amt. Nach der Konsolidierung des Burgundischen Reichskreises unter Karl V. gab es zusätzlich einen Landvogt, der den König im gesamten Reichskreis vertrat. Dieses Amt existierte nach dem Beginn der Rebellion nur noch in den südlichen Provinzen der Niederlanden, die bei Spanien verblieben. Siehe dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 9–35. 28 Die wichtigsten Provinzen waren Holland und Seeland, die gemeinsam mit Utrecht von einem Statthalter aus dem Haus der Oranier vertreten wurden. Diese drei Provinzen beriefen zwischen 1650 und 1672 keinen Statthalter ein. Friesland jedoch besetzte den Statthalterposten zwischen 1650 und 1672 mit einem Vertreter aus der Nebenlinie der Nassauer, Wilhelm Friedrich von Nassau-Diez, ebenso wie Groningen und Drenthe. Siehe dazu: Lademacher, Horst: Geschichte der Niederlande, Politik – Verfassung – Wirtschaft, Darmstadt: WBG, 1983, S. 78–114. Die Provinz Drenthe stellte allerdings eine Ausnahme innerhalb der Union war. Drenthe kann als assoziierte Provinz gesehen werden, die als 8. Provinz Teil der Union war, ohne Steuern zu zahlen oder ein Stimmrecht in den Generalständen zu besitzen, jedoch trotzdem als Teil der Union galt.

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gründeten Utrechter Union erhielt, aus der die Vereinigten Niederlanden hervorgingen.29 Die Vorgeschichte des niederländischen Unabhängigkeitskriegs dient zur Abbildung der Entstehung der niederländischen Herrschaftsordnung. Damit einher, gehen Überlegungen zur Frage der Bedeutung von Souveränität und Autorität in den Vereinigten Niederlanden, deren politische Kultur von Dezentralisierung und politischer Kompetenzüberlagerung gekennzeichnet war.30 In welchem Maß besaßen die Regierungsgremien in den Vereinigten Niederlanden worüber Souveränität? Es soll eine Antwort darauf geben, welche Bedeutung die Rechtsform der Körperschaft, Netzwerke von Kaufmannsfamilien und die darin eingeschlossene Institutionalisierung von Vertrauen als grundlegendem Element für das Funktionieren der niederländischen Herrschaftsordnung besaßen.31 Diesbezüglich wird die Frage erörtert, ob das Konzept der Souveränität über Territorium als Mittel der Herrschaftsausübung in den Vereinigten Niederlanden hinter die Kontrolle anderer Räume zurücktrat. Zudem wird die Institutionalisierung von Vertrauen in den Netzwerken untersucht und inwieweit die auf der Basis der Autorität der Eliten beruhende politisch-administrative Dezentralisierung zur spezifisch niederländischen Staats-Formierung beitrug.32 Jürgen Förster argumentiert auf der Basis der 29 Schon 1572 war Wilhelm I. von der Dordrechter Ständeversammlung zum Statthalter in Holland und Seeland berufen worden. Siehe dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 179–220; Mörke, Wilhelm von Oranien (1533 ̶ 1584), Stuttgart: Kohlhammer, 2007, S. 237–252. 30 Die Koexistenz von Souveränität und Autorität im niederländischen politischen System des 17. Jahrhunderts erwähnt Olaf Mörke in Bezug auf das Verhältnis des Statthalters als Autorität in Anspielung auf die Beobachtungen des englischen Gesandten William Temple. Vgl. dazu: Mörke, Olaf: ,Stadtholderʻ oder ,Staetholderʻ? Die Funktion des Hauses Oranien und seines Hofes in der politischen Kultur der Republik der Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert, Münster/Hamburg: LIT, 1997, S. 37; Temple, William: Observations upon the United Provinces of the Netherlands, London: Tonson, 17. Aufl., 1705. Siehe zum Konzept der Kulturgeschichte des Politischen: Stollberg-Rillinger, Barbara: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 35, Berlin: Duncker & Humblot, 2005. 31 Siehe dazu: Förster, Jürgen: Die Sorge um die Welt und die Freiheit des Handelns, Zur institutionellen Verfassung der Freiheit im politischen Denken Hannah Arendts, Würzburg: Könighausen & Neumann, 2009. Die Bedeutung der Familiennetzwerke für die Macht der niederländischen Oligarchen (politische Eliten) wird in zahlreichen Forschungsbeiträgen betont. Vgl. dazu u. a.: Grafe, Regine; Gelderblom, Oscar: The Rise and Fall of the Merchant Guilds: Re-thinking the Comparative Study of Commercial Institutions in Premodern Europe, Journal of Interdisciplinary History, xl: 4 (Spring, 2010), S. 477–511. Zur Vernetzung der Kaufmannsfamilien im frühneuzeitlichen Europa u. a.: Lindemann, Mary: The Merchant Republics: Amsterdam, Antwerp, and Hamburg, 1648–1790, Cambridge: Cambridge University Press, 2015; siehe zum Verhältnis zwischen Institutionen und ökonomischer Theorie u. a.: Furubotn, E. G.; Richter, R.: Institutions and Economic Theory: The Contribution of New Institutional Economics, Ann Arbor, MI: The University of Michigan Press, 2000. 32 Siehe dazu: ’t Hart, Marjolein: Netzwerke des Handels und der Macht. Die Finanzierung des Kriegs und die Direktoren der Ostindienkompanie im Amsterdam des 17. Jahrhunderts, in: Häberlein, Mark; Jeggle C. (Hg.): Praktiken des Handels. Geschäfte und soziale Beziehungen europäischer Kaufleute im Mittelalter und früher Neuzeit, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, 2010, S. 355–377; Förster, Die Sorge um die Welt; Lesger, Clé: The ,Visible Handʻ:

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politischen Philosophie Hannah Arendts, dass Vertrauen durchaus institutionalisiert werden und gemeinschaftliche Richtlinien etablieren kann.33 Neben Ute Freverts Veröffentlichung zur Bedeutung des Vertrauens im Rahmen frühneuzeitlicher Politik, gelten die Arbeit Arendts und deren Interpretation Försters als theoretische Grundlage für die Analyse der Institutionalisierung von Vertrauen in den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts.34 Rudolf Schlögls These vom Aushandeln der Politik lässt sich mit der Institutionalisierung von Vertrauen in Verbindung setzen. Im Sinne der These des Aushandelns ist eine strikte Sozialdisziplinierung von oben durch Gesetze und Richtlinien immer an einen Prozess in die andere Richtung gekoppelt.35 Gegenläufig zur Institutionalisierung des Vertrauens ist dessen Verletzung durch die Korruption innerhalb der herrschenden Elite.36

Staatsbildung vs. Staats-Formierung Die Untersuchung kann aufgrund der Widersprüche zu bekannten Staatsbildungstheorien die Transformation der Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden nicht wie von Heinz Dieter Kittsteiner konstatiert ohne Weiteres als Staatsbildung beschreiben.37 Von den verschiedenen Definitionen des Begriffs,

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Views on Entrepreneurs and Entrepreneurships in Holland: 1580–1850, in: Rutten, Mario; Upadhya, Carol: Small Business Entrepreneurs in Asia and Europe, Towards a Comparative Perspective, New Delhi, Thousands, Oaks, London: Sage Publications, 1997, S. 255–278. Siehe dazu: Frevert, Ute: Vertrauen: historische Annäherungen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2003; Förster, Die Sorge um die Welt. Als theoretische Grundlage gilt Arendts politische Philosophie. Siehe dazu u. a.: Arendt, Hannah: Macht und Gewalt, in: dies.: In der Gegenwart. Übungen im politischen Denken II, München: Piper, 2012, S. 145–208; dies.: Was ist Autorität?, in: dies.: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I, München: Piper, 2012, S. 159–200; dies.: Freiheit und Politik, in: Ebda., S. 201–226; dies.: Was ist Politik?, München: Piper, 4. Auflage, 2003. Siehe dazu: Schilling, Heinz (Hg.): Institutionen, Instrumente und Akteure sozialer Kontrolle und Disziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, Frankfurt a. M.: Vittorio Klostermann, 1999; Schlögl, Rudolf: Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden: Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte u. Gesellschaft; 34(2008)2, S. 155–224. Siehe dazu die Arbeit von Lindemann, die für das lange 18. Jahrhundert (1648–1790) die Korruption in der Amsterdamer Oligarchie untersucht hat. Lindemann, The Merchant Republics. Zur Korruption siehe u.a.: Engels, Ivo; Fahrmeier, Andreas; Nützenadel, Alexander (Hg.): Geld – Geschenke – Politik, München: Oldenburg, HZ Beiheft 48, 2009. Siehe zur Bezeichnung der Staatlichkeit in den Vereinigten Niederlanden: Deursen, Arie Theodorus van: Staatsinstelling in de Noordelijke Nederlanden, 1579–1780, in: NAGN, Nr. 5, Haarlem, 1980, S. 350–87; Gooses, I. H.; Japikse, Nicolas: Handboek tot de Staatkundige Geschiedenis van Nederland, ’s Gravenahge: Nijhoff, 1920; Koch, Koen: Over staat en Statenvorming, Leiden: DSWO Press, 1993; Kranenburg, Roeloef: Studiën over recht en staat, Haarlem: F. Bohn, 1932. Keine der Arbeiten befasst sich explizit mit dem niederländischen Begriff Staat. Alle setzen eine Definition voraus, um die Vereinigten Niederlanden in das Konzept der Staatsbildungstheorien einzugliedern.

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muss sich die vorliegende Schrift zu Beginn im Rahmen der kritischen Besprechung der Staats-Definitionen distanzieren, um den Blick für die Gestalt der politischen Herrschaft zu schärfen. Wenn zur Bezeichnung der Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden der Begriff Staat Verwendung findet, ist er als zeitgenössische Kategorie zu verstehen, deren Attribute nachgehend erklärt werden sollen, um auf Basis der Semasiologie und Etymologie des niederländischen Begriffs Staat von einer Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden sprechen zu können. In der Auseinandersetzung mit den Thesen zur Staatsbildung in der Frühen Neuzeit gibt es eindeutige Unterschiede zwischen verschiedenen Wissenschaftstraditionen. In der angloamerikanischen und niederländischen Geschichtswissenschaft existieren, im Gegensatz zur deutschsprachigen, kaum theoretische Beschäftigungen mit dem Begriff Staat oder state. Nahezu jede Untersuchung aus dem angloamerikanischen Raum liefert zu Beginn der Untersuchung eine eigene Definition des Staats-Begriffs, wohingegen in deutschsprachigen Untersuchungen durch eine lang anhaltende Theoriedebatte eindeutig festgelegt wurde, was als Staat in der Frühen Neuzeit zu verstehen ist. In der kritischen Betrachtung der Untersuchungen zu frühneuzeitlicher Staatlichkeit muss aus diesem Grund immer auf die verschiedenen Wissenschaftstraditionen verwiesen werden, wobei die deutschsprachige Theoriedebatte und nicht die idiographischen Definitionen englischsprachiger Publikationen im Fokus der Kritik steht. In Bezug auf England gibt es bereits Untersuchungen, die sich mit den Ergebnissen für jene Staatlichkeit beschäftigen, die aus den globalen Herausforderungen erwuchs, denen sich die Engländer bereits im 16. Jahrhundert stellten. Der englische Historiker John Brewer übertrug in The Sinews of Power die These von der Bedeutung des Kriegs auf die Staatsbildung in England, womit er in Anlehnung an die deutsche Theoriedebatte eine entscheidende Triebkraft für die Zentralisierung der politischen Herrschaft in einem Territorium nachwies, das von derselben Theorie als schwachem Staat bezeichnet wurde. Krieg betrachten auch Charles Tilly, Johannes Burckhardt, Wolfgang Reinhard und viele andere Historiker, die sich mit der Staatsbildung in Europa beschäftigen, als treibende Kraft hinter der Zentralisierung der Administration unter Kontrolle eines Zwangsmittel innehabenden Akteurs. Gemeinhin wird in der Forschung zu frühneuzeitlicher Staatlichkeit angenommen, dass ein absoluter Monarch diese treibende Kraft ist. Er erhebt Steuern und richtet zu deren Eintreibung einen funktionierenden Beamtenapparat ein. Dadurch entwickelt sich der frühneuzeitliche Staat zum Territorialstaat, wobei die Annahme besteht, dass gesellschaftliche Fundamentalvorgänge, wie die Sozialdisziplinierung, zur Etablierung des frühneuzeitlichen Staats führten, der eindeutig „institutionell und flächenmäßig organisiert war“.38 Mittel zur Durch-

38 Vgl. dazu: Schilling, Heinz: Die Konfessionalisierung im Reich, Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: Historische Zeitschrift 246 (1988), S. 1–45, hier S. 6.

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I Problemstellung und Forschungsanliegen

setzung der Fundamentalvorgänge war die Gute-Policey.39 Wirklich nachweisbar ist die Wirkung der Fundamentalvorgänge jedoch schwer, was die Kritik an den bestehenden Theorien und Untersuchungen zum Absolutismus zeigt. Die vehemente Kritik an der Allmacht des absoluten Monarchen stellt gleichsam Forschungen in Frage, die von der Wirkmacht der Fundamentalvorgänge und der ihr zugrunde liegenden Administration ausgehen.40 Brewer Herauslösen von Faktoren der Staatsbildungstheorien wie Krieg, um deren Wirkung in anderem Kontext zu untersuchen, gilt, losgelöst von den weiteren Implikationen der Fundamentalvorgänge, indes als vorbildhaft für die Entwicklung eines alternativen Erklärungsmodells für die niederländische StaatsFormierung. Die Einschränkung des englischen Monarchen durch das Parlament galt vor dem Beitrag Brewers in der Forschung als Zeichen eines schwachen Staats, eines dominium regale et politicum.41 Die Beschneidung des monarchischen Gewaltmonopols war der Grund, warum England als Anomalie des europäischen Staatsbildungsprozesses bezeichnet wurde. Brewer indes erweiterte den Blick auf den globalen Kontext der Kriegsführung und Administration in England. Wichtiger als das uneingeschränkte Gewaltmonopol des Monarchen und die Zentralisierung der Herrschaft waren im Fall Englands die Instrumente der Durchsetzung kolonialer Interessen. Durch die Einbettung in einen globalen Kontext beschrieb Brewer England als einen fiscal-military-state, dessen Eigenart durch die Herausforderungen geformt wurde, denen sich eine global agierende politische Entität stellen musste.42 Mit der Erweiterung der räumlichen Bezüge für den Pro39 Siehe dazu insbesondere: Stolleis, Michael; [u.a.] (Hg.): Policey im Europa der Frühen Neuzeit, Frankfurt a. Main: Klostermann, 1996. 40 Siehe dazu: Asch, Ronald G.; Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft, Köln: Böhlau Verlag, 1996; Duchhardt, Heinz: Die Absolutismusdebatte: Eine Antipolemik, in: Historische Zeitschrift, 275(2002)2, S. 323– 331; ders.: Absolutismus – Abschied von einem Epochenbegriff?, in: Historische Zeitschrift; 258(1994)1, S. 113–122; Freist, Absolutismus; Henshall, Nicholas: The myth of absolutism, Change and continuity in early modern European monarchy, London: Longman, 1992; Hinrichs, Ernst: Fürsten und Mächte, Zum Problem des europäischen Absolutismus, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2000; zur Kritik am Absolutismusbegriff siehe: Dreitzel, Horst: Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland, Ein Beitrag zu Kontinuität der Politischen Theorie in der Frühen Neuzeit, Mainz: Verlag Philipp von Zabern, 1992. 41 Siehe zur Bezeichnung schwacher Staat: Blänkner, Reinhard: Strukturprobleme des frühmodernen Staates, in: Carney, Frederick; Schilling, Heinz; Wyduckel, Dieter (Hg.): Jurisprudenz, Politische Theorie und Politische Theologie. Beiträge des Herborner Symposions zum 400. Jahrestag der Politica des Johannes Althusius 1603–2003, Berlin, 2004, S. 399–435, darin S. 434; Reinhard, Wolfgang: Geschichte der Staatsgewalt, Eine vergleichende Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, München: Beck, 2002, S. 222ff; zur theoretischen Figur des dominium politicum et regale siehe: Koenigsberger, H. G.: Dominium Regale or Dominium et Politicum: Monarchies and Parliaments in Early Modern Europe, in: Ders.: Politicians and Virtuosi, Essays in Early Modern History, London: Hambleton Press, 1986, S. 1–26. 42 Dabei muss natürlich erwähnt werden, dass die Proto-Industrialisierung zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein zusätzlicher Faktor für den Aufstieg Englands war. Vgl. dazu u. a.: Coleman, Donald C.: The economy of England 1450–1750, Oxford: Oxford Univ. Press, 1978;

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zess der Staatsbildung gelang Brewer eine Neubewertung der Staatlichkeit Englands, die im Vergleich zu anderen Territorien Europas nicht von Schwäche gekennzeichnet war, sondern von spezifischen Strategien, die es England ermöglichten, zur imperialen Macht des 18. Jahrhunderts aufzusteigen. Jan Glete untersuchte anhand der Brewerʼschen Thesen die Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts und zeigte deren Gewinn durch die Beschreibung der Transformation der Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden auf.43 Die fehlende Zentralisierung, eine fehlende schriftliche Festlegung der neuen politischen Verfasstheit und das Ausbleiben der Ernennung eines zentralen Souveräns, der nach der Abwahl Philipps II. hätte fähig sein müssen, nicht nur die Belange der Utrechter Union nach außen hin durchzusetzen, sondern auch die Politik der gesamten Union als Einheit zu bestimmen, führten zur Charakterisierung der Vereinigten Niederlanden als Anomalie. Zumindest als Anomalie im Gegensatz zum monarchischen Territorialstaat als typischem Ziel der Transformation politischer Ordnung in der Frühen Neuzeit.44 Die Überlagerung von Kompetenzen verschiedener politischer Akteure bedingte die Dezentralisierung der politischen Macht in den Vereinigten Niederlanden. Daraus entstand indes weder für die verschiedenen Akteure noch für die politischen Korporationen in den Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert eine Rückständigkeit gegenüber Akteuren in anderen europäischen Territorien. Die Akteure in den Vereinigten Niederlanden dominierten mit ihren Strategien die europäische Ökonomie im 17. Jahrhundert, woraus sich der politische Einfluss auf das europäische Machtgefüge ergab. Um die globalen Herrschaftsstrategien der Niederländer auf die StaatsFormierung in den Vereinigten Niederlanden beziehen zu können, wird die VOC als niederländische Akteurin in Asien betrachtet, deren Strategien mit denen der Akteure im Heimatland verglichen werden sollen. Zu diesem Zweck wird das Wirken der VOC als politischer Akteurin in Indien und Südostasien, insbesondere auf Ceylon, der Insel Java, Japan und den Gewürzinseln analysiert.45 Im Ergebnis soll der Vergleich der Herrschaftsstrategien der VOC-Akteure und der Akteure in den Vereinigten Niederlanden der Erweiterung des Blicks für den globalen und Zum Konzept des fiskalischen Staats siehe u. a.: Bonney, Richard (Hg.): The Rise of the Fiscal State in Europe c. 1200–1815, Oxford: Oxford University Press, 1999. 43 Siehe dazu: Glete, War and the State in Early Modern Europe. 44 Vgl. dazu: Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates, S. 163f; Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 217–258; Tilly, Coercion, Capital and European States, S. 62ff. Siehe dazu weiter aus rechtswissenschaftlicher Sicht: Willoweit, Dietmar: Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt: Landesobrigkeit, Herrschaftsrechte und Territorium in der Rechtswissenschaft der Neuzeit, Köln: Böhlau Verlag, 1975. 45 Als Gewürzinseln werden die Molukken bezeichnet, eine Inselgruppe im Malaiischen Archipel. Besonders die Inseln Tidore, Ternate, Ceram und die Banda-Inseln waren für die VOC von entscheidender Bedeutung im Handel mit Gewürzen. Siehe dazu: Nagel, Jürgen G.: Abenteuer Fernhandel: die Ostindienkompanien, Darmstadt: Wiss. Buchges., 2007, S. 100–126, insbes. S. 103, mit einer Karte der Niederlassungen der VOC im Malaiischen Archipel. Zu den niederländischen Stützpunkten siehe auch: Appendix III unter folgender URL: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/die-variabilitaet-fruehneuzeitlicher-staatli chkeit.html.

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I Problemstellung und Forschungsanliegen

interkontinentalen Kontext der niederländischen Staats-Formierung im 17. Jahrhundert dienen. Andere Faktoren, wie das Paradigma der absoluten Monarchie, sind für die Bewertung der niederländischen Staats-Formierung zugunsten des Aushandlungsprozesses zwischen politischen Körperschaften zurückzustellen. Vor der Kritik an den Theorien der Staatbildungsprozesse steht allerdings die Beschäftigung mit einem zweiten Fragenkomplex – der Begriffsgeschichte der Kategorie Staat.46

Staat als Kategorie in der Geschichtswissenschaft Den Theorien zur frühneuzeitlichen Staatsbildung gehen Definitionen des StaatsBegriffs voraus, deren inhärentes Attribut die Monarchie ist. Geht man von einer Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden aus, ist es fraglich, ob bestehende Definitionen des Staats-Begriffs losgelöst von den Staatsbildungstheorien für die Untersuchung notwendig und hilfreich sein können. Lässt sich mit einschlägigen Definitionen die Besonderheit der niederländischen Staats-Formierung analysieren? Warum wird die politische Ordnung in den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts nicht durchgängig und eindeutig als Staat beschrieben, obwohl sich eindeutig die Verwendung des Begriffs als Bezeichnung für die Vereinigten Niederlanden in zeitgenössischen Quellen nachweisen lässt? Es besteht augenscheinlich ein Widerspruch zwischen der zeitgenössischen Wahrnehmung von politischer Ordnung und deren geschichtswissenschaftlicher Analyse. Beispielsweise verdeutlicht Horst Lademachers Analyse des niederländischen StaatsBegriffs im 17. Jahrhundert, dass mit dem zentralistischen Konzept hinter dem Staats-Begriff keine Analyse der politischen Herrschaft in den Vereinigten Niederlanden möglich ist, sondern, wie Lademacher in seinem Artikel Staat, natie en nationaliteitsbesef betont, nur durch die Herauslösung einzelner Elemente, die als Attribute von Staatlichkeit gelten. „Bovendien is in Nederland het denken in de categorie ,staatʻ als abstract centraal concept niet aanwezig. De Republiek heeft de fase van het absolutisme, verlicht of niet verlicht, niet hoven te doorstaan. ,Staatʻ wordt in Nederland begrepen als een uit tal van overheden samengestelde en tot het scheppen van consensus opgeroepen associatie. Corporatieve vrijheid zoals die in de Republiek van begin af aan werd geëist, is in strijd met elke 46 Die Untersuchung ist keineswegs die erste Arbeit, die sich kritisch mit den Theorien zu frühneuzeitlichen Staatsbildungsprozessen oder mit der Thematik des modernen Staats auseinandersetzt. Dass die bestehenden Theorien nicht unbestreitbar sind, haben zahlreiche Forschungsbeiträge zu den Vereinigten Niederlanden bereits aufgezeigt, die den korporativen Charakter der politischen Kultur in den Vereinigten Niederlanden eindringlich betont haben. Heinz Schilling hat explizit auf den politischen Charakter der niederländischen Stadt hingewiesen: „Für die niederländische Geschichte ist die gemeindlich-genossenschaftliche Reaktion des Stadtbürgertums zu Ende des 16. Jahrhunderts evident, ebenso die Transformation seines politischen Denkens hin zu neuzeitlichen Formen, die den städtischen Rahmen sprengen und in ihrer Konsequenz modern-individualistischer Qualität waren.“, in: Schilling, Gab es im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen städtischen „Republikanismus“?, S. 101–143, darin: S. 141.

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staatsvorming in de Duits zin van het woord. Staat is een organisatievorm, die door de samenleving zelf wordt geschapen, geen waarde op zich. De hier al eerder aangehaald uitspraak van Frederik II van Pruisen – ,Ik ben de eerste dienaar van mijn staatʻ – hij zegt trouwens niet ,van mijn volkʻ – is ondenkbaar in de Republiek der Verenigde Provinciën. Vandaar dat het ook niet verbazingwekkend is dat een staatstheoretische discussie in Nederland in eerste instantie niet aanwezig is, en dat zij wanneer zij dan uiteindelijk begint, 47 bijvoorbeeld bij Thorbecke, heel andere kenmerken vertoont dan in Duitsland.“

Lademacher geht soweit, den Niederländern im 17. Jahrhundert ein abstraktes Verständnis des Begriffs Staat abzusprechen: Grundlage für Lademachers These ist die Kategorie Staat der deutschsprachigen Theoriedebatte zur Transformation von Herrschaft seit der Frühen Neuzeit, die letztlich auf die Beschreibung eines zentralisierten Staats abzielt. Diesbezüglich kann Lademachers Schlussfolgerung beigepflichtet werden, dass der Staat in den Niederlanden als Organisationsform betrachtet wird, die sich aus dem täglichen Zusammenleben heraus ergab. Daran, dass in den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts kein eigenständiges, abstraktes Verständnis des Begriffs Staat als Bezeichnung für politische Entitäten bestand, muss indes trotzdem gezweifelt werden. Die Herrschaftsordnung, der in zeitgenössischen, niederländischen Quellen als Staat bezeichneten Vereinigten Niederlanden, widerspricht dem Idealtyp der Kategorie Staat, den Lademacher in seinem Artikel herausstellt und der beispielsweise den Forschungen Wolfgang Reinhards zu frühneuzeitlicher Staatlichkeit zugrunde liegt. Die Anomalie, die Vereinigten Niederlanden aus dem Ereignis der Staatsbildung auszuschließen, ergibt sich durch die Konstruktion einer Kategorie, die nicht einem historistischen, sondern dem legitimen teleologischen Blick auf die europäische Nationalstaatsbildung verpflichtet ist.48 In der Unentschiedenheit der Forschungsliteratur, ob die Vereinigten Niederlanden als Staat zu bezeichnen sind, spiegelt sich die Diskrepanz zwischen der landläufigen Verwendung des StaatsBegriffs und der geschichts- wie politikwissenschaftlichen Kategorie Staat wider. Grundsätzlich handelt es sich bei der untersuchten Staats-Formierung um eine Art der Herrschafts-Formierung, die mit der jeweils zeitgenössischen Kategorie näher beschrieben werden kann.49

47 Vgl. dazu: Lademacher, Staat, natie en nationaliteitsbesef, S. 15f. 48 Die Untersuchung ist dem Denken Leopold von Rankes und der Auffassung des Historismus nahe, Epochen als eigenständig zu betrachten. „Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, und ihr Wert beruht gar nicht auf dem, was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst, in ihrem Eigenen selbst.“, in: Ranke, Leopold v.; Dove, Alfred (Hg.): Über die Epochen der neueren Geschichte: Vorträge dem Könige Maximilian II. von Bayern im Herbst 1854 zu Berchtesgaden gehalten, Leipzig: Duncker & Humblot, 1906, S. 60. Allerdings bedeutet es nicht die ausschließliche Erklärung der Ereignisse aus ihren begrenzten räumlichen oder epochalen Bezügen. Das geschichtliche Gewordensein der Epoche wird selbstverständlich einbezogen, wodurch die Überlegungen über die religiöse Begrenztheit des Historismus, eine Epoche nur in direktem Bezug zu Gott zu betrachten, hinausgeht. 49 Andere Formen der Herrschafts-Formierung wären die Reichs-Formierung, die Formierung von Imperien oder die Republik-Formierung.

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I Problemstellung und Forschungsanliegen

Die deutsche Forschungsdebatte zu frühneuzeitlicher Staatlichkeit Wolfgang Reinhards Untersuchungen befassen sich mit dem Prozess der Entstehung von Nationalstaatlichkeit, die den Ausschluss von Territorien rechtfertigen, deren politische Ordnung für die Herausbildung moderner Staatlichkeit vordergründig unbedeutend ist. Der Ausschluss der Vereinigten Niederlanden ist bezüglich des Vorhabens, eine kausale Geschichte des modernen Staats erzählen zu wollen, legitim. Grundsätzlich verschließt Reinhards Modell jedoch den Blick auf die Alternativen frühneuzeitlicher Herrschaftsordnungen, die in Abgrenzung zum monarchischen Territorialstaat existierten. Alternative Modelle einer politischen Organisation, die ständische Aspekte, Partikularismus oder Machtteilung betonten, gelten der einschlägigen deutschsprachigen Forschung zu frühneuzeitlicher Staatlichkeit als Überreste überkommener Ordnungen, denen die zentrale und damit ordnende Macht fehlt, Aufgaben in einem komplexer werdenden Gefüge gesellschaftlicher, politischer, militärischer und wirtschaftlicher Zusammenhänge zu koordinieren, die im 17. Jahrhundert in Europa Form annahmen.50 Dem folgte nicht nur die Exklusion dieser, dem Modell Reinhards nicht entsprechender politischer Ordnungen aus der Geschichte moderner Staatlichkeit, sondern auch die Geringschätzung einzelner Herrschaftsstrategien, deren Wirkmacht für das Verständnis der ordnungspolitischen Transformationsprozesse in der Frühen Neuzeit unabdingbar und für die Herausbildung moderner Staatlichkeit ebenso bedeutend ist. Einerseits rührt die Definition der Kategorie Staat aus dem Staatsverständnis des 20. Jahrhunderts her.51 Die Debatte versucht, den frühneuzeitlichen Staat in Beziehung zum modernen Nationalstaat zu setzen, um aus dem kausalen Zusammenhang Aussagen über die Modernität frühneuzeitlicher politischer Ordnungen treffen zu können und diese als Vorstufen, Abweichungen oder gescheiterte Experimente einzuordnen.52 Diese Tendenz führt zur anachronistischen Anwendung von Kategorien, die der Eigenart und Vielfalt frühneuzeitlicher politischer Ordnungen nicht gerecht werden kann. In der niederländischen Sprache bestand ein Verständnis von Staatlichkeit, das von der idealtypischen Definition abwich, die der Systematisierung von Phänomen und nicht deren idiographischer Beschreibung dient. Dass Idealtypen der Realität nicht entsprechen, ist in ihrem Wesen angelegt.53 Wenn jedoch der Idealtyp trotz einer Mehrzahl von Ausnahmen, die ihm geradezu widersprechen, weiterhin als Analysekategorie Verwendung findet, 50 Besonders ist auf die Kritik an der Kategorie Staat und den Staatsbildungstheorien bei Markus Meumann und Ralf Pröve hinzuweisen. Vgl. dazu: Meumann, Markus; Pröve, Ralf: Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster: LIT-Verlag, 2004, S. 19ff. 51 Siehe dazu u. a.: Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriß der verstehenden Soziologie, Besorgt von Johannes Winckelmann, Studienausgabe, Tübingen: Siebeck Mohr, 1980; Jellinek, Georg: Allgemeine Staatslehre, 3. Auflage, Berlin: Häring, 1914. 52 Vgl. dazu: Freist, Dagmar: Absolutismus, Darmstadt: WBG, 2008, S. 5. 53 Vgl. dazu: Weber, Max: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen: Siebeck Mohr, 1968, S. 119ff.

1. Einleitung

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muss deren Nutzen insbesondere für die Frühe Neuzeit nachhaltig in Frage gestellt werden, auch wenn eine Umformulierung der Attribute die Definition auf einen breiteren Kreis von Untersuchungsgegenständen anwendbar macht. Versuche, die Entwicklung von Staatlichkeit in Europa zu unterteilen, um den stringenten Prozesscharakter aufzulösen, haben sich in der Forschung bislang nicht durchgesetzt.54 Andererseits liegt in der Definition, deren Attribute ausschließlich aus einem europäischen Kontext heraus entwickelt werden, der Grund für die Begrenztheit der Erklärungskraft bestehender Staatsbildungstheorien. Bestimmte Definitionen der Kategorie Staat verhindern eine Einordnung und Erklärung der Staatsbildung global politisch agierender Entitäten wie den Vereinigten Niederlanden und England, deren Herrschaftsinteressen sich nicht im europäischen Kontext erschöpften und die aus diesen Interessen heraus andere Mechanismen der Herrschaftsausübung entwickelten.55 Die Frage, die daraus folgt, beleuchtet den heuristischen Wert des StaatsBegriffs, wenn dieser als Zielkategorie definiert oder als allgemeiner Begriff zur Beschreibung von politischen Entitäten verwendet wird, ohne spezifische Aussagen zu den Herrschaftsstrategien zu leisten.56 Ist es konzeptionell möglich, außereuropäische Einflüsse innerhalb des Paradigmas des Staatsbildungsprozesses in Europa zu untersuchen oder wird eine solche Forschung gerade durch die Konzeption der Grundkategorie Staat verhindert? Was beschreibt der Begriff Staat in den niederländischen Quellen? Sind, ausgehend vom Quellenbegriff, Aussagen zur Verfasstheit der Herrschaft möglich oder findet der Begriff auf verschiedene Bedeutungszusammenhänge Anwendung, was letztlich keine Aussage über die politische Ordnung und die Herrschaftsverhältnisse in den Vereinigten Niederlanden allein anhand der Kategorie zulässt? Wenn die Problematik mit der Begrifflichkeit Staat zusammenhängt, muss die Dekonstruktion der Idealtypen von Staat und den damit zusammenhängenden Theorien in der Auseinandersetzung mit dem niederländischen Fallbeispiel erfolgen, bevor auf ein alternatives Erklärungsmodell der Staats-Formierung eingegangen werden kann. 54 Reinhard Blänkners Forschungen zur Formierung einer „Neuständischen Gesellschaft“ im 18. Jahrhundert und zur Verfassungsgeschichte des Staats führten zu einer Vierteilung der Entwicklung von Staatlichkeit: 1. Staat des Ancien Régime, 2. neuständischer Verfassungsstaat Ende des 18./Beginn des 19. Jahrhunderts, 3. souveräner Nationalstaat des 19./20. Jahrhunderts, 4. postnationaler Staat. Vgl. dazu: Blänkner, Strukturprobleme des frühmodernen Staates, S. 409. 55 John Brewer hat aufgezeigt, welche globalen Bedingungen der Staatsbildung in England nach 1688 herrschten. Vgl. dazu: Brewer, The Sinews of Power, besonders S. 23ff. 56 Ebenso in Bezug auf die kritische Betrachtung des Staats-Begriffs gilt die Dissertation nicht als Novum. Siehe dazu u. a.: Blänkner, „Absolutismus“ und „frühmoderner Staat“; Blänkner, Strukturprobleme des frühmodernen Staates; Skalweit, Stephan: Der Beginn der Neuzeit, Epochengrenze und Epochenbegriff, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesel., 1982, S. 123– 155; Meumann, Markus; Pröve, Ralf: Die Faszination des Staates und die historische Praxis, Zur Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen jenseits teleologischer und dualistischer Begriffsbildungen, in: Dies., Herrschaft in der Frühen Neuzeit, darin: S. 11–50; Freist, Absolutismus, S. 5f.

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I Problemstellung und Forschungsanliegen

2. QUELLENLAGE Durch die parallele Analyse der niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien und der Attribute des Begriffs Staat im Niederländischen des 17. Jahrhunderts muss die überbordende Menge an Quellen eingeschränkt werden, die sowohl für die Generalstände, die Provinzialstände und die Stadtregierung Amsterdams als auch für die VOC und ihre Angestellten vorliegt. Eingeschränkt wurde die Auswahl der Quellen durch die Konzentration auf Akten, die beide Komplexe ansprechen. Niederländische Quellen, die für die Untersuchung relevant waren, sind zum Großteil bereits ediert. Demzufolge bringt die Untersuchung kaum neue Quellen ans Licht, sondern interpretiert bekannte Quellen unter den genannten Fragestellungen. Für den Untersuchungszeitraum gibt es allerdings Lücken in den Akten der Generalstände und anderer Institutionen in den Vereinigten Niederlanden. Da die Untersuchung nicht zum Ziele hat, die Entwicklung des Begriffs Staat oder der Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien lückenlos zu beschreiben, sondern einer länger währenden Veränderung nachzugehen, ist das Fehlen einzelner Jahrgänge in den Quellenbeständen unproblematisch. Im Vordergrund der Analyse europäischer Entwicklungen stehen die Resolutionen der Generalstände der Vereinigten Niederlanden vom Beginn des 17. Jahrhunderts bis zum Ende der ersten Statthalterlosen Epoche 1672.57 Die Resolutionen beschäftigten sich sowohl mit innen- als auch außenpolitischen Belangen. Für die ersten Jahrzehnte, bis in das Jahr 1625, ist es möglich, der Entwicklung des Begriffs Staat und den niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien in der digitalisierten Version der Resolutionen nachzugehen.58 Für die darauffolgenden Jahre und bis zum Ende der Untersuchungsperiode war die Recherche im Nationalarchiv in Den Haag notwendig. Um die Verwendung des Begriffs Staat auf allen politischen Ebenen innerhalb der Vereinigten Niederlanden beschreiben zu können, wurden zudem sowohl Dokumente der Ständeversammlungen von Holland und Westfriesland als auch Verordnungen auf Unions- und Provinzebene auf Aussagen zu den politischen Strategien der Regenten hin untersucht.59 Neben den offiziellen Verträgen, die im Namen der Vereinigten Nieder57 Siehe dazu u. a: Roelevink, J. (Hg.): Resolutiën der Staten-Generaal, 1621–1622, Nieuwe reeks 1610–1670, Band 5, Rijks geschiedkundige publicatiën, Grote serie 178, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1983; ders.: Resolutiën der Staten-Generaal, 2. januari 1623–30. juni 1624, Nieuwe reeks 1610–1670, Band 6, Rijks geschiedkundige publicatiën, Grote serie 223, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1989; ders.: Resolutiën der Staten-Generaal, 10. juli 1624–31. december 1625, Nieuwe reeks 1610, Band 7, Rijks geschiedkundige publicatiën, Grote serie 208, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1994. 58 Siehe dazu: http://resources.huygens.knaw.nl/retroboeken/statengeneraal/, zuletzt konsultiert am 28.12.2017. 59 Siehe dazu: Elias, Johan E. (Hg.): De Vroedschap van Amsterdam, 1578–1795, Amsterdam: N. Israel, 2 Bände, 1963; Dillen, J.G. van (Hg.): Bronnen tot de geschiedenis der wisselbanken (Amsterdam, Middelburg, Delft, Rotterdam), ’s Gravenhage: Nijhoff, Rijks geschiedkundige publicatiën, 59, 2 Bände, 1925; Fritschy, W; Liesker, R.: Gewestelijke financiën ten tijde van de Republiek der Verenigde Nederlanden, Deel IV, Holland (1572–1795), Rijks geschiedkundige publicatiën, Kleine Serie 100, Den Haag: Institut voor

2. Quellenlage

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landen auf europäischer Ebene geschlossen wurden, gelten philosophisch-politische Texte als Ausgangspunkt für die Frage, ob sich der Begriff Staat nicht nur in Dokumenten der Regierungsgremien widerspiegelte, sondern auch von Intellektuellen geformt, aufgenommen und verwendet wurde.60 Besonders wird dabei auf die Texte Hugo Grotius’ (1583–1645) und Pieter de la Courts (1618–1685) eingegangen, um den Bogen von der Begründung niederländischer Unabhängigkeit zu Beginn des 17. Jahrhunderts zur Wahrnehmung niederländischer Herrschaft in der Statthalterlosen Epoche zu schlagen.61 Wie der Begriff Staat und die Strategien in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, kann nicht nachvollzogen werden, da dies den Rahmen überspannen würde. Zur politischen Kultur in den Vereinigten Niederlanden zählte indes eine mannigfaltige Pamphletkultur, die als Reaktion der Öffentlichkeit auf die politischen Entscheidungen der elitären Ständeversammlung, in einer, für die Frühe Neuzeit, in hohem Grad alphabetisierten Gesellschaft galt.62 Da die Untersuchung auf die politischen Eliten beschränkt bleibt, werden die politischen Pamphlete nur eine Randbemerkung bleiben. Ein weiterer Komplex der Analyse ist der Briefverkehr führender Politiker der Union.63 Trotz der Erweiterung des Personenkreises durch die Betrachtung verschiedener Quellentypen bleibt die Untersuchung auf die Sprache einer gebildeten Elite begrenzt. Aussagen zur Verwendung des Staats-Begriffs in einem übergreifenden Maßstab können aus der Untersuchung nicht abgleitet werden. Auf die Kategorisierung der Vereinigten Niederlanden in Quellen anderer Sprachen und

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Nederlandse Geschiedenis, 2004; Stellingwerff, N.; Schots, S. (Hg.): Particulere notulen van de vergaderingen der Staten van Holland 1620–1640, Rijks geschiedkundige publicatiën, Grote Serie, 7 Bände, Den Haag: Institut voor Nederlandse Geschiedenis, 1987–1995. Dazu u.a.: Aitzema, Lieuwe van: Saken van Staet en Oorlogh, in, ende omtrent de Vereenigde Nederlanden, 7 Bände, ʼs Graven-Haghe: Veely, Tongerloo & Dol, 1669–1672; Court, Pieter de la: Interest van Holland ofte gronden van Hollands-welvaeren, Amsterdam: Joan. Cyprianus vander Gracht, 1662. Zur Biographie Hugo Grotius’ siehe u.a.: Nellen, H.J.M.; Trapman, J.: De Hollandse jaren van Hugo de Groot (1583–1621), Hilversum: Verloren, 1996. Siehe dazu: Knuttel: Wilhelm Pieter Cornelis (Hg.): Catalogus van de Pamfletten-Verzameling berustende in de Koninklijke Bibliotheek, Band 1,2–2,2, ’s Gravenhage: Algemeene Landsdrukkerij, 1889–1895. Margaret Spufford sieht im Ausbau und der Bedeutung des Handels in den Vereinigten Niederlanden einen Grund für die hohe Alphabetisierungsquote in der Union. Zum Zwecke des Handels war es notwendig, Informationen aufnehmen zu können, die in Preiscouranten etc. abgedruckt wurden. Siehe dazu: Spufford, Margaret: Literacy, trade and religion in the commercial centres of Europe, in: Davids/Lucassen, A miracle mirrored, S. 229–283, darin: S. 232; Kuijpers, Erica: Lezen en schrijven: onderzoek naar het alfabetiseringsniveau in zeventiende-eeuws Amsterdam, in: Tijdschrift voor Sociale Geschiedenis 23 (1997), S. 490–522. Siehe dazu u. a.: Molhuysen, Philip C.; Riderikhoof, Cornelia M.; Nellen, Henk M. (Hg.): Briefwisseling van Hugo Grotius, Rijks geschiedkundige publicatiën, Grote serie, ’s Gravenhage: Nijhof, 17 Bände, 1928–2001; Deventer, M. L.: Gedenkstukken van Johan van Oldenbarnevelt en zijn tijd, Drie Deelen, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1860–1865; Fruin, Robert (Ed.); Kernkamp, G. W. (Hg.): Brieven van Johan de Witt, Vier Deelen, Amsterdam: Johannes Müller, 1906–1913; Fruin, Robert (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Twee Deelen, Amsterdam: Müller, 1919–1922.

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I Problemstellung und Forschungsanliegen

Territorien kann nur hingewiesen werden. Exemplarisch wird die Wahrnehmung der Vereinigten Niederlanden in den zeitgenössischen englischen Quellen angedeutet.64 Die Unterlagen der VOC setzen sich aus zweierlei Arten von Dokumenten zusammen; von den VOC-Direktoren nach Asien versandte Anweisungen für den Handel und aus Asien nach Europa geschickte Sendbriefe von den Angestellten der VOC, die die Aktivitäten des Unternehmens dokumentierten und die Direktoren mit den nötigen Informationen versorgten, auf deren Basis in Europa Entscheidungen für den Handel in Asien oder die Verwaltung und Politik der VOC getroffen wurden.65 Auch diese Dokumente können in einer digitalisierten Version eingesehen werden, um der Entwicklung des Staats-Begriffs im Rahmen der außereuropäischen Expansion und des interkontinentalen Austauschs nachzugehen.66 Neben den Sendbriefen aus Asien fließen die Texte der Verträge ein, die von der VOC mit asiatischen Herrschaften geschlossen wurden.67 Um die Bedeutung der VOC als politischer Akteurin in bestimmten Regionen Asiens bewerten zu können, wurden Akten des Tamil Nadu Archivs im Chennai, Indien und dem Nationalarchiv in Colombo, Sri Lanka hinzugezogen, die die Rolle der VOC in der Verwaltung der Küstengebiete der Insel Ceylon und dem Agieren der VOC an der Ostküste Indiens verdeutlichen. Dem Komplex der offiziellen Briefe stehen persönliche Briefe der Generalgouverneure in Batavia ebenso zur Seite wie Reiseberichte über asiatische und südostasiatische Territorien in niederländischer Sprache. Quellen asiatischer Provenienz fließen nicht in die Untersuchung ein, da die Entwicklung der niederländischen Sprache im Vordergrund steht und asiatische und südostasiatische Sprachen auf den niederländischen Staats-Begriff keinen Einfluss hatten. Ungeachtet der Ausnahme in Bezug auf den Staats-Begriff beeinflussten sich die asiatischen Sprachen und das Niederländische durchaus, was sich durch die über 300jährige Präsenz der Niederländer in verschiedenen Regionen Asiens ergab. Die Wahrnehmung der Strategien der VOC bleibt auf die Sicht von innen heraus beschränkt, auch weil dem Autor die sprachliche Kompetenz zur Analyse von Quellen südostasiatischer Provenienz fehlt. Für die beiden offiziellen Dokumentenkomplexe der Institutionen in den Vereinigten Niederlanden und der VOC sowohl in Europa als auch Asien ergibt sich der Umstand, dass ab jeweils verschiedenen Zeitpunkten in den bisherigen Publikationen nicht der Volltext der Quellen wiedergegeben wird. Da der Umfang der Aufzeichnungen im Lauf des 17. Jahrhunderts stetig zunahm, ersetzten Regesten in den Publikationen den Volltext der ursprünglichen Quellen. Zur näheren Unter64 Siehe dazu: Temple, Observations upon the United Provinces of the Netherlands. 65 Siehe zu den Archiven der VOC: Gaastra, Femme; Raben, E; Spikerman, H. (Hg.): De archieven van de Vereenigde Oostindische Compagnie, ’s-Gravenhage: Sdu Uitgeverij, 1992. 66 Siehe:http://resources.huygens.knaw.nl/retroboeken/generalemissiven/#page=0&accessor=toc &view=homePane, zuletzt konsultiert am 28.12.2017. 67 Siehe dazu: Heeres, J. E. (Hg.): Corpus Diplomaticum. Neerlando-Indicum. Verzameling van Politieke contracten en verdere Verdragen door de Nederlandes in het Oosten gesloten, van Privilegebrieven aan hen verleend, enz., Twee Deelen, Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-Indië, ’s-Gravenhage: Marinus Nijhoff, 1907–1931.

3. Aufbau und Vorgehensweise

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suchung des Begriffs Staat waren die Informationen in den Regesten unzureichend, da sie teilweise den Begriff Staat verwenden, obwohl die Quellen den konkreten Begriff nicht ausweisen, sondern allgemeiner und übergreifender von politischen Herrschaften sprechen. Nur aus der Überprüfung der Quellen im niederländischen Nationalarchiv konnte die zeitgenössische Entwicklung des Begriffs eindeutig nachgezeichnet werden. Um den Einfluss der außereuropäischen Erfahrungen auf die Entwicklung des niederländischen Begriffs Staat beurteilen und die Verbindung zwischen der VOC und den Vereinigten Niederlanden nachzeichnen zu können, werden die Akten des Haagse Besogne betrachtet, das als Knotenpunkt zwischen den beiden Korporationen und Kontinenten agierte. Das Haagse Besogne unterstand direkt den Generalständen und befasste sich mit den Berichten aus Asien, deren Bearbeitung sich in der Mitte des 17. Jahrhunderts von den Gremien der VOC in Europa allein nicht mehr bewältigen ließ. Wie die Akten zeigen, verknüpfte sich die Aufarbeitung der Informationen aus Asien mit den politischen Überlegungen der Generalstände. Die Quellen der Amsterdamer Wisselbank zeigen indes die Interessen der Amsterdamer Kaufleute an der Regulierung des Finanzsektors. So entsteht die Möglichkeit die Aktivitäten von Akteuren auf städtischer Ebene mit den politischen Entscheidungen auf Unions- und Provinzebene zu verbinden, da die Geldpolitik den Handel in Europa und mit Asien beeinflusste.68 Die Entwicklung des Begriffs Staat wird nur stichprobenartig vollzogen, da die Untersuchung an der zunehmenden Häufung des Begriffs und dessen Verwendung in verschiedenen Quellentypen die allgemeine Verwendung und Entwicklung im Zeitraum von ungefähr 80 Jahren ablesen möchte. Die Stichproben für die Vereinigten Niederlanden und die VOC erfolgen zeitlich vergleichend, aber in unterschiedlichen Kapiteln und werden erst am Ende der Arbeit zusammengeführt. Das Anliegen der Schrift ist ein Perspektivwechsel auf bekannte Quellen unter der Prämisse, den außereuropäischen Einfluss auf die politische Transformation in den Vereinigten Niederlanden durch die Synthese von Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte der Vereinigten Niederlanden, der VOC, der Stadtgeschichte Amsterdams, zu Staatsbildungsprozessen, Netzwerkanalysen und Analysekategorien, die der Global History und den Area Studies entstammen, sichtbar zu machen.

3. AUFBAU UND VORGEHENSWEISE Die Untersuchung gliedert sich in neun Kapitel. Das I. Kapitel, in dem die Problem- und Fragestellung dargestellt und die Quellenlage besprochen wird, kommt mit den Ausführungen zum Aufbau der Arbeit an sein Ende. Das II. Kapitel dient der problemorientierten Auseinandersetzung mit den Staatsbildungstheorien, der Begriffsgeschichte und der Skizzierung der Elemente des Erklärungsmodells für 68 Siehe dazu: Dillen, Bronnen tot de Geschiedenis der Wisselbanken.

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I Problemstellung und Forschungsanliegen

die niederländische Staats-Formierung. Ein weiteres Forschungsgebiet, mit dem sich die vorliegende Arbeit auseinandersetzen muss, ist die wirtschaftsgeschichtliche Sicht auf die Entwicklung der Vereinigten Niederlanden, um die StaatsFormierung aus der ökonomischen Perspektive herleiten zu können. Die darauf folgenden Kapitel gehen auf die Ereignisse in den Vereinigten Niederlanden und Südostasien im 17. Jahrhundert mittels der Analyseparameter Saskia Sassens ein. In allen Belangen ist eine reichhaltige Literatur zu beiden Untersuchungsgegenständen bereits vorhanden, was den Fokus auf die Interpretation von Verträgen und Ereignissen unter spezifisch ökonomischen und ordnungspolitischen Gesichtspunkt lenkt. Der Einführung in die historischen Bedingungen des Unabhängigkeitskriegs der Niederländer und der Blick auf den Weg der Utrechter Union in die Unabhängigkeit anhand von Verordnungen und offiziellen Dokumenten der ständischen Gremien unter Leitung der niederländischen Rebellen erfolgt in Kapitel III. Gleichsam werden die Dokumente auf die Verwendung der Begriffe Staat, Souveränität und Autorität hin untersucht, um die Bedeutungserweiterung des niederländischen Begriffs Staat und die politisch-philosophischen Konzepte zur Begründung von Macht in der Utrechter Union herauszuarbeiten. Im Mittelpunkt stehen dabei in historischer Abfolge die Texte der Genter Pazifikation, der Union van Utrecht, der Acte van afzwering und der Deductie van Justificatie.69 Der Exkurs in Kapitel IV dient dem Vergleich der niederländischen Herrschaftsordnung nach der Gründung der Utrechter Union (1581) mit der politischen Organisation verschiedener Gemeinwesen auf Schweizer Territorium, um die Einzigartigkeit der politischen Ordnung in der Utrechter Union und später den Vereinigten Niederlanden in Europa herauszustellen. Im V. Kapitel wird einerseits die Epoche zwischen dem Beginn des Waffenstillstands mit Spanien (1609) und dem Tod des Statthalters Wilhelm II. (1650) im Fokus stehen, die von einer Verschiebung der Machtbalance zugunsten der oranischen Statthalter geprägt war. In diesem Zusammenhang stand der religiöse Konflikt zwischen Remonstranten und Contraremonstranten, den Moritz von Oranien nutzte, um die politische Macht der Statthalter zu stärken.70 Andererseits wird auf die politische Philosophie Hugo Grotius’ als theoretische Grundlage der niederländischen Staats-Formierung eingegangen und die veränderte Stellung der Vereinigten Niederlanden innerhalb des europäischen Machtgefüges anhand des Eingreifens in den Jülich-Kleveʼschen Erbstreit sowie in die böhmische Rebellion untersucht. Den Rahmen des Kapitels bilden die beiden Verträge der Vereinigten Niederlanden mit Spanien. Sowohl der Waffenstillstand als auch der Friedensvertrag von Münster (1648) werden vordergründig als Wirtschaftsabkommen inter69 Zur Relevanz der Texte siehe: Kossmann, E.H; Mellink, A.F.: Texts concerning the Revolt of the Netherlands, London: Cambridge University Press, 1974; ders.: Political Thought in the Dutch Republic, Three Studies, Amsterdam: Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschapen, 2000; Pagden, Anthony (Hg.): The languages of Political Theory in Early-Modern Europe, London [u.a.]: Cambridge University Press, 1987. 70 Zu Moritz von Nassau siehe u a.: Deursen, Arie Theodorus van: Maurits van Nassau, 1567–1625, De winnaar die faalde, Amsterdam: Bakker, 2000.

3. Aufbau und Vorgehensweise

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pretiert, an denen sich die Entwicklung der niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien nachzeichnen lässt, die die Beherrschung des Seehandels in Europa und mit Asien zum Ziel hatten. In Kapitel VI wird die Forcierung der Strategien zur Beherrschung des Handels und der Frachtschifffahrt in der Statthalterlosen Epoche behandelt, in der Amsterdam zum globalen Portal des niederländischen Handelsnetzwerks aufstieg. Zentral sind in diesem Kapitel die Amsterdamer Stadtregenten und ihre Familiennetzwerke auf Provinz- und Unionsebene. Die Betrachtung der zahlreichen Wirtschaftskriege gegen England, Schweden und Dänemark, die als Kampf von Verräumlichungsregimenten um die Vorherrschaft in der Fracht- und Handelsschifffahrt interpretiert werden, dienen der Charakterisierung des niederländischen Staats in der Statthalterlosen Epoche, die mit der semantischen Untersuchung zur Verwendung des Staats-Begriffs zusammengeführt wird. An den Briefen des Ratspensionärs und führenden Politikers der Statthalterlosen Epoche Johan de Witts werden einerseits die Strategien, andererseits die politische Semantik untersucht, um den Charakter, der nun unabhängigen, souveränen Vereinigten Niederlanden als politische Entität zu identifizieren. An die Betrachtung der niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien in Europa schließt im VII. Kapitel der Blick auf das niederländische Verräumlichungsregiment in Asien zwischen 1602 und 1672 an. Nach dem Vergleich des Aufbaus der VOC-Organisation mit der politischen Ordnung in den Vereinigten Niederlanden erfolgt die Fokussierung auf die Entwicklung der VOC vom Wirtschaftsunternehmen zur politischen Akteurin in Asien. Anhand der Sendschreiben und Aufzeichnungen der Generalgouverneure wird der Fortgang der Entwicklung akteursbezogen beschrieben, um gleichsam die Verwendung des Staats-Begriffs durch die VOC-Angestellten zu untersuchen. Abschließend wird die Verwendung des Staats-Begriffs in den Quellen der VOC und ihrer Angestellten mit der Bedeutung des Begriffs während der Statthalterlosen Epoche in niederländischen Quellen aus Europa verglichen, um mögliche Einflüsse benennen zu können und letztlich den niederländischen Staats-Begriff im interkontinentalen Kontext zu verorten. Um den Bogen zurück nach Europa zu schlagen, erfolgt die Synthese der Entwicklung in beiden Kontinenten im kurz gehaltenen VIII. Kapitel anhand der Dokumente des Haagse Besogne, das als Scharnier zwischen der VOC und den Generalständen galt, da es die Dokumente der VOC aus Asien sowohl für die VOC-Direktoren aufarbeitete als auch die Aktivitäten der VOC im europäischen Kontext betrachtete. Das IX. Kapitel dient der Zusammenführung der Untersuchungsergebnisse, um ein Erklärungsmodell für die niederländische Staatlichkeit in der Statthalterlosen Epoche zu skizzieren. Die globalen niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien werden der politisch-philosophischen Schrift Interest van Holland Pieter de la Courts gegenübergestellt, um die theoretischen Erkenntnisse mit der zeitgenössischen Wahrnehmung der niederländischen Politik zu vergleichen. Die Ergebnisse werden anschließend an die eingangs angeführten Theorien zurückgebunden, um ein allgemeines Erklärungsmodell für die Analyse von Herr-

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I Problemstellung und Forschungsanliegen

schaftsordnungen zu skizzieren. Der letzte Schritt ist die Beurteilung des Erklärungsmodells mit einem Ausblick auf dessen Nutzen für andere Untersuchungsgegenstände. Im Anhang finden sich Materialien und der Verweis auf online verfügbare Graphiken und Karten. Die niederländischen Quellen im Anhang werden nur auf Deutsch zusammengefasst, nicht vollständig übersetzt, da der Entwicklung des niederländischen Staats-Begriff nachgegangen werden soll. Ausgewählte Quellen werden im Text inhaltlich auf Deutsch wiedergegeben und ausführlich besprochen.

II ÜBERBLICK ZUR FORSCHUNGSLAGE 1.BEGRIFFSGESCHICHTE Die Bedeutungsebenen des frühneuzeitlichen Staats-Begriffs Zu Beginn der Auseinandersetzung mit der Forschungslage zu den Staatsbildungstheorien steht die Begriffsgeschichte des Worts Staat in der deutsch- und niederländischsprachigen Forschung zur Debatte. Die Problematik der Staatsbildungstheorien liegt nicht in der Verwendung des Begriffs Staat, sondern in der Definition seiner Attribute. Dass die Begriffe Staat, staet, state, statu oder état in der jeweiligen Landessprache zur Bezeichnung politischer Entitäten in der Frühen Neuzeit verwendet wurden, steht in der Forschung außer Frage. Die folgenden semasiologischen Betrachtungen sollen verdeutlichen, warum die partielle Exklusion der Vereinigten Niederlanden aus verschiedenen Theorien der Staatsbildung rein begriffsgeschichtlich unberechtigt ist. Die Wahl der Definition des Begriffs entscheidet über die Ausrichtung der Untersuchung von Staatsbildung. In der Darstellung des Erklärungsmodells wird die Schreibweise Staat verwendet, auch wenn in den Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts andere Schreibweisen im Niederländischen existierten. Unter anderem setzt sich eine Vokaldopplung von -ae- zu -aa- durch, die von der Hinwendung zur Großschreibung des Worts in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts begleitet wird. Wenn später direkt auf die niederländischen Quellen eingegangen wird, finden alle Schreibweisen Verwendung, die in der jeweiligen Quelle auftreten. Für die theoretische Debatte wird indes der Begriff Staat verwendet, der jedoch nicht mit der Kategorisierung im Rahmen des Erklärungsmodells gleichgesetzt werden kann. Im deutschen Sprachraum existierte im 17. Jahrhundert zudem das Wort Stat. Auf die Beeinflussung des deutschen Plurals Staaten durch die Bezeichnung der Generalstände als Staten-Generaal im Niederländischen wird nicht weiter eingegangen, da die Entwicklung der Singularverwendung des Begriffs im Fokus steht. In der Pluralform Staaten tritt der Begriff bereits im 17. Jahrhundert in diplomatischen Verträgen auf, was eine bedeutende Etappe für die Entwicklung eines abstrakten Verständnisses von politischen Entitäten war. Allerdings muss erwähnt werden, dass die Pluralform in der deutschen Sprache bis ins 18. Jahrhundert durch die Verwechslungsgefahr mit den Staten-Generaal kaum Verwendung fand und erst Staat später Staate als Umschreibung des Plurals genutzt wurde.1 Der politische Philosoph Samuel Pufendorf besaß nach der Einschätzung Weinachts 1

Vgl. dazu: Weinacht, Paul-Ludwig: Staat; Studien zur Bedeutungsgeschichte des Wortes van den Anfängen bis ins 19.Jahrhundert, Beiträge zur Politischen Wissenschaft, Band 2, Berlin: Duncker & Humblot, 1968, S. 34.

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II Überblick zur Forschungslage

mit seiner berühmten Schrift „Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten“ (1683) maßgeblichen Einfluss auf die Durchsetzung des Plurals im Heiligen Römischen Reich, der durch Pufendorfs Aufenthalt geschärft worden sein mag.2 Für das 17. Jahrhundert kann für die begriffsgeschichtliche Untersuchung nur auf niederländische Wörterbücher zurückgegriffen werden. Jan van der Werves Den schat der Duytscher talen galt im 17. Jahrhundert als das am häufigsten verlegte Wörterbuch in den Vereinigten Niederlanden.3 Am Titel wird die Verwandtschaft zur Deutschen Sprache deutlich, auf die Weinacht hingewiesen hat. Wie im Rest Europas begannen die Systematisierung von Wissen und die Publikation einschlägiger Lexika erst im Zeitalter der Aufklärung. Der spätere Bezug auf Zedlers Universallexikon aus dem 18. Jahrhundert liegt in dem Umstand begründet, dass in den Niederlanden die erste Enzyklopädie erst 1870 erschien.4 Im mittelalterlichen Niederländisch besaß der Singular des Begriffs zahlreiche Bedeutungsebenen, nämlich Zustand, Stand, Pracht, Hausstand, Ehre und Bilanz, die sich im frühneuzeitlichen Bedeutungshorizont erhielten.5 Der Bedeutungs-

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Vgl. dazu: Weinacht, Staat, 49f. Zu Pufendorfs Tätigkeiten als Diplomat und seinen Aufenthalten in den Vereinigten Niederlanden vgl.: „Arlington [englischer Diplomat] heeft copie van het verdrag met Denemarcken toegezegd. De connétable van Castilië heeft op den brief van Karel II nog niet geantwoord. – Puffendorf is te London gearriveerd en vertrekt over Den Haag naar Stockholm; hij blijft alleen nog in Engeland in afwachting van de definitieve acceptatie van het concert der forces en de betalingen der subsidie-penningen.[…]“, in: Brief van Boreel, 11 Januari 1670, in: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Tweede Deel, 1660–1672, Amsterdam: Johannes Müller, 1922, S. 458. Weitere Erwähnungen Pufendorfs siehe: Briefe von Johan Boreel, 25 Januari 1670, ders. 24 Januari 1671, in: Ebda., S. 458f, S. 557ff; zum Einfluss der Oranier auf das Heilige Römische Reich siehe u. a.: Lademacher, Horst (Hg.): Oranien-Nassau, die Niederlande und das Reich, Beiträge zur Geschichte einer Dynastie, Hamburg, Münster: LIT, 1995. Siehe dazu: Werve, Jan van der: Den schat der Duytscher talen, 1605. Van der Werve war ein niederländischer Rechtsgelehrter aus adliger Familie. Siehe dazu: Winkler Prins, Anthony: Geïllustreerde Encyclopædie, Woordenboek voor wetenschap en kunst, beschaving en nijverheid, 15 Bände, Amsterdam: Brinkmans, 1870–1882. Vgl. zur Bedeutung des Staats-Begriffs in der Frühen Neuzeit: „Staet, znw. m. vr.; ook state m. 1) Staat, toestand, gesteldheid; de omstandigheden waaronder iem. verkeert of waarin hij leeft; ook van dingen en van zieltoestanden; s. der onnoselheit, [...]. 2) levenswijze, levensinrichting, [...], lichtekooein. [Zustand, O.K.] 3) stand, rang, de uitwendige omstandheden van den mensch in verband met zijn geboorte, de kringen waarin men verkeert, de betrekking die men bekleedt. [Stand, O.K.] 4) aanzienlijk ambt, hooge post of bediening, waardigheid; st. Houden, eende bediening, waardigjeid bekleeden. [Amt, O.K.] 5) eer, aanzien. [Ehre, O.K.] 6) praal, pracht, luister; staatsie; plechtigheid, staatsie bij eene uitvaart; gevolg, stoet, optocht. [Pracht, O.K.] 7) feest; feestmaal, maaltijd. 8) huishouding, eigen huishouding, vast veblijf; s. houden, zijne maaltijden houden; [...] leven in (een bepaalden toestand), b.v. in den huwelijken staat. [verheirateter Hausstand, O.K.], [...] 10) mv. staten, vertegenwoordigers van een deel eener burgerij. [Mehrzahl, Stände] 11) staat, lijst van ontvangsten en uitgaven. [Bilanz, O.K.] 12) opschorting, of uitsel van betaling, surséance.“, in: Verdam, Jakob (Hg.): Middelnederlandsch Handwoordenboek, ’s Gravenhage: Nijhoff,

1.Begriffsgeschichte

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wandel des Begriffs im Niederländischen lässt sich am besten an den etymologischen Wörterbüchern nachvollziehen, die einerseits die Nähe des niederländischen Worts Staat zum deutschen Wort aufzeigen, andererseits den Bezug zum französischen état herstellen, der die Bedeutungen „gemeiner Nutzen“ und „Volksvertretung“ bereits für das 14. und 15. Jahrhundert mit dem Wort Staat in Verbindung brachte. „staat mnl. staet (c 1265–70) ,toestandʻ. Ambt, aanzien De bijzondere bet. ,gemenebestʻ (1566) en in het mv. ,volksvertegenwoordigersʻ (1385 vl., 1428 noordndl.) zijn 6 overgenomen van fra. état.“

Andere Wörterbücher verweisen auf die Gleichsetzung von respublica und land mit Staat, was aus der Begriffsgeschichte heraus das Argument herleitbar macht, dass die Bedeutungsfelder des Begriffs Staat im Niederländischen des Mittelalters zum Ausgangpunkt für die Erweiterung der Verwendung des Begriffs zur Beschreibung einer politischen Entität in der Frühen Neuzeit wurde, die sich dem Wohl des Gemeinwesens in einem bestimmten Raum andiente.7 Begriffsgeschichtlich beruft sich die Untersuchung vordergründig auf die Bedeutungsfelder, die die Bezeichnung des Standes oder Amts umfassen, woraus sich die autoritäre Herrschaft der Amtsträger über das Gemeinwesen herleitete.8 Wie Weinachts etymologische Untersuchung zur Entwicklung der deutschen Begrifflichkeit Staat hervorbrachte, fand der Begriff zur Bezeichnung politischer Machtgefüge im Laufe des 18. Jahrhunderts in allen westeuropäischen Sprachen Verwendung und Verbreitung, nachdem dessen lateinische Ursprungsbedeutung in den verschiedenen indoeuropäischen und romanischen Sprachen bereits im 17. Jahrhundert erweitert worden war. Da das Niederländische des 17. Jahrhunderts als Niederdeutsch bezeichnet wurde, bezieht Weinacht in seine etymologische Studie Quellen aus den Niederlanden exemplarisch für die Entwicklung des deutschen Begriffs Staat ein.9 Weinachts Forschung konstatiert, dass die Entwicklung der Bedeutungsebene des Begriffs Staat im Sinne der Bezeichnung einer territori-

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1981, S. 570. Zur neuzeitlichen Bedeutung des Begriffs siehe: Dale, Johan: Groot woordenboek der Nederlandse taal, Band 3, S–Z, Utrecht: Van Dale Lexicografie, 1999. Vgl. dazu: Vries, Jan de; Tollenaere F. de(Hg.): Etymologisch Woordenboek, 16. Auflage, Utrecht: Spectrum, 1991, S. 355. Vgl. dazu: „Staat znw. m., mnl. staet m. v. ,toestand, levenswijze, positie ambt, aanzien, staatsieʻ, < lat. status of ook > ofra. estat (ne. état). Uit het fra. stamt het mv. vergadering van volksvertegenwoordigers (1385 vlamms, 1428 noordnl.) en ook die van ,respublicaʻ (16de eeuw) > nhd. (sedert 1677).“, in: Vries, Nederlands etymologisch woordenboek, S. 689; „Staat [toestand, land] middelnl. staet [staat, toestand, stand huishouding] , in me. la. ook in de betekenis ,landʻ, van stare [staan], daarmee idg. verwant.“, in: Veen, P. A. F.; Sijs, van der Nicoline (Red.): Etymologisch woerdenboek. De herkomst van onze woorden, Utrecht/Antwerpen: Van Dale Lexicografie, 1993, S. 711. „Autoritär“ ist auf die Autorität der Amtsträger bezogen. Die Autorität gilt als Grundlage der Macht der Regenten im niederländischen Gemeinwesen und ist nicht negativ konnotiert. Mit den „Niederlanden“ sind die Niederlanden als Teil des Burgundischen Reiches und der Habsburgischen Niederlanden gemeint. Weinacht geht bei seiner Untersuchung bis auf das 14. Jahrhundert zurück.

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II Überblick zur Forschungslage

alen Einheit eindeutig mit der politischen Entwicklung der Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert in Verbindung steht.10 Es muss demnach nicht mehr zwingend der Nachweis erbracht werden, dass der Begriff Staat in den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts als Bezeichnung für politische Entitäten genutzt wurde. Vielmehr wird das Augenmerk darauf liegen, welche Attribute den niederländischen Begriff charakterisierten. Nach Weinachts Analyse bildet der Begriff Stat oder Staat, der sich vom lateinischen Wort für stehen oder stellen ableitet, verschiedene Bedeutungsvarianten (Variante I.–VIII.) aus.11 Im 17. Jahrhundert verortet Weinacht einen Schub der Bedeutungserweiterung, nachdem in der Mitte des Jahrhunderts einige Varianten an Bedeutung verloren hatte. Schon 1336 trat der Begriff Staat in Quellen auf. In ihrer Korrespondenz verhandelten die Städte Middelburg in den Niederlanden und die Hansestadt Lübeck über ein Unterstützungsgesuch im Rahmen der Aktivitäten der Hanse. In der niederländischen Antwort auf das lübische Gesuch fand das Wort staet erstmals Verwendung. In der Reaktion der anderen Hansestädte wurde die Bedeutung des Begriffs inhaltlich gefüllt, die hier nur zusammenfassend in Weinachts Duktus wiedergegeben wird. „Staet bedeutet hier soviel wie (gespannte) Lage ,zwischenʻ zwei Parteien, ,Konfliktʻ. Der spezifische Inhalt, nämlich Krieg oder Friede, ist für staet (und status) ohne Belang; wichtig 12 ist die Vorstellung eines zwischenparteilichen Zustands rechtlicher und politischer Art.“

Die Inhaltsbeschreibung des rechtlichen Begriffs zeigt die allgemeine Bedeutung des Terms Staat, der an keine politische Entität gebunden ist, sondern das zwischen Parteien bestehende Verhältnis beschreibt. Die semasiologische Untersuchung Weinachts zeigt die erstmalige Verwendung des Begriffs in der Korrespondenz eines Handelskonsortiums, was in Bezug auf die VOC als Handelsunternehmen bedeuten würde, dass die anfängliche Verwendung des Begriffs staet durch die VOC in seiner mittelalterlichen Bedeutung als Bezeichnung eines zwischenparteilichen Verhältnisses verstanden werden kann und nicht explizit eine politische Einheit beschreiben muss. Zu untersuchen ist die Bedeutungserweiterung des Begriffs, die mit dem Wandel der VOC zur politischen Akteurin einsetzte. Um die Entwicklung der Bedeutungsebenen nachzeichnen zu können, benennt Weinacht verschiedene Varianten des Staats-Begriffs. Nicht alle Varianten sind für die folgende Untersuchung relevant. Weinacht gibt zu Beginn seiner Untersuchung zu bedenken, dass die

10 Vgl. dazu: Weinacht, Staat, S. 126, 163. 11 Innerhalb der Geschichte des Wortes Staat gibt es laut Weinacht zwei Auslaufphasen: „Die erste liegt in der Mitte des 17. Jahrhunderts; hier enden die Varianten II (Rang, Stand, Amt) und IV (Fürstenstat im älteren Sinn). Die zweite Phase liegt am Anfang des 19. Jahrhunderts; hier enden die Linien V (innerer und äußerer Stat des Landes), ein Teil der Varianten von III (Stat i.S.v. Budget, Bestallungsurkunde u. a.) und VIII (Gesellschaft).“, in: Weinacht, Staat, S. 29. 12 Vgl. dazu: Weinacht, Staat, S. 70.

1.Begriffsgeschichte

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„epochalen Bezüge […] nicht nur auf den Gefühlston oder auf den Nebensinn des Wortes [wirken], sondern unmittelbar auf seine Hauptbedeutung, die man in der Semasiologie als ,logischen Begriffskern‘, ,Zentralbegriff‘ oder ,gegenständlichen Kern der Wortbedeutung‘ zu bezeichnen pflegt.“13

Weinacht sieht aus diesem Grund eine Verwendung des Terms moderner Staat als schwierig an. Die Übertragung von Begriffskernen auf frühere Epochen würde der Moderne Weltlichkeit und Rationalität für die Frühe Neuzeit implizieren, was den zeitgenössischen Begriffskern verfehlen könnte. Weinacht gliedert die Varianten demzufolge in ein zweistufiges Phasensystem ein, um der Bedeutung des Begriffs in verschiedenen Epochen gerecht zu werden. Die erste Phase der Entwicklung endete in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Sie umfasst die Varianten, in denen Staat die Bedeutung Stand, Rang und Amt, sowie Fürstenstat besitzt. Dass es zwischen diesen Bedeutungsebenen historisch gesehen eine Übergangsphase gab, zeigt sich exemplarisch an der erstmals 1665 erschienenen Schrift „Teutscher FürstenStaat“ von Veit Ludwig von Seckendorff. Der Gelehrte von Seckendorff, der während seines Lebens verschiedene politische Ämter im Herzogtum SachsenGotha innehatte und im Dienst Herzog Moritz’ von Sachsen-Zeitz stand, wies auf die Ähnlichkeit zwischen dem Stand einer Person und dem Begriff Staat hin. Trotz der negativen Besetzung des Worts entschied er sich für die Verwendung des Begriffs Staat, der sich scheinbar als adäquates Synonym für den Begriff Stand durchgesetzt hatte. „Nachdem ich aber augenscheinlich befunden/ daß ich mit ungewöhnlicher verteutschung der gebräuchlichen und lässtigen lateinischen wörter/ den verstand eines dinges nicht erläutern/ sondern vielmehr verwickeln würde/ habe ich ie solchen bekanten redens-arten platz geben müssen. Maassen ich auch das wort Staat/ so ich auf dem titul/ und sonst mehrmals gebrauchet/ mit keinem bequemeren auszuwechseln gewust. Denn obwol Stand und Staat einerley bedeutung haben sollten/ so wird doch jenes mehr von einer persönlichen beschaffenheit/ oder je in gemeinem verstande aufgenommen […] Gleichwohl wil ich mit solchem wort Staat dasjenige keineswegs gemeynet haben/ was darunter heute zu tage öffters begriffen/ und fast keine untreu/ schand-that und leichtfertigkeit zu nennen seyn wird/ die nicht an etlichen ver14 kehrten orten mit dem Staat/ ratione status, oder Staats-sachen/ entschuldigt werden will.“

Gleichzeitig distanzierte sich von Seckendorff vom allgemeinen Verständnis der Staatsräson und der Staats-Sachen, die in Anlehnung an Machiavelli eine negative Konnotation besaßen, weil sie dem Fürsten die Möglichkeit zu jedweder Gewaltanwendung zum Zwecke des Erhalts der Herrschaft zusprachen.15 Von Seckendorff versuchte in seinem Werk die Herrschaft des Fürsten als gerechtes, dem Wohl der Untertanen dienendes Verhalten darzustellen. Durch die Bindung an einen Herrscher besaß der Begriff des Fürsten-Staats zudem eine religiöse Komponente. Ein abstraktes, politisch-moralisches Subjekt war der Staat bei von 13 Vgl. dazu: Weinacht, Staat, S. 26. 14 Vgl. dazu: Seckendorff, Veit Ludwig von; Biechlingen, Andres Simon (Hg.): Teutscher Fürstenstaat, Vorrede, Jena: Johann Meyer, 1720, S. 5. 15 Siehe zur Rezeptionsgeschichte von Machiavelli u. a. Münkler, Herfried: Machiavelli: Die Begründung des neuzeitlichen Denkens aus der Krise der Republik Florenz, Frankfurt a. Main: Fischer, 1990.

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II Überblick zur Forschungslage

Seckendorff indes noch nicht.16 An diesem Fakt zeigt sich die Problematik einer Übertragung des säkularen, rationalen Staats-Begriffs auf die Frühe Neuzeit, in der die Religion bestimmendes Maß des Gemeinwesens und der Fürst Teil einer weltlichen Ordnung war, die in vielen Teilen Europas von den Regeln der christlichen Religion bestimmt wurde. Weder der einzelne Untertan, der im Machtbereich des Fürsten lebte, noch deren Menge waren elementarer Bestandteil der Begriffsdefinition. Ebenso spielte die Größe des Territoriums keine Rolle. Die Kategorien Territorium und Bevölkerung blieben abstrakter Bestandteil der Bedeutung des Begriffs. Wie Weinacht konstatiert, steht von Seckendorff mit dem Verständnis des Staats als Fürsten-Staat in der Mitte des 17. Jahrhunderts am Endpunkt einer Phase, den Begriff als Synonym für Stand, Rang und Amt zu nutzen, ohne die zunehmende Bedeutung der Verräumlichung von Herrschaft mitzudenken. Im Ausmanövrieren der politischen Bedeutung gegenüber anderen Entitäten im Dreißigjährigen Krieg sieht Weinacht den entscheidenden Beitrag für die Entwicklung der territorialen Komponente des Staats-Begriffs.17 Ende des 16. Jahrhunderts formulierte der politische Philosoph Giovanni Botero in Le relatione universali die Idee, dass der Staat eine rein geographische Bezeichnung ist, ohne Rückbindung an eine bestimmte Form der Herrschaft. Zudem können Staaten auch außerhalb Europas unter europäischer Oberhoheit existieren.18 1596 erschien ein Atlas des Kupferstechers Matthias Quad, der die Territorien der katholischen Könige in Asien, die Botero als stati bezeichnet hatte, Staten nannte.19 Mit der territorial-geographischen Kategorie sagte Quad nichts Spezifisches über die Herrschaftsverhältnisse in den Staten aus, umriss aber ein klar begrenztes Territorium und band den Begriff an die europäische Oberhoheit im benannten Territorium. Die Arbeiten beider Gelehrten verdeutlichen die Herausbildung der verschiedenen Bedeutungsebenen, in der Verwendung des Begriffs für den Fürstenstat einerseits und andererseits in der Bezeichnung einer territorialen politischen Entität, mit der nicht zwangsläufig Aussagen über die Herrschaftsform verbunden sind. Für Quads und Boteros Begriff des Staats ist indes die Herrschaft eines Monarchen die Voraussetzung; hinzu kommt das Attribut der Territorialität, das durch das Ausgreifen der europäischen Mächte in außereuropäische 16 Was die religiöse Dimension des Herrschers betrifft, ist auf Ernst Kantorowicz’ Arbeit zu den zwei Körpern des Königs zu verweisen. Die abstrakte Instanz des Herrscheramts bleibt bestehen, auch wenn der zeitweilige Träger des Amtes verstirbt. Siehe dazu: Kantorowicz, Ernst: Die zwei Körper des Königs: Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, Stuttgart: Klett, 1992. 17 Siehe dazu: Weinacht, Staat, S. 18, 112. 18 Botero verwendet in seinem Werk zwei Mal den Ausdruck „De gli Stati d’Africa, e d’Etiopio“ und „Provincie de Europa, stati noblissimi dell’ Africa, e dell’ Asia“. Vgl. dazu: Botero, Giovanni: Relazioni universali di Giovanni Botero divise in quatro parti, Venedig, 1612, S. 141, 129; Weinacht, Staat, S. 122. 19 Matthias Quad stammte aus der niederländischen Stadt Deventer, wo er 1557 geboren wurde, was die theoretische Beschäftigung mit dem Staats-Begriff in den Niederlanden zumindest andeutet. Vgl. dazu Hockerts, Hans Günter (Hg.): Neue deutsche Biographie, Bd. 21, Pütter–Rohlfs, Berlin: Duncker & Humblot, 2003, S.28–29. Zu Quads Karten: Quad, Matthias: Geographisch Handbuch, Köln: Johan Bussemacher, 1600, S. 4ff.

1.Begriffsgeschichte

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Regionen ergänzt wurde, was demzufolge schon vor dem Dreißigjährigen Krieg eine Bedeutung für die Begriffsbildung besaß. Die deutsche Allgemeine Staatslehre betrachtet den Dreißigjährigen Krieg als Beginn der zunehmenden Verwendung des Begriffs Staat als Bezeichnung politischer Entitäten und der Ausformung charakteristischer Attribute von Staatlichkeit. Diese Verwendung setzt sich um 1700 herum durch. Für die Staatsbildungstheorien gründet auf diesem Phänomen die Beschreibbarkeit des modernen Staatensystems.20 Die Veränderung ist dadurch gekennzeichnet, dass „man beginnt, sich nicht mehr als Person, sondern ,allgemein‘ und ,institutionell‘ zu verstehen, wenn es um die Existenz der Gruppe geht.“21 Laut dem Staatstheoretiker Adam Stölzl begleitet die Entwicklung des Staats-Begriffs der Gegensatz zwischen dem Gruppen bezeichnenden Staats-Begriff und dem Staats-Begriff der Variante II Weinachts, der eine individuelle Bedeutung besitzt.22 In der Frühen Neuzeit entwickelte sich aus der Variante II (Rang, Amt, Stand) die IV. Variante (Fürstenstat im älteren Sinn). Der Fürst herrschte über seinen Hofstaat. Laut Weinacht entspricht diese Bedeutung der germanischen Vorstellung, dass der Staat vom König und nicht vom Gemeinwesen her gedacht wird. Der König ist das Reich. Der Status des Königs ist der des Reichs. Das Territorium war der Verfügungsgewalt des Königs unterstellt, definierte aber den Begriff nicht konkret. Diese Vorstellung kann als Voraussetzung für die Konzepte der Staatsbildung interpretiert werden, die an die Macht eines starken Königs gebunden ist. Die Bedeutungsvariante IV steht in engem Zusammenhang mit dem Konzept des Absolutismus’ und der einschlägigen, noch zu erläuternden Staatsbildungstheorien, die einen absoluten Monarchen als Voraussetzung für die Entstehung von moderner Staatlichkeit betrachten.23 Neben der erwähnten II. Variante des Begriffs, werden Weinachts Varianten III und V aufgegriffen. Variante II umfasst die erwähnten Bedeutungen Stand, Amt und Rang, Variante III meint Staat im Sinne von Budget und Bestallungsur20 Siehe zum Terminus „modernes Staatensystem“: Anderson, Matthew S.: The Origins of the modern European State System 1494–1618, London: Longman, 1998; Dürr, Renate; Engel, Gisela; Süßmann, Johannes (Hg.): Eigene und fremde Frühe Neuzeit, Genese und Geltung eines Epochenbegriffs, München: Oldenburg, HZ Beiheft 35, 2003; Krüger, Das europäische Staatensystem im Wandel; Press, Volker (Hg.): Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit?, München: Oldenburg, 1995. 21 Vgl. dazu die Definition von Krüger, zitiert in: Weinacht, Staat, S. 21. 22 Vgl. dazu Weinachts Varianten des Begriffs Staat in Kapitel II, Fußnote 11 oben. 23 Zum Absolutismus siehe u. a.: Duchhardt, Heinz: Das Zeitalter des Absolutismus, 3., überarb. Aufl., München: Oldenbourg, 1998; zur Absolutismuskritik siehe u. a.: Henshall, Nicholas: The zenith of European monarchy and its elites: The politics of culture, 1650–1750, Basingstoke, Hampshire [u.a.]: Palgrave Macmillan, 2010; Oestreich, Gerhard: Strukturprobleme des europäischen Absolutismus : Otto Brunner zum 70. Geburtstag, in: Volckart, Oliver (Hg.): Frühneuzeitliche Obrigkeiten im Wettbewerb : Institutioneller und wirtschaftlicher Wandel zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert, Baden–Baden: Nomos, 1997, S. 31–44; Stollberg-Rillinger, Barbara: Der Staat als Maschine, Zur politischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaats, Duncker & Humblot: Berlin, Historische Forschungen, Bd. 30, 1986.

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kunden, Variante V beschreibt den inneren und äußeren Zustand eines Staats.24 Im Zusammenhang mit der Außenwahrnehmung steht die Entwicklung des Völkerrechts, das exemplarisch an der Argumentation Hugo Grotius’ nachgezeichnet werden soll. Grotius plädierte im Auftrag der VOC in der Schrift De mare liberum für den freien Handel auf See. Daran schließt die Frage an, welche räumliche Dimension der Staat der Vereinigten Niederlanden besaß. Besonders Weinachts Variante V wird als Endpunkt der Entwicklung des Staats-Begriffs in der ersten Statthalterlosen Epoche entscheidend sein, weil sie als Ausdruck dafür gilt, dass sich der Begriff beginnt, auf eine territoriale Entität zu beziehen, die eindeutig begrenzt ist. Die anderen Varianten gelten als Vorstufe der semasiologischen und pragmatischen Entwicklung des Begriffs in den Vereinigten Niederlanden.

Das Lexem Staat in Zedlers Universallexikon In Zedlers Lexikon aus der Mitte des 18. Jahrhunderts wird unter dem Lexem Staat auf die niederländischen General-Staaten und den Rath von Staate hingewiesen.25 Bemerkenswert an den Einträgen zum Begriff Staat im Zedler’schen Lexikon ist nicht nur die Vieldeutigkeit der Bedeutung, auch die zahlreichen Komposita und die explizite Erwähnung der Vereinigten Niederlanden in der Definition des Begriffs Staat stechen hervor. Die niederländische Union wird als aristokratischer Staat beschrieben. „Staat, Stand, Lat. Status […], heißt insgeheim, zumahl bey denen Publicisten und StaatsKundigen nichts anders, als die Regierung, oder die Regiments-Forme und Verfassung zwischen Obrigkeit und Unterthanen eines Landes. In solchem Sinne sagt man, ein Staat werde Monarchisch oder Aristokratisch […] regieret. Also nennet man die General Staaten der vereinigten Niederlande, die Deputirten aus den 7 vereinigten Provinzen, bey denen das höchste Regiment und die Verwaltung des gemeinen Wesens stehet, und den Rath von Staate, welcher in derselben Nahmen die vorkommende Geschäffte, so einmahl abgeschlossen und keine 26 neue Ueberlegung erfordern, führet.“

Eine zweite Definition des Begriffs birgt einen allgemeinen Charakter, den Weinacht in der Variante II beschreibt, was zeigt, dass bei Erscheinung des LexikonBandes 39 im Jahr 1744 der Begriff Staat im Deutschen mehrere Bedeutungsebenen besaß, andererseits die Bedeutung bestimmter Spielarten des Begriffs in der deutschen Sprache maßgeblich von den politischen Strukturen und deren Bezeichnungen in den Vereinigten Niederlanden herrührten.27 In Bezug auf die 24 Vgl. dazu: Weinacht, Staat, S. 29. 25 Vgl. dazu: Zedler, Johann Heinrich (Hg.): Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Band 39, Leipzig, Halle, 1744, S. 641. 26 Vgl. dazu: Zedler, Universallexikon, S. 639. 27 Vgl. dazu: Ebda., S. 639f: „Staat oder Etat, heisset auch eine besondere Verfassung, es sey eines gantzen Regiments, oder eines Stückes demeselben. In dem ersten Sinne sagt man. Der Staat von Spanien, Franckreich u.s.w. Der Zustand überhaupt, der Umfang, die RegierungsFerne, und andere Umstände solcher Reiche. In dem letzten Sinne nennet man den HofKriegs-Cammer-Staat u.s.w. Die Verfassung des Hofes, des Unterhalts der Kriegs-Völcker,

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Komposita soll auf die besondere Definition des See-Staats hingewiesen werden, der als Kategorie in Anbetracht der Entwicklung der Vereinigten Niederlanden zur maritimen Großmacht im 17. Jahrhundert ein entscheidendes Attribut für die Entwicklung des politischen Selbstverständnisses der Union war. „Staat, (See) Lat. Status maritimus, oder Staus vei navalis, Frantz, Etat maritime, oder Etat de marine, ist die Verfassung eines Staates oder Republick, in Ansehung seiner See-Macht 28 […].“

Im Anschluss daran richtet sich der Fokus auf die Bedeutung der Vereinigten Niederlanden als Seemacht in Bezug auf die Entwicklung einer spezifischen Staatlichkeit zum Status maritimus. In der deutschen Sprache prägten die Bezeichnungen der Regierungsorgane als General-Staaten und Rath von Staate den Status der niederländischen, politischen Entität als Staats. Grundsätzlich beruht die Bezeichnung auf der etymologischen und pragmatischen Verwandtschaft zwischen den Begriffen Stand und Staat, die in der Frühen Neuzeit auch im deutschen Sprachraum enger war als in späteren Jahrhunderten. Der Begriff Staat29 im Niederländischen gibt im 17. Jahrhundert den ständischen Ursprung der Regierungsorgane wieder. Ähnlich dem französischen état und englischen state bezeichnet er sowohl den Stand als auch eine politische Entität. In Zedlers Lexikon treten die Begriffe Stand und Staat als zwei getrennt voneinander existierende Lexeme auf, obwohl Stand immer noch als Synonym für Staat gilt. Während die zwei Begriff in anderen indogermanischen und romanischen Sprachen mit demselben Lexem ausgedrückt werden, wurde indes in der deutschen Sprachentwicklung zunehmend eine Trennung vorgenommen. Die Geringschätzung ständischer Elemente in den Staatsbildungstheorien der deutschen Geschichtswissenschaft ist auch in der etymologischen Trennung zwischen Stand und Staat begründet, was zum Gegensatz von ständischer Herrschaft und Staatlichkeit beitrug.30 Ein weiterer Grund für die Geringschätzung sind die Idealtypen der Herrschaft nach Max Weber, die eine Beschränkung auf die Einherrschaft forcieren.31 Durch die Ausklammerung ständischer Elemente aus dem Prozess der Staatsbildung beschreibt die deutsche Theoriebildung primär den monarchischen Territorialstaat als Paradebeispiel für Staatlichkeit. Die Be-

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des Cammer-Wesens […] Also sagt man auch einen prächtigen Staat führen, das ist, sein Hauswesen äusserlich in einer ansehnlichen Verfassung halten, und bedeutet dieses letztere alsdenn nichts anders, als die ansehnliche Parade, der splendide Aufzug, die prächtige Aufführung, das in die Augen leutende Gepränge, der äusserliche Pomp und Pracht, u.d.g. […]“. Vgl. dazu: Ebda., S. 640. Die Orthographie des Wortes Staat verändert sich während des 17. Jahrhunderts. Damit verändert sich jedoch nicht die Anwendbarkeit des Begriffs auf verschiedene Bedeutungsebenen. Vgl. dazu: Zedler, Universallexikon, S. 1103, siehe als Gegenbeispiel u. a.: StollbergRillinger: Barbara: Vormünder des Volkes? Konzepte landständischer Repräsentation in der Spätphase des Alten Reiches, Berlin: Duncker & Humblot, 1994. Weber beschreibt in seiner Herrschaftssoziologie drei verschiedene Typen von Herrschaft – die traditionelle, die charismatische und die legale Herrschaft – die nicht alle zwangsläufig als Einherrschaft angelegt sind, aber theoretisch im Anschluss an Weber so ausgelegt wurden. Siehe dazu: Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 122–175.

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II Überblick zur Forschungslage

sonderheit der niederländischen Staats-Formierung beruht indes auf der ständischen Dimension des Staats-Begriffs, die dem Begriff in Zedlers Lexikon noch Mitte des 18. Jahrhunderts inhärent war. Aus dieser Perspektive ergibt sich eine kritische, begriffsgeschichtliche Sicht auf die Staatsbildungstheorien. Es kann jedoch konstatiert werden, dass die Vereinigten Niederlanden spätestens im 18. Jahrhundert von ihren europäischen Nachbarn als Staat wahrgenommen und bezeichnet wurden.32 Der begriffsgeschichtliche Ansatz, der aufgrund der Analyse der territorialen und politischen Neuordnung, die spezifische Entwicklung des niederländischen Staats-Begriffs im 17. Jahrhundert als Ausdruck einer Wahrnehmungsveränderung politischer Realitäten beschreibt, steht weniger im Kontext der Forschungen Otto Brunners und Reinhard Kosellecks und deren Projekt der Geschichtlichen Grundbegriffe als in der Weiterentwicklung dieser Grundlage durch John Greville Agard Pocock und Quentin Skinner. Die Bedeutungserweiterung des Begriffs Staat in den Vereinigten Niederlanden als Antwort auf die Herausbildung einer selbstständigen politischen Entität zu interpretieren, orientiert sich an den Untersuchungen des Republik-Begriffs anhand der Schriften Machiavellis, Moores oder Hobbes’ von Pocock/Skinner,33 was die Untersuchung an die Forschung der politischen Ideengeschichte anschließt. Die Attribute des niederländischen Begriffs müssen entsprechend dem zeitgenössischen Verständnis definiert werden, um die Geschichte des Staats von deren angenommener Prozesshaftigkeit zu lösen. Ziel einer solchen Historiographie ist die Erzählung der Geschichte verschiedener Staaten in verschiedenen historischen Gefügen. Die Verbindung zwischen den Einzelstudien der Territorien und den Zeiträumen kann als anhaltender Transformationsprozess der Semantik und Pragmatik des Begriffs Staat untersucht werden. Dabei wären die Auswirkungen der Transformation der politischen und territorialen Ordnung auf die politische Semantik zu beachten. Die politische Semantik reflektiert den Blick auf den Transformationsprozess der territorialen und politischen Ordnung und das zeitgenössische Verständnis. Die Definition der Attribute des Begriffs Staat im jeweiligen geschichtlichen Gewordensein steht im Vordergrund, wie Weinacht es zum Abschluss seiner Betrachtung der Bedeutungsgeschichte des Begriffs anmerkt. „Das Wort Staat ist nach Herkunft und Gebrauch an bestimmte Epochen der neueren Geschichte gebunden; Abspaltung und Entwicklung der Bedeutungsvarianten, ja der Aufbau des Bedeutungsgefüges insgesamt spiegeln geschichtliche Vorgänge und Zustände und empfangen von ihnen ihr Gepräge. Insofern ist Staat ein konkreter Begriff. Auf der anderen Seite wuchsen dem Wort Funktionen zu, die es mit den klassischen Universalia (griech. politeia, lat. Civitas, respublica) gemein hat: Staat war seit Mitte des 17. Jahrhunderts Wechselwort

32 Vgl. dazu: Weinacht, Staat, S. 126 33 Siehe dazu: Pocock, John G. A.: The Machiavellin moment: Florentine thought and atlantic republic tradition, Princeton: Univ. Press, 1975; Skinner, Quentin: The foundation of modern political thought, Cambridge: Univ. Press, 2009.

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der genannten Ausdrücke und blieb es, wenn auch nicht unbestritten, bis heute. Insofern ist 34 Staat ein Universale.“

Aus dem Ergebnis der Weinacht’schen Forschung ergibt sich in Bezug auf die Staatsbildungstheorien die Erkenntnis, dass die Theorien mehrheitlich der Universalie Staat nachdenken. Die frühneuzeitliche Verbreitung der Begriffe civitas, respublica und politeia, die das Wort Staat im modernen Verständnis inkorporiert, lassen sich am Werk Hugo Grotius’ und dessen Übersetzungen untersuchen. Grotius verfasste seine bedeutendsten Schriften zur politischen Herrschaft in lateinischer Sprache, ohne dabei eine eigenständige Staatstheorie zu entwickeln.35 Grotius selbst verwendete den Begriff statu in seinen Schriften nur höchst selten. Die Begriffe bonum commune, civitas, imperium und res publica sind indes Teil der Grotius’schen Terminologie. In den frühen Übersetzungen aus dem 18. Jahrhundert in die deutsche Sprache steht der Begriff Staat hingegen gleichberechtigt als Synonym neben Republik oder Gemeinwohl. In Übersetzungen der Werke Grotius’ aus dem 20. Jahrhundert schließt die singuläre Verwendung des Begriffs Staat die Attribute der anderen Ausdrücke ein und lässt sie unerwähnt.36 Aus begriffsgeschichtlicher Sicht ist die Inkorporation gerechtfertigt. Allerdings lassen zahlreiche Staatsbildungstheoretiker, die durch den universalen Staats-Begriff inkorporierten politischen Ordnungen, die vom zeitgemäßen Verständnis von Staatlichkeit abweichen, in der Theoriebildung außen vor, weil andererseits eine unüberschaubare Menge an Untersuchungsgegenständen betrachtet werden müsste, um eine stichhaltige Theorie aufzustellen. Die Forschung zur Transformation politischer Ordnungen in der Frühen Neuzeit umgeht das Problem durch verschiedene spezifische Definitionen des Staats-Begriffs. Aus begriffsgeschichtlicher Sicht ist der Weg sowohl für die Untersuchung der Transformation auf der Grundlage einer idealtypischen Definition als auch für eine konkrete, epochenspezifische Analyse von Staatlichkeit offen. Unter Beachtung der Untersuchungen Weinachts soll dem zweiten Weg gefolgt werden, eine konkrete Definition des niederländischen Staats-Begriffs im 17. Jahrhundert herauszuarbeiten. 34 Vgl. dazu: Weinacht, Staat, S. 242. 35 Vgl. dazu: Konegen, Norbert; Nitschke, Peter: Einleitung, in: Konegen/Nitschke, Staat bei Hugo Grotius, S.13–19, darin, S. 14. 36 Die Untersuchung wird im Folgenden auf die Originalausgabe von Grotius’ De jure belli ac pacis sowie zwei verschiedene deutsche Übersetzungen davon eingehen, um die Begriffsverengung aufzuzeigen. Ausgangspunkt ist: Grotius, Hugo: De jure belli ac pacis, Paris: Nicolaum, Buon, 1625. Die Übersetzungen sind: Grotius, Hugo: Hugonis Grotii drey Bücher von Kriegs- und Friedens-Rechten : in welchen das Recht der Natur, das allgemeine VölckerRecht, wie ingleichen die vornehmsten Stücke derer Reichs- und Staats-Rechte erkläret werden ....; mit ... dem Kern der Erklärungen ... Osiandri, Ziegleri ... samt beygefügter GeneralTabell des Autoris über das gantze Werck .... Und Hugonis Grotii Büchlein von der Billigkeit, Indulgentz, auch Gelind- oder Mildigkeit benebst einem vollkommenen Register über das ganze Werck, Ins Teutsche übersetzet und heraus gegeben von J. N. S. K. Ol. in E. u. d. H. K. S., Franckfurt am Mayn: Fischer, 1709; sowie: Grotius, Hugo; Schätzel, Walter (Bearb.): De iure belli ac pacis libri tres: Paris 1625, nebst einer Vorr. von Christian Thomasius zur 1. dt. Ausg. von 1707, Drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens, Tübingen: Mohr, 1950.

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II Überblick zur Forschungslage

Der Staats-Begriff in Übersetzungen der Werke Hugo Grotius’ Die Verwendung des Begriffs Staat in der deutschen Sprache ist die Voraussetzung für das Theoretisieren von Staatsbildung in allen Epochen. Der Widersprüchlichkeit in der deutschsprachigen Sekundärliteratur, die sich aus der Bezeichnung Hugo Grotius’ als Staatsdenker und der Exklusion der Vereinigten Niederlanden aus den Betrachtungen frühneuzeitlicher Staatlichkeit ergeben, soll im Folgenden nachgegangen werden, um offen zu legen, welche Verwirrung die Rückprojektion von Begriffen und damit verbundenen Konzepten bei der Analyse von Herrschaftsordnungen vergangener Epochen erzeugt.37 Ziel der Ausführungen soll sein, die Notwendigkeit einer zeitgenössischen Definition des niederländischen Begriffs Staat als Kategorie zur Beschreibung der spezifisch niederländischen politischen Ordnung in der Statthalterlosen Epoche zu begründen. Die Kategorie kann nicht explizit auf den Theoretiker Grotius zurückgeführt werden, sondern ergab sich aus der alltäglichen politischen Praxis der Beschreibung einer, prinzipiell bis dahin ungebräuchlichen Form der Herrschaft, die zudem globale Ansprüche hegte. Wenn in deutschen Übersetzungen der Schriften Grotius’ Staat als Begriff verwendet wird, liegt dem häufig nicht das lateinische Original statu zugrunde, weil die Übersetzungen nicht etymologisch, sondern semasiologisch begründet wurden. Andere Begriffe wie dominium, auctoritas oder respublica werden als Staat übersetzt. Der Vergleich des Originaltexts und der deutschen Übersetzung des XX. Kapitels mit dem III. Buch von Grotius’ De jure belli ac pacis, II. Abschnitt, deutet an, dass das Wort statu als Status, Stand oder Zustand übersetzt wird, nicht als Staat. Die Übersetzer seiner Schriften sprechen Grotius ein Verständnis von Staatlichkeit zu, das auf der Semasiologie des deutschen Begriffs beruht. Dies führte zu einer Verbindung des deutschen Begriffs Staat, wie ihn Weinacht und die Autoren der Geschichtlichen Grundbegriffe etymologisch nachzeichnen und den Bedeutungsfeldern, die die Begriffe respublica, dominium oder auctoritas im Werk Grotius’ umfassen. Grotius selbst besaß kein Verständnis von Staatlichkeit, sondern nur von Herrschaft und Gemeinwohl, die nachträglich mit dem Begriff Staat in eins gesetzt wurden. Im Umkehrschluss wurde das niederländische Wort Staat als Beschreibungskategorie für die politische Entität der Vereinigten Niederlanden in der Frühen Neuzeit bisher ausgeblendet, weil es dem Bedeutungsfeld des lateinischen Begriffs statu (Zustand, Stand) entwuchs und nicht dem Bedeutungsfeld der verschiedenen Definitionen der Kategorie Staat der Staatsbildungstheorien entsprach, die im 20. Jahrhundert definiert wurden. Mit der verkürzten, semasiologischen 37 Zur deutschen Forschungsliteratur siehe v. a.: Müller-Luckner, Elisabeth; Reinhard, Wolfgang (Hg.): Verstaatlichung der Welt? Europäische Staatsmodelle und außereuropäische Machtprozesse, München: Oldenburg, 1999; Reinhard, Wolfgang (Hg.): Power Elites and State Building, Oxford: Claredon Press, 1996; ders., Staatsgewalt; ders., Geschichte des modernen Staates; insbesondere: Blockmans, Wim; Holenstein, André; Mathieu Jon (Hg.): Empowering Interactions, Political Cultures and the Emergence of the State in Europe 1300–1900, Farnham: Ashgate, 2009.

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Kategorie kann die Vielfalt der frühneuzeitlichen Herrschaftsordnungen nicht begriffen werden. Die Kategorie muss schlichtweg durch eine territorial und idiographisch spezifische Beschreibung ersetzt werden, da der gängige Staats-Begriff nur dazu dient, politische Phänomene der Moderne zu beschreiben, um anschließend die Wurzeln der Elemente moderner Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit und dem Mittelalter zu erforschen, wodurch nichts über die Beschaffenheit der politischen Ordnungen ausgesagt werden kann, in denen die Elemente ihren Ursprung haben. Der Blick auf die Elemente moderner Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit als Ausgangspunkt einer epochenübergreifenden Transformation verstellt die Sicht auf die zeitgenössische Wahrnehmung der politischen Ordnung und deren von Aushandlungsprozessen begleiteten Transformation.38 Wenn die Kritik an der Verwendung des Begriffs Staat in der deutschen Übersetzung von Grotius anschließend erfolgt, sei vorab bemerkt, dass keiner der von Grotius’ verwendeten Begriffe mit der modernen Kategorie Staat wiedergegeben werden kann, auch wenn Elemente der neuzeitlichen Kategorie in Grotius’ Denken über Herrschaft enthalten sind. Wie in der Übersetzung aus dem ersten Kapitel Von der Freiheit des Meeres abzulesen ist, verwendet der Übersetzer Grotiusʼ Richard Boschan den Begriff Staat und meint damit oft verschiedene Zusammenhänge.39 In der lateinischen Originalfassung Grotius’ lautet der Text wie folgt: „Hoc igitur ius ad cunctas gentes aequaliter pertinet: quod clarissimi Iurisconsulti eo usque producunt, ut negent ullam rempublicam aut Principem prohibere in universum posse, quo 40 minus alii ad subditos suos accedant, et cum illis negotientur.“

Respublica wird in diesem Kapitel in der deutschen Übersetzung von Boschan mit Staat wiedergegeben.41 Wie die Deklination zeigt, sieht Grotius den Begriff respublica als das ursprüngliche Kompositum an. Beide Wortbestandteile werden dekliniert, was darauf hindeutet, dass Grotius den Begriff respublica nicht als abstrakte Bezeichnung für eine politische Einheit betrachtet, sondern weiterhin der römischen Tradition folgend die Beschaffenheit der gemeinen Sache – der res 38 Siehe dazu: Meumann/Pröve, Herrschaft in der Frühen Neuzeit, S. 11–50; Schlögl, Rudolf: Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden; Schorn-Schütte, Luise (Hg.): Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts, ZHF BH. 39, München: Oldenburg, 2004; Schorn-Schütte, Luise; Tode, Sven (Hg.): Debatten über die Legitimation von Herrschaft. Politische Sprachen in der Frühen Neuzeit, Berlin: Akademie Verlag, 2006. 39 Vgl. dazu: Boschan, Richard (Hg.), Grotius, Hugo: Von der Freiheit des Meeres, Felix Meiner: Leipzig, 1919, S. 24–94. 40 Vgl. dazu: Grotius, Hugo: The Freedom of the Seas, or the Right Which Belongs to the Dutch to take part in the East Indian Trade, HVGONIS GROTII MARE LIBERVM sive DE IVRE QVOD BATAVIS COMPETIT AD INDICANA COMMERCIA, DISSERTATIO, Translated by Ralph Van Deman Magoffin, Introduction by James Brown Scott, Director of the Carnegie Endowment for International Peace, New York: Oxford University Press, 1916; URL: http://oll.libertyfund.org/titles/grotius-the-freedom-of-the-seas-latin-and-english-version-mag offin-trans, S. 8, zuletzt konsultiert am 28.12.2017. 41 Vgl. dazu: Boschan, Von der Freiheit des Meeres, S. 25f.

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II Überblick zur Forschungslage

publica – beschrieb. Zudem übersetzt Boschan civitas mit Staat. Auch in weiteren deutschen Übersetzungen der Werke Grotius’ bildete sich die Problematik einer Bedeutungsverschiebung und -verengung durch die Verwendung des Begriffs Staat ab, die die Vielzahl von Bedeutungszusammenhängen, die Begriffe wie dominium oder respublica besitzen, nicht adäquat wiedergeben können. Grotius’ Werk De jure bellis ac pacis liegt in zwei bedeutenden deutschen Übersetzungen vor. Bei der Ersten, im Jahr 1709 in Frankfurt am Main gedruckt, bleiben die Übersetzer ungenannt. Die zweite Übersetzung stammt von Walter Schätzel aus dem Jahr 1950.42 Im direkten Vergleich der Textstellen beider Fassungen mit dem lateinischen Originaltext wird die Einschätzung bestätigt, dass zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein Verständnis für den Begriff Staat bestand, der eine Koexistenz mit dem Begriff Gemeinwesen führte, welcher dann in der Übersetzung von Schätzel verloren ging. Mitte des 20. Jahrhunderts hatte sich die Kategorie Staat als Bezeichnung von politischen Entitäten soweit durchgesetzt, dass selbst bei Textstellen, die im lateinischen Original weder respublica, auctoritas noch civitas enthielten, in der Übersetzung das Wort Staat Verwendung fand, solange sich ein Bezug zur Herrschaft ergab. Aus dem inhaltlichen Zusammenhang wurde eine Interpretation abgeleitet, die jegliche Beschreibung von Herrschaftsordnung als Staat übersetzte, was mit den Theorien der Staatsbildung indes nicht vereinbar ist, die durch die Definition von Staatlichkeit die Untersuchungsgegenstände begrenzen. Daran zeigt sich die erwähnte Diskrepanz zwischen der Kategorie Staat und der landläufigen Verwendung des Staats-Begriffs. Auf Basis des allgemeinen Staats-Begriffs fand eine Übersetzung und Interpretation der Werke Grotius’ statt, die in seinen Ausführungen zur Herrschaft eine Vorstellung von moderner Staatlichkeit implementierte und ihn als Staatstheoretiker bezeichnen. In der Übersetzung von De jure belli ac pacis von 1709 lautet eine Passage des ersten Abschnitts aus dem Sechsten Artikel des Ersten Buchs: „Also ist ein jeder im Nothfall mit dem Seinigen dem gemeinen Wesen mehr verpflichtet als seinem Gläubiger.“43 Walter Schätzel hingegen übersetzt die Textstelle folgendermaßen: „So ist jeder dem Staat für öffentliche Bedürfnisse mehr verpflichtet als seinem Gläubiger.“44 Im lateinischen Originaltext Hugo Grotius’ zu Beginn des 17. Jahrhunderts lautete die Passage: „[…] sic reipublicae quisque ad usus publicos magis obligatur quam creditori.“45 An dieser Textstelle wird deutlich, das rei publicae verschieden übersetzt wird, wobei die Fassung von 1709 das frühneuzeitliche Verständnis des Begriff eindeutiger beschreibt als der abstrakte Begriff Staat, der je nach Definition eine bestimmte Herrschaftsform impliziert, die von Grotius nicht explizit benannt wur42 Siehe dazu: Grotius/Schätzel, De jure belli ac pacis. Libri tres. 43 Vgl. dazu: Grotius, Hugonis Grotii drey Bücher von Kriegs- und Friedens-Rechten, 1. Buch, 6. Artikel, S. 7. 44 Vgl. dazu: Grotius/Schätzel, De jure belli ac pacis. Libri tres, 1. Buch, 6. Artikel, S. 49. 45 Vgl. dazu: Scott, James Brown (Ed.): The classics of international law, De Jure belli ac Paci Libri Tres, in quibus Jus Naturae & Gentiu, item Juris publici, praecipua explicantur, Vol. I, Reproduction of the Edition of 1646, Washington: Carnegie Institution/Oxford University Press, 1913, S. 2f.

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de. Weitere Textstellen zeugen von der Verengung der Übersetzung auf die Kategorie Staat: „XIV. Ab humanum incipiemus, quia id pluribus innotuit, est ergo hoc vel civile, vel latius patens, vel arctius. Civile est quod à potestare civili proficiscitur. Potestas civilis est quae civitari præest. Est autem Civitas cœtus perfectus liberorum hominum, juris fruendi & commu46 nis utilitatis causa sociatus.“ „XIV. 1. Wir wollen mit dem menschlichen Recht als dem bekannteren beginnen. Es ist entweder innerstaatliches Recht, oder es hat eine weitere oder engere Geltung. Das innerstaatliche Recht kommt von der staatlichen Obrigkeit, d.h. von der, welche dem Staat vorsteht; der Staat aber ist eine vollkommene Verbindung freier Menschen, die sich des Rechtsschutzes 47 und des Nutzens wegen zusammengetan haben.“ I. Buch, Artikel XIV „1. Wir wollen von dem Menschlichen anfangen/ weilen es mehrern bekant ist. Diese ist derohalben entweder das bürgerliche Recht/ oder das weit und breiter/ als das bürgerliche thut/ sich erstreckende Recht/ oder das engere Gräntzen habende Recht als das bürgerlich hat. Das bürgerlich Recht ist/ welches von Regenten und Obrigkeiten herkommt/ und durch sie ihrem Reich oder Staat und dessen Bürgern und Unterthanen vorgeschrieben und gegeben ist. Regenten und Obrigkeiten aber seyen diejenigen/ welche einem Reiche/ Republic oder Staat und gemeinen Wesen/ aus der ihnen übertragenen oder sonst erlangten Obrigkeitlichen Regierungs=Macht und Gewalt vorstehen und dasselbe regieren; und ein Reich / Republic oder Staat ist eine vollkommene Gesellschaft freyer Leute/ welche sich um allgemeinen Nutzens 48 willen/ und damit sie des Rechts geniessen können/ zusammen geschlagen.“

Bei der Lektüre vieler anderer Textstellen bestätigt sich die Einschätzung, dass der Begriff Staat in der Übersetzung aus dem 20. Jahrhundert nicht Grotius’ Verständnis von Herrschaft beschreibt, sondern dessen politische Philosophie im jeweils zeitgenössischen Kontext interpretiert. Staat wird in der deutschen Übersetzung über die allgemeingültige Kategorie hinweg als Oberbegriff für die Bezeichnung einer Vielfalt politischer und gesellschaftlicher Phänomene genutzt, die grundsätzlich mit Staatlichkeit in Verbindung gebracht werden. In der Übersetzung von 1709 zeigte sich in der Erwähnung der Begriffe Republik, Reich und gemeines Wesen noch die Bedeutungsvielfalt des Begriffs civitas, die in der Übersetzung Schätzels unter dem Begriff Staat subsumiert wird, woraus sich der angesprochene Widerspruch zwischen dem, im Sprachgebrauch verwendeten allgemeinen Begriff Staat als Bezeichnung für jede Form von Herrschaft und der historisch-sozialwissenschaftlich definierten Kategorie Staat ergibt. Diese Konfusion setzt sich indes innerhalb der Geschichts- und Politikwissenschaft fort, da es unzählige Definitionen von Staat gibt. Der Freiraum für die Definitionen ergibt sich aus der Inkludierung zahlreicher Bezeichnungen von Herrschaft in den StaatsBegriff. Übersetzungen sind einerseits Spiegel der jeweiligen Zeit, andererseits tragen sie gerade deswegen zu Verwerfungen im Verständnis von historischen Phänomenen bei. Die Problematik entsteht durch die theoretischen Betrachtungen, 46 Vgl. dazu: Scott, The classics of international law, S. 6. 47 Vgl. dazu: Grotius/Schätzel, De jure belli ac pacis, S. 53. 48 Vgl. dazu: Grotius, Hugonis Grotii drey Bücher von Kriegs- und Friedens-Rechten, S. 19.

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II Überblick zur Forschungslage

die an die Übersetzungen anschließen. Der Widerspruch kann nur aufgelöst werden, indem ein neues Erklärungsmodell sowohl die zeitgenössischen Strategien als auch die Beschreibungskategorien untersucht, um die Herrschaft in den Vereinigten Niederlanden zu definieren.

2. THEORIEN DER STAATSBILDUNG Bedingungen der frühneuzeitlichen Staatsbildung Wenn die Transformation politischer Strukturen im Europa des 17. Jahrhunderts ins Auge gefasst wird, sind die Untersuchungsgegenstände weitaus differenziertere und territorial kleinteiligere politische Machtkomplexe als es die Nationalstaaten im 19. Jahrhundert waren. Zahlreiche Kriege, dynastische Interessen, eine Vielzahl kleiner Herrschafts- und Verwaltungseinheiten, die Konfessionalisierung auf dem europäischen Kontinent, aber auch die Expansion in außereuropäische Regionen prägten das 17. Jahrhundert und führten während der Frühen Neuzeit zur ständigen Verschiebung von Machtverhältnissen und der damit einhergehenden Neuverhandlung der Herrschaft, die zunehmend durch ökonomische Faktoren, wie den Handelsbeziehungen zu anderen Kontinenten, beeinträchtigt wurde.49 Das Ausgreifen nach Amerika, Afrika und Asien brachte erhebliche politische Folgen für Europa, da die europäischen Konfliktlinien auf anderen Kontinenten nach- und weitergezeichnet wurden. An den zahlreichen konfessionellen Konflikten, die das Zeitalter von Reformation und Gegenreformation formten, lässt sich für das 17. Jahrhundert die Tendenz erkennen, dass das katholische Leitmotiv und dadurch legitimierte politische Ordnungen nicht mehr alternativlos existierten. Der Katholizismus war nach der Reformation nicht mehr die konkurrenzlose Legitimation der Herrschaft, wie es sich am Extrembeispiel des Münsteraner Täuferreiches zeigte.50 Allerdings traten die Veränderungen nicht in allen Territorien Europas gleichzeitig auf. Das Leitmotiv der Einheit der Christenheit kam im Verlauf des 17. Jahrhunderts jedoch in ganz Europa an sein Ende, nachdem der Dreißigjährige Krieg endgültig beide Konfessionen davon überzeugt hatte, dass die gegenseitige partielle Anerkennung christlicher Bekenntnisse51 unausweichlich 49 Siehe dazu: Arrighi, Giovanni: The long twentieth Century, London, New York: Verso, 2000; Vries, Jan de; Woude, Ad van de: The first modern economy. Success, failure and perservance of the Dutch economy, 1500–1815 Cambridge: Cambridge University Press, 2006; Wallerstein, Immanuel Maurice: Der Merkantilismus: Europa zwischen 1600 und 1750, Wien: Promedia, 1998. 50 Siehe dazu: Bendler, Gerhard: Das Täuferreich zu Münster, 1534/35, Berlin: Dt. Verlag der Wissenschaften, 1966. 51 Einschränkungen ergeben sich für die Anerkennung der evangelischen bzw. protestantischen Bekenntnisse. Nur das Luthertum wurde anerkannt. Ausgenommen blieb bei den Vertragsverhandlungen zum Westfälischen Frieden unter anderen der in den Vereinigten Niederlanden als „Öffentlichkeitskirche“ anerkannte Calvinismus. Siehe dazu: Mörke, Olaf: ‚Konfessionalisierungʻ als politisch-soziales Strukturprinzip? Das Verhältnis von Religion und Staats-

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war. Mit dieser Einsicht wurde der Anspruch auf die allein gültige Wahrheit beider Konfession insoweit aufgegeben, dass die neue politische Ordnung des Westfälischen Friedens nicht mehr vom Glauben legitimiert und garantiert wurde, sondern von politischen Entitäten und deren Vertragsschlüssen untereinander. Der Dreißigjährige Krieg destabilisierte die politische Ordnung Europas nachhaltig. Erst durch den Mentalitätswandel der Anhänger der christlichen Bekenntnisse war die Stabilisierung der territorialen Herrschaft in Europa möglich.52 Um die Debatte zur Staatsbildung in der Frühen Neuzeit kritisch beurteilen zu können, ist das Wissen um die Konstellation der religiösen Konflikte und politischen Bedingungen entscheidend. Die Konflikte der Frühen Neuzeit zeigen die Konkurrenz verschiedener religiöser Motive und die damit verbundene Möglichkeit, durch multiple Interpretationen des weltlichen Geschehens, Herrschaft neu zu verhandeln. Diese These führt zu der Annahme, dass sich nach der Auflösung der religiösen Einheit und der Aufsplitterung des politischen Machtgefüges im Europa des 16. Jahrhunderts die Neuverhandlungen über politische Ordnungen regional und lokal vollzogen.53 Somit begann die eigenständige Entwicklung der verschiedenen Territorien in Europa, nachdem die religiöse Einheit der respublica christiana durch die Reformation aufgespaltet worden war und die Idee der Universalmonarchie nach der Abdankung Karl V. Raum für alternative Entwicklungen von Ordnungen schuf.54 Für das 17. Jahrhundert bedeutete das die individuelle Neuverhandlung über soziale, politische und religiöse Ordnung in verschiedenen europäischen Territorien, die zur Formung von politischen Entitäten führte, welche in dieser Phase ohne den Druck zur Konformität individuelle Konstrukte blieben. In der Epoche des permanenten Kriegs zwischen 1618 und 1648 kam es vor allem im Heiligen Römi-

bildung in der Republik der Vereinigten Niederlande im 16. und 17. Jahrhundert, in: Tijdschrift voor sociale geschiedenis 16 (1990), S. 31–60; Schilling, Heinz: Religion, Political Culture, and the Emergence of Early Modern Society. Essays in German and Dutch History, Leiden: Brill, 1992, S. 213. 52 Siehe dazu: Rabb, Theodore K.: The struggle for stability, New York: Oxford Press, 1975, S. 60–73. 53 Siehe dazu u. a.: Hechter, M; Brustein, W.: Regional Modes of Production and Patters of State Formation in Western Europa, American Journal of Sociology, 85 (1980), S. 1061–94. 54 Siehe dazu: Muhlack, Ulrich: Die Frühe Neuzeit als Geschichte des europäischen Staatensystems, in: Dürr/Engel/Süßmann, Eigene und fremde Frühe Neuzeit, S. 23–41. Der Begriff der res publica in der weltlichen Anwendung auf die politische Struktur der Vereinigten Niederlanden besitzt nur auf der europäischen Ebene, nicht aber im interkontinentalen Kontext eine so entscheidende Bedeutung, wie der Begriff Staat im Niederländischen. Deswegen wird die Entwicklung dieses Terms, zu dem zahlreiche Publikationen erschienen sind, nicht in die Betrachtung einbezogen. Vgl. dazu u. a.: Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates; Koenigsberger, Republiken und Republikanismus; Lademacher, Phönix aus der Asche?; Lindemann, The Merchant Republics; Price, J. L.: Holland and the Dutch Republic in the Seventeenth Century, The Politics of Particularism, Oxford: Clarendon Press, 1994; Tracy, James D.: The founding of the Dutch republic: war, finance, and politics in Holland, 1572–1588, 1. Publ., Oxford: Oxford Univ. Press, 2008, zur Biographie Karl V. siehe u. a.: Schorn-Schütte, Luise: Karl V., Kaiser zwischen Mittelalter und Neuzeit, München: Beck, 2000.

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schen Reich beständig zu Veränderungen der Zugehörigkeit von Territorien zu Herrschaften.

Die Staatsbildungstheorie Charles Tillys – Das soziologisch-historische Modell Vorerst erfolgt die Beschäftigung mit der Forschung Charles Tillys, die als Grundlage für Marjolein ʼt Harts Arbeit The making of a bourgeois state, War, politics and finance during the Dutch revolt gilt, welche für das 18. Jahrhundert eine Staatsbildung in den Niederlanden konstatiert und die als einer der Anknüpfungspunkte für die Beschreibung der niederländischen Staats-Formierung gilt. Folgt man der Interpretation Charles Tillys, die soziologisch-historisch argumentiert, entwickelte sich Staatlichkeit durch zweierlei Zwang. Einerseits mussten Herrscher ihr Territorium verteidigen oder griffen andere Territorien an, um ihren eigenen territorialen oder monetären Besitz zu vergrößern.55 Um diese Kriege führen zu können, benötigten die Herrscher Kapital. Im Verlauf der Frühen Neuzeit ließen technische Fortschritte die Kriegsführung immer teurer werden und da die Waffen immer größere Durchschlagskraft besaßen, wurde bald auch in Friedenszeiten Kapital in den Ausbau von Verteidigungsanlagen investiert. Aus der kapitalintensiven Kriegsführung folgte ein, die zweite Instanz darstellender Zwang, der durch den administrativen Apparat ausgeübt wurde, welcher in den größer werdenden Territorien zum notwendigen Instrument der Beherrschung wurde, um die Mittel für die Kriege der Herrschenden zu akquirieren. Bevor Tilly von der Entwicklung des Staats spricht, definiert er die Kategorie: „States have been the world’s largest and powerful organizations for more than five thousand years. Let us define states as coercion-wielding organizations that are distinct from households and kinship groups and exercise clear priority in some respects over all other organizations within substantial territories. The term therefore includes city-states, empires, theocracies, and many other forms of government, but excludes tribes, lineages, firms, and churches as such.“56

Was in Tillys Definition fehlt, ist die Festlegung auf eine konkrete Herrschaftsform. Eine Zwang ausübende Gewalt beherrscht als Souverän ein bestimmtes Territorium. Klar ersichtlich wird die Besonderheit der Konzeption durch Tillys Trennung des Staats von den mittelalterlichen und antiken Grundfesten der Gesellschaftsordnung Familie und oikos.57 Der Bedeutungsverlust der Personenverbände im Staat zeigt dessen spezifische Qualität. Er eröffnet damit zugleich die Frage nach der Verbindung zwischen Herrschaft und Ökonomie in der Frühen Neuzeit. Die Familie und das zu ihr gehörende Haus (oikos), in dem die Familie ihrer erwerbstätigen Arbeit nachging, waren die zentralen Einheiten antiken und mittelalterlichen Wirtschaftslebens. Innerhalb der Familie wurde produziert, die 55 Vgl. dazu: Tilly, Coercion, Capital and European States, S. 5–30. 56 Vgl. dazu: Ebda., S. 1. 57 Die Bezeichnung oikos steht für das Haus und die damit verbundenen Gemeinschaft.

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Werkstatt an die Nachkommen vererbt und der Zugang für Außenstehende beschränkt. Das ganze Haus war der Familie Wohn- und Arbeitsbereich. Der Personenverband band die Loyalität der Mitglieder an die Gruppe. Im Lauf des 17. Jahrhunderts veränderten sich diese Strukturen einschneidend, weil sich die Loyalitäten von Individuen zunehmend nicht mehr an die Personenverbände, sondern an das bewohnte Territorium zu binden begannen und sich damit auch die begrenzte Hauswirtschaft (Ökonomie) auf das beherrschte Territorium ausdehnte.58 Mit der Ausweitung der Handelsbeziehungen und der Professionalisierung der Arbeitsabläufe veränderten sich die Formen des Wirtschaftens. Die Familie als zentrale Einheit bot nicht mehr ausreichendes Potential, um den steigenden Bedarf an qualifizierter Arbeit und Gütern bewältigen zu können, der durch die zunehmende Verknüpfung von Handelsbeziehungen in einem globalen Kontext neu definiert wurde.59 Durch die Ausdehnung der Wirtschaft stieg die Notwendigkeit, Mechanismen zu entwickeln, die in der Lage waren, Sicherheit zu bieten. Der Glaubenslehre der reformatorischen Bekenntnisse entsprang zudem das Verständnis, wirtschaftlicher Erfolg wäre ein Zeichen der Erwähltheit, die eng mit Calvins Verständnis des Berufs als Berufung verbunden war. Die genannten Faktoren bildeten die Voraussetzung für die Möglichkeit einer prosperierenden Wirtschaft in Territorien, in denen die Bevölkerung unter dem Einfluss reformatorischer Bekenntnisse stand.60 Die Folge war die Entwicklung von Unternehmen, die, ähnlich der territorialen Herrschaft den Kreis der Personen und die Mittel ihrer Unternehmensführung erweitern musste, um die Ausweitung der Geschäfte zu ermöglichen. In der Verbindung zwischen der Glaubenslehre und der Entwicklung der Ökonomie, die den Aufstieg der Vereinigten Niederlanden zum bedeutenden wirtschaftlichen und politischen Akteur im 17. Jahrhundert besonders bedingten, spiegelt sich der, auch nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs weiterhin bestehende Faktor der Religion als Motiv der Begründung frühneuzeitlicher Gesellschafts- und Herrschaftsordnungen wider. Neben den genannten indirekten wirtschaftlichen Ableitungen gelten die Schlagworte Zwang ausübende Organisation, Kapital und Territorium als tragende Faktoren der Definition Tillys. Die Problematik der Tilly’schen Definition liegt in ihrer Unbestimmtheit und Inklusion zahlreicher Formen von Herrschaft, die dem Verlangen geschuldet zu sein scheinen, eine, seit fünftausend Jahren andau-

58 Siehe dazu.: Brunner, Otto: Das „Ganze Haus“ und die alteuropäische „Ökonomik“, in: ders. (Hg.): Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1968, S. 103–127; Schwab, Dieter: Familie, in: Brunner, Otto; Koselleck, Reinhard; [u. a.]: Geschichtliche Grundbegriffe, Band 2, E–G, Stuttgart: Klett, 1975, S. 253– 301; Freitag, Winfried: Haushalt und Familie in traditionellen Gesellschaften, Konzepte, Probleme und Perspektiven der Forschung, in: Geschichte & Gesellschaft 14, 1988, S. 5–37; Vries, Jan de: The industrious behavior and the household economy, 1650 to the present, Cambridge: Cambridge University Press, 2008. 59 Siehe dazu u.a.: Vries, Jan de: The industrious behavior and the household economy. 60 Siehe dazu: Weber, Max: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band 1, Tübingen: Mohr, 1986.

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ernde Geschichte des Staats erzählen zu wollen. Die Kategorie wird auf die verschiedensten Formen politischer Herrschaft ausgedehnt. „A surprising range of combinations between coercion and capital appeared at one point or another in European history. Empires, city-states, federations of cities, networks of landlords, churches, religious orders, leagues of pirates, warrior bands, and many forms of governance prevailed in some parts of Europe at various times over the last thousand years. Most of them qualified as states of one kind or another: they were organizations that controlled the principal concentrated means of coercion within delimited territories, and exercised priority in some respects over all other organizations acting within the territories. But only late and slowly did 61 the national state become the predominant form.“

Tilly legt den Schwerpunkt auf die Verbindung zwischen Zwang und Kapital, die verschiedene Formen von Staatlichkeit hervorgebracht hätte. In diesem eurozentrischen Modell der Genese von Staatlichkeit finden die Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts als Föderation von city-states ihren Platz. Der politische und wirtschaftliche Erfolg der Föderation im europäischen Kontext war der Ausgangspunkt für den Aufstieg zur Weltmacht. „Similarly, urban growth stimulated the creation and improvement of transportation by water and land; the Netherlands’ superb system of canals and navigable streams brought down the cost, and brought up the speed, of communication among its swarm of cities, thus serving as both cause and effect of urbanization[…] When the accumulation and concentration of coercive means grow together they produce states; they produce distinct organizations that control the chief concentrated means of coercion within well-defined territories, and exercise priority in some respects over all other organizations operating within those territories[…] [S. 30f] the Dutch Republic,[…], exemplif[ies] the capital-intensive mode. As the history of the Dutch Republic illustrates, at the extreme this mode produced federations of largely autonomous city-states, and constant negotiation among them over state policy. […] Yet the Dutch Republic was soon to prove that federations of cities and adjacent territories could still hold their own as world powers. Empires, furthermore, were advancing. Nothing then assured the ultimate victory of the national state.“62

Tillys Charakterisierung der niederländischen Föderation als Beispiel des kapitalintensiven Modells der Staatsbildung, in dem die Zwang ausübende politische Macht durch die Anhäufung und Konzentration von Kapital entsteht, entspricht der allgemein anerkannten Deutungen der Vereinigten Niederlanden als führender Wirtschaftsmacht des 17. Jahrhunderts, die besonders durch die Urbanisierung, den Ausbau der Transportwege zu Wasser und die Möglichkeit der raschen Informationsübermittlung getragen wurde.63 Die Föderation der Stadt-Staaten nach 61 Vgl. dazu: Tilly, Coercion, Capital and European States, S. 5. 62 Vgl. dazu: Ebda., S. 19. 63 Siehe dazu: Groenveld, Simon: Leeuwenberg, De bruid in de schuit, De consolidatie van de Republiek 1609–1650, Zutphen: Walburg Press, 1985, S. 152; Pfister, Ulrich: Die Frühe Neuzeit als wirtschaftshistorische Epoche. Fluktuationen relativer Preise 1450–1850, in: Neuhaus, Helmut (Hg.): Die Frühe Neuzeit als Epoche, HZ Beiheft 49, München: Oldenburg, 2009, S.409–434, darin: S. 429; Vries, Jan de: European Urbanization 1500–1800, Cambridge: Harvard University Press, 1984, S. 88f; Cipolla: C. M.: The Diffusion of Innovations in Early Modern Europe, in: Comparative Studies in Society and History, 14 (1972), S. 46–52.

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oberitalienischem Vorbild im Zusammenspiel mit den jeweiligen Provinzen der Vereinigten Niederlanden bildete die Grundlage für den Aufstieg der Union zur Weltmacht. Tilly betont den Ausbau der Wasserwege und die damit verbundene Verbilligung der Transportkosten in den Vereinigten Niederlanden. Zusammen mit der Beschleunigung des Informationsaustauschs sind beides grundlegende Elemente des niederländischen Herrschaftsordnung, die Tilly als Voraussetzung für die Konkurrenzfähigkeit der Vereinigten Niederlanden ansieht, da sie für deren Aufstieg und die Absicherung der erlangten Machtposition sorgen. Die von Zeitgenossen wahrgenommene Modernität der Union kann in Relation zu anderen Territorien gesetzt werden. Für das Modell der Staatsbildung in den Vereinigten Niederlanden mit dem Fokus auf die Städte schließt Tilly an Peter Blickles Konzept des Kommunalismus an. Die Entwicklung in den städtischen Gemeinden ähnelt derjenigen in den ländlichen Gemeinden, auf die Blickle den Fokus in seinen Untersuchungen legt.64 Die Grundzüge des Konzepts beschreibt Blickle folgendermaßen: „Nämlich so, daß in ihn die dreidimensionale These eingelagert ist, Bauern und Bürger seien erstens hinsichtlich der Verfassung ihres Alltags durch die Institution Gemeinde gleich organisiert, besäßen zweitens eine gemeinsame gesellschaftliche Grundlage darin, daß sie arbeiteten, und hätten drittens ein dieser Gesellschaft und ihren Institutionen kongeniales Wertsystem hervorgebracht. Kommunalismus bleibt somit in seiner zeitlichen Reichweite beschränkt. Ihm vorgängig ist die Strukturierung menschlicher Beziehungen durch die Herrschaft der Sippe, ihm nachfolgend ist die Konstruktion gesellschaftlicher und staatlicher Beziehungen 65 um das Individuum. Insofern ist Kommunalismus ein Epochenbegriff.“

Blickle betrachtet vornehmlich die Entwicklungen im schwäbischen Teil des Heiligen Römischen Reichs und zeigte den Aufstieg der Städte exemplarisch an der Reichsstadt Augsburg auf. Durch die Krise der Feudalwirtschaft gewannen die städtischen und ländlichen Gemeinden im Spätmittelalter an Bedeutung für die Schaffung einer neuen wirtschaftlichen und politischen Struktur, die Blickle als epochale Konfiguration betrachtet, die von der Staatsbildung grundsätzlich unterschieden ist, da sie ihr vorausgeht. Nach dem Niedergang des Villikationssystems – der Herrschaft eines Grundherrn über umfangreichen Landbesitz – begann laut Blickle der Aufstieg der Gemeinden. Ausgelöst durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandlungsprozesse brach das Fronhofsystem allmählich zusammen, was einen Wandlungsprozess auf dem Land und in der Stadt einleitete, den Blickle als Entstehungsphase des Kommunalismus beschreibt. Kommunen definiert Blickle als „politisch verfasste Gemeinden, die über eine Grundausstattung an Satzungs-, Gerichts- und Strafkompetenz verfügen.“66 Um solche Kompetenzen 64 Vgl. dazu die Grafik zur Organisation der städtischen und ländlichen Gemeinden in: Blickle, Peter: Deutsche Untertanen, Ein Widerspruch, München: Beck, 1981, S. 68. 65 Vgl. dazu: Blickle, Peter: Kommunalismus. Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform, Band 1: Oberdeutschland, München: Oldenbourg, 2000, Vorwort, S. VII. 66 Zum Villikationssystem vgl.: Blickle, Deutsche Untertanen, S. 28f; zum Zitat: Blickle, Peter: Kommunalismus, Begriffsbildung in heuristischer Absicht, in: Peter Blickle (Hrsg.): Landgemeinde und Stadtgemeinde in Mitteleuropa. Ein struktureller Vergleich, München 1991, S. 5–38.

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zu besitzen, muss eine Gemeinde Institutionen schaffen. Unter anderen zählte die Gemeindeverwaltung zu diesen Institutionen, die die, in der Gemeinde abgestimmten, politischen Richtlinien nach außen und innen vertrat und gegebenenfalls verteidigte. „Es gibt einen Ordnungsbereich des gesellschaftlichen Zusammenlebens neben, unter oder über der Herrschaft (die Zuordnung ist eine Frage der Perspektive), über den die Gemeindeversammlung den Gewalt hat. […] Der Gewalt, der in der Gemeinde als solcher residiert, kann delegiert werden, daraus entstehen Räte und Vierer sowie Gerichte, zumindest wachsen den Gerichten Zuständigkeiten zu, die sie ohne die Gemeinde nicht hätten. Räte und Vierer repräsentieren die statuarischen Kompetenzen der Gemeindeversammlung, das erklärt auch ihr (in der Regel begrenztes) Gebots- und Verbotsrecht und ihre Ordnungsfunktionen. Modern und damit ungenau gesprochen sind in ihrer Hand die administrativen Kompetenzen der Gemeinde. Gerichte sind durchgängig mit Urteilern (Schöffen) aus den Gemeinden besetzt, für die sie amten. Es gibt Mischzonen gemeindlicher und herrschaftlicher Zuständigkeiten, die sich vornehmlich in den Kompetenzen der Richter (Gericht) und dem lokalen politischen Spitzenamt (Ammann) ausdrücken. Als Institutionen sind Gerichte und Ammänner älter als Kommunen, es sind Organe zur Gewährleistung herrschaftlicher Interessen. Deswegen ist die Beteiligung der Herrschaft bei ihrer Bestellung in der Regel unstrittig. Mit der Kommunalisierung indessen integrieren sie in ihrem Amt zusätzliche Aufgaben – die Richter die Urteile über die strittige Verletzung kommunaler Normen, die Ammänner die organisatorische Führung von Gemeindeversammlungen und solchen von Räten/Vierten. Der Kommunalismus erträgt also Herrschaft, aber er leitet sich nicht von Herrschaft ab. Folglich gibt es keinen systemischen und damit auch keinen logischen Zusammenhang zwischen Feudalismus […] und 67 Kommunalismus.“

Mit dem Transformationsprozess stieg die Bedeutung des gemeinen Mannes – männliche Personen, die weder dem Adel noch der Geistlichkeit angehörten und als Gruppe, Träger des Wandels waren, indem sie Ämter in den Gemeinden übernahmen. Blickle versucht mit dem kommunalistischen Erklärungsmodell die Geschichte des gesellschaftlichen Wandels von unten zu erzählen, indem die Gemeinden und ihre Träger als Kräfte der Transformation beschrieben werden, deren Interesse das Gemeinwohl war. „2. An der Herausarbeitung des Gemeinen Nutzen sind hingegen Kommunen ganz wesentlich beteiligt, und zwar auf zweifache Weise. Wo gesellschaftliche Gruppen sich kommunal verfestigen, tritt je nach Autonomiegrad neben oder an die Stelle des Stiftnutzens, Gotteshausnutzes oder allgemein gesprochen des Herrennutzes der Gemeinnutz. Die dem Lehnsrecht verpflichtete Formel des Herren Nutzen zu fördern und seinen Schaden zu wenden wird kommunal uminterpretiert. Wie die Holden dem Herrn, so werden die Genossen auf die Gemeinde verpflichtet. Im Bürgereid drückt sich das am klarsten aus, doch auch die Eide kommunaler Amtsträger bezeugen das. Die sich ständig ausweitende kommunale Satzungstätigkeit wird mit dem Gemeinen Nutzen begründet, und sie kann sich je nach Zuständigkeit des gemeindlichen Verbandes unterschiedlich weit erstrecken: auf Weidgang und Holznutzung bei einer bäuerlichen Nachbarschaft, auf Straßen, Brücken, Münzen, Gewerbe und Handel in einer Stadt. Entscheidend ist wohl, das Statutarrecht und Gesetz generell durch den Gemeinen Nutzen ihre offenbare Dignität erhalten, wie das ältere Recht durch seine göttliche Stif68 tung.“

67 Vgl. dazu: Blickle, Kommunalismus, 2000, S. 69. 68 Vgl. dazu: Ebda., S. 103.

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Unter diesen Voraussetzungen bildet sich, nach Blickles Konzept, der Kommunalismus als beherrschende Ordnungsstruktur in einem Territorium heraus. Für das städtische Gemeinwesen bedeutete der Aufstieg Konkurrenz und Aushandlungsprozesse zwischen bestehenden Eliten und aufstrebenden Stadtbürgern; sowohl auf wirtschaftlicher als auch auf politischer Ebene. Blickle sieht den Kommunalismus als den Beginn einer Abfolge. Der Kommunalismus ist die Voraussetzung für den Parlamentarismus, aus dem sich der Republikanismus entwickelte.69 Niederländische Städte bezieht Blickle bei seiner Betrachtung des Heiligen Römischen Reichs nicht ein, obwohl auch die Provinzen der Union de facto bis 1648 Teil des Burgundischen Reichskreises und damit des Reichs waren. Das Konzept Blickles gilt der vorliegenden Untersuchung als Anregung der für die Erkundung der spezifisch niederländischen Staats-Formierung. Insbesondere an Amsterdam soll der Kommunalismus als Basis für die niederländische Staats-Formierung in der Statthalterlosen Epochen betrachtet werden. Die vorhergehende Epoche war von einer Mischform geprägt, in der die Herrschaften Einfluss auf die städtischen Gemeinden in Vereinigten Niederlanden durch die Autorität und Macht des Statthalters besaßen. Erst in der Statthalterlosen Epoche kam der Kommunalismus in den Vereinigten Niederlanden vollends zur Wirkmacht als Voraussetzung für die Formierung von Staatlichkeit. Charles Tillys Konzept der city-states lässt sich als Weiterführung des Erklärungsmodells des Kommunalismus interpretieren. Im Anschluss an Blickle und Tilly werden die städtischen Gemeinden als Ausgangspunkte für die Untersuchung der Handelsnetzwerke betrachtet, um ihre Bedeutung als globale Portale im Transformationsprozess der De- und Reterritorialisierung zu beurteilen. Tillys Definition erwähnt, neben dem Wandel der Loyalitätsbeziehungen von der personengebunden zur territorial-gebundenen Loyalität, die wirtschaftliche Veränderung, die Effekt und Antrieb für die Transformation politischer Strukturen war. Zudem spiegelt der Zusammenhang zwischen Ökonomie und politischer Herrschaft die Notwendigkeit wider, beide Bereiche als zwei Seiten der gleichen Medaille zu sehen. Herrschaft und Ökonomie lassen sich in der Frühen Neuzeit nicht voneinander trennen, sondern sind auf das Engste miteinander verwoben.70 Die Definition des Staats-Begriffs bei Tilly bietet Ansätze, die ökonomischen Fakto-

69 Siehe dazu: Blickle, Peter: Kommunalismus – Parlamentarismus – Republikanismus, in: HZ Bd. 242, Heft 3, 1986, S. 529–556; vgl. dazu weiter: „Kommunalismus wäre demnach eine regional verbreitete Formation der willentlich geschaffenen lokalräumlichen Organisation des Alltags durch das periodische Zusammentreten der haushäblichen Gemeindebürger und deren Recht, die lokalen Normen zu definieren und ihr Durchführung der ehrenamtlichen Wahrnehmung durch Repräsentanten zu übertragen. Die Organisation des Alltags richtet sich vorrangig auf zwei Ziele, die Schaffung und Sicherung von Frieden und Gemeinem Nutzen. Der moderne Staat, dessen Vorform in Gestalt von Königreichen und Fürstentümern die Gemeinde durchaus duldete, gewinnt und zieht folglich zwei seiner definitorischen und legitimatorischen Zwecke als Zuschreibungen aus dem Kommunalismus.“, in: Blickle, Peter: Kommunalismus, Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform, Band 2: Europa, München: Oldenbourg, 2000, S. 374. 70 Vgl. dazu: Lindemann, The Merchant Republics, S. 210.

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ren für die Staats-Formierung zu betonen, im Gegensatz zu anderen Definitionen, die sich auf die Beschreibung von administrativen Strukturen der Herrschaft konzentrieren. Der Anschluss an Tillys ökonomisch-politische Definition bietet die Grundlage für die Untersuchung der Transformation der politischen Strukturen in den Vereinigten Niederlanden. Andererseits beantwortet Tilly in Bezug auf die VOC indirekt die Frage, ob die VOC bei ihrer Gründung als Staat einzustufen sei. Charles S. Boxer hatte in The Dutch Seaborne Empire die VOC als Staat im Staat bezeichnet. Der Kategorisierung der VOC als Staat widerspricht Tillys Definition. Handelsunternehmen werden nicht als Staaten per se betrachtet, da sie keine Regierungstätigkeit ausüben. Tilly lässt aber die Möglichkeit offen, Unternehmen als Teil von Staaten betrachten zu können oder gar als Staat, wenn Handelsunternehmen beginnen, Herrschaft auszuüben. Daraus ergibt sich die Frage, ob die VOC durch den Wandel zur politischen Akteurin im Verlauf des 17. Jahrhunderts zur eigenständigen politischen Entität avancierte oder die VOC nur als Vertreterin der Vereinigten Niederlanden bezeichnet werden kann. Die bereits erwähnte Unbestimmtheit der Definition des Staats-Begriffs zwingt Tilly, die Attribute jedes Beispiels, das er der Untersuchung unterzieht, konkreter zu bestimmen, um seinen Aussagen Konsistenz zu verleihen. Die Republik wird als Föderation von weitgehend autonomen Stadt-Staaten beschrieben, die wiederum durch ständige Verhandlung untereinander Staats-Politik auf der Ebene der Föderation betreiben.71 Wenn man Tillys Argumentation folgt, ergibt sich eine Verschachtelung von Stadt-Staaten in einer Föderation, die als Republik oder Staat bezeichnet wird. Die Frage, die sich also stellt, ist die nach der spezifischen Gestalt, der als Staat bezeichneten Föderation von Städten in den Vereinigten Niederlanden. Um diese Frage zu beantworten, bedarf es eines neuen Erklärungsmodells. Zum Verständnis der spezifischen politischen Ordnung der Union ist dahingehend eine kurze Darstellung des Herrschaftsgefüges der Vereinigten Niederlanden notwendig. Sieben Provinzen schlossen sich nach 1579 in der Utrechter Union zusammen und erklärten 1581 Philipp II. als Landesherrn der Habsburgischen Niederlanden in ihren Territorien für abgesetzt und kämpften bis 1648 um ihre Unabhängigkeit

71 Zwar taucht der Begriff Republik im 17. Jahrhundert in den niederländischen Quellen auf, doch impliziert die Verwendung keinen Rückschluss auf die Form der politischen Herrschaft, wie es für Tillys Kategorisierung möglich wäre. Tilly nutzt den Begriff zur Bezeichnung der Vereinigten Niederlanden, ohne eine Definition für die Kategorie anzuführen. In den niederländischen Quellen des 17. Jahrhunderts gibt der Begriff Republik die Verpflichtung einer, als solchen bezeichneten, politischen Entität zur Politik im Interesse des gemeinen Wohls, des bonum commune, zum Nutzen der von ihr beherrschten Gemeinschaft zu handeln, wieder und muss klar von einem politikwissenschaftlichen Republik-Verständnis getrennt werden, das den Begriff zur Bezeichnung der staatlichen Verfassung verwendet. Die darin übliche Trennung von Republik und Monarchie existierte im frühneuzeitlichen Verständnis nicht. Der republikanische Staat war ebenso möglich wie die republikanische Monarchie. Vgl. dazu u.a. die zeitgenössische Beschreibung Pieter de la Courts: Court, Interest van Holland ofte gronden van Hollands-welvaeren, S. 2v–3r.

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von Spanien. Mit der Oberhoheit Philipps II. verschwand der administrative Apparat in den Provinzen jedoch nicht vollkommen. Die Staten-Generaal, den Raad van State und die Statthalter in den einzelnen Provinzen gab es schon zur Zeit der Habsburger und sie existierten weiter.72 Diese Institutionen oder Körperschaften trugen nach der Lossagung von Philipp II. die Oberhoheit für die Belange der Union und teilweise der Provinzen.73 Ihre Kompetenzen waren allerdings gering. Die Staten–Generaal, ein ständisches Gremium bestehend aus Delegierten der Ritterschaft, der Provinzen und der Städte unter Vorsitz des Ratspensionärs der Provinz Holland, trugen die Verantwortung für die Verteidigung der Provinzen. Darin eingeschlossen war die Einziehung von Steuern zur Finanzierung militärischer Operationen, die Koordination der Verteidigung, die diplomatische Vertretung der Union sowie die Oberaufsicht über das provinziell geregelte Münzwesen und die Verwaltung, der im Laufe des Unabhängigkeitskriegs besetzten Generalitätslande.74 Der Raad van State verlor nach der Unabhängigkeitserklärung die politische Bedeutung, die er unter Philipp II. besessen hatte, als er das entscheidende politische Gremium war, das die Politik der gesamten Niederlanden nach Maßgabe der Interessen Philipps II. formte. Der Statthalter wurde von den Provinzen selbst berufen. Traditionell beriefen die wichtigsten Provinzen Holland und Seeland einen Vertreter der OranierDynastie zum Statthalter, der im Namen der Staten-Generaal die Armee und die Flotte als Oberkommandeur befehligte, sowie Mitbestimmungsrecht in der Besetzung von Ämtern besaß. Kurzum, der Statthalter in Person der Oranier galt als monarchisches Element der Herrschaftsordnung in den sich konstituierenden Vereinigten Niederlanden, das nicht nur eine innenpolitisch einende Funktion besaß, sondern die Union auch nach außen hin im europäischen Machtgefüge legitimierte. Alle Statthalter galten während des Achtzigjährigen Kriegs gegen Spanien als Identifikationsfiguren, mit deren Hilfe es gelang, die Kräfte der nach Unabhängigkeit strebenden Provinzen zu vereinen.75 Der Raad van State stellte prinzipiell die Exekutive in der Union dar. Er bestand aus den Statthaltern der Provinzen und weiteren Provinzvertretern. Ernannt wurden die Beamten dieses Gremiums durch die Staten-Generaal. Der Rechtsgelehrte (Ratspensionär) der Provinz Holland bekleidete gleichzeitig den Posten des

72 In der Untersuchung wird der Begriff „Generalstände“ als deutsche Übersetzung der StatenGeneraal verwendet, nicht der Begriff „Generalstaaten“. Auch der Raad van State wird nicht als Staatsrat, sondern als „Rat des Standes“ übersetzt. Zu den Generalitätslanden siehe u. a.: Christ, M. P.: De Brabantsche Saecke, Het vergeefse streven naar een gewestelijke status voor Staats-Brabant, 1585–1675, Tilburg: Stichting Zuidelijk Historisch Contact, 1984. 73 Siehe zum Wandel von politischen Institutionen: Göhler, Gerhard; Lenk, Kurt; Münkler, Herfried; Walther, Manfred (Hg.): Politische Institutionen im gesellschaftlichen Umbruch, Ideengeschichtliche Beiträge zur Theorie politischer Institutionen, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1990; Göhler, Gerhard (Hg.): Institutionenwandel, Opladen: Westd. Verlag, Leviathan Sonderheft 16/1996, 1997. 74 Siehe dazu: Unionsakte von Utrecht, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland,. S. 120–125. 75 Vgl. dazu: Mörke, ,Stadtholderʻ oder ,Staetholderʻ?, S. 37.

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Geschäftsführers der Provinzialstände und besaß maßgeblichen Einfluss auf die Ausrichtung der Unionspolitik. Schematisch ist dies der administrative Aufbau der Union, die eine schwache, fast handlungsunfähige Exekutive besaß und in all ihren Gremien von den Interessen der Provinzen und Städte bestimmt war, die oft im Widerstreit mit dem Statthalter standen. Die Bezeichnung der niederländischen Föderation von StadtStaaten als Staat durch Tilly würde innerhalb seiner eigenen Theorie nur widerspruchslos funktionieren, wenn die Regierung der Union gegenüber den StadtStaaten adäquate Zwangsmittel besessen hätten. Zahlreiche Untersuchungen haben jedoch den Beweis geführt, dass die Staten-Generaal auf die Zahlungen der Städte und Provinzen angewiesen waren und nur geringe Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Entscheidungen der Städte und Provinzen besaßen, da alle Abgeordneten in den Staten-Generaal nur imperative Mandate besaßen.76 Grundsätzlich kann es auch nicht das Anliegen der Generalstände gewesen sein, gegenüber den Provinzen und Städten Zwang auszuüben, weil die Delegierten im Namen ihrer Provinzen und Städte sprachen und daher gegen deren Kompetenzeinschränkung eintraten. Wichtige Beschlüsse der Generalstände mussten einstimmig gefasst werden, was die Handlungsfähigkeit der Institution einschränkte. Die Loyalität der Delegierten lag eindeutig bei den Provinzen und Städten, weil dort ihr eigener Besitz, ihre Geschäftsinteressen und die Grundlagen ihrer politischen Macht verortet waren. Versuche, die Städte und Provinzen mit militärischen Mitteln zu Handlungen zu zwingen, wurden im 17. Jahrhundert von den Statthaltern initiiert, die ihre politische Position gegenüber den Städten und Provinzen stärken wollten und sich auf eine sympathisierende Fraktion unter den Delegierten stützen konnten, wie es 1618 unter Moritz und 1650 unter Wilhelm II. geschah. Wenn eine Schwächung der Städte vorangetrieben wurde, dann durch die Statthalter, die zugunsten ihrer eigenen Machterweiterung agierten. Demzufolge ist die Charakterisierung der Föderation als Staat nach Tillys eigener Definition nur bedingt nachvollziehbar. Weder finanzielle noch militärische Mittel konnte die Union ohne Zustimmung der Provinzen und Städte zwingend einsetzen. Die Bedingungen des Unabhängigkeitskriegs, die dazu führten, dass keine Provinz allein fähig gewesen wäre, einen Krieg gegen Spanien zu führen, sicherten den Zusammenhalt der Föderation. Die Oberhoheit der Unionsregierung über das Territorium der Vereinigten Niederlanden und andere politische Akteure blieb eine theoretische Konzeption der Utrechter Unionsakte, die bereits einem oberflächlichen Abgleich mit der Realität nicht standhält. Abzusehen ist dabei von den Generalitätslanden ab, die während des Unabhängigkeitskriegs in den südlichen Niederlanden besetzt wurden. Die Generalitätslande wurden keiner bestehenden Provinz der Vereinigten Niederlanden zugeteilt, sondern von den Generalständen verwaltet. Wenn der Blick auf die Bezeichnung der Städte als Staaten fällt, lassen sich hingegen Tillys Attribute, die einen Staat definieren, nachzeichnen. Über die Art 76 Siehe dazu u. a.: Lademacher, Geschichte der Niederlande; Liesker/Fritschy, Gewestelijke financiën, Holland; Vries/Woude, The first modern economy.

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der Herrschaftsausübungen in einem Staat trifft Tillys Definition hingegen keine allgemeine Aussage. Das würde der Kategorie die Anwendbarkeit auf die Breite der Untersuchgegenstände versagen, die Tilly im Fokus hat. Eine StaatsFormierung auf der Basis der Tilly’schen Definition des Staats-Begriffs in den Vereinigten Niederlanden zu beschreiben, ist ebenso möglich, wie Tillys Ansätze zur Beschreibung der Gründe für den institutionellen Aufbau von politischer Macht genutzt werden können. Tilly konzentriert sich auf die verschiedenen Arten des Zwangs, die zur Herausbildung unterschiedlicher Formen von Staatlichkeit führen. Dadurch gewinnt Tilly einen Einblick in die Facetten der Machtakkumulation, die nicht unbedingt von einem absoluten Monarchen vorangetrieben werden muss. Die Antwort auf die Frage nach dem Nutzen der Kategoriebildung Tillys für das Folgende liegt im Anschluss an seine Beschreibung der kapitalintensiven Zwangsform der Staatsbildung und die Herausfilterung bestimmter Attribute, um darauf aufbauend die Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien der Niederländer zu untersuchen, die gleichzeitig Blickles Konzept des Kommunalismus mitdenken. Das Territorium, das der Tilly’sche Staat beherrscht, ist eines der Attribute, das bedeutend für die Charakterisierung von Oberhoheit und Herrschaft ist, jedoch in den Vereinigten Niederlanden während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts keine eindeutige Begrenzung besaß, da im Verlauf des Unabhängigkeitskriegs eine ständige Veränderung der territorialen Einzugsbereiche der Vereinigten Niederlanden stattfand. Eine weitere Problematik in Tillys Definition der Zwang ausübenden Gewalt liegt in deren, in gewisser Hinsicht bestehendem Vorrang vor anderen Organisationen im betrachteten Territorium.77 Ob die Oberhoheit an sich ein Attribut ist, das die Charakterisierung der Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden der Frühen Neuzeit beinhalten sollte oder ob die Existenz gleichrangiger politischer Körperschaften die politische Kultur in den Provinzen prägte, wird die Untersuchung zeigen. An bisher Beschriebenem zeigt sich die Verzahnung der zahlreichen Ebenen, auf denen politische Entscheidungen in den Vereinigten Niederlanden getroffen wurden, was einen Anschluss an Saskia Sassens Analysekomponente Autorität nahe legt, die für die Institutionen in den Vereinigten Niederlanden als Begründung der Macht von politischen Körperschaften im Gegensatz zum Konzept der Souveränität gilt.78 Insgesamt gesehen ist Tillys Deutung der Entstehung von Staatlichkeit ein gewinnbringender Ansatz für die folgenden Überlegungen, weil er den Fokus auf die Bedeutung der Akquirierung von Kapital für den Aufbau von politischer Macht betont, der wiederum in der Spezialisierung des Beamtenapparats und der 77 Die Hervorhebungen sind die Übersetzungen von Tillys Definition von Staatlichkeit. Siehe dazu: Tilly, Coercion, Capital and European States, S. 1. 78 Siehe dazu: Sassen, Saskia: Das Paradox des Nationalen, Territorium, Autorität und Rechte im globalen Zeitalter, Frankfurt a. Main: Suhrkamp Verlag, 2008, S. 22f. Das Konzept der Souveränität hat in den Vereinigten Niederlanden in Bezug auf die einzelnen Körperschaften Bedeutung. Innenpolitisch betrachteten sich die Provinzen ebenso als souverän wie die Städte. Durch die Überlagerung der Ansprüche ist auch nach dem Frieden von Münster kein eindeutiger, die Union übergreifender Souverän erkennbar.

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Stärkung des Militärs mündet, die in der Lage sind, die Macht einer Korporation in einem Territorium zu konsolidieren. Dieser Aspekt ermöglicht die Anschlussfähigkeit des Forschungsvorhabens an das Konzept, Krieg und dessen Vorbereitung und Führung als Aspekte der niederländischen Staats-Formierung betrachten zu können.79 Der Unabhängigkeitskrieg der Utrechter Union gegen Spanien ebenso wie die Auseinandersetzungen der VOC mit den spanischen Interessen in Asien sowie zahlreiche andere Konflikte der Niederländer im 17. Jahrhundert können auf ihre Bedeutung für die Transformation der politischen Ordnung hin untersucht werden. Grundsätzlich ist es eine Frage der Gewichtung. Die Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden wird als Konsequenz der globalen ökonomischen Interessen angesehen, wobei die Betonung weniger auf der Struktur der Herrschaft liegt als auf den Strategien, die eingesetzt wurden, um den selbst gesetzten Anforderungen gerecht zu werden. Krieg wird vordergründig als Element zur Durchsetzung der Verräumlichungs- und Herrschaftsstrategie interpretiert, weniger unter dem Aspekt der Zentralisierung, obwohl die oranische Heeresreform als Sozialdisziplinierung betrachtet werden kann, die nach dem Ende des Unabhängigkeitskriegs jedoch durch die Minimierung des Heeres an Bedeutung verlor.80 Im Speziellen geht die Analyse Tillys nicht weit genug, um die Besonderheiten der Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden hinreichend erklären zu können. Die Beziehungen zwischen den drei Ebenen Städte, Provinzen und Union sind von den Akteuren bestimmt, die auf diesen drei Ebenen ihre Interessen vertreten, aber auch in Handelsunternehmen investieren und Positionen in städtischen Finanzinstituten, wie der Amsterdamse Wisselbank, bekleideten. Die Verflechtungen, Loyalitäten, Hierarchien und Herrschaftsverhältnisse waren in den Vereinigten Niederlanden weitaus komplizierter als Tillys schematische Darstellungen es, auch mithilfe näherer Ausdifferenzierung, beschreiben können, weil Tillys Hauptaugenmerk nicht auf den Akteuren, sondern auf dem Prozess der Zentralisierung von Machtmitteln liegt. Die Vernetzung von Personen und Institutionen auf der Basis von familiären oder persönlichen Verbindungen bedingt die Machtakkumulation in den niederländischen Städten.81 Dadurch ergeben sich Konsequenzen für den Souveränitätsbegriff. Souveränität als Faktum der Machtsicherung von politischen Institutionen nach innen wird durch Vertrauen zwischen

79 Siehe zu den Konzepten u. a.: Blockmans, Empowering Interactions; Burkhardt, Johannes: Die Friedlosigkeit der frühen Neuzeit: Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift für historische Forschung, 24(1997)4, S. 509–574; ders.: Der Dreißigjährige Krieg als frühmoderner Staatsbildungskrieg, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994), S. 487–499; Contamine, Philippe (Hg.): War and Competition between States, Oxford/New York: Oxford University Press / Claredon Press, 2000; Glete, War and State; Schorn-Schütte, Luise: Konfessionskriege und europäische Expansion Europa 1500–1648, München: Beck, 2010. 80 Siehe dazu: ’t Hart, The Dutch Wars, S. 37–101. 81 Zu den Familiennetzwerken siehe u. a.: Lademacher, Phönix aus der Asche?, S. 222–241; ’t Hart, Marjolein: Corporate Governance: The Bank of Amsterdams commissioners: a strong network, in: Nieuwkerk, Marius van; Kroeze, Cherlet: De Wisselbank, Van stadsbank tot bank von wereld, Arnhem: Sonsbeek, 2009, S. 144–155.

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den Akteuren ersetzt, die wiederum durch die Autorität der Akteure gesichert wird.

Wolfgang Reinhard und die deutsche Debatte zur Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit Verglichen mit der Definition des Staats, die Reinhard und Burkhardt in ihren Publikationen zur Frage der Staatsbildungsprozesse anführen, lassen sich sowohl Ähnlichkeiten, als auch Unterschiede zu Tillys Kategorisierung feststellen. Der gravierendste Unterschied wird beim Vergleich von Tilly und Reinhard deutlich. Tilly entwickelt ein Modell von Staatlichkeit, das für die Inklusion verschiedener Formen von Herrschaft offener ist als Reinhards Modell, der spezifischer definiert, was als moderner oder frühneuzeitlicher Staat beschrieben werden kann. Grundsätzlich wird in beiden Ansätzen auf verschiedenen Wegen der Versuch angestellt, die Geschichte des Staats als linearen europäischen Prozess zu zeichnen und die Betrachtung an einem Idealtyp zu orientieren. Staatlichkeit in der Frühe Neuzeit ist in der Interpretation Reinhards Teil einer teleologischen Geschichte des modernen Staats, die auf das 19. Jahrhundert zuläuft. „[I]n der Frühen Neuzeit lassen sich klare Tendenzen der Modernisierung erkennen, auch wenn die Genese des modernen Staates, wie wir ihn im 19. Jahrhundert vorfinden, vielleicht nicht völlig geradlinig war. Ziel politischen Handelns war die Rationalisierung und Institutionalisierung von Herrschaft […]. Der teleologische Charakter dieser Perspektive‘ sei, so Wolfgang Reinhard 2005, ,unvermeidlich und historisch legitim, weil bereits die Frage nach ,Staatsbildungʻ teleologisch ist, mögen wir auch selbstverständlich als korrekte Historiker die vorübergehenden Alternativen in den Blick nehmen (…)‘ […]. Im Methodenstreit innerhalb der Kontroverse um Staatsbildung und Absolutismus bezieht Reinhard entsprechend konsequent Stellung. ,Postmodern formuliert heißt das, es ist nicht zu erkennen, wie aus dem mikrohistorischen Chaos der vielen kleinen Erzählungen die makrohistorische Großerzählung 82 von der Entstehung des modernen Staates werden soll (…)‘[…].“

Wenn die Prozesshaftigkeit der Staatsbildung inhärent ist, führt die Erzählung zwangsläufig in eine Teleologie, in der es nicht angelegt ist, von dem Prozess abweichende Beispiele zu integrieren oder detaillierte, territorial spezifische Studien anzustellen, die nicht in die Meistererzählung moderner Staatlichkeit integriert werden können. Wenn der moderne Staat im Zentrum der Betrachtungen steht, bleibt zudem die Frage, welche Bedeutung das Wort modern in einem solchen Konzept haben wird. Umschreibt es den Staat als fortschrittlich, weil er bereits Elemente kommender Epochen besitzt oder bleibt es ein Begriff, der die Struktur des Staats im Sinne einer zeitgenössischen Fortschrittlichkeit in Relation zu anderen politischen Strukturen seiner Epoche beschreibt?83 Mit dieser Frage entscheidet sich auch, aus welcher Perspektive die Geschichte des Staats geschrieben wird. Die Ausrichtung der Untersuchung auf den Ursprung der Elemente des mo-

82 Vgl. dazu: Freist, Absolutismus, S. 5. 83 Vgl. dazu: Blänkner, „Absolutismus“ und „frühmoderner Staat“, S. 48–74, darin: S. 48.

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dernen Staats, wie er sich im 19. Jahrhundert etabliert, ist das legitime Ziel einer teleologischen Geschichtsschreibung, die jedoch der Vielfalt der politischen Ordnungen in der Frühen Neuzeit nicht gerecht werden kann. „Die zweite Grundannahme geht davon aus, dass Herrschaft und die Entstehung des Staates in der Frühen Neuzeit rückwirkend als eine Epoche der Modernisierung zu interpretieren, den Blick verstellt auf die Eigenheiten dieser Epoche und dazu verleitet, frühneuzeitliche Herrschaftsformen nur als Teil eines zielgerichteten politischen Prozesses, der auf den modernen Staat hinführt, zu beschreiben. Die logische Konsequenz einer solchen Perspektive ist die anachronistische Beschreibung des frühneuzeitlichen Staates als ,defizitär‘, weil er am Staat 84 des 19. Und 20. Jahrhunderts gemessen wird […].“

In Freists Darstellung kulminieren die bisherigen Ausführungen zur Problematik der Staatsbildungstheorien und deren Anwendbarkeit auf die Frühe Neuzeit. Der Ausschluss der Vereinigten Niederlanden aus dem Prozess der Staatsbildung bei Wolfgang Reinhard ist der Konzeption seines Forschungsansatzes geschuldet. Die Elemente seiner Konzeption basieren auf der deutschsprachigen Forschungsdebatte über die Kategorie Staat. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts wird der Begriff um das Attribut modern ergänzt, was in der Interpretation Stephan Skalweits, durch die Erschütterung der bis zur Französischen Revolution bestehenden Ordnung hervorgerufen wird. Erst die Erfahrungen mit Revolution und Umbruch in einem der politisch und wirtschaftlich bedeutendsten Territorien Europas brachten die Erkenntnis, dass die politische Ordnung veränderbar ist. Für das Verständnis der Kategorie Staat, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts als statische Kategorie zur Bezeichnung politischer Ordnungen genutzt wurde, bedeutete dieser Umbruch die Historisierung der Kategorie, aber auch eine Neuinterpretation des Attributs modern. Hegel hatte den Begriff modern noch auf die ständische Repräsentation bezogen. Für Hegel war das Ständewesen eine kontinuierliche Repräsentation, die aus dem Lehnswesen hervorging und lange vor der Französischen Revolution die modernen Staaten prägte. Den Aufstieg des Bürgertums interpretierte er als Entwicklungsstufe innerhalb eines ständischen Repräsentationssystems. Moderne Staaten, auch wenn sie nur im Plural auftraten, bleibt bei Hegel ein Terminus der auf alle politischen Ordnungen seit dem Mittelalter Anwendung fand.85 Von Hegel in der Pluralform verwendet, spiegelte der Begriff moderner Staat in der Singularform die Hoffnungen des deutschen Frühkonstitutionalismus im Deutschen Bund zwischen 1830 und 1840 auf einen Staat wider, den Einfluss des Volks auf die Politik, beruhend auf einer Verfassung und der Wahl von Volksvertretern, zu verwirklichen. Zur Bezeichnung der neu entstehenden Verfassungsstaaten des 19. Jahrhunderts fand die Kategorie moderner Staat Verwendung, deren Entwicklung 84 Vgl. dazu: Freist, Absolutismus, S. 5; siehe zu Wolfgang Reinhards Ausführungen: Reinhard, Wolfgang: Zusammenfassung: Staatsbildung durch ,Aushandeln‘?, in: Asch, Ronald; Freist, Dagmar: Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2005, S. 429–438. 85 Vgl. dazu: Skalweit, Der Beginn der Neuzeit, S. 136ff; zur ständischen Repräsentation siehe u. a.: Bosl, Karl; Möckl, Karl: Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, Berlin: Duncker & Humblot, 1977.

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einen vernünftigen, rationellen Weg einschlug. Dieser Hoffnung begegneten die konservativen Kreise mit der Befürchtung, dieser moderne Staat könnte die Grundfesten der monarchischen Staatsordnung erschüttern. Die Konsequenz war, dass sich sowohl im liberalen als auch im konservativen Lager die Verwendung der Kategorie moderner Staat durchsetzte. Zwar sind die Beweggründe verschieden, denn das konservative Lager übte sich im Gegensatz zu den Liberalen in der Ablehnung des modernen Staats, doch setzte sich der Begriff insoweit durch, dass er von der Staatslehre und der Staatswissenschaft aufgegriffen wurde. Robert von Mohl, Johann Kaspar Bluntschli und Georg Jellinek entwickelten ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in ihren Überlegungen zum Staat in verschiedenen Ausprägungen einen Idealtyp des modernen Staats und trugen sowohl zur Präzisierung als auch zur Differenzierung des Begriffs bei. Entscheidendes Merkmal war das konstitutive Element, das einerseits die absolute Monarchie beschränkte, andererseits einen Vorgeschmack auf kommende Repräsentativsysteme bot, die es Teilen des Volks ermöglichen sollte, eine Vertretung unabhängig vom Ständewesen zu wählen, die Einfluss auf die Politik des modernen Staats haben würde.86 Nun zeigt schon dieser kurze Abriss, welche verschiedenen Ordnungsstrukturen als modern bezeichnet werden. Auch in der Geschichtswissenschaft zeigt sich diese disparate Verwendung, die zwischen zeitgemäß-gegenwärtig und fortschrittlich schwankt.87 Eingang in die deutsche Geschichtswissenschaft fand die Kategorie moderner Staat durch Jacob Burckhardt. Für Burckhardt war Florenz der „erst[e] moderne[…] Staat[…] der Welt.“88 Allerdings erwog Burckhardt, nach den rasanten Umwälzungen des 19. Jahrhunderts zwischen dem modernen Staat und dem neuen Staat zu unterscheiden, da sich das Wesen des Staats in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eklatant davon unterschied, was bis dahin als modern bezeichnet, jedoch auf alle Formen des neuzeitlichen Staats angewendet wurde. Der Begriff modern war nicht mehr ausreichend, um die Unterschiedenheit des Staats im 19. Jahrhundert von den politischen Entitäten vorangegangener Epochen zu charakterisieren. Das Wort modern verlor den Bezug zum Gegenwärtigen. Von Burckhardts Überlegungen einmal abgesehen, setzte sich die Bezeichnung moderner Staat zur Kategorisierung der Nationalstaaten durch und wurde anerkannter Terminus der Geschichtswissenschaft, die dem Begriff bald klare Attribute zuordnete: monistische Souveränität, rationale Verwaltung, Berufsbeamtentum. Max Weber führte diese Merkmale in seiner Herrschafts- und Staatssoziologie als Idealtyp moderner Staatlichkeit europäischer Prägung aus, der sich von politischen Ordnungen anderer Kulturen und Weltregionen unterschied.89

86 Siehe dazu: Mohl, Robert von: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, 3 Bände, Tübingen; Laupp, 1860–62; Bluntschli, Johann Kaspar: Lehre vom modernen Stat, 3 Bände, Stuttgart: Cotta, 1875–76; Jellinek, Allgemeine Staatslehre. 87 Siehe dazu: Skalweit, Der Beginn der Neuzeit, S. 123–155. 88 Vgl. dazu: Ebda., S. 143. 89 Siehe dazu: Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 122–175.

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Durch eine Differenzierung mithilfe adjektivischer Ergänzungen gelang Weber die Anwendung seines Idealtyps auf die verschiedenen Epochen europäischer Geschichte, wodurch eine stringente Erzählung der Entwicklung moderner Staatlichkeit in der Geschichtswissenschaft ermöglicht wurde. Allerdings erschütterte der Erste Weltkrieg die Vorstellungen einer einheitlichen Entwicklung moderner Staatlichkeit auf den bisher bekannten Grundlagen. Der größte Gegensatz bestand zwischen der konstitutionellen Monarchie und der aufkommenden parlamentarischen Demokratie. Die intellektuelle Krise der Zwischenkriegszeit zeigt sich auch in der historischen Beschäftigung mit moderner Staatlichkeit. Otto Hintzes Überlegungen zu Wesen und Wandlung des modernen Staates zeigen den Versuch einer Schematisierung der Geschichte moderner Staatlichkeit. Indem Hintze epochale Zäsuren wie 1650 setzte, betrachtete er moderne Staatlichkeit in vier Modifikationen.90 Dabei überlagerten sich die nacheinander auftretenden Phasen oder verschmolzen miteinander. Ohne die Phasen an dieser Stelle zu nennen: In der Zwischenkriegsepoche sah Hintze einen Bruch mit der bisherigen Entwicklungslinie moderner Staatlichkeit, die infolge der Versailler Friedensordnung das europäische Gleichgewicht zugunsten der Sieger verschob, den Verlierern einen Platz am Rand des europäischen Machtgefüges zuwies und innerhalb der Staaten zur Diversifizierung der Parteienlandschaft führte. Parteien vertraten nicht mehr nur den Nationalstaatsgedanken in verschiedenen Modifikationen, sondern orientierten sich auch an sozialen Standpunkten. Im Angesicht dieser gravierenden Veränderungen sah Hintze die Notwendigkeit, den Begriff moderner Staat nur noch für die politische Struktur der Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs anzuwenden. Hintze schlug das Aufeinanderfolgen von feudalem, bürgerlich-nationalem und modernem Staat vor.91 Damit wurde der Begriff modern von seiner Allgemeingültigkeit erlöst und zur Bezeichnung einer gegenwärtigen politischen Struktur erhoben, die zum Zeitpunkt der intellektuellen Beschäftigung Hintzes mit dem Phänomen vorherrschte. Die Geschichte des modernen Staats zu erzählen, wurde durch das Aufeinanderfolgen verschieden gearteter Staatlichkeit von der Notwendigkeit befreit, eine einheitliche Erzählung über die Jahrhunderte hinweg zu werden, ohne die Evolution von Staatlichkeit und deren Prozesshaftigkeit zu negieren. Der moderne Nationalstaat, der Elemente anders gearteter Staatlichkeit enthielt, war der Endpunkt einer Entwicklung. Aus der Argumentation Hintzes entstand für die Historiographie der Ansatz zur Untersuchung der Ursprünge von Elementen der modernen Staatsgewalt oder des modernen Staats. Aus dieser Perspektive sind

90 Otto Hintze sieht vier Typen, die den modernen Staat charakterisieren: „1. der souveräne Machtstaat im Rahmen des europäischen Staatensystems, 2. der relativ geschlossene Handelsstaat mit bürgerlich-kapitalistischer Gesellschafts- und Wirtschaftsform, 3. der liberale Rechts- und Verfassungsstaat mit der Richtung auf die persönliche Freiheit des Individuums, 4. der alle Tendenzen umfassende und steigende Nationalstaat, mit der Richtung auf die Demokratie.“, in: Hintze, Otto: Wesen und Wandlung des modernen Staates, in: Ders.: Staat und Verfassung, Gesammelte Abhandlungen zur Allgemeinen Verfassungsgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1970, S. 470–496, darin: S. 476. 91 Vgl. dazu: Skalweit, Der Beginn der Neuzeit, S. 148.

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Elemente, die die Gestalt des modernen Nationalstaats nicht prägen, kein Teil der Untersuchung von Staatlichkeit.92 Reinhards Staats-Begriff reflektiert neben diesen theoretischen Ansätzen Hintzes die Drei-Elemente-Lehre Georg Jellineks sowie die soziologischen Untersuchungen Max Webers, deren Anliegen die Untersuchung der Ursprünge moderner Staatlichkeit war. Das entscheidende Merkmal in der Debatte zur Staatsbildung ist die souveräne Macht der abstrakten Staatsgewalt.93 Da für die Frühe Neuzeit weder von klar definierten Grenzen, noch von einem einheitlichen, dem Territorium ausschließlich verpflichteten Personenverband gesprochen werden kann, der zudem nur zu geringer Prozentzahl berechtigt war, am politischen Entscheidungsprozess teilzunehmen, bleiben die souveräne Staatsgewalt und die Zentralisierung der Administration die Elemente der Lehre, denen über die Jahrhunderte hinweg nachgegangen werden kann. Reinhard konkretisiert die Kategorie der souveränen Staatsgewalt. Nur aus absoluten Monarchien können sich moderne Staaten entwickeln, da sonst die zentralisierende Kraft fehlen würde. An dieser Definition wird der Unterschied zwischen den Konzepten, die sich hinter Tillys Begriff state und Reinhards Staat verbergen, offensichtlich. Für Tilly spielt die Art der Herrschaftsausübung keine bedeutende Rolle. Er beschreibt sie lediglich als Zwang ausübende Organisation, womit die Zahl der beschreibbaren politischen Entitäten zum Nachteil einer präzisen Definition gesteigert wird. Tillys Anliegen ist in der Beschreibung jeder politischen Ordnung als Staat verortet, die sich von Familien- und Stammesverbänden unterscheidet und damit den Übergang zur Territorialherrschaft kennzeichnet. Reinhard versucht genau diese Beliebigkeit zu umgehen, indem er elementare Parameter dafür festsetzt, welche politischen Ordnungen als Staat gelten, um die Wurzeln gegenwärtiger Staatsordnungen zu beschreiben und die Modernität der absoluten Monarchien zu unterstreichen. Die Widersprüche in der Beschreibung der Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts als Staat, deren Exklusion aus der Staatsbildungstheorie Reinhards und die Inklusion bei Tilly über den Umweg, die Städte als Stadt-Staaten nach antikem bzw. oberitalienischem Vorbild zu beschreiben, zeigen eine grundsätzliche Problematik der Modelle von Staatsbildung auf.94 Die Definition der Kategorie Staat bestimmt die Menge der Untersuchungsgegenstände. Charles Tilly verallgemeinert die Definition des Idealtyps Staat insoweit, dass es nicht nur möglich wird, die Vereinigten Niederlanden als federation of city-states zu beschreiben, sondern auch Empire als Staaten zu bezeichnen, da der Staat als Zwangsmittel innehabende Organisation definiert wird.95 Durch die Verallgemeinerung der De92 Demzufolge werden auch die Kategorien feudal oder bürgerlich-national in der Studie nicht aufgegriffen, um die Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden zu bezeichnen. 93 George Jellinek konkretisiert den Träger der souveränen Staatsgewalt nicht. In Jellineks Theorie bleibt der Träger der Staatsgewalt variabel. Vgl. dazu: Hintze, Wesen und Wandlung des modernen Staates, S. 479. 94 Siehe zu den oberitalienischen Stadtstaaten: Waley, Daniel: Die italienischen Stadtstaaten, München: Kindler, 1968. 95 Vgl. dazu: Tilly, Coercion, Capital and European States, S. 1.

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finitionen erhöht sich die Zahl der Untersuchungsgegenstände, wobei der heuristische Wert der Kategorie verloren geht. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich bei Tilly die Bindung der begrifflichen Definition von Staat an die territorialen Besonderheiten der Transformation und Entwicklung politischer Entitäten.96 Dadurch wird auch deutlich, dass die aus verschiedenen Wissenschaftstraditionen entstandenen Theoretisierungen von Staatlichkeit voneinander abweichen, da die Beschäftigung mit dem geschichtlichen Gewordensein politischer Strukturen in einer bestimmten Wissenschaftskultur die Voraussetzung für die Definition der Attribute ist. Andererseits ist die Kategorie ebenso stark von den theoretischen Ausgangspunkten bestimmt, die bei Tilly in der Sozialwissenschaft, bei Reinhard aber in der Geschichtswissenschaft verortet sind. Zwischen diesen zwei gegensätzlichen Polen, Staatlichkeit zu untersuchen, gibt es eine Vielzahl von Variationen, die sich jedoch alle auf die eine oder andere Weise, in die von Weber und Hintze beschriebenen Phasen oder in Tillys Konzept eingliedern lassen und die Spanne des Spektrum an Theorien darstellt, mit denen sich die Untersuchung auseinander setzen muss, um deren Nutzen für die Beschreibung der Transformation der politischen Ordnung in den Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert zu erfassen.97 Um die Abgrenzung gegen die Staatsbildungstheorien zusammenzufassen: Es werden keine vorhandenen Definitionen des Staats-Begriffs zur Beschreibung der Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden genutzt, sondern bestimmte Elemente der Definitionen herausgegriffen, um die Besonderheit der politischen Ordnung in den Vereinigten Niederlanden deuten zu können. Ein niederländischer Begriff Staat, der bisherigen Ansätzen diametral gegenüberstehen würde, wird nicht geliefert, da der niederländische Staats-Begriff Elemente bestehender Begriffsdefinitionen aufgreift und somit in etymologisch und semasiologisch eng mit vorhandenen Begriffen von Staatlichkeit korrespondiert. Einzig der methodische Ansatz, die niederländische Staatlichkeit zu einem konkreten Zeitpunkt zu analysieren und dafür ein eigenständiges Erklärungsmodell zu liefern, steht im Gegensatz zu bisherigen Untersuchungen. Die aufgezeigten Theorien sind somit nicht in Gänze abzulehnen. Sie gelten als Ausgangspunkte der Untersuchung. Gezeigt hat sich jedoch, dass die Theorien aus einem europäischen Kontext heraus entstanden sind und es durch die Konzeption des Begriffs Staat in der deutschsprachigen Debatte nicht ermöglichen, den Blick auf außereuropäische Einflüsse zu lenken, weil sie letztlich in der Teleologie verortet sind, die auf den Beschreibung des europäischen Nationalstaaten zu-

96 Vgl. dazu: Ertman, Birth of the Leviathan, S. 38ff. 97 Insbesondere sind dabei die Untersuchungen zum frühneuzeitliche Staat und dem Territorialstaat zu nennen. Das Konzept des Territorialstaats bedingt die Bindung der Loyalität an das Territorium. Siehe dazu: Blänkner, „Absolutismus“ und „frühmoderner Staat“; Press, Volker: Stadt- und Dorfgemeinden im territorialstaatlichen Gefüge des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, in: Blickle, Peter (Hg.): Landgemeinde und Stadtgemeinde in Mitteleuropa: Ein struktureller Vergleich, München: Oldenburg, 1991, S. 425–454.

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läuft und auch dessen Entstehung ausschließlich auf europäische Ursprünge zurückführt; sowohl semantisch als auch institutionell.98 Der Blick auf die existierende niederländische Forschung zur Staatlichkeit zeigt indes die enge Verknüpfung mit der deutschsprachigen Theoriedebatte. Lademacher erwähnt Johan Rudolf Thorbecke, der sich im 19. Jahrhundert als erstes systematisch mit der Staatsbildung in den Niederlanden beschäftigte. Thorbecke sieht, wie die Reinhard oder ’t Hart, erst mit der Gründung des Königreichs der Niederlande nach dem Wiener Kongress den Beginn von Staatlichkeit in den Niederlanden, wobei Thorbeckes Betrachtungen aus einer rechtsgeschichtlichen Perspektive erfolgen.99 Werke zur Geschichte der politischen Institutionen und ihrer Entstehung in den Niederlanden existierten indes schon im 17. Jahrhundert.100 Grundlegende Arbeiten zum Staats-Begriff in den Vereinigten Niederlanden während des 17. Jahrhunderts liegen bisher allerdings nicht vor.101

3. ALTERNATIVE THEORIEN DER STAATSBILDUNG Zusammengesetzter Staat oder dominium politicum et regale? Angesichts der aufgezeigten Interpretation der Transformation von politischen Strukturen in der Frühen Neuzeit stellt sich die Frage nach etwaigen Gegenentwürfen zur Beschreibung ausgeschlossener Territorien. Das grundsätzliche Problem der Gegenentwürfe ist die fehlende Abgrenzung zur Forschung der Staatsbildungsprozesse und der Versuch, die Integrationsfähigkeit des Ausgeschlossenen in bestehende Konzepte der Staatsbildung nachzuweisen. Die Debatte um die Beschreibbarkeit der Transformation in den Vereinigten Niederlanden gewinnt durch die Arbeiten der beiden Historiker Wim Blockmans und Helmut Georg Koenigsbergers an Differenziertheit, da beide durch die Verwendung der Bezeichnung der Provinzen als zusammengesetztem Staat oder mixed state auf die dreigliedrige Struktur hinweisen, die sich in Städte, Provinzen und Generalstaaten teilt, aber auch auf das Verhältnis zwischen den Generalstaaten als oberstem Regierungsorgan und dem Statthalter aus dem Geschlecht der 98 Siehe dazu u. a.: Duchhardt, Heinz; Kunz, Andreas (Hg.): „Europäische Geschichte“ als historiographisches Problem, Mainz: Zabern, 1997. 99 Siehe dazu u. a.: Thorbecke, Jan Rudolf; Kinker, Johannes: Bedenkingen aangaande het regt en den staat. Naar aanleiding van Mr. J. Kinker’s Brieven over het Natuurregt, Amsterdam: P. Meijer Warnars, 1825. 100 Siehe dazu in: Fruin, Robert; Colenbrander, H.T.: Geschiedenis der Staatsinstelling in Nederland tot den val der Republiek, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1901, S. 1f. Hervorzuheben ist dabei Johanes de Laets’ 1652 ins Niederländische übersetzte Werk Republycke der zeeven vreye Vereenigde Nederlande, Marcus Zuerius Boxhorns Politijck handboecken van de Staet van ʼt Nederlandt (1650) und Martinus Schoocks Belgium federatum sine distincta descriptio reipublicae federati Belgii (1652). 101 Ausgenommen davon ist Horst Lademachers Aufsatz zum niederländischen Staats-Begriff. Bezeichnenderweise stammt einer der wenigen Aufsätze zu den Begriffen Staat und Nation von einem deutschen Historiker. Siehe dazu: Lademacher, Staat.

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Oranier als adliger Legitimationsfigur der politischen Kultur.102 Das Verhältnis zwischen diesen beiden Akteuren ist entscheidender Faktor für das Verständnis der Rolle der Vereinigten Niederlanden im europäischen Machtgefüge. Durch das Geschlecht der Oranier, aus deren Reihen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Statthalter stammten, war eine Verortung und Legitimierung der nördlichen Niederlanden in Europa schon vor deren endgültigen Anerkennung infolge der im Westfälischen Frieden garantierten Unabhängigkeit in begrenztem Maße möglich. In der Semantik des zusammengesetzten Staats zeigt sich der Versuch des Anschlusses an das Konzept der Staatsbildung. Die Zusammensetzung und Aufteilung der Macht widerspricht jedoch der Definition des Staats als Voraussetzung für den Staatsbildungsprozess in der Interpretation Reinhards. Sinnvoll wäre die Verwendung der Kategorie zusammengesetzter Staat für die Vereinigten Niederlanden nur, wenn sich aus den niederländischen Quellen des 17. Jahrhunderts Verwendung und Bedeutung des Begriffs Staat herausarbeiten ließen und ihm eine spezifische Definition gegeben werden könnte. Durch eine solche Untersuchung wäre der Widerspruch zwischen der nicht vorhandenen absoluten Souveränität in den Provinzen und dem konzeptionellen Anspruch absoluter Souveränität des Monarchen, der sich im, bisher allgemein definierten Staats-Begriff abbildet, aufgelöst. Dieser Staats-Begriff muss die Flexibilität des hierarchischen Konstrukts der politischen Ordnung mitdenken. Dahingehend ist Koenigsbergers Charakterisierung der politischen Struktur als dominium politicum et regale vorerst konsequenter, weil sie dem zeitgenössischen Verständnis einer gemischten Verfasstheit entspricht und den Begriff Staat außen vor lässt.103 Allerdings bezieht sich seine Charakterisierung der niederländischen politischen Kultur auf die Zeit vor der Revolte gegen Philipp II. Für die Provinzen und Städte der Habsburgischen Niederlanden lag in der Beschränkung des Monarchen durch eine Ständeversammlung die Voraussetzung, sich im 15. und 16. Jahrhundert Privilegien zu erstreiten, auf deren Wahrung die Akteure im Anschluss an die Unabhängigkeitserklärung achteten. Im Geiste dieser aristotelisch-thomistische Tradition104 interpretierte der deutsche Historiker Olaf Mörke in seiner Arbeit das Zusammenspiel der Generalstände und des Statthalters während des 17. Jahrhunderts. Das Machtverhältnis zwischen Generalständen und Statthalter bezeichnet Mörke als die Ergänzung von Souveränität durch Autorität. Der Statthalter ist nicht der Souverän, der von einer Konstitution und einem Parlament begrenzt wird, sondern besitzt lediglich Autorität. Einen Landvogt als Stellvertreter des Landesherrn gibt es nicht mehr, weil es mit der Unabhängigkeitserklärung keinen Landesherrn mehr gibt, der sich eindeutig zu den Vereinigten Niederlanden bekannte. Auf der Ebene der Union sind die Generalstände der Souverän, den der Statthalter durch Fürstentitel und Autorität legitimierte. Somit kann Koenigsbergers Charakterisierung der politischen Ordnung der vorrevoluti102 Vgl. dazu: Mörke, ,Stadtholderʻ oder ,Staetholderʻ?, S. 37. 103 Siehe dazu: Koenigsberger, Monarchies, States Generals and Parliaments. 104 Vgl. dazu: Backes, Uwe: Politische Extreme, Eine Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006, S. 81.

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onären Epoche niederländischer Geschichte des 15. und 16. Jahrhunderts in der Umkehrung vormaliger Rollenverteilungen auf die Vereinigten Niederlanden angewendet werden. Die als Begrenzung des Monarchen gedachte Ständeversammlung hatte den Monarchen abgewählt und trat fortan als außenpolitisch souveräner Vertreter der Union auf. Die Herrschaft des Statthalters wurde zu einer Art dominium politicum. Der Statthalter wiederum beriet und unterstützte die Generalstände, die das dominium regale verkörperten.105 Im 17. Jahrhundert ging es weniger um die Beschränkung der Souveränität auf eine Institution als vielmehr um ein unbedingtes Miteinander zur Stabilisierung der neu entstandenen politischen Ordnung. Koenigsbergers Charakterisierung muss die Möglichkeit mitdenken, die Position des Monarchen als den zu begrenzenden Souverän durch die Generalstände zu ersetzen und damit das Verhältnis zwischen Monarch und Ständen umzukehren. Das Paradigma, dass ein Monarch im Mittelpunkt des dominium politicum et regale-Systems steht, ist mit der Entwicklung in den Vereinigten Niederlanden während der Statthalterlosen Epoche nicht zu vereinbaren. Ständische und statthalterische Herrschaft bedingten einander in den Vereinigten Niederlanden. Die Existenz und das Weiterbestehen einer ständischen Vertretung als Regierungsorgan waren maßgeblich für die politische Kultur der Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert. Neben den erwähnten theoretischen Kategorisierungen der Vereinigten Niederlanden als aristokratischer Republik, Städterepublik, Union oder Föderation findet sich in der Literatur demzufolge die Bezeichnung Ständestaat.106 Meist wird die Begrifflichkeit mit der staatsbildenden Funktion der Stände in Bezug gesetzt. Mit dem deutschen Historiker Winfried Schulze gesprochen, wäre diese Bezeichnung der politischen Struktur fragwürdig, da er das Potential der Stände, eine Staatsbildung herbeizuführen, zwar anerkennt, jedoch die Etablierung von ständischer Staatlichkeit kritisch betrachtet, weil die Gefährdung der sozialen

105 Frank Grunerts Interpretation des Verhältnisses zwischen Souverän und dem Inhaber der höchsten Gewalt in Grotius’ politischem Denken spiegelt diese Problematik wider: „Die theoretischen Voraussetzungen für die vertragliche Bindung des Souveräns hatte Grotius mit seiner Vorstellung von der „doppelten Souveränität“ und der damit verbundenen Unterscheidung zwischen dem subjectum proprium und dem subjectum commune der höchsten Gewalt geschaffen: Das subjectum proprium der höchsten Gewalt ist dabei ihr je aktueller Inhaber, der die summa potestas nur vor dem Hintergrund einer im Prinzip weiter bestehenden Souveränität des Volkes (subjectum commune) ausübt. Die daraus erwachsenden faktischen rechtlichen Kompetenzen beider Instanzen sind Gegenstand vertraglicher Übereinkünfte. Praktische Auswirkungen hat diese mögliche vertragliche Bindung des aktuellen Inhabers der summa potestas zum Beispiel in der von Grotius entwickelten sozusagen uneigentlichen Widerstandslehre“, in: Grunert, Frank: Der Vertrag als rechtliches Medium sozialer Gestaltung: Zum Kontraktualismus bei Hugo Grotius, in: Konegen/Nitschke, Staat bei Hugo Grotius, S. 125–137, darin: S. 133. 106 Nach spätmittelalterlichem Denken gibt es drei Stände - Adel, Klerus und den Dritten Stand. In der Literatur wird immer auf das ständische Element der politischen Ordnung in den Vereinigten Niederlanden hingewiesen. Vgl. u. a.: Mörke, Wilhelm von Oranien, S. 193.

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II Überblick zur Forschungslage

Ordnung den Möglichkeiten ständischer Staatsbildung Grenzen setzt.107 Auch in Bezug auf die Vereinigten Niederlanden bleibt die Bezeichnung Ständestaat aus zwei Gründen schwierig. Einerseits veränderte sich die traditionelle Gestalt des Ständewesens in den Niederlanden. Schon im 16. Jahrhundert wurden Adel und Klerus in den Niederlanden aus der Verwaltung gedrängt. Mit der Erhebung des Calvinismus zum bestimmenden Bekenntnis der nördlichen Provinzen im 17. Jahrhundert endete die Macht des Klerus nahezu komplett.108 Zudem gab es wenige adlige Geschlechter in den Niederlanden, von denen die meisten im Lauf des 16. und 17. Jahrhunderts ausstarben. Die adligen Mitglieder der Ständeversammlungen im 17. Jahrhundert waren meist Kaufleute, die ihren Titel käuflich erworben hatten.109 Die Kategorie Ständestaat anzuwenden, weil die Generalstände nach der Unabhängigkeitserklärung als oberstes Regierungsgremium der Union fungierten, würde eine Staatsbildung durch die Stände nach alteuropäischem Muster implizieren. Die feudale Ständeordnung geht der niederländischen StaatsFormierung voraus. Die Ständeversammlungen des 17. Jahrhunderts wurden von Akteuren getragen, die im Laufe des Unabhängigkeitskriegs meist durch ihre ökonomischen Erfolge und die Zugehörigkeit zu Familiennetzwerken aufstiegen und die bestehende ständische Ordnung neu gestalteten. In diesem Sinn kann für die Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert von einer Art neuständischen Staats-Formierung gesprochen werden.110 Die Legitimationsgrundlage der herrschenden Eliten veränderte sich mit dem Ende des Fronhofsystems. Mittelalterliche Herrschaft in Europa legitimierte sich durch den christlichen Glauben. Die Vererbung von Titeln und Gütern an die männlichen Erstgeborenen begründete Dynastien und etablierte politische Ord107 Vgl. dazu: Diskussionsbeitrag zur vierten Arbeitssitzung, in: Baumgart, Ständetum und Staatsbildung, S. 329. 108 Mit dem Bistum Utrecht, das mit dem Beginn des Unabhängigkeitskriegs Titular-Bischofssitz blieb, erhielt sich eine kirchliche Macht, die auch weltliche Macht ausübte. 109 Vgl. dazu: Groenveld, Simon: Nation und „patria“. Begriff und Wirklichkeit des kollektiven Bewußtseins im Achtzigjährigen Krieg, in: Lademacher, Horst; Groenveld, Simon (Hg.): Krieg und Kultur: Die Rezeption von Krieg und Frieden in der Niederländischen Republik und im Deutschen Reich, 1568–1648, Münster/New York/München/Berlin: Waxmann, 1998, S. 77–110, darin: S. 97. 110 Blänkner spricht für das 18. Jahrhundert von einer Neuständischen Gesellschaft, die als eigenständige Figuration zwischen der altständischen Ordnung (Otto Brunner) und der fabrikindustriellen Klassengesellschaft zwischen 1750 und 1830/40 bestand und eng mit der europäischen Expansion, sowie dem Beginn der Konsumgesellschaft verbunden war. Ausgangspunkt ist die Etablierung der gebildeten Stände, die Teile des alten Adels und des altständischen Bürgertums umfassten. In Bezug auf die Vereinigten Niederlanden war die Etablierung einer neuständischen Gesellschaft durch die Geschehnisse des Unabhängigkeitskriegs bedingt. Gebildet waren die ständischen Vertreter im 17. Jahrhundert meist durch ein Studium der Rechte oder eine Kaufmannslehre. Eine Konsumgesellschaft entwickelte sich in den Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert nur in begrenztem Maß, da ausschließlich die Eliten den Reichtum besaßen, Produkte zu konsumieren. Siehe dazu: Blänkner/Paul, „Neuständische Gesellschaft“; Blänkner/Bruyn, Salons und Musenhöfe. Zu den bürgerlichen Eliten in den Niederlanden siehe: Diederiks, Herman; Schilling, Heinz (Hg.): Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland, Köln/Wien: Böhlau, 1985.

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nung von brüchiger Stetigkeit. In der Frühen Neuzeit wandelte sich die Herrschaftsstruktur, ohne die bestehende Ordnung vollkommen zu verwerfen. Der Wandel kam einer Ergänzung gleich. Die vorerst minimale Vergrößerung der am politischen Prozess beteiligten Akteure sorgte in bestimmten Regionen Europas wie beispielsweise den Vereinigten Niederlanden für eine Differenzierung der politischen Ordnungssysteme. Wie in der Forschung nachgewiesen, richteten sich die rebellischen Provinzen gegen ihren legitimen Herrscher und begründeten das mit ihrem Recht auf Widerstand.111 Der politische Transformationsprozess in den Vereinigten Niederlanden wurde von theoretischen Legitimationen der neuen Herrschaftsordnung und deren neuständischen Eliten vorangetrieben. Als Verfasser der Legitimationsschriften der ständischen Herrschaft sind François Vranck, Wilhelm I und die Autoren des Acte van afzwering van Philips II. zu nennen.112 Den Schutz, der den Gehorsam der Untertanen als Gegenleistung forderte, gewährte Philipp II. seinen Untergebenen in den niederländischen Provinzen nicht. In religiösen Fragen gab er sich erzkatholisch, verfolgte Andersgläubige und versuchte, den Krieg gegen die Niederländer durch die Erhebung von Steuern in den Provinzen zu finanzieren. In der Literatur wird die Steuererhebung als ausschlaggebend für die Abspaltung der nördlichen Niederlanden bewertet.113 Als die Niederländer ihre Eigentumsrechte gefährdet sahen, brachen sie mit ihrem Lehnsherrn, da der den tradierten Privilegien der Provinzen und Städte keine Beachtung mehr schenkte.114 Daran zeigt sich einerseits die in der Literatur erwähnte konservative, an Privilegien orientierte Tradition, die sich besonders in der Städtefreiheit manifestierte und im Gegensatz zum frühneuzeitlichen Territorialstaat stand, der einer stärkeren Zentralisierung durch den Monarchen unterworfen war. Anderseits zeigt sich in der personellen Umstrukturierung der Regierungsgremien in Städten und Provinzen nach der Unabhängigkeitserklärung ein Bruch mit den feudalen Herrschaftsverhältnissen der Ämtervergabe an Adlige.115 Aufgabe wird es sein, 111 Siehe dazu: Acte van afzwering van Philips II., in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 137–144. Zum Widerstandsrecht vgl. u. a.: Arndt, Johannes: Die Kriegspropaganda in den Niederlanden während des Achtzigjährigen Krieges gegen Spanien 1568–1648, in: Asch, Ronald; Voß, Wulf Eckart; Wrede, Martin (Hg.): Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit, Die Europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, München: Fink, 2001, S. 239–248, darin: S. 241; Mout, Nicolette: Ideales Muster oder erfundene Eigenart, Republikanische Theorien des niederländischen Aufstands, in: Koenigsberger, Republiken und Republikanismus, S. 169–194, darin: S. 180; Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 230. 112 Siehe dazu: Acte van afzwering van Philips II., in: Blécourt/Japiske, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 137–144. 113 Siehe dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlande; Israel, Dutch republic, S.155–178. 114 Hugo Grotius sieht die Gestalt der Herrschaft durch die Besitzverhältnisse bestimmt, vgl. dazu: Nitschke, Peter: Die Eigentumsfrage im Naturrecht, in: Konegen/Nitschke, Staat bei Hugo Grotius, S. 23–47, darin: S. 39; zu den Privilegien der Stadt Amsterdam siehe: Noordkerk, H. (Hg.): Handvesten ofte privilegiën etc. der stad Amsterdam, 4 Deel, Amsterdam, 1778. 115 Siehe dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 193, 342–43; Lademacher, Phönix aus der Asche?, S. 222f.

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die Akteure zu beschreiben, die nicht nur den politischen Transformationsprozess beförderten, sondern Teil des Wandels waren. Mit dem Blick auf die Akteure wird sich noch einmal die enge Verknüpfung zwischen der politischen Struktur in Europa und dem in Asien agierenden Handelsunternehmen zeigen. Im Fall der Vereinigten Niederlanden herrscht ein Konsens über die Verortung der Machteliten. Die Städte in den Provinzen und ihre Stadträte bleiben die entscheidenden politischen Instanzen, an deren Votum auch die Generalstände gebunden bleiben.116 Die in den Stadträten vertretenen Regenten bilden die power-elites in den Vereinigten Niederlanden. Inwieweit sie die Aktivitäten der VOC und die Geschäfte auf den Finanzmärkten der Provinzen über Familiennetzwerke und Investitionen in die VOC bestimmten, soll im Folgenden deutlich werden.117 Auf dieser Ebene lässt sich am einschlägigsten der Einfluss ökonomischer Interessen auf die politischen Entscheidungen nachvollziehen. Im Anschluss daran werden die als Provinzial- und Generalstände bezeichneten Regierungsgremien trotz der oben angeführten Zurückweisung des Konzepts eines feudalen Ständestaats als Element der Staats-Formierung betrachten. Die Ständeversammlungen in den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts waren nicht nach dem Prinzip der mittelalterlichen Ständeordnung strukturiert. Die Ritterschaft dient als Beispiel für das Fortbestehen der feudalen Ständeordnung während des 17. Jahrhunderts. Die Stände waren in den Vereinigten Niederlanden ein politischer Akteur, der als Körperschaft organisiert war, die aus der bestehenden mittelalterlichen Ordnung übernommen wurde, jedoch eine neue Gestalt und Aufgabe bekam, nachdem der Unabhängigkeitskrieg begonnen hatte. Das neue niederländische Ständewesen deutet Elemente der neuständischen Gesellschaft an, die in weiten Teilen Europas erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausgeformt wurden.118

116 Auch Reinhard hält diese Tatsache fest und betrachtet die Städte innerhalb seines DreiStufen-Erklärungsmodells zur Entstehung von Staatlichkeit (Mikro-Ebene: Dynastien und Eliten, Mesolevel: Krieg und Staatsangestellte, Makrolevel: Gesellschaft und herrschende Klassen). Vgl. dazu: Reinhard, Geschichte des modernen Staates, S. 33, weiter dazu u.a.: Dillen, Dr. J.G. van: Van rijkdom en regenten: Handboek tot de ecomomische en sociale geschiedenis van Nederland tijdens de Republiek, The Hague, 1970. 117 Vgl. dazu u. a.: Arrighi, The long twentieth Century, S. 45 ff; Calabi, Donatella; Christensen, Stephen Turk (Hg.): Cultural Exchange in early modern Europe, Volume II, Cities and Cultural Exchange in Europe, 1400–1700, Cambridge: University Press, 2007; Isaacs, Ann Katherine; Prak, Maarten: Cities, Bourgeoisies, and States, in: Reinhard, Wolfgang (Hg.): Power Elites and State Building, Oxford: Clarendon Press, 1996, S. 207–234; Lademacher, Phönix aus der Asche?, S. 222ff; Lesger, The ,Visible Hand‘. 118 Ein weiterer Grund für die Zurückweisung des Terms Ständestaat, ist die Nähe zum faschistischen Konzept des Ständestaats, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Alternative zur demokratischen Herrschaftsordnung galt. Othmar Spann gilt als einer der wichtigen Theoretiker des Ständestaats im 20. Jahrhundert. Die mittelalterliche Einteilung der Stände wird im Nationalsozialismus durch die Segmentierung der Gesellschaft in Nährstand, Lehrstand, Wehrstand ersetzt. Siehe dazu: Maaß, Sebastian: Dritter Weg und wahrer Staat: Othmar Spann, Ideengeber der konservativen Revolution, Kiel: Regin-Verl., 2010.

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Die Vereinigten Niederlanden als Republik? Horst Lademacher verwendete die Kategorie aristokratische Republik, die dem starken Partikularismus Rechnung trägt. Auch Lademacher sieht die niederländischen Städte als Zentren der Macht. Es kann jedoch nach seinen Ausführungen nicht von einer Zentralisierung der Macht gesprochen werden, sondern nur von Verdichtung und Professionalisierung, die erst dann in den Niederlanden zur Staats-Formierung führten als die Regierungsform der Vereinigten Niederlanden nach den Napoleonischen Kriegen zur Monarchie umgebildet wurde. Lademacher reiht sich also in die Vertreter einer erst im 19. Jahrhundert unter einem Monarchen im Königreich der Niederlande stattfindenden Staatsbildung ein. Andererseits wendet er den Begriff Staat auch auf die aristokratische Republik der Vereinigten Niederlanden an. In Bezug auf die zeitgenössischen Quellen bleibt der Begriff Republik eine adäquate, aber erklärungsbedürftige Kategorie. Die Historikerin Mary Lindemanns hat in ihrer jüngsten Veröffentlichung Amsterdam als merchant republic beschrieben, wobei sie klar auf die vielfältigen Bedeutungszusammenhänge des Begriffs Republik hingewiesen hat. Lindemanns definiert die spezifische Amsterdamer merchant republic als: „a political entity governed by citizens who assumed the task of administration as part of the civic and political duties incumbent on them and who viewed merchants and mercantile values as essential components of that republicanism.“119

Ausgehend von der Selbstwahrnehmung der Städte kann Lindemanns Definition als Analyseelement dienen, dessen Attribute auf die Staats-Formierung in der Union während des 17. Jahrhunderts übertragen werden können, ohne den Republik-Begriff zu verwenden, der in Lindemanns Definition auf die ökonomischen Interessen der Kaufleute fokussiert ist und dabei sowohl die korporative Organisation des Gemeinwesens als auch die Verräumlichung der Herrschaft vernachlässigt, die beide für die Beschreibung der Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden unabdingbar sind. Für das Ende des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts besteht eine eindeutige Kategorisierung des Königreichs der Niederlande, das von ’t Hart als bourgeois state bezeichnet wurde.120 Verdeutlicht wird durch ’t Harts Untersuchungen die entscheidende Frage nach den tragenden politischen Institutionen und ihren Akteuren. Mit der Einnahme der Vereinigten Niederlanden durch Napoleon und die darauf folgende Umwandlung zur Monarchie wird die Beschreibung als Staat einfacher, da dadurch die Prämissen der Staatsbildungstheorien erfüllt sind. Im europäischen Vergleich stand die Herrschaftsordnung der Vereinigten Niederlanden bis 1650 dem englischen und polnischen Königreich nahe, deren Monarchen in ihrer Souveränität durch Parlamente eingeschränkt waren.121 Allerdings waren die souveränen Rechte des Statthalters beschränkter als die der eben 119 Vgl. dazu: Lindemann, The Merchant Republics, S. 2. 120 Siehe dazu: ’t Hart, The making of a bourgeois state. 121 Beide Territorien sind Beispiele für das dominium regale et politicum. Siehe dazu: Koengisberger, Dominium Regale or Dominium et Politicum, S. 1–27.

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genannten Monarchien. Die Schweizer Eidgenossenschaft, deren Städte die einzelnen Kantone durch Ständeversammlungen beherrschten, und die oberitalienischen Handelsstädte standen auf der anderen Seite des Spektrums.122 Der Gegensatz zum niederländischen Modell fand sich in den Monarchien Spaniens und Frankreichs.123

Die Körperschaft als Element der Staats-Formierung An der ständigen Hinzuziehung anderer Definitionen von Staat zeigt sich flächendeckend die Problematik einer Definition, die auf verschiedene Territorien in aufeinanderfolgenden Epochen Anwendung finden soll.124 Weitere Varianten, den Staat zu charakterisieren, sollen den Nutzen haben, Attribute und Facetten der Definitionen herauszufiltern, die grundsätzlich für die Beschreibbarkeit des Phänomens in der Frühen Neuzeit notwendig sind und gleichsam für die alternative Interpretation im Rahmen der Untersuchung fruchtbar gemacht werden können. Die Definition des niederländisch-israelischen Militärhistoriker Martin van Creveld, die einen von der politischen Entität Staat geschaffenen sozialen Raum betont, den „wir weder hören, sehen, noch berühren können[, der] weder mit den Personen der Herrscher noch der Beherrschten identisch [ist,]“125 bleibt auf den ersten Blick auf ein abstraktes Niveau beschränkt. Bei näherer Analyse des StaatsBegriffs offenbaren sich wiederum die bekannten Attribute in geringfügiger Modifikation. In der Modifikation der Voraussetzung von Staatlichkeit finden sich jedoch Elemente, die einzeln betrachtet, zielführend für die Untersuchung sein können. „Das heißt nichts anderes, als daß der Staat – verschieden sowohl von seinen Mitgliedern als auch von seinen Herrschern – eine Körperschaft ist, wie inter alia Universitäten, Gewerk-

122 Siehe dazu: LaRoche, Emmanuel Peter: Das Interregnum und die Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Frankfurt a. Main: Peter Lang, 1971; Waley, Daniel: Die italienischen Stadtstaaten, München: Kindler, 1968. 123 Unter Philipp II. festigte sich die Macht des Königs in Spanien. Unter Karl V. war es noch zu Aufständen der cortes gekommen. In Frankreich stieg der Grad der Zentralisierung der monarchischen Macht unter Ludwig XIII. und dessen erstem Minister Kardinal Richelieu. Die Erfahrungen der Fronde steigerten den Anspruch der französischen Krone unter Ludwig XIV. und dessen Minister Mazarin, die Macht gegenüber den Ständen in Frankreich auszubauen. In beiden Territorien fand eine Stärkung der monarchischen Macht im 17. Jahrhundert statt, ohne die Reichweite zu besitzen, in allen Teilen der Territorien die Macht des Königs unter dem Anspruch absoluter Souveränität durchzusetzen. Siehe dazu: Bonney, Richard: The limits of absolutism in ancien régime France, Aldershot: Variorum, 1995; Braudel, Fernand: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipp II., 3. Bände, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 1994; Jorzick, Regine: Herrschaftssymbolik und Staat: Die Vermittlung königlicher Herrschaft im Spanien der frühen Neuzeit (1556–1598), München: Oldenburg, 1998. 124 Vgl. dazu u. a.: Blockmans, Geschichte der Macht, S. 313. Hagen Schulze bezieht sich beispielsweise auf Hintzes Kategorisierung. Siehe dazu: Schulze, Hagen: Staat und Nation in der europäischen Geschichte, München: Beck, 2. Auflage, 2004, Vorwort, S. 13–17. 125 Vgl. dazu: Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates, S. 9.

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schaften und Kirchen. […] Vor allem ist er eine Körperschaft insofern, als er eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, also Rechte und Pflichten hat und verschiedene Tätigkeiten ausüben kann, als ob er ein lebendiges Individuum aus Fleisch und Blut wäre. Von anderen Körperschaften unterscheidet sich der Staat zunächst einmal durch die Tatsache, daß er sie alle autorisiert, doch selbst allein durch andere Staaten autorisiert (anerkannt) wird. Zweitens sind bestimmte Aufgaben (die allgemein als Merkmale der Souveränität gelten) allein ihm vorbehalten. Drittens erfüllt er diese Aufgaben auf einem bestimmten Gebiet, innerhalb dessen er 126 ausschließlich und allumfassend sein Recht spricht.“

Der Vorteil der Analyse Crevelds, die es ihm ermöglicht, auch über den modernen Staat hinaus die Transformation politischer Strukturen zu verfolgen, liegt einerseits in seiner Definition des Staats als Körperschaft, der andere Körperschaften in einem Territorium legitimiert und andererseits in seiner Offenheit in Bezug auf das Oberhaupt eines Staats, die für die Analyse der Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden fruchtbar gemacht werden kann. Creveld begreift den Staat als abstrakte Entität, dessen innere Herrschaftsstruktur vorerst unbedeutend sein muss, um ihn als Körperschaft beschreiben zu können. Die Autorität gegenüber anderen Körperschaften im beherrschten Territorium erhält der Staat im Rahmen der Anerkennung durch andere Staaten. Crevelds Definition spiegelt das Konzept der Entwicklung des Staats-Begriffs wider, politische Entitäten vor allem in Verträgen als Staaten zu bezeichnen und damit die Genese der Kategorie in der Entstehung diplomatischer Beziehungen zu verorten. Außer der Betonung darauf, dass der Staat als Körperschaft zu betrachten sei, unterscheidet sich Crevelds Definition nicht gravierend von den bisher angeführten Konzepten.127 Durch die Charakterisierung des Staats als Körperschaft jedoch kann Creveld dessen Entwicklung bis ins Spätmittelalter zurückverfolgen, da die Körperschaft als Rechtssubjekt schon vor der Frühen Neuzeit existierte. Damit vermeidet er Anachronismen in der Beschreibung der Attribute von Staatlichkeit. Die Kategorie der Körperschaft stellt ein Element dar, das für die Frühe Neuzeit entscheidendes Merkmal bleibt und in der Forschung des Politikwissenschaftlers Arthur Benz als wichtiger Ausgangspunkt für die frühneuzeitliche, gesellschaftliche Transformation gilt. „Der Übergang von der Feudalgesellschaft zur Körpergesellschaft beinhaltete die Schaffung einer organisatorischen Struktur, die aus von Personen besetzten Ämtern bestand, anstatt einer Struktur, die aus Personen mit permanenten Pflichten und Ressourcen zusammengesetzt 128 war.“

In diesem Sinn stellte die Körperschaft auch die Voraussetzung für den Übergang zum Beamtenstaat dar und bedient die allgemeine Annahme des Wandels von Personenverbänden zu territorial gebundenen Herrschaftsordnungen. Die Schaffung einer neuen, komplexeren Struktur drängte zur Verbesserung der Ausbildung von Personen, die leitende Positionen in der neuen Ordnung besetzen sollten. Die 126 Siehe dazu: Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates, S. 9. 127 Siehe dazu die Ausführungen zu Charles Tillys und Wolfgang Reinhards Staatsbegriff oben. 128 Vgl. dazu: Coleman, James S.: Grundlagen der Sozialtheorie, Band 1: Handlungen und Handlungssysteme, München: Oldenbourg, 1995, S. 219, zitiert nach: Benz, Arthur: Der moderne Staat, Wien/München: Oldenburg, 2001, S. 14.

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Körperschaft öffnete durch die, von Creveld angesprochenen Organisationsstrukturen, ebenso den Weg für eine Professionalisierung wie für die Verdichtung der administrativen Herrschaftsstrukturen.129 Auch die VOC kann somit als Körperschaft angesehen werden, die wirtschaftlichen Interessen ihrer Teilhaber vertrat und dabei nicht zwangsläufig auf familiären Bindungen beruhte, obwohl die Berufung in die Entscheidungsgremien von persönlichen und familiären Bindungen zu den sogenannten Regentenfamilien abhängig war. Als Aktionär in einer der ersten Aktiengesellschaften des Kontinents konnte sich faktisch jedoch jeder beteiligen.130 Nach dem Verschwinden der katholischen Administration in den calvinistisch geprägten Vereinigten Niederlanden blieben die verschiedenen Körperschaften – Städte, Provinzen und Handelskompanien – Akteure im Namen politischer Interessengruppen, die in den Aushandlungsprozess der Neuordnung der territorialen und politischen Strukturen eingriffen und im 17. Jahrhundert zunehmend von studierten Juristen geführt worden.131 Crevelds Definition, die versucht, eine Kontinuitätslinie vom Spätmittelalter in die Frühe Neuzeit zu ziehen, beinhaltet neben den bekannten Attributen souveräne Macht und beherrschtes Territorium mit dem Element der Körperschaft eine entscheidende Komponente politischer Ordnungen der Frühen Neuzeit, die keine ahistorische Rückprojektion ist. Auf der Grundlage der Parameter Macht und Territorium kann der Aushandlungsprozess zwischen den verschiedenen Körperschaften und Akteuren um die politische Macht untersucht werden. Notwendigerweise muss der Aushandlungsprozess verfolgt werden, der die Formierung der Körperschaft Staat bedingte, um deren Funktionsweise verstehen zu können. Crevelds Konzept beschreibt indes die Staatsbildung als lange währenden Prozess. In Crevelds Darstellung beginnt der Staatsbildungsprozess um 1300, was die Entstehung von Staatlichkeit als epochalem Ereignis nicht mehr nachvollziehbar macht.132 Daher verhindert auch Crevelds epochenübergreifende Definition die Beschreibung frühneuzeitlicher Staatlichkeit als spezifisches Ereignis. Wenn die Betrachtungen Crevelds auf die Definition politischer Akteursgruppen als Körperschaften begrenzt bleibt, kann deren Entwicklung zum Souverän in einem bestimmten Raum ohne die implizierte Zielgerichtetheit nachgezeichnet werden. Creveld liefert eine Analyse der von ihm angenommenen feststehenden 129 Auch in Bezug auf andere Territorien Europas, deren politische Ordnung von ständischen Elementen bestimmt wurde, ist die Professionalisierung feststellbar. Böhmen gilt als Beispiel, die Schweiz als ein weiteres. Vgl. dazu: Cerman/Luft, Untertanen, Herrschaft und Staat in Böhmen und im „Alten Reich“. 130 Siehe dazu: Gaastra, De geschiedenis van de VOC, S. 13–29; Kan, J. van: De Rechtstitel der Compagnie, Mededeelingen der nederlandsche Akademie van Wetenschappen, Afdelling Letterkunde, Amsterdam: Nord-Hollandsche Uitgevers Maatschappij, 1942; Münkler, Herfried: Imperien, Die Logik der Weltherrschaft, Bonn: bpb, Rowohlt, 2005, S. 84f. 131 Die Religionszugehörigkeit war entscheidend für die Möglichkeit ein öffentliches Amt zu bekleiden und wurde 1651 festgeschrieben. Siehe dazu: Instructie voor den Raad van State van 1651, Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 266. Dem katholischen Bekenntnis durfte nur noch im Geheimen gefolgt werden. Blieben die Gemeinden in privaten Räumen, wurden sie geduldet. 132 Siehe dazu: Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates, S. 75–137.

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Hierarchie der Körperschaften, in der der Staat alle anderen dominiert. Welche Strategien der Staat als Körperschaft mit welchen Mitteln verfolgt, bleibt bei Creveld unbeachtet. Im Folgenden soll hingegen der Aushandlungsprozess zwischen politischen und wirtschaftlichen Körperschaften untersucht werden, um die Herausbildung der Hierarchie zu beschreiben, die innerhalb der, als Staat bezeichneten Vereinigten Niederlanden bestand. Es wird eine weitere Differenzierung zwischen den verschiedenen politischen Ebenen geben müssen, wobei die Stadtregierungen, Provinzialstände und Generalstände als eigenständige Körperschaften gelten. Aus einer solchen Perspektive heraus, kann untersucht werden, ob sich ein Handelsunternehmen, grundsätzlich ein Akteur, dessen Hauptinteresse im ökonomischen Bereich liegt, zum politischen Akteur entwickelt, der als Körperschaft grundsätzlich Einfluss auf die Herausbildung politischer Hierarchien besitzt. Den Wandel der Funktion von Körperschaften zu untersuchen, ermöglicht, den Transformationsprozess in der Frühen Neuzeit sowohl im ökonomischen als auch politischen Sektor greifbar zu machen.133 Damit erweitert sich die Betrachtung der niederländischen Staats-Formierung über genuin politische Institutionen hinaus auf Handelsunternehmen, was zur Folge hat, dass sich ein neues Raumverständnis für die Ausübung von Herrschaft ergibt. Handelsunternehmen begrenzen sich nicht auf ein Territorium, sondern sehen in der räumlichen Expansion die Möglichkeit, ihre Profitabilität zu steigern. Die Zusammenarbeit der VOC mit den Regierungsorganen in den Vereinigten Niederlanden ist Zeugnis für eine Kooperation von Körperschaften. Gemeinsam erweiterten sie die niederländischen Einflusssphären über den rein territorialen Besitz auf dem europäischen Festland hinaus auf die See und andere Kontinente, wozu bestimmte Herrschaftsstrategien notwendig waren. Philipp J. Stern untersuchte anhand der Kategorie Körperschaft die Entwicklung der East India Company (EIC) als Vorgängerin der Beherrschung Indiens als Teil des englischen Kronbesitzes. In seinem Buch „The Company-State“ betont Stern den Aushandlungsprozess zwischen den Körperschaften in der Frühen Neuzeit. „[The] early modern world [was] filled with a variety of corporate bodies politic and hyphenated, hybrid, overlapping, and composite forms of sovereignty. While the English East India

133 Dabei schließt die Untersuchung an Paul Kennedys Überlegungen zur Verquickung von ökonomischen, politischen und militärischen Faktoren an. Siehe dazu: Kennedy, Aufstieg und Fall der grossen Mächte, Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt; zu Untersuchungen des Handels als Faktor für den politischen Wandel siehe u. a.: Bernstein, William: A splendid exchange, How Trade shaped the world, New York: Atlantic Monthly Press, 2008; Epstein, S. R.: Freedom and Growth: The Rise of States and Markets in Europe, 1300–1750, London: Routledge, 2000; Pohl, H. (Hg.): The European Discovery of the World and its Economic Effects on the pre-industrial society, 1500–1800, Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 89, Stuttgart: Franz Steiner, 1990.

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Company may have become a territorial power in South Asia in the mid-eighteenth century, it 134 had actually been a form of government, state, and sovereign in Asia for some time.“

Souveränität wird in diesem Zusammenhang nicht als absolut angesehen. Verschiedene Körperschaften stehen in Konkurrenz miteinander, was dazu führt, dass sich ihre Ansprüche überlappen. Zudem charakterisiert Stern nicht nur die EIC als Körperschaft wie Wilhelm Hartung in seiner Arbeit zur VOC, sondern sieht politische Institutionen, Städte und Universitäten ebenso als Körperschaften an, die zwar verschiedenen Rechtsbereichen zugehören können, jedoch das gleiche Ziel haben.135 „Legally and conceptually speaking, the early modern national state and even the monarch herself were forms of corporation. Whatever their immediate purpose and particular organization, all corporations shared a common purpose: to bind a multitude of people together into a legal singularity, an artificial person that could maintain common rights, police community standards and behavior, and administer over and on behalf of the collectivity.[…]As governments, corporations possessed complex legal personalities, both subject and resistant to other forms of political power.[…]Some corporations stretched over or between various jurisdictions, while some were nested within other corporations, such as guilds, churches, or universi136 ties in incorporated municipalities, like London and Oxford.“

Die Konkurrenz verschiedener Körperschaften um politischen und wirtschaftlichen Einfluss lässt sich auf die Situation in den Vereinigten Niederlanden ebenso übertragen wie auf das Verhältnis zwischen den Generalständen und der VOC.137 Daraus ableitbar ist die Erkenntnis sich überlagernder Ansprüche auf Autorität. Sowohl im europäischen als auch im asiatischen Kontext gab es verschiedene Körperschaften, die miteinander um die Beherrschung der Räume stritten. Wie Stern in der Betrachtung der EIC zeigt, kann das Konzept der konkurrierenden Akteure für die Analyse der politischen Strukturen, die die Handelskompanien in Asien aufbauten, fruchtbar gemacht werden, indem alteuropäische Rechtsformen in ihrer Bedeutung für die gesellschaftliche Transformation in der Frühen Neuzeit im globalen Kontext betont werden. Jedoch bespricht auch Stern die Anwendbarkeit des Begriffs state nicht kritisch, sondern setzt das Verständnis des Begriffs ohne Erklärung voraus, auf dessen Entstehung doch aber letztlich alle Entwicklungen hinauslaufen. Zudem spricht er von einem early modern national state, was als Bezeichnung für die Vereinigten Niederlanden infolge der Migrationsströme aus den südlichen Niederlanden, aber auch durch die Zuwanderung portugiesischer und spanischer Juden sowie französischer Hugenotten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, nicht haltbar und auch auf andere Territorien Europas nicht anwendbar ist.

134 Vgl. dazu: Stern, Philip J.: The Company-State, Corporate Sovereignty and the Early Modern Foundations of the British Empire in India, New York: Oxford Press, 2011, S. 3. 135 Siehe dazu: Hartung, Wilhelm: Geschichte und Rechtsstellung der Compagnie in Europa: eine Untersuchung am Beispiel der englischen East-India Company, der niederländischen Vereenigten Ostindischen Compagnie und der preußischen Seehandlung, Diss., Bonn, 2000. 136 Vgl. dazu: Stern, The Company-State, S. 7. 137 Siehe dazu: Ebda., S. 9; Hartung, Geschichte und Rechtsstellung der Compagnie in Europa.

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Ein weiterer Aspekt, den Sterns Arbeit hervorbringt, ist der Wandel des Rechtsverständnisses der Frühen Neuzeit. Stern erweitert durch seine Untersuchungen zur englischen EIC John Brewers Argument zur Bedeutung der Ökonomie für die Transformation politischer Strukturen, indem er zeigt, dass der Besitz erst im Rahmen der Ökonomie definiert und dann durch positives Recht reguliert wurde, was die enge Verbindung von Ökonomie und Herrschaft betont, die für die niederländische Staats-Formierung prägend ist. Diese juristische Transformation war bedingt durch den ökonomisch motivierten Aufbau von Verwaltungsstrukturen der EIC, die wiederum die politische Kultur der späteren englischen Kronkolonie Indien entscheidend beeinflussten. Sterns Thesen sind ausschlaggebend für die Untersuchung, wie die VOC zum politischen Akteur wurde. Dies führt zum Versuch, die von Creveld betonte und von Stern beispielhaft für die EIC durchgeführte Interpretation von Handelsunternehmen für die Beschreibung der VOC zu nutzen, um deren Wandel von der ökonomischen zum politischen Akteurin anhand der VOC-Dokumente nachzuzeichnen. Zudem ist auf semantischer Ebene die Untersuchung zu führen, ob sich der niederländische Begriff Staat aus dem ökonomischen Vokabular zur politischen Kategorie entwickelte und damit Bedeutungserweiterungen für die niederländische politische Semantik und Pragmatik erbrachte.138 In Bezug auf die korporative Struktur des niederländischen Gemeinwesens werden Otto von Gierke und Johannes Althusius angeführt, um die Ansätze von Stern und Creveld zu vertiefen. Althusius galt als zeitgenössischer Vertreter einer korporativen politischen Philosophie, die Gierke aufgriff. Gierke verband die korporative Struktur von Gemeinwesen weiterführend mit dem Schutz des Eigentums.

Zusammenfassung Führt man die bisher dargestellte Debatte zusammen, ergibt sich die Zurückweisung von Konzepten, die Transformation der politischen Ordnung in den Vereinigten Niederlanden in den langfristigen Entwicklungsprozess der Staatsbildung einzugliedern. In einer alternativen Konzeption der Staats-Formierung muss die Kategorie der Körperschaft, die auf politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene als wandelbare Institution in der Interpretation von Gierke betrachtet wird, der Ausgangspunkt für die Untersuchung des Transformationsprozesses von der politischen Struktur hin zur politischen Entität sein, die in der Frühen Neuzeit als Staat bezeichnet wurden. Dies muss wiederum der Hintergrund sein, vor dem die Kategorie Staat untersucht wird und als Teil des Konzepts frühneuzeitlicher Staats-Formierung funktionieren kann. Alle bisherigen Definitionen beinhalten die Attribute Herrschaft und beherrschtes Territorium, die unabhängig von der Zuordnung zum Begriff Staat Verwendung in der Analyse von politischen Strukturen finden. Die Schlussfolge138 Vgl. dazu: Stern, The Company-State, S. 213.

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II Überblick zur Forschungslage

rung daraus führt zu einer Debatte, die versucht, den Zusammenhang zwischen der Ausübung von Herrschaft und einem bestimmten Raum der beherrscht werden soll, zu theoretisieren, mit der sich die Veränderung der Machtverhältnisse durch die ständige Konkurrenz der verschiedenen Körperschaften während des 17. Jahrhunderts greifen ließe.139 Mit diesem Ansatz kann es möglich sein, den Transformationsprozess in den Vereinigten Niederlanden als Staats-Formierung verstehen zu können, die in einen globalen Kontext eingebettet ist.

4. DIE NIEDERLÄNDISCHE STAATS-FORMIERUNG Alternatives Erklärungsmodell von Staatlichkeit Grundlage des alternativen Erklärungsmodells sind zwei Forschungsansätze, die aus der Beschäftigung mit dem Phänomen der Globalisierung herrühren und miteinander in Beziehung stehen. Der erste Ansatz bezieht sich auf Saskia Sassens Forschung zur Transformation des Nationalstaats. Der zweite ist an die Forschungen zur De- und Reterritorialisierung angelehnt, die der kritischen Geographie und den Area-Studies entstammen. Saskia Sassen stand bei der Forschung zum Transformationsprozess des Nationalstaats im Zeitalter der Globalisierung vor ähnlichen Problemen, wie sie die Transformation politischer Ordnungen in der Frühen Neuzeit bereithält. Für die Untersuchung der Transformationsphase, in der weder die alte politische Ordnung vollständig verschwunden noch eine neue vollkommen ausgebildet ist, wird die Frage nach dem Ausgangspunkt der Betrachtung entscheidend. Die zunehmende Wahrnehmung einer globalisierten Welt verstellt oftmals den Blick für die Bedeutung des Nationalstaats als Voraussetzung der Globalisierungsprozesse. Andererseits führt die Forschung unter dem Paradigma eines methodologischen Nationalismus140 zur Blindheit gegenüber trans-, supra- oder internationalen Prozessen, die, wie Ulrich Beck es formuliert, im Gleichschritt zur Existenz des Nationalstaats eine andersartige Gesellschaft projektieren. Auf die Frühe Neuzeit angewendet, bedeutet ein rückwärtsgewandter Blick unter dem Paradigma des Nationalstaats die Verstellung des Blicks für eine kontingente, zukunftsoffene Entwicklung von Staatlichkeit. „Es ist einer der Fehler des methodologischen Nationalismus, daß dieser große Teile der politischen Theorie und politischen Wissenschaft blind macht gegenüber dem Formenwandel des Politischen in der Zweiten, kosmopolitischen Moderne. Verfehlt wird so die Reflexivität der 139 Zur Konkurrenz zwischen den einzelnen Städten in den Vereinigten Niederlanden siehe: ’t Hart, M. C.: Intercity rivalries and the making of the Dutch state, in: Tilly, Charles; Blockmans, Wim (Hg.): Cities and the Rise of States in Europe, AD 1000 to 1800, Boulder, CO: Westview Press, 1994. 140 Ulrich Beck definiert den methodologischen Nationalismus als „Nationalstaatszentriertes Verständnis von Gesellschaft und Politik in politischer Praxis und politischer Wissenschaft.“; Vgl. dazu: Beck, Ulrich: Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter, Neue weltpolitische Ökonomie, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 2002, S. 53.

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zukunftsoffenen Gesellschaft und Geschichte; die Grunderfahrung der Historizität, der doppelten Kontingenz, der Veränderung in die offene Zukunft einer andersartigen Gesellschaft, 141 Staatlichkeit und Politik.“

Die Komplexität der Transformationsprozesse erschwert deren Beschreibbarkeit. Die Gleichzeitigkeit von Ent- und Renationalisierung belässt dem Nationalstaat eine wirkmächtige Position im Prozess der Globalisierung, genauso wie die Macht politischer Akteure in der Frühen Neuzeit bei der Herausbildung von Herrschaftsordnungen in neue Strukturen eingebettet wird und alte Rechtsformen wie die Korporation auch nach den großen Umwälzungen in der europäischen Politik durch den Dreißigjährigen Krieg erhalten bleiben. Neben den oberflächlichen Dynamiken der Globalisierung erkennt Sassen weitere Prozesse, die im Inneren der Territorien und Institutionen der Nationalstaaten und deren untergeordneten Ebenen angesiedelt sind und tiefgreifende Veränderungen aus dem Kontext der Nationalstaatlichkeit heraus bewirken. Dabei sind insbesondere Netzwerke von Bedeutung, die zwar lokal verortet, jedoch weltweit wirkmächtig sind, wie Sassen am Beispiel von Umweltschutzorganisationen aufzeigt.142 In der Betrachtung der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Globalisierung bleibt diese Dimension der nicht vordergründig globalen Prozesse, nach der Meinung Sassens, unterbelichtet. Die national verorteten Prozesse werden daher häufig aus der Untersuchung der Globalisierung ausgeklammert, was nach Sassen die Forschung zur Globalisierung in eine Endogenitätsfalle lockt. Die Globalisierung wird aus sich selbst heraus erklärt, doch welche Prozesse die Globalisierung ausgelöst haben, bleibt unbeachtet. Sassen versucht diesem Problem zu begegnen, indem sie untersucht, wie aus der nicht existenten Globalität, der Prozess einer voranschreitenden Globalisierung werden konnte. Die Neuartigkeit der Globalisierung ist nach Meinung Sassens in der älteren, bestehenden Struktur des Nationalstaats verwurzelt. Erst durch die Untersuchung des nationalstaatlichen Transformationsprozesses als Ausgangspunkt für die Globalisierung kann der langsame Machtverlust des Nationalstaats hinreichend erklärt werden. Um der Endogenitätsfalle zu entgehen, konzentriert sich Sassen auf die drei transhistorischen Komponente Territorium, Autorität und Rechte, die „in jeder historischen Formation jeweils besondere Gehalte, Gestalten und Interdependenzen“143 annehmen können, um die Komplexität der Transformationsprozesse im Nationalstaat zu reduzieren. Die drei Komponenten erklärt Sassen zu analytischen Leitkategorien, die als abstrakte Kategorien aus der historisch spezifischen Einbettung herausgelöst werden, um deren Konstellation in „verschiedenartigen historischen Konfigurationen und ihre möglichen Verschiebung durch verschiedene 141 Vgl. dazu: Beck, Ulrich: Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter, S. 364. 142 Siehe zu Netzwerken: Tilly, Charles: Transplanted Networks, in: Yans-McLaughlin, Virginia (Hg.): Immigration Reconsidered: History, Sociology and Politics, New York, Oxford: University Press, 1990, S. 79–95. 143 Vgl. dazu: Sassen: Das Paradox des Nationalen, Territorium, S. 22f; siehe weiter dazu: Dies.: Spatialities and temporalities of the global: elements for a theorization, Public Culture 12, 1, 2000, S. 215–232; Sassen Saskia: Globalization and its discontents: essays on the new mobility of people and money, New York: New Press, 1998.

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institutionelle Bereiche und/oder ihrer Einfügung in diese“144 untersuchen zu können. Dieses analytische Instrumentarium dient Sassen zufolge nicht nur dazu, Nationalstaaten im Kontext der Globalisierung zu untersuchen, sondern auch zur Beschreibung ordnungspolitischer Assemblagen anderer Epochen. Als Assemblage der genannten Komponenten gilt beispielsweise der Nationalstaat. Sassen verwendet den Begriff der Assemblage weitgehend deskriptiv. Assemblage steht synonym für die kontingente Konfiguration der Komponenten Territorium, Autorität und Rechte in verschiedenen zeitlichen und räumlichen Zusammenhängen. Grundsätzlich folgt die vorliegende Untersuchung der deskriptiven Verwendung des Begriffs. Der Analyse bleibt es vorbehalten, ob der Theoretisierung des Begriffs durch Deleuze/Guattari gefolgt werden kann, Assemblagen als „besondere Mischungen technischer und administrativer Praktiken“ zu definieren, die „neue Räume kodieren und dekodieren“.145 Mit Hilfe der angeführten Komponenten wird es möglich, komplexe Systeme wie globale oder nationale Ordnungsgefüge aufzuspalten und zu zergliedern, um die Analyse des gesamten Systems über dessen Bestandteile zu ermöglichen. Um die Transformation der einzelnen Komponenten erklären zu können, führt Sassen die Faktoren Potentiale, Umschlagpunkte und Organisationslogik ein, die Einfluss auf die Konfiguration der Komponenten Territorium, Autorität und Rechte besitzen. In der vorliegenden Untersuchung dienen die Komponenten und Faktoren als Grundlage anhand derer die Analyse der niederländischen Staats-Formierung vollzogen werden soll, die im Verständnis Sassens als Assemblage gelten würde. Als Potentiale bezeichnet Sassen kollektive Produktionen, deren Charakter vom Bezugssystem abhängt, in dem sie wirken. Sassen bezeichnet das Bezugssystem auch als Organisationslogik. Im globalen Kontext waren die Potentiale der Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts die einzelnen Körperschaften wie die Amsterdamer Wechselbank, die VOC und die Handelsflotte,146 aber auch das Wissen über Navigationstechniken und Schiffsbau. Eingebunden sind die Potentiale in eine Organisationslogik. Wenn eine neue Organisationslogik entsteht, können Potentiale unter veränderten Voraussetzungen ihre Wirkmacht verstärken, verringern oder gar ganz verlieren. Am Weiterbestehen von Potentialen in neuen Organisationslogiken wird erkennbar, dass Transformation nicht zwangsläufig die Zerstörung existierender Ordnung bedeutet. 147 „Einige der alten Potentiale sind für die Erzeugung der neuen Ordnung entscheidend, doch das bedeutet nicht, daß ihre Wertigkeit dieselbe ist; die Bezugssysteme oder die Organisationslogiken, in denen sie zur Anwendung kommen, können grundlegend verschieden sein. Der entscheidende Punkt ist die Vermittlung, die die Potentiale zwischen den alten und den neuen Ordnungen bewirken: Wenn sie von einem zum anderen Gleis wechseln, sind sie zum Teil

144 Vgl. dazu: Sassen: Das Paradox des Nationalen, Territorium, S. 23f. 145 Vgl. dazu: Deleuze, Gilles; Guattari, Félix: Kapitalismus und Schizophrenie, Bd. 2, Berlin: Tausend Plateaus, 1992, S. 698f. 146 Vgl. dazu: Sassen, Das Paradox des Nationalen, S. 161. 147 Vgl. dazu: Ebda., S. 33.

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dafür konstitutiv und können doch zur selben Zeit den Übergang verschleiern, indem sie eini148 ge der altbekannten Kleider tragen.“

Am einschlägigsten für die Vermittlung zwischen der alten und neuen Ordnung im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung in den Vereinigten Niederlanden waren die ständischen, politischen Körperschaften, wie die General- und Provinzialstände, sowie die Städtegremien. Mit dem Begriff des Umschlagpunkts als weiterem Faktor des heuristischen Modells umschreibt Sassen die Dynamik der Potentiale für den Wechsel von Organisationslogiken. Insbesondere die Konzentration auf das Umschlagen eines Potentials verhindert nach Meinung Sassens eine Fokussierung auf das Ergebnis und steht damit auch einer teleologischen Geschichtsschreibung entgegen. Die Entstehung von Herrschaftsordnungen in ihren verschiedenen Ausprägungen in der Frühen Neuzeit ist demzufolge von zahlreichen Umschlagpunkten verschiedener Potentiale gekennzeichnet, die zu einer neuen Organisationslogik führen. Dieser Mechanismus findet sich auch in der Transformation des Nationalstaats im Hinblick auf die Globalisierung wieder. Sassen weist darauf hin, dass besonders in Übergangsphasen zwischen den Organisationslogiken informelle Praktiken und Akteure von Bedeutung sind, die im Zuge der Etablierung des neuen Bezugssystems legitimiert werden können, wobei sie für ihre Untersuchung das Beispiel des Stadtbürgers im Spätmittelalter wählt. In der Betrachtung der Vereinigten Niederlanden ist der Aufbau von Familiennetzwerken als informelle Praktik der Machtsicherung im 17. Jahrhundert zu betrachten. Charakteristisch für den Umschlagpunkt ist zudem die gleichzeitige Existenz von Phänomenen jeglicher Art, denen, die geläufig und denen, die erst im Begriff sind, vorherrschend zu werden. In der Untersuchung wird das sowohl auf institutioneller als auch auf sprachlicher Ebene betrachtet, wenn die Herrschaftsstrategien der Eliten und die Bedeutungserweiterung des Staats-Begriff untersucht werden. Die dargestellte Methode stellt das Grundgerüst für die Analyse der Transformation der politischen Ordnung in den Vereinigten Niederlanden als StaatsFormierung dar. Um die Analyse zu verfeinern und das Erklärungsmodell für die niederländische Staats-Formierung zu schärfen, sollen neben Charles S. Maier und David Harvey insbesondere Matthias Middells und Katja Naumanns Überlegungen zum dialektischen Prozess der De- und Reterritorialisierung Beachtung finden, die Ansätze spezifizieren, die in Saskia Sassens Forschung bereits angelegt sind; von der De- und Reterritorialisierung bis hin zur Bedeutung der globalen Portale. Die Theorie des dialektischen Prozesses der De- und Reterritorialisierung geht von der andauernden Neuverhandlung von Raumordnungen aus.149 Der Pro148 Vgl. dazu: Ebda., S. 29. 149 Siehe dazu: Middell, Matthias; Naumann, Katja: Global history and the spatial turn: from the impact of area studies to the study of critical junctures of globalization, Journal of Global History 5, London, 2010, S. 149–170. Weitere Literatur zur Bedeutung des Raums: Braudel, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipp II; Brenner, Neil: Globalisierung und Reterritorialisierung: Städte, Staaten und die Politik der räumlichen Redimensi-

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zess wird von drei Faktoren bestimmt, die am Beispiel der Vereinigten Niederlanden überprüft werden sollen. Ausgangspunkt der Destabilisierung bestehender Raumordnungen sind historische Brüche von globaler Wirkmacht, wie der Niedergang des spanischen Weltreichs nach der Abdankung Karls V., die nach Sassen mit dem Umschlagpunkt von Potentialen gleichzusetzen sind. Die Portale der Globalisierung sind der zweite Faktor, der für die Dekonstruktion und Neuordnung von territorialen Ordnungen eine entscheidende Rolle spielt. Globale Portale können Städte wie Amsterdam im 17. Jahrhundert sein, in denen Informationen, Waren, Technologien und Akteure zusammentreffen.150 Globale Portale dienen dabei nicht nur als Durchgangszentren, sondern als Orte von Innovationen, die aus der Synthese einfließender Ströme entstehen.151 Vergleichbar ist dieser Faktor mit der Kategorie der globalen Städte Saskia Sassens.152 Die Kategorie der globalen Portale bietet im Gegensatz zu Sassens Kategorie die Möglichkeit, unabhängig vom Prozess der Globalisierung, Städte auf ihre Einbettung in interkontinentalen Beziehungen im Kontext der Frühen Neuzeit hin zu untersuchen, die einer Vernetzung ähnlicher ist als dem Charakter der fortschreitenden Globalisierung des 20. und 21. Jahrhunderts. Dritter Faktor sind die Verräumlichungsregimente.153 Hinter diesem Parameter steht die politische Herrschaftsordnung, die in einem definierten Raum herrscht. Der Nationalstaat als vorherrschendes Verräumlichungsregiment des 20. Jahrhunderts definiert sich durch die souveräne Herr-

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onierung im heutigen Europa, in: WeltTrends (1997) 17, S. 7–30; ders.: Beyond statecentrism? Space, territoriality, and geographical scale in globalization studies, Theory and Society, 28, 1999, S. 39–78; Johnson, E. A. J.: The Organization of Space in Developing Countries, Cambridge: University Press, 1970; Harvey, David: Spaces of Capital: Towards a critical geography, Edinburgh: Edinburgh Univ. Press, 2001; Maier, Charles S.: Consigning the twentieth century to history: alternative narratives for the modern era, American Historical Review, 105, 3, 2000, S. 807–31; ders.: Transformation of Territoriality 1600–2000, in: Budde, Gunilla: Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006, S. 32–55; Osterhammel, Jürgen: Die Wiederkehr des Raumes: Geopolitik, Geohistorie und historische Geographie, Neue Politische Literatur, 43, 3, 1998, S. 374–97. Siehe dazu u. a.: Bryson, John R., [u.a] (Hg.): Knowledge, Space, Economy, London/New York: Routledge, 2000; Friedman, John; Wolff, Goetz: World City Formation: An Agenda for Research and Action, International Journal of Urban and Regional Research, 6, 1982, S. 309–44; Hall, Peter Geoffrey: The World Cities, London: Palgrave Macmillan, 1977. Siehe dazu: Brenner, Globalisierung und Reterritorialisierung; Sassen, Saskia: Global networks, linked cities, London: Routledge, 2002. Zu Amsterdam als Zentrum des Informationsaustauschs siehe: Smith, W. D.: The Function of Commercial Centers in the Modernization of European Capitalism: Amsterdam as an Information Exchange in the Seventeenth Century, JecH, 44 (1984), S. 985–1005; ders.: Cities in civilization: culture, innovation, and urban order, London: Weidenfeld & Nicolson, 1998. Siehe dazu: Sassen, Saskia: The Global City: New York, London, Tokyo, Princeton/Oxford: Princeton University Press, 2001. In den Betrachtungen von Middell/Naumann wird von Territorialisierungsregimen gesprochen. In der Untersuchung wird dieser Begriff durch den Term Verräumlichungsregiment ersetzt, wodurch die mögliche Einschränkung auf die Landmasse als Raum für Herrschaftsausübung umgangen werden soll, die der Begriff Territorialisierung in sich birgt. Der Begriff Regiment ist zeitgemäßer für die Frühe Neuzeit.

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schaft in einem bestimmten physischen Raum, der von Staatsbürgern, die eine nationale Sprache und Kultur teilen, bewohnt und von eindeutigen Grenzlinien umschlossen wird. In Anlehnung an die aufgezeigten Modelle wird untersucht, welche Räume die Vereinigten Niederlanden und die VOC im 17. Jahrhundert mit welchen Strategien beherrschten, um das niederländische Verräumlichungsregiment als Gestalt der Staats-Formierung zu beschreiben. Zudem schließt das Erklärungsmodell an Clé Lesgers Interpretation des Aufstiegs von Amsterdam an, die die Stadt als Knotenpunkt eines Netzwerks von Gateways154 zum Zweck der Beherrschung des Handels auslegt. Es existierten sowohl Netzwerke von Handelsstützpunkten als auch Netzwerke von Kaufleuten und politischen Akteuren in Europa, mit deren Hilfe angestrebt wurde, die Handels- und Warenströme Europas auf See zu beherrschen. Die Implikationen, des von Lesger beschriebenen Gateway-Systems in den Vereinigten Niederlanden, sollen einerseits auf den Aufbau eines interkontinentalen niederländischen Handelsnetzwerks zwischen Europa und Asien, andererseits auf die Struktur der Herrschaftsausübung in Europa und Asien übertragen werden, um die Strategien der niederländischen Herrschaft herauszustellen. Die Untersuchung möchte den Schritt von der Analyse des niederländischen Wirtschaftssystems zur Beschreibung der spezifisch niederländischen Verräumlichungs- und Herrschaftsstrategien durch die Erklärung der Funktionsweise des Handelsstützpunkt- und Handelsnetzwerksystems in Europa und Südostasien leisten.155 Besonders hervorgehoben werden muss Jan de Vries’ und Ad van de Woudes Arbeit zur Ökonomie der Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert, deren Reichtum an statistischem Material und analytischer Schärfe eine der entscheidenden Grundlagen für die Entwicklung des Erklärungsmodells war.156 Mit der weitergehenden Analyse des globalen niederländischen Verräumlichungsregiments, das die niederländische Staats-Formierung prägte, bietet sich die Möglichkeit, bisherige Untersuchungen zur Transformation der politischen Ordnung, zur Wirtschafts- und Stadtgeschichte, zu Netzwerken von Kaufleuten und politischen 154 Lesgers Interpretation Amsterdams als europäischer und globaler Gateway für den Warenverkehr bleibt eine wirtschaftsgeschichtliche Untersuchung, die um die Bedeutung Amsterdams als globalem Portal erweitert werden soll. Dafür sollen nicht nur wirtschaftliche Aspekte betrachtet, sondern auch die politische Funktion eines solchen Gateways analysiert werden. Zudem bezieht sich Lesgers Untersuchung auf das 16. und die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts. Siehe dazu: Lesger, Clé: The Rise of the Amsterdam Market and Information Exchange, Merchants, Commercial Expansion and Charge in the Spatial Economy of the Low Countries c. 1550–1630, Aldershot: Ashgate, 2006; ders.: Der Buchdruck und der Aufstieg Amsterdams als Nachrichtenzentrum um 1600, in: Häberlein/Jeggle, Praktiken des Handels, S. 283–308; Eisenstein; Elizabeth L.: The Printing Press as an Agent of Change, Communication and Cultural Transformation in Early Modern Europe, Cambridge: University of MA Press, 1979; Rover, M. de: Amsterdam: Venetië van het Noorden, Amsterdam/The Hague, 1991. 155 Siehe zur Analyse von Netzwerken in der Geographie: Haggart; P; Chorley, R.J.: Network Analysis in Geography, London: Edward Arnold, 1969. 156 Siehe dazu: Vries/ Woude, The first modern economy; siehe zur Bedeutung der niederländischen Ökonomie u.a.: Aymard, Maurice (Hg.): Dutch capitalism and world capitalism, Cambridge: University Press, 1982.

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II Überblick zur Forschungslage

Eliten mit der Bedeutung des Raums und der kritischen Geographie in Bezug zueinander zu setzen und weiterzuführen.157 Die Herrschaftsausübung der VOC in Südostasien wird im Erklärungsmodell einerseits als Widerspiegelung der Prinzipien des niederländischen Verräumlichungsregiments in Europa interpretiert, andererseits als Grundlage für den Aufstieg der Vereinigten Niederlanden zum politisch und ökonomisch global agierenden Akteur betrachtet. Da die VOC grundsätzlich als Wirtschaftsunternehmen charakterisiert wird, ist der Aufbau und die Transformation von Herrschaftsstrukturen in den beherrschten südostasiatischen Territorien – zu Land und zu Wasser – während des 17. Jahrhunderts an den ökonomischen Interessen des Unternehmens orientiert. Grundkategorie der Untersuchung kann demzufolge nicht der Staat als politische Entität, sondern muss vorerst der Raum sein, den die VOC beherrschen wollte, um ihre ökonomischen Interessen durchzusetzen. Indem es der VOC jedoch gelang, während des 17. Jahrhunderts politische Macht aufzubauen, wird eine Analyse und Beschreibung der Herrschaftsstrukturen möglich, die sowohl mit asiatischen Herrschaftsordnungen als auch mit den Strukturen in den Vereinigten Niederlanden in Relation gesetzt werden können. Es soll zum einen überprüft werden, ob die Bedeutung der Vereinigten Niederlanden im europäischen Machtgefüge durch das Wirken der VOC zunahm, zum anderen, ob das Ausgreifen der VOC nach Asien und der Aufstieg zur politischen Akteurin die spezifische Staats-Formierung der Vereinigten Niederlanden reproduzierte und dadurch stärkte. Aus dem Zusammenhang der konkreten Ausbildung von Herrschaftsstrategien in den Vereinigten Niederlanden und dem Machtbereich der VOC kann die Gestalt der Raumordnung, die dem Bedeutungswandel des niederländischen Begriffs Staat vorausging und ihn begleitete, untersucht und die beiden Entitäten in Relation zueinander gesetzt werden. Ist die VOC der in der einschlägigen Literatur dargestellte Staat im Staat158 oder eine Vertreterin der Vereinigten Niederlanden in Asien, die durch verschiedene Institutionen wie der Amsterdamse Wisselbank eng mit den Geschicken der Vereinigten Niederlanden in Europa verbunden war?159 Waren die Vereinigten Niederlanden gar abhängig von der Unterstützung der VOC, sowohl im Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien, in dem die VOC gegen die spanischen Interessen in Südostasien vorging und damit die spanische Krone entscheidend schwächte als auch im Krieg gegen England, in dem die VOC der Union Schiffe zur Verfügung stellte? Bisherige Untersuchungen haben sich mit der Analyse und Charakterisierung der Struktur von Herrschaft beschäftigt, um eine Klassifizierung der Vereinigten Niederlanden im Rahmen der Aristotelischen Nomenklatur der Herrschaftsord157 Siehe dazu: Braudel, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipp II.; Lesger, The Rise of the Amsterdam Market and Information Exchange; Zanden/Prak/Maarten, Towards an economic interpretation of citizenship. 158 Vgl. dazu u. a.: Boxer, Charles Ralph: The Dutch Seaborne Empire, 1600–1800, Penguin Books: London, 1990, S. 26. 159 Siehe zur Bedeutung von Institutionen für den Wandel u.a.: Greif, A.: Commitment, coercion, and markets: the nature and dynamics of institutions supporting exchange, in: Ménard, C.; Shirley, M. (Hg.): Handbook of New Institutional Economics, Dordrecht: Springer, 2005.

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nungen vornehmen zu können.160 Die Historiographie zur Struktur der Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden soll demnach um die Analyse der Interkontinentalität der Herrschaftsstrategien und des Verräumlichungsregiments der Niederländer ergänzt werden.161

Das Konzept der Verräumlichungsregimente Das Territorium ist ein wichtiges Element für die Untersuchung der niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien162, muss aber im Folgenden durch den im deutschen Kontext negativ besetzten Begriff Raum ersetzt werden.163 Der Term ermöglicht die stärkere Betrachtung von Herrschaftsstrategien, die nicht nur das Land, sondern auch andere Räume sozialen Handelns einbezieht. Mit der Definition des Territoriums als begrenztem Raum lässt sich das Meer als Ort sozialen Handelns kaum greifen, da keine klaren Besitzansprüche ob der schieren Größe der Weltmeere möglich sind. Mit der Entscheidung fällt ebenso die Abgrenzung gegen die ideologische Verbrämung des Worts Raum durch das nationalsozialistische Expansionsdenken während des Zweiten Weltkriegs zusammen wie gegen die wissenschaftliche Vorbereitung dieser Ideologie in der Vorkriegszeit. 160 Siehe dazu u. a.: Fockema, Andreae; Sybrandis, Johannes: De Nederlandse Staat onder de Republiek, Verhandelingen der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Afd. Letterkunde, Nieuwe Reeks, Deel 68, No. 3, Amsterdam: N.V. Noord-Hollandsche Uitgevers Maatschappij, 1961; Koenigberger, Republiken und Republikanismus; ders., Monarchies, States Generals and Parliaments. Die Verfassung der Herrschaft in den Vereinigten Niederlanden während des 17. Jahrhunderts wird nach der antiken Verfassungslehre als Oligarchie beschrieben. Weiterhin werden die Vereinigten Niederlanden als Republik oder dominium regale et politicum beschrieben. 161 Siehe dazu u. a.: Gelderen, Martin van; Skinner, Quentin (Hg.): Republicanism, A shared European Heritage, Volume I. Republicanism and Constitutionalism in Early Modern Europe, Cambridge: University Press, 2002; ’t Hart, The making of a bourgeois state; Lademacher, Horst: Die Niederlande, Politische Kultur zwischen Individualität und Anpassung, Berlin: Propyläen Verlag, 1993. 162 Hinzuweisen ist bei der Wahl des Begriffs Raum auf die Debatte um den Begriff Territorialstaat: „Erst im Verlauf einer längeren Forschungsgeschichte hat sich also der beliebte Ausdruck ,Territorialstaat‘ als Bezeichnung für die fürstliche Herrschaft eingebürgert. Die Folgen dieser immer unpräziser gebrauchten Terminologie sind Konfusion und Scheinkontroversen. Denn die Assoziationen, die sich mit dem Ausdruck Territorium verbinden, von dem problembefrachteten Kompositum Territorialstaat, das die Diskussion der Staatlichkeit des Mittelalters aufwirft, ganz zu schweigen, sind die eines gar nicht vorhandenen geschlossenen Raums.“, in: Schubert, Ernst: Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter, Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Band 35, München: Oldenbourg, 1996, S. 55. 163 Unter den Nationalsozialisten wurde der Raum-Begriff zur Chiffre für die Vertreibung und Vernichtung der Bevölkerung Osteuropas unter dem Paradigma des Lebens-Raums im Osten. Intellektuell wurde die Anthropogeographie unter anderem von Karl Haushofer vorbereitet, der sich auf das Werk Friedrich Ratzels bezog. Siehe dazu: Ratzel, Friedrich: Anthropogeographie, Die Verbreitung des Menschen, Stuttgart: Engelhorn, 1912; Haushofer, Karl: Weltpolitik von heute, Berlin: Verl. u. Vertriebsges. Zeitgeschichte, 1934.

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II Überblick zur Forschungslage

In der Frühen Neuzeit veränderte sich die Verräumlichung von Herrschaft. Aus Personenverbänden, die in imperialen Strukturen organisiert waren, entwickelten sich territoriale Ordnungsprinzipien, wobei nicht vergessen werden darf, dass auch vorher ein bestimmter Raum von Personenverbänden beherrscht wurde, sich jedoch die Identifikation vom Personenverband auf das Territorium verschob. Auch Imperien bestanden weiterhin, so dass in der Frühen Neuzeit eine Parallelität politischer Ordnungskonzepte herrschte. Für das alternative Erklärungsmodell der niederländischen Staats-Formierung ist das Konzept der Verräumlichungsregimente von höchster Bedeutung. Um die Bedeutung des Raums als entscheidende Kategorie eines Gegenentwurfs zur Beschreibung frühneuzeitlicher Staatlichkeit fassen zu können, dienen als Anknüpfungspunkte die Untersuchungen Fernand Braudels, Henri Lefebvres, David Harvey und Charles S. Maiers.164 Bei Verräumlichungsregimenten handelt es sich um ein Konzept, dessen Ursprünge in der Geographie verortet sind. Durch den spatial turn in der Kulturgeschichte gewann der Raum für die Geschichtswissenschaft wieder an Bedeutung.165 Raumordnungen werden von verschiedenen Akteuren ausgehandelt, verändert oder neu erschaffen. Wenn ein Verräumlichungsregiment in die Krise gerät, treten verschiedene Akteure in Konkurrenz miteinander, um eine Ordnung in einem bestimmten Territorium zu erhalten oder eine neue durch ihr soziales Handeln zu errichten. Speziell in der Frühen Neuzeit wurden infolge der Expansion in außereuropäische Regionen vollkommen neue räumliche Bezüge und Konkurrenzverhältnisse geschaffen. Nach dem Westfälischen Frieden etablierte sich in den Vereinigten Niederlanden sowohl durch deren endgültige Unabhängigkeit als auch durch deren Beherrschung der Seehandelswege und der Landnahme in Asien durch die VOC ein jeweils neues Verräumlichungsregiment. Als allgemeiner Prozess der Verräumlichung von Herrschaft ist das Konzept der Verräumlichungsregimente auf die Frühe Neuzeit anwendbar, da sich, wie oben erwähnt, in der Frühen Neuzeit der Wandel von der familien- und stammeszentrierten Gesellschaft zur territorialen Herrschaft ergab. Anhand der Vereinigten Niederlanden zeigte sich in der Frühen Neuzeit der Wandel der territorialen Herrschaft von der Beherrschung durch Philipp II. von Spanien hin zu einer Zersplitterung der räumlichen Herrschaft auf drei Ebenen. Städte, Provinzen und die Union rangen im Territorium der Vereinigten Niederlanden und darüber hinaus um die Oberhoheit. Daran anschließend kann dem Gedanken Maiers gefolgt werden, der das 17. Jahrhundert als Ausgangspunkt für die Transformation von Territorialität betrachtet.

164 Siehe dazu: Bloch, Marc; Braudel, Fernand; Febvre, Lucien; Honegger, Claudia (Hg): Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zu einer systematischen Aneignung historischer Prozesse, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1977, Braudel, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipp II.; Harvey, Spaces of Capital; Lefebvre, Henri: The production of space, Oxford: Blackwell, 2000; Maier, Transformation. 165 Siehe dazu u. a.: Döring, Jörg; Thielmann, Tristan (Hg.): Spatial Turn: das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld: Transcript Verlag, 2008; Warf, Barnes; Arias, Santa (Hg.): The spatial turn: interdisciplinary perspectives, London: Routledge, 2008.

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„The ,era of intense territoriality emerged around the mid-seventeenth century, underwent some decisive modifications in the eighteenth and nineteenth century and then […] started to dissolve a century agoʻ. […]: the mid-seventeenth century […] introduces sovereignty as an 166 attribute belonging to hundreds of state units[…].“

Allerdings arbeiteten erst an Maier anschließende Betrachtungen zum Konzept der Verräumlichungsregimente die Problematik der gleichzeitig vorhandenen Ansprüche auf Souveränität heraus, die sowohl von territorial als auch nicht-territorial gebundenen Organisationen vorgebracht wurden und zu verschiedenen Formen der Verräumlichung führten.167 Middell und Naumann beziehen ihre Ausführungen auf das 20. Jahrhundert. Die bisher vorgebrachten Argumente für die Varianz der Verräumlichung in der Frühen Neuzeit erlauben die Übertragung der Thesen auf das 17. Jahrhundert. „The ,early modernʻ spatial order distinguishes itself from the clear hierarchy of the emerging nation-state in western Europe through an extensive absence of hierarchy between the different patterns of spatialization of social relationships; at the same time, however, it stands in sharp contrast to the late twentieth century, since transnational entanglements were much less extensive than today and the speed of communication much slower. No doubt this spatial order was also characterized by territoriality, since not only governmental taxes but also feudal tributes were required. But there was no clear hierarchy between territorial and non-territorial 168 forms of societal organization, or between different forms of territoriality.“

Es existierten einerseits in den europäischen Territorien der Vereinigten Niederlanden die Ebenen der Städte, Provinzen und der, sie umklammernden Union, andererseits die territorialen Besitzungen der VOC in Asien, die für die Niederländer eine komplett neue Form der Verräumlichung darstellten. Die Beschäftigung mit den ständigen Neuverhandlungen der Macht in den Vereinigten Niederlanden über das gesamte 17. Jahrhundert hinweg, den daran geknüpften transregionalen und -kontinentalen Herausforderungen und der daraus resultierenden Etablierung von Herrschaft kann zu einer Differenzierung des theoretischen Ansatzes der Verräumlichungsregimente beitragen, in dem zudem ein Akzent auf die Verräumlichung und Beherrschung des Meeres gelegt wird. Middell und Naumann betonen, dass es neben dem Fehlen einer klaren Hierarchie, eine eindeutige Grenzziehung erst mit dem Westfälischen Frieden gab, die allerdings nicht umgehend mit dem Vertragsschluss Realität wurde. In diesem Punkt folgt die vorliegende Arbeit der Interpretation Middells und Naumanns, die von der Überlappung von Grenzen und den allgemeinen Problemen bei der Durchsetzung der vertraglich festgelegten Ordnung sprechen, was weitere Argumente gegen die Thesen der Absolutismusforschung vorbringt, die mit dem Westfälischen Friedenswerk den Beginn der Staatenbildung in Europa unter der Herrschaft von Monarchen verbindet. 166 Vgl. dazu: Maier, Transformation, S. 37. 167 Siehe zur Souveränität ohne Bindung an ein Territorium: Appadurai, Arjun: Sovereignty without territoriality: notes for a postnational geography, in: Low Setha M.; LawrenceZuňiga, Denise (Hg.): The anthropology of space and place: locating culture, Oxford: Blackwell, 2003, S. 337–349. 168 Vgl. dazu: Middell/Naumann, Global History and the Spatial Turn, S. 164.

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II Überblick zur Forschungslage

„The principle of clearly defined, sovereign states with homogenized internal spatial orders (established by the Treaty of Westphalia in 1648) in many ways contradicted the reality of overlapping border zones, unclear property claims, freer cities, and weakly administrated co169 lonial spaces.“

Die erst im Entstehen begriffene Territorialität ist charakteristisch für die Frühe Neuzeit. Ausgehend von der Überlappung von Grenzen muss betont werden, dass im Verlauf des 17. Jahrhunderts bedingt durch die fortwährende Kriegssituation eine ständige Unsicherheit über die territoriale Ausdehnung der Vereinigten Niederlanden bestand und letztlich erst nach 1648 mit der endgültigen Unabhängigkeit von Spanien die Territorialisierung der Herrschaft zum Abschluss kam. Das Jahr des Friedensschlusses als Ausgangspunkt der Entstehung des modernen Staatensystems festzulegen, unterschätzt allerdings den langwierigen Transformationsprozess, der nicht explizit mit einem Zeitpunkt begann oder endete. Bei genauerer Betrachtung der Bedeutungstransformation des Begriffs Staat als Bezeichnung für politische Entitäten wird deutlich erkennbar, dass die niederländische Staats-Formierung ein langsamer Prozess war, der weit über das Jahr 1648 hinausreichte und einen beträchtlichen Vorlauf besaß. Letztlich sind die Voraussetzungen in allen Teilen Europas zu Beginn der Frühen Neuzeit ähnlich, nur die daran anschließenden, unterschiedlichen Entwicklungen verlaufen keinesfalls homogen, was die Theorie der Staatsbildungsprozesse durch die Ausblendung gescheiterter Herrschaftsordnungen suggeriert und dabei zwangsläufig den Blick auf die geschichtliche Diversifikation verstellt.170 Fruchtbar ist die Verwendung des Konzepts der Verräumlichungsregimente, weil es eine Analyse abseits des Strukturalismus und konnotierter Kategorien ermöglicht. Die Annahmen des Konzepts schaffen die Voraussetzung, die Neuordnung von Herrschaftsstrukturen zu analysieren, ohne eine teleologische Geschichte des Staats schreiben zu müssen, da die Untersuchung der Beherrschung von Räumen im Vordergrund steht, die erst durch soziales Handeln strukturiert werden. Über die Betrachtung der Akteure und Korporationen, die das jeweilige Verräumlichungsregiment herausfordern und ein neues zu errichten versuchen, bietet es die Möglichkeit, den Aufbau und die Transformation von Strukturen politischer Herrschaft beschreiben zu können, ohne Kräfte des Wandels zugunsten einer Beschreibung statischer Verhältnisse zu vernachlässigen.

Kritik am Konzept der Verräumlichungsregimente Das Konzept der Verräumlichungsregimente kann indes nicht vorbehaltlos auf die Frühe Neuzeit übertragen werden. Einer strukturalistischen Geschichtsschreibung, die nur von den Machtverhältnissen und deren Strukturierung ausgeht, steht bei den Theoretikern der Verräumlichungsregimente eine materialistische Geschichtsschreibung gegenüber, die verknüpft ist mit den Auswirkungen des Kapitalismus. 169 Vgl. dazu: Middell/Naumann, Global History and the Spatial Turn, S. 164. 170 Siehe dazu: Freist, Absolutismus.

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Der Geograph David Harvey begründet die Neuverhandlung über Räume mit der Suche von Akteuren nach neuen Räumen der Kapitalakkumulation.171 Der Kapitalismus ist ein Faktor, der in Maiers Konzept die Transformation von Territorialität vorantreibt. Der Kapitalismus ist letztlich die Triebkraft hinter der Veränderung der Raumordnung und der Neuverhandlung von Macht. Maiers Überlegungen zitieren die Mechanismen der Wallersteinʼschen Weltsystemtheorie. Die Gestalt des Kapitalismus innerhalb des Konzepts der Verräumlichungsregimente muss kritisch betrachtet werden, bevor das Konzept zur Analyse der Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhundert Anwendung finden kann. Schon Immanuel Wallerstein betonte in seinem dreibändigen Werk The Modern World-System die Bedeutung des Kapitalismus innerhalb der von ihm aufgestellten Weltsystemtheorie. Wallersteins Weltsystemtheorie unternimmt den Versuch, die Mechanismen des modernen Kapitalismus auf das 17. Jahrhundert anzuwenden. Verbunden mit der Annahme, dass schon im 16. Jahrhundert Nationalstaaten bestehen, entwickelte Wallerstein ein Zentrum-Peripherie-System, das auf der Voraussetzung basiert, nur im Zentrum würden hochwertige Güter hergestellt, deren Produktion durch die Einfuhr von billigen Rohstoffen aus der Peripherie profitabel für die Hersteller wird. Diese Güter wiederum sind die Voraussetzung für die Tauschwirtschaft auf der Wallersteins Konzept des Kapitalismus beruht. Das Zentrum charakterisiert der technologische Fortschritt und die Herstellung hochwertiger Güter, die nach den Regeln des Kapitalismus Märkte benötigen, auf denen sie verkauft werden können, was dazu führt, dass die Peripherie in den Zyklus des Verkaufs der Waren wieder eingebunden wird und sich damit ein Weltsystem entwickelt, dessen Beginn Wallerstein schon im Ausgang des 16. Jahrhunderts verortet.172 Die Vereinigten Niederlanden beherrschten nach Wallersteins Theorie im 17. Jahrhundert als Hegemon dieses System, verloren diese Position jedoch rasch, da die Kosten für die Aufrechterhaltung jenes Status zu hoch wurden. Entscheidend an Wallersteins Ansatz ist die Charakterisierung Nordwesteuropas mit den Vereinigten Niederlanden und England als Zentrum des Systems im 17. Jahrhundert. Wallersteins Theorie deutet die beiden Entitäten als starke Staaten, die nacheinander versuchen, die globalen Kapitalströme zu beherrschen, was später von Brewer mit Bezug auf England als fiscal-military-state bezeichnet wurde. Nach Wallerstein verläuft dieser Prozess im Rahmen eines Freihandelssystems.173 Genauer betrachtet ergeben sich zwischen Wallersteins Theorie und den Wirtschaftspraktiken der Niederländer im 17. Jahrhundert weitreichende Differenzen, die Wallersteins Kapitalismusdefinition als unzutreffend für die Prozesse in der Frühen Neuzeit in Bezug auf die Vereinigten Niederlanden und die VOC heraus171 Siehe dazu: Harvey, Spaces of capital. 172 Vgl. dazu: Wallerstein, Der Merkantilismus, S. 38ff. 173 Siehe dazu: Brewer, The Sinews of Power; Glete, War and the State in Early Modern Europe; Wallerstein, Immanuel Maurice: Die Anfänge kapitalistischer Landwirtschaft und die europäische Weltökonomie im 16. Jahrhundert, Wien: Promedia, 2008; ders., Der Merkantilismus.

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II Überblick zur Forschungslage

stellen. Abgesehen von der Fragwürdigkeit der Existenz von Nationalstaaten im 16. Jahrhundert und des Eurozentrismus, gilt die Kritik der Annahme, dass die Niederländer in Bezug auf ihre globalen Wirtschaftsaktivitäten Mehrwert durch Produktion geschaffen hätten, den sie gleich darauf wieder zur Generierung neuen Mehrwerts in den Produktionsprozess zurückführten. Es ist den Niederländern nur in wenigen, lokal sehr begrenzten Regionen erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gelungen, die Produktion der Gewürze in Südostasien unter ihre Kontrolle zu stellen. Die Produktion von Gewürzen konnte die VOC nur in den Molukken nachhaltig kontrollieren, indem sie rigoros gegen die Urbevölkerung vorging. Um darüber hinaus Gewürze in Asien erwerben zu können, waren Edelmetalle notwendig, die entweder mit hohem Aufwand aus Europa importiert oder im Tausch gegen Textilien und andere Produkte in Japan eingetauscht werden mussten.174 Daran zeigt sich zweierlei. Erstens, dass es im 17. Jahrhundert nicht nur ein Weltsystem gab, sondern dass Europa und Asien eigenständige Wirtschaftszonen bildeten, die vor allem im Bereich der Luxusgüter miteinander in Handelsbeziehung traten.175 Zweitens zeigt sich, dass der Profit nicht durch die Produktion entstand, sondern durch das Privileg der VOC in Europa, das Monopol auf den Gewürzhandel zu besitzen, für das die VOC in bestimmten Abständen Zahlungen an die Generalstände leisten musste.176 Der Schiffsweg war riskant, kostspielig und die Position der Niederländer in Asien instabil, was zu häufigen Kriegen führte oder die Pflege diplomatischer Beziehungen durch kostbare Geschenke notwendig machte, was an tributäre Systeme erinnert. All diese Faktoren bestimmten den exorbitanten Preis der Gewürze in Europa, der zudem künstlich hochgehalten wurde, indem Güterreserven angelegt wurden.177 Aber auch Amsterdam als Hauptumschlagplatz asiatischer Gewürze in den Vereinigten Niederlanden war nicht der einzige europäische Marktplatz, auf dem Gewürze ge- und verkauft werden konnten. Ein hohes Preisniveau zu halten, war überhaupt erst die Voraussetzung für die Gründung der VOC 1602. Die Monopolstellung der VOC als einziger legitimierter Einführerin und Anbieterin von Gewürzen aus Asien in den Vereinigten Niederlanden widerspricht somit auch Wallersteins These, dass der Hegemon bestrebt wäre, ein Freihandelssystem zu etablieren. Für den freien Handel argumentierten die Niederländer nur so lange, bis sie die dominierende

174 Vgl. dazu: Pfister, Die Frühe Neuzeit als wirtschaftshistorische Epoche; Darwin, John: Der imperiale Traum, Die Globalgeschichte großer Reiche 1400–2000, Frankfurt/New York: Campus Verlag, 2010, S. 134. 175 Siehe dazu: Pommeranz, Kenneth: The Great Divergence: China, Europe and the making of the modern world economy, Princeton/New York: Princeton Univ. Press, 2000; Landes, David S.: The wealth and the poverty of the nations: why are some so rich and some so poor, London: Abacus, 2007. 176 Vgl. dazu: Japikse, N. (Hg.): Resolutiën der Staten-Generaal van 1572 tot 1609, Twaalfde Deel, 1602–1603, Oude reeks, Rijks geschiedkundige publicatiën, Grote serie 92, ’s Gravenhage: Nijhof, 1950, S. 297; Roelevink, Resolutiën der Staten-Generaal, Band 6, S. 74ff. 177 Vgl. dazu: Driessen, Christoph: Die kritischen Beobachter der Ostindischen Compagnie. Das Unternehmen der „Pfeffersäcke“ im Spiegel der niederländischen Presse und Reiseliteratur im 17. Jahrhundert, Bochum: Universitätsverlag Dr. N. Brockmeyer, 1996, S. 20ff.

4. Die niederländische Staats-Formierung

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europäische Macht in Asien waren.178 Die VOC verbot alle privatwirtschaftlichen Aktivitäten von Niederländern in Asien und ging gegen andere europäische Konkurrenten mit Waffengewalt vor. Sowohl in Nord-, Ost- und Westeuropa waren die Niederländer indes bestrebt, die Seehandelswege mit ihren Fracht-, Handelsund Kriegsschiffen zu beherrschen und traten für ein Freihandelssystem ein, um weiterhin Zugang zu anderen europäischen Märkten zu besitzen, was wiederum die These von getrennten Weltsystemen unterstützt. Wenn die Niederländer von Wallerstein als Hegemon des 17. Jahrhunderts bezeichnet werden, dann kann es, wie Charles Ralph Boxer nachgewiesen hat, nur auf ihre dominante Rolle zur Seemacht in Europa, nicht als Landmacht zutreffen.179 In Europa bedingte die Abhängigkeit der europäischen Territorien von der niederländischen Frachtschifffahrt die Vormachtstellung der Vereinigten Niederlanden. Die hegemoniale Stellung der Niederländer ist also auf den Seehandelssektor und bestimmte Regionen und Räume begrenzt. Die entscheidende Problematik, die auch Arrighi in der Nachfolge Wallersteins weiter zitiert, ist die ausbleibende Differenz zwischen Handels-, Finanz- und Industriekapital, wie sie Marx unterschieden hat, und dem Kaufmannskapital der Frühen Neuzeit.180 Wallerstein und Arrighi folgen Marx’ materialistischen Ansichten und interpretieren die ökonomischen Verhältnisse mit den Marxʼschen Unterscheidungen. Die Politikwissenschaftlerin Heide Gerstenberger betont die problematische Übertragung der Mechanismen des neuzeitlichen Verständnisses von Handels- und Finanzkapital auf die Frühe Neuzeit, in der der Kaufmannskapitalismus besonders für die Niederländer kapitalistische Ausformung der Wertschöpfung war. Neben dem Handel mit Asien profitierten die Niederländer in Europa von ihrer bestimmenden Rolle als Frachtschiffer, Heringsexporteur und Geldverleiher. Die Vernetzung der Welt in der Frühe Neuzeit mit den Mechanismen der Kapitalakkumulation zu erklären, bindet die Epoche in einen Prozess ein, dessen Beginn erst nach dem 17. Jahrhundert festzustellen ist. Die Charakteristik des Kaufmannskapitals ist der hohe Profit infolge von Privilegien.181 Unter diesen Voraussetzungen politisch gewollter Privilegien lagen die Profite der VOCKaufleute höher als die der nicht privilegierten Konkurrenten. Die europäische

178 Auch Grotius, der für die Freiheit der Meere argumentierte, gab in den 1630er Jahren zu, im Auftrag der VOC die Freiheit des Handels propagiert zu haben. Im Laufe seines Lebens änderte er seine Meinung zur Freiheit der Meere, was sich auch in der Konzeption von De jure belli ac pacis niederschlug, wo er im Gegensatz zu seinen früheren Schriften, Einschränkungen für die Freiheit der Meere vornahm. Siehe dazu: Lademacher, Phönix aus der Asche?, S. 262. 179 Siehe dazu: Arrighi, The long twentieth Century; Boxer, The Dutch Seaborne Empire; Brewer, John; Hellmuth, Eckhart: Introduction, in: Brewer, John; Hellmuth, Eckhart (Ed.): Rethinking Leviathan, The Eighteenth-Century State in Britain and Germany, Oxford/New York: Oxford University Press, 1999, S. 1–21, darin: S. 7f; Wallerstein, Der Merkantilismus. 180 Vgl. dazu: Arrighi, The long twentieth Century, S. 11ff. 181 Vgl. dazu: Gerstenberger, Heide: Die subjektlose Gewalt: Theorie der Entstehung bürgerlicher Staatsgewalt, 2., überarb. Aufl., Münster: Westfäl. Dampfboot, 2006, S. 19.

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II Überblick zur Forschungslage

Expansion kann nicht eindeutig im Zusammenhang mit dem modernen Verständnis der Kapitalakkumulation gesehen werden.182 Auch die Rolle Amsterdams als Finanzzentrum des 17. Jahrhunderts ist in dem Maße zu relativieren. Die neu gegründeten Wechselbanken in den Niederlanden unterstützten zwar die VOC, jedoch geschah dies meist nur aus persönlichem Kalkül.183 Sie agierten im 17. Jahrhundert allerdings noch nicht in dem Maße als Kreditgeber für Produktionszweige. Die Hauptaufgabe der Wechselbanken bestand vorerst darin, Zahlungsabläufe zu vereinfachen, indem verschiedene Währungen eingezahlt und auf Konten in der einheitlichen Währung Bankgulden festgeschrieben wurden.184 Die Vielzahl verschiedener Münzen machte es einfacher, die Münzen gegen Wechsel in Bankgulden einzutauschen und damit nicht dem ständigen Umrechnen des Kurses und dessen Schwankungen unterworfen zu sein. Vorgänger der Wechselbanken waren die als Kassierer bezeichneten Institutionen; von Kaufleuten betriebene Kleinbanken, bei denen Konten eröffnet und Geld eingezahlt werden konnten. Bereits die Kleinbanken operierten mit Wechseln. Eine weitere Dienstleistung war das Verschieben von Summen vom eigenen auf Konten andere Kaufleute, um Zahlungen abzuwickeln. Zudem gaben die Kleinbanken Kredite an Kaufleute, die sie als vertrauenswürdige Personen ansahen. Allerdings bekamen die Kaufleute meist Münzen ausgehändigt, deren Wert fraglich war. Von den Kaufleuten wurde den Kassierern vorgeworfen, sie würden die Handelsmünzen, die Kaufleute aus dem Ostseehandel ihnen auf bestehende Konten einzahlen würden, für einen höheren Preis bei der Vergabe von Krediten wieder auszahlen, um dadurch Gewinn zu erwirtschaften. Auch um diesen Anschuldigungen entgegenzuwirken, die zur Instabilität des Finanzmarktes führte, beschloss die Stadtverwaltung Amsterdams die Gründung der Wechselbank.185 Mit der Wechselbank etablierte sich ein fester Wechselkurs des Guldens in den Vereinigten Niederlanden. Die Bank gab Wechselbriefe aus, die in anderen Geldinstituten in Europa gegen den verzeichneten Wert in Bargeld eingetauscht werden konnten, was den Handel über große Distanzen vereinfachte und das Risiko der Kaufleute, des Geldes auf langen Reisen entledigt zu werden, verminder182 Oft wurde in Obligationen, Renten, sowie lang- und mittelfristige Anleihen investiert. Wer es sich leisten konnte, erwarb Grund und Boden oder Häuser, um den Status der eigenen Person zu unterstreichen. Vgl. dazu: Lademacher, Phönix aus der Asche?, S. 222ff. 183 Siehe dazu: ’t Hart, Corporate Governance; dies., Netzwerke des Handels und der Macht. 184 Neben der Finanzierung der VOC gelang es durch die Wechselbank, die Kreditwürdigkeit in den Vereinigten Niederlanden auf ein solides Fundament zu stellen. Die Stadt Amsterdam bürgte für die Einlagen der Wechselbank, was die Sicherheit in dem Maße steigerte, innerhalb der gesamten Union, aber vor allem in den Provinzen Holland und Seeland, eine Belebung des Kapitalmarkts zu begünstigen und Geld gegen geringe Zinsen zu leihen. Rotterdam und Delft folgten den Vorbildern in Amsterdam und Middelburg. Siehe dazu: Dillen, Geschiedenis der Wisselbanken; ders. (Hg.): Bronnen tot de geschiedenis van het bedrijfsleven en hat gildewezen van Amsterdam, RGP 69, 78, 144, The Hague, 1929–74; ders.: Oprichting en functie der Amsterdamse Wisselbank in de zeventiende eeuw 1609–1686, in: Ders. (Hg.): Mensen en achtergronden: Studies ter gelegenheid van de tachtigste jaardag van de schrijver, Groningen, 1964, S. 336–384. 185 Siehe dazu: Dillen, Geschiedenis der Wisselbanken.

4. Die niederländische Staats-Formierung

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te.186 Begünstigend für das Vertrauen in den Bankgulden war die Tatsache, dass die Wechselbank offiziell keine Kredite gewährte und folglich, das Geld, das auf den Konten festgeschrieben war, auch wirklich im Kassenbestand vorrätig blieb. Was die Kredite betraf, gab es natürlich Ausnahmen. Dirck van Os war einer der Direktoren der Amsterdamer Wechselbank. Sein gleichzeitiges Engagement für die VOC ermöglichte die Kreditvergabe an die VOC während des 17. Jahrhunderts, als diese durch fehlende Gewinne neues Kapital benötigte, um die Fahrten nach Ostindien weiterhin finanzieren zu können. Entscheidender Unterschied zum modernen Kapitalismus war in den Vereinigten Niederlanden die Verwendung des Profits. Zu Beginn des Jahrhunderts investierten die niederländischen Eliten in die Trockenlegung von Land, um es später zu verpachten, in Handelsunternehmungen wie die VOC, sowie in Renten187 und Obligationen, die von den Provinzen ausgegeben wurden. Die Gewinne aus diesen Aktivitäten bedeuteten sozialen Aufstieg. Die Regenten investierten ihren Gewinn auch noch Ende des 17. Jahrhunderts in den Erwerb von Grund und Boden, da sich mit diesem Erwerb ihre gesellschaftliche Stellung absichern, festigen oder etablieren ließ. Kapital wurde demzufolge in den Vereinigten Niederlanden zu Beginn des Jahrhunderts in verschiedene Zweige investiert, die Gewinne abwarfen. In der zweiten Hälfte verlagerten sich die Investitionen ins Ausland oder wurden nicht in den Produktionsprozess zurückgeführt, um neuen Profit zu erwirtschaften, wie im modernen Kapitalismus üblich, sondern in traditionellen Statussymbolen angelegt; in soziales Kapital umgemünzt.188 Ausdruck dieses frühneuzeitlichen Verständnisses des Kapitalismus war der Niedergang der wirtschaftlichen Bedeutung der Vereinigten Niederlanden im 18. Jahrhundert, da sie kurzfristig durch fehlende Investitionen in neue Wirtschaftszweige, langfristig durch das Fehlen energiereicher Rohstoffe wie Kohle, den Anschluss an England verloren. Vorausgegangen war ein Wandel des Investitionsverhaltens der niederländischen Eliten. Wenn niederländische Kaufleute in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Unternehmen investieren wollten, taten sie das in London.189 Auch die Weiterführung von Wallersteins Gedanken in den Arbeiten Arrighis zeigt das Beharren auf den Kategorien des modernen Kapitalismus in der Beschäftigung mit der Frühen Neuzeit und einem unzeitgenössischen Staats-Begriff. Arrighi interpretiert den Kapitalismus allerdings als Widerstreit zwischen Staaten 186 Das System der Wechselbriefe bestand schon früher in oberitalienischen Handelsstädten wie Venedig. Die Wechselbanken waren indes eine bis dahin unbekannte Form der Institutionalisierung, was die Sicherheit der ausgestellten Wechselbriefe und damit das Vertrauen in die niederländischen Handelsstädte vergrößerte. Siehe dazu: Wallert, J.A.F.: Onwikkelingslijnen in praktijk en theorie van de wisselbrief 1300–2000, Groningen: Uitgerverij Chimaira, 1996. 187 Siehe dazu Tracys Untersuchung zum 16. Jahrhundert: Tracy, James D.: A Financial Revolution in the Habsburg Netherlands: ,Rentenʻ and ,Renteniersʻ in the Country of Holland, 1515–1565, Berkley, CA: University of California Press, 1985. 188 Vgl. dazu: Boxer, The Dutch Seaborne Empire, S. 12. 189 Vgl. dazu: Ebda., S. 124; Spufford, Peter: Access to credit and capital in the commercial centres of Europe, in: Davids, Karel; Lucassen, Jan (Hg.): A miracle mirrored, Cambridge: University Press, 1995, S. 303–337, darin: S. 328.

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II Überblick zur Forschungslage

um flexibles Kapital. Dieses Ringen führt zum Aufstieg der Staaten indem profitable Städte und Regionen integriert werden, wie es auch in den Modellen Reinhards und Tillys angenommen wird. Ebenso wie Wallerstein sieht Arrighi die Niederländer in diesem Kampf in die Rolle des Hegemons. Abgesehen von der Kategorisierung als Hegemon ist die Frage nach Abschöpfung und Wiederverwertung von Kapital ein Element, das auch im Modell der Verräumlichungsregimente eine entscheidende Rolle spielt.190 In der Analyse der Weltsystemtheorie Wallersteins und Arrighis zeigt sich die Schwierigkeit, die komplexen Annahmen der von Marx entwickelten Strukturen des Kapitalismus auf die Frühe Neuzeit zu übertragen. Diese Annahmen sind die Voraussetzung für Harveys und Maiers Ansätze und beherrschen somit im Allgemeinen die Theorie der Verräumlichungsregimente. Es zeigt sich, dass eine Modifikation der Vorannahmen notwendig ist. Um auf die Frühe Neuzeit mit Bezug auf die Vereinigten Niederlanden anwendbar zu sein, muss das Konzept mit der Kategorie des Kaufmannskapitalismus operieren und eine stärkere Differenzierung der Weltregionen mitdenken, wobei das asiatische Handelssystem eigenständige Mechanismen besaß, in dem die Europäer während des 17. Jahrhunderts europäischer Zeitrechnung eine spezifische Rolle einnahmen.191 Durch diese Modifikationen ist es möglich, die Faktoren des Konzepts der Verräumlichungsregimente als Grundlage für die Untersuchung der Herrschaftsund Verräumlichungsstrategien der Niederländer im 17. Jahrhundert zu nutzen, die auf Saskia Sassens Analysekategorien Territorium, Autorität und Rechte zurückgreifen. Um die Eckpunkte noch einmal vor Augen zu führen: Amsterdam, Batavia und Den Haag sollen auf ihre Bedeutung als globale Portale in einem Netzwerk- und Stützpunktsystem hin untersucht werden. Die globalen Portalen und Netzwerke sollen als Mechanismen der Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien der Niederländer in einem globalen Maßstab gelten. Auslöser für den Wandel der politischen Ordnung ist die politische Krise der Habsburger in der Folge der Abdankung Karls V., der Bankrott der spanischen Krone sowie die Spaltung der christlichen Religion durch die Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts, die den Unabhängigkeitskrieg der Niederländer beförderten. Der dritte Schritt ist die Ausformulierung der Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien in einem Erklärungsmodell für die spezifische Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts. 190 Siehe dazu: Arrighi, The long twentieth Century, S. 12–33; zur Bedeutung von Städten in der Frühen Neuzeit siehe u. a.: O’Brien, Patrick; Keene, Derek, [u.a.] (Hg.): Urban Achievement in Early Modern Europe, Golden Ages in Antwerp, Amsterdam and London, Cambridge: Cambridge University Press, 2004. 191 Vgl. dazu: Häberlein, Mark: Kommunikationsraum Europa und Welt, in: Burkhardt, Johannes; Werkstetter, Christine (Hg.): Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit, Hz Beiheft 41, München: Oldenburg, 2005, S. 105–134, darin: S. 113.; zur Entwicklung des Wirtschaftssystems speziell im Indischen Ozean und Südostasien siehe u. a.: Chaudhuri, K.N.: Trade and civilization in the Indian Ocean: an economic history from the rise of Islam to 1750, Cambridge: Cambridge University Press, 1985; Reid, Anthony: Southeast Asia in the age of commerce 1450–1680, London/New Haven: Yale University Press, 1988.

III DER WEG DER NÖRDLICHEN NIEDERLANDEN IN DIE UNABHÄNGIGKEIT 1. ANLASS ZUR SPALTUNG Der folgende Abschnitt befasst sich mit den Ereignissen des Aufstands der Niederländer gegen den spanischen Landesherrn in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Absicht der Darstellung ist die Verdeutlichung der politischen und räumlichen Veränderungen, die der Rebellion in den sieben nördlichen niederländischen Provinzen nachfolgten.1 Dabei ist es unabdingbar, auf die Rechte und Privilegien hinzuweisen, die den niederländischen Ständen schon im 15. Jahrhundert gewährt wurden. Des Weiteren, ist der Wandel in der personellen Zusammensetzung der ständischen Gremien zu beachten. Der Aufstand gegen die Pressionen des spanischen Landesherrn ist sowohl in literarischer Form als auch in geschichtswissenschaftlichen Darstellungen hinreichend beschrieben worden. Neben Friedrich Schillers und Johann Wolfgang von Goethes Werken stehen zahlreiche akademische Schriften, die die Geschehnisse des Unabhängigkeitskriegs analysieren.2 Es folgt an dieser Stelle keine detaillierte Darstellung des Ablaufs der verschiedenen Rebellionen in den nördlichen Niederlanden, die nach der 1648 zugestandenen Selbständigkeit der rebellierenden Provinzen als sogenannter Unabhängigkeitskrieg zusammengefasst wurden. Die Ereignisse können eindrücklich bei Horst Lademacher, Jonathan Israel oder Geoffrey Parker nachgelesen werden, die als Grundlage der historischen Erzählung gelten.3 Die Darstellung widmet sich indessen vielmehr den einschneidenden Entwicklungen auf politischer Ebene, die teilweise von Dokumenten begleitet werden, um die Herrschaftsordnung zu beschreiben, die sich während der Rebellion etablierte. Die Anhaltspunkte sind: die Erste Freie Ständeversammlung in Dordrecht, die Bildung der Utrechter Union 1 2

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Siehe dazu: Dekker, R.: Holland in beroering, Oproeren in de 17de en 18de eeuw, Baarn: Ambo, 1982. Siehe dazu: Goethe, Johann Wolfgang: Egmont, Husum: Hamburger Lesehefte Verlag, 2005; Schiller, Friedrich: Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung, Band 8, Sämtliche Werke, 12 Bände, Leipzig: Reclam, 1869. Hinzuweisen ist auch auf die aktuelle niederländische Nationalhymne, die Zeugnis der Verehrung Wilhelms I. von Oranien ist und ihren Ursprung in der Rebellion hat. Die 1. Strophe betont die Treue Wilhelms I. gegenüber dem spanischen König: „Wilhelmus van Nassouwe/ ben ik, van Duitsen bloed,/ den vaderland getrouwe/ blijf ik tot in den dood./ Een Prinse van Oranje/ ben ik, vrij, onverveerd,/ den Koning van Hispanje/ heb ik altijd geëerd.“, vgl. dazu: http://www. bpb.de/internationales/europa/europaeische-union/170538/hymne-der-niederlande, konsultiert am 28.12.2017. Siehe dazu u. a.: Israel, The Dutch Republic, S. 179–220; Lademacher: Geschichte der Niederlande, S. 30–75; Parker, Geoffrey: Der Aufstand der Niederlande, Von der Herrschaft der Spanier zur Gründung der Niederländischen Republik 1549–1609, München: Callwey, 1979.

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III Der Weg der nördlichen Niederlanden in die Unabhängigkeit

und das Edikt zur Absetzung Philipps II. Daran anschließend werden die Folgen des Waffenstillstands für die Innenpolitik der rebellierenden Provinzen nach 1619, aber auch die europäischen und globalen Verstrickungen, denen die Politik Spaniens während des Achtzigjährigen Unabhängigkeitskriegs der Niederländer unterworfen war, diskutiert. Schlaglichter, die Veränderungen für das politische Selbstverständnis der um Selbstbestimmung kämpfenden niederländischen Provinzen mit sich brachten und den Weg zu einem eigenständigen Verständnis von Staatlichkeit markieren, sollen aus der großen Erzählung herausgegriffen werden, um anhand der Quellen gleichzeitig mit der historischen Darstellung die Entwicklung des niederländischen Begriffs Staat nachzuzeichnen. Bevor allerdings auf die geschichtlichen Ereignisse eingegangen wird, muss die räumliche Ausdehnung der abtrünnigen Provinzen beschrieben werden. Welche Territorien der spanischen Niederlanden beteiligten sich an der Rebellion? Welche geografischen Voraussetzungen bestimmten die Möglichkeiten der Kriegsführung der abtrünnigen Provinzen? Zudem scheint es wichtig, auf die ökonomische Ausgangssituation einzugehen, die durch die Geographie der rebellierenden Provinzen bedingt und durch die jeweiligen Landesherrn gefördert wurde.

Die Geographie der niederen Lande Die geographischen Vorteile durch den Zugang zur Nordsee, der Anbindungen an das Hinterland des Heiligen Römischen Reichs über den Rhein, über die Maas mit dem äußersten Osten Frankreichs, den zahlreichen kleineren Flüssen und dem reichen Vorrat an Torf als leicht gewinnbarem Rohstoff in Verbindung mit dem Erfindungsgeist der Niederländer begünstigten schon im Mittelalter ihren Aufstieg zu einer bedeutenden Handelsmacht im Nord- und Ostseeraum.4 Mit technischen Innovationen im Deich- und Windmühlenbau rangen die Niederländer dem Meer fruchtbares Land ab. Durch die Initiative der burgundischen Herzöge siedelte sich in Flandern eine Textilindustrie an, die wie alle Produzenten in den Habsburgischen Niederlanden vom Ausbau der Kanäle und Wasserstrassen profitierten.5 Der effektive und kostengünstige Warentransport auf den Kanälen und Flüssen begünstigte den Aufstieg Antwerpens zum bedeutendsten Hafen und Marktplatz in

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Zur Bedeutung der Geographie für die Entwicklung von Städten u.a.: Gottschalk, M. K. E.: Die Bedeutung geographischer Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung von Hafenstädten: die Ijsselstädte und Amsterdam in der frühen Neuzeit, Berichte zur deutschen Landeskunde, 52 (1978), S. 203–212. Siehe dazu: Vries/Woude, The first modern economy; Vries, Jan de: On the Modernity of the Dutch Republic, JEcH, 33 (1973), S.191–202; North, Michael: Geschichte der Ostsee, Handel und Kulturen, München: Beck, 2011; ders.: Kommunikation, Handel, Geld und Banken in der Frühen Neuzeit, Enzyklopädie Deutscher Geschichte, München: Oldenburg, 2. Auflage, 2014; Jonge, J. C. de: Geschiedenis van het Nederlandsche Zeewezen, 1. Deel, Haarlem: Kruseman, 1858, S. 1–116.

1. Anlass zur Spaltung

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den niederländischen Territorien.6 Nicht nur der Handel mit den Gebieten im Osten und Westen, sondern auch der Heringsfang als einer der wichtigsten Wirtschaftszweige förderte die Entwicklung der Schifffahrt, die zum Bau effektiverer und lukrativerer Schiffstypen führte.7 Als Karl V. die Habsburgischen Niederlanden zu Beginn des 16. Jahrhunderts erbte und in der Folge neu ordnete, griff seine Politik in ein Territorium ein, das von reichen Städten und selbstbewusstem Adel beherrscht und dominiert wurde, das jedoch schon unter den burgundischen Herrschern von Maßnahmen der Zentralisierung ergriffen worden war und die Karl V. versuchte wiederzubeleben.8 6 7

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Siehe dazu: Lesger, The Rise of the Amsterdam Market. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelten die Niederländer die Fluit, die in ihrer Bauart an die Festlegung des Sundzolls in der Ostsee angepasst wurde. Mit einer geringeren Deckbreite, die maßgeblich für die Berechnung des Zolls war, und einem breiten Rumpf für den Transport hoher Tonnagen. Vgl. dazu: Jonge, Zeewezen, S. 1–116. Das 15. Jahrhundert war in politischer Hinsicht eine Weichen stellende Epoche für die niederländischen Territorien, die sich im 16. Jahrhundert zur Union von Utrecht zusammenschlossen. Gemäß dem spätmittelalterlichen Verständnis der Primogenitur war es üblich, den erstgeborenen Sohn eines Fürsten als dessen Nachfolger zu bestimmen. Als Karl der Kühne 1477 in der Schlacht bei Nancy gegen die Schweizer Eidgenossen fiel, forderten die Stände des Burgundischen Herzogtums von seiner Tochter Maria von Burgund, im Gegenzug für deren Anerkennung Zugeständnisse. Unter ihrem Ahnen Philipp dem Kühnen (1342–1404) etablierte sich das Haus Burgund als Nebenlinie des französischen Königshauses der Valois, als Johann der Gute (1319–1364) seinem Sohn Philipp das Herzogtum Burgund übertrug. Philipp vergrößerte durch die Heirat mit Margarete von Flandern seine Herrschaft nicht nur um das Erbland der Braut, sondern auch um die Freigrafschaft Burgund, die Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war. Marias Großvater Philipp der Gute erweiterte die Territorien der burgundischen Herzöge, indem er Namur, Hennegau, Holland und Seeland durch Verträge erwarb. In den Hochstiften Lüttich, Utrecht und Cambrai setzte er Familienmitglieder als Bischöfe ein. Auch Marias Vater trieb die Expansion des Herzogtums Burgund voran. Unter anderen Gebieten eroberte Karl der Kühne (1433–1477) Geldern und Zutphen in den Niederlanden. Als Karl in der Schlacht starb, hinterließ er seiner Tochter eine der reichsten Herrschaften des spätmittelalterlichen Europas, in dessen Grenzen durch seine Bestrebungen die Zentralisierung der Verwaltung beschleunigt wurde. Karls Anliegen, das Herzogtum straffer und effektiver zu organisieren, ging mit der Militarisierung der burgundischen Territorien einher. In Mechelen wurde sowohl eine Rechnungskammer als auch ein Parlement eingesetzt, die beide für die nördlichen Territorien des burgundischen Herzogtums zuständig waren. Maria von Burgund war nach dem Tod ihres Vaters in der Situation, die Stände in einem durch Handwerk und Handel reich gewordenen Herzogtum zur Legitimierung ihrer Herrschaft anrufen zu müssen. Am 11. Februar des Jahres der Schlacht von Nancy gewährte sie den Ständen des Herzogtums Burgund das Große Privileg. Ohne Zustimmung der Herzogin war es den Generalständen des Herzogtums nun möglich, sich zu versammeln. Es sollte ein großer Rat von 24 Personen gebildet werden, der in der Verwaltung für Maria von Burgund unterstützend tätig wurde. In den Belangen Heirat, Krieg und Steuern erhielten die Generalstände Mitspracherecht. Zudem wurde Niederländisch als Amtssprache eingeführt. Auf dieses Privileg, das kurz nach Marias Tod 1482 von ihrem Ehemann Maximilian von Habsburg annulliert wurde, bezog sich die Unabhängigkeitsbewegung am Ende des 16. Jahrhunderts als der Wille der Entscheidungsbeteiligung an den Steuererhebungen unter Philipp II. gerechtfertigt werden sollte. Aus dem Großen Privileg speist sich das Selbstverständnis eines Anrechts auf Mitbestimmung der niederländischen Adligen und der Anspruch der Rebellen auf tradierte Werte

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III Der Weg der nördlichen Niederlanden in die Unabhängigkeit

Nach dem Beginn der Rebellion intensivierten die Ständeregierungen die Trockenlegung von Gebieten, die durch jährliche Stürme von Überflutungen bedroht waren, durch das Anlegen von Entwässerungskanälen und der Entwässerung mit Hilfe von Windmühlen. Zwischen 1597 und 1635 wurden neun größere Polder mit einer Fläche von ungefähr 30.000 Hektar dem Meer abgerungen.9 Die unterhalb des Meeresspiegels liegenden Flächen dienten einerseits als landwirtschaftliche Nutzfläche, andererseits investierten Kaufleute wie Dirck von Os und Jacob Poppen in deren Trockenlegung, um aus der Verpachtung Gewinne zu erzielen.10 Im 17. und 18. Jahrhundert errichteten reiche Kaufleute in den, nahe der Stadt Amsterdam gelegenen Poldern, herrschaftliche Landhäuser.11 Die Landgewinnung im 17. Jahrhundert ist nicht nur im Sinne der Erweiterung von Agrarflächen zu betrachten, sondern auch unter dem ökonomischen Gesichtspunkt, der durch die Verpachtung von Grundstücken durch Investoren entstand und teilweise Antrieb für die Trockenlegung war. Die gewonnenen Flächen wurden durch Deiche geschützt. In Zeiten des Kriegs war die Durchstechung der Deiche ein probates Mittel, um gegnerische Landheere vom Vormarsch in die Territorien der rebellischen Provinzen abzuhalten. Wasser war das bestimmende Element in den niederländischen Provinzen, das sowohl zu ihrem Nutzen als auch zu ihrem Schaden beitragen konnte. Die geographischen Voraussetzungen in den Niederlanden waren der Grund für die Hinwendung der Niederländer zum Seehandel und den Aufstieg der Vereinigten Niederlanden zur maritimen Handelsmacht im 17. Jahrhundert.12 Durch die lange Küstenlinie der nördlichen Provinzen Holland und Seeland spielt die Verteidigung der Territorien durch eine Flotte schon zu Beginn des Aufstands eine und Privilegien. Der von Karl dem Kühnen angestoßene Prozess der Zentralisierung schwächte sich durch die Zwistigkeiten um die Oberhoheit und den Verlust der französischen Lehen am Ende des 15. Jahrhunderts ab. Mit dem Tod Karls des Kühnen hatte der französische König die Bourgogne und die Picardie, die burgundischen Territorien, die zum französischen Lehnsverband zählten, besetzt. Der territoriale Schwerpunkt des Herzogtums verlagerte sich in die niederländischen Besitzungen. Siehe zum Großen Privileg: III. 14 Maart 1477, Groot Privilegie, Door Maria van Bourgondië verleend aan de Staten-Generaal, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 3–7; Zur Geschichte der Niederlanden im 15. Jahrhundert vgl.: Koenigsberger, H. G.: Fürst und Generalstaaten, Maximilian I. in den Niederlanden (1477–1493), in: HZ Bd. 242, Heft 3, 1986, S. 557–579. 9 Die acht bzw. neun Polder waren: Zijpe (1597), Wieringerwaard (1610), Beemster (1612), Zoetermeerse Meepolder (1614), Purmer (1622), Wijdewormer (1626), Watergraafsmeer (1629), Heerhugowaard (1630), Schermer (1635). 10 In den Ausbau des Beemsters investierten Jacob Poppen und Dirck van Os. 11 Im Polder Watergrafsmeer wurden im 17. und 18. Jahrhundert zahlreiche Landhäuser von Kaufleuten errichtet. 12 Braudels Konzept der longue durée ist der Ausgangspunkt für die Betrachtung der Entwicklung der Niederlanden im 17. Jahrhundert. Die spezielle geographische Beschaffenheit der Niederlanden bot optimale Voraussetzungen für den Aufbau von Handelsnetzwerken auf der Basis von Stützpunkten. Erst in Europa, später in Südostasien und den beiden Amerikas entstanden niederländische Handelsnetzwerke nach bestimmten Mustern. Vgl. dazu: Braudel, Fernand: Geschichte und Sozialwissenschaften. Die longue durée, in: Bloch/Braudel/ Febvre/Honegger, Schrift und Materie der Geschichte, S. 47–85.

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entscheidende Rolle. Der Ausbau der Flotte wurde zu einem der Hauptanliegen der Politik in den rebellischen Provinzen im 17. Jahrhundert. Andererseits ermöglichte die Beschaffenheit bestimmter Regionen in den Niederlanden eine Wertschöpfung mittels technischer Innovationen, die gleichzeitig auch territorialen Zugewinn generierte.13 Investitionen in größere Unternehmungen fanden in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch innerhalb des Territoriums der rebellischen Provinzen statt, was die Finanzkraft der Investoren zeigt, die, wie van Os und Poppen, zugewandert waren.

Die niederen Lande unter habsburgischer Herrschaft Die Ansprüche der Stände auf Selbstbestimmung basierten auf tradierten Rechten und Privilegien, die bis auf das 15. Jahrhundert zurückgingen. Um zu verstehen, warum die Stände sich gegen Philipps II. Politik auflehnten, bedarf es der Kenntnis der politischen Balance zwischen Landvögten und Ständen, die durch politische Zugeständnisse im Rahmen des Großen Privileg von 1477 entstanden waren. Margarete von Österreich, die Tante Karls V., bei der er in Brüssel aufgewachsen war, regierte als Nachfolgerin ihres Bruders, Philip des Schönen, die Habsburgischen Niederlanden seit 1507. Nachdem Karl V. von den burgundischen Ständen als volljährig anerkannt wurde, übernahm er für kurze Zeit selbst das Amt des Landvogts in den Habsburgischen Niederlanden. Mit dem Tod seines Großvaters Ferdinand von Aragon 1516 fiel die Herrschaft über Spanien an Karl V. in Vertretung seiner Mutter Johanna der Wahnsinnigen, worauf Margarete abermals die Herrschaft über die Habsburgischen Niederlanden übertragen bekam, die sie bis zum Jahr 1530 innehatte. Ihre Nachfolge als Statthalterin der Habsburgischen Niederlanden trat Karls V. Schwester Maria von Ungarn 1531 an, unter der die 17 Provinzen der Habsburgischen Niederlanden im Namen Karls V. einer stärkeren Zentralisierung unterworfen waren. 1548 wurde der Burgundische Vertrag auf dem Reichstag in Augsburg von den Reichsständen ratifiziert, um die niederländischen Provinzen als Einheit zu stärken.14 Volker Press sieht im Burgundischen Vertrag den Beginn der niederländischen Territorialstaatlichkeit begründet.15 Die neu formulierte Eigenständigkeit des Burgundischen Reichskreises und dessen, territorial eindeutiger Definition, gekoppelt an die Einrichtung zentraler Institutionen wie der Rechenkammer und einem oberen Gerichtshof für den Reichskreis 13 Siehe dazu: Davids, Carolus, A.: Kapitaal, ondernemerschap en beleid: Studies over economie en politiek in Nederland, Europa en Azië van 1500 tot heden, Afscheidsbunterl voor prof. dr. P.W. Klein, Amsterdam: NEHA, 1996. 14 Siehe dazu: u. a.: Blom, J. C. H.; Lamberts, E. (Hg.): Geschiedenis van de Nederlanden, Rijkswijk: Nijgh & Van Ditmar Universitair, 1993; North, Michael: Geschichte der Niederlande, München: Beck, 1997. 15 Siehe dazu: Press, Volker: Die Niederlande und das Reich in der frühen Neuzeit, in: Blockmans, Wim; Nuffel, Herman van (Hg.): État et religion aux XVe et XVIe siècles = Staat en religie in de 15e en 16e eeuw: Actes du colloque à Bruxelles du 9 au 12 oct. 1984, Brussel, 1986, darin: S. 321–339.

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in Mechelen, sorgten für die allmähliche Herauslösung der 17 niederländischen Provinzen aus der Verwaltungsstruktur des Heiligen Römischen Reichs. Ein Jahr später verfügte Karl V. mit der Pragmatischen Sanktion die Unteilbarkeit des Burgundischen Reichskreises, wodurch die Einheitlichkeit der Habsburgischen Niederlanden als Erblande der spanischen Linien der Habsburger gestärkt werden sollte. Mit Karls V. Abdankung 1555 fiel die Herrschaft über die Habsburgischen Niederlanden an seinen Sohn Philipp II. Maria von Ungarn legte das Amt der Statthalterin ebenfalls nieder und ging mit ihrem Bruder nach Spanien. Die Wahl der Nachfolge fiel auf Emanuel Philibert van Savoyen. Unter dem neuen Landesherrn Philipp II. übernahm der Herzog für vier Jahre das Amt des Landvogts. Während dieser Zeit gelang es Philipp II., die seit längerem schwelenden Auseinandersetzungen mit Frankreich zu seinen Gunsten zu entscheiden. Im Verbund mit anderen Kommandeuren gelang es den habsburgischen Streitkräften unter dem Herzog von Savoyen, die Gegenkoalition zu besiegen. Mit dem Frieden von Cateau-Chambrésis im Jahr 1559 endeten nicht nur die habsburgisch-valois’schen Zwistigkeiten. Mit der Restitution seiner Besitzungen zog sich der Herzog von Savoyen ebenso aus seiner Verantwortung als Landvogt der Habsburgischen Niederlanden auf seine Güter zurück, wie Philipp II. Abschied von seinen niederländischen Besitzungen in Richtung Spanien nahm. Zur Landvögtin erkor er seine Halbschwester Margarethe von Parma aus, die bis zum Beginn der Revolte in den Provinzen dieses Amt bekleidete. Mit der Unterstützung des Bischofs von Arras, Antoine Perrenot de Granvelle, des Vorsitzenden des Raad van Financiën, Graf Charles de Berlaymont, und des Vorsitzenden des Geheime Raad, Vigilius van Aytta, hatte sie ein zentralistisches Herrschaftssystem durchzusetzen, bestimmt von den Vorgaben Philipps II. Den Raad van State, der aus zehn Vertretern des niederländischen Adels und zwei Geistlichen bestand, schloss die Landvögtin zunehmend von wichtigen Entscheidungen aus und beratschlagte sich vornehmlich mit Granvelle, einem Günstling Philipps II. Andere Adlige, aber vor allem Wilhelm I. von Oranien, missbilligten die ausbleibende Einberufung des Raad van State.16 In der Konsequenz verweigerte der Adel die Teilnahme an den, rein formal einberufenen Sitzungen. Unter der Androhung der Brabanter Städte, die Zahlungen an die spanische Krone so lange einzustellen, bis Granvelle abberufen würde, rief Philipp II. den Bischof zurück nach Spanien.17 16 An der Struktur des Raad van State während der Zeit der habsburgischen Herrschaft lässt sich erkennen, dass es nur ein Standesrat war, der von den wichtigen politischen Entscheidungen ausgeschlossen wurde. Aus dem Terminus Raad van State entwickelte sich nicht der niederländische Begriff Staet. Korrekt betrachtet muss die Übersetzung „Rat des Standes“ oder „Standesrat“ und nicht „Ständerat“ lauten. Zum „Standesrat“ gehörten niederländische Adlige wie die Grafen Egmont und Hoorn. Insgesamt wurden vom Landesherrn 12 Personen in den Raad van State berufen. 10 Adlige, die meist dem Orden des Goldenen Vlieses angehörten, und zwei Geistliche. 17 Siehe dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlande, S. 51; weitere Standardwerke zur Darstellung: Blom, J. C. H.; Lamberts, E. (Hg.): Geschiedenis van de Nederlanden, Rijkswijk: Nijgh & Van Ditmar Universitair, 1993; Israel, The Dutch Republic; Koenigsber-

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Die angespannte Lage wurde durch finanzielle Forderungen Philipps II. zusätzlich gereizt, die er den Habsburgischen Niederlanden auferlegte, um die Kosten der globalen spanischen Kriegszüge zu decken. Nach der Bankrotterklärung der spanischen Habsburger 1557 war Philipp II. auf die Zahlungen der niederländischen Territorien verstärkt angewiesen, die jedoch nach dem Bankrott der Spanier ebenso von einer wirtschaftlichen Krise betroffen waren. Allgemein war die Stimmung der Bevölkerung und des Adels gegen Philipp II. und dessen Vertraute in Brüssel von Misstrauen und Anklage durchsetzt, die durch Engpässe in der Versorgung mit Lebensmitteln noch verstärkt wurden. Der Ruf nach Mitspracherecht der niederländischen Adligen über die Institution des Raad van State wurde lauter. Gleichzeitig gewann der Calvinismus immer mehr Anhänger in den Habsburgischen Niederlanden. Die Ideen Calvins gelangten durch den Kontakt niederländischer Gelehrter nach Genf und Basel in die Niederlanden. Durch die Neuordnung der Bistümer im Reichskreis unterstrich Philipp II. seinen Willen, einerseits die Calvinisten zurückzudrängen, andererseits direkt in die Religionspolitik der Provinzen einzugreifen. Durch die Erhöhung von vier auf 18 Bistümer, meinte er den Einfluss seiner Politik auf die Provinzial- und Generalstände vergrößern zu können, in denen, die von ihm benannten Bischöfe einen Sitz haben würden.18 Philipp II. und der später abberufene Granvelle zogen mit dieser Verordnung Unverständnis und Widerstände auf sich. Der Adel wurde von den Bischofsämtern ferngehalten, da „nur Theologen mit akademischem Grad den Bischofsstuhl besetzen konnten.“19 Schon in den ersten Jahren der Regierungszeit Philipps II. zeigt sich dessen Intoleranz gegenüber den gewachsenen Loyalitäten, Institutionen und Herrschaftsstrukturen in den einzelnen Provinzen. Seines Vaters Plan einer straffen Zentralisierung führte Philipp II. rigoroser als sein Vorgänger fort, was schließlich die Vereinheitlichung der Habsburgischen Niederlanden und deren Herauslösung aus dem Heiligen Römischen Reich bewirkte. Neben der Missachtung und Ächtung der Calvinisten spielte auch der Ausschluss des Adels bei Beratungen über bedeutende politische Veränderungen eine Rolle in der Eskalation des Konflikts zwischen dem Landesherrn und den Ständen. Der Mann, auf dessen Schulter sich Karl V. 1555 bei seiner Abdankung gestützt hatte, wechselte in dieser Situation die Fronten. Wilhelm I. von Oranien, der das Vertrauen Karls V. genossen hatte und Statthalter der Provinzen Holland, Seeland und Utrecht war, brach mit der Politik Philipps II., verbündete sich mit anderen Mitgliedern des niederländischen Adels und avancierte in den folgenden Jahr-

ger, H. G.: Monarchies, States Generals and Parliaments; Kopmans, J. W.: De Staten van Holland en de Opstand, De ontwikkeling van hun functies en organisatie in de periode 1544– 1588, The Hague: Stichting Hollandse Historische Reeks, 1990; Lademacher, Die Niederlande, Politische Kultur zwischen Individualität und Anpassung; North, Geschichte der Niederlande. 18 Siehe dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlande, S. 50. 19 Siehe dazu: Ebda., S. 51.

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zehnten zur bestimmenden Figur des Aufstands.20 Eine Mischung politischer, religiöser, aber auch ökonomischer Gründe führte zur Aufsetzung der Schmeekschrift der Edelen im April 1566, die der Landvögtin Margarethe von Parma überreicht wurde, um aus ständischer Sicht auf allerhand Missstände aufmerksam zu machen.21 Darin forderten zahlreiche Vertreter des niederen Adels, wie Heinrich von Brederode und Ludwig von Nassau, die Abmilderung der Inquisition und die Möglichkeit, mit Unterstützung der Generalstände eine Lösung der religiösen Konflikte zu bewirken.22 Ob die Bezeichnung der adligen Überbringer der Petition als Geuzen wirklich von Charles de Berlaymont23 stammt, spielt keine Rolle. Dass ihre Petition als Bettelei wahrgenommen wurde, zeugt hingegen von der Politik Philipps II., die zum Ausbruch der Revolte beitrug. Eine Beteiligung der Adligen sah das Herrschaftskonzept Philipps II. nicht vor. In der gemeinsamen Bittschrift des niederen Adels manifestiert sich allerdings der Zusammenhalt und das Verständnis eines Selbstbewusstseins, dass, wie Horst Lademacher schreibt, auch im Hochadel anzutreffen war.24 Keineswegs bedeutete dieses Selbstverständnis der eigenen Rolle im Herrschaftskonstrukt der Habsburgischen Niederlanden zwangsläufig eine Illoyalität gegenüber dem Landesherrn. Jedoch scheiterte eine ausgleichende Politik zwischen Philipp II. und den niederländischen Ständen an den konfessionellen Zerwürfnissen.

2. DIE ETAPPEN DES AUFSTANDS Die bilderstürmenden Rebellen Der Bildersturm, der im August 1566 in den Habsburgischen Niederlanden losbrach, führte zu einem Kompromiss von Adel und Landvögtin. Trotz der Beschränkung der Zuständigkeit der Inquisition auf die bischöfliche Ebene, blieb die Verurteilung des Calvinismus durch den Landesherrn bestehen. Auch wenn der Adel, von Margarethes Erlaubnis protestantische Predigten halten zu dürfen animiert, noch zwei Jahre daran glaubte, die ausgebrochenen Bilderstürme, die maß20 Siehe dazu: Mörke, Wilhelm von Oranien; Press, Volker: Wilhelm von Oranien, die deutschen Reichsstände und der niederländische Aufstand, in: Bijdragen en mededelingen betreffende de geschiedenis der Nederlanden; 99(1984)4, S. 677–707; Lademacher, Oranien-Nassau. 21 Die Verfasser der Schrift gehörten dem Eedverbond der Edelen an. Wilhelm I. von Oranien hatte durch seinen Bruder Ludwig von Nassau Kontakt zum Eedverbond. 22 Zur Schmeekschrift der Edelen siehe: http://www.dutchrevolt.leiden.edu/dutch/bronnen/ Pages/1566-04-05-ned.aspx, 28.12.2017. Siehe zur Darstellung: Arndt, Johannes: Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648, Köln/Weimar/Wien: Böhlau, 1998; Israel, The Dutch Republic, S. 151. 23 Charles de Berlaymont (1510–1578), königstreuer niederländischer Politiker, 1555 von Philipp II. zum Statthalter von Namur ernannt, der im Raad van State saß und Mitglied des Blutrates zur Zeit Herzogs Alba war. Siehe dazu: Thijm, Alberdingk: Berlaymont, Karl Graf von, in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Band 2, Leipzig: Duncker & Humblot, 1875, S. 400f. 24 Vgl. dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlande, S. 52.

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geblicher von der prekären Situation der Lebensmittelknappheit im Jahr der Petition angetrieben waren und zur Verwüstung zahlreicher katholischer Kirchen führte, beruhigen zu können und in Verhandlungen mit Philipp II. einen Ausgleich zu finden, musste er an der Entsendung des Herzogs von Alba Fernando Álvarez de Toledo im Jahr 1567 und der Einrichtung des Blutrates von Brüssel erkennen, dass Philipp II. das Versprechen des Ausgleichs nur so lange aufrecht erhielt, wie es ihm aufgrund ausufernder militärischer und diplomatischer Verpflichtungen unmöglich war, gegen die Rebellen in den Habsburgischen Niederlanden vorzugehen.25 Philipp II. kannte keine Toleranz in Religionsfragen. Noch bevor Alba in den Niederlanden eintraf, war Wilhelm I. von Oranien geflohen. Das Amt des Statthalters von Holland, Seeland und Utrecht gab er damit auf. Sinnbild der Verquickung politischer, religiöser und wirtschaftlicher Faktoren für den Beginn der Bilderstürme ist der Ort der ersten Aktionen. In den ländlichen Produktionsstätten der Textilindustrie Westflanderns, einer Region, die sowohl von der Rezession durch den Bankrott der spanischen Krone im Jahr 1557 als auch von der Lebensmittelknappheit und Hungersnot betroffen war, nahm der Sturm auf die reich ausgestatteten Kirchen seinen Anfang. Im Bildersturm kristallisierte sich nicht unbedingt der Hass auf die katholische Konfession, sondern eher auf den überbordenden Lebensstil der kirchlichen Würdenträger und den Pomp ihrer Kirchen.26 Zu diesem Zeitpunkt wäre eine Rückkehr zur Akzeptanz der Oberhoheit Philipps II. noch möglich gewesen, die brutale Reaktion Albas gegen die Aufständischen dramatisierte jedoch die Situation. Unter der Führung des Herzogs von Alba führte der spanische Landesherr das in Rom gefällte Urteil der Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis aus. Nahezu die gesamte Bevölkerung der Habsburgischen Niederlanden sprach das Dekret der Kongregation 1568 der Häresie schuldig und legitimierte die Verurteilung von annähernd tausend Personen zum Tode. Durch Repression, Enteignung, 25 Schon Karl V. hatte die finanziellen Ressourcen mit der andauernden Fehde gegen Frankreich und den Kriegen gegen die muslimischen Herrscher in Nordafrika strapaziert. Gleichsam waren die Auseinandersetzungen für die Aufrechterhaltung des lukrativen Mittelmeerhandels notwendig und Teil des Ansinnens Karls V. Europa unter eine Habsburgische Hegemonie zu zwingen. Erst 1578 schlossen die Spanier mit den Osmanen einen Waffenstillstand. Nachdem 1571 noch die Seeschlacht von Lepanto gewonnen worden war und spanische Ressourcen band, die nicht gegen die niederländischen Rebellen eingesetzt werden konnten, war Philipp II. zuversichtlich die spanische Vorherrschaft im Mittelmeerraum absichern zu können. Sieben Jahre danach fiel Tunis an die Osmanen. Weitere drei Jahre nach dem Waffenstillstand wurde ein Friedensvertrag mit den Osmanen geschlossen. All diese Anstrengungen gekoppelt an die Inflation infolge des einströmenden südamerikanischen Silbers brachte 1557 und 1575 den Bankrott der spanischen Habsburger. Siehe dazu: Braudel, Das Mittelmeer, 3. Band; zur Biographie Albas siehe u. a.: Maltby, William S.: Alba, A Biography of Fernando Alvarez de Toledo, Third Duke of Alba, 1507–1582, Berkeley: University of California Press, 1983. 26 Siehe dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlande, S. 54f; weitere Standartwerke zur Darstellung: Arndt, Das Heilige Römische Reich und die Niederlande; Blom/Lamberts, Geschiedenis van de Nederlanden; Israel, The Dutch Republic; Koenigsberger, H. G.: Monarchies, States Generals and Parliaments; Lademacher, Die Niederlande, Politische Kultur zwischen Individualität und Anpassung; North, Geschichte der Niederlande.

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III Der Weg der nördlichen Niederlanden in die Unabhängigkeit

Hinrichtung und Vertreibung der als Häretiker Verurteilten, suchte Alba den Aufstand zu ersticken. Schon die Ereignisse der ersten Monate der Landvogtschaft Albas trieben zahlreiche Oppositionelle in die Emigration ins Heilige Römische Reich und nach England. Mittellos gewordene Adlige wurden zu Anführern der Watergeuzen, die begannen, den Seehandel der Habsburgischen Niederlanden zu blockieren, was zur Verstärkung der Nahrungsmittelknappheit beitrug.27 Wilhelm I. von Oranien floh in seine Geburtsstadt Dillenburg in der Grafschaft NassauDillenburg. Von seinen Besitzungen im Heiligen Römischen Reich aus versuchte er fortan, die Geschicke der Opposition gegen den Herzog von Alba zu lenken und stellte ein Entsatzherr zur Unterstützung der Provinz Gelderland auf. Die Grafen Egmont und Hoorn bezahlten ihren Verbleib in den Provinzen mit dem Tod. Zwischen den ersten Kriegshandlungen in Heiligerlee im Mai 1568 und der vernichtenden Niederlage der Rebellen bei Jemmingen in Ostfriesland im Juli desselben Jahres wurde das Todesurteil des Blutrats an den beiden niederländischen Adligen vollstreckt. Vordergründig war das Ziel der Rebellen nicht die später vollzogene Loslösung von Philipp II. als Herrscher der Habsburgischen Niederlanden und die Erhebung der Generalstände zum Oberherrn einer unabhängigen Union. Zu Beginn des Aufstands ging es um die Reduzierung von Steuern, den Abzug der spanischen Söldner, die Erlaubnis der freien Religionsausübung und der damit verbundenen Aussetzung der Inquisition in den niederländischen Provinzen. Grundsätzlich standen die Freiheiten der Bevölkerung und Institutionen, die durch die Forderungen Philipps II. und die Entscheidung der katholischen Kirche in ihrer Existenz bedroht waren, auf dem Spiel. Spanische Truppen sollten abgezogen werden und die Stimme der Adligen bei politischen Entscheidungen mehr Gehör finden. Mit der Einsetzung Albas folgte der harten militärischen Hand jedoch der Versuch der Einführung eines Steueroktrois. Steuern auf Vermögen und den Verkauf von Immobilien und eine Abgabe auf Verkauf und Export von Waren sollten erhoben werden, um die spanischen Söldner in den niederländischen Territorien zu finanzieren.28 Zu ihrer eigenen Niederringung mit militärischen Mitteln sollten die Städte und Provinzen der Habsburgischen Niederlanden die finanzielle Grundlage schaffen. Unter großem Widerstand verhinderten die Stände die Einführung des Steueroktrois. Erst 1572 wendete sich das Blatt erstmals zugunsten der Rebellen. Adlige und Kaufleute, von Wilhelm I. von Oranien mit Kaperbriefen ausgestattet, überfielen seit dem Ausbruch der Auseinandersetzungen mit Spanien Handelsschiffe der Iberer und der Spanien treuen Städte. Finanzielle Unterstützung erhielten sie dabei von der englischen Königin Elisabeth I. Vier Jahre nach der ersten Kampfhandlung bei Heiligerlee nahmen die Watergeuzen im Namen Wilhelms I. von Oranien im April 1572 Den Briel ein. Nach dem Tod seines Bruders Adolf in der Schlacht bei Heiligerlee und der Niederlage von Jemmingen war dies die erste Erfolgsmeldung für die Rebellen und stärkte Wilhelms I. Autorität als deren Anführer. 27 Siehe dazu: Parker, Der Aufstand der Niederlande, S. 147–152. 28 Siehe dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlande, S. 64.

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Wilhelm hatte vergeblich im protestantischen Lager um finanzielle oder militärische Hilfe gebeten. Sowohl Elisabeth von England als auch die französischen Hugenotten, die im Jahr der Eroberung Den Briels durch die Folgen des blutigen Massakers an ihren Gefolgsleuten in der Bartholomäusnacht geschwächt wurden, waren nicht in der Lage oder gewillt, den niederländischen Rebellen weitere Unterstützung zu leisten.29 So gingen die Rebellen unter Wilhelm I. von Oranien aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel und der militärischen Unterlegenheit großen Feldschlachten aus dem Weg. Von Den Briel aus gelang es den Watergeuzen jedoch, weitere Städte und letztlich zahlreiche Gebiete in den Provinzen Holland und Seeland einzunehmen, was Alba dazu veranlasste, die rebellierenden Städte Hollands in Den Haag zu einer Versammlung zusammenzurufen. Dordrecht, als die älteste Stadt der Provinz Holland meinungsführend, nutzte die Einladung Albas zu einem Aufruf an die aufständischen Städte Hollands, sich nicht in Den Haag, sondern in Dordrecht zu versammeln, dem 12 der 18 in den Provinzialständen vertretenen Städte folgten. Wilhelm I. von Oranien schickte Philippus van Marnix als Vertreter auf die Erste Freie Ständeversammlung zwischen dem 19. und 23. Juli 1572 nach Dordrecht. Geoffrey Parker fasst die Forderungen der Ständeversammlung bündig zusammen: „Erstens Oranien als Statthalter des Königs für Holland, Seeland und Utrecht anzuerkennen, in des Königs Namen mit dem Prinzen um die von Alba vergewaltigten Rechte und Freiheiten der Provinz zu kämpfen und zu schwören, kein separates Abkommen mit dem König ohne Zustimmung Oraniens zu schließen [...]; zweitens Vorkehrungen zur Finanzierung der Schiffe, Soldaten und Seeleute zu treffen, die im Namen des Prinzen in der Provinz kämpften [...]; drittens zu Oraniens ausdrücklich erklärtem Ziel der Glaubensfreiheit für die gesamte Provinz 30 zu stehen.“

Die holländischen Stände akzeptieren alle Punkte Wilhelms I. und ernannten Graf Lumey van der Mark zum stellvertretenden Statthalter von Südholland in Wilhelms I. Abwesenheit. Die Berufung Wilhelms I. von Oranien zum Statthalter durch die Stände war nicht zuvörderst gegen die Politik des Landesherrn Philipp II. gerichtet, sondern gegen Alba, dessen Unvertrautheit mit den Herrschaftsstrukturen in den Territorien und dessen Brutalität gegen die Rebellen mit bestem Gewissen auch im Sinne Philipps II. als legitimer Grund für die Absetzung des Herzogs gelten konnte. Die Stände sahen sich im Recht, im Namen Philipps II., Alba abzusetzen, ohne dafür die Erlaubnis des Landherrn abzuwarten. Die Stände erweiterten ihre eigenen Kompetenzen und verschärften so den Gegensatz zu ihrem Landesherrn, der die Berufung Wilhelms I. zum Statthalter der wichtigsten Provinzen unweigerlich als Affront ansehen musste, da Wilhelm I. sich offen gegen Philipp II. gewandt hatte. Wie Lademacher schreibt, veränderten die Beschlüsse der Ersten Freien Ständeversammlung die politische Konstellation in den niederländischen Territorien. Mit der Einsetzung Wilhelms I. von Oranien entstand eine „ständisch-statthalterliche Übereinkunft“, die den Loyalitätsbezug zwischen Statthalter und König ersetzte und auf der Autorität Wilhelms I. von Oranien beruhte, 29 Siehe dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlande, S. 65. 30 Vgl. dazu: Parker, Der Aufstand der Niederlande, S. 168ff.

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III Der Weg der nördlichen Niederlanden in die Unabhängigkeit

die er sowohl als Vertreter des Hochadels als auch als Anführer der Rebellion gegenüber den Ständegremien besaß.31 Die Stände setzten den Statthalter der Provinz ein, wie der König es bis zu diesem Zeitpunkt getan hatte. Die Ständeversammlung erhob sich mit dieser Entscheidung zum obersten politischen Gremium unter den Körperschaften innerhalb der Provinz Holland, dem es oblag, Versammlungen einzuberufen und den Statthalter zu bestimmen. Als Konsequenz ergab sich daraus de facto die Selbständigkeit der holländischen Stände, die in den darauffolgenden Jahren um die Anerkennung dieser Autorität kämpften. Entscheidende Schläge gegen die spanischen Truppen gelangen indes kaum. Alba entsetzte Haarlem, das sich den Rebellen angeschlossen hatte und marschierte gegen das ebenfalls rebellische Leiden. Die Opfer in der Bevölkerung waren immens und die Beruhigung des Aufstands war mit den Mitteln des Herzogs Alba nicht zu erwirken. Folglich berief Philipp II. seinen Landvogt 1573 ab und überließ den Posten Luis de Zúñiga y Requesens. Unter der Herrschaft Requesens’ bildeten die seeländischen Städte, die von den Watergeuzen kontrolliert wurden, eine ähnliche Regierung wie sie in Holland existierte und erkannten Wilhelms I. von Oranien Autorität an.32 Der neue Landvogt war kampferprobt. Gemeinsam mit Philipps Halbbruder Juan de Austria hatte er zwei Jahre zuvor erfolgreich die Seeschlacht von Lepanto gegen die Osmanen geschlagen. In der Auseinandersetzung mit den Osmanen zeigt sich das Dilemma der Spanier, deren Interessen zu breit gefächert waren, um auf allen politischen und vor allem militärischen Schauplätzen in Europa, Südamerika und Asien gleichzeitig präsent und überlegen zu sein. Die Anstrengungen gegen die rebellischen Provinzen versinnbildlichen die Überspannung der räumlichen Interessen der Spanier. Zúñiga y Requesens führte die Belagerung Leidens 31 Siehe dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlande, S. 67. 32 Mit der Ersten Freien Ständeversammlung in Dordrecht vollzog sich auch eine Umstrukturierung der politischen Verwaltung. Die Collateralen Raden (Raad van State, Raad von Financië und Geheime Raad), die von Karl V. 1531 eingesetzt wurden, verloren durch die Beschlüsse von Dordrecht in Holland ihren Einfluss. 1572 wählte ein Großteil der Körperschaften in der Provinz Holland Wilhelm I. von Oranien als rechtmäßigen Vertreter des Landesherrn. Mit den Beschlüssen vom 22. Juli 1572 in Dordrecht wurde die Ernennung Wilhelms I. festgeschrieben und die Collateralen Raden abgesetzt, da die holländischen Stände sich von der Regierung des Landvogts in Brüssel lossagten und stattdessen dem Prinzen die Gecommitteerde Raden aus Mitgliedern der Stände zur Seite stellten, die neben den Provinzialständen für die täglichen administrativen Aufgaben zuständig waren. Die Provinzialstände trafen sich meist nur vier Mal im Jahr. Weitere Gremien, die dem Statthalter zur Seite gestellt wurden, waren das Admiralitätskollegium und das Finanzkollegium. 1574 richteten die seeländischen Stände auf provinzieller Ebene diese Gremien auch für Seeland ein. Nach der Versammlung in Dordrecht wurden noch einige Veränderungen an den Gremien der Provinzialregierung vorgenommen. 1573 wurde ein zweiter Gecommitteerde Raad in Holland gebildet, da die Einnahme Haarlems, Holland in eine südliche und eine nördliche Region spaltete. Zudem stellten die Stände 1574 Finanzbeamte ein, die besondere Einkommensquellen überwachten. Vgl. dazu: Fruin, Geschiedenis der Staatsinstelling, S. 156f; zur Übertragung der Statthalterwürde in Holland siehe: XV. 11 Juli 1575. Opdracht van de hooge overheid van Holland aan Prins Willem van Oranje, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 109–112; Parker, Der Aufstand der Niederlande, S. 169–172.

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weiter, ließ aber die Belagerungstruppen auch gegen das Heer der Rebellen unter Ludwig und Heinrich von Nassau rücken, die sich mit den Truppen Wilhelms I. von Oranien vereinigen wollten, um in Holland einzufallen. Das spanische Heer schlug die Rebellen in der Schlacht auf der Mooker Heide am 14. April 1574 vernichtend. Beide Brüder Wilhelms starben, das Söldnerheer war geschlagen und Leiden einer erneuten Belagerung nicht gewachsen. Im September desselben Jahres glückte jedoch die Entsetzung der Stadt infolge der Durchstechung der Dämme an der Maasmündung. Nach einer Beratschlagung hatten die Stände Hollands und der Statthalter Wilhelm I. von Oranien keine andere Möglichkeit gesehen, die belagerte Stadt zu befreien. In der Folge entspannte sich die Drohkulisse für die Rebellen vorübergehend.33

Die Dordrechter Union – Erste Institutionalisierung der Unabhängigkeitsbewegung Im folgenden Jahr intensivierten die Provinzen Holland und Seeland ihre Zusammenarbeit. Die Provinzen schlossen sich am 4. Juni 1575 zur Union von Dordrecht zusammen. Im selben Jahr wurde die Universität zu Leiden von Wilhelm I. von Oranien gegründet, was seinen Herrschaftsanspruch in den rebellischen Provinzen beweist, denn, Universitäten wurden in der Frühen Neuzeit grundsätzlich vom Landesherrn gestiftet. Parker schreibt dazu: „Aus dem Entschluß der Nordniederländer, eine eigene Universität zu gründen, wird ihre veränderte Einstellung zu ihrer verfassungsmäßigen Position ersichtlich. Sie hatten schon längst erkannt, daß sie de facto unabhängig waren und begannen nun auch eine Unabhängigkeit de 34 jure zu erwägen.“

Das zunehmende Streben nach Unabhängigkeit zeigt sich in der Erklärung vom 11. Juli 1575, in der Wilhelm I. von Oranien seine Bereitschaft erklärte, die „hooge overheid“ in den Provinzen zu übernehmen.35 In dem Schriftstück von 1575 wurde Wilhelm I. in militärischen Fragen die Souveränität übertragen.36 In allen anderen Belangen besaß er Macht, Autorität und Oberhoheit. In der Folge beauftragten die Stände der beiden Provinzen Wilhelm I. von Oranien, einen Nachfolger für Philipp II. zu finden, um eine Trennung von Philipp II. als Oberhaupt der rebellischen Provinzen zu forcieren. Elisabeth I. lehnte das Angebot der Stände und Wilhelms I. von Oranien ab, weil der zu erwartende Konflikt mit Spanien für England prekäre Folgen gehabt hätte. Deswegen beschritten die Stände den Weg, 33 Siehe dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlande, S. 68–71. 34 Vgl. dazu: Parker, Der Aufstand der Niederlande, S. 172. 35 Siehe dazu: XV. 11. Juli 1575, Opdracht van de hooge overheid aan Prins Willem van Oranje, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 109–112. 36 Vgl. dazu: Ebda., darin S. 110: „Te weten dat Zyn Excellentie, zoolange de landen in den oorloge of wapenen zyn, zal hebben volkomen autoriteit en magt als souverain en overhooft te gebieden en te verbieden,[...].“; Das ist die einzige Stelle, an der konkret von Souveränität gesprochen wird. Nur der Krieg machte den Oranier zum Souverän.

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III Der Weg der nördlichen Niederlanden in die Unabhängigkeit

vorerst die Autorität Wilhelms I. von Oraniens weiter zu stärken, um die Rebellion gegen die spanische Krone fortsetzen zu können, begrenzten ihn aber andererseits durch die Flankierung des Statthalteramts mit weiteren Gremien. „Die beiden Provinzialstaaten unterzogen daher ihre Position einer nochmaligen Prüfung und entschieden sich für einen erneuten Verteidigung- bzw. Unionsvertrag, der am 25. April 1576 unterzeichnet wurde. Er enthielt die Bestimmung, daß Steuern und finanzielle Lasten unter den Provinzen, Städten und Dörfern so aufgeteilt werden sollten, ,als seien die Provinzen und Städte in der Republik Teile der gleichen Stadt und zählten zu ihrʻ. Die Provinzen schafften die Zölle innerhalb ihrer gemeinsamen Grenzen ab und verpflichteten sich zu gegenseitiger Zusammenarbeit bei der Rechtsdurchsetzung. Der Prinz wurde erneut als oberste Exekutivgewalt anerkannt, erhielt diesmal die souveräne Macht – er wurde mit ,hoog overicheytʻ (Oberhoheit) ausgestattet – bis zu dem Zeitpunkt, da eine andere Körperschaft oder Person die vordem von Philipp II. ausgeübte Souveränität übernehmen würde; als beratendes Gremium sollte ihm ein neunköpfiges Komitee, der ,Landraadʻ, zur Seite stehen, dessen Mitglieder er selbst aus den von den nunmehr vereinigten Staaten vorgeschlagenen Kandidaten benennen 37 sollte.“

Die Übertragung der Oberhoheit in dem Beschluss von 1576 ist indes nicht gleichzusetzen mit der Souveränität Wilhelms I. von Oranien über die Vereinigten Provinzen, wie es Parker beschreibt. Er besaß auf der Basis der Akte von 1575 lediglich das souveräne Recht, in militärischen Fragen Entscheidungsgewalt zu besitzen. Auch im Unionsvertrag wird ihm nur die „hooge overicheyt“ zuerkannt. Da der Begriff Souveränität schon im Vertrag von 1575 verwendet wurde und bekannt war, muss davon ausgegangen werden, dass die Stände den Begriff bei der Übertragung der politischen Kompetenzen auf Wilhelm I. von Oranien explizit vermieden, weil sie Philipp II. immer noch als Souverän akzeptierten. Dass die Stände mittlerweile auf der Suche nach einem Potentaten waren, der Philipp II. ersetzen sollte, lässt sich an dem Werben um Elisabeth I. erkennen. Wenn die Stände Hollands und Seelands ihre Macht an Wilhelm I. abgaben, dann nur für eine bestimmte Dauer, da die Oberhoheit in der Föderation auf einen europäischen Potentaten als Oberhaupt der Föderation übertragen werden sollte, der dann wiederum die Rechte der Stände anerkennen musste. Grundsätzlich ist die Suche der Stände nach einem neuen Oberhaupt zu diesem Zeitpunkt als ein Streben nach einem dominium politicum et regale zu verstehen, das den Ständen nach der Wahl eines Königs ihre Macht belassen hätte.38 Da jedoch kein Oberhaupt gefunden werden konnte, wurde vorerst auch die Herrschaft Philipps II. nicht angefochten, sondern nur die Politik seiner Vertreter in den Provinzen. Es ist eine bewusste Entscheidung der Stände, Philipp II. zu diesem Zeitpunkt nicht abzuwählen, da die politischen, finanziellen und militärischen Bedingungen in der Union es nicht ermöglichten, offensiver gegen Philipp II. zu agieren. Dass sich aus der erfolglosen Suche nach einem Oberhaupt ungewollt eine ständisch-korporative Herrschaft in den nördlichen Niederlanden durchsetzt, wird bislang in der Forschung weitgehend als Konsens betrachtet. Die Entwicklungen der 1570er Jahre zeigen indes, dass die Stände einerseits bewusst Macht an Wilhelm I. von Oranien abtraten, um 37 Vgl. dazu: Parker, Der Aufstand der Niederlande, S. 172. 38 Siehe dazu: Koenigsberger, H. G.: Monarchies, States Generals and Parliaments.

2. Die Etappen des Aufstands

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durch seine Autorität die Provinzen aus Gründen der Verteidigung zu einen, andererseits die Suche nach einem Oberhaupt begannen, um letztlich einen legitimen Herrscher für die rebellischen Provinzen zu finden. Die ständisch-korporative Herrschaft wurde parallel zur Suche nach einem neuen Oberhaupt ausgebaut, um Strukturen zu etablieren, die auch bei der Wahl eines Potentaten dessen Macht begrenzen würden. Anzunehmen, dass die Herausbildung einer ständischkorporativen Herrschaftsform im 17. Jahrhundert eine unausweichliche, aber ungewollte Entwicklung war, lässt die Problematik außen vor, dass die Stände von Anbeginn Forderungen an ein neues Oberhaupt stellten, die zusätzlich zum Konflikt mit Spanien, die eigene Handlungsgewalt des potentiellen Herrschers massiv eingeschränkt hätten. Durch die Konzentration auf die Bewahrung tradierter Rechte und Privilegien schlugen die Stände bewusst einen Weg ein, der optional in einer ständisch-korporativen Herrschaftsordnung gipfeln konnte, falls sich die potentiellen Herrscher nicht mit der Einschränkung ihrer Macht zufrieden geben würden. Der bekannte Verlauf der Ereignisse zeigt, dass Franz von Anjou, der zeitweise in den rebellischen Provinzen als Oberhaupt regierte, aus der Beschränkung seiner Macht durch die Stände und Wilhelm I. von Oranien auszubrechen versuchte, was letztlich scheiterte und nach nur zwei Jahren zu seinem Rückzug aus den Provinzen führte. Die Überspannung der territorialen Ausbreitung und die Ziele der spanischen Habsburger strapazierten indes die Finanzen der Dynastie. Im September 1575 erklärte Philipp II. zum zweiten Mal nach 1557 den Bankrott der spanischen Habsburger. Die ausbleibenden Soldzahlungen an die spanischen Soldaten in den Habsburgischen Niederlanden, manche hatten seit zwei Jahren keinen Sold erhalten, bewirkte die brutale Selbstversorgung der Söldner. Im Jahr nach der Bankrotterklärung starb der Zúñiga y Requesens. Sein Tod verschärfte die Situation im Heer, das schließlich nahezu führungslos zu meutern begann, da sich der Nachfolger Zúñiga y Requesens noch nicht im Land aufhielt.39 Spanische Söldner zogen seit dem Frühjahr 1576 marodierend durch Flandern auf dem Weg nach Antwerpen. Sie hielten sich an der Plünderung der Städte schadlos. Als Juan de Austria im September desselben Jahrs als Nachfolger Zúñiga y Requesens eintraf, verfolgte er die Geschehnisse nur noch tatenlos. Anfang November plünderten und brandschatzten die spanischen Söldner Antwerpen. Das Ausmaß der Verheerungen trieb auch die bisherigen Sympathisanten Philipps II. unter der Bevölkerung der Habsburgischen Niederlanden auf die Seite der Rebellen. Nur vier Tage nach den Geschehnissen in Antwerpen beschloss die Mehrzahl der Provinzen des Burgundischen Reichskreises am 8. November 1576 die Genter Pazifikation.40

39 Siehe dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlande, S. 72. 40 Siehe dazu: XVI. 8 November 1576, Pacificatie van Gent, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 113–117.

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III Der Weg der nördlichen Niederlanden in die Unabhängigkeit

Die Genter Pazifikation – Das letzte gemeinsame Bekenntnis der 17 Provinzen Neben der allgemeinen Ächtung der Vorgehensweise der spanischen Truppen in den Provinzen bestanden die Unterzeichner der Akte auf die Wiederherstellung ihrer alten Rechte, um für Wohlstand in den Provinzen zu sorgen, der durch die Verwüstungen des Kriegs zerstört worden war. „[...] ende dat d’ingesetenen van allen dese Nederlanden, in eene vaste vrede ende accorde vereenicht wesende, gesamentlick zouden doen vertrecken die voirsz. Spaengnaerden ende hun aenhangeren landtscheynders, ende die wederomme te stellen in ’t gebruyk van hueren oude rechten, privilegiën, coustumen ende vryheden, mitz welcken neeringe ende welvaert in 41 dezelve wederomme zoude moegen keeren,[...].“

Was die Verwendung des Begriffs staet als frühe Schreibweise von Staat betrifft, zeugt die Akte der Genter Pazifikation von Weinachts Einteilung in verschiedene Phasen der Begriffsentwicklung. Das Wort wird verwendet, um den Zustand oder Stand der Einwohner und Untergebenen zu beschreiben und spiegelt damit Weinachts Bedeutungsvariante II wider.42 In gleicher Bedeutung wird staet in der Smeekschrift der Edelen verwendet.43 In der Opdacht van de hooge overheid an Wilhelm I. wird der Begriff nicht verwendet. Da die Genter Pazifikation keinen Vertrag darstellt, der die Abspaltung von Philipp II. als Herrscher der Habsburgischen Niederlanden mitdenkt, ist hier eine Verwendung des Begriffs Staat als Beschreibung einer politischen Einheit, die sich legitimieren muss, ebenso wenig zu erwarten, wie in der Übertragung der Oberhoheit an Wilhelm I. von Oranien, da die Union der beiden Provinzen Holland und Seeland eine Interimslösung war. Die Akte von Gent ist als Dokument zu begreifen, das erneut den Versuch darstellt, den Konflikt zu schlichten und gleichzeitig die Autorität Wilhelms I. von Oranien in den unterzeichnenden Territorien zu stärken. Die rebellischen Provinzen sind unter der Herrschaft Philipps II. zur Zeit der Genter Pazifikation nicht als eine politische Einheit zu betrachten, die einer neuen Terminologie bedurfte, sondern zu diesem Zeitpunkt unter der Herrschaft Philipps bleiben wollten. Deswegen bestand kein Grund, eine Terminologie zu entwickeln. Bis zur Genter Pazifikation war keine von Spanien unabhängige politische Entität in den Niederlanden entstanden. Wenn die Stände der Provinzen als Staeten oder Staten bezeichnet werden, darf nicht der Eindruck entstehen, dass sich aus diesem Bezug heraus der niederländische Begriff Staat ableiten lässt, der zentral für die vorliegende Arbeit

41 Vgl. dazu: Ebda., S. 113. 42 Vgl. dazu: Weinacht, Staat, S. 29. 43 Vgl. dazu: Smeekschrift der Edelen: „[...] God geve van wat staet, qualiteit, en conditie dat hy ook zy, sijns lijfsseker, dʼwelk hy sal bevonden werden verbeurt te hebben, en sijne goeden daer neffens econfisqueert, door wroeginge van den eersten hem benydende, de welke hem sal beklagen om een deel te hebben in de confiscatie van sijne goeden, onder ’t dexel der Placcaten, den welken genen anderen troost noch toevlucht gelaten [...]“, in: http:// www.dutchrevolt.leiden.edu/dutch/bronnen/Pages/1566-04-05-ned.aspx, zuletzt konsultiert am 28.12.2017.

2. Die Etappen des Aufstands

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ist.44 Wie bereits angedeutet, existierte der Begriff Staat bereits am Ende des 16. Jahrhunderts in der niederländischen Sprache. Für das 16. Jahrhundert ist Staat als Zustand zu übersetzen. Die politische Dimension des Begriffs entwickelte sich erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. „Dat van nu voortaen d’inwoonderen ende onderzaeten van d’een ende d’ander zyde wat lande van herwaertsovere ofte ende van wat staete, qualiteyt ofte conditie hy zy, overal zullen moegen hanteren, gaen ende keeren, woonen ende trafficqueren, koopmansche wyze ende anderssins, in alle vrydom ende verzekerheyt, welverstaende dat niet georlooft oft toegelaten en zal zijn, die van Hollandt, Zeelant ofte andere, van wat lande, conditie, ende qualiteyt dat hy zy, yet te attempteren herwaertsovere, buyten de voirsz. landen van Hollandt, Zeelandt ende geassocieerde plaetsen, tegens die gemeyne ruste ende vrede zunderlinghe teghens die Catholicke Roomsche religie ende exercitie van dien, noch yemanden ter causen van dien t’injurieren, irritieren mit worden oft mit wercken, noch mit gelycke acten te scandalizeren, op pene van gestrafft te worddene als perturbateurs van de gemeene ruste, anderen ten 45 exemple.“

Neben der Duldung der katholischen Religion ist auch auf die Garantie der Freizügigkeit zwischen den unterzeichnenden Provinzen hinzuweisen, die den Handel weiterhin gewährleistete.46 Schon die Akte der Genter Pazifikation und die Beschlüsse von Dordrecht 1575 zeigen die ökonomische Komponente in den Überlegungen der niederländischen Stände bei deren Zusammenschluss. Der Handel war die Grundlage des Wohlstands in den Provinzen, der durch den Krieg nachhaltig gestört wurde. Die Spaltung innerhalb der Provinzen – Amsterdam war bis 1578 nicht Mitglied der Allianz gegen Spanien – führte zusätzlich zur Schwächung der holländischen Wirtschaft. Der Zusammenschluss der Provinzen in der Genter Pazifikation implizierte eine wirtschaftliche Zusammenarbeit durch die Bestimmung der Freizügigkeit der Händler.47 Bereits zu Beginn der Unabhängigkeit war die Frage der wirtschaftlichen Deregulierung innerhalb der rebellischen Provinzen von großer Bedeutung. Die Provinzen setzten den neuen Landvogt Juan de Austria mit den Forderungen unter Druck, die spanischen Soldaten abzuziehen und die alten Privilegien der Provinzen und Städte wiederherzustellen. Auch Wilhelm I. von Oranien sollte als Statthalter von Holland und Seeland bestätigt werden.48 Explizit sollte in Religi44 Vgl. dazu: „[...] van den heere Prince van Orangien, Staten van Hollandt, Zeelandt ende hunne geassocieerden,[...]“; „Dienvolgende beloven die voirn. Staeten van Brabant, Vlanderen en Henegauw etc. mitsgaders mijn heere Prince, Staeten van Holland ende Zeelandt mit hunne associeerden,[..]“ XVI. 8 November 1576, Pacificatie van Gent, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 113–117, darin: S. 113, 114. 45 Vgl. dazu: XVI. 8 November 1576, Pacificatie van Gent, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 113–117, darin: S. 114. 46 Jeder konnte dem katholischen Glauben im Privaten nachgehen, was, im Gegensatz zur Politik Philipps II., als Duldung der Katholiken verstanden werden kann, aber nicht im Sinne der Gleichberechtigung oder Toleranz. Siehe dazu: Lachenicht, Susanne: Hugenotten in Europa und Nordamerika, Frankfurt a. M.: Campus-Verlag, 2010, S. 201–215. 47 Siehe dazu: Davids, Kapitaal, ondernemerschap en beleid. 48 Am 11. Juli 1575 übertrugen die Stände Hollands und Seelands die Oberhoheit in den Provinzen an Wilhelm I. In politischen Belangen übertrugen die Stände Wilhelm I. Macht und Auto-

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III Der Weg der nördlichen Niederlanden in die Unabhängigkeit

onsfragen Toleranz gegenüber der reformierten Kirche geübt werden. Aus Mangel an Alternativen, die Soldaten bezahlen zu können, war Juan de Austria gezwungen, das Ewige Edikt zu unterzeichnen, in dem er am 12. Februar 1577 den Abzug der spanischen Truppen versprach. Vom Friedensschluss mit den Osmanen und den reichen Silberlieferungen aus Südamerika begünstigt, versuchte er in den letzten eineinhalb Jahren seiner Herrschaft jedoch noch einmal, mit Waffengewalt den Widerstand der Protestanten in den niederländischen Territorien zu brechen.49 In der Genter Pazifikation kam der Wille aller 17 Provinzen des Burgundischen Reichskreises letztmalig mit einer gemeinsamen Stimme zum Ausdruck. Dass eine solche Pazifikation von den Generalständen verabschiedet wurde, zeigt die Bereitschaft zu eigenständigem Handeln. Zur Sprache kam, dass es einen Aufstand in den niederländischen Territorien gegeben hatte, dessen Ergebnisse mit der Anerkennung der Pazifikation durch die spanische Krone manifestiert wurden und den Gedanken der Einheit des Territoriums stärkten. Insgesamt kann die Genter Pazifikation als bewusster Ausdruck der Selbständigkeit der Provinzstände angesehen werden, die in der Ständeversammlung von Dordrecht angelegten Prinzipien der Ergreifung herrschaftlicher Privilegien, wie der Ernennung des Statthalters, zu bekräftigen und weiter auszubauen, was das Dokument zu einem Umschlagpunkt für zahlreiche Potentiale auf dem Weg zu einer unabhängigen, ständisch-korporativen Herrschaftsordnung machte. Wie erwähnt, liefen die Kriegshandlungen auch nach dem Ewigen Edikt, welches der schwachen Ausgangslage der Spanier geschuldet war, weiter, in deren Folge die Radikalisierung der konfessionellen Lager zu einem Auseinanderdriften, auch innerhalb des calvinistischen Lagers, führte und Zwist zwischen den Provinzen und Städten säte. Im Sommer nach der Unterzeichnung des Edikts griff Juan de Austria erneut Antwerpen an. Er brach mit dem Zugeständnis, die spanischen Truppen aus den niederländischen Territorien abzuziehen und den Rebellen Amnestie zu gewähren, wenn sie sich wieder zur katholischen Konfession bekennen würden. Verstärkung erreichte die spanischen Truppen in den Habsburgischen Niederlanden im Herbst unter Alessandro Farnese, dem Herzog von Parma. Seiner Führungsstärke war es zu verdanken, dass die spanischen Truppen die Schlacht von Gemblours 1578 gewannen. Mit Farnese, der nach dem Tod Juan de Austrias im selben Jahr zum Landvogt ernannt wurde, übernahm ein geschickter Politiker die Regierung der niederländischen Territorien, dem es innerhalb kurzer Zeit gelang, den hohen Adel der südlichen Provinzen zur Loyalität gegenüber Philipp II. rität. Solange die Provinzen sich im Krieg befanden, wurde ihm die „volkomen autoriteit en magt als souverain en overhooft te gebieden en te verbieden“ übertragen. Dabei erstreckte sich seine Zuständigkeit sowohl auf die Truppen zu Lande als auch zu Wasser. Der Statthalter sollte im Auftrag und im Namen des spanischen Königs handeln. Souveränität besaß Wilhelm I. demzufolge nicht in allen politischen Belangen, sondern nur in Fragen der Verteidigung der Provinzen gegen die spanischen Truppen. Vgl. dazu: XV. 11. Juli 1575. Opdracht van de hooge overheid aan Prins Wilhelm van Oranje, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 109–112, darin S. 110. 49 Siehe dazu: Braudel, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipp II., 2. u. 3. Band.

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und der katholischen Religion zu verpflichten. Die wallonischen Provinzen schlossen sich unter seiner Ägide Anfang Januar 1579 zur Union von Arras zusammen.50 Farnese war die treibende Kraft hinter der Entstehung der Union. Sein Ansinnen war es, die unterschiedlichen Interessen der Eliten in den Provinzen gegeneinander auszuspielen, wobei die Religion nur eines der Streitthemen zwischen den verschiedenen Provinzständen war. Grundsätzlich ging es um die Schwächung der Rebellen durch das Aufbrechen der, seit den Beschlüssen der Genter Pazifikation bestehenden Einheit der niederländischen Territorien. Forderungen gab es aber auch von Seiten der Union von Arras an die spanische Krone. Unter anderem wollten die Unionsmitglieder, dass die spanischen Truppen niederländisches Territorium verließen. Als Reaktion auf die Gründung der Union von Arras bildete sich nur knapp vier Wochen später am 23. Januar 1579 die Union von Utrecht, die eine Trennung der Habsburgischen Niederlanden in zwei Territorien manifestierte, die vom Jahr ihrer Gründung an, vollkommen unterschiedliche Entwicklungen nahmen.51 Der bisher beschriebene Verlauf lässt erkennen, dass es keine monokausale Deutung für den Ausbruch des Aufstands gab, der mit der Gründung der beiden Unionen einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Festzuhalten bleibt aber, dass Philipps II. Politik, die Habsburgischen Niederlanden in den Dienst seiner europäischen Interessen zu stellen, mit der Missachtung der gewachsenen differenzierten Herrschaftsstruktur korrelierte, die erst unter seinem Vater in den 1540er Jahren einem Zentralisierungsschub unterworfen worden war. Karl V. berief sich auf die Versuche der Herrschaftszentralisierung unter den Burgundischen Herzögen im 15. Jahrhundert. Die politische Kultur der niederländischen Territorien blieb aber seit der Gewährung des Großen Privilegs 1477 von der Macht der Städte und Provinzen bestimmt, die insbesondere durch den Handel im Ostseeraum erstarkt waren.52 Auch wenn von der Bedeutung der Stände gesprochen wird, bezieht sich die Kategorie meist auf die Delegierten Städte und Provinzen, weniger auf die Ritterschaft und die Geistlichkeit. Einhundert Jahre waren seit der Vergabe des Großen Privilegs vergangen. Grundsätzlich fühlten die Provinzen und reichen Handelsstädte sich diesem Zugeständnis aus Eigennutz mehr verpflichtet als den Verträgen, die unter Karl V. geschlossen wurden. Dessen Sohn sah jedoch die Verfügungen seines Vaters als unumstößliches Recht an und mit Hilfe der gegebenen politischen Instrumente pressierte er die Durchsetzung seiner politischen Richtlinien, sei es in religiösen oder finanziellen Fragen. Philipps Vorhaben, den sich regenden Widerstand zu brechen, scheiterte einerseits an der Entschlossenheit der

50 Siehe dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlande, S. 72–73. 51 Siehe dazu: Groenveld, Simon; Leeuwenberg, Mout, Zappey: De kogel door de kerk? De opstand in de Nederlanden en de rol van die Unie van Utrecht, Zuphen: Walburg Press, 1991. 52 Zur Rolle der Städte vgl. u. a.: Laan, P. H. J. van der: Die städtische Autonomie in den nördlichen Niederlanden bis zum 17. Jahrhundert, in: Konrad, Fritz (Hg.): Autonomie, Wirtschaft und Kultur der Hansestädte, Weimar: Böhlau, 1984, S. 101–110.

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III Der Weg der nördlichen Niederlanden in die Unabhängigkeit

Provinzen der niederländischen Territorien sowie deren Städten und adligen Führern, eine Einschränkung ihrer tradierten Privilegien nicht zu dulden. Andererseits an dem Widerstand gegen die Abschöpfung von Steuern zum Zwecke der habsburgischen Kriegsführung in ganz Europa, sowie an der Besetzung von Ämtern und Beherrschung der Territorien durch Personen, die nicht von den lokalen Ständen anerkannt worden waren. Philipp II., sowie die von ihm eingesetzten Landvögte und deren Berater wurden als Fremde wahrgenommen, die ohne Toleranz und Verständnis für die Belange der Stände repressiv eine Politik der Unterdrückung politischer und religiöser Opposition verfolgten. Als mythische Grundlage für die Reaktion der abtrünnigen Provinzen diente der glorifizierte antike Volksstamm der Bataver, ein westgermanischer Stamm, der in den niederländischen Gebieten gesiedelt hatte, dessen Aufstand gegen Julius Civilis 69 n. Chr. zur Legende wurde. Auf dem Mythos des verklärten Kampfs gegen die römische Unterdrückung gründeten die Rebellen eine niederländische Tradition des Widerstandes gegen jegliche Fremdherrschaft. Aus dieser Rückbesinnung entwickelte sich die Wahrnehmung des von den Rebellen beherrschten Territoriums als Vaderland.53 Die kurze Analyse der Genter Pazifikationsakte hat gezeigt, dass der Begriff Staat zu Beginn der Rebellion noch keine Bezeichnung für politische Entitäten war. Weder für die Gemeinschaft der Provinzen, noch für das spanische Königreich. Dass der Schutz des überlebenswichtigen und Wohlstand bringenden Handels als Aufgabe der Stände eine der bedeutendsten Forderungen der Genter Pazifikation war, wurde ebenfalls aufgezeigt. Die Betonung der wirtschaftlich problematischen Folgen des Kriegs kann jedoch ebenso als Versuch der Provinzen gedeutet werden, Philipp II. den Schaden vor Augen zu halten, der ihm als Landesherrn entstünde, wenn die Ökonomie der Niederlanden nachhaltig zerstört werden würde. In der Übertragung der Oberhoheit an Wilhelm I. von Oranien in den Provinzen Holland und Seeland wird das klare Verständnis über den Souveränitätsbegriff in den nördlichen Niederlanden deutlich. In Belangen der Verteidigung, wurden Wilhelm I. souveräne Rechte über das Heer und die Flotte übertragen. In politischen Fragen besaß er lediglich die Autorität und Macht, die ihm die Stände im Namen des spanischen Königs übertrugen, da 1575 noch nicht die Möglichkeit bestand, die Unabhängigkeit von der spanischen Krone zu erwirken. Auch in diesem Punkt agierten die Stände traditionell. De facto hätten sie Wilhelm I. von Oranien zum Oberhaupt ernennen können. Er gehörte dem europäischen Hochadel an, gründete diese Autorität allerdings auf Besitzungen in Frankreich.54 Vorerst waren die Stände aber daran interessiert, einen Herrscher zu finden, der eine Legitimation zur Herrschaft durch Familiennetzwerke im europäi53 Siehe dazu: Mörke, ,Stadtholderʻ oder ,Staetholderʻ?, S. 37; Mout, Nicolette: Ideales Muster oder erfundene Eigenart Republikanische Theorien des niederländischen Aufstands, in: Koenigsberger, Republiken und Republikanismus, S. 169–194, darin S. 171. Zum Mythos der Bataver: Grotius, Hugo: De antiquitate reipublicae Batavicae, Leiden, 1610; Gosses, Izaak Hendrik; Japikse, Nicolas: Handboek tot de Staatkundige Geschiedenis van Nederland, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1947, S. XIV–XVI. 54 Das Fürstentum Orange war von französischem Territorium umschlossen. Karl V. hatte das Gebiet an Wilhelm I. übertragen nachdem Wilhelms Cousin kinderlos gestorben war.

3. Die Union von Utrecht

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schen Hochadel und vor allem die finanziellen Ressourcen besaß, um die Rebellion zum Erfolg zu führen. Die Souveränität blieb in politischen Fragen entgegen der Argumentation Parkers nur de facto bei den Ständen der Provinzen, de jure handelten die Stände weiterhin im Auftrag Philipps II. bis ein neuer Herrscher als Souverän für die Union gefunden worden wäre. Auch nach der Genter Pazifikation bestand die Möglichkeit, Philipps II. Herrschaft weiterhin als legitim anzusehen. Der Antagonismus ist indes sehr deutlich. Auf der Seite der Rebellen kämpften die Ständeversammlungen und der hohe Adel nur gegen die, als tyrannisch wahrgenommenen Vertreter Philipps II. Andererseits spiegelt die Suche nach einem neuen Oberhaupt unleugbar die Tendenz wider, sich endgültig von Philipp II. loszusagen. Im folgenden Kapitel sollen die Entscheidungen der Stände für eine größere Unabhängigkeit untersucht werden, die sich in der Gründung der Utrechter Union manifestierte.

3. DIE UNION VON UTRECHT Die Bedeutung der Utrechter Unionsakte für die niederländische Staats-Formierung Da es nie eine grundsätzliche Verfassung für die Utrechter Union gab und sie als Verteidigungsbündnis ihren Anfang nahm, gilt die Gründungsakte der Union als Ausgangspunkt für die Festlegung der Kompetenzen der verschiedenen Institutionen der Union. Ausschlaggebend ist die Stärkung der Rolle der Provinz Holland, die in den Artikeln der Unionsakte deutlich hervortritt. Die ausführlichere Beschäftigung mit den Bestimmungen der Utrechter Union ist in der Bedeutung der Unionsakte für die politische Ordnung der Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert begründet. Die Unionsakte bildet die politische Hierarchie zwischen den einzelnen Provinzen und der Union ab, die während des 17. Jahrhunderts charakteristisch für die Vereinigten Niederlanden als politische Entität wurde. Das Dokument ist eines der wenigen schriftlichen Zeugnisse, die Auskunft über die Ordnung der Föderation der Vereinigten Niederlanden geben. Trotz der Veränderungen, die sich nach dem Gründungsjahr 1579 in der Zusammensetzung der Union von Utrecht noch ergaben, ist es sinnvoll, die Gründungsmitglieder zu nennen und vor allem, darauf hinzuweisen, welche Städte bei der Gründung der Union freiwillig außen vor blieben. Neben den wichtigsten Provinzen Holland und Seeland, traten außerdem die Herrschaft Utrecht, das Herzogtum Gelderland, die Grafschaft Zutphen sowie das Land um Groningen der Union bei. Die Stadt Groningen schloss sich der Union indes nicht an. Im Laufe des Jahres traten einige Städte der Union bei, die im Einflussbereich der Union von Arras lagen,55 unter ihnen Ant55 Die Union von Utrecht wurde am 23. Januar 1579 gegründet. Bis zum April 1580 traten folgende Körperschaften der Union bei: Gent 2.4.1579; Landschaft Nijmegen und Stadt Nijmegen 5.3.1579; Ritterschaft und Städte der Landschaft Arnheim 9.3.1579; Leeuwarden, Sneek, Franeker 23.3.1579; Venlo 11.4.1579; Amersfoort 10.6.1579; Ieper, 10.7.1579; Antwerpen

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III Der Weg der nördlichen Niederlanden in die Unabhängigkeit

werpen, Gent und Breda. Ihre Exponiertheit im Territorium der Spanien treu gebliebenen Union von Arras erhöhte die Problematik ihrer Verteidigung. Die Zersplitterung des Unionsterritoriums zeigt andererseits die religiöse Heterogenität innerhalb der Union von Arras, die auch in der Utrechter Union gegenwärtig war, insbesondere im Hinblick auf Amsterdam. Die Stadtregierung Amsterdams war bis 1578 mehrheitlich von katholischen Mitgliedern besetzt und dem spanischen König treu ergeben.56 Der Genter Pazifikation stimmte die Amsterdamer vroedschap57 erst zu, als Juan de Austria das Ewige Edikt unterzeichnet hatte. Mit dem Vorrücken der Rebellen 1577 gelang es den holländischen Ständen und Wilhelm I. von Oranien, die Amsterdamer vroedschap in die Allianz gegen die spanischen Truppen zu integrieren, die schon seit der Ersten Freien Ständeversammlung von 1572 in Dordrecht bestand. Unter dem Druck, vom Handel ausgeschlossen zu werden, falls Amsterdam den Bestimmun29.7.1579; Breda 13.9.1579; Brügge 1.2.1580; Brügger Burggrafschaft 1.2.1580; Lier 16.2.1580; Drenthe 11.4 1580. Die Utrechter Union geht auf die Dordrechter Union vom 4. Juli 1575 zurück. Die Stände der Provinzen Holland und Seeland schlossen sich gegen die spanische Oberhoheit zusammen. Sieben Tage nach Vertragsschluss beriefen die Stände Wilhelm I. von Oranien zum Statthalter ihrer Provinzen. Sowohl mit dem Vertrag als auch der Berufung überschritten sie die eigenen Kompetenzen und stellten sich offensiv gegen Philipp II. Dem Bündnis folgte die Union von Brüssel vom 9. Januar 1577, geschlossen von Generalständen, dem Raad van State und den Abgeordneten der Provinzen Holland und Seeland, um Juan de Austria zur Annahme des Ewigen Ediktes zu zwingen. Siehe dazu: Fruin/ Colenbrander, Geschiedenis der Staatsinstelling, S. 156ff; Sneller, Z. W.: Unie van Utrecht en Plakkaat van Verlatinge, De wording van den Nederlandschen Staat, Rotterdam: Universitätsverlag, 1929, S. 1–28. 56 Die Mehrzahl der Stadträte Amsterdams war vor 1578 katholisch. Vgl. dazu: Elias: J.E.: De vroedschap van Amsterdam 1578–1795, Eerste Deel, Amsterdam: N. Israel, 1963, S. XXXIII. 57 Die Regierung in den niederländischen Städten der Frühen Neuzeit bestand aus dem Magistrat und der vroedschap, einem Stadtrat, dessen Mitglieder Bürger der Stadt sein mussten, die das Recht hatten, innerhalb der Mauer der Stadt leben zu dürfen, ein Haus besaßen und in der Zeit nach der Lossagung von Philipp II. Mitglied der reformierten Kirche waren. Der städtische Magistrat bestand aus vier bis sechs Bürgermeistern, denen eine wechselnde Anzahl von schepen (Schöffen, Ratsherrn) zur Seite stand. Der zuletzt berufene Bürgermeister war gleichzeitig für die schutterij (Bürgerwehr) zuständig. Der Magistrat war mit den täglichen Aufgaben der Stadtverwaltung betraut. Grundsätzlich wurde jeder Bürgermeister auf vier Jahre gewählt. Aufgestellt wurden die Kandidaten für die Wahl des Bürgermeisters durch die vroedschap, aus deren Vorschlägen der Statthalter der Provinz die Bürgermeister auswählte. Das führte im Laufe des 17. Jahrhunderts zu einer Auswahl von Kandidaten, die den Familien entstammten, welche in der vroedschap für deren Kandidatur einstehen konnten. Neben dem Vorschlagsrecht für die Bürgermeister oblag der vroedschap die Einflussnahme auf Entscheidungen der Finanzpolitik der Städte und die Vergabe weiterer wichtiger Ämter innerhalb der Stadt. Die Mitglieder der vroedschap wurden auf Lebenszeit gewählt. Verstarb ein Mitglied, wurde durch Kooptation ein neues Mitglied bestimmt. Die Familiennetzwerke waren für die Wahl der vroedschap entscheidend. Vgl. dazu: Elias, De vroedschap van Amsterdam 1578– 1795, 1 Deel, S. XXXIII–L; Fruin/Colenbrander, Geschiedenis der Staatsinstelling, S. 82ff; zur Benennung der Bürgermeister und Schöffen Amsterdams durch den Statthalter vgl. u. a.: Brief des Magistrats der Stadt Amsterdam an Wilhelm von Oranien vom 20. April 1578, Nationaal Archief, Den Haag, Hof van Holland, nummer toegang 3.03.01.01, inventarisnummer 4593.

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gen der Genter Pazifikation nicht zustimmen würde, gelang es, die Amsterdamer vroedschap zu überzeugen, auf Seiten der Rebellen zu agieren. Wilhelm I. von Oranien stand seit 1577 in regem Schriftverkehr mit der Stadt Amsterdam.58 Die Themen der Korrespondenz waren die Religionsausübung in der Stadt und die Bitte um Beitritt der Stadt zum Verteidigungsbündnis gegen die spanischen Truppen. In der erwirkten Satisfactie van Amsterdam vom 8. Februar 1578 beharrte Amsterdam zwar auf dem Primat der katholischen Religion, gestand aber den Anhängern der reformierten Kirche freie Religionsausübung zu, was die Rückkehr vieler Protestanten in die Stadt nach sich zog, die innerhalb weniger Monate die Mehrheit in der vroedschap stellten.59 Eine Kommission beschloss am 26. Mai 1578 die Absetzung der Mitglieder, die treu zu Spanien standen. Ersetzt wurden die Verbannten im Zuge der Amsterdamer Alteratie mehrheitlich durch Reformierte.60 Bei der Wahl der Auszuschließenden ließ Wilhelm I. von Oranien sein politisches Gespür erkennen, indem er nur die Ratsherren verbannen ließ, die sich offen für die Interessen der spanischen Krone eingesetzt hatten. Opportunisten versuchte er in die neue Administration zu integrieren. Damit legte er den Grundstein für die Prosperität Amsterdams, das nach der Alteratie weitestgehend von innerstädtischen Zwistigkeiten verschont blieb. Wilhelm I. überführte die Stadt in das Lager der Rebellen – ein Ergebnis langwieriger Verhandlungen, in deren Folge die katholischen Wortführer ihre Macht in Amsterdam verloren.61 Fortan bestimmten mehrheitlich Reformierte die politischen Geschicke der Stadt Amsterdam, der Provinz Holland und – nicht zuletzt über ihren Einfluss in den Generalständen – die, der Utrechter Union.62 Die Berufung der Bürgermeister Amsterdams 1578 brachte Familien in die Stadtregierung, deren Nachkommen bis in die Statthalterlose Epoche hinein die politische Kultur der Vereinigten Niederlanden beeinflussten. Für die Familie de Graeff begann mit der Alteratie der politische Aufstieg.63 Die Familien Bicker, 58 Siehe dazu: Koninklijke Bilibiothek Den Haag, 75 K 46; Nationaal Archief, Den Haag, Familie Cousebant, nummer toegang 3.20.09, inventarisnummer 1094. 59 Vgl. dazu: Gemeenteachief Amsterdam, Archief Burgermeesters, nummer toegang 5028, inventarisnummer 496. 60 Die Mitgliederzahl der vroedschap variierte über die Jahrhunderte. Infolge des Großen Privilegs vom 11. Februar 1477 wurde die Mitgliederzahl auf 36 erhöht. Ferner wurde durch das Privileg zugestanden, frei werdende Plätze in der vroedschap durch Kooptation neu zu besetzen und den Statthaltern Vorschläge für die Wahl der Schöffen zu machen, vgl. dazu: Elias, De vroedschap van Amsterdam 1578–1795, 1 Deel, S. XXXIV. 61 Vgl. dazu: Elias, De vroedschap van Amsterdam 1578–1795, 1 Deel, S. XXXIX. 62 In der Utrechter Unionsakte wird zwischen reformierter und römisch-katholischer Religion unterschieden. Aus diesem Grund wird nicht von Calvinisten oder Protestanten gesprochen, sondern von Reformierten, was neben dem Calvinismus noch weitere Bekenntnisse einbezog, zur Unterscheidung vgl.: XIX. 29. januari 1579. Unie van Utrecht, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 120–125, darin: S. 125. 63 Dirck Jansz. de Graeff wurde 1578 zum Bürgermeister Amsterdams ernannt. De Graeff war mit Wilhelm I. von Oranien befreundet, der dessen Berufung guthieß. Vgl. dazu: Graeff, Dirck Jansz in: Molhuysen, P.C. de; Blok, P.J. (Red.): Nieuw Nederlandsch biografisch woordenboek, Deel 2, Leiden: A.W. Sijthoff, 1912, S. 497.

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Pauw und Hooft etablierten sich ebenso bereits Ende des 16. Jahrhunderts in der Amsterdamer Stadtregierung. Durch Heirat und persönliche Freundschaften schufen die genannten Familien Netzwerke, die im 17. Jahrhundert die niederländische Ökonomie, Politik, Kultur und den Fernhandel dominieren sollten.64 Die Alteratie ist demzufolge eine der Bedingungen für den Aufstieg der Kaufmannsfamilien der reformierten Bekenntnisse, die begannen, ihre wirtschaftlichen Interessen mit politischen Mitteln auf allen Ebenen der neu entstehenden politischen Entität durchzusetzen. An den Verhandlungen der Rebellen mit Amsterdam sind die Zerwürfnisse erkennbar, die die verschiedenen christlichen Bekenntnisse für die politischen und ökonomischen Entscheidungen mit sich brachten. Auch aus diesem Grund fand die Konsolidierung des Territoriums der Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts, die aus der Utrechter Union hervorging, erst nach weiteren militärischen Auseinandersetzungen statt. Bis zum Ende des Widerstands gegen die spanische Krone 1648 verschoben sich die Grenzen, des für die Regierung der Vereinigten Niederlanden beherrschbaren Territoriums beständig, was eine klare Eingrenzung der Hoheitsgebiete der Vereinigten Niederlanden bis zum Friedensschluss von Münster erschwert.65 Die Utrechter Union war der Beginn der Bildung einer unabhängigen territorialen und politischen Einheit in den Niederlanden, die durch die Stände der beteiligten Provinzen und das Adelsgeschlecht der Oranier geschaffen und beherrscht wurde.

Die politischen Konsequenzen der Utrechter Unionsakte In 26 Artikeln umreißt die Unionsakte die Gestalt der neu geschaffenen, föderalen Korporation. Im ersten Artikel schwören sich die Unterzeichner standesgemäß die ewige Treue, dass kein Vertrag, keine Hochzeit, Schenkung oder ähnliches, was von außen an die Union herangetragen werden könnte, zur Auflösung der Union führen soll.66 Für die Einwohner der Städte und Provinzen galten bestehende Pri64 Vgl. dazu: Lademacher, Phönix aus der Asche?, S. 222ff. 65 Siehe zur Integration der sogenannten Generalitätslande, die während des Krieges erobert wurden und keiner Provinz angegliedert, sondern von den Generalständen regiert wurden: Christ, M. P.: De Brabantsche Saecke, Het vergeefse streven naar een gewestelijke status voor Staats-Brabant, 1585–1675, Tilburg: Stichting Zuidelijk Historisch Contact, 1984. 66 Vgl. dazu: „Ende eerst, dat die voorsz. provincien sich mit den anderen verbynden, confedereren ende vereenyghen sullen, gelijck si hem verbynden, confedereren ende vereenyghen mets desen, ten ewygen daeghen by den anderen te blijven in alle forme ende maniere als off siluyden maer een provincie waeren, sonder dat deselve hem tenyger zijde van den anderen sullen scheyden, laeten scheyden ofte separeren bij testamente, codicille, donatie, cessie, wisselinghe, vercopinghe, tractaten van peys, van huwelick noch om geen anderen oorzaecken, hoe dat het gebeuren soude moegen, onvermindert nochtans een ygelick provincien ende die particulier steden, leden ende ingesetenen van dyen haerluyden spetiaele ende particuliere privilegien, vrijheyden, exemptien, rechten, statuten, loffelicke ende welheergebrochte costumen, usantien ende allen anderen haerluyden gerechtigheyden, [Hervorhebung O.K.; Mitglieder berufen sich auf ihre traditionellen Privilegien, Rechte, Statuten, Ausnahmen, Ge-

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vilegien, Rechte, Pflichten und Freiheiten, die implizit auf das Große Privileg zurückgeführt wurden. Nach außen trat die Union als Einheit auf. Die Ambivalenz des Artikels, sowohl den Mitgliedern als auch der Union souveräne Rechte zuzusprechen, charakterisiert die Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert als Föderation, die durch die Rechte der einzelnen Städte um eine weitere Ebene ergänzt wurde. Die Festlegungen des ersten Artikels der Unionsakte begründen die problematische Kategorisierung der Vereinigten Niederlanden in der Geschichtswissenschaft, da keiner der konkurrierenden Korporationen eine Vormachtstellung zugestanden wurde, was zwar den Selbstbestimmungsbestrebungen der Städte und Provinzen entsprach, aber keiner der Instanzen, weder den Provinzen und den Städten noch den Generalständen auf Unionsebene als Korporation die Souveränität in allen Belangen zusprach. Diese Unbestimmtheit verhindert die Charakterisierung der Unionsakte als Grundgesetz der entstehenden Vereinigten Niederlanden aus der verfassungsgeschichtlichen Perspektive. Die Akte blieb auf die Minimalziele des Verteidigungsbündnisses reduziert, ohne klare Bestimmungen über die Konstitution und Herrschaftsausübung in der Union zu liefern. Die Unionsakte war Ausdruck einer gewachsenen Föderation. Privilegien und Rechte wurden auf neue Art legitimiert, aber nicht neu geschaffen. Der zweite Artikel spricht explizit von der Einheit der Mitglieder der Union, die den Erzherzog Matthias von Österreich zum Gouverneur ernannten.67 Der Akt der Ernennung des Gouverneurs war ein souveräner Akt der Stände, die sich jedoch weit mehr dem gewählten Statthalter Wilhelm I. von Oranien verpflichtet fühlten. Die Wahl des Gouverneurs war ein symbolischer Akt, um die Möglichwohnheiten etc.] waerinne siluyden den anderen nyet alleen geen prejudicie, hynder ofte letsel doen sullen, maer sullen den anderen daerinne met alle behoirlicke ende moegelicke middelen, ja met lijf en goet (ist noot) helpen handthouden, stijven ende stercken ende oick beschudden ende beschermen tegens allen ende een ygelick, wie ende hoedanich die souden moegen wezen, die hem daerinne enich datelicke inbreecke soude willen doen, welverstaende dat die questie, die enyge van den voorsz. provincien, leden ofte steden van dese Unie wesende, met den anderen hebben ofte naemals souden moegen crijgen nopende haerluyden particulier ende spetiael privilegien, vrijheyden, exemptien, rechten, statuten, loffelicke ende welheergebrachte costumen, usantien ende anderen haerluyden gerechticheyden, dat deselve by ordinaris justicie, arbiters oft minlick accort beslicht sullen worden, sonder dat dandere landen ofte provincien, steden ofte leden van dyen (soe lange sich byde partien het recht submitteren) hem des sullen hebben te moyen, ten waere hem gelieffden te intercederen tot accordt.“, in: XIX. 29. januari 1579. Unie van Utrecht, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 120–121. 67 Erzherzog Matthias galt als Vertreter einer gemäßigten Kritik an der Politik Philipps II. in den Niederlanden, weswegen er schon vor der Gründung der Utrechter Union in die Niederlanden reiste und am 20. Januar 1578 zum Gouverneur ernannt wurde, wobei schon zu diesem Zeitpunkt Wilhelm I. von Oranien politisch federführend war. Andererseits zeigt die Benennung des Erzherzogs zu diesem frühen Zeitpunkt, dass die Utrechter Union nicht nur als Reaktion auf die Union von Arras zu verstehen ist. Der Briefwechsel Wilhelms II. zeigt sich die Vorbereitung der Gründung der Utrechter Union, die schon 1578 begann. Vgl. dazu: Gosses/Japikse, Handboek, S. 1–40; im Briefverkehr Wilhelms II. zur Vorbereitung der Utrechter Union siehe: Brief Wilhelms von Oranien an die Stände von Holland und Seeland, 18. Oktober 1578, Gemeentearchief Goes, Ouds stadtarchief, inventarisnummer 196.

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keit der Rückkehr unter die unangefochtene Oberhoheit Philipps II. zu bewahren. Die ständische Loyalität gehörte Wilhelm I. von Oranien, der die Wahl des Erzherzogs befürwortete. Den Charakter des Defensivbündnisses verdeutlicht der dritte Artikel, in dem die Vertragschließenden der Generalität68 der Union sowohl die Verteidigung der Föderation antrugen, zu deren Zweck die Dienstpflicht für alle zwischen 18- bis 60jährigen eingeführt wurde, als auch die Finanzierung der Garnisonen geregelt wissen wollten, die die Städte und Provinzen der Union leisten sollten. Des Weiteren verbietet Artikel 10 den einzelnen Provinzen Bündnisse mit Nachbarn zu schließen, ohne die Union um Rat zu fragen. Im folgenden Artikel wird indes explizit die Möglichkeit der Aufnahme in die Föderation angesprochen, die mit der Akzeptanz durch die bereits beteiligten Provinzen verbunden war.69 Artikel 12 legt die Notwendigkeit der Beratschlagung der Provinzen für das Münzwesen fest. Belange der Religion werden in Artikel 13 festgeschrieben. Jedem sollte es freistehen, seine Religion, entsprechend einem ausgehandelten Religionsfrieden, auszuüben, ohne dafür verfolgt zu werden. In weiteren Artikeln wird der Umgang mit Kirchengütern besprochen, sowie die Errichtung von Verteidigungsanlagen und deren Bezahlung durch die Union.70 Keiner der Artikel stellt hingegen explizit die Oberherrschaft Philipps II. in Abrede. Die Artikel der Unionsakte sprechen der Generalität die Suzeränität71 zu und setzen den, von der Union selbst gewählten Erzherzog Matthias als Hüter und Verteidiger der Union ein, indem sie ihn zum „gouverneur ende cappiteyn generael van dese landen“ ernennen72, der gemeinsam mit dem Raad van State nach Vorschlag durch die Generalstände einen Entwurf für einen Religionsfrieden ausarbeiten soll.73 In der toleranten Haltung gegenüber der Religionsausübung und 68 In der Akte wird, wie schon in der Pacificatie van Gent (8.11.1576) der Begriff Generaliteyt als Beschreibungskategorie für die Administration der Vereinigten Niederlanden verwendet. Im Folgenden wird der Begriff Generalität als Übersetzung genutzt, die bis zur Statthalterlosen Epoche nicht nur die Stände als herrschende Körperschaft betrachtet, sondern auch den Statthalter als Teil der Generalität einbezog, solange er berufen wurde. 69 Artikel 11 der Utrechter Union: „XI. Des es overcommen, dat, soe verre enyge naebuerfursten, heeren, landen ofte steden sich met dese voorsz. provincien begeerden te unieren ende hun in dese confederatie te begeven, dat si daertoe by gemeen advyse ende consent van dese provincien ontfangen sullen moegen worden.“, XIX. 29. januari 1579. Unie van Utrecht, in: Blécourt/ Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 120–125, darin: S. 122. 70 Vgl. dazu: XIX. 29. januari 1579. Unie van Utrecht, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 120–125, darin: S. 120–123; zur weiteren Interpretation der Bedeutung der Religion für die Unionsakte siehe: Sneller, Unie van Utrecht en Plakkaat van Verlatinge, S. 1–29. 71 Suzeränität bedeutet innerhalb der Utrechter Union die Ausführung politischer Funktionen durch die Generalität, die ihr von den Provinzen als Mitgliedern übertragen wurden. Dazu zählen die Verteidigung und die Außenpolitik. Grundsätzlich verbleibt die Entscheidungsgewalt in diesen Fragen aber bei den Provinzen und deren Ständegremien. 72 Vgl. dazu: Artikel XIII, in: XIX. 29. januari 1579. Unie van Utrecht, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 120–125, darin: S. 123. 73 Erweiterung des 13. Artikels der Unionsakte: „Verklaringhe van ’t 13. Artikel. Also eenige schijnen swarigheyt te maecken op ’t 13. artikel van die Unie, [...], alsof die meyninge ende

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der Berufung eines eigenen Gouverneurs, der gleichzeitig zum Oberbefehlshaber der Truppen ernannt wurde, zeigt sich der Gegensatz zur Oberherrschaft Philipps II. und der Wille, als Union militärisch selbständig gegen die Plünderungen durch spanische Truppen zu agieren. Vordergründig ist das Verteidigungsbündnis jedoch nicht gegen Philipp II. gerichtet, der als königliche Majestät in der Unionsakte weiterhin erwähnt wird, sondern gegen den Stellvertreter Philipps II., Juan de Austria, der das in ihn gesetzte Vertrauen nach der Unterzeichnung des Ewigen Edikts enttäuscht hatte. Den Ständen war indes bewusst, dass Juan de Austria im Auftrag Philipps II. handelte. Die Unionsakte kann somit einerseits als Reaktion auf die Union von Arras angesehen werden, andererseits kann die in der Akte vorgeschlagene politische Konstruktion als Versuch betrachtet werden, Philipp II. einen Lösungsvorschlag zu unterbreiten, der die Stellung der rebellischen Provinzen innerhalb des spanischen Imperiums diskutiert, ohne der Oberhoheit Philipps II. zu entsagen. Gleichzeitig bildete die Utrechter Union eine Wirtschaftsunion, in der die Provinzregierungen alle Bewohner der Unionsterritorien gleichbehandeln sollten, was die Erlassung von Convoigeldern74 einschloss, um den Handel innerhalb der Union zu begünstigen. „[Artikel] XVIII. Item en zal deene van de geunieerde provincien, steden ofte leden van dyen tot laste en prejudicie van dandere ende sonder gemeen consent geen imposten, convoy-

intentie ware gheweest niemandt in deselve Unie te ontfangen dan diegenen die der Religions vrede by de Ertz-hertoge van Oostenrijck ende Rade van Staten neffens hem by advijs van de Generale Staten gheconcipieert is, oft ten minsten die beyde die religien, te weten die Catholijcke Roomsche ende Ghereformeerde souden toelaten, soo ist, dat de voorschreven gedeputeerden, die over die voorschreven Unie gestaen ende deselve ghesloten hebben, omme alle misverstant ende wantrouwe wech te nemen, by desen wel hebben willen verklaren haer-lieder meyninge ende intentie niet gheweest te zijn noch als te wesen eenige steden ofte provincien, die sich an de voorschreve Catholijcke Roomsche Religie alleene sullen willen houden, ende daer ’t ghetal van de inwoonderen derselver van de Gereformeerde relgie soo groot niet en is dat sy vermogens die voorsz. Religions-vrede, het exercitie van de Gereformeerde religie souden mogen genieten van de voorsz. Unie ende verbintenisse uyt te willen sluyten, nemaer dat sy des niettegenstaende bereydt sullen wesen alsulcke steden ende provincien, die sich alleen aen de voorschreve Roomsche religie sullen willen houden, in dese Unie te ontfangen, by sooverre sy sich anders in de andere poincten ende articulen van de voorschreve Unie souden willen verbinden ende als goede patrioten dragen, soo de meyninge niet en is, dat d’een provincie oft stadt hem ’t feyt van d’andere in ’t poinct van de religie sal onderwinden, ende dit om te meerder vrede ende eendracht tusschen die provincien te houden ende de principaelste occassie van twist ende tweedracht te vermyden ende wech te nemen. Aldus ghedaen ’t Utrecht den 1 February 1579.“, in: XIX. 29. januari 1579. Unie van Utrecht, in: Blécourt/ Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 120–125, darin: S. 125. 74 Convoigelden waren Gelder, die eingenommen wurden, um Warentransporte vor Übergriffen zu schützen, indem den Transporten aus den eingenommenen Mitteln ein Begleitschutz zur Seite gestellt wurde. Die Convoigelder waren neben den Licentengelden einer der Haupteinnahmequelle der Generalstände, die mit Ein- und Ausfuhrzöllen vergleichbar sind. Siehe dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlande, S. 79; Grapperhaus: F.H.M.: Convoyen en licenten, Deventer: Kluwer, 1986.

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gelden, noch andere diergelijcke lasten moegen opstellen, noch enijge van deze bontgenoten 75 hoeger mogen bezwaeren dan hun eygen ingesetenen.“

Der Bildung des Verteidigungsbündnisses folgte die Einrichtung einer gemeinsamen Wirtschaftszone, die dazu beitrug, dass die Transaktionskosten innerhalb der Union gering blieben. Nach der Gründung der Union schlossen sich Städte der Union an, die gegen die spanischen Truppen kaum verteidigt werden konnten, da sie außerhalb der beteiligten Provinzen lagen, was den Eindruck nahelegt, Städte traten der Union auch aus wirtschaftlichen Gründen bei.76 Neben Brügge schloss sich beispielsweise Antwerpen der Union an, um die Blockade der Schelde zu umgehen. In der Mitgliedschaft in einer gemeinsamen Wirtschaftszone lag für die Kaufleute Antwerpens vorerst die Möglichkeit, weiterhin vom Handel leben zu können, ohne Antwerpen verlassen zu müssen, wo sie weiterhin auf ein Ende der Blockade der Scheldemündung hofften.77 Mit der Gründung der Utrechter Union schufen die rebellischen Mitglieder die Grundlage für eine Herauslösung ihrer Territorien aus den Habsburgischen Niederlanden und deren damit verbundene Spaltung in zwei Territorien. Die südlichen Provinzen der Union von Arras, mehrheitlich französischsprachig und katholisch, trennten sich von den nördlichen Provinzen, die erst im 14. und 15. Jahrhundert zum Burgundischen Herzogtum hinzugekommenen waren. Das Besondere an der Union von Utrecht war die Bildung einer politischen Körperschaft, deren Mitglieder sich zwar selbst eine Satzung gaben, doch vorerst nicht die Souveränität des Landesherrn als Oberherrn der rebellierenden Provinzen bestritten. Die Mitglieder der Utrechter Union lehnten sich gegen die Politik Philipps II. auf, befanden sich aber noch nicht im offenen Widerstand gegen den Landesherrn. Die Bestimmungen der Finanzierung zur Aufrechterhaltung von Verteidigung und Administration gestalteten sich von Beginn an schwierig in der Union, da es keine konkreten Festlegungen gab. Im 17. Jahrhundert kamen die Provinz Holland und 75 Siehe dazu: Artikel 18, Utrechter Union, in: XIX. 29. januari 1579. Unie van Utrecht, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 120–125, darin: S. 124. 76 Besonders die Kaufleute von Antwerpen stellten immer wieder Anfragen zur Erleichterung des Handels an die Staten-Generaal. Unter anderem erlaubte Wilhelm I. von Oranien den Handel von Antwerpener Kaufleuten in Nijmegen und Arnhem. Siehe dazu: Wilhelm von Oranien an die Staten-General, Brief vom 28. September 1579, in: Nationaal Archief, Den Haag, Staten Generaal 1576–1796, nummer toegang 11087, inventarisnummer f. 284v–285r, 77 Zur Entwicklung des Handels in den Niederlanden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und der Rolle Amsterdams darin siehe: Lesger, The Rise of the Amsterdam Market, S. 17–62. Seit der Konflikt zwischen den rebellierenden niederländischen Städten und Provinzen mit militärischen Mitteln geführt wurde, stand Antwerpen als die reichste Handelsstadt der Niederlanden immer wieder im Fokus. Der 3-tägigen Plünderung Antwerpens zwischen dem 4. und 6. November 1576 folgte die Genter Pazifikation und die Forderung des Abzugs der spanischen Truppen, die nach dem spanischen Staatsbankrott 1575 ohne Bezahlung geblieben waren und plündernd durch die Provinzen zogen. Antwerpen schloss sich der Utrechter Union an, worauf 1584 die Belagerung der Stadt durch spanische Streitkräfte unter Alexander Farnese begann. Farnese entschied sich für die Sperrung der Schelde, um die Stadt von der Versorgung abzuschneiden. Am 17. August 1585 kapitulierte Antwerpen. Spanische Truppen zogen in die Stadt ein.

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die Stadt Amsterdam aufgrund ihres Reichtums für über die Hälfte der Einnahmen der Vereinigten Niederlanden auf.78 Andere Provinzen hatten beständig Schulden bei der Rechenkammer der Union, resultierend aus nicht gezahlten Abgaben.79 Insgesamt stellte die Unionsakte ein schwaches Instrument zur Organisation und Administrierung der Föderation dar. Innerhalb der Union existierten die Städte und Provinzen durch das Beharren auf ihrem Privileg, eigenständige politische Entscheidungen treffen zu dürfen, als unabhängige Körperschaften, die nur zum Zweck der Verteidigung und der Schaffung einer Wirtschaftsunion Potenzen ihrer Selbstständigkeit abtraten. Die Frühphase der Utrechter Union verdeutlicht den Dualismus von fürstlicher und genossenschaftlicher Herrschaft, die Dietrich Hilger im Artikel Herrschaft im dritten Band der Geschichtlichen Grundbegriffe anspricht, wenn er vorschlägt „die doppelte Orientierung an herrschaftlichen und genossenschaftlichen Strukturen […] vor jeder etatistischen Verengung des verfassungsgeschichtlichen Blickfeldes [zu] bewahr[en] und seine Aufmerksamkeit auch auf ,Erscheinungen des Nichtabsolutistischen im Absolutismus’, auf die noch lange sich haltenden Residuen ,örtlicher Souveränitätʻ (Gerhard Oestreich)[...]“

zu lenken.80 Um eine Einordnung der Verfasstheit der Ordnungsstruktur der Vereinigten Niederlanden vornehmen zu können, ist es demnach wichtig, den Charakter der Utrechter Union zu bedenken, die abseits zentralisierender Maßnahmen die vordergründigen Bedürfnisse der Vertragsschließenden nach Wahrung der freien Religionsausübung und Sicherheit ihrer wirtschaftlichen Existenz befriedigte. Durch den Vertragsschluss von Utrecht entstand eine Konkurrenz verschiedener politischer Körperschaften, die durch eine festgelegte Hierarchie geordnet wurde. Die Generalstände waren die Körperschaft, die die Belange der Union administrierte. Die Provinzen und deren Städte als Mitglieder der Union blieben weiterhin selbstständige Körperschaften. Martin van Creveld hat die Körperschaft bereits in die Theorie der Staatsbildung in der Frühen Neuzeit einbezogen.81 Otto von Gierke betrachtet die Körperschaft in seiner Genossenschaftstheorie aus dem 19. Jahrhundert als Form der politischen Organisation und Johannes Althusius liefert mit der Schrift Politica eine zeitgenössische politische Theorie, die auf dem Element der Körperschaft gründet. Um eine genaue Beschreibung der politischen 78 Die Provinz Holland kam für über 58.3% der Einnahmen der Union auf. Indes zahlten die anderen Provinzen selten fristgerecht die geringeren Beiträge. Vgl. dazu: Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 255f; Israel, Jonathan I.: The Dutch Republic: Its rise, greatness, and fall, 1477–1806, Oxford: Clarendon Press, 1998, S. 276–306. Zu den Kompetenzen der Generalstände und des Raad van State siehe: Ebda.; zur Bedeutung der Provinz Holland siehe weiter: Fritschy, A ,financial revolutionʻ. 79 Siehe dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlande, S. 93; Liesker/Fritschy, Gewestelijke financiën, Holland, S. 9–32. 80 Vgl. dazu: Peter, Martin: Die Genossenschaftstheorie Otto v. Gierkes (1841–1921), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2001, S. 15, zitiert nach: Hilger, Dieter: Herrschaft, in: Brunner, Otto; Koselleck, Reinhard: Geschichtliche Grundbegriffe, Band 6, Stuttgart: Klett-Cotta, 1992, S. 88. 81 Vgl. dazu: Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates, S. 9.

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Hierarchie leisten zu können, muss auf das Zusammenspiel der Körperschaften in den Vereinigten Niederlanden eingegangen werden. Dabei wird deutlich, dass die Föderation von Provinzen und Städten trotz der fehlenden eindeutigen räumlichen Verortung der Souveränität eine politische Entität darstellte. Souveränität entstand durch die Übertragung von Rechten, die nicht zwangsläufig an einen Raum gebunden waren. Die einzelnen Körperschaften können als Ursprung der niederländischen Staats-Formierung betrachtet werden.82 Partiell soll auf die Genossenschaftstheorie Otto von Gierkes und Johannes Althusius’ Schrift Politica Bezug genommen werden, die beide helfen, den Mechanismus der Verzahnung der verschiedenen, auf dem Territorium der Utrechter Union existierenden Körperschaften zu beschreiben. Damit verbunden ist eine kurze Kritik an der Interpretation der Schriften Althusius’ durch Gierke, die einen differenzierten Blick auf die Kategorien Staat und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit liefern. Gierke ist, obwohl er sein Konzept aus den Verhältnissen des 19. Jahrhunderts heraus entwickelte, wichtig für die Betrachtung der Körperschaften in der Frühen Neuzeit, da er sich mit den Attributen des Territoriums als Merkmal der Körperschaft explizit beschäftigt. Durch diese Qualität der Körperschaft wird die Betrachtung ihrer Herrschaftsund Verräumlichungsstrategien im Verlauf der niederländischen Staats-Formierung erst möglich.

Johannes Althusius’ Politica – Die politische Bedeutung der Körperschaft Johannes Althusius studierte in Basel Rechtswissenschaften und promovierte im Jahr 1568. Danach berief ihn Johann VI., ein Bruder Wilhelms I. von Oranien, an die nassauische Hohe Schule Herborn. Althusius war Calvinist. Er verfasste eine politische Theorie, die auf einem dualen System aus Monarch und Ständen beruhte, in der sich aber auch die Ideen der Monarchomachen auf das Recht des Widerstands gegen eine ungerechte Herrschaft wiederfanden. Sein Wirken als Syndikus in der Stadt Emden war beeinflusst von seinen Ideen zur politischen Herrschaft, die Althusius erstmals 1603 in der Schrift Politica veröffentlichte.83 Als Syndikus Emdens stand Althusius auch immer wieder mit den Staten-Generaal in Kontakt, woraus die Wahrnehmung der politischen Ordnung in der Union folgte.84 Otto 82 Horst Lademacher beschreibt den Staat in den Niederlanden als ein korporatives Zusammenleben, das konträr zum deutschen Begriff der Staatsbildung steht, woraus sich der Anspruch der Dissertation ergibt, eine „niederländische Staatsbildung“ zu beschreiben, die an ein bestimmtes Verständnis der Verräumlichung von Herrschaft gebunden ist, das nicht mit den Annahmen zur Territorialität der deutschen Staatbildungstheorie kongruent ist. Vgl. dazu: Lademacher, Staat, 15f. 83 Siehe dazu: Althusius, Johannes: Politica, methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata, Herborn: Christoph Corvinus, 1603. 84 Siehe dazu u. a.: Resolution vom 29. April1610 in: Deursen, A. Th. van: Resolutiën der Staten-Generaal, Nieuwe reeks, 1610–1670, Eerster Deel, 1610–1612, Rijks geschiedkundige publicatiën, Grote serie 135, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1971, S. 104.

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von Gierke, von Carl Joachim Friedrich als Entdecker des Theoretikers Althusius bezeichnet, von Dieter Wyduckel hingegen für die Interpretation der Althusius’schen Lehre kritisiert, schließt mit seiner Genossenschaftstheorie an die ständisch-korporative Herrschaftsidee Althusius’ an, in der die Rechtsform der Körperschaft die entscheidende Rolle spielt.85 Dabei interpretiert Gierke laut Wyduckel Althusius’ als Schöpfer einer neuen Korporationslehre, an die Gierke anschließen möchte. „Die Körperschaft ist an der Nahtstelle der öffentlichen und privaten Gemeinschaftsbildungen angesiedelt. Sie stellt die rechtliche und politische Schlüsselkategorie dar, die es Althusius ermöglicht, die politisch verfasste Gemeinschaft in abstrakter Weise auf den Begriff zu bringen, den des politeuma nämlich, der wiederum nur ein anderer Ausdruck für den des symbiotischen öffentlichen Rechts (jus symbioticum politicum) ist. Althusius wird damit nicht zum Schöpfer einer neuen Korporationslehre, wie Gierke meinte, wohl aber gelingt es ihm – übrigens erst seit der zweiten Auflage der Politica – einen kategorialen Rahmen zu markieren, der es ermöglicht, die vielfältigen öffentlichen Gemeinschaftsbildungen unter einem einheitlichen 86 Aspekt sowohl rechtlich als auch politisch zu erfassen.“

Der einheitliche Aspekt der Körperschaft, dem in Althusius’ Theoriegebäuden eine wichtige Bedeutung zukommt, geht zurück auf dessen Kategorisierung der Gemeinschaftsbildung als consociatio, die Ausgangspunkt sowohl der Lebensbeziehungen als auch der Verbandsbildungen ist. Die Hierarchisierung führt zu einer Unterordnung der privaten Gemeinschaften unter die öffentliche Körperschaft, wenn sie Teil derer sind. Die Körperschaft als Institution verbindet die öffentliche und private Gemeinschaftsbildung miteinander. „Ausgangspunkt der gestuften Ordnung sind Ehe, Familie und Verwandtschaft, worauf die kollegial-beruflichen Lebensbeziehungen in den Blick gefasst werden, um von da aus zu den bürgerschaftlich-politischen Verbandsbildungen fortzuschreiten, die ihren Höhepunkt und Abschluss im umfassenden Gemeinwesen finden. Zentrale Kategorie, mit der Althusius diesen komplexen Zusammenhang erfasst, ist die von ihm bewusst so genannte consociatio, eine Form der Gemeinschaftsbildung, die das strukturelle Rückgrat des Ganzen darstellt und alle Ordnungsformen von der kleinsten, einfachen über die größere zusammengesetzte bis zur umfassendsten größten des gesamten Gemeinwesens umschließt. Die konsozialen Gliedverbände sind insoweit im gierke’schen Sinne in der Tat ,generisch gleichartig‘, jedoch ohne dass dabei auf die Differenzierung zwischen den Gemeinschaften privater und öffentlicher Art verzichtet oder gar alles Öffentliche Recht in Privatrecht aufgelöst würde. Dies ergibt sich schon daraus, dass die territorial gegliederten Gemeinschaften, also Städte und Provinzen, eben weil sie öffentlicher oder öffentlichrechtlicher Natur sind, als Glieder des Gemeinwesens (membra regni) im eigentlichen Sinne fungieren, während die Familien und beruflichkollegialen Zusammenschlüsse als der privaten Sphäre zugehörig insoweit ausgenommen sind. Diese können nur im Sinne der Gesamtordnung zugerechnet werden, als sie einen Teil

85 Siehe dazu: Friedrich, Carl Joachim: Johannes Althusius und sein Werk im Rahmen der Entwicklung der Theorie von der Politik, Berlin: Duncker & Humblot, 1975; Wyduckel, Dieter (Hg.): Althusius, Johannes: Politik, Übersetzung Heinrich Janssen, Berlin: Duncker & Humblot, 2003; Gierke, Otto von: Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorie, Breslau: Marcus, 1929. 86 Vgl. dazu: Wyduckel, Althusius, Johannes: Politik, S. XIXf.

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der die privaten Gemeinschaften umfassenden öffentlichen Körperschaft (universitas) bil87 den.“

Wie Wyduckel anführt, verkennt Gierkes spätere Interpretation Althusius’ die klare Trennung der öffentlichen und privaten Sphäre. Gierke versucht durch die Gleichmachung von Gemeinschaften privater und öffentlicher Art, die Körperschaft zur allgemeinen Organisationsform von Zusammenschlüssen zu erklären, um daraus den Anspruch abzuleiten, dass sich aus privaten Zusammenschlüssen heraus öffentliche Körperschaften entwickeln, die politisch wirkmächtig werden können. Diese Annahme beruht auf der Kategorie der consociatio, die bei Althusius grundsätzlich als Form der Gemeinschaftsbildung gilt, jedoch trotzdem Körperschaften verschiedener Ordnung hervorbringt. Gierke sieht darin allerdings die Neuheit der Althusius’schen Theorie, auf die er aufbauen will, um sein Modell der Genossenschaftsbildung als eine vom privaten in den öffentlichen Bereich überlappende Generierung von politischer Mitsprache, aus privaten Körperschaften heraus, zu begründen. Das Problem dabei ist, dass Althusius sehr wohl eine Trennung von Körperschaften öffentlich-rechtlicher und privater Dimensionen vornimmt. Private Zusammenschlüsse wie Familien sind zwar durch die consociatio Teil der öffentlichen Körperschaften, aber nicht Teil der gleichen Rechtsordnung wie die politischen Körperschaften. Im Denken der Gemeinschaftsbildung bei Althusius existiert durch die Kategorie der consociatio noch keine Trennung zwischen der Gesellschaft und dem Staat, wie sie in Gierkes Theorie im 19. Jahrhundert mitgedacht wird, sondern nur eine zwischen privatem und öffentlichem Rechtsbereich, die der traditionellen Trennung zwischen polis und oikos entsprach. „Die sozialen und die politischen Strukturen laufen hierbei weitgehend parallel, so dass von einer Trennung von Staat und Gesellschaft nicht die Rede sein kann, obwohl ein Herrschaftsapparat in den konsozialen Gliederungszusammenhang eingebaut ist. Eher schon entspricht dieser Zugang einem Gemeinschaftsdenken, das freilich (noch) keinen scharfen Gegensatz zur Gesellschaft zum Ausdruck bringen kann, eben weil die Unterscheidung zu wenig ausgeprägt ist. Ganz konsequent ist der althusische Gemeinwesenaufbau von unten nach oben indessen nicht, da sich die Provinz, der sich Althusius erst seit der zweiten Auflage der Politica 88 zuwendet, einen von oben bestimmten Präses oder Präfekten hat.“

Die politischen Körperschaften der Utrechter Union gehören diesem Verständnis nach dem öffentlichen Rechtsbereich an, ohne dabei nicht in enger Verbindung mit den familiären Gemeinschaften zu stehen, aus denen die politischen Akteure der Union rekrutiert werden, was zur engen Verzahnung des privaten und öffentlichen Bereichs in der Union führt. Ersichtlich wird an den Ausführungen Wyduckels, dass in der Theorie Althusius’ in der Abfolge der verschiedenen Auflagen Veränderungen auftreten, die sich an den realen Lebensbedingungen orientieren und damit die Stringenz und Widerspruchslosigkeit der Theorie in Frage stellen. Trotz der Widersprüchlichkeit der Theorie Althusius’ bietet das Verständnis von Körperschaften verschiedener Rechtsordnungen einen Ausgangspunkt, um den 87 Vgl. dazu: Wyduckel, Althusius, Johannes: Politik, S. XIX. 88 Vgl. dazu: Ebda., S. XX.

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Herrschaftsapparat in den Vereinigten Niederlanden zu verstehen, da die Verzahnung zwischen polis und oikos in der politischen Kultur der Vereinigten Niederlanden besonders an der Rolle der Regenten deutlich wird. Ebenso wie andere Gelehrte seiner Zeit, berief sich Althusius in seiner Theorie auf die Rechtsschule von Salamanca. In Althusius’ dualem Herrschaftssystem liegt die Souveränität nicht beim Monarchen, sondern entsteht nur durch das Zusammenspiel der verschiedenen Organe und wird letztlich im Gemeinwesen verortet. Erst das Miteinander von Monarch und Ständen konstituiert die Souveränität durch eine gegenseitige vertragliche Verpflichtung, obligatia mutua contracta. Althusius arbeitet zudem das Subsidiaritätsprinzip heraus. In einer gestuften Gesellschaft von Gemeinden, Provinzständen und Staten-Generaal können diese Akteure in den Vereinigten Niederlanden bis hin zum Landesherrn als eigenständige Körperschaften betrachtet werden. In Althusius’ System besteht grundsätzlich die Annahme, dass ein Landesherr zwar herrscht, aber ein Widerstand gegen ihn dadurch gerechtfertigt werden kann, dass er ein Vertreter der Gemeinschaft ist, der in vertraglich festgeschriebener Form die Souveränität im Namen jener Gemeinschaft übernimmt. Nimmt der Landesherr diese Verpflichtung nicht wahr, ist Widerstand gegen seine Herrschaft erlaubt. Mit der Verortung der Souveränität in der Gemeinschaft steht Althusius im Gegensatz zu Bodins Theorie der souveränen, absoluten Macht des Landesherrn und bildet einen zeitgenössischen, theoretischen Ansatzpunkt für eine alternative Betrachtung der Staats-Formierung in der Frühen Neuzeit. „Die politische Theorie des Althusius verweist auf ein Gemeinwesenverständnis, das sich nicht am Bild des monokratisch-absoluten Staates orientiert, sondern auf die ständischkorporative und konstitutionelle Seite frühneuzeitlicher Gemeinschaftsbildung zielt, also notwendigerweise von ständischer Herrschaftsbeteiligung ausgeht. Bereits dies deutet darauf hin, dass der absolute Staat nicht die einzige Form frühneuzeitlicher Staatlichkeit darstellt. Zwar dürfte es zu weit gehen, den Absolutismus als historisch-politisches Phänomen schlechthin zu leugnen oder gar als einen durch die rechtliche und politische Wirklichkeit nicht gedeckten Mythos zu begreifen, doch bildet sich Staatlichkeit in sehr viel differenzierter Weise aus, als es eine nur am souveränen Staat absolutistischer Prägung orientierte Auffassung vermitteln kann. In der Tat ist der komplexe und langfristige Vorgang der Gemeinschaftsbildung in Form der Staatlichkeit den von ständischen, regionalen und lokalen Kräften, freilich in unterschiedlicher Intensität, mitgetragen und auf vielfältige Weise befördert und vorangetrieben worden. […] Schon aus diesem Grund erscheint es angebracht, eher vom frühmodernen als vom absoluten Staat zu sprechen. Dieser lässt sich nicht allein etatistisch auf die Funktion vertikaler Durchstaatlichung beschränken, sondern schließt andere Gestaltungen der Gemeinschaftsbildung ein. So wird es möglich, den Staatsbegriff gegenüber flexibleren Formen politischer Gemeinwesen zu öffnen, die nicht als vermeintlich vormodern ausgeklammert werden, sondern als frühmoderne Alternativen der Gemeinschaftsbildung in das Spektrum einbezogen bleiben. Eine in dieser Weise verstandene Staatlichkeit erschöpft sich nicht in der hierarchischen Konzentration, sondern stellt sich als Vorgang funktioneller Differenzierung dar, in dessen Verlauf die frühe bürgerliche Gesellschaft sich durch entspre-

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chende Institutionalisierung komplexer werdenden rechtlichen und politischen Verhältnissen 89 anpasst.“

Mit Althusius’ Verständnis der Gemeinschaftsbildung kann ein offenerer StaatsBegriff entwickelt werden, der es ermöglicht, nicht nur durch die Argumentation über einen semantischen Ansatz die Vereinigten Niederlanden als Staat zu begreifen, sondern die Frage nach dem Wesen des Staats in der Frühen Neuzeit zu öffnen. Als Abbild und Theoretisierung zeitgenössischer Ordnungsstrukturen betrachtet, können Althusius’ Schriften als Interpretationsgrundlage der ständischkorporativen Herrschaftsordnung gelten, die sich nach dem Beginn der Rebellion in den Vereinigten Niederlanden etablierte. Eine Grundlage, mit der es möglich ist, die Alternativen der Herausbildung von politischen Ordnungen abseits der absoluten Monarchie mit Hilfe eines zeitgenössischen Modells zu begreifen. Die Theorie Althusius’ kann nicht direkt als theoretischer Unterbau für die Herausbildung der Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden verstanden werden, da Althusius weder die Vereinigten Niederlanden als Ausgangspunkt der Betrachtungen wählt, sondern die der Stadt Emden, noch den zeitgenössischen Intellektuellen als Quelle theoretischer Überlegungen diente, da seine Schrift erst nach der Konsolidierung der Vereinigten Niederlanden in den 1580er Jahren erschien.90 Ein direkter Einfluss der Ideen zur Herrschaftsordnung aus der Politica auf die spätere Entwicklung der politischen Ordnung in den Vereinigten Niederlanden ist nicht festzustellen, auch nicht auf die Schriften Hugo Grotius’, der sich als einer der prominentesten Intellektuellen der Niederlanden zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit der Herrschaft in den Vereinigten Niederlanden beschäftigte.91 Grotius zitiert Althusius nicht im eigenen Werk. Da Grotius als pedantischer Zitatensammler bekannt war, der seine Werke mit unzähligen Verweisen versah, lässt die Nichterwähnung Althusius’ darauf schließen, dass Grotius für die Rechtfertigung der Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden nicht auf Althusius zurückgriff.92 Grotius schrieb zwar im Namen der Vereinigten Niederlanden und 89 Vgl. dazu: Wyduckel, Althusius, Johannes: Politik, S. XXIXf; Wyduckel zitiert in seiner Kritik am Staats-Begriff den in der Theoriedebatte eingeführten Reinhard Blänkner, was die Kohärenz zwischen der Theoriedebatte und dem Gegenentwurf aufzeigt. 90 Die Beziehungen der Stadt Emden zu den Vereinigten Niederlanden nach der Unabhängigkeit spiegelten sich in den Vertragsschlüssen von Delfzyl (1595) und Haag (1627) wider, die eine Kooperation regelten. Die Nähe Althusius’ zu den Monarchomachen zeigt sich auch in seiner Tätigkeit als Syndikus der Stadt Emden. Althusius war bemüht die Autonomie der Stadt gegenüber dem nassauischen Landesherrn zu stärken. 91 Grotius bezog sich in seinem Briefwechsel lediglich zweimal jeweils in einer Aufzählung von Rechtsgelehrten auf Althusius, ohne weiter auf dessen Politica einzugehen. Siehe dazu: Grotius an Georg Michael Lingelsheim, Brief vom 17. September 1617, Briefnr. 528, in: Grotius, Hugo; Molhuysen, P.C. (Hg.): Briefwisseling van Hugo Grotius, Deel 1, ’s Gravenhage: Martinus Nijhoff, 1928, S. 579f; Brief von Grotius Johannes Wtenbogaert, Brief vom 20. August 1639, Briefnr. 4262, in: Grotius, Hugo; Meulenbroek, B.L. (Hg.): Briefwisseling van Hugo Grotius, Deel 10, ’s Gravenhage: Martinus Nijhoff, 1976, S. 538f. 92 Grotius selbst beschäftigte sich mit der Rechtfertigung der Batavischen Republik, ohne dabei ein konkrete Herrschaftstheorie zu formulieren. Siehe dazu: Grotius, Hugo: De republicae emananda, 1601; ders.: De antiquitate reipublicae Batavicae, Leiden, 1610.

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der VOC Rechtfertigungen deren politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen, eine systematische Theorie über den Aufbau von Herrschaft indes nie. Althusius’ Theorie ist als zeitgenössische Reflexion zu sehen, die die Offenheit im Nachdenken über politische Herrschaft in der Frühen Neuzeit zeigt.

Otto von Gierkes Genossenschaftstheorie – Die territoriale Bindung von Körperschaften Im 19. Jahrhundert griff Otto von Gierke die Ideen Althusius’ in seiner Genossenschaftstheorie auf. Vordergründig sind dabei die Kritikpunkte an der Interpretation der Kategorie der Körperschaft Gierkes. Aus diesem Grund wird hier nur ein Aspekt der Genossenschaftstheorie Gierkes herausgegriffen, der Althusius’ Ausführungen spezifiziert. Ausgangspunkt der Betrachtungen zur Genossenschaft bei Gierke ist die Sippe, die Althusius nicht als Verband des öffentlichen Rechts ansieht. In Gierkes Ausführungen wird indes der Wechsel von Loyalitätsbindungen deutlich, der wichtig ist, um die Transformation politischer Ordnungen nachvollziehen zu können. Gierke betont die Bindung der Körperschaft an ein Territorium. Das Haus in seiner Gesamtheit mit dem Hausvater als Vorsteher der Familie ist durch eine klare Herrschaftsordnung strukturiert, die eine Hierarchie besitzt. Das innere Band der Familie bildet die Zugehörigkeit und Freundschaft, die die Genossenschaft Familie loyal an den Familienvater bindet. Die Familie insgesamt betrachtet, schafft ein Gefüge aus Herrscher und Beherrschten. Gleichzeitig bildet das gesamte Haus, der oikos, eine Wirtschaftseinheit.93 Ausdifferenzierung erfährt 93 Der Vorsteher eines Haushaltes ist nach Aristoteles ein Monarch. In griechischer Tradition schlossen sich die Hausväter auf der Ebene der Polis zusammen, um politische Entscheidungen zu treffen. Auf dem Besitz beruhte das Recht, in der polis aktiv zu werden. Ebenso durften im frühneuzeitlichen Amsterdam nur Männer Ratsmitglied werden, die ein Haus in der Stadt besaßen. In den Niederlanden des 16. Jahrhunderts beruhte die Macht der Stadträte auf ihrer Autorität als Besitzende und Hausvorsteher, die in den Stadträten mit ihresgleichen zusammen politische Entscheidungen trafen. Im Haus unterstanden alle dem Hausvorsteher. In der Ratsversammlung gab es diese Unterordnung nicht, worin sich die Trennung zwischen öffentlich und privat offenbart: Innerhalb des Stadtrats herrschte formal keine Hierarchie. Zwischen den verschiedenen städtischen Korporationen allerdings schon. Siehe zur griechischen Auffassung von polis, oikos und Autorität: Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München: Piper, 2008, S. 33–47; zum Unterschied von polis und oikos siehe: Arendt, Was ist Autorität?, in: Dies., Zwischen Vergangenheit und Zukunft, S. 159–200, darin S. 183: „Beide Ordnungen stellen Formen menschlichen Zusammenlebens dar, aber nur die Haushaltsgemeinschaft war mit dem Am-Leben-Erhalten als solchem befasst und hatte Sorge zu tragen für die physischen Notwendigkeiten[...]. Um zur Polis, zum Politischen, zu gelangen, muß das schiere Am-Leben-Bleiben des Lebendigen, das Leben des einzelnen und der Fortbestand der Gattung gesichert sein, und diese Sicherung geschieht durch Herrschaft. Während also das Ziel der Haushaltsgemeinschaft das schiere Leben ist, ist das Ziel der Polis[...]das Gut-Leben.[...]Die Haushaltsgemeinschaft ist eine Voraussetzung des Politischen insofern in ihr erst einmal die Lebensnotwendigkeiten gemeistert sein müssen, bevor die Freiheit des ,gut lebenʻ beginnen kann.“; Im Anschluss daran kann das Agieren der politischen Elite, ob Monarch oder Ständeversammlung, unter der Prämisse des Gemeinwohls interpretiert werden,

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der Urtyp des Verbandes durch die Ausbildung und Akzentuierung von Einzelinteressen, die darin münden, dass sich aus der Familie heraus Körperschaften als reine Vermögensgemeinschaften bilden, die nicht mehr grundsätzlich auf der Zugehörigkeit zur Sippe beruhen. Diese spätere Entwicklung aus einer persönlich verpflichtenden heraus, durch die Familien- oder Sippenzugehörigkeit definierten Gemeinschaft hin zu einer Körperschaft, die sich aus ökonomischen Interessen an ein bestimmtes Territorium heraus bindet, ist der Ausgangspunkt für die Beschreibung der Union von Utrecht und den ihr nachfolgenden Vereinigten Niederlanden als Gefüge konkurrierender territorial gebundener Körperschaften, die durch eine Hierarchie geordnet sind. „Daneben differenziert er [Gierke] den herrschaftlichen Verband mit primär persönlichen Beziehungen (Haus, Gefolgschaft, Ständewesen) und den Herrschaftsverband auf Grund und Boden (Grundherrschaft, Hofverbände, Lehenswesen, Patrimonialsystem). Während in der ,ursprünglichenʻ Genossenschaft die Mitglieder durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden sind, haften im Verlauf der Zeit die Beziehungen an Grund und Boden. Die Basis des Rechts wird somit der Grundbesitz. Öffentliches und privates Recht erhalten [...] den 94 Charakter des Vermögensrechtes.“

Bezogen auf das Recht der Provinzen als Körperschaften, zeigt sich die Bedeutung der Bindung an ein Territorium als wichtiges Attribut. Gierkes Genossenschaftstheorie ist in allen anderen Belangen nicht auf die Gegebenheiten der Frühen Neuzeit anzuwenden, die territoriale Gebundenheit der Körperschaften ist jedoch als Faktor für die niederländische Staats-Formierung wichtig, da sich die Form der Wertschöpfung der Körperschaften aus der Frage der Verräumlichung von Macht ergibt. Nur aus diesem Grund wurde Gierke an dieser Stelle eingeführt. An der Frage nach dem Grundbesitz und der Abschöpfung der, aus dem Grundbesitz Philipps II. in den Niederlanden stammenden Ressourcen, entzündete sich der Konflikt in den Habsburgischen Niederlanden, der unter anderen ein Faktor für die Gründung der Utrechter Union war. Aus der Unionsakte geht die Tatsache hervor, dass auch die Stände ihre Einkünfte sichern wollten, die neben dem Handel an den Besitz von Grund und Boden gebunden waren.95 Gierke denkt in den gleichen Kategorien wie die Theorie zur Territorialstaatlichkeit in der Frühen Neuzeit, die den entstehenden Staat als politische Entität in Beziehung zum beherrschten Territorium setzt. Allerdings ist es bei Gierke eine Entwicklung der Körperschaften per se, sich an Grund und Boden zu binden, und aus dieser Konkurrenz verschiedener territorial gebundener Körperschaften lässt sich die Voraussetzung für die Etablierung eines Rechtssystems ableiten. Den geografischen Gegebenheiten entsprechend, variieren die Ressourcen eines Terridas sich im Niederländischen des 16. und 17. Jahrhunderts im Ausdruck „gemeen beste“ als Bezeichnung des Gemeinwesens und Aufgabe der Politik widerspiegelt. Vgl. dazu: in: XIX. 29. januari 1579. Unie van Utrecht, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 120–125, darin: S. 124. 94 Vgl. dazu: Peter, Die Genossenschaftstheorie Otto v. Gierkes, S. 91. 95 Das zeigt sich besonders, bei der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts beginnenden Trockenlegung von Sumpf- und Überschwemmungsgebieten. Investoren generierten durch die spätere Verpachtung Gewinn.

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toriums. Die Frage wäre, ob die Herrschaft der Körperschaften in den nördlichen Niederlanden nicht nur an die Kontrolle über einen bestimmten Ort des Warenaustauschs, wie Amsterdam, gebunden war, sondern auch an die Beherrschung von Handels- und Frachtfahrtsrouten, Fischgründen und Meerengen; ob also grundsätzlich die Beherrschung von Distributionswegen die Grundlage der StaatsFormierung in den Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert bildet und nicht die Beherrschung von großen Flächen auf dem Festland. Eine zweite Frage wäre, welche Strategien dafür notwendig gewesen wären. Dabei traten neben den Generalständen als politischem Akteur, die niederländische VOC und WIC als globale politische Akteure auf, die in ihren Einflussgebieten Herrschaft aufbauen und mit ähnlichen Strategien operierten, wie die Stände in den Vereinigten Niederlanden. Ein dementsprechend zu beherrschender Raum zieht eine Erweiterung des bestehenden Territorialitäts-Konzepts als Herrschaft über Grund und Boden nach sich.96 Die Utrechter Union bestand im Kampf gegen Spanien maßgeblich durch die Überlegenheit der Watergeuzen in der Nordsee. Die Spanier waren nicht in der Lage, die Niederlanden über den Seeweg zu erreichen oder die Sperrung der Schelde nach der Rückeroberung Antwerpens 1585 aufzuheben.97 Zudem war ein Teil der spanischen Kriegsmarine im Mittelmeer auch nach dem Waffenstillstand mit den Osmanen weiterhin gebunden.98 Die Kaufleute in den Hafenstädten der Union konnten auch während des Kriegs über die Seewege Handel treiben, weil die niederländische Marine ihren Gegnern in der Nordsee überlegen war. Der nordeuropäische Seehandel konzentrierte sich nach 1585 durch die Sperrung der Schelde und die Abwanderung der Antwerpener Kaufleute zunehmend auf die Häfen der Utrechter Union, was den Aufstieg Amsterdams als Zentrum des nordeuropäischen Handels zwischen Reval und Lissabon begünstigte.99 Bei der Gründung der Utrechter Union lag der Schwerpunkt auf der Verteidigung des Territoriums, das als Standort für die Generierung von Profit aus den globalen Handelsinteressen notwendig war. Für die Finanzierung des Unabhängigkeitskriegs der Union war die Beherrschung der maritimen Distributionswege durch eine starke Flotte hingegen wichtiger. Durch die Beherrschung der Seewege konnte einerseits 96 Siehe zur Problematik des Territorialität auch in der Forschung zu gegenwärtigen Fragestellungen: Agnew, John A.: The territorial trap: the geographical assumptions of international relations theory, Review of International Political Economy, 1, 1, 1994, S. 53–80. 97 Zur Einnahme Antwerpens siehe: Asaert, Gustaaf: 1585. De val van Antwerpen en de uittocht van Flamingen en Brabanters, Tielt: Lannoo, 2004. 98 Siehe dazu: Braudel, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipp II. 99 In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde Amsterdam zum wichtigsten nordeuropäischen Hafen für den Handel mit Getreide. Von 60.000 Lasten, die aus dem osteuropäischen Ostseeraum nach Europa verbracht wurden, transportierten niederländische Schiffe 50.000. Ein Großteil davon wurde nach Amsterdam verschifft. Das Sundzollregister gibt ausführlich Auskunft über die Waren, die von Ost- nach Westeuropa und andersherum transportiert wurden. Vgl. dazu: Postma, Mirte: Johan de Witt en Coenraad van Beuningen – Correspondentie tijdens de Noordse oorlog (1655–1660), Scriptio Verlag, 2007, S. 12; Für detaillierte Auflistungen der Sundzölle siehe: http://dietrich.soundtoll.nl/scans/index2.php, zuletzt besucht am 28.12.2017.

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im eigenen Interesse sicher Handel getrieben, andererseits die Versorgung der spanischen Truppen in den nördlichen Niederlanden verhindert werden. Die Sicherung von Besitz, der aus der Kombination der Beherrschung maritimer Distributionswege sowie der Beherrschung von neuralgischen Orten des Warenhandels entstand, wurde seit der Gründung der Utrechter Union eine festgeschriebene Konstante des politischen und rechtlichen Denkens in den Vereinigten Niederlanden, die sich in allen bedeutenden politischen Schriftstücken der 1570er und 1580er Jahren wiederfindet. Alle Vereinbarungen, die von den Provinzen getroffen wurden, waren zu einem erheblichen Teil Festlegungen über Handelsbelange.100 Die Utrechter Union war ein territorialer Verbund, der von der Prämisse des Schutzes von Ressourcen gegen die Herrschaftsansprüche Philipps II. und der Schaffung einer Wirtschaftsunion geprägt war, die die Wertschöpfung durch Handel in den Unionsgebieten erleichtern und verbessern sollte. Die Unionsakte spiegelte schon im ersten Artikel wider, dass sich die Mitglieder freiwillig durch gemeinsame Zustimmung Richtlinien des politischen Handelns auferlegten. Zwar gab es innerhalb der Utrechter Union führende Personen, wie Wilhelm I. von Oranien, der die Union als Integrationsfigur einte oder den, zum Gouverneur der Union gewählten Kritiker der spanischen Habsburger Erzherzog Matthias, jedoch standen von Anbeginn der Union die Interessen der Mitglieder im Fokus, die sich als Gleiche betrachteten. Allerdings konnten nicht alle Mitglieder den gleichen finanziellen Aufwand leisten, was im 17. Jahrhundert zur Dominanz der Provinz Holland in der Union führte. Dadurch wurde die Gleichheit der Mitglieder im 17. Jahrhundert wiederholt in Frage gestellt. Im Vordergrund stand die gemeinsame Verteidigung, die nur aufrechterhalten werden konnte, solange alle beteiligten Provinzen zusammen agierten. Im Unterschied zur Union von Arras beriefen sich die Mitglieder der Utrechter Union auf ein Selbstbestimmungsrecht und die Tradition gewährter Privilegien.101 Mit dem Zusammenschluss stärkten die Mitglieder die Bindung an das beherrschte Territorium der Union. Aufgebrochen wurde die territoriale Integrität der Union durch die Mitgliedschaft von Städten, die außerhalb der beteiligten Provinzen lagen. Die Provinzen und Städte der Utrechter Union formten im Unabhängigkeitskampf ein Verständnis von Territorialität, das mit der Verteidigung der Privilegien und Rechte ihrer Mitglieder seinen Anfang nahm und erst im zweiten Schritt an ein bestimmtes Territorium gebunden war.102 Es 100 Die Bedeutung des Zugangs zu den Distributionswegen zur See zeigt sich sowohl in den Schriften Hugo Grotius’ zu Beginn des 17. Jahrhunderts als auch bei Pieter de la Court während der Statthalterlosen Epoche, sowie im niederländischen Staatsrecht des 20. Jahrhunderts. Siehe dazu: Boschan, Von der Freiheit des Meeres; Court, Interest van Holland; Pot, C.W. van der: Handboek van het Nederlandsche Staatsrecht, Zwolle: Willink, 1940, S. 33. 101 Die Autorität der Stände beruhte auf deren traditionellen Mitbestimmungsrechten und der zunehmenden Bindung an die reformierte Religion, die in den nördlichen Provinzen verbreiteter war als in den südlichen Niederlanden. 102 Siehe dazu: ’t Hart, M. C.: The Dutch Republic: the urban impact upon politics, in: Davids, Karel; Lucassen, Jan (Hg): A Miracle Mirrored: The Dutch Republic in European Perspective, Cambridge: Cambridge University Press, 1995.

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handelte sich bei der Union nicht um eine Körperschaft mit einem zusammenhängenden Territorium, sondern um eine, von politischen, religiösen und wirtschaftlichen Interessen bestimmte Körperschaft, die ein Territorium umfasste, in dem die Bundesgenossen dem „gemeen beste van dese geunierde landen ende provincien“ dienten.103

Die souveränen Akteure in der politischen Kultur der Utrechter Union Die Gründung der Utrechter Union stärkte die traditionelle Autorität der Stände und des Statthalters, auf deren Basis eine Herauslösung aus dem spanischen Imperium möglich wurde.104 In der römischen Tradition galt die Gründung des Gemeinwesens als große Tat. Auf die Autorität der Gründer Roms und der römischen Gesetzgeber beriefen sich die nachfolgenden Generationen.105 Die friedliche Gründung römischer Siedlungen ist nicht vergleichbar mit dem gewaltsamen Weg zur Selbständigkeit in den Vereinigten Niederlanden, aber auch die Rebellion führte zur Bildung einer politisch unabhängigen Organisationsform. Die Utrechter Union muss als Gründung nach dem Verständnis Machiavellis betrachtet werden, der sich zwar auf römische Traditionen berief, dessen Theorie aber letztlich auf die Bildung eines Gemeinwesens anwendbar ist, das mit militärischen Mitteln gewaltsam in die Unabhängigkeit von Spanien geführt wurde.106 Damit 103 Siehe dazu: „XIX. Item omme jegens alle opcoemende saecken ende zwaricheyden te versien, sullen die bontgenoten gehouden wezen op de bescrivinge van denghenen, die daertoe geauthoriseert sullen sijn, binnen Utrecht te compareren tot sulken daege als hem aangescreven sal wesen omme op de voorsz. saecke ende swaricheyden, die men in de brieven van bescrivinge sal exprimeren, soe verre des moegelick es ende die zaecke nyet secreet en dient gehouden te wesen, by gemeen advys ende consent ofte by de meeste stemmen in manieren voorsz. gedelibereert ende geresolveert te worden, al waert oick enyge nyet en compareerden, in welcken gevalle sullen dandere, die verschijnen sullen, evenwel moegen procederen tot sluytinge van tghene si bevynden sullen to het gemeen beste van dese geunieerde landen ende provincien te dienen.“[Hervorhebung O.K.], in: XIX. 29. januari 1579. Unie van Utrecht, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 120–125, darin: S. 124. 104 Zum Aufbau von Imperien sieh e u. a.: Driver, Felix; Gilbert, David (Hg.): Imperial cities: landscape, display and identity, Manchester: Manchester University Press, 1999. 105 Das Wort Autorität ist vom lateinischen Begriff -augere- (vermehren) abgeleitet. In Rom besaßen die Alten durch Herkunft oder Tradition Autorität, die sich somit auch auf den Senat übertrug. Die Vermehrung der Siedlungen steigerte auch die Autorität des römischen Senats durch größere territoriale Ausbreitung. Vgl. dazu: Arendt: Vita activa, S. 159–200, darin: S. 188. 106 Mit der Utrechter Union wird deutlich, dass die Politik von der Konstellation aus virtu und fortuna geprägt ist, wie Machiavelli sie in Il Principe beschreibt. Dadurch wird eine klarere Unterscheidung zwischen der Politik vorgenommen, die von christlichen oder platonischen Idealen wie Güte und Tauglichkeit geprägt ist, und jener Politik, die weitgehend ohne moralische Bedenken dem Machtkalkül folgen muss, um politische Ziele zu erreichen. Durch die Gründung der Utrechter Union wird zusätzlich die Begründung politischer Herrschaft in der katholischen Religion in Frage gestellt. Siehe dazu: Arendt, Hannah: Was ist Autorität?, in:

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zeigt sich, dass die Utrechter Union eindeutig ein Phänomen der Frühen Neuzeit ist, das zwar auf römischen und mittelalterlichen Traditionen beruht, die Abspaltung von Spanien aber den Umschlagpunkt der Potentiale Territorium, Rechte und Autorität markiert, die in einer neue Organisationslogik münden.107 Die Gründung der Föderation war somit der Versuch, sich auf traditionelle Rechte und Privilegien zu berufen, die nach Ansicht der Mitglieder nur in einer, von ihnen selbst bestimmten politischen Organisationsform gesichert werden konnten. Innerhalb der Union von Utrecht herrschte eine vertikale Gliederung der Korporationen. Die Hierarchie zwischen den Ebenen war von der Konkurrenz der Körperschaften bestimmt und aus diesem Grund veränderbar. Zwar gab es eine formale Ordnung von kleineren zu größeren territorialen Einheiten – von der Stadt zur Union –, die politischen Eliten der Stadt Amsterdam waren aber im 17. Jahrhundert durchaus in der Lage, die Politik der gesamten Union zu bestimmen. In Bezug auf diese komplizierte Verzahnung von Zuständigkeiten äußerte sich Gierke explizit über die Zusammenhänge in der Frühen Neuzeit. Um aus der Autorität der Oranier und der Generalstände Souveränität abzuleiten, muss über den Begriff der Souveränität nachgedacht werden. Der Souveränitätsbegriff in der Union und den einzelnen Provinzen hat einen dynamischen Charakter, den Martin Peters als Gierkes Konzeption von Souveränität in der Frühen Neuzeit beschreibt. Bis zur Unabhängigkeit der Vereinigten Niederlanden durch den Friedensvertrag von Münster 1648 blieb der Souveränitätsbegriff in der Union unbestimmt. „Im Spiegel seiner Rezeption vergangener und gegenwärtiger Staatsentwürfe kann Gierkes eigener dynamischer Souveränitätsbegriff nachvollzogen werden; dynamisch ist sein Souveränitätsbegriff deshalb, weil Gierke darauf bedacht ist, die Autonomie des Partikularstaates gegenüber dem Gesamtstaat zu retten. Souveränität ist bei ihm keine statische gleichbleibende Eigenschaft, sondern sie ist relativ, teils vorhanden und teils nicht. […] Die deutschen Territorien der Frühen Neuzeit beschreibt er als nicht-souveräne Gliedstaaten im Gesamtstaat, also als ,Unterstaatenʻ, doch wertet er sie insofern auf, da er sie als Staaten behandelt, die dem souveränen Oberstaat durchaus wesensgleich sind. […] Die Landstände bezeichnet er als im Staat enthaltene Korporationen, denen zwar die majestas versagt geblieben, aber denen die jurisdictio ohne imperium übertragen worden sei. Das imperium könne jedoch durch Privileg zuerkannt werden. Die Landstadt basiert für ihn auf der kommunalen Selbstverwaltung; sie konstituiert sich selbst und wählt ihre Beamten. Gierkes Staatsrechtslehre beruht auf einem 108 komplexen System autonomer Körperschaften verschiedener Ordnungen.“

Arendt: Vita activa, S. 159–200, darin: S. 197: „Worum es bei Machiavelli wirklich geht, ist etwas ganz anderes als Realismus oder moralische Skrupellosigkeit in der Politik. Hier finden wir die bewusste und ausdrückliche Verwerfung der christlichen politischen Philosophie und ihrer platonischen Tradition, nämlich die Einsicht, dass innerhalb des Politischen die beiden Begriff des ,Gutenʻ, die wir in unserer Tradition finden, keinen Platz haben: weder der platonische Begriff des Tauglichen, noch der christliche Begriff einer absoluten Güte, die nicht von dieser Welt ist. Damit war seiner Meinung nach nichts über die Legitimität dieser Vorstellung im privaten Lebensbereich ausgemacht, nur in dem öffentlichen Raum der Politik haben sie ebenso wenig zu suchen wie ihr Gegenteil, das Untaugliche und die Schlechtigkeit.“ 107 Vgl. dazu: Sassen, Das Paradox des Nationalen, S. 22 ff. 108 Vgl. dazu: Peter, Die Genossenschaftstheorie Otto v. Gierkes, S. 62f.

3. Die Union von Utrecht

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Genau diese Konstruktion der verschiedenen Ebenen, auf denen die Körperschaften eigene Rechte besaßen, lässt sich in der Ordnung ablesen, die sich in der Union von Utrecht ergab und die in den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts weiter existierte. Die Föderation der Provinzen kann in diesem Konstrukt als politische Entität bezeichnet werden, die durch den Zusammenschluss der einzelnen Provinzen entstand. Sowohl die föderale als auch die provinziale Ebene wurde von unabhängigen ständischen Gremien regiert, die als eigenständige Körperschaften auftraten. Majestas, imperium und jursidictio sind allerdings in der Utrechter Union anders gewachsen als es sich aus der Beschreibung der deutschen Territorien ergibt. Die Territorien der Utrechter Union gehörten weiterhin zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, da Spanien deren Unabhängigkeit bis zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs nicht anerkannte. Durch die Beschlussakte der Union banden die Provinzen unter dem Zwang der Verteidigung ihre Interessen an die Entscheidungen der Unionsgremien. Formal betrachtet waren die Provinzen immer noch Untertanen der majestas Philipps II., gegen den sie sich allerdings mit dem Bündnis auflehnten, indem sie die Verteidigung gegen die Verletzung ihrer Privilegien beschlossen und eigenmächtig einen Gouverneur für die Union wählten. Matthias von Österreich blieb allerdings eine Marionette Wilhelms I. von Oranien, um den Schein der Legitimität der Utrechter Union zu wahren, obwohl alle Beteiligten wussten, dass sie sich damit aktiv gegen ihren Landesherrn Philipp II. auflehnten. Somit hatten de facto sowohl die Union als auch die Provinzen und die einzelnen Städte, die der Union beitraten, Institutionen der Rechtsprechung und militärische Macht in dem jeweiligen Territorium übernommen. Nur die majestas blieb Philipp II. erhalten, was dazu führte, dass sich kein Ständegremium im politischen Sinn als souverän bezeichnete. Die gewonnene Oberhoheit übergaben die Städte und Provinzen mit dem Bündnisschluss in eingeschränktem Maße an die Union. Mit dem Bündnis verliehen die Provinzen und Städte der Union das Privileg, über Krieg und Allianzen zu entscheiden, die Verteidigung zu organisieren und die dafür notwendigen Geldmittel durch Steuern einzunehmen. Das imperium für bestimmte Belange wurde von den Provinzen und Städten eigenständig auf die Union übertragen. Die Trennung zwischen den Zuständigkeitsbereichen der Union und denen ihrer Mitglieder beschreibt die Grundkonstellation der politischen Ordnung in den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts, die nicht mehr dem Konzept des dominium regale et politicum Helmut G. Koenigsbergers entspricht, das noch vor der Rebellion in den Habsburgischen Niederlanden herrschte.109 Im Gegensatz zu den vorangegangenen Unionen war die Utrechter Union ein weiterer Schritt in die Unabhängigkeit. Mit der Utrechter Union entstand ein System von Körperschaften verschiedener Ordnungen, wie Althusius sie vorausdachte und Martin Peter sie in Gierkes Theorie angelegt sieht. Die Union als Gesamtheit verschiedener Körperschaften bildete indes selbst eine besondere Form nach dem Vorbild eines komplexen Systems, das Gierke, ebenso wie die Provinzen und Städte, als Staat, Althusius als

109 Vgl. dazu: Koenigsberger, Monarchies, 2001.

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III Der Weg der nördlichen Niederlanden in die Unabhängigkeit

universitas bezeichnen würde.110 Ausgehend von einem dynamischen Souveränitätsbegriff kann im Territorium der Utrechter Union eine eigenständige StaatsFormierung beschrieben werden, die sich am Prozess der Verhandlungen über spezifische Rechte, Pflichten und Privilegien der einzelnen Korporationen orientiert, ohne durch eine enge Definition des Begriffes Staat Akteure, die an dessen Bildung beteiligt waren, ausschließen zu müssen. Warum das korporative Herrschaftsgefüge in den nördlichen Niederlanden auch begriffsgeschichtlich als Staat bezeichnet werden kann und es somit durchaus legitim ist, den Begriff für die Beschreibung der, aus der Utrechter Union heraus entstehenden Herrschaftsordnung in den nördlichen Niederlanden zu verwenden, wird im Folgenden die Analyse des Quellenmaterials zeigen. In der Unionsakte taucht der Begriff Staat nicht auf, was als Argument dafür gilt, dass die Entstehung des Begriffs erst auf die Transformation der Herrschaftsstrukturen folgte. Gleichsam war die Union von Utrecht nicht darauf ausgerichtet, die Bevölkerung an der politischen Meinungsbildung zu beteiligen.111 Die Eliten, der niedere Adel, reiche Kaufleute und die gebildeten Schichten, deren Ausbildung in der Leidener Universität erfolgte, blieben stimmführend in der Politik der Union.112 Dass es eine freie Entscheidung der Provinzen war, sich zu einer Union zusammenzuschließen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in dieser Situation die Verteidigung eigener Rechte und Privilegien im Vordergrund stand, nicht die durchdachte Motivation, eine Körperschaft zu gründen, die auf dem Willen der gesamten Bevölkerung beruhte. Die Gründung der Union von Utrecht bleibt eine 110 Vgl. dazu: „Es kann zusammengefasst werden, daß Gierke den Staat als eine Form des Gemeinwesens neben vielen anderen behandelt, wobei alle politischen Körperschaften, Gemeinden und Bünde für ihn staatlicher Natur sind. Sein Genossenschaftsrecht ist zugleich ,allgemeines Staatsrecht‘. Diese Analogie konkretisiert er, indem er den Staat mit einer Körperschaft, die Hoheit mit der Macht, die Gesetzgebung mit dem Satzungsrecht und die Verwaltung mit der Selbstverwaltung vergleicht. Der Staat besitzt innerhalb dieses Rahmens jedoch eine Sonderrolle, denn es ist Gierkes Ansicht nach eine besondere Form der Körperschaftsbildung.“, in: Peter, Die Genossenschaftstheorie Otto v. Gierkes, S. 66. 111 Bei der Anwendung der Genossenschaftstheorie Gierkes auf die Frühe Neuzeit ist zu beachten, dass im Gegensatz zu den Ereignissen des 19. Jahrhunderts, aus deren Zusammenhängen Gierke heraus argumentiert, Genossenschaften mögen aus der Privatheit in die Arena der Politik Einzug halten, um die Gefahr einer Bevormundung durch die herrschenden Eliten zu verhindern, in der Frühen Neuzeit einerseits die Öffentlichkeit größtenteils von den politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen war, andererseits sich erst die Strukturen der politischen Ordnung unter dem Diktum des Arcanums der Politik zu bilden begannen, die für Gierke die politische Situation des 19. Jahrhunderts erschufen, aus der sein Ruf zur Wiederbelebung der Korporation als politischem Akteur resultierte. Als ein Spiegel demokratischer Ideen, dem Ruf nach Beteiligung des gesamten Volks an der politischen Meinungsbildung, sollte Gierkes Konzeption der Genossenschaft auf alt-germanische Rechtsformen zurückgreifen und die Politik verändern, die seit Hobbes und der Naturrechtslehre begann, den Einzelnen von der Politik auszuschließen. In den Vereinigten Niederlanden blieben die verschiedenen Korporationen Zusammenschlüsse von Eliten. 112 Die Leidener Universität wurde 1575 von Wilhelm I. von Oranien gegründet. Im 17. Jahrhundert studierten einige der bedeutendsten politischen Akteure in Leiden, u. a. Jacob Dircksz. de Graeff, Cornelis de Graeff, Nicolaes Tulp.

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Reaktion der nordniederländischen Eliten auf die Bildung der Union von Arras, die einerseits darauf bedacht war, Philipp II. zum Einlenken in einem eskalierenden Konflikt zu bewegen, andererseits durchaus das Machtstreben Wilhelms I. von Oranien aufzeigte, unter eigener Führung eine Regierung in den nördlichen Niederlanden zu bilden. Die Nahrungsmittelknappheit sowie die Unterdrückung der reformierten Bekenntnisse bewirkten allerdings die Politisierung der ganzen Bevölkerung. Die Charakterisierung der Union als Föderation, ebenso wie die der einzelnen Provinzen und Städte als Körperschaft, ist hilfreich, um keine statischen Herrschaftsverhältnisse zu suggerieren, die mit dem Begriff Republik als Regierungsform abgebildet werden würden.113 Die Utrechter Union war zum Zeitpunkt ihrer Gründung weder eine unabhängige politische Korporation noch ein Staat, sondern eine autoritär geführte Föderation von Provinzen, die nach außen um ihre Unabhängigkeit kämpfte. Zu untersuchen ist die Art und Weise, wie sich ein Herrschaftssystem in den nördlichen Provinzen der Habsburgischen Niederlanden aus einer Hierarchie heraus entwickelte, die auf der Autorität ihrer Glieder beruhte. Alle Akteure, nicht nur die per se politischen, sondern auch die ökonomischen Akteure, wie die VOC, als Körperschaften zu klassifizieren, soll helfen, den komplizierten Prozess der Aushandlung der Herrschaftsform in den Vereinigten Niederlanden nachvollziehen zu können.

Die autoritäre Herrschaft in der Utrechter Union In den nördlichen Niederlanden bestand durch das Bündnis von Utrecht die Möglichkeit, eine ständisch-korporative Herrschaftsordnung zu etablieren, in der die Provinzen und Städte in entscheidenden Bereichen Autorität gewannen. Die Autorität der einzelnen Organe oder Körperschaften gestand der Union und ihren Teilen Freiheiten zu, die die Politik Philipps II. ihnen genommen hätte. Weber unterscheidet drei Herrschaftstypen: die traditionelle, charismatische und legitime Herrschaft. Webers Ansatz, für alle Formen der Herrschaft eine Kategorisierung zu schaffen, um sie als rechtmäßig zu kennzeichnen, entsprach dem Ansinnen Grotius’, der die traditionelle Herrschaft der pater familias zwar bevorzugte, grundsätzlich den Sinn der Herrschaft jedoch in der Nützlichkeit der Ordnung für das Gemeinwesen sah.114 Eine Möglichkeit, autoritäre Herrschaft abseits von Max

113 In der Literatur werden die Vereinigten Niederlanden oft als Republik bezeichnet. In den Quellen der Generalstände oder Wilhelms I. von Oranien findet der Begriff zwar Verwendung, was die Bezeichnung der Vereinigten Niederlanden als Republik etymologisch rechtfertigen würde. Allerdings besitzt der Begriff eine andere Bedeutung. Wenn der Begriff Republik im 17. Jahrhundert verwendet wird, steht er synonym für Gemeinwohl oder Wohl der Gemeinschaft. Damit werden der Nutzen und die Aufgabe einer Regierung beschrieben, nicht explizit die Verfasstheit der Herrschaftsordnung in einem Territorium, die durch die Verwendung des Republik-Begriffs impliziert wird. 114 Vgl. dazu: Nitschke, Die Eigentumsfrage im Naturrecht, S. 23–47, darin: S. 34.

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III Der Weg der nördlichen Niederlanden in die Unabhängigkeit

Webers Definition zu beschreiben, liefert Hannah Arendt, in deren Verständnis die Herrschaft Philipps II. eine Tyrannei darstellt. „Aufgabe der Autorität ist immer gewesen, die Freiheit zu begrenzen und gerade dadurch zu sichern, so daß eine autoritäre Staatsform ihre eigentliche Substanz verliert, wenn sie die Freiheit schlechterdings abschafft. Sie ist dann eben nicht mehr autoritär, sondern tyrannisch.[...]Denn es ist gerade eines der Hauptmerkmale jeder autoritären Herrschaft, daß sie sich auf eine Quelle beruft, die außerhalb und über der Machtsphäre derer liegt, die gerade die Gewalt innehaben – also auf ein Gesetz, das entweder von Menschen überhaupt nicht erlassen wurde (wie das Naturrecht oder die Gebote Gottes oder die platonischen Ideen) oder auf uralte, durch Tradition geheiligte Bräuche, die zumindest nicht von denen gemacht sind, die ge115 rade regieren.“

Die Utrechter Unionsakte beruht auf den, im 15. Jahrhundert gewährten Rechten des Großen Privilegs, das den Provinzen und Städten zahlreiche Freiheiten in der Wahl der Ständeversammlungen und Stadträte zusprach und die Grundlage der legitimen Herrschaft der Stände bildete. Die Rolle Wilhelms I. von Oranien beruht auf dessen charismatischer Führungsstärke, die ihm die Herrschaft in den Provinzen andiente.116 Hannah Arendts Unterscheidung zwischen tyrannischer und autoritärer Herrschaft kann indes aufzeigen, wie der Widerspruch zwischen den Ansprüchen der verschiedenen Körperschaften auf die Oberhoheit durch das Konzept der Autorität aufgelöst werden kann, indem die Autorität als Grundlage von Souveränität betrachtet wird, die den einzelnen Mitgliedern der Union Frei115 Vgl. dazu: Arendt, Hannah: Was ist Autorität?, in: Arendt: Vita activa, S. 159–200, darin: S. 162. 116 1575 erneuerten die Stände der Provinzen Holland und Seeland die Übertragung der Statthalterschaft an Wilhelm I. von Oranien, wobei die Stände abermals in der Autorität und Ehre Wilhelms die Grundlage für die Übertragung der Oberhoheit über die Provinzen sahen. Wilhelm sollte während des Kriegs Oberherr und Souverän der beiden Provinzen sein. Vgl. dazu: „[...] immers want egene republyke en nog eenige gemeine staat van den lande of steden sonder ordentlyke policie mogen blyven staan, maar door confusie by hen selven moeten vergaan en vervallen, mits ’t welk met goede redenen alzulke ordre, wetten en policie behoren gevordert te worden, dat vooral de republycque ende gemene saecke mach worden behouden, geadministreert met behoorlyke reputatie, eere en autoriteit des overheids, deselfde administratie hebbende, en met gerustigheid, eendracht en welvaren der particuliere ledematen en ondersaten, elks in zyn regard, daartoe God Almagtig, als een beminder van alle goede policie, zynen zegen en vorderlyke hand altyds is reikende, tot vermeerderinge zynes naams en glorie. [...], dat alle republyken en gemeinschappen best worden behouden, gesterkt en bevestigt by eenigheid,[...], als hoofd en hoogste overigheid verkoren en gestelt tot de regeringe der voorsz. landen en steden van Holland, mitsgaders allen den onderwind en beleidinge van de gemeene zaake derzelver landen, al dezelfde onderwerpende de goede wille en gebied van Zynder Excellentie, denwelken zyluiden geconfereert, en mit dezen confereren, allen volkomen magt en auctoriteit, daartoe eenigzints nodig zynde, in der forme en maniere hierna volgende: Te weten dat Zyn Excellentie, zoolange de landen in den oorloge of wapenen zyn, zal hebben volkomen autoriteit en magt als souverain en overhooft te gebieden en te verbieden, alles wes tot conservatie en bescherminge der landen dienlyk en ondienlyk zal mogen zyn.“, in: XV. 11 Juli 1575. Opdracht van de hooge overheid aan Prins Willem van Oranje, Blécourt/ Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 109–112, darin S. 110. Das Wort staat steht in diesem Artikel der Unionsakte für Zustand. Wie in dem Dokument von 1572 wird Wilhelm I. nur in militärischen Belangen die Souveränität zugesprochen.

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heiten zugestand. Beide Konzepte, Autorität und Souveränität, sind in den Vereinigten Niederlanden eng miteinander verbunden, wobei die Souveränität der niederländischen Korporationen als Folge von Autorität erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts de jure von allen europäischen Mächten anerkannt wurde, die eng mit der Beherrschung des Seehandels zusammenhing. Die Herrschaft über das Territorium war weniger ausschlaggebend für die politische Macht der Union. Es bestand demzufolge ein Unterschied zwischen der Souveränität im Inneren und der Wahrnehmung als Souverän durch außenpolitische Akteure. Außenpolitisch waren die von den Niederländern beherrschten Warenströme auf See der Faktor für die Wahrnehmung der Vereinigten Niederlanden als souveräne Entität. Innenpolitisch sprach sich fast jede Körperschaft Souveränität zu, was das Konzept der Souveränität auf dieser Ebene zweitrangig werden ließ. Die Provinzen Holland und Seeland hatten Wilhelm I. schon 1572 als Souverän anerkannt, was zeigt, dass sich die beiden Provinzen schon zu Beginn der Rebellion als souveräne Körperschaften betrachteten. Die Beanspruchung von Souveränität durch einzelne Provinzen war in der Föderation nicht durchsetzbar, allerdings konnte sich die Generalität auch nicht zum Souverän über die einzelnen Provinzen erheben. Deswegen ist die Generalität der Union als Suzerän in bestimmten Bereichen anzusehen, solange die Union um ihre Unabhängigkeit kämpfte. Die Autorität der Provinzstände und die Wilhelms I. von Oranien sind indes entscheidender für den Fortgang der Rebellion. Grundsätzlich sieht Hannah Arendt in der Autorität eine Legitimation von Herrschaft als Ausgangspunkt für die Art der Machtausübung, die in Abgrenzung zu den Konzepten Zwang und Gewalt definiert wird. Damit grenzt sich das Konzept der autoritären Herrschaft von den wichtigsten Staatsbildungstheorien ab, bei denen der Zwang das entscheidende Merkmal für die Konsolidierung von Macht ist. Dabei wird grundsätzlich von innenpolitischer Macht ausgegangen. „Da Autorität immer mit dem Anspruch des Gehorsams auftritt, wird sie gemeinhin für eine Form von Macht, für einen Zwang besonderer Art gehalten. Autorität jedoch schließt gerade den Gebrauch jeglichen Zwanges aus, und wo Gewalt gebraucht wird, um Gehorsam zu erzwingen, hat Autorität immer schon versagt. Andererseits ist Autorität unvereinbar mit Überzeugung, welches Gleichheit voraussetzt und mit Argumenten arbeitet. Argumentieren setzt Autorität immer außer Kraft. Der egalitären Ordnung des Überzeugens steht die autoritäre Ordnung gegenüber, die ihrem Wesen nach hierarchisch ist. Will man also Autorität überhaupt definieren, so würde es sich vor allem darum handeln, sie klar sowohl gegen Zwang durch Gewalt wie gegen Überzeugen durch Argumente abzugrenzen. Denn die autoritäre Beziehung zwischen dem, der befiehlt, und dem, der gehorcht, beruht weder auf einer beiden Teilen gemeinsamen Vernunft noch auf der Macht des Befehlens. Was beide gemeinsam haben, ist die Hierarchie selber, deren Legitimität beide Parteien anerkennen und die jedem von 117 ihnen seinen von ihr vorbestimmten, unveränderten Platz anweist.“

Die Utrechter Unionsakte etablierte eine autoritäre Herrschaft, die von der klaren Aufgabe der Verteidigung der Union und der Aufrechterhaltung des Handels be-

117 Vgl. dazu: Arendt, Hannah: Was ist Autorität?, in: Arendt: Vita activa, S. 159–200, darin: S. 159f.

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stimmt war, fußend auf tradierten Privilegien.118 Der Union, dem Statthalter, den einzelnen Provinzen und den Städten wurden Pflichten auferlegt und alle in eine Hierarchie eingeordnet, in der während des Unabhängigkeitskriegs sowohl der Statthalter als auch die Provinzialstände die Hierarchie anführten. Einige Mitglieder der Union schlossen sich allerdings erst durch den Einsatz von Zwangsmaßnahmen der Rebellion an, wie das Beispiel Amsterdams zeigt, andere taten es freiwillig. Zur Unterzeichnung der Unionsakte wurde jedoch niemand gezwungen. Gewalt und Zwang spielten bei der inneren Gründung der Union eine untergeordnete Rolle, da es das große gemeinsame Ziel der Verteidigung gegen die spanischen Repressionen gab. Gewalt wurde gegen die spanischen Truppen angewendet. Die Bedrohung von außen schmälerte vorerst die Notwendigkeit, auf Föderationsebene innenpolitisch weitergehende politische Richtlinien durchzusetzen, die die Konsolidierung der ständischen Herrschaft in einer Verfassung niedergeschrieben hätte. Die Herrschaftsordnung der Vereinigten Niederlanden entwickelte sich aus dem Gewohnheitsrecht heraus. Die autoritäre Herrschaft in der Interpretation Hannah Arendts muss indes als Idealtyp gedacht werden. Arendts Denken ist von einem intransitiven Machtverständnis geprägt. Herrschaft funktionierte jedoch auch in den Vereinigten Niederlanden nicht ohne Gewalt nach innen. Sobald Gewalt oder Zwang angewendet werden, existiert Macht im Sinne Arendts nicht mehr, da die Machtpotenz nicht

118 In Bezug auf die Frage der Autorität kann auf den XIX. Artikel und den XX. Artikel der Utrechter Unionsakte hingewiesen werden: „XX. Item teneynde voorsz. sullen allen ende een yder van de voorsz. bontgenoten gehouden sijn alle saecken, die hem opcoemen ende voorvallen sullen ende daeraen si hem sullen laeten duncken tgemeen, wel ofte qualick vaeren van dese geunieerde landen ende bontgenoten gelegen te zijn, denghenen, die tot die bescrivinge geautoriseert sullen sijn, over te scrijven omme by deselve daerop dandere provincien bescreven te worden in manieren voorsz.“ [Hervorhebung O.K.]; sowie auf den Zusatz zum 15. Artikel, der den Umgang mit den Klöstern betrifft: „Ampliatie van ʼt 15. Artikel. Alsoo hiervooren in ’t artikel voorsien is tot alimentatie ende onderhoudt van de geestelicke persoonen, die geweest zijn in eenige conventen ofte collegien ende hun daeruyt ter cause van de religie ofte andere redelijcke oorsaecke begeven hebben ofte namaels begeven sullen, ende dat seer te beduchten is dat ter oorsaecken van dien eenige processen souden mogen verrysen, gelijck sy verstaen dat alreede verresen zijn uyt saecke dat alsulcke persoonen sullen willen, pretenderen gherechtight te zijn in de successie van de goederen van hun ouders, broederen, susteren ende anderen vrienden ofte magen metter doodt achterghelaten, ofte noch achter te laten, ende oock dieghene die sylieden in hun leven by tytel van gifte, transporte, ofte eenige andere souden mogen overdragen, gheallieneert, ofte oock naer hun doodt verseeckert hebben, soo ist, dat die voorsz. bondtgenooten, om dieselve processen ende die swarigheden die daeruyt souden mogen opstaen, te verhoeden, goetghevonden hebben alle die processen, die ter cause voorsz. alreede gheinstitueert zijn ende noch namaels gheinstitueert sullen mogen worden, te suspenderen in state ende surseancie te houden, ter tijdt toe anders by de voorsz. bondtgenooten ende andere, die hen in dese eenigheyt ende verbande sullen mogen begeven, generalick daerop (oock by dʼauthoriteyt van dʼoverheyt is ʼt noot) geordonneert ende verklaringe gedaen sal zijn. Aldus gedaen by de voorsz. gedeputeerden opten 1 Februarii 1579. Ende was geteyckent Lamzweerde.“ [Hervorhebung O.K.], in: XIX. 29. januari 1579. Unie van Utrecht, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 120–125, darin: S. 125.

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mehr durch die freiwillige Zustimmung der Beherrschten legitimiert wird. Arendt betrachtet Macht als ein auf etwas Bezogenes. Im Zwischen, dem Raum zwischen den einzelnen Mitgliedern der Gemeinschaft, etabliert sich die intransitive Macht. Macht im Sinne der Weber’schen Willensoktroyierung ist für Arendt bereits Gewalt, weil es den Freiraum bestimmter Personen einschränkt und damit erst ein Zwang zustande kommt, der den Raum des Zwischen und damit alle Macht und Politik zerstört.119 Allerdings ist Arendts Ansatz nicht auf die Wirksamkeit von Politik ausgerichtet. Arendt ist nicht an der Zweck-Mittel-Logik der Herrschaft interessiert, sondern an der Formulierung eines politisch-philosophischen Idealtyps von Herrschaft, dessen Umsetzung sie keineswegs erhoffte. Die, auf Kommunikation basierende Entscheidungsfindung von Personen erzeugt Macht, die auch auf Vertrauen beruht und sich auf die rechtliche Autorität der Mitglieder und deren gemeinsamer Entscheidung berief.120 Die Schnittmenge, die Jürgen Förster aus Arendts politischer Philosophie als wichtigen Eckpfeiler für die vorliegende Untersuchung herausgearbeitet hat, ist die Institutionalisierung von Vertrauen, die in der Beschreibung der Familiennetzwerke als Herrschaftsstrategie genauer erläutert werden soll.121 Nicht die Definition von Macht, sondern deren Grundlage, das Vertrauen, soll demnach aus den Betrachtungen Arendts als Anknüpfungspunkt für die Entstehung der spezifisch niederländischen Staats-Formierung im 17. Jahrhundert herausgegriffen werden. Vertrauen ist die traditionelle Voraussetzung für den Aufbau von Handelsnetzwerken der Niederländer in Europa und Asien, das meist in Verwandte und Freunde gesetzt wurde, die mit den Geschäften in den Kontoren der wichtigen Handelsstädte Europas und Asiens betraut waren.122 Für Weber war ein gewisses Maß an Gehorsam Voraussetzung für die Akzeptanz einer Herrschaft und das Funktionieren von Ordnungen. Abneigung und Nichtakzeptanz bei minimalem Gehorsam zerstörten noch nicht die Legitimität einer Herrschaft. Grundsätzlich treten häufig beide Formen der Macht gleichzeitig auf, deren Trennlinien verschwimmen. Arendts philosophische Betrachtungen kollidierten mit den realpolitischen Anforderungen, wie Macht gestaltet sein muss, um ein Gemeinwesen zu stabilisieren und regieren zu können. Der Zwang des Zusammenschlusses unter den Provinzen entstand durch äußeren militärischen Druck und die Freiheitsbeschränkung in der Religionsausübung. Andererseits wurden die Katholiken wegen des Verdachts auf Kooperation mit Spanien aus Regierungsgremien verdrängt, was zeigt, dass Macht auch in der Innenpolitik der Utrechter Union nicht ohne Gewalt und Zwang etabliert werden und Teil der Praxis autoritärer Herrschaft in der Arendt’schen Prägung ist. Allerdings wurde die Föderation nicht von einer gewaltsamen Herrschaft zusammengehalten, sondern 119 Siehe dazu: Arendt, Zwischen Vergangenheit und Zukunft; Arendt, Vita activa oder vom tätigen Leben. 120 Zum Vertrauen als Phänomen sozialen Handelns siehe: Förster, Die Sorge um die Welt; Frevert, Vertrauen; Luhmann, Niklas: Vertrauen: ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, Stuttgart: Lucius & Lucius, 2009. 121 Siehe dazu: Förster, Die Sorge um die Welt, S. 273–308. 122 Siehe dazu: Frevert, Vertrauen.

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von einem Konsens der Stände und Wilhelms I. von Oranien, ihre traditionellen Rechte und Privilegien gegen Philipp II. zu verteidigen. Darin lag gleichsam die Begründung ihrer Autorität als politische Machthaber, die indes untereinander als Mitglieder einer Körperschaft sehr wohl miteinander argumentierten. Die getroffenen Entscheidungen der Ständegremien besaßen hingegen Autorität. Die Frage ist, welche Konsequenzen die Beendigung der äußeren Bedrohung durch spanische Truppen für die autoritäre Elitenherrschaft in der Union hatte, die nicht erst mit dem Vertrag von Münster 1648 endete, sondern schon während des 12jährigen Waffenstillstands (1609–1621) vorübergehend verschwand. Vorher muss jedoch auf die Unabhängigkeitserklärung der Föderation eingegangen werden, die mit der Loslösung der Utrechter Union von ihrem Landesherrn Philipp II. verbunden ist.

4. DIE BEGRÜNDUNG STÄNDISCHER HERRSCHAFT Die Übertragung der Oberhoheit auf Wilhelm I. von Oranien Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches rief im April 1579 die Rebellen und den spanischen Landesherrn zum Kölner Pazifikationskongress zusammen, um über eine Beilegung der Konflikte zu verhandeln. Allerdings waren die Forderungen der spanischen Krone zu übertrieben, um bei den rebellischen Provinzen Gehör zu finden. Alle Protestanten sollten die niederländischen Territorien verlassen. Zudem sollte in den Territorien, die Ordnung wieder hergestellt werden, die 1559 herrschte.123 Währenddessen trieb der Herzog von Parma die Eroberung der abtrünnigen Provinzen und Städte voran. Maastricht fiel noch im Jahr der Unionsgründungen. Im folgenden Jahr ergab sich durch den Übertritt des Grafen von Rennenberg ins spanische Lager eine weitere Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen Rebellen und Philipp II. Der 1576 von Wilhelm I. von Oranien zum Statthalter in Friesland, Groningen, Overijsel und Drenthe ernannte Georg von Lalaing, Graf von Rennenberg, war ein Protagonist der aufkeimenden Unruhen, dessen Übertritt ins spanische Lager als Verrat wahrgenommen wurde. Bei genauerer Analyse lässt sich allerdings feststellen, dass die Radikalisierung der Reformierten nach der Genter Pazifikation zu einer Verschiebung der Balance zwischen den beiden Konfessionen zuungunsten der Katholiken verlief. In bedeutenden Städten wie Gent, Brügge und Brüssel verschlechterte sich die Lage der Katholiken, denn ganz im Gegensatz zum Toleranzgedanken der Pazifikation wurden sie dort zunehmend unterdrückt.124 Auch in den Provinzen, in denen von Rennen123 Siehe zu den Verhandlungen in Köln: Brief von Wilhelm von Oranien an Johan Fonck, Mitglied des Geheimen Rates, April 1579, Nationaal Archief, Den Haag, Collectie Van Dorp, 1414–1986, nummer toegang 1.10.25, inventarisnummer 874, 875; in den Akten der StatenGeneraal: Japikse, N. (Hg.): Resolutiën Staten-Generaal oude reeks van 1572 tot 1609, Tweede Deel, 1578–1579, Grote serie 3, ’s Gravenhage: Nijhof, 1917, S. 112, 514, 554–608. Die Verhandlungen begannen im Mai 1579. 124 Vgl. dazu: Mörke, Wilhelm von Oranien, S. 224f.

4. Die Begründung ständischer Herrschaft

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berg die Statthalterschaft übertragen wurde, gab es zahlreiche Konflikte zwischen Katholiken und Reformierten, was sich beispielsweise an der unterschiedlichen Haltung von Stadt und Land Groningen zeigt. Das Umland Groningens trat der Utrechter Union bei, die Stadt nicht. Somit besaß von Rennenberg keine gesicherte Machtposition in den ihm unterstellten Provinzen. Dass er aus einer katholischen Familie stammte, erleichterte sein Überlaufen zu den Gegnern der Utrechter Union. Im März 1580 übernahm er mit Hilfe der katholischen Einwohner die Stadt Groningen und verhinderte den Einfall der Unions-Truppen, die bereits das Umland Groningens in ihre Gewalt gebracht hatten. Durch die Radikalisierung der Reformierten war davon ausgegangen worden, dass die katholischen Einwohner nach der Einnahme der Stadt mit Repressalien hätten rechnen müssen. Georg von Lalaing unterstellte sich am 3. März 1580 der Oberhoheit des Herzogs von Parma und damit dem König von Spanien. Von Groningen aus versuchte der Graf von Rennenberg weitere Städte auf die Seite der Spanier zu ziehen.125 Kurz darauf, am 15. März, erklärte Philipp II. Wilhelm I. von Oranien für vogelfrei. Der Bann, der es mit päpstlicher Duldung erlaubte, Wilhelm zu töten, trieb den Statthalter der Provinzen Holland, Seeland und Utrecht endgültig in die Enge. Genau drei Monate später erließ Alessandro Farnese den Bannbrief, womit der Bann Rechtskraft erlangte und Wilhelm I. keine andere Wahl blieb als das Band, das ihn mit dem spanischen König verband, endgültig zu zerschneiden. In seiner Apologie, die er im Dezember desselben Jahres den Generalständen vorlegte, um deren Veröffentlichung zu ermöglichen, und die er unter Mithilfe seines Hofprediger Loyseleur de Villiers verfasst hatte, wehrte er sich gegen den Bann.126 Am 17. Dezember, vier Tage nach der Einreichung der Apologie bei den Generalständen, wurde sie gedruckt und veröffentlicht. Diese Veröffentlichung ist beispielhaft für die Verbreitung politischer Verordnungen in den niederländischen Territorien in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Alphabetisierung war durch den Handel und die damit verbundene Buchführung und der Notwendigkeit, Frachtpapiere lesen zu können, auch wenn der Leser selbst nicht schreiben konnte, weit fortgeschritten. Dass mit der Verbreitung von Verordnungen und Pamphleten die Bevölkerung stärker politisiert wurde als in Territorien, die weniger mit der Notwendigkeit der Alphabetisierung konfrontiert waren, weil deren Ökonomie hauptsächlich durch die Landwirtschaft bestimmt war, kann sicherlich als ein Faktor für die erhöhte Bereitschaft zur Rebellion gegen die spanischen Truppen in der Bevölkerung betrachtet werden, wobei die konkreten Erfahrungen von Plünderung, Brandschatzung und Unterdrü-

125 Vgl. dazu: Wilhelm von Oranien an die Stände von Overijsel, Brief vom 8.3.1580, De correspondentie van Willem van Oranje nr. 10350, URL: https://www.historici.nl/media/wvo/ images/10000-10999/10350.pdf, zuletzt konsultiert am 28.12.2017; vgl. dazu weiter: Parker, Der Aufstand der Niederlanden, S. 234. 126 Vgl. dazu: Wilhelm von Oranien an die Staten-Generaal, Brief vom 13.12.1580, De correspondentie van Willem van Oranje nr. 10114, URL: https://www.historici.nl/media/wvo/ images/10000-10999/10144.pdf, zuletzt konsultiert am 28.12.2017.

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ckung Andersgläubiger eine noch nachhaltigere Wirkmacht für die Beteiligung an den Aufständen besaßen.127 Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Apologie Wilhelms I. brachte der Abzug spanischer Truppen den Feldzug Farneses gegen die abtrünnigen Territorien ins Stocken.128 Erst im darauffolgenden Jahr gelangen den spanischen Truppen wieder Erfolge. Einer Beruhigung der militärischen Auseinandersetzungen stand jedoch auf politischer Ebene das steigende Bewusstsein gegenüber, Philipp II. als Landesherrn nicht weiter tolerieren zu wollen, da die Forderungen der Aufständischen von ihm nicht erfüllt wurden. Ein politisches Engagement der Königin Elizabeth I. in den abtrünnigen Provinzen über die Finanzierung der aufständischen Watergeuzen hinaus, konnten die Rebellen und Wilhelm I. von Oranien wegen der bestehenden Spannungen zwischen Philipp II. und der englischen Königin nicht erwarten. Demzufolge versuchte Wilhelm I. von Oranien den Herzog von Anjou, Bruder des französischen Königs, für die Interessen der Aufständischen zu gewinnen, der trotz seiner katholischen Konfession eine gewisse Bereitschaft zeigte, sich für die Utrechter Union in dem Konflikt zu engagieren.129 Bevor der Herzog als Landesherr auftreten konnte, mussten die Herrschaftsverhältnisse in den Provinzen der Utrechter Union neu geordnet werden, was die Lossagung von Philipp II. bedeutete.

Die Lossagung von der spanischen Oberhoheit Die Acte van afzwering wurde am 26. Juli 1581 unterzeichnet.130 Alle Mitglieder beriefen sich auf die Verletzung verschiedener Privilegien durch Philipp II. Zu 127 Siehe dazu: Kuijpers, Erica: Lezen en schrijven: onderzoek naar het alfabetiseringsniveau in zeventiende-eeuws Amsterdam, in: Tijdschrift voor Sociale Geschiedenis 23 (1997), S. 490– 522; Woude, Ad M. van der: De alfabetisering, in: Houtte, Jan A. van; u. a. (Hg.): Algemene Geschiedenis der Nederlanden, Haarlem: De Haan, vol. 7, 1980; Vries/Woude: First modern economy, S. 170ff. 128 Grund für den Abzug war ein spanischer Feldzug unter dem Herzog Alva gegen Portugal, um die Ansprüche Philipps II. auf die portugiesische Krone zu verteidigen, nachdem António von Crato sich zum König von Portugal ausgerufen hatte. Im August 1580 schlugen spanische Truppen die Ansprüche Cratos in der Schlacht von Alcântara nieder. Philipp II. wurde daraufhin zum König von Portugal gekrönt. Die beiden Königreiche wurden bis 1640 in Personalunion vom spanischen König regiert. Siehe dazu: Braudel, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipp II., Band 3, S. 378–383. 129 Siehe dazu u. a. Briefe zwischen Wilhelm und François de Valois: Von François de Valois an Wilhelm I. von Oranien, 28. März 1578, De correspondentie van Willem van Oranje nr. 9040, URL: https://www.historici.nl/media/wvo/images/09000-09999/09040.pdf, zuletzt konsultiert am 28.12.2017; Von Wilhelm I. von Oranien an François de Valois, 4.8.1578, De correspondentie van Willem van Oranje nr. 366, URL https://www.historici.nl/media/wvo/images/ 00000-00999/00366.pdf, zuletzt konsultiert am 28.12.2017. 130 Zu den Unterzeichnern der Akte gehörten die Vertreter Brabants, des Fürstentums Geldern und der Grafschaft Zutphen, Flanderns, Hollands, Seelands, Frieslands, Mechelens und Utrechts. Vgl. dazu: XXII. 26.Juli 1581. Acte van afzwering van Philips II, in: Blécourt/Japikse, Klein Plakkaatboek van Nederland, S. 137–144, darin: S. 144.

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nennen sind dabei das Blijde Inkomst von 1356, die Charta von Kortenberg vom Beginn des 14. Jahrhunderts sowie das Große Privileg. Da Philipp II. als Landesherr durch die Verletzung dieser Privilegien der Städte und Provinzen den ihm obliegenden Schutz der niederländischen Stände vernachlässigte, war es den Ständen auch mit dem Blick auf die zeitgenössische politische Philosophie erlaubt, ihm die Oberhoheit über das Territorium der Vertragschließenden zu entziehen. Die Schrift zitiert eindeutig die Ideen der Monarchomachen.131 Infolge der religiösen Konflikte in Frankreich war unter den Hugenotten die Idee entstanden, einen Monarchen von der Herrschaft entbinden zu können, wenn er der Pflicht, seine Untertanen zu schützen, nicht mehr nachkommen würde. Luther hatte das Widerstandsrecht gegen die Oberhoheit des Landesherrn noch abgelehnt. Jean Calvin griff den Gedanken der Monarchomachen auf und integrierte ihn in seine Glaubenslehre. Von entscheidender Bedeutung in dieser Debatte ist die Schrift Vindicae contra tyrannis, die 1579 in Basel veröffentlicht wurde.132 Explizit ging es um die Beschränkung der königlichen Macht durch die Stände. Jean Bodins Idee einer ungeteilten Souveränität stand das entgegen.133 Die Auswirkung der monarchomachischen Theorie auf die niederländischen Territorien zeigte schon die Genter Pazifikation und gipfelte in der Acte van afzwering van Philipp II., in der sich die Generalstände, der als Vereinigten Niederlanden bezeichneten Territorien von ihrem Landesherrn lossagten und sich das Recht vorbehielten, einen anderen Landesherrn an seiner statt einzusetzen.134 Die Generalstände bezogen sich in ihrer Argumentation auch auf das Naturrecht, das grundsätzlich jedem Menschen die Freiheit zugesteht. Dem Landesherrn obläge es, diese Freiheit zu gewährleisten. Diese Pflicht habe Philipp II. jedoch, im Gegensatz zu seinem Vater, nicht erfüllt. Er habe vergessen, die Privilegien zu ehren und versuche, mit Hilfe seiner Räte die niederländischen Territorien einer ebenso rigorosen absolutistischen Herrschaft zu unterwerfen, wie die Königreiche Neapel und Sizilien, oder auch verschiedene Regionen Indiens. Sein Ziel sei es, die niederländischen Territorien von Spanien abhängig zu machen, sie zu tyrannisieren und ihre Freiheit zu stehlen. Die Schrift klagt Philipp II. weiterhin aller Vergehen gegen den niederländischen niederen Adel, die Städte und Provinzen an, die seit 1566 nach Meinung der Stände von ihm verübt wurden. Deut-

131 Der Begriff Monarchomachen wurde von William Barclay geprägt, einem schottischen Pamphletisten, der in Frankreich lebte. Der Begriff bezeichnet politische Theoretiker, die in der Begrenzung der königlichen Macht durch Verträge dem Volk die Souveränität zusprachen. Die Bartholomäusnacht radikalisierte die Debatte. In der Theorie wurde die Absetzung tyrannischer Monarchen diskutiert. 132 Die Schrift wurde unter dem Pseudonym Stephanus Junius Brutus veröffentlicht und stand in einer Reihe mit den Schriften Franco-Gallia (1573) von François Hotman und De jure magistratuum in subditos (1576) von Theodor Beza. 133 Jean Bodin legte seine Theorie in dem mehrbändigen Werk Les six lievres de la République 1576 dar. Siehe dazu: Bodin, Jean; Meyer-Tasch; Cornelius, Peter (Hg): Sechs Bücher über den Staat, 2 Bände, München: Beck, 1981, 1986. 134 Vgl. dazu: Appendix XIV: XXII. 26.Juli 1581. Acte van afzwering van Philips II, in: Blécourt/Japikse, Klein Plakkaatboek van Nederland, S. 137–144, darin: S. 137.

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lich wird, dass sich die Unterzeichner von anderen Herrschaftsgebieten der Spanier abgrenzen wollen. Indien wird zweimal erwähnt, als die Stände sich gegen die tyrannische Herrschaft aussprechen, die in Indien legitim sei, nicht aber in den Niederlanden.135 Nachdem die Generalstände der Vereinigten Niederlanden deutlich gemacht hatten, warum sie Philipp II. als illegitimen Landesherrn abwählen wollten, verkündeten sie gleichsam dessen Nachfolger. Der Herzog von Anjou, mit dem Wilhelm I. schon seit den 1570er Jahren in Kontakt stand, sollte die Herrschaft und Regierung in den Vereinigten Niederlanden übernehmen.136 Solange der Herzog von Anjou die Regierungsgeschäfte nicht wahrnahm, gingen die Rechte und Pflichten auf Hof und Landrat der jeweiligen Provinz über. Wie sich aus der Übertragung der oberen Hoheit an Wilhelm I. ergab, waren neben ihm, auch die Stände durch diese Entscheidung zu Inhabern der Oberhoheit geworden, die Politik, Rechtsprechung und Administration in den abtrünnigen Provinzen auf sich einschworen. Alle offiziellen Siegel des Königs, die notwendig waren, um Verordnungen rechtskräftig werden zu lassen, wurden als obsolet erklärt. Die „unierten Länder“ zogen sie ein und autorisierten die Siegel nun in ihrem eigenen Namen. Gleichsam beschlossen die Stände der Vereinigten Niederlanden, selbständig neue silberne und goldene Münzen schlagen zu lassen.137 Im Anschluss an die Inanspruchnahme des souveränen Rechts, Münzen schlagen zu können, beschlossen die Stände, dass alle Herren und Präsidenten der Räte und Rechenkammern, sowie Offiziere und Justiziare einen neuen Eid auf die Generalstände der Vereinigten Niederlanden leisten müssten, nachdem sie Philipp II. als Oberherrn abgeschworen hatten.138 Es gab durchaus Offiziere, Justiziare und Einwohner der Gebiete der Vereinigten Niederlanden, die mit dem Herzog von Anjou Absprachen getroffen hatten, ihn als Oberherrn anzunehmen und dafür ihre Ämter zu behalten, was ihnen die Generalstände bestätigten. Interessant war allerdings die Gruppe, die sich zwar dem Bündnis der Vereinigten Niederlanden anschloss, jedoch mit dem Herzog bis dahin nicht übereingekommen war, ihn als Landesherrn anzuerkennen. Für diese Gruppe zählten demzufolge auch die Generalstände und Wilhelm I. von Oranien nicht als Stellvertreter Anjous. Um diese Gruppen in das Bündnis zu integrieren, boten die Generalstände die Möglichkeit 135 Die Bezeichnung der Regierung Philipps II. als tyrannisch erfolgt im Sinne der Durchsetzung persönlicher Interessen, was gleichgesetzt wird mit frei und absolut. Siehe dazu: „[...], den voorsz. Coninck tot diversche reysen voor ooghen ghehouden hebben, dat voor zijn reputatie ende Majesteyt beter was, dese voorsz. landen van nieuws te conquesteren, om daerover vryelick ende absolutelick te moghen bevelen (t’welck is tyranniseren nae zijn beliefte) dan onder alsulcken conditien ende restictien (als hy hadde in ’t overnemen van de heerschappye van deselve landen moeten zweeren) die te regeren.“, in: Appendix XIV: XXII. 26.Juli 1581. Acte van afzwering van Philips II, in: Blécourt/Japikse, Klein Plakkaatboek van Nederland, S: 137–144, darin: S. 138. Dabei ist Indien nicht nur auf den Subkontinent bezogen, sondern auf das gesamte Interessengebiet der VOC in Südostasien, von der Westküste des indischen Subkontinents bis nach Japan. 136 Vgl. dazu: Appendix XIV: XXII. 26.Juli 1581. Acte van afzwering van Philips II., in: Blécourt/Japikse, Klein Plakkaatboek van Nederland, S: 137–144, darin: S. 142f. 137 Vgl. dazu: Appendix XIV: darin: S. 143. 138 Vgl. dazu: Appendix XIV.

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an, neue Kommissionen zu gründen, die auf die Ständevertretung eingeschworen werden sollten.139 Bevor noch einmal alle Unterzeichner der Abschwörungsakte genannt werden, ist dieser Passus der Schrift Ausdruck des Selbstverständnisses der Generalstände, nicht nur als Vertreter eines Oberherrn Funktionen zu übernehmen und für eine begrenzte Zeit zu verwalten, wie es in der Übertragung der „hohen Oberhoheit“ der Provinzen Holland und Seeland an Wilhelm I. geheißen hatte,140 sondern, dass nun auch der Wille bestand, ohne Rückbezug auf den Herzog von Anjou Institutionen unter eigener Verantwortung gründen zu wollen, die den Generalständen verpflichtet wären. Da es sich dabei um Justiziare und Offiziere handelte, ist dies ein eindeutiges Zeichen der Übernahme von Funktionen durch die Generalstände, die, ebenso wie die Münzprägung und der Besitz des Siegels, grundsätzlich dem Souverän oblagen. Der Einsatz von Gerichts- und Militärpersonal in den Gebieten, die sich der Union anschlossen, aber den Herzog von Anjou nicht akzeptierten, erhöhte die Generalstände zum Oberherrn der Union und schuf gleichzeitig eine neue administrative Ebene. Die Erhöhung der Generalstände entsprang der Notwendigkeit, auch diese Gebiete in das Bündnis zu integrieren und deren Ressourcen für die Unabhängigkeitsbewegung zu rekurrieren, sowie eine Ordnung zu etablieren, die weitere Abfälle von Verbündeten zu vermeiden half. Klares Ziel der Abschwörung war die Konstitution eines eigenständigen Gemeinwesens, dessen Herrschaftsordnung jedoch weiterhin von einem Monarchen legitimiert werden sollte, den die Stände selbst wählten. Mit der Abschwörung und Lossagung von Philipp II. ging zwar nicht die komplette Neuordnung der politischen Ordnung einher, es erfolgte jedoch eine Verschiebung der Machtbalance zugunsten der Stände. Durch die Spaltung der Konfessionen und der damit verbundenen Infragestellung der Macht des Monarchen in den reformierten Bekenntnissen entstand in den Vereinigten Niederlanden schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Verständnis für das Naturrecht als Quelle der Legitimierung des Widerstandes gegen die monarchische Tyrannei. In der Acte van afzwering wird dieser Widerstand geradezu zum Recht und der Pflicht erhoben, um die Einwohner der niederländischen Territorien vor den Folgen der königlichen Tyrannei zu schützen, was wiederum die Machtübernahme durch die Stände rechtfertigte. Wörtlich erwähnt das Dokument die Souveränität der Generalstände der Vereinigten Niederlanden nicht. Wie aus den Zitaten ersichtlich wird, führen die Autoren ein weiteres Mal die Autorität als Grundlage für das Recht der Stände an. Neben dem Begriff der Autorität zitiert die Acte van afzwering den Begriff des vaderlants als Bezeichnung der Verbundenheit der Unterzeichner mit dem Territorium der Vereinigten Niederlanden. Obwohl sich im Lauf der folgenden Jahrzehnte zahlreiche territoriale Veränderungen ergeben werden, begannen die Stände der Provinzen das Gebiet der Vereinigten Niederlanden als politische Einheit 139 Vgl. dazu: Appendix XIV, S. 144. 140 Vgl. dazu: XXI. 5. Juli 1581, Opdracht der Hooge Overheid van Holland aan Willem I., in: Blécourt/Japikse: Klein Plakkaatboek van Nederland, S. 134–137, darin: S. 136.

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wahrzunehmen, die sich von den restlichen Gebieten der Habsburgischen Niederlanden durch die Beschwörung einer Gemeinschaft abzutrennen suchte, indem sie neben dem territorialen Bezug auch die Tradition beschwor. Mit dem Verweis, ein neues Jerusalem in den Vereinigten Niederlanden gründen zu wollen, schufen die Niederländer Bezugspunkte für die Identifikation mit dem Unabhängigkeitskrieg als gerechte, gottgefällige Sache. Neben die vertragliche Einung der Gebiete tritt also die Belebung von Legenden und Mythen, um den Widerstand in einer Tradition und das neu formierte Gemeinwesen in der religiösen Erneuerungsbewegung zu verorteten. Symbole der Identifikation waren notwendig, um die Gemeinschaft enger zusammenwachsen zu lassen. Die Bestimmungen der Acte van afzwering und der Unionsakte von Utrecht legten die Grundzüge der neu geschaffenen Körperschaft fest, die durch Bestimmungen auf der provinzialen Ebene ergänzt wurden. Es wurde auch in den folgenden Jahren kein Grundsatzpapier verabschiedet, das die Rechte und Pflichten der Generalstände der Vereinigten Niederlanden im Detail festlegte. Allein die Provinzen erließen zu Beginn der 1580er Jahre sehr detaillierte Instruktionen für die jeweiligen Provinzialräte, die vor allem neue Richtlinien für die Unbestechlichkeit der Beamten setzten.141 Diese Maßnahme zeigt die Gewichtung der politischen Ordnungsbestrebungen innerhalb der Provinzen, die von sehr genauen Regelungen strukturiert wurden. Die Ebene der Vereinigten Niederlanden als Föderation blieb auch aufgrund des unsicheren Ausgangs des Kriegsgeschehens auf die Etablierung von bestimmten Rahmenbedingungen beschränkt. Zum Beispiel das Territorium nach Maßgabe der Utrechter Union zu verteidigen, sich dabei aber auf tradierte politische Herrschaftsstrukturen zu beschränken, was die Macht der Provinzen unangetastet ließ, die zwar ihre innere Struktur neu ordneten, auf Unions-

141 Am 31. Mai 1582 wurde eine Instruktion des Hohen Rats von Holland und Seeland erlassen, die sehr detailliert die Struktur des Gremiums, die Aufgaben der Gremiumsmitglieder und die Rechtsordnung in den Provinzen beschrieb, was als Versuch einer Neuordnung gesehen werden kann. Demzufolge gab es zwar keine Festlegung auf eine bestimmte Regierungsform, aber doch seit 1582 Verordnungen in den Provinzen, die den juristischen und administrativen Alltag bestimmten. Inwieweit die Bestimmungen der Instruktion wirksam wurden, lässt sich nicht genau nachweisen. Von Seiten der Stände und Wilhelm I. von Oranien, die die Verordnungen verabschiedeten, ist allerdings ein Ordnungswille erkennbar. Eine Bestimmung der Instruktion ist besonders wichtig für die Argumentation der Arbeit, da die Regelungen nicht nur die Administration betrafen, sondern in einem Punkt die Richtlinie der Herrschaftsausübung zur See: „[Artikel] XX. Ende ten derden in saaken roerende de zeevaart, te weeten als schepen malkanderen buytens landt of in zee beschadight sullen hebben, en diergelijcke saaken, begrepen onder de ordonnantie van de zeerechten, blijvende hat placaat van de visscherye ofte buysneeringe in sijn geheel ende weesen, sonder hetselve by deesen te veranderen.“, in: XXIII. 31. Mai 1582. Instructie van den Hoogen Raad van Holland en Zeeland, in: Blécourt/Japikse, Klein Plakkaatboek van Nederland, S. 144–175, darin: S. 147. Schon im 16. Jahrhundert existierten festgeschriebene Rechte zur Befahrung der See in den Niederlanden, was das Meer sowohl als Raum des sozialen Handelns als auch der Verräumlichung von Herrschaft, den Beginn der Institutionalisierung und Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden kennzeichnet.

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ebene aber keine Richtlinien oder Verordnungen erließen, die ihre eigene Selbständigkeit geschwächt hätten. Mit der Lossagung von Philipp II. begann eine Phase der Suche nach einem geeigneten Potentaten, der die Macht der Stände achten und die Vereinigten Niederlanden nach außen hin legitimieren würde. Solange diese Suche anhielt, etablierten die Verordnungen der Generalstände bewusst ein Interregnum im Territorium der Vereinigten Niederlanden, das den Wunsch der provinzialen Stände zu größtmöglicher Selbständigkeit innerhalb der Föderation widerspiegelte. Hinter den Bestrebungen, eine unabhängige politische Einheit in den Niederlanden zu gründen, stand Wilhelm I. von Oranien. Er forcierte aus verschiedenen Gründen die Loslösung von Spanien. Wilhelms Ziel war es jedoch nicht nur, die nördlichen Provinzen zu einer Union zusammenzufügen, sondern die gesamten Habsburgischen Niederlanden zu vereinen. Dieses Ansinnen verdeutlicht die Utrechter Unionsakte, wenn der Beitritt von Territorien zur Union angesprochen wird. Allen südlichen Provinzen blieb die Möglichkeit offen, sich der Utrechter Union anzuschließen. Den Umschlagpunkt für die Transformation der politischen Herrschaft markieren, neben der Übertragung der Oberhoheit über die Provinzen Holland und Seeland an Wilhelm I. von Oranien durch die Stände der jeweiligen Provinz, die 1575 von den holländischen und seeländischen Ständen verabschiedet und 1581 erneut bestätigte Unionsakte von Utrecht und die Acte van afzwering. Mit der Übernahme der Oberhoheit in den Provinzen gestanden die Provinzstände sich die Autorität zu, ihren Statthalter, der grundsätzlich vom spanischen König bestimmt wurde, selbst zu wählen. Die Autorität Wilhelms I., durch die Übertragung weitgehender Rechte als Statthalter der Provinzen und die Befehligung der provinzialen Streitkräfte, trug dazu bei, ihn als Führungskraft während der Rebellion zu etablieren. Die Verabschiedung der Acte van afzwering stand in engem Zusammenhang mit der Verbannung Wilhelms I., da die Diskreditierung der bedeutendsten Führungsperson innerhalb der Utrechter Union eine Rückkehr unter die Oberhoheit Philipps II. endgültig zunichte gemacht hatte. Die Acte van afzwering erwähnt den Begriff der Souveränität ebenso wenig wie die Unionsakte. Die angeführten Dokumente zeigen, dass Souveränität in den Vereinigten Niederlanden auf die einzelnen Mitglieder beschränkt blieb, wodurch sich die Provinzen die Macht der Einflussnahme sicherten. Dass auch Franz von Anjou in der Acte van afzwering nicht als Souverän bezeichnet wird, zeugt von der Zurückhaltung der Stände den Personen weitgehende Macht zu übertragen, die letztlich die politische Entscheidungsfreiheit der Provinzen einschränken würde. Die Union wählte Franz von Anjou nicht nur aus Mangel an Alternativen zum aussichtsreichsten Kandidaten, sah sie doch in der Wahl Anjous die Möglichkeit, Frankreich auf ihrer Seite in den Konflikt mit Spanien hineinzuziehen, was eine Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der Aufständischen bedeutet hätte. Zudem besaß Wilhelm I. enge Verbindungen nach Frankreich, da er als Fürst von Oranien Kontakt zum französischen Königshaus pflegte. Anjous Wille, klare Verhältnisse gegenüber Spanien zu schaffen, damit er die Regentschaft übernehmen konnte, kamen die Stände mit der Acte van afzwering nach. Im Februar des nach-

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folgenden Jahres wurde Anjou zum Herzog von Brabant ernannt. Dass diese Wahl sich als unglücklich erwies, zeigte spätestens der Versuch Anjous, größere Macht an sich zu reißen, als er 1583 Antwerpen anzugreifen gedachte. Allerdings schlugen die Truppen der Provinzen das französische Heer. Anjou verließ daraufhin das Unionsterritorium. Das Experiment war gescheitert. Dem Herzog von Parma ermöglichten diese inneren Unruhen erfolgreiche militärische Schläge gegen die Vereinigten Niederlanden. Nachdem Anjou die niederländischen Territorien verlassen hatte, nahm Farnese Brügge, Gent, Ieper und Zutphen ein. Das Jahr 1584 brachte nicht nur den Tod des Herzogs von Anjou; auch der wichtigste politische Akteur in den Vereinigten Niederlanden fiel einem Anschlag zum Opfer. Der Katholik Balthasar Gerards sah es als seine religiöse Pflicht, Wilhelm I. von Oranien zu töten. Schon vor dem Tod Anjous hatten die Stände der Provinz Holland Wilhelm I. 1582 die Erhebung zum Grafen angeboten, um seine Wahl zum Landesherrn zu ermöglichen. Er hatte zögerlich eingewilligt. Der damit verbundene Machtverlust für Anjou war ein Grund für den Angriff auf Antwerpen, der seine Autorität wieder stärken sollte, da die Erhebung Wilhelms I. zum Grafen von Holland deutlich machte, welche Person in der Utrechter Union die politische Führung innehatte.142 Mit dem Tod des Oraniers stand die Existenz der Vereinigten Niederlanden plötzlich in Frage, da es weder inner- noch außerhalb der Provinzen Vertreter des Hochadels gab, die bereit gewesen wären, einerseits Wilhelms I. Rolle als Anführer des Aufstandes auszufüllen und andererseits die Gemeinschaft der Vereinigten Niederlanden im europäischen politischen Gefüge der hochadligen Dynastien zu legitimieren und die Union im Inneren zu einen im Stande gewesen wäre. Einzig die englische Königin blieb als Ansprechpartnerin. Sie sträubte sich jedoch gegen eine Übernahme der Oberhoheit über die Vereinigten Niederlanden, weil sie den Konflikt mit Spanien fürchtete, der durch das Wiedererstarken der anglikanischen Kirche nach dem Tod ihrer Halbschwester Maria I., erste Frau Philipps II., anschwoll und 1588 mit dem Auslaufen der spanischen Armada gegen England seinen Höhepunkt erreichen sollte. Während der Suche nach einem potentiellen Nachfolger für den abgesetzten Landesherrn, versuchten die Stände der Vereinigten Niederlanden, den erst 17jährigen Sohn Wilhelms, Moritz von Oranien, enger in die Politik der Provinzen einzubinden und boten ihm einen Sitz im Raad van State an, den er annahm. Den Grafentitel konnten die Stände Hollands Moritz allerdings nicht antragen, da in der Erbfolge Wilhelms I. ältester Sohn Philipp Wilhelm stand, der jedoch nach Ausbruch der Aufstände nach Spanien entführt und katholisch erzogen worden war. Im Jahr 1585 schien es, als seien die Unabhängigkeitsbestrebungen der Vereinigten Niederlanden zum Scheitern verurteilt und die Unterwerfung der abtrünnigen Provinzen unter die Herrschaft Philipps II. nur noch eine Frage der Zeit. Mit der Besetzung und Annexion Portugals war es Philipp II. gelungen, seine Finanzen durch den Reichtum der portugiesischen Kolonien in Südamerika und Afrika sowie durch die positiven Handelsbilanzen der portugiesischen Handelsstützpunk-

142 Vgl. dazu: Parker, Geschichte des Aufstands der Niederlande, S. 246.

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te in Asien zu sanieren.143 Es war ihm nun infolge dieses finanziellen Spielraums möglich, erneut ein Heer in Brabant aufzustellen, dem es unter dem Herzog von Parma ein weiteres Mal gelang, Antwerpen einzunehmen. Vorher besetzten Philipps II. Truppen Brüssel und Mechelen. Mit der Einnahme Antwerpens fiel die letzte wichtige Stadt Brabants in die Hände der Spanier. Sowohl die Provinz Flandern als auch das Territorium Brabants wurden in die spanischen Niederlanden eingegliedert. Zahlreiche Kaufleute und reiche Bürger der Provinzen Flandern und Brabant verließen infolge der spanischen Besatzung ihre Heimat und flohen in die nördlichen Provinzen, darunter viele Reformierte, da die Inquisition im Machtbereich der Spanier alle Anhänger der reformierten Bekenntnisse als Häretiker verfolgte. Ausschlaggebend war jedoch die Einschränkung der Geschäftsverbindungen in Antwerpen, die viele Kaufleute dazu zwang, die Stadt zu verlassen, wenn sie weiterhin im Handel ihren Lebensunterhalt verdienen wollten. Besonders durch die Finanzkraft von Kaufleuten wie Balthasar de Moucheron, der später Handelsfahrten nach Asien mitfinanzierte, profitierte die Wirtschaft der nördlichen Provinzen in den folgenden Jahren von den Emigranten aus den spanischen Truppen anheimgefallenen Provinzen. Allerdings sieht Clé Lesger, entgegen vieler Forschungen zur wirtschaftlichen Entwicklung Amsterdams nach 1600, nicht die Immigranten aus den südlichen Niederlanden als Grund für den Aufschwung, sondern die Handelsbeziehungen und die etablierten Netzwerke der Amsterdamer Kaufmannschaft, die Amsterdam schon besaß, als Antwerpen noch der beherrschende Marktplatz auf dem nordeuropäischen Festland gewesen war. Mit den Antwerpener Kaufleuten gewannen die Amsterdamer Netzwerke allerdings eine globale Dimension, die zur stärkeren Zentralisierung des Handelsnetzwerks im Knotenpunkt Amsterdam führte.144 Die Einnahme der beiden wichtigen Provinzen durch Alessandro Farnese brachte die weitreichende Spaltung der Habsburgischen Niederlanden in zwei Territorien mit sich: die Vereinigten Niederlanden im Norden, die die flandrischen und brabanter Städte als Mitglieder verloren; im Süden existierten die Habsburgischen Niederlanden weiter, konstituiert durch die Union von Arras. Damit zerbrach, ein Jahr nach dem Tod Wilhelms I. von Oranien, auch dessen Traum, trotz der konfessionellen Zerwürfnisse das gesamte Territorium der Habsburgischen Niederlanden als Einheit in die Unabhängigkeit zu führen, am Erstarken der spanischen Truppen und an der politischen Krise der Vereinigten Niederlanden, die plötzlich führungslos geworden waren. Zähe Verhandlungen zwischen Elisabeth I. und den Generalständen, deren Gegenstand die wiederholte Bitte an die englische Königin war, als Souverän über die Vereinigten Niederlanden zu herrschen, resultierten in der grundsätzlichen 143 Siehe dazu: Boxer, Charles Ralph: The Portuguese Seaborne Empire, 1415–1825, London: Hutchinson, 1969. 144 Siehe dazu: Lesger, The Rise of the Amsterdam Market, S. 62–100; Dillen, Dr. J.G. van: Vreemdelingen in Amsterdam in de eerste helft der zeventiende eeuw: De Portugeesche Joden, TvG, 50 (1935), S. 4–35; Ders.: Over het invloed der Zuid-Nederlanders op den bloei van Amsterdam in de eerste helft der XVIIe eeuw, Versalg van het provinciaal Utrechtsch genootschap van kunsten en wetenschappen, 1937, S. 49–55.

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Ablehnung des Anliegens, sicherten aber die militärische Unterstützung der Rebellen durch die englische Krone zu.145 Robert Dudley, Earl of Leicester, Günstling Elisabeths I., erreichte im Dezember 1585 Vlissingen mit einer 6000 Mann starken Armee. Kurz zuvor wurde der 18jährige Moritz zum Statthalter der Provinzen Holland und Seeland ernannt. Leicesters Ernennung zum Landvogt und Oberbefehlshaber der Truppen der Vereinigten Niederlanden beruhigte die bedrohliche Situation für die Union keinesfalls. Der Konflikt, der zwischen England und Spanien aus Gründen der konfessionellen Unterschiede ausbrach und auf globaler Ebene durch die Kaperfahrer Francis Drake und John Hawkins im Auftrag Englands empfindlich die spanischen Interessen in Süd- und Mittelamerika störte, verschärfte sich zwei Jahre nach der Ankunft Leicesters als Elisabeth I. Maria Stuart, wegen des Verdachts, die Ermordung Elisabeths geplant zu haben, um an deren statt die Herrschaft zu übernehmen, hinrichten ließ. Während Leicesters Oberbefehl in den Vereinigten Niederlanden gelang es nicht, die territorialen Besitzungen zu schützen. Es gingen weitere Gebiete verloren, was Leicester als Versagen angelastet wurde und die Angst schürte, er könne Verrat an den Vereinigten Niederlanden üben, um mit der Übergabe der nördlichen Territorien den Konflikt in den Niederlanden zu beenden und im Gegenzug Milde und Entgegenkommen für die englische Krone auszuhandeln. Letztlich auch aufgrund der Verschwörungen gegen Elizabeth I. kehrte er nach England zurück, bevor Maria Stuart hingerichtet wurde. Johan van Oldenbarnevelt, Landadvokat der Provinz Holland, der drei Monate nach der Ankunft Leicesters die Leitung der inneren Politik der Union übernommen hatte, stieg nach der Abreise Leicesters zum wichtigsten Politiker der Vereinigten Niederlanden auf. Gemeinsam mit Moritz von Oranien beschlossen Oldenbarnevelt und die Generalstände, die Suche nach einem europäischen Potentaten, der die Oberhoheit über die Union übernehmen würde, aufzugeben, da die bis dahin unternommenen Versuche zu größerer Instabilität der Union geführt hatten, als sie deren Existenz gesichert hatten. Auf die Person Johan van Oldenbarnevelt als bestimmendem Politiker der politischen Ordnung, die nach 1587 entstehen sollte, müssen einige Worte verwendet werden. Oldenbarnevelt, 1547 im, zum Bistum Utrecht gehörenden Amersfoort geboren, entwuchs keiner adligen Familie. Er besuchte das LateinGymnasium in Amersfoort, bevor er sich, durch eine Erbschaft mütterlicherseits begünstigt, von seinem Vater unabhängig machen konnte und nach Den Haag ging, wo er für einen Advokaten arbeitete. Die Erbschaft ermöglichte es ihm, nach dem Beginn seines Studiums in Löwen in den 1560er Jahren, Studienreisen nach Bourges, Köln, Heidelberg und Padua zu unternehmen. In Heidelberg kam er mit dem Calvinismus in Kontakt. Während dieser Studienreisen brach der Konflikt in den Habsburgischen Niederlanden aus. Nach seiner Rückkehr wurde er Advokat am Hof von Holland und schloss sich 1572 Wilhelms I. von Oraniens Gefolge an. Der gesellschaftliche Aufstieg, begünstigt durch die Heirat mit Maria von Utrecht aus politisch einflussreicher Familie, führte ihn über das Amt des Advokaten der 145 Vgl. dazu: Parker, Geschichte des Aufstandes der Niederlande, S. 259f.

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Delfter Deichbehörde, in deren Dienst er die Durchstechung der Deiche zur Befreiung Leidens überwachte, in das Amt des Pensionärs von Rotterdam. So kam es zu seiner Teilnahme an den Ständeversammlungen Hollands und Westfrieslands, zu deren Kommissar für Finanzen und Marine er sieben Jahre nach der Sympathiebekundung gegenüber Wilhelm I. ernannt wurde. Zu Beginn der 1580er Jahre wurde Oldenbarnevelt zur Vertrauensperson Wilhelms I. Nach dessen Ermordung und dem daraus folgenden Machtvakuum fokussierte Oldenbarnevelt, der während der Herrschaft Leicesters zum Ratspensionär der Provinz Holland aufstieg, seine Bestrebungen auf die Stärkung der Generalstände, in denen Leicester keine Stimme besaß.146 Leicester war während seiner Regentschaft als Landvogt durch die Generalstände angestellt, nur Mitglied des Raad van State. Moritz von Oranien oblag die militärische Führung, während Oldenbarnevelt die politische Macht an sich nahm und die Funktion seiner Position als bloßer Stimmführer der Stände Hollands erweiterte. Alle politischen Entscheidungen bedurften wenigstens seiner Einsicht in die Akten. Mit dem Winkelzug, die Generalstände zum obersten Regierungsorgan zu erklären, schwächte Oldenbarnevelt den Adel, der in diesem Gremium geringen Einfluss besaß, schnitt Leicester von den wirklich wichtigen politischen Diskussionen ab und verschaffte sich durch den eigenen Sitz in den Generalständen eine ausgezeichnete Position, die eigene politische Macht zu stärken. Oldenbarnevelt ist nicht nur real-politisch für die Konsolidierung der Vereinigten Niederlanden entscheidend, sondern auch für die theoretische Begründung einer Regierung in der Union ohne einen Vertreter des hohen europäischen Adels als Landesherrn federführend. Unter ihm wurde die politische Körperschaft der Generalstände gestärkt und der Statthalter der Union von den Generalständen angestellt. Die Generalstände etablierten sich als oberstes Regierungsgremium in den Vereinigten Niederlanden. Der Statthalter besaß die Oberhoheit über die Armee des Territoriums und zudem die Funktion, für die Gemeinschaft eine Person zu sein, über die sich die Bevölkerung mit den Vereinigten Niederlanden als politische Einheit identifizieren konnte. Nach dem Mord an Wilhelm I. bereitete Oldenbarnevelt den Weg für eine ständisch-korporative Staats-Formierung in den nördlichen Niederlanden. Moritz’ politische Einflussnahme war nach seiner Berufung in den Raad van State zu gering. Die ständisch-korporative Ordnung, die unter der Leitung Oldenbarnevelts entstand, bedurfte jedoch der Rechtfertigung, wie die Veröffentlichung der Justificatie van Deductie zeigt.

François Vrancks Justificatie van Deductie – Grundlage ständischer Souveränität Im Jahr 1588 gaben die Generalstände François Vrancks 1587 verfasste Schrift Justificatie van Deductie für die Publikation frei, die auf provinzieller Ebene die Regierung der Ständeversammlungen in Holland, Westfriesland und Seeland 146 Siehe dazu: Tex, Jan den: Johan van Oldenbarnevelt, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1980, S. 9–33.

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rechtfertigte.147 François Vranck war 1579 Advokat am Hof von Holland geworden und seit 1583 Pensionär in Gouda. Der Schrift ging eine Diskussion über das politische Mitspracherecht in den Provinzen voraus. Strenge Calvinisten forderten die Stimmberechtigung aller Männer mit calvinistischen Glauben. Deren Idee einer beschränkten Volkssouveränität stand dem Anspruch der holländischen Regenten – dazu gehörten die städtischen Machteliten, meist Kaufleute, die schon seit Generationen an der Verwaltung der Städte und Provinzen beteiligt waren, sowie die Ritterschaft und die adligen Familien, die in den Provinzen ansässig waren – gegenüber, den Kreis der Stimmberechtigten auf eine kleine Gruppe von Regenten zu begrenzen. Oldenbarnevelt als Regent der Stadt Rotterdam stand auf Seiten der Befürworter einer Oligarchie, bestehend aus Vertretern der städtischen Eliten und der Ritterschaft. In der Schrift bespricht Vranck die Autorität und Souveränität der Stände Hollands, Westfrieslands und Seelands, die nicht erst seit der Rebellion existierten. Auch wenn die anderen Provinzen der Utrechter Union nicht angesprochen werden, kann das Verständnis der Macht von Ritterschaft, Edlen und Städten auf die anderen Provinzen der Föderation übertragen werden.148 Das Dokument handelt nicht dezidiert die Rechte und Pflichten der ständischen Gremien in Artikeln ab, sondern führt, unter Hinweis auf die Geschichte der 147 Der Titel kann mit „historischer Beweis“ übersetzt werden. Vranck argumentierte in der Schrift, dass die Städte und Edlen, nach Vranck als die Stände zu bezeichnen, die Macht in den Vereinigten Niederlanden besäßen, nachdem der Landesherr Philipp II. abgesetzt worden war. Peter Geyl hat sich bereits 1957 mit den verschiedenen Interpretationen der Schrift auseinandergesetzt. In der niederländischen Geschichtsschreibung gab es eine Debatte, wer als der Träger der Souveränität in der Schrift identifiziert werden kann. Ob und inwieweit die Schrift die realen Verhältnisse abbildet, darüber gibt es weit auseinandergehende Meinungen. In der kurzen Schrift Geyls wird deutlich, dass die Problematik in der Bewertung der Bedeutung der Schrift für das niederländische Staatsrecht liegt, da zur Diskussion stand, wem durch das Dokument die Souveränität zugesprochen wurde, dem Volk oder den Ständen, die als Repräsentanten agierten. Für die Untersuchung ist es entscheidend, dass der Begriff Souveränität verwendet wurde und die Stände als Repräsentanten der Territorien agierten. Von einer Beteiligung des Volkes an den politischen Entscheidungen wird indes nicht ausgegangen. Es ist an dieser Stelle nicht entscheidend, welche Bedeutung das Dokument für das niederländische Staatsrecht im 19. und 20. Jahrhundert besitzt. Wichtig ist die Beteiligung der Stände an der Bildung eines ständisch-korporativen niederländischen Staats im 17. Jahrhundert. Ob sie dabei wirklich das Volk vertraten oder deren Ansprüche lediglich als Argument anführten, um ohne die reale Vertretung der Interessen des Volkes in der Bevölkerung Legitimation zu finden, ist für Untersuchung zweitrangig, zumal dies im Europa der Frühen Neuzeit ungewöhnlich gewesen wäre. Siehe: Geyl, Peter: De Interpretatie der Deductie van 1587, in: Bijdragen voor de Geschiedenis der Nederlanden, Deel 12, ’s Gravenhage: Nijhoof, 1957, S. 44–48. Des Weiteren existiert eine fünfbändige Beschäftigung mit der Frage, ob die holländischen Stände als Souverän des holländischen Volkes oder der ganzen niederländischen Nation gelten können. Siehe dazu: Kluit, Adriaan: Historie der Hollandsche staatsregering, tot het jaar 1795, of Geschied- en staatkundig onderzoek, in welken zin de Staten van Holland gedurende de Republikeinsche regering, zijn geweest de wettige souvereine vertegenwoordigers van ’t gansche volk van Holland, of der geheele natie, 5 Bände, Amsterdam: Brave, 1802–1805. 148 Siehe dazu: Appendix XV: Vranck, François: Corte verthooninge, [Justificatie of Deductie – Anm. O.K.], 1587, Blatt 1.

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Provinzen den Beweis der Legitimität der ständischen Herrschaft in den Provinzen. Die Deductie beschreibt einerseits das Selbstverständnis der neuen politischen Elite, das zum Ausgangspunkt für die Herrschaft aller Regenten in der gesamten Union im 17. Jahrhundert wurde, andererseits ist das Dokument hinsichtlich der Bedeutungserweiterung des Begriffs staet von zentraler Bedeutung. Der Begriff wird im Dokument für die Beschreibung der benannten Provinzen als territoriale und politische Einheit verwendet. Nachdem Vranck auf die Ereignisse der letzten Jahrhunderte und der zunehmenden Einschränkung der traditionellen Privilegien der Stände und deren begrenzter Regierungsbeteiligung während der Regentschaft Philipps II. eingeht, argumentiert der Verfasser, die Ständeversammlung sei rechtlich die höchste Instanz der provinzialen Regierung. Unter historischen Gesichtspunkten ist die Beweisführung Vrancks fragwürdig, da er die Macht der Stände auf deren seit Jahrhunderten bestehende politische Mitbestimmung zurückführt, ohne, dass er dafür legitime Rechtsquellen als Grundlage benennt.149 Das Gewohnheitsrecht führt zum politischen Mitspracherecht der Stände. In diesem Sinn kann die Deductie als Propagandaschrift für Legitimierung der Neuordnung der rebellischen Provinzen gesehen werden, die die Übertragung der Souveränität an die jeweilige Ständeversammlung als Repräsentant der provinzialen Territorien und den Raad van State als wichtigstem Regierungsorgan in den nördlichen Provinzen rechtfertigte.150 Ihre Autorität gewann die provinziale Ständeversammlung durch ihre Mitglieder, deren Macht auf Herkunft und Landbesitz beruhte.151 Die Versammlungen setzten sich aus Vertretern der Adligen und Delegierten der Städte zusammen. Vranck sprach den Grafen Hollands die Macht über Städte und Adlige ab. Die Macht der Grafen beruhte wie die der Adligen auf dem Besitz von Land. Demzufolge existierten die Ansprüche der Stände, die ihre Macht auf territorialen Besitz zurückführen, gleichberechtigt neben denen der Grafen, was eine Teilung der Macht zwischen den beiden Akteuren innerhalb der Provinzen bedingte. Die Regierung der Provinzen war von alters her von der Machtbalance 149 Inwieweit die Deductie die Wirklichkeit der politischen Struktur in den Provinzen abbildet und als Grundsatzpapier für die Etablierung der Republik der Sieben Vereinigten Niederlanden gilt, die im Jahr der Veröffentlichung der Schrift ausgerufen wurde, ist fraglich. Robert Fruin vertritt die These, dass die Deductie ein Grundsatzpapier für die Entstehung der Republik sei. Dieser Einschätzung kann nicht gefolgt werden, da das Dokument Teil des langwierigen Prozesses der Begründung ständischer Herrschaft ist. Die Schrift Vrancks ist als induktives Argument zu verstehen, das aus der alltäglichen politischen Praxis, in der die Stände schon unter der Landvogtschaft Leicesters Träger der Oberhoheit waren, die theoretische Herrschaft der Stände ableitet, sie mit historischen Beweisen belegt, die nicht zu verifizieren sind und den Ständen die Souveränität zuspricht. Die Generalstände veröffentlichten die Schrift nach dem Abzug Leicesters (1587), als die Stände in der Union alleinige Inhaber der Oberhoheit waren. Sie kann als Versuch betrachtet werden, die ständische Herrschaft nachträglich theoretisch zu legitimieren. Geschaffen wurde sie durch die bewusste Entmachtung Leicesters. Siehe dazu: Geyl, Interpretatie. 150 Siehe dazu: Japikse, Nicolas: Resolutiën der Staten-Generaal, Deel 6, 1588–89, Rijks geschiedkundige publicatiën, GS 51, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1922, S. VII–XII. 151 Siehe: Vranck, Corte verthooninge, 1587.

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zwischen Ständen und Landesherrn geprägt. Grundsätzlich sah Vranck in dieser Ordnung nichts Schlechtes, da die Grafen die Provinzen bis ins 15. Jahrhundert nicht in den Krieg getrieben hatten und ihnen in Europa Respekt verschafften.152 Diese politische Ordnung war nur mit der Venedigs vergleichbar. Die Stände berieten die Grafen und intervenierten mit der Eingabe von Vorschlägen. Mit Beispielen belegte Vranck, dass die Stände bei Minderjährigkeit oder Krankheit der Grafen die Vormundschaft übernahmen. Auch die Herrscher aus dem Haus Burgund erkannten die Rechte der Stände an. Die Gefahr für die Stabilität dieser politischen Ordnung begann mit der Übernahme der Macht durch die Habsburger. Vrancks Argumentation zeigt Ähnlichkeiten mit der Beweisführung der Acte van afzwering, die aus der Verletzung der ständischen Rechte die Absetzung Philipps II. ableitete. Die Deductie zeigt diesbezüglich keine neuen Dimensionen, sondern wiederholt die Argumentation der Acte van afzwering für die Rechtfertigung der ständisch-korporativen Ordnung auf der Ebene der Provinzen, was als Argument gilt, die Deductie im Kontext mit anderen Dokumenten als Begründung der ständisch-korporativen Herrschaft auf den verschiedenen Ebenen zu betrachten. Bedeutender ist die Wortwahl der provinzialen Rechtfertigung, da die Provinzstände sich als Souverän in ihren Territorien betrachteten, wie bereits an der Übertragung der Oberhoheit an Wilhelm I. 1575 in den Provinzen gezeigt wurde. Ihre souveränen Rechte, wie die Befehligung der Truppen oder das Schlagen von Münzen, übertrugen sie an Statthalter oder Generalstände. Beide Akteure sind Träger begrenzter Oberhoheit, die grundsätzlich bei den Ständen der Provinzen liegt. Die Körperschaften der Union funktionieren nach dem Subsidiaritätsprinzip, das Althusius 1603 in seiner Schrift Politica darlegte.153 Demnach tritt der Begriff Souveränität am Ende des 16. Jahrhunderts in Dokumenten auf, die die provinziale politische Herrschaft betreffen. Auch Vranck erklärt in der Deductie die Stände zum Souverän. Bedeutend ist allerdings die Verwendung des Begriffs Staat, die einerseits ein abstraktes Verständnis der Kategorie Staat dokumentiert, andererseits aber als Beschreibung für die genannten Provinzen und nicht für die Union fungiert. Vranck erklärt die Städte und Adligen der Provinzen zu Repräsentanten des ganzen Staats und des gesamten Körpers der Einwohner des Landes. 154 Die Deductie ist Zeugnis der Bedeutungserweiterung des Begriffs Staat im Niederländischen. Die Schreibweise bleibt ebenso wie der Kontext, in dem das Wort verwendet wird, weiterhin disparat.155 Der Wortgruppe „gantschen Staedt“ 152 Vgl. dazu: Appendix XV: Vranck, Corte verthooninge, 1587, Blatt 2–3. 153 Siehe dazu: Althusius, Johannes: Politica Methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata. 154 Vgl. dazu: Appendix XV: Vranck, Corte verthooninge, 1587, Blatt 8. 155 Vor allem in der feststehenden Wortgruppe staet van oorlog oder staet van der oorlog kommt der Begriff staet häufig vor. Vgl dazu u. a.: „Item wat staet van der orloge gemaeckt es totte gemeene defentie van de vereenichde landen ende versekeringe van alle steden ende sterckten van dien ende wat ordre in ʼt onderhouden van denzelven staet in ʼt generael ende particulier es goetgevonden ende wat consenten by de provinciën sijn gedragen, sullen zyluyden uute stucken, daertoe dienende, mede mogen verthoonen met alle goede discretie.“, in: Japikse,

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steht synonym für das Territorium der Provinzen. Damit besaß der Begriff eine territoriale und körperschaftliche Dimension, die in der Deductie neben der Bedeutung Zustand verwendet wird. Otto Brunners Feststellung in Bezug auf die Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit, die Stände seien das Land, zeigt sich in der Deductie am Selbstverständnis der ständischen Regierung, die für sich beanspruchten das Territorium und den gesamten Körper der Einwohner zu vertreten.156 Von der abstrakten Zustandsbeschreibung erweitert sich der Begriff Staat zu einer Kategorie, die Attribute besitzt, mit denen die Staatlichkeit in den Vereinigten Niederlanden beschrieben werden kann, und die sich aus der Beschreibung der einzelnen Provinzen als Staat heraus entwickelte. Wie die Deductie zeigt, sind die Stände explizit an der Bildung des niederländischen Staats in den Provinzen beteiligt, was eine ständische Staats-Formierung auf provinzialer Ebene beweist und die niederländische Staatlichkeit an die Souveränität bindet, die von den einzelnen Provinzen beansprucht wird. Souveränität wird damit Teil des Verständnisses von Staatlichkeit in den Vereinigten Niederlanden. Dabei besitzt die Kategorie innenpolitisch eine territoriale Dimension. Die Regierungsform ist ebenfalls festgelegt. Rückblickend auf die Entscheidung für eine begrenzte Regentenoligarchie gibt es eine Festlegung für die soziale Gruppe, die in politische Ämter berufen wird. Dabei ist der Besitz ein Kriterium für die Zugehörigkeit zur Gruppe der Regenten.157 Ein Recht auf politische Mitbestimmung wird der Bevölkerung der Union demnach nicht gewährt, da die meisten besitzlos sind. Das Dokument als Grundlage für die Volkssouveränität in den Niederlanden zu betrachten, wird dadurch entkräftet. Die Dokumente des Jahres 1588 kennzeichnen den politisch-philosophischen Umschlagpunkt für die Legitimation einer ständisch-korporativen Herrschaftsordnung Die Stände beschlossen, ihre Versammlungen selbst einzuberufen und stellten Richtlinien für die Entsendung von Delegierten auf. Dabei waren die Mitglieder Resolutiën der Staten-Generaal, Deel 6, 1588–89, S. 13. Neben der Bedeutung „Zustand“ kann der Begriff auch mit Erläuterung, Erklärung oder Information zum Krieg übersetzt werden. Zudem ist das Wort konjugiertes Verb in der 3. Person Singular und bedeutet dann „stehen“. Die zahlreichen Bedeutungen des Wortes machen eine klare Definition des Begriffs am Ende des 16. Jahrhunderts schwierig. Siehe dazu: Weinacht, Staat. 156 Mit dem Verweis auf die repräsentative Funktion der Stände in Brunners Werk wird die Debatte in der niederländischen Geschichtswissenschaft zur Bewertung der Deductie aufgegriffen. Siehe: Geyl, Interpretatie; Demzufolge repräsentieren die Stände den als Abstraktum im Sinne Hobbes zu verstehenden Volkskörper und das jeweilige Territorium als Teil der Union. Siehe: Brunner, Otto: Land und Herrschaft: Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, Unveränd. reprograf. Nachdr. d. 5. Aufl., Wien, 1965, Darmstadt: Wiss. Buchges., 1990. 157 Damit zeugt das Dokument eindeutig von der Begrenzung der Herrschaft auf die Regenten. Nur wer Besitz hatte, konnte zum Repräsentanten werden. Demokratie herrschte in der Utrechter Union nicht. Sie entsprach dem antiken Vorbild der polis. Nur Begüterte erhielten politisches Mitspracherecht. Auch wenn es sonst keine Ausschlusskriterien für die Übernahme politischer Ämter gab, waren die Familienverbindungen im 17. Jahrhundert für die politische Karriere durch die Regelungen der Kooptation ungemein wichtig. Ohne Befürworter in den ständischen Gremien war eine Berufung nahezu ausgeschlossen.

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der Stände nicht von persönlichen Ambitionen geleitet, sondern im Allgemeinen dazu verpflichtet, Rechte und Privilegien des Gemeinwesens zu schützen.158 Vertreter der einzelnen Gremien, Stadträte und Provinzialräte, waren dem jeweiligen Gremium Rechenschaft schuldig und durften nicht in eigenem Interesse handeln. Die Souveränität war kein persönliches Recht, das einer einzelnen Person zugesprochen wurde, sondern ein Recht der Stände, also der Städte, der Ritterschaft und des Adels. Somit waren Beschlüsse der Stände seit dem Beginn der Rebellion gültige Verordnungen. Die Regierung herrschte über das Territorium der Provinzen, das teilweise Grundbesitz ständischer Delegierter war. In der Autorität und Souveränität der Stände lag das Fundament für einen allgemeinen, ruhigen Zustand des Landes, über den die Stände nicht weniger schlecht hätten wachen können als die bisherigen Oberherrn der Niederlanden. Wie bereits erwähnt, galt die Deductie de jure nur für die Provinzen Holland, Westfriesland und Seeland. Dass die Deductie mit Erlaubnis der Generalstände veröffentlicht wurde, zeigt, dass die Rechtfertigung der ständisch-korporativen Herrschaft de facto in der gesamten Union akzeptiert wurde. Andererseits ist die wörtliche Beschränkung auf die genannten Provinzen Zeichen für den föderativen Charakter der Union. Dass die Generalstände nicht im Namen aller Mitglieder der Union eine Rechtfertigung veröffentlichten, beweist die Unabhängigkeit der einzelnen Provinzen, die ihre provinziellen Belange selbst ordneten. Die Generalstände waren eine Vertretung der provinzialen Stände, in denen die einzelnen Provinzen ihre politischen Ansichten vertraten und gemeinsame Entscheidungen trafen. Aus diesem Grund bedurfte es keiner Verfassung für die Union. Die Kompetenzen lagen bei den Provinzen, die innenpolitisch nach 1581 eine Neuordnung anstrebten. Die Föderation bot die Möglichkeit, im europäischen Machtgefüge bestehen zu können. Die Justificatie van Deductie beschrieb indes die politische Ordnung in den Städten der betreffenden Provinzen detailliert. Die Städte wurden alle von einer vroedschap, einem Stadtrat, regiert. In diese Räte wurden nur verdiente Bürger der Stadt gewählt. Durch Tod oder Austritt frei werdende Plätze besetzte das Gremium selbst neu. Diese Oligarchie wurde immer als Manko der politischen Ordnung der Vereinigten Niederlanden bezeichnet, da der Zugang zu politischen Ämtern stark reglementiert war. Im Vergleich zu anderen europäischen Territorien gab es allerdings in den Vereinigten Niederlanden die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs, die durch zunehmend bessere Bildung begleitet wurde. Die Universität Leiden bildete einen Großteil der Eliten der Vereinigten Niederlanden aus.159 Grundsätzlich sollte die, in der Justificatie festgeschriebene Verpflichtung der Räte, als Vertreter der Bürger zu gelten, vor der Korrumpierung der Eliten schüt158 Vgl. dazu: Appendix XV, Vranck: Corte verthooninge, 1587, Blatt 8–9. Ähnliche Festlegungen finden sich in den Instruktionen für den Hohen Rat von Holland und Seeland 1582 und den politischen Verordnungen für Seeland 1583. Auch in der, am 14. April 1588 für den Raad van State erlassenen Verordnung, werden detailliert die Besoldung, Rechte und Pflichten und die Zusammensetzung des Gremiums behandelt. Siehe dazu: Blécourt/Japikse, Klein Plakkaatboek van Nederland, S. 144–175, 176–182, 182–189. 159 Siehe dazu: Appendix I unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/die-varia bilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html.

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zen, deren die Verfasser der Schrift die ehemaligen spanischen Eliten bezichtigten. Im Einzelnen gab es Fälle von unbotmäßiger Bevorteilung und Ausnutzung der Privilegien. Im Gesamten gesehen, zeigt die Stabilität der Vereinigten Niederlanden nach 1590 allerdings, dass die Regenten ihre Regierungstätigkeit sowohl auf politischer als auch auf militärischer Ebene zum Wohl der Föderation Landes einsetzten. Die zahlreichen Verordnungen zur Bezahlung der Beamten und die Betonung darauf, dass jede Art von Begünstigung von den Beamten auszuschlagen war, zeigt jedoch die Beständigkeit des Problems der Bestechlichkeit.160 Die Gemeinden wurden von ihren Pensionären, auch Advokaten und Rechtsbeistände genannt, auf den regionalen Ständeversammlungen der Provinzen vertreten. Es bestand ein relativ kompliziertes System aus verschiedenen Räten auf der Ebene der Provinzen. Da die Stände der Provinzen nicht jeden Tag zusammentraten, wurden die alltäglichen Anliegen von sogenannten gedeputeerde staten oder gecommitteerde raden161 übernommen. Zudem gab es in jeder der Provinzen unterschiedliche Regeln der Zusammensetzung der Provinzialräte, die sich an der Ausgangssituation orientierten, die vor der Rebellion geherrscht hatte. Die Stände der Provinzen bestanden schon zu burgundischen Zeiten, besaßen aber in den jährlich wenige Male einberufenen Sitzungen nur in Fragen der Steuererhebung Mitspracherecht. In Seeland veränderte die Lossagung von der spanischen Krone die Zusammensetzung der provinzialen Stände, da der Abt der Abtei Unserer lieben Frau in Middelburg seine Stimme an die Städte abgeben musste. Die Städte hingegen waren nach der Unabhängigkeitserklärung jede mit einer Stimme in den Provinzständen vertreten, der Ritterschaft, die ebenfalls eine Stimme besaß und das platte Land vertrat. Mitglieder der Provinzräte wurden in die gecommitteerde raden oder gedepudeerde staten gewählt, um die tägliche Amtsleitung zu übernehmen. Holland besaß zwei gecommitteerde raden. Einen für den Norden, den anderen für den Süden der Provinz. Die gecommitteerden raden stellten die Themen auf und gaben die Besprechung dieser an die stimmberechtigten Stände weiter. In den Städten besprach der Stadtrat die Themen, traf seine Entscheidung und der Pensionär der Stadt vertrat diese Entscheidung dann in den Provinzständen und den gecommitteerden raden.

Die politische Ordnung der Utrechter Union nach dem Erlass der Acte van afzwering Insgesamt gesehen war die Union eine Vereinigung weiterhin souveräner Provinzen, die nach dargestelltem Schema politische Entscheidungen trafen, die maßgeblich von den Städten beeinflusst wurden, da sie gegenüber der Ritterschaft und damit dem platten Land eine Mehrheit besaßen. Die Autorität der Generalstände 160 Vgl. dazu die Verordnungen auf föderaler und provinzialer Ebene. Siehe: Blécourt/Japikse, Klein Plakkaatboek van Nederland, S. 144–175, 176–182, 182–189; siehe zur Korruption speziell in Amsterdam: Lindemann, The Merchant Republics, S. 115–127. 161 In den Provinzen Holland und Seeland wurde diese Bezeichnung verwendet.

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basierte auf der Souveränität der provinzialen Ständeversammlungen, aus denen die Delegierten entsandt wurden. Um die Regierungsform und die Entwicklung des niederländischen Begriffs Staat am Ende des 16. Jahrhunderts zu verfolgen, muss die Ebene der Provinzen betrachtet werden, da die Administration der Union als Verlängerung der provinzialen Administration agierte und die Souveränität bei den Ständen der Provinzen verblieb. In den provinzialen Gremien beschlossen die einzelnen Provinzen ihre Politik. Die Belange der Union wurden in den Staten-Generaal beraten. Jede Provinz hatte in diesem Gremium eine Stimme, so dass trotz der wirtschaftlichen Dominanz der Provinz Holland paritätisch in den Staten-Generaal verhandelt werden konnte. Jede Provinz schickte eine Anzahl von Vertretern, die in ihrem Namen in die Staten-Generaal delegiert wurden. Dabei entschied der Rang der Provinz über die Anzahl der Delegierten, die für jede Provinz als Fraktion nur eine Stimme besaßen. Die Fraktionen wurden in den Staten-Generaal von Vorsitzenden vertreten. Gelderland entsendete im 17. Jahrhundert als ehemaliges Herzogtum die meisten Delegierten. Danach folgten die Grafschaften Holland und Seeland, die Herrschaft Utrecht, Friesland, Groningen und Overijsel. Entsendet wurden Pensionäre von Städten, Ratspensionäre der Provinzen, Vertreter der Ritterschaft, Bürgermeister und Vertreter der Stadtregierungen.162 Ebenso wie die Stände der Provinzen bestanden die Staten-Generaal schon in burgundischen Zeiten. Vom jeweiligen Landesherrn wurden sie in Brüssel zusammengerufen, um meist die Bede des Oberherrn zu genehmigen und im Gegenzug dafür Privilegien zu verhandeln, die den Ständen und Provinzen selbst mehr Einfluss auf die Politik der Provinzen brachten. Seit 1588 wurde Den Haag zum ständigen Sitz der Staten-Generaal der nördlichen Niederlanden. Da deren Hauptbeschäftigung die Verteidigung des Landes gegen die spanischen Truppen war, fanden fast täglich Sitzungen statt. Die Aufgabengebiete waren seit der Utrechter Unionsakte festgelegt. Zur Organisation der verschiedenen Bereiche bestanden Institutionen, in deren Hand die Administration lag. Neben der Generaliteitsrekenkamer, deren Aufgabe die Verwaltung der Finanzen der Union war, gab es die Generaliteitsmuntkamer, die zuständig für die Festlegung der Gewichte und des Edelmetallgehalts der Münzen war, die in den jeweiligen Provinzen geschlagen wurden. Weitere Institutionen der Union Ende der 1580er Jahre waren der Raad van State und das Statthalteramt. Einzugehen wäre auch auf die Struktur des Raad van State in der Zeit nach der Konstitution der Union von Utrecht: Mitglieder waren die provinzialen Statthalter und Vertreter der Provinzen, die sich als Teil der Union verstanden. Ende der 1580er Jahre waren die territoriale Ausdehnung der Union und die Festlegung auf eine beständige Mitgliedschaft noch nicht eindeutig. Die Verschiebungen der territorialen Zugehörigkeit zur Union veränderte die Zusammensetzung des Raad van State, aber auch der Staten-Generaal. Wie noch am Verlauf des 17. Jahrhunderts gezeigt wird, wandelten sich mit der territorialen Erweiterung der Union auch ihre Aufgaben. Die Rechte des Raad van State, der seit 1588 aus 12 Mitglie162 Vgl. dazu: Japikse, Resolutiën der Staten-Generaal, Deel 6, 1588–89, S. 2–5.

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dern bestand, waren begrenzt; als Exekutive in der Zeit der habsburgischen Herrschaft begriffen, wurde ihm nach dem Beginn der Rebellion eine beratende Funktion zugedacht. Die Macht auf Föderationsebene lag bei den Generalständen, die sowohl die Beamten ernannten als auch den Statthalter der wichtigsten Provinzen Holland und Seeland zum Kommandeur der Flotte und der Armee beriefen. Der Ratspensionär Hollands war in dieser Konstruktion von großer Bedeutung. Als Vertreter und Geschäftsführer der wichtigsten Provinz beeinflusste er gemeinsam mit dem Statthalter und den Ständevertretern maßgeblich die Politik der Union in den Staten-Generaal. Rückblickend auf die Ausführungen zur Struktur von politischen Entscheidungen in der Union von Utrecht, die sich selbst bis zum Ende des 16. Jahrhunderts als Vereinigte Niederlanden oder Vereinigte Provinzen, nicht aber als Republik bezeichnete, kristallisiert sich die große Bedeutung der Städte heraus.163 Entscheidungen der Staten-Generaal mussten entsprechend des Belangs einstimmig oder mit einfacher Mehrheit getroffen werden. Standen Fragen zur Besteuerung, Verteidigung und zum militärischen oder diplomatischen Vorgehen zur Debatte, mussten einstimmige Entscheidungen fallen. Provinzabgeordnete durften ihr vorgegebenes Abstimmungsverhalten ohne Rücksprache mit den Provinzräten, die wiederum ihre Entscheidungen von den Städten genehmigen lassen mussten, nicht ändern. Grundsätzlich lähmte diese Rückversicherung die politischen Entscheidungen der Union, wenn es keinen allgemeinen Konsens gab. In der Forschung wurde diese Tatsache als Zeichen der Schwäche des politischen Systems der Union interpretiert. Der Unabhängigkeitskrieg einte in den ersten Jahrzehnten die Provinzen, was das komplizierte System der Rücksprache nur selten Realität werden ließ. In der grundsätzlichen Ausrichtung dieser Entscheidungen – Verteidigung der Union nach außen, Suche nach Bündnispartnern und Erhebung von Steuern zur Finanzierung der Unionstruppen – waren sich die Provinzen einig. Provinziale Politik ließ sich auch ohne die Staten-Generaal durchführen, da nur wenige Kompetenzen bei den Staten-Generaal lagen. In Detailfragen, in welcher Höhe welche Steuern erhoben, mit wem ein Bündnis geschlossen oder welche militärischen Aktionen finanziert werden sollten, gab es Debatten. Aber auch hier zeigt das Fortbestehen der Union die Stärke der Konföderation, in der den einzelnen Körperschaften Stadt und Provinz, nicht nur die Rolle der Organe im Dienst der übergeordneten Instanz zugewiesen, sondern ihnen Oberhoheit in bestimmten Bereichen zugesprochen wurde, die auf allen Ebenen zu einer Diskussionskultur in politischen Fragen führte. In den Vereinigten Niederlanden war Ende der 1580er Jahre ein Regierungssystem entstanden, dass die Macht in die Hände der 163 In der Deductie werden nur Venedig und die einzelnen Provinzen als Republik bezeichnet. Siehe dazu: „18.[...]Ende hoewel veele personen sulcks uit onwetenheyt en simpelheyt doende t'selfde niet oyt swaerste en wort afgenomen, so is nochtans seecker dat die gene die sulcx doen met goede kennisse en de wetenschap, zijn vijanden vanden staet ende Republijcke deser Landen, ende dat de zelve daermede niet anders connen voor hebben:[...]“, in: Vranck, Corte verthooninge, 1587, Blatt 11. Da Vranck in der Deductie nur auf die Provinzen Seeland, Holland und Westfriesland eingeht, beziehen sich auch die Begriffe „Land“, „Republik“ und „Staat“ nur auf die Provinzen.

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III Der Weg der nördlichen Niederlanden in die Unabhängigkeit

Stände gelegt hatte, die mehrheitlich aus gut gebildeten Beamten, meist mit Universitätsabschlüssen in Rechtswissenschaften, wohlhabenden Kaufleuten und wenigen Adligen bestand. Die Universität Leiden war Basis für die Ausbildung von Beamten, die zwar meist durch Familienbande in führende Positionen der oligarchisch strukturierten politischen Kultur der Vereinigten Niederlanden gelangten, aber nichtsdestotrotz schon Ende des 16. Jahrhunderts ihre Bildung zum Nutzen der Gemeinschaft einsetzten. Also nicht im Auftrag eines Landesherrn Verwaltungsaufgaben erfüllten, sondern im Interesse des Handels die Politik der Vereinigten Provinzen gestalteten, wie die Bestimmungen zur gemeinsamen Wirtschaftszone in der Utrechter Union zeigten. Auf militärischem Gebiet brachten die Invasionspläne Philipps II. gegen England während des Jahres 1588 eine Entspannung der bedrohlichen Lage in den Niederlanden. Auf Seiten der Engländer griffen Schiffe der Niederländer in den Kampf gegen die Große Armada im Ärmelkanal ein. Der Herzog von Parma musste dafür Truppen abstellen und war gezwungen, seine Machtposition in den Niederlanden zu schwächen. Zudem griff Spanien in die französischen Hugenottenkriege ein, um zu verhindern, dass Heinrich von Navarra als Protestant zum König von Frankreich gewählt würde. Nach der vernichtenden Niederlage der Großen Armada war die militärische und politische Lage in Spanien angespannt. Unter dem Einfluss Moritz’, der nun auch von den anderen Provinzen der Union als Statthalter anerkannt wurde, und seines Neffen Ludwig von Nassau, den man zum Statthalter Frieslands berief, vollzog sich eine Reform der niederländischen Truppen. Mit Drill, der Aufteilung in kleine bewegliche Einheiten und einer klar verständlichen Befehlsstruktur und -sprache gelang es, eine schlagkräftige Armee aufzubauen, die vorbildhaft für andere europäische Heeresreformen wurde.164 Die zum Mythos verklärte Einnahme Bredas eröffnete eine Phase militärischer Erfolge in den 1590er Jahren. Die Truppen der aufständischen Provinzen nahmen Breda ein, als ein Torfschiffer, der wegen seiner regelmäßigen Belieferung der Stadt ohne Kontrolle die Stadttore passieren durfte, über 70 Soldaten mit seinem Kahn in die Stadt schmuggelte, denen es gelang, die Zitadelle Bredas einzunehmen. Mit diesem Coup schuf sich Moritz sein Ansehen als Kriegsherr, dem es gelingen könnte, gegen die Spanier auch längerfristig erfolgreich zu sein.165 Mit der Umsetzung seines Vorhabens, die Städte am Rande des Territoriums der Vereinigten Niederlanden einzunehmen, lockerte Moritz die Einschnürung durch die spanischen Truppen Schritt für Schritt. Innerhalb von zehn Jahren entriss Moritz mit seinem neu aufgestellten Heer den Spaniern zahlreiche Städte und gewann das gesamte Territorium der Stadt und des Umlands von Groningen für die Union. 1598 verlor Moritz’ Kampagne an Durchschlagskraft. Nicht nur war Philipp II. in 164 Siehe dazu: Parker, Geoffrey: The military revolution, The military innovation and the rise of the west, 1500–1800, Cambridge: University Press, 1988; ’t Hart, The Dutch Wars, S. 37–80. 165 Siehe dazu: Deursen, Arie Theodorus van: Maurits van Nassau, 1567–1625, De winnaar die faalde, Amsterdam: Bakker, 2000; Kikkert, Jan: Maurits van Nassau, Soesterberg: Aspekt, 2008.

4. Die Begründung ständischer Herrschaft

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diesem Jahr gestorben und die Herrschaft in den südlichen Niederlanden auf seinen Schwiegersohn Albrecht von Österreich übergegangen, auch das spanische Heer wurde umstrukturiert und nach der Beendigung des Kriegs mit Frankreich wieder zahlreicher. Schulden zwangen die Vereinigten Niederlanden hingegen, ihre Truppen zu verkleinern. Die Entscheidung trafen die Staten-Generaal gegen den Widerstand Moritz’ von Oranien.166 Den Gebietsgewinnen nach den Feldzügen Moritz’ folgte auf politischer Ebene in den Vereinigten Niederlanden eine Umstrukturierung. Zu den Mitgliedern der Union zählte, neben Holland, Seeland und Utrecht, Friesland, Geldern und Overijsel, nun auch Groningen. Festzuhalten bleibt, dass das Territorium der Union der Sieben Vereinigten Provinzen der Niederlanden erst in den 1590er Jahren so konstituiert war, wie es im Verlauf des 17. Jahrhunderts, mit einigen Zugewinnen im Süden, Gestalt annahm. Erst ab den 1590er Jahren war auch die politische Entwicklung in den Vereinigten Niederlanden als beständig zu bezeichnen. Die Stände der sieben Provinzen, die den Unabhängigkeitskampf gegen Spanien weiterführten, standen füreinander ein. Völkerrechtlich souverän war die Union nicht. Ihr Territorium galt weiterhin als Teil des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Philipp III. besaß de facto zwar nicht mehr die Macht als Landesherr in den sieben abtrünnigen Provinzen, aber de jure gab es kein Dokument, das die Souveränität oder Unabhängigkeitserklärung der Union auch von Seiten der habsburgischen Krone bestätigte. Die alltägliche politische und militärische Praxis hingegen schuf eine Selbständigkeit der Union, die innerhalb Europas nur mit der Situation der Alten Eidgenossenschaft im Territorium der Schweiz vergleichbar war, wobei durch den Vergleich zahlreiche Unterschiede herausgearbeitet werden können, um gleichzeitig auf den Einfluss des schweizerischen religiösen Milieus auf die Vereinigten Niederlanden hinzuweisen, der sowohl für den Calvinismus als auch für die politische Kultur in den niederländischen Territorien wichtig war. Grundsätzlich unterscheidet sich allerdings die Entwicklung, die zur Gründung der Eidgenossenschaft zu Beginn des 13. Jahrhunderts führte, von der Entstehung der politischen Entität in den niederländischen Provinzen.

166 Siehe dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 255–262.

IV EXKURS: DIE SCHWEIZER GEMEINWESEN 1. VERGLEICHENDE BETRACHTUNG DER REGIMENTE Alte Eidgenossenschaft und die Drei Bünde Ausgehende von der gewonnenen Reichsunmittelbarkeit wurde 1291 der Bundesbrief von den drei Kantonen Uri, Schwyz und Unterwalden unterzeichnet, der als Gründungsakte der Schweizer Eidgenossenschaft angesehen wird. Der Bundesbrief legte gewisse Rechtsgrundsätze fest. Welches Vergehen sollte wie bestraft werden. Wann waren die Eidgenossen wozu verpflichtet.1 Nach dem Tod Rudolfs I. diente das Bündnis mehr der Absicherung der etablierten Selbständigkeit und der Macht regionaler Adliger und städtischer Eliten als dem Versuch, das Bündnis als politische Einheit zur Souveränität zu führen. Im Gegensatz zur Utrechter Union war es primär kein Verteidigungsbündnis. Das Schweizer Bündnis trat als Aggressor auf. Bern als eine der bedeutendsten Städte der Region galt als Hauptakteur der Expansionsbestrebungen der Eidgenossenschaft.2 Ende des 15. Jahrhunderts war es die Auseinandersetzung mit den Truppen der Eidgenossen, die während der Schlacht bei Nancy den Tod des Burgunderherzogs Karl des Kühnen zur Folge hatten. Mit dem Tod Karls begann auch der Niedergang der burgundischen Herrschaft in den Niederlanden.3 Die Zusammensetzung der Alten Eidgenossenschaft, die bis 1798 existierte, war loser als die Verpflichtungen, die die niederländischen Provinzen miteinander eingegangen waren. Ihre endgültige Gestalt erhielt die Eidgenossenschaft 1513 mit dem Beitritt des 13. Kantons Appenzell. Miteinander verwalteten die Orte gemeinsam eroberte Gebiete. Zudem existierten Zugewandte Orte, Sympathisanten der Eidgenossenschaft, die aber nicht in dem gemeinsamen Gremium der Eidgenossenschaft präsent waren, ähnlich wie die Provinz Drenthe, die zwar Teil der Utrechter Union war, aber keine Stimme in den Generalständen besaß. Neben den Gremien der einzelnen Orte berief die Eidgenossenschaft Tagsatzungen ein, auf 1

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Siehe dazu: Steinacker, Harold: Die Habsburger und der Ursprung der Eidgenossenschaft, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 61(1953), 1–2, Böhlau Verlag GmbH & Co.KG, S. 1–37; Marquardt, Bernd: Die alte Eidgenossenschaft und das Heilige Römische Reich (1350–1798). Staatsbildung, Souveränität und Sonderstatus am alteuropäischen Alpenrand, in: Blickle, Peter: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung, 126(2009), 1, S. 580–591, Böhlau Verlag GmbH & Co.KG. Siehe dazu: Sieber-Liermann, Claudius: Spätmittelalterlicher Nationalismus: die Burgunderkriege am Oberrhein und in der Eidgenossenschaft, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1995. Siehe dazu: Feller, Richard: Geschichte Berns, 1. Band, Von den Anfängen bis 1516, 2. korr. Auflage, 1949 Bern/Frankfurt: Herbert Lang, 1949.

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IV Exkurs: Die Schweizer Gemeinwesen

denen Entscheidungen für das Bündnis getroffen wurden. Je zwei Delegierte aus jedem Ort nahmen an den Tagsatzungen Teil. Allerdings besaß dieses Gremium, ebenso wie die Staten-Generaal der Utrechter Union, nur begrenzte Kompetenzen, die sich meist in der Organisation der Verteidigung nach außen und der Diplomatie mit angrenzenden Gebieten erschöpften. Stärker aber noch als in den nördlichen Niederlanden war die Schweizer Eidgenossenschaft von der Macht ihrer Städte bestimmt, die die dreizehn Kantone beherrschten. Ob der Kompliziertheit der Beziehungen der Kantone untereinander, die nach der Reformation noch an Brisanz gewann, lassen sich, neben der Ähnlichkeit des Bestrebens nach Selbstverwaltung der Städte und dem Beharren auf gewonnene Privilegien, viele strukturelle Unterschiede erkennen, die die Singularität der Alten Eidgenossenschaft in der Frühen Neuzeit ebenso herausstellt wie die der Utrechter Union.4 Es gab neben der Tagsatzung keine gemeinsamen Institutionen, die im Namen des Bündnisses agierten. Zudem lagen zwischen den 12 Kantonen und dem zuletzt beigetretenen Appenzell andere Kantone. Die Alte Eidgenossenschaft besaß kein zusammenhängendes Territorium, aber einen konföderativeren Charakter als die Utrechter Union, der sich aus dem Wunsch speiste, unabhängig von äußeren Interessen wie denen des Kaisers, politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen. Grundsätzlich war das Ziel nicht die Bildung einer Union, um als Einheit gegen einen gemeinsamen Gegner aufzutreten, sondern die Verteidigung der Partikularinteressen der einzelnen Städte und ihrer umliegenden Herrschaftsgebiete. Das Eidgenössische Recht war eine der wichtigsten Errungenschaften des Bündnisses, mit dem es gelang, die inneren Streitigkeiten durch ein spezielles Schiedsverfahren zu schlichten. Die Entscheidungsfindung in der Alten Eidgenossenschaft und der Utrechter Union waren also vollkommen unterschiedlich. Schon im 15. Jahrhundert sicherte der deutsche König Maximilian I., nach dem Schwabenund Waldshuterkrieg, der Eidgenossenschaft die Unabhängigkeit faktisch zu. Auch aufgrund der Geographie ihres Territoriums waren die Schweizer Kantone von innen heraus einfacher zu verteidigen, als das flache Land der Niederlanden.5 Aus den schwer zugänglichen Bergregionen heraus führten die Eidgenossen auch nach den Burgundischen Kriegen expansionistische Feldzüge in die angrenzenden Territorien. Die äußere Bedrohung des eigenen Territoriums für die Alte Eidgenossenschaft war im 16. Jahrhundert geringer als in der Utrechter Union, was die fehlende Anstrengung einer engeren Bindung der 13 Kantone aneinander begründete.6 Interessanter, hinsichtlich der Vergleichbarkeit mit der Entwicklung in den nördlichen Niederlanden, ist die Konföderation der Drei Bünde, die sich im Territorium des heutigen Kantons Graubünden zusammenschloss. Auch deren Ur-

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Siehe dazu: Bauhofer, Oskar: Eidgenossenschaft: Selbstbehauptung und Bewährung, Einsiedeln, Köln: Benziger, 1939. Siehe dazu: Marquardt, Bernd: Die alte Eidgenossenschaft und das Heilige Römische Reich; Steinacker, Die Habsburger und der Ursprung der Eidgenossenschaft. Siehe dazu: Pfister, Ulrich. (Hg.): Stadt und Land in der Schweizer Geschichte: Anhängigkeiten – Spannungen – Komplementaritäten, Itinera 19, Special Issue, 1998.

1. Vergleichende Betrachtung der Regimente

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sprung liegt im Spätmittelalter. Um eine Machtübernahme in den Territorien durch die Habsburger zu verhindern, schloss sich der Gotteshausbund zusammen. Ähnliche regionale Interessen förderten den Zusammenschluss des Grauen Bundes: Nachdem es zahlreiche Konflikte und Fehden zwischen ansässigen Adelsgeschlechtern gegeben hatte, sollte der Bund langfristig Ordnung herstellen. Der dritte Bund war der Zehngerichtebund. Auch dieser Bund richtete sich gegen die Expansionsbestrebungen der Habsburger. Wie die beiden anderen Bünde schlossen sich im Zehngerichtebund die örtlichen hohen Gerichte der Landschaften zusammen. Entscheidend war, dass der Zehngerichtebund als Zusammenschluss der Untertanen galt, nachdem die Linie der Grafen in der betreffenden Landschaft ausgestorben war. Auch in den anderen Bünden gab es eine Einbeziehung der Untertanen in die Vertragsschlüsse. Nachdem sich die einzelnen Bünde im Verlauf des 15. Jahrhunderts gegründet hatten, blieben sie vorerst unabhängig voneinander. Erst im letzten Viertel des Jahrhunderts schlossen sie sich zum Dreibund zusammen. Die Bünde waren Zugewandte Orte der Eidgenossenschaft, bildeten aber im Jahr 1524 eine eigene Vertretung, deren Mitglieder von den 66 Hochgerichten des Bundes entsandt wurden. Der gegründete Bundestag besaß geringe Möglichkeiten, die Politik der einzelnen Bünde oder der Konföderation zu beeinflussen. Entscheidungen wurden an die Gemeinden beordert. Ähnlich der Eidgenossenschaft und den Vereinigten Niederlanden konzentrierte sich in den Drei Bünden die politische Macht in den Gemeinden der Hochgerichte. An der geringen Ausbildung gemeinsamer Institutionen in den Drei Bünden und der Alten Eidgenossenschaft lässt sich die Auswirkung der Verteidigung und des Kriegszustands für die Konstituierung zentraler Institutionen wie den Admiralitätskollegien, dem Generalkapitän oder der Generalrechenkammer in der Utrechter Union ablesen.7

Die Schweizer Gemeinwesen im Vergleich zur Utrechter Union Der größte Unterschied zwischen den Bündnissen auf Schweizer Territorium, das ebenso wie die nördlichen Niederlanden bis zum Westfälischen Frieden de jure zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörte, war die Ausbildung zentraler politischer, wirtschaftlicher und militärischer Regierungsorgane, ohne die sowohl die Eidgenossenschaft als auch die Drei Bünde lose Konföderationen geblieben wären, in denen die Macht ausschließlich in den Kommunen verortet gewesen wäre, da die Gremien der Bündnisse keine weiteren Institutionen zur Verfügung hatten, um Beschlüsse durchzusetzen. Die einzelnen Bundesbriefe waren in den beiden eben genannten Bünden lediglich Festlegungen anhand von Einzelfällen, von denen ausgehend allgemeingültige Normen entstanden, die im Weiteren zur Kodifizierung von Regeln führten, wie in ähnlichen Situationen innerhalb der Bündnisse verfahren werden sollte. Ebenso wie in der Utrechter Uni7

Siehe zur Eidgenossenschaft u. a.: LaRoche, Das Interregnum und die Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

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IV Exkurs: Die Schweizer Gemeinwesen

on existierte keine festgeschriebene Verfassung. Mit dem Argument Jacob Burckhardts und Charles Tillys, dass der Krieg zur Zentralisierung von Macht und Kompetenzen führt, kann der weitreichende Unterschied zwischen der Utrechter Union auf der einen und den Schweizer Bünden auf der anderen Seite erklärt werden, wenn auf die Form des Kriegs achtgegeben wird.8 Der Druck, eine schlagkräftige Armee und Flotte aufzubauen, war in den nördlichen Niederlanden aufgrund der existentiellen Bedrohung durch die spanischen Truppen nach der Acte van afzwering weitaus größer. Die Schweizer Bünde waren im 16. Jahrhundert an Expansion interessiert. Führte die Utrechter Union einen Verteidigungskrieg, so galten die Schweizer Bünde als Aggressor. Die schon angesprochenen geographischen Gegebenheiten konnten zudem nicht unterschiedlicher sein. Eingeschlossen von hohen Bergen und ohne Zugang zum Meer war die Bedrohung für die Schweizer Bünde einerseits gering, auf der anderen Seite existierte keine Notwendigkeit, eine Flotte aufzubauen. Dadurch mussten weniger Mittel aufgebracht werden, um die Verteidigung des Territoriums zu gewährleisten, was letztlich auch die Einführung eines einheitlichen Steuer- oder Zollsystems nicht zwingend notwendig machte. Die einzelnen niederländischen Provinzen wären zu Beginn des Aufstands nicht in der Lage gewesen, die Kosten für den Aufbau einer jeweils eigenen Armee und Flotte zu tragen. Der Zusammenschluss im Fall der Niederländer war der Unmöglichkeit geschuldet, sich als einzelne Provinzen gegen die Weltmacht Spanien behaupten zu können. Aus der Einsicht, nur gemeinsam gegen die spanischen Truppen erfolgreich zu sein, speiste sich Wilhelms I. Gedanke, alle Provinzen der Habsburgischen Niederlanden in der Utrechter Union zu vereinen. Nachdem dies unmöglich wurde, waren die übrigen Provinzen zu einer stärkeren Zusammenarbeit gezwungen als die Schweizer Bünde. In Ergänzung zu Tillys Argument, innere Zwänge, ausgeübt von starken Monarchen, würden zur Zentralisierung der Herrschaft führen, spielten auch die äußeren Zwänge eine entscheidende Rolle für den Aufbau funktionierender Institutionen.9 In den Habsburgischen Niederlanden führte die Entscheidung, sich gegen die spanische Politik der Inquisition und die Missachtung tradierter Privilegien aufzulehnen, letztlich zu dem Zwang, eigene Wertvorstellungen mit Waffengewalt verteidigen zu müssen. Die eigenen Wertvorstellungen führten in der Folge zur Etablierung von Institutionen in der Utrechter Union, um den Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien zu organisieren und zu koordinieren. Sowohl in den Schweizer Bünden als auch in den Niederlanden bedingte das Bedürfnis nach Selbstbestimmung der Städte und Regionen in Fragen der Religion, Besteuerung und Kriegsführung auf jeweils verschiedenen Wegen das Streben nach Souveränität. In den Niederlanden war der politische und militärische Druck der spanischen Herrschaft der Auslöser für die Unabhängigkeitsbewegungen. Die Schweizer Bünde indes waren ein sehr gut zu verteidigendes Territorium, dessen Passieren für die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches als eine 8 9

Siehe dazu: Tilly, Coercion, Capital and European States; Burkhardt, Johannes: Der Dreißigjährige Krieg als frühmoderner Staatsbildungskrieg. Siehe dazu: Tilly, Coercion, Capital and European States.

1. Vergleichende Betrachtung der Regimente

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wichtige Brücke auf die Apenninen-Halbinsel galt, mit der die Kaiser traditionell enge Verbindungen aus eigenem Machtinteresse heraus pflegten. Die Unabhängigkeit der Schweizer Bünde basierte unter anderem auf deren exponierter geographischer Lage.10 Alle drei Beispiele waren Singularitäten. Auch wenn in allen drei Territorien die Kommunen eine entscheidende Rolle spielten, gab es große Unterschiede in der Gewichtung ihres Einflusses. Der Kanton Bern war flächenmäßig der größte unter den 13 der Alten Eidgenossenschaft. Die Stadt Bern hatte innerhalb des Kantons eine so bestimmende Position, wie sie selbst Amsterdam im Lauf des 17. Jahrhunderts in der bedeutendsten Provinz der Vereinigten Niederlanden Holland nie besaß. Demzufolge war die politische Meinungsbildung in den Schweizer Kantonen weitaus häufiger von der größten Stadt des jeweiligen Kantons bestimmt, als das in den Provinzen den nördlichen Niederlanden der Fall war. Was den ländlichen Raum der Schweizer Kantone betraf, hat Peter Blickle mit seinen Untersuchungen zum Kommunalismus vor allem in den Drei Bünden auf die genossenschaftliche Ordnung der Bauern hingewiesen. In Bezug auf den Kommunalismus in den Städten muss die Untersuchung in den Niederlanden noch geführt werden. Blickle hat, neben dem Verweis auf die bäuerlichen Genossenschaften in den Drei Bünden, auch die Reichsstädte des Heiligen Römischen Reiches im Hinblick auf den Kommunalismus betrachtet.11 Grundsätzlich versucht das Forschungskonzept Blickles die Rolle der Gemeinde für die politischen Veränderungen im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit zu betonen. Wichtig war die Umbildung der Stadträte. Der Aufstieg neuer Schichten veränderte die Ausrichtung städtischer Politik. Alte Eliten wurden aus den Stadträten verdrängt, was nicht nur politische Konsequenzen hatte, sondern auch die Zerwürfnisse der Konfessionen untereinander widerspiegelte. Anliegen des Forschungskonzepts ist es, den Ausgangspunkt für die Transformation der politischen Herrschaft in der Frühen Neuzeit nicht zwangsläufig im Handeln der Monarchen zu verorten, sondern die neuen Eliten der Städte als Akteure des Transformationsprozesses der politischen Ordnung zu betrachten. Diese Erkenntnis, dass an der Schwelle zur Frühen Neuzeit die Städte in allen drei Territorien maßgebliches Gewicht für die Transformation der politischen Herrschaftsverhältnisse besaßen, führt zurück zur Alteratie van Amsterdam. Die Einsetzung der Calvinisten in die Amsterdamer Stadtregierung begleitete den Aufstieg der Stadt zur wichtigsten Handelsmetropole in Nordwesteuropa. Genaue Untersuchungen zu Veränderungen im Amsterdamer Stadtrat während des 17. Jahrhunderts und Analysen zum Einfluss der Stadt auf die Politik der Union sollen im weiteren Verlauf der Arbeit mit den Argumenten der Kommunalismustheorie abgeglichen werden, ob für die Vereinigten Niederlanden auf der Grundlage des Kommunalismus eine neue Interpretation der Transformation der politischen Herrschaft erarbeitet werden kann, die entlang von Handlungen der 10 Siehe dazu: Brady, T. A.: Turning Swiss: Cities and Empire 1450–1550, Cambridge: Cambridge University Press, 1985. 11 Siehe dazu u.a: Blickle, Kommunalismus, 1986; Ders., Kommunalismus, 1991.

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IV Exkurs: Die Schweizer Gemeinwesen

Akteure in einem von Städten und ihren Räten dominierten Ordnungskonzept argumentiert.

Der Einfluss des Calvinismus in der Utrechter Union Nicht nur militärisch unterstützten die Schweizer Kantone die niederländischen Rebellen durch die Entsendung Schweizer Söldner in den 1590er Jahren, auch ein französischer Gelehrter, der nach der Flucht aus der Heimat zeitweise Zuflucht in Basel gefunden hatte, bereicherte schon im 16. Jahrhundert, insbesondere mit seiner Schrift Institutio Christianae Religionis, die Debatte um die Erneuerung der christlichen Religion, die in der Utrechter Union stattfand. Jean Calvins Lehre verbreitete sich durch den Druck seiner Werke, mannigfaltige Korrespondenz mit europäischen Gelehrten und die von ihm 1559 gegründete Akademie in der Stadt Genf, deren Bewohner er nach mehrfacher Verbannung seit den 1540er Jahren war.12 Neben den direkten, theologischen Problematiken, die er von Luther, Zwingli und Martin Bucer übernahm und weiterführte, waren die Fragen nach der Arbeitsethik und der Trennung zwischen Kirche und Regierung entscheidende Artikel der Calvin’schen Lehre.13 Diese gründete die Gemeinschaft der Gläubigen nicht nur auf die drei Grundsätze Luthers, sondern sah in der Arbeitswelt die Möglichkeit, die Nächstenliebe zwischen den Christen Wirklichkeit werden zu lassen.14 Bei der Arbeit, als einem Produkt gemeinsamer Anstrengung, auch wenn die Arbeit nicht in Gemeinschaft vollzogen wird, ihr jedoch diene, sei der Mensch dem anderen am nächsten. Arbeit sei Ausdruck von christlicher Rechtschaffenheit als Teil der menschlichen Natur. Die christlichen Gebote betonten diese Anlagen des Menschen. Calvins Ethik war einerseits anschlussfähig für einen naturrechtlichen Diskurs, andererseits war in ihr gleichsam das Recht auf Individualismus angelegt, der jedoch stets im Dienst der Gemeinschaftsbildung stehen sollte. Das Oberhaupt der Gemeinschaft, der Herrschaftsapparat, welche Form auch immer er annehmen würde, war Vertreter Gottes auf Erden. Kirche und Herrschaftsapparat trennte Calvin klar voneinander. Die Form der Herrschaft sei in der Bibel nicht festgelegt. Calvin sprach sich aber dafür aus, die Aufgabe der Regierenden in der Schaffung von Gesetzen und Regelungen zu sehen, durch deren Befolgung christliche Werte, Frieden und Ordnung gewahrt blieben. Für diesen Zweck schien ihm eine Herrschaftsstruktur sinnvoll, innerhalb derer die gegenseitige Kontrolle verschiedener Regierungsorgane angedacht wäre. Zudem sollten die Mitglieder der 12 Zur Einführung in Calvins Denken und Wirken: Strohm, Christoph: Johannes Calvin. Leben und Werk des Reformators, München: C.H. Beck, 2009. 13 Siehe zu Bucer und Zwingli: Greschat, Martin: Martin Bucer: ein Reformator und seine Zeit (1491–1551), Münster: Aschendorff, 2. Aufl., 2009; Stephens, William P.: Zwingli: Einführung in sein Denken, Zürich: Theologischer Verlag, 1997. 14 Luthers drei Grundsätze der reformatorischen Lehre waren sola fide, sola gratia, sola scriptura. Siehe dazu: Graf, Friedrich Wilhelm: Der Protestantismus, in: Joas, Hans; Wiegandt, Klaus (Hg.): Säkularisierung und die Weltreligionen, Frankfurt am Main: FischerTaschenbuch-Verlag, 2007, S. 78–124.

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Organe gewählt werden können. Calvins Verständnis der Kirchenordnung betrachtete im Gegensatz zur katholischen Papstkirche und der lutherischen Landeskirchen, die Gemeinde als Kern der kirchlichen Organisation. Die politischen Aufgaben in einem solchen System sollten die Aristokraten übernehmen, denen es zudem erlaubt sein sollte, einen Tyrannen zu stürzen. Das Verbot des Widerstandsrechts bei Luther galt bei Calvin für den Einzelnen. In dessen Auffassung wäre es gerechtfertigt, einen Tyrannen durch einen Aufstand zu beseitigen, an dem sich die Bevölkerung als Gemeinschaft beteiligte. Sein Einfluss auf die Ideen der Monarchomachen unter den französischen Hugenotten wurde weiter oben bereits erwähnt. Für die Wirtschaft in der Utrechter Union war Calvins Entgeißelung des Handels und des Geldverleihens wichtiger. Calvins Toleranz gegenüber der katholischen Konfession ist ebenfalls nicht unwichtig. Die knapp zusammengefassten, für die Fragestellung nach der Wirkung des Calvinismus für die Vereinigten Niederlanden wichtigen Glaubensgrundsätze, geben eindeutig die Argumentation der niederländischen Rebellen im Umgang mit ihrem spanischen Landesherrn wider. Fraglich bleibt, wie der Calvinismus in den Niederlanden zu Einfluss gelangte.15 Anknüpfungspunkte an die Lehre Luthers gab es für den Calvinismus in den Niederlanden nicht. Im Gegensatz zu anderen Territorien im Heiligen Römischen Reich fehlte den reformierten Bekenntnissen in den Niederlanden von vornherein die Unterstützung des Landesherrn. Viel mehr Gewicht hatte die Devotio moderna. Fleiß und Nächstenliebe waren zwei Elemente der Lehre. Größeren Einfluss als im Rest des Reiches hatte in den Niederlanden hingegen das Täufertum, das ebenfalls in der Eidgenossenschaft und dem südlichen Teil des Reiches seine Wurzeln hatte. Münster wurde zum Inbegriff eines Schreckens, den man fortan mit dem Täufertum verband. Zur Radikalisierung des Täuferreichs von Münster trugen maßgeblich die Niederländer Jan van Leiden und Jan Mathys bei. Grundsätzlich weltabgewandt, war das Hauptelement des Täufertums die Erwachsenentaufe. Nur im Erwachsenenalter konnte man sich wirklich zu Gott bekennen. Die voranschreitende Radikalisierung der, in den Niederlanden wichtigen religiösen Strömung, betrieb Menno von Simmons, ein friesischer Gelehrter, dessen Schriften unter Karl V. verboten worden waren. An politischer Meinungsbildung waren die Mennoniten allerdings nicht interessiert. Die Täufer machten aber nur ungefähr ein Fünftel der Bevölkerung aus.16 Katholiken und reformierte Bekenntnisse waren ebenso vertreten. Diese religiöse Heterogenität in den Niederlanden führte zur Tolerierung der verschiedenen Bekenntnisse, was einerseits den Kampf der spanischen Inquisition gegen die Ketzer erschwerte, andererseits auch dem Calvinismus einige Anhänger, vor allem im Süden der Habsburgischen Niederlanden, in die Arme trieb. Als die Rebellion ausbrach, machten sich die Aufständischen 15 Zu Calvins Glaubenslehre siehe: Parker, Thomas Henry Louis: Calvin. An Introduction to his Thought, London: Chapman, 1995; zur Wirkung der Lehre Calvins in den Niederlanden vgl.: Po-Chia Hsia, R.; Nierop, Hank van (Hg.): Calvinism and Religious Toleration in the Dutch Golden Age, Cambridge: University Press, 2002. 16 Siehe zum Täufertum u. a.: Bendler, Das Täuferreich zu Münster.

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IV Exkurs: Die Schweizer Gemeinwesen

den Calvinismus zunutze, da er im Gegensatz zum Täufertum weltzugewandter war und den Widerstand der Stände und des Adels erlaubte, den das Luthertum verboten hatte. Zugute kam den Rebellen dabei die Vernetzung der calvinistischen Gemeinden in den Niederlanden und in Europa, besonders in England, wo Heinrich Bullinger die reformatorische Lehre verbreitet hatte.17 Aufbauend auf diesen funktionierenden Kommunikationsnetzen war es der relativ kleinen calvinistischen Gruppe möglich, den Aufstand auch mit internationaler Unterstützung zu führen, was an der Finanzierung des Aufstands durch England, aber auch an der Hilfe der reformierten Hugenotten ersichtlich wurde. Den Kontakt zu den verschiedenen Gruppen in anderen europäischen Territorien hielt auch Wilhelm I. von Oranien aufrecht. Die Radikalisierung der Calvinisten während der Bilderstürme führte zwangsläufig zu einer skeptischen Betrachtung der Reformierten. Über die Erklärung der Unabhängigkeit hinaus blieben die Calvinisten nur eine Minderheit in der facettenreichen religiösen Landschaft der nördlichen Niederlanden. Die Bedeutung des Calvinismus für den Unabhängigkeitskrieg zeigt sich in der Erhebung des calvinistischen Bekenntnisses zur sogenannten Öffentlichkeitskirche. Es war den Katholiken zwar verboten, in Kirchen ihre Religion auszuüben, aber im Privaten durften sie entsprechend den Regelungen der Utrechter Union weiterhin ihr Bekenntnis pflegen. In wichtige Ämter der Union wurden Katholiken jedoch nicht berufen. Eine Ausnahme bildete lediglich die Armee. Eine direkte Verbindung zwischen dem calvinistischen Zentrum Basel und dem Erstarken des Calvinismus in den südlichen Regionen der Habsburgischen Niederlanden, die auf eine bestimmte Persönlichkeit zurückzuführen wäre, kann nicht nachvollzogen werden. Vielmehr waren die Flüchtlinge, die sich, nach der Verschärfung der Inquisition, in England oder anderen europäischen Regionen aufhielten, bei ihrer Rückkehr Fürsprecher der reformierten Kirche. Unter ihnen war Johannes a Lasco, ein in Polen geborener Theologe und späterer Schüler Erasmus’ von Rotterdam in Basel. Viele Glaubensflüchtlinge, vor allem aus den südlichen Niederlanden, aber auch Rückkehrer aus England, siedelten sich in Ostfriesland an. Wichtiger als die Flüchtlinge waren die Gelehrten, die in Basel studiert oder unterrichtet hatten und entweder aus den Niederlanden stammten oder großen Einfluss auf die politische Kultur der niederen Lande besaßen. Erasmus lebte ebenso in Basel wie nach ihm der deutsche Gelehrte Johannes Althusius.

17 Zu Heinrich Bullinger siehe: Büsser, Fritz: Heinrich Bullinger. Leben, Werk und Wirkung, 2 Bände, Zürich: Theologischer Verlag, 2004–2005.

V DER LANGE WEG ZUR UNABHÄNGIGKEIT 1. VOM WAFFENSTILLSTAND ZUM WESTFÄLISCHEN FRIEDEN Der 12jährige Waffenstillstand – Die faktische Anerkennung der Unabhängigkeit Die Vereinigten Niederlanden verband nach dem Abzug Leicesters weiterhin ein Bündnis mit England, das gegen Spanien gerichtet war.1 Um die Verteidigung der Union zur See im Rahmen der Allianz besser koordinieren zu können, erließen die Generalstände am 13. August 1597 den Beschluss, dass zum 1. September des Jahres die bestehenden Admiralitäten in den Seeprovinzen mittels der Instructie voor de Admiraliteiten neu geordnet werden sollten.2 Es wurden fünf Admiralitäten eingesetzt, die de jure den Generalständen unterstanden. Amsterdam beherbergte die bedeutendste Admiralität, die während des 17. Jahrhunderts die meisten niederländischen Schiffe baute.3 Für die Beherrschung des Handels waren sowohl die Kriegsschiffe als auch die von den Admiralitäten gebauten Handelsschiffe wichtig. Die Tripel-Allianz mit England und Frankreich zerfiel jedoch sehr schnell. Spanien und Frankreich schlossen bereits 1598 einen Friedensvertrag. 1599 hatte es ebenfalls Friedensverhandlungen zwischen Spanien und den Vereinigten Niederlanden gegeben.4 Ohne Erfolg. Beider Seiten Forderungen waren für die Ge-

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Auch Frankreich gehörte dem Bündnis an. König Heinrich IV. hatte am 17. Januar 1595 Spanien den Krieg erklärt. Oldenbarnevelt schloss im Namen der Föderation mit Spanien und Frankreich im Oktober 1596 ein Bündnis, das die Anerkennung der Vereinigten Niederlanden als völkerrechtliches Subjekt von den europäischen Mächten bestätigte. Vgl. dazu: Eysinga, Willem J. M. van: De wording van het twaalfjarig bestand van 9 april 1609, Verhandelingen/ Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Afd. Letterkunde, N.R., 66,3, Amsterdam: Noord-Hollandsche Uitg. Maatschappij, 1959, S. 14. Vgl. dazu: Japikse, Nicolas: Resolutiën der Staten-Generaal, Negende Deel, 1596–97, Rijks geschiedkundige publicatiën, GS 62, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1926, S. 527. Die anderen Admiralitäten waren in Rotterdam (Maasregion), Dorkum (Friesland), Middelburg (Zeeland), Enkhuizen und Hoorn (Nordquartier). Damit gab es insgesamt zwei Admiralitäten in der Provinz Holland (Amsterdam, Rotterdam) und eine in Westfriesland (Enkhuizen/Hoorn), das als Provinz de facto in die Provinz Holland integriert war. Auch unter diesem Aspekt ist ein Übergewicht der Provinz Holland zu konstatieren. Das Admiralitätskollegium traf sich in Den Haag, blieb aber relativ unbedeutend, da die wichtigen Entscheidungen in den Admiralitäten selbst getroffen wurden. Siehe dazu: Jonge, Geschiedenis van het Nederlandsche Zeewezen, 1. Deel. Vgl. dazu: Mei 1598, Memorie, in den voorgaanden brief vermeld (Minuut van Oldenbarnevelt), in: Deventer, M. L.: Gedenkstukken van Johan van Oldenbarnevelt en zijn tijd, 1593–1602, Tweede Deel, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1862, S.252–256; Japikse, Nicolas: Resolutiën der Staten-Generaal, Tiende Deel, 1598–98, Rijks geschiedkundige publicatiën,

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V Der lange Weg zur Unabhängigkeit

genseite unannehmbar. Spaniens Staatsschulden verlangten aber nach einer Begrenzung des Konflikts. Die aus finanziellen Gründen geschwächte spanische Armee bot in den Augen Oldenbarnevelts die Möglichkeit, einen entscheidenden Schlag gegen Dünkirchen zu führen, dessen Hafen Hauptstützpunkt spanischer Kaperfahrer war, die dem Handel der Vereinigten Niederlanden beständig schadeten. Moritz war im Gegensatz zu Oldenbarnevelt nicht vom Feldzug überzeugt. Ihm gelang es zwar, 1600 die Schlacht bei Nieuwpoort für die Vereinigten Niederlanden zu gewinnen, Dünkirchen einzunehmen gelang ihm jedoch nicht. In der Folge entfernten sich die politischen Ansichten Moritz’ und Oldenbarnevelts zunehmend voneinander. 1604 folgte der Friedensschluss zwischen England und Spanien, wodurch die unterstützende Finanzierung des niederländischen Unabhängigkeitskriegs durch England ein Ende fand.5 Nachdem sich in den folgenden Jahren keine der beiden Seiten entscheidend durchsetzen konnte, schlossen die Vereinigten Niederlanden 1609 mit Spanien einen 12jährigen Waffenstillstand, der neben der Tripel-Allianz die Wahrnehmung der Union als unabhängige politische Entität in Europa steigerte. Vorausgegangen waren dem Waffenstillstand nicht nur weitere Auseinandersetzungen zu Lande in Europa, auch auf der globalen Ebene verwickelten die Niederländer die Spanier bewusst in Konflikte.6 Die 1602 gegründete VOC begann dem portugiesischen Estado da India in Asien Konkurrenz zu machen.7 Durch die

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GS 71, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1930, S. 41–43; Eysinga, De wording van het twaalfjarig bestand, S. 15ff. Vgl. dazu den Brief des niederländischen Gesandten in England vom Dezember 1604: Caron aan de Staten-Generaal. Verslag van een onderhoud met Jacoubus I, omtrent de betrekkingen tusschen de Repuliek en Engeland, en den gesloten vrede met Spanje, Deventer, M. L.: Gedenkstukken van Johan van Oldenbarnevelt en zijn tijd, 1604–1609, Derde Deel, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1865, S. 10. Vgl. dazu die Ausführungen Oldenbarnevelts zu den Gründen für die VOC-Gründung: CXLVI. Verklaring der beweegredenen tot het verleenen van het Octrooi aan de Vereenigde O. I. Compagnie. (Minuut van Oldenbarnevelt), März 1602, in: Deventer, M. L. van: Gedenkstukken van Johan van Oldenbarnevelt en zijn tijd, Tweede Deel, 1593–1602, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1862, S. 311–313, darin S. 311: „[...]Welcke vereeniging destyts niet en heeft kunnen te wege gebrocht worden. Waernae, ter kennisse van de Heeren Staten gekomen synde, dat nyet alleen in Spangien en Portugal, maer oock in verscheiden andere Ryken en Landen geoordeelt wordt, dat van selfs de voors, navigatie en handelinge van dese Landen souden vergaen en alle de compagnien malcanderen uyt de handelinge souden verdryven, by faulte van voors. vereeniginge, ordre en politie; oock metter daet bevonden hadden, dat de specerien, die by de Portugesen (op ordre en politie varende) in de Oost-Indien ingekocht worden voor één, by de trafiquanten van deese Landen op acht gedreven waren, en dat ʼtgene by de eerste compagnie in’t begin voor één was ingekocht, nu voor vier en hooger moest ingekocht worden, wesende geschapen van tyt tot tyt deur de menichte der compagnien en schepen veel hooger gebrocht te worden, tot uyterlycke ruine van de voors. loffelyke navigatie en handelinge;[...].“ Auf die Gründung der VOC wird im Folgenden noch eingegangen. Der Estado da India war das portugiesische Handelsstützpunktsystem in Asien, das die Portugiesen seit dem 15. Jahrhundert aufgebaut hatten. Mit dem Wissen der Portugiesen gelang es den Niederländern, in die verschiedenen asiatischen Märkte einzudringen. Siehe dazu: Boxer, The Dutch Seaborne Empire; ders., The Portuguese Seaborne Empire.

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Personalunion mit Portugal war die spanische Krone direkt von den zu erwartenden Einbußen infolge der niederländischen Konkurrenz in Asien bedroht. Die Bestrebungen der Niederländer eine West-Indische Kompanie (WIC) zu gründen, setzte die Kolonialmacht Spanien zusätzlich unter Druck. Nachdem ein Jahr zuvor schon die Verhandlungen zwischen den beiden Kontrahenten begonnen hatten, war es 1607 zu einem verheerenden Seegefecht vor Gibraltar gekommen. In der Seeschlacht von Gibraltar zerstörte eine niederländische Flotte unter Jacob von Heemskerck 26 spanische Schiffe. Van Heemskerck starb kurz nach Beginn des Gefechts durch die Verletzung, die ihm eine Kanonenkugel zufügt hatte. Nach der Schlacht einigten sich die Kontrahenten auf eine Waffenruhe in Europa. In Asien gab es indes weitere Gefechte zwischen spanischen und niederländischen Schiffen. Der europäische Konflikt griff schon im Jahr 1600 auf Asien über, als die spanische Galeone San Diego von einem niederländischen Schiff gekapert worden war.8 Spanien bemühte sich zu verhindern, dass die Niederländer ihre Macht zur See weiter ausbauten. Oldenbarnevelt war sich der Bedeutung des globalen Handels für die Niederländer bewusst. Im Jahr des Gefechts von Gibraltar beschäftigte sich Oldenbarnevelt in einer Memorie detailliert mit den politischen Konsequenzen, die sich aus dem Friedensschluss der niederländischen Alliierten mit Spanien für die Wahrnehmung der Union ergeben würden.9 Die skeptische Einschätzung Oldenbarnevelts, ob Spanien die Vereinigten Niederlanden als „freien souveränen Staat“ anerkennen würde, zeugt von der Suche nach der Rolle, die die Vereinigten Niederlanden nach dem Beginn der Rebellion und der Akzeptanz im europäischen Machtgefüge durch die Allianz mit England und Frankreich einnehmen sollten. Die Frage, ob die Vereinigten Niederlanden ein Staat waren, bejahte Oldenbarnevelt eindeutig.10 Als Republik betrachtet 8

Vgl. dazu den zeitgenössischen Bericht von: Noort, Olivier van: Wonderlijcke Voyagie, by de Hollanders gedaen, door de Strate Magalanes, ende voorts den gantschen kloot des Aertbodems om, met vier Shepen : onder den Admirael Olivier van Moort, ugtghevaren Anno 1598 ; Hier achter is by-gevoeght de 2. Voyagie van Jacob van Neck, naer Oost-Indien, Amstelredam: Hartgerts, 1648, S. 47f. 9 Die Aufzeichnung stammt aus dem Jahr 1607. Siehe dazu: CXCIX. Memorie van Oldenbarnevelt, 1607, in: Deventer, Gedenkstukken, Derde Deel, 1865, S. 137–147 Vgl. dazu: Appendix VIII. 10 Dass auch Zeitgenossen Oldenbarnevelts die Vereinigten Niederlanden als Staat bezeichneten, lässt sich in der Korrespondenz Oldenbarnevelts nachlesen. Siehe dazu: CLXXXV. Caron aan Oldenbarnevelt. Verslag van een onderhoud met Koning Jacobus, over de sluiting van den wapenstilstand. Bemoeijingen van den Spaanschen Ambassadeur te London, April 1607, in: Deventer, Gedenkstukken, Tweede Deel, 1604–1609, S. 114–117, darin S. 115: „[...]S.M. heeft op dese handelingen diversche constructien beginnen te macken, en geseyt nyet te connen begrypen wat de meening van den Coninck van Spanje ende Aertshertogen hierinne mochte wesen. Hy conde nyet verstaen, dat d’intentie was, dat de Staten van nu voorts van henlieden bekent souden worden voor een vryen Staet, ende sy haerl. pretensien alsoo zouden willen overgeven, wel, beloofden ’t selve te doen wanneer wy ten principale met henl. souden tracteren; ende dat sy alsdan wel lichtelyk dese beloften en verclaringen door eene equivocatie in een anderen sin souden connen veranderen.“; CLXXXVI. Bilderbeke aan Oldenbarnevelt. Gevoelen omtrent het sluiten van den wapen-stilstand, April 1607; in: Deventer, Gedenkstukken, Derde Deel, 1604–1609, S. 117–118, darin S.117f: „Een iegelyck

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er die Union indes nicht, sondern bestätigt mit seiner Einschätzung das Argument, dass die Union vordergründig ein Verteidigungsbündnis war, das aus selbstständigen Provinzen bestand.11 Zahlreich sind Oldenbarnevelts Anmerkungen über die Instabilität der Regierung der Vereinigten Niederlanden, die durch den Krieg gegen Spanien bedroht war und die Notwendigkeit, eine schlagkräftige Armee aufzubauen, deren Soldaten in Friedenszeiten aber einer gewinnträchtigeren Arbeit nachgehen sollten. Die geringe Zahl von Soldaten in Friedenszeiten müsste die Stadttore und Häfen bewachen können, für den Schutz der Grenzen wäre ihre Zahl zu gering. Oldenbarnevelt entwarf eine Zukunftsvision, in der, sollte es einen Frieden mit Spanien geben, insbesondere der globale Handel gestärkt werden sollte.12 Oldenbarnevelt betonte ausdrücklich die Bedeutung des Handels und führte die Nachteile an, die Spanien durch die Aktivitäten der Niederländer in Südostasien und Südamerika für den eigenen Handel zu erwarten habe, führte aber auch die Bedrohung des innereuropäischen Handels durch den Krieg gegen Spanien an, der die niederländische Handelsflotte beständig in Gefahr brachte. Andererseits lag in den unterschiedlichen Handelsinteressen der Land- und Seeprovinzen der Union der Keim für Uneinigkeit und Zwist.13 Zwei Jahre vor dem Friedensschluss und fünf Jahre nach der Gründung der VOC formulierte Oldenbarnevelt die niederländischen Interessen bezüglich des globalen Handels. Dass die Union ein Verteidigungsbündnis war, trug die Gefahr in sich, dass nach dem Ende des Kriegs die bestehende Ordnung in Frage gestellt werden könnte, wenn die Verteidigung als Grund für den Zusammenhalt der Union erlöschen würde.14 Deshalb war die Bewahrung des Wohlstands in den Provinzen, der durch den unbeschränkten Handel zwischen den Mitgliedern der Union bestand, enorm wichtig, um den Krieg gegen Spanien gewinnen zu können und eine Abhängigkeit der Provinzen voneinander zu erzeugen, die auch in Friedenszeiten die Union festigen würde. Die Landprovinzen waren wirtschaftlich von den Seeprovinzen Holland und Seeland bei der Verteidigung der eigenen Interessen abhängig. Von Beginn an war die Union als Wirtschaftsraum konzipiert, um die ökonomische Grundlage für die Kriegsführung zu verbessern. Aus dieser Dynamik heraus, wäre es im Sinne Oldenbarnevelts möglich, die Provinzen enger aneinander zu binden, um die Föderation als eine Republik zu betrachten.15 In der

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daerentusschen is verwondert, en kan niet gelooven dat de Eertshertogen pure et simpliciter souden verclaert hebben de Vereenichde Nederlantsche Provincien voor een vryen staet en republicq[...].“ Vgl. dazu: Appendix VIII.. Vgl. dazu: CXCIX. Memorie van Oldenbarnevelt, 1607, in: Deventer, Gedenkstukken, Derde Deel, 1865, S. 137–147, S. 141f. Vgl. dazu: Appendix VIII. Vgl. dazu: Appendix VIII. Oldenbarnevelts Ausführungen zum Republik-Charakter der einzelnen Provinzen sind eine Momentaufnahme. Wie sich in anderen Briefen Oldenbarnevelts zeigt, bezeichnet er die Union selbst als Republik. Oldenbarnevelts Wunsch war es, das die Provinzen zu einer Einheit auf Basis der wirtschaftlichen Verflechtung zwischen den Provinzen würden. Vgl. dazu:

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Korrespondenz Oldenbarnevelts tritt indes schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Bezeichnung der Union als Staat auf. Die Frage, die sich für die niederländische Staatlichkeit im 17. Jahrhundert stellt, ist, wann die Kategorie Staat auch über den diplomatischen Kontext hinaus im innenpolitischen Kontext nicht nur auf die einzelnen Provinzen, sondern auch auf die Union angewendet wurde und sich durchsetzte.16 Die Institutionalisierung der niederländischen Ostindien-Kompanie zu Beginn des 17. Jahrhunderts zeigt die zunehmende wirtschaftliche und politische Verflechtung der Provinzen, die zur Stärkung der Einheit führten. Die Überlegungen Oldenbarnevelts verdeutlichen insbesondere das Potential der VOC-Gründung für den Krieg gegen Spanien und unterstreichen somit das Argument, dass die wirtschaftlichen Interessen der Niederländer ein wichtiger Faktor für die niederländische Staats-Formierung waren. Die Etablierung von Konkurrenz in der globalen Ökonomie zu Spanien war ein Instrument der Rebellen im Kampf um Unabhängigkeit. Die Ökonomie wurde zu Mittel und Zweck der niederländischen Politik im 17. Jahrhundert. Die Memorie umriss die Eingebundenheit der Vereinigten Niederlanden in das europäische Machtgefüge und zeigte die Probleme der Annäherung zwischen den Provinzen und dem spanischen Königreich auf, die zum Bestandteil der Verhandlungen zwischen Generalständen und spanischer Krone über einen Waffenstillstand wurden. Inhaltliche Punkte der beginnenden Verhandlungen waren der niederländische Verzicht auf die Errichtung einer Westindischen Kompanie nach Vorbild der VOC und detaillierte Regelungen für das Vorgehen der Niederländer in Asien. Neben den Fragen, welche Rechte die Vereinigten Niederlanden besaßen und ob eine Souveränität ihrerseits zu beanspruchen sei, wurde viel Aufhe-

Deventer, M. L.: Gedenkstukken van Johan van Oldenbarnevelt en zijn tijd, Drie Deelen, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1860 ̶ 1865. 16 In Verträgen und diplomatischen Korrespondenzen wurden politische Entitäten im 17. Jahrhundert als Staat bezeichnet. In der Außenpolitik ist die Verwendung des Begriffs keine Besonderheit. Anders verhält es sich mit der Bezeichnung der Union im innenpolitischen Kontext. Der Begriff tritt in einer disparaten Form auf, ohne eine Verengung der Begrifflichkeit als Beschreibungskategorien für politische Entitäten zuzulassen. In den 1673 erstmals veröffentlichten Beobachtungen des englischen Botschafter Sir William Temple wird diese Einschätzung deutlich. Siehe dazu: Temple, Observations. Weitere Quelle für die Verwendung des Begriffs seit den 1620er Jahren ist Lieuwe van Aitzemas Quellensammlung zur Geschichte der Vereinigten Niederlanden. Siehe dazu: Aitzema, Lieuwe van: Saken van Staet en Oorlogh, In, ende omtrent de Vereenigde Nederlanden, beginnende met het jaar 1621 en eyndigende met het jaar 1632, Eerste Deel, ’s Gravenhage: Tongerloo/Velly/Doll, 1669. Siehe zur Verwendung des Staats-Begriff in der Diplomatie auch den Briefverkehr der niederländischen Botschafter van Beverningk (England), Nieuweport (England) und Beuningen (Dänemark) mit Johan de Witt. In: Brief von Van Beverningk en Nieuweport, 18 Juli 1653, in: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Eerste Deel, 1648– 1660, Amsterdam: Johannes Müller, 1919, S. 80ff; Briefe van Beuningens aus Dänemark vgl. dazu: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Eerste Deel, 1648– 1660, Amsterdam: Johannes Müller, 1919, S. 318–449.

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bens um die Fragen des Handels in Europa und Asien gemacht.17 Vor allem die Staten-Generaal forderten für die Dauer des Waffenstillstands, ohne Repressalien der Spanier, Handel treiben zu dürfen. Der Waffenstillstand sollte nicht nur in Europa gelten, sondern auch für Asien. Allerdings wurde Ost-Indien ebenso wenig wie West-Indien im Vertrag erwähnt. „I. In den eersten/ de voor-seyde Heeren Eertzhertoghen verclaeren/ soo wel in hunnen naem/ als in den naem des voorseyden Heeren Conings/ dat sy te vreden zijn te handelen met de voor-seyde Heeren Staten Generael van de Vereenighde Provintien in qualiteyt en als de selve houdende voor vrye Landen/ Provintien ende Staten/ op de welcke sy niet en pretenderen; ende met hen in de voor-seyde namen ende qualiteyten te maken (ghelijck sy maecken by dese teghenwoordighe) een bestandt op de conditien hier nae beschreven ende verclaert. II. Te weten/ dat het selve bestandt sal wesen goedt/ vast/ ghetrou/ ende onverbrekelick/ ende dat voor den tidt van twaelf Jaeren/ binnen de welcke sal wesen stil-standt van alle acten van Vyantschap/ hoedanige die souden mogen wesen/ tusschen de voor-seyde Heeren/ Coningh/ Eertzhertoghen/ ende Staten Generael/ soo ter Zee ende andere Wateren/ als te Lande in alle hunne Coningh-rijcken/ Landen ende Heeerlickheden/ en voor alle hune Onderdanen ende Inwoonders/ von wat qualiteyt ende conditien die zijn moghen/ sonder uytsonderinghe van plaetsen ofte personen. III. Eenyeghelijck sal blyven besitten ende datelijck ghenieten de Landen /steden / plaetsen ende Heerlijckheden die hy teghenwoordighlijck heeft ende besit/ sonder daer in ghequelt ofte verstoorde te worden/ in wat manieren dat het soude moghen wesen/ binnen den tijdt van het bestandt: waer in men verstaet te begrypen de Vlecken/ Dorpen/ Ghehuchten ende platte 18 Lande daer van dependerende.“

Nicht nur zu Land, sondern auch auf See und den Flüssen galt der 12jährige Waffenstillstand. Die Stände, Provinzen und das Territorium werden als vrij bezeichnet, was ihnen eine bestimmte Eigenständigkeit zuerkennt, ohne ihnen souveräne Rechte zu bewilligen. Die Generalstände vertraten in den Verträgen die Interessen der Provinzen, der Stände und des Territoriums der Vereinigten Niederlanden. Viele der 38 Artikel beschäftigen sich mit der Restitution von Eigentum, der Verhinderung von Eingriffen in die Handelsinteressen der Vertragspartner und der Erleichterung des Handels zwischen beiden Akteuren, was auch das gemeinsame Vorgehen gegen Piraten einschloss.19 Weitere Ausführungen, in welchem Maße

17 Nachzulesen in Resolutionen: Japikse, N. (Hg.); Rijperman, H.P.: Resolutiën der StatenGeneraal van 1572 tot 1609, Vertiende Deel, 1607–1609, Grote serie 131, ’s Gravenhage: Nijhof, 1970, S. 637–671; Motley, J.l.: De opkomst van de Nederlandsche Republiek, Deel 10, vert. R.C. Bakhuizen van den Brink, Den Haag: Van Stockum, 1881, S. 292–314. 18 Vgl. dazu: Artijckelen van `t Bestandt ghesloten ende gheconcludeert voor XII Jaren: Tusschen de Majesteyt des Coninghs van Spanjen, & c., Ende de Doorluchtighste Eertzhertoghen, onse Souvereyne Princen, van d’eene zyde; Ende De Staten van de Vereenighde Provincien der Nederlanden aen d’andere zyde, Antwerpen: Koachim Tognesius, 1609, S. 7f, Zur digitalisierten Version: https://socrates.leidenuniv.nl/, unter dem Suchbegriff „Artijckelen“ findet sich digitalisierte Variante des Waffenstillstandsvertrags, zuletzt am 28.12.2017. Vgl. dazu die Zusammenfassung, auf die im Folgenden zurückgegriffen wird: Motley, De opkomst van de Nederlandsche Republiek, Deel 10, S. 295. 19 Vgl. dazu: Artijckelen van’t Bestandt, Artikel 35, S. 19.

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die Vertragspartner insbesondere die niederländischen Kaufleute Handel mit und in anderen Gebieten treiben dürfen, führte die Waffenstillstandsakte genau aus. „…dat tusschen de onderdanen en inwoners der wederzijdsche landen gedurende den wapenstilstand een vriendschappelijk en welwillend verkeer zou zijn, zonder ,ghedenkenʻ van de vroegere ,offentienʻ, en dat zij vrij en veilig gemeenschap en handel met elkander zouden drijven te land en ter zee. Deze bepaling moest echter aldus verstaan worden, dat zij door den Koning uitdrukkelijk werd beperkt tot de rijken en landen, die hij in Europa bezat, en in andere landstreken en zeeën, waar de onderdanen van andere koningen en prinsen, zijne vrienden en bondgenooten, vriendschappelijk verkeer en handel hadden. Wat de plaatsen, steden, havens en reeden betrof, die hij buiten deze grenzen bezat: daar mochten de Staten en hunne onderdanen geen handel drijven zonder uitdrukkelijke vergunning des Konings. Zij konden echter naar verkiezing handel drijven met de landen van alle andere prinsen, vorsten en volken die het wilden vergunnen, zelfs buiten die grenzen, zonder dat zij eenigszins door den Koning zouden worden tegengegaan; dat de wapenstilstand met opzicht tot die verwijderde landen een jaar na de dagteekening van het verdrag zou beginnen, tenzij dat 20 vroeger officieele mededeeling, daarvan ontvangen mocht zijn bij hen, wien het aanging;“

Die spanische Krone erlaubte den Niederländern, mit Fürsten und Potentaten in deren Hoheitsgebieten Handel treiben zu dürfen, deren Loyalität sich die Spanier noch nicht gesichert hatten. In allen anderen Plätzen, Häfen, Städten und Reeden, an denen spanische Kaufleute bereits Handelsbeziehungen aufgebaut hatten, sollten die Niederländer ohne die ausdrückliche Erlaubnis des spanischen Königs keinen Handel aufnehmen. Dass es sich bei den angesprochenen Handelspartnern nicht um Europäer handelte, beweist der letzte Satz des Zitats. Es bedarf keiner Jahresfrist, die Bestimmungen des Waffenstillstands in Europa publik zu machen. Wenn die Abmachungen allerdings auch für Asien gelten sollten, musste die Frist von einem Jahr für die Überbringung des Vertragsinhalts mitgedacht werden. Außerhalb der Grenzen des spanischen Territoriums in Europa durften die Niederländer die Orte des Warenumschlags nicht ohne spanische Zustimmung betreten. Das Verständnis des territorialen Besitzes in außereuropäischen Regionen betraf zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht den Landbesitz, sondern die Beherrschung von Handelsstützpunkten, die für die Niederländer den Zugang zum innerasiatischen Handel boten, von denen die Spanier die niederländischen Kaufleute zum Schutz der eigenen Interessen fernzuhalten suchten. Kolonien wurden in der Akte nicht erwähnt, was das Argument stützt, dass zu diesem Zeitpunkt die Teilhabe am existierenden Handel in Asien, nicht in der Errichtung eines Kolonialreiches, wie die Spanier es in Südamerika aufgebaut hatten, im Interesse der beiden europäischen Mächte lag. Wichtig war der geheime Zusatzartikel, der den Niederländern versprach, ihnen keine Hindernisse bei ihren Handelsinteressen in den Weg zu legen, was gleichsam nicht nur für den amtierenden spanischen König oder seinen Statthalter in den spanischen Niederlanden galt, sondern auch für deren Nachfolger. „Voor den geheelen tijd van ʼt bestand gaven de spaansche gevolmachtigden namens den Koning en zijne opvolgers de verzekering, dat Zijne Majesteit geen beletsel, noch ter zee, 20 Vgl. dazu die Zusammenfassung der Waffenstillstandsakte: Motley, De opkomst van de Nederlandsche Republiek, Deel 10, S. 296.

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noch te land, aan de Staten of hunne onderdanen in den weg zou leggen, wat den handel betrof, die dan mocht gedreven worden met de landen van alle prinsen, Vorsten en volken, die dezelfde vergunning geven zouden, waar het ook zijn mocht, zelfs buiten de aangewezen grenzen en overal elders, en evenmin aan hen, die zoodanigen handel met hen dreven; en dat de Koning en zijne opvolgers getrouwelijk al wat dus bepaald was zouden uitvoeren, zoodat de gezegde handel vrij en veilig zou zijn, waarbij zij zelfs toestemden, opdat de bepaling te meer binden mocht, dat deze zou worden aangemerkt alsof zij in het hoofdverdrag was 21 opgenomen, en er een deel van uitmaakte.“

Die Waffenstillstandsakte offenbart die niederländischen und spanischen Handelsinteressen, die besonders die Beherrschung der Warenströme auf See in Europa und Asien betrafen.22 Auf niederländischer Seite konnten die Seeprovinzen Holland, Seeland und Friesland ihre Interessen an der gefahrlosen und freien Handelsschifffahrt in Europa durchsetzen. Unter diesem Blickwinkel sprach auch der Waffenstillstand für den Partikularismus in der Föderation. Besonders die Interessen der dominierenden Seeprovinzen fanden Einzug in die Akte. Die Interessen der Provinzen, die am Inlandhandel beteiligt waren, blieben weitgehend unausgesprochen, obwohl die spanische Krone durch die Herrschaft in den südlichen Niederlanden Einfluss auf den Handel auf dem nordeuropäischen Festland hatte. Für den Schutz der Handelsrouten versprachen die Vertragspartner einander Unterstützung, was nicht bedeutete, dass in der Realität des täglichen Warenverkehrs in weit entfernten südostasiatischen Gewässer nicht weiterhin eine Konkurrenzsituation herrschte, die teilweise mit Waffengewalt ausgetragen wurde. Die Beendigung der Kampfhandlungen in Europa bedeutete eine Entspannung für die spanische Kriegskasse. Die Akte zeigt zudem, welche Bedeutung die Vereinigten Niederlanden für den innereuropäischen Handel besaßen. Sie bauten diese Position aus, da es ihnen gelang, zahlreiche Zugeständnisse der spanischen Krone zu erhalten, die zwangsläufig zur Stärkung der niederländischen Frachtfahrtflotte führten, die auch während des Kriegs bestimmend in der Frachtschifffahrt Nordwesteuropas gewesen war, von der auch Spanien abhing.23 Die niederländische Handelsflotte konnten die Spanier aus eigenem Interesse nicht einschränken. Wirtschaftliche Aspekte bestimmten die Politik der Generalstände während der Konsolidierung der ständisch-korporativen Herrschaft, die sich aus der Stärkung des Handels, eine Stabilisierung ihrer Macht versprachen. Der Waffenstillstandsvertrag war nur in erster Linie ein Abkommen über die Beendigung der Kampfhandlungen. Die zweite, wichtigere Ebene war die Bedeutung der Handelsbestimmungen. In der ersten Dekade des 17. Jahrhunderts war die Politik der

21 Vgl. dazu: Motley, De opkomst van de Nederlandsche Republiek, Deel 10, S. 297. 22 Siehe zur Bedeutung von globalen Warenströmen u. a.: Epple, Angelika; Wierling, Dorothee (Hg.): Globale Waren, Essen: Klartextverlag, 2007. 23 Vgl. dazu: Israel, Dutch primacy, S. 38–80; Vries/Woude, The first modern Economy, S. 409–428.

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Union auf die Deregulierung des Handels ausgerichtet, um die niederländischen Anstrengungen in Südostasien intensivieren zu können.24 Das war der Preis, den die spanische Krone zu zahlen bereit war, um die Gründung einer niederländischen West-Indien-Kompanie zu verhindern, ohne einen Friedensvertrag schließen zu müssen. Im Titel der Veröffentlichung des 12jährigen Waffenstillstands wird der Erzherzog als Souverän bezeichnet, der aus Sicht der Spanier de jure der legitime Herrscher der Provinzen war. Da die Stände in diesem Waffenstillstand als freie Vertragspartner auftraten, kann vom faktischen Eingeständnis der Unabhängigkeit der Vereinigten Niederlanden durch die spanische Krone im Waffenstillstandsvertrag ausgegangen werden, zumal auch den Provinzen und dem Land die Freiheit zugestanden wurde. Die Macht der Vertragspartner indes in deren Autorität zu verorten, verdeutlicht die erwähnte Verhinderung der Anerkennung der Union als unabhängige Entität und die Bedeutung des Konzepts der Autorität als Begründung der ständischen Macht in den Vereinigten Niederlanden zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Autorität war auch die Grundlage für die außenpolitische Oberhoheit der Generalstände.25 „XIX. Indien daer eenighe fortificaeten ende publijcke wercken ghemaeckt zijn over d’eene of d’ andere zyde met consent ende authoriteyt der Overheydt/ in plaetsen die men wederom leveren moet door het teghenwoordich tractaet/ sullen d’ eyghenaers gehouden zijn te vreden te houden met de schattinghe die ghedaen sal worden by d’ ordinarise Rechters/ soo wel vande selve plaetsen als van de inris diese die sy daer hadden/ een sy dat des partyen daer in 26 tsamen accarderen met onderlinghe bewillinghe.“

Mit dem Abschluss des Waffenstillstands wird zweierlei deutlich. Spanien erkannte die Souveränität der Vereinigten Niederlanden offiziell nicht an, sondern sprach nur von der Freiheit und Unabhängigkeit der Stände, Provinzen und Terri24 Zur Konsolidierung der Vereinigten Niederlanden siehe u. a.: Groenveld, Simon: Leeuwenberg, De bruid in de schuit, De consolidatie van de Republiek 1609–1650, Zutphen: Walbrug Press, 1985. 25 Siehe zum Konzept der Autorität: Sassen, Saskia: Territory, authority, rights: from medieval to global assemblages, Princeton NJ: Princeton University Press, 2006, S. 22ff. Max Weber definiert Herrschaft per se als autoritär. Dabei ist nicht entscheidend, ob sie traditionell, charismatisch oder legal ist: „Herrschaft (,Autoritätʻ) in diesem Sinne kann im Einzelfall auf den verschiedensten Motive der Fügsamkeit: von dumpfer Gewöhnung angefangen bis zu rein zweckrationalen Erwägungen, beruhen. Ein bestimmtes Minimum an Gehorchen wollen, also: Interesse (äußerem oder innerem) am Gehorchen, gehört zu jedem echten Herrschaftsverhältnis. “, in: Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 122. In Webers Herrschaftsverständnis bedient sich nicht jede Herrschaft wirtschaftlicher Mittel: „Aber jede Herrschaft über eine Vielzahl von Menschen bedarf normalerweise (nicht: absolut: immer) eines Stabs von Menschen (Verwaltungsstab, s. Kap I, § 12), d.h. der (normalerweise) verlässlichen Chance eines eigens auf Durchführung ihrer generellen Anordnung und konkreten Befehle eingestellten Handelns angebbarer zuverlässig gehorchender Menschen.“, in: Ebda. Die Vereinigten Niederlanden sieht Weber hingegen als Region, in der die religiösen und ökonomischen Bedingungen zur Entwicklung des Kapitalismus beitrugen. Siehe dazu: Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Wegen der Herrschaftsträger in den Vereinigten Niederlanden, den städtischen Kaufmannsregenten, kann mit Weber die Herrschaft in der Union und den Provinzen als merkantil betrachtet werden. 26 Vgl. dazu: Artijckelen van’t Bestandt, Artikel 19, S. 14f.

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torien. Wäre die Union als souveräne Entität betrachtet worden, hätte es einen Friedensvertrag gegeben, keinen von vornherein zeitlich begrenzten Waffenstillstand, der nach fast vierzig Jahren kriegerischer Auseinandersetzung vor allem aus finanziellen Gründen für beide Kontrahenten unausweichlich war. Die spanische Krone musste 1596 infolge der kostenintensiven Verteidigung ihrer Interessen in Süd- und Mittelamerika gegen die Engländer und aufgrund der immensen Kosten für den Bau der Armada in den 1580er Jahren den Staatsbankrott erklären. Der Waffenstillstand mit den Vereinigten Niederlanden war Teil der spanischen Politik, ihre Ausgaben zu minimieren, ohne dabei alle Zügel in den niederländischen Provinzen aus der Hand zu geben. Weiteres Zugeständnis an die Stände war die Entsendung von Botschaftern nach Frankreich und England, die nicht mehr nur im Auftrag der Provinzen oder Städte agierten, sondern als Vertreter der Vereinigten Niederlanden auftraten, ihre Akkreditierung wurde von den Staten-Generaal in Den Haag durchgeführt.27 Mit der Schwäche der spanischen Krone, ging der zweite Punkt der Bestimmungen des Waffenstillstands einher, der den Provinzen – auch aus Gründen fehlender Möglichkeiten auf spanischer Seite – einen Anteil am globalen Handel in bisher nicht von Spaniern und Portugiesen besetzten Territorien abtrat. Der Einschluss Portugals ergibt sich nicht aus dem Dokument, wohl aber aus der Tatsache der Personalunion der portugiesischen Krone mit Spanien. Trotz der Bestimmungen auf die sich beide Parteien einigten, trieben die Niederländer unter fremder Flagge weiterhin Handel im spanisch-portugiesisch dominierten Südamerika. In Religionsfragen setzten sich die Generalstände ebenfalls durch, indem sie den katholischen Gottesdienst in der Öffentlichkeit weiterhin verboten.28 Weit bedeutender ist die Frage, wie der Waffenstillstand die Wahrnehmung der Vereinigten Niederlanden im europäischen Machtgefüge veränderte. Auch wenn Spanien der Union die Souveränität nicht zugestand, taten es Frankreich und England schon durch den Zusammenschluss der Tripel-Allianz. Der Waffenstillstand, für den England und Frankreich als Garantiemächte eintraten, legitimierte die Union endgültig in Europa, wie dem niederländischen Botschafter in Frankreich Cornelis Aerssen bereits vor dem Vertragsschluss zugesichert wurde.29 Die Union war mit dem Waffenstillstand in Europa außerhalb des Machtbe27 Nach England und Frankreich wurden die ersten Botschafter entsandt. Vgl. dazu: Japikse, N., Rijperman, H.P.: Resolutiën der Staten-Generaal van 1572 tot 1609, Vertiende Deel, 1607–1609, Rijks geschiedkundige publicatiën, Grote serie 131, ’s Gravenhage: Nijhof, 1970, S. 637–671, 722–734. 28 Vgl. dazu: Motley, De opkomst van de Nederlandsche Republiek, S. 298. 29 Vgl. dazu: „[...]In dese gegelegenheyt heeft myn soon den Coninck gesproken, en mentionerende de voorsz. resolutie, soude de Coninck, (in de voors. resolutie niet wel te vreden wesende) geseit hebben dat wy ons behooren tevreden te houden mette souveraineté voor den tyt van de trefves, en dat daerenboven yets te pretenderen is tegen reden en de nature van alle trefves, en dat daerom de Coninck van Spanien geen andere declaratie tot syne disreputatie sal doen, maer dat het ons behoort genoech te syn dat Syne Mat. en de Coninck van Engelant ons voor Souverains houden.[...]“, in: Cornelis Aerssen aan van der Veecken. Uitwerking hier door de berigten van den Geznat te Parijs te weeg gebragt, bij de beraadslagingen over de wijze van erkenning der Souvereiniteit in het Bestand [...], in: Deventer, Gedenkstukken, Derde Deel, 1604–1609, S. 269–272, darin: S. 270.

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reichs der Habsburger als souveräne Entität angesehen, auch wenn die politischen Akteure in den Vereinigten Niederlanden dies nicht in allen Kontexten zur Sprache bringen konnten. An der politischen Verfasstheit der Administration in Städten und Provinzen änderte der Vertragsschluss nichts. Nur das Selbstverständnis der Union als politischer Akteurin in Europa und Asien wandelte sich. Aus rebellischen Provinzen war eine unabhängige Föderation erwachsen, die sich auf militärischem, politischem und wirtschaftlichem Terrain bewiesen hatte. Zudem hob der Waffenstillstand die beginnende Entwicklung des Völkerrechts in Europa auf ein globales Niveau. Zwar erwähnten die Verfasser in dem Vertrag keine außereuropäischen Potentaten namentlich, wenn jedoch die geheimen Besprechungen der Staten-Generaal in Betracht gezogen werden, zeigt sich, dass die Bündnisse, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit Territorien und deren Herrschern auf Seiten der Niederländer in Asien bestanden, in die Überlegungen zu den Modalitäten des Waffenstillstands einflossen.30 Ebenso wie die spanischen Interessen geschützt werden sollten, beriefen sich auch die Niederländer auf die Gültigkeit ihrer bestehenden Bündnisse in Asien. Um dies hier nur kurz auszuführen, was später in der Beschäftigung mit der VOC eine größere Beachtung finden wird: Mit der allgemeinen Einbeziehung, der nicht namentlich erwähnten Bündnisse mit asiatischen Herrschern, betrachteten sowohl Spanier als auch Niederländer außereuropäische Potentaten und Gebiete als Rechtssubjekte. Welche Argumentation die VOC nutzte, um sich gegen die Bestimmungen der Verträge von Tordesillas und Saragossa in Asien eine Position zu verschaffen, die es ihnen trotz bestehender Verträge ermöglichte, Handel in den vom Papst unter den Portugiesen und Spaniern aufgeteilten Gebieten der Welt zu treiben, zeigt die folgende Beschäftigung mit Hugo Grotius. Allerdings galten die Verträge mit asiatischen Herrschern nur bedingt als rechtskräftig. Es gab zahlreiche Fälle in denen die VOC, wie in Ceylon, Verträge aufgrund militärischer Überlegenheit brach. Die Errichtung der VOC war der Umschlagpunkt für den koordinierten Aufbau von Handelsbeziehungen mit Südostasien, in deren Folge sich gleichzeitig eine neue Organisationslogik in Asien begann zu etablieren. Die Niederländer profitierten dabei von den Erfahrungen der Portugiesen in Asien und dem Aufbau des eigenen Handelsnetzwerks in Europa. Auf welche Weise das Naturrechtsdenken Hugo Grotius’ den Umgang mit außereuropäischen Völkern rechtfertigte, war Ausdruck einer neuen Verräumlichung der niederländischen Herrschaftsstrategien. Um die Funktionsweise der unterschiedlichen niederländischen Herrschaftsund Verräumlichungsstrategien sowohl im globalen als auch im europäischen Kontext besser verstehen zu können, ist ein Nachdenken über das Rechtsverständnisses Grotius’ notwendig, was eine intensive Beschäftigung mit dessen politischer Philosophie bedeutet.

30 Siehe dazu die Besprechungen in den Generalständen: Japikse/Rijperman, Resolutiën, 1607–1609, S. 637–671.

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Exkurs: Hugo Grotius’ Eigentumsverständnis – Die Grundlage der niederländischen Staats-Formierung Grotius’ politische Philosophie gibt einen Eindruck von der bestimmenden Wirkung des Eigentums für die ständisch-korporative Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden, deren Elemente mittelalterlichen Traditionen entwuchsen und in der Institutionalisierung ökonomischer Korporationen mündete, die durch Zentralisierung entstanden. Gleichsam lassen sich die Strategien niederländischer Politik sowohl unter den Statthaltern in der ersten Hälfte als auch unter den Regenten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aus Grotius’ politischer Philosophie heraus erklären. Besonders wird in der folgenden Betrachtung auf den Unterschied von Grotius’ eigenem Verständnis von Herrschaft und dem seiner Interpreten eingegangen, die zu einer Positionierung im Umgang mit dem Begriff Staat und der damit verbundenen Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden führen. Das grundsätzliche Geschichtsverständnis der Frühen Neuzeit, das sich auch in Grotius’ Schriften wiederfindet, bietet Anknüpfungspunkte für die Herauslösung der niederländischen Staats-Formierung aus dem Fortschrittsdenken der Staatsbildungstheorien. Peter Nitschkes Ausführung zum Eigentum sollen vertiefend betrachtet werden, um zeigen zu können, wie das Rechtsverständnis Grotius’ durch den außereuropäischen Kontakt verändert wurde. Nitschke führt an, aus dem Eigentumsverständnis Grotius’ herleiten zu können, welche Vorstellung Grotius von der Herrschaftsordnung besaß. Wie an Auszügen aus der deutschen Übersetzung der Schrift De mare liberum erkenntlich werden soll, folgt sowohl die akademische Beschäftigung als auch der Übersetzer dem Bestreben, Grotius ein Verständnis von Staat zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu attestieren. Peter Nitschke und Norbert Konegen stellen in ihrem einleitenden Text zum Sammelband über Grotius’ Denken zum Thema Staatlichkeit die Problematik des von der Forschung aufgestellten Belegs dar. „An erster Stelle besteht schon einmal das Problem, das Grotius keine gesonderte bzw. spezielle Theorie vom Staate hat. Staatlichkeit ist in seiner Lehre eingebettet in ein sehr umfassendes Verständnis sozialer Erscheinungsformen, die in Bezug auf die Politik seiner Ausrichtung auf Herrschaft bedürfen. Staat ist somit eine Manifestation von Herrschaftstechniken. […] Das Verständnis von Staatlichkeit ist demnach eines von politischer Ordnung, an der sich alle ständischen Gruppierungen, modern könnte man hier von Verbänden sprechen, in gleicher Weise beteiligen. Wobei die sozialen Differenzen der prämodernen Ständewelt zugleich auch Leistungsdifferenzen widerspiegeln. Aus den sozialen Interessenslagen resultierten Herrschafts- und Ordnungsansprüche und diese formulieren in dynamischer Weise den Politikbegriff. Grotius ist insofern für die Theorie vom Staate nicht nur ein Stichwortgeber hinsichtlich der Macht- und Herrschaftsmechanismen, sondern – analog zu Bodin – ein Systematiker für die Begründungszusammenhänge von politischer Ordnung – jenseits der rein theologischen Besetzung der Prämissen.“31

In den zitierten Ausführungen wird nicht nur die Nähe Grotius’ zu Althusius deutlich, wenn von ständischen Gruppierungen gesprochen wird, die an der Bildung 31 Vgl. dazu: Konegen/Nitschke, Einleitung, S. 14f.

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einer politischen Ordnung beteiligt sind, sondern auch die Qualität der Philosophie Grotius’, eine Individualisierung in Abgrenzung zur theologischen Letztbegründung von Herrschaft zu beschreiben, die sein tolerantes Verständnis in Bezug auf die Einhaltung von Verträgen gegenüber Andersgläubigen andeuten, bei der die Religion als Maßstab für die Rechtmäßigkeit außen vor bleiben sollte. Die beiden Autoren betrachten Grotius als Systematiker von politischer Ordnung, die nicht von einer speziellen Staatstheorie her gedacht werden kann. Grotius formulierte hingegen allgemeine Rechtsgrundsätze, die gebündelt, ein System ergeben. Beispielhaft war die Anerkennung der Rechte von Muslimen und Heiden in der Schrift De Mare liberum. „Außerdem gibt die Entdeckung nur dann Recht, wenn das Land vor der Entdeckung herrenlos war. Die Inder hatten aber, als die Portugiesen zu ihnen kamen, obwohl sie zum Teil Götzendiener, zum Teil Mohammedaner und in schwere Sündenschuld verfallen waren, doch ein öffentliches und Privatrecht über Hab und Gut, das ihnen ohne gerechten Grund nicht genommen werden konnte. So sagte mit gutem Rechte nach anderen Schriftstellern berühmten Namens der Spanier Victoria: ,Weder geistliche noch weltliche Christen können Heiden ihrer Privatrechte oder ihrer Herrschaft allein aus dem Grunde berauben, weil sie Heiden sind, wenn von ihnen nicht noch anderes Unrecht begangen ist.‘ Der Glaube nämlich beseitigt, wie Thomas von Aquino richtig sagt, nicht das natürliche Recht, aus dem die irdischen Gewalten entsprungen sind. Daher ist es eine Irrlehre, Heiden könnten nicht Herren ihres Besitzes sein und es ist ein Diebstahl, wenn man ihnen deswegen ihren Besitz fortnimmt und Raub, gerade 32 wie wenn es gegen Christen geschieht.“

Die Textstelle gibt ein Bild von der Anleihe im Naturrecht, das nicht an religiöse Bekenntnisse, sondern an natürliche Rechte des Menschen rückgebunden ist. Mit Hilfe des Naturrechts war es möglich, die niederländischen Ansprüche auf die Freiheit des Meeres in Indien zu rechtfertigen, da die Spanier und Portugiesen zu Unrecht Land in Besitz genommen hätten. Grotius’ Respekt gegenüber der Bevölkerung Ostindiens erklärt sich durch das Interesse des Anteilsinhabers der VOC, die den Erfolg der VOC befördern wollten und zeigt die Argumentation der Niederländer zu Beginn des Jahrhunderts, ihre Handelsinteressen durchzusetzen, die aus der Schwäche fehlender Handelsstützpunkte in Südostasien resultierte.33 Aus diesem Grund sind die theoretischen Überlegungen des respektvollen Umgangs mit der Bevölkerung Indiens und Südostasiens nicht kongruent mit der Wirklichkeit, die nach der Etablierung einer niederländischen Machtbasis in Südostasien existierte, wie das niederländische Vorgehen gegen die Bevölkerung der Molukken zeigte, deren Widerstand gegen niederländische Interessen mit Waffengewalt gebrochen wurde. Rein theoretisch gewährte Grotius der ansässigen Bevölkerung Ostindiens indes Rechte. „Die Bewohner Ostindiens ermangeln auch nicht des Verstandes und der Vernunft, sondern sind kluge und fleißige Leute, so daß auch daraus kein Vorwand, sie zu unterwerfen, abgeleitet werden könnte, der allerdings schon offenbar unbegründet genug ist. Plutarch hat schon 32 Vgl. dazu: Boschan, Von der Freiheit des Meeres, S. 30. 33 Grotius hatte selbst Anteile der VOC gezeichnet. Siehe dazu: Wilson, Eric: The savage republic: De Indis of Hugo Grotius, republicanism, and Dutch hegemony within the early modern world-system (c. 1600–1619), Boston: Martinus Nijhoff Publishers, 2008, S. 1–16.

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gesagt, unter dem Vorgeben, die Barbaren an sanftere Sitten gewöhnen zu wollen […], ver34 hüllt sich nur ruchlose Habgier […].“

Grotius galt die Sicherung des Eigentums als oberste Prämisse der Rechtsordnung. Nitschke nimmt Grotius’ Nachdenken über das Eigentum als Ausgangspunkt für die Beschreibung des Grotius’schen Herrschaftsverständnisses. Tragend für die Rolle, die Grotius für das Völkerrecht einnahm, war die Anwendbarkeit seines Eigentumsrechtsverständnisses im globalen Kontext. Die Wirkmacht der Grotius’schen Axiome für das Völkerrecht sind unbestritten. Sie bilden die weltweit akzeptierte Grundlage gegenwärtiger Rechtspraktiken. Aus diesem Grund ist die kritische Betrachtung der Axiome der Grotius’schen Theorie, die zum Nutzen der wirtschaftlichen Interessen instrumentalisiert und auf eine Allgemeingültigkeit über den europäischen Rahmen hinaus als wirksam erklärt wurden, für die Analyse der globalen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien der Niederländer dienlich. Die Akzeptanz des Völkerrechts hat seine Grundlage in dem Verständnis, dass Menschen, unabhängig von ihrer Religion, Rechte besitzen, worauf Grotius’ Ansichten zur Herrschaftsordnung basieren. Peter Nitschke bescheinigt Grotius eine Ablehnung der Bodin’schen Idee von Souveränität. Grotius lehne die Idee einer „hegemonialen Gebietshoheit, die über ein systematisches Gewaltmonopol verfügen könnte“, ab.35 Er steht an einer Schnittstelle zwischen der metaphysischen Begründung der Herrschaft, die auf Gott beruhe und einem von Menschen gesetztem Recht der Herrschaftsordnung. „Da es Grotius nicht um das Recht Gottes geht, sondern um das Recht, welches ,unter den Menschen selbst‘ herrscht, handelt sein Traktat [De jure bellis ac pacis, O.K.] von der Positivierung des Rechts jenseits der göttlichen Sphäre. Es wäre aber verkehrt, wollte man die metaphysischen Implikationen, die sich für Grotius nach wie vor stellen, hierbei ausklammern. In dieser Hinsicht ist Grotius zweifellos so etwas wie ein Vermittler zwischen dem traditionellen Bild der christlichen Res publica und dem beginnenden Akt einer positivistischen Selbstbegründung von Staatlichkeit. Politik ist ihm bezeichnenderweise die ,Lehre von dem 36 Nützlichen‘.“

Nitschke benennt die traditionelle metaphysische Einheit als christliche Res publica, die in Grotius politischer Philosophie einer naturrechtlichen Interpretation unterliegt, aber nicht der Abkehr vom göttlichen Prinzip gleichkommt. Im Rückbezug auf das Naturrecht lag für Grotius auch immer der Versuch die göttliche Schöpfungskraft in der Rechtsordnung zu erkennen. Beide Erkenntnismöglichkeiten gelten Grotius als Möglichkeit des menschlichen Erkenntnisakts. Allerdings ist die Relativierung des orthodoxen Calvinismus notwendig, um die menschliche Selbsterkenntnis als gangbaren Weg zu ermöglichen. Diese Ansichten trieben Grotius ebenso wie Oldenbarnevelt in Gegensatz zu den radikalen Gegenremonstranten, der Oldenbarnevelt das Leben kostete und Grotius zur Flucht aus seiner 34 Vgl. dazu: Boschan, Von der Freiheit des Meeres, S. 30. 35 Vgl. dazu: Nitschke, Die Eigentumsfrage, S. 24. 36 Vgl. dazu: Ebda., S. 25. Peter Nitschke nutzt die Ausgabe von Walter Schätzel als Grundlage für die Kritik des Blicks auf Grotius als Staatstheoretiker. Siehe dazu: Grotius/Schätzel, De jure belli ac pacis. Libri tres.

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Heimat zwang.37 Der andere Punkt ist die Notwendigkeit, selbst als Mensch schöpferisch tätig zu werden, indem der Mensch die Welt aus einer persönlichen Sichtweise heraus auf Grundlage des Naturrechts sich selbst erklären kann. Mit Grotius beginnt auch eine Individualisierung der Sicht auf die Welt, die von späteren Philosophen wie Hobbes eindeutiger formuliert wurde. Zur Erkenntnis der Natur dient die Vernunft: Erkenntnis bleibt indes nur wahr, wenn sie mit den Grundsätzen der christlichen Religion und Gott übereinstimmt. Allerdings greift der Schöpfer nicht mehr selbst in den Verlauf der Menschheitsgeschichte ein, die sich fortan mit der ihr innewohnenden göttlichen Logik entwickelt. Um diese Logik zu erkennen, benötigt der Mensch die eigene Vernunft. Zudem verweist Nitschke auf die Notwendigkeit der sozialen Verhaltensweise die sich aus der ethisch-sittlichen Begründung der Vernunft ergibt. Hinter allem steht trotz der Vernunft die metaphysische Letztbegründung der Dinge und nicht die rationale Erklärungskraft der modernen Wissenschaft. Allerdings sind alle Dinge Gegenstand der empirischen Betrachtung. Über die Betrachtung der Geschichte der Menschheit, die Grotius gleichsetzt mit der der Natur, kann vom einzelnen Individuum aus ein größerer Zusammenhang begriffen werden. Diese Welt der menschlichen Handlungen steht als unvollkommene der vollkommenen, göttlichen gegenüber. Nur zur unvollkommenen Welt kann der Mensch Aussagen treffen, indem er versucht diese Welt zu systematisieren. Darin liegt der Versuch Grotius’, seine Naturrechtslehre in zwei verschiedene Bereiche zu teilen. Gott ist Voraussetzung für die unvollkommene Welt des Menschen. Diese Welt kann nun allerdings mithilfe der Naturrechtslehre und der Vernunft verstanden werden. Nitschke fasst die Arbeit Grotius’ folgendermaßen zusammen: „Insofern ist der menschliche Erkenntnisakt in Ansehung des Naturrechts latent immer noch ein Erkennen der göttlichen Schöpfungskraft selbst. Wenn man so will, schlägt Grotius hier einen gemäßigten Calvinismus vor, in dem das Ausmaß der göttlichen Vorbestimmung reduziert wird auf eine analog gedachte menschliche Selbsterkenntnis. Die Welt wird somit aus sich selbst heraus erklärt. Muster für die Interpretation dessen, was richtig ist und was nicht, offenbaren sich in der Geschichte der Ereignisformen. Wie bei Machiavelli ist somit auch 38 hier die Geschichte magistra vitae.“

So gedacht, spiegelt sich in der Geschichte die Natur mit ihrer göttlichen Immanenz wider. Sie bilden trotz der Getrenntheit eine Einheit. Dies hat weitreichende Folgen für Grotius’ Denken über den Fortgang der Geschichte. Da die Geschichte ein bleibender Spiegel der Natur ist, gibt es für ihn weder Ziel noch Fortschritt in der Geschichte. Die Natur bildet sich auf verschiedene Art und Weise in der Geschichte ab, ohne dabei einem wie auch immer gerichteten Prozess zu folgen. Dies ist ein entscheidender Unterschied zum neuzeitlichen Verständnis eines gerichteten Prozesses der Geschichte, wofür die Modernisierungstheorien exemplarisch stehen. Grotius’ natürliche Religion stand für die Möglichkeit, die Ver37 Zum Streit zwischen den beiden religiösen Gruppen siehe: Noordzij, Huib: Gereformeerd of protestants: de strijd tussen remonstranten en contraremonstraten, Woord & wereld, 34, Bedum: Woord en Wereld, 1997. 38 Vgl. dazu: Nitschke, Die Eigentumsfrage, S. 27.

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antwortung für menschliches Tun aus sich selbst heraus zu erklären, in deren Nachfolge Spinoza steht. Da das Naturrecht ohne weiteres Zutun des Schöpfers existiert, wird Gott immer mitgedacht, ist aber für die Deutung des menschlichen, unvollkommenen Tuns nicht unbedingt notwendig. Nitschke nennt Gott eine formallogische Instanz, die nur als Letztbegründung notwendig ist. Das Denken Grotiusʼ wurde zur Grundlage der Westfälischen Friedensordnung, die aus dem Pragmatismus, den Krieg aus Erschöpfung aller Parteien beenden zu müssen, nicht mehr die Frage nach der Letztbegründung des menschlich-unvollkommenen Bereichs stellte, sondern eine politische Ordnung etablierte, die sich an Rechtsgrundsätzen und der Vertragserfüllung orientierte, die im Naturrecht gründeten und daher wiederum Ausdruck der göttlichen Ordnung waren, ohne auf dem Wahrheitsanspruch der verschiedenen Konfessionen zu beharren. Auch die Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden ist bei aller religiösen Toleranz und der Duldung von Katholiken von einer tiefen Religiosität geprägt, die sich in der Etablierung einer reformierten Öffentlichkeitskirche offenbarte, ohne dass der Widerspruch zwischen den Konfessionen zum Bürgerkrieg in der Föderation führte. Um Grotius als Vordenker der niederländischen Staats-Formierung bezeichnen zu können, fehlen indes die dezidierten Aussagen des Rechtsgelehrten zur Staatlichkeit, da in der Zeit als Grotius’ Hauptwerk entstand, der Staats-Begriff im Niederländischen noch nicht lexikalisiert worden war. Die Ausführungen zeigen jedoch, inwieweit Grotius’ Denken die Herrschaftsordnung Europas und der einzelnen europäischen Territorien zitierte und beeinflusste. Aus der Übersetzung der meisten Werke Hugo Grotius’, ob ins Englische oder ins Deutsche, ergibt sich die Wahrnehmung, Grotius sei ein Staatstheoretiker gewesen. In vielen Kapiteln und Artikeln der jeweiligen Übersetzung von De jure praedae oder De jure belli ac pacis können Ausführungen Grotius’ zum Staat nachgelesen werden: Nitschke und Konegen weisen diese Herangehensweise zurück. Grotius hatte ebenso wenig ein Verständnis von Staatlichkeit im modernen Sinn, wie vom Begriff Staat, sondern von politischer Ordnung, das sich aus den Kategorien Eigentum und Gemeinwesen entwickeln lässt, wenn Eigentum als ein schützenwertes Gut betrachtet wird, das der Absicherung durch eine geordnete Herrschaft bedarf, sowohl in privater als auch in kollektiver Form.39 Basierend auf Grotius’ Rechtsverständnis, Eigentum und dessen Bedingungen durch die Herrschaftsordnung abzusichern, können in den nördlichen Niederlanden ökonomische Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien beschrieben werden, die letztlich die spezifisch niederländische Staats-Formierung kennzeichneten. Das Gemeinwesen wird von Verbänden organisiert und regiert. Nitschke bezieht sich in seiner Analyse des Eigentumsrechts bei Grotius auf die Kapitel eins bis zwölf von De jure bellis ac pacis. Aber auch in Grotius anderen Schriften lassen sich Aussagen zum Eigentumsrecht finden, wie in Kapitel fünf von De mare liberum. „Man muß wissen, daß in den Anfängen menschlicher Kultur Besitzrecht (dominium) und Gemeingut (communio) eine andere Bedeutung als jetzt hatten. Was jetzt Besitzrecht (domi39 Siehe dazu: Konegen/Nitschke, Einleitung, S. 13–22.

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nium proprium) bedeutet, will sagen: es gehört einem so, daß ein anderer es nicht in demselben Maße gebrauchen kann. Gemeingut (commune) aber nennen wir, wovon der Besitz unter mehrere durch eine Art von Gesellschaft oder durch Verständigung verteilt ist mit Ausschluß von anderen. […] Zu gleicher Zeit bildeten sich aber auch Staaten und so entstanden unter den Dingen, die aus dem ursprünglichen Gemeinbesitz losgelöst waren, zwei Klassen. Die einen nämlich sind öffentlicher Besitz d.h. sie gehören dem Volke zu eigen (in ihrer ursprünglichen Bedeutung des Wortes), die anderen sind Privatbesitz, d.h. gehören einzelnen Personen. 40 Die öffentliche Besitznahme aber erfolgt in derselben Weise wie die private.“

Schon sehr früh nahm das Eigentumsrecht in Grotius’ Werk einen entscheidenden Raum zur Begründung des freien Handels ein. Grotius attestiert dem Rechtsverständnis römischer Prägung eine Veränderung, die zu einer Neubewertung des Besitzes führte. Grotius sah in der Aneignung von Ressourcen eine notwendige Handlung des lebenden Menschen, die von der Habgier gesteuert sei. Grotius versuchte die Habgier als Ausgangspunkt durch die Annahme eines Vertrages zu entschärfen, der festlegte, was als Gemein-, was als Privatgut zählte. Dies zu regeln, unterlag dem Willen des Menschen. Welche Bedeutung der Kontraktualismus in der Grotius’schen Theorie hat, ist umstritten. Frank Grunert spricht von einer Unterscheidung zwischen dem subjectum proprium und dem subjectum commune. Der Vertreter der ersteren Kategorie ist der Inhaber der höchsten Gewalt, der im Auftrag der Bewohner des betreffenden Territoriums handelt und deren Rechte übertragen bekommt. Um dieses Verhältnis zu manifestieren, wird laut Grunert ein Vertrag sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum geschlossen.41 Norbert Konegen widerspricht der Annahme, dass der Vertrag ein bedeutender Faktor für das Sozialsystem in der Theorie Grotius’ gewesen ist. Viel größere Bedeutung in Grotius’ Gemeinwesentheorie komme hingegen der Rechtsform der Korporation zu. „[Grotius] begriff Sozialität als Quelle gesellschaftlicher und staatlicher Ordnungsstrukturen. Soziale und politische Institutionen, wie etwa Ehe, Familie, Zünfte, Gemeinden und Provinzen mit ihren Untergliederungen, verstand er als partes discretae, eingebunden in die Lebensform einer Sozialität, die er als unum et permanens corpus dachte. Es handelte sich um ein korporativ geordnetes Sozialsystem, das eben nicht auf Vertragsbasis beruhte, weil diese universitas bzw. republica nicht als fingierte persona moralis neben oder über ihren Gliedern erschien, sondern in der Gesamtheit der Teileinheiten. Folgerichtig sah er den Staat als umfassendes korporatives Sozialgebilde mit der Qualität einer summa potestas als eine vollkomme42 ne Gemeinschaft freier Menschen.“

Konegens Ausführungen vor dem Hintergrund der Grotius’schen Theorie schließen an die Thesen an, das niederländische Gemeinwesen als korporativ organisiert zu betrachten, dessen einzelne Körperschaften eigenständig blieben, da sie in einer föderalen Union vereinigt wurden. Die Zurückweisung der Vertragstheorie bezieht Konegen auf die Organisation des Sozialsystems. Grunerts Argumentation

40 Vgl. dazu: Bosch, Grotius, S. 37, 42. 41 Vgl. dazu: Grunert, Der Vertrag, S. 133. 42 Vgl. dazu: Konegen, Norbert: Hugo Grotius und die moderne Politikwissenschaft, In: Konegen/Nitschke, Staat bei Hugo Grotius, S. 159–180, darin S. 172.

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der Übertragung der Rechte des Volks an die Herrschenden bleibt aber auch in Konegens Verständnis weiter bestehen. In den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts gab es keine Verfassung, auf der das Gemeinwesen fußte. Alle Herrschaftsverhältnisse in den Vereinigten Niederlanden waren gewachsene Verflechtungen traditionell existierender Körperschaften wie den Generalständen, Provinzialständen, Stadträten oder dem Standesrat. In der Betrachtung, die die Verflechtung von Korporationen und das Naturrechtsdenken des Vertragsschlusses zwischen Herrschern und Beherrschten zusammenführt, können die verschiedenen Dimensionen der niederländischen Staats-Formierung mit Rückbezug auf Grotius verstanden werden. Grundsätzlich ist natürlich ein korporativ organisiertes Gemeinwesen durch positives Recht strukturiert, wie der Oktroi der VOC oder die Utrechter Unionsakte zeigt. Der Unterschied zwischen den Positionen Konegens und Grunerts ist demnach auf die Problematik zurückzuführen, ob ein tatsächlicher Vertrag die politische Ordnung eines Gemeinwesen konstituiert oder die Struktur aus einem Gewohnheitsrecht heraus entsteht und darauf gründet, welches fakultativ durch einen Vertrag gefestigt wird. Dass in einem ständisch-korporativ organisierten Gemeinwesen jede Korporation Teil des Ganzen ist, übertrug Grotius auf die Beziehung der Völker untereinander, was den globalen Aspekt seiner politischen Philosophie zeigt. „In diesem Sinne verstand Grotius die abendländische Völkergemeinschaft (die Menschheit) als tatsächliches Rechtsgebilde, deren einzelne Völker er als selbstständige, korporative Glieder begriff. Diese handelten, verpflichteten sich und konnten sich als universitas strafbar machen. […] Seinem grundlegenden anthropologischen Optimismus folgend, unterstellte er ein ,Naturrecht der Gemeinschaft‘ in dem Sinne, daß der einzelne zwar verantwortungsethisch zu handeln hatte und dies auch konnte, immer jedoch in Rückbindung als Glied einer Korporation, d.h. schon bestehender ständischer Lebensgemeinschaften. […] Dabei ist zu beachten, 43 dass Grotius deutlich zwischen ,Staat‘ und ,Gesellschaft‘ unterscheidet.“

Konegens, in diesem Zusammenhang aufgestellte Annahme, Grotius trenne zwischen Gesellschaft und Staat, leitet er aus De jure praedae ab. Grotius unterscheide im Kommentar zu De jure praedae zwischen der menschlichen und der politischen Gesellschaft.44 Nach Konegen sei die erste von Natur aus gegeben, die andere vom Menschen geschaffen. Die von Konegen bescheinigte Trennung von Staat und Gesellschaft bei Grotius ist indes nicht mit der neuzeitlichen Unterscheidung zwischen den Kategorien Staat und Gesellschaft als aufeinander bezogene, aber getrennte Phänomene zu vergleichen. Alle institutionalisierten menschlichen Zusammenschlüsse, die auf einer expliziten Entscheidung beruhen, sind nach Konegens Interpretation staatliche Institutionen, was die Verwendung der Kategorie Staat als Universalie bedeutet. Nur noch familiäre Bindungen könnten als gesellschaftliche Institutionen bezeichnet werden. Mit dieser Trennung kann die Gründung von Korporationen per se als Akt betrachtet werden, der staatliche Institutionen hervorbringt. Die Gründung der VOC wäre also eine politische Institution, obwohl die VOC in erster Linie ein Wirtschaftsunternehmen war. Für die 43 Vgl. dazu: Konegen, Hugo Grotius und die moderne Politikwissenschaft, darin: S. 171. 44 Zitiert nach Konegen: Grotius, Hugo: De jure praedae, Kap. VIII, S. 92.

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nach Konegen als staatliche Institutionen zu bezeichnenden Korporation wie die Provinzialstände oder das VOC-Direktorium würde sich der Widerspruch ergeben, dass familiäre Beziehungen und damit gesellschaftliche Faktoren unweigerlich notwendig sind, um Aufnahme in die Gremien gewährt zu bekommen. Eine Trennung zwischen Staat und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit ist demnach problematisch. Nitschke und Konegen nehmen die Trennung trotz der Kritik an der Klassifizierung Grotius’ als Staatstheoretiker vor.45 Konegens Einschätzung beruht auf einer Textstelle, die ihre grundsätzliche Trennschärfe durch die Verwendung des Staats-Begriffs erfährt. Wenn civitas mit Staat und nicht mit dem Begriff Gemeinwesen übersetzt wird, gewinnt der Satz „Gott hat nicht den Staat, sondern zwei Menschen geschaffen“,46 eine politisch dezidierte Dimension, die das menschliche Zusammenleben per se mit einer Form von Staatlichkeit verbindet. In Grotius’ Originalfassung war diese Ineinssetzung nicht angelegt, da Grotius die civitas als Form der Vergemeinschaftung betrachtete und den Begriff Staat nicht verwendete. Bei Grotius bestand nur die Trennung zwischen menschlichen und politischen Gemeinschaften oder Korporationen. Die abstrakte Trennung zwischen Staat und Gemeinschaft oder Gesellschaft war ihm fremd.47 45 Am Vergleich der lateinischen Originaltexte und der deutschen Übersetzungen lässt sich zeigen, dass die Verwendung der Begriffe Staat und Gesellschaft eine Frage der Semasiologie ist. Grotius selbst verwendete den lateinischen Begriff statu nicht, der als etymologischer Ursprung des niederländischen Begriffs Staat gilt. Die Übersetzungen von res publica als Staat und societas als Gesellschaft sind semasiologische Inkorporationen, die zu Universalien führen, wobei die Übersetzung von Grotius’ Werken sich in der Verwendung von Gesellschaft und Gemeinschaft als Wiedergabe von societas unterscheiden. Vgl. dazu das lateinische Original der sogenannten Zueignung Grotius’ in De mare Liberum: „Sine his si parva illa societas, quam rempublicam vocamus, constare non posse iudicatur (et certe constare non potest) quamobrem non eadem illa ad sustinendam totius humani generis societatem atque concordiam erunt necessaria?“, in: Grotius, The Freedom of the Seas, in: Internetquelle: http://oll.libertyfund.org/titles/grotius-the-freedom-of-the-seas-latin-and-english-versionmago ffin-trans, S. 4, zuletzt konsultiert am 28.12.2017, mit der deutschen Übersetzung Richard Boschans: „Wenn ohne diese Forderungen jene kleine Gemeinschaft, die wir Staat nennen, nicht soll bestehen können (und allerdings kann sie es nicht), wie sollen sie nicht nötig sein, um die einträchtige Gemeinschaft des ganzen Menschengeschlechtes aufrecht zu erhalten?“, in: Boschan, Freiheit der Meere, S. 19. Res publica wird als Staat von Boschan übersetzt, was nicht dem zeitgenössischen Verständnis entspricht. Den Begriff societas übersetzt Boschan mit dem Begriff Gemeinschaft und nicht dem Begriff Gesellschaft, was dem zeitgenössischen Verständnis Grotius entspricht. Die inhaltliche Trennung zwischen den Begriffen res publica und societas besteht indes nicht, da die res publica eine Unterart der societas ist, wodurch eine Trennung zwischen Gemeinschaft und Republik, die Boschan als Staat bezeichnet, nicht möglich ist. 46 Zitiert nach Konegen: Grotius, Hugo: De jure praedae, Kap. VIII, S. 92. 47 In der deutschen Übersetzung von De jure belli ac pacis aus dem Jahr 1869 übersetzt Kirchmann den Begriff imperii als Staaten, was nicht nur etymologisch inkorrekt ist, sondern auch das Konzept des Imperiums, das dem von Staatlichkeit diametral gegenüber steht und des Staats in eins setzt. Vgl. dazu das lateinische Original mit der deutschen Übersetzung: „Quod ipsum cum sit maximum, plus tamen aliquid à te exigere audent Christianorum populi: ut scilicet exstinctis ubique armis pax sua non imperiis tantum, sed & Ecclesiis te auctare redeat,

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Die fehlende Historisierung von Begriffen in der Übersetzung, schafft Interpretationsmöglichkeiten, die kaum mit dem Ausgangstext übereinstimmen, es jedoch ermöglichen Grotius in eine Entwicklungslinie der sogenannten Staatstheoretiker, mit all den implizierten Annahmen der Trennung von Staat und Gesellschaft, zu stellen, der die vorliegende Arbeit entgegen steht. Wenn Grotius nicht nur als Gründervater des Völkerrechts, sondern auch als Staatstheoretiker begriffen werden soll, kann er als Vertreter einer Gemeinschaftsordnung gelten, die auf einer ständisch-korporativen, aristokratischen Herrschaftsform nach antikem Vorbild basierte, wobei sich diese Präferenz durch den Erfahrungsraum Grotius’ ergab, was die Schrift Apologetica zeigte.48 Die Kontextualisierung der Entstehungszusammenhänge der Grotius’schen Texte wird zwar von den Autoren, die an der Einordnung Grotius’ als Staatstheoretiker interessiert sind, angeführt, aber bei der kritischen Beurteilung der Grotius’schen Herrschaftsmodelle zu wenig einbezogen. Grotius’ Argumentation ist eindeutig von seinem eigenen Interesse getragen. Das Urteil Johan de Witts, gleichnamiger Neffe des Ratspensionärs de Witts, aus Dordrecht, über die politischen Schriften von Grotius in einem Brief an den Ratspensionär 1663, lässt erkennen das Grotius, wie auch in Bezug auf die Rechtfertigung des Handels mit Südostasien, oft im Sinne seiner Auftraggeber argumentierte. Grotius instrumentalisierte die verschiedenen Kategorien. Die Herrschaft der Statthalter beschrieb er 1610 in seiner Schrift De Antiquitate Republicae Batavicae als mixtum, die sowohl aus aristokratischen als auch republikanischen Elementen bestehe. Der Autor des Briefs weist diese Interpretation zurück und begründet die Argumentation Grotius’ mit der Treue zu Moritz von Oranien. Abseits der Vermutung, dass de Witt gegenüber seinem Onkel das Statthalteramt diskreditieren wollte, steht seine Aussage sinnbildlich für die Problematik, aus Grotius’ Schriften Kategorien der

discatque nostra aetas arbitrium subire ejus aetatis, quam vera sinceraque fied Christianam suisse Christiani omnes profitemur.“, in: Grotius, Hugo: De jure belli ac pacis. libri tres, Amsterdam: Blaev, 1632, in: https://archive.org/stream/hugonisgrotiidei00grot#page/n11/ mode/2up, S. 3, zuletzt konsultiert am 21.11.2016; „Wenn auch dies das Grösste ist, so wagen doch die Völker der Christenheit noch mehr von Dir [Ludwig XIII. von Frankreich, O.K.] zu erbitten, dass nämlich der Krieg überall erlösche und der Friede nicht blos den Staaten, sondern auch den Kirchen unter Deiner Führung wiedergegeben werde, und dass unser Zeitalter lerne, sich den Ausspruch jener frühen Zeit zu beugen, welche wir Christen sämmtlich als die christliche an wahrem und aufrichtigem Glauben erkennen.“, in: Grotius, Hugo; Kirchmann, J. H. von (Übersetzer): Des Hugo Grotius drei Bücher über das Recht des Krieges und Friedens, in welchem das Natur- und Völkerrecht und das Wichtigste aus dem öffentlichen Recht erklärt werden, Erster Band, Berlin; Heimann, 1869, S. 19 (Widmung). 48 Von der Anrufung der holländischen Stände erhoffte sich Grotius mehr als von den Generalständen und dem Statthalter. Siehe dazu: Grotius, Hugo: Apologeticus, eorum qui Hollandiae Westfriesiae et vicinis quibusdam nationibus ex legibus praesuerunt ante mutationem que evenit..., Heidelberg, 1629; zur Bedeutung Grotius’ als Begründer das Völkerrechts siehe u. a.: Kempe, Michael: Der Anfang eines Mythos. Zum grotianischen Natur- und Völkerrecht in der europäischen Aufklärung, in: Konegen/Nitschke, Staat bei Hugo Grotius, S. 125–138.

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Herrschaftsbeschreibung ableiten zu wollen, da diese oftmals Grotiusʼ Opportunismus geschuldet waren.49 Trotz der Offenheit der Grotius’schen Aussagen zur Organisation der politischen Herrschaft und der Fragwürdigkeit, ihn als Staatstheoretiker mit allen Konsequenzen zu bezeichnen, ist der Grotius’sche Ausgangspunkt für die Notwendigkeit politischer Ordnung ein wichtiger Faktor für das Verständnis der Herrschaftsverhältnisse in den Vereinigten Niederlanden. In griechisch-römischer Tradition war Grotius der Schutz des Eigentums die grundsätzliche Aufgabe politischer Herrschaft, auf der eine Vorstellung der Ordnung des politischen Gemeinwesens beruhte, die charakteristisch für die spezifisch niederländische Staats-Formierung im 17. Jahrhundert war. Um diesen Anschluss zu begründen, muss auf Grotius’ klare Unterscheidung zwischen Privat- und Gemeingütern zurückgekommen werden. Dabei ist es von Bedeutung, dass Eigentum auch begrenzt werden muss, da auch die Besitzergreifung nur begrenzt möglich ist. Besitz muss verteidigt werden können. Grotius schließt demzufolge das Meer aus, da es nicht begrenzbar ist. Ebenso wie die Luft, kann das Meer nicht zum Besitz einer Seefahrernation oder einer Privatperson werden, sondern steht der Allgemeinheit offen; kann also nicht einem Volk gehören, sondern gilt als offener Raum, was der These, Seehandelswege beherrschen zu wollen, rein theoretisch vorerst entgegen steht. Auf der Grundlage einer päpstlichen Verfügung können die Portugiesen zudem keinen Anspruch auf die besetzten Territorien in Indien erheben, die gleichzeitig die Schifffahrt auf den Weltmeeren begrenzt, die für die Erreichung außereuropäischer Regionen wichtig waren. Das Territorium gehörte schon vor ihrer Ankunft in Indien bestimmten 49 Vgl. dazu: „[…]Ick hebbe anders noch meer geremarqueert, dat in groote mannen heeft konnen vallen, dat sy, om subject te hebben tot flatterye, passagiën ende opiniën hebben openomen, die niet te wel met de redelijckheyt ende de waerheyt en quadreere, als namentlijck d’heer De Groot, die in sijn boeck: de Antiquitate Reopublicaer Batavicae d’regeringe van Hollant, alsdoen met de stadhouders, segt te sijn een soorte van regeeringe, die men mixtum noemt, gecomposeert uut monarchie, aristo- ende democratie; hetwelck valsch is, ja selfs, dat soo een republijcq kann sijn; alhoewel Polybius van soo een soort oordeelt te wesen die van de Romeynen, die inderdaet een democratie was, als meest alle de politycque schryvers, ende daeronder specialijck Bodin, sustineren tegens Polibius; maer gelijck Polibius in dit stuck niet en was sonder interest, om soo te schryven, vermits hy een soon was van een der veltoversten ende daer oock toe trachten of pretentie toe hadde, ende syne republijcq van de Achees mede stelde een gemengde te sijn, soo flatteert d’heer De Groot den Prince van Orangien mede hierin, dat hy de regeringe van Hollant sulcken naem geeft, daer sy puer aristocratijcq is en geen republijcq kann sijn, die niet een van driën en is, òf monarchael, aristocratijck òf democratijcq. Ich hebbe eens geseyt aen een van desselfs vrunden, dat ick wel wiste, dat d’heer De Groot dat soo niet geschreven hadde om het notoir misverstandt, dat daerin hadde, die my daerop seyde, dat hy doen ter tijt sijn advancement socht ende albereydts in dienste van den Prince van Orangien was; dat hy wel oordeelen kon, d’heer De Groot van die opinie niet geweest te sijn, maer dat hy den gunst van den Prins van doen hadde, daerom dat soo geschreven sal hebben.“, in: Johan de Witt [Neffe des Ratspensionärs Johan de Witt], 1. November 1663, in: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Tweede Deel, 1660–1672, Amsterdam: Johannes Müller, 1922, S. 131f.

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lokalen Akteuren, deren Eigentumsrechte nach der Entdeckung durch die Europäer gewahrt bleiben mussten. Eigentum kann der besitzen, der vernünftig ist, was Grotius allen Menschen grundsätzlich zusprach. Nitschke sieht in der Bestimmung von Eigentum bei Grotius die Wirkmacht der niederländischen Handelsinteressen, die in ihrer Konsequenz die politische Ordnung beeinflussten.50 Die Begründung des Rechts auf Eigentum band Grotius indes immer an das einzelne Individuum. Im Kontext der Ständeordnung, die die Vereinigten Niederlanden nach dem Beginn des Unabhängigkeitskriegs weiterhin prägte, war die Vererbung von Besitzansprüchen und Eigentumsrechten bei Grotius entscheidender Faktor der Gemeinschaftsordnung, die konkret an einzelne Personen gebunden war. „Die personale Qualität ist die Voraussetzung, daß sich aus dem Naturrecht heraus überhaupt Eigentum entwickeln kann:[…] Was das menschliche System mit all seinen Sozialordnungen vom reinen Naturrecht unterscheidet, ist die Einführung von Eigentum. Erst hieraus resultiert dann positives Recht. […] Völker haben nun wie Personen nicht das Recht, sondern auch die Notwendigkeit, sich in ihren Eigentumsansprüchen physisch zu äußern, d.h. sie müssen vom Land und den natürlichen Ressourcen der Erde materiellen Besitz ergreifen.[…] Eigentum ist das, was man sich als Volk zu Eigen macht. Unabhängig von den handelnden Individuen, die durch den Strom der Zeit operieren, bleibt das existentielle Gut eines Volkes relativ konstant. D.h., so sollte ein Volk agieren. […] Das Volk muß […] den Willen und den Sinn mitbringen, dass seine jeweilige Existenz dauerhaft sein soll. Es ist streng genommen dieser ,Geist oder Sinn eines Volkes‘, der die ,volle und umfassende Gemeinschaft des bürgerlichen Lebens‘ ausmacht, ,deren erste Wirkung die Staatseinheit ist, das Band, welches den Staat zusammenhält‘. Grotius spricht hier mit Paulus sogar von der ,Seeleʻ eines Volkes. Diese je spezifische Seele manifestiert sich in dem Sinn, den ein Volk sich als Gemeinschaft gibt. Erst das führt 51 dann zur Existenz des Staates.“

Nitschkes Interpretation der Grotius’schen Herrschaftssystematik basiert auf der Notwendigkeit, die Grotius in der Verteidigung der Eigentumsrechte des Einzelnen sah, die vergänglicher ist als das Eigentum eines Volkes. Den Willen zur Verteidigung des Erworbenen, der Ressourcen des Raums, der von einer Gruppe von Menschen und deren politischen Institutionen beherrscht wird und die daraus resultierende Sinnstiftung für die verteidigende Gemeinschaft entscheiden über die Überlebensfähigkeit eines Gemeinwesens. Sinnstiftend ist die Geschichte gemeinsamer Handlungen, wie der Unabhängigkeitskrieg zeigt. Was geschieht, wenn der Sinn des gemeinsamen Agierens verloren geht, zeigt der religiöse Konflikt während des Waffenstillstands der im Folgenden noch näher beschrieben wird. Grotius 1610 veröffentliche Geschichte der Batavischen Republik, in der er den Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien in eine Traditionslinie mit dem Volk der Bataver, setzt, kann in direktem Zusammenhang mit der Forderung nach Sinnstiftung für ein Gemeinwesen eingeordnet werden. Eine gemeinsame Tradition schuf die Möglichkeit des Eintretens für die Vereinigten Niederlanden und rief das Einstehen für deren Bestand hervor.52

50 Vgl. dazu: Nitschke, Die Eigentumsfrage, S. 35. 51 Vgl. dazu: Ebda., S. 34ff. 52 Siehe dazu: Grotius, De antiquitate reipublicae Batavicae.

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Als Oberhaupt des Gemeinwesens präferierte Grotius einen Monarchen, dessen Kompetenzen begrenzt sein sollten. Der Monarch war lediglich Verwalter im Auftrag des Volks, das in antiker Rechtstradition von den Besitzenden vertreten wurde. Grotius folgte den Ideen Aristoteles’ zur Partizipation an politischer Meinungsbildung. Die Besitzenden entschieden über die Form der politischen Herrschaft im Konsens. Dabei erklärte Grotius die Verfasstheit der Herrschaft, ob Monarchie, Demokratie, Aristokratie sei gleichgültig, solange im Konsens dafür entschieden wurde. Er stand damit im Gegensatz zu Aristoteles. Grotius sah keine Verbindung zwischen der Verfassung von politischer Herrschaft und der Rolle des Volks. Die Rolle des Volks als Inhaber der Rechte bleibt die gleiche, da im Konsens über die Art der politischen Herrschaft entschieden wurde und damit auch die Tyrannei eine frei gewählte Herrschaftsform sein kann.53 Die multi pater familiarum verkörperten das Volk, in dessen Namen die Besitzverhältnisse geregelt wurden. Grotius Kombination der griechisch-römischen mit der christlich-scholastischen Tradition stellte die Neuheit seiner Theorie dar. Um den Zusammenhalt der Gemeinschaft jedoch zu etablieren, führte Grotius die Grundnorm des appetitus socialis ein, den Trieb des Menschen zur Vergesellschaftung, der von Gott stamme, der jedoch gleichzeitig die gegenseitige Anerkennung der einzelnen Teile der Gemeinschaft untereinander implizierte. Um aus diesem Trieb die Notwendigkeit zur Etablierung politischer Herrschaft abzuleiten, führte Grotius an, dass es den einzelnen Besitzenden nicht möglich sei, ihre persönliche Existenz allein zu sichern. Sie müssen sich miteinander verbünden, um ihre eigenen Interessen mit Hilfe der Gemeinschaft durchsetzen zu können. Eine gesetzte politische Ordnung diente der Absicherung des Privatbesitzes. Aus diesem Grund etablierten Gemeinwesen in der Theorie Grotius’ politische Ordnungen. Grundsätzlich ist mit Grotius ebenso wie mit Althusius die Möglichkeit gegeben, jedwede Art von politischer Herrschaft zu beschreiben und sie letztlich auch unter dem Begriff Staat zu subsumieren, wenn die Sicherung des Eigentums als Grundannahme für die Etablierung einer politischen Ordnung angenommen wird. Demnach wäre eine Definition, die die Kategorie Staat nicht an die Form der Herrschaft, sondern die Herrschaftsordnung an die Konstituierung, Sicherung und Vergrößerung von privatem und öffentlichem Eigentum koppelt, sowohl an die theoretischen Ausführungen Grotius’ als auch Althusius’ anschlussfähig. In Verbindung mit der Frage nach den Ressourcen, die notwendig sind, um das Eigentum oder Voraussetzungen für dessen Erwerb zu schützen, liegt die 53 Vgl. dazu: „Trotz aller politischen Vergesellschaftung bleibt somit stets ein Rest an naturrechtlicher Kompetenz, die von keiner Herrschaftsgewalt je genommen werden kann. Die Nichtverfügbarkeit der naturrechtlichen Qualitäten des pater familias erlaubt im eigentlichen Sinne erst die Transferfunktion auf die politische Herrschaft. Dort, wo Bodin ein folgenschweres Analogiemodell einführt, setzt Grotius auf die naturrechtliche Unterscheidbarkeit zwischen der Ebene der Familie und der des Staats. Es sind die multi patres familiarum, die den konsensuellen Basisvertrag ausmachen. Der pater familias agiert hier wie das autonome Individuum der modernen Vertragstheorie. [...] Aus den Besitzverhältnisse resultiert schließlich auch die jeweilige Staatsform.“, in: Nitschke, Die Eigentumsfrage, S. 40f.

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Verknüpfung der politische Theorie Grotiusʼ mit dem Verräumlichungsregiment, das von den politischen Eliten der Städte und Provinzen in den Vereinigten Niederlanden vertreten wurde. Die unterschiedliche Art von Ressourcen forderte verschiedene Strategien, die sich auf die jeweilige Herrschafts-Formierung auswirkten. Immobiles Eigentum und daraus ableitbare Steuern sind an physische Orte gebunden, die relativ unkompliziert beschützt werden können. Handelsrouten auf See, die den Austausch von Waren lukrativer machen als den beschwerlichen Transport zu Land, lassen sich kaum permanent kontrollieren. Dass die Beherrschung dieser unbegrenzten Räume auf hoher See zum bestimmenden Thema der Auseinandersetzung der beiden führenden Seemächte des 17. Jahrhunderts wurde, schlägt sich nicht nur in verschiedenen Schriften von Grotius, John Selden und Theodore Graswinckel nieder, sondern muss in der Beschreibung der Herrschaftsstrategien Einzug halten, die letztlich zur Herausbildung von Herrschaftsordnungen führten.54 Die Herrschaftsordnung zur Beherrschung des Meeres kann nicht mit der von Festlandterritorium verglichen werden. Grotius sprach von der Freiheit der Meere, aber letztlich versuchten die Niederländer gerade diese besonders in Europa durch den Ausbau ihrer Frachtschiffflotte zu begrenzen, wodurch sie nicht das Meer als Raum, sondern die Distributionswege auf See von Landstützpunkten aus temporär kontrollierten. Der Widerspruch der sich zwischen Grotius’ Schrift über die Freiheit der Meere und dem rigorosen Vorgehen der VOC gegen Konkurrenten in Asien ergab, – sowohl gegen Schmuggler als auch konkurrierende Unternehmen wie der EIC – macht deutlich, dass Grotius’ Schrift eine Momentaufnahme zur Rechtfertigung eines singulären Ereignisses war. Im Allgemeinen waren die Niederländer durchaus bestrebt im globalen Handelsverkehr Restriktionen einzuführen, um ein Handelsmonopol zu errichten. Grotius selbst sprach den europäischen Herrschaften in De jure belli ac pacis die Oberhoheit über die küstennahen Gewässer zu, was letztlich die Revidierung seiner in De mare liberum gemachten Aussagen bedeutete.55 Nicht die Beschreibung der Vereinigten Niederlanden als Hegemon in einem Weltsystem schafft ein besseres Verständnis der politischen Ordnung in der Union und ihrer Rolle im europäischen Mächtegefüge, sondern die damit einhergehende Organisation von Herrschaft und deren Strategien, die sich über das Territorium hinaus auf die hohe See ausdehnten und Besitz durch die Beherrschung und Kontrolle von Warenströmen und Distributionsräumen von neuralgischen Knotenpunkten aus erwirtschafteten.56 Nicht nur England und die Vereinigten Niederlanden waren in diese Entwicklung eingebunden, auch die anderen europäischen Territorien mit Zugang zum Meer vollzogen die Anpassung ihrer Politik auf die Be-

54 Siehe dazu: Thijn, Th. van: The Dutch economic thought in the seventeenth century, in: Daal, J. van; Heertje A.: Economic Thought in the Netherlands: 1650–1950, Aldershot: Avebury, 1992, S. 7–28; Kossmann, E.H.: Political Thought in the Dutch Republic, Three Studies, Amsterdam: Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschapen, 2000. 55 Siehe dazu: Grotius/Schätzel, De jure belli ac pacis. Libri tres. 56 Siehe zu den Niederlanden als Hegemon: Arrighi, The long twentieth Century, 2000; Wallerstein, Merkantilismus; Wilson, The savage republic.

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herrschung der Meere.57 Das Besondere an den Vereinigten Niederlanden und England war die von der Geographie bestimmte Konzentration, die Schwerpunktsetzung der politischen und ökonomischen Interessen auf die Beherrschung der See, die sich eben auch in rechts-philosophischen Schriften Grotius’, aber auch Theodore de Graswinckels wiederfindet. Generierung von Reichtum war sowohl in England als auch in den Vereinigten Niederlanden an den Handel auf See gebunden. Deswegen entstand die Konkurrenz untereinander, begründete aber auch das anfänglich gemeinsame Vorgehen gegen Spanier und Portugiesen in Asien.58 Grundsätzlich zeigen die Ausführungen die Möglichkeit, Grotius’ Theorie vom Eigentum als Ausgangspunkt für die Betrachtung des Wandels des Verräumlichungsregiments in den Vereinigten Niederlanden zu nutzen. Zudem bietet die Theorie Grotiusʼ, die sich auf keine Herrschaftsform festlegt, den Anknüpfungspunkt eine Analyse anderer Territorien durchzuführen, inwieweit der Schutz des gemeinschaftlichen Eigentums zur Konstitution von politischen Ordnungen führte, deren Strategien an den jeweils zu beherrschenden Raum angepasst werden, um nicht durch die Beurteilung der politischen Struktur und Ordnung den Blick auf deren Nutzen zu verlieren. Die Struktur der Herrschaftsordnung würde bei diesem Ansatz erst nach der Analyse der Herrschaftsstrategien eine Rolle spielen und die politische Ordnung unter dem Aspekt des Schutzes ökonomischer Interessen betrachten. Peter Nitschke sieht Grotius’ Denken zudem als Ausgangspunkt für eine kritische Betrachtung der Axiome des Absolutismus, die in den Staatsbildungstheorien eine prominente Stellung einnehmen. „Deutlich spürt man an solchen Aussagen den Versuch von Grotius, naturalistischen Existenzialismus und christliche Tugendlehre in Verbindung zu halten. Insofern sind Interpretationen, die in seiner Naturrechtslehre eine ,weitgehende Akkomodation an den Absolutismusʻ sehen wollen, wenig geeignet, den […] Blick auf die Originalität der grotianischen Lehre zu erhellen. Es hieße, das Pferd von hinten satteln, wenn man die Deutungszuspitzung, die sich die Geschichtswissenschaft späterer Jahrhunderte hierzu hat einfallen lassen, so linear auf Grotius anwendet. Wie alle prämodernen Denker des 16. und 17. Jahrhunderts vollzieht er zweifellos einen Neubeginn in manchen Theoremen zum Naturrecht; gleichzeitig bleibt er jedoch vielen Axiomen der klassischen Naturrechtslehre aus dem sogenannten Mittelalter verhaftet. Das Neue bei Grotius besteht so gesehen in der sehr systematischen Verarbeitung bzw. Verschmelzung der griechisch-römischen mit den christlich-scholastischen Sätzen zum Naturrecht. Gerade weil die Bildung eines Staates durch den Vertrag des Volkes oder der Völker zustande kommen kann, ist hier kein Absolutismus gemeint. Gens ist nicht umsonst im Sinne einer Nation zu verstehen und der Staat ist immer auch societas. Irritierend ist sicherlich bei Grotius, dass er sich nicht festlegt, was die Herrschaft denn nun sein soll: Alle Formen von regimen kommen bei ihm positiv konnotiert vor. Auch in diesem Punkt, der Nicht-Festlegung 57 Siehe dazu die zahlreichen Gründungen von Ostindien-Kompanien. Richelieu betrieb in Frankreich eine Politik, um in Konkurrenz zu den etablierten Seefahrernationen zu treten. Siehe dazu u. a.: Israel, Dutch primacy in world trade, S. 197–234; Nagel, Abenteuer Fernhandel, S. 120–144. 58 Siehe dazu: Bruijn, J.R.; Gaastra, F. S.; Schöffer, I.; Vermeulen, A.C.J.: Dutch Asiatic Shipping in the 17th and 18th century, Volume I, Grote Serie 165, Rijks geschiedkundige publicatiën, The Hague: Nijhof, 1987, S. 10–30; Gaastra, Femme S.: De geschiedenis van de VOC, Zutphen: Walburg Press, 2002, S. 1–23; Furber, Holden: Rival empires of trade in the Orient 1600–1800, Minneapolis: University Press, 1976, S. 1–25.

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der absoluten Wahrheitsfrage kommt er der machiavellistischen Interpretation von Politik sehr nahe. Die Herrschaftslehre könnte man insgesamt als Plädoyer für eine konstitutionelle Monarchie begreifen, wobei das Volk sich auch in die Abhängigkeit zu einem Diktator begeben kann. ,Wer verbiete übrigens einem Volk, sich einem oder mehreren Menschen so anzuvertrauen, dass es von dem Recht, sich selbst zu regieren, nicht mehr für sich behält?‘ Da der Wille zur Mandatierung der Herrschaft entscheidend ist, kann somit auch eine starke persona59 listische Verortung zugunsten einer Ein-Mann-Herrschaft stattfinden.“

Althusius’ Entscheidung für eine ständisch-korporative Herrschaft mit der Zurateziehung der Ephoren ist indes ebenso Ausdruck für die autonomen Bestrebungen der Stadt Emden, wie Grotius’ Tendenz zur konstitutionellen Monarchie, die die Balance zwischen Generalständen und Statthalter in den Vereinigten Niederlanden beschreibt. Althusius’ Beschäftigung mit der politischen Herrschaft ist konkreter. Grotius’ Ansichten von der Herrschaft müssen aus seinen Ansichten zum Eigentum herausgearbeitet werden. Der gemeine Nutzen der Herrschaft für die Gesamtheit des Gemeinwesens steht im Vordergrund. Grotius’ Idee von politischer Herrschaft ist zwar nicht weniger elitär als die Theorie Althusius’, da es dem Besitzenden vorbehalten bleibt, direkt politisch aktiv zu werden, aber Grotius ist selbst kaum in die Organisation von Politik involviert als das seine Vorstellung von politischer Herrschaft frei von Idealvorstellungen sein könnten, deren Umsetzung an der Realpolitik scheitern würde. In der bisherigen Beschäftigung mit der politischen Ordnung der Vereinigten Niederlanden nimmt Grotius keine bedeutende Rolle ein, da er keine expliziten Ausführungen zur Thematik liefert. Althusius hingegen bot sich für die Interpretation der ständisch-korporativen Strukturen in den Vereinigten Niederlanden an. Warum beide Akteure Erwähnung fanden, leitet sich aus der Tatsache ab, das Althusius den theoretischen Hintergrund lieferte, den Grotius nicht entwickelte, er jedoch die Bedeutung des Eigentums aus der intimen innenpolitischen Sicht der ersten Jahrzehnte der Vereinigten Niederlanden in seinen Schriften dokumentiert, die eng mit dem Ausgreifen der Niederländer verbunden waren und dabei ein Verständnis für das Recht außereuropäischer Völker und die veränderten Raumbezüge entwickelte. Vordergründig diente dieses Verständnis zwar zur Wahrung der Rechte der Niederländer mit außereuropäischen Völkern Handelsbeziehungen aufzunehmen und die Meere ohne Einschränkung befahren zu dürfen, in zweiter 59 Vgl. dazu: Nitschke, Die Eigentumsfrage im Naturrecht, S. 44; Nitschke selbst führt in der Fußnote die Diskussion um die Entscheidung Grotius’ für eine Herrschaftsform aus: „Neuere Interpreten gehen noch weiter, indem sie die grotianische Lehre, als ein republikanisches Modell auffassen, in der das Paradigma einer respublica mixta die Oberhand behält (vgl. z.B. Gelderen 2002: 131.) Letztlich eindeutig festlegen lässt sich Grotius auf all dies nicht; zu ambivalent sind andere Passagen, in denen es um Formulierungen zur Dezisionskompetenz des Herrschers geht.“; Eben diese Eindeutigkeit spiegelt sich auch in Eric Wilsons Arbeit wieder, die zu den Ausführungen als der Versuch gegengelesen werden kann, Grotius’ politische Philosophie als Ausgangspunkt für den Republikanismus und die niederländische Hegemonie zu verstehen, die in der korporativen Organisation des niederländischen Gemeinwesens begründet ist. Wie ersichtlich wurde, schließt die vorliegende Arbeit an das offene Verständnis von Herrschaft in Grotius’ politischer Philosophie an. Siehe zur engeren Interpretation des Republikanimus von Wilson: Wilson, The savage republic.

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Instanz gereichten sie aber zum Ausgangspunkt einer allgemein anerkannten Rechtsnorm für die Beziehungen zwischen den Völkern, Nationen und später den Nationalstaaten. Eindringlichtes Merkmal neben den Eigentumsrechten als Ursprung politischer Herrschaft, ist die Einheit von Natur und Geschichte in Grotius’ Werk, die zu einer Negierung von teleologischen Entwicklungs- und Prozessmetaphern führt.60 Wenn im Anschluss an Grotius die Geschichte des niederländischen Staats erzählt werden soll, ist es keine Geschichte der Entwicklung zu einem immer rationaleren Erscheinungsbild, sondern muss eine Geschichte des Werden und Vergehens in einem Kreislauf sein, die nicht dem neuzeitlichen Fortschrittsdenken unterworfen ist. Giovanni Battista Vicos frühneuzeitlichen Bild eines Geschichtsverständnisses als ein Akt des Werdens und Vergehens, der sich immer aufs Neue wiederholt, zeigt sich am Begriff Revolution, der ursprünglich die Bedeutung des Wiederkehrenden besaß.61 Aus dem Verständnis des immer Wiederkehrenden heraus, lässt sich die Einordnung der politischen Entitäten des 17. Jahrhunderts in ihrer Epoche denken. Wenn sie nicht eindeutig in einer kausalen Kette des Fortschreitens von Zentralisierung und absoluter Herrschaft gedacht werden sollen, bietet es sich an, mit Reinhard Blänkner zu argumentieren, dass es einen frühneuzeitlichen Staat gab, der nicht in eine Entwicklungslinie mit dem modernen Staat gestellt werden kann.62 Die Herleitung des Geschichtsverständnisses aus den Schriften Grotius’ ist entscheidend für das Verständnis, warum es notwendig ist, eine klare Trennlinie zwischen dem Staats-Verständnis zu ziehen, das sich in den Nachfolgestaaten des Heiligen Römischen Reichs im Anschluss an die Arbeiten Georg Wilhelm Friedrich Hegels im Verlauf des 19. Jahrhunderts durchsetzte und der Bedeutung von politischer Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Hannah Arendt griff in ihrem Aufsatz Natur und Geschichte die Überlegungen Grotius’ auf und analysierte die Veränderungen der Beziehung zwischen den beiden Phänomenen.63 Die Einheit von Natur und Geschichte beginnt sich mit der Philosophie Vicos aufzulösen. Nur Dinge erkennen zu können, die vom Menschen gemacht werden, trennt die Natur von der Geschichte und macht die Geschichte zu einem von Menschen erschaffenen Konstrukt. Vico erkor den Menschen zum Mittelpunkt der Erkenntnis. Neben der Erforschung von Ursache und Ursprung von Phänomen sah Vico die Aufgabe der Erkenntnis auch in der Betrachtung ihrer Entwicklung, da der Mensch durch sein eigenes Zutun, zur Veränderung der Phänomene beitrug und Einfluss auf die Weiterentwicklung von Phänomen nahm.64 Durch den Verweis auf die Schaffens60 61 62 63

Siehe dazu: Friedrich, Johannes Althusius. Siehe dazu den Begriff Revolution in: Brunner, Geschichtliche Grundbegriffe, Band 5. Siehe dazu: Blänkner, „Absolutismus“ und „frühmoderner Staat“. Siehe dazu: Arendt, Hannah: Natur und Geschichte, in: Dies.: Zwischen Vergangenheit und Zukunft, S. 54–79. 64 Vgl. dazu Kittsteiner Wiedergabe des Vicoʼschen Geschichtsverständnisses: „Die Philosophen, so sagt er, hätten sich bemüht, Wissen zu erlangen von der Welt der Natur. Doch die Natur sei Gottes Werk und daher schwer zu erforschen. Dagegen könne es nicht in Zweifel gezogen werden, dass diese ,politische Welt sicherlich von den Menschen gemacht worden

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kraft des Menschen und dem damit verbundenen Impuls der Weiterentwicklung von Phänomenen fand auch eine Dynamisierung von Geschichte statt, die der Mensch selbst beeinflussen könne, woraus Arendt eine Traditionslinie bis hin zu Karl Marx’ 11. Feuerbachthese zog.65 Das an dieser Stelle tiefgehender auszubreiten, führt indes vom Thema weg. Festzuhalten bleibt indes der Unterschied des Verständnisses von Geschichte in der Frühen Neuzeit und der Moderne, das an ein jeweiliges Verstehen der Beschaffenheit von politischen Ordnungen gekoppelt ist. Die Einheit von Natur und Geschichte in der Frühen Neuzeit entreißt die niederländische Staats-Formierung dem Fortschrittsdenken und macht deren Beschreibung mittels zeitgenössischer Begriffe notwendig. Dabei muss auf die Trennschärfe zwischen den Konzeptionen geachtet werden, wobei der niederländische Staats-Begriff trotz der Nähe zur neuzeitlichen Kategorie Staat in einem vollkommen unterschiedenen politisch-philosophischen Kontext steht. Die Ausführungen führen zurück zur Kritik an der universalen Kategorie Staat als Bezeichnung politischer Entitäten im Duktus des Fortschrittsdenkens. Historisch betrachtet, gibt es eine ungeheure Varianz an Phänomen, die als Staat bezeichnet werden, die nur eine Gemeinsamkeit haben: es sind politische Entitäten. In sich sind sie aber vollkommen unterschiedlich gewachsen und organisiert. Dabei steht nicht nur der strukturelle Aspekt im Vordergrund, sondern eben auch der kulturgeschichtliche Begründungszusammenhang von politischer Herrschaft. Allgemeine Definitionen erzählen nichts über die Eigenart der singulären politiist; deswegen können (denn sie müssen) ihre Prinzipien innerhalb der Modifikation unseres eigenen menschlichen Geistes gefunden werden.‘ Wir verstehen die Geschichte, weil wir sie selbst gemacht haben. Was auf den ersten Blick so einleuchtend klingt, ist die Lehre von der genetischen Definition, die auch Spinoza und Hobbes verwendet haben. Wir begreifen nur dasjenige, was unser Verstand selbst geschaffen hat. Vico hätte dann dieses Prinzip lediglich auf die Geschichte übertragen. Aber gerade da liegt das Problem. […] Vico hat diese Erschwerung selbst bemerkt. Die ‚Welt der Völker‘ ist von den Menschen gemacht, kein Zweifel. Aber die Natur der Menschen ist vererbt; sie sind von der Selbstsucht getrieben und verfolgen nur ihren eigenen Vorteil. Mit dem ,Machen‘ des Ganzen von Geschichte ist es menschlicherseits schlecht bestellt. Nur die göttliche Vorsehung kann, indem sie die Eigensucht der Menschen für ihre Zwecke nutzt, eine gerechte Gesellschaft hervorbringen. ,Daher muß diese Wissenschaft sozusagen ein Beweis der Vorsehung als geschichtlicher Tatsache sein, denn sie muß eine Geschichte der Ordnung sein, die jene, ohne menschliche Absicht oder Vorkehrung, ja häufiger gegen deren eigenen Pläne, dieser großen Gemeinde des Menschengeschlecht gegeben hat.‘ […] Das Grundmotiv dieses Nachdenkens über Geschichte war es, dass dem Nicht-Machbaren eine gnädige ,List der Vernunft‘ zur Hilfe kommt, ein Prinzip, das das nicht-intendierte Resultat menschlichen Handelns zum eigenen bewussten Zweck einer fremden Instanz hinter unseren Rücken umbiegt.“, in: Kittsteiner, Heinz Dieter: Out of control: Über die Unverfügbarkeit des historischen Prozesses, Berlin, Wien: Philo, 2004, S. 9f; zu Vico: Vico, Giovanni Battista; Hösle, Vittorio (Hg.): Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker, Band 1, Hamburg: Hösle, 1990; weiterführend zur Geschichtsphilosophie Hegels: Kittsteiner, Heinz Dieter: Listen der Vernunft: Motive geschichtsphilosophischen Denkens, Frankfurt am Main: Fischer-TaschenbuchVerlag, 1998. 65 Vgl. dazu: Arendt, Hannah: Tradition und die Neuzeit, in: Dies.: Zwischen Vergangenheit und Zukunft, S. 23–53, darin: S. 28.

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schen Entität. Aus diesem Grund muss die Kategorisierung der politischen Entität als zeitgenössische Bezeichnung in der jeweiligen Sprache an das Ende der Untersuchung gesetzt werden. Ist das nicht möglich, sagt auch die Subsummierung unter eine abstrakte Kategorie Staat ohne nähere Bestimmtheit (frühneuzeitlich) wenig über die Strategien politischer Herrschaft der einzelnen Phänomene aus. Im Folgenden wird auf die innenpolitischen Zerwürfnisse und die Einbindung der Union in das europäische Mächtegefüge während des Kräftemessens im Vorlauf des Dreißigjährigen Kriegs eingegangen. Im Anschluss daran steht der Friedensschluss mit Spanien in Münster im Fokus, der für die Vereinigten Niederlanden die endgültige Unabhängigkeit brachte.

Arminianer vs. Gomarianer – Religionsdebatte mit innenpolitischem Konfliktpotential Mit dem Waffenstillstandsabkommen trat eine zeitliche absehbare Stabilität der territorialen Grenzen der Vereinigten Niederlanden in Kraft, wodurch der Handel, in den nicht mehr existentiell bedrohten Städten weniger Hindernissen gegenüberstand als während des Kriegs, zumal die Bestimmungen der Akte auch die Beilegung der Feindseligkeiten auf See bedeutete. Die territoriale Integrität der Vereinigten Niederlanden war die Grundlage für die Entwicklung zur Seehandelsmacht, da der Handel an einem oder verschiedenen Orten stattfinden musste, an denen von den niederländischen Autoritäten für die Rechtssicherheit der Geschäftsabläufe gesorgt werden musste. Innovative Kraft besaß in diesem Zusammenhang die Gründung der Amsterdamer Wechselbank im Jahr des Waffenstillstands, der Eröffnungen ähnlicher Geldinstitute in weiteren Städten der Vereinigten Niederlanden folgten.66 Das Geldinstitut arbeitete fortan eng mit der VOC zusammen, die von den städtischen Regenten getragen wurde. Gleichzeitig bestimmten die Regenten nicht nur die Geschicke der Stadt Amsterdam, sondern in hohem Maße auch die der Provinz Holland und der Union. Aus dem Waffenstillstand ergab sich sowohl für die Wechselbank als auch für die VOC eine neue Konstellation, die Investitionen sicherer und die Institutionalisierung von Geldwechseln notwendig machte. Dirck van Os stand beispielhaft für die zunehmende Verflechtung von Kaufleuten mit der Politik in der Provinz Holland. Der Kaufmann emigrierte nach der Besetzung Antwerpens durch die spanischen Truppen nach Amsterdam. Als einer der ersten engagierte sich Os in Unternehmungen, deren Ziel der Aufbau von Handelsbeziehungen mit Südostasien war. Os war einer der Mitbegründer der Compagnie van Verre. Er investierte 1602 47.000 Gulden in die VOC. Als Bewindhebber der Amsterdamer VOC-Kammer hatte er direkten Einfluss auf die Geschäfte des Unternehmens. Die Gründung der Amsterdamer Wechselbank geht auf Os’ Initiative zurück. Zu den Regenten der Stadt pflegte er geschäftliche Beziehungen. Gemeinsam mit dem Bürgermeister Pieter

66 Siehe dazu: ’t Hart, Corporate Governance.

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Cornelisz. Boom und anderen Geschäftspartner bekam er den Zuschlag, den Beemster trocken zu legen. Das trockengelegte Land wurde verpachtet.67 Persönliche Netzwerke bestimmten die Politik in den Städten, Provinzen und der Union, was zu einer immer enger werdenden Verflechtung von Politik und Wirtschaft seit dem Beginn des Unabhängigkeitskriegs führte. Es entstanden Herrschaftsstrategien, die Oldenbarnevelts Ausführungen zur Bedeutung des Handels zum maßgeblichen Paradigma der Politik in der Union werden ließen. Aus diesem Paradigma entwickelten sich Herrschaftsstrategien, die schon seit dem Beginn der Rebellion bestanden. Familiennetzwerke in Politik und Wirtschaft, lokale Verwaltung, Föderalismus, Dezentralisierung, Subsidiarität und oligarchische Herrschaftsstrukturen. Die Interessen der Kaufleute bestimmten zunehmend die Politik. Os pflegte Kontakte zur Politik, andere übernahmen selbst politische Ämter, wie Gerrit Pietersz. Bicker und Reynier Adriaensz. Pauw, die Bürgermeister Amsterdams waren. Kaufleute in politischen Ämtern verantworteten die Verringerung der Truppen nach dem Waffenstillstand.68 Die Autorität des Statthalters und obersten Truppenbefehlshabers Moritz von Oranien verhinderte indes eine stärkere Ausprägung der ständisch-korporativen Regierung, die durch die Verminderung der Truppen ein deutliches Zeichen gegen eine Kriegsführung im Interesse des territorialen Zugewinns gesetzt hatte. Die von Oldenbarnevelt erwähnte Instabilität der Regierung in der Union wurde während des Waffenstillstands zudem von einem religiösen Zwist zwischen den Anhänger verschiedener Auslegungsarten des Calvinismus von innen heraus verstärkt, der zu einer Trennung zwischen Anhängern des Prinzen und denen einer ständisch-korporativen Regierung führte. Der vordergründig religiöse Disput war genauer betrachtet ein Streit um die Balance zwischen politischen Körperschaften, die Moritz von Oranien zu seinen Gunsten entschied und damit die politische Macht des Statthalters bis zum Beginn der Ersten Statthalterlosen Epoche (1650–1672) stärkte. Nach der vorübergehenden Einstellung der Kriegshandlungen gegen die Spanier brach ein innenpolitischer Konflikt aus, der die allgemeine Verschärfung der konfessionellen Gegensätze zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Europa offenbarte.69 Allerdings verschärfte sich der Konflikt in den Vereinigten Niederlanden innerhalb des reformierten Bekenntnisses. Schon bevor der Waffenstillstand geschlossen war, verursachte eine Differenz in der Betrachtung der Prädestination zwischen den Gelehrten Jacobus Arminius und Franciscus Gomarus eine politische Krise, da die Streitigkeiten zwischen den gelehrten Standpunkten in einer 67 Siehe dazu: Aa, A.J. van der: Biographisch woordenboek der Nederlanden, Deel 14, Haarlem: J.J. van Brederode, 1867, S. 218. 68 Zu den Biographien und Vernetzungen siehe: Appendix I u. II unter: http://www.online-plus base.de/bereiche/geschichte/die-variabilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. 69 Zur Bedeutung des religiösen Konflikts für die Entwicklung der politischen Kultur in den Vereinigten Niederlanden siehe u. a.: Mörke, Olaf: ‚Konfessionalisierung‘ als politischsoziales Strukturprinzip? Das Verhältnis von Religion und Staatsbildung in der Republik der Vereinigten Niederlande im 16. und 17. Jahrhundert, in: Tijdschrift voor sociale geschiedenis 16 (1990), S. 31–60. Auch Mörke spricht von einer Staatsbildung, um die Union in bestehende Konzepte zu integrieren.

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politischen Lagerbildung widerhallten. Moritz von Oranien stand den Ansichten Gomarus’ nahe, wohingegen Oldenbarnevelt zur Lehre Arminius’ tendierte.70 Calvins Prädestinationslehre galt als streng. Nachdem Arminius, der in den südlichen Niederlanden geboren war, jedoch durch den Unabhängigkeitskrieg seine Familie verloren und in den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts vor allem in Leiden Theologie und Philosophie studiert hatte, ging er, gefördert durch die Stadt Amsterdam, für weitere Studien nach Genf und Basel. Vor Ort kam er mit den Lehren der reformierten Gelehrten in der Eidgenossenschaft in Kontakt. Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Niederlanden wurde er zum Prediger in Amsterdam berufen. Zu dieser Zeit ruhte die holländische Kirche auf der Confessio Belgica und dem Heidelberger Katechismus, ein dogmatisches, religiöses Werk, das im Auftrag Friedrichs III. von der Pfalz entstanden war. Schon früh sprach sich Arminius für die Stärkung der strengen Prädestinationslehre aus. Innerhalb der Confessio Belgica bestand ein gewisser Freiraum in der Interpretation der Prädestinationslehre. Arminius sollte Klarheit schaffen. Genau das Gegenteil entsprang der näheren Beschäftigung mit zentralen Texten.71 Vor allem durch die Auseinandersetzung mit den Römerbriefen entwickelte Arminius eine Sympathie für die von ihm zu widerlegende Ansicht zur Prädestination, was ihm schon in den 1590er Jahren Schwierigkeiten mit dem Kirchenrat in Amsterdam einbrachte. Laut Calvin war der Mensch von Gott erwählt. Die Erbsünde galt Calvin als absolut, was zur Folge hatte, dass nur Gott über die Erwähltheit eines Menschen entscheiden konnte. Dem einzelnen Menschen wurden weder Willens- noch Glaubensfreiheit zugestanden. Der theologische Unterschied lag in der Bewertung Arminius’, die Erbsünde nicht als absolut zu sehen; dass der Mensch also selbst in der Lage sei, zwischen Gut und Böse zu entscheiden. Solange er gläubig sei und böswillige Taten aus diesem Glauben heraus reumütig gegenüberstehe, kann jedem Menschen die Gnade Gottes zu teil werden. Die vorbestimmte Einteilung der Menschen in Erwählte und Verdammte durch Gott wurde dadurch in Frage gestellt, was die Allmacht des christlichen Gottes, Gut und Böse erschaffen zu haben, antastete. In diesem Sinn ist die Prädestination nicht absolut gesetzt, sondern der Mensch kann sich von der Erbsünde durch seinen Glauben und die Reue befreien. Grundlage dieses Tuns war die Bibel.72 Politische Sprengkraft gewann diese theologische Debatte zwischen Gomarus und Arminius 1602 mit der Berufung Arminius’ als Professor an die Universität 70 Siehe dazu: Deursen, Theodorus Arie: Bavianen en slijkgeuzen: kerk en kerkvolk in de tijd van Maurits en Oldenbarnevelt, 4. Auflage, Franeker: Van Wijnen, 2010; Noordzij, Huib: Gereformeerd of protestants: de strijd tussen remonstranten en contraremonstraten, Woord & wereld, 34, Bedum: Woord en Wereld, 1997; Po-Chia Hsia/Nierop, Calvinism; zu den folgenden Ereignisse siehe darin: Prak, Maarten: The politics of intolerance: citizenship and religion in the Dutch Republic (17th–18th C.), S. 453–496. 71 Siehe dazu: Stanglin, Keith D.; McCall, Thomas H.: Jacob Arminius: theologian of grace, New York: Oxford University Press, 2012. 72 Weber hat darin den Ausgangspunkt für den Fleiß der Niederländer gesehen, da sich im Erfolg die Erwähltheit der Gläubigen zeigt. Siehe dazu: Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus.

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Leiden. Mit der Fürsprache Oldenbarnevelts und des Predigers Johann Uytenbogaert, ein Gelehrter, der ebenfalls in Genf, Basel und Zürich studiert hatte, wurde Arminius nach seiner Rückkehr in die Niederlanden zum Vertrauten und Lehrer des Prinzen von Oranien, Friedrich Heinrich. 1589 wurde er zum Prediger in Den Haag gewählt.73 Der sich entwickelnde religiöse Streit lief auf die Forderungen nach einer Generalsynode hinaus, um die Dogmen des Heidelberger Katechismus’ und der Confessio Belgica einer Prüfung zu unterziehen. Zu diesem Zeitpunkt der Entwicklungen war Arminius bereits in der holländischen Universitätsstadt Leiden verstorben. Gomarus hingegen führte seine theologische Lehre weiterhin gegen die als Remonstranten bezeichneten Anhänger Arminius’ ins Feld. Auf der politischen Ebene griff die religiöse Segmentierung in Remonstranten und Contraremonstranten bestehende Differenzen auf, die seit der Schlacht bei Nieuwpoort zwischen Moritz von Oranien und Oldenbarnevelt bestanden. Oldenbarnevelt war ein überaus erfolgreicher Politiker, wenn man den Waffenstillstand und die wirtschaftliche Prosperität des ersten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts als Erfolg betrachten wollte. Innenpolitisch schuf er sich durch seine Entscheidungen jedoch Gegner, die sich infolge des Streits zwischen den Leidener Professoren, nicht nur für ihn, sondern auch für seine Gefolgsleute negativ auswirkten. Moritz verlor durch den Waffenstillstand seine Machtposition als Anführer des Heeres. In Friedenszeiten schwand sein politisches Gewicht, das er aufzuwerten trachtete, indem er mit der Friedenspartei in den Vereinigten Niederlanden sympathisierte, die eine Weiterführung des Kriegs zu einem endgültigen Frieden und der Anerkennung der Unabhängigkeit forderten. Moritz stand auf der Seite der Contraremonstranten. Unter den Parteigängern Moritz’ ist François van Aerssen als einer derer zu nennen, die sich im Verbund mit Moritz gegen Oldenbarnevelt und die Remonstranten stellten. In Brüssel geboren, wurde er in den Vereinigten Niederlanden zu einem der wichtigsten Diplomaten der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts. Als Vertreter der Vereinigten Niederlanden am französischen Hof war er an der Aushandlung des Waffenstillstands mit Spanien beteiligt. Frankreich übernahm neben England als Garantiemacht die Sicherung der Vertragsdetails. Van Aerssen knüpfte in der Folge seines Aufenthaltes Kontakte mit den Hugenotten. Aus politischem Kalkül – Heinrich IV. war 1610 ermordet wurden, sein Sohn Ludwig XIII. noch unmündig, wodurch seine Mutter Maria d’Medici die Macht in Frankreich an sich riss und sich den Spaniern annäherte – berief Oldenbarnevelt van Aerssen 1613 aus Paris ab, um den beschlossenen Waffenstillstand mit Spanien nicht zu gefährden, wenn klar würde, dass die Niederländer Kontakte mit den Hugenotten pflegten, die einen Sturz der Spanien freundlich gesinnten Maria d’Medici anführen könnten. Nach seiner Rückkehr verband van Aerssen sich mit dem Amsterdamer Bürgermeister Reynier Pauw, der, ebenso wie Moritz, den Krieg gegen Spanien hätte weiterführen wollen, da er in der Schwäche der Spanier die Möglichkeit für 73 Vgl. dazu: Stanglin/McCall, Arminius; Nauta, D. [u .a] (Red.): Biografisch Lexicon voor de geschiedenis von het Nederlandse Protestantisme, Deel 2, Kampen: Uitgeversmaatschappij J. H. Kok, 1983, S. 33–36; Motley, De opkomst van de Nederlandsche Republiek, S. 33ff.

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eine militärische Offensive sah. Allerdings stimmte er mit Moritz überein, dass es nicht unter der Federführung Oldenbarnevelts geschehen sollte.74 In dieser Machtfrage kombinierte Moritz von Oranien sein Bestreben, mehr politischen Einfluss auf die Städte in den Vereinigten Niederlanden zu erlangen. Um größere Macht zu gewinnen, versuchte Moritz die Spaltung innerhalb der calvinistischen Gemeinde auszunutzen. Oldenbarnevelt, der im Gegensatz zu Moritz auf der Seite der Remonstranten stand, war das Ringen Moritz’ um mehr Macht in den Vereinigten Niederlanden nicht entgangen. Die Resolution, die am 4. August 1617 von den holländischen Ständen auf Veranlassung Oldenbarnevelts erlassen wurde, sollte die Macht des Statthalters noch weiter beschränken.75 Mit der Resolution sollte es möglich werden, dass die Provinzialstände Söldner einstellen konnten, die nicht mehr dem Statthalter unterstehen würden. Um sich gegen eine drohende Auseinandersetzung gegen die Contraremonstranten zu wappnen, die zumeist die städtischen Bürgerwehren beherrschten, beschlossen die holländischen Stände eigene Truppen aufzustellen, die sie selbst bezahlten. Den Truppen der Staten-Generaal, die Moritz unterstanden und den Bürgerwehren der Städte, sollte eine unabhängige Armee entgegengestellt werden, die den Provinzständen verpflichtet war. Moritz sah besonders durch diesen Artikel der Resolution seine Macht als oberster Heerführer in den Vereinigten Niederlanden bedroht.76 Knapp drei Wochen später begab sich Moritz nach Utrecht, wo unter dem Ratspensionär Gillies de Leedenberch eine Söldnertruppe aufgestellt worden war, um sie wieder aufzulösen. Gillies van Leedenberch, Rombout Hogerbeets, Pensionär Leidens, zudem Mitglied des Hohen Rats von Holland und Seeland, Hugo Grotius, Pensionär Rotterdams, sowie der Prediger Uytenbogaert waren die einflussreichsten remonstrantischen Anhänger Oldenbarnevelts, die versuchten die Stellung Moritz’ von Oraniens zu schwächen. Es bildete sich ein ständisches Lager auf Seiten Oldenbarnevelts und ein prinzliches Lager, die nahezu kongruent

74 Siehe dazu u. a.: Barendrecht, Sietske: François van Aerssen: Diplomaat aan het Franse hof (1598–1613), Leiden: Univ. Verlag, Diss, 1965; Molhuysen; P.C.; Blok, P.J.; Kossmann, Fr. K. H. (Red.): Nieuw Nederlandsch biografisch woordenboek. Deel 3, Leiden: Sythoff’s Uitgevers-Maatschappij, 1914, S. 9f; Aa, A. J. van der: Biografisch Woordenboek der Nederlanden, Eerste Deel, Haarlem: Brederode, 1852, S. 110f. Für nähere Informationen zu François Aerssen: NL-HaNA, Aerssen, van, 1.10.01, inv.nr. 17–42. 75 Zu den detaillierten Konsequenzen der Resolution siehe: XXXIV. 4. Augustus 1617, Scherpe Resolutie van Holland, in: Blécourt/Japikse, Klein Plakkaatboek van Nederland, S. 240–242. 76 Vgl. dazu: „[...]; dat oock van weghen den heeren Staten van Hollandt ende West-Vrieslandt aen allen oversten, capiteynen, andere officiers ende volck van oorloghe, daer sulckx noodich ofte dienstigh sal wesen, eernstelyck belast ende bevolen sal worden (oock niettegenstaende eenighe andere beveelen) den heeren Staeten ofte hare Ghecommitterde Raden in hare absentie ende de magistraten van de steden, daer sy in garnisoen ghebruyckt worden, ghetrouwe ende ghehoorsaem te wesen ende alle datelicheyden alsvooren (sonder eenighe exceptie) te helpen affweeren op peyne van cassatie, die datelyck by ons ofte onse Gecommitteerde Raden sal worden gheëxecuteert.[...]“, in: XXXIV. 4. Augustus 1617, Scherpe Resolutie van Holland, in: Blécourt/Japikse, Klein Plakkaatboek van Nederland, S. 240–242, darin: S. 241.

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mit der Teilung in die Lager der Remonstranten und Contraremonstranten waren.77 Aufgrund der Mischung religiöser und politischer Konflikte brachte das Jahr 1618 eine innenpolitische Wende. Die Remonstranten stellten eine eigene Armee aus Söldnern auf, verwehrten die Einberufung einer alle Provinzen übergreifenden Synode und setzten vielmehr auf einen Waffenstillstand als auf einen Frieden.78 Der Dualismus aus der politischen Verantwortlichkeit der Stände und dem militärischen Oberbefehl des Oraniers, der während des Kampfs gegen die Spanier das Überleben der Vereinigten Niederlanden gesichert hatte, drohte durch die Spaltung des calvinistischen Bekenntnisses in radikale Contraremonstranten und tolerantere Remonstranten die sensible Verknüpfung zwischen den politischen Ebenen in Friedenszeiten zu sprengen, da es für eine der Parteien, einen maßgeblichen Machtverlust zu verzeichnen gab, den die Stände, personifiziert in ihrem Sprecher Oldenbarnevelt, noch weiter vorantreiben wollten. Mit der Auflösung der Söldnertruppe in Utrecht wendete sich das Blatt jedoch zugunsten Moritz’. Die politischen Unterstützer der Söldnertruppen standen unter der Anklage des Landesverrats, da die Söldner für die Gefahr von außen standen, die in den ersten Jahren des Unabhängigkeitskriegs die Verteidigungssituation der Vereinigten Niederlanden entscheidend geschwächt hatten. Zu verweisen ist dabei auf die territorialen Verluste während der Statthalterschaft Leicesters, die ebenfalls als Folge des Verrats der englischen Verbündeten an den Interessen der Niederländer galten. Auch wenn der englische Verrat nicht nachweisbar war, bediente die Möglichkeit eines Verrats der Stände mit Hilfe ausländischer Söldner die Grundängste der Bevölkerung in den Vereinigten Niederlanden, die zur Eskalation der folgenden Ereignisse beitrug. Oldenbarnevelt, Leedenberch, Hogerbeets und Grotius wurden nach der Auflösung der Söldnertruppe inhaftiert und sowohl des Landesverrats als auch der Kooperation mit Spanien angeklagt. Oldenbarnevelt wurde zum Tode verurteilt und im Mai 1619 in Den Haag enthauptet. Hugo Grotius wurde mit ewiger Festungshaft bestraft, der er im Jahr 1621 versteckt in einer Kiste spektakulär entfliehen konnte.79 Gemeinsam mit Grotius verbrachte Hogerbeets in Schloss Löwenstein seine Haftstrafe. Hogerbeets wurde erst drei Jahre nach Grotius’ Flucht begnadigt. Leedenberch nahm sich noch vor der Verhandlung das Leben.80 Viel entscheidender für die Politik in den Vereinigten Niederlanden waren jedoch die Wechsel in den Stadtverwaltungen. Auf Amsterdam bezogen, kann beinahe von einer zweiten Alteratie gesprochen werden. Die Veränderungen in Amsterdam wurden maßgeblich von erwähntem François van Aerssen forciert. Unter seiner Ägide wurde Jakob de Graeff Dircksz., Sohn Dirck Jansz. Graeffs, der in 77 Siehe dazu: Lademacher, Phönix aus der Asche?, S. 408–452. 78 In der Scherpen Resolutie hatten die Stände Hollands und Westfrieslands bereits ihre Ansichten zur Religionsausübung bekannt gemacht. Eine Synode strebten sie nur auf provinzialer Ebene an. 79 Siehe dazu u. a.: Groot, Hugo de; Molewijk, G. C. (Hrsg.): Tractaet vande oudtheyt vande Batavische nu Hollandsche republique, Weesp: Heureka, 1988; Groot, De antiquitate reipublicae Batavicae. 80 Vgl. dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 447ff.

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Freundschaft mit Wilhelm I. von Oranien verbunden war, als Remonstrant aus dem Rat der Stadt Amsterdam entfernt. An seiner statt wurde Albert Burgh als Bürgermeister berufen, der von Reynier Pauw vorgeschlagen wurde, der wiederum mit van Aerssen befreundet war.81 Sieben Ratsherren wurden 1618 durch das Wetverzetting – das Bestimmen der Ratsherren durch den Statthalter in Notfällen – in Amsterdams Stadtregierung ersetzt. Um sich in der folgenden Urteilsfindung im Prozess gegen Oldenbarnevelt einer Mehrheit im Sinn der Verurteilung zu sichern, erhob Moritz van Aerssen in den Ritterstand und verschaffte ihm dadurch Zugang zur Ständeversammlung der Provinz Holland.82 Pauw besaß in der Zeit der Festnahme und Verurteilung Oldenbarnevelts große politische Macht in Amsterdam. Als Ältester der Kirchengemeinde hatte er entscheidenden Einfluss auf die religiöse Debatte. Als Abgeordneter der Staten-Generaal war er Mitglied des Gerichts, das den Prozess gegen die mutmaßlichen Landesverräter leitete. Während dieser Zeit führte Pauw regen Briefwechsel mit dem Oranier. Die Remonstranten in der Amsterdamer Stadtregierung waren der Auseinandersetzung zwischen Moritz und den Provinzständen zum Opfer gefallen. Die Uneinigkeit über das Verhältnis zu Spanien, das Machtstreben Moritz’ von Oraniens und die Debatte um die Prädestination hatten zu einer innenpolitischen Krise geführt, die mit der Machterweiterung des oranischen Prinzen endete.83 Nach dem Tod des ersten Sohns Wilhelms I., Philipp Wilhelm von Oranien, wurde Moritz im Jahr der Festnahme Oldenbarnevelts zum Prinzen von Oranien ernannt. Mit dieser Würde verband sich die Möglichkeit, die Macht in den Vereinigten Niederlanden auf sich zu vereinen und zum Souverän des Landes aufzusteigen, woran ihn Oldenbarnevelts Macht gehindert hatte. Durch die Einsetzung getreuer Gefolgsleute veränderte Moritz die politische Kultur in den niederländischen Territorien. Zum Ausgangspunkt für die Veränderungen, die Moritz anstieß, geriet die Einflussnahme auf die Besetzung der Stadtverwaltung Amsterdams, deren Regenten maßgeblich die Ebenen der Provinz- und Generalstände bestimmten. Die Etablierung der Prinsgezinde an neuralgischen Punkten der städtischen und provinziellen Verwaltung sicherte in den folgenden Jahren Moritz’ Macht durch ein Klientelsystem. In religiösen Belangen konnten sich die Contraremonstranten endgültig durchsetzen und die von ihren Gegnern abgelehnte Synode 1618

81 Siehe zu Albert Burghs familiären Verbindungen zu Amsterdamer Regentenoligarchie siehe: Appendix II unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/die-variabilitaet-frueh neuzeitlicher-staatlichkeit.html. 82 Für die Aufnahme van Aerssens in die Stände von Holland war der Ritterstand nötig, da er kein ernannter Vertreter der 18 Städte war, die neben der Ritterschaft stimmberechtigt in den Ständen waren. Im Südquartier waren das: Dordrecht, Haarlem, Delft, Leiden, Amsterdam, Gouda, Rotterdam, Gorinchem, Schiedam, Schoonhoven, Brielle. Im Nordquartier: Alkmaar, Hoorn, Enkhuizen, Edam, Monnikendam, Medemblik, Purmerend. Vgl. dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 276ff. 83 Siehe zur Biographie Reynier Pauws: Molhuysen; P.C.; Blok, P.J.; Kossmann, Fr. K. H. (Red.): Nieuw Nederlandsch biografisch woordenboek. Deel 9, Leiden: Sythoff’s UitgeversMaatschappij, 1933, S. 770–776; Aa, A. J. van der; Harderwijk; Schotel: Biografisch Woordenboek der Nederlanden, Vijftiende Deel, Haarlem: Brederode, 1852, S. 131f.

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einberufen, die mit der Ansicht der Remonstranten brach, die Regierung nicht in religiösen Fragen entscheiden zu lassen. In Dordrecht fand nach der Inhaftierung der Verräter die Synode statt, einberufen durch die Staten-Generaal. Im Verlauf der Synode wurden die Remonstranten, die von Beginn an ob ihrer Prädestinationslehre angeklagt wurden, ausgeschlossen und ihrer Ämter enthoben. Die Dordrechter Lehrregeln widersprachen der Fähigkeit des Menschen zu eigenem freiem Willen.84 Fünf Regeln grenzten die Kirchenordnung der reformierten Kirche in den Vereinigten Niederlanden von den Ansichten der Contraremonstranten ab. Zudem wurde die Übersetzung der Bibel ins Niederländische beschlossen, deren Veröffentlichung allerdings erst 1637 erfolgte.85 Mit der Dordrechter Synode wurde die Entwicklung der niederländischen Kirchenordnung beendet. Wie sich zeigte, waren die Einflüsse der niederländischen Gelehrten, die in der Eidgenossenschaft einen Teil ihrer Studien gemacht hatten, auf die calvinistische Lehre in den Vereinigten Niederlanden immens. Sowohl auf religiöser als auch auf politischer Ebene förderte der intellektuelle Einfluss calvinistischer Lehrmeinungen die Spaltung der im Krieg vereinten religiösen Gemeinschaft in den Vereinigten Niederlanden. Die seit Beginn des 17. Jahrhunderts bestehende theologische Debatte griff auf politische Machtfragen über. Die Instrumentalisierung des theologischen Streitthemas durch Moritz von Oranien und seine Anhänger veränderte zum zweiten Mal innerhalb von vierzig Jahren die personelle Zusammensetzung der Stadtverwaltung in Amsterdam. Die Radikalisierung der Calvinisten in den Vereinigten Niederlanden vollzog sich abgesehen von einigen begrenzten Übergriffen in Amsterdam – Remonstranten wurden am Singel angegriffen – ohne den offenen Bürgerkrieg zwischen den Streitparteien. Mit der Absetzung Oldenbarnevelts vergrößerte sich nicht nur der Einfluss des oranischen Prinzen, sondern auch die Bedeutung der städtischen Bürgermilizen stieg, da sie gegenüber der in Zeiten des Waffenstillstandes dezimierten Truppen unter dem Oberbefehl Moritz’ von Oranien ein erhebliches militärisches Gegenpotenzial bildeten. Die großen Städte konnten sich gegebenenfalls gegen die Belagerung durch moritz’schen Truppen erwehren. Auch aus diesem Grund war eine Kontrolle der Stadtverwaltung durch die Einsetzung von Sympathisanten für Moritz eine Möglichkeit, die Politik des gesamten Territoriums kontrollieren zu können. Andererseits stellt es die wichtige Rolle der Städte heraus, die nicht nur wirtschaftliche, sondern auch militärische Potenzen waren, ohne die sich das Territorium der Vereinigten Niederlanden nicht kontrollieren ließ. Die Zeitspanne des Waffenstillstands, der wirklich nur die anberaumten 12 Jahre hielt, bevor sich auch aufgrund des Bestrebens der Niederländer eine WestIndische Kompanie zu gründen, eine Verlängerung des Vertrags mit Spanien nicht mehr verhandeln ließ, offenbarte, dass die fehlende äußere Bedrohung und die darauf folgende Minimierung des Heeres zum Verlust der Macht Moritz’ von 84 Siehe dazu: Comrie, Alexander; Holtius, Nicolaus: Examen van het Ontwerp van Tolerantie, om de leere in de Dordrechtse Synode Anno 1610, vastgestelt met de veroordeelde leere der Remonstranten te verenigen, Houten: Den Hertog, 1993. 85 Vgl. dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 579f.

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Oranien beigetragen hatte, was zu einer Verschiebung der Machtbalance zugunsten der ständischen Institutionen auf provinzieller und föderaler Ebene geführt hatte. Der Krieg gegen Spanien war für den Aufbau funktionierender Verwaltungs- und Herrschaftsstrukturen in den Vereinigten Niederlanden ausschlaggebend und formend. Nach der vorläufigen Aussetzung der äußeren Bedrohung zeigte sich sofort die innenpolitische Konkurrenz der politischen Körperschaften, um die Macht in den Vereinigten Niederlanden, die Moritz versuchte an sich zu reißen. Moritz von Oranien wollte auf der Basis seiner Autorität als Sohn Wilhelms I. von Oranien und erfolgreicher Feldherr im Zuge des theologisch motivierten Konfliktes den Ständeversammlung und Stadtgremien seinen politischen Willen aufzwingen, der von dem Gedanken an eine Weiterführung des Kriegs gegen Spanien genährt war. Mit der Absetzung Oldenbarnevelts begann eine Periode in der politischen Geschichte der Vereinigten Niederlanden, die von der zunehmenden Konzentration der Macht auf die Oranier geprägt war. Moritz besaß nach den innenpolitischen Ereignissen des Jahres 1618 mehr politisches Mitspracherecht als zuvor. Unter Nutzung der Judikative stürzten die Prinsgezinden missliebige Amtsträger. Das Amt des Ratspensionärs von Holland, Oldenbarnevelts Amt, übernahm kommissarisch Andries de Witt bis zur Wahl Anthonie van Dycks 1621. De Witt war Pensionär Dordrechts und ebenso Anhänger Moritz’ wie van Dyck, der Moritz schon während dessen erfolgreichen Feldzügen im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts als Mitglied des Raad van State unterstützt hatte. Beide hatten an der Universität Leiden Recht studiert. Van Dyck war neben van Aerssen einer der Ankläger gegen Oldenbarnevelt. Moritz besetzte alle wichtigen Ämter mit Gewährsmännern und installierte ein Klientelsystem auf allen politischen Ebenen der Union. In den Prozess gegen die angeblichen Landesverräter band er seine Gefolgsleute ein, machte sie zu Mitwissern und Tätern, was sie noch enger an ihn band. Obwohl de Witt nur für eine Übergangszeit das wichtigste Amt in den Vereinigten Niederlanden ausübte, brach die Verbindung zu den höchsten Ebenen der niederländischen Politik für die Familie de Witt nicht mehr ab. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden de Witts Söhne zu den wichtigsten Politikern der Vereinigten Niederlanden.86 Neben Moritz etablierte sich eine neue politische Elite, die maßgeblich in den außereuropäischen Handel mit Asien und Südamerika investierte oder bestrebt war, größere Volumen in den Aufbau von Handelsbeziehungen zu investieren. Besonders in Amsterdam war die Verbindung zwischen den Direktoren der VOC, sowie der im Jahr der Aufhebung des Waffenstillstands (1621) gegründeten WestIndischen Kompanie (WIC) und den politischen Eliten deutlich. Entweder investierten die Regenten ihr im Handel erworbenes Kapital selbst oder hatten familiäre Bindungen zu Investoren, Direktoren und Angestellten der Handelsunternehmen. Reynier Pauw, der Amsterdamer Bürgermeister, der für die Absetzungen de 86 Zum Aufstieg Johan de Witts siehe u. a.: Israel, The Dutch Republic, S. 712–722; Rowen, H. H.: John de Witt, Grand Pensionary of Holland, 1625–1672, Princeton, NJ: Princeton University Press, 1978.

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Graeffs votierte, galt mit 30.000 Gulden als einer der größten Anteilseigner der VOC. Frans Henricksz. Oetgens besaß ebenso wie Gerrit Bicker VOC-Anteile. Beiden gehörten Anfang des 17. Jahrhunderts zu Amsterdams Regentenoligarchie. Bicker war zudem mit Aleyda Andriesdr. Boelens verheiratet, der Schwester des Bürgermeisters Jan Cleasz. Boelens.87 An den Personen, die sich als Amsterdamer in der Finanzierung und Verwaltung der VOC betätigten, wird deutlich wie eng im 17. Jahrhundert die Verknüpfung zwischen Herrschaft und Ökonomie war, die eine Trennung der beiden Bereiche wegen der Überschneidung von Kompetenzen einzelner Akteure unmöglich macht. Ökonomie und Herrschaft bedingten einander.88 Die Kaufleute in den Vereinigten Niederlanden regierten in den Städten, entsendeten ihre Vertreter in Provinzial- und Generalstände und agierten zudem als Akteure in der europäischen und globalen Wirtschaft, was in deren Einfluss auf die politische Kultur der Vereinigten Niederlanden mündete. Am Ende des 12jährigen Waffenstillstands herrschte eine Koexistenz Moritz’ von Oranien und der von ihm geduldeten Regenten in den Städten, die zur Etablierung einer politischen Ordnung beitrug, welche sich bis zur Übernahme der Statthalterwürde durch Wilhelm II. bewähren sollte. Mit der Weiterführung des Kriegs gegen Spanien stieg die Akzeptanz Moritz’ als politischem Anführer. Innenpolitische Konflikte von solch verheerendem Ausmaß wie 1618 fanden bis zum Friedensschluss mit Spanien 1648 nicht mehr statt. Der Krieg gegen einen gemeinsamen Feind stabilisierte die Herrschaftsstrukturen in der Union zwischen dem Ende des Waffenstillstands und dem Friedensschluss erneut. Doch auch während des Waffenstillstands ruhten die außenpolitischen Aktivitäten der Vereinigten Niederlanden nicht. Die Union begann in größerem Maße in europäische Konflikte einzugreifen. Ein europäischer Konflikt, der die Vereinigten Niederlanden in das europäische Machtgefüge einband, begann ein Jahr nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands und offenbarte die gewachsene Bedeutung der Union als politischem und militärischem Akteur, was reziprok die Wahrnehmung der Föderation als souveräne Entität in Europa stärkte.

2. DIE VEREINIGTEN NIEDERLANDEN AUF DER EUROPÄISCHEN BÜHNE Der Erbstreit in Jülich-Kleve – Die Verteidigung der eigenen Grenzen Der Erbstreit im Herzogtum Jülich-Kleve-Berg im Jahr des Waffenstillstands mit Spanien stellte eines der wenigen Ereignisse dar, in die eine niederländische Armee außerhalb der Niederlanden in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts aktiv eingriff. Entlang der Demarkationslinie zwischen Katholiken und Protestanten 87 Siehe dazu: Appendix I u. II unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/dievariabilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. 88 Siehe dazu insbesondere die Arbeiten von Barbour und Lindemann: Barbour, Capitalism in Amsterdam; Lindemann, The Merchant Republics.

2. Die Vereinigten Niederlanden auf der europäischen Bühne

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hatten sich im Heiligen Römischen Reich zwei konfessionelle Lager gebildet, die im Herzogrum Jülich-Kleve-Berg nach dem Tod des letzten männlichen Erbens Johann Wilhelm um die Erbfolge stritten. Der Streit entbrannte zwischen den drei Schwestern und deren Ehemännern, die aus bedeutenden deutschen Fürstenhäusern stammten. Für die Wittelsbacher stritt Philipp-Ludwig von Pfalz-Neuburg im Namen seiner Ehefrau Anna, der zweitältesten Schwester Johann Wilhelms. Annas ältere Schwester Marie Eleonore heiratete Albrecht Friedrich von Preußen. Da deren erstgeborener Sohn starb, schien es Philipp-Ludwig rechtens, Anspruch auf das Herzogtum zu erheben. Albrecht Friedrich wurde zudem als psychisch krank erklärt. Mit Georg-Friedrich von Ansbach, durch dessen Mutter Aemalia von Sachsen eine Einbeziehung der Wettiner in den Konflikt möglich wurde, übernahm ein Vertreter der Hohenzollern die Vormundschaft für Albrecht Friedrich. Um den Anspruch der Hohenzollern zu untermauern, heiratete Johann Sigismund die Tochter Albrecht Friedrichs. Zu dieser Konstellation gesellten sich die Ansprüche der dritten Tochter, die den Pfalzgrafen und Herzog von PfalzZweibrücken, den jüngeren Bruder Philipp-Ludwigs geheiratet hatte. Grundsätzlich war der deutsche König ebenfalls in den Konflikt eingebunden, da zuletzt Karl V. ein Privileg erteilt hatte, das die Töchter zu Erben des Herzogtums machte, und somit der Erbstreit erst entstehen konnte. Ohne weitere Details aufzugreifen: die Hauptkonkurrenten waren Johann Sigismund und Philipp-Ludwig.89 Sowohl die Hohenzollern als auch die Wittelsbacher entsendeten nach dem Tod Johann Wilhelms sofort Vertreter in das Herzogtum, um dort ihre Ansprüche zu sichern, was dem Willen Kaiser Rudolfs II. entgegen stand, der zudem von sächsischer Seite bedrängt wurde, deren Ansprüche geltend zu machen. Der Herzog von Pfalz-Zweibrücken unterstützte seinen Bruder. Die Wittelsbacher und Brandenburger schlossen den Dortmunder Rezess, der gegen die Verfügung des Kaisers gerichtet war, die letzte Ehefrau Johann Wilhelms an der Regentschaft zu beteiligen. Rudolf II. schickte Erzherzog Leopold als Verhandlungsführer ins Herzogtum. Er konnte jedoch keine Lösung herbeiführen, wodurch der Konflikt militärisch eskalierte. Die Problematik, die den Konflikt zu einem europäischen Krisenherd werden ließen, war die Nähe des umstrittenen Territoriums zu den Niederlanden, sowohl zu den Vereinigten Niederlanden als auch zu den spanischen Niederlanden, die Heinrich IV. von Frankreich einzunehmen gedachte. Der Gegensatz zwischen Spanien und Frankreich stand hinter dem lokalen Erbfolgestreit. Aus dieser Konstellation ergab sich ein Bündnis von Frankreich, England, den Vereinigten Niederlanden und der Protestantischen Union auf der einen Seite, das einer Koalition der Katholischen Liga und der habsburgischen Dynastie im Heiligen Römischen Reich und Spanien auf der anderen Seite gegenüber stand. Für die Zusage der Unterstützung der Ansprüche Sigismunds und Philipp-Ludwigs forderte Heinrich 89 Siehe dazu: Kossel, Erika: Die Reichspolitik des Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Neuburg: (1547–1614), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1976, S. 212–226; Ollmann-Kösling: Der Erbfolgestreit um Jülich-Kleve: (1609–1614); ein Vorspiel zum Dreißigjährigen Krieg, Regensburg: Roeder, 1996.

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IV. die Beteiligung der Protestantischen Union an einem Feldzug gegen die Spanischen Niederlanden. Beide Parteien verpflichteten sich vertraglich zu gegenseitiger Hilfe gegen die Habsburger, sowohl gegen den König Spaniens als auch gegen den Kaiser. Große französische Truppenbewegungen nach Norden folgten dem Vertrag, um nach der Einnahme Jülichs gegen die Spanischen Niederlanden zu marschieren. Im Süden bereitete sich das der spanischen Krone zugehörende Mailand auf eine französische Belagerung vor. Auf Seiten Leopolds griff die Katholische Liga unterstützend in den Konflikt ein. Die Zahl der Soldaten der Protestantischen Union wurde durch die französischen Truppen noch einmal verdoppelt. Fast die gleiche Zahl an Truppen wie Frankreich entsandten England und die Vereinigten Niederlanden 1610 zur Belagerung Jülichs unter dem Kommando Moritz’ von Oranien. Insgesamt standen ungefähr 30.000 Soldaten unter Moritz’ Befehl vor der Stadt Jülich.90 Durch die Ermordung Heinrich IV. und die Annäherung Frankreichs an Spanien unter Maria d’Medicis schien der Verlust eines Bündnispartners für die Union denkbar. Trotz des Wandels in der französischen Außenpolitik bekräftigte Frankreich vorerst die Unterstützung der Union. Jülich wurde von der Protestantischen Union eingenommen. Es wurde aber von einem Krieg gegen die Spanischen Niederlanden abgesehen. Damit war der erste Teil des Konflikts beendet. Die Truppen unter Moritz hatten sich zurückgehalten gegen spanische Besitzungen in den Niederlanden vorzugehen, da der Waffenstillstand mit Spanien gerade erst geschlossen worden war. Heinrichs IV. Tod begünstigte die Entspannung der Situation, da sich die Union von den Zusagen eines militärischen Vorgehens gegen die Spanischen Niederlanden befreit sah. Truppen der Vereinigten Niederlanden blieben aber weiterhin in den Konflikt verwickelt. Nur kurze Zeit später entbrannte im Herzogtum Jülich-Kleve ein Streit zwischen Lutheranern und Calvinisten. Johann Sigismunds Sympathie für den Calvinismus begann einen Keil zwischen die beiden Verwalter des Herzogtums zu treiben. Folge der Spannungen, die sich mit den Landständen des Herzogtums ergaben, war ein neuerlicher Vermittlungsversuch, initiiert vom Kaiser, der jedoch 1613 mit der endgültigen Spaltung zwischen Neuburg und Brandenburg endete. Sigismunds Bekenntnis zum Calvinismus sorgte für neuerlichen Konflikt. Auf Seiten Brandenburgs griffen die Vereinigten Niederlanden ein. Zudem schlossen die Vereinigten Niederlanden ein auf 12 Jahre begrenztes Defensivbündnis mit der Protestantischen Union.91 Nach dem Tod Philipp-Ludwigs übernahm dessen Sohn, Wolfgang Wilhelm, die Herrschaft in Pfalz-Neuburg. Der neue Fürst trat zum Katholizismus über, was den Konflikt mit den Brandenburgern schürte. Wolfgang Wilhelm fand bei Spanien Unterstützung. Beide Unterstützer schickten nach der Eskalation der Ereignisse Truppenkontingente in das Herzogtum. Unter den Feldherrn Spinola und Moritz von Oranien begegneten sich spanisches und niederländisches Heer fünf Jahre nach Beginn des Waffenstillstands in der Nähe von Rees. Es kam zu keinerlei 90 Siehe dazu: Kossel, Die Reichspolitik, S. 212–226. 91 Vgl. dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 407f; Lademacher, Geschichte der Niederlande, S. 155.

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Kriegshandlungen aufgrund des brüchigen Verhältnisses zwischen den beiden Kontrahenten. Vielmehr wurde in Xanten ein Vertrag geschlossen, der die Verwaltung des Herzogtums zwischen Neuburg und Brandenburg aufteilte und den Abzug fremder Truppen aus dem Herzogtum festlegte. Sowohl Spanien als auch die Vereinigten Niederlanden beließen jedoch Truppen in Jülich-Kleve. In den folgenden Jahren verlagerte sich das Interesse vom Erbfolgestreit in Jülich-Kleve auf den Dreißigjährigen Krieg.92 Für die Vereinigten Niederlanden war der Konflikt eine Möglichkeit, im europäischen Machtgefüge ihre Verlässlichkeit als Bündnispartner zu beweisen. Obwohl auch der Erbfolgestreit zu einer Auseinandersetzung mit Spanien führte, war es erstmals nicht nur das primäre Interesse, das eigene Territorium zu schützen, sondern möglicherweise mit Unterstützung der Union und Frankreichs nach der Durchsetzung der protestantischen Ansprüche in Jülich-Kleve Verbündete zu finden, die sich im Kampf gegen die spanischen Truppen im Süden der Niederlanden engagieren würden.93 Die Konfliktlinien des Jülich-Kleve’schen Erbstreits zeichnen die grundsätzliche Problematik des Dreißigjährigen Kriegs vor. In der Kombination aus konfessioneller Spaltung und dem Bestreben nach Etablierung und Vergrößerung politischer Macht lag das bedrohliche Potenzial verborgen, das vier Jahre nach dem vorläufigen Ende des Erbstreits zum Auslöser und zur ständigen Antriebsfeder für einen verheerenden europäischen Krieg wurde, der sich hauptsächlich im Territorium des Heiligen Römischen Reichs abspielte. Die schon vor dem Konflikt bestehenden Lager der Katholischen Liga und der Protestantischen Union gewannen durch die Verbindung zu Frankreich und Spanien über die Reichgrenzen hinweg Unterstützung, die sich im Fall der Union zwar rasch nach dem Tod Heinrichs IV. abkühlte, jedoch im Verlauf der folgenden Jahrzehnte dem Machtkalkül Frankreichs folgend wieder aufgenommen wurde. Auch dadurch bedeutete der Erbstreit in Jülich-Kleve eine Radikalisierung der konfessionellen Gegensätze auf europäischer Ebene. Die Familienbünde der Habsburger begünstigten die Stärkung der Katholischen Liga. Der Konflikt zwischen Spanien auf der einen, Frankreich und den Vereinigten Niederlanden auf der anderen Seite bedingte das Engagement der beiden zuletzt genannten für die Protestantische Union. Auch aus diesem Grund wird der Erbstreit als Vorspiel des Kommenden in der Literatur betrachtet.94 Keineswegs war der folgende Krieg jedoch nach der vorläufigen Beruhigung des Jülich-Kleve’schen Erbstreits vorhersehbar oder gar unausweichlich. Die Aktivitäten der Vereinigten Niederlanden zeigen hingegen den Willen, eine souveräne Außenpolitik auf dem europäischen Festland zu führen, was sich auch in den folgenden Jahren fortsetzte. Mit einem eigenen Heer in den Konflikt einzugreifen, stärkte die Wahrnehmung der Vereinigten Niederlanden in Europa als souveräner politischer Einheit, obwohl die Territorien der Union wei92 Siehe dazu: Kossel, Die Reichspolitik. 93 Siehe dazu: Israel, Jonathan I.: The Holland Towns and the Dutch-Spanish Conflict, 1621–1648, Bijdragen en mededelingen betreffende de geschiedenis der Nederlanden, 94, 1979, S. 41–69. 94 Siehe dazu u. a.: Ollmann-Kösling, Der Erbfolgestreit.

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terhin offiziell Teil des Heiligen Römischen Reichs waren. Zur faktischen Unabhängigkeit durch den Waffenstillstand gesellte sich das Auftreten als militärische Macht im europäischen Herrschaftsgefüge. Nach dem innenpolitischen Machtverlust für Moritz infolge der Unterzeichnung des Waffenstillstands mit Spanien war das Eingreifen in den Erbstreit, ein außenpolitischer Erfolg, der die Bedeutung des Militärs für die Autorität Moritz’ abermals unterstrich und reziprok das politische Gewicht des Oraniers in den theologischen Debatten in den Vereinigten Niederlanden steigerte. Nicht nur gelang Moritz die Verteidigung des Territoriums der Vereinigten Niederlanden, auch in europäischen Konflikten bewies er die Fähigkeit, niederländische Interessen zu vertreten, ohne dabei die Unabhängigkeit der Vereinigten Niederlanden aufs Spiel zu setzen. Der Konflikt mit Spanien, den Moritz mit einem endgültigen Frieden beenden wollte, wurde außerhalb des Territoriums der Vereinigten Niederlanden weitergeführt. Durch den teilweisen Abzug der Truppen aus den südlichen Niederlanden erhöhte der Jülich-Kleve’sche Erbstreit die Sicherheit der territorialen Integrität der Vereinigten Niederlanden. Das Vorgehen der Union während der Statthalterschaft Moritz’ war auf die Ausweitung des niederländischen Territoriums fokussiert, wie der Beistandspakt mit Frankreich und England verdeutlichte, obwohl der Vertrag Frankreich zu einer potenziellen Bedrohung machte, wenn es gelungen wäre, die Spanischen Niederlanden einzunehmen. Das Engagement der Union im Jülich-Kleve’schen Erbstreit steht exemplarisch für die Herrschaftsund Verräumlichungsstrategien der Statthalterherrschaft, die der Strategie der dynastischen Monarchien glich, im Zugewinn an Territorium, die Grundlage von Macht und Herrschaft zu verorten. Die Jahre bis zum Tod Moritz’ 1625 waren konfliktreich für Europa und die Vereinigten Niederlanden. Moritz versuchte das Territorium der Föderation durch eine Allianz mit Frankreich zu schützen, um gemeinsam mit Frankreich, Druck auf die Provinzen der Habsburgischen Niederlanden auszuüben. Unter Moritz war die Föderation in territoriale Konflikte eingebunden, die eine Landarmee nötig machten, um ihre Vertragsversprechen erfüllen zu können und dem Druck auf die eigenen Grenzen standzuhalten. Schon 1604 hatte die Union im Zuge der Kriegsführung gegen Spanien Teile der südlichen Niederlanden besetzt. Durch die Einnahme Westflanderns 1604 blockierte die Union den Zugang Antwerpens zum offenen Meer, was das Ende der Stadt als vorherrschendes Handelszentrum Nordwesteuropas bedeutete. Erst nach dem Frieden von Münster gab die Union die Blockade auf. Während des Unabhängigkeitskriegs waren die Verteidigung des bestehenden Territoriums und die Einnahme gegnerischen Territoriums entscheidend für den Ausgang der Rebellion. Erst durch einen endgültigen Frieden mit Spanien war es möglich alternative Verräumlichungsstrategien von Herrschaft durchzusetzen, die nicht auf der Beherrschung von Land basierten, sondern durch die Kontrolle von maritimen Warenströmen politische Macht generierten. Der Ausgangspunkt für die Thalassokratie der Niederländer in der Statthalterlosen Epoche war das Stützpunktsystem der niederländischen Kaufleute in Europa, das

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schon seit dem 16. Jahrhundert bestand.95 In allen wichtigen Handelsstädten Europas unterhielten niederländische Kaufleute Zweigstellen, die von Familienmitgliedern oder vertrauenswürdigen Geschäftspartner betrieben wurden. Während die europäischen Territorialstaaten seit 1618 in den Wirren des Dreißigjährigen Kriegs versanken, bauten die Niederländer ihre maritime Handelsmacht in Europa und Asien aus.96

Die niederländische Unterstützung für die Protestanten in Böhmen – Ein Vergleich der Rebellionen Um die Aktivitäten der Vereinigten Niederlanden zu Beginn des Dreißigjährigen Kriegs auf dem europäischen Festland bemessen zu können, ist das Eingehen auf den Grundkonflikt in Böhmen nötig, der dem Konflikt mit dem spanischen Oberherrn in den Niederlanden zu Beginn des Unabhängigkeitskampfs ähnelte. Im Majestätsbrief gewährte Rudolf II. 1609 den böhmischen Ständen Religionsfreiheit. Böhmen war Erbland der innerösterreichischen Habsburger-Linie, schon im 15. Jahrhundert von der theologischen Erneuerungsbewegung Jan Hus’ geprägt und gleichsam von dieser eigenständigen christlichen Lehre in einem Nationalbewusstsein bestärkt. Matthias, Rudolfs II. Bruder und Nachfolger als böhmischer König, versuchte die Zugeständnisse an die Stände wieder rückgängig zu machen. Dem Verbot der Ausübung des protestantischen Bekenntnisses und die Schließung der protestantischen Kirchen schloss sich das Versammlungsverbot für die böhmischen Landstände an, nachdem sie gegen das Verbot und die Schließung protestiert hatten. Das im Voraus geplante Hinauswerfen königlich-kaiserlicher Beamter aus einem Fenster der Prager Burg fasste Matthias als Angriff gegen seine Person auf. Die Stände setzten ein Direktorium ein, befassten sich mit der Ausarbeitung einer Verfassung und der Suche nach einem neuen König, sowie der Verteidigung gegen Matthias. Es gelang den Ständen die Unterstützung der Protestantischen Union und damit auch der Vereinigten Niederlanden zu gewinnen, die durch das Defensivbündnis an die Union gebunden war. Nach anfänglichen militärischen Erfolgen, die das Rebellenheer bis vor die Tore Wiens ziehen ließ, gründete sich 1619 die böhmische Konföderation, die alle fünf Kronländer der Habsburger umfasste. Mittlerweile war Matthias von Ferdinand als böhmischer König abgelöst wurden. Die Böhmische Konföderation wählte ihn ab und ernannte Friedrich V. von der Pfalz, Oberhaupt der Protestantischen Union, zum neuen König von Böhmen. Im Gegensatz zu den Vereinigten Niederlanden arbeiteten die böhmischen Stände eine über einhundert Artikel umfassende Konföderationsakte aus, in der festgelegt wurde, dass der neue König einen Eid auf die Akte zu leisten hatte. Friedrich besaß eine, durch die Stände begrenzte Macht. Mit einem Generallandtag, in dem die Stände der fünf ehemaligen Kronländer der Habsbur95 Das Konzept der Thalassokratie wendet Furber auf die Vereinigten Niederlanden an. Vgl. dazu: Furber, Rival Empires, S. 50, 80, 187. 96 Siehe dazu: Israel, Dutch Primacy, S. 121–197.

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ger vertreten waren, sollte sich der neue König die Macht teilen. Gemeinsam sollten die Kronländer für die Verteidigung einstehen. Die Konföderationsakte verfügte eine Gleichstellung der protestantischen mit den katholischen Ständen. Den evangelischen Ständen wurde die Obhut über die Kirche übertragen und Vertreter des Adels wachten über die Einhaltung des evangelischen Bekenntnisses. Nicolette Mout hat sich eingehend mit der Vergleichbarkeit des Böhmischen Ständeaufstandes und dem Aufstand der Niederländer gegen die Spanier beschäftigt und dabei auf die Ähnlichkeiten hingewiesen.97 Beide Ereignisse werden von den Ständen getragen. Sowohl in den Habsburgischen Niederlanden als auch im Königreich Böhmen richtete sich der Aufstand gegen die katholischen Oberherren. Allerdings war der Ausbruch in Böhmen signifikant durch die Einschränkung religiöser Freiheit ausgelöst. In den fünfzig Jahren, die zwischen den beiden Ereignissen lagen, verschärften sich die Konflikte zwischen den Konfessionen, wie der Erbstreit in Jülich-Kleve zeigte. Wie die theologische Debatte zwischen Arminius und Gomarus in den Vereinigten Niederlanden offen legte, war ein Jahrhundert nach dem Thesenanschlag Luthers die Vielfalt in der Interpretation der christlichen Lehre in dem Maße angewachsen, dass es nicht nur zwischen Protestanten und Katholiken erhebliche Differenzen in der Frage nach der wahren christlichen Religion gab, sondern auch innerhalb des protestantischen Lagers zahlreiche Radikalisierungsschübe innerkonfessionelle Spaltungen herbeiführten. Zu Beginn des niederländischen Aufstands strömten neben der Lehre der Wiedertäufer, die Theologie Calvins, Zwinglis und die, anderer Reformatoren in die Niederlanden ein. Im Gegensatz zu Böhmen vermischte sich der Verbot der reformierten Lehre in den Niederlanden viel deutlicher mit dem Kampf um die Privilegien der Stände, die durch die rigorose Politik des Königs verloren zu gehen drohten und die Macht der Stände und Städte eingeschränkt hätte. Größere Bedeutung für die Ablehnung der Herrschaft Philipps II. war seine Fremdheit und die seiner engsten Vertrauten, denen Philipp II. die Regierung des Territoriums übertrug, während er in Spanien weilte. Das Gewicht des religiösen Faktors für die Rebellion in den Niederlanden war geringer, den anderen Faktoren gleichgestellter als fünfzig Jahre danach in Böhmen. Wilhelm I. von Oranien war darauf bedacht für Toleranz einzustehen, um auch in den katholisch geprägten Gebieten der Niederlanden möglichst große Akzeptanz für den Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien zu gewinnen. Eine Gleichstellung der reformierten Kirche mit der katholischen muss in den Niederlanden aus der Sicht der Katholiken betrachtet werden, denen damit deutlich gemacht wurde, dass es nach der Übernahme der Oberherrschaft durch die Rebellen keine Bedrohung ihrer Glaubensgrundsätze gegeben hätte. In der Genter Pazifikation war die Toleranz gegenüber der Religionsausübung tragendes Element.98 In der Utrechter Union festigte 97 Siehe dazu: Mout, Marianne E. N.: Bohemen en de Nederlanden in de zestiende eeuw, Leiden: Universit. Press, 1975. 98 Siehe dazu: Bahlcke, Joachim: Corona, corpus, constitutio, confoederatio Verfassungsideen und Politikmodelle im spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Böhmen, 113(2005), JG, Weimar: Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, S. 90–107.

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sich die reformierte Öffentlichkeitskirche, da die katholischen Gebiete mehrheitlich in die Union von Arras eintraten. In der böhmischen Konföderationsakte kam die Erhebung der evangelischen Kirche einer Einschränkung der katholischen gleich, da den katholischen Ständen ein zusätzlicher Schwur auf die Akte abverlangt wurde. Eine Verweigerung des Schwurs hätte den Ausschluss aus der neu gegründeten Gemeinschaft zur Folge gehabt. Indem sie auf die Akte schworen, gaben sie jedoch allen Einfluss an die evangelische Kirche ab, die durch die Artikel der Akte befähigt war, die Errichtung von Landeskirchen vorzunehmen und die Besetzung des Konsistoriums nach eigenem Gutdünken zu besetzen.99 Mit der Zustimmung entmachteten sie sich selbst. In der Abfassung festgeschriebener Artikel zu Organisation und Aufbau der Kirchenordnung, der Verwaltung und weiteren Bereichen, unterschied sich der böhmische Aufstand ebenfalls vom niederländischen. Der böhmische Aufstand war von größerer religiöser Radikalität geprägt. Nach dem Beginn des Unabhängigkeitskriegs entwarfen die Staten-Generaal keine allgemeingültige Akte zur Organisation des politischen Alltags in der Union. Im Königreich Böhmen legte die Akte hingegen fest, dass Entscheidungen der einzelnen Landtage der Kronländer vom Generallandtag nicht überstimmt werden konnten. Da aber wichtige Entscheidungen zur Verteidigung des Landes in Übereinstimmung aller Mitglieder der Konföderation getroffen werden mussten, lähmte die Akte die Handlungsfähigkeit des Generallandtages ebenso wie es das Prozedere der unbedingten Verpflichtung der Provinz- und Städteabgeordneten in den nördlichen Niederlanden mit ihrem jeweiligen Entsendungsgremium Rücksprache zu halten, rasche Entscheidungen behinderte. In der fehlenden Festschreibung einheitlicher Regeln für den religiösen und politischen Sektor in den Vereinigten Niederlanden bestand der größte Unterschied zur Böhmischen Konföderation. In den Vereinigten Niederlanden ergab sich erst nach der Dordrechter Synode eine auf Unionsebene anerkannte Regelung für die Ausübung des Calvinismus, was vorher nur auf Provinzebene geordnet worden war. Auf politischer Eben herrschte in den Vereinigten Niederlanden größtmögliche Flexibilität zugunsten der Provinzen, die nur durch den Statthalter eingehegt wurde. Ein anderer Unterschied lag in der politischen Konstellation, die nach der Gründung der Protestantischen Union den reformierten Ständen des böhmischen Königreichs den Rahmen bot, Unterstützung zu erhalten, die den Niederländer verwehrt geblieben war, da weder im Heiligen Römischen Reich die Machtbasis der Protestanten so stark war, wie fünfzig Jahre später, noch die englische Krone die Möglichkeit besaß, sich direkt gegen die spanische Weltmacht zu stellen und als Oberherr der um Unabhängigkeit ringenden Niederländer aufzutreten. Friedrich V. von der Pfalz wusste die Protestantische Union und die Vereinigten Niederlanden hinter sich, die mittlerweile selbst zu einem Faktor im europäischen 99 Siehe dazu: Hartmann, Klaus-Peter: Konfessionelle Kulturen im 17. Jahrhundert: Kalvinisten, Lutheraner, Katholiken, in: Peter, Wolf (Hg.): Der Winterkönig – Friedrich von der Pfalz: Bayern und Europa im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart: Theiss, 2003, S. 46–53.

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Machtgefüge geworden waren, nachdem ihre Armee von Moritz neu organisiert und angeführt, fähig gewesen war, sich gegen die spanischen Truppen zu behaupten.100 Die kurze Suche nach einem neuen König in Böhmen, der die Wahl annahm, war durch die Festigung und Vergrößerung der militärischen Potenz des protestantischen Lagers überhaupt erst möglich. Zu dessen Erstarken hatten die Vereinigten Niederlanden beigetragen. Die Stände Böhmens und der Nebenlande profitierten davon. Dies begründet den anfänglichen Erfolg des böhmischen Aufstands, der in seiner Anlage stärker religiös motiviert war als der niederländische. Andererseits waren die böhmischen Stände zielstrebiger in der Formulierung und Festschreibung einer neuen Herrschaftsordnung, die die Wahl eines neuen Königs beschleunigte. Letztlich war der Erfolg des böhmischen Aufstands nachhaltiger von äußeren Bedingungen, der Manifestation der beiden religiösen Lager im Reich und der Veränderung der Machtkonstellation in Europa getragen. Begünstigt wurde die Unterstützung des böhmischen Aufstands durch die Familienbande, die nun auch das reformierte Lager untereinander verknüpften. Friedrich V. von der Pfalz heiratete Elisabeth Stuart, die Tochter des englischen Königs Jakob I. und Anna von Dänemark. Da Friedrich V. van der Pfalz der Sohn Louise Juliana von Oraniens war, Tochter Wilhelms I. von Oranien und dessen zweiter Frau Charlotte de Bourbon, bestanden gleichsam Verbindung zu Moritz von Oranien, der ein Stiefbruder Louise Julianas war. Durch Friedrichs V. Mutter gab es Bande mit einer Nebenlinie des französischen Königshauses. Moritz riet im Gegensatz zu Jakob I. seinem Neffen, die Wahl als König von Böhmen anzunehmen, da er darin eine Provokation der Habsburger sah, die einen Calvinisten auf dem böhmischen Thron niemals akzeptieren würden.101 Einerseits hätte der Konflikt in Böhmen habsburgische Kräfte gebündelt, andererseits die finanzielle und militärische Unterstützung der Rebellen durch die Niederländer eine Verlängerung des Waffenstillstands zwischen Spanien und den Vereinigten Niederlanden aussichtslos werden lassen, den Moritz durch einen endgültigen Frieden mit Spanien ersetzt sehen wollte. Die Vereinigten Niederlanden stellten oder bezahlten ein Achtel der ständischen Truppen, die 1620 in der Schlacht am Weißen Berg gegen die Armee der katholischen Liga unter Johann t’ Serclaes von Tilly und dem Grafen von Buquoy kämpfte.102 Neben den Niederländern finanzierte der Herzog von Savoyen das ständische Heer. Christian I. von Anhalt befehligte es. Die Fürsten der Protestantischen Union zogen ein halbes Jahr vor der Schlacht ihre Zusage, die Pfalz mit ihren Truppen zu schützen, zurück. Damit war die Pfalz ungeschützt und bei einem Misslingen der Machtübernahme in Böhmen oder einem ungütlichen Ende des Feldzugs, würden die Stammlande Friedrich V. offen liegen. Spinola, der mit seinen Truppen in den südlichen Niederlanden lag, nutzte die Gunst des Abzugs 100 Siehe dazu: ’t Hart, The Dutch wars, S. 58–80. 101 Siehe dazu: Pánek, Jaroslav: Friedrich V. von der Pfalz als König von Böhmen, in: Wolf, Der Winterkönig, S. 101–106. 102 Siehe dazu: Sturmberger, Hans: Aufstand in Böhmen: der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, München [u. a.]: Oldenburg, 1959.

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der protestantischen Unterstützer und besetzte die Pfalz. Friedrich V. waren in Prag die Hände gebunden. Die Unterstützung, die er sich von seinem Schwiegervater erhoffte, kam nicht rechtzeitig, um die Pfalz zu entsetzen. Der bekannte Ausgang der Schlacht am Weißen Berg zwang Friedrich V. zur Flucht, die ihn über Schlesien und Brandenburg bis nach Den Haag führte, wo er kurz nach dem Auslaufen des Waffenstillstands mit Spanien eintraf. Die Vereinigten Niederlanden sagten ihm ihre Unterstützung bei der Rückeroberung seiner Stammlande zu.103 Friedrich V. berief eine Exilregierung ein, um die Ansprüche auf die Pfalz aufrechtzuerhalten, wurde aber von Jakob I. gezwungen, einem vom englischen König ausgehandelten Frieden für die Pfalz mit Spanien zu akzeptieren. Nach der Schlacht am Weißen Berg löste Kaiser Ferdinand II. die Böhmische Konföderation auf. Das Territorium wurde rekatholisiert und in die Habsburgermonarchie reintegriert. Obwohl es finanzielle und militärische Unterstützung durch die Vereinigten Niederlanden gab, machte die europäische Machtkonstellation ein Gelingen des ständischen Aufstandes unmöglich. Mit dem Rückzug der Protestantischen Fürsten aus ihrer Verpflichtung gegenüber Friedrich V., war die Königskrone Böhmens für ihn verloren, nachdem er nur einige Tage zuvor schon die Würde des Pfalzgrafen verloren hatte. Die kurze Dauer der Existenz der Böhmischen Konföderation lässt keine großen Rückschlüsse auf ihr Funktionieren zu. Ohne die Unterstützung der Protestantischen Union verlor sie die entscheidende Schlacht. Das Interesse der Vereinigten Niederlanden, die böhmischen Stände zu unterstützen, ist eindeutig in der Stärkung des protestantischen Lagers und der Eröffnung eines neuen Kriegsschauplatzes in der Pfalz zu verorten, der zur Umorientierung der spanischen Truppen in den südlichen Niederlanden führen sollte. Letztlich zog Spinola die Truppen aus den Niederlanden teilweise ab und marschierte in die Pfalz ein. Betrachtet man nicht nur die Ergebnisse und Folgen für die Vereinigten Niederlanden, sondern vergleicht die Entwicklungen in Böhmen und den Niederlanden, wird ersichtlich, dass die Ausgangssituation ähnlich ist. Nur die Vorzeichen waren andere. Trotz der besseren Voraussetzungen, aufgrund einer breiteren Unterstützung, scheiterte der böhmische Aufstand. Die näheren Gründe spielen an dieser Stelle keine Rolle, nur die Vergleichbarkeit der politischen Meinungsbildung, die in beiden Territorien während der Aufstände von den Ständen getragen wurde, wobei in Böhmen der reformierte Adel eine größere Bedeutung besaß, als er es im Verlauf des niederländischen Aufstands hatte, da zu Beginn des Unabhängigkeitskriegs zahlreiche Vertreter des alten Adels hingerichtet wurden.104 In 103 Siehe dazu: Groenveld, Simon: König ohne Staat: Friedrich V. und Elisabeth als Exilierte in Den Haag, 1621–1632–1661, in: Wolf, Der Winterkönig, S. 162–188; Marshall, Rosalind K.: Elisabeth Stuart – die Winterkönigin, in: Wolf, Der Winterkönig, S. 34–45. 104 Zahlreiche Adlige waren nach Urteilen des Raad van beroerte, der oft als Blutrat bezeichnet wird, wörtlich übersetzt Rat der Unruhen bedeutet, hingerichtet worden. Der Rat wurde unter Herzog Alba zwischen 1567 und 1573 in den Niederlanden eingesetzt. Erst Albas Nachfolger, Requesens, löste den Rat auf. Die bekanntesten Opfer waren Larmoral von Egmont und Philipp van Hoorne. Insgesamt sollen ungefähr 18.000 Menschen vom Rat der Unruhen verur-

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Anschauung der Herrschaftsordnung in beiden Territorien offenbart sich der Verbleib der politischen Macht in den Vereinigten Niederlanden bei den Provinzen, weil nur wenige Rechte an die Generalstände übertragen wurden. Dem Modell einer konstitutionellen Monarchie entspricht die Böhmische Konföderation eher als die Konstruktion der Balance zwischen Staten-Generaal, Provinzialständen und Statthalter in den Vereinigten Provinzen. Beide Ereignisse stellten Singularitäten dar. Der Vergleich stellt die Einzigartigkeit beider Phänomen heraus, die neben der Zugehörigkeit der treibenden Kräfte des jeweiligen Aufstands zu unterschiedlichen Gruppen des Gemeinwesens, im Unterschied der politischen Verbindungen beider Territorien mit europäischen Bündnisse lag und in der Dauer des Aufstands, sowie der gegensätzlichen Gewichtung wirtschaftlicher Faktoren für Ausbruch und Verlauf der Revolte. Der Aufstand der böhmischen Stände war jedenfalls weit mehr auf die innenpolitische Unterdrückung der reformierten christlichen Religion zurückzuführen als die der niederländischen Rebellen, die vielfältigere Gründe besaßen als nur den religiösen Gegensatz zu ihrem Landesherrn. Zudem herrschten vollkommen unterschiedliche geographische Gegebenheiten in beiden Territorien. Mit dem Zugang zum Meer war es den Niederländern möglich, die eigenen Territorien auf verschiedenen Wegen zu versorgen und den Kampf gegen die Spanier zu führen. Der böhmische Adel, dessen Besitz im Herzen Europas gelegen und von Territorien umgeben war, die dem Deutsche Kaiser untertan blieben, sah sich gezwungen den Krieg gegen die Landarmee der Katholischen Liga zu führen. Die Ressourcen mussten die Aufständischen aus den Einkünften der Territorien, des Handels auf dem europäischen Festland und den Subsidien von Unterstützern bestreiten. Einerseits erschöpfte die Übermacht der kaisertreuen Truppen diese Ressourcen, andererseits stürzte der relativ kurze Konflikt in Böhmen das Heilige Römische Reich und dessen Nachbarn in einen Dreißigjährigen Krieg, in dem der Aufstand der böhmischen Stände nur den Anfang für eine Neuordnung der politischen Landkarte Mitteleuropas lieferte.105 Der niederländische Unabhängigkeitskrieg blieb ein lokaler Unabhängigkeitskrieg, der keinen Flächenbrand auslöste.

teilt worden sein. Dirk und Gijsbert van Bronkhorst, Jan van Casembroot, Anthony van Straelen sowie Floris van Montmorency waren weitere Edelleute, die hingerichtet wurden. Zu Beginn der 1570er Jahre war durch die Urteile des Rats der Unruhen die Anzahl der Adligen in den nördlichen Niederlanden, die aktive Gegner der Politik Philipps II. waren, stark reduziert worden, was den Aufstieg reicher Kaufleute in die Ständegremien erst ermöglichte. Siehe dazu u. a.: Schiller, Friedrich: Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung, Band 8, Sämtliche Werke,12 Bände, Leipzig: Reclam, 1869, Kapitel III, IV. 105 Zum Vergleich des böhmischen Aufstand mit der niederländischen Rebellion siehe: Bahlcke, Joachim: Wird „Behemb ein Hollendisch goubernament? Das böhmisch-pfälzische Staatsgründungsexperiment in europäischer Perspektive, in: Wolf, Der Winterkönig, S. 94–100.

3. Städtebezwinger und Kriegsmüdigkeit

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3. STÄDTEBEZWINGER UND KRIEGSMÜDIGKEIT Den Verstrickungen in die böhmischen Unabhängigkeitsbestrebungen folgte in den Vereinigten Niederlanden mit dem Ende des Waffenstillstands eine Phase militärischer Auseinandersetzungen mit den spanischen Truppen. Nachdem Albrecht von Österreich, der Statthalter in den südlichen Niederlanden 1621 verstarb, fiel die Regentschaft über das Territorium an Philipps II. Tochter Isabella. Wie bereits erwähnt, führte die anhaltende Diskussion über die Errichtung einer WestIndischen Kompanie, neben anderen Zerwürfnissen mit den Spaniern, zur Beendigung des Waffenstillstands. Auch Moritz’ Bestreben endgültigen Frieden nur durch ein beherztes militärisches Vorgehen gegen die Spanier erreichen zu wollen, spielte eine Rolle für die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen den Kontrahenten. Mit dem Ende des Waffenstillstands brach der offene Konflikt zwischen den beiden Akteuren erstmals wieder in Jülich aus. Hatten die beiden Heere während des Erbstreits nicht gekämpft, belagerten die spanischen Truppen 1621 die Stadt. Gleichzeitig bedrohten die spanischen Truppen Teile der Generalitätslande in Flandern.106 Jülich wurde von Spinola besetzt. Spanische Truppen zogen Richtung Bergen op Zoom, um auch diese Stadt zu belagern. Es gelang, die Stadt vom Meer aus zu versorgen. Moritz entsetzte die Stadt nach 86 Tagen Belagerung. Vier Jahre nach dem Ende des Waffenstillstands verstarb Moritz von Oranien. Friedrich Heinrich von Oranien, Moritz’ Bruder trat dessen Nachfolge an. Mit ihm begann sich das Ansehen der Statthalter zu wandeln. Im Verlauf seiner bis 1647 währenden Statthalterschaft gelang es ihm, größere Macht auf sich zu vereinen, als es seinen Vorgänger vergönnt war. Begünstigt wurde seine Machtfülle durch die Wahl zum Statthalter von fünf Provinzen der Union.107 Ein anderer Faktor war sein Ruf als Städtebezwinger. Im Todesjahr Moritz’ fiel Breda, der niederländische Stammsitz der Nassauer, an Spinolas Truppen. Damit war nicht nur eine weitere Stadt in die Hände der Spanier gefallen, sondern auch das Selbstverständnis der Oranier nachhaltig getroffen. Im folgenden Jahr begann Friedrich Heinrich mit der Gegenoffensive. Gemeinsam mit Ernst Casimir von Nassau-Diez, zu diesem Zeitpunkt Statthalter Frieslands, Groningens und Drenthes nahmen die Truppen der Union unter Leitung Friedrich Heinrichs Oldenzaal und Groenlo ein. Der Erfolg war jedoch nur unter Aufwendung beträchtlicher Geldmittel möglich. Um weitere Geldmittel zu akquirieren, versuchten die Niederländer nach Beendigung der Waffenruhe den spanischen Überseehandel mit Süd- und Mittelamerika zu stören. Ausgestattet mit Kaperbriefen versuchten niederländische Schiffe, reich beladene spanische Galeonen auf dem Weg nach Europa zu kapern. Piet Hein gelang 1628 die Kaperung der spanischen Silberflotte vor der kubanischen Küste im Namen der niederländischen WIC, die im Jahr der Wideraufnahme des Kriegs zwischen Spanien und den Vereinigten Niederlanden gegründet worden war. Die Beute, die Hein machte, über106 Siehe dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 478–505. 107 Die fünf Provinzen waren: Holland, Seeland, Utrecht, Gelderland, Overijsel. Siehe dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 700–712.

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stieg den Gegenwert von über 11 Millionen Gulden. Anteilseigner der WIC erhielten über sieben Millionen an Dividenden ausgezahlt, ein Teil wurde für Personalkosten verwendet.108 Mit dem finanziellen Spielraum, den die Kaperung der spanischen Silberflotte auch den Staten-Generaal gab, führten die Unionstruppen die Belagerung niederländischer Städte fort. ’S Hertogenbosch fiel 1629 in die Hände der Union. Drei Jahre danach zogen die niederländischen Truppen die Maas entlang und nahmen weitere Städte ein. Die bedeutendste unter den Eroberungen war Maastricht. Außenpolitisch griff der neue Statthalter nicht direkt in den Krieg im Heiligen Römischen Reich ein. Kurz nach dem Tod Moritz’ schlossen sich unter dem Drängen Friedrichs V. von der Pfalz die Vereinigten Niederlanden, die Kronen von England und Dänemark, sowie einige Reichsstände in der Haager Allianz zusammen. Unterstützung fand die Allianz beim französischen König Ludwig XIII., der nach dem Sieg des Kaisers gegen das protestantische Lager im Reich daran interessiert war, eine schlagkräftige Opposition gegen die Habsburger aufzubauen. Zuvor schloss Ludwig XIII. Bündnisse mit der Republik Venedig und dem Herzogtum Savoyen, das als Durchmarschgebiet spanischer Truppen in die Niederlanden galt.109 Mit diesem antihabsburgischen Bündnis internationalisierte sich der bisher auf Böhmen und die Pfalz begrenzte Krieg. Mit Unterstützung des Bündnisses sollte Christian IV. den norddeutschen Raum des Heiligen Römischen Reichs gegen die Kaiser verteidigen. Im Verlauf des Dänisch-Niedersächsischen Kriegs zeigten Tilly und Albrecht von Wallenstein ihr Kriegsgeschick. Sowohl in der Schlacht bei Dessau als auch vorher bei Lutter am Barenberge besiegten sie die Truppen der Protestanten. Das Eingreifen der Haager Allianz in den Krieg endete mit einer Niederlage Dänemarks und dem Verlust der Territorien derjenigen Reichsstände, die sich mit der Allianz verbündeten hatten. Nach dem jähen Ende des dänischen Engagements im Heiligen Römischen Reich entstand in den Vereinigten Niederlanden zusätzliches Konfliktpotential durch die Einsetzung Ferdinands von Österreich als Statthalter der Südlichen Niederlanden im Jahr 1634. Ferdinands Vorstöße auf französisches Gebiet und die direkte Bedrohung der französischen Hauptstadt Paris durch seine Truppen führten zur Kriegserklärung Frankreichs an Spanien. Erst 1659 endete der Spanisch-Französische Krieg durch den Pyrenäenfrieden, lange nach den Friedensschlüssen von Münster und Osnabrück. Die Annäherung zwischen Friedrich Heinrich und Kardinal Richelieu, dem wichtigsten Berater des französischen Königs, endeten nicht in einem Vertrag zwischen den beiden Territorien, da Friedrich Heinrich fürchtete, von einem mächtigen Frankreich bedroht werden zu können, wenn Frankreich direkt an das Territorium der Vereinigten Niederlanden grenzen würde. Die spanischen Truppen in den südlichen Niederlanden schienen als Pufferzone sicherer zu sein, da deren Nachschub von Italien über Savoyen verlief. Frankreichs Truppen wären schneller in der Lage, die nördlichen Niederlanden zu bedrohen. In der Annähe108 Vgl. dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 497; ’t Hart, The Dutch wars, S. 142f. 109 Siehe dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 506–536.

3. Städtebezwinger und Kriegsmüdigkeit

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rung zwischen den beiden Politikern ging es um die gemeinsame Aktion gegen Spanien in den südlichen Niederlanden und deren Aufteilung nach erfolgreichem Krieg.110 Ferdinands Gegenoffensive brachte einige Veränderungen der territorialen und politischen Konstellation, auch weil die gemeinsame Aktion der Vereinigten Niederlanden und Frankreich nicht den erwünschten Erfolgt hatte. Das Blatt wendete sich. Ferdinand von Österreich nahm unter anderen die Städte Venlo und Roermond ein. Der Gegenseite gelang es nicht, Breda zu entsetzen. Um den Nachschub für die spanischen Truppen zu sichern, der durch die Allianz Savoyens mit Frankreich unterbrochen war, versuchten die Spanier ihre Truppen über die Nordsee per Schiff zu versorgen und gleichsam neue Truppen in die niederländischen Territorien zu bringen. 1639 brach die spanische Flotte in La Coruńa auf, wurde aber im September von der niederländischen Flotte unter Admiral Marten Harpertsz. Tromp entdeckt und angegriffen. Den Rückzug in die Downs, ein flaches Gewässer in englischem Hoheitsgebiet, nutzten die Spanier, um ihre Flotte neu zu ordnen. Tromp und Witte de With griffen die spanische Flotte jedoch im Oktober in den Downs an. Nicht nur spanische, sondern auch portugiesische Schiffe und maritime Streitkräfte der Dünkirchener Piraten gehörten zum Flottenverbund unter dem spanischen Admiral Antonio de Oquendo. Für die Spanier wurde die Seeschlacht zu einem verheerenden Debakel. Von den 77 Schiffen verloren die Spanier 60. Nur die Hälfte der Truppenverstärkung konnte auf neutralen englischen Schiffen in Dünkirchen eingeschifft werden. Zum zweiten Mal war die Flotte der Spanier im Kanal vernichtend geschlagen wurden. Um die Verstärkung bewerkstelligen zu können, hatten die Spanier Schiffe von neuralgischen Punkten abgezogen, was ihre Verwundbarkeit in diesen Regionen erhöhte. Den Vereinigten Niederlanden brachte der Sieg eine Entspannung der bedrohlichen Situation auf dem Festland. Sowohl den Engländern als auch den Niederländern ermöglichte die neuerliche Schwächung der spanischen Flotte größere Erfolgschancen im Angriff auf die spanischen Kolonien. In Portugal wurde die Schwächung der spanischen Flotte zum Faktor für die im folgenden Jahr ausbrechende Loslösung Portugals von Spanien. Der Erfolg der niederländischen Flotte brachte allerdings eine Selbstzufriedenheit mit sich, die weitere Verstärkungen der Flotte nicht notwendig erscheinen ließen. Welche Folgen dies für die Vereinigten Niederlanden hatte, zeigte sich vor allem in den 1650er und 1660er Jahren.111

110 Vgl. dazu: Lademacher, Geschichte der Niederlanden, S. 84. 111 Siehe dazu: Boxer, Ralph: The Anglo-Wars of the seventeenth century, 1654 ̶ 72, London: H.M.S.O., 1974.

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V Der lange Weg zur Unabhängigkeit

4. DER FRIEDE VON MÜNSTER Die völkerrechtliche Anerkennung der niederländischen Unabhängigkeit Vorerst wurde der Unabhängigkeitskrieg zu Lande weiter geführt, brachte aber weder für Spanien noch für die Vereinigten Niederlanden entscheidende Vorteile. Die Kriegsmüdigkeit Europas zeichnete sich in den 1641 beginnenden Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück ab. Auch den Vereinigten Niederlanden wurden Friedensverhandlungen angeboten. Noch unter der Statthalterschaft Friedrich Heinrichs begaben sich 1646 acht Delegierte der Staten-Generaal nach Münster, um mit der spanischen Krone zu verhandeln. Ausgangspunkt für die Friedensverhandlungen war der Text des Waffenstillstands. Bevor ein Vertrag geschlossen werden konnte, verstarb Friedrich Heinrich. Sein Sohn Wilhelm II. übernahm das Statthalteramt in den wichtigsten Provinzen. Bei den Verhandlungen in Münster trennten sich die Vereinigten Niederlanden von den Vorstellungen ihres Bündnispartners Frankreich und drängten auf einen schnellstmöglichen Frieden mit Spanien. Am 30. Januar 1648 schlossen Spanien und die Vereinigten Niederlanden nach 80 Jahren Krieg in Münster einen Friedensvertrag, der im Mai von der spanischen Krone und den Generalständen ratifiziert wurde. Die spanische Krone erkannte die Vereinigten Niederlanden als souveräne politische Entität im ersten Artikel des Vertragswerks an.112 Der beschlossene ewige Friede wendete den Freiheits- und Souveränitätsbegriff auf die Provinzen, die Städte und das Territorium der Vereinigten Niederlanden als Vertragspartner an. Spanien gab alle Ansprüche in den Territorien der Union mit dem Vertrag auf und erklärte die Generalstände der Vereinigten Niederlanden und deren Provinzen zu freien und souveränen Ständen, was die Problematik aufzeigt, dass verschiedene Körperschaften in den niederländischen Territorien als souveräne Entitäten angesehen waren. Zum Zeitpunkt des Friedensschlusses betrachtete die spanische Krone die Union als Föderation, die aus verschiedenen Körperschaften bestand, was zeigt, dass der Begriff Staten nur die Stände beschreibt. Die Aufzählung „Staten, provincien en landen“ weist darauf hin, dass sich der Begriff Staten nicht auf die Föderation, sondern auf die Stände bezog. Der Begriff Staat müsste in dieser Textstelle das Wort Land ersetzen. Zugleich wurden mit dem Vertrag die territorialen Besitzungen, die während des Achtzigjährigen Kriegs ständig von wechselnden Herren beherrscht wurden, eindeutig zugeordnet. Erst mit dem Vertrag von Münster kam es zur Festlegung der territorialen Begrenzung des Unionsgebiets. 113 Mit dem dritten Artikel erkannte Spanien die territorialen Konsequenzen des Achtzigjährigen Kriegs an. Neben der Bestätigung des Abtretens der Halbinsel Axel in Flandern an die Vereinigten Niederlanden, bekam die Union Maastricht und damit einen Teil Brabants zugesprochen. Aus dem Übergangszustand, dass diese Generalitätslande von den Generalständen während der Besetzung regiert 112 Vgl. dazu: Appendix XVI, Blatt 5. 113 Vgl. dazu: Appendix XVI, Blatt 6.

4. Der Friede von Münster

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wurden, entstand durch die Zuerkennung und Souveränität der Generalstände, ein Territorium, das direkt ihrer Oberherrschaft unterlag, da den Heeren Staten die Souverainiteit en superioriteit über das Gebiet zugesprochen wurde. Die Generalitätslande waren somit territorialer Zugewinn für die Union, wodurch sich in der Konsequenz die Befugnisse der Generalstände erweiterten. Mit dem Vertrag entstand de jure die politische Einheit der Vereinigten Niederlanden. Erst der Friedensvertrag legitimierte das bis dahin existierende Interregnum der dualen politischen Verantwortung von Statthaltern und Ständen, die trotz der Beschränkung des Statthalters als dominium regale et politicum charakterisiert werden kann.114 Friedrich Heinrich und Wilhelm II. behielten das Klientelsystem bei und kontrollierten dadurch die Ständegremien auf allen Ebenen. Neben den zahlreichen Eigentumsregelung und etwaigen Entschädigungsbestimmungen über Kirchenbesitz, den Regelungen in Bezug auf die Restitution der Besitzungen des Prinzen von Oranien und dessen Rehabilitierung nach dem päpstlichen Bann, bildeten die Bestimmungen für den Handel der Vereinigten Niederlanden wie im Waffenstillstandsvertrag einen wichtigen Bestandteil des Vertrags. Auch der außereuropäische Handelsraum war Teil der Vertragsbestimmungen.115 Wie der fünfte Artikel des Vertragswerks legten die meisten anderen Paragraphen die Entscheidungen zugunsten der Vereinigten Niederlanden aus. Im Gegensatz zum Waffenstillstandsvertrag erwähnte der Friedensvertrag Ost- und Westindien explizit. War die Gründung der WIC ein ständiges Reizthema zwischen den Kontrahenten, sicherte der Vertrag den Handel der WIC zu, solange er sich in den zum Vertragszeitraum bereits etablierten Grenzen abspielte. Allen Einwohnern der Vereinigten Niederlanden, aber besonders den Angestellten, Soldaten und Anteilseignern der beiden niederländischen Handelsorganisationen wurde eine Art der Amnestie, freier Zutritt und freier Handel zugesichert. Ohne diese Zusage wären die Niederländer nicht bereit gewesen, den Vertrag zu unterzeichnen, war doch einer ihrer Wortführer Adriaan Pauw, ehemaliger Ratspensionär Hollands, Sohn Reynier Pauws, des bedeutenden Amsterdamer Bürgermeisters und Hauptaktionärs der VOC an der Ausweitung des Handels interessiert.116 Der Friedensvertrag zeichnete die Konnotation der Waffenstillstandsakte als Regelwerk der Einflusssphären des Handels der beiden Vertragspartner nach, was auch das Münsteraner Vertragswerk als Instrument der niederländischen Handelspolitik darstellt, die maßgeblich von der Akteuren bestimmt wurde, die als Vertreter der Provinz Holland bei den Verhandlungen auftraten. Die Provinz Holland durfte, ob ihres massiven Übergewichts in der Finanzierung der Ausgaben der Generalstände, zwei Gesandte nach Münster schicken. Alle Gesandten waren Vertreter des Adels. Pauw wurde 1612 vom englischen König geadelt. Als Vertreter der Ritterschaft zogen die Gesandten nach Münster. Johan von Mathenesse war der einzige, der offensiv die Oranier kritisierte, ein Freund Grotius’ war, und, obwohl sein Vater Mitglied der holländischen Ritter114 Siehe dazu: Koenigsberger, Monarchies; Ders.: Dominium Regale or Dominium et Politicum. 115 Vgl. dazu: Appendix XVI, Blatt 7–8. 116 Siehe dazu: NL-HaNA, Pauw van Wieldrecht, 3.20.43, inv.nr. 50, 65–69.

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V Der lange Weg zur Unabhängigkeit

schaft war, selbst erst 1626 in die Ritterschaft aufgenommen wurde. Die Zusammensetzung der Gesandtschaft zeigte einerseits die Machtposition Friedrich Heinrichs als Statthalter, der über ein Mitspracherecht für die Zusammensetzung der Gesandtschaft besaß und andererseits die Autorität des adligen Ritterstands auf dem europäischen Friedenskongress.117 Die niederländischen Kaufleute mussten dem Adel angehören, um mit der nötigen Autorität in den Verhandlungen mit Spanien auftreten zu können. Doch zurück zu den Paragraphen des Münsteraner Vertrags: Ob der Dauer der Reise zwischen den Kontinenten, beschlossen die Parteien, dass die Beschlüsse des Vertrags erst in eineinhalb Jahren nach Vertragsschluss in Asien gelten sollten. Alle Verluste, die bis dahin in Asien vorkommen würden, sollten ersetzt werden. Nach der Anerkennung der Selbständigkeit befassten sich die Parteien hauptsächlich mit Regelungen des Handelsverkehrs zwischen den beiden Territorien. Zölle wurden ebenso angesprochen wie die Rechte von Händlern im jeweils anderen Gebiet und Eigentumsverhältnisse, die sich mit dem Vertrag änderten.118 Die Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück waren ein Schmelztiegel für die politische Entwicklung der kommenden Jahre. Während der jahrelangen Verhandlungen trafen sich in Westfalen alle Vertreter der wichtigsten europäischen Mächte über einen längeren Zeitraum.119 Der Austausch ist der Ursprung für die Bezeichnung Generalstaaten als Synonym für die politische Entität der Vereinigten Niederlanden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.120 Streng genommen bedeutet Staaten in diesem deutschen Kompositum allerdings weiterhin Stände, da der Begriff Staten-Generaal nur die Generalstände bezeichnet, die, in der undifferenzierten Übersetzung ins Deutsche nicht zwischen den niederländischen Begriffen Staten für Stände und Staat für eine politische Entität unterscheidet, sondern deren Gleichsetzung im deutschen Begriff Staat suggeriert. Die Erklärung der außenpolitischen Souveränität der Vereinigten Niederlanden im Frieden von Münster geht nicht mit der Bezeichnung der Union als Staat einher. Es entwickelte sich ein Unterschied zwischen der Selbst- und Fremdbezeichnung der Vereinigten Niederlanden. Der Friedensvertrag zwischen den Vereinigten Niederlanden und Spanien erklärte unter anderem die Generalstände zum souveränen Vertreter der Union. Aus der Autorität der Stände entwickelte sich im Verlauf des Kriegs die Anerkennung der ständisch-korporativen Regierung der Union als Souverän. Mit der Souveränität erkannte Spanien die unabhängige Selbstverantwortlichkeit der ständisch117 Siehe dazu: Groenveld, Simon: Der Friede von Münster – die niederländische Seite des Westfälischen Friedens, Nr. 41, Reihe Nachbarn, Bad Honef: R. Limberg, 1998; Lademacher/Groenveld, Krieg und Kultur. 118 Vgl. dazu: NL-HaNA, Staten-Generaal, 1.01.02, inv.nr. 12588.55B. 119 Siehe zur Rolle der Niederländer in der europäischen Diplomatie: Heringa, Jan: De Eer en Hoogheid van de Staat, Over de Plaats der Verenigde Nederlanden in het Diplomatiek Leven van de Zentiende Eeuw, Groningen: J. B. Wolters, 1961; Legutke, Daniel: Diplomatie als soziale Institution, Brandenburgische, sächsische und kaiserliche Gesandte in Den Haag 1648–1720, Band 50, Niederlande Studien, Münster [u.a.]: Waxmann, 2010. 120 Vgl. dazu: Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexikon, Band 39, S. 641.

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korporativen Regierung in den Vereinigten Niederlanden innerhalb des europäischen Machtgefüges an, was zur Einschätzung führt, dass Souveränität eine Kategorie ist, die nicht das Verhältnis der Herrschenden gegenüber den Beherrschten beschreibt, sondern dem Souverän das Recht zuspricht, unabhängig von anderen politischen Akteuren, autonom und selbständig das Territorium der Union, die einzelnen Provinzen oder die Stände in außenpolitischen Belangen zu vertreten. Das Gleiche galt für die Provinzialstände im Verhältnis zur Union. Nach innen legitimierte die Autorität die Macht und Herrschaft der Stände und des Statthalters. In den Vereinigten Niederlanden war das Konzept der Souveränität nach dem Frieden von Münster für das Verhältnis zwischen den Provinzial- und Generalständen, sowie für die Auslandsbeziehungen der souveränen Körperschaften von Bedeutung. Die Provinzen gaben bestimmte Rechte ab, behielten, dem eigenen Verständnis nach, aber jeweils die Souveränität, was sich in der Entsendung provinzialer Botschafter zeigte. Für die Konsolidierung der ständischen Macht innerhalb der Provinzen und der Union war das Konzept der Autorität maßgeblich. Es muss zwischen der außenpolitischen Souveränität, die grundsätzlicher jeder Korporation innerhalb der Union und der Union selbst nach außen hin zukam, und der Autorität der Körperschaft, um nach innen Gefolgschaft für Verordnungen und Gesetzte zu erhalten, unterschieden werden. Die Autorität der Stände gründete einerseits in deren traditioneller Herrschaft, andererseits in einer mythologischen Verbrämung des von den Ständen geführten Unabhängigkeitskriegs, der gleichzeitig den Gedanken schärfte, die Union als Vaterland zu betrachten. Für die niederländische Staats-Formierung ist der Blick auf die Autorität als Grundlage von Herrschaft entscheidender als der Blick auf die Anerkennung der Souveränität.121 Die Kontrolle der Warenströme setzte die Vereinigten Niederlanden in Beziehung zu anderen europäischen Territorien. Daher ist die Souveränität der Vereinigten Niederlanden nicht nur an die Beherrschung des Unions-Territoriums gebunden, sondern auch an die Kontrolle der europäischen Distributionswege.

Wilhelms II. Griff nach der Macht Bis zum Beginn der Kernzeit der Betrachtungen, sind es, vom Ende des Achtzigjährigen Kriegs an, lediglich zwei Jahre. Wilhelm II. war bestrebt, die während der Amtszeit seines Vaters errungene Machtfülle des Statthalters auszubauen. Sich selbst wollte er zum Monarchen eines streng calvinistischen Landes erheben. Er war gegen den Friedensschluss mit Spanien. Seinem strengen Calvinismus entsprang die Intoleranz gegenüber den Katholiken in den eroberten Generalitätslanden. Friedrich Heinrich übte sich noch in Toleranz. Der junge Wilhelm II. wollte weiter gegen die Katholiken Krieg führen. Seeland war die einzige Provinz, die sich gegen den Friedensschluss von Münster stellte. Wilhelm II. versuch121 Zu den Typen von Herrschaft siehe: Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 122–175; Zum Mythos der Bataver: Grotius, De antiquitate reipublicae Batavicae, 1610.

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V Der lange Weg zur Unabhängigkeit

te auch die anderen Provinzen von der Ablehnung des Vertrags zu überzeugen. Er scheiterte. Gleichsam wurde ihm seine Ohnmacht gegenüber der Provinz Holland durch die Niederlage bewusst. Holland wollte den Frieden, schon aus Kriegsmüdigkeit, wie der Vertrag jedoch zeigt, auch im Interesse des für die Vereinigten Niederlanden und Holland überlebenswichtigen Handels. Mit dem Frieden wurde allerdings auch die Scheldesperrung aufgehoben. Der Handel, der Seeland begünstigt hatte, verlagerte sich wieder in die flämischen Städte, allen voran Antwerpen. Das Kapern von spanischen Schiffen in Westindien war nicht mehr straffrei möglich. Die ohnehin schwach aufgestellte WIC machte herbe Verluste und musste die Kolonie in Brasilien verloren geben. Das Heer, für Friedenszeiten überdimensioniert, sollte auf Wunsch der holländischen Städte verkleinert werden, was die orthodoxen Calvinisten ablehnten, da sie weiterhin gegen einen von ihnen befürchteten Aufstand der römisch-katholischen Einwohner der Generalitätslande gewappnet sein wollten. Nun forderten die Städte den Einsatz von Söldnertruppen zur Verteidigung, da die reguläre Armee verkleinert werden sollte. Dem Frieden folgten unumgängliche innenpolitische Fragen, die zu einer erneuten Eskalation zwischen den Orangisten und den Anhängern der Staten-Generaal führte. Im Mai 1650 beschlossen die Stände Hollands die Abdankung der Truppen.122 Aus Sicht der Staten-Generaal war es allerdings ihre Aufgabe, über die Verteidigung des Landes zu entscheiden und damit auch über die Entlassung der Truppen. Der Konflikt führte zu einer innenpolitischen Krise. Die Reduzierung der Truppenstärke zu Land kann in Bezug zur These gesehen werden, dass den Provinzen und Städten die Eroberung von weiteren Territorien als Machtbasis weniger wichtiger war und sie mit der Durchsetzung ihrer Interessen, sowohl Wilhelm II. als auch die Generalstände schwächten. Wilhelm II., der die Schmälerung seiner Macht durch die Verringerung der Truppen befürchtete, da er nicht mehr in der Lage gewesen wäre, seine Ansprüchen gegen sich widersetzende Städte durchzusetzen, war nur aufgrund des Fürstentums Oranien in Frankreich, der nassauischen Stammlande im Heiligen Römischen Reich und des territorialen Eigentums der Oranier in den nördlichen Niederlanden in den Stand gesetzt, als Statthalter fungieren zu können. Oraniens Adelsstand und Autorität basierte auf dessen territorialem Besitz. Mit Unterstützung des Statthalters von Friesland bereitete Wilhelm II. einen Aufstand vor, um die Macht der Provinz Holland zu brechen. Wilhelm zog Truppen zusammen, um Amsterdam zu belagern. Die Einnahme scheiterte, auch weil ein Teil des Wihelm’schen Heeres unter Cornelis van Aerssen, Sohn François van Aerssens, der Johann t’ Serclaes von Tilly gegen Oldenbarnevelt unterstützt hatte, im Moor bei schlechter Sicht verloren ging. Einzig die Forderung die Brüder Cornelis und Andries Bicker aus der Stadtverwaltung auszuschließen, konnte Wilhelm mit der Belagerung erreichen. Einige Anhänger der Unionspartei, die Wilhelm II. zuvor in Löwenstein festgesetzt hatte, musste er wieder freilassen. Der Konflikt wurde durch den plötzlichen Tod Wilhelms II. beendet. Im Oktober des Jahres 1650 starb der Staathalter an einer Pockeninfektion. Die Gegen122 Vgl. dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 700ff.

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partei in Holland ergriff die Initiative und erklärte für die Provinz die erste Statthalterlose Periode in der Geschichte der Vereinigten Niederlanden, zumal der Sohn Wilhelms II. noch unmündig war. Die Provinzen, Friesland, Drenthe und Groningen indes beriefen auch nach dem Tod Wilhelms II. einen neuen Statthalter. Seit 1640 war Wilhelm Friedrich von Nassau-Diez, aus einer Nebenlinie der Oranier, Statthalter in Friesland. Nach dem Tod Wilhelms II. übernahm der friesische Statthalter das Amt auch in den beiden östlichsten Provinzen Drenthe und Groningen. 1664 wurde er von seinem minderjährigen Sohn Hendrick Casimir II. abgelöst, für den seine Mutter Albertine Agnes von Nassau-Diez, eine Tochter Friedrich Heinrich und dessen Frau Anna von Solms, die Vormundschaft bis 1673 übernahm. Durch die Vakanz des Postens in den übrigen Provinzen der Union lag nun alle Macht bei den Ständen und den Städten. Genau diese Konstellation etablierte in den bedeutenden Provinzen der Vereinigten Niederlanden und der Union während der Statthalterlosen Epoche eine Herrschaftsordnung, die mit der der Schweizer Eidgenossenschaft vergleichbar war.123 Vor dem Frieden von Münster, als die Statthalter aus dem Haus Oranien wichtige politische und militärische Entscheidung beeinflussten und vorantrieben, bestand der Fokus der innenpolitischen Entwicklung der Vereinigten Niederlanden auf der Suche nach der Balance und dem Gleichgewicht zwischen den Orangisten und den Anhänger eines Selbstbestimmungsrechts der Stände. Was sich nach dem Tod Wilhelms II. änderte, war die Fokussierung auf die Indienststellung der Politik zum größtmöglichen Nutzen des Handels als Voraussetzung der politischen Unabhängigkeit, die von den Regenten in den Städten betrieben wurde. Dieses Bestreben führte schnell zum offen militärisch ausgetragen Ringen um die Vormachtstellung zur See mit England. Der Tod Wilhelms. II war für die Entwicklung der Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien der politischen Akteure in den Vereinigten Niederlanden zwischen 1650 und 1672 weitaus wichtiger als der Vertrag von Münster.

123 Vgl. dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 702.

VI DIE STATTHALTERLOSE EPOCHE 1. DIE INNENPOLITISCHEN MACHTVERHÄLTNISSE Das Austarieren der Macht Ohne einen Vertreter des Hochadels regierte nun die Ritterschaft, die das platte Land und den Adel verkörperte, gemeinsam mit den Regenten der Städte die Vereinigten Niederlanden, die sich auf die Bewahrung der wirtschaftlichen Potenz der Union konzentrierten. An der Struktur der Verwaltung in den Provinzen gab es keine grundsätzlichen Änderungen. Durch den Wegfall des Statthalterpostens in der Provinz Holland, gewann der Ratspensionär der Provinz zusätzliche Macht auf Unionsebene, da er den Sitzungen der Generalstände vorstand und mit der Vakanz des Statthalterpostens einen Gegen- oder Mitspieler weniger hatte. Für die Politik der Union hatte die Nichtbesetzung des Statthalterpostens in den wichtigen Seeprovinzen indes entscheidende Bedeutung, da Aufgabenbereiche neu geordnet wurden. Bestimmte Körperschaften, wie die Generalstände, vergrößerten dadurch ihren politischen Einfluss. Die Stände bestimmten in der Statthalterlosen Epoche mehr als vorher die Politik in den Vereinigten Niederlanden auf allen Ebenen. Vom Haus Oranien vertretene politische Strömungen verloren an Einfluss. Der orthodoxe Calvinismus verlor eine sehr einflussreiche Stimme. Die Einsetzung von Mitgliedern in Stadt- und Provinzverwaltungen oblag nicht mehr der Genehmigung des Statthalters. Eine Kontrollinstanz gegenüber den Ständen ging verloren. Vom Ausgangspunkt der gewollten Loslösung von ihrem despotischen Oberherrn zu Beginn des Unabhängigkeitskriegs betrachtet, ist die Entwicklung der Union hin zu einem Gemeinwesen unter ständischer Oberherrschaft kein Weg, der ohne die Alternative gegangen werden musste, einen Monarchen zu wählen. Vielmehr bestand seit dem Tod Philipp Wilhelms von Oranien die Möglichkeit die jeweiligen Fürsten von Oranien, Moritz, Friedrich Heinrich und Wilhelm II., zu Grafen Hollands zu ernennen und sie zum König der Vereinigten Niederlanden zu krönen. Diese Option wurde aber nach dem Machtzuwachs des Statthalters unter Moritz nie wieder in Erwägung gezogen, da sich, seit Beginn des 17. Jahrhunderts, durch den Zwist zwischen Remonstranten und Contraremonstranten geschürt, zwei Lager herausbildeten. Auf der einen Seite die Orangisten, die Prinsgezinden, auf der anderen, die Staatsgezinden, das für die Herrschaft der Stände eintrat. Grundsätzlich waren die innenpolitischen Konflikte dafür ausschlaggebend, dass die Generalstände keinen Vertreter aus dem Haus Oranien zum König wählten. Die Vertreter des Hauses Oranien nach Wilhelm I. waren hingegen nicht in der Lage oder willens, sich den Anspruch auf die Grafenwürde und die Erhebung zum Oberhaupt der Union zu erstreiten.

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VI Die Statthalterlose Epoche

Wenn von einer ungewollten ständisch-korporativen Herrschaftsform in den Vereinigten Niederlanden gesprochen wird, die durch den Statthalter aus dem Haus Oranien bis 1650 legitimiert wurde, bleiben die innen- und außenpolitischen Konflikte der Union unbeleuchtet.1 Werden sie einbezogen, zeigt sich die Institutionalisierung der Machtbalance zwischen Ständen, Städten und Statthalter als bewusste Entscheidung, die unter den gegeben Umständen eine ideale Konstellation war, um die Vereinigten Niederlanden auf einen selbstbestimmten Weg im europäischen Machtgefüge zu führen, die alle politischen Akteure entsprechend der existierenden Machtverhältnisse einband. Als das Statthalteramt außer in Friesland, Drenthe und Groningen unbesetzt blieb, etablierte sich eine Herrschaftsform, die maßgeblich von den Interessen der Wirtschaft getragen war und sich mit der gewonnenen Souveränität und der Unabhängigkeit von der Dynastie der Oranier erst arrangieren musste. Bis zum Frieden von Münster waren die Vereinigten Niederlanden eine Interimslösung, deren Fortbestand an deren militärische Potenz gebunden blieb. Mit dem Friedensschluss endete eine konfliktreiche Zeit, die von einer nicht weniger kriegerischen Epoche abgelöst wurde, in der die Vereinigten Niederlanden um ihre wirtschaftliche und politische Vormachtstellung kämpfen mussten, in die sie während des Dreißigjährigen Kriegs gelangt waren. Die Anerkennung der Unabhängigkeit der Vereinigten Niederlanden änderte die Selbstwahrnehmung der niederländischen Eliten, die an die Stärkung der Generalstände, Provinzen und Städte nach dem Tod Wilhelms II. gekoppelt war. Festzuhalten bleibt, dass die politische Kultur der Vereinigten Niederlanden einzigartig war in der Frühen Neuzeit. Von der religiösen Toleranz unter Wilhelm I. erhielt sich die festgeschriebene Zusage, aus Glaubensgründen nicht verfolgt werden zu dürfen, was in Duldung der verschiedenen Konfessionen mündete. Der Calvinismus galt als das Bekenntnis der Mehrheit der Bevölkerung und wurde als Öffentlichkeitskirche etabliert. Allen anderen Bekenntnissen musste im Verborgenen nachgegangen werden. Infolge der zahlreichen Immigranten aus den südlichen Niederlanden, die ihre Heimat wegen der Verwüstung durch die spanischen Truppen und nicht zwangsläufig aus Angst vor religiöser Verfolgung verlassen hatten, entstanden soziale Spannungen in den Vereinigten Niederlanden, deren Ursprung die ökonomische Krise war, die durch den Unabhängigkeitskrieg und die gleichzeitige Vervielfachung der Bevölkerung in den nördlichen Niederlanden ausgelöst wurden war.2 Schon die Bilderstürme, deren Ausbruch durch die Krise des textilherstellenden Gewerbes und die mangelhafte Versorgung der Landbevölkerung zustande kam, entzündeten sich vielmehr an sozialen als an religiösen Fragen. In der Folge des Unabhängigkeitskriegs ließen fehlende Absätze den Handel schrumpfen. Die Einschränkung des Seehandels durch den Krieg und 1

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Siehe dazu die Forschung zur Herrschaftsform in den Vereinigten Niederlanden. Die ständische Herrschaft mit dem Statthalter als Gegengewicht wird als zwangsläufig betrachtet, nicht als aktive Entscheidung der herrschenden Stände. Siehe dazu u. a.: Koenigsberger, Monarchies; Ders., Dominium Regale or Dominium et Politicum. Siehe dazu: Lademacher/Groenveld, Krieg und Kultur; Lademacher, Phönix aus der Asche?.

1. Die innenpolitischen Machtverhältnisse

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Überfälle durch die mit Spanien verbündeten Freibeuter Dünkirchens beschränkten den Handel, aber auch die Iberer konnten sich nicht komplett von den Märkten Nordeuropas abkoppeln. Auch während des Kriegs unterhielten spanische und portugiesische Händler Kontakte zu niederländischen Kaufleuten.3 Die Nahrungsmittelknappheit, die ständige Bedrohung durch spanische Truppen, deren Plünderungen und hohe Verteidigungskosten waren nur tragbar, weil sich, begünstigt durch die Immigranten aus den südlichen Niederlanden, Amsterdam zur nordeuropäischen Handelsmetropole entwickelte. Neben Geschäftskontrakten und Geld, brachten die Immigranten neue Ideen in den Norden. Le Maire und de Moucheron finanzierten vor der Gründung der VOC Handelsfahrten nach Ostindien. Neben le Maire gehörten weitere sieben Südniederländer zu den größten Investoren der VOC.4 Mit den südniederländischen Kaufleuten etablierten sich Akteure des globalen Handels in den Vereinigten Niederlanden.5 Ohne den Zustrom der südniederländischen Immigranten und die Absperrung der Schelde, hätte die wirtschaftlichen Entwicklungen in der Union, insbesondere was den europäischen und globalen Fernhandel betrifft, niemals das Niveau erreicht, dass die Epoche des Dreißigjährigen Kriegs und der Statthalterlosen Zeit in der Nachbetrachtung als Goldenes Zeitalter der Niederlanden erscheinen ließ. Die Akteure in den Vereinigten Niederlanden verwendeten die finanziellen Ressourcen nicht zur Ausdehnung territorialer Macht auf dem europäischen Festland, sondern für die Erschließung neuer Wirtschaftsräume oder die Festigung der bereits bestehenden Vormachtstellung im innereuropäischen See- und Frachthandel, was dazu führte, das trotz der Verortung des Territoriums und der Einbindung in Allianzen während des Dreißigjährigen Kriegs, die Union nahezu unbehelligt von den katastrophalen Auswirkungen des Kriegs blieb und Kaufleute zudem im Waffenhandel an der europäischen Auseinandersetzung große Summen verdienten.6 In der Statthalterlosen Epoche trat Holland noch stärker als in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als bestimmende Provinz innerhalb der Union hervor. Die Macht Hollands beruhte seit Anbeginn des Unabhängigkeitskriegs auf der Wirtschaftsleistung der Provinz, die der aller anderen Mitglieder der Union überlegen war. Andererseits war Holland am Ende des Unabhängigkeitskriegs hoch verschuldet. Die Delegierten der holländischen Ständeversammlungen7 entschieden sich mit dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs, die Ausgaben für die Streitkräfte zu reduzieren, weil das Interesse an weiteren Kriegshandlungen zum Zweck der Gebietserweiterung bei den holländischen Delegierten und Regenten weder vor3 4 5 6

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Siehe dazu: Israel, Dutch Primacy, S. 80–121. Vgl. dazu: Asaert, Gustaaf: 1585. De val van Antwerpen en de uittocht van Falmingen en Brabanters, Tielt: Lannoo, 2004, S. 224. Vgl. dazu: Vries/Woude, The first modern economy, S. 419f, 350–354, 243–253. Siehe dazu: Zunckel, Julia: Rüstungsgeschäfte im Dreißigjährigen Krieg, Unternehmerkräfte, Militärgüter und Marktstrategien im Handel zwischen Genua, Amsterdam und Hamburg, Band 49, Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Duncker & Humblot: Berlin, 1997. Dazu gehörten die Staten van Holland und die Gecommitteerde Raden, die sich im Gegensatz zu den Staten von Holland (4x im Jahr), täglich zusammentrafen. Vgl. dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 278.

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VI Die Statthalterlose Epoche

handen noch finanzierbar war. Das Interesse lag in der Wahrung des Friedens zum Zweck des Handels, in den viele der Delegierten der holländischen Ständeversammlungen eingebunden waren. Die Ausgaben für die Verteidigung zur See wurden hingegen nicht drastisch gesenkt, sondern blieben im Vergleich zu den Ausgaben in der Epoche der Statthalter konstant, um in den Jahren der Kriege gegen England rapide anzusteigen.8 Aufgrund gegenteiliger Herrschaftsstrategien, aber auch aus finanziellem Engpass heraus, entschieden sich vor allem die Amsterdamer Regenten gegen die Unterhaltung eines großen Landheers.9 Die selbstständige Entscheidung in Belangen der Verteidigung, war ein Bruch Hollands mit der Unionsakte von 1581 und ein Machtbeweis der ökonomisch bedeutendsten Provinz der Union, was unverzüglich nach dem Ende des Unabhängigkeitskriegs die Zerrissenheit der Union zeigte. Schon während des Waffenstillstands war es zu innenpolitischen Konflikten zwischen Statthalter und Städten gekommen. Das Gleiche war nun zwischen den Generalständen und Wilhelm II. auf der einen und Holland auf der anderen Seite geschehen. Im Streit zwischen der Provinz Holland und Wilhelm II. trafen zwei verschiedene Vorstellungen der Verräumlichung von Herrschaft aufeinander. Wilhelm II. verortete Herrschaft im Besitz und in der Kontrolle über Territorium. Die Städte verorteten Herrschaft in der Kontrolle von Warenströmen auf See, der Beherrschung von Handelsnetzwerken, deren Knotenpunkte sich an den Küsten der 8

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Auch wenn Lücken in der Statistik auftreten, zeigen die vorhandenen Zahlen aus den 1660er Jahren, dass die Ausgaben für die Verteidigung zur See im Vergleich zum Zeitraum des 80jährigen Kriegs nahezu gleich blieben. Siehe dazu die Ausgabenlisten am Beispiel der Provinz Holland in: Fritschy/Liesker, Gewestelijke Financiën, Holland (1572–1795), S.390–392. Zur Auswertung der Tabellen bei Fritschy/Liesker: Die Ausgaben für die Verteidigung zu Land waren seit den 1620er Jahre konstant über 8 Millionen Gulden mit häufigen Ausschlägen nach oben, mit den höchsten Ausgaben 1645: 10.891.129 Gulden. Nach dem Friedensschluss wurden die Ausgaben gesenkt. Als Wilhelm II. 1650 starb, lagen die Ausgaben Hollands bei 3.240.772 Gulden, um 1651 drastisch um 90% auf nur noch 332.520 Gulden gesenkt zu werden. Die Erhöhung der Ausgaben 1653–56 war dem Krieg gegen England geschuldet. Ab 1665 brachte der Krieg zu Land gegen den Bischof von Münster wieder eine Erhöhung der Ausgaben mit sich, die sich bis zum Holländischen Krieg steigerten. Vor 1672 überstiegen die Ausgaben für die Verteidigung zu Land aber nie die Ausgaben Hollands während des Unabhängigkeitskriegs. Erst 1672 wurden die Ausgaben für die Verteidigung zu Land exorbitant auf 15.581.099 Gulden erhöht, was im Vergleich zu 1650 einer Steigerung um 380% bedeutete. Das zeigt die immense finanzielle Belastung durch den Krieg, zumal die Ausgaben bis 1674 noch stiegen (19.196.353 Gulden) und erst danach wieder zurückgingen. Die Ausgaben für die Verteidigung zur See sanken in der Statthalterlosen Epoche nicht so rapide, sondern stiegen durch die Kriege gegen England sogar an. Die Quellen für die Ausgaben der Verteidigung zur See sind indes sehr lückenhaft. Welche Bedeutung die Aufrüstung zur See zu Beginn der 1650er hatte, zeigt ein Brief des Schöffen und Rats von Dordrecht Alewijn van Halewijn. Er spricht die finanziellen Anstrengungen der Admiralitäten an, um mehr Schiffe in den Dienst der niederländischen Föderation zu stellen. Vgl. dazu: „[…]Ick verhoope, datter voor desen resolutie sal sijn genomen op het besteden van nieuwe schepen; het timmeren van de admiraliteiten is te costelijck voor onsen Staet ende het huyren van schepen nog arger.[…]“, in: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Eerste Deel, 1648–1660, Amsterdam: Johannes Müller, 1919, S. 44.

1. Die innenpolitischen Machtverhältnisse

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Nord- und Ostsee, des Mittelmeers, des Chinesischen Meers, des Indischen Ozeans und der Javasee in Südostasien befanden.10 Die Stadt als Territorium war der Ort des Austauschs, der beherrscht werden musste, um Transaktionen auf sicherem Boden durchzuführen. Zudem fehlte fortan die augenscheinliche, äußere Bedrohung zu Land. Mit dem Tod Wilhelms II. starb der entscheidende Fürsprecher für die kontinentaleuropäische, territoriale Orientierung der Herrschaft in den Vereinigten Niederlanden, woraus sich weitreichende Probleme für die Verteidigung des Territoriums der Union ergaben, die 1672 zum Ende der ersten Statthalterlosen Epoche führten.

Die Instructie voor den Raad van State – Formierung der niederländischen Staatlichkeit Besetzt wurde der Posten des Ratspensionärs nach dem Tod Wilhelms II. von Jakob Cats. Nachdem Cats 1651 das Amt niederlegte, übernahm Adriaan Pauw das Amt. Pauw verstarb zwei Jahre darauf.11 Auf ihn folgte Johann de Witt, der bis zum Ende der Statthalterlosen Epoche die Geschicke der Vereinigten Niederlanden bestimmen sollte. Acht Monate nach dem Tod Wilhelms II., kurz vor dem Ausscheiden Jakob Cats’ aus dem Amt, erließen die Generalstände eine Verordnung zur Aufstellung des Standesrats. Da bis zum Tod des Statthalters, der dem Rat vorgestanden hatte, mussten Änderungen vorgenommen werden, die mit der Entscheidung, keinen neuen Statthalter zu berufen, korrelierten. Am 18. Juli 1651 verabschiedeten die Generalstände die Instructie voor den Raad van State. Obwohl der Standesrat nach der Unabhängigkeit vor allem in finanziellen Belangen Einfluss nehmen konnte, schwand dessen Bedeutung nach dem Tod des Statthalters, da die Generalstände mit dem Dokument eine Neuordnung der Institution vornahmen, die das Gremium stärker den Interessen der Generalstände unterstellte. Die Semantik des Dokuments ist Zeugnis für das Selbstverständnis der Generalstände und ihrer Sichtweise auf den Charakter der Union. Es soll indes nicht jeder der 52 Artikel untersucht werden, sondern nur solche, die über die Autorität der Generalstände und die politische Ordnung der Union Auskunft geben. „II. In desen Raedt sullen angesteld werden gequalificeerde, bequame ende in materie van Staet geverserde mannen van de ware Christelijcke Gereformeerde religie, gelijck deselve alomme in de publique kerken deser landen tegenwoordigh werdt gepredickt en geleert, en niet zijnde in eedt, gagie of dienst van eenige Koningen, Princen, heeren, in- of uitheemsche, en malkanderen in consanguiniteyt tot in vierden grade en in affiniteyt tot in den tweeden grade, na reeckeninge van de wereldtlijcke rechten, niet bestaende, sonder dat daerinne eenige 10 Die niederländische Handelsflotte bestand im 17. Jahrhundert aus 2000 bis 3000 Schiffen. Die große Spanne ist durch die häufigen Übergriffe durch Freibeuter, Verluste, Abwrackungen und den Umbau von Handelsschiffen zu Kriegsschiffen begründet. Vgl. dazu: ’t Hart, The Dutch wars, S. 129, 136. 11 Über Adriaan Pauws Familien bestand weiterhin enger Kontakt zum Haus Oranien. Der Bruder Adriaan Pauws war ein enger Vertrauter Friedrich Wilhelms, Wilhelms II. und auch des jungen Prinzen Wilhelm III.

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VI Die Statthalterlose Epoche

dispensatie sal mogen geschieden, ende dat deselve in de vergaderplaets oock vaste residentie 12 sullen moeten houden.“

Die im zweiten Artikel ausgeführten Regelungen zur Qualifikation der Delegierten verdeutlichen zweierlei. Dass die Delegierten bis zu einem bestimmten Grad nicht mit ausländischen Königen, Prinzen und Herren verwandt sein dürften, überrascht ebenso wenig, wie die Festlegung auf die reformierte, christliche Religion. Deutlich wird durch den Artikel, dass der Standesrat ein Beamtenkolleg werden sollte, was zur Professionalisierung der politischen Institution führen würde. Männer, die sich mit der materie van Staet auskannten, sollten berufen werden. Neben dem Bestreben die Professionalisierung in den politischen Gremien der Union und die religiöse Vereinheitlichung in den Regierungsgremien voranzutreiben, zeigt die Formulierung, dass der Begriff Staat eine lexikalisierte Kategorie der politischen Semantik war, ohne an dieser Stelle weitere Attribute zu liefern, ob der Begriff sich auf ein bestimmtes Territorium bezog oder als Synonym Verwendung fand, um verschiedene politische Konstellationen mit einem Oberbegriff zu beschreiben. Die Verwendung lässt in der ersten Verwendung keine Rückschlüsse auf die Kategorisierung einer politischen Entität zulässt. Die Attribute des Begriffs zeigen sich im 7. und 14. Artikel der Instruktion. „VII. Ende sal den voorzs. Raedt, met en nevens de ordinaris gecommitteerde ter Generaliteit, sorge dragen, dat de frontieren van den Staet in het gemeen met suffisant guarnison van verscheyde natien mogen zijn beset en dat de vordere militie, sooveel doenlijck en de gelegentheyt toelaat, verdeelt ende geleydt werde in de naeste en gelegenste plaetsen ontrent deselve frontieren, om t’allen tijden, in gevalle van subiten noodt, soo binnen als buyten, by 13 der handt te konnen wesen.“ „XIV. Den voorsz Raedt sal mede van tijdt tot tijdt besorgen, da de frontieren van den Staet in ’t generael behoorlyck mogen wesen voorsien met noodige ammunite, vivres en andere 14 behoeften van oorlogh.“

Der Staat war zu Beginn der 50er Jahre eine politische Entität, die Grenzen besaß, welche von Garnisonen, bestehend aus Soldaten unterschiedlicher Herkunft verteidigt werden mussten, was eine Hinweis auf die Indienstnahme von ausländischen Söldnern zum Zweck der Verteidigung der Staats-Grenzen gibt. Das Besondere an der Verwendung des Begriffs war das Auftreten in einem Dokument zur Reorganisation innenpolitischer Institution. Bis dahin trat der Begriff häufig in Vertragsschlüssen auf europäischer oder interkontinentaler Ebene auf. Das zweite Merkmal bezieht sich auf die klare Begrenzung einer politischen Entität, die an ein Territorium gebunden und von einer Armee verteidigt wird. Die Instruktionen für den Standesrat stehen sinnbildlich für die Selbstwahrnehmung der Union als politische Entität, die ihre Bestrebungen, die südlichen Niederlanden in die Union zu integrieren, endgültig aufgab. Den Begriff Staat zeichnen zwei Dimensionen aus: eine räumliche und eine politisch-administrative. Der abstrakte Begriff Staat 12 Vgl. dazu: Instructie voor den Raad van State, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 265–275, darin, S. 266. 13 Vgl. dazu: Ebda. 14 Vgl. dazu: Ebda., S. 267.

1. Die innenpolitischen Machtverhältnisse

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inkorporierte das Territorium der Union. Dass die Verteidigung der Union durch die geographische Voraussetzung des Territoriums auch die Organisation der Marine betraf, liegt auf der Hand. Die Artikel zur der Organisation der Marine betrachteten indes zudem die Übergriffe von Piraten als Bedrohung für das niederländische Gemeinwesen. „XXIII. Sullen de steden laten by hun gebruyck, om, in tijde van noodt en als de saecken geen uitstel en mogen lijden, hen te water te wapenen en schepen van oorloghe uit te rusten tot laste van den lande, mits daervan dadelijck gevende advertentie aen de Generaliteyt, om uyt de voorsz. middelen betaelt te werden, ende dat tegens alle piraten en andere gelijcke vyanden van ’t gemeen beste, desleve te resisteren ende in haer geweldt te krijgen, behoudelijck dat de kennisse en straffe, soo over de persoonen als hare schepen en goederen, sal staen ter decisie van de collegien van Admiraliteyt, in de respective quartieren gesteldt of 15 noch te stellen.“

Die Ausgaben für Kriegsschiffe und Waffen gingen zu Lasten des landes, also den einzelnen Provinzen, die wiederum auf die Einkünfte der Städte angewiesen waren.16 Die Generalität der Union sollte über die Ausrüstung und Bezahlung lediglich informiert werden. Über die gefangenen Personen und erbeuteten Güter sollten die einzelnen Admiralitäten entscheiden. Der Artikel zeigt, wie dezentral die Verteidigung zur See im niederländischen Staat organisiert war. Im 23. Artikel wird nicht vom Staat gesprochen, wohl aber vom Zweck der Politik, die dem gemeinen Besten dienen soll. Neben dem Begriff Staat existieren weiterhin Begriffe wie Gemeinwesen oder Republik, um die Entität der Vereinigten Niederlanden zu beschreiben. Was die Festlegungen für den Standesrat zeigen, ist die Existenz mehrerer Ebenen von Entscheidungsträgern für die Organisation der Verteidigung des Unionsgebiets. Der Statthalter war gleichzeitig Generalkapitän des Heers und Oberbefehlshaber der Flotte gewesen. In der Statthalterlosen Epoche gab es die Instanz des Oberbefehlshabers nicht, sondern die Generalstände und der Ratspensionär Holland koordinierten die Verteidigung der Föderation. Jede einzelne Provinz bezahlte und organisierte eigene Truppen, die für die Verteidigung der Union zusammengeführt wurden. Die Verteidigung zur See lag in den Händen der Generalstände, denen die fünf Admiralitäten unterstanden. Da in der Epoche nach dem Tod Wilhelms II. die Protektion des Handels auf See immer mehr an Bedeutung gewann, verlor das Heer an Stellenwert und die dezentrale Organisation der Admiralitäten, die nur in den Seeprovinzen existierten, stärkte die Städte in denen eine Admiralität angesiedelt war. Die Statthalterlose Epoche prägte eine zunehmende Dezentralisierung des Militärs. Indes bestand die dezentrale Struktur der Verteidigung zur See schon bei der Gründung der Admiralitäten, als die Statthalter noch eine gewichtige Rolle in der Verteidigung der Union einnahmen. Ohne den Statthalter ging allerdings die Balance zwischen Dezentralisierung und zentralem, autoritärem Oberbefehlshaber verloren, wie sich auch in der eigenständigen Diplomatie der einzelnen Provinzen zeigte. Augen15 Vgl. dazu: Instructie voor den Raad van State, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 269. 16 Vgl. dazu: Fritschy/Liesker, Gewestelijke Financiën, Holland (1572–1795), S. 195f.

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VI Die Statthalterlose Epoche

scheinlich schlossen nicht nur die Vereinigten Niederlanden Verträge und Allianzen mit benachbarten Territorien, sondern sowohl die einzelnen Provinzen als auch die Städte und deren Glieder. „XXVIII. Sullen onderhouden alle tractaten ende alliantien tusschen de vereenighde landen, de provincien, steden ende leden van dien, met de naburige rijcken, landschappen ende republiquen gemaeckt, en sullen, ten selven eynde ende tot avancement van de neeringen en trafique deser landen, onderhouden goede correspondentie, vrientschap en naburrschap met de uytheemsche princen en heeren, omleggende koninghrijcken, republiquen, landen en 17 steden by de beste middelen, die sy daertoe sullen ordonneren.“

Die Vereinigten Niederlanden wurden zudem nicht als Republik bezeichnet, was die These erhärtet, dass in den Niederlanden der Begriff Republik zur Selbstbeschreibung selten Verwendung fand. Wenn er auftrat, dann meistens in diplomatische Dokumenten, die außenpolitische Beziehungen betrafen. Innenpolitisch fand die Kategorie Republik zu Beginn der Statthalterlosen Epoche selten Anwendung, besaß jedoch die Qualität zur Beschreibung politischer Entitäten und war nicht mehr nur Ausdruck einer Politik, die dem Wohl der Gemeinschaft dienen müsse. Anzumerken ist, das Cromwells Commonwealth von den Niederländern sowohl als engelse gemenebest als auch als Republik bezeichnet wurde, die beide nicht auf die Form der Herrschaft bezogen waren, sondern auf die Entmachtung des Königs, was die politische Ordnung in England eindringlicher in den Nutzen des Gemeinwohls stellte.18 Andererseits zeigen niederländische Quellen, dass der Republik-Begriff auch eine Herrschaftsordnung beschreiben kann, an deren Spitze ein Monarch steht. Im Niederländischen des 17. Jahrhunderts besaß der Begriff Republik eine zu allgemeine und ambivalente Bedeutung, die nur in geringem 17 Vgl. dazu: Instructie voor den Raad van State, in: Blécourt/ Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, darin, S. 269. 18 Vgl. dazu: „Van den heer van Barendrecht zeker vernomen den moedwil, jegens die Engelsche gezanten bedreven. Een van de twee bedrijvers ,is gisteren alhier publyckelijck gegeeselt, ende de andere, alhoewel gepynicht, alles ontkennende, is wederomme in vryheyt gestelt.ʻ – Daar de gezanten met het eerste antwoord van Haar Hoog Mog. niet tevreden waren, hebben deze hun een nader antwoord doen toekomen , ,houdende in effecte dat Haere Hoog Mog. genegen waeren met de Republycque van Engelandt in een naeuwer ende innerlycker alliantie ende unie te treden, waerdoor een ygelijck ten besten van beyde de natiën mochte hebben een innerlycker ende mutueelder interest als er tot desen tijt toe is gewest.ʻ Met dit antwoord hebben de gezanten genoegen genomen, en weer gerepliceerd ,dat genegen waeren met desen Staet te maecken een alliancie tot mainctenu van de vryheyt van ’t volck jegens alle diegene , die d’eene ofte d’andere daerinne eenige indracht souden willen doen, ofte die voor vyanden verclaert souden sijn ; ende naeder gepresseert sijnde omme haer wat breeder op dese saecke t’ esclairceren, hebben geantwoort in ’t regardt van den Coninck van Schotlant, [...] alleenlijck van desen Staet te begeeren dat geene assistentie aen deselven directelijck ofte indirectelijck soude werden gedaen , hebben voorts verclaert dat wel genegen waeren aen desen Staet te accorderen geproportionneerde conditiën ende voordeelen aen diegene, die vanwegen Haer Hoog Mog. de Republycque van Engelandt soude worden gepresenteert , ende dat oock gaerne daervan van dese syde openinge soude verwachten.‘“, in: Brief vom 29. April 1651, Aan de regering van Dordrecht 1651–1653, in: Fruin, Robert, (Ed.), Kernkamp, G. W. (Hg.): Brieven van Johan de Witt, Eerste Deel, 1650–1657(1658), Amsterdam: Johannes Müller, 1906, S. 15.

1. Die innenpolitischen Machtverhältnisse

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Maße Aussagen zur Verfassung der politischen Ordnung traf. Die Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden kann mit dem zeitgenössischen RepublikBegriff nicht beschrieben werden, da er über den grundsätzlichen Nutzen der Politik zum Wohl des Gemeinwesens hinaus die politische Ordnung nicht erfasst.19 Die Instruktionen für den Raad van State sprechen der Institution keine Aufgaben zu, die nicht schon vorher zu den ihren gehörten. Allein, dass die Generalstände diese Instruktionen autorisierten, ist indes ein Zeichen, dass der Beginn der Statthalterlose Epoche ein Umschlagpunkt für die politische Ordnung in den Vereinigten Niederlanden war, galt doch der Raad von State bei seiner Einsetzung 1523 unter Karl V. während der Reorganisation der politischen Ordnung in den Habsburgischen Niederlanden als Instrument der stärkeren Zentralisierung der Herrschaft und damit als Abbild der Macht, gegen den sich der Aufstand der Niederländer gerichtet hatte. Auch nach dem Beginn des Aufstands war der Raad van State ein Instrument der oranischen Statthalter. Mit der Verfügung von 1651 änderte sich die Hierarchie der politischen Ebenen in den Vereinigten Niederlanden, die die Generalstände endgültig zur obersten Autorität in der Union machte und zur Verschiebung der Balance der unterschiedlichen Herrschaftsstrategien führte.20 Der Begriff Staat war im 17. Jahrhundert offen für eine Bedeutungserweiterung, da die Kategorie bis dahin kaum in der politischen Semantik verwendet wurde, wodurch die Möglichkeit bestand, einen offenen, abstrakten Begriff durch die Praxis der Herrschaft mit Bedeutung zu füllen. Einzig durch die Beschreibung der Ordnung, die in der als Staat bezeichneten politischen Entität herrschte, kann ein Verständnis des niederländischen Begriffs gelingen, worin die Möglichkeit besteht, die Institutionalisierung der Herrschaftsordnung im Verlauf des 17. Jahrhunderts in den Vereinigten Niederlanden als spezifisch niederländische StaatsFormierung zu beschreiben. Ermöglicht würde dadurch die Parallelität der Erzählung von Staats-Formierung anhand von Strategien und politischen Institutionen und der begriffsgeschichtlichen Erzählung, die mit zeitgenössischem Begriffen operiert.21 Orientiert an der Begriffsgeschichte ist die Erzählung der StaatsFormierung als Veränderung von Verräumlichungsprozessen sozialen Handels mittels spezifischer Herrschaftsstrategien durch die Vergrößerung der Interaktionsräume infolge der Expansion nach Südostasien als interkontinentales Phänomen zu verfolgen, die sich parallel zur europäischen Territorialstaatsbildung entwickelte. 19 Siehe zum Republik-Begriff u. a.: Lindemann, The Merchant Republics, S. 1–17; Lindemanns entscheidet sich bewusst für den Republik-Begriff, obwohl der Term in der Frühen Neuzeit ambivalent war. Allerdings wird der Begriff auf die jeweiligen Städte angewendet und nicht auf die Union als Ganzes, was die Verwendung des Staats-Begriffs für die Beschreibung der gesamten Föderation unterstützt. In Pieter de la Courts Schriften lässt sich der Bezug zwischen Republik und Monarchie nachlesen. Court, Interest van Holland. 20 Siehe dazu: Lademacher, Phönix aus der Asche, S. 155–176. 21 Zum Begriff der Staats-Formierung siehe: Davids, Karel; ’t Hart, Marjolein: De wereld en Nederland. Een sociale en economische geschiedenis van de laatste duizend jaar, Amsterdam: Uitgeverij Boom, 2011, S. 83–126; ’t Hart, The Dutch wars.

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VI Die Statthalterlose Epoche

Weil die Mechanismen und Instrumente der Beherrschung von Landbesitz, die Nutzung der Ressourcen, die Eintreibung von Steuern und die Verteidigung der Besitzes bei der Entwicklung von Territorialstaaten andere waren als bei den Verräumlichungsprozessen der Herrschaft in den Vereinigten Niederlanden, konnte durch vorhandene Untersuchungen unter dem Paradigma der Territorialstaatlichkeit keine Einordnung der Vereinigten Niederlanden vorgenommen werden. Vorhandene Untersuchungen wie Boxers Studie zum Seaborne-Empire der Vereinigten Niederlanden oder Tillys Charakterisierung der Union als der kapitalintensiven Variante der Staatsbildung lassen den jeweils anderen Aspekt außen vor. Die vorliegende Arbeit versucht mit Hilfe der Synergie aus der Beachtung des Meeres als Raum sozialen Handelns, dessen Beherrschung zu einer neuen Form der Organisation von Herrschaft führte und dem Fokus auf die Ökonomie in den Vereinigten Niederlanden ein Modell zur Erklärung des Wandels der Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden zu liefern, dass die Variabilität der Herrschaftsordnungen innerhalb der Epoche mitzudenken ermöglicht. Um die Erklärungskraft des Modells zu beweisen, wird die Epoche der Wahren Freiheit untersucht, in der Johan die Witt zum wichtigsten politischen Akteur aufstieg. Wie die Begriffsanalyse bisher zeigt, war der Staats-Begriff auch schon vor der Statthalterlosen Epoche im Niederländischen aufgetreten. In der Epoche zwischen 1650 und 1672 wird eine Formierung von Staatlichkeit untersucht, die nach dem Ende der Statthalterlosen Epochen in eine andere Konstellation der Elemente von Staatlichkeit überführt wird.

2. AMSTERDAM – VOM ENTREPÔT ZUM GLOBALEN PORTAL Clé Lesgers Gateway-System Dem Wandel der innenpolitischen Konstellation schließt sich die Hinwendung zu den wirtschaftsgeschichtlichen Untersuchungen des niederländischen Historikers Clé Lesgers zur Genese von Handelsnetzwerken und zu Amsterdam als globalem Portal an, die als Grundlage für die Interpretation einer ökonomisch basierten Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden gelten.22 Lesger bezieht sich in seiner Untersuchung The Rise of the Amsterdam Market and Information Exchange auf Arbeiten verschiedener Provenienz, um seine Bewertung Amsterdams als Stapelmarkt und dessen Rolle in einem Gateway-System beurteilen zu können. Dabei verhandelt Lesger die räumliche Organisation des Großhandels. In Bezug auf Weber, von Thünen und Christaller führt er die seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bestehende Beschäftigung mit der Frage nach der räumlichen Organisation von Handel an. Der amerikanische Geograph James E. Vance formulierte 1970 daraufhin in The Merchant’s World: The Geography of Wholesaling ein theoretisches Modell zur Erklärung der Funktionsweise des Großhandels-

22 Siehe dazu: Lesger, The Rise of the Amsterdam Market.

2. Amsterdam – Vom Entrepôt zum globalen Portal

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systems.23 Ausgangspunkt und empirische Grundlage für Vances Modell sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Grundlegende Annahme in Vances Modell ist die Etablierung von Stützpunkten an den Küsten neu eroberter Territorien durch die Amerikaner, um den Handel zu forcieren, wodurch die Kaufleute einerseits ihre Handelszonen ausbauen konnten, andererseits zur Gründung von Handelsposten beitrugen, die Teil der Erweiterung von Handelsnetzwerken wurden. „Long-distance trade creates one or more ,points of attachmentʻ on the coast of the newly settled land, which in the longer term grow into a gateway of the hinterland. The hinterland produces the goods, usually raw materials that are needed in the home country and functions as a market for the finished products and other things that are not found in the region itself. To allow goods to flow efficiently as the distance between coastal gateways and the interior increases, ,depots of staple collectionʻ springs up in the interior, where the collecting wholesale 24 trade gathers the regions’ exports and prepares them for transport to the coast“

Lesger bildet das Modell Vances in seiner Darstellung ab und überträgt das Modell, das aus der Betrachtung kolonialer Expansion heraus entstanden ist, auf die Habsburgischen Niederlanden des 16. und die Vereinigten Niederlanden zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Die Funktionsweise der Netzwerke von Stützpunkten, die sich durch die Vorgehensweise amerikanischer Kaufleute im Vanceʼschen System etablieren, sollen auf die Praktiken der niederländischen Kaufleute im 17. Jahrhundert übertragen werden. Vom Modell zur Erklärung der ökonomischen Entwicklung und Expansion ausgehend, schließt die Untersuchung an Lesgers Gateway-System als Grundkonstante der Herrschaftsstrategien der Niederländer im 17. Jahrhundert an. Das Netzwerk von Stützpunkten dient der Beherrschung von Territorium, Seehandelswegen und Meerengen. Lesger behandelt im Anschluss an die Arbeiten des amerikanischen Wirtschaftshistorikers Edgar A. J. Johnson die Frage nach der Hierarchie innerhalb des Gateway-Systems.25 In Johnson Arbeit sieht er die Synthese aus der Analyse des merkantilen Systems, das Vance entwickelte, und dem, von den Historikern Paul M. Hohenberg und Lynn Hollen Lees beschriebenen Netzwerk-System. Vance bezieht sich insbesondere auf die Beschreibung des von Johnson bezeichneten verzweigten Marktsystems. Das System besteht aus verschiedenen Stützpunkten, die ein Netzwerk bilden. Lesger versucht durch die Interpretation des wirtschaftlichen Systems in den Niederlanden auf der Basis des Netzwerkmodells der Überzeugung zu begegnen, Amsterdam sei durch die Rolle als Stapelmarkt zum wichtigsten Marktplatz Europas aufgestiegen, wie Braudel und Wallerstein es konstatieren. Ungeachtet der Zurückweisung der Stapelmarkt-Theorie herrscht aber auch im Netzwerk-System eine Hierarchie. Diesbezüglich kann trotz der Offenheit und Flexibilität des Netzwerks eine Hierarchie der Gateways oder Knotenpunkte beschrieben werden, 23 Siehe dazu: Vance, James E.: The Merchant’s World: The Geographie of Wholesaling, Englewood Cliffs (N.Y.): Prentice-Hall, 1970. 24 Vgl. dazu: Lesger, The Rise of the Amsterdam Market, S. 184. 25 Siehe dazu: Johnson, Edgar Augustus Jerome: The Organization of Space in Developing Countries, Cambridge: Harvard University Press, 1970.

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VI Die Statthalterlose Epoche

in der Amsterdam die Rolle eines globalen Portals einnimmt, da es nicht nur als ökonomisch bedeutendes Gateway fungiert. Entscheidend ist aber, dass die Hierarchie temporär begrenzt ist und für jedes Produkt anders gelagert sein kann. Aus der ökonomischen Bedeutung Amsterdams ergeben sich einerseits Konsequenzen für den Zuwachs an politischer Macht der Stadt in der politischen Kultur der Vereinigten Niederlanden, andererseits werden Bereiche wie die Nautik, der Schiffsbau, die Kunst und die Entwicklung von Finanz-Instrumenten, zur Erleichterung des Zahlungsverkehrs, durch den Zufluss von Information besonders gefördert und stärken die Stellung Amsterdams in der Netzwerk-Hierarchie. Für seinen Untersuchungszeitraum, der sich von den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts bis in die 1650er Jahre erstreckt, setzt Lesger Einschränkungen für die theoretischen Annahmen der Hierarchiebildung.26 So gab es im 16. Jahrhundert noch keine klare Hierarchie unter den niederländischen Städten, was den Export von Waren betraf. Das mit dem Gateway verbundene Hinterland galt auch nicht für alle Waren als Absatzmarkt. Gewürze, die im 16. Jahrhundert in Antwerpen gehandelt wurden, fanden nicht den Weg in die ländlichen Regionen der Habsburgischen Niederlanden. Das Verhältnis zwischen den Städten war noch nicht klar definiert.27 War Middelburg in Seeland Teil des Antwerpener Hinterlandes oder waren die Verhältnisse umgekehrt? Lesgers Analyse geht soweit, zu sagen, dass es das Hinterland eines ökonomischen Standortes per se nicht gab, da für jedes Produkt eine andere Nachfrage bestand und zudem eigenständige Distributionswege zu unterschiedlichen Zentren besaß. Für das 16. Jahrhundert kann nach Lesgers Analyse nicht von einem zentralen Gateway gesprochen werden, in dem alle Warenströme zusammenflossen, wohl aber von verschiedenen Zentren für bestimmte Produktgruppen. „In the model, from a dominant ,centreʻ, which in fact lies on the edge of the region, a main route penetrates into the hinterland, and wherever it branches, we find a gateway that acts as a distribution centre and staple for the remote hinterland. As the number of branches and nodal points increases, so, naturally, does the number of hierarchical levels within the gateway system. Hence, a hierarchy of markets emerges with a single dominant centre at the top. That is the highest market for both the stapling and the distributive functions. An essential characteristic of this model is that trading firms can minimize their transport costs by limiting their relations to centres that are only one level higher (in the case of the collecting trade) or one lev28 el lower (in that of the distributive trade).“

Lesger ist der Meinung, dass das beschriebene Modell mit nur einem Zentrum nicht auf die Habsburgischen Niederlanden zutrifft. Vielmehr muss im 16. Jahrhundert von den Produkten und ihren Vertriebswegen ausgegangen werden und nicht von der zentralen Stellung eines Knotenpunktes, der für die Distribution aller Produkte zuständig war. Das Netzwerk befand sich in diesem Sinne in einem ständigen Wandel, so dass Städte durch Erweiterung oder Minimierung der Pro26 Zur Entwicklung neuer Kommunikationstechniken, die ausschlaggebend für den Aufstieg Amsterdams waren siehe: North, Michael (Hg.): Kommunikationsrevolutionen, Die neuen Medien des 16. und 19. Jahrhunderts, Köln: Böhlau, 1995. 27 Siehe dazu: ’t Hart, Intercity rivalries and the making of the Dutch state. 28 Vgl. dazu: Lesger, The Rise of the Amsterdam Market, S. 188f.

2. Amsterdam – Vom Entrepôt zum globalen Portal

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duktpalette, bzw. den Auf- oder Abstieg der Bedeutung von Handelsplätzen infolge der Veränderung der Menge und Qualität von Produkten, zunehmend ihre Position im Netzwerk stärkten oder verloren. Hinzu kam, dass die Verbindung zwischen den Knotenpunkten nur während des Warenaustauschs bestand. Dabei macht Lesger eine Unterscheidung zwischen einem maritimen und einem kontinentalen Teil des Netzwerks. „[In] the maritime part of the network transport costs are so low that the number of possible hierarchies is virtually unlimited. Each gateway can form direct and indirect connections with a great many other gateways. In […] the continental part of the network, high transport costs make this impossible, and the hierarchies of gateways therefore show a greater resemblance 29 to the dendritic structures[…].“

Mit dem Augenmerk auf die geringeren Transportkosten des maritimen Teils des Netzwerks lässt sich Lesgers Interpretation des ökonomischen Systems der Habsburgischen Niederlanden in Beziehung zum aufblühenden globalen Netzwerk der Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert setzen. Die Untersuchung schließt an Lesgers Analyse des maritimen Teils des Netzwerks an und erweitert den Blick auf die Analyse der Aktivitäten der Niederländer in Asien und Südostasien im 17. Jahrhundert. Die zunehmende Vernetzung zwischen den Knotenpunkten auch in einem globalen Maßstab, begann schon mit Antwerpens Stellung als nordeuropäischem Markt für Gewürze im 16. Jahrhundert. Um den Aufstieg Amsterdams zum entscheidenden Knotenpunkt der Vereinigten Niederlanden in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts beschreiben zu können, greift Lesger auf ein weiteres Erklärungsmodell zurück.30 Der Grad der Vernetzung eines Gateways und das Volumen der verschiedenen Waren beeinflussten die Funktionalität eines Gateways und führten zur Etablierung einer zeitweiligen Hierarchie. „The initial situation is characterized by the presence of several smaller ports along the whole coastline. Each of these ports possesses a very restricted hinterland. That situation comes to an end when transport routes to the interior are laid down. The creation of these ,penetration linesʻ brings about a substantial fall in transport costs between the hinterland and the ports on these new connections. That initiates a process of concentration in which some ports expand 31 their hinterland at the expense of others.“

Der Geograph Peter J. Rimmer, dessen System Lesger an dieser Stelle zitiert, bezieht diese Entwicklung auf die Häfen an der Küste Afrikas im 19. Jahrhundert. Rimmers Modell hat fünf Phasen. In der ersten Phase existieren zahlreiche Häfen mit Verbindungen ins Hinterland. Durch die sogenannte hinterland piracy gelingt es einzelnen Häfen, Verbindung zum Hinterland aufzubauen, das bis dahin andere Häfen mit Waren beliefert hatten. Durch die Konkurrenz um die Produkte intensi-

29 Vgl. dazu: Lesger, The Rise of the Amsterdam Market, S. 191. 30 Siehe dazu: Rimmer, P.J.: The Search for Spatial Regularities in the Development of Australian Seaports, 1861–1961/62, in: Hoyle, B.S. (Hg.): Transport and Development, New York: Barnes & Noble Books, 1973, S. 63–86. 31 Vgl. dazu: Lesger, The Rise of the Amsterdam Market, S. 192.

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VI Die Statthalterlose Epoche

vieren sich die Verbindungen der einzelnen Häfen zum Hinterland.32 Es gelingt, weiter ins Hinterland vorzudringen und damit die Transportkosten durch den Ausbau der Verbindungsrouten zu minimieren, allerdings bauen einzelne Häfen ihre Verbindungen zum Hinterland auf Kosten anderer Häfen aus. In der dritten Phase führt diese Konzentration auf einzelne Häfen zur Inklusion der unterlegenen Häfen in das Netzwerk der Dominierenden. Die unterlegenen Häfen werden unwichtig, da ihr Hinterland auch vom dominierenden Häfen aus beliefert werden kann. In dieser Phase gibt es noch vermittelnde Häfen, die mit Regionen verbunden waren, die vom dominierenden Hafen nicht erreicht werden. Den höchsten Grad der Zentralisierung sieht das Modell in der vierten Phase, wenn auch die vermittelnden Häfen ihr eigenständiges Netzwerk in das des dominierenden Hafens integrieren müssen. Die Phasen drei und vier dieses Modells, das noch eine fünfte Phase der Dezentralisierung beschreibt, wenn die Kapazitäten des dominierenden Hafens überspannt sind, überträgt Lesger vorerst auf die Entwicklung Antwerpens in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Antwerpen bildete im 16. Jahrhundert den dominierenden Hafen der vierten Phase. Amsterdam galt im 16. Jahrhundert als Vermittler zwischen Antwerpen, anderen Häfen und dem eigenen Hinterland, blieb allerdings unabhängig, da die Stadt weiterhin Waren vertriebt, die nicht über Antwerpen gehandelt wurden.33 Im Unterschied zum Modell Rimmers hielten die vermittelnden Häfen in den Niederlanden des 16. Jahrhunderts bei Lesger weiterhin Kontakt mit außerhalb der Provinz liegenden Handelsstützpunkten, was die dominante Stellung Antwerpens einschränkte. Die niederländischen Gateways liefen dem Zentralisierungsprozess nach dem Modell Rimmers im 16. Jahrhundert entgegen, weil jedes von ihnen eine spezielle Funktion besaß, die nicht von anderen Häfen übernommen werden konnte und die Transportkosten in den Niederlanden mit dem Ausbau der Kanäle weiter minimiert wurden.34 „Every gateway derived its function and significance from the structure of the larger whole of which it formed a part; and as the function of the gateway became more specialized, it would become fixed in a commercial infrastructure tailored to the function. That infrastructure included not just the docks, warehouses and other physical assets, but also knowledge and skills 35 of the people who carried on commerce.“

Erst diese Flexibilität in nahezu allen Bereichen Branchenprimus zu sein, eröffnete die Möglichkeit für den Aufstieg Amsterdams zum globalen Portal im 17. Jahrhundert. Mit der Theorie Rimmers kann aber die ökonomische Fokussierung auf Amsterdam im 17. Jahrhundert erklärt werden. Erwähnt werden muss an dieser Stelle, dass Antwerpen durch den Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs seine bedeutende Stellung für den Handel in Nordeuropa verlor. Wichtig an der Analyse 32 Siehe dazu weiter: Hayuth, Y.: Intermodel Transportation and the Hinterland Concept, Tijdschrift voor Economische en Sociale Geografie, 73, (1982), S. 13–21. 33 Siehe dazu: Sigmond, J.P.: Nederlandse zeehavens tussen 1500 en 1800, Amsterdam: De Bataafsche Leeuw, 1989. 34 Siehe dazu: Vries, European Urbanization. 35 Vgl. dazu: Lesger, The Rise of the Amsterdam Market, S. 195.

2. Amsterdam – Vom Entrepôt zum globalen Portal

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Lesgers ist, dass die Potentiale Amsterdams im 16. Jahrhundert unterstrichen werden, die eine sukzessive Übernahme der Stellung Antwerpens für den nordeuropäischen Handel ermöglichten. Die unabhängig von Antwerpen vorhandenen Handelsbeziehungen der Amsterdamer Kaufleute, die Infrastruktur und die Fähigkeiten der Immigranten aus Antwerpen und anderen Teilen der bei Spanien verbliebenen niederländischen Provinzen, bildeten das Fundament für die Dominanz Amsterdams im 17. Jahrhundert, die mit Lesgers Interpretation des Modells Rimmers hinreichend erklärt werden können. Hinzuweisen ist auch auf die Bedeutung der entstandenen Grenzen zwischen den südlichen und nördlichen Niederlanden nach dem Unabhängigkeitskrieg. Für das Gateway-System hatte das zur Folge, dass die Transportkosten durch die Entrichtung von Zöllen stiegen. Mit dem Ausgreifen nach Asien ergab sich eine, für die Niederländer bis dahin unbekannte Verschiebung ihrer Einflusssphäre. Amsterdam und die Vereinigten Niederlanden waren keine globalen Stapelmärkte, aber niederländische Kaufleute dominierten den europäischen Transithandel, da sie den Warentransport am effektivsten und günstigsten bewerkstelligen konnten. „There was no simple hierarchy of markets, trade was not confined to physical markets where the goods were within reach, and intermediary trade in the early modern periods did not have 36 the necessary und indispensable character attributed to a staple trade.“

Um die Vormacht im Transithandel zu sichern, bedurfte es der Herausbildung von Vorteilen gegenüber potentiellen Konkurrenten. Vordergründig besaßen die Niederländer, bedingt durch die geographische Lage der Vereinigten Niederlanden, die besten Voraussetzungen für den Transithandel auf See und den Kanälen ins Hinterland. In zweiter Linie verfügten die niederländischen Märkte Antwerpens und später Amsterdams über den Vorteil gegenüber London oder Hamburg, eine hohe Varianz an Produkten anbieten zu können. Das machte Amsterdam zum Zentrum des europäischen Handelsnetzwerks. Ohne das Netzwerk hätte Amsterdam nicht als wirtschaftliche Macht aufblühen können. An dieser Tatsache, auf die Lesger großen Wert legt, soll die Untersuchung der Implikationen aus der Stellung Amsterdams im Netzwerk für die Etablierung der politischen Ordnung in den Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert anschließen. Lesgers Feststellung, dass das Gateway-System auch für die Epoche der wirtschaftlichen Expansion der Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert angewendet werden kann, wird die Erklärung der Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien auf der Grundlage des Netzwerksystems zur Seite gestellt. Die Veränderung der Stellung eines Knotenpunkts im Handelsnetzwerk als flexiblem Prozess, in dem beständig Hierarchien verschoben werden können, gilt als Blaupause für die politische Hierarchie der Städte und Provinzen in den Vereinigten Niederlanden.

36 Vgl. dazu: Lesger, The Rise of the Amsterdam Market, S. 205f.

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VI Die Statthalterlose Epoche

Zentralisierung des Handels- und Finanzwesens in Amsterdam Vor dem Beginn des Unabhängigkeitskriegs nahm Amsterdam im ökonomischen System der Habsburgischen Niederlanden nur eine regionale Vormachtstellung ein.37 Wie Clé Lesger indes beschreibt, profitierte das Gateway Amsterdam nach der Blockade Antwerpens zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht nur von den zahlreichen Immigranten aus den südlichen Niederlanden, sondern von den bereits vorhandenen Handelsbeziehungen der Stadt ins Hinterland, in das die im Seehandel erworbenen Waren exportiert wurden. Lesger stellt klar heraus, dass Amsterdam als Gateway fungierte, was bedeutet, die Waren wurden meist nicht vor Ort konsumiert, sondern wieder exportiert.38 Am Beispiel des Weins zeigt Lesger den Durchgangscharakter der Stadt Amsterdam, was die Annahme unterstützt, dass es für die Amsterdamer Eliten wichtiger war, die Handelswege zu beherrschen als das Territorium, da die Waren, auf deren Verkauf der Profit der niederländischen Kaufleute basierte, nicht vor Ort konsumiert wurden. Die politischen und ökonomischen Interessen der verschiedenen Ebenen – Union, Provinzen, Städte – klafften häufig auseinander, was für die Kaufleute bedeutete, dass sie sich für die Loyalität zu einer der Ebene entscheiden mussten, um langfristig ihre Geschäfte planen zu können.

37 Zur Stadtgeschichte Amsterdams und der wirtschaftliche Bedeutung der Stadt siehe: d’ Ailly, A.E. (Hg.): Zeven eeuwen Amsterdam, Vol. II, Amsterdam: n.d, 1950; Antunes, Cátia: Globalisation in the Early modern Period, The economic relationship between Amsterdam and Lisbon, 1640–1705, Amsterdam: Aksant Academic Publishers, 2004; Barbour, Capitalism in Amsterdam; Dillen, Dr. J.G. van: Amsterdam’s Rôle in Seventeenth-century Dutch Politics and its Economic Backgrounds, Britain and the Netherlands, 2, 1962, S. 133–47; Jonker, Joost: Completing the Financial Revolution: The Finance of the Dutch East India Trade and the Rise of the Amsterdam Capital Market, 1595–1612, Journal of Economic History, LXIV (2004), S. 641–672; Lindemann, The Merchant Republics; Méchoulan, Henry: Das Geld und die Freiheit, Amsterdam im 17. Jahrhundert, Stuttgart: Klett-Cotta, 1992; Nusteling, H.: Welvaart en werkgelegenheid in Amsterdam 1540–1860: Een relaas over demografie, ecomnomie en sociale politiek van een wereldstad, Amsterdam: Bataafsche Leeuw, 1985; Rover, M. de: Amsterdam: Venetië van het Noorden, Amsterdam/The Hague, 1991; Zunckel, Rüstungsgeschäfte im Dreißigjährigen Krieg. 38 Barbour stellt die gleiche These auf. Die meisten Waren, die Amsterdam erreichten, wurden wieder exportiert, was daran lag, dass die Niederländer zu sehr günstigen Preisen verkaufen konnten. Es gab Zeitgenossen, die davon sprachen, dass es günstiger sei, die Waren aus den Niederlanden wieder reimportieren zu lassen, als sie von inländischen Handelsunternehmen zu kaufen. Auch wenn dieser Fakt nicht belegt werden kann, muss davon ausgegangen werden, dass die Niederländer Waren aufgrund von geringen Transaktionskosten sehr günstig verkaufen konnten, was ihnen gegenüber allen europäischen Konkurrenten einen Vorteil verschaffte. Vgl. dazu: „Large purchases, liberal credit, and cheap transportation combined to keep Amsterdam prices on a level with those prevailing in places of origin. In 1606 an member of the House of Commons maintained that the Dutch could sell English cloth dressed in the Netherlands and re-exported thence, more cheaply than the English trading companies could do.[…]Martinus Tancken resident of the king of Denmark at the Hague, observed in 1645 that Netherlanders could export Baltic products more cheaply than could the Eastlanders themselves […].“, in: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 95f.

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„The international capitalist from his earliest to his latest appearance had generally been, where business was concerned, a Man without a Country, and the seventeenth-century Amsterdammer, through by no means a man without a city, was strikingly uninhibited by abstract considerations of patriotism or by theories of economic nationalism.[...]In the historic past the loyalty of Netherlanders had centered more strongly in province or town than in such widespread and remote-seeming sovereignties as Burgundy, the Empire, or ,the Spainsʻ; and in the seventeenth century these local loyalties were still stronger than any as yet commanded by loose confederation of the United Provinces. But in this century of warring religious convictions, many successful merchant dynasties of Amsterdam had, in coming there, sacrificed 39 their allegiances to native towns and provinces on the altar of conscience.“

Die niederländischen Kaufleute waren loyal gegenüber der Stadt und Provinz, in der sie ihre Geschäfte tätigten, weil es ihren Geschäftsinteressen meist am nützlichsten war und traditionell die Bindung an die Stadt und Provinz größer war als an die übergeordnete politische Ebene. Auch aus Tradition der lokalen Bindung der Einwohner heraus blieb die Union eine Föderation und kein einheitliches politisches Gebilde.40 Wären die Kaufleute von Beginn an loyal gegenüber der Union gewesen, hätten sie die Geschäfte mit den Spaniern und Portugiesen einstellen müssen.41 Barbour führt diese Tatsache auch auf die vielen Immigranten zurück, die aus ganz Europa nach Amsterdam kamen und sich in erster Linie der Stadt 39 Vgl. dazu: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 130f. 40 Hollands Rolle in der Union war zwar bedeutend, aber zu großer Druck auf die anderen Provinzen hätte deren selbstverständlichen Anspruch auf Eigenständigkeit untergraben und den Zusammenhalt der Union gefährdet. Vgl. dazu: „In der Tat: man hätte Mühe, einen Band Beschlüsse von Consideration der Generalstände aus De Witts Zeit zusammenzustellen; man müßte ihn füllen mit Beschlüssen Hollands, die fast wörtlich zu Generalitätsbeschlüssen umgewandelt wurden. Auch dann noch würde der Unterschied im Umfang bedeutend sein, denn lange nicht alle Beschlüsse von Holland, wenn sie auch für die Generalität bestimmt waren – wir lassen diejenigen der äußeren Angelegenheiten vorläufig außer Betracht –, erreicht jene. Die Rentenreduktion wurde verhältnismäßig schnell auch in den Generalständen durchgeführt. Die Heeresverminderung wurde ebenfalls von diesen genehmigt. Aber ein wichtiger Beschluß von Holland, besonders von Amsterdam unterstützt, betreffs Ausbesserung der Finanzen der Admiralitätskollegien, hat nie die Zustimmung der andern Provinzen erhalten. Ebensowenig hat Holland je Gelderland und Overijsel bewegen können, ihre Rückstände in Heeresangelegenheiten zu begleichen, wenn es auch dazu bereits 1652 zusammen mit Seeland Zwangsmaßregeln entworfen hatte. Das Band der Union war bedenklich schwach; und allzu viel anspornen durfte Holland nicht, wenn es die Freunde nicht verstimmen wollte.“, in: Japikse, Nicolas; Heggen, W. (Übersetzer): Johann de Witt der Hüter des freien Meeres, Leipzig: Meulenhoff Verlag, 1917, S. 92. Trotz des Alters der Studien von Japikse, dient dessen Analyse der Politik de Witts als eine der Grundlagen der vorliegenden Arbeit, da Nicolas Japikse einer der bedeutendsten Kenner der niederländischen Politik im 17. Jahrhundert war, was sich an seiner Beteiligung an der Herausgabe der Akten der Generalstände zeigt. Zur Einheit der Union: Der niederländische Begriff Staat ist als sehr abstrakt zu verstehen, da er die Einheit der Provinzen beschwört, die realpolitisch oft nicht existierte, was dem Begriff eine zusätzliche Bedeutungsebene gibt, der das Streben nach einer einheitlichen, politischen Entität beinhaltet. 41 Auch während des Unabhängigkeitskriegs machten niederländische Kaufleute Geschäfte mit Geschäftspartnern auf der iberischen Halbinsel. Auch versicherten Amsterdamer Unternehmer während des Kriegs die Schiffe des Gegners. Vgl. dazu: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 37.

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verbunden fühlten, was deren Loyalität gegenüber der Union schmälerte und die Staats-Formierung im Territorium der Vereinigten Niederlanden auf der Grundlage von Netzwerken zwischen wichtigen Knotenpunkten beförderte, da Immigranten oft mit ihrer Heimat und dort her stammenden Kaufleuten in Verbindung blieben, auch wenn diese die gemeinsame Heimat ebenfalls verlassen hatten.42 Auch wenn Lesger den Einfluss der Einwanderung für die Entwicklungen Amsterdams zum Gateway zu Beginn des 17. Jahrhunderts geringer einschätzt, für den Aufstieg Amsterdams von einem regionalen Entrepôt zum globalen Portal war der Zufluss an Wissen und Finanzkraft besonders für die Ausweitung des niederländischen Handels nach Südostasien und Südamerika entscheidend.43 Wie Amsterdam zum regionalen Entrepôt bis in die 1620er Jahre aufstieg, zeigen neben Clé Lesger, Jan de Vries und Ed van de Woude in ihrem Standardwerk zur Entwicklung der niederländischen Wirtschaft im 17. Jahrhundert.44 Der Handel mit baltischem Getreide im Tausch gegen Hering hatte die Stadt reich gemacht, die Innovationen im Schiffsbau, sowie die Verteilung von Risiken durch die Gründung von rederijen45 und die Versicherung von Handelsschiffen senkten die Transaktionskosten der niederländischen Kaufleute. Das waren die Voraussetzungen für den Aufstieg, da von Amsterdam aus unter sicheren und preiswerten Bedingungen Handel im Nord- und Ostseeraum getrieben werden konnte, was den Niederländern die Überlegenheit in der Frachtschifffahrt gegenüber anderen europäischen Ost- und Nordseeanrainern einbrachte, die auch durch die Exklusion der Vereinigten Niederlanden von Kriegshandlungen während des Dreißigjährigen Kriegs bedingt war, an dem sich die Niederländer nur sporadisch mit Truppenkontingenten und finanziell begrenzt beteiligten. Während des Unabhängigkeitskriegs war trotz der Erschwernisse infolge der Aufrüstung zur See durch die Admiralitäten Handel auf See möglich, auf den die anderen europäischen Territorien mit Ausnahme Englands keine nachhaltigen Anstrengungen wegen der Einbindung in den Krieg zu Land verwendeten oder verwenden konnten. In diesem Punkt wird die Besonderheit der Voraussetzungen für die Staats-Formierung in den Vereinig42 Eines der wichtigsten niederländischen Unternehmen, das Rüstungsunternehmen de Geer & Trip, kam durch den Kontakt Louis de Geers zu seinem „Landsmann“ Wille de Besche zustande. Vgl. dazu: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 36. 43 Die Mehrzahl der Personen, die in die VOC bei der Gründung investierten, kam nicht aus den nördlichen Provinzen. Vgl. dazu: Israel, Dutch primacy, S. 70f. Auch Israel bezeichnet Amsterdam als Entrepôt, dessen Bedeutung im 17. Jahrhundert wuchs. Vgl. dazu: „The Dutch maritime zone moved to the top of the global hierarchy of exchanges, emerging as a hub of what was now definitely a ‚mono-nuclearʻ system, the first and, for most of early modern times, the only true world entrepôt.“, [Israel beschreibt Amsterdam, O.K.], in: Ebda., S. 6. 44 Siehe dazu: Lesger, The Rise of the Amsterdam Market; Vries/Woude, The first modern economy. 45 Rederijen waren Zusammenschlüsse von Einzelpersonen, die gemeinsam ein Unternehmen finanzierten. Sowohl der Bau von Schiffen als auch von Häusern oder Deichen wurden durch solche Zusammenschlüsse finanziert, die das Risiko streuten. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts verengte sich der Begriff auf die Bezeichnungen von Unternehmern, die gemeinsam Schiffe bauten. Die rederij war eine Rechtsform. Vgl. dazu: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 141f; ’t Hart, The Dutch wars, S. 137.

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ten Niederlanden deutlich. Trotz des Kriegs konnte durch den globalen Handel genug Profit erwirtschaftet und die Sicherheit der Geschäftsbedingungen in den Vereinigten Niederlanden genug Kapital zu günstigen Zinsen akquiriert werden, um den Krieg gegen Spanien zu finanzieren. Gleichzeitig stiegen die Vereinigten Niederlanden zur Vormacht im europäischen und interkontinentalen Handel mit Südostasien auf, weil Amsterdam immer mehr zu einem Ort wurde, an dem nicht nur der schwedische König Kupfer für den Verkauf lagerte, sondern der dänische und englische König Kredite aufnahmen. Das neue Selbstbewusstsein der Niederländer kulminiert in den Schriften Pieter de la Courts, der durch die engen wirtschaftlichen Bande zwischen den europäischen Dynastien und den Niederländern, die Kreditnahme in und die Warenlieferungen aus Amsterdam, eine Ordnung entstehen sah, die der Union die ökonomische und politische Vormacht in Europa sicherte, weil alle anderen Territorien von den Vereinigten Niederlanden finanziell und ökonomisch abhängig waren. Die politischen Entscheidungsträger in den Vereinigten Niederlanden waren sich dessen bewusst. Allerdings lag die Anfälligkeit dieses Systems in der mangelnden Verteidigung gegen Angriffe zu Land, die trotz der Überlegenheit auf See, die Existenz der Union und die Geschäftstätigkeiten ihrer Kaufleute gefährden würde.46 Begleitet und befördert wurde die Vormachtstellung der niederländischen Föderation durch die Etablierung von Versicherungs- und Finanzunternehmen, die für Geschäfte der in- und ausländischen Kaufleute geordnete und verlässliche Bedingungen schufen, die Geldverleih zu günstigen Zinsen und Anleihen zu relativ hohen Renditen ermöglichten.47 Die Amsterdamer Bürger investierten vor allem in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Unternehmen und Anleihen, da dies höhere Renditen versprach als der Kauf von Land, das rar, demzufolge teuer und zudem hoch besteuert wurde. Diese Investitionspraktiken vergrößerte die Notwendigkeit den Finanzmarkt zu regulieren, was zu Institutionalisierungen führte, die in Bezug auf den territorialen Besitz weitgehend ausblieben. Das System der Besteuerung von Landbesitz wurde im 17. Jahrhundert keiner Neuausrichtung unterworfen, was nicht heißt, dass nicht zeitweise die Abgaben nach traditionellen Verfahren erhöht wurden. Neben den technischen Fortschritten, trug die Organisation des Finanzwesens in den Vereinigten Niederlanden zu einem günstigen Geschäftsklima bei. Der Bankgulden der Amsterdamer Wechselbank entwickelte sich zur festen und sicheren Währung. Zudem waren die meisten Dienste der Wechselbank kostenlos. Marjolein ʼt Hart zeigte in verschiedenen Veröffentlichung die Entstehungsgeschichte der Amsterdamer Wechselbank auf, wobei sie explizit auf die personelle 46 Vgl. dazu: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 22. Im Jahr 1625 wird als Sicherheit ein Teil der englischen Kronjuwelen nach Amsterdam gegeben, um sie zu beleihen. Siehe dazu: 14. Dezember 1625, Resolutie Vroedschap 14, f. 135, in: Dillen, Geschiedenis der Wisselbanken, Erste Stuk, S. 65. 47 Im Jahr 1668 waren die Zinsen in London doppelt so hoch wie in Amsterdam. Allerdings lag das Zinsniveau nicht für alle gleich niedrig. Anlagemöglichkeiten wie die Handelskompanien, Deichbau oder Anleihen waren indes mit hohen Renditen belegt. Vgl. dazu: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 85f.

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Verbindung zwischen der herrschenden politischen Oligarchie Amsterdams und dem Personal des Finanzinstituts hinweist.48 Bei der Gründung der Amsterdamer Wechselbank standen drei Oberkommissare der Bank vor. Am 29. Januar 1609 wurden Dirck Bas, Dirck de Vlaming, beide Räte und Alt-Schöffen Amsterdams, sowie Frans Hendricksz. Oetgens von den Bürgermeistern und der vroedschap Amsterdams ernannt.49 Damit bestand seit der Gründung der Bank eine enge Verbindung zur Oligarchie Amsterdams, die auch Verbindungen zur VOC und WIC besaßen, was offiziell 1657 erstmals zur Leihe von Kapital führte. Am 12. Mai 1682 wurde festgelegt, dass es der VOC möglich sei, jederzeit einen Kredit in Höhe von 1.700.000 Gulden aufnehmen zu können. Der Kreditrahmen wurde 1698 auf 17 Tonnen Gold erhöht, was einem Wert von 3.700.000 Gulden entsprach.50 Die Wechselbank veränderte indes auch den innerstädtischen Zahlungsverkehr. Im Lauf des 17. Jahrhunderts wurde verfügt, dass Wechsel ab einem Wert von 300 Gulden in Bankgulden abwickelt werden mussten, der Währung in der die Amsterdamer Wechselbank Geschäfte tätigte. Bei Gründung der Bank waren es noch 100 Gulden gewesen.51 Mit der Erhöhung des Volumens versuchte die Wechselbank, die unter Maßgabe des Generaalmuntmeesters der Generalstände stand, vor allem Geschäfte mit großem Volumen vermehrt in Bankgulden bezahlen zu lassen, um die Problematik des Wertunterschieds zwischen den verschiedenen Münzen zu umgehen, die durch die Handelstätigkeiten der Kaufleute in die Vereinigten Niederlanden gelangten, sowie das Volumen der im Umlauf befindlichen Münzen zu begrenzen. Zudem wirkte die Wechselbank damit der Gefahr der Inflation entgegen. Die Erhöhung geht letztlich auch auf die Kritik vieler Kaufleute zurück, die als Kassierer arbeiteten und durch die Festlegung, dass nur Geschäfte unter 100 Gulden nicht über die Wechselbank abgewickelt werden konnten, ihre größeren Geschäftskunden per Gesetz verloren.52 In dieser Regulierung, die durch Verordnungen ergänzt wurde, die Einfuhr bestimmter Münzen zu verhindern und eingeführte Edelmetalle an die Banken abzuführen, bestand die Disziplinierung der Kaufleute, um ein einheitliches Zahlungssystem aufzubauen. Notwendig wurde

48 Siehe dazu: ’t Hart, Marjolein: Mutual Advantages: State Bankers as Brokers between the City of Amsterdam and the Dutch Republic, in: Gelderblom, Oscar: The Political Economy of the Dutch Republic, Aldershot: Ashgate, 2009. 49 Siehe Familiennetzwerke in: Appendix II unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/ geschichte/die-variabilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. 50 Vgl. dazu: Dillen, Geschiedenis der Wisselbanken, Eerste Stuk, S. 200, S. 291. 51 Vgl. dazu: Ebda., S. 85 52 Zu den Bedenken verschiedener Kaufleute vor der Gründung der Amsterdamer Wechselbank siehe: No. 18 Request van een groot aantal kooplieden, waarin zij opheffing van het verbod van het kassierbedrijf verzoken, 1608 vóór Juli 29., in: Dillen, Geschiedenis der Wisselbanken, Eerste Stuk, S. 14–16.

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die Regulierung, weil Amsterdam im 17. Jahrhundert zum größten Marktplatz für Edelmetalle geworden war, von dem ganz Europa abhing.53 Wie die vielen Eingaben und Verordnungen des Generaalmuntmeesters an die Amsterdamer vroedschap zeigen, war das kein sehr erfolgreicher Prozess, da sich viele Kaufleute gegen die Bestimmungen zur Wehr setzten und sie umgingen.54 Auch die Wechselbank verkaufte ungeachtet gegenteiliger Verordnungen ungemünztes Gold an die VOC, die es wiederum gesetzeswidrig außer Landes schaffte.55 Der Versuch der Organisation des Münzwesens durch die Stärkung der Wechselbanken diente der Verbesserung der Konditionen des Handels, wie der Münzmeister von Seeland Melchior Wijntjes in einer Memorie vom 24. März 1625 schrieb. „1. Eerstelijck soo is geheel geraden dienstich ende nootwendich, dat, boven de Bancken van Wissel, algereet in de steden van Delff ende Amstelredam geërigeert ende in treyn, alsnoch met U. Mo. Ed. goetvinden ende permissie in sulcke steden, als dat ten gemeenen beste, beneficie van de negotie ende coophandel, accommodatie ende gerieff van allen ende eenen yegelijcken, soo inheemsche als uytheemsche, soo negotiërent als zeevarent volck, alsoock schippers ende andere nootwendich (is), te rade sal gevonden werden te erigeren ende 56 opgerecht te werden oock sekere comptoiren ende bancken van wissel.[...].“

Wijntjes forderte die Errichtung von Wechselbanken, die dem Vorbild der Banken in Amsterdam und Delft folgen sollten, um den Handel in den Vereinigten Niederlanden zu fördern. Das Gemeinwohl brachte Wijntjes direkt mit den Vorteilen für den Handel, sowohl für einheimische als auch ausländische Händler in Verbindung, die aus der Gründung zusätzlicher Wechselbanken hervorgehen würden. Wijntjes hoffte auf die Zustimmung des Generaalmuntmeesters Nispen. Die Generalstände und der Generaalmuntmeester stimmten der Idee zu. Auch wenn in der Folge nur noch in Rotterdam eine Wechselbank eröffnet wurde, die Angestellten der Wechselbanken waren sich der Bedeutung der Wechselbanken für den Handel bewusst, auch weil das niederländische Gemeinwesen auf dem Handel beruhte, brauchte es Regulierung und Institutionalisierung. Andererseits muss dabei immer an das Eigeninteresse der Angestellten gedacht werden. Eine Aus53 Vgl. dazu: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 50ff. Zum Bankwesen in Amsterdam siehe: Dillen, Dr. J.G. van: Geld- en bankwezen te Amsterdam in de zeventiende eeuw, in: d’ Ailly, A.E. (Hrsg.): Zeven eeuwen Amsterdam, Vol. II, Amsterdam, n.d., S. 121–147, North, Michael: Kommunikation, Handel, Geld und Banken in der Frühen Neuzeit, Enzyklopädie Deutscher Geschichte, München: Oldenburg, 2. Auflage, 2014. 54 Diese Tatsache wird an der Vielzahl der Verbotserneuerungen im Jahr 1609 ersichtlich. Siehe dazu u. a.: Resolutionen No. 24, No. 25, in: Dillen, Geschiedenis der Wisselbanken, Eerste Stuk, S. 22–25. 55 Die VOC hatte bereits 1606 und 1610 ungesetzlich ungemünztes Gold außer Landes gebracht. Siehe dazu: Rapport van Jacob Nispen, Generalmeester van de Munt, aan de Staten.Generaal, betreffende een overtrding van het muntplakkaat door de Wisselbank en door de Oost-Indische Companie. Januar 1628, in: Dillen, Geschiedenis der Wisselbanken, Eerste Stuk, S. 66f. 56 Siehe dazu: Memoire van Melchior Wijntjes, 1625 Maart 24., in: Dillen, Geschiedenis der Wisselbanken, Eerste Stuk, S. 56–62. Die Eingabe war an den Generaalmuntmeester Nispen und die Generalstände gerichtet.

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breitung der Wechselbanken würde zur stärkeren Vernetzung beitragen, die den Banken, denen die Neugründungen unterständen, größeren Einfluss gebracht hätten. Die Familiennetzwerke verbanden die VOC nicht nur mit der Wechselbank in Amsterdam, sondern auch mit der Generalmünzkammer der Union. Der Generaalmuntmeester in der Nachfolge Nispens war Abraham Boreel (1605–1664), dessen Bruder Pieter Boreel seit 1642 Rat von Indien und Kommissar der VOC in den Molukken war. Der Neffe Abraham Boreels, Wilhelm Boreel, war Advokat der VOC, Diplomat in England, wo ihn Jakob I. zum Ritter schlug und später Gesandter der Vereinigten Niederlanden in Schweden. Als Abgesandter in Schweden verhandelte Boreel mit der Krone über die Verlängerung der Allianz der beiden Mächte. Welche Rolle die Verbindung zwischen der VOC und dem Generalmünzmeister für die Gewährung der ersten Leihe der Wechselbank an die VOC 1657 spielte, bleibt unklar. Die persönlichen Netzwerke waren für die Gewährung der später legitimierten Kredite insbesondere an die Amsterdamer Kammer indes nicht unwichtig.57 Die Wechselbank wurde zu einer wichtigen Institution für die Währungsstabilität in den Vereinigten Niederlanden, die den reibungsloseren europaweiten und interkontinentalen Geldtransfer von großen und kleinen Summen und der Finanzierung bedeutender Handelsunternehmen sicherte. Die Wechselbank bedingte den Aufstieg Amsterdams zum bedeutendsten Finanzmarkt im Europa des 17. Jahrhunderts. Durch die Vernetzung Amsterdams war die Wechselbank der Stadt nicht nur für Stabilität der niederländischen Wirtschaft innerhalb der Union wichtig, deren Entscheidungen betrafen das gesamte interkontinentale Verräumlichungsregiment der Niederländer.58 Mit den Konten der Wechselbanken konnte auch der innereuropäische Zahlungsverkehr vereinfacht werden. Unternehmen und Kaufleute aus anderen europäischen Territorien eröffneten vor allem in Amsterdam Konten, so dass niederländische Kaufleute Guthaben direkt auf die Konten ihrer Geschäftspartner im restlichen Europa übertragen konnten und andersherum. Der Bankgulden der Wechselbank entwickelte sich zum stabilen Zahlungsmittel. Auch die VOC verlangte ab 1620 den Zahlungsverkehr in Europa in Bankgulden abzuwickeln. Der Erfolg der Amsterdamer Wechselbank war politisch gewollt und begünstigt. Sowohl für das europäische Handelsnetzwerk als auch für das Stützpunktsystem der VOC in Südostasien und Indien war Amsterdam der wichtigste ökonomische und politische Knotenpunkt, der in Südostasien durch Batavia als regionalem Entrepôt ergänzt wurde. Amsterdam war zentraler Knotenpunkt des baltischen Handels. Der Verkauf der Waren in den Ostseestädten erfolgte über lokale Agenten an die niederländischen Kaufleute, die in den Städten Kontore besaßen. Nachdem die Niederländer im 15. Jahrhundert Kriege gegen die Hansestädte geführt hatten, festigten niederländische Kaufleute ihre Beziehungen zu osteuropäischen Städten und zur westeu57 Vgl. dazu: Dillen, Geschiedenis der Wisselbanken, Eerste Stuk, S. 137, S. 145. 58 Der Einfluss der Wechselbank zeigt sich an der Einführung des Wechsels als Mittel der Bezahlung von VOC-Angestellten in Südostasien, um den Umlauf von Edelmetall zu reduzieren. Vgl. dazu: Gaastra, De geschiedenis van de VOC.

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ropäischen Küste. Es wurden vor allem Getreide, Holz und Wein importiert, sowie Fisch exportiert.59 Violet Barbour betont die große Bedeutung der Amsterdamer Institutionen, die eine Sicherheit für die Kaufleute in Amsterdam bot, die an keinem anderen Ort in Nordwesteuropa vorhanden war. „Manor, gild, and fair might be in process of desiccation as economic institutions, but in law, and in the minds and habits of men, they were apt to display astonishing powers of survival. Burger right, staple right, market right, local mint, and local toll persisted stubbornly in defiance of an expanding geography of trade.[…]The most modern features of the economic life of this period – the metropolitan entrepôt in which a large part of European trade was concentrated, the bourse of commodity exchange, and the joint-stock company by which large commercial and industrial enterprises were financed – were less novel by origin and intention than by involuntary adaption of changing conditions. The first and second were outgrowths of the fair and long bore traces of these origin. The third had antecedents in forms of cooperative 60 enterprise common in the middle ages.“

Barbour benennt den genossenschaftlichen Charakter der joint-stock Companies wie der VOC als Phänomen des Mittelalters, deren Rechtsform sich ebenso wie die Gilden den veränderten Umständen im 16. und 17. Jahrhundert anpasste. Hinzu kamen im 17. Jahrhundert neben der Wechselbank, die Bank van Lening, die Kredite vergab, eine offizielle Börse mit festem Sitz, Versicherungsunternehmen, die vor allem Schiffe versicherten und der Amsterdamer Preiscourant, der europaweit als Preisregister für die einzelnen Waren galt, dessen Exemplare sich in Venedig, London, Stockholm, Danzig, Wien, Kopenhagen, aber auch Batavia fanden, was den herausragenden Stand des Amsterdamer Markts und die Ausdehnung eines zusammenhängenden, niederländischen Handelsnetzwerks zeigt.61 Die Ströme an Waren, die nach Amsterdam gelangten, verblieben meist nur kurz in der Stadt, die als Portal, im Sinne des Eintretens und häufig sofortigen wieder Austretens der Güter, galt. Am Beispiel des technischen, ökonomischen 59 Vgl. zu den Waren, die nach Amsterdam geliefert wurden: „This early prosperity, founded on the fisheries and the Baltic trade in which Netherlanders and eclipsed their Hanseatic rivals, broadened to include a carrying and entrepôt trade between northern Europe, principally in grain, timber, pitch, tar, metals, hemp, flax, and fish, and western France, principally in wine and salt.“, in: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 14. Barbour vermerkte, dass Schätzungen zufolge, 1666 zwei Drittel des Kapitals der Amsterdamer Börse in Geschäfte mit baltischem Getreide investiert wurden. Vgl. dazu: Ebda., S. 27. 60 Vgl. dazu: Ebda., S. 12. 61 Vgl. dazu: „Price lists were printed weekly from 1585 and may hace circulated even earlier. In 1613 the sworn brokers of the city were charged with compiling an official list to which anyone could subscribe for f. 4 a year.[...] [T]hey have been found not only in collections in Holland and Zeeland, but in Antwerp, Brussles, Danzig, Copenhagen, Stockholm, Seville, Florence, Vienna, and Batavia.“, in: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 20. Siehe dazu weiter: Stolp, Annie: De eerste couranten in Holland, Bijdrage tot de geschiedenis der geschreven nieuwtijdingen, Amsterdam: Universitäts Verlag, 1938; Die ersten Versicherungsunternehmen wurden 1598 in den Vereinigten Niederlanden gegründet. Private Unternehmen hatten im 17. Jahrhundert damit begonnen den Bedrohungen durch Piraterie und andersartigen Verlusten entgegenzuwirken, indem sie Versicherungen für die Handelsschiffe anboten. Siehe dazu: Go, Sabine: Marine Insurance in the Netherlands 1600–1870, A comparative institutional approach, Amsterdam: Aksant, 2009.

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und kulturellen Wissens wird diese Portalfunktion Amsterdams deutlich. Informationen, wie die Preise der Waren, wurden nicht einfach nur weitergegeben, sondern in Form des Preiscourants in der ganzen Welt publik gemacht. Wissen über die Nautik floss in neue Kartenwerke ein. Erfahrungen in außereuropäischen Regionen schlugen sich in der bildenden Kunst nieder. Alle Innovationen, vom Schiffsbau über das niederländische Wirtschaftssystem bis zur Kunst waren zumindest für andere europäische Territorien vorbildhaft, so dass Amsterdam sich im 17. Jahrhundert auch durch die Erfahrungen, die im interkontinentalen Handel und der Schifffahrt gemacht wurden, vom Entrepôt zum globalen Portal wandelte, das in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weit umfassender als Zentrum innovativer Informationsverarbeitung und Taktgeber für Veränderungen verschiedenster Prozesse in einem globalen Kontext galt als noch zu Beginn des Unabhängigkeitskriegs.62 Diese Entwicklung war bedingt durch den korporativen Charakter der Stadt.63 Die Amsterdamer Stadtregierung unterstützte einzelne Wirtschaftszweige, was der Fokus der städtischen Gremien auf die wirtschaftliche Entwicklung Amsterdams belegt. Immigranten konnten gegen Bezahlung das Recht erwerben, als poorter in der Stadt zu leben.64 Im Gegensatz zu anderen Zweigen der niederländischen Ökonomie war der Handel nicht von Gilden organisiert, was es Einwanderern 62 Auch in der Beratung des Aufbaus von Ostindien-Kompanien unterstützten Niederländer andere europäische Territorien. François Caron, ehemaliger VOC-Angestellter und Direktor der Faktorei im japanischen Deshima, einer der wichtigsten Knotenpunkte im VOCNetzwerk, beriet französische Minister bei der Gründung der französischen OstindienKompanie 1664. Auch durch die niederländischen Exulanten in England verbreitete sich das fortschrittliche Wissen der Niederländer. Siehe dazu: Esser, Raingard: Niederländische Exulanten im England des 16. und 17. Jahrhunderts, Berlin: Duncker & Humblot, 1996. 63 Vgl. zur Bedeutung Amsterdams: „Many goods, indeed, came into Amsterdam only to go out again. Expert knowledge of market conditions the world over, skills in appraisal and classification of merchandise, informed brokerage, commission, and wholesale services, credit, insurance, and exchange facilities – all these were to reach their highest development for the seventeenth century in Amsterdam. Sheer compulsion drew many to this emporium who would have been glad to carry their custom elsewhere. Rulers of England, Spain, France, Denmark, Sweden, Austria, and Russia, who in the course of this century had temporary or permanent agents in Amsterdam to buy or sell for them, were not always happy in their bargains, but accepted them because they could do no better anywhere else. For grain, naval supplies, and munitions, there was no sufficient market but Amsterdam.“, in: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 21. 64 Als poorter oder pooteresse wurden die Einwohner oder Einwohnerinnen der niederländischen Städte bezeichnet. Ihre Stellung im Gemeinwesen war dem des Bürger und der Bürgerin oder des citizen vergleichbar. Sie besaßen durch das Recht in der Stadt zu leben, die Möglichkeit öffentliche Ämter in der Stadt zu übernehmen. Siehe dazu: Lindemann, The Merchant Republics, S. 45–47; siehe weiter: Gebhardt, Jürgen; Münkler, Herfried (Hg.): Bürgerschaft und Herrschaft, Baden–Baden: Nomos Verlag, 1993; Hanagan, M.; Tilly, C. (Hg): Extending Citizenship, Reconfiguring States, Lanham, MD: Rowman & Littlefield, 1997; Gelderblom; Oscar: Zuid-Nederlandse kooplieden en de opkomst van de Amsterdamse stapelmarkt (1578–1630), Hilversum, 2000; Prak, Maarten: Burghers into citizens: urban and national citizenship in the Netherlands during the revolutionary era, Theory and Society 26, S. 403–20.

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ermöglichte, in diesem Metier tätig zu werden.65 Das Bild eines toleranten Gemeinwesens in den Niederlanden beruhte vor allem auf den Aktivitäten von Kaufleuten, die aus verschiedenen Territorien insbesondere nach Amsterdam kamen, um die Vorteile des bereits bestehenden niederländischen Wirtschaftssystems für den Aufbau eigener Handelstätigkeiten zu nutzen. Jan Poppen, der aus Holstein nach Amsterdam einwanderte, reich heiratete, Handelsunternehmen nach Archangelsk ausrüstete und sowohl in die Compagnie van Verre als auch in die VOC investierte, steht beispielhaft für den Aufstieg von Immigranten in den Vereinigten Niederlanden. Dessen Sohn Jacob Poppen wurde zu einem der reichsten Bürger Amsterdams, drei Mal zum Bürgermeister und zum Rat der Amsterdamer Admiralität berufen. Für Amsterdam war die Deregulierung des Handelsgewerbes die Voraussetzung für den Aufstieg zum globalen Portal.66 Nicht die Freiheit der Meere war letztlich die wichtigste Prämisse für den Aufstieg Amsterdams, Hollands und der Union, sondern der deregulierte Handel, der es jedem erlaubte, Geld zu investieren, das durch verschiedene Institutionen, wie die Admiralitäten und die Versicherungsunternehmen, abgesichert wurde. Die Innovationen, die durch die Kaufleute hervorgerufen wurden, führten zu Institutionalisierungen im ökonomischen und politischen Sektor. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verschob sich allerdings das Investitionsverhalten der Regenten, die zwar bereits zu Beginn des Jahrhunderts in die Trockenlegung großer Teile von Überschwemmungsgebieten investiert hatten, aber ihr Geld vornehmlich in riskanten Geschäften anlegte, die hohe Rendite abwarfen.67 Zunehmend wurde in Land investiert, um den erworbenen sozialen Stand zu repräsentieren, was große Summen an Kapital band und aus dem Umlauf abzog. Innerhalb der Vereinigten Niederlanden wurden die Investitionsstrategien konservativer.68 Sie errichteten Landsitze und blieben der Stadt fern. Welche Implikationen das für die Vereinigten Niederlanden besaß, wurde von anderen Autoren bereits hinreichend besprochen. Es wird als ein Grund für den Niedergang der Vereinigten Niederlanden im 18. Jahrhundert betrachtet, die sich dem Konkurrenten England geschlagen geben mussten.69 Letztlich zeigt sich auch darin die Bedeutung der Wirtschaft für die Staats-

65 Vgl. dazu: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 16. 66 Eine Zählung auf Grundlage des Einzugs des 200sten Pfennigs 1631 ergab, dass 1/3 der reichsten Amsterdamer ursprünglich aus den südlichen Niederlanden stammte. Vgl. dazu: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 24. 67 Vgl. dazu: „During the first half of the century much capital was invested in land, especially in polder enterprises in the vicinity of Amsterdam, elsewhere in Holland, and in other provinces. Between 1597 and 1635 the Zijpe and Wieringerwaard were diked in, the Beemster, Zoetemeer, Purmer, ’s-Gravenland and several smaller meres were drained. Although the capital of other towns was enlisted for these undertakings, the leading role was Amsterdam’s.“, in: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 60. 68 Vgl. dazu: „In the second half of the seventeenth century a tendency on the part of capital, discernible earlier, to prefer speculative trading in commodities and company shares, and investment in public loans and annuities, in moneylending and insurance, to the toil and hazards of foreign trade, became more marked.“, in: Ebda., S. 74. 69 Siehe dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 796–806.

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Formierung in den Vereinigten Niederlanden, insbesondere durch Investitionen immer wieder Innovationen hervorzubringen. Die verschiedenen politischen und ökonomischen Institutionen Amsterdams wurden bereits hinreichend in zahlreichen Veröffentlichungen dargestellt. In der Betrachtung wird aus diesem Grund ein größeres Augenmerk auf die Personen gelegt, die als Entscheidungsträger vor allem in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Akteure die politischen und ökonomischen Belange Amsterdams, Hollands und der Union bestimmten und in Personalunion verschiedene Ämter entweder gleichzeitig oder aufeinander folgend ausübten, um zeigen zu können, dass die Politik auf allen Ebenen von den wirtschaftlichen Interessen der Eliten bestimmt war und Kriege abseits der Bedrohung des eigenen Territoriums geführt wurden, wenn gegnerische Akteure explizit Handelsinteressen der Niederländer bedrohten. Ansonsten galten Kriege als zu kostspielig.70 Sie gefährdeten den globalen Handel der Vereinigten Niederlanden. Krieg zu Land, der zwangsläufig in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts geführt werden musste, war kein zwingendes Element der niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Für die Staats-Konsolidierung war er indes unausweichlich.

Die Amsterdamer Regentennetzwerke Die Wohnorte bedeutender Persönlichkeiten und die wichtigsten Institutionen Amsterdams, das Gebäude der Amsterdamer Wechselbank, das Stadthaus mit der Börse, der Markt, die Neue Kirche und das Ostindien-Haus der Amsterdamer Kammer befanden sich in einem Radius von 800 Metern um das Zentrum der Stadt herum, die durch den Hafen direkten Zugang zur Nordsee hatte.71 Viele der 70 Vgl. dazu Japikses Analyse der niederländischen Politik unter de Witt: „In der äußeren Politik, womit de Witt also nun auch in enge Berührung kam, hatte man nach dem Tod Wilhelms II. eine ganz neue Richtung eingeschlagen. Dies war selbstverständlich. Die städtischen Aristokratien, die in der Regierung den Ton angaben, beachteten, wo es die ausländischen Beziehungen betraf, in erster Linien die Interessen des Handels, der vitalsten Kraft der Republik. Ihre äußere Politik mußte also friedliebend sein, solange die Handelsinteressen nicht sehr ernstlich von irgendeiner Macht geschädigt oder bedroht wurden. Man dachte nicht mehr an eine Einmischung in den nach dem Frieden von Münster noch fortdauernden französischspanischen Krieg, der Wilhelm II. nicht abgeneigt gewesen wäre. Kein Wort mehr von weiterer Unterstützung der Stuarts, deren verlorener Thron in England zurückzuerobern, die Wilhelm II. in reichlichem Maße persönlich verliehen hatte, und wozu er auch die Stände hatte veranlassen wollen – diese hatten sich beeilt, den Vertreter des englischen Parlements im Haag, und also auch die neue Lage in England, anzuerkennen.“, in: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 33. 71 Die Bearbeitung eines Amsterdamer Stadtplans aus dem 17. Jahrhundert und die Liste bedeutender Amsterdamer Regenten insbesondere aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts angehängt, auf die sich die folgenden Ausführungen beziehen. Siehe dazu: Appendix I unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/die-variabilitaet-fruehneuzeitlichersta atlichkeit.html.

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Regenten waren durch Heirat mit anderen bedeutenden Familien Amsterdams verwandt.72 Die meisten Familien waren mit der Alteratie 1578 oder nach der Entmachtung Oldenbarnevelts in die Stadtregierung Amsterdams gewählt worden. Neben den wichtigsten Familien Bicker, de Graeff, Pauw, Huydecoper, Hooft, Trip, Reynst, Banning Cocq und de Vlaming van Oudtshoorn gab es noch einige Familien, die ihre Autorität zur Mitte des 17. Jahrhunderts noch nicht auf eine lange Familientradition in der Amsterdamer Regentenelite zurückführen konnten.73 Die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den Familien lassen sich eindrücklicher durch eine Netzwerkgraphik wiedergeben, die zeigt, wie abgeschlossen die herrschende Elite in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, nicht nur durch das Kooptationsverfahren war, sondern auch durch die enge Verwebung der Familien untereinander, für die eine Heirat in eine andere Familie, weniger Ansehen, den Verlust an sozialem Prestige und politischem Einfluss bedeutet hätte.74 An der Biographie des holländischen Ratspensionär Johann de Witt, der ursprünglich aus Dordrecht stammte und 1655 Wendela Bicker heiratete, zeigt sich exemplarisch die Bedeutung der familiären Netzwerke für den politischen Aufstieg, die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts das Klientelsystem ablösten, das die Statthalter installiert hatten, um ihre Macht zu sichern. Die Verbindungen der Familie de Witt in die Politik bestanden schon seit den 1620er Jahren. Nach der Amtsenthebung Oldenbarnevelts war Johanns Onkel Andries de Witt zwei Jahre lang Ratspensionär gewesen. Johann hatte an der Rechtsfakultät in Leiden studiert und unternahm gemeinsam mit seinem älteren Bruder Cornelis, die für junge Studierende aus reichem Hause übliche Reise durch Europa. Mit zwanzig Jahren promovierte er während des Aufenthalts im französischen Anger. Nach der Rückkehr von seiner Studienreise arbeitete de Witt in ’s Gravenhage (Den Haag) als Anwalt. Mit 25 Jahren wurde er 1650 zum Pensionär seiner Heimatstadt Dordrecht ernannt und mit den Finanzen der Stadt betraut.75 In dieser Funktion vertrat er die Stadt in den Versammlungen der holländischen Stände, zu deren Ratspensionär er drei Jahre nach der Einführung in das Amt des Dordrechter Pensionärs gewählt wurde. Ausschlaggebend für die Wahl de Witts war nicht nur das Anrecht Dordrechts als älteste Stadt der Provinz Holland den Ratspensionär zu stellen, sondern auch die Gewohnheit, dass de Witt bei Abwesenheit des Ratspensionärs Pauw die Funktion schon vorher partiell ausfüllte. Die Zustimmung Amsterdams war selbstverständlich notwendig. De Witt fand die Unterstützung Cornelis de Graeffs, der die Politik Amsterdams in den 1650er und 1660er Jahren bestimmte. De Graeffs Familie war durch Heirat eng mit den anderen bedeutenden Regenten72 Zur Entwicklung des Handels in Amsterdam siehe u. a.: Muiswinkel, F.L. van: Handel, markt en beurs, Organisatie en techniek van de handel in theorie en praktijk, Amsterdam: NoordHollandsche Uitgeversmaatschappij, 1984; zu den Institutionen der VOC in Amsterdam: Wieringa, F.M. (Hg.): De Verenigde Oost-Indische Compagnie in Amsterdam: verslag van een werkgroep, Amsterdam: Universitäts-Verlag, 1982. 73 Vgl. dazu: Elias, De vroeschap van Amsterdam. 74 Siehe dazu: Appendix II unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/die-varia bilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. 75 Siehe dazu: Rowen, John de Witt.

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familien Amsterdams verbunden. Als Johann de Witt Wendela Bicker heiratete, war er über deren Mutter mit der Familie de Graeff verwandt, über deren Vater mit der nicht weniger bedeutenden Familie Bicker. Über die familiären Verbindungen gewann vor allem Cornelis de Graeff maßgeblichen Einfluss auf die Politik der Generalstände, wie der rege Briefverkehr zwischen de Witt und de Graeff zeigt, von dem im Folgenden ein Brief besonders herausgegriffen werden soll.76 Wendela Bickers Vater war der Bruder der bedeutenden Amsterdamer Regenten Andries und Cornelis Bicker. Ihre Mutter stammte indes aus dem Regentengeschlecht de Graeff. Agneta de Graeff van Polsbroek war eine Schwester Cornelis de Graeffs, der schon vor der Heirat seiner Nichte mit de Witt dessen Berufung zum Ratspensionär Hollands 1653 in der Nachfolge Adriaan Pauws empfahl.77 Über die verwandtschaftlichen Verbindung der Familien de Graeff und Bicker war Johan der Witt mit allen wichtigen Familien Amsterdams verwandt, was ihm den Vorteil brachte, fast jeden Bürgermeister der Stadt, wie auch die Direktoren der Wechselbank, der VOC und der WIC zu seiner weiteren Verwandtschaft zählen zu können. Den Regenten war auch durch die enge Verwebung der Familien aus verschiedenen Städten der Einfluss auf die Politik der Provinzen und Union möglich. Wie die Beispiele de Witts oder Coenraads von Beuningen (1622–1693), dessen Vater mit Catharina Burgh aus der Familie des Amsterdamer Bürgermeisters Albert Burgh verheiratet war, zeigen, dass über eine Heirat mit einer Person aus der Amsterdamer Regentenoligarchie zahlreiche Verbindungen zu fast allen bedeutenden Familien über engere und weitere Verwandtschaftsgrade entstanden. Das Vertrauen in die Fähigkeiten der Regenten wurde mit den familiären Bindungen und Verpflichtungen verknüpft, da ein Agieren der Regenten gegen die Interessen anderer Regenten sogleich familiäre Zwistigkeiten auslösen konnte. Die familiären Bindungen waren für die Regenten eine Rückversicherung, dass ihre Interessen von allen Regenten geteilt und vertreten wurden, da sie durch Heirat persönlich an das Schicksal der Familien gebunden waren. Die Familien die Graeff, Bicker und Hooft waren am besten vernetzt, was ihren direkten und indirekten Einfluss auf die niederländische Politik in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts begründet.78 Eine besondere Rolle kam damit den Töchtern der Regentenfamilien zu. Ihr jeweiligen Ehepartner hatte einerseits die Möglichkeit in die politische Elite der Vereinigten Niederlanden aufzusteigen, andererseits fiel die von den Familienoberhäupter vorbestimmte Wahl nicht auf Personen, denen man

76 Zum Briefwechsel de Witt und de Graeffs siehe: Fruin, Robert (Ed.); Kernkamp, G. W. (Hg.): Brieven van Johan de Witt, Vier Deelen, Amsterdam: Johannes Müller, 1906–1913. 77 Mit der Zugehörigkeit zur Oligarchie der Regenten verband sich ein elitärer Habitus. Die Regenten selbst glaubten, Personen von geringerem Stand könnten keine politischen Aufgaben erfüllen. Damit begrenzten sie den Kreis, der als Regenten in Frage kommenden Personen. Daraus ergab sich ein Standesethos, dem die Regenten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts durch die Investition in Landgüter Genüge taten. Siehe dazu: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 29. 78 Siehe dazu: Appendix II unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/die-varia bilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html.

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den Aufstieg nicht zutraute, was die Auswahl an potentiellen Ehemännern drastisch einschränkte. Das familiäre Netzwerk bot den Amsterdamer Bürgermeistern aus den Familien de Graeff und Bicker den direkten Kontakt zum Ratspensionär, der wiederum in der Statthalterlosen Epoche nicht nur die Politik Hollands, sondern der gesamten Union leitete. Im Gegensatz zum Klientelsystem unter den Statthaltern, wurden die politischen Ämter oft an Mitglieder der bedeutenden Familien vergeben, die miteinander verwandt waren.79 Die Netzwerke, die unter den Amsterdamer Regentenfamilien entstanden, besaßen zwei Funktionen. Außenstehende, wie de Witt, der aus einer angesehenen Dordrechter Regentenfamilie stammte und sich bereits politische Meriten verdient hatte, sicherten sich durch die Heirat die Unterstützung der einflussreichen Familien, um die eigene politische Macht zu stabilisieren.80 Den Familien bot die Verwandtschaft im speziellen Fall de Witts einen 79 Das Prozedere der Berufung neuer Bürgermeister kann in einem Brief Anthony Oetgens van Waveren von Oktober 1657, in dem er seinen Sohn als Bürgermeister vorschlug und beschreibt, wie er bereits stimmberechtigte Mitglieder der Amsterdamer vroedschap von der Wahl überzeugt hätte, nachvollzogen werden. Wie die Netzwerkgrafik (Appendix II) zeigt, war auch Oetgens van Waveren mit de Witt verwandt. Vgl. dazu: „,Mijn Here ende veel gunstige Neve, Alsoo het rekenmeesterampt, vermits ’t beroep van Uwe Edt. behuwtoom tot burgermeester in sijn vaderlycke stadt, vacant is geworden ende daer nu wel gesien is, dat tegens d’aenstaende vergaderinge gemaeckt sal werden een poinct van beschryvinge, om de plaetse wederom te doen becleden, soo dien dese letteren, om Uwe Ed. in vertrouwder confidentie bekent te maken, hoe dat voormaels, dit ampt vacant sijnde, mijn soon Jan van Waveren by eenparige stemmen van de ses en dartich raden alhier ende op te recommandatie der heren burgermeesteren by de leden van de vergaderinghe in soodanige consideratie was gebracht, dattet selfde aen hem geconfereert soude hebben geweest, was het niet – gelijck de tyden doenmaels by ’t leven van den stadthouder wat booser waren –, dat daerin by oblique wegen malitieuselijck was gespeelt, gelijck ick, overcomende, omstandichlijck by monde daervan onderrechtinge sal geven, ende hetselfde naderhandt wederom vacant geworden sijnde, hoe dat tuschen d’heer van Polsbroeck ende mijn vrundtlyckerwyse overlegh is gemaeckt, dat ick gemelte mijn soon – dewelcke anders voorgaende recommandatie van burgermeesteren ende vroetschap ende ’t merendeel van leden van de vergaderinge voor hem hadde – doenmael niet, maer wel sijn broeder tot bevorderinge in dat ambt soude helpen introduceren, gelijck oock tselfde allerwegen an goeder herten ende tot genoegen van beyde Uwe. Ed. oomen ten besten by mijn is gesecondeert ende gelijck Haer Ed. Ed. by gelegentheyt tselfde Uwe Ed. oock sullen te kennen geven; waerom ick oock met deselver communicatie goetgevonden hebbe, gemelten mijn soon, met behulp van de regieringe alhier, tot het employ van dit ampt by Haer Ed. Groot Mog. in serieuse recommandatie te brengen, versoeckende, dat Uwe Ed. ter eeren van de alliantie ende de dubbelt verdubbelte bloetverwantschap, die ons van wedersijts ouders competeert, sooveel desselfs aensienlijck beroep toelaet, daerin met ons gelieve te coöpereren, mijn vorders gedragende tot de goede officiën, die ick wete, dat byede UEd. oomen van goeder herten daertoe sullen bybrengen, ende tot onse naerdere mondelinge aenspraeck, als wanneer wy dan oock metten andren sullen spreken van middelen, om vorige ende den lande soo noodighe goede intelligentie tusschen d’ eerste ende de considerabelste steden te herstellen, blyvende.‘“, in: Fruin/Japikse, Brieven aan Johan de Witt, Eerste Deel, S. 217f. 80 De Witt besaß auch Beziehungen zur Regentenschicht anderer Städten. Vgl. dazu: „In fast allen Städten hatte De Witt einen oder mehr Regenten, durch den er Einfluss ausüben konnte. Oft waren diese Regenten zugleich Verwandte, wenn auch weitläufige: so die Riccens in

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sehr engen Kontakt zum wichtigsten Politiker in den Vereinigten Niederlanden während der Statthalterlosen Epoche, was nach den Erfahrungen aus der Behandlung der Amsterdamer Regenten unter dem Statthalter Wilhelm II. auch für die Sicherung der eigenen Macht wichtig war.81 Welchen Einfluss Amsterdam auf die Politik der Union besaß, zeigte sich schon vor dem Amtsantritt de Witts als Ratspensionär Hollands. In de Witts Briefwechsel von 1651 findet sich eine Bemerkung über die Forderung, die Zahl der Schiffe der Admiralitäten zu erhöhen, um gegen die Piraterie vorgehen zu können. Durch die Erhöhung der Konvoigelder sollten Mehreinnahmen von einer Million Gulden generiert werden, um den Bau oder den Kauf von Schiffen bezahlen zu können. Amsterdam war daran interessiert, da dessen Handelsinteressen durch die Piraten bedroht waren.82 Das Netzwerk der Amsterdamer Regenten reichte bis nach Südostasien. Arnold de Vlaming van Oudtshoorn war im Dienst der VOC Gouverneur und Superintendant in den Molukken.83 Dessen Bruder Cornelis war bis 1672 sechs Mal Bürgermeister. Beide entstammten einem Amsterdamer Regentengeschlecht, das immer wieder Bürgermeister stellte. Erst nachdem Arnold verstorben war, wurde Cornelis auch Bewindhebber der VOC. Cornelis war mit Nicola Hooft verheiratet, einer Cousine von Henrick Hooft, der zwischen 1662 und 1678 fünf Mal als Bürgermeister der Stadt Amsterdam, sowie zeitweise bei der Wechselbank und der Amsterdamer Admiralität angestellt war. Die weit verzweigten Verwandtschaften reichten demnach von Amsterdam bis auf die Gewürzinseln Südostasiens. Auch Purmerend, Cornelis Fannius, zeitweilig Pensionär von Den Briel, Dirk van Foreest, der Sekretär der Stände von Nordholland.“, in: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 75. Dirk van Foreest war (1614–1679) war auch Bewindhebber der WIC, dessen Schwiegervater Nanning van Foreest wiederum Sekretär der Stadt Alkmaar und Rechenmeister Hollands und Westfriesland war. Auf dem Posten des Rechenmeisters folge er auf Fento Friederisz. Riccens, mit dessen Familie de Witt ebenfalls in Kontakt stand. Die Netzwerke nutzte de Witt, um die eigenen Kandidaten für Posten auf Unionsebene mit Hilfe von Unterstützern aus anderen Provinzen wählen zu lassen. Vgl. dazu: „Umgekehrt machte Holland sich diese Freunde dienstbar, wenn es zu einem wichtigen Generalitätsamt einen Holländer ernannt wünschte. Und es gelang ihm dies nach Wunsch: auf Ruysch folgte Van Beverningk als Generalschatzmeister (1654), Slingelandt als Sekretär des Staatsrates (1664), Fagel als Sekretär nach dem Tode von Ryusch (1670). Bei der letzten Gelegenheit konnte De Witt eine ganze Reihe van Deputierten aus den Landprovinzen aufmarschieren lassen, die mit halfen, Hollands Kandidaten durchzubringen.“, in: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 93. 81 Detaillierte Beschreibung des Verhältnisses von Johann de Witt und Cornelis de Graeff, vgl.: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 77ff. 82 Vgl. dazu: „[...]Tegen de piraterieën meer schepen benoodigd dan de Admiraliteiten bekostigen; daarom voorgesteld om de convooien alomme de 1/3 te verhoogen, en daarop een millioen te negotieeren, dat dan uit de middelen allengs weer afgelost zou kunnen worden. Amsterdam , dat daarin meest geinteresseerd is, en andere steden hebben geconsenteerd; wij wachten op naderen last van UE. of van den Oudraad.“, Brief vom 29. April 1651, Aan de regering van Dordrecht 1651–1653, in: Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, Eerste Deel, 1650–1657(1658), 1906, S. 15f. 83 Zum Vorgehen van Oudtshoorn in den Molukken siehe: Oudshoorn, Arnold de Vlaming van; Bor, Livinus: Amboinse Oorlogen door Arnold Vlaming van Oudshoorn als Superintendent, over d’Oostersche gewesten Oorlogaftig ten eind gebracht, Delft: Arnold Bon, 1663.

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einige der ersten Generalgouverneure, wie Gerrit Reynst und Laurens Reael stammten aus Amsterdam und waren direkt mit den Regentenfamilien verwandt. Die Auswahl der Personen stellt einen Ausschnitt dar, der nur die wichtigsten und miteinander verwandten Personen einschließt. Neben den erwähnten Personen, gab es eine Vielzahl von Akteuren, deren Biographien weniger detailliert verfügbar sind. Der Querschnitt lässt Schlüsse zu, die von den zu erwartenden Ausnahmen nicht zwangsläufig widerlegt werden. Die meisten der aufgeführten Personen waren Kaufleute, was ihr Engagement für die beiden Handelsunternehmen VOC und WIC begründete. Ausgewählt wurden vordergründig Personen, die zusätzlich zu ihren politischen Ämtern als Teilhaber der VOC aktiv waren, um zu zeigen, wie viele Personen bedeutenden politischen Einfluss besaßen und gleichzeitig an der Profitabilität der VOC interessiert gewesen sein mussten, was zu einer bestimmten Ausrichtung ihrer politischen Entscheidungen zugunsten des Handels mit Südostasien führte. Es kann aus der Auswahl nicht geschlossen werden, dass die Mehrheit der Amsterdamer Bürgermeister Teilhaber der VOC waren, zeigt aber die persönlichen Interessen einzelner politischer Akteure, die maßgeblich die Politik Amsterdams und der Union bestimmten.84 Auffällig an den Lebensläufen der herrschenden Elite ist die systematische Einführung in die politische Laufbahn. Der Weg zum Bürgermeisteramt geht fast ausschließlich über die Tätigkeit als Schöffe und Kommissar für einen bestimmten Fachbereich. Darin ähnelt die politische Laufbahn in den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts dem cursus honorum-Prinzip der Römischen Republik.85 Erst musste ein niedrigeres Amt bekleidet werden, um aufsteigen zu können. Ein Einstieg als Mitglied des Ratsgremiums ohne vorher Kommissar oder Schöffe gewesen zu sein, kam in Amsterdam kaum vor. Zudem fällt das soziale Engagement auf. Spätere Bürgermeister waren Vorsteher von Waisen- oder Krankenhäusern, die aus Abgaben der Stadtbewohner finanziert waren.86 Ämter innerhalb der Stadt konnten ebenso gleichzeitig ausgeübt werden, wie Ämter auf Provinz- oder Unionsebene. Durch die niedrige Tagungsfrequenz der Gremien auf Unionsebene war die Vereinbarkeit mit der Arbeit in städtischen Gremien möglich. Neben dem sozialen Engagement traten viele in die Bürgerwehr der Stadt ein. Eine Karriere in der Unionsarmee oder der Marine machte indes keine der ausgewählten Personen. Da die meisten der aufgelisteten Akteure erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts politisch aktiv wurden als sowohl der Unabhängigkeitskrieg bereits beendet als auch auf Drängen Adriaan Pauws die Landarmee nach dem Friedensschluss von Münster verkleinert worden war, bestand keine Notwendigkeit sich für die Verteidigung der Föderation auf Unionsebene zu engagieren. Die Identifi84 Vgl. dazu: Appendix I unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/die-varia bilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. 85 Vgl. dazu: Lindemann: The Merchant Republics, S. 39. 86 Zum sozialen Engagement der Regenten siehe u. a.: Mccants, A. E. C.: Civic Charity in a Golden Age: Orphan Care in Early Modern Amsterdam, Urbana/Chicago, IL: University of Illinois Press, 1997; Nusteling, H.: Welvaart en werkgelegenheid in Amsterdam 1540–1860: Een relaas over demografie, ecomnomie en sociale politiek van een wereldstad, Amsterdam: Bataafsche Leeuw, 1985.

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kation mit der Stadt, in der sie lebten, schlug sich in städtisch-milizonären, sozialem und politischem Engagement nieder. Für das verkleinerte Heer und die Marine wurden oft Personen angeworben, die nicht aus den Vereinigten Niederlanden stammten.87 Gemeinsam ist allen Regenten, die von Monarchen in den Adelsstand erhobenen wurden, deren Königreiche später zu erklärten Gegnern der Union avancierten, dass ihnen diese Ehre erst im Laufe ihrer politischen Karriere zuteil wurde, was ihre Reputation und Autorität bei diplomatischen Verhandlungen auf europäischer Ebene steigerte. Adriaan Pauw wurde 1613 von Jakob I. zum Ritter geschlagen und führte die Verhandlungen mit Spanien in Münster auf Seiten der Vereinigten Niederlanden, die zum Friedensschluss nach 80 Jahren Krieg führten. Pauws Vater war Mitbegründer der VOC gewesen. Adriaan Pauw war der kaufmännischen Herkunft entwachsen und gedieh unter Wilhelm II. zum wichtigsten Politiker Amsterdams und der Provinz Holland. Nach dem Beginn des Achtzigjährigen Kriegs minimierten vor allem die Hinrichtungen unter dem Befehl des Herzogs von Alba die Zahl der Adligen in den nördlichen Niederlanden. Der tragische Umstand eröffnete den städtischen Eliten den Aufstieg in die traditionell ständischen Gremien der Union und der Provinzen, was zur Folge hatte, dass ihre ökonomischen Interessen eindringlicher vertreten werden konnten, da sie fortan die politischen Institutionen der Föderation kontrollierten. Die familiären Netzwerke fanden in den ökonomischen ihre Entsprechung. Wie das Beispiel des Rüstungshändlers de Geer und des VOC Angestellten Arnold de Vlaming van Oudtshoorn zeigt, war auch das Handelsstützpunktnetzwerk Ergebnis von familiären, aber auch freundschaftlicher Vernetzung aufgrund gleicher Herkunft von Emigranten.

Kommunalismus in den Vereinigten Niederlanden? – Das globale Portal Amsterdam Am Beispiel Amsterdams lassen sich die Thesen Peter Blickles zum Kommunalismus überprüfen. Die Grundvoraussetzung für die Entstehung des Kommunalismus als Organisationslogik politischer Herrschaft, eine Gemeindesatzung, Gerichte, und Strafkompetenzen zu haben, konnten Städte wie Amsterdam vorweisen, lange bevor der Unabhängigkeitskrieg begann. Welche Bedeutung der Kommunalismus für die niederländischen Verräumlichungsstrategien besaß, ist indes schwerer zu beantworten. Schon aus geographischen Gründen hatte eine höhere Urbanisierung stattgefunden als in anderen Regionen Europas.88 Die These Blickles, dass es in den Kommunen eine Gleichheit der Bauern und Bürger gab, die zur Schaffung eines gemeinsamen Wertesystems führe, lässt sich indes in Amsterdam nicht nachweisen. Der Wandel in der Bevölkerungsstruktur und der Zusammen87 Siehe dazu: ’t Hart, The Dutch wars, S. 37–48. 88 Siehe dazu: Vries, Jan de: European Urbanization 1500–1800, Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press, 1984.

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setzung der politischen Eliten war durch den Unabhängigkeitskrieg ausgelöst und führte nicht zu einer Gleichheit unter den Glieder des neu entstehenden niederländischen Gemeinwesens.89 Die vorhandenen Positionen wurden erst von Günstlingen der Statthalter und Ratspensionäre, später verstärkt aus den Reihen der Familiennetzwerke besetzt. Die von Blickle untersuchte Eigenschaft, dass die Mitglieder des Gemeinwesens durch die gemeinsame gesellschaftliche Grundlage der Arbeit, ein gemeinsames Wertesystem erschufen, lässt sich in den Vereinigten Niederlanden nicht erkennen. Besonders in Zeiten der politischen Krisen, zeigt sich der Gegensatz zwischen den Regenten und der Bevölkerung, die von der politischen Meinungsbildung ausgeschlossen wurde, in brutaler Gewalt gegen die Eliten. Offenheit bot indes der Handel als ökonomische Sparte, der im Gegensatz zu anderen Gilden, ohne Beschränkung auch von den Immigranten ausgeübt werden konnte, einen Raum der Gleichheit. Der aus dem Handel erwirtschaftete Reichtum führte letztlich zu bedeutendem politischen Einfluss in Städten, Provinzen und der Union. Grundsätzlich entstand im Zuge der Mythenbildung um die Bataver und die Verteidigung der niederländischen Interessen im Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien eine verschworene Gemeinschaft im Angesicht von Bedrohung. Die niederländischen Gemeinden als Keimzelle von Gleichheit zu betrachtet, verfehlt indes die klare Hierarchie zwischen den Gliedern des Gemeinwesens, die letztlich nur den Regenten die Fähigkeit zusprach, regieren zu können, obwohl diese erst durch die Deregulierung im Handel und Begünstigung in politische Ämter aufgestiegen waren. Die gewonnene Machtposition wollten sie behalten, was sich in den engen Familiennetzwerken verdeutlicht, zu denen nur wenige Familien gehörten, die letztlich die Politik in den Vereinigten Niederlanden kontrollierten. Das politische System in den Vereinigten Niederlanden wurde von den städtischen Körperschaften bestimmt. Von Kommunalismus im Sinne Blickles lässt sich indes nur in eingeschränkter Form sprechen, da die Mitglieder des Gemeinwesens nicht gleichgestellt waren. Innerhalb der Kommune bestand eine elitäre Hierarchie, die zur Etablierung eines Wertesystems beitrug. Die Hierarchie der städtischen Politik in den Vereinigten Niederlanden ist kein Vorläufer des Parlamentarismus, was die niederländische Entwicklung aus dem Kontext des Kommunalismus heraushebt, den Blickle in seiner Forschung beschreibt. Trotzdem lassen sich in Amsterdam einige Mechanismen des Kommunalismus finden. Die Eliten handelten zum Wohl des Gemeinwesens und verteidigen dessen Interessen gegen Angriffe von außen. Aber trotz des Aufstiegs nichtadliger Kaufleute in politische Ämter auf der Basis ihres Besitzes und ihrer Aufgabe als Vorsteher eines Haushalts, blieb die niederländische Gemeinde mit ihrer Organisationslogik mehr dem Schema der Ständeordnung verwandt als dem Kommunalismus, da es in den Niederlanden bereits während des Spätmittelalters 89 Zur Bevölkerung der Vereinigten Niederlanden siehe: Dillen, Dr. J.G. van: Omvang en sammenstelling van de bevolkering van Amsterdam in de 17e en 18e eeuw, Bijdragen en mededeelingen der Dialecten-commissie van de Kon. Ned. Akademie van Wetenschappen, XIV 8, 1954, S. 1–24.

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zur Stärkung der Kommunen gekommen war, deren Organisation im 17. Jahrhundert nicht vollkommen umgestaltet wurde. Das Zusammenspiel, aus der Übernahme bereits bestehender Organisationsstrukturen durch neue Akteure und die Verschiebung der Gewichtung politischer Ziele innerhalb der bestehenden Ordnung, lässt sich mit Saskia Sassens Faktor des Umschlagpunkts von Potentialen weit besser beschreiben. Der Vergleich mit Blickles Kommunalismus-Thesen betont die Verhaftung der niederländischen politischen Organisationslogik im Schema der Ständeordnung. Die Akteure wurden nach dem Unabhängigkeitskrieg ausgetauscht, ohne die Ordnung grundlegend zu verändern. Amsterdam dahingehend als globales Portal zu beschreiben, das nicht als Paradebeispiel für den Kommunalismus, sondern für die Zentralisierung einer Ökonomie innerhalb einer ständischen Organisationslogik steht, die von elitären Netzwerken und deren Akteuren durch familiäre Vertrauensverhältnisse geleitet wird, beschreibt die Rolle der wichtigsten Kommune innerhalb des niederländischen Gemeinwesens genauer und hilft den globalen Bezugsrahmen der niederländischen Staats-Formierung im Blick zu behalten.

3. KRIEG UM DIE BEHERRSCHUNG DES EUROPÄISCHEN SEEHANDELS Der Navigation Act von 1651 Das erfolgreiche Verräumlichungsregiment der Niederländer war in der Statthalterlosen Epoche größerer Konkurrenz ausgeliefert, was insgesamt einen Schatten auf die Überlebensfähigkeit der politischen Ordnung in den Vereinigten Niederlanden warf, die zwar auch schon unter den Statthaltern unter Einschränkungen existierte und funktionierte, den Herausforderungen in der Statthalterlosen Epoche jedoch nur bis zu einem bestimmten Grad gewachsen war. Die äußeren Einflüsse in den 50er und 60er Jahren des 17. Jahrhunderts waren entscheidend für die Krise der Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden Anfang der 1670er Jahre. Die Wirtschaftskriege gegen England stellen somit nach Sassen einen Umschlagpunkt für die Komponente Territorium dar, das fortan hinter der Beherrschung von maritimen Handels- und Distributionswegen an Bedeutung verlor, wodurch Potentiale wie die niederländische Marine, die Wechselbank, die VOC und die Admiralitäten in eine neue Organisationslogik eingebettet wurden. Diese Körperschaften rücken stärker in den Fokus der Betrachtungen.90 Seit 1640 hatte der englische Bürgerkrieg Spannung in die Beziehungen zwischen England und den Vereinigten Niederlanden gebracht. Die Verwandtschaft 90 Zu den Englisch-Niederländischen Kriegen siehe u. a.: Jones, J.R.: The Anglo-Dutch wars of the seventeenth century, London: Longman, 1996; Ormrod, David: The Rise of Commercial Empires, England and the Netherlands in the Age of Mercantilism, 1650–1770, Cambridge Studies in Modern Economic History, Cambridge: Cambridge University Press, 2003; Rebitsch, Robert: Die Englisch-Niederländischen Seekriege, Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2014.

3. Krieg um die Beherrschung des europäischen Seehandels

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der Oranier mit dem englischen Königshaus machte ein Eingreifen Friedrich Heinrichs auf Seiten Karls I. zu einem möglichen Szenario. Die Generalstände versuchten, dies zu verhindern. Es gelang, Friedrich Heinrich von der militärischen Intervention abzuhalten. Allerdings unterstützte er seinen Schwiegervater finanziell. Der Anführer der englischen Republikaner Cromwell sah die Vereinigten Niederlanden auch aus diesem Grund als Gegner an. Nach der Hinrichtung Karls I. radikalisierte sich der Gegensatz zwischen den beiden Akteuren. Die Vereinigten Niederlanden brachen nach 1649 Verhandlungen mit England auf politischer und ökonomischer Ebene ab. Trotzdem blieben die beiden Territorien miteinander verbunden. In beiden Territorien waren verschiedene Formen des Calvinismus von den Regierenden zum bestimmenden Bekenntnis auserkoren. Nach der Hinrichtung Karls I. existierte auch in England keine Monarchie mehr. Cromwell hatte als Lordprotektor die Geschicke gewaltsam an sich gerissen, wie sie de Witt auf dem Weg durch den Tod Wilhelms II. nach der Ernennung zum Ratspensionär in die Hände gefallen waren. Mit der Statthalterschaft Wilhelms II. näherten sich die Generalstände wieder an Cromwells England an, da die Regenten ihre Position in Gefahr sahen und Verhandlungen über die Aufnahme in das englische Commonwealth führen wollten. Die englische Gesandtschaft, die zum Zweck der Verhandlungsführung 1651 nach Den Haag kam, wollte über die Aufteilung der Interessensphären unter England und den Vereinigten Niederlanden verhandeln. Die Niederländer sollten Asien und Afrika zu ihrer Einflusssphäre erklären dürfen und im Gegenzug den Engländern helfen, die Spanier aus Amerika zu vertreiben, welches anschließend zum Hoheitsgebiet der Engländer erklärt werden sollte.91 Als Ausgleich für die militärische Unterstützung der Niederländer wurde das Angebot gemacht, mit englischer Hilfe die Spanischen Niederlanden zu erobern. Den Regenten stand nicht der Sinn nach territorialer Expansion und Krieg, so kurz nach dem Friedensschluss von Münster. Sie lehnten die Vorschläge ab. Im Gegenzug wollten sie mit England einen Freihandelsvertrag schließen. Ihre Dominanz im Seehandel hätten die Vereinigten Niederlanden damit immens gestärkt. Der niederländische Vorschlag wurde von englischer Seite als Affront wahrgenommen, zumal die englische Gesandtschaft von einer Gruppe während ihres Aufenthalts in Den Haag belagert wurde, die von Exilengländern finanziert worden war. Um die Witwe Wilhelms II., Maria Henriette Stuart scharten sich in den Vereinigten Niederlanden nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs in England und der Hinrichtung Karls I. königstreue englische Exilanten, die den Besuch der Gesandtschaft Cromwells zum Anlass nahmen, gegen die neue Regierung Englands zu protestieren. Ohne Ergebnis, von den Regenten und den Exilengländern gedemütigt, reisten die englischen Diplomaten zurück nach London. Im Oktober desselben Jahres erließ das englische Parlament den Act of Navigation, dessen einführender Artikel fortan den Import von Waren in das englische Commonwealth nur auf Schiffen gestattete, deren Eigentümer Untertanen des englischen Commonwealth waren.

91 Vgl. dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 714f.

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VI Die Statthalterlose Epoche

„[Cap. 22.] Goods from Foreign parts by whom to be imported. For the increase of the shipping and the encouragement of the navigation of this nation, which under the good providence and protection of God is so great a means of the welfare and safety of this Commonwealth: be it enacted by this present Parliament, and the authority thereof, that from and after the first day of December, one thousand six hundred fifty and one, and from thence forwards, no goods or commodities whatsoever of the growth, production or manufacture of Asia, Africa or America, or of any part thereof; or of any islands belonging to them, or which are described or laid down in the usual maps or cards of those places, as well of the English plantations as others, shall be imported or brought into this Commonwealth of England, or into Ireland, or any other lands, islands, plantations, or territories to this Commonwealth belonging, or in their possession, in any other ship or ships, vessel or vessels whatsoever, but only in such as do truly and without fraud belong only to the people of this Commonwealth, or the plantations thereof, as the proprietors or right owners thereof; and whereof the master and mariners are also for the most part of them of the people of this Commonwealth, under the penalty of the forfeiture and loss of all the goods that shall be imported contrary to this act; as also of the ship (with all her tackle, guns and apparel) in which the said goods or commodities shall be so brought in and imported; the one moiety to the use of the Commonwealth, and the other moiety to the use and behoof of any person or persons who shall seize the goods or commodities, and shall prosecute the same in any court of record 92 within this Commonwealth.“

Nicht nur der Eigentümer, sondern auch die Mehrheit der Matrosen musste dem Commonwealth untertan sein, wenn das Schiff nicht mit samt der Ladung von der englischen Regierung beschlagnahmt werden sollte. Die weiteren Artikel der Navigationsakte, die eindeutig gegen die Vereinigten Niederlanden gerichtet waren, verschärften den Protektionismus des Commonwealth. Produkte durften nur aus Ländern eingeführt werden, in denen sie hergestellt wurden, um die niederländischen Häfen und Märkte als Hauptumschlagplatz für den weltweiten Handel und die niederländische Frachtschifffahrt zu schwächen. „And it is further enacted by the authority aforesaid, that no goods or commodities that are of foreign growth, production or manufacture, and which are to be brought into this Commonwealth in shipping belonging to the people thereof, shall be by them shipped or brought from any other place or places, country or countries, but only from those of their said growth, production, or manufacture, or from those ports where the said goods and commodities can only, or are, or usually have been first shipped for transportation; and from none other places or countries, under the same penalty of forfeiture and loss expressed in the first branch of this 93 Act, the said forfeitures to be recovered and employed as is therein expressed.“

In der Navigationsakte ging es nicht nur um die Rolle der Vereinigten Niederlanden und Amsterdams als Hauptmarkt des europäischen Handels und der Frachtschifffahrt. Explizit verbot die Akte auch die Einfuhr von Fisch, eines der wichtigsten Exportgüter der Vereinigten Niederlanden in das Commonwealth. Ebenso wurden alle Fischprodukte, wie Öl, nur noch in England zugelassen, wenn sie auf 92 Vgl. dazu: Scobell, Henry: A collection of several acts of Parliament, published in the years 1648, 1649, 1650, and 1651: very useful, especially for justices of the peace, and other officers in the execution of their duties, and the administration of justice, London: John Field, 1653, S. 176. 93 Vgl. dazu: Ebda.

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englischen Schiffen ins Land kamen. Der Verbot von Walprodukten zeigt indes, dass der Konflikt der beiden Handelsmächte nicht nur den Frachtverkehr in der Nordsee betraf, sondern die Niederländer mit den Engländer auch in Konkurrenz um die Weißmeerroute standen, die seit Ende des 16. Jahrhunderts von der englischen Muscovy Company erschlossen wurden war. Die verschiedenen Ebenen des Navigation Act’s zeigen, dass der Konflikt der beiden Territorien, der sich mit politischen und militärischen Mitteln fortsetzte, grundsätzlich ein Streit um Handelsvolumen in verschiedenen Weltregionen war, den sie in den folgenden Jahren zur See ausfochten. Grundlage für einen Krieg konnte der Handel nur werden, weil die Stabilität des Staats der Vereinigten Niederlanden darauf beruhte und dessen Institutionen für den Erhalt der Vormacht geschaffen worden waren. „And it is further enacted by the authority aforesaid, that no sort of cod-fish, ling, herring, pilchard, or any other kind of salted fish, usually fished for and caught by the people of this nation; nor any oil made, or that shall be made of any kind of fish whatsoever, nor any whalefins, or whale-bones, shall from henceforth be imported into this Commonwealth or into Ireland, or any other lands, islands, plantations, or territories thereto belonging, or in their possession, but only such as shall be caught in vessels that do or shall truly and properly belong to the people of this nation, as proprietors and right owners thereof; and the said fish to be cured, and the oil aforesaid made by the people of this Commonwealth, under the penalty and loss expressed in the first branch of this present Act; the said forfeit to be recovered and em94 ployed as is there expressed.“

Alle Bestimmungen galten natürlich nicht nur für den innereuropäischen Handel, sondern auch für die Produkte aus Asien. Welche Bedeutung die niederländischen Häfen für den Handel besaßen, lässt die Ausnahme erkennen, die in der Akte erwähnt wird. Für den Import von Seide in das Commonwealth war es englischen Schiffen weiterhin erlaubt, niederländische Häfen anzusteuern. Allerdings mussten die Importeure vor Mitgliedern der Verwaltung schwören, dass die Seidenprodukte aus eigenen Geschäften in Italien stammten und die niederländischen Häfen somit nur Transithäfen waren. Vollkommen abkoppeln konnte das englische Commonwealth sich nicht von den niederländischen Märkten, auch wenn nur noch Waren gehandelt werden durften, die auf anderem Weg ohne immense Preissteigerung nicht zu erhalten waren. Luxuswaren bildeten somit die nahezu einzige Ausnahme. „Provided, that this Act, or anything therein contained, shall not extend, nor be construed to extend to any silk or silk wares which shall be brought by laud from any part of Italy, and there bought with the proceed of English commodities, sold either for money or in barter: but that it shall and may be lawful for any of the people of this Commonwealth to ship the same in English vessels from Ostend, Nieuport, Rotterdam, Middelburg, Amsterdam, or any ports thereabouts, the owners and proprietors first making oath by themselves, or other credible witnesses, before the Commissioners of the Customs for the time being or their deputies, or

94 Vgl. dazu: Scobell, Henry: A collection of several acts of Parliament, published in the years 1648, 1649, 1650, and 1651: very useful, especially for justices of the peace, and other officers in the execution of their duties, and the administration of justice, London: John Field, 1653, S. 176.

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one of the Barons of the Exchequer, that the goods aforesaid were so bought for his or their 95 own proper account in Italy.“

Die Navigationsakte war eine Kriegserklärung an das niederländische Verräumlichungsregiment, mit dem Ziel die niederländische Beherrschung der Distributionswege zu brechen, nachdem die Oligarchen in der Regierung der Union das Angebot eines Bündnisses mit England ausgeschlagen hatten. In der Ablehnung des Angebots von Cromwell offenbarte sich der Charakter des niederländischen Verräumlichungsregiments. Die Regenten waren nicht an der territorialen Expansion nach Süden oder der freien Hand zur Eroberung Afrikas und Asien interessiert, die von den Engländer nur in geringem Maße hätte gewährleistet werden können, da Spanien und Portugal weiterhin ihre Interessen auf den beiden Kontinenten besaßen, sondern an einem Freihandelsabkommen, dass ihnen den zollfreien Zugang zum englischen Markt und zu dessen Kolonien in Nordamerika ermöglicht und ihre Suzeränität über den europäischen und interkontinentalen Seehandel gefestigt hätte. Auch aus der unterschiedlichen Auffassung, worauf die Regierung der Vereinigten Niederlanden primär ihre Anstrengungen verwenden würde, entstand der Gegensatz der beiden Kontrahenten, der nicht nur in Europa bestand, sondern, wie bereits erwähnt, auch im Aufbau von Handelsnetzwerken und -beziehungen in Südostasien. Der Konflikt gärte schon seit Beginn des Massakers von Ambon, dessen Nachwirkungen auch Einfluss auf die Auseinandersetzung in Europa hatten und in der Navigationsakte gipfelten.96 Auf Europa bezogen, war das englische Vorhaben, die Niederländer durch die Unterstützung bei der Eroberung der südlichen Niederlanden von ihrer Orientierung auf den Seehandel abzubringen, gescheitert. Es mag keine Fehlinterpretation der politischen Interessen der Regenten gewesen sein, eher ein geplanter Ablenkungsversuch, um durch die Involvierung der Vereinigten Niederlanden in einen Krieg auf dem europäischen Festland, die Oberhand in der Frachtschifffahrt und im Fischfang zu gewinnen. Nach dem Erlass der englischen Schifffahrtsgesetze erhöhte sich die Zahl der Kaperungen niederländischer Schiffe durch englische Piraten. In der Vereinigten Niederlanden verdichteten sich die Argumente, gegen England vorzugehen, zumal die Ansicht bestand, der englischen Marine überlegen zu sein und die orangistische Partei zu diesem Zeitpunkt noch Einfluss in den Generalständen besaß, was zur Befürwortung eines militärischen Schlages gegen Cromwells England beitrug, der den Schwiegervater des verstorbenen Statthalter hatte hinrichten lassen. De Witt stellte die Bedrohung des Handels durch die zunehmenden Übergriffe auf niederländische Schiffe von englischer Seite als Bedrohung des Handels dar,

95 Vgl. dazu: Scobell, Henry: A collection of several acts of Parliament, published in the years 1648, 1649, 1650, and 1651: very useful, especially for justices of the peace, and other officers in the execution of their duties, and the administration of justice, London: John Field, 1653, S. 176. 96 Siehe dazu: Israel, Jonathan: Conflicts of Empires, Spain, the Low Countries and the struggle for world premacy, 1585–1713, London; Hambledon Press, 2003, S. 308–315.

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was gleichzeitig die Sicherheit des niederländischen Staats gefährdete.97 Die niederländischen Handelsinteressen beschränkten sich aus Sicht de Witts indes nicht auf den Seehandel, der von England bedroht wurde, sondern erstreckten sich auch auf den Handel mit dem Heiligen Römischen Reich bis nach Italien. Für die Vereinigten Niederlanden war dieser Handel ebenso wichtig. Indes belastet das sogenannte Veilgeld, eine Art Schutz- und Versicherungsgeld, den Handel mit dem europäischen Festland, weswegen de Witt forderte, die Abgaben auf Schiffe des Überseehandels zu beschränken.98 Die Provinzen einigten sich zwar auf die Erhöhung der Zahl der Schiffe, über die Regelungen zum Veilgeld konnte indes keine rasche Einigung getroffen werden, was die problematische Entscheidungsfindung auf Unionsebene zeigt, da sich durch die Gleichberechtigung der Stimmen in den Generalständen Entscheidungen verschleppen ließen, zumal in wichtigen Angelegenheiten, wie der Kriegsführung, die Einstimmigkeit der Provinzen erforderlich war. Grundsätzlich deutet aber auch der Briefwechsel de Witts an, dass Amsterdam und die Provinz Holland eine führende Position in der Union einnahmen, die es den anderen Provinzen kaum erlaubte, sich gegen die Handelsinteressen der beherrschenden Provinz und ihrer bedeutendsten Stadt zu stellen.99 Noch bevor de Witt 1653 zum Ratspensionär ernannt wurde, beschäftigte er sich nicht nur mit dem Handel auf See, sondern war am gesamten Handel der Niederländer und dessen Prosperität interessiert. Die

97 Vgl. dazu: „D’Heeren Ambassadeurs, naer Engelandt gedestineert, sijn noch niet vertocken, alsoo weer ende wint niet en heeft gedient. Ondertusschen voorgevallen sijnde dat uut crachte van represaliën, na die van ’t Parlament jegens de Franschen verleent, seeckere twee Hollantsche schepen by een Engelschen commissie-vaerder waren aengehaelt, onder pretext van dat daerinne waeren Fransche goederen, ende in Engelandt souden sijn opgebracht geweest, ten ware den vice-admirael Jan Evertsz. deselve hadde ontset, soo is den voorgemelten Heeren Ambassadeurs mede in last gegeven te procureren soodaenige ordres ende reglementen van Hoochgemelt Parlement, dat soodaenige represaliën in ’t toecomende tot nadeel van desen Staet ofte d’ingesetenen van dien niet meer en werden geëxtendeert.’ Daar sommigen van oordeel zijn dat er meer schepen in de Naauwe zee gehouden moesten worden, zijn de Admiraliteiten beschreven om daarop te adviseeren.“, in: Brief vom 2. Dezember 1651, Aan de regering van Dordrecht, 1651–1653, in: Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, 1650–1657(1658), 1906, S. 24f. 98 Vgl. dazu: Appendix XVII. 99 Vgl. dazu: Brief vom 2. März 1652, Aan de regering van Dordrecht, 1651–1653: „Volgens last van de Heeren uitgewerkt de resolutie omtrent de tollen. [Resolutionen von Holland 1 März 1652]. Toegestemd in het heffen van het veilgeld, en meegewerkt tot het nemen der daarmee verbonden resolutiën. De Heeren van Zeeland zijn gelast in alles toe te stemmen wat tot beveiliging der zee wordt voorgeslagen. – De meeste leden van Holland vereenigen zich met het voorstel om nog 100 schepen in zee te brengen. Hoe daarin te handelen vanwege Dordrecht. – Op het lastgeld nog geen conclusie gevallen.“, in: Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, 1650–1657(1658), 1906, S. 31; Brief vom 8. März 1652, Aan de regering van Dordrecht, 1651–1653: „Resolutiën door de Staten genomen op de beveiliging der zee. Heden middag in een bijzondere bijeenkomst door de Staten Generaal de resolutie genomen belangende de ,forme van directieʻ, het collecteeren van het veilgeld enz. – Uitgewerkt dat bij de Staten Generaal soortgelijke afkondiging betrekkelijk de tollen gedaan wordt, als waartoe Holland reeds was overgegaan. [...]“, in: Ebda., S. 32.

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verschiedenen Abgaben, die einheimische und ausländische Kaufleute für den Handel per Schiff zahlten, zogen die Admiralitäten ein. Besteuerung, Last-, Konvoi-, Lizenz- und Veilgelder waren Instrumente der Generalstände, um den niederländischen Handel zu schützen, der sich nicht nur der englischen, sondern auch zunehmend der schwedischen Konkurrenz im Ostseehandel mit den baltischen und russischen Territorien erwehren musste, der zur Not auch mit militärischen Mitteln begegnet werden sollte. Die Admiralitäten waren Institutionen, die die Gelder für die Verteidigung der niederländischen Vormachtstellung im Handel und der Frachtschifffahrt einsetzten, indem die Flotte des Staats in Konflikte eingriff, die den niederländischen Handelsinteressen zuwider liefen. Diese Politik der Vereinigten Niederlanden führte letztlich zum Krieg mit England. In der Überschätzung der eigenen Schlagkraft auf See lag das Dilemma des ersten Englisch-Niederländischen Kriegs für die Vereinigten Niederlanden. Wilhelm II. hatte nach seinem Amtsantritt das Heer zuungunsten der Marine verstärkt, Cromwell hingegen die englische Marine. Als der Krieg 1652 begann, waren gerade zwei Jahre vergangen, in denen die Admiralitäten den Bau von Schiffen betrieben, um die durch den vorherigen Verkauf von Schiffen unter Wilhelm II. geschwächte Kriegsmarine wieder zu stärken.100 Der Vorsprung Englands an großen Kriegsschiffen war in dieser kurzen Zeit nicht mehr einzuholen. Auch in der Spitze waren die Engländer den Niederländern überlegen. Die Sovereign of the Seas besaß einhundert Kanonen. Die niederländische Brederode, als feuerkräftigstes Schiff der Niederländer, nur vierundfünfzig. Nach der Ratifizierung der Schifffahrtsgesetze wurde den Niederländern ihre Unterlegenheit bewusst. Mit der Requirierung und dem Umbau von 150 Handelsschiffen, versuchten die Admiralitäten der Unterlegenheit entgegen zu wirken.101 Zusätzlicher Vorteil der englischen Marine war deren Neuorganisation unter Cromwell, der eine straffere Disziplin durchsetzte und den Aufstieg zum Offizier an Leistung, nicht an Geburt 100 Im Jahr 1650 besaß die niederländische Marine eine Kapazität von 29.000 t. Im Gegensatz dazu verfügte Englands Marine über eine Flotte mit der Kapazität von 49.000 t. Im Vergleich zu 1630 war die Kapazität der Niederländer um 11.000 t gesunken, die der Engländer um 18.000 t gestiegen. Während der Statthalterlosen Epoche stiegen die Kapazitäten auf beiden Seiten. Im Jahr 1675 hatte die Union ihre Marinekapazitäten fast verdreifacht auf 88.000 t, England mit 95.000 t immerhin verdoppelt, was die großen finanziellen Anstrengungen der beiden Territorien zeigt, die jeweils eigene Handelsschifffahrt zu beschützen. Klar wird durch die Zahlen auch, dass die Vereinigten Niederlanden seit dem Ende des Unabhängigkeitskriegs gegenüber England als Seemacht zurückfielen, was die Kapazitäten anbelangte. Bei der Betrachtung der Bevölkerungszahlen wird deutlich, dass die Niederländer, die finanziellen Anstrengung einerseits durch Kredite finanzieren mussten, was zur Verschuldung der Union führte. In den Vereinigten Niederlanden lebten im 17. Jahrhundert nur 1–2 Millionen Menschen, ein Zehntel der Bevölkerung Frankreichs zur selben Zeit und ca. ein Viertel der Bevölkerung Englands (6–8 Millionen). Auch die geringen Bevölkerungszahlen führten zu den beschriebenen Herrschaftsstrategien, die sich nicht auf die Besteuerung der geringen Bevölkerung stützten konnte und vor allem nicht dazu diente, aus der eigenen Bevölkerung ein stehendes Heer aufzubauen oder die Besatzung für die Kriegsschiffe zu mustern. Vgl. dazu: ’t Hart, The Dutch wars, S. 132f. 101 Siehe dazu: Boxer, The Anglo-Wars; Israel, The Dutch Republic, S. 713–726.

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knüpfte, was zur Professionalisierung der Marine führte, die zudem kampferprobt war, weil sie bis 1651 gegen die Royalisten gefochten hatte. Den Moment der Überlegenheit wollte Cromwell nutzen. Die Engländer versuchten, die Vereinigten Niederlanden zum Krieg zu zwingen.

Der Erste Englisch-Niederländische Wirtschaftskrieg Im Mai 1652 eskalierte der Konflikt. Der niederländische Admiralleutnant Maarten Tromp befuhr den Kanal, den die Engländer als ihr Hoheitsgebiet ansahen. Demzufolge hätte Tromp zum Gruß die Flagge hissen müssen, was er zum Unmut der Engländer nicht rechtzeitig tat. Tromp provozierte mit der Unterlassung drei Warnschüsse der englischen Flotte unter Robert Blake. Der dritte Schuss traf das Flaggschiff der Niederländer, die Brederode. Dieser kleine Zwischenfall veranlasste das englische Parlament, den Vereinigten Niederlanden am 10. Juli 1652 den Krieg zu erklären. Bis zum Ende des Jahres fochten die beiden Kontrahenten drei Seeschlachten aus. Im Dezember blockierten die Niederländer die englischen Seehäfen. Britische Schiffe hatten keinen Zugang zur Ostsee, was den Nachschub an Holz und Teer zum Erliegen brachte. Die englische Flotte war bewegungsunfähig. Zu Beginn des Jahres 1653 sahen die Vereinigten Niederlanden wie der Gewinner des ihnen aufgezwungenen Kriegs aus. Die Erfolge täuschten allerdings nicht über die Probleme der Niederländer hinweg. Der Nachteil, weniger feuerstarke Schiffe zu besitzen, wog schwer und wirkte sich auch auf die niederländischen Besitzungen in Brasilien aus. Recife konnte nicht mehr gegen die Portugiesen verteidigt werden und ging verloren. Das Anwerben von Matrosen war offiziell verboten. Große Summen mussten aufgewendet werden, um neue Schiffsbesatzungen einstellen zu können. Mit einem Wechsel der Taktik gelang Robert Blake im März 1653 der Umschwung. Durch das Fahren in Kiellinien ließ sich die überlegene Feuerkraft der Engländer besser nutzen. In der dreitägigen Schlacht bei Portland gewannen die Engländer die Überlegenheit im Kanal zurück. Im Juni folgte die für die Niederländer desaströse Schlacht von Nieuwpoort, bei der 17 Schiffe verloren gingen. Die Engländer verloren nur sechs. Geführt wurde sie von den Niederländern, um die Nordsee für den eigenen Handelsverkehr offen zu halten. Das Ergebnis war genau das Gegenteil. Nach der Schlacht blockierten die englischen Schiffe die niederländischen Häfen und schadeten der Wirtschaft in der Vereinigten Niederlanden erheblich. Im August gelang es den Niederländern, die Blockade durch die Schlacht bei ter Heijde zu durchbrechen. Die Verluste auf beiden Seiten waren sehr hoch. Admiralleutnant Tromp verstarb bei der Schlacht. Als eines der Ergebnisse der Schlacht zeigte sich die Kriegsmüdigkeit beider Parteien, die aus der finanziellen Belastung entstand, Kriegsschiffe auszurüsten und geringere Einnahmen aus dem Handel zu erwirtschaften. Cromwells Befürchtungen, der Krieg würde auf englischer Seite auch aus persönlicher Bereicherung durch das Aufbringen niederländischer Schiffe befürwortet und stärke zudem die Spanier, ver-

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anlasste ihn, Verhandlungen mit den Vereinigten Niederlanden aufzunehmen. Seit August 1653 fanden keine Kriegshandlungen mehr statt. Als de Witt 1653 nach dem Tod Pauws zum Ratspensionär Hollands ernannt wurde, lagen die Verhandlungen zum Frieden mit England nunmehr in seinen Händen. Kurz vor Ende des Kriegs schrieb de Witt an Hieronymus van Beverningk, den niederländischen Botschafter in England, der 1654 die Friedensverhandlungen in Westminster führen sollte. In dem Brief an van Beverningk sprach de Witt über die Dominanz der Niederländer zur See als Maxime des niederländischen Staats. Am Ende des Briefs führt er aus, welche Ämter die Oranier in den Vereinigten Niederlanden besetzen könnten, was als Hinweis auf die drei Monate später verabschiedete Acte van Seclusie als geheimem Teil des Friedens von Westminster zu deuten ist, die eine Berufung des zum Zeitpunkt des Friedensschlusses erst vierjährigen Wilhelm III. von Oranien zum Statthalter per Gesetz ausschloss.102 Durch den Krieg und den vorher erlassenen Navigation Act, von dem de Witt einzelne Bestimmungen in seinem Brief erwähnt, ergab sich die zunehmende Konkurrenz zwischen England und den Vereinigten Niederlanden um die Herrschaft zu See; dominium maris, wie de Witt es nannte. Die Vereinigten Niederlanden erkannten im Frieden von Westminster vom 8. Mai 1654 den Navigation Act als bindend an, was in den folgenden Kriegen zwischen den beiden Territorien zu immer neuen Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft zur See führte. Die interkontinentalen Handelsinteressen der VOC und EIC hatten ebenfalls Auswirkungen auf die Friedensverhandlungen in Europa, was in der Forderung von Entschädigungszahlungen seitens der Engländer für das Massaker von Amboina mündete, was die Tragweite des Konflikts zeigt, der sich über die Beherrschung der europäischen Gewässer ausdehnte.103 Auf den ersten Blick besaß der Vertrag von Westminster eine protektionistische Funktion, der nicht nur die englische Wirtschaft stärken, sondern die niederländische schwächen sollte. Mit dem Frieden von Westminster erkannten die Vereinigten Niederlanden zudem die Oberhoheit der Engländer über den Kanal und die Nordsee bis zu den niederländischen Küsten an. Im Einklang mit der Idee John Seldons, dass es abgeschlossene Meere gebe und die Küstenregionen zum Hoheitsgebiet des angrenzenden Territorium gehöre, verteidigten die Engländer das Konzept der Seehoheit. Küstengebiete unterlagen der Souveränität des entsprechenden Landes. Das englische Küstenmeer gehörte fortan zum Territorium Englands, in dem ihre Rechtsprechung und Wirtschaftsordnung galt. Der Frieden von Westminster verdeutlichte die Verräumlichungsstrategien Englands, das im Gegensatz zu den Vereinigten Niederlanden die Taktik der Ausweitung ihres Rechtsanspruch auf die küstennahen Gebiete 102 Vgl. dazu: Appendix XVIII. 103 Auch nach dem Frieden von Westminster bleib die VOC ein Thema der Beziehungen zwischen England und den Vereinigten Niederlanden. Vgl. dazu u.a.: Brief von Adriaan van Almonde [Pensionär der Stadt Briel, später Gesandter in England für die Angelegenheiten der VOC. 1658 zum Rat von Indien ernannt, verstarb er auf der Reise nach Batavia 1659] en L. Houwen vom 9/19 Juni 1654, in: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Eerste Deel, 1648–1660, Amsterdam: Johannes Müller, 1919, S. 121ff.

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verfolgte, weil sie der niederländischen Handelsflotte bis dahin unterlegen war. Letztlich waren die Ziele gleich. Beide Kontrahenten wollten die Handelswege auf See kontrollieren, und schufen dafür Rechtsordnungen, die zugleich Folgen für das Verständnis von Souveränität zur See beinhalteten. Der zweite Punkt des Friedensvertrags war eine inoffizielle Abmachung, die nur im Geheimen beschlossen wurde. Die Verwandtschaft der Oranier mit dem englischen Königshaus brachte Cromwell zu der Einschätzung, dass die Gefahr bestehe, ein zum Statthalter berufener Oranier könnte die Vereinigten Niederlanden in den Krieg gegen England führen und auf der Insel mit einer Armee einfallen, um die Dynastie der Stuarts wieder in ihr Recht zu setzen. Johann de Witt gehörte der anti-orangistischen Partei an. Die Erfahrungen mit dem Machthunger Wilhelms II. veranlassten auch de Witt zu der Annahme, dass es für die Konservierung der Macht der Regenten sinnvoll wäre, die Oranier vom Amt des Statthalters fern zu halten. Zu diesem Zweck wurde die geheime Acte van Seclusie verabschiedet. Gegen die Anschuldigung der Provinzen, die weiterhin Mitglieder des Hauses Nassau als Statthalter beriefen, de Witts persönliche Motive steckten hinter der Ausschlussakte, widersprach er öffentlich in einer Verteidigungsschrift. De Witts Deductie104 gilt als wichtiges Dokument für dessen politische Haltung, die sich in der Politik Hollands und der Generalstände widerspiegelte und zudem eindeutig de Witts eigene Ansichten zeigt.105 Im ersten Punkt verwies er auf die Rechtmäßigkeit der Ausschlussakte, da sie in keiner Weise gegen die Bestimmungen der Utrechter Union sprach. Des Weiteren korrumpiere erblicher Machtanspruch, wie er an Beispielen aus der Geschichte nachwies. Das sei mit der Idee der Wahren Freiheit106 nicht zu vereinen. Zudem seien die Vereinigten Niederlanden nicht dazu verpflichtet, den Oraniern hohe Ämter zu verleihen. De Witt verlas die Verteidigungsschrift vor den Generalstände, worauf es für das Gremium kaum möglich war, den Vertrag von Westminster aufgrund des geheimen Zusatzes abzulehnen, da sie mit einer Kritik an de Witts Argumentation die etablierte Ordnung angegriffen hätten, die auf den Festlegungen der Utrechter Union beruhte. De Witts Gegner aus dem Lager der Prinsgezinden verstummten für einige Zeit. Die Deductie, an deren Formulierung van Beverningk, van Beuningen und van Nieuwepoort mitgewirkt hatten, steigerte die Autorität de Witts erheblich. In der Deductie wurde deutlich, welche Bedeutung de Witt dem Handel beimaß. Zudem betrachtete der Ratspensionär die Gesamtheit der Provinzen als Staat, für

104 Die Deductie war eine ausführliche Beweisführung zu einem bestimmten Thema. De Witt wurde von den Ständen Seeland, Frieslands und Groningens aufgefordert, sich für die Verabschiedung der Acte van Seclusie zu rechtfertigen. 105 Bei der Erarbeitung von Pieter de la Courts Interest van Holland soll de Witt redaktionell und inhaltlich Einfluss genommen haben, der indes nicht eindeutig nachzuweisen ist, zumal die Schrift Passagen enthält, die de Witts politischen Überzeugungen widersprachen. Vgl. dazu: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 178. 106 Die Zeit der Ersten Statthalterlosen Epoche wird auch als Zeitalter der ware vrijheit bezeichnet.

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dessen Freiheit die Provinzen und Einwohner der Föderation gemeinsam einstanden und für deren Erreichung der Statthalter nicht unbedingt von Nöten sei.107 In de Witts Erklärung offenbarte sich die politische Ausrichtung der von ihm seit 1653 geleiteten Generalstände als Regierung der Vereinigten Niederlanden, die ihm die Feindschaft der Orangisten und der Stuartfraktion einbrachten. Der Erste Englisch-Niederländische Krieg zeigte den Widerstreit zweier Territorien, die erkannt hatten, dass die Kontrolle des Meeres für ihr Verräumlichungsregiments von entscheidender Bedeutung war, da der weitere Erwerb von Landbesitz auf den britischen Inseln nicht möglich, für die Vereinigten Niederlanden in Bezug auf die südlichen Niederlanden zu kostspielig war. Die Vereinigten Niederlanden hatten die uneingeschränkte Vorherrschaft über die Nordsee vorerst verloren, sich allerdings eindeutig gegen eine auf Expansion des Landbesitzes ausgerichtete Politik entschieden. Die Macht der Regenten verdichtete sich durch die Ausschlussakte und begründete de Witts Machtposition während seiner Amtszeit als Ratspensionär Hollands. Die Spannung zwischen England und den Vereinigten Niederlanden kamen jedoch auch mit dem Ende des Kriegs nicht zur Ruhe. Zu groß war der Widerstreit um die Vorherrschaft in der Nordsee. Auch nach der Restauration der Stuartherrschaft 1660 gab es keine durchschlagende Verbesserung der Beziehungen. Cromwell war 1658 gestorben. Das konstituierte Rumpfparlament rief Karl II., der inzwischen in den Vereinigten Niederlanden weilte, als Vorsitzenden des Parlaments zurück nach England.

107 Vgl. dazu: „Wel is waer/ ende willen haer Ed. Groot Mog. gaerne bekennen/ dat de selve door het passeren van de voorsz Acte/ sich hebben benomen de faculteyt ofte de vryheydt (soo sulcke met dien naem kan werden genoemt) omme den jegenwoordigen Prince van Orangie/ ofte des selfs Descendenten/ te promoveren/ ofte met hare stemme te helpen promoveren to de hooge Charges hier vooren ge-expresseert; maer aen d’andere zijde so moeten de voornoemde Provincien oock wederom naer waerheyt bekennen/ dat alle oorloch is een beletsel van exercitie van de Vryheydt/ ende dat den oorlogh teghens de Republijcque van Engelant jonghst ghevoert/ niet alleenlijck aende Regieringe van eene Provincie heeft benomen de faculteyt/ ende ʼtvermoghen/ omme over eene eenige saecke nae haer appetit/ ende goedtvinden te disponeren/ maer selfs aenden gantschen Staet/ aen ydere Provincie/ ende aen alle d’ Inghesetenen van ’t Lant in’t generael/ ende in’t particulier de faculteyt/ ende de vryheyt over ontallijcke satzen van merckelijcke importantie/ ende insonderheydt van de Navigatie ende Commercie/ zijnde de ziele ende innerlijcke subsistentie van den Staet.“; in: Witt, Johan de (Autor): Deductie, ofte de Declaratie; Van de Staten van Hollant en WestVrieslant: […] Tot justificatie van’t verleenen van sekere Acte van Seclusie, rakende `t employ van den Heere Prince van Orange, by de hoogh-gemelte Heeren Staten van Hollant en West-Vrieslant op den 4. Mei 1654, gepassert, Tweede Dee, Cap. I, ’s Gravenhage: by de Weduwe, ende Erfgenamen van wijlen Hillebrandt Jacobsz. Van Wouw, Ordniaris Druckers van de Ed. Groot Mog. Heeren Staten van Hollant en West-Vrieslant, 1654, S. 48.

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Das Engagement der Vereinigten Niederlanden in den Nordischen Kriegen Nach dem Krieg gegen England, riefen die Regenten der Vereinigten Niederlanden ein Rüstungsprogramm aus, das vor allem die Marine stärkte.108 Auf die Instandhaltung der Landarmee wurde keine Anstrengung verwendet, da nach dem Ende des Unabhängigkeitskriegs die Bedrohung für die Niederländer von feindlichen Kriegsschiffen ausging, die Frachtschiffe kaperten. Im Zusammenhang mit der Konkurrenz im Ostseehandel stand das Eingreifen der niederländischen Flotte in den Nordischen Krieg (1655–60/61) im Jahr 1658, das exemplarisch für die Verteidigung der niederländischen Handelsinteressen mit militärischen Mitteln des Staats stand. 109 Das Eingreifen in den Nordischen Krieg auf Seiten der Dänen war ein explizites Zeugnis der niederländischen Herrschaftsstrategien. Durch die Entsendung einer Flotte zur Entsetzung des Sunds,110 verhinderten die Niederländer dessen Kontrolle durch die Schweden, mit dessen König Karl X. Gustav sie im Gegensatz zum dänischen Königreich keinen vorteilhaften Vertrag über die Nutzung des Sunds besaßen. Die Niederländer sahen die Verbindung zu ihrem Handelsnetzwerk in Osteuropa bedroht und versuchten auch mit diplomatischen Mitteln auf die Konfliktparteien einzuwirken, wie de Witt 1657 in seinen Aufzeichnungen dokumentiert.111 De Witts Briefwechsel zeugt von der intensiven Auseinandersetzung mit den Folgen des Nordischen Kriegs, die letztlich zur Entsendung der niederländischen Flotte unter Jacob van Wassenaer Obdam und Witte de With, der unter Generalgouverneur Coen an der Belagerung Jakatras beteiligt war und unter Piet Hein diente, als der 1628 die spanische Silberflotte aufbrachte.112 An der Geschichte 108 Nach dem Ende des Unabhängigkeitskriegs besaß allein Holland eine Schuldenlast von 140 Millionen Gulden. Vgl. dazu: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 84. 109 Schon kurz nach Beginn des Kriegs gab es für die niederländischen Kaufleute Probleme bei den Handelsfahrten in den Ostseeraum, die de Witt gemeinsam mit den Engländer in der Allianz gegen Schweden begegnen wollte. Vgl. dazu van Beuningens Haltung gegenüber Schweden. Van Beuningen war niederländischer Botschafter in Dänemark. Vgl. dazu: Appendix XIX. 110 Als Sund wird die Meerenge zwischen der dänischen Insel Seeland und der Provinz Schonen auf dem schwedischen Festland bezeichnet, die den einfachsten und schnellsten Weg von der Ost- in die Nordsee bietet. Die Beherrschung des Sunds war der Schlüssel zu den Erzeugnissen aus Russland und den anderen Anrainerterritorien der Ostsee. Für die Niederländer war vor allem der Zugang zu Getreide, sowie Holz, Teer und Salpeter für Schiffsbau und Munitionsherstellung wichtig, die sie aufgrund der Ressourcenarmut des eigenen Territoriums aus Osteuropa einführten. Deswegen galt der Ostseehandel den Niederländern als moeder negotië (Mutterhandel). 111 Vgl. dazu: Appendix XX. 112 Vgl. dazu den weiteren Briefwechsel Johan de Witts, u. a.: Brief vom 22. Juni 1657, Aan van Beuningen, in Appendix XXI; sowie Brief vom 8. April 1657, Aan Burgemeester Stellingwerff: „[…]Ende will ick gaerne bekennen , dat een van de grootste advantagiën, die ick altijds hebbe geconsidereert in de manniere van conventie, daerop Haer Hoog Mog. jegenwoordich gelast hebben met Sweden te sluyten, daerinne bestaet, dat, mijns oordeels, den Coninck van Sweden voortaen seer beswaerlijck sal derven resolveren tot excessive

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der niederländischen-schwedischen Beziehungen lassen sich die Instrumente der wirtschaftlichen Kriegsführung des niederländischen Staats eindrücklich nachzeichnen, die bis in die zweite Dekade des 17. Jahrhunderts zurückreichen. Stefan Troebst beleuchtete das wechselhafte Verhältnis der beiden um Vormacht im Ostseeraum kämpfenden Territorien in seiner Habilitationsschrift zur schwedischen Moskaupolitik am Rande. Dem Bündnisschluss der beiden Territorien 1614 folgte die finanzielle Unterstützung der schwedischen Vorstöße in das Territorium des Heiligen Römischen Reichs seit 1631, um den gemeinsamen Feind, die Habsburger-Monarchie zu bekämpfen.113 Infolge der willkürlichen Erhöhung des Sundzolls durch Christian IV. von Dänemark, der die Einnahmen aus dem Sundzoll als privates Kapital ansah, erneuerten Schweden und die Vereinigten Niederlanden ihre Zusammenarbeit mit dem am 1. September 1640 geschlossenen Beistandspakt, der den dänischen König erfolgreich unter Druck setzte. Aber schon zu diesem Zeitpunkt, wie Troebst anmerkt, war das Verhältnis zwischen den Partnern durch das schwedische Interesse, den Russlandhandel stärker unter eigene Kontrolle bringen zu wollen, angespannt, da besonders Amsterdam am Monopol festhalten wollte, nur direkten Handel mit Russland zu führen. „Der Grund dafür war zwar ein rein merkantiler, aber da zum einen das politische Gewicht der Kaufmannschaft im Handelsstaat Niederlande deutlich größer als in anderen Staaten Europas war und zum anderen das niederländische Rußlandhandelszentrum Amsterdam die Hauptstadt der wirtschaftlich potentesten Provinz Holland war, ihr unter den Generalstaaten folglich die Stellung des primus inter paris zukam, wirkte sich dieser merkantile Grund bestimmend für die niederländische Nordosteuropapolitik aus. Dabei handelte es sich natürlich um das zeitgenössische Primat des aktiven Direkthandels, d.h. Überseehandel mit eigenen Schiffen und unter Umgehung jeglicher Zollschranken und Vermittler. In Archangel’sk bot sich der Amsterdamer Rußlandkaufmannschaft diese Möglichkeit, im Finnischen Meerbusen hingegen nicht, denn hier mußte nach dem Sund auch noch schwedischen Territorium durchquert und jeweils Zoll entrichtet werden. Aber die Ostseeroute wies aus niederländischer Sicht noch einen zweiten noch gravierenderen Nachteil auf: Während russische Kaufleute aus verhooginge van syne thollen, alsoo deselve daerdoor syne eygene onderdaenen veel meer naedeel als wel d’ingesetenen van desen Staet toebrengen soude; jae, by comparatie gesproocken, dat de Nederlanders daerdoor tegens de Sweden merckelijck souden werden bevoordeelt.[...]“, Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, 1650–1657(1658), 1906, S. 492–498, darin 498. Siehe zum Briefkontakt de Witts mit Jacob van Wassenaer-Obdam u.a.: Briefe vom 23 April 1659, 9 Juni 1659, 15. Juni 1659, 1. Juli 1659, S. 294f, in: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Eerste Deel, 1648–1660, Amsterdam: Johannes Müller, 1919, S. 295f, S. 296f, S. 297f. 113 Ein Jahr nach dem Bündnisschluss zwischen Schweden und den Vereinigten Niederlanden, nahm Louis de Geer Geschäfte in Schweden auf. Über einen Landsmann aus Lüttich Wilhelm Besche, der bereits länger in der Schweden geschäftlich aktiv war und Lizenzen für eine Eisenmine erworben hatte. Gemeinsam mit Besche erschloss de Geer in Finspong Kupfer- und Eisenminen. Das Unternehmen, das de Geer mit Louis und Jacob Trip, der mit de Geers Schwester Margarethe verheiratet war, aufbaute war eines der größten Rüstungsunternehmen des 17. Jahrhunderts, das nicht nur die Vereinigten Niederlanden, sondern auch dessen Feinde belieferte. Vgl. dazu: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 36; Zunckel, Rüstungsgeschäfte im Dreißigjährigen Krieg. Der Sohn von Jakob Trip, Jacobus (1627–1670) heiratete in erster Ehe in die Familie Bicker ein, in zweiter Ehe in die Familie Munter, aus deren Reihen Bürgermeister oder Direktoren der Wechselbanken kamen.

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schiffsbautechnischen und navigatorischen Gründen im 17. Jahrhundert noch nicht zur eigenständigen Befahrung der Nordkaproute nach Nordwesteuropa in der Lage waren und ihnen ihre niederländischen Handelspartner wohlweislich keine Schiffspassage nach Amsterdam ermöglichten, waren sie durchaus in der Lage, auf der Ostseeroute auf einem nichtniederländischen Schiff die holländische Kapitale zu erreichen. [Direkter Handel von russischen Kaufleuten in Amsterdam wurde verhindert, indem russischen Kaufleuten der Verkauf von Waren in Amsterdam verwehrt wurde. O.K.] Das merkantile Interesse der Niederlande zielte also unmissverständlich auf die Aufrechterhaltung des verkehrspolitischen status quo 114 im Rußlandhandel mit Archangel’sk als Haupthandelsort.“

Die Allianz gegen den dänischen König kam auch zustande, weil er Ende der 1630er Jahre eine exorbitante Erhöhung der Zölle vornahm, die besonders den Salpeterhandel der Niederländer betraf. Christian IV. verlangt 80% des Warenwerts als Zoll für Salpeterlieferungen. Einerseits veranlasste das die Steigerung der aus Südostasien gelieferten Mengen an Salpeter, was die Möglichkeiten des globalen niederländischen Handelsnetzwerks veranschaulicht, das auf den Mangel des Rohstoffs, der für die Munitionsherstellung unbedingt notwendig war, mit dem Import von Salpeter aus Indien reagierte. Andererseits brachte es Schweden und die Vereinigten Niederlanden gegen den dänischen König auf, der auf das Bündnis mit einer Senkung des Sundzolls und der Freigabe der Handelsfahrt nach Archangelsk für die Niederländer antwortete. In der Gewährung der freien Fahrt zum russischen Haupthandelsort sieht Troebst den Grund für die steigenden Spannungen zwischen Schweden und den Vereinigten Niederlanden, die sich nach dem kurzen Krieg zwischen Schweden und Dänemark-Norwegen (1643–45) trotz der weiteren Reduzierung der Sundzölle durch die siegreichen Schweden ausweiteten, da die Niederländer nun die Gefahr sahen, dass Schweden beide Seiten des Øresunds besetzen würde und den Niederländern die Handelskonditionen diktieren könnte, obwohl der schwedische Kanzler Oxenstierna als Vertreter des mare liberum-Prinzips galt und damit im „diametralen Gegensatz zum dänischer Prinzip exklusiver nationaler ‚Seeterritorien‘ (Kongens strømme) stand, von dem man in Kopenhagen für die eigene Krone sowohl ein dominium maris Baltici als auch ein ius dominiumque maris Septentrionalis Norvegici ableitete“,115 was den engli114 Vgl. dazu: Troebst, Stefan: Handelskontrolle – „Derivation“ – Eindämmung. Schwedische Moskaupolitik 1617–1661, Veröffentlichungen des Osteuropa-Instituts München, Reihe Forschungen zum Ostseeraum, Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 1997, S. 115f. 115 Zitat siehe: Troebst, Handelskontrolle, S. 116. Für den Krieg mietete Schweden 34 Schiffe in Amsterdam. Vgl. dazu: Ebda., S. 285; zur Begrenztheit des mare liberum-Prinzips der Schweden: „Dennoch wollte A. Oxenstierna das mare liberum-Prinzip wenn nicht ausschließlich auf Ostsee und Sund angewandt, so doch in bezug [sic] auf die Nordsee stark eingeschränkt sehen, und erklärte W. Boreel am 31. Juli 1640 unter ausdrücklichem Verweis auf die Archangel’skroute: ‚Skopus foederis ist, daß transitus per marefretum Danicum et navigation maris Balthici frei sein mögen. Hinsichtlich des maris Septentionalis wäre es gut, man setzte gewisse limites.‘“, in: Ebda., S. 117. Die Route ins Weiße Meer nach Archangelsk, einem der wichtigsten russischen Exporthäfen stand außerhalb des schwedischen Ansinnens der Freiheit der Meere, da die schwedische Krone diesen Handelsroute beherrschen wollte. Die Schweden sahen sich allerdings 1640 nicht nur in Konkurrenz zu Dänemark-Norwegen, sondern auch zu England, die mit der Muscovy Company ein etabliertes Unternehmen im Handel mit Archangelsk besaßen. Die Vereinigten Niederlanden waren durch ihre militärische Potenz

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schen Bestrebungen der Beherrschung der Küstengebiete ähnelte. Im Frieden von Brömsebro, der am Ende des Kriegs zwischen Schweden und DänemarkNorwegen geschlossen wurde, erwirkte Schweden die Erlassung des Sundzolls für schwedische Schiffe, was die Verschiebung der Handelsvolumen zugunsten der Schweden ermöglichte. In der Folge überwarfen sich die ehemaligen Bündnispartner Schweden und die Vereinigten Niederlanden, deren Allianz dem Vorgehen gegen die katholischen Habsburger während des Dreißigjährigen Kriegs gedient hatte.116 Nach dessen Ende zerbrach das Bündnis an den konkurrierenden Handelsinteressen in der Ost- und Nordsee. Auf der einen Seite stand „[d]er imperiale Parvenu [Schweden] im europäischen Nordosten[...], [der] seinerseits nach ausschließlicher Kontrolle über die Ostsee [strebte], wohingegen die Politik des republikanischen Handelsimperiums im Nordwesten gerade auf das Offenhalten des Binnenmeeres und die Dominanz der eigenen Handels- und Kriegsflotten dort abzielte.“117

Die fehlende militärische Unterstützung Schwedens durch die niederländische Flotte im Krieg gegen Dänemark-Norwegen und die Erhebung des Veilgelds brachte die endgültige Trennung der Bündnispartner. Aus einem Antwortschreiben der Generalstände an den schwedischen Residenten in Den Haag ging hervor, dass die Niederländer „das Veilgeld auch und gerade als Mittel zur Eindämmung der erfolgreichen Stockholmer Politik betrachteten“, woraufhin die schwedische Krone die Zollabgaben schwedischer Schiffe in den eigenen Häfen um bis zu einem Drittel senkte.118 Am Ende der Auseinandersetzung, um den Einfluss in der Ostsee, stand der Vertrag der Vereinigten Niederlanden mit Dänemark, der den Niederländern die Durchfahrt ihrer Kriegsschiffe durch den Sund in unbegrenzter Zahl erlaubte, was die im Frieden von Brömsebro festgeschriebene Vorherrschaft zur See ein Partner für die Schweden, mit dessen Unterstützung neben der englischen Konkurrenz auch der Gefahr eines spanisch-schottisch-dänischen Bündnisses begegnet hätte werden können, wenn es denn zu Stande gekommen wäre. Ausgeschlossen wäre bei diesem Bündnis allerdings die Befahrung der Weißmeerroute nach Archangelsk durch die Niederländer. Auch die Dänen hatten den Niederländern die Fahrt auf der Route verboten, was die Niederländer zum Angebot an Schweden animierte, Göteborg als Hauptumschlagplatz für den schwedischen Export zu etablieren und damit die Rolle Amsterdams für den Ostseehandel zu relativen. Grundsätzlich muss zwischen den zwei Handelsrouten nach Osten unterschieden werden, die für alle Konkurrenten von Bedeutung waren. Zum einem gab es die Handelsroute durch den Sund in die Ostsee, um mit den Städten an der Küste Handel zu treiben, wobei Riga, Nyen, Reval, Narva die wichtigsten waren, zum anderen die Nordkap- oder Weißmeerroute, die nach Archangelsk führte, um über diesen Exporthafen des Zarenreiches, Handel mit Russland und der Halbinsel Kola zu treiben. 116 Auf die Erlassung des Sundzolls für Schweden reagierten die Generalstände, die während des Kriegs ein Eingreifen auf Seiten Schwedens bei der Insel Jütland ablehnten, was von der Provinz Holland gefordert worden war, mit der Erhebung von Veilgeld auf alle Schiffe, die Richtung Ostsee ein- oder ausliefen, was die Konkurrenzfähigkeit der schwedischen Kaufleute aufs Neue schmälerte und die Situation verschärfte. Es wurde zwar erneut ein Vertrag zwischen Schweden und den Vereinigten Niederlanden aufgesetzt, der aber nur noch von den Generalständen ratifiziert wurde. Vgl. dazu: Troebst, Handelskontrolle, S. 309. 117 Siehe dazu: Ebda. 118 Siehe dazu: Ebda.

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der schwedischen Marine offen zur Disposition stellte. Zudem gewährte Frederick III. von Dänemark den Niederländern für 36 Jahre Zollfreiheit im Sund gegen die Zahlung eines jährlichen Pauschalbetrags von 350.000 Gulden.119 Der Gegensatz kulminierte in der Gründung eines schwedischen Kommerzkollegiums zur Sicherung der Macht in der Ostsee und auf der Archangelskroute. Zusammen mit den Bestimmungen des Navigation Acts war die Gründung der Versuch, die niederländischen Handelstätigkeiten in Nord- und Ostsee mittels Handelsbestimmungen zu beschränken, da wie Troebst anmerkt, jedenfalls die Schweden militärisch zur See nicht in der Lage waren, die Niederländer durch offenen Krieg aus dem Handel zu verdrängen.120 Die Auseinandersetzungen zwischen Schweden und den Vereinigten Niederlanden vor dem Nordischen Kriegs (1655–1660/61) standen sinnbildlich für den Einfluss der Niederländer im europäischen Seehandel, ihre militärische Präsenz zur See und die Gegnerschaft zu den Ost- und Nordseeanrainern, die sich im Falle Schwedens und England in konzertierter Aktion zu Beginn der 1650er Jahre der Vormacht der Niederländer im europäischen Handel vom Mittelmeer bis zum Weißen Meer widersetzten. In der Folge richteten sich die Anstrengungen der Vereinigten Niederlanden, die auch in der Beziehung zu Schweden von Holland und Amsterdam bestimmt wurden, auf die Verteidigung der bestehenden Handelsstrukturen, die Freiheit der Meere in Europa und das Offenhalten der Seewege für die niederländische Kaufmannschaft. In den Verhandlungen mit Schweden führte der Amsterdamer Bürgermeister Wilhelm Boreel die niederländische Gesandtschaft an, dessen Onkel Generalsmünzmeister der Union war. Das Familien- und Regentennetzwerk, der in Amsterdam wohnhaften Niederländer bestimmte die Diplomatie der Föderation.121 Ziel der Niederländer war es, in den Städten der 119 Zum Vergleich: Die Flotten der Amsterdamer VOC-Kammern löschten pro Unternehmung, die in Texel aus Asien ankam, Waren im Wert von über 300.000 Gulden. Einige Flotten löschten insbesondere in den 40er Jahren Waren im Wert von über 600.000 Gulden. Siehe dazu: Bruijn, J.R. Gaastra, F. S.; Schöffer, I.; Vermeulen, A.C.J.: Dutch Asiatic Shipping in the 17th and 18th century, Outward-bound voyages from the Netherlands to Asia and the Cape, Volume II, Grote Serie 166, Rijks geschiedkundige publicatiën, The Hague: Martinus Nijhof, 1979, S. 20–97. Insgesamt löschte die Amsterdamer Kammer nach offiziellen Angaben bis 1672 Waren im Wert von 72.740.361 Gulden, die Kammer Seeland im Wert von 32.208.221 Gulden. Demzufolge kann die Pauschalzahlung im Rahmen der Gewinne des globalen Handelsnetzwerks der Vereinigten Niederlanden als angemessen betrachtet werden. In der Folge erhoben die Niederländer auf Schiffe aus schwedischen Häfen das doppelte Veilgeld. Vgl. dazu: Troebst, Handelskontrolle, S. 309f. 120 Siehe dazu: Ebda. 121 Friedrich III. Dänemark war während des Nordischen Kriegs in Abhängigkeit von Amsterdam geraten, wo der Monarch im Sommer 1657 erst 600.000 Gulden und später noch einmal 400.000 Gulden lieh, um den kostspieligen Krieg zu finanzieren. Aus dieser Abhängigkeit ergaben sich die für die niederländischen Kaufleute positiven Folgen des Friedens von Roskilde am Ende des Nordischen Kriegs. Die Verhandlungen in den Haag, an denen auch Frankreich und England teilnahmen, führten zu dem Ergebnis, dass weder Schweden noch Dänemark den Sundzoll erhöhen dürften. Amsterdam war nicht geneigt das Abkommen zu ratifizieren. In dieser Angelegenheit funktionierte das persönliche Netzwerk umgekehrt. De Witt konnte über Cornelis de Graeff, der sich für das Abkommen aussprach, Einfluss auf die Ams-

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Ostsee Waren einzukaufen und zu verhindern, dass die Kaufleute aus Osteuropa ihre Waren selbst in Amsterdam verkauften. Die Freiheit der Meere galt nur, weil die Niederländer die Seefahrt dominierten. Eingriffen in das System des Monopols, Waren aus Osteuropa in Amsterdam nur von niederländischen Händlern verkaufen zu lassen, begegneten die Generalständen mit der Erhöhung von Handelszöllen für ihre Konkurrenten. Der Erfolg des globalen Portals Amsterdam beruhte auf dem Ausschluss ausländischer Kaufleute vom Warenverkauf in der Stadt. Andererseits gelang durch die Vormacht der Niederländer im europäischen Handel eine Zentralisierung der Warenströme in Amsterdam, die dazu führte, dass Kaufleute aus allen europäischen Territorien in Amsterdam Waren erwerben mussten, was durch die Vorherrschaft der Niederländer im Frachthandel noch einmal Gewinn für die Inhaber der niederländischen Schiffe bedeutete.122 Das Eingreifen in Konflikte galt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts dem Schutz dieses Wirtschaftssystem, der sowohl durch diplomatische und militärische Mittel als auch wirtschaftliche Regulierungsmaßnahmen erfolgte. Barbour bemerkte, dass es fast zwangsläufig zur Konfrontation zwischen den Vereinigten Niederlanden und Territorien kommen mussten, mit denen die Union Handel trieb. „The extraordinary dense population of Holland, which amazed foreign visitors, lived by trade and activities stemming from trade, and could not long forego intercourse with any trading country, whether friend or foe. Trade with the enemy must contribute to war with the enemy.[...] The great profits to be derived from contraband trade lent cogency to this argument. During the war with Spain Amsterdam merchants had not only traded with the enemy – that was common enough – but had invested in Dunkirk privateers which preyed on Dutch ship123 ping.“

Johann de Witt war indes, neben der Konzentration auf den Status der niederländischen Seemacht, auch während der Statthalterlosen Periode bemüht, die Landesgrenzen gegen Bedrohungen zu sichern, da ihm bewusst war, welche Gefahr von einem Angriff zu Land für die Föderation ausging, wenn die Union nicht in ein funktionierendes Bündnissystem eingebunden werden würde. Er versuchte auf diplomatischen Weg, dem Vertragsschluss mit angrenzenden Nachbarn und nicht durch den Ausbau von Festungen und der Aufstellung eines Landheers die Union zu Land zu verteidigen, weil sich dagegen vor allem Amsterdam gestemmt hätte. Im Jahr 1657 boten einige Rheinfürsten der Union eine Allianz an, die sich positiv für den niederländischen Handel über die Flüsse auswirken sollte.124 Die Stadt Münster, dessen Bischof sich 1672 am verheerenden Schlag gegen die Vereinigten Niederlanden beteiligen sollte, bot der Union 1657 ein Defensivbündnis an, um die Integrität des jeweiligen Territoriums zu garantieren und terdamer Stadtregierung ausüben. Daraufhin ratifizierte auch Amsterdam das Bündnis. Siehe dazu: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 127–139. 122 Amsterdam war das Lagerhaus Europas. Alle wichtigen Güter waren in Amsterdam verfügbar, was die Bestimmung der Preise durch die Amsterdamer Kaufleute bedingte. Vgl. dazu: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 93f. 123 Vgl. dazu: Ebda., S. 130f. 124 Vgl. dazu: Appendix XXII.

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gleichzeitig den Niederländern günstige Bedingungen für den Handel zu bieten. Münster wollte nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs in den Stand einer Freien Reichsstadt erhoben werden, was zu Auseinandersetzungen der Stadtregierung mit dem Bischof führte, der die Stadt aus seiner Herrschaft hätte frei geben müssen. De Witt leitete den Vorschlag an die Bürgermeister der Städte weiter, um darüber befinden lassen. Die Gelegenheit war günstig, um einen Verbündeten im Reich zu gewinnen, der dabei helfen würde, Angriffe auf die östliche und südöstliche Grenz der Union zu verteidigen. Aus diesem Grund wollte de Witt ein Bündnis mit der Stadt Münster. Der Onkel der Frau de Witts, Cornelis de Graeff, Bürgermeister von Amsterdam, lehnte das Bündnis mit Münster indes ab, wie sich an der scharfen Reaktion de Witts in einem Brief an de Graeff zeigte. Der Ratspensionär musste erkennen, dass die Politik der Föderation in der Statthalterlosen Epoche von den Städten getragen wurde. Wenn Amsterdam sich gegen ein Abkommen aussprach, war es schwierig für die Generalstände gegenteilig zu entscheiden. Die Amsterdamer Bürgermeister entschieden selbst, ob sie die Last- und Veilgelder, die von den Generalständen verordnet waren, zahlten oder wieder aufhoben.125 Im Brief de Witts an Cornelis de Graeff wird auch rhetorisch die Ohnmacht des Ratspensionärs gegenüber der Stadt deutlich.126 De Witt begründete das Bündnis mit Münster in der Absicherung der Grenzen der Vereinigten Niederlanden zum Heiligen Römischen Reich. Nicht nur die Entsetzung Münsters stünde zur Debatte, sondern auch die Einbindung der Stadt in das Verteidigungskonzept der Vereinigten Niederlanden. Verbündeten wie Jülich und Kleve hätten die Niederländer auch mit Truppen unterstützt, weswegen de Witt den Widerspruch Amsterdams nicht nachvollziehen konnte. Die Beeinflussung der Politik funktionierte meist nur in eine Richtung. Die Städte bestimmten die Politik der Föderation, obwohl sich de Witt in diesem Punkt der Abstimmung Amsterdams widersetzte und Truppen anheuerte, die den Vormarsch des Bischofs gegen die Stadtregierung Münsters beendeten, was die Macht de Witts bezeugt, sich im Extremfall auch gegen Amsterdam durchzusetzen.127 Der Gegensatz unterstreicht den Partikularismus in der Union. De Witt war in vielen Angelegenheiten dem Wohlwollen der Amsterdamer Bürgermeister ausgesetzt, die grundsätzlich alle Entscheidungen der Union beeinflussen konnten, zumal sich die anderen Provinzen oft am Urteil Hollands orientierten, das von Amsterdam bestimmt wurde. Darin lag die Problematik der korporativen politischen Ordnung in den Vereinigten Niederlanden, deren Institutionen durch die Familiennetzwerke verbunden waren und kaum unabhängige Entscheidungen der Generalstände zuließen. Durch diesen Mechanismus bestimmten Wenige über die Geschicke der gesamten Föderation, die zudem durch die Kooptation der Bürgermeister zu langen Familientraditionen führte, auf denen die Träger in der jeweiligen Epoche ihre Autorität stützten. Diese Tradition konnte kaum durchbrochen 125 Vgl. dazu: Troebst, Handelskontrolle, S. 294. Cornelis de Graeff hatte die Abgaben eigenverantwortlich abgeschafft. 126 Siehe dazu: Appendix VII. Im folgenden Text wird auf den Inhalt des Briefs eingegangen. 127 Vgl. dazu: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 126.

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werden. Darin zeigt sich die traditionelle, aus dem Mittelalter kommende Grundlage des, für das 17. Jahrhundert durch vielerlei Innovationen geprägten niederländischen Gemeinwesens, die aus den im Handelssektor gegebenen Entfaltungsmöglichkeiten herrührten. Die starren Konzepte traditioneller Rechtsformen und politischer Kooptation blieben trotz der Deregulierung des Handels bestimmend. Die VOC steht sinnbildlich für diesen Dualismus. Die VOC war grundsätzlich eine Korporation, keine neue Rechtsform, die im 17. Jahrhundert neu entwickelt wurde. Durch die Deregulierung des Handels war es indes folgerichtig, dass jeder potentielle Investor einen Anteilsschein erwerben konnte. Das machte aus der VOC ein Unternehmen, bei dem das Risiko und der Gewinn auf mehrere Personen verteilt werden konnte. Die innere Struktur und Organisation blieb den Traditionen der politischen Ordnung verpflichtet, die bereits in den Vereinigten Niederlanden herrschten. Die Innovationen beschränkten sich auf die wirtschaftlichen Aspekte der Unternehmensführung, nicht auf deren Struktur und Organisation. Die Bedeutung lag darin, dass die wirtschaftlichen Interessen der Niederländer nicht die traditionelle politische Ordnung und deren Rechtsformen veränderten, sondern nur die Politik neu ausrichteten, die von diesen Institutionen betrieben wurde, was als inhaltliche Transformation interpretiert werden kann.128

Englands Angriff auf die niederländische Vormacht auf See Die in Friedenszeiten sehr stabile Herrschaftsordnung der Vereinigen Niederlanden geriet indes in den 1660er Jahres ein weiteres Mal durch einen Krieg mit England unter Druck. Der zweite Akt des Konflikts zwischen England und den Vereinigten Niederlanden leitete den Untergang der Vormachtstellung der Föderation ein. Unter geänderten Vorzeichen brach der Krieg erneut zur See aus. Die anhaltende Konkurrenz um koloniale Besitzungen in Südamerika spannte die Situation erheblich an. Zudem war Karl II. bestrebt Wilhelm III., Sohn Wilhelms II. und seiner Schwester Marie Henriette Stuart in das Amt des Statthalters einzusetzen. Die offene Unterstützung der oranischen Ansprüche sollte einen Keil zwischen die beiden politischen Fraktionen in den Vereinigten Niederlanden treiben. Die Annahme starker innenpolitischer Zerwürfnisse in den Vereinigten Niederlanden nährte das bereits vorhandene Überlegenheitsgefühl der Engländer, die sich in der Verfassung sahen, die niederländische Handelsvormacht durch die Blockade der niederländischen Häfen zu brechen.129 Der niederländische Handel litt unter den protektionistischen englischen Schifffahrtsgesetzen und der Kaperung der Handelsschiffe durch englische Pira-

128 Vgl.: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 11, 28; Lademacher, Phönix aus der Asche?, S. 329ff. 129 Siehe zur Berichterstattung in der Union über die englische Politik zu Beginn des Zweiten Englisch-Niederländischen Kriegs u.a.: Brief von Joseph Bampfield, 11 Juni 1665, in: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Tweede Deel, 1660–1672, Amsterdam: Johannes Müller, 1922, S. 196.

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ten. Hauptsächlich entstanden die Konflikte durch die bewaffnete Verteidigung der eigenen Handelsschiffe. Die Reduzierung des niederländischen Landheeres weckte Begehrlichkeiten beim Bischoff von Münster. Mit Hilfe englischer Subsidien fiel der Bischoff 1665 in die Provinzen Gelderland, Overijsel und Drenthe ein. Aber auch die Vereinigten Niederlanden traten den Kampf nicht ohne Verbündete an. Im Jahr 1637 war ein Vertrag mit Frankreich geschlossen wurden, der nicht nur die Unterstützung der Vereinigten Niederlanden durch Frankreich im Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien beinhaltete, sondern auch die gegenseitige Unterstützung auf See einschloss.130 Der Krieg war für England von zahlreichen Rückschlägen gekennzeichnet. Die Kaperung niederländischer Schiffe sollte den Krieg finanzieren. Rückschläge waren nicht eingeplant. Schon früh musste die englische Flotte allerdings schmerzliche Niederlagen verkraften. Um den Krieg weiter finanzieren zu können, musste Karl II. Macht an das Parlament abtreten, das ohne sein Einlenken die Weiterführung des Kriegs verweigert hätte. Für die Generalstände war es einfacher Geld zu leihen, da die Zinsen in den Vereinigten Niederlanden niedrig waren und die Regenten der Städte zumeist die Kredite über verschiedene Institute wie der Bank van Lening der Union im eigenen Interesse am Sieg gegen England bewilligten, was den Vorteil der Ämterhäufung für die Verteidigung des Landes bezeugt. Die technischen und logistischen Voraussetzungen in den Vereinigten Niederlanden befähigten eine weitaus leistungsfähige Schiffsbauindustrie, schneller und günstiger Schiffe zu bauen.131 Die Gegend um den Wasserlauf der Zaan

130 In der Korrespondenz Johann de Witts finden sich zahlreiche Briefe, die sich über die Bündnisse der Union am Vorabend des Kriegs äußern. Siehe dazu: Brief an Johan de Witt von Willem van Neck [Mitglied der Admiralität des Nordquartiers], 1 Januari 1665, in: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Tweede Deel, 1660–1672, Amsterdam: Johannes Müller, 1922, S. 205f. Zum Verhältnis zu Frankreich und zur Verwendung des Staats-Begriff in der niederländischen Elite vgl. dazu: Appendix XXIII, Brief von Nicolaas Vivien, 25 September 1665, in: Fruin/Japikse, Brieven aan John de Witt, 1669–1672, S. 257f. 131 Die Kosten für den Bau eines Kriegsschiffes, die in der Statthalterlosen Epochen zum Großteil in Seeland gebaut wurden, betrugen in den Jahren 1653–1655 ca. 75.000 Gulden. Auffällig ist, dass nahezu ein Viertel des Geldes für den Ankauf des Holzes verwendet wurden, was meist aus dem Ostseehandel stammte. Nach dem Ersten Englisch-Niederländischen Krieg wurden innerhalb von zwei Jahren vier Millionen Gulden vom Raad van State bewilligt, um Kriegsschiffe zu bauen, damit der Nachteil gegenüber der Flottenstärke der Engländer ausgeglichen werden könne. Bei den Kosten für ein Kriegsschiff von 75.000 Gulden konnten demnach ca. 50 Schiffe gebaut werden, was die niederländische Flotte zu einem ebenbürtigen Gegner für die englische Marine machte. Das Verhältnis der Union zu England betrug 119 zu 130 im Jahr 1655. In den 60er Jahren wurden 60 Kriegsschiffe gebaut, in den 70er nochmals die gleiche Anzahl, wodurch die niederländische Marine der englischen an Feuerkraft gleichkam. Da es für die 70er Jahre keine genauen Zahlen gibt, muss von ungefähr 150 Schiffen ausgegangen werden, die innerhalb der Statthalterlosen Epoche gebaut wurden. Daran verdienten die Holzhändler ca. 2.800.000 Gulden. Der Krieg war für die Schiffbauindustrie sehr einträglich. Vgl. dazu: ’t Hart, The Dutch wars, 133f.

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war eines der ersten industriellen Zentren Europas, in dem vor allem Schiffe gebaut wurden.132 Einer der größten Rückschläge für England war neben der Schlacht von Chatham indes der große Brand in London im zweiten Jahr des Kriegs und der Ausbruch der Pest ein Jahr zuvor. England war strukturell nicht auf den Krieg gegen die Vereinigten Niederlanden vorbereitet. Finanzielle Engpässe führten zu Rückständen bei der Bezahlung der Angestellten der Marine, die Reparatur von Kriegsschiffen musste vernachlässigt werden und auch der Neubau von Schiffen konnte nicht bewerkstelligt werden. Zu Beginn des Kriegs war die englische Flotte allerdings erfolgreich. Die Engländer gewannen die erste wichtige Seeschlacht 1665 vor der Küste bei Lowestoft: Die Beherrschung der Nordsee zwischen England und der Vereinigten Niederlanden nutzten die Engländer jedoch nicht, um die Vereinigten Niederlanden von den Handelsrouten abzuschneiden. Trotz der Bedrohung durch die Engländer gelang es der niederländischen Flotte, Handelsgüter sicher in die Häfen zu eskortieren. Nach der Niederlage begannen die Admiralitäten in den Vereinigten Niederlanden, den Bau von Schiffen zu forcieren. Im Gegensatz zu den Engländern gelang es den niederländischen Admiralitäten während des Kriegs, die Anzahl der neugebauten Schiffe zu steigern. Die Ausgabe von Kaperbriefen durch die Generalstände verschärfte die Bedrohung der englischen Handelsflotte. Der englische Handel mit dem Kontinent kam durch diese Maßnahmen fast vollständig zum Erliegen. Die Situation der englischen Marine spitzte sich durch die Lohnunterschiede zwischen englischer und niederländischer Flotte zu. Karl II. war aus Geldmangel gezwungen, Schuldscheine als Bezahlung an die Matrosen auszugeben. Die Bezahlung der niederländischen Matrosen erfolgte in Barauszahlungen, die zudem höher ausfielen, als die Beträge der englischen Schuldscheine. Karl II. musste die Unterstützung des Bischofs von Münster einstellen.133 Ein Jahr nach der ersten großen Seeschlacht fand eine viertägige Schlacht zwischen der englischen und flämischen Küste statt, aus der die Flotte der Vereinigten Niederlanden als Sieger hervorging. Trotz der relativ hohen Verluste von zehn Schiffen gelang es den Engländer rasch, eine neue Flotte aufzustellen. Im August 1666, knapp zwei Monate nach der Niederlage vor der flämischen Küste, siegte die englische Flotte in der Schlacht bei North Foreland. Verwirrung war durch die französische Zusage entstanden, die niederländische Flotte zu unterstützen, was ausblieb. Im Ergebnis war die Schlacht aus strategischer Sicht für die Niederländer ein Gewinn. Karl II. hatte sich mit dem Neubau der Schiffe im Juli des Jahres zwischen den beiden Schlachten finanziell übernommen. Dafür war der Erfolg der Schlacht zu gering. Zwar schadeten die Engländer dem niederländischen Hochseehandel weiterhin durch Plünderungen vor den nordholländischen Inseln Vlieland und Terschelling, was auch die Vereinigten Niederlanden in fi132 Auch Peter I. kam nach Zaandam, um die niederländische Handwerkskunst kennenzulernen. Zur Fortschrittlichkeit der Zaanstreek trugen vor allem die Sägemühlen bei. Vgl. dazu: Vries/Woude, The first modern economy, S. 300–303. 133 Siehe dazu: Israel, The Dutch Republic, S. 766–776, 713–726; Boxer, The Anglo-Wars.

3. Krieg um die Beherrschung des europäischen Seehandels

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nanzielle Nöte brachte, aber ohne noch mehr Zugeständnisse an das Parlament zu machen, konnte Karl II. den Krieg nicht weiterführen. Karl II. reduzierte die Flotte, um Geld zu sparen und begann Friedensverhandlungen in Breda, die 1667 abgeschlossen wurden. Die Generalstände sahen sich jedoch in der Lage einen weiteren Schlag gegen England zu führen, auch um ihre Verhandlungsposition mit einem Sieg über die englische Flotte zu stärken. Johann de Witts Ansinnen den Krieg schnell beenden zu wollen, endete in der Idee Chatham, die wichtigste englische Marinebasis, anzugreifen. Zudem wollten die Niederländer sich für den Schlag gegen die niederländische Handelsflotte im Vlie rächen, dem 150 Handelsschiffe zum Opfer gefallen waren. Admiral de Ruyter, Willem van Ghent und Cornelis de Witt, der Bruder des Ratspensionärs, waren die Kommandanten der Flotte. Der Erfolg der Flotte gründete im Überraschungseffekt. Mit Hilfe übergelaufener englischer Lotsen fuhr die niederländische Flotte den Medway hinauf. Abgesetzte Truppen griffen die am Fluss gelegenen Forts an und ermöglichten die schnelle Weiterfahrt der Flotte. Nachdem die Sperrung im Lauf des Medway’s überwunden war, die die Engländer seit der Bedrohung durch die spanische Armada im Fluss errichtet hatten, war der Weg nach Chatham frei. In London verbreitete sich das Gerücht, es würde einen niederländisch-französischen Angriff auf England geben. Panik brach aus. Als die niederländische Flotte Chatham erreichte, waren einige Schiffe von den Engländern selbst in Brand gesteckt und versenkt worden. Die Niederländer zerstörten die Dockanlagen und Schiffswerften und entführten unter anderem die HMS Royal Charles, das Flaggschiff der Engländer. Bis zum Ende des Kriegs fiel die niederländische Flotte die Süd- und Ostküste Englands an, um die Moral der Bevölkerung zu brechen. Am Ende des Kriegs lag die militärische Macht der Engländer zur See in Trümmern.134 An den Friedensverhandlungen in Breda beteiligten sich auch Dänemark und Frankreich. Schweden übernahm die Vermittlerrolle. Die Bestimmungen des Vertrages lockerten die englischen Schifffahrtsgesetze. Neben den Regelungen für den europäischen Binnenmarkt, schlossen sich Vereinbarungen über koloniale Besitzungen an. New Amsterdam wurde an die Engländer verkauft. Die Union behielt dafür Surinam, die Inseln über dem Wind, Teil der kleinen Antillen, die Insel Run in den Molukken und einige Forts an der afrikanischen Küste, die für den Sklavenhandel Bedeutung besaßen. Frankreich erhielt Arkadien an der nordamerikanischen Ostküste. In der Zwischenkriegszeit war die Union unter der Leitung Johann de Witts erstarkt. Durch den erneuten Ausbruch des Konflikts zwischen England und Spanien, konnten die Vereinigten Niederlanden ihre Position als wichtiger Handelsakteur im europäischen Binnenmarkt stärken. De Witts Bestrebungen, die Flottenkapazitäten auszubauen, nachdem der Erste Englisch-Niederländische Krieg gezeigt hatte, dass der Rückstand an großen Kriegsschiffen gegenüber England ne134 Siehe zum Angriff auf Chatham: Van Cornelis de Witt 25 Juni 1667; 30 Juni 1667; 3 Juli 1667, in: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Tweede Deel, 1660–1672, Amsterdam: Johannes Müller, 1922, S. 326ff, S. 331ff, 335–339.

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gative Folgen für die Vormachtstellung der Union hatte, führte zum Prosperieren der Schiffbauindustrie am Ende der 1650er Jahre, in denen die Vereinigten Niederlanden abermals in der Lage waren, mit Hilfe technischer Innovationen und günstiger Kredite einen Aufschwung herbeizuführen.135 War die zu Beginn der 50er Jahre des 17. Jahrhunderte erlassene Navigationsakte der Engländer darauf gerichtet, die Vormacht der Niederländer in Europa zu brechen, zielte das unter Karl II. am 13. September 1660 ratifizierte Schifffahrtsgesetz auf den Kampf gegen die Niederländer als Wirtschaftsakteur im atlantischen Raum. Neben der Festlegung, dass Dreiviertel der Schiffscrew von Schiffen, die in Englands Häfen einliefen, Engländern sein mussten, zeigte die Beschränkung des Transports von Tabak, Baumwolle und Zucker die Ausweitung der englischen Interessen auf den atlantischen Raum, die Karibik und Nordamerika. Die Einfuhr von Waren aus Amerika wurde 1663 noch einmal durch die Maßgabe, England als einzigem Zielort des Handelsverkehrs zu bestimmen, verschärft. Mit der WIC gab es auch in diesem Geschäftsraum eine niederländische Konkurrenz. Der zweite EnglischNiederländische Konflikt blieb nicht auf Europa begrenzt. Zum anderen war die erste Konfrontation der beiden Seemächte ein bilateraler Konflikt. Im zweiten Krieg bestand ein Bündnis zwischen Frankreich und den Vereinigten Niederlanden. Nicht nur an den Kriegshandlungen, sondern auch an den Friedensverhandlungen zeigte sich der zweite Konflikt als europäische Auseinandersetzung um globale Handelsinteressen. Ziel der Engländer in diesem Konflikt war es, den niederländischen Handel durch die Verringerung der Einnahmen zugunsten der Ausbreitung eigener Handelsinteressen zu schwächen. Ebenso wie der Anlass für den Ausbruch des zweiten Konfliktes, der sich größtenteils in europäischen Gewässern vollzog, war auch der Friedensschluss von Breda globalen Maßstabs. New Amsterdam hatten die Engländer bereits 1664 eingenommen, vor der Küste Guineas waren einige Schiffe der niederländischen WIC von Engländern gekapert wurden und auch in Asien stieg die Zahl der Konflikte zwischen VOC und EIC. Aus dieser Perspektive war der Zweite Englisch-Niederländische Krieg ein Ringen um die beste Ausgangsposition für die Vormacht im interkontinentalen Handel. Augenscheinlich war, dass sich die Vereinigten Niederlanden zunehmender Konkurrenz von Allianzen gegenüber sahen, die nicht nur auf See angriffen, sondern ebenso zu Land. Auch wenn der Bischof von Münster als Englands Verbündeter kaum in den Krieg eingriff, führte dessen Angriff zu einem Zweifrontenkrieg auf unterschiedlichem Terrain. Mit Hilfe der französischen Truppen wurde der Vormarsch des Münsteraner Bischofs in die südlichen Niederlanden gestoppt. Militärischen Angriffen zu Land konnte die Föderation wenig entgegensetzen, da sie über kein schlagkräftiges Heer verfügte. Die ausbleibende Unterstützung im Kampf gegen die englische Marine durch die französische Flotte, war indes ein Zeichen für die Brüchigkeit der niederländischen Bündnisse. Dänemark, der andere Verbündete der Niederländer war letztlich durch die Ereignisse des Nordischen Kriegs zum Alliierten der Union geworden, die Dänemark ihrerseits gegen 135 Siehe dazu: Vries/Woude, The first modern economy, S. 296–302.

4. Die niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien

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Schweden zur Seite stand. Aus dem Krieg zogen die Generalstände Schlüsse für die Reorganisation der Armee.136 Aber dieser Veränderung stellten sich die Regenten Amsterdams entgegen, die im Gegenzug für die Heeresreform Zollsenkungen für den Handel verlangten. Die Strategien der Amsterdamer Regenten konterkarierten nach dem Ende des Zweiten Englisch-Niederländischen Kriegs die notwendigen Veränderungen, die von den politischen Institutionen erkannt worden waren. Die Gefahr lag in der einseitigen Ausrichtung der Herrschaftsstrategien auf die Kontrolle der Seehandelswege. In der Beherrschung der See blieb die Föderation auch nach dem zweiten Krieg gegen England vorherrschend, auch wenn der Sieg mit hohen Verlusten teuer erkauft war. Indes ließ der Erfolg der niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien die Achtsamkeit für die notwendige Sicherung des eigenen Territoriums schwinden, was letztlich die große niederländische Katastrophe im Jahr 1672 erst ermöglichte.

4. DIE NIEDERLÄNDISCHEN HERRSCHAFTS- UND VERRÄUMLICHUNGSSTRATEGIEN Die niederländische Dominanz im Seehandel – Konfliktreiche Strategie Die Dominanz im Handel war letztlich ein Auslöser für die Aggressionen gegen die Union, die die wichtigsten Bündnispartner der Föderation auf die Seite der Gegner zwang, weil England oder Schweden selbst daran interessiert waren, große Mengen des europäischen und interkontinentalen Handelsvolumens zu kontrollieren.137 Der Drang nach selbständigem und unabhängigem Handel, der von den Niederländern propagierten Freiheit der Meere, die sie selbst allerdings nur zur Unterdrückung gegnerischer Handelsunternehmungen anführten, brachte letztlich den Fall der Union, was zudem die ständisch-korporative Ordnung der Föderation als erfolgreichen Weg zur Staatlichkeit diskreditierte, da sich dessen Instabilität 136 Siehe: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 249, 276. 137 Vgl. dazu: „Alle Allianzen mit den ,umliegenden Großmächten Europas‘ meint der Verfasser vom ,Interest von Holland‘, waren im Grunde genommen für diese Provinz bedeutungslos. Vom reinen Nützlichkeitsstandpunkt aus betrachtet, ließe sich diese Ansicht wohl verteidigen. Die Friedenspolitik, welche die Regenten von vornherein befolgten, schien bei gänzlicher Isolierung auf politischem Gebiet am leichtesten zu führen. Es genügte, mit andern Mächten, Handels- und Schiffahrtsverträge zu schließen in der Absicht, Ein- und Ausfuhr so wenig wie möglich hemmen zu lassen, und in Zeiten von Krieg zwischen andern Mächten die neutrale Schiffahrt so viel wie möglich zu sichern. Als Ideal eines solchen Vertrages galt der 1650 mit Spanien geschlossene. Darin wurde dem Grundprinzip der Verkehrspolitik, wie es von Hugo de Groot zuerst klar formuliert worden war, gehuldigt: die See frei! Dies u. a. durch starke Beschränkung des Begriffs ,Kontrabande‘ und des Verbots der Untersuchung neutraler Schiffe auf offenem Meer. Die Stände gaben sich große Mühe, dasselbe Prinzip, wenigstens in Europa, auch in Verträgen mit anderen Ländern, zur Anwendung zu bringen, Es fand fast keine wichtige Verhandlung statt, wobei sie nicht ihre Verkehrspolitik zur Sprache brachten.“, in: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 115.

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und Trägheit in einer von territorialer und ökonomischer Expansionspolitik getriebenen europäischen Mächtekonstellation erwiesen hatte. Das ökonomische System, das zur Grundlage für die politische Macht der Föderation und die StaatsFormierung wurde, funktionierte nur in Friedenszeiten effektiv. Der Partikularismus erstarkte in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts.138 Die Generalstände gerieten in größere Abhängigkeit von den Provinzständen, der de Witt als Ratspensionär nur rhetorisch entgegen wirkte konnte, als Holland versuchte, sich über die Generalstände zu erhöhen, was die Provinz Seeland aus Eigeninteresse zu widerlegen suchte. Daraufhin argumentierte de Witt für die Generalstände als oberstes politisches Gremium der Union. „[...][N]ach ihm [de Witt] waren diese [Generalstände] die Gesamtheit der provinziellen Stände, und die Versammlung gleichen Namens nichts anders als die Deputierten der Generalstände; er bejahte unbedingt, daß die verbündete Korporation oder alle Provinzen insgesamt‘ in Ansehen über einer Provinz ständen, doch darauf käme es nicht an: die Union wurde 139 ja doch im Gebete nicht genannt.“

De Witts Antwortschreiben an die seeländischen Stände versinnbildlichte die Tatsache dass die Generalstände gemäß der Beschlüsse zur Kirchenordnung im Schlussgebet der Predigt als letztes genannt wurden, was das Loyalitätsverhältnis der Bevölkerung zur Provinzregierung stärkte, die als erstes Erwähnung fanden.140 Der Partikularismus wiederholte sich in der Organisation der Admiralitäten und des Heeres. Ohne Generalkapitän zerfiel das Heer in provinziale Armeen. Jede Provinz zahlte für die eigenen Truppen. Ohne eine gemeinsame Führung in Friedenszeiten verschlechterte sich der Zustand des Heers nicht nur durch die Verringerung der Truppenstärke, sondern auch durch die fehlende innere Ordnung, was es mit voranschreitender Zeit zu einer immer schwierigeren Aufgabe machte, das Heer in den Gefechtszustand zu versetzen, zumal Amsterdam ohne die Zusage, Steuern für den Handel zu senken, den Vorschlägen des Raad van State zur Reorganisation des Heeres Ende der 1660er Jahre nicht zustimmte, was Japikse als Grund für die desolate Verteidigung im Rampjaar sah, ebenso, wie er den Regen138 Vgl. dazu: „Zu Anfang des Aufstandes gegen Spanien bedeuteten die Generalstände genau dasjenige, als was De Witt sie hier schildert; mehrmals wurden sie damals auch ,die Deputierten der Generalstände‘ genannt. Doch allmählich waren sie mit der Entstehung jener noch unbewußten Einheit, die auch das Haus Oranien in sich begriff, etwas mehr geworden: in der Vorstellung der Niederländer erhielten sie etwas von einer ,höheren Obrigkeit‘, wenn auch niemand im entferntesten daran dachte, sie als solche für voll anzusehen. Es war kein altes, eingewurzeltes Vorurteil, das die Bundesgenossen beherrschte; es war eine Lebensäußerung eines neuen, sich bildenden Begriffs, der aus dem Ursprung des niederländischen Staates hervorsproß.“, in: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 176. 139 Vgl. dazu: Ebda., S. 175. 140 Vgl. dazu: „Diese schrieben damals vor, wie in den Kirchen von Holland das Schlußgebet für die Obrigkeit zu geschehen habe: anstatt wie gewöhnlich zuerst für die Generalstände, den Staatsrat und den Statthalter zu beten, sollten die Prediger fortan an erster Stelle die Stände von Holland, als die gesetzliche Obrigkeit, erwähnen, danach die Stände der anderen Provinzen, als die Bundesgenossen also, und die Deputierten der Generalstände und des Staatsrates, ferner noch die Kommittierten, die beiden Gerichtshöfe, die Rechenkammer und den Magistrat.“, in: Ebda., S. 174.

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ten den Fehler vorwarf, zu glauben, die wirtschaftliche Abhängigkeit der anderen europäischen Territorien von der Union würde die Friedensordnung aufrecht erhalten.141 In Friedenszeiten war die Organisation der Schifffahrt dezentral organisiert. Die fünf Admiralitäten waren grundsätzlich den Generalständen unterstellt, entwickelten indes rasch nach der Gründung 1586 eine Eigenständigkeit.142 De Witt hatte keinen regelmäßigen Kontakt zu den Admiralitäten, der VOC oder der WIC. Einzig für die Verteidigung zur See kam es zur intensiven Zusammenarbeit der Unionsregierung und des Ratspensionärs mit den Admiralitäten. Als logische Folge der geringen Schlagkraft der einzelnen Admiralitäten, setzte während der Kriege gegen England oder dem Eingreifen in den Nordischen Krieg die zentrale Koordination der Kriegszüge zur See durch den Ratspensionär und die Generalstände ein. Der niederländische Staat war in der Statthalterlosen Epoche sehr flexibel was die Konzentration von Macht anbelangte. Wenn es von Nöten war, gelang unter Anstrengung aller Provinzen durch die Zentralisierung von Entscheidungsprozessen bei den Generalständen und dem Ratspensionär das gemeinsame Agieren gegen äußere Bedrohungen. Fehlten die äußeren Bedrohungen, seien es wirtschaftliche Konkurrenzsituationen oder militärische Bedrohungen, separierten sich die Provinzen wieder und verfolgten ihre jeweils eigenen Interessen.143 Zudem verschlechterte sich seit 1666 das Verhältnis zwischen de Witt und Amsterdam nach der Wahl Gillis Valckeniers zum Bürgermeister der Stadt. Beide standen im ständigen Widerstreit miteinander. Valckenier vertrat offensiv die Handelsinteressen der Stadt. Er war einer der Wortführer gegen die Reorganisation des Heeres am Ende der 1660er Jahre. Im Rampjaar begann er Gespräche mit Wilhelm III., zu dessen Erziehern er vormals gehört hatte. Nach der Einsetzung Wilhelms III. als Statthalter im Rampjaar wurden auf Vorschlag Valckeniers zahlrei-

141 Vgl. dazu: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 26, 276f. Jan Glete hat den Vorteil der dezentralen Organisation der Marine betont, der in der Flexibilität lag, kurzfristig auf verändere Umstände zu reagieren. „The swedish maritime historian Jan Glete,[...] argued that the highly complex nature of navies, requiring short-term support from a number of different entrepreneurs, shippers, merchants and financiers, was better served by local networks than by centralized state bureaucracies. All early modern navies were dependent to a large extent on private providers for their shipbuilding, recruitment and supplies; local links in these fields turned out more effective than national organizations.“, in: ’t Hart, The Dutch wars, S. 128 (Zitat); 127 (Eigenständigkeit der Admiralitäten); Glete, War and the State; ders.: Warfare at Sea, 1500–1650: Maritime Conflicts and the Transformation of Europe, Warfare and History, New York/London: Routledge, 1999; ders.: Navies and Nations: Warships, Navies and State building in Europe and America, 1500–1800, Stockholm: Almqvist & Wiksell Internat., 1993. 142 Vgl. dazu: „Die Flotte war in mancher Hinsicht reorganisiert; besonders die Amsterdamer Admiralität hatte nach dem ersten englischen Kriege eine lebhafte Tätigkeit entwickelt. Die fünf Kollegien hatten jedoch nicht gearbeitet nach einem gemeinsamen, scharfbegrenzten Plane; man wußte beim Anfang, des Kriegs durchaus nicht, wie es um die Flotte bei den verschiedenen Kollegien stand.“, in: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 189. 143 Vgl. dazu: Ebda., S. 80f.

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che seiner Gegner aus den städtischen Gremien entlassen, darunter auch Mitglieder der Familie de Graeff, mit der Johann de Witt verwandt war. Die Streitigkeiten um die Reorganisation zeigen, wie wichtig einerseits das Zusammenwirken von Städten, Provinzen und Union war, um die Verteidigung zu garantieren, andererseits die tragende Bedeutung der familiären Netzwerke. Nachdem Cornelis de Graeff 1664 gestorben war, fehlte de Witt die wichtigste Kontaktperson in Amsterdam. Andries de Witt, der bis 1672 wiederholt zum Bürgermeister gewählt worden war, besaß gegenüber Valckenier nicht das nötige Durchsetzungsvermögen, um die Politik Amsterdams zu bestimmen. Der Konflikt zwischen den Anhängern der Oranien und den Gefolgsleuten de Witts war nicht ohne Grund Anlass für Karl II. zu Beginn des zweiten Kriegs gegen die Vereinigten Niederlanden anzunehmen, dass der Streit zwischen den Fraktion zu einem Auseinanderbrechen der Union führen könnte.

Manifestation der ständisch-korporativen Herrschaft Die geheime Ausschlussakte als Zusatz des Friedens von Westminster hatte die Gräben zwischen den Fraktionen schon in den 50er Jahren vertieft. Nach dem Friedensschluss von Breda hatten die Regenten mit der Eeuwigen Edict von 1667 die Partei der Oranier noch weiter in politische Isolation getrieben.144 Die holländischen Stände beschlossen mit dem Eeuwigen Edict die Abschaffung des Statthalteramts in ihrer Provinz. Das Statthalteramt anderer Provinzen sollte nicht mit dem des Generalkapitäns vereinbar sein. Dass die Trennung von politischen und militärischen Macht notwendig war, um die Interessen vor allem der Amsterdamer Regenten zu sichern, hatte das Vorgehen Wilhelms II. gegen die Städte gelehrt. Das Eeuwigen Edict konstituierte den Staat der Vereinigten Niederlanden endgültig als ständisch-korporativ. De Witt wollte im Interesse der Provinz Holland auch die anderen Provinzen von der Ratifizierung des Eeuwigen Edicts überzeugen. Mit einiger Überzeugungsarbeit gelang es de Witt drei Jahre nach der Annahme des Edikts, die restlichen Provinzen zur Annahme der Acte van Harmonie zu bewegen.145 Mit der Acte van Harmonie wurde Wilhelm III. als Mitglied des Raad van State zugelassen. Jedoch erfüllte die Abmachung den Wunsch der Holländer, ihn nicht zum Statthalter ernennen zu können, was die geringe politische Bedeutung des Raad van State zeigt, der zu einem Symbol der königlichen Macht geworden war, in dessen Reihen Wilhelm III. seinen Platz abseits der wichtigen politischen Gremien einnehmen sollte. Zum Generalkapitän jedoch konnte er ab dem 23. Lebensjahr berufen werden. Semantisch und pragmatisch wird im Text der Acte van Harmonie auch der Unterschied zwischen Raad von State, als Standesrat und dem Staat als Bezeichnung einer politischen Entität deutlich. In der ersten Verwen144 Zum Text des Eeuwig Edicts siehe: XLII. 3. Augustus 1667. Eeuwig Edict, in: Blécourt/ Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 293–295. 145 Vgl. dazu: Appendix XXIV.

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dung des Begriffs Staat wird vom leger van den Staet gesprochen, dem Staatsheer. Wenn das Wort Staat zum zweiten Mal auftaucht, handelt es sich um den Begründungszusammenhang, in dem es möglich sein würde, Wilhelm III. zum Generalkapitän zu Lande und zu Wasser im Namen des Staats zu berufen. Die dritte Textpassage bespricht die Pflichten des Generalkapitäns gegenüber dem gemeenen Staet, dessen Armee er befehligte. Diese Phrase zeigt die Nähe des Wortes Staat zum Begriff des Gemeinwesens, dem lateinischen Begriff res publica und dem in Bezug auf Cromwells England verwendeten Beschreibung Gemenebest. Die Formulierungen der Akte zeigen, dass sich in offiziellen Schriftstücken, die in allen Provinzen kursierten, zu Beginn der 1670er Jahre ein klares Verständnis über den Begriff Staat als abstrakte Kategorie zur Beschreibung der Föderation herrschte. Wollte man ihn zu diesem Zeitpunkt die Kategorie Staat charakterisieren, würde er als Bezeichnung für die Union als Gesamtheit gelten. Das staatliche Heer, ist das Heer der Union. Die Pflichten des Statthalters würden sich auf die Bewahrung des Staats beziehen. In diesem Punkt allerdings zeigt sich die Unbestimmtheit der Kategorie. Es gibt keine klare Trennung zwischen dem Staat als Institution und der Gesellschaft. Es schwingt immer noch die Einbeziehung des Gemeinwesens in dem Begriff mit.

Das Rampjaar 1672 – Erschütterung des niederländischen Staats Nur fünf Jahr nach dem Ende des zweiten Kriegs gegen England erfolgte der Angriff Englands, Frankreichs und des Bischofs von Münster auf die Vereinigten Niederlanden. Infolge der Ereignisse von 1672 veränderte sich die politische Konstitution der Unionsregierung erheblich. Durch den Einfall der französischen Truppen im Westen und der Truppen des Bischofs im Osten stand die territoriale Existenz der Union auf dem Spiel. Die vermehrte Investition in die Seestreitkräfte, hatte das Landheer massiv geschwächt. Seeländer und Holländer nahmen im Juli des Jahres das Ewige Edikt zurück. Zwei Monate nach dem Einfall der Gegner sahen die Stände keine andere Möglichkeit, als Wilhelm III. zum Generalkapitän zu ernennen, der die Verteidigung organisieren sollte. Mit dem Eingeständnis, die Verteidigung an Wilhelm III. zu übertragen, verloren die holländischen und seeländischen Stände ihre politische Macht. Die Bewahrer der oligarchischen Regentenherrschaft in der Union beugten sich den Anforderungen der Landesverteidigung und gaben ihre politische Unabhängigkeit dem Statthalter preis. Der dritte Krieg war im Gegensatz zu den beiden ersten Konfrontation nicht nur ein Kampf um die Vorherrschaft zur See oder der Konkurrenz zweier Territorien, die mit den Mittel des gleichen Verräumlichungsregiments gegeneinander kämpften, sondern eine Existenzbedrohung für den Staat der Vereinigten Niederlanden. In Vorbereitung des Kriegs hatte Frankreich 1670 ein Bündnis mit England geschlossen, das sich konkret gegen die Vereinigten Niederlanden richtete. Ludwig XIV. begann schon 1667, das französische Territorium zu erweitern. Mit der Begründung nach dem Tod Philipps IV. von Spanien Erbansprüche geltend zu

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machen, griff Ludwig XIV. die Spanischen Niederlanden an. Unter de Witts Anstrengungen bildete sich eine Tripel-Allianz aus England, den Vereinigten Niederlanden und Schweden, um Ludwigs XIV. Vormarsch zu stoppen. Ludwig XIV. beugte sich der Übermacht und begann Friedensverhandlungen mit Spanien. Im Frieden von Aachen, nach nur einem Jahr des Kriegs, bekam Frankreich zahlreiche Gebiete in den Spanischen Niederlanden zugesprochen. Mit dem Bündnis von Dover zwischen England und Frankreich zwei Jahr nach dem Friedensschluss von Aachen (1668) sah die Union, dass die Einhaltung des Vertrags von Breda durch die Engländer nicht von langer Dauer sein würde. Ludwig XIV. wollte das Territorium der Spanischen Niederlanden in sein Königreich integrieren. Karl II. von England erwartete von dem geheimen Bündnis mit dem katholischen Frankreich die Bekehrung Englands zum alten Glauben. Die Schmach der Einstellung des Kriegs gegen die Vereinigten Niederlanden aus finanziellen Gründen, gepaart mit dem Schlag der Niederländer gegen die Dockanlagen und die Vernichtung eines Teils der englischen Flotte, waren entscheidende Motivationen für Karl II. die Möglichkeit zu nutzen, die Ludwigs XIV. Expansionsstreben ihm bot, gegen die niederländische Föderation vorzugehen. Ludwigs XIV. Zusage, England finanziell zu unterstützen, beinhaltete für Karl II. die Option, sich nicht vom englischen Parlament die Finanzierung des Kriegs bewilligen lassen zu müssen. Dass Karls II. Neffe nach dem für die Allianz erfolgreichen Ende des Kriegs unter dessen Protektion in das Amt des Statthalters eingesetzt werden sollte, ließ sich Frankreich mit der Aussicht auf die Einnahme der Generalitätslande im Süden der Vereinigten Niederlanden vergüten. Beide Monarchen interessierten sich für die Minimierung des Einflusses der Vereinigten Niederlanden und die Kontrolle des niederländischen Territoriums. Ludwigs XIV. Verräumlichungsregiment war auf die Kontrolle von Landbesitz ausgerichtet, das eng mit der Idee JeanBaptiste Colberts verbunden war, die inländische Wirtschaft zu stärken, um die negativen Handelsbilanzen und damit die Verschuldung Frankreichs zu verringern. Ludwig XIV. hatte Colbert Ende der 1660er Jahre als Regierungssekretär eingestellt. Schon zu Beginn des Jahrzehnts betraute Ludwig XIV. auf Empfehlung Mazarins hin Colbert mit wichtigen Aufgaben in den Sektoren Verkehr, Handel, Finanzen und Kolonialpolitik. Auf Colbert geht die Gründung der französischen Ost- und Westindischen Kompanie im selben Jahrzehnt zurück, bei deren Aufbau François Caron maßgeblich beteiligt war, der lange als Direktor des VOCStützpunkts in Deshima gewirkt hatte. Der Angriff gegen die Vereinigten Niederlanden war demzufolge unter anderem auch von französischer Seite aus der Versuch, in Europa für die Schwächung der Niederländer zu sorgen, um die Voraussetzungen für den Kampf gegen die VOC in Asien aufnehmen zu können. Andererseits galten die Vereinigten Niederlanden mit ihren Handelsstädten als reich. Grundsätzlich war die Geographie der ausschlaggebende Faktor für die unterschiedliche Kriegsführung der Bündnispartner gegen die Vereinigten Niederlanden. England griff zur See an. Frankreich ebenso zu Land, wie der Bischof von Münster. Im Erfolg, der aus der Kombination der beiden Strategien erwuchs, zeigte sich die Verwundbarkeit des niederländischen Verräumlichungsregiments. Unvorbereitet traf der Schlag die Niederländer

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indes nicht. Johann Moritz von Nassau hatte bereits 1669 auf die Bedrohung durch die Allianz der Franzosen und Engländer hingewiesen. „In gevolge van UWellEd. missive en goetvinden van den 5 Martii deeses jaers hebbe ick alleen mogelicken vlijt aengewent, om te mogen penetreeren, waerop alle deese wervingen, die hier in ’t Rijck geschieden, neffens de volckeren, soo alreets hieromtrent geïinquarteert liggen en sich tegenwoordig noch stercker recruteeren, mogen weesen aengesien, maer moet bekennen, dat ick niet seeckers hebbe connen ervaeren als wat ’t gemeen gerucht, dat doch onseecker is, heeft medegebracht. Derhalven hebbe ich onder een schijn van visite my aen verscheidene, soo cheur- als vorstelijcke en graeffelicke hoven begeven en hier en daer van vertrouder hant ’t naervolgende vernoomen, dervende de penne niet toevertrouwen, om de personen naemhaft te maecken, soo doch ter gelegener tijt sal geschieden, naemelick das Vranckrijck geresolveert soude weesen onfeilbaer te breecken met den Staet der Vereenigde Nederlanden, edoch den oorlog eerder niet den Rhijn, Issel en Maes tegelijck sall hebben overvallen en ingenoomen, waertoe den Bisschop van Munster in allem vlytig helpt, sullende door verscheidene armeën werden geageert. Alle catholycque cheur-en vorsten werden onder de hant. Met de triple alliantie wert niet gedaen als gespott, sijnde verseeckert geworden, dat in de vergangene maent eene seer groote somme gelts van de croon Vranckrijck aen Engelant souder overgebracht weesen. En is voorts ongelooffelick, hoedanig de paepen en bisschoppen 146 in monnicken-habyten heen en weeder by de geestelicke cheurvorsten.“

Auch die Bedrohung durch die katholischen Fürsten des Heiligen Römischen Reichs hatte Johann Moritz angedeutet. Das Bedrohungspotential für die Vereinigten Niederlanden war Ende der 1660er Jahre bekannt. Über die notwendigen Maßnahmen zur Verteidigung waren sich auch die Regenten in Amsterdam bewusst. Trotz der Bedrohung forderten die Amsterdamer Regenten indes eine Gegenleistung für die Beteiligung der Stadt an der Verteidigung der Union. Gaspar Fagel, der seit 1670 Sekretär der Generalstände war und nach dem Tod de Witts das Amt des Ratspensionärs übernahm, benannte in seinen Briefen einerseits die notwendigen Verteidigungsmaßnahmen, anderseits aber auch die geringe Bereitschaft der Städte sich an der Finanzierung der Verteidigung zu beteiligen.147 Am bedrohlichsten scheint Fagel die mögliche Einnahme Maastricht durch französische Truppen. Durch die Eroberung der Stadt könnten die Häfen von Den Bosch und Gornichem an die Franzosen fallen, was die Verlagerung ihrer Truppen vereinfachen würde. Fagel sah die größte Bedrohung in der Einnahme der Häfen und der damit verbundenen Blockade des Handels. Wie das nochmalige Eingehen auf die Weigerung Amsterdams sich an der Verteidigung zu beteiligen, in Fagels Brief vom 11. Oktober 1670 zeigt, scheiterten die Niederländer letztlich auch am Kampf um Privilegien, deren Schutz bereits den Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs ausgelöst hatte.148 Im Jahr 1672 war die Uneinigkeit in der Verteidigung der Föderation der Ausgangspunkt für die Schwächung der Privilegien und des politischen Einflusses der Regenten, die begonnen hatten, ihre persönlichen wirtschaftlichen Interessen über die Verteidigung des Territoriums der Vereinigten 146 Vgl. dazu: Brief von Johan Maurits van Nassau, 23 Juni–6 juli 1669, in: Fruin/Japikse, Brieven aan Johan de Witt, 1660–1672, S. 437f. 147 Vgl. dazu: Brief von Gaspar Fagel, 9 October 1670, in. Ebda. S. 513f; siehe: Appendix IX. 148 Vgl. dazu: Brief von Gaspar Fagel, 11 October 1670, in: Fruin/Japikse, Brieven aan Johan de Witt, 1660–1672, S. 515ff; siehe dazu: Appendix X.

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Niederlanden zu stellen, das als Ort des Warenumschlags weiterhin wichtig war, obwohl die Regenten bereits stärker auf die intereuropäische und -kontinentale Wirtschaft ausgerichtet waren, die sich zunehmend in London vernetzte. Die Unvorsichtigkeit führte zum Rückfall in die Organisationslogik, die vor dem Tod Wilhelms II. in den Vereinigten Niederlanden geherrscht hatte. Die Herrschaftsund Verräumlichungsstrategien, die zum Aufbau des niederländischen Staats in der Ausprägung der Statthalterlosen Epoche geführt hatten, trugen zu dessen Ende bei. 1672 begann der folgenreiche Krieg der Vertragspartner von Dover und des Bischofs von Münster gegen die Vereinigten Niederlanden, der Holländische Krieg. Um Leopold I, Statthalter der südlichen Niederlanden nicht in Konflikt einzubinden, schloss Frankreich ein Abkommen mit dem Bischof von Münster, um durch dessen Besitzungen die Landarmee auch aus dem Osten in die Vereinigten Niederlanden zu führen. Gegen die Übermacht waren die niederländischen Truppen chancenlos. Schnell ging Zutphen und Twente verloren. Im Rest der Union brach, wie in London nach dem niederländischen Schlag gegen Chatham, Panik aus. Utrecht kapitulierte im Juni 1672. Die Franzosen ließen sich nur durch die Flutung der nördlicheren Provinzen aufhalten, die aus einem geplanten Deichbruch resultierten. Zu Land lag die Union am Boden. Nur auf See gelang es de Ruyter vier Schlachten zu gewinnen und die Blockade der niederländischen Häfen zu verhindern. Für die schnelle Niederlage zu Land wurde die Fraktion de Witts, die Partei der Regenten verantwortlich gemacht, deren Vertreter in der Verwaltung ihre Posten aufgaben oder vertrieben wurden. Die Brüder de Witt waren die bekanntesten Opfer, an denen sich der Volkszorn in einem hässlichen Mord entlud.149 Die Bedrohung lag nicht in den englischen Angriffen zur See, sondern in der Überlegenheit des monarchisch-territorialen Verräumlichungsregiments des französischen Königreichs, das erst in den 1660er Jahren begann, eine Kompanie für den Handel mit beiden Indien aufzubauen.150 Die Lücke, die Spanien mit dem Untergang der großen Armada als Seemacht hinterlassen hatte, füllten die Vereinigten Niederlanden und England. Die wirtschaftlichen Erfolge der englischen und niederländischen Kompanien weckten Begehrlichkeiten bei anderen europäischen Nationen, was zum Wandel der Verräumlichungsregimente führte. Frankreich blieb auch unter Colberts Wirtschaftsreformen ein auf Landbesitz fokussiertes Territorium, das allerdings versuchte, die Vorteile, die die außereuropäische Expansion bot, zu nutzen.151 Der Niedergang der Vereinigten Niederlanden, der mit dem Dritten Englisch-Niederländischen Krieg abrupt ausgelöst wurde, hatte seine Anfänge in den davor liegenden Kriegen, die massiv die Stellung der Vereinigten Niederlanden als Seemacht in Europa geschwächt hatten. Veränderungen 149 Siehe dazu: ’t Hart, The Dutch wars, S. 28–34. 150 Siehe zu den Handelskompanien europäischer Mächte u. a.: Blussè van Oud-Alblas, Johan Leonard; Gaastra, F. S. (Hg.): Companies and Trade, Essays on overseas trading companies during the Ancien Regime, Leiden: University Press Leiden, 1981. 151 Zur Bedeutung der Städte im Merkantilismus siehe u. a.: Press, Volker: Der Merkantilismus und die Städte: Eine Einleitung, in: Ders.: Städtewesen und Merkantilismus in Mitteleuropa, Köln/Wien: Böhlau, 1983, S. 1–14.

4. Die niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien

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für das europäische Gleichgewicht zwischen dem aufstrebenden Frankreich unter Ludwig XIV., England und den Vereinigten Niederlanden ergaben sich durch die Einsetzung des Statthalters Wilhelm III. und dessen späterer Thronbesteigung in England. Mit dem Ende der Statthalterlosen Epoche endete auch die Vormacht der Regenten in den Vereinigten Niederlanden, was die Innovationskraft der niederländischen Wirtschaft begrenzte. Auch wenn die Vereinigten Niederlanden wirtschaftlich und politisch weiterhin ein bedeutender Akteur im europäischen Machtgefüge blieben, waren sie fortan ein weniger exponierter. Wilhelm III. schränkte die politischen Einflussmöglichkeiten der Regenten durch gegenteilige politische Maximen ein. Mit Wilhelm III. fand ein Wechsel des Personals in den politischen Ämtern statt. Nachdem sich die Stimmung in den ersten Monaten des Überlebenskampfs gegen die Regenten wendete, denen die Schuld an der prekären militärischen Situation in den Vereinigten Niederlanden gegeben wurde und die Brüder de Witt ermordet worden waren, setzte Wilhelm III. getreue Anhänger der Oranier als oberste Beamte der Provinzen und Generalstände ein und das Klientelsystem wurde wieder eingeführt. Die besondere politische Ordnung des einzigen kontinentaleuropäischen maritimen, ständisch-korporativen Verräumlichungsregiments ging verloren. England trat vor allem in den beiden Amerikas in Konkurrenz zu Frankreich und Spanien, um die Herrschaft zur See. Die Herrschaftsstrategien in den Vereinigten Niederlanden veränderten sich durch die Machtbefugnisse Wilhelms III. Infolge der Bedrohung der Vereinigten Niederlanden sprachen die Stände Wilhelm III. die Privilegien zu, um die dessen Vater gegen die Regenten gekämpft und verloren hatte. Die Folge war der Wandel der niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien, die durch Wilhelms III. Personalunion, gleichzeitig Statthalter der Union und König von England zu sein, fortan nicht mehr gegen England gerichtet waren, sondern darauf ausgerichtet, das Inselkönigreich als natürlichen Verbündeten zu behandeln, was zur Verschiebung von Investitionsvolumen nach London führte, die mit Nordamerika, der Karibik und zunehmende auch mit Indien ein lukratives Kolonialreich aufbauten, das durch die Abschöpfung von Ressourcen höhere Rendite bei Investitionen versprach als das niederländische Stützpunktsystem, das auf dem Gewinn durch die Distribution von Waren basierte. Grundsätzlich war nicht die Einsetzung Wilhelms III. als Statthalter und König der Grund für den Niedergang der Vereinigten Niederlanden, sondern die damit verbundenen Strategiewechsel im Wirtschaftssystem der Niederländer, die zunehmend in englische Unternehmungen investierten, da England ein effektiveres System der Kapitalakkumulation etablierte, das auf der Ausbeutung effektiv verwalteten Kolonialbesitzes beruhte. Die steigende Konkurrenz europäischer Unternehmungen nach Asien führte zur Minimierung der Gewinne aus dem Ostindien-Handel.152 Demnach ist die Ablösung Amsterdams durch London als bedeutendstem globalen Portal in Nordeuropa auch der Grund für den Niedergang des Staats der Vereinigten Niederlanden zu 152 Siehe speziell zur Konkurrenz mit England um Edelmetalle in Asien: Appendix XIII, Nr. 4., 9.

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VI Die Statthalterlose Epoche

betrachten, dessen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien von den Engländer adaptiert und bis hin zur Vernichtung der indigenen Bevölkerung in den Kolonien und der in die Kolonien verbrachten Sklaven pervertiert wurden, um den Profit durch die nahezu absolute Verfügungsgewalt über die kolonialen Ressourcen zu steigern.

Der Staats-Begriffs in Johann de Witts Korrespondenz Neben der wiederkehrenden Betonung der Handelsinteressen der Vereinigten Niederlanden bezeichnete de Witt die Union in seiner privaten Korrespondenz meist als Staat. Im Brief an van Beuningen bezeichnet de Witt die Konfliktparteien als Subjekte des Völkerrechts, die im Rahmen dieses Rechtsverständnisses diplomatische Anstrengungen aufnehmen sollten, um einen Krieg zu beenden.153 Im Sprachgebrauch de Witts war der Begriff Staat Ende der 1650er Jahre Ausdruck für die alle Provinzen umfassenden Vereinigten Niederlanden als Föderation. Die Verwendung des Begriffs in der privaten Korrespondenz lässt darauf schließen, dass Staat im Niederländischen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Kategorie der politischen Semantik lexikalisiert wurden war, was aus dem Sprachgebrauch der politischen Institutionen, aber auch aus philosophischen und historischen Schriften abgelesen werden kann.154 Für de Witt war der Begriff weniger problematisch auf die gesamte politische Entität der Union anwendbar als der Republik-Begriff, den de Witt auf verschiedene politische Ebenen angewendet wissen wollte, wie er 1652 in einem Brief an Gerrit Schaep, einen Amsterdamer Bürgermeister schrieb, ohne dabei jedoch als Alternative den Staats-Begriff vorzubringen. „Wyders is mede in genere genoteert dat d’Engelschen dese Vereenichde Nederlanden in verscheyden articulen noemen met den naem van Respublica, t’welck geoordeelt wort eygentlijck daerop niet wel te passen, alsoo dese Provinciën niet en sijn tesamen una respublica, maar yder provinicie apart een souveraine respublica is, ende da sulx dese Vereenichde Provinciën niet met den naem van respublica (in singuli numero), maer veeleer met den naem van respublica foederatae ofte unitae, in plurali numero, genoemt soueden moeten worden, gelijck dan oock dienvolgende in ’t opstellen van de 36 articulen de voorschreven incongruiteyt is verhoet, ende alomme gebruyckt de woorden van Vereenichde 155 Nederlantsche Provinciën, ofte diergelykce.“

De Witt bevorzugte die Bezeichnung Föderations-Republiken oder UnionsRepubliken, die er im offiziellen Schriftverkehr allerdings nie verwendete. Mit der Aussage zum Republik-Begriff bezog de Witt sich auf die föderale Tradition der 153 Vgl. dazu: Brief vom 9. Februar 1657, Aan van Beuningen:, in: Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, 1650–1657(1658), 1906, S. 409ff. 154 Für den betreffenden Zeitraum existieren keine einschlägigen Lexika, an denen nachvollzogen werden könnte, welche Definition der Begriff Staat nach der Aufnahme in den Sprachgebrauch besaß. 155 Vgl. dazu: Brief vom 10. Mai 1652, Aan Gerrit Schaep Pietersz. (?), in: Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, 1650–1657(1658), 1906, S. 61f.

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Union, die schon Oldenbarnevelt vertrat. In einer Gedenkschrift von 1607 hatte Oldenbarnevelt bereits das zusammengefasst, was sich in der Politik de Witts, in dessen Republik-Verständnis und der damit verbundenen Wahrnehmung der Vereinigten Niederlanden als Föderation und dem Ausbau der Handelsnetzwerke während der gesamten Amtszeit de Witts wiederfand. Um die Verschiebung zu verdeutlichen, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Politik der Vereinigten Niederlanden stattfand, muss an dieser Stelle noch einmal ausführlich auf die Gedenkschrift Oldenbarnevelt eingegangen werden.156 Oldenbarnevelt betrachtete die Land- und Seeprovinzen der Föderation als gleichwertige Träger der Unionspolitik, was die Beachtung der unterschiedlichen Interessen bedeutete. De Witt zeigte gegenüber den Landprovinzen wenig Interesse, außer wenn sie sich gegen die Föderationsidee stellten. Dieser Umstand war durch die Verschiebung der Konfliktzonen und der erweiterten Bedeutung des Handels zu erklären. In der Betrachtung der beiden Ratspensionäre lassen sich für das 17. Jahrhundert sowohl eine stringente Föderationsidee als auch die Strategien, durch den Handel die Existenz des eigenen, freien Staats zu sichern, nachvollziehen. Oldenbarnevelt argumentierte 1607 für einen Waffenstillstand mit Spanien, damit sich das Territorium der Union von den Kriegsschäden regenerieren könnte. Zudem war die territoriale Einheit der Union kaum gefestigt. Oldenbarnevelt war bestrebt eine funktionierende, umfassende Regierung der Union zu etablieren, um auch in Friedenszeiten die Föderation zusammenhalten zu können. De Witt übernahm eine gefestigte territoriale Einheit, deren größtes Interesse die Verteidigung der Vormachtstellung im Handel und Frachtverkehr war, wodurch sich die Balance der politischen Macht zugunsten der Seeprovinzen verschob. Damit veränderten sich die Herrschaftsstrategien der Union, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts von den Städten der Seeprovinzen, insbesondere Holland, bestimmt waren. Oldenbarnevelt sah auch den Ostseehandel als weniger wichtig an, als es de Witt tat. Zu Beginn des Jahrhunderts war der Kampf zwischen Spanien und den Vereinigten Niederlanden um die Reichtümer Südostasiens und Südamerikas noch nicht entbrannt. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts waren die Niederländer in Südamerika stark geschwächt und in Südostasien zum regionalen Akteur aufgestiegen. Andererseits war die politische Bedeutung der Vormacht gegenüber den europäischen Konkurrenten in Südostasien nicht mehr von dem Gewicht wie zu Beginn des Jahrhunderts als Spanien auch durch Konflikte auf anderen Kontinenten geschwächt werden sollte. Die Vormachtstellung im europäischen Handel zu erhalten, war für die Existenz der Union in der Sicht de Witts und der bedeutenden Regenten überlebenswichtig. In Südostasien ging es immer noch um den Ausbau der Handelsbeziehungen.157 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 156 Der Brief kann in Appendix VIII nachgelesen werden. 157 Es herrschte eine Überschätzung der eigenen Bedeutung innerhalb des europäischen Machtgefüges unter den Regenten, die sowohl Zeitgenossen wie Pieter de la Court als auch die akademische Beschäftigung mit den Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert wiederholten. Wie sich im Rampjaar zeigte, waren die Vereinigten Niederlanden ohne ein funktionierendes Bündnissystem trotz der wirtschaftlichen Vernetzung aller europäischen Dynastien, Kaufleuten und Händlern gegen einen konzertierten Angriff nahezu machtlos. Dass die Vereinigten

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konnte die Existenz der Union nur durch Bündnisse ermöglicht werden. So wie die Union eine Föderation gleichgesinnter Provinzen war, in der die Seeprovinzen die restlichen Provinzen dominierten, funktionierte das Wirtschaftssystem der Niederländer über die Aushandlung von Bündnissen, die dem eigenen Handel nützten. Holland mit Amsterdam an der Spitze dominierte als Waren- und Finanzumschlagplatz den europäischen Handel im Namen der Vereinigten Niederlanden, wobei die Handelspartner als Mitglieder des niederländischen, föderativen Handelsnetzwerks galten, die allerdings in Abhängigkeit gehalten werden sollten, um die Preise selbst bestimmen und die Gewinne selbst erzielen zu können. Die Generalstände und der Raad van State koordinierten zentral den Schutz des Handels, indem Gelder für die Aufrüstung zur See bewilligt wurden, die dezentral von den Admiralitäten verwendet wurden.158 Die Veränderungen im Verräumlichungsregiment der Niederländer hatten im Lauf des 17. Jahrhunderts zum Aufbau einer politischen Entität geführt, die nicht nur von de Witt oder in diplomatischen Papieren als Staat bezeichnet wurde, sondern auch von anderen Personen aus der Riege der Regenten und Kaufleuten, die in persönlichen und die Innenpolitik der Union betreffenden Briefen mit de Witt den Begriff verwendeten.159 Chronologisch folgt die anschließende Betrachtung einer Auswahl von Briefen, die neben der Erwähnung des Begriffs Staat weitere Aspekte der niederländischen Politik veranschaulichen, die auf die wachsende Einheit der Union in der Statthalterlosen Epoche hinweisen. Der Sekretär der seeländischen Stände und der seeländischen Admiralität Justus de Huybert sprach bereits 1651 im Zuge der Konsolidierung der Union nach dem Tode Wilhelms II. von der großen Bedeutung, die der Zusammenarbeit der beiden wichtigsten Provinzen für die Erhaltung des Staats zukam. Huybert verwendet den Begriff indes in zwei Schreibweisen, die einen Bedeutungsunterschied kennzeichnen. In der Kleinschreibung mit -ae- bedeutet der Begriff weiterhin Zustand oder Bilanz. „Bedankt voor dien van 29 April en voor de betuiging van dankbaarheid voor het gering onthaal enz. groote genegenheid, om Zeeland meer en meer in goede correspondentie en confidentie met Holland te brengen en te houden. Daaran hangt het heil en het behoud van Niederlanden 1672 von ihren Gegner nicht eingenommen wurden, war maßgeblich durch die geographische Lage des Territoriums und dessen möglicher Überflutung bedingt. Die Vereinigten Niederlanden als Hegemon zu betrachten, lässt sich letztlich nur für die Handels- und Frachtschifffahrt nachweisen, ohne dabei die erfolgreiche Formierung von Staatlichkeit zu negieren, die sehr wohl durch die wirtschaftliche Macht politisches Gewicht bedeutete, dass aber durch die geringeren eigenen Ressourcen immer in Relation zu den territorialen Großmächten Europas gesehen werden muss. Die Hegemonie der Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert basierte auf deren Überlegenheit auf der Gebiet der Waren- und Finanzdistribution, erstreckt sich aber nicht auf die Herstellung von Fertigprodukten. Siehe dazu: „Die Republik war nicht stark genug, allein ihre Interessen, Handelsinteressen einbegriffen, erschöpfend in allen Verwicklungen, welche eintreten konnten, zu beherzigen. Sie war, auch in Friedenszeiten, gebunden an ihren Platz in Europa, genau wie Holland an die Union.“, in: Japikse/Heggen, Johann de Witt, S. 116. 158 Vgl. dazu: ’t Hart, The Dutch wars, S. 128f. 159 Siehe dazu weiter neben den unten angeführten Briefen. Eine Auswahl von wenigen Briefen findet sich in Appendix XI.

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den Staat.[…] verklarende die vergaderinge niet te sullen laten waernemen, maer de groote vergaderinge van alle de provintiën blyven bywonen sullen zijn geadjusteert ende vastgestelt 160 ende de staet van ’lant in securiteyt en versekerheyt gebracht.“

Wenige Wochen später äußerte sich de Huybert über die Schwierigkeit, in den Vereinigten Niederlanden ob der zahlreichen Stimmen zu politischen Entscheidungen zu kommen, wobei er sowohl die Grundmaximen des Staats als auch die Vielköpfigkeit der Republik ansprach. Hyuberts Brief zeigt den Unterschied, der zwischen den Begriffen Staat und Republik zu Beginn der 1650er Jahre gemacht wurde, wobei der Staat die verschiedenen Republiken der Union begrifflich einschloss. Als Staat wurde die Union bezeichnet. Mit dem Begriff Republik wurden die einzelnen politischen Körperschaften innerhalb der Union beschrieben. „Alhoewel het, in mijn oordeel, beter ware geweest te hebben gebleeven by de oude grontmaxime van de Staedt ende dat het collegie van den Rade van Staten soo wel hadde geconstitueert sonder eenige mofferiën ende gryperiën geweest, dat men de directie in saecken van oorloge ende over het volck van oorlooge daeran hadde konnen laeten. Edoch men kan niet altijt, dat men will. Ende in soo veelhoofdigen Republycque moet men dickmael 161 willen, dat men kann.“

Rabo Schele, Regent in Overijsel hingegen betrachtete sowohl England als auch die Vereinigten Niederlanden als Republik, sprach von den Vereinigten Niederlanden aber zudem explizit als Staat, was die These belegt, dass der Begriff Republik als allgemeine Beschreibungskategorie für Gemeinwesen galt und der Begriff Staat eindeutiger in Bezug zur niederländischen Föderation stand, mit dem die genannten Attribute wie Raum, Autorität und ständische Herrschaft verbunden waren. „[…]Want, sooals ick van de constitutie ende situatie van beyde republiquen verstae, heeft Engeland eer disavantage als avantage in cas van openbare viandtschap, maer groot avantage 162 op desen Staet in pirateries ende geveinsde alliantie en vriendschap.[…]“

Im Briefverkehr mit seinem Onkel, Cornelis von Sypesteyn, Kantor im Utrechter Dom, verwendet de Witt den Begriff Staat in Abgrenzung zum Begriff Vaterland. Zudem wird noch einmal die Mehrdeutigkeit des Begriffs Staat durch die unterschiedlichen Schreibweisen deutlich. In der Kleinschreibung steht staet eindeutig für „Zustand“. In der Großschreibung mit der Verwendung eines Artikels steht der Bezug zu einer politischen Entität, ohne vollends die Bedeutung „Zustand“ zu verlieren, die in der Übersetzung der Textstelle ebenso möglich wäre. „Mijn heer ende neeff, Sedert dat de Staet van ons vaderlandt UEd. heeft gewonnen, hebbe ick UE. verlooren, ende ofte UE. door veranderinge van staet UE. hebt verbetert, wert by 163 mijn in twijfel gestelt[…].“

160 Vgl. dazu: Brief von Justus de Huybert, 9 Mei 1651, in: Fruin/Japikse, Brieven aan Johan de Witt, Eerste Deel, S. 12f. 161 Vgl. dazu: Brief von Justus de Huybert, 3 Juli 1651, in: Ebda., S. 18. 162 Vgl. dazu: Brief von Rabo van Schele, 3 Maart 1652, in: Ebda., S. 37. 163 Vgl. dazu: Brief von Cornelis van Sypesteyn, 24 November 1652, in: Fruin/Japikse, Brieven aan Johan de Witt, Eerste Deel, S. 44f.

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VI Die Statthalterlose Epoche

Das Gleiche wird in einem weiteren Brief von Justus de Huybert deutlich. Die Ambivalenz der Bedeutung des Begriffs Staat wird zunehmend durch die Großund Kleinschreibung aufgelöst. Der Staet hat Ziele im Handel, die durch Frieden und günstige Vertragsschlüsse mit dem Hauptkonkurrenten England erreicht werden sollen. Der Zustand – staet – des Landes ist bestimmt von den Allianzen mit den alten und vertrauten Bundesgenossen. „[…]Ende wanneer de staet van ons landt sal sijn gestijft ende onderschraeght met de allianciën van die oude ende vertoude bondtgenooten, zoo en staet niet te twijfelen, ofte wy sullen met Gods genadige hulpe en bystandt den opgeworpene Republycque van Engelandt niet alleen haest brengen tot reden, maer oock de wettige erve en prince eer korten herstellen op synen troon en in sijn coninckrijc, waerin nar het oordeel van alle wyse en oneensydige regenten bestaet den eenigen versekerden en bestendigen vrede en bevestinge van de 164 trafficques en negotie, die dar is de ziele van de Staet.[…]“

Zum Abschluss der Betrachtungen soll der einflussreiche Cornelis de Graeff noch zu Wort kommen. Er schrieb weniger Briefe an Johan de Witt als dieser an ihn. In einem der Briefe an seinen Neffen sprach de Graeff über die Regierungstätigkeiten in der Union. Cornelis besprach die Briefe de Witts mit seinem Bruder Andries, der ebenso Einfluss in der Amsterdamer Stadtregierung und anderen Körperschaften in der Stadt besaß. Die Brüder informierten de Witt über das Abstimmungsverhalten der Amsterdamer Stadtregierung und versuchten, wenn es in ihrem Interesse lag, de Witts Interessen in Amsterdam zu vertreten. „Mijn Heere ende Neeff, Ick hebbe die missive van UEden wel ontfanghen, dieselven geëxamineert ende met mijn broeder gecommuniceert. Ick bekenne seer gaerne, dat, indien mijn particuliere opinie mocht plaets hebben, dat ick seer veel soude moeten defereeren en het gewicht der reedenen, in deselve vervadt. Maer hetgeene publycquelijck wordt goedtgevonden, daervan ist het niet betamelijck perticulierlijck daertegen te gevoelen, hoewel anders ick het houde te sijn ééne van de beste Maximen in de regheeringe de saecken sóó te stieren, gelijck se best met de meeste harmonie ende eenicheit in de regheeringhe cunnen verhandelt ende nedergestelt werden, sonder dewelcke men gevaer loopt te verliesen de 165 aensienlijckheit ende seeckerheit van den Staet.[…].“

Die Zusammenstellung von Briefen in denen der Begriff Staat verwendet wurde, kommt hier an sein Ende, da sich die Bedeutungsebenen nicht erweitern.166 Letzt164 Vgl. dazu: Brief von Justus de Huybert, 9 Februari 1653, in: Ebda., S. 53. 165 Vgl. dazu: Brief von Cornelis de Graeff, 21 October 1657, in: Ebda., S. 225f. 166 Es finden sich noch mindestens sieben weitere Briefe an de Witt bis zum Jahr 1659, in denen der Begriff verwendet wurde. Ausgenommen wurden dabei die Briefe von Beuningens, da durch seine diplomatische Tätigkeit die Verwendung des Begriffs in einem außenpolitischen Kontext stand, in dem bereits seit dem 16. Jahrhundert der Begriff Verwendung fand. Zu den weiteren Briefen siehe: Fruin/Japikse, Brieven aan Johan de Witt, Eerste Deel, S. 235f, 248f, 270f, 271f, 272f, 276f, 304f, 312f. In den 60er und 70er Jahren steigt die Verwendung des Begriffs rapide an. es sind ca. 80 Briefe, in denen der Begriff als Kategorie zur eindeutigen Beschreibung der Föderation als politische Entität dient. Zu erwähnen ist dabei, dass auch eine Frau, die an de Witt schrieb, den Begriff Staat verwendete. Siehe dazu: Brief van Frau van Swijndrecht, 6 Oktober 1665, in: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Tweede Deel, 1660–1672, Amsterdam: Johannes Müller, 1922, S. 228f. Auch Personen, die nicht mit Regierungsaufgaben, religiösen Ämtern oder anderen administrativen Tä-

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lich konnte aber durch den kurzen Einblick gezeigt werden, dass nicht nur de Witt oder die Regenten in Amsterdam, sondern auch Personen, die zur Elite in den Vereinigten Niederlanden gehörten, der Begriff Staat zu Beginn der 1650er Jahre als Beschreibungskategorie für den niederländischen Staat verwendeten. Der Begriff Staat beschreibt eine politische Entität. In Bezug auf die Regenten in den Vereinigten Niederlanden kann davon ausgegangen werden, dass sie ein abstraktes Verständnis des Staats als politische Entität besaßen. Der niederländische Staat war in ihren Augen ein klar definierter Raum, der von einer ständischen Regierung mit bestimmten Maximen beherrscht wurde. Der Begriff Staat beschreibt die niederländische, ständisch-korporative Herrschaftsordnung mit ihrem Interesse am Ausbau des niederländischen Handels in den Augen der Akteure besser als der Begriff Republik, der allgemein jede Form von Gemeinwesen bezeichnet. Olaf Mörke zeigte die Veränderung der Selbstwahrnehmung in der Union an einem Dankesbrief an Wilhelm III., in dem Wilhelm III. als Staetholder angesprochen wird, nicht mehr als Stadholder.167 Im Zuge der Unabhängigkeit von Spanien nach 1648 konnte der Statthalter, der nun 1672 die Verteidigung der Union übernahm, nicht mehr als Vertreter des spanischen Königs oder eines anderen Monarchen gesehen werden, sondern galt als oberster Bewahrer des Staats der Vereinigten Niederlanden. Die Kategorie blieb also auch nach dem Ende der Statthalterlosen Epoche bestehen. Der Wandel der Herrschaftsordnung war eine erneute Balanceverschiebung; diesmal zugunsten des Staat-Halters. Die hier gemachten Ausführungen werden in Kapitel VIII und IX wieder aufgegriffen und mit der Verwendung des Begriffs Staat in den Quellen des Haagse Besogne und der VOC verglichen, um abschließend den globalen Kontext umreißen zu können, in dem der niederländische Begriff entstand.

tigkeiten betraut waren, verwendeten den Begriff. Zur Liste der Briefe, in denen der Begriff Verwendung fand, siehe: Appendix XII. 167 Vgl. dazu: „An das Ende des Zitatenreigens sei ein Wortspiel des Sijbert van Wijnbergen gestellt, der als Mitglied der Ritterschaft der gelderländischen Landschaft Veluwe seine Provinz auch bei den Generalständen vertrat und Bürgermeister der Stadt Harderwijk gewesen war. Er wünschte sich, daß Wilhelm ‚het gesegende instrument syn sal om on L. vaderlant […] te redden en in haer voorgaende luyter te herstellen, op dat die digniteyt van Stadtholder door de twee aensienlichste Provintien op U Hoochts Illustre persoon geconfereert […] met recht die van Staet-holder mach verandert en geconverteert werden tot meerder luyster en glorij van U Hoochʻ“, in: Mörke, ,Stadtholderʻ oder ,Staetholderʻ?, S. 335; zum Brief Wijnbergens: Den Haag, Koninklijke Huisarchief A 16–Ixb–2, Gelukwenschen van der verheffing tot stadhouder in 1672.

VII GESCHICHTE DER VOC – STRUKTUR UND AUFBAU Nach der Untersuchung der niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien im europäischen Rahmen schließt deren Vergleich mit den Strategien der VOC in Asien an, um Aussagen über den globalen Kontext der niederländischen Staats-Formierung treffen zu können und gleichzeitig die Entwicklung des Staats-Begriffs im Verständnis der VOC-Angestellten zu untersuchen. Die VOC wird als eigenständige Körperschaft betrachten, die einen elementaren Bestandteil des niederländischen Verräumlichungsregiments darstellt. In welcher Bedeutung der Begriff Staat in den Quellen der VOC während der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts Verwendung findet, wird anhand von Beispielen im Folgenden immer wieder kurz ausgeführt, um am Ende des Kapitels eine Zusammenfassung über den Bedeutungshorizont des Begriffs in den Quellen der VOC in Asien zu liefern.

1. VOORCOMPAGNIËN VS. ESTADO DA INDIA In der Frühen Neuzeit war weniger die Auslagerung von Produktionsstätten in andere Kontinente als vielmehr die Exklusivität außereuropäischer Produkte und die hohe, zu erzielende Gewinnspanne ausschlaggebend für die stärkere interkontinentale Vernetzung regionaler Wirtschaftsgebiete. In der Terminologie Wallersteinʼschen Weltsystemtheorie stand Europa als Zentrum den übrigen Kontinenten, die lediglich Peripherie oder Semiperipherie waren, gegenüber.1 Wallersteins 1

Insbesondere zur hegemonialen Stellung der Vereinigten Niederlanden in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts siehe: Wallerstein, Der Merkantilismus, S. 37–80. Wallersteins These, dass die Vereinigten Niederlanden zum Hegemon aufstiegen, basiert auf Grundannahmen, mit denen die vorliegende Arbeit in großen Teilen übereinstimmt. Besonders in der Textilindustrie, im Fischfang, der Frachtschifffahrt, dem Ostindien-Handel, dem Handel im Mittelmeer und in der Ostsee, dem Ausgreifen in den atlantischen Handel und dem Handel mit europäischen Festland über die Flüsse sieht Wallerstein die Vorteile des niederländischen Handels. Durch den Textilhandel erwarben die Niederländer auch in Europa über den Verkauf der Fertigprodukte nach Spanien Silber, was ihnen Bargeldreserven verschaffte, wodurch sie im Ostseehandel gegenüber den Engländern einen Vorteil besaßen, da sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein Wertverlust von Scheidemünzen ergab. Grundsätzlich folgen die Ausführungen Wallersteins den Analysen anderer Standardwerke zum niederländischen Wirtschaftssystem. Siehe dazu: Vries/Woude, The first modern economy; zur Kritik an der Hegemonie: „Hegemonie bedeutet mehr als bloß Zugehörigkeit zum Zentrum. Man könnte sie als jene Situation definieren, in der die Produkte eines bestimmten dem Zentrum zuzurechnenden Staates so rationell erzeugt werden, daß sie selbst in anderen Staaten des Zentrums im großen und ganzen konkurrenzfähig sind und so der betreffende Zentrums-Staat zum Hauptnutznießer eines möglichst freien Weltmarkts wird.“, in: Wallerstein, Der Merkantilismus, S. 38f. Einzig die Frage nach der hegemonialen Stellung der Vereinigten Niederlanden auf einem

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VII Geschichte der VOC – Struktur und Aufbau

Weltsystemtheorie steht indes zur Debatte. Zwar bestand seit den Verträgen von Tordesillas und Saragossa eine Aufteilung der Welt zwischen Spanien und Portugal Mitte des 16. Jahrhunderts, allerdings bedeutet die Interpretation der Vernetzung des globalen Handels von dieser Perspektive aus, eine eurozentrische Auslegung der frühneuzeitlichen Wirtschaftskreisläufe, die die Eigenständigkeit der verschiedenen außereuropäischen regionalen und kontinentalen Wirtschaftssysteme negiert. In Wallersteins Interpretation entsteht ein System der Abhängigkeit von Europa. Europa tritt als Zentrum der Weltwirtschaft auf, in dem sich zu Beginn der Frühen Neuzeit der ökonomische Schwerpunkt von den italienischen Städten an die Nordküste des Kontinents verlagerte. Innerhalb des Systems stiegen die Vereinigten Niederlanden, danach England zum Hegemon auf. Für den ökonomischen Binnenraum Europa mag Wallersteins Interpretation plausibel sein, die Vereinigten Niederlanden als ökonomischen Hegemon des 17. Jahrhunderts zu sehen. Diese Stellung erreichten die Territorien jedoch nicht durch ihre Rolle im globalen Handel, sondern mit Hilfe ihrer schon seit dem Spätmittelalter bestehenden Position im innereuropäischen Handel und der Frachtschifffahrt.2 Es sind europäische Bezüge, die schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zum Aufstieg der Niederländer führten. In Südostasien war die niederländische VOC nur ein Akteur des Binnenhandels zwischen den Küsten Indiens, Ceylons, den Gewürzinseln im Malaiischen Archipel, Japan und zeitweise China. Der VOC gelang es erst in den 1660er Jahren, die Vormacht über den Gewürzhandel im malaiischen Archipel zu sichern, indem die wichtigen Seestraßen unter die Kontrolle der VOC gebracht wurden.

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„freien Weltmarkt“ wird kritisch betrachtet, da die Vereinigten Niederlanden immer abhängig von einem Bündnissystem waren, um ihre Vormacht zu festigen. Das Monopol der VOC und die Strategien der niederländischen Kaufleute verhinderten den freien Weltmarkt. Deregulierung fand nur innerhalb des niederländischen Handelssystems statt, was die Konflikte mit den europäischen Konkurrenten um die Anteile im Seehandel hervorrief. Die Hegemonie im Wallersteinʼschen Sinn betrifft nur die wirtschaftliche Ebene und vergisst die politischen Implikationen, die letztlich dazu führte, dass die Gegner der Niederländer nicht durch eine größere Effektivität in der Produktion und Distribution gewannen, sondern die Niederländer militärisch niederrangen und deren Aktionsradius eingrenzten. Siehe dazu: „Daraus folgt, daß eine bestimmte Zentrums-Macht wahrscheinlich nur für kurze Zeit ihre Überlegenheit gegenüber allen anderen Zentrums-Mächten zugleich im Produktions-, Handels- und Finanzbereich ausspielen kann. Diesen kurzen Zeitraum bezeichnen wir als Hegemonie.“, in: Wallerstein, Der Merkantilismus, S. 39. Bis auf die Überlegenheit im Produktionsbereich können die Annahmen Wallersteins in den Vereinigten Niederlanden nachgewiesen werden und sind für die vorliegende Untersuchung der Ausgangspunkt für die ökonomisch motivierte niederländische Staats-Formierung, die zudem die territoriale Bindung hegemonialer Macht auflöst. Vgl. dazu: Vries/Woude, The first modern economy, S. 499. Im Jahr 1650 betrug der gesamte Wert an Warenimporten über die See aus Europa 120 Millionen Gulden. Waren aus nichteuropäischen Territorien betrugen gerad einmal 15 Millionen Gulden. Alle VOC-Kammern erhielten indes im Jahr 1650 Waren im Wert von 1.946.417 Gulden. Vgl. dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume III, S. 56.

1. Voorcompagniën vs. Estado da India

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Der Handel mit Territorien in Südostasien brachte den niederländischen Kaufleuten jährlich hohe Gewinne.3 Im Vergleich zu den Erlösen aus dem innereuropäischen Handel war das Volumen hingegen sehr gering. Der lukrative Handel mit asiatischen Waren beruhte auf dem Monopol der VOC in den Vereinigten Niederlanden der einzige Anbieter südostasiatischer Waren gewesen zu sein. In Europa waren die Niederländer zwar am Freihandel interessiert, aber nur solange, wie es Zugang ihrer eigenen Handelsschiffe zu allen anderen Märkten bedeutete. Ihre Strategien passten die Niederländer an den jeweiligen Handelsraum an, um den größtmöglichen Profit zu erwirtschaften.4 Schon früh wurde die Zahl der sogenannten Ostindien-Kompanien mit dem Privileg des Verkaufs von Gewürzen in den Vereinigten Niederlanden auf eine einzige begrenzt. Unter politischem Druck, ausgeübt von Johann van Oldenbarnevelt, lösten sich die bestehenden Kompanien auf, unter denen die Eerste Vereenigde Compagnie op Oost-Indië tot Amsterdam die bedeutendste für die weitere Entwicklung der niederländischen Vereinigten Ostindien Kompanie war.5 Deren Mitbegründer Isaac le Maire wurde zu einem der wichtigsten Initiatoren der von einem generalständischen Privileg begünstigten VOC. Bis zu den Aktivitäten der Niederländer am Ende des 16. Jahrhunderts bauten die Portugiesen als erste Europäer in asiatischen Territorien eine bedeutende Präsenz auf. An der Westküste des indischen Subkontinents etablierten die Portugiesen ein System aus Handelsstützpunkten, das sich auch auf andere Regionen Asiens und die Ostküste Afrikas ausdehnte. Im Auftrag der portugiesischen Krone war der Estado da India entstanden. In der Stadt Goa an der indischen Westküste nahm der portugiesische Vizekönig seinen Sitz.6 Ausgelöst durch die osmanische Besetzung Konstantinopels war seit 1453 der Warenaustausch zwischen dem christlichen Europa und Asien 3

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Bis 1672 wurden für die Amsterdamer Kammer Waren im Wert von 72.740.361 Gulden, für die Kammer Seeland 32.208.221 Gulden aus Südostasien gelöscht. Insgesamt erreichten 609 Schiffe aus Südostasien die Vereinigten Niederlanden. Davon fielen 299 auf die Kammer Amsterdam, 133 auf die Kammer Seeland. Über zwei Drittel der gesamten Schiffsladungen, die aus Südostasien entsandt wurden, landeten bis 1672 in den beiden wichtigsten Provinzen an. Der Großteil der Einnahme wurde zwischen 1630 und 1672 erwirtschaftet. In den ersten Jahren waren die Einnahmen nicht konstant. Siehe dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen: Dutch Asiatic Shipping, Volume II, S. 20–92. In den ersten Jahrzehnten finanzierten die Generalstände, die holländischen Stände und die Admiralitäten die VOC mit jährlich bis zu 300.000 Gulden (1617). Mit dieser Summe konnte ein Schiff nach Südostasien ausgerüstet werden. Siehe dazu: ’t Hart, The Dutch wars, S. 126–138. Wie Vries/Woude berechnet haben, lag der jährliche Gewinn der VOC zwischen 1630 und 1670 bei 2.1 Millionen Gulden und sank in den 50er Jahren durchschnittlich um 100.000 Gulden pro Jahr. Die Hälfte des Gewinns wurde als Dividende ausgezahlt, der Rest reinvestiert. Vgl. dazu: Vries/Woude, The first modern economy, S. 447. Siehe dazu: Bruijn, J.R.; Gaastra, Femme S.: Ships, sailors and spices: East India companies and their shipping in the 16th, 17th and 18th centuries, Amsterdam: NEHA, 1993. Über die Rolle Mauritz’ von Oranien und Oldenbarnevelts bei der Gründung der VOC siehe: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I, S. 5; Lademacher, Phönix aus der Asche?, S. 329; Tex, Jan den: Oldenbarnevelt, Cambridge: University Press, 1973, S. 384–420. Vgl. dazu: Boxer, The Portuguese Seaborne Empire, S. 46.

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auf dem Landweg unterbrochen. Die Kosten für den Landweg auf der Seidenstraße waren zudem immens, was zur Suche nach dem Seeweg um Afrika herum führte, um einerseits die Osmanen zu umgehen, andererseits Kosten zu sparen, da mit Schiffen, Waren profitabler transportiert werden konnten. Auch innerhalb der Vereinigten Niederlanden war der Warenaustausch durch das weitverzweigte System von Kanälen billiger, schneller und unkomplizierter als auf den schlecht ausgebauten Landwegen im europäischen Hinterland.7 Nachdem die Portugiesen die arabische Flotte im Indischen Ozean besiegt hatten, sicherten sie ihre Überlegenheit zur See mit der Einnahme Goas. Von dort aus gelang es den Portugiesen allerdings erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, weitere Städte an der indischen Küste einzunehmen. Schon der Erfolg der portugiesischen Flotte war durch die technische und militärische Überlegenheit gegenüber den Flotten begünstigt, die von den Anrainern des Indischen Ozeans unterhalten wurden. Hauptakteur in den Gewässern Südostasiens zur Zeit des europäischen Spätmittelalters war China. Kapitän Zheng He erkundete mit der Schatzflotte zwischen 1405 und 1433 die Ostküste Afrikas und Teile des Pazifiks. Unter der Ming-Dynastie etablierte sich die vom Kaiserhof finanzierte Handelsflotte als Instrument zur Aufnahme von Handelsbeziehungen und diplomatischen Reisen, die letztlich jedoch ökonomisch defizitär waren. Nach 1433 wurden viele Schiffe der Schatzflotte abgewrackt. Der Kaiser fokussierte die Anstrengungen in seinem Riesenreich nach einer Naturkatastrophe auf den Wiederaufbau des Landes. Der Einfall der Mongolen im Norden des Reiches schwächte die Position der Ming-Dynastie. Der Kaiser verlagerte den Schwerpunkt seines Reiches schon 1421 von der Küstenstadt Nanking nach Beijing, um die Verteidigung des Reichs gegen die Mongolen besser koordinieren zu können.8 Mit dieser Entscheidung wandelte sich China zur Landmacht, deren Interesse an maritimer Expansionspolitik während der ersten Hälfte des europäischen 15. Jahrhunderts schwand. Der Wandel des chinesischen Kaiserreiches zum monarchischen Territorialreich war eine der Voraussetzungen für die erfolgreiche europäische Expansionspolitik im 16. und 17. Jahrhundert. Durch die Überlegenheit der europäischen Seestreitkräfte gelang es, Einfluss im asiatischen Handelsnetzwerk zu gewinnen, der zudem durch die Konflikte zwischen den verschiedenen Herrschaften in Ost- und Südostasien befördert wurde. Um 1500 verfügte der chinesische Kaiser, dass der Bau von Zweimastern unter Todesstrafe gestellt würde. 25 Jahre später erging der Befehl, alle hochseetauglichen Schiffe zu vernichten. Dieses Verbot währte 42 Jahre. Während dieser Zeit kam es zwar nicht zur strikten Durchsetzung der Verbote, aber die fehlenden finanziellen Mittel be-

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Siehe dazu: Vries, Jan de: Barges and capitalism, Passenger, Transportation in the Dutch economy, 1632–1839, in: Afdeling agrarische Geschiedenis Landbouwhogeschool, Bijdragen 21, Wageningen 1978; Vries/Woude, The first modern economy, S. 13–16. Siehe dazu: Pomeranz, The great divergence; Wong, R. Bin: China transformed: historical change and the limits of European experience, Ithaca, NY: Cornell University Press, 1997; Davids/’t Hart, De wereld en Nederland, S. 37–81.

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schränkten die Möglichkeiten der chinesischen Hochseeschifffahrt nachhaltig.9 Als die Portugiesen begannen ihre Position in Indien zu festigen, wurde in China soeben das Verbot aufgehoben, hochseetaugliche Schiffe zu bauen und zu besitzen. Dieser Umstand erklärt, mit welch geringer Gegenwehr die Portugiesen begegneten, nachdem die arabischen Flotten besiegt waren. Der Estado da India war das Projekt des portugiesischen Königs. Nachdem Philipp II. 1580 König von Portugal geworden war, galt der Estado da India als ein Faktor für die Finanzen des spanischen Königs, der bis zum Beginn der Personalunion in Asien nur auf den Philippinen Fuß fasste. Das Gebiet der Philippinen im Pazifik wurde 1565 zum Teil der Kolonie Neuspanien erklärt. Hauptsächlich betrieben die Spanier einen Warenaustausch zwischen Acapulco und Manila. Silber aus Südamerika wurde gegen chinesische Seide, Porzellan und Gewürze getauscht. Zwischen den portugiesischen Besitzungen an der Ostküste des indischen Subkontinents und den Philippinen gab es keine bedeutenden europäischen Kolonien, jedoch trieben die Portugiesen sowohl mit den Japanern als auch den Chinesen ebenso Handel wie mit den Fürsten der Molukken, in deren Territorien die begehrten Gewürze wuchsen. 1511 eroberten die Portugiesen Malakka, errichteten ein Fort und etablierten einen Handelsstützpunkt, um den Handel mit den Molukken koordinieren zu können. Im zweiten wichtigen Handelsknotenpunkt des malaiischen Archipels, Makassar, etablierten die Portugiesen 1532 einen Handelskontor. Im Gegensatz zu Malakka erlaubte es der Sultan Makassars allen Europäern, Handelsstützpunkte zu eröffnen. Zur Kontrolle des innerasiatischen Handels führten die Portugiesen ein Passsystem ein, das ihnen die Kontrolle des Schiffsund Handelsverkehrs im Indischen Ozean durch ihre Flottenstärke ermöglichen sollte. Die Portugiesen errichteten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit Waffengewalt und durch Handelsabkommen ein Netzwerk von Handelsstützpunkten, das ihnen die Türen der asiatischen Warenkammern öffnete. Die Organisation des Estado da India war Vorläufer und Vorbild für den Aufbau der niederländischen VOC, die letztlich den Untergang des Estado da India bewirkte.10 Die Internationalität der Angestellten der Ostindien-Expeditionen Portugals erwies sich als größtes Problem für die Portugiesen, ihren Anspruch auf die Beherrschung des Handels zwischen Indien und Europa aufrechtzuerhalten, der ihnen durch den Urteilsspruch des Papstes zugebilligt worden war. Der Niederländer Jan Huygens war in jungen Jahren nach Portugal übergesiedelt. Sein Bru9

Vgl. dazu: Wallerstein, Die Anfänge kapitalistischer Landwirtschaft, S. 59ff; Chang, TienTsê: Sino-Portuguese trade from 1514 to 1644: a synthesis of Portuguese and Chinese sources, Leiden: Brill, 1934, S. 30f. 10 Siehe dazu: Boxer, The Portuguese Seaborne Empire, S. 39–84; Whiteway, Robert S.: The Rise of Portuguese Power in India, 1497–1550, London: Constable &Z Co., 1899; MeilinkRoelofsz, M.A.P.: Asian trade and European influence in the Indonesian Archipelago between 1500 and about 1630, The Hague: Nijhoff, 1962; Meyn, Matthias u. a. (Hg.): Der Aufbau der Kolonialreiche, München: C. H. Beck, 1987; Schulz, Raimund (Hg.): Aufbruch in neue Welten und neue Zeiten. Die großen maritimen Expansionsbewegungen der Antike und Frühen Neuzeit im Vergleich, HZ Beiheft 34, München: Oldenburg, 2003; Whiteway, Robert S.: The Rise of Portuguese Power in India, 1497–1550, London: Constable & Co., 1899.

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der verschaffte ihm eine Stelle als Schreiber in Diensten eines Geistlichen, der 1582 zum Erzbischof des portugiesischen Patriarchats Ost-Indien ernannt wurde. Ein Jahr später verließ Huygens gemeinsam mit dem Erzbischof Europa. Huygens kehrte nach einigen Umwegen 1592 in seine Heimatstadt Enkhuizen zurück. Inzwischen war der Erzbischof auf der Rückreise nach Europa verstorben und Huygens hatte neben den Aufzeichnungen über die Verwaltung des Patriarchats Kenntnisse über den Seeweg nach Indien gewonnen. Bei einem Zwischenhalt auf der Insel Sankt Helena erhielt er Informationen über den Gewürzhandel in der südostasiatischen Stadt Malakka. Bald nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Niederlanden schloss er sich einer von Balthazar de Moucheron finanzierten Expedition an, die einen alternativen Weg über das Nordmeer nach Asien finden sollte, um Konflikten mit den Portugiesen auf der südlichen Route aus dem Weg gehen zu können. Beide Expeditionen, an denen Huygens teilnahm, endeten erfolglos.11 Erfolgreicher als die Suche nach einer nördlichen Route nach Indien war für Huygens und die Entwicklung der niederländischen Handelsfahrt die Veröffentlichung der Reys-gheschrift van de Navigatien der Portugaloysers in Orienten und des Itinerarios. Diese 1595 und die ein Jahr später herausgegebenen Zusammenfassung seiner Erfahrungen in Indien, des Wissens über die Seewege, die Kultur und die Handelsbeziehungen in den Teilen Asien, die er selbst bereist oder von denen er auf seinen Reisen gehört hatte, wurden zu kanonischen Texten für die niederländischen Ostindien-Fahrer.12 Huygens Beobachtungen führten zum Ratschlag, sich, im Gegensatz zu den Portugiesen, weniger als Missionare des christlichen Glaubens zu verstehen, sondern in religiösen Fragen zurückzuhaltend zu bleiben, um die Handelsbeziehungen nicht zu gefährden. Das Entscheidende für die Konkurrenten der Portugiesen im Handel mit Asien waren allerdings die Angaben zur nautischen Navigation im Indischen Ozean.13 Besonders das Itinerario hielt für interessierte Ostindien-Fahrer alle Informationen bereit, die notwendig waren, um erfolgreichen Handel in Südostasien treiben zu können. Neben der Beschreibung der Flora und Fauna, der Bräuche, politischen Verhältnisse, Kleidungsstile und der Esskultur, waren überaus wichtige Informationen zu Gewichten und Münzen der asiatischen Märkte Teil der Schrift, die zudem mit Angaben zur Umrechnung der verschiedenen Währungen und Gewichte aufwartete.14 11 Siehe dazu: Moer van der, A.: Een zestiende-eeuwse Hollander in het verre oosten en het hoge noorden. Leven, werken, reizen en avonturen van Jan Huyghen van Linschoten, ʼsGravenhage: Nijhoff, 1979. 12 Siehe dazu: Koeman, Cor: Jan Huygen van Linschoten, Coimbra, 1985, S. 20ff; Lademacher, Phönix aus der Asche?, S. 326f; Nagel, Abenteuer Fernhandel, S. 100–113. 13 Siehe dazu: Davids, Carolus A.: Zeewezen en wetenschap, De wetenschap en de ontwikkeling van de navigatietechniek in Nederland tussen 1585 en 1815, Amsterdam, Diren: Bataafsche Leeuw, 1986. 14 Auch wenn die Angaben ungenau waren und sich über die Zeit hinweg veränderten, war es eine grundsätzliche Bestandsaufnahme der Geschäftsbedingungen in Asien. Siehe dazu: Linschoten, Jan Huygen van; Warnsinck, J. C. M.: Itinerario, Voyage ofte Schipvaert naer Oost ofte Portugaels Indiën, 1579–1592, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1909.

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Durch die Informationen Huygens’ steigerte sich die Möglichkeit, Handelsreisen nach Asien zu planen. Antwerpen galt den Portugiesen als Umschlagplatz asiatischer Gewürze für das nördliche Europa, der während des Unabhängigkeitskriegs der Niederländer verloren ging. Für die anderen seefahrenden Völker Europas, brachte es die Möglichkeit die Lücke zu schließen, was erst die Bedingung schuf, dass sich die immensen Investitionen für die Ausstattung einer Ostindien-Flotte auszahlen würden, wenn es wirklich gelingen sollte, unabhängig von den Portugiesen Gewürze und andere asiatische Luxusgüter nach Europa zu verbringen und den Verkauf von Gewürzen im europäischen Mutterland zu monopolisieren. Zu Beginn der 1590er Jahre, noch bevor Huygens sein Itinerario veröffentlichte, gelangten von Bartholomeu Lasso angefertigte Seekarten in die Hände Pieter Platevoets, einem niederländischen Kartografen, der unter dem Namen Petrus Plancius bekannt werden sollte.15 Nach dem Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs floh er aus seiner Heimat Flandern nach Amsterdam. Ob durch Spionage oder freiwillige Herausgabe: die als Geheimwissen klassifizierten Informationen des königlich-spanischen Kosmografen und Meisters der Seekarten Lasso über die Seewege nach Indien gelangten in die Hände von Plancius.16 Neben Huygens’ Wissen war das Geheimwissen Lassos Quelle und Voraussetzung für die Öffnung des europäisch-asiatischen Handels. Plancius veröffentlichte mit dem Wissen der Seekarten Lassos den Weltatlas Nova et exacta Terrarum Tabula geographica et hydrographica. Dies war nur mit Zustimmung der Staten-Generaal möglich, da auf die Verbreitung des Wissens über die Seewege nach portugiesischer Ansicht die Todesstrafe stand.17 Die politischen Eliten waren also daran interessiert, das Wissen über Seerouten nach Südostasien, dessen Territorien, Bewohner, Religion und politische Kulturen zu verbreiten, um damit letztlich die ökonomische Potenz Portugals und Spaniens minimieren zu können, wenn es gelingen würde, die Konkurrenz durch die Ausrüstung eigener profitabler Unternehmungen zu erhöhen. Der Geheimnisverrat und die Gründung der VOC geschahen nicht nur im ökonomischen, sondern auch im politischen Interesse der um Selbständigkeit kämpfenden niederländischen Union. Mit dem Wohlwollen der Generalstände und Moritz’ von Oranien, dem Admiraal-Generaal der niederländischen Flotte, sollten die Seestädte der Provinzen Holland und Seeland die Schiffe, der 1595 in See stechenden Flotte, bestehend aus vier, mit Kanonen ausgestatteten Schiffen, nach Südostasien entsenden. Plancius beriet nicht nur die Compagnie van Verre, sondern profitierte von den wissenschaftlichen Erkenntnissen der ersten Expedition nach Indien. Ziel der Expedi15 Siehe dazu: Keuning, J.: Petrus Plancius, theoloog en geograf, 1552–1622, Amsterdam: Kampen, 1946. 16 Siehe zur Entwicklung der spanischen und portugiesischen Wissenschaft u. a.: Bleichmar, Dietmar; de Vos, Paula; Huffine, Kristin; Sheehan, Kevin: Science in the Spanish and Portuguese Epmires, 1500–1800, Stanford, California: University Press, 2009. 17 Siehe dazu: Dam, Pieter van; Stapel, Friedrich Wilhelm (Hg.): Beschryvinge van de Oostindische Compagnie, Boek 1, Deel 1, Rijks geschiedkundige publicatiën, 63, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1927, S. 1–32.

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tion sollte Bantam auf der Insel Java sein, wo nach Informationen portugiesischer Quellen Gewürze erworben werden konnten. Gegen Angriffe ausgestattet, liefen die Schiffe nach Ostindien mit den Brüdern de Houtman, dem Kapitän Paulus van Caerden und Pieter Keyser, einem gelehrten Astronomen, von dessen Erkundungen des Sternenhimmels mit Hilfe eines Astrolabiums Plancius profitieren sollte, an Bord aus. Cornelis de Houtman stand der Kaufmannschaft auf dieser Reise als Oberkaufmann vor.18 Zu verdanken hatte er diese Stellung seiner Verwandtschaft mit Reynier Pauw, dem Investor der Compagnie van Verre und Bürgermeister der Stadt Amsterdam, wohnhaft in der Warmoesstraat im Zentrum Amsterdams.19 Die räumliche Nähe der Kaufleute zu den wichtigen politischen und ökonomischen Institutionen, die gleichzeitig die politische Elite der Vereinigten Niederlanden bildeten, war ein Faktor für das Funktionen der Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien der niederländischen Eliten und damit auch der politischen Körperschaften, an dem sich die Wirkmacht von Netzwerken zur Beherrschung von Politik und Ökonomie bemessen lässt, die wie im Fall de Houtmans zu dessen Aufstieg in die Hierarchie der ersten Ostindien-Expedition, der Compagnie van Verre, beitrugen und andererseits den Einfluss Pauws auf die Expedition ermöglichte. Nach einer beschwerlichen Reise über das Kap der Guten Hoffnung, vorbei an Madagaskar gelangte die niederländische Flotte unter Verlusten nach Bantam, wo sie sich der Konkurrenz der Portugiesen ausgesetzt sah, die jedoch die Reise der Niederländer nach Asien nicht verhindern konnten. Besatzungsmitglieder starben in verschiedenen Kämpfen mit Einheimischen. Die Amsterdam, eines der vier Schiffe, musste zurückgelassen werden, weil es nicht genügend Matrosen gab, um sie in die Niederlanden zurückzubringen.20 Knapp fünf Monate nach der Abreise von der Insel Java erreichte die minimierte Flotte im August 1592, zwei Jahre nach dem in See stechen, Texel, die in der Nordsee liegende Insel, die als Hochseehafen Amsterdams fungierte, mit geringer Fracht, die die Investitionen nicht annähernd deckte.21 18 Siehe dazu: Roeper, V.D.; Wildeman, G.J.D. (Hg.): Om de Zuid, De Eerste Schipvaart naar Oost, Indië onder Cornelis de Houtman, 1595–1597, opgetekend door Willem Lodewycjsz, Nijmegen, 1997. 19 Siehe dazu: Familiennetzwerke in Appendix I u. II. unter: http://www.online-plusbase.de/ bereiche/geschichte/die-variabilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. In Appendix I kann eingesehen werden, wo die Warmoesstraat in Amsterdam lag. Schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts lebte die Mehrheit der Regenten Amsterdams, die Einfluss auf die Entwicklung der Handelsschifffahrt nach Ostasien hatte, im Zentrum Amsterdams, in dem sich gleichsam alle wichtigen politischen Institutionen befanden. Zu den Familiennetzwerken: vgl. u. a.: Adams, Julia: The Familial State: Ruling Families and Merchants Capitalism in Early Modern Europe, Ithaca, New York: Cornell University Press, 2005. 20 Siehe dazu: Gaastra, De geschiedenis van de VOC, S. 13–22; Dam/Stapel, Beschryvinge van de Oostindische Compagnie, Boek 1, Deel 1, S. 7–28; Bruijn, Dutch Asiatic Shipping, Volume II. 21 Die Insel Texel fungierte als Hochseehafen der Amsterdamer VOC-Kammer, in den die Schiffe aus Asien einliefen. Siehe dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I, S. 22–37.

2. De mare liberum – Naturrecht auf Handel

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Bewiesen war indes die Möglichkeit der Fahrt nach Asien auf der südlichen Route, ohne nachdrücklich von den Portugiesen daran gehindert werden zu können. Wissenschaftlich erbrachte die Expedition eine Verbesserung der Navigation auf hoher See durch die Beobachtungen, die Pieter Keyser während der Fahrt gemacht hatte. Keyser hatte die Sternenbilder des südlichen Wendekreises kartographiert.22 Mit der Hilfe von Keysers Aufzeichnungen konnten Sternenkarten der südlichen Hemisphäre erstellt werden. Nur ein Jahr später stach die zweite niederländische Flotte unter Jacob Cornelisz. van Neck, Jacob van Heemskerck und Wybrand van Warwijk in See, um die Reise nach Asien anzutreten. Nach vierzehneinhalb Monaten kehrte die Flotte reich beladen zurück und sorgte für eine Dividende von über 200 Prozent. Die Oude Compagnie in der Nachfolge der Compagnie van Verre war außerordentlich erfolgreich, was vorrangig auf dem Import von Pfeffer beruhte, der den größten Anteil der Ladung ausmachte. Die zweite Fahrt nach Asien war im Rahmen der sogenannten Voorcompagniën die erfolgreichste. Keine der folgenden 13 Ostindien-Fahrten der Voorcompagniën konnte je wieder einen solchen Gewinn erwirtschaften. In den folgenden Jahren wuchs die Konkurrenz zwischen den OstindienKompanien. Einige kleinere fusionierten, um das eingelegte Kapital zu vergrößern und die Schiffe ausstatten zu können, so dass grundsätzlich fünf Voorcompagniën existierten: die Rotterdamse Compagnie, die Compagnie van Verre, die Oude Compagnie, die Brabantse Compagnie und die Zeeuwse Compagnie. Jakob van Heemskerck, der 1609 die Schlacht bei Gibraltar gegen die spanische Flotte als Admiral anführen und dabei sterben sollte, befehligte die vorletzte OstindienFahrt der Voorcompagniën im Auftrag der Ouden Compagnie. Aus den Fahrten nach Asien sticht die 14. heraus, da sich mit ihr Umstände verquicken, die direkten Einfluss auf die 1602 neu gegründete VOC hatten. Van Heemskerck verließ die Vereinigten Niederlanden im April 1601. Im Oktober desselben Jahres begannen die Verhandlungen der Voorcompagniën mit der Staten-Generaal über den Zusammenschluss zu einer Kompanie, der durch einen Oktroi das Privileg zugestanden werden sollte, als einzige mit Gewürzen in den Vereinigten Niederlanden zu handeln. Die Gründung der VOC kam der Zentralisierung des Handels mit Asien gleich, die exemplarisch für die niederländischen Bestrebungen der Monopolisierung war, um den Profit der Kaufleute zu maximieren. Auch in Asien waren Handelsmonopole das Hauptmerkmal des niederländischen Verräumlichungsregiments.

2. DE MARE LIBERUM – NATURRECHT AUF HANDEL Ein Jahr nach der Gründung der Vereenigden Oostindischen Compagnie überfiel van Heemskerck eine mit Seide und Porzellan beladene portugiesische Karacke in der südasiatischen Seestraße von Malakka als Racheakt für die Hinrichtung von 22 Vgl. dazu: Pieter Keyser in: Molhuysen, P.C.; Blok, P.J. (Red.): Nieuw Nederlandsch biografisch woordenboek, Deel 2. Leiden: A.W. Sijthoff, 1912, S. 674f.

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19 seiner Männer an der Küste von Kanton, die von den Portugiesen der Piraterie angeklagt worden waren. 1604 brachte er die eroberte Santa Caterina nach Europa zurück, mit einer Beute, die mehrere Millionen Gulden wert war. Die VOC verkaufte die Brise und teilte den Gewinn zwischen der VOC, den Admiralitäten der Vereinigten Niederlanden und van Heemskerck auf. Einige Aktionäre waren allerdings skeptisch ob der Beutenahme des portugiesischen Schiffes.23 Um den Akt der niederländischen Piraterie zu rechtfertigen, ließ die neu gegründete VOC Hugo Grotius eine Verteidigungsschrift anfertigen. Die Abhandlung De Mare liberum war Teil der Schrift De Indis, die erst 1868 als De jure praedae Bekanntheit erlangte. Als separate Schrift wurde Grotius’ Text, den er zwischen 1604 und 1606 verfasste, erstmals 1609 als Kapitel in der Schrift De Indis veröffentlicht.24 Mit der Schrift De Indis begründete Grotius nicht nur die Freiheit der Meere im Naturrecht, sondern allgemein das Prisenrecht.25 Die an den Indischen Ozean grenzenden Küsten gehörten nicht durch die Ansprüche der Portugiesen, begründet in den Verträgen von Tordesillas und Saragossa, den Besatzern, sondern den einheimischen Völker. Aus diesem Grund gibt es auch kein alleiniges Recht der Portugiesen auf den Handel mit den Ländern Asiens und Südostasiens. Dem portugiesischen Paradigma des Mare clausum stellte Grotius die Idee der Freiheit des Meeres entgegen. „Erstes Kapitel. Nach dem Völkerrecht steht jedem freie Schiffahrt [sic] zu. Wir wollen kurz und klar beweisen, daß die Bataver, d.h. die Vereinigten Niederlande, das Recht haben, in bisher gewohnter Weise nach Indien zu fahren und dort Handel zu treiben. Wir wollen dabei die erste und gewisseste Regel des Völkerrechts zugrunde legen, deren Beweiskraft klar und unumstößlich ist: Jedes Volk kann ein anderes aufsuchen und mit ihm Geschäfte machen.[…] Dies Recht können also alle Völker gleichmäßig beanspruchen, weshalb angesehen [sic] Rechtsgelehrte so weit gehen, zu sagen, daß kein Staat und kein Fürst über26 haupt jemand verbieten könne, ins Land zu kommen und Handel zu treiben.“

Grotius Argumentation kann als Ansatz zu einem allgemeinen Völkerrecht interpretiert werden. In der Zeit der Entstehung, war es hingegen eine Polemik für das militärische Vorgehen gegen die portugiesische Macht in Asien, die von beiden Seiten erbittert ausgefochten wurde und oftmals mit der Brandmarkung des jeweils anderen als Pirat einherging. Spanien und Portugal befanden sich zu diesem Zeitpunkt im Krieg mit den Vereinigten Niederlanden in Europa. Für die VOC, die als Handelsunternehmen gegründet wurde, aber durch den Oktroi zahlreiche Rechte zugestanden bekam, um in Asien unabhängig vom Warten auf Befehle aus Europa, die monatelang auf Schiffen unterwegs waren und teilweise nie bei den 23 Siehe dazu: Ittersum, Profit and principle. 24 Vgl. dazu den Briefwechsel von Hugo Grotius, indem er von den Bewindhebbern der VOC gebeten wird, eine Verteidigung des niederländischen Handels mit Ostasien zu rechtfertigen. In: Appendix XXV; vgl. zur Veröffentlichung: Boschan, Von der Freiheit des Meeres, S. 5–13; Grotius/Kirchmann, Des Hugo Grotius drei Bücher, S. 5–16; weiter dazu: Ittersum, Martine Julia van: The long goodbye: Hugo Grotius’ justification of Dutch expansion overseas, 1615–1645, History of European Ideas, 36 (2010), S. 386–411. 25 Siehe dazu: Ittersum, Profit and principle; Boschan, Von der Freiheit des Meeres. 26 Vgl. dazu: Boschan, Von der Freiheit des Meeres, S. 24ff.

3.Vertreterin des niederländischen Staats in Asien

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niederländischen Entscheidungsträgern in Südostasien ankamen, agieren zu können, war diese Tatsache Anlass für die Ausweitung des europäischen Konflikts in die Gewässer des Indischen Ozeans und Teile des Pazifiks. Grotius’ Schrift rechtfertigt vordergründig das brutale Vorgehen der Niederländer gegen ihre portugiesischen Konkurrenten in Asien. Erst aus diesem Kontext der niederländischen Expansion in Asien herausgelöst, erscheint es möglich den Grotius’schen Text als Ausgangspunkt für das Völkerrecht zu sehen.27 Die Beachtung der Interessen südostasiatischer Völker in Grotius’ Schrift geschah vordergründig im Gedanken an die Legitimierung der niederländischen Handelsinteressen. Grotius gab später zu, die Schrift im Auftrag der VOC geschrieben zu haben, ohne vollkommen von der eigenen Argumentation für die Freiheit der Meere überzeugt gewesen zu sein.28 Im 20. Jahrhundert unterlag der Text De mare liberum starker Kritik, besonders der des Übersetzers und Herausgebers Richard Boschan, der Grotius eine unsaubere Zitation der spanischen Rechtsgelehrte vorwarf. Grundsätzlich sei alles was Grotius in De Mare liberum anführt, von den spanischen Rechtsgelehrten schon voraus gedacht worden: Allgemein betrachtet hätte das Völkerrecht nach Meinung Boschans in der Nachfolge der spanischen Rechtsschule von Salamanca eine kreativere Ausgangsposition besessen als es im Anschluss an Grotius möglich sei, der sich inständig auf die Römische Rechtstradition berief, die er als ewig geltende ansah.29 Exemplarisch steht Grotius’ Text für das Recht des Vorgehens der VOC in Asien, in den ersten Jahren nach ihrer Gründung.

3.VERTRETERIN DES NIEDERLÄNDISCHEN STAATS IN ASIEN Die Vereenigde Ooostindische Compagnie – Abbild der politischen Struktur der Vereinigten Niederlanden Wie die VOC aufgebaut war, welche Verwaltung in Europa die Geschäfte regelte, welche Rechte die VOC und ihre Angestellten in Asien besaßen, welche Institutionen die VOC in Asien etablierte und wie der Austausch zwischen den beiden Ebenen der europäischen und der asiatischen vollzogen wurden, steht vor der Beschäftigung mit den Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien der VOC im 17. Jahrhundert, die zur Prosperität des Handelsunternehmens beitrugen. Allerdings sind diese Strukturen bereits weitreichend von Femme Simon Gaastra in verschiedenen Publikation hinreichend erläutert wurden, was die Konzentration auf die

27 Vgl. dazu u. a.: Wilson, The savage republic, S. 232. Wilson interpretiert Grotius’ Rechtfertigung des Vorgehens der VOC in Asien innerhalb des Konzepts der Wallersteinʼschen Hegemonie, die aus der überlegenen Organisation der VOC hervorgehe, die im Gegensatz zum Estado da India als Korporation und Aktiengesellschaft aufgestellt war. Wilsons Aussage die VOC, als Staat im Staat zu betrachten, muss kritisch betrachtet werden. 28 Vgl. dazu: Boschan, Von der Freiheit des Meeres, S. 11. 29 Siehe dazu: Ebda., S. 5–14.

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wesentlichen Punkte ermöglicht.30 Unter Betrachtung der Aktivitäten der aufeinander folgenden Generalgouverneure werden die Strategien der Machterweiterung der VOC analysiert, um sie nachfolgend mit den Strategien der Niederländer in Europa vergleichen zu können, woraus sich ein Modell der Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien des niederländischen Staats des 17. Jahrhunderts aus einer interkontinentalen Perspektive ergibt. Die VOC bestand aus verschiedenen Kammern. Alle Voorcompagniën wurden bei der Gründung der VOC 1602 aufgelöst. Viele der ehemaligen Anteilseigner beteiligten sich an der Finanzierung der Monopolkompanie.31 Mit einer schlagkräftigeren Kompanie, die größere finanzielle Mittel aufbringen könnte, bestand eine größere Chance, den Portugiesen, und damit auch den Spaniern, eine sicher geglaubte Einnahmequelle streitig zu machen, was die finanziellen Probleme der Spanier einerseits vergrößern, andererseits mit der Bezahlung des Oktrois durch die VOC den Staten-Generaal Geldmittel zum Aufbau der eigenen Truppen bereit stellen würde. Ein zweiter Faktor war die Möglichkeit der Indienstnahme der militärisch gerüsteten Flotte der VOC für die Zwecke der Verteidigung der 30 Siehe dazu: Gaastra, De geschiedenis van de VOC; Ders.: Bewind en beleid bij de VOC, De financiele en commerciele politiek van de bewindhebbers 1671–1702, Zutphen: Walburg Press, 1989; ders.: The Dutch East India Company, Expansion and decline, Zutphen: Walburg Press, 2003; Meillink-Roelofsz, M.A.P. (Hg.): De VOC in Azië, Bussum: Unieboek, 1976; Witteveen, Menno: Een onderneming van landsbelang: de oprichting van de Verenigde Oost-Indische Compagnie in 1602, Amsterdam: Amsterdam university Press Salomé, 2002. Daneben existieren zahlreiche Veröffentlichungen zu Einzelaspekten der VOC-Geschichte. Siehe u.a.: Atsushi, Ota: Changes of Regime and Social Dynamics in West Java: Society, State and the Outer World of Banten, 1750–1830, Leiden: Brill, 2006; Brouwer, Cornelis G.: Al-Mukha: profile of a Yemeni seaport as sketched by servants of the Dutch East India Company (VOC), 1614–1640, 2. Aufl., Aden: Aden Univ. Press, 2006; ’s Jacob, H.K. (Hg.): De Nederlanders in Kerala 1663–1701: de memories en instructies betreffende het commandement Malabar van de Verenigde Oost-Indische Compagnie, ’s-Gravenhage: Nijhoff, 1976; Leur, Jacobus Cornelius van: Indonesian trade and society, Asian social and economical history, Den Haag: Van Hoeve, 1955; Prakash, Om: The Dutch East India Company and the economy of Bengal, 1630–1720, 1. Indian impr., Delhi [u.a.]: Oxford University Press, 1988; ders.: The Dutch factories in India, 1617–23, New Delhi: Munshiram Manoharlala, 1984; Ricklefs, Merle C.: A history of modern Indonesia since c. 1300, 2. Aufl., Basingstoke: Macmillan, 1993; Ruangsilp, Bhawan: Dutch East India Company Merchants at the Court of Ayutthaya: Dutch Perceptions of the Thai Kingdom, c.1604–1765, Leiden: Brill, 2007; Santen, H.W. van: De Verenigde Oost-Indische Compagnie in Gujarat en Hindustan, 1620–1660, Proefschrift, Leiden: Verlag, 1982; Talens, Johan: Een foedale sammenleving in koloniaal vaarwater, Staatsvorming, koloniale expansie en economische onderontwikkeling in Banten, West-Java, (1600–1750), Hilversum: Verloren, 1999. 31 Oldenbarnevelt erarbeitete Vorschläge für die Ausgestaltung des Oktrois der neu zu gründenden Ost-Indienkompanie schon 1601, was die langfristige Planung belegt. Vgl. dazu: CXLIII: Punten van vereeniging der verschillende Oost-Indische Compagnien, met de kantteekeningen van Oldenbarnevelt, in: Deventer, M. L. van: Gedenkstukken van Johan van Oldenbarnevelt en zijn tijd, Tweede Deel, 1593–1602, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1862, S. 300–303. Im März 1602 äußerte sich Oldenbarnevelt in einer Stellungnahme zum Grund für den Aufbau der VOC, der neben den Interessen im Handel in der Schwächung der spanischen Krone lag. Siehe dazu: Appendix XXVI.

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Vereinigten Niederlanden.32 Von Beginn an war die Rolle der VOC nicht auf das Dasein als Handelsunternehmen begrenzt. Sie diente aufgrund der Investitionen zahlreicher bedeutender Regenten33 deren innen- und außenpolitischen Interessen. Die Verknüpfung ökonomischer und politischer Interessen zeigt sich im Agieren der VOC. Als Aktiengesellschaft konstituiert, ermöglichte die VOC grundsätzlich jedem, sein Kapital zu investieren. Für 21 Jahre verliehen die Staten-Generaal der VOC einen Oktroi, der die Ostindien-Kompanie zum einzigen niederländischen Handelsunternehmen machte, das zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und der Magellanstraße Handel treiben und Waren aus Asien in den Vereinigten Niederlanden verkaufen durfte. Nach dieser Laufzeit sollte erneut über die Konditionen verhandelt werden. Durch die Voorcompagniën bestand der Vorteil, bereits auf eine bestehende Flotte von Handelsschiffen zurückgreifen zu können. Insgesamt 14 Schiffe besaßen die Voorcompagniën, die von der VOC übernommen wurden. Das in der VOC angelegte Kapital wurde nicht ausschließlich für den Bau neuer Schiffe benötigt, sondern galt einerseits als langfristige Investition, um kontinuierliche Handelsbeziehungen mit den verschiedenen Territorien in Asien aufbauen zu können, andererseits als Kapitalanlage, da die Anteilsschein veräußert werden konnten. Entsprechend dem Oktroi besaß die VOC das Recht, Befestigungen im Rahmen der Handelsbeziehungen in Asien zu errichten. Nach zehn Jahren sollten den Anteilseignern erstmals die Bücher der VOC geöffnet werden. Sie konnten ihr angelegtes Kapital plus den erwarteten Gewinn wieder abziehen oder ihn für die nächsten zehn Jahre neu investieren.34 Von den Gewinnen, die mit den asiatischen Waren verdient wurden, sollten fünf Prozent in die Kasse der Kompanie fließen, um die Anteilseigner auszuzahlen. Hätte die VOC nach diesen Prämissen des Oktrois gehandelt, wäre der Aufbau einer soliden Geschäfts- und Handelsstruktur mit Asien unmöglich gewesen, da die Auszahlungen an die Anteilseigner den Abzug von Kapital nach zehn Jahren möglich gemacht hätten, obwohl der Oktroi für 21 Jahre galt und die VOC in den ersten Jahren nicht genügend Gewinn generierte, um einen Abzug von Kapital gegenfinanzieren zu können.35 Oftmals wurde in den ersten Jahren die Dividende in Gewürzen ausgezahlt, um die Finanzen der VOC zu schonen. Die vertraglich zugesicherte Auszahlung des angelegten Kapitals nach 10 Jahren blieb aus. Solange die VOC bestand, blieb das Grundkapital unan32 Vgl. dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I, S. 7. Da die Admiralitäten die Kanonen der VOC-Schiffe bereitstellten, war eine Nutzung der VOCFlotte durch die Admiralitäten möglich. Siehe dazu weiter: Glete, Warfare at Sea; ’t Hart, The Dutch wars. 33 In Appendix I sind die bedeutendsten Regenten, die in die VOC investierten und stimmberechtigte Mitglieder waren, verzeichnet. Siehe dazu: http://www.online-plusbase.de/bereiche/ geschichte/die-variabilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. 34 Siehe dazu: Gaastra, De geschiedenis van de VOC, S. 29–37. 35 Vgl. dazu die finanzielle Unterstützung der VOC durch die Generalstände, Provinzialstände und Admiralitäten in den ersten beiden Jahren der Existenz der VOC: ’t Hart, The Dutch wars, S. 130.

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getastet, auch weil es in Schiffen, die Errichtung von Forts in Südostasien und den Unterhalt der Kaufleute und Soldaten investiert worden war oder fortlaufend investiert werden musste.36 Um die Geschäfte des Unternehmens und dessen Existenz nicht zu gefährden, insistierten auch die Generalstände als oktroiierende Institution nicht zugunsten der festgeschrieben Bestimmungen im Sinne der Anteilseigner. Bestehend aus sechs Kammern, personell zusammengesetzt aus den Hauptanteilseigner, die wiederum jeweils eine bestimmte Zahl von Delegierten in das Direktorium der VOC entsandten, entspricht die VOC-Organisation dem Muster der Entsendung von Delegierten, das die Berufung in die ständischen Gremien in den Vereinigten Niederlanden prägte.37 Allerdings repräsentierten die sechs Kammern nur die Seeprovinzen Holland und Seeland. In den Städten, in denen schon vor der Gründung der VOC Ostindien-Kompanien bestanden, konstituierten sich die Kammern der neu gegründeten Kompanie. Neben der wichtigsten Stadt Amsterdam, gehörten die holländischen Städte Hoorn, Enkhuizen, Rotterdam und Delft zur holländischen Kammer. In der Provinz Seeland gab es nur eine Kammer, die aus Vertretern mehrerer Städte bestand.38 An erster Stelle in der seeländischen Kammer stand Middelburg, des Weiteren Veere und Vlissingen. Balthasar de Moucheron, wichtiger Investor der Voorcompagniën, war einer der Vertreter der Stadt Veere, die schon ein Jahr nach der Gründung mit dem Austritt de Moucherons aus der seeländischen Kammer an Bedeutung verlor. Middelburg wurde somit schon früh zur prägenden Gemeinde der seeländischen Kammer.39 Die VOC war ein Projekt der Seeprovinzen mit Zugang zum offenen Meer. Die anderen Provinzen, die in Bezug auf den Handel zum Hinterland der Seeprovinzen wurden, profitierten von der Erfolgen der VOC, die der gesamten Union zugute kamen, da die meisten Abgaben für die Union von den Seeprovinzen getragen wurden.40 Im Oktroi wurde festgelegt, welchen Beitrag jede der Kammern 36 Zur Forderung nach mehr Soldaten siehe: Appendix VI, Nr.11. 37 Vgl. dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I, S. 11ff. Lademacher macht den Unterschied zwischen der zentral geführten EIC und der föderalen VOC. Vgl. dazu: Lademacher, Phönix aus der Asche?, S. 326. 38 Siehe zur Kammer von Amsterdam: Dillen, Dr. J.G. van: Het oudste aandeelhoudersregister van de Kammer Amsterdam der Oost-Indische Compagnie, Werken uitegegeven door de vereniging Het Nederlandsch Economisch-Historisch Archief, 14 Hague, 1958. 39 Balthasar die Moucheron war eine der prägenden Figuren in der Anfangsphase des Handels mit Südostasien. Siehe dazu: Molhuysen; P.C.; Blok, P.J.; Kossmann, Fr. K. H. (Red.): Nieuw Nederlandsch biografisch woordenboek. Deel 7, Amsterdam: Israel, 1974, S. 884–887. 40 Siehe dazu: Liesker/Fritschy, Gewesteijke financiën, Holland (1572–1795), S. 3–85; Vries/ Woude, The first modern economy, S. 96ff. Die Steuereinnahmen Holland lagen sowohl 1635 und 1653 bei 10,5 Millionen Gulden. Durch das Bevölkerungswachstum innerhalb dieser knapp 20 Jahre verminderte sich allerdings die pro Kopf Abgabe um 1,5 Gulden. Die Quote regelte, dass Holland seit 1616 58.31 % des Gesamtbudgets finanzierte. Zu den Schulden der Provinzen siehe: Ebda., S. 113f. Wie de Vries/van de Woude festhalten, ist auch das Finanzuns Steuersystem durch die Dezentralisierung nicht weniger effektiv: „The Republic’s decentralized political system isolated and expelled every suggestion of or tendency towards fiscal centralization or bureaucratization. Reform and timely decision making never charac-

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zu liefern hatte. Amsterdam stattete die Unternehmungen der VOC zur Hälfte aus, die Vertreter Middelburgs zu einem Viertel, die kleineren Kammern jeweils zu einem Sechzehntel. Damit ähnelte die Finanzierung der VOC, der Aufteilung des Steueraufkommens unter den Provinzen, das an die Generalstände gezahlt werden musste, zu dem Holland mit Amsterdam als größter Abgabenzahler innerhalb der Provinz über 50 % beitrug. Unter Beachtung der Zahlungsrückstände der anderen Provinzen ist die reale Bedeutung der Provinz Holland noch höher einzuschätzen, als die Zahlen es belegen.41 Mit der Regelung, die nicht nach den Investitionsvolumen aufgeschlüsselt wurden, Amsterdam solle mit den größten Anteilen mehr als die Hälfte der Unternehmungen ausstatten und anleiten, war den Seeländern genüge getan, die nur eine absolute Mehrheit Amsterdams im Stimmverhältnis des Direktorengremiums gefürchtet hatten, sich bei der Ausstattung der VOCFlotten aber gern auf Amsterdam stützten.42 Im Direktorium der VOC sollte nach dem Willen der Seeländer, jede Kammer eine Stimme besitzen, wie sie die Provinzen in den Generalständen besaßen, um wiederum die Macht der Amsterdamer Kaufleute zu begrenzen. Die Hauptanteilseigner der VOC einigten sich jedoch auf die Anzahl von 17 Direktoren. Die Heren XVII wurden zum obersten Verwaltungsgremium der VOC in Europa. Sie trafen sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts zwei Mal, später drei Mal jährlich für ein bis vier Wochen, um Listen zusammenzustellen, welche Waren aus Asien nach Europa verbracht werden sollten, welche Ausrüstung für die anstehende OstindienFahrt notwendig war und welche Mengen an Edelmetall nach Asien gesendet werden mussten, um asiatische Waren erwerben zu können. Nach der Ankunft der Retourflotte wurde über die Versteigerung der gelöschten asiatischen Waren verhandelt, über die Möglichkeit der Auszahlung und die Höhe von Dividenden. Das Direktorium setzte sich nach der Aufschlüsselung der Unternehmensausstattung zusammen. Acht Direktoren aus Amsterdam, vier aus Middelburg, jeweils einer aus den kleinen Kammern. Der 17. Direktor wurde im Wechsel von den kleinen Kammern gestellt, um eine Mehrheit der kleineren Kammern gegen die Amsterdamer Kammer zu ermöglichen. Ein Zyklus von acht Jahren wurde festgelegt, von terized the fiscal regime. But the fiscal regime was also broadly based, and its decentralization allowed for a flexible exploitation of the many taxing opportunities of a diversified, highly monetized economy. The Republic’s fiscal policies succeeded in defining a broad tax base and taxing it heavily. In this sense, the charge that the Republic suffered from an ,institutional impotenceʻ in the fiscal sphere is very far from the mark, as Wantje Fritschy convincingly had demonstrated.“, in: Ebda., S. 111. 41 Zu den Beiträgen, die Holland leistete, siehe: Liesker/Fritschy, Gewestelijke financien, Holland (1572–1795), S. 1–9; weitere detaillierte Darstellungen: Vries/Woude, The first modern economy, S. 81–128; Israel, The Dutch Republic, S. 610–636. 42 In Oldenbarnevelts Skizzen zum Oktroi war die bestimmende Rolle Amsterdams für den Verkauf von asiatischen Waren in den Vereinigten Niederlanden bereits angedacht. Vgl. dazu den Vorrang der Amsterdamer Gewichtseinheiten: „8. Dat de Specerien van de Compagnie sullen worden verkocht op éénerlei gewicht, in swaerte als dat van Amstelredam.“, in: CXLIV. Octrooi door de Oost-Indische Compagnien verlangd; met de kantteekeningen van Oldenbarnevelt, Januar 1602, in: Deventer, Gedenkstukken, Tweede Deel, 1593–1602, S. 303–307, darin: S. 305.

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denen sechs Jahre lang in Amsterdam getagt wurde, zwei in Middelburg, wobei die jeweilige Kammer des Tagungsorts den Vorsitz des Direktoriums hatte. Alle Direktoren der Heren XVII wurden von ihren jeweiligen Kammern entsandt, wobei für jede Versammlung des Direktoriums neu entschieden wurde, welche Delegierten die einzelnen Kammern entsandte. Insgesamt bestanden die sechs Kammern aus 60 Anteilseignern, wobei auch hier die Kammer Amsterdam mit 23 Mitgliedern die größte war. Im Abstimmungsverhalten entwickelte sich eine ähnliche Struktur wie zwischen den Provinzständen und den Städten. Die Vorschläge der Kammern mussten in Rücksprache mit den Stadt- oder Provinzgremien besprochen werden, wenn es keine eindeutige Haltung zu den jeweiligen Fragen gab. Die Unternehmensstruktur der VOC war durch die Übermacht Amsterdams gekennzeichnet. Zwischen den einzelnen Kammern bestand eine klare Hierarchie, die sich finanziell und personell ausdrückte.43 Trotzdem war die föderative Organisation der VOC eine der Besonderheiten der Korporation, die zur flexiblen Unternehmensführung beitrug. Wenn die Schiffe und damit die Waren einer Kammer verloren gingen, gab es immer sechs andere Kammern, die verhinderten, dass das gesamte Unternehmen Schaden nahm. Andererseits bedingte die föderale Struktur die Gefahr, gemeinsame Entscheidungen nur schwerlich im Konsens zu entscheiden. Grundsätzlich waren aber die Verteilung des Risikos der Unternehmungen, die Flexibilität der einzelnen Kammer und die gemeinsame Unternehmensführung der Kammern die wichtigsten Strategien, die zu großer Investitionsbereitschaft führten. Was die personelle Struktur der VOC betraf, so wurden die Anteilseigner der Voorcompagniën zu Direktoren der Kammern.44 Allerdings begrenzte der Oktroi von 1602 die Zahl der Anteilseigner auf 60, im Gegensatz zu 72, wenn alle Anteilseigner der Voorcompagniën in die neue Struktur übernommen worden wären. 20 in der größten Kammer, 12 in Middelburg und sieben in den kleinen Kammern. Ihre Bezahlung setzte sich aus der Beteiligung an Investitionen und Gewinnen zusammen. Jeweils ein Prozent erhielten die Mitglieder der Kammern von den Investitionen in die Ausrüstung der Ostindien-Fahrten und den Gewinnen aus den Verkäufen der asiatischen Waren in den Vereinigten Niederlanden. Mit einer Mindesteinlage von 6000 Gulden – Enkhuizen und Hoorn machten mit 3000 Gulden eine Ausnahme – stiegen die Aktionäre zu stimmberechtigten Direktoren der Kammern auf. Persönlich waren sie mit ihrem Eigentum bei einem Bankrott der VOC nicht haftbar. Sollte eine Direktorenstelle frei werden, schlugen die restlichen Direktoren der jeweiligen Kammer drei Kandidaten vor, von denen die Stände von Holland und Seeland einen auswählten.45 Die Amsterdamer Kammer wehrte sich gegen diese Festlegung des Oktrois. Amsterdam legte den holländischen Ständen, in denen ihre Vertreter die Mehrheit stellten, wenige Tage vor der 43 Siehe dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I, S. 1–22. 44 Die Direktoren wurden zu den sogenannten Bewindhebbern, die maßgeblich die Entscheidungen ihrer Kammern beeinflussten. Vgl.: Gaastra, Geschiedenis van de VOC, S. 29–37. 45 Siehe dazu: Israel, Dutch primacy, S. 67–73; Dam/Stapel, Beschryvinge van de Oostindische Compagnie, Boek 1, Deel 1, S. 230–241; Gaastra, Geschiedenis van de VOC, S. 29–37.

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Verabschiedung des Oktrois eine Resolution vor, die der jeweiligen Stadtverwaltung der holländischen VOC-Kammern die Wahl der Direktoren überließ.46 Seeland ließ bis 1646 neue Direktoren von den Ständen auswählen. Erst danach wurde die Aufgabe an die Städte weitergegeben. Sowohl die seeländischen als auch die holländischen Kammern hatten unterhalb des Gremiums der Direktoren weitere Kommissionen eingerichtet, die mit der Ausrüstung der Ostindien-Flotte und den ankommenden Waren betraut waren. Eine weitere Kommission war die Rechenkammer. In den beiden großen Kammern Hollands und Seelands etablierten sich diese Institutionen erst im Lauf der ersten beiden Jahrzehnte nach der Gründung. Für die Heren XVII existierte ein solcher Kontrollmechanismus während der Dauer des ersten Oktrois nicht.47 Das Verfahren zur Wahl der Direktionsmitglieder war an die oligarchische Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden angelehnt und verweist auch in Fragen der außereuropäischer Expansion auf die Vormacht der Städte, die mit dem Einfluss auf die VOC eines der größten Handelsunternehmen der Frühen Neuzeit durch die in Holland eingebrachte Resolution kontrollierten. Blickt man genauer auf die Mitglieder der einzelnen Kammern, erscheint neben den bedeutenden südniederländischen Kaufleuten eine Vielzahl von Nordniederländern, die ebenfalls Kaufleute waren, deren Familien jedoch mit der Alteratie in Amsterdam von 1587 zu politischen Würden in der Stadtverwaltung gekommen waren.48 Reynier Pauw und Gerrit Bicker zählten zu den wichtigsten Amsterdamer Kaufleuten und Politikern, die in die VOC investierten.49 Unter den 20 Direktoren der Amsterdamer Kammer, fanden sich nicht alle zehn Investoren wieder, die das meiste Geld angelegt hatten. Grundsätzlich bestimmte aber die Höhe des angelegten Kapitals die Zusammensetzung der Kammern. Isaac le Maire schied bald aus dem Gremium aus, da ihm vorgeworfen wurde, Betrug bei der Aufstellung seiner Kosten für die Ausrüstung der ersten Flotte gemacht zu haben, um höhere Gewinn erzielen zu können, die laut dem Oktroi auch nach den Ausrüstungskosten berechnet wurden. Gerrit Reynst, den die VOC-Direktoren 1614 zum Generalgouverneur der VOC in Asien ernannten, dem obersten Vertreter des Handelsunternehmens in Asien, war ebenfalls mit einer Summe von 12.000 Gulden an der VOC beteiligt und Bewindhebber der VOC.50 Zudem stammten zwei Kammer-

46 Vgl. dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I, S. 16. 47 Siehe dazu: Dam/Stapel, Beschryvinge van de Oostindische Compagnie, Boek 1, Deel 1, S. 365–415. 48 Die VOC-Direktoren durften nicht miteinander verwandt sein, weder durch Geburt noch durch Heirat. Vgl. dazu: Dam/Stapel, Beschryvinge van de Oostindische Compagnie, Boek 1, Deel 1, S. 191. 49 Siehe dazu: Appendix I unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/die-varia bilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. 50 Vorher war er Anteilseigener der Brabantschen Compagnie und der Vereenighden Compagnie van Amsterdam.

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mitglieder aus dem Norden des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation: Hans Hunger und Johan Poppen.51 Auch weil die VOC von vielen Immigranten geprägt war, kann sie nicht nur als ein Projekt der Generalstände der Vereinigten Niederlanden und Oldenbarnevelts betrachtet werden, sondern auch als privatwirtschaftliche Initiative, die auf den Unabhängigkeitskrieg zurückzuführen ist. Aus politischen Gründen fassten die Institutionen der Vereinigten Niederlanden die unternehmerische Energie zusammen und verschafften der VOC durch Privilegien und Monopole eine günstigere Ausgangssituation als es unter freier Konkurrenz den Voorcompagniën möglich gewesen war. Die Gründung der VOC richtete sich gegen den Freihandel mit asiatischen Waren. In Bezug auf die internationale Konkurrenz, die sich in England schon 1600 mit der Gründung der East India Company (EIC) formiert hatte, war der Protektionismus der Generalstände notwendig, um die hohen Investitionen gegen das große Risiko der Fernhandels zu versichern. Die englische East India Company (EIC), mit einem Privileg der Königin ausgerüstet, galt als Reaktion auf die niederländischen Voorcompagniën, konnte jedoch nicht mit einem so immensen Kapital aufwarten wie die VOC bei ihrer Gründung. Insgesamt besaß die VOC ein Startkapital von fast 6,5 Millionen Gulden. Der EIC stand lediglich ein Grundkapital von 72.000 Pfund zur Verfügung, die ausreichten, um 1602 eine erste Expedition nach Sumatra auszurüsten.52 Im Gegensatz zur VOC war die EIC nicht von Beginn an auf die Errichtung einer ständigen Handelsbeziehung mit Asien ausgerichtet, sondern den Voorcompagniën ähnlich. 51 Die Mitglieder der verschiedenen Kammern bei der Gründung der VOC, festgehalten in den Artikeln 18. bis 23. des Oktrois von 1602, waren: „XVIII. Ende zullen de respective kameren bedient worden by de tegenwoordige Bewindhebbers, als namelyk, de kamer van Amsterdam by Gerard Bikker, Reynier Paauw, Pieter Dirksz Hasselaar, Jaques de Felaar, Jan Jansz Carel, Bernard Berewyns, Johan Poppe, Hans Hunger, Hendrik Buik, Louis de la Becque, Dirk van Os, François van Hove, Ellert Lucasz, Isaac le Meer, Siwert Pietersz Hem, Gerard Reynst, Marcus Vogelaar, Jan Harmensz, Geurt Dirksz, Huibregt Wagtmans, Leonard Ray, Albert Simonsz Jonkhein, ende Arent ten Grootenhuize.; XIX. De kamer van Zeeland by Adriaan Henriksz ten Haaf, Jacob Boreel, Jan Lambrechtsz Coele, Jarob Pietersz de Waard, Cornelis Meuninks, Adriaan Bommenee, Laurens Bacx, Everhart Bekker, Aarnout le Clercq, Aarnout Verhoeven, Gerard van Schoonhoven, Nicolaas Pietersz, Balthasar van Vlierden, ende Balthasar de Moucheron.; XX. De kamer van Delft by Jan Jansz Lodestein, Arent Jacobsz Lodestein, Dirk Bruinsz van der Dussen, Gerard Dirksz Meerman, Cornelis Adriaansz Bogaard, Michiel Jansz Sasbout, Willem Joosten Dedel, Dirk Gerritsz Meerman, Jan Raad, Jacob Sandersz Balbiaan, Henrik Otte, ende Jaspar Meerman.; XXI. De kamer van Rotterdam by Fob Pietersz van der Meyden, Willem Jansz Frank, Gerrit Huigens, Pieter Leonardsz Busch, Johan van der Veecken, Willem Jansz van Loon, Jan Jacobsz Mus, Adriaan Spierink, Cornelis Matelief de Jonge.; XXII. De kamer tot Hoorn by Claas Jacobsz Syms, Cornelis Cornelisz Veen, Willem Pietersz Crap, Pieter Jansz Liorne.; X XIII. Ende de kamer tot Enkhuizen by Lucas Gerritsz, Willem Cornelisz de Jonge, Jan Pietersz Schram, Henrik Gruyter, Jan Laurisz van Loofen, Dirk Dirksz Peller, Gysbregt van Berenstein, Barthout Jansz Steenhuizen, Jacob Jacobsz Hinloopen, François du Gardyn, ende Willem Brasser,[...]“, Siehe dazu: NL-HaNA, VOC, 1.04.02, inv.nr. 1. 52 Vgl. dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I, S. 9; genau waren es 6.424.558 Gulden.

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Elisabeth I. verlieh der EIC das Recht, im Namen der englischen Krone in Asien zu agieren, ohne ihr die Selbständigkeit in politischen, militärischen und diplomatischen Belangen zuzugestehen, wie es der VOC, im Namen einer politischen Entität Europas außenpolitisch als selbständige Vertreterin zu agieren, von den Generalständen gewährt wurde. Neben der Protektion ermöglichten die gewährten Privilegien der VOC, die Entwicklung zu einer wirtschaftlich und politisch sehr einflussreichen Körperschaft, sowohl in Asien als auch in den Vereinigten Niederlanden selbst.53 Bei ihrer Gründung war die VOC eine Körperschaft in einem Gemeinwesen, dessen politische Kultur von der Konkurrenz verschiedener Körperschaften bestimmt wurde, wobei keine klare Trennung zwischen politischen und wirtschaftlichen Körperschaften bestand.54 Ohne die Annahme einer Trennung von Politik und Ökonomie lässt sich die VOC aus dem Blickwinkel der Genossenschaftsoder Körperschaftstheorie betrachten, die nicht primär untersucht, ob die VOC eine eigenständige politische Entität war, die sie zu einem internen Gegenspieler der Regierung der Vereinigten Niederlanden um die Vertretung der niederländischen Außenpolitik machte, sondern deren Anteil an der Herausbildung und Etablierung der niederländischen Herrschaftsstrategien im interkontinentalen Maßstab herausarbeitet.55 Die VOC gilt als Vertreterin der Vereinigten Niederlanden, die mithilfe der niederländischen, in Europa erprobten Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien in Asien zum ökonomischen und politischen Akteur aufstieg. Damit geht die Analyse über die Betrachtung der wirtschaftlichen Entwicklung der VOC hinaus und setzt sie in Relation zur politischen Kultur in den Vereinigten Niederlanden. Besonders ist dabei auf die Selbstwahrnehmung der Vereinigten Niederlanden als politische Entität zu achten, die durch die Aktivitäten der VOC verändert wurde, wie schon die Schrift De mare liberum Hugo Grotius’ zeigte. Daraus ergab sich eine Veränderung des Rechtsverständnisses zwischen den Völkern und der Bedeutung des Staats-Begriffs im Niederländischen. Der StaatsBegriff wurde durch das Ausgreifen der VOC nach Asien in einem interkontinentalen Kontext angewendet. Die Betrachtung der VOC erfolgt demgemäß weniger aus Perspektive der wirtschaftlichen Entwicklung durch die Betrachtung der Bilanzen als vielmehr mit dem Blick auf den Aufbau politischer Macht in Südostasien, der durch die wirtschaftlichen Interessen bedingt war.

53 Wolfgang Reinhard sieht die Entwicklung der VOC ebenfalls als einen Wandel „vom Handel zur Herrschaft“. Siehe dazu: Reinhard, Wolfgang: Geschichte des Kolonialismus, Stuttgart: Kröner, 1996, S. 180–187. 54 Siehe dazu: Wilson, The savage republic, S. 189–260; Stern, The Company-State, S. 3–15. 55 Hier bezieht sich die Darstellung auf Gierkes, Althusius’ und Grotius’ Einfluss auf die niederländische Staats-Formierung.

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Der Oktroi von 1602 – Grundlage politischer Macht Bedeutend an dem einleitenden Text des Oktrois ist die Einsetzung der VOC zum Wohl der Vereinigten Niederlanden und zum Zweck der Profitsteigerung des Fernhandels. Die Generalstände verliehen anschließend in den Paragraphen „uit souveraine magt ende authoriteit, ook met vaste wetenschap“56 die Freiheiten und Vorteile für die VOC. Für die Übertragung der Rechte an die VOC bezogen sich die Generalstände nicht nur auf das Konzept der Autorität, sondern auch auf ihre souveräne Macht, aus der heraus es ihnen oblag, dem Handelsunternehmen Rechte zu übertragen. Damit wurden der VOC jedoch keine souveränen Rechte übertragen, sondern Freiheiten und Vorteile für den Handel mit Ostindien zugesichert. Die VOC wurde nicht selbst zur souveränen Akteurin, sondern nur eine Vertreterin eines außenpolitisch souveränen Akteurs in einer bestimmten Region der Welt. Nach den Regelungen zum Aufbau und der Organisation der VOC in Europa folgen ab dem 34. Artikel des Oktrois die Bestimmungen zu den Privilegien der VOC in Asien, die den Grundstein für die faktische Unabhängigkeit der VOC in Asien legten.57 Im 35. Artikel wird der VOC das Recht zugestanden, im Namen der Generalstände zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und der Magellanstraße mit Prinzen und Potentaten Verbindungen und Verträge eingehen zu können. Um ihre Position zu festigen, durfte die VOC ebenfalls im Namen der Generalstände Festungen errichten, Soldaten beschäftigten, Justiziare und Gouverneure einstellen, um die eroberten Besitzungen zu verwalten und durch eine gute Ordnung, Politik und Justiz den Handel zu sichern. Sowohl den Generalständen als auch der VOC mussten die genannten Personen die Treue schwören, der VOC allerdings nur in Belangen des Handels und des Schiffsverkehrs. Die Gouverneure und Justiziare bestimmte die VOC nach eigenem gutem Gewissen. Die Ernennung musste den Generalständen bekannt gemacht werden. In keinem der weiteren Artikel des Oktrois wurden die Begriffe Autorität oder Souveränität erwähnt. Dass die VOC in Asien de facto als eigenständiger politischer Akteur auftrat, entwickelte sich im Lauf des 17. Jahrhunderts aus dem Gewohnheitsrecht heraus. Logischerweise ergab sich in der Praxis durch die räumliche Entfernung sehr wohl eine Eigenständigkeit der VOC, die sich durch die Errichtung fester Stützpunkte in Asien verstärkte. Die VOC galt durch die Interaktion mit politischen und ökonomischen Akteuren vor allem bei regionalen Akteuren in Asien als selbständige Entität, die aber immer im Namen der Vereinigten Niederlanden auftrat. Die Wahrnehmung der VOC als Staat in der Forschungsliteratur beruht vornehmlich auf der Untersuchung ihres selbständigen Agierens in Asi56 Siehe dazu: Valentyn, François: Oud en Nieuw Oost-Indien: Vervattende Een Naaukeurige en Uitvoerige Verhandelinge van Nederlands Mogentheyd In die Gewesten, Benevens Eene wydluftige Beschryvinge der Moluccos, Amboina ... en alle de Eylanden onder dezelve Landbestieringen behoorende ...; Eerste Deel Dordrecht, Amsterdam: Van Braam, Onder De Linden, 1724. Oktroi online einsehbar unter: http://www.vocsite.nl/geschiedenis/octrooi.html, zuletzt besucht am 28.12.2017. 57 Vgl. dazu: Artikel XXXV des Oktrois, in : Appendix XXVII.

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en, weniger auf dem Rechtsverhältnis zwischen der VOC und den Generalständen.58 Das Handelsunternehmen wurde lediglich als Monopolist privilegiert, ohne zum Souverän ernannt zu werden.59 Weitergehende Unabhängigkeit von den Generalständen, im rechtlichen Sinn, wurde der VOC nie gewährt. Wie die Generalstände die Vereinigten Niederlanden in Europa außenpolitisch als Souverän vertraten, galt die VOC als Vertreter der Vereinigten Niederlanden und deren politischen Institutionen in Südostasien. Die erfolgreiche Entwicklung zur Vertreterin war nicht absehbar, da erst eine funktionierende Administration zur Organisation des Handels in Asien aufgebaut werden musste, um sich gegen die Konkurrenz der Portugiesen durchzusetzen, die versuchten die lokalen asiatischen Herrscher von der Unsittlichkeit der Niederländer zu überzeugen.60 Mit dem 37. Paragraphen erlaubten die Generalstände der VOC das Vorgehen gegen die europäischen Konkurrenten ausdrücklich, um sich an den neuralgischen Punkten des existierenden asiatischen Handelsnetzwerks etablieren zu können. 61 Mit dem Artikel legitimierten die Mitglieder der Generalstände das Vorgehen der Niederländer gegen die Portugiesen, wie Jakob van Necks, der sich als Rache für den Mord an den Besatzungsmitgliedern seiner Flotte an der Santa Caterina schadlos hielt. Im gleichen Atemzug regelte der Artikel die Verteilung des Beuteguts zwischen den Admiralitäten, der Kompanie und dem Prinzen von Oranien. Zudem erlaubten die Generalständen den bewaffneten Schiffen der VOC, was vorher durch Kaperbriefe und Verfügungen der niederländischen Admiralitäten Freibeutern zugestanden wurde, die im Auftrag der Niederländer gegen die Dünkirchener Piraten vorgegangen waren oder Schiffe der Territorien aufbrachten, mit denen die Vereinigten Niederlanden im Krieg standen. Die Gründung der VOC ergänzte die Neuordnung der Admiralitäten in den Vereinigten Niederlanden, um auf See im Unabhängigkeitskrieg schlagkräftiger 58 Vgl. dazu u. a.: Wilson, The savage republic, S. 222ff. Nach Wilsons Einschätzung beruht die Macht der VOC auf einem informellen Netzwerk, das strategisch dem iberischen Konzept von Territorialität im Zuge der Kolonialisierung entgegen gesetzt war, um langfristige Unternehmungen durch den Einsatz von Kapital besser planen zu können, das nicht in die Kolonisierung investiert wurde. Wilson betrachtet in Anlehnung an Steensgaard Batavia als das Zentrum des innerasiatischen Netzwerks. Ebda., S. 234; Steensgaard, Niels: Carracks, caravans and companies: the structural crisis in the European-Asian trade in the early 17th century, Odense: Andelsbogtrykkeriet, 1973. 59 Siehe dazu die Eingangspräambeln der Verträge mit den asiatischen Herrschern, die immer als Notwendigkeit für die Akzeptanz der VOC als Vertragspartner bei den asiatischen Territorialherrschern interpretiert wurden. Wenn in den Quellen der VOC der Begriff Staat als Beschreibung für politische Entitäten auftaucht, dann sind es meist die Vereinigten Niederlanden, die damit bezeichnet werden. Siehe dazu vor allem: Heeres, J. E. (Hg.): Corpus Diplomaticum. Neerlando-Indicum. Verzameling van Politieke contracten en verdere Verdragen door de Nederlandes in het Oosten gesloten, van Privilegebrieven aan hen verleend, enz., Eerste Deel (1596–1650), Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van NederlandschIndië, ’s-Gravenhage: Marinus Nijhoff, 1907. 60 Siehe dazu: Boxer, The Portuguese Seaborne empire, S. 106–127. 61 Vgl. dazu: Artikel XXXVII des Oktrois, in: NL-HaNA, VOC, 1.04.02, inv.nr. 1.

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agieren zu können. 1597 hatten die Staten-Generaal in der Instructie voor de Admiraliteiten die Neuordnung der Marine in den Vereinigten Provinzen festgelegt.62 Bis zu diesem Zeitpunkt lag die Flotte der Habsburger in Veere. Eine untergeordnete Zweigstelle existierte in Dünkirchen. Mit dem Erlass der Generalstände bauten die Vereinigten Niederlanden eine eigene Flotte auf, da die bisherigen Flottenstützpunkte der Niederländer im habsburgisch besetzten Süden des niederländischen Territoriums lagen. Es wurden fünf neue Admiralitäten gegründet: in Rotterdam oder auch de Maze genannt, Enkhuizen und Hoorn, die nah bei einander lagen, Middelburg, Dokkum in Friesland und natürlich in Amsterdam. Jede der Admiralitäten war über die Stadt hinaus für ein bestimmtes Gebiet verantwortlich. Amsterdam war unter anderem für die Verteidigung Utrechts und der Grafschaft Zutphen zur See zuständig. Aus sieben Delegierten der Territorien, die zum Einzugsgebiet der Amsterdamer Admiralität gehörten, setzte sich das oberste Gremium der Marinebehörde zusammen. Zudem war der Statthalter der Provinz Mitglied des Gremiums. Oftmals waren die Delegierten der Amsterdamer Behörde ehemalige Bürgermeister der Stadt oder hatten die Rolle des AltBürgermeisters immer noch inne.63 Nicht ungewöhnlich war auch die persönliche Freundschaft von VOC-Direktoren mit den Vertretern der Admiralität. Die Verknüpfung zwischen Stadtverwaltung und einer Behörde auf Unionsebene war auch hier gegeben. Zuvorderst waren die Admiralitäten mit der Ausstattung der Kriegsschiffe betraut. Des Weiteren waren sie für die Überwachung der In- und Ausfuhren zuständig. Sie vergaben Lizenzen und Konvoirechte, um Handel mit feindlichen Mächten trotz des herrschenden Kriegs zu führen.64 Die Gewinne aus den Geschäften mit den Habsburgischen Niederlanden und Spanien wurden verwendet, um Kriegsschiffe zu bauen. Allerdings waren die Admiralitäten nicht mit einer funktionierenden Marine zu vergleichen. Sowohl die Unteroffiziere als auch die Matrosen besaßen keine feste Anstellung bei den Admiralitäten, da deren Einkünfte sich durch das Aufbringen von feindlichen Schiffen oder dem erfolgreichen Handel mit dem Feind finanzierten. Aus Mangel an Sicherheiten variierte die Zusammensetzung der Schiffsbesatzungen ständig.65 Was sich im 37. Artikel wiederfindet, ist die Einbeziehung der Admiralität in die Organisation der Vergabe von Beutegut, das zum Aufbau der niederländischen 62 Vgl. dazu: Japikse, Resolutiën der Staten-Generaal, 1576–1609, Deel 9, S. 528. 63 Siehe dazu: Appendix I unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/die-varia bilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. 64 Vgl. dazu: Vries/Woude, The first modern economy, S. 98f, 490ff. Vries und Woude sehen die Angaben zu der Convooien und Licenten kritisch, da oft weniger Einnahmen aufgelistet wurden als wirklich eingenommen wurden, um gegebenenfalls Zahlungsaufforderungen entgehen zu können. Weiter dazu: Kernkamp, J. H.: De handel op de Vijand, 1572–1609, 2 Teile, Utrecht, 1931–34. 65 Siehe dazu: Glete, Jan: Warfare at Sea. Zu den Angestellten der VOC: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I, S. 143–172; Blussè van Oud-Alblas, Johan Leonard: Nederlanders overzee, Franeker: Wever, 1983; Boxer, Charles Ralph: Dutch merchants and mariners in Asia, 1602–1795, Repr. London: Variorum Repr., 1996; Gelderen, Roelof van: Het Oost-Indisch aventuur, Duitsers in dienst van de VOC, Nijmegen: Uitgev. SUN, 1997.

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Flotte in Europa diente. Einerseits beschnitt der Oktroi die Admiralität in ihren Rechten, die In- und Ausfuhren zu bestimmen, da das Kolleg der Heren XVII fortan darüber bestimmte, welche Waren aus Asien eingeführt und wie viel Gold und Silber nach Asien gesandt wurde. Grundsätzlich entstand auf der Ebene des Handels eine Konkurrenz zwischen den Admiralitäten und der VOC, bei der Behandlung bestimmter Produkte. Andererseits profitierten die Admiralitäten, die dazu angehalten wurden, die militärische Ausrüstung der VOC-Schiffe zu liefern, finanziell von der Beute, die die VOC in Asien machte. Die Bedeutung der militärischen Schlagkraft der VOC für die Durchsetzung der Handelsinteressen gegen die portugiesischen und spanischen Flottenverbände jenseits des Kaps der Guten Hoffnung und das Wissen der Direktoren um die entscheidende Rolle der militärischen Dominanz auf See in asiatischen Gewässern führte zur Indienststellung der Admiralitäten in der Anfangsphase der VOC-Tätigkeiten.66 Ohne Zustimmung der VOC durfte weder die Admiralität noch die Union militärisch wichtiges Material der Ostindien-Kompanie requirieren, was die VOC de facto zu einer militärischen Macht erhob, die ohne ihre eigene Zustimmung nicht zum Zwecke andere Belange als der ihren eingesetzt werden durfte. Durch die weitreichenden persönlichen Netzwerke konnte die VOC-Flotte jedoch problemlos für die Interessen der Vereinigten Niederlanden in Anspruch genommen werden.67 Mit der Gründung der VOC bestanden fortan zwei militärische Mächte zur See, die in ihrem jeweiligen Operationsgebiet von den Generalständen Rechte übertragen bekamen und sich gegenseitig unterstützten. Im Fall der VOC galt dieses Recht auch für die Landarmee, die notwendig war, errichtete Festungen zu verteidigen. Es gab grundsätzlich keinen Widerstreit zwischen den beiden Korporationen. Im Lauf des 17. Jahrhunderts stellte die VOC bereitwillig Schiffe für die Verteidigung der Unions-Interessen in Europa ab, um vor allem in den zahlreichen Schlachten der 1650er Jahre gegen die Engländer die Vereinigten Niederlanden zur See zu verteidigen.68 Aus dieser Tatsache, lässt sich ableiten, dass die VOC kein Staat im Staat war, sondern eine Vertreterin der Vereinigten Niederlanden in Asien, die sich trotz der Absicherungen gegen unabgestimmte Einfluss66 Seit 1622 kooperierten die Admiralitäten offiziell mit den VOC- Kammer. Siehe dazu: Jonge, JGeschiedenis van het Nederlandsche Zeewezen, Deel 1, S. 44ff; Macleod, Norman: De OostIndische Compagnie als Zeemogendheid in Azië, Rijswijk: Blankwaardt & Schoonnoven, Band 2, 1927; Bruijn, J.R.: Varend verleden: de Nederlandse oorlogsvloot in de 17e en 18e eeuw, Amsterdam: Uitgeverij Balans, 1998. 67 Vgl. dazu den 13. Artikel des Oktrois: „XXXIX. Dat men geen schepen, geschut nogte ammunitie van deze Compagnie zal mogen nemen tot dienst van den Lande, dan met consent van de Compagnie.“, in: NL-HaNA, VOC, 1.04.02, inv.nr. 1. 68 Vgl. dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I, S. 7; Bruijn, Varend verleden; Jonge, Geschiedenis van het Nederlandsche Zeewezen. Erstmals stellte die VOC den Admiralitäten vier Schiffe für die Seeschlacht am 1.Oktober 1639 gegen Spanien im Kanal zur Verfügung. Die Kosten dafür wurden den Admiralitäten in Rechnung gestellt. Seit 1640 begleitete ein Geschwader der VOC die Retourflotte aus Asien durch die Nordsee. Zu den Verlusten der VOC-Schiffe in den verschiedenen Seeschlachte siehe u. a.: Bruijn /Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume II; dies., Dutch Asiatic Shipping, Volume III.

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nahme auf den Einsatz ihrer militärischen Mittel den Generalständen als Korporation innerhalb des niederländischen Staats andiente.69 Im Lauf des 17. Jahrhunderts etablierte sich die VOC zu einer parallel zu den Generalständen und den Admiralitäten der Vereinigten Niederlanden existierenden politischen Korporation, die sich ob der Ansiedlung in Asien zu einem Faktor des südostasiatischen Binnenmarkts und politischen Gefüges entwickelte. Zur Mitte des 17. Jahrhunderts war es der VOC gelungen, sich aus den innerasiatischen Geschäften zu finanzieren, was die Wirtschaftlichkeit der VOC im 17. Jahrhundert begründete.70 Wie das Beispiel der VOC im Verlauf des 17. Jahrhunderts zeigen wird, waren die unternehmerische Aktivität, sowie die Gewinnbeteiligung für die Direktoren und Anteilseigner Gründe für den Erfolg der VOC, die Entscheidungen zugunsten florierender Geschäfte schloss und nicht zum Zwecke der Bereicherung eines Monarchen oder der Verbreitung des christlichen Glaubens. Die Missionierung der besetzten Gebiete zur katholischen Religion wurde den Portugiesen im 17. Jahrhundert vor allem in Japan zum Verhängnis.71 Unter der Abhängigkeit von der Monarchie des portugiesischen Estado da India war eine Eigenständigkeit nicht angedacht. Portugal setzte in Goa einen Vizekönig ein und die Erlöse kamen der Krone zu, was zur Schwäche des portugiesischen Systems beitrug, da Kapital für den nötigen Ausbau des Stützpunktsystems abgezogen wurde. Insgesamt war der Estado da India weder strukturell noch finanziell der englischen und niederländischen Konkurrenz auf lange Sicht gewachsen. Der lange Widerstreit zwischen den Portugiesen und ihren europäischen Konkurrenten, der sich bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts zog, ist indes gerade durch die Missionierung und damit einhergehende Einbindung in die lokalen Herrschaftsstrukturen begründet, die vor allem auf dem indischen Subkontinent zu einem starken Rückhalt für den Estado da India wurden, der in vielerlei Hinsicht als Vorbild für das niederländische Stützpunkt- und Passsystem innerhalb des asiatischen Binnenmarktes diente.72 Dass die VOC Vorläufer moderner kapitalistischer Handelsunternehmungen gewesen sei, muss trotz der Selbständigkeit, Gewinnmaximierung und Flexibilität sowie des Charakters der Aktiengesellschaft skeptisch gesehen werden. Gewiss ging es um den Profit. Aber der Protektionismus des Geschäfts durch den Oktroi und die Ämterhäufung in den Vereinigten Niederlanden, die eine verordnete Unterstützung der VOC-Handelsinteressen gegenüber Konkurrenten zu jeder Zeit erlaubte, verhinderte per se die Konkurrenzfähigkeit von Unternehmungen mit 69 Siehe dazu die Rechtsprechung in Asien, die im Namen der Vereinigten Niederlanden geschieht: Appendix VIX, Nr. 5.; siehe zur Abhängigkeit der VOC von den Vereinigten Niederlanden in den 1660er Jahren: Appendix XIII, Nr. 18. 70 Siehe dazu: Israel, Dutch primacy, S. 197–292; Gaastra, De geschiedenis van de VOC, S. 46–56; Wallerstein, Der Merkantilismus, S. 81–147. 71 Vgl. dazu u. a.: Boxer, The Portuguese Empire, S. 77f; Furber, Holden: Rival empires of trade, S. 24ff; zum Umgang mit der Religion in Japan siehe auch: Clulow, Adam: The company and the shogun: the Dutch encounter with Tokugawa Japan, New York: Columbia Univ. Press, 2014. 72 Vgl. dazu: Boxer, The Portuguese Empire, S. 80ff.

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gleichem Ziel, weil die VOC auch als politischer Akteur auftreten sollte. Zudem war die VOC zu einem entscheidenden Teil auch ein militärischer Akteur, zu dessen Personal eine große Zahl von Soldaten gehörte.73 Gerade der Ausschluss von Konkurrenz war eine der Grundintensionen bei der Gründung der VOC. Im außereuropäischen Handel gab es eine strikte Reglementierung des Freihandels, was bei der Bewertung und dem Vergleich der wirtschaftlichen Potenz der Niederländer in Europa und Asien zur Konstatierung der Ungleichheit grundlegender Prämissen des Handels in beiden Weltregionen führte. In Europa war es gerade die Offenheit des Handelsgewerbes für reiche eingewanderte Kaufleute, die die Prosperität der niederländischen Wirtschaft bedingte. Den Handel mit Asien begrenzten die Generalstände durch Regulierungen, die der Abgeschlossenheit der Gilden glich, weil die Wirtschaftlichkeit der VOC ansonsten nicht gesichert hätte werden können. Demzufolge trägt die VOC Elemente einer für das 17. Jahrhundert modernen Unternehmensführung, ohne zwangsläufig auf zukünftige Wirtschaftssysteme zu verweisen, da die Verquickung von Politik, Krieg und Ökonomie im Fall der VOC zu engmaschig war. In der Relation zu gleichzeitig existierenden Unternehmen gilt die VOC indes als fortschrittlich. Gleich, wie die Interpretation der Grotius’schen Texte als Vorläufer des modernen Völkerrechts einer Rückschau aus der Perspektive gefestigter Rechtsnormen entspricht, so ist auch die Einschätzung der VOC als einem der ersten Aktienunternehmen, Vorläufer späterer Entwicklungen des modernen Kapitalismus zu sein, wenig erhellend für die Analyse der VOC als politischem Akteur. Die VOC gilt keinesfalls als Markstein eines neues Modells von Kapitalakkumulation, sondern bot zur Zeit ihrer Gründung die Möglichkeit, schon bekannte Investitionsinstrumente zu nutzen, die der Aufgabe gewachsen waren, genügend Kapital von vielen Anlegern zum Zweck der Verteilung des Risikos aufzubringen, um die Aussicht auf abenteuerliche Gewinne zu ermöglichen und den Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien zur See, sowie auf anderen Kontinenten weiterführen zu können.74 Dass Kaufleute in die Kompanie investierten, entsprach den hohen Gewinnerwartungen, die auf den Erfahrungen mit den Voorcompagniën basierte. Die Neuheit der niederländischen Kompanie war die Lösung des Fernhandels von dynastischen Interessen in einem rein privaten Unternehmen, das aus der Notwendigkeit der Gewinnsteigerung heraus politisch protegiert wurde und gleichsam politische Ziele zu verwirklichen half. Demnach ist die Eigenart der VOC gegenüber den konkurrierenden Handelsunternehmen auch in der das Unternehmen legitimierenden ständischen-korporativen Regierung der Vereinigten Niederlanden zu sehen. Die Gründer der VOC sahen das Unternehmen innerhalb der korporativen Organisation vordergründig nicht als Instrument der Generalstände zur Durchsetzung deren politischer Interessen, sondern explizit in der privatwirt73 Siehe dazu die Zahlen der nach Asien geschickten Soldaten im Verlauf des 17. Jahrhunderts, in: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume II, S. 20–92. 74 Zur VOC als völkerrechtlicher Akteurin siehe: Somers, Jan A.: De VOC als volkenrechtlijke actor, Rotterdam: Gouda Quint, 2001, Ders.: Nederlandsch-Indië, Staatkundige ontwikkelingen binnen een koloniale relatie, Zutphen: Walburg Press, 2005.

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schaftlichen Gewinnmaximierung im Interesse der Anteilseigener, die zudem im Namen der Vereinigten Niederlanden gegen Spanien in Südostasien vorging. Über Sitze, die von VOC Direktoren und Anteilseignern in Institutionen wie Amsterdamer Wechselbank gehalten wurden, konnten Finanzierungen zugunsten der VOC angestoßen, andere blockiert werden.75 Im Grunde legitimierten die Delegierten der Generalstände ihr eigens finanziertes Unternehmen, wenn man die investierenden Nordholländer betrachtet, die in der Verwaltung von Provinzen und Städten aktiv waren und gleichzeitig Einfluss auf die Generalstände besaßen. Die zahlreichen Südniederländer waren seltener in politischen Ämtern der Provinzen und Städte vertreten, was ihren Einflussmöglichkeiten verringerte. Le Maires früher Ausschluss kann als Zeichen für den Verlust der Dominanz der Südniederländer in der Amsterdamer Kammer betrachtet werden, die bei der Gründung augenscheinlich war. Die VOC war ein singuläres Phänomen der Frühen Neuzeit, das mit parallel existierenden Handelsunternehmen, aber nicht mit modernen Phänomenen verglichen werden sollte, da die Wirtschaftssysteme der verschiedenen Epochen vollkommen unterschiedlich sind.

4. DIE POLITIK DER GENERALGOUVERNEURE Die Suche nach einem rende-vous76 – Von Pieter Both bis Laurens Reael Die Waren, die die erste Flotte unter dem Admiral Steven van der Hagen im Auftrag der VOC aus Südostasien 1605 in den Vereinigten Niederlanden löschte, brachte für die Kompanie einen Gewinn. Der Kurs der VOC-Aktie stieg.77 Die Stellungen der Portugiesen auf den Gewürzinseln waren das Hauptziel der niederländischen Flotte. Auf der Insel Ambon, der wichtigsten, der Molukken genannten Gewürzinseln, einer Inselgruppe zwischen Sulawesi und Neuguinea im Malaiischen Archipel, eroberte die VOC das portugiesische Fort Victoria.78 Das Problem, dem sich die Niederländer gegenüber sahen, war die begrenzte Möglichkeit den Handel ohne einen festen Standort, wie ihn die Portugiesen in Goa besaßen, von der schwimmenden niederländischen Flotte aus zu koordinieren. Die starke Bewaffnung der ersten niederländischen Flotten war zum Zweck der Vertreibung 75 Siehe dazu: ’t Hart, Corporate Governance, S. 144–155. 76 Als rende-vous wurde der Ort bezeichnet, der als Hauptstapelplatz in Südostasien galt. 77 Bevor die Amsterdamer Börse einen festen Standort erhielt, wurden die Papiere in der Amsterdams Innenstadt gehandelt. 1611 wurde die Amsterdamer Kaufmannsbörse unter der Leitung des Architekten Jakob de Keyser erbaut, der zudem andere Gebäude für die VOC in Amsterdam errichtete. Siehe dazu: Boxer; Dutch primacy, S. 76. 78 Siehe zur Lage der Insel: Appendix III unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/ geschichte/die-variabilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. Siehe weiter die Verträge mit den Herrschern Ambons: Heeres, Corpus Diplomaticum. Neerlando-Indicum, 1907, S. 31–36; zur Geschichte der VOC in Ambon: Rumphius, G.E.: De Ambonse eilanden onder de VOC : zoals opgetekend in De Ambonse Landbeschrijving, Utrecht: Landelijk Steunpunt Educatie Molukkers, 2002.

4. Die Politik der Generalgouverneure

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der Portugiesen von den Gewürzinseln vorgesehen. Bald mussten die Heren XVII erkennen, dass die Vertreibung der Portugiesen nicht die erhoffte Dominanz der Niederländer zur Folge hatte, da sie keinen festen Standort in Asien besaßen. Die nautische Überlegenheit der Niederländer speiste sich aus den Erfahrungen der Voorcompagniën und den Berechnungen der mitgereisten Astronomen, die zu einer Verbesserung der Seekarten und Navigationsinstrumente führte.79 So war es den Niederländern möglich, die Fahrtzeit zur Insel Java, durch das Ausnutzen von Winden, auf ein halbes Jahr zu verkürzen. Es nützte der Festigung ihres Anspruchs auf die Beherrschung der Gewürzlieferung nach Europa gegen die Portugiesen allerdings nicht. Aus diesem Grund entschieden sich die Heren XVII 1609 für die Suche nach einem Hauptstandort des Unternehmens in Asien, was dem portugiesischen Prinzip der Unternehmensführung gleichkam, und auf den Erfahrungen mit Amsterdam als Zentrum des niederländischen Handels in Europa beruhte. Zudem legte das Gremium eine Verwaltungsstruktur für die VOC in Südostasien fest.80 Neben einem Generalgouverneur, sollte ein Rat von Indien zu dessen Unterstützung einberufen werden. Die niederländische Hohe Regierung in Ostindien bestand aus dem Generalgouverneur, sechs Räten und außerordentlichen Mitgliedern. Um die Macht des Generalgouverneurs einerseits zu beschränken, ihm andererseits Arbeit zu ersparen, wurde zusätzlich ein Generaldirektor beschäftigt. Die Räte sollten spezielle Aufgaben erfüllen, ihre eigenen Ressort erhalten. Die verschiedenen Ressorts waren: Überwachung der Finanzen, Militärorganisation, Präsident des Justizrates, Bevollmächtigter für die Schifffahrt. Mangel an Personal und Tod führten oft zu Ämterhäufung oder Vakanz der Stellen. Allerdings fehlte 1610 dem ersten Generalgouverneur Pieter Both noch immer ein zentraler Ort in Südostasien, um diese Verwaltungsstruktur zu beheimaten. Bei der Suche nach einem geeigneten Standort, verfiel er auf die Insel Java.81 Die Stadt Bantam hatte sich, aufgrund des Widerstands des Sultans der Insel, als ungeeignet erwiesen. Mit dem König von Jakatra, einem lokalen Untertanen des Sultanats der Insel Java, hingegen schloss Both einen Vertrag, der den Niederländern den Handel und die Ansiedlung unter Gewährung gegenseitiger Unterstützung in Jakatra zusag-

79 Siehe dazu: Zandvliet, Kees: Mapping for Money, Maps, Plans and Topographic Paintings and their Role in Dutch Overseas Expansion during the 16th and 17th Centuries, Amsterdam: De Bataafsche Leeuw, 1998. 80 In der Instruktion von 1609 wird Booth Macht und Autorität übertragen, eine Verwaltung in den Handelsstützpunkten aufzubauen: 1. Artikel: „[...]; met raad, advijs en stemme van welke vijf personen, hij alle andere kantoren en kwartieren van raad en raadspersonen zal voorzien, met magt en authoriteit, om bij dezelve op de respectieve plaatsen regt en justitie in alle civiele zaken geadministreed en bediend te worden.“, in: 27. November 1609 Instructie voor den Gouverneur-Generaal P. Both, en de Raden van Indiën, in: Chijs, J. A. van der (Hg.): Nederlandsch-Indisch Plakaatboek, 1602–1811, Eerste Deel, 1602–1642, Batavia, Den Haag: M. Nijhoff, 1885, S. 4ff, darin S. 5. 81 Vgl. dazu: Putten, L.P. van: Ambitie en onvermogen. Gouvernuers-generaal van NederlandsIndie 1610–1796, Rotterdam: ILCO-productions, 2002, S. 24–29.

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te.82 Weitere Verträge mit lokalen Herrschern folgten. Militärischen Erfolg hatte Both ebenso. Ursprünglich ausgesandt, die Bestimmungen des Waffenstillstandes in Südostasien publik zu machen, vertrieb er die Portugiesen von der Insel Timor, die Spanier von Tidore. Die Niederländer bauten ihre Faktorei in Jakatra aus. Allerdings kam es immer wieder zu Konfrontation mit lokalen Herrschern, dem Sultan und den Engländer, mit denen sich die VOC zu Beginn grundsätzlich zusammenschloss, um gegen die Vorherrschaft der Portugiesen und Spanier vorzugehen.83 Boths Nachfolger wurde Gerrit Reynst, der schon als einer der Direktoren der Amsterdamer VOC-Kammer aufgetreten war und mit Unterstützung der Heren XVII zum zweiten Generalgouverneur gewählt wurde.84 Reynst verließ die Vereinigten Niederlanden im Juni 1613 mit der Flotte unter dem Befehl Steven van der Hagens, der zum ersten Mitglied des Rats von Indien erklärt worden war. Reynst blieb es während seiner Verpflichtung schuldig, einen geeigneten Hauptstandort zu finden und zu festigen, an dem der Hohe Rat hätte eingerichtet und die Waren gesammelt werden können, um sie nach Europa zu versenden. Ihm gelang es jedoch, weitere Verträge zu schließen. Nach nur zwei Jahren verstarb er im Fort von Jakatra an der Ruhr. In den Aufzeichnung Jan Pietersz. Coens, eines hochrangigen VOC-Angestellten in der Amtszeit Reynsts, finden sich bereits 1615 Anmerkungen zur Strategie der VOC, nicht nur Stützpunkte errichten, sondern auch die Seefahrtsstraßen kontrollieren zu wollen.85

82 Vgl. dazu: XXXVIII. Djakatra, Januar 1651, in: Heeres, Corpus Diplomaticum. NeerlandoIndicum, 1907, S. 85–91. Der Vertrag wurde von Both erneuert, als er 1611 nach Djakatra kam. Schon zuvor wurde ein Abkommen mit den Herrschern von Djakatra von Jaques l’Hermit, dem Oberkaufmann des niederländischen Kontors in Bantam, geschlossen. 83 Siehe zu den weiteren Verträgen: Heeres, Corpus Diplomaticum. Neerlando-Indicum, 1907, S. 78–117. Unter Both wurden insgesamt 15 Verträge unter anderem mit Herrschern in Japan, Ceilon, den Molukken und an der Malabarküste (Südwestküste Indiens) geschlossen. 84 Siehe dazu: Putten, Ambitie en onvermogen, S. 30–34. 85 Siehe dazu: „Verleden jaer den stant van Indien by d’E. heer generael ende raden geconsideert zijnde gelijck mede wat tot voordere augmentatie van den staet gedaen diende, worde verstaen, dat men de macht nyet langer in de Molucques consumeren soude, dewyle de forten alsoo versterct waren, dat se diffensivelijck tegen den vyant genoechsaem gemainteneert conden worden. Als oock dat in de Molucques sooveele nyet conden winnen als verteerende zijn, soo alle de macht raet voorsz. gearresteert, dat men alle de macht uyt de Molucques herwaerts zoude gebruycken, hetsy dat hierontrent ofte omme de straet van Mallacca te ocuperen, des vyants schepen waer te nemen ende op ’t eylant Poluo Timor een fort te maecken, alsoo het scheen den coninck van Jhoor ende Atchijn ’t selvige geerne saghen. D’E. heer generael is daerover met sijn schepen na Amboina, Banda ende de Molucques gegaen, dewyle als doen geen ander mouson hadden. Op Puloway in passant een tocht gedaen ende alle forten geprovideert hebbende, is sijn E. wederomme gekeert met alle de schepen, die men jugeerde uyt de Molucques gemist costen worden, ende dat van alles onversien, meenende tot Bantam een nieuwe vlote met volck, capitael ende alle nootlijckheden wel versien te vinden; ’t welcke gemist is, in voegen dat door gebreck van volck en gelt voorgemelden desseyn naegelaten moet worden.“ [Hervorhebungen O.K.], in: Aufzeichnung Coens vom 20. Oktober 1615, in: Colenbrander, Herman Theodor (Hg.): Jan Pietersz. Coen, Bescheiden omtrent zijn bedrijf in Indië, Deel I, Koninklijk Instituut voor de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-Indië, ’s Gravenhage, Nijhoff, 1919, S. 138f;

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Laurens Reael, Vize-Gouverneur der Molukken, Bandas und Amboinas trat nach der Entscheidung des Rats von Indien die Nachfolge Reynsts an.86 Die ersten Eroberungen und die Festigung der Macht auf einigen Inseln des Malaiischen Archipels hatten zur Folge, dass sich die Organisationsstruktur der VOC diversifizierte. In den folgenden Jahren sollte eine Abstufung entstehen, entsprechend der Bedeutung des Territoriums für die Geschäfte der VOC. Dem Generaldirektor waren drei Kategorien von VOC-Angestellten unterstellt. In Gebieten in denen die VOC territoriale Macht ausübte, regierte im Namen der VOC ein Gouverneur oder auch politischer Rat. Wurde keine territoriale Macht ausgeübt, jedoch eine Faktorei und Handelsbeziehungen unterhalten, wurde die Position des Oberhaupts von einem Direktor ausgeführt. In unbedeutenden Gebieten wurde die Faktorei von einem Oberhaupt, Residenten oder Machthaber ausgeübt. Alle drei Kategorien waren aber gleichzeitig politische Räte, da sie dem Generalgouverneur und dem Hohen Rat über die Abläufe in dem jeweiligen Gebiet Bericht erstatten mussten.87 Die VOC wurde im Oktroi dazu verpflichtet, Beschreibungen über die Vorgänge in den einzelnen Territorien, über den Stand der Geschäftsbeziehungen, Vertragsschlüsse und Konflikte in Sendschreiben an die Heren XVII zu übermitteln. In einem dieser Sendschreiben wurden die Heren XVII über die Wahl Reaels informiert. Wegen angeblicher Forderung nach höherer Bezahlung setzte das europäische Gremium Reael ab. Die Heren XVII ernannten Jan Pietersz. Coen zum neuen Generalgouverneur in Indien.88 Bis Coen 1618 die Nachricht aus Europa erreichte, führte Reael die Obliegenheiten der VOC weiter. Ihm war bewusst, dass auf lange Sicht nur ein diplomatisches Vorgehen in Südostasien zu geschäftlichem Erfolg führen würde. Die Kriegsführung verschlang Ressourcen, die mit den Gewinnen des Unternehmens nicht aufzurechnen waren. Auch während Reaels Amtszeit führte die VOC Kriege gegen Engländer, Spanier und lokale Herrscher, um den monopolistischen Anspruch auf den Gewürzhandel in den Molukken durchzusetzen, was sich an den Sendschreiben Reaels an die Direktoren zeigt, in denen er auf Erschwernisse des Handels hinwies, die durch die Konkurrenten um den Gewürzhandel in den Molukken bestand.89 Unter Reael versuchte die VOC, Konkurrenten im Gewürzhandel durch Seeblockaden vom Zugang zu den Anbaugebieten fernzuhalten. Wie Reael bemerkte, war dieses Fernhalten nicht ausreichend, um den Anspruch der VOC durchzusetzen, sich als Souverän zu etablieren, was im Umkehrschluss bedeutete, dass vor Ort eine stärkere Präsenz der VOC durch den Bau von Forts und die Ansiedlung

86 87 88 89

vgl. dazu u. a.: Cook, Harold J: Matters of exchange: commerce, medicine, and science in the Dutch Golden Age, New Haven, London: Yale University Press, 2007, S. 67. Siehe dazu: Putten, Ambitie en onvermogen, S. 36–39. Vgl. dazu: Gaastra, De geschiedenis van de VOC, S. 150. Siehe dazu: Putten, Ambitie en onvermogen, S. 40–43. Vgl. dazu: IV Laurens Reael, Amboina 2 Juli 1617, 976, fol. 10–12, in: Coolhaas, Willem P.: Verenigde Oostindische Compagnie: Generale missiven van governeurs-general en radem aan heren XVII der Verenigde Oostindischen Compagnie, 1610–1638, Band 104, ’s Gravenhage: Bureau der Rijkscommissie voor Vaderlades Geschiedenis, 1960, S. 74.

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von niederländischen Soldaten aufgebaut werden müsse.90 In Reaels Sendschreiben wurde die doppelte Taktik der Niederländer deutlich. Erstens sollten Konkurrenten mit Hilfe der niederländischen Schiffe von den Märkten ferngehalten werden und zweitens, vor Ort eine stärkere Präsenz aufgebaut werden, um den Gehorsam der lokalen Bevölkerung zu erzwingen. Die Souveränität, die Reael ansprach, besaß die VOC lediglich in Amboina, sowie Leitimor und Uleassors, beides Insel in der Nähe von Amboina und einigen wenigen Dörfern auf der Insel Ceram, die indes durch die europäischen und lokalen Konkurrenten bedroht war. Die Macht der VOC in den Molukken wollte Jan Pietersz. Coen als Generalgouverneur ausbauen.91

Jan Pietersz. Coen – Die Gründung Batavias und die ersten Ansätze des niederländischen Kolonialismus Der in Hoorn geborene Coen verließ als Junge von 13 Jahren die Vereinigten Niederlanden und ging in Rom in die Kaufmannslehre. Bei dem flämischen Kaufmann Joost de Vischer erlernte er die in Italien verbreitete doppelte Buchführung. In der einfachen Form bedeutet die doppelte Buchführung, die zweifache Aufführung des Geschäftsvorgangs. Wird eine Ausgabe getätigt, erscheint sie einerseits auf der Soll-Seite des Unternehmens, andererseits auf der Habens-Seite, wo sie mit den Einlagen des Unternehmens gegengerechnet wird. Zudem gibt es die Möglichkeit, Aktiva und Passiva der Ausgaben aufzuführen. Welches Geld wurde von Wem – das wäre als Passiva zu kennzeichnen – wofür ausgegeben. So lässt sich klarer nachvollziehen, welche Summen, welchen Ursprungs, wofür ausgegeben wurden. Zum Nutzen der Übersichtlichkeit, aber auch um die Finanzen eines Unternehmens besser kontrollieren zu können, war dieses System unabdingbar. Eingeführt wurde es indes bei der VOC nur schleppend. Coen kehrte 1606 zurück in die Vereinigten Niederlanden und trat in den Dienst der VOC ein. Schon ein Jahr später reiste er als Unterkaufmann erstmals nach Asien. 1611 kehrte er nach Europa zurück. Im folgenden Jahr brachte ihn ein Schiff erneut nach Ostindien. Unter Pieter Both nahm er an einigen Kämpfen auf den Gewürzinseln teil und machte darauf aufmerksam, dass das Desinteresse der asiatischen lokalen Herrschern an europäischen Produkten nur durch den Import von Edelmetall begegnet werden könne. Edelmetalle waren zu Beginn des 17. Jahrhunderts die einzige

90 Zur Idee, Kolonien zu gründen siehe: VI. Laurens Reael, Bantam (17 December 1617?), Copie 987, fol. 180–187, tesamen met V en VIII, in: Ebda., S. 78. 91 Siehe dazu: Gaastra, De Geschiedenis van de VOC, S. 39–46, Meillink-Roelofsz, M.A.P. (Hg.): De VOC in Azië, Parthesius, Robert: Dutch Ships in Tropical Waters: The development of the Dutch East India Company (VOC) shipping network in Asia 1595–1660, Amsterdam: Amsterdam University Press, 2010; Rumphius, De Ambonse eilanden onder de VOC; Zur Lage der genannten Inseln siehe Appendix III unter: http://www.online-plus base.de/bereiche/geschichte/die-variabilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html.

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Möglichkeit für Europäer, am innerasiatischen Handel teil zu nehmen; abgesehen von den hochwertigen Stoffen aus Leiden.92 Um ein Monopol auf den Gewürzhandel zu gewinnen, mussten nach Coens Meinung vor allem die Frachtschiffe asiatischer Händler von den Gewürztransporten ausgeschlossen werden. Möglich wäre es, durch die militärische Macht der VOC zur See, eine Vorherrschaft zu etablieren, um die Warenströme kontrollieren zu können. Auf der Grundlage des eingelegten Kapitals rüstete die VOC ihre Ostindien-Flotte zur militärischen Macht auf, was nicht nur gegen die europäischen Konkurrenten von Vorteil war, sondern auch genutzt wurde, um entscheidend in innerasiatische Konflikte einzugreifen, aus deren, für die VOC, positiven Ausgang, vorteilhafte Handelsverträge hervorgingen. Unter Coen bildeten sich die ersten Ansätze der Strategie heraus, nicht nur das Territorium zu beherrschen, in dem die Gewürze produziert wurden, sondern auch die maritimen Distributionswege zu kontrollieren, um das angestrebte Monopol auf den Gewürzhandel zu gewinnen.93 Rigoros wollte Coen gegen die Bevölkerung der Gewürzinseln vorgehen, die sich nicht zum ausschließlichen Verkauf von Gewürzen an die Niederländen verpflichteten. Die zweite und hauptsächliche Strategie Coens war die Kolonisierung der Gewürzinseln. Bevölkern sollten die Inseln des Malaiischen Archipels nach der Vorstellung Coens niederländische Siedler, die Kolonien gründen und Gewürze anbauen sollten.94 Zusätzlich wollte die VOC vermehrt in den innerasiatischen

92 Siehe dazu: Putten, Ambitie en onvermogen, S. 40–43, 50–53. 93 Zur Politik der VOC äußerte sich Coen bereits 1614, nachdem Gerard Reynst das Amt des Generalgouverneurs übernahm, ausführlich. Neben dem Machtausbau in den Molukken, beschrieb Coen eindringlich die spanische Macht in Manila, die sich auch auf die Seegebiete vor der Stadt ausdehnte. Insbesondere ging Coen auf die Bedeutung des Warenkreislaufs zwischen der Ostküste Indiens und den Molukken ein. Textilien wurden gegen Gewürze getauscht, was wirtschaftlicher war, als die Waren mit Silber zu bezahlen. Wichtig für diesen Handel war die Seestraße von Malakka. Zum Schluss führte Coen an, dass ein rende-vous für die VOC in der Nähe der Straße von Sunda liegen sollte, da alle Schiffe nach und aus Europa durch diese Meerenge hindurch müssen. Siehe dazu: Appendix XXVIII. 94 Vgl. dazu: „Tot vermeerderinge vande profijten in India [...] 15. Te pempuleren & aen te panten de Colonien van Batavia Amboina & Bande met hare dependeeren landen alwaer dan de tollen impositien & incomen vant’ lant sullen vermerderen tot groot soulagement & profijt vande Comp.“, in: Propositie vande Gouverneur Coenen aende Heeren bewindhebberen, 1623, in: Nationaal Archief, Den Haag, Collectie Sweers, nummer toegang 1.10.78, inventarisnummer 4, Fol 5v; „Tot vermeerderinge van profijten in Nederlanden [...]“2. Preponeert sijnde […] d’ aenplantinge & penpelaten vande lande & colonien Batavia Amboina & Banda & dat des aenplantinge met geschieden door nederlanders & Indianen soo vrijeluijden als slaven ende Indiaensche vrije luijden sullen in Indien aengelockt & de slaven wel becomen connen werden, t’ sij bij coop ofte bij oorloge doch uit nederlant dienen voornemen veele eerlijcke en verstaendige luijden met haere familien & huijsgesinnen gesonden soo om de principalesten ampten inde voosz colonien te bedienen de steden en de plaetsen voorsz. bei haer menninge te sonder oncosten vande Comp.e te perpuleren & te verseeckeren als oock om de voortgangers te wesen vande anderen & om dese slaven te gouverneren tot haer groot profijt & avantagien tot welvaren vande Comp. ofte ter plaetse die

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Handel mit anderen Produkten eingreifen. Coen stieg in Positionen auf, die ihm eine mächtige Rolle in der VOC-Politik einbrachten. Er wurde nicht nur zum Generaldirektor, sondern auch zum Präsidenten von Jakatra und Bantam ernannt. Als zweiter Mann hinter Gerrit Reynst setzte er fortan seine Ideen um. Nach der Ernennung zum Generalgouverneur der VOC forcierte Coen die Suche nach einem rende-vous, ein Standort, der der VOC als Hauptzentrale in Südostasien dienen und von dem aus das asiatische Handelsnetzwerk kontrolliert werden könnte. Coen wollte die Faktorei in Jakatra auf der Insel Java als Standort ausbauen, da einerseits ein Vertrag mit dem lokalen König bestand, andererseits der Ort in direkter Nähe zur Straße von Sunda lag, was sowohl für die Ankunft und Abfahrt der Flotte aus und nach Europa günstig war, als auch die Kontrolle des innerasiatischen Frachtverkehrs in der Javasee ermöglichte. 1618 begann die Auseinandersetzung um Jakatra mit den Engländern, die den strategischen Wert des Standortes erkannten. Die Engländer begannen gegenüber dem niederländischen Fort in Jakatra, eine eigene Befestigung zu errichten. In den Gewässern vor Jakatra sammelte sich eine englische Flotte, die den vor Anker liegenden niederländischen Schiffen überlegen war und den englischen Anspruch auf die bestehende Siedlung unterstrich. Coen verließ Jakatra, hinterließ eine Besatzung zur Verteidigung des Forts und segelte zu den Molukken, um Verstärkung zusammenzuziehen, da sich in den Molukken die Flotte der Niederländer konzentrierte. Bei seiner Rückkehr war das Fort noch in niederländischer Hand. Mit der Verstärkung entsetzte Coen das Fort, vertrieb die Engländer und brannte die gesamte Siedlung nieder. Nach der Niederringung der Engländer ließ Coen die Mauern schleifen und Batavia errichten, den zukünftigen Hauptknotenpunkt des niederländischen Handels, der Verwaltung und Politik der VOC in Asien.95 1621 war der Bau des neuen Forts Batavia abgeschlossen. Mit der Gründung Batavias bekamen der Generalgouverneur und die Hohe Regierung einen festen Sitz auf der Insel Java. Fortan mussten alle Schiffe aus und nach Europa Batavia anlaufen.96 Der Konflikt mit der EIC auf der Insel Java belastete das Verhältnis der beiden Mutterländer in Europa. Die Komplexität der Aufgaben der VOC führte schon 1614 zur Anstellung eines Advokaten. Fünf Jahre nach Etablierung dieses Amts handelte Willem Boreel in Ausführung dieses Amts gemeinsam mit Dudley Carleton, Thomas Roe und Constantijn Huygens einen Vertrag mit der EIC aus.97 deselve bij in besittende bij landbouwerije plantagie[...].“, in: NL-HaNA, Collectie Sweers, 1.10.78, inv.nr. Fol 6v–7v, [Transkription O.K.]. 95 Coen wollte die Siedlung, nach seiner Heimatstadt Hoorn in den Vereinigten Niederlanden, Nieuw Hoorn benennen. Die gewählte Bezeichnung Batavia leitete sich aus dem Mythos des Bataver-Aufstands ab. 96 Zur Entwicklung der Stadt Batavia auch unter Bezug auf den Calvinismus siehe: Niemeijer, H. E: Calvinisme en kolonial stadtscultuur, Batavia 1619–1725, Diss. Vrije Universität Amsterdam: Verlag, 1996. 97 Zur Biographie Boreels siehe: Molhuysen/Blok/Kossmann, Nieuw Nederlandsch biografisch woordenboek. Deel 7, S. 177f. Willems Vater Jacob Pietersz. Boreel war für Middelburg in der Provinz Seeland 1599 Deputierter in den Generalständen. Ein Jahr zuvor war er Bürgermeister von Middelburg geworden. Siehe: Ebda., S. 176.

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Der Tractat van Defensie schrieb das gemeinsame Vorgehen von Engländer und Niederländern in Asien fest, die sich dem Raad van Defensie in Batavia bei Streitfragen unterstellen sollten. In Handelsplätzen mit gemeinsamer Vertretung sollten die europäischen Kontrahenten freundschaftlich koexistieren.98 Die Stadt Batavia und ihr Umland entwickelten sich vor allem durch die Ansiedlung von Chinesen, die zu den Hauptakteuren des innerasiatischen Handels außerhalb des Gewürzhandels zählten. Niederländische Siedler gab es nur wenige in der Stadt. In Batavia siedelten sich die Hohe Regierung und der Generalgouverneur der VOC an. Die kurze Distanz zwischen Batavia und der Straße von Sunda machte eine effektive Kontrolle der Seehandelsstraße durch die überlegene niederländische Marine möglich. Die Sundastraße war und ist einer der wichtigsten Seefahrtswege zwischen der Javasee und dem Indischen Ozean, wodurch die Anbindung des Südchinesischen Meers an den Indischen Ozean besteht. Mit der Etablierung eines Handelsstützpunktes in Batavia legte die VOC-Verwaltung den Grundstein für die Kontrolle der Distributionswege in Asien, die sich, neben der Kontrolle des Gewürzhandels in den Molukken durch die Ausübung territorialer Macht, zu den Hauptstrategien der Niederländer entwickelte.99 Weiterer Faktor für den Aufstieg der VOC war die Rolle als Zwischenhändler im innerasiatischen Handel. Japan und China, die ihre Kontakte untereinander offiziell abgebrochen hatten, griffen auf die europäischen Handelskompanien als Zwischenhändler zurück.100 Seit 1609 führten die Niederländer mit Erlaubnis des japanischen Shoguns eine Faktorei in Hirado unter Leitung Jaques Specx’, der später zum Generalgouverneur ernannt wurde. Durch den Zugang zum japanischen Markt konnten die Niederländer Edelmetalle erwerben, was im Verlauf des 17. Jahrhunderts eine positive Handelsbilanz und die Teilhabe am innerasiatischen Handel ermöglichte, ohne den Textilhandel an der Ostküste Indiens zu kontrollieren. Mit dem Silber aus Japan wurden Textilien in Asien erworben, gegen Gewürze und Holz auf den Inseln des malaiischen Archipels getauscht, das Holz nach 98 Siehe dazu: Sadler, A.L: Shogun: The Life of Tokugawa Ieyasu, New York: Tuttle Publishing, 2014, S. 207. Der Vertrag war vielmehr ein Angriffspakt gegen die spanischen und portugiesischen Flotten, die nach Manila segelten. Die EIC war allerdings ab 1622 nicht mehr in der Lage, Schiffe und Geldmittel zur Verfügung zu stellen, was letztlich zur Auflösung des Vertrags führte. Gemeinsam hatte sie Waren im Wert von ca. 100.000 £ erbeutet, mehr als zu diesem Zeitpunkt durch den Handel. Bis zum Vertragsschluss hatte es immer wieder Übergriffe der VOC auf EIC-Schiffe gegeben. Die Niederländer versuchten dann, die Waren in Hirado zu verkaufen, was die Japaner brüskierte, die mit den Engländern freundschaftlich verbunden waren. Daraufhin beschloss Tokugawa Ieyasu 1619 die japanischen Häfen für die Niederländer zu schließen. Diese Tatsache begründete in Japan den Eindruck, die VOC sei ein Zusammenschluss von Piraten. Siehe dazu: Clulow, The company and the shogun, S. 10ff. 99 Vgl. dazu: Steensgaard, Carracks, caravans and companies; Wilson, The Savage Republic, S. 234. 100 Vgl. dazu: Vries/Woude, The first modern economy, S. 434; zum Verhältnis zwischen Niederländern und Japanern siehe u. a.: Blussé van Oud-Alblas, J.L.; Remmelink, W.G.J.; Smits, I.B. (Hg.): Bewogen betrekkingen. 400 jaar Nederland–Japan, Hilversum/Leiden: Teleac/NOT & Hotei Publishing, 2000; Rietbergen, Peter: Between Deshima and Jedo, Dutchmen and Japan, 1600–1853, Nijmegen, 2000.

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China exportiert, um Porzellan und Seide zu kaufen, die in Japan wieder gegen Silber veräußert werden konnten. Gewürze, sowie Seide, Porzellan zu Anteilen und weitere Produkte wie Salpeter wurden anschließend nach Europa gesandt.101 Die Niederländer waren sich über die Gewinne des Seidenhandels zwischen China und Japan bewusst und wollten die Rolle der Portugiesen und Spanier als Frachtschiffer und Händler zwischen den beiden asiatischen Territorien übernehmen. Zum Vorteil der Niederländer gereichte es, dass sich in Japan die Missgunst gegenüber den Portugiesen vergrößerte, die den Katholizismus auf die Insel gebracht hatten. Seit 1570 trieben die Portugiesen offiziell Handel mit den Japanern über den Hafen von Nagasaki. Mit den Portugiesen hielt der Katholizismus Einzug in Japan. Viele Daimos, japanische Großgrundbesitzer, konvertierten in den folgenden Jahrzehnten zum Katholizismus. Die Portugiesen sahen ihre Handelbeziehungen auch als Weg, den katholischen Glauben zu verbreiten. Dies gewann solche Ausmaße, dass die Jesuiten von katholischen japanischen Beamten die Jurisdiktion über den Hafen Nagasakis übertragen bekamen und de facto den Seidenhandel zwischen Japan und China kontrollierten.102 Dass die japanischen Katholiken fortan den Papst als Oberhaupt ansahen und nicht mehr den japanischen Shogun, brachte Tokugawa Hidetada zu dem Entschluss, den Außenhandel auf die Häfen Hirado und Nagasaki zu begrenzten. Außer den chinesischen Handelsschiffen durfte kein Schiff in einen anderen Hafen einlaufen. Alle Schiffe der Europäer wurden vor dem Einlaufen in den Hafen auf religiöse Schriften hin untersucht. Die Verbreitung des Katholizismus in Japan wurde 1616 verboten. Schon 1584, 25 Jahre bevor die niederländische Faktorei in Hirado eröffnet wurde, war eine niederländische Gesandtschaft zum amtierenden Shogun Toku-

101 Vgl. dazu: Boxer, Dutch primacy, S. 171ff. Im ersten Jahrzehnt gelang es den Niederländern nicht, einen entscheidenden Marktanteil gegen die Vormacht der Portugiesen im Seidenhandel zwischen China und Japan zu gewinnen. Das lässt sich an der Silberausfuhr erkennen. Bis 1634 lag die Ausfuhr an Silber aus Japan unter einer Million Gulden. Erstmals 1635 stieg die Summe auf 1.403.100 Gulden im Jahr. In den Folgejahren stieg die Summe bis auf 7.495.600 Gulden (1639) an. Nach dem japanischen Ausfuhrembargo fiel die Menge des ausgeführten Silbers. Im Vergleich dazu wurden aus Europa während des gesamten ersten Jahrzehnts 5.179.000 Gulden nach Südostasien verschifft. Auch diese Summe stieg bis in die 1630er an, um dann durch den Ausgleich durch japanisches Silber wieder zu sinken. In den drei Jahrzehnten von 1630 bis 1660 wurden pro Dekade rund 9 Millionen Gulden in Silber nach Asien verbracht. Die Menge, die pro Jahr aus Japan in den 1630ern ausgeführt wurde, hatte fast das Volumen des aus der Union während eines gesamten Jahrzehnts ausgeführten. Daran zeigt sich die Bedeutung des Zugangs zum japanischen Markt für die VOC-Ökonomie. ’t Hart führt Japan nicht als einen der vier wichtigen Stützpunkte (Hub) des niederländischen Handelsnetzwerks in Asien an, sondern betrachtet Formosa als die Schnittstelle zwischen japanischem und chinesischen Markt. Beides, die Stützpunkte und die Waren, bedingen einander und können nicht voneinander getrennt betrachtet werden. Siehe zu ’t Hart: ’t Hart, The Dutch wars, S. 140. 102 Siehe unter anderen einem Bericht aus dem Jahr 1626, der dieses Verhältnis abbildet, in: XI. Pieter de Carpentier, Jacques Specx, Dr. Pieter Vlack en Antonio van Diemen, Batavia, 13 december 1626, 1001, folio 108–146, darin: Fol. 141r–142v, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 230ff.

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waga Ieyasu vorgelassen worden.103 Nach Befragung zu ihrer Religion und Prüfung ihrer religiösen Schriften, die der Shogun auf den Schiffen konfiszieren ließ, fiel sein Urteil über den Unterschied, den die protestantischen Niederländer zwischen ihrem christlichen Bekenntnis und dem Katholizismus der Portugiesen betonten, weniger differenziert aus, als die Niederländer es sich erhofft hatten. Sie waren nur am Handel interessiert und darauf bedacht sich von den missionierenden Portugiesen abzugrenzen. Der Shogun erkannte allerdings keine weitreichenden Unterschiede zwischen beiden Bekenntnissen. Beide beteten den gleichen Gott an und glaubten an Gottes Sohn auf Erden.104 Nur in der rituellen Lobpreisung Gottes unterschieden sie sich. Auch den Niederländer wurde verboten, religiöse Schriften nach Japan einzuführen. Allerdings war die VOC durch die Schriften Huygens darauf vorbereitet, dass missionarische Tätigkeiten im Namen des christlichen Glaubens in vielen ost- und südostasiatischen Territorien ungern gesehen war, da verschiedene lokale Religionen und Philosophien vorherrschten, wie der Konfuzianismus in China, der Schintoismus in Japan, aber auch muslimische und hinduistische Religionsgemeinschaften auf dem indischen Subkontinent. Der VOC lag vielmehr am Ausbau ihrer Position im chinesisch-japanischen Handel als Zwischenhändler und Frachtfahrer als an der Missionierung. Die VOC akzeptierte das Verbot, um Zugang zum japanischen Markt zu erhalten, was den Warenaustausch mit China ermöglichte.105 103 Vgl. dazu: Sadler, Shogun, S. 179ff. 104 Vgl. dazu: „His Imperial Majesty [der Shogun] is certainly informed that you Hollanders are all Christians like the Portuguese. You keep Sunday; you write the date of Christ’s birth over the doors and on the tops of your houses, in the sight of everyone in our land; you have the ten commandments, the Lord’s prayer, and the Creed, besides baptism, breaking of bread, the Bible, Moses, the Prophets and Apostles – in short it is the same. [...] We have known long since that you were Christians, but we thought that your’s was another Christ.[...]“, zitiert nach: Furber, Rival Empires, S. 61. Ursprünglich in englischer Sprache veröffentlicht wurde der Text in: Boxer, Charles R. (Hg.): A Tue Description of the Mights Kingdom of Japan and Siam by François Caron & Joost Schouten, London: Arganaut Press, 1936. Schouten und Caron waren in den 1630er Jahren Angestellte der VOC. 105 Im Gegensatz zu den Portugiesen durften die Niederländer außerhalb des Pancoda-Systems mit Seide handeln. Das Pancoda-System war die Festlegung eines stabilen Preises für Seide durch die japanische Administration in den Handelshäfen, um die Spekulation mit der Ware durch Europäer zu verhindern. Vgl. dazu die Mitteilung an die Heren XVII vom 1. März 1635, in der erwähnt wird, dass den Niederländern gegenüber den Portugiesen Vorteile eingeräumt wurden: „Remonstrantie wat men jegenwoordich met goede Proffijte ende verseeckeringe in Japan verhandeln oock wollen bij den hand dient genoomen te werden om den Handel meer ende meer te vergroten. Adresseerende aende E.D. Erntfeste wijse voorsinnige seer discrete Heeren de Bewinthebberen de vereenichde Nederlantsche Geoctrooijeerde Oostindische Comp.a ter vergadering vande zeventhien. Mijn heeren sonder twijffel heefft v. E.D. lange voor desen uit de missive van de E. D. Heeren Gouv. Generaels als uit hare E. D. Mondelinge rapporten verstaen de grotte vrijdomen, die zijne keijserlicke Maje. van Jappan de Nederlanders op haer eerst aenkomstze in zijn lant toegestaen oock vergunt heeft. Dat ze alle haer goederen (daer de Portugesen de onder Pancado mosten verkoopen) lijber ende vrij oock buijten de Pancado mocht verkoopen dien volgende v. E. D. Dienaers aldaer soo vrijlijck hebben moogen negotieren als off ingeboren waren geweest. Dat tot den jare A.o 1630 heeft gecontinueert wanneer Matsura Sijgen Summa Hr. van Firando, Order wiens

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Neben den Stützpunkten in Japan, den Molukken und Batavia führte die VOC verschiedene Faktoreien an der Südostküste des indischen Subkontinents, der Coromandelküste. Schon mit den ersten Fahrten nach Ostindien, begannen die Handelsbeziehungen der Niederländer in den Städten Masulipatnam und Nizampatnam, wo Leinenstoffe und Baumwolle erworben wurden, die für den innerasiatischen Handel unabdingbar waren. An der Westküste des Indischen Archipels war die Vormacht der Portugiesen allerdings unüberwindbar, um zu Beginn des 17. Jahrhunderts erfolgreicher Gegenspieler zu sein.106 Die Niederländer konzentrierten sich auf den Gewürzhandel im Malaiischen Archipel, den Handel mit Japan und China, den Aufbau Batavias und die Handelsbeziehungen mit dem Königreich Kandy auf Ceylon. In den ersten Jahrzehnten gab es zahlreiche niederländische Konkurrenten der VOC. Der prominenteste unter ihnen war Jakob le Maire. Nachdem le Maires Vater aus der VOC ausgeschlossen worden war, segelte sein Sohn Jakob le Maire um das Kap Hoorn auf westlichem Kurs in die Molukken. Isaac le Maire hatte zu diesem Zweck 1614 die Zuid-Compagnie gegründet. Für die erste Fahrt bekam Jakob le Maire ein Schreiben Moritz’ von Oranien, um in dessen Namen Handelsbeziehungen mit Reichen im Osten Europas und der Südsee aufzubauen.107 Nachdem die VOC davon Kenntnis erlangte, schickte sie Mitteilungen nach Ostindien, die Schiffe le Maires zu beschlagnahmen. Allerdings gelang es le Maire, eine Passage um das Kap der Guten Hoffnung herum zu nehmen und nicht die Magellanstraße zu befahren, was le Maire in Konflikt mit der VOC gebracht hätte. Im September 1616 erreichte die Flotte der Zuid-Compagnie Ternate. Der Gouverneur Ternates Laurens Reael hatte gemeinsam mit Isaac le Maire in die Brabantsche Compagnie investiert. Die Bekanntschaft nützte dem Sohn. Die Anordnung zur Beschlagnahmung war noch nicht in die Molukken vorgedrungen. Jakob le Maire konnte die VOC-Verantwortlichen davon überzeugen, einen anderen Seeweg als den durch die Magellanstraße gewählt zu haben, um nach Südostasien zu gelangen. Grundsätzlich muss Reael bewusst gewesen sein, dass le Juisdutie, v. E. D. Compagnie staet sonder kennisse ofte voorweten vande Jappandsche Rijcxraden ghesocht heeft tot voordeel van hem ende zijne burgerije te krencken.“, in: NLHaNA, Sweers, 1.10.78, inv.nr. 5, Fol. 90, Transkription O.K.; zum japanisch-niederländischen Verhältnisse siehe: Goodman, Grant K.: Japan and the Dutch, 1600–1853, Richmond: Curzon, 2000. 106 Anfang der 30er Jahre teilte die Hohe Regierung in Batavia in einem Sendschreiben mit, dass die Seemacht der Portugiesen an der Indischen Ostküste zu groß sei, um mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln in Konkurrenz mit den Portugiesen treten zu können, was die Konzentration auf das Malaiische Archipel begründete. Siehe dazu: IV. Jacques Specx, Dr. Pieter Vlack, Jan van der Burch en Arent Gardenijs, Batavia 6 januari 1632, K.A. 1014, fol. 1–25. Copie in K.A. 1015, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 318–327. Diese Tatsache spricht gegen die These, dass Surat schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu den vier wichtigsten Stützpunkten der VOC im indisch-asiatischen Handelsnetzwerk zählte, wie ’t Hart es annimmt. Vgl. dazu: ’t Hart, The Dutch wars, S. 140f; Zur Lage der genannten Städte siehe: Appendix III unter: http://www.online-plusbase.de/ bereiche/geschichte/die-variabilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. 107 Vgl. dazu: Boxer, Dutch primacy, S. 68f.

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Maire gegen die Bestimmungen des Oktrois verstieß, wenn er die Absicht hatte, in Ostindien Handel treiben zu wollen. Die Bekanntschaft durch das Netzwerk aus Anteilseigener der VOC, dem Isaac le Maire und Laurens Reael angehörten, bewahrte die Flotte Jakob le Maires jedoch nur kurzfristig. Coen beschlagnahmte die Flotte im Oktober des gleichen Jahres im Hafen von Jakatra. Le Maire versuchte nach der Rückkehr der Besatzung sein Recht geltend zu machen. Der Prozess zog sich über seinen Tod hinaus hin. Mit dem Oktroi war eine eindeutige Festlegung für das Gebiet geschaffen, die es nur der VOC erlaubte, in dieser Region Handel zu treiben. Le Maire wurde die Entdeckung des Seewegs zuerkannt, Handel durfte die von ihm gegründete Kompanie im Interessengebiet der VOC indes nicht treiben. Der Fall führt den Protektionismus, den die VOC im Handel mit Asien gegen die eigenen Landsleute ausübte, vor Augen. Zudem legten die Heren XVII 1617 fest, dass alle Berichte aus Asien, sei es über die Handelsbeziehungen oder die Seewege, in Europa von niemand anderem als der VOC veröffentlicht werden durften. Durch die Aktivitäten le Maires wurden sich die Heren XVII bewusst, dass es neben der zugesicherten Monopolstellung des Unternehmens wichtig war, das Wissen über die Fahrtrouten, die Anbaugebiete von Gewürzen in Südostasien und die politischen Verhältnisse in ihren Händen zu bündeln und nur das zu veröffentlichen, was ihrem Anspruch auf Vorherrschaft im europäisch-asiatischen Handel nicht schaden würde. Die geregelte Freigabe dieses Wissens durch die Direktoren machte vor allem die Stadt Amsterdam zu einem Portal für die Verbreitung nautischer Kenntnisse und Wissen über südostasiatische Kulturen.108 Zu Beginn der 1620er Jahre versuchte Coen den Handel mit Muskatnüssen und Muskatblüten zu monopolisieren, was bis dahin an der Konkurrenz der Engländer und Portugiesen gescheitert war. Eine Expeditionsflotte unternahm aus diesem Grund einen Schlag gegen die Bewohner der Bandainseln. Die Bandainseln liegen im Süden der Inselgruppe der Molukken. Coen bestrafte die Bewohner der Insel Lontor auf das Härteste für ihre Handelsbeziehungen mit den Engländern und Portugiesen. Viele Bewohner wurden ermordet, Hunderte von ihnen nach Batavia als Sklaven verschleppt, um den Ausbau des Verwaltungszentrums der VOC voranzutreiben. Auf Lontor wurden an deren statt Sklaven aus Madagaskar angesiedelt.109 Wie auch später auf der Insel Borneo, als die VOC durch den Erwerb von Goldminen den Edelmetallzufluss aus Europa durch das Schürfen von Gold in Asien vermindern wollte, starben die afrikanischen Sklaven an den Folgen der schweren Arbeit und den Krankheiten, die das für sie ungewohnte 108 Siehe dazu: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 11; Dillen, Dr. J.G. van: Amsterdam als wereldstad, In: d’ Ailly, A.E. (Hrsg.): Zeven eeuwen Amsterdam, Vol. II, Amsterdam: n.d, 1950, S. 7–34; Stockum, W. P. van jr.; Kleerkooper, M.M.: De Boekhandel te Amsterdam voornamelijk in de 17e eeuw, biographische en geschiedkundige Aanteekeningen, Eerste Deel, ʼs Gravenhage: Nijhoff, 1914, Inleiding. 109 Siehe dazu: Chijs, J. A. van der: De Vestiging van het Nederlandsche Gezag over de Banda Eilanden (1599–1621), Batavia: Albrecht & Co, ’s-Gravenhage: M.Nijhoff, 1886. Die Verträge, die sich daran anschlossen, siehe: Heeres, Corpus Diplomaticum. Neerlando-Indicum, 1907, S 160–170.

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Klima mit sich brachte.110 Neben den Madagassen, sollten nach der Idee Coens Niederländer auf den Bandainseln angesiedelt werden, um den Anbau von Gewürzen in die Hände der VOC zu bringen. Coen vertraute nicht auf die Vertragsschlüsse mit den lokalen Herrschern, sondern wollte Kolonien etablieren.111 Coen hatte von den Geschäftspraktiken der VOC andere Vorstellungen als die Direktoren in Europa. Grundsätzlich richtete sich die Taktik zur Durchsetzung der VOCInteressen nach den lokal unterschiedlichen Bedingungen und politischen Machtgefügen. Schon zu Beginn der Expedition in die Molukken war von der VOC auf den Widerstreit der lokalen Fürsten gesetzt worden. Im Gegenzug für die militärische Unterstützung, forderte die VOC Handelsprivilegien in den Territorien des jeweiligen Fürsten oder Sultans. In Ternate, das zu den nördlichen Molukken gehörte, erhoffte sich die VOC die Zusicherung des Handelsmonopols auf Nelken. Die Portugiesen waren mit dem Sultan von Tidore verbündet, das sich im Krieg mit Ternate befand. Die VOC besiegte im Verbund mit dem Sultan von Ternate die Portugiesen, woraufhin die Niederländer einen Teil Ternates besetzten. Die VOC errichtete zur Verteidigung ihrer Ansprüche im Nelkenhandel Fort Oranje auf Ternate, um sich gegen die europäischen Konkurrenten behaupten zu können, da sich das Verhältnis zu den Engländern rapide verschlechterte.112 1623 brachte ein Ereignis in den Molukken das Ende des Tractats van Defensie zwischen Engländern und Niederländern. Schon vorher hatte es, trotz des Vertrags, zahlreiche Scharmützel zwischen den beiden europäischen Kontrahenten gegeben. In besagtem Jahr allerdings ereignete sich in Fort Victoria auf der Insel Ambon die Verurteilung mehrerer Engländer zum Tode, die auch die diplomatischen Beziehungen in Europa noch lange belasten sollten. Mehrere japanische Söldner in niederländischen Diensten wurden verdächtig, Fort Victoria im Handstreich übernehmen zu wollen. Nachdem sie gefoltert wurden, sagten sie aus, auch 110 Siehe dazu: Kirsch, Peter: Goldbergbau der niederländisch–ostindischen Kompanie auf Sumatra 1670 bis 1737, Die Berichte der deutschen Bergleute Elias Hesse und Johann Wilhelm Vogel, Kleine Beiträge zur europäischen Überseegeschichte, Heft 27, Bamberg: Forschungsstiftung für vergleichende europäische Überseegeschichte, 1995; Dam, Pieter van; Stapel, F.W.: Pieter van Dam’s Beschryvinghe vande Oostindische Compagnie, Eerste Boek, Tweede Deel, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1929, S. 653–670. 111 Siehe zum Bestreben der Niederländer, Kolonien zu gründen u. a.: Beck, Thomas, Schleich, Thomas; Schmitt, Eberhard (Hg.): Kaufleute als Kolonialherren: Die Handelswelt der Niederländer vom Kap der Guten Hoffnung bis Nagasaki 1600–1800, Bamberg: C.C. Buchners Verlag, 1988. 112 Siehe dazu: Jong, Johannes J. P. de: De waaier van het fortuin: van handelscompagnie tot koloniaal imperium; de Nederlanders in Azië en de indonesische Archipel 1595–1950, 2. oplage, Den Haag: Sdu Uitg., 1998, S. 55–72; Valentyn, François: Oud en Nieuw OostIndien: Vervattende Een Naaukeurige en Uitvoerige Verhandelinge van Nederlands Mogentheyd In die Gewesten, Benevens Eene wydluftige Beschryvinge der Moluccos, Amboina ... en alle de Eylanden onder dezelve Landbestieringen behoorende ...; Eerste Deel Dordrecht, Amsterdam: Van Braam, Onder De Linden, 1724, S. 1–125; zur Kritik an Valentijns Darstellung siehe: Fisch, Jörg: Hollands Ruhm in Asien. Francois Valentyns Vision des niederländischen Imperiums im 18. Jahrhundert, Stuttgart: Steiner, 1986.

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Engländer wären in den Plan eingeweiht gewesen und hätten sich an der Übernahme des Forts beteiligen wollen. Gouverneur van Speult ließ zahlreiche Engländer auf Ambon und den Nebeninseln verhaften. Unter Leitung eines Offiziers des Forts wurden die Beschuldigten befragt und gefoltert. Einige der Engländer konnten ein Alibi vorweisen, da sie sich zum Zeitpunkt des geplanten Anschlags auf anderen Inseln befunden hatten. Die schuldig Gesprochenen wurden vor Ort enthauptet.113 Die Begnadigten und freigesprochenen Engländer begaben sich nach Batavia, um das Geschehen dem Raad van Defensie vorzutragen.114 Ungereimtheiten in der Erzählung der mutmaßlichen Rebellion lassen den Schluss zu, dass eine Instrumentalisierung der Geschehnisse im Sinn der VOC lag, das Bündnis mit den Engländer durch einen triftigen Grund auflösen zu können.115 Das Problem ergab sich aus dem Unterschied der Rechtsauffassung von Niederländern und Engländern. Da beide Kompanien die Kompetenz übertragen bekommen hatten, Recht zu sprechen, bestand kein einheitliches Verständnis, welches Recht, an welchem Ort gelten sollte. Die Niederländer beanspruchten, an den Orten nach niederländischem Recht zu urteilen, an denen sie den Oberbefehl besaßen. In Fort Victoria sprachen sie also nach niederländischem Recht das Urteil. Englands Vertreter plädieren allerdings dafür, den Raad von Defensie in allen Belangen für Asien als Rechtsprechungsorgan anzuerkennen. Ob der schwächeren Position, die die EIC in Asien besaß, ist es nicht verwunderlich, dass die EIC sich auf eine Rechtsprechung verlassen wollte, auf die sie Einfluss nehmen konnte. Im Fall von Ambon wurde der EIC dieser Weg verwehrt. Die Hinrichtungen wurden von den Engländern als Mord betrachtet und sprengten das geschlossene Bündnis von EIC und VOC. Über die Rechtmäßigkeit des niederländischen Vorgehens entbrannte in Europa eine Debatte zwischen den ehemaligen Partnern, die keine der beiden Seiten für sich zu entscheiden vermochte.116 Der globale Konflikt zwischen Niederländern und Engländern, um die Beherrschung des Seehandels, der in der Statthalterlosen Epoche zu den drei Kriegen zwischen den Vereinigten Niederlanden und England führte, entbrannte in den 1620er Jahren durch den beiderseitigen Anspruch auf die Beherrschung der Gewürze Südostasiens.

113 Siehe dazu: Rumphius, De Ambonse eilanden onder de VOC; Oudshoorn/Bor, Amboinse Oorlog. 114 Zu den Geschehnissen in Amboina siehe: NL-HaNA, Staten-Generaal, 1.01.02, inv.nr. 12551.62. 115 Siehe dazu: Games, Alison: Violence on the Fringes: The Virginia (1622) and Amboyna (1623) Massacres in Comparative Perspective, History, 98.336 (2014), 505–529. Zudem steht die Frage im Raum, ob die Hingerichteten tatsächlich Engländer waren oder japanische Söldner. 116 Siehe dazu: Rumphius, De Ambonse eilanden onder de VOC; Meillink-Roelofsz, De VOC in Azië.

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Die Strategien der VOC in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts Betrachtet man die Aktivitäten der VOC in den ersten beiden Jahrzehnten nach ihrer Gründung, wird deutlich, dass es drei verschiedene Strategien gab, um den Handel in Südostasien profitabel zu machen. Vordergründig ging es immer um den Erwerb von asiatischen Gewürzen für den Verkauf auf dem niederländischen Markt. Um diesen Handel möglichst lukrativ zu gestalten, nutzte die VOC die bestehenden Konflikte zwischen lokalen Herrschern, stellte sich auf die Seite, die nicht mit Portugiesen oder Spaniern verbündet war und verlangte für die militärische Unterstützung Zugeständnisse durch die Bevorzugung der niederländischen Handelsinteressen. Mit den Engländern gab es für kurze Zeit bis zum Mord von Ambon eine Art friedliche Koexistenz, da sich durch das gemeinsame Vorgehen gegen Spanier und Portugiesen sowohl die VOC als auch die EIC einen größeren Erfolg in eigener Sache versprach. So ging die VOC in den Molukken, aber auch auf Ceylon vor, als sie sich mit dem König von Kandy gegen die Portugiesen 1610 verbündete. Der zweite Weg war die Etablierung von Handelsstützpunkten mit der Erlaubnis der lokalen Herrscher. Selten konnten Handelsstützpunkte ohne die Errichtung eines Forts etabliert werden. Japan machte dabei eine Ausnahme, da es grundsätzlich nicht auf niederländische Unterstützung angewiesen war und die VOC aus diesem Grund damit zufrieden sein musste, eine Faktorei in Nagasaki betreiben zu dürfen. Der zahlenmäßigen Überlegenheit der japanischen Landstreitkräfte und der institutionalisierten Verwaltung hatte die VOC nichts entgegen zu setzen. In Bezug auf Japan, das sich nicht vollkommen vom Seehandel zurückzog, sondern auch im 17. Jahrhundert effektive Handelsbeziehungen mit Korea und dem Königreich Ryūkyū pflegte, lässt sich ein weiterer Aspekt der niederländischen Strategien verfolgen, die sich den Handelsrestriktionen seitens der Japaner aufgrund ihrer militärischen Unterlegenheit fügten.117 Der dritte Weg, den vor allem Coen praktizieren wollte, war die Ansiedlung von Niederländern auf den Gewürzinseln, um nicht nur den Ankauf zu monopolisieren, sondern den Anbau, indem bestehende Anbaugebiete unter lokaler Kontrolle gerodet wurden, um dann von VOC-treuen Siedlern neue Pflanzungen vornehmen zu lassen. Coens Weg der Kolonisierung zur Kontrolle des Gewürzhandels stieß bei den Heren XVII ebenso auf Ablehnung wie sein brutales Vorgehen gegen die lokale Bevölkerung. Die Heren XVII lehnten Coens weitreichende Siedlungspläne ab, da sie die VOC als Handelsunternehmen ansahen, nicht als territoriale Kolonialmacht, die vor allem eines immensen Einsatzes finanzieller Mittel bedurft hätte. Es war der finanzielle Aspekt, der eine Ansiedlung von Niederländern auf den Inseln der Molukken uninteressant für die VOC machte. Da in den ersten Jahren keine Gewinne erzielt wurden, fehlten schlichtweg die Mittel, um Coens Projekt zu finanzieren. Da es zudem wenige Niederländer gab, die einem Ruf in die südostasiatischen Kolonien gefolgt wären, begannen die Generalgou-

117 Vgl. dazu: Clulow, The company and the shogun, S. 11.

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verneure, in den ersten Jahrzehnten Sklaven anzusiedeln, um die niederländischen Siedlungen zu befestigen und zu bevölkern.

Die VOC als ökonomische Akteurin Das erste Sendschreiben von Coens Nachfolger Pieter de Carpentier bezeugt das Bestreben der VOC unabhängig von Kapitalexporten aus Europa zu werden, und den Versuch des Ausbaus der territorialen Herrschaft durch die Verschleppung und Ansiedlung von Sklaven in die Kolonien von Batavia, Banda und Amboina. „[...]Op 25en december passato is hier van de Custe Choromandel wel aengecomen ʼt schip Nieuw Seelant met omtrent duysent ingecochte slaeven ende slaevinnen, meestal jonck volck ende cleine kinderen om onse nieuwe colonien van Batavia, Amboina ende Banda te verstercken tegen ʼt aenstaende ooste mouson. Sullen volgens dʼernstige recommandatie van dʼEd. Heer Generael Coen ende Sijne Ed. naergelaten memorie sooveel schepen nae Ceylon, de Custe Choromandel ende de Bocht van Bengale seinden, als doenelijck is ende daertoe vereyst worden om sooveel volcx op te doen samelen, als de schepen sullen connen voeren, ʼt Soetste gewelt om onse tegenpartijen sonder tot openbare wapenen te comen in devotie te houden is, dat wij de landen met ons eygen volck peupleren ende soo vervullen, dat daermede geveinsde vrienden in ontsach, vijanden in vreese gehouden ende rebelsuchtige tot obedientie gedwongen worden. Groote menichte van volck is ʼt importantste fondament van de Comp.ies staet in Indien, sonder welck sij oock niet bestaen can; bij dese middel can de Comp.ie van alle de lasten in Indien met der tijt tʼeenemael verlicht, de winsten van den inlantschen handel ende daerenboven een goet deel van dʼincompsten suyver over behouden ende den staet eyndelinge oock soo geaccresseert worden, dat U Ed. van Europa geen capitaelen meer tot 118 bevoirderinge van dʼIndische retoeren sullen behoeven te seinden.“

Coens Ideen von der Notwendigkeit der Ansiedlung wurden von seinem Nachfolger weitestgehend übernommen. Im Sendschreiben verwendete der berichtende VOC-Angestellte zweimal den Begriff staet, der in diesem Fall keine politische Entität, sondern die Bilanz der VOC in Indien und deren Zustand bezeichnet, wie es Weinacht in Variante III (Stat i.S.v. Budget, Bestallungsurkunde u.a.) des Begriffs Staat anführt.119 Bereits 1623 wurde der Begriff staet als Bezeichnung für die politische Entität der Vereinigten Niederlanden in de Carpentiers Sendschreiben verwendet, was als Folge der Bedeutungserweiterung des Begriffs im europäischen Kontext gesehen werden kann. „[...]Ten sonde niet vreemt wesen, dat desen treck uyt Spaignens ofte der Jesuyten pijlkoker 120 quam, dewijle Jocet[ ], gelijck hij ons selffs verclaert heeft, wel 5 jaer bij de Jesuyten

118 Vgl. dazu: I. Pieter de Carpentier, Willem Jansz en Jacques Specx, Batavia, 1 febuari 1623, 989 fol. 278–284, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 121f. 119 Vgl. dazu: Weinacht, Staat, S. 29. 120 Der genannte war ein Angestellter der Französischen Ostindien-Kompanie. Mit vollem Namen André Jochet de Liminoye.

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gestudeert, om door desen middel de nabuyrige princen tegen den staet der Vereenichde 121 Nederlanden meer ende meer te verbitteren.“

Anfang der 20er Jahre verwendeten die Angestellten der VOC den Begriff Staat als Bezeichnung für politische Entitäten in Europa. Nicht die VOC wurde als Staat bezeichnet, sondern die Vereinigten Niederlanden, in deren Auftrag sie handelte, was klar zeigt, dass sich die VOC zu Beginn ihrer Aktivitäten nicht als unabhängige politische Entität in Südostasien betrachtete, sondern als Handelsunternehmen, das Teil eines ständisch-korporativen Gemeinwesens war, dessen Vertreterin sie in Asien war. Im Jahr vor dem Amtsantritt de Carpentiers 1623 wurde ein neuer Oktroi erlassen. Bis 1623 war die VOC wirtschaftlich wenig erfolgreich. Mehr Geld wurde ausgegeben, als die VOC erwirtschaftete.122 Die Generalstände hatten eine Resolution erlassen, die es ermöglichte, die festgeschriebene Auszahlung der Investitionssumme nach zehn Jahren auszusetzen.123 Die VOC wäre nicht zahlungsfähig gewesen, ohne ihre Unternehmungen in Südostasien aufzugeben. Dividenden wurden in den ersten zwei Dekaden in Form von Gewürzen ausgezahlt. Den Missmut, den dieses Vorgehen unter den Anteilseigner mit geringem Investitionsvolumen hervorrief, spiegelt sich in zahlreichen Pamphleten wider, die zu Beginn der 20er Jahre für mehr Mitspracherecht der kleineren Anteileigner bei den Entscheidungen der VOC eintraten.124 Das Vertrauen in die Direktoren der Kammern war durch die ausbleibende Rendite geschwächt. Alles in allem änderte der neu gewährte Oktroi von 1622 wenig an der Struktur der VOC. Nur den Hauptaktionären, die 6000 Gulden beziehungsweise 3000 Gulden investiert hatten, waren berechtigt, Mitglied dreier verschiedener Kollegien zu werden.125 Damit galt für die Aktionäre, die mit der Gültigkeit des zweiten Oktrois in die Kollegien aufgenommen wurden, die gleiche Regel, wie für die Direktoren der Kammern. Beratend stand ein Kolleg aus neun Hauptaktionären den Heren XVII zur Seite. Das Kolleg der Rechnungsabnehmer kontrollierte die Endbuchhaltung gemeinsam mit den Heren XVII. Erst ab 1647 geschah das aller vier Jahre. Vorher war der Turnus von der Laufzeit des Oktrois bestimmt. Ein zweites Kollegium, das der sogenannten Kurfürsten, wählte bei Tod oder Ausscheiden eines Mitglieds der Heren XVII dessen Nachfolger. Es bestand aus ebenso vielen Mitgliedern, wie das Direktorium bei der Ansetzung der Wahl eines Nachfolgers. Das dritte Kollegium war das wichtigste. Es bestand aus neun vereidigten Hauptanteilseignern, die den VOC-Direktoren bei deren Entscheidungen zur Seite saßen. Vier kamen aus Amsterdam, zwei aus Seeland, aus den anderen 121 Der Auszug stammt aus einem Sendschreiben, in dem das Vorgehen der Jesuiten in Indien beschrieben wurde, bei denen Jochet nach eigenen Angaben 5 Jahre lang studierte. In: II. Pieter de Carpentier en Raden, Batavia, 24 februar 1623, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 128. 122 Das wird an den Subsidien ersichtlich, die der VOC unter anderem von den Generalständen gezahlt wurden. Vgl. dazu: ’t Hart, The Dutch wars, S. 130. 123 Siehe dazu: Gaastra, De Geschiedenis van de VOC, S. 23–29. 124 Siehe dazu: Knuttel, Catalogus van de Pamfletten-Verzameling. 125 Siehe dazu: Gaastra, De Geschiedenis van de VOC, S. 29–36.

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Kammern insgesamt drei. Die ersten zwei Mitglieder dieser Kommission wurden von allen Anteilseignern gewählt. Die restlichen sieben nur noch von den Hauptanteilseignern. Mit den Neuerungen in der Verwaltung der VOC auf europäischer Ebene gewannen die größeren Anteilseigner mehr Mitspracherecht in der Wahl der Direktoren. Bei der Beratung waren sie jedoch immer auf die anderen Institutionen der VOC angewiesen, wie den Advokaten, der die Papiere aus Asien empfing und die Informationen für die Heren XVII aufarbeitete. In die Rechenlegung konnten sie immer nur in sehr großem Abstand Einsicht nehmen. In diesem Sinn waren die Konzessionen der Direktoren an die Hauptanteilseigner von geringem Wert, da keine direkte Beeinflussung der Geschäftstätigkeit der VOC möglich war. Den Kollegien blieben nur eine nachträgliche Begutachtung und die beratende Funktion. Einzig die Wahl neuer Direktoriumsmitglieder sicherte die Wahrung ihrer Interessen im Direktorium. Zudem besaßen nur Personen, die vorher schon die finanziellen Möglichkeiten hatten, in die Kammern aufgenommen zu werden, das Recht, Mitglied der neuen Gremien zu werden. Die elitären Strukturen der VOC-Organisation blieben auch mit dem neuen Oktroi erhalten. An den Rechten der VOC in Asien änderte sich nichts Bedeutendes. Nur, dass der Betrag für die Konzession der VOC an die Generalstände höher wurde, um sich das Monopol auf den Handel mit asiatischen Waren in den Vereinigten Niederlanden zu sichern.126 1622 wurde die VOC für weitere 22 Jahre mit einem Oktroi belehnt. De Carpentier führte die Geschäfte weniger aufbrausend, als es Coen vor ihm getan hatte. Der Mord von Ambon fiel zwar in seine Amtszeit, wurde aber Coen zur Last gelegt. De Carpentiers Eltern waren nach der Einnahme Antwerpens in die Vereinigten Niederlanden geflohen.127 Er studierte in Leiden Recht und war als Oberkaufmann in den Dienst der VOC getreten. Zu seinen Verdiensten gehörte die Strukturierung und Organisation der Verwaltung und des kulturellen Lebens in Batavia. Es wurde eine Schule und ein Stadthaus als Sitz der Verwaltung Batavias errichtet, Regeln für die Rechtspraxis und die Politik aufgestellt. De Carpentiers Amtszeit brachte die erste Zusammenstellung einer Kirchenordnung für den Machtbereich der VOC und die Etablierung eines Waisenhauses in Batavia. Schon früh begannen die Angestellten der VOC in Asien Beziehungen mit einheimischen Frauen, da so gut wie keine Europäerinnen die Option der Ansiedlung in Asien wählten. Meistens waren es uneheliche Kinder, die in den Waisenhäusern aufgenommen wurden.128 Bevor Coen nach Europa zurückkehrte, gelang es, mit einheimischen Fürsten weitere Verträge zu schließen, um die Position der VOC im innerasiatischen Handelsnetzwerk zu festigen. Zur Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit sollte die maritime Präsenz ausgebaut werden, wie de Car-

126 Siehe dazu: Ebda. 127 Siehe dazu: Putten, Ambitie en onvermogen, S. 45–49. 128 Siehe dazu: Blussè van Oud-Alblas, Johan Leonard: Strange Company, Chinese Settlers, Mestizo Women and the Dutch in VOC Batavia, Leiden, Dordrecht: Foris Publications, 1986.

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pentier in einem Sendschreiben vom 3. Februar 1626 forderte, der sich eine detaillierte Auflistung der in der jeweiligen Region benötigten Schiffe anschloss.129 Im Sendschreiben vom 13. Dezember 1626 benannte de Carpentier die weitreichenden Handelsbeziehungen der Niederländer zum Ende der 20er Jahre und Stärke der europäischen Konkurrenz, vor allem an der Indischen Küste. De Carpentier erwähnte sowohl den Ausbau der bereits errichteten Festungen in den Molukken als auch die prekäre Situation auf Formosa, die Handelsbeziehungen mit Japan und der Indischen Coromandelküste. Die Ausweitung des Aktionsraums machte den Ausbau der VOC-Flotte notwendig, um in allen Regionen präsent sein zu können, was zur Möglichkeit, die Seefahrtsstraßen zu überwachen, beitrug.130 Bis zum Beginn der 1630er Jahre kann von einer Orientierungsphase für die VOC ausgegangen werden, die durch das Wissen der Voorcompagniën begünstigt wurde. Nach dem Vorbild europäischer Konkurrenten, aber auch europäischen Handelstraditionen entsprechend, führten die Niederländer ein Passsystem in Asien ein, das die Kontrolle des Handelsverkehrs erleichtern und Schmuggel verhindern sollte. Im Malaiischen Archipel versuchte die VOC dadurch, vor allem die Konkurrenz von den Marktplätzen fern zu halten. In den ersten Jahren nach der Gründung, sah die VOC in der Konkurrenz von Unternehmungen, die ehemalige Anteilseigner der VOC wie Isaac le Maire ausrüsteten, eine ebenso erhebliche

129 Vgl. dazu: IX. Pieter de Carpentier, Jacques Specx, Dr. Pieter Vlack en Antonio van Diemen, Batavia, 3 februari 1626, 998, folio 1–38, Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 194ff. Am Ende des Sendschreibens wird die Auflistung noch einmal zusammengefasst: „Wat belangt de navale macht tot den presenten ommeslach in Indien van noode, daerop sijn wij dese navolgende calculatie hierbij voegende, submitterende deselve tot U Ed. naerder correctie ende dispositie [...]. [...]Somma 49 stucx, soo schepen als jachten, souden volgens desen overslach tot bevoirderingh van Comp.as affairen in Indien, affbreuck van den vijant ende overvoer van dʼordinarij retouren van noode wesen, gelijck oock daerenboven noch twee à drye schepen off soo veel min off meer, als de Comp.a goet vint, todt overvoer van de Persische en de Suratse retouren te gebruycken. Hierbeneffens staet te considereren, datter noch wel vier ofte vijff schepen in Indien meer, als de bovengemelte computatie emporteert, behoorde te wesen omme dʼaffgaende ende die in de verdubbelinge [Damit ist die Verstärung des Kiels gemeint] leggen moeten, te vervangen ende ʼt groote werck alsoo sonder verachteringe in continuelen train te houden ende, soo eenige mochten overich wesen, omme die tot vigoreuser vervolgh op den vijant off van den handel off tot opsamelinge van volcque off in eenige andere goede diensten te gebruycken, gelijck daertoe nimmermeer occasie gebreccken sal, als ʼt maer aen geen volck ende noodlijcke behoefften ontbreect om die behoorlijck uut te rusten.“ 130 Siehe dazu: XI. Pieter de Carpentier, Jacques Specx, Dr. Pieter Vlack en Antonio van Diemen, Batavia, 13 december 1626, 1001, folio, 108–146, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 205–218. Das Sendschreiben bespricht die Situation der VOC in Formosa, das als Transitstation für den Handel zwischen Japan und China genutzt wurde. Das Problem bestand darin, dass die Japaner selbst die Geschäfte führen wollten und dafür Kapital in den Handelsstädten anlegten, was in Malakka und Manila bereits zum Niedergang des Handels mit China geführt hatte. In den 1620er war die VOC noch nicht in der exklusiven Position, alleiniger europäischer Händler in Japan zu sein. In allen Gebieten, die angesprochen werden, waren die Niederländer Konkurrenz ausgesetzt. Der Kampf um Marktanteile kostete die VOC viel Geld.

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Bedrohung, wie in der Präsenz anderer europäischer Ostindien-Kompanien.131 Zudem waren die Portugiesen durch den Zugang zum Indischen Markt mit Textilien und ihrem weitreichenden System aus Handelsstützpunkten in ganz Südostasien den Niederländern noch überlegen. Textilien waren eines der wenigen Handelsgüter, die von den Niederländern nach Asien verkauft werden konnten. Die Textilproduktion im niederländischen Leiden profitierte davon in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts. Mit dem Zugang zum indischen Textilmarkt, besaßen die Portugiesen indes vor Ort Güter, die innerhalb des asiatischen Binnenmarkts gehandelt werden konnten, was ihnen Vorteile gegenüber den Niederländern verschaffte.132 Nach den ersten Jahrzehnten zeigte sich deutliche, dass die Niederländer Grotius nur zum Zweck der Rechtfertigung ihrer eigenen Handelsinteressen in Asien beauftragt hatten, Die Freiheit der Meere zu schreiben. Einerseits, um die Kaperung feindlicher Schiff in Asien zu rechtfertigen, andererseits, um den Anspruch auf eine Teilhabe am europäisch-asiatischen Handel juristisch zu legitimieren, nicht aber, um ein Europa und Südostasien einschließendes Freihandelssystem zu etablieren. Aus dem Oktroiartikel, die VOC sei das einzige niederländische Handelsunternehmen, das mit asiatischen Waren in den Vereinigten Niederlanden Handel treiben dürfe, entwickelte das Unternehmen die Dynamik, in Asien den Handel mit Gewürzen monopolisieren zu wollen, um die Profitabilität des Unternehmens zu sichern und handelte in diesem Maße nach den Maximen des Protektionismus.133 Nur handelte es sich nicht um die Abschließung des Territoriums, sondern um die Beschränkung des Seehandels und Zugangs zum wichtigsten Marktplatz des niederländischen Wirtschaftssystems. Von Freihandel ist im Denken und Handeln der VOC-Angestellten und -Direktoren wenig zu erkennen, was zeigt, dass die Niederländer für die Gültigkeitsdauer des ersten Oktrois zwar als ökonomischer Hegemon zu betrachten sind, jedoch nicht in einem Weltsystems, das auf dem Freihandelsprinzip beruht, was bedeutet, dass es global betrachtet, mehrere politisch-ökonomische Systeme während der Frühen Neuzeit gab, die unabhängig voneinander funktionierten.134 Die Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien, die charakteristisch für das Modell der niederländischen Staats-Formierung im 17. Jahrhundert wurden, waren in Europa und Asien indes bereits zu Beginn des Jahrhunderts ausgebildet und führten in den folgenden Jahrzehnten zur Steigerung der Profitabilität der VOC, wie auch zur Festigung der politischen Ordnung in den Vereinigten Niederlanden durch die Möglichkeit, den Unabhängigkeitskrieg aus den Gewinnen der zunehmenden Beherrschung der Seehandelswege zu finanzieren. Die Entwicklungen der 30er Jahre des 17. Jahrhunderts brachten der VOC durch die innerasiatischen 131 Siehe dazu: Goor, J. van (Hg.): Trading Companies in Asia 1600–1830, Utrecht: HES Uitgevers, 1986, siehe zur Konkurrenz mit Frankreich Anfang der 1670er Jahre: Appendix VI, Nr. 10. 132 Siehe dazu: Boxer, Dutch primacy, S.114ff; Vries/Woude, The first modern economy, S. 279– 296, 457–464. 133 Vgl. dazu: Wallerstein, Der Merkantilismus, S. 37ff. 134 Siehe dazu: Ebda., S. 37–81; Wilson, The savage Republic.

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Entwicklungen einen Machtzuwachs, der auch in der Festigung ihres Standorts in Batavia begründet war und dazu beitrug, dass die VOC zum Suzerän im innerasiatischen Handelsnetzwerk zur See wurde.135

Der Aufstieg der VOC zur politischen Akteurin in Asien Für die VOC galt es in den 1630er Jahren, die Vormacht der Portugiesen zu brechen. Mit Jaqcues Specx übernahm 1629 ein im Handel mit Japan erfahrener Kaufmann den Posten des Generalgouverneurs nach dem Tod Coens. Specx war Anfang der 1620er in Batavia zum außerordentlichen Rat von Indien und politischen Kommissar des Kirchenrats ernannt wurden, bevor die Heren XVII ihn in die Vereinigten Niederlanden zurückriefen, damit er explizit Auskunft über den Handel mit Japan und China geben konnte. Das Direktorium entsandte ihn 1629 erneut nach Batavia und ernannte ihn zum ersten außerordentlichen Rat von Indien. Zwei Tage vor der Ankunft Specx’ in Batavia war Coen verstorben.136 Specx wurde zum provisorischen Generalgouverneur ernannt, jedoch wegen einem Prozess gegen seine Tochter von den Heren XVII des Amtes enthoben, die ihn 1632 durch Hendrik Brouwer ersetzten. In den Sendschreiben, die in Specx’ Amtszeit nach Europa versandt wurden, forderten die VOC-Verantwortlichen fähigeres, vertrauenswürdiges Personal, um den an sie gestellten Forderungen gerecht zu werden. „Ondertusschen werden door dese als verscheyden andere redenen geperst Uwe Ed. op ʼt alderserieuste te versoecken, dat Uw Ed. doch tot directie van des Compang.s affairen in India allsulcken bekenden, goede, getrouwe ende ervaren persoonen believen herrewaerts te senden, als tot preventie van de schaden ende calamiteytten, die een staet subject is, daer de goede ende ervaren weynich ende de eerlijcke getrouwe niet overich en sijn, werden vereyst. Ed. Heeren, souden wj U Ed. specifice voorstellen, hoedanige persoonen ons van tijt tot tijt werden toegesonden, wij en twijffelen niet, off U Ed. zouden haer met ons bedroeven ende beswaeren, datter sooveele importante zaecken van de Comp.a door persoonen van soo 137 cleynen apparentien moeten ghedirigeert ende vertrout werden.“

Schon Coen hatte sich über schlecht ausgebildetes Personal beschwert. In Specx’ Sendschreiben schwingt indes der Vorwurf des Betrugs gegenüber VOCAngestellten mit. Die Notwendigkeit, dem Personal vertrauen zu können, war in dem weitreichenden Aktionsraum der VOC unabdingbar.138 Deswegen wollte die 135 Siehe dazu: Kempe, Michael: Fluch der Weltmeere, Piraterie, Völkerrecht und internationale Beziehungen 1500–1900, Frankfurt/M., New York: Campus, 2010; Fisch, Jörg: Die europäische Expansion und das Völkerrecht: die Auseinandersetzungen um den Status der überseeischen Gebiete vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Wiesbaden [u. a.]: Steiner, 1984. 136 Siehe dazu: Putten, Ambitie en onvermogen, S. 54–59. 137 In: IV. Jacques Specx, Dr. Pieter Vlack, Jan van der Burch en Arent Gardenijs, Batavia 6 januari 1632, K.A. 1014, fol. 1–25. Copie in K.A. 1015, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 306ff, darin: 306. 138 Zur Bedeutung des Vertrauens im Fernhandel des 18. Jahrhunderts. Siehe dazu: Gorißen, Stefan: Der Preis des Vertrauens. Unsicherheit, Institutionen und Rationalität im vorindustri-

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VOC in Südostasien ein Gemeinwesen nach dem Vorbild der Vereinigten Niederlanden gründen, das sich auf die Ehr- und Achtbarkeit der Personen stützen würde. „In Banda is dʼ heer Raemburch, bij sich hebbende dʼoppercoopluyden Cornelis Accoley ende Gerridt Demmer, daer noch wel een goet persoon ofte twee bij verheysten omme bij versterven ofte vertreck totte successien aengequeect te werden, waerop soo wel in Banda als ander plaetsen sonderlinge dient geleth ; in verscheyden respecten souden ʼt seer dienstich houden, dat den gouverneur ende andere capitaele officieren aldaer uut eerlijcke, getrouwe gequalificeerde persoonen gecooren wierden, opdat ʼt pat van eerbaerheyt ende achtbaerheyt aldaer mochte gebaendt ende die republijcque naer den oprechten Nederlandtschen aert aengequeeckt werden, waertoe de comoditeyten aldaer beeter als op eenige andere plaetsen 139 zijn, ten aensien van geen vreemde natien daerin empechementen te verwachten staet.“

Im selben Sendschreiben gaben die VOC-Angestellten detaillierte Auskünfte über ihre Maximen, Ziele und den Willen, die bestehenden Kolonien zu stärken und Verträge mit lokalen Fürsten zu schließen. Sie hielten fest, dass die VOC unter Druck stehe, der durch die Nutzung der maritimen Schlagkraft gegen den portugiesischen Handel zwischen Indien und Teilen Südostasien vermindert werden könne, wenn sich die Gelegenheit zur Beschlagnahme von portugiesischen Schiffen bot. In der Unterbindung der Handelsschifffahrt der Portugiesen und Chinesen sahen die VOC-Verantwortlichen in Batavia das beste Mittel, um die geringen Kapazitäten der VOC-Marine zum größtmöglichen Nutzen des niederländischen Handels einzusetzen. „Tot een besluyt van dese materye, die wij om goede consideraticn U Ed. wat prolicx voorstellen, sustineren (onder correctie), dat des Compangnies overige ofte gevallige bijeencommende macht in India vooreerst niet bequamer noch op beter apparentien van aenstaende goede vruchten, als tot tgeene vooren hebben aengewesen, connen geemployeert weerden ende daertoe geen bequaeme gelegentheyt presenteerende, dat men dan de macht ter zee op de over- ende wedervarende Portugiesche trafficanten tusschen de custe van India naer Mallacca, China en Jappan, midtsgaders op de Chinese joncken, comende van Manilla, zooveel gebruycke, als de gelegentheyt van de macht en de apparenticn van avontagien sullen toelaten, twelck ons bedunckens oock de apparentste ende proffitabelste concepten zijn, daertoe men de cleyne machten van de Comp.ie ter zee gebruycken can.“ [Hervorhebungen 140 O.K.]

Die Unterlegenheit der niederländischen Marine gegenüber den Portugiesen blieb auch nach dem Amtsantritt Brouwers 1632 bestehen. Brouwer war Specx schon ellen Fernhandel, in: Frevert, Vertrauen, S. 90–118. Allgemein zum Vertrauen in politische Institutionen: Frevert, Ute: Vertrauen – eine historische Spurensuche, in: dies., Vertrauen S. 7–67, besonders, S. 20–35. 139 In: IV. Jacques Specx, Dr. Pieter Vlack, Jan van der Burch en Arent Gardenijs, Batavia 6 januari 1632, K.A. 1014, fol. 1–25. Copie in K.A. 1015, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 306ff, darin: S. 308. Das Wort staet ist in diesem Zusammenhang die konjugierte Form des niederländischen Verbs staen oder staan, das als stehen ins Deutsche übersetzt werden kann. 140 In: IV. Jacques Specx, Dr. Pieter Vlack, Jan van der Burch en Arent Gardenijs, Batavia 6 januari 1632, K.A. 1014, fol. 1–25. Copie in K.A. 1015, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 326f.

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als Oberkaufmann in Hirado nachgefolgt und hatte von dort aus erstmals 1613 Reisen nach Siam unternommen, die im Ergebnis die Aufnahme von Handelsbeziehungen mit dem asiatischen Territorium brachte. Brouwer kehrte jedoch in die Vereinigten Niederlanden zurück. Vier Jahr nach seiner Siam-Reise war Brouwer Direktor der VOC-Kammer Amsterdams. Entsprechend seiner Aufzeichnungen wurde die Fahrtroute nach Südostasien verkürzt, indem alle Schiffe der VOC im Jahr des Amtsantritts Brouwers in der Amsterdamer Kammer darauf verpflichtet wurden, vom Kap Hoorn in Richtung der Küste West-Australiens zu segeln. Die Fahrtzeit verkürzte sich auf fünf bis sechs Monate im Gegensatz zu einem Jahr, das vorher notwendig gewesen war, um von Europa nach Batavia zu gelangen. Zu Beginn der 1630er Jahre versuchte er im Auftrag der VOC, die Streitigkeiten mit der EIC zu schlichten. Es gelang ihm, während seiner diplomatischen Reise nach London, weitgehende Fortschritte im Zwist zu erreichen. Brouwer kehrte 1632 nach Batavia als Generalgouverneur zurück und blieb für vier Jahre Inhaber des Postens. Unter Brouwer beschränkte sich die VOC auf den Malaiischen Archipel und überließ den Portugiesen weiterhin den lukrativen Handel mit indischen Waren und die Kontrolle der indischen Küstengewässer im Westen des Subkontinents.141 Bis in die 1630er Jahre verweigerten die VOC-Angestellten die Anpassung an die Geschäftspraktiken der Portugiesen, da sie als Unterlegene immer noch am Freihandel innerhalb Südostasien interessiert waren und in der portugiesischen Praxis, Nachteile für ihre eigenen Geschäfte sahen.142 Aber auch die asiatischen Mächte begrenzten den Handel in ihren Einflusssphären durch die Vergabe von Pässen und das Einrichten von Monopolen. Chinas Politik in der Provinz Hoccheo drang darauf, fremde Händler auszuschließen. Die VOC-Angestellten schätzten das Gesetz als Maßnahme des chinesischen Staats ein, der sie sich letztlich ebenso wie gegenüber den Portugiesen aus Gründen der militärischen und personellen Unterlegenheit beugen mussten.143 Demzufolge intensivierten die Niederländer die Blockade der wichtigsten Umschlagplätze innerhalb des innerasiatischen Handels, die für den Warentransfer zwischen dem Indischen Ozean auf der einen und China, Japan und dem Malaii141 Siehe dazu: Putten, Ambitie en onvermogen, S. 60–65. 142 Vgl. dazu: I. Henrick Brouwer, Dr. Pieter Vlack en Jan van der Burch, Batavia 1 december 1632, 1016, f. 1–93, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 347f. 143 Siehe dazu: Cheng, Weichung: War, Trade and Piracy in the China Seas (1622–1683), Leiden: Brill, 2013; Subrahmanyam, Sanjay: The Portuguese Empire in Asia 1500–1700, London, New York: Longman, 1993; Chang, Tien-Tsê: Sino-Portuguese trade from 1514 to 1644: a synthesis of Portuguese and Chinese sources, Leiden: Brill, 1934.Siehe zur Politik des chinesischen Staats: „Dat de wetten van China de provincie van Hoccheo hebben gegeven de vrijheyt om de zee te mogen bouwen onder paspoorten des haytoos naer alle quartieren, doch dat geen vreemde natien daer mogen acces hebben; item dat in de provincie van Canton vreemde natien mogen worden geadmitteert, maer dat de inwoonderen niet ter zee mogen vaeren, is het oude seggen ende moeten wij hetselve geloven, maer dat van dese wetten om staetsconsideratie wert gedispenseert, is een ongetwijfelde saecken.“ [Hervorhebungen O.K.], in: I. Henrick Brouwer, Dr. Pieter Vlack en Jan van der Burch, Batavia 1 december 1632, 1016, f. 1–93, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 355.

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schen Archipel auf der anderen Seite wichtig waren. 144 Die neuralgischen Punkte waren Makassar und Malakka. Makassar sollte zu Beginn der 1630er Jahre von der niederländischen Flotte blockiert werden, um zu verhindern, dass die Portugiesen weiterhin ihre Waren aus Manila, Macao und Malakka in der Stadt umsetzen konnten.145 Es kristallisierte sich zu Beginn der 1630er Jahre die Taktik der VOC heraus, die Warenumschlagplätze innerhalb des Malaiischen Archipels zu blockieren, um die Transportwege der europäischen und asiatischen Handelskonkurrenten zu unterbrechen, damit die VOC die Handelskonditionen bestimmen könne. Die Blockade der Orte des Warenumschlags innerhalb des Malaiischen Archipels war für die VOC mit ihrer Machtbasis in den Molukken und Batavia aussichtsreicher, als an der indischen Küste in Konkurrenz mit den Portugiesen zu treten. Grundsätzlich folgten die VOC-Verantwortlichen indes derselben Zielstellung wie ihre Konkurrenten. Die Blockade sollte zur Monopolisierung des Handels unter der Kontrolle der Niederländer führen. Nur besaßen die Niederländern zu diesem Zeitpunkt begrenzte Macht. Zwar gaben auch die Niederländer Pässe aus, um den Zugang zu den von ihnen beherrschten Handelsplätzen zu regulieren, die nötige maritime Schlagkraft für die Etablierung reglementierter Mechanismen auf dem offenen Meer fehlte der VOC jedoch.146 Demgemäß agierte die VOC ähnlich den Japanern und Chinesen, die den Zugang zu den eigenen Märkten stark reglementierten, zur See aber keine bedeutende Macht aufbauten, um die Handelsrouten zu

144 Vgl. dazu: I. Henrick Brouwer, Dr. Pieter Vlack en Jan van der Burch, Batavia 1 december 1632, 1016, f. 1–93, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 353. 145 Vgl. dazu: V. Henrick Brouwer, Antonio van Diemen, Dr. Pieter Vlack, Jan van der Bruch en Mr. Antonio van Diemen, Batavia, 15 december 1633, 1019, fol 1–119, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 403f. Im Sendschreiben legen die VOCAngestellten ihre Taktik zur Minimierung der Vormacht der Portugiesen und deren lokalen Verbündeten dar. Die Niederländer wollen alle Schiffe die über Makassar in die Molukken fahren oder Malakka und andere Stapelmärkte der Region anfuhren, im Hafen von Makassar einschließen. Die Portugiesen waren mit dem Herrscher Malakkas verbündet. Mit ihrer Macht zur See, wollten die Niederländer die Warenströme unterbrechen und damit den Stapelmärkten die Bedeutung nehmen, die nicht mehr mit Waren beliefert werden konnten. 146 Siehe dazu: Sendschreiben vom 5. Juli 1621, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 110. In den 1660er Jahren übernahm die VOC die Vergabe von Pässen auch an der Indischen Küste, da sie zu diesem Zeitpunkt die Macht der Portugiesen so weit zurückgegangen war, dass die Niederländer die Regeln des Handelsverkehrs bestimmen konnten. Im Vertrag mit dem König von Cannanor 1663 schrieben die Niederländern beispielsweise die Vergabe von Pässen fest, um den Zugang zum Königreich zu regulieren. Siehe dazu Artikel 16 des Vertrages: „16. Dat sijne Maij: ofte niet deselffe naem sijne volle machtigd sullen uijt handenen geener, die der de E. Comp: passporten bedeelt werden, sijne gewoonlijcke gedeelte gelijck deselve door den Ho: van allen tijden bij de portugese negotingh ontfangh is wel verstaende even soo veel als d’ Comp:e voor haer gedeelte ontfanghtsouden dat het eene het ander in’t minste raeke, ende alles volgens een lijste, over de welcke partijen hen nader verclaaren ende vegelijcken sullen.“, in: NL-HaNA, Stadhouderlijke Secretarie, 1.01.50, inv.nr. 1607, Blatt 170, Transkription O.K.

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kontrollieren.147 Die lokalen territorialen Mächte stellten Produkte her, mit denen Gewinn erwirtschaftet werden konnte. Den Vertrieb überließen sie den europäischen Handelsunternehmen. Es kam dementsprechend zu einer Aufteilung der Wirtschaftssektoren: die lokale Bevölkerung arbeitete sowohl im primären als auch im sekundären Sektor und produzierte neben Nahrungsmitteln hochwertige Produkte wie Porzellan und Seidenstoffen. Die europäischen Unternehmen verdienten durch das Eindringen in den tertiären Sektor an der Distribution der Waren in Südostasien und dem Export der hochwertigen Waren nach Europa durch die immensen Gewinnmargen. Auf den Gewürzinseln übernahmen die Handelsunternehmen teilweise Aufgaben im primären Sektor, beispielweise beim Anbau der Gewürze. Das Interesse an Gewürzen war durch die Nachfrage auf dem europäischen Markt bestimmt. Innerhalb des innerasiatischen Markts war die Gewinnmarge für Gewürze zu gering, um daraus Profit zu erwirtschaften, was zu einer theoretischen Trennung zwischen den Wirtschaftskreisläufen führte, die sich jedoch gegenseitig finanzierten. Die VOC schwächte durch die Belagerung Makassars ihre europäischen Konkurrenten, um letztlich innerhalb des Malaiischen Archipels zum beherrschenden Distributor aufsteigen zu können. In den folgenden Jahrzehnten strebte die VOC durch die Vergrößerung der Flotte und des militärischen Personals danach, ihre Macht auf den indischen Subkontinent zu erweitern.148 147 Siehe dazu: Chang, Sino-Portuguese trade; Cheng, War, Trade and Piracy; Clulow, The company and the shogun. 148 Bis 1652 wird in den Akten belegt, wenn Schiffe nach Asien gesandt wurden und dort verblieben, um die regionale Handelsflotte der Niederländer zu vergrößern. In den ersten 50 Jahren waren es 214 Schiffe, die in Asien verblieben. Danach finden sich offiziell bis 1672 103 Schiffe, die von Europa nach Asien gesandt wurden und dort entweder nach einigen Jahren abgewrackt, stillgelegt oder verkauft wurden, was bedeutet, dass sie wenigstens für einige Zeit im lokalen Handel der VOC zum Einsatz kamen. Für die Grundlage der folgenden Berechnungen siehe dazu: Bruin [u. a.], Dutch-asiatic shipping, Volume II. Israel gibt die Menge, der nach Asien gefahrenen Schiff in den Jahren 1640 bis 1670 mit 608 an. Zurück kamen indes nur 323. Siehe dazu: Israel, Dutch primacy, S. 258. Die Zahlen zeigen die immense Zahl an Schiffen der VOC im innerasiatischen Handel. Zur Anzahl der Soldaten auf den VOC-Schiffen sind die Informationen sehr lückenhaft. Sinnvoll ist ein Überblick erst ab den 30er Jahren. Die Zahlen die sich daraus ergeben, beruhen auf der Annahme von Gaastra, Bruijn und Schöffer, dass 30% der Besatzungsmitglieder der VOC-Schiffe Soldaten waren. Gibt es keine konkreten Angaben zur Anzahl der Soldaten, ist aber eine Angabe zur Gesamtbesatzung vorhanden, wurde auf Grundlage der 30% Regel, die Anzahl der Soldaten berechnet: 1630–39: 5.960 Soldaten (2.721 Soldaten absolut, geschätzt 3.239 durch hinzurechnen der 30%) – bei 116 beachteten Schiffen (insgesamt 142) 51.3 Soldaten pro Schiff – pro Jahr im Durchschnitt 596 Soldaten; 1640–49: 6.681 Soldaten (5.718 Soldaten, plus geschätzt 963 (30%)) – bei 98 Schiffen (insgesamt 181) 68 Soldaten pro Schiff – pro Jahr durchschnittlich 668;1650–59: 11.017 Soldaten (8.730 Soldaten, plus geschätzt 2287 (30%)) – bei 199 Schiffen (225) 55.3 Soldaten pro Schiff – pro Jahr 1.101; 1660–69: 10.876 (10.797 Soldaten, plus geschätzt 78 (30 %)) – bei 183 Schiffen (241) 59,4 Soldaten pro Schiff – pro Jahr 1087; 1670–72 2.838 (2.751 Soldaten, plus geschätzt 87 (30 %)) – bei 59 Schiffen (81) 48,1 Soldaten Pro Schiff – pro Jahr 946; 30er zu 40er (Ausgangszahl 51.3 Soldaten pro Schiff, in den 40ern 68 Soldaten): 32% Steigerung in den 40ern, 40er zu 50er (Ausgangszahl 68 pro Schiff): 18% Verringerung in den 50ern, 50er zu 60er (Ausgangszahl 55.3 pro Schiff): 7.5% Steige-

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Die Beherrschung der Distributionswege – von Antonio van Diemen bis Joan Maetsuycker In der Ära des Generalgouverneurs Antonio van Diemen zwischen 1636 und 1645 veränderten sich die Voraussetzungen für den niederländischen Handel in Asien rasant. Van Diemen war inkognito als Soldat der VOC unter dem Namen Thonis Meeusz nach Asien gelangt. Schnell stellte das Direktorium jedoch die wahre Identität Meeusz’ fest. Noch unter Gouverneur Coen sollte van Diemen nach Europa zurückgeschickt werden. Coen erkannte van Diemens Talent und Wissen als Kaufmann – van Diemen war in Amsterdam zum Kaufmann ausgebildet wurden – und verbürgte sich für ihn bei den Heren XVII. Von Coen protegiert, durchlief van Diemen die Beamtenlaufbahn der VOC-Verwaltung in Asien. Nachdem er für kurze Zeit in Europa gewesen war, um eine Retourflotte zu begleiten, wählten die Heren XVII van Diemen zum Nachfolger Brouwers, auf den die Wahl zum Direktor der Amsterdamer Kammer erneut gefallen war.149 Van Diemen hob sich ob der Länge seiner Amtszeit von neun Jahren ohne Unterbrechung von den bis dahin agierenden Generalgouverneuren ab. In den ersten drei Jahren seiner Amtszeit ließ er verschiedene Aufstände auf den Molukken niederschlagen. Infolge der Stärkung der VOC ließ van Diemen zu Beginn der 1640er Jahre einen Angriff gegen die Portugiesen auf Ceylon führen, um den begehrten Zimthandel unter die Kontrolle der VOC zu bringen. Bereits zu Beginn seiner Amtszeit konstatierte van Diemen, dass die maritime Macht der VOC zunahm. Er hoffte auf die Verbesserung der Ausgangslage der VOC, um den Gewinn des Unternehmens steigern zu können.150 rung in den 60ern, 60er zu 70er (Ausgangszahl 59.4 pro Schiff): 19% Verringerung in den Anfangsjahren der 70er; Siehe dazu: Bruin [u. a.] Dutch-asiatic shipping, Volume II. Vries/Woude geben an, dass 1625 nur in Batavia (665), den Molukken (1.440) und an der Coromandelküste (120) bedeutende Kontingente an Soldaten auf dem Festland stationiert waren. 2.141 Soldaten fuhren hingegen auf VOC-Schiffen in asiatischen Gewässern. 63 Jahre später hatte sich die Zahl der Soldaten vervielfacht. Insgesamt waren auf dem Festland mehr Soldaten stationiert als in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts. Eine gleichbleibend große Anzahl war aber immer noch auf Schiffen stationiert (3.826). Vgl. dazu: Vries/Woude, The first modern economy, S. 433. Die Zahlen zeigen die Steigerung der absoluten Zahl von Soldaten in den Zeiten als die VOC mit militärischer Macht ihre Gegner zur See verdrängte (1650–70). Durch die größere Anzahl an Schiffen wird die durchschnittliche Zahl der Soldaten pro Schiff indes geringer. Am wichtigsten ist allerdings die Feststellung, dass während des gesamten 17. Jahrhunderts, ausgenommen von der wichtigsten Forts auf Molukken, mehr Soldaten auf den Schiffen fuhren als an Land stationiert waren, was zeigt, dass die VOC neben den Anbaugebieten der Gewürze, die Warenströme zur See beherrschen wollte. Schiffe waren die Möglichkeit mobil zu sein und die Truppen über die großen Distanzen im großen südostasiatischen Interessensraum schnell zu verlegen. Das Verhältnis wandelte sich erst Mitte des 18. Jahrhunderts deutlich zugunsten der Beherrschung von Territorium. (Soldaten stationiert zu Land: Ceylon 4.625, Batavia, 4.860, auf den Schiffen: 3.054). 149 Siehe dazu: Putten, Ambitie en onvermogen, S. 66–71. 150 Vgl. dazu: „Oorlochschepen 3: ʼs-Gravenhage, ʼt Hoff van Hollant ende Vlissingen; Oorlochsjachten 6: Egmont, Wassenaer, Galiasse, Grol, Bredamme ende Oudewater; Cleender jachten 5: Venlo, Santvoort, Venhuysen, de Vos en de Valck; Coopvaerders 2:

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Zusätzlich zu den 24 Schiffen, die der VOC 1636 in Asien zur Verfügung standen, sollten 14 bis 15 weitere Jachten und Fluiten die maritime Präsenz der VOC stärken. Die englische EIC besaß nach Angaben der VOC-Angestellten nur 11 bis 12 Schiffe in Südostasien.151 Auch wenn die Zahlen im Detail nicht vollkommen eindeutig nachweisbar sind, ist eine Übermacht der VOC gegenüber der EIC im Malaiischen Archipel anzunehmen. Im Jahr 1636 sahen die Mitglieder der Hohen Regierung in Batavia die VOC-Marine in der dominanten Position, die durch die Entsendung der Kriegsschiffe in verschiedene Regionen Südostasiens und an die Indische Küste gefestigt werden sollte. Das Ergebnis zeigte sich schon zwei Jahre später. Die Annahme, dass der portugiesische Estado da India geschwächt war, bestätigte sich nach der Übersetzung von abgefangenen Briefen der Portugiesen. Die Portugiesen waren der Meinung, dass ohne zusätzliche Unterstützung aus dem Mutterland Malakka nicht mehr lange zu halten sei.152 Im selben Jahr erneuerten die Niederländer ihren Vertrag mit dem Königreich Kandy auf Ceylon und bereiteten damit die Ausweitung ihrer Aktionen auf den indischen Subkontinent vor. Auch von Ceylon sollten die Portugiesen vertrieben werden.153 Harderwijck ende ʼt Wapen van Rotterdam; Fluyten 8: Keyserinne, Rarop, Petten, Swaene, Ruttum, OostcappelleOtter ende Duyve. Tsamen 24 stucx schepen, fluyten ende jachten, behalven de chaloupen off opgesette jachten, waermede uwen ommeslach alhier in geenen deelen can waergenomen werden, veel minder de vijanden ʼt hooft gebooden. Edoch als wij becomen de 14 à 15 schepen, jachten ende fluyten, met onse jongste advijsen ontboden ende sulcx, daer noch sal moghen worden bijgevoecht, die wij alle tegen april tot october aenstaende sijn inwachtende, sullen ons dan met de hulpe Godes tot nader ontseth wel redden.“, in: Generaele Missive: II. Antonio van Diemen, Philips Lucasz., Artus Gijsels, Hans Putmans, Antonio Caen en Joan Ottens, Batavia, 28 december 1636, 1031, fol. 1–205, in: Coolhaas, Willem P.: Verenigde Oostindische Compagnie: Generale missiven van governeurs-general en radem aan heren XVII der Verenigde Oostindischen Compagnie, 1639–1655, ’s Gravenhage: Bureau der Rijkscommissie voor Vaderlandes Geschiedenis, Band 112, 1964, S. 578–580. Die Aufstellungen zur maritimen Macht der VOC 1636 waren beispielhaft für die jährliche Berichterstattung der VOC nach Europa. Die Hohe Regierung in Batavia übermittelte die Flottenstärke, damit die Direktoren über die Entsendung von zusätzlichen Schiffen entscheiden konnten. Siehe dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I, S. 23. 151 Siehe dazu: Generale Missive: II. Antonio van Diemen, Philips Lucasz., Artus Gijsels, Hans Putmans, Antonio Caen en Joan Ottens, Batavia, 28 december 1636, 1031, fol. 1–205, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1639–1655, S. 578–580, darin: S. 578. 152 Vgl. dazu: „Den tijt is gebooren om den Portugees uyt India te helpen, soo maer wat extraordinaris van volck ende schepen gesecondeert wierden. Haeren desolaten staet sal U Ed. seker connen vernemen uyt hun eygen brieven, hierneven gaende ende getranslateert in ons verbael ady 13en augusti, daer onder andere van een treffelijck persoonagie uyt Goa aen Louys Martin de Zoysa, capiteyn-generael van Malacca, geschreven wort, dat bijaldien dit jaer 1638 geen sufficient secours uyt Portugael becomen, dat verlooren sijn ende in handen van de Hollanders moeten vallen.“, in: V. Antonio van Diemen, Philips Lucasz., Carel Reniers ( en de gesaaumeerde Raden) Abraham Welsing en Cornelis van der Lijn, Batavia, 22 december 1638, 1036, fol. 1–202, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1639–1655, S. 681. 153 Vgl. dazu: „Den 11en ende 12en july sijn hier per Cleen-Amsterdam ende Der Veere in comp.[e] van den meergenoempden Westerwolt aengelandt des Keysers van Candia

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Mit dem Ausbau der Flotte gelang es unter Antonio van Diemen, die Dominanz der VOC gegenüber der EIC zu begründen. Andererseits weiteten die Niederländer die Entdeckungsfahrten aus, um neue Regionen für den Handel zu erschließen und die Kenntnisse über Landverbindungen zwischen Neu-Guinea und der Terra Australis zu gewinnen. Dabei geritten sie zunehmend mit den Portugiesen in militärische Konflikte, die sie an der Seite lokaler Machthaber führten, wie das Vorgehen in Ceylon zeigte. Dessen ungeachtet blieb die Macht der Portugiesen in den indischen Gewässern bestehen, auch weil die Portugiesen begannen, Schiffe in Indien zu bauen und nicht aus Europa zu importieren.154

Das Jahr 1641 – Umschlagpunkt für das niederländische Herrschafts- und Verräumlichungsregiment Der Shimabara-Aufstand in Japan Das Jahr 1641 sollte in vielerlei Hinsicht zu einem entscheidenden Jahr für die VOC werden. Das für die VOC wichtigste Ereignis war der Shimabara-Aufstand in Japan, dessen Folgen die Rentabilität der VOC steigerte. Auf der Halbinsel Shimabara hatte sich der durch die lokale herrschende fürstliche Familie der Ari-

affgesanten, soo omme ons te begroeten ende te bedancken voor de gepresteerde assistentie als tot confirmatie van ʼt accort [Der Vertrag wurde am 23 Mai 1638 von Westerwolt und Raja Singha, König von Kandy, geschlossen], gelijck mede dat andermael wilden een macht derwaerts uytsetten om Columbo te bemachtigen ende den Portugees geheel van dat eylandt aff te drijven, als U Ed. uyt desselffs missive onder dato 12[en] july in ʼt journael nader sullen vernemen.“, in: Ebda., S. 674. 154 Siehe dazu: „Soo U Ed. ons deselve beschickt (gelijck wel doen cundt), willen vaststellen, dʼoncosten rijckelijck sullen worden gecompenseert met treffelijcke prinsen. Dit sijn geen imaginatiën off casteelen in de lucht, maer gefondeerde concepten, daeraen des Compagnies welstant dependeert. In Goa hadde den vijant drie nieuwe treffelijcke schepen, ʼt eene . . . in Bassin ende de twee in loco getimmert, maer conden dit mousson niet vaerdigh worden omme buyten te corten; ʼt gecomen secours lagh onder de beschermingh van ’t casteel Bardas met intentie de caracque geladen nae Portugael aff te senden. Bijaldien nu in mey (hoewel achten, op september aenstaende uytloopen sal) nader ontseth van vier ofte ses gallioenen becomen, sal den vijandt (ten ware U Ed. ons treffelijck secondeerden) op dʼIndische cust meester ter zee sijn, dat voorwaer in onse concepten groote veranderingh staet te baren. U Ed. examineren hare presente navale macht in India, deselve met de equipagie, van desen jare herwaerts gedaen, vergrootende, achtingh gevende, 9 ofte 10 groote schepen tot overvoeren van de ordinarie vaderlantse retouren affsteecken moeten omme den meulen te doen gaen, sult dan licht bevinden, hoe sober omme onsen vijandt ʼt hooft te bieden gestelt sijn; laeten ongemoveert progressen te poucheren ende omme U Ed. tselve naeckter te verthoonen sullen hier specifice in ʼt corte stellen, wat middelen presentelijck hebben, daermede Uwen grooten ommeslagh moeten waernemen ende sijn, als te weten: […]“, in: XIII. Antonio van Diemen en Cormelis van der Lijn, Batavia, 8 januari 1641, 1045, fol. 896–934, copien 1043, fol. 20–58 en 1043, fol. 440–465, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1639–1655, S. 130f. Der Aussage folgt eine Auflistung der Schiffe, die der VOC 1641 zur Verfügung stehen. Insgesamt waren es 45 Schiffe.

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ma das Christentum verbreitet. Die Familie Arima wurde durch den Shogun als Verwalter der Halbinsel 1614 abgesetzt und durch die Familie der Matsukura ersetzt, die radikal gegen die christliche Bevölkerung vorgingen.155 Um die Position der Familie Matsukura zu stärken, errichtete die Sippe eine neue Festung, zu deren Bau neue Steuern erhoben wurden. Der Konflikt, der in Shimabara entstand, entzündete sich allerdings am Widerstand der unabhängigen Kriegerkaste der Samurai, der im Herbst 1637 mit der Ermordung eines lokalen Beamten begann. Der Ausbruch war vielmehr durch die hohe steuerliche Belastung und der damit verbundenen Hungersnot und Armut ausgelöst als durch die religiöse Unterdrückung. Die Beteiligung der unabhängigen Samurai zeigt, dass es nicht nur ein Aufstand der christlichen Bevölkerung der Region war, sondern tiefgreifendere Ursachen für den Aufstand Auslöser waren. Die Rebellen nahmen verschiedene Kastelle in der Region ein, bevor das Tokugawa-Shogunat, die herrschende Familie in Japan, die nach ihrer Machtergreifung 1600 die Hauptstadt Japans nach Edo verlagert hatte, zurückschlug.156 Durch die Trennung der Regierung, die nach Edo ging und dem Sitz des Kaisers, der in Kyoto verblieb, verschaffte sich das Shogunat eine mächtige politische Position, die nach knapp 30 Jahren jedoch noch nicht die Unantastbarkeit der Herrschaft der Familie Tokugawa bedeutete, da während der vorherigen Dynastie der Ashikaga-Familie viele Daimos, von denen einige während des Aufstands Partei für die Rebellen ergriffen, ihre politische Macht vergrößert hatten und bewahren wollten. Das Amt des Shoguns hatte in den letzten Jahren vor der Tokugawa Herrschaft kaum noch Bedeutung. Der Aufstand war auch ein Zeugnis des Widerstreits zwischen den neuen Machthabern und den älteren Ansprüchen der Daimos.157 Im Kastell von Hara hielten sich die Rebellen nach dem Ausbruch des Aufstands verschanzt. Mit Hilfe der Niederländer wollte das Shogunat die Rebellen bezwingen. Die Niederländer stellten nicht nur Kanonen und Schießpulver zur Verfügung, sondern auch ein Schiff, um das Kastell von See aus unter Beschuss nehmen zu können. Nicolaes Coeckebacker, Oberhaupt des Handelspostens von Hirado, agierte in dieser Situation im Sinn der Geschäftsinteressen der VOC, die er nicht durch eine Rebellion gefährdet sehen wollte. Zudem wollte er durch die Beteiligung an der Niederschlagung der Rebellen bessere Argumente für die Monopolisierung des Handels mit Japan in den Händen der VOC gewinnen. Die Rebellen verteidigten ihre Position im Kastell erbittert und klagten das Shogunat der Feigheit an, sich im Kampf gegen eine solch kleine Streitmacht, wie die der Rebellen, ausländischer Hilfe zu bedienen. Die VOC schied aus der Belagerung des Kastells aus. Die erste Hälfte des Jahres 1638 währte der Kampf um Hara. Am Ende siegten die Truppen des Shogunats. Verantwortlich für den Aufstand machte der Shogun neben den lokalen Machthabern, die sich den Rebellen angeschlossen hatten, die von den Portugiesen nach Japan gebrachte christliche Religion. Ihre 155 Vgl. dazu: Sadler, Shogun, S. 207. 156 Siehe dazu: Clulow, The company and the shogun, S. 1–24. Die Shogune waren die Oberbefehlshaber des kaiserlichen Heeres. 157 Siehe dazu: Ebda., S. 125–128.

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Missionstätigkeit wurde den Portugiesen in der Nachfolge des Aufstands von Shimabara zum Verhängnis.158 Tokugawa Iemitsu, der Herrscher Japans, hatte seit 1633 Gesetze auf den Weg gebracht, die den Abschluss des Landes vor äußeren Einflüssen schützen sollten. Maßgeblich verantwortlich für den Abschluss war die Instabilität der politischen Macht der Tokugawa-Familie. 1635 erließ das Shogunat ein Verbot der Ein- und Ausreise, das auch für die europäischen Kaufleute galt.159 Damit war der Zugang zum japanischen Markt gefährdet. Der Shimabara-Aufstand bot der VOC die Möglichkeit, die Gunst des Tokugawa-Shogunats zu gewinnen. Die Unterstützung gegen die Rebellen galt letztlich als Beweis ihrer Loyalität gegenüber dem Shogunat. Adam Clulow definiert das Verhältnis zwischen der VOC und den japanischen Shogunen demnach auch als ein Verhältnis des Vasallen zum Oberherrn, was die eingeschränkte Macht der Niederländer in Japan andeutet.160 Der Ausweisung der Niederländer aus dem Hafen von Hirado 1635 folgte die Ansiedlung auf der künstlich angelegten Insel Deshima vor der Stadt Nagasaki. 1641 eröffnete die VOC ihre Handelsvertretung auf der Halbinsel Deshima. Auf das Festland duften auch die Niederländer nur zur alljährlichen Unterwerfungszeremonie vor den Shogun nach Edo. Seit dem Vorfall in Shimabara war die VOC vorerst das einzige europäische Handelsunternehmen, das in Japan Handel treiben durfte. Neben den Hofreisen nach Edo, gab es in der Handelsstation Deshima die Ausnahme privaten Handels, der im Rest des Interessengebiets der VOC untersagt war.161 VOC-Angestellte durften auf eigene Rechnung Handel mit japanischen Kaufleuten treiben. Zwei bis drei Schiffe wurden alljährlich von Batavia nach Deshima gesandt, um im selben Jahr wieder zurückzukehren.162 Von den Portugiesen hatten die Niederländer den lukrativen Tauschhandel, japanisches Silber gegen chinesische Seide zu handeln, übernommen. Über ihre Faktorei auf Taiwan und die Kontore in Tonkin und Quinam hatte die VOC Zugang zum chinesischen Seidenmarkt. Die Chinesen selbst hatten schon 1547 ein Verbot des Handels mit Japan ausgesprochen. Die Portugiesen eröffneten daraufhin in Macao ihre Faktorei und übernahmen die Hauptrolle im Handel zwischen China und Japan. Nach der Ausweisung der Portugiesen aus Japan füllte die VOC die Lücke. Mit der Stellung im japanisch-chinesischen Handel als Mittler ergab sich für die VOC die Voraussetzung, die Geschäfte in Asien profitabler zu gestalten. Allerdings war dies nicht 158 Zum Verlauf des Shimabara-Aufstand und der niederländischen Beteiligung siehe: V. Antonio van Diemen, Philips Lucasz., Carel Reniers ( en de gesaaumeerde Raden) Abraham Welsing en Cornelis van der Lijn, Batavia, 22 december 1638, 1036, fol. 1–202, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1639–1655, S. 701–703. 159 Zum Verbot des Handels in Japan siehe: XIII. Henrick Brouwer, Antonio van Diemen, Philips Lucasz, Maerten Ijsbranïsz, Aruts Gijsels en Jan van der Burch, Batavia, 4 januari 1636, 1028, fol. 1–57, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1639–1655, 512ff. 160 Siehe dazu: Clulow, The company and the shogun. 161 Eine Ausnahme machten die Vrijburger, Niederländer die in Südostasien angesiedelt wurden, und für das eigene Auskommen Handel treiben durften. 162 Vgl. dazu: Furber, Rival Empires, S. 60ff.

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durch die Seide begründet, sondern durch das japanische Silber.163 Den Chinesen wurde ebenfalls die Möglichkeit gegeben, in Deshima eine Handelsdependance zu eröffnen, was zeigt, dass der Warenaustausch zwischen China und Japan auch weiterhin von chinesischen und japanischen Kaufleuten betrieben wurde – jedenfalls was die japanische Seite des Handels betraf. Der Preis der Seide wurde nicht von der VOC bestimmt, sondern einheitlich von japanischen Kaufleuten aus den fünf Kaiserstädten festgelegt. Das sogenannte Pancadosystem war schon für die Portugiesen eingerichtet wurden und verhinderte die Festlegung der Preise durch die europäischen Zwischenhändler. Das Silber, das sie als Bezahlung für Seide, Zucker, Hölzer, Blei, Zinn, Gewürze und andere Produkte vom asiatischen Markt erhielten, verschaffte der VOC gegenüber ihren europäischen Konkurrenten, den Vorteil, weniger Edelmetalle aus Europa importieren zu müssen, um den innerasiatischen Handel zu finanzieren. Das besaß zwei Vorteile. Zum Ersten war die Gefahr, dass mit Edelmetallen beladene Flotten, die große Strecken zurücklegen mussten, Piraten zum Opfer fielen zu Beginn des 17. Jahrhunderts relativ groß, was zu einer immensen Schädigung des Geschäfts geführt hätte. Zweitens hatte es einen Vorteil für die Bilanz der Kompanie. Wenn ein Großteil des Bedarfs an Edelmetallen aus dem innerasiatischen Handel requiriert werden konnte, indem andere Waren vor allem gegen Silber und Kupfer, das in Asien als Material für Münzen einen hohen Stellenwert besaß, gegen einheimische Produkte eingetauscht werden konnten, war die Finanzierung der VOC unabhängiger von Europa. Die VOC war in der Lage, Gewinn in Asien zu erwirtschaften. Zudem generierte die VOC in Europa zunehmend Profit durch den Verkauf der Gewürze und asiatischer Waren, ohne das durch die Gewinne in Europa Ausgaben in Asien refinanziert werden mussten, da sich der innerasiatische Handel der VOC begann, selbst zu finanzieren. Als es der VOC gelang, die Portugiesen aus Japan zu verdrängen, stieg die Profitabilität der VOC, was eindeutig an den Zugang zum Edelmetallvorkommen Japans gebunden war.164 Japan galt für die Niederländer als der zweitgrößte Silberlieferant in der Frühen Neuzeit nach den spanischen Silberminen in Südamerika.165 Zudem gehörte der Wissensaustausch zwischen den Vereinigten Niederlanden und Japan zu den bedeutendsten, die während des 17. Jahrhunderts unter dem Dach der europäisch-asiatischen Handelsbeziehungen stattfanden. Die gegenseitige Abhängigkeit steigerte den kulturellen Austausch. Vor allem wissenschaftliche Instrumente wie Barometer, Teleskope und wissenschaftliche Abhandlungen gehörten zu den Geschenken, die dem Shogun alljährlich bei der Hofreise nach Edo

163 Vgl. dazu: Clulow, The company and the shogun, S. 151; Israel, Dutch primacy, S. 173. Seit den 1640er Jahren sandte die VOC jährlich 1,5 Millionen Gulden in Silber von Deshima nach Batavia. Im Zeitraum von 10 Jahren (1640–49) war das die doppelte Menge der Lieferungen, die in Batavia aus Europa anlandeten. 164 Siehe dazu: Vries/Woude, The first modern economy, S. 444–446. 165 Siehe dazu: Israel: Dutch primacy, S. 171–173.

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überreicht wurden.166 Über Japan gelangten durch François Caron, Oberkaufmann von Hirado, Informationen über Japan nach Europa, die im Gegensatz zum internen Wissen der VOC auch veröffentlicht und in zahlreiche europäische Sprachen übersetzt wurden.167 Neben dem offiziellen Weg, waren diese Reisebeschreibungen Ursprung für die Beschäftigung mit der japanischen Kultur, die letztlich auch eine größere Leserschaft als nur die Regenten der Vereinigten Niederlanden erreichte. An der Arbeitsweise des Kontors von Deshima offenbart sich die Verschiebung der Akzentuierung niederländischer Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien. Mit der Unterwerfung unter die Handelsvorschriften der japanischen Herrscher gelang es der VOC, das Anrecht mit exklusiven Waren zwischen China und Japan handeln zu dürfen, an sich zu reißen. Ohne die Gründung einer Kolonie, sondern durch das Monopol, von einem Kontor in Japan aus, die Warenströme zwischen den beiden asiatischen Großmächten zu kontrollieren und dadurch Zugang zum für den Handel der Europäer in Asien wichtigsten Gut, dem Silber, zu gewinnen, gelang es den Niederländern, langfristig eine Überlegenheit gegenüber den europäischen Konkurrenten zu gewinnen. Mit der Monopolisierung des Zugangs zum japanischen Markt sorgten die asiatischen Herrscher für den Aufstieg der VOC zum Suzerän unter den europäischen und asiatischen Konkurrenten im Konflikt um die Kontrolle des Gewürzhandels. Durch diplomatisches Geschick und militärische Unterstützung zugunsten des Shogunats stärkte die VOC ihre Rolle in Japan. Letztlich waren die VOC-Strategien seit den 1640er Jahren vom Vorgehen Japans beeinflusst. Durch die Verdrängung der Portugiesen aus den Knotenpunkten des innerasiatischen Handelsnetzwerks gewann die VOC, aus der Kombination von maritimer Überlegenheit und gezielter handelsorientierter Territorialherrschaft in Küstenregionen, Zugriff auf den innerasiatischen Handel und das lukrative Gewürzgeschäft mit Asien.168

Formosa – Zugang zum chinesischen Markt Um den Handel mit Japan führen zu können, benötigte die VOC zugleich den Zugang zum chinesischen Markt, der ihr vom chinesischen Kaiser verwehrt wurde. Die Niederländer besaßen keine Faktorei auf dem chinesischen Festland. Der Versuch die Portugiesen aus der Stadt Macao auf dem chinesischen Festland zu vertreiben, scheitere 1622 unter der Expeditionsleitung von Cornelis Reijersen. Während des Angriffs auf Macao sollten zudem Chinesen versklavt werden, um in Batavia angesiedelt zu werden. Es gelang den Niederländern zwar eine Vielzahl 166 Siehe dazu: Barend-van Haeften, M.: Oost-Indië gespiegeld: Nicolaas de Graaff, een schrijvend chirurgijn in dienst van de VOC, Indische Letteren, Jaargang 3., Oude Wetering: Werkgroep Indisch-Nederlandse Letterkunde, 1988. 167 Siehe dazu: Caron, François: Beschryvinghe van het machtigh Koninghrijke Japan, Amsterdam, 1662. 168 Siehe dazu: Gaastra, De Geschiedenis van de VOC, S. 46–56; Israel, Dutch Primacy, S. 197–291; Vries/Woude, The first modern economy, S. 429–436.

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von Gefangenen zu nehmen, aber die Mehrheit, der über Tausend Gefangenen verstarb auf der Seereise nach Batavia. Nach dem Misserfolg siedelte die VOC sich auf den Pescadores an, einer der Insel Formosa vorgelagerten Inselgruppe, um die Handelskontakte, die sich seit 13 Jahren mit Japan entwickelt hatten, nun auch mit chinesischen Kaufleuten auf dem Festland aufzubauen.169 Allerdings wurden die Niederländer von den Pescadores von einer chinesischen Invasionsflotte vertrieben. Bleibender Stützpunkt wurde ab 1624 Fort Zeelandia auf der Insel Formosa. Formosa unter Kontrolle zu bringen, gestaltete sich in den 1620er Jahren schwierig. Nach der Vertreibung von den Pescadores durch den chinesischen Gouverneur Li Dan, durften die Niederländer in Formosa siedeln und ein Fort errichten. Allerdings waren sie mit der Feindschaft der Bewohner aus den umliegenden Dörfern konfrontiert. Die Konflikte verschärften sich, als die Niederländer Li Dan zwingen wollten, seinen Handel mit Japan über Formosa einzustellen. Der Hafen sollte für die VOC reserviert werden. Li Dan begann mit der VOC zusammenzuarbeiten. Im Dienst der VOC diente Li Dan mit einigen seiner Gefolgsleute in der Folge als Pirat, um vor der chinesischen Küste den Handel Chinas mit Manila zu unterbinden. Nach dem Tod Li Dans lief sein Nachfolger Iquan zum chinesischen Kaiser über und mit ihm die Piratenflotte. Iquan sollte nun im Dienst des Kaiserreiches gegen die Piraten in der See vor Formosa vorgehen, zu denen fortan auch die Niederländer zählten.170 Besonders das Dorf Mattau auf Formosa stand in Opposition zu den Niederländern. Dem Dorf schlossen sich andere Gemeinden an. Gemeinsam griffen sie die niederländischen Forts an, scheiterten aber an deren Bewaffnung und Befestigung. Gegen die verbündeten Dorfgemeinschaften hätte sich die VOC nicht über einen längeren Zeitraum hinweg behaupten können. Zum Vorteil der VOC trat das Dorf Sinkan in den Konflikt ein und stellte sich gegen Mattau und dessen Verbündete, womit ein Gleichgewicht der Kräfte auf der Insel entstand. Die VOC war jedoch nicht in der Lage, Mattau zu unterwerfen, was zu ständigen Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Lagern führte, wobei auch immer wieder versucht wurde, Japan in den Konflikt hineinzuziehen, indem die verschiedenen Gemeinden den Japanern die Oberhoheit über die Insel anboten. Zu Beginn der 1630er Jahre eskalierte der Streit zum Krieg zwischen den Lagern. Genau zu diesem Zeitpunkt entschied die Hohe Regierung in Batavia, die Truppen auf Formosa zu verstärken, da der Handel mit Japan durch die Schwächung der Piraten zu florieren begann.171 Mit der Truppenverstärkung gelang es den Niederländer auf Formosa im Verbund mit dem Dorf Sinkan, Mattau und in der Folge auch deren Verbündete zu schlagen. Von 1636 herrschte Friede um das niederländische Fort 169 Siehe dazu: Cheng, War, Trade and Piracy; Chapter III, Pax Hollandica, in: Andrade, Tonio: How Taiwan became Chinese, Dutch, Spanish, and Han colonization, New York: Columbia University Press, 2008, Internetquelle: http://www.gutenberg-e.org/andrade/andrade03.html, zuletzt konsultiert am 28.12.2017. 170 Siehe dazu: Andrade, Tonio: The Rise and Fall of Dutch Taiwan, 1624–1662: Cooperative Colonization and the Statist Model of European Expansion, Journal of World History 17, no. 4 (2006), S. 429–450. 171 Siehe dazu: Cheng, War, Trade and Piracy.

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Zeelandia. Gouverneur Putman beschloss im selben Jahr, Land an chinesische Bauern zu verpachten. Chinesen war es jedoch von der chinesischen Verwaltung aus grundsätzlich verboten, sich fest anzusiedeln. Nicht länger als drei Jahre durften die Pächter an einem Ort verbleiben.172 Da das erworbene Kapital der Chinesen den Niederländern keinen Nutzen brachte, erhoben die Niederländer Abgaben auf den Fischfang, die Jagd und den Zuckeranbau. Um die 40 Prozent der Gesamteinkünfte der VOC auf Formosa wurde auf diese Weise eingenommen. Der Rest wurde im Handel mit China erwirtschaftet.173 Formosa war als Schnittstelle für den Handel zwischen China und Japan bedeutend.174 Aus diesem Grund waren die Niederländer an der Kontrolle Formosas interessiert, da es eine der wenigen Möglichkeiten war, um direkt in Kontakt mit chinesischen Händlern zu treten. Zudem war Formosa eines der Territorien, in dem die VOC Herrschaft ausübte und dadurch in der Lage war, Abgaben von den Siedlern zu fordern, was Einnahmen bedeutete, ohne selbst Handel zu treiben.

Die Einnahme Malakkas Im Jahr als die Faktorei in Deshima eröffnet wurde, strengte die VOC die weitere Eindämmung der portugiesischen Macht im Malaiischen Archipel an. Eine der wichtigsten Städte unter portugiesischer Kontrolle war Malakka, ehemalige Hauptstadt eines Sultanats. Die Portugiesen nahmen bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts Handelbeziehungen mit dem Sultan van Malakka auf. Bald wendete sich allerdings die Stimmung der Einheimischen gegen die Portugiesen. Alfonso d’Albuquerques Flotte griff daraufhin Malakka an. Der Sultan musste sich geschlagen geben und floh nach Johor, wo er sein Sultanat neu errichtete. Unter zahlreichen Angriffen der umliegenden Herrschaften behaupteten die Portugiesen Malakka bis 1641.175 172 Siehe dazu: Boxer, Dutch Seaborne Empire; Campbell, William (Hg.): Formosa under the Dutch: Described from Contemporary Sources, London: Kegan Paul, Trenc, Trubner, 1903. 173 Siehe dazu: Chapter III, Pax Hollandica, in: Andrade, Tonio: How Taiwan became Chinese, Dutch, Spanish, and Han colonization, New York: Columbia University Press, 2008. 174 Vgl. dazu: IV. Henrick Brouwer, Antonio van Diemen, Dr. Pieter Vlack, Philips Lucasz, en Jan der Burch, Batavia, 15 augustus 1633, 1019, fol. 1–83, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 376ff. 175 Die zahlreichen Phasen der Belagerung können exemplarisch nachgelesen unter bei: XI. Antonio van Diemen en Cornelis van der Lijn, Batavia, 9 september 1640, 1043, folio 235–253, oopie 1043, folio 255–270, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1639–1655, S. 104f, 109f. Zum Beutegut, das bei der Eroberung Malakkas gemacht wurde, vgl.: XVIII. Antonio van Diemen, Anthonio Caen, Cornelis van der Lijn, Joan Maersuycker, Justus Schouten, Salomon Sweers en Cornels Witsen, Batavia, 12 december 1642, 1047, fol. 1–116, tweede exemplaar 1048, fol. 1–105, in: Ebda., S. 163. Als Beispiel, welche Waren durch die Straße von Malakka geschifft wurden siehe: VIII. Antonio van Diemen, Anthonio Caen en Cornelis van der Lijn, Batavia, 18 december 1639, 1030 fol. 1–129, Ebda, S. 46, sowie Appendix III unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/die-variabilitaet -fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. Die Zahlen zu den Soldaten in Diensten der VOC zei-

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Nach der Ankunft der Niederländer in Südostasien hatte sich der Sultan von Johor, der immer noch Ansprüche auf Malakka besaß, mit ihnen 1602 verbündet. Allerdings gelang den Partnern die Eroberung Malakkas erst 39 Jahre später. In der Folge verlor Malakka als Handelsplatz in Südostasien im Netzwerk der VOC im Gegensatz zur Rolle unter den Portugiesen an Bedeutung, da Batavias zentrale Position bereits gefestigt war. Interessant machte die Eroberung der Stadt für die VOC indes die Möglichkeit von der Stadt aus die Seestraße von Malakka zu beherrschen, deren Bedeutung für den gesamten südostasiatischen Handel kaum überschätzt werden kann, da diese Straße für den Transport von Waren aus Indien in die Molukken bis nach China und Japan genutzt wurde und umgekehrt.176 Zudem war Malakka für viele asiatische Kaufleute einer der wichtigsten Warenumschlagplätze, durch dessen Blockade der Handel im gesamten Malaiischen Archipel behindert werden konnte. Wer die Seestraße von Malakka überwachte, sah sich in der Lage, den innerasiatischen Handel nach seinen Prämissen zu gestalten. Mit der Einnahme Malakkas war es kaum mehr möglich aus dem Indischen Ozean in das Malaiische Archipel zu gelangen, ohne von den Niederländern kontrolliert zu werden, die in Batavia und Malakka Flottenstützpunkte einrichten konnten. Mit dem Jahr 1641 besaß die VOC die Kontrolle über die zwei wichtigsten Seestraßen für den Zugang zum Malaiischen Archipel. In der Folge verschärfte die VOC die Konkurrenzsituation gegenüber den Portugiesen auf Ceylon sowie den Gewässern um den indischen Subkontinent.

Die Vertreibung der Portugiesen von Ceylon Nicht nur die Verbannung aus Japan und die Niederlage in Malakka schwächten die Portugiesen, sondern auch der Konflikt mit den Niederländern auf Ceylon, wo sich die VOC mit dem König von Kandy schon 1610 darauf geeinigt hatte, gemeinsam gegen die Portugiesen vorzugehen, die der König von seinen Besitzungen vertreiben wollte.177 Im Gegenzug für die Unterstützung sicherte der König der VOC das Monopol auf den Fernhandel mit Ceylon zu. Allerdings wurde der Vertrag aus besagtem Jahr nicht ratifiziert und so dauert es 27 Jahre bis die Niederländer die Gelegenheit bekamen, ihre Handelsbeziehungen mit dem Königgen, dass in den 40er Jahren ein rapider Anstieg zu verzeichnen war (32% mehr Soldaten 1640–49 als 1630–39). Der Anstieg kann nicht mit der Einnahme, wohl aber mit der verstärkten Kontrolle der Seewege infolge der Einnahme betrachtet werden, da die Mehrzahl der Soldaten auf den Schiffen der VOC fuhr. Siehe dazu: Kapitel VII, Fußnote 148. 176 Im ersten Jahr nach der Besetzung machte die VOC 49312.19.9 Gulden Verlust in Malakka, was dem örtlichen Gouverneur van Twist angelastet wurde. Die Besetzung von Malakka belastete die Bilanzen der VOC. Trotzdem hielten sie an der Besatzung fest, was die strategische Bedeutung der Stadt unterstreicht. Vgl. dazu: XX. Antonio van Diemen, Cornelis van der Lijn, Joan Maetsuycker, Justus Schouten en Saloman Sweeks, Batavia, 13 januari 1643, 1050, foL 1–13, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1639–1655, S. 193. 177 Zum Konflikt zwischen Portugiesen und Niederländern, um die Seemacht in Asien in den 1650er Jahren siehe: Appendix VI, Nr. 1.

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reich Kandy zu vertiefen. Rajasingha II., neuer König von Kandy, fragte bei der Hohen Regierung in Batavia um Unterstützung gegen die Portugiesen an. Die Hohe Regierung entschied, Admiral Adam Westerwold nach Ceylon zu schicken, um Verhandlungen mit Rajasingha II. zu führen. Mit vier Schiffen erschien Westerwold am 10. Mai 1638 in Batticaloa, um gemeinsam mit dem Landtruppen Rajasinghas II. das portugiesische Fort zu belagern. Nach der Einnahme des Forts verhandelten die Niederländer mit Rajasingha II. über die Konditionen eines Vertrags, der den Niederländern einen effektiveren Zugang zu den Ceylonʼschen Ressourcen ermöglichte, als ihn die Portugiesen besessen hatten.178 Nach vier Tagen Belagerung gab die portugiesische Besatzung des Forts auf. Weitere neun Tage später war der Vertrag mit dem König von Kandy ausgehandelt. Für die weitere Unterstützung Rajasinghas II. erhielten die Niederländer Zimt und andere Waren als Bezahlung für ihre militärische Hilfe gegen die Portugiesen. Alle anderen Europäer sollten vom Handel auf Ceylon ausgeschlossen werden.179 Der Vertrag war für die Niederländer äußerst vorteilhaft. Allerdings stellten die Niederländer dem Vertrag in Singhalesischen Fassung eine Formulierung voran, die Rajasingha II. glauben ließ, er könne die Zustimmung auch nach dem Vertragsschluss zurückziehen. Der Zusatz, „[w]anner Zijne Majesteit het noodig oordeelt“, beließ in der singhalesischen Fassung Rajasingha II. das Recht, darüber entscheiden zu können, an welchen Orten sich die Niederländer niederließen.180 Allerdings fehlte der Zusatz in der niederländischen Ausführung, die nach Batavia geschickt wurde und zur Grundlage für die niederländischen Ansprüche in Ceylon wurde. Mit dem fehlenden Zusatz sicherte sich die VOC nach eigener Interpretation die freie Entscheidung zur Besetzung aller Forts in Ceylon, ohne die Zustimmung des Königs einholen zu müssen. Wie anzunehmen, pochten die Niederländer auf ihre Variante des Vertrages, besetzten die Forts in Ceylon und überließen sie dem König auch nach Protesten nicht. Des Weiteren regelte der Vertrag das Verbot des katholischen Glaubens in Ceylon und die Befreiung der VOC von Steuern und Gesetzen des Königreichs. Durch die Verstärkung der Besatzung in den Forts zwang die VOC Rajasingha II. auch gleich zur Abgabe von weiteren Zimtlieferungen, da er noch immer in der Schuld der VOC stünde, die er mit ei178 Siehe dazu: V. Antonio van Diemen, Philips Lucasz., Carel Reniers ( en de gesaaumeerde Raden) Abraham Welsing en Cornelis van der Lijn, Batavia, 22 december 1638, 1036, fol. 1–202, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 673f; Macleod, Norman: De Oost-Indische Compagnie als Zeemogendheid in Azië, Rijswijk: Blankwaardt & Schoonnoven, Band 2, 1927, S. 113–117; Geer, Willem van: De opkomst van het Nederlandsch Gezag op Ceilon, Leiden: Sijthof, 1895, S. 37–45. Es kamen 300 Soldaten mit den vier Schiffen in Ceylon an. Nach der Darstellung der Niederländer stellte Rajasingha II. vier Tage später 1500 Soldaten unter den niederländischen Oberbefehl. Die niederländischen Soldaten waren innerhalb des gemeinsamen niederländisch-singhalesischen Truppenverbandes in der Unterzahl. Vgl. dazu: Ebda., S. 38. 179 Weiterhin wurde geregelt, dass dem König von Kandy die Kosten für die Vertreibung der Portugiesen auferlegt wurden und die niederländischen Soldaten die eroberten Festungen besetzten. Vgl. dazu: Ebda., S. 39f. 180 Das Zitat ist wiederum eine Rückübersetzung ins Niederländische durch Geer. Vgl. dazu: Ebda., S. 64.

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nem günstigen Preis des Zimts für die VOC tilgen könne. Nach zwei Jahren waren die Schulden Rajasinghas II. beglichen und die Forts sollten an die Singhalesen zurückgegeben werden. Ein Fort ihrer Wahl durften die Niederländer jedoch behalten. Gemeinsam gingen VOC und Rajasingha II. in der Folge gegen die Portugiesen in der Stadt Galle vor. Auch in Galle waren die Verbündeten erfolgreich. Teile des besetzten Territoriums wollten die Niederländer nun jedoch nicht an den König zurückgeben, woraufhin der von der Hohen Regierung in Batavia nach der Eroberung Galles eingesetzte Willem Coster auf dem Rückweg von Kandy nach Galle mit weiteren Gefolgsleuten von Truppen des singhalesischen König aufgegriffen und ermordet wurden. Zur Schlichtung der territorialen Streitigkeiten, übertrugen die Niederländer das Fort in Batticaloa an den König.181 Was sich an dieser Situation zeigt, ist die erneute Ausnutzung der Widerstände gegen die Portugiesen. Explizit forderten die Niederländer auch in Ceylon, den katholischen Glauben zu verbannen. Mit dem Winkelzug verschiedene Formulierungen in die Verträge der jeweiligen Sprache aufzunehmen, erschlichen sich die Niederländer den Anspruch auf die Festungsanlagen in Ceylon, von denen aus sie das umliegende Land und den Seehandel mit ihrer überlegenen Waffentechnik beherrschen konnten. Verträge wurden eingehalten, wenn sie den eigenen Interessen nützten, was ein Licht auf den niederländischen Umgang mit der indigenen Bevölkerung und deren Herrschern wirft. Entgegen der Theorie Grotius’ unterwarfen die Niederländer letztlich die indigene Bevölkerung und die regionalen Fürsten ihren Macht- und Eigentumsinteressen, ohne deren freie Entscheidung zur Kooperation abzuwarten. Auch in Ceylon war die Überlegenheit der Militärtechnik ausschlaggebend, wenn in Augenschein genommen wird, dass in Fort Galle und Batticaloa nur wenige hundert Soldaten stationiert waren, die sich gegen das Landherr Rajasinghas II. behaupten konnten.182 Mit dem Aufbau zusätzlicher Siedlungen, wie beispielsweise in Matara, etablierte sich die VOC in Ceylon als Territorialmacht. Innerhalb des Handelsnetzwerks der VOC nahm Ceylon eine besondere Rolle ein. In keinem anderen Territorium gedieh der Zimt in solcher Qualität wie in Ceylon. Aus diesem Grund und der starken Konkurrenz um die Insel mit den Portugiesen residierte seit der Einnahme von Galle ein Gouverneur in Ceylon, worin sich auch auf der Verwaltungsebene die Bedeutung Ceylons niederschlägt. Durch die Einnahme der Forts war die Grundlage für die späteren Jahre gelegt, in den Küstengebieten territoriale Macht auszuüben, die vorherrschenden Verwaltungsstrukturen des Königreiches nutzend und durch die Position Ceylons in der Struktur der VOC den direkten Kontakt mit dem Direktorium in

181 Vgl. dazu: Geer, Opkomst, S. 64f; Arasaratnam, Sinnappah: Dutch sovereignty in Ceylon. A historical survey of its Problems. II. Artikel, in: Ders.: Ceylon and the Dutch, 1600–1800: External Influences and Internal Change in Early Modern Sri Lanka, Aldershot: Variorum, 1996, S. 107–120, siehe zu einzelnen Bestimmungen des Vertrags mit dem König von Kandy: Appendix VI, Nr. 13. 182 Siehe dazu: Geer, Opkomst, S. 37–73. Der Nachfolger von Willem Coster, Thijsen, hatte im Jahr 1641 400 Soldaten unter seinem Befehl.

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Europa notwendig zu machen.183 Von Colombo auf Ceylon aus schickten die Gouverneure selbst Berichte nach Europa. Ceylon war eines der wenigen Territorien, in denen die VOC territoriale Macht ausübte, was im Gegensatz zum Aufbau eines Handelsnetzwerkes auf der Basis von Stützpunkten stand, der im Malaiischen Archipel verfolgt wurde. Genauer betrachtet, funktionierte die Verwaltung der besetzten Küstengebiete nur durch die Nutzung der traditionellen Hierarchie. Die Niederländer setzten ihre Verordnungen mit der Hilfe der lokalen Hierarchien durch, da ihnen selbst die Autorität fehlte, die lokale Bevölkerung zu beherrschen. Die Portugiesen gaben sich allerdings nicht so rasch geschlagen, obwohl die Niederländer nach dem Vertragsschluss mit Rajasingha II. den Druck auf Goa an der Westküste Indiens verstärkten, indem sie den Hafen der Stadt von der See aus blockierten. Im Jahr der Einnahme Galles besetzten die Portugiesen Negombo, nördlich der heutigen Metropole Colombo. Der bereits erwähnte François Caron führte den Gegenschlag der Niederländer. Caron nahm Negombo ein und verstärkte die Verteidigung des Stützpunktes. Die VOC entsandte 1641 in zwei Expeditionen 16 Schiffe mit 1.602 Besatzungsmitgliedern, von denen 560 Soldaten waren, um die Präsenz der Niederländer auf Ceylon zu verstärken und den Druck auf die Portugiesen in der indischen Westküste zu erhöhen.184 Da 1640 zwischen den Vereinigten Niederlanden und Portugal in Europa ein Friedensvertrag geschlossen worden war, blieb dieses Kontingent an Truppen vorerst das letzte, das die Hohe Regierung aus Batavia nach Ceylon und die indische Küste gegen die Portugiesen aussendete. In Asien schlossen die Niederländer allerdings erst 1644 Frieden mit den Portugiesen. Der Friedensvertrag war für die VOC ein Rückschlag, da die Niederländer ihre erkämpfte Position nicht mehr mit Waffengewalt erweitern konnten. Für die Niederländer stand der Vertrag im Widerspruch zu ihrer aggressiven Vorgehensweise gegen die Portugiesen in Asien, die vor Bekanntwerden des Vertrags in Südostasien zur Verbesserung der niederländischen Stellung im innerasiatischen Handel geführt hatte. Deswegen versuchte die Hohe Regierung die Durchsetzung des Friedensvertrags zu verzögern, um die Portugiesen vor allem auf Ceylon zu schwächen. Für Angriffe auf portugiesische Stellungen war die Truppenstärke der Soldaten jedoch zu gering. Es blieb der VOC bis 1644 nur die Blockade der Häfen, die nicht zur Veränderung der Machtverhältnisse an den Küsten des Indischen Ozeans führte.185

183 Vgl. dazu: Arasaratnam, Sinnappah: The indigenious ruling class under colonial rule in Dutch maritime Ceylon. Artikel X., in: Ders.: Ceylon and the Dutch, 1600–1800; ders. Dutch Power in Ceylon, 1658–1687, New Delhi: Navrang, 1988, S. 70ff. 184 Vgl. dazu: Geer, Opkomst, S. 73, 76. 185 Auch nach dem Friedensschluss ging die Beeinträchtigung des Handels der jeweiligen Gegenseite weiter. In regelmäßigen Abständen wurden neue Vereinbarungen getroffen, um den Frieden offiziell aufrecht zu erhalten. Vgl. dazu den Vertrag vom 23. April 1645: „Verders dan na dese uwe ratificatie aen haer gedaen de portugesen ende andere natien, sijnde soldaten onder u. E. gebiet staende, niet van onser landen gestafften maer tot op desen huijdigen dach, haer laet leggen, soo heb goet gevonden u. E. persoon aff te senden den oppercoopman Hr. Marten Vinck, met het contract ende ratificatie van onse respective souverijnen, aengaende

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Zwischenfazit – Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien der VOC in den 1640er Jahren Am Agieren der Hohen Regierung in Batavia lässt sich indes erkennen, dass der Versuch bestand, sich von den politischen Entscheidungen der Generalstände der Vereinigten Niederlanden abzukoppeln, da sie den Handelsinteressen der VOC zuwider liefen. In der Zeit des Waffenstillstands zwischen den Vereinigten Niederlanden und Portugal entwickelte sich eine größere Unabhängigkeit der Hohen Regierung und des Generalgouverneurs von der Regierung, in deren Namen sie handelten. Die Verhandlungen mit dem portugiesischen Vizekönig in Goa zeigten den Versuch, im Interesse der eigenen Machterweiterung europäische Verträge in Asien außer Kraft zu setzen.186 Letztlich fügte sich die Hohe Regierung in Batavia aber dem europäischen Friedensvertrag. Dem europäischen-römischen pacta sunt servanda-Prinzip widersprach das niederländische Vorgehen in Ceylon, wenn die singhalesische Variante des Vertrags die Grundlage der Beurteilung ist. In Ceylon stieg die VOC zum politischen Akteur mit territorialem Besitz auf, was zunehmend charakteristisch für das Handelsunternehmen wurde. Mit der Kontrolle der Seestraße von Malakka, den Bündnissen mit dem Sultan von Johor, dem König von Kandy, dem Fürsten von Ternate, weiteren lokalen Herrschern, den Stützpunkten auf Formosa und der Erlaubnis, in Deshima eine Faktorei betreiben zu dürfen, gewannen die Niederländer zunehmend die Kontrolle über den innerasiatischen Handel; oftmals im Verbund mit lokalen Herrschern durch Waffengewalt errungen. Für ihre militärische Unterstützung forderten die Niederländer die Monopolisierung des jeweiligen regionalen Handels in ihren Händen. Das war nur möglich, weil zwischen einzelnen Herrschern Konflikte bestanden, wie in den Molukken, lokale Herrscher gegen europäische Konkurrenten aufbegehrten, wie auf der Insel Ceylon oder konkrete politische Entscheidungen den Außenhandel beschränkten wie in China und Japan. Hinter den verschiedenen Konfliktparteien stritten die europäischen Akteure um Einfluss in der jeweiligen Region. Gleichsam kämpften Niederländer, Engländer, Portugiesen und Spanier gegeneinander mit zunehmender Aggressivität von Seiten der VOC, die mit der Vergrößerung der Flotte einerseits bestrebt war, die Häfen der Gegner zu blockieren oder deren Stützpunkte vom Meer aus anzugreifen, andererseits die Seestraßen zu beherrschen. Um alternative Routen aus dem Malaiischen Archipel in den Pazifik zu erkunden und neue Handelsbeziehungen aufzubauen, entsandte die Hohe Regierung Abel Tasman zu zwei Expeditionen. Abel Tasman entdeckte während einer ersten Expedition zwischen 1642 und 1643 eine dem Kontinent Australien vorgelagerte het tgeen Jarich bestant als oock de publicatie die in Batavia daer van is gedaen.“, in: NLHaNA, Sweers, 1.10.78, inv.nr. 6, Fol. 59r. 186 Vgl. dazu: Geer, Opkomst, 74–105. Durch die Blockade Goas wurde zwar kein offener Krieg mehr gegen die Portugiesen geführt, aber die in dem Waffenstillstand zugesicherte Freizügigkeit der Angestellten des jeweiligen Handelsunternehmens wird dadurch offensiv eingeschränkt. Willem van Geer beschreibt die Geschehnisse sehr ausführlich, weswegen hier nur die Folgen angesprochen werden.

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Insel. Wirtschaftlich blieben die erste, wie auch die zweite Expedition 1644 erfolglos. Sowohl die Suche einer Durchfahrt zwischen Neu-Guinea und der Terra Australis als auch nach Bodenschätzen war vergeblich. Die VOC etablierte keine dauerhaften Stützpunkte an den entdeckten Küsten, was die These bestätigt, dass das Unternehmen nicht daran interessiert war, Territorien zu besetzen, in denen weder Produkte erworben, noch Bodenschätze geschürft werden konnten, sondern ihm mehr daran gelegen war Handelswege zu kontrollieren, um die sichere Distribution von Gütern zu ermöglichen.187 In den 1640er Jahren versuchte die VOC zudem die spanische Territorialmacht auf den Philippinnen zu brechen. 1646 fanden insgesamt fünf Seeschlachten in der Bucht vor der spanischen Ansiedlung Manila auf den Philippinnen statt. Für die Spanier war Manila der Hauptstützpunkt ihrer Interessen in Südostasien. Niederländische Flottenverbände waren seit Beginn des 17. Jahrhunderts immer wieder in die Gewässer vor Manila eingedrungen, um die spanische Vorherrschaft zu beenden. Den spanischen Verteidigern gelang im Verbund mit den Einheimischen die Behauptung ihrer Stellungen auf dem Archipel. Zu Beginn der 1640er Jahre versuchten die Niederländer durch die Sperrung der Seestraße von SanBernardino, den spanischen Handelsverkehr zwischen Acapulco und Manila zu unterbinden. Diesem Versuch entgegneten die Spanier mit der Nutzung alternativer Routen.188 Unter Maarten Gerritsz. de Vries segelten drei Schwadronen mit insgesamt 18 Schiffen in Richtung Philippinnen. Jede Schwadron hatte eine eigene Aufgabe. Zum Einen sollte der Handel der Spanier mit Ternate verhindert werden, zum Zweiten der mit China und zum Dritten die Manila-Galeonen abgefangen werden, die sich auf den Weg nach Acapulco aufmachten. Nach einem halben Jahr verschiedener Belagerungen und Seeschlachten endete das Unternehmen der VOC.189 Trotz der Überlegenheit war es nicht gelungen, die Spanier entscheidend zu schwächen oder sie gar von den Philippinnen zu vertreiben. Es gelang lediglich, durch die Blockade den Handel der Chinesen mit Manila zu beeinträchtigten, der aber nach dem Ende der Blockade wieder zunahm.190 187 Siehe dazu: Vierung, Kerstin: Die großen Entdecker: Expeditionen, Forschungsreisen und Eroberungen, Köln: Naumann & Göble, 2011, S. 274–280; Tasman, Abel, Janszoon; Wieder, Fredrrik C. (Hg.): Tasman’s kaart van zijn Australische ontdekkingen, 1644 : „de Bonapartekaart“, gereproduceerd op de ware grootte in goud en kleuren naar het origineel in de Mitchell Library, Sydney; met toestemming van de autoriteiten, ’s -Gravenhage: Nijhoff, 1942. 188 Siehe dazu: Appendix III unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/die-varia bilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. 189 Vgl. dazu: VI. Cornelis van der Lijn, François Caron, Carel Reniers, Anthonio Caen en Jochem Roeloffsz van Dutecum, Batavia, 14 april 1647, 1063 (potlood-) folio 325–338, copie in 1065 bis, folio 514–521, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1639–1655, S. 309; Jonge, Zeemogendheid, Deel II, S. 361f. 190 Vgl. dazu: „Volgens U Ed. ordre blijft de vordere besendinge naer Manilha gestaeckt, hoewel het vast ende seecker is, dat den toevloey van den grooten handel in Tayouan ten principale uut onse gedane Manilhase besettingen is ontstaen ende dʼadvancen soo extraordinary sijn geaccresseert, vermits daerdoor geene Chinesen naer Manilha hebben durven varen ende wel

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VII Geschichte der VOC – Struktur und Aufbau

Das Agieren der VOC nach dem Frieden von Münster Mit dem Friedensschluss von Münster in Europa endeten auch die direkten Angriffe der VOC auf die Spanier in den Philippinnen. Am 18. Januar 1649 berichtete die Hohe Regierung, dass die Bekanntgabe über den Frieden Batavia erreicht habe.191 Damit endete offiziell die offensive Phase der VOC, bis in den 1650er Jahren der Waffenstillstand mit den Portugiesen aufgehoben wurde. Die Niederländer festigen ihre Position im innerasiatischen Handel zunehmend durch die Kontrolle der Zufahrtswege zu bedeutenden Handelsplätzen im Malaiischen Archipel. Entscheidend für die Beruhigung der Auseinandersetzungen mit den europäischen Konkurrenten waren die Verträge der Vereinigten Niederlanden in Europa. Die Hohe Regierung respektierte die europäischen Verträge offiziell, war aber immer bestrebt, die europäischen Konkurrenten auf jede Weise zu schwächen. Die erwähnten Ereignisse fanden nicht mehr in der Amtszeit van Diemens statt, der 1645 in Batavia verstarb. Neben der Verbesserung der Wirtschafsleistung des Unternehmens wurden unter van Diemen die Batavischen Statuten eingeführt, die erste Gesetzessammlung, die das Gemeinwesen der Niederländer in Südostasien ordnete. In dem Begleitschreiben zu dem 1642 veröffentlichten Gesetzen heißt es: „[...]; mitsgaders uyt de gemeene vaderlantse als geschreven Keyserlycke rechten daerby voegen, expungeren ofte veranderen, sulcx ende soo veel als tot welstant van des republycke bevonden soude werden te behorren, ende het voorsz. werck, jegenwoordich getrouwelycken in effecte gebracht ende ons vethoont synde, ten hoogsten voor den Nederlantschen Staet in dese landen dienstich geoordeelt sy, soo hebben wy nae goet overlegh ende rypheyt van rade geresolveert ende goetgevonden ’t selve te approbeeren, confirmeeren ende met onse authoriteyt te bevestigen, gelyck hetselve approbeeren, confirmeeren ende bevestigen met desen, willende ende begeerende wel expresselyck, dat het selve, mitsgaders de poincten daerinne begreepen, voortaen gehouden, soo in rechten als daer buyten gebruyckt, geallegeert ende daerop by den rechteren gewesen sal worden in aller wyse ende maniere, als off ieder stuck 192 van dien by sonderlinge placcate gestatueert ende gepromulgeert ware;[...].“ [Hervorhebungen O.K]

weten, soo van ons genomen werden, haer goet quyt sijn. Soo is den Spangiaert daermede den handel op Cambodja oock belet geworden, van waer veel benjuwijn, rijs ende andere commoditeyten plach te halen, alsmede peper, sandelhout ende andere waren, die door de vreemdelingen daer wierden aengebraght ende na Manilha vervoert, van waer deselve vervolgens bij de Chinesen naer China wierden gebraght, dat nu bij non-besettinge weder sal toenemen ende de Chinesen oock in corte naer Manilha doen lopen.“, in: VIII. Cornelis van der Lijn, François Caron, Carel Reniers, Anthonio Caen en Jochem Roeloffsz van Dutecum, Batavia, 18 januari 1649, 1066, fol. 1–150, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1639–1655, S. 359. 191 Vgl. dazu: Ebda., S. 332. 192 Siehe dazu: Chijs, Nederlandsch-Indisch Plakaatboek, 1602–1811, S. 472–594, darin: S. 473. In den Statuten wird der Begriff Staet immer wieder verwendet. Er wird in Bezug auf den niederländischen Staat in Europa gesetzt, der sich auch auf die niederländisch beherrschten Territorien Asiens erstreckte. Siehe dazu: Ebda., S. 474, 483, 594. Die Statuten werden durch

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Ohne auf den Wortlaut der Verordnungen einzugehen: die Ratifizierung der Statuten bedeutete die Etablierung eines niederländischen Gemeinwesens in Asien unter einem Reglement, das sich hauptsächlich auf die Rechte, Pflichten und Verbote für die Angestellten der VOC bezog und damit eng an die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens gebunden war. Die Verordnungen waren Teil der Neuordnung der VOC in den 1640er Jahren. Auch in diesem Dokument wird der Aufbau eines Gemeinwesens im Namen des „Nederlantschen Staet in desen landen“ angemerkt, was die eindeutige Verwendung des Begriff Staat im Zusammenhang mit Herrschaft setzt. Unter dem Nachfolger van Diemens, Cornelis van der Lijn konnten Verträge mit den Herrschern auf der Insel Java geschlossen werden, was die Sicherheit Batavias erhöhte. In den Molukken bekräftige die VOC ihr Ansprüche auf den Monopolhandel, indem Strafaktionen gegen die einheimische Bevölkerung geführt und Anbauflächen gerodet wurden, um den Verkauf an andere Händler zu verhindern. Aus der Statuierung von Exempeln speiste sich die Missgunst der Einwohner der Gewürzinseln gegenüber der VOC.193 Van der Lijns Nachfolger Carel Reyniersz. war der Überbringer der Vorgaben des europäischen Direktoriums, die Zahl derer zu begrenzen, die Handel mit Gewürzen trieben. Um dem europäischen Markt nicht mit Gewürzen zu überfluten, forderten die Heren XVII gegebenenfalls Gewürzanbaugebiet zu roden.194 Die Konkurrenzsituation in Asien bestand indes weiter. Allerdings nahm die Konkurrenz der lokalen Kaufleute zu, was die VOC durch die Blockaden von Handelsrouten zu bewältigen suchte, damit aber scheiterte, da weitere Auseinandersetzungen mehr Kosten für die VOC erzeugt hätten, als sie der Verringerung der Konkurrenten dienten.195 In den 1650er Jahren trug die Beherrschung des innerasiatischen Handels nach der Einnahme Malakkas zur Stärkung Batavias bei. Malakka wurde zum regionalen Handelszentrum des Malaiischen Archipels degradiert. Die Hohe Regierung in Batavia berief sich auf tradierte Rechte, die Malakka als Handelsplatz auf der Malaiischen Halbinsel betrachteten, über den der Handel der Region verlaufen sollte. Mehr und mehr wurde die VOC zu einer politischen Entität, was sich auch in der Semantik niederschlug. Während des alljährlichen Besuchs beim japanischen Kaiser in Edo sprachen die VOC-Gesandten nicht nur über wirtschaftliche Belange.196

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die Autorität der Hohen Regierung wirksam. Der Republik-Begriff ist in diesem Zusammenhang als Gemeinwesen zu übersetzen. Siehe dazu: Putten, Ambitie en onvermogen, S. 72–75. Siehe dazu: Ebda., S. 76–79. Vgl. dazu: I. Joan Maetsuycker, Carel Hartzinck, Nicolaes Verburch, Dirck Jansz, Steur en Gaspar van den Bogaerde, Batavia, 19 jan. 1654, 1087, Fol. 1–358, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1639–1655, S. 687. Siehe dazu: „Vragen na staetssaecken zijn ten hove sonderlinge niet voorgevallen, alleenelijck onderstondt Sickingodonne off de Comp.e noch met de Portugesen in oorlogh continueerde, daer naer de waerheyt op geantwoort is en zijn e. wel te bevallen scheen, recommanderende de onse verder in de jegenwoordicheyt van den Nangasackise gouverneur Joffiedonne tot desselffs contemplatie, vermits een nieuwelingh in dat ampt is, des Keysers

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VII Geschichte der VOC – Struktur und Aufbau

Den Begriff Staat verwendeten die VOC-Angestellten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts meist nur in Bezug auf die Vereinigten Niederlanden in Verträgen. Ansonsten wurde der Begriff auch als Bezeichnung für die Bilanz der VOC verwendet. Im Bericht über den Besuch beim japanischen Kaiser ist das Kompositum staetssaecken eindeutig ein Begriff der politischen Semantik, der weiterhin die Beziehung zwischen politischen Entitäten betrifft, aber zudem die VOC eindeutig als politische Akteurin identifiziert, die im Auftrag der Vereinigten Niederlanden handelte. Der Begriff Staat besaß eine weitergehende Bedeutung, die sich nicht nur auf eine politische Entität bezog, sondern die Aktivitäten der Entitäten mit einbezieht und sowohl diplomatisches als auch militärisches Agieren als staetssaecke beschreibt, was die Dimensionen eines politisches Akteurs Mitte der 1650er Jahre umreißt. Beide zuletzt erwähnten Auszüge stammen aus dem ersten Sendschreiben, das in der Amtszeit Joan Maetsuyckers nach Europa gesandt wurde, der bis 1678 die Geschäfte der VOC als Generalgouverneur in Batavia leitete.

Manifestation der Macht – Die VOC unter Joan Maetsuycker Studiert hatte Maetsuycker Recht in Löwen, war Advokat in Den Haag und später am Gericht in Amsterdam. Mit 30 Jahren kam er 1636 in den Dienst der VOC nach Batavia. In Batavia stieg er vom Pensionär des Justizrates bis zum außerordentlichen Rat auf, bevor er zwei Jahre als ordentlicher Rat von Indien Verhandlungen mit dem portugiesischen Vizekönig in Goa über den Waffenstillstand für Ceylon führte. Als ihn die Hohe Regierung 1650 zum Ersten Rat und GeneralDirektor berief, war Maetsuycker bereits vier Jahre Gouverneur in Ceylon.197 Auf diese Erfahrungen geht ein Schreiben Maetsuyckers an die Heren XVII zurück, in dem der zum Ersten Rat aufgestiegene VOC-Angestellte 1651 den Stellenwert der Kolonien für die VOC zum wiederholten Mal betonte, womit er sich in die Tradition Coens stellte. Maetsuycker versuchte allerdings die Kolonialisierung auf andere Art zu begründen. In dem Dokument besprach er den anhaltenden Einspruch der Heren XVII gegen die Gründung von Kolonien. Maetsuycker widersprach allen Einwänden der VOC-Direktoren. Damit die Ansiedlung von Niederländern erfolgreich sein könne, müsse indes der Handel geöffnet werden. Der Verweis auf das Scheitern der portugiesischen Versuche, Kolonien zu gründen, weist Maetsuycker mit dem Hinweis zurück, die Siedler wären ohne Unterstützung für lange Zeit nur sich selbst überlassen gewesen. Mit der Ansiedlung von Niederländern könnten die bereits bestehenden Ansiedlung verstärkt werden, da Maetsuycker bei ihnen eine bessere Ausbildung voraussetzt, was auch die Verteidigung der Kolo-

bevelen sorghvuldich te betrachten en als buytenslandts iets tot nadeel van ʼt Japanse rijck vernamen, sulcx vóór andere vremdelingen aen de gouverneurs van Nangasacki bekent souden maeken, als wanneer des May.ts gunst geduersaem over de Hollanders soude blijven, waerop naer eysch is gerepliceert.[...]“ [Hervorhebung O.K.], in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1639–1655, S. 708. 197 Siehe dazu: Putten, Ambitie en onvermogen, S. 80–85.

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nien betraf, wodurch andererseits die Zahl der Soldaten verringert werden könnte. Daraus ergäben sich Einsparungen. Ein oft genannter Vorwurf der Direktoren gegen die Gründung von Kolonien, war die Befürchtung einer kurzen Verweildauer von Siedlern in den Ansiedlungen. Diese seien nur darauf bedacht, sich zu bereichern und wieder in die Vereinigten Niederladen zurückzukehren, was die Auflösung der Kolonie nach einer bestimmten Zeit bedeuten würde. Maetsuycker betrachtete die Gründung von Kolonien für den beständigen Wohlstand der VOC indes als unabdingbar. Die bis zur Mitte des Jahrhunderts gepflegte Vorgehensweise Forts zu errichten und Soldaten zur Verteidigung kleiner Küstenregionen oder Insel zu unterhalten, wäre ebenso kostspielig gewesen, wie das Geld in den Aufbau von Kolonien zu investieren, in denen fähige und vertrauenswürdige niederländischen Siedler zur Verbesserung des Profits der VOC beitragen würden. Nach der Besiedlung könnte die Truppenstärke in den Forts reduziert und dadurch Kosten gespart werden. Das Dokument zeigt einerseits den Widerstand der VOC-Direktoren gegen die Gründung von Kolonien, andererseits die Erkenntnis des Personals vor Ort, dass eine angeleitete Kolonisierung im Umkreis der bereits bestehenden Stützpunkte in Südostasien mit ausgewählten niederländischen Siedlern den Wohlstand der VOC vergrößern könnte. Der entscheidende Punkt war die Öffnung des Handels für die Siedler. Ihnen hätten die gleichen Möglichkeiten für den Handel in Südostasien zustehen müssen, wie der lokalen Bevölkerung. Maetsuycker kritisiert, dass es zwar den Chinesen und anderen regionalen Völker erlaubt sei, Handel zu treiben, den niederländischen Freibürgern indes nicht unbegrenzt, was ihnen die Lebensgrundlage entziehe. Die Direktoren in Europa sahen indes weiterhin von einer Kolonisierung ab, was in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zur Fokussierung auf Vertragsschlüsse mit regionalen Herrschern unter optimalen Handelsbedingungen und die Beherrschung der Seehandelswege im innerasiatischen Markt führte.198 Die VOCDirektoren entschieden sich aktiv gegen eine Freihandelspolitik, die von ihren Angestellten vehement gefordert wurde. Als Generalgouverneur gelang es Maetsuycker, unter Mithilfe der örtlichen Gouverneure wie Rijklof van Goens, in Ceylon und Cornelis Speelman, dem Gouverneur und Direktor der VOC an der Coromandelküste und Ende der 1660er Jahre Anführer der Flotte gegen Makassar, die niederländischen Ansprüche auf die Vormachtstellung in Ceylon, den Gewürzinseln und die Beherrschung der für den innerasiatischen Handel wichtigen Seestraßen zu stärken. Drei Jahre nach dem Ende des Waffenstillstands vernichtete van Goens vor Ceylon eine überlegene portugiesische Flotte. Die Niederlage war so weitgehend, dass die Portugiesen kein Schiff besaßen, um Verstärkung aus Goa anzufordern.199 Weitere zwei Jahre 198 Vgl. zu den Ausführungen Maetsuyckers: Appendix XXIX; NL-HaNA, Aanw. 1e afd. ARA, 1.11.01.01, inv.nr. 961, Fol. 1v–3r. 199 Der Waffenstillstand in Asien begann offiziell am 4. November 1644. Er galt für 10 Jahre. Der Vertrag wurde im Namen des Königs von Portugal und den Generalständen geschlossen. Er galt an allen Plätzen, in allen Städten, Flecken, Häfen, auf allen Meeren und bei allen Völ-

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später nahmen die Niederländer Colombo nach sechs Monaten Belagerung ein und festigten ihre Macht in Ceylon. 1658 fiel die letzte Festung der Portugiesen in Jaffna. Von der sicheren Position in Ceylon aus, griff van Goens portugiesische Stellungen an der Malabar- und Coromandelküste an. Bis 1663 hatte van Goens alle portugiesischen Festungen an der Malabarküste eingenommen. Auf Ceylon besetzte van Goens die an den König von Kandy zurückgegebenen Festungen. Unter van Goens wurden Schiffe aus Ceylon direkt nach Europa gesandt, wie auch Schiffe aus den Vereinigten Niederlanden Ceylon direkt anliefen. Nicht nur Zimt wurde von Ceylon aus verschifft, sondern auch Waren aus Indien und Kaffee aus Mocca. Cornelis Speelman, der von Maetsuycker zum Gouverneur der besetzten Festungen an der Coromandelküste ernannt wurde, führte 1667 als Admiral die Flotte gegen Makassar an, einen der letzten Handelsplätze in Südostasien, der noch nicht unter Kontrolle der VOC war.200 Die Hauptstadt des Sultanat Makassar befand sich auf der Insel Sulawesi. Von der Stadt aus war die Überwachung der Seestraße von Makassar und der nördlichen Javasee möglich. Mit dem Angriff auf Makassar wollte die VOC die Seestraße unter Kontrolle bringen, die genutzt wurde, um Waren von den Gewürzinseln oder dem Westen Asiens, aus Indien oder der Insel Ceylon nach Japan und den Osten Asiens zu verbringen.201 Nach der Niederlage zwang die VOC den Sultan zur Unterzeichnung des Vertrags von Bongaja, durch den sich die VOC zur Souveränin im Herrschaftsgebiet des Sultans erhob.202 Makassars Kaufleute benötigten fortan eine Genehmigung der VOC, um in den von der VOC beherrschten Gebieten Handel treiben zu dürfen. Zwei Jahre später unterwarf van Goens das Sultanat vollkommen der Herrschaft der VOC.203 Damit war es der VOC gelungen, innerhalb des malaiischen Archipels und der Javasee eine Vormachtstellung zu etablieren, die sich nicht nur aus dem Abschluss von Handelsverträgen speiste, sondern gleichsam auf der Verdrängung und Unterwerfung regionaler Fürsten beruhte. Im Artikelbrief für die VOCAngestellten von 1658 findet sich dann auch explizit die Formulierung, nicht nur Verträge schließen zu dürfen und militärisch in Asien aktiv zu werden, sondern als politischer Akteur aufzutreten, was das Selbstbewusstsein der VOC zeigte, die im Namen der Vereinigten Niederlanden als gleichwertige Partnerin, nicht mehr

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kern. Auch in diesem Vertragsschluss für Indien traten die Generalstände im 2. Artikel als Souverän auf, der den Vertrag ratifizierte. Siehe dazu: NL-HaNA, Staten-Generaal, 1.01.02, inv.nr. 12581.20. Siehe dazu: Israel, Dutch primacy, S. 244–258. Zu den Angriffen auf Makassar siehe u.a. im Bericht des Kommandanten der Retourflotte Jan van der Laan 1668 in: NL-HaNA, VOC, 1.04.02, inv.nr. 434. Siehe dazu: CCCXVII. Makassar, 18 November 1667, Heeres, J. E. (Hg.): Corpus Diplomaticum. Neerlando-Indicum. Verzameling van Politieke contracten en verdere Verdragen door de Nederlandes in het Oosten gesloten, van Privilegebrieven aan hen verleend, enz., Tweede Deel (1650–1675), Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-Indië, ’s-Gravenhage: Marinus Nijhoff, 1931, S. 370–380. Siehe Dazu: CCCXXVI. Makassar, 15 Juli – 27 Juli 1669, in: Ebda., S. 411–419; CCCXXVIII. Makassar, 23 December 1670, in: Ebda., S. 426–430.

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als Vasallin der südostasiatischen Herrscher agierte.204 Möglich war dieses Auftreten durch den Wandel der VOC in Asien zur Territorialherrscherin, die durch Beherrschung der neuralgischen Punkte des innerasiatischen Handelsnetzwerks in der Lage war, die wichtigsten Handelsstraßen und damit die Warenströme Südostasiens zu überwachen, was die asiatischen Herrscher dazu zwang, die VOC als regionale Macht zu akzeptieren.205 Von der Errichtung der Festung in Batavia, über die Ansiedlung in Formosa und Ceylon, bis hin zur Beherrschung der Städte Makassar und Malakka etablierte sich die VOC seit 1619 während des Zeitraums von 40 Jahren als Akteurin in Asien, die aus dem Zweck den Handel beherrschen zu wollen, nicht darauf ausgerichtet war, kostspielige Kolonien zu etablieren, sondern Stützpunkte gründete, wie es die Portugiesen davor getan hatten. Die Folge der niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien war der Wandel von der rein wirtschaftlichen Akteurin zur diplomatisch anerkannten Vertreterin eines europäischen Staats in Südostasien, deren innere Organisation durch die Erlassung von Gesetzen und Verordnungen strukturell gefestigt wurde, um der gewandelten Aufgabe nicht nur rein personell, sondern auch institutionell gewachsen zu sein. Der Wandel der VOC zeigt, dass sich Herrschaften aus ökonomischen Strukturen heraus institutionalisieren können, was bei der VOC allerdings nicht als Staats- sondern lediglich als unbestimmte Herrschafts-Formierung bezeichnet werden kann, da die VOC selbst in den Quellen nicht als Staat bezeichnet wurde. Ein anderer Aspekt der Integration in das politische System einzelner Territorien in Asien war die Unterwerfung unter die Herrscher Chinas und Japans. In der alljährlichen Hofreise nach Edo und den Versuchen, wie im Moment der Bedrohung der Festung Zeelandia in Formosa, den chinesischen Kaiser für die Interessen der VOC zu gewinnen, zeigt sich die Anpassung an die Traditionen und Riten asiatischer Gesellschaften, um deren Unterstützung und Wohlwollen zu gewinnen.206

204 Die Artikelbriefe wurden von den Generalständen vorgelegt und die VOC-Angestellten alle auf den Artikelbrief vereidigt. In der Überarbeitung des Artikelbriefs für das Jahr 1658 findet sich die handschriftliche Ergänzung politie. In der gedruckten Fassung von 1658 findet sich die Ergänzung im Eid der Räte von Indien wieder. Vgl. zur Überarbeitung des Artikelbriefs.: NL-HaNA, Staten-Generaal, 1.01.02, inv.nr. 12563.34, S. 37. Zum gedruckten Artikelbrief: NL-HaNA, Staten-Generaal, 1.01.02, inv.nr. 12581.30, S. 40. 205 Siehe zur Bedeutung von Knotenpunkten in Handelsnetzwerken: Krugman, Paul: Geography and Trade, Cambridge, MA: MIT Press, 1994; Thoman, Richard S.; Conkling, Edgar C.: Geography of International Trade, Foundations of Economic Geography Series, Englewood Cliffs, NJ, 1967; Winkelmans, W.: Ports and Nodal Points in a Global Transport System, University of Antwerp, Centre for International Management and Development (CIMDA), Discussion Paper na 1991/E/2, 1991; siehe zum Wandel der VOC: Winius, George D.; Vink, Marcus P.M.: The Merchant-Warrior pacified, The VOC and its Changing Political Economy in India, Dehli, u.a.: Oxford University Press, 1991. 206 Siehe dazu: Blussé, Strange company; Clulow, The company and the shogun.

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5. DAS NIEDERLÄNDISCHE VERRÄUMLICHUNGSREGIMENT IN ASIEN Bis zum Anfang der 1650er Jahre liefen die Geschäfte der VOC auf Formosa sehr erfolgreich. Eine Steuererhöhung der niederländisch besetzten Territorien 1651 beunruhigte die Einwohner Formosas und mündete ein Jahr später in einem Aufstand, den die Niederländer abermals niederschlugen. Ein weiteres Fort wurde errichtet, um die Bauern zu bändigen. Hinter dem Bauernaufstand vermuteten die Niederländer Coxinga, einen Gefolgsmann der Ming-Dynastie, der der Dynastie auch nach deren Vertreibung treu blieb.207 Er beherrschte mit seiner Flotte die Südküste der Insel und die Niederländer vermuteten, dass er die Insel mit einer Armee einnehmen wolle, weswegen Joan Maetsuycker eine Delegation zum chinesischen Kaiser entsandte, die jedoch nicht zum Kaiser vorgelassen wurde. Auf Formosa verschlechterte sich nach dem Bauernaufstand die wirtschaftliche Lage. Nicht nur Epidemien und eine Heuschreckenplage schädigten die Wirtschaft der Insel, sondern auch anhaltende Kriege auf dem Festland. Restriktionen und ein Embargo über den Handel mit der Insel, ausgesprochen von Coxinga, verringerten die Handelsvolumen.208 Die Niederländer begannen, aus Bengalen und Tonkin Seide zu importieren, um die Defizite auszugleichen. An die Blütezeit der 1640er Jahre reichte der Handel nie wieder heran. Ende der 1650er Jahre verschärfte sich der Bauernkrieg in der chinesischen Provinz Fujian. Über 20.000 Chinesen flüchteten vor den Kämpfen nach Formosa, was die VOC unter erheblichen Druck setzte, da ihre Position auf der Insel dadurch geschwächt war. Zusätzliche Bedrohung erwuchs aus dem Dekret des Kaisers, der Coxinga als Rebellen ansah, die Städte und Dörfer der chinesischen Küste zu verlassen und ins Landesinnere umzusiedeln. Coxingas Versorgungsbasen sollten ausgeschaltet werden, was die Gefahr des Einfalls seiner Truppen in Formosa erhöhte. Der niederländische Gouverneur verbot den Schiffsverkehr mit China, legte einen Getreidevorrat an und suchte militärische Hilfe in Batavia, die auch entsandt wurde. Da jedoch keine Anzeichen eines Angriffs durch Coxinga vorlagen, verließen die Kriegsschiffe die Gewässer vor Formosa. Der niederländische Gouverneur erhielt die Demissionierung. Kurz nachdem sein Nachfolger von Batavia in See gestochen war, erreichte die Stadt die Nachricht von der Einnahme Fort Zeelandias durch Coxingas Truppen. Auch die im Nachhinein entsandte Flotte konnte Formosa nicht für die VOC zurückgewinnen. Damit verlor die VOC den Zugang zum chinesischen Markt. Mit dem Verlust 207 Noch gab es aber ein spanisches Fort in der Nordküste der Insel, wo zudem Goldvorkommen entdeckt wurden. 1641 und im folgenden Jahr belagerte die VOC mit zusätzlichen Truppenkontingenten das spanische Fort und nahm es ein. Alle anderen europäischen Mächte waren mit der Aufgabe des Forts durch die Spanier von der Insel vertrieben worden. Die VOC übernahm in der Folge die Herrschaft über die Küste Formosas. Begründet war der Machtzuwachs auch in der Rebellion in China, die 1644 zum Sturz der Ming-Dynastie führte. Mit der QingDynastie trat zum zweiten Mal in der Geschichte Chinas eine Dynastie die Herrschaft an, die ihren Ursprung in der Mongolei hatte. Siehe dazu: Andrade, The Rise and Fall of Dutch Taiwan. 208 Siehe dazu: Cheng, War, Trade and Piracy.

5. Das niederländische Verräumlichungsregiment in Asien

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kam die Epoche an ihr Ende, in der die VOC vor allem durch den innerasiatischen Handel als gewinnbringendes Handelsunternehmen galt. Die Mittlerrolle im japanisch-chinesischen Handel war nunmehr auf die einseitigen Handelsbeziehungen mit Japan beschränkt. Mit dem Verlust Formosas verlagerte die VOC ihr Hauptinteresse wieder in das Malaiische Archipel, die Molukken, Ceylon und Java, grundsätzlich also auf das Kerngeschäft mit Gewürzen und die Sicherung des Monopols auf diese Produkte.209 Der Versuch zum Hegemon des innerasiatischen Handels aufzusteigen, scheiterte. Die VOC blieb trotzdem sehr profitabel, da ihre Position innerhalb des Malaiischen Archipels und auf Ceylon gesichert blieb und gleichzeitig durch Vertragsschlüsse mit lokalen Herrschern die Machtposition an der indischen Malabarund Coromandelküste gestärkt wurde.210 Mit dem Verbot der Silberausfuhr aus Japan 1668 verschlechterten sich die Handelsbedingungen für die VOC dramatisch, was die Konzentration auf die Beherrschung des Malaiischen Archipels verstärkte und in der endgültigen Unterwerfung Makassars 1669 mündete. Entsprechend dem militärischen Potential des jeweiligen Territoriums setzte die VOC verschiedene Mittel ein, um ihre Interessen in der Epoche bis 1672 durchzusetzen. In Japan beschränkte sich die VOC auf die Diplomatie. Im riesigen chinesischen Kaiserreich griff sie an neuralgischen Punkten wie Macao an, um die Portugiesen zu schwächen. Gleichzeitig begannen die Niederländer Verhandlungen mit dem Kaiser. Auf Formosa sah sich die VOC einer Koalition feindlich gesinnter Dörfer gegenüber. Grundsätzlich war mit der relativ geringen Zahl an Soldaten in Diensten der VOC weder ein Angriff zu Land in Japan, noch auf Formosa oder dem chinesischen Festland möglich, weswegen es unumgänglich blieb, sich mit lokalen Akteuren zu verbünden, um Kontrahenten zu Land besiegen zu können.211 Aus der Pragmatik heraus, entwickelte sich das Bündnissystem der VOC in Südostasien. Schien eine Durchsetzung der niederländischen Interessen mit den maritimen Streitkräften nicht möglich, setzte die VOC auf Verhandlungen und Vertragsschlüsse, um optimale Bedingungen für den eigenen Handel zu erreichen. Diese Taktik mündete in der Etablierung von Handelsstützpunkten, ohne weitergehende territoriale Herrschaft. Ausnahmen machten Ceylon und die Küsten des indischen Subkontinents, wo die VOC als Verpächter von

209 Siehe dazu: Israel, Dutch Seaborne Empire; Vries/Woude: The first modern economy, S. 382–395, 429–435. 210 Siehe dazu u. a.: Heeres, Corpus Diplomaticum. Deel II, S. 199–208. 211 Zu den Zahlen den Soldaten, die bis 1680 nach Asien gesandt wurden gibt es detaillierte Zahlen. Circa 30 % der Besatzungsmitglieder der Flotte, die nach Asien fuhren waren Soldaten. Bei einen Gesamtzahl von 237.000 Personen waren das 71.100 Soldaten im Zeitraum von 80 Jahren. Davon fallen 37.800 allein auf die Jahre 1650 bis 1680, was die gesteigerte Aggressivität der VOC in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeigt. Andererseits stiegen die Zahlen der VOC-Angestellten, die nach Asien fuhren insgesamt. Es lässt sich aber an einer Stichprobe erkennen, dass die Zahl der Soldaten, die nach Asien gesandt wurden, in den 1680er Jahren weit höher lag. Waren es 1637 nur 112, waren es 1661 bereits 248 Soldaten. In den Jahren 1682–83 wurden indes insgesamt 1008 Soldaten nach Asien gesandt. Siehe: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, S. 143–172.

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Land in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auftrat, zudem die Molukken und die Insel Java.212 Der zweite Weg betraf sowohl die Versklavung der einheimischen Bevölkerung als auch die Ansiedlung von Chinesen vor allem in Batavia, wo sie die Mehrheit der Bevölkerung stellten, sowie den Versuch der Ausübung territorialer Herrschaft, um die Kontrolle über bestimmte Handelsgüter zu gewinnen, wie es in den Küstenregionen Ceylons und dem Malaiischen Archipel am nachhaltigsten gelang. Am menschenverachtendsten war die Sklavenarbeit in den Gold- und Diamantenminen auf der Insel Sumatra, die unter Kontrolle der VOC standen.213 Die Heren XVII hatten sich gegen Coens Idee entschieden, niederländische Siedler nach Südostasien zu schicken. Auch Maetsuyckers Versuch, die Diskussion über die Kolonisierung, der von der VOC kontrollierten Gebiete in den 1650er Jahren noch einmal zu beleben, scheiterte. Die Beherrschung von Territorium galt nicht vorrangig der Etablierung von Kolonien oder dem Aufbau von Herrschaft, sondern der Kontrolle von Anbaugebieten, um vor allem die Versorgung mit Gewürzen zu monopolisieren und der Ausbeutung von Edelmetallvorkommen zu gewährleisten. Eine dritte Option zeigt sich an der Einnahme, Besetzung und dem Wiederaufbau von Küstenstädten, wie Batavia, Makassar und Malakka, die bereits zu wichtigen Warenumschlagplätze innerhalb des südostasiatischen Handelsnetzwerks geworden waren. Deren Häfen dienten nach der niederländischen Okkupation als Basis und Rückzugsort der niederländischen Marine und Handelsflotte. Von den Häfen der Küstenstädte aus konnte der Zugang zum Malaiischen Archipel, Seewege zwischen Indien und Japan, sowie China, als auch der Handel zwischen den Küsten der Javasee blockiert oder geleitet werden, um die Rolle Batavias als Hauptumschlagplätze zu stärken und die anderen Handelsplätze zu regionalen Märkten zu degradieren, damit die VOC in der Lage war, die Preise der Waren zu beeinflussen. Von Batavia konnten fremde Kaufleute ebenso fern gehalten werden, wie von Amsterdam.214 Diese drei Herrschaftsstrategien nutzte die VOC, um die Warenströme auf See und den Anbau und Verkauf von Gewürzen zu kontrollieren. Der Unbegrenzbarkeit des Meeres, wodurch die Beherrschung dieses Raums limitiert war, begegneten die Niederländer mit der Besetzung neuralgischer Punkte, um die Schnittstellen des Warenverkehrs durch stark bewaffnete und besatzte Schiffe 212 Siehe: Appendix III unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/die-varia bilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. An der Malabarküste trat die VOC als Verpächter von Land an VOC-Angestellte auf. Hendrick Reijns und Frans Lubbens bekamen an der indischen Westküste nach der Einnahme der Stadt Cochin 1663 Land zugesprochen, das als erblicher Besitz in die Hände der Pächter gegeben wurde. Rijklof van Goens verpachtete im Namen der VOC das Land an VOC-Angestellten. Damit wurde die VOC an der indischen Küste zur Territorialmacht. Siehe dazu: Appendix VI. 213 Siehe dazu: Kirsch, Goldbergbau. 214 Der Amsterdamer Preiscourant war auch in Batavia verfügbar. Die Kaufleute in Batavia kannten die Preise der Waren in Europa und konnten dadurch unrentable Geschäfte besser verhindern. Vgl. dazu: Barbour, Capitalism in Amsterdam, S. 20.

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überwachen zu können. Zu diesem Zweck begannen die Niederländer, Reedereien in ihren südostasiatischen Stützpunkten aufzubauen, um die bestehende Flotte instand halten zu können und abermals die Notwendigkeit der Unterstützung aus Europa zu minimieren. Die Strategien der Netzwerkbildung, die Forcierung des Schiffbaus in Europa, verbunden mit der Anpassung der Schiffstypen an die Anforderungen des interkontinentalen Handel, sowie die Personalpolitik, die von der Zugehörigkeit zum bestehenden Netzwerk bestimmt war, stellten Strategien dar, die sowohl für die VOC im asiatischen als auch für den Aufstieg der Niederländer im europäischen Binnenhandel ebenso ausschlaggebend gewesen waren, wie die Zentralisierung des Handels an neuralgischen Punkten, um die Preise der Waren bestimmen zu können.215 In Südostasien wurde die Konzentration auf die Herrschaftsausübung durch die Kontrolle von Distributionsräumen bei gleichzeitiger Abkehr von der Kolonisierung großer Territorien stringenter zum Aufbau von Macht durchgesetzt als es den Regierungsgremien der Union bis zum Friedensvertrag von Münster möglich war, da die Verteidigung des eigenen Territoriums und der Orte des Warenumschlags im Vordergrund standen, um die Existenz der Union zu sichern. Die Verteidigung der VOC-Stützpunkte in Südostasien war mit geringerem Einsatz von Ressourcen möglich, da die militärische Ausrüstung der niederländischen Schiffe, der lokaler Flottenverbände überlegen war und die geographischen Gegebenheiten zahlreicher Inseln und Archipele den Warentransport auf See notwendig machten. Die Generalstände der Vereinigten Niederlanden setzten die Beherrschung des Handels- und Frachtverkehrs auf See in europäischen Gewässern als Mittel zur Festigung ihrer politischen Macht erst nach dem Ende des Unabhängigkeitskriegs in ähnlichem Maße ein, was eng mit der Nichtberufung des Statthalters nach 1650 in Verbindung steht, der einem monarchisch, territorialen Regiment vorstand. Wirklich zur Geltung kamen die Strategien zur Beherrschung des südostasiatischen Handelsnetzwerks von neuralgischen Punkten wie Batavia, Malak215 Nach der Gründung der VOC nutzten die Unternehmer die Schiffe der Vorkompanien für die Handelsreisen nach Asien. Doch schon bald begannen die einzelnen Kammern der VOC, Schiffe in eigenen Werften zu bauen. Die Kammer Amsterdam baute seit 1608 in Rapenburg Schiffe. 1661/62 eröffnete die Amsterdamer Kammer in Oostenburg eine neue, größere Werft, was sich in den Produktionszahlen der gebauten Schiffe in den 60er Jahren niederschlug. Insgesamt bauten die Kammer bis 1679 534 Schiffe für die Handelsfahrten nach Südostasien. Im Vergleich der Jahrzehnte zeigt sich eine starke Steigerung in der 60er Jahren. Zwischen 1660 und 1669 wurden Insgesamt 107 Schiffe in verschieden Tonnagen gebaut, wobei im 17. Jahrhundert Schiffe mit einer Tonnage unter 500 t gebaut wurden. In der 60er Jahren waren es allein 60 Schiffe dieser geringen Tonnage. In den 1650er Jahren wurden insgesamt nur 74 Schiffe gebaut, wie auch in den 70er ein Rückgang zu verzeichnen. Gründe für den Anstieg waren die Neueröffnung der Werft in Oostenburg und die Kriege gegen England, für den auch die VOC Schiffe bereitstellte. Dafür wurde das Unternehmen von den Generalständen entschädigt. Siehe zu den Produktionszahlen im Schiffsbau: Bruijn/Gaastra/ Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, S. 37–41. Zur Verwendung von Schiffen während der Kriege gegen England und die Entschädigung dafür vgl.: Minute van 3 Maart 1655, in: NL-HaNA, VOC, 1.04.02, inv.nr. 4455.

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ka und Makassar aus jedoch auch erst nach dem Friedensschluss mit Spanien, da vorher die Konkurrenz der beiden Akteure in Asien durch den europäischen Krieg dominierte und die VOC sich erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts durch den Verlust Formosas wieder stärker auf die Beherrschung der Distributionswege konzentrierte. Ebenso wie in den Vereinigten Niederlanden beherrschte eine Funktionselite die Territorien der VOC. Im Gegensatz zur einheimischen Bevölkerung, war die niederländische Verwaltungselite in Asien von geringer Zahl. Zusammengehalten und aufrechterhalten wurde die Herrschaft der VOC also nicht unbedingt durch die militärischen Möglichkeiten jeden Gegner zu Land in die Schranken weisen zu können oder die Ansiedlung von Niederländern, sondern durch die Kombination der militärischen Stärke auf See, den zahlreichen Verträgen, sowie durch die Übernahme bestehender Verwaltungsapparate, um die Loyalität der einheimischen Bevölkerung zu gewinnen.216 Nicht immer profitierten beide Vertragsparteien von den Abmachungen. Die Interpretation liegt nahe, Verträge wären nur geschlossen worden, um vorübergehend Sicherheit zu gewinnen. Zur Sicherung ihrer Ansprüche im Landesinneren benötigte die VOC jedoch beständig, die durch Bündnisse zugesicherten lokalen Truppen, was partiell eine strikte Einhaltung der Verträge mit lokalen Herrschern nach sich zog, was nicht bedeutete, dass sie asiatischen Herrscher nicht mit Waffengewalt ihre Vorstellungen aufpressten, wie es in Malakka und Makassar geschah. Seit der Amtsübernahme durch Maetsuycker bestand für über zwei Jahrzehnte personelle Kontinuität, die in der Anstellung der Gouverneure und Direktoren widerhallte. Speelman, van Goens und Maetsuycker hatten schon vor der Berufung auf die wichtigsten Posten der VOC-Verwaltung, Ämter inne, die ihnen detailliertes Wissen über die Machtverhältnisse in den verschiedenen Teilregionen Asien verschaffte und die Kompetenz schuf, ab den 1650er Jahren die Dominanz der VOC in Asien auszubauen. Daraus entwickelte sich ein Vertrauen in ihre Kompetenz, die als Grundlage für das Funktionieren des VOC-Geschäfts, das im Raum zwischen Indien und Japan geführt wurde, gesehen werden kann. Zwar mussten die VOC-Angestellten auf einen Regelkatalog schwören, überprüfen ließ sich das jedoch nicht an jedem Ort. Richtlinien, Verordnungen und Befehle existierten parallel zum Vertrauen in das Personal. Die Hierarchie zwischen den Handelsposten mit ihren Vorstehern und Batavia mit dem Sitz des Generalgouverneurs und der Hohen Regierung wurde durch das akephalen Gemeinwesen inhärente Vertrauen zusammengehalten, das bei der Dimension des Operationsgebiets der VOC parallel zur Rechtsordnung weiterhin vorhanden sein musste, zumal die geringe Komplexität der politischen Ordnungs- und Reglungsmechanismen durch 216 Siehe dazu das Vorgehen in Ceylon, in: Arasaratnam, Sinnappah: The Kingdom of Kandy: aspects of its external relations and commerce, 1658–1710, III. Artikel: The administrative organization of the Dutch East India Company in Ceylon. VIII. Artikel, in: Ders.: Dutch Power in Ceylon, 1658–1687, New Delhi: Navrang, 1988; zur Entwicklung von See- und Landmacht in Timor, einem anderen Interessengebiet der VOC, siehe: Häderdal, Hans: Lords of the Land, Lords of the Sea: Conflict and Adaptation in early colonial Timor, 1600–1800, Leiden: Brill, 2012.

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die bescheidenen Möglichkeiten der Bestrafung, ohne Vertrauen unmöglich aufrecht zu erhalten gewesen wären.217 In der Amtszeit Maetsuyckers verschob sich das Interesse des Unternehmens zunehmend auf den indischen Subkontinent. Batavia als Zentrum des niederländischen Handelsnetzwerks bestand weiterhin, wurde aber durch Colombo als zweitem wichtigem Stützpunkt ergänzt. Aufgrund der Entfernung nach Asien war es den Heren XVII möglich, die groben Linien der Entscheidungen vorzugeben, wie die Ausrichtung auf ein System von Faktoreien und Handelsstützpunkten, sowie die Beherrschung der Territorium umgrenzenden Festungen im Gegensatz zur Idee der Kolonisierung. Tagespolitische Entscheidungen mussten in Batavia von der Hohen Regierung getroffen werden, um adäquat reagieren zu können, was auch dem Vertrauen in die Elite der VOC in Asien bedurfte. Die Vorgabe, der nach Europa zu importierenden Produkte und deren Menge, wurde auch nach der Festigung der Macht in Batavia weiterhin von den Heren XVII vorgenommen. Batavias Bedeutung war mit der Amsterdams zu vergleichen, wobei Batavia eine noch stärkere Konzentration von Kompetenzen beherbergte. Nicht nur das Herz der ökonomischen Anstrengungen in Asien schlug in Batavia, sondern auch das Zentrum der Verwaltung, das in Europa seit der Gründung der Vereinigten Niederlanden in Den Haag verortet war, womit wenigstens eine räumliche, wenn auch nicht personelle Trennung zwischen dem Regierungssitz der Union und dem beherrschenden globalen Portal vollzogen wurde. Das Direktorium der VOC in Europa agierte als eigenständige Genossenschaft in der Ordnung verschiedener Korporationen, die neben den wirtschaftlichen Obliegenheiten auch als politischer Akteur im Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien auftrat. In Asien besaß die VOC-Regierung weit mehr Befugnisse, da sie dort selbstverständlicher ohne die Unterordnung unter die Generalstände und den oranischen Prinzen Entscheidungen treffen musste, wie sich schon allein an der Berufung neuer Generalgouverneure zeigte, die im Nachhinein von der Heren XVII bestätigt oder abberufen wurden. Als Körperschaft agierte die VOC als souveräne Vertragspartnerin in Asien im Namen der Generalstände und des Statthalters bevor das Amt unbesetzt blieb. Der Posten des Generalgouverneurs wurde entsprechend der Qualifikation vergeben. Drei der elf bis 1678 amtierenden Generalgouverneure hatten nachweislich die Rechte studiert, die anderen acht waren zumindest ausgebildete Kaufleute.218 Es war in diesem Fall keine Verlängerung der niederländischen Oligarchie in die südliche Hemisphäre, da nur wenige familiäre Verbindungen zu den Regenten in den Vereinigten Niederlanden bestanden. Laurens Reael war einer der wenigen, die direkt mit politisch wichtigen Personen verwandt war. Reael war der Schwager Arminius’. Aus diesem Grund protegierte ihn Oldenbarnevelt. Nach Reaels Rückkehr aus Asien dauerte es bis zur Amtszeit Friedrich Heinrichs bis er

217 Siehe dazu: Frevert, Vertrauen; Luhmann, Vertrauen. 218 Pieter de Carpentier, Maetsuycker und Reael hatten Jura studiert. Vgl. dazu: Putten, Ambitie en onvermogen.

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rehabilitiert wurde und erneut öffentliche Ämter bekleiden durfte.219 Viele der Generalgouverneure, die nicht in Asien oder auf der Rückreise verstarben, wurden zu Direktoren in den Kammern berufen. Einige waren es schon, bevor sie nach Asien gingen.220 Die Lebensgeschichte vieler Angestellter der VOC deutet nicht daraufhin, dass für die Mitglieder der Regentenfamilien die Laufbahn bei der VOC erstrebenswert war, obwohl es auf der unteren Ebene mit Arnold Vlaming van Oudtshoorn (1618-1662), der Direktor und Superintendent in den Molukken war, Ausnahmen gab. Arnolds Bruder Cornelis war Amsterdamer Bürgermeister. Der bereits erwähnte Willem Boreel war Advokat der VOC in Europa. Die VOC galt eher als Auffangbecken für Abenteurer, die sich neben den Diensten für die VOC erhofften, zusätzliche Gewinne zu machen und als reiche Männer nach Europa zurückkehren zu können. Auch in den Reihen der Generalgouverneure gab es Personen, die des Privathandels verdächtig waren. Carel Reyniersz. soll in der Funktion des Oberkaufmanns an der Koromandelküste privaten Handel betrieben haben, den die VOC als Schmuggel ansah. Trotzdem wurde er zum Gouverneur der Küste ernannt. In den Akten der VOC finden sich allerdings zahlreiche Nachweise zu geführten Prozessen gegen Schmuggler aus den eigenen Reihen.221 Nur 219 Siehe dazu: Putten, Ambitie en onvermogen, S. 36–39. 220 Siehe dazu: Personenliste Appendix I unter: http://www.online-plusbase.de/bereiche/ geschichte/die-variabilitaet-fruehneuzeitlicher-staatlichkeit.html. 221 Joan Maetsuycker berichtete 1667 über einen Prozess gegen Joan Aggersz., Jan Cornelius, Carel Hartfinck, den Gouveneur in Houghli (Bengalen) und andere. Helck und Aggersz. hatten Geld veruntreut. Anhand der Bücher konnten die hinterzogenen Beträge genau aufgelistet werden und die Personen zur Anklage gebracht werden. Die Anklage geschah in Indien. Die Judikative der VOC belangte die Personen, verurteilte sie zur Rückzahlung der gestohlen Geldsumme und verbannte sie auf eine Insel. Das Verfahren galt als Exempel, wie hart Angestellte der Compagnie bestraft wurden, wenn sie die Compagnie betrogen. Im Schreiben wurde von Treulosigkeit der Angestellten gesprochen. Das Vertrauen, das in sie gesetzt wurde, war enttäuscht wurden. „[...]doen of d’ E[H] Compagnie aldaer in verscheijdene gelegenheden trouwlooslijck wierde gedient, buijten twijffel door valsche brieven vande twee snootse namentlick Jan Aggesz:, ende Cornelis Helck gelijck uijt `tverschreve schrijven den Hrn majores genoegsam can werden besveurt, en in’t vervoolgh nader staet `t blijcken, so oben alsnu genootsaeckt en gedwongen bij dit geschrijvte `tvolgende aen U Ed:e te verthoonen, en specialijck te getuijgen mijne overgrote verwonderinge, en hoe ik mij nimmermeer hebbe connen immaginieren, dat taesche voorgeen ende d’accusatien van gem:te Agges ende Helck, ontrent onze principaele heren ende meesters (oijt soo veel credits soude hebben connen vinden), dat hare getrouwe dienaren (die met sulcken ijver en onverdrooten arbeijt, soo noijt gehoorde schrickelijcke dreverijen uijtgevonden, ende gedragt hebben deselve nae vereijsch van saken de Connigeeren) selfs van diefstal, en ongetrouwen handel inde generale brieven sonden werden verdagt ofte suspect gehouden, daer zij hen niet anders toegeseijt v[...]erwagt hadden als laudbale besegeningen, om dat sondere aensien van persoonen ront gegaen, en geen reguan was gegeven, op d’ aliantien [H]vermoogende vrunden die die voorsz: Helck, maer wel bijsonderlijck Agges, in ’t vaderlant onder de Hrn van bewint sijn hebbende,[...]“; in: Vertoogh en versouck ter Verdageringe vand’ Ed.le Heer[n] Gouverneur Generael Joan Maetsuycker en d’ E.E. Raden van India ingedient door D E Mattheus van den Brouck ordniars [tit] van’t voorsz: collegie ende jongst Directeur over s Compagnies ommeslagh int Rijck van Bengale, NL-HaNA, Stadhouderlijke Secretarie, 1600–1795, 1.01.50, inv.nr. 1607, Fol. 20ff, Transkription O.K.

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durch eine bessere Bezahlung wäre es möglich gewesen, den privaten Handel zu verhindern, den die Mehrheit der VOC-Angestellten nutzte, um die, in Relation zu den höheren Löhnen in den Vereinigten Niederlanden stehenden, niedrigen Verdienste aufzubessern. Augenscheinlich wäre die Funktion der VOC massiv gestört wurden, wären alle Vergehen gegen das Schmuggelverbot bestraft wurden. Die Toleranz zum Zwecke des Geschäfts der VOC übertrug sich auch auf die Ansichten zur Religion der VOC-Angestellten. Maetsuycker war Katholik. Er führte ein Unternehmen im Namen der Vereinigten Niederlanden für 22 Jahre, in der das calvinistische Bekenntnis als Glauben der Öffentlichkeitskirche anerkannt war und Ämter in Regierungsorganen der Union offiziell nur an Reformierte vergeben wurden.222 Auch diese Tatsache zeigt die Priorität der Wirtschaft gegenüber religiösen Fragen. Die Erfahrungen Maetsuyckers im Dienst der VOC qualifizierten ihn für den Posten des Generalgouverneurs in einer Epoche, in der die Religionskriege zwischen protestantischem und katholischem Lager in Europa gerade zu Ende gegangen waren. Die VOC-Angestellten unterhalb der obersten Verwaltungsposten in Augenschein nehmend, die Matrosen und Soldaten, fällt die Durchmischung auf. Vornehmlich Seeleute aus anderen Regionen Europas heuerten bei der VOC an.223 Teils war das Gehaltsniveau im Gegensatz zu den Löhnen in der Union geringer, teils waren die Gefahren zu groß; beides Gründe für niederländische Seeleute nicht bei der VOC anzuheuern. Für manchen Seemann bot die Anstellung bei der VOC sicher auch die Möglichkeit vor drohenden Bestrafungen in der Heimat zu fliehen. Viele Seeleute kamen aus den nördlichen Regionen des Heiligen Römischen Reichs, andere aus Skandinavien. Was die Soldaten betraf, verhielt es sich ähnlich. Am Ende des Dreißigjährigen Kriegs suchten viele Söldner nach einer neuen Beschäftigung. Viele traten Anfang der 1650er Jahre in den Dienst der VOC ein, was sich auch in der gesteigerten Aggressivität der VOC in Asien zeigte, die mit dem Ende des Waffenstillstands mit Portugal begründet werden muss.224 Mit dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs in Europa wurde ein Teil des Konfliktpotentials, das durch die beschäftigungslosen Söldner entstand, in die Interessengebiete der VOC verlagert.

6. DIE GELDPOLITIK DER VOC – VERBINDUNGEN ZUR AMSTERDAMER WECHSELBANK Zu betrachten bleibt nach der Sicht auf die Verwaltungsstruktur, die territoriale Ausbreitung der VOC in Asien, die wirtschaftlichen Beziehungen und die Stellung der VOC in Asien, der nähere Blick auf die Geldpolitik der VOC, die in en222 Vgl. dazu: II. Artikel, Instructie voor den Raad van State, in: Blécourt/Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S. 265–275, darin S. 266. 223 Siehe dazu u. a.: Gelderen, Het Oost-Indisch aventuur. 224 Der Waffenstillstand mit den Portugiesen in Asien endete 1654. Vgl. dazu: Boxer, Portuguese Seaborne Empire.

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ger Verbindung zur Entstehung der Wechselbanken in den Vereinigten Niederlanden zu Beginn des 17. Jahrhunderts stand und die Profitabilität des Unternehmens beeinflusste.225 Durch den Oktroi war es der VOC grundsätzlich erlaubt, eigene Münzen zu prägen.226 Die Geschäftspraktiken in Asien führten aber dazu, dass die VOC Silbermünzen im Handel einsetzte, da diese Währung die am weitesten verbreitete und angesehenste war, mit der die Europäer in Asien zahlen konnten. Dazu gehörten die spanischen Real und der niederländische rijksdaalder. Im Allgemeinen war die Geldpolitik in den Vereinigten Niederlanden nach der Unabhängigkeit weiterhin diffus.227 In der Union war zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine Vielzahl verschiedener Währungen im Umlauf, was durch den Aufstieg Amsterdams zum europäischen Handelszentrum bedingt war. Die Buchhaltung auf Unionsebene rechnete ebenso mit Gulden wie die VOC als gesamte Körperschaft. Auch die Kammern der VOC führten ihre Bilanzen in Gulden, außer der Kammer Seeland, die in Flämischen Pfund abrechnete. Durch den festen Kurs von sechs Gulden pro flämisches Pfund war die Abrechnung nicht komplizierter. In den asiatischen Handel hatten die Portugiesen den spanischen Real eingeführt, der im 17. Jahrhundert auch in der Union als Zahlungsmittel Gültigkeit besaß. In den jeweiligen Regionen Asiens stellte jede Faktorei ihre Bilanzen in der örtlichen stabilen Währung auf, was neben Reichstaler, Gulden und spanischem Real auch einheimische Währungen sein konnten. Die Generalbuchhaltung der VOC in Batavia erfolgte dann wiederum in Gulden, um die Geschäftszahlen mit denen in den Vereinigten Niederlanden verrechnen zu können. 1622 wurde der Wert des spanischen Reals nach der erneuten Aufnahme der Kriegshandlung sowohl in Europa als auch in Asien auf 48 Stüber festgelegt.228 Um in Asien Handel zu treiben, versuchte die VOC, wie bereits erwähnt, zudem die notwendigen Edelmetalle aus dem innerasiatischen Handel abzuziehen, um eine negative Handelsbilanz mit Europa zu verhindern. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gelang dies aus verschiedenen Gründen nicht mehr.229 Bis dahin wurden aus dem Edelmetall lokale Münzen geschlagen. Welche Münzen geschlagen wurden, entschied die Wirtschaftlichkeit. Die Kosten für den Erwerb des Edelmetalls und die 225 Siehe dazu u. a.: ’t Hart, Marjolein: Money and trust, Amsterdam moneylenders and the rise of the modern state 1475–1794, paper for the IHEA Congress in Helsinki (21–25 August 2006), in: http://www.helsinki.fi/iehc2006/papers1/Hart13.pdf, zuletzt besucht am: 29.11.2016; Dies., Corporate Governance. 226 Wie einzelne Dokumente zeigen, gab es zudem regionale Entscheidungen, die zu verschiedenen Wertigkeiten von Münzen innerhalb des asiatischen Interessensgebiets der VOC führten. Siehe dazu: Appendix VI, Nr. 14. 227 Siehe dazu: Gelder, Hendrik Eno van: Munthervorming tijdens de Republik, 1659–1694, Amsterdam: P.N. van Kampen en Zoon, 1949; zu den Münzen im Gebiet der VOC siehe: Scholten, C.: De munten van de Nederlantsche gebiedsdeelen overzee, 1601–1948, Amsterdam: J Schulmann, 1951. 228 Siehe dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I, S. 184ff; Glamann, Kristof: Dutch-Asiatic Trade 1620–1740, Copenhagen, The Hague: Nijhoff, 1958; Scholten, C.: De munten van de Nederlantsche gebiedsdeelen overzee, 1601–1948, Amsterdam: J Schulmann, 1951. 229 Siehe dazu: Clulow, The company and the shogun.

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Herstellung der Münzen mussten mit dem Preis der zu erwerbenden Waren gegengerechnet werden. Die Verfügbarkeit dieser negotiepenningen, übersetzbar mit Handelsmünze oder Warenmünze, kontrollierte die VOC ebenso von Batavia aus, indem Wechselkurse für die Handelsmünzen und niederländische Währungen festgelegt und der Export von Münzen und Juwelen verboten wurde.230 Erfolgreiche Geldpolitik in Asien betrieb die VOC jedoch nicht. Immer wieder kam es zu Geldknappheit bei der VOC, was wiederum zum Schmuggel von Münzen führte. Die Beliebtheit der Silbermünzen als Zahlungsmittel, mit dem sich die chinesischen Kaufleute bezahlen ließen, führte zur Steigerung des Werts der Währung in Asien. In der Frühen Neuzeit existierte keine Stabilität von Währungen. Vielmehr spielte das Edelmetall, das den Wert der Münze ausmachte, als Ware eine wichtige Rolle. Das Problem in Asien war nicht die Verringerung des Edelmetallgehalts der Münzen, sondern deren höhere Kaufkraft. Um das Kaufkraftniveau anzugleichen, akzeptierten die Heren XVII 1658 einen um ein Viertel höheren Kurs der Währung für Asien, die in Batavia schon länger praktiziert worden war.231 Der rijksdaalder und der spanische Real besaßen in Asien einen höheren nominalen Wert als in Europa.232 Damit war der Unterschied zwischen leichten und schweren Geld gemacht, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Abrechnung der VOC nachhaltig beeinträchtigen sollte, da eine eindeutige Bilanzierung der Gewinne und Verluste nicht mehr aufgestellt werden konnte.233 Die Aufwertung bezog sich auf den spanischen Reael, der nach festgelegter Umstellung 60 Stüber wert war. Somit rechnete zwar die VOC-Administration in den Vereinigten Niederlanden und in Asien mit der gleichen Währung, jedoch mit unterschiedlicher Wertigkeit. Dass keine Systematik in der Buchhaltung der VOC existierte, führte zu Problemen. Warenwerte wurden einheitlich in Gulden angegeben, ohne den Unterschied der Währung in Europa und Asien zu beachten. Erst 1691 wurde von Generalbuchhalter Paulus de Roo festgelegt, alle Bücher in Asien mit dem sogenannten Leichtgeld rechnen zu lassen.234 Für den Schmuggel von Geld war die Unterscheidung eine einträgliche Neuerung, die zudem festgeschrieben war. Die spanischen Reals wurden nach Batavia geschmuggelt, dort gegen einen Wechsel eingetauscht, der den Real mit 60 statt 48 Stübern festsetzte. In den Vereinigten Niederlanden wurde der Wechsel dann gegen die 60 Stüber wieder eingetauscht. Das Problem für die VOC erhärtete sich dadurch, dass viele Zahlungen an Angestellte in Wechseln geschahen, um einen bargeldlosen Verkehr zu ermöglichen. Sie zahlten beispielsweise in Batavia eine Summe ein, die ihrem Verdienst als Angestell230 Siehe dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I. 231 Vgl. dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I, S. 184. 232 Zur Abwertung des Gulden in den Vereinigten Niederlanden, vgl.: Brief von Jean Deutz [Kaufmann, Schwager von Johan de Witt], 26 Maart 1664, in: Fruin/Japikse, Brieven aan John de Witt, 1669–1672, S. 173. 233 Das führte zu einer Unterscheidung in zwaargeld (Europa) und lichtgeld (Asien). Siehe dazu: Vries/Woude, First modern economy, S. 450. 234 Vgl. dazu: Brief von Jean Deutz [Kaufmann, Schwager von Johan de Witt], 26 Maart 1664, in: Fruin/Japikse, Brieven aan John de Witt, 1669–1672, S. 187f.

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ter der VOC entsprach, bekamen eine Wechsel und konnten den bei den VOCKammern in Europa einlösen. Dadurch konnte die VOC in Asien Bargeld horten, um im innerasiatischen Handel liquide zu bleiben. Die Kammern machten aber mit ihren Angestellten Verluste. Von der Institutionalisierung des europäischen Zahlungsverkehrs profitierte die VOC in der zweiten Hälfte des 17. und während des 18. Jahrhunderts nicht nur durch die Kreditbewilligung, sondern eben auch durch die Vereinfachung des Zahlungsverkehr durch die Umstellung auf die Ausgabe von Wechseln, der grundsätzlich der Problematik der Edelmetallknappheit im innerasiatischen Handel entgegenwirkte und Teil der Erfolgsstrategie der VOC wurde, andererseits aber Möglichkeiten für Betrug lieferte, der durch die Verfügung der RealAufwertung hervorgerufen wurde. Die Wechsel begünstigten die VOC vor allem nach dem Ende der Silberzufuhr aus Japan, da für die Bezahlung der Angestellten keine Edelmetalle nötig waren. Die Institutionalisierung der Wechselbanken in den Vereinigten Niederlanden war eine weitere Herrschaftsstrategie, die aus der Anpassung an die neu entstandene Raumordnung nach dem Ausgreifen der Niederländer in den asiatischen Raum hervorging. Die Notwendigkeit der Vereinfachung von Zahlungen im globalen Maßstab war eindeutig für die Gründung der Amsterdamer Wechselbank mitverantwortlich und damit ein ausschlaggebender Faktor für die interkontinentale, niederländische Staats-Formierung im 17. Jahrhundert, auf deren Beschreibbarkeit mit der Kategorie Staat im Folgenden anhand der VOC-Quellen nachgegangen werden soll.

7. DER STAATS-BEGRIFF IN DEN QUELLEN DER VOC In den Quellen der VOC, die bereits Erwähnung fanden, lassen sich neben der Verwendung des Wortes staen als Verb, drei Bedeutungsfelder für den Begriff Staat, sowohl in Klein- als auch Großschreibung, mit Vokaldopplung oder mit der Schreibweise -ae- nachweisen. Zum ersten bedeutet der Begriff Staat in den Dokumenten der VOC „Bilanz“. Dieses Bedeutungsfeld steht in engem Zusammenhang mit der Bedeutung des Begriffs als „Zustand“. Die Bedeutungserweiterung des Begriffs im Niederländischen steht parallel zur etymologischen Entwicklung des deutschen Begriffs Staat im 17. Jahrhundert. Die inhaltliche Analyse der Quellen, in denen der Begriff Staat auftaucht, ist äußerst wichtig, um zu vermeiden, dass die Beschreibung eines Zustands oder die Benennung der Bilanzen als Nachweis betrachtet wird, die VOC oder auch die Vereinigten Niederlanden als Staat zu bezeichnen.235 Aufgrund der vielschichtigen Bedeutung des Begriffs Staat kann zwar von einer Verwendung zur Beschreibung politischer Entitäten ausgegangen werden, von einer Bedeutungsverengung auf dieses Bedeutungsfeld kann aber im Lauf des 17. Jahrhunderts nicht gesprochen werden. Wie sich zeigen wird, wurde der Begriff indes in den Dokumenten der politischen Körperschaften der Vereinigten Niederlanden zur Beschreibung 235 Vgl. dazu: Weinacht, Staat, S. 70ff.

7. Der Staats-Begriff in den Quellen der VOC

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von politischen Entitäten während der Statthalterlosen Epoche häufiger verwendet als vorher, was die These unterstützt, dass die politische Elite der Vereinigten Niederlanden nach der endgültigen Unabhängigkeit von Spanien und der Kompetenzerweiterung der Generalstände als auch des Ratspensionärs ein abstraktes Verständnis von Herrschaft entwickelte, bei dem die Frage nach der Souveränität innehabenden Gewalt, ob Monarch oder Ständeversammlung, nicht entscheidend war. Sowohl England als parlamentarische Monarchie als auch das ständischkorporative Gemeinwesen ohne Monarchen an der Spitze in den Vereinigten Niederlanden bezeichneten die Eliten in den Dokumenten als Staat. Das gleiche Phänomen kann in den Dokumenten der VOC betrachtet werden. Neben der Verwendung des Begriffs in Vertragspräambeln, wurde der Begriff zunehmend in den Sendschreiben bei der Darstellung von diplomatischen Beziehungen verwendet. Eine quantitative Auswertung der Verwendung des Begriffs Staat in der Benennung politischer Entitäten durch die VOC-Angestellten in den diversen Quellen ist für die Untersuchung nicht notwendig, da die Attribute und somit der inhaltliche Zusammenhang der Verwendung herausgearbeitet werden sollen, der das abstrakte Verständnis eines Staats-Begriff bei den Angestellten der VOC belegt. Demzufolge dient das detaillierte Eingehen auf das Quellenmaterial der exemplarischen Darstellung der Verwendung des Staats-Begriffs als Bezeichnung für politische Entitäten. Wie die Untersuchung der VOC-Akten beweist, wurde der Begriff Staat bis zum Ende der 1620er Jahre von VOC-Angestellten nicht für die Bezeichnung von politischen Entitäten genutzt; abgesehen von den Verträgen, in denen die Vereinigten Niederlanden als Vertragspartei auftraten.236 Mit der Festigung der Macht der Vereinigten Niederlanden in Europa begann der Begriff Staat eine politische Dimension zu gewinnen, die sich in den Sendschreiben der VOC widerspiegelte, was zeigt, dass die zunehmende Unabhängigkeit der Union ein Faktor für die Verwendung des Begriffs Staat als abstrakte politische Kategorie war.237 In den im Anhang befindlichen Quellen wird die Aufgabe des Staats in der Bewahrung vor Schaden und Schwierigkeiten gesehen, was impliziert, dass die Entität Staat von Personen geführt wurde, die in der Lage waren, Schaden von der Entität fernzuhalten. Gelingen konnte das der VOC als Agentin des niederländischen Staats nur, wenn die Heren XVII vertrauenswürdige und erfahrene Personen nach Südostasien schickten, die den Stand des Unternehmens sichern und verbessern würden. In diesem inhaltlichen Zusammenhang besaß die Entität Staat eine politische Dimension, die über die Bedeutung Bilanz und Zustand hinausging, da sie das gemeinsame Agieren zum Wohl mitdenkt. Die Definition des Begriffs bleibt indes vielschichtig. Wenn vom „Zustand“ der Politik und der „Konstituti236 Siehe dazu: Die Verträge der ersten 20 Jahre des 17. Jahrhunderts mit asiatischen Herrschern siehe in: Heeres, Corpus Diplomaticum. Neerlando-Indicum, 1907, S. 1–160. Darunter fallen auch die Verträge, die von den Voorcompagniën geschlossen worden waren. 237 Vgl. dazu: Appendix XXXVI, IV. Jaques Specx, Dr. Pieter Vlack, Jan der Bruch en Arent Gardenijs, Batavia 6 januari 1632. K.A. 1014, fol. 1–25. Copie in K.A. 1015, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 305–318. Die wichtigen Textstellen sind markiert. Sie zeigen die disparate Verwendung des Begriffs staet in Einzahl und Plural.

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on“ des Unternehmens gesprochen wird, zeigt sich die Offenheit des Begriffs gegenüber anderen Bedeutungsfeldern.238 Ein Unterschied besteht in der Verwendung des Plurals. Staten kann im Deutschen sowohl für „Stände“ als auch für „Staaten“ stehen.239 Beides sind Begriffe der politischen Semantik, die politische Körperschaften bezeichnen. In der Formulierung „noch geenige van desen weerelts staten sulcx gestelt noch geregeert connen werden” steht der Plural in einer Passivkonstruktion. Demzufolge ist davon auszugehen, dass mit dem Term staten der Plural von staet als politische Entität beschrieben wird, die regiert und aufgestellt werden kann und nicht, die als aktive Akteure zu begreifenden Stände. Im Folgenden wird in der gleichen Textpassage von einer florierenden Entwicklung des „staet van de Comp.[agnie]“ gesprochen, was sich als Beschreibung des wirtschaftlichen Zustand oder der Bilanz des Unternehmens übersetzen lässt. Was an den Auszügen aus dem Sendschreiben von 1632 deutlich wird, ist die parallele Verwendung des Begriffs Staat in verschiedenen Bedeutungszusammenhängen, was sowohl Zeugnis des Prozesses der Bedeutungserweiterung des Begriffs als auch dafür ist, dass die Angestellten der VOC das Unternehmen nicht als Staat bezeichneten. In der Wortgruppe Compagnies staet, die immer wieder in den Akten auftaucht, ist der Begriff durchgehend in der Verbindung als „Bilanz der Kompanie“ zu verstehen. Wenn es sich um allgemeine Formulierungen handelt oder die diplomatischen und militärischen Aktivitäten der VOC in Asien angesprochen wurden, besaß der Begriff eine Abstraktionsebene, durch die der Begriff ebenso eine politische Dimension gewann, wie in der Verwendung des Plurals, wobei immer zwischen der Bedeutung „Stände“ und „Staaten“ unterschieden werden muss. Wenn die VOC-Angestellten den Begriff in direkten Zusammenhang mit der Kompanie stellten, besaß der Begriff keine politische Dimension. Als Begriff der politischen Semantik gilt der Begriff in den Akten der VOC nur in Bezug auf andere Territorien, die Vereinigten Niederlanden als Entität und allgemeine, globale Aussagen, die ungerichtet blieben. Den Begriff staten verwendeten die VOC-Angestellten indes sehr selten. In einem Sendschreiben aus dem Jahr 1667 taucht der Begriff ebenso auf, wie in einem Protokoll des Rates in Colombo aus dem Jahr 1671. Im Sendschreiben lässt die Auflistung des Begriffs in der Reihe mit Fürsten vermuten, dass die Stände als regierender Souverän gemeint sind und nicht eine Vielzahl von politischen Entitäten. Das Protokoll des Rats in Colombo setzt indes potentaten und staten ins Verhältnis zum Völkerrecht. Sowohl staten als auch potentaten müssten sich nach dem Völkerrecht richten. Beide Bedeutung, sowohl Stände als auch Staaten, wäre aus dem Inhalt heraus denkbar. Die Verwendung des Plurals staten ist im Niederländischen durch die Bezeichnung der Ständeversammlung schon lange vor dem 17. Jahrhundert Teil der politischen Semantik. Demzufolge ist auch in dieser Textpassage die Bedeutung „Stände“ wahrscheinlicher.

238 Vgl. dazu: Weinacht, Staat, S. 29. 239 Siehe dazu: Appendix VI, Nr. 9., 12.

7. Der Staats-Begriff in den Quellen der VOC

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„(geantwoord is, , . , .) . . . . dat wij soo met protestatiën als door de landtheeren selfs moeten sien te bewercken 't beste van dʼE. Comp.e sonder tot eenige feytelijckheyt (anders als in don hoogston noot) toe te treden, excuserende oock voor dees tijt de protectie van den heere Teuver, omdat present niet en sijn gestelt om met Europische Vorsten of staten overhoop te geraecken, veelmin dat onse met eenige nieuwe oorlogen souden engagieren. Sullende ons benieuwen te verstaen, hoedanich bij den Vicerey sal werden opgenomen de sobere bejegeninge, tot Tutucoryn gethoont aen seecker Portugees schip, aldaer verscheenen met voorgeven, dat de reyse van Goa naer Mosambiqce niet hadde connen crijgen ende twelck 240 ons om veele redenen suspect moet wesen.“ „Aen den grootmachtigsten Ragia Singa Raja, Keijser van ’t wijtberoemde Eijlandt Ceijlon [Fol. 64 r] tot des Botschafters Hendrick Draeck, [der nicht aufgeklärt wurde durch die Regierung Raja Sings] [...] hoe hertelijck wij hebben versocht dat u k: maij:t eenmael gelieffde rest te dragen, aan ʼt onwederspreeckel.k recht der volckeren bij alle potentaten en staten des aerdbodens gebruickel.k en heijlichlijck ondertrouden, en on met kracht van dat 241 recht onse gesanten off te senden[...].“

Die VOC-Angestellten bezeichneten demzufolge nur die Vertragspartner der VOC mit denen das Unternehmen im Namen des Staats der Vereinigten Niederlanden Verträge schloss als Staat. Aus der Benennung der asiatischen Herrschaften in den Verträgen seit Beginn der Aktivitäten der VOC in Südostasien übernahmen die VOC-Angestellten den Term Staat in die Texte ihrer Sendschreiben, wenn sie die Politik der Herrschenden in einem asiatischen Territorium beschrieben. Nur der Verwendung des Begriffs in dieser Bedeutung wird im Folgenden nachgegangen. „Hoc ʼt niet Janglau afflopen wil, sal ons den tijt leeren; bij ons tot vernielinge van desen can geen eere ingeleyt werden, tensij van de groote daertoe werden versocht ende eer sulcx geschiet, sal denselven machtiger moeten werden ende Equan eenige nederlaege moeten overcomcn. Wij houden ʼt voor geen cleenen dienst, die aen China hebben gedaen, dat door onse hulpe Quitsick tʼenemael vernielt is geworden ende Equan in sijne qualiteyt hebben gehouden, de eere blijvende aen des Conincx zeemacht. Maer hoe licht hetselve ter zijden is gestelt, leert ons het gevolch van saecken ende blijven wij in de verwonderinge van de cleene straffe, die den staet van China tracht te executeren over diegene, die soo groote schaede ende vernielinge op hare custen over sooveele arme menschen hebben gedaen geduyrende 242 den tijt van hare roverijen.“ [Hervorhebungen O.K.]

Die geringe Strafe die der Staat Chinas gegen den Seeräuber Iquan aussprach, verwunderte die VOC-Angestellten. Die Implikation ist, dass der chinesische Staat über Gesetze verfügte, die von einer Exekutive durchgesetzt wurden, was dem Staat als abstrakte politische Entität Aufgaben zusprach. Für die VOC-

240 Vgl. dazu: XXXVII. Joan Maetsuycker, Nicolaes Verburch, Laurens Pit, Pieter Overtwater, Mattheus van den Brouck en Joan Thijsen, Batavia, 5 oct. 1667, 1152. fol. 1–10, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1656–1674, S. 592. 241 Siehe dazu: National Archiv Colombo, Vol. 16 Council Minutes 1670 May 1–1671 February 14, Fol 64v–64r. 242 Vgl. dazu: I. Henrick Brouwer, Dr. Pieter Vlack en Jan van der Burch, Batavia 1 december 1632. 1016, f. 1–93, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 354. Die Quelle beschreibt den Umgang der Regierung Chinas mit dem als Seeräuber bekannten Kapitän Iquan.

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VII Geschichte der VOC – Struktur und Aufbau

Angestellten verband sich mit der Bezeichnung einer Herrschaft als Staat das Vorhandensein einer Judikative und einer Exekutive, die in einem definierten Raum – in diesem Fall das Territorium Chinas und die angrenzenden Gewässer – Autorität besaßen. Dabei war es nicht von Bedeutung welche Regierungsform in einem Territorium herrschte oder welche Rolle die Entität im Machtgefüge Südostasien einnahm. Das kleine Sultanat Jambi auf der Insel Sumatra wurde 1632 ebenfalls als Staat bezeichnet.243 „[...]De oneenicheden en de jalousyen van de grooten in Jambij hadden soodaenich toegenomen, dat deselve dʼeen of dʼander tijt wellichtelijck een revolte souden mogen veroorsaecken. Dato Maes, moeder van den tegenwoordigen Coninck, steunende op de macht en de authoriteyt van haeren broeder den Coninck van Palimbam heeft het gouvernement ende de gantsche regieringe van Jambij aen haer getrocken ende aen den tegenwoordigen Coninck niet anders als den blooten naem sonder eenige macht of gesach gelaeten; den Queay Pate, oom van den tegenwoordigen Coninck, van alle regieringe ontbloot ende aen den tommogon, een persoon van minder qualiteyt, de directie van den Jambynesen staet 244 overgegeven.“ [Hervorhebungen O.K.]

Um die Herrschaft in jambinesischen Staat zu übernehmen, stützt sich die Mutter des Königs auf die Macht und Autorität ihres Bruders und übertrug ihrem Sohn nur wenige Kompetenzen. Dem Onkel des Sohns, wobei unklar bleibt, ob er der Bruder Dato Maes’ war, wurde unter die Direktive des Staats gestellt, da er nur wenige Qualitäten besaß, was ihn nach Einschätzung der VOC-Angestellten für die Beteiligung an der Regierungstätigkeit in Jambi disqualifizierte. Was neben der Verwendung des Staats-Begriffs auffällt, ist die Begründung der Herrschaft Dato Maers’ in der Autorität ihres Bruders, dem König von Palembang. Auch in der Begründung der asiatischen Herrschaften im Inneren galt für die Niederländer die Autorität als maßgebliche Voraussetzung. Die Autorität der Herrschenden begründete ihre Macht.245 In der zweiten Hälfte der 1630er Jahre lassen sich Komposita des Begriffs Staat nachweisen, was den steigenden Abstraktionsgrad des Begriffs zeigt, der darin eine Verallgemeinerung erfuhr, die nicht nur in der Anwendbarkeit auf Territorien in Europa und Asien lag, sondern in der erweiterten Einschließung von Aufgaben, der als Staat bezeichneten Entitäten. „Soude men de princen, die met ons vaederlant geallieert sijn, connen geven contentement met te seggen, dat men disadvoyeert het misdoen der vreemden, die onder de protexcie der Vereenighde Nederlanden resideren ende wel lijden mogen, dat se gestraft werden, als men

243 Die VOC-Angestellten bezeichneten das Sultanat als Königreich. Da viele lokale Herrscher erst wenige Jahrhunderte vorher zum Islam übergetreten waren, wie der König von Malakka, um islamische Kaufleute aus dem arabischen und persischen Raum enger an sich zu binden, existierte in Südostasien kein strenger Islam, was auch die lokale Herrschaft oft pragmatischer und weniger vom Islam bestimmt erscheinen ließ. 244 Vgl. dazu: V. Henrick Brouwer, Antonio van Diemen, Dr. Pieter Vlack, Jan van der Bruch en Mr. Antonio van Heuvel, Batavia, 15 december 1633, 1019, fol 1–119, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 415f. 245 Diese Form der Herrschaft ist mit einer Mischung aus traditioneller und charismatischer Herrschaft zu beschreiben. Siehe dazu: Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 124–140.

7. Der Staats-Begriff in den Quellen der VOC

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hun vind ter plaetse, daer se misdoen, blijvende echter deselve protegerende, als, behouden reyse gedaen hebbende, weder in Neerlant quaemen te keeren? Wij gelooven: neen, ende vermoeden, dat aen particuliere wegens haer geleden schaede represalie soude werden verleent ende, staetssaecke sijnde, datter satisfactie tot genoegen off oorloge op volgen soude 246 etc.“ [Hervorhebungen O.K.]

In dieser Textpassage wird deutlich, dass die asiatischen Herrscher vertraglich mit den Vereinigten Niederlanden verbunden waren. Die Vergehen von Personen, die unter der Protektion der Vereinigten Niederlanden lebten, müssen bestraft werden, um den geschlossenen Verträgen Genüge zu tun, was Krieg zu Folge haben kann. Die Forderung der asiatischen Vertragspartner nach Satisfaktion bezeichneten die VOC-Angestellten als staetssaecke, die neben Repressionen eben auch Krieg bedeuten konnte, was den Krieg zur „Staatssache“ macht, für die ein Heer notwendig wäre, das unter der Oberhoheit des Staats stehen würde. In der Betrachtung der Auseinandersetzung mit den europäischen Konkurrenten in Asien wurde die Stellung der VOC als Vertreterin des Staats der Vereinigten Niederlanden deutlich. Die Verträge der VOC mit der dänischen OstindienKompanie, galten für die Gebiete des niederländischen Staats in Asien. Die bestehenden Verträge verletzten sowohl die Niederländer als auch die Dänen. Die Niederländer ihrerseits gingen entsprechend dem Völkerrecht gegen die Feindseligkeiten der Dänen mit Waffengewalt vor, was die Inanspruchnahme rechtlicher Grundsätze beweist, die auf Hugo Grotius’ Schriften zum Recht zwischen den Völkern zurückgeht. Der niederländische Staat war in Europa mit dem dänischen König in Freundschaft verbunden, was für die VOC nicht galt. Unabhängig von den Verträgen der politischen Entitäten in Europa schlossen die OstindienKompanie für Asien eigenständige Verträge. Die Körperschaften blieben selbstständig, aber nicht unabhängig. Üblich war die Erwähnung des Staats-Begriffs in Verträgen zwischen Herrschaften. Dass der Term in den Quellen der VOCAngestellten Verwendung fand, ist Ausdruck der Verbreitung des Staats-Begriff als Term der politischen Semantik über den europäischen Kontinent hinaus. Zwar verwendete die politische Elite in Asien den Begriff Staat ebenso im Kontext der diplomatischen Beziehungen wie die niederländischen Körperschaften in Europa, die Dokumente waren aber nicht an eine außerhalb des niederländischen Verräumlichungsregiments stehende Körperschaft gerichtet, wie es bei den Verträgen zwischen den europäischen Territorien der Fall war, sondern an die Heren XVII als Körperschaft innerhalb des niederländischen Gemeinwesens. Demzufolge wandten die Niederländer den Begriff nicht nur in außenpolitischen Beziehungen an, sondern nutzten den Begriff auch in der interkontinentalen Korrespondenz zwischen Körperschaften innerhalb des niederländischen Gemeinwesens zur Selbstbeschreibung. Die VOC-Angestellten nahmen die Vereinigten Niederlanden Ende der 1630er Jahre als unabhängige, souveräne, politische Entität war, die sie als Staat 246 Vgl. dazu: XIII. Henrick Brouwer, Antonio van Diemen, Philips Lucasz., Maerten Ijsbranïsz., Artus Gijsels en Jan van der Bruch, Batavia, 4 januari 1636, 1028, fol. 1–57, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S. 534.

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VII Geschichte der VOC – Struktur und Aufbau

bezeichneten.247 Es besteht zudem das Verständnis, dass die als Mooren bezeichneten Personen auf den Inseln Hatuwa, Cabau und Caylola Subjekte des niederländischen Staats waren. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, waren die Personen, die in Gebieten lebten, die die VOC in Südostasien besetzt hielt, Untertanen des niederländischen Staats. Auf den Beweis der Treue gegenüber dem niederländischen Staat legten die VOC-Angestellten großen Wert, was zur Untermauerung des bestehenden Untertanenverhältnisses die Reise der Inselbevölkerung nach Batavia nach sich zog. Innerhalb des eigenen Machtbereichs etablierte die VOC ein Unterwerfungssystem, das dem der Japaner entsprach, was die Adaption asiatischer Herrschaftspraktiken bedeutete. „De Mooren van Boangbessy [Name der Insel Oma oder Haruku] op Hatuwa, Cabau ende Caylola blijven den Nederlandsen staet subject, houden aen ʼt casteel Victoria seer goede correspondentie sonder den quimelaha [Titel des lokalen Herrschers] te wille te wesen, hebben mede een nieuwe corcorre ten dienste van de Comp.e gereedt. Den jongen sengadja met een suite van twee off drie persoonen hadden gesoliciteert nae Batavia te comen omme daerdoor hare getrouwicheyt te bewijsen, twelck hun den gouvr beleeffdelijck ontseyt ende affgeraden hadde, dat liever anders sagen, alsoo diergelijcke besendingh tot verseeckeringh van den Amboinsen staet streckt, dewijle Batavia in ijders oogen ontsaghelijck is, bevindende alsoo inderdaet onse contramineurs, den quimelaha ende sijn creatueren, die omme daerbij voordeel te doen ende onse bontgenoten tʼintimideren doorgaens de Nederlandsche macht 248 contrarie de waerheyt vercleenen.“ [Hervorhebungen O.K.]

247 Siehe. dazu: „Thibault, den 4en september de retour comende, gemelten brieff in Rade van India overgelevert heeft, als per de notulen in dato 4en d.° daervan gehouden, naeder blijckt. Denselven originelen, in Portugees geschreven ende bij Barent Pessaert, president van de Denemarckse natie in India, gelijck sich intituleert, met eygen handen onderteeckent, nevens vijff gʼauthentiseerde copien gaen bij desen over, opdat U Ed. aldaer claerlijck mogen doen blijcken de quade genegentheden van de Denemarckse Comp.e tegen den Nederlandschen staet alhier ende daerover reparatie versoecken, soo ende als U Ed. te rade worden.[...] Pessaert niet gequalificeert sij noch commissie heeft tot soo onnabuyrlijcke proceduyren ende quade attentaten, streckende . . . . tot breeckingh van de oude verbonden ende onderlinge vrundschap, die daer is tusschen den Staet der Vereenighde Nederlanden ende Sijne May.t van Denemarcken, sullen U Ed. met fondament uyt d'overcomende bescheyden op ʼt voorschrijven van Hare Hoo. Moo. bij de May.t van Denemarcken obtineren connen redres in dese saecke ende dat Pessaert over sijn lichtvaerdigheyt nae behooren magh worden gestraft.“ [Hervorhebungen O.K.][Das Sendschreiben behandelt das Verhältnis zur dänischen Ostindien-Kompanie, die sich mit der spanischen Krone verbündet hatte, um den niederländischen Handel zwischen Makassar, den Molukken und Japan zu beeinflussen. Welche Ziele die Dänen in Südostasien verfolgten, sollten in Verhandlungen geklärt werden. Die Textstellen des Sendschreibens zeigen das niederländische Verständnis von Staatlichkeit und Völkerrecht im globalen Kontext. Grundsätzlich wird deutlich, dass die VOC sich als Teil des niederländischen Staats sah, nichts als eigenständige, souveräne politische Entität. Mit der dänischen Krone und der dänischen Ostindien-Kompanie wurde indes eine Einigung erzielt. In: V. Antonio van Diemen, Philips Lucasz., Carel Reniers (ed de geassumeerse Raden) Abraham Welsing en Cornelis van der Lijn, Batavia, 22 december 1638, 1036, fol. 1–202, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1610–1638, S.682ff. 248 Vgl. dazu: VIII. Antonio van Diemen, Anthonio Caen en Cornelis van der Lijn, Batavia, 18 december 1639, 1030 fol. 1–129, in: Coolhaas, Verenigde Oostindische Compagnie, 1639–1655, S. 18.

7. Der Staats-Begriff in den Quellen der VOC

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Festgeschrieben wurde die rechtliche Stellung der asiatischen Territorien und Städte unter VOC-Herrschaft in den Artikeln der Batavischen Statuten. In den Statuten wurde festgelegt, das Batavia innerhalb der Hierarchie in Südostasien eine Vormachtstellung zukam, die seit dem Aufbau der Stadt 1619 bestand. Alle anderen, von der VOC besetzten Städte und Gebiete, sollten von Batavia aus beherrscht werden und dem niederländischen Staat Gehorsam leisten. Der niederländische Staat erstreckte sich durch das Ausgreifen der VOC bis nach Südostasien. Sowohl von den VOC-Angestellten als auch von der lokalen indigenen Bevölkerung verlangte der niederländische Staat Gehorsam entsprechend der geschlossen oder oktroiierten Verträge. Der Präsident des Raad van Justitie in Batavia schwor 1642 dem niederländischen Staat in Südostasien treu und ergeben zu dienen und keine Geheimnisse zu verraten. „Batavia 1. Na dat het rijke van [Jacbatra] inden jare 1619 bijden Heer Gouvereneru generaeel Jan Pietersz. Coen wegens de vereenigde nederlanden verovael is geworde, is bij den zelven en zijnen raad goet gevonden aldaar een stad en Casteel te bouwen tot een roopl. plaats waar in toe komme alle andere landen ende steden onder de gehoorsaamheijt vanden nederlandschen Staat in deze quartieren sorterende gealgeert en den generale handel gedirigeert zoude werden ende is deselve doot last van de keeren bewinthebberen genaamt Batavia. [...] Eed voor den President en raden van Jusitite Ick belove en sweere d’ doorluchtige hoogh mogende Heeren Staten generaal den vreije vereenigden nederlanden mijne souveraine zijne hooghejt Frederik Hendrik prince van orange, als derselver Gouverneur, Capiteijn en Admiraael generaal, d’ Ed.l heeren bewinthebberen den g’ octroijeerde Oostindische Comp.e mitsgaders den Edele Heer Gouverneur generaal en de raden van India over den selven Staat in dese landen gehouw ende getrouw te wesen, dit ampt van president en raad hoogh mogeden recht naar vermogen helpen 249 voorstaan de secreten deser camer aan niemant te openbaeren[...].“ [Hervorhebungen O.K.]

Der Friedensvertrag von Münster hatte für das Verhältnis zwischen der VOC und den Generalständen der Vereinigten Niederlanden auf semantischer Ebene keine Auswirkungen, da die Generalstände schon bei der Vergabe des ersten Oktrois 1602 als Souverän, Rechte an die VOC vergaben. Auch am rechtlichen Verhältnis zwischen den beiden Akteuren, gab es nach dem Friedensschluss mit Spanien keine Veränderungen, selbst wenn die VOC-Angestellten in der Statthalterlosen Epoche ihren Eid nicht mehr auf die Oranierprinzen ablegen mussten. Was sich änderte, waren die Taktiken der Niederländer, die sich nach dem Friedensschluss in Europa verstärkt auf die Kontrolle der Küsten des indischen Subkontinents und Ceylons konzentrierten. In den Akten der VOC im National Archiv Sri Lankas in Colombo lässt sich in den 1660er Jahren die vermehrte Verwendung des Begriffs Staat aufzeigen. Da der inhaltliche Zusammenhang der Verwendung einer der bereits erwähnten Bedeutungen entspricht, werden die Akten an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt, sondern in Appendix VI zusammengestellt, um zu zeigen, dass der Begriff im gesamten Untersuchungszeitraum genutzt wurde, besonders auch 249 Vgl. dazu: National Archiv Colombo, Vol 2387 Statuten of Batavia 1642, Fol. 4r, Fol. 20, Transkription O.K.

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VII Geschichte der VOC – Struktur und Aufbau

nach dem Beginn der Statthalterlosen Epoche, was darauf verweist, dass die politische Entität nicht der Legitimation durch den Oranierprinzen bedurfte, um als Staat bezeichnet zu werden. Der Begriff Staat bleibt bis zum Beginn der 1670er Jahre ein Term, der sich explizit nicht auf die VOC als unabhängige politische Entität bezog. Die VOC wird als Handelsunternehmen im Auftrag des Staats der Vereinigten Niederlanden betrachtet, das sich an die europäischen Verträge halten musste und dessen Territorien und Untergebene, Subjekte des Staats der Vereinigten Niederlanden in Asien waren. Legitimiert war das Unternehmen durch die Souveränität der Generalstände in außenpolitischen Beziehungen.250 Autorität und das in sie gesetzte Vertrauen waren die Machtgrundlagen der VOC-Angestellten auf allen Hierarchieebenen. Abschließend kann gesagt werden, dass die Angestellten der VOC ihr Unternehmen als Vertreterin des niederländischen Staats in Südostasien betrachteten und nicht als Staat im Staat, auch wenn vor Ort unabhängige Entscheidungen getroffen werden mussten, vertrauten die Heren XVII und die Generalstände darauf, dass sich die Angestellten an die Verordnungen und Richtlinien hielten.251 Augenscheinlich war das Vertrauen die Grundlage für das Funktionieren des Unternehmens in dem weiträumigen Aktionsgebiet von Indien bis Japan. Das Ausgreifen nach Südostasien und die damit verbundene Außensicht der VOC-Angestellten auf die politische Entität in Europa stärkte die globale Wahrnehmung der Vereinigten Niederlanden als Staat, was sich auch an den Akten des Haagse Besogne zeigt.252 Nach der Untersuchung der Dokumente des Haagse Besogne unter der Fragestellung, ob die Mitglieder die VOC als Staat bezeichneten oder der Einschätzung der VOC-Angestellten in Asien folgten, die VOC als Vertreterin der Vereinigten Niederlanden in Asien zu betrachten, soll die Brücke zurück nach Europa geschlagen werden, um zum Abschluss die Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden im Rahmen der Theorien zu besprechen, die zu Beginn der Untersuchung behandelt wurden.

250 Siehe dazu: Appendix VI, Nr. 7., 8. 251 Zum „Staat im Staat“ unter anderen: Wilson, The Savage Republic, S. 232. 252 Siehe dazu die Akten des Haagse Besogne in: NL-HaNA, VOC, 1.04.02, inv.nr. 4455, NLHaNA, VOC, 1.04.02, inv.nr. 4456.

VIII DAS HAAGSE BESOGNE – BINDEGLIED ZWISCHEN VOC UND GENERALSTÄNDEN 1. DER ORT INTERKONTINENTALER DEBATTEN Gegründet wurde das Haagse Besogne von den Heren XVII im Lauf der 1640er Jahre.1 Im Jahr 1649 etablierte sich nach einigen Umstellungen, die den Erfahrungen der Vorjahre und dem Interesse der einzelnen Kammern geschuldet war, ein Gremium aus zehn Vertretern der Kammer und zusätzlich zwei Hauptanteilseignern, die mit dem Lesen der Dokumenten aus Südostasien unter strenger Geheimhaltung beauftragt wurden. Der Wechsel in der Zusammensetzung des Gremiums macht eine direkt akteursbezogene Betrachtung ebenso schwierig, wie bei den Dokumenten der Generalstände, wo eine Vielzahl von Personen nicht eindeutig mit einer Niederschrift in Verbindung gebracht werden kann, sondern nur das Gremium insgesamt. Die Verortung des Gremiums in Den Haag, dem ständigen Tagungsort der Generalstände, verstärkte den Informationsfluss zwischen der VOC und den Institutionen der Union. Mit der Etablierung des Haagse Besogne verbesserte sich nicht nur die Verarbeitung der Informationen aus den Sendschreiben und Berichten, sondern auch die Vernetzung zwischen VOC und Generalständen, die während der Statthalterlosen Epoche wichtig für die Koordination der Kriegsführung zur See gegen England wurde. In den Dokumenten des Gremiums tauchte der Begriff Staat in fast jedem Bericht auf. Aus den Quellen werden nur Stichproben ausgewählt, um die Facetten der Begriffsbedeutung aufzuzeigen, die sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Vereinigten Niederlanden aus der Wahrnehmung der interkontinentalen Aktivitäten der Niederländer heraus verstärkten. In den Akten des Gremiums wird deutlich, dass sich die Orthographie des Begriffs Staat änderte. Zu Beginn der dokumentierten und archivierten Aufzeichnung existierte sowohl die Klein- als auch die Großschreibung des Begriffs, was dessen Verselbständigung als Kategorie der politischen Semantik bedeutete, die klar zu unterscheiden ist von den Bedeutungsfeldern „Bilanz“ und „Zustand“. In den 1650er Jahren beschrieb der Begriff in den Protokollen des Haagse Besogne die politische Entität der Vereinigten Niederlanden als Vertragspartner ge1

Pieter van Dam beschreibt die Entstehung des Gremiums ausführlich. Siehe dazu: Dam/Stapel, Beschryvinge van de Oostindische Compagnie, Boek 1, Deel 1, S. 7–28. Das Haagse Besogne war eines von fünf Gremien die in den 1640er Jahren gegründet wurden und als Zeichen der Institutionalisierung innerhalb der VOC gilt. Siehe dazu: Dam/Stapel, Beschryvinge van de Oostindische Compagnie, Boek 1, Deel 1, S. 309–343. Die fünf Gremien waren: Commissie tot visitatie van de boeken der Kamers, Commissie tot het maken van den jaarlijkschen staat (Kommission, die die jährliche Bilanz überprüfte), Commissie voor de koersen der retourvloten, Commissie voor de verkoopingen.

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VIII Das Haagse Besogne – Bindeglied zwischen VOC und Generalständen

genüber anderen europäischen Territorien.2 Die als Staat bezeichneten Vereinigten Niederlanden entsandten einen Botschafter nach England, der dem englischen Parlament ein Konzept des niederländischen Staats für die Beilegung des Konfliktes der beiden Ostindien-Kompanien in Südostasien überbrachte. Der zweite Teil des Protokolls dokumentiert die finanziellen Forderungen des Advokaten der VOC, die der Kompanie durch die Beteiligung am Ersten EnglischNiederländischen Krieg (1652–54) entstanden waren.3 Das Protokoll zeigt die Verknüpfung der Aktivitäten der VOC in Südostasien mit der Politik der Vereinigten Niederlanden auf.4 Der Begriff Staat wird von den Mitgliedern des Haagse Besogne in verschiedenen Zusammenhängen und Schreibweisen verwendet. Das Besondere ist der Typ des Dokuments und der Adressat des Schreibens. Das Dokument zirkulierte innerhalb des niederländischen Territoriums zwischen verschiedenen Körperschaften des Gemeinwesens. Sowohl das Direktorium der VOC als auch die Generalstände und der Ratspensionär waren in die beschriebenen Vorgänge eingeweiht. Die Verknüpfung der Interessen der VOC in Südostasien mit der niederländischen Politik in Europa schärfte innerhalb des niederländischen Gemeinwesens auch in innenpolitischen Diskursen das Verständnis, dass die Vereinigten Niederlanden ein Staat, eine politische Entität im europäischen Machtgefüge waren, die nach dem Westfälischen Frieden von allen Vertragsparteien des Westfälischen Friedenswerks als unabhängig und souverän anerkannt wurden und global agierte. Die Unterlagen des Haagse Besogne zeichnen ein klares Bild der Bedeutungsverengung des niederländischen Begriffs Staat, was dem Aufgabenfeld des Gremiums geschuldet war. Das Gremium entwickelte sich zunehmend zum Knotenpunkt für die Vernetzung der Interessen der VOC mit denen der Generalstände und des Ratspensionärs Johan de Witt. Trotzdem blieb die Bedeutung des Begriffs als „Bilanz“ auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine Deutungsmöglichkeit, wie die Formulierung „belastinge vanden Staet“ zeigt, die sowohl für die Bedeutung „politische Entität“ als auch „Bilanz“ offen ist. Auch aus dem Inhalt kann nicht eindeutig auf die eine oder andere Bedeutung geschlossen werden. Ein weiteres Phänomen, das sich in der Textpassage findet, ist der Wechsel zwischen Klein- und

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Vgl. dazu: Protokoll zur Sitzung am 3.3.1655. In der Zusammenfassung wird über die seit dem „Mord von Ambon“ bestehenden Streitigkeiten zwischen der EIC und der VOC berichtet, die Bestandteil der Friedensverhandlungen im Vorgang des Friedens von Westminster von 1654 nach dem Ersten Englisch-Niederländischen Krieg waren. Die Vereinigten Niederlanden erkannten mit dem Frieden von Westminster den Navigation Act an, was eine Beschränkung niederländischer Kaufleute auf dem englischen Markt bedeutete. Hieronymus von Beverningk, mit dem John de Witt einen reichen Briefwechsel führte, war auf niederländischer Seite der wichtigste Unterhändler für das Zustandekommen des Friedens von Westminster. Siehe zur Quelle: Appendix XXX; siehe zum Briefwechsel de Witt – van Beverningk: Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, Eerste Deel, 1650–1657(1658), 1906. Siehe zu den anschließenden Verhandlungen zum Schifffahrtsvertrag zwischen beiden Mächten: Appendix XIII, Nr. 1., 8. Siehe dazu: Appendix XXX, NL-HaNA, VOC, 1.04.02, inv.nr. 4455.

1. Der Ort interkontinentaler Debatten

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Großschreibung.5 In den 1660er Jahren setzte sich die Großschreibung des Worts Staat als Substantiv durch. Vorher existieren beide Varianten, was die Interpretation unterstützt, dass sich erst nach der endgültigen Unabhängigkeit ein Verständnis von abstrakter Staatlichkeit entwickelte, die auch an die Regierungsform in der Staathalterlosen Epoche geknüpft war und somit die Entscheidung in fünf der sieben in den Generalständen stimmberechtigten Provinzen keinen neuen Statthalter zu berufen, nicht nur für die Form der Regierung, sondern auch für die politische Semantik ein Umschlagpunkt war. In den 1660er Jahren verhandelten die Niederländer mit England über ein Reglement für die Koexistenz der Ostindien-Kompanien beider Territorien, dessen Punkte vom englischen Botschafter Downing vorgeschlagen und von den Kammern Seeland und Holland/Westfriesland kommentiert wurden.6 In den Kommentaren der Kammern wird einerseits die Verwendung des Begriffs Staat im Jahr 1664 dokumentiert, andererseits das Selbstverständnis des Vorgehens der Niederländer in Asien, was das längere Eingehen auf einige Textstellen begründet. Die Dokumente belegen die Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien der Niederländer in Asien. In der Besprechung der Vorschläge Downings von Seiten der seeländischen Kammer, wird der Konflikt zwischen den OstindienKompanien erwähnt, der bis zum Jahr 1664 nicht durch Verträge oder Reglements geschlichtet werden konnte. In der Folge des Ersten Englisch-Niederländischen Kriegs war auch die VOC durch die protektionistische Politik der Engländer unter Druck geraten. Die Diskussion über ein Reglement für den Handel der beiden Kompanien in Südostasien wurde indes 1665 jäh durch den Beginn des zweiten Kriegs zwischen England und den Vereinigten Niederlanden abgebrochen. Die Annahme des Vermittlungsversuchs des englischen Botschafters Downing geschah in der Phase als die Vereinigten Niederlanden unter dem Ratspensionär Johan de Witt begonnen hatten, durch den massiven Ausbau der Kriegsmarine die Nachteile gegenüber den englischen Flottenverbänden während des Ersten Englisch-Niederländischen Kriegs auszugleichen, andererseits die niederländische Frachtschifffahrt unter den Bestimmungen des Navigation Acts litt, was sich an der Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung in den 1650er und 1660er Jahren zeigte.7 Die Suche nach einer Lösung für den Konflikt der beiden Kompanien in Südostasien war durch die Gegensatz der beiden europäischen Territorien bedingt, wie die Formulierungen des Protokolls zu den Ansichten der seeländischen Stände zum Verhalten der lokalen Bevölkerung zeigen, die nicht nur gegen die Niederländer feindselig gestimmt sei, sondern gegen die Christen allgemein, was Engländer und Niederländer in Asien zu einer Gruppe vereine, deren Interessen gegenüber lokalen Herrschern durch ein Abkommen gebündelt werden könnten, wie es bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts praktiziert worden war. 8

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Siehe: Appendix XXX. Siehe dazu: Appendix XIII, Nr. 6., 7. Vgl. dazu: Vries/Woude, The first modern economy, S. 673f. Vgl. dazu: Appendix XXXI.

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VIII Das Haagse Besogne – Bindeglied zwischen VOC und Generalständen

Die Strategien der Europäer wurden in der Stellungnahme klar benannt. Aus der unreflektierten Anklage, die lokale Bevölkerung in Südostasien verübe wegen einer inhärenten Bösartig- und Ungläubigkeit Massaker an Europäern, ergab sich für die Vertreter der seeländischen Kammer die Konsequenz, Vergeltung üben zu dürfen. Da die südostasiatischen Territorien sehr bevölkerungsreich waren, schien es den Niederländern unmöglich, ihre Ziele durch Angriffe zu Land zu erreichen, was zur Strategie führte, wichtige Knotenpunkte des innerasiatische Handelssystems durch Angriffe vom Meer aus zu blockieren, einzunehmen und in der Folge an den besetzten Orten Hoheitsrechte auszuüben, die zur Kontrolle der umliegenden Gebiete, der Seestraßen und des Handels beitrug. In den niederländischen Quellen wird die Suprematie über ein bestimmtes Gebiet, zu Land oder zu Wasser, als meesterschap bezeichnet. Die Vertreter der seeländischen Kammer gaben zu bedenken, dass die Engländer die Strategie der Blockade von Häfen in Südostasien nutzten, um Räume in ihr Hoheitsgebiet zu integrieren. Während des Ersten Englisch-Niederländischen Kriegs hatte die englische Flotte versucht, die niederländischen Hochseehäfen zu blockieren, um den Handel der niederländischen Kaufleute zu unterbinden und vor allem der Frachtschifffahrt unter niederländischer Flagge zu schaden. Von den Vertretern der Kammer Hollands und Westfrieslands wurden die einzelnen Artikel des englischen Vorschlags ähnlich beurteilt und mit Verbesserungsvorschlägen versehen. Unterschiedlich in der Formulierung waren die Eingangstexte, die der Zusammenfassung zur Bewertung der Artikel vorangestellt wurden. Der Text der holländischen und westfriesischen Stände bezog sich stärker auf die Einschätzung und Begründung der Strategien der VOC in Südostasien und verglich das Vorgehen der Niederländer in Südostasien mit den Ereignissen in der europäischen Politik in Anlehnung an die Interessen und Maximen des Staats. 9 Für die Stände ergab sich aus den Erfahrungen in Europa der Schluss, dass es unsinnig war, Handel und Schiffsverkehr in einem Ort zu konzentrieren, der sowohl vom Meer als auch vom Land aus belagert wird. Die Erkenntnis speiste sich sowohl aus dem Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien am Beispiel Antwerpens als auch aus den aktuelleren Erfahrungen der englischen Seeblockade zu Beginn der 1650er Jahre. Dem entgegenzusetzen hatten die Vereinigten Niederlanden in Europa der Blockade von Seehäfen und Seefahrtspassagen nicht die Entsendung großer Truppenkontingente zu Land, sondern ihrer schlagkräftigen Marine, die während des zweiten Nordischen Kriegs die Besetzung des Øresund durch die Schweden verhinderte, was die Handelsinteressen der Niederländer im Ostseeraum nachhaltig beeinflusst hätte, da ein sehr lukratives Abkommen mit dem dänischen König bestand, das die schwedische Krone ob ihrer Ansprüche auf die

9

Vgl. dazu: Appendix XXXI. Die niederländische Flotte griff 1658 in den zweiten Nordischen Krieg ein. Mit dem Sieg in der Seeschlacht im Øresund, am Ende des Jahres, beendeten die Niederländer die Blockade Kopenhagens durch die Schweden. In einer zweiten Expedition im darauffolgenden Jahr kappten die Niederländer die Nachschublinien der Schweden und beendeten die Blockade Kopenhagens endgültig. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Appendix XXXI.

1. Der Ort interkontinentaler Debatten

403

Vormachtstellung im Ostseeraum nicht bestätigt hätte. Was in Europa für die Beherrschung des Ostseehandels legitim sei, müsse auch in Südostasien als Strategie genutzt werden, um die Vormachtstellung im innerasiatischen Handel zu gewinnen. In der Textpassage wird das Nachdenken über die Anwendung und das Praktizieren von Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien im globalen Kontext erkennbar. In den Anmerkungen zu den einzelnen Artikeln des Reglements gingen die Vertreter der holländischen und westfriesischen VOC-Kammer aber auch auf das Bestreben ein, territoriale Macht in Südostasien auszuüben.10 Der Fokus lag indes auf der Beherrschung der See, für die der VOC die entsprechenden Ressourcen in Südostasien zur Verfügung standen. In den Anmerkungen zu Artikel fünf des Reglements taucht die Fokussierung auf die militärische Macht zur See auf, die es ermöglichen würde, auch die Engländer vom Zugang zu den Handelsemporien in Südostasien abzuschneiden.11 Die Formulierung der holländischen und westfriesischen VOC-Vertreter wiederholte die Vorbehalte gegen die lokale Bevölkerung ebenfalls, ohne das Eindringen der Europäer in Südostasien als Grund für die Reaktion der lokalen Bevölkerung zu reflektieren. Die Frage, worin die Grundlage der niederländischen Macht in Südostasien bestehe, beantworteten die Vertreter der holländischen und westfriesischen VOC-Kammer indes eindeutig. Sie läge in der Beherrschung des Meers. Auf See wären die Niederländern den südostasiatischen Völkern überlegen, wodurch der Mangel an Truppen zu Land aufgewogen würde. Auch wenn das Reglement für die beiden Kompanien durch den erneuten Kriegsausbruch in Europa verhindert wurde, zeigen die Formulierung der intern kursierenden Dokumente, die Überzeugungen der VOC-Verantwortlichen, dass die Macht des Unternehmens in der Beherrschung des Meeres lag und nicht in der Kontrolle von Territorium. Die Niederländer waren sich auch in 1660er Jahren ihrer begrenzten Kapazitäten bewusst, was die VOC-Angestellten davon überzeugte, ein neues Abkommen mit den Engländern schließen zu müssen, um gemeinsam Portugiesen und Spanier von ihren Stützpunkten in Südostasien zu verdrängen. Im Verlauf des Dreißigjährigen Kriegs hatten England und die Vereinigten Niederlanden bereits ein Abkommen geschlossen. Die Kooperation mit England hatte den Vereinigten Niederlanden in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zahlreiche Vorteile in Europa und Asien gebracht und daher eine erneute Zusammenarbeit im Sinn der niederländischen Geschäftsinteressen, denen eine friedliche Koexistenz mit den Engländern als aufstrebende Seemacht wichtiger war als der Einsatz rarer Ressourcen zum Zweck der Kriegsführung in beiden Regionen der Welt.

10 Vgl. dazu: „Dat op het 3: arle de consideratien vande Comp. geoordeelt sijn te een mael suffisant te wesen, doch datter despuijen soude konnen vallen over de kracht van ’t territoriale recht dat men soude konnen pretenderen door de forten bekomen te hebben.“, in: Protokoll vom 13.10.1664, Akten des Haagse Besogne, in: NL-HaNA, VOC, 1.04.02, inv.nr. 4455. 11 Vgl. dazu: Appendix XXXI.

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VIII Das Haagse Besogne – Bindeglied zwischen VOC und Generalständen

Der Staats-Begriff in den Quellen des Haagse Besogne Der Begriff Staat wird in den Akten des Haagse Besogne zu diesem Zeitpunkt mehrheitlich in Großschreibung als Bezeichnung für politische Entitäten genutzt. Dass dies nicht nur mit dem Aufgabenbereich des Gremiums zusammenhing, sondern eine Folge der Bedeutungsverengung des Begriffs war, beweist die disparate Verwendung zu Beginn in den 1650er Jahren, als der Begriff noch in verschiedenen Schreibweisen und Bedeutungszusammenhängen verwendet wurde. In Appendix XIII ist an einer Auswahl von Quellenauszügen der Wandel in der Verwendung des niederländischen Begriffs Staat in den Dokumenten des Haagse Besogne bis zum Ende der 1660er Jahre dokumentiert, die zeigt, dass sich der Begriff Mitte der 1660er Jahre als Kategorie der politischen Semantik etablierte. Die inhaltlichen Zusammenhänge lassen erkennen, dass die Lexeme land oder landen als Bezeichnung des Territoriums der Vereinigten Niederlanden auf dem europäischen Festland parallel zum Staats-Begriff existieren, was nicht ausschließt, dass die politische Entität über einen begrenzten Raum herrscht. Die Formulierung land van desen Staet weist indes darauf hin, dass der Begriff Staat das beherrschte Territorium nicht explizit mitdachte und die Lexeme nicht wie in der Neuzeit synonym verwendet wurden, was für den niederländischen StaatsBegriff in der Staathalterlosen Epoche das Verständnis von räumlicher Herrschaft über den Besitz von Festland hinaus erweitert und abstrahiert.12 Mit der nicht vorhandenen Festlegung auf eine spezifisch gebundene Territorialität an Festland, ist die Herrschaft über den unbegrenzbaren Raum des Meeres in das räumliche Verständnis des niederländischen Staats-Begriffs integrierbar. Wie sich in der Analyse weiterer Dokumente der Generalstände nachweisen ließ, hat die Begrenzung eines Herrschaftsraums für die Generalstände Bedeutung. Allerdings besaß das niederländische Verständnis von räumlicher Herrschaft zwei Dimensionen. Einerseits bestand das Verständnis der positiven Begrenzung von Landbesitz in der Absicherung räumlicher Herrschaft durch das Errichten von Festungen, die dem landläufigen Verständnis von Territorialherrschaft entsprach. Die zweite Dimension des niederländischen Verständnisses der Verräumlichung von Herrschaft auf See war Zeugnis des wirtschaftlichen Faktors bei der niederländischen StaatsFormierung im 17. Jahrhundert. Warenströme auf See konnten nicht durch die permanente Kontrolle der Meereskorridore beherrscht werden, sondern nur durch die Kontrolle der wichtigen Seefahrtsstraßen, die Passagen durch Landmassen hindurch boten und die Beherrschung der Warenumschlagplätze, die als Markt für Tauschgeschäfte galten, an denen Waren entweder für weitere Tauschgeschäfte gehandelt oder für den Konsum der Bevölkerung ins Hinterland der Warenumschlagplätze verkauft wurden. Das galt sowohl in Südostasien als auch in Europa. Um die Umschlagplätze effektiv kontrollieren zu können, mussten die Konkurrenten von den Umschlagplätzen ferngehalten werden, da die Niederländer nicht genügend Ressourcen besaßen, um 12 Siehe dazu: Davids, Karel; ’t Hart, Marjolein; Kleijer, Henk; Lucassen, Jan (Hg.): De Republiek tussen zee en vasteland, Leuven, Appeldorn: Garant, 1995.

1. Der Ort interkontinentaler Debatten

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die Produktion der Waren zu beherrschen oder gar in ihren Händen zu monopolisieren. Das Fernhalten der Konkurrenten von den Knotenpunkten des Handels war für die Niederländer in Asien wichtig. In Europa war die niederländische Handelsflotte so überlegen, dass die Händler an den Warenumschlagplätzen auf die Niederländer angewiesen waren, um ihre Waren zu exportieren. In beiden Fällen war indes eine schlagkräftige Marine, mit der die küstennahen Gewässer und Seefahrtsstraßen permanent beherrscht werden konnten, maßgeblich für die Etablierung und Existenz der niederländischen Herrschaft verantwortlich. In der Statthalterlosen Epoche wurde die Beherrschung der Warenströme in Europa und Südostasien zur politischen Maxime des niederländischen Staats. Die damit verbundene Verräumlichung von Herrschaft hallt im offenen Raumverständnis des niederländischen Staats-Begriffs nach, der verschiedene Formen der Verräumlichung von Herrschaft mitdachte. Zudem führte der globale Seehandel zur Ausbildung von inter-herrschaftlichen Reglements, in denen, in Bezug auf die Beziehungen zwischen europäischen Mächten, der Beginn des Völkerrechts gesehen werden kann. Zusammenfassend kann aus der Analyse der Aufzeichnungen der Vertreter des Haagse Besogne auf ein abstraktes Verständnis der Kategorie Staat im Niederländischen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts geschlossen werden. Der Begriff Staat bezeichnet eine abstrakte politische Entität, die nicht auf Europa begrenzt war, sondern global agierende niederländische Körperschaften legitimierte, in ihrem Namen als Akteur aufzutreten. Ganz konkret steht der Begriff für die Generalstände als politische Institution, die ihrerseits in der Souveränität der Provinzen ruhte, die Mitglieder der Union waren und damit in begrenztem Umfang ihre Hoheitsrechte an eine gemeinsame Regierung abgaben. Der komplexen Aufgaben der Generalstände und des Ratspensionärs in der Statthalterlosen Epoche führten zu Bedeutungserweiterung der gesetzten Kategorie, wodurch der Begriff größere Abstraktheit infolge des Zugewinns an Kompetenzen der Generalstände gewann. Im 17. Jahrhundert schrieben die Verfasser von Dokumenten politischer Institutionen vom Staet der Verenigden Nederlanden, was ebenso eindeutig wie die Trennung von Staat und land davon zeugt, dass der Begriff Staat nicht synonym für die Vereinigten Niederlanden verwendet wurde, sondern die politische Entität in Bezug zum beherrschten Territorium stand, woraus sich in einem lange währenden Prozess der Inklusion, die synonyme Verwendung der Terme ergab. Daraus leitet sich ab, dass die Kategorie, die im 17. Jahrhundert nur die politische Entität der Generalstände als Körperschaft bezeichnete, als abstraktes Lexem für den von den Generalständen beherrschten Raum zu stehen begann, der nach der Festigung der Herrschaftsverhältnisse von einer ständisch-korporativen Ordnung beherrscht wurde. Der Begriff Staet oder Staat im Niederländischen als politische Kategorie zur Bezeichnung einer politischen Entität leitet sich etymologisch und semasiologisch von der Bedeutungsebene des Wortes zur Beschreibung des „Zu-

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VIII Das Haagse Besogne – Bindeglied zwischen VOC und Generalständen

stands“ ab und nicht von der Bezeichnung der Körperschaften Staten-Generaal oder Raad van State.13

13 Zur Semasiologie und Etymologie der niederländischen Sprache im 17. Jahrhundert siehe.: Torn; Pijnenburg; Leuvenstijn; van der Horst: Geschiedenis van de Nederlandes taal, Amsterdam: Amsterdam University Press, 1997, S. 227–360.

IX DER NIEDERLÄNDISCHE STAAT IN DER STATTHALTERLOSEN EPOCHE 1. PIETER DE LA COURTS ANALYSE DES HOLLÄNDISCHEN SEEHANDELS-STAATS Die Konflikte in Asien waren Bestandteil der Vertragsschlüsse in Europa, was dafür spricht, dass Krieg nicht nur um die Vorherrschaft in europäischen Gewässern geführt wurde, sondern ein Einfluss der außereuropäischen Konflikte auf die politischen Entscheidungen in Europa bestand.1 Von direktem Einfluss auf die politischen Entscheidungen der Generalstände durch die Erfahrungen in Asien zu sprechen, ist indes schwer nachvollziehbar. Der Austausch zwischen den Kontinenten, der in den Akten nachgezeichnet wurde, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass Erfahrungen in Asien zu Neu- oder Umstrukturierung der politischen Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden führten. Dennoch ist die indirekte Bedeutung für die politische Kultur in den Vereinigten Niederlanden entscheidend. Die für Europa und Asien beschriebenen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien schlugen sich in der niederländischen, politischen Philosophie nieder. Pieter de la Courts 1662 anonym veröffentlichte Schrift Interest van Holland steht sinnbildlich für die politische Kultur in den Vereinigten Niederlanden in der Statthalterlosen Epoche.2 Aus zweierlei Hinsicht wird auf die Schrift aufmerksam gemacht. Die erste Frage lautet, welches politische Programm die Schrift skizziert und inwieweit Strategien ersichtlich werden, die das niederländische Verräumlichungsregiment charakterisieren. Gleichzeitig gilt es, der Frage nachzugehen, ob de la Court den Begriff Staat als Begriff zur Beschreibung von politischen Entitäten nutzte. Erstaunlich bleibt, dass es keine Schrift war, die sich dem Titel und Inhalt nach mit den Geschicken der Union beschäftigte. De la Courts Schrift sprach sich in den 1660er Jahren explizit für die Trennung der Provinz Holland von den anderen Provinzen aus, da die Union das reiche Holland nur belasten würde. In der Vorrede seiner Schrift bietet er einen allgemeinen Einblick in sein Politikverständnis und bespricht den Sinn der Regierung und die Pflichten der Regierenden. Die klare Abgrenzung gegen die Monarchie, die zur Unterdrückung der Untertanen und Korruption beitrug, erfolgt ebenfalls schon in der Vorrede.

1 2

Siehe dazu: Appendix VI, Nr. 2.–6.; XIV 15., 16. Siehe zur Wirkungsgeschichte der Schriften Pieter de la Courts: Blom, H. W.; Wildenberg, L.W.: Pieter de la Court in zijn tijd, Aspecten van een veelzijdig publicist, (1618–1685), Amsterdam: University Press, 1986.

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IX Der niederländische Staat in der Statthalterlosen Epoche

„Want hoewel de Monarchen, Heeren ende Hoofden, door quaade opvoedingen ende weelde, hun lusten volgende, ende de regeeringe laatende drijven op favoriten ende hovelingen, gemeenelik deese eerste pligt aller Regeerders versuimen, soodanig als men door die gedurige regeeringe der favoriten ende Monarchale revolutien ziet: zoo versuimen nochtans de wijse zelfsregeerende Heeren niet, hun land zoo veel als ʼt doenelik is teegen hunne nabuuren bestendig te maken. Maar de Monarchale ofte Republikse Staat daar toe machtig genoeg zijnde, werden naar de gelegentheid van de formen der Regeeringen, gansch contrarie 3 wegen door de Regeerders omtrent het welvaaren der Onderdaanen ingegaan.“

Die Gefahr der Begünstigung von Favoriten ist nicht nur in der Monarchie gegeben. Auch in der Regentenrepublik kann es zu einem Verrat an den Pflichten gegenüber Land und Volk kommen. De la Court nennt zwei Regierungsformen. Den monarchischen Staat und den republikanischen Staat. Monarchie und Republik werden an dieser Stelle als Attribute zum Begriff Staat verwendet. Die Verwendung des Begriffs Staat zur Beschreibung politischer Entitäten in einer solch bedeutenden politischen Schrift führt die Tatsache vor Augen, dass sich der Begriff Staat in der zweiten Dekade der Statthalterlosen Periode in der Sprache der politischen Eliten als abstrakte Bezeichnung für politische Ordnungen durchgesetzt hatte. Weiter muss die Verwendung des Begriffs im Zusammenhang mit der Transformation der Herrschaftsordnung gesehen werden, deren Beschreibung mit bestehenden Kategorien nicht mehr adäquat möglich war, ansonsten wäre die Einteilung in Monarchie und Republik ausreichend gewesen. Daran schließt die These an, dass die Veränderung der politischen Semantik in den Vereinigten Niederlanden eine Reaktion auf die globalen niederländischen Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien war. Die Entwicklung des Begriffs Staat in verschiedenen europäischen Sprachen war Ausdruck einer zunehmend abstrakten Gestalt des Herrschaftsapparats durch die steigende Komplexität der Administration. Das verstärkte Ausgreifen der Europäer nach Asien und Amerika im 17. Jahrhundert erschloss neue Räume für das europäische Bewusstsein, was in den Vereinigten Niederlanden zur Reflektion über die Beschaffenheit der Herrschaft führte und die traditionellen Kategorien der politischen Semantik vor dem Hintergrund der Neuordnung von Herrschaft nach dem Beginn des Unabhängigkeitskriegs hinterfragte. Um die neue Form der Verräumlichung von Herrschaft abbilden zu können, entwickelte sich in der niederländischen politischen Semantik der abstrakte Begriff Staat zur Beschreibung von politischen Entitäten. De la Court deutet im Interest van Holland die Merkmale der niederländischen Strategien zur Aufrechterhaltung der politischen Macht der Vereinigten Niederlanden an. Eine besondere Bedeutung kommt in de la Courts Schrift den Städten zu, auf deren freier Entfaltung die Macht der Provinz Holland beruhe, die geschützt werden müsse. De la Court argumentiert im Sinne des republikanischen Staats, den er gegen den monarchischen verteidigt. Die einzelnen Provinzen und Städte bezeichnet er als Republiken, wie es Oldenbarnevelt und de Witt getan hatten. Aus der Regierung, die dem Gemeinwohl dient und dabei auch eine republikanische Monarchie mitdachte, entwickelt sich bei de la Court ein Nebeneinan3

Vgl. dazu: Court, Interest van Holland, Voor-reeden, S. 2v–3r.

1. Pieter De la Courts Analyse des holländischen Seehandels-Staats

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der. Wenn Gottes Segen einem Land sicher wäre, würde es unter einer freien Republikanischen oder Staats-weisen Regierung stehen. „En dien-volgende besluit ik, dat den Hollandschen ingezetenen geen grooter quaad kan overkomen, dan geregeert te werden door een Monarch, Heer ofte Hooft: en dat ter contrarie God de Heer over een land, gebouwt op zodanige gronden, geen grooter zegen uitstorten kan, 4 dan met in het zelve in te voeren een vrye Republiksche ofte Staats-gewijze Regeering.“

Die Geschichte offenbart hingegen oftmals das Gegenteil. Es gibt Völker, die können nur von einem Monarchen regiert werden. Darunter zählen neben den Ländern Asiens und Afrikas auch Südeuropa und Frankreich. Auch die Holländer kamen in früheren Zeiten ob ihrer Unbeugsamkeit nicht ohne den Zwang eines Oberhauptes aus. In einem freien Staat zu leben, bedeutet in Relation zur Monarchie in einem Gemeinwesen zu leben, das nicht nur die Interessen des einen Oberhauptes zu Nutzen ist. „Ja weinige Inwoonders van een vryen Staat vind men die genegen zijn te onderwijzen hoe veel een Republik beter zy als een Monarchy, om dat zy weten daar over van niemand te zullen werden geloond; en dat aan de andere zijde, Koningen met lange armen zware slagen konnen geven; en hoewel alle verstandige Onderdanen der Monarchen, die nevens de hoofse pluimstrijkers de schaamte niet hebben afgelegt, in het generaal overtuigd werden van de voortreffelikheid eener Republike boven de Eenhoofdige Regeringe; zo houden nochtans eenige staande, veele volkeren zodanig geaard te zijn, dat zy niet gelukkelik dan door eenen Heer konnen werden geregeerd; en brengen by de exempelen aller volkeren van Asia en Afrijken, als mede alle Europise volkeren gelegen na het Zuiden: wel is waar dat zy ook bekennen, dat alle volkeren die meer na het Noorden gelegen zijn, bequameliker werden geregeerd door een uitstekend Hoofd en meerder vryheid, gelijk warelik van Vrankrijk af na het Noorden genoegzaam alle absolute Monarchale regeringe ophoud; en dienvolgende sustineren de selve en vele anderen, de Hollanders in het particulier zo wrevelig, factieus en bot te zijn, dat zy niet, dan door een zeer uitstekend Hoofd in dwang gehouden zijnde, gelukkelik zouden konnen werden geregeerd, en dat het zelve ook door de historien der 5 voorlede Graven zoude werden bekraftigt.“

Der Implikation folgend, dass ein freier Staat Einwohner hat, kann angenommen werden, dass de la Courts Staat eine territorial begrenzte Entität darstellte, in der entweder eine monarchische oder republikanische Regierung herrscht. De la Courts Schrift beschreibt die Monarchie in Frankreich als absolut, der, im Gegensatz zur Republik, nur ein Oberhaupt vorsteht. Der Unterschied zwischen den Regierungsformen eines Staats beruht auf der gegensätzlichen Erfüllung von Interessen. Im folgenden Abschnitt wirft de la Courts Interest van Holland ein Licht auf die Geschichte der Provinz Holland und dem Versuch der Grafen im Mittelalter, die eigene Macht in der Provinz zu stärken, um die Überlegenheit der republikanischen Regierungsform zu unterstreichen. Im Gegensatz zu den Ansprüchen des Grafen von Holland, Krieg zu führen, waren die holländischen Städte darauf bedacht, in Frieden ihrem Handel nachzugehen. Dem Grafen gereichte es zum Nachteil, dass die Landwirtschaft in Holland bestimmend war. Keine Soldaten, Gelder oder Festungen waren vorhanden, über die der Graf verfügen konnte. Die Städte 4 5

Vgl. dazu: Court, Interest van Holland, Voor-reeden, S. 4v. Vgl. dazu: Ebda., S. 5v–6v.

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IX Der niederländische Staat in der Statthalterlosen Epoche

hingegen waren zu stark befestigt, als das sie von einem schwachen Grafen mit angeworbenen Söldnern hätten eingenommen werden können. De la Court zeichnet die Lage der Städte und der Union, des Statthalters, der auf den Grafen folgte und die Regierungsgeschäfte nach, die in Den Haag besprochen wurden. Der Darstellung folgt die Einschätzung, dass es nach kurzer Zeit ohne Statthalter, ohne ein Oberhaupt in der Provinz Holland, nicht entschieden ist, welchen Erfolg die neue Herrschaftsordnung haben wird. Das könnten erst folgende Generationen entscheiden.6 Das zweite Kapitel handelt von der Geographie Hollands, dem geringen Vorkommen an Bodenschätzen, der Größe der agrarisch nutzbaren Fläche, der Seelage und den schiffbaren Flüssen. In der Darstellung der Wirtschaftskraft Hollands zitiert de la Court Lieuwe van Aitzema, einen holländischen Historiker, der in den 50er Jahren ein Geschichtswerk mit dem Titel Saken van Staet en Oorlogh, In ende omtrent de Vereenigde Nederlanden veröffentlichte, in dem er anhand von Beschlüssen der Generalstände und Verträgen die Geschichte der Vereinigten Niederlanden seit den 1620er Jahren erzählte.7 Nachdem de la Court die landwirtschaftlichen Voraussetzungen Hollands beschrieben hat, stellt er fest, dass die in Holland produzierte Menge an Nahrung und Gebrauchsgütern für die Bevölkerung nicht ausreichend sei. Holland muss sein Heil im Außenhandel suchen, indem es die geographischen Voraussetzungen nutzt. Alle Vorteile der Holländer liegen in der Nutzung der Ressourcen des Meers und des Aufbaus von Seehandelsbeziehungen. Der Fischfang war der bedeutendste Zweig der Nutzung des Zugangs zur Nordsee. Zur Konservierung des Fisches war Salz notwendig. Die Folge war die Etablierung eines Markts für Salz in Holland. Holland ist beschenkt mit dem Zugang zum europäischen Hinterland über die schiffbaren Flüsse. Dass sich Holland zum Handelszentrum entwickelte, hatte den Aufbau des verarbeitenden Handwerks zur Folge. Die Vernetzung von Handelsrouten in Holland machte die Provinz zu einem Verteidiger des Friedens, da Krieg den für Holland so wichtigen Handel bedrohen würde. Dieser Handel hatte globale Ausmaße, da Asien als wichtiger Bestandteil des Handelsnetzwerkes galt. „Ten derden, is nu zeer considerabel, om de negotie aan Holland te koppelen, de Oostindische Compagnie, waar door alle speceryen en Indische waaren genoegzaam aan 8 Holland vast zijn.“

Als Grund, dass in Holland die besten Voraussetzungen für den Handel in ganz Europa herrschten, führt de la Court die Stabilität und weite Akzeptanz der niederländischen Münzen an. Die Fischereiindustrie Hollands wurde von einem Widerstreiter beständig herausgefordert. Mehrmals weist de la Court auf Englands Bestreben hin, die holländische Fischerei einzuschränken und erwähnt dabei Wal-

6 7 8

Siehe dazu: Court, Interest van Holland, Voor-reeden, S. 5v–6v. Siehe dazu: Aitzema, Lieuwe van: Saken van Staet en Oorlogh, In ende omtrent de Vereenigde Nederlanden, ’s Gravenhage: Veely, Tongerloo & Doll, 1669–1670, 5 Bände. Vgl. dazu: Court, Interest van Holland, Capitel VI, S. 12.

1. Pieter De la Courts Analyse des holländischen Seehandels-Staats

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ter Raleigh als Fürsprecher einer härteren Gangart gegen die Holländer zu Beginn des 17. Jahrhunderts.9 Grundsätzlich werden in de la Courts Schrift die Ereignisse sichtbar, die die Geschicke der Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert bestimmten. De la Courts Argumentation lässt den angeführten Charakter des niederländischen Verräumlichungsregiments, dass in der Statthalterlosen Epoche vor allem von Johan de Witt vertreten und umgesetzt wurde, deutlich erkennen. Im geschichtlichen Abriss, der den Ausführungen zur geographischen Beschaffenheit des niederländischen Territoriums folgt, bespricht de la Court im XXV. Kapitel Ludwigs XI. Bestreben, auch in Friedenszeiten ein stehendes Heer zu besitzen. Warum die Provinz Holland und die Union ein solches nicht besitzen würden, erklärt er durch die Schädlichkeit jeden Kriegs für den Handel. Der Krieg zur See und den Aufbau einer Marine erwähnt er dabei nicht. Die Grenzen der Provinz und der Union wären befestigt, die Städte nur mit großer Anstrengung einnehmbar und letztlich könne weder Frankreich oder Spanien, noch sonst ein kontinentaleuropäisches Land ein Interesse daran haben, Holland anzugreifen. Alle europäischen Territorien profitierten vom niederländisch beherrschten Handels- und Frachtverkehr. Würden sie gegen die niederländische Provinzen Krieg führen, könnten die eigenen Märkte nicht mehr beliefert werden. Nach den Eindrücken des Ersten Englisch-Niederländischen Kriegs war allerdings deutlich geworden, das England dieser Dominanz entgegenwirkte. De la Court sah in England demzufolge eine Gefahr, die allerdings dadurch gebändigt würde, dass der König ohne das Parlament keinen Krieg finanzieren konnte. Das Parlament war für die militärischen Pläne des Monarchen hinderlich. De la Court sah vor allem im Streben der Monarchen nach Bereicherung, die größte Gefahr für das Ausbrechen eines Kriegs. Schon aus Interesse an dem überlebenswichtigen Handel konnte keine der niederländischen Gemeinwesen, ob Stadt, Provinz oder Union daran interessiert sein, Krieg zu führen. Das politische Druckmittel des niederländischen Verräumlichungsregiments war nicht die unbedingte militärische Intervention, sondern die Möglichkeit, Warenlieferungen zu blockieren. Das niederländische Verräumlichungsregiment besaß die Mittel durch Wirtschaftssanktionen, Erhöhung von Abgaben und Zöllen, zahlreiche europäische Territorien und deren Kaufleute zu schädigen.10 Die Kontrolle der Vereinigten Niederlanden über wichtige Güter, wie gesalzenen Hering als bedeutende Fastenspeise oder die Möglichkeit die Auslieferung von Gebrauchsgütern und Nahrungsmitteln verhindern zu können, die zum großen Teil innerhalb Europas auf niederländischen Schiffen transportiert wurden, 9 Siehe dazu: Court, Interest van Holland, Capitel VIII, S. 16–23. 10 Zum Unterschied zwischen soft und hard power: Nye, Joseph: Soft power: the means to success world power, New York: Public Affairs, 2004. Auch während des Unabhängigkeitskriegs gegen Spanien konnte die spanische Krone nicht auf den Handel mit den Vereinigten Niederlanden verzichten, besonders nachdem 1580 Portugal in Personalunion von Philipp II. regiert wurde, da Lissabon einer der wichtigsten Handelsplätze auf der iberischen Halbinsel war, der immense Geschäftsbeziehung zu Amsterdam unterhielt. Siehe dazu: Antunes, Cátia: Globalisation in the Early modern Period, The economic relationship between Amsterdam and Lisbon, 1640–1705, Amsterdam: Aksant Academic Publishers, 2004.

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IX Der niederländische Staat in der Statthalterlosen Epoche

halte nach de la Courts Meinung die europäischen Territorien davon ab, einen Angriff auf Holland zu wagen, der von der Blockade des kompletten europäischen Seehandelsverkehrs bis zur Aussetzung der Versorgung des europäischen Hinterlands über den Rhein, Folgen für ganz Europa haben würde. Aus Interesse an der Versorgung der eigenen Territorien, würde es niemand wagen, die Vereinigten Niederlanden anzugreifen. Zum Verhängnis wurde dem System 1672 Englands Bestreben, die Dominanz Hollands im europäischen Handel beenden zu wollen und sich zu diesem Zweck mit Frankreich zu verbünden. Am Beginn der Entwicklung stand jedoch das Erstarken Hollands in den 1650er Jahren. De la Court verortete den Erfolg Hollands in der Toleranz gegenüber der Religion, der Öffnung von Handel und Handwerk für Einwanderer, sowie in der Begrenzung der Monopole durch Gilden und Bürgerschaft im Inland. Zölle würden erhoben, um den Handel auf See zu beschützen. Ohne ein großes Heer, das finanziert werden müsse, um dem Streben eines Monarchen zu dienen, blieben die Zölle in Holland für die niederländischen Kaufleute gering. Gekoppelt an den Zugang zur See und zu den schiffbaren Flüssen Europas waren das die Voraussetzungen für den Erfolg Hollands, deren Potential ohne ein Oberhaupt besser ausgeschöpft werden könne. Die Eliten entschieden zudem persönlich oder durch ihren Einfluss auf die politischen Netzwerke über die Verwendung der Steuer- und Zolleinnahmen, die durch ihre eigenen Handelsaktivitäten im Lauf des 17. Jahrhunderts zugenommen hatten. Das Wachstum der niederländischen Wirtschaft bedingte vor allem in den ersten beiden EnglischNiederländischen Kriegen den immensen finanziellen Vorteil der Union gegenüber England. Mit sinkendem Handelsvolumen standen auch der Union weniger Mittel zur Verfügung. Als der letzte Statthalter Wilhelm II. starb, war Holland hoch verschuldet, was nicht nur Wilhelm II. angelastet wurde, sondern auch der herrschaftlichen Haushaltsführung seines Vaters. Der Statthalter, den de la Court zum Ebenbild eines Monarchen stilisiert, schadete den Finanzen der Union infolge der eigenen Bereicherung, was ein weiteres Argument gegen die Herrschaft eines Monarchen war. Die Darstellungen de la Courts waren keineswegs verblendete Darstellungen der Überlegenheit Hollands. De la Court argumentierte in allen Kapiteln für die Wehrhaftigkeit, Stärke und Überlegenheit der holländischen Herrschaftsordnung. Die Provinz müsse sich nicht in eine Allianz fügen, die auf den Krieg gegen einen Dritten ausgerichtet war. Erstens könnte dieser Krieg von den Holländern nur zur See geführt werden. Zweitens wären damit Kosten verbunden, die durch eine Beeinträchtigung des Handels zudem noch schwerer zu bewältigen wären. De la Court legt sich in Kapitel XXXIX. fest, dass Holland weder einen Statthalter noch einen Generalkapitän benötige.11 Die Kriegsflotte war eine, wenn nicht die stärkste Europas, die die Holländer jedoch nicht zur aktiven Kriegsführung nutzen wollten. Einzig im Frieden sah de la Court das Aufblühen der holländischen Existenz als wirtschaftliche und politische Macht in Europa als gesichert an. Aus diesem 11 Der Statthalter der Provinz Holland und Seeland wurde gleichzeitig Generalkapitän, Befehlshaber der Marine und Oberbefehlshaber des Unionsheeres.

1. Pieter De la Courts Analyse des holländischen Seehandels-Staats

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Grund hatte die Beherrschung der See, die Kontrolle des Handels für die Holländer und die gesamte Union eine wichtige politische Funktion. Verlören sie die Kontrolle über den Handel, gäbe es ernstzunehmende Konkurrenten, müsste sich auch die Politik in den Vereinigten Niederlanden ändern, um über die Nutzung anderer Ressourcen ihre Existenz zu sichern. Aus de la Courts Schrift sprach einerseits der Separatismus, der den Fokus auf die Provinz Holland legte, andererseits das niederländische Selbstverständnis, als wichtigster Distributor Europas unangreifbar zu sein. De la Courts wiederkehrende Betonung der Bedeutung des Handels verdeutlicht auf der Ebene der politischen Philosophie die Verinnerlichung der Maxime, dass die Beherrschung der Schifffahrtsrouten zum Wohlstand der Vereinigten Niederlanden beitrugen und elementares Ziel des niederländischen Verräumlichungsregiments waren. Mit Bezug auf die Thesen zum Eigentum als Grundlage der niederländischen Staats-Formierung in Anlehnung an Grotius’ bekräftigt de la Courts Schrift die Klassifizierung des im Handel erworbenen Reichtums als Basis der politischen Macht der Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert. Grotius’ Texte bildeten sowohl die theoretische Grundlage der ständisch-korporativen Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden, deren Axiome mittelalterlichen Traditionen entwuchsen, als auch des Eigentumsverständnisses in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts, das letztlich Antrieb für die Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien der Niederländer wurde, die de la Court beschreibt. Die wirtschaftliche Prosperität war die Voraussetzung für Besitz, der wiederum politisches Mitspracherecht in den ständischen Gremien versprach. De la Courts Nähe zu den Regenten, vor allem zu Johan de Witt, verbietet nicht die Einschätzung, dass sich dessen Ausführungen zum politischen Selbstverständnis der Niederländer in weiten Kreisen des Gemeinwesens durchgesetzt hatte. Nicht nur auf der Ebene der Regenten, sondern nach allgemeinem, zeitgenössischem Verständnis beruhte der Erfolg der niederländischen Herrschaftsordnung im 17. Jahrhundert nicht auf der Zentralisierung der Macht in den Händen eines Monarchen, sondern in der zentral gesteuerten Beherrschung des Seehandels, der in den Händen der Regenten lag und deren daraus entstehender Reichtum es ihnen ermöglichte, in politische Ämter aufzusteigen. Aus diesem Verständnis heraus ergeben sich die charakteristischen Züge der niederländischen Staats-Form: in familiären Netzwerken verbundene, oligarchische Herrschaftselite; maritim orientierte Ökonomie; ökonomisch auf die Distribution und auf Amsterdam als Haupthandelsplatz ausgerichtet; politisch dezentral von Korporationen organisiertes Gemeinwesen; militärisch auf die Beherrschung der See fixiert; auf Vertrauen basierende Netzwerkfunktionen, sowohl im politischen als auch ökonomischen Bereich. Gerade weil, in Relation zu monarchischen Herrschaftsordnungen, eine größere Gruppe von Personen an politischen Entscheidungen beteiligt war, gab es eine größere Anzahl von Interessen bezüglich des jeweils eigenen Eigentums, die politisch Gehör finden wollten und dadurch die Entscheidungsfindung zwischen den verschiedenen politischen Korporationen komplexer werden ließ, was indes nicht als Nachteil einer politischen Ordnung ausgelegt werden kann.

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IX Der niederländische Staat in der Statthalterlosen Epoche

2. VERGLEICH DER NIEDERLÄNDISCHEN VERRÄUMLICHUNGSREGIMENTE IN ASIEN UND EUROPA In den 1660er Jahren gründete fast jedes europäische Territorium eine eigene Ostindien-Kompanie.12 Mit der Möglichkeit den Handel mit Asien selbst zu führen, waren die Vereinigten Niederlanden für Frankreich, das Heilige Römische Reich und andere territoriale Flächenreiche als Lieferant asiatischer Waren nicht mehr zwingend notwendig. Folge war somit, entgegen der holländischen Prämisse, Frieden zum Zweck des Handels zu bewahren, der verstärkte Kampf unter den europäischen Konkurrenten, die den Vorteil des niederländischen Verräumlichungsregiments erkannt hatten und sich dessen Vorteile nutzbar zu machen versuchten. Einerseits durch Schwächung der Vereinigten Niederlanden oder gar deren Vernichtung die Konkurrenz auszuschalten, andererseits durch die Adaption der Elemente des niederländischen Verräumlichungsregiments sollte das eigene Regiment für die Beherrschung der globalen Warenströme gestärkt werden. Insbesondere England adaptierte zahlreiche Elemente.13 Geleitet durch die wirtschaftlichen Interessen der Kaufleute, gepaart mit dem politischen Kalkül der politische Eliten, die spanische Krone durch den Kampf in Südostasien zu schwächen, konstruierten und formten die Aktivitäten der VOC neue Handels- und Wirtschaftsräume, die aus dem Kontext des dialektischen Prozesses der De- und Reterritorialisierung heraus erklärt werden können. Konzeptionell an Charles S. Maier und Matthias Middell als auch an den spatial turn angelehnt, bedeutete die Konstruktion des südostasiatischen Raums mit dem Einbrechen der Niederländer eine Neuordnung der politischen und territorialen Gefüge, vor allem im Malaiischen Archipel, auf den Inseln Java und Ceylon und den Hafenstädten Batavia, Makassar und Malakka, die im europäischen Verständnis zur Formung der Vorstellung des Raums und der Bezeichnung Südostasien beitrugen. Zudem veränderten sich die räumlichen Bezüge zwischen Ceylon, sowie den Küstenregionen Indiens im Westen und Japan im Osten durch das Eingreifen der Niederländer, indem ein Stützpunktnetzwerk errichtet wurde. Die VOC stand sinnbildlich für die Entwicklung politischer Kompetenzen aus dem ökonomischen Kontext heraus, die zur Festigung ihrer Macht Institutionen schuf, die sowohl Verordnungen und Gesetze erließen als auch Recht sprachen. Durch die enge Verknüpfung zwischen der VOC und den politischen Interessen der Generalstände ergab sich eine Abhängigkeit zwischen der Existenz der VOC und den Vereinigten Niederlanden. Ohne die Vereinigten Niederlanden konnte die VOC nicht überleben. Diesen Umstand nahmen die Generalstände zum Anlass, das bevorzugte Unternehmen zum eigenen Nutzen im Kriegsfall einzusetzen. Der Schutz der Distributionswege im Kriegsfall war wiederum im Interesse beider Akteure. Die Ausgangspositionen der Herrschaft sind indes für beide Akteure im jeweiligen Raum komplett gegensätzlich. Der grundsätzliche Unterschied der nie-

12 Siehe dazu: Nagel, Abenteuer Fernhandel. 13 Siehe dazu: Brewer, The Sinews of power.

2. Vergleich der niederländischen Verräumlichungsregimente in Asien und Europa

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derländischen Herrschaft in Asien und Europa, war der Weg zur Dominanz im jeweiligen Markt. In Europa waren die niederländischen Seeprovinzen schon seit dem Untergang der Hanse im Spätmittelalter zur wichtigsten Seemacht im nördlichen Europa aufgestiegen, auch weil die Niederländer die Hansestädte militärisch bezwungen hatten. Schon seit mehreren Jahrhunderten Inhaber von Marktanteilen gewesen zu sein, machte die Ausschaltung von Konkurrenten nicht nur durch deren militärische Unterwerfung, sondern durch den Vorsprung infolge innovativer Entwicklungen und auf Basis des großen Marktanteils möglich. Den Fisch sofort an Bord der Schiffe verarbeiten zu können, die Fässer in kleinen Booten an Land bringen zu lassen, um die Fischfangflotte länger auf hoher See halten zu können, erhöhte die Effizienz der niederländischen Flotte schon im 16. Jahrhundert.14 Offener Krieg zur See, brachte in Kombination mit dem technischen Fortschritt die Vorherrschaft der Niederländer in der europäischen Handelsschifffahrt, die vorbildhaft für die Strategien zur Beherrschung des asiatischen Warenverkehrs wurden. In Europa wurde auf der Basis des wirtschaftlichen Potentials im Frachtschiffverkehr und Seehandel der Krieg gegen die spanische Krone geführt, wodurch sich innerhalb von 80 Jahren ein andauernder Prozess der De- und Reterritorialisierung der Festlandbesitzungen der Union ergab. Im Unabhängigkeitskrieg war das Territorium als Raum für die Niederländer die Voraussetzung, um eine außenpolitisch souveräne Einheit etablieren zu können. Für die Überlebensfähigkeit der Unionswirtschaft war hingegen ebenso die Sicherheit der Küsten zum Schutz der Schifffahrt notwendig. Verloren die Vereinigten Niederlanden Städte oder Regionen an die spanischen Truppen, hätte sich auch das spanische Regiment durchgesetzt und die Existenz der Union gefährdet. Da der Streit territorial und ideologisch aufgeladen war, wäre jede eigenständige Regierung der Union aufgelöst wurden. Mit dem Ende des Kriegs verlor die Verteidigung des territorialen Besitzes für die Union ihre paradigmatische Kraft als Richtlinie der Innen- und Außenpolitik, wodurch sich auch der Souveränitätsbegriff auf die Beherrschung von Distributionsräumen auf See erweiterte. In Asien brachen die Niederländer indes in einen funktionierenden Markt ein. Sie waren daran interessiert, Luxuswaren aus dem Markt abzuziehen, weil der erwartete Profit in Europa die Unternehmung wirtschaftlich lukrativ machte. Die Problematik hing mit der gleichzeitigen Verdrängung bereits aktiver europäischer Akteure im asiatischen Binnenmarkt zusammen. Der in Europa im 17. Jahrhundert verteufelte Krieg, der nur in bedrohlichen Situation letztes Instrument blieb, war in Asien für die Niederländer probates Mittel, um europäische Konkurrenten zu verdrängen und asiatischen Handelspartnern für die militärische Unterstützung der jeweiligen Interessen vorteilhafte Handelskonditionen abzuringen.15 In Abhängigkeit von der Versorgung mit asiatischen Waren konnte die VOC Europa jedoch nicht bringen. Für eine Exklusivität der Belieferung war die Kontrolle des 14 Siehe dazu: Vries/Woude, The first modern economy. 15 Siehe dazu: Gaastra, De geschiedenis van de VOC.

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IX Der niederländische Staat in der Statthalterlosen Epoche

Raums, der sich von der Westküste Indiens bis nach Japan im Osten, von Korea im Norden bis nach Australien im Süden erstreckte, zu kostspielig und auch in dem Maße von den VOC-Direktoren in Europa nicht gewollt. Territorialer Besitz in Ostindien war nur in dem Maße notwendig, wie es wichtig war, die Kontrolle über den Gewürzhandel zu erhalten. Daraus ergab sich für die Niederländer ein alternatives Konzept der Verräumlichung sozialen Handelns, dass als Grundfeste nicht der absoluten Kontrolle über Festland bedurfte. Die Suzeränität über die Lieferwege und Kontrolle des Anbaus durch Verträge war ausreichend. Landbesitz, dessen Sinn in der Produktion von Waren gelegen hätte, diente der VOC in Asien nur im indirekten Sinn zur Erhaltung ihrer Macht, da die Forts Angehörige der Verwaltung und des Militärs beherbergten. Auf den kleinen Inseln der Molukken, wo große Mengen an Gewürzen gewonnen wurden, zahlte sich die Präsenz vor Ort allerdings ebenso aus, wie auf Sumatra der Besitz von Gold- und Diamantenminen. Die beiden mächtigsten, eben weil sie größere Territorien beherrschten, politischen Akteure China und Japan, deren Ressourcen nutzbar gewesen wären, um eine Vormachtstellung im innerasiatischen Handel zu übernehmen, überließen die Kontrolle der Meere Südostasiens weitestgehend den europäischen Mächten, auch weil es innenpolitische Zerwürfnisse und Konflikte gab, die der vollen Aufmerksamkeit der politischen Akteure in den jeweiligen Territorien bedurfte. In beiden Territorien herrschte ein monarchisch-territoriales Verräumlichungsregiment, das die Kontrolle des territorialen Besitzes in den Vordergrund stellte und aus Gründen der reichen Rohstoffvorkommen gar nicht darauf angewiesen war, Reichtum und Wohlstand durch den innerasiatischen Handel zu generieren, sondern genügend Fertigprodukte von hoher Qualität herstellte, um allein durch deren Verkauf genügend Profit zu erwirtschaften. Die Abhängigkeit der VOC war indes zu gravierend, um ein stabiles Machtgefüge anzunehmen, in dem die VOC unangefochten dominiert hätte. Die Macht der VOC in Asien zeigte sich als gebrechlich. Nach dem Verbot der Ausfuhr von japanischem Silber verschlechterten sich die Bilanzen der VOC.16 In Europa bedurfte es dreier englischer Angriffe, um die Dominanz der Vereinigten Niederlanden auf lange Sicht gesehen zu mindern. Gegen die Dominanz der VOC in Asien genügten wirtschaftliche Regulierungen eines asiatischen Territoriums. In Asien litt die VOC unter den Instrumenten, die de la Court in Europa als Werkzeuge der Niederländer ansah, um Kriege gegen Holland vermeiden zu können. Auf wirtschaftliche Regulierung zuungunsten der VOC konnte nicht adäquat geantwortet werden, weil die VOC ohne maßgeblichen territorialen Besitz und angemessene Truppenstärken, keine entscheidende politische Funktion innehatte, auf deren Basis missliebige Entscheidung angefochten werden konnte. Die Stärke des niederländischen korporativ-maritimen Distributions-Staats in Asien war auf das Wohlwollen der asiatischen Handelspartner zu einem gewissen Grad angewiesen, um rentabel funktionieren zu können. Sowohl in Europa als auch in Asien war das stützpunktorientierte Verräumlichungsregiment der Niederländer anfällig für wirt16 Siehe dazu: Gaastra, De geschiedenis van de VOC, S. 127; Goodman, Grant K.: Japan and the Dutch, 1600–1853, Richmond: Curzon, 2000.

2. Vergleich der niederländischen Verräumlichungsregimente in Asien und Europa

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schaftliche Restriktionen und territoriale Kriegsführung. Die Souveränität der VOC definierte sich noch entscheidender als die der Vereinigten Niederlanden über die Beherrschung des Meeres und der Zufahrtsstraßen. Obwohl das Verräumlichungsregiment der Niederländer in Asien dem in Europa von den Generalständen praktizierten glich, ging es mit anderen Mitteln zu Werke, um die Oberhoheit zu gewinnen. Der Unterschied lag einerseits in den Mitteln, andererseits im Grad der Durchsetzung der Oberhoheit des niederländischen Distributions-Staats. In Europa basierte die Bedeutung der Vereinigten Niederlanden vielmehr auf der Rolle Amsterdams als Portal der archaischen Globalisierung als es für Batavia auf der Insel Java, Malakka oder Makassar im Handelssystem der VOC galt, die auf politischer, militärischer, wirtschaftlicher und juristischer Ebene als regionale und interkontinentale Portale fungierten.17 Schon die Gründung der Voorcompagniën ging auf die Rolle Amsterdams als globalem Portal für die Verbreitung von Wissen über Seewege nach Asien und kulturelle Eigenarten der verschiedenen Regionen und Territorien Asiens zurück. Amsterdam als Ort zahlreicher Druckereien ermöglichte die Verbreitung des Wissens aus Jan Huygen van Linschotens Reiseberichten.18 Im gleichen Maß waren Amsterdam und die nahe gelegene Zaanstreek als Innovationszentrum für die Weiterentwicklung von Schiffstypen bedeutend.19 Auf Amsterdams Qualität als Ort der Institutionalisierung von Mitteln zur Vereinfachung des Zahlungsverkehrs zwischen den Kontinenten basiert die Charakterisierung der Stadt als Portal der archaischen Globalisierung und Motor der spezifisch ökonomisch geprägten Staats-Formierung der Vereinigten Niederlanden. In der Mobilisierung und optimalen Ausschöpfung, der zur Verfügung stehenden Ressourcen, kann die Grundlage für die Innovationskraft Amsterdams gesehen werden, der durch den immensen Zustrom von hoch gebildeten Immigranten beschleunigt wurde.20 Die politische Ordnung der Vereinigten Niederlanden war dezentral organisiert. Körperschaften auf Stadt-, Provinz- und Unionsebene handelten beständig einen politischen Kompromiss aus, der in der Statthalterlosen Epoche eindeutig zugunsten der Städte und der Provinz Holland ausfiel, was durch die Zentralisierung des Handels in Amsterdam bedingt war. Der politischen Dezentralisierung stand die wirtschaftliche Zentralisierung gegenüber, die für die politische Macht

17 Christopher Bayly präzisiert den Begriff der „archaischen Globalisierung“. Siehe dazu: Bayly, Christopher A.: Die Geburt der modernen Welt, Eine Globalgeschichte 1780–1914, Frankfurt a. M./New York: Campus, 2008, S. 59–66; Zu den beiden Städten siehe u. a.: Raben, R.: Batavia and Colombo, The ethnic and spatial order of two colonial cities 1600–1800, Diss. Leiden: University Press, 1996; Ross, R.; Telkamp, G. J. (Hg.): Colonial cities, Essays on urbanism in a colonial context, Dordrecht: M. Nijhoff, 1985. 18 Siehe dazu: Linschoten, Itinerario; ders.: Reys-geschrift van de Navigation der Portugaloysers in Orienten, Amsterdam: Cornelius Claesz., 1595, zu Amsterdam als Druckort siehe: Dubiez, F.J.: Int Schrijfboeck: De Amsterdamse boekdrukker en boekverkoper Cornelis Cleasz, Ons Amsterdam, 12, (1960), S. 206–13, 240–48. 19 Siehe dazu: Bruijn/Gaastra/Schöffer/Vermeulen, Dutch Asiatic Shipping, Volume I, S. 37–55. 20 Siehe dazu: ’t Hart, Marjolein: Cities and Statemaking in the Dutch Republic 1580–1680, in: Theory and Society 18, 1989, S. 663–687; dies.: Money and trust.

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IX Der niederländische Staat in der Statthalterlosen Epoche

der Vereinigten Niederlanden im 17. Jahrhundert ausschlaggebend war. Der Aushandlungsprozess zwischen den drei politischen Ebenen funktionierte durch die persönlichen Netzwerke der politischen Eliten der Städte und Provinzen. Aufbauend auf Grotius’ Vorstellung des Eigentumsrechts als Voraussetzung für die Herrschaft in einem Gemeinwesen, muss die niederländische StaatsFormierung im 17. Jahrhundert aus den ökonomischen Motivation der Machteliten heraus erklärt werden, der sich die Anwendung militärischer Mittel unterordnete. Wirtschaftliche Macht war für die niederländischen Regenten politische Macht, sowohl innen- als auch außenpolitisch. Mit dem Niedergang der Ökonomie nach 1672 schwanden die politische Macht der Regenten und die Bedeutung des Aushandelns von politischen Entscheidungen zugunsten einer wiederkehrenden Stärkung der politischen Machtstellung der Statthalter. Gleichzeitig verloren die Vereinigten Niederlanden ihre politische Vormachtstellung in Europa und in Südostasien, die sie im Laufe des 17. Jahrhundert innegehabt hatten.

3. DAS INSTRUMENTARIUM DES NIEDERLÄNDISCHEN STAATS Die Instrumente zur Etablierung des korporativ-maritimen Distributions-Staats waren sowohl die Handelsschiffe mit ihren Besatzungen, die zum Transport der jeweiligen Ware notwendig waren, als auch die bewaffneten Kriegsschiffe.21 Das Wissen über Seewege, Fahrtrouten, kulturelle Besonderheiten asiatischer Völker, sowie Rohstoff- und Gewürzvorkommen war die Grundlage für das lukrative Geschäft der Niederländer mit Südostasien. Die Innovationskraft, Finanzinstrumente zu entwickeln, mit denen sich Handelsunternehmungen für Investoren relativ sicher finanzieren und im Allgemeinen die Finanzierungen eines interkontinental agierenden Unternehmens bewerkstelligen ließ, gilt als eine der wichtigsten Strategien der Niederländer, um einen global agierenden korporativ-maritimen Distributions-Staat aufzubauen. Zur Absicherung des Warentransfers zwischen den Kontinenten, mussten Seekarten und nautische Instrumente beständig weiter entwickelt werden.

21 Von der VOC wurden Schiffstypen genutzt, die von den Niederländern im 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts entwickelt wurden waren. Für den Verkehr zwischen den Kontinenten ist besonders auf das Spiegelretourschip und die Fluit hinzuweisen. Das Spiegelretourschip entsprach den Kriegsschiffen, die die Niederländer in Europa nutzten, was dazu führte, dass genau diese Schiffstypen von den Generalständen und den Admiralitäten während der Englisch-Niederländischen Kriege requiriert wurden. Die Fluit war ein Schiffstyp, der Ende des 16. Jahrhunderts für den Handel mit dem Baltikum entwickelt wurde. Die Schiffstypen wurden auch während des 17. Jahrhunderts weiter für die Bedürfnisse des niederländischen Distributions-Staats optimiert. Siehe dazu: Daalder, Remmelt; Spits, Elisabeth: Schepen van de Gouden Eeuw, Zutphen: Walburg Pers, 2005; Haalmeijer, H., Vuik, D.: Fluiten, katten en fregatten: de schepen van de Verenigde Oost-Indische Compagnie, 1602–1798, Bloemendaal: Uitgeverij Hollandia BV, 2002; Parthesius, Robert: Dutch Ships in Tropical Waters: The development of the Dutch East India Company (VOC) shipping network in Asia 1595–1660, Amsterdam: Amsterdam University Press, 2010.

3. Das Instrumentarium des niederländischen Staats

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Die Mittel zur Kontrolle Staats waren Netzwerke von Handelsstützpunkten, die mit vertrauenswürdigen Personen besetzt wurden, um die Beherrschung der Distributionswege zu garantieren. Die städtischen Eliten übten durch verwandtschaftliche Beziehungen auf allen Ebenen Einfluss aus. Trotz einer fehlenden Hierarchie bildete sich durch das Aushandeln von Kompromissen ein stabiles politisches System heraus, das indes zwangsläufig von den Interessen der Eliten bestimmt war. Die Notwendigkeit, Kompromisse zu finden, die vor allem von den wichtigen Körperschaften, wie der Stadt Amsterdam mitgetragen wurden, führten teilweise zur Trägheit des politischen Systems, die sich beispielhaft in der fehlgeschlagenen Einigung über die Verteidigung der Landesgrenzen zu Beginn der 1670er als verheerend zeigte. Zügig notwendige Entscheidungen wurden durch den Prozess des Aushandelns verhindert. Genau dieser Prozess ist zugleich Potential und Schwäche des politischen Systems der Vereinigten Niederlanden. Der Erfolge des Verräumlichungsregiments in den Vereinigten Niederlanden beruhte zudem auf der Herstellung von Fertigprodukten und der Verfeinerung von Rohstoffen, deren Export einen Großteil der Wirtschaftskraft ausmachte.22 Im Gegensatz zum binnenmarktorientierten territorialen Flächenreich stand jedoch nicht die Abschließung des heimischen Markts vor ausländischen Fertigprodukten im Vordergrund, sondern der Profit, der durch den Handel im Allgemeinen und die Veredelung von Rohstoffen erwirtschaftet werden konnte. In der Eingebundenheit in ein Handelsnetzwerk lag der potentielle Reichtum der Vereinigten Niederlanden. Frankreich versuchte seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die niederländische Dominanz durch die Forcierung des Baus einer eigenen Handelsflotte zu durchbrechen, indem es die Abschließung des heimischen Markts vorantrieb und begann, in Koalitionen gegen die Vereinigten Niederlanden zu agieren. Mit dem Dritten Englisch-Niederländischen Krieg trat für die Vereinigten Niederlanden eine neue Situation ein, die den bis dahin funktionierenden DistributionsStaat durch die Gefährdung der Kontrolle über die Umschlagplätze zu Land lähmte.23 Der Vervielfachung der Teilnehmer am europäischen und interkontinentalen Handel folgten zwei einander bedingende Einsichten. Einerseits kam es zu einer Aufspaltung der Marktanteile. Amsterdam bekam in London einen immer ernst zu nehmenderen Konkurrenten. Zweitens folgte der Zentralisierung des europäischen Handels in den Seeprovinzen der Vereinigten Niederlanden zwischen dem Beginn des niederländischen Unabhängigkeitskriegs und dem Dritten EnglischNiederländischen Krieg die Dezentralisierung des europäischen Handels, was den Niedergang des niederländischen Distributions-Staats einläutete, dessen Macht auf der Monopolisierung des Handels beruhte. Bis zum Beginn des Kriegs 1672 waren die Vereinigten Niederlanden das Zentrum des europäischen Handels. Seit der Mitte des Jahrhunderts rang jedes europäische Territorium um Anteile am 22 Besonders die Herstellung von Textilen blühte im 17. Jahrhundert in Leiden. Exportiert wurden die Stoffe meist ins Baltikum, wo sie mit den englischen Tuchen in Konkurrenz standen. Siehe dazu: Vries/Woude, The first modern economy; Israel, Dutch Primacy, S. 260–262. 23 Siehe dazu: Israel, The Dutch Republic.

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IX Der niederländische Staat in der Statthalterlosen Epoche

lukrativen Seehandel. Die territorialen Flächenreiche integrierten Elemente des Seehandels-Staats in die Gestalt des eigenen Verräumlichungsregiments. Dabei handelte es sich um den Aufbau eigener Handelskompanien, eigener Flotten, die Gründung von Handelsstützpunkten in Asien und der Ausbau von neuralgischen Handelsplätzen im eigenen Territorium, gepaart mit der Steigerung der heimischen Produktivität.24 Die ständisch-korporative Form der Herrschaftsordnung wurde jedoch nicht übernommen. Für die theoretische Verallgemeinerung liegt der Fokus auf der Gemeinsamkeit, dass Strategien zur Beherrschung des kontinentalen und interkontinentalen Seehandels den territorial orientierten Strategien in der Mitte des 17. Jahrhunderts gleichwertig gegenüberstanden. Die Integration von Elementen des korporativmaritimen Distributions-Staats in das territoriale Regiment Frankreichs verwischte die Grenzen zwischen den Grundformen der Verräumlichungsregimente. Auf der anderen Seite stand das englische Verräumlichungsregiment, dass durch die Forcierung der Kontrolle über Territorium vor allem auf dem indischen Subkontinent am Ende des 17. Jahrhunderts wiederum Elemente des territorialen Flächenstaats übernahm, was zur Stärkung der wirtschaftlichen Position in Indien führte, die im Siebenjährigen Krieg gegen die Franzosen verteidigt und ausgebaut wurde.25 Durch die Kontrolle über die Produktionsstätten der Textilien, die für die Einkleidung der wachsenden europäischen Bevölkerung von Asien nach Europa verschifft wurden, wandelte sich der interkontinentale Handel vom Import von Luxuswaren zur Einfuhr von Massenwaren, die durch die günstigere Herstellung in Indien zur Prosperität des britischen Empires im 18. Jahrhundert beitrug.26 Die Kontrolle des indischen Hinterlands war der Schlüssel zum Erfolg der englischen Handelsunternehmungen im globalen Wettstreit. Ein Verräumlichungsregiment, das nicht auf die expansive Ausweitung territorialer Macht ausgelegt war, unterlag auf lange Sicht gesehen den Regimenten, die gerade das in Europa, Nordamerika, Afrika und Asien taten. Landbesitz ermöglichte die Besteuerung der regionalen Bevölkerung. Allerdings waren zum Zeitpunkt des Aufstiegs der Engländer die Vereinigten Niederlanden bereits hinter die europäischen Konkurrenten zurückgefallen. Ausgelöst wurde der Niedergang der Vereinigten Niederlanden durch die fehlende Innovationsfähigkeit, den Vorteil des territorialen Besitzes der EIC in Asien und der in Europa geschaffene Absatzmarkt für Massenprodukte, den die Niederländer nicht beliefern konnten. Diese Elemente machten Frankreich und England zur Basis ihres Aufstiegs zu Kolonialmächten. Mit dem Eindringen Frankreichs in den Seehandel ging die Nische für den niederländischen Distributions-Staat verlo24 Siehe dazu: Nagel, Abenteuer Fernhandel, S. 127–140. 25 Im Gegensatz zum niederländischen Seehandels-Staat ist das englische Commonwealth als Seehandelsimperium zu bezeichnen, da es bei dem Ausgreifen der Engländer auch immer um die Beherrschung von Territorium im Namen des Königs, später der englischen Republik unter Cromwell ging. Die eingenommen Gebiete wurden als Territorien gesehen, die ihren Tribut an die englische Krone zu liefern hatten. 26 Siehe dazu: Kennedy, Paul M.: Aufstieg und Verfall der britischen Seemacht, Herford, Bonn: Mittler, 1978.

3. Das Instrumentarium des niederländischen Staats

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ren, der seine führende Rolle als wirtschaftliche, aber auch politische Macht in Europa begründet hatte. Die Eliten in den Vereinigten Niederlanden verpassten während der Statthalterlosen Epoche die langfristige Absicherung der Vorherrschaft der Union, indem sie die Prosperität des eigenen Handels als ewig währendes Paradigma betrachteten, ohne die Bedrohung zu Land durch andere Territorien als Gefahr zu erkennen. Die anderen Territorien scheuten indes keine Kosten und Mühen, militärisch gegen die Vorherrschaft der Vereinigten Niederlanden vorzugehen und den erworbenen Besitz in Asien in den Dienst der Kronen zu stellen, denen durch die Gewinne kurzfristig Mittel zur Verfügung standen, um die Vereinigten Niederlanden niederzuringen und die politischen und ökonomischen Machtverhältnisse in Europa durch den globalen Angriff auf den niederländischen korporativmaritimen Distributions-Staat im Verlauf des 18. Jahrhunderts zum Nachteil der Vereinigten Niederlanden umzukehren. Die Vormachtstellung des Verräumlichungsregiment ist zwangsläufig nicht nur mit der Form der politischen Herrschaft verbunden, sondern mit den Herrschaftsstrategien in Bezug zu setzen, die über die Stabilität der etablierten Herrschaft entschieden. Nicht nur in der Zentralisierung und Rationalisierung der Administration kann der Grund für die Konsolidierung einer Herrschaft liegen, sondern auch in der Kontrolle und Kanalisierung von Waren- und Wissensströme. Zentralisierung des Handels in Knotenpunkten war für das Überleben des niederländischen Distributions-Staats notwendig. Über die Beherrschung dieser Ströme konnte sich in der Frühen Neuzeit die Herrschaft der niederländischen Regenten und Oligarchen legitimieren und sich erfolgreich als Alternative zur Monarchie etablieren. Die stabile politische Ordnung schuf die eine Grundlage für Wohlstand, die weitere Innovationskraft der Ökonomie und die Sicherheit der Einwohner der Vereinigten Niederlanden. Solange die Innovationskraft den Vorsprung gegenüber den Konkurrenten vor allem auf dem Gebiet der militärischen Schlagkraft zur See immer wieder neu herstellte, konnte die Union auf der Prosperität der Handels- und Frachtschifffahrt politische Stabilität und die Regentenfamilien ihre Herrschaft gründen. Die Vereinigten Niederlanden waren im 17. Jahrhundert am erfolgreichsten, den Seehandel über den eigenen Bedarf an Versorgung hinaus, zu einem sehr lukrativen Geschäftszweig zu machen. Die Beherrschung der Seewege löste das Verständnis über die rein territorial gebundene Herrschaft als Folge der Erweiterung des Erfahrungsraums auf.27 Die Expansion der Niederländer in die asiatischen Wirtschaftsräume führte demzufolge zu einem abstrakteren Verständnis der Herrschaftsausübung, das sich auch semantisch im niederländischen Staats-Begriff niederschlug, der jedoch durch spezifisch ökonomisch motivierte Herrschaftsstrategien charakterisiert war, die vom Begriff ausgehend, auf eine Staats-Formierung in den Vereinigten Niederlanden 27 Siehe zum Erfahrungsraum: Koselleck, Reinhart: ,Erfahrungsraum‘ und ,Erwartungshorizont‘ – zwei historische Kategorien, in: Ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1989, S. 349–375; Münch, Paul (Hg.): Erfahrung als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte, HZ Bd. 31, München: Oldenburg, 2001.

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IX Der niederländische Staat in der Statthalterlosen Epoche

deutet, die von Institutionalisierungsprozessen in der Wirtschaft ausgelöst und geformt wurde. Gerade die Variabilität der Herrschaft in der Frühen Neuzeit führte zur Durchsetzung des Begriffs Staat als Bezeichnung für politische Entitäten.28 Staat war in den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts ein Begriff, der die Neuartigkeit der Verräumlichung von Herrschaft betonte. In der Geschichtswissenschaft setzte sich der Begriff Staat hingegen als Bezeichnung bestimmter politischer Entitäten durch. Mit dem Niedergang des spezifisch niederländischen Verräumlichungsregiments schwand auch die Wahrnehmung der Vereinigten Niederlanden als Staat, da die Wirkmacht des korporativ-maritimen DistributionsStaats als spezifische Ausformung niederländischer Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien im europäischen Kontext mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts verloren gegangen war. Charles Tillys Interpretation als kapitalintensive Variante des Staats kommt der hier dargestellten Interpretation der Herrschaftsordnung in den Vereinigten Niederlanden sehr nahe, vergisst aber die Prozesse der Verräumlichung von Herrschaft, die sich in der Bezeichnung der Vereinigten Niederlanden als maritimem Distributions-Staat niederschlagen. Zudem gab es unterschiedliche Entwicklungsstufen des niederländischen Staats in den verschiedenen Weltregionen. Wenn die Staats-Formierung als Zusammensetzen von Körperschaften zu einer funktionierenden politischen Entität begriffen und die Begriffsgeschichte der Kategorie Staat einbezogen wird, können die Vereinigten Niederlanden zudem als eine Form des mixted state bezeichnet werden, die allerdings in der Statthalterlosen Epoche ausschließlich auf ständischen Körperschaften fußte. Bis zum Ende der Statthalterlosen Epoche kann nach der Analyse der Verräumlichungsregimente im interkontinentalen Kontext für das 17. Jahrhundert von einer Vorherrschaft des niederländischen Staats gegenüber seinen europäischen Konkurrenten gesprochen werden. Auf den europäischen Kontext bezogen, blieben die territorialen Flächenreiche wie Frankreich bestimmend, da Frankreich ob der Größe und Einwohnerzahl dem Nachbarn überlegen war, der sich beständig der Partnerschaft Frankreichs versichern musste. Nachdem die Engländer und Franzosen als Bündnispartner verloren gegangen waren, funktionierte das von de la Court beschworene System zur Erhaltung der Vereinigten Niederlanden nicht mehr. Die Niederländer verwehrten sich dem Eingeständnis, ihrer Dominanz in der Handels- und Frachtschifffahrt zugunsten der aufstrebenden Mächte England, Schweden und Frankreich Einhalt gebieten zu müssen, wenn es unter ihrer Vorherrschaft im Handel, nicht gelang, Bündnisse zu schließen. 28 Als Staat wurde die Gesamtheit der niederländischen Föderation bezeichnet. Akteure, wie die VOC, traten rechtlich betrachtet nur als Vertreter des niederländischen Staats auf. Den Begriff Staat als politische Kategorie nutzten die VOC-Vertreter nicht, um das Unternehmen selbst zu kategorisieren. Vgl. dazu zahlreiche Quellen, unter anderen: Coolhaas, Willem P.: Verenigde Oostindische Compagnie: Generale missiven van governeurs-general en radem aan heren XVII der Verenigde Oostindischen Compagnie. 1655–1674, ´s Gravenhage: Bureau der Rijkscommissie voor Vaderlades Geschiedenis, Band 125, 1968; Colenbrander, Herman T.: Bescheiden uit vreemde archieven omtrent de groote Nederlandsche zeeoorlogen. 1652– 1676, Twee Deele, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1919; Heeres, J.E.: Corpus Diplomaticum neerlando-Indicum, Tweede Deel (1650–1675), ’s Gravenhage: Nijhoff, 1931.

4. Potential der Analyse

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4. POTENTIAL DER ANALYSE Eine idealtypische Konstruktion von Staat beinhaltet vielfältige Probleme, wenn mit deren Hilfe frühneuzeitliche Staatlichkeit untersucht werden soll. Zum einen, bedeutet die Anwendung des Begriffs auf bestimmte Territorien im Hinblick auf deren Elemente moderner Staatlichkeit ein anachronistisches Verständnis von Modernität, das ausblendet, dass in der Frühen Neuzeit zwischen den verschiedenen Konzepten politischer Herrschaft ob deren Modernität oder Fortschrittlichkeit eine vollkommen andere Relation bestand. Frankreichs Verwaltung unter dem „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. als Element moderner Staatlichkeit zu betrachten, sagt einerseits nichts über die Fortschrittlichkeit Frankreichs in Bezug zu anderen politischen Phänomenen in der Frühen Neuzeit aus, weil jeweils andere Bedingungen herrschten, denen sich die jeweilige Herrschaft anpasste oder die sie sich zu Nutze zu machte. Andererseits sind nur bestimmte Elemente in Frankreich als modern zu betrachten. In Belangen wie dem Aufbau von Ostindien-Kompanien lag Frankreich hinter anderen europäischen Territorien weit zurück. Mit allen anderen Elementen, die als Teil moderner Staatlichkeit herauskristallisiert wurden, verhält es sich ebenso. Als Beispiel, wäre die klare Begrenzung des beherrschten Territoriums zu nennen. Nicht nur Frankreich, sondern auch die Vereinigten Niederlanden besaßen spätestens seit der Mitte des 17. Jahrhunderts ein Verständnis über ein begrenztes Territorium. Einzelne Elemente moderner Staatlichkeit, lassen sich in fast allen Territorien Europas wiederfinden, wodurch sich frühneuzeitliche Territorien alle in die ein oder andere Definition und Theorie von Staatlichkeit einordnen lassen, ohne über die strukturelle Beschreibung des Herrschaftsbegriffs hinauszugehen. Durch die Charakterisierung der Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien ist es möglich das Verräumlichungsregiment zu beschreiben, und die Zuordnung zu Typen von Verräumlichungsregimenten vorzunehmen. Ausgehend von den Akteuren kann das Verräumlichungsregiment beschrieben werden. Dabei ist es möglich, dass ähnliche Verräumlichungsregimente von unterschiedlichen hierarchischen Herrschaftsordnungen vertreten werden oder Elemente verschiedener Verräumlichungsregimente zu jeweils neuen Formen verschmelzen. Das Ausbleiben der Festlegung auf eine bestimmte Herrschaftsordnung als Voraussetzung für die Untersuchung ermöglicht die Betrachtung nahezu aller politischen Entitäten in einem globalen Kontext, ohne eine eurozentrische Perspektive einnehmen zu müssen, da die Ausübung von Herrschaft in einem bestimmten Raum als Ergebnis sozialen Handelns begriffen wird und kein europäisches Forschungskonzept den Blick verengt. Erst im Zuge der Definition oder Zuordnung zu einem bestimmten Verräumlichungsregiment gerät die Herrschaftsordnung in den Blick. Primär steht die Verräumlichung von Herrschaft durch die Akteure im Fokus, nicht die Form der hierarchischen Ordnung, die für die Ausformulierung der Herrschaft verantwortlich ist. Andererseits ist es unmöglich die Herrschaftshierarchie von der Art des Verräumlichungsregiments zu trennen. Beide beeinflussen sich gegenseitig und sind von den jeweiligen, zur Verfügung stehenden Ressourcen und geographischen Bedingungen abhängig. Am Beispiel der Vereinigten Niederlanden steht

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IX Der niederländische Staat in der Statthalterlosen Epoche

am Ende der Untersuchung eine territorial spezifische, zeitgenössische Bezeichnung des niederländischen Verräumlichungsregiments als ständisch-korporativer, oligarchischer, maritimer Distributions-Staat, dessen Benennung als Staat aus der zeitgenössischen niederländischen Sprache abgeleitet wurde, in der der Begriff in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lexikalisiert und als Beschreibungskategorie für politische Entitäten im globalen Kontext insbesondere zur Selbstbeschreibung verwendet wurde.

5. HERRSCHAFTS-FORMIERUNG – EIN ERKLÄRUNGSMODELL Um ein Erklärungsmodell für die Beschreibung von politischen Entitäten zu skizzieren, müssen die Untersuchungsergebnisse auf eine abstraktere Ebene gehoben werden. Grundlegend besteht das Erklärungsmodell aus zwei Komplexen. Um das Verräumlichungsregiment benennen zu können, muss eine etymologische und semasiologische Untersuchung der Kategorien zur Beschreibung politischer Entitäten in der zeitgenössischen Landessprache des zu betreffenden Territoriums vorgenommen werden. Die Untersuchung liefert gleichzeitig die Attribute des Verräumlichungsregiments. Im zweiten Schritt werden Räume sozialen Handelns identifiziert, die durch die Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien der Akteure kontrolliert werden sollen. Diese Raumbeherrschung wird mittels der Sassenʼschen Komponenten Autorität und Rechte klassifiziert. Handelt es sich bei der Untersuchung, um die Beschreibung einer Transformation von politischen Ordnungen, dienen die Faktoren Organisationslogik, Potentiale und Umschlagpunkte als Richtlinien, um den Wandel nachvollziehen und beschreiben zu können. In Bezug auf Sassens Komponenten wird der Begriff Territorium durch Raum ersetzt. Zudem werden den Komponenten die Untersuchungskategorien Akteur und Strategie hinzugefügt, um die Untersuchung stärker auf die Handlungsträger zu fokussieren. Aus der Untersuchung ergeben sich die Elemente des Verräumlichungsregiments, die einerseits in der spezifischen Konfiguration das untersuchte Regiment beschreiben, aber ebenso Element in anderen Konstellation, Teil von Verräumlichungsregimenten sein können, die grundsätzlich vom Untersuchungsgegenstand unterschieden sind. Die Elemente von Herrschaftsordnungen treten in verschiedenen Konfigurationen und Konstellationen auf. Jedes Verräumlichungsregiments ist durch die spezifische Konfiguration eine Singularität. Die Konfiguration der Elemente kann auch als Assemblage bezeichnet werden. Der Theoretisierung des Begriffs Assemblage durch Deleuze/Guattari kann gefolgt werden, wenn die Annahme, jede Assemblage kodiere und dekodiere „neue Räume“ auch für bereits erschlossene Räume wie das Malaiische Archipel oder Java gilt, die durch die Niederländer erst dekodiert und danach neu kodiert werden.29 Der Blick auf die Aktivitäten der europäischen Handelsunternehmen in Asien offenbart den Wandel der Bedeutung von Territorium, das anfangs für die Etablierung von Stützpunkten 29 Vgl. dazu: Deleuze/Guattari, Kapitalismus und Schizophrenie, S. 698f.

5. Herrschafts-Formierung – Ein Erklärungsmodell

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als Sammelpunkt für asiatische Waren fungierte, später beherrscht wurde, um die vorhandenen Ressourcen durch die uneingeschränkte Kontrolle auszubeuten. Demzufolge kodieren verschiedene Verräumlichungsregimente auch bereits bestehende Räume. Als eines der Elemente von Verräumlichungsregimenten gilt die Zentralisierung. Der Bereich der Zentralisierung kann unterschiedlich sein. In den Vereinigten Niederlanden existiert im 17. Jahrhundert keine administrative Zentralisierung, indes aber die Zentralisierung der Wirtschaft durch Monopole und Regulierungen. Im Zentrum dieser zentralisierten Ökonomie stand Amsterdam als Portal der archaischen Globalisierung, Batavia als Subportal der niederländischen Wirtschaft in Asien. Portale nehmen in den Verräumlichungsregimenten die Rolle von Knotenpunkten ein, an denen verschiedene Ströme zusammenfließen und verarbeitet werden. Von den Portalen aus werden die Ergebnisse der Verarbeitung anschließend über Akteure wieder emittiert. Es existieren verschiedene Bereiche wie Handel, Politik, Finanzwesen, Kriegstechnik oder Kultur, die von Strömen geformt werden, die Akteure leiten. Die Ströme können materiell oder immateriell sein. Waren und Wissen stehen beispielhaft dafür. Portale können für einzelne, eine Auswahl oder die Gesamtheit der Bereiche zum Knotenpunkt in einem bestimmten Raum werden, der regional, national, international, transnational, kontinental, interkontinental, transkontinental oder global definiert sein kann. In den Vereinigten Niederlanden des 17. Jahrhunderts war Amsterdam ein globales Portal, weil es zum Knotenpunkt nahezu aller Ströme in Nordeuropa wurde, die durch die globalen Aktivitäten der Niederländer auch wieder auf alle Kontinenten ausstrahlten. Die Reichweite der Portale entscheidet über die Wirkmacht des Verräumlichungsregiments, in das das Portal integriert ist. Ein globales Portal ist immer auch für alle anderen räumlichen Ebenen Portal. Andersherum gilt dies nicht. Aus diesen Elementen ergibt sich eine spezifische Herrschafts-Formierung, die in Kombination mit der etymologischen und semasiologischen Untersuchung kategorisiert wird. Das Erklärungsmodell der Verräumlichungsregimente beschreibt vordergründig die Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien, um Herrschaftsordnungen und -strukturen zu kategorisieren. Die Bezeichnung der Herrschafts-Formierung, die in den Vereinigten Niederlanden aufgrund der etymologischen und semasiologischen Untersuchung als Staats-Formierung bezeichnet wird, ist dabei zweitrangig.

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APPENDIX I–IV Der Stadtplan Amsterdams und die Liste der Akteure des Amsterdamer Familiennetzwerks (Appendix I), die Graphik zu den Familiennetzwerken (Appendix II), die Karten zum VOC-Interessengebiet in Asien und den gehandelten Gütern (Appendix III), sowie die Graphik zum Briefwechsel Johan de Witts (Appendix IV) finden sich mit einer jeweils entsprechenden Einführung unter folgender URL: http://www.online-plusbase.de/bereiche/geschichte/die-variabilitaet-fruehneuzeit licher-staatlichkeit.html

Appendix V – Verpachtungsvertrag – VOC an van Emmerseel vom 27. Mai 1668

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APPENDIX V – VERPACHTUNGSVERTRAG – VOC AN VAN EMMERSEEL VOM 27. MAI 1668 Quelle: Tamil Nadu Archiv Chennai, Ancient Dutch Records from 1657 to 1825, No. 3 Cochin title-deeds of houses, compounds etc., Title dees, 1665–1679, [Transkription: Oliver Krause].

„Der Commandeur ende raat der stadt Cochin ende de gansche custe Mallabbaar hebben uijtkragt van tʼvermogen haar van dʼEd. He Admirael en gouvern.r R: van Goens, bij zijn E.le missive van den 27 meij 1668 gedefereert verleent, en erffel.n gegeven gelt.io sij erffel.en verleenen, en invollen eijgendom geven mits desen, aan Hendrick Reijns van Emmerseel Serg.t in dienst der dʼComp: zeeker huijs en erff gelegen in ʼt – block L. Geteekent met No: 93. streckende sich van vooren N. O. En Z.W. grensende een de N.O. zijde tegen No: 18. Van vooren breet drie roedoen en een halven voet, van achter en 6. Roeden en een voet diep seven roeden en 5. Voeten, zoo als ʼt selve in de 6 gevougde caarte vanden geswoorden lant meet en, en roijm:nCorn: van moensel aff geteekent staat, met volle recht ʼt selve huijs en erff daer op staande, erffel.en te besitten, veralieneereden, vercoopen, verhuijsen, en sulcx te daen als sijnen goeden raat gedragenzal, mits dat selve hius en erff daarop staande, inden tijt van 5. Jaaren (van heeden aff te reekomen) niet danonder de volgende conditie zal vermogen te vercoopen, maar binnen dien tijt op te maecken, en sooveel doenel.en en zijn glegentht toelaat, naar de hollantse weijse re verbeteren, ʼt geen daar aan tot voorcominge van bouw allicht zal nodich wesen ende ingevallen den voornaemden Hendrick Rijns ʼt selve huijs ende erffe binnen dien tijt sonde willen vercoopen dat sulcx niet sal vermogen te geschieden sonder alvoorens daer toe te hebben geobtint speciael consent, en echter daar van tot gerechtigh:t vanden H.r off d’ Comp:, te betalen 50 p.r c.to, soo veel den coop sal bedragen, maer soo naemaels bevonden wiert dat ʼt voorsz: hiujs voor geen bouvallich:en geprefereert, en geen moodige reparatie daer aen was gedaen, soo sal dese donatie sijn ende blijve vervallen, ende wederom getrocken werden aan d’ Comp: ofte welnodich reparatie ’t haare costen door dʼ Comp: sal gedaan ende ʼt costende van sijne maant gelden gecort werden, naer dat sal werden goet gevonden, en: naer de holl: wijse verbetert zijnde, indien gevalle niet meer voor den heer sal betaalen dan 5. P:p c.to, bij den cooper, en der cooper ijder deselft, ten waarde bij hun anders bedongen was, voorts subject blijven alle andere servituijt en die daar op noch te sijnder tijt machten gestelt werden, beloovende in dier vougen ʼt voorsz: huijs ende erff te vrijen & waaren soo ʼt behoort, gegeven in de Stadt Cochin den 2. Aug.o 1668, en getek:t L: vanderdusse ter zijde stont Comp: zegel in roode lacke, en onder ʼt selve ter ordonnantie vandʼH:r Commandeur en den raat, was getekent; cornelis vander Ham sec:s.“ [Blatt 16r–17] [Die VOC trat als Souverän auf und verpachtete Ländereien auf Ceylon an niederländische VOC-Angestellte. Besonders in Ceylon übte die VOC territoriale Macht aus. Im Brief wird ein Grundstück an Hendrick Reijns van Emmerseel verpachtet, das er für fünf Jahre nicht weiterverkaufen durfte und nach holländischer Art be-

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wirtschaften sollte. Nur im Ausnahmefall durfte er das Grundstück verkaufen, wobei dann 50% des Verkaufswerts an die VOC zu zahlen waren. Zudem befand sich auf dem Grundstück ein Haus, das verfallen war. Sollte das Haus in diesem Zustand an die VOC zurückfallen, würden die nötigen Reparaturen vom Monatsgeld der Vertragschließenden abgezogen. Sollte der Pächter das Haus renovieren würde nur 5% des Verkaufspreises an die VOC gehen, die sich Käufer und Verkäufer teilen würden.] „Den gouverneur ende Raet des Eylants Cheijlon mitsgaders de zee custen van mallabaar en inadure hebben uijt cragthen van haaren commissie verleent, ende erffelijcq gegeven gelijcq zij erffelijcq verleenen, en in vollen eijgendom geven mits desen aan Frans Lubbens Sergiant in dienst der d’ Comp:, zeker – huijs ende erff staande in ʼt blocq D. streckende zigh van vooren N.O ten o, en Z.W. ten Z., grensende benoorden aan N:o 28. besluijden aan N:o getek:t met N:o 29., breet van vooren ses roeden, en vier voeten, diep ses roeden en twee voeren, zoo als ʼt selve inde bij gevougde caarte van den geswooren landt meeter, en roijmeesters Cornelis van Moensel, affgekent slaat, met volle reght ʼt selve erff, en hiujs erffelijcq te besitten, veralieneere, vercoopen, verhuijsen, en zulcx te doen, als sijn goeden raat gedragen zal mits dat ʼt selve huijs, in den tijt van wijff jaaren (van heden aff terekenen) niet dan onder de volgende conditien zal vermogen te vercoopen maar binnen dien tijt op te maacken, en soo veel doenlijcq, en zijn gelegentheijt toelaat nae de hollantsche weijse verbeteren, ʼt geen daar dan tot voorcoominge van bouvallicheijt zal noodigh wesen ende indiengevalle gem: Frans Lubbens ʼt selve huijs, ende erff binnen dien tijt zoude willen vercoopen, dat zulcx niet sal vermogen te geschieden, zonder alvooren daar toe van den gouverneur aff bij zijn Ed.le absentie daar van tot gerechtigheijt vanden heer, ofte d’ E. Comp: zal betaalen 50 p.r cento, zoo veel den vercoop bedragen zal, maan ʼt selve huijs ende erff binnende erff jaar en volbouwt, ende nade Hollantse weijse betert zijnde, in dien gevalle met meer voor den heer zal betalen dan 5. p.r cento bij den cooper, en vercooper ijder de helft, ten waare anders bedongenwas, voorts subiject blijvende alle andere servituijten, die daar op sijner tijt mogten gestelt werden, beleven de indienvougen ʼt voorsz: erff te bevredigen en waarde soo ʼt behoort, ounderstout gegeven in de stadt Cochin den 28. Maart 1666, en getekent R: van Goens, ter zijden stont Comp. Zegelgedruckt in roode lacke, en onder ʼt selve ter orde van sijn Edele en den Raet getekent Simon Waelpoth, gesn. Clerq.“ [Blatt 35v–r] [Das Schriftstück wiederholt den Wortlaut des vorhergehenden Vertrags. Die Verpachtung war kein einmaliger Akt, sondern Ende der 1660er Jahre ein formalisierter Rechtsakt der VOC in Ceylon.]

Appendix VI – Protokolle, geheime Verträge, Verordnungen der VOC in Colombo

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APPENDIX VI – PROTOKOLLE, GEHEIME VERTRÄGE, VERORDNUNGEN DER VOC IN COLOMBO Quellen: National Archive Sri Lanka, Colombo, Vol. 9, Vol. 11, Vol. 12, Vol. 16, Vol 17, Vol. 737, Vol. 2222, Vol 2438, Vol. 3341,[Transkription, Regesten: Oliver Krause].

Einführung zum Quellenkorpus Im Gegensatz zum Tamil Nadu Archiv in Chennai verfügt das Nationalarchiv in Colombo, Sri Lanka über einen großen Bestand an Quellen der VOC, die deren Aktivitäten auf der Insel betreffen. Im Fokus der Quellenauswahl stand die Verwendung des Begriffs Staat, aber auch Aussagen zu den Strategien der Niederländer in Ceylon. Die Quellen werden nur in Ausschnitten zitiert. Die Quellen sind durchnummeriert, um innerhalb der Studie direkt auf einzelne Quellen verweisen zu können. Es konnte kein kritisches Edieren der Quellen stattfinden. Die Quellen werden in Regesten auf Deutsch zusammengefasst, um den Inhalt zu schildern. Da die Arbeit die Verwendung des niederländischen Begriffs Staat untersucht, wird keine vollständige Übersetzung angestrebt. Neben der Zusammenfassung wird in den eckigen Klammern auf Besonderheiten der Verwendung des StaatsBegriffs hingewiesen. In der Transkription werden undeutlich oder nicht zu identifizierende Passagen ebenso durch eckige Klammer gekennzeichnet, wie das Weglassen größerer Textpassagen, die irrelevant für die Fragestellung sind. Personen und Zusammenhänge, die für das Verständnis der Quelle wichtig sind, werden ebenfalls in eckigen Klammern direkt in den Quellen erklärt. Es wird keine Verweise auf andere, bereits edierte Quellen geben. Die Bestände des Nationalarchivs in Colombo wurden bereits im Auftrag des niederländischen Nationalarchivs in Den Haag digitalisiert. Die historische Einordnung der Quellen erfolgt im Text, wenn auf die Quellen verwiesen wird. Ansonsten ist nur der Kontext der Quelle für die Bedeutung des Begriffs Staat notwendig. Die Auswahl der Quellen stellt nur einen geringen Ausschnitt dar, um die vielfältige Verwendung des Begriffs Staat aufzuzeigen. Es können indes nicht alle Quelle angeführt werden, in denen der Begriff auftaucht. Die Auswahl ist die Grundlage für eine qualitative Auswertung des Materials. Es befinden sich grundsätzlich zwei Quellentypen in der Auswahl. Den Hauptanteil machen die teilweise geheimen Protokolle des VOC-Rats in Colombo aus. Die anderen Quellen sind offizielle Verordnungen und Verträge, die vom Rat ratifiziert wurden. Die angeführten Quellen verblieben in Colombo als Dokumentation der Besprechungen des VOC-Rats.

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Vol. 9 Council Minutes 1657 September 21–1663 January 31 [Sitzungsprotokolle der VOC-Ratsversammlung in Colombo.]

1. „Maandag 19. November 1657 Dese erste poincten [vieriger] aendacht overwogen sijnde verclaren de raetspersoonen Adrian Roothaes, Pieter de Bitter ende Daniel de Looper dat van haer Zeemacht niet behoort vermindere te werden soo men ʼs Comps reputatie tegens den vijant lieff hadde, daer op aendaeltelijck gebeten sijnde ende dat [...] macht ter zee om fondament vanden ganschen Indischen staet rusten mocht, wert met eenparige advijsen verstaen en de gearresteert dat men de vloote voor Goa [en] behoort te verstercken dan te verswacken. [...].“ [Fol. 9 r] [Die Macht der Niederländer in Indien beruhe auf der Seemacht. Die Flotte vor Goa muss zu diesem Zweck verstärkt werden, um vor allem gegen die Portugiesen vorgehen zu können, deren Vizekönig in Goa seinen Sitz hatte.] Vol. 11 Council Minutes 1665 January 9–1666 February 13

2. „21 Meij 1665 [...] vande vereenigde gʼ octroijeerde nederlantse Oostindische Comp.e ende den Staet onses vaderlants hadde overwogen, namentlijck dat den oorlogh tusschen onsen staet ende den Engelsen in Affrica aengevangen zijnde, nae alle apparentie in Europa sal gevolgt wesen, ende in dese Indieas daer door al mede sal doorbrecken op welcke Insigten wij niet alleen geen oorlogh moeten soecken die wij connen ontwijcken, maer oock onse magt sullken dienen soo digt bij malcanderen te houden als mogelk zij, omme onse vijanden alle mogelijcke affbreuck te doen, en[b] selffs met godes hulpe offenceren, daer zulcx nae dʼ ordre onsen principalen sal konne geschieden, ofte ten minsten tegens des vijants listen en practijcken die ons van oven zee connen overcomen wel gewapnet te wesen, ende gevolgelijck ’t voorsz ingesien zijnde, off den presenten staet de Compe gedoogt met Ragie in oorlogh te koomen, [...].“ [Fol. 10 r–11v] [Der Krieg zwischen England und den Vereinigten Niederlanden wird erwähnt, der sich auch auf Afrika auszudehnen begann. Gegen Feinde, die von See aus ausgreifen würden, müssten sich die Niederländer verteidigen. Zudem bestand die Gefahr eines Kriegs mit Rajasingha II., dem Herrscher des Königreichs Kandy auf Ceylon]

Appendix VI – Protokolle, geheime Verträge, Verordnungen der VOC in Colombo

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3. „Dinsdach namiddach den 4 augo Anno 1665 Dʼ Ed.le Heer Admirael den Raet na aanroopinge van Godes H. Name voorgehouden hebbende hoe dat onder de papieren van Jaffnapatnam heden ontfangen gvonden had een simpel extract ongeautentifiseert uijt een brieffie bij de Heer Gouverneur Cornelis Spelman den [...] nae de Zuijder comptioren geschreven, maer bij blijckt, dat de geruchten van dat voor Madraspatnam uijt Europa twee cloucke Engelse schepen aengecomen souden wesen, waerachtig sijnen oock uijt alle omstandicheden dat de selve voor 29 Januarij lestleden moeten uijtgeloopen sijn, om dat na de tijdinge met ’t lest uijtgelopene op cormandel gebracht de geschillen tusschen onsen en haeren Staet spuden bij geleijt wesen daer de brieff van dien datum door d’ Ed.e Heeren majores hier nae toegeschreven ’t contrarie getuijgt [...].“ [Fol. 24 r] [Die Gerüchte, das zwei englische Schiffe in Madraspatnam, an der indischen Ostküste eingelaufen sind, werden bestätigt.] 4. „Dinsdach voormiddach den 22n September anno 1665. [...] de schepen van Cormandel met rijs ende de verdere gevorderde behoeften voor dit Eijlant te ontbieden, om jn alle voorvallende en onbedenckel.k [45 v] attentaten des vijants tegens de selve oock onse schepen magt bijder hant ende hier genoechsame quantiteijt rijs in voorraet te hebben, daer aen jegenwoordich als gesecht den staet der E: Compe ende besonderlijck dit waerdige Eijlant ende aanhoorende provintien op ’t hoogste gelegen is. [...].“ [Fol. 44 r–45 v] [Die beiden Quellen zeigen die Konkurrenzsituation zwischen Engländern und Niederländern im Indischen Ozean. Niederländische Schiffe wurden von Engländer gekapert.] Vol. 12 Council Minutes 1666 April 27–1667 May 24

5. „Saturdach ’s avond den 9en 7en anno 1666. [...] en gedurende den oorloch tegens d’ Engelsen weijnich ontset te verbachten hebben oock hoe nootsaackelijck de soldaten (: soo veel gevoegelk geschieden can:) genoegen dient gegeven, derwijl met niet en weet wat macht van vijanden ons soude sonnen op den hals coomen, jnsonderheijt soo onsen Staet tegens d’ Engelsen in Europa eenen quaden cans hadden. [...].“ Fol. 37 v [Die Quelle steht im Kontext der Rivalität zu England. Die Verwendung des Begriffs Staat ist eindeutig auf die Vereinigten Niederlanden in Europa bezogen.]

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6. „Maendach den 17en Januarij 1665 [...] en ons met de croone van Engelant werder een goet gewenste succes of Glotieuse vrede verleenen; mitsgaders van Staet der E. Comp. in dese swaere tijden over gants India en specialijck dit gouvernement buijten en binnen dit Eijlant [Ceilon] voor overal en alle listige aenslagen der vijanden en verdere onheijlen genadelijck gelieve te bewaren, ende met sijne goedertierentheijt te overschaduwen; [...].“ [Fol. 80] [Das Protokoll steht im Zusammenhang mit den Friedensverhandlungen zwischen England und den Vereinigten Niederlanden in Europa, die auch für die VOC in Indien und Ceylon Folgen haben wird. Die Angestellten der VOC rechnen mit weiteren Angriffen auf den Staat der VOC. Der Begriff wird hier in direkte Beziehung zur VOC gestellt, aber nicht in der auf die Vereinigten Niederlanden bezogenen üblichen festen Formel Staet van den ... , was trotz der Großschreibung die Bedeutung „Bilanz“ oder „Zustand“ am wahrscheinlichsten macht.] Vol. 16 Council Minutes 1670 May 1–1671 February 14

7. „Maandag voormiddagh den 5 Julij 1670 Wijders sijnde geresumeert de missive bij den deensen Command.r Hendrick Eggertsz: 9/19 maart pass.o uijt derselven Casteel danisourge op Crangabaer aan d’ Ed. H.r admirael gesz: en den 9 den gepasteerde maent hier aengebracht, is geletl. hoe denselven in den name van sijn koninckel. Maijt van Denemarcken desselffs Hr. en meester versoeckt, dat sijne konincklijcke maijt passer die aand’ Inwoonders van Crangabare [Stadt Cranganor an der indischen Westküste] met haere vaertuijgen werden gegeven, op Manaer [Manar auf Ceilon, Westküste], en anders onder dit Gouvernement mochten werden gerespecteert sodanige dat deselve daermede seecker machten heen en weere passeeren, sonder dat die op Manaer ingetrocken en andere in plaets verleent werden ; waerover dan zijnde gedlibereert, en in opmerckingh genoomen dat desselffs versoeck dubbelsinnigh schijnt gestelt, even off haer was beleth met haere passen de oopen, en vrije zee tot Jaffanapatnem [Stadt an Ceilons Nordküste] off eenige andere haven ter eersten jnstaande uijt de vrije see te bevaeren daer nochtans d’ ordre, en jntentie der E: Compe geensints tegen strijt; maar dat Manaer is een binnenlantse doortocht, en met Jaffanapatnam een suijver conquest alwaer d’ Compe heeft souvereijne Jurisdictie, gels mede op de gansche jnbocht tot Cabo Commorijn [Kap Comorin, Südspitze des indischen Subkontinents] toe, gevolgel. ijmant van buijten aencomende, en de voornoemende regte, nae eenige der off andere plaetsen in, en binnen dit Gouvernement willende passeeren gehouden is sich de wetten, en usantie onsere jurisdictie te onderwerpen ; soude dat den Connick van Denemarck, off eenige andere uijtheems potentaet hem heeft te belgen, dat wij binnen ons gebiet soodanige wetten stellen als tot verseeckeringe en welvaert

Appendix VI – Protokolle, geheime Verträge, Verordnungen der VOC in Colombo

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deses Gouvernements, en de Inwoonderen vandien nodig sij ; off oock dat wij in prejuditie van onsen staet en d’ authoriteijt vandien, geen vrij geleijde van sijn Maijt off anderen mogen gedoogen binnen ons gebiet anders dan voor soo veel ’t recht vande open Zee aengaet, ’t welck geensints binnen onse jurisdictie [Fol 5 r] van d’ een plaetse op d’ andere in consequentie can werden getrocken, souden met eenen d’ E. Compe en gevolgel. d’ Ho: Mo: Heeren Staten Generael der vrije vereenigde Nederlanden onse hooge en souveraijne overheijt te willen ontrecken ’t geene ijder souvereijn onwederspreeckelijck in sij gebiet competeert, en volgens de dagelijcxe ervarenheijt practiseert; doch om evenwel aan onse zijde te thoonen, dat wij (behoudens ons goet recht) en regtmatige Jurisdictie genegen sijn met de onderdaenen vanden Coninck van Denemarcken voorsz: te leven in goede vreede vertrouwenlijckheijt en naburschap, gelijck wij met d’ onderdanen, van soo magtigen gealieerden van onsen Staet schuldigh zijn te doen; is gearresteert en besloten haer ons goet recht voor te houden, en oock hoe veer wij haer tot nader ordre vand’ Ed. Heer Gouverneur Generael en raden van India ofte d’ Ed. Herren Majoores sullen commen te gemoet comen ; mitsgaders ten dien eijnde aanden gem: deensen Commandre te senden dien volgenden brieff, in antwoort vanden sijnen voormelt. [...].“ [Fol. 4 r–5 r] [In der Quelle wird das Eindringen der Dänen in das Hoheitsgebiet der Niederländer in den Raum zwischen dem Süden Indiens und der Westküste Ceylons angesprochen. Die VOC agierte im Namen der Generalstände und übte in dem genannten Gebiet die Rechtsprechung aus, die sich sowohl auf das Land als auch auf das Meer erstreckte. Die Dänen wollten offenen und freien Handel führen. Die VOC wollte einerseits ihre Rechtsordnung gewahrt sehen und die Konditionen des Handels in der Region weiterhin bestimmen, war aber in Europa mit Dänemark zu diesem Zeitpunkt verbündet und mochte diese Allianz nicht aufs Spiel setzen. Die VOC sah sich als souveräne Körperschaft, die in dem von ihr beanspruchten Gebiet als Vertreterin der Generalstände herrschte.] 8. „Aenden welgebooren Heer Hendrick Eggertsen Commandeur en oppergebieder ver het Casteel in Stad van Tranebaer [Stadt an der Küste Indiens] en verdere Raet wegen den doorluchtigsten en grootmachtigsten Coninck van Denemarcken Noorwegen & in dese Oosterse Landen [...] Ick heeb met aengebaemheijt ontfangen U Ed. cordialen brieff van den 9/19 maert jonghsleeden , en gaerne gesien, dat sijn k: maijt van Deenemarcken & soo gequalificeerden ende verstandigen persooen hadde geeligeert om sijn Maijt staet in dese landen te bedienen, ende van wiens beleertheijt ende adelijcke opvoedinge wij ons met dan alle goede naburschap & vrundelijcke correspondentie derven belooven , gelijck wij ons dartoe oock vast maecken ende verbunden heijliglijck te onderhouden de tractaten ende vaste aliantien tusschen sijn k: Maijt van Denemarcken & ende de hooghmoogenden Heeren Staten Generael den vrije vereenigde nederlanden (onse souveraijnen en hooge overheijt) geslooten, ende

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ons door onse Heeren principalen de bewinthebberen van de vereenigde oostindische Compe ende mijn Heeren den Gouverneur generael Joan Maetsuijcker ende de Raaden van india tot Batavia eypres aengelast ende bevoolen te onderhouden; soo dat U Ed. geensints gelieven te twijffelen, ofte sijn name verleent werden in soodanige achtingh houden als meriteert de maijt van soo grooten geallierde met onsen staet in Europa ; gelijck wij oock van u Ed. discretie ende beleertheijt met ander sullen verwachten ofte alle Inlandse scheepen en vaertuijgen, [...] Ende soo veel u E. voorste aengaet om specialijck het Eijlant Manaer ende andere havens deses Gouvernements te bevaeren, ende met u Ed. passen te mogen vrij en vranck passeeren en repasseeren ; soo gelieve u Ed. te weeten (gelijck de geheele werelt kennelijck is) dat wij het Eijland Manaer en aenhoorende landen van Jaffanapatnam voor den Staet van onse Comp.e besitten, met het selve recht, gelijck bij tijden der Portugesen ʼtselve souveraijnelijck beseeten geweest, ende van ons met publicque wapenen geconquesteert is, ende dat wij uijt dien hoofte binnen onse eijgen Jurisdictie soodanige wetten genootsaeckt werden te observeeren, als tot het welvaeren van den Staet onser Principalen nootwendige omtrent dese barbarische menschen, ende rust onser naebuiren werd vereijst [...].“ [Fol. 5r–6r] [Die VOC macht noch einmal auf die Einhaltung ihrer Rechtsprechung in Ceylon aufmerksam. Ihre Souveränität führten sie auf die Generalstände zurück. Sie besaßen die gleichen Ansprüche auf Souveränität in Ceylon, wie die Portugiesen es vormals hatten.] 9. [1670] „Aen den grootmachtigsten Ragia Singa Raja, Keijser van ’t wijtberoemde Eijlandt Ceijlon tot des Botschafters Hendrick Draeck, [...] hoe hertelijck wij hebben versocht dat u k: maijt eenmael gelieffde rest te dragen, aan ʼt onwederspreeckel.k recht der volckeren bij alle potentaten en staten des aerdbodens gebruickelk en heijlichlijck ondertrouden, en on met kracht van dat recht onse gesanten off te senden, [...].“ [Fol. 64 v–64 r] [Es handelte sich um die Zurückweisung eines niederländischen Botschafters durch den König von Kandy auf Ceylon. In der Mitteilung wird von Völkerrecht gesprochen, das von allen Herrschern eingehalten werden muss. Der Begriff staten ist in diesem Zusammenhang doppeldeutig. Da Potentaten eine Personengruppe darstellen, kann auch das Wort staten auf eine Gruppe bezogen werden und als „Stände“ übersetzt werden. Als Gegensatzpaar zwischen einem Potentaten als willkürlichem Herrscher und den Ständen, die dem Gemeinwohl dienen, wäre der Zusammenhang hergestellt. Den Begriff in dieser Quelle als den Plural von Staat zu übersetzen, lässt sich nicht in einem solchen Maß begründen.]

Appendix VI – Protokolle, geheime Verträge, Verordnungen der VOC in Colombo

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Vol 17. Council Minutes 1671 July–1672 February 2

10. „Wonsdach namidagh den 9en september anno 1671 Sijn in rade gelesen d’ orgineele brieven dato 18en Junij passo door den Coopman Rombont Lafer uijt Wingurla mitsgaders den 21en aug.o door d: E. Commandr van Reede ende den Raat tot malle[…]aar aen d’ Ed: Hr admiral gesz:, ende den 53n desen met de molenaer van Tutucorijn allner aengebragt, confirmeerdende dienste onder andere materne nader ’t arrivement vanden [nieuwe] viceroij met 9 schepen in Goa genaemt Lovijs Mendonco Furtado met den Titul van restauradoor de Ceijlon vorders dat haer d’ tijdinge vande Hoasen Spion hadden becomen dat het seecker sonde wesen, dat Portugael en Vranckrijck hun te samen souden hebben verbonden om onsen Staat hier in India te beoorlogen en dat den oorlogh ijber: aenstaende stont gepuliceert te werden, mitsgaders dat tegen deselve tijt 12 a 13 hamburger scheepen in dienst van de Croon Portugael hier in India stonden aan te comen, om dan gesamentlijck met de francen Cochin en ceylon aen te tasten onder verdingen dat bij veroveringe van Ceijlon den roof de francen, mitsgaders een logie spude vergunt werden, en dat het Eijlant voor de Croon Portugael soude sijn, als mede dat de Portugese aande Francen souden juruijnen de Stadt choul in en het [Fol. 58 r] geheele land van Bardees tot Chiappeere toe alle welcke tijdingen van veele ende meest alle de overgecomen luijden wiert bevestigt, gelijck mede een den france ministers en Ragiabach ak voor de comste van ’t gem: secours daar hadde gedivulgeert dattet met haat en onsen Staat in corten oorlogh wesen sijnde, mitsgaders datter ressts op Madagasken 8 van hare scheepen vol volck en amonitie van oorlogh aengecomen waren [...].“ [Fol. 58 v] [Die Quelle berichtet über die Ankunft des neuen portugiesischen Vizekönigs und die Konflikte mit Portugiesen und Franzosen, die sich gegen die Niederländer verbündet hatten.] Vol. 737 Secret Minutes 1665 May 27–1671 March 11

11. „Woensdag ’s avonds den 23en Decemb a.o 1665 Bij de Ed.le H.r Admirael & de Radt met aendagt na de gelegentheijt des tijts overwogen wesende, dat present op dit Eijlant niet met competent getal militairen versien sijn om de Steden, Castelen en forten op dit Eijlant tegens magtigen Europeanschen vijant te verseeckeeren; mitsgaders dat deselve soo wijt vanden andere behoorlijcke adsistentie te doen oock dat haer Ed.le op Batavia met het verseeckeren van Amboina, Banda, Moluces, Malacca & Batavia selfs soo veel crijgsmagt van noden hebben dat ordinairlijck onmagtig sijn jaelijx soo veel soldaten herwaert te senden als het gelt vande gene drie jaarlijx comen te verlijden, ende verlost behooren te werden bedragt, die te samen voor [dels] tijt begroot werden op ongevaer 600: coppen. En nog minder om dit Gouvernemnt

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sodanigh militairen magt toe te schicken, als wel bij eenige opcomende swarigheijt vereijsschen soude om de costelijcke Steden, Castelen en Forten te defenderen, en daerenboven het Voet Meester te blijven; sonder welcke herrschappije wij geen vande voordelen die ons de nature met de [Revuren], Bisschen en Morassen anders soude geven tegens deselve vijant souden magtig sijn te gebruijcken waer aen nogtans den staet der E: Comp. soo veel gelegen, en de herrschappije van ’t velt het fondament vande seeckerheijt des lants & alle concepten is. [...].“ [Fol. 20 v–20 r] [Um die Position der VOC in Südostasien zu sichern, fordern die Ratsmitglieder mehr Soldaten aus Europa, damit die Festungen in Südostasien stärker besetzt werden können.] Vol. 2222 Secret Correspondence Batavia 1661

12. „Donderdach adij 9 en Julij 1665 Extraordinarij vergaderinge Den Commandeur op gister avont laat ontfangen hebbende de nadre advijsen en off seecker affschrift van missive bij de E. Ed. Heeren onse principalen dato 29: Januarij dezes jaeres uijt ’s Gravenhage aen de respecte Heeren Gouverneurs en directeurs van Ceijlon, Chormandel, Persia, Zuratte en Bengale, mitsgaders oocq aen ons over de lantweck affgevaardight, leest d’ selve de vergaderinge voor, meldende ten principalen hoe de geduchte rupture tusschen ons en d’ Naburige Engelschen, voor een eersten en geweldigen aenvanqc van hare Zijde, ware uijtgebarsten tot een publijcken oorlogh met expresse last en volle ordre dat men de selve in dese indien, soo te lande als te water, sonder onderscheijt en ter welcker plaatse ’t oocq soude mogen wesen, Insgeijcx aentasten, ruineeren en vermeesteren moste bij d’ Edle Hr. Admiraal Rijckloft van Goens en sijnen Rade, dato 24 en december 1664 , binnen deser stede genomen, als de conderentie van sijn welgemelte Ed. dato 12; Januarij dezes Jaeres met den Ragia Porca [Herrscher auf Ceilon] over ’s Compe geconquesteerde landt aldaer als den apparenten oorlogh der Engels. En ’t lichten van hunne Residenten als dan tot Porca gehouden mitsgaders oocq de Jongste natulen van verscheijde saacken op sijn Ed: vertrecq naar Ceijlon den 23. Maart jongstleden voorgevallen en besloten dicteerende onder anderen dat nae souden gedachtig sijn, om de resolutie voor soo veel hij d’ Engels. op Parce raackt, in tijden wijlen wanneer ’t nodig ware ’t executeeren des soo draaght den Commandeur naar vierige aenroepinge van des Heeren Heijligen Name de vergaderinge voor affmen met ’t lighten ver voorsz. resideerende Engelsz: tot Porca om eeniger hande redende toe van dan daar mede niet aenstonts voortgaan sal, sulcx namentl. de dadel. Executie verstaan en eenpaigh beslooten is, van Ja, omme na publicatie off bekentwerdinge des oorloghs onder dees light affvallige Natie niet bevreest te schijnen en veracht te werden, oocq off man den Ragia Porca meergemelt hier van alvoren behoorde Notificatie off eenige kennisse te doen, waar op geconsidereert zijnde dat voorn: Engelsen op ’s Comps gront zijnde ’t strant bij den meergerepeteerden Ragia d’

Appendix VI – Protokolle, geheime Verträge, Verordnungen der VOC in Colombo

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Ed: H. Admiraal in volle eijgendom, en als met de wapenen der E. Compe geconquesteert opgedragen, woonachtigh sijn, soo is geconcludeert van neen, maar dat men gedachte Engelsz. residenten met haar Leifeijgen gevolge doe den ondercoopmann Pieter Vertangen uijt Calicoilan, als denboeckhouder Rombout Lefer van hier g’ adsisteert met de Sergiant Pieter ’t Huinis van ’s Compe lant Moren: bril en twaelff flucxs gasten op overmergen avondt allerschielijxt van daar doen saijseeren, en soo te paart als p.r Draagthuijck wel verseeckert herwaart overschicken en dan des aenvolgende achtens warmeer alles behoorlijcker wijse g’ inventariseert en onder goede bewaringe gestelt is, den Ragia van sulcx in beleffde termen kundschap geven sal met enckle bijvoegingen dat ’t selve ordre en last van hooger handt is, ’t en ware dat tusschen die actie off dese geresolveerde executie door eenigh onvoorsien accident met den Ragia off sijn volcq in contentie off stribbelinge quame te geraacken, als wanneer den selven van ’t gewisse oorlogh tusschen beijde staten sal moeten genotificeert en d’ onse ten dien fine en secreet versegelt brieffje om bij soodanigen onverwachten hapering en niet anders te openen mede gegeven werden aldus geresolveert en g’arresteert ten dage Maent en Jare als boven was gen. [Lud: van Goulster, S. Valckenburh, I. Bar, Francois Steenacker, Cornelis van der Hamsec.].“ [Fol. 21 r– 22r [Hervorhebung O.K.]] [Das Protokoll bespricht allgemeine Nachrichten aus Europa, den Konflikt mit England auf Ceylon und mit dem dortigen Herrscher Ragia Porca. In diesem Zusammenhang wird der Plural von Staat (staten) mit der eindeutigen Bezeichnung für die Mehrzahl politischer Entitäten verwendet. Durch das Ausgreifen der Niederländer nach Asien stärkte sich also zunehmend auch das Verständnis einer Staatenwelt, da nicht nur das eigene Territorium in Europa, sondern auch andere Entitäten als Staat bezeichnet wurden.] Vol. 3341 Treaty 1649 August 6

13. „Treaty between Adam Westerwolt on behalf of the VOC and the king Raja Sinha II at Batticaloa on 1638 may 23, and the renovations of that treaty between governor Joan Maetsuycker and the King at Galle on 1649 August 6, Accord ende Contract door d’ E. heer Adam Bestenvolt extraordinaris Raad van India, ende Commandeur over de presente navale macht van scheepen soldaten, Mattroosen met d’ ammunitie van oorloge voor de [toght] van Ceilon verzien, van wegen de dooluchtigste Hoog mogende heeren Staten Generaal der vereenigde Nederlanden, zijne Princel: Excellentie Fredrick Hendrick Prince van orangie & in dienst van de Ed. heeren Bewindhebberen der vereenigde oostindische Compe op approbatie ende goedvinden van d’ Ed. Heer Gouverneur Generaal ende de Heeren raaden van India ten eene, ende doorlugtige hooghmoogende Ragia Singa, Keijzer ende Koninck van Ceilon, ende Candia & met zijn onderdanen der rijxstaande ouden de Croone ende gehoorsaamheijt van zijne voorsz, keizerl:

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Majesteit ten andere zijde, aangegaan ende besten in forma, ende manieren alshier naar volgt, dewelk zal eeuwig dueren.“ [Fol. 1 v [Vorwort zu Fol. 5v–r]] […]

„12. Zijne Majesteit zal mede moeten toelaten dat [5 r] onze [fadersen] ende koopluijden alomme in zijne k: majesteijt landen van Ceijlon, vrij, vranck, ende ongemalesteert zullen mogen reijzen, ende keenen, om haar negotie, ende commercie met de inwoonderen aldaar te drijven, ende eenige goederen binnen ʼslands op gehogt hebbende, zullen de inwoondderen gehouden wezen eenige last dragende beesten daar toe op haar eijgen kosten te veaginnen, omme de goederen, ende Coopmannschappen die door onze kooplieden, aldaar zouden mogen werden opgehogt, opstrant te laten brengen, ’t zij in de logie of aan de scheepen, met verklaringe dat onze hollandens zullen staan onder onze eijgen Justitie, ende gehoorsaamehid gel: de ondersaten van ’t land van Ceijlon in voegen voorsz onder zijne majesteit subject zullen zijn.“ [Fol. 5 r] [Im Schriftstück findet sich das Datum 27 September 1650, unterzeichnet in Batavia. Wahrscheinlich ist das Datum der Tag der Niederschrift der Kopie. Der Vertrag sichert den Niederländern eine eigene Jurisdiktion auf Ceylon zu. Zum Zeitpunkt der Niederschrift und des Vertragsschlusses war Ceylon indes noch von den Portugiesen beherrscht.] „Accord ende Contract [Personen: Dam Westerwolt, Frederick Hendrick, Ragia Singa, neuer Vertrag mit Raja Singha 27 september 1658] 8. Sijene k. maijts van Ceijlon met sijn Ed: ondersaten des rijx sullen agtervolgende sijne k: maijtss presentatie, ende beloste aen d’ E. Heer Gouverneur generael, ende d’ Heeren raden van Indien [gebouen] gehouden wesen de jaerlijxe oncosten, als mede de tegenwoordige equipagie, en uijtrustinge den scheepen jagten, ende andere cleijne vaertuijgen, als oock ’t scheepsvolck, officieren, ende soldaten, ammonitie van oorloge, ende wat wijders daer ane is dependerende die d’ Heeren bewinthebb: der vereenigde g’ octroijeerde oostindische Compe door ’t gouverne vand’ Ed : H:r gouv:r gen:l ende raden van Indien over den nederlantsen staet van orienten ten dienste van sijne k: majts landen van ceijlon derwts souden mogen stieren, offsenden d’ onkosten daer op vallende alle bij sijn maijt sal moeten voldoen, ende vergoet werden, soo aen Canneel, Peper, Cardamom, Indigo, waser, rijs ende voorts all andere kostelk […]aren, ende Coopmannsz. die in sijne maijts rijck soude mogen vallen uijt gesondert Caneel de matte.“ [Fol. 17 r] [Dem König von Kandy werden in dem Vertrag alle Kosten aufgebürdet, die der VOC in Ceylon anfielen.]

Appendix VI – Protokolle, geheime Verträge, Verordnungen der VOC in Colombo

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Vol 2438 Plakkatboeken

14. „Placcaat affsettende al portugeese indische munt insterdiceerende [st]aanbrengen vandien op pene van lijff en goet, vertiende mede alle indische munt sonder dʼ Comp. stempel te ontfangen of uitste geven op verbeurte derselven en arbistrale corrrectie. [Fol. 62 r] [...] [1666 September[ Acte en Instructie voor den keurmeester den gout silver smeden Manuel. de s:’ paij van Colombo zijnde van ambagt een gout en zilversinth 6en bevodnen en trouts en […] ververigh men en den bequaemsten van dat ambacht soo van dit district wert op de goede getuijgenis, soo van deselve gegeven wort, en tennutte van ʼtgemeen door den gouverneur deses eijlants en den aan cleven vandien mitsgaders den raat tot Colombo gestelt ende geauthoriseert tot keurmeester en opviene den over alle inlantse gout en zilver smede in dese staeten Jurisictie te woonagtgh (: te reeckenen vande alicance bevier tot de chilauwse toe waar onder die van nigombo en caliture [Negombo und Kalikut] mede begrijpen werden) off die nae desen van andere plaetsen zoude mogen comen om haer officie te offenen te Eijnde bij deselve mae desen geene wercken van Gout off zilver tsij kleeijn ofte groote en zullen mogen werden gemaeckt tsij voor haar zelver, op de coop off voorijmand anderes off gemaeckt zijnde mogen vercoopen off aande eijgenmaers leveren, voor ende aleen door den [machten aenden gemelten keurmeester verthoon door den zelven gethoeft geproeft en voor goet gekeuren oock tot doen Eijnde met zijn merck off chap gelijckent is. Voor welcke proeven off [toosse] den keurmeester dan zal genieten voor ijder Ra swaarte goutwerck ses slegte stuijvers voor de Reael swaarte zilverwerck 1/12 stvers ende in cas den Geseijden keurmr nae desen eenigh werck van gout off zilver sal bevoden in ijmant den gout en zilversmede handt volmaeckt, en zonder zijn merck geteeckent te wesen naar hem nemen en behouden toe dat het bij den maacker off Eijgenaer geloff wordt met drie Realen voor eerste mael ende tweede mael dobbel te betalen.“ [September 1666, der Begriff bezieht sich entweder auf die verschiedenen Städte und wäre damit eine alternative Schreibweise zu „steden“ oder er betrifft die verschiedenen „districte“, die angesprochen werden] [Fol. 97 r–98 r] [Das Protokoll gibt Auskunft über die Währungspolitik auf Ceylon. Der goldene, spanische Real sollte sechs schlechte silberne Stuiver wert sein, der silberne Real 1/12 Stuiver. Die VOC-Räte entschlossen regional, welche Werte die Münzen haben sollten, was die Bilanzierung innerhalb des Unternehmens erschwerte.]

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APPENDIX VII – BRIEF DE WITTS AN CORNELIS DE GRAEFF Quelle: Brief vom 18. Oktober 1657, Aan Cornelis de Graeff van Zuidpolsbroek, in: Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, 1650–1657(1658), 1906, S. 514ff.

„De deliberatiën in de jegenwoordige extrordinaris vergaederinge van de Heeren Staten over de Munstersche saecken sijn, buyten vermoede, vry wat onsoet ende ongemackelijck gevallen, vermits d’Heeren gedeputeerden der stede Amsterdam haer tot nocht toe met bysonderen ernst geopposeert hebben tegens de generaele inclinatie van de hoochgemelte vergaederinge op ’t voorschreven subject. Ende aengesien in ende ontrent het voorschreven werck seer essentiëlijck verseert het interest van de landtpovinciën, die ick bespeure een seer groot misnoegen te scheppen in de traecheydt, die daerontrent by de provinice van Hollandt ende Westvrieslandt werdt bespeurt omme haerluyder soo sensibel interest, gelijck sy spreecken, te bevorderen, soo verre dat te beduchten staet, ingevalle de welgemelte provincie van Hollandt ende Westvrieslandt in ’t gene voorschreven is achterhoudende blijfft, dat de voorschreven andere provinciën voortaen in saecken, daer ’t interest van de commercierende provinciën meest verseert, mede vry wat terugge sullen blyven, gelijck sy by haere advisen albereydts daerop reflexie hebben gemackt, ende dat, mijns oordeels, de provincie van Hollandt ende Westvieslandt daerby ten hoochsten soude werden vernadeelt: soo hebbe ick my verstout UEd. by desen in ’t corte te gemoedt te voeren de redenen ende consideratiën, die by de Heeren van de Ridderschap ende de meeste van de volgende Leden op ’t voorschreven subject sijn gemoveert tot astructie van haer opninie, dat de stadt van Munster by desen Staet in haere jegenwoordige ongelegentheydt werckelijck soude behooren de handt geboden te werden. Sijnde by deselve ten dien fine vooreerst ende vooral gerepresenteert het interesse van den Staet, daerinne bestaende dat de groote ende machtige steden in ’t Rijck by haere vryheyt werden geconserveert ende onverheert blyven: aengesien deselve steden (als welckers interesse, evenals van desen Staet, daerinne gelegen is, dat allenthalven ruste ende vrede zy ende dat de commercie onverhindert moge werden gedreven) altijdts de desseynen van de Vorsten ende Princen tot beroerte hebben beleth ende wederhouden, ende, naest Godt, de eenige oorsaecke sijn geweest, dat geduyrende den ganschen tijdt van den oorloch jegens Spaigne, oaengesien het eminent gesach van het huysch van Oostenrijck in’t Rijck ende de gemeene interessen van ’t selve met Spaigne , desen Staet echter noch altijds buyten formele rupture met het Rijck is gebleven , ende dat voorschreven groote steden oock alsoo voor ’t toecommende ontwijffelijck het seeckerste guarandt voor desen Staet sullen wessen tegens alle swaricheden van die kant, ingevalle deselve by haere vryheydt connen werden geconserveert. Ende aengesien, soo uut alle omstandicheden ende incomende imformatiën kan werden affgenomen, de Catholycke Vorsten, jegenwoordich met de belegering van Munster besich sijnde, om deselve redenen een gemeen desseyn geformeert hebben omme haer respectivelijck van de groote steden in haer district meester te maecken, daervan nu een aenvanck met Munster werdt gemaeckt, dat derhalven hetselve naeckende

Appendix VII – Brief de Witts an Cornelis de Graeff

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onheyl in sijn beginsel behoort te werden tegengegaen, zijnde hetselve interest noch met veel meer andere redenen geastrueert geweest, te lange alhier te verhaelen. Ten anderen is by gemelte leden geallegeert dat van den beginne van dese loffelycke Republijcq aff deselve maxime by de voorouderen altijds in hooge achtinge genomen ende oock effectivelijck in ’t werck gestelt is geweest: dat in dier voegen de stadt van Embden van de oppressie ende de belegeringe van den Graeve van Oost-Vrieslandt door de waepenen van desen Staet is geguarandeert geweest; van gelycken Brunswijck, Bremen ende anderen. Dat oock t’allen tyde, soo wanneer eenige waepenen ontrent de frontieren van desen Staet sijn gemoveert worden, Haer Hoog Mog. haer daerontrent het arbitrium voor haer verserende interest hebben geassumeert, ende oock t’elckens, als sulx van noode was, ’t selve met de waepenen geappuyeert, als ontrent de strydicheden tusschen Brandenburch ende Nieuwburch over de successie van Gulick ende Cleve etc. Ten derden is by meergemelte Leden ende voornaementlijck by de Heeren van de Ridderschap, als des best kondich sijnde, aengewesen de faciliteyt van de executie van ’t voorschreven voornemen, ende met eenen by een specifijcq denonbrement van den Vorsten der Nedersaxische, Westphalisch ende Niederrijnsche Creysten ende voorts door eene descriptie van de jegenwoordige constitutie van ’t Rijck ende van de andere nabuyren claerlijck aengewesen, dat dan deselve executie geen swaricheden voor desen Staet staen te beduchten; hebbende voorts geallegeert de disreputatie, die den Staet uut het naerlaeten van de voorschreven executie soude overcomen, als strydich tegens de voorgaende maximes ende de betoonde vigueur van de voorouderen, ende dat sulx voor een groote lethargie soude werden geimputeert, ende meer andere diegelycke. Ick wil gaerne bekennen, naer mijn gering verstant, in de redenen, wegens de stadt van Amstderdam ter contrarie gebuyckt, sooveel fondements niet te hebben gevonden, als d’Heeren gedeputeerden van deselve stadt daerinne schenen te stellen.[...] Want behalven dat het, mijns bedunckens, een oprechte conscientie niet can chocqueren yemandt, die notoirlijck geoppresseert ende onderdruckt werdt, de handt te bieden, soo kan ick in allen gevalle niet begrypen, in wat voegen soodaenige argumentatie overeencomt met de maxime van de stadt van Amstelredam, die daegelijx voor haer sensibel interest in voorvallende uutheemsche saecken den ganschen Staet moet animeren omme sich daermede te bemoyen; ende gelijck aen de gemelte Heeren gedeputeerden geobjicieert is, met wat conscientie Haer Hoog Mog. door de ernstige aendringende advisen van de stadt van Amstelredam haer hebben connen bemoeyen met den oorloch, tusschen de Coningen van Sweden ende Polen ontstaen? Op wat fundament de vlote van desen Staet in ’t voorleden jaere gesonden conde werden tot secours van die van Danzick? Met wat conscientie de stadt van Amstelredam de andere Leden daegelijx kan animeren om den Coninck van Denemarcken, die selfs aen den Coninck van Sweden den oorloch heeft aengedaen, vigoureuselijck by te springen? Met wat gemoedt de stadt Amstelredam nu onlangs seer veel yvers heeft connen betoonen om de stadt van Bremen reëlijck te assisteren tegens haeren eygen Hertoch ende Heere, den Coninck van Sweden? Met wat gemoedt

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de stadt van Amstelredam in de jaeren 1644 ende 1645 nevens d’andere Leden door bysonderen ernst, ende selfs tegens ’t adivs van den Heere Prince van Oraigne, ende tegens de borst van verscheyden andere provinciën, heeft connen helpen te wege brengen, dat desen Staet den Coninck van Denemarcken, die doenmaels van de Sweden seer onverwacht overvallen was, met de wapenen heeft gedwongen tot het aengaen van die condiciën, die hem noch jegenwoordich drucken? Ende meer andere diegelycke. Mits welcke redenen, ende bespeurende dat de stadt van Amstelredam in de voorschreven deliberatie genoechsaem singulier sal sijn in den ganschen Staet ende sulx niet sonder groote beswaerlijckheydt alleen sal connen wederhouden ’t gene, waertoe de generale inclinatie leydt, soo hebbe ick my verstout UE. mits desen te versoecken my de gunste te willen bewysen van te adviseren, in wat voegen de saecke aldaer na de regenten generaelijck ende particulierlijck yb UE. werdt opgenomen, ende off in de voorgeroerde resolutie aldaer, gelijck by den Heer Schaep seer assurantelijck werdt voorgegeven, geene veranderinge zy te verhopen ; oock off, in cas sulx niet conde werden uutgewerckt, met grooten aenstoot soude werden opgenomen, dat by de andere Leden ende bondtgenoten echter (gelijck ick nochtans niet en vertrouwe) geprocedeert wierde tot een conclusie ende tot reële ontseetinge van de stadt van Munster, gelijck uut de register blijckt in den jaere 1595 de ontsettinge van de stadt van Embden ondernomen ende geëxecutteert te wesen by de Heeren gedeputeerden van die provinciën ter Generaliteyt alleenlijck, sonder eenige communicatie dienthalven aen Haer Edel Groot Mog. gedaen te wesen. Ende sal UE. daermede sonderlinge verobligeren’ etc. [...].“ [De Witts Brief an Cornelis de Graeff betraf die Weigerung der Stadt Amsterdam, Truppen für die Entsetzung Münsters bereitzustellen, um die Stadt bei ihrem Bestreben zu unterstützen, zur freien Reichsstadt zu werden. Münster wurde von einem katholischen Heer belagert. De Witt führte die moralische Verpflichtung Amsterdams an. Einerseits wären die Niederländer im Allgemeinen an der Freiheit der Städte und des Handels interessiert. Andererseits hätten die Niederländer im eigenen Interesse immer gegen die Habsburger gekämpft. Warum sich Amsterdam gegen die Entsetzung Münsters entschied, war für de Witt nicht nachvollziehbar, zumal Amsterdam sich für die Unterstützung Emdens und auch Danzigs eingesetzt hatte, zu deren Befreiung die Flotte und Armee des niederländischen Staats entsendet worden war. Letztlich schickte de Witt auch ohne die Zustimmung Amsterdams ein Heer nach Münster. Der Brief zeigt den Gegensatz zwischen der Politik Amsterdams und den Interessen de Witts, sowie die rhetorischen Fähigkeiten de Witts.]

Appendix VIII – Memorandum Johan van Oldenbarnevelts

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APPENDIX VIII – MEMORANDUM JOHAN VAN OLDENBARNEVELTS Quelle: CXCIX. Memorie van Oldenbarnevelt, 1607, in: Deventer, Gedenkstukken, Derde Deel, 1865, S. 137–147, darin 142f.

„Ich seggen, als men aensiet, dat de Vereenichde Nederlanden nyet en syn een Republique, maer seven verscheyden Provintien, als het Hartochdom van Gelre, de Graefschapen Hollant en Zeelant, de Heerlyckheden van Utrecht, Vrieslant, Overyssel, Groningen, mit hare appendentien, hebbende mit malcanderen (naedat sy nu nyet meer een gemeen leger hebben) dan allen ’t gunt by contract totte gemeene defensie gelooft is. ’t welck doch meer precario als necessario tot noch toe taliter qualiter is onderhouden; souder datter gedurende deese lange oorloge [gemeint ist der Unabhängigkeitskrieg; O.K.] tot noch toe eenige vaste gemeyne Regeringe ofte eenige bestandige Republique is geformeert, maer alleenlyck een provisioneel maniere is gebruyckt , als men sede vacante ofte durante interregno gewoon is te gebruycken: welcke forme by haer selffs seer onseecker en periculeus is , en nae alle aparentie dus lange nyet en soude hebben kunnen bestaen , ten ware deselve mits de vreese voor den vyant en groote periculen van de oorloge staende gehouden ware. Daerom, als deese noot en periculen souden cesseren, en men soude meenen den vrede wel gemaeckt te hebben, soo soude deese forme van regeeringe, deur jalousie en onse slapharticheyt, terstont vervallen in de uyterste anarchie en confusie ; welck een van de principalste poincten is daermede da vyant tot synen wille te komen. Want, indien wy nyet eene Regeeringe maecken met behoorlycke autoriteyt om de Landen te regeeren, de provintien en steden te houden in haer debvoir van contributie en ordelycke eenicheyt, de onwilligen en contraventeurs te constringeren, des viants machinatien te bejegenen, de landen van alle injurien en periculen dadelyck en tytelyck oock mit wapenen (als noot is) te defenderen, sonder nae rapporten en consultatien van de provintien en steeden te verwachten, soo moeten wy verloren gaen: want geen Republique kan bestaen, sondern goede ordre in de generaal Regeeringe. [...] Insonderheyt, aengemerkt de gelegenheyt van de provintien in veele respecten soo verscheyden is, dat sommige liggen en neringe dryven in vasten lande of op de rivieren, en de andere by de see. Soo soude de eene eer apprehenderen her pericule van lichtingen die bij den vyant souden geschieden van krychsvolck te lande, de andere meer vreesen voor eene armada en toerustinge ter see. Soo soude oock kunnen geschieden, dat de viant hem soude adresseren tegens het eene ofte andere lit, onder particulier pretext dat hy lichtelyck soude vinden, als in saecken van scheepvaert of trafique, daerin de andere leden souden meenen nyet soo geinteresseert te syn, of nyet soo veel voor den gemeenen welstant te importeren dat men daerom behoorde totte wapenen te komen, en mitsdien lancksamer ofte anders souden resolveren, en dat middeleretyt de eene partye soude overvallen of ten weynichste groffelyck beschadigt worden. [...]

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Om voorts te spreeken van de coopmanschap en de trafique, sonder dewelcke deese cleyne Landen nyet bestaen of hen defenderen mogen, is geene apparentie, dat de vyant [Spanien, O.K.] ons soude meer toestaan dan hy de Mt van Groot Britanje (wiens vruntschap hy soo seer sochte) in de vredeverhandelinge heeft teogestaen. Staet mede te besorgen, dat deese saecke by alle de provincien nyet met een eenparigen yver sal gedreven worden, overmits sommige daerby schynen soo seer geinteresseert te syn; hoewel nochtans sonder deselve de Landen moeten verloren gaen. Mitsdien soude daeruyt verscheidenheit van opinien en scheuringen mogen volgen. Als wy by tractaet souden overgeven de vaert en trafique van de Indien, soo en kunnen wy geene neeringen of trafique behouden, maer sullen den ryckdom van de steeden, menichte van inwoonders en onse macht ter see verliesen. Want de handelinge op Vranckryck en Engelant geeft seer weynich; Oostlant en Noorwegen is van soo groote importantie nyet, insonderheyt voor sommige quartieren ; de handelinge op Hispanien en Italien souden wy niet mogen dryven sonder ons bootsvolk, schepen en goederen in handen van onse vyanden te stellen; sulcx dat in syn macht soude staen hem meester te maecken van de geheele trafique van Europa, en ons geheel te ruineren. Dit heeft ons de experientie nu seeckerlyck geleert. Want het belet, dat de viant ons gedaen heeft, in de trafique op Spanje, soude ons geruineert en ondergebracht hebben, ten ware dat de vaert op Oost- en West-Indien, mitsgaders op Guinea, ons in eere gehouden hadden, die ons meer als 20 millionen guldens aen suivere proffyten in tien jaren tyts heeft gegeven, ten tyde als alle andere handelinge groot verlies gaf. De vyant nu, siende dat wy ons hiermede als mitte seeckerste wapenen kunnen behelpen en mainteneren, en dat syne groote macht soude komen te pericliteren, als wy in de West-Indien in die maniere souden voet krygen als wy in de Oost-Indien hebben gekregen, indien hy nu ons met eene apparentie van schoone woorden, van ons te kennen voor een vryen staet, en semblant van vrede, soo verre konde bewegen dat wy de vaert op Indien wilden affgaen, soo soude sonder twyfel syne saecke ten hoochste gebetert en die onse ten hoochste verergert syn [...].“ [Bei der Betrachtung der Memorie Oldenbarnevelts ist zu beachten, dass seine Überlegungen im Zusammenhang mit den Verhandlungen um einen Waffenstillstand mit Spanien standen, der 1609 abgeschlossen wurde. In Oldenbarnevelt Memorie wird deutlich, dass er als Ratspensionär die Vereinigten Niederlanden noch nicht als eine Einheit betrachtete, sondern als Zusammenschluss verschiedener Republiken. Viele Worte verwendet er auf die Bedeutung des Handels. Besonders der europäische Handel war für ihn zukünftig wichtig, da der europäische Handel rückläufig sei. Die Niederländer müssten sich gegen die Konkurrenz der Engländer, Spanier und Portugiesen durchsetzen. – Neben der Verwendung des Republik-Begriffs ist Oldenbarnevelts Konzentration auf die Bedeutung des Seehandels für die Niederländer wichtig.]

Appendix IX – Brief Gaspar Fagels an de Witt, 9. Oktober 1670

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APPENDIX IX – BRIEF GASPAR FAGELS AN DE WITT, 9. OKTOBER 1670 Quelle: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Tweede Deel, 1660–1672, Amsterdam: Johannes Müller, 1922, S. 513f. Van Gaspar Fagel 9 Oktober 1670

„De missive van d’heer De Groot aen UEdt., den 3 deser uyt Paris geschreven, d’heeren bugemeesteren deser stadt heden door d’heer Gravesteyn ter hant gekoomen, heeft alhier vry eenige ontsteltenisse gebaert, niet omdat Haer Ed. Hoog. Mog. aen de quade genegentheyt van den heere Coning van Vranckrijck tegens desen Staet oyt hebben getwyfelt, tsedert dat de regeeringe alhier niet allenthalven heeft kunnen goetkeuren off als ongemerckt laeten passeren de desseinen van die Croon, maer omdat men naer haer oordeel niet genoegh schijnt te apprehenderen de ongemacken, die ons van die hant souden mogen overkomen, ende men schijnt te negligeren den tijt, die Godt Almaghtigh ons noch verleent, om de frontieren van desen Staet met het herstellen der fortificatiën ende passen ende die met meerder militie te besetten te voorsien, want, daer de advysen van alle kanten, selfs aen particuliere negotianten deser stadt, uyt Vranckrijk en Duytslant medebrengen niet alleen het onbenoegen van den hoogstgemelten Coning tegens desen Staet, maer dat desselfs desseinen meest sullen gaen, om aen d’één syde Maestricht te vermeesteren en aen d’ander syde een leger te brengen aen dese zyde van den Rhijn in de Stiften van Ceulen en Munster ende de hertogdommen van Chulick ende Cleef, ende dat men, soo in de Spaensse als Munstersse oorlogen, bevonden heeft, dat den Staet aen die kant lichtelijck een swaere slagh gegeven kann werden, soo kunnen de heeren burgemeesteren alhier niet sonder seer groote apprehensie in haer gedaghten laeten komen, dat de meergemelte Coning met het occuperen van Maestright, dat UEdt. weet en met volck en met munitie van oorlogh en met vivres en met fortificatiën seer sleght voorsien en sulckx maer aen de lust van dien Coning geëxponeert te sijn, aen d’een syde syne militie soude kunnen doen loopen tot voor de poorten van Den Bosch en misschien van Gorinchem en aen d’ander zyde met een leger te brengen aen dese zyde van den Rhijn soude kunnen infesteren en onder contributie brengen een goet gedeelte van Gelderlant, Vrieslant, Overijsel ende Stadt en Lande, jae, met het passeren van den Yssel indringen tot het Stift van Utrecht en aen de Veghr selfs, ende dienvolgende niet sonder groote alteratie en bekommeringe dencken aen de confusie, waerinne het geheele lant, nu in tseventigh en tagthigh jaeren sulcke swarigheden niet geproeft hebbende, gebragth souder werden ende, daerdoor de uytterste frontieren haer sterckte hebbende affgesneden, ende de swacke binnelantsse steden verovert souden werden. Haer Edel Hoog Mog. sijn seer wel voldaen van Uedts. goeden yver voor het gemeyn, maer meynen, dat de authoriteyt van de vergaederingh van Haer Ed. Groot Mog. die oock noch meer soude kunnen secunderen, sonderlingh daer vry wat splapheyt en traegheyt bespeurt wort by diegeene, die de sorge der frontieren eygentlijck

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aenbevolen is. Ick ben derhalven gelast den voorsz. Heere Gravesteyn te versoecken, dat Sijn Edt. soude willen proponeren, om Haer Ed. Groot Mog. ten spoedighsten extraordinarie wederom te doen beschryven, ende hebbe niet willen naelaeten UEdt. daervan kennisse te geven, opdat UEdt. beter geïmbueert zijnde van de saecken van den Staet daerontrent, die saecke tot den meesten dienste van den lande soude kunnen helpen schicken, immers met te besorgen, dat door den Raet van Staeten off door de heeren Gecommitteerde Raeden ten spoedigsten ordre tot voorsieninge der frontieren ende der wercken, tot beter defensie van dien gerequireert, gestelt en geen tijt daerontront versuymt soude mogen werden. Ick weet wel, dat UEdt. dese myne vrymoedige advertentie ten besten nemen ende den heere Gravesteyn daervan niets laeten overkoomen sal.“ [Gaspar Fagel benennt bereits 1670 die Bedrohung für die Vereinigten Niederlanden, die sowohl von Frankreich als auch von Münster ausging. Von zwei Seiten drohte der Angriff auf die schwache Verteidigungslinie der Niederländer, die es versäumt hätten, ihre Grenzfestungen auszubauen und ausreichend Soldaten auszuheben, um die Festen besetzen zu können. Die Generalstände besäßen eine gefährliche Unbekümmertheit gegenüber der Bedrohung. – Fagel verwendet nicht nur den Staats-Begriff in Bezug auf die Niederlanden, sondern betont zudem die Autorität der Generalstände Entscheidungen in Fragen der Verteidigung zu treffen. Die politischen Eliten sahen schon lange vor 1670 den drohenden Angriff kommen, der 1672 fast zur Vernichtung der Union führte. Trotz der zahlreichen Hinweise kam es zu keiner sinnvollen Verstärkung der Verteidigungslinien zu Land.]

APPENDIX X – BRIEF GASPAR FAGELS AN DE WITT, 11. OKTOBER 1670 Quelle: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Tweede Deel, 1660–1672, Amsterdam: Johannes Müller, 1922, S. 515–517. Van Gaspar Fagel 11 Oktober 1670

„Naerdat ick van de mergen UEdtss missive raeckende de constitutie van den Staet, hadde ontfangen, hebbe ick van de middagh met alle circumspectie aen de heeren burgemeesteren kennisse gegeven van de redenen, die de heeren Gecommitteerde Raeden scrupuleus hebben gemaeckt, om de vergaederingh van Haer Ed. Hoog Mog. extraordinaris te convoceren. Haer Ed. Hoog Mog. hebben daeraen wel kunnen defereren, maer vinden haer niettemin seer bekommert, wat uytslagh dese saecke nemen sal, dewijl men hiet niet kan sein, hoe het gemeyne best geriddert ofte gehanthaeft sal werden, indien aen de eene zyde de heeren van Amsterdam blyven persisteren by haer opinie – ’t welck de missive van den heere Hooft, den 9 deser aen UEdt. geschreven, my uytermaeten seer doet apprehenderen – ende dat aen d’ander zyde de leden van de vergaderingh niet

Appendix X – Brief Gaspar Fagels an de Witt, 11. Oktober 1670

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goetvinden toe te geven, want, alhoewel naer het oordeel van de heeren burgemeesteren alhier, het jegenwoordigh ontydigh is ’t spreecken van het affschaffen van de extraordinaris middelen ter zee, daer de equipage, die tot de protectie van de commercie sal moeten werden gedaen, noch uyt de ordinaris noch uyt de voorsz. extraordinaris middelen ter zee sal kunnen, maer uyt andere extraordniaris consenten sal moeten werden vervallen ende dat dienvolgende de gemelte heeren van Amsterdam souden kunnen werden gecarpeert van den deliberatiën ende resolutiën, die de defensie van den Staet onvermydelijck vereyst, door het urgeren van den voorsz. affschaffinge op te houden, soo sall het niettemin voor het gemeyn weynigh contentement ende satisfactie kunnen geven, wanneer den Staet een swaer ende irreparabel ongeluck over den hals gekoomen soude mogen sijn, dat hetselve aen de heeren van Amsterdem soude moeten werden geïmputeert, niet omdat men alhier meynt, dat sulckx tot verschooninge van de heeren van Amsterdam soude kunnen strecken, maer omdat het niet van de grootste voorsigtigheyt soude schynen de defensie van den Staet te laeten dryven, omdat de heeren van Amstderdam de hant daeraen te slaen souden weigeren. De speculatiën, die de heeren burgemeesteren alhier hebben ende dat doch maer particuliere gedaghten sijn, souden daerheenen well gaen, dat men soude sien de saecke daermede te vinden, dat de voorsz. extraordinaris middelen noch souden werden gecontinueert, indien ende voor soo langh de voorgenomen extraordinaris equipage soude moeten werden gedaen, maer dat, deselve extraordinaris equipage cesserende, den opheff der voorsz. middelen oock cesseren soude, ’t welcke een temperament en middelwegh tusschen beyden soude sijn. Ick ben van de heeren burgemeesteren gelast dese haer gedaghten UEdt. eens bekent te maecken, UEdt. te bedancken voor den goeden yver, die UEdt. aenwent, om den Staet in postuyr van defensie te brengen, ende meteenen hartelijck te versoecken van daerinne te willen continueren ende door desselfs credit en assiduiteyt de slapenden geest van den Raet van Staeten wacker ende gaende te maecken; ick en hebbe niet kunnen goetvinden over te voorverhaelde materie met den heere Valckenier in gespreck te treden, soo omdat ick vast geloove, dat hetselve vruchteloos soude sijn, naerdat den heere Hooft op ’t versoeck van de heeren Gecommitteerde Raeden met de heeren burgemeesteren van Amsterdam albereyts daerover gehandelt en een affslagige antwoort bekomen heeft ende dat die gemelte heeren door het laeste schryven van den heere Van Beuningen uyt Engelant – van dat men de commercie aldaer in het uitgaen en inkoomen verlichten soude – noch meer in haere opinie sullen sijn geconfirmeert, als omdat die myne debvoiren voor seer presumptueus souden kunnen werden opgenomen, even alsoff ick soo grooten opinie van mijnselven hadde, dat ick die heeren soude doen veranderen van een resolutie, by den Raet der gemelten stadt genomen, wanneer ick haer daerover maer eens quam aen te spreecken, dat buyten allen twyfel maer van quaet gevolge sijn soude ende oock seer verre van myne gedaghten is. Ick meyne daerom, dat het best sal sijn, dat ick die aenspraeck tot de naeste vergaederinghe differere ende occasie soecke, om alsdan daerover, sonder ombrage te geven, met den heere Valckenier te spreecken.[…].“

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[Fagel wollte die Bürgermeister Amsterdams davon überzeugen, sich an der Verteidigung des Landes zu beteiligen. Das Problem lag für die Amsterdamer Bürgermeister in der Abschaffung der Zuschüsse durch die Generalstände für den Handel. Weil diese Zuschüsse abgeschafft werden sollten, wollte sich Amsterdam nicht am Ausbau der Landverteidigungslinie beteiligen. Fagel besaß keine Hoffnung, dass die Bürgermeister ihre Meinung ändern würden. Das Urteil des Amsterdamer Gremiums wurde nachhaltig von Gillis Valckenier bestimmt, der sich offen gegen die Politik de Witts aussprach und auch dessen Verwandtschaft aus der Familien de Graeff aus den Amsterdamer Gremien verdrängte. – Der Brief zeigt den Widerstand Amsterdams, die Verteidigung des Territoriums der Vereinigten Niederlanden zu Lasten des Seehandels zu unterstützen. Die Uneinigkeit zwischen Generalständen, Ratspensionär sowie Provinzialständen auf der einen Seite und Amsterdam auf der anderen Seite erschwerte den Aufbau der Verteidigung des Landes.]

APPENDIX XI – BRIEFE SASBURGS, DE GRAEFFS, DER BÜRGERMEISTER AMSTERDAMS Die folgenden Briefe zeigen exemplarisch die Verwendung des niederländischen Begriffs Staat als Bezeichnung für politische Entitäten zum Ende der 1650er Jahre. Quelle: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Tweede Deel, 1660–1672, Amsterdam: Johannes Müller, 1922, S. 235-270. Brief van Thomas Sasburg 17 September 1657

„Mijn heer, In voldoeninge van UwEdts. Missive, onder date 13e deser, hebbe door iemant van myne kennisse alhier bye en voornaem minister van Staet doen onderstaen, of Sijn Edt. my wilde het faveur doen en visie verleenen van soodanige brieven […].“ [S. 235f] Brief van Cornelis de Graeff 10 Januari 1658

„Mijn Heer en Neeff, Ich hebbe den inhout van UEed. missive soodanich geoordeelt, dat ick beeter geacht hebbe daerop in te neemen de consideratiën van de heeren burgermeesteren en UEed. deselve bekent te maecken als de myne over te schryven. Ick hebbe dan UEed. missive Haere Achtb. gecommuniceert ende oordelen Haere Achtb., dat, indien conde uytgewracht worden de voorslaegen, in gemelte missive vervat, dat hetselve soude weesen seer voorderlijck voor ’t gemeene landt, en sonderlingh

Appendix XI – Briefe Sasburgs, de Graeffs, der Bürgermeister Amsterdams

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voor de stad Amsterdam en derselver commercie, dewelcke op ’t hoochste is geleegen, dat alles overal sy vreedich en veylich, sonderlingh ter zee, maer soude nodich sijn, dat de directie, die hierin toegebracht soude worden, soodanigh waere, dat daerdoor niet en wiert veroorsaeckt verslappinghe in de resolutie raeckende de midiatie en subsidie wegens Sweeden en Denemarkcen noch oock niet aen de deliberatiën, die tot het vigoureus equiperen ter zee sullen moeten worden genoomen. UEed. can hieruyt oock gerust sijn, dat alle goede directie, die door UEed. hiertoe sullen gebracht sijn, de regeringhe van Amsterdam sullen aengenaem sijn, maer als ’t geleegentheyt sal medebrengen, dat UEed. daerin sal met alle manieren secundeeren, Ick sal UEed. hiermede in Godes protectie beveelen ein blyve.“ [S. 239f] Brief van de burgermeesters van Amsterdam 6 Juni 1658

„Mijn Heer, Wy zijn tot verscheyden malen ende worden noch daegelijx van goeder onderreght ende versekert, dat door vele groote persoonen tot Parijs ernstig wordt gearbeydt, om door te dringen een edict, verbiedende, dat geen traen oly van walvisch, baleines ende alles anders, war daervan dependeert, door andere natiën in dat rijck zoude mogen ingebracht worden; twelck, in gevalle dit edict zijn voortgangh becomt, niet alleen een onuytsprekelycke schade sal toebrengen aen die commercie, midsgaders aen de zeevaert binnen dese Vereenigde Provinciën, maer oock een voet geven tot gelacke andere machinatien tegens andere waren ende manufacturen van desen Staet.“ [S. 248f] Brief van Cornels de Graeff van Zuidpolsbroek 30 Juli 1658

„Mijn Heer ende Neef, UEd. missive is my ter handen gesteldt juyst op deselve tijt als de heer burgermeester Witsen aen my ende heer burgermeester Van de Pol communiceerde, ’t geene Sijn Ed. deseaengaende uyt de heer van Beverwaerdt hadde verstaen; waerop my oock raedsaem dochte Uw Eed. missive myne voorgemelte confraters te communiceeren, te meerder, omdat de saecke was onderbout met seer gewichtige redenen. Wy hebben oock de contra-reedenen daertegen gepondereert. Maer, dewyle op den voet voorgeslaegen wy nevens UEed. verstaen kunnen, dat den Staet in vaster en aensienlycker positure soude gebracht worden en voorgecoomen een gevaer van soo machtige bueren te krygen, ’t welck schijnt voor de deure te sijn, soo hebben ons de tegenredenen niet kunnen sóó verre beweegen, dat wy souden kunnen oordeeln dienstich te sijn dusdanich een saecke als ondienstich te verschuyven, maer souden de heeren Witsen en Van de Pol, nevens my, volgens ons particulier oordeel, dienstich achten, dat dit wercke met wijsheyt en sectretesse wierde onderbout, want anders staet te vreesen, dat het geheele werck lichtelijc sal coomen te avoteeren, ’t welck UEed. ende der andere heeren voorsichtige directie, die omtrent dese saecke sijn,

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bevoolen blijft. Ick sal UEed. met uwe familien in de genadighe protectie Godes beveelen en blyven“. [S. 268f]

Appendix XII – Briefe an de Witt – Verwendung des Staats-Begriffs

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APPENDIX XII – BRIEFE AN DE WITT – VERWENDUNG DES STAATSBEGRIFFS Weitere Briefe an Johan de Witt zur Veranschaulichung der quantitativen Verwendung des Staats-Begriffs Quelle: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Eerste Deel, 1648–1660, Amsterdam: Johannes Müller, 1919.

Van Nicolaas Stellingwerf 16 Augustus 1658 [S. 270f] Van Reinier Langewagen 17 Augustus 1658 [S. 271f] Van Gerard Schaep van Cortenhoef 18 Augstus 1658 [S. 272f] Van David de Wildt 5 September 1658 [S. 276f] Van de burgemeesters van Amsterdam 22 Augusts van Amsterdam 1659 [S. 304f] Van Jacob Quacq 19 Juni 1660 [S. 312f] Quelle: Fruin, Robert; Japikse, Nicolaas (Hg.): Brieven aan Johan de Witt, Tweede Deel, 1660–1672, Amsterdam: Johannes Müller, 1922.

Van Cornelis de Graeff van Zuidpoelsbroek 24 Juli 1660 [S.1f] Ders. 28 Juli 1660 [S. 2f] Ders. 3 Mai 1661 [S. 35f] Van Adriaan Veth 15 Januar 1661 [S. 27] Van Daniël Fannius 29 November 1661 [S. 30ff] Pieter de Groot 9 Juli 1661 [S. 42–45] Ders. November 1661 [S. 45–49] Ders. 2 Mei 1662 [S. 106f] Van Koneraad van Beuningen 4 November 1663 [S. 125f] Van burgermeester van Amsterdam 10 Januar 1664 [S. 160f] Dies. 18 Februari 1664 [S. 161ff] Van Herman Ghijsen 23 Juni 1664 [S. 162ff] Van Jacob Quacq 12 Mei 1665 [S. 210f] Ders. 3 Juli 1665 [S. 211f] Ders. 27. Oktober 1665 [S. 212f] Ders. 28 Oktober 1665 [S. 215] Nicolaas Ruysch 10 Mei 1665 [S. 218f} Van de Vrouwe van Swijndrecht 6 Oktober 1665 [S. 228f] Van Nicolaas Vivien 4 Augustus 1665 [S.233f] Ders. 12 September 1665 [S. 248ff] Ders. 20 September 1665 [S. 253ff[ Ders. 22 September 1665 [S. 255] Ders. 23 September 1665 [S. 255f[ Ders. 30 September 1665 [S. 258f] Van Joseph Bampfield 6 Februari 1666 [S. 269f]

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Van Hieronymus van Beverningk 26 Januari 1666 [S. 273] Van Lambertus Reynst 6 April 1666 [S. 279f] Van Matthias de Both Eind Januar 1666 [S. 285f] Van Gillis Valckenier 6 Februari 1667 [S. 303f] Van Cornelis de Witt 21 Juni 1667 [S. 322ff] Ders. 23 Juni 1667 [S. 324ff] Ders. 30 Juni 1667 [S. 331ff] Ders. 5 Juli 1667 [S. 339f] Ders. Zweiter Brief 5 Juli 1667 [S. 340ff] Ders. 9 Juli 1667 [S. 344ff] Ders. 12 Augustus 1667 [S. 346f] Van Beverningk 25 Mei 1667 [S. 355] Ders. 27 Augustus 1667 [S. 375f] Van de Admirialiteit van Amsterdam 17 Februari 1668 [S. 394f] Van Jacob Clouck 6 März 1668 [S. 395ff] Van Gaspar Fagel en Johan van de Nieuburg 16/26 Februari 1668 [S. 410f] Van Gaspar fagel 18/28 Februari 1668 [S. 411–414] Van Gillis Valckenier 7 August 1668 [S. 421f] Johan Maurits van Nassau 23 Juni–3 Juli 1669 [S. 437f] Van Pieter de Groot 23 Juni/2 Juli 1669 [S. 446ff] Van Johan Boreel 12 April 1670 [S. 464ff] Van Pieter de Groot 31 Oktober 1670 [S. 483f] Van Gillies Valckenier 8 Juli 1670 [S. 510f] Van Gaspar Fagel 9 Oktober 1670 [S. 513f] Van Pieter de Groot 20 Februari 1671 [S. 540f] Ders. 27 Februari 1671 [S. 541–546] Ders. 27 November 1671 [S. 546–549] Ders. 25 Dezember 1671 [S. 549–554] Van Johan Boreel 17 Januari 1671 [S. 554–557] Ders. 31 Januari 1671 [S. 559–565] Ders. 18 Februari 1671 [S. 568f] Van Pieter de Groot 1 Januari 1672 [S. 578ff] Ders. 8 Januari 1672 [S. 580–583] Ders. 15 Januari 1672 [S. 583f] Van Johan Boreel 2 Januari 1672 [S. 589ff] Ders. 20 Februari 1672 [S. 593f] Ders. 27 Februari 1672 [S. 593ff] Van Johan Meerman 25 Maart 1672 [S. 598ff] Van Cornelis Teresteyn van Halewijn Einde Juni 1672 [S. 606f] Van Cornelis de Witt 28 Januari 1672 [S. 608f] Ders. 7 Februari 1672 [S. 609–612] Ders. 22 Februari 1672 [S. 614] Ders. 25 Februari 1672 [S. 615f] Ders. 24 Maart 1672 [S. 618ff] Ders. 3 April 1672 [S. 621f]

Appendix XII – Briefe an de Witt – Verwendung des Staats-Begriffs

Van Pieter de Huybert 10 April 1672 [S. 624ff] Van A.M. 12 April 1672 [S. 627] Van den Prins van Oranje 16 Mei 1672 [S. 628ff] Van Cornelis de Witt 19 Mei 1672 [S. 656–661] Ders. 26 Mei 1672 [S. 667f] Ders. 3 Juni 1672 [S. 676ff] Ders. 17 Juni 1672 [S. 688]

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APPENDIX XIII – PROTOKOLLE DES HAAGSE BESOGNE – 1655–1665 Quelle: Archiv des Haagse Besogne, Nationaal Archief Den Haag, Inventarnr. 1.04.02, nr. toegang 4455. Transkription: Oliver Krause Regesten und Darstellungen: Oliver Krause

Einführung zum Quellenkorpus

Alle angeführten Quellen stammen aus dem Archiv des Haagse Besogne, in dem es keine grundsätzliche Nummerierung der einzelnen Aktenblätter gibt. Das Archiv ist chronologisch aufgebaut. So folgen auch die ausgewählten Quellen im Folgenden einer Chronologie beginnend mit dem Jahr 1655. Falls über Auszügen kein Datum angegeben ist, gilt das zuletzt genannte Datum. Die Auszüge werden inhaltlich in eckigen Klammern zusammengefasst, ohne auf einzelne Aspekte einzugehen, da die Untersuchung sich immer am niederländischen Original für die Herausarbeitung des Staats-Begriffs orientiert. Auf detaillierte Erklärung zu in Quellen genannten Personen wird verzichtet, da die Darstellung der Begrifflichkeit Staat behandelt wird. Bei Details, die für das Verständnis der Quelle wichtig sind, erfolgt hingegen eine kurze Erläuterung innerhalb der eckigen Klammern. Neben der Zusammenfassung wird in den eckigen Klammern auf Besonderheiten der Verwendung des Staats-Begriffs hingewiesen. In der Transkription werden undeutlich oder nicht zu identifizierende Passagen ebenso durch eckige Klammer gekennzeichnet, wie das Weglassen größerer Textpassagen, die irrelevant für die Fragestellung sind. Der Quellenkorpus ist eine Auswahl. Die Darstellung stellt keine Ansprüche auf Vollständigkeit, sondern belegt die in der Studie gemachten Aussagen zum niederländischen Staats-Begriff und den Herrschafts- und Verräumlichungsstrategien. Die einzelnen Quellen werden mit arabischen Zahlen nummeriert, um die Verweise aus der Untersuchung unkompliziert auffinden zu können.

Appendix XIII – Protokolle des Haagse Besogne – 1655–1665

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1. „3. Maart 1655 [...] Sijn wij voor de Heeren gedeputeerens van haer Ho: Mo: bescheijden en voor deselve inde ’t seves samern gecompareert alwaer int lange en brede te bijwesen vande Heer pensionaris [Johan de Witt] alonde een vande gewesen Commissarissen van desen staet in Engelandt, gediscoureert ende gesprocken zijnde vande acte declaratair bij den Heere Protector [Cromwell] te passeren en daer op gehoort desselffs consideratien en advijs oock wijders nagesien en geexamineert beijde de concepten soo van desen staet als die jongst uijt Engelandt overgesonden is, mitsgaders het berbael bijde Heeren Extrordinaris Ambassadrs van desen landen, aldaer hopenden t’ gepasteerde omtrent die saecke gehouden, en daer op mede gedelibereert sijnde hoe en in wat manieren die particuliere openstaende pretensien tegens die nederlantsche Comp. dewelcke bij het bewust arbititum off uijtspraecke van wedersijts commissarien niet gedetermineert maer open gelaten sijn, sullen sunnen off dienen offgedaen te worden bij aldien defacte declaratoir volgens het formulier voor desen naer Indien geschreven en geordonneert is, is goet gevonden daer bij voor als noch te persisteren, gelijck mede sal werder gedaen int regarde vant transporteren vanden stoel van gouvernement van Ternate, opt Eijlandt macquian bij t’ gene bij de generael missen van den 15. April 1654 derwaerts is geschreven en gordonneert. [...].“ [Niederländische und englische Botschafter berieten über den Umgang mit der niederländischen Ostindien-Kompanie. Aus England wurde ein entsprechender Vorschlag übersandt, ebenso wie die Niederländer einen Vorschlag präsentierten. Die Ergebnisse der Verhandlungen sollten nach Asien geschickt werden. Der Gouverneurssitz auf der Insel Ternate in den Molukken sollte auf die Insel Macquian verlegt werden.] 2. „3. Maart 1655 [...] ten dienste van den lande geduyreden den lestleden Engelsen Oorlogh, ontrent ses mael hondert duijsent guld. bedragen, en naderhant ter vergaderinge van hae Ed: groot Mo: een deductie tot aenwijsinge dat den staet gehouden is de Comp. aff te houden [...], off soodanige andere middelen aenwijsen waermede de staet ende de Compagnie beyde souden cunnen werden geduert […] daerinne den staet haer jegenwoordich bewint, bij eenige leden vanden regeringe voor gedragen is off de Comp. geen inclinatie off genegentheijt soude hebben tot prolongatie van haer octroij, voor eenigen tijt van jaeren, omme in cas van jae te sien hoe men t’ achterheijt vande Compagnie daer tegens eenichsitns soude cunnen vinden, en rescontreren, waer op in deliberatie getreden sijnde, is goet gevonden en verstaen de respective cameren te versoecken dat hare gedachten gelieven te laten gaen en ten [nae ten] vergaderingh vande 13n hare consideratie en advijs in te brengen hoedanich dese saecke wijders sal werden aengleijt, en wat middelen sullen

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cunnen off dienen voor geslage, waer door de Compe ten minsten belastingen vanden staet, hare voors achterheijt soude cunnen vinden off rescontreren [...].“ [Die Unterstützung der Union durch die VOC wird angesprochen, die einer Entschädigung bedurfte, ohne die Finanzen der Union übermäßig zu strapazieren. Zudem wird die Verlängerung des Oktrois der VOC für einige weitere Jahre angesprochen.] 3. „Extract uijt het Register de Resolutien vande Ho: Mo: Heeren Staten Generael der vereenichde Nederlanden Lima 27 Februarij 1662 Op de naerdere memorie vande aenwesende Bewinthebberen vande Oostindische Compe desen landen raeckende de pretensien die selve Compe is hebbende tot laste vanden staet is nae deliberatie goet gevonden en verstaen mits desen te versaecken de heeren van [Ommeren] ende andere haer Ho: Mo: Gedep[dns] [Abkürzung für Delegierte] tot de saecke vande gemelt. Compe dat haer […] al noch, volgens de besoigne hier bevrem […] gedecritiert op papier willen brengen […] na pretensien, die den hoochgemelten staet tot laste van voorn Compe soude mogen hebben, ende daer aen soo heeft doenlijck rapport te doen onderstont Accoret met ’t voorsz register. [...].“ [Es wird wiederholt auf den finanziellen Anspruch der VOC zu Lasten des niederländischen Staats hingewiesen, dem in Beratungen entsprochen wurde und zu Papier gebracht werden sollte.] 4. „15 Martij 1662 [...] Ende wijle geseijt wort dat implerert vandien wilde canneel daer te lande [gemeint ist Suratte] beginnen te gebruijcken, zal men tot fruijtingen vanden wel genootsaackt wesen de hant wel teckten, en de prijs daer van [newer] gelegentheijt van de tijt te moeleren onse meijninge hebben wijselk jonghst aengeschreven, den de wijle het staatkoper daer althans in sulcken demande en op zoo hogen prijs is zal nodich zijn dat naerder ordre tot incoop van meerder partheije indien gelijck vertrouwen, te becomen is naar Japan gegeeven werden voornamentlk na d’ Engels ’t zelve daarmede beginnen, aan te brengen, waarom den toevoer van dien in meerder quantiteijt noch te meer nodigt wesen zal alwast selffs met eenige verminderingh vanden vaderlantsche eijsch. [...].“ [Der Preis des Zimts war rasant angestiegen, obwohl in Suratte wilder Zimt gekauft werden konnte. So genanntes japanisches Staatskupfer, für die Bezahlung der Ware, wurde in immer höheren Mengen benötigt, was den Preis des Edelme-

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talls erhöhte. Bei der Ausfuhr des Kupfers aus Japan machten die Engländer der VOC Konkurrenz.] 5. „Extract uijt het register der Resolutien van Ho: Mo: Heeren Staten Generael der vereenichde Nederlanden Veneris 21. Martij 1664 Ontfangen een missive vanden president ende Raaden van den Hoogen Raaden over Hollant Zeelant en Westfrieslant gesz. alhier inden Hage 20en deses houdende repensive op Heer Ho: Mo: brieven, vanden 1en en 8en denselven maendt ende dienvolgens advijs op de missive vande bewinthebberen, vanden Oost – Indise Comp. deser landen gesz. zot Amsterdam den 12en Febr. [...] met eenige exceptie, offte allegatie van incompetentie van jurisdictie, ende eijndelk dat oocq deselve zententie in reden, ende equiteijt is gesondeert door den voors Davits [VOC-Angestellter] volgens sijn eijgen confessie enorimiter heeft gedelinqueert tegens de Placcaten van desen Staat, ende de continuele observantie vandien, ende doen over niet anders is gestraft als in conformite van deselve Placcaten, cunnenden oocq met geen reden, vast gemaeckt werden, dat een ingesetenen en onderdanen van desen staat door ’t nemen van den comissie van en ander souverain soude cunnen werden geeximeert ende ontbonden vanden wetten ordonnantie ende Placcaten desen landen, ende de straffen daer bij gestatuiert costeijnen ende practeijcquen desen landen onmogelk is de voorsz Davits te stellen in voorige vrijheijt; dat is te stellen in die staet als off de voorsz sententie noijt tegens hem was gegeven doch belengende het tweede lith nopende de versochte restitutie der voorsz. goederen, is goet gevonden ende verstaen, oocq mits desente verclaren hoewel de voorsz Davits met het nemen vande voorsz commissie gepecceert heeft tegens de Placcaten van desen Staat. [...].“ [Das Schreiben behandelt eine Strafsache gegen den VOC-Angestellten Davits wegen der Unterschlagung von Waren, die entsprechend der Verordnungen des Staats bestraft werden soll. Er könne nicht nach den Gesetzen eines anderen Souveräns beurteilt werden, die ihm Straffreiheit zusichern, sondern müsse nach den Gesetzen des niederländischen Staats verurteilt werden] 6. „Vrijdach den 10. September 1664 [Auszug] Waer op haer Ed. Mog. Voor of te gemoet gevoert zijn, de redenen vervat in het concept van brief breder gementioneert inde resolutie vande vergaderingh vande 17ns vanden 1: deses maents, waeromme gemeent wort dat het reglement int geheel als niet aennemelijck behoort te werden gedeclineert en dat om de angemacken en swaricheden die daer uijt gemoet gesien worden: dan is bij haer Ed: Mog: daer op geantwoort, dat den staet sich alberijts te verre vint geengageert

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om het voorsz. reglement int geheel of te wijzen uijt oorsake bij een schrifftelk antwoort den 15 september laetstleden de Heer Downing ter handen gestelt, de genegentheijt van den staet daer toe ten vollen is te kenna gegeven dat het buijten des oock voor een dunstige saecke voor den staet wort aengesien over een vast reglement met Engelant te verdragen hebben, hebben dien volgenden versocht dat op het [arls] van ’t reglement in specien soude mogen worden geseijt ’t geen vanden remarques van de Comp. soude mogen zijn en alsoo geen middel sagen an ’t selve te ontgaen is op ieder artte geallegeert ’t geene daer op bij de vergaderingh den 17es aengetekent en waer op haer Ed. Mog: tot antwoort hebben geseijt datse alles waerder souden pondereren en overwegen. [...].“ [Im Schriftstück werden die Verhandlungen angesprochen, die der englische Botschafter Downing mit den Niederländern über einen Schifffahrtsvertrag führte. Im Schreiben wird die Unkonkretheit der Vorschläge Downings mit Blick auf die Belange des niederländischen Staats angesprochen.] 7. „Saturdag den 11 October 1664 [...] Remarques bij d’ Heeren Commissarisen van Ed. Groot Mog. Heeren Staten van Hollant en Westfrieslant d’ Heeren gecommitteerdens van d’ Oost-Indische Compe voorgehouden op de consideratien die van wegen de gemelte Compe sijn gemoveert rakende het project van een regelement bij d’ Heer Downing Envoije Extraordinaris van den Koning van Groot Brittannien aan haer Ho. Mo. overgelevert voor eerst hebben haer Ed: Mog: geseijt opt geene van wegen de Compe in genere. tegens het voorsz reglement en om ’t selve t’ eenemael te declineren is geallegeert datmen von wegen den Staet albereijts na rijpe deliberatie heeft getoont een inclinatie om sich in een reglement in te laten, als wordende ’t selve voor seer dienstich en salutoir voor den Staet geoordeelt in voegen datter niet ander te doen staet als op de arles van ’t reglement selfts en an wet redenen eenige derselver verwerpelijck souden wesen, sijn gedachten te laten gaen mits welken bij haer Ed. Mog: tot de arles selfs getreden zijnde dat her meerder getal de heeren Comsen [Abkürzung für Delegierte] die sake soodanich heeft opgenomen, datter dien aengaende behoort gemaekt te worden een generael reglement, en ’t welck niet alleen in Oostindien naer selfs hier in Europa soude moeten plaets hebben. [...].“ [Die Verhandlungen mit England wurden weitergeführt. Der niederländische Staat zeigte Bereitschaft, sich den Regelungen zu unterwerfen, da sie nützlich für den Staat schienen. Die Regelungen sollten, sowohl in Südostasien als auch in Europa gelten.] „[...] Dat het interesse en de maxime vanden Staet, soo als men die hier in Europa soeckt in te voeren en al veel jaren, heeft gepractiseert, daerinne bestaen datmen

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voor geen belegerde plaets kan houden, omme daerop alle navigatie en commercie te beletten, dan die te water en te lande te gelijck betegert is. [...].“ [Die Maximen und Interessen des Staats, die in Europa praktiziert worden, haben sich als schwierig erwiesen. Belagerte Orte können nicht gehalten und gleichzeitig als Orte des Handels dienen. Sie müssen eingenommen werden.] „[...] Dat men miet alleen verstaet ’t selve t’ eenemael in reden te bestaen, maer selfs inden jaer 1659 een gansche vloot heeft geequittert en na de Oost Zee gesonden, om te openen de passagie voor Dansicq die door de Sweden onder pretext van een besettinge te water gesloten gehouden waren. [...] Den volgende ’t geene hier in Europa verstaen wort redelk. te wesen dat ’t selve inde voor redelk. moet worde aengesien in Oostindien. [...].“ [Die Niederländer hatten mit ihrer Flotte die Passage nach Danzig offen gehalten. Die gleiche Strategie sollte in Südostasien verfolgt werden.] 8. „[...] Dat selfs naderhant in den jaren 162[7] een tractaar met Engelant genaemt het tractaat van Zuijthampton gemaeckt is, dat noch wij wat werden is gaende, alsoo daer bij in genere verloden wort alle vast handel von wat natie het oock soude mogen wesen op Spagnien, daer mede wij doen te tijt bijde in oorloch waren doch datmen sedert bevonden hebbende, die maximes ’t eenemael tegens het interesse van den taet te strijden, daer van oock [...] afgeweken.[...] Dat de contrarie maxime, en om de natien in Indien daer door te beter tot haer devoir te houden of tot recken te brengen wel considerabel is, maer dat het interesse vanden Staet alhier boven dat van Indien moet prevaleren. [...] Dat op het 3: arle de consideratien vande Comp. geoordeelt sijn te een mael suffisant te wesen, doch datter despuijen soude konnen vallen over de kracht van ’t territoriale recht dat men soude konnen pretenderen door de forten bekomen te hebben. Op het 4: arle hebben haer Ed: Mo: geseijt dat daer het woort joignant verstaen moet en worden alle plaetsen die buijten blocquade of circumvallatie sijn gelegen. Op het 5: arle, hebben daer Ed. Mo: geoordeelt, dat den wech ons open blijft om de natien met de welke eij in contract staen, in cas van overtredinge van dien met soodanige middelen te dwingen, als bij ons voorhanden zijn, maer niet dat men met het besetten van haere steden offt plaetsen te water de navigatie en commercie den Engelsen op deslve mogen afsnijden. [...]

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Nopende het 8: arle; hebben haer Ed. Mo: verklaert, van dat verstant te wesen, dat het best zal zijn bij den text selfs te blijven, de voorgeslagen verandering geesints accorderende met het interesse vanden Staet dat van dese sijde toe moet werden gelaboreert, om alle vexatien omtrent de commercie soo veel mogelk af te snijden, dat ter contrarie de worden a la [veul] et a dessein disjunctive genomen stoffe en aenleijdinge tot oneijndige quellingen en andere inconvenien ten souden geven, Dat het buijten des een point van gansch kleen belang voor de Comp. soude wesen, en van seer groot prejuditie voor den Staet en in’t generael werck. [...].“ [Der Vertrag mit England wird mit den einzelnen Artikeln in Bezug auf die VOC angesprochen. Unter anderem wurden die territoriale Macht, der freie Zugang zu Handelsstützpunkten, das Besetzen von Handelsstützpunkten und das Vorgehen gegen die Engländer erwähnt. Der Vertrag hat im Abkommen von Southampton einen Vorgänger. Für die Belange der VOC ist er von geringer Bedeutung, für den niederländischen Staat hat er große Nachteile, was ein Nachweis für die getrennten Interessen der beiden Körperschaften ist.] 9. „1664 [...] Maer alsoo de saken tusschen Engelant en desen Staet sich meer en meer tot een werder vergaderingh scheijnen te nijgen en een aensenl.: zeemacht in Engelant wort toegeest, om daer mede soo voorgegeven wort tot bemachtinge van d’ overige plaetsen op de cust van Guinea gebruijckt te worden. [...].“ [Es fand eine Annäherung zwischen England und dem niederländischen Staat statt, der zur Steigerung der englischen Seemacht in Afrika führte.] „[...] In voegen dat desen Staet daer uijt niet alleen geen [int] soude komen te trecken, maer selfs den ganschen handel vande nederlantsz Comp. daer door soude werden onderkropen, zulx dat het voordeel dat dese luijden den Staet souden komen toe te brengen, soo het al voordeel soude kunnen genaemt werden, d’ Oostindiss. Comp. en bij gevolge mede den Staet niet alleen soude afgaen, maer selfs een irreparabel prejuditie haer werden toegebracht. [...].“ [Der Schmuggel und Freihandel als Problem für die Geschäfte und die Rentabilität der VOC werden angesprochen. Beide schaden sowohl der VOC als auch dem Staat.]

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10. „11 December 1664 s’ Gravenhage [...] In deliberatie getreden zijnde op ’t point daer op dese vergaderingh ten principalen, bij den anderen is gekomen daerin bestaende op het voorde Comp. geraden sal wezen, op de aenmanningen of auhtorisatie van den Staet den oorlogh tegens d’ Engels in Oostindien aen te vangen, of bij retorsie tegens deselve te ageren, soo langh den Staet selfs hier in Europa buijten hostiliteijt met die natie blijft, schoon dezelve den oorlogh met haer buijten Europa albereijts soude mogen hebben verclaert of noch komen, te verklaren, en verstaen dat den Staet althans is delibererende hoedanich zij haer in desen hostile proceduren bij d’ engelsz hier in Europa mede aen gevangen, sal komen te gedragen, is goet gevonden, dat met het uijten van d’ advisen van de resp. Cameren desen aengaende een dach of twee sal werden gewacht, tot dat den Staet ten eenen offt te anderen sal hebben geresolveert. [...].“ [Nach dem Beginn des zweiten Englisch-niederländischen Kriegs nahm die VOC im Namen des niederländischen Staats Kriegshandlungen gegen die Engländer in Südostasien auf.] 11. „Vrijdach 19 Dez. 1664 [...] Nochmaels in deliberatie getreden zijnde op het subject daer over de vergaderingh tegenwoordich hiet ter principalen bij den anderen is en gesien dat de deliberatien vanden Staet om van deser zijde bij retorsien tegens d’ Engelsz hier in Europa te ageren van dach tot dach meer en meer komen te avanceren is goet gevonden voor en alleen hier op mede te resloven tot morgen te wachten.[...] vanden Staet omtrent het tegenwoordige werck van Engelant en ’t ageren tegen de selve en hebben uijt zijn Ed. Verstaen dat het ageren hier in Europa alleen om d’ Engelsz door in pari passu te volgen dat is wij mede sullen soeken aen te halen en op te brengen alle schepen, latende de selve sonder confiscatie leggen, doch dat eenige Provintie insonderheijt Wrieslant die tegenwoordich presideert daerin vrij wat schoor voetende gaen[...]na het geen den Staet hier in Europa. [...].“ [Das Agieren des niederländischen Staats in Europa gegen die Engländer wird angesprochen.] 12. „13 December Dijnsdach 1664 [...] De saecke hier voren vermelt gisteren ter Generaliteijt woorgeweest en aende zijde van Hollant weder seer geurgeert on eijntelk tot op huijden uijt gestelt geweest zijnde, hebben verstaen dat de resolutie huijden daer opgenomen daer toe tendert, dat de schepen vanden Staet zullen werden gelast te nemen af aen te halen mitsgaders op te brengen alle schepen van commercie vande Engelsz. [...].“

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[Eine Verordnung wurde herausgegeben, dass die Schiffe des niederländischen Staats alle englischen Handelsschiffe aufbringen dürfen] 13. „1664 Aenden Gouverneur Generael ende raden van Indien […]sert[…] etc. Wij hebben U Ed. Jongst van hier geschrebven bij brieven vanden 27 des voorleden maents zijnde deselve afgegaen mette schepen ’t Casteel van Medeblick, Rijnlant en Kennemerlant, ’t eerste den 9. desen de twee andere den 14 daer aen volgende uijt gelopen, met ordre om haer reijse mede bij voorden het lant aen te nemen, de Meerlat hebben wij noch toe gehouden, in de voorsz missive hebben wij U. Ed. geadrisseert hoedanich de saken tusschen Engelant en desen Staet sich doormael aenstelden of opdeden. [...].“ [Das Auslaufen von Schiffen noch Südostasien wird beschrieben. Wichtig ist die Erwähnung des Begriffs Staat in diesem Schreiben. Es ist an den Generalgouverneur der VOC gerichtet, wodurch eindeutig gezeigt wird, dass der Begriff Staat über das Haagse Besogne in den Sprachgebrauch der VOC-Angestellten übernommen wurde.] „[...] Evenwel is bij den Staet mede ordre gegeven dat alle coopvaerdijschepen engelsz toebehorende door de schepen vanden Staet mede sullen werden aengetast en opgebracht, invoegen dat U Ed. Her uijt kunnen sien dat wech dat de uiteste extremiteijten is gekomen. [...].“ [Es wird noch einmal bemerkt, dass die Schiffe des niederländischen Staats englische Handelsschiffe aufbringen dürfen.] 14. „1664 Aen d’ E Tibrant Godeken Commandeur en den Radt aan de Coba de Bonne Esperanze […]fest etc. Bij missive vanden 27 November lastleden is wel in korte geadviseert de toestant van saken tusschen Engelant en desen Staet, en hoe alle sich meer en meer tot een oorloch quam te schicken D’ Heeren gecommiteerdens hier vorens genoemt uijte resp: Cameren den 13 Januarij 1665 weder aengekommen en verstaen zijnde hoedanich het werk van Engelant sich hiet laat aensien, is goet gevonden voor en aleen ons aanden Staat te openbaren en te hooren soodanich [wij] ons in Oostindien tegens d’ Engelsz zullen hebben te gedragen, en wat ordre wij derwaerts die aangaande zullen

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geven, of te wachten de brieven van Engelant, om te sien wat die waarden sullen komen mede te brengen. [...].“ [Grundsätzlich spricht das Schreiben erneut das Verhältnis des niederländischen Staats gegenüber England in Südostasien an. Wichtig ist das Schreiben, weil Staat erstmals eindeutig mit -aa- geschrieben wird.] 15. „Dijnsdag den 20 Januarij 1665 Voor de H.ren haar Ed. Groot Mo. Gedepdens bescheijden en voor deselve gecompart zijnde, is ons voorgehouden de presentie noch van ’t lant, in deze gansch vorde consideratie van sacken met Engelant in dat haer Ed. Groot Mo. Haar althans besich houden met het uijtvinden van alle immaginable middelen, die om soo machtigen en redoutablen vijant tegen te gaan werden gerequereert. Dat haar Ed. Groot Mo. te dien eijnde mede haar gerachten hebben laten gaen op d’ Oostindische Compe en gemeent dat deselve als haar interesse daar in mede grotelijk verserende den Staat deser landen in desen hoogen nooth ende met een goet aantal van schepen behoort bij de springen, dezelve begrotende op een aantal van dertich gemonteert van 40 tot 50 stucken en gemant naar advenant om bij de Comp. onderhouden te worden gedurende dezen oorloch, mits dat men de zelve weder daar tegens zoude konnen te gemakt komen met eenige favorable conditien en waar van haar Ed. Mo: seijden de ouverture vande Comp. geen te willen hooren, met die vordere bijvoeginge dat de meijninge van haar Ed: Groot Mo: zoude wesen dat dese assistentie vande Comp. als een accessoir zoude werden gerekent, en zonder dat ter insichte van dien een schip minder bij den Staat zoude werden geequippt maar datmen d’ Engelsz daar mede onverwacht op ’t lijst komende, of deselve in gereetht hebbende de vrede daar door in herten souden konnen werden gewerkt, en ter welken insichte geoordeelt wierd, dat dit met alle mogelijke secreteste zoude dienen gemanueert te worden, voornamentlijk dewijle d’ Engelsz geen andere staat maaken, dan datmen hier alleen met een macht van 71 schepen daar onder gerekent 12 buijten is lants sal voorden dach komen maar op alvoren zijnde gedelibereert is haer Ed. Mo: tegenmoet gevoort, dat wij ons over de voorsz. proppsitie ’t eene mael verset en gesurpreneert vanden, [...] om onse principaelen te disponeren tot het geene na de gelegentheijt vande Comp. ter dienste van het lant zoude konnen werden gedaen maa dat wij aan onse zijde ons geensints gequalificeert vonden om eenige de minste ouverteures of voorslagen te doen. [...] Dat de meeninge van Haer Ed. Groot Mo. Met en is, dat het voorsz achterwezen vande Comp. hiermede zoude zijn geabsolveert of vermeticht, maar dat deselve haar recht dien aangaande zoude openhouden, evenwel dat men wel konde besetten, dat het inde macht vande Staat niet en is, om ons althans met gelt te betalen, hebbende haar Ed. Mo. ons wijders op het serieuste gerecommandr dat wij deze spraacke [don] na behoren wildem behertigen, alzoo daar aan voor een groot gedeelte en ’t welvaren vande Staat en vande Compe is dependerende [...] menende mede dat de sake daar door noch te meer smakelk. zoude kunnen werden

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gemaeckt dat den Staat voor heeft een zeer hoge premie van vertig of mee duijsent guld. te statueren voor die genen die een schip van oorloch van den vijant komt te nemen en dat wij haar mede zouden konnen jouiseren, en onse oncosten vooren gedelte goet maken. [...].“ [Die VOC unterstützte den niederländischen Staat mit 50 bis 60 Schiffen. Der Dienst, den die VOC dem niederländischen Staat einbrachte, wird erwähnt, weil es deren Position in Südostasien schwächt, wo weniger Schiffe durch den Krieg in Europa stationiert werden können. Allerdings kann der niederländische Staat die VOC nicht finanziell für den Einsatz der Schiffe entschädigen. Für das Kapern englischer Schiffe wurde jedoch eine hohe Prämie vom Staat ausgerufen, durch die sich die VOC schadlos halten könnte.] 16. „1665 ’T Advis dan vande Camer van Amsterdam waer van de vooren Hren gecomdens [die Delegierten] voorleden Vrijdach weder gekomen zijnde, opening gedaen hebben tendert daartoe, dat men onder conditie en mits het Octroij alvoren vastgestelt hebbende ten dienste vanden Staat soude kunnen equipperen en geduerende die somersaison of uijterlijck voor acht maanden, in zee onder de vlagge houden een aantal van 20 schepen van oorloge een schip twee of drie onbegrepen, en wasertoe deselve zoude kunen projecteren ses schepen die van weden de Compe tegenwoordich hier in’t lant zijn. [...] in zee te brengen, of de nooth zulx vereijschende oock eenich secours int escorte van hare retourschepen vande Staat daar tegens te obtineren [...], dat, ingevalle den Staat zelfs in de toekomende somer weder vrede quam te maaken [...].“ [Der Bericht enthält die Anzahl der Schiffe der VOC in Diensten des niederländischen Staats im europäischen Konflikt mit England.] 17. „Januar 1665 Poincten van beschreijvinge waar op de resp: Cameren vande Generale Nederlantsche Geoctroijeerde Oost Indisz Comp. hare gecomtens [Delegierte] zullen gelieven te senden te vergaderinge vande seventiene de gemelte Comp.e representerende binnen ’s Gravenhage tegens den 2 Februarij 1665, zijnde maandagh omme den 3 daaran volgende wezende dijnsdach precies in besoignes te treden De Gecommitterdens zullen gelieven voorsien te kommen met behoorlijke brieven van credentie geextendeert op het formulier van het Octroij ampliatie, naarder interpretatie vandien ter vergaderingh vanden Seventiene voor desen gearresteert.

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[...] en specalijcken op ’t geene haar E. door de Hre Gecommitterdens vande heeren Staten van Hollant en Westfrieslant is voorgehouden raken het doen van een equipp: van dertich scheppen van oorloge ten dienste vanden Staat, en om deselve gedurende desen oorlogh met Engelant onder de vlagge vanden Staat in zee te houden, mits dat ons daar voor en tot gemoet Koninge vandien alvoren soude werden geprocureert en effective uijtgewerkt een continuatis van Octroij gedurenden dese lopende eeuwe en voorts om bij voortgank van soodanige constructie en ’t uijtbrengen van ’t Octroij in volgen alsvoren te resolveren wat schepen vande Comp. daar toe sullen werden geemploijeert: en hoe deselve zullen worden geremplaceert mitsgaders gevondden de geltmiddelen tot soodanige equipp: gerequireert, ‘t zij datmen een gedeelte van het gelt na Indien gedestineert, komt in te houden met authorisatie om in Indien ter plaetse daar het voor en civile interesse van dire quart percento’s maants, als in Suratte en elders te bekomen is, weder opgenomen in gelicht te worden, of soo als men anders off verders sal oordelen ten meesten dienste en voordele van de Comp: te behoren eneijntelk om in dese importante saak wijders te doen en te handelen, soo haar [E] gooden raad sal komen te gedragen mitsgaders den dienst vande Comp. vereijschen. [...].“ [Der Auszug ist den Vorschlägen für die Regelungen des Oktrois entnommen. Die Unterstützung des niederländischen Staats mit Schiffen wird ebenso erwähnt, wie die Sendung von Geld nach Südostasien, um es dort für zivile Zwecke einzusetzen, was der VOC den größten Nutzen bringt, wie es sich bereits in Suratte gezeigt hatte.] 18. „Vrijdach den 30 Januarij 1665 Nochmael voor de Heeren haar Ho. Mo. Gedependens zijnde gecompareert, hebben haar Ed. Mo. Ons voor af gevraecht of wij ons ook naarder hadden gedagt op’t geene ons eergisteren, rakende het equipperen van een goet aantal van schepen, hadden vorgehouden menende dat het een sake is daarin voor het intereste vande Comp. ten hooghsten is, gelegen, waar op bij ons geantwoort zijnde dat wij alsnoch genootsaakt waren te seggen dat wij ons ’t eenemael vonden ongelast om op soodaniche voorstel iet wes te kunnen seggen, maar bij aldien eenige fortable, voorslagen souden mogen werden gedaen, dat wij die geern zouden hooren mitsgs onse principalen fovorabel voordragen hebben haar Ho. Mo verscheijde redenen van inductie voorgebracht voornamentlk dat bij aldien, dat Godt verhoode, onse vloot de nederlagh quame te krijgen, het met de Comp. ’t eenemael soude gedaen zijn, dat het lant wel soude kunnen subsisteren sonder de Comp:e maar geensints de Comp:e, sonder de lant, dat de Comp:e weijgering blijvende in dese noot ’t lant met een goet aantal van schepen en te springen, de Provintien weder difficulteijten souden maken de Comp: tot bescherminge van haare retourschepen te assisteren, met die macht die daar toe soude werden gerequireert, dat daar door soodanigen retour de Comp:e komen te ontstaan, haar

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namaals ten hoogsten souden kunnen beklagen de nalaticheijt of weijgering die in dese soude zijn gepleecht, datmen buijten de gesien heeft, met wart een reglement Engelant woorden dagh is gekomen, daar onder eenige articulen sijn, die geoordeelt worden, ’t eenemale ruineus voor de Comp:e te wezen, dat Vrankrijck den handel op Oost Indien nu mede aanvangande, lichtelk diergelijcke reglement soude konnen voortbrengen, dat den Staat ongeluckigh komende te oorlogen, geen middel zal zijn, om ’t een off d’ andere te ontseggen maar de begeerte voornamentlk van Engelant in alles zal moeten werden ingewillight, evenwel dat d’ intentie vanden Staat geensints is dese equipp: die bij haar Ho: Mo: op een aantal van 25 schepen wierde begroot, de Comp. simplk sonder haar wegens ergens int egemoet te komen, op den hals te dringen, maar dat deselve ter contrarie gemogen is ons weder eenige favorabel conditien toe te staen, daar aen de Comp:e mede grotelijx soude konnen zijn gelegen. Wij merkende waarmen heenen wilde, hadden geern gesien, dat de ouverture daar van vande zijde vande Staat ware voortgekomen, doch haar Ed. Mo: hebben, haar daar toe geensints willen laten bewegen, sustinerende dat dewijle den Staat desen eijsch quam te doen, dat wij aan onze zijde weder een eijsch ter contrarie behoorden te doen van het geene waarmede wij souden nemen te sullen nemen contentement, hier op bij ons ’t point van’t Octroij, of de continuatie vandien, gedurende dese eeuws voorgebracht zijnde, en waar voor wij presenteeren een aantal van sestien of achtien schepen, een schip of een onbegrepen, gedurende het aanstaande somersaisoen in zee te houden hebben haar Ed: Mo:, na gehouden deliberatie verklaart, met het getaal van twintigh schepen onder de voorgeslagen conditien wel te nemen contentement, maar dat het soude moeten wesen souder limitatie van tijt, en zulx den ganschen oorlog gedurende, wij hebben daar tegens verscheijde redenen van beswaarnisse ook van onmogelijkhejit bijgebracht, mar sonder dat haar Ed. Mo: daar aan hebben gelieven te defereren. Seggende dat sulx was een conditie sine qua non, waar op wij dan uitgeseijt de H:r Cardon van Zeelant, die sich noch ongelast wont, ons soo verre hebben geeslargeert, dat wij onvervankelk en op approbatie van onse principalen gepresenteert hebben in Zee te houden, sonder restricte van tijt, vertien schepen, of van twee jaren twintich, mits dat den Staat ons soude moeten besetten de soldaten die op de schepen sullen werden vereijst, de soldeijen daar van te haaren lasten nemende, en de Comp:e daar van de montkosten dragenden en waarmede wij seijden te vertrouwen dat den Staat sal nemen contentement, oock geen swarichheijt te maaken haar daar tegens weder te obligeren, om de noot sulx vereijschende, de Comp: e de versekeringh van hare retourschepen bij te springen met een considerabel gros van schepen. Dit laatste hebben haar Ed. Mo: niet alleen geamplecteert, maar beloft daar den Staat ons in sullen gevalle, selfs met de gansche vloot sal komen de assisteren, gelk mede toesegginge gedaan hebben, van op ieder schip, op conditie als voren vijftich soldaten te sullen verschafften, maar aangaande het eerste geseijt, dat zij haar genootsaakt vonden te persisteren bij haren gedanen eijsch of voorslagh, en sonder dat de Provintien, voornamentlk mede Hollant, haar daar van sullen afleijden, met verdere bijvoeginge dat bij aldien wij het voorsz getal van veertien schepen niet en quame te verhogen en tot twintich te brengen, datter niet alleen

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geen apparentie van succes soude wesen, maar dat zij selfs daar van geen rapport souden doen, dat wij mosten considereren dat het esclat van soodanigen aantal van schepen die de Comp:e in Zee sal komen te brengen, de vrede na alle apparentie sal bewerken, in alleengevalle dat het niet imagniabel is dat den oorloch langer als een jaren of twee sal kunnen duren, evenwel datter notable redenen zijn waaromme den Staat haar in den tijt niet kan laten limiteren, wij hebben hier tegens wel bijgebracht de onmogelijkheijt voor de Comp:e om sulx de effectueren, oock geseijt dat [het] deselve ’t eenemael soude konnen komen in de groot te helpen, voornamentlk alswanneer haar de retourvloot, ’t zij voor ’t geheel of voor een gedeelt quam te ontstaan, en waar door zij dan t’ eenemael buijten credit soude werden gestelt dat wij boven dese assistentie, noch d’ oorlogh in Oost Indien tegens d’ Engelsz sullen te dragen hebben, en dat het selve te lasten mede grotelijx sal verswaren, maar ’t heeft al niet mogen helpen, alleenlk hebben haar Ed: Mog: verklaart, dat in sullen gevallen de Comp:e buijten onmogelijkheijt niet soude werden gevercht, dat den Staat niet gewenst is met en rigeur tegens haar ingesetenen de procederen, maar favorable reflex is op der selver gelegentheden is nemende, hebbende wijders nochmaals versocht dat wij ons noch eens nader wilden bedanken, en dat aenstants souder ons eenigen tijt of uijtsiel toe te staen sijnde ons nae ter zijden int oor geluijtert dat de Provintien haar alle, selfs Wrieslant die sich altijts soo tegen de Comp. heeft geformaliseert, als nu haar ’t eenemael tot deselve in het octroij geporteert toonden en dat wij het nu of noijt sullen krijgen. [...] Sedert onsen voorsz laatste hebben d’ Engelsz met het plagen van alle hostiliteijten soo inde Straat als in de canael tegens ons blijven te continueren, een groot aantal van schepen van dese landen aengehaelt en opgebracht, de goederen en koopmansz daar uijt geloft en verkoft, ende also den Staet hier door bewogen of liever genootsaeckt worden is, die natie op deselve wijse te begegenen, en haar mede alle mogelijke afbreuk te doen, hebben wij niet kunnen niet ledich staan, u Ed. bij desen te lasten en te ordonneren, dat u Ed. wort na den ontfangh van desen met de macht die u Ed in handen hebben, of zullen kunne bij een krijgen die natie met alomme joonder onderscheijt soo binnen als buijten het district, vande Comp.e te water en te lande sult hebben aan te lasten te ruineren en te vermeesteren, mits evenwel die ordrestellende dat alles behoorlk. werde geinventariseert en alle plunderingh veruijt en waar op wijde succesen onder Godes helpe sullen afwachten.“ [Neben der Zusage, Schiffe bereitzustellen, dringt die VOC darauf, dass die Soldaten auf den Kriegsschiffen vom niederländischen Staat gestellt werden. Es wird eine Trennung zwischen dem europäischen Konflikt mit England und dem Vorgehen der VOC in Südostasien gemacht. Bemerkenswert ist, dass die VOC annahm, ohne die Existenz der Föderation, kann auch sie nicht überleben. Auch dieses Schriftstück zeigt, dass die VOC sich nicht als Staat bezeichnet, sondern mit dem niederländischen Staat Vereinbarungen traf. Ganz klar ist eine Trennung zwischen land und staat. Die Schiffe, die von den Engländer aufgebracht werden, gehören Privatleuten, die den einzelnen Provinzen und Städten entstammen, also dem land. Gegen die Engländer gehen die Niederländer allerdings auf der übergeord-

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neten Ebene der Union mit Hilfe der VOC vor. Die Union als Staat und politische Entität geht im Namen des Lands gegen England vor.]

Appendix XIV – Acte van afzwering van Philips II

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APPENDIX XIV – ACTE VAN AFZWERING VAN PHILIPS II Auf den Inhalt der Akte wird in der Studie ausführlich eingegangen. Quelle: XXII. 26.Juli 1581. Acte van afzwering van Philips II, in: Blécourt/Japikse, Klein Plakkaatboek van Nederland, S. 137–144.

„[S. 137] De Staten Generael van de geunieerde Nederlanden. [...] Alsoo een yegelick kennelick is, dat een Prince van den lande van Godt gestelt is hooft over zijne ondersaten, om deselve te bewaren ende beschermen van alle ongelijk, overlast ende ghewelt gelijck een herder tot bewaernisse van zijne schapen: Ende dat d’ondersaten niet en sijn van Godt geschapen tot behoef van den Prince om hem in alles wat hy beveelt, weder het goddelick of ongoddelick, recht of onrecht is, onderdanig te wesen en als slaven te dienen: maer den Prince om d’ondersaten wille, sonder dewelcke hy egeen Prince en is, om deselve met recht ende redene te regeeren ende voor te staen ende lief te hebben als een vader zijne kinderen ende een herder zijne schapen, die zijn lijf ende leven set om deslve te bewaren. En so wanneer hy sulx niet en doet, maer in stede van zijne ondersaten te beschermen, deselve soeckt te verdrucken, t’overlasten, heure oude vryheyt, privilegien ende oude herkomen te benemen, ende heur te gebieden ende gebruycken als slaven, moet ghehouden worden niet als Prince, maer als een tyran ende voor sulx nae recht ende redene magh ten minsten van zijne ondersaten, besondere by deliberatie van de Staten van den lande, voor egheen Prince meer bekent, maer verlaeten ende een ander in zijn stede tot beschermenisse van henlieden voor overhooft sonder misbruycken ghecosen werden: [...][S. 142f]Doen te wetene, dat wy t’gene voorsz. overgemerckt ende door den uutersten noot, als voore gedrongen zijnde, by gemeynen accoorde, deliberatie ende overdrage, den Coninc van Spaegnien verclaert hebben ende verclaren mits desen, ipso jure, vervallen van zijne heerschapye, gerechticheyt ende erffenisse van de voorsz. landen ende voortaene van egeene meyninghe te zijne denselven te kennen in eenige saken, den Prince, zijne hoocheyt, jurisdictie ende domeynen van dese voorsz. landen raeckende, zijnen naem als overheer meer te gebruycken oft by yemanden toelaten gebruyckt te worden, verclarende oock dien volghende alle officiers, justiciers, smale heeren, vassalen ende alle andere ingesetene van den voorsz. lande, van wat conditie oft qualiteyt die zijn, voortane ontslagen van den eede die zy den Coninck van Spaegnien, als heere van dese voorsz. landen gheweest hebbende, moghen eenichsins ghedaen hebben oft in hem ghehouden wesen. Ende gemerckt uut oorsaken voorsz. den meestendeel van de geunieerde landen, by gemeynen accoorde ende consente van heure leden, hebben hun begheven ghehadt onder de heerschappye ende gouvernemente van den Doorluchtighen Prince den Hertogh van Anjou op seker conditien ende poincten, met Zijne Hoogheyt aenghegaen ende ghesloten, dat oock de Doorluchticheyt van den Eertzhertogh Matthias het gouvernement generael van den lande in onse handen heeft geresigneert ende by ons is geaccepteert gheweest,

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ordonneren ende bevelen allen justiciers, officiers ende andere die t’selfde eenichsins aengaen ende raken mag, dat zy voortaene den naem, titele, groote ende cleyne zeghelen, contre-zeghelen ende cachetten van den Coninck van Spaegnien verlaten ende niet meer en gebruycken en dat in plaetse van dien, soo langhe de Hoocheydt van den voorsz. Hertogh van Anjou, om noodelicke affairen, het welvaren van dese voorsz. landen rakende, noch van hier absent is (voor so vele den landen met de Hoogheyt van den voorsz. Hertogh van Anjou gecontrackteert hebbende aengaet) ende andersins d’andere by maniere van voorraet ende provisie sullen aennemen ende ghebruycken den tytele ende naem van ’t hooft ende landtraet, en middelertijdt dat t’selve hooft ende Raeden volcomelik ende dadelick ghenoemt, beschreven ende in oeffeninghe van hennen staet ghetreden sullen zijn, onsen voorsz. name. [...][S. 143] Welverstaende dat men in Hollandt ende Zeelant sal ghebruycken den naem van hoogh geboren Vorst den Prince van Oraengien ende de Staeten van deselven landen, totter tijt toe den voorsz. landtraedt datelick sal inghestelt wesen, en sullen hun alsdan reguleren achtervolghende de consenten, by hunlieden, op de instrucktie van den lantraet ende contrackt, met Zijne Hoogheyt aengegaen, ende in plaetse van des voorsz. Conincks zeghelen, men voortaene gebruycken sal onsen grooten zeghel, contre-zeghel ende cachetten in saecken, raeckende de ghemeyne regeringhe, daertoe den landtraedt volghende heure instructie sal gheauthoriseert wesen: maer in saecken, raeckende politie, administratie van juistitie ende andere particuliere, in elck lant besondere, sal gebruyckt worden by de Provinciale ende andere Raden den naem ende titele ende zeghel van den lande respectivelick, daer t’selfde valt te doene, sonder ander, al op de pene van nulliteyt van de brieven, bescheeden oft depeschen, die contrarie van t’gene voorsz. is, ghedaen oft gheseghelt zullen wesen. Ende tot beter ende sekerder volcominghe ende effectuatie van t’gene voorsz. is, hebben gheordonneert ende bevolen, ordonneren ende bevelen mits desen, dat alle des Conincks van Spaegnien zeghelen, in dese voorsz. geunieerde landen wesende, terstont nae de publicatie van desen, ghebrocht sullen moeten worden in handen van de Staten van elcke van de voorsz. landen respecktivelick oft denghenen, die daertoe by deselve Staten specialick sullen wesen ghecommitteert ende geauthoriseert, op pene van arbitrale correcktie. Ordoneren ende bevelen daerenboven, dat voortaene in egeenderhande munte van de voorsz. gheunieerde landen sal gheslaghen worden den naem, titele ofte wapenen van den voorsz. Coninck van Spaegnien, maer alsulcken slagh ende forme als gheordonneert sal worden tot eenen nieuwen gouden ende silveren penninck met zijne ghedeelten. [...]Ordoneren ende bevelen insghelijcks den president ende andere heeren van den Secreeten Raede, mitsgaders alle andere cantselers, presidenten ende heeren van den Raeden provinciael ende alle die presidenten oft eerste rekenmeesters ende andere van allen de rekenkameren, in de voorsz. landen respecktive wesende, ende alle andere officiers ende justiciers, dat zy (als heur voortaene ontslagen houdende van den eedt, die zy den Coninc van Spaegnien hebben respectivelic naer luyt heurer commissien gedaen) schuldich ende gehouden sullen wesen in handen van den Staten ’s lants, daeronder zy respective

Appendix XIV – Acte van afzwering van Philips II

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resorteren, oft heur speciale gecommitteerde te doen eenen nieuwen eedt, daermede zy ons sweeren ghetrouwicheydt teghens den Coninck van Spaegnien ende allen zijne aenhanghers, al naervolghende het formulair, daerop by de Generale Staten gheraempt. [...][S. 144] Ende sal men de voorsz. raeden, justiciers ende officiers, geseten onder de landen (met de Hoocheydt van den Hertogh van Anjou ghecontrackteerdt hebbende, van onsent wegen) gheven ackte van continuatie in hunne offitien, ende dat by maniere van provisie, totter aencompste toe van zijne voorsz. Hoogheyt, in plaetse van nieuwe commissien, inhoudende cassatie van heure voorgaende, ende de voorsz. raeden, justiciers ende officiers, gheseten in den landen, met zijne voorseyde Hoogheyt niet ghecontrackteert hebbende, nieuwe commissien onder onsen naem ende zeghel, ten ware nochtans dat d’impetranten van heure voorsz. eerste commissien wedersproken ende achterhaelt werden van contraventie der previlegien des landts, onbehoorlickheyt oft ander diergelijcke saecken.“

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APPENDIX XV – JUSTIFICATIE OF DEDUCTIE Auf den Inhalt der Justificatie of Deductie wird in der Studie ausführlich eingegangen. Quelle: Vranck, François: Corte verthooninge, [alterantive Bezeichnung: Justificatie of Deductie – Anm. O.K.],1587

„[Blatt 1] 1. De Ridderschap, Eedelen ende Steden van Hollandt ende Westvriesland representerende den Staten vanden selven Lande wel ende Rijpelijcken naar voorgaende communicatie, deliberatie en Rapport onder den Eedelen ende inde Vroetschappen vande Steden gehouden ende gedaen, op den tegenwoordigen staet deser Landen. Hebben volgende haeren Eedt ende plicht noodich geacht den wettigen staet der Landen van Hollant ende West-Vrieslant bij desen te openen, op vast betrouwen dat een yeghelyc die desen sal zien daer van sal oordeelen so onpartijdelijcke ende vreedsamelijkcken als den bedroefden staet deser Landen is vereyschende. [...] [Blatt 2–3] 3. Tʼwelck als gheweest zijnde een gantsch wettighe Regieringhe, sozeer als oyt eenige andere is bevonden, Heeft voortghebracht vruchten die merckelijk ende sonderlinghe tot eere ende Reputatie vanden voorschreven Graven mitsgaders welvaert der voorschreven Lande ende van de inghesetenen der selver hebben ghestrect als boven alle anderen, dat de Graven van Hollant, Zeelant en Vrieslant op de heerschappije van so clyne begrijp sijn geweest bij alle Princen ende Potentaten van ʼt Christenrijck niet alleen in sonderlinghe respeckt, eere en Reputatie, als blijct bijde hooge alliantien van houwelijcken die sij hebben ghemaeckt bij na met alle de machtichste Coninghen ende Potentaten van Christenrijck, ende dat inden Jare Eijc. Elvij. Coninc Willem de Tweede van dien name is gecoren gheweest Roomsch Keiser. Maar ooc dat de selve bij na altijdt sijn gheweest victorieus over hare vijanden: de palen vande selve Landen seeckerlijck teghen alle hare Vijanden (hoe machtich die waeren) hebben beschermt: waer deur dese ive niet weynich sijn gherespecteert ende ontzien geweest bij hare na-gebueren. Immers moegen wij mette waerheyt seggen dat den staet der Landen van Hollant ende Zeelandt binnen den tijt van acht hondert Jaren noyt metten swaerde en is geconquereert oft tonderghebrocht gheweest, noch bij uytheemsche, noch bij Inlantsche oorlooghen twelck wij niet en weten oft van eenighe andere rijcken (ten ware vande Republijcke van Veneghien) teghenwoordelijck souden moeghen worden geseyt, sonder dat men hier van eenighe andere Redenen soude connen geven, dan dat altijt goede eendracht liefde ende verstant is geweest tusschen den Princen ende Staten vanden selve Lande, dewijle doch den Princen (die bij hen selven geen macht en hadden) sonder den Eedelen ende Steden vanden Lande gantsch niet en vermochten als ordinare geen middelen hebbende dan het incommen van de Domeynen tot vervallinge vande costen haerder hofhoudinghe ende betalinghe vande ordinaris officiers. [...]

Appendix XV – Justificatie of Deductie

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[Blatt 8] 14. Waer uit goet te verstaen is dat dese Collegien vande Magistraten ende Raden vanden Steden ghevoecht bijde vergaderinge vanden Edelen, ontwijffeltjcken representeren den gantschen Staedt ende tʼgheheele Lichaem vanden Landsaten ende en can niet bedacht werden eenighe forme van Regieringe die met sekerder kennisse van alle gheleghentheden vanden Lande soude connen Resolveren oft hare Resolutien met meerder eendracht, autoriteyt ofte gevolch soude connen executeren: over sulcx en is niet te verwondere dat den Staedt deser Landen is geweest onveranderlijc en so geduerig als eenich staet ter Werelt soude mogen wesen. [Blatt 8–9] 14. [...]Omme nu de Collegien vand den Edelen ende Stede te brengen in eene vergaderinge en can niet geschieden dan bij Gedeputeerde vande selve; Oversulx als omme eenige merckelijcke saken te beraetslagen, van noode is selve te vergaderen so worden die beschreven, met insertie vande principaelste poincten, die bijden Collegien in deliberatie gheleyt ende daer op geresolveert sijnde worden afghesonden, alsulcke ghecommitteerde als sij vertrouwen, en met alsulcke last ende Resolutie als sij bevinden ten dienste vanden Lande te behooren. Dʼedelen compareren in competenten getale, ende de Steden seynden een Burgemeester met eenige Raden, al tot sulcken getale als sij luyden goed vinden, na de Importantie vande saecken ende bovendien sijn de gecommitteerde geduerende tʼoorloghe (overmits de mennichfuldicheyt vanden occurrentien) altijt generalyc gelast geweest, omme alle saecken de welvaert ende conservatie vanden staet vande Lande betreffende te adviseren ende Resolveren sulcks sijluyden ten meesten dienste vanden Lande bevinden te behooren ende besonder omme de rechten, vrijheden ende Previligien vanden Lande te maincteneren ende alle inbreucken te weren ende wederstaen, ende dese ghecommitteerde alsulcks bijden anderen vergaderende Representerende Staten vanden selve Lande niet dat syluyden in hare persoonen oft uit hare authoriteyt de Staten sijn, maer alleen uit crachte vande commissie van hare principalen, sonder datte presumeren staet dat yemant sich selven uit ambitie soude advancheren tot dese Commissien, want bovendien de natuere van desen Volcke een affkeer is hebbende van alsulcke ambitie ende Vyandt is van alle ambitieusen, soo en staet tʼselve niet te presumeren in so vrije electie ende veel min dat yemant in dese teghenspoet, die Godt almachtich den Landen ghelieft te overseynden soude begerich wesen, omme die saecken vanden Lande te handelen daer niet dan swaericheyt is in te sien, niet dan Vijantschap ende misgunst vanden vijanden onser saecken (die ooc de gequalificeerste ende veele ghetrouwe personen met valsch aengehenen abuserende dicwils quade opinien van veele goede Dienaers vanden Lande hebben verwect) staet te verwachten sonder eenig profijt, oversulks heeft men het aennemen van de voerschreven Commissien moeten redigeren Inter munera necessaria, ende alle dieghenen die eenich beleyt deser Landen hebben gesien, connen getuyge wat swaericheden ende constrinctien sijn gevallen ende gebruyckt omme de gecommitteerde versochte ende ghebruyckte personen tot de opgelyde Lasten te bewillighen.“

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APPENDIX XVI – AUSZÜGE AUS DEM FRIEDENSVERTAG VON MÜNSTER Ausschnitte aus dem Friedensvertrag von Münster zwischen den Vereinigten Niederlanden und Spanien. Auf den Inhalt wird in der Studie ausführlich eingegangen. Quelle: Nationaal Archief, Den Haag, Staten-Generaal, nummer toegang 1.01.02, inventarisnummer 12588.55B, Transkription: Oliver Krause

„[Blatt 5] In de eersten verclaert den voorst Heer Coninck ende erkent, dat de voorsz Heeren Staten Generael vande vereenigde Nederlanden, ende de respective provincien, vande selve, met alle haer geofficieerde landschappen, steden en anhorige landen, sijn vrije en souveraine Staten, provincien en landen, op de welcke, noch op haer geofficieerde Landschappen, steden en Landen voorsz hij heer Coninck niet pretendeert, noch nu, ofte namaels voor hem selven, sijne successeurs en nacomelinge nimmermeer ijets sal pretenderen; Ende dienvolgend te vreden te sijn met deselve Heeren Staten te tracteren, gelijck sij doet bij dese jegenwoordige, een eeuwige Vrede, op de conditien hier naer beschreven en verclaert. [Blatt 6] 3. Den [ij]egelick sal behouden; en datelick gebruycken de Landschappen, steden, plaetsen, Landen ende Heerlicheden, die hij tegenwoordig hout en besith, sonder daer in getroubleert offbeleth te worden, directl[ick] noch indirectlick, in wat manieren dat het zij, daer onder men verstaet te begijpen de welcken Dorpen, [Ge]huchten, en platte Landen, die daer van dependeren; Ende sullen dien volgens de geheele Meijerei van s’ Hertogenbosch, als mede all de Heerlicheden, Steden, Castelen, Vlecken, Dorpen, [Ge]huchten ende platte Landen, dependerende van de voorsz Stadt ende Meijerei van s’ Hertogenbosch, Stadt en Marquisaet van Bergen op Zoom, Stadt ende Baronnie van Breda, Stadt van Maestricht, ’t ressort van dien, als oock het Graeffschap vanden Vroonhofft, de Stadt Grave en Land van [C]uijck, Hulst en Bailliage van Hulst en Hulster Ambacht, als oock Axle Ambacht, gelegen besuijden ende benoorden de Geule, mitsgaders de [scha]rten die die gemelte Heeren Staten jegenwoordig inhebben in’t Land van Wlaes, ende alle andere Steden en plaetsen dewelcke de gedachte Heeren Staten houden in Branbant, Vlanderen en elders, blijven aende voorsz Heeren Staten in all ende deselve rechten den delen Souverainiteit en superioriteit niet uitgesondert, en even gelijck als zij sijn houdende de provintien vande vereenichde Nederlanden. [Blatt 7–8] 5. De navigatie ende traffiquen op de oost ende West Indien sullen werden gemainteneert, volgens ende in conformite vande octroijen daer toe albereijts gegeven, ofte noch te geven, & tot verseeckertheijt vandien sal strecken, het jegenwoordige tractaet, & de ratificatie ten wederzijden daerop uijt te brengen. Ende sullen onder het voorn Tractaet begrepen worden alle potentaten, Natien en volckeren waer mede de voorn Heeren Staten, off die vande Oost ende West-

Appendix XVI – Auszüge aus dem Friedensvertag von Münster

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Indische Compagnie van harentwegen binnen de Limiten van haer Octroi in vrundschap ende alliantie staen; Ende sal en ijeder te weten de hoochgemelte Heeren Coninck en Staten – respective, blijven besitten en gauderen soodanige Heerlicheden, Steden, Castelen, [s]tercken, handel ende Lande inde Ost ende Westjndien, als noch Brasil, mitsgaders op de Custen van Asia, Africa, en America respective, als deselve Heeren Coninck & Staten respectivelick sijn hebbende ende besittende, daer onder specialick begrepen de plaetsen bijde Portugijsen sedert en hare sestienhondert eenenviertich den Heeren Staten affgenomen en geoccupeert, off de plaetsen die zij hier namaels, sonder infractie van’t jegenwoordich tractaet sullen comen te vercrijgen en te besetten; Ende sullen de Bewinthebberen, soo vande Oost als Westindische Compagnie der Geunieerde Provincien, als oock de ministers, hooge en lage officiers, soldaten enden bootengesellen in actuellen dienst van d’ een off d’ andere der voorsz twee Compagnien wesende, off geweest zijnde, als oock die uijt der selver respective diensten, soo hier te Lande als in’t district der opgemelte Compagnien al noch continueren, ende naer desen noch geempoijeert machten worden, vrij en onbecommert sijn in alle de Landen staende onder de gehoorsaemheijt vanden Coninck van Spagnien in Europa; sullen mogen reysen, handelen ende wandelen, als alle andere Ingesetenen vande Landen voorn Heeren Staten, Voortsz is besprooken en gestipuleert; dat de Spagnaerden sullen blijven bij hare vaerten in soodanigen [wegen] als zij deselve in Oostjndien alnoch hebben, sonder hun verder te mogen extenderen, gelijck oock mede de Ingesetenen vande Vereenichde Nederlanden haer sullen onthouden vande [frequentatie] vande Castiliaensche plaetsen in Oostindien.“

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APPENDIX XVII – BRIEF DE WITTS AN DIE DORDRECHTER STADTREGIERUNG Quelle: Brief vom 27. Februar 1652, Aan de regering van Dordrecht 1651–1653, in: Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, 1650–1657(1658), 1906, S. 29–31.

„De vegadering compleet zijnde, is de resolutie tot beveiliging der zee heden genomen. [Verweis auf die Resolution der Staten von Holland, 27. Februar 1652, Anm. O.K.] De kosten van deze toerustingen gaan de vroegere berekening verre te boven, waarom de leden algemeen van gevoelen zijn dat het veilgeld niet slechts van de inkomende en uitgaande goederen ter zee , maar ook te land geheven moet worden. ,Allegerende daertoe seer considerable redenen, ende naementlijck dat in desen eygentlijck de deliberatie niet en is omme te beschermen ofte beneficieren de negotie ter zee , maer over de bescherminge ende behoudenisse van ons gansche vaederlandt, ende dat oversulx alles daertoe sal moeten contribueren wat eenichsins belast sal connen werden, niet alleenlijck de commercie alomme , maer dat oock selfs op vordere middelen, raeckende de vaste goederen ende capitaelen, sal moeten worden gedacht. Dat daerenboven de fleur van de commercie langs de revieren ende te lande evidentelijck is dependerende van den welstant der negotie ter zee, ende dat dese geruineert zijnde, d’andere oock nootsaeckelijck moet comen te vervallen; ende dat oversulx de commercie langs de revieren ende te lande de voorschreven belastinge, als streckende tet behoudenisse van deselvem noodtsaeckelijck mede sal moeten dragen. Dat wyders de revieren voor dato van de laeste lijste, jegenwoordich in practycque sijnde, selfs ten tyde van den twaelffjaerigen trèves, in beswaert geweest als de zee : daer nochtans de zee ende revieren op de voorschreven jongste lijste in alle speciën esgalijck worden belast, ende dat sulx de revieren daerdoor merckelycken sijn verlicht geworden ; daerby dan noch comt dat, de convoyen onlangs een derde part zijnde verhoocht, de revieren van deselve verhooging zijn geëximeert gebleven, ende dat mitsdien deselve revieren de voorschreven belastinge van ’t veylgeldt wel connen draegen. Zijnde daertoe noch gemoveert een andere reden, die meest wordt geurgeert: te weten dat, by sooverre de goederen, comende langs de revieren ende te lande, exempt mochten blyven van de voorgeroerde, nieuw op te stellen belastinge, alle de zyde laeckenen, concencille ende andere fyne waeren, comende uut Italiën ende sijnde van groote waerdye, omme te ontgaen deselve belastinge, ofte t’eenemale te lande souden comen ende langs de revieren, ofte, dat erger soude sijn, ende meerder wordt geapprehendeert, ter zee comende souden aendoen de haevenen van Vlaenderen ofte Vranckrijck, naest aen dese landen gelegen, ende aldaer gelost zijnde voorts te lande ende langs de binnenwaeteren in ’t landt souden worden gebracht, waerdoor dan den Staet niet alleenlijck soodaenige merckelycke incompsten, als ten reguarde van de groote waerdye van de voorgemelte waeren, souden worden getrocken, soude comen te missen, maer oock de schipvaert, daerby desen Staet genochsaem moet subsisteren, meer ende meer soude comen te vervallen. Bovendien alsoo uut het voorschreven middel, als

Appendix XVII – Brief de Witts an die Dordrechter Stadtregierung

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’t selve al generaelijck in dier voegen soude ingewillicht worden, gelijck geseyt is, noch op verre nae niet en sal connen worden vervallen ’t gunt tot soedaenige esquipage, als men oordeelt te moeten worden gedaen, is gerequireert, soo is ’t concept dat mede opgestelt soude worden een lastgelt, begroot op een gulden per last van de incomende ende op een halve gulden per last van de uutvaerende schepen; ende omme te meerder te faciliteren den voorschreven generaelen opheff van ’t veylgelt, soo op de revieren ende te lande als ter zee, soo wordt voorgeslagen dat het opgemelte lastgeldt alleenlijck soude worden geheven op de schepen, gaende ende comende ter zee’. Ongelast op beide punten, lastgeld en veilgeld, zende wij dezen per expressen om de intentie van de principalen te vernemen: ten spoedigste, om niet beschuldigd te worden van een zaak van zoo groot belang geretardeert te hebben.“ [De Witt behandelt in dem Schreiben die Abgaben des Handels zur See und auf den Flüssen. Der Handel zur See war für den Binnenhandel wichtig, da ohne ihn auch weniger Waren auf den Flüssen verschifft werden konnten. Deswegen musste auch der Handel zu Land und auf den Flüssen, den Handel zur See durch Abgaben mittragen, denn obwohl der Handel zur See während des 12jährigen Waffenstillstands stärker belastet war als der Handel auf den Flüssen und dem Land, zahlten alle die gleichen Abgaben. Das war eine Erleichterung für den Binnenhandel. Zudem wurde das Convoigeld, das genutzt wurde, um den Handelsschiffen zur See Begleitschutz zu ermöglichen, um ein Drittel erhöht. Für den Binnenhandel wurde es indes aber gar nicht erhoben. Deswegen könnte der Binnenhandel die Erhöhung des Veilgeldes tragen. Einige Produkte, wie Seide und andere feine Stoffe, die aus Italien kommen würden, wären von den Abgaben befreit, weil sonst die Gefahr bestehe, dass diese Waren über die Häfen Flanderns und Frankreichs über den Seeweg nach Nordeuropa geliefert werden würden. Damit entstünden dem niederländischen Staat große Verluste. Das Lastgeld wird auf einen Gulden pro Last für einfahrende, auf einen halben Gulden pro Last für ausfahrende Schiffe festgelegt. Das wird nur für Schiffe zur See erhoben, da bereits das Veilgeld sowohl für die See- als auch die Binnenschifffahrt angehoben wurde. – Dem Seehandel konnten entsprechend höhere Abgaben auferlegt werden. Der Binnenhandel musste geschützt werden, da die Warenströme ansonsten andere Distributionswege genommen hätten.]

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APPENDIX XVIII – BRIEF DE WITTS AN BEVERNINGH UND NIEUWEPORT Quelle: Brief vom 2. Januar 1654, Aan Beverningh en Nieuweport, in: Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, 1650–1657(1658), 1906, S. 114f.

„[...]Ick heeb uyt Uwer Ed. voorgaende brieven niet anders connen bemercken, dan dat de saecke van de negotie aldaer principaelijck heeft geaccrocheert aen de pretensie der Engelschen tot het dominium over de zee, daeronder ick trecke het strycken van de vlagge, de visitatie der schepen, de recognitie voor de haeringvangst, ende wel sonderlinge het limiteren van seecker getal der oorlochschepen, die by desen staedt alleenlijck in zee gebracht souden mogen worden, sonder ’t selve getal te mogen excederen. Alle welcke poincten ich verneme dat by den Raede van State UE. nevens de andere Heeren Gedeputeerden van desen staedt voorgehouden sijn geweest, ende dat noch het poinct van satsifactie, mitsgaders dat van securiteyt, daeronder ick begrype het voorstel van desen staedt te obtineren teosegginge ende belofte van det den Prince van Oraigne, mitsgaders desselfs posteriteyt, tot geene militaire ofte politijcque commandementen ofte gouvernementen by Haer Hoog Mog. ofte by de Staten van eenige particuliere provinciën soude werden gevordet. Ende hebbe ich met sonderlinge aengenaemheyt uut de voorschreven Uwer Ed. jongste missive, van date den 26sten der voorleden maendt, vernomen, dat deselve van goeder handt bericht gedaen ende hope gegeven is, dat het poinct van het dominium maris, ende specialijck mede dat van de recognitie over de visscherye gepasseert sullen worden, vastelijck vertrouwende dat daermede oock de pretensiën tot het visiteren der schepen ende het limiteren van de oorlochschepen, by desen staedt in zee te brengen, mitsgaders tot het strycken van de vlaggen, sullen comen te cesseren ,immers dat in ’t reguardt van ’t voorschreven laetste poinct soodaenige expediënten ende reglemtenten sullen connen worden bedacht ende geformeert, als waermede men te wederzyden soude connen ende behooren te nemen contentement, te meer alsoo Haer Hoog Mog. albereydts door den Heere van Heemstede [Adrian Pauw erwarb 1620 die Herrschaft Heemstede. Die Familie Pauw blieb im Besitz des Gutes. O.K.] hebben doen verclaeren, dat desen Staedt dienaengaende gaerne aen de Engelsche natie, by de jegenwoordige forme van regieringe, soude defereren al sulcke eere, als aen deselve by tyden van de Coningen bewesen is geweest. De satisfactie en vinde ich in de voorschreven UE. laetste missive niet aengeroert, ende vertrouwe derhalven dat oock apparentie is omme daer door te geraecken, gelijck ick oock bericht ben, dat den Raede van Staete voor desen aen UE. verclaert hadde, tevreden te wesen, dat hetselve poinct soude werden geseponeert, totdat men over de vordere saecken eens geworden soude sijn; doch coomt my buyten verwachten te voren dat UE., in de voorgeroerde derselver laetste missive, te kennen geven, dat men naer apparentie de saecke van Amboina wederomme levendich maecken ende daerover eenige voldoeninge pretenderen sal, dewyle ick daervan in Uwer Ed. voorgaende brieven niets ter werelt hebbe bespeurt; doch ick vertouwe, dat hetselve poinct in sulcken

Appendix XIX – Briefe de Witts an van Beuningen von 1656

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cas soude succederen in plaetse van den eisch van satisfactie.“ [Es folgen weitere Ausführungen zur Frage, ob die Oranier offizielle Ämter überhnehmen dürfen. Hervorhebungen O.K] [De Witts Brief steht im Kontext des ersten Englisch-Niederländischen Kriegs. De Witt zählt die Forderungen der Engländer nach Begrenzung der niederländischen Kriegsschiffe, Einschränkung der Fanggebiete der niederländischen Heringsfangflotte, dem Hissen der Flagge, der Visitation von Schiffen und dem Ausschluss des Prinzen von Oranien von Staatsämtern auf. De Witt sieht in den Forderungen der Engländer deren Streben nach der Herrschaft über die See. Auch das Massaker von Ambon wird von den Engländern bei den Verhandlungen immer wieder erwähnt. – In de Witts Brief wird deutlich, in welch großem Maß, der Krieg gegen die Engländer ein Wirtschaftskrieg um die Vorherrschaft im Handel auf See und die Ressourcen des Meeres war. Zudem zeigt die Erwähnung Amboinas, das der Konflikt mit England global war.]

APPENDIX XIX – BRIEFE DE WITTS AN VAN BEUNINGEN VON 1656 Quelle: Brief, Erster Brief vom 23. Juni 1656, Aan van Beuningen, in: Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, 1650–1657(1658), 1906., S. 390.

„[...]op vertrouwelijken voet met Denemarken te staan en met dat rijk schikkingen te treffen tot beveiliging van vaart en handel tegen aanmatigingen van Zweden; zoo England genegen blijkt met de Republiek tot dit doel samen te spannen, Denemarken over te halen om met Engeland en de Republiek gezamenlijk te onderhandelen over de bescherming der vrije vaart op de Oostzee; als vloot der Republiek onverhoopt met de Zweden te doen krijgt, verzoeken om assistentie van die der Denen, met belofte van wederkeerigen bijstand.“ Brief, Zweiter Brief vom 23. Juni 1656,. Aan van Beuningen:, Ebda., S. 391.

„Ontvagen die van 26 en 29 Maart. – Over het toelaten van oorlogsschepen door de Sont, als het tractaat van redemptie vernietigd is.[...]“ „[…] Doch aen deselve provinciën met grooten ernst gerepresenteert hebbende, hoeveel daeran was gelegen, dat middelerwylen de vlote van desen Staet, des noot sijnde, haer naer de reede van Danzick mochte vervoegen omme de navigatie ende de commercie van de goede ingesetenen deser landen onverhindert te mogen continueren op de reviere de Weyssel ende op de stadt van Danzick, oock voornaementlijck omme alsoo te beletten, dat de voorschreven stadt te waeter niet gesloten gehouden wierde, ende opdat door ’t selve middel de flaeuwe gemoederen van binnen wat mochten werden gëencouragieert, soo hebben Haer Edel Groot Mog. op der remonstrantie ende representatie van dat sulx was d’

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essentiele intentie van den Staet, vervat in de instructiën soo voor d’ Heeren Ambassadeurs aldaer als voor ’t opperhooft van de vlote, aff te nemen uyt verscheyden articulen, daertoe applicabel, eyntelijck op huyden uutgewerckt de provisionele resolutie, die UE. van wegen Haer Hoog Mog. hiernevens toegesonden werdt.[...]“ [Nach Danzig wurde 1655 und 1658 eine Flotte entsendet, um die Handelsschifffahrt für Getreide wieder zu ermöglichen, was auf das Drängen der Amsterdamer Eliten zurückzuführen war. Die Briefe an van Beuningen zeigen das Interesse de Witts an der Beherrschung des Sunds, um mit den Ostseeanrainern Geschäfte führen zu können.]

APPENDIX XX – BRIEF DE WITTS AN VAN BEUNINGEN, 9. FEBRUAR 1657 Quelle: Brief vom 9. Februar 1657, Aan van Beuningen, in: Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, 1650–1657(1658), 1906, S. 409ff.

„[...] [S. 409] Ende alhoewel ick my van ’t eerste seer gaerne saege gëexcuseert, soo sal ick echter, tot voldoeninge van UE.’s bgeerte, ende my onderwerpende desselfs beter gevoelen, by desen seggen, dat ick niet anders kan oordeelen dan dat, by desen Staet ambassadeurs uutgesonden wesende, aen d’eene zyde naer Pruyssen, met instructie omme nevens de bevorderinge van den vrede tusschen Sweden ende Polen oock vooral mede te bearbeyden een goedt tractaet met den Coninck van Sweden, tot voordeel van den Staet mitsgaeders van de navigatie ende commercie der goede ingesetenen van dien; ende aen d’andere zyde naer Denemarcken, omme den Coninck aldaer den voorschreven last van de Heeren ambassadeurs naer Pruyssen te communiceren, Syne Majesteyt te bewegen tot gelycke besendinge naer Pruyssen ende deselve op te wecken omme de gevaerlijckheyt van de desseynen, ontrent de Oostzee ondernomen, behoorlijck te apprehenderen, sich te stellen in postuyr van waepenen ende besonderlijck ter zee; ende in gevolge van den voorschreven last, mitsgaeders op de vordere resolutiën van den Staet, dienaengaende successivelijck genomen, ter wederzyden geageert ende gennegotieert wesende, hetselve genegotieerde, immers voor sooveel daerinne geen strydicheydt werdt bevonden met de voorschreven instructiën ende resolutiën, ofte andersins de discrepantie tot contentement geredresseert wesende, by den Staet sal moeten werden geratificeert : niet alleenlijck uut oorsaecke, dat ick geene redenen kan vinden, waeromme men jegenwoordich soude deflecteren van de fondamenten, met soo rypen overlech geleydt, maer oock omdat ick oordeele, dat alle Coningen ende Republijcquen, uutsendende ambassadeurs ofte andere ministers om te negotieren met een absolut pouvoir ende onder solemnele belofte van derselver gehandelde te sullen gestant doen ende ratificeren, in alle

Appendix XXI – Brief de Witts an van Beuningen, 22. Juni 1657

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mannieren ende naer ’t gemeene volckerenrecht gehouden sijn te ratificieren ’t gene op soodaenige pouvoirs conform de gegevene instructiën is genegotieert; [...] [S. 412] ,Wyders hebbe ick uut de voorschreven UEd.’s brieven niet gespeurt, dat aldaer eenige notable armature te waeter werdt by der handt genomen, daerdoor nochtans de commercie immediatelijck meest schijnt te connen werden beschermt; ende de securiteyt, die de commercie heeft te verwachten uut het toerusten van legers in Schonen, Jutlandt en Noorwegen misschien by sommigen geacht sal werden door te verre consequentiën te moeten werden gehaelt, ende dat daeruyt vooreerst wel een dobbelde turbel in de navigatie ende commercie op de Oostzee ende daerontrent soude mogen resulteren : sulx dat UEd. mede met het officie van mediatie, dat vóór desen d’Heeren ambassadeurs in Pruyssen allen opgeleydt is geweest, wel souden mogen werden gechargeert.[...]ʻ“ [De Witt bemühte sich um eine Allianz mit Preußen/Brandenburg als auch mit Schweden, um die Verhältnisse im Sund zu stabilisieren, was für den Warenverkehr der Niederländer wichtig war. Bei den Vertragsschlüssen müssten sich alle Beteiligten am Völkerrecht orientieren. – De Witts Brief zeigt dessen Interesse an der Politik im Ostseeraum, da die dortigen Entwicklungen niederländische Handelsinteressen betrafen. Das politische und militärische Eingreifen der Niederländer in den Nordischen Krieg war ökonomisch motiviert.]

APPENDIX XXI – BRIEF DE WITTS AN VAN BEUNINGEN, 22. JUNI 1657 Quelle: Brief vom 22. Juni 1657, Aan van Beuningen, in: Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, 1650–1657(1658), 1906, S. 426f.

„[...] UEd.’s consideratiën ontrent het stuck van de marine geduyrende den jegenwoordigen oorloch tusschen Sweden ende Denemarcken sijn, mijns oordeels, seer pertinent ende nopende de forme, daerontrent te observeren, dunckt my mede, dat men sich van een formeel tractaet, ten minsten by provisie, noch soude connen passeren; ende in gevalle Ueden daerontrent een verclaeringe van den Coninck by geschrifte conden trecken, tot gerustheydt van de goede ingesetenen deser landen ende opdat deselve mogen weten, waernaer haer desen aengaende te reguleren, hetselve soude, mijns bedunckens, ten hoochsten te desidereren wesen, De principaele ingrediënten van deselve verclaeringe meyne ick, nevens UEd., dat souden behooren te wesen: 1° een designatie van die waeren, die voor contrebande souden werden gereeckent, met uutsluytinge van eedtwaeren uut het getal van deselve. 2° dat alle andere waeren, gelaeden in schepen, hier te lande t’huysch behoorende, souden vry sijn ende ongemolsteert mogen passeren, sonder consideratie ofte onderscheydt aen wie deselve in eygendom mochten toecomen. 3° dat geen recherche ter werelt soude ondernomen werden in die openbaere zee, maer alleenlijck in de Zondt, door exhibitie van passpoorten ende zeebrieven, sondern meer, volgens het tractaat van 1645. 4° dat

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geene plaetsen voor beseth ofte belegert gehouden, ende sulx daerop de commercie verhindert soude werden, als die van allen canten, soowel te lande als te waeter, besloten souden wesen, met meyningen om die te vermeesteren.[...]“ [De Witt schlägt Regelungen für ein Abkommen mit dem dänischen König vor, der nach dem Sieg über die Schweden mit Unterstützung durch die Niederländer Vergünstigungen für den Seehandel der Niederländer durch den Sund bewilligen sollte. Besonders der dritte Punkt, dass außer im Sund keine Frachtpapiere oder Pässe kontrolliert werden durften und der vierte, das keine Handelsplätze besetzt oder belagert werden durften, waren im Sinn der überlegenen niederländischen Handelsflotte, den Markt zu deregulieren, um so wenig wie möglich Kontrolle der eigenen Schiffe durch fremde Herrscher zu ermöglichen.]

APPENDIX XXII – BRIEF DE WITTS AN BÜRGERMEISTER Quelle: Brief vom 7. April 1657, Aan Burgemeesteren van Dordrecht, Amsterdam, van Rotterdam, van Hoorn en van Enkhuizen, in: Fruin/Kernkamp, Brieven van Johan de Witt, 1650– 1657(1658), 1906, S. 509f

„Edele Welachtbaere Heeren, Uwer Edel Achtb. sal ten besten bekent sijn, hoe dat nu eenigen tijdt geleden door affgesanten van den Churvorst van Ceulen, uut den naeme ende van wegen eenige aengrensende Churvorsten ende Vorsten van ’t Duytsche Rijck, aen Haer Hoog Mog. aenbiedinge is gedaen omme met desen Staet tot bescherminge van wederzijdts landen ende ingesetenen, mitsgaeders tot voortsettinge van de navigatie ende commerciën op de revieren ende in de landen van yders territoir, aen te gaen eene alliancie defensive; ende hoe dat daerop by Haer Hoog Mog., conform voorgaende advis provinciael van Hollandt, aen de gemelte Heeren affgesanten verclaeringe gedaen wesende van de goede genegentheydt van desen Staet tot deselve alliancie, met versoeck van openinge van als sulcke particulariteyten ende ingredienten, als waerop de gemelte Heeren affgesanten haer mochten geaucthorissert vinden omme de voorgementioneerde te maeckene verbintenisse aen te bieden, deselve doenmaels hebben aengenomen daervan te sullen rapport doen; ende hoe dat daerop wyders is gevolgt dat corts voor ’t scheyden van Haer Ed. Groot Mog. jongste vergaederinge alhier sijn gearriveert gemachtichden van d’Heeren Churvorsten van Ments, Coelen en Trier, mitsgaeders van den Bisschop van Munster ende den Hertoch van Nieuborch, doende renovatie van de voorgeroerde aenbiedinge, ende bereydt zijnde over de particuliere ingredienten van de voorschreven alliancie onderhandelinge te treden, daertoe oock by Haer Hoog. Mog. commissarissen sijn genomineert. Ende aengesien Haer Ed. Groot Mog. vóór derselver jongste separatie goedtgevonden hebben, dat ’t voorschreven werck sooveel doenlijck conform haere bekende inclinatie soude werden geprepareert, ende dat de ingredienten, in de voorschreven alliancie nopende ʼt voorgeroerde poinct van de commercie ende

Appendix XXIII – Briefe Viviens an de Witt von 1665

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traffijcq te influeren, voornaementlijck van deser zyde sullen moeten werden opgegeven, ende, naer de eygenschap van de voorschreven materie, wel sullen dienen te werden getrocken uut de kennisse der magistraeten van alsulcke steden ende uut informatiën van alsulcke coopluyden, als in de landen van de voorgemelte Chur- ende Fursten, ende langs de revieren, voorschreven meest sijn traffycquerende, soo hebbbe ick my verstout UEd. Achtb. mits desen gansch gedienstich te versoecken, dat deselve de moeyte gelieven te nemen van my, by rescriptie op de jegenwoordige, soo haest doenlijck kennisse te geven van alle ’t gene deselve naer genomen informatie, als boven, sullen oordeelen dat in de meergeroerde te maeckene alliancie van deser zyde tot voordeel van de traffycque met recht gepretendeert ende met vrucht bedongen soude connen werden, opdat de Hollandtsche Heeren, wegens Haer Hoog Mog. tot her voorschreven werck mede gecommitteert, daervan ick de eere ende last hebben één te wesen, daerdoor des de bequamer mogen werden gemaeckt omme de goede intentie van Haer Ed. Groot Mog. ende de sensibelste interessen van dese provincie te helpen bevorderen. Waermede UEd. Achtb. rescriptie te gemoedt siende. Sal verblyven etc.[...].“ [De Witt schlägt den Bürgermeistern der genannten Städte vor, mit dem Kurfürsten von Köln, der im Namen anderer Kurfürsten und Fürsten des HRRs spricht, ein Defensivbündnis abzuschließen, was zudem den ungehinderten Verkehr und Handel durch die Gebiete des HRRs bedeuten würden, die sich dem Bündnis anschließen würden. Das Bündnis hätte sowohl politische und militärische als auch wirtschaftliche Vorteile für den niederländischen Staat.]

APPENDIX XXIII – BRIEFE VIVIENS AN DE WITT VON 1665 Quelle: Brief von Nicolaas Vivien [Neffe Johan de Witts. Seit 1664 Pensionär von Dordrecht], 22 September 1665, in: Fruin/Japikse, Brieven aan John de Witt, 1669–1672, S. 255.

„Ick wensche om veel, dat Uwe Edts. wyse directie hier aen het werck de vereyschte beweginge konde geven, dat nu ofte stille staet ofte niet met de gerequireerde wijsheyt werdt gemanieert. Sweden is den Staet al afgegaen, Denemarcken bransleert, de Duytsche vorsten met den Keyser ende het Huyse Oostenrijck schynen haer tegens desen Staet te sullen banderen, ende de lang beloofde garantie van Vranckrijck gaet achterwaerts, soodat sich nergens een vrient openbaert, in voegen dat nootsaeckelijck schijnt te wesen òf met Engelant te handelen òf absoluyt in de interessen van Vranckrijck over te gaen ende sich, om de voorsz. secoursen te obtineren, in een langhduerigen oorloogh in te wickelen ofte eyntelijck met het Huyse van Oostenrijck aen te spannen, alle welcke deliberatiën Uwe Edts. tegenwoordigheyt requireren, die ick hope, dat ons den goeden haest sal verleenen.“

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[Vivien stellt fest, dass sich alle europäischen Mächte beginnen, gegen die Vereinigten Niederlanden zu verbünden.] Quelle: Brief von Nicolaas Vivien, 25 September 1665, in: Fruin/Japikse, Brieven aan John de Witt, 1669–1672, S. 257f.

„Het generael besoigne, waervan ick voor desen mentie hebbe gemaeckt, is mede gehouden ende alhoewel daerontrent al speculatiën liepen, reflexie maeckende op Vranckrijck ende Spagne, soo is echter den uytslach geweest, dat men sich selfs in goet postuer van defensie soude brengen, soo te waeter als te lande, dat de alliancie met Denemarcken ende Brandenburgh soude werden gevordert, waertgelders aengenomen etc.; vele leden adviseerden oock, om een minister naer Engelant te senden, onder pretext van wegens de verwisselinge van de gevangens te sullen handelen ende tegelijck te sullen sonderen, of eenige apparentie tot vrede soude mogen wesen; edoch hetselve, als vooralsnoch ontyidg sijnde, wierde van de meeste leden gerejecteert. Ick hebbe oock nopende het invallen van de vloot met de heeren Fagel ende Van Hoorn gesproocken, waervan den eersten van mijn sentiment was, edoch de heer Van Hoorn seyde, dat, behalven den opspraeck, daerdoor oock geperecliteert soude werden de Smirnaesche vloot, mitsgaders de andere coopvaerdyschepen, noch verwacht werdende.“ [Ein weiterer Brief Viviens folgte drei Tage später und stellt noch einmal die Bündnisverhältnisse der Vereinigten Niederlanden und die Indienststellung der Handelsschiffe zu Kriegszwecken heraus.]

Appendix XXIV – Acte van Harmonie

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APPENDIX XXIV – ACTE VAN HARMONIE Auf die Acte van Harmonie wird in der Studie detailliert eingegangen. Sie betrifft den Ausschluss Wilhelms III. von Oranien von allen wichtigen politischen Ämtern. Quelle: XLIII. 31. Mei 1670. Acte van Harmonie, in: Blécourt/ Japikse, Klein plakkaatboek van Nederland, S.295f.

„XLIII. 31 Mai 1670 Acte van Harmonie By resumtie gedelibereert sijnde op ’t project van Harmonie, in Hare Ho. Mo. notulen van den seventhienden Januarij 1668 geinsereert, is by eenparige overgifte ende bewilliginge van alle de provincien verstaen ende geresolveert, dat den heere Prince van Orainge van nu aff vergunt sal werden sessie in den Raet van State, met een sortabel jaerlicx tractement, by de respective provincien te begrooten, omme aldaer geimbueert te werden met de vereyschte kennisse van saecken van militie, policie ende finantie. Ende in gevalle eenich leger van den Staet te velde gebracht mochte werden, dat in sulcken cas denselven heere Prince mede in politycque qualiteyt, ’t zy als daertoe uyt den gemelten Raet gecommitteert ofte andersints, de campagne ende deliberatien van de gedeputeerden van Hare Ho. Mo. te velde sal bywoonen, omme alsoo meer ende meer bequaem gemaeckt te werden tot hat bedienen van het Capiteynschap Generael te water ende te lande, als den Staet hem naermals daertoe soude mogen goetvinden te verkiesen. Ende so wanner den hoochgemelten heere Prince den ouderdom van twee en twintich jaren sal hebben geadimpleert, dat alsdan by de gesamentlicke bontgenoten met een goede harmonie gedelibereert sal werden over desselfs bequamtheyt tot het becleeden van de voorschreve hooge charges en geresolveert, off, met den dienst van ’t landt, deselve op Syne Hoocheyt souden connen ende behooren geconfereert te werden. Dat middels geen stadthouder van eenige provincie off provincien sal mogen werden verkosen. Ende byaldien den hoochgemelten heere Prince ten voorschreven tyde by de gesamentlicke bondtgenoten tot Capiteyn-Generael en Admirael mocht aengesteldt werden off andersints hem onder eenige andere titel het opperste commando van de militie te water ende te lande aenbevolen, dat alsdan by de voorschreve deliberatien ende vóór de effective electie tusschen de bondtgenoten sal werden vastgestelt ende de instructie ingelyft, dat geen Capiteyn-Generael ofte Adrmiael noch eenige, die het opperste commando van de militie te water ofte te lande wegens den gemeenen Staet wert gedefereert, sal mogen stadthouder van d’een off d’andere provinice sijn; dat de geëligeerde by eede verplicht sal wesen, niet alleen daerjegens noyt directelick off indirectelick eenich versoeck te sullen doen, veelmin toelegh te maecken, directelick off indirectelick, maer ter contrarie, sulcx by anderen geschiedende, ’t selve te sullen tegengaen ende het stadthouderschap,

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soo hem t’eenigen tyde die digniteyt by eenige provincie mochte werden geoffereert, te sullen refuseren ende van de handt slaen. Ende in cas het buyten vermoeden mochte comen te gebeuren, dat den meerhoochgemelten heere Prince tot de voorschreve hooge charges alsdan met effective ende met eenparige bewillinge van de gesamentlicke provinicen mochte werden aengestelt, gelijck daerinne niet anders dan met eenparicheyt can werden gedisponeert, dat aen de respective provincien hare vrye deliberatien in ‘t verkiesen van stadthouders sullen blyven ongelimiteert ende haer voorbehouden de vryheyt, die aen deselve heirbevoorens is geweest. Ende is dese resolutie nach stande vergaderinge geresumeert ende gearresteert.“

Appendix XXV – Brief der VOC-Kammer Zeelands an Grotius

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APPENDIX XXV – BRIEF DER VOC-KAMMER ZEELANDS AN GROTIUS Quelle: Brief Nr. 146, 1608 Nov. 4, van Bewindhebberen van de Kamer Zeeland der O.-ICompagnien:, in: Molhuysen. P. C.: Briefwisseling van Hugo Grotius, Eerste Deel, 1597–1618, Rijks Geschiedskundige Publicatiën, 64, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1928, S. 128f.

„Erentfeste, Wijse, Voorsienighe, Seer discrete Heere ende Vrundt, Wy sijn altijt van gevoelen geweest dat het oirboirlijck ware voor de Vereenighde Compaignie, dat het recht van de Zeevaert twelcke de Nederlantsche Natie competeert over de vrije wijde werelt eens grondelijck ware gededuceert ende soo met natuyrlycke redenen als middelen van rechten bekleet, waer door de Ingesetenen van dese landen – indyen der noch eenighe twijffelachtigh sijn – van de goede cause mochten sijn versekert, ende principalijck de nabuyrighe Princen ende Vorsten meer geencourageert omme de Natie in haer goet recht te helpen mainteneren. Twelcke alsoo wy te voren hebben oirboirlijck bevonden, dunckt ons nu bijkans nootsaeckelijck, in eene conjuncture van tijden als men disputeert van pays ofte treves; welcker ’t een ofte d’andere voorvallende, sal grootelijcx in consideratie kommen den handel op Oost-Indien, mitsgaders de conquesten ende alliancien, aldaer gemaeckt, dewelke, gelijck de coningh van Spaignen met alle sijn kracht soeckt te vernietighen, wy aen d’andre sijde moeten teghen wercken, omme door onse Overheyt ende de nabuyrighe Princen met alle goede debvoiren ons recht mitsgaders dat van de geheele natie te hanthaven. Van dit gevoelen sijnde heeft ons noch korts daertoe seer geanimeert de remonstrantie van M. Jan Boreel, in onse vergaderinghe gedaen; waer hy met eene aengewesen heeft de middel om ons desseing te voltrecken, seggende dat Uwe. E. alle de stoffe hadde geprepareert die tot deze materie mochte dienen, ’twelcke ons aengenaem was om te hooren. Waeromme niet twijffelende aen de genegentheyt van Uwe E. totten welstant van de Vereenighde Comp. versoecke dat Uwe E. believe de selfde met sijnen arbeyt ’t assisteren, ghelijck als wy niet en twijfelen, ofte U.E. en zijt voor desen insgelijcx by de andere camer van Hollant tot dien eynde mede versocht ende dat ’t selfde soo tydelijck, dat terwylen men in handelinghe is, wy daervan eenighe vrucht mochten sien aen dyegene, dewelcke nevens onse Overheyt de tegenwoordighe gelegentheyt van dese landen over dye deliberatiën geroepen heeft, welck goet debvoir wy nevens andere Cameren in Hollant gheerne aen Uwe. E. willen erkennen. Hyermede etc. in Middelburch desen 4 November Ao. 1608.“ [Der Brief der VOC-Bewindhebber an Hugo Grotius steht im Zusammenhang mit der Schrift De mare liberum, die Grotius im Auftrag der VOC schrieb. Der Brief klärt Grotius über die Argumentation der VOC-Direktoren gegen Spanien auf. Die VOC bezog sich auf ihre Verträge mit den lokalen Herrschern.]

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APPENDIX XXVI – AUSFÜHRUNGEN OLDENBARNEVELTS ZUM OCTROI Quelle: CXLVI. Verklaring der beweegredenen tot het verleenen van het Octrooi aan de Vereenigde O. I. Compagnie, (Minuut van Oldenbarnevelt), in: Deventer, M. L. van: Gedenkstukken van Johan van Oldenbarnevelt en zijn tijd, Tweede Deel, 1593–1602, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1862, S. 311ff.

„[…] – soo is’t dat, rypelyck overgemerkt en overwogen synde hoe grootelyks den welstant deser Landen aen de behoudinge en vermeerderinge der voors. navigatie en handelinge is gelegen; wat menichte van groote schepen, groot geschut en andere nootelykheden ter oorloge deselve mitter tyt sal in de Landen brengen; hoeveel het inkomen van de convoyen en licenten der inkomende en uytgaende specerien sal bedragen, soo deselve in alle nagebure Coninkryken en Landen gesonden worden om daerover coren, wynen en anderen waren uyt deselve landen te gecrygen, die men meest voor baren gelde gelevert had, en noch soo excessive groote sommen van baren gelde en penningen daermede in dese Landen komen; hoe grootelyks mitter tyt de goede ingesetenen deser Landen uyt de voors. handelinge sullen komen te proffiteren ende staet van den Lande daermede verryckt worden; en hoeveel seevarende lieden daermede worden onderhouden. En, daertegens, dat de Coninck van Spagnien in syne incompsten seer grootelycks soude worden vercort; dat syne ondersaten in navigatie en handelingen sulcx worden geïnteresseert dat de schade en interesen van dien niet te begrooten syn; dat consequentelyck de voors. Coninck om soo groote schade in syne incompsten, sulcke vercleining in syne reputatie en soo groot interest van syne ondersaten te beletten, hem ter zee tot excessive groote costen soude moeten wapenen, en een groote partie van de tresoren, die hy jegens dese en andere landen tot ruine derselve ende extirpatie van de ware christelyke religie is gebruykende, derwaerts moeten senden; en dat ’tselve syn gewelt ende costen, daertoe te doen, nyet alleen buiten costen van dese Landen maer selfs mit haer groot proffijt, by de voors. Vereenigde Compagnie soude kunnen wederstaen worden.[...]“ [Oldenbarnevelt argumentiert um 1600 für den Aufbau einer OstindienKompanie. Oldenbarnevelt sah im Handel mit Südostasien die Möglichkeit, die eingeführten Gewürze gegen andere Waren in Europa einzutauschen. Dadurch wäre es weniger notwendig, Bargeld für den Handel bereitzustellen zu müssen. Zudem würden durch den Aufbau einer Ostindien-Kompanie die Einkünfte des spanischen Königs geschmälert. Er müsste seine Flotte aufbauen, um weiterhin mit den Niederländern konkurrieren zu können und würde sich dadurch ruinieren.]

Appendix XXVII – Auszug aus dem 1. Octroi der VOC von 1602

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APPENDIX XXVII – AUSZUG AUS DEM 1. OCTROI DER VOC VON 1602 Auszug aus dem 1. Oktroi der VOC von 1602. Auf den Inhalt wird in der Studie ausführlich eingegangen. Quelle: Nationaal Archief Den Haag, VOC, 1.04.02, inv.nr. 1

„XXXV. Item, dat die van de voorsz Compagnie zullen vermogen Beoosten de kaap de Bonne Esperance, mitsgaders in ende door de engte van Magellanes, met de Princen ende Potentaten verbintenis te maaken, ende contracten op den naam van de Staaten Generaal van de vereenigde Nederlanden, ofte Hooge Overheden der zelve, mitsgaders aldaar eenige fortressen ende verzekertheden te bouwen, gouverneurs, volk van oorlog, ende officiers van justitie, ende tot andere noodelyke diensten, tot conservatie van de plaatzen, onderhouding van goede ordening, politie, en justitie, eenzamelyk tot vordering ende nering te stellen, behoudelyk dat de voorsz gouverneurs, officiers, volk van justitie, en volk van oorlog, zullen eed van getrouwigheid doen aan de Staaten Generaal, ofte de Hooge Overigheid voorsz, ende aan de Compagnie, zoo veel de nering ende traffycque aangaat, ende die zullen de voorsz gouverneurs ende officiers van justitie afstellen, by zoo verre zy bevinden dat de zelve hen qualyk ende ontrouwelyk dragen, met dien verstande, dat zy lieden de voorsz gouverneurs ofte officiers niet en zullen beletten herwaarts over te komen, om haare doleantien ofte klagten, zoo zy eenige meenen te hebben, aan ons te doen, ende dat die van de Compagnie tʼelker wederkomst van de schepen gehouden zullen wezen de Heeren Staaten Generaal te informeren van de gouverneurs, ende officieren, die zy in de voorsz plaatzen zullen hebben gesteld, omme haare commissie als dan geaggreëert ende geconfirmeert te worden. [...]

XXXVII. Of het gebeurde, dat die schepen van Spangien, Portugal, of onderwegen vyanden, die schepen van deze Compagnie vyandelyk aantasten, ende in ʼt vegten eenige der vyanden schepen verovert wierden, dat de zelve veroverde schepen ende goederen zullen verdeelt worden na de ordre van den Landen, te weten het Land ende Admiraal genietende daar van haare geregtigheid, mits dat vooren afgetroken zal worden die schade, die de Compagnie in die rescontre zal geleden hebben, ende zullen die van de respective Admiraliteiten, daar de schepen zullen aankomen, de kennisse nemen van de deugdelykheid van den prinse, blyvende pendentelyk de administratie van de goederen by die van de Compagnie onder behoorlyke inventaris, zoo vooren gezegt is, ende den gegraveerden by sententie vrygehouden te provoceren.[...]“

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APPENDIX XXVIII – AUFZEICHNUNGEN JAN PIETERSZ COENS Quelle: Schriftstück vom 10. November 1614, in: Colenbrander, Herman T.: Jan Pietersz. Coen, Bescheiden omtrent zijn bedrijf in Indië, Deel 1, ’s Gravenhage: Nijhoff, 1919, S. 85–89.

„Soo wel ten rechten geconsidereert wort, van hoe geringhen begin de generale Compagnie in desen heerlijcken staet alreede gecomen is, wat haer noch wort aengeboden ende te verhopen hebben, soo sullen de E. heeren (houde ick voorseker) te meerder geanimeert worden, omme op de goede hope d’equipage eene ’t capitael te augmenteren, want hoe den bouwman te meerder sayt (bycan als wech in ’t aerde werpt), hoe hy te grooter oogst verhoopt. Indien is, Godt loff, in eenen goeden stant, doch van noch (onder correctie geseyt) met dezelffde macht die sijn hebbende door differente capitaele expedienten zeer gebetert en geaugmenteert worden, mits in d’ eene ofte d’ andere maniere voorcomende d’ ondercruypinghe die d’ Englsen zijn doende, ende nevens andere Europische natien noch zouden moghen doen, opdat de vruchten van geen andere worden gepluckt. Dese ondercruypinge hebben alleene te ontsien, maer geen macht van den vyant. Hetgenen zoude mogen, connen ende dienen te doen, in plaetse dat de macht bycans in de Molucques te vergeeffs zijn cousumerende, zijn verscheyden importante saecken, namentlycken: Van Bande connen ons meester maken, dezelvige eylanden met macht aentasten; sulcx moeten nootelijcken doen ende de plaetse populeren, ofte het landt verlaten, want ’t en sal anders met Banda nyet zijn. De noten ende foelye sullen de E. herren hiermede alleene in handen becomen, ende ick achte oock dat die van Amboina, als te weten Lua, Combello, Lusidi ende adherenten, alsdan beter uyt enckele vresen gebreydelt sullen worden, dan off zelfs op Lua een casteel hadden, alsoo eensdeels na de Molucques zijn siende, ende ten anderen mede trotseren, dat de Bandanesen dus lunghe openbaere oorloghe tegen ons sijn voerende, zonder te considereren, dat het ons aen geen macht en gebreect, omme daervan een eynde te maecken ende haer ten uyttersten te ruyneren.[...]Daer zijn voor desen verscheyden discoursen gemoveert geweest, dat men met de geheele macht na de Manilhas soude gaen. Met den E. gouverneur-generael Bott aldaer zijnde, waren hierop de voysen contrabalancerende, ende worde gearresteert, dat men vooreerst de forten soude verstercken ende in diffentie brengen op ’t laeste van ’t mouson na de Manilhas gaen, doch dat de saecke by E. generael gouverneur Reael ende den raet in naerder deliberatie soude werden geleyt. De saecke is te syner tijt van den heer gouverneur Reael zeer ampel ende ordentlijcken geproponneert en is daerop gearresteert, dat den vyant in de Molucques soude verwachten, gelijck E. heeren per medegaende resolutie connen sien. De stadt van Manilha verstaen wy en is met gewelt nyet wel te forceeren. In Cabita daer haren arssenael houden, de schepen ende galeyen getimmert ende gearmeert worden, hebben een seer sterck casteel gebout ende is de baya alsoo, dat men geen vlote off schepen daer by connen seylen, alsoo twee contrarie winden zouden moeten hebben. Op de schepen van America, over de Zuytzee comende, en is, na geseyt wort, mede nyet wel te passen, alsoo de landen op differente plaetsen ende hoochten zijn

Appendix XXVIII – Aufzeichnungen Jan Pietersz Coens

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aendoende. Maer ’t gene by Wittert zaliger voorgenomen was, ende noch veel meer (nae wy verstaen) connen aldaer verrichten, also zoo (seggen de Chinesen ende verscheyden anderen), ghy en behoeft daervoor nyet eeen slach te slaen, maer gaet alleen met uwe vloote ende ontrent de baya leggen ende belet, datter geen joncken van China noch Japon binnen en comen, gelijck ghylieden lichtelijck cont doen. Sy en zullen geen acht maenden lanck connen hardere, nede gedwongen werden hun over te geven, want Manilha van sich selffs geen viveres altoos en heeft, ende hem met de vreemde moet generen.[...] Sijn wij tegen de Spaense croone diffensive ende offensive oorloge voerende, ende, dewyle sulcx moeten doen, soo achte gansch ongerijmpt, dat ons geheelijcken aen een plaetse amuseren ende de vyanden den cours in ’t velt ende ter straete cederen. Maer zoude beter achte, dat de Molucques diffensivelijcken tegens die van Manilha worden versien, ende dat men alsdan met ’t resterende macht Manilha bevonden, de straet van Sincapura besetteden, ende de Protugesen den orientaelschen handel alsoo benamen, ende van de Spaignaerden separeerden. Al ware het, dat op Mallacca nyet en souden connen doen, gelijck men my tegen mach worpen, ende dat met fortsen op der vyanden forten in de Molucques meerder hope is, soo is daerteghen considerabel ’t gene van eenige gesustineert wort, als te weten, dat ons den oorloghe ende de verdeylinge der Molucques onder de Spaignaerden ende ons voor ons beter sy, dan de geheele besittingen enden eenen vrede, omme in geen oorloge tegen de landsaeten te geraecken ende de negotie alleene te behouden welcke ons anders (seggen sy) door d’Engelsen, Clingen, Chinesen ende Javanen, soude werden benomen. Maer voornemelijcken, segge ick daertegen, dewyle den geheelen inlantschen handel bestaet in ’t vervoeren ende vertieren der cleeden van de custe van Choromandel ende Suratte off Gouseratten over de geheele oostindische quartieren ende wederomme der speceryen, sandelhout ende Chinese waren van hier na voorsz. custe ende Gouseratta, als oock, dat de specerye met de cleeden tot een geringen pryse connen becomen, ende dat de Portugesen door de groote menichte van cleeden die jaerlijcx door de strate van Mallacca zijn brengende, ons desen handel zijn bedervende, ende de cladde overal in de cleeden brengen; wat connen wy meer uytrichten zonder neutrale landen minst de offenceren dan de occuperinge van desen geheelen handel te gelijck![...] Aengaende de generale bestieringe, soo ten oorloge, negotie als politicque regieringe, daer dient in alle manieren gemaect een sterckte als mede eenen nieuwe colonie van alle ambachten, ende gehouden geplant tot preservatie van ’t hooftcaptiael eenen generalen rende-vous ende residentie van den E. heer gouverneur-generael, opdat van daer alles ten rechten mach werden gedirigieert. Ick en soude om diverse redenen nyet goed achten, dat hem zijn E. onthiele in de Molucques, Amboina off Banda. My dunct, onder correctie geseyt, dat daertoe geen gelegener plaetse sy, als de comodieuse (gelijck vooren geseyt hebbe) omtrent dese straet van Sunda gelegen, want hier alle de schepen moeten comen ende wederomme affvaren. Van hier can oock in alles gedisponeert werden, hetwelcke op geen ander plaetse alsoo can geschieden.[...]“

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[Coen beschreibt die Situation der VOC in den Molukken, welche Gebiete bereits kontrolliert wurden und welche Inseln mit geringem Aufwand noch unter Kontrolle gebracht werden können. Zudem wurde diskutiert, ob mit der gesamten Flotte gegen Manila, den Hauptstützpunkt der Spanier in Südostasien vorgegangen werden sollte. Der Plan wurde allerdings wegen der starken Befestigung Manilas verworfen. Coen spricht von den verschiedenen Optionen, um die eigene Macht gegen die Spanier zu stärken. Am wichtigsten war die Kontrolle über die Molukken, wo die meisten Gewürze wuchsen und die Kontrolle der Seestraßen, um den portugiesischen Handel zu stören und die Verbindung zwischen Spaniern und Portugiesen zu durchtrennen. Coen sah in der Kontrolle über den Textilhandel an der Ostküste Indiens, Suratte und Gouseratten, mit Gewürzen, Sandelholz und chinesischen Waren den entscheidenden Ansatz für das Funktionieren des niederländischen Handelsunternehmens. Er bemerkte, dass es günstiger war, Gewürze mit Kleidung zu bezahlen, was zum Ausbau des innerasiatischen Handelsverkehrs zwischen der Ostküste Indiens und den Molukken beitrug. Die Portugiesen beherrschten diesen Handel, weil sie die Seestraße von Malakka durch die Kontrolle der Stadt problemlos befahren konnten. Coen trat für die Kolonisierung ein und die Gründung eines Stapelmarkts in direkter Nähe zur Straße von Sunda, da dort alle Schiffe hinein und hinaus müssten. – Coen skizzierte bereits 1614 die Strategien, die der VOC zum Erfolg verhalfen: Kontrolle der Seestraßen, Tausch von Kleidung gegen Gewürze, um die Bargeldreserven zu schonen, unter ihm wurde Batavia an der Straße von Sunda zum Hauptstapelort der VOC. Nur sein Ansinnen, Kolonien zu gründen, verwehrten ihm die Heren XVII.]

Appendix XXIX – Brief Joan Maetsuyckers an die Heren XVII

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APPENDIX XXIX – BRIEF JOAN MAETSUYCKERS AN DIE HEREN XVII Quelle: Brief von Joan Maetsuycker an die Heren XVII 26. Januar 1649, NL-HaNA, Aanw. 1e afd. ARA, 1.11.01.01, inv.nr. 961, Fol. 1v–3r, Transkription O.K.

„Advijs gegeven aende Heeren Zeventhien vande geoctroyeerde ostind.e Comp. aengaende die nederlandtsche Colonien in India; Voor desen heb ick uijt Negomber op t’ Eijlant Ceijlon bij seeckeren brieff aen Uw. E. ges: op 26.ten januario 1649: mijn gevoelen verclaren aengaende het stikten der nederlantsche Colonie in dese landen sijnde namentlijck gewesen dat d’ selve mijns oordeels het bequamste ten eenichste middel sijn om Comp. staet in India te vesten, en de lastige guarnisoenen die deselve t’ onder houden, te besnoeijen, [...]4. Dat de Burger buijten Navigatie ew: handel ter zee gehouden wordenden niet connen bestaen ende daer te gelicentieert wordende Comp.as handel ew. negotie sullen schadelijck wesen, behalve dat hier haer ongebonden leben over aboulutten machten, die de Comp. dan boeten mocht. 5. Dat in allen gevallen rijck geworden sijnde almede naer te vaderlant witten, latende de Comp. van haer oog-with gefrusteert. 6. Dat eijnderlijck de Comp:e tot een exempel moet dienen die bouvallige staet der portugeesen in dese landen, uijt geen ander oorsaecke ontstaen, als om dat haer op haere coloniers te veel verlat ende, in geen so eerlijck te Chrijsch marke in India gehouden hebben, waer door sijn connen te vervallen tot de ongelegent in welcke jegenwoordich worden gesien ew,. diergelijcken. [...]can mijns oorders de Comp.es geen beter dienst gedaen werden, als middelen uijt te vinden ew. in te werck te stellen waer bij de voorsz. swaere sal een moogen werden vermindern, daer in verscheijde gelgenthedden vrij wat nu te doen is, maer [licket] het seeckerder, ofte souvereijnen toe uijt gevonden sal werden, als de bevorderinge van Nederlantsche Colonien in des landen, met behulp van te wercke te incomste vermeerderen ew. de swaere guarnisoenen metter tijt vermindern ew. verlicken moogen werden tot ontlastinge der grote soldijen daer de Comp. rechtevooren mede beswaert blijfft ew., om soo te seggen door t’ onder gehouden worden, sijnde een poinct van soodanige consideratie ew. gewirkte dat de voorsz. gemoveerde difficulteijten ew. het selve mijns oordeels noijt sullen connen op-wegen gelijck bij erannen licht te sien soude wesen. 1. Want dat eerstelijck ge[…]en woren, dat het [sch]uijn der dienaeren soecken wij te worden, en soo gluckelijck met waerachtich, of men siet onder de selve oock veele eerlijcke goede luijden, die naer best doen, om met godt ew. met eeren voorts te comen, ew. wat begunstelen heeft de stadt Roma gehadt, die evenwel naderhandt geworden is een [eren]plaetse van alle politijque [durksen], ende goede regieringe, tegen het ongebonden leven de Burgeren moet naer goede wetten voorsien worden, het exemple de overheeden onnallen gevallen daer in seer veel vermoogende, die Batavia gesie[n] heeft ende eersten beginselen, ofte over veele jaeren, ew. het selver tegenwoordich sien sal licht connen oordeelen wat onderscheijn ew. verschil daer sij tusschen de vorige ongebonden te [eijen], ew. de presente modestie ew. geschichte: den ingesetenen dan van jaer tot jaer toenemen ew. verbeteren.[...] 4. De dierde difficulteijt is dat de Burgers buijten

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navigatie ew. handel ter zee gehouden wordende, niet connen bestaen ew. mette selve Comp:as handel ew: negotie sullen schadelijck weesen, behalven d’ onlusten die met haer ongebonden Heeren hier en daer sijn maeckende, haer op antwoorden dat de Burgers seer wel bestaen can, sonder commercie over zee, alsoo wel als alle andre landtseden, die geen zeevaerten hebben, want behalven den landtbouw handtwercken, ew: andre eerlijcke middelen, als bodenrijcke gelden a deposito te setten ew: soo heefft den Burgers op Batavia gelegentht. om goede voordelen in negotie te doen, mette vremdelingen, gedurich in groote menich te aff en aenvaernde, voornamentlijck, wanneer nevens den Chineesen ew: andre mede alles totte packhuijsen hebben, ew: inden cleeden handel perticipeeren moogen, gelijck nu geschiedt soo dat te seggen op Bat:a buijten de seevaert, geen gelt te winnen is, een teecken sij gen rechte kennisse van Batavia te hebben, andere plaetsen hebben diegelijcke ofte andre gelgenthedden, soo dat mijns oordeels niet van noode sal weesen den Burger veel totte seevaert te animeeren, soo om redenen boven gemoveeren die haer fondament hebben, als oock voornamentlijck, om dat sij teegen de Chineesen, ew: andre natien niet connen bestaen, aengesien deselve veel oncostelijcken vaeren, ew: haer met cleen winsten, connen vermoegen in ongelden verkmooren, gelijck d’ experientie, reede meer dan te veel geleeren heefft, hoe welck echter van gevoelen sij, datmen daerom gelijck oock niet om de andere redenen boven gemoveeren, haer den handel ter zee ontseggen, ofte verbieden sal meer als aen andre natien, Comp.as onderdanen sijnde, geschiedt, om het groot milnoegen, dan daer ordre anders met reeden sijn hebbende dat heydenen ew: mooren meer liberteijt ew: vrijheijt gemeten als sij Nederlanders ew: Christenen sijnde, waer meede dat oock met een verstaet hebbe mijn gevoelen over het concept bij Heeren gecommitteerdens [wtte] [D]:e ingeselt ew: in copia overgehouden omme daer op te hebben advijs vande Heeren generael ew: braaden van India, sijnde namentlijck, dat haer Ed:en sullen doen, de nederlantsche Burgeren generalijck den handel open te stellen, over al ew: op alle plaetsen daer andere inwoonderen heijdenen ew: mooren toegestaen wort te vaeren, ew: haeren hande, te drijven, om daer mede wech te neemen, het misnoegen ew: clachen, die anders sijn inbrengende dat, gelijck geschijt, mooren sijnde, dat den burger noijt metten handel ter zee beclijven sal vermits haere scheepen te diep gaende sijn.“ [Maetsuycker schrieb noch vor seiner Berufung zum Generalgouverneur eine Mitteilung an die Heren XVII über seine Vorstellungen zur Umstrukturierung der VOC. Maetsuycker sieht in seinem Brief an die Heren XVII die größte Problematik für die VOC darin, dass es keine Möglichkeit gab, freien Handel zu treiben, wie es der lokalen Bevölkerung Südostasien erlaubt war. Dadurch sei es schwer, fähiges Personal oder Siedler nach Südostasien zu bringen. Maetsuycker trat, ebenso wie Coen, für die Gründung von Kolonien ein. Auch die Kosten für den Aufbau von Kolonien würden im Gegensatz zur ständigen Finanzierung der VOC aus Europa durch deren schnelle Selbstversorgung bei freiem Handel schnell amortisiert. Maetsuycker sah in der Errichtung von Kolonien eine Möglichkeit,

Appendix XXIX – Brief Joan Maetsuyckers an die Heren XVII

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die VOC profitabler zu machen. Die Heren XVII lehnten auch Maetsuyckers Vorschläge ab, beriefen ihn aber trotz des Wissens über seine Pläne zum Generalgouverneur.]

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APPENDIX XXX – PROTOKOLL DES HAAGSE BESOGNE VON 1654 Quelle: Protokoll 1654, Akten des Haagse Besogne, in: NL-HaNA, VOC, 1.04.02, inv.nr. 4455, Transkription O.K.

„Sijn wij voor de Heeren gedeputeerdens van haer Ho: Mo: bescheijden en voor deselve inde ’t seven camern gecompareert alwaer int lange en brede te bijwesen vande Heer pensionaris Almonde een vande gewesen Commissarissen van desen staet in Engelandt, gediscoureert ende gesprocken zijnde vande acte declaratair bij den Heere Protector te passeren en daer op gehoort desselffs consideratien en advijs oock wijders nagesien en geexamineert beijde de concepten soo van desen staet als die jongst uijt Engelandt overgesonden is, mitsgaders het verbael bijde Heeren Extrordinaris Ambassadrs van desen landen, aldaer hopenden t’ gepasteerde omtrent die saecke gehouden, en daer op mede gedelibereert sijnde hoe en in wat manieren die particuliere openstaende pretensien tegens die nederlantsche Comp. dewelcke bij het bewust arbitrium off uijtspraecke van wedersijts commissarien niet gedetermineert maer open gelaten sijn, sullen cunnen off dienen offgedaen te worden bij aldien defacte declaratoir volgens het formulier voor desen naer Indien geschreven en geordonneert is, is goet gevonden daer bij voor als noch te persisteren, gelijck mede sal werder gedaen int regarde vant transporteren vanden stoel van gouvernement van Ternate, opt Eijlandt macquian bij t’ gene bij de generael missive van den 15. April 1654 derwaerts is geschreven en geordonneert.[...]Den advocaet vande Compe heeft gerepresenteert dat eenige maenden geleden te vergaderingh van hare Ho. Mo. in gegeven is een Reeckeningh van oncosten bij de Compagnie verschooten wegen de Equipa bij deselve gedaen, ten dienste van den lande geduijrende den lastleden Engelsen oologh, omtrent ses mael hondert Duijsant gulds bedragende, en naderhant ter vergaderinge van haere Ed: Groot Mo: een deductie tot aenwijsinge dat den staedt gehouden is de Comp. off te houde offt te vergoeden de twee derdeparten vande penningen die deselve gehouden is aende Engelse Compagnie volgens het bewuste arbitrium off uijt spraecke van wedersijts Commisarisen te betalen off nijt te keren met versoeck dat bij haer Ho: Mo: ordre soude mogen werden gestelt tot betalinge off emboursement vande selve penningen off soodanige andere middelen aenwijsen waermede den Staet, ende Compagnie bijde souden connen werden gedient. Dat deselve deductie by haer Ed. grootmo: gestelt sijnde in handen van Commissarisen om deslve te visiteren, examineren, en daero van rapport te doen ter oorsaecke vande angelegentheijt en onmacht, daerinne den staet haer jegenwoordich bewint, bij eenige laden vande regieringe voor gedragen is offt de Comp. geen inductie off genegentheijt soude hebben tot prolongatio van haer octroij, voor eenigen tijt van Jaeren, omme in cas van Jae te sien hoe men t’ achterheijt vande Compagnie daer tegens eenichsints soude cunnen vinden en rescontreren, waer op in deliberatie getreden sijnde, Js goetgevonden en verstaen de respective Cameren te versoecken dat hare gedachten geliven te laten gaen, en ten naesten vergaderingh vande 17en haere consideration en advijs in te brengen hoedanich dese saecke wijders sal werden aengeleijt, en wat middelen sullen

Appendix XXXI – Protokoll des Haagse Besogne von 1664

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cunnen off dienen voor geslagen, maer door de Comp.e ten minste belastinge vanden Staet, hare voorsz achterheijt soude cunnen vinden off rescontreren.“ [Hervorhebungen O.K.] [Das Sendschreiben behandelt die Verhandlungen zwischen den Vereinigten Niederlanden und der VOC auf der einen und England auf der anderen Seite. Die Verhandlungen betreffen Forderungen an die VOC, die in Zusammenhang mit den Inseln Ternate und Macquian stehen. Das Augenmerk liegt auf der Verwendung des Staats-Begriffs in diesem Zusammenhang. Es wird zwischen der Kompanie und dem Staat getrennt.]

APPENDIX XXXI – PROTOKOLL DES HAAGSE BESOGNE VON 1664 Quelle: Protokoll vom 13.10.1664, Akten des Haagse Besogne, in: NL-HaNA, VOC, 1.04.02, inv.nr. 4455, Transkription O.K.

„Dat wij in voorgaende tijden gesien en bij exterientie ondervonden hebben, dat alle de tractaten en reglemtenten, die oijt of oijt, soo hier te lande als in Oost Indien, tusschen den resp. Compen zijn gemaekt, niet als straffe en materie tot nieuwe krackelen, cavillaten en disputen hebben gegeven, hebbende de ministers vande Nederlantsche Comp: ons ten voors tijde niet als gedurige klachten laten toekomen over de non observantie en overtredinge van alle deselve regelementen en accoorden aen de zijde vande Engels, sulx dat wij noijt in meerder on gerustheijt noch verweringe met die natie zijn geweest, dat wanneer en soo lange de voors tractaten, reglementen en accorden hebben komen te duijren en ’t welk de reden is, dat wij [...] ons in een nieuwe reglement met die natie in te laten, om dese en verscheijde andere respekten seer beswaerlk. aensien, evenwel soo het de wille van uw Ho: Mo: anders soude mogen wesen, gelt wij ons geensints kunnen ingereren in’t geens daer omtrent van de consideratioen van uw Ho: Mo: of het interesse van den Staet soude konnen zijn, soo soude ons eerbiedich versoek wesen, dat daer in met alle mogelijke precautie en omsichticheijt soude mogen worden geprecedeert, voornamentlk dewijle wij verscheijden de arlen in’t voors project vinden de welke geaccordeert wordende soo als de selve leggen t’ eenemael ruineus voor de Comp: soude wesen eenige die als se al souden werden geaccordeert, nootsakelk. geamplieert of geeludideert souden dienen te worden en om dienvolgende daer in articulating te gaen, en sulx beijder hant nemende het eerster artle, sij rekende war de besette of [oelegoede] plaetsen, sullen wij met uw. Ho: Mo: permissive daer op seggen dat vervarentheijt van alle tijden soo wel Engels als ons geleert heeft, dat de volkeren in Oost Indien ten merendele van een seer boosaerdigen en troulosen aert en machtich tegens de Christenen ingenomen sijn, diese dienvolgende in alle gelegentheden, soo veel mogelk. trachten is benadelen, en waer ’t doenlk. t’ enemael te ruineren en uijt te roeijen. Waet massacres zijn aen d’ Engels als aen ons op diverse tijden [...] begaen, is

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wereltkundich, de revenges en reparatien dienen daer van nu en dan heeft kunnen ondernomen worden, ter oorsaeke die natie seer volkrijk zijnde, niet als met een seer groot gevaer te lande kunnen aengetast of beoorlogt worden, maer doorgaens te water door ’t besetten of belegeren van haer Steden, Rivieren of Sterckten, en daer door alle navigatie en commercie op de selve te beletten, en daer welk middel zijl[...] meesten tijt weder tot reden en ’t doen van reparatie zijn gebracht geweest, dit hebben d’ Engels mede in dier voegen, soo afsonderlk, als met en neffens ons, in onderscheijde gelegentheden gedaen, en gepractiseert gehadt, met namen van Bantam, voor Manilha, voor Goa, voor Malacca en andere plaetsen die zij met ons te water alleen belegert gehadt op deselve, soo van Indiaense als Europiaense natien hebben, belet, maer selfs verscheijden schepen, na soodanige besette plaetsen tenderen op gebracht en geconfisqueert, en waer van de bewijsen in ons handen zijn, dien seggende d’ Engels selfs [faer] bij met duijdelk. woorden dat het nemen of aenhalen van soodanige schepen die in sulke besette plaetsten trachten door de dringen, op recht en reden is gesondeert ja de reden der nature sulx selfs wijst. Bij aldien ons de tijt en gelegentheijt niet en hadde ontbroken. Vertrouwen dat wij nach verscheijden anders exempelen souden kunnen voortgebracht hebben, dat d’ Engels in’t besetten of belegeren van eenige plaetsen te water in Indien ’t gunt voors is, afsonderlk buijten on mede in dier[v]oegen hebben gepractiseert gehadt, gelt zij in voorgaend tijden sulx hier in Europa dickwils mede hebben gedaen gehadt, en ’t welk vertrouwen dat als noch souden doen ter plaetsen daer zij het meesterschap souden pretenderen te hebben. Mits welken wij dan, onder reperenteie menen dat die sake bij d’ ouden practiquen sonder eenige veranderingen daer in te brengen, behoort gelaten te worden. Want sonder dat en sien wij geen middel, om in cas van verongeleijbingen van d’ Indiaensche natien, eenige reparatie of satisfactie vande selve te bekomen. [...] Dat het interesse en de maxime vanden Staet, soo als men die hier in Europa soeckt in te voeren en al veel jaren, heeft gepractiseert, daerinne bestaen datmen voor geen belegerde plaets kan houden, omme daerop alle navigatie en commercie te beletten, dan die te water en te lande te gelijck betegert is.[...] Dat men niet alleen verstaet ’t selve ʼt eenemael in reden te bestaen, maer selfs inden jaer 1659 een gansche vloot heeft geequittert en na de Oost Zee gesonden, om te openen de passagie voor Dansicq die door de Sweden onder pretext van een besettinge te water gesloten gehouden waren.[...] Den volgende ’t geene hier in Europa verstaen wort redelk. te wesen dat’t selve inde voor redelk. moet worde aengesien in Oostindien.[...] Dat mitsdien haer Ho. Mo. in geenderlijk manieren sullen konnen afgaen de voorsz generale maxime, diemen over als soekt in te voeren, nochte ook eeniger maten defereren aen d’ inconvenienten die van wegen d’ Oost Indisz Comp. voorgegeven worden dat daer uijt souden kunnen te resulteren. [...] Op het 5: arle, hebben daer Ed. Mo: geoordeelt, dat den wech ons open blijft om de natien met de welke eij in contract staen, in cas van overtredinge van dien met soodanige middelen te dwingen, als bij ons voorhanden zijn, maer niet dat men

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met het besetten van haere steden offt plaetsen te water de navigatie en commercie den Engelsen op deslve mogen afsnijden.[...] Men soude das noot zijnde verscheijde exempelen kunnen allegeren dat ons welk in Indien op dese en geens comptoiren is gemassacreert of om den hals gebracht de goederen en effecten vande Comp. gespolieert en diergelijke, zijnde d’ Indianen doorgaens seer troulose en boosaerdige menschen, en buijten des bijsonderlk. de Mooren, machtich tegens de Christenen ingenomen, daer tegens met zeer goede vrucht, altijts de besettinge van hare Steden of sterckten bijderhant genomen en oock zijn oockwit bereijkt heeft, en maer door andere natien of volkeren wederhouden zijn, duergelijke mede niet te attenteren. Want dat men die natien, die soo volkrijck zijn te lande soude gaen aentasten of beoorlogen daer toe mangueert doorgaens de macht, maer gelijck haer kracht inde menichte an het lantvolk bestaet, soo bestaet d’ onse inde Zeemacht.”[Hervorhebungen O.K.] [In Auszügen wir dieses Schreiben bereits in Appendix XIII 7. zitiert. Das Sendschreiben behandelt den anhaltenden Konflikt zwischen der EIC und der VOC, was den globalen und wirtschaftlichen Aspekt der Englisch-Niederländischen Kriege betont. Zur Zeit des Sendschreibens standen die Vereinigten Niederlanden und England kurz vor einem erneuten Krieg gegeneinander. Für Südostasien sollte ein Reglement aufgestellt werden, um sich gegen die Engländer zu behaupten. Der erste Punkt betraf die Besetzung von Handelsplätzen in Südostasien. Das Schreiben betonte die Feindseligkeit der Bevölkerung Südostasiens gegen die europäischen Christen, die folglich auch den Geschäften der europäischen Handelskompanien schadeten. Es seien Massaker sowohl an Engländern als auch Niederländern begangen worden. Weil die Bevölkerung in Südostasien allerdings zu zahlreich sei, um sie zu Land zu besiegen, sollten deren Städte, Flüsse und Festungen von See aus belagert werden, um den Handel der Einheimischen zu unterbinden. Gemeinsam hatten Engländer und Niederländer bereits Handelsplätze belagert, um ihre erlittenen Verluste zurückzugewinnen. Es wurden Schiffe beschlagnahmt und die belagerten Handelsplätze vor allem von den Engländern eingenommen. In Europa versuchte der niederländische Staat die Maxime durchzusetzen, dass kein Platz gehalten werden kann, der von See und Land aus zugleich belagert wird. Handel und Schiffsverkehr kann an seinem solchen Ort nicht gebündelt werden. Das Beispiel der Entsetzung Danzigs wird genannt. Die Generalstände erlaubten, Häfen von Gegnern oder Feinden zu belagern und diese vom Handel mit England abzuschneiden. In Indien bestehe darin die Macht der VOC. Sie habe zwar keine Macht zu Land, einen Krieg zu gewinnen, aber durch ihre Seemacht, könne die VOC Handelsplätze für sich einnehmen. Das Augenmerk liegt auf der Verwendung des Staats-Begriffs und den Strategien. Aus pragmatischen Gründen setzten die Niederländer auf ihre Seemacht, um Handelsplätze unter ihre Kontrolle zu bringen. Dabei wird deutlich, dass diese Strategie erst in Europa getestet, später auch in Asien angewendet wurde, um die Machtposition der Niederländer in der jeweiligen Region durch die Kontrolle des Handels zu stärken.]

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b e i t r äg e z u r e u ro pä i s c h e n ü b e r s e e g e s c h i c h t e bis Band 88: Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte

Im Auftrag der Forschungsstiftung für vergleichende europäische Überseegeschichte begründet von Rudolf von Albertini, fortgeführt von Eberhard Schmitt, herausgegeben von Markus A. Denzel, Mark Häberlein und Hermann Joseph Hiery.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0522–6848

58. Maurus Staubli Reich und arm mit Baumwolle Exportorientierte Landwirtschaft und soziale Stratifikation am Beispiel des Baumwollanbaus im indischen Distrikt Khandesh (Dekkan) 1850–1914 1994. 279 S., 4 Taf., kt. ISBN 978-3-515-06490-3 59. Eno Blankson Ikpe Food and Society in Nigeria A History of Food Customs, Food Economy and Cultural Change 1900–1989 1994. XI, 287 S., kt. ISBN 978-3-515-06567-2 60. Rolf Tanner ‘A Strong Showing’ Britain’s Struggle for Power and Influence in South-East Asia 1942–1950 1994. 299 S., kt. ISBN 978-3-515-06613-6 61. Boris Barth Die deutsche Hochfinanz und die Imperialismen Banken und Außenpolitik vor 1914 1995. VII, 505 S., kt. ISBN 978-3-515-06665-5 62. Astrid Meier Hunger und Herrschaft Vorkoloniale und frühe koloniale Hungerkrisen im Nordtschad 1995. X, 303 S., kt. ISBN 978-3-515-06729-4 63. Horst Drechsler Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft Die großen Land- und Minengesellschaften 1996. 360 S., kt. ISBN 978-3-515-06689-1 64. Annerose Menninger Die Macht der Augenzeugen Neue Welt und Kannibalen-Mythos, 1492–1600 1995. 334 S., kt. ISBN 978-3-515-06723-2

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Durch den Unabhängigkeitskrieg gegen die Spanier (1568–1648) etablierten die Niederländer eine souveräne politische Entität im europäischen Mächtegefüge. Im 17.  Jahrhundert richteten die niederländischen Machteliten ihre Strategie auf die globale Beherrschung der maritimen Distributionswege aus. Ergebnis dieses Strebens war die Begründung eines interkontinentalen Regiments der Niederländer zwischen Südostasien und Europa, dessen Interessen in Südostasien von der Vereinigten Ostindischen Kompanie vertreten wurden. In der ersten Statthalterlosen Epoche (1650–1672) sah sich dieser umfassende Herrschaftsanspruch der Vereinigten Niederlande indes

bereits der Konkurrenz Englands und Frankreichs ausgesetzt. Oliver Krause betrachtet die Herausbildung dieses interkontinentalen Regiments im Verlauf des 17. Jahrhunderts als spezifisch niederländische Variante der Staats-Formierung. Im Rahmen des von ihm entwickelten Erklärungsmodells arbeitet Krause insbesondere die Genese der politischen Semantik des niederländischen Begriffs Staat aus globaler Perspektive heraus, wie auch die situativen Herrschaftsstrategien der Machteliten und die Funktionen der Familien- und Handelsstützpunktnetzwerke.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-11984-9