Die Täuschung des Beschuldigten [1 ed.] 9783428585199, 9783428185191

Irreführende Ermittlungsmethoden und Vernehmungsmuster gehören seit jeher zum Repertoire der Strafverfolgungsbehörden un

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German Pages 276 [277] Year 2022

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Die Täuschung des Beschuldigten [1 ed.]
 9783428585199, 9783428185191

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 304

Die Täuschung des Beschuldigten Von

Tobias Müller

Duncker & Humblot · Berlin

TOBIAS MÜLLER

Die Täuschung des Beschuldigten

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 304

Die Täuschung des Beschuldigten Von

Tobias Müller

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Helmut Frister, Düsseldorf Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 61 Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-18519-1 (Print) ISBN 978-3-428-58519-9 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf im Sommersemester 2021 als Dissertation vor. Rechtsprechung und Literatur konnten bis November 2021 berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Helmut Frister, der nicht nur diese Dissertation mit großem Interesse betreut hat, sondern mich auch bereits viele Jahre zuvor als Studentische Hilfskraft sowie Wissenschaftlichen Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl gefördert hat. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Karsten Altenhain für die rasche Anfertigung des Zweitgutachtens. Weiterhin gilt mein Dank den Herren Prof. Dr. Friedrich-Christian Schroe­ der und Prof. Dr. Andreas Hoyer für die Aufnahme der Arbeit in die „Strafrechtlichen Abhandlungen“ sowie dem Freundeskreis der Düsseldorfer Juristischen Fakultät e. V., der die Arbeit mit einem Promotionspreis bedacht und mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss gefördert hat. Schließlich danke ich allen, die meinen Weg in den letzten Jahre begleitet haben, insbesondere meinen Kollegen am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht. Besonderer Dank gilt dabei den Herren Dr. Moritz L. Jäschke, Nils Etzig sowie Marco Geiger für ihre Unterstützung bei der Korrektur des Manuskripts und ihre zahlreichen hilfreichen Anmerkungen. Nicht zuletzt danke ich meinen Eltern für ihre jahrelange Unterstützung. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet. Düsseldorf, im Januar 2022

Tobias Müller

Inhaltsübersicht

Einleitung 

19

Kapitel 1

Vernehmung des Beschuldigten 

24

A. Die Beschuldigteneigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Der Zweck der Beschuldigtenvernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 C. Der Begriff der Beschuldigtenvernehmung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Kapitel 2

Täuschung des Beschuldigten 

67

A. Gegenstand der Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 B. Art und Weise der Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 C. Erfordernis einer Täuschungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 D. Ergebnis: Begriff der Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 E. Der Konflikt der Täuschungmit dem Zweck der Beschuldigtenvernehmung . 119 Kapitel 3

Die Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts 

121

A. Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 D. Ergebnis: Verfassungsrechtliche Bewertung der Täuschung des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Kapitel 4

Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots 

185

A. Beweisverwertungsverbote als Fremdkörper im deutschen Strafrecht?– Zur Funktion der Beweisverwertungsverbote im System der Strafprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

8 Inhaltsübersicht B. Allgemeine Fragen der Verwertung täuschungsbedingter Beweise . . . . . . . . . 199 C. Anforderungen an die Unverwertbarkeit der täuschungsbedingten Aussage im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 D. Umfang und Grenzen des Verbots der Verwertung mittels Täuschung erlangter Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 E. Abschließende Überlegungen und Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . 240 Kapitel 5

Abschließende Bemerkungen und Ausblick 

243

A. Überblick über die gewonnenen Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 B. Rechtspolitischer Ausblick auf das Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 

19

Kapitel 1

Vernehmung des Beschuldigten 

24

A. Die Beschuldigteneigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Die grundverschiedene Stellung von Beschuldigten und Zeugen im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. § 157 StPO als Ausgangspunkt der Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . 26 III. Der Beschuldigte als verdächtige Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. Das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte als Voraussetzung der Ermittlungsbefugnis und Ermittlungspflicht . . . . . . . . . . . 28 a) Relativität des Anfangsverdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 b) Verfolgbare Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 c) Zureichende verdachtsbegründende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Der Anfangsverdacht als notwendige Bedingung der Beschuldigung . 32 3. Der Anfangsverdacht als hinreichende Bedingung der Beschuldigung  33 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 B. Der Zweck der Beschuldigtenvernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 I. Der Inquisitionsprozess der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 . . 40 II. Abschaffung der Folter durch Friedrich II. von Preußen als erster Schritt der Abwendung vom Inquisitionsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Die Beschuldigtenvernehmung in der Reichsstrafprozessordnung von 1877 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Genese der Vorschriften zur Beschuldigtenvernehmung: § 136 Abs. 2 StPO als zentrale Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Wahrheitsermittlung als Zweck der Beschuldigtenvernehmung aus Sicht des historischen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3. Formulierung des § 136 Abs. 2 StPO als „Soll-Vorschrift“? . . . . . . . . 52 IV. Weitere Entwicklung des Zwecks der Beschuldigtenvernehmung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 C. Der Begriff der Beschuldigtenvernehmung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 I. Beschuldigtenvernehmung als Befragung im Rahmen eines Strafverfahrens – Abgrenzung zu Spontanäußerungen und informatorischen Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Spontanäußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

10 Inhaltsverzeichnis 2. Sogenannte informatorische Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Offenes Vorgehen der Vernehmungsperson als begriffskonstituierendes Merkmal der Beschuldigtenvernehmung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Durch eine Strafverfolgungsbehörde veranlasste Befragung des Beschuldigten durch einen privaten Dritten als Vernehmung . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58 59 64 66

Kapitel 2

Täuschung des Beschuldigten 

67

A. Gegenstand der Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Täuschungen über Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen des Tatsachenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kriterium der Beweisbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zukünftige Zustände, Ereignisse und Vorgänge als Tatsachen . . . . 2. Innere Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Irreführungen über Werturteile als Täuschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Täuschungen über Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 67 68 69 71 72 74 75 77

B. Art und Weise der Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Täuschung als kommunikatives Verhalten des Vernehmenden . . . . . . . 2. Fehlvorstellung als psychische Reaktion des Beschuldigten: Unabhängigkeit des Täuschungsbegriffs vom Irrtumserfolg . . . . . . . . . . . . . II. Aktive Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausdrückliche Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkludente Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Täuschung durch Unterlassen: Verschweigen von Tatsachen und Beschuldigtenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen der Täuschung durch Unterlassen: Erfordernis einer Garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zwischen aktiver Täuschung und Täuschung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufklärungspflichten gegenüber dem Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche Aufklärungspflichten über Beschuldigtenrechte  . . . . . aa) Belehrungsvorschriften im Gefüge der Strafprozessordnung . bb) Belehrungspflichten als Garantenpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Belehrungsvorschriften ohne Ermessensspielraum („Ist-Vorschriften“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Belehrungsvorschriften mit Ermessensspielraum („Soll-Vorschriften“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Aufklärungspflichten über Tatsachen . . . . . . . . . . . . . .

78 78 78 80 81 81 83 84 84 85 87 88 88 89 89 94 95

Inhaltsverzeichnis11 c) Nichtaufklärung und Ausnutzung eines Irrtums beim Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 IV. Suggestiv- und Fangfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Fangfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Begriff der Fangfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Fangfragen als Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Suggestivfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Begriff der Suggestivfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Suggestivfragen als Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 C. Erfordernis einer Täuschungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die fahrlässige Täuschung des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Möglichkeit einer unbewussten Irreführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die unbewusste Irreführung als Täuschung im Sinne des Strafverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausschluss unbewusster Irreführungen aus dem gesetzlichen Täuschungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Differenzierung zwischen Irreführungen über Tatsachen und Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Differenzierung zwischen polizeilicher bzw. . . . . . . . . . . . . . . staatsanwaltschaftlicher und richterlicher Vernehmung . . . . . . dd) Ausweitung des Täuschungsverbots auf fahrlässige Irreführungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eigene Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unergiebigkeit der historischen Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsgebietsübergreifender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Untersuchung anhand des Zwecks des Täuschungsverbots . . . dd) Stellungnahme und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erfordernis eines fahrlässigen Verhaltens des Vernehmenden? . . . . . .

107 107 108 108 109 109 109 110 110 111 111 111 112 115 116 117

D. Ergebnis: Begriff der Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 E. Der Konflikt der Täuschungmit dem Zweck der Beschuldigtenvernehmung . 119 Kapitel 3

Die Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts 

121

A. Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 I. Ausgangspunkt: Kein Eingriff in die Menschenwürde durch Täuschungen des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung als Grenze . . . . . . 124 1. Der Einsatz verdeckt ermittelnder Personen im Umfeld des Beschuldigten als Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung? . . . 124

12 Inhaltsverzeichnis 2. Verletzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung am Beispiel des Urteils des Landgerichts Kiel vom 15. Januar 2010 (Az. 8 Ks 4/09) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Verletzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung in der Untersuchungshaft und im Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 III. Täuschungsgebot aufgrund kollidierender Menschenwürde Dritter? . . . . 129 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 I. Rechtsgrundlagen der Mitwirkungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Europäische Menschenrechtskonvention und Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Mitwirkungsfreiheit . . . . . . . . . 135 II. Täuschungen des Beschuldigten als Eingriff in die Mitwirkungsfreiheit . 139 1. Grundlagen des durch die Mitwirkungsfreiheit garantierten Schutzumfangs und Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . 139 a) Vis absoluta und vis compulsiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Täuschungen über die Existenz einer Mitwirkungspflicht . . . . . . . 141 c) Die täuschungsbedingte Zwangslage in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Von der Unzulässigkeit der Pflicht zur Mitwirkung an der eigenen Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Schutzzweck der Mitwirkungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Entlastungsfunktion der Beschuldigtenvernehmung und fehlende Mitwirkungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 c) Die Folgen für den Einsatz von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 d) Mitwirkungsfreiheit des Beschuldigten außerhalb seiner Vernehmung, insbesondere die Zulässigkeit von technischen Überwachungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 I. Das Risiko täuschungsbedingt falscher Selbstbelastungen des Beschuldigten als Gefahr für die Wahrheitsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. „We don’t interrogate innocent people.“ – Die Voreingenommenheit des Vernehmungsbeamten in der Vernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Die Anwendung sogenannter Minimierungs- und Maximierungstechniken als Risikofaktor für falsche Selbstbelastungen . . . . . . . . . . . . . . 164 3. „Kinder und Narren sagen die Wahrheit.“ – Erhöhte Suggestibilität bestimmter Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4. Täuschende Vernehmungsmuster als Gefahr für die Wahrheitsermittlung am Beispiel des Urteils des Landgerichts Kiel vom 15. Januar 2010 (Az. 8 Ks 4/09) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

Inhaltsverzeichnis13 II. Meinungsstand zur Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Verfassungsgebot in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 III. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege und positive Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Ziel des Strafverfahrens im demokratischen Rechtsstaat . . . . . . . . . . . 175 2. Erhalt der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als verfassungsrechtlicher Imperativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Abwägungstopos . . 178 b) Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Untermaßverbot . . . 181 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 D. Ergebnis: Verfassungsrechtliche Bewertung der Täuschung des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Kapitel 4

Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots 

185

A. Beweisverwertungsverbote als Fremdkörper im deutschen Strafrecht?– Zur Funktion der Beweisverwertungsverbote im System der Strafprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 I. Beweisverwertungsverbote im Gefüge der Strafprozessordnung . . . . . . . 186 II. Die Funktionsweise der Beweisverwertungsverbote im Strafverfahren . . 189 1. Wahrheitsschützende Funktionsweise der Beweisverwertungsverbote . 190 2. Individualrechtsschützende Funktionsweise der Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 3. Beweisverwertungsverbote als funktionales Mittel zur Sicherung der positiv-generalpräventiven Wirkung der strafprozessualen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 III. Das materielle Strafrecht als denkbarer Ersatz von Beweisverwertungsverboten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 B. Allgemeine Fragen der Verwertung täuschungsbedingter Beweise . . . . . . . . . 199 I. Zur Unverwertbarkeit entgegen § 136 Abs. 2 StPO erlangter Beschuldigtenaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 II. Verwertungsproblematik bei Täuschungen außerhalb der Beschuldigtenvernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 C. Anforderungen an die Unverwertbarkeit der täuschungsbedingten Aussage im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die unfreie Aussage des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Täuschung als Bedingung der unfreien Aussage . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anforderungen an den prozessualen Nachweis von Täuschungsanwendung, unfreier Aussage und Ursachenzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsüberlegungen und Abgrenzung zwischen Freibeweis- und Strengbeweisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

211 211 214 216 216

14 Inhaltsverzeichnis 2. Die Behandlung von Zweifelskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Indizierung des Erfolgsunwerts sowie des Ursachenzusammenhangs durch das Vorliegen einer Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 IV. Heilung von Verstößen gegen das strafprozessuale Täuschungsverbot . . . 224 D. Umfang und Grenzen des Verbots der Verwertung mittels Täuschung erlangter Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beweisverwertungsverbote als Belastungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fehlende Dispositionsbefugnis des Beschuldigten über die Anwendung inquirierender Verhörmethoden und die Verwertung der rechtswidrig erlangten Aussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erstreckung des Beweisverwertungsverbots auf „mittelbar“ erlangte Beweismittel? – Zur Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots . . . . . . 1. Umfang des Beweisverwertungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe . . . . . . . . . . . . . .

225 225 233 235 235 239

E. Abschließende Überlegungen und Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . 240 Kapitel 5

Abschließende Bemerkungen und Ausblick 

243

A. Überblick über die gewonnenen Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 B. Rechtspolitischer Ausblick auf das Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

Abkürzungsverzeichnis a. A. anderer Ansicht AE-EV Alternativ-Entwurf Reform des Ermittlungsverfahrens AK Alternativkommentar Am Psychol American Psychologist Anm. d. Verf. Anmerkung des Verfassers AöR Archiv des öffentlichen Rechts AT Allgemeiner Teil Bd. Band BeckOK Beck’scher Online-Kommentar Beschl. Beschluss BFH Bundesfinanzhof BFHE Entscheidungen des Bundesfinanzhofs BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen BT Besonderer Teil BT-Drucks. Bundestagsdrucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts CCC Constitutio Criminalis Carolina ders./dies. derselbe/dieselbe DJT Deutscher Juristentag DÖV Die Öffentliche Verwaltung DRiZ Deutsche Richterzeitung DStR Deutsches Steuerrecht EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Eur Psychol European Psychologist Fn. Fußnote Forens Psychiatr Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie (Zeitschrift) Psychol Kriminol FS Festschrift GA Goltdammer’s Archiv für Strafrecht grds. grundsätzlich GS Gedächtnisschrift/Der Gerichtssaal (Zeitschrift)

16 Abkürzungsverzeichnis GSSt

Großer Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs

h. M.

herrschende Meinung

HRRS

Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (Zeitschrift)

Hrsg./hrsg. Herausgeber/herausgegeben i. d. F.

in der Fassung

insb. insbesondere i. R.d.

im Rahmen des/der

i. S. d.

im Sinne des/der

JR

Juristische Rundschau

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JZ Juristenzeitung KJ

Kritische Justiz

KK

Karlsruher Kommentar

KMR Kleinknecht/Müller/Reitberger Law Hum Behav

Law and Human Behavior

Leg Criminol Psychol

Legal and Criminological Psychology

Lit. Literatur LK

Leipziger Kommentar

LPK

Lern- und Praxiskommentar

LR Löwe/Rosenberg MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

Mich. Law Rev.

Michigan Law Review

MK

Münchener Kommentar

m. w. N./m. Nachw.

mit weiteren Nachweisen/mit Nachweisen

N C Law Rev

North Carolina Law Review

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NK

Nomos Kommentar

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

Psychol Sci

Psychological Science

Psychol Sci Pub Interest

Psychological Science in the Public Interest

Rn. Randnummer R&P

Recht und Psychiatrie

Rspr./st. Rspr.

Rechtsprechung/ständige Rechtsprechung

SK

Systematischer Kommentar

Abkürzungsverzeichnis17 Soc Issues Policy Social Issues and Policy Review Review Soc Psychiatry Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology Psychiatr Epidemiol SSW Satzger/Schluckebier/Widmaier StPÄG Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes StraFo StrafverteidigerForum StV Strafverteidiger Urt. Urteil vgl. vergleiche Vol. Volume ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZAP Zeitschrift für die anwaltliche Praxis ZfR Zeitschrift für Rechtssoziologie ZIS Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ZJS Zeitschrift für das Juristische Studium ZKph Zeitschrift für Kulturphilosophie ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStR Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung „Die größte Verletzung der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, bloß als moralisches Wesen betrachtet (die Menschheit in seiner Person), ist das Widerspiel der Wahrhaftigkeit: die Lüge“1 – so beginnt Kant seine Ausführungen zur Begründung eines absolut geltenden moralischen Lügenverbots. Seit jeher bieten Lüge und Täuschung den Nährboden für mannigfaltige Diskussionen. Während die Ethik bereits früh den Grundstein für die Beschäftigung mit der Lüge gelegt hat, handelt es sich heute um ein wahrlich interdisziplinäres Phänomen. Neben der Ethik, den Kommunikationswissenschaften sowie der Rechtswissenschaft rücken die Naturwissenschaften vermehrt in den Fokus. So beschäftigen sich heute auch Disziplinen wie die Psychologie und die Evolutionsbiologie mit der Lüge. Unser Verhältnis zur Lüge war dabei stets ein höchstambivalentes. Auf der einen Seite verurteilen wir das Aussprechen von Unwahrheit als verwerflich, drohen dem Lügner im Einzelfall sogar mit empfindlicher Bestrafung (siehe nur die §§ 153 ff., 187 und 263 StGB). Auf der anderen Seite wird demjenigen Bewunderung zuteil, der seine Ziele – das gilt jedenfalls, sofern sie als billigenswert erscheinen – mittels List zu erreichen vermag. Man denke nur an die listenreiche Kriegsführung des Odysseus, der dem Mythos zufolge den Griechen durch den Einsatz eines hölzernen Pferdes, in dessen Rumpf sich Soldaten verbargen, den Sieg über Troja ermöglichte. Die Wurzeln dieser zwiegespaltenen Bewertung der Täuschung liegen in dem Konflikt zwischen einer deontologisch und einer konsequentialistisch bzw. utilitaristisch2 geprägten Ethik. Die zumal in westlich geprägten Gesellschaften3 bisweilen sehr rigoros vertretene moralische Unzulässigkeit von Lüge und Täuschung beruht nicht nur auf der bereits eingangs erwähnten Tugendlehre Kants, der das Lügenverbot zum kategorischen Imperativ erhebt,4 sondern ist bereits in der die Lüge als Sünde verurteilenden christ­

1  Kant,

Die Metaphysik der Sitten, Werkausgabe Bd. VIII, S. 562. zum Verhältnis der beiden Begriffe Nasher, Die Moral des Glücks, S. 14 ff. 3  Zur Diskussion um kulturell unterschiedliche Lügenverständnisse siehe Meibauer ZKph 2016/1, S. 29. 4  Dazu auch Kant, Über ein vermeintliches Recht aus Menschenliebe zu lügen, Werkausgabe Bd. VIII, S. 637 ff.; vgl. auch Carson, Lying and Deception, S. 67 ff. 2  Siehe

20 Einleitung

lichen Theologie angelegt.5 Entscheidendes Charakteristikum sowohl des christlichen als auch des kantischen Lügenverbots ist dessen ausnahmslose Gültigkeit, selbst wenn die Lüge geeignet scheint, das Leben eines anderen Menschen zu retten.6 Ebendiese Absolutheit selbst im Angesicht unerwünschter Konsequenzen bildet den Anknüpfungspunkt für Kritik. Denn nach utilitaristischem Verständnis ist eine Einordnung menschlichen Handelns als a priori gut oder schlecht zum Scheitern verurteilt. Dies gelte auch für das Lügen und Täuschen, die einer absoluten moralischen Bewertung nicht zugänglich seien. Stattdessen bedürfe es stets eines Blickes auf die durch die Handlung herbeigeführten Folgen, sodass eine Lüge unter Zugrundelegung dieses Konzepts solange gutzuheißen ist, wie sie geeignet ist, das Glück der Gesellschaft als Gruppe zu mehren, mit anderen Worten wenn sie Nutzen (lat. utilitas) bringt.7 Fremd ist uns das Phänomen einer scheinbar das Glück sämtlicher Beteiligten mehrenden Lüge im Alltag keineswegs. So wird eine „Notlüge“ etwa zum Schutze der Gefühle eines Mitmenschen weithin als nicht verwerflich angesehen.8 5  In der Bibel wird die Lüge in diversen Passagen als Sünde verurteilt, vgl. etwa den Brief an die Epheser 4, 25: „Legt deshalb die Lüge ab und redet untereinander die Wahrheit; denn wir sind als Glieder miteinander verbunden.“ und Johannes 8, 44: „Ihr habt den Teufel zum Vater […]. Und er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist keine Wahrheit in ihm. Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt; denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge.“. Auch der Kirchenlehrer Augustinus setzt sich mit dem christlichen Verbot der Lüge auseinander und begründet ihre sündhafte Natur damit, dass gottgegebener Zweck der Sprache nicht die Irreführung der Mitmenschen sei, sondern das Mitteilen eigener Gedanken (Augustinus, Enchiridion de fide, spe et charitate, S. 28). Er beschreibt die Lüge damit als pervertierte Form von Sprache, die auch nicht durch scheinbar ehrenwerte Absichten wie der Rettung eines Menschenlebens gerechtfertigt werden könne. Denn sich zur Rettung eines anderen Menschen zu versündigen, bedeute das weltliche Heil über das Seelenheil und damit das zeitliche Leben über das ewige Leben zu stellen (Augustinus, De mendacio, contra mendacium, S. 16). Siehe zusammenfassend zum christlichen Lügenverbot auch den Katechismus der Katholischen Kirche, Rn. 2475 ff. 6  Die Übereinstimmung beschränkt sich freilich auf das Ergebnis der absoluten Unzulässigkeit der Lüge, während die Begründungsansätze höchstunterschiedlich sind. Bei Kant wird dem Handeln aus Pflicht ein intrinsischer Wert beigemessen, der weder einer Begründung durch eine höhere Macht noch eines äußeren Anreizes bedarf, siehe Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Werkausgabe Bd. VII, S.  18 ff. 7  Bentham, An introduction to the principles of morals and legislation, S. 2 führt aus: „By the principle of utility is meant that principle which approves or disapproves of every action whatsoever, according to the tendency which it appears to have to augment or diminish the happiness of the party whose interest is in question: or, what is the same thing in other words, to promote or to oppose that happiness.“. 8  Siehe zur Problematik Lotter, in: dies., Die Lüge, S. 9 (22 ff.). Vgl. dazu auch Schopenhauer, Preisschrift über die Grundlage der Moral, Sämtliche Werke Bd. III, S. 757, der die Lüge als „Notwehr gegen unbefugte Neugier“ bezeichnet und insoweit

Einleitung21

Auch die dieser Untersuchung zugrundeliegende Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit der Täuschung des Beschuldigten zur Erlangung von Beweisen beruht letztlich auf dem beschriebenen Konflikt zwischen Deontologie und Konsequentialismus. Dass nämlich bestimmte Methoden der Sachverhaltsaufklärung, so gerade auch die Täuschung, rechtsstaatlich jedenfalls fragwürdig sind, ergibt sich bereits aus der Existenz des § 136a StPO und wird auch in Rechtsprechung und Schrifttum kaum bestritten.9 Ein ausnahmslos geltendes Verbot ihrer Anwendung sowie ein etwaiges auf einen Verstoß folgendes Beweisverwertungsverbot schränken freilich auch die Möglichkeiten ein, auf den Verdacht einer Straftat durch Sachverhaltsaufklärung zu reagieren. Das Recht muss die Frage beantworten, ob es diese Folge in Kauf nimmt oder dem Zweck der Straftatenaufklärung den Vorrang einräumt. Allgemeiner formuliert lautet die rechtsphilosophische Ausgangsfrage also, wie weit der Staat zur Aufklärung von Straftaten gehen soll. Aufgeworfen wurde diese Frage nicht zuletzt durch ein im Jahr 2017 durch den Bundesgerichtshof ergangenes Urteil zur Zulässigkeit sogenannter legendierter Polizeikontrollen.10 Unter dem Vorwand einer routinemäßigen Verkehrskon­ trolle durchsuchten Polizeibeamte das Fahrzeug des Verdächtigen, der – wie die Beamten aufgrund der Aussage einer Vertrauensperson bereits wussten – eine nicht unerhebliche Menge Rauschmittel zum Weiterverkauf bei sich führte. Zweck der Maßnahme war dem festgestellten Sachverhalt zufolge nicht nur zu verhindern, dass das Rauschmittel in Deutschland in den Verkehr gelangt, sondern gleichsam die Beweissicherung. Die dem Urteil zugrundeliegende juristische Problematik geht über die Bewertung der in der vorgespiegelten Routinekontrolle liegenden Täuschung hinaus und soll an dieser Stelle nicht näher erörtert werden. Bemerkenswert ist allerdings die durch das Urteil in der Öffentlichkeit ausgelöste Debatte über die Grenzen legitimen staatlichen Handelns. Diese Debatte bezeugt das hohe Polarisierungspotential verdeckter Ermittlungstätigkeit und angesichts ihrer sich abdie Maxime aufstellt „Ask me no questions, and I’ll tell you no lies“. Schopenhauer entgegnet der ausnahmslosen Verwerflichkeit der Lüge ebenso, dass die Lüge im Einzelfall, etwa für Ärzte, sogar eine Pflicht sein kann (S. 758). 9  Eine Ausnahme bildet Nowrousian NStZ 2015, 625 (627 f.), dem zufolge die Lüge dann moralischer ist als die Wahrheit, wenn sie der „Überführung eines Straf­ täters [dient], also eines Menschen, der vorsätzlich das Recht gebrochen und einem anderen Schaden zugefügt hat“. Einer dahingehenden Argumentation ist freilich eine Vorverurteilung des Beschuldigten immanent. Offen bleibt, ob sich nach Auffassung des Autors etwas an der moralischen Bewertung ändert, wenn sich der Adressat der Maßnahme i. Erg. als unschuldig herausstellt. 10  BGHSt 62, 123; siehe eingehend zur Problematik Müller/Römer NStZ 2012, 543.

22 Einleitung

zeichnenden Bedeutungszunahme, die sich in medial präsenten Themen wie dem Bundeskriminalamtgesetz,11 sogenannten Staatstrojanern12 und Straftatenprovokation13 offenbart, werden verdeckte Ermittlungsmethoden in Zukunft wohl vermehrt in den Fokus rücken. Die vorliegende Untersuchung befasst sich nicht mit der rechtsphilosophischen Fragestellung, ob dem Staat die Aufklärung von Straftaten durch die Anwendung von Täuschungen erlaubt sein soll. Vielmehr lautet die hier zu beantwortende Frage, ob dem Staat die Aufklärung mittels Täuschungen nach geltendem Recht erlaubt ist. Das Hauptaugenmerk wird dabei auf der Vernehmungssituation liegen. Wiederum ist in der Debatte der oben dargelegte Konflikt zu erkennen. Während nämlich § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO ausdrücklich das Verbot der Täuschung im Rahmen der Vernehmung statuiert, wird nicht zu Unrecht auf den mit irreführenden Ermittlungsmaßnahmen einhergehenden Effektivitätsgewinn bei der Strafverfolgung hingewiesen und damit der utilitaristische Gedanke zugrunde gelegt.14 Zu Beginn der Untersuchungen bedarf es einiger Begriffsbestimmungen. Während im ersten Kapitel mit den Begriffen des Beschuldigten und der Vernehmung sowie der Herausarbeitung des Vernehmungszwecks die Grundlagen für die Anwendbarkeit der §§ 133 ff. StPO gelegt werden, wird im Rahmen des zweiten Kapitels der Begriff der Täuschung näher betrachtet. Die Begriffsbestimmung der Täuschung bildet schon deshalb eine entscheidende Weichenstellung, weil der Begriff nach herrschender Meinung restriktiv auszulegen ist und daher bereits hier das vielfach angeführte Bedürfnis einer Einschränkung des Täuschungsverbots bedient wird. Letztlich geben die Ausführungen der ersten beiden Kapitel auch bereits die entscheidenden Hinweise für die einfachgesetzliche Bewertung der Täuschung des Beschuldigten in und außerhalb seiner Vernehmung. Näherer Betrachtung im Rahmen des dritten Kapitels bedürfen sodann die verfassungsrechtlichen Grundlagen des einfachgesetzlichen Täuschungsverbots. Sie geben nicht nur Aufschluss darüber, ob die Täuschung gleichsam dem Beschuldigten durch das 11  Vgl. dazu die Ausführungen in BVerfG NJW 2016, 1781 (1784 ff.), das sich intensiv mit heimlichen Ermittlungsmaßnahmen auseinandersetzt. 12  Siehe zur Diskussion etwa Kipker ZRP 2016, 88. 13  In einem jüngst veröffentlichten Urteil rügt der EGMR die Verurteilung wegen Straftaten, die durch V-Personen provoziert wurden, als Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, siehe EGMR, Urt.  v. 15.10.2020 – Az. 40495/15, 40913/15 und 37273/15 (Akbay and Others v. Germany). 14  Vgl. an dieser Stelle statt vieler Nowrousian, Heimliches Vorgehen und aktive Täuschung im Ermittlungsverfahren, S. 114 sowie Walder, Die Vernehmung des Beschuldigten, S. 160, dem zufolge es „ein Armutszeugnis sondergleichen [wäre], wenn der Strafjustiz deshalb Schwierigkeiten entständen, weil gewisse Strafverfolgungsbeamte den Beschuldigten nicht mehr täuschen dürfen.“

Einleitung23

Grundgesetz garantierte Rechte verletzt, sondern zeichnen darüber hinaus auch die Grenzen etwaiger künftiger Gesetzesänderungen im Bereich des Strafverfahrensrechts vor. Den Abschluss der Untersuchungen bildet das vierte Kapitel, das sich mit der Frage auseinandersetzt, wie sich die Täuschung des Beschuldigten auf die Verwertbarkeit der durch sie erlangten Beweismittel auswirkt.

Kapitel 1

Vernehmung des Beschuldigten Die Vorschriften der §§ 133 ff. StPO beziehen sich – das ergibt sich schon aus der Überschrift des Zehnten Abschnitts  – nur auf die Vernehmung des Beschuldigten. Ihre Existenz ist Ausdruck der besonderen Schutzbedürftigkeit des Beschuldigten und seines Rechts, nicht zu seiner eigenen Überführung beitragen zu müssen und dadurch zum Beweismittel gegen sich selbst gemacht zu werden. Daher kommt der Beschuldigte in den Genuss der Aussagefreiheit, die durch die Pflicht des Vernehmenden zur diesbezüglichen Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO flankiert wird. Gleichwohl kann der Verdächtige kein Interesse daran haben, voreilig den Status eines Beschuldigten zu erlangen.1 Seine besondere Schutzbedürftigkeit ist nämlich das Resultat der gegen ihn gerichteten Strafverfolgung, die mit eingriffs­ intensiven Ermittlungsmaßnahmen durch staatliche Akteure verbunden ist und deren Duldung vom Beschuldigten verlangt werden kann. Anders stellt sich die Interessenlage bei der Begriffsbestimmung der Vernehmung dar. Hat eine Person erst einmal den Status eines Beschuldigten erlangt, ist es für sie ausschließlich vorteilhaft, wenn der Kontakt mit einem Vertreter der Strafverfolgungsbehörden als Vernehmung einzustufen ist. Die §§ 133 ff. StPO enthalten keine Vorschriften, welche die Vernehmungsperson über die unabhängig von einer Vernehmung zulässigen Eingriffsmaßnahmen hinaus ermächtigen. Stattdessen geht die Vernehmungssituation mit einem eingeschränkten Handlungsspielraum für den Vernehmenden einher, wie etwa die Belehrungspflichten und das Verbot bestimmter Vernehmungsmethoden zeigen. Aus alledem wird deutlich, dass sowohl der Verdächtige als auch die Strafverfolgungsbehörden ein Interesse an einer rechtssicheren Begriffsbestimmung haben. Dennoch lässt das Gesetz offen, wie die Begriffe der Vernehmung und des Beschuldigten zu verstehen sind. Die Vielzahl an einschlägiger Literatur und Rechtsprechung suggeriert eine tatsächlich nicht

1  Roxin FS Schöch, S. 823 (828); ähnlich MK-StPO/Peters § 152 Rn. 37; siehe auch Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 78, der darauf hinweist, dass der Beschuldigtenstatus mit einer „nicht zu leugnenden Diskriminierungswirkung“ einhergeht.



A. Die Beschuldigteneigenschaft25

existierende sichere Anwendung der Begriffe in der Strafverfolgungspraxis.2 Da die im Rahmen dieses Forschungsprojekts zu beantwortende Frage nach der Zulässigkeit der täuschenden Einwirkung auf den Beschuldigten voraussetzt, dass der Anwendungsbereich der §§ 133 ff. StPO eröffnet ist, muss zunächst der Beschuldigtenbegriff (A.) näher bestimmt werden, um im Anschluss Zweck (B.) und Begriff (C.) der Beschuldigtenvernehmung zu erörtern. Freilich ist auch eine Täuschung des Beschuldigten außerhalb seiner Vernehmung denkbar, deren Betrachtung jedoch wiederum zunächst eine klare Umgrenzung des Vernehmungsbegriffs erfordert.

A. Die Beschuldigteneigenschaft I. Die grundverschiedene Stellung von Beschuldigten und Zeugen im Strafverfahren Die Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren unterscheidet sich grundlegend von der Stellung des Zeugen.3 Insbesondere die der Beschuldigtenvernehmung und der Zeugenvernehmung zugrundeliegenden Interessenlagen sind grundverschieden. Letztere dient in erster Linie der Aufklärung des Sachverhalts und damit der Wahrheitsfindung.4 Daraus folgt zwar nicht, dass der Zeuge seine Interessen dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse vollständig unterzuordnen hat, wie schon der Verweis in § 69 Abs. 3 StPO auf das Verbot der Anwendung inquirierender Verhörmethoden in § 136a StPO zeigt. Abseits solcher „Extremfälle“ haben die Interessen des Zeugen nach der Wertung des Gesetzes jedoch zurückzutreten. Daher trifft ihn nicht nur eine Aussagepflicht (§ 48 Abs. 1 Satz 2 StPO), die mit dem Einsatz von Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann, sondern auch eine in den §§ 153 ff. StGB strafbewehrte Wahrheitspflicht. Das Gesetz selbst trifft also im Rahmen der Interessenabwägung eine Entscheidung zulasten des Zeugen, die nur dann umgekehrt wird, wenn sich gegen den Zeugen der Verdacht der Beteiligung an einer Straftat ergibt. Dann kommt ihm ähnlich dem Beschuldigten das Recht der Aussageverweigerung zu, über das er zu belehren ist (§ 55 StPO). Im Gegensatz zum Mitwirkungsverweigerungsrecht des Beschuldigten wirkt das des Zeugen dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 StPO zufolge aller-

dazu auch die Kritik bei Roxin FS Schöch, S. 823. ist der Beschuldigtenstatus nach deutschem Recht unvereinbar mit der Stellung als Zeuge im selben Prozess, siehe dazu Walder, Die Vernehmung des Beschuldigten, S.  54 ff. 4  SK-StPO/Rogall Vor § 48 Rn. 8 m. w. N. 2  Vgl.

3  Daher

26

Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

dings nur punktuell, sodass die Auskunft regelmäßig nicht vollumfänglich unterlassen werden darf.5 Hinsichtlich des Beschuldigten ist die Interessenlage entgegengesetzt. Zwar kann seine Vorführung zur Vernehmung nach § 134 Abs. 1 StPO verfügt werden. Eine aktive Mitwirkung an seiner eigenen Überführung kann vom Beschuldigten nach dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare (vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 3) jedoch nicht verlangt werden, sodass er auch nicht zur Aussage verpflichtet ist. Überdies statuiert § 136 Abs. 2 StPO die Grundregel, dass seine Vernehmung jedenfalls nicht vorrangig Aufklärungsinteressen dient, sondern als Gelegenheit zur Vorbringung zugunsten des Beschuldigten sprechender Tatsachen zu verstehen ist (dazu sogleich S. 38 ff.).

II. § 157 StPO als Ausgangspunkt der Begriffsbestimmung Obgleich der historische Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung6 um eine Legaldefinition des Beschuldigten bemüht war,7 wurde eine solche nicht kodifiziert. Die noch in § 119a Nr. 1 des Entwurfs der Redaktionskommission enthaltene Definition, nach welcher derjenige als Beschuldigter einzustufen ist, „welcher als der That verdächtig vom Richter geladen oder vernommen, oder gegen welchen ein Haftbefehl erlassen ist“8 wurde nach der zweiten Lesung der Kommission in eine dem heutigen § 157 StPO entsprechende Form abgeändert. Die Kommissionsmitglieder erkannten, dass der Beschuldigtenbegriff im Sinne der obigen Definition deutlich zu eng wäre und Vorschriften, die an einen Zeitpunkt vor der Ladung zur Verneh5  BGH NJW 2005, 2166 (2167); MK-StPO/Maier § 55 Rn. 51; a. A. Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 37 f., der ein für die gesamte restliche Vernehmung geltendes Aussageverweigerungsrecht annimmt. Der Zeuge ist zwar grds. zur Aussage verpflichtet, er genießt jedoch gleichzeitig den Schutz durch das nemo-tenetur-Prinzip, dessen einfachgesetzliche Ausprägung § 55 StPO ist. Legt der Zeuge glaubhaft dar, dass die Beantwortung einer Frage die Gefahr der Selbstbelastung mit sich brächte, so sind an die Ausübung des Aussageverweigerungsrecht in Bezug auf die nachfolgenden Fragen keine erhöhten Anforderungen zu stellen. Dies kann im Einzelfall auch dazu führen, dass der Zeuge die Beantwortung sämtlicher Fragen ablehnen kann. Zwingend ist dies aber nicht. 6  Der Begriff der Reichsstrafprozessordnung (RStPO) ist synonym zur heutigen Strafprozessordnung; es handelt sich um das gleiche Gesetz. Im Folgenden wird der Begriff der RStPO für die Prozessordnung im Zeitraum 1871–1945 verwendet. Die Unterscheidung ist mithin historischer und nicht recht­licher Natur. 7  Ausführlich zur historischen Entwicklung Grosjean, Der Beginn der Beschuldig­ teneigenschaft,  S.  3 ff. 8  Abgedruckt bei Hahn/Mugdan, StPO Abt. 2, S. 2198 f.



A. Die Beschuldigteneigenschaft27

mung bzw. vor dem Erlass eines Haftbefehls anknüpfen in diesem frühen Stadium nicht anwendbar wären.9 So könne man schon nicht mehr von der Ladung des Beschuldigten zur ersten Vernehmung sprechen, wenn dieser erst mit der Ladung den Beschuldigtenstatus erlangen würde.10 Die Kommission resümierte, dass der „Moment, von welchem an ein Beschuldigter im Sinne der Strafprozeßordnung vorhanden ist, sich überhaupt einer allgemein durchgreifenden Feststellung entziehe“.11 In dem Bewusstsein, dass der Beschuldigtenbegriff flexibel ist und daher nicht die Rede davon sein kann, dass jemand von einem fest definierten Zeitpunkt an Beschuldigter ist, verzichtete der historische Gesetzgeber auf eine Kodifizierung des Begriffs in der Reichsstrafprozessordnung. Die „Nachfolgevorschrift“ des § 157 StPO, die angesichts dieser Erkenntnis lediglich den Angeschuldigten und Angeklagten definiert, ist gleichwohl aufschlussreich für die Bestimmung des Beschuldigtenbegriffs. Zur Bestimmung beider Termini bedient sich die Vorschrift nämlich selbst des Beschuldigtenbegriffs. Doch auch sie vermag keine eindeutige Antwort zu liefern, denn sie beinhaltet gleich zwei Beschuldigtenbegriffe. Zum einen wird aus den Formulierungen „Angeschuldigter [ist] der Beschuldigte […]“ und „Angeklagter [ist] der Beschuldigte […]“ deutlich, dass der Begriff des Beschuldigten als Oberbegriff für die Person verwendet wird, gegen die ein Strafverfahren betrieben wird.12 Der erste Beschuldigtenbegriff ist somit weit zu verstehen. Aus der Vorschrift, genauer aus dem Umkehrschluss aus § 157 Var. 1 StPO, folgt indes ebenso ein enger Beschuldigtenbegriff. Beschuldigter ist danach derjenige, gegen den ein Strafverfahren betrieben wird, ohne dass gegen ihn bereits die öffentliche Klage erhoben wurde.13 Praxistaugliche 9  Vgl. die Ausführungen des Kommissionsmitglieds Hanauer i. R. d. zweiten Lesung: „Würde davon ausgegangen, daß die Person, gegen welche sich die strafgerichtliche Verfolgung richtet, erst dann Beschuldigter sei, wenn sie als der That verdächtig vom Richter geladen oder vernommen ist, so wäre eine Reihe von Bestimmungen des Gesetzes, welche bereits für ein früheres Stadium des Verfahrens Garantieen [sic] und Vorschriften für den ‚Beschuldigten‘ oder bezüglich desselben treffen, in diesem früheren Stadium nicht anwendbar.“, abgedruckt bei Hahn/Mugdan, StPO Abt. 2, S. 1224. 10  Vgl. Hahn/Mugdan, StPO Abt. 2, S. 1224 (Hanauer). 11  Hahn/Mugdan, StPO Abt. 2, S. 1224 (Hanauer). 12  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 20 f. Dass der Begriff des Beschuldigten die Funktion eines Oberbegriffs innehat, ist in der Vorgängervorschrift des § 119a RStPO-E besonders anschaulich niedergelegt. In dieser ist nämlich die Rede davon, dass der Beschuldigte auch derjenige ist, „gegen welchen die öffentliche Klage erhoben ist (Angeschuldigter)“ und „gegen welchen die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen ist (Angeklagter)“, abgedruckt bei Hahn/Mug­ dan, StPO Abt. 2, S. 2198 ff. 13  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 21.

28

Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

Erkenntnisse sind damit freilich noch nicht gewonnen.14 Weder der weite noch der enge Beschuldigtenbegriff sagt etwas über die materiellen Voraussetzungen der Einstufung einer Person als Beschuldigten aus. Insbesondere sind sie ungeeignet, Beginn und Ende der Beschuldigteneigenschaft zu definieren.

III. Der Beschuldigte als verdächtige Person Der Beschuldigte ist in aller Regel der Begehung einer Straftat verdächtig.15 Dies lässt sich dem Gesetz an diversen Stellen entnehmen, so auch den Vorschriften zur Beschuldigtenvernehmung. Zu Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1 StPO die ihm zur Last gelegte Tat zu eröffnen, was das Vorliegen auf den Beschuldigten personalisierter Verdachtsgründe voraussetzt. Die Eigenschaft des Beschuldigten als verdächtige Person ergibt sich darüber hinaus aus § 136 Abs. 2 StPO, nach dem die Vernehmung dem Beschuldigten die Gelegenheit geben soll, den gegen ihn gehegten Verdacht ganz oder teilweise zu widerlegen. Auch dies ist nicht denkbar, ohne dass überhaupt gewisse Verdachtsmomente gegen ihn vorliegen. 1. Das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte als Voraussetzung der Ermittlungsbefugnis und Ermittlungspflicht a) Relativität des Anfangsverdachts Die Staatsanwaltschaft ist Inhaberin des Anklagemonopols, entscheidet also unabhängig vom Richter über die Erhebung der öffentlichen Klage.16 Die Fokussierung dieser Kompetenz auf die Staatsanwaltschaft wirft das Bedürfnis nach einer effektiven Kontrolle der Behörde zur Verhinderung willkürlicher (Nicht-)Anklagen auf. Dem Grundsatz der Gewaltenteilung gemäß kommt der Staatsanwaltschaft nämlich lediglich die Aufgabe zu, das Strafverfahren durch Ermittlung des Sachverhalts und Prüfung der Verdachtsmomente vorzubereiten, während die Entscheidung über die Strafe voll­ ständig in richterlicher Hand verbleiben soll.17 Die Staatsanwaltschaft ist bei 14  So

zu Recht SK-StPO/Rogall Vor § 133 Rn. 10. Gerlach NJW 1969, 776; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 22. 16  Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 13 Rn. 7. 17  Hassemer FS StA SH, S. 529 (530 f.). Diesem Grundsatz läuft die sich seit längerem in der Praxis abzeichnende Bedeutungszunahme des Opportunitätsprinzips zuwider. Im Geschäftsjahr 2017 wurden etwa durch die Staatsanwaltschaft 169.801 15  Von



A. Die Beschuldigteneigenschaft29

Vorliegen eines gewissen Verdachtsgrades durch das Legalitätsprinzip zur Erhebung der öffentlichen Klage (§ 170 Abs. 1 StPO) und dem vorgelagert zur Aufnahme der Ermittlungstätigkeit verpflichtet (§§ 160 Abs. 1, 152 Abs. 2 StPO).18 Auch die Polizei ist an das Legalitätsprinzip gebunden, wobei für sie – anders als für die Staatsanwaltschaft – nicht die Durchbrechungen der §§ 153 ff. StPO gelten.19 Der Zeitpunkt, in dem Staatsanwaltschaft und Polizei zur Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet sind, legen die §§ 160 Abs. 1, 152 Abs. 2 StPO fest. Erforderlich ist das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat, womit das Gesetz den nicht expressis verbis erwähnten Anfangsverdacht umschreibt.20 Die Anforderungen, die an das Vorliegen eines Anfangsverdachts gestellt werden, sollen nach überwiegender Auffassung niedrig angesetzt werden, da der Sachverhalt zunächst noch ermittelt werden müsse.21 Dies mag zwar angesichts der Tatsache, dass die Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vor dem Ermittlungsverfahren nicht allzu umfangreich sein können, logisch erscheinen, ist jedoch – wie Deiters22 darlegt – nur unter Zugrundelegung eines absoluten Strafzwecks schlüssig. Eine an die positive Generalprävention angelehnte Auslegung des Kriteriums des Anfangsverdachts muss sich stattdessen an der Frage orientieren, ob die tatsächlichen Anhaltspunkte ausreichen, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Normgeltung so weit zu erschüttern, dass ein Eingreifen in Form der Aufnahme der Ermittlungstätigkeit erforderlich ist.23 Daher muss die Hürde des Anfangsverdachts auch relativ zur Schwere des vorgeworfenen Delikts sein. Der geringe Verdacht der Begehung eines Tötungsdelikts ist regelmäßig geeignet, die Normakzeptanz in der Bevölkerung zu erschüttern, während an einen Anfangsverdacht hinsichtlich der strafbaren GebrauchsanStrafverfahren mit Auflage und 1.262.717 ohne Auflage eingestellt, vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.6, Rechtspflege Staatsanwaltschaften, S. 26. Kritisch dazu Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 14 f. m. w. N. und zu einer befürchteten „Verpolizeilichung“ des Strafverfahrens Paeffgen, in: Wolter, Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, S. 13. 18  Die Freiheit der Strafverfolgung von Willkür ist unmittelbare Folge des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) und hat daher Verfassungsrang, siehe BVerfGE 56, 214 [223]; SK-StPO/Weßlau/Deiters Vor  §§ 151 ff. Rn. 20; Eisenberg/Conen NJW 1998, 2241. 19  Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 3. 20  Kammann, Der Anfangsverdacht, S. 5. 21  So bspw. KK-StPO/Diemer § 152 Rn. 7; Keller NStZ 1990, 416. 22  Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 115 ff. Zuvor bereits Freund GA 1995, 4 (13); ders., in: Wolter/Freund, Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 43 (58). 23  Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 117 f.; siehe zur Theorie der positiven Generalprävention eingehend Frister, Strafrecht AT, Kap. 2 Rn. 20 ff.

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

maßung nach § 248b StGB höhere Anforderungen zu stellen sind.24 Diese Relativität des Anfangsverdachts bildet die Grundlage für die Bestimmung des Vorliegens eines Anfangsverdachts in der Strafverfolgungspraxis. b) Verfolgbare Straftat Der Anfangsverdacht muss stets auf eine verfolgbare Straftat gerichtet sein (§§ 160 Abs. 1, 152 Abs. 2 StPO). Dies darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass die Tatbegehung bereits in Einzelheiten bekannt oder gar der vermeintliche Täter identifiziert sein müsste.25 Anders formuliert genügt ein tatbezogener Verdacht für die Begründung eines Anfangsverdachts, eines täterbezogenen Verdachts bedarf es nicht.26 Da der Tatverdacht eine sich an der kriminalistischen Erfahrung der Strafverfolger orientierende Prognoseentscheidung ist,27 kann im Einzelfall auch der bloße Verdacht tatbestandsmäßigen Handelns ausreichen. Auf Rechtswidrigkeit und Schuld muss sich der Verdacht insoweit beziehen, als keine konkreten Anhaltspunkte für eine Rechtfertigung oder eine Schuldlosigkeit vorliegen.28 Daher begründet ein den Tatbestand der Körperverletzung ausfüllender ärztlicher Heileingriff grundsätzlich keinen Anfangsverdacht. Die kriminalistische Erfahrung begründet nämlich die Erwartung eines aufgrund einer Einwilligung gerechtfertigten Verhaltens. Insoweit bedarf es für die Begründung eines Anfangsverdachts regelmäßig konkreter Anhaltspunkte für eine unwirksame Einwilligung in die Heilbehandlung. Da die Feststellung der Schuld stets die Identifizierung eines Verdächtigen erfordert, ist ein Anfangsverdacht hinsichtlich schuldhaften Handelns solange gegeben, bis sich schuldausschließende Momente, wie etwa ein Alter des Verdächtigen unter 14 Jahren, herausstellen.29

24  Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 119; dazu auch SK-StPO/Weß­ lau/Deiters § 152 Rn. 12 ff. 25  Zabel ZIS 2014, 340 (341). 26  Haas, Vorermittlungen und Anfangsverdacht, S. 16 f.; Kammann, Der Anfangsverdacht, S.  19 ff. 27  KK-StPO/Diemer § 152 Rn. 7; Ebert, Der Tatverdacht im Strafverfahren, S. 17 f.; Scheinfeld/Willenbacher NJW 2019, 1357. 28  Der Verdacht muss sich also auf eine verfolgbare Straftat beziehen, vgl. MKStPO/Peters § 152 Rn. 35; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 39 Rn. 15. 29  Die Inkulpation einer Person, bei der Merkmale der Straf- bzw. Verfolgbarkeit fehlen – so eben auch die Schuldfähigkeit – ist unzulässig. Zum Beispiel darf ein zwölfjähriges Kind nicht durch die Ermittlungsbehörden in die Stellung eines Beschuldigten erhoben werden. Da die Beschuldigteneigenschaft jedoch auch Rechte gegenüber den Ermittlungsbehörden begründet (etwa das Recht auf Aussageverweigerung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) ist eine gleichwohl erfolgende Inkulpation zum Schutz des Verfolgten als rechtlich wirksam anzusehen.



A. Die Beschuldigteneigenschaft31

c) Zureichende verdachtsbegründende Tatsachen Die Eingriffsvoraussetzung des Anfangsverdachts begründet das Verbot staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen ohne das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für die Begehung einer verfolgbaren Straftat.30 Der Tatsachenbegriff ist weit zu verstehen und umfasst jedenfalls alle Umstände, die dem Beweis zugänglich sind (vgl. dazu die Ausführungen auf S. 67 ff.). In der Praxis werden die verdachtsbegründenden Tatsachen zwar oftmals in einer Strafanzeige liegen. Nach den Umständen des Einzelfalls kann jedoch jede erdenkbare Tatsache geeignet sein, einen Anfangsverdacht zu begründen.31 Ob die Tatsachen, auf die sich der Anfangsverdacht stützt, zureichend sind, entzieht sich einer abstrakten Betrachtung32 und entgegen einzelner Tendenzen in der Literatur33 vor allem einer prozentualen Quantifizierung. Daraus kann jedoch nicht das Erfordernis eines Beurteilungsspielraums der Strafverfolgungsbehörden bei der Bestimmung des Anfangsverdachts geschlussfolgert werden.34 Ein Beurteilungsspielraum geht stets mit einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrollmöglichkeit einher und bedarf daher angesichts der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG einer besonderen Rechtfertigung.35 Argumente für einen Beurteilungsspielraum bei der Frage nach dem Vorliegen eines Anfangsverdachts  – seien sie teleologischer oder systematischer Natur – sind indes nicht ersichtlich.36 Soweit darauf hingewiesen wird, dass das Vorliegen eines Verdachts auch angesichts der divergierenden kriminalistischen Erfahrungen der in die Strafverfolgung eingebundenen Akteure unterschiedlich bewertet werden kann,37 ist dem mit 30  Zabel

ZIS 2014, 340 (341). Vorermittlungen und Anfangsverdacht, S. 19: „Es gibt keinen Umstand, der nicht Grundlage eines Anfangsverdachts sein könnte.“. 32  Hoven NStZ 2014, 361 (362). 33  Siehe etwa Steinberg JZ 2006, 1045 (1049), der eine Quantifizierbarkeit des Anfangsverdachts jedoch nur solange annimmt, wie die Strafverfolgungsbehörde noch keinen individuellen Eindruck vom konkreten Fall gewonnen hat. Hellmann FS Kühne, S. 235 (239) hält eine Quantifizierung für theoretisch denkbar, praktisch jedoch nicht umsetzbar. 34  So aber die h. M.: BVerfG NJW 1984, 1451 (1452); BGHSt 41, 30; Geppert FS Schroeder, S. 675 (681); Hellmann FS Kühne, S. 235 (241); Kammann, Der Anfangsverdacht, S. 16 ff.; MK-StPO/Peters § 152 Rn. 49 f.; Meyer-Goßner/Schmitt § 152 StPO Rn. 4; Schünemann/Willenbacher NJW 2019, 1357 (1358). Dagegen wie hier Ebert, Der Tatverdacht im Strafverfahren, S. 52 ff.; Störmer ZStW 108 (1996), 494 (512 ff.); SK-StPO/Weßlau/Deiters Vor §§ 151 ff. Rn. 36. 35  Jacob/Lau NVwZ 2015, 241 (242); Kment/Vorwalter JuS 2015, 193 (194 f.). 36  Störmer ZStW 108 (1996), 494 (516). 37  BVerfG NJW 1984, 1451 (1452). 31  Haas,

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

Störmer entgegenzuhalten, dass der Umstand, dass Sachverhalte unterschiedlich rechtlich gewürdigt werden können, eine juristische Selbstverständlichkeit ist.38 Klar gegen einen Beurteilungsspielraum spricht dagegen der Vergleich zum polizeirechtlichen Gefahrenbegriff, der trotz seiner Natur als Prognoseentscheidung nach überwiegender Auffassung vollständig gerichtlich überprüfbar ist.39 Weßlau und Deiters weisen zudem auf den durch einen Beurteilungsspielraum entstehenden Konflikt zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft hin. So könnte die Polizei das Inkenntnissetzen der Staatsanwaltschaft unter Verweis auf ihren Beurteilungsspielraum hinauszögern.40 Prüft die Strafverfolgungsbehörde das Vorliegen eines Anfangsverdachts, muss sie die Frage stellen, ob die tatsächlichen Anhaltspunkte für die Begehung einer sanktionierbaren Tat zureichend sind. Dem wird es jedoch nur zum Teil gerecht, wenn man die zureichenden Anhaltspunkte als „mehr als eine Vermutung, indes weniger als Wissen“ umschreibt.41 Dies hängt mit der oben ausgeführten Relativität des Verdachtsbegriffs zusammen. So mag die Vermutung eines Tötungsdelikts bereits in der Lage sein, das Vertrauen der Bevölkerung in die Normakzeptanz hinreichend zu erschüttern, um eine Ermittlungspflicht auszulösen, während dies bei weniger schwerwiegenden Straftaten noch nicht der Fall ist. Erforderlich ist daher eine am Strafzweck der positiven Generalprävention orientierte Bestimmung, ob die Tatsachen für die Begründung des Anfangsverdachts zureichend sind, sodass die tatsächlichen Anhaltspunkte dann als hinreichend anzusehen sind, wenn sie geeignet sind, das Vertrauen der Bevölkerung in die Normgeltung zu erschüttern.42 2. Der Anfangsverdacht als notwendige Bedingung der Beschuldigung Das Vorliegen eines Anfangsverdachts ist nach alledem Voraussetzung für die Befugnis sowie die Pflicht der Strafverfolgungsbehörden zum strafrechtlichen Einschreiten. Daraus könnte nun der Schluss gezogen werden, dass das Vorliegen eines Anfangsverdachts nicht nur wesenstypisch für den Beschuldigtenstatus, sondern gleichzeitig notwendige Bedingung seiner Begründung ist. Die Beschuldigteneigenschaft wäre dann unvereinbar mit dem 38  Störmer

ZStW 108 (1996), 494 (515). ZStW 108 (1996), 494 (514). 40  SK-StPO/Weßlau/Deiters § 152 Rn. 16. 41  So aber Schulz, Normiertes Misstrauen, S. 530. 42  Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 118 f.; Freund GA 1995, 4 (13); ders., in: Wolter/Freund, Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 43 (58). 39  Störmer



A. Die Beschuldigteneigenschaft33

Nichtvorliegen eines Anfangsverdachts, selbst wenn die betroffene Person Strafverfolgungsmaßnahmen ausgesetzt ist. Eine derart enge Lesart des Beschuldigtenbegriffs wird jedoch zu Recht allgemein abgelehnt. Zwar liegt gegen den Beschuldigten in aller Regel ein Anfangsverdacht vor. Zwingend erforderlich ist dies jedoch nicht.43 Dafür spricht nicht nur die teleologische Erwägung, dass derjenige, der faktisch der Adressat von Strafverfolgungsmaßnahmen ist, umso schutzbedürftiger ist, als gegen ihn gar keine verdachtsbegründenden Momente vorliegen.44 Auch liegt es terminologisch nahe, den Beschuldigtenstatus anzunehmen, wenn jemand einer Straftat beschuldigt wird und zwar unabhängig davon, ob gegen ihn tatsächlich ein Verdacht besteht. Dem Terminus des Beschuldigten wohnt nämlich ein aktives Moment inne, indem er voraussetzt, dass dem Beschuldigten von dritter Seite ein strafrechtlich relevanter Vorwurf gemacht wird. Der Beschuldigtenstatus ist also nicht zwingend an ein Verdachtserfordernis gekoppelt. Freilich handelt der Beamte, der einen Nichtverdächtigen der Strafverfolgung aussetzt, rechtswidrig und kann über dienstrechtliche Vorschriften sowie gegebenenfalls die Strafvorschriften der §§ 164, 344 StGB sanktioniert werden.45 3. Der Anfangsverdacht als hinreichende Bedingung der Beschuldigung Ein personalisierter Anfangsverdacht ist somit keine condicio sine qua non für die Beschuldigung einer Person. Beschuldigter im Sinne des Verfahrensrechts kann auch ein Unverdächtiger sein. Gleichwohl könnte ein Anfangsverdacht gegen eine Person eine hinreichende Bedingung für die Entstehung des Beschuldigtenstatus sein. So sieht es eine in der Literatur vertretene Auffassung, die unter den Schlagworten „objektive Theorie“ und „materieller Beschuldigtenbegriff“ diskutiert wird.46 Der Beschuldigtenstatus soll nach dieser Auffassung unabhängig sowohl vom Willen der Strafverfolgungsbe43  Fincke ZStW 95 (1983), 918 (919); dem beipflichtend SK-StPO/Rogall Vor § 133 Rn. 14. 44  Dass mit der Beschuldigteneigenschaft grds. auch die Möglichkeit der Anwendung von strafverfahrensrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen verbunden ist, spielt insoweit für den unverdächtig Beschuldigten keine Rolle, da etwaige Maßnahmen jedenfalls mangels Verhältnismäßigkeit rechtswidrig sind. 45  Rogall FS Frisch, S. 1199 (1210). 46  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 78; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 102.1 (Fn. 2); Montenbruck ZStW 89 (1977), 878; Peters, Gutachten 46. DJT, S. 91 (136); anders dagegen die ganz h. M.: BGHSt 10, 8 (10); Geppert FS Schroeder, S. 675 (679); LR-StPO/Gleß § 136 Rn. 4 ff.; Grosjean, Der Beginn der Beschuldigteneigenschaft, S. 38 ff.; Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

hörden als auch von etwaigen objektiv nach außen tretenden Ermittlungsmaßnahmen sein. Vielmehr rücke eine Person automatisch in den Status eines Beschuldigten, sobald sich tatsächliche Anhaltspunkte zu einem Anfangsverdacht gegen sie verdichten.47 Es bestehen jedoch Zweifel, ob die Anknüpfung des Beschuldigtenstatus lediglich an Verdachtsmomente mit der lex lata in Einklang gebracht werden kann. Das Gesetz kennt nämlich in den §§ 55, 60 Nr. 2 StPO die Figur des verdächtigen Zeugen in Form eines Auskunftsverweigerungsrechts und eines Vereidigungsverbots.48 Ein Zeuge darf gemäß § 55 Abs. 1 StPO die Auskunft auf eine Frage verweigern, wenn er sich selbst oder einen Angehörigen im Sinne des § 52 Abs. 1 StPO dadurch in die Gefahr bringen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Zudem soll nach § 60 Nr. 2 StPO von der Vereidigung eines Zeugen abgesehen werden, wenn er der Tat, der Beteiligung an der Tat oder eines Anschlussdelikts verdächtig ist. Dem Gesetz ist also die Vernehmung eines Verdächtigen als Zeuge nicht fremd, weshalb die Deckungsgleichheit zwischen Verdächtigem und Beschuldigtem überwiegend abgelehnt wird.49 Das Argument verfängt jedoch nur teilweise. Zwar kann angesichts der genannten Vorschriften nicht geleugnet werden, dass sich Verdacht und Zeugenstatus nicht gegenseitig ausschließen. Dem Verweis auf die Figur des verdächtigen Zeugen ließe sich jedoch mit Montenbruck50 entgegenhalten, dass ein Rollenwechsel innerhalb der Zeugenvernehmung zwar nicht möglich ist, wohl aber im unmittelbaren Anschluss an die Vernehmung. Durch das „Stattgeben“ des Auskunftsverweigerungsrechts nach § 55 StPO soll der Beschuldigte nach dieser Auffassung vorzeitig aus der Zeugenrolle entlassen werden.51 Dem widerspricht aber ein anderer Gesichtspunkt, nämlich das der Staatsanwaltschaft zukommende Strafverfolgungsmonopol, das durch eine richterliche Kompetenz zur Erhebung eines Zeugen in die Beschuldigtenposition umgangen würde.52 Gleichwohl zeigt sich an anderer Stelle die Ungeeignetheit des Verweises auf die Vorschriften zum verdächtigen Zeugen zur Widerlegung des objektiven Beschuldigtenbegriffs. Dies gilt jedenfalls, sofern man mit der herrschenden Meinung von einem formellen Mitbeschuldigtenbegriff ausgeht. Mehrere Beschuldigte, denen die Begehung derselben Tat vorgeworfen wird, sollen dem zufolge ausschließlich dann als MitbeRn. 31 f.; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 20 ff.; SKStPO/ders. Vor § 133 Rn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt Einl. Rn. 77 jeweils m. w. N. 47  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 78. 48  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 21. 49  BGHSt 10, 8 (10); BGHSt 17, 128 (133); Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 21 f. 50  Montenbruck ZStW 89 (1977), 878 (881 f.). 51  Montenbruck ZStW 89 (1977), 878 (881 f.). 52  Rogall NJW 1978, 2535 (2536).



A. Die Beschuldigteneigenschaft35

schuldigte anzusehen sein, wenn sie in einem Strafverfahren verfolgt werden.53 Folgte man dieser engen Begriffsbestimmung, können die einzelnen Beschuldigten in den anderen Strafverfahren als Zeugen vernommen werden. Eine Zeugenvernehmung wäre dann lediglich ausgeschlossen, wenn die Beschuldigten in einem verbundenen Verfahren verfolgt werden. Die §§ 55, 60 Nr. 2 StPO behielten unter Zugrundelegung eines formellen Mitbeschuldigtenbegriffs also auch dann einen Anwendungsbereich, wenn man einen Tatverdacht als hinreichende Bedingung der Beschuldigteneigenschaft ausreichen ließe. Die in den anderen Verfahren als (verdächtige) Zeugen Vernommenen könnten sich einer selbstbelastenden Zeugenaussage nämlich nur unter Verweis auf ebendiese Vorschriften entziehen. Gegen die objektive Beschuldigtentheorie sprechen jedoch andere Erwägungen. Hat die Staatsanwaltschaft (noch) keinen Willen zur Strafverfolgung des Verdächtigen gebildet und strengt sie auch objektiv keine Maßnahmen zur Ermittlung des Sachverhalts an, besteht kein Bedürfnis für die Annahme eines Beschuldigtenstatus. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass der Verdächtige keineswegs ein Interesse an der voreiligen Begründung des Beschuldigtenstatus haben kann, da dieser mit der Pflicht zur Duldung grundrechtsintensiver Ermittlungsmaßnahmen einhergeht. Dieses Interesse wird durch eine ausschließlich am Verdachtskriterium anknüpfende Betrachtungsweise nicht hinreichend berücksichtigt. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des soeben angeführten Wortlautarguments. Ein Beschuldigter ohne Beschuldigung erscheint als terminologisch nur schwer vertretbares Kon­ strukt. Gleichwohl vermag auch die traditionelle subjektive Gegenauffassung nicht vollends zu überzeugen. Ihr zufolge soll der Beschuldigtenstatus von der Ausübung eines behördlichen Willensaktes abhängig sein, der dann zu vollziehen ist, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte die Täterschaft einer Person nahelegen.54 Der Vorteil gegenüber der objektiven Theorie liegt darin, dass der Beschuldigtenstatus nicht begründet sein kann, solange noch kein Strafverfahren gegen den Bürger betrieben wird, sodass dieser nicht voreilig in die Beschuldigteneigenschaft gedrängt wird. Dies geht jedoch zulasten der Rechtssicherheit.55 Der konkrete Zeitpunkt, in dem die Behörde zur Vornahme des Willensaktes verpflichtet ist, lässt sich nämlich kaum ob53  BGHSt 10, 8 (11 f.); LR-StPO/Ignor/Bertheau Vor § 48 Rn. 35; SK-StPO/Rogall Vor § 133 Rn. 55 m. w. N.; Schöneborn ZStW 86 (1974), 921 (927 ff.) und trotz Kritik an der formellen Betrachtungsweise i. Erg. auch Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 15; a. A. dagegen Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 935; kritisch auch Pritt­ witz NStZ 1981, 463. 54  So etwa BGHSt 34, 138 (140); Fincke ZStW 95 (1983), 918  (920); Monten­ bruck ZStW 89 (1977), 878 (888). 55  Vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 928.

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

jektiv bestimmen. Daher hält die heute herrschende Meinung zwar im Grundsatz an der subjektiven Theorie fest, „modifiziert“ sie jedoch dahingehend, dass zwar weiterhin ein Willensakt in Form eines sogenannten Inkulpationsaktes für die Begründung der Beschuldigteneigenschaft erforderlich ist. Dieser soll jedoch, zurückgehend auf Rogall56, in Anlehnung an § 397 Abs. 1 AO aus objektiver Sicht bestimmt werden.57 Eine Person werde zum Beschuldigten, wenn der Strafrichter, die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen objektiv Ermittlungsmaßnahmen anstrengen, die erkennbar darauf abzielen, gegen sie strafrechtlich vorzugehen. Eine solche Lesart des Beschuldigtenbegriffs wird nicht nur der terminologischen Auslegung gerecht. Sie kann auch in teleologischer Hinsicht überzeugen, indem die gesetzlichen Vorschriften zum Schutz des Beschuldigten dann „aktiviert“ werden, sobald objektiv erkennbar ist, dass die staatlichen Behörden gegen jemanden strafrechtlich vorgehen; also erst dann, wenn dieser ihres Schutzes bedarf.58 Freilich wirken sich die divergierenden Begriffsbestimmungen in der Strafverfolgungspraxis kaum aus, was zumal für die Verhörmethode der Täuschung im Rahmen von Vernehmungen gilt.59 Folgte man der objektiven Theorie, ergibt sich der Beschuldigtenstatus des Vernommenen ohnehin bereits aus den vorliegenden Verdachtsmomenten, während die subjektive Theorie sowie die heute herrschende Meinung jedenfalls in der Ladung zur Beschuldigtenvernehmung einen auf die Beschuldigung gerichteten Inkulpationsakt sähen. Differenzen ergeben sich jedoch im Falle der pflichtwidrigen Unterlassung der Inkulpation des Verdächtigen. Wird der Verdächtige nämlich nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge zur Vernehmung geladen,60 kann zunächst nur unter Zugrundelegung einer sich rein am Verdachtsgrad orien56  Rogall,

Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 27 ff. 38, 214 (228); BGHSt 51, 367 (370); Beulke StV 1990, 180 (181); Gep­ pert FS  Schroeder, S. 675 (679); LR-StPO/Gleß § 136 Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt Einl. Rn. 76 und grundlegend Rogall FS Frisch, S. 1199. 58  Roxin FS Schöch, S. 823 (833 ff.) begegnet dem mit dem stichhaltigen Argument, dass das Schutzbedürfnis auch dann besteht, wenn der Tatverdacht eine Inkulpation verlangen würde, die Strafverfolgungsbehörden den Verdächtigen indes dennoch nicht als Beschuldigten behandeln. Wie noch auszuführen ist, kann der Schutz des rechtsfehlerhaft Nicht-Inkulpierten jedoch auch auf andere Weise erreicht werden, nämlich entweder durch eine „Willkürausnahme“ oder durch ein Beweisverwertungsverbot. 59  Auf die praktische Unerheblichkeit der Problematik weist Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 77 f. zu Recht hin. In der Praxis wird der Beginn der Beschuldigteneigenschaft zudem in aller Regel mit der Eintragung ins Js-Register gleichzusetzen sein, siehe SK-StPO/Rogall Vor § 133 Rn. 22. 60  Aus der Ladung soll sich gem. Nr. 41 Abs. 1 RiStBV ergeben, dass jemand als Beschuldigter und nicht als Zeuge geladen wird. 57  BGHSt



A. Die Beschuldigteneigenschaft37

tierenden Begriffsbestimmung eine Beschuldigteneigenschaft angenommen werden, sodass die anschließende Vernehmung trotz fehlerhaft benannter Ladung als Beschuldigtenvernehmung einzustufen wäre. Soweit man jedoch einen Willens- bzw. Inkulpationsakt verlangt, kann dieser in der Zeugenladung gerade nicht erkannt werden. Damit läge die Begründung der Beschuldigteneigenschaft zunächst in den Händen der Ermittlungsbehörde, welche die speziellen Vorschriften zur Beschuldigtenvernehmung dadurch umgehen könnte, dass sie den Verdächtigen als Zeugen lädt. Um das damit einhergehende Missbrauchspotential abzuschwächen, hat der Bundesgerichtshof bisweilen auf eine Willkürausnahme abgestellt und in diesem Sinne auf das Erfordernis eines Inkulpationsakts verzichtet, wenn dem Verdächtigen der Beschuldigtenstatus willkürlich vorenthalten wird.61 Dies ist zwar im Ergebnis zur Vermeidung von rechtsmissbräuchlichem Verhalten geeignet. Dadurch verschwimmt jedoch auch die Grenze zwischen objektiver und subjektiver Theorie. Ein Inkulpationsakt wäre dann nur noch solange erforderlich, wie eine bestimmte Verdachtsgrenze noch nicht überschritten ist.62 Rogall weist zudem darauf hin, dass es einer solchen Willkürausnahme bei konsequenter Anwendung des Rechtsgedankens des § 397 Abs. 1 StPO nicht bedarf.63 Die Vorschrift stellt nämlich darauf ab, ob die Maßnahme erkennbar der Strafverfolgung dient. Unterlässt der Ermittlungsbeamte trotz Anfangsverdachts die Inkulpation des Verdächtigen, handelt er widersprüchlich, wenn er gleichwohl Maßnahmen anstrengt, die nach außen hin keinen anderen Schluss zulassen als die beabsichtigte Strafverfolgung des Verdächtigen. Beruft sich der Beamte dennoch auf einen fehlenden Willen zur Strafverfolgung, ist dies im Sinne des Grundsatzes protestatio facto contraria non valet unbeachtlich.64 Wird der Verdächtige im oben gebildeten Beispiel also trotz Anfangsverdachts nur als Zeuge geladen, kann zwar in der Ladung als solcher kein die Beschuldigteneigenschaft begründender Inkulpationsakt liegen, freilich aber in der Art und Weise der Vernehmung. Lässt das Verhalten des Vernehmenden objektiv darauf schließen, dass dieser den Verdächtigen der Tat überführen will, wird dadurch die Beschuldigteneigenschaft begründet.65 61  BGHSt 10, 8 (12); so auch Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 112; kritisch dagegen Roxin FS Schöch, S. 823 (826). 62  Darauf läuft es i. Erg. auch hinaus, wenn Roxin eine an Sinn und Zweck der Belehrungsvorschriften orientierte Bestimmung des Beschuldigtenbegriffs vornehmen will, den Beschuldigtenstatus mithin dann als begründet ansieht, wenn jemand des Schutzes der Belehrung über seine Aussagefreiheit bedarf, vgl. Roxin FS Schöch, S. 823. 63  Rogall FS Frisch, S. 1199 (1224 f.); SK-StPO/ders. Vor § 133 Rn. 28. 64  SK-StPO/Rogall Vor § 133 Rn. 33. 65  Wie jedoch noch zu zeigen ist, dient die Beschuldigtenvernehmung nicht der Überführung, sondern der Gewährung rechtlichen Gehörs. Zeigt sich in der Art und

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

Fragen, die lediglich der Einschätzung dienen, ob ein Anfangsverdacht gegen den Vernommenen vorliegt, sind dagegen typisch für eine Zeugenvernehmung und lassen objektiv noch nicht auf einen Strafverfolgungswillen schließen. Allerdings ist bereits die Ladung eines Verdächtigen als Zeuge rechtswidrig, da das Vorliegen eines Anfangsverdacht die Pflicht zur Ladung als Beschuldigter begründet.66 Die Aussage des fälschlicherweise als Zeugen vernommenen Verdächtigen ist regelmäßig nicht verwertbar.67

IV. Ergebnis Im Ergebnis bietet die auf den Rechtsgedanken des § 397 Abs. 1 AO abstellende herrschende Meinung den überzeugenderen Ansatz zur Bestimmung des Beginns des Beschuldigtenstatus. Dieser ist mithin dann als begründet anzusehen, wenn gegen eine Person staatliche Ermittlungsmaßnahmen unternommen werden, die erkennbar seiner Strafverfolgung dienen. Ist dies der Fall, kann sich die Behörde auch nicht auf einen anderslautenden Willen berufen; entscheidend ist ausschließlich, wie ihr Verhalten aus objektiver Sicht zu verstehen ist. Mit Blick auf die lex ferenda ist daher eine strafprozessuale Kodifizierung des Beginns der Beschuldigteneigenschaft in Anlehnung an § 397 Abs. 1 AO vorzugswürdig.68

B. Der Zweck der Beschuldigtenvernehmung Die Frage nach dem Zweck der Beschuldigtenvernehmung beschäftigt die Rechtswissenschaft bereits seit langem und ist bis heute hochumstritten.69 Für die rechtsstaatliche Ausgestaltung der Beschuldigtenvernehmung hat sie eine immense Bedeutung. Nicht nur „präjudiziert“ die Antwort auf die Frage nach dem Vernehmungszweck die gleichrangige Frage nach dem Verneh­ Weise der Vernehmung also, dass der Vernehmende den vermeintlichen Zeugen der Tat überführen will, kann dadurch zwar eine Beschuldigteneigenschaft begründet werden. Die Vernehmung als solche ist dann aber als Verstoß gegen § 136 Abs. 2 StPO rechtsfehlerhaft. 66  Walder, Die Vernehmung des Beschuldigten, S. 54 f. 67  Rogall FS Frisch, S. 1199 (1225). 68  So auch die Empfehlung des Alternativ-Entwurfs – Reform des Ermittlungsverfahrens (AE-EV 2001), der folgende Formulierung des § 157 Abs. 2 StPO-AE vorschlägt: „Beschuldigter ist ein Verdächtiger, gegen den ein Strafverfolgungsorgan eine Ermittlungshandlung vornimmt, die erkennbar darauf abzielt, ihn wegen einer Straftat zu verfolgen.“, vgl. AE-EV S. 95 ff. mit ausführlicher Begründung. 69  Vgl. zur Aktualität der Debatte Schumann, Verhör, Vernehmung, Befragung, S.  13 f.



B. Der Zweck der Beschuldigtenvernehmung39

mungsbegriff,70 sie ist auch Grundvoraussetzung für rechtspolitische Diskussionen um die Ausgestaltung der lex ferenda. Außer Frage steht jedenfalls, dass die Beschuldigtenvernehmung das Zentrum des Konflikts zwischen einem (reinen) Inquisitions-, das heißt Wahrheitsermittlungsinteresse, und dem Interesse des Beschuldigten an der Vorbringung ihn entlastender Tatsachen darstellt. Dem Ermittlungsinteresse des Staates kann seine Berechtigung keinesfalls abgesprochen werden. Der Rechtsstaat, zu dessen Gunsten das Individuum auf eine eigenhändige Ausübung seines Strafinteresses verzichtet, ist nämlich im Rahmen seines Strafmonopols zur Strafverfolgung verpflichtet.71 Gleichwohl lässt sich nicht abstreiten, dass der Beschuldigte des Schutzes vor dem ihm übermächtig gegenüberstehenden Staat bedarf. Er ist Subjekt des Strafverfahrens und kein bloßes Mittel.72 Es liegt daher nahe, beide Interessen in einen möglichst schonenden Ausgleich im Sinne praktischer Konkordanz zu bringen, indem der Schutz des Beschuldigten vor invasiven Ermittlungs- und Verhörmethoden gewährleistet wird, ohne die Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs zu hindern. So sieht es jedenfalls die heute vorherrschende Meinung, die Inquisitions- und Entlastungsinteresse in einem gemeinsamen Vernehmungszweck kombiniert (sogenannter Doppelcharakter der Vernehmung).73 Auf den ersten Blick bietet die Strafprozessordnung einen weiten Interpretationsspielraum. Lediglich die Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO trifft eine Aussage zum Vernehmungszweck, indem sie konstatiert, dass sie dem Beschuldigten die Gelegenheit geben soll, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen. Nachzuvollziehen ist diese Vorschrift aber nur im historischen Kontext, denn das Verständnis des Zwecks der Beschuldigtenvernehmung unterlag nicht nur einem stetigen Wandel, sondern ist jeweils auch ein Produkt seiner Zeit und der in ihr geführten gesellschaftspolitischen und rechtsphilosophischen Debatten. Es gilt daher, die rechtshistorische Entwicklung des Vernehmungszwecks zu skizzieren, wobei schwerpunktmäßig der Gesetzgebungsprozess der Reichsstrafprozessordnung betrachtet wird. 70  Schumann, 71  Sog.

Verhör, Vernehmung, Befragung, S. 12. Offizialprinzip, vgl. dazu Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 12

Rn. 7. 72  Dazu ausführlich SK-StPO/Rogall Vor § 133 Rn. 59 ff. 73  KK-StPO/Diemer § 136 Rn. 1; Kindhäuser/Schumann, Strafprozessrecht, § 6 Rn. 23; Krack NStZ 2002, 120 (122); BeckOK-StPO/Monka § 136 Rn. 18; SK-StPO/ Rogall § 136 Rn. 18; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 25 Rn. 4; MeyerGoßner/Schmitt § 136 StPO Rn. 14; MK-StPO/Schuhr Vor §§ 133 ff. Rn. 39; Walder, Die Vernehmung des Beschuldigten, S. 65; a. A. Degener GA 1992, 443 (462); Fris­ ter, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 25 f.; LR-StPO/ Gleß § 136 Rn. 57; Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 69; Schilling, Illegale Beweise, S. 103 f.; Schumann, Verhör, Vernehmung, Befragung, S. 169 ff.

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

I. Der Inquisitionsprozess der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 Den Ausgangspunkt der historischen Betrachtungen bildet der in der Constitutio Criminalis Carolina (CCC) im Jahr 1532 kodifizierte Inquisitionsprozess, der trotz seiner „Fehler“74 gegenüber dem bis dato geltenden Beweisrecht, das gerichtlichen Zweikampf zwischen dem privaten Ankläger, Unschuldseid und Gottesurteil vorsah, einen bemerkenswerten Fortschritt brachte.75 Wesenstypisch für den gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess der Carolina war das Streben nach der materiellen Wahrheit,76 nicht jedoch eine Verurteilung des Angeklagten um jeden Preis. Dennoch war der Richter bei der Urteilsfindung einem strikten Beweisrecht unterworfen. Eine Verurteilung erforderte gemäß Art. 67 CCC ein Geständnis oder die übereinstimmende Aussage zweier Belastungszeugen („wenigsten mit zweyen oder dreien glaubhafftigen guten zeugen“). Da ein solcher Zeugenbeweis in der Praxis kaum zu führen war, gewann das Geständnis eine überragende Bedeutung für die Strafverfolgung („confessio est regina probationum“). Oftmals wurde ein solches selbst dann angestrebt, wenn zwei glaubwürdige Belastungszeugen vorhanden waren.77 Aus diesem engen Beweisrecht folgte auch die Notwendigkeit der Folter zur Geständniserlangung, wobei deren Anwendung nur zulässig war, wenn gewichtige Indizien für die Schuld des Angeklagten sprachen. Denn die Carolina wollte falsche Geständnisse vermeiden,78 wie Art. 47 zeigt, in dem das Gesetz der Gefahr entgegenzuwirken versucht, dass der Angeklagte durch Folter zu einem solchen verleitet wird: „Item so inn dem jetzgemelten fall, der beklagt, die angezogen übelthat verneynt, so soll jm alßdann fürgehalten werden, ob er anzeygen kündt, daß er der auffgelegten missethatt vnschuldig sei, vnnd man soll den gefangen sonderlich erinnern, ob er kunt weisen vnd anzeygen, daß er auff die zeit, als die angezogen missethatt geschen, bei leuten, auch an enden oder orten gewest sei, dardurch verstanden, daß er der verdachten missethat nit gethan haben kundt, Vnnd solcher erinnerung ist 74  Radbruch, Strafrecht und Strafverfahren, Gesamtausgabe Bd. 8, S. 114, der insb. die Vereinheitlichung von Anklage und Urteil in der Person des Richters als Fehler der Carolina bezeichnet. 75  Radbruch, Strafrecht und Strafverfahren, Gesamtausgabe Bd. 8, S. 114; Lesch ZStW 111 (1999), 624 (627). 76  Geppert Jura 2015, 143 (151); Plöger, Die Mitwirkungspflichten des Beschuldigten, S. 92. 77  Heitsch, Beweis und Verurteilung im Inquisitionsprozess, S. 8; Lesch ZStW 111 (1999), 624 (627 f.). 78  Plöger, Die Mitwirkungspflichten des Beschuldigten, S. 113 f.; Bechtel ZJS 2018, 20 (26) spricht von einem „humanistischen Einschlag“.



B. Der Zweck der Beschuldigtenvernehmung41 darumb not, daß mancher auß eynfalt oder schrecken, nit fürzuschlagen weist, ob er gleich vnschuldig ist, wie er sich des entschuldigen vnd außfüren soll.“

Noch deutlicher zeigt sich diese Zweckrichtung in der Vorschrift des Art. 56 CCC, die dem Inquirenten das Stellen von Suggestivfragen während der Folter untersagt: „[…] solchs [gemeint ist die Aussage bzw. das Geständnis des Angeklagten während der Folter] würdet aber etwa damit verderbt, wann den gefangen jn annemen oder fragen, die selben vmbstende der missethat vorgesagt vnd darauff gefragt werden.“

In der Praxis war jedoch ein Auseinanderfallen zwischen gesetzlicher und tatsächlicher Zweckrichtung zu verzeichnen. Die genannten Artikel der Peinlichen Gerichtsordnung lassen den Wahrheitsermittlungszweck der Angeklagtenvernehmung deutlich erkennen; faktisch setzten sich die Strafverfolger indes zunehmend über die gesetzlichen Vorschriften hinweg, sodass die Angeklagten auch dann der Folter ausgesetzt wurden, wenn die gesetzlichen Vorschriften ihrer Anwendung entgegenstanden.79 Die vom Gesetz vorgesehene Wahrheitsmaxime wurde dadurch zugunsten eines auf Verurteilung des Angeklagten um jeden Preis gerichteten Strafverfahrens aufgegeben.

II. Abschaffung der Folter durch Friedrich II. von Preußen als erster Schritt der Abwendung vom Inquisitionsprozess Der nächste Schlüsselmoment führt in das Zeitalter der Aufklärung. Am 03. Juni 1740 erließ Friedrich II. von Preußen eine Kabinettordre, laut derer die „Tortur [in Preußen] gänzlich abzuschaffen“80 sei. Dass er seinem eigenen Anspruch dabei nicht in Gänze gerecht wurde, verdeutlicht die weitere Lektüre der Ordre, die Ausnahmen vom Verbot der Folter für die Fälle der „crimine laesae maiestatis, und Landesverräterei, auch denen grossen Mordtaten, wo viele Menschen ums Leben gebracht oder viele Delinquenten, deren Connexion herauszubringen nötig, impliciret sind“ vorsah. Die Gründe für die Kabinettsordre sind ebenso vielschichtig wie die ihrer Einschränkungen und sollen hier nicht in Tiefe behandelt werden. Der Zeitpunkt der „Abschaffung“ der Folter nur drei Tage nach seiner Thronbesteigung legt jedenfalls nahe, dass Friedrich bereits zuvor Pläne für die Einschränkung der ihm unliebsamen Verhörmethode schmiedete,81 was auch durch den Umstand gestützt wird, dass er den Inquisitionsprozess am eigenen Leibe erfahren 79  Radbruch, Strafrecht und Strafverfahren, Gesamtausgabe Bd. 8, S. 114 f.; zu den Voraussetzungen der Folteranwendung siehe Bechtel ZJS 2018, 20 (25 f.). 80  Kabinettsordre jeweils zit. nach Mendelssohn-Bartholdy, Der König, S. 104. 81  Willenbücher, Die strafrechtsphilosophischen Anschauungen Friedrichs des Grossen, S. 48 f.; Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 21 f.

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

musste. Nachdem er mit seinem Freund Hans Hermann von Katte die Flucht vor seinem Vater wagte, wurde er in „strengen Arrest“82 genommen und vor dem Kriegsgericht angeklagt. Sein „Mitverschwörer“ Katte wurde unter den Augen Friedrichs hingerichtet.83 Obgleich Friedrich keine Folter erleiden musste, kann die prägende Wirkung seiner Erfahrungen auf seine Ansichten zum Strafverfahren kaum angezweifelt werden. Im Ergebnis bewirkte die Kabinettsordre Friedrichs nur eine partielle Aufhebung der Folter. Ihre Auswirkungen auf die Entwicklung des Strafverfahrensrechts können dennoch nicht überschätzt werden.84 Gestärkt wurde durch sie nämlich in erster Linie die Stellung des Richters, denn die Abschaffung der Folter bedeutete gleichermaßen, dass ein Festhalten an dem bisherigen strikten Beweisrecht nicht mehr möglich war, Verurteilungen vielmehr auf freie, auch indizienbasierte richterliche Überzeugung gestützt werden mussten.85 Der die Bedeutung des Geständnisses für eine Verurteilung deutlich mindernde Grundsatz freier richterlicher Beweiswürdigung bewirkte schließlich den zunehmenden Wegfall der Notwendigkeit der Folteranwendung.86 Nicht zuletzt war die Vorreiterrolle, die Preußen damit im Bereich des Strafverfahrens einnahm, richtungsweisend für die Entwicklung in den anderen – insbesondere deutschen – Staaten, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts reihenweise Folterverbote erließen.87 82  Blanning,

Friedrich der Große, S. 62. zur Historie Friedrichs Fluchtversuchs die Ausführungen bei Kunisch, Friedrich der Große, S. 29 ff. sowie Blanning, Friedrich der Große, S. 61 ff. Zur Verurteilung und Hinrichtung Kattes siehe auch Kloosterhuis, Katte, S. 63 ff. sowie die 1731 erschienene Flugschrift, die über den Tod des Leutnants informiert, abgedruckt in Mendelssohn-Bartholdy, Der König, S. 25 ff. 84  Radbruch, Strafrecht und Strafverfahren, Gesamtausgabe Bd. 8, S. 115. 85  Radbruch, Strafrecht und Strafverfahren, Gesamtausgabe Bd. 8, S. 115, 119. Friedrich selbst formulierte in seiner Ordre: „Hingegen sollen in allen übrigen Fällen, wenn die Delinquenten die stärkesten und sonnenklare Indica und Beweise durch viele unverdächtige Zeugen und dergleichen wider sich haben und doch aus hartnäckiger Bosheit nicht gestehen wollen, dieselben nach denen Gesetzen bestrafet werden“ und statuierte damit selbst den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (zit. nach Mendelssohn-Bartholdy, Der König, S. 104). 86  Langbein, Torture and the Law of Proof, S. 57 ff.; Arzt, Ketzerische Bemerkungen zum Grundsatz in dubio pro reo, S. 21; anders dagegen Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 359; vgl. auch Schumann, Verhör, Vernehmung, Befragung, S. 98 ff. Siehe zum Wesen des Verdachts im Inquisitionsprozess als „Untersuchungselement und Schuldfragment“ gleichermaßen auch Foucault, Überwachen und Strafen, S.  56 f. 87  Zu den einzelnen Folterverbotsregelungen in den deutschen Ländern siehe Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 72 ff. Insoweit bemerkenswert ist insb. die österreichische Constitutio Criminalis Theresiana von 1768, die dem preußischen Vorbild nicht folgte, sondern die Anwendung bestimmter Foltermethoden noch detail83  Vgl.



B. Der Zweck der Beschuldigtenvernehmung43

Entscheidend für die hier zu beantwortende Frage ist, welche Schlussfolgerungen für das damalige Verständnis des Vernehmungszwecks aus dieser Entwicklung gezogen werden können. Vor Erlass der Kabinettsordre war jedenfalls ein rein inquisitorisches, auf Ermittlung der materiellen Wahrheit ausgerichtetes, Verständnis der Beschuldigtenvernehmung anerkannt. Aus der Kabinettsordre nun aber den Schluss zu ziehen, dass Friedrich mit dem Inquisitionsverfahren zugunsten einer die Gewährung rechtlichen Gehörs ins Zentrum stellenden Beschuldigtenvernehmung gebrochen hat, würde der historischen Komplexität nicht gerecht werden. Dies folgt aus verschiedenen Umständen. Zunächst stellte die Abschaffung der Folter nicht nur nach außen, sondern auch nach innen einen tiefen Einschnitt dar, der keineswegs von einem breiten Konsens getragen wurde. Die Kabinettsordre stieß vielmehr weitgehend auf Ablehnung im Umfeld des Königs, die sich in der Besorgnis begründete, eine Aufklärung von Straftaten sei ohne Folter kaum noch denkbar, mit der unweigerlichen Folge des Zusammenbruchs der inneren Sicherheit.88 Es verwundert daher kaum, dass trotz Konkretisierung Friedrichs in einer Dienstanweisung an die preußischen Richter vom 8. August 1754 – der König bezeichnete die Folter mittlerweile als „teils grausames, teils aber ungewisses Mittel […], die Wahrheit der Sache herauszubringen“89 – seitens der Richter versucht wurde, das Verbot zu umgehen.90 Doch nicht nur die preußischen Juristen, auch Friedrich selbst sah sich Zeit seines Lebens in einem Konflikt zwischen seinen in der Aufklärung wurzelnden Überzeugungen und seinen Zweifeln an einer gänzlich ohne Tortur auskommenden Strafrechtspflege. Dies zeigen nicht nur die weitreichenden Ausnahmen vom Folterverbot, sondern auch die Einzelfälle, in denen der Monarch Anordnungen entgegen seinem eigenen Verbot aussprach.91 Letztlich hatte die Kabinettsordre in der Strafverfahrenspraxis auch nicht den Verzicht auf Eingriffe in die körperliche Integrität und die Willensfreiheit der Beschuldigten zur Folge. Diese fanden ihre Fortsetzung in Gestalt der sogenannten Lügen- und

liert regelte und darstellte, siehe dazu auch Radbruch, Strafrecht und Strafverfahren, Gesamtausgabe Bd. 8, S. 115. 88  Vgl. die Übersicht über die Reaktionen der Juristen bei Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 24 ff. 89  Zit. nach Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 31. 90  Willenbücher, Die strafrechtsphilosophischen Anschauungen Friedrichs des Grossen, S. 56; Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 28. 91  So gestattete Friedrich noch Anfang 1752 in einer Kabinettsordre die Folter, wenn „schwere Indica vorhanden, selbige [gemeint sind die Angeklagten] aber alles leugnen und sich dadurch loshalftern wollen“ (zit. nach Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 29). In einem Brief an Voltaire vertrat er noch am 11.10.1777 die Ansicht, man müsse „vielleicht bei Hochverrat eine Ausnahme [vom Folterverbot]“ machen (siehe Mendelssohn-Bartholdy, Der König, S. 472).

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

Ungehorsamsstrafen, mittels derer schweigende und leugnende Beschuldigte gezüchtigt wurden (dazu näher S. 45 ff.). All diese Umstände verdeutlichen, dass die Kabinettsordre die Annahme, inquisitorische Verhörmethoden seien Mitte des 18. Jahrhunderts obsolet ­geworden, nicht zu rechtfertigen vermag. Die oberste Maxime des Strafverfahrens wie auch der Beschuldigtenvernehmung blieb die Ermittlung der materiellen Wahrheit, zu deren Zwecke der Beschuldigte nicht nur im Ausnahmefall tiefgreifende physische und psychische Eingriffe erdulden musste. Jedenfalls bis einschließlich der friderizianischen Zeit muss daher angenommen werden, dass die Beschuldigtenvernehmung unter keinem Gesichtspunkt der Selbstentlastung des Beschuldigten und der Gewährung recht­ lichen Gehörs diente, sondern ausschließlich der Inquisition.

III. Die Beschuldigtenvernehmung in der Reichsstrafprozessordnung von 1877 Keine einhundert Jahre nach dem Tod Friedrichs II. von Preußen am 17. August 1786 trat die Reichsstrafprozessordnung (RStPO) in Kraft92 und vereinheitlichte die Rechtslage des Strafverfahrens im Deutschen Reich. Der Gesetzgebungsprozess war im Bereich der Beschuldigtenvernehmung durch einen Konflikt zwischen Befürwortern einer am englischen Strafverfahren angelehnten Prozessordnung und deren Gegnern geprägt. Während auf der einen Seite für ein Verbot der Beschuldigtenvernehmung nach Vorbilde des angelsächsischen Rechts plädiert wurde,93 sahen andere in der Vernehmung trotz des konsensual vertretenen Verzichts auf die Verhörmethoden des Inquisitionsprozesses weiterhin ein wichtiges Werkzeug zur Ermittlung der materiellen Wahrheit.94 Bekanntermaßen endete der Diskurs nicht mit einem 92  Strafprozeßordnung v. 01.02.1877 (RGBl. S. 253), in Kraft getreten am 01.10. 1879. 93  So etwa Mittermaier GS I/1 1849, 25. 94  Köstlin, Wendepunkt des Deutschen Strafverfahrens, S. 97 f. führt etwa im Jahr 1849 aus: „Der Fehler des gemeinrechtlichen Prozesses liegt also nicht darin, daß er solche Vernehmungen überhaupt vorschreibt, sondern nur in der Art und dem Umfang, worin er sie zuläßt. Die Ueberschreitung der richtigen Grenze folgt aber aus dem mehrgedachten Grunde, daß dieser Prozeß die Untersuchung im e. S. auch auf das Innere des Angeschuldigten ausdehnt, und daß er sogar die vorwiegende Richtung zeigt, mittelst List oder Gewalt das Geständnis zu erlangen. Nur dies ist das hinwegzutilgende Unrecht; wird aber eben dies ausgemerzt, so behalten gleichwohl die Verhöre mit dem Angeschuldigten noch ihren großen Werth, und es liegt nicht der geringste Grund dazu vor, bei dem Anklageprinzip auf Borg zu gehen. Der Werth des Verhörs liegt einfach darin, daß es immerhin möglich ist, bei dem Angeschuldigten durch die Kraft der Wahrheit die Stimme des Gewissens zum Durchbruch zu bringen. Dasselbe darf daher nie unterlassen, aber es muß dabei das Recht der subjektiven



B. Der Zweck der Beschuldigtenvernehmung45

Verzicht auf die Beschuldigtenvernehmung, gleichwohl wurde ihr auch keine überwiegende Inquisitionsfunktion beigemessen. Dies zeigt bereits der Wortlaut des § 136 Abs. 2 RStPO, der die einzige konkrete Aussage zum Vernehmungszweck trifft, indem er festlegt, dass diese dem Beschuldigten die Gelegenheit geben soll, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen. Die Erforschung der materiellen Wahrheit dagegen wird nicht als Zweck der Beschuldigtenvernehmung genannt, ist freilich aber von der heute herrschenden Meinung als solcher anerkannt.95 1. Genese der Vorschriften zur Beschuldigtenvernehmung: § 136 Abs. 2 StPO als zentrale Vorschrift Auskunft über das der Reichsstrafprozessordnung zugrundeliegende Verständnis des Vernehmungszwecks könnte ihre Gesetzgebungshistorie gewähren. Noch vor Gründung des Deutschen Reiches setzte der Diskurs um den Erlass einer Strafprozessordnung zur Vereinheitlichung der Partikulargesetze der deutschen Länder ein, als der Reichstag des Norddeutschen Bundes den Bundeskanzler Otto von Bismarck am 18. April 1867 aufforderte, „Entwürfe eines gemeinsamen Strafrechts und eines gemeinsamen Strafprozesses […] baldthunlichst vorbereiten und dem Reichstage vorlegen zu lassen.“96 In den historischen Kontext eingebettet bedeutet dies, dass die ersten Überlegungen zu einer einheitlichen Rechtslage im Bereich des Strafverfahrensrechts in einer Zeit getätigt wurde, in dem der Inquisitionsprozess in seiner ausgeprägtesten Form bereits aufgegeben wurde – die Folter war abgeschafft und eine Verurteilung konnte auf eine freie richterliche Beweiswürdigung gestützt werden –, Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit des Beschuldigten freilich noch nicht in Gänze aus dem Strafverfahren verbannt waren. Die Abschaffung der Folter war nämlich eng mit der Einführung sogenannter Lügen- und Ungehorsamsstrafen97 verbunden, die Sanktionen bis hin zu IsolatiFreiheit vollkommen gewahrt werden.“ Es wird deutlich, dass Köstlin die Anwendung invasiver Verhörmethoden keineswegs zur Debatte stellt, sondern lediglich an der Möglichkeit der Beschuldigtenvernehmung festhalten will, da diese auch ohne inquisitorische Maßnahmen zur Geständniserlangung der Wahrheitsfindung dienlich sein kann. Dass es sich dabei um eine die Belange der Wahrheitsfindung auf eine Ebene mit der Entlastungsfunktion der Vernehmung stellende Kompromisslösung handelt, ist daher unzutreffend (in diesem Sinne aber Lesch ZStW 111 [1999], 624 [632]). 95  Siehe Nachweise auf S. 39, Fn. 73. 96  Zit. nach Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der Strafprozeßordnung von 1877, S. 43. 97  Zur Abgrenzung zwischen Lügen- und Ungehorsamsstrafen siehe Knapp, Die Ungehorsamsstrafe in der Strafprozesspraxis des frühen 19. Jahrhunderts, S. 32: Zeit-

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

onshaft und körperlichen Züchtigungen98 etwa für Fälle anordneten, in denen der Beschuldigte auf Fragen des Richters eine Antwort schuldig blieb oder ein überführter Dieb keine Auskunft über den Fundort des Diebesguts erteilte.99 Freilich stellte die Ungehorsamsstrafe aus Sicht des Beschuldigten eine Verbesserung der Rechtslage dar. Zwar wurde diesem weder eine Aussagefreiheit noch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit zugestanden. Die Anwendung physischer Gewalt indessen wurde auf gesetzlich festgelegte Fälle beschränkt. Auch schränkte die Kodifizierung der Art und Weise der Gewaltanwendung die Gefahr staatlicher Willkür ein. Hinzu kommt schließlich, dass die Ungehorsamsstrafe in der Praxis, wie Knapp nachgewiesen hat, nur eine geringe Rolle gespielt hat; belegt werden konnte ihre Anwendung lediglich in einem Prozent der untersuchten Verfahren.100 Gleichwohl kann nicht die Rede davon sein, dass die Anwendung von Gewalt zur Aussageerzwingung gegenüber dem Beschuldigten aus der Praxis der Strafverfolgung ­verschwand. Denn auch wenn zeitgenössische Rechtswissenschaftler einen hohen Wert auf die Abgrenzung zwischen Folter und Ungehorsamsstrafe ­ genössische Rechtswissenschaftler, welche lediglich das Lügen als strafbares Verhalten betrachteten, sprachen von Lügenstrafen, während solche, die davon ebenso das Leugnen und Schweigen als erfasst ansahen, von Ungehorsamsstrafen sprachen. Siehe dazu auch Balogh, Die Verdachtsstrafe als Erscheinungsform der Schuldvermutung, S. 33 ff. Im Folgenden wird aus Gründen der Übersichtlichkeit ausschließlich von der Ungehorsamsstrafe die Rede sein, die Knapp, Die Ungehorsamsstrafe in der Strafprozesspraxis des frühen 19. Jahrhunderts, S. 34 wie folgt definiert: „Der Ungehorsam eines Inquisiten kann notfalls mit körperlichen Strafen geahndet werden, wenn er hartnäckig leugnet, die Wahrheit bewusst verschweigt, erwiesen lügt, jede Antwort verweigert oder sich ungebührlich verhält.“ Zur historischen Entwicklung vgl. auch Mauß, Die „Lügenstrafe“ nach Abschaffung der Folter ab 1740, S. 8 ff. 98  Als Mittel der Ungehorsamsstrafe kamen „Geldstrafen, einfaches oder geschärftes Gefängnis mit Entziehung der warmen Kost, generelle Schmälerung der Kost, Anlegen von Ketten und von Hand- oder Fußsprengern, Dunkelarrest, Isola­ tionshaft sowie körperliche Züchtigungen“ in Betracht, siehe Knapp, Die Ungehorsamsstrafe in der Strafprozesspraxis des frühen 19. Jahrhunderts, S. 34. 99  Mittermaier, Das Deutsche Strafverfahren Bd. 1, S. 502  f. zählt als Anwendungsfälle der Ungehorsamsstrafe auf: „1) wenn der Angeschuldigte überhaupt jede Antwort verweigert, oder 2) einen Zustand vorspiegelt, welcher ihn von der Pflicht der Antwort befreien oder seine Zurechnung aufheben kann [in den Fn. weist Mitter­ maier insb. auf die Fälle hin, dass der Angeklagte Taubheit, Stummheit oder Geisteskrankheit vorspiegelt, Anm. d. Verf.], oder 3) wenn er auf gewisse Fragen die Antwort verweigert, oder 4) unbestimmte Antworten gibt, oder 5) gewaltthätig oder sonst ungebührlich sich beträgt, oder 6) Widersprüche oder 7) Lügen vorbringt.“ 100  Lediglich in 35 von 3.042 untersuchten Verfahren konnte die Anwendung bzw. Androhung der Ungehorsamsstrafe nachgewiesen werden, siehe Knapp, Die Ungehorsamsstrafe in der Strafprozesspraxis des frühen 19. Jahrhunderts, S. 83. Gleichwohl zieht Knapp (S. 83) daraus nicht den Schluss, dass selbige in der Praxis nur eine marginale Rolle zukam, da die Wahrnehmung der Strafe in der Bevölkerung mit ihrer Schwere korreliere.



B. Der Zweck der Beschuldigtenvernehmung47

legten – erstere diente der Wahrheitsfindung, während letztere einen Vergeltungscharakter besaß101 –, muss die Ungehorsamsstrafe aus heutiger Per­ spektive als Fortsetzung der Folter, als ihr Surrogat,102 betrachtet werden, das endlich erst Mitte des 19. Jahrhunderts mit deren Verbot aus der deutschen Strafverfolgung verschwand. Nachdem Bismarck vom Reichstag des Norddeutschen Bundes zur Entwurfsvorlegung aufgefordert wurde, beauftragte dieser seinen Justizminister Adolph Leonhardt mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Entwurfs,103 dessen Manuskript bereits im November 1870 vorlag.104 Schon dieser weist grundlegende Parallelen zur sieben Jahre später verabschiedeten RStPO auf; die für die vorliegenden Untersuchungen relevanten Vorschriften zur Beschuldigtenvernehmung (§§ 135 bis 139 des Entwurfs) ähneln in Systematik und Wortlaut den §§ 133 bis 136 RStPO 1877.105 Es kann also davon ausgegangen werden, dass der Entwurf für den Norddeutschen Bund nach der Reichsgründung als Vorbild für die nunmehr an der Ausarbeitung eines Entwurfs für das Deutsche Reich maßgeblich beteiligte StPO-Kommission106 101  So Mittermaier, Handbuch des peinlichen Processes (1812), S. 174, der zudem ausführt, dass die Ungehorsamsstrafe „gar nicht den Läugnenden [trifft], sondern immerhin entweder einen Lügner, oder jemanden, der eine Antwort verweigert, oder den, der sich ungebürlich [sic] beträgt. Eben daher ist bei ihr stets die Gewissheit da, dass jemand unrechtlich handle, und sie erscheint nie als ungerecht“. Bereits 1845 zeigt sich Mittermaier, Das Deutsche Strafverfahren Bd. 1, S. 503 dagegen als Gegner der Ungehorsamsstrafe und führt aus, dass sie vor dem Hintergrund, dass dem Ankläger die Pflicht zum Beweis der belastenden Tatsachen zukommt und eine Aussage des Beschuldigten zum Vorwurf nicht erzwungen werden darf, „nicht zu rechtfertigen ist“. 102  Willenberg, in: Altenhain/Willenberg, Die Geschichte der Folter seit ihrer Abschaffung, S. 115 (143 ff.); Degener GA 1992, 443; Lesch ZStW 111 (1999), 624 (630); Mauß, Die „Lügenstrafe“ nach Abschaffung der Folter ab 1740, S. 10 („zu manchen Zeiten nichts anderes […] als die Wiedereinführung der Folter unter anderem Namen“); Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 80 f., 576 (die Ungehorsamsstrafe entspreche „unzweifelhaft der beweisermittelnden Verfahrensfolter“). 103  Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der Strafprozeßordnung von 1877, S. 1 weist darauf hin, dass sich die Entstehungsgeschichte des Entwurfs sowie seine Bedeutung für die nachfolgenden Entwicklungen im Procedere um den Erlass einer StPO für das Deutsche Reich nicht mehr nachzeichnen lässt. 104  Entwurf einer Strafprozeß-Ordnung für den Norddeutschen Bund (Manuskript), abgedruckt bei Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der Strafprozeßordnung von 1877, S.  48 ff. 105  § 138 StPO-E lautete „Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit zu seiner Rechtfertigung und zur Beseitigung der gegen ihn sprechenden Verdachtsgründe geben.“ (abgedruckt bei Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der Strafprozeßordnung von 1877, S. 68) und ist damit wortidentisch mit dem späteren § 123 Abs. 1 RStPO-E. 106  Die Mitglieder der Kommission waren Friedberg, Foerster, Mager, Zachariä (jew. aus Preußen), Wiener (preußischer Rechtsanwalt), Staudinger (Bayern), v. Schwarze

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

diente. Ihr ausgearbeiteter Entwurf wurde Bismarck am 08. Januar 1873 durch Justizminister Leonhardt überreicht und ab März 1873 im Bundesrat bzw. ab Oktober 1874 im Reichstag zur Debatte gestellt.107 In der Tat enthielt der Entwurf der Reichsstrafprozessordnung kein ausdrückliches Verbot der Anwendung inquirierender Verhörmethoden; nicht einmal die Folter wurde expressis verbis untersagt. Ohnehin war die Beschuldigtenvernehmung lediglich in Grundrissen geregelt. Nur die vier Vorschriften der §§ 120 bis 123 RStPO-E beschäftigten sich mit der richterlichen Vernehmung außerhalb der Hauptverhandlung. Für die Beschuldigtenvernehmung im Rahmen der Hauptverhandlung verwies § 205 Abs. 3 RStPO-E auf die Vorschrift des § 123 RStPO-E. Kritiker des Entwurfs besorgten früh, dass die Regelungen in der Praxis keine Gewähr für die Einhaltung der Beschuldigtenrechte bieten könne.108 Dies galt zumal der Entwurf zum Zweck der Beschuldigtenvernehmung lediglich in § 123 Abs. 1 RStPO-E folgende Aussage traf: „Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit zu seiner Rechtfertigung und zur Beseitigung der gegen ihn sprechenden Verdachtsgründe geben.“

Schon im Entwurf offenbarte sich dessen überragende Stellung als zentrale Vorschrift zur Beschuldigtenvernehmung, was sich – darauf hat schon Schumann109 hingewiesen – nicht zuletzt in dem Verweis in § 205 Abs. 3 ­RStPO-E zeigte. Lediglich eine Wortlautänderung wurde im Rahmen der Ersten L ­ esung der StPO-Kommission des Bundesrates beschlossen. Die Vorschrift lautete nunmehr: „Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit zur Beseitigung der gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe und zur Geltendmachung der zu seinen Gunsten sprechenden Thatsachen geben.“

Insoweit wurde die Formulierung „Gelegenheit zu seiner Rechtfertigung“ durch das allgemeinere „Gelegenheit zur Beseitigung der gegen ihn vorlie(Sachsen), v. Binder (Württemberg), Zentgraf (Hessen-Darmstadt), Mittelstädt (Hamburg) und Bingner (Baden), vgl. im Einzelnen Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der Strafprozeßordnung von 1877, S. 10 ff. 107  Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der Strafprozeßordnung von 1877, S. 111. 108  So führte der Abgeordnete Herz in der Ersten Lesung der Kommission aus, dass man nicht davon ausgehen könne, dass der Beschuldigte Kenntnis von seinem Aussageverweigerungsrecht habe, wenn man ihn nicht explizit darauf hinweist (Hahn/ Mugdan, StPO Abt. 1, S. 703). Der neunte Abschnitt des Entwurfs der RStPO sah einen solchen Hinweis überhaupt nicht vor, während der auf Antrag der Abgeordneten Herz, Ensoldt und Klotz aufgenommene § 136 Abs. 1 Satz 2 RStPO 1877 immerhin die Frage des Vernehmenden verlangte, ob der Beschuldigte etwas auf die Anschuldigung erwidern wolle. 109  Schumann, Verhör, Vernehmung, Befragung, S. 166 f.



B. Der Zweck der Beschuldigtenvernehmung49

genden Verdachtsgründe“ ersetzt. Schwarze, auf dessen Antrag die Änderung zurückzuführen ist, begründete die Notwendigkeit der Änderung damit, dass die Vernehmung auch dazu dienen solle, Tatsachen vorzubringen, welche die Tat „in milderem Lichte erscheinen lassen“, ohne sie zu rechtfertigen.110 Auch wenn der Antrag angenommen wurde, blieb er nicht ohne Kritik. Der Abgeordnete Herz erkannte in ihm die aus dem Inquisitionsprozess herrührende Auffassung, dass die Vernehmung Werkzeug zur Ermittlung aller Tat­ umstände sein solle.111 Im Übrigen wurden im Gesetzgebungsverfahren keine weiteren Änderungen an der Vorschrift vorgenommen; bis heute findet sich ihr Kerngehalt in § 136 Abs. 2 StPO wieder. 2. Wahrheitsermittlung als Zweck der Beschuldigtenvernehmung aus Sicht des historischen Gesetzgebers Die Vorschriften zur Beschuldigtenvernehmung statuieren somit ausdrücklich nur deren Entlastungsfunktion. Daraus kann jedoch nicht ohne Weiteres der Schluss gezogen werden, dass dieser in den Augen des historischen Gesetzgebers den einzigen Zweck der Vernehmung bilden sollte. Lesch kommt im Rahmen seiner Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass der Reichsstrafprozessordnung ein duales Vernehmungskonzept zugrunde lag, das vorrangig Verteidigungsgesichtspunkten galt, nachrangig aber auch die Wahrheitsfindung zu berücksichtigen suchte.112 Dies sei Folge der oben bereits angerissenen Debatte über eine Anlehnung des deutschen Strafverfahrens an das angelsächsische Recht in Form eines kontradiktorischen Parteiprozesses. Man erkannte, dass eine dahingehende Entscheidung ein konsequentes Verbot der Beschuldigtenvernehmung nach sich ziehen müsse. Sofern nämlich die Ermittlung des Belastungsbeweises ausschließlich der anklagenden Partei obliegt, könne von der Gegenpartei in Gestalt des Angeklagten nicht erwartet werden, zur Beweisgewinnung gegen sich selbst beizutragen.113 Den Gegenentwurf, zu dessen Gunsten die Debatte letztlich entschieden wurde, bildet der Amtsermittlungsgrundsatz, der das Gericht zur Ermittlung sowohl entlastender als auch belastender Beweise und Indizien verpflichtet und der Beschuldigtenvernehmung nicht entgegensteht. Aus der „Absage an die Einführung eines reinen Anklageverfahrens nach englischem Vorbild und der prinzipiellen Beibehaltung des Untersuchungsgrundsatzes“ folge – so Lesch114 – der sekundäre Ermittlungszweck der Beschuldigtenvernehmung, dem der 110  Hahn/Mugdan,

StPO Abt. 1, S. 701. StPO Abt. 1, S. 703. 112  Lesch ZStW 111 (1999), 624 (635). 113  Planck, Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens, S. 246. 114  Lesch ZStW 111 (1999), 624 (635). 111  Hahn/Mugdan,

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

Gesetzgeber durch Kodifizierungen des Amtsermittlungsgrundsatzes in § 244 Abs. 2 StPO (Richter), § 160 Abs. 1 StPO (Staatsanwaltschaft) und § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO (Polizei) Rechnung getragen habe. Diese Schlussfolgerung ist offensichtlich von der Vorstellung getragen, dass der historische Gesetzgeber ein kontradiktorisches Strafverfahren vor dem Hintergrund der zur Verurteilung des Angeklagten erforderlichen Sachverhaltsermittlung ablehnte, um die Konsequenz der zu unterlassenden Beschuldigtenvernehmung zu umgehen. Wie der Bericht der StPO-Kommission jedoch beweist, ließ sich diese vorrangig von den Interessen des Beschuldigten und dem Schutz seiner Rechte als Prozesssubjekt leiten und weniger vom Aspekt einer effizienten Beweisaufnahme. So wird ausgeführt: „Von selbst folgt hieraus, daß sehr häufig die Vernehmung des Angeklagten in seinem eignen Interesse liegt, und daß das Verbot derselben dem Gerichte die Kenntniß von manchem zu seinen Gunsten sprechenden Momente verschließen würde. Nicht minder ist öfters die Glaubwürdigkeit des Angeschuldigten eine höhere, als die des Zeugen, so daß der Richter in Folge der Aufklärungen und Ver­ sicherungen des Angeschuldigten selbst bei entgegenstehenden Zeugenaussagen zu einer Freisprechung gelangt.“115

Die Kommission besorgte also, dass ein Verzicht auf die Vernehmung den Verlust von Beweisen und Indizien, die sich zugunsten des Beschuldigten auswirken, zur Folge haben kann. Die am Gesetzgebungsprozess Partizipierenden teilten sich nicht etwa in ein progressives und ein reaktionäres Lager. Umstritten war vielmehr, welches Konzept dem Schutz des Beschuldigten am ehesten gerecht wird. Dabei verkannte die Kommission nicht, dass die Vernehmung gleichwohl zur Wahrheitsermittlung  – auch zulasten des Beschuldigten – beitragen kann: „Die Erzählung des Angeschuldigten liefert bekanntlich in sehr vielen Fällen sowohl den Stoff zu dem Umfange und zu der Richtung der Beweisaufnahme, als auch die Grundlage zu der, der Verschuldung im einzelnen Falle entsprechenden Abmessung der Strafe innerhalb des gesetzlichen weiten Strafrahmens. Gerade die Erklärungen des Angeschuldigten über seine Willensrichtung und seine Beweggründe bei der That gewähren oft den einzigen sicheren Anhalt und Entscheidung der Fragen über Anstiftung, Thäterschaft und Beihülfe, über dolus und culpa, über die Zurechnungsfähigkeit, über den Grad der Verschuldung etc. und somit zur gerechten Anwendung des Strafgesetzes. […] Endlich kann – trotz aller gegentheiligen Behauptungen – nicht geläugnet werden, wie dem Geständnisse des Angeschuldigten, vorausgesetzt, daß dessen volle Glaubhaftigkeit unzweifelhaft ist, ­erfahrungsgemäß bedeutenderes Gewicht als jedem anderen Beweismittel beigemessen wird und daß nicht blos Geschworene, sondern auch Richter in dem Geständnisse eine höchst willkommene Bestätigung ihres Schuldspruchs erblicken.“116 115  Hahn/Mugdan, 116  Hahn/Mugdan,

StPO Abt. 2, S. 1554. StPO Abt. 2, S. 1554.



B. Der Zweck der Beschuldigtenvernehmung51

Besonders deutlich wird die Haltung des historischen Gesetzgebers zur Ermittlungsfunktion der Beschuldigtenvernehmung in den Motiven zum Entwurf der Reichsstrafprozessordnung. Im Rahmen dieser führt er aus: „Die Vernehmung wird, wenn und insoweit der Beschuldigte geständig ist, als freiwillig dargebotenes Untersuchungsmittel auch im heutigen Verfahren von größtem Werthe sein; es kann aber nicht gefordert werden, daß der Beschuldigte gegen seinen Willen zur Ueberführung beitrage.“117

Keineswegs signalisiert er damit ein gleichrangiges Nebeneinander von Entlastungszweck und Wahrheitsfindung. Im Ergebnis handelt es sich nämlich bei dem Beitrag, den der Beschuldigte im Falle seiner freiwilligen Aussage zur Ermittlung des Sachverhalts leistet, um einen bloßen Reflex. Eine zur Tatsachenermittlung gänzlich ungeeignete Beschuldigtenaussage ist schlichtweg undenkbar. Denn unabhängig davon, ob seine Aussage zu seinen Gunsten sprechende Momente offenbart oder ihn – sei es durch eine freiwillige Selbstbelastung oder durch das Sichverstricken in belastende Widersprüche – belastet, kann sie selbstverständlich als Beweismittel bei der Urteils­ findung berücksichtigt werden und so zur materiellen Wahrheitsfindung beitragen. Dabei handelt es sich nicht um eine Entscheidung des historischen Gesetzgebers für eine (nachrangige) Inquisitionsfunktion der Beschuldigtenvernehmung, sondern um eine sich aus der Zulässigkeit der Vernehmung ergebende Notwendigkeit, die auch durch die Etablierung eines Parteiprozesses nicht hätte verhindert werden können. Die abstrakte Eignung zur Ermittlung belastender Tatsachen kommt nämlich jeder Äußerung des Beschuldigten zu, selbst wenn sie ausschließlich mit der Intention getroffen wird, sich selbst zu entlasten. Auch die zeitgenössische Literatur spricht sich gegen die Annahme aus, der historische Gesetzgeber habe der Vernehmung gleichfalls eine Beweisermittlungsfunktion zugesprochen.118 Vielmehr wird deutlich, dass der Zweck der Beschuldigtenvernehmung abschließend in § 136 Abs. 2 RStPO geregelt wurde.119 Nicht einmal die erklärten Kritiker der Reichsstrafprozessordnung 117  Motive des § 123 RStPO-E, abgedruckt bei Hahn/Mugdan, StPO Abt. 1, S. 138. 118  So zu Recht Grünwald StV 1987, 453; vgl. zum historischen Kontext indes auch Ortmann ZfR 2014, 149 (161), die ausführt, dass die Umsetzung der Vorschriften in der Praxis bisweilen auch in Abhängigkeit zur politischen Rechtsauffassung des entscheidenden Richters stand. 119  So führt der Abgeordnete Wolffson laut den Protokollen der Diskussion um die Vorschrift des § 123 RStPO-E aus: „In diesem Paragraphen sei der Zweck des Verhörs dahin definirt [sic], daß dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben werden solle zu seiner Rechtfertigung und zur Beseitigung der gegen ihn sprechenden Verdachtsgründe.“, abgedruckt bei Hahn/Mugdan, StPO Abt. 1, S. 700. Auch im weiteren Verlauf der Diskussion wird darauf verwiesen, dass sich der Zweck der Vernehmung aus der Vorschrift ergebe, vgl. Hahn/Mugdan, StPO Abt. 1, S. 704. An keiner Stelle wird

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

leugneten die ausschließliche Entlastungsfunktion der Beschuldigtenvernehmung.120 Löwe formuliert in seiner Kommentierung der Reichsstrafprozessordnung aus dem Jahre 1881: „In Abs. 1, 2 wird der Zweck und die Richtung der Vernehmung des Beschuldigten bestimmt. Hierbei geht die Strafprozessordnung, in wesentlicher Übereinstimmung mit dem gegenwärtigen Standpunkt der Doktrin, von der Auffassung aus: daß niemand verpflichtet sei, sich auf eine gegen ihn erhobene Beschuldigung zu erklären, und daß demgemäß die Vernehmung des Beschuldigten, wenn eine solche in Folge seiner Bereitwilligkeit zur Abgabe einer Erklärung stattfindet, nur ein Mittel der Verteidigung, nicht aber zur Ueberführung des Beschuldigten sein dürfe.“121

3. Formulierung des § 136 Abs. 2 StPO als „Soll-Vorschrift“? Dem kann der Wortlaut der Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO, die Vernehmung soll dem Beschuldigten die Gelegenheit der Selbstentlastung gewähren, nicht entgegengehalten werden. Das Argument, bei der Vorschrift handele es sich um eine „Soll-Vorschrift“, die keine zwingende Rechtsfolge, sondern einen „Optimalzustand“ kodifiziere,122 ist weder mit der Gesetzessystematik noch mit dem Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens vereinbar. Eine dahingehende Argumentation verkennt, dass die Differenzierung zwischen „Soll-“ und „Ist-Vorschriften“ in erster Linie im Rahmen von Ermächtigungsvorschriften zur Bestimmung des dem vom Gesetz Ermächtigten zukommenden Ermessensspielraums relevant wird,123 wobei auch „SollVorschriften“ dem Ermächtigten nur ein begrenztes Ermessen einräumen.124 in den Protokollen auf einen über den Wortlaut hinausgehenden Wahrheitsfindungszweck abgestellt. Vgl. dazu insg. auch Schumann, Verhör, Vernehmung, Befragung, S.  169 ff. 120  So Degener GA 1992, 443 (458). 121  Löwe2, Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich, S. 358. Geyer, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafproceßrechts (1880), S. 540 spricht von einem doppelten Zweck der Vernehmung, der darin liege, den Beschuldigten über die gegen ihn vorliegenden Beschuldigungen in Kenntnis zu setzen und ihm sodann die Möglichkeit der Verteidigung gegen die Verdachtsgründe zu gewähren. 122  So OLG Bremen NJW 1967, 2022 (2023); Dencker StV 1994, 667 (676); KMR-StPO/Kulhanek § 136 Rn. 44; BeckOK-StPO/Monka § 136 Rn. 18; SK-StPO/ Rogall § 136 Rn. 69. 123  Vgl. zur Differenzierung etwa Mauer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 9 ff. 124  BVerfGE 119, 331 (352) betont, dass „Soll-Vorschriften“ eine eindringliche Handlungsempfehlung seitens des Gesetzgebers darstellen, von der nur in atypischen Sonderfällen abgewichen werden darf. Auch vor diesem Hintergrund kann die h. M. kaum überzeugen. Denn eine atypische Vernehmungskonstellation ist nur schwer denkbar und kann insbesondere nicht durch den Verweis auf Beweisschwierigkeiten im Einzelfall begründet werden.



B. Der Zweck der Beschuldigtenvernehmung53

Die Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO ermächtigt den vernehmenden Richter jedoch nicht zu einer bestimmten Handlung – die Zulässigkeit der (Ladung zur) Vernehmung ergibt sich bereits hinreichend aus § 133 Abs. 1 StPO. Sie verpflichtet ihn vielmehr, dem Beschuldigten die Möglichkeit der Selbstentlastung zu gewähren, ihn anzuhören. Ansonsten läge es in der Hand des Richters respektive der nichtrichterlichen Vernehmungsperson, ob er dem Beschuldigten die Möglichkeit der Selbstentlastung gewährt oder lediglich mit dem Ziel der Wahrheitsfindung agiert. Die Konsequenz wäre nicht nur die Möglichkeit einer willkürlichen Vernehmungsgestaltung, die den Beschuldigten dem Missbrauch schutzlos preisgeben würde. Auch würde dies bedeuten, dass das Gesetz bis zur Einführung des § 136a StPO der Vernehmungsperson freie Hand bei der Wahl der Vernehmungsmethoden, inklusive Anwendung der Verhörmethoden des Inquisitionsprozesses gegeben hätte. Eine solche Schlussfolgerung aber ist mit der vom Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung intendierten Abkehr vom Inquisitionsprozess und dem darauf basierenden seinerzeitigen Konsens zum Verzicht auf sämtliche invasive Verhörmethoden nicht zu vereinbaren und stünde damit im klaren Widerspruch zu den rechtshistorischen Erkenntnissen. Die Verwendung des Wortes soll ist letztlich eindeutiger als es der erste Anschein vermuten lässt. Zutreffend weist Grünwald darauf hin, dass der Satz die Funktion der Vernehmung bestimmt, also „wozu die Vernehmung dienen ‚soll‘ “.125 Entgegengehalten werden könnte diesem Ergebnis allenfalls die ablehnende Bescheidung über den Antrag Wieners in der 11. Sitzung der StPOKommission am 02. Mai 1873 (Antrag Nr. 213). Um die Zweckrichtung der Vernehmung deutlich zum Ausdruck zu bringen, strebte der Antrag eine Wortlautänderung in „hat den Zweck“ an.126 Aus der Ablehnung des Antrags folgert Lesch, dass der historische Gesetzgeber der Vernehmung nicht ausschließlichen Entlastungszweck beigemessen hat.127 Der argumentatorische Wert dieses Hinweises ist jedoch angesichts des Umstandes begrenzt, dass die historischen Quellen keine Auskunft über die Gründe für die Ablehnung des Antrags geben.128 Ob diese in der Auffassung wurzelte, die Norm sei bereits hinreichend konkret, oder für eine duale Vernehmungsfunktion spricht, bleibt offen. Hätte der historische Gesetzgeber der Beschuldigtenver125  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 63. So i. Erg. auch LR-StPO/Gleß § 136 Rn. 56. 126  Die Norm sollte nunmehr lauten „Die Vernehmung hat den Zweck, dem Beschuldigten Gelegenheit zu seiner Rechtfertigung und zur Beseitigung der gegen ihn sprechenden Verdachtsgründe zu geben.“, siehe  Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der Strafprozeßordnung von 1877, S. 186. 127  Lesch ZStW 111 (1999), 624 (633 f.). 128  Vgl. Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der Strafprozeßordnung von 1877, S. 186.

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

nehmung indes einen Ermittlungszweck beigemessen, läge die Annahme nahe, dass ein solcher ausdrücklich in den §§ 133 ff. StPO kodifiziert worden wäre. Für die hier vertretene Ansicht spricht auch der Vergleich mit der Vorschrift des § 115 Abs. 3 StPO, die das Pendant zu § 136 Abs. 2 StPO im Rahmen der Untersuchungshaft darstellt (vgl. dazu auch S. 98), ihrem Wortlaut nach jedoch als „Ist-Vorschrift“ ausgestaltet ist.129 Dies war jedoch nicht immer so. In ihrer ursprünglichen Fassung als § 114b Abs. 3 StPO130 war ebenfalls die Rede davon, dass die Vernehmung dem Beschuldigten die Entlastungsmöglichkeit gewähren soll, während der Absatz gleichzeitig anordnete, dass der Beschuldigte auf die ihn belastenden Umstände hinzuweisen ist. Zu Recht weist Grünwald darauf hin, dass letztere (dem Wortlaut zufolge zwingende) Anordnung nur dann sinnvoll ist, wenn die Gewährung der Entlastungsmöglichkeit obligatorisch ist.131 Nur so lässt es sich auch erklären, dass der Wortlaut durch Gesetz vom 19. Dezember 1964132 vereinheitlicht wurde und aus der vermeintlichen „Soll-Vorschrift“ eine „Ist-Vorschrift“ wurde. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Vorschrift dem Vernehmenden zu keinem Zeitpunkt einen Ermessensspielraum einräumen sollte, vielmehr stets als zwingend anzusehen war, und angesichts des Umstands, dass der Wortlaut des § 115 Abs. 3 StPO an § 136 Abs. 2 StPO angelehnt ist, wird selbiges auch für die letztere Vorschrift gelten müssen.

IV. Weitere Entwicklung des Zwecks der Beschuldigtenvernehmung und Ergebnis Es liegt auf der Hand, dass der Entlastungszweck der Vernehmung in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur ausgehebelt wurde. Die Strafjustiz im nationalsozialistischen Deutschland war geprägt von einer zunehmenden Umgehung der verfahrensrechtlichen Vorschriften, die zwar weiterhin formal Bestand hatten, faktisch jedoch nicht zur Anwendung kamen.133 Allen voran 129  Grünwald,

Beweisrecht der StPO, S. 63. durch das Gesetz zur Abänderung der Strafprozeßordnung v. 27.12.1926, RGBl. I 1926, S. 529. 131  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 63. 132  Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (StPÄG) v. 19.12.1964, BGBl. I 1964, S. 1967. 133  Kirchheimer KJ 1971, 356 (367 f.) konstatiert insoweit, dass das „Strafprozeßrecht, der bislang formalisierteste Teil des Rechts überhaupt, zum formlosesten“ wurde. Den Grund dafür erblickt Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S. 825 f. u. a. in der mangelnden Differenzierung zwischen Recht und Moral: „[…] wenn angenommen wird, daß das geltende Recht identisch ist mit der von jedermann gekannten, weil in seinem Gewissen verkündeten Moral, bedarf es in der Tat keiner 130  Eingefügt



B. Der Zweck der Beschuldigtenvernehmung55

gegen politische Gegner geführte Strafverfahren mit ideologischem Hintergrund verkamen zu Schauprozessen, die in erster Linie Propagandazwecken und der Ausschaltung ebendieser Gegner dienten.134 Die Vernehmung des Beschuldigten wurde in diesem System regelmäßig ausschließlich zu Überführungszwecken vorgenommen.135 Auch vor dem Hintergrund, dass die rein ideologisch geprägte Rechtsauffassung der Nationalsozialisten nicht auslegungsleitend sein kann, dürfen vom Blick auf die Beschuldigtenvernehmung in den Jahren 1933 bis 1945 keine Erkenntnisse in Bezug auf das der Strafprozessordnung zugrundeliegende Vernehmungsverständnis erwartet werden. Aufschlussreich ist er lediglich für die weitere Rechtsentwicklung im Deutschland der Nachkriegszeit, die von der Intention geprägt war, sich von den Einflüssen der NS-Ideologie auf das Strafverfahrensrecht zu befreien.136 Seit Inkrafttreten der Reichsstrafprozessordnung im Jahr 1877 sind die Vorschriften zur Beschuldigtenvernehmung im Kern unangetastet geblieben, sodass auch mit Blick auf das geltende Recht konstatiert werden muss, dass die Vernehmung des Beschuldigten ausschließlich der Vorbringung entlastender Umstände dient und in keiner Weise der Sachverhaltsermittlung. Dabei handelt es sich um das eindeutige Ergebnis der rechtshistorischen Betrachtung. Die Ausgestaltung der Beschuldigtenvernehmung innerhalb der Reichsstrafprozessordnung unterlag der Prämisse der Abkehr vom Inquisitionsprozess. Dessen Verhörmethoden waren gedanklich bereits in weite Ferne gerückt; der historische Gesetzgeber betrachtete die Reichsstrafprozessordnung als Gegenentwurf zum Inquisitionsprozess. Erstmals wurde die Beschuldigtenvernehmung als reines Entlastungsmittel gesehen; Zweck derselben war nicht mehr die Wahrheitserforschung, sondern einzig die Gewährung recht­ lichen Gehörs zur Vorbringung entlastender Tatsachen. Dem steht weder der Wortlaut der zentralen Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO, die sich des Wortes „soll“ bedient, noch der Umstand entgegen, dass die freiwillige Replik des Beschuldigten auf den ihm mitgeteilten Vorwurf zur Ermittlung des Sachverhalts  – auch wenn dieser belastend ist  – beitragen kann. Ein Verhalten des Vernehmenden, das nicht der Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern lediglich der Wahrheitsermittlung dient, hat ausnahmslos zu unterbleiben. Die öffentlich erlassenen Gesetze“. Vgl. ferner v. Brünneck, in: Redaktion Kritische Justiz, Der Unrechts-Staat, S. 108 (109) und Spendel FS Jescheck, S. 179 (192 ff.). 134  Vgl. die Fallschilderungen bei Spendel FS  Jescheck, S.  179 (183  ff.). v. Brünneck, in: Redaktion Kritische Justiz, Der Unrechts-Staat, S. 108 (117) bezeichnet die Justiz im Nationalsozialismus insoweit als „Instrument des Terrors“. Siehe zur Rolle des Richters innerhalb der NS-Diktatur auch Ambos, National Socialist Criminal Law, S. 49 ff. 135  Schumann, Verhör, Vernehmung, Befragung, S. 173. 136  Zusammenfassend zur Entnazifizierung der Justiz Caesar NJW 1995, 1246 und Rasehorn ZRP 2000, 127.

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

Frage, ob daraus auch eine Unverwertbarkeit entgegen § 136 Abs. 2 StPO erhobener Beschuldigtenaussagen folgt, ist davon getrennt zu erörtern.

C. Der Begriff der Beschuldigtenvernehmung Der Anwendungsbereich der §§ 133 ff. StPO ist nicht bereits bei Vorliegen der Beschuldigteneigenschaft des Befragten eröffnet, vielmehr muss seine Befragung auch als Vernehmungssituation einzustufen sein. Die Vorschriften treffen gleichwohl keine Feststellung darüber, wann eine Befragung des Beschuldigten als Vernehmung zu qualifizieren ist. Sie regeln ausschließlich die Art und Weise der Vernehmung. Als Ausgangspunkt sei folgendes festgestellt: Die Beschuldigtenvernehmung ist eine Befragung des Beschuldigten durch ein Strafverfolgungsorgan oder auf dessen Veranlassung im Rahmen des Strafverfahrens.137 Dies ist zwar nicht ausreichend, um den Begriff exakt zu konturieren, verdeutlicht aber bereits essentielle Grundeigenschaften des Vernehmungsbegriffs. So handelt es sich um eine Situation, die dem Staat entweder durch die Vornahme der Befragung durch einen Amtsträger oder infolge der Veranlassung eines Dritten durch einen staatlichen Repräsentanten zugerechnet werden kann.

I. Beschuldigtenvernehmung als Befragung im Rahmen eines Strafverfahrens – Abgrenzung zu Spontanäußerungen und informatorischen Befragungen Zunächst bedarf es der Konkretisierung des Merkmals „im Rahmen eines Strafverfahrens“. Insoweit weist der Vernehmungsbegriff Parallelen zum oben geschilderten Begriff des Beschuldigten auf. Da die Beschuldigteneigenschaft gerade nicht aus dem bloßen Vorliegen eines Tatverdachts erwachsen kann, sondern der Inkulpation durch eine Strafverfolgungsbehörde bedarf, setzt das Vorliegen eines Beschuldigten per definitionem ein gegen ihn gerichtetes Strafverfahren voraus. Ist der Befragte als Beschuldigter einzustufen, ist jedenfalls seine offene Befragung durch Angehörige einer Ermittlungsbehörde notwendigerweise auch eine Vernehmung.138

137  Vgl. auch die Grundlagen des Vernehmungsbegriffs bei Schumann, Verhör, Vernehmung, Befragung, S. 1, 3 ff. 138  BGHSt 52, 11 (15); MK-StPO/Schuhr § 136 Rn. 36; Weßlau ZStW 110 (1998), S. 1 (7).



C. Der Begriff der Beschuldigtenvernehmung57

1. Spontanäußerungen Unklarheiten entstehen dagegen in Fällen, in denen die Beschuldigteneigenschaft des Befragten (noch) nicht hinreichend geklärt ist. Zu denken ist insbesondere an sogenannte Spontanäußerungen, die eine Person von sich aus gegenüber einer Strafverfolgungsbehörde abgibt, ohne befragt worden zu sein.139 Ihre Entgegennahme wird als informatorische Anhörung bezeichnet.140 Die aussagende Person ist in aller Regel mangels Inkulpation weder Beschuldigte noch sind ihre Äußerungen als Vernehmung anzusehen. Dies folgt zum einen aus der fehlenden staatlichen Veranlassung der Äußerungssituation.141 Zum anderen liegt aber schon keine Befragung staatlicherseits vor, denn der Aussagende tritt von sich aus an die Beamten heran. Daher mangelt es bereits an einer Beschuldigtenaussage,142 weshalb die Spontanäußerung im Ergebnis nicht den Anforderungen an eine Beschuldigtenvernehmung entspricht, mithin grundsätzlich keine Belehrungspflichten entstehen.143 Verdeutlicht werden kann dies anhand des klassischen Falles eines Verkehrsunfalls: Nach Eintreffen der Polizeibeamten am Unfallort, der oftmals gleichzeitig mutmaßlicher Tatort ist, bedarf es zunächst einer Son­ dierung der Lage.144 Dabei kann von den Beamten schon aus praktischen Erwägungen nicht verlangt werden, jeden Anwesenden über sein Recht zu belehren, sich nicht selbst belasten zu müssen, zumal die Spontanäußerung oftmals durch ein „Überrumpelungsmoment“ geprägt ist, das den Polizeibeamten eine zeitlich vorgelagerte Belehrung unmöglich macht. Daher kann sich der Polizeibeamte auch nicht über den gesamten Zeitraum der Spontanäußerung auf das Überraschungsmoment und die dadurch fehlende Möglichkeit einer Belehrung berufen. Erkennt er nämlich, dass der Aussagende Gefahr läuft, sich selbst zu belasten, ist er in der Pflicht, diesen zu unterbrechen und auf sein Recht zur Aussageverweigerung aufmerksam zu ma-

139  Zum Begriff Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 28. 140  SK-StPO/Rogall Vor § 133 Rn. 42. 141  MK-StPO/Schuhr Vor §§ 133 ff. Rn. 42. 142  Haas GA 1995, 230: „Die Aussage des Beschuldigten und die Vernehmung durch die Verhörperson sind zwei Seiten einer Medaille.“. 143  BGH NStZ-RR 2001, 49 (51); Beulke StV 1990, 180 (181). Zum Teil  wird darauf hingewiesen, dass dies nicht für Äußerungen im „Vernehmungsumfeld“ (also z. B. im Polizeifahrzeug) gelte (so MK-StPO/Kölbel § 163a Rn. 12). Bei solchen Äußerungen handelt es sich aber schon nicht um Spontanäußerungen. Die Aussage der betreffenden Person in solchen Situationen ist vorhersehbar, sodass – wenn gegen diese ein Anfangsverdacht vorliegt – rechtzeitig in Form einer Beschuldigtenbelehrung reagiert werden kann. 144  Vgl. Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 28.

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

chen.145 Andernfalls verstößt er gegen § 55 Abs. 2 StPO, denn in dem Moment, in dem eine Selbstbelastung zu besorgen ist und der Beamte nicht belehrt, veranlasst er den nunmehr Verdächtigen zur Fortführung seiner Aussage gerade durch das Unterlassen der Belehrung. Dieses Unterlassen bildet den für die Begründung der Vernehmungssituation erforderlichen Zurechnungszusammenhang.146 2. Sogenannte informatorische Befragungen Schwieriger fällt der Umgang mit der sogenannten informatorischen Befragung, da der Strafverfolger hier anders als bei der Spontanäußerung nicht nur der Adressat von nichtveranlassten Äußerungen eines privaten Dritten ist, sondern aktiv die Rolle des Befragenden einnimmt. Äußerlich erfüllt die informatorische Befragung alle Eigenschaften einer Vernehmung. Charakteristisch ist indes ihr Zweck in Form der Untersuchung, ob gegen eine Person ein Anfangsverdacht vorliegt und wer überhaupt als Auskunftsperson in Betracht kommt.147 Sie verfolgt daher nicht das Ziel einer Beschuldigtenvernehmung, die zur Gewährung rechtlichen Gehörs vorgenommen wird und dem Beschuldigten dadurch die Möglichkeit der Selbstentlastung bieten soll, sondern das Ziel der Informationsgewinnung. Die informatorische Befragung erfüllt damit alle Charakteristika einer Zeugenvernehmung, fällt aber durch ihre Besonderheit auf, dass der Befragende bisweilen noch nicht feststellen kann, ob der Befragte als Zeuge in Betracht kommt oder als Verdächtiger einer Straftat zu inkulpieren ist. Ist die informatorische Befragung äußerlich und intentional wesensgleich mit der Zeugenvernehmung, überzeugt es nicht, ihr den Status als solche abzusprechen. Entgegen der herrschenden Meinung,148 ist die informatorische Befragung daher so lange als Zeugenvernehmung anzusehen, wie noch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte (scil. ein Anfangsverdacht) für die Tatbeteiligung des Zeugen vorliegen. Verdichten sich die Tatsachen 145  Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 28; t­ endenziell auch BGH NStZ 2009, 702 (703), nach dem „ein solches Verhalten […] einer gezielten Umgehung [der Belehrungspflicht] zumindest äußerst nahe“ käme. 146  Zwar ist der Verdächtige nach hier vertretener Auffassung mangels Inkulpa­ tionsakts noch kein Beschuldigter. Die Nicht-Inkulpation ist jedoch rechtswidrig, sodass anschließend getätigte Aussagen des Verdächtigen regelmäßig nicht verwertbar sind. Die objektive Theorie würde den Beschuldigtenstatus dagegen bereits aufgrund des vorliegenden Anfangsverdachts annehmen, während etwa der BGH über den Umweg der Willkürausnahme von einem Beschuldigten ausgehen könnte. 147  LR-StPO/Erb § 163a Rn. 17 f.; MK-StPO/Kölbel § 163a Rn. 9. 148  Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 29; AKStPO/Kube Vor § 133 Rn. 13; SK-StPO/Rogall Vor § 48 Rn. 23 und Vor § 133 Rn. 46.



C. Der Begriff der Beschuldigtenvernehmung59

zu einem Anfangsverdacht, muss der Vernehmungsbeamte die Zeugenvernehmung abbrechen und zur förmlichen Beschuldigtenvernehmung übergehen, indem er den Verdächtigen nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO über seine Aussagefreiheit belehrt und dadurch inkulpiert.149 Der bisweilen erhobene Einwand, mit dem Zeugenstatus gehe gleichfalls eine Pflicht des Vernehmenden zur Belehrung nach § 55 Abs. 2 StPO einher,150 steht dem nicht entgegen. Denn diese Belehrungspflicht entsteht – obgleich eine frühzeitige Belehrung anzuraten ist – anders als im Rahmen der Beschuldigtenbelehrung nicht bereits mit Vernehmungsbeginn, sondern erst in dem Zeitpunkt, in dem Anhaltspunkte für eine Verfolgungsgefahr des Zeugen zutage treten.151 Zur sogenannten informatorischen Befragung sei daher im Ergebnis folgendes gesagt: Ein Grund für die Sonderstellung, die informatorischen Befragungen von der herrschenden Meinung zugebilligt wird, besteht nicht. Sie erfüllt äußerlich alle Merkmale einer Vernehmung und dient zunächst der Beweisgewinnung, sodass sie bis zur Inkulpation als Zeugenvernehmung anzusehen ist, anschließend als Beschuldigtenvernehmung, da sie nunmehr im Rahmen eines Strafverfahrens geführt wird. Ein selbständiges Rechts­ institut in Form der informatorischen Befragung ist daher überflüssig. Ihre eigentliche Problematik ist nicht im Rahmen einer künstlichen Abgrenzung zu Vernehmungssituationen zu verorten, sondern in der Frage nach der Verwertbarkeit ohne Belehrung gewonnener Auskünfte.152

II. Offenes Vorgehen der Vernehmungsperson als begriffskonstituierendes Merkmal der Beschuldigtenvernehmung? Die Ermittlungsbehörden sind im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung zur Offenlegung der Vernehmungssituation verpflichtet. Dies ergibt sich schon aus den zahlreichen Hinweis- und Belehrungspflichten, die im Zehnten Abschnitt des Ersten Buchs der Strafprozessordnung verankert sind, wobei die den nemo-tenetur-Grundsatz schützende Belehrung über die Aussagefreiheit nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO eine besonders bedeutsame Stellung 149  So i. Erg. auch Haas GA 1995, 230 (232); a. A. BayObLG NStZ-RR 2003, 343, das im Falle einer Verkehrskontrolle, in deren Rahmen sich Anhaltspunkte für eine Trunkenheitsfahrt in Form von Alkoholgeruch ergaben, keine Pflicht der Polizeibeamten annahm, den Fahrer nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zu belehren. 150  Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 29. 151  Jugl, Fair trial als Grundlage der Beweiserhebung und Beweisverwertung im Strafverfahren, S. 103 f., der allerdings ebenfalls eine Belehrung zu Beginn der Vernehmung präferiert. 152  So zu Recht LR-StPO/Erb § 163a Rn. 22 sowie Schumann, Verhör, Vernehmung, Befragung, S. 29.

60

Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

einnimmt. Unzweifelhaft ist die Vernehmung rechtsfehlerhaft, wenn die Vernehmungsperson dadurch gegen die Belehrungsvorschrift verstößt, dass sie den Beschuldigten nicht hinreichend über seine Aussagefreiheit aufklärt oder die Belehrung gar unterlässt (siehe auch S. 84 ff.). Verschweigt der Befragende stattdessen sein Tätigwerden zur Strafverfolgung und die Veranlassung der Befragung durch den gegen den Befragten vorliegenden Anfangsverdacht, besteht Uneinigkeit über die rechtliche Zulässigkeit dieses Vorgehens. Nach der ständigen Rechtsprechung, der eine im Schrifttum weit verbreitete Ansicht folgt, treffen den Befragenden in derart gelagerten Fällen nicht die genannten Hinweis- und Belehrungspflichten, da es sich nicht um eine Vernehmung im Rechtssinne handle.153 Vielmehr könne eine Vernehmung nur dann vorliegen, wenn dem Beschuldigten gegenüber die amtliche Stellung des Befragenden und sein Handeln zum Zwecke der Strafverfolgung offen gelegt werden. Der Große Strafsenat beruft sich in seinem Hörfallenbeschluss darauf, dass die gesetzlichen Vorschriften zur (Beschuldigten-)Vernehmung allesamt „erkennbar auf das Bild einer ‚offenen‘ Vernehmung zugeschnitten sind“.154 Dies taugt indes keineswegs als Argument für einen förmlichen Vernehmungsbegriff. Die zahlreichen Vorschriften, auf die der Bundesgerichtshof Bezug nimmt155 und aus denen in der Tat der Gedanke der Offenheit einer Vernehmung abgeleitet werden kann, gehen nämlich nicht davon aus, dass Befragungen, die dem „Idealbild“ der offenen Vernehmung nicht folgen, keine Vernehmungen sind. Vielmehr statuieren sie die obligatorischen formellen Regeln für den Ablauf einer Vernehmung und betreffen daher nicht die Frage, ob eine Vernehmung vorliegt, sie beschäftigen sich mit der Art und Weise, mit dem „Wie“ einer Vernehmung.156 Die Argumentation des Großen Strafsenats entlarvt sich dadurch als eine Petitio Principii, dass ver153  BGHSt 40, 211 (213); BGHSt 52, 11 (15); Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 510; Hoven JA 2013, 368 (369); MK-StPO/Kölbel § 163a Rn. 7 f.; Kudlich JuS 1997, 696 (698); Mahlstedt, Die verdeckte Befragung des Beschuldigten im Auftrag der Polizei, S. 57 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 4; Nowrousian NStZ 2015, 625; SK-StPO/Rogall Vor § 133 Rn. 43 und § 136 Rn. 14 ff.; Roxin FS Rogall, S. 651 (654); trotz Kritik i. Erg. zustimmend MK-StPO/Schuhr Vor §§ 133 ff. Rn. 36; Weßlau  ZStW 110 (1998), 1 (7 ff.). Teilweise wird der Vernehmungsbegriff zwar im förmlichen Sinne verstanden, gleichwohl aber darauf hingewiesen, dass eine verdeckte Befragung rechtswidrig ist (so etwa Schumann, Verhör, Vernehmung, Befragung, S. 177 ff.; SK-StPO/Wohlers/Albrecht § 163a Rn. 42). 154  BGHSt (GSSt) 42, 139 (145 f.); zustimmend Schumann, Verhör, Vernehmung, Befragung, S. 178. 155  Der Große Senat nennt für die Beschuldigtenvernehmung die §§ 115, 133, 135, 136 Abs. 1 und 2, 147 Abs. 3, 163a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4, 166, 168c Abs. 1 sowie § 254 StPO (BGHSt [GSSt] 42, 139 [146]). 156  Schumann, Verhör, Vernehmung, Befragung, S. 10.



C. Der Begriff der Beschuldigtenvernehmung61

deckten Befragungen ihre Eigenschaft als Vernehmung deshalb abgesprochen werden soll, weil das Gesetz von den Strafverfolgungsbehörden offenes Vorgehen verlangt. Der Verstoß gegen formelles Vernehmungsrecht führte demnach nicht zur formellen Rechtswidrigkeit der Vernehmung, sondern zum Verlust der Vernehmungseigenschaft. Eine enge Verbindung zu dieser Argumentation weist die Bemerkung auf, dass die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO der Verhinderung von psychischen Zwangslagen diene, kraft derer sich der Beschuldigte zur Aussage verpflichtet fühle.157 Vertreter der herrschenden Meinung verweisen darauf, dass eine solche Zwangslage von vornherein ausgeschlossen sei, wenn der Beschuldigte in dem Bewusstsein aussagt, einer Privatperson gegenüberzustehen.158 Insofern könnte man annehmen, dass die Belehrungsvorschrift „erkennbar“ auf offene Befragungssituationen ausgerichtet sei. Dass kein Verdächtiger dem Irrtum anheimfallen wird, einem Privaten gegenüber aussagen zu müssen, lässt sich kaum von der Hand weisen. Den Zweck der Belehrungsvorschrift auf eine Verhinderung von erlebtem Zwang zu reduzieren, stellte jedoch eine grobe Vereinfachung dar. Wie im Rahmen der Ausführungen zum Zweck des nemo-tenetur-Prinzips noch genauer darzulegen ist (siehe S. 148 ff.), soll die Belehrung dem Beschuldigten gerade verdeutlichen, dass seine Äußerungen eine Mitwirkung an dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren darstellen, hinsichtlich derer ihm von Verfassung wegen eine freie Entscheidungsfindung garantiert wird.159 Andere obligatorische Hinweispflichten, wie etwa das in jeder Befragungssituation bedeutsame Zurverfügungstellen von Informationen zur Verteidigerkonsultation auf Wunsch (§ 136 Abs. 1 Satz 3), geraten im Rahmen dieser Argumentation zudem völlig aus dem Blickfeld. Im Übrigen scheitert die Argumentation der herrschenden Meinung bereits daran, dass sie Tatbestands- und Rechtsfolgen­ ebene vermischt, indem sie die Existenz einer nicht-offenen Vernehmung unter Verweis darauf ablehnt, dass der verdeckt Befragte nicht des Schutzes der Vorschriften zur Beschuldigtenvernehmung bedürfe.160 Zugleich scheint der Bundesgerichtshof das Argument durch seine Rechtsprechung zu sogenannten vernehmungsähnlichen Situationen selbst zu ent42, 139 (147); zustimmend Roxin FS Rogall, S. 651 (654). 42, 139 (147); Roxin FS Rogall, S. 651 (654). Makrutzki, Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß, S. 84 hält dem entgegen, dass die Vorstellung einer Aussagepflicht gegenüber dem Staat heutzutage ohnehin kaum noch anzutreffen sei. Kritisch dazu auch Lagodny StV 1996, 167 (169). 159  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, S. 141; Roxin NStZ 1995, 465 (466). 160  Lagodny StV 1996, 167 (168) spricht kritisch davon, dass verdeckte Befragungen dadurch aus dem Vernehmungsbegriff „hinausdefiniert“ werden. 157  BGHSt 158  BGHSt

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

kräften. In seiner „Zellengenossen-Entscheidung“161 nimmt das Gericht ein Verwertungsverbot für selbstbelastende Aussagen an, die der Beschuldigte gegenüber einem von der Polizei als Spitzel eingesetzten Mithäftling getätigt hat, der eigens zur Überführung des Beschuldigten auf diesen angesetzt wurde (siehe zur Problematik privater Dritter als Befragungspersonen S. 64 ff.). Auch in einem solchen Fall kann ein Irrtum über die Aussagefreiheit des Beschuldigten ausgeschlossen werden, denn der Beschuldigte weiß natürlich, dass er gegenüber einem Mithäftling nicht zur Aussage verpflichtet ist. Der eigentliche Grund für die Annahme eines Verwertungsverbots liegt – wie der Bundesgerichtshof auch selbst anerkennt162 – nicht in der Gefahr der Annahme einer Aussagepflicht, sondern vielmehr in der Beeinflussung seiner Willensentschließungsfreiheit durch Vorspiegelung eines Vertrauensverhältnisses durch den angeleiteten Mithäftling, kraft dessen der Beschuldigte denkt, er könne offen über seine Situation reden, ohne dass er sich dadurch selbst gegenüber den Strafverfolgungsbehörden belastet. Maßgeblich ist also sein Irrtum über den Zweck des Gesprächs mit dem Mithäftling. Erkennt man nun an, dass die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO der Verhinderung ebensolcher Irrtümer dient, gebietet ihr Schutzzweck entgegen der herrschenden Meinung die Annahme einer Vernehmung auch im Falle der verdeckten Befragung und nicht umgekehrt. Dem funktionalen Vernehmungsbegriff kann auch nicht entgegengehalten werden, dass er dem Sinn und Zweck der §§ 110a ff. StPO widerspricht, die den Einsatz Verdeckter Ermittler legitimieren.163 Zwar trifft es zu, dass der funktionale Vernehmungsbegriff in einem Konflikt zum Einsatz Verdeckter Ermittler steht, da das Gesetz damit einerseits eine verdeckte Vernehmung ermöglichte, gleichzeitig aber dem Vernehmenden (sprich dem Verdeckten Ermittler) die Pflicht zur Beschuldigtenbelehrung aufbürden würde, wodurch der Einsatz des Verdeckten Ermittlers faktisch nicht möglich wäre. Mitnichten spricht der dadurch entstehende gesetzliche Widerspruch jedoch gegen den funktionalen Vernehmungsbegriff. Während der Vernehmungsbegriff nämlich eine „Urfrage“ des Strafverfahrensrechts ist, handelt es sich beim 161  BGHSt 34, 362. Die Rspr. hat in diversen anderen Entscheidungen auf die Konstruktion der vernehmungsähnlichen Situation zurückgegriffen, um ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen, wenn keine Vernehmung i. S. d. förmlichen Auslegung angenommen wurde, so etwa im sog. „Wahrsagerinnen-Fall“ (BGHSt 44, 129 [134]), in dem die Polizei mithilfe einer inhaftierten Wahrsagerin Geständnisse von Mitgefangenen erlangte und in dem der BGH ausführte, dass der Schutzzweck des § 136a StPO die Annahme eines Verwertungsverbotes gebiete, wenn sich der Staat das Verhalten des Privaten zurechnen lassen muss. 162  BGHSt 34, 362 (364). 163  So aber BGHSt 42, 139 (146); MK-StPO/Kölbel § 163a Rn. 8; Weßlau ZStW 110 (1998), 1 (8 f.); zutreffend hingegen Lagodny StV 1996, 167 (169).



C. Der Begriff der Beschuldigtenvernehmung63

Einsatz Verdeckter Ermittler um ein vergleichsweise junges Phänomen.164 Eine gesetzliche Grundlage wurde erst durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli 1992165 geschaffen. Allenfalls könnte argumentiert werden, dass sich der Gesetzgeber durch die Schaffung einer solchen Ermächtigungsgrundlage (konkludent) zum förmlichen Vernehmungsbegriff bekannt hat. Da Verdeckte Ermittler aber bereits deutlich vor der Gesetzesreform eingesetzt wurden – wohlgemerkt ohne hinreichende gesetzliche Grundlage und damit unter Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes166 – ist die Gesetzesreform eher als Reaktion auf die Entwicklungen in der Strafverfolgungspraxis anzusehen,167 zumal sich der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien an keiner Stelle mit dem Vernehmungsbegriff auseinandersetzt. All dies deutet eher darauf hin, dass sich der Gesetzgeber des entstehenden Konflikts zu den Belehrungsvorschriften schlicht nicht bewusst war. Ein Verweis auf die §§ 110a ff. StPO taugt daher nicht zur Begründung des förmlichen Vernehmungsbegriffs. Dies gilt umso mehr, als der Verdeckte Ermittler schon im Konflikt zum nemo-tenetur-Grundsatz stehen könnte, der  – sofern ihm Verfassungsrang zukommt  – ohnehin nicht durch die §§ 110a ff. StPO als einfaches Recht außer Kraft gesetzt werden könnte (dazu S. 155 ff.).168 Der Schutz des Beschuldigten vor Umgehung der gesetzlich kodifizierten Hinweis- und Belehrungspflichten spricht hingegen gegen einen förmlichen Vernehmungsbegriff. Der funktionale Vernehmungsbegriff gewährleistet eine klare Abgrenzung der Vernehmung zu sonstigen Befragungssituationen anhand objektiver Umstände. Machte man das Vorliegen einer Vernehmung hingegen von einem offenen Vorgehen des Befragenden abhängig, würde den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit eröffnet, eigenmächtig darüber zu entscheiden, ob die Vorschriften der §§ 133 ff. StPO Anwendung finden oder nicht, womit eine nicht zu unterschätzende Missbrauchsgefahr einherginge. Zu folgen ist daher einer funktionalen Auslegung des Vernehmungsbegriffs, 164  Schumann, Verhör, Vernehmung, Befragung, S. 8 weist insoweit zu Recht darauf hin, dass die Debatte um ein begriffskonstituierendes Offenheitserfordernis lediglich die „dogmatische Reaktion“ auf die zunehmende Praxis verdeckter Befragungstätigkeit ist 165  BGBl. I 1992, S. 1302. 166  Zuvor wurde der Einsatz auf die §§ 161, 163 StPO bzw. auf eine gemeinsame Richtlinie der Justiz- und Innenresorts gestützt (siehe BT-Drucks. 12/989, S. 41), die jedoch beide nicht ausreichend sind, um dem Vorbehalt des Gesetzes Genüge zu leisten. 167  Vgl. Schumann, Verhör, Vernehmung, Befragung, S. 8. 168  Dies deutet Geisler, in: ders., Verdeckte Ermittler und V-Personen im Strafrecht, S. 17 (27) an.

64

Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

sodass eine Vernehmungssituation unabhängig davon anzunehmen ist, ob der Befragende offen oder verdeckt vorgeht und ob der Beschuldigte in dem Bewusstsein handelt, gegenüber einem Strafverfolgungsorgan auszusagen.169 Gestützt wird dieses Ergebnis durch den Sinn und Zweck der Beschuldigtenbelehrung, die wie dargelegt gerade nicht in der Verhinderung der irrigen Annahme einer Aussagepflicht liegt, sondern allgemeiner darin, dem Beschuldigten die Gefahr der Selbstbezichtigung vor Augen zu führen.

III. Durch eine Strafverfolgungsbehörde veranlasste Befragung des Beschuldigten durch einen privaten Dritten als Vernehmung Der Einsatz von Vertrauenspersonen zur Überführung des Beschuldigten geht neben der nichtförmlichen Vorgehensweise mit einer weiteren Besonderheit einher. Vertrauenspersonen sind nämlich gerade nicht einer Strafverfolgungsbehörde offiziell zugehörig. Es handelt sich regelmäßig um private Dritte, die ob ihrer nicht selten jahrelangen Aktivität im Umfeld des Beschuldigten bereits sein Vertrauen genießen, sodass weitere Bemühungen um eine Einschleusung in dessen Umfeld in der Regel entbehrlich sind.170 Ihr Einsatz ist in Bezug auf die geschaffene Legende mit dem Einsatz Verdeckter Ermittler vergleichbar, unterscheidet sich von dieser indes durch die fehlende amtliche Eigenschaft des Befragenden. Die gleiche Problematik betrifft Fallkonstellationen wie den oben beschriebenen „Zellengenossen-Fall“171, in dem eine Strafverfolgungsbehörde Private gezielt auf den Beschuldigten zur Gewinnung von selbstbelastenden Aussagen ansetzt, aber auch sogenannte „Hörfallen“. Im Rahmen solcher werden vermeintlich vertrauliche und telefonisch geführte Gespräche zwischen dem Beschuldigten und einem eingeweihten Privaten initiiert, die staatlicherseits mitgehört werden.172 169  So auch Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 27; LR-StPO/Gleß § 136 Rn. 12; Lagodny StV 1996, 167 (168 f.); Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 118. 170  Im Gemeinsamen Runderlass des Justizministers und des Innenministers NRW v.  17.02.1986 (JMBl. NW, S. 62) sind Vertrauenspersonen als Personen definiert, „die, ohne einer Strafverfolgungsbehörde anzugehören, bereit sind, diese bei der Aufklärung von Straftaten in der Regel auf längere Zeit vertraulich zu unterstützen, und deren Identität grundsätzlich geheim gehalten wird.“ definiert. Vergleichbare Regelungen finden sich auch für die anderen Bundesländer. Siehe auch Ellbogen, Die verdeckte Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden durch die Zusammen­ arbeit mit V-Personen und Informanten, S. 45 f. sowie zur polizeilichen Ausbildungsliteratur Keller, Verdeckte personale Ermittlungen, S. 18 f. 171  BGHSt 34, 362. 172  Vgl. BGHSt (GSSt) 42, 139.



C. Der Begriff der Beschuldigtenvernehmung65

Es liegt auf der Hand, dass der Kontakt zwischen dem Beschuldigten und einem privaten Dritten in aller Regel nicht als Vernehmung anzusehen ist, sodass eine Befragung des Privaten als Zeuge über das im Rahmen der Konversation erlangte Wissen grundsätzlich zulässig ist. Aus der konsequenten Anwendung des funktionalen Vernehmungsbegriffs folgt jedoch, dass die Einstufung des Kontakts als Vernehmung durchaus denkbar ist. Unerlässlich dafür ist jedoch, dass die Befragungssituation durch eine Ermittlungsbehörde veranlasst wurde, sodass die Selbstbelastung dem Staat zurechenbar ist. Ein mögliches Zurechnungskriterium kann der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) entnommen werden. In seiner wegweisenden Entscheidung „Allan v. The United Kingdom“173 führt der EGMR aus, dass eine Verletzung des Schweigerechts nicht voraussetzt, dass ein Vertreter der Ermittlungsbehörden selbst tätig wird. Vielmehr sei dem Staat das Tätigwerden eines Informanten dann zuzurechnen, wenn der Kontakt zwischen dem Informanten („state agent“) und dem Beschuldigten ohne das Eingreifen der Behörde so nicht zustande gekommen wäre.174 Das Gespräch zwischen beiden müsse sich als „funktionales Äquivalent einer staatlichen Vernehmung“175 darstellen. Eine exakte Übertragung des Urteils auf die hiesige Problematik – der EGMR geht augenscheinlich anders als die hier vertretene Auffassung davon aus, dass der Kontakt zwischen einem privaten Informanten und dem Beschuldigten keine Vernehmung sein kann  – scheidet zwar aus. Der Leitgedanke der Entscheidung ist gleichwohl übertragbar. So zieht der EGMR zur Bestimmung einer Verletzung des nemotenetur-Grundsatzes das Kriterium der Kausalität heran und rechnet dem Staat die Aussagesituation dann zu, wenn sein Einwirken condicio sine qua non für ihr Zustandekommen ist. Freilich muss beachtet werden, dass die Vernehmung durch Private eine Ausnahme bleiben muss und entsprechend strenge Anforderungen an ihr Vorliegen zu stellen sind. Diesem Bedürfnis nach Restriktion wird das bloße Kausalitätskriterium nicht gerecht. Würde man dieses nämlich für eine Zurechnung ausreichen lassen, wäre schon der Kontakt zwischen einem Privaten und dem Beschuldigten als Vernehmung anzusehen, den ein Ermittler durch eine beiläufige Äußerung herbeigeführt hat. Es bedarf daher zusätzlich einer subjektiven Zurechnungskomponente. Zu verlangen ist, dass die Ermittlungsbehörde den Kommunikationsvorgang zielgerichtet herbeigeführt hat; die Erlangung von selbstbelastenden Aussagen des Beschuldigten muss gerade der Zweck des Einsatzes des privaten 173  EGMR, Urt. v. 05.11.2002 – Az. 48539/99 (Allan v. The United Kingdom) = StV 2003, 257. 174  EGMR, Urt. v. 05.11.2002 – Az. 48539/99 (Allan v. The United Kingdom), Rn. 51 = StV 2003, 257 (259). 175  EGMR, Urt. v. 05.11.2002 – Az. 48539/99 (Allan v. The United Kingdom), Rn. 51 = StV 2003, 257 (259).

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Kap. 1: Vernehmung des Beschuldigten

Dritten sein. Nur dann kann davon ausgegangen werden, dass der Private gleichsam als „Agent des Staates“ im obigen Sinne, der als Hintermann die Befragungssituation planvoll lenkt, handelt.

IV. Ergebnis Aus alledem folgt, dass obgleich einer Ausuferung vorgebeugt werden muss, der Vernehmungsbegriff in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der im Schrifttum herrschenden Meinung zu restriktiv ausgelegt wird. Vielmehr ist eine Vernehmung als eine Befragungssituation im Rahmen eines Strafverfahrens zu verstehen, die dem Staat entweder durch das unmittelbare Tätigwerden einer Ermittlungsbehörde als Befragende, zumindest jedoch durch die zweckgerichtete Einwirkung auf einen privaten Dritten zur Erwirkung selbstbelastender Aussagen des Beschuldigten zuzurechnen ist. Eine solche im Vergleich zur herrschenden Meinung weite Lesart führt keineswegs zu einem konturlosen Vernehmungsbegriff, sondern ist Folge des Entlastungszwecks der Beschuldigtenvernehmung. Die Annahme, dass die „klassische“ offene Beschuldigtenvernehmung zu dem Zwecke durchgeführt werden soll, dem Beschuldigten rechtliches Gehör und die Gelegenheit zur Selbstentlastung zu gewähren – dies anerkennt auch die herrschende Meinung176 als Hauptzweck der Vernehmung(!)  –, eine verdeckte Befragung diesen Gesichtspunkt dagegen in Gänze ignorieren darf, um sich ausschließlich der Überführung des (nicht belehrten) Beschuldigten zu widmen, ist paradox und mit dem geltenden Recht nicht zu vereinbaren.

176  Vgl.

die Nachweise auf S. 39, Fn. 73.

Kapitel 2

Täuschung des Beschuldigten In Kapitel 1 wurden mit den Begriffsbestimmungen des Beschuldigten und der Vernehmung die Grundlagen der Anwendbarkeit der Vorschriften zur Beschuldigtenvernehmung herausgearbeitet. Des Weiteren bildet die Bestimmung des Zwecks der Beschuldigtenvernehmung ausschließlich als Gewährung rechtlichen Gehörs zur Selbstentlastung eine zentrale Erkenntnis für die rechtliche Bewertung täuschender Vernehmungsmuster. Im Folgenden soll sich dem Begriff der Täuschung schrittweise angenähert werden, um eine Definition herauszuarbeiten. Zu diesem Zwecke wird zunächst der Gegenstand betrachtet, auf den sich die Täuschung beziehen kann (A.), um im Anschluss die Art und Weise des täuschenden Verhaltens zu durchleuchten (B.) und endlich auf die hochumstrittene Fragestellung zu sprechen zu kommen, ob die Täuschung per definitionem ein kognitives oder gar ein voluntatives Element im Sinne einer bewussten bzw. absichtlichen Irreführung verlangt (C.).

A. Gegenstand der Täuschung Der Gegenstand der Täuschung kann höchst unterschiedlicher Natur sein. Anerkannt ist, dass sich die Täuschung auf Tatsachen (I.) sowie auf Rechtsfragen (III.) beziehen kann. Wenig Beachtung wurde bislang der Frage geschenkt, ob der Beschuldigte auch über Werturteile getäuscht werden kann (II.).

I. Täuschungen über Tatsachen In der Vernehmungspraxis stellen in aller Regel Tatsachen den Anknüpfungspunkt irreführenden Verhaltens dar.1 So wurden in der Rechtsprechung unzulässige Täuschungen in der Irreführung über die Existenz von Beweisen gegen den Beschuldigten2 sowie in der Vorspiegelung erblickt, dass der Beschuldigte in einer Vermisstensache vernommen werde, obwohl die Leiche auch Lindner, Täuschungen in der Vernehmung des Beschuldigten, S. 84. 35, 328; BGH StV 2017, 507; OLG Frankfurt StV 1998, 119; LG Freiburg StV 2004, 647. 1  So

2  BGHSt

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

bereits aufgefunden wurde.3 Obgleich anerkannt ist, dass die Irreführung über Tatsachen dem Täuschungsbegriff zu subsumieren ist,4 geht die Auslegung des Tatsachenbegriffs mit einigen Schwierigkeiten einher. 1. Grundlagen des Tatsachenbegriffs Es liegt nahe, eine Parallele zu der aus dem Betrugstatbestand bekannten Definition des Tatsachenbegriffs zu ziehen. In dessen Rahmen wird die Tatsache gemeinhin als Zustand, Ereignis oder Vorgang der Vergangenheit oder Gegenwart umschrieben, der dem Beweis zugänglich ist.5 Auf diese Definition wird ebenso bei der Auslegung anderer Straftatbestände zurückgegriffen, so zum Beispiel bei der üblen Nachrede und der Verleumdung (§§ 186, 187 StGB).6 Auch im Rahmen der Strafprozessordnung, wobei exemplarisch die Wiederaufnahmevorschrift des § 359 Nr. 5 genannt sei, wird die aus dem Betrugstatbestand bekannte Definition herangezogen.7 Der Begriff wird im Strafrecht und Strafverfahrensrecht von der herrschenden Meinung somit einheitlich verwendet.8 Insbesondere die Rechtsauslegung im Rahmen des Betrugstatbestands hat jedoch zunehmend zu einem konturlosen Tatsachenbegriff geführt.9 Die Definition der herrschenden Meinung grenzt den Tatsachenbegriff in zweifacher Hinsicht ein. Zum einen ist anerkannt, dass nur dann von einer Tatsache gesprochen werden kann, wenn der Zustand, das Ereignis oder der Vorgang beweisbar ist.10 Zum anderen soll Zukünftiges keine Tatsache darstellen können.11

3  BGHSt

37, 48. 35, 328; KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 19; LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 40; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 62; MK-StPO/Schuhr § 136a Rn. 38. 5  RGSt 24, 387 f.; RGSt 55, 129 (131); BeckOK-StGB/Beukelmann § 263 Rn. 3; Schönke/Schröder/Perron § 263 StGB Rn. 8; LK-StGB/Tiedemann § 263 Rn. 10; kritisch Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, S. 93 ff. 6  BGHSt 12, 287 (291); MK-StGB/Regge/Pegel § 186 Rn. 5; siehe auch mit an die Eigenheiten der Beleidigungsdelikte angepasster, im Kern aber gleicher Definition NK-StGB/Zaczyk § 186 Rn. 2 ff. 7  Eisenberg JR 2007, 360 (362). 8  Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, S. 114. 9  Naucke, Zur Lehre vom strafbaren Betrug, S. 111 f.; Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, S. 211. 10  BeckOK-StGB/Beukelmann § 263 Rn. 3. 11  Schönke/Schröder/Perron § 263 StGB Rn. 8. 4  BGHSt



A. Gegenstand der Täuschung69

a) Kriterium der Beweisbarkeit Mit dem Kriterium der objektiven Beweisbarkeit grenzt die Definition die Tatsache vom bloßen Werturteil ab. Umstände, denen ein wertendes Moment immanent ist, die durch ein Element der Stellungnahme geprägt sind, sollen nach herrschender Auffassung gerade nicht Gegenstand einer Täuschungshandlung sein können (siehe S. 74 f.).12 Die Abgrenzung zwischen Tatsachen und Werturteilen birgt immense Schwierigkeiten, die Grenzen sind bisweilen fließend.13 Kritisch wird angemerkt, dass eine Aussage über Tatsachen stets von subjektiven Wertungen geprägt ist.14 Auch die Anerkennung sogenannter innerer Tatsachen ging mitnichten mit einer Vereindeutigung der Rechtslage einher. Aus dem gefällten Werturteil eines Menschen folgt stets die innere Tatsache, dass die Person von dem Geäußerten überzeugt ist.15 Soweit präzisierend eine sinnliche Wahrnehmbarkeit gefordert wird,16 trägt dies ebenfalls nicht zur Minderung der Abgrenzungsschwierigkeiten bei. Zwar wird relativierend angemerkt, dass eine solche nicht bereits dadurch entfällt, dass „zur Sinnerfassung eines Zustandes geistige Schlussfolgerungen, Kenntnis von Regeln, Erfahrungssätzen, Wirkungszusammenhängen usw. erforderlich sind“.17 Befürworter eines dahingehenden Erfordernisses stoßen aber jedenfalls dann an die Grenzen der Wortlautauslegung, wenn innere Tatsachen als sinnlich wahrnehmbar bezeichnet werden. Da beispielsweise „Absichten, Ziele und Präferenzen“ gerade nicht beobachtet werden können, mangelt es an der mit sinnlicher Wahrnehmbarkeit einhergehenden Beobachtungsevidenz.18 Dies gilt – wie Bitzilekis eingehend darlegt19 – 12  BGH NJW 2004, 375 (379); BeckOK-StGB/Beukelmann § 263 Rn. 5; kritisch dagegen Bitzilekis FS Hirsch, S. 29 (30 f.). 13  Hennings, Teleologische Reduktion des Betrugstatbestands, S. 91; Schönke/ Schröder/Perron § 263 StGB Rn. 9. 14  So Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, S. 179 ff. 15  Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung, S. 96; Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, S. 95 m. w. N. 16  Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, S. 122; LK-StGB/ Tiedemann § 263 Rn. 10. 17  LK-StGB/Tiedemann § 263 Rn. 10; siehe dazu auch Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, S. 123 mit der zutreffenden Bemerkung, dass auch das Erfordernis der Verwendung technischer Hilfsmittel zur sinnlichen Wahrnehmbarkeit selbige nicht entfallen lässt. 18  So zu Recht Bitzilekis FS Hirsch, S. 29 (32); Freund, Normative Probleme der „Tatsachenfeststellung“, S. 3; a. A. Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, S. 124, der die gerichtliche Beweisbarkeit mit der sinnlichen Wahrnehmbarkeit gleichsetzt. 19  Bitzilekis FS Hirsch, S. 29 (32).

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

ebenso für naturwissenschaftliche Zusammenhänge, die oftmals nicht durch Beobachtung, sondern erst durch einen logischen Schluss aus Indizien erkannt und bewiesen werden können. Insofern überzeugt es nicht, wenn Hilgendorf von einer Deckungsgleichheit zwischen sinnlicher Wahrnehmbarkeit und gerichtlicher Beweisbarkeit spricht,20 stellt die sinnliche Wahrnehmbarkeit doch nur eine (wenn auch die üblicherweise herangezogene) Möglichkeit dar, einen gerichtlichen Beweis zu erbringen. Letzteres ergibt sich bereits aus dem in § 261 StPO niedergelegten Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung, nach dem der Tatrichter bei der Entscheidung der Schuldfrage (abgesehen von etwaigen Beweisverboten) unabhängig und frei von gesetz­ lichen Bestimmungen zu der für einen Schuldspruch erforderlichen persön­ lichen Gewissheit gelangen muss.21 Es liegt auf der Hand, dass eine Beschränkung der richterlichen Überzeugungsgewinnung auf die sinnliche Wahrnehmbarkeit diesem Grundsatz durch eine unzulässige und nicht erforderliche Einschränkung zuwiderliefe. Daher ist in der Literatur auch zunehmend nur noch von Wahrnehmbarkeit die Rede, die bereits dann vorliegen soll, wenn Fakten durch Anwendung von Erfahrungssätzen erschlossen werden können.22 Dehnt man das Kriterium der (sinnlichen) Wahrnehmbarkeit jedoch so weit aus, kann mangels Entscheidungserheblichkeit des Kriteriums von vornherein darauf verzichtet werden. Als maßgebliches Kriterium verbleibt also die Beweisbarkeit, wobei eine prinzipielle gerichtliche Beweisbarkeit gemeint ist.23 Es darf nicht unmöglich sein, dass ein Richter im Rahmen einer (hypothetischen) Beweisaufnahme von der Richtigkeit bzw. Falschheit des betreffenden Umstands überzeugt ist.24 Mit anderen Worten ist als Tatsache einzustufen, was wahr oder falsch sein kann.25 Diese Formulierung ermöglicht eine weitgehend präzise Abgrenzung zum Werturteil, dessen Richtigkeit durch richterliche Beweisaufnahme gerade nicht festgestellt werden kann.26

20  Hilgendorf,

Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, S. 124. 10, 208 (209); Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 85 ff.; MK-StPO/ Miebach § 261 Rn. 91; SK-StPO/Velten § 261 Rn. 5. 22  LK-StGB/Hilgendorf § 185 Rn. 4. 23  Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, S. 124 f. 24  Vgl. zum erforderlichen Grad der richterlichen Überzeugung BGH NStZ 1983, 277 sowie Walter, Freie Beweiswürdigung, passim. 25  Bitzilekis FS Hirsch, S. 29 (34). 26  RGSt 24, 387 (388); BGHSt 6, 357 (358 f.); KK-StPO/Krehl § 244 Rn. 3; MKStPO/Trüg/Habetha § 244 Rn. 21. 21  BGHSt



A. Gegenstand der Täuschung71

b) Zukünftige Zustände, Ereignisse und Vorgänge als Tatsachen Auf den ersten Blick erscheint es folgerichtig, Zukünftiges aus dem Tat­ sachenbegriff herauszunehmen, handelt es sich doch bei Tatsachen um Zustände, die entweder existent sind oder nicht.27 Zu ungewiss, von zu vielen Variablen abhängig erscheint die Zukunft, als dass ein noch nicht geschehenes Ereignis als existent bezeichnet werden könnte. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich diese Betrachtungsweise indessen als zu pauschal. Es bedarf keiner Diskussion über Determinismus und Indeterminismus, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass bestimmte Ereignisse unausweichlich sind. Dazu gehören existentielle Ereignisse wie der Tod eines Menschen ebenso wie der Sonnenaufgang am nächsten Morgen.28 Auch kalendarisch determinierte Ereignisse wie das Osterfest treten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein.29 Dies zweifeln selbstverständlich auch die Vertreter der herrschenden Meinung nicht an, die Zukünftiges per se nicht als Tatsache anerkennen wollen. Doch wird daraus nicht der Schluss gezogen, dass auch zukünftige Ereignisse und Zustände dem Tatsachenbegriff subsumiert werden können. Vielmehr wird Künftiges, wie etwa der unausweich­ liche Tod eines Menschen, als gegenwärtige Tatsache begriffen, selbst wenn das Ereignis möglicherweise noch Jahrzehnte in der Zukunft liegt.30 In Wahrheit handelt es sich bei dem Streit um die Qualifizierung zukünftiger Ereignisse, Zustände und Vorgänge als Tatsachen im Sinne des Gesetzes um eine Scheindebatte, die verschleiert, dass die Lösung des Problems an anderer Stelle zu verorten ist: bei der Frage nach der Beweisbarkeit. Es steht außer Frage, dass die Beweisführung hinsichtlich noch nicht eingetretener, im Einzelfall noch nicht einmal absehbarer Ereignisse mit erheblichen Schwierigkeiten einhergeht. Ist ein Ereignis bereits eingetreten oder läuft ein Vorgang gerade ab, so besteht stets die Möglichkeit, auch einen entsprechenden Beweis zu erbringen. Die Zukunft wird dagegen gerade von Ereignissen und Vorgängen beeinflusst, die gegenwärtig stattfinden oder sogar selbst noch gar nicht stattgefunden haben. 27  Vgl. Bitzilekis FS Hirsch, S. 29 (30). Gegen eine Einbeziehung wendet sich daher Sauer, Die Ehre und ihre Verletzung, S. 104. 28  Vgl. die Beispiele bei Bitzilekis FS Hirsch, S. 29 (37). Ausdrücklich gegen die Einordnung des täglichen Sonnenaufgangs als Tatsache argumentiert Sauer, Die Ehre und ihre Verletzung, S. 104 mit der Begründung, dass es sich stattdessen um eine „naturwissenschaftliche Erkenntnis“ handele. Eine derartige Differenzierung kann jedoch nicht überzeugen. Vielmehr begründet die naturwissenschaftliche Erkenntnis, dass die Sonne jeden Morgen aufgeht, die gleichlautende Tatsache. Daran kann die begrenzte „Lebensdauer“ einer naturwissenschaftlichen Theorie nichts ändern. 29  Schönke/Schröder/Perron § 263 StGB Rn. 8. 30  MK-StGB/Hefendehl § 263 Rn. 88; Schönke/Schröder/Perron § 263 StGB Rn. 8.

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

Wie dargelegt wurde, ist die gerichtliche Beweisbarkeit – das heißt die Möglichkeit des persönlichen Überzeugtseins des Richters – das maßgeb­ liche Kriterium des Tatsachenterminus. Diese ist bei Künftigem zwar schwieriger, unter anderem in den oben genannten Beispielen aber gerade nicht ausgeschlossen.31 Aus der Wortlautauslegung kann die Einschränkung also gerade nicht geschlussfolgert werden. Letztlich besteht auch kein Bedürfnis für den Ausschluss zukünftiger Ereignisse und Zustände aus dem Tatsachenbegriff. Vielmehr gebieten Sinn und Zweck des Täuschungsverbots die extensive Auslegung, um dem Rechtsschutzbedürfnis des Beschuldigten umfassende Geltung zu verschaffen.32 Die Vorschriften der §§ 136, 136a StPO dienen nach zutreffender allgemeiner Auffassung in erster Linie dem Schutz der Rechte des Beschuldigten, insbesondere dessen Aussagefreiheit.33 Um diesem Zweck Rechnung zu tragen, kann es richtigerweise nicht darauf ankommen, ob der Beschuldigte über Gegenwärtiges bzw. Vergangenes oder über Zukünftiges in die Irre geführt wird. Spiegelt der Vernehmende dem Beschuldigten vor, dass der Richter innerhalb der nächsten Tage einen Haftbefehl erlassen werde, wenn kein Geständnis abgelegt wird,34 handelt es sich um eine ebenso tiefgreifende Gefährdung der Aussagefreiheit wie in den oben dargelegten Fällen. Dies schließt eine abweichende Auslegung im Rahmen von Straftatbeständen wie § 263 Abs. 1 StGB nicht aus, da das mate­ rielle Strafrecht als ultima ratio restriktiv auszulegen ist. Jedenfalls für das strafprozessuale Täuschungsverbot, welches die Beschuldigtenrechte in den Fokus rückt, kommt eine zeitliche Differenzierung jedoch nicht in Betracht. 2. Innere Tatsachen Die Einbindung sogenannter innerer Tatsachen in den Tatsachenbegriff ist bei konsequenter Anwendung des Beweisbarkeitskriteriums folgerichtig.35 31  So formuliert MK-StGB/Hefendehl § 263 Rn. 75 zutreffend, dass Zukünftiges häufig nicht bewiesen werden kann. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass im Einzelfall eine Beweisführung gerade nicht ausgeschlossen ist. 32  So überzeugend Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 28 ff. sowie Ransiek, Die Rechte des Beschuldigten in der Polizeivernehmung, S. 68. 33  Siehe an dieser Stelle exemplarisch SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 4. 34  Dabei handelt es sich wie Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 29 ff. zutreffend feststellt weder um eine Täuschung über Rechtsfragen noch um eine Drohung. Das OLG Frankfurt hat in einem vergleichbaren Fall in ebenso überzeugender Weise eine Täuschung über eine gegenwärtige Tatsache in Form der Beweislage angenommen, StV 1989, 119 (120). 35  So die heute ganz h. M.: BGHSt 15, 24 (26); Fischer StGB § 263 Rn. 8; LRStPO/Gleß § 136a Rn. 40; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 62; LK-StGB/Tiedemann § 263 Rn. 12; Wessels/Hillenkamp/Schuhr, Strafrecht BT 2, Rn. 493.



A. Gegenstand der Täuschung73

Das (Nicht-)Vorliegen bestimmter psychischer Gegebenheiten (z. B. Absichten und Motive) ist dem gerichtlichen Beweis zugänglich,36 weshalb bereits das Reichsgericht das im preußischen Recht wurzelnde Tatsachenverständnis dahingehend modifizierte, dass auch innere Tatsachen erfasst werden.37 Die dagegen vereinzelt vorgebrachte Kritik vermag jedenfalls im Rahmen des strafprozessualen Tatsachenbegriffs nicht zu überzeugen. Insbesondere der von Naucke38 im Rahmen der Auslegung des Betrugstatbestands gerügte Verstoß gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG niedergelegte Gesetzlichkeitsprinzip kann allenfalls bei der Frage nach der Strafbarkeit eines irreführenden Verhaltens in Betracht gezogen werden, greift indes bei der Frage nach der Zulässigkeit irreführenden Vernehmungsverhaltens nicht durch. Denn wiederum führte ein Ausschluss innerer Tatsachen aus dem Schutzbereich des Täuschungsverbots zu einem Konflikt mit dem Zweck des Beschuldigtenschutzes. Führt man sich einen Fall vor Augen, in welchem dem Beschuldigten vorgespielt wird, dass ein etwaiger Mittäter die Absicht hege, ein umfassendes Geständnis abzugeben oder der Richter den Willen habe, bei einem Geständnis des Angeklagten lediglich eine Bewährungsstrafe zu verhängen, wird die Gefahr für die Aussagefreiheit des Beschuldigten allzu deutlich. Ebenso wie bei der Irreführung über äußere Tatsachen kann von einer freien Aussage nicht mehr die Rede sein, wenn dem Beschuldigten die (scheinbare) Aussichtslosigkeit weiteren Leugnens der Tat vor Augen geführt wird. Nicht nur spricht im Ergebnis also die Wortlautauslegung für eine Einbeziehung psychologischer Gegebenheiten in den Tatsachenbegriff. Auch der Schutz des Beschuldigten, dem das Täuschungsverbot dient, gebietet eine Erweiterung des Begriffs auf innere Tatsachen. Im Bereich des Vernehmungsrechts besteht freilich regelmäßig kein Bedürfnis für eine trennscharfe Abgrenzung zwischen inneren und äußeren Tatsachen. Im skizzierten Fall könnte man statt der Annahme einer in der Geständnisbereitschaft des Mitbeschuldigten liegenden inneren Tatsache auch schlicht eine Irreführung darüber erblicken, dass die Strafverfolger im Begriff sind, erdrückende Beweise gegen den Vernommenen zu gewinnen, mithin eine Täuschung über äußere Tatsachen.

36  Freilich gestaltet sich deren Beweis deutlich schwieriger als der Beweis äußerer Tatsachen, siehe Freund, Normative Probleme der „Tatsachenfeststellung“, S. 3 ff.; Hörnle NJW 2018, 1576 (1577); Hruschka FS Kleinknecht, S. 191. 37  RGSt 1, 305; vgl. zur Genese des Tatsachenbegriffs Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, S. 37 ff. 38  Naucke, Zur Lehre vom strafbaren Betrug, S. 214 f.

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

II. Irreführungen über Werturteile als Täuschungen Vor dem Hintergrund der Ausführungen zur Täuschung über Tatsachen mag die Überlegung, Werturteile als mögliche Anknüpfungspunkte einer Täuschung zuzulassen, widersprüchlich anmuten. Denn Werturteile stellen das Gegenstück zur objektiv beweisbaren Tatsache dar. Sie sind ausschließlich eine Frage des Meinens und des Dafürhaltens, weshalb sie so eng mit der sich äußernden Person verknüpft sind, dass eine Beurteilung nach den Maßstäben „wahr“ und „unwahr“ nicht denkbar ist.39 Eine Irreführung über die Wertung des Verhaltens des Beschuldigten, insbesondere der ihm vorgeworfenen Straftat, ist indessen denkbar und führt zudem zu einer vergleichbaren Interessenlage. Gemeint sind allen voran Vernehmungsmuster, die auf die Schaffung einer für den Beschuldigten scheinbar komfortablen Atmosphäre gerichtet sind, um so dessen Geständnis- oder zumindest Aussagebereitschaft zu erhöhen.40 So könnte der Vernehmende dem Beschuldigten gegenüber verständnisvoll begegnen, indem er ihm vorgaukelt, die begangene Tat sei nicht seine Schuld gewesen bzw. er habe moralisch richtig gehandelt. Schenkt der Beschuldigte diesen Ausführungen Glauben, kann sich seine Bereitschaft steigern, die Tat als eigene zuzugeben. Auch Lehrbücher für die polizeiliche Vernehmungspraxis weisen darauf hin, dass der Vernehmungsbeamte dem Beschuldigten gegenüber „Interesse“ zeigen und „Verständnis aufbringen“ soll41 und gehen sogar noch über diese Empfehlung hinaus. So sollen Polizeibeamte zur Erwirkung eines Geständnisses die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat „rationalisieren“ und „bagatellisieren“, indem sie beispielsweise erwähnen, dass die Tat lediglich „eine Verkettung von unglücklichen Umständen“ sei.42 Nun mag ein interessiertes und freundliches Auftreten noch nicht die Grenze zur unzulässigen Täuschung überschreiten. Spätestens aber wenn der Vernehmungsbeamte die Tat des Beschuldigten durch die gezielte Vorspiegelung von Verständnis beschönigt und marginalisiert, wird die Freiheit der Beschuldigtenaussage massiv beeinträchtigt.43 Ein juristisch nicht vorgebildeter Beschuldigter wird 39  BayObLG NStZ 2002, 40 f.; MK-StGB/Hefendehl § 263 Rn. 89; NK-StGB/­ Zaczyk § 186 Rn. 3. 40  Vereinzelt wird in der Wahrung einer störungsfreien Vernehmungsatmosphäre sogar ein wesentlicher Zweck des Täuschungsverbots erblickt, vgl. Krack NStZ 2002, 120 (122). 41  Weihmann/de Vries, Kriminalistik, Kap. 11 Rn. 142. 42  Weihmann/de Vries, Kriminalistik, Kap. 11 Rn. 150. 43  Ähnlich auch Rottenecker, Modelle der kriminalpolizeilichen Vernehmung des Beschuldigten, S. 119, der insb. bei besonders grausamen Taten ein „freundliches und verständnisvolles Auftreten des Vernehmungsbeamten“ als (i. Erg. jedoch zulässige) Täuschung ansieht.



A. Gegenstand der Täuschung75

nämlich davon ausgehen, dass seine Tat juristisch weniger schwer wiegt, wenn selbst ein oftmals als „Antagonist“ wahrgenommener Polizeibeamter Verständnis für das Geschehen aufbringt. Dennoch kann in der Irreführung über persönliche Wertungen des Vernehmungsbeamten keine Täuschung des Beschuldigten im Sinne der §§ 136 f. StPO gesehen werden. Der Beschuldigte hat nämlich keinen Anspruch auf eine wahrheitsgemäße Aussage hinsichtlich der Überzeugungen des Vernehmenden. Geht die Vorspiegelung von Verständnis dagegen soweit, dass dem Beschuldigten gegenüber seine Tat als weniger schwerwiegend dargestellt wird, kann im Einzelfall eine Täuschung über Rechtsfragen angenommen werden, denn dem Vernommenen wird der Eindruck vermittelt, dass seine Tat vor dem Gesetz milder bewertet wird.44 Doch selbst wenn eine Täuschung abgelehnt wird, muss ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO angedacht werden. Da die Vernehmung nämlich nur den Zweck verfolgen darf, dem Beschuldigten die Möglichkeit zur Darlegung entlastender Tatsachen zu gewähren, darf der Vernehmungsbeamte nicht etwa Verständnis vorspiegeln oder die Tat bagatellisieren, um die Bereitschaft des Beschuldigten zu einer selbstbelastenden Aussage zu wecken oder zu bestärken.

III. Täuschungen über Rechtsfragen Die Täuschung des Beschuldigten über Rechtsfragen stellt einen besonders intensiven Eingriff in die Rechte des Beschuldigten dar. Zwar hat dieser in jeder Verfahrenslage  – durch Gesetz vom 27. August 201745 nunmehr über die Verweisung in § 163c Abs. 4 Satz 3 StPO auf § 168c Abs. 1 und 5 StPO auch in der polizeilichen Vernehmung  – das Recht auf Anwesenheit eines Verteidigers, der die Einhaltung der strafverfahrensrechtlichen Regelungen zum Schutze des Beschuldigten überwachen kann. Beschuldigtenvernehmungen ohne rechtliche Vertretung dürften in der Praxis gleichwohl keine Selten44  Zutreffend Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 29. 45  Zweites Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts v. 27.08.2017 (BGBl. I 2017, S. 3295) vgl. dazu Burhoff ZAP 2017, 1079. Nach der Rspr. des BGH musste dem Wunsch des Beschuldigten auf Anwesenheit eines Verteidigers auch vor der Gesetzesänderung aufgrund seines Anspruchs auf ein faires Strafverfahren in der Regel entsprochen werden, siehe BGHSt 42, 15. Entgegen der in BGH NStZ 2005, 517 (518) vertretenen Argumentation, nach der eine Täuschung i. S. d. § 136a StPO u. a. infolge der steuerlichen Beratung des Angeklagten nicht vorliege, kann die rechtliche Vertretung eines Beschuldigten auch keinen weiteren Spielraum des Vernehmenden begründen.

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

heit sein. Umso bedeutsamer ist, dass sich der Beschuldigte der Geltung und Einhaltung klarer Regeln sicher sein kann. Anknüpfungspunkt der Irreführung des Beschuldigten in der Vernehmung können Rechtsfragen jeder Art sein. In der Rechtsprechung existieren zahlreiche Beispiele für Irreführungen über rechtliche Aspekte, wobei sich die Täuschung über Rechtsfragen in der Regel entweder auf die Rechtsstellung des Beschuldigten in der Vernehmung oder die aus dem Aussageverhalten des Beschuldigten gezogenen Schlüsse bezieht. So wurden unzulässige Täuschungen des Beschuldigten über Rechtsfragen in Fällen angenommen, in denen die Vernehmungsperson erklärte, den Beschuldigten treffe eine Aus­ sagepflicht,46 oder in denen dem Beschuldigten vorgespiegelt wurde, dass es sich schon gar nicht um eine Vernehmung handele, sondern vielmehr um eine Art „unverbindliches Vorgespräch“.47 Letztgenannte Fallgruppe gewinnt in jüngerer Zeit vor dem Hintergrund des zunehmenden Einsatzes verdeckt ermittelnder Personen an Bedeutung.48 Ferner sind Täuschungen über Rechtsfragen anzunehmen, wenn der Vernehmende Falschangaben zur rechtlichen Bewertung der Beschuldigtenaussage macht, etwa dass die Berufung auf das Schweigerecht vor Gericht als (partielles) Schuldeingeständnis gewertet werde49 oder umgekehrt, dass ein Geständnis zwingend eine Strafmilderung oder gar eine Strafaussetzung zur Bewährung zur Folge habe.50 In letzterem Fall muss zusätzlich zur verbotenen Methode des Versprechens eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils im Sinne des § 136a Abs. 1 Satz 3 Var. 2 StPO abgegrenzt werden. Die Frage, ob darunter jedes Inaussichtstellen eines Vorteils verstanden werden kann51 oder nur eine bindende Zusage als Versprechen angesehen werden kann,52 ist Gegenstand zahlreicher Dis46  OLG Oldenburg NJW 1967, 1096 (1098); Otto GA 1970, 289 (301). Zur umstrittenen Frage, ob bereits das bloße Verschweigen des Schweigerechts eine Täuschung (durch Unterlassen) darstellen kann vgl. S. 84 ff. 47  AG Delmenhorst StV 1991, 254; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 62. 48  Nach dem herrschenden formellen Vernehmungsbegriff fällt die Kommunikation mit genannten Personen von vornherein nicht unter das Täuschungsverbot. Lediglich nach dem weiten funktionellen Vernehmungsbegriff muss eine unzulässige Täuschung über Rechtsfragen diskutiert werden. Vgl. dazu auch Verrel FS Puppe, S.  1629 (1638 ff.). 49  LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 40; Wessels JuS 1966, 169 (171). Soweit das Schweigen des Beschuldigten verwertet werden darf, ist indes auch ein diesbezüg­licher Hinweis erlaubt, vgl. dazu eingehend Schneider NStZ 2017, 73 sowie ders. NStZ 2017, 126. 50  Der (insb. richterliche) Hinweis, dass ein Geständnis strafmildernd berücksichtigt wird, ist indes nach st. Rspr. zulässig, BGH StV 1999, 407, vgl. aber die Grenzen eines solchen Hinweises in BGH NStZ 2005, 393. 51  Grünwald NJW 1960, 1941. 52  BGHSt 14, 189 (191); SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 76.



A. Gegenstand der Täuschung77

kussionen, bedarf an dieser Stelle aber keiner Erörterung. Festzuhalten ist lediglich, dass das Versprechen einer Vorteilsgewährung, die de iure nicht möglich ist, zu einer Fehlvorstellung des Beschuldigten über Rechtsfragen führt, weshalb die verbotene Vernehmungsmethode des § 136a Abs. 1 Satz 3 Var. 2 StPO lediglich als Spezialfall der Täuschung anzusehen ist.53 Mit Einführung des gesetzlichen Anwesenheitsrechts des Verteidigers in der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung sind nunmehr auch Fälle denkbar, in denen selbiges trotz Wunsch des Beschuldigten auf anwaltliche Konsultation geleugnet wird.

IV. Ergebnis Die Täuschung des Beschuldigten kann an Tatsachen, Rechtsfragen sowie Werturteile anknüpfen. Der Täuschungsbegriff ist daher deutlich weiter als im Rahmen des materiellen Strafrechts zu verstehen, dessen Straftatbestände restriktiv auszulegen sind. Der Grund für diese extensive Auslegung ist im Sinn und Zweck des Täuschungsverbots zu verorten, der in dem Schutz des Beschuldigten vor unlauteren Vernehmungsmustern durch die Person des Vernehmenden und in der Garantie einer freien Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ der Aussage liegt. Dem Beschuldigten den strafprozessualen Schutz durch eine Eingrenzung der potentiellen Anknüpfungspunkte der Täuschung partiell zu versagen, stünde dazu im eklatanten Widerspruch. Aus diesem Grund sind auch die Anknüpfungspunkte selbst großzügig auszulegen, was beispielsweise bei der Anerkennung zukünftiger Ereignisse, Vorgänge und Zustände als Tatsachen deutlich wird. Etwaige Gründe für eine Beschränkung der Anknüpfungspunkte lassen sich insbesondere nicht dem Gesetzeswortlaut entnehmen.

53  So auch LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 19. In der Praxis kann von einer Differenzierung zwischen dem allgemeinen Täuschungsverbot und dem speziellen Verbot des Versprechens eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils in der Regel freilich abgesehen werden, da beide mit der gleichen Rechtsfolge einhergehen. Für den Beschuldigten kann die Annahme des § 136a Abs. 1 Satz 3 Var. 2 StPO unter Umständen von Vorteil sein, da dieser von den Gerichten (anders als das Verbot der Täuschung) nicht restriktiv ausgelegt wird.

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

B. Art und Weise der Täuschung I. Einführung 1. Täuschung als kommunikatives Verhalten des Vernehmenden Die Möglichkeiten, zur Beweiserlangung irreführend auf den Beschuldigten einzuwirken, sind nahezu grenzenlos.54 Wie die Ausführungen zum Gegenstand der Täuschung gezeigt haben, finden sich von falschen Äußerungen zur Beweislage,55 über die Nichtbelehrung über gesetzlich garantierte Beschuldigtenrechte bis hin zur Vorspiegelung einer engen freundschaftlichen Beziehung des Ermittlers zum Beschuldigten56 unzählige Beispiele in Praxis und Wissenschaft. Gemein ist diesen Verhaltensweisen, dass sie allesamt zu einer Fehlvorstellung beim Adressaten der Täuschung führen. Der Weg hin zu diesem „Erfolg“ der Täuschung ist jedoch jeweils ein unterschiedlicher. Eine ausschließlich rechtliche Betrachtung der Täuschung würde dem bei einer Irreführung von statten gehenden Prozess nicht gerecht werden. Stattdessen ist die Täuschung zunächst als das zu betrachten, was sie im eigent­ lichen Sinne ist: ein kommunikativer Akt.57 Die in der juristischen Literatur herangezogene Differenzierung zwischen verschiedenen Arten der Täuschung, beispielsweise die Unterscheidung zwischen ausdrücklicher und konkludenter Täuschung, mag zwar für die Rechtsanwendung praktikabel sein (weshalb auch im Rahmen der hiesigen recht­ lichen Ausführungen darauf abgestellt wird), suggeriert jedoch fälschlicher54  Vgl. die Ausführungen bei Ekman, Weshalb Lügen kurze Beine haben, S. 25 f.: „Es gibt zwei grundlegende Arten zu lügen: einerseits Verheimlichen, Weglassen wahrer Informationen, und andererseits Fälschen oder Präsentation falscher Informationen so, als seien sie wahr. Lügen kann man auch auf folgende Weise: Man kann eine falsche Fährte legen, eine Emotion zugeben, aber falsche Angaben über die Ursache der Emotion machen; die Wahrheit auf falsche Weise sagen, oder die Wahrheit zugeben, aber derart übertrieben oder komisch, daß das Zielobjekt uninformiert oder irregeleitet bleibt; etwas halb verheimlichen, oder nur einen Teil  der Wahrheit zugeben, so daß das Interesse des Zielobjekts von dem, was verheimlicht bleibt, abgelenkt wird; und auf solche Weise ausweichen, daß der andere eine falsche Schlußfolgerung zieht, oder die Wahrheit sagen, aber auf eine Weise, die das Gegenteil von dem impliziert, was gesagt wird.“. 55  BGHSt 35, 328; BGH StV 2017, 507; OLG Frankfurt StV 1998, 119; LG Freiburg StV 2004, 647. 56  LG Kiel, Urt.  v.  15.01.2010  – Az.  8  Ks  4/09; vgl. dazu Ostendorf FS Roxin, S. 1329. 57  Daher wird auch der Betrugstatbestand von der h. M. zutreffend als Kommunikationsdelikt eingestuft, vgl. Kasiske GA 2009, 360 (365); LK-StGB/Tiedemann § 263 Rn. 4 sowie mit umfassender Herleitung Mayer-Lux, Die konkludente Täuschung beim Betrug, S. 15 ff.



B. Art und Weise der Täuschung79

weise die Möglichkeit einer klaren Grenzziehung. Zu Recht wird in der nichtjuristischen Literatur aber darauf hingewiesen, dass die Täuschung keineswegs ein „singuläres Verhalten“ ist.58 Vielmehr findet die Täuschung wie jede Art kommunikativen Verhaltens auf verschiedenen Kommunikationskanälen statt. In der Psychologie und der Kommunikationswissenschaft ist die Rede von „multichannel reality“.59 Die bloße Aussprache der Unwahrheit wäre im Regelfall eben nicht geeignet, eine Fehlvorstellung hervorzurufen. Niemand würde einer Lüge Glauben schenken, die ohne Herstellung von Blickkontakt, in einer hohen Tonfrequenz und mit einem erhöhten Sprech­ tempo vorgetragen wird.60 Hinsichtlich der verschiedenen Kommunikationskanäle differenziert die Kommunikationswissenschaft zwischen dem verbalen Kanal, der Gesprochenes sowie Gesten umfasst, die eine unmittelbare verbale Bedeutung haben (z. B. das „OK-Zeichen“), und den nonverbalen Kanälen.61 In letztere lassen sich unter anderem paraverbale Botschaften (Tonfall, Tonhöhe der Stimme, Sprechgeschwindigkeit etc.) sowie visuelle Aspekte der Kommunikation wie Mimik und Gestik einordnen.62 Unabhängig davon, ob die Täuschung ausdrücklich oder konkludent erfolgt, bedient sich ein täuschender Vernehmungsbeamter mehrerer Kommunikationskanäle, wobei die ausdrückliche Täuschung als einzige Irreführung, bei der die Unwahrheit expressis verbis ausgesprochen wird, eine ausgeprägte verbale Komponente besitzt.63 Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die konkludente Täuschung nicht auch schwerpunktmäßig verbal erfolgen kann. In der Regel dürften nonverbale Kanäle jedoch eine größere Bedeutung spielen. Eine Besonderheit bildet die Täuschung durch Unterlassen (insb. durch Nichtaufklärung über Beschuldigtenrechte oder über beim Beschuldigten bestehender Irr­ tümer), die gänzlich ohne Verwendung des verbalen Kommunikationskanals auskommt. 58  Lukesch,

in: Müller/Nissing, Die Lüge, S. 87 (88). Language Sciences 1984, 307; Krämer/Sobieraj/Grundnig/Rösner, in: Blanz/Florack/Piontkowski, Kommunikation, S. 65 f. 60  Ein Anzeichen, welches allgemein zuverlässig eine Täuschung indiziert gibt es zwar nicht. Insb. belegen Studien, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Lüge ausschließlich anhand des Verhaltens zu erkennen, gerade einmal bei 47 %  – ein Wert, der auf einen bloßen Zufallsfund schließen lässt – liegt, siehe Frank/Svetieva, in: Hall/Knapp, Nonverbal Communication, S. 471 (492). Nichtsdestotrotz werden genannte Umstände als Hinweise auf eine Lüge bzw. Täuschung gewertet, vgl. dazu Ekman, Weshalb Lügen kurze Beine haben, S. 59, 69 ff., 75 ff. 61  Krämer/Sobieraj/Grundnig/Rösner, in: Blanz/Florack/Piontkowski, Kommunikation, S. 65 f. 62  Lukesch, in: Müller/Nissing, Die Lüge, S. 87 (88). 63  NK-StGB/Kindhäuser § 263 Rn. 108; LK-StGB/Tiedemann § 263 Rn. 24. 59  Poyatos

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

Im Ergebnis handelt es sich daher nicht bei jeder Täuschung um einen kommunikativen Akt. Diese Eigenschaft kommt ausschließlich der aktiven Täuschung zu. Dagegen stellt die Täuschung durch Unterlassen die Abwesen­ heit gebotener Kommunikation dar.64 Mit Blick auf die Vernehmung des Beschuldigten bedeutet dies, dass die aktive Täuschung die Kommunikation eines gesetzlich unstatthaften (weil den Beschuldigten irreführenden) Inhalts ist, während die Täuschung durch Unterlassen das Ausbleiben einer gesetzlich angeordneten Kommunikation ist. Insoweit ist die zu Beginn des Abschnitts aufgestellte These von der Täuschung als kommunikativem Akt ­lückenhaft. Vollständig muss es heißen: Die Täuschung ist ein gesetzlich unzulässiger kommunikativer Akt oder das Unterlassen eines gesetzlich gebotenen kommunikativen Akts. 2. Fehlvorstellung als psychische Reaktion des Beschuldigten: Unabhängigkeit des Täuschungsbegriffs vom Irrtumserfolg Zu einer Täuschung gehören in jedem Fall (mindestens) zwei Beteiligte: Täuschender und Getäuschter. Im ersten Schritt wirkt der Täuschende auf den zu Täuschenden ein, woraufhin im zweiten Schritt eine Reaktion des Adressaten auf die Täuschung erfolgt. Diese Reaktion ist in zweierlei Gestalt denkbar. Entweder schenkt der Adressat der Täuschung Glauben oder er durchschaut das irreführende Verhalten. Erstere Reaktion kann mit der Besonderheit auftreten, dass der Adressat, obwohl er den Ausführungen grundsätzlich glaubt, Zweifel an deren Richtigkeit hegt. In erster Linie ist die Resonanz des Getäuschten auf das irreführende Verhalten (mit anderen Worten die Frage nach dem Erfolg der Täuschung) keine Frage der Art und Weise der Täuschung. Die Täuschung bleibt per definitionem unabhängig davon eine Täuschung, ob sie zu einer Fehlvorstellung führt oder nicht.65 Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive folgt dies aus ihrer Eigenschaft als Individualverhalten.66 Doch auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Strafverfahrensrechts kann das Vorliegen einer Täuschung nicht an einen daraus entstehenden Irrtum geknüpft werden. Denn das Täuschungsverbot dient dem Schutze der Rechte und Interessen des Beschuldigten, indem es das Verhalten des Vernehmenden dahingehend steuern will, dass objektiv unrichtige Aussagen unterlassen und erforderliche 64  Abwesenheit von Kommunikation darf daher nicht dahingehend falsch verstanden werden, als dass der Vernehmende sämtliche Kommunikation unterlässt. Unterlassen wird lediglich die durch die Garantenstellung vorgeschriebene Kommunikation. 65  Zutreffend Walder, Die Vernehmung des Beschuldigten, S. 148 f. 66  Ungeheuer, Einführung in die Kommunikationstheorie, S. 82.



B. Art und Weise der Täuschung81

Aufklärungen vorgenommen werden. Von diesen Verpflichtungen abweichendes Verhalten des Vernehmenden soll durch das Täuschungsverbot jedoch nicht sanktioniert werden. Das an einen Verstoß geknüpfte Beweisverwertungsverbot stellt keine Bestrafung individuellen Fehlverhaltens dar, sondern bezweckt den Schutz der generalpräventiven Wirkung der gericht­ lichen Entscheidung (näher dazu S. 192 ff.). An dieser Stelle bedarf es daher auch keiner näheren Erörterung der psychologischen Reaktion des Beschuldigten auf ein täuschendes Verhalten von Vernehmungsbeamten. An gegebener Stelle wird jedoch die Frage zu klären sein, ob die nicht erfolgreiche, weil nicht zu einer Irreführung beim Beschuldigten führende, Täuschung zu einem Beweisverwertungsverbot führt und wie sich Zweifel des Beschuldigten an der Richtigkeit der Behauptungen des Vernehmenden auf die strafprozessuale Verwertbarkeit seiner Aussage auswirken (siehe S. 211 ff.).

II. Aktive Täuschung Die aktive Täuschung ist stets als Akt der Kommunikation seitens des Vernehmungsbeamten anzusehen, der sich diverse Kommunikationskanäle zur Irreführung des Beschuldigten zunutze macht. Je nach Einzelfall kann sich eine aktive Täuschung in vielerlei Gestalt zeigen und in einigen Fällen eine ausgeprägtere verbale Komponente beinhalten (ausdrückliche ­Täuschung), während andere aktive Täuschungen eher durch die Verwendung nonverbaler Zeichen geprägt sind (konkludente Täuschung).67 1. Ausdrückliche Täuschung Der Straftatbestand des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) sieht als Varianten des tatbestandsmäßigen Handelns unter anderem die Vorspiegelung falscher und die Entstellung wahrer Tatsachen vor. Es handelt sich um einen Versuch des Gesetzgebers, die aktive Täuschung zu umschreiben, wobei dessen Misslingen in der juristischen Literatur Konsens ist, was insbesondere mit der Überschneidung der Begehungsvarianten begründet wird.68 Laut Müncheberg bedeutet Vorspiegeln einer falschen Tatsache deren wahrheitswidrige 67  Wie oben gezeigt wurde, kann im Einzelfall eine konkludente Täuschung schwerpunktmäßig auf verbaler Ebene erfolgen, während sich ausdrückliche Täuschungen bisweilen durch eine überwiegend nonverbale Komponente auszeichnen. Da es sich dabei jedoch um Ausnahmen handelt, wird an dieser Stelle auf die herkömmliche Unterteilung abgestellt. Siehe dazu auch NK-StGB/Kindhäuser § 263 Rn.  108 f. 68  MK-StGB/Hefendehl § 263 Rn. 61; NK-StGB/Kindhäuser § 263 Rn. 57; Schönke/Schröder/Perron § 263 StGB Rn. 7; siehe auch Würtenberger, Das Kunstfälschertum, S. 89.

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

Behauptung, beispielsweise die Aussage des Vernehmenden, dass der Mittäter bereits gestanden habe, wohingegen das Entstellen einer wahren Tatsache in erster Linie durch das „Hinzufügen von falschen Zusätzen zum wirklich Vorhandenen oder durch Auslassungen“ erfolgen soll.69 Letzteres sei etwa anzunehmen, wenn dem Beschuldigten wahrheitsgemäß dargelegt wird, dass ein Verdächtiger bei der Tat gesehen wurde, dabei allerdings wahrheitswidrig behauptet wird, dass der Beobachtete eine besondere Auffälligkeit mit dem Beschuldigten (z. B. die gleiche Jacke) teile.70 Die von Müncheberg gewählten Beispiele verdeutlichen – wie er auch selbst feststellt71 – gerade nicht den Unterschied zwischen der Vorspiegelung und dem Entstellen von Tat­ sachen, vielmehr belegen sie die Unmöglichkeit einer Differenzierung. So kann im zweiten Beispielsfall das Hinzudichten der Jacke als Übereinstimmungsmerkmal zwischen dem beobachteten Verdächtigen und dem Beschuldigten ebenso als Vorspiegeln einer Tatsache in Gestalt des Tragens der blauen Jacke angesehen werden. Aus diesem Grund ist der Auffassung beizupflichten, die auf eine terminologische Unterscheidung zwischen der Vorspiegelung und dem Entstellen von Tatsachen verzichtet.72 Wie oben bereits ausgeführt wurde, ist jedes irreführende Verhalten des Vernehmenden als ausdrückliche Täuschung zu qualifizieren, das sich in erster Linie dem verbalen Kommunikationskanal bedient, indem die Unwahrheit expressis verbis geäußert wird. Denkbar sind nicht nur mündliche Äußerungen, sondern ebenso schriftliche Irreführungen,73 die wohlgemerkt ausschließlich im Bereich außerhalb der Vernehmung Relevanz erfahren dürften.74 Ohne Bedeutung für die Qualifizierung einer Äußerung als Täu69  Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S.  32 f. 70  Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S.  32 f. 71  Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 33. 72  Im Rahmen der materiell-strafrechtlichen Lit. ist dies nahezu anerkannt, siehe NK-StGB/Kindhäuser § 263 Rn. 57; Schönke/Schröder/Perron § 263 StGB Rn. 7 sowie Würtenberger, Das Kunstfälschertum, S. 89. Auch BGHSt 47, 1 (3) definiert die Täuschungshandlung abweichend vom gesetzlichen Wortlaut. Bemerkenswerterweise wird die Terminologie des Betrugstatbestandes trotz fehlender Notwendigkeit in der strafprozessualen Lit. deutlich öfter herangezogen, vgl. KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 19; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 60; MK-StPO/Schuhr § 136a Rn. 43 ff. und nicht zuletzt Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S.  32 f. 73  LK-StGB/Tiedemann § 263 Rn. 24. 74  Obgleich eine schriftliche Täuschung denkbar ist, dürfte sie regelmäßig nicht mit dem strafprozessualen Täuschungsverbot konfligieren. Die maßgeblichen Vorschriften der §§ 136, 136a StPO sind dem Wortlaut und der Systematik nach nämlich nur auf Vernehmungen anwendbar. Der Schriftverkehr zwischen Strafverfolgungsbe-



B. Art und Weise der Täuschung83

schung ist einerseits, welcher (unwahre) Inhalt vermittelt wird und andererseits, ob die Erklärung des Vernehmenden unklar und deshalb auslegungsbedürftig ist. Beides folgt aus der Maxime des Schutzes des Beschuldigten vor Beeinträchtigungen seiner Aussagefreiheit. Die Irreführung muss sich daher nicht auf einen für die Schuldfrage relevanten Umstand beziehen, sondern kann jegliche Tatsache, Werturteil oder Rechtsfrage zum Inhalt haben, die geeignet ist, den Beschuldigten zu einer ansonsten nicht vorgenommenen Aussage zu motivieren. Aus diesem Grund gehen auch Auslegungszweifel zulasten der Strafverfolgung. Bei mehr- und uneindeutigen Formulierungen darf das Risiko der Auslegung nicht auf den Beschuldigten abgewälzt werden. Im Zweifel muss eine Täuschung angenommen werden. 2. Konkludente Täuschung Konkludente Täuschungen stellen die zweite Variante aktiven Täuschens dar. Gemeint sind Verhaltensweisen des Vernehmenden, die dem Beschuldigten eine gewisse Aussage suggerieren, ohne dass diese tatsächlich ausgesprochen wird.75 Im Gegensatz zur ausdrücklichen Täuschung findet sich demnach eine abgeschwächte verbale Kommunikationskomponente, was wie bereits ausgeführt allerdings nicht bedeutet, dass die Täuschung durch schlüssiges Verhalten stets ohne Worte auskommt. Indes liegt auf den Worten des Vernehmenden nicht der Schwerpunkt des irreführenden Verhaltens. Die Fehlvorstellung entsteht vielmehr dadurch, dass der Beschuldigte aus diesen aufgrund einer offenen und suggerierenden Wortwahl die falschen Schlüsse zieht oder ein derartiges nonverbales Verhalten des Vernehmenden dahingehend interpretiert.76 Möglich ist beispielsweise, dass der Vernehmungsbeamte eine verschmutzte und wie ein Beweisstück aufbewahrte Pistole auf den Tisch legt und dem eines Tötungsdelikts unter Verwendung einer Schusswaffe Beschuldigten dadurch den Fund der Tatwaffe suggeriert.77 Deutet der Beschuldigte das Verhalten des Ermittlers in diesem Sinne, könnte ihn dies zu einem Wechsel der Verteidigungsstrategie dahingehend veranlassen, dass er nunmehr kooperiert, um von der strafmildernden Berücksichtigung eines hörden und dem Beschuldigten wird indes regelmäßig nicht als Vernehmung anzusehen sein. Zu denken ist hingegen an eine Verletzung des nemo-tenetur-Prinzips. 75  Mayer-Lux, Die konkludente Täuschung beim Betrug, S. 198 f. mit vorangehender ausführlicher Betrachtung des (betrugsspezifischen) Konkludenzterminus. 76  Mayer-Lux, Die konkludente Täuschung beim Betrug, S. 198, die konstatiert, dass es sich bei der konkludenten Täuschung aufgrund des erforderlichen „semantischen Schlusses“ um eine „indirekte bzw. mittelbare unwahre Behauptung“ handelt (Hervorhebung im Original). 77  Beispiel nach Lindner, Täuschungen in der Vernehmung des Beschuldigten, S. 107.

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

Geständnisses zu profitieren. Derartige suggerierende Verhaltensweisen des Vernehmenden müssen nicht zwangsläufig bewusst geschehen, sondern werden in der Praxis vielfach unbewusst erfolgen. Daher wird bei der konkludenten Täuschung in besonderem Maße die Frage nach dem Erfordernis eines Täuschungsbewusstseins als begriffsbestimmendes Merkmal relevant (siehe dazu insgesamt S. 107 ff.). Wohlgemerkt handelt es sich bei den gewählten Beispielen um eindeutige Fälle der konkludenten Täuschung. Bisweilen treten Fallkonstellationen auf, die eine Abgrenzung zur ausdrücklichen Täuschung kaum zulassen.78 Erklärt ein Polizeibeamter dem Beschuldigten im Rahmen einer Vernehmung, dass dieser in einer Vermisstensache vernommen werde, obwohl die Leiche des Opfers bereits gefunden wurde, wird stillschweigend mitkommuniziert, dass die Leiche eben noch nicht aufgefunden wurde.79 Je nach Verständnis der Täuschungshandlung könnte man jedoch ebenso überzeugend davon ausgehen, dass es sich um eine ausdrückliche Täuschung handelt. Die Auslegungsproblematik wird durch den Umstand abgemildert, dass eine klare Differenzierung zwischen ausdrücklichen und konkludenten Irreführungen nicht zwingend erforderlich ist. Anerkannt ist nämlich, dass beide eine Täuschung im Sinne der §§ 136, 136a StPO darstellen80 und daher auch in der Rechtsfolge gleich zu behandeln sind.

III. Täuschung durch Unterlassen: Verschweigen von Tatsachen und Beschuldigtenrechten 1. Grundlagen der Täuschung durch Unterlassen: Erfordernis einer Garantenstellung Semantisch betrachtet scheint der Begriff des Täuschens nicht notwendigerweise die Möglichkeit einer Täuschung durch Unterlassen, durch NichtHandeln herzugeben. Dem zur Umschreibung der Täuschung oftmals verwendeten „in-die-Irre-Führen“ scheint vielmehr ein aktives Moment innezuwohnen, das sich sprachlich nur schwer ausblenden lässt. Gleichwohl ist das Unterlassen als Begehungsweise der Täuschung zu Recht anerkannt.81 Der 78  Kindhäuser

FS Tiedemann, S. 579 (584) mit betrugsspezifischen Beispielen. 37, 48 (52 f.). 80  SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 60; MK-StPO/Schuhr § 136a Rn. 44. 81  BGHSt 39, 335 (348); Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 668; Hilland, Das Beweisgewinnungsverbot des § 136a StPO, S. 111 ff.; Lindner, Täuschungen in der Vernehmung des Beschuldigten, S. 111 ff.; Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 97 ff.; MK-StPO/Schuhr § 136a Rn. 41; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 60 m. w. N. 79  BGHSt



B. Art und Weise der Täuschung85

Schutzzweck des Täuschungsverbots gebietet nämlich eine extensive Auslegung, sodass es richtigerweise nicht darauf ankommen kann, ob dem Beschuldigten aktiv eine unrichtige Information übermittelt wird oder für ihn wesentliche Informationen nicht mitgeteilt werden. Gleichwohl muss zwischen der aktiven Täuschung und der Täuschung durch Unterlassen klar differenziert werden. Während der Beschuldigte kraft des im Entlastungszweck seiner Vernehmung wurzelnden Täuschungsverbots einen gesetzlichen Schutz vor jeglichen aktiven Irreführungen genießt, hat er keinen generellen Aufklärungs- und Informationsanspruch. Mit anderen Worten hat der Vernehmungsbeamte zwar grundsätzlich dafür einzustehen, dass von seiner Seite aus keine falschen Informationen mitgeteilt werden. Die Pflicht zur Kommunikation eines bestimmten tatsächlichen oder rechtlichen Inhalts trifft ihn indes nur dann, wenn er eine diesbezügliche Garantenstellung innehat.82 Im Ergebnis ist die Täuschung durch Unterlassen also an ungleich höhere Voraussetzungen geknüpft als die aktive Täuschung. Der Vernehmende haftet nur dann für einen Irrtum des Beschuldigten, wenn er gerade dafür einzustehen hat, dass eine bestimmte Fehlvorstellung beim Beschuldigten entweder gar nicht erst entsteht oder jedenfalls korrigiert wird, ihm also bestimmte, durch die Garantenstellung konkretisierte, Informationen zuteilwerden. 2. Abgrenzung zwischen aktiver Täuschung und Täuschung durch Unterlassen Die Täuschung durch Unterlassen ist das spiegelbildliche Gegenstück zur aktiven Täuschung. Während letztere eine gesetzlich unzulässige Kommunikation darstellt, wird die Täuschung durch Unterlassen durch die Nichtkommunikation eines gesetzlich zu kommunizierenden Inhalts gegenüber dem Beschuldigten charakterisiert. Die Abgrenzung beider Täuschungsvarianten hat sich an ebendiesem Merkmal zu orientieren. Ein Rückgriff auf die im materiellen Strafrecht diskutierten Kriterien des Energieeinsatzes83 und des Schwerpunkts der Vorwerfbarkeit84 ist nicht erforderlich und führte im Ein82  Das Erfordernis einer Garantenpflichtverletzung für die Annahme einer Täuschung durch Unterlassen ist in Rspr. und Lit. anerkannt, siehe Nachweise zuvor in Fn. 81. 83  So vertreten von Engisch FS  Gallas, S. 163 (170); ders., Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, S. 29; MK-StGB/Freund § 13 Rn. 9; in diese Richtung auch Roxin, Strafrecht AT  II, § 31 Rn. 78; Schlüchter JuS 1976, 793 (795); ablehnend unter Verweis auf die „Unergiebigkeit“ für die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen Kargl GA 1999, 459 (465 f.). 84  Vertreten von BGHSt 6, 46 (59); BGHSt 59, 292 (296 f.); Rengier, Strafrecht AT, § 48 Rn. 10; kritisch zur fehlenden Überprüfungsmöglichkeit der mit der Ansicht

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

zelfall überdies zu unrichtigen Ergebnissen, etwa wenn die Irreführung mittels nonverbaler Signale erfolgt oder dem Schweigen des Vernehmenden ein konkreter Erklärungsgehalt zuzuordnen ist. Vielmehr kommt es ausschließlich darauf an, ob dem Beschuldigten durch das Verhalten des Vernehmungsbeamten Informationen vermittelt werden, das heißt seinem Verhalten ein Erklärungswert beizumessen ist, und zwar unabhängig davon, ob dies auf dem verbalen oder auf dem nonverbalen Weg geschieht. Folge dieser Abgrenzungsmethode ist auch, dass ein Schweigen des Vernehmenden im Einzelfall als aktive Täuschung zu werten ist. Ein Widerspruch entsteht dadurch nicht. Schweigt der Vernehmende auf eine Weise, aus welcher der Beschuldigte einen konkreten inhaltlichen Schluss ziehen kann, hat der Vernehmungsbeamte konkludent einen Inhalt kommuniziert. Der Frage, ob dem Vernehmendenverhalten ein konkreter Erklärungswert innewohnt, ist für die Frage nach der Einstufung eines Verhaltens als Täuschung von essentieller Bedeutung. Denn wie dargelegt wurde, kann das Ausbleiben der Kommunikation seitens des Vernehmenden nur unter der zusätzlichen und überdies strengen Voraussetzung des Bestehens einer Garantenstellung, einer Pflicht zur Inhaltsvermittlung, angenommen werden. Für den Beschuldigten hat diese Unterscheidung eine maßgebliche Bedeutung, reicht sein gesetzlicher Schutz vor aktiven Irreführungen doch deutlich weiter als der vor unterlassener Kommunikation. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, bedarf es einer beschuldigtenfreundlichen Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen. Die Täuschung durch Unterlassen darf daher nicht mit der Abwesenheit verbaler Kommunikation gleichgesetzt werden. Vielmehr ist auch dann von einer aktiven Täuschung auszugehen, wenn dem Vernehmendenverhalten ein nur denkbar geringer Kommunikationsgehalt entnommen werden kann. Wiederum gilt, dass bei Abgrenzungszweifeln die Annahme einer aktiven Täuschung Vorrang vor einer Täuschung durch Unterlassen genießt. Besondere Relevanz erfährt diese Abgrenzung im Bereich der konkludenten Täuschung, deren Erklärungsgehalt oftmals nur schwer feststellbar ist. Platziert etwa der Ermittlungsbeamte während der Vernehmung eines wegen Unfallflucht nach einem Verkehrsunfall mit Personenschaden Beschuldigten neben sich die Todesanzeigen der lokalen Tageszeitung, hängt die Einstufung dieses Verhaltens als Täuschung maßgeblich davon ab, ob ihm der Erklärungsgehalt zu entnehmen ist, dass der durch den Verkehrsunfall Geschädigte seinen Verletzungen erlegen ist. Sofern man dies verneint, kann mangels Aufklärungspflicht keine Täuschung durch Unterlaserzielten Ergebnisse NK-StGB/Gaede Rn. 7 sowie zu der dem Richter dadurch zukommenden gesetzeswidrigen Kompetenz Puppe, Strafrecht AT, § 28 Rn. 2. Siehe zur Thematik auch umfassend Stoffers,  Die Formel „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ bei der Abgrenzung von Tun und Unterlassen?, passim.



B. Art und Weise der Täuschung87

sen angenommen werden.85 Deutlich wird die Abgrenzungsproblematik auch bei Ermittlungsmaßnahmen, die der Schaffung einer Legende bedürfen. Tritt ein Verdeckter Ermittler an den Beschuldigten heran, um diesem im Gespräch selbstbelastende Äußerungen zu entlocken, signalisiert er diesem durch sein bloßes Auftreten, dass der Kontakt nicht im Rahmen eines Strafverfahrens erfolgt. Dieser Erklärungsgehalt ist zwar marginal, freilich aber condicio sine qua non für den Erfolg des Ermittlereinsatzes, würde der Beschuldigte sein Wissen doch nicht preisgeben, wenn ihm die Verwendung seiner Aussagen zur Strafverfolgung bewusst wäre.86 Gleichwohl handelt es sich nicht um eine Täuschung durch Unterlassen, sondern um eine aktive Täuschung. 3. Aufklärungspflichten gegenüber dem Beschuldigten Ist im Ergebnis keine Informationsvermittlung, das heißt kein kommunikatives Verhalten des Vernehmenden zu erkennen, bedarf es also einer Einstandspflicht für die Irrtumsfreiheit des Beschuldigten. Besteht eine solche Garantenstellung des Vernehmenden, erwächst dem Beschuldigten hieraus ein Anspruch auf wahrheitsgemäße Information. Unter welchen Voraussetzungen eine Garantenstellung des Vernehmenden entsteht, wird in der Literatur und Rechtsprechung uneinheitlich bewertet. Zu unterscheiden ist zwischen Aufklärungspflichten über Rechtsfragen, zu denen allen voran die Aufklärung über das gesetzliche Schweigerecht des Beschuldigten nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zu zählen ist, sowie solchen über Tatsachen, insbesondere die Aufklärung über den Stand der Ermittlungen. Gerade letztere Aufklärungspflicht wird besonders kritisch hinterfragt, handelt es sich bei der Zurückhaltung von Informationen doch um eine effektive und nicht selten angewandte Methode zur Überführung des Beschuldigten.87 85  Aufgrund der umfassenden Aufklärungspflichten im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung, die, wie noch zu zeigen ist, auch eine vollständige Offenlegung aller Verdachtsmomente zu Beginn der Vernehmung verlangen (siehe  S. 95 ff.), bleibt die Abgrenzung zwischen aktiver Täuschung und Täuschung durch Unterlassen freilich oftmals ohne praktische Konsequenz. Im genannten Beispiel wäre das Platzieren der Todesanzeigen zwar, sofern man ihm keinen Erklärungswert beimisst, selbst keine Täuschung. Ob bei dem Verkehrsunfall eine Person zu Tode gekommen ist oder lediglich verletzt wurde, muss dem Beschuldigten freilich zu Beginn der Vernehmung mitgeteilt werden, sodass jedenfalls insoweit eine Täuschung durch Unterlassen anzunehmen wäre. 86  Daher ist der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers nicht nur unter dem Gesichtspunkt des einfachgesetzlichen Täuschungsverbots, sondern auch mit Blick auf das nemo-tenetur-Prinzip (siehe S. 155 ff.) kritisch zu hinterfragen. 87  Wulf, Fragen der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung, S. 173 stellt fest, dass bereits die Eröffnung des Tatvorwurfs in 74 von 100 beobachteten Fällen in gesetz-

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

a) Gesetzliche Aufklärungspflichten über Beschuldigtenrechte aa) Belehrungsvorschriften im Gefüge der Strafprozessordnung Zur Gewährleistung der Beschuldigtenrechte in der Vernehmungspraxis sieht das Gesetz Aufklärungspflichten vor. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der regelmäßig rechtsunkundige Beschuldigte in der Vernehmungssituation Gefahr läuft, sich durch sein Aussageverhalten in eine für das weitere Strafverfahren ungünstige Ausgangsposition zu bringen, etwa indem er trotz fehlender Pflicht gegen sich selbst aussagt.88 Eine solche Selbstbelastung soll nach dem verfassungsrechtlich garantierten nemo-tenetur-Grundsatz und dessen einfachgesetzlicher Konkretisierung89 des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO aber gerade nur dann erfolgen, wenn der Beschuldigte in dem Bewusstsein handelt, hierzu nicht verpflichtet zu sein.90 Dies lässt sich ebenfalls auf andere Aufklärungspflichten wie die Vorschrift des § 136 Abs. 1 Satz 2  a. E. StPO übertragen, der eine Aufklärung über das Recht auf Verteidigerkonsultation vorschreibt. Auch wenn viele der mittlerweile kodifizierten Aufklärungspflichten über Rechte informieren, die bereits seit Inkrafttreten der Strafprozessordnung im Jahr 1879 anerkannt sind, ist ein solch ausgeprägtes Aufklärungsregime keine Selbstverständlichkeit. Die Aufklärungspflicht über die Selbstbelastungsfreiheit etwa war bis 196591 nur in einer abgeschwächten lich unzulässiger Weise erfolgte. Die regelmäßige Verletzung dieser nach § 164a Abs. 4 Satz 1 StPO für die Verteidigung ganz maßgeblichen Aufklärungspflicht legt nahe, dass auch anderen Aufklärungspflichten oftmals nicht in der vom Gesetz vorgesehenen Weise Genüge getan wird. Dieser Gedanke wird auch von weiteren Beobachtungen Wulfs gestützt. So werde dem Beschuldigten in der Anfangsphase der Vernehmung oftmals die Überlegenheit der Beamten hinsichtlich Detailwissen über den Beschuldigten und die vermeintliche Tat demonstriert, vgl. S. 350 ff. Ein solches Wissensgefälle widerspricht dem der Vernehmungssituation zugrundeliegenden Gedanken der Gewährung einer Möglichkeit zur Verteidigung gegen die erhobenen Vorwürfe indes dadurch in eklatanter Weise, dass es eine effektive Verteidigung und damit die Gewährung rechtlichen Gehörs erschwert. 88  Auch der rechtskundige Beschuldigte ist nach zutreffender Ansicht – u. a. vertreten von BGHSt 47, 172 (173); SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 43; MK-StPO/Schuhr § 136 Rn. 26 m. w. N.  – vom personellen Schutzbereich der Vorschrift umfasst. Die Belehrungspflicht entfällt nicht deshalb, weil der Beschuldigte sein Recht ohnehin kennt. Isoliert davon zu betrachten ist aber die Frage nach der Verwertbarkeit der Aussage des nicht belehrten, jedoch von seinem Schweigerecht wissenden, Beschuldigten. Mangels Erfolgsunwerts ist die Verwertbarkeit der Aussage zu bejahen (vgl. dazu unten S. 211 ff.). 89  Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 105. 90  BGHSt (GSSt) 42, 139 (147); SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 43 mit diversen weiteren Nachw. 91  Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes v. 19.12.1964 (BGBl. I 1964 S. 1067), in Kraft getreten am 01.04.1965. Vgl.



B. Art und Weise der Täuschung89

Form gesetzlich vorgeschrieben. Verlangt wurde lediglich die Frage, ob der Beschuldigte etwas auf die Anschuldigungen erwidern möchte, nicht jedoch der ausdrückliche Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht. Eine Garantie, dass der Beschuldigte sich dadurch der Möglichkeit des Schweigens bewusst wurde, stellte die Frage jedenfalls nicht dar.92 Weitere bedeutsame Belehrungsvorschriften sind die Mitteilung über die Einleitung eines (Steuer-) Strafverfahrens nach § 397 Abs. 3 AO, die den Beschuldigten ebenfalls vor unwissentlichen Selbstbelastungen schützen soll,93 sowie Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK, nach dem ausländische Beschuldigte auf die Möglichkeit konsularischer Vertretung hinzuweisen sind. bb) Belehrungspflichten als Garantenpflichten Den Belehrungsvorschriften kommt im rechtsstaatlichen Strafverfahren eine überragende Bedeutung zu. Dies verdeutlicht nicht zuletzt ihre historische Entwicklung, die – wie das oben skizzierte Beispiel des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO verdeutlicht  – zunehmend zu einer Verschärfung des Wortlauts der gesetzlichen Normen geführt hat. Der Gesetzessystematik lässt sich dabei eine Abstufung verschiedener Aufklärungspflichten entnehmen. So gesteht die Strafprozessordnung dem Vernehmungsbeamten vereinzelt einen begrenzten Ermessensspielraum zu (Soll-Vorschriften), während die Vorschriften in anderen Fällen zwingend formuliert sind (Ist-Vorschriften). Es liegt auf der Hand, dass diese Unterteilung auch für die Frage, ob die Belehrungsvorschrift eine Garantenstellung des Vernehmenden begründet, von entscheidender Bedeutung ist. Sie stellt nämlich einen Indikator für die Bedeutung der jeweiligen Belehrung für die Rechtsposition des Beschuldigten dar. (1) Belehrungsvorschriften ohne Ermessensspielraum („Ist-Vorschriften“) In einigen Fällen ist der Gesetzeswortlaut zwingend formuliert, wodurch das Gesetz dem Vernehmungsbeamten einen selbständigen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Frage, ob der Beschuldigte belehrt wird, verwehrt. Der Beschuldigte ist darauf hinzuweisen, dass es ihm freisteht, sich zur Beschuldigung zu äußern oder zur Sache zu schweigen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO); er ist über seinen Anspruch auf Hinzuziehung eines notwendigen dazu die ausführlichen Untersuchungen von Kleinknecht JZ 1965, 112 sowie ders. JZ 1965, 153. 92  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 59. 93  Die Vorschrift soll eine klare Grenze zwischen Besteuerungsverfahren und Strafverfahren ziehen, um eine verdeckte strafrechtliche Ermittlung mit den Mitteln des Besteuerungsverfahrens zu verhindern, Peters DStR 2015, 2583 (2585).

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

Verteidigers zu belehren (§ 136 Abs. 1 Satz 2  a. E. StPO). Das Gesetz würdigt die mitzuteilenden Rechte als essentiell für die Verteidigung des Beschuldigten gegen die erhobenen Vorwürfe. Kein Beschuldigter darf einem Strafverfahren ohne Kenntnis dieser grundlegenden Rechte ausgesetzt werden. Zumal ein Ermessensspielraum Hand in Hand mit einer hohen Missbrauchsgefahr ginge und bereits die bloße rechtliche Möglichkeit einer Nicht-Belehrung den bösen Schein einer willkürlichen Unterlassung entstehen ließe, darf die Entscheidung nicht im Verantwortungsbereich der Strafverfolger liegen. Es soll von vornherein der Eindruck eines Antagonismus zwischen Strafverfolgung und Beschuldigtem vermieden werden. Damit haben die Belehrungsvorschriften eine doppelte Schutzrichtung: Sie garantierten dem Beschuldigten ein faires Strafverfahren und seine Rolle als Prozesssubjekt94 und schützen zudem das Ansehen der Strafverfolgung und somit auch die Akzeptanz etwaiger späterer Urteile in der Bevölkerung und beim Beschuldigten. Doch selbst angesichts dieser immensen Bedeutung, die den Belehrungsvorschriften ohne Ermessensspielraum durch die Strafprozessordnung beigemessen wird, besteht keine Einigkeit darüber, ob selbige stets eine Garantenstellung des Vernehmenden in Bezug auf die Irrtumsfreiheit des Beschuldigten begründen. Die Problematik kann anhand der Belehrung über die Aus­ sagefreiheit des Beschuldigten nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO exemplarisch dargestellt werden. Zwar ist anerkannt, dass ein ausdrückliches Leugnen der Aussagefreiheit als aktive Täuschung untersagt ist und die Rechtsfolge des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO auslöst.95 Anders verhält es sich jedoch in Bezug auf das schlichte Unterlassen der Belehrung, dessen rechtliche Würdigung Gegenstand eines über viele Jahre geführten Streits ist. Bereits die Frage, ob die Belehrungsvorschrift des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO geeignet ist, eine Einstandspflicht des Vernehmenden zu begründen, war lange Zeit nicht anerkannt. Nach ehemals vertretener Auffassung des Bundesgerichtshofs sollte sie lediglich den Charakter einer Ordnungsvorschrift innehaben, deren Nichteinhalten ohne Auswirkungen auf die Verwertbarkeit der in der nachfolgenden Vernehmung getätigten Beschuldigtenaussage bleibt.96 Ein derartiges Verständnis des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO konnte freilich zu keinem Zeitpunkt überzeugen und wurde daher aus den Reihen des Schrifttums mit heftiger Kritik bedacht.97 Dass sich die Argumentation 94  SK-StPO/Rogall

§ 136 Rn. 1. Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, S. 106 f. 96  BGHSt 22, 170 (173 ff.). 97  Die Auffassung beruhte wohl auf dem bis zum Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes v. 19.12.1964 (BGBl. I 1964 S. 1067) geltenden Wortlaut, dem zufolge der Beschuldigte zu Beginn der Verneh95  Verrel,



B. Art und Weise der Täuschung91

des Bundesgerichtshofs ohnehin auf die Berücksichtigung der Belange einer handlungsfähigen Strafrechtspflege herunterbrechen ließ,98 zeigte sich schließ­­lich in BGHSt 31, 395, in dem das Gericht eine Abkehr von der eigenen Überzeugung andeutete und insoweit ausführt, dass „Fassung und Zweck“ des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO eine zwingende Vorschrift nahelegen.99 Gleichwohl lehnte das Gericht ein Verbot der Verwertung von ohne vorige Belehrung getätigter Aussagen unter Verweis darauf ab, dass ein Verwertungsverbot dem Strafverfolgungsinteresse zuwiderliefe.100 Eine auf das Strafverfolgungsinteresse abstellende Begründung verkennt freilich, dass der historische Gesetzgeber jenes Interesse durch die Schaffung der Belehrungsvorschrift bewusst hinter den Beschuldigteninteressen hat zurücktreten lassen. Es liegt auf der Hand, dass eine folgenlose Nichtbelehrung der Strafverfolgung zuträglich wäre. Auf diesen Effektivitätsgewinn verzichtet die Rechtsordnung jedoch, indem sie die Entscheidung über die Mitwirkung in die Hände des individuellen Beschuldigten legt (näher dazu S. 146 ff.). Letztlich ist die Beeinträchtigung der Rechtspflege ohnehin marginal. Ein Unterlassen der Belehrung kann im späteren Verfahren durch die Vornahme einer qualifizierten Belehrung und eine anschließende ordnungsgemäße Vernehmung regelmäßig geheilt werden (siehe S. 224 f.). Der Bundesgerichtshof hat schließlich seinen Widerstand gegen die Kritik der Literatur aufgegeben und sich in BGHSt 38, 214 der Auffassung angeschlossen, dass die Aussage des Beschuldigten unverwertbar ist, wenn dieser vorher nicht ordnungsgemäß über sein Schweigerecht belehrt worden ist.101

mung lediglich gefragt werden sollte, ob er etwa auf die Anschuldigung erwidern wolle. Diese Frage war zwar nicht hinreichend geeignet, das Wissen des Beschuldigten um seine Aussagefreiheit zu garantieren. Daraus folgt jedoch nicht, dass es sich nicht um eine zwingende Frage handeln sollte, deren Unterlassen folgenlos bleibt. Auch nach der Wortlautänderung hielt der BGH zunächst mit der zweifelhaften Argumentation an seiner Auffassung fest, dass der Gesetzgeber den zwingenden Charakter der Belehrung deutlich hätte kennzeichnen müssen, etwa durch die Kodifizierung eines Verwertungsverbots im Falle des Unterlassens (BGHSt 22, 170 [175]; in diese Richtung argumentiert auch BGHSt 31, 395 [399]). Der BGH überging dabei, dass der StPO die ausdrückliche Statuierung von Beweisverwertungsverboten grds. fremd ist. Die Existenz des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO kann dem nicht entgegengehalten werden. Die Vorschrift dient lediglich der Feststellung, dass die Verwertbarkeit vom Willen des Beschuldigten unabhängig zu beurteilen ist. Keinesfalls folgt daraus e contrario, dass Rechtsverletzungen nicht zur Unverwertbarkeit führen, sofern dies nicht ausdrücklich im Gesetz angeordnet wird. 98  So i.  Erg. zu Recht Geppert FS Oehler, S. 323 (337) und SK-StPO/Rogall Vor § 133 Rn. 186. 99  BGHSt 31, 395 (399). 100  BGHSt 31, 395 (400). 101  BGHSt 38, 214 (220 ff.).

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

Im Ergebnis lässt sich also festhalten, dass nach langer Diskussion die Natur des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO als zwingendes Recht anerkannt ist. Stellvertretend für alle Belehrungsvorschriften ohne Ermessensspielraum muss daher gelten, dass sie eine Garantenstellung des Vernehmenden für die Irrtumsfreiheit des Beschuldigten in Bezug auf die aufzuklärende Tatsache oder Rechtsfrage begründen. Die Einstufung einer unterlassenen Belehrung als Täuschung kann daher richtigerweise nicht mehr a priori ausgeschlossen werden. Entgegengehalten werden kann dem insbesondere nicht, dass sich der Konzeption der Strafprozessordnung nicht die Unverwertbarkeit der nachfolgenden Aussage nach § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO entnehmen lässt.102 Eine dahingehende Argumentation unterliegt einem Zirkelschluss, denn sofern das Unterlassen als Täuschung zu qualifizieren wäre, ergäbe sich die Rechtsfolge eben doch ausdrücklich aus der gesetzlichen Systematik. Richtigerweise entscheidet sich die Frage, ob das versehentliche Unterlassen einer zwingenden Belehrung als verbotene Täuschung anzusehen ist, nicht am Erfordernis einer Garantenstellung. Es kann nämlich kein ernstlicher Zweifel daran bestehen, dass aus den gesetzlichen Belehrungsvorschriften ohne Ermessensspielraum eine rechtliche Handlungspflicht erwächst, die über eine bloße sittlich-moralische Verpflichtung hinausgeht. Gleichwohl eine Garantenstellung des Vernehmenden zu negieren, wäre vor diesem Hintergrund, über den seit der Rechtsprechungsänderung weitgehend Einigkeit besteht, inkonsequent. Entscheidend ist vielmehr die im Folgenden noch zu erörternde subjektive Komponente der Täuschung (siehe dazu S. 107 ff.). Ginge man mit der herrschenden Meinung davon aus, dass eine Täuschungsabsicht bzw. ein Täuschungsbewusstsein begriffskonstituierendes Merkmal einer Täuschung darstellt, läge in dem versehentlichen Unterlassen der Aufklärung ohnehin keine Täuschung, sodass sich das Vorliegen eines Verwertungsverbots auch nicht nach § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO, sondern nach den allgemeinen Regeln richtete. Dabei handelt es sich freilich um eine von der Voraussetzung der Garantenpflicht strikt zu trennende Problematik. Sofern im Einzelfall die Absicht, den Beschuldigten durch das Unterlassen der Belehrung über seine Rechte im Dunkeln zu lassen, nachweisbar ist, kann auch die herrschende Meinung nicht mehr bestreiten, dass darin eine Täuschung durch Unterlassen liegt. Die Garantenstellung des Vernehmenden beschränkt sich nicht auf die bloße Pflicht, die Aufklärung formal vorzunehmen. Der Beamte hat dafür Sorge zu tragen, dass der Beschuldigte die Belehrung auch versteht und aus ihr die richtigen Schlüsse zieht.103 Dabei ist auf die individuellen kognitiven, 102  So aber LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 42. Eine ähnliche Begründung findet sich bei KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 21 sowie bei BeckOK-StPO/Monka § 136a Rn. 19. 103  SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 45; siehe auch ders., Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 190 f.



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psychischen und sonstigen Eigenschaften des Beschuldigten Rücksicht zu nehmen. Dem trägt das Gesetz unter anderem durch die in § 163a Abs. 5 StPO i. V. m. § 187 GVG niedergelegte Pflicht, einem sprachunkundigen Beschuldigten einen Dolmetscher auf Kosten des Staates zu stellen, Rechnung.104 Aber auch die intellektuellen Fähigkeiten des Beschuldigten müssen bei der Belehrung Berücksichtigung finden. So sollte sich der Belehrende zwar grundsätzlich am Wortlaut des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO orientieren. Dies entbindet ihn jedoch nicht von der Pflicht, im Einzelfall die Belehrung in eigenen Worten zu erklären.105 Daher wäre auch ein Hinweis über die Verwertungsmöglichkeit der Beschuldigtenaussage im weiteren Strafverfahren wünschenswert.106 Oberste Prämisse ist nicht die Vornahme der Belehrung als bloße Formalität, sondern das Verständnis des Beschuldigten für die Folgen seines Rechts.107 Daher ist auch eine nicht ordnungsgemäße Belehrung als Verstoß gegen die gesetzliche Aufklärungspflicht (scil. Garantenpflicht) anzusehen, die in ihrer Folge eine Täuschung durch Unterlassen begründet. Richtigerweise kann es keinen Unterschied machen, ob der Vernehmende überhaupt nicht oder unzureichend aufklärt. Die Interessenlage ist in beiden Fällen vergleichbar, ist der Beschuldigte doch jeweils nicht (hinreichend) über seine strafprozessualen Rechte im Bilde. Abseits offensichtlicher Pflichtverletzungen wie des Unterlassens der Hinzuziehung eines Dolmetschers bei einem sprachunkundigen Beschuldigten kann die Abgrenzung zwischen ordnungsgemäßer und pflichtwidriger Belehrung in der Praxis freilich Schwierigkeiten bereiten. Da im Zweifelsfall die Interessen der Strafverfolgung hinter die Beschuldigtenrechte zurückzutreten haben, sollte die Vernehmung möglichst dokumentiert werden, um später den Nachweis einer ordnungsgemäßen Belehrung führen zu können. Der zum 01. Januar 2020 in Kraft getretene § 136 Abs. 4 StPO,108 der die Videoaufnahme der Beschul104  Die mit Änderungsgesetz v. 27.08.2017 eingeführte Verweisungsvorschrift des § 163a Abs. 5 StPO ist eine unmittelbare Reaktion auf die Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.10.2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren (ABl. 2010 Nr. L 280, S. 1), vgl. dazu MK-StPO/Schuhr § 136 Rn. 27 sowie Yalçin ZRP 2013, 104. 105  In diesem Sinne auch BGH, Urt. v. 29.04.2010 – 3 StR 63/10, Rn. 13, der das Wissen des Beschuldigten um seine Aussagefreiheit als Ziel der Aufklärung hervorhebt und nicht die strenge Verwendung des gesetzlichen Wortlautes. 106  Freilich kann dies de lege lata nicht vom Vernehmenden verlangt werden. Eine entsprechende Änderung des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO hält SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 45 für „überlegenswert“. Vgl. zum US-amerikanischen Vorbild der nach dem Verfahren Miranda v. Arizona (1966), 384 U.S. 436 benannten Miranda-Warning Sal­ ditt GA 1992, 51 und Wittmann JZ 2014, 105. 107  BGH, Urt. v. 29.04.2010 – 3 StR 63/10, Rn. 13. 108  Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Jugendstrafverfahren v. 09.12.2019 (BGBl. I 2019, S. 2146).

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

digtenvernehmung ermöglicht, ist insoweit ein Schritt in die richtige Richtung, wenngleich die Beschränkung der obligatorischen Videoaufzeichnung auf Vernehmungen von eines vorsätzlichen Tötungsdelikts Beschuldigten bzw. in seinen geistigen Fähigkeiten oder unter einer seelischen Störung ­leidenden Beschuldigten nicht geeignet ist, jegliche Verletzung von Beschuldigtenrechten in der Praxis zu verhindern. De lege ferenda ist die Aufzeichnungspflicht daher auf sämtliche Beschuldigtenvernehmungen auszuweiten.109 (2) Belehrungsvorschriften mit Ermessensspielraum („Soll-Vorschriften“) Neben den Belehrungsvorschriften ohne Ermessensspielraum kennt das Gesetz Vorschriften, die dem Vernehmenden bestimmte Beschuldigtenrechte darlegen, über die im Normalfall aufzuklären ist. Diese sogenannten „SollVorschriften“ zeigen den Idealzustand der Vernehmung auf, in welcher der Beschuldigte über sämtliche ihn betreffenden Rechte und Pflichten im Bilde ist. Gleichwohl trägt das Gesetz den Interessen der Strafverfolgung dadurch Rechnung, dass ihr hinsichtlich bestimmter Aufklärungspflichten ein begrenzter Ermessensspielraum gewährt wird. Dies darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass der Vernehmende in seiner Entscheidung gänzlich frei ist. Vielmehr verlangt das Gesetz von ihm auch hier die Vornahme der Belehrung, soweit nicht ein „atypischer Sonderfall“ vorliegt.110 Gleichwohl kann nicht die Rede davon sein, dass diese Soll-Vorschriften grundsätzlich eine Garantenpflicht des Vernehmenden begründen, sodass ein Unterlassen der Belehrung regelmäßig keine Täuschung durch Unterlassen darstellen wird. Dies gilt nicht nur für die ermessensfehlerfreie Nicht-Belehrung, sondern auch für den Fall, dass sich der Vernehmende ermessensfehlerhaft gegen die Belehrung des Beschuldigten entscheidet. Indem das Gesetz den Strafverfolgern nämlich überhaupt einen Entscheidungsspielraum gewährt, macht es deutlich, dass die Kenntnis entsprechender Rechte durch den Beschuldigten nicht condicio sine qua non für ein rechtsstaatliches Strafverfahren ist. So berührt etwa das Unterlassen der Belehrung über die Möglichkeit eines TäterOpfer-Ausgleichs nach § 136 Abs. 1 Satz 6 Var. 2 StPO selbst im Falle einer pflichtwidrigen Unterlassung nicht die Stellung des Beschuldigten als Verfahrenssubjekt. Entscheidend gegen die Einstufung als Garantenstellung spricht zudem, dass eine fehlerbehaftete Ermessensentscheidung nicht rückwirkend eine Handlungspflicht des Vernehmenden begründen kann. Fehlt es 109  Die Bewährung der Videoaufzeichnung soll fünf Jahre nach Inkrafttreten des § 136 Abs. 4 StPO evaluiert werden, wobei im Rahmen der Evaluation auch eine Ausweitung auf sämtliche Beschuldigtenvernehmungen geprüft werden soll, vgl. BTDrucks. 18/11277, S. 24. 110  Vgl. BVerfGE 119, 331 (352).



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aber an einer Handlungspflicht zur Belehrung, kann auch keine Garantenstellung angenommen werden. Ausnahmslos gilt dies indessen nicht. Im Einzelfall kann das Ermessen des Vernehmenden durch Hinzutreten besonderer Umstände derart verringert werden, dass dieses auf Null reduziert wird. Freilich geht dies Hand in Hand mit einer erhöhten Rechtsunsicherheit, da der Vernehmende in der Regel kaum zu erkennen in der Lage sein wird, dass sein Ermessensspielraum eingeschränkt ist. Angenommen werden kann eine Ermessensreduzierung auf Null daher nur in offensichtlichen Ausnahmekonstellationen, etwa wenn sich der Beschuldigte erkennbar in einem Irrtum befindet. Abseits dessen ist eine Ermessensreduzierung auf Null kaum denkbar. Mindestvoraussetzung wäre jedenfalls die Erkennbarkeit der besonderen Situation für den Vernehmungsbeamten. b) Gesetzliche Aufklärungspflichten über Tatsachen Der Aufklärung des Beschuldigten über Tatsachen wird in der Rechtsprechung und Literatur nicht annährend so eine große Aufmerksamkeit geschenkt, wie der rechtlichen Aufklärung, was wohl in erster Linie Folge des Bildes der gezielten Zurückhaltung von Ermittlungsergebnissen als taugliche und statthafte, bisweilen sogar moralische,111 Methode zur Erlangung von selbstbelastenden Äußerungen ist, das mit dem Bewusstsein fehlender rechtlicher Problematik einhergeht. Die Strafprozessordnung regelt expressis verbis lediglich in § 136 Abs. 1 Satz 1 die Pflicht, dem Beschuldigten bei Beginn der Vernehmung zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird und bleibt damit äußerst vage. Die Pflicht zur Eröffnung des Tatvorwurfs kann bei isolierter Betrachtung des Wortlauts ohne Weiteres dahingehend interpretiert werden, dass nur die vorgeworfene Tat, nicht jedoch die Gründe für den Tatverdacht mitgeteilt werden. So sieht es auch die herrschende Meinung, die die Anforderungen, an denen sich die Aufklärung nach § 136 Abs. 1 Satz 1 StPO messen lassen muss, niedrig hält – über eine bloße Skizzierung des vorgeworfenen Sachverhalts, eine Eröffnung „in groben Zügen“ hinaus komme dem Vernehmenden 111  So verweist Nowrousian NStZ 2015, 625 (628) darauf, dass die Lüge zur „Überführung eines Straftäters, also eines Menschen, der vorsätzlich das Recht gebrochen“ hat, moralischer sein kann als die Wahrheit. Nicht nur wird dadurch die in ethischer Hinsicht keineswegs abgeschlossene Debatte grob verkürzt. Vielmehr drängt sich auch der Konflikt dieser Argumentation mit der Unschuldsvermutung geradezu auf. Im Übrigen denke man nur an die bisweilen stark heroisierende Darstellung von den Beschuldigten durch die Verwickelung in Widersprüche überführenden Strafverfolgern in den Medien.

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

keine Mitteilungspflicht zu.112 Zwar wird anerkannt, dass eine partielle Vorenthaltung des bereits ermittelten Sachverhalts nicht statthaft ist. So hat der Bundesgerichtshof beispielsweise deutlich gemacht, dass es unzulässig ist, dem einer Körperverletzung Verdächtigen den Tod des Opfers vorzuenthalten.113 Der Begriff der Tat könne aber nicht dahingehend verstanden werden, dass der Vernehmende verpflichtet wäre, dem Beschuldigten die bereits ermittelten Beweismomente offenzulegen.114 Mitteilungspflichtig sei ausschließlich die Frage, was dem Beschuldigten vorgeworfen wird, nicht wa­ rum. Die Verfechter der Ansicht berufen sich dabei auch auf den Telos der Norm, der in der Verhinderung der Befragung des Beschuldigten, der nicht einmal weiß, wogegen er sich verteidigen muss, liegt.115 Dem werde aber bereits dadurch hinreichend vorgebeugt, dass dem Beschuldigten der Sachverhalt in groben Zügen mitgeteilt wird.116 Ob über die grobe Eröffnung des Tatvorwurfs hinaus eine Mitteilung der Verdachtsmomente aus § 136 Abs. 1 Satz 1 StPO gefolgert werden kann, kann freilich dahinstehen. Denn die Mitteilung des Ermittlungsstandes muss sich jedenfalls an der Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO messen lassen, nach der die Vernehmung dem Beschuldigten die Gelegenheit geben soll, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen, und die damit den Zweck der Beschuldigtenvernehmung ausschließlich als Mittel zur Selbstentlastung kodifiziert, einer grundsätzlichen Verwendung der Beschuldigtenaussage als Beweismittel gleichwohl nicht entgegensteht (siehe oben S. 38 ff.). Die Vernehmung kann ihrem Zweck nur im Falle einer offenen Kommunikation sämtlicher belastender Beweise und Indizien vor ihrem Beginn gerecht werden, da sich der Beschuldigte nur dann adäquat gegen die ihn belastenden Verdachtsmomente verteidigen kann, wenn ihm diese bekannt sind. Aus diesem Grund hat der Vernehmende zu Beginn der Beschuldigtenvernehmung sämtliche den Tatverdacht begründenden Umstände offenzulegen; eine auch nur partielle Vorenthaltung verstößt gegen § 136 Abs. 2 StPO.117 Das Verschweigen einzelner Beweise oder Indizien hätte nämlich zur Folge, dass 112  BGH NStZ 2012, 581 (582); KK-StPO/Diemer § 136 Rn. 8; BeckOK-StPO/ Monka § 136 Rn. 6; SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 40; MK-StPO/Schuhr § 136 Rn. 21; siehe auch Wagner ZStW 109 (1997), 545 (568 f.). 113  BGH NStZ 2012, 581. 114  BGH NStZ 2012, 581 (582). 115  Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 112 f.; SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 38; MK-StPO/Schuhr § 136 Rn. 20. 116  LR-StPO/Gleß § 136 Rn. 21; MK-StPO/Schuhr § 136 Rn. 21. 117  So auch Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 26; LR-StPO/Gleß § 136 Rn. 56; Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 60; Lesch ZStW 111 (1999), 624 (642).



B. Art und Weise der Täuschung97

dem Beschuldigten die diesbezügliche Entlastungsmöglichkeit verwehrt bliebe. All dies anerkennt die herrschende Meinung, wenn sie darlegt, dass sich die Mitteilung der Verdachtsgründe nach § 136 Abs. 2 StPO richtet.118 Sie zieht daraus aber infolge der Anerkennung eines Ermittlungszwecks der Vernehmung nicht die richtigen Schlüsse. Vielmehr komme dem Vernehmenden bei der Mitteilung ein Beurteilungsspielraum zu, der es ihm freistelle, einzelne Aspekte aus ermittlungstaktischen Gründen zurückzuhalten.119 Selbst wenn man aber entgegen der historischen Auslegung die Ermittlung der materiellen Wahrheit als (Neben-)Zweck der Vernehmung anerkennen würde, ließe sich das Verschweigen von Verdachtsgründen nicht begründen. Gerade das ausnahmslos offene Agieren dem Beschuldigten gegenüber eröffnet nämlich die Möglichkeit umfassender Sachverhaltsaufklärung für oder wider den Beschuldigten durch seine Aussage, die den Verdacht durch die Vorbringung entlastender Umstände entweder entkräften oder  – soweit der Beschuldigte nichts zu seiner Verteidigung vorbringen kann – erhärten wird. Mitnichten geht eine Pflicht zur tatsächlichen Aufklärung also mit einer Beeinträchtigung, gar einer Lähmung der Strafverfolgung120 einher. Lediglich die Gefahr unfreiwilliger Selbstbelastungen des Beschuldigten aufgrund von Nichtkenntnis des Ermittlungsstandes oder durch die gezielte Irreführung des Beschuldigten über ebendiesen wird merklich verringert. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Beschuldigtenaussage zur Ermittlung des Sachverhalts beiträgt, wird dagegen durch die Offenlegung der belastenden Umstände sogar erhöht. Gestützt wird dieses Ergebnis durch die Systematik der Strafprozessordnung. Den Vorschriften zum Zwischen- und Hauptverfahren liegt der Gedanke offenen staatlichen Agierens zugrunde, was sich für das Zwischenverfahren bereits aus der Mitteilung der Anklageschrift gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO zur Gewährung der Möglichkeit der Beweisantragsstellung vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ergibt. Die Offenheit des Hauptverfahrens beruht auf der Verlesung der Anklageschrift nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO. Im Ermittlungsverfahren kann dagegen zunächst gegen den Beschuldigten ermittelt werden, ohne dass dieser unverzüglich Kenntnis davon erlangt, da das Verfahrensstadium in erster Linie der Ermitt118  KK-StPO/Diemer § 136 Rn. 18; KMR-StPO/Kulhanek § 136 Rn. 43; BeckOKStPO/Monka § 136 Rn. 18; SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 69; Meyer-Goßner/Schmitt § 136 StPO Rn. 13 jeweils m. w. N. 119  Statt vieler Meyer-Goßner/Schmitt § 136 StPO Rn. 13: „Die Mitteilung der Verdachtsgründe unterbleibt in dem Umfang, in dem sie dem Beschuldigten im Interesse der Sachverhaltsaufklärung verheimlicht werden müssen.“. 120  Gleichwohl geht die überwiegende Ansicht davon aus, dass die Mitteilung sämtlicher Verdachtsgründe mit einer Gefährdung der Ermittlungen einhergeht, siehe KK-StPO/Diemer § 136 Rn. 18; Walder, Die Vernehmung des Beschuldigten, S. 119.

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

lung des Sachverhalts dient.121 Das Gesetz anerkennt gleichwohl die situationsabhängige besondere Schutzbedürftigkeit des Beschuldigten und trägt dieser dadurch Rechnung, dass es in besonders grundrechtsintensiven Situationen eine Offenlegung des Ermittlungsstandes anordnet. Eine solche Situation ist zum einen die Untersuchungshaft, die als Freiheitsentzug ohne Schuldnachweis einen besonders schwerwiegenden Eingriff darstellt und daher zur Offenlegung aller belastenden Verdachtsmomente verpflichtet (§ 115 Abs. 3 StPO).122 Zum anderen verlangt die Beschuldigtenvernehmung die Mitteilung des vollständigen Ermittlungsstandes, da diese die einzige Möglichkeit für den Beschuldigten darstellt, in diesem frühen Stadium des Strafverfahrens Stellung zu dem Vorwurf zu nehmen und verteidigend auf die Ermittlungen einzuwirken. Das Verschweigen einzelner belastender Umstände hätte nämlich zur Folge, dass der Beschuldigte diese Möglichkeit zur Verteidigung erst mit Mitteilung der Anklageschrift nach § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO im Zwischenverfahren erhält, was mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör unvereinbar und angesichts der Bedeutungszunahme des Ermittlungsverfahrens, in dem die Weichen für das weitere Strafverfahren gestellt werden, problematisch wäre.123 Ohnehin geht die Strafprozessordnung davon aus, dass der Beschuldigte im Zeitpunkt der Vernehmung bereits umfassende Kenntnis des Ermittlungsstandes hat, indem sie in § 147 Abs. 1 StPO das Recht seines Strafverteidigers auf Akteneinsicht kodifiziert, das seit dem 05. Juli 2017124 auch den Beschuldigten selbst als Anspruchsberechtigten einschließt (Abs. 3 Satz 1). Ebenso wie der Vernehmung kommt der Akteneinsicht die Funktion der Konkretisierung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG zu, wodurch sie die Stellung des Beschuldigten als Prozesssubjekt gewährleistet.125 Regelmä121  Roxin/Schünemann,

Strafverfahrensrecht, § 39 Rn. 1. die Vernehmung i. R.d. Untersuchungshaft ist dies anerkannt, siehe BVerfG NStZ 1994, 551 (552); MK-StPO/Böhm/Werner § 115 Rn. 32; KK-StPO/Graf § 115 Rn. 9; LR-StPO/Lind § 115 Rn. 22. Der besonderen Schutzbedürftigkeit des sich in Untersuchungshaft befindenden Beschuldigten trägt zudem § 147 Abs. 2 Satz 2 StPO Rechnung, der eine Beschränkung der Akteneinsicht ausschließt. 123  Auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 39 Rn. 1 weisen darauf hin, dass das Ermittlungsverfahren mittlerweile das „Kernstück des Strafprozesses“ darstellt. 124  Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs v. 05.07.2017 (BGBl. I 2017, S. 2208). Der Einführung ging eine jahrelange Diskussion in der Lit. voraus, die zwischenzeitlich in der Einführung eines abgeschwächten Akteneinsichtsrechts in § 147 Abs. 7 StPO mündete, vgl. dazu zustimmend Welp FS Karl Peters, S. 309 (314) sowie ablehnend Jörke, Akteneinsicht als Voraussetzung effektiver Verteidigung, S. 108 f. 125  BVerfGE 63, 45 (59 f.); Hiebl, Ausgewählte Probleme des Akteneinsichtsrechts nach § 147 StPO, S. 26 ff.; Jörke, Akteneinsicht als Voraussetzung effektiver Verteidi122  Für



B. Art und Weise der Täuschung99

ßig wird der Beschuldigte also bereits durch Akteneinsicht Kenntnis der ihn belastenden Verdachtsmomente haben; spätestens jedoch mit Beginn der Vernehmung sind sie ihm vollumfänglich mitzuteilen. Dies gilt insbesondere soweit ihm bislang über § 147 Abs. 2 Satz 1 StPO die Akteneinsicht (teilweise) unter Berufung darauf verweigert wurde, dass die Gefährdung des Ermittlungszwecks deshalb zu besorgen ist, dass etwa künftige Durchsuchungen beim Beschuldigten erschwert würden oder der Beschuldigte die durch die Akteneinsicht gewonnenen Erkenntnisse zur Vornahme von Verdunkelungshandlungen ausnutzen werde. Anders als die herrschende Meinung annimmt,126 spricht § 147 Abs. 2 Satz 1 StPO nämlich nicht gegen die Pflicht zur Offenlegung aller Beweise und Indizien im Rahmen der Vernehmung. An dieser Überlegung ist zwar richtig, dass der Vorschrift die Wertung zu entnehmen ist, dass das Interesse des Beschuldigten an der Kenntnis des Ermittlungsstandes zum Zwecke der Verteidigung im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zurückzutreten hat, soweit die Kenntnis die weitere Ermittlungen gefährdet. Dies gilt aber eben nur, solange der Beschuldigte noch nicht vernommen wurde. Mit Beginn der Vernehmung ändert sich die gesetzliche Wertung  – wie § 136 Abs. 2 StPO zeigt – insoweit, als nunmehr das Informationsinteresse des Beschuldigten und sein Anspruch auf rechtliches Gehör überwiegen. Dies gilt selbst dann, wenn die Offenlegung bestimmter Informationen die Durchführung geplanter Untersuchungsmaßnahmen oder Verhaftungen gefährdet. Den Strafverfolgungsbehörden kommt bei der Entscheidung, wann sie den Beschuldigten vernimmt, ein Ermessensspielraum zu, sodass sie die Vernehmung und die mit ihr einhergehende Mitteilungspflicht bis zum Ende des Ermittlungsverfahrens hinauszögern kann, wenn sie durch die Offenlegung eine Gefährdung der Ermittlungen befürchtet. Entscheidet sie sich dennoch zur Vernehmung, muss sie den Ermittlungsstand offenlegen, wobei ihr auch kein Ermessensspielraum hinsichtlich des Zeitpunkts der Mitteilung der Verdachtsgründe zukommt.127 Der Beschuldigte kann die Vernehmung nur dann zu seiner Verteidigung nutzen, wenn er die Verdachtsmomente zu Beginn der Vernehmung erfährt. Im Falle der daraus resultierenden berechtigten Befürchtung gung, S. 26 ff.; MK-StPO/Thomas/Kämpfer § 147 Rn. 1; Walischewski, Probleme des Akteneinsichtsrechts, S. 11 ff.; Welp FS Karl Peters, S. 309 f. 126  SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 69 m. w. N.; dahingehend auch LR-StPO/Gleß § 136 Rn. 22 und Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 63, die zwar eine Pflicht zur Offenlegung aller Beweise und Indizien annehmen, gleichwohl aber eine Ausnahme machen, soweit dadurch die Ermittlungen gefährdet würden (erstere über eine entsprechende Anwendung des § 147 Abs. 2 StPO). Auch die einschränkende Ansicht steht jedoch im Widerspruch zum Vernehmungszweck, da dem Beschuldigten die Möglichkeit der Reaktion auf die verschwiegenen Verdachtsmomente verwehrt wird. 127  So aber MK-StPO/Schuhr § 136 Rn. 45.

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der Beweisvernichtung oder -unterdrückung durch den Beschuldigten ist die Strafverfolgungsbehörde auf die Möglichkeit der Anordnung von Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten gemäß § 112 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StPO zu verweisen. Aus alledem folgt, dass der Vernehmende zu Beginn der Beschuldigtenvernehmung sämtliche verdachtsbegründenden Momente offenzulegen hat. Entgegen der herrschenden Meinung genügt es daher nicht, wenn der Beschuldigte darüber aufgeklärt wird, was ihm vorgeworfen wird, ihm muss dezidiert dargelegt werden, warum ihm der Tatvorwurf gemacht wird. Ob diese Pflicht aus der im Lichte des Vernehmungszwecks ausgelegten Eröffnung des Tatvorwurfs nach § 136 Abs. 1 Satz 1 StPO folgt oder – wie es die herrschende Meinung jedenfalls dem Grunde nach zu Recht vertritt128 – unmittelbar aus § 136 Abs. 2 StPO, kann dahinstehen. Jedenfalls verpflichtet der Vernehmungszweck die Strafverfolgungsbehörden, mit „offenen Karten“ zu spielen. Mit Blick auf die Täuschung durch Unterlassen bedeutet dies, dass der Vernehmende Garant für die vollständige Aufklärung des Beschuldigten ist, ein Unterlassen der Information mithin eine Täuschung darstellt. c) Nichtaufklärung und Ausnutzung eines Irrtums beim Beschuldigten Denkbar sind schließlich noch Fälle, in denen der Beschuldigte nicht nur keine Kenntnis seiner strafverfahrensrechtlichen Rechte hat, sondern sich sogar im Irrtum über diese befindet. Soweit das Gesetz tatsächliche oder rechtliche Belehrungen anordnet und der Irrtum auf eine ungenügende Belehrung des Vernehmenden zurückzuführen ist, handelt es sich bereits um eine Täuschung durch Unterlassen. Tritt der Irrtum hingegen trotz ordnungsgemäßer Pflichtausübung oder in Bezug auf einen Umstand auf, hinsichtlich dem nicht aufgeklärt werden muss, stellt sich die Frage, ob sich der Vernehmende, der den erkennbaren Irrtum nicht aufklärt und gegebenenfalls sogar ausnutzt, einer Täuschung bedient. Die Nichtaufklärung und Ausnutzung eines Irrtums beim Beschuldigten ist richtigerweise als Täuschung durch Unterlassen zu qualifizieren und hat sich daher an deren Voraussetzungen  – insbesondere am Vorliegen einer Garantenpflicht des Vernehmungsbeamten  – zu messen.129 An eine aktive Täuschung ist lediglich dann zu denken, wenn der Vernehmende den Irrtum aktiv 128  KK-StPO/Diemer § 136 Rn. 18; KMR-StPO/Kulhanek § 136 Rn. 43 f.; BeckOK-StPO/Monka § 136 Rn. 18; SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 69; Meyer-Goßner/ Schmitt § 136 StPO Rn. 13. 129  Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 102 f.; MK-StPO/Schuhr § 136a Rn. 41.



B. Art und Weise der Täuschung101

unterhält oder gar verstärkt.130 Daher kann zunächst festgehalten werden, dass über die durch das Gesetz festgelegten Inhalte der Aufklärung hinaus keine Aufklärungspflicht entstehen kann. Ist der Vernehmende von vorn­ herein nicht zur Aufklärung über einen bestimmten Umstand verpflichtet, kann von ihm auch nicht verlangt werden, dass er etwaige Irrtümer des Beschuldigten korrigiert. Eine Ausnahme kann lediglich dann angenommen werden, wenn der Irrtum des Beschuldigten auf einem pflichtwidrigen Vorverhalten des Vernehmenden beruht. Insoweit trifft diesen eine aus dem Ingerenzgedanken abzuleitende Garantenpflicht.131 Irrtümer hingegen, die ohne jedwede Einwirkung des Vernehmenden entstehen, sind nur dann zu berichtigen, wenn diese einen Umstand betreffen, für den das Gesetz eine Aufklärungspflicht statuiert.132 Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob die gesetzliche Aufklärungspflicht dem Vernehmenden einen Ermessensspielraum einräumt. Befindet sich der Beschuldigte nämlich erkennbar im Irrtum über den Aufklärungsgegenstand, reduziert sich das Ermessen des Beamten auf Null, sodass der Vernehmende nunmehr für die Irrtumsfreiheit des Vernommenen einzustehen hat und ein Nichtaufklären des Irrtums eine Täuschung durch Unterlassen darstellt.

IV. Suggestiv- und Fangfragen In der juristischen Literatur werden die Probleme der Aussagesuggestion und Fangfragen in der Regel als Sonderfall der irreführenden Vernehmungsmethodik behandelt, wobei keine Einigkeit über deren Einstufung als Täuschung besteht. Der vermeintliche Sonderstatus rührt aus dem Umstand her, dass der Vernehmende beim Stellen von Suggestiv- bzw. Fangfragen nicht ausdrücklich Unwahres ausspricht, sodass die Einstufung als Täuschung nicht auf der Hand liegt. Eine klare Grenze zwischen Suggestiv- und Fangfragen zu ziehen, fällt bisweilen schwer; regelmäßig überschneiden sich die Begriffe.133 Dennoch handelt es sich dem Grundsatz nach um zwei verschiedene Arten der Fragestellung.134

130  Prasch, Die List in der Vernehmung und Befragung des Beschuldigten, S. 178; Puppe GA 1978, 289 (294); SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 61. 131  Prasch, Die List in der Vernehmung und Befragung des Beschuldigten, S. 175 f. 132  KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 22; Eb. Schmidt JR 1961, 71. 133  So auch LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 51; Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 81, der die Abgrenzungsschwierigkeiten indes zum Anlass nimmt, nicht weiter zwischen Suggestiv- und Fangfragen zu differenzieren. 134  Anders wohl Joerden JuS 1993, 927 (930) sowie Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 81.

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1. Fangfragen a) Begriff der Fangfrage Der Terminus der Fangfrage wird zwar in der Literatur nicht einheitlich definiert, weitgehende Einigkeit besteht indes über ihre wesentlichen Charakteristika. So wird darauf hingewiesen, dass der Zweck der Fangfrage nicht etwa in der Beantwortung der gestellten Frage zu suchen ist. Für den Fragesteller ist vielmehr „die entferntere Voraussetzung oder Folge“ des Erfragten entscheidend.135 Denn die Antwort ist dem Vernehmenden bei der Fangfrage in aller Regel bereits bekannt, so etwa wenn sich der Beschuldigte dazu äußern soll, ob er einen bestimmten Ort in der Vergangenheit aufgesucht hat, obwohl bereits Beweise für dessen Anwesenheit am Tatort (z. B. Fingerabdrücke) gesichert wurden.136 Der Beschuldigte wird damit über die Bedeutung seiner Antwort bzw. der daraus gezogenen Schlussfolgerungen, im erwähnten Beispielsfall etwa der Umstand, dass der Beschuldigte hinsichtlich seiner Anwesenheit lügt und damit „etwas zu verbergen hat“, im Unklaren gelassen.137 In diesem Sinne handelt es sich in aller Regel um Fragen, die bei unmissverständlicher Formulierung sowie insbesondere umfassender Aufklärung des Beschuldigten über den Stand der Ermittlungen nicht oder jedenfalls nicht so vom Beschuldigten beantwortet würden. Im Ergebnis ist eine Fangfrage daher bereits dann anzunehmen, wenn dem Beschuldigten eine Frage gestellt wird, deren Antwort der Vernehmende bereits kennt. b) Fangfragen als Täuschung Die Einstufung der Fangfrage als Täuschung wird im Schrifttum unterschiedlich bewertet. Während die wohl herrschende Meinung Fangfragen nicht als unzulässige Täuschungen einstuft,138 soll es sich Puppe zufolge trotz des mangelnden Gebrauchs an ausdrücklicher Unwahrheit um Täu135  Vgl. den Definitionsansatz bei Weihmann/de Vries, Kriminalistik, Kap.  3 Rn. 169. Ähnliche Begriffsbestimmungen finden sich bei Puppe GA 1978, 289 (292 f.); Wulf, Fragen der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung, S. 323 und MKStPO/Schuhr § 136a Rn. 46 m. w. N. 136  Beispiele bei Geerds, Vernehmungstechnik, S. 115 sowie Weihmann/de Vries, Kriminalistik, Kap. 11 Rn. 189. 137  MK-StPO/Gaede § 241 Rn. 24; Puppe GA 1978, 289 (292 f.). 138  KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 20; Hoven JA 2013, 368 (374); SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 65; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 15; MK-StPO/Schuhr § 136a Rn. 46. Offen bleibt jedoch, ob Fangfragen bereits per se nicht als Täuschungen betrachtet werden oder eine „zulässige“ Täuschung angenommen wird. Eine hinreichende Differenzierung findet bisweilen in der Lit. und Rspr. – wohl in Anbetracht der nach h. M. gleichen Rechtsfolge – nicht statt.



B. Art und Weise der Täuschung103

schungen handeln, da der Kern der Entscheidung des Beschuldigten über das „Ob“ und „Wie“ seiner Aussage betroffen sei.139 Im Übrigen wird die Frage in der Literatur bisweilen differenzierter beantwortet. So ist nach Joerden eine Fangfrage lediglich dann als Täuschung zu qualifizieren, wenn die Frage auch einen Unschuldigen in Bedrängnis brächte.140 Im Ergebnis können diese Lösungsansätze aber allesamt nicht vollends überzeugen. Sie berücksichtigen nämlich nicht hinreichend die Natur der Fangfrage, die in der gezielten Zurückhaltung von tatrelevanten Informationen liegt, um den Vernommenen in Widersprüche und Selbstbelastungen zur verwickeln. Ein solches Zurückhalten von Belastungsmaterial ist indes trotz ausgeprägter verbaler Komponente nicht als ausdrückliches Täuschen einzustufen. Befragt der Vernehmende den Beschuldigten nach seiner Anwesenheit am Tatort, obwohl diese bereits daktyloskopisch bewiesen ist, kommuniziert er keinen fehlerhaften Inhalt; er hält vielmehr verteidigungsrelevante Informationen zurück. Ist der Vernehmende qua gesetzlicher Aufklärungspflicht zur Mitteilung ebendieser Information verpflichtet, das heißt verletzt er durch deren Zurückhalten einen Anspruch des Beschuldigten auf wahrheitsgemäße Aufklärung, bedient er sich einer Täuschung durch Unterlassen. Die Beurteilung des dargelegten Falls hat sich somit danach zu richten, ob der Vernehmende dazu verpflichtet ist, den Fingerabdruckfund zu Beginn der Vernehmung offenzulegen. Im Sinne der hier vertretenen Auslegung des § 136 Abs. 2 StPO als zentraler Vorschrift des Vernehmungszwecks ist dies zu bejahen. Denn der Fund daktyloskopischer Spuren am Tatort stellt einen den Beschuldigten belastenden Umstand dar, zu dessen Entlastung ihm im Rahmen der Vernehmung Gelegenheit zu gewähren ist. Die der Fangfrage vorgelagerte bzw. mit ihr einhergehende Verheimlichung dieses Umstands verstößt gegen diesen Vernehmungszweck, indem sie die Vernehmung auf eine reine Inquisitionsgelegenheit reduziert. So konstatiert Grünwald zu Recht, dass Fangfragen letztlich ausschließlich dem Zweck dienen, die „Entkräftung der Verdachtsgründe zu vereiteln oder zu erschweren“.141 Bereits der Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung erkannte, dass „die Vorlegung von Fragen, deren Tragweite und Zusammenhang mit dem Belastungsbeweis der Beschuldigte nicht übersieht“ einen Fall der „Herbeiführung unfreiwilliger Eröffnungen“ darstellt,142 die durch § 136 Abs. 2 StPO gerade nicht gestattet ist und befand sich damit durchaus im Konsens mit der zeit139  Puppe GA 1978, 289 (292 f.). Ebenfalls als unzulässig angesehen wird die Fangfrage bei Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 60 sowie Lesch ZStW 111 (1999), 624 (645). 140  Joerden JuS 1993, 927 (930). 141  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 61. 142  Hahn/Mugdan, StPO Abt. 1, S. 138.

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genössischen Strafverfahrensrechtswissenschaft. Sowohl Löwe als auch der ihn im Jahr 1913 „beerbende“ Rosenberg hoben in ihren Kommentierungen des § 136 StPO die „Selbstverständlichkeit“ hervor, dass der Richter „suggestive und kaptiöse Fragen zu vermeiden hat“.143 Die Einordnung von Fangfragen als Täuschungen im Sinne der §§ 136, 136a StPO lässt sich damit auch auf die historische Gesetzesauslegung stützen. Das Interesse der Strafverfolgungsbehörde, die Glaubwürdigkeit des Beschuldigten im Rahmen seiner Vernehmung etwa durch das gezielte Stellen von Test- oder Kontrollfragen zu überprüfen,144 wird durch die hier vertretene Auffassung keineswegs negiert. Es wird lediglich dem gesetzlichen Zweck der Beschuldigtenvernehmung sowie dem Recht des Beschuldigten auf Kenntnis des Belastungsbeweises Rechnung getragen. Dieses bildet die äußerste Grenze der Kontrollbefragung durch den Vernehmenden. Denn solange dem Beschuldigten alle für seine Verteidigung bedeutsamen Informa­ tionen mitgeteilt werden, steht es den Behörden zweifellos frei, dessen Glaubwürdigkeit durch eine geschickte Befragung zu überprüfen und ihn durch diese gegebenenfalls in Widersprüche zu verwickeln, ohne dass darin bereits eine auf Wahrheitsfindung auslegte Vernehmung zu sehen wäre. Den Verlust der Funktionsfähigkeit der Strafverfolgung hat ein Verzicht auf (täuschende) Fangfragen mithin nicht zur Folge. 2. Suggestivfragen a) Begriff der Suggestivfrage Auch der Begriff der Suggestivfrage ist nicht eindeutig definiert.145 In der Psychologie wird die Suggestion als ein Verhalten umschrieben, das beeinflussend auf einen anderen Menschen einwirkt, um diesen zu einem gewissen Verhalten zu veranlassen.146 Die Übertragung dieses Gedankens auf die Vernehmungsmethode offenbart die Schwierigkeiten, die sich bei der Abgrenzung zur Fangfrage ergeben. Denn wie oben festgestellt, handelt es sich ebenso bei der Fangfrage um ein Mittel zum Entlocken einer ansonsten nicht vom Beschuldigten getätigten Aussage. Anders als die Fangfrage, kennzeichnet die Suggestivfrage jedoch, dass sie dem Beschuldigten eine bestimmte Antwort ohne Rücksicht auf ihre sachliche Richtigkeit aus psychologischen 143  Löwe2,

Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich, S. 359 sowie Löwe/Rosen­ berg13, Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich, S. 488. 144  Eisenberg,  Beweisrecht der StPO, Rn. 673 m. w. N.; Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 94. 145  LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 51. 146  Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 31.



B. Art und Weise der Täuschung105

Gründen als nahezu zwingend darstellt.147 Zieht man das oben für die Fangfrage herangezogene Beispiel heran, wird deutlich, dass dieses Kriterium auf die Fangfrage nicht zutrifft. Dem Beschuldigten wird bei der Frage nach seiner Anwesenheit am Tatort keine bestimmte Antwort suggestiv nahegelegt; es steht ihm aus tatsächlicher wie psychologischer Sicht frei, seine frühere Anwesenheit zu leugnen oder zuzugeben. Andernfalls würde die Fangfrage auch ihren Zweck nicht erfüllen. Diese stellt gerade ein Mittel zur Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Beschuldigtenaussage dar, indem kon­ trolliert wird, ob diese wahrheitsgetreu ist.148 Dieses Ziel würde durch die Suggestion einer bestimmten Antwort konterkariert. Stattdessen ist der Zweck der suggestiven Befragung eine konkrete Selbstbelastung des Beschuldigten. So könnte der Beamte dem eines Tötungs­delikts Verdächtigten, indes noch nicht überführten Beschuldigten die Frage stellen, ob er die Tatwaffe bei Begehung in der linken oder in der rechten Hand hielt.149 Antwortet der Beschuldigte mit einer der angebotenen Antwortalternativen (linke bzw. rechte Hand) kommt dies einem Schuldeingeständnis ebenso gleich, wie wenn er – in einem anders gelagerten Fall – auf die Frage, ob er gestern aufgehört habe seine Frau zu schlagen, mit „ja“ oder „nein“ antwortet.150 Diese Standardbeispiele verdeutlichen den Charakter der Suggestivfrage. Dem Beschuldigten wird die Selbstbezichtigung sozusagen „in den Mund gelegt“. Er kann sich dieser nicht anders erwehren, als keine der ihm angetragenen Antworten zu wählen und stattdessen eine eigene selbstentlastende Antwort zu formulieren. Dass letzteres dem durchschnittlichen Beschuldigten in der stressbehafteten Vernehmungssituation durchaus schwerfallen wird, liegt auf der Hand und stellt letztlich auch den Grund dafür dar, dass die Suggestivtaktik eine nicht selten gewählte Vernehmungsmethode darstellt.151

147  Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 31; v. Cleric ZStR 1929, 223; LR-StPO/ Gleß § 136a Rn. 51; Hilland, Das Beweisgewinnungsverbot des § 136a StPO, S. 122; Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 81; Walder, Die Vernehmung des Beschuldigten, S. 156; Wulf, Fragen der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung, S. 315. 148  Weihmann/de Vries, Kriminalistik, Kap. 11 Rn. 189. 149  Beispiel nach Weihmann/de Vries, Kriminalistik, Kap. 11 Rn. 195. 150  Beispiel nach Joerden JuS 1993, 927 (930). 151  Im Rahmen seiner empirischen Untersuchungen von polizeilichen Vernehmungen hat Wulf, Fragen der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung, S. 359 ff. festgestellt, dass die Vernehmungen „streckenweise ausschließlich mittels Suggestivfragen oder suggestiver Floskeln geführt wurden“. Er zeigt anhand diverser Beispiele, dass die Suggestivmethodik zum Standardrepertoire polizeilichen Handelns gehört und dem Beschuldigten selbst kurz zuvor geleugnete Umstände durch Anwendung von Suggestivfragen in den Mund gelegt werden.

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Teilweise wird in der juristischen152 und vernehmungspsychologischen153 Literatur zwischen vier Arten von Suggestivfragen differenziert. Oben genannte Beispiele sollen demnach unter die Gruppe der sogenannten Voraussetzungsfragen fallen, da sie „einen bestimmten Sachverhalt oder Umstand als gegeben voraussetzen und an diese Voraussetzung“ anknüpfen.154 Darüber hinaus sollen dem Begriff der Suggestivfrage sogenannte „Ja-Nein-Fragen“, nach Müncheberg etwa die Formulierung der Frage „War das Auto rot?“ statt „Welche Farbe hatte das Auto?“ zu subsumieren sein.155 Dies stellt jedoch nicht prinzipiell eine Suggestivfrage dar, sondern ausschließlich dann, wenn dem Beschuldigten damit die Existenz eines Autos suggeriert wird, die eigentlich noch nicht erwiesen ist. In anderen Fällen mag es sich um eine übliche, vernehmungsrechtlich in jeder Hinsicht unbedenkliche Frage handeln. Ähnliches gilt für die Fallgruppe der sogenannten Erwartungsfragen. Stellt der Vernehmende dem Beschuldigten die Frage „Sie haben das Opfer getötet, nicht wahr?“,156 handelt es sich freilich um eine offensive Gestaltung der Vernehmung. Dem Beschuldigten wird indes keine Aussage suggeriert, seine Entscheidungsfreiheit über das „Ob“ und „Wie“ der Beantwortung bleibt unangetastet. Letztlich vermag auch die letzte Gruppe der Alternativfragen als eigenständige Untergruppe der Suggestivfrage nicht zu überzeugen. Die von Müncheberg beispielhaft angeführte Frage „Hat der Beschuldigte dem Verletzten einen oder zwei Faustschläge versetzt?“157 ist zwar zweifelsfrei eine Suggestivfrage – dem Zeugen wird es als erwiesen dargelegt, dass der Beschuldigte das Opfer überhaupt geschlagen hat. Es handelt sich dabei jedoch mitnichten um eine eigenständige Fallgruppe. Da die trennscharfe Differenzierung der Suggestivfrage nach unterschiedlichen Fragearten kaum möglich scheint, sollte auf sie verzichtet werden. Entscheidend ist ausschließlich, ob der in § 136 Abs. 2 StPO normierte Vernehmungszweck dadurch verletzt wird, dass bereits die Formulierung der Frage ihr Ziel der Erreichung der Selbstbezichtigung erkennen lässt. 152  Die Differenzierung geht soweit ersichtlich auf v. Cleric ZStR 1929, 223 zurück. Auch Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 81 ff. greift auf die Differenzierung zurück. 153  Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 30 ff., der noch weitere Unterfälle der suggestiven Befragung darstellt, sowie Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, S.  273 ff. 154  Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 36; Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 81. 155  Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 90 Fn. 1. 156  Beispiel angelehnt an Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 90 Fn. 3. 157  Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 90 Fn. 2.



C. Erfordernis einer Täuschungsabsicht107

b) Suggestivfragen als Täuschung Auch bei der Suggestivfrage ist die Einstufung als Täuschung keine Selbstverständlichkeit, gleichwohl stellt sich die Rechtslage weniger kompliziert dar als bei den – im Einzelfall als Täuschung durch Unterlassen anzusehenden – Fangfragen. Denn auch wenn einzelne Stimmen in Suggestivfragen von vornherein keine Täuschung sehen wollen, verdeutlichen die angeführten Beispiele, dass Suggestivfragen keineswegs ohne die kommunikative Übermittlung eines unwahren Aussageinhalts auskommen. Dies geschieht jedoch in erster Linie nicht mittels verbaler Kommunikation. Vielmehr vermittelt der Vernehmungsbeamte durch die Anwendung der Suggestionstaktik stillschweigend einen unwahren Inhalt. So erklärt der Beamte durch die Frage, ob der Beschuldigte die Tatwaffe in der rechten oder in der linken Hand hielt, dass es sich bei dem Umstand, dass er die Tatwaffe überhaupt in den Händen hatte, um eine erwiesene, der Vernehmung zugrunde zu legende Tatsache handelt. Gleiches gilt für die Frage nach dem Zeitpunkt, in dem der Beschuldigte von seiner Frau abgelassen hat. Durch die Suggestion der Gewaltanwendung gegenüber der Gattin täuscht der Vernehmende darüber, dass selbige nicht mehr diskutabel, ein Entlastungsversuch dementsprechend zwecklos ist. Daraus folgt, dass die Vernehmung des Beschuldigten mittels Suggestivtaktik stets als durch den Vernehmungsbeamten vorgenommene aktive Täuschung anzusehen ist.

C. Erfordernis einer Täuschungsabsicht I. Problemaufriss Die Rechtsprechung und eine in der Literatur verbreitete Ansicht gehen davon aus, dass der strafverfahrensrechtliche Täuschungsbegriff ein finales Moment beinhaltet.158 Eine Irreführung des Beschuldigten in der Vernehmung sei nur dann als Täuschung zu qualifizieren, wenn der Vernehmungsbeamte planmäßig im Sinne eines dolus directus ersten Grades vorgeht bzw. mit Täuschungsbewusstsein handelte. Unbewusste Irreführungen sollen dem Verbotstatbestand von vornherein nicht unterfallen. Aus der Beschuldigtenperspektive stellt dies eine nicht zu unterschätzende Einschränkung seines 158  BGHSt 31, 395 (399 f.); BGHSt 35, 328 (329); KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 19; Janicki, Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozeß, S. 98; KMR-StPO/Kulhanek § 136a Rn. 27; BeckOK-StPO/Monka § 136a Rn. 16; SK-StPO/ Rogall § 136a Rn. 59 m. w. N.; Rottenecker, Modelle der kriminalpolizeilichen Vernehmung des Beschuldigten, S. 114; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 25 Rn. 24; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 13; Walder, Die Vernehmung des Beschuldigten, S. 160.

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Schutzes vor Irreführungen dar, wenngleich unbewusste Irreführungen in der Praxis wohl nur eine untergeordnete Rolle spielen dürften. Vielmehr wird die bewusste Täuschung des Beschuldigten den Regelfall der irreführenden Einwirkung darstellen,159 den auch der Gesetzgeber bei Erlass des § 136a Abs. 1 StPO vor Augen gehabt haben dürfte.160 Dass unbewusste Irreführungen indes kein bloßes hypothetisches Fallkonstrukt sind, wird nachfolgend dargestellt, um im Anschluss die Frage nach deren Einstufung als strafverfahrensrechtliche Täuschung zu untersuchen.

II. Die fahrlässige Täuschung des Beschuldigten 1. Die Möglichkeit einer unbewussten Irreführung Bereits die bloße Möglichkeit der unbewussten Irreführung wird angezweifelt. So weist Puppe161 darauf hin, dass diese nur durch die Verwendung standardisierter Zeichen denkbar sei. Beispielhaft werden eine Irreführung durch Sichversprechen des Vernehmungsbeamten oder aufgrund einer versehentlichen Auslassung der Verneinung in einem Satz genannt.162 Andere Fälle seien „kaum zu fürchten“.163 Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass unbewusste Irreführungen keineswegs ein reines Gedankenexperiment sind. Das Gegenteil ist der Fall. Grundsätzlich kann eine solche durch jedes Verhalten erfolgen, das auch die Voraussetzungen einer absichtlichen Täuschung erfüllen kann. Man stelle sich nur einen Fall vor, in dem der Vernehmende vor der Beschuldigtenvernehmung aufgrund einer groben Unachtsamkeit in die Akte eines anderen Beschuldigten blickt und aufgrund dessen irrtümlich davon ausgeht, dass der vermeintliche Mittäter bereits ein glaubhaftes Geständnis abgelegt hat, das die Beteiligung des zu vernehmenden Beschuldigten umfasst. Teilt der Vernehmungsbeamte dem Beschuldigten in der anschließenden Vernehmung nunmehr diese für wahr gehaltene Information mit, so wurde dieser – wenn auch nicht zielgerichtet, nicht einmal wissentlich – in die Irre geführt. Obgleich solche Fälle in der Praxis äußerst selten vorkommen mögen, kann nicht die Rede davon sein, dass unvorsätzliche Irre­führungen undenkbar sind. Die eigentliche Frage lautet daher, ob unbewusste Irreführungen des Beschuldigten als Täuschungen anzusehen sind. 159  Schwenck,

Unzulässige Vernehmungsmethoden, S. 66. bleibt dies reine Spekulation, da Aufzeichnungen über die Erwägungen des Gesetzgebers vor Erlass des § 136a StPO nicht existieren, vgl. Lindner, Täuschungen in der Vernehmung des Beschuldigten, S. 62 ff. 161  Puppe GA 1978, 289 (295). 162  Puppe GA 1978, 289 (295 f.). 163  Puppe GA 1978, 289 (296). 160  Freilich



C. Erfordernis einer Täuschungsabsicht109

2. Die unbewusste Irreführung als Täuschung im Sinne des Strafverfahrensrechts a) Meinungsstand aa) Ausschluss unbewusster Irreführungen aus dem gesetzlichen Täuschungsverbot Die weit überwiegende Ansicht in der Literatur sieht im Einklang mit der Rechtsprechung die unbewusste Irreführung nicht als Täuschung im strafprozessualen Sinne an.164 Dabei muss sie sich jedenfalls den Vorwurf eines inkonsistenten Wortgebrauchs gefallen lassen. So wird nicht hinreichend zwischen der Forderung einer Täuschungsabsicht165 und der eines bloßen Täuschungsbewusstseins166 differenziert. Während erstere durch eine stark ausgeprägte voluntative Komponente geprägt ist (der Vernehmungsbeamte will den Irrtum zielgerichtet herbeiführen), umschreibt das Täuschungsbewusstsein lediglich ein kognitives Element (der Vernehmungsbeamte weiß oder hält es für möglich, dass seine Aussage einen Irrtum herbeiführen könnte). Trotz auseinanderfallender Bedeutung, werden die Begriffe von der herrschenden Meinung regelmäßig synonym verwendet,167 wobei in aller Regel tatsächlich ein Absichtserfordernis im Sinne einer zielgerichteten Irrtumsherbeiführung gemeint ist. Die für das Erfordernis einer Täuschungsabsicht angeführten Argumente laufen im Wesentlichen auf das vielfacht rezitierte Bedürfnis nach einer restriktiven Auslegung des Täuschungsbegriffs hinaus. Dass dem Täuschungsbegriff nämlich nach allgemeiner Sprachauffassung nicht pauschal eine Zielgerichtetheit zugesprochen werden kann, wird offen zugegeben.168 Vielmehr 164  BGHSt 31, 395 (400); BGHSt 35, 328 (329); KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 19; Janicki, Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozeß, S. 98; KMR-StPO/ Kulhanek § 136a Rn. 27; BeckOK-StPO/Monka § 136a Rn. 16; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 59 m. w. N.; Rottenecker, Modelle der kriminalpolizeilichen Vernehmung des Beschuldigten, S. 114; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 25 Rn. 24; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 13; Walder, Die Vernehmung des Beschuldigten, S. 160. 165  So bspw. BGH StV 1989, 515; Rottenecker, Modelle der kriminalpolizeilichen Vernehmung des Beschuldigten, S. 114; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 13. 166  So bspw. BGHSt 31, 395 (400); Janicki, Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozeß, S. 98; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 59; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 25 Rn. 24. 167  Vgl. z. B. die Ausführungen in BGHSt 37, 48 (53): „Damit […] wird [der Vernommene] bewußt über den Sinn der Vernehmung in die Irre geführt. Eine solche absichtliche Täuschung ist nach § 136a StPO verboten.“. 168  SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 59; so auch Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 664 und Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfol-

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

wird die mit der Einstufung als gesetzeswidrige Täuschung einher­gehende Rechtsfolge des Beweisverwertungsverbots gemeinhin für nicht tragbar gehalten. Ein weiter Täuschungsbegriff, der auch unbewusste Irre­führungen miteinschließt, bürde den Strafverfolgungsbehörden einseitig das Irrtumsrisiko auf.169 Verletze der Vernehmungsbeamte seine gesetzlichen Aufklärungspflichten durch eine unbewusste Irreführung, könne sich der Beschuldigte stattdessen auf eine Verletzung des Rechts auf ein faires Strafverfahren berufen.170 bb) Differenzierung zwischen Irreführungen über Tatsachen und Rechtsfragen Bisweilen wird zwischen Täuschungen über Tatsachen und solchen über Rechtsfragen differenziert. Da der Beschuldigte hinsichtlich etwaig erteilter Rechtsauskünfte einen Wahrheitsanspruch habe, sollen unbewusst unrichtige Erklärungen der Strafverfolgungsorgane eine unzulässige Täuschung darstellen, während dies bei der Irrtumserregung über Tatsachen nicht der Fall sein soll.171 Entscheidend sei dem zufolge der Anknüpfungspunkt der Täuschung. cc) Differenzierung zwischen polizeilicher bzw. staatsanwaltschaftlicher und richterlicher Vernehmung Als weiterer Anknüpfungspunkt für eine Differenzierung wird vereinzelt die Position des Vernehmenden ins Feld geführt. So soll die unbewusste Irreführung laut Otto und Siegert dann nicht als Täuschung einzustufen sein, wenn sie vonseiten der Polizei oder der Staatsanwaltschaft verursacht wird.172 Führt indes ein Richter den Beschuldigten unvorsätzlich in die Irre, so handele es sich um eine Täuschung im Sinne des § 136a StPO.173 Der Grund für die Differenzierung wird in der „Würde des [Richter-]Amtes“ gesucht, das durch eine Täuschung stets konterkariert werde.174 Bei einer polizeilichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Vernehmung müsse man hingegen keine allzu strengen Maßstäbe anlegen, da „gegenüber raffinierten Gaunern“ nur die Anwendung von Raffinesse helfe.175 gungsbehörden, S. 37 f., die i. Erg. jedoch fahrlässige Irreführungen als Täuschungen ansehen. 169  SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 59. 170  SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 59. 171  Achenbach StV 1989, 515 (517 f.); Knauth NJW 1978, 741 (744); so auch noch Meyer-Goßner/Schmitt59 § 136a StPO Rn. 13. 172  Otto GA 1970, 289 (296 ff.); Siegert DRiZ 1953, 98 (99 f.). 173  Otto GA 1970, 289 (296 ff.); Siegert DRiZ 1953, 98 (99 f.). 174  Siegert DRiZ 1953, 98 (99 f.). 175  Siegert DRiZ 1953, 98 (100).



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dd) Ausweitung des Täuschungsverbots auf fahrlässige Irreführungen Ein Teil der Literatur stellt sich dem Ausschluss fahrlässiger Täuschungen aus dem Anwendungsbereich der gesetzlichen Vorschriften entgegen.176 Demnach erfordere der Täuschungsbegriff weder eine Täuschungsabsicht im Sinne einer Zielgerichtetheit noch das Wissen um die Falschheit der eigenen Aussage und somit die Möglichkeit der Irreführung. Vielmehr genüge es, wenn die Irreführung auf fahrlässigem Verhalten des Vernehmungsbeamten beruht. Erforderlich ist danach also, dass dem Vernehmenden das irreführende Verhalten vorwerfbar ist.177 b) Eigene Untersuchungen aa) Unergiebigkeit der historischen Betrachtung Die historische Auslegung der Vorschriften zur Vernehmung des Beschuldigten bleibt hinsichtlich des Erfordernisses eines Täuschungsbewusstseins erstaunlich unergiebig.178 Dies ergibt sich zunächst daraus, dass Gesetzesmaterialien, welche die Erwägungsgründe des Gesetzgebers bei der Diskussion um den Erlass des § 136a StPO aufzeigen, in weiten Teilen nicht zugänglich sind. Insbesondere waren die Erörterungen im zuständigen Ausschuss geheim, sodass diese nicht protokolliert wurden.179 Doch auch die vor und während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur veröffentlichte juristische Literatur, der ein Täuschungsverbot ebenfalls nicht fremd war, birgt oftmals nicht die erhoffte inhaltliche Tiefe, sodass sie keine eindeutigen Antworten zu liefern vermag. In der Regel beschränkt sie sich auf die bloße Feststellung der Unzulässigkeit der Täuschung des Beschuldigten.180 176  Bauer, Die Aussage des über das Schweigerecht nicht belehrten Beschuldigten, S. 152 ff.; LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 49 f.; Grünwald NJW 1960, 1941 (1942); Hil­ land, Das Beweisgewinnungsverbot des § 136a StPO, S. 109 ff.; Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 34 ff.; Puppe GA 1978, 289 (295 f.); MK-StPO/Schuhr § 136a Rn. 40. Vereinzelt findet sich auch dahingehende Rspr., siehe OLG Bremen NJW 1967, 2022. 177  LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 49 f. 178  So auch Achenbach StV 1989, 515 (517). 179  Lindner, Täuschungen in der Vernehmung des Beschuldigten, S. 62 ff.; Achen­ bach StV 1989, 515 (517). 180  v. Hippel, Der deutsche Strafprozeß, S. 422 etwa führt an, dass „jeder Versuch, die Aussage des Angeklagten in dem einen oder anderen Sinne zu beeinflussen, sie also in eine bestimmte Bahn zu drängen, insb. also jede Täuschung“ der Wahrheits­ ermittlung zuwiderläuft und daher rechtswidrig ist. Derartige allgemeine Formulierungen, die keine Annäherung an den Begriff der Täuschung wagen, sind keineswegs eine Ausnahme, sondern eher die Regel.

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

Wenig überzeugend ist auch der Hinweis, dass sich der Gesetzgeber bei den Beratungen über das Gesetz vom 12. September 1950 teilweise an der schwedischen Prozessordnung orientiert hat, welche in Kapitel 23 § 12 die Verwendung „bewusst unrichtiger Angaben“ zu dem Zweck der Herbeiführung eines Geständnisses oder einer bestimmten Erklärung des Beschuldigten verbietet.181 Daraus lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass der deutsche Gesetzgeber ebenfalls von einem solchen Erfordernis ausging.182 Eine dahingehende Argumentation verschleiert, dass das deutsche Prozessrecht nicht erst seit Einführung des § 136a StPO ein Verbot irreführender Einwirkungen des Beschuldigten im Rahmen von Vernehmungen kennt. Wie im Rahmen der historischen Ausführungen zur Einführung der Reichsstrafprozessordnung dargelegt (siehe S. 44 ff.), waren irreführende Vernehmungsmethoden bereits weitaus früher Gegenstand der Debatte. Die Auslegung des Täuschungsbegriffs kann sich daher nicht ausschließlich an der Vorschrift des § 136a StPO orientieren, sie muss auch § 136 Abs. 2 StPO berücksichtigen. Freilich ergibt auch die diesbezügliche historische Betrachtung keine hinreichende Antwort auf die Frage nach dem Erfordernis eines Täuschungsbewusstseins. Schließlich kann der Verweis auf das vermeintliche schwedische Vorbild nicht als Argument dienen, weil der Gesetzgeber offensichtlich auf eine Anlehnung des Wortlauts an diese verzichtet hat.183 bb) Rechtsgebietsübergreifender Vergleich Die Täuschung spielt nicht nur im Strafverfahrensrecht, sondern auch im materiellen Strafrecht eine Rolle. Der Wortlaut des § 263 Abs. 1 StGB verlangt für das Vorliegen eines tatbestandsmäßigen Betrugs, dass der Täter durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt. Zwar verwendet die Vorschrift den Begriff der Täuschung nicht expressis verbis. Dass die Handlungsalternativen des Betrugstatbestands allerdings unter dem Begriff der Täuschung zu-

181  Siehe dazu den Appell Simsons MDR 1950, 281 an den Gesetzgeber, eine ähnliche Vorschrift in die deutsche StPO einzufügen, mit vollständiger Übersetzung der schwedischen Vorschrift: „Während einer Vernehmung dürfen zu dem Zweck, ein Geständnis oder eine Erklärung in einer bestimmten Richtung zu erzielen, keine bewußt unrichtigen Angaben, Versprechungen oder Vorspiegelungen besonderer Vorteile, Drohungen, Zwang, Ermüdung oder andere unangemessene Maßnahmen angewandt werden. Dem Vernommenen darf nicht verwehrt werden, die üblichen Mahlzeiten einzunehmen oder sich in der nötigen Weise auszuruhen.“. 182  So auch Achenbach StV 1989, 515 (517); Lindner, Täuschungen in der Vernehmung des Beschuldigten, S. 63 f. 183  Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 664.



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sammengefasst werden können, ist anerkannt.184 Von einer gesetzlichen Definition der Täuschung kann indes wahrlich keine Rede sein, was sich schon daraus ergibt, dass sich die Verhaltensvarianten überschneiden.185 Infolge dieser Auslegungsproblematik ist die nähere Bestimmung des Täuschungsbegriffs seit jeher heillos umstritten. Allen voran die Frage, ob dem Täuschungsbegriff ein subjektives Moment immanent ist, beschäftigt Rechtsprechung und Literatur bereits seit langem. Der Bundesgerichtshof hat sich in einer Entscheidung, die in der Literatur viel Resonanz erfahren hat,186 für eine gemischt subjektiv-objektive Auslegung des Täuschungsbegriffs ausgesprochen.187 Dies ist umso erstaunlicher, als das Gericht am Anfang der Entscheidungsgründe die Täuschung selbst noch als Verhalten umschreibt, das „objektiv irreführt oder einen Irrtum unterhält und damit auf die Vorstellung des anderen einwirkt“.188 Im Ergebnis wird eine rein objektive Irrtumserregung jedoch als nicht (objektiv) tatbestandsmäßig angesehen. Vielmehr bedürfe die Feststellung einer Täuschung eines Verhaltens, das objektiv geeignet ist, einen Irrtum beim Opfer zu erregen, und subjektiv im Sinne eines planmäßigen Verhaltens dazu bestimmt ist.189 Dem Betrugstatbestand liege also eine „intentionale Struktur“190 zugrunde. Der Bundesgerichtshof beruft sich darauf, dass die Täuschung als „eigentliche deliktische Handlung“ nicht aus der Existenz eines Irrtums hergeleitet werden dürfe und das Absichtskriterium eine zuverlässige Abgrenzung des straflosen Ausnutzens irrtumsgeneigter Situationen und (strafbarer) aktiver Irreführung gewährleiste.191 Dem pflichtet zwar die überwiegende Auffassung in der Literatur bei.192 Zunehmend wendet man sich jedoch ge-

184  Vgl. statt vieler NK-StGB/Kindhäuser § 263 Rn. 57; siehe auch Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 14 Rn. 7. 185  MK-StGB/Hefendehl § 263 Rn. 61; NK-StGB/Kindhäuser § 263 Rn. 57; Schönke/Schröder/Perron § 263 StGB Rn. 7; LK-StGB/Tiedemann § 263 Rn. 7. 186  Siehe nur Pawlik StV 2003, 297 und Rose wistra 2002, 13. 187  BGHSt 47, 1. 188  BGHSt 47, 1 (3). 189  BGHSt 47, 1 (5). 190  Stübinger FS Puppe, S. 263 (278). 191  BGHSt 47, 1 (5 f.). 192  Herzberg JuS 1971, 516 (517); Krack, List als Straftatbestandsmerkmal, S. 25; Lackner/Kühl § 263 StGB Rn. 6; Schönke/Schröder/Perron § 263 StGB Rn. 11; Ren­ gier, Strafrecht BT I, § 13 Rn. 9; Schneider StV 2004, 535 (538); Schröder FS Peters, S. 153 (157); Stübinger FS Puppe, S. 263 (277 ff.); differenzierend MK-StGB/Hefen­ dehl § 263 Rn. 100, der das Tatbestandsmerkmal nur dann rein objektiv bestimmen will, wenn objektiver Aussagegehalt und Willensrichtung des Täters auseinanderfallen. Ansonsten sei eine Aufspaltung „in eine objektive und eine subjektive Komponente überflüssig“.

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gen diese als „systemwidrige“ Konstruktion empfundene subjektiv-objektive Auslegung des Täuschungsmerkmals.193 Ungeachtet der von der Gegenansicht vorgebrachten Argumente,194 kann konstatiert werden, dass aus der Auslegung des Täuschungsmerkmals im Rahmen des Betrugstatbestands keinerlei Rückschlüsse für das Verständnis der irreführenden Vernehmungsmethode gezogen werden können. Dies ergibt sich bereits aus der grundverschiedenen Natur des § 263 StGB und der §§ 136, 136a StPO. Der Straftatbestand des Betrugs bezweckt den Schutz des Vermögens vor irrtumsbedingten Vermögensverfügungen und sanktioniert daher das Hervorrufen eines Irrtums, der zu einem verfügungsbedingten Vermögensschaden führt.195 Das Unrecht des § 263 Abs. 1 StGB als Vorsatzdelikt setzt jedoch die bewusste Entscheidung des Irreführenden für das tatbestandsmäßige Verhalten voraus.196 Dies gilt unabhängig davon, ob man dem Täuschungsbegriff nun eine subjektive Komponente zubilligt oder nicht. Das strafprozessuale Täuschungsverbot hingegen umschreibt kein durch den Vernehmungsbeamten begangenes, zu sanktionierendes Unrecht, sondern dient ausschließlich dem Schutz der Rechte des Beschuldigten. Auch ein Vergleich des strafprozessualen Täuschungsverbots mit dem im Zivil- und Verwaltungsrecht wurzelnden Begriff der arglistigen Täuschung verbietet sich. Ebenso wie im Rahmen des § 263 Abs. 1 StGB geht die herrschende Meinung in den beiden Rechtsgebieten davon aus, dass der Täuschungsbegriff bereits per definitionem eine entsprechende subjektive Komponente verlange.197 Dies wird ungeachtet dessen vertreten, dass das Merkmal der Arglist nach anerkannter Auslegung eine Umschreibung des Vorsatzerfordernisses darstellt.198 Eine eigenständige Bedeutung wird dem Merkmal indes überwiegend abgesprochen, vielmehr sei das Voranstellen der Arglist rein deklaratorischer Natur. Die Bedeutung der arglistigen Täuschung im Zivil- und Verwaltungsrecht ist jedoch jeweils im Schutz der Willensent193  Fischer StGB § 263 Rn. 14; LPK-StGB/Kindhäuser/Hilgendorf § 263 Rn. 46; NK-StGB/Kindhäuser § 263 Rn. 58; Matt/Renzikowski/Saliger § 263 StGB Rn. 27; SSW-StGB/Satzger § 263 Rn. 32. Insb. die Entscheidung des BGH wird als „inkonsistent“ und „systematisch verfehlt“ kritisiert, siehe Pawlik StV 2003, 297. 194  Vgl. etwa die überzeugende Argumentation bei Pawlik StV 2003, 297 (298 f.). 195  NK-StGB/Kindhäuser § 263 Rn. 10 f. 196  Vgl. Frister, Strafrecht AT, Kap. 11 Rn. 1. 197  Zur Vorschrift des § 123 BGB: MK-BGB/Armbrüster § 123 Rn. 17; Brox/Wal­ ker, Allgemeiner Teil  des BGB, § 19 Rn. 2; NK-BGB/Dörner § 123 Rn. 2; Jauernig/ Mansel § 123 BGB Rn. 3; Staudinger/Singer § 123 BGB Rn. 6; Stadler, Allgemeiner Teil  des BGB, § 25 Rn. 75; Neuner, Allgemeiner Teil des BGB, § 41 Rn. 103. Zur Vorschrift des § 48 VwVfG: Kopp/Ramsauer § 48 VwVfG Rn. 112; siehe zur fahrlässigen Irreführung im Verwaltungsverfahren Hoke DÖV 1962, 281 (286 f.). 198  Vgl. statt vieler MK-BGB/Armbrüster § 123 Rn. 18.



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schließungsfreiheit des Getäuschten199 bzw. darin zu sehen, dass dem bewusst Irreführenden nicht die Früchte seiner Täuschung zugutekommen sollen, so etwa im Falle der Erwirkung eines ihn begünstigenden Verwaltungsakts.200 Weder im Zivil- noch im Verwaltungsrecht geht es jedoch um einen Schutz des Bürgers vor invasiven Eingriffen durch den Staat. Unabhängig davon, ob dem Begriff der Arglist nun eine konstituierende oder bloß eine deklaratorische Bedeutung beizumessen ist, lassen sich keine Rückschlüsse auf den strafverfahrensrechtlichen Täuschungsbegriff ziehen.201 cc) Untersuchung anhand des Zwecks des Täuschungsverbots Eine eindeutige Antwort kann letztlich nur eine teleologische Betrachtung des Verbots inquirierender Vernehmungsmethoden liefern. Das Erfordernis eines Täuschungsbewusstseins bzw. gar einer -absicht und damit einer persönlichen Zurechenbarkeit des Täuschungserfolges ließe sich nämlich nur dann erklären, wenn die Verbotsnorm in erster Linie den zu verhindernden Handlungsunwert in Form des irreführenden Verhaltens des Vernehmenden im Blick hätte. Mitnichten handelt es sich aber bei dem gesetzlichen Täuschungsverbot um eine Vorschrift zur Sanktionierung unerwünschten Verhaltens des individuellen Vernehmungsbeamten, vielmehr wird der Schutz der Rechte des Beschuldigten bezweckt,202 mithin die Verhinderung des in Gestalt des Irrtums beim Beschuldigten vorliegenden Erfolgsunwerts.203 Dafür spielt es keine Rolle, ob die Irreführung bewusst oder unbewusst vorgenommen wurde. Das Resultat ist in beiden Fällen gleichermaßen eine Aussage des Beschuldigten, die aufgrund der irrigen Annahme objektiv falscher Umstände nicht mehr auf einer freien Willensbildung beruht.204 Zu Recht verweist Kunert205 auf die paradoxen Folgen der Forderung eines Täuschungsbewusstseins. Würde die unvorsätzliche Irreführung nicht unter das Täuschungsverbot fallen, so führte dies dazu, dass der (Grund-) Rechtsschutz des Beschuldigten umso geringer wäre, je sorgloser die Strafverfolgungsorgane handeln.206 Es wäre zu befürchten, dass dieser Umstand 199  MK-BGB/Armbrüster

§ 123 Rn. 1. Müller § 48 Rn. 69. 201  So auch Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S.  31 f. 202  Kunert MDR 1967, 539 (541); Puppe GA 1978, 289 (296). 203  Anschaulich Kunert MDR 1967, 539 (541); in diese Richtung auch Puppe GA 1978, 289 (296). 204  Kunert MDR 1967, 539 (541); Puppe GA 1978, 289 (296). 205  Kunert MDR 1967, 539 (541). 206  Kunert MDR 1967, 539 (541). 200  BeckOK-VwVfG/J.

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bewusst zur Umgehung des Täuschungsverbots ausgenutzt würde, indem sich die Vernehmungsbeamten gezielt schlecht auf die Vernehmung des Beschuldigten vorbereiten. Dies könnte mitunter auch eine kritische Zunahme de iure „unbewusster“ Irreführungen zur Folge haben, ganz zu schweigen von den praktischen Schwierigkeiten, dem Vernehmungsbeamten in einem späteren Prozess seine Täuschungsabsicht nachzuweisen.207 Im Ergebnis spricht die Ratio des Täuschungsverbots daher gegen die Annahme eines ­finalen Moments des Täuschungsbegriffs, sondern vielmehr für die Einbeziehung unbewusster Täuschungen in die maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften. dd) Stellungnahme und Zwischenergebnis Während weder die historische Untersuchung des Täuschungsverbots noch die Betrachtung des Wortlauts ein eindeutiges Ergebnis in Bezug auf das Erfordernis einer Täuschungsabsicht hervorbringt, liefert die Betrachtung von Sinn und Zweck des Täuschungsverbots den entscheidenden Hinweis für die Lösung des Problems. Der Ausschluss unbewusster Irreführungen aus dem Verbot wäre lediglich dann zu erklären, wenn das Täuschungsverbot als eine Art Dienstrecht der Vernehmungsbeamten anzusehen wäre, das Fehlverhalten der Beamten sanktionieren soll.208 Da das Täuschungsverbot indes die Rechte des Beschuldigten schützen soll, kann auch kein Unterschied zwischen bewussten und unbewussten Irreführungen gemacht werden. Ein der­ artiges Vorwerfbarkeitskriterium stellte nach zutreffender Auffassung ein „sachfremdes Erfordernis“209 dar. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass sich die Rechtsfolge des Täuschungsverbots nicht mit einer weiten Auslegung des Täuschungsbegriffs verträgt. Die Fragen, ob ein Beweisverbot vorliegt und ob aus diesem ein Beweisverwertungsverbot folgt, sind strikt voneinander zu trennen, sodass auch der Anwendungsbereich des Täuschungsverbots unabhängig von seiner Rechtsfolge zu bestimmen ist. Aus diesem Grund ist auch den beiden differenzierenden Betrachtungsweisen eine Absage zu erteilen. Der Auffassung, die unbewusste Irreführungen lediglich bei der richterlichen Vernehmung unter den Täuschungsbegriff fallen lässt,210 ist entgegenzuhalten, dass der Beschuldigte gerade in der polizei207  Kunert

MDR 1967, 539 (541). diese Richtung gehen die Ausführungen bei Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 24, der das aus einer Verletzung des Täuschungsverbots resultierende Verwertungsverbot als „eine Art Sanktion für die Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden“ beschreibt. 209  Zutreffend MK-StPO/Schuhr § 136a Rn. 23 ff. 210  Otto GA 1970, 289 (296 ff.); Siegert DRiZ 1953, 98 (99 f.). 208  In



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lichen Vernehmung besonders schutzbedürftig ist, da der durchschnittliche Polizeibeamte im Rahmen einer Vernehmung deutlich offensiver vorgehen dürfte als der Richter, zumal die Hauptverhandlung (anders als die polizei­ liche/staatsanwaltschaftliche Vernehmung) unter anderem aufgrund ihrer Öffentlichkeit eine größere Transparenz aufweist.211 Eine Differenzierung zwischen richterlichen und sonstigen Vernehmungen kann auch deshalb nicht überzeugen, weil die Systematik der Strafprozessordnung auf die richterliche Vernehmung zugeschnitten ist und für polizeiliche bzw. staatsanwaltschaft­ liche Vernehmungen lediglich in § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO auf die entsprechenden Vorschriften verweist. Würde man davon abweichen, indem man eine Vorschrift, die dem Schutze des Beschuldigten dient, je nach Art der Vernehmung einer divergierenden Auslegung unterwirft, stellte dies einen Bruch mit dem Grundkonzept des Vernehmungsrechts dar, die auch die Wortlautgrenzen überstiege. Warum nämlich eine unbewusste Irreführung durch einen Richter sprachlich unter den Täuschungsbegriff fallen soll, eine polizeiliche unbewusste Irreführung indessen nicht, kann nicht erklärt werden. Letzten Endes kann es auch nicht auf eine Unterscheidung zwischen Irreführungen über Tatsachen und solchen über Rechtsfragen ankommen.212 Zwar mag eine Irreführung über Rechtsfragen für den Beschuldigten bisweilen schwerer wiegen als eine solche über Tatsachen. Das Gesetz differenziert jedoch selbst nicht zwischen rechtlichen und tatsächlichen Irreführungen. Entscheidend ist insoweit allein, ob sich aus dem Gesetz ein Wahrheitsanspruch des Beschuldigten hinsichtlich der fraglichen Rechts- oder Tatsachenfrage ergibt. Lässt sich dies bejahen, unterliegt der Beschuldigte einem gesetzlichen Schutz selbst vor unbewussten Irreführungen. 3. Erfordernis eines fahrlässigen Verhaltens des Vernehmenden? Im Ergebnis setzt der Täuschungsbegriff also nicht das Vorliegen eines Täuschungsbewusstseins oder gar einer Täuschungsabsicht voraus. Soweit dieses Ergebnis in der Literatur geteilt wird, verlangt man jedoch weit überwiegend ein dem Staat zurechenbares fahrlässiges Verhalten als einschränkendes Kriterium.213 Eine Täuschung liege demnach nur vor, wenn der Vernehmende hätte erkennen können, dass sein Verhalten zu einer relevanten Fehlvorstellung beim Beschuldigten führen kann. 211  Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 47 Rn. 2; eingehend zum Öffentlichkeitsgrundsatz Gierhake JZ 2013, 1030. 212  So aber Achenbach StV 1989, 515 (517 f.); Knauth NJW 1978, 741 (744) und Meyer-Goßner/Schmitt59 § 136a StPO Rn. 13. 213  Kunert MDR 1967, 539 (541 f.); LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 50.

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

Ob aber der Täuschungsbegriff als solcher ein Zurechnungskriterium in Form einer Fahrlässigkeit voraussetzt, ist äußerst fraglich. Zwar können Befürworter eines dahingehenden Erfordernisses ins Feld führen, dass die Auslegung des Täuschungsbegriffes den durch das mit der Rechtsfolge des Beweisverwertungsverbots verknüpften Konflikt zwischen Strafverfolgungsund Beschuldigteninteressen zu berücksichtigen hat. Fielen gänzlich unverschuldete Irreführungen in den Anwendungsbereich der Täuschung, ginge dies mit einer deutlichen Mehrbelastung der Strafverfolgung einher. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass der Täuschungsbegriffs unabhängig von der gesetzlich konstituierten Rechtsfolge ausgelegt werden muss. Richtigerweise sprechen die oben gegen das Vorsatzerfordernis angeführten Argumente gleichfalls gegen das Fahrlässigkeitserfordernis.214 Das Täuschungsverbot dient nicht der Sanktionierung eines rechtswidrigen Verhaltens des Vernehmenden, sondern bezweckt den Schutz des Beschuldigten vor ihn in seiner Aussagefreiheit beeinträchtigenden Irrtümern. Für den Beschuldigten macht es aber gerade keinen Unterschied, ob den Vernehmungsbeamten ein Verschulden an der Kommunikation eines unrichtigen Inhalts bzw. an dem Unterlassen der gebotenen Aufklärung trifft, weil die objektive Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens erkennbar war. So oder so beruht die Aussage des Beschuldigten auf einer unrichtigen Erkenntnisgrundlage über Tatsachen oder Rechtsfragen, sein Schutzbedürfnis ist mithin jeweils identisch. Dieses Ergebnis wird auch dadurch getragen, dass das strafprozessuale Täuschungsverbot angewandtes Verfassungsrecht ist, eine einfachgesetzliche Ausgestaltung zum Schutze der Grundrechte des Beschuldigten (siehe näher dazu S. 152 ff.). Die Feststellung eines Grundrechtseingriffs wird indes stets objektiv, ohne Rücksicht auf ein Verschulden des handelnden staatlichen Organs, vorgenommen.215 Es ist nicht ersichtlich, warum dies im Rahmen des Strafverfahrensrechts anders beurteilt werden sollte.

D. Ergebnis: Begriff der Täuschung Der Täuschungsbegriff ist entgegen der ganz herrschenden Meinung zur Gewährleistung eines höchstmöglichen Schutzniveaus des Beschuldigten extensiv auszulegen. Dies ist unmittelbare Folge der gesetzlichen Bestimmung des Zwecks der Beschuldigtenvernehmung in § 136 Abs. 2 StPO als ausschließliche Gewährung der Möglichkeit zur Entkräftung des gegen ihn vorliegenden Verdachts.

214  So

zu Recht MK-StPO/Schuhr § 136a StPO Rn. 26. 105, 279 (300 f.); Maunz/Dürig/Herdegen Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 40.

215  BVerfGE



E. Der Konflikt der Täuschung119

Wie die Ausführungen des zweiten Kapitels gezeigt haben, ist die aktive Täuschung ein kommunikativer Akt, durch welchen dem Beschuldigten ausdrücklich oder konkludent ein objektiv unrichtiger Inhalt (in Form von Tatsachen, Rechtsfragen oder im Einzelfall sogar Werturteilen) vermittelt wird. Terminologisch nicht erforderlich ist die Entstehung eines Irrtums beim Beschuldigten, da es sich bei der Täuschung um ein Individualverhalten des Vernehmenden handelt. Richtigerweise wird die Frage nach dem „Täuschungserfolg“ erst im Rahmen der Rechtsfolgen des Verstoßes gegen das Täuschungsverbot relevant. Das Gegenstück zur aktiven Täuschung bildet die Täuschung durch Unterlassen, die als Verstoß gegen ein gesetzliches Kommunikationsgebot, also als Nichtkommunikation trotz gegenteiliger gesetzlicher Anordnung, zu verstehen ist. Aus dieser Umschreibung wird bereits deutlich, dass die Täuschung durch Unterlassen per definitionem an höhere Voraussetzungen geknüpft ist als die aktive Täuschung, denn sie erfordert das Vorliegen einer Garantenpflicht in Form einer Pflicht zur Kommunikation eines bestimmten Inhalts. In erster Linie handelt es sich dabei um die gesetzlich festgelegten Aufklärungspflichten, also in tatsächlicher Hinsicht um die aus dem Vernehmungszweck (§ 136 Abs. 2 StPO) herzuleitende Pflicht zur Mitteilung sämtlicher Verdachtsgründe und in rechtlicher Hinsicht um die gesetzlich kodifizierten Aufklärungspflichten über gewisse Beschuldigtenrechte. Der Täuschungsbegriff verlangt überdies kein Täuschungsbewusstsein und erst recht keine Absicht des Vernehmungsbeamten. Da das Täuschungsverbot dem Schutz des Beschuldigten dient, kann es nach zutreffender Ansicht nicht auf die subjektiven Vorstellungen des Vernehmenden ankommen.

E. Der Konflikt der Täuschungmit dem Zweck der Beschuldigtenvernehmung Aus den in den ersten beiden Kapiteln vorgenommenen Überlegungen ist der zwingende Schluss zu ziehen, dass die Täuschung des Beschuldigten im Rahmen seiner Vernehmung einem absoluten, das heißt ohne Ausnahmen geltenden, einfachgesetzlichen Verbot unterliegt. Dieses Ergebnis ist die Konsequenz des in § 136 Abs. 2 StPO abschließend kodifizierten Entlastungszwecks der Beschuldigtenvernehmung. Im Gegensatz zum gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess ist die Rolle des Beschuldigten im Strafverfahren der Strafprozessordnung als Subjekt definiert, das ausschließlich dann der Wahrheitsfindung dienlich sein soll, wenn es sich aufgrund eines autonomen Willensaktes zur Kooperation entschließt. Täuscht der Vernehmende den Beschuldigten, oktroyiert er ihm eine durch § 136 Abs. 2 StPO ausgeschlossene Beweisfunktion. Denn es liegt auf der Hand, dass täuschende Vernehmungsmuster nicht nur der vom Gesetz geforderten Gelegenheit zur Entlas-

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Kap. 2: Täuschung des Beschuldigten

tung vorliegender Belastungsbeweise und -indizien abträglich sind, sondern diesem Zweck ihrem Wesen nach sogar zuwiderlaufen. Einem Beschuldigten, der über das Vorliegen eines Belastungsbeweises getäuscht wird oder dem bereits das Vorliegen einer Vernehmungssituation verschwiegen wird  – wie es etwa beim Einsatz von Verdeckten Ermittlern regelmäßig der Fall ist  – wird die Selbstentlastung wesentlich erschwert, im letzteren Falle sogar unmöglich bzw. vom reinen Zufall abhängig gemacht. Die herrschende Meinung kommt insoweit zu einem höchstwidersprüchlichen Ergebnis. Sie anerkennt nämlich den Entlastungszweck der Beschuldigtenvernehmung, spricht ihr gleichwohl einen nachrangigen Ermittlungszweck zu. Freilich kollidiert die Täuschung selbst unter Zugrundelegung eines solchen Zweckverständnisses mit der als Hauptzweck anerkannten Gewährung rechtlichen Gehörs zur Entlastung von Verdachtsmomenten. Darüber sieht die herrschende Meinung indes hinweg, indem sie sich auf ihr Credo eines eng auszulegenden Täuschungsverbots nach § 136a StPO beruft. All dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der eigentliche Rechtsgrund der Unzulässigkeit entlastungszweckwidriger Verhörmethoden bereits  – und das in abschließender Form – aus § 136 Abs. 2 StPO folgt. Dies ist die historische Konzeption der Strafprozessordnung, die durch den klarstellenden, allerdings rein deklaratorischen § 136a StPO keinerlei Änderung erfahren hat. Aus alledem folgt auch, dass Täuschungen des Beschuldigten außerhalb seiner Vernehmung keinem absoluten Verbot unterliegen. Die Zweckbestimmung des § 136 Abs. 2 StPO ist rein auf die Vernehmungssituation zugeschnitten und auch § 136a StPO ist seiner Systematik nach nicht auf das Strafverfahren außerhalb der Vernehmung anwendbar. Dies mag zunächst befremdlich anmuten, ist aber nur konsequent. Denn die Ermittlung der materiellen Wahrheit ist zweifellos für die Erreichung des Ziels des Strafverfahrens unerlässlich, sodass die Wahrheitsfindung einschränkende Vorschriften wie § 136 Abs. 2 StPO nur in Situationen gelten können, in denen der Beschuldigte besonders schutzbedürftig ist. Der Handlungsspielraum der Ermittler ist außerhalb der Vernehmung gleichwohl nicht unbegrenzt. Schranken ergeben sich aus den Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten des Beschuldigten, die es im Folgenden zu erörtern gilt.

Kapitel 3

Die Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts Nachdem nun der Begriff der Täuschung konkretisiert und die einfachgesetzliche Unzulässigkeit der Täuschung gemäß § 136 Abs. 2 StPO festgestellt wurde, muss der Fokus auf das Verhältnis von Beschuldigtentäuschung und Grundgesetz gerichtet werden. Von Interesse ist das Verfassungsrecht dabei in zweierlei Hinsicht: Zum einen bedarf es einer Antwort auf die Frage, inwieweit das einfachgesetzliche Täuschungsverbot durch das Grundgesetz abgesichert ist. Bedeutung erlangt diese Frage vor allem mit Blick auf das Verhältnis von einfachgesetzlichem Täuschungsverbot und irreführender Eingriffsbefugnisse wie dem Einsatz Verdeckter Ermittler in § 110a StPO sowie auf die lex ferenda. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass die Verfassung möglichweise auch Anknüpfungspunkte für Einschränkungen des Täuschungsverbots bieten kann. Garantiert das Grundgesetz eine funktionale Strafrechtspflege (dazu C.), könnte eine Güterabwägung mit den Rechten des Beschuldigten im Einzelfall eine Auflösung des Konflikts zugunsten der Belange der Strafverfolgung begründen oder geradezu verlangen. Zunächst sei das Blickfeld jedoch auf die Garantie der Menschenwürde (A.) und das nemo-tenetur-Prinzip (B.) gerichtet.

A. Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) I. Ausgangspunkt: Kein Eingriff in die Menschenwürde durch Täuschungen des Beschuldigten Das expressis verbis in § 136a StPO verfasste Verbot inquirierender Vernehmungsmethoden soll verbreiteter Auffassung zufolge die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG einfachgesetzlich konkretisieren.1 Dies ist zwar nicht grundsätzlich falsch, aber insoweit missverständlich, als dies suggeriert, dass die Anwendung sämtlicher von § 136a StPO erfasster Ver1  BGHSt 5, 332 (333); Erbs NJW 1951, 386; LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 1 ff.; KMR-StPO/Kulhanek § 136a Rn. 1; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 3; Roxin/Schüne­ mann, Strafverfahrensrecht, § 25 Rn. 17; BK-GG/Zippelius Art. 1 Abs. 1  und  2 Rn. 65.

122 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

nehmungsmethoden eine Verletzung der Menschenwürde darstellt. Auf die im ersten Absatz mit den Worten der „Misshandlung“ und „Quälerei“ umschriebene Folter mag das zweifelsohne zutreffen,2 mit Blick auf Verhörmethoden wie der Drohung oder der hier zu betrachtenden Täuschung ist dies indessen keineswegs selbstverständlich. Zur Beurteilung, ob die Täuschung des Beschuldigten eine Verletzung seiner Menschenwürde darstellt, ist zunächst eine Konturierung dessen erforderlich, was Art. 1 Abs. 1 GG überhaupt verbürgt. Schwierigkeiten bereitet dabei die positive Bestimmung des durch die Vorschrift garantierten Schutzumfangs,3 weswegen sich Rechtsprechung und weite Teile der Literatur der Menschenwürdegarantie über die Definition der Voraussetzungen ihrer Verletzung annähern. Zu diesem Zwecke wird die von Wintrich4 in Anlehnung an die deontologische Ethik Immanuel Kants, der zufolge eine Person niemals bloßes Mittel sein darf, sondern stets ein Zweck an sich sein muss,5 formulierte Objektformel herangezogen.6 In diesem Sinne verletze 2  Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 151. Dies gilt jedenfalls im repressiven Strafverfahrensrecht. Umstritten ist dagegen, ob die sog. „Rettungsfolter“ zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen Menschen gerechtfertigt sein kann, siehe dazu auch unten S. 129 f. 3  Baldus, Kämpfe um die Menschenwürde, S. 11 ff.; Hofmann AöR 118 (1993), 353 (356). 4  Wintrich FS Laforet, S. 227 (235 f.); siehe auch Dürig AöR 81 (1956), 117 (127), der maßgeblich zur Popularität der Objektformel beigetragen hat. 5  Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Werkausgabe Bd. VII, S. 61: „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ sowie Kant, Die Metaphysik der Sitten, Werkausgabe Bd. VIII, S. 600 f.: „Ein jeder Mensch hat rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinen Nebenmenschen, und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden anderen verbunden. Die Menschheit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann von keinem Menschen (weder von anderen noch so gar von sich selbst) bloß als Mittel, sondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden und darin besteht eben seine Würde (die Persönlichkeit), dadurch er sich über alle andere Weltwesen, die nicht Menschen sind, und doch gebraucht werden können, mithin über alle Sachen erhebt. Gleich wie er also sich selbst für keinen Preis weggeben kann (welches der Pflicht der Selbstschätzung widerstreiten würde), so kann er auch nicht der eben so notwendigen Selbstschätzung anderer, als Menschen, entgegen handeln, d. i. er ist verbunden, die Würde der Menschheit an jedem anderen Menschen praktisch anzuerkennen, mithin ruht auf ihm eine Pflicht, die sich auf die jedem anderen Menschen notwendig zu erzeigende Achtung bezieht.“. Vgl. zum Würdebegriff Kants ferner Knoepffler, in: Sedmak, Menschenwürde: Vom Selbstwert des Menschen, S. 63 und kritisch Sensen, in: Brandhorst/Weber-Guskar, Menschenwürde, S. 154. 6  Das BVerfG zieht die Objektformel regelmäßig zur Bestimmung von Eingriffen in Art. 1 Abs. 1 GG heran (vgl. etwa BVerfGE 87, 209 [228]), konstatiert aber gleichwohl, dass die Formel „lediglich die Richtung andeuten [kann], in der Fälle der Verletzung der Menschenwürde gefunden werden können. Der Mensch ist nicht sel-



A. Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG)123

die Behandlung einer Person ihre Menschenwürde, wenn sie den Wert vermissen lässt, welcher der Person unabhängig von individuellen Eigenschaften, insbesondere auch der auf ihr lastenden Schuld, allein aufgrund ihres Menschseins zukommt, sie „zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe“7 herabwürdigt. Da auch die Objektformel das Bedürfnis nach einer näheren Konkretisierung aufwirft, beruft sich die herrschende Meinung unterstützend auf gewisse Fallgruppen, in denen eine Verletzung der Menschenwürde vorliegen soll.8 Die Vereinbarkeit der Täuschung des Beschuldigten mit Art. 1 Abs. 1 GG bemisst sich folglich daran, ob sie die Stellung des Beschuldigten als Prozesssubjekt dadurch negiert, dass sie ihn zum bloßen Mittel der Wahrheitserforschung degradiert,9 wobei die Anforderungen an eine Menschenwürdeverletzung hoch anzusetzen sind. So wird zu Recht darauf hingewiesen, dass einer drohenden Entwertung, einer „Trivialisierung“ der Menschenwürde entgegengewirkt werden muss, die durch eine inflationäre Handhabung des Art. 1 Abs. 1 GG als eine Art Generalklausel für ethisch aufgeladene Fallkonstellationen einzutreten droht.10 Die Menschenwürdegarantie als deutlichste Antwort des Verfassungsgebers auf das nationalsozialistische Unrecht11 kann nicht schon aufgrund einer rechtswidrigen Behandlung des Bürgers durch den Staat tangiert sein. Im Grundsatz gilt dies auch für irreführende Verhörmethoden. Ungeachtet ihrer einfachgesetzlichen Unzulässigkeit wird der Beschuldigte durch eine Täuschung nicht bereits zu einem bloßen Prozessobjekt heruntergewürdigt. Zwar dient die Täuschung keinem anderen Zweck als der Beweisgewinnung gegen den Beschuldigten, sodass sie dem Vernommenen eine Beweisfunktion ten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts, insofern er ohne Rücksicht auf seine Interessen sich fügen muß.“ (BVerfGE 30, 1 [25 f.]). Zur Anwendung der Objektformel in der Lit. siehe statt vieler v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 1 Abs. 1 GG Rn. 17. 7  Dürig AöR 81 (1956), 117 (127). 8  Die Menschenwürdegarantie soll insb. (aber nicht abschließend) die Deklassierung und Herabwürdigung von Personen(-gruppen) sowie die Erniedrigung von Menschen ausschließen und ein Existenzminimum garantieren, siehe dazu insg. Michael/ Morlok, Grundrechte, Rn. 148 ff.; vgl. zu den philosophischen Grundlagen der Erniedrigung als Menschenwürdeverletzung auch Schaber, in: Brandhorst/Weber-Guskar, Menschenwürde, S. 46 f. 9  So zutreffend BK-GG/Zippelius Art. 1 und 2 Rn. 65. 10  Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 133; siehe auch Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 16 f. mit zahlreichen Nachw. 11  BVerfGE 124, 300 (328). Die Menschenwürdegarantie sollte neben der Reaktion auf den Nationalsozialismus indes auch eine Abgrenzung der westlich orientierten Bundesrepublik zum Sowjetsozialismus darstellen, vgl. Baldus, Kämpfe um die Menschenwürde, S.  16 f.

124 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

oktroyiert, die ihm gesetzlich gerade nicht auferlegt wird. Die Täuschung des Beschuldigten ist jedoch kaum in der Lage, ihn zu einem bloßen Mittel der Inquisition (scil. zum Prozessobjekt) zu degradieren. Zwar ist es nicht durchgreifend, wenn Müncheberg argumentiert, dass ein Eingriff in die Menschenwürde durch die Täuschung schon deshalb ausscheide, weil ihre Folge eine umfängliche Aufklärungspflicht des Vernehmenden wäre, soweit sich der Beschuldigte erkennbar in einem Irrtum befindet, da ansonsten auch in der Nichtaufklärung ein Eingriff in Art. 1 Abs. 1 GG zu erblicken wäre.12 Unabhängig von der hier vertretenen Auffassung, dass die Nichtaufklärung eines Irrtums des Beschuldigten ohnehin oftmals bereits per definitionem eine einfachgesetzlich unzulässige Täuschung darstellt (siehe oben S. 100 f.), handelt es sich bei dem Verweis auf die Folge um ein unzulässiges argumentum ad consequentiam. Es lässt sich darauf herunterbrechen, dass die Täuschung nicht mit der Menschenwürde kollidieren kann, weil dies eine „unerwünschte“ Rechtsfolge nach sich ziehen würde.13 Zutreffend ist dagegen der Hinweis, dass der Beschuldigte trotz seines täuschungsbedingten Irrtums regelmäßig weiterhin die Freiheit hat, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen oder seine Täterschaft zu leugnen.14 Er bleibt trotz Irrtums weiterhin ein mit eigenen Rechten ausgestattetes Subjekt des Strafverfahrens. Daher verletzt die Täuschung den Beschuldigten grundsätzlich nicht in seinem von Art. 1 Abs. 1 GG verbürgten Anspruch auf Achtung seiner Menschenwürde.

II. Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung als Grenze 1. Der Einsatz verdeckt ermittelnder Personen im Umfeld des Beschuldigten als Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung? Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur akustischen Wohnraumüberwachung (sogenannter Großer Lauschangriff) deutlich gemacht, dass der Adressat von Strafverfolgungsmaßnahmen noch nicht dadurch in seinem Achtungsanspruch verletzt werde, dass der Staat heimlich gegen ihn vorgeht.15 Insoweit hatte der Erste Senat die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der die akustische Wohnraumüberwachung ermöglichen12  Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S.  11 f. 13  Zutreffend bereits Lindner, Täuschungen in der Vernehmung des Beschuldigten, S. 43. 14  Lindner, Täuschungen in der Vernehmung des Beschuldigten, S. 41. 15  BVerfGE 109, 279 (313).



A. Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG)125

den Art. 13 Abs. 3  bis  6 GG sowie der entsprechenden Vorschriften der Strafprozessordnung zu beantworten. Die akustische Wohnraumüberwachung als heimliche Methode der Beweisgewinnung ist dabei eng mit einer Täuschung des Beschuldigten verknüpft, denn der Beschuldigte wird selbstbelastende Äußerungen nur dann tätigen, wenn er in dem – jedenfalls sachgedanklichen – (Mit‑)Bewusstsein handelt, dass die Strafverfolgungsbehörden nicht mithören. Durch das Mithören des gesprochenen Wortes greift der Staat auf das Wissen des Beschuldigten zu, ohne dass dieser davon Kenntnis hat oder gar damit einverstanden ist (näher zu diesem Kriterium S. 152 ff.). Dass das Bundesverfassungsgericht die darin immanente Heimlichkeit als solche noch nicht als würdeverletzend erachtet, bestätigt die hier im Grundsatz aufgestellte These, dass die Täuschung als irreführende Maßnahme zur Geständniserlangung keine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG darstellt. Freilich betont das Gericht, dass die Menschenwürdegarantie einen „unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung“ garantiere, in den der Staat nicht eindringen darf.16 Der Kernbereich soll dabei in der Möglichkeit liegen, „innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher Art zum Ausdruck zu bringen“.17 Das Urteil bezieht sich zwar auf den Schutz vor Eingriffen in den Kernbereich innerhalb der privaten Wohnung, ist aber im Grundsatz auf vergleichbare Situa­ tionen übertragbar. Das Bundesverfassungsgericht betont nämlich, dass sich der absolute Schutz nicht auf die Privatwohnung als Räumlichkeit beziehe, sondern vielmehr auf das in ihr ausgeübte Verhalten, sofern es eine Tätigkeit im obigen Sinne darstellt.18 Soweit menschliches Verhalten also als höchstpersönlich einzustufen ist, muss es den Schutz von Art. 1 Abs. 1 GG unabhängig vom konkreten Ort des Verhaltens genießen, obgleich das Tragen des Verhaltens in die Öffentlichkeit im Einzelfall Indizwirkung gegen die Höchstpersönlichkeit haben kann.19 16  BVerfGE 109, 279 (313). Das BVerfG hat den absoluten Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung indes bereits deutlich früher hervorgehoben. Im sog. „Elfes-Urteil“ betonte es, dass „dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vorbehalten ist, also ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist“ (BVerfGE 6, 32 [41]) und in seiner Entscheidung zum Mikrozensus legte es dar, dass „dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein ‚Innenraum‘ verleiben muß, in dem er ‚sich selbst besitzt‘ und ‚in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt‘ “ (BVerfGE 27, 1 [6]). 17  BVerfGE 109, 279 (313 f.). 18  BVerfGE 109, 279 (314). Anschaulich auch Ruthig GA 2004, 587 (598), der unter Verweis auf den Supreme Court of the United States feststellt, dass Menschen geschützt sind und nicht Räume. 19  Vgl. auch Baldus JZ 2008, 218 (219 f.).

126 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

Nun mag ein Eingriff in den in der Menschenwürde des Beschuldigten wurzelnden und daher absolut geschützten Kernbereich seiner privaten Lebensgestaltung durch eine irreführende Einwirkung im Rahmen einer richterlichen Vernehmung nahezu ausgeschlossen sein. Eine Verletzung ist jedoch denkbar, wenn eine Strafverfolgungsbehörde durch verdeckt handelnde Ermittlungspersonen wie Verdeckte Ermittler oder V-Personen auf den Beschuldigten zugreift, um ihm selbstbelastende Äußerungen zu entlocken. Ob es sich bei solchen Kontakten um Vernehmungen im strafprozessualen Sinne handelt, wie es der hier vertretene funktionale Vernehmungsbegriff annimmt, oder ob mangels formellen Auftretens gegenüber dem Beschuldigten keine Vernehmung vorliegt (zur Diskussion oben S. 59 ff.), kann dabei für die Frage nach einer Menschenwürdeverletzung keinen Unterschied machen. Die höchstpersönliche Sphäre ist jedenfalls dann betroffen, wenn dem Beschuldigten ein romantisches Verhältnis vorgespielt wird, um sein Vertrauen zu gewinnen. Solche Beziehungen gehören nämlich zum innersten Gefühlsleben eines Menschen und müssen der staatlichen Einflussnahme verschlossen bleiben.20 Ob indes bereits das Vorspielen einer engen freundschaftlichen Beziehung durch eine verdeckt handelnde Ermittlungsperson im Konflikt mit der Menschenwürdegarantie steht, ist zweifelhaft. Denn verdeckte Ermittlungen im Umfeld des Beschuldigten sind stets auf die Schaffung eines Vertrauensverhältnisses angewiesen. Stellte bereits das Vortäuschen eines Vertrauensverhältnisses auf freundschaftlicher Basis eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG dar, käme dies einer verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit des Einsatzes verdeckter ermittelnder Personen gleich. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung auf verwandtschaftliche Beziehungen beschränkt ist. Eine dahingehende Einschränkung zeigt sich insbesondere nicht in § 52 StPO, der ein Zeugnisverweigerungsrecht für Angehörige des Beschuldigten statuiert. § 52 StPO stellt keine einfachgesetzliche Vorschrift zum Schutz der Intimsphäre des Beschuldigten dar, sondern soll einen Gewissenskonflikt beim grundsätzlich zur Aussage verpflichteten Zeugen vorbeugen.21 Daher hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht betont, dass es ausschließlich auf ein besonderes Vertrauensverhältnis ankommen kann, welches auch zwischen engen Freunden bestehen kann.22 Doch kann die Vorspiegelung eines freundschaftlichen Vertrauensverhältnisses nicht per se den Vorwurf eines entwürdigenden, da in die Intimsphäre des 20  Auch das BVerfG stellt fest, dass „Ausdrucksformen der Sexualität“ dem Kernbereich unterfallen, siehe BVerfGE 109, 279 (313). 21  Eingehend Jansen, Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO für besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse, S. 132 ff. 22  BVerfGE 109, 279 (322).



A. Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG)127

Beschuldigten eingreifenden, Verhaltens begründen, vielmehr bedarf es stets einer Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls. In der Regel müssen daher zur bloßen Täuschung über eine freundschaftliche Beziehung weitere entwürdigende Momente hinzutreten, um einen Eingriff in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung annehmen zu können. 2. Verletzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung am Beispiel des Urteils des Landgerichts Kiel vom 15. Januar 2010 (Az. 8 Ks 4/09) Einen in der Literatur angesichts seiner „Brisanz“ erstaunlich wenig beachteten Grenzfall hatte das Landgericht Kiel zu entscheiden.23 Unter dem Vorwand der Ableistung von Sozialstunden verschaffte sich ein Verdeckter Ermittler Zugang zu einem aufgrund unterschiedlicher somatischer Störungen und Alkoholmissbrauchs in einer Werkstatt für Behinderte tätigen und wegen eines Tötungsdelikts verdächtigen Beschuldigten. Der bestellte Sachverständige beschrieb die Verfassung des Beschuldigten als „Kombination einer mindestens durchschnittlichen Intelligenz, bemerkenswerter verbaler Eloquenz, guter mnestischer Fähigkeiten, eines ausgeprägten Bedürfnisses nach Aufmerksamkeit und Zuwendung, des […] Imponierverhaltens sowie der […] diagnostizierten Borderline-Störung und der mit ihr einhergehenden ausgeprägten Angst vor Beziehungsverlusten und einer Instabilität im Selbstbild“, vor dessen Hintergrund der Einsatz des Verdeckten Ermittlers beurteilt werden müsse.24 Dieser habe sich den „unzufriedenen und zurückgezogenen Zustand“ des Beschuldigten zunutze gemacht, indem er ihm durch vermeintliches Interesse für die Lieblingsthemen des Beschuldigten und durch das Entgegenbringen scheinbar großen Vertrauens eine immer intensivere freundschaftliche Beziehung vorgespiegelt habe.25 Schließlich habe der Verdeckte Ermittler begonnen, den Beschuldigten mit dem Verschwinden des Tatopfers zu konfrontieren und ihm Vorwürfe zu machen, dass er hinsichtlich der Gründe für das Verschwinden gelogen habe. Kombiniert mit dem symbolischen Vertrauensentzug durch den Verdeckten Ermittler und „in einer sich immer weiter zuspitzenden Situation und der immer stärker werdenden Androhung des Zuwendungsentzugs“ habe sich der Beschuldigte dem Verdeckten Ermittler gegenüber der Tat bezichtigt.26

23  LG Kiel, Urt. v. 15.01.2010 – Az. 8 Ks 4/09. Mit dem Urteil befassen sich Ostendorf FS Roxin, S. 1329 sowie Sickor StV 2015, 516. 24  LG Kiel, Urt. v. 15.01.2010 – Az. 8 Ks 4/09, juris Rn. 49. 25  LG Kiel, Urt. v. 15.01.2010 – Az. 8 Ks 4/09, juris Rn. 51–53. 26  LG Kiel, Urt. v. 15.01.2010 – Az. 8 Ks 4/09, juris Rn. 54–56.

128 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

Dieses „erschreckende“27 Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden wirft die Frage nach der Vereinbarkeit mit Art. 1 Abs. 1  GG auf. Wie festgestellt wurde, kann das bloße Vortäuschen eines freundschaftlichen Vertrauensverhältnisses regelmäßig noch keinen Würdeverstoß begründen. Der Fall des Landgerichts Kiel ist jedoch von der Besonderheit geprägt, dass der Verdeckte Ermittler über das bloße „Einschmeicheln“ hinaus die von Einsamkeit geprägte Situation des Beschuldigten sowie seine somatischen Störungen ausnutzte, um seine Geständnisbereitschaft zu erhöhen (vgl. zur damit einhergehenden Gefahr falscher Geständnisse S. 160 ff.). Allen voran die vom Sachverständigen diagnostizierte Borderline-Persönlichkeitsstörung ist durch eine krankhafte Angst Betroffener vor dem Verlassenwerden charakterisiert, die auch mit suizidalen Tendenzen einhergehen kann.28 Stellt die Beendigung einer Freundschaft bereits für gesunde Menschen eine psychische Belastung dar, kann sie für den Borderline-Patienten „existenziell bedrohlich“29 werden. Gerade dies machte sich der Verdeckte Ermittler zunutze, indem er zur Erhöhung der „Wirksamkeit“ der Täuschung gezielt auf die psychisch anormale Verfassung des Beschuldigten einwirkte und ihn dadurch zu einem bloßen Mittel der Wahrheitserforschung herabwürdigte. Der vom Landgericht Kiel zu entscheidende Fall ist daher als Fall der würdeverletzenden Täuschung einzustufen.30 3. Verletzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung in der Untersuchungshaft und im Strafvollzug Aus der Rechtsprechung sind einige Fälle bekannt, in denen Mithäftlinge von den Strafverfolgungsbehörden als Informanten gewonnen oder Verdeckte Ermittler in den Strafvollzug eingeschleust werden, um ein Vertrauensverhältnis zum Beschuldigten aufzubauen.31 Sofern der Informant nicht im selben Haftraum wie der Beschuldigte untergebracht ist, ist der Fall nach oben aufgestellten Grundsätzen zu lösen, sodass regelmäßig kein Würdeverstoß Sickor StV 2015, 516. in: Schnell, Moderne Kognitive Verhaltenstherapie bei schweren psychischen Störungen, S. 62. 29  Tank/Schnell, in: Schnell, Moderne Kognitive Verhaltenstherapie bei schweren psychischen Störungen, S. 62. Die Autoren führen weiterhin aus, dass die Betroffenen das Gefühl haben, „alleine nicht lebensfähig zu sein“ und sich derart über das Verhältnis zu anderen Menschen definieren, dass sie im Falle des Verlassenwerdens „sprichwörtlich auch sich selbst verlieren.“. 30  So i. Erg. auch Ostendorf FS Roxin, S. 1329 (1339). 31  Vgl. etwa den paradigmatischen Fall EGMR, Urt. v. 05.11.2002 – Az. 48539/99 (Allan v. The United Kingdom) = StV 2003, 257, dem ein Sachverhalt zugrunde liegt, in dem der Beschuldigte über mehrere Wochen hinweg einen Verdeckten Ermittler als Zellengenossen hatte. Siehe auch BGHSt 34, 362. 27  So

28  Tank/Schnell,



A. Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG)129

anzunehmen ist. Etwas anderes könnte jedoch gelten, wenn er zwecks effektiver Einwirkung auf den Beschuldigten in den gleichen Räumlichkeiten untergebracht ist. Hafträume sind zwar umfassenden Zugriffsrechten der Justizvollzugsbeamten unterworfen, bilden indes auch die letzte „Bastion“ der Privatsphäre des Beschuldigten und seine letzte Rückzugsmöglichkeit während des Strafvollzugs. Auch wenn die Rechtsordnung den Hafträumen keinen mit Art. 13 Abs. 1 GG vergleichbaren Schutz einräumt, auf dessen Beachtung der Inhaber vertrauen kann,32 gebietet die Menschenwürde des Beschuldigten einen möglichst schonenden Eingriff zur Wahrung der ihm verbleibenden Privatsphäre.33 Positioniert der Staat einen Informanten oder einen Verdeckten Ermittler im gleichen Raum, in dem auch der Beschuldigte untergebracht ist, stellt dies einen erheblichen Eingriff in seine Privatsphäre dar, indem das während des Strafvollzugs kaum hinreichend befriedigte natürliche Mitteilungs- und Kommunikationsbedürfnis des Beschuldigten ausgenutzt wird. Dies gilt zumal sich der Beschuldigte, anders als beim Einsatz Verdeckter Ermittler gegenüber einem sich in Freiheit befindenden Beschuldigten, dem Einfluss des vermeintlichen Mithäftlings nicht entziehen kann. Dennoch kann auch hier von einer pauschalen Verletzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung die Rede nicht sein. Denn wie bereits festgestellt, schützt der Kernbereich gerade keine Räumlichkeit, sondern den dahinter stehenden Menschen und seine Kommunikation. Nach zutreffender Auffassung ist jedoch selbst die Kommunikation des Beschuldigten über eine begangene Straftat mit einem Angehörigen innerhalb seiner Privatwohnung kein höchstpersönlicher, absolut geschützter Sachverhalt.34 Dann muss dies erst recht für diesbezügliche Kommunikation mit einem Mithäftling im Justizvollzug gelten.

III. Täuschungsgebot aufgrund kollidierender Menschenwürde Dritter? Der Fall Daschner35 hat eine bereits bei Erlass des § 136a StPO geführte,36 zwischenzeitlich indes in Vergessenheit geratene, Debatte wieder neu belebt. Zur Rettung eines noch für lebend gehaltenen Entführungsopfers drohte der gleichnamige Frankfurter Polizeipräsident dem Beschuldigten die Anwendung körperlicher Gewalt an, falls dieser den Aufenthaltsort des Opfers nicht 32  BVerfG

NJW 1996, 2643. NJW 1996, 2643; BGHSt 37, 380 (382). 34  BVerfGE 109, 279 (319); kritisch dagegen Lindemann JR 2006, 191 (197 f.). 35  Zur Diskussion etwa Fahl JR 2004, 182; Götz NJW 2005, 953; Lüderssen FS Rudolphi, S. 691. 36  Vgl. etwa Dürig AöR 81 (1956), 117 (128). 33  BVerfG

130 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

offenbare. Weit über juristische Kreise hinaus hat der Fall den Diskurs angeheizt, ob die Anwendung von Folter gerechtfertigt sein könne, um eine Gefahr für das Leben einer oder gar einer Vielzahl anderer Personen zu retten (sogenannte Rettungsfolter).37 Die Kernproblematik des Falles ist jedoch auf die hier zu beurteilende Täuschung des Beschuldigten nicht übertragbar. Es handelte sich um den paradigmatischen Fall einer Kollision der Menschenwürde des Täters und des Opfers. Hielte man an der Unabwägbarkeit der Menschenwürde fest, könnte die Anwendung entwürdigender Methoden dem Beschuldigten gegenüber auch dann nicht gerechtfertigt sein, wenn sie gleichsam die Wahrung der Würde des Opfers mit sich bringt. Entgegen früher geäußerter Meinungen38 liegt in Beschuldigtenvernehmungen, die (anders als im Falle Daschner) ausschließlich im Rahmen des repressiven Strafverfahrens durchgeführt werden, indes bereits keine Würdekollision vor. Der Staat wird zwar durch das Legalitätsprinzips verpflichtet, einem Anfangsverdacht nachzugehen und bei Verdichtung der Verdachtsgründe Anklage zu erheben und den Beschuldigten zu bestrafen. Das Legalitätsprinzip verpflichtet den Staat jedoch nur zu einer justizförmigen Strafverfolgung, deren Grundgerüst in der Verfassung kodifiziert und im einfachen Recht (Strafprozessordnung und Gerichtsverfassungsgesetz) konkretisiert wird, nicht zu einer Strafverfolgung um jeden Preis.39 Gelingt den Strafverfolgungsbehörden bei Ausschöpfung der gesetzlichen Ermittlungsmaßnahmen der Tatnachweis nicht, kann darin keine Verletzung von Opferrechten, geschweige denn eine Entwürdigung des Opfers, gesehen werden, sodass schon kein Würdekonflikt entsteht. Soweit die Würde des Beschuldigten mit dem staatlichen Interesse an der Wahrheitsermittlung und Strafverfolgung konfligiert, ist dieser Konflikt zugunsten der Menschenwürde aufzulösen. Der Verweis auf die Würde des Opfers und dessen Angehörigen zur repressiven Strafverfolgung vermag die Anwendung täuschender Vernehmungsmethoden daher nicht zu rechtfertigen. Eine Würdekollision ist lediglich in Beschuldigtenvernehmungen denkbar, die (auch) der präventiven Gefahrenabwehr dienen, wie etwa im Falle Daschner. Da die Täuschung indes die Menschenwürde des Beschuldigten grundsätzlich unberührt lässt, wird eine Würdekollision hinsichtlich einer irreführenden Vernehmungsmethode kaum auftreten.

37  Vgl. Lenzen, in: ders., Ist Folter erlaubt?, S. 199 ff. mit diversen Verweisen auf den öffentlichen Diskurs. 38  Dürig AöR 81 (1956), 117 (128) und v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz2, S. 152 f., die beide der Auffassung sind, dass in bestimmten Fällen zur Wahrheitserforschung in die Würde des Beschuldigten eingegriffen werden darf, da die Würde des Opfers überwiege. 39  BGHSt 14, 358 (365); BGHSt 31, 304 (309).



B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare)131

IV. Ergebnis Die Anwendung täuschender Vernehmungsmethoden zur Herbeiführung von Selbstbelastungen verletzt den Beschuldigten grundsätzlich nicht in seinem von Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Anspruch auf Achtung seiner Würde. Die Würdenorm gebietet daher auch kein einfachgesetzliches Täuschungsverbot. Gleichwohl kann die Täuschung in besonderen Ausnahmesituationen die Würde des Beschuldigten verletzen, wenn die agierende Strafverfolgungsbehörde durch sie in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung des Beschuldigten eingreift. Zu denken ist dabei insbesondere an den Einsatz verdeckt handelnder Personen wie Verdeckter Ermittler oder V-Personen, wobei das bloße Aufbauen eines vorgetäuschten Vertrauensverhältnisses auf freundschaftlicher Basis regelmäßig noch nicht die höchstpersönliche Sphäre tangiert. Stattdessen müssen darüber hinaus entwürdigende Momente vorliegen, wie etwa das Vorspiegeln einer romantischen bzw. sexuellen Beziehung oder das Ausnutzen von Persönlichkeitsstörungen des Beschuldigten. Auf der anderen Seite kann der Verweis auf die Menschenwürde des Opfers aber auch nicht die Anwendung täuschender Vernehmungsmuster dem Beschuldigten gegenüber gebieten. Das Opfer wird durch die Nichtaufklärung bzw. die erschwerte Sachverhaltsaufklärung nämlich schon nicht in seiner Würde verletzt. Etwas anderes ist ausschließlich zur Abwendung einer konkreten Gefahr für Leib und Leben etwa eines Entführungsopfers denkbar.

B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare) Das Strafverfahren soll die durch den Verdacht einer Straftat entstehende Gefahr für die Normakzeptanz abwehren, indem sie den Verdacht aufklärt und den überführten Täter einer schuldangemessenen Bestrafung zuführt (dazu sogleich S. 175 ff.). Anders als im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess, dem die Erforschung der materiellen Wahrheit als oberste Maxime zugrunde lag, hat der Beschuldigte im heutigen Strafverfahren den Status eines Verfahrenssubjekts mit eigenen Rechten inne. Die Rechtsordnung anerkennt, dass der einer Straftat Verdächtige ebenso wie seine Angehörigen der normerhaltenden Bestrafung regelmäßig keinen positiven Wert beimessen werden.40 Dieser Grundkonsens liegt materiellrechtlichen wie verfahrensrecht­ lichen Vorschriften gleichermaßen zugrunde. So reagiert das Strafgesetzbuch etwa durch persönliche Strafausschließungsgründe, wie sie in den §§ 157, 258 Abs. 5, 6 StGB normiert sind,41 und die Strafprozessordnung trägt dem 40  Frister, Die Struktur des „voluntativen Schuldelements“, S. 218; ders., Strafrecht AT, Kap. 21 Rn. 12. 41  Frister, Die Struktur des „voluntativen Schuldelements“, S. 218.

132 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

„Selbsterhaltungstrieb“ des Menschen durch das Recht zur Aussageverweigerung (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) und die Freiheit, auch im Übrigen nicht aktiv an der eigenen Strafverfolgung mitwirken zu müssen, Rechnung. Begünstigter dieser Freiheit ist in erster Linie der im Strafverfahren Beschuldigte, doch auch dem grundsätzlich einer Wahrheitspflicht unterliegenden Zeugen springt die Mitwirkungsfreiheit (auch als Selbstbelastungsfreiheit bzw. im Rahmen der Vernehmung als Aussagefreiheit bezeichnet) schützend zur Seite, soweit seine Wahrheitspflicht mit einer möglichen Selbstbelastung konfligiert (§ 55 StPO). Das nemo-tenetur-Prinzip ist eines der meistdiskutierten Problemfelder des Strafverfahrensrechts.42 Auch vor diesem Hintergrund versteht es sich von selbst, dass eine umfassende Berücksichtigung aller Fragestellungen an dieser Stelle nicht geleistet werden kann. Vielmehr wird der Schwerpunkt auf die Frage zu legen sein, inwieweit die staatlich veranlasste Täuschung des Beschuldigten einen Eingriff in sein Recht auf Mitwirkungsfreiheit darstellt, das heißt ob das einfachgesetzliche Täuschungsverbot verfassungsrechtlich flankiert wird.

I. Rechtsgrundlagen der Mitwirkungsfreiheit 1. Europäische Menschenrechtskonvention und Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Die Bundesrepublik hat sich durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) verpflichtet, jedem Beschuldigten die Mitwirkungsfreiheit als Mindestgarantie im Strafverfahren zu gewähren. Ihrer Rechtsnatur nach handelt es sich bei der EMRK und beim IPBPR um völkerrechtliche Verträge, denen gemäß Art. 59 GG durch Zustimmungsgesetz der Rang einfachen Bundesrechts verliehen wird.43 Über Art. 25 GG entfaltet die Mitwirkungsfreiheit dagegen keine bindende Wirkung. Denn auch wenn das nemotenetur-Prinzip spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in 42  Vgl. nur auszugsweise die zahlreichen erschienenen Monographien, die sich schwerpunktmäßig mit der Mitwirkungsfreiheit befassen: Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst (1977); Nothhelfer, Die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang (1998); Ransiek, Die Rechte des Beschuldigten in der Polizeivernehmung (1990); Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht (1998); Verrel, Die Mitwirkungsfreiheit im Strafverfahren (2001) und zuletzt Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung (2019). 43  BVerfGE 111, 307 (317); BVerfGE 141, 1 (18). Vgl. zur Umsetzung des IPBPR in den anderen Vertragsstaaten Seibert-Fohr ZaöRV 2002, 391 (394 ff.).



B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare)133

Deutschland anerkanntes Recht eines jeden im Strafverfahren Beschuldigten ist, kann nicht die Rede von einer allgemeinen Regel des Völkerrechts, vergleichbar etwa mit dem Verbot der Sklaverei, sein.44 Eine normenhierarchisch dem Bundesrecht übergeordnete, gar verfassungsgleiche oder überverfassungsrechtliche Position kommt damit keinem der beiden Verträge zu, weshalb die Vereinbarungen zur Disposition des einfachen Gesetzgebers stehen. Letzteres zeigt auch die auf das Demokratieprinzip verweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des sogenannten Treaty Overrides bei Doppelbesteuerungsabkommen.45 Nach dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori ginge demnach bereits ein abweichendes, zeitlich später erlassenes Bundesgesetz den Konventionen grundsätzlich vor.46 Zu verlangen ist dann jedoch ein ausdrückliches und unmissverständliches Bekenntnis des Gesetzgebers zur Abweichung von den Verträgen.47 Der IPBPR statuiert die Garantie der Mitwirkungsfreiheit expressis verbis in Art. 14 Abs. 3 lit. g. Ein Angeklagter darf hiernach nicht zur Aussage gegen sich selbst oder zum Schuldbekenntnis gezwungen werden („Not to be compelled to testify against himself or to confess guilt.“48). Der Wortlaut des Vertragstextes ist dabei in mehrfacher Hinsicht uneindeutig. So ist Begünstigter der durch den Pakt gewährten Mindestgarantie dem Wortlaut nach zunächst nur der Angeklagte („In the determination of any criminal charge against him, everyone […]“), sodass bereits fraglich erscheint, ob der persönliche Schutzbereich einer weiten Auslegung, die etwa auch den Zeugen 44  LR-StPO/Esser Einführung EMRK/IPBPR Rn. 82; vgl. auch BeckOK-GG/ Heintschel von Heinegg/Frau Art. 25 Rn. 20. Anders dagegen Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 123 f., der aufgrund der großen Anzahl der Vertragsstaaten davon ausgeht, dass die vereinbarten Regeln „über kurz oder lang“ unmittelbar über Art. 25 GG Geltung erlangen. 45  BVerfGE 141, 1; für eine Verfassungswidrigkeit dagegen der vorlegende 1. Senat des BFH, siehe BFHE 244, 1 (3) sowie die Ausführungen in BVerfGE 141, 1 (5 ff.). Nach Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 122 darf die Bundesrepublik keine dem IPBPR widersprechenden Gesetze erlassen. Er weist indes darauf hin, dass sich dies nicht auf die innerstaatliche Gültigkeit abweichender Gesetze auswirkt. Siehe zur Möglichkeit einer Überschreibung der EMRK auch Schäfer, Treaty Overriding, S. 13 ff. 46  BVerfGE 141,  1  (21); Maunz/Dürig/Nettesheim Art. 59 GG Rn. 186. So auch mit Blick auf die EMRK Klein JZ 2004, 1176, der jedoch darauf hinweist, dass es in der Praxis wohl nie zu einer „wirklichen Kollision“ kommen und ansonsten die EMRK jedenfalls als das speziellere Gesetz anzusehen sein werde. 47  LR-StPO/Esser Einführung EMRK/IPBPR Rn. 95. Im Steuerrecht gibt es hingegen Stimmen, die auch einen verdeckten Treaty Override für zulässig erachten, siehe etwa Schwenke DStR 2018, 2310 (2313 f.). 48  Vgl. die englisch- und französischsprachigen Originalfassungen sowie die deutsche Übersetzung in BGBl. II 1973, S. 1533 (1540).

134 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

umfasst, zugänglich ist.49 Auch ist jedenfalls in der unverbindlichen deutschen Übersetzung die Rede davon, dass der Angeklagte nicht zur Zeugenaussage gegen sich selbst gezwungen werden kann (die Verwendung der Begriffe „testify“ bzw. „témoigner“ in den offiziellen Fassungen kann dagegen auch als Aussage im weiteren Sinne verstanden werden). Beschuldigtenund Zeugeneigenschaft schließen sich freilich nach deutschem Verfahrensrecht ohnehin gegenseitig aus. Die wortlautbedingten Unstimmigkeiten des Pakts sind Folge der Heterogenität der Rechtsordnungen der Vertragsstaaten, die eine Konsensfindung über die bloße Statuierung von Mindestgarantien hinaus bisweilen nicht zulässt.50 Daraus folgt freilich auch, dass die Wortlautauslegung des Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR kaum geeignet scheint, Erkenntnisse für die inhaltliche Reichweite der Mitwirkungsfreiheit zu bieten. Gleichwohl hat der Bundesgerichtshof offenbar den Vertragswortlaut im Blick, wenn er ausführt, dass die Anerkennung einer von nemo tenetur geschützten Freiheit von Irrtum zu einer Schutzbereichsausdehnung führte, die nach dem Inhalt des Pakts nicht vorgesehen ist.51 Er übersieht dabei, dass das nemo-tenetur-Prinzip im Zeitpunkt der Ratifizierung des Vertrags in Deutschland als längst anerkanntes Verfahrensrecht in seinen Grenzen bereits durch die Vorschriften der Strafprozessordnung einfachgesetzlich abgesteckt und keiner näheren Konkretisierung durch den offenen Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR zugänglich war. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund, dass das der Strafprozessordnung zugrundeliegende Verständnis des nemo-tenetur-Prinzip erheblich weiter ist, spricht sie doch etwa in § 55 StPO auch dem verdächtigen Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, das dem Wortlaut des Pakts fremd ist. Treffender ist daher, die Vertragsklausel des Art. 14 IPBPR eher als allgemeines Bekenntnis zu gewissen unveräußerlichen52 Mindestrechten zu begreifen 49  Für eine extensive Auslegung im Sinne einer „prohibition against self-incrimination“ Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 116 ff.; zweifelnd dagegen LR-StPO/Esser Art. 6 EMRK/Art. 14 IPBPR Rn. 891. Die Diskussion betrifft freilich nur den unmittelbar über Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR vermittelten Schutz. Ein weiterer nationalrechtlicher Schutzumfang wird durch den Pakt nicht beschränkt (Art. 5 Abs. 2 IPBPR). 50  Schmahl, JuS 2018,  737  (742). Daher wird den Vertragsstaaten bei der Umsetzung der einzelnen Punkte auch ein Beurteilungsspielraum („margin of appreciation“) belassen. Auch Weßlau FS Amelung, S. 687 (690 f.) führt zutreffend aus, dass internationale Menschenrechtsabkommen zu einem „Minimal-Niveau tendieren“, um möglichst viele Staaten zur Ratifizierung zu bewegen. 51  BGHSt (GSSt) 42, 139 (153). 52  Art. 14 IPBPR ist nicht notstandsfest. Die Mitwirkungsfreiheit sowie die anderen in der Klausel genannten Mindestgarantien können gem. Art. 4 Abs. 1 IPBPR temporär außer Kraft gesetzt werden, um einen öffentlichen Notstand, der das Leben der Nation bedroht („public emergency which threatens the life of the nation“), abzu-



B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare)135

denn als Grundlage der Mitwirkungsfreiheit. Zu deren Gewährleistung wollten sich die teilnehmenden Staaten verpflichten, ohne dass sie dabei mit dem Willen handelten, sich an eine bestimmte Ausgestaltung des nemo-teneturPrinzips in der eigenen nationalen Rechtsordnung zu binden. Im Ergebnis bleibt also festzuhalten, dass der IPBPR die Mitwirkungsfreiheit zwar garantiert, nicht aber in ihrem Inhalt konkretisiert. Auch die das nemo-tenetur-Prinzip nicht einmal ausdrücklich erwähnende, freilich aber im Sinne eines „generally recognised international standard“53 als Ausprägung eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) anerkennende Europäische Menschenrechtskonvention kann selbst kaum zur Bestimmung des Schutzumfangs der Mitwirkungsfreiheit beitragen. Eine Konkretisierung findet jedoch über die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte statt, der auf Grundlage des Art. 19 EMRK eingerichtet wurde und zu deren Befolgung sich die Vertragsparteien nach Art. 46 Abs. 1 EMRK verpflichtet haben. Zwar begründet dies keine Bindung der deutschen Gerichtsbarkeit an die Urteile des Gerichtshofs; es bildet gleichwohl die Grundlage für die Berücksichtigung seiner Judikatur bei der Auslegung des nationalen Rechts im Sinne einer „faktischen Orientierungs- und Leitfunk­ tion“.54 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Mitwirkungsfreiheit Die Diskussion um die verfassungsrechtlichen Grundlagen des nemo-tenetur-Prinzips wird bereits seit längerer Zeit geführt und zeichnet sich – sieht man von wenigen Ausnahmen ab55 – durch einen weitreichenden Konsens wenden. Auch diese Notstandsklausel offenbart den brüchigen Konsens zwischen den Vertragsstaaten und den fehlenden Willen, mehr als ein bloßes Bekenntnis zur Mitwirkungsfreiheit zu kodifizieren. 53  So EGMR, Urt. v. 17.12.1996 – Az. 19187/91 (Saunders v. UK), Rn. 68. 54  BVerfGE 128,  326  (368); vgl. auch zum Überblick Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2005, 15. 55  Leitmeier JR 2014, 372 (375 f.) sieht in der Mitwirkungsfreiheit lediglich ein in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO kodifiziertes einfachgesetzliches Recht des Beschuldigten, nicht am Strafverfahren mitwirken zu müssen. Dieses Ergebnis begründet Leitmeier mit dem ansonsten entstehenden Widerspruch zum Erfordernis der strafmildernden Berücksichtigung von Geständnissen, die aufgrund des mit ihr einhergehenden Mitwirkungsdrucks in nemo tenetur eingreife. Da die Bedeutung des Geständnisses für die Strafzumessung jedoch nicht reduziert werden könne, müsse zwangsläufig der Verfassungsrang des nemo-tenetur-Prinzips wegfallen. Diese Begründung vermag jedoch nicht zu überzeugen. Der Verfassungsrang der Mitwirkungsfreiheit lässt sich nicht unter Verweis auf einen entstehenden Wertungswiderspruch verneinen. Unabhängig davon, dass eine Argumentation vom Ergebnis her unzulässig ist, ist es – zumal im Verfassungsrecht  – üblich, dass mehrere Rechte miteinander konfligieren.

136 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

darüber aus, dass selbiges mit Verfassungsrang ausgestattet ist, freilich aber keinen absoluten Schutz des Rechtsträgers vermittelt.56 Das Recht, nicht an der eigenen Strafverfolgung mitwirken zu müssen, kann nach allgemeiner Ansicht im Falle der Kollision mit anderen Rechten und Interessen von Verfassungsrang eingeschränkt werden. Der überaus bedeutsamen Frage, ob dazu auch das Interesse an einer funktionstüchtigen bzw. effektiven Strafverfolgung zählt, wird sich der folgende Abschnitt (C.) widmen. Uneinigkeit besteht nahezu ausschließlich über die Herleitung der verfassungsrechtlichen Verankerung des nemo-tenetur-Prinzips, wobei sich die ­divergierenden Ansichten einzig über den Begründungsansatz zu unterscheiden scheinen.57 Denn die beiden genannten Grundthesen werden unabhängig davon akzeptiert, ob das nemo-tenetur-Prinzip als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG)58, der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG)59 bzw. des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 Ebenso verhält es sich bei der strafmildernden Berücksichtigung von Geständnissen. Es kann nicht geleugnet werden, dass eine solche Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung gegenüber dem Beschuldigten eine gewisse Erwartungshaltung ausdrückt, wenn nicht sogar eine zwangsgleiche Drucklage begründen kann. Gleichwohl verlangt das ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestattete Schuldprinzip die strafmildernde Wirkung eines schuldanerkennenden Geständnisses. Der Konflikt zwischen Schuldprinzip und Mitwirkungsfreiheit ist (in dem konkreten Fall) zulasten letzterer zu entscheiden, da – wie Frister FS Rengier, S. 377 (384 f.) überzeugend darlegt – der Kernbereich von nemo tenetur nicht betroffen ist. Dass der Beschuldigte gänzlich frei von Beeinflussung über die Mitwirkung disponieren kann, ist, wie wir sehen werden (siehe S. 150 f.), ohnehin ausgeschlossen. Ein anderer Ansatz findet sich wiederum bei Grünwald NJW 1960, 1941 f., der eine strafmildernde Berücksichtigung von Geständnissen aufgrund des bei anderen Beschuldigten entstehenden Aussagedrucks für unzulässig erklärt und lediglich die Reue als Strafmilderungsgrund anerkennt. 56  In diesem Ergebnis stimmen die unten zitierten Autoren überein. 57  Leitmeier JR 2014, 372 spricht insoweit kritisch von einem „Überbietungswettbewerb“. 58  Spätestens seit der EGMR klargestellt hat, dass die Mitwirkungsfreiheit durch das in Art. 6 Abs. 1 EMRK statuierte fair-trial-Prinzip garantiert wird (vgl. etwa EGMR, Urt. v. 25.02.1993  – Az.  10828/84 [Funke v. France], Rn. 41 ff.), wird auch auf nationaler Ebene regelmäßig jedenfalls ergänzend auf das ein faires Verfahren garantierende Rechtsstaatsprinzip verwiesen, vgl. etwa Kasiske StV 2014, 423 (425). Zuvor wurde das nemo-tenetur-Prinzip  – etwa in BVerfGE  56,  37  (43)  – bereits als „Ausdruck einer rechtsstaatlichen Grundhaltung“ bezeichnet. 59  Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 549; Kasiske JuS 2014, 15 (17); Nothhel­ fer, Die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang, S. 63 ff. Auch das BVerfG und der BGH betonen die enge Verknüpfung von Menschenwürde und nemo tenetur, vgl. etwa BVerfGE 55, 144 (150) und BGHSt 5, 332 (333). Der Verweis auf die würdeschützenden Wurzeln der Selbstbelastungsfreiheit darf freilich nicht dahingehend missverstanden werden, dass nemo tenetur einen absoluten Schutz gewährt. Es ist



B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare)137

i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG)60, der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG)61 oder gar des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)62 angesehen wird.63 Dass die unterschiedlichen Begründungsansätze kaum Differenzen in der Bestimmung der inhaltlichen Reichweite von nemo tenetur nach sich ziehen, offenbart bereits die begrenzte Aussagekraft der Betrachtung der verfassungsrechtlichen Grundlagen.64 Vielmehr ist ihre „Überbetonung“, wie Verrel65 zu Recht ausführt, der Konkretisierung des Schutzumfangs sogar abträglich. Dies gilt zumal für den Verweis auf den würdeschützenden Charakter der Mitwirkungsfreiheit und der ihr dadurch zugesprochenen, einen absoluten Schutz suggerierenden, Wesensnähe zur Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG.66 Zwar ist offensichtlich, dass nur der frei über die Mitwirkung an seiner eigenen Strafverfolgung Entscheidungsbefugte auch Subjekt des Strafverfahrens ist, sodass eine gewisse Nähe zum Würdeschutz nicht geleugnet werden kann. Auch wird man kaum abstreiten können, dass der mittels Folter zur Aussage gezwungene Beschuldigte in seinem Anspruch auf Achtung seiner Menschenwürde verletzt ist.67 Daraus lässt sich jedoch

unstreitig, dass Eingriffe in die Selbstbelastungsfreiheit der Rechtfertigung zugänglich sind, wobei auch hier ein unantastbarer Kerngehalt existiert. 60  Ransiek, Die Rechte des Beschuldigten in der Polizeivernehmung, S. 53; Ro­ gall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 139 ff.; MK-StPO/ Schuhr § 136 Rn. 74; wohl auch Bauer, Die Aussage des über das Schweigerecht nicht belehrten Beschuldigten, S. 46. Dabei dürfte es sich neben den auf das fair-trialPrinzip verweisenden Stimmen um die heute herrschende und vorzugswürdige Auffassung handeln. Der Verweis auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht berücksichtigt nämlich gleichermaßen den Zweck der Mitwirkungsfreiheit (dazu sogleich S. 148 ff.) sowie ihre persönlichkeitsrechtlichen Wurzeln im Interesse des Individuums, der Selbsterhaltung einen höheren Wert beizumessen als den Interessen der Allgemeinheit. 61  Wessels JuS 1966, 169 (171). 62  Böse GA 2002, 98 (119 ff.); Castringius, Schweigen und Leugnen des Beschuldigten im Strafprozeß, S. 21 zieht sogar den Grundgedanken des Art. 104 Abs. 3 GG heran. 63  Eingehend zu den verschiedenen Begründungsansätzen Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 104 ff. 64  Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 61 resümiert daher, dass es „den verfassungsrechtlichen Nemo-tenetur-Satz“ nicht gebe (Hervorhebung im Original), die einfachgesetzlichen Normen vielmehr durch verschiedene Grundrechte beeinflusst werden. 65  Verrel NStZ 1997, 361 (364). Auch Rogall StV 1996, 63 (64) misst der Herleitung der Selbstbelastungsfreiheit eine eher geringe Bedeutung bei. 66  Verrel NStZ 1997, 361 (364). 67  Grünwald JZ 1981, 423 (428).

138 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

nicht der Schluss ziehen, dass jede erzwungene Mitwirkung würdeverletzend wirkt, wie bereits die steuerrechtlichen Offenbarungspflichten zeigen.68 Dass das nemo-tenetur-Prinzip auf die Sicherung der Subjektstellung des Beschuldigten abzielt, ist im Übrigen nicht erst eine Erkenntnis des Verfassungsgebers, sondern bereits in der Strafprozessordnung selbst angelegt. Ihr historischer Gesetzgeber reagierte damit auf den Inquisitionsprozess und wenngleich er die Mitwirkungsfreiheit nicht expressis verbis im Gesetz kodifizierte, setzen die entsprechenden Vorschriften diese voraus. Der Versuch, die inhaltliche Reichweite des dadurch vermittelten Schutzes zu bestimmen, hat sich daher in erster Linie an der Systematik der Strafprozessordnung und ihrer Entstehungsgeschichte zu orientieren. Der Strafprozessordnung liegt – wie sogleich noch näher darzulegen ist (siehe S. 152 ff.)  – eine klare Vorstellung vom Wesen und Umfang der Selbstbelastungsfreiheit zugrunde, die sich unter anderem in der Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO manifestiert. Durch die Übernahme der vorkonstitutionellen Strafprozessordnung hat sich der postnationalsozialistische Gesetzgeber diese dem Gesetz immanenten Wertungen zu eigen gemacht, ohne dass diese erkennbar einer inhaltlichen Änderung unterworfen werden sollten.69 Dies verdeutlicht bereits der Um68  Der Steuerpflichtige ist gem. § 90 Abs. 1 Satz 1 AO zur Mitwirkung an der Sachverhaltsermittlung verpflichtet; besondere Mitwirkungspflichten ergeben sich insb. aus den folgenden Absätzen sowie aus den §§ 93 ff. AO. Diese Mitwirkungspflichten entfallen auch dann nicht, wenn der Steuerpflichtige durch sie in die Gefahr der Selbstbezichtigung kommt. Lediglich eine Durchsetzung der Mitwirkung mittels Zwangs ist dann ausgeschlossen (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO). Die Verwertung von infolge einer Mitwirkungspflicht offenbarten selbstbelastenden Tatsachen bleibt freilich im Strafverfahren wegen Steuerstraftaten und anderer Straftaten, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse besteht, gem. § 393 Abs. 2 AO möglich. Wird also ein Steuerpflichtiger durch die Anwendung von Zwangsmitteln zur Offenlegung eines steuerrelevanten Sachverhalts veranlasst, ohne dass bereits ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet oder gar ein Verdacht gegen ihn vorlag, bleibt die im Rahmen der Steuererklärung getätigte Selbstbelastung auch dann verwertbar, wenn sie eine Nicht-Steuerstraftat aufdeckt, deren Ahndung von besonderem öffentlichen Interesse ist. Der Eingriff in die Mitwirkungsfreiheit durch die erzwungene Selbstbelastung wird also durch die AO unter Gesichtspunkten eines besonderen Strafverfolgungsinteresses begründet. Ob dies mit der Verfassung vereinbar ist, mag hier dahinstehen. Jedenfalls scheint es aber fernliegend, die Mitwirkungspflichten der AO als würdeverletzend zu bezeichnen. 69  Eine vergleichbare Situation ist im Bereich des in Art. 103 Abs. 3 GG niedergelegten ne-bis-in-idem-Grundsatzes zu finden. So ist die Vorschrift des § 362 StPO, die eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Angeklagten in bestimmten Fällen zulässt, trotz der damit einhergehenden Einschränkung des Art. 103 Abs. 3 GG nicht verfassungswidrig. Zu Recht wird in BVerfGE 3, 248 (252) betont, dass das bereits vor Inkrafttreten des GG austarierte Doppelbestrafungsverbot durch die Aufnahme in die Verfassung nicht seinem Inhalt nach geändert werden sollte, vgl. dazu bereits Frister/Müller ZRP 2019, 101 (102) sowie kritisch dazu Bohn, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Angeklagten vor dem Hintergrund



B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare)139

stand, dass das nemo-tenetur-Prinzip trotz anerkannten Verfassungsrangs nicht expressis verbis im Grundgesetz verankert wurde. Die Antwort auf die Frage, ob das nemo-tenetur-Prinzip auch eine Freiheit von Irrtum garantiert, folgt nicht aus metaphysischen Überlegungen zur Menschenwürde, sondern aus historischen und teleologischen Betrachtungen der Strafprozessordnung.70

II. Täuschungen des Beschuldigten als Eingriff in die Mitwirkungsfreiheit 1. Grundlagen des durch die Mitwirkungsfreiheit garantierten Schutzumfangs und Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur a) Vis absoluta und vis compulsiva Die Mitwirkungsfreiheit schützt den Beschuldigten und ebenso andere am Strafverfahren Partizipierende vor Selbstbelastungszwang in Gestalt der vis compulsiva. Darüber herrscht dem Grunde nach in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit.71 Die „zwingende Gewalt“ wird dadurch charakterisiert, dass der Beschuldigte durch äußeren Druck („Furcht vor einem Übel“72) zu einem bestimmten Verhalten (scil. Tun, Dulden oder Unterlassen) veranlasst wird. Dem Beschuldigten wird also durch die Anwendung von vis compulsiva nicht die Verhaltensalternative, seine Mitwirkung am Strafverfahren zu unterlassen, genommen; stattdessen wird er durch Druckausübung zum Verzicht auf das Alternativverhalten und zur Vornahme des selbstbelastenden neuer Beweise, S. 83 ff.; Neumann FS Jung, S. 655 (657 ff.) und Zehetgruber JR 2020, 157 (159). 70  Ähnlich auch Bauer, Die Aussage des über das Schweigerecht nicht belehrten Beschuldigten, S. 37. Kritisch äußert sich dagegen Bosch, Aspekte des nemo-teneturPrinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, S. 96 ff., der u. a. moniert, dass eine historisch orientierte Auslegung des nemo-tenetur-Prinzips zu einer „Versteinerung“ (S. 98) führe und daher für eine rein zweckorientierte Auslegung plädiert. Ihm ist zwar insoweit beizupflichten, dass etwa die Betrachtung des talmudischen Rechts kaum geeignet ist, konkrete Aussagen für die heutige Reichweite von nemo tenetur zu treffen. Dass indes die historischen Umstände der Strafprozessordnung auslegungsrelevant sind, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Eine sich an der Historie orientierende Auslegung bedeutet auch nicht, dass neuere Entwicklungen keine Beachtung finden dürften bzw. dass das nemo-tenetur-Prinzip auf moderne Problemstellungen zu reagieren nicht in der Lage ist. 71  Statt vieler BGHSt (GSSt) 42,  139  (152); SK-StPO/Rogall Vor  § 133 Rn. 139. Unklarheiten bestehen allein hinsichtlich der Frage, wie der Begriff der vis compulsiva im Einzelnen zu verstehen ist, siehe dazu eingehend Verrel, Die Mitwirkungsfreiheit im Strafverfahren, S. 17 ff. 72  Hruschka JZ 1995, 737 (743 f.).

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Verhaltens veranlasst.73 Denkbar ist dies entweder durch die willensbeugende Einwirkung auf den Körper des Beschuldigten, insbesondere in Form der Folter74 oder Beugehaft, oder durch psychischen Druck wie das Inaussichtstellen von rechtlichen oder tatsächlichen Nachteilen für den Fall einer unterlassenen Mitwirkung an der eigenen Strafverfolgung. Der Erwirkung von Beschuldigtenverhalten durch die Anwendung von vis absoluta steht die Mitwirkungsfreiheit nach allgemeiner Auffassung hingegen regelmäßig nicht entgegen.75 Anders als bei der Anwendung von Kompulsivgewalt nimmt vis absoluta dem Beschuldigten seine Verhaltensalternativen durch Einwirkung auf seine Willensverwirklichungsfreiheit.76 So kann der Beschuldigte durch Festhalten zur Einhaltung einer Aufrechten Stehposition zum Zwecke einer erkennungsdienstlichen Maßnahme (§ 81b StPO) oder zur Duldung einer Blutentnahme (§ 81a StPO) veranlasst werden, ohne einen Konflikt mit dem nemo-tenetur-Prinzip hervorzurufen. Den Grund für die nötige Differenzierung zwischen vis absoluta und vis compulsiva sieht die herrschende Meinung in der Ratio der Mitwirkungsfreiheit. Der durch sie Geschützte solle sich nicht dem Dilemma ausgesetzt sehen, zwischen den beiden Übeln der Selbstbezichtigung einerseits und der Hinnahme von Zwangsmitteln andererseits wählen zu müssen.77 Das Bundesverfassungsgericht führt zudem an, dass passive Duldungs- und Verhaltenspflichten „jedenfalls weniger“ in die personale Freiheit der Willensentschließung eingreifen als die Pflicht zur aktiven Selbstbelastung.78 Die aus dem Schrifttum verlautbarte Kritik setzt in erster Linie an diesem Zweckverständnis an. Das Verbot von Mitwirkungszwang sei kein Zweck an sich, sondern müsse eine übergeordnete, in der freiverantwortlichen Entscheidung des Beschuldigten über die Vornahme von Mitwirkungshandlun73  Hruschka

JZ 1995, 737 (743 f.). historische Gesetzgeber betrachtete die Mitwirkungsfreiheit jedoch nicht in erster Linie als Instrument zum Schutze gegen Folter. Denn wie bereits die historischen Ausführungen gezeigt haben, war die Folteranwendung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits in gedankliche Ferne gerückt. So sollte die Mitwirkungsfreiheit über ein bloßes Folterverbot hinaus insb. auch die subtileren Arten der Erwirkung unfreiwilliger Selbstbezichtigungen untersagen, vgl. Hahn/Mugdan, StPO Abt. 1, S. 138 und sogleich S. 152 ff. 75  Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 225 fordert daher insoweit, auf den Begriff der Zwangsmaßnahme zu verzichten. Dieser suggeriere, dass ein Verhalten des Beschuldigten erzwungen werden soll, obwohl es lediglich um die Vornahme eines Verhaltens der handelnden Behörde geht. 76  Schönke/Schröder/Eisele Vor §§ 234–241a StGB Rn. 13. 77  BVerfGE 56, 37 (41); Grünwald JZ 1981, 423 (428); Puppe GA 1978, 289 (298); Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 146; implizit wohl auch Lindner, Täuschungen in der Vernehmung des Beschuldigten, S. 46. 78  BVerfGE 56, 37 (42). 74  Der



B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare)141

gen liegende, Schutzrichtung verfolgen.79 Wäre die Mitwirkungsfreiheit nur betroffen, wenn die Ermittlungsbehörden durch Zwang ein internes Dilemma beim Beschuldigten bewirken, liefe dies darauf hinaus, dass der Staat das Mitwirkungsverhalten so lange steuern dürfte, wie er es den Beschuldigten nicht merken lässt.80 Da die Bestimmung von Sinn und Zweck des nemotenetur-Prinzips maßgeblichen Einfluss auf die Auslegung seines Schutzumfangs hat, wird die Frage sogleich zu erörtern sein (siehe S. 148 ff.). Die Abgrenzung zwischen vis absoluta und vis compulsiva zur Bestimmung eines Eingriffs in die Mitwirkungsfreiheit stellt letztlich nicht mehr als eine bloße Heuristik dar, die nicht in allen Fällen ein richtiges Ergebnis liefern kann. Weder ist die Einwirkung auf den Beschuldigten mittels vis compulsiva von vornherein unzulässig, noch ist die Anwendung von vis absoluta als stets unbedenklich einzustufen. Wird gegen den Beschuldigten etwa die Entnahme einer Blutprobe angeordnet, so darf die handelnde Ermittlungsbehörde nicht nur in den Grenzen des § 81a Abs. 1 StPO vis absoluta in Form einer Fixierung anwenden, sondern freilich auch vorgelagert die Brechung von physischem Widerstand zur Durchsetzung der Blutentnahme androhen. Auf der anderen Seite stellte beispielsweise die Injektion eines Wahrheitsserums, das durch biochemische Wirkung auf die Entschließungsfreiheit des Beschuldigten einwirkt bzw. ihm diese nimmt und daher als vis absoluta einzustufen ist, einen Eingriff in die Mitwirkungsfreiheit dar. Der eigentliche Grund für die Unzulässigkeit einer Einwirkung liegt somit nicht in ihrer Einstufung als vis compulsiva, sondern in dem die Selbstbelastungsfreiheit einschränkenden Eingriff in die freie Entscheidung des Beschuldigten über die Vornahme einer eigenen aktiven Mitwirkung am Strafverfahren (siehe dazu näher unten S. 148 ff.). b) Täuschungen über die Existenz einer Mitwirkungspflicht Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, ob die Mitwirkungsfreiheit gleichsam die Freiheit des Beschuldigten von Irrtum garantiert, diesem also Schutz vor staatlich veranlassten Täuschungen gewährt. Auch hier besteht zunächst in einem grundlegenden Punkt Einigkeit, nämlich über die Unzulässigkeit von Täuschungen über die Existenz einer gesetzlichen Aussagepflicht.81 Der bisweilen geäußerte Hinweis, dass es sich streng genommen um den Fall einer mittels Täuschung herbeigeführten Zwangslage, das heißt um die Anwendung von vis compulsiva handelt,82 mag zutreffen, ändert 79  Ransiek,

Die Rechte des Beschuldigten in der Polizeivernehmung, S. 49. Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, S. 134. 81  Verrel, Die Mitwirkungsfreiheit im Strafverfahren, S. 106 f. m. Nachw. 82  So Verrel, Die Mitwirkungsfreiheit im Strafverfahren, S. 107. 80  Keller,

142 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

freilich nichts an der Tatsache, dass die entstehende Drucksituation täuschungsbedingt ist. Das missbilligte Verhalten der Ermittlungsbehörde ist damit in erster Linie die Täuschung, durch die lediglich eine psychologische Drucksituation entsteht. Im Ergebnis ist damit ein nicht zu unterschätzender Anteil von Täuschungen auch nach herrschender Konzeption als Verstoß gegen das nemo-tenetur-Prinzip zu werten, namentlich sämtliche Täuschungen, die beim Beschuldigten die irrige Vorstellung wecken, ihn träfe eine gleichwie geartete Pflicht zur Mitwirkung am Strafverfahren. Dies kann dadurch erfolgen, dass der Vernehmende den Beschuldigten ausdrücklich da­ rauf hinweist, dass er zur Aussage verpflichtet ist (aktive Täuschung) oder durch ein Unterlassen der Belehrung über das Schweigerecht des Beschuldigten (Täuschung durch Unterlassen),83 sofern der Beschuldigte dadurch in eine psychologische Zwangslage gerät. Ein Eingriff in die Mitwirkungsfreiheit liegt in diesem Sinne auch dann vor, wenn dem Beschuldigten die Wertung seines Schweigens als Schuldeingeständnis in Aussicht gestellt wird. Damit drückt der Vernehmende nämlich gleichsam aus, dass den Beschuldigten de iure eine Pflicht zur Aussage trifft, die er im Falle des Schweigens verletzt. c) Die täuschungsbedingte Zwangslage in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Die Rechtsprechung hält auch in anderen Sachverhaltskonstellationen streng an dem Zwangskriterium fest, um einen Eingriff in die Mitwirkungsfreiheit des Beschuldigten festzustellen. Zwar stellte der Dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einem Urteil vom 09. April 1986 zur Verwertung einer durch heimliches Abhören erlangten Stimmprobe noch fest, dass das vom nemo-tenetur-Prinzip geschützte Recht des Beschuldigten, eine Stimmprobe zu verweigern, „wirkungslos [wäre], wenn es dadurch umgangen werden könnte, daß der Beschuldigte durch ausdrückliche oder konkludente Täuschung darüber, daß sein nichtöffentlich gesprochenes Wort auf Tonträger fixiert wird und einer Stimmvergleichung dienen soll, zum Sprechen veran83  Wie bereits auf den S. 87 ff. ausgeführt wurde, ist auch im Unterlassen der Belehrung über das Schweigerecht eine Täuschung zu sehen, die sich auf das Vorliegen einer Aussagepflicht bezieht. Die herrschende Gegenauffassung ist angesichts ihres eigenen Zweckverständnisses inkonsequent. Sofern nemo tenetur nämlich das interne Entscheidungsdilemma zwischen Mitwirkung und negativen Folgen der unterlassenen Mitwirkung verhindern soll, kann es keinen Unterschied machen, ob dieser Entscheidungskonflikt durch aktives Vorspiegeln einer Aussagepflicht oder durch pflichtwidriges Nichtaufklären eines bereits bestehenden Irrtums entsteht. Zutreffend erkennt dies etwa Verrel, Die Mitwirkungsfreiheit im Strafverfahren, S. 108.



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laßt werden dürfte“.84 Von dieser weiten Auslegung hat sich der Bundesgerichtshof jedoch wiederholt distanziert. So führte der Große Senat für Strafsachen in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit der Verwertung mittels sogenannter Hörfallen erlangter selbstbelastender Aussagen aus, dass der Beschuldigte, dessen gegenüber einem privaten Dritten getätigte Äußerungen verdeckt aufgezeichnet werden, nicht aufgrund einer tatsächlichen oder vorgetäuschten Zwangslage handele, er mithin nicht in seiner Mitwirkungsfreiheit betroffen sei.85 Der Umstand, dass er über den Zweck des Gesprächs irrt, sei unbeachtlich, da die Mitwirkungsfreiheit keinen Schutz vor Irrtum gewähre.86 Zutreffend formuliert Rösinger, dass die Rechtsprechung nemo tenetur damit auf ein bloßes Mittelverbot reduziert.87 Zu einem Umdenken hat auch nicht die als Allan v. The United Kingdom bekannt gewordene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geführt.88 Das Gericht hatte den Fall eines im Rahmen vorheriger offener Vernehmungen von seinem Schweigerecht Gebrauch machenden Beschuldigten zu entscheiden, der durch das gezielte Ansetzen eines nicht­ polizeilichen Informanten in den Räumlichkeiten der Haftanstalt zu selbstbelastenden Äußerungen gedrängt werden sollte („push him for what you can“89). In dem staatlich veranlassten Verhalten des Informanten erkannte das Gericht eine Verletzung der Mitwirkungsfreiheit des Beschuldigten und führte insoweit im Rahmen der Urteilsbegründung aus: „While the right to silence and the privilege against self-incrimination are primarily designed to protect against improper compulsion by the authorities and the obtaining of evidence through methods of coercion or oppression in defiance of the will of the accused, the scope of the right is not confined to cases where duress has been brought to bear on the accused or where the will of the accused has been directly overborne in some way. The right, which the Court has previously observed is at the heart of the notion of a fair procedure, serves in principle to protect 84  BGHSt 34, 39 (46). Das Urteil soll jedoch nicht zu der Annahme verleiten, der damaligen Rspr. des BGH lag ein weiterer Täuschungsbegriff zugrunde als der heutigen. Dies zeigt schon BGHSt 34, 362, in dem der fünfte Senat das Aushorchen eines Untersuchungshäftlings durch einen von der Polizei in eine gemeinsame Zelle untergebrachten Mithäftlings als unzulässigen Zwang, nicht jedoch als Täuschung einstufte, und damit zahlreiche Kritik erntete, vgl. nur Degener GA 1992, 443 (448) m. w. N. und Seebode JR 1988, 426 (430). 85  BGHSt (GSSt) 42, 139 (152 f.). 86  BGHSt (GSSt) 42, 139 (153). 87  Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 10. 88  EGMR, Urt. v. 05.11.2002 – Az. 48539/99 (Allan v. The United Kingdom) = StV 2003, 257. 89  EGMR, Urt. v. 05.11.2002 – Az. 48539/99 (Allan v. The United Kingdom), Rn. 13 = StV 2003, 257.

144 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts the freedom of a subjected person to choose whether to speak or to remain silent when questioned by the police. Such freedom of choice is effectively undermined in a case in which, the suspect having elected to remain silent during questioning, the authorities use subterfuge to elicit, from the suspect, confessions or other statements of an incriminatory nature, which they were unable to obtain during such questioning and where the confessions or statements thereby obtained are adduced in evidence at trial.“90

Prima facie scheint der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte damit eine Abkehr vom strikten Erfordernis des Selbstbelastungszwangs einzuleiten und sich damit in Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu stellen.91 Es wird zwar zugegeben, dass die Mitwirkungsfreiheit primär auf die Verhinderung von erzwungenen Mitwirkungen des Beschuldigten abzielt. Der dem zugrundeliegende Gedanke sei indes im Schutz der freien Entscheidung des Beschuldigten hinsichtlich der Mitwirkung zu erblicken, die unterlaufen werde, wenn der von seinem Schweigerecht Gebrauch machende Beschuldigte durch die Täuschung dazu veranlasst werde, sein Schweigen zu brechen und damit den Ermittlungsbehörden entgegen seiner ursprünglichen Entscheidung sein Wissen zugänglich mache. Die Ausführungen lassen zunächst keinen anderen Schluss zu als einen Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung weg vom Verständnis des nemo-tenetur-Prinzips als bloßes Mittelverbot hin zu einem die freiverantwortliche Entscheidung des Beschuldigten schützenden Prinzip. Dies erkannte auch der Bundesgerichtshof, der in nachfolgenden Entscheidungen Bezug auf die Allan-Entscheidung nahm und insoweit konstatierte, dass der eigenen Rechtsprechung tendenziell „ein engeres Verständnis vom Regelungsgehalt des nemo-tenetur-Grundsatzes zugrunde zu liegen“ scheine.92 Er nahm dies jedoch nicht zum Anlass, von seiner bisherigen Auffassung abzurücken.93 Vielmehr vermöge ausschließlich eine innere Zwangslage einen Konflikt mit der Mitwirkungsfreiheit zu begründen. Eine solche werde unter anderem dadurch geschaffen, dass sich ein Verdeckter Ermittler in ein persönliches Vertrauensverhältnis mit dem Beschuldigten einschleiche und in 90  EGMR, Urt. v. 05.11.2002 – Az. 48539/99, Rn. 50 (Allan v. The United Kingdom) = StV 2003, 257 (259). 91  Zu diesem Ergebnis gelangt auch Gaede StV 2003, 260 (262). 92  BGHSt 52, 11 (20). 93  Eine solche konsequente Umsetzung der Allan-Entscheidung hätte nach h. M. für die deutsche Praxis des Verdeckten Ermittlereinsatzes ohnehin kaum Folgen gehabt. Dass nämlich ein Eingriff in das nemo-tenetur-Prinzip gerechtfertigt werden kann, wird nicht bezweifelt, wobei überwiegend sogar die Belange einer effektiven Strafverfolgung als Rechtfertigungsgrund angesehen werden. Gleichwohl hätte eine Rechtsprechungsänderung dazu beigetragen, das nemo-tenetur-Prinzip näher zu konturieren und damit praktikabler zu machen.



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dessen Rahmen während gemeinsam verbrachter Ausgänge und Hafturlaube versuche, dem Beschuldigten selbstbelastende Äußerungen zu entlocken. Entscheidungserheblich war jedoch nicht die persönlichkeitsrechtsverletzende Komponente des Ermittlereinsatzes,94 sondern vielmehr der Aspekt, dass sich der Beschuldigte zuvor gegenüber der Ermittlungsbehörde auf sein Schweigerecht berufen und so seine Mitwirkung verweigert hat. In solchen Fällen verdichte sich der durch die Mitwirkungsfreiheit zugesicherte Schutz mit der Folge, dass den Ermittlungsbehörden die Vornahme gezielter, vernehmungsähnlicher Befragungen, die auf Erlangung selbstbelastender Äußerungen abzielen, untersagt sei.95 Der Staat müsse die Entscheidung des Beschuldigten respektieren.96 Ein „verdichteter“ Schutz des sich auf sein Schweigerecht berufenden Beschuldigten ist freilich hochproblematisch. Eine dahingehende Auslegung führt nämlich gleich zu zwei paradoxen Ergebnissen. Zum einen wäre der Beschuldigte, der noch keine Kenntnis von dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren hat, in geringerem Umfang geschützt. Es läge dann in der Hand der Ermittlungsbehörde, auf eine offene Vernehmung des Beschuldigten zu verzichten und dadurch einen Konflikt mit dem nemo-tenetur-Prinzip zu vermeiden. Sofern die offene Vernehmung die Wahrheitsfindung wesentlich erschwerte, wäre dies auch ohne Verletzung des in § 110a Abs. 1 Satz 3 StPO statuierten Subsidiaritätsgedankens möglich. Zum anderen hätte die Auslegung zur Folge, dass der Beschuldigte, der bereits offen vernommen wurde und sich im Rahmen dessen zu den Vorwürfen eingelassen hat, weniger schutzwürdig wäre als der schweigende Beschuldigte. Da die Vernehmung jedoch gemäß § 136 Abs. 2 StPO eine Möglichkeit zur Vorbringung entlastender Tatsachen darstellt, wäre es absurd, wenn der Beschuldigte dadurch in eine exponierte Lage versetzt würde, die den Ermittlungsbehörden den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers ermöglichte.97 Wie Bosch zu Recht betont sind Aussage und Schweigen als „völlig gleichwertige Verteidigungsformen“ 94  Das Verhalten der Ermittlungsbehörde ist nicht allein vor dem Hintergrund der Mitwirkungsfreiheit bedenklich. Mit dem Vorspiegeln der freundschaftlichen Beziehung könnte gleichsam in den Kernbereich höchstpersönlicher Lebensgestaltung eingegriffen worden sein, sodass der Einsatz des Verdeckten Ermittlers hier jedenfalls eine gewisse Nähe zu einer Würdeverletzung aufweist (siehe dazu oben S. 124 ff.). 95  BGHSt 52, 11 (27). 96  BGHSt 52, 11 (27). 97  Selbst wenn man mit der h. M. der Vernehmung einen untergeordneten Ermittlungszweck zuspräche, führte die Rechtsprechung des BGH zu einem fragwürdigen Ergebnis. Der sich freiwillig zur Aussage entschließende und so zur Aufklärung des Sachverhalts beitragende Beschuldigte würde rechtlich schlechter gestellt werden als der die Aussage verweigernde. Dies wirft unweigerlich die Frage auf, warum ein Beschuldigter dann überhaupt noch mit den Ermittlungsbehörden kooperieren sollte.

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anzusehen.98 Tatsächlich scheint die Schlechterstellung des sich einlassenden Beschuldigten jedoch die Konsequenz der Rechtsprechung zu sein. So entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Bykov v. Russia, dass die Mitwirkungsfreiheit eines Beschuldigten durch den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers nicht verletzt sei, sofern sich dieser nicht in ­Untersuchungshaft befinde und nicht von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht habe, da insoweit keine Drucksituation vorliege.99 Auch wenn sich also zwischenzeitlich mit der Entscheidung Allan v. The United Kingdom eine Kehrtwende in der Rechtsprechung von einem reinen Verbot der Herbeiführung einer Zwangslage hin zur Gewährleistung einer freiverantwortlichen und selbstbestimmten Entscheidung über die Mitwirkung am Strafverfahren andeutete, verharrt die Rechtsprechung nach wie vor auf dem Standpunkt, dass das nemo-tenetur-Prinzip mit einem Verbot von Selbstbelastungszwang gleichzusetzen ist. Das bedeutet freilich nicht, dass die Mitwirkungsfreiheit nach Auffassung des Bundesgerichtshofs durch eine Täuschung nicht verletzt sein kann, wie die Entscheidungen zur Zulässigkeit mittels Verdeckter Ermittler gewonnener Selbstbezichtigungen zeigen.100 Erforderlich sei jedoch stets, dass die Täuschung eine zwangsähnliche Druck­ situation zur Folge hat, die den Beschuldigten gleichsam in die Selbstbelastung drängt. 2. Von der Unzulässigkeit der Pflicht zur Mitwirkung an der eigenen Strafverfolgung Die Definition des durch das nemo-tenetur-Prinzip gewährleisteten Schutzumfangs anhand der Konkretisierung des auf seiner Grundlage unzulässigen staatlichen Ermittlungsverhaltens in Gestalt des Mitwirkungszwangs verleitet zu der Annahme, dass den Ermittlungsbehörden ein im Grundsatz weiter, durch das Gesetz nicht im Einzelnen konturierter Spielraum bei der Ermittlung von Straftaten zusteht, der dahingehend durch die Verfassung eingeschränkt wird, dass die staatlichen Strafverfolgungsmaßnahmen nicht die Qualität eines Zwangs zur Mitwirkung erreichen dürfen. Eine solche Annahme verfehlte jedoch den Kern der Problematik. Denn sämtliche Maßnahmen zur Ermittlung des Sachverhalts stellen Eingriffe in die Rechte des Betroffenen dar, für die der Staat einer hinreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf.101 98  Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, S. 123. 99  EGMR, Urt. v. 10.03.2009 – Az. 4378/02 (Bykov v. Russia), Rn. 101  f. = NJW 2010, 213 (216); zustimmend BGH NStZ 2011, 596 (598). 100  Vgl. BGHSt (GSSt) 42, 139 (152 f.).



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Das Verbot der auf Erreichung einer Mitwirkung des Beschuldigten gerichteten Zwangsanwendung durch die Ermittlungsbehörden ist zwar durch das nemo-tenetur-Prinzip abgesichert – so wäre eine vom Gesetzgeber geschaffene, die Zwangsanwendung legitimierende Ermächtigungsgrundlage als Verletzung der Mitwirkungsfreiheit verfassungswidrig. Dies ist jedoch nicht die eigentliche Aussage von nemo tenetur se ipsum accusare, sondern nur eine mittelbare Folge. Der eigentliche Grund, weshalb dem Beschuldigten nicht mittels Zwangs selbstbelastende Verhaltensweisen abgenötigt werden dürfen, liegt in der fehlenden Pflicht des Beschuldigten zur Mitwirkung am eigenen Strafverfahren. Eine staatliche Zwangsmaßnahme kann nämlich von vornherein nur auf die Durchsetzung einer vom Bürger pflichtwidrig unterlassenen Verhaltenspflicht zulässig sein. So kann etwa der sich einer Aussage zu Unrecht verweigernde Zeuge durch den Einsatz von auf Willensbeugung gerichteten Zwangsmitteln dazu gebracht werden, seiner gesetzlichen Pflicht zur Aussage nachzukommen, die er durch sein Schweigen verletzt.102 Erheben die Ermittlungsbehörden den Verdächtigen durch einen Inkulpationsakt jedoch in die Stellung eines Beschuldigten (oder unterlassen dies pflichtwidrig), verliert der nunmehr Beschuldigte sämtliche Mitwirkungspflichten. Stattdessen spricht die Rechtsordnung ihm die Freiheit zu, eigenverantwortlich darüber zu disponieren, ob und inwieweit er zur Ermittlung des Sachverhalts beitragen möchte. Die Kernaussage des nemo-teneturPrinzips ist also nicht, wie es die herrschende Lesart annimmt, das Verbot der Anwendung von Mitwirkungszwang, sondern ein an den Gesetzgeber gerichtetes Verbot, eine Person durch Gesetz zur Mitwirkung am Strafverfahren gegen sich selbst zu verpflichten. Dadurch ist zugleich jeglicher Zwang, der auf Herbeiführung einer Mitwirkung gerichtet ist, ausgeschlossen. Die Zulässigkeit eines dem Staat zurechenbaren Eingriffs zur Erzwingung eines nicht geschuldeten Verhaltens scheitert nämlich jedenfalls schon am Vorliegen eines legitimen Eingriffszwecks. Dass der Staat kein Verhalten erzwingen darf, zu dem der Adressat der Zwangsmaßnahme überhaupt nicht verpflichtet ist, ist eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit.103 101  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 142; ähnlich auch Nowrousian Kriminalistik 2013, 191 (192). 102  Schon BVerfGE 49, 280 (284) stellt insoweit fest, dass die Zeugenpflicht „nach deutscher Rechtstradition eine allgemeine Staatsbürgerpflicht“ ist. 103  Entgegen Frister JuS 2013, 1057 (1064) und Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 75 ändert daran auch die Möglichkeit, den Beschuldigten zwecks Durchführung der Hauptverhandlung erforderlichenfalls mit Zwang vorzuführen und in Untersuchungshaft zu halten, nichts. Zwar handelt es sich um einen Eingriff in das nemotenetur-Prinzip, da die Erscheinungspflicht des Beschuldigten gleichsam eine Pflicht zur aktiven Mitwirkung am Strafverfahren ist. Die Mitwirkungsfreiheit des Beschuldigten muss jedoch insoweit hinter dem Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung der Hauptverhandlung zurücktreten. Der durch das nemo-tenetur-Prinzip vermit-

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Umgekehrt folgt daraus, dass Zwangsmittel gegenüber dem Beschuldigten  – das Vorliegen einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage vorausgesetzt – stets dann zulässig sind, wenn sich dieser eines Verhaltens verweigert, zu dem er ohne Konflikt mit dem nemo-tenetur-Prinzip gesetzlich verpflichtet ist. Die Prüfung eines Verstoßes gegen das nemo-tenetur-Prinzip hat sich also zunächst an der Frage zu orientieren, ob ein Eingriff auf die (unzulässige) Durchsetzung einer Mitwirkung am eigenen Strafverfahren gerichtet ist oder vielmehr ein vom Beschuldigten pflichtwidrig unterlassenes Verhalten herbeiführen soll. a) Schutzzweck der Mitwirkungsfreiheit Die Auslegung muss sich an Sinn und Zweck des nemo-tenetur-Prinzips orientieren. Das Verbot, den Beschuldigten zur Mitwirkung am eigenen Strafverfahren zu verpflichten, und die daraus resultierende Unzulässigkeit von Zwang zur Mitwirkung lassen sich nämlich nicht intrinsisch begründen, sondern nur über die Präzisierung des damit verfolgten Schutzzwecks.104 Das herrschende Verständnis der Ratio der Mitwirkungsfreiheit wurde bereits oben konturiert. Sie wird in der Verhinderung von inneren Dilemmata in der Person des Beschuldigten gesehen, die Folge einer Mitwirkungspflicht wären. So müsse der zur Mitwirkung verpflichtete Beschuldigte zwischen zwei Übeln, der dem biologischen Selbsterhaltungstrieb zuwiderlaufenden Unterwerfung unter die staatliche Bestrafung durch die Mitwirkung an der eigenen Strafverfolgung auf der einen Seite und der Erduldung mit der Mitwirkungsverweigerung einhergehender nachteiliger Folgen wie etwa der Beugehaft auf der anderen Seite, wählen.105 Bisweilen wird dabei auch die ethische Problemstellung einer solchen Konfliktsituation betont, denn der telte Schutz reicht nicht so weit, dass die Durchführung des Strafverfahrens in die Disposition des Beschuldigten gestellt wird (zur Frage, ob auch das bloße Interesse an einer effektiven Strafverfolgung einen Eingriff in die Mitwirkungsfreiheit rechtfertigen kann, vgl. die Ausführungen auf S. 178 ff.). Dem nemo-tenetur-Prinzip trägt das Gesetz dadurch Rechnung, dass er im Rahmen der Hauptverhandlung zu keiner weiteren Mitwirkung verpflichtet ist und – anders als beim seine Anwesenheitspflicht verletzenden Zeugen – sein pflichtwidriges Fernbleiben von der Hauptverhandlung keine Sanktionen nach sich ziehen kann. Die Rechtsordnung anerkennt insoweit, dass der Beschuldigte regelmäßig der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung keinen positiven Wert beimessen wird, gewichtet das Interesse an der möglichen Durchführung der Hauptverhandlung jedoch höher. Die Zwangsmaßnahmen dienen daher ausschließlich der Sicherstellung der Hauptverhandlung. 104  So zu Recht Ransiek, Die Rechte des Beschuldigten in der Polizeivernehmung, S. 48. 105  BVerfGE  56,  37  (41 f.); Grünwald JZ  1981,  423  (428); Puppe GA 1978, 289 (299).



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mitwirkungspflichtige Beschuldigte soll überdies moralisch überfordert sein. Er könne sich der Selbstbelastung regelmäßig nur durch eine als unmoralisch empfundene Lüge entziehen.106 Offensichtliche Konsequenz eines solchen Zweckverständnisses ist der Ausschluss nahezu sämtlicher heimlicher Ermittlungsmethoden aus dem Schutzbereich des nemo-tenetur-Prinzips. Der mit einem Verdeckten Ermittler kommunizierende Beschuldigte ist sich bewusst, dass ihn gegenüber dem als Privatperson erkannten Beamten weder eine rechtliche noch eine moralische107 Pflicht zur Offenlegung selbstbelastender Umstände trifft, sodass er sich nicht in einer quälenden, ihm die Wahl zwischen zwei Übeln abverlangenden, Situation wiederfindet. Eine solche innere Konfliktsituation entsteht ausschließlich dann, wenn Anknüpfungspunkt der Täuschung die Existenz einer Mitwirkungspflicht ist, weshalb nach herrschender Meinung auch nur solche Täuschungen mit der Mitwirkungsfreiheit konfligieren (siehe bereits oben S. 141). An diesem auf die Verhinderung innerer Konflikte abstellenden Verständnis von Sinn und Zweck des nemo-tenetur-Prinzips wird aus Teilen des Schrifttums Kritik geäußert. Keller108 zieht das Schweigerecht des Beschuldigten als Argument gegen die These heran, das nemo-tenetur-Prinzip diene der Verhinderung durch Mitwirkungspflichten entstehender Dilemmata. Ein Beschuldigter, dem die Möglichkeit der Berufung auf sein Schweigerecht 106  Puppe GA 1978, 289 (298) weist zudem darauf hin, dass eine Mitwirkungspflicht eine „überzogene Forderung“ an das ideale Bürgerverhalten darstellte, das dieser zu leisten nicht in der Lage ist und das typisch für „moderne Gesinnungsdiktaturen“ ist. Zwar habe ich Zweifel daran, dass sich der Beschuldigte, der sich durch eine Lüge der Bestrafung entziehen kann, wirklich in einer subjektiven Konfliktlage befindet. Bereits diese Annahme beruht auf einer biologisch nur schwer begründbaren These des in jeder Situation deontologisch-moralisch denkenden Menschen. Puppe spricht jedoch einen wichtigen Punkt an. Denn der moderne Rechtsstaat geht gerade nicht vom Leitbild eines Bürgers aus, der sich selbst den Interessen und dem „Wohle des Volkes“ unterordnet, wie es etwa in der NS-Diktatur erwartet wurde. Stattdessen zeigt nemo tenetur gerade, dass ihm zugebilligt wird, seine Freiheitsinteressen dem gemeinen Interesse an der Strafverfolgung überzuordnen. Wenn die Rechtsordnung dem Beschuldigten indes die Freiheit zuspricht, seinen individuellen Interessen den Vorzug zu gewähren, so muss sie ihm auch einen diesbezüglichen freien Entscheidungsprozess zusichern. 107  Selbst unter Zugrundelegung eines uneingeschränkt gültigen (d. h. ungeachtet etwaiger Konsequenzen Geltung beanspruchenden) moralischen Verbots der Lüge, wie es etwa Kant (Die Metaphysik der Sitten, Werkausgabe Bd. VIII, S. 562 ff. sowie Über ein vermeintliches Recht aus Menschenliebe zu lügen, Werkausgabe Bd. VIII, S. 637 ff.) annimmt, bliebe dem Beschuldigten stets die Alternative des Schweigens, sodass er eine Selbstbezichtigung gegenüber einer Privatperson ohne moralischen Konflikt vermeiden kann. 108  Keller, Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, S. 134.

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ermöglicht werde, könne sich der quälenden Entscheidung zwischen Mitwirkung und als negativ empfundenen Mitteln zur Durchsetzung der Mitwirkung stets durch sein Schweigen entziehen. Diese Erkenntnis ist zwar zutreffend, aber zur Widerlegung der herrschenden Meinung ungeeignet. Denn das Schweigerecht des Beschuldigten in seiner Vernehmung ist Ausdruck von nemo tenetur, dient also unter Zugrundelegung der herrschenden Konzeption gerade der Verhinderung einer solchen als Qual empfundenen Wahl zwischen zwei Übeln. Tatsächlich ist es jedoch keinesfalls ungewöhnlich, dass der Beschuldigte durch eine zu treffende strafprozessuale Entscheidung in einen Gewissenskonflikt gebracht wird.109 So muss der vermeintliche Täter eines Steuerdelikts entscheiden, ob er sein möglicherweise strafbares Verhalten gegenüber den Finanzbehörden offenlegt und sich damit einerseits gegenüber dem Staat die „Blöße“110 gibt, seine Gesetzesübertretung einzugestehen, und sich andererseits der Gefahr der eigenen Strafverfolgung auszusetzen,111 oder ob er sein Verhalten stattdessen verheimlicht, damit aber gleichzeitig auf die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige (§ 371 Abs. 1 Satz 1 AO) verzichtet. Im Grunde genommen hat ausnahmslos jeder Beschuldigte mit einem inneren Konflikt zu kämpfen.112 Er steht nämlich stets vor der Wahl, sich selbst der Straftat zu bezichtigen oder die mit dem Leugnen bzw. Schweigen verbundene höhere Bestrafung zu erleiden. Das Schuldprinzip gebietet eine strafmildernde Berücksichtigung der in der Regel in einem Geständnis liegenden Mitwirkung des Beschuldigten.113 Daraus folgt jedoch notwendigerweise, dass das Leugnen bzw. Schweigen des Beschuldigten faktisch strafschärfend wirkt.114 Der dadurch beim Beschuldigten verursachte interne Konflikt ist als ebenso schwerwiegend zu werten, wie der durch eine Mitwirkungspflicht entstehende, kann aber nicht ohne Verletzung des Schuldprinzu Recht Puppe GA 1978, 289 (299). Puppe GA 1978, 289 (299). 111  Gem. § 371 Abs. 1 Satz 1 AO wird der sich selbst Anzeigende nur dann nicht bestraft, wenn er die Angaben „in vollem Umfang“ berichtigt. Er trägt somit das Risiko, dass seine Angaben durch die Finanzbehörde als unvollständig gewertet werden, er sich also durch die Selbstanzeige selbst „ans Messer liefert“. Zu den Voraussetzungen an eine vollständige Selbstanzeige vgl. überblickshalber Tipke/Lang/Seer, Steuerrecht, § 23 Rn. 23.58. 112  Auch Jescheck, Gutachten 46. DJT, S. 1 (31) führt aus, dass jeder Beschuldigte i. R.d. Vernehmung in einer gewissen Zwangslage ist. 113  Frister FS Rengier, S. 377 (381 ff.). 114  Dencker ZStW 102 (1990), 51  (56); Frister FS  Rengier, S. 384 f.; siehe auch eingehend Sickor, Das Geständnis, S. 335 f., der darlegt, dass die faktische Strafschärfung für den Leugnenden auch historisch intendiert war. Der Geständnisbonus sei bloß die Folge der Umformulierung der strafschärfenden Berücksichtigung des Leugnens durch die Rechtsprechung. 109  So 110  So



B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare)151

zips aufgelöst werden. Vielmehr wirkt der Konflikt an anderer Stelle noch stärker, nämlich im Bereich der Verständigung im Strafverfahren. Wird dem Beschuldigten die Möglichkeit eines sogenannten Deals eröffnet, steht er vor dem Dilemma, sich selbst der Tat zu bezichtigen oder eine empfindlichere Bestrafung115 in Kauf zu nehmen. Insbesondere der unschuldig Angeklagte wird sich dabei in einem Zustand tiefster Überforderung befinden, denn er steht vor der Wahl, sich wider besseres Wissen öffentlich zu einer Normübertretung zu bekennen und die damit einhergehende (wenngleich mildere) Strafe sowie soziale Nachteile116 zu erleiden oder das Risiko einer höheren Strafe einzugehen. Diente das nemo-tenetur-Prinzip gerade der Verhinderung solcher internen Dilemmata, ließe sich weder die faktisch strafschärfende Wirkung der unterlassenen Mitwirkung, erst recht aber nicht die – ausschließlich auf Gesichtspunkte der Effektivität der Justiz gestützte117  – Verständigung im Strafverfahren rechtfertigen. Richtigerweise kann die Ratio der Mitwirkungsfreiheit mithin nicht in der Missbilligung einer dem Beschuldigten abverlangten Wahl zwischen zwei Übeln gesehen werden – wie dargelegt wurde, befindet sich jeder Beschuldigte in einem solchen Dilemma. Vielmehr bezweckt das nemo-teneturPrinzip, dass der Beschuldigte diese für ihn existenzielle und damit höchst belastende Wahl frei von staatlicher Beeinflussung treffen kann.118 Der Staat darf anders als im Inquisitionsprozess nicht mehr gegen den Willen des Beschuldigten auf sein Wissen zugreifen. Stattdessen hat er die Entscheidung 115  In der Regel wird dem Beschuldigten als „Gegenleistung“ für sein Geständnis eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung in Aussicht gestellt, vgl. Rönnau JuS 2018, 114 (115): „Tausche Geständnis gegen Strafmilderung“. 116  Vgl. nur Bockemühl StraFo 2016, 60 (61 f.). 117  Die durch das Verständigungsgesetz v. 29.07.2009 (BGBl. I 2009, S. 2353 f.) in § 257c StPO kodifizierte Regelung zur Verständigung im Strafverfahren verfolgt freilich den Zweck, das Absprachenprocedere transparenter und offener zu gestalten, vgl. nur die Ausführungen in BVerfGE 133,  168  (222 f.). Die Absprache als solche verfolgt jedoch das Ziel der Effizienzsteigerung, vgl. etwa Hettinger ZRP 2011, 292 (293) sowie Marsch ZRP 2007, 220, der anmerkt, dass „manche behauptete Arbeitsüberlastung nur eine subjektive Befindlichkeit ist“. Weigend FS Maiwald, S. 829 (846) kritisiert zudem, „dass die erkennbare Tendenz des deutschen Strafverfahrens in die Richtung eines effizient organisierten, geräuschlosen und für die Öffentlichkeit weitgehend verborgenen, professionell betriebenen Verwaltens der Fälle geht“. 118  So i. Erg. auch Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, S. 121; Keller, Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, S. 134 f.; Ransiek, Die Rechte des Beschuldigten in der Polizeivernehmung, S. 49. Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgt Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 211 ff. Der den Bürger einer Straftat beschuldigende Staat begebe sich durch seine Anschuldigung auf die „Ebene des Kampfes“ (S. 212) und müsse daher den Preis der Achtung des Distanzinteresses des Beschuldigten zahlen.

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des Verfahrenssubjekts für oder wider die Mitwirkung zu respektieren, darf ihm gleichzeitig aber innerhalb enger Grenzen Anreize119 für die Mitwirkung setzen, selbst wenn diese im Umkehrschluss notwendigerweise die Schlechterstellung des die Mitwirkung Verweigernden nach sich ziehen. Es liegt auf der Hand, dass die Entscheidungsfindung des Beschuldigten niemals völlig autonom erfolgen kann,120 denn bereits die Kenntnis von der strafmildernden Wirkung des Geständnisses wird ihn erheblich beeinflussen. Die bloße theoretische Möglichkeit einer Wahl kann jedoch nicht ausreichen. Auch der Gefolterte kann sich für das weitere Leugnen der Tat und eine damit einhergehende Erduldung weiterer Folter entscheiden.121 Der staatliche Einfluss darf jedoch, wie Ransiek überzeugend darlegt, nicht so weit gehen, dass die Mitwirkung des Beschuldigten nicht mehr auf seiner individuellen Entscheidungsfindung beruht, sondern vielmehr dem Staat zurechenbar ist.122 Letzteres wäre etwa anzunehmen, wenn die Ermittlungsbehörde durch die Anordnung von Beugehaft auf den Willensbildungsprozess des Beschuldigten einwirkt, nicht jedoch bereits durch das Inaussichtstellen einer milderen Bestrafung im Falle der Mitwirkung des Beschuldigten.123 b) Entlastungsfunktion der Beschuldigtenvernehmung und fehlende Mitwirkungspflicht Das nemo-tenetur-Prinzip schließt damit im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung nicht nur jede die Auskunft zu dem Tatvorwurf gebietende Verhaltenspflicht aus; es garantiert dem Beschuldigten auch eine Entscheidung zwischen Aussage und Schweigen möglichst bar jeglicher staatlicher 119  Als weiteres wichtiges Beispiel sind sog. „Kronzeugenregelungen“ zu nennen. So kann der Täter einer Betäubungsmittelstraftat gem. § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG auf eine Strafmilderung oder sogar ein Absehen von Strafe hoffen, wenn er durch Mitwirkung am Strafverfahren dazu beiträgt, dass eine andere im Zusammenhang mit seiner Tat stehende Straftat aufgedeckt wird. Auch hier wird auf den noch nicht überführten Beschuldigten intensiver Druck zur Kooperation aufgebaut. Siehe auch die Beispiele für unzulässigen Mitwirkungsdruck bei Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 17 Rn. 11. 120  Ransiek, Die Rechte des Beschuldigten in der Polizeivernehmung, S. 55. 121  Ransiek, Die Rechte des Beschuldigten in der Polizeivernehmung, S. 54. 122  Ransiek, Die Rechte des Beschuldigten in der Polizeivernehmung, S. 54. 123  Dies gilt freilich nur insoweit der die Strafmilderung in Aussicht Stellende auch in der rechtlichen Position ist, Einfluss auf die Strafzumessung zu nehmen. Ein polizeilicher Vernehmungsbeamter darf den Beschuldigten lediglich darauf hinweisen, dass seine Kooperation durch die Gerichte regelmäßig günstig gewertet wird, er darf ihm jedoch nicht eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung versprechen, ohne den Beschuldigten damit über Rechtsfragen zu täuschen.



B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare)153

Beeinflussung.124 Dies offenbart sich auch in den Gesetzesmaterialien zur Reichsstrafprozessordnung, in denen der historische Gesetzgeber zunächst auf das Fehlen einer Mitwirkungspflicht hinweist: „Die Vernehmung wird, wenn und insoweit der Beschuldigte geständig ist, als freiwillig dargebotenes Untersuchungsmittel auch im heutigen Verfahren von größtem Werthe sein; es kann aber nicht gefordert werden, daß der Beschuldigte gegen seinen Willen zu seiner Ueberführung beitrage.“125

Der historische Gesetzgeber folgerte daraus nicht bloß – wie es die heute herrschende Meinung annimmt126 – eine Freiheit von Zwang zur Mitwirkung im Sinne von vis compulsiva. Vielmehr führt er im unmittelbaren Anschluss an den soeben angeführten Abschnitt aus: „Dadurch wird auch jeder mittelbare Zwang, welcher die Herbeiführung unfreiwilliger Eröffnungen bezweckt, ausgeschlossen, namentlich die Vorlegung von Fragen, deren Tragweite und Zusammenhang mit dem Belastungsbeweise der Beschuldigte nicht übersieht.“127

Er legt damit einen Zwangsbegriff zugrunde, der einzig darauf abstellt, ob der Beschuldigte in seiner Entscheidung über die Kooperation noch als frei anzusehen ist, wobei es unerheblich sein soll, ob der Beschuldigte diesen Zwang bewusst erfährt oder seine Beeinflussung im Verborgenen stattfindet. Denn bereits in der Vorlage von Fragen, deren Tragweite und Zusammenhang mit dem Belastungsbeweis der Beschuldigte nicht erkennen kann (scil. Suggestiv- und Fangfragen), sah der historische Gesetzgeber die Ausübung unzulässigen Mitwirkungszwangs.128 Dies ist durchaus konsequent. Der über seine Verteidigungschancen getäuschte Beschuldigte, dem die Vorlage von Belastungsbeweisen und somit seine Überführung als sicher vorgespiegelt werden, wird ebenso in seiner Entscheidung beeinflusst wie der mit Beugehaft zur Erzwingung der Aussage bedrohte. In beiden Fällen wird dem Beschuldigten die theoretische Möglichkeit des Abstreitens der Täterschaft bzw. des Schweigens nicht genommen. Der täuschende Vernehmungsbeamte greift 124  Diskutiert wird insoweit ausschließlich die Zulässigkeit einer Pflicht zur Angabe von persönlichen Verhältnissen. Der Beschuldigte ist jedenfalls nicht dazu verpflichtet, Angaben über strafzumessungsrelevante Umstände zu machen. Ob und inwieweit darüber hinausgehend persönliche Angaben verpflichtend sind, mag für die hier zu beurteilenden Fragen dahinstehen (vgl. dazu umfassend Verrel, Die Mitwirkungsfreiheit im Strafverfahren, S. 173 ff.). Soweit eine Pflicht des Beschuldigten abzulehnen ist, gelten die folgenden Ausführungen. 125  Motive des § 123 RStPO-E, abgedruckt bei Hahn/Mugdan, StPO Abt. 1, S. 138. 126  BGHSt (GSSt) 42, 139 (152); SK-StPO/Rogall Vor § 133 Rn. 139 m. w. N. 127  Motive des § 123 RStPO-E, abgedruckt bei Hahn/Mugdan, StPO Abt. 1, S. 138. 128  Daher ist es auch nicht zutreffend, wenn bei Verrel, Die Mitwirkungsfreiheit im Strafverfahren, S. 108 die Rede davon ist, dass die das nemo-tenetur-Prinzip auf eine Freiheit von vis compulsiva beschränkende h. M. die „herkömmliche Ansicht“ ist.

154 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

jedoch derart in den Entscheidungsprozess ein, dass die nachfolgende Entscheidung für die Aussage nicht mehr als frei angesehen werden kann und sich somit eher als Produkt staatlicher Beeinflussung denn als autonomer Akt des Beschuldigten darstellt. Zur Sicherstellung der freien Entscheidung beließ es der historische Gesetzgeber nicht bei der Kodifizierung der Aussagefreiheit und der verpflichtenden Frage, ob der Beschuldigte etwas auf die Anschuldigung erwidern wolle. Er legte darüber hinaus in § 136 Abs. 2 StPO den Zweck der Vernehmung ausschließlich als Mittel der Gewährung rechtlichen Gehörs fest. Dem Beschuldigten sollte die Möglichkeit eröffnet werden, auf die ihm gemachten Vorwürfe durch Vorbringung entlastender Gegenbeweise zu reagieren. Dieser Zweck der Vernehmung steht in enger Beziehung zum nemo-tenetur-Prinzip; sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Dem Beschuldigten nämlich einerseits die Freiheit der selbstbestimmten Entscheidung zu gewähren, ob er durch die Aussage am Strafverfahren mitwirken möchte, andererseits jedoch seiner Vernehmung auch den Zweck der Wahrheitsfindung zuzusprechen, hätte nicht nur einen mit einer gesteigerten Gefahr für Verletzungen der Mitwirkungsfreiheit einhergehenden Interessenkonflikt zufolge, den die Strafprozessordnung gerade zu verhindern sucht. Vielmehr wäre ein solches Ergebnis auch höchst widersprüchlich. Wäre die Wahrheitsfindung nämlich auch Zweck der Vernehmung, so könnte dieser, da aus dem Schweigen des Beschuldigten keine Schlüsse gezogen werden können, nur im Falle einer Aussage des Beschuldigten erreicht werden. Der Vernehmungsbeamte müsste also kraft des Vernehmungszwecks darauf hinwirken, dass der Beschuldigte von seiner ihm durch das nemo-tenetur-Prinzip zugesicherten freien Entscheidung im Sinne der – möglicherweise nicht in seinem Interesse liegenden – Wahrheitsfindung Gebrauch macht. Dieses paradoxe Ergebnis umgeht die Rechtsordnung dadurch, dass sie der Vernehmung ausschließlich den Entlastungszweck beimisst. Der Beschuldigte darf nicht mit dem Ziel vernommen werden, den Sachverhalt aufzuklären, sondern nur zum Zwecke der Gewährung rechtlichen Gehörs. Berücksichtigt der Vernehmungsbeamte diese Maxime, ist die jeder Vernehmung immanente Gefahr unfreiwilliger Selbstbelastungen auf ein Minimum reduziert.129 Trägt der Beschuldigte durch eine freiwillige Aussage, das heißt ohne dass der Staat in einer Weise auf den Willensbildungsprozess eingewirkt hat, welche die Aussage gleichsam als sein Produkt erscheinen lässt, gleichwohl zur Aufklärung des Sachverhalts bei, geschieht dies ohne Konflikt mit dem nemo-tenetur-Prinzip.

129  Dies erkannte auch der historische Gesetzgeber, weshalb er „ausführlichere Vorschriften über die Einzelheiten des Verfahrens bei der Vernehmung“ für entbehrlich hielt, vgl. Hahn/Mugdan, StPO Abt. 1, S. 139.



B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare)155

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass der in § 136 Abs. 2 StPO kodifizierte Vernehmungszweck die Kernvorschrift zum Schutze der Mitwirkungsfreiheit in der Beschuldigtenvernehmung darstellt. Daraus folgt auch, dass sämtliche Verhaltensweisen des Vernehmenden, die dem Entlastungszweck der Vernehmung zuwiderlaufen, zugleich mit dem nemo-tenetur-Prinzip in Konflikt treten.130 Auf die Wahl des Verhörmittels kann es dabei nicht ankommen. Die Anwendung von vis compulsiva zur Aussageerlangung widerspricht dem Vernehmungszweck in gleichem Maße wie die Täuschung. Auch letztere stellt daher im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung einen Eingriff in die aus dem nemo-tenetur-Prinzip folgende Aussagefreiheit des Beschuldigten dar. Zwar gilt auch in der Beschuldigtenvernehmung kein absoluter Schutz der Mitwirkungsfreiheit, wie etwa der durch die strafmildernde Berücksichtigung von Geständnissen in zulässiger Weise erzeugte Druck zeigt. An die Rechtfertigung eines Eingriffes sind jedoch innerhalb der Vernehmung erhöhte Anforderungen zu stellen. Eine Einschränkung des nemo-tenetur-Prinzips ist ausschließlich rechtmäßig, wenn dies zur Auflösung eines Konflikts mit einem anderen Rechtsgut von Verfassungsrang (wie eben das Schuldprinzip) zwingend erforderlich ist.131 Insoweit ist eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Das Interesse an der Wahrheitsermittlung vermag einen Eingriff in das nemo-tenetur-Prinzip im Rahmen der Vernehmung jedenfalls nicht zu rechtfertigen. Dies zeigt die in § 136 Abs. 2 StPO durch den Gesetzgeber getroffene Wertung. c) Die Folgen für den Einsatz von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen Die hier vertretene Ansicht zur Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO als eine Kernvorschrift zum Schutze der Mitwirkungsfreiheit hat freilich Konsequenzen für den Einsatz von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen durch die Ermittlungsbehörden. Wie nämlich im Rahmen der Ausführungen zum Vernehmungsbegriff dargelegt wurde, kann die Offenheit der Kommunika­ tionssituation kein begriffskonstituierendes Merkmal der Vernehmung sein. Die Rechtsordnung geht zwar von der offenen Vernehmung als Standardfall aus. Es wäre jedoch ein Fehlschluss, daraus die Konsequenz zu ziehen, dass verdeckte Befragungen des Beschuldigten keine Vernehmung darstellen. Befragungen mittels Einsatzes verdeckt handelnder staatlicher Akteure sind

130  Ausdrücklich anders Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 209, dem zufolge bereits die Vorschrift des § 136a StPO weiter ist, als es durch das nemo-tenetur-Prinzip geboten wäre. 131  Vgl. Frister FS Rengier, S. 377 (385).

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daher als Vernehmungen im Sinne der §§ 133 ff. StPO einzustufen (siehe dazu oben S. 59 ff.). Die Einordnung des Einsatzes Verdeckter Ermittler gegen den Beschuldigten als Vernehmung lässt keinen anderen Schluss zu, als die Ermittlungsmethode des § 110a StPO dann per se als Konflikt mit dem Vernehmungszweck und damit als Verletzung des nemo-tenetur-Prinzips zu werten, wenn der Verdeckte Ermittler mit dem Beschuldigten in den Dialog tritt und ihn somit verdeckt zur Sache vernimmt. Deutlich wird dies bereits an der Vorschrift des § 110a Abs. 1 Satz 3 StPO, nach dem der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers anderen Ermittlungsmethoden gegenüber subsidiär ist und in diesem Sinne nur zulässig ist, soweit die Sachverhaltsaufklärung auf andere Weise aussichtslos oder jedenfalls wesentlich erschwert wäre. Es handelt sich um einen der Strafprozessordnung immanenten Widerspruch. Während der Beschuldigte laut § 136 Abs. 2 StPO nur vernommen werden darf, um ihm die Möglichkeit der Selbstentlastung zu gewähren, modelliert § 110a StPO eine Vernehmung, in der die Erreichung dieses Zwecks dem reinen Zufall überlassen bleibt. Insbesondere wird dem Beschuldigten in der Vernehmung durch einen Verdeckten Ermittler jegliche Möglichkeit genommen, eine freiverantwortliche Entscheidung darüber zu treffen, ob er sein Wissen den staatlichen Ermittlungsbehörden zugänglich machen möchte. Ein solcher Einsatz ist ein Paradebeispiel für den Zugriff des Staates auf das Wissen des Beschuldigten gegen seinen Willen, dem das nemo-tenetur-Prinzip gerade vorbeugen soll. Dagegen ließe sich auch nicht überzeugend einwenden, dass im Sinne des herrschenden förmlichen Vernehmungsbegriffs mangels offenen Gegenübertretens in staatlicher Eigenschaft im Einsatz eines Verdeckten Ermittlers schon keine Vernehmung zu sehen ist, ein Widerspruch mit § 136 Abs. 2 StPO also von vornherein ausgeschlossen ist.132 Selbst ohne Vorliegen einer Beschuldigtenvernehmung handelt es sich um ein widersprüchliches Ergebnis. Tritt der Vernehmungsbeamte dem Beschuldigten offen gegenüber, so dient die nachfolgende  – dann unstreitig vorliegende  – Vernehmung auch nach herrschender Meinung in erster Linie der Gewährung einer Möglichkeit zur Vorbringung entlastender Tatsachen. Verbirgt der Beamte jedoch im Rahmen seiner ihm durch § 110a ff. StPO gewährten Eingriffsbefugnis seine Ermittlereigenschaft, so soll der Kontakt zwischen Ermittler und Beschuldigtem 132  So die h. M.: BGHSt 40, 211 (213); BGHSt 52, 11 (15); Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 510; Hoven JA 2013, 368 (369); MK-StPO/Kölbel § 163a Rn. 7 f.; Kudlich JuS 1997, 696 (698); Mahlstedt, Die verdeckte Befragung des Beschuldigten im Auftrag der Polizei, S. 57 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 4; Nowrou­ sian NStZ 2015, 625; SK-StPO/Rogall Vor § 133 Rn. 43 und § 136 Rn. 14 ff.; Roxin FS Rogall, S. 651 (654).



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nach § 110a Abs. 1 Satz 3 StPO ausschließlich der Wahrheitsfindung dienen, obgleich der Beschuldigte in einer solchen Situation einem weitaus größeren Risiko ausgesetzt ist, ohne seinen Willen zu seiner Strafverfolgung beizutragen. Aus alledem folgt nicht, dass Einsätze Verdeckter Ermittler zur Ermittlung des Sachverhalts und zur Sammlung von Belastungsbeweisen ausnahmslos verfassungswidrig sind. Unzulässig ist lediglich die Umgehung der durch die Strafprozessordnung aufgestellten strengen Anforderungen an die Beschuldigtenvernehmung durch Verheimlichung der Ermittleridentität. Verfassungswidrig ist der Einsatz Verdeckter Ermittler also nur im Falle des gezielten Einsatzes gegen den Beschuldigten zur Sachverhaltsaufklärung im Rahmen einer mündlichen Konversation. Ein Einsatz im Umfeld des Beschuldigten, im Rahmen dessen etwa diesen belastende Äußerungen Dritter oder physische Belastungsbeweise gesammelt werden, bleibt in der Regel ohne Konflikt mit dem nemo-tenetur-Prinzip möglich.133 d) Mitwirkungsfreiheit des Beschuldigten außerhalb seiner Vernehmung, insbesondere die Zulässigkeit von technischen Überwachungsmaßnahmen Eine dem § 136 Abs. 2 StPO vergleichbare Vorschrift existiert für das Strafverfahren außerhalb der Beschuldigtenvernehmung nicht. Daraus ist nicht der Schluss zu ziehen, dass der Beschuldigte insoweit keinen Schutz durch das nemo-tenetur-Prinzip genießt; auch hier ist eine Mitwirkungspflicht ausgeschlossen und seine freie Entscheidung über die Vornahme von Mitwirkungshandlungen garantiert. Die Ermittlungsbehörden sind jedoch nicht durch die in § 136 Abs. 2 StPO ausschließlich für die Vernehmung kodifizierte Zweckrichtung eingeschränkt. Sie dürfen und sollen ihre Tätigkeit vielmehr unter das Primat der Wahrheitsermittlung stellen. Die nunmehr entscheidende Frage lautet, was aus alledem für die Täuschung des Beschuldigten außerhalb seiner Vernehmung folgt. Da nach dem hier vertretenen Vernehmungsbegriff sämtliche verbalen Kontakte zwischen einer dem staatlichen Lager zurechenbaren Vernehmungsperson und dem Beschuldigten als Vernehmungen und damit als der Gewährung rechtlichen Gehörs dienend einzustufen sind, sind Täuschungen außerhalb der Vernehmung nur in einem eng begrenzten Rahmen denkbar. Umfasst sind allen voran Ermittlungsmethoden wie die Telekommunikationsüberwachung (§ 100a StPO) sowie die akustische Wohnraumüberwachung (§ 100c StPO). Ihr Erfolg erfordert stets die Täuschung des Beschuldigten, der die selbstbelasten133  Auch einem präventiven Einsatz zum Zwecke der Gefahrenabwehr steht § 136 Abs. 2 StPO selbstredend nicht entgegen. Fraglich bleibt dann aber, wie mit Beweisen umzugehen ist, die im Rahmen einer solchen präventiven Maßnahme gewonnen werden.

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den Äußerungen nicht tätigen würde, wenn ihm das Mithören durch die Strafverfolger bewusst wäre. Tatsächlich greifen die genannten Maßnahmen jedoch nicht in die Mitwirkungsfreiheit ein. Dies wird deutlich, wenn man erneut Sinn und Zweck des nemo-tenetur-Prinzips betrachtet. Dieser schließt einen Zugriff auf das Wissen des Beschuldigten gegen dessen Willen aus, gewährt diesem also einen freien Entscheidungsprozess über die Art und Umfang des Mitwirkungsverhaltens. Der sich in einem durch den Staat mitgehörten134 Privatgespräch selbst belastende Beschuldigte weiß zunächst, dass ihn gegenüber dem Privaten keinerlei Aussagepflicht trifft. Es steht ihm frei, darüber zu disponieren, ob er gegenüber dem privaten Dritten sein belastendes Wissen preisgeben möchte oder nicht. Entscheidet er sich indes für die Aussage, so geht er damit aufgrund eines freiverantwortlichen Willensentschlusses das allgemeine Lebensrisiko ein, das der Offenbarung belastender Tatsachen gegenüber anderen Menschen immanent ist. Denn abgesehen von den in § 203 StGB kodifizierten Tatbeständen gibt es grundsätzlich kein rechtlich geschütztes Vertrauen in das Stillschweigen der Mitmenschen.135 Prahlt der Täter eines Raubes gegenüber einem Freund mit der Tatbegehung, so kann er sich nie sicher sein, dass der Freund sein Wissen nicht an private Dritte oder sogar mittels Strafanzeige an die Ermittlungsbehörden weiterleiten wird. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Täter einer nahestehenden Person, etwa seinem Ehegatten gegenüber öffnet. Die Rechtsordnung schützt das zwischen ihnen bestehende Vertrauensverhältnis zwar insoweit, als sie dem Ehegatten ein Zeugnisverweigerungsrecht gewährt. Seine Ausübung liegt aber im Verantwortungsbereich des potentiellen Zeugen, der auch die belastende Aussage wählen kann, ohne dass der dadurch Belastete rechtlich Einfluss darauf nehmen könnte. Einen Anspruch auf Stillschweigen hat der Beschuldigte ausschließlich im Rahmen der in § 203 StGB kodifizierten strafbewehrten Vertrauenstatbestände. Insbesondere wenn er sich seinem Strafverteidiger gegenüber anvertraut, darf er darauf vertrauen, dass dieser keine Informationen weiterreicht. Im MandantStrafverteidiger-Verhältnis stellt die Vertraulichkeit nämlich eine Bedingung für die Offenlegung selbstbelastender Momente dar;136 im Übrigen ist sie 134  Zu beachten gilt, dass das Privatgespräch unter strengen Voraussetzungen, das heißt beim gezielten Ansetzen der Privatperson auf den Beschuldigten durch den Staat zur Erlangung belastender Beweise, ausnahmsweise auch als Vernehmung eingestuft werden kann (vgl. die Ausführungen auf S. 64 f.). Greift die Privatperson im Rahmen dessen durch Täuschungen auf den Entscheidungsprozess des Beschuldigten ein, handelt es sich um einen Eingriff in die Mitwirkungsfreiheit. 135  Vgl. eingehend zum Schutzzweck des § 203 StGB Jäschke ZStW 131 (2019), 36. 136  In Bezug auf das Arzt-Patient-Verhältnis stellt Eser ZStW 97 (1985), 1 (40 f.) fest, dass die Vertraulichkeit „Grundvoraussetzung eines vertrauensvollen Behand-



B. Mitwirkungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare)159

lediglich als Modalität der Aussage anzusehen, die den Entscheidungsprozess über die Selbstbelastung unberührt lässt. Es versteht sich von selbst, dass der Beschuldigte seine selbstbelastenden Äußerungen unterlassen würde, wenn ihm das Mithören durch die Polizei vorher bewusst wäre. Dies vermag jedoch nichts an der Freiverantwortlichkeit der Aussage zu ändern. Es liegt im Verantwortungsbereich des Beschuldigten, das Risiko der Aufdeckung der Belastungsbeweise durch die Offenbarung gegenüber Dritten einzugehen. Gelangt das offenbarte Wissen an die Ermittlungsbehörden, verwirklicht sich darin nur das allgemeine Risiko, welches der Beschuldigte freiverantwortlich eingegangen ist.

III. Ergebnis Niemand ist verpflichtet, sich selbst zu belasten. Daraus folgt in erster Linie, dass kein Bürger zu einer aktiven Mitwirkung an der eigenen Strafverfolgung verpflichtet ist, weshalb die Ermittlungsbehörden auch nicht ohne Konflikt mit dem nemo-tenetur-Prinzip ein eigenes Mitwirkungsverhalten des Bürgers erzwingen dürfen. Der Staat darf kein Verhalten erzwingen, zu dem der Adressat der Maßnahme nicht verpflichtet ist, auf dessen Vornahme der Staat also keinen Anspruch hat. Die herrschende Betrachtungsweise erkennt dies zutreffend, beschränkt den Schutzumfang des Prinzips jedoch auf eine solche Freiheit von Zwang. Tatsächlich bezweckt das nemo-teneturPrinzip jedoch über den Ausschluss von Mitwirkungszwang hinaus, den Staat am Zugriff auf das Wissen des Beschuldigten gegen seinen Willen zu hindern. Es garantiert diesem einen selbstbestimmten und freiverantwortlichen Entscheidungsprozess hinsichtlich der Frage, ob und in welchem Umfang er zur Sachverhaltsermittlung beitragen möchte. Dieses Ergebnis wird bei Betrachtung der Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO besonders deutlich. Die Entlastungsfunktion der Vernehmung bildet die Kernvorschrift zum Schutze des Beschuldigten. Durch sie stellt die Rechtsordnung sicher, dass der Beschuldigte in der höchstvulnerablen Situation seiner Vernehmung vor einem ungewollten Zugriff auf sein Wissen geschützt ist. Daher konfligiert auch die Täuschung des Beschuldigten in der Vernehmung mit der Mitwirkungsfreiheit. Der Einsatz Verdeckter Ermittler ist damit auf Ermittlungstätigkeiten eingeschränkt, die sich nicht als verdeckte Vernehmung des Beschuldigten darstellen. Zulässig bleibt insbesondere die Tätigkeit im persönlichen Umfeld des Beschuldigten. Davon zu unterscheiden sind Maßnahmen wie die Überwachung der Kommunikation des Beschuldiglungsverhältnisses“ ist. Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Strafverteidiger und Mandant.

160 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

ten, deren Wirksamkeit zwar eine Täuschung voraussetzt, gleichwohl aber keinen Eingriff in die Mitwirkungsfreiheit darstellen. Die Äußerungen des sich gegenüber privaten Dritten selbst belastenden Beschuldigten sind nämlich in aller Regel als freiverantwortlich anzusehen. Im Mithören der Kommunikation durch die Ermittlungsbehörden offenbart sich das allgemeine, mit der Offenbarung selbstbelastender Umstände einhergehende Risiko.

C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege I. Das Risiko täuschungsbedingt falscher Selbstbelastungen des Beschuldigten als Gefahr für die Wahrheitsermittlung Dass das Täuschungsverbot die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege einschränkt, wird kaum angezweifelt, ist aber mitnichten selbstverständlich. Das Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung würde durch das Verbot irreführender Vernehmungsmuster nämlich nur dann beschränkt, wenn man grundsätzlich davon ausgehen kann, dass täuschungsbedingte Selbstbelastungen des Beschuldigten auch als glaubhaft einzustufen sind. Freilich geht die Anwendung inquirierender Verhörmethoden regelmäßig mit einem signifikant erhöhten Risiko für falsche Geständnisse einher.137 Anerkannt, wenn auch in der Regel nicht explizit ausgesprochen, ist dies für die Verhörmethode der körperlichen bzw. seelischen Misshandlung (scil. Folter). Zwar ist es denkbar, dass die Folteranwendung belastende Beweise offenlegt – man denke etwa an den den Fundort der Leiche offenbarenden Beschuldigten. Andere selbstbelastende Aussagen und Geständnisse, wie das bloße Bekenntnis zur Täterschaft, verlieren ihre Glaubhaftigkeit durch die Folter dagegen 137  Die Häufigkeit falscher Geständnisse lässt sich zwar naturgemäß nur schwer beziffern. Untersuchungen lassen jedoch auf eine bemerkenswert hohe Rate schließen. In den mittlerweile älteren, jedoch immer noch das Standardwerk zum Wiederaufnahmeverfahren darstellenden, Untersuchungen Peters spielte in ca. 7 % aller Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Angeklagten ein falsches Geständnis eine Rolle (Fehlerquellen im Strafprozeß, Bd. 2, S. 13). Für einen hohen Anteil falscher Geständnisse sprechen auch die Ergebnisse des US-amerikanischen Innocence Projects. Etwa 25 % aller später mittels DNA-Beweis entlasteten Verurteilten legten ein falsches Geständnis ab (https://www.innocenceproject.org). Einen Überblick über entsprechende Studien gewährt Volbert, in: Egg, Psychologisch-psychiatrische Begutachtung in der Strafjustiz, S. 68 (71 ff.). Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass nicht jedes falsche Geständnis auf vorheriges (Fehl-)Verhalten des Vernehmenden zurückzuführen ist. Vielmehr kommen auch freiwillige Selbstbelastungen regelmäßig vor, denen höchst unterschiedliche Motivationen zugrunde liegen können. Diskutiert werden etwa ein pathologisches Bedürfnis nach Berühmtheit, das Bedürfnis nach Selbstbestrafung aufgrund einer anderen vorherigen Verfehlung, eine krankheitsbedingte Unfähigkeit, zwischen Realität und Einbildung zu unterscheiden, sowie der Schutz des wahren Täters, siehe Kassin/Gudjonsson Psychol Sci Pub Interest 2004, 33 (49).



C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege161

gänzlich. Da stets davon ausgegangen werden muss, dass der Beschuldigte die Aussage ausschließlich zur Abwendung weiterer Folter tätigt, kommt der unter Zufügung körperlicher oder seelischer Leiden vorgenommenen Selbstbelastung keinerlei Beweiswert zu.138 Prima facie scheint dieses Argument exklusiv auf die Verhörmethode der Folter zugeschnitten zu sein.139 Vernehmungspsychologische Erkenntnisse zeigen jedoch, dass auch die Täuschung des Beschuldigten, insbesondere die Aussagesuggestion, das Risiko für falsche Selbstbelastungen merklich erhöht. Überhaupt geht eine Intensivierung des Befragungsdrucks mit einer gesteigerten Wahrscheinlichkeit falscher Geständnisse einher. So neigen Unschuldige, denen über einen namhaften Vernehmungszeitraum dargelegt wird, dass vorhandene Belastungsbeweise ihre Täterschaft nahelegen und sich nur noch ein Geständnis positiv auswirken könne, zu einem Geständnis, um die aversive Vernehmungssituation zu beenden.140 Dabei vertrauen die Beschuldigten regelmäßig darauf, dass sich ihre Unschuld im weiteren Prozess noch herausstellen werde.141 Die Bedeutung von Selbstbelastungen für die spätere Verurteilung wird von den Beschuldigten systematisch unterschätzt. 1. „We don’t interrogate innocent people.“ – Die Voreingenommenheit des Vernehmungsbeamten in der Vernehmung Die Beschuldigtenvernehmung besitzt bereits aus strukturellen Gründen eine suggestive Potenz. Darauf weist unter anderem Volbert142 hin, wenn sie 138  Ausdrücklich etwa Brenneisen, in: Ostendorf, Folter, S. 53 (65 f.). Die Ungeeignetheit der Folter zur Wahrheitsermittlung war bereits ein gewichtiger Erwägungsgrund für die Abschaffung der Verhörmethode. So wies Thomasius darauf hin, dass viele Schuldige die Folter ertragen und deshalb zu Unrecht freigesprochen werden („Multa nocentes patienter torturam sustinent, nihilque confitentur, et sic iniuste absolvuntur.“), während einige Unschuldige die Tat zur Vermeidung weiterer Tortur gestehen („Multi innocentes ad evitandos saepius confitentur delictum quod nunquam commiserunt.“), siehe Thomasius, Über die Folter, S. 158 und 161. Auch Friedrich II. von Preußen, der die Folter de iure weitgehend abschaffte, erkannte deren Ungeeignetheit zur Sachverhaltsermittlung, siehe S. 41 ff. sowie Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 31. 139  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 39 und Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 18 f. weisen sogar ausdrücklich darauf hin, dass die Täuschung den Wahrheitsgehalt einer Aussage im Regelfall nicht mindert. 140  Volbert/May R&P 2016, 4 (7). 141  Volbert/May R&P 2016, 4 (7). 142  Volbert Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2013, 230 (233); dies./May R&P 2016, 4 (7); ähnlich auch Kassin Soc Issues Policy Review 2015, 25 (31).

162 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

ausführt, dass die Vernehmung eines Beschuldigten stets das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte (scil. eines Anfangsverdachts) für die Begehung einer Straftat voraussetze, und der Vernehmungsbeamte daher regelmäßig mit einer gewissen Voreingenommenheit (guilty bzw. confirmation bias) in die Vernehmung gehe. Demnach weist die Beschuldigtenvernehmung im Hauptverfahren eine nochmals erhöhte suggestive Potenz auf. Zwar mag man dem Richter auch aufgrund der Distanz zum Ermittlungsgeschehen eine im Vergleich zum Polizeibeamten gesteigerte Neutralität attestieren. Die gesteigerten Voraussetzungen eines gemäß § 203 StPO hinreichenden Tatverdachts für die Eröffnung des Hauptverfahrens, der per definitionem eine erhöhte Verurteilungswahrscheinlichkeit verlangt,143 begünstigen jedoch die Entstehung einer Voreingenommenheit.144 „We don’t interrogate innocent people.“145 – dieses Zitat von Joseph Buckley, dem Co-Autor eines der wirkungsmächtigsten Vernehmungshandbücher im US-amerikanischen Raum (siehe insoweit auch die Ausführungen zur Reid-Technik auf S. 164 f.), fasst die Voreinstellung einiger Vernehmungsbeamter treffend zusammen. Dabei stellt gerade diese Voreingenommenheit in vielerlei Hinsicht einen Risikofaktor für die Wahrheitsfindung dar. Hinsichtlich der Schuld voreingenommene Vernehmungsbeamte beurteilen den Beschuldigten auch nach der Vernehmung mit einer signifikant höheren

143  BGHSt

54, 275 (281); MK-StPO/Wenske § 203 Rn. 13. wird daher darauf hingewiesen, dass es nach geltendem Recht keinen vollkommen unbefangenen Richter geben kann, siehe König, in: Fischer/Hoven, Verdacht, S. 41  (42 f.). Nach der von Festinger formulierten Theorie der kognitiven Dissonanz neigt der Mensch dazu, kognitive Inhalte in Konsonanz (scil. Vereinbarkeit) zu bringen (Festinger, Theorie der kognitiven Dissonanz, passim). Stehen verschiedene Kognitionen (Wissensinhalte, Überzeugungen etc.) einer Person in Dissonanz zueinander, strebt diese die Beseitigung des als Spannungszustand erlebten Widerspruchs an (siehe dazu auch Fischer/Wiswede, Grundlagen der Sozialpsychologie, S. 304 ff.; Stroebe, in: Jonas/Stroebe/Hewstone, Sozialpsychologie, S. 231 [259 ff.]). Für das Hauptverfahren bedeutet dies, dass der das Hauptverfahren eröffnende Richter mit einer gewissen, sich aus der Akteneinsicht ergebenden, Wahrscheinlichkeit von der Schuld des Angeklagten ausgeht. Etwaige entlastende Momente erzeugen eine aufzulösende Dissonanz, mit der Folge, dass der Richter Informationen, die seine für richtig gehaltene Hypothese (etwa „Der Angeklagte ist schuldig.“) stützen, systematisch überbewertet, während er der Hypothese entgegenstehende Entlastungsbeweise (z. B. eine der Schuld entgegenstehende Zeugenaussage) systematisch unterschätzt (sog. Inertia- bzw. Perseveranzeffekt). Gleichzeitig sucht er bevorzugt nach Informationen, die seine Ausgangshypothese stützen (sog. Prinzip der selektiven Informationssuche), siehe dazu Festinger, Theorie der kognitiven Dissonanz, S. 130 sowie Schünemann StV 2000, 159 m. w. N. Selbiges gilt für die im Ermittlungsverfahren tätigen Personen. 145  Zit. nach Kassin/Gudjonsson Psychol Sci Pub Interest 2004, 33 (36). 144  Bisweilen



C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege163

Wahrscheinlichkeit für schuldig als unvoreingenommene und sind sich ihres Urteils sicherer.146 Der Effekt, den die Voreingenommenheit auf die Beschuldigtenvernehmung hat, wird in einer Studie von Narchet, Meissner und Russano147 deutlich, in der nachgewiesen wird, dass der Anteil falscher Geständnisse signi­ fikant ansteigt, wenn dem Vernehmenden vorab mitgeteilt wird, dass Anhaltspunkte für die Begehung des vorgeworfenen Verhaltens durch den Beschuldigten vorliegen. Zur Überprüfung dieser Hypothese wurde den ­ Versuchspersonen vorgespielt, dass sie an einer Problemlösungsstudie teilnehmen würden, im Rahmen derer sie zwei unterschiedliche Aufgaben, eine in Gruppenarbeit und eine in strenger Einzelarbeit, zu absolvieren hätten.148 Ein Teil der Versuchspersonen wurde während der Einzelaufgabe von einem anderen vermeintlichen Teilnehmer darum gebeten, ihm bei der Aufgabe zu helfen, mithin die Versuchsregeln zu brechen. Einige kamen der Bitte nach, während andere dies ablehnten. In der entscheidenden Phase der Studie wurden nun acht in Vernehmungstechnik geschulte Versuchspersonen eingesetzt, um die „schuldigen“ Teilnehmer zu einem schriftlichen Geständnis zu bewegen, wobei falsche Geständnisse vermieden werden sollten. Vorab wurden die Vernehmenden darüber informiert, dass die Schuld des Teilnehmers angesichts von Überwachungskameraaufnahmen entweder wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist, um eine Voreingenommenheit für oder gegen die Schuld (guilty bzw. innocent bias) zu schaffen. Lediglich der Kontrollgruppe wurde mitgeteilt, dass die Aufnahmen nicht ausgewertet wurden und daher keine Informationen zur Verfügung stünden. Die Ergebnisse der Studie zeigen eine erhöhte Rate von falschen Geständnissen im Falle einer Schuldvoreingenommenheit. Gegenüber der Kontrollgruppe, die zu einer Rate von 20 % falsche Geständnisse produzierte, betrug der Anteil falscher Geständnisse 47 %, wenn der Vernehmende zuvor auf den Belastungsbeweis der Videoaufzeichnung hingewiesen wurde.149 146  Hill/Memon/McGeorge Leg Criminol Psychol 2008, 357 (362). So bewerteten die voreingenommenen Versuchspersonen, denen zuvor mitgeteilt wurde, dass rund 80 % der Beschuldigten tatsächlich schuldig sind, den Vernommenen im Anschluss an die Vernehmung signifikant höher als schuldig ein. Im Mittelwert wurde die Wahrscheinlichkeit der Schuld mit 7,35 von 10 bewertet, während diejenigen, denen vorher mitgeteilt wurde, dass lediglich rund 20 % der Vernommenen schuldig sind, die Schuldwahrscheinlichkeit nach der Vernehmung im Mittelwert mit 4,0 von 10 bewerteten. 147  Narchet/Meissner/Russano Law Hum Behav 2011, 452. 148  Detaillierte Beschreibung der Methodik bei Narchet/Meissner/Russano Law Hum Behav 2011, 452 (457 f.). 149  Narchet/Meissner/Russano Law Hum Behav 2011, 452 (459); Volbert Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2013, 230 (233).

164 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

2. Die Anwendung sogenannter Minimierungs- und Maximierungstechniken als Risikofaktor für falsche Selbstbelastungen Die Studie beweist, dass die Voreingenommenheit ein nicht zu unterschätzender Risikofaktor für falsche Selbstbelastungen ist. Die entscheidende Frage lautet jedoch, welche durch die Voreingenommenheit hervorgerufenen bzw. begünstigten Umstände letztlich zum Falschgeständnis des Beschuldigten führen. Auch hierzu geben die Studie und diverse weitere vernehmungspsychologische Studien eine Antwort. So neigen schuldvoreingenommene Vernehmungsbeamte dazu, vermehrt sogenannte Minimierungs- und Maximierungstechniken anzuwenden150 und dadurch den empfundenen Druck auf den Beschuldigten zu intensivieren.151 Die Begriffe der Minimierungs- und Maximierungstechniken wurden soweit ersichtlich zuerst von Kassin und McNall152 in die Diskussion eingebracht und finden expressis verbis in der deutschen juristischen Literatur kaum Erwähnung. Es handelt sich dabei um Zusammenfassungen verschiedener irreführender Vernehmungsmuster unter einheitliche Oberbegriffe, die in erster Linie mit der in den Vereinigen Staaten von Amerika entwickelten Reid-Technik153 in Verbindung gebracht werden, jedoch keinesfalls darauf beschränkt werden können. Die Reid-Technik ist als „konfrontativ-geständnisorientierter Vernehmungsansatz“154 zweigliedrig aufgebaut. Im ersten Schritt sieht sie die Bestimmung der Schuld des Vernommenen anhand seines Verhaltens vor (sogenanntes Behavioral Analysis Interview), um im zweiten Schritt den nunmehr für schuldig Befundenen durch das Herunterspielen der Tat etwa durch Verständnis oder das Anbieten von Entschuldigungen und Rechtfertigungen (Minimierungstechniken) und Suggestion, Präsentation falscher Beweise etc. (Maximierungstechniken) zu einem Geständnis zu bewegen.155 Zwar findet 150  Kassin/Goldstein/Savitzky Law Hum Behav 2003, 187 (194); Narchet/Meiss­ ner/Russano Law Hum Behav 2011, 452 (460). 151  Hill/Memon/McGeorge Leg Criminol Psychol 2008, 357 (365). 152  Kassin/McNall Law Hum Behav 1991, 233. 153  Die Reid-Technik geht zurück auf das mittlerweile in der fünften Auflage erschienene Werk Inbau et al., Criminal interrogations and confessions. Kritisch zur Vernehmungstechnik Kassin Soc Issues Policy Rev 2015, 25 (28 ff.) m. w. N. und zuvor bereits Kassin/Fong Law Hum Behav 1999, 499 (509), laut denen in der ReidTechnik geschulte Vernehmungsbeamte schlechter beurteilen können, ob der Beschuldigte lügt oder die Wahrheit sagt, gleichzeitig aber überzeugter von ihrer eigenen Beurteilung sind. 154  Volbert Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2013, 230 (232); so auch Kassin Soc Issues Policy Rev 2015, 25 (28). 155  Vgl. Kassin Soc Issues Policy Rev 2015, 25 (28 ff.); Volbert Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2013, 230 (232).



C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege165

die Reid-Technik nach Auskunft der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage weder Anwendung durch die Bundesbehörden, noch werden Bundesbeamte in deren Anwendung geschult.156 Zutreffend ist die Antwort der Bundesregierung freilich nur im technischen Sinne, denn lediglich das Behavioral Analysis Interview wird von deutschen Behörden nicht praktiziert. Die Förderung der Geständnisbereitschaft des Beschuldigten durch die Anwendung von Minimierungs- und Maximierungstechniken ist dagegen fester Bestandteil der Vernehmungspraxis deutscher Strafverfolgungsbehörden.157 Maximierungstechniken als aggressivere Form der Geständniserlangung158 werden dabei angesichts des Umstands, dass etwa die Vorlage falscher Belastungsbeweise – anders als im US-amerikanischen Recht159 – konsensual als unzulässig angesehen wird, seltener eingesetzt, während der Einsatz von Minimierungstechniken (polizeilichen) Vernehmungsbeamten ausdrücklich angeraten wird.160 Der aktuelle Stand der Forschung im Bereich der Vernehmungspsychologie zeigt, dass die Bereitschaft des Vernommenen zur Ablegung eines Geständnisses durch die Anwendung von Minimierungs- und Maximierungstechniken, das heißt durch täuschende Vernehmungsmuster, signifikant steigt.161 Dies legt bereits der im Jahr 1996 als „Alt key experiment“ bekannt gewordene Versuch von Kassin und Kiechel162 nahe. Die Versuchspersonen sollten scheinbar an einer Tippaufgabe am PC zur Messung ihrer Reaktionsgeschwindigkeit teilnehmen, wurden vorher indes instruiert, keinesfalls die Alt-Taste zu drücken, da dies einen technischen Defekt auslösen könne.163 156  BT-Drucks. 18/1413, S. 2. Die Bundesregierung weist auch darauf hin, dass sie deren Einsatz mit Blick auf § 136a StPO als „kritisch“ bewertet. 157  Siehe nur die bereits oben zitierten empirischen Erkenntnisse bei Wulf, Fragen der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung, S. 359, der aufzeigt, dass polizeiliche Beschuldigtenvernehmungen bisweilen „ausschließlich mittels Suggestivfragen oder suggestiver Floskeln geführt werden“. 158  So Narchet/Meissner/Russano Law Hum Behav 2011, 452 (453). 159  Der Supreme Court of the United States hat 1969 in der Entscheidung Frazier  v.  Cupp (394  U.S. 731) die grds. Zulässigkeit täuschender Vernehmungsmethoden festgestellt. 160  Weihmann/de Vries, Kriminalistik, Kap. 11 Rn. 150. 161  In der Vernehmungspsychologie besteht darüber weitgehend Einigkeit, vgl. Kassin Am Psychol 2005, 215 (224); Kassin/Gudjonsson Psychol Sci Pub Interest 2004, 33 (55); Russano et al. Psychol Sci 2005, 481 (484); Drizin/Leo N C Law Rev 2004, 891 (1002); Meissner/Kassin in Lassiter, Interrogations, Confessions, and Entrapment, S. 85 (100 f.) jeweils m. w. N. In der deutschen juristischen Lit. wird dagegen überwiegend angenommen, dass ein Täuschungsverbot der Wahrheitsfindung abträglich ist, siehe statt vieler Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 19; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 56 f. 162  Kassin/Kiechel Psychol Sci 1996, 125. 163  Ausführliche Beschreibung der Versuchsmethodik bei Kassin/Kiechel Psychol Sci 1996, 125 (126 f.).

166 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

Der Prozess sollte zunächst drei Minuten dauern; bereits nach einer Minute stürzte der PC jedoch ab, woraufhin die Versuchsperson mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, absprachewidrig die Alt-Taste gedrückt zu haben. Zunächst stritten alle Versuchspersonen das Fehlverhalten (zutreffend) ab. Sodann wurde jedoch einem Teil der Versuchspersonen ein falscher Augenzeuge präsentiert, der beobachtet haben soll, wie die Versuchspersonen die Taste gedrückt haben. Die Ergebnisse zeigen zunächst, dass bereits die Vernehmungssituation als solche eine Gefahr falscher Geständnisse des Beschuldigten mit sich bringt. Innerhalb der Gruppe, die nicht mit dem zusätzlichen belastenden Augenzeugen konfrontiert wurde, betrug der Anteil derer, die ein falsches Geständnis ablegten, 35 %, obwohl kein einziger von der eigenen Schuld überzeugt war. Mehr als jeder Dritte Versuchsteilnehmer legte damit bewusst ein falsches Geständnis ab.164 Des Weiteren zeigt der Versuch, dass das Risiko falscher Geständnisse durch die Täuschung des Beschuldigten in Form der Präsentation eines falschen Belastungsbeweises signifikant erhöht wird. So unterschrieben 100 % aller Versuchspersonen, die mit dem Augenzeugen konfrontiert wurden, die Geständniserklärung. Auffällig dabei ist, dass rund zwei Drittel der Partizipanten von ihrer eigenen Schuld überzeugt waren, also unbewusste Falschgeständnisse ablegten, und 35 % sogar fälschlicherweise von Details berichteten, die ihre Schuld unterstützten.165 Freilich kann das Ergebnis der Studie nicht lückenlos auf die Vernehmungssituation im Strafverfahren übertragen werden. Im Versuch wurde den Teilnehmern lediglich das unbewusste, allenfalls fahrlässige Drücken einer Taste auf der Tastatur vorgeworfen, wobei sie im Falle eines Geständnisses nur marginale Konsequenzen fürchten mussten.166 Gleichwohl legte die Studie den Grundstein für weitere Forschungen über den Einfluss von täuschenden Vernehmungsmustern auf die Entstehung falscher Selbstbezichtigungen. So wiesen etwa Russano et al.167 nach, dass die Anwendung von Minimierungstechniken zwar eine effektive Methode zur Erlangung wahrer Geständnisse ist, gleichzeitig aber auch die Gefahr falscher Geständnisse signifikant erhöht. Mittels Minimierungstechniken vernommene Beschuldigte legten im Rahmen der Studie mit einer Wahrscheinlichkeit von 18 % ein falsches Geständnis ab, während in der Kontrollgruppe lediglich 6 % aller Beschuldigten fälschlicherweise geständig waren.168

164  Kassin/Kiechel

Psychol Sci 1996, 125 (127). Psychol Sci 1996, 125 (127). 166  Meissner/Russano/Narchet, in: Lassiter/Meissner, Police Interrogations and False Confessions, S. 111 (119). 167  Russano et al. Psychol Sci 2005, 481 (485). 168  Russano et al. Psychol Sci 2005, 481 (484). 165  Kassin/Kiechel



C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege167

Zuletzt verdient ein Aspekt, der sich bereits im „Alt key experiment“ andeutete, eine nähere Betrachtung. Die Täuschung des Beschuldigten, zumal in Gestalt von Suggestivfragen, kann nicht nur zur Folge haben, dass der Beschuldigte bewusst ein falsches Geständnis ablegt. Vielmehr kann die suggestive Beeinflussung des Beschuldigten einerseits eine Erinnerungsverfälschung bis hin zur Entstehung von Pseudoerinnerungen („False memory syndrome“) hervorrufen, andererseits kann sie die nachträgliche Interpretation eines Ereignisses beeinflussen.169 Dabei handelt es sich keineswegs um eine neue Erkenntnis. Bereits im Jahr 1908 untersuchte der deutsch-amerikanische Psychologe Hugo Münsterberg den Einfluss von Suggestivfragen auf die Erinnerung von Versuchsprobanden. Er kam zu dem Ergebnis, dass Antworten auf Suggestivfragen, die einen unwahren Umstand nahelegen, lediglich zu 59 % richtig sind.170 Er zeigte Probanden Bilder und stellte im Anschluss auf die Bilder bezogene Fragen, etwa ob sie den Herd gesehen hätten. Das Ergebnis zeigte, dass die Versuchspersonen in „hunderten“ Fällen die Objekte in Übereinstimmung mit der Suggestivfrage hinzudichteten, obwohl das ursprünglich gezeigte Bild den Gegenstand überhaupt nicht zeigte.171 Münsterbergs Versuch zeigte mit einfachsten Mitteln, dass Suggestivfragen die Erinnerungen der Befragten beeinflussen und regelmäßig zu falschen Antworten führen. Das Phänomen falscher Erinnerungen wird in erster Linie als Problem der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen behandelt,172 betrifft selbstbelastende Aussagen des Beschuldigten jedoch gleichermaßen. Dies haben Shaw und Porter173 2015 nachgewiesen, indem sie versuchten einer Reihe von Versuchspersonen mit einem Durchschnittsalter von 20 Jahren falsche Erinnerungen an eine im Alter von elf bis 14 Jahren begangene Straftat einzupflanzen. Voraussetzung für die Geeignetheit zur Teilnahme war, dass die Versuchspersonen im genannten Alterszeitraum ein hochemotionales nichtkriminelles Ereignis erlebt haben und zuvor nicht als Beschuldigte mit der Polizei in Kontakt kamen. Nachdem die Teilnehmer in der ersten Phase in einem Fragebogen unter anderem von dem Ereignis berichten sollten, wurden sie in der zweiten Phase des Versuchs jeweils drei Mal vernommen, wobei 30 Versuchsteilnehmern berichtet wurde, dass sie im Alter zwischen elf und 14 Jah169  Gruber,

Gedächtnis, S. 116. On the Witness Stand, S. 181. 171  Münsterberg, On the Witness Stand, S. 181. 172  Dazu etwa Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1374 f.; Neuschatz et al., in: Toglia et  al., Handbook of Eyewitness Psychology  – Vol. 1: Memory for Events, S. 239 ff.; Soraci et al., in: Toglia et al., Handbook of Eyewitness Psychology – Vol. 1: Memory for Events, S. 261 ff. sowie Volbert/Steller Eur Psychol 2014, 207 (214 f.). 173  Shaw/Porter Psychol Sci 2015, 1. Die folgende Beschreibung des Versuchsaufbaus ist der Quelle entnommen. 170  Münsterberg,

168 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

ren eine Straftat (Angriff, Angriff mit einer Waffe bzw. Diebstahl) begangen hätten, während den anderen 30 Versuchsteilnehmern von einem erlebten nichtkriminellen emotionalen Ereignis (Unfall mit Verletzungsfolge, Hundeattacke bzw. Geldverlust) berichtet wurde. Von der Vernehmungsperson wurden sie unter dem Vorwand, dass es sich um einen Versuch zur Wiederherstellung verlorengegangener Erinnerungen handele, aufgefordert, von dem Ereignis zu berichten. Nach den drei Vernehmungen erfüllten 70 % der Versuchspersonen der ersten Gruppe (falsche Erinnerung an ein kriminelles Ereignis) die Anforderungen an eine falsche Erinnerung; in der zweiten Gruppe (falsche Erinnerung an ein nichtkriminelles Ereignis) wurden bei 76,67 % der Teilnehmer falsche Erinnerungen an das Ereignis festgestellt.174 Ein beträchtlicher Teil  der Versuchspersonen berichtete zudem von weiteren (falschen) Details des vermeintlich erlebten Ereignisses.175 Shaw und Porter schlussfolgerten daraus, dass von Vernehmungsbeamten dargelegte falsche Informationen gewichtige Erinnerungsverzerrungen („major distortions in memory“) zur Folge haben können.176 Dies beruhe unter anderem darauf, dass falsche Erinnerungen in ähnlicher Weise wie richtige Erinnerungen aus dem Gedächtnis abgerufen werden, wodurch Personen, die vom Vernehmungsbeamten berichtete falsche Ereignisse visualisieren, diese für wahre Ereignisse halten, weil sie nicht mehr zwischen eigenen Erinnerungen und den vorgelegten falschen Details differenzieren können.177 Auch unter dem Aspekt der möglichen Erinnerungsverfälschung müssen daher Zweifel an der Tauglichkeit täuschender Vernehmungsmuster zur Sachverhaltsermittlung geäußert werden. Wenn das Stellen von Suggestivfragen mit einer hohen zweistelligen prozentualen Wahrscheinlichkeit eine falsche Antwort hervorruft, kann nicht ernsthaft die Rede davon sein, dass die Methode der Wahrheitsermittlung dient oder ihr Verbot gar die Verbrechensaufklärung gefährdet. Berücksichtigt man den Umstand, dass bei Gewalt- und Sexualkriminalität der Täter oft im persönlichen Umfeld des Opfers zu suchen ist, ein Delikt gegen eine nahestehende Person zugleich aber auch für die Angehörigen selbst traumatisierend sein kann, bietet dies einen Nähr­ boden für Erinnerungsverfälschungen.178 Ein defensives Agieren der Vernehmungsbeamten ist daher erforderlich.

174  Shaw/Porter

Psychol Sci 2015, 1 (6). Psychol Sci 2015, 1 (6). 176  Shaw/Porter Psychol Sci 2015, 1 (8). 177  Shaw/Porter Psychol Sci 2015, 1 (8). 178  Vgl. die Fallbeschreibung bei Kassin, in: Handbook of Eyewitness Psychology – Vol. 1: Memory for Events, S. 175 f. 175  Shaw/Porter



C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege169

3. „Kinder und Narren sagen die Wahrheit.“ – Erhöhte Suggestibilität bestimmter Personengruppen Es liegt auf der Hand, dass das Risiko einer täuschungsbedingt falschen Selbstbelastung im Rahmen einer Vernehmung auch von individuellen Faktoren des Beschuldigten abhängig ist. Ein beschuldigter Psychologe mit langjähriger Praxiserfahrung wird durchschnittlich weniger empfänglich für suggestive Verhaltensweisen des Vernehmungsbeamten sein als ein an einer Persönlichkeitsstörung leidender Beschuldigter. In der vernehmungspsychologischen Literatur werden drei Risikogruppen hervorgehoben, die besonders anfällig für irreführende Vernehmungsmuster, das heißt in hohem Maße suggestibel, sind, namentlich Kinder und Jugendliche, intellektuell Beeinträchtigte und Personen mit psychischen Störungen.179 Insbesondere bei Letzteren muss auch an eine etwaige Verhandlungsunfähigkeit gedacht werden, die in jedem Verfahrensstadium Voraussetzung für die Vernehmung des Beschuldigten ist.180 Dies folgt aus dem Entlastungszweck der Vernehmung, der nur dann erreicht werden kann, wenn der Beschuldigte auch in der physischen und psychischen Verfassung ist, sich selbst verteidigen zu können.181 Unterhalb der Schwelle der Verhandlungsunfähigkeit muss berücksichtigt werden, dass die Anwendung von Minimierungs- und Maximierungstechniken gegenüber den genannten Risikogruppen mit einer nochmals erhöhten Gefahr für falsche Selbstbelastungen einhergeht und damit auch das Sachverhaltsermittlungsinteresse beeinträchtigen kann. Die Gründe für die besondere Anfälligkeit von Kindern und Jugendlichen, intellektuell Beeinträchtigten und psychisch kranken Beschuldigten sind jeweils unterschiedliche und können hier nicht in ihrer gesamten Tiefe behandelt werden. Insbesondere innerhalb der Gruppe der Beschuldigten mit psychischen Störungen kommt es stets auf die individuelle Diagnose an. Während etwa für Patienten mit dependenter (ICD-10 F60.7) oder histrionischer Persönlichkeitsstörung (ICD10 F60.4) eine erhöhte Suggestibilität beschrieben wird, können andere ­Befunde die gegenteilige Wirkung zeigen.182 Charakteristisch für eine hohe 179  Volbert Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2013, 230 (231 f.); Drizin/Leo N C Law Rev 2004, 891 (963–974); Feld, Kids, Cops, and Confessions, S. 239; KettStraub ZStW 117 (2005), 354  (358 ff.); Redlich et al., in: Lassiter, Interrogations, Confessions, and Entrapment, S. 107  (109); Fulero/Everington, in: Lassiter, Inter­ rogations, Confessions, and Entrapment, S. 163  (168 ff.); Erdmann, Induktion von Pseudo­erinnerungen bei Kindern, passim. 180  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 64. 181  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 63 f. 182  Kring/Johnson/Hautzinger, Klinische Psychologie, S. 437 nennen eine erhöhte Beeinflussbarkeit als Merkmal einer histrionischen Persönlichkeitsstörung. Dagegen kann eine schizotype Persönlichkeitsstörung aufgrund der mit ihr einhergehenden paranoiden Züge (S. 430) mit einer verminderten Suggestibilität einhergehen.

170 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

Anfälligkeit für suggestives Vernehmungsverhalten ist jedoch die fehlende bzw. noch nicht entwickelte Fähigkeit zur Einschätzung der aktuellen Situation und zur Antizipation etwaiger Konsequenzen.183 Dadurch kann es zu falschen Geständnissen kommen, weil das kurzfristige Ziel der Beendigung der Vernehmungssituation günstiger erscheint als das langfristige Ziel des Unschuldsbeweises.184 In der Folge sind bestimmte Personengruppen in statistischen Untersuchungen falscher Geständnisse überrepräsentiert. In einer Studie von Drizin und Leo machte die Gruppe der Unterachtzehnjährigen rund ein Drittel aller fälschlicherweise Geständigen aus.185 Das Risiko falscher Selbstbelastungen steigt im Falle einer Kombination verschiedener Risikofaktoren. In einer isländischen Studie zur Untersuchung falscher Geständnisse wurde der Zusammenhang zwischen juvenilem Alter, dem Vorliegen von Symptomen der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und der Wahrscheinlichkeit eines Falschgeständnisses untersucht.186 Dabei zeigte sich zunächst, dass Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren deutlich anfälliger für falsche Selbstbelastungen sind als Personen zwischen 17 und 24 Jahren. Dieses Risiko stieg nochmals signifikant, wenn der Jugendliche ADHS-Symptome zeigte.187 Während lediglich 10,8 % der nicht medikamentös behandelten Jugendlichen ohne ADHS-Symptome von einer Historie falscher Geständnisse berichteten, waren dies bei ADHS-Patienten, deren Symptome medikamentös behandelt wurden, rund 40,2 %.188 Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass suggestive Befragungen, zumal der genannten Gruppen, auch die Glaubhaftigkeit von Zeu­ genaussagen mindern.189 Auch wenn der Informationsgehalt etwa von Aussagen von Minderjährigen oftmals höher ist, wenn deren Aussagen durch gezielte Fragen in bestimmte Richtungen gelenkt werden, führen Vernehmungstechniken wie die Suggestion, aber auch scheinbar unbedenkliche Techniken 183  Volbert Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2013, 230 (231 f.); Drizin/Leo N C Law Rev 2004, 891 (944); siehe auch Feld, Kids, Cops, and Confessions, S. 239 ff. m. w. N. und Fulero/Everington, in: Lassiter, Interrogations, Confessions, and Entrapment, S. 163 (170). 184  Fulero/Everington, in: Lassiter, Interrogations, Confessions, and Entrapment, S. 163 (170) weisen etwa darauf hin, dass die Standardaussage einer Person mit Intelligenzminderung nach einer polizeilichen Vernehmung „They told me if I told them I did it, we could all go home.“ ist. 185  Drizin/Leo N C Law Rev 2004, 891 (944). 186  Gudjonsson et al. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol 2016, 359. 187  Gudjonsson et al. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol 2016, 359 (364 f.). 188  Gudjonsson et al. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol 2016, 359 (364 f.). 189  Erdmann, Induktion von Pseudoerinnerungen bei Kindern, S. 189 resümiert, dass zur Vermeidung von Falschbeschuldigungen vor suggestiven Befragungen von Kindern „dringend gewarnt“ werden müsse.



C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege171

wie das Stellen von direkten Fragen oder das Wiederholen einer Frage, oftmals zu falschen Aussagen.190 Kontrovers diskutiert wird dies insbesondere im Rahmen von Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern.191 4. Täuschende Vernehmungsmuster als Gefahr für die Wahrheitsermittlung am Beispiel des Urteils des Landgerichts Kiel vom 15. Januar 2010 (Az. 8 Ks 4/09) Der mögliche Konflikt zwischen Täuschung und Wahrheitsermittlung wird in dem bereits oben (S. 127 f.) geschilderten Fall des Landgerichts Kiel192 besonders deutlich, in welchem dem an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidenden und dem zufolge in seiner sozialen Kompetenz eingeschränkten – der psychologische Gutachter beschrieb ihn als „charakterlich, emotional und sozial gestört“193  – Beschuldigten durch einen Verdeckten Ermittler eine intensive Freundschaft vorgetäuscht wurde, um ihm später durch Androhung der Beendigung der Freundschaft zu einem Bekenntnis zur Täterschaft zu bringen. Das Verhalten des Verdeckten Ermittlers ist nicht nur wie festgestellt rechtlich unzulässig, es ist auch der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege abträglich. So kamen im Rahmen der Hauptverhandlung erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Geständnisses auf, die auch durch die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens nicht ausgeräumt werden konnten. Dabei basierten die Zweifel an der Glaubhaftigkeit auf zweierlei Umständen: Zum einen hafte der Androhung des Zuwendungsentzugs eine Gefahr für ein erzwungenes Falschgeständnis an,194 zum anderen kamen in einer späteren, durch einen offen agierenden Polizeibeamten durchgeführten, Vernehmung des Beschuldigten Minimierungstechniken zum Einsatz. Nachdem der Beschuldigte trotz Vorhalts der Belastungsbeweise die Tat geleugnet hat, wies der Vernehmende ihn darauf hin, dass in seinen Tagebüchern die Rede davon sei, dass er mehrere Persönlichkeiten in sich vereine und fragte ihn, ob es nicht sein könne, dass „ein anderer Teil von 190  Melnyk/Crossman/Scullin, in: Toglia et al., Handbook of Eyewitness Psychology  – Vol.  1: Memory for Events, S. 401 (404 ff.). Dies erkennt auch BGH NStZ 2001, 105, in dem das Gericht das Erfordernis eines Glaubwürdigkeitsgutachtens aus der vorherigen suggestiven Befragung von kindlichen Zeugen herleitet. Vgl. zur Notwendigkeit der Begutachtung von kindlichen Zeugenaussagen auch Schneider/Fris­ ter/Olzen, Begutachtung psychischer Störungen, S. 401 f. 191  Vgl. zur Diskussion Frister/Schneider/Olzen, Begutachtung psychischer Störungen, S.  401 f. 192  LG Kiel, Urt.  v.  15.01.2010  – Az.  8  Ks  4/09; Besprechung bei Ostendorf FS Roxin, S. 1329. 193  LG Kiel, Urt. v. 15.01.2010 – Az. 8 Ks 4/09, juris Rn. 46. 194  LG Kiel, Urt. v. 15.01.2010 – Az. 8 Ks 4/09, juris Rn. 43.

172 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

ihm“ die Tat begangen habe. Der Beschuldigte machte sich diese Lesart des Vorwurfs erkennbar zu eigen und baute sie im weiteren Verlauf der Ermittlungen zu einer Geschichte über einen ihm inneren „Wolfs“ aus, der bisweilen zum Vorschein käme und der für die Tötung des Opfers verantwortlich sei.195 Nun mag die Frage des Vernehmenden nach der Täterschaft eines „anderen Teils“ des Beschuldigten sicherlich noch nicht die Grenze zur unzulässigen Täuschung überschreiten. Die Reaktion des Beschuldigten zeigt jedoch exemplarisch, wie empfänglich psychisch vorbelastete Beschuldigte für derartige Minimierungstechniken sind196 und wie vulnerabel die Wahrheitsermittlung auf sie reagiert. Die Übertragung der Verantwortlichkeit auf den „Wolf“ hat den Beschuldigten aus seiner Perspektive nicht nur in Bezug auf die Tat selbst, sondern – für ihn viel wichtiger – auch hinsichtlich des vermeintlichen Fehlverhaltens gegenüber dem als Freund empfundenen Verdeckten Ermittler entlastet. Dem psychologischen Sachverständigen zufolge handele es sich um ein „lehrbuchreifes“ Beispiel für das sogenannte Memory distrust syndrome.197 Der Beschuldigte hat sich das Narrativ vom „bösen Wolf“ derart zu eigen gemacht, dass er letztlich Pseudoerinnerungen an den Tathergang entwickelte. Der vom Landgericht Kiel zu beurteilende Fall zeichnet sich durch ein Zusammentreffen mehrerer Risikofaktoren für ein falsches Geständnis aus. Der Beschuldigte war durch seine Borderline-Persönlichkeitsstörung überdurchschnittlich suggestibel und daher besonders anfällig für die täuschenden Einwirkungen des Verdeckten Ermittlers in Form (des Entzugs) der vorgespiegelten Freundschaft und des Anbietens einer Entschuldigung für die Tat. Sowohl die psychische Veranlagung des Beschuldigten als auch das Vernehmungsverhalten haben das Risiko für eine falsche Selbstbelastung signifikant gesteigert, sodass der psychologische Sachverständige konsequenterweise davon ausging, dass die selbstbelastenden Aussagen nicht auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruhten. Die irreführende Beeinflussung des 195  LG

Kiel, Urt. v. 15.01.2010 – Az. 8 Ks 4/09, juris Rn. 30 ff. die mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung einhergehenden Identitätsstörungen gehen mit einer besonderen Anfälligkeit für Suggestion und „Neuinterpretationen der Vergangenheit“ einher, siehe Böhm/Lau Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2007, 50 (54). Das Vortäuschen der Freundschaft und das spätere Androhen der Aufkündigung der Freundschaft, wie sie im Fall des LG  Kiels vom Verdeckten Ermittler vorgenommen wurden, trafen den beschuldigten Borderline-Patienten besonders empfindlich. Das verzweifelte Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu verhindern, ist eines der Charakteristika der Persönlichkeitsstörung und Kriterium des Diagnoseleitfadens DSM-5, siehe dazu Benecke, Klinische Psychologie und Psychotherapie, S. 396 und 402 f. Suggestive Einwirkungen auf Betroffene mindern daher regelmäßig die Glaubhaftigkeit späterer Aussagen und sind der Wahrheitsermittlung somit von vornherein in aller Regel nicht dienlich. 197  LG Kiel, Urt. v. 15.01.2010 – Az. 8 Ks 4/09, juris Rn. 58. 196  Insb.



C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege173

Beschuldigten hat somit nicht nur keinen Beitrag zur Wahrheitsermittlung geleistet, vielmehr hat sie die Aufklärung des vermeintlichen Tötungsdelikts behindert.

II. Meinungsstand zur Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Verfassungsgebot in Rechtsprechung und Literatur Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, kann die These einer durch das Täuschungsverbot übermäßig beeinträchtigten Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege nicht uneingeschränkt stehen bleiben. Freilich wäre es auch unzutreffend, der Täuschung generell die Fähigkeit zur Sachverhaltsermittlung abzusprechen. Dass etwa der Einsatz Verdeckter Ermittler im Bereich der organisierten Kriminalität geeignet ist, teils komplexe Strukturen aufzudecken und so zur Strafverfolgung von Hintermännern beizutragen, kann nicht bezweifelt werden. Insoweit wäre die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege durch ein Täuschungsverbot durchaus beeinträchtigt, sodass die Frage aufgeworfen werden muss, ob sich daraus Konsequenzen für das Täuschungsverbot selbst ergeben. Zwar wird in der Rechtsprechung betont, dass das nemo-tenetur-Prinzip Vorrang vor den Interessen der Strafverfolgung genieße.198 Gleichwohl werden nämliche Interessen in der Rechtsprechung und Literatur in mannigfaltiger Weise in die Diskussion eingebracht. Der Große Senat für Strafsachen führt die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege zur Ablehnung eines Beweisverwertungsverbots aufgrund verdeckter Ermittlung heran, wenn er ausführt, dass eine Verwertung jedenfalls dann zulässig ist, „wenn es um die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung geht und die Erforschung des Sachverhalts unter Einsatz anderer Ermittlungsmethoden erheblich weniger erfolgsversprechend oder wesentlich erschwert gewesen wäre.“,199 und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte anerkennt das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung als Kriterium für die Frage, ob das Strafverfahren in seiner Gesamtheit als fair zu bewerten ist.200 Der Disput um die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege ist im Wesentlichen von zwei höchst gegensätzlichen Ansichten geprägt. Die Rechtsprechung vertritt im Einklang mit der herrschenden Meinung in der Literatur 198  EGMR, Urt. v. 11.07.2006 – Az. 54810/00 (Jalloh v. Germany), Rn. 97 = NJW 2006, 3117 (3122) betont, dass die Selbstbelastungsfreiheit nicht durch „Erwägungen öffentlichen Interesses […] ausgehöhlt“ werden dürfe. 199  BGHSt (GSSt) 42, 139 (Leitsatz). 200  EGMR, Urt. v. 11.07.2006 – Az. 54810/00 (Jalloh v. Germany), Rn. 97 = NJW 2006, 3117 (3122).

174 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

die Auffassung, dass die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege ein Gebot von Verfassungsrang ist und beruft sich dabei ganz überwiegend auf das Rechtsstaatsprinzip.201 Seinen Ursprung findet der vermeintliche Verfassungsgrundsatz im Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juli 1972,202 obgleich das Gericht ältere Entscheidungen als Beleg anführt und damit den Eindruck erweckt, als handele es sich um ein in der Verfassungsrechtsprechung bereits zuvor anerkanntes Gebot.203 Das Bundesverfassungsgericht führt zur Ablehnung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Sozialarbeiter aus, dass der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, soweit er die Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält, auch die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege verlange, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden könne.204 Es verwundert nicht, dass die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege seither eine bemerkenswerte „Karriere“ hingelegt hat und zum festen Bestandteil der Strafverfahrensrechtsprechung geworden ist. Dies gilt zumal mittlerweile unter Vertretern der herrschenden Meinung kaum noch bezweifelt wird, dass das vermeintliche Verfassungsgebot nicht nur den Gesetzgeber verpflichtet, sondern gleichsam (Strafverfolgungs-)Behörden sowie Gerichte, sodass das Bedürfnis nach einer effektiven Strafverfolgung nach herrschender Konzeption als Abwägungstopos bei der Auslegung des einfachen Rechts stets Berücksichtigung zu finden hat.205 Nowrousian als Vertreter dieser herrschenden Auffassung geht darüber noch hinaus, wenn er aus dem Gebot einer funk­ tionstüchtigen Strafrechtspflege ganz konkrete Handlungspflichten der Strafverfolgungsbehörden, namentlich die Pflicht zur täuschenden Einwirkung auf den Beschuldigten zur Wahrheitsermittlung, ableiten will.206 In Teilen der Literatur war das vermeintliche Verfassungsgebot der funktionstüchtigen Strafrechtspflege früh harscher Kritik ausgesetzt. Grünwald kritisierte, dass sich das Bundesverfassungsgericht eine „kaum beschränkte Entscheidungsmacht über die Gestaltung des Strafprozessrechts“ angeeignet habe und das eigentlich dem Schutz des Bürgers vor übermäßigen Eingriffen 201  BVerfGE 33, 367 (383); BVerfGE 139, 245 (278); BGHSt (GSSt) 50, 40 (53); Maunz/Dürig/Grzeszick Art. 20 GG Kap. VII Rn. 143; MK-StPO/Kudlich Einleitung Rn. 87 ff.; Nowrousian NStZ 2015, 625 (627); siehe auch  Landau NStZ 2007, 121 (127), der sich indes gegen die Verortung im Rechtsstaatsprinzip wendet. 202  BVerfGE 33, 367. 203  So zutreffend Grünwald JZ 1976, 766 (772). 204  BVerfGE 33, 367 (383). 205  So etwa BVerfGE 139, 245 (278) sowie Nowrousian, Heimliches Vorgehen und aktive Täuschung im Ermittlungsverfahren, S. 172; kritisch hingegen Landau NStZ 2007, 121 (128). 206  Nowrousian, Heimliches Vorgehen und aktive Täuschung im Ermittlungsverfahren, S. 199; ders. NStZ 2015, 625 (627).



C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege175

der Strafverfolgungsbehörden dienende Rechtsstaatsprinzip dadurch „pervertiere“, dass es dieses zur „Legitimation der Staatsgewalt im Interesse der Strafverfolgung“ heranziehe.207 Und auch in der aktuelleren Literatur ist der Funktionstüchtigkeitstopos angesichts einer wieder zunehmenden Bedeutung in der Rechtsprechung208 zur Zielscheibe von Kritik geworden. Während Dallmeyer die Funktionstüchtigkeit als „Untote, die am verdienten Ableben gehindert wurde“ bezeichnet,209 moniert Sommer, dass die Vorschriften der Strafprozessordnung „mit dem Schweißbrenner der Funktionsfähigkeit in eine Form gebracht [werden], die den Aktionsspielraum der Strafjustiz so wenig wie möglich behindert“.210

III. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege und positive Generalprävention 1. Ziel des Strafverfahrens im demokratischen Rechtsstaat Im Zusammenhang mit dem Topos der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege ist in der Rechtsprechung wiederholt von den Zielen des Strafverfahrens, namentlich der Findung der materiellen Wahrheit, der Aufklärung insbesondere schwerer Straftaten und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung die Rede, die es zu gewährleisten gilt.211 Ein dahingehendes Verständnis des Strafverfahrens scheitert jedoch schon daran, dass es sich teilweise um eine Tautologie handelt. Die Effektivität der Strafverfolgung kann nicht gleichsam Ziel der Strafverfolgung sein, ohne dadurch das Strafverfahren zu einem Zweck an sich zu erklären. Sie kann ihrer Natur nach nur Mittel zur Erreichung eines darüber hinausgehenden Zwecks sein. 207  Grünwald

JZ 1976, 766 (772 f.). etwa BVerfGE 133, 168 (199 ff.), in dem das Gericht klarstellt, dass eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nur nach einer Gesamtschau angenommen werden kann, in die auch die Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege einzubeziehen sind, sowie BVerfGE 139, 245 (278), in dem die Bindung auch der Gerichte und Behörden an das Gebot der Funktionstüchtigkeit betont wird. Dallmeyer HRRS 2009, 429 (432) begründet die Rechtsprechungsänderung u. a. mit dem Richterwechsel im Zweiten Senat des BVerfG von Winfried Hassemer zu Herbert Landau. Landau in den Mittelpunkt der Kritik am (Wiederaufkommen des) Funktionstüchtigkeitstopos zu stellen, ist m. E. jedoch nicht haltbar. Es mag zutreffen, dass Landau die Debatte wieder neu angefacht hat. Sein Ansatz unterscheidet sich dagegen deutlich von der bisherigen Verfassungsrechtsprechung. Insb. lehnt er das Gebot funktionstüchtiger Strafrechtspflege als Abwägungskriterium bzw. „Gegeninteresse“ ab, vgl. Landau NStZ 2007, 121 (126). 209  Dallmeyer HRRS 2009, 429 (433). 210  Sommer StraFo 2014, 441 (442). 211  Vgl. etwa BVerfGE 77, 65 (76) m. w. N. 208  Vgl.

176 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

Doch auch der Verweis auf die Ermittlung der materiellen Wahrheit als Verfahrensziel ist zwar nicht grundsätzlich falsch, jedoch nur ein unvollständiger Blick auf das Ziel des Strafverfahrens. Denn die Aufklärung von Straftaten zur Findung eines materiell gerechten Urteils ist nur ein Aspekt des Strafverfahrens, kann jedoch spätestens mit Abschaffung des allein auf Wahrheitsfindung ausgerichteten Inquisitionsprozesses nicht mehr als das primäre Ziel des Strafverfahrens angesehen werden. Die Aufklärung des Verdachts einer Straftat ist kein Selbstzweck und ein Urteil ist nicht schon deshalb gerecht, weil der ihm zugrundeliegende Sachverhalt richtig ermittelt wurde. Tatsächlich ist das Strafverfahren funktionales Mittel zur Durchsetzung des durch das materielle Strafrecht verfolgten Ziels der positiven Generalprävention. Durch sein die gesetzliche Verbotsnorm übertretendes Verhalten schafft der Täter eine Gefahr für die Normakzeptanz der Allgemeinheit der Normadressaten, deren Vertrauen in die Verbindlichkeit der Norm zu erodieren droht.212 Bereits der Verdacht eines strafbaren Verhaltens wirft das Bedürfnis nach Bestätigung der Normgeltung auf.213 Dem entspricht die Feststellung in Kapitel 1, dass die Gefahr für die Normakzeptanz mit der Schwere des Tatverdachts korreliert, der Begriff des Anfangsverdachts daher ein flexibler ist (siehe S. 28 f.). Das Strafverfahren verfolgt insoweit den Zweck, durch die Sachverhaltsaufklärung die sich aus dem Tatverdacht ergebende Gefahr für die Normakzeptanz abzuwehren. Dies erfolgt entweder durch die Einstellung des Verfahrens aufgrund der Feststellung, dass die Tat nicht oder jedenfalls nicht nachweisbar begangen wurde oder durch die Unterwerfung des Beschuldigten unter eine schuldangemessene Bestrafung.214 Für beides ist die Ermittlung des Sachverhalts freilich erforderlich; um den Zweck des Strafverfahrens handelt es sich indes nicht.215 Die Abkehr vom Inquisitionsprozess hat nämlich auch deutlich gemacht, dass die Gefahr für die Normakzeptanz nicht um jeden Preis abgewehrt werden darf. Bräche man den Zweck des Strafverfahrensrechts darauf herunter, so wäre es zweckdienlich, den Beschuldigten zur Findung der materiellen Wahrheit zu inquirieren. Freilich soll positive Generalprävention durch das Strafverfahren nur im Rahmen der geltenden Gesetze (scil. justizförmig) er212  Frister, Strafrecht AT, Kap. 2 Rn. 20 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 1. Abschn. Rn. 9; siehe dazu auch ders., Staatliche Strafe: Bedeutung und Zweck, S. 31 ff. 213  Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 74 ff.; Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 6. 214  Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 6. 215  Daher überzeugt es i. Erg. auch nicht, wenn Nowrousian, Heimliches Vorgehen und aktive Täuschung im Ermittlungsverfahren, S. 178 das Gebot der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege auf das Staatsziel Sicherheit zurückführen will. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit ist nämlich kein vorrangiges Ziel des Strafverfahrens, sondern allenfalls eine Wirkung.



C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege177

reicht werden.216 Dies zeigt die Existenz etwa von Beweisverwertungsverboten oder der auf die Verletzung von Verfahrensvorschriften gestützte Revision nur allzu deutlich, die innerhalb einer ausschließlich auf Wahrheitsfindung abzielenden Strafverfahrensrechtsordnung ebenso wenig eine Daseinsberechtigung hätten wie die de lege lata weitreichenden Einschränkungen der Wiederaufnahme des Strafverfahrens.217 Auch wenn von einem Wiederaufnahmeverfahren nicht stets ein Mehr an Gerechtigkeit erwartet werden kann,218 wird der Fund neuer Belastungsbeweise gegen den Angeklagten doch regelmäßig die Erwartung eines materiell-gerechteren Urteils begründen können. Obgleich sich der historische Gesetzgeber dieses Umstandes bewusst war, hat er die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Angeklagten abgesehen vom Fall des nachträglichen Geständnisses219 nicht zugelassen und damit die Einzelfallgerechtigkeit dem Interesse des Angeklagten, nicht ein zweites Mal in derselben Sache prozessieren zu müssen, untergeordnet.220 Im Ergebnis verlangt die Strafprozessordnung von einem gerechten Verfahrensabschluss zweierlei: Zum einen muss die Entscheidung als solche frei von Rechts- und Tatsachenfehlern sein; zum anderen muss sie aber auch  – sogar in erster Linie – auf einer materiell-gerechten Entscheidungsfindung beruhen. Eine Entscheidung ist nur dann gerecht, wenn sie in justizförmiger Weise zustande gekommen ist. Dass dies mit Einbußen für die Effektivität der Strafverfolgung verbunden ist, nimmt die Rechtsordnung in Kauf.221

216  Umfassend Wohlers FS Eisenberg, S. 593; vgl. dazu auch Riehle KJ 1980, 316, der die Tendenz kritisiert, das Erfordernis der Justizförmigkeit zu Gunsten sicherheitspolitischer Interessen einzuschränken. 217  Schmidhäuser FS Eb. Schmidt, S. 511 (513). 218  Frister/Müller ZRP 2019, 101 (102); zu Fehlerquellen etwa bei der Zeugenaussage siehe Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1374 ff. 219  Die vermeintliche Sonderstellung des Geständnisses beruht nicht etwa auf der dem Geständnis teilweise zugesprochenen Eigenschaft als „regina probationum“, sondern vielmehr auf der Erwägung, dass sich der Schuldige nicht nach Freispruch öffentlich seiner Tat rühmen können soll, da er damit selbst den Rechtsfrieden stört, vgl. Hahn/Mugdan, StPO Abt. 1, S. 264. Zur Diskussion um die Erweiterung der Wiederaufnahmegründe zuungunsten des Angeklagten auf andere Beweismittel vgl. Frister/Müller ZRP 2019, 101. 220  Siehe bereits Frister/Müller ZRP 2019, 101 (102). 221  Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 9. Auch BVerfGE 36, 174 (187) führt aus, dass das Rechtsstaatsprinzip nicht die Aufklärung sämtlicher Straftaten gebietet, siehe dazu auch Rogall ZStW 91 (1979), 1 (9 f.).

178 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

2. Erhalt der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als verfassungsrechtlicher Imperativ a) Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Abwägungstopos Aus alledem folgt jedoch nicht, dass die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege überhaupt keine Bedeutung für das rechtsstaatliche Strafverfahren hat. Ihr kommt sogar eine staatstragende Rolle zu, denn ohne eine funktionierende Strafverfolgung kann positive Generalprävention nicht erreicht werden. Nur eine handlungsfähige Strafrechtspflege ist in der Lage, den Verdacht einer Straftat aufzuklären und eine schuldangemessene Entscheidung zu fällen. Dass eine funktionstüchtige Strafrechtspflege legitimes staatliches wie gesellschaftliches Interesse ist, kann daher nicht ernsthaft bezweifelt werden. Doch kann das von der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur getragene Verständnis der Funktionstüchtigkeit als bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts stets zu berücksichtigendem Belang nicht überzeugen. Bereits die Verortung des Topos im Rechtsstaatsprinzip wird in der Literatur kritisch hinterfragt. Grünwald merkt an, dass das Rechtsstaatsprinzip als „Schutzwall“ vor übermäßigen Eingriffen des Staates dient, nicht jedoch ihrer Legitimation.222 Und tatsächlich haftet dem Narrativ eines die funktionstüchtige Strafrechtspflege schützenden Rechtsstaatsprinzips etwas paradoxes an. Schon das Erfordernis der Justizförmigkeit des Strafverfahrens ist unmittelbare Folge der Bindung der Strafverfolgungsbehörden an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG).223 Der Staat wird zwar durch das Rechtsstaatsprinzip zur Schaffung einer (Strafverfahrens-)Rechtsordnung legitimiert, muss sich dann jedoch selbst an das von ihm geschaffene Recht halten. Geht man davon aus, dass staatliche Behörden bei der Anwendung des einfachen Rechts stets auch die Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege zu beachten haben, wird die Bindung der Strafverfolgungsbehörden an das Gesetz durch die Hintertür wieder relativiert. Der Rechtsanwender hätte die dem Schutz des Beschuldigten dienenden Vorschriften der Strafprozessordnung dann nur insoweit zu beachten, wie das Interesse an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege nicht entgegensteht. Die Folge einer solchen Rechtsprechung liegt auf der Hand. Der Funk­ tionstüchtigkeitstopos wird der Beliebigkeit preisgegeben und kann je nach Zweckmäßigkeit in die Abwägung eingebracht werden, um ein ungewünschtes Ergebnis zu verhindern. Der oben bereits erwähnte Vorwurf, das Bundesverfassungsgericht eigne sich eine „kaum beschränkte Entscheidungsmacht 222  Grünwald

JZ 1976, 766 (773). Art. 20 Rn. 169 ff.

223  BeckOK-GG/Huster/Rux



C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege179

über die Gestaltung des Strafprozessrechts“224 an, wenn es ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter unter Verweis auf die Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege ablehnt,225 ist gleichwohl unberechtigt. Eine dahingehende Kritik übersieht, dass das Gericht den Funktionstüchtigkeitstopos nicht bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts berücksichtigt hat, sondern bei der Auslegung von Verfassungsrecht. Der Gesetzgeber hat, als er bestimmten Berufsangehörigen ein Zeugnisverweigerungsrecht zugesprochen hat, selbst den Konflikt zwischen den Interessen besonders „sensibler“ Berufsgruppen und den Strafverfolgungsinteressen zulasten letzterer aufgelöst.226 Das Interesse an der Wahrheitsermittlung hat in den gesetzlich geregelten Fällen zurückzutreten. Da es sich dabei freilich um eine tiefgreifende Beeinträchtigung der richterlichen Entscheidungsfindung handelt, sind die in § 53 StPO geregelten Fälle des Zeugnisverweigerungsrechts für Berufsgeheimnisträger abschließend geregelt.227 Das Bundesverfassungsgericht hatte nun zu entscheiden, ob auch in § 53 StPO nicht genannte Sozialarbeiter unter Umständen ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, das sich zum Schutz der Privat- bzw. Intimsphäre des Zeugen unmittelbar aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) ableiten könnte. Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht dem nicht absolut geschützten Allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Interesse an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege entgegengestellt und im Ergebnis keinesfalls unvertretbar ein Überwiegen letzterer angenommen.228 Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass die Anwendung des Funktionstüchtigkeitstopos seither eine gewisse Eigendynamik entwickelt hat und sich von der zutreffenden Berücksichtigung in BVerfGE  33,  367 entfernt hat. So nimmt das Bundesverfassungsgericht mittlerweile an, dass sämtliche Gerichte und Behörden an das Gebot der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege unmittelbar gebunden sind, das Strafverfolgungsinteresse mithin im Rahmen jeglicher Abwägungen Berücksichtigung zu finden hat.229 Die Folge ist eine vollkommene Beliebigkeit des Einsatzes des Topos.230 Besonders anschaulich wird dies im Bereich der Verständigung im Strafverfahren.231 Verständigungen, im Rahmen derer Angeklagte ein Geständnis ablegen und dafür in der Regel eine Bewährungsstrafe oder jedenfalls eine mildere Strafe 224  Grünwald

JZ 1976, 766 (772). 33, 367 (383). 226  Baier JR 1999, 495 (498). 227  BVerfG NJW 1979, 1286; Baier JR 1999, 495 (498); MK-StPO/Percic § 53 Rn. 3. 228  BVerfGE 33, 367. 229  BVerfGE 139, 245 (278 f.). 230  So i. Erg. auch Dallmeyer HRRS 2009, 429 (433). 231  Darauf weist bereits Landau NStZ 2007, 121 (129) hin. 225  BVerfGE

180 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

in Aussicht gestellt bekommen, bilden stets einen Konflikt zwischen der Pflicht der Strafgerichte zur Erforschung der materiellen Wahrheit von Amts wegen auf der einen Seite und dem Interesse an einer ressourcenschonenden Strafverfahrensgestaltung auf der anderen.232 Dass letzteres stark mit dem Interesse an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege korreliert, ist offenkundig. Werden die knappen zeitlichen und personellen Ressourcen der Strafgerichte durch aufwendige Beweisaufnahmen strapaziert, fehlen diese wiederum in anderen Verfahren. So stimmten 75,8 % der Strafrichter und 85,5 % der Staatsanwälte und Strafverteidiger der Aussage, dass Absprachen ein unverzichtbares Instrument zur Bewältigung von Strafverfahren sind, zumindest teilweise zu.233 Auch der Große Senat für Strafsachen argumentierte 2005 in einem Verfahren, das Urteilsabsprachen zum Gegenstand hatte, mit der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege. Diese könne nicht gewährleistet werden, wenn die Verständigung über den Inhalt des Urteils mit anderen Verfahrensbeteiligten generell ausgeschlossen wäre.234 Das Bundesverfassungsgericht hingegen argumentierte in einem Kammerbeschluss vom 27. Januar 1987 mit dem Funktionstüchtigkeitstopos, um den Gerichten Grenzen bei Urteilsabsprachen zu setzen.235 Dieser verbiete eine Verständigung zwar nicht per se. Der Staat könne auf seine Pflicht zur Durchführung eingeleiteter Strafverfahren jedoch nicht nach Belieben verzichten. Die „Handhabung der richterlichen Aufklärungspflicht, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafbemessung in einer Hauptverhandlung“ dürfen – so der Kammerbeschluss – nicht der freien Disposition der Beteiligten unterliegen.236 Ob und inwieweit Urteilsabsprachen mit Funktionstüchtigkeitserwägungen begründet oder begrenzt werden können, ist für die hiesigen Betrachtungen nicht von Relevanz. Die Diskussion verdeutlicht jedoch die Beliebigkeit, mit welcher der Funktionstüchtigkeitstopos eingesetzt werden kann. Folgte man der in der Verfassungsrechtsprechung entwickelten Konzeption, kann die Funktionstüchtigkeit in jedwede Abwägung des Strafverfahrensrechts eingeworfen werden, um das eigene Ergebnis argumentativ zu untermauern. Nicht nur geht damit eine faktische Wertlosigkeit des Argumentationstopos einher. Vielmehr ist der hinsichtlich BVerfGE 33, 367 noch 232  Siehe zur Überlastung der Justiz als Grund für Absprachen Hauer, Geständnis und Absprache, S. 49 ff. sowie Weichbrodt, Das Konsensprinzip strafprozessualer Absprachen, S. 120 ff., die darauf hinweist, dass die Überlastung allein nicht die hohe Zahl der Absprachen erklären kann. 233  Altenhain/Dietmeier/May, Praxis der Absprachen in Strafverfahren, S. 56 f. Der Aussage stimmten 50 % der Richter und 63,1 % der Staatsanwälte und Strafverteidiger zu bzw. sogar voll und ganz zu. 234  BGH NJW 2005, 1440 (1444). 235  BVerfG NJW 1987, 2662. 236  BVerfG NJW 1987, 2662 (2663).



C. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege181

unbegründete Vorwurf, das Bundesverfassungsgericht eigne sich eine nahezu uneingeschränkte Entscheidungsmacht über die Gestaltung des Strafverfahrensrechts an, nunmehr als zutreffend anzusehen. b) Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege als Untermaßverbot Das Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege als ein die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden verpflichtender Abwägungstopos kann daher nicht überzeugen. Der Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der Literatur ist zwar insoweit zuzustimmen, als das Rechtsstaatsprinzip eine funktionstüchtige Strafrechtspflege gebietet, ohne die Gefahren für die Norm­akzeptanz nicht abgewehrt werden können und Rechtsgüterschutz nicht verwirklicht werden kann. Begreift man dieses Gebot jedoch als für sämt­ liche Gerichte und Behörden verpflichtend, stellte man das gesamte Strafverfahrensrecht unter das Primat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege. Obgleich die Strafprozessordnung in erster Linie dem Schutz des Beschuldigten vor staatlichen Eingriffen gilt, könnte dieser Zweck nur insoweit erreicht werden, als die Strafverfolgungsinteressen nicht entgegenstünden. Ein fragwürdiges Ergebnis wäre die Folge: Wenn sich der Gesetzgeber dazu entscheidet, das Interesse an Strafverfolgung hinter den Interessen des Beschuldigten zurücktreten zu lassen, wäre der Anwender des entsprechenden Gesetzes gleichwohl dazu verpflichtet, das Interesse an Strafverfolgung zu berücksichtigen und damit im Zweifel die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zu unterlaufen. Dieser Widerspruch wird vermieden, wenn man ausschließlich den Gesetzgeber als Adressaten des Gebots funktionstüchtiger Strafrechtspflege begreift. Wie eingangs erwähnt, verpflichtet das Rechtsstaatsprinzip den Gesetzgeber zur Schaffung einer (Strafverfahrens-)Rechtsordnung. Dabei hat er zu berücksichtigen, dass der Strafrechtspflege die Erfüllung ihrer Aufgaben möglich bleiben muss. Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich damit eine Art Untermaßverbot für die Normsetzung, das dem Gesetzgeber die Ausgestaltung des Strafverfahrens in einer Weise untersagt, welche die Abwehr von Gefahren für die Normakzeptanz nicht mehr zuließe. In diesem Sinne wäre es dem Staat etwa verwehrt, die finanziellen und personellen Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden oder der Strafgerichte so weit zu kürzen, dass eine Sachverhaltsaufklärung und der Abschluss von eingeleiteten Verfahren nicht oder nur mit einer erheblichen Verzögerung möglich wären.237 Abseits solcher eindeutigen Fälle können aus dem Gebot der Funktionstüchtigkeit jedoch keine konkreten Handlungsanweisungen für den Gesetzgeber abgeleitet werden. Vielmehr hat er einen weiten Gestaltungsspielraum, der lediglich 237  So

zu Recht Sommer StraFo 2014, 441 (442).

182 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

dadurch begrenzt ist, dass das Strafverfahrensrecht in seiner Gesamtheit die Erfüllung des Verfahrenszwecks ermöglichen muss. Nur wenn die Behörden nicht mehr in der Lage sind, die Normakzeptanz durch Strafverfolgung aufrechtzuerhalten, wird das Mindestmaß an verfassungsrechtlich gewährleisteter Funktionstüchtigkeit unterschritten.

IV. Ergebnis Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung gebietet das Rechtsstaatsprinzip die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege. Dem von der Verfassungsrechtsprechung definierten Verständnis des Gebots kann jedoch nicht zugestimmt werden. Bindet man die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts an die Berücksichtigung der Belange der Strafverfolgung, überlässt man nicht nur den Gerichten die Deutungshoheit darüber, ob der Gesetzgeber bei der Ausübung seines demokratischen Auftrages zur Normsetzung die Interessen der Strafrechtspflege hinreichend berücksichtigt hat. Der Wille des Gesetzgebers könnte dadurch im Einzelfall sogar gänzlich ausgehebelt werden, etwa wenn Vorschriften zum Schutze des Beschuldigten im Lichte einer effektiven Strafverfolgung ausgelegt werden. Das Verständnis des Funktionstüchtigkeits­ topos als „Gegeninteresse“ würde systemwidrig Beschuldigtenrechte und Strafverfolgungsinteressen als gleichrangig zu berücksichtigende Belange gegenüberstellen. Überhaupt scheint der Verweis auf die Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege mit Blick auf den Stand der psychologischen Forschung zweifelhaft. Dass etwa der Einsatz Verdeckter Ermittler und V-Personen der Ermittlung des Sachverhalts dienlich sein kann, wird man nicht anzweifeln können. Täuscht der Vernehmende den Beschuldigten indes durch die Vorlage falscher Belastungsbeweise oder stellt er ihm Suggestivfragen, erhöht er das Risiko einer falschen Selbstbelastung signifikant und setzt damit selbst eine Gefahr für die Ermittlung des Sachverhalts. Dem gleichwohl berechtigten Interesse an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege wird dadurch ausreichend Geltung verschafft, als sich selbiges als verfassungsrechtlicher Imperativ gegenüber dem Gesetzgeber darstellt. Dieser hat bei der Ausgestaltung des Strafverfahrensrechts die Erreichung des Zwecks des Strafverfahrens – Aufrechterhaltung der Normakzeptanz durch Abschluss des Verfahrens  – zu berücksichtigen. Ein (rechtlicher oder tatsächlicher) Zustand, in dem dieses Ziel nicht mehr erreicht werden kann, wäre verfassungswidrig. Auf das einfachgesetzliche Täuschungsverbot des § 136 Abs. 2 StPO hat das Gebot funktionstüchtiger Strafrechtspflege dagegen keine Auswirkungen.



D. Ergebnis: Verfassungsrechtliche Bewertung der Täuschung 183

Da das Gebot den Rechtsanwender nicht adressiert, ist das Gesetz unabhängig davon auszulegen, ob dadurch die Effektivität der Strafverfolgung gehemmt wird. Vielmehr hat der historische Gesetzgeber der Strafprozessordnung gerade die Wertung getroffen, dass das Recht des Beschuldigten auf Selbstbelastungsfreiheit überwiegt, das Strafverfolgungsinteresse mithin zurücktreten muss. Erst recht lassen sich aus dem Funktionstüchtigkeitsgebot keine konkreten Handlungsanweisungen für die Strafverfolgungsbehörden, wie etwa ein Gebot zur Täuschung des Beschuldigten, ableiten.

D. Ergebnis: Verfassungsrechtliche Bewertung der Täuschungdes Beschuldigten Die Ausführungen zum Verhältnis zwischen Beschuldigtentäuschung und Verfassungsrecht offenbaren eine differenzierte Bewertung der Irreführung als Ermittlungsmethode durch das Grundgesetz. Weder kann die Rede davon sein, dass die Täuschung per se als mit der Verfassung konfligierend einzustufen ist, noch handelt es sich um eine gänzlich unbedenkliche Form der Wahrheitsermittlung. Erst recht vermag sich kein an den Richter bzw. Ermittlungsbeamten gerichteter Imperativ, er möge den Beschuldigten zur Erreichung des Ziels der Ermittlung materieller Wahrheit täuschen, aus der Verfassung herleiten. Denn eine funktionsfähige Strafverfolgung ist zwar für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung essentiell, sodass der Gesetzgeber auch durch das seine Grundlage in Art. 20 Abs. 3 GG findende Rechtsstaatsprinzip zur Ermöglichung der Strafverfolgung durch die Schaffung hinreichender Ermittlungsmethoden verpflichtet ist. Solche Effektivitätserwägungen dürfen jedoch nicht als Abwägungstopos in die Bewertung einer Ermittlungsmaßnahme als rechtmäßig oder rechtswidrig einfließen. Die verfassungsmäßige Zulässigkeit einer Täuschung des Beschuldigten hängt maßgeblich davon ab, ob diese in einer Vernehmungssituation oder außerhalb der Vernehmung eingesetzt wird. Dies mag zunächst verwundern, ist aber die Konsequenz der Zweckrichtung des nemo-tenetur-Prinzips. In Form der Mitwirkungsfreiheit schützt es die Subjektstellung des Beschuldigten im Strafverfahren, indem es ihm die Freiheit garantiert, an der eigenen Strafverfolgung mitzuwirken oder dies zu unterlassen. Eine Verpflichtung zur Mitwirkung ist demnach ausgeschlossen. Die Mitwirkungsfreiheit schützt indes nicht nur eine nach außen hin frei wirkende Entscheidung über die Vornahme von Mitwirkungshandlungen; vielmehr ist auch der dieser Entscheidung zugrunde liegende Willensbildungsprozess vom Schutzumfang erfasst. Der Beschuldigte soll seine Entscheidung möglichst frei von staat­ licher Beeinflussung treffen.

184 Kap. 3: Täuschung des Beschuldigten im Lichte des Verfassungsrechts

Die freie Willensbildung des Beschuldigten ist jedoch im Rahmen seiner Vernehmung, das heißt während des kommunikativen Akts zwischen ihm und einer dem Staat zurechenbaren Person („state agent“), in besonderem Maße gefährdet. Daher gewährt das nemo-tenetur-Prinzip ihm hier ein erhöhtes Schutzniveau, das sämtliche über die bloße Gewährung rechtlichen Gehörs hinausgehende Verhaltensweisen ausschließt. Diese in § 136 Abs. 2 StPO einfachgesetzlich kodifizierte Zweckrichtung der Vernehmung ist durch das nemo-tenetur-Prinzip abgesichert. Im Ergebnis bedeutet dies, dass sämtliche Täuschungen des Beschuldigten im Rahmen seiner Vernehmung eine Verletzung des nemo-tenetur-Prinzips darstellen. Die Ermächtigungsvorschrift des § 110a StPO, die den Einsatz Verdeckter Ermittler gestattet, sowie vergleichbare Normen sind damit insoweit verfassungswidrig, als sie die Schaffung einer Legende gegenüber dem Beschuldigten selbst gestatten. Die Ermittlungsbehörden dürfen den Entlastungszweck der Vernehmung nicht dadurch umgehen, dass sie ihre Ermittlerfunktion gegenüber dem Beschuldigten von vornherein nicht preisgeben. Ansonsten würde das Schutzniveau absinken, obwohl der Beschuldigte im Falle des nicht-offenen Vorgehens weitaus gefährdeter ist, unbedachte Selbstbelastungen zu äußern. Keinen Konflikt mit der Mitwirkungsfreiheit stellen dagegen technische Überwachungsmaßnahmen wie die Telekommunikationsüberwachung dar. Zwar verlangt ihr Erfolg ebenfalls eine Täuschung des Beschuldigten. Offenbart dieser sein Wissen jedoch freiwillig gegenüber einer nicht dem Staat zurechenbaren Privatperson, geschieht dies ohne Zugriff auf seinen Entscheidungsprozess. Auch ist er außerhalb der Vernehmung nicht durch die Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO geschützt. Im Einzelfall ist insbesondere bei verdeckten Ermittlungen auch an eine Verletzung des sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Achtungsanspruchs zu denken. In aller Regel vermag die Täuschung zwar keinen Würdeverstoß zu begründen. Schleicht sich ein Verdeckter Ermittlung aber etwa in ein romantisches Verhältnis zum Beschuldigten ein, bewegt er sich dadurch im höchstpersönlichen Lebensbereich des Beschuldigten, der einem Zugriff durch den Staat entzogen ist.

Kapitel 4

Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots Die bisherigen Ausführungen beziehen sich allesamt auf das Verbot der Beweiserhebung mittels Täuschung in und außerhalb der Vernehmung und in diesem Sinne auf die Frage nach der Zulässigkeit, nach dem Wie der Erhebung von Beweisen. Während letztere im Rahmen der Vernehmung ausnahmslos durch § 136 Abs. 2 StPO untersagt ist, können die Ermittler außerhalb der Vernehmung grundsätzlich auch Heimlichkeit zur Aufklärung des Tatverdachts einsetzen. All dies sagt freilich noch nichts darüber aus, wie mit Beweisen zu verfahren ist, die auf widerrechtlichem Wege erhoben worden sind. Während sich bei Vorliegen einer Vernehmungssituation die generelle Frage stellt, wie mit Aussagen des Beschuldigten zu verfahren ist, die unter Verletzung der Zweckvorschrift des § 136 Abs. 2 StPO zustande gekommen sind, können Bedenken hinsichtlich der Verwertung außerhalb der Vernehmung gewonnener Beweise insbesondere aus der Verletzung anderer Vorschriften der Strafprozessordnung resultieren oder sich unmittelbar aus den Grundrechten ergeben.1 Das folgende Kapitel soll der Frage nachgehen, unter welchen Voraussetzungen ein täuschungsbedingtes Beweismittel nicht verwertet werden darf und welchen Umfang ein etwaiges Verwertungsverbot hat. Der Schwerpunkt wird dabei auf der Unverwertbarkeit von täuschungsbedingten Aussagen liegen.

1  Insoweit muss zwischen unselbständigen und selbständigen Beweisverwertungsverboten differenziert werden. Während erstere an die Verletzung einer Beweiserhebungsvorschrift geknüpft sind, können letztere trotz einer rechtmäßigen Beweiserhebung Bestand haben. Dies ist insb. der Fall, wenn die Verwertung einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Grundrechte des Beschuldigten darstellt. Aber auch das Gesetz selbst (vgl. etwa § 81 Abs. 3 Satz 5 StPO) ordnet für bestimmte Fälle Verwertungsverbote an, obwohl der Beweis rechtmäßig erhoben wurde. Maßgeblich zur Herausarbeitung dieser Systematik beigetragen hat die Arbeit von Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, passim. Siehe näher zur Terminologie Rogall ZStW 91 (1979), 1 (3 f.). Im folgenden Kapitel wird der Schwerpunkt auf dem unselbständigen, an die Verletzung der §§ 136 Abs. 2, 136a StPO geknüpften, Beweisverwertungsverbot liegen.

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Kap. 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots

A. Beweisverwertungsverbote als Fremdkörper im deutschen Strafrecht?– Zur Funktion der Beweisverwertungsverbote im System der Strafprozessordnung I. Beweisverwertungsverbote im Gefüge der Strafprozessordnung Die Strafprozessordnung beinhaltet einen umfangreichen Katalog zulässiger Methoden der Beweiserhebung und gewährt den Strafverfolgern in diesem Sinne einen klaren Rahmen erlaubter Ermittlungstätigkeit. Dabei wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Terminologie des Beweiserhebungs­ verbots gleich in zweifacher Hinsicht irreführend ist.2 Zum einen suggeriert der Begriff, dass die verbotene Beweiserhebung die Ausnahme von der Regel zulässiger Ermittlung darstellt.3 Tatsächlich bedarf jedoch dem Vorbehalt des Gesetzes zufolge jedes staatliche Handeln einer gesetzlichen Legitimation, sodass auch jede Beweiserhebung verboten ist, solange nicht eine legitimierende Eingriffsnorm existiert.4 Zum anderen weckt der Begriff aber – darauf weist das Schrifttum ebenso zu Recht hin – auch den Anschein, als handele es sich bei den Beweiserhebungsverboten um Rechtssätze sui generis.5 Durch die bloße Umformulierung lassen sich jedoch sämtliche Ermächtigungsvorschriften in ein Erhebungsverbot umdeuten.6 Man denke nur an das Beispiel des § 81a Abs. 2 StPO, der eine richterliche Anordnung als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung des körperlichen Eingriffs verlangt. Aus diesem Erfordernis folgt e contrario, dass die körperliche Untersuchung ohne vorherige Ein­ holung einer richterlichen Anordnung rechtswidrig ist. In diesem Sinne kann 2  Vgl. zu den terminologischen Widersprüchlichkeiten und der Uneinheitlichkeit zusammenfassend Störmer, Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote, S. 5 ff. 3  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 142. 4  So bereits Sydow, Kritik der Lehre von den „Beweisverboten“, S. 5 f.; Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 142; Löffelmann, Die normativen Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafverfahren, S. 45 ff.; Petry, Beweisverbote im Strafprozess, S. 21 f.; zustimmend auch Rogall ZStW 91 (1979), 1 (5 f.). Anders sah dies hingegen noch Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitsforschung im Strafprozess, S. 2 f., dem zufolge der Staat bei der Ermittlung der Wahrheit „solange unbeschränkt [sei], als er sich nicht selbst beschränkt“. Der Ermittler dürfe „ad detegendam verita­ tem rücksichtslos mit der Fackel hineinleuchten in das finsterste Dunkel.“ (S. 2; Hervorhebung im Original). Grünwald JZ 1966, 489 merkt jedoch an, dass dies nicht dahingehend falsch verstanden werden dürfe, als man Beling eine „Verabsolutierung des Strafverfolgungsinteresses“ bescheinigen würde. 5  So auch ausdrücklich benannt von Rogall ZStW 91 (1979), 1 (7 f.). 6  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 143; kritisch Rogall, in: Wolter, Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, S. 113 (144).



A. Beweisverwertungsverbote als Fremdkörper im deutschen Strafrecht? 187

jede Voraussetzung einer Beweiserhebung gleichsam in ein Beweiserhebungsverbot umgedeutet werden. Dies zeigen auch die Vorschriften der §§ 136 Abs. 2, 136a StPO. Ausdrücklich verboten wird die Täuschung zwar lediglich durch letztere; eine rechtswidrige Aussageerlangung begründet die Täuschung allerdings bereits deshalb, weil sie eine die Zweckbindung missachtende Vernehmungsgestaltung darstellt. Während die Strafprozessordnung die Erhebung von Beweisen ausführlich regelt, bildet die ausdrückliche Anordnung von Beweisverwertungsverboten die Ausnahme. Der Reichsstrafprozessordnung von 1879 waren Verwertungsverbote gar völlig fremd, was heute damit begründet wird, dass der historische Gesetzgeber das Rechtsmittel der Revision und die strikte Trennung zwischen Vor- und Hauptverfahren für ausreichend erachtete, um ein adäquates Schutzniveau für den Beschuldigten sicherzustellen.7 In die Diskussion eingebracht wurde die Reaktion auf rechtswidrige Beweiserhebungen mittels Verwertungsverboten letztlich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Beling8, der in seiner Tübinger Antrittsvorlesung im Jahr 1902 die Auffassung vertrat, dass sämtliche unter Verletzung einer Rechtsnorm gewonnenen Beweismittel der Unverwertbarkeit anheimfallen. Gleichwohl fristete die Beweisverbotslehre bis in die 1950er-Jahre ein „Schattendasein“.9 Maßgeblich zum Bedeutungszuwachs der Beweisverwertungsverbote beigetragen hat die Vorschrift des § 136a StPO,10 die in ihrem dritten Absatz die Anordnung trifft, dass Aussagen, die auf einer Einwirkung mittels einer verbotenen Vernehmungsmethode beruhen, auch dann unverwertbar sind, wenn die Verwertung dem erklärten Willen des Beschuldigten entspricht. Die Ablehnung einer Dispositionsbefugnis des Beschuldigten ist auch ihr eigentlicher Regelungsgehalt (näher zur Dispositionsbefugnis unten S. 233 ff.), denn ihrer Formulierung nach statuiert die Vorschrift kein Beweisverwertungsverbot; sie setzt seine Existenz voraus.11 Gleichwohl muss die Vorschrift 7  Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 22. Von einigen Autoren wird das Revisionsrecht daher als sedes materiae der Beweisverwertungsverbote angesehen, siehe etwa Bauer, Die Aussage des über das Schweigerecht nicht belehrten Beschuldigten, S. 160 ff.; Haffke GA 1973, 65 (75 ff.); Schöneborn GA 1975, 33 (35 ff.); Schünemann MDR 1969, 101 ff.; kritisch dazu Rogall ZStW 91 (1979), 1 (7). 8  Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozeß, passim. 9  Petry, Beweisverbote im Strafprozess, S. 19; Rogall, in: Wolter, Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, S. 113. 10  Rogall, in: Wolter, Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, S. 113; vgl. dazu auch Kühne, Strafprozessuale Beweisverbote und Art. 1 I Grundgesetz, S.  11 f. 11  Zutreffend Grünwald JZ 1983, 716 (719); Hanack JZ 1971, 168 (169); Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 22; Schünemann MDR 1969, 101.

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Kap. 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots

sicherlich als einer der Gründe für die intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Beweisverwertungsverboten und schließlich auch dafür angesehen werden, dass expressis verbis kodifizierte Verwertungsverbote zwar weiterhin nicht die Normalität darstellen, freilich aber auch keine Seltenheit mehr sind.12 Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Beweisverwertungsverboten weisen Roxin und Schünemann13 darauf hin, dass das Verbot der Beweisverwertung eigentlich einen „dysfunktionalen Fremdkörper“ im System des Strafverfahrensrechts darstelle. Sie schlagen insoweit vor, den Schutz des Beschuldigten vor rechtswidrigen Beweiserhebungen vermehrt auf andere Weise – etwa über die Ausweitung des materiellen Strafrechts (vgl. dazu S. 196 ff.) – sicherzustellen.14 Der Grund für die Kritik liegt in dem Grundsatz freier richterlicher Beweiswürdigung, der in § 261 StPO niedergelegt ist und festlegt, dass der Richter über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung entscheidet.15 Bereits im Rahmen der historischen Ausführungen wurde die besondere Bedeutung dieses Grundsatzes für die Entwicklung des modernen deutschen Strafverfahrens herausgestellt (siehe S. 42 f.). Sie beruht auf dem strengen Beweisrecht des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses, das eine Verurteilung des Beschuldigten nur im Falle des Vorliegens von in ihrer Art strikt limitierter Beweismittel zuließ, weshalb das Inquirieren des Beschuldigten mittels Folter und anderer einschneidender Methoden faktisch für eine Verurteilung regelmäßig obligatorisch war.16 Erst die Anerkennung der freien richterlichen Beweiswürdigung hat eine Abkehr davon ermöglicht, denn nunmehr konnte der Richter eine Verurteilung auf sämtliche Beweise sowie Indizien stützen und auf invasive Verhörmethoden verzichten. Dass die 12  Ohne Anspruch auf Vollständigkeit §§ 81c Abs. 3 Satz 5; 100d Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 2; 108 Abs. 2,  3; 136a Abs. 3 Satz 2; 160a Abs. 2 Satz 1; 257c Abs. 4 Satz 3; 463a Abs. 4 Satz 7 StPO. Ausdrückliche Verwertungsverbote sind überdies im BZRG (vgl. etwa §§ 51, 52, ggf. i. V. m. §§ 63 Abs. 4 und 66 BZRG), in § 393 Abs. 2 AO sowie in den §§ 3a Satz 8; 3b Abs. 1 Satz 2; 5a Satz 2 G 10 zu finden. Die Aufzählung verdeutlicht, dass ausdrückliche Verwertungsverbote  – obgleich ihre Bedeutung zugenommen hat – die Ausnahme bleiben. Auffällig ist, dass zahlreiche der vorstehenden Verwertungsverbote auf den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung abzielen, was ein Indikator dafür ist, dass die Ermittlung mittels heimlichen Informationszugriffs an praktischer Bedeutung gewonnen hat. 13  Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 27. 14  Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 27. 15  Siehe dazu näher Frister FS  Grünwald, S. 169; Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 85 ff.; Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozeßrecht, passim. 16  Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozeßrecht, S.  46 f.



A. Beweisverwertungsverbote als Fremdkörper im deutschen Strafrecht? 189

freie richterliche Beweiswürdigung durch das Verbot von Beweisverwertungen massiv eingeschränkt wird, liegt auf der Hand.17 Hingewiesen wird zudem auf das Gebot der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, das nach hier vertretener Auffassung dem Staat von Verfassung wegen die Pflicht auferlegt, das Erreichen des Ziels des Strafverfahrens sicherzustellen.18

II. Die Funktionsweise der Beweisverwertungsverbote im Strafverfahren Gleichwohl kann nicht die Rede davon sein, dass Beweisverwertungsverbote einen Fremdkörper im deutschen Strafverfahren darstellen. Zutreffend ist zwar der Hinweis, dass Verwertungsverbote der Ermittlung der materiellen Wahrheit von Amts wegen, auf die das deutsche Strafverfahren zugeschnitten ist, zuwiderlaufen und in diesem Sinne auch die freie richterliche Beweiswürdigung (§ 261 StPO) einschränken19 – anders ist dies im angelsächsischen Parteiverfahren, in dem sich Ankläger und Angeklagter kontradiktorisch gegenüberstehen und beide Parteien dazu angehalten sind, das für sie Günstige zu beweisen.20 Daraus folgt jedoch nicht, dass Beweisverwertungsverbote nicht auch im hiesigen Strafverfahren eine unverzichtbare Funktion erfüllen. Worin diese Funktion genau liegt, wurde von zahlreichen Autoren diskutiert. Die dabei herausgearbeiteten möglichen Funktionsweisen wurden bereits häufig systematisiert,21 weshalb an dieser Stelle nicht auf sämtliche in die Diskussion eingebrachte Vorschläge eingegangen werden soll. 17  BGHSt 29, 109 (110); Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, S. 14 f.; KK-StPO/Bader Vor  §§ 48 ff. Rn. 27; Kelnhofer, Hypothetische Ermittlungsverläufe im System der Beweisverbote, S. 47 m. w. N.; Schröder, Beweisverwertungsverbote und die Hypothese rechtmäßiger Beweiserlangung im Strafprozeß, S. 26. 18  BGHSt 31, 304 (309); Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S.  209 f. 19  BGHSt 29, 109 (110) sowie mit Verweis auf den Funktionstüchtigkeitsgedanken BGHSt 31, 304 (309); Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, S. 14 f.; KK-StPO/Bader Vor  §§ 48 ff. Rn. 27; Kalb, Die funktionale Begründung strafprozessualer Beweisverbote, S. 23 ff.; Kelnhofer, Hypothetische Ermittlungsverläufe im System der Beweisverbote, S. 47 m. w. N.; Schröder, Beweisverwertungsverbote und die Hypothese rechtmäßiger Beweiserlangung im Strafprozeß, S. 26. 20  Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 27; siehe aber auch die Ausführungen bei Amelung NJW 1991, 2533, der darlegt, dass die nationalen Unterschiede bei der Bewertung von Beweisverwertungsverboten auch historische Wurzeln haben. Vgl. auch eingehend zur Rechtslage in den Vereinigten Staaten Rogall, in: Wolter, Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, S. 113 (117 ff.). 21  Siehe nur Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 33 ff. und Rogall ZStW 91 (1979), 1 (8 ff.) m. Nachw.

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Kap. 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots

1. Wahrheitsschützende Funktionsweise der Beweisverwertungsverbote Ausgangspunkt bildet regelmäßig die Überlegung, dass Verwertungsverbote im Strafverfahren eine wahrheitssichernde Funktion erfüllen.22 Dass dies als ausschließliche Grundlage der Beweisverwertungsverbote ausscheidet, ergibt sich de lege lata schon aus der Existenz von Vorschriften, die ein Verwertungsverbot bezüglich solcher Beweise anordnen, die aus einem Zugriff auf den Kernbereich persönlicher Lebensgestaltung herrühren (siehe etwa § 100d Abs. 2 Satz 1 StPO). Es ist anerkannt, dass der Zugriff auf den höchstpersönlichen Kernbereich stets zur Unverwertbarkeit des dadurch erlangten Beweismittels führt. Unverwertbar ist damit etwa ein Beweismittel, das dadurch erlangt wurde, dass ein Verdeckter Ermittler ein romantisches Verhältnis zum Beschuldigten vorgetäuscht hat (siehe dazu oben S. 124 ff.), nicht jedoch bereits zwingend ein durch Mitlesen eines Tagebuchs erlangter Beweis.23 Das Beweisverwertungsverbot dient in diesen Fällen nicht der Wahrheitssicherung, sondern ausschließlich dem Schutze der Grundrechte des Beschuldigten.24 Dass die genannten Beweise grundsätzlich zur Tataufklärung beitragen können, ist ohne Zweifel. Dencker25 nennt insoweit auch das Verbot des § 136a StPO, das nicht durchgängig einen wahrheitsschützenden Inhalt habe. Insbesondere die mittels Täuschung erlangte Aussage sei „im Regelfalle“ nicht in ihrem Wahrheitsgehalt gemindert.26 Dass dieser Aussage in ihrer Pauschalität nicht zuzustimmen ist, ergibt sich bereits aus den oben dargelegten Erwägungen zur Gefahr falscher Geständnisse, die auf einer Täuschungsanwendung beruhen (siehe oben S. 160 ff.). Das Verbot inquirierender Verhörmethoden ist im Gegenteil sogar neben dem individualrechtsschützenden Hauptzweck als wahrheitsschützend anzusehen. Sofern man dies für die Täuschung entgegen des vernehmungspsychologischen Erkenntnisstandes nicht anerkennen mag, kann dies immerhin nicht für die Folter abgestritten werden, die regelmäßig falsche Geständnisse hervorrufen 22  So etwa angedacht, i. Erg. jedoch abgelehnt, von Dalakouras, Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre, S. 115 f.; Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 37 ff.; Rogall ZStW 91 (1979), 1 (16); grds. auch Kalb, Die funktionale Begründung strafprozessualer Beweisverbote, S. 23 ff. Auch BGHSt 5, 332 (333) führt zum Einsatz von Polygraphen aus, dass dessen Zulässigkeit weder von seiner Brauchbarkeit zur Aufklärung von Straftaten noch von der Richtigkeit und Verlässlichkeit der ihm zugrundeliegenden wissenschaftlichen Erwägungen abhänge. 23  BVerfGE 80, 367 (374 f.); vgl. zur Problematik auch Laber, Die Verwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen im Strafverfahren, passim. 24  BeckOK-StPO/Graf § 100d Rn. 1 f. 25  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 39. 26  So auch Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S.  18 f.



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wird.27 Ist das Erhebungsverbot wahrheitsschützend, so dient mittelbar auch das darauf beruhende Beweisverwertungsverbot partiell dem Wahrheitsschutz. Richtig ist also, dass Beweisverwertungsverbote im Einzelnen durchaus eine wahrheitsschützende Funktion haben können. Den Regelfall bilden solche Verwertungsverbote jedoch nicht, sodass dieser Aspekt auch nicht als Letztbegründung der Existenz von Verwertungsverboten taugt. 2. Individualrechtsschützende Funktionsweise der Beweisverwertungsverbote Nur wenig Erkenntnisse sind auch aus dem Hinweis zur erwarten, dass die Beweisverwertungsverbote Mechanismen zum Schutze der individuellen Rechte des Beschuldigten sind.28 Es ist ganz ohne Zweifel, dass Beweisverwertungsverboten – sofern sie nicht ausschließlich wahrheitsschützend sind, was de lege lata wohl auf kein Verwertungsverbot zutrifft29 – regelmäßig auch der Gedanke des Individualschutzes des Beschuldigten zugrunde liegt. Es kann jedoch nicht die Rede davon sein, dass sämtliche Verwertungsverbote individualrechtsschützender Natur sind. Wie nämlich die Differenzierung nach Grünwald, auf die sogleich noch einzugehen ist, zeigt, gibt es Beweiserhebungsverbote, deren Verletzung irreversibel ist.30 Dies gilt etwa für formelle Eingriffsvoraussetzungen wie Richtervorbehalte, aber auch für 27  Brenneisen,

in: Ostendorf, Folter, S. 53 (65 f.). ZStW 91 (1979), 1 (21) verweist etwa darauf, dass „Verwertungsverbote als Schutzinstrumente des Einzelnen gegenüber der staatlichen Strafverfolgung“ anzusehen sind, die der „schützenden Bewahrung und Durchsetzung der Individual­ rechtsgüter im Strafverfahren“ dienen (Hervorhebungen im Original). 29  Die Rechtsordnung geht erkennbar davon aus, dass der Schutz vor unzuverlässigen Beweismitteln hinreichend über die freie richterliche Beweiswürdigung hergestellt werden kann. Daher sind der StPO Beweisverwertungsverbote, die sich allein auf den Wahrheitsaspekt stützen, fremd (vgl. dazu auch Grünwald JZ 1966, 489 [493]). Zu denken wäre allenfalls an das aus § 254 StPO folgende Verlesungsverbot. Man könnte annehmen, dass dieses ausschließlich dazu dient, unzuverlässige und damit die Wahrheitsfindung gefährdende Vernehmungsprotokolle nichtrichterlicher Vernehmungspersonen aus der Wahrheitsfindung auszuschließen. Tatsächlich wird man aber nicht umhinkommen, auch dieser Regelung eine zusätzliche individualrechtsschützende Wirkung einzuräumen. Der Beschuldigte soll davor bewahrt werden, dass Rechtsverstöße in der nichtrichterlichen Vernehmung, die durchaus häufiger vorkommen dürften als in der richterlichen Vernehmung, allzu große Auswirkungen auf das weitere Verfahren haben werden. Vgl. insgesamt zu Inhalt und Zweck des Verlesungsverbots Kloke NStZ 2019, 374 (376 ff.). 30  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 152 f. An dieser Stelle sei noch keine Wertung darüber getroffen, ob die Differenzierung nach der Irreversibilität der Schutzgutverletzung richtungsweisend für die Bestimmung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots sein kann (dazu S. 208 ff.). Entscheidend hier ist ausschließlich, dass Verletzungen von Beweiserhebungsverboten irreversibel sein können. 28  Rogall

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den in § 81a Abs. 2 Satz 1 StPO kodifizierten Arztvorbehalt für körperliche Untersuchungen des Beschuldigten. Erheben die Ermittler den Beweis unter Verletzung einer dieser Vorbehalte, ist eine Individualrechtsverletzung irreparabel eingetreten.31 Eine „Wiedergutmachung“ durch ein Beweisverwertungs­ verbot ist ausgeschlossen, sodass der Beschuldigte sensu stricto kein Inte­ resse an der Nichtverwertung geltend machen kann. Ein Beweisverwertungsverbot bedürfte also in einem solchen Fall einer anderen Begründung; der Verweis auf den Individualschutz genügt hier nicht. 3. Beweisverwertungsverbote als funktionales Mittel zur Sicherung der positiv-generalpräventiven Wirkung der strafprozessualen Entscheidung Eine mögliche Begründung der Verwertungsverbote, auf die des Öfteren rekurriert wird, ist die Überzeugung, dass der Staat, wenn er gegen den Bürger das Urteil schuldhaften unrechtmäßigen Verhaltens spricht und ihn deshalb einer Strafe unterwirft, selbst nicht gesetzeswidrig handeln darf, da er ansonsten den Schein ungerechten Strafens schaffe.32 Teilweise wird auch formuliert, dass die Verwertungsverbote die „Reinheit“ des Strafverfahrens sichern sollen.33 Schwächt man den Pathos der Formulierung etwas ab, offenbart sich darin eine überzeugende Begründung der Funktionsweise von Beweisverwertungsverboten. Um dies zu verdeutlichen sei an die oben getroffene Feststellung erinnert, dass das Strafverfahren funktionales Mittel zur Herstellung positiver Generalprävention ist (vgl. S. 175 ff.). Der Verdacht einer Straftat schafft eine Gefahr für das Vertrauen der Bevölkerung in die Geltung der möglicherweise verletzten Vorschrift. Abgewendet wird diese Gefahr durch die Aufklärung des Tatverdachts, woraufhin das Verfahren entweder mangels Feststellung eines strafbaren Verhaltens eingestellt wird oder der für schuldig Befundene einer Bestrafung zugeführt wird.34 So oder so wird die Geltung der Norm durch die Entscheidung bestätigt – auch die freisprechende Entscheidung wirkt positiv-generalpräventiv!35 31  Grünwald

JZ 1966, 489 (495). Illegale Beweise, S. 104 f.; Haffke GA 1973, 65 (72); pointiert auch Abraham ZIS 2020, 120 (121): „Zielt die Strafverfolgung darauf, ein Urteil sozialethischer Missbilligung auszusprechen, so darf sie doch nicht den nachvollziehbaren Eindruck erzeugen, sich ebenso verwerflicher Methoden zu bedienen wie die verbrecherisch handelnde Person.“. 33  Osmer, Der Umfang des Beweisverwertungsverbotes nach § 136a StPO, S. 11. 34  Eingehend Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 74 ff. 35  Vgl. Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 74 f., der ausführt, dass der „widerlegte Verdacht keinen Anlass mehr bietet, zukünftig an der Geltung der mit dem Strafrecht geschützten Normen als Orientierungsmuster für sozialen Kontakt zu 32  Schilling,



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Voraussetzung für die Annahme einer die positiv-generalpräventive Wirkung einer Entscheidung sichernden Funktionsweise der Beweisverwertungsverbote wäre, dass diese Wirkung durch rechtswidrige Beweiserhebungen durch den Staat gefährdet wird. Der Umstand, dass solche Überlegungen stets eine unvermeidbare spekulative Nuance besitzen, kann dabei – wie Dencker36 zutreffend herausstellt – nicht von der Pflicht entbinden, sie zu tätigen. Gegen die Ausgangshypothese, dass Rechtsverstöße bei der Beweiserhebung die werterhaltende Wirkung der Gerichtsentscheidung in Frage stellen, sprechen einige Überlegungen. Als wohl offensichtlichster Einwand könnte vorgebracht werden, dass ein sich in der Unverwertbarkeit vorhandener Belastungsbeweise begründender Freispruch das Vertrauen in die rechtsstaat­ lichen Institutionen eher schwächen denn stärken wird.37 Zumal bei als besonders schwerwiegend empfundenen Straftaten wie solchen gegen das ­Leben oder die sexuelle Selbstbestimmung könnte ein solcher Effekt zu beobachten sein. Das Argument ist jedoch erkennbar von der Überzeugung eines absoluten Strafzwecks getragen. Die Nichtverurteilung des Schuldigen wird nämlich lediglich insoweit negative Resonanz hervorrufen, als ein vermeintliches Rachebedürfnis aufgrund der Nichtbestrafung nicht gestillt wird. Rache ist indes kein Zweck der Strafe, sodass dieser Aspekt auch nicht auf die Frage nach der Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel auswirken kann.38 Überhaupt könnte die Existenz von Beweisverwertungsverboten unter Zugrundelegung der absoluten Strafzwecktheorie ebenso wenig erklärt werden, wie wenn man der Strafe eine Abschreckungsfunktion zuwiese.39 zweifeln“, während der Schuldspruch zum Ausdruck bringt, „dass die Gesellschaft an der Geltung der Strafrechtsnormen festhält.“ In beiden Fällen ist das Ziel des Strafverfahrens erreicht. Peters ZStW 68 (1956), 374 (375) stellt hingegen darauf ab, dass der Freispruch „die ausdrückliche Bestätigung der Sozialstellung“ des Beschuldigten trifft. 36  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 61. 37  Davon geht Krack NStZ 2002, 120 (124) aus, dem zufolge die Akzeptanz eines Freispruchs insb. bei schweren Straftaten dadurch deutlich gemindert wird, dass er auf der Nichtverwertbarkeit eines Belastungsbeweises beruht. 38  Frister, Strafrecht AT, Kap. 2 Rn. 7, 20 ff.; ferner Jakobs, Strafrecht AT, 1. Abschn. Rn. 9. Die weit verbreitete „Vereinigungstheorie“, welche die relativen Strafzwecktheorien mit der absoluten Strafzwecktheorie kombiniert, akzeptiert Rache dagegen weiterhin als Zweck der Strafe, so etwa BVerfGE 21, 391 (404); BGHSt 24, 40 (42) mit klarem Fokus auf präventive Strafzwecke. Siehe kritisch zur Vereinigungstheorie NK-StGB/Hassemer/Neumann Vor  § 1 Rn. 287; Roxin, in: ders., Strafrecht­ liche Grundlagenprobleme, S. 1 (10 ff.), der die Vereinigungstheorie als „resignierenden Eklektizismus“ bezeichnet, sowie insgesamt zur Strafzweckdiskussion auch ­Jakobs, Staatliche Strafe: Sinn und Zweck, passim. 39  Auf letzteres weist auch Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 60 hin.

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Durch eine rechtswidrige Beweiserhebung würde jedenfalls keiner der beiden Ziele gefährdet. Die mit einem Schuldspruch einhergehende Genugtuung wird nicht dadurch beeinflusst, dass er auf Beweisen beruht, die unter Verletzung von Rechtsnormen erhoben wurden. Sähe man den Zweck der Strafe in einem Abschreckungseffekt, der die bis dahin rechtstreuen Teile der Bevölkerung von der Nachahmung des Straftäters abhalten soll, wären Beweisverwertungsverbote wohl sogar zweckwidrig. Denn durch „grenzenlose“ Ermittlungen würde das Signal ausgesandt, dass der Staat mit sämtlichen – rechtmäßigen wie rechtswidrigen – Mitteln gegen den Straftäter vorgeht.40 Konsequent ist die Existenz von Beweisverwertungsverboten dagegen innerhalb eines auf Wiederherstellung des Normvertrauens gerichteten Strafverfahrens. Durch einen Schuldspruch, der auf rechtswidrig ermittelten Beweisen beruht, wird – wie Dencker41 überzeugend darlegt – die werterhaltende Wirkung des Strafurteils in Frage gestellt und dieser Effekt wiegt weitaus schwerer als die kurzfristige negative Resonanz, die ein auf Beweisverwertungsverboten beruhender Freispruch auslöst.42 Anders als für die vermeintliche das Rachebedürfnis stillende und die Normadressaten vor der Begehung von Straftaten abschreckende Wirkung von Strafurteilen, genügt für die Bestätigung der Normgeltung das nach dem Gesichtspunkt der materiellen Wahrheit zutreffende Urteil nicht. Ich habe bereits oben dargelegt, dass sich die Gerechtigkeit eines Urteils nicht ausschließlich danach bemisst, ob der zugrundeliegende Sachverhalt zutreffend ermittelt wurde, sondern überdies auch die Ermittlung selbst gerecht (scil. justizförmig) erfolgen muss. Dies ist auch hier das entscheidende Kriterium. So weist Dencker zutreffend darauf hin, dass der durch das Urteil ausgesprochene werterhaltende Appell an die Gesamtheit der Normadressaten seine Wirkung nur dann entfalten kann, wenn eine hinreichende Identifikationsmöglichkeit mit dem aus-

40  Überhaupt kann die Begründung der Beweisverwertungsverbote kaum im Strafzweck zu suchen sein, solange man die „Vereinigungstheorie“ zugrunde legt, die sämtliche diskutierten Strafzwecke zu berücksichtigen sucht. Selbst wenn nämlich ein Strafzweck durch die rechtswidrige Beweiserhebung gefährdet ist, kann man problemlos auf die anderen Strafzwecke rekurrieren. Dies gilt insb. für die Rache als vermeintlichen Zweck der Strafe, die gänzlich unabhängig davon bestehen bleibt, auf welche Art und Weise die Tat aufgeklärt wurde. Darauf weist auch Rogall ZStW 91 (1979), 1 (13 f.) hin. 41  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 59 ff. 42  Interessantes Beispiel ist m. E. der vielfach rezitierte Fall Jakob von Metzler, der trotz der Schwere des ihm zugrunde liegenden Sachverhalts in erster Linie deshalb breite öffentliche Bekanntheit erlangt hat, weil die polizeilichen Ermittlungspersonen dem Beschuldigten körperliche Gewalt angedroht haben, um das Entführungsopfer zu finden. Freilich lässt sich nicht von einem Fall auf sämtliche Fälle schließen, sodass es sich nicht um eine empirisch abgesicherte Erkenntnis handelt.



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gesprochenen Appell sichergestellt ist.43 Anders formuliert wird die Bevölkerung die Bestrafung des Täters nur dann als Bestätigung der Normgeltung empfinden, wenn sie das Urteil als gerecht empfindet. Erforderlich dafür ist, dass die materielle Wahrheit zutreffend ermittelt und dabei im Rahmen des geltenden Rechts gehandelt wurde. Zwar ließe sich entgegnen, dass bestimmte Ermittlungs- und Vernehmungstechniken wie das Stellen von Fangfragen wohl in weiten Teilen der Bevölkerung nicht als rechtswidrig und schon gar nicht als verwerflich angesehen werden,44 sodass sich deren Anwendung auch nicht auf das generalpräventive Ergebnis einer Entscheidung auswirken kann. Eine Differenzierung danach, welche gesetzlichen Vorschriften allgemein bekannt sind, scheidet aber aus. Der Staat muss sich bei der Tataufklärung an sämtliche von ihm geschaffene Rechtsnormen halten. Dass die Verwertungsverbote im Allgemeinen die generalpräventive Wirkung des Strafverfahrens schützen, schließt nicht aus, dass die einzelnen Beweisverwertungsverbote überdies auch eine wahrheitsschützende oder individualrechtsschützende Funktion erfüllen können. Aus den dargelegten Gründen folgt jedoch, dass diese Aspekte nicht als Letztbegründung der Beweisverwertungsverbote taugen. Dies gilt auch für die mit Beweisverwertungsverboten einhergehende Disziplinierungswirkung. Zwar ließe sich anführen, dass das Fehlen von Beweisverwertungsverboten eine abträgliche Wirkung auf die Motivation der Strafverfolger hätte, die gesetzlichen Beweiserhebungsvorschriften einzuhalten.45 Doch auch hier wird es sich letztlich eher um eine reflexhafte Wirkung handeln und weniger um den Zweck der Beweisverwertungsverbote.46 Eine überzeugende Begründung der Existenz von Beweisverwertungsverboten vermag ausschließlich der Aspekt des Schutzes der positiv-generalpräventiven Wirkung von strafprozessualen Entscheidungen zu liefern.

43  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 68; ähnlich auch Osmer, Der Umfang des Beweisverwertungsverbotes nach § 136a StPO, S. 10, der allerdings auf den Appell an den Straftäter selbst abstellt. 44  Vgl. Puppe GA 1978, 289. 45  So Baumann GA 1959, 33 (36); Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 24; Osmer, Der Umfang des Beweisverwertungsverbotes nach § 136a StPO, S. 46. 46  Zutreffend Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 55; vgl. ferner Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 153 f.; Kalb, Die funktionale Begründung strafprozessualer Beweisverbote, S. 36 ff. sowie Rogall ZStW 91 (1979), 1 (14 ff.).

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III. Das materielle Strafrecht als denkbarer Ersatz von Beweisverwertungsverboten? Diese die generalpräventive Wirkung des Strafverfahrens schützende Funktion der Beweisverwertungsverbote lässt sich durch den Einsatz außerprozessualer Institutionen wie dem materiellen Strafrecht nicht ersetzen. Nach geltendem Recht folgt dies bereits aus dem Mangel an entsprechenden Strafvorschriften. Hervorzuheben ist lediglich die Vorschrift des § 343 StGB, die als vermeintliches materiellrechtliches Pendant47 zu den §§ 136, 136a StPO die „Aussageerpressung“ unter Strafe stellt. Die abschließend aufgezählten Tathandlungen beschränken sich auf körperliche Misshandlungen, Gewaltanwendungen sowie das Zufügen seelischer Qualen, sodass es sich de lege lata um eine Strafvorschrift zur Absicherung des Folterverbots handelt.48 Das Gros der durch § 136 Abs. 2 StPO verbotenen inquirierenden Verhörmethoden oder gar die Gestaltung der Vernehmung als Werkzeug der Tataufklärung können der Vorschrift gerade nicht subsumiert werden. Strafrechtlich abgesichert ist mithin nur ein Bruchteil der nach dem Verfahrensrecht unzulässigen Methoden. Die Strafvorschrift des § 343 StGB war freilich nicht stets derart eng gefasst. In ihrer ursprünglichen Fassung sanktionierte die Vorschrift jegliche Anwendung von „Zwangsmitteln […], um Geständnisse oder Aussagen zu erpressen“. Ihre heutige Form erhielt die Norm erst durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1974.49 De lege ferenda wäre eine Ausdehnung des § 343 StGB auf sämtliche inquirierende Verhörmethoden, etwa durch Annäherung an den Wortlaut des § 136a StPO, denkbar. Sie wurde auch bereits durch die Große Strafrechtskommission diskutiert, wobei eine Mehrheit für die zur Debatte gestellte Erweiterung nicht gefunden werden konnte.50 Tatsächlich lassen sich für beide Seiten gewichtige Argumente 47  Als solches bezeichnet von Rogall FS Rudolphi, S. 511 (512). Auch wenn die Bezeichnung heute sicherlich partiell zutreffend ist, darf sie nicht zu der Fehlannahme verleiten, dass der historische Gesetzgeber die weitaus ältere Strafvorschrift des § 343 StGB zur strafrechtlichen Absicherung des § 136a StPO geschaffen hat. 48  Die Funktion der Vorschrift beschränkt sich daher überwiegend auf eine – freilich nicht unbedeutende – symbolische Bedeutung (so zu Recht NK-StGB/Kuhlen § 343 Rn. 2). Im Jahr 2017 wurde lediglich eine Person nach § 343 StGB verurteilt, siehe Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 3, Rechtspflege – Strafverfolgung, 2017, S. 44–45. Es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer im Bereich der Aussageerpressung nicht unbeachtlich ist, vgl. zum Dunkelfeld bei Misshandlungen durch Polizeibeamte Singelnstein, in: Deutsches Institut für Menschenrechte, Prävention von Folter und Misshandlungen in Deutschland, S. 213 (218 ff.). 49  BGBl. I 1974, S. 469. 50  Vgl. die i. R.d. Niederschriften über die Sitzungen der großen Strafrechtskommission, Band 13, S. 305 ff. veröffentliche Diskussion. Im Entwurf des EGStGB be-



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finden. Für eine Angleichung des § 343 StGB an den strafverfahrensrecht­ lichen Schutzumfang ließe sich die Vergleichbarkeit der Schutzzwecke anführen. Denn auch wenn die Anwendung von Folter ohne Zweifel in ihrer Schwere durch andere inquirierende Verhörmethoden nicht überboten werden kann, stellt die Strafprozessordnung sämtliche dem Entlastungszweck zuwiderlaufende Methoden auf eine Stufe, ohne eine nähere Differenzierung vorzunehmen. Geschützt wird nämlich nicht die körperliche Integrität des Beschuldigten, sondern seine Aussagefreiheit. Warum der strafrechtliche Schutz auf die Folter beschränkt bleiben soll, ist aus teleologischer Sicht kaum zu erklären, zumal die körperliche Integrität bereits über das Verbot der Körperverletzung im Amt nach § 340 StGB geschützt ist.51 Konsequent wäre eine Angleichung insbesondere dann, wenn man das Schutzgut des § 343 StGB mit der herrschenden Meinung nicht auf die Individualrechte des Beschuldigten beschränkte, sondern überdies auch Belange der Rechtspflege als geschützt ansehen würde.52 Dass die Rechtspflege durch alle verbotenen Vernehmungsmethoden beeinträchtigt wird, ergibt sich bereits aus der Vorschrift des § 136a StPO sowie aus dem in § 136 Abs. 2 StPO verankerten Vernehmungszweck. Auf der anderen Seite ließe sich gegen eine Erweiterung argumentieren, dass aus der strafverfahrensrechtlichen Unzulässigkeit einer Ermittlungsmethode noch nicht eo ipso folgt, dass es sich auch um strafwürdiges Unrecht handelt. Dies gilt umso mehr als in der Beschuldigtenvernehmung gemäß § 136 Abs. 2 StPO sämtliche nicht der Gewährung rechtlichen Gehörs dienenden Verhaltensweisen des Vernehmenden unzulässig sind. Wollte man diesen denkbar weiten Rahmen auf das materielle Strafrecht übertragen, tonte die Bundesregierung ausdrücklich, „daß die Anwendung ungesetzlicher Vernehmungsmethoden im Sinne von § 136a StPO nicht in allen Fällen den schweren Vorwurf der Aussageerpressung rechtfertigen kann.“, siehe BT-Drucks. 7/550, S. 278. 51  Zu beachten gilt jedoch, dass der Anwendungsbereich des § 343 StGB nicht gänzlich von § 340 StGB aufgefangen werden könnte. Der Tatbestand der Aussageerpressung erfasst über Verletzungen der körperlichen Integrität hinaus auch das Zufügen seelischer Leiden. 52  So BGH NJW 1953, 1034; Amelung FS  Dünnebier, S. 487 (498 ff., 513 f.); Schönke/Schröder/Hecker § 343 StGB Rn. 1; Lackner/Kühl/Heger § 343 StGB Rn. 1; Kinzig ZStW 115 (2003), 791 (795 f.); Rogall FS  Rudolphi, S. 511 (524 ff.); MKStGB/Voßen § 343 Rn. 1 f.; LK-StGB/Zieschang § 343 Rn. 1. Eine doppelte Schutzrichtung wird auch von Hörnle/Kremnitzer Israel Law Review 44 (2011), 143 (151) vertreten, wobei als zu schützendes Individualrecht auch die Menschenwürde hervorgehoben wird. Worin der Schutz der Rechtspflege konkret liegen soll, wird nicht einheitlich beantwortet. Während Rogall FS Rudolphi, S. 511 (530) vom „Schutz des Systems selbst vor folgenträchtigen internen Fehloperationen“ spricht, betont Schönke/Schröder/Hecker § 343 StGB Rn. 1, dass die Rechtspflege vor einem mit der Anwendung verbotener Methoden einhergehenden Vertrauensverlust innerhalb der Bevölkerung bewahrt werden soll.

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müsste man auch die vorsätzliche Nichtbelehrung des Beschuldigten über seine Aussagefreiheit unter Strafe stellen. Die Vereinbarkeit eines solch weiten, generalklauselartigen § 343 StGB mit dem ultima ratio Gedanken des Strafrechts ist zweifelhaft. Näherliegend ist die Beschränkung der strafrechtlichen Absicherung auf besonders verwerfliche Vernehmungsmethoden. Dass die durch § 343 StGB pönalisierte Folter eine Sonderstellung einnimmt, liegt auf der Hand. Im Ergebnis könnte eine Tatbestandserweiterung ohnehin nur eine das Strafverfahrensrecht ergänzende Funktion erfüllen. Ihr Surrogat darstellen kann sie hingegen nicht. Dies folgt schon daraus, dass sich eine deckungsgleiche Übertragung des strafprozessualen Verbots inquirierender Verhörmethoden auf das Strafrecht insoweit verbietet, als es verfahrensrechtlich nicht darauf ankommen kann, ob der Rechtsverstoß bewusst oder unbewusst erfolgt ist (siehe oben S. 111 ff.). Materiellrechtlich ist die bewusste Entscheidung für die Rechtsübertretung jedoch das entscheidende unrechtskonstituierende Merkmal der Vorsatzdelikte.53 Eine fahrlässige Täuschung durch den Vernehmenden – im „Extremfall“ durch das versehentliche Unterlassen einer Belehrung – kann kaum als strafwürdiges Unrecht betrachtet werden. Überhaupt ist das Strafrecht schon deshalb kein gleichwertiges Äquivalent, weil es aus Sicht des Beschuldigten nur einen „schwachen Trost“ darstellen dürfte, wenn der rechtswidrig handelnde Vernehmende für seinen Rechtsverstoß bestraft wird. Der Eindruck einer ungesetzlichen Bestrafung des Beschuldigten und der damit verbundene abträgliche Effekt auf die werterhaltende Wirkung der Entscheidung wird durch sie jedenfalls nicht neutralisiert. Eine gleichwohl de lege ferenda vorzunehmende Erweiterung des § 343 StGB halte ich, unter der Voraussetzung einer Abmilderung des Strafrahmens, für denkbar, aus den dargelegten Gründen aber nicht für zwingend.

IV. Zwischenergebnis Beweisverwertungsverbote sind nach zutreffender Auffassung als Mittel zum Schutze der generalpräventiven Wirkung der strafverfahrensrechtlichen Entscheidung anzusehen. Die Entscheidung – unabhängig davon, ob sie freisprechend oder verurteilend ist – bestätigt die Strafvorschrift und dient so der (Wieder-)Herstellung des Vertrauens in ihre Geltung. Durch eine rechtswidrige Beweiserhebung ist diese Wirkung gefährdet, denn ihre Entfaltung ist nur dann möglich, wenn eine hinreichende Identifikationsmöglichkeit mit dem durch die Entscheidung ausgesprochenen Appell besteht.54 53  Frister,

Strafrecht AT, Kap. 11 Rn. 1. Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 68.

54  Dencker,



B. Allgemeine Fragen der Verwertung täuschungsbedingter Beweise 199

Diese Funktion kann durch den Einsatz des materiellen Strafrechts nicht substituiert werden. Die Bestrafung des rechtswidrig handelnden Ermittlers kann die durch die rechtswidrige Beweiserhebung gemilderte positiv-generalpräventive Wirkung der Entscheidung nicht wiederherstellen. Das mate­ rielle Strafrecht kann daher nur als zusätzlicher Aspekt bei besonders eingriffsintensiven Ermittlungsmethoden – etwa der de lege lata bereits nach § 343 StGB pönalisierten Folter – eingesetzt werden.

B. Allgemeine Fragen der Verwertung täuschungsbedingter Beweise Der auf den Schutz der positiv-generalpräventiven Wirkung einer strafprozessualen Entscheidung gerichtete Zweck der Beweisverwertungsverbote sagt noch nicht allzu viel über die Voraussetzungen aus, unter denen ein Beweis nicht verwertet werden darf. Bevor diese Voraussetzungen im Einzelnen herausgearbeitet werden (C.), sollen zunächst die Grundlagen eines täuschungsbedingten Beweisverwertungsverbots in und außerhalb der Vernehmungssituation herausgearbeitet werden.

I. Zur Unverwertbarkeit entgegen § 136 Abs. 2 StPO erlangter Beschuldigtenaussagen Ausgangspunkt der Überlegungen zur Unverwertbarkeit mittels Täuschung erlangter Beschuldigtenaussagen bildet die Vorschrift des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO, mit deren Einführung der historische Gesetzgeber als Reaktion auf die Willkür der NS-Justiz und die damaligen Entwicklungen in der Kriminalistik55 mit der Tradition der Strafprozessordnung, Beweisverbote nicht ausdrücklich im Gesetz zu kodifizieren, brach und in diesem Sinne die Selbstverständlichkeit ausdrückte, dass die Anwendung inquirierender Verhörmethoden die nachfolgende Aussage unverwertbar macht. Dass die Beeinflussung der Willensfreiheit des Beschuldigten mittels eines die Merkmale des Täuschungsbegriffs erfüllenden Vernehmungsmusters also grundsätzlich56 ein Verwertungsverbot zur Folge hat, ist angesichts der gesetzlichen Regelung unstreitig.57 Darin offenbart sich schließlich auch der Grund dafür, dass sich die Diskussion um die Täuschung auf die in Kapitel 2 behandelte Tatbestandsebene verlagert hat. Da nämlich das Gesetz selbst weder zwi55  Degener

GA 1992, 443 (463); Frister ZStW 106 (1994), 303 (314). zu den näheren Anforderungen S. 211 ff. 57  Siehe statt vieler BGHSt 35, 328; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 27 m. w. N. 56  Siehe

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schen verbotenen und nicht verbotenen Täuschungen, noch zwischen verwertbaren und nicht verwertbaren täuschungsbedingten Aussagen differenziert, sondern pauschal die Unzulässigkeit der Täuschung mit der Folge eines Verwertungsverbots ausspricht, wird eine restriktive Auslegung des Täuschungsbegriffs gefordert.58 Nach hier vertretener Auffassung ist der Täuschungsbegriff hingegen extensiv auszulegen, sodass die Unverwertbarkeit grundsätzlich Aussagen betrifft, die etwa darauf beruhen, dass der Vernehmende die Existenz eines falschen Beweismittels vorspiegelt, den Beschuldigten entgegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht über seine Aussagefreiheit belehrt oder auch dem Beschuldigten die Möglichkeit der Entlastung der gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe dadurch verwehrt, dass er diese nicht zu Beginn der Vernehmung vollumfänglich offen legt. Aus diesem Grund ist auch eine Aussage, die der Beschuldigte gegenüber einem für eine Privatperson gehaltenen Verdeckten Ermittler trifft, grundsätzlich nicht zu verwerten (siehe zu den daraus zu ziehenden rechtspolitischen Konsequenzen S. 246 f.). Die nähere Betrachtung des Verbots der Verwertung täuschungsbedingter Aussagen führt erneut zu der das nemo-tenetur-Prinzip schützenden Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO. Ihr zufolge dient die Beschuldigtenvernehmung in jedem Abschnitt des Strafverfahrens ausschließlich der Gewährung rechtlichen Gehörs, wodurch dem Beschuldigten die Entlastung der gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe ermöglicht werden soll. Zwar suggeriert die Formulierung des § 136a Abs. 1, 2 StPO, dass die Tatverdachtsaufklärung mit Hilfe der Beschuldigtenvernehmung durch das Verbot bestimmter enumerativ aufgezählter Vernehmungsmethoden lediglich in eine bestimme Bahn gelenkt werden soll, mithin die Wahrheitsermittlung durch die Vernehmung solange zulässig ist, wie der Vernehmende keine verbotenen Vernehmungsmethoden anwendet.59 Dies entspricht auch der herrschenden Meinung, der zufolge die Wahrheitsermittlung ein – wenngleich in der Regel als subsidiär eingestuftes  – Vernehmungsziel ist,60 kann aber, wie die Ausführungen in Kapitel 1 gezeigt haben, nicht überzeugen. Tatsächlich entzieht die Rechtsordnung der Vernehmung mittels der Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO jegli­ 58  Einen „taktischen Umgang“ mit dem Täuschungsverbot vermutet auch Degener GA 1992, 443 (448); ähnlich auch Beulke StV 1990, 180 (182): „Die Rigorosität des Täuschungsverbots des § 136a StPO schreckt die Rechtsprechung und sie fürchtet vor allem dessen Fernwirkungen, insbesondere bezüglich der V-Mann-Problematik.“. 59  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 69 sowie ders. StV 1987, 453 (454); zutreffend auch Degener GA 1992, 443 (464). 60  KK-StPO/Diemer § 136 Rn. 1; Kindhäuser/Schumann, Strafprozessrecht, § 6 Rn. 23; Krack NStZ 2002, 120 (122); BeckOK-StPO/Monka § 136 Rn. 18; SK-StPO/ Rogall § 136 Rn. 18; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 25 Rn. 4; MeyerGoßner/Schmitt § 136 StPO Rn. 14; MK-StPO/Schuhr Vor §§ 133 ff. Rn. 39.



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ches Wahrheitsermittlungsinteresse, weshalb auch jedes auf Verdachtsaufklärung gerichtetes Vernehmungsmuster rechtswidrig ist. Der Grund dafür ist, dass die Aussage des Beschuldigten – bzw. seine Mitwirkung im Allgemeinen – aufgrund des nemo-tenetur-Prinzips nur insoweit als Beweismittel anerkannt ist, als sie auf einem freien Willensentschluss beruht.61 Dies unterscheidet die Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO von den anderen Beweiserhebungsvorschriften, wie der Vergleich mit der für diverse Maßnahmen – etwa der körperlichen Untersuchung nach § 81a Abs. 2 Satz 2 StPO – einzuholenden richterlichen Anordnung verdeutlicht. Die Existenz der Eingriffsnorm zeigt, dass der durch den körperlichen Eingriff gewonnene Beweis grundsätzlich zur Tataufklärung beitragen soll. Seine Erhebung soll lediglich auf eine vom Gesetz konkretisierte Art und Weise erfolgen, im Beispiel also nur nach Einholung einer richterlichen Anordnung. § 136 Abs. 2 StPO konkretisiert aber nicht die Art und Weise der Aussageerlangung, sondern verbietet bereits ausnahmslos jedes auf Beweiserlangung gerichtete Verhalten. Es handelt sich um ein situativ begründetes generelles Beweiserhebungsverbot. Legt man dieses Ergebnis zugrunde, ist jedweder Versuch, die Verwertung einer durch Täuschung  – bzw. einer beliebigen anderen inquirierenden Verhörweise – erlangten Beschuldigtenaussage für verwertbar zu erklären, a priori zum Scheitern verurteilt. Statuiert die Strafprozessordnung nämlich die Nichtexistenz eines legitimen Interesses an der Tataufklärung im Rahmen der Vernehmung, kann ein gleichwohl ermittelter Beweis, soweit er den Ermittlern nicht aufgrund eines freiverantwortlichen Willensentschlusses des Beschuldigten eröffnet wird,62 nicht ohne Entwertung dieser Ratio und letztlich nicht ohne Vertiefung der Verletzung der Aussagefreiheit des Beschuldigten bei der Urteilsfindung berücksichtigt werden.63 Dieser Begründungsansatz stimmt im Kern mit den Ausführungen Grünwalds64 zur Unzulässigkeit der Verwertung von Beweisen, die auf der Verletzung einer die Mitwirkungsfreiheit schützenden Norm beruhen, überein. Zur Begründung eines Verwertungsverbots beruft sich Grünwald auf das Verhält61  Schilling,

Illegale Beweise, S. 103; siehe ferner bereits oben S. 146 ff. Willensentschluss des Beschuldigten muss sich nicht auf die Selbstbelastung beziehen, sondern auf die Mitwirkung. Trifft der Beschuldigte also die freiverantwortliche Entscheidung, sich zu dem Vorwurf zu äußern, kann seine Aussage selbstverständlich auch dann verwertet werden, wenn er sich dabei unbewusst bzw. ungewollt selbst belastet, etwa indem er sich in Widersprüche verwickelt. 63  Zutreffend sind die Ausführungen bei Schilling, Illegale Beweise, S. 104 f., die darauf hinweist, dass „sich der Staat von seinen eigenen Legitimationsbedingungen entkoppelt“, wenn er die gesetzlichen Anforderungen an die Beschuldigtenvernehmung nicht einhält. Sie merkt zu Recht an, dass es insoweit keiner weiteren Gründe für die Unverwertbarkeit des illegalen Beweismittels bedürfe (S. 105). 64  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 143 ff., insb. S. 146 ff. 62  Der

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nis zwischen Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten, das üblicherweise in einem kausalistischen Sinne verstanden wird. Das Verwertungsverbot wird also gemeinhin als mögliche Konsequenz der Verletzung einer Beweiserhebungsvorschrift angesehen.65 Grünwald zufolge ist die Beziehung zwischen Erhebungs- und Verwertungsverbot im Sinne eines „wenn-dannSchlusses“ jedoch nicht ausnahmslos zutreffend. Zwar sei in der überwiegenden Zahl der Fälle tatsächlich das Erhebungsverbot das primäre gesetzliche Verbot – so diene etwa der Arztvorbehalt des § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO dem Schutze der körperlichen Integrität des Beschuldigten, dem nicht das Risiko einer durch einen medizinischen Laien durchgeführten körperlichen Untersuchung aufgebürdet werden soll.66 Andere Methoden der Beweisgewinnung seien jedoch in erster Linie deshalb rechtlich missbilligt, weil die Rechtsordnung das durch sie gewonnene Beweismittel nicht als Grundlage der Urteilsfindung zulassen will.67 Gerade in diesem Umstand begründe sich das Verbot der Erlangung einer Aussage unter Verletzung einer das nemo-tenetur-Prinzip schützenden Norm.68 Das primäre gesetzliche Verbot beziehe sich auf die Verwertung einer entgegen der Mitwirkungsfreiheit erlangten Aussage. Zur Durchsetzung dieses Ziels bediene sich das Gesetz dem Verbot der Beweisgewinnung.69 Dem ist zuzustimmen. Die Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO verdeutlicht, dass die Beschuldigtenvernehmung nicht zur Wahrheitsfindung beitragen soll, es sei denn, der Beitrag zur Wahrheitsfindung beruht auf einem freien Willensentschluss des Beschuldigten. Legt man dies zugrunde, erübrigt sich jeder Argumentationsversuch für eine gleichwohl statthafte Verwertung des „nicht gewollten“ Beweismittels. Da das Gesetz ein Tataufklärungsinteresse im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung nicht anerkennt, kommt insbesondere seine Berücksichtigung im Rahmen einer etwaigen Abwägung nicht in

65  So etwa Ambos, Beweisverwertungsverbote, S. 23; Fezer, Grundfragen der Beweisverwertungsverbote, S. 11; Rogall ZStW 91 (1979), 1 (3); Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 21; Schneider, Beweisverbote aus dem Fair-TrialPrinzip des Art. 6 EMRK, S. 14. 66  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 143; siehe ferner zum Schutzzweck des Arztvorbehalts Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 49. 67  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 143. 68  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 146. Die Vorschriften zum Schutze der Mitwirkungsfreiheit sind nicht die einzigen, die sich primär gegen die Verwertung des Beweises im Strafverfahren richten. Auch das in § 97 StPO normierte Beschlagnahmeverbot bezweckt in erster Linie den Ausschluss der genannten Beweismittel aus der Urteilsfindung, sodass ein verbotswidrig beschlagnahmter Beweis denklogisch nicht zu verwerten ist, siehe bereits Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des ­Polizeirechts, Kap. F Rn. 149. 69  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 146 f.



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Betracht; sie wäre – um in den Worten Grünwalds70 zu sprechen – denkfehlerhaft. Rogall71 hält dem entgegen, dass die gesetzlichen Vorschriften das Eintreten eines Verwertungsverbots erkennbar von der Verletzung einer Erhebungsvorschrift abhängig machen, sodass im Ergebnis doch die Erhebung das primäre Verbot sei. Prima facie ist dies bei Betrachtung des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO auch zutreffend. Der Umstand, dass das Gesetz das Verwertungsverbot an die unzulässige Beweiserhebung knüpft, wird jedoch nicht angezweifelt. Entscheidend ist vielmehr, dass das Gesetz die Erhebung verbietet, weil der Beweis keinen Einfluss auf das Strafverfahren haben soll (scil. nicht zu verwerten ist). Das Beweiserhebungsverbot ist in solchen Fällen also nur Mittel zum Zweck. Auch die Kritik Denckers72 kann nicht überzeugen. Seinen Ausführungen zufolge ist die Nichtverurteilung eines Beschuldigten aufgrund einer mittels verbotener Vernehmungsmethoden erlangten Aussage lediglich eine Reflexwirkung, nicht jedoch die Ratio des Verbots, da man ansonsten ein Verwertungsverbot auch dann annehmen müsse, wenn die missbilligte Vernehmungsmethode durch einen Privaten angewandt werde.73 Dabei handelt es sich aber um einen Trugschluss. Entscheidend für das Vorliegen eines Verwertungsverbots ist nämlich die Anwendung einer inquirierenden Verhörmethode in der Vernehmung. Außerhalb der Vernehmung ist die Anwendung entsprechender Techniken – sieht man von offensichtlichen Ausnahmen wie der Folter und Quälerei ab – nicht ohne Weiteres verboten. Dies zeigen bereits die Zulässigkeit von heimlichen Ermittlungsmethoden außerhalb der Vernehmung sowie die Möglichkeit des Einsatzes von Zwang zur Durchsetzung der Aussagepflicht des Zeugen. Die ausnahmslose rechtliche Missbilligung ergibt sich gerade nur in Verbindung mit der Vernehmungssituation, sodass der Einsatz einer verbotenen Vernehmungsmethode durch einen Privaten auch nur dann zu einem Verwertungsverbot führen kann, wenn der Private als „Agent des Staates“ tätig wird (siehe zu diesem Kriterium oben S. 64 ff.). Ergänzend sei schließlich noch darauf hingewiesen, dass ein täuschungsbedingtes Geständnis des Beschuldigten im Rahmen einer polizeilichen oder staatsanwaltschaftlichen Vernehmung bereits aufgrund der Vorschrift des § 254 StPO regelmäßig nur geringen Einfluss auf das Hauptverfahren haben sollte. Die Vorschrift statuiert nämlich ein Verlesungsverbot von Erklärungen, die der Beschuldigte gegenüber einer nichtrichterlichen Vernehmungs70  Grünwald,

Beweisrecht der StPO, S. 144. FS Grünwald, S. 523 (530 f.). 72  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 51. 73  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 51.

71  Rogall

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person getätigt hat, und das nach zutreffender Ansicht auch nicht durch die Vernehmung des Ermittlers umgangen werden darf.74 Grund dafür ist der Zweck des Verlesungsverbots, der nicht etwa darin auszumachen ist, dass dem durch einen Richter angefertigten Vernehmungsprotokoll ein höheres Vertrauen beizumessen ist als dem polizeilichen bzw. staatsanwaltschaft­ lichen Protokoll.75 Vielmehr geht die Rechtsordnung davon aus, dass die richterliche Vernehmung eher den gesetzlichen Vorgaben an die Vernehmung selbst gerecht werden wird.76 Dass die nichtrichterliche Vernehmungsperson in der Lage ist, ein ordnungsgemäßes Protokoll anzufertigen, zweifelt § 254 StPO dagegen nicht an.77 Doch selbst wenn man dies anders sähe, müsste man die Aussage des Vernehmungsbeamten über das Geständnis als Beweismittel zurückweisen. Spricht man ihm nämlich die Fähigkeit ab, „den Inhalt der Vernehmung vollständig, neutral und präzise“ zu protokollieren,78 lässt sich nur schwer begründen, warum die Aussage des Vernehmenden – zumal sie in der Praxis wohl regelmäßig auf dem Inhalt des Vernehmungsprotokolls beruhen wird – diesen Anforderungen genügen soll.79

II. Verwertungsproblematik bei Täuschungen außerhalb der Beschuldigtenvernehmung Die grundsätzliche Unverwertbarkeit täuschungsbedingter Aussagen ist, wenngleich die hier zugrundeliegende Begründung von der herrschenden Konzeption abweicht, im Ergebnis anerkannt. Weniger eindeutig ist hingegen die Frage der beweisrechtlichen Würdigung von Täuschungen außerhalb der Vernehmungssituation. Vorab sei erneut daran erinnert, dass Täuschungen außerhalb der Vernehmung aufgrund des hier vertretenen (weiten) funktionalen Vernehmungsbegriffs, nur in einem engen Rahmen denkbar sind. Die verbale Kommunikation zwischen Beschuldigtem und Ermittler begründet stets eine Vernehmungssituation, auch wenn sich dieser nicht als Ermittler zu erkennen gibt (siehe oben S. 59 ff.). Die hier zu besprechende Problematik bezieht sich also in erster Linie auf den Einsatz heimlicher Ermittlungsmethoden wie der Telekommunikationsüberwachung. Deren Einsatz ist freilich, wie dargelegt wurde (siehe S. 157 ff.), im Rahmen der geltenden Rechtsnor74  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 133; anders die h. M.: BGH NStZ 2019, 106; LR-StPO/Cirener/Sander § 254 Rn. 4; KK-StPO/Diemer § 254 Rn. 1; BeckOKStPO/Ganter § 254 Rn. 2; Kloke NStZ 2019, 374; MK-StPO/Kreicker § 254 Rn. 30. 75  So aber BGHSt 14, 310 (313); MK-StPO/Kreicker § 254 Rn. 3. 76  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 133. 77  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 133. 78  So MK-StPO/Kreicker § 254 Rn. 3. 79  Insoweit zutreffend Kloke NStZ 2019, 374 (379 f.).



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men grundsätzlich zulässig, da sich weder der Strafprozessordnung noch dem Grundgesetz ein allgemeines Täuschungsverbot entnehmen lässt. Daher sind auf Grundlage heimlicher Ermittlungsmaßnahmen gewonnene Beweise auch regelmäßig ohne Weiteres verwertbar. Bedenken hinsichtlich der Verwertbarkeit mittels Täuschung bzw. Heimlichkeit erlangter Beweismittel außerhalb der Vernehmung sind also nicht genereller Natur; sie müssen sich aus weiteren hinzutretenden Gründen ergeben. Der Grund für Zweifel an der Verwertbarkeit kann entweder darin liegen, dass die vom Gesetz vorgegebenen Eingriffsvoraussetzungen nicht eingehalten worden sind oder aber in einer mit der Maßnahme einhergehenden Verletzung von Grundrechten. Praktische Bedeutung wird im Bereich der Täuschung insbesondere die erste Fallgruppe für sich in Anspruch nehmen können, zumal die Nichtbeeinträchtigung der durch heimliche Ermittlungsmethoden „besonders gefährdeten“ Grundrechtsposition in Gestalt des Kernbereichs persönlicher Lebensgestaltung als Reaktion auf die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts bereits durch die Strafprozessordnung selbst als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung statuiert wird.80 Abseits eindeutiger Fallkonstellationen wie der Verletzung des höchstpersönlichen Kernbereichs durch eine heimliche Ermittlungsmethode, die unstreitig bereits auf Grundlage der existierenden gesetzlichen Anordnungen (etwa § 100d Abs. 2 Satz 1 StPO) zu einem Verwertungsverbot führt,81 sind die Kriterien, nach denen sich das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots bemisst, höchst umstritten. Die maßgeblich von den Arbeiten Rogalls82 beeinflusste und inzwischen wohl herrschende (von Rogall selbst als Fehlerfolgenlehre bezeichnete83) Abwägungslehre hält einen Beweis dann für unverwert80  Ausgangspunkt bildet die Entscheidung des BVerfG zum sog. „Großen Lauschangriff“ (BVerfGE 109, 279), in der das BVerfG die Unantastbarkeit des Kernbereichs hervorgehoben hat. In der Entscheidung BVerfGE 113, 348 (392) forderte das Gericht schließlich gesetzliche „Vorkehrungen […], die sichern, dass die Kommunikationsinhalte des höchstpersönlichen Bereichs nicht gespeichert und verwertet werden dürfen, sondern unverzüglich gelöscht werden, wenn es ausnahmsweise zu ihrer Erhebung gekommen ist.“ (Hervorhebung durch den Verf.). Vgl. dazu schon BeckOK-StPO/ Graf § 100d Rn. 3 f. 81  Die Unverwertbarkeit eines Beweises, der unter Zugriff auf den höchstpersönlichen Kernbereich erlangt wurde, ist wie dargelegt ausdrückliche Vorgabe der Verfassungsrechtsprechung, vgl. BVerfGE 113, 348 (392). Siehe ferner zu in einer Kernbereichsverletzung begründeten Verwertungsverboten Dalakouras, Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre, S. 162 ff. und Störmer, Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote, S. 23 ff. 82  Rogall ZStW 91 (1979), 1 (29 ff.); ders. FS Hanack, S. 293; ders. FS Grünwald, S. 523; ders. FS  Rieß, S. 951; ders. FS  Kohlmann, S. 465; SK-StPO/ders. § 136a Rn. 112. 83  Vgl. etwa Rogall FS Grünwald, S. 523.

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bar, wenn eine im Einzelfall vorgenommene Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen – dem Individualinteresse des Beschuldigten an der Einhaltung der verletzten Vorschrift auf der einen Seite und dem Interesse an der Tatverdachtsaufklärung auf der anderen84 – eine Unverwertbarkeit des Beweises verlangt.85 Prima facie scheint einiges für eine solche Abwägung zu sprechen. Aufgabe des Beweisrechts ist die Bereitung eines Mittelwegs, der die Interessen des Beschuldigten und das Aufklärungsinteresse gleichermaßen berücksichtigt.86 Auch daraus, dass die Strafprozessordnung nur vereinzelt ausdrücklich die Unverwertbarkeit von Beweismitteln anordnet, ließe sich schließen, dass im Übrigen der Rechtsanwender dazu berufen ist, die widerstreitenden Interessen in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Doch die Abwägungslehre sieht sich auch offensichtlichen Bedenken ausgesetzt. In der Kritik steht insbesondere das jeder Abwägung anhaftende Risiko einer willkürlichen Rechtsanwendung, zumal bislang keine allgemein anerkannten Kriterien für die Bestimmung des jeweiligen Wertes der widerstreitenden Interessen gefunden werden konnten.87 Dies trifft zwar im Grundsatz auf sämtliche vorzunehmenden Abwägungen zu, gilt hier aber in besonderem Maße. Für die Bestimmung des dem Beschuldigteninteresse gegenübergestellten staatlichen Tataufklärungsinteresses ist ein empirisch abgesicherter Maßstab nämlich kaum denkbar. Zwar weisen Vertreter der Abwägungslehre gewissermaßen zu Recht darauf hin, dass das Aufklärungsinte­ resse mit der Schwere der Tat korreliere, denn je schwerwiegender sich der im Raum stehende Vorwurf darstellt, desto größere Bedeutung kommt der Wiederherstellung des Normvertrauens durch Verdachtsaufklärung zu.88 Je84  Welche Umstände i. R.d. Abwägung Berücksichtigung finden müssen, ist freilich nicht eindeutig. BGHSt 24, 125 (130) führt für die Verwertbarkeit des Ergebnisses einer rechtswidrigen körperlichen Untersuchung an, dass der Beweiswert der rechtswidrig erlangten Blutprobe nicht beeinträchtigt ist, dass die Blutprobe auch auf legalem Wege hätte erlangt werden können und dass die handelnden Polizeibeamten von der Rechtmäßigkeit der Maßnahme ausgingen, mithin nicht bewusst gegen die Beweiserhebungsvorschrift verstoßen haben. Auf der anderen Seite nennt der BGH die Schutzbedürftigkeit des Beschuldigten als gegen die Verwertbarkeit sprechenden Umstand. 85  BGHSt 24, 125 (130); Dalakouras, Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre, S. 131 ff.; Joerden JuS 1993, 927 (931); Kelnhofer, Hypothetische Ermittlungsverläufe im System der Beweisverbote, S. 73 ff.; Koriath, Über Beweisverbote im Strafprozeß, S. 95 ff.; Neuber NStZ 2019, 113; für eine Abwägung auch Hauf NStZ 1993, 457. 86  Petry, Beweisverbote im Strafprozess, S. 20 f. 87  Dass Koriath, Über Beweisverbote im Strafprozeß, S. 97 anführt, dass durch die Abwägung immerhin die „Entscheidungsgründe transparent [ge]macht und somit Analyse und Kritik ermöglicht“ werden, scheint mir nur ein schwacher Trost angesichts der mit der Abwägung einhergehenden großen Unsicherheiten. 88  Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 118 führt zutreffend aus, dass „sich bei gleichem Verdachtsgrad in Abhängigkeit von der Schwere des vermuteten



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doch steigt mit der Schwere des Tatvorwurfs aufgrund der Höhe der drohenden Strafe auch das Interesse des Beschuldigten an der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften, sodass sich beide Gesichtspunkte im Ergebnis neutralisieren dürften.89 Die Schwere des Tatvorwurfs wird von der Strafprozessordnung zudem bereits dadurch berücksichtigt, dass gegen den Verdächtigen eingriffsintensivere Maßnahmen zur Tataufklärung angestrengt werden dürfen, wenn der Verdacht einen vom Gesetz definierten Schweregrad übersteigt (siehe z. B. § 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 StPO).90 Eine weitere Berücksichtigung im Rahmen der Beweisverwertung würde – wie Roxin und Schünemann91 darlegen  – „die Justizförmigkeit des Verfahrens in widersinniger Weise gerade dort auf[weichen], wo sie für den Beschuldigten am wichtigsten ist“. Die Abwägungslehre nimmt letztlich sehenden Auges in Kauf, dass dem Aufklärungsinteresse in der Praxis ein umso höheres Gewicht beigemessen wird, als der konkrete Beweis verfahrensentscheidend ist.92 Besonders deutlich wird die Beliebigkeit der Abwägung im sogenannten „Medizinal­ assistentenfall“ des Bundesgerichtshofs. Unter anderem führt das Gericht gegen das Verbot der Verwertung einer rechtswidrig erlangten Blutprobe an, dass dem Tataufklärungsinteresse „angesichts Tausender von Todesopfern, die der Alkohol am Steuer jährlich fordert, eine sehr erhebliche Bedeutung zukommt.“93 Berücksichtigt man bei der Abwägung selbst die Kriminal- bzw. Verkehrsunfallstatistiken, wird man letztlich für beide Seiten beliebig viele Argumente finden können, wodurch einer ergebnisorientierten Abwägung Tür und Tor geöffnet wird. Solche Unsicherheiten bei der Rechtsanwendung müssen jedoch bei einer Rechtsfrage, die für den individuellen Beschuldigten eine immense Bedeutung hat, vermieden werden,94 zumal sie auch mit Blick auf den Gleichheitssatz zu äußerst fragwürdigen Ergebnissen führt. Normverstoßes ein unterschiedlich stark ausgeprägtes staatliches Reaktionsbedürfnis ergibt“. Vgl. auch Kelnhofer, Hypothetische Ermittlungsverläufe im System der Beweisverbote, S. 69. 89  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 156; zutreffend auch Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 97 sowie Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, S. 57 („Verwertungsverbote sind keine Gnadenakte für kleine und mittlere Delinquenten“). 90  Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 28. 91  Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 28. 92  In diesem Sinne auch äußerst kritisch Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, S. 9, dem zufolge die Abwägungslehre „die Lösung des Problems an die politischen Präferenzen der jeweils entscheidenden Richter ausliefert“. 93  BGHSt 24, 125 (131). 94  Ob diese Rechtsunsicherheit „mangels einer besseren Alternative“ – wie Ko­ riath, Über Beweisverbote im Strafprozeß, S. 98 meint – schlicht hinzunehmen ist, ist in Anbetracht der Existenz der noch darzustellenden Schutzzwecklehre fraglich. Zutreffend dagegen Schöneborn GA 1975, 33 (34 f.); Schröder, Beweisverwertungsverbote und die Hypothese rechtmäßiger Beweiserlangung im Strafprozeß, S. 46; Stör­

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Im Schrifttum wurden daher verschiedene Ansätze zur Bestimmung der Kriterien von Beweisverwertungsverboten entwickelt, die allesamt unter dem Begriff der Schutzzwecklehre firmieren. Grundlage dieser Ansätze ist die Überlegung, dass die von der herrschenden Meinung im Einzelfall geforderte Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen regelmäßig bereits durch den Gesetzgeber selbst vorgenommen wurde.95 Durch Beweiserhebungsvorschriften bringe die Strafprozessordnung das Interesse an der Tataufklärung sowie das Beschuldigteninteresse selbst in Ausgleich. Das entscheidende Kriterium zur Bestimmung eines Beweisverwertungsverbots sehen die Vertreter dieser Auffassung im Schutzzweck der jeweils verletzten Beweiserhebungsvorschrift. Uneinigkeit in den eigenen Reihen herrscht jedoch darüber, welche Auswirkungen der Schutzzweck genau auf die Verwertbarkeit des erhobenen Beweises hat. Während Rudolphi96 eine den obigen Ausführungen zu § 136 Abs. 2 StPO vergleichbare Lösung sucht und in diesem Sinne ein Verwertungsverbot bejaht, wenn die verletzte Norm den Ausschluss des Beweismittels aus der Urteilsfindung bezweckt, sieht Grünwald97 das ausschlaggebende Kriterium in der Irreparabilität des verletzten Schutzguts. Ein Verwertungsverbot komme in der Regel lediglich dann in Betracht, wenn der Schutzzweck durch die Beweiserhebung nicht irreversibel verletzt sei, also die Verwertung den Eingriff entweder vertiefen würde oder sogar selbst erst den eigentlichen Eingriff darstellte. Doch auch die Bestimmung des Vorliegens eines Verwertungsverbots anhand des Schutzzwecks der verletzten Norm ist nicht per se vor Auslegungsproblemen gefeit. Sie werden lediglich auf eine andere Ebene verlagert. Zur Veranschaulichung sei auf die Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht des Angehörigen des Beschuldigten gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO verwiesen.98 Sofern man mit der herrschenden Meinung davon ausgeht, dass das Zeugnisverweigerungsrecht dazu dient, den Zeugen vor dem Gewissensmer, Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote, S. 119 f. Vgl. aber auch Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 148, der anmerkt, dass die Rspr. weniger einzelfallabhängig ist, als es zunächst den Anschein macht. 95  Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 458; Frisch, in: Wolter, Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, S. 173 (182 ff.); Grünwald JZ 1966, 489; ders., Beweisrecht der StPO, S. 155; Rudolphi MDR 1970, 93; krit. zur Abwägungslehre auch Grüner, Über den Mißbrauch von Mitwirkungsrechten und die Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Strafprozeß, S. 217 ff. 96  Rudolphi MDR 1970, 93 (97). 97  Grünwald JZ 1966, 489 (493); ders., Beweisrecht der StPO, S. 153. 98  Es handelt sich um ein theoretisches Beispiel zur Veranschaulichung denkbarer mit der Schutzzwecklehre einhergehender Auslegungsschwierigkeiten. Tatsächlich ist anerkannt, dass die Verletzung der Belehrungspflicht nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO grds. zu einem Verwertungsverbot führt, vgl. etwa BGH NStZ 1990, 549; KK-StPO/



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konflikt zu schützen, mit dem er im Falle einer Aussagepflicht konfrontiert wäre,99 dürfte sich aus Schutzzweckerwägungen kein Verwertungsverbot herleiten lassen. Denn die Verwertung der ohne Belehrung erhobenen Zeugenaussage stellte weder eine Vertiefung des Eingriffs (scil. der Nichtbelehrung) dar, noch ließe sich der Vorschrift des § 52 StPO entnehmen, dass sie den generellen Ausschluss konfliktbehafteter Zeugenaussagen aus der Urteilsfindung bezweckt. Anders fiele die Beurteilung indessen aus, wiese man dem Zeugnisverweigerungsrecht überdies eine wahrheitssichernde Funktion zu.100 Begründen ließe sich dies etwa damit, dass der im Zustand des Gewissenskonflikts aussagende Zeuge eine Gefahr für die Wahrheitsfindung darstellt, weil seine Aussage von dem internen Konflikt belastet ist und daher keine ausreichende Glaubhaftigkeit besitzt. Unter Zugrundelegung eines solchen Schutzzwecks müsste die Schutzzwecklehre von der Unverwertbarkeit der Zeugenaussage ausgehen. Das Beispiel verdeutlicht, dass die Anwendung der Schutzzwecklehre ganz wesentlich davon abhängt, wie der Rechtsanwender den Schutzzweck der konkreten Norm definiert. Jedenfalls solange keine handfesten Kriterien zur Bestimmung des Schutzzwecks herausgearbeitet wurden, ist die Schutzzwecklehre nicht in der Lage, eindeutige Maßstäbe für das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots zu setzen.101 Diese „Beliebigkeitsproblematik“ der Schutzzwecklehre ist bei näherer Betrachtung aber keineswegs so groß, wie das dargestellte Beispiel vermuten lässt. Tatsächlich liegt der Strafprozessordnung nämlich ein zweigliedriges System der Beweiserhebungsvorschriften zugrunde, das so offensichtlich ist, dass es – so könnte man vermuten – keiner expliziten Hervorhebung bedarf. Gemeint ist die Aufteilung in Vorschriften, die dem Schutze des Beschuldigten dienen, und solchen, die einen anderen Zweck verfolgen, also insbesondere drittschützend sind. In beiden Fällen hat der Gesetzgeber – darauf weist die Schutzzwecklehre zu Recht hin102 – das Ergebnis des AbwägungsprozesBader § 52 Rn. 39; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 231. 99  BGHSt 11, 213 (215 f.); Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozess, S. 14 ff.; MK-StPO/Percic § 52 Rn. 2; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 231. 100  So etwa Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 65 ff.; Jansen, Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO, S. 153 ff. m. w. N.; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht, S.  56 ff. 101  Dies merkt Rogall FS Grünwald, S. 523 (526) an, wenn er ausführt, dass die Schutzzwecklehre die Kriterien benennen muss, nach denen sich bemisst, wie der Erfolg einer Schutzzweckbelehrung beschaffen ist und zu welchem Zeitpunkt er eintritt. 102  Grünwald JZ 1966, 489; ders., Beweisrecht der StPO, S. 155; Rudolphi MDR 1970, 93.

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ses bereits vorweggenommen. Durch die Einschränkung der Beweisgewinnung verdeutlicht die Strafprozessordnung nämlich, dass das Ziel der Tataufklärung nur auf die vom Gesetz vorgegebene Weise legitim ist. Bestimmt das Gesetz also etwa in § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO, dass das Ergebnis einer körperlichen Untersuchung des Beschuldigten ein zur Tatverdachtsaufklärung „erwünschtes“ Beweismittel ist, soweit die Untersuchung durch einen approbierten Arzt durchgeführt wird, wertet die Rechtsordnung das Individualinteresse des Beschuldigten (im konkreten Fall das Recht auf körperliche Unversehrtheit) höher als das staatliche Ermittlungsinteresse.103 Würde die Waage grundsätzlich zugunsten des Aufklärungsinteresses ausschlagen, gäbe es keinen Grund für die Einschränkung der Beweiserhebung. So liegt es auch bei dem Verweis des § 69 Abs. 3 StPO auf die Vorschrift des § 136a StPO. Der Verweis zeigt, dass an der Tataufklärung mittels Zeugenbeweises nur insoweit ein legitimes Interesse besteht, als keine verbotenen Vernehmungsmethoden zur Anwendung kommen. Anders als im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung ist die Aussage hier grundsätzlich legitimes Beweismittel. Die Illegitimität des Beweismittels ist nicht an die Vernehmungssituation gebunden, sondern an die Anwendung bestimmter missbilligter Vernehmungstech­ niken. Die Unterscheidung zwischen Beweiserhebungsvorschriften zum Schutze des Beschuldigten und sonstigen Erhebungsregeln ist insoweit bedeutsam, als nur bei der Verletzung von Vorschriften der ersten Gruppe die Annahme eines Beweisverwertungsverbots logische Konsequenz von Rechtsstaatlichkeitserwägungen ist.104 Würde das erkennende Gericht den durch rechtswidrigen Eingriff in die Rechte des Beschuldigten gewonnenen Beweis zur Begründung des Schuldspruchs heranziehen, würde es dem Beschuldigten, aufbauend auf dem vergangenen Unrecht, weitere Nachteile zufügen.105 Bei dieser Erwägung handelt es sich nicht – wie Rogall106 andeutet – um einen Zirkelschluss. Das dem Beschuldigten auf Grundlage der rechtswidrigen Beweiserhebung zugefügte weitere Übel ist nämlich nicht die Verwertung des Beweismittels, sondern die Verurteilung. Die Unterwerfung des Bürgers unter eine staatliche Strafe ist eines der „schärfsten Schwerter“ des Rechtsstaats.107 Sie darf nicht auf Beweise gestützt werden, die der Staat durch rechtswidrigen Eingriff in die Rechte des Beschuldigten erlangt hat. Dadurch schließt sich der Kreis zu den oben getätigten Überlegungen zur Natur der 103  Die h. M. lehnt ein Verwertungsverbot gleichwohl ab, vgl. BGHSt 24, 125 (128) und Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 49 jeweils m. w. N. 104  Grünwald JZ 1966, 489 (495). 105  Grünwald JZ 1966, 489 (495); ders., Beweisrecht der StPO, S. 154. 106  Rogall FS Grünwald, S. 523 (528); ähnlich auch Amelung FS Bemmann, S. 505 (520). 107  Roxin, in: ders., Strafrechtliche Grundlagenprobleme, S. 1 (13).

C. Anforderungen an die Unverwertbarkeit der täuschungsbedingten Aussage 211

Beweisverwertungsverbote als Mittel zum Schutze der positiv-generalpräventiven Wirkungsweise von strafprozessualen Entscheidungen. In der Existenz von die Beweiserhebung einschränkenden Vorschriften spiegelt sich die vom Gesetzgeber getroffene Wertung wider, dass das Beschuldigteninteresse insoweit den Vorzug vor dem Aufklärungsinteresse genießt. Setzen sich die Ermittler bei der Verdachtsaufklärung über diese Wertung hinweg, schaffen sie dadurch eine Gefahr für die Identifikation mit dem durch die spätere Entscheidung ausgesprochenen werterhaltenden Appell.108 Deshalb scheidet die Verwertung eines Beweises, der auf der Verletzung einer die Rechtspositionen und Interessen des Beschuldigten schützenden Norm beruht, jedenfalls insoweit aus, als der Beweis belastend ist. Lediglich bei der Verletzung von drittschützenden Vorschriften bedarf es zusätzlicher Erwägungen zur Begründung eines Beweisverwertungsverbots. Das Kriterium der Irreparabilität des verletzten Schutzzwecks kann dabei eine überzeugende Abgrenzungsmöglichkeit bieten.109 So ließe sich nämlich argumentieren, dass die werterhaltende Wirkung der Entscheidung durch die Berücksichtigung von Beweisen, die auf einem rechtswidrigen Eingriff in die Rechte Dritter beruhen, grundsätzlich nicht in vergleichbarem Maße gefährdet wird, wie bei der Verwertung von Beweisen, die durch Verletzung von den Beschuldigten schützenden Normen erhoben wurden. Denn dem Nichtbeschuldigten wird durch den Schuldspruch kein weiteres Übel zugefügt. Aus alledem folgt, dass die Bestimmung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots in Bezug auf außerhalb der Vernehmung gewonnene Beweismittel aus der Bestimmung des Schutzzwecks der verletzten Vorschrift folgt. Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen kommt allenfalls dann in Betracht, wenn die Beweiserhebung den von der Strafprozessordnung aufgestellten Grundsätzen genügt, aber in die Grundrechte des Betroffenen eingreift. Da der Gesetzgeber in solchen Fällen keine implizite Wertung durch Rechtsnormen getroffen hat, ist der Rechtsanwender selbst berufen, diese Wertung vorzunehmen.

C. Anforderungen an die Unverwertbarkeit der täuschungsbedingten Aussageim Einzelnen I. Die unfreie Aussage des Beschuldigten Die Vorschriften der §§ 136 Abs. 2, 136a StPO gehen davon aus, dass inquirierende Verhörmethoden die Freiheit des Beschuldigten beeinträchtigten, 108  Dencker,

Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 68. JZ 1966, 489 (493); ders., Beweisrecht der StPO, S. 153.

109  Grünwald

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unbeeinflusst durch den Staat über Ob und Wie der Aussage zu entscheiden.110 In letztgenannter Vorschrift kommt dies bereits im Wortlaut zur Geltung, dem zufolge die Freiheit der Willensentschließung und Willens­ ­ betätigung des Beschuldigten nicht durch die Anwendung verbotener Ver­ nehmungsmethoden beeinträchtigt werden darf. Die Vorschrift differenziert erkennbar zwischen dem in der Anwendung der Methode liegenden Handlungsunwert und dem in der unfreien Aussage zu erblickenden Erfolgsunwert.111 Diese Zweiteilung ist in § 136 Abs. 2 StPO nicht prima vista erkennbar, denn die Vorschrift gibt lediglich den Vernehmungszweck vor, ohne die daraus herzuleitenden Konsequenzen zu benennen. Ihre Entstehungsgeschichte zeigt indessen deutlich ihren Bezug auf inquisitorische Verhöre (siehe oben S. 44 ff.). Der Handlungsunwert eines solchen Verhörs wird in § 136 Abs. 2 StPO sogar deutlicher als bei § 136a StPO; er liegt in der Durchführung der Vernehmung in einer Art und Weise, die der Entlastung des Beschuldigten nicht zuträglich ist. Dass der Erfolgsunwert von auf Tatverdachtsaufklärung gerichteten Vernehmungen in der unfreien Aussage des Beschuldigten liegt, wird implizit vorausgesetzt. Daraus folgt zunächst, dass ein Beweisverwertungsverbot dann ausscheidet, wenn es gänzlich an dem Erfolgsunwert der unfreien Aussage fehlt.112 Erklärt der Vernehmungsbeamte etwa zu Beginn der Vernehmung in einer den §§ 136 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 StPO zuwiderlaufenden Weise, dass der Beschuldigte zur Aussage verpflichtet sei, liegt zwar unabhängig von der Reaktion des Beschuldigten per definitionem eine Täuschung vor (siehe oben S. 80 f.); ihr Handlungsunwert ist vollständig gegeben.113 Der Erfolgsun110  BGHSt 24, 125 (129); Erb FS  Otto, S. 863 (867); siehe auch Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 42 ff.; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 208. 111  Die Terminologie vom Erfolg bzw. Erfolgsunwert in Verbindung mit verbotenen Vernehmungsmethoden ist nicht unüblich. Bisweilen wird daraus aber der Schluss gezogen, dass Einwirkungen, die erfolglos bleiben, schon nicht verboten sind, so etwa vertreten von Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 48. Schon Lindner, Täuschungen in der Vernehmung des Beschuldigten, S. 150 f. weist zu Recht darauf hin, dass eine solche Betrachtungsweise nicht hinreichend zwischen der Anwendung der unzulässigen Methode und der durch sie eintretenden Willensbeeinträchtigung differenziert. 112  Ausdrücklich MK-StPO/Schuhr § 136a Rn. 92; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 101; ders., Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 208. Im Schrifttum ist oftmals die Rede davon, dass die Aussage unter Verstoß gegen § 136a Abs. 1, 2 StPO zustande gekommen sein muss, womit implizit ausgedrückt wird, dass die Willensfreiheit beeinträchtigt sein muss, vgl. KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 38; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 712; LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 69; BeckOKStPO/Monka § 136a Rn. 29. 113  Anders hingegen Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 48.

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wert der Täuschung tritt aber nur dann ein, wenn der Beschuldigte den Ausführungen des Vernehmenden Glauben schenkt und in der fälschlichen Vorstellung einer Pflicht aussagt. Ist der Beschuldigte also selbst Strafverteidiger und hat daher Kenntnis von seiner Aussagefreiheit, unterliegt seine Aussage keinem Verwertungsverbot, da es sich um eine im Ergebnis freiverantwortliche Mitwirkung handelt, der das nemo-tenetur-Prinzip nicht entgegensteht. Dass die Vernehmungsgestaltung als solche rechtlich missbillig ist, vermag daran nichts zu ändern. Auf den durch sie erfüllten Handlungsunwert der Täuschung ist nicht beweisrechtlich, sondern ausschließlich dienstrechtlich zu reagieren. Dieses Ergebnis gilt für sämtliche Täuschungen, auch für solche durch Unterlassen. Belehrt der Vernehmende den Beschuldigten also zu Beginn der Vernehmung nicht über seine Aussagefreiheit, ist die nachfolgende Aussage gleichwohl verwertbar, wenn der Beschuldigte nachweislich Kenntnis von seinem Recht hatte.114 Im Schrifttum wird dagegen teilweise selbst bei nachweislicher Kenntnis ein Beweisverwertungsverbot angenommen, wenn der Vernehmende entgegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht belehrt. Die Belehrung über die Aussagefreiheit verfolge nicht nur den Zweck, das bloße Wissen des Beschuldigten um die Aussagefreiheit sicherzustellen, sondern erfülle überdies eine Warn- und Besinnungsfunktion.115 Dem Beschuldigten müsse sein Recht zu Vernehmungsbeginn erneut vor Augen geführt werden. Dieser Hinweis ist insofern zutreffend, als die Belehrungspflicht nicht deshalb entfällt, weil der Beschuldigte sein Recht ohnehin kennt. Auch der erfahrene Strafverteidiger ist, wenn er als Beschuldigter vernommen wird, zu belehren. Ziel dieser Belehrung ist jedoch letztlich eine Vernehmung, die den Grundsätzen von nemo tenetur entspricht, also dem Beschuldigten die freie Entscheidung über die Mitwirkung gewährt und ihm die Selbstentlastung ermöglicht. Kennt der Beschuldigte seine Rechte, so ist ebendies gewährleistet.116 Er kann sich dann nicht im Nachhinein darauf berufen, dass er eigentlich nicht aussagen wollte, ohne sich dadurch dem Vorwurf einer protestatio facto contraria auszusetzen. Daher gilt bei der Täuschung durch Unterlassen ebenso wie bei der aktiven Täuschung, dass ein Beweisverwertungsverbot ausscheidet, wenn der Beschuldigte keinem Irrtum erlegen ist. Unschädlich für den Eintritt des Erfolgsunwerts sind dagegen bloße Zweifel des Beschuldigten an der Richtigkeit der Behauptungen des Vernehmen-

114  BGHSt 38, 214 (224 f.); Paul NStZ 2013, 489 (493); SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 78; i. Erg. auch LR-StPO/Gleß § 136 Rn. 79. 115  Bernsmann StraFo 1998, 73 (75 f.); Geppert FS  Schroeder, S. 675 (689 f.); MK-StPO/Schuhr § 136a Rn. 56 m. w. N. 116  Insoweit mit zutreffender Begründung BGHSt 38, 214 (224 f.).

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den.117 Ahnt der Beschuldigte in genanntem Beispiel also lediglich, dass der Vernehmende ihm in Bezug auf die Aussagepflicht die Unwahrheit sagt, wirkt die Täuschung – wenngleich abgeschwächt – auf die Willensfreiheit des Beschuldigten ein, sodass die nachfolgende Aussage nicht verwertet werden darf. Das Überschreiten einer wie auch immer definierten Erheblichkeitsschwelle bei der Beeinträchtigung der Willensfreiheit kann nicht verlangt werden.118 Dahingehende Auffassungen sind erkennbar von der Überlegung getragen, dass „leichte“ Täuschungen, die allenthalten durch Verwendung des Begriffs der List verharmlost werden,119 unbedenklich sind. Die Rechtsordnung selbst differenziert aber nicht zwischen unterschiedlichen Schweregraden der Einwirkung auf die Willensfreiheit des Beschuldigten; diese muss gänzlich unterbleiben.120 Ein Verwertungsverbot ist daher auch nur dann abzulehnen, wenn feststeht, dass die Täuschung insgesamt erfolglos geblieben ist, weil sie die Aussagefreiheit des Beschuldigten nicht berührt hat.

II. Die Täuschung als Bedingung der unfreien Aussage Das bloße Vorliegen des Erfolgsunwerts ist freilich nicht ausreichend, um ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen. Vielmehr bedarf es auch eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der rechtsfehlerhaften Vernehmungsführung und der Aussage des Beschuldigten.121 Zur Feststellung des Ursa117  LR-StPO/Gleß § 136 Rn. 79. Dass bloße Zweifel von der h. M. als unbeachtlich angesehen werden, folgt schon aus der Formulierung, dass das Verwertungsverbot ausscheidet, wenn sicher nachgewiesen ist, dass der Beschuldigte sein Recht kannte. 118  SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 65 verlangt hingegen eine „nachhaltige Reduktion des Verhaltensspielraums“ durch die Täuschung. Auch Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 48 hält nur „erhebliche Einbrüche in die Willensfreiheit“ für verboten. 119  Vgl. etwa BGHSt 35, 328 (329); Miescher, Die List in der Strafverfolgung, passim; Soiné NStZ 2010, 596 m. w. N. Grds. zutreffend LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 39, 41, die jedoch relativierend ausführt, dass es im Einzelfall zweifelhaft ist, ob „geringfügige Verdrehungen der Wahrheit“ die Willensfreiheit des Beschuldigten beeinträchtigen. Richtig ist jedoch, dass die Willensfreiheit nicht beeinträchtigende Täuschungen per se nicht zur Unverwertbarkeit führen. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um eine „grobe Lüge“ oder eine „geringfügige Verdrehung der Wahrheit“ handelt – wie auch immer eine Differenzierung zwischen den Fallgruppen aussehen soll. 120  Zutreffend Degener GA 1992, 443 (464). 121  BGHSt 13, 60 (61); BGH NStZ 1988, 419; KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 38; LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 70; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 28. SK-StPO/ Rogall § 136a Rn. 102 verlangt eine „doppelte Kausalitätsbeziehung“ einerseits zwischen Anwendung der verbotenen Vernehmungsmethode und Willensfreiheitsbeeinträchtigung und andererseits zwischen dieser Beeinträchtigung und der Aussage des

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chenzusammenhangs kann die für das materielle Strafrecht entwickelte condicio-sine-qua-non-Formel herangezogen werden, sodass der Zusammenhang dann anzunehmen ist, wenn der Beschuldigte nicht so ausgesagt hätte, dächte man sich die Einwirkung mittels der inquirierenden Verhörmethode hinweg.122 Mit Blick auf die Täuschung ist ein Ausschluss der Ursächlichkeit allen voran in zwei Fallkonstellationen denkbar. Zum einen ist an den ohnehin geständnisbereiten Beschuldigten zu denken. Bezichtigt sich dieser im Rahmen der Vernehmung selbst der Tatbegehung, etwa nachdem er von dem Vernehmungsbeamten nicht über seine Aussagefreiheit belehrt worden ist, beruht diese Selbstbelastung nicht auf der Täuschung durch Unterlassen. Der Beschuldigte hätte in gleicher Weise ausgesagt, wie wenn er ordnungsgemäß im Sinne des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt worden wäre. Diese hypothetische Überlegung ist geeignet, den Ursachenzusammenhang auszuschließen.123 Zum anderen kann die Aussage auch auf dem Staat nicht zurechenbaren Fremdursachen beruhen. Führt der Vernehmende den Beschuldigten über das Vorliegen von Belastungsbeweisen in die Irre und spiegelt ihm dadurch eine falsche Beweislast vor, bedient er sich zwar einer rechtswidrigen Täuschung. Sagt der Beschuldigte aber nur deshalb aus, weil er aufgrund von Drohungen fürchtet, dass ein Bandenchef ansonsten seiner Familie etwas antun könnte, lässt sich die Täuschung ohne Weiteres hinwegdenken, ohne dass die Aussage des Beschuldigten entfiele. Die Beispiele zeigen, dass die nichtursächliche Täuschung zwar den Ausnahmefall bilden wird, aber durchaus praktische Anwendungsfälle besitzt.124

Beschuldigten. Diese Auffassung unterscheidet sich nur terminologisch von der hier vertretenen. 122  Müncheberg, Unzulässige Täuschung durch Organe der Strafverfolgungsbehörden, S. 42. Im Falle der Verletzung einer Belehrungspflicht, also einer Täuschung durch Unterlassen, kann die Formel dahingehend modifiziert werden, dass man die pflichtgemäße Belehrung hinzudenkt, vgl. zur Kausalitätsfeststellung i. R.d. materiellen Strafrechts insg. Frister, Strafrecht AT, Kap. 9, Kap. 22 Rn. 20 ff. 123  So auch Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 161. Für Vertreter der Abwägungslehre ist eine solche hypothetische Erwägung bereits ein in die Abwägung einzuführender Umstand, vgl. etwa BGHSt 24, 125 (130). Die Frage nach der Berücksichtigung von hypothetischen Kausalverläufen wird zudem i. R.d. Fernwirkungsproblematik relevant (vgl. dazu S. 235 ff.). 124  Keine Frage der Ursächlichkeit bilden hingegen Fälle, in denen der Beschuldigte die Täuschung als solche erkannt hat (so aber die wohl h. M.: LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 70; BeckOK-StPO/Monka § 136a Rn. 30; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 102; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 28 m. w. N.). Schenkt der Beschuldigte der Täuschung keinen Glauben, fehlt es bereits an der für ein Verwertungsverbot erforderlichen Beeinträchtigung der Willensfreiheit. Für das Ergebnis macht es freilich keinen Unterschied, an welcher Stelle man die Problematik verortet. Dass ein Verwertungsverbot nicht eingreift, ist soweit ersichtlich anerkannt.

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III. Anforderungen an den prozessualen Nachweis von Täuschungsanwendung, unfreier Aussage und Ursachenzusammenhang 1. Ausgangsüberlegungen und Abgrenzung zwischen Freibeweis- und Strengbeweisverfahren Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots setzt mithin dreierlei vo­ raus: Der Beschuldigte muss durch den Vernehmenden getäuscht worden sein, die Aussage des Beschuldigten darf nicht auf einem freien Willensentschluss beruhen (scil. sie muss unfrei sein) und die Aussage muss gerade das Ergebnis der staatlichen Beeinflussung durch die Täuschung sein. Grundsätzlich wird das entscheidende Gericht davon ausgehen dürfen, dass ein Beweis rechtmäßig erhoben worden ist.125 Dies gilt auch für die Aussage des Beschuldigten, bezüglich derer im Ausgangspunkt angenommen werden darf, dass sie dem § 136 Abs. 2 StPO gemäß erlangt worden ist. Liegen jedoch Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Beschuldigtenaussage mittels einer Täuschung beeinflusst wurde, hat das Gericht126 diesem Verdacht ex officio nachzugehen. Es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz des § 244 Abs. 2 StPO.127 Erforderlich ist daher auch nicht, dass der Beschuldigte oder sein rechtlicher Beistand der Verwertung des rechtswidrig erhobenen Beweises widerspricht.128 125  Peters, Gutachten 46. DJT, S. 91 (159); Stree, In dubio pro reo, S. 81; Weßlau FS Amelung, S. 687 (694). 126  Beweisverwertungsverbote schließen eine Verwendung des betroffenen Beweismittels im gesamten Strafverfahren aus (dazu näher S. 225 ff.). Auch die Staatsanwaltschaft hat daher im Ermittlungsverfahren dem Verdacht einer rechtswidrigen Beweiserhebung nachzugehen, wenn Anhaltspunkte dafür bekanntwerden. 127  Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 109; BeckOK-StPO/Monka § 136a Rn. 34; MK-StPO/Schuhr § 136a Rn. 99; Velten FS Grünwald, S. 753 (771); Weßlau FS Amelung, S. 687. 128  Vertreten wird diese als Widerspruchslösung bekannt gewordene herrschende Ansicht allerdings in Bezug auf das Unterlassen der Belehrung über die Aussagefreiheit gem. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO (so etwa BGHSt 38, 214 [225 f.]; noch weitergehend Widmaier NStZ 1992, 519 [521], der den Widerspruch als Voraussetzung für das Entstehen eines Verwertungsverbots ansieht). Ihr ist aus verschiedenen Gründen nicht zu folgen. Zum einen wird zu Recht darauf hingewiesen, dass es nicht mit dem Amtsermittlungsgrundsatz zu vereinbaren ist, dass ein Verfahrensverstoß – zumal der Verstoß gegen eine zur Durchsetzung des nemo-tenetur-Prinzips essentielle Vorschrift  – nur aufgrund einer ausdrücklichen Rüge des Beschuldigten beachtlich sein soll (zutreffend Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 109; Grüner, Über den Mißbrauch von Mitwirkungsrechten und die Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Strafprozeß, S. 201 ff.; Velten FS  Grünwald, S. 753 [771 ff.]; kritisch auch Hartwig JR 1998, 359). Zum anderen ist die pflichtwidrige Nichtbelehrung zugleich als Täuschung durch Unterlassen einzustufen, sodass die nachfolgende Aus-

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Unklarheit herrscht bereits darüber, welchen Beweisregeln das Gericht unterworfen ist, wenn es dem Verdacht der rechtswidrigen Beweiserhebung nachgeht. An der vor allem in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung, die von einer Anwendbarkeit des Freibeweisverfahrens ausgeht,129 wird im Schrifttum zunehmend Kritik geäußert.130 Grundsätzlich gilt, dass das Freibeweisverfahren, welches das Gericht anders als das Strengbeweisverfahren nicht an das in den §§ 244 ff. StPO normierte Beweisrecht bindet, für die Feststellung sämtlicher Tatsachen gilt, die nicht die Schuld des Angeklagten sowie die Rechtsfolge, sondern lediglich Prozesshandlungen und -tatsachen betreffen.131 Insofern scheint es folgerichtig, die Feststellung eines Beweisverwertungsverbots im Freibeweisverfahren zuzulassen. Dies gilt umso mehr, als damit auch offensichtliche Vorteile einhergehen. Die Feststellung von Täuschungen in der Vernehmung geht mit immensen Nachweisschwierigkeiten einher und das Freibeweisverfahren gibt dem Gericht einen größeren Freiraum bei der Beurteilung.132 Trotz alledem ist die Feststellung einer die Willensfreiheit des Beschuldigten beeinträchtigenden Täuschung in der Versage bereits aufgrund der Nichtvereinbarkeit der Vernehmung mit § 136 Abs. 2 StPO unverwertbar ist. Dass ein Widerspruchserfordernis hinsichtlich des Verwertungsverbots nach § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO von vornherein ausscheidet, ergibt sich – wie Heinrich ZStW 112 (2000), 398 (419 f.) zutreffend darlegt – schon aus der fehlenden Dispositionsbefugnis des Beschuldigten. Es wäre widersprüchlich, wenn man dem Beschuldigten nicht die Möglichkeit gewährt, durch Zustimmung den Verfahrensverstoß zu beseitigen, ihm gleichzeitig aber die Pflicht zum Widerspruch gegen die Verwertung auferlegt. 129  BGHSt 16, 164; BGHSt 38, 291 (293); KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 43; BeckOK-StPO/Monka § 136a Rn. 34; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 101; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 32; Weßlau  FS  Amelung, S. 687 (691); i. Erg. auch Kelnhofer, Hypothetische Ermittlungsverläufe im System der Beweisverbote, S. 298 ff., die jedoch die grds. bestehende Freiheit des Gerichts bei der Überzeugungsbildung aus Rechtsstaatlichkeitserwägungen zugunsten der Beschuldigtenrechte einschränken möchte. 130  Von der Anwendbarkeit des Strengbeweisverfahrens gehen aus Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 707; LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 77; Hanack JZ 1971, 168 (170 f.); Peters, Gutachten 46.  DJT, S. 91 (158 f.); AK-StPO/Schöch § 244 Rn. 13; MK-StPO/Trüg/Habetha § 244 Rn. 41. Schröder, Beweisverwertungsverbote und die Hypothese rechtmäßiger Beweiserlangung im Strafprozeß, S. 123 ff. will die Entscheidung, ob Streng- oder Freibeweisverfahren angewandt wird, in das Ermessen des Gerichts stellen. Differenzierend auch Hilland, Das Beweisgewinnungsverbot des § 136a StPO, S. 173, der das Freibeweisverfahren für anwendbar erklärt, wenn der Beschuldigte eine Rechtsverletzung unsubstantiiert behauptet. Das Strengbeweisverfahren sei nur dann erforderlich, wenn der Beschuldigte zumindest Indizien für eine Verletzung vorlegt. 131  Többens, Der Freibeweis und die Prozeßvoraussetzungen im Strafprozeß, S. 4, 6 ff. 132  Weßlau FS Amelung, S. 687 (691). Zu beachten gilt es allerdings auch die mit dem Freibeweisverfahren einhergehenden Nachteile. Többens, Der Freibeweis und

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nehmung im Rahmen des Strengbeweisverfahrens zu treffen. Denn wie die Ausführungen in Kapitel 3 (S. 160 ff.) gezeigt haben, betrifft die Frage nach der Anwendung einer Täuschung – dies gilt mehr oder weniger für sämtliche unzulässige Arten der Vernehmungsführung  – auch die Frage nach dem Beweiswert der Aussage. Aufgrund der hohen Gefahr falscher Selbstbezichtigungen begründet eine Täuschung stets die reelle Gefahr eines falschen Beweismittels, weshalb ihre Feststellung mit der Schuldfrage eng verknüpft ist.133 Nicht zuletzt weist Eisenberg134 auch darauf hin, dass die große Bedeutung des Beweiserhebungsverbots die Anwendbarkeit des Strengbeweisverfahrens verlangt. 2. Die Behandlung von Zweifelskonstellationen Näher zu betrachten gilt es zunächst den Nachweis der Anwendung der Täuschung als solcher. Allgemein wird hier zur Begründung eines Beweisverwertungsverbots ein konkreter Nachweis gefordert, dass der Vernehmende getäuscht hat.135 Auch wenn das Gericht den Nachweis ex officio zu führen hat, wird der Beschuldigte faktisch eine gewisse Bringschuld haben, das Gericht von der Täuschungsanwendung zu überzeugen.136 Dass dies bei der Täuschung, die – anders als etwa die in der Regel durch eine körperliche oder psychologische Untersuchung im Nachhinein nachweisbare Folter137 – die Prozeßvoraussetzungen im Strafprozeß, S. 92 weist darauf hin, dass die Beweisaufnahme oberflächlicher ist und zu einem weniger zuverlässigen Ergebnis führt. 133  Zutreffend LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 77 sowie MK-StPO/Trüg/Habetha § 244 Rn. 41; kritisch dagegen Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 707. 134  Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 707. 135  BGHSt 16, 164 (167); BGHSt 31, 395 (400); KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 43; LR-StPO/Gössel Einl.  L Rn. 191; BeckOK-StPO/Monka § 136a Rn. 34; SK-StPO/ Rogall § 136a Rn. 101; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 32. 136  Schröder, Beweisverwertungsverbote und die Hypothese rechtmäßiger Beweiserlangung im Strafprozeß, S. 126. 137  Freilich kann auch der Verdacht einer Folteranwendung mit immensen Beweisschwierigkeiten einhergehen, zumal sich der Verdacht regelmäßig auf im Ausland vorgenommene Vernehmungen beziehen dürfte. Ein anschauliches Beispiel bietet insoweit das Strafverfahren gegen Mounir al-Motassadeq, in dessen Rahmen das OLG Hamburg NJW 2005, 2326 Zeugenaussagen als verwertbar eingestuft hat, obwohl der begründete Verdacht bestand, dass diese mittels Folter durch US-Behörden erlangt wurden (vgl. zum Verfahren auch Waterkamp/Weßlau, in: Müller-Heidelberg et al., Grundrechte-Report 2005, S. 174 ff.). Auch Art. 15 der UN-Antifolterkonvention verlangt die Unverwertbarkeit eines Beweises nur dann, wenn dieser nachweislich durch Folter herbeigeführt worden ist. Der EGMR, Urt. v. 25.09.2012 – Az. 649/08 hat dagegen im Verfahren El Haski v. Belgium ausgeführt, dass bereits das „reale Risiko“ der Folteranwendung genügt, um ein Verwertungsverbot zu begründen (vgl. auch die Besprechung bei Schüller ZIS 2013, 245).

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letztlich nur durch die Anhörung des Beschuldigten sowie des Vernehmenden und gegebenenfalls durch Sichtung des Vernehmungsprotokolls nachzuweisen sein wird, mit erheblichen Beweisschwierigkeiten einhergeht, liegt auf der Hand. Hohe Relevanz kommt daher der Frage zu, ob das Gericht in nonliquet-Situationen in dubio pro reo von der Täuschungsanwendung, mithin von der Unverwertbarkeit der Aussage, auszugehen hat. Die Problematik von Zweifelskonstellationen berührt das Strafverfahren in einem sensiblen Punkt. Mit dem berechtigten Interesse an der Strafverfolgung könnte es nämlich kaum in Einklang gebracht werden, würde man allzu voreilig die Unverwertbarkeit eines Belastungsbeweises annehmen. Dem Gericht darf weder de iure noch de facto die Pflicht auferlegt werden, bei jedwedem Beweismittel den konkreten Nachweis seiner rechtmäßigen Erhebung zu führen, selbst wenn keine hinreichenden gegensätzlichen Anhaltspunkte vorliegen.138 Beweisverwertungsverbote dienen der Aufrechterhaltung der positiv-generalpräventiven Wirkung von strafprozessualen Entscheidungen; sie sollen diese Wirkung nicht gefährden. Das bedeutet vice versa aber auch, dass die Anforderungen an den Nachweis der Verletzung von Beweiserhebungsvorschriften nicht ins Unermessliche gesteigert werden dürfen, damit diese weiterhin ihre Funktion im Strafverfahren erfüllen können. Auch wenn die Interessenlage also einen Mittelweg nahelegt, lehnt die herrschende Meinung die Anwendung des in-dubio-pro-reo-Grundsatzes auf die Frage nach der Anwendung einer unzulässigen Vernehmungsmethode bislang ab.139 Dabei kann sie sich nicht darauf berufen, dass der Grundsatz rein auf das materielle Strafrecht zugeschnitten ist und keine Anwendung im Strafverfahrensrecht finden kann.140 Diese enge Auffassung wurde vom Bundesgerichtshof früh aufgegeben141 und im Übrigen auch vom Schrifttum widerlegt.142 Schwerer wiegt dagegen der Hinweis, dass sich im Bereich der Beweisverwertungsverbote nicht sicher feststellen lässt, ob sich ein solches „pro reum“ oder „contra reum“ auswirkt.143 Das Argument ist allerdings nur stichhaltig, sofern man davon ausgeht, dass sich die Wirkung von Beweisverdiesem Sinne auch Peters, Gutachten 46. DJT, S. 91 (159). 16, 164 (167); BGHSt 31, 395 (400); KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 43; LR-StPO/Gössel Einl.  L Rn. 191; BeckOK-StPO/Monka § 136a Rn. 34; SK-StPO/ Rogall § 136a Rn. 101; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 32. 140  In diese Richtung aber Lehmann, Die Behandlung des zweifelhaften Verfahrensverstoßes im Strafprozeß, S. 83 ff., dem zufolge der in-dubio-pro-reo-Grundsatz die prozessuale Kehrseite des Schuldprinzips ist. 141  BGHSt 18, 274 (276 f.). 142  Zopfs, Der Grundsatz „in dubio pro reo“, S. 263 ff.; Volk, Prozessvoraussetzungen im Strafrecht, S. 23 ff.; zustimmend auch Weßlau FS Amelung, S. 687 (695). 143  So Weßlau FS Amelung, S. 687 (695 ff.); ähnlich auch Güntge StV 2005, 403 (404) und Kleinknecht NJW 1966, 1537 (1543). 138  In

139  BGHSt

220

Kap. 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots

wertungsverboten auch auf entlastende Beweismittel erstreckt.144 Richtigerweise sind Verwertungsverbote  – wie noch näher auszuführen ist (siehe S. 225 ff.) – jedoch als Belastungsverbote anzusehen. Dem Beschuldigten die entlastende Berufung auf ein Beweismittel deshalb zu verweigern, weil der Staat bei der Ermittlung rechtswidrig gehandelt hat, kann kaum überzeugen – dazu aber sogleich Näheres. Die Argumentation der Gegenauffassung, die bei Zweifeln hinsichtlich der Anwendung einer verbotenen Vernehmungsmethode pro reo von einem Beweisverwertungsverbot ausgeht, führt in erster Linie die bereits angesprochene Beweisnot des Beschuldigten ins Feld. Obgleich sie sich damit dem Vorwurf einer folgenorientierten Gesetzesauslegung aussetzt,145 handelt es sich um einen nicht von der Hand zu weisenden Umstand. Da insbesondere polizeiliche Vernehmungsbeamte kaum ein Interesse daran haben dürften, eigenes Fehlverhalten vor Gericht offenzulegen,146 wird die Ermittlung einer unzulässigen Beweisermittlung in der Praxis oftmals auf eine Aussage-gegenAussage-Situation hinauslaufen.147 Non-liquet-Dilemmata sind vor diesem Hintergrund vorprogrammiert, was nicht zur Folge haben darf, dass die strengen Anforderungen, welche die Strafprozessordnung an die Beschuldigtenvernehmung stellt, durch das Erfordernis des vollen Nachweises einer unzulässigen Art der Vernehmung relativiert werden  – im Schrifttum ist die Rede von einer drohenden „rechtstatsächliche[n] Aushöhlung der Norm“.148 144  Darauf weist Weßlau FS Amelung, S. 687 (695 ff.) selbst hin. In Bezug auf andere Verfahrensfragen, kann durchaus fraglich sein, ob sich eine Entscheidung zugunsten oder zulasten des Beschuldigten auswirkt. Auf ein anschauliches Beispiel verweist Stree, In dubio pro reo, S. 79 f. Kommt der Verdacht auf, dass ein Schöffe in der Hauptverhandlung eingeschlafen ist und daher möglicherweise nicht die gesamte Beweisaufnahme mitbekommen hat, kann das Revisionsgericht nicht beurteilen, ob der Schöffe Umstände nicht mitgekommen hat, die sich günstig oder ungünstig für den Beschuldigten auswirken. Es kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass sich der mögliche Schlaf des Schöffen nachteilig für den Beschuldigten ausgewirkt hat. 145  Dies merkt Weßlau FS Amelung, S. 687 (693) an. Die Ausrichtung des erforderlichen Beweismaßes auf eine bestehende Beweisnot ist der Rechtsordnung jedoch keineswegs fremd, sodass der Verweis auf die rechtsfolgenorientierte Auslegung das Argument nicht per se entkräften kann. Man denke nur an die diversen Beweiserleichterungen im Zivilprozess. 146  Noch deutlicher wird Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 708, der ausführt, dass „der Beschuldigte als Einzelner einem organisierten Apparat und dessen institutionalisierten Handlungsnormen (auch) zur Abwehr des Aufdeckens eigener Fehler gegenübersteht“. 147  Zutreffend Ransiek StV 1994, 343 (347), der unter Verweis auf Schulhofer Mich. Law Rev. 1981, 865 (882 ff.) anschaulich von einem „swearing contest“ zwischen Polizeibeamtem und Beschuldigtem spricht. 148  Burkhard StraFo 2001, 37 (41); Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 708.

C. Anforderungen an die Unverwertbarkeit der täuschungsbedingten Aussage 221

Schon Eb. Schmidt149 hat die Frage aufgeworfen, ob es wirklich die Intention des Gesetzgebers des § 136a StPO gewesen sein könne, dass in Zweifelskonstellationen „durch Nichtanwendung des § 136a so getan werden darf, als ob sich alles aufs Korrekteste abgespielt hat“. Der Hinweis auf die Beweisnot des Beschuldigten ist zutreffend, beileibe jedoch nicht das einzige für die Anwendung von in dubio pro reo sprechende Argument. Das zwar allenthalben vorausgesetzte,150 sich aber nicht positivrechtlich herleitbare strenge Nachweiserfordernis einer rechtswidrigen Beweiserhebung, beruht auf der Überlegung, dass ein schwerer Eingriff in die freie richterliche Beweiswürdigung – wie ihn Beweisverwertungsverbote zweifelsfrei darstellen – nur gerechtfertigt sein könne, wenn die rechtswidrige Beweiserhebung auch zur Gewissheit des Gerichts feststeht. Richtig ist indessen, dass bereits der begründete Verdacht einer unrechtmäßigen Beweiserhebung geeignet sein kann, das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit des Urteils zu erschüttern.151 Beweisverwertungsverbote sollen die positiv-generalpräventive Wirkung einer strafprozessualen Entscheidung sicherstellen. Diese ist jedoch nicht erst dann gefährdet, wenn die Rechtswidrigkeit des Beweismittels nachgewiesen ist. Ebenso wie bereits der Verdacht einer Straftat das Vertrauen in die Normgeltung erschüttert und eine geltungserhaltende Reaktion in Form der Tatverdachtsaufklärung verlangt,152 ist auch der Verdacht einer rechtswidrigen Beweiserhebung geeignet, die positiv-generalpräventive Wirkung der Entscheidung in Frage zu stellen, mithin das „Vertrauen“ in die Rechtsstaatlichkeit des Urteils zu nachhaltig zu gefährden. Diese Prämisse lässt keinen anderen Schluss zu, als den in-dubio-pro-reo-Grundsatz auch auf die Frage nach einer rechtswidrigen Beweiserhebung anzuwenden. Der denkbare Einwand, dass nicht bereits die Behauptung einer entgegen § 136 Abs. 2 StPO durchgeführten Vernehmung dazu führen darf, dass die Aussage des Beschuldigten bei der Urteilsfindung nicht verwertet werden 149  Eb. Schmidt JR 1962, 109 (110); ähnlich auch Schwabenbauer, Der Zweifelssatz im Strafprozessrecht, S. 148. 150  BGHSt 16, 164 (167); BGHSt 31, 395 (400); KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 43; LR-StPO/Gössel Einl.  L Rn. 191; BeckOK-StPO/Monka § 136a Rn. 34; SK-StPO/ Rogall § 136a Rn. 101; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 32. 151  Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 709; LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 78; vgl. auch Roxin JZ 1992, 918 (924): „Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens [wiegen] nicht weniger schwer […] als Zweifel an der Schuld des Angeklagten.“ In diesem oder jedenfalls vergleichbarem Sinne dürfte auch die oben bereits zitierte Entscheidung des EGMR, Urt. v. 25.09.2012 – Az. 649/08 (El Haski v. Belgium) zu verstehen sein, der den Verdacht einer unter Folter zustande gekommenen Aussage für ein Beweisverwertungsverbot ausreichen lässt. 152  Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 115 ff.; vgl. bereits oben S. 28 f.

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Kap. 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots

darf, dass das Beweisrecht nicht als „Asyl des Verbrechers“153 missbraucht werden darf, ist unbegründet.154 Auch bei der Frage nach der Schuld des Angeklagten, die bei begründeten Zweifeln unstreitig zu negieren ist, geht niemand ernsthaft davon aus, dass bloße verbale Einwände des Beschuldigten eine Entscheidung zu seinen Gunsten erfordern.155 Im Bereich des Beweisrechts kann nichts anderes gelten; eine andere Ansicht wäre auch nicht mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Interesse an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege vereinbar. Legt der Beschuldigte aber substantiiert dar, dass im Rahmen seiner Vernehmung die durch § 136 Abs. 2 StPO geforderte Entlastungsmaxime dadurch keine hinreichende Berücksichtigung gefunden hat, dass er nicht über seine Aussagefreiheit belehrt wurde, ihm Suggestiv- und Fangfragen gestellt wurden oder ihm sogar das Vorliegen tatsächlich nichtexistenter Belastungsbeweise vorgespiegelt wurde, und kommt das Gericht bei der Aufklärung dieses Verdachts zu dem Ergebnis, dass die Ausführungen des Beschuldigten glaubhaft sind, darf die Annahme eines Beweisverwertungsverbots nicht daran scheitern, dass der Verfahrensverstoß nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte. Der Zweck der Beweisverwertungsverbote erfordert vielmehr bereits hier ein Eingreifen, damit der Verdacht der rechtswidrigen Beweiserhebung nicht die durch das Urteil zu erreichende positive Generalprävention mindert. Die die Anwendbarkeit von in dubio pro reo ablehnende Auffassung berücksichtigt diese Schutzwirkung nicht hinreichend und beschränkt ihren Blick auf die der Tatverdachtsaufklärung abträgliche Wirkung von Beweisverwertungsverboten. Nach zutreffender Ansicht ist davon auszugehen, dass das Gericht, wenn es die Frage einer rechtswidrigen Beweiserhebung prüft, im Falle von Zweifeln zugunsten des Beschuldigten von der Unverwertbarkeit des belastenden Beweises auszugehen hat.156 3. Indizierung des Erfolgsunwerts sowie des Ursachenzusammenhangs durch das Vorliegen einer Täuschung Nur wenig Schwierigkeiten bereitet schließlich der gerichtliche Nachweis der Beeinflussung der Willensfreiheit des Beschuldigten durch die (nach obigen Grundsätzen erwiesene) Täuschung. Das Vorliegen sowohl des Erfolgsunwerts als auch des Ursachenzusammenhangs wird nämlich durch die 153  So die anschauliche, wenngleich etwas tendenziöse, Formulierung bei Stree, In dubio pro reo, S. 14. 154  Zutreffend Roxin JZ 1992, 918 (924) sowie Schwabenbauer, Der Zweifelssatz im Strafprozessrecht, S. 149. 155  Vgl. Arzt, Ketzerische Bemerkungen zum Prinzip in dubio pro reo, S. 8 f. 156  So i. Erg. auch Michael, Der Grundsatz in dubio pro reo im Strafverfahrensrecht, S. 154 f.; Schwabenbauer, Der Zweifelssatz im Strafprozessrecht, S. 147 ff. Ähnlich auch Montenbruck, In dubio pro reo, S. 163 ff.

C. Anforderungen an die Unverwertbarkeit der täuschungsbedingten Aussage 223

Anwendung einer verbotenen Vernehmungsmethode widerlegbar vermutet.157 Auch dies beruht nicht unwesentlich auf praktischen Erwägungen. Geht der Nachweis der Anwendung eines täuschenden Verhörmusters mit erheblichen Schwierigkeiten einher, bringt der Nachweis der dadurch beeinflussten Willensfreiheit die Beteiligten in ernste Beweisnot. Der Bundesgerichtshof führt insoweit pointiert, jedoch nicht ganz richtig – das Gericht impliziert damit (wohl ungewollt), dass der Einlassung des Beschuldigten von vornherein kein Glauben geschenkt werden kann158 – aus, dass „ein solcher Nachweis […] praktisch nicht zu führen“ ist.159 Auch lassen sich die Beweiserleichterungen hinsichtlich Willensfreiheitsbeeinträchtigung und Ursachenzusammenhang auf die allgemeine Schutzrichtung der Beweisverwertungsverbote stützen. Wendet der Vernehmende unzulässige Verhörmethoden an und konterkariert dadurch die Entlastungsfunktion der Vernehmung, begründet dies bereits das Bedürfnis nach dem Einschreiten mittels Verwertungsverbot, es sei denn die Aussage des Beschuldigten ist gleichwohl als freiverantwortlich einzustufen bzw. die Unfreiheit der Aussage beruht auf Umständen, die der Staat nicht zu vertreten hat. Solange nämlich nicht konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Täuschung den Beschuldigten nicht in seiner Willensfreiheit beeinträchtigt hat, gefährdet die illegale Beweiserhebung die positiv-generalpräventive Wirkung des Strafurteils. Die Ablehnung des Erfolgsunwerts trotz festgestellten Verfahrensverstoßes liegt – um noch einmal das bereits oben ausgeführte Beispiel zu bemühen – nahe, wenn der beschuldigte Strafverteidiger nicht hinreichend über seine Aussagefreiheit belehrt wurde, nicht jedoch bereits zwingend bei einem vorbestraften Beschuldigten.160 157  Die Indizierung des Ursachenzusammenhangs ist nahezu anerkannt, vgl. BGHSt 13, 60 (61); BGHSt 60, 50 (52); SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 102 m. w. N. Differenzierter ist das Meinungsbild in Bezug auf die Indizierung des Erfolgsunwerts. Dies beruht auf dem Umstand, dass – anders als nach hier vertretener Ansicht – eine oftmals vertretene Ansicht davon ausgeht, dass das Verbot der Täuschung in der Vernehmung nur dann verletzt ist, wenn es auch einen Irrtum des Beschuldigten bewirkt (vgl. etwa SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 101). Legt man diese Auffassung zugrunde, muss konsequenterweise auch der Irrtum des Beschuldigten nach obigen Grundsätzen nachgewiesen werden. Nach dem hier vertretenen Verständnis des Täuschungsverbots, deren Verletzung unabhängig vom Eintreten des Erfolgsunwerts in Gestalt des Irrtums ist, erscheint es mir folgerichtig, auch diesen Erfolgsunwert als indiziert anzusehen. Grds. wie hier, jedoch mit expliziter Ausnahme für die Täuschung, MKStPO/Schuhr § 136a Rn. 95, 43. 158  In diesem Sinne bereits Zopfs, Der Grundsatz „in dubio pro reo“, S. 76. 159  BGHSt 31, 395 (400) in Bezug auf die Frage, ob das Unterlassen der Belehrung über die Aussagefreiheit ein Verwertungsverbot nach § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO begründet. 160  Die Beeinträchtigung der Willensfreiheit unter Verweis darauf abzulehnen, dass der Beschuldigte bereits wiederholt vernommen und bislang stets ordnungsgemäß

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Kap. 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots

IV. Heilung von Verstößen gegen das strafprozessuale Täuschungsverbot Der Verstoß gegen die Belehrungsvorschrift des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO kann nach zutreffender herrschender Meinung durch eine erneute Vernehmung des Beschuldigten „geheilt“ werden.161 Richtigerweise trifft dies generell auf die gegen § 136 Abs. 2 StPO verstoßende Vernehmung zu. Hier wie dort ist der Begriff der Heilung freilich nicht in dem Sinne zu verstehen, dass die rechtsfehlerhafte Beschuldigtenvernehmung rückwirkend verwertbar wird. Es handelt sich vielmehr um eine erneute Vernehmung des Beschuldigten, die nunmehr den gesetzlichen Vorgaben entsprechend durchgeführt wird.162 Der Verstoß gegen § 136 Abs. 2 StPO entfaltet keine Sperrwirkung für etwaige weitere Vernehmungen, sondern gebietet gerade eine erneute Vernehmung, um dem Beschuldigten die Entlastungsmöglichkeit zu gewähren, die ihm während der rechtswidrigen ersten Vernehmung verwehrt wurde. Wird der Beschuldigte in einer Weise vernommen, die mit dem Entlastungszweck der Vernehmung nicht vereinbar ist, gelten für die nachfolgende Vernehmung strenge Belehrungspflichten. Der Beschuldigte ist über die vom Gesetz vorgeschriebenen Belehrungen hinaus darüber zu unterrichten, dass die von ihm in der rechtswidrigen Vernehmung getätigten Aussagen nicht verwertet werden dürfen und daher – diese Konsequenz muss für einen juristischen Laien verständlich erörtert werden(!)163 – keinen Einfluss auf das weitere Strafverfahren nehmen werden.164 Dies ist erforderlich, um zu verbelehrt worden ist, ist nicht per se ausgeschlossen. Der bloße Verweis auf Vorstrafen oder Vernehmungen in der Vergangenheit ist jedoch nicht ausreichend. Bedenklich sind daher die Ausführungen bei BGHSt 35, 328 (330): „Je erfahrener er [gemeint ist der Beschuldigte, Anm. d. Verf.] im Umgang mit Strafverfolgungsbehörden ist, um so weniger werden nicht ausreichend substantiierte Behauptungen und Bewertungen geeignet sein, ihn in seiner durch § 136a geschützten Aussagefreiheit wesentlich zu beeinträchtigen.“. 161  BGH NStZ 2019, 227 (228); Bauer, Die Aussage des über das Schweigerecht nicht belehrten Beschuldigten, S. 178 ff.; Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 108; Neuhaus NStZ 1997, 312 (314 f.); SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 64; Roxin HRRS 2009, 186. 162  SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 104 m. w. N. 163  So zu Recht SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 64 (Fn. 318). 164  Dabei handelt es sich um die h. M., die freilich auf den Verstoß gegen § 136a Abs. 1, 2 StPO abstellt, vgl. LG Frankfurt  a. M. StV 2003, 325 (326); Arnoldi NStZ 2019,  227 (231); Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 106; Geppert GS Meyer, S. 93 (95); Kasiske ZIS 2009, 319 (321); Neuhaus NStZ 1997, 312 (314 f.); SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 64 m. w. N.; Roxin HRRS 2009, 186; i. Erg. auch Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 30, der indes kaum überzeugende Ausnahmen von der Pflicht zur qualifizierten Belehrung für denkbar hält, wenn die rechtswidrige Vernehmung schon länger zurück liegt oder die Beeinträchtigung der



D. Umfang und Grenzen des Verbots der Verwertung225

hindern, dass der vergangene Rechtsverstoß auf die Vernehmung fortwirkt. Denn die erneute Aussage des Beschuldigten beruhte nicht auf einem freien Willensentschluss, wenn sie in der Überzeugung getätigt wird, dass ein Versuch der Selbstentlastung aufgrund der ursprünglichen Aussage ohnehin zum Scheitern verurteilt ist.165 Daher ist die Aussage des Beschuldigten auch wiederum als nicht verwertbar einzustufen, wenn der Vernehmende auf eine qualifizierte Belehrung verzichtet.166

D. Umfang und Grenzen des Verbots der Verwertung mittels Täuschung erlangter Beweismittel I. Beweisverwertungsverbote als Belastungsverbote Sind die geschilderten Anforderungen erfüllt, ist also die Willensfreiheit des Beschuldigten durch eine dem Staat zurechenbare Täuschung beeinträchtigt, ist der rechtswidrig erhobene Beweis  – im Falle der Vernehmung also insbesondere die Aussage des Beschuldigten – nicht zu verwerten. Der Begriff der Verwertung ist dabei in einem weiten Sinne zu verstehen und bezieht sich auf jedwede unmittelbare oder mittelbare Verwertung im gesamten Strafverfahren. Das Beweismittel ist – unabhängig davon, ob es richtig oder falsch ist167 – so zu behandeln als sei es nicht existent.168 Dies gilt auch im Ermittlungsverfahren,169 wobei eine Ausnahme für die Begründung eines Willensfreiheit „nicht allzu schwer“ war. BGHSt 55, 112 (116) lässt die Frage nach dem Erfordernis einer qualifizierten Belehrung zwar offen, weist aber auf den Widerspruch hin, der entstünde, wenn man bei der Verletzung des § 136a StPO keine qualifizierte Belehrung verlangte, obwohl diese schwerer wiege als der Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO. 165  Zutreffend LG Frankfurt a. M. StV 2003, 325 (326). 166  Eine a. A. in Bezug auf die unterbliebene qualifizierte Belehrung wegen eines Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vertritt BGH NStZ 2019, 227 (228 f.). Zwar sei der Vernehmende zur qualifizierten Belehrung verpflichtet. Ein erneutes Verwertungsverbot folge aber nicht ohne Weiteres aus dem Unterlassen der qualifizierten Belehrung, sondern müsse wiederum über eine Abwägung im Einzelfall festgestellt werden. Damit relativiert der Gerichtshof aber die Belehrungspflicht über die Aussagefreiheit. Anerkennt man, dass ihre Verletzung ein Verwertungsverbot zur Folge hat, kann für das Unterlassen der qualifizierten Belehrung nichts anderes gelten. Dass das Strafverfolgungsinteresse die Aussagefreiheit des Beschuldigten überwiegt, ist ausgeschlossen. Gleiches gilt für das Unterlassen der qualifizierten Belehrung aufgrund einer Verletzung des § 136 Abs. 2 StPO. 167  BGHSt 5, 290; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 713; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 106; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 27. 168  SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 106. 169  Erbs NJW 1951, 386 (389).

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Kap. 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots

Anfangsverdachts zu machen ist.170 In der Hauptverhandlung darf dieses Verbot nicht durch die Verlesung oder den Vorhalt des Vernehmungsprotokolls oder die Anhörung einer bei der rechtswidrigen Vernehmung anwesenden Person umgangen werden.171 Seit jeher umstritten ist die Frage, ob sich Beweisverwertungsverbote auch auf entlastende Beweise erstrecken oder auf Belastungsbeweise beschränkt sind. Während letztere Auffassung in der Literatur seit einiger Zeit hohen Anklang findet172 und in der von Roxin, Schäfer und Widmaier173 entwickelten „Mühlenteichtheorie“ ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat, geht die traditionelle Ansicht davon aus, dass be- wie entlastende Beweise gleichermaßen von einem Verwertungsverbot betroffen sind.174 Betrachtet man die dem Streit zugrundeliegende Debatte, fällt zunächst auf, dass die Argumentation der herrschenden Meinung, welche die Wirkung von Beweisverwertungsverboten als umfassend ansieht, einige Lücken aufweist.175 Ihre Vertreter berufen sich zunächst auf die Vorschrift des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO, die eine Disposition des Beschuldigten über die Verwertung des rechtswidrig erhobenen Beweises ausschließt (näher zur Disponibilität S. 233 ff.).176 Damit wird der Wortlaut der Vorschrift aber über ihren 170  Dencker,

Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 76. JZ 1998, 944 (950); LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 73; Seiler FS Peters, S. 447 (456 f.). Nach zutreffender Ansicht ist die Aussage des Vernehmungsbeamten, wenn er dennoch über den Inhalt der rechtswidrigen Vernehmung vernommen wird, gleichfalls unverwertbar, vgl. SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 106. Die Gegenauffassung von Baumann GA 1959, 33 (43 f.) führte dazu, dass das Verbot inquirierender Verhörmethoden in der Praxis durch die Vernehmung des Beamten als Zeugen unterlaufen werden könnte. Vgl. zur Unzulässigkeit des Vorhalts von protokollierten Aussagen bereits Schroth ZStW 87 (1975), 103. 172  Amelung StraFo 1999, 181; Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 73 ff.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 712; Nack StraFo 1998, 366 (368); grds. auch SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 81, der aber eine Ausnahme für das Verwertungsverbot nach § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO macht, vgl. SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 99. 173  Roxin/Schäfer/Widmaier StV 2006, 655; Roxin/Schäfer/Widmaier FS zu Ehren des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer, S. 435. 174  Bauer, Die Aussage des über das Schweigerecht nicht belehrten Beschuldigten, S. 167; KK-StPO/Diemer § 136a Rn. 38; BeckOK-StPO/Monka § 136a Rn. 29; Meyer-Goßner/Schmitt § 136a StPO Rn. 27; grds. auch Kleinknecht NJW 1966, 1537 (1543). BGH NStZ 2008, 706 (707) lässt offen, ob ggf. etwas anderes gelten muss, wenn der Beschuldigte vorträgt, dass das Verwertungsverbot seine effektive Verteidigung behindert. 175  Schon Erb GA 2017, 113 (118 f.) weist auf die „unzulängliche Fundierung der Gegenauffassung“ hin. 176  Brandis, Beweisverbote als Belastungsverbote aus Sicht des Beschuldigten?, S. 166. 171  Rogall



D. Umfang und Grenzen des Verbots der Verwertung227

eigentlichen Gehalt hinaus überdehnt. Dass die Entscheidung der Verwertbarkeit nicht in die Verantwortung des Beschuldigten gelegt wird, sagt noch nichts über den Umfang des Verwertungsverbots aus. Ansonsten müsste man im Umkehrschluss annehmen, dass Beweisverwertungsverbote in allen anderen Fällen auf belastende Beweismittel beschränkt sind. Denn § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO schließt nur die Disposition über den mittels inquirierender Verhörmethode gewonnenen Beweis aus. Darüber hinaus wartet die herrschende Meinung jedoch mit zwei Argumenten von einigem Gewicht auf. Zunächst wird angeführt, dass § 136a StPO bestimmte Methoden aus dem Arsenal der Beweisgewinnungsmethoden ausschließen wolle. Dies könne aber nur erreicht werden, wenn die mittels ihres Einsatzes gewonnenen Beweismittel ohne Rücksicht auf ihre Wirkung pro reum oder contra reum unverwertbar sind.177 Argumentatorisch bewegt man sich damit nahe an der oben vertretenen Auffassung, denn wie festgestellt möchte die Rechtsordnung inquirierende Verhörmethoden durch § 136 Abs. 2 StPO aus dem Strafverfahren verbannen. Innerhalb der herrschenden Meinung ist dieses Argument jedoch höchst widersprüchlich. Auf Basis dieser Argumentation müsste sie nämlich gleichsam zu dem Ergebnis kommen, dass unter Verletzung des § 136a StPO erhobene Aussagen stets unverwertbar sind. Gerade dies wird aber unter Verweis auf das Erfordernis einer Abwägung im Einzelfall abgelehnt.178 Vielmehr sei es denkbar, dass das Interesse an der Tatverdachtsaufklärung das Individualinteresse überwiegt, sodass dann im Ergebnis von einer Verwertbarkeit der rechtswidrig erhobenen Aussage auszugehen sei. Führt man dies konsequent fort, lässt sich kaum an anderer Stelle argumentieren, dass die Rechtsordnung verbotene Vernehmungsmethoden ausnahmslos verhindern möchte. Überhaupt ist fraglich, wie man innerhalb der Abwägungslehre zu dem Ergebnis gelangen soll, dass ein entlastender Beweis unverwertbar ist. Offenbart der Beschuldigte im Rahmen seiner entgegen § 136 Abs. 2 StPO erhobenen Aussage entlastende Momente, so sind meines Erachtens keine Positionen denkbar, die man im Rahmen einer Abwägung gegen die Verwertung anführen könnte. Das üblicherweise dem Individualinteresse entgegengestellte Tataufklärungsinteresse spricht ebenfalls für eine Verwertung. Unklarer ist das Abwägungsergebnis lediglich, wenn die Vernehmung entlastende sowie belastende Momente offenlegt. Doch auch hier ist kaum einleuchtend, diesem Sinne Heinrich ZStW 112 (2000), 398 (419 f.). 24, 125 (130); Dalakouras, Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre, S. 131 ff.; Joerden JuS 1993, 927 (931); Kelnhofer, Hypothetische Ermittlungsverläufe im System der Beweisverbote, S. 73 ff.; Koriath, Über Beweisverbote im Strafprozeß, S. 95 ff.; Neuber NStZ 2019, 113; Rogall ZStW 91 (1979), 1 (29 ff.). 177  In

178  BGHSt

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Kap. 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots

wie eine Abwägung der widerstreitenden Interessen aussehen soll. Für eine Verwertung müsste man das Interesse des Beschuldigten an der Verwertung der entlastenden Tatsache sowie das öffentliche Interesse an der Verwertung der belastenden Tatsache anführen, während auf der Gegenseite das Interesse des Beschuldigten an der Unverwertbarkeit der belastenden Tatsache steht. Rein formalistisch betrachtet, müsste man in einem solchen Fall stets zu einer Verwertbarkeit sämtlicher Beweise kommen. Dies würde aber auf eine Ungleichbehandlung des Beschuldigten, dessen rechtswidrige Vernehmung sowohl ent- als auch belastende Tatsachen offenbart (dann Verwertbarkeit der belastenden Tatsache), mit dem Beschuldigten, dessen Vernehmung nur belastende Tatsachen offenbart (dann grundsätzlich Unverwertbarkeit der belastenden Tatsache) hinauslaufen. Auch hier zeigt sich erneut, dass die Abwägungslehre kaum geeignet ist, tragfähige und in sich konsistente Ergebnisse zu erzielen. Des Weiteren wird zur Begründung der Erstreckung von Beweisverwertungsverboten auf entlastende Beweise auf das Erfordernis eines justizförmigen Verfahrens verwiesen.179 Diese Argumentation vermag einer gewissen Ironie nicht zu entbehren. Das Kriterium der Justizförmigkeit wird allenthalben nicht nur dadurch aufgeweicht, dass das Täuschungsverbot gegen den Wortlaut des § 136a Abs. 1 StPO keine „kriminalistische List“180 umfassen soll, sondern auch dadurch, dass ein Beweisverwertungsverbot abgelehnt wird, wenn das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung überwiegt.181 Gerade aber wenn dies mit einer Schlechterstellung der Beschuldigtenposition einhergeht, wird die hohe Bedeutung der Justizförmigkeit hervorgehoben.

179  Vgl. etwa SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 81, der zwar grds. der Auffassung ist, dass Beweisverwertungsverbote Belastungsverbote sind, jedoch im Einzelfall eine Nichtverwertung aufgrund von öffentlichen Interessen für denkbar hält. Entgegen § 136a StPO erhobene Aussagen hält Rogall dagegen generell für unverwertbar, siehe SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 99. Ein Verweis auf die Justizförmigkeit findet sich auch bei Dallmeyer, Beweisführung im Strengbeweisverfahren, S. 231 f., der die materielle Gerechtigkeit zur Verhinderung einer befürchteten „Erosion des strafprozessualen Beweisrechts“ zurücktreten lassen will und in diesem Sinne in Kauf nimmt, dass einem „unschuldigen Beschuldigten sehenden Auges eine Entlastungsmöglichkeit“ verwehrt wird. 180  So etwa verwendet von BGHSt 35, 328 (329); Miescher, Die List in der Strafverfolgung, passim; Soiné NStZ 2010, 596 m. w. N. 181  So die Vertreter der herrschenden Abwägungslehre, vgl. BGHSt 24, 125 (130); Dalakouras, Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre, S. 131 ff.; Joer­ den JuS 1993, 927 (931); Kelnhofer, Hypothetische Ermittlungsverläufe im System der Beweisverbote, S. 73 ff.; Koriath, Über Beweisverbote im Strafprozeß, S. 95 ff.; Neuber NStZ 2019, 113; Rogall ZStW 91 (1979), 1 (29 ff.).



D. Umfang und Grenzen des Verbots der Verwertung229

Aber auch abseits dessen kann der Verweis auf die Justizförmigkeit des Verfahrens die herrschende Meinung nicht stützen. Ihm steht nämlich das Schuldprinzip entgegen, dem zufolge die Schuld sowohl Voraussetzung für die Strafe als auch entscheidendes Kriterium für die Bemessung der Höhe der Strafe ist.182 Die mit der Strafe einhergehenden Grundrechtseingriffe lassen sich nur durch die Schuld des Täters rechtfertigen; eine Bestrafung ohne Schuld ist ausnahmslos verfassungswidrig.183 Rogall184 führt aus, „dass sich die Verwirklichung des Schuldprinzips in den „justizförmigen“ Bahnen des Strafprozesses zu vollziehen hat.“ Dies kann aber schon deshalb nicht überzeugen, weil das verfassungsrechtlich abgesicherte Schuldprinzip nicht durch die Strafprozessordnung eingeschränkt werden kann.185 Es ist zutreffend, dass das Schuldprinzip nicht die rigorose Ermittlung sämtlicher entlastender Beweise und Indizien verlangt, denn auch hier finden die Ermittlungen ihre Grenze in den Rechten Dritter.186 Der Beschuldigte hat keinen Anspruch darauf, dass ohne Rücksicht auf diese Rechte von Amts wegen sämtliche Beweise ermittelt werden. Eine gänzlich andere Qualität – dies führt Erb187 zutreffend aus – besitzt dagegen die Nichtverwertung von Beweisen und Indizien, die ohnehin bereits existent sind, also dem Richter für die Bildung seiner persönlichen Überzeugung schon zur Verfügung stehen. Blendete der Richter diesen Entlastungsbeweis bei der Überzeugungsfindung aus, stellte die auf dieser Basis folgende Verurteilung des Beschuldigten eine Verletzung des Schuldprinzips dar.188 Diese Verletzung lässt sich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass möglicherweise Dritte ein Interesse an der Nichtverwertung des Beweises haben – man denke insoweit nur an den von einer rechtswidrigen technischen Überwachungsmaßnahme Mitbetroffenen.189 Wie Fris182  Vgl. zur Schuld als Grundlage für die Bemessung der Strafe Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts, S. 39 ff. sowie ders. JuS 2013, 1057. Auch Stein, in: Wolter, Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, S. 233 (250) mahnt daher eine Minimierung der Fehlverurteilungsrisiken an. 183  Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts, S. 38. 184  SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 81. 185  Siehe näher zur verfassungsrechtlichen Verankerung Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts, S. 19 ff. 186  Erb GA 2017, 113 (114). 187  Erb GA 2017, 113 (114). 188  Wie Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts, S. 49 darlegt, darf der „Straftäter nur zur Abwehr derjenigen Gefahr für die Normakzeptanz in Anspruch genommen werden, die sich aus den ihm zuzurechnenden Umständen ergibt“. 189  Erb GA 2017, 113 (114 f.).

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Kap. 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots

ter190 dargelegt hat, ist das Schuldprinzip nicht durch Abwägung relativierbar, es ist bereits das Ergebnis einer Abwägung zwischen den Individualgrundrechten und den Interessen der Allgemeinheit. Erst recht ist keine Einschränkung zur Wahrung der Justizförmigkeit des Verfahrens denkbar.191 Eine Bestrafung bzw. die in ihrer Höhe gesteigerte Strafe aufgrund der Unverwertbarkeit von entlastenden Umständen ist eine Konsequenz, die wohl auch die herrschende Meinung nicht zu ziehen bereit ist.192 Letztlich wird dies auch bereits am Erfordernis der persönlichen Überzeugung des Richters von der Schuld des Angeklagten scheitern, die für eine Verurteilung zwingend erforderlich ist.193 Der Begriff der persönlichen Überzeugung ist nicht dahingehend misszuverstehen, dass der Richter zu einer Gewissheit im naturwissenschaftlichen oder mathematischen Sinne gelangen muss; die Erreichung eines solchen Grades an persönlicher Überzeugung in Bezug auf in der Vergangenheit liegende Ereignisse ist ohnehin nicht denkbar.194 Ausreichend ist, dass der Richter durch eine Gesamtbetrachtung aller für und gegen die Tatbegehung sprechender Indizien zu einer subjektiven Gewissheit im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit gelangt.195 Wie Erb zutreffend ausführt, kann durch Gesetz lediglich konkretisiert werden, wovon der Richter persönlich überzeugt sein darf, nicht wovon er tatsächlich überzeugt ist.196 Sind dem Richter aufgrund der Beweisaufnahme Tatsachen be190  Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts, S. 38. 191  So aber Dallmeyer, Beweisführung im Strengbeweisverfahren, S. 231 f. und SK-StPO/Rogall § 136 Rn. 81, dem zufolge die Gegenauffassung eine „Überbewertung der verfassungsrechtlichen Anforderungen“ darstellt. 192  Dies wird schon dadurch deutlich, dass – wie Erb GA 2017, 113 (119) ausführt – kein Fall ersichtlich ist, in dem der Angeklagte infolge der Unverwertbarkeit eines Entlastungsbeweises verurteilt wurde. Auch BGH NStZ 2008, 706 (707) hält es für denkbar, von einem Beweisverwertungsverbot dann abzusehen, wenn der Beschuldigte geltend macht, dass er sich ansonsten nicht effektiv verteidigen kann. Es müssen aber allgemeine Regeln für die (Un-)Verwertbarkeit von Beweisen gefunden werden. Es ist inkonsequent, wenn man entlastende Beweise für von dem Verwertungsverbot erfasst ansieht, solange der Beschuldigte nicht dagegen opponiert. Konsequenz muss man insoweit Dallmeyer, Beweisführung im Strengbeweisverfahren, S. 231 f. attestieren, der im Zweifel eine Verurteilung des Angeklagten aus Gründen der Justizförmigkeit des Verfahrens für geboten ansieht. Eine schuldunangemessene Verurteilung aus Verfahrensgründen in Kauf zu nehmen, ist jedoch bloßer Formalismus. 193  Erb GA 2017, 113 (116 ff.). 194  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 89; vgl. auch Frister FS Grünwald, S. 169 (186), der ausführt, dass es illusionär wäre, die Verurteilung von einem „ ‚objektiven‘, d. h. begrifflich vollständig zu kontrollierenden Beweisergebnis“, abhängig machen zu wollen. 195  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 88 f.; Frister FS Grünwald, S. 169 (176). 196  Erb GA 2017, 113 (117).



D. Umfang und Grenzen des Verbots der Verwertung231

kannt, die Zweifel an der Schuld des Angeklagten begründen oder diese gar ausschließen, kann von einer persönlichen Überzeugung die Rede nicht sein. Dadurch würde das Erfordernis der persönlichen Überzeugung desavouiert.197 Man stelle sich vor, der Richter verfügt über das Belastungsindiz X, das die schuldhafte Begehung der Tat durch den Beschuldigten zwar nicht beweist, sie aber gleichwohl wahrscheinlicher198 werden lässt. Wird X aufgrund einer ihm zugrundeliegenden rechtswidrigen Ermittlung vom Richter als unverwertbar angesehen, kann er unter Ausblendung des Indizes entweder dennoch aufgrund anderer Belastungsindizien von der Schuld des Angeklagten überzeugt sein und ihn verurteilen oder er hält die übrigen Belastungsindizien nicht für ausreichend, dann muss er ihn freisprechen. Verfügt der Richter nun über das Entlastungsindiz Y, das die schuldhafte Begehung der Tat unwahrscheinlicher werden lässt oder die Schuld jedenfalls mindert, kann die Verwertungsproblematik nicht in gleicher Weise wie beim Belastungsindiz gelöst werden. Der Richter kann bei der Bildung seiner persönlichen Überzeugung Y nämlich nicht ohne Weiteres ausblenden. Dies würde bedeuten, dass er sehenden Auges eine Strafe ausspricht, obwohl er um ihre Schuldunangemessenheit weiß. Der Richter kann den Beschuldigten aufgrund eines Beweisverwertungsverbots freisprechen oder milder bestrafen, obwohl das nicht verwertbare Indiz X eine (höhere) Strafe nahelegt. Er kann die (höhere) Strafe aber nicht aussprechen, obwohl er weiß, dass diese nicht der Schuld des Angeklagten entspricht. Ausnahmslos jede Ausblendung eines die Schuld mindernden Umstands widerspräche der persönlichen Überzeugung des Richters und stellte eine Verletzung des Schuldprinzips dar.199 Dieses Ergebnis ist umso zwingender, als man den allgemeinen Zweck der Beweisverwertungsverbote, aber auch den speziellen Zweck des Erhebungsverbots aus § 136 Abs. 2 StPO betrachtet. Zunächst möchte ich den Blick auf den speziellen Zweck des § 136 Abs. 2 StPO lenken. Wie erörtert, stellt § 136 Abs. 2 StPO die Kernvorschrift zum Schutze des Grundsatzes nemo tenetur se ipsum accusare in der Vernehmung dar. Um zu verhindern, dass unfreie Aussagen des Beschuldigten in die Urteilsfindung einfließen, statuiert die Vorschrift, dass Vernehmungen ausschließlich dem Ziele dienen, dem Beschuldigten die Möglichkeit der Entlastung der gegen ihn sprechenden Verdachtsgründe zu gewähren. Wird dieses Ziel dadurch erreicht, dass der Beschuldigte einen entlastenden Umstand vorträgt, kann die entlastende AusRecht Erb GA 2017, 113 (117). eingehend zur richterlichen Überzeugungsbildung und den damit einhergehenden Missverständnissen Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 85. 199  Vgl. Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts, S. 38. 197  Zu

198  Vgl.

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sage nicht deshalb unverwertbar sein, weil der Vernehmende nicht – wie das Gesetz von ihm verlangt – auf Erreichung dieses Ziels hingearbeitet hat. Dadurch würde der in rechtswidriger Weise Vernommene schlechter gestellt als derjenige, dessen Vernehmung den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Zwar hat auch hier zu gelten, dass die Vernehmung des Beschuldigten in rechtmäßiger Weise wiederholt werden muss. Doch muss die ursprüngliche Aussage ebenso verwertbar sein, wenn und soweit sie den Beschuldigten entlastet. Die Anwendung der inquirierenden Verhörmethode kann zwar den Verdacht aufwerfen, dass die Aussage nicht der Wahrheit entspricht. Dies begründet aber kein Verwertungsverbot; es liegt im Ermessen des Richters, ob er der Aussage Glauben schenkt oder nicht.200 Auch mit dem allgemeinen Zweck der Beweisverwertungsverbote kann es nicht vereinbart werden, entlastende Beweise der Unverwertbarkeit anheimfallen zu lassen.201 Die durch sie geschützte positiv-generalpräventive Wirkung der strafprozessualen Entscheidung tritt entweder durch eine Verur­ teilung ein oder durch die Feststellung, dass die Tat nicht (nachweisbar) ­begangen wurde.202 Wird ein Entlastungsbeweis ermittelt, ist dieser bereits geeignet, zur generalpräventiven Wirkung beizutragen, denn soweit durch ihn die Schuld des Täters ausgeschlossen oder gemindert wird, besteht kein positiv-generalpräventives Bedürfnis mehr für eine Bestrafung. Eine schuld­ unangemessene (höhere) Verurteilung verstieße also nicht nur gegen das Schuldprinzip, sondern erfüllte überdies keinen legitimen Zweck. Es bleibt also festzuhalten, dass Beweisverwertungsverbote generell als Belastungsverbote zu verstehen sind. Die zumal in der Rechtsprechung vertretene Gegenauffassung kann keine überzeugenden Argumente für ihre Position ins Feld führen. Dem gegenüber steht eine Reihe von gewichtigen Argumenten, die es als nicht tragbar erscheinen lassen, dass ein entlastender Umstand bei der Urteilsfindung keine Berücksichtigung findet. Hinreichend ist dabei letztlich schon der Verweis auf das in einem solchen Fall verletzte Schuldprinzip.

200  Etwas anderes kann ausschließlich dann gelten, wenn ein Beweisverwertungsverbot nur auf der Unzuverlässigkeit des ermittelten Beweises beruht (so schon zutreffend Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 73 f.). Dieser Schutzzweck würde nämlich ein ausnahmsloses Verwertungsverbot verlangen. Die Anwendung inquirierender Verhörmethoden wie der Täuschung ist zwar geeignet, Zweifel an der Richtigkeit des Beweisergebnisses zu begründen. Es kann jedoch nicht die Rede davon sein, dass dies der primäre Zweck der §§ 136 Abs. 2, 136a StPO ist, denn die Täuschung schließt die Ermittlung zutreffender Beweisergebnisse keinesfalls aus (siehe dazu insgesamt S. 160 ff.). 201  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 73. 202  Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 74 f.



D. Umfang und Grenzen des Verbots der Verwertung233

II. Fehlende Dispositionsbefugnis des Beschuldigten über die Anwendung inquirierender Verhörmethoden und die Verwertung der rechtswidrig erlangten Aussage Eng mit der Problematik der Ausweitung von Beweisverwertungsverboten auf entlastende Momente verbunden ist die Frage, ob der Beschuldigte über Beweisverwertungsverbote disponieren darf, ob er also der Verwertung eines rechtswidrig erhobenen Beweises zustimmen kann. Fest steht zunächst, dass das Verbot der Anwendung inquirierender Verhörmethoden nicht zur Disposition des Beschuldigten steht. Für die in § 136a Abs. 1 und 2 StPO normierten Verbote ergibt sich dies bereits aus § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO, der die Einwilligung des Beschuldigten in die Maßnahmen für unbeachtlich erklärt. Doch auch über die in § 136 Abs. 2 StPO festgelegte Zweckrichtung der Vernehmung kann der Beschuldigte nur begrenzt disponieren. Er kann der Vernehmung zwar selbst einen „faktischen“ Tataufklärungszweck zuweisen, indem er sein Wissen offenlegt und zur Wahrheitsfindung mit dem Vernehmenden kooperiert. Dabei kann er den Vernehmenden aber nicht von seiner Pflicht entbinden, zweckwidrige Verhörmethoden zu unterlassen. Dieses zentrale Verbot darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass einerseits die Strafverfolger in der Praxis darauf hinarbeiten, eine Einwilligung des Beschuldigten zu erlangen,203 und andererseits aus der Verweigerung der Einwilligung nachteilige Schlüsse ziehen.204 Im Bereich der Täuschung hat diese fehlende Dispositionsbefugnis über ihre Anwendung freilich ohnehin keine Relevanz, denn eine Einwilligung in die Täuschung ist nicht denkbar.205 De lege lata durch § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO ausgeschlossen ist ebenfalls die Dispositionsbefugnis des Beschuldigten über die Verwertung des rechtswidrig erhobenen Beweismittels. Wie oben bereits ausgeführt wurde, ist dies der eigentliche Regelungsgehalt der Vorschrift; die Existenz des Beweisverwertungsverbots wird lediglich implizit vorausgesetzt.206 Der Gesetzgeber 203  LR-StPO/Gleß

§ 136a Rn. 68; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 97. § 136a Rn. 68; vgl. zu weiteren Begründungsansätzen Eisen­ berg, Beweisrecht der StPO, Rn. 705. Die Begründung darin zu suchen, dass § 136a StPO die unverzichtbare Menschenwürde schützt (etwa Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 25 Rn. 17) scheitert schon daran, dass inquirierende Verhörmethoden nicht stets einen Eingriff in Art. 1 Abs. 1 GG darstellen, vgl. dazu auch Amelung, FG zum 10jährigen Jubiläum der Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 1 (8 f.). 205  So auch LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 69. Die fehlende Dispositionsbefugnis wirkt sich – und hier liegt auch in erster Linie ihr Zweck, denn der Beschuldigte wird kaum in Folter einwilligen – in erster Linie auf die Anwendung von Methoden wie der Hypnose, Narkoanalyse und den Einsatz von Lügendetektoren aus, vgl. zur Problematik der polygrafischen Untersuchung eingehend Frister ZStW 106 (1994), 303. 206  Grünwald JZ 1983, 716 (719); Hanack JZ 1971, 168 (169); Schünemann MDR 1969, 101. 204  LR-StPO/Gleß

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der Vorschrift hat dadurch einen gänzlich neuen Gedanken in die Strafprozessordnung eingefügt. Im Übrigen wurde und wird bis heute nämlich nicht angezweifelt, dass der Beschuldigte grundsätzlich in die Verwertung eines rechtswidrig erhobenen Beweises einwilligen kann.207 Insoweit ließe sich die Überlegung anführen, ob de lege ferenda nicht auch in Bezug auf verbotene Vernehmungsmethoden eine Verwertung der rechtswidrig erlangten Aussage in die Verantwortung des Beschuldigten zu stellen ist. Dadurch würde sich auch der soeben dargelegte Streit um die Verwertung entlastender Beweise erledigen; der Beschuldigte könnte dann schlicht ihrer Verwertung zustimmen. Eine Dispositionsbefugnis über die Verwertung könnte sich in Bezug auf die §§ 136 Abs. 2, 136a StPO aus dem Gedanken des durch sie geschützten nemo-tenetur-Prinzips ergeben. Schon seiner Natur nach ist das nemo-tenetur-Prinzip teilweise ein Dispositionsrecht des Beschuldigten. Dieser ist nicht zur Mitwirkung am Strafverfahren verpflichtet; die (auf einem freien Willensentschluss beruhende) Mitwirkung ist ihm wohl aber gestattet. Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass der Beschuldigte, wenn er schon über seine Mitwirkung disponieren kann, erst recht über die Verwertung des rechtswidrig erhobenen Beweises disponieren können sollte. Damit würde man es sich allerdings zu einfach machen. Denn der Beschuldigte kann zwar über seine Mitwirkung disponieren; die Anwendung inquirierender Verhörmethoden ist aber keine freiverantwortliche Mitwirkung. Die Rechtsordnung schließt die Anwendung inquirierender Verhörmethoden als Methode des Erkenntnisgewinns aus. Der durch sie erhobene Beweis soll nicht zur Grundlage des Urteils gemacht werden – das Beweisverwertungsverbot ist das primäre Verbot!208 Legt man diesen Gedanken zugrunde, scheidet eine Dispositionsbefugnis des Beschuldigten aus. Die besondere Bedeutung des Verbots inquirierender Verhörmethoden, die sich auch darin widerspiegelt, dass der Beschuldigte in ihre Anwendung nicht einwilligen kann, darf nicht dadurch relativiert werden, dass der Beschuldigte sich im Nachhinein mit der Verwertung des belastenden Beweises einverstanden erklärt. Hinzu kommt die Problematik der Unzuverlässigkeit mittels inquirierender Verhörmethoden gewonnener Beweismittel. Der Beschuldigte mag im Einzelfall mit der Verwertung der unter Folter gewonnenen Aussage einverstanden sein; die Zweifel an deren Richtigkeit werden dadurch aber nicht beseitigt. Im Ergebnis gilt daher, dass der Beschuldigte, soweit er mit der Verwer207  Wie bereits zuvor dargelegt, geht die h. M. teilweise sogar noch weiter und macht etwa bei der Verletzung der Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO das Verwertungsverbot von einem ausdrücklichen Widerspruch des Beschuldigten bzw. seines rechtlichen Beistands abhängig. 208  Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 146; vgl. bereits oben S. 200 ff.



D. Umfang und Grenzen des Verbots der Verwertung235

tung der rechtswidrig erlangten Aussage einverstanden ist, die von ihm gemachten Angaben in der nachzuholenden ordnungsgemäßen Vernehmung wiederholen und dadurch auf freiverantwortlicher Basis zur Tataufklärung beitragen kann.

III. Erstreckung des Beweisverwertungsverbots auf „mittelbar“ erlangte Beweismittel? – Zur Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots 1. Umfang des Beweisverwertungsverbots Schließlich ist noch auf die vieldiskutierte209 Frage nach der Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten einzugehen. Man stelle sich den eines Tötungsdelikts Beschuldigten vor, der im Rahmen seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren von dem Polizeibeamten darüber getäuscht wird, dass die Leiche des Opfers soeben von den Ermittlungsbeamten gefunden wurde und dass sich nunmehr allenfalls noch ein Geständnis mildernd auf die ihn erwartende hohe Strafe auswirken könne.210 Unstreitig wäre die nachfolgende Aussage des Beschuldigten aufgrund der Täuschungsanwendung unverwertbar. Weniger offensichtlich ist jedoch der Umfang dieses Beweisverwertungsverbots. Macht der Beschuldigte konkrete Angaben, mittels derer die Ermittler nicht nur tatsächlich den Fundort der Leiche ausfindig machen, sondern darüber hinaus auch noch weitere Belastungsbeweise ermitteln, stellt sich die Frage, ob das Beweisverwertungsverbot auch die Unverwertbarkeit dieser mittelbar durch die rechtswidrige Vernehmung gewonnenen Beweise einschließt. Die Verwendung der Worte mittelbar und unmittelbar suggeriert ein sicheres Abgrenzungskriterium zwischen verschiedenen, durch eine rechtswidrige Maßnahme ermittelten, Beweisen. Dass dies aber nicht der Fall ist, hat Dencker211 zutreffend erörtert. Im Ausgangsbeispiel sind sowohl die Aussage als auch die daraus gewonnenen Erkenntnisse kausal auf die rechtswidrige Täuschung zurückzuführen; sie beruhen gleichermaßen auf dem Verfahrensverstoß. Wollte man begründen, dass es für die Reichweite des Beweisverwertungsverbots entscheidend darauf ankommt, dass hinsichtlich der „mittelbar“ gewonnenen Erkenntnisse noch die Aussage des Beschuldigten zwischengeschaltet war, bedürfte es einer eingehenden Erörterung anhand des positiven 209  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 76 (Fn. 242) spricht sogar von „über Gebühr diskutiert“. 210  Vergleichbare Beispiele finden sich etwa bei Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 77 und Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 158. 211  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 77 ff.

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Kap. 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots

Rechts.212 Denn das Verbot der Verwertung der Aussage darf auch nicht dadurch umgangen werden, dass der Vernehmungsbeamte als Zeuge von den Ausführungen des Beschuldigten berichtet.213 Auch diese Zeugenaussage ist letztlich nichts anderes als ein mittelbar durch die rechtswidrige Beschuldigtenvernehmung gewonnenes Beweismittel. Macht man sich diesen Umstand bewusst, schadet ein Rückgriff auf die Begriffsunterscheidung zwischen unmittelbar und mittelbar erlangten Beweisen jedoch nicht. Das offensichtlichste gegen eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten sprechende Argument bildet die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege. Diese ist, wie oben festgestellt (siehe S. 178 ff.), als Imperativ an den Gesetzgeber verfassungsrechtlich abgesichert und verlangt die Ausgestaltung der Strafverfahrensrechtsordnung in einer Weise, welche die Erreichung des Ziels des Strafverfahrens nicht verunmöglicht. In der Rechtsprechung und Teilen des Schrifttums wird besorgt, dass Beweisverwertungsverbote, sofern man ihnen einen derart weitgehenden Umfang einräumte, die „komplette Lahmlegung eines Strafverfahrens“ bewirken könnten,214 weshalb eine Fernwirkung nur im Ausnahmefall nach Abwägung der widerstreitenden Interessen in Betracht komme.215 Weitaus kritischer formuliert Baumann, der die Befürchtung äußert, dass sich der Beschuldigte durch geschickte Provokation unzulässiger Vernehmungsmuster selbst der Bestrafung entziehen könnte.216 Wie dem Beschuldigten eine solche Provokation gelingen sollte und ob ein geschulter Vernehmungsbeamter nicht in der Lage sein müsste, einer solchen Provokation zu rechtswidrigem Verhalten standzuhalten, erörtert Baumann nicht und soll auch an dieser Stelle nicht vertieft werden. Jedenfalls können Bedenken in Bezug auf die Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der Strafverfolger nicht einfach verworfen werden. Dazu eignet sich auch nicht der Hinweis von Dencker, dass die Fernwirkungsproblematik in der Praxis kaum eine Rolle spiele.217 Denn wie das oben gebildete Beispiel zeigt, sind entsprechende Fallkonstellationen ohne Weiteres denkbar und müssen daher auch von der Rechtsordnung ungeachtet ihrer geringen Praxisrelevanz gelöst werden. 212  So kritisiert denn auch Spendel NJW 1966, 1102 (1105), es sei „geradezu rabulistisch, zwischen der angeblich zulässigen Benutzung des (durch die Aussage erlangten) Wissens und der zweifelsfrei unzulässigen Verwertung der (das Wissen vermittelnden) Aussage einen Unterschied zu konstruieren“. Dem zustimmend SK-StPO/ Rogall § 136a Rn. 109. 213  Rogall JZ 1998, 944 (950); LR-StPO/Gleß § 136a Rn. 73. 214  BGHSt  22, 129 (136); BGHSt  27, 355 (358); BGHSt  32, 68 (71); BGHSt  34, 362 (364); BGHSt 51, 1 (8). Bedenken äußert auch Rogall ZStW 91 (1979), 1 (39). 215  BGHSt 51, 1 (7); Rogall ZStW 91 (1979), 1 (39). 216  Baumann GA 1959, 33 (42). 217  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 79 f.



D. Umfang und Grenzen des Verbots der Verwertung237

Ginge man davon aus, dass „fernwirkende“ Beweisverwertungsverbote zur Lähmung von Strafverfahren geeignet sind, wäre dies also durchaus ein Argument, mit dem man der Fernwirkung begegnen könnte. Allerdings kann dem Verweis auf die problematischen Folgen für die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege nicht ohne Weiteres zugestimmt werden.218 Dies gilt schon allein deshalb, weil empirische Erkenntnisse, die eine dahingehende Vermutung stützen, nicht vorliegen.219 Der bereits erwähnte Hinweis Denckers220 spricht sogar eher für das Gegenteil, dass nämlich Fernwirkungen von Beweisverwertungsverboten kaum geeignet sind, regelmäßig zur Nichtverurteilung von Straftätern beizutragen. Näher begründet wird die Sorge um die Handlungsfähigkeit der Strafverfolgungsorgane jedenfalls nicht. Ihr ist auch unter einem weiteren Gesichtspunkt zu widersprechen. Beweisverwertungsverbote sind ihrer Natur nach generell nicht nur dazu geeignet, Strafverfahren im Einzelfall „lahmzulegen“, sondern überdies gerade dazu bestimmt. Die Verwendung der Termini „Lahmlegung“ oder gar das „sich der Strafe Entziehen“ suggeriert, dass von den Beweisverwertungsverboten eine negative, ja eine unerwünschte Wirkung ausgeht. Durch die bloße Existenz von Beweisverwertungsverboten nimmt die Rechtsordnung aber in Kauf, dass diese bisweilen mit der Nichtverfolgbarkeit einer Straftat einhergehen.221 Seine Wurzeln findet dieser Umstand in der Überlegung, dass die Wahrheit nicht schlechthin, sondern nur im Rahmen der geltenden Gesetze ermittelt werden soll (vgl. bereits oben S. 175 ff.).222 Sofern dies nicht gelingt, ist der Beschuldigte freizusprechen oder das Verfahren einzustellen. Der Hinweis auf die Belange der Strafverfolgung ist daher jedenfalls solange ungeeignet, die fehlende Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten zu begründen, wie nicht davon auszugehen ist, dass die Möglichkeiten der Strafverfolgung durch sie unter den verfassungsrechtlich gewährleisteten Minimalstandard fallen. Bis dahin lässt sich die Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten nicht unter Verweis auf die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege ablehnen, ohne dadurch die Existenz von Beweisverwertungsverboten an sich in Frage zu stellen. Wenig ergiebig ist auch der Verweis auf den Wortlaut des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO, der ausdrücklich nur von der Unverwertbarkeit der Aussage 218  So auch schon Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 79 f.; Grün­ wald, Beweisrecht der StPO, S. 158; SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 115; Störmer, Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote, S. 246. 219  SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 115. 220  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 79 f. 221  Auch Störmer, Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote, S. 246 verweist darauf, dass kriminalpolitische Bedenken für sämtliche Beweisverwertungsverbote gleichermaßen gelten müssten. 222  I. Erg. zutreffend SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 115.

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Kap. 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots

spricht.223 Wie dargelegt wurde, wäre die strikte Unterscheidung zwischen der Aussage und anderen durch die Aussage gewonnenen Beweismitteln, rein formalistisch. Tatsächlich beruhen nicht nur beide Beweismittel kausal auf dem Rechtsverstoß,224 vielmehr wird die Aussage für das weitere Verfahren nützlich gemacht, wenn man sie zur Ermittlung weiterer Belastungsbeweise verwendet.225 Gerade dies schließt das Beweisverwertungsverbot aber aus. Der Versuch, die von der grundsätzlichen Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten ausgehende Gegenansicht anhand des geschriebenen Rechts zu begründen, ist freilich ebenso zum Scheitern verurteilt, sodass letztlich erneut nur ein Blick auf die Rationes einerseits der §§ 136 Abs. 2, 136a StPO, andererseits der Beweisverwertungsverbote im Allgemeinen weiterhilft. Schon Dencker hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Erstreckung der Beweisverbote auf mittelbar durch die rechtswidrige Erhebung gewonnene Beweismittel „eindeutige“ Konsequenz eines Verständnisses von Beweisverwertungsverboten ist, die der Befreiung des Strafverfahrens vom Makel rechtswidrigen Justizhandelns dienen.226 Dies gilt es ein wenig näher zu erörtern. Anerkennt man die Wirkung der Beweisverwertungsverbote als die positive Generalprävention des Urteils schützend, wäre eine Erstreckung ihres Umfangs auf mittelbar durch die rechtswidrige Maßnahme erlangte Tatsachen folgerichtig, sofern die werterhaltende Wirkung der Entscheidung unabhängig davon gefährdet ist, ob der Belastungsbeweis unmittelbar oder mittelbar rechtswidrig erhoben worden ist. Mit anderen Worten, die Identifikationsmöglichkeit mit dem vom Urteil ausgehenden werterhaltenden Appell müsste durch die Berücksichtigung des rechtswidrig erhobenen mittelbaren Beweismittels beeinträchtigt sein. Angesichts der obigen Ausführungen liegt dies durchaus nahe. Wie nämlich gezeigt wurde, ist die Differenzierung zwischen unmittelbar und mittelbar durch die rechtswidrige Maßnahme erhobenen Beweismitteln letztlich nicht mehr als ein Kunstgriff, um den Umfang der Beweisverwertungsverbote zugunsten der Handlungsfähigkeit der Strafverfolgungsorgane einzuschränken. Die Zwischenschaltung einer zusätz­ lichen Ermittlerhandlung ist nicht geeignet, den Zusammenhang zwischen der rechtswidrigen Erhebungsmaßnahme und dem Beweismittel zu durchbrechen. Ob die Aussage des Beschuldigten als solche zu Beweiszwecken verwendet oder als funktionales Mittel eingesetzt wird, um weitere Beweise zu ermitteln, kann keinen entscheidenden Unterschied machen. So oder so wird 223  Kleinknecht NJW 1966, 1537 (1544). Baumann GA 1959, 33 (36 f.) führt das Argument zwar an, geht aber davon aus, dass sich dem Wortlaut kein eindeutiges Ergebnis entnehmen lässt. 224  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 78. 225  SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 109. 226  Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 78 f.



D. Umfang und Grenzen des Verbots der Verwertung239

die Ermittlung des Tatverdachts aufbauend auf einer rechtswidrigen Maßnahme betrieben. Durch die Ablehnung einer Fernwirkung würden nicht nur falsche Anreize für die Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden gesetzt werden. Vielmehr würde dies einem Appell an die Ermittlungspersonen gleichkommen, einen bereits erfolgten Eingriff möglichst vollständig auszunutzen, um dennoch an Beweismittel zu gelangen.227 All dies wird durch die Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO gestützt. Die mittelbaren Beweismittel beruhen auf einer Verletzung der Zweckrichtung der Vernehmung, die nicht mehr allein der Gewährung rechtlichen Gehörs zum Zwecke der Vorbringung entlastender Tatsachen diente, sondern durch die Anwendung inquirierender Verhörmethoden als Medium der Wahrheitsfindung missbraucht wurde. Beschränkte man das Beweisverwertungsverbot auf das unmittelbar erlangte Beweismittel in Form der Aussage, würde die Zweckbindung der Vernehmung relativiert werden. Auch § 136 Abs. 2 StPO lässt daher keinen anderen Schluss zu, als durch die rechtswidrige Vernehmung gewonnene Beweise unabhängig davon für unverwertbar zu erklären, ob sie „unmittelbar“ oder „mittelbar“ auf der inquirierenden Verhörmethode beruhen. 2. Die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe Die Befürchtung einer durch die Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten über Maßen beeinträchtigte Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege wird auch durch eine Überlegung entkräftet, die unter dem Stichwort der hypothetischen Kausalverläufe („hypothetical clean path“228) diskutiert wird. Insoweit sei der oben gebildete Fall zur Fernwirkungsproblematik (vgl. S. 235 f.) dahingehend modifiziert, dass sich feststellen lässt, dass die mittelbar durch die rechtswidrige Maßnahme gewonnenen Beweise (also diejenigen, die auf der Aussage des Beschuldigten beruhen) auch auf legalem Wege zu erlangen gewesen wären. Trifft das Gericht die Feststellung, dass der Beweis auf legalem Wege erlangt worden wäre, so entfällt grundsätzlich das Bedürfnis nach einem Beweisverwertungsverbot.229 Auch dies lässt sich durch den Zweck der Beweis227  Degener

GA 1992, 443 (449). BeckOK-StPO/Monka § 136a Rn. 33. 229  Für eine Beachtlichkeit hypothetischer Erwägungen auch Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 161; Peters, Gutachten 46. DJT, S. 91 (100 f.); Welp, Die strafprozessuale Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, S. 216; vgl. eingehend zur Diskussion Beulke ZStW 103 (1991), 657. Für die Abwägungslehre sind hypothetische Erwägungen dagegen lediglich ein i. R.d. Abwägung zu berücksichtigender Umstand, vgl. BGHSt 24, 125 (130). 228  Vgl.

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Kap. 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots

verwertungsverbote erklären. Die Gefahr für die werterhaltende Wirkung der strafprozessualen Entscheidung wird durch eine solche Feststellung so weit gemindert, dass es keines Beweisverwertungsverbots mehr bedarf.230 Die Identifikationsmöglichkeit mit dem Appell ist hinreichend gegeben. Daher genügt auch nicht die bloße Vermutung des Gerichts, dass das Beweismittel ohnehin erlangt worden wäre. Dies muss vielmehr hinreichend dargelegt werden.231

E. Abschließende Überlegungen und Zusammenfassung der Ergebnisse Beweisverwertungsverbote agieren stets an der Nahtstelle zwischen dem Bedürfnis nach Justizförmigkeit des Strafverfahrens und der „kriminalpolitischen Gretchenfrage“232, ob Beweise und Indizien, obgleich sie die Schuld des Täters wahrscheinlicher werden lassen oder steigern, aufgrund von Verfahrensfehlern nicht verwendet werden sollen mit der denkbaren Folge, dass das einzelne Strafverfahren „lahmgelegt“ wird. Schon vor dem Hintergrund dieses Interessenkonflikts verwundert es nicht, dass die herrschende Meinung eine Lösung über die Abwägung der widerstreitenden Interessen sucht und ein Beweisverwertungsverbot nur dann für geboten hält, wenn die Abwägung zugunsten der Interessen des Beschuldigten ausfällt.233 Für eine solche Interessenabwägung ist jedoch regelmäßig kein Raum, denn die Strafprozessordnung selbst berücksichtigt bereits sowohl die Individualinteressen der von einer Ermittlungsmaßnahme Betroffenen sowie das Interesse an der Tatverdachtsaufklärung, die für die Erreichung des Strafverfahrensziels – der Herstellung positiver Generalprävention – unabdingbar ist. Ohnehin ist die Reaktion mittels Beweisverwertungsverboten kein Instrument zur Wahrung von Individualrechten. Sie soll die durch die strafprozessuale Entscheidung bewirkte positive Generalprävention absichern. Eine Entscheidung kann nämlich nur solange werterhaltend wirken, wie die mit der Entscheidung zu erreichenden Bürger auch die Möglichkeit haben, sich mit ihr zu identifizieren. Dies ist aber nur dann denkbar, wenn der Staat innerhalb des von ihm selbst gesetzten rechtlichen Rahmens agiert. dagegen Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 81 f. JZ 1966, 489 (495). 232  So SK-StPO/Rogall § 136a Rn. 115 in Bezug auf die Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten. 233  BGHSt 24, 125 (130); Dalakouras, Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre, S. 131 ff.; Joerden JuS 1993, 927 (931); Kelnhofer, Hypothetische Ermittlungsverläufe im System der Beweisverbote, S. 73 ff.; Koriath, Über Beweisverbote im Strafprozeß, S. 95 ff.; Neuber NStZ 2019, 113. 230  Kritisch

231  Grünwald



E. Abschließende Überlegungen und Zusammenfassung der Ergebnisse 241

Bedient sich der Vernehmende im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung einer inquirierenden Verhörmethode, also einer Maßnahme, die anders als von § 136 Abs. 2 StPO vorgeschrieben nicht der Gewährung rechtlichen Gehörs dient, sondern der Wahrheitsermittlung, so sind die daraus gewonnenen Beweise unverwertbar. Anders als überwiegend angenommen, dient dieses Beweisverwertungsverbot nicht der Absicherung des § 136 Abs. 2 StPO. Das Gegenteil ist der Fall: Die Rechtsordnung will durch § 136 Abs. 2 StPO verhindern, dass inquisitorisch erlangte Beweismittel zur Begründung eines Schuldspruchs verwendet werden. Die Vorschrift nimmt der Vernehmung jegliches Wahrheitsermittlungsinteresse, sodass ein Versuch, den rechtswidrig erlangten Beweis gleichwohl für verwertbar zu erklären, zum Scheitern verurteilt ist. Auf die künstliche Unterscheidung zwischen unmittelbar und mittelbar gewonnenen Beweisen kann es dabei nicht ankommen. Die Sorge um die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege kann vor dem Hintergrund verworfen werden, dass der Beweis verwertbar ist, soweit das Gericht konkret darlegt, dass dieser auch auf legalem Wege zu erlangen gewesen wäre. Genauer betrachtet ist sogar ausnahmslos jeder Beweis, der unter Verletzung einer den Beschuldigten schützenden Norm erhoben worden ist, unverwertbar. Dies folgt aus Rechtsstaatlichkeitsüberlegungen sowie dem Zweck der Beweisverwertungsverbote. Die Bestrafung des Bürgers ist das schärfste Mittel des Staates und kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie auf einer rechtmäßig ermittelten Tatsachengrundlage beruht. Durch die Schaffung von Beweiserhebungsvorschriften macht die Rechtsordnung hinreichend deutlich, dass sie an dem entsprechenden Beweismittel nur insoweit „interessiert“ ist, als dieses auf dem dafür vorgesehenen Wege erlangt worden ist. Etwas anderes gilt lediglich im Falle der Verletzung von Rechtsnormen, die nicht dem Interesse des Beschuldigten dienen, sondern drittschützender Natur sind. Hier bedarf es zur Begründung eines Verwertungsverbots eines zusätzlichen, in der Irreparabilität des verletzten Schutzzwecks liegenden, Kriteriums. Da der Eingriff in die Rechte Dritter nicht in gleichem Maße geeignet ist, die generalpräventive Wirkung des Urteils in Frage zu stellen, ist die Verwertung nur dann zu unterlassen, wenn diese den rechtswidrigen Eingriff vertiefen würde. Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen kommt hingegen ausschließlich dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber nicht durch die Schaffung von Beweiserhebungsvorschriften eine implizite Wertung getroffen hat. Dieses den hiesigen Ausführungen zugrundeliegende „theoretische Grundgerüst“ bildet die Ausgangslage für die Bestimmung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots im Einzelfall. Konkret erfordert die Unverwertbarkeit aufgrund einer Verletzung des § 136 Abs. 2 StPO zunächst die Anwendung einer inquirierenden Verhörmethode. Der Vernehmende muss also dem Entlastungszweck der Vernehmung zuwiderhandeln, mit Blick auf das

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Kap. 4: Prozessuale Folgen der Verletzung des Täuschungsverbots

Thema der Arbeit ist insbesondere an eine Täuschung des Beschuldigten im Sinne der obigen Begriffsdefinition zu denken. Diese Täuschung muss sich in einer Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Beschuldigten manifestieren. Daran fehlt es etwa, wenn der Beschuldigte der Täuschung keinen Glauben schenkt oder ohnehin geständnisbereit war. Auch die Beeinträchtigung der Willensfreiheit aus einem dem Staat nicht zurechenbaren Umstand ist nicht geeignet, ein Verwertungsverbot zu begründen. Der Nachweis dieser Anforderungen hat im Strengbeweisverfahren zu erfolgen, wobei der konkrete Nachweis der Täuschungsanwendung, auf den der in-dubio-pro-reoGrundsatz Anwendung findet, die Willensfreiheitsbeeinträchtigung sowie die Ursächlichkeit der Täuschung indiziert. Die Rechtsfolge des Beweisverwertungsverbots ist ein umfassendes Verwendungsverbot der betroffenen belastenden Tatsachen. Diese sind als nicht existent zu behandeln. Entlastende Beweise hingegen sind aus diversen Gründen, wobei schon der Verweis auf das Schuldprinzip ausreichend ist, stets zu verwerten. Über das die belastenden Umstände betreffende Verwertungsverbot kann der Beschuldigte de lege lata nicht disponieren. Ist er mit der Verwertung seiner Aussage einverstanden, kann er die belastenden Angaben in der ordnungsgemäß nachzuholenden Vernehmung wiederholen.

Kapitel 5

Abschließende Bemerkungen und Ausblick A. Überblick über die gewonnenen Erkenntnisse „Die Vernehmung soll dem Beschuldigen die Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.“ Dieser in § 136 Abs. 2 StPO kodifizierte Satz stellt nicht nur die Kernvorschrift zum Schutze des Beschuldigten in der Vernehmung dar; er bildet auch die Grundlage nahezu sämt­ licher im Rahmen dieser Untersuchung herausgearbeiteten Ergebnisse. Es erscheint mir daher folgerichtig, ihm auch die zentrale Position am Beginn meiner abschließenden Bemerkungen einzuräumen. Schon während des Gesetzgebungsprozesses höchst umstritten – während auf der einen Seite die Sorge um die Handlungsfähigkeit der Strafverfolgungsorgane geäußert wurde, beklagten Kritiker auf der anderen Seite, dass die Vorschriften zur Beschuldigtenvernehmung weiterhin den Geist des Inquisitionsprozesses atmeten  –, fiel die Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO einem bemerkenswerten Wandel „zum Opfer“. Bei Inkrafttreten der Reichsstrafprozessordnung im Jahr 1879 war man sich jedenfalls noch einig, dass aus der Vorschrift die Unzulässigkeit sämtlicher inquisitorischer Praxis in der Vernehmung folgte, wobei der Begriff der Inquisition nicht, wie man retrospektiv annehmen mag, auf den Einsatz von Folter beschränkt war. Gemeint waren vielmehr sämtliche Maßnahmen, die auf die Ermittlung der Wahrheit ausgerichtet waren. Wie der Wortlaut des § 136 Abs. 2 StPO bereits nahelegt, sollte die Beschuldigtenvernehmung fortan ausschließlich zu dem Zwecke erfolgen, dem Beschuldigten die Möglichkeit zu geben, sich zu dem gegen ihn gerichteten Tatvorwurf zu äußern und die vorliegenden Verdachtsmomente auszuräumen. Obgleich diese Kernaussage in ihrem Wortlaut unangetastet weiterhin in der Strafprozessordnung existiert, ist sie mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. In seltener Eintracht gehen Rechtsprechung und herrschende Meinung im Schrifttum heute davon aus, dass die Vernehmung des Beschuldigten zwar durchaus der Entlastung dienen soll. Für zwingend erachtet wird dies jedoch nicht mehr; stattdessen komme der Vernehmung auch ein untergeordneter Aufklärungszweck zu. Zweifel daran, ob sich dieser Aufklärungszweck in der Praxis tatsächlich noch als untergeordnet darstellt, liegen auf der Hand. Grund dafür ist auch die als Reaktion auf das Unrecht

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Kap. 5: Abschließende Bemerkungen und Ausblick

der nationalsozialistischen Justiz kodifizierte Vorschrift des § 136a StPO, die zwar durchaus ihre Daseinsberechtigung hat,1 deren Existenz indes suggeriert, dass es sich um die zentrale Norm zur Vermeidung rechtswidriger Vernehmungsmethoden handelt. Warum also kommt der Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO für die Untersuchungen der Verhörmethode der Täuschung eine so zentrale Rolle zu? Die Antwort ist simpel. Ist die Beschuldigtenvernehmung ihrer Natur nach nur eine Gelegenheit für den Beschuldigten zur Selbstentlastung, ist eine Täuschung des Beschuldigten in der Vernehmung ohne Rücksicht auf ihre Intensität und ihre Folgen für die Sachverhaltsermittlung unzulässig. Der gleichwohl vorgenommene Versuch der Begrenzung dieses Täuschungsverbots, etwa über einen Verweis auf zulässige kriminalistische List, ist a priori zum Scheitern verurteilt. Selbst wenn man mit dem Begriff der kriminalistischen List arbeiten wollte, so lässt sich dennoch nicht abstreiten, dass auch diese dem Vernehmungszweck des § 136 Abs. 2 StPO zuwiderläuft. Zwar mag man sich im Einzelnen darüber streiten, wie der Begriff der Täuschung zu verstehen ist, sodass sich hier ein gewisses „Einschränkungspotential“ offenbart. Mit Blick auf den Schutzzweck des § 136 Abs. 2 StPO ist aber grundsätzlich von einem weiten Täuschungsbegriff auszugehen. In jedem Fall gilt die Maxime, dass in der Beschuldigtenvernehmung nichts geschehen darf, was nicht der Gewährung rechtlichen Gehörs dient. Die in § 136 Abs. 2 StPO kodifizierte Zweckrichtung der Vernehmung ist verfassungsrechtlich durch das Prinzip nemo tenetur se ipsum accusare abgesichert. Dieses schließt nicht nur eine Verpflichtung des Beschuldigten zur Vornahme von Mitwirkungshandlungen aus, sondern garantiert darüber hi­ naus einen der Mitwirkung zugrundeliegenden Willensbildungsprozess frei von staatlicher Beeinflussung. Der Rechtsordnung liegt die Auffassung zugrunde, dass ein solcher freier Willensbildungsprozess nur möglich ist, wenn der Vernehmende nicht zum Zwecke der Wahrheitsfindung agieren darf. Daher ist § 136 Abs. 2 StPO als die Kernvorschrift zum Schutze des nemotenetur-Prinzips in der Beschuldigtenvernehmung anzusehen. In diesem Sinne stellen Täuschungen in der Vernehmung stets eine Verletzung der Aussagefreiheit dar. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass das Grundgesetz gleichermaßen die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege 1  Man denke nur an die Regelung der Indisponibilität der Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden sowie des Beweisverwertungsverbots in Abs. 3. Zudem gilt die Vorschrift über den Verweis in § 69 Abs. 3 StPO auch für die Zeugenaussage, auf die § 136 Abs. 2 StPO naturgemäß nicht übertragen werden kann, da die Zeugenaussage ein Mittel zur Wahrheitsfindung ist. All dies sind wichtige Regelungsinhalte des § 136a StPO. Wie Frister, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. F Rn. 86 zu Recht ausführt, darf auch die symbolische Bedeutung des § 136a StPO nicht unterschätzt werden.



A. Überblick über die gewonnenen Erkenntnisse245

garantiert. Zwar ist entgegen einer teilweise in der Literatur anzutreffenden Auffassung anzunehmen, dass die Verfassung ein solches Gebot kennt. Die Funktionstüchtigkeitsgarantie ist jedoch kein Abwägungstopos, der staatliches (Fehl‑)Verhalten bei der Ermittlung von Straftaten rechtfertigen kann, sondern ein verfassungsrechtlicher Imperativ an den Gesetzgeber zur Schaffung einer Strafverfahrensrechtsordnung, im Rahmen derer die Erreichung des Ziels positiver Generalprävention möglich ist. Konkrete Schlüsse für die (Un-)Zulässigkeit von Ermittlungsmaßnahmen oder gar das Gebot, in einer bestimmten Art und Weise zu ermitteln, lassen sich daraus jedenfalls nicht ziehen. Täuscht der Vernehmende den Beschuldigten ungeachtet dieses Verbots, ist darauf unter der Bedingung, dass dadurch die Willensfreiheit des Beschuldigten beeinträchtigt wird, mit einem Beweisverwertungsverbot zu reagieren. De lege lata lässt sich dieses ohne Weiteres der Vorschrift des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO entnehmen. Das Beweisverwertungsverbot ergibt sich aber auch bereits aus der Überlegung, dass § 136 Abs. 2 StPO als situatives Beweis­ erhebungsverbot die Vernehmung generell aus dem Instrumentarium der Beweisermittlung herausnimmt. Grund dafür ist, dass die Rechtsordnung eine zweckwidrig erhobene Aussage des Beschuldigten nicht als Grundlage eines gegen ihn gerichteten Schuldspruchs zulassen will. Der Beschuldigte ist durch seine Mitwirkungsfreiheit – hier konkret in Form der Aussagefreiheit – nicht zu einer Mitwirkung am eigenen Strafverfahren verpflichtet. Dieses Recht wird unterlaufen, wenn der Vernehmende Mittel anwendet, die auf den der Aussage zugrundeliegenden Willensbildungsprozess einwirken. Eine solche Aussage soll als Beweismittel ausgeschlossen sein. Unter Zugrundelegung dieser These erübrigt sich eine auf die Begründung der Verwertbarkeit gerichtete Diskussion. Dies gilt vor allem für die Abwägungslehre (bzw. Fehlerfolgenlehre), die dem Individualinteresse des Beschuldigten an der Unverwertbarkeit das öffentliche Interesse an der Verwertung gegenüberstellt. Aus § 136 Abs. 2 StPO folgt deutlich, dass es kein öf­ fentliches Interesse an der Verwertung gibt. Einer näheren Begründung bedürfen lediglich Beweisverwertungsverbote, die auf der Verletzung einer anderen Vorschrift beruhen. Doch auch hier ist  – soweit die Vorschrift die Rechte des Beschuldigten schützt – davon auszugehen, dass der Verfahrensverstoß zu einer Unverwertbarkeit des ermittelten Beweises führt. Grund dafür ist die Überlegung, dass Beweisverwertungsverbote die positiv-generalpräventive (scil. die werterhaltende) Wirkung einer strafprozessualen Entscheidung absichern sollen. Der mit der Entscheidung verbundene Appell kann seine Wirkung nur dann entfalten, wenn eine hinreichende Identifika­ tionsmöglichkeit mit diesem besteht.2 Diese wird durch die Verletzung einer 2  Dencker,

Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 68.

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Kap. 5: Abschließende Bemerkungen und Ausblick

Beweiserhebungsvorschrift, durch die der (historische) Gesetzgeber bereits eine abschließende Wertung getroffen hat, jedoch behindert. Aus alledem folgt freilich auch, dass Täuschungen sowie Heimlichkeit im weiteren Sinne außerhalb der Vernehmung grundsätzlich unbedenklich sind. Die Strafprozessordnung konzentriert ihren Schutz auf die Vernehmungssituation, indem sie diese zum bloßen Mittel rechtlichen Gehörs deklariert. Im Übrigen dient das Strafverfahren der Tatverdachtsaufklärung. Eine Übertragung des vernehmungsspezifischen Täuschungsverbots auf andere Bereiche verbietet sich. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Beschuldigte außerhalb der Vernehmungssituation schutzlos gestellt ist und die Ermittler  – um in den Worten Belings3 zu sprechen – „ad detegendam veritatem rücksichtslos mit der Fackel hineinleuchten [dürfen] in das finsterste Dunkel“. Der dem Beschuldigten dort gewährte Schutz ist freilich weitaus geringer als in der Vernehmung. So sind heimliche, gleichsam mit einem Täuschungsmoment einhergehende, Ermittlungsmaßnahmen wie technische Überwachungsmaßnahmen mit dem nemo-tenetur-Prinzip grundsätzlich vereinbar. Grenzen erfährt der Handlungsspielraum der Ermittler aber über andere Grundrechte des Beschuldigten, etwa über das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG und den die absolute Grenze darstellenden, aus der Menschenwürdegarantie folgenden, Kernbereich persönlicher Lebensgestaltung.

B. Rechtspolitischer Ausblick auf das Ermittlungsverfahren Aus den im Rahmen dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnissen folgt ein rechtspolitischer Handlungsbedarf in Bezug auf verdeckte personale Ermittlungsmethoden der Strafverfolgungsbehörden. Wie dargelegt wurde, besteht ein generelles Verbot der Täuschung ausschließlich im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung, sodass heimliche Ermittlungsmethoden im Übrigen im Rahmen der geltenden Vorschriften und unter Wahrung der Grundrechte unbedenklich sind. Bedenklich ist dagegen der Einsatz von verdeckt handelnden Ermittlungspersonen, also allen voran von Verdeckten Ermittlern, Vertrauenspersonen und nicht offen ermittelnden Polizeibeamten. Deren Einsatz ist zwar ebenfalls grundsätzlich zulässig, unterliegt jedoch einer Ausnahme. Tritt der Ermittelnde in persönlichen kommunikativen Austausch mit dem Beschuldigten, handelt es sich nach dem hier vertretenen funktionalen Vernehmungsbe3  Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozeß, S. 2.



B. Rechtspolitischer Ausblick auf das Ermittlungsverfahren 247

griff um eine Beschuldigtenvernehmung, für die der Anwendungsbereich der §§ 133 ff. StPO eröffnet ist. Der Ermittelnde  – bzw. genauer der Vernehmende – unterliegt daher sämtlichen Belehrungspflichten und darf nur im Rahmen der Zweckbestimmung des § 136 Abs. 2 StPO agieren. Daraus folgt, dass der Einsatz von verdeckt handelnden Ermittlern zur Umgehung der strengen Anforderungen an die Beschuldigtenvernehmung rechtswidrig ist. Gleichwohl auf diesem Wege ermittelte Beweise sind nicht verwertbar. Die Strafprozessordnung erlaubt einen solchen Einsatz insbesondere in § 110a StPO für Verdeckte Ermittler und ist daher gewissermaßen in sich widersprüchlich. Während sie der Vernehmung in § 136 Abs. 2 StPO einen reinen Entlastungszweck zuweist, ermöglicht sie durch § 110a StPO Vernehmungen, die ausschließlich der Wahrheitsfindung dienen. Dieser Widerspruch ist de lege ferenda durch die Einschränkung entsprechender Ermächtigungsgrundlagen aufzulösen. Ausreichend dürfte insoweit bereits das Anfügen eines Verweises auf die Vorschrift des § 136 Abs. 2 StPO sein, durch den deutlich gemacht wird, dass, soweit der Kontakt zwischen der verdeckt handelnden Person und dem Beschuldigten eine Vernehmungssituation begründet, die Zweckrichtung der Vernehmung zu beachten ist. Abschließen möchte ich die Ausführungen mit einem Zitat Eb. Schmidts4, das zwar auf die Vorschrift des § 136a StPO zugeschnitten ist, die im Rahmen dieser Arbeit oft hinter § 136 Abs. 2 StPO zurücktreten musste, meines Erachtens jedoch nach wie vor treffende Zustandsbeschreibung des Vernehmungsrechts sowie Appell gleichermaßen ist: „§ 136a ist als Bollwerk gegen das erneute Einreißen von Vernehmungsmethoden gedacht, die entsetzliches Unheil angerichtet haben. Wie nötig dieses Bollwerk ist, wird das nicht durch Vorkommnisse bestätigt, die uns immer wieder erschrecken lassen darüber, daß auch außerhalb totalitärer Staaten Gewalttätigkeiten bei polizeilichen Vernehmungen im Bereiche des Möglichen liegen?“

4  Eb. Schmidt

JR 1962, 109 (111).

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Sachwortverzeichnis Absolute Strafzwecktheorie  29, 193 f. Akteneinsicht  98 ff. Anfangsverdacht  28 ff. Aufklärungspflichten  87 ff. Belastungsverbote  225 ff. Belehrungspflichten  87 ff. Beschuldigteneigenschaft  25 ff. Betrug  81 f., 112 ff. Beurteilungsspielraum  31 f., 97 Beweisverwertungsverbote  80 f., 186 ff. Constitutio Criminalis Carolina (CCC)  40 ff. Dispositionsbefugnis  187, 233 ff. Erinnerungsverfälschung  167 f., 172 Fahrlässige Täuschung  108 ff.,  117 f., 195, 198 Fangfragen  102 ff., 153, 222 Fernwirkung  235 ff. Folter  40 ff., 121 ff., 129 f., 152, 160 f., 196 ff. Freibeweisverfahren  216 ff. Freie richterliche Beweiswürdigung  40 ff., 189, 221 Friedrich II. von Preußen  41 ff. Funktionstüchtigkeit der Strafrechts­ pflege  160 ff., 236 ff., 239 Geständnis  40 ff., 73 f., 160 ff. Großer Lauschangriff  124 ff. Guilty bzw. confirmation bias  161 ff.

Heilung  224 f. Hörfalle  60 f., 143 ff. Hypothetische Kausalverläufe  239 f. In dubio pro reo  218 ff. Informatorische Befragung  58 f. Inkulpationsakt  35 ff. Inquisitionsprozess  40 ff., 176 Irrtum  80 f. Kausalität  214 ff., 222 f. Kernbereich privater Lebensgestaltung  124 ff.,  190 f., 205 Konkludente Täuschung  78 ff., 83 f. Legalitätsprinzip  28 ff., 130 Legendierte Kontrollen  21 Lügen- und Ungehorsamsstrafen  43 f., 45 ff. Menschenwürde  121 ff. Minimierungs- und Maximierungs­ techniken  164 ff. Mitteilung der Verdachtsgründe  95 ff. Mitwirkungsfreiheit  61, 131 ff., 211 ff. Nationalsozialismus  54 ff. Positive Generalprävention  29 f., 175 ff., 192 ff., 232, 238 f. Psychische Erkrankungen  127 f., 169 ff., 171 ff. Rechtsschutzgarantie  31 Reichsstrafprozessordnung (RStPO)  44 ff., 111 f. Reid-Technik  162 f.

276 Sachwortverzeichnis Schuldprinzip  150, 229 ff. Selbstanzeige  150 Soll-Vorschriften  52 ff., 94 f. Spontanäußerungen  57 f. State Agent  64 ff., 184, 203 Strafvollzug  128 f. Strengbeweisverfahren  216 ff. Suggestibilität  169 ff. Suggestivfragen  41, 104 ff., 167

Untersuchungshaft  54, 98 ff., 128 f.

Tatsachenbegriff  67 ff. Täuschung als kommunikatives Verhalten  78 ff., 82 f., 85 ff. Täuschung durch Unterlassen  78 ff., 84 ff. Täuschungsabsicht  92, 107 ff. Täuschungsbegriff  118 f.

Vis absoluta und vis compulsiva  139 ff.

Überwachungsmaßnahmen  60 f., 124 ff., 143 ff., 157 ff.

Verdächtiger Zeuge  34 f. Verdeckter Ermittler  62 f., 126 ff., 145 f., 155 ff., 173, 184, 246 f. Vernehmungsbegriff  56 ff. Verständigung im Strafverfahren  151 f., 179 f. Vertrauenspersonen  64 ff., 155 ff., 246 f.

Wahrheitsermittlungsinteresse  39 ff., 49 ff., 160 ff., 200 f., 241 Werturteile  74 f. Zeuge  25 f., 170 f. Zweck der Beschuldigtenvernehmung  38 ff. Zweck des Täuschungsverbots  115 f.