Die Suche nach einem angemessenen Bild der Geschichte: Re-Inszenierung und Rekonstruktion der Antike in Schrift, Form und Farbe von J. J. Winckelmann bis heute 9783422800557, 9783422988972

The publication focuses on the relationship between needs-oriented images of history and the adoption of historical arti

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German Pages 224 Year 2022

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Table of contents :
Inhalt
1 Vorwort
2 Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert
Einleitung
2.1 Geschichte als subjektive Konstruktion
2.2 Zeitbezogene philosophische Grundlagen des Historisierungsbedürfnisses
2.3 Antike als perfekte Identifikationsplattform
2.4 Antikenverehrung und Re-Inszenierung im Stadtbild am Beispiel Münchens
2.5 Entwicklung eines Erinnerungsorts der Antike
2.6 Winckelmanns Erinnerungsort der antiken Griechen
2.7 Idealisierung attischer Bauformen
2.8 Farbe als Zankapfel: Polychromiestreit oder Paragoneproblem?
2.9 Hierarchisierung der Kunstgattungen Skulptur und Malerei
3 Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert
3.1 Archäologische Farbrekonstruktionen
3.2 Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen: Eigene Gedanken zur ästhetischen Wirkung polychromer Skulpturen
3.3 Hypothetische Farbrekonstruktionen
3.4 Vermittlungsarbeit
4 Schlusswort
5 Annex
Literaturverzeichnis
Dank
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Die Suche nach einem angemessenen Bild der Geschichte: Re-Inszenierung und Rekonstruktion der Antike in Schrift, Form und Farbe von J. J. Winckelmann bis heute
 9783422800557, 9783422988972

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Die Suche nach einem angemessenen Bild der Geschichte

Katharina Ute Mann

Die Suche nach einem angemessenen Bild der Geschichte Re-Inszenierung und Rekonstruktion der Antike in Schrift, Form und Farbe von J. J. Winckelmann bis heute

Impressum

Lektorat: Andrea Nabert, Leipzig Umschlaggestaltung: Monika Wojtaszek-Dziadusz Layout und Satz: Andreas Eberlein, aromaBerlin Druck und Bindung: Druckhaus Sportflieger, Berlin Verlag: Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München Lützowstraße 33 10785 Berlin www.deutscherkunstverlag.de Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH Berlin Boston www.degruyter.com Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Venus von Milo (teilweise koloriert), ca. 130 v. Chr., Louvre Paris, Foto: K. Mann © 2022 Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München ISBN 978-3-422-98897-2 e-ISBN (PDF) 978-3-422-80055-7

Inhalt 1 Vorwort

7

2 Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

19

2.1 Geschichte als subjektive Konstruktion

21

2.2 Zeitbezogene philosophische Grundlagen des Historisierungsbedürfnisses

23

2.3 Antike als perfekte Identifikationsplattform

27

2.4 Antikenverehrung und Re-Inszenierung im Stadtbild am Beispiel Münchens

30

2.5 Entwicklung eines Erinnerungsorts der Antike

38

Winckelmann als Wegbereiter des Antikenkults

2.6 Winckelmanns Erinnerungsort der antiken Griechen

41

Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (1755) Anmerkungen über die Baukunst der Alten (1762)

2.7 Idealisierung attischer Bauformen

46

Leo von Klenze Franz Kugler Gottfried Semper

2.8 Farbe als Zankapfel: Polychromiestreit oder Paragoneproblem?

51

Winckelmann und der Verlust von Farbe Zeitgenössischer Kunstgeschmack Ablehnung aufgrund von Vorurteilen Ablehnung der Fusion von Malerei und Architektur Mimetische Polychromie Totale Polychromie Semper contra Kugler: Polychromiedebatte als Kompetenzstreit Goethes Farbenlehre Farbarrangement im Goethehaus am Frauenplan

2.9 Hierarchisierung der Kunstgattungen Skulptur und Malerei Winckelmann über Malerei und Bildhauerei der Griechen Der Einfluss der Pigment-Fragilität auf die ästhetische Wahrnehmung der Artemis von Pompeji Neuinterpretation antiker Malerei im 19. Jahrhundert Themenwahl und -umsetzung Körperlichkeit und Aspektive am Beispiel Gustav Klimts Arnold Böcklins Adaption antiker Maltechniken (Gemälde und Skulpturen) Georg Treus Sollen wir unsere Statuen bemalen? (1884) Richard Wagners Konzept des Gesamtkunstwerks am Beispiel der Villa Stuck

81

6

Inhalt

3 Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

127

3.1 Archäologische Farbrekonstruktionen

127

3.2 Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen: Eigene Gedanken zur ästhetischen Wirkung polychromer Skulpturen

141

Pictorial Turn beziehungsweise die Bedeutung angemessener Bilder Polychromie antiker Skulpturen: Kolorierung oder Malerei? Der Einfluss von Malmittel und -techniken auf die ästhetische Wirkung Eduard Magnus’ Die Polychromie vom künstlerischen Standpunkte (1872) Antike Farblehre, erörtert am Beispiel der hellenistischen Fassmalerei Künstlerische Kooperation von Bildhauern und Malern am Beispiel der Aphrodite von Knidos Temperamentenlehre und Inkarnatfarben Versuch einer hypothetischen Farbrekonstruktion

3.3 Hypothetische Farbrekonstruktionen

173

Auseinandersetzung mit dem antiken Farbkonzept der Venus von Milo

3.4 Vermittlungsarbeit

180

4 Schlusswort

189

Ethik des Rekonstruierens

5 Annex

199

Grundlageninformationen zur Anfertigung hypothetischer Farbrekonstruktionen antiker Skulpturen Robertsons Untersuchungen zur Griechischen Malerei Rekonstruktion antiker Maltechniken nach Berger Ägyptische Malerei Homers Charakterisierung der Figuren durch Inkarnatfarbe

Literaturverzeichnis

209

Dank

223

1 Vorwort In dieser Publikation soll einem spezifischen Phänomen auf die Spur gegangen werden, in dem Kollektive andere Epochen in ihre Kultur aufnehmen, um sich über sie zu definieren. Diese in der Geschichte immer wieder vorkommende Erscheinung ist nicht nur ein charakteristisches Merkmal vergangener Zeitalter, wie beispielsweise des Historismus, sondern prägt auch unsere Zeit nachhaltig. Hiermit sind nicht nur Design-Aspekte mit ihrer Ausdrucksform des „Retro“ gemeint, die sich seit Längerem mit dem Mid-­Century des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen, sondern vor allem die neue Historisierung von Stadtzentren; diese werden nach den architektonischen Verlusten des Zweiten Weltkriegs in den 50er und 60er Jahren neu befüllt und nun wieder abgebaut, um durch Re-Inszenierungen beziehungsweise Rekonstruktionen der Innenstädte den „vermeintlichen Verlust“ der eigenen Identität durch die Anknüpfung an alte Formen auszugleichen. Diesbezüglich erläutert Aleida Assmann in ihrem Aufsatz Der Kampf und die Stadt als Identitätsverankerung und Geschichtsspeicher: „Das neue architektonische Phänomen der Rekonstruktion ist ein unmittelbarer Ausdruck dieses veränderten Verhältnisses gegenüber Vergangenheit und Zukunft. Der Blick wendet sich ab von der Zukunft als dem Generalversprechen des Neuen und konzentriert sich auf die Möglichkeit der Wiederherstellung und Erneuerung von Vergangenheit. […] Heute, in der Epoche der Rekonstruktion, geht es […] um die Reklamierung vom historischen Erbe und damit um die Frage des städtischen, historischen und nationalen Selbstbilds. Die Rekonstruktion macht Platz nicht für eine neue Zukunft sondern für eine neue Vergangenheit.“1

Ebenso wie die Rekonstruktion dient auch die Re-Inszenierung dem nationalen Ich als Identitätsstütze durch eine Verschmelzung mit einem historischen Erinnerungsort.

1

Assmann 2012, S. 80–81.

8

Vorwort

Im Unterschied zur Rekonstruktion, in der versucht wird, das historische Aussehen in bekannter Form wieder herzustellen, wird bei dem Wieder-in-Szene-Setzen durch die Transformation eine Assoziation mit der glorifizierten Epoche ein historisierender Zeitgeist generiert; auf diesem Wege wird zwar etwas Neues erschaffen, jedoch in der Reflexion einer Suche nach einem angemessenen Bild der eigenen Geschichte. Dieses elementare Verlangen nach einem geeigneten „Geschichtsspeicher“2 kann dabei an drei Beispielen in Deutschland eindrücklich veranschaulicht werden: am Panorama Dresdens, an der neuen Altstadt von Frankfurt am Main sowie an der teilweisen Wiederherstellung des Stadtschlosses in Berlin. In Dresden wird bereits direkt nach 1945 damit begonnen, die Weichen für den Wiederaufbau des „alten Dresden“3 zu stellen, indem die Ruinen der historischen Bauten nicht abgetragen wurden; so sollte nichts Neues an ihren Platz gesetzt werden können, sondern eine optische Rekonstruktion des vergangenen Ruhms ermöglicht werden. Damit wurde eine Rückkehr zum sogenannten „Canaletto-Blick“ intendiert – dem Panorama auf „Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke“ (Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden, Gal.-Nr. 606), das der Maler Bernardo Bellotto (1722–1780) auf seinem Ölgemälde von 1748 eingefangen hatte. Durch den Rückgriff auf den Barock, ferner die Herrschaft Augusts des Starken, wird bewusst eine Wiederbelebung der glorreichen Zeit Dresdens angestrebt, die den alten Glanz in die heutige Zeit hineintragen soll. Das vermeintlich historische Habitat soll so der sächsischen Landeshauptstadt die ersehnte „Wiedergeburt“4 verschaffen. Im Gegensatz zu Dresden beginnt Frankfurt am Main die Transformation der historisierenden Altstadt relativ spät. Der Baubeginn der als Dom-Römer-Projekt (Abb. 1. und Abb. 2.) bekannten Idee zur Gestaltung der Neuen Frankfurter Altstadt wurde erst am 15.

2

3 4

Im Drei-Speicher-Modell werden kognitive Prozesse beim Verarbeiten von Informationen unterteilt in den Aufnahmespeicher, den Arbeitsspeicher und den Gedächtnisspeicher. Im zuletzt genannten werden Informationen langfristig abgelegt, auf die dann beim Erinnern zurückgegriffen werden kann. Meyer 1999, S. 88–89. Jörn-Axel Meyer erläutert ferner, dass „[d]ie Visualisierung – als Instrument der Gestaltung von Informationen – […] einen unmittelbaren Einfluß auf das Wahrnehmungserlebnis (Perzept) [hat]: Bei identischem Informationsinhalt können unterschiedliche Visualisierungsformen zu unterschiedlichen Perzepten führen […].“ Meyer 1999, S. 91. Die Metapher von der Stadt als Gedächtnisspeicher, wie sie von Aleida Assmann verwendet wird, impliziert so eine fragile Symbiose zwischen der Stadt als visuelles Wahrnehmungserlebnis und der kollektiven Erinnerung ihrer Bewohner. Infolgedessen bezeichnet Assmann einen Urbizid als „Mnemozid“, in dem die Zerstörung einer Stadt als bewusstes Mittel zur Tilgung des „Früheren“ eingesetzt wird. Assmann 2009, S. 20–21. Diesen Überlegungen folgend muss angenommen werden, dass selbst weniger drastische, aber dennoch markante Veränderungen am Gedächtnisspeicher einen nachhaltigen Einfluss auf das kollektive Erinnern haben. http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/147752/dresden-das-­scheitern-dersozialistischen-stadt?p=all (17.11.2016). http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/147752/dresden-das-­scheitern-dersozialistischen-stadt?p=all (17.11.2016).

 Vorwort

1

Dom-Römer-Projekt, 2020, Foto: K. Mann

Oktober 2016 mit einem Richtfest gefeiert.5 Die dort vorgenommene Verschmelzung von Rekonstruktion und Re-Inszenierung, indem einige historische Fachwerkfassaden wiederaufgebaut und andere Gebäude neu interpretiert werden,6 soll in einer homogenen Aneinanderreihung von Fassadenfronten sowohl die Geschichte wie auch die Gegenwart repräsentieren. Auch im Zusammenhang mit dem Projekt der Neuen Altstadt in Frankfurt am Main steht der identitätsbildende Aspekt dieser Maßnahme im Vordergrund; entsprechend schreibt Ulrike Plewnia im FOCUS vom 14. Oktober 2017: „Die oft als geschichtslos verschriene Banken- und Handelsstadt modelt ihre Mitte massiv um, belebt ihr Herz, wie Lokalpatrioten es pathetisch beschreiben. […] Jetzt sind Historie und Identität die Schlagwörter der Stunde. Und mit der Wiedergeburt der ­Altstadt und anderer Gebäude in der Nähe werden identitätsstiftende Fakten geschaffen.“7

Beide Beispiele, Dresden wie auch Frankfurt, gehen zwar auf unterschiedliche Art mit dem Bedürfnis nach einem homogenen Stadtbild um, stehen aber beispielhaft für andere Städte in Deutschland, die dieser Forderung nach einer identitätsstiftenden Historisierung der eigenen Erscheinung ebenfalls nachgehen; dazu zählen 5 6 7

http://www.domroemer.de/news/frankfurt-feiert-richtfest-fuer-die-neue-altstadt (17.11.2016). http://www.domroemer.de/der-film (17.11.2016). Plewnia 2017, S. 114.

9

10

Vorwort

2

Historische Ansichtskarte, Römerberg, Frankfurt am Main, Privatbesitz

Rekonstruktionsbestrebungen im Sinne eines historisierenden Stadtpanoramas, wie die Wiederherstellung der Braunschweiger Schlossfassade, die zum Teil ein Shoppingcenter verkleidet, als auch die Spendenaktion zum Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam. Auf der Homepage zum letztgenannten Projekt ist dabei zu lesen gewesen: „Mit dem Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam schaffen wir Raum. Raum für das Erinnern der wechselvollen Geschichte dieses Ortes, Raum für das Lernen aus dieser Geschichte und Raum für das Leben.“8

Dieser Slogan macht deutlich, dass es offenbar bei dem beschriebenen Unterfangen nicht darum geht, einen romantisierenden Selfie-Hintergrund für Touristen zu entwerfen, sondern vielmehr um die Reflexion eines kollektiven Bedürfnisses nach einer erneuerten Identität durch eine veränderte Geschichtswahrnehmung. Keines der bislang hier kurz umrissenen Projekte wird dabei in solchem Umfang kritisch diskutiert wie der Wiederaufbau des Stadtschlosses in Berlin (Abb. 3 und 4). Auch hier erfolgt nach den Plänen des Architekten Franco Stella eine Vermengung zwischen Rekonstruktion und Re-Inszenierung, die auf der Homepage des Humboldt Forums als

8

http://garnisonkirche-potsdam.de/ (18.11.2016).

Vorwort

3

Baustelle Stadtschloss Berlin, Dezember 2016, Foto: K. Mann

„Ein Schloss für alle“9 beworben worden war. Hierbei wird die ursprüngliche Fassadenfront mit der markanten, zum Dom hin gerichteten Kuppel rekonstruiert, damit „der architektonische Brückenschlag zur Bebauung der unmittelbaren Umgebung“10 erfolgt, wie dies im Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses formuliert wurde, während hingegen die andere Seite des Gebäudes sowie der Innenausbau zeitgemäßen Ansprüchen gerecht werden soll. Um die Umsetzung zu ermöglichen, wurde bereits 2008 der ehemalige Palast der Republik abgerissen, der von 1973 bis 1976 nach Entwürfen von Heinz Graffunder (1926–1994) hier errichtet worden war. An sehr prominenter Stelle in der neuen wie alten Hauptstadt suggeriert der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses so eine scheinbare historische Kontinuität ohne die DDR. Das gesamte Projekt der teilweisen Rekonstruktion des Stadtschlosses wird jedoch aus unterschiedlichen Gründen stark kritisiert. So erklärt Armin Nassehi in der ZEIT ONLINE vom 7. Juni 2013, dass die historische Rekonstruktion der Fassade „gut gemeint, aber schlecht gedacht“11 sei, da sie nur ein „Plagiat“12 und damit in ihrem Ausdruck 9 10 11 12

http://www.humboldtforum.com/de-de/ (17.10.2016). http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/14/096/1409660.pdf (17.11.2016). http://www.zeit.de/2013/24/schloss-berlin-grundsteinlegung (17.11.2016). http://www.zeit.de/2013/24/schloss-berlin-grundsteinlegung (17.11.2016).

11

12

Vorwort

4

Historische Ansichtskarte, Königliches Schloss, Privatbesitz

niemals zeitgemäß wäre. Stefan Berg kommentiert das Vorhaben am 14. April 2016 in SPIEGEL ONLINE ironisch als ein „schönes Experiment“13, in dem das „Einheitsdenkmal gekippt [wurde und] Preußen siegt[e]“14, und beanstandet den Umsetzungsstopp des Freiheits- und Einheitsdenkmals aufgrund der Kosten von 15 Millionen Euro, während die Ausgaben für das Stadtschloss in mehrere hundert Millionen gehen werden.15 Beide negativen Aussagen werden hier exemplarisch herangeführt, da sie die zwei wichtigsten Kritikpunkte aufgreifen: Kosten und Rekonstruktionsmethode. Beide Aspekte kreisen dabei um dieselben Fragen: Braucht Berlin eigentlich das Stadtschloss, und wenn ja, wozu soll es dienen? Offenkundig wird von Anfang an keine exakte Kopie des alten Preußen-Schlosses angestrebt, die als Geschichtsspeicher dienen könnte, denn die Hauptansicht des Baus steht konträr zum Inneren, auch wenn Stella einige historisierende Elemente als Re-Inszenierungsmaßnahme eingeflochten hat, um einen Widerhall zu schaffen. Die Einarbeitung derartiger Design-Analogien erfolgt aber nur partiell, damit

13 14 15

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/einheitsdenkmal-gekippt-preussen-siegt-­kommentara-1087163.html (17.11.2016). http://www.spiegel.de/politik/deutschland/einheitsdenkmal-gekippt-preussen-siegt-­kommentara-1087163.html (17.11.2016). http://www.spiegel.de/politik/deutschland/einheitsdenkmal-gekippt-preussen-siegt-­kommentara-1087163.html (17.11.2016).

Vorwort

13

diese beim Betrachten der Ausstellungsstücke der Museen der Außereuropäischen Künste und Kulturen nicht irritierend wirken. Der bewusste Bruch zwischen Außen- und Innenraum wird somit auch in der Nutzung des Schlosses sichtbar, in dem außereuropäische Künste einen absolutistischen Preußenkontext als Rahmen erhalten. Die Transformation der Nutzung vom Stadtschloss zu Museumsareal schließt zwar das Preußentum aus der Innengestaltung aus, jedoch wird ein neuer historischer Fokus geschaffen, der das preußische Schloss und damit auch Deutschland nicht mehr in einem eurozentrischen Kontext zeigt, dafür aber in dieser Zusammenstellung als Kolonialmacht. Die Organisation No Humboldt 21 formierte sich nach Bekanntgabe des Projektes als Gegner dieser Nutzungsidee, da sie einige Ausstellungsstücke als „koloniale Beutekunst“16 erachten und befürchten, dass so „[d]er von Berlin ausgehende Kolonialismus […] rehabilitiert“17 werden soll. Dies führt zu einer politischen Debatte, die wahrscheinlich nicht die gleiche mediale Aufmerksamkeit erhalten hätte, wenn das Humboldt Forum als Neubau an anderer Stelle in der Stadt errichtet worden wäre oder wenn das Stadtschloss etwas anderes umhüllt hätte, etwa die Sammlung zeitgenössischer Kunst. In der öffentlichen Diskussion um das neue Berliner Stadtschloss war es jedoch von Anfang an die Absicht der Projektinitiatoren, die Fassade bewusst getrennt von der inneren Konzeption des Gebäudes zu behandeln. Diesen Eindruck vermittelt der Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses aus dem Jahr 2002, in dem über die Alternativen von historischer oder neuzeitlicher Fassade gesprochen, der Vorteil einer Rekonstruktion dargelegt, jedoch die Nutzung des Baus offen gelassen wird.18 Den Autoren scheint ein geschlossenes Panorama der Historischen Mitte Berlins von entscheidender Bedeutung,19 die Verwendung des Gebäudes hingegen sekundär gewesen zu sein. Die symbolische Aufladung des preußischen Schlosses durch seine historische Bedeutung, die in der Rekonstruktion durch entsprechende Schmuckelemente (Kronen, Kreuz, Inschrift etc.) allgegenwärtig ist, lässt eine solche Trennung von Innen und Außen jedoch nicht zu. Damit zeigt dieses Projekt unmissverständlich, was der Generaldirektor des Humboldt Forums, Hartmut Dorgerloh (seit 2018), in einem Interview auf den Punkt gebracht hat: „Man kann nicht unschuldig rekonstruieren.“20

16 http://www.tagesspiegel.de/berlin/berlins-koloniale-beutekunst-kritiker-fordern-baustopp-am-­ humboldt-forum/9164832.html (18.11.2017). 17 http://www.no-humboldt21.de/resolution/ (19.11.2016). 18 http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/14/096/1409660.pdf (18.11.2017). 19 Im Vorfeld zur Debatte im Deutschen Bundestag über den Wiederaufbau des Berliner Stad­tschlosses wurde die internationale Expertenkommission Historische Mitte Berlin zusammengestellt, die eine Empfehlung zur Bebauung des Schlossareals abgegeben hatte. http://dipbt.bundestag.de/doc/ btd/14/096/1409660.pdf (18.11.2017). 20 Das Humboldt Forum – Schloss mit zwei Gesichtern, 2021.

14

Vorwort

Dennoch scheint gerade das Bedürfnis der Initiatoren, eine vermeintliche historische Homogenität des Stadtzentrums zu schaffen, im Mittelpunkt des Projekts gestanden zu haben, sodass bereits 1993 gezielt auf den Mehrwert des Wiederaufbaus des Schlosses für Berlin mit einer Fassadenkulisse aufmerksam gemacht wurde. Hierzu schreibt Peter-Klaus Schuster in seinem Beitrag Zur Entstehung des „Humboldt Forums“ aus dem Geist der Berliner Museen – Eine Vorgeschichte in der 2016 veröffentlichten Publikation Das Humboldt Forum. Die Wiedergewinnung der Idee: „Berlin erscheint, gleichsam im Faksimile, plötzlich wieder wie Wien, Paris oder München als eine Stadt mit Gebäuden aus dem 17. und 18. Jahrhundert. In der Zusammenschau mit Schinkels Klassizismus um 1800 wird so suggeriert, man bewege sich in einem historisch gewachsenen Stadtbild.“21

Dieses Zitat macht deutlich, wie bedeutsam der Einfluss von derartigen Bildern auf die Rezipienten und ihr Bedürfnis nach einer entsprechend historischen Identität ist, denn offenkundig entsteht eine Wechselwirkung, indem Verlangen und Imagination sich gegenseitig steigern. Darüber hinaus wird ein weiterer wichtiger Aspekt von Schuster angesprochen: Die Reflexion von Karl Friedrich Schinkels (1781–1841) Schaffen soll in der Fassadenrekonstruktion erkennbar sein, da sie ein wichtiger Bestandteil der architektonischen Identität Berlins ist. Das neue Berliner Stadtschloss steht so in seiner aktuellen Form in der Konfrontation mit Schinkels architektonischer Erbfolge. Dies wird von Schuster nicht nur aus ästhetischer Sicht erörtert, sondern auch inhaltlich, was besonders in der Gegenüberstellung mit Schinkels Museum am Lustgarten deutlich wird. Hierzu schreibt er: „Nicht verwunderlich, dass Schinkel seinen Museumstempel mit Rotunde am Lustgarten, im Gegensatz zu sämtlichen bisherigen, auf bloße Künstlerausbildung konzentrierten Museumsprojekten in Berlin, explizit als ein ‚Neues Museum‘ bezeichnet hat. Neu war an diesem Museum gegenüber dem Schloss, dass es erstmals für alle war […]. An Schinkels ‚Museum‘ als einer bürgerlichen Bildungsstätte für Mitmenschlichkeit, für Zivilität und Humanität, als ein Ort der Kunst, für den Aufstieg des Bürgers zum Staatsbürger und Weltbürger, an einem solchen ‚Museum‘ war im Berlin der Bürger Humboldt nicht alt oder gar veraltet. Schinkels ‚Museum‘ als eine Architektur und damit Wirklichkeit gewordenes Idealmuseum war und blieb der Maßstab für alles Zukünftige auf der Berliner Museumsinsel! ‚Erst erfreuen, dann belehren‘, darin bestand die Aufgabe des Museums für Schinkel und Wilhelm von Humboldt als Vorsitzender der königlichen Museumskommission.“22

21 Schuster 2016, S. 38. 22 Schuster 2016, S. 54–55.

Vorwort

Schuster erschafft in diesem Zitat so einen ideologischen Transfer von Schinkels Ideal­ museum über das Humboldt Forum zur Außenfassade des Stadtschlosses, um damit eine historische Verbindung zwischen Außen und Innen herzustellen. Auch Horst Bredekamp lehnt seinen Auslegungen über Das Schloss und die Universität: Eine nicht endende Beziehung aus demselben Sammelband an das Schinkel-Museum an: „Schon angesichts des Rohbaus ist spürbar, in welchem Ausmaß das im Jahr 1830 eröffnete Museum Karl Friedrich Schinkels das Areal durch die Konfrontation mit dem Schloss neu bestimmen wird. Es verkörpert mit seiner Fassade eine Verbindung mit Griechenland. Als nördlicher Abschluss des Lustgartens, flankiert von Andreas Schlüters Zeughaus, formulierte Schinkels Museum jenen Orientierungsrahmen, dessen Auswirkungen Eliza Marian Butler in ihrem so berühmten wie berüchtigten Buch des Jahres 1935 die ‚Tyranny of Greece over Germany‘ genannt hat. Dass sich der preußische König Friedrich Wilhelm III. auf diesen Stil in einem Moment festlegte, als Griechenland als Symbol für den Ursprung und für die Renaissance der Demokratie galt und in dem deutsche Freiwillige am 1821 losgebrochenen Aufstand der Griechen gegen die osmanische Herrschaft als ‚deutsche Legion‘ teilnehmen, gehört zu den erstaunlichen Ereignissen der Berliner Architekturgeschichte. Für Schinkel wie auch für den König war das mit dem griechischen Stil assoziierte Freiheitspathos mit den eigenen Befreiungskriegen verbunden, denen das Schloss als Gefäß für die aus Paris zurückgeführten Kunstwerke schließlich seine Existenz verdankte. Die griechische Fassade mit ihrer ionischen Säulenordnung bildete gleichwohl einen harten Kontrast gegenüber dem barocken Stil von Andreas Schlüters Schloss, so dass sich in ihrer wechselseitigen Bespiegelung die Dialektik von Bau und Gegenbau ergab. Franz Kugler, einer der herausragenden Kunsthistoriker dieser Zeit, erkannte in der Museumsfassade folglich ein ‚demokratisches Element‘. Mit der Fassade des Alten Museums war Griechenland als Bezugspunkt Berlins fixiert.“23

Dieses längere Zitat veranschaulicht eindrücklich, dass Architekturstile heute wie damals jeweils spezifische Assoziationen beim Rezipienten hervorrufen. Die von Bredekamp aufgeführte Gegenüberstellung von klassizistischem Museumsbau und barocker Schlossfassade zeigt dies deutlich: Der eine reduzierte Stil verkörpert „Demokratie“ und der andere die pompöse Herrschaft. Die deutliche Präferenz des griechischen Stils wird durch eine weitere Stilkonfrontation ersichtlich, denn Bredekamp erzeugt mit der Formulierung „problematische Dominanz“ in Hinblick auf den eklektizistischen Berliner Dom (Abb. 5 und 6) mit seiner opulenten Verbindung von Neobarock und Neorenaissance ein klar negatives Stimmungsbild. Die Entscheidung für eine erneute Inszenierung eines bestimmten Stils ist folglich auch unweigerlich mit der Übertragung der entsprechenden Assoziation auf das Gebäude verbunden.

23 Bredekamp 2016, S. 104–105.

15

16

Vorwort

5

Historische Ansichtskarte, Altes Museum und Berliner Dom, Privatbesitz

Die essenzielle Bedeutung des Stils im Zusammenhang mit der historisierenden Identitätsbildung verdeutlichen Horst Bredekamp, Annette Dorgerloh und Michael Niedermeier eingehender in ihrer Einleitung der 2007 erschienenen Publikation Klassizismus – Gotik. Karl Friedrich Schinkel und die patriotische Baukunst. Hierin wird in Bezug auf das beginnende 19. Jahrhundert vermerkt: „Die Umbrüche, die das Ende des Alten Reiches, das Entstehen einer ‚neudeutsch-patriotischen‘ Kunstprogrammatik (Goethe) im Umfeld der Befreiungskriege und den staatlichen Konservatismus nach dem Wiener Kongress begleiten, beeinflussten die Stilentscheidung nicht nur, sie führten auch zu einer ständigen Transformation der hinter den Stilen aktualisierten Bedeutungszuschreibungen des ‚Antik-Klassischen‘ und des ‚Gotisch-Nordischen‘. Beide Kunststile rekurrieren – wie das Alte Reich selbst auch – auf eine gemeinsame Antike. Neben der Herleitung von den griechischen und römischen Vorbildern war auch der Bezug auf das ‚Nordisch-Germanische‘ nicht abgetrennt vom antiken Altertum. Vielmehr konstituierte sich stets in Bezug auf die Antike eine oder mehrere eigene Antiken, je nach regionaler und politischer Memoria und Bezugnahme. […]

Vorwort

6

Blick vom Alten Museum am Lustgarten auf den Berliner Dom, Foto: K. Mann

Die ästhetischen Bezugnahmen auf die überlieferten Kunststile waren immer auch patrio­ tisch motiviert, wobei die identifikationsstiftende Indienstnahme seit dem 18. Jahrhundert zwischen der Patria, dem Vaterland, und der Nation im modernen Sinne changierte.“24

Demnach ist die Wahl für den einen oder anderen Baustil auch eine Reflexion des Selbstverständnisses eines Kollektivs. Gleiches gilt folglich auch für den Wiederaufbau oder die historisierende Re-Inszenierung einer Fassade, mit der eine solche „identifikationsstiftende Indienstnahme“ vollzogen wird. Ästhetik und Identität stehen somit in einer effektiven Wechselwirkung zueinander: Wir empfinden etwas als schön und zugleich notwendig, da es mit den Bedürfnissen an die Kunst beziehungsweise an die Identität korrespondiert. Dementsprechend kann angenommen werden, dass die gegenwärtige Forderung nach historischen Rekonstruktionen offenbar ein Ausdruck des neuen „staatlichen Konservatismus“ gemäß eines „modernen Historismus“ ist.25 24 Dorgerloh; Niedermeier; Bredekamp 2007, S. 9. 25 Jörn Rüsen erläutert in seiner Publikation Konfigurationen des Historismus, dass der Historismus des 19. Jahrhunderts eine „Antwort auf eine allgemeine Orientierungskrise“ (Rüsen 2020, S. 21) war, die durch die Französische Revolution ausgelöst wurde, und eine neue historische Identität als Leitbild notwendig machte. Dies wirft zwangsläufig die Frage auf, ob der moderne Historismus als „Orientierungsrahmen“ (Rüsen 2020, S. 27) auch für unsere Zeit unverzichtbar wird oder bereits ist und was den Krisenfaktor heute ausmacht.

17

18

Vorwort

In der Publikation soll demgemäß die wechselseitige Beziehung zwischen einerseits einem bedürfnisorientierten Bild der Geschichte und andererseits verschiedenen Kunstgattungen in historisierenden Stilen beleuchtet werden. Hierbei ist es notwendig, die Kongruenz von Re-Inszenierung beziehungsweise Rekonstruktion und dem kollektiven Wunsch nach einem repräsentativen Abbild der eigenen Vergangenheit eingehend wiederzugeben. In diesem Zusammenhang wird es erforderlich sein, die Wechselwirkung zwischen vorhandenem Zeitgeist, prägenden Akteuren und historisierenden Ideologien aufzuzeigen; hierzu werden im Folgenden wissenschaftliche Traktate als auch zahlreiche Werke der bildenden Künste über mehrere Jahrhunderte hinweg unter dem speziellen Fokus der Antike betrachtet.

2 Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert Um eine Idee vom gegenwärtigen Konzept der identitätsstiftenden Historisierungen zu erhalten, wird in der Publikation in einer Rückschau der historischen Re-Inszenierungsmaßnahmen eingehender untersucht, wie eine solche Identitätsbildung durch den Transfer alter Stile erfolgt. Dies soll ein Bewusstsein dafür generieren, welch nachhaltigen Einfluss der „moderne Historismus“ auch auf unsere Kunstwahrnehmung bereits hat. Als Modell dient der positiv konnotierte Klassizismus mit seiner Re-Inszenierung der Antike, um durch dieses Prisma zu betrachten, wie die idealisierten Konnotationen anderer Epochen in die eigene Zeit übertragen werden können. Der Klassizismus eignet sich deshalb so gut für eine solche Analyse, da aus dem 18. beziehungsweise 19. Jahrhundert viele Traktate über die Vorzüge der Antike und deren Reflexion in der Kunst existieren, anhand derer die wichtigsten Formulierungen sowie die ihnen zugrunde liegenden Ideen herausgearbeitet werden können. Dieser historische Rückbezug wird so wichtig für das Kollektiv, dass sogar eine Anpassung der archäologischen Rudimente an die vorherrschende Vorstellung an die Antike erfolgt. Für die anstehende Analyse sind rhetorische Feinheiten von besonderer Bedeutung, da durch ihre Wiederholung und Einverleibung in die eigene Kultur der Erinnerungsort der Antike erst möglich gemacht wird. Es werden in dieser Publikation folglich mehrere Zitate herangeführt, um die Mechanismen, die zum Antikenkult im 18. und 19. Jahrhundert geführt haben, eingehender aufzeigen zu können. Zum besseren Verständnis sowie zur Darstellung des zeitgenössischen Geschichtsbewusstseins werden hier zunächst einige geschichtsphilosophische Theorien zur Vergangenheitserinnerung und ihrer Zweckdienlichkeit angeführt. Auf diese Weise kann die Diskrepanz zwischen dem heutigen Verständnis von Geschichte und demjenigen des ausgehenden 18. wie auch 19. Jahrhunderts verdeutlicht werden. Zur besseren Pointierung des Phänomens „Historismus“ wird in dieser Publikation die deutschsprachige Geschichtsregion vom Klassizismus bis heute beleuchtet; so kann ein fokussierter

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

Überblick über die unterschiedlichen Bedürfnisse als Triebfeder einer Re-Inszenierung beziehungsweise Rekonstruktion der Antike geschaffen werden. Die in den unterschiedlichen Schriften verwendete Sprache, ob populärer oder wissenschaftlicher Natur, zeigt dabei deutlich, wie mit rhetorischen Mitteln ein Erinnerungsort der Antike heraufbeschworen und den tonangebenden Veränderungen entgegengehalten wird. Ein Beispiel hierfür stellt Hans Sempers (1845–1920) Essay Das Fortleben der Antike in der Kunst des Abendlandes (1906) dar,1 in dem er schreibt: „In unserem gärenden Zeitalter der Erfindungen, Entdeckungen und des riesig gesteigerten Werkverkehrs treten naturgemäß auf allen Gebieten menschlicher Einrichtungen und menschlichen Schaffens Bedürfnisse und Bestrebungen hervor, welche darauf ausgehen, mit veralteten Einrichtungen und Anschauungen zu brechen, neue Grundlagen und Gesetze für die so wesentlich umgestalteten und gesteigerten Lebensbedingungen, Erkenntnisse und Kräfte zu schaffen. Wie auf dem gesellschaftlichen und staatlichen Boden, macht sich der Kampf mit veralteten Auffassungen und Ueberlieferungen besonders auch in die Sphären des höchsten geistigen Schaffens, den Wissenschaften und den Künsten, geltend. Auf dem Gebiete der bildenden Künste […] äußert sich dieser Kampf zwar in jeder derselben, nach ihren besonderen Bedingungen, in verschiedener Weise, gemeinsam aber lebt in ihnen der Drang, etwas ganz Neues, noch nie Dagewesenes zu schaffen, welches von keinerlei älteren Vorbildern abhängig, vielmehr nur von den inneren Gesetzten des Künstlers bestimmt sein soll. Dieses Bestreben ist an sich berechtigt, insofern es darauf ausgeht, gedankenlose Nachahmung zu verschmähen und den in unserer Zeit entstehenden Kunstschöpfungen auch wirklich den Stempel unserer Zeit aufzuprägen. Aber es wird dabei nur oft vergessen, daß die Ursprünglichkeit der Eigenwert einer Kunstschöpfung nicht darin besteht, daß dieselbe völlig ungewohnte und seltsame Anschauungen, Formen und Wirkungen darstellte, sondern vielmehr darin daß in derselben die Kraft und Feinheit sowie die innere Harmonie echt künstlerischen Erfindens sich offenbare, einerlei nun, woher dasselbe seinen Stoff und seine Anregung entnommen habe. Ganz ohne Voraussetzung läßt sich überhaupt auf keinem menschlichen Tätigkeitsgebiete und also auch nicht auf dem der Kunst Neues schaffen.“2

Mit dieser manipulativen Argumentation aus dem Jahre 1906, zu einer Zeit, als in Frankreich mit dem Abklingen des Fauvismus und dem aufkommenden Kubismus eine „ästhetische Umwälzung“3 stattfindet, impliziert Semper, dass in der Kunst nichts Neues entstehen kann. Darüber hinaus bezeichnet der Kunsthistoriker den Drang nach etwas absolut Neuartigem als „Kampf“ und erschafft so ein negatives Stimmungsbild, das er 1 2 3

Sohn vom Architekten Gottfried Semper. Semper 1906, S. 1–2. Daniels 2014, S. 75.

Geschichte als subjektive Konstruktion

einer „Ursprünglichkeit“ und „inneren Harmonie“ gegenüberstellt, die er als der Antike eigen betrachtet. Diese These dient ihm als Grundlage dafür, die Bedeutung der antiken Ästhetik für das Abendland über die folgenden Jahrhunderte hinweg aufzuzeigen. Zum Abschluss seiner Abhandlung bedient sich Semper weiterer rhetorischer Mittel, die den Leser dazu bringen sollen, seine Bewunderung für die Antike zu übernehmen: „Wie aber auch die Geschicke der Architektur und der übrigen Künste in der nächsten Zukunft sich gestalten mögen, ehe nicht eine gänzlich vernichtende Katastrophe die abendländische Kultur und ihr Erbe aus der Vergangenheit vom Erdboden wegfegt, wird sie auch ihren Ursprung aus der antiken Kultur nicht verleugnen können noch auf die Dauer wollen. Solange eine korinthische Säule noch überhaupt stehen oder in Erinnerung der Menschen erhalten bleiben wird, solange wird sie auch immer wieder zu neuem Leben erweckt werden. Solange griechische Bildwerke erhalten sein werden, an denen der begeistere Kunstjünger die Schönheit der menschlichen Gestalt, den Adel menschlicher Bewegung bewundern lernt, solange wird auch die Bildhauerei, welche Wahres und Schönes schaffen will, in der Antike ihre Läuterung suchen, ohne deshalb der Natur zu entraten. Auch die monumentale Malerei, d. h. diejenige, welche edle Menschengestalten darzustellen strebt oder zu weihevollen, harmonischen Ausstattung eines architektonisch vornehmen Raumes beitragen soll, wird im Geist der antiken Kunst die erhebendste Anregung finden. Und die griechische Göttersage wird vielleicht in der Kunst noch alle Heiligen überleben!“4

Die aus unserer heutigen Sicht schon an Populismus erinnernde Sprache dient Semper offenkundig zur Glorifizierung der antiken Ästhetik, die nach seiner Ansicht so lange richtungsweisend für das zeitgenössische Kunstempfinden sein wird, wie die abendländische Kultur Bestand hat. Diese – wie andere ähnlich verklärende Formulierungen – sind ein wichtiger Bestandteil für den Topos „Antike“, der immer wieder heraufbeschworen wird, um ein idealisiertes Bild der eigenen Geschichte zu erzeugen.

2.1  Geschichte als subjektive Konstruktion Unsere neuzeitliche Sicht auf die Vergangenheit ist geprägt durch das Bewusstsein, dass die eigene nationale Geschichte „nur“ ein Teil einer globalen Historie ist, die geprägt wird durch Erlebnisse einzelner Individuen. Hieraus ergibt sich ein Anspruch auf eine Meta­ ebene in der Geschichtsbetrachtung. Daher stehen Historiker, Geschichtsphilosophen

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Semper 1906, S. 105.

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

wie auch -soziologen des 20. und 21. Jahrhunderts vor einem Vermittlungsproblem: Einen historischen Abstand zu wahren fällt umso schwerer, wenn der Wissenschaftler reflektiert, dass er selbst ein Mensch eines bestimmten Landes und einer Zeit ist, geprägt durch eigene Erinnerungen und Vorstellungen von Geschichte. Aus heutiger Sicht wird klar, dass es keine absolute Wahrheit geben kann; es gibt dementsprechend auch keine absolute Geschichte, da jede Vergangenheit subjektiv erlebt und ihre Erinnerung verklärt wird. Es existieren unterschiedliche Wahrnehmungen der eigenen Zeit im Verhältnis zur Vergangenheit und diese wird in der Folge zu einem Konstrukt. So wird der heutige Historiker sich immer erneut ermahnen, Abstand zu wahren, wie auch jedes Mal hinterfragen, wieso und auf welche Weise er historische Informationen vermittelt, um eine gewisse Objektivität herzustellen. Doch wie soll Unvoreingenommenheit möglich sein, wenn der Mensch seine Vergangenheit immer neu gestaltet? Denn auch die vermeintlich authentischen Relikte der Geschichte unterliegen einem ständigen Wandel im Sinne einer gezielten Interpretation, die entweder der Erinnerung oder dem Vergessen dienlich ist; daher ist auch jedes historische Dokument einem Wandel ausgesetzt. Bei jedem geschichtlichen Rudiment muss folglich hinterfragt werden, wieso es in dieser Form noch existiert. War es so wichtig, dass es bewusst aufbewahrt wurde, und wenn ja, warum? War es nicht mehr wichtig oder sogar unbequem, wurde es dementsprechend bewusst vergessen und zu einer anderen Zeit wiederentdeckt, wobei der Fund neu aufgewertet und interpretiert wurde? Wurde es sogar verändert und damit der historischen Situation angepasst? In jedem Fall dient ein Relikt dazu, unsere eigene Sicht und Idee der Geschichte zu kreieren. Wir sind die Erben unserer Vergangenheit und wir erklären für unsere Zeit, ob etwas aufbewahrt wird, man sich daran erinnert, es vergisst oder verändert. Da keine absolute Wahrheit und keine absolute Geschichte besteht, kann auch keine absolute Erinnerung an diese existieren. Hierbei muss bedacht werden, dass subjektive Erinnerung dem jeweiligen Zeitgeist unterliegt und hierdurch eine Veränderung der Bewertung der Historie sowohl zum Positiven wie auch zum Negativen zustande kommt; und dies wiederum bewirkt eine Modifikation des historischen Ichs. Da der Zeitgeist immer Einfluss auf ein Kollektiv nimmt, verändert sich durch ihn der Charakter des Erinnerungsorts. Die Ideale einer Epoche bestimmen somit, wie das Kollektiv Erinnerungsorte bewerten soll, und stellen das Erinnern oder Vergessen von Geschichte unter diesen Nutzen. Die Auslegung von Geschichte zur Prägung des nationalen Ichs lässt sich bereits in der Antike beobachten. Wie für jeden wichtigen Aspekt in ihrem Alltag entwarfen die alten Griechen auch für die Geschichte eine Personifikation mit entsprechendem Stammbaum. Sie nannten diese Klio, ihren Überlieferungen nach die Tochter von Zeus und Mnemosyne;5 damit liefert ihre Abstammung einen deutlichen Hinweis auf das

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Böttger 1824, S. 73.

Zeitbezogene philosophische Grundlagen des Historisierungsbedürfnisses

Verständnis der Griechen von Geschichte. Geschichte ist demzufolge im übertragenen Sinne ein Ergebnis der Zusammenführung von Macht und Erinnerung. Sie dient dabei wie ihre anderen Schwestern als Muse, um „Trost dem Leide zu sein, und Linderung aller Betrübnis“6, wie es Hesiod im 1. Kapitel seiner Theogonie beschreibt. Demnach verstehen die alten Griechen Geschichte als Zerstreuung von Sorgen und Nöten. Sie ist somit ihrer Konzeption nach keine Reflexion einer absoluten historischen Wahrheit, sondern ein künstlerisches Ausdrucksmittel, ähnlich dem Tanz, dem Schauspiel oder der Musik, das den Bedürfnissen des Kollektivs unterliegt, um ihm eine neue Sinnebene zugeben. Folglich können die Wünsche eines Kollektivs nach einer eigenen herausragenden Geschichte und entsprechender genetischer oder geistiger Ahnentafel verglichen werden mit dem Bedürfnis der Konstruktionen von Erinnerungsorten im Sinne Pierre Noras, da in beiden Fällen eine Identifikationsebene durch „Wiedererinnerung“7 erschlossen wird, indem eine historische Person oder ein epochales Ereignis als Vorbild in die Gegenwart aufgenommen wird.8 Dieser Transfer von Geschichte in die eigene Zeit kann vollzogen werden, indem das Kollektiv Persönlichkeiten, welche die „Subjektivität der Reflexion“9, wie sie von Paul Ricœur (1913–2005) in seinem Werk Geschichte und Wahrheit definiert wird, an die Erfordernisse der Gruppe anpasst und eine entsprechend charaktervolle Analogie zu jener Epoche entwirft, die dem Rezipienten ein Gefühl der eigenen Erhabenheit verleiht.

2.2  Zeitbezogene philosophische Grundlagen des Historisierungsbedürfnisses Dass der Mensch seine eigene Idee der Geschichte hat und diese seinen Bedürfnissen unterliegt, vermerkt bereits Immanuel Kant (1724–1804) in seinen Schriften zur Geschichtsphilosophie. Kant stellt diesbezüglich in seiner Publikation über die Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784) heraus, dass Geschichte eine Erzählung über das Wirken des freien Willens der Menschen sei, welche zwar exemplarisch an einigen Subjekten aufgezeigt werde, sich jedoch eigentlich auf die ganze Gattung beziehe. Kant betont in diesem Kontext in seiner Einführung die Formulierung „im Großen“10, wobei hier wohl eine Korrespondenz zu seinen Vorstellungen des „Erhabenen“ zu vermuten ist.

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http://gutenberg.spiegel.de/buch/theogonie-3295/1 (02.10.2016) (Übersetzung: Johann Heinrich Voß). 7 Nora 2005, S. 16. 8 Nora 2005, S. 16. 9 Ricœur 1974, S. 40. 10 Kant 1974, S. 21.

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Ihm zufolge dient das Vorbild einer historischen Persönlichkeit als Projektionsfläche für die Gesellschaft, um die Größe ihres Willens an den Taten dieses Subjekts ablesen zu können. Er stellt dabei weiter fest, dass der Mensch keine vorherbestimmte Geschichte habe, da er sowohl ein Tier als auch ein Vernunftwesen sei, das von der Natur seine Klugheit erhalten habe, um alles selbst zu erschaffen, somit auch seine Geschichte. Das Handeln des Menschen ist – so Kant – damit von Gegensätzlichkeit geprägt; dies zeigt sich in seinem Drang, in einer Gesellschaft zu leben, obwohl er ein Einzelgänger ist. Der innere Widerstreit zwischen dem Bedürfnis nach Gemeinschaft und ihrer gleichzeitigen Ablehnung bewirke, dass der Mensch die Eigenschaften entwickelt, die er braucht, um Geschichte zu schreiben. Er erklärt weiter, dass der Wunsch des Menschen, das zu haben, was ein anderer hat, oder am Liebsten noch mehr und Besseres, eine Triebfeder dazu sei, Kultur zu erschaffen. Diese Feststellung ist für die weiterführende Analyse entscheidend, da Schaffen öffentlicher Bauten oder repräsentativer Kunstwerke ebenfalls in dem Verlangen begründet liegen, sich gegenüber anderen Städten oder Nationen mittels der bildenden Künste zu behaupten. Dieser Drang bestimmt somit die Intention des Baus, der Skulptur oder des Gemäldes und gleichsam ihre Ausdrucksform. Eine besonders hervorstechende Auswirkung dieser Triebkraft, welche die menschliche Geschichte prägt, sind Kriege; diese seien „Versuche […] neue Verhältnisse der Staaten zu Stande zu bringen und durch Zerstörung, wenigstens Zerstückelung aller Körper zu bilden, die sich aber wieder entweder in sich selbst oder nebeneinander nicht erhalten können und daher neue, ähnliche Revolutionen erleiden müssen […]“11, wie es Kant weiter formuliert. Der ständige Drang, die menschliche Gemeinschaftsstruktur zu verändern, bewirkt, dass in der Geschichtsschreibung ein Rhythmus zwischen Umwälzung und Aufbau entsteht, der sich auf die Kunstgeschichte übertragen lässt, da viele Artefakte solchen politischen Veränderungen zum Opfer fallen, indem sie entweder zerstört oder verändert werden. Die Menschheitsgeschichte entwickelt sich allerdings nicht nur durch einschneidende Ereignisse weiter, sondern vor allem auch durch ihre Reflexion. Insbesondere Mythen beeinflussen dabei nachhaltig das Bewusstsein über die menschliche Entwicklung und dienen ferner als Leitbilder für die eigene Epoche. So erklärt Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) im Jahre 1805, dass Dichter und Historiker mit ihren vorformulierten Ideen von historischen Persönlichkeiten einen enormen Einfluss auf ihre gegenwärtige Nation nehmen.12 Diesbezüglich erläutert Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) in Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalter von 1804/05, dass Mythen den Grundpfeiler der Geschichtsreflexion darstellen, auf dem die menschliche Kultur basiert. Dabei kann die

11 Kant 1974, S. 31. 12 Riemer 1837, S. 505.

Zeitbezogene philosophische Grundlagen des Historisierungsbedürfnisses

Wahrhaftigkeit dieser Erzählungen nach Ansicht Fichtes nur durch das Prisma der Philosophie beurteilt werden. Weiter erklärt er: „Die Geschichte dieser allmählichen Kultivierung des Menschengeschlechts, als eigentliche Geschichte hat wiederum zwei, innigst verflossene Bestandteile; einen a priorische, und einen a posteriori. Der a priori ist […] in seinen allgemeinensten Grundzügen aufgestellte Welt-Plan, hindurchführend die Menschheit durch die damals charakterisierten fünf Epochen. Ohne alle historische Belehrung kann der Denker wissen, dass diese Epochen, wie sie charakterisiert sind, einander folgen müssen […]. Der Philosoph, der als Philosoph, sich mit der Geschichte befaßt, geht jenem, a priori fortlaufenden Faden des Weltplans nach, der ihm klar ist, ohne alle Geschichte; und sein Gebrauch der Geschichte ist keineswegs, um durch die etwas zu erweisen, da seine Sätze schon früher, und unabhängig von aller Geschichte, erwiesen sind: sondern dieser sein Gebrauch der Geschichte ist zu erläuternd, und in der Geschichte darlegend im lebendigen Leben, was auch ohne die Geschichte sich versteht.“13

Dieser philosophischen Betrachtung von Geschichte nach braucht der Rezipient keine Fakten, um sie zu verstehen, sondern er kann aufgrund der eigenen Vorstellungskraft eine Idee von ihr entwerfen. Damit beruht die subjektive Authentizität der Gesichtswahrnehmung auf diesen erdachten Konstrukten. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) separiert schließlich genauer, indem er die reflektierte und philosophische Geschichte voneinander trennt, und erläutert ihren Unterschied in seiner Vorlesung über die Geschichte (1837).14 Hierbei erklärt er, dass die reflektierte Geschichte „alsdann die pragmatische [ist]. Wenn wir mit der Vergangenheit zu tun haben und wir uns mit einer entfernten Welt beschäftigen, so thut sich eine Gegenwart für den Geist auf, die dieser aus seiner eignen Thätigkeit zum Lohn für seine Bemühung hat. Die Begebenheiten sind verschieden, aber das Allgemeine und Innere, der Zusammenhang Einer. Dies hebt die Vergangenheit auf, und macht die Begebenheit gegenwärtig.“15 Ähnlich Pierre Noras Idee über die Nützlichkeit von Erinnerungsorten für eine Nation, hat somit bereits Hegel mehr als 150 Jahre zuvor über die praktischen Eigenschaften einer historischen Übertragung in die Gegenwart referiert, bei der die Geschichte einem Kollektiv als Leitbild dienen kann. Hegel macht im Weiteren deutlich, dass Schriftsteller dabei eine wichtige Rolle innehabe können, da sie durch eine historische Erzählung

13 Fichte 1806, S. 303–304. 14 Nach Hegel existieren drei Arten von Geschichte: ursprüngliche (Beschreibung von Taten), reflektierte (Übertragungen auf die eigene Zeit) und die philosophische (Betrachtung der Geschichte der Vernunft). Gans 1848, S. 3. 15 Gans 1848, S. 8–9.

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eine moralische Richtlinie vermitteln.16 Je besser und ansprechender die Geschichte vermittelt wird, umso eher wird sie dabei vom Kollektiv zu einem Mnemotop aufgebaut. Daher sei es wichtiger, den „Zusammenhang des Ganzen“17 aufzuzeigen, da man mit dem Gesamtbild der Historie die Wahrheit besser darlegen kann als in der Betrachtung von Details oder Belanglosigkeiten.18 Die Erkenntnis des großen Zusammenhangs der historischen Ereignisse, die auf der Vernunft beruht, ist wiederum die Aufgabe der Geschichtsphilosophie, die an jenem historischen Punkt ansetzt, an dem der Mensch sich zu einem Vernunftwesen entwickelt hat. Der freie Wille beziehungsweise die bewusste Entscheidung des Menschen, sich dem Wohl eines herausgestellten Kollektivs unterzuordnen, ist nach Ansichten Hegels der Markstein der Geschichte. Er erläutert dabei in seinen Überlegungen zur Weltgeschichte weiter, dass vor allem die antiken Griechen aus dieser historisch-philosophischen Perspektive heraus seinen eigenen Zeitgenossen besonders nahestehen, da sie „das eigentliche Aufsteigen und die wahre Wiedergeburt des Geistes“19 verbildlichen und dabei wie keine andere Hochkultur die für seine These essenzielle Freiheit verkörpern. Ferner erklärt Hegel in seinen Betrachtungen der Menschheitsgeschichte, dass der griechische Geist deren eigentlichen Beginn darstelle, und er diesen dementsprechend mit jugendlicher Lebendigkeit assoziiere. Diesbezüglich schreibt er: „[…] sie tritt in der sinnlichen Gegenwart auf, als der verkörperte Geist und die vergeistigte Sinnlichkeit, – in einer Einheit, die aus dem Geiste hervorgebracht ist. Griechenland bietet uns den heitren Anblick der Jugendfrische des geistigen Lebens. Hier ist es zuerst, wo der Geist herangereift, sich selbst zum Inhalt seines Wollens und seines Wissens erhält, aber auf die Weise, daß Staat, Familie, Recht, Religion zugleich Zwecke der Individualität sind, und diese nur durch jene Zwecke Individualität ist. Der Mann dagegen lebt in der Arbeit eines objektiven Zwecks, den er konsequent verfolgt, auch gegen seine Individualität.“20

Diese humanistische Idee eines griechischen Idealbildes der harmonischen Symbiose von Staat und Individuum bietet sich für Hegel dabei besonders gut als Reflexionsfläche einer verjüngten Version des eigenen Zeitgeistes an, um das zeitgenössische Schaffen darin spiegeln zu können.

16 Hegel mahnt jedoch, dass aus solch einer reflektierten Geschichte niemals Lehren gezogen werden können, da sie sich keinesfalls komplett auf die eigene vorherrschende Situation übertragen lässt, vor allem dann nicht, wenn sie unkritisch angewendet wird. Gans 1848, S. 10. 17 Gans 1848, S. 11. 18 Gans 1848, S. 11. 19 Gans 1848, S. 237. 20 Gans 1848, S. 273–274.

Antike als perfekte Identifikationsplattform

Eine solche Übertragung der glorifizierten Idee der Antike auf den eigenen Zeitgeist, wie sie von Hegel propagiert wird, ist nicht allein für die Persönlichkeitsbildung nutzbar, sondern wird auf alle gesellschaftlich relevanten Bereiche angewendet. Dementsprechend nehmen seine Zeitgenossen alltagstaugliche Versionen des griechischen Erinnerungsortes wie auch die ästhetischen Errungenschaften der Antike sowohl im Stadtbild wie ferner in der privaten Stube auf. Dies führt nicht nur zu einem regelrechten Aufschwung von Ausgrabungen und Antikenkäufen, sondern insbesondere zu einer Neugestaltung einer ganzen Epoche vorzugsweise im griechischen Stile, die aus der historischen Betrachtung heraus als „Klassizismus“ bezeichnet wird. Vor allem die attischen Rudimente dienen aufgrund ihrer „noble simplicité“21, wie Voltaire (1694–1778) die reduzierte Formgebung im Jahre 1767 bezeichnet, als prägendes Leitbild für mehrere Künstlergenerationen, die gleichermaßen eine Ablehnung des opulenten Barock und Rokoko wie auch eine Versinnbildlichung der rationalen Aufklärung durch geordnete Strukturen propagierten.

2.3  Antike als perfekte Identifikationsplattform Kunsthistorische Analysen zeigen, dass die Antike immer wieder einen enormen Einfluss auf das ästhetische Empfinden der nachkommenden Generationen hat. Der sehr breit gefasste Begriff „Antike“ umspannt einen Zeitraum von etwa 800 v. Chr. bis ca. 800 n. Chr. und meint dabei gleichzeitig das große geografische Gebiet vom Mittelmeerraum bis zum Nahen Osten und darüber hinaus. Hubert Cancik erläutert diesbezüglich: „Die ‚Antike‘ ist eine Epoche (ca. 800 v. Chr.–800 n. Chr.) und eine Idee (Ideal, Norm, Kanon, Modell). Sie ist […] tatsächliche Geschichte und als Idee Grundlage und immer präsenter Antrieb für europäischen Humanismus in seinen vielen und widersprüchlichen Ausprägungen. ‚Antike‘ ist ein Glücksbild, der Raum für gelingendes Menschsein, eine Sehnsucht, Arkadia und Utopia in einem: ‚Dahin, dahin will ich …‘. So viel enthusiastische Antikenliebe fördert Illusionen und Eskapismus, hemmt den Blick auf die tatsächliche Geschichte und die Aufgabe, Traum und Wirklichkeit, Antike und jeweilige Gegenwart zu vermitteln, ohne den Traum zu desavouieren.“22

Dieses Zitat macht deutlich, dass die „Antike“ nicht nur ein offener Begriff, sondern darüber hinaus ein idealisiertes Abstraktum ist, das im Verlauf der nachfolgenden Epochen verklärt wird.

21 Grassnick 1982, S. 72. 22 Cancik 2014, S. 17.

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

Eine solche Idealisierung vergangener Kulturen wird nach Ansicht von Alain Schnapp durch „Antiquare“23 angeregt, deren Leidenschaft sie von Historikern unterscheidet. Diese emotionale Verbindung zu einer Kultur wird durch Objekte erweckt, welche der Antiquar entdeckt und/oder sammelt und die dabei seine Vorstellungskraft anregen. Diese Abgrenzung zwischen Antiquaren und Historikern ist entscheidend, da sie als Ergänzung zur Darlegung über die Subjektivität der Geschichte aufzeigt, wie eine vermeintlich objektive Betrachtung von historischen Rudimenten sich zu einem Artefakten-Narzissmus wandeln kann, in welchem Objekte den Theorien angepasst werden und nicht umgekehrt, denn diese Leidenschaft führt unwillkürlich zu einer Glorifizierung der historischen Kultur und ihrer Schöpfer. Indem die verherrlichende Hypothese in den Zeitgeschmack mit eingebunden wird und später sogar wie ein Dogma die zeitgenössischen Vorstellungen beherrscht, entwickelt sich ein kollektiver Erinnerungsort. Mit diesem glorifizierten Bild von der Antike sowie ihrer Kultur geht vor allem der Humanismus mit seinem neuartigen Menschenverständnis eine visuelle Symbiose ein.24 Der Humanismus tritt historisch betrachtet in drei großen Phasen in Erscheinung, wobei für diese Publikation vor allem die mittlere entscheidend ist, die sich im 18. Jahrhundert entwickelt hat. Die humanistische Idee, die hier eurozentrisch betrachtet wird,25 bezieht sich insbesondere auf die „Emanzipation“ des Bürgertums,26 die ein neues Selbstverständnis des Mittelstandes zur Folge hat. Hierdurch wird die Suche nach einer ansprechenden Analogie ausgelöst, die der zeitgenössischen Identität entsprechen soll. Diese Korrespondenz wird im idealisierten Erinnerungsort der Griechen, aber auch anderer angepasster Kulturlandschaften der Antike und ihrer Schöpfer gefunden, deren Leitbild dermaßen verformt wird, dass es einem politisch-humanistischen Paradies gleichkommt. Dieses neue Verständnis eines Bildungsbürgertums, welches großen Wert auf Lehre und intellektuelle Entfaltung setzt, forciert gleichsam die Geisteswissenschaften, die diese Entwicklung antreiben sollen. Im Zusammenhang mit dieser Publikation sind vor allem zwei Forschungsgebiete zu nennen, die sich Ende des 18. Jahrhunderts angesichts dieser neuen humanistischen Idee verselbstständigen: Kunstgeschichte und

23 Schnapp 2011, S. 29. 24 Cancik erläutert dementsprechend in seinem Buch Europa – Antike – Humanismus: Humanistische Versuche und Vorarbeiten aus dem Jahre 2014: „Humanismus […] ist keine Philosophie, kein geschlossenes, nur mit sich selbst kompatibles System aus Anthropologie und Ethik, sondern die Lehre, ‚eine unvollendete Weltanschauung zu ertragen‘. Humanismus ist keine Religion, auch keine Ersatzreligion. Humanismus ist zunächst ein pädagogisches Programm und Teil europäischer Antikenrezeption. Humanismus ist einerseits eine Bildungs- und Kulturbewegung, die eng mit den ‚freien Künsten‘, den Geistes-, Kultur-, Human-, Geschichtswissenschaften (studia humaniora; humanities) verbunden ist, andererseits die Grundlage humanitärer Praxis.“ Cancik 2014, S. 38. 25 Cancik 2014, S. 8. 26 Borbein 2011, S. 45.

Antike als perfekte Identifikationsplattform

Archäologie. Dementsprechend verändert sich in dieser Zeit auch der vorherrschende Kunstgeschmack, der von diesem neu erdachten Ideal der Antike geprägt wird. Aufgrund des starken Einflusses der Antike auf alle nachfolgenden Epochen soll in dieser Publikation der Fokus darauf gelegt werden, wie dieser Erinnerungsort das ästhetische Empfinden geformt hat. Dabei wird auch analysiert, ob in diesem Zusammenhang überhaupt von einer einheitlichen Ikone der Antike gesprochen werden kann, da unterschiedliche Bedürfnisse und Ansprüche an dieses Ideal auch zu konkurrierenden Leitbildern geführt haben. Den Überlegungen von Alexander Baumgarten (1714–1762) entsprechend, muss in dieser Publikation im Zusammenhang mit neugegründeten Forschungsgebieten eher von „Empfindungen“ gesprochen werden, da ästhetische Wissenschaften nicht mit Logik gleichzusetzen sind, sondern vielmehr der Verstand durch neue Eindrücke verbessert werden soll.27 Daher muss hier betont werden, dass es sich bei diesem humanistisch-ästhetischen Diskurs des 18. und 19. Jahrhunderts über die Antike nicht um einen empirischen Kanon, sondern vielmehr um eine Wunschvorstellung handelt, der sogar Logik und Erfahrung untergeordnet werden. Man könnte sie daher mit Baumgartens Idee von der „Kunst schön zu denken“28 gleichsetzen. Hierbei erklärt Baumgarten in § 1 seiner Abhandlung Aesthetica: „Da uns aus der Psychologie bekannt ist, daß unsere Einsicht in den Zusammenhang der Dinge teils deutlich, teils verworren ist und jenes die Vernunft und das letzte analogon rationis ist, so benenne man sie darnach. Will man hingegen in Metaphern reden, und liebt man die Mythologie der Alten, so nenne man sie Philosophie der Musen und der Grazien. Noch mehr da die Metaphysik das Allgemeine der Wissenschaften enthält, so könnte man die Ästhetik nach einiger Ähnlichkeit die Metaphysik des Schönen nennen.“29

Die ästhetische Angleichung an die Epoche dient dem Rezipienten also dazu, ein Bild von diesem humanistisch-ästhetischen Ideal des Griechentums zu bekommen, wo ihm seine Vernunft allein nicht ausreicht. Demnach ist die Idee dieses neu heraufbeschworenen Vorbilds eine Metapher für die eigene Epoche, eine Identifikationsstütze, mit deren Hilfe ein Kollektiv eine Vorstellung von seiner Erhabenheit erhalten kann. Der Erinnerungsort muss ferner ähnlich offen sein wie der Begriff „Antike“ selbst, um entsprechend der Notwendigkeit einer Gesellschaft einen bestimmten zeitlichen und geografischen Raum beanspruchen zu können, mit dem sich das Kollektiv am einfachsten identifizieren kann. Somit liegt das Erfolgsgeheimnis dieses historisch-reflektierenden Topos vor allem in seiner Mannigfaltigkeit und Vielschichtigkeit, da ein breites Spektrum an Analogien möglich ist. Thesen und Antithesen erlauben unterschiedlichen 27 Baumgarten; Schweizer 1983, S. 79–80. 28 Baumgarten; Schweizer 1983, S. 80. 29 Baumgarten; Schweizer 1983, S. 80–81.

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

Kollektiven mit vermeintlich heterogenen Bedürfnissen, sich einer Meinung wie auch einem Selbstgefühl anzuschließen und damit eine Identität durch geistige Genealogie anzunehmen. Auf diese Weise ist der Erinnerungsort „Antike“ durch seine Vielfalt prädestiniert dazu, staatenübergreifend zu fungieren und dem Humanismus auch eine ästhetische Entsprechung zu verleihen. Antiken-Analogien werden indessen nicht nur vom intellektuellen Bürgertum für sich, sondern auch von Regenten in Anspruch genommen, die daraus ein nationales Ideal im Sinne eines griechischen Ebenbildes erschaffen. Dies ist insbesondere im komplexen Gebilde Deutschlands zu Beginn des 19. Jahrhunderts beobachtbar, in dem sich einzelne Staaten mithilfe dieser Antiken-Analogien gegenüber den anderen Reichsmitgliedern abgrenzen wollen. Diese von der Antike geprägte Selbstreflexion von Regenten bildet gleichzeitig einen Wandel im Verständnis vom weltlichen Herrscher zum Aufklärer ab, welcher sich mit Jean-Jacques Rousseaus (1712–1778) Lehren auseinandersetzt und seinen Untertanen die eigenen Sammlungen zu Bildungszwecken zur Verfügung stellt. Diese neue, aufgeklärte Selbstreflexion drückt sich jedoch bei den jeweiligen Regenten sehr unterschiedlich aus, ist zumeist politisch motiviert und spiegelt dabei das von Hegel gepriesene Staatsideal.

2.4  Antikenverehrung und Re-Inszenierung im Stadtbild am Beispiel Münchens Obwohl der neue Humanismus vornehmlich einen Wandel im Selbstverständnis des Bürgertums bewirkt hat, was in der Gestaltung ihrer Stadthäuser zum Ausdruck gebracht wird,30 ist der Einfluss der Monarchen im Zuge einer Angleichung an das antike Ideal wegweisend bei der Umgestaltung der Stadtzentren europäischer Metropolen. Durch öffentliche Aufträge, die vornehmlich die glorreiche Vergangenheit in Architektur wie Skulptur neu interpretiert re-inszenieren, wird ein neues Kunstbewusstsein generiert, welches die Epoche repräsentieren soll. Der ästhetische Ausdruck der neu geschaffenen kollektiven Identität wird dabei gezielt im Stadtkern oder an repräsentativen Orten platziert, sodass sich der Adressat (vornehmlich der Adel und das Bildungsbürgertum) durch das unterbewusste Rezipieren mit dem neuen Selbstverständnis identifizieren kann. Eines der bekanntesten Beispiele bekennender Antikenverehrung eines Herrschers stellt das Gedicht Paestum. XII. Elegie des späteren Ludwig I. von Bayern (1786–1868) aus dem Jahre 1817 dar. Hierin schreibt er: 30 Dies zeigt sich besonders in der sogenannten „guten Stube“ durch die Präsentation von Abgüssen antiker Skulpturen, „[…] die in der damaligen Zeit als elitärer Verweis auf die bürgerlich-humanistische Bildung zum festen Bestandteil der Wohn- und Luxuskultur des Bürgertums gehörten“. Müller 2021, S. 91.

Antikenverehrung und Re-Inszenierung im Stadtbild am Beispiel Münchens

„Wie aus dem Haupte des Zeus Athene gewaffnet entsprungen, Steht, vollendet in sich, herrlich das griechische Werk; In ihm fühlen wir Kunst, die römischen aber sind künstlich. Herrschaft und Herrschaft allein kannten die Römer als Zweck. Mit der Religion und dem Staate, dem Leben verwebet War den Hellenen die Kunst, welche ihr Wesen erfüllt. Die wir gebildet uns wähnen, sind noch Barbaren dagegen. […] Daß mir vergönnet nicht war, Griechen, zu leben bey euch! Lieber, denn Erbe des Throns, wär’ ich ein hellenischer Bürger, In den Gedanken wie oft träumt’ ich mich sehnend zu euch. […]“31

In diesem hier verkürzt dargelegten Gedicht sind zwei Haltungen besonders hervorzuheben: die Idealisierung der Griechen und ihrer Kunst sowie als Kontrapart die Herabwürdigung der römischen Artefakte, die als „künstlich“ deklariert werden. Diese Glorifizierung der Griechen durch die Gegenüberstellung einer anderen Hochkultur wird augenscheinlich verwendet, um die griechischen Errungenschaften deutlicher hervorzuheben. Jedoch stellt sich hierbei die Frage, wieso sich der bayerische Kronprinz zu Beginn seiner politischen Karriere mit den Griechen identifiziert und im Gegenzug eine Abwertung der römischen Kultur vornimmt. Der junge Ludwig scheint mit den Worten „Herrschaft und Herrschaft allein kannten die Römer als Zweck“ einen Anhaltspunkt zu liefern, da hier eine Assoziation der Römer als Militärmacht geweckt wird, die mit den humanistisch-ästhetischen Wertvorstellungen Ludwigs nicht in Einklang zu bringen ist. Dabei blendet er offenkundig die kriegerischen Handlungen der verallgemeinert dargestellten „Hellenen“ als Eroberer aus, und schafft so ein ungetrübtes Bild der Griechen nach seinen Idealen. Die Abwertung der römischen Kunst als „künstlich“ impliziert im Umkehrschluss, dass die griechische Kunst „natürlich“ sei und somit nach den Ideen von Immanuel Kant als „schöne Kunst“32 zu deklarieren wäre, die von Genies geschaffen wird. Die Griechen werden damit zu Genien, die für den bayerischen Kronprinz das humanistisch-ästhetische Ideal mustergültig erfüllen. In Kronprinz Ludwigs Gedicht spiegelt sich somit die zeitgenössische Meinung über die Vormachtstellung der griechischen Hochkultur wider. Er bekräftigt diese Überhöhung damit, dass er selbst viel lieber ein hellenischer Bürger als ein Erbe des bayerischen Throns wäre. Diese euphorische Begeisterung für die Griechen drückt sich darüber hinaus vor allem in seinen öffentlichen Aufträgen aus, die von den zeitgenössischen Rezipienten begeistert aufgenommen werden.

31 von Bayern 1829, S. 40–42. 32 Kant 2001, S. 192–193.

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

So erläutert Christian Scholl im Buch Revisionen der Romantik: Zur Rezeption der „neudeutschen Malerei“ 1817–1906, dass „[n]irgendwo in Deutschland […] man eine derartige Kunstpolitik mit größerer Konsequenz verfolgt hat, als in München unter Regentschaft von König Ludwig I. Hier entstand eine ganze Reihe anspruchsvoller Bauten, die den Zeitgenossen durch Stil, Funktion und künstlerische Ausstattung das Gefühl vermittelten, tatsächlich Zeugen einer anbrechenden Kunstblüte zu sein.“33

Diese von Ludwig I. initiierten und von Leo von Klenze (1784–1864) entworfenen staatlichen Bauaufträge wie die Glyptothek (Abb. 7) oder die Propyläen prägen dabei bis heute das Stadtbild von München und sind neben Gedenkstätten wie Walhalla in Regensburg (Abb. 8 und 9) und der Ruhmeshalle immer noch ein wichtiger Bestandteil der bayrischen Identität.34 So auch das „y“ im Wort Bayern, das, dem griechischen Schriftvorbild folgend, am 20. Oktober 1825 im Zuge seiner Inthronisation nach Anweisung Ludwigs I. das vorherige „i“ ersetzt hat und damit den Staat seinem griechischen Ideal nicht nur durch architektonische Projekte, sondern auch durch die Schreibweise annäherte. Ludwigs Vorstellungen von den Griechen und ihrem Genius formt im Zuge seiner Herrschaft zunehmend den Kunstgeschmack des eigenen Landes, welches in einen „enthusiastischen Philhellenismus“35 verfällt. Dabei werden seine Sehnsüchte nicht nur in Bayern verwirklicht, sondern auch auf das Griechenland seiner Zeit reflektiert. Die Griechische Revolution (1821–1829), die Ludwigs Außenpolitik prägt, bietet ihm 1832 die Möglichkeit, seinen zweitgeborenen Sohn zum Regenten des neugegründeten Königreichs Griechenland ausrufen zu lassen,36 wo er als König Otto I. (1815–1867) bis zu seiner Abdankung im Jahre 1862 regiert. Dies erlaubt einen weitreichenden bayrischen Einfluss sowohl auf die Politik als auch auf die architektonische Gestaltung Griechenlands, die Klenze auf Geheiß des Königs beaufsichtigen soll. Die nur zum Teil realisierte Umgestaltung ist damit ein Import, der das Erscheinungsbild insbesondere der neuen Hauptstadt Athen (1834) nach deutschen Vorstellungen formt. Die ruinöse Basis für das bayrische Ideal wird modernisiert und soll damit der Utopie angenähert werden. Diese drastischen Veränderungen am Stadtbild dominieren bis heute das Aussehen Athens.

33 Scholl 2012, S. 260. 34 Hierbei muss explizit darauf hingewiesen werden, dass die Außenfassaden der Walhalla sowie der Propyläen ursprünglich in Anlehnung an die Polychromiedebatte des 19. Jahrhunderts farbig gestaltet werden sollten. Die Umsetzung ist jedoch aufgrund instabiler Bindemittel nicht möglich gewesen. Infolgedessen zählen gerade jene Gebäude, die eigentlich die „bahnbrechenden Ludwigs und Klenzes Polychromiebestrebungen“ (Wünsche 2003, S. 13) hätten widerspiegeln sollen, heute zu Musterbeispielen der monochrom-klassizistischen Baukunst. 35 Grave 2011, S. 44. 36 Grave 2011, S. 44.

Antikenverehrung und Re-Inszenierung im Stadtbild am Beispiel Münchens

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7 Historische Ansichtskarte, Glyptothek, München, Privatbesitz

8 Außenansicht, ­Walhalla, Regensburg, Foto: K. Mann

9 Innenansicht, ­­Walhalla, Regensburg, Foto: K. Mann

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

Die griechischen Architekten Manos Biris und Maro Kardamitsi-Adami erläutern diesbezüglich in ihrer Publikation Neoclassical architecture in Greece: „The choice of Athens as capital was undoubtedly well received outside the narrow borders of Greece. One of the most fervent supporters of the idea, as we have already seen, was Ludwig I, the king of Bavaria and father of Otto. His support for the regeneration of Athens was not only ideological, but also took the form of direct intervention in the urban design and the architecture of the buildings, in some cases involving financial support for large-scale projects. Ludwig also intervened at the crucial phase of implementations of the new town plan. […]”37

Die beachtlichen Pläne für eine Metamorphose der neuen griechischen Hauptstadt werden folglich von der hiesigen Bevölkerung als ein schwacher Kompromiss zwischen Modernisierung und Rekonstruktion wahrgenommen, vor allem, da der fremdländische Einfluss auf das Stadtbild Athens einschneidend ist. Insbesondere Ausländer, die dem ideologischen Zeitgeschmack gefolgt sind und sich Villen in Neo-Stilen hatten errichten lassen, verdrängen die griechischen Bewohner aus dem Stadtzentrum und verändern das Habitat der Stadt tiefgreifend. Vornehmlich formen dabei die über fünfhundert Entwürfe des sächsischen Architekten Ernst Ziller (1837–1923), der nicht nur Wohngebäude, sondern auch Geschäfte, Banken, Schulen und Kirchen plant, Griechenland und dabei auch Athen nachhaltig.38 Kardamitsi-Adami pointiert dabei in seinem Buch Classical revival. The architecture of Ernst Ziller 1837–1923 die Bedeutung des Architekten für den äußerlichen Wandel der Hauptstadt mit der Formulierung: „The new Athens: Ziller’s Athens.”39 Ziller, der in Dresden Architektur studiert hat, wird vor allem durch Arbeiten Gottfried Sempers (1803–1879), Leo von Klenzes und Karl Friedrich Schinkels in seinem ästhetischen Empfinden geprägt, wobei die Anstellung beim dänischen Architekten Theophil Edvard Hansen (1813–1891), die ihn nach Athen führt, sein Schaffen sichtbar beeinflusst.40 In den 1860er Jahren macht sich Ziller selbstständig und wird 1872 zum Professor für Architektur an die Akademie der Künste in Athen berufen,41 sodass seine architektonischen Visionen von seinen Studenten weitergetragen werden.42 Hierbei ist hervorzuheben, dass Ziller, seinem Vorbild Semper folgend, jedes Objekt als „Gesamtkunstwerk“ kreiert,43

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Biris; Kardamitsi-Adami 2004, S. 75–77. Kardamitsē-Adamē; Yerolymbos 2006, S. 15, 27. Kardamitsē-Adamē; Yerolymbos 2006, S. 28. Kardamitsē-Adamē; Yerolymbos 2006, S. 21, 18. Kardamitsē-Adamē; Yerolymbos 2006, S. 23. Kardamitsē-Adamē; Yerolymbos 2006, S. 28. Der Begriff „Gesamtkunstwerk“ wird hier im Sinne einer Vereinigung verschiedener Kunstgattungen verwendet, das in Verknüpfung mit einem historisierenden Lebensstil auch als „Totalkunst“ bezeichnet werden kann. Schnurr 2008, S. 44.

Antikenverehrung und Re-Inszenierung im Stadtbild am Beispiel Münchens

10 Wandmalerei, Iliou Melathron, Athen, Foto: K. Mann

indem er nicht nur das Gebäude, sondern auch das dazugehörige Interieur entwirft und damit Einfluss auf das griechische Kunstgewerbe nimmt. Dieses ganzheitliche Gestaltungskonzept zeigt sich beispielsweise im Apollo Theater von Patras (1871–1872), in dem die klassische Säulenordnung der Außenfassade im Innenraum wiederholt wird und sowohl an der Stirnseite des Gebäudes als auch an den Balustraden der Logen griechische Masken von Lorbeerkränzen umrahmt werden. Wiederum demonstriert das von Ziller entworfene Schliemann Palais noch heute eindrücklich seine Kenntnisse über die antike polychrome Wandgestaltung, die er entsprechend der Raumfunktionen für das Iliou Mela­thron (Abb. 10) neu interpretiert und so ein „harmonisches Gesamtbild“44 ­kreiert. Damit reflektieren Zillers Entwürfe die gesamte Bandbreite der Architektur- und Antikendiskurse jener Zeit. Neben Ziller haben aber vor allem Klenze und die Hansen-Brüder, Hans ­Christian (1803–1883) sowie Theophil Edvard, einen enormen Einfluss auf die Neugestaltung Athens. Dabei bildet allen voran die klassizistische Athener Trilogie, bestehend aus Nationalbibliothek, Universität und Kunstakademie (Abb. 11), die von den Hansen-­ Brüdern und Ziller entworfen wurde, den neuen Kernpunkt der Athener Metamorphose.

44 „a harmonic whole“, Kardamitsē-Adamē; Yerolymbos 2006, S. 100.

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

11 Historische Ansichtskarte, Akademie, Athen, Privatbesitz

Paradoxerweise verändern somit die Architekten den stilistischen Charakter jener Stadt, die mit ihren Denkmälern eigentlich ihr ursprüngliches Vorbild gewesen ist. Diesen einschneidenden Veränderungen in Athen unterliegen auch die berühmten antiken Gedenkstätten, durch die dieses Ideal zwar angeregt wurde, ihm aber im Endeffekt nicht entsprechen kann. Die Umgestaltung der Akropolis, die nach jahrhundertelangen Umwälzungen durch unterschiedliche Kulturen nicht mehr mit den klassizistischen Vorstellungen übereinstimmt, erfährt im 19. Jahrhundert wohl die drastischste Modifikation, die bis heute unsere Vorstellung von der griechischen Antike formt. Bei diesem Projekt sind Archäologen damit beauftragt, die Rudimente der Akropolis systematisch dem zeitgenössischen Leitbild anzugleichen. Folglich wird die vermeintliche Rekonstruktion der Gedenkstätte vom vorherrschenden Kunstgeschmack stark geprägt; durch die rigorose Beseitigung anderer geschichtlicher Spuren auf der Akropolis beeinflussen die Archäologen somit unsere Vorstellung von der Stätte als einem historisch homogenen Werk. Klenze ist der Initiator dieser historischen „Abtragung“ (Abb. 12). In seinem Antrag für die Restaurierungsarbeiten an der Akropolis schreibt er diesbezüglich:

Antikenverehrung und Re-Inszenierung im Stadtbild am Beispiel Münchens

12 Historische Ansichtskarte, Parthenon, Akropolis, Athen, Privatbesitz

„Dieser Berg sollte […] sobald als möglich von den ruinirten und schlechten Bauwerken der barbarischen Zeit befreit werden. Alle antiken Mauern bleiben dabei verschont […]. Die baldige Demolition aller anderen Mauern aber scheint um so wünschenswerther, als die große Masse von guten Bausteinen bei dem Wiederaufbau der Stadt gewiß gut zu verwerthen sein würde.“45

Die „befreite“ oder vielmehr „bereinigte“ Akropolis-Vision des 19. Jahrhunderts sollte alsdann die Grundlage für eine komplette Re-Inszenierung der Anlage bilden und die abgetragenen Baumaterialien der anderen Epochen sollten zum Aufbau Athens genutzt werden. Verschiedene Entwürfe sind hierfür in Auftrag gegeben worden, in denen die Akropolis dem glorifizierten Ideal entspricht, gleich einem makellosen Abbild ihrer selbst. Auf Geheiß des preußischen Kronprinzen entwirft beispielsweise Karl Friedrich Schinkel ein Modell der Anlage, in dem er den Palast für Otto I. integriert und somit eine Verbindung zwischen dem antiken und neuen Athen kreiert.46 Im Gegensatz zur Außenfassade in monochromem Weiß plante Schinkel die Innenausstattung vielfarbig, entsprechend der damaligen Polychromiedebatte in den Farben Schwarz, Weiß, Rot und Gold.47 Leo von Klenze, der Schinkels Entwurf als einen „herrlich und reizenden 45 Ausstellungskatalog 1985, S. 183. 46 Mellinghoff 1989, S. 113. 47 Mellinghoff 1989, S. 113.

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

Sommernachtstraum eines großen Architekten“48 bezeichnet, lehnt jedoch Neubauten auf der Akropolis ab, da für ihn die archäologische Instandhaltung der Rudimente im Vordergrund steht.49 Ihm ist es somit zu verdanken, dass bis heute keine Neubauten auf der Akropolis errichtet wurden, obwohl ihm die „Bedeutung der Akropolis für das neue Griechenland“50, deren symbolischer Wert durch Schinkels Re-Inszenierungsvorschlag optisch wiedergegeben worden wäre, durchaus bewusst ist. Dennoch entscheidet sich der Architekt auf Initiative von Ludwig I. dazu, dass nach der Abtragung vornehmlich nur die Schäden restauriert, die Überreste gesichert und wenn nötig auch Ergänzungen vorgenommen werden sollen.51

2.5  Entwicklung eines Erinnerungsorts der Antike Klenzes Umgang mit dem historischen Erbe der Antike wird von seinen Zeitgenossen emotional diskutiert. Nährboden für solch leidenschaftlich geführte Debatten über archäologische Rekonstruktions- beziehungsweise Re-Inszenierungsmaßnahmen historischer Artefakte ist die vorherrschende Geschichtsfaszination, bei der jede überlieferte Legende nicht nur wahrhaftig sein, sondern auch in die eigene Zeit übertragen werden soll. Der Wunsch nach historischer Authentizität bewirkt, dass beispielsweise die Erzählungen von Troja und ihren Helden nicht nur als Metaphern, sondern vielmehr als historische Realitäten wahrgenommen werden, wobei die archäologischen Rudimente als dokumentarische Beweisstücke fungieren. Ausgrabungsfunde werden detailliert in der Presse besprochen und so, neben dem intellektuellen Diskurs an den Hochschulen, auch einer größeren Bevölkerungsgruppe im eigenen Land nähergebracht. Archäologie wird damit nicht nur zu einem geisteswissenschaftlichen Medium, das die menschliche Erhabenheit entsprechend vermitteln soll, sondern auch zu einem Teil des Zeitgeistes. Dabei werden Nachbildungen antiker Ausgrabungsstätten zu einem weiteren Instrument dafür, Geschichte erlebbar zu machen. Kopien der Fundstücke werden im Zuge dessen häufig ergänzt, um dem vorherrschenden Zeitgeschmack zu entsprechen und damit die Diskrepanz zwischen damals und heute zu überbrücken. Diese modifizierten Reproduktionen beispielsweise von antiken Skulpturen werden anschließend in Kunstakademien oder Museen als Lehrmittel öffentlich zugänglich gemacht. Die massenkompatible Vervielfältigung der Gipsabgüsse erlaubt dabei, das Bedürfnis nach Erfahrbarkeit von Geschichte flächendeckend im eigenen Land zu stillen und damit den Erinnerungsort als solchen lebendig zu erhalten. 48 49 50 51

Gisbertz 2013, S. 71–72. Gisbertz 2013, S. 71–72. Ausstellungskatalog 1985, S. 185. Ausstellungskatalog 1985, S. 189.

Entwicklung eines Erinnerungsorts der Antike

Winckelmann als Wegbereiter des Antikenkults

Der außerordentliche Rückbezug vor allem auf die griechische Antike als neu entwickelte Identifikationsplattform des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus hat als Ausgangspunkt einen Autor, der sogar noch bis in die heutige Zeit die kollektive Vorstellung der Antike prägt. Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) formt dabei mit seinen Ideen und Idealen in Bezug auf die Griechen für lange Zeit die vorherrschend positiv konnotiere Analo­ gie, indem er die Sehnsucht seiner Epoche – eine Idealisierung der griechischen Antike, ihrer Menschen, Kunstwerke und Werte – in seinen Schriften widerspiegelt und so mehrere Generationen mit seiner Begeisterung ansteckt.52 So erklärt Johan Schloemann in seinem Essay über Johann Joachim Winckelmann – „edle Einfalt, stille Größe“: „Er hat damit eine Griechenland-Begeisterung entfacht, die die Weimarer Klassik ebenso ergriff wie die frühen Romantiker oder die philhellenischen Aktivisten, und die sodann über Wilhelm von Humboldt in der Universität und im Schulalltag des deutschen Bildungsbürgertums im 19. Jahrhundert institutionalisiert wurde. Durch die Erweckung eines neuen Humanismus wurde Winckelmann gleichsam, zumal für die Deutschen, zum Vater aller griechischen Erinnerungsorte.“53

Bereits früh werden Versuche unternommen, das „Phänomen Winckelmann“ zu erklären. Einer der berühmtesten Analysten ist Johann Wolfgang von Goethe, welcher 1805 einen Aufsatz über Johann Joachim Winckelmann veröffentlicht. Goethe werden zu diesem Zweck Winckelmanns Briefe von Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar und Eisenach (1739–1807) zur Verfügung gestellt, die er in Hinblick auf seine Abhandlung als „wichtigste Denkmäler“54 bezeichnet. Goethe charakterisiert Winckelmann als „treffliche[n] Mann, der sich in der Einsamkeit gebildet hatte, in Gesellschaft zurückhaltend, im Leben und handeln ernst und bedächtig war“55. Der Topos vom geistvollen Einsiedler dient Goethe dazu, das Genie Winckelmanns zu unterstreichen. Das Bild vom Einzelgänger wird durch das des begnadeten Emporkömmlings ergänzt, der aus sich selbst heraus sein Schicksal geprägt hat. Winckelmann ist Goethe zufolge ein Genie, der durch seine Wissbegier der Menschheit eine neue Sicht auf sich selbst und ihre Kultur geschenkt und damit ferner eine neue Weltanschauung entworfen hat. 52 Winckelmanns glorifizierender Einfluss auf das kollektive Bewusstsein in Bezug auf die antiken Griechen und ihre Kunstfertigkeit wird überdies auch kritisch gesehen. Beispielsweise eruiert Friedrich Nietzsche (1844–1900): „[…] Winckelmanns und Goethes Griechen […] – irgend wann wird man die ganze Komödie entdecken: es war Alles über alle Maaßen historisch falsch, aber – modern, wahr!“ Nietzsche 1970, S. 382. 53 Schloemann 2010, S. 530–531. 54 Riemer 1837, S. 503. 55 Riemer 1837, S. 503.

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

Bemerkenswert an Goethes Schrift ist allen voran die Formulierung „Unser Winckelmann“56. Mit diesem Ausdruck suggeriert Goethe, dass Winckelmann und seine Ideen ein deutsches Allgemeingut seien. Daher kann angenommen werden, dass Winckelmann bereits kurz nach seinem Tod als nationale Identifikationsfigur verstanden wurde; dabei wird nicht nur sein Forschergeist, sondern insbesondere seine Wahrhaftigkeit hervorgehoben. Goethe betont in diesem Zusammenhang vornehmlich Winckelmanns „angeborene Wahrheitsliebe“57 und Selbstlosigkeit. Ergänzend entwirft er ein Bild von Winckelmann als leidenschaftlichen Menschen, der sich seinen Ideen hingibt und damit für die Nation aufopfert. Diesbezüglich hebt Goethe im Hingang hervor: „Daß Winckelmann früh hinwegschied, kommt auch uns zu Gute. Von seinem Grabe her stärkt uns der Anhauch seiner Kraft, und erregt in uns den lebhaftesten Drang, das, was er begonnen, mit Eifer und Liebe fort und immer fortzusetzen.“58

Dass Winckelmanns Antikenfaszination im 19. Jahrhundert durchaus als „Deutsch“ verstanden wird, offenbart Gottfried Semper in seinem Buch Die vier Elemente der Baukunst. Ein Beitrag zur vergleichenden Baukunde (1851), in dem er schreibt: „So stand die Frage, als mit der Erhebung der Neugriechen gegen das fremde Joch eine Art von schnell vorübergreifender Begeisterung für das Griechenthum die Völker ergriff. Dieser philhellenische Rausch gab sich vorzüglich in Deutschland kund, wo hohe und höchste Kunstbeschützer ihn theilten.“59

Die Formulierung „philhellenischer Rausch“ macht dabei deutlich, dass es sich beim Klassizismus, den Semper hier als „Erhebung der Neugriechen“ bezeichnet, augenfällig um mehr handelt als nur um eine ästhetische Annäherung an die griechische Antike. Seine zeitgenössischen Leser verstanden sich offenbar als neue Griechen und identifizierten sich demzufolge mit all dem, was damit assoziiert wurde, folglich auch mit den glorifizierenden Ideen Winckelmanns. Demgemäß ist es unerlässlich, die Schriften Winckelmanns genauer auf dieses Griechenbild hin zu untersuchen, um damit sein Paradigma der Übertragung auf das ausgehende 18. und 19. Jahrhundert eingehender veranschaulichen zu können.

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Riemer 1837, S. 503. Riemer 1837, S. 513. Riemer 1837, S. 514. Semper 1851, S. 2.

Winckelmanns Erinnerungsort der antiken Griechen

2.6  Winckelmanns Erinnerungsort der antiken Griechen An Winckelmanns Schriften sind vor allem seine rhetorischen Mittel hervorzuheben, die er einsetzt, um seinen Lesern eine positive Version der alten Griechen einprägsam zu vermitteln. Jene idealisierenden Formulierungen, die einen wichtigen Bestandteil des Erinnerungsorts „Antike“ darstellen, sind jedoch nicht unumstritten, sodass längere Passagen aus seinen Schriften hier dargelegt und kommentiert werden sollen. Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (1755)

Bereits in seinem Werk Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst aus dem Jahre 1755 kreiert Winckelmann eine glorifizierte Idee über die antiken Griechen und ihre Kunst sowie die Übertragung dieser Vision auf seine Zeitgenossen. So schreibt er: „Der gute Geschmack, welcher sich mehr und mehr durch die Welt ausbreitet, hat sich angefangen zuerst unter dem griechischen Himmel zu bilden. […] Und man muß gestehen, daß die Regierung des großen Augusts der eigentliche glückliche Zeitpunkt ist, in welchem die Künste, als eine fremde Kolonie, in Sachsen eingeführet worden. Unter seinem Nachfolger, dem deutschen Titus, sind dieselben diesem Lande eigen worden, und durch sie wird der gute Geschmack allgemeine. […] Die reinsten Quellen der Kunst sind geöffnet: glücklich ist, wer sie findet und schmecket. Diese Quellen suchen, heißt nach Athen reisen; und Dresden wird nunmehro Athen für Künstler. Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten, und was jemand vom Homer gesagt, daß derjenige ihn bewundern lernet, der ihn wohl verstehen gelernet, gilt auch von den Kunstwerken der Alten, sonderlich der Griechen. Man muß mit ihnen, wie mit seinem Freunde, bekannt geworden sein, um den Laokoon ebenso unnachahmlich als den Homer zu finden.“60

Winckelmann entwirft damit ein Bild von Dresden als neues Athen, indem die antike Kultur angeeignet wird. Diese Umwandlung der Sachsen zu „Neugriechen“, um Sempers Vokabular zu verwenden, soll ihnen Größe bieten und ihre Einzigartigkeit bestätigen. Winckelmann entwirft hierzu eine ausgesprochen wirksame Assoziation, die er durch

60 Winckelmann 1756, S. 1–3. Der Vergleich mit Homer ist in Winckelmanns Argumentation ein wichtiges Moment, da die Epen Illias und Odyssee einen maßgeblichen Einfluss auf sein griechisches Menschenbild gehabt haben. Hierzu schreibt Hans-Georg Gadamer: „Das Bild griechischer Menschlichkeit und griechischer Göttlichkeit, das der dichterische Genius Homers heraufbeschworen hat und das die späteren Geschlechter der Menschheit, sowohl die griechischen wie alle ‚humanistisch‘ gesinnten, als höchstes Menschenbild anerkannten, beschwor ein Ideal.“ Gadamer 1976, S. 103.

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

die Erwähnung von August dem Starken legitimiert. Mit dieser Verknüpfung suggeriert er eine historische Berechtigung für die angestrebte Verschmelzung von Dresden mit dem antiken Athen. Dabei entwirft Winckelmann das Konstrukt einer idealisierenden Genealogie des Humanismus bis zurück zur griechischen Antike so, dass mit kleinen Modifikationen dieser Erinnerungsort auf jedes Land übertragen werden kann. Winckelmann ist es in seiner Schrift besonders wichtig, den Lesern seine Ideen vom Schönheitsideal der Griechen darzulegen; in diesem Sinne erläutert er, dass das antike Schönheitsempfinden sich nicht allein an der Natur orientiert habe, sondern von einer Art Urbild gelenkt worden, das eine „bloß im Verstande entworfene geistige Natur“61 gewesen sei. Diese Idee des Schönen wurde, nach Winckelmanns Auffassung, jedoch im Laufe der Zeit von späteren Künstlergenerationen vergessen, sodass ihre Figuren unharmonisch wirken. Im Einzelnen erläutert er dabei das meisterhafte Können der Griechen vom Aufbau des menschlichen Körpers bis hin zur Darstellung der Haut. Er versteht dieses gestalterische Prinzip der Mimesis als ästhetisches Fundament, sodass – nach seiner Ansicht – zeitgenössische Künstler sich unbedingt am griechischen Schönheits­ ideal schulen sollten, und ruft entschlossen zur Nachahmung auf.62 Winckelmann will dabei keine historischen Analysen antiker Kunstwerke vorlegen, sondern vielmehr eine idealisierte Richtlinie entwerfen, was er besonders in seinem Traktat über Geschichte der Kunst des Alterthums aus dem Jahr 1764 deutlich macht. Daher muss auch hier die von Steffi Roettgen als „strapazierte“63 Vorrede bezeichnete Passage herangezogen werden, um Winckelmanns Idee von (Kunst-)Geschichte und ihrem Zweck eingehender aufzeigen zu können. „Die Geschichte der Kunst des Altherthums, welche ich zu schreiben unternommen habe, ist keine bloße Erzählung der Zeitfolge und der Veränderung in derselben, sondern ich nehme das Wort Geschichte in der weiteren Bedeutung, welche dasselbe in der griechischen Sprache hat, und meine Absicht ist, einen Versuch eines Lehrgebäudes zu liefern.“64

Winckelmann sieht somit seine Schriften nicht als historiografische Abhandlungen über die Antike und ihre Kunst an, sondern vielmehr als Lehrmittel, die auf seine Generation übertragen werden können, was besonders in seiner Publikation Anmerkungen über die Baukunst der Alten erkennbar wird.

61 62 63 64

Winckelmann 1756, S. 10. Winckelmann 1756, S. 12. http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/winckelmann/roettgen_mengs.pdf (03.02.2015). Winckelmann 1870, S. 1.

Winckelmanns Erinnerungsort der antiken Griechen

Anmerkungen über die Baukunst der Alten (1762)

Winckelmann erläutert in seinem Vorbericht zu Anmerkungen über die Baukunst der Alten aus dem Jahre 1762, dass bis dato den antiken Denkmälern kaum wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil wurde und er diesen Mangel mit seinem Buch beseitigen wolle.65 Zu diesem Zweck lässt er Kupferstiche von den wichtigsten Denkmälern anfertigen, damit sie dem Leser, neben seinen ausführlichen Beschreibungen, auch visuell erfahrbar werden. Diese Transformation der antiken Relikte in ein massenkompatibles Medium ist ein herausragender Unterschied zu Winckelmanns vorherigem Werk. An mehreren Stellen seines Textes betont er die außerordentliche Arbeit von Künstlern verschiedener Nationen, welche die „Ueberbleibsel des Alterthums“66 zeichnerisch festhielten. Für Winckelmann ist somit entscheidend, dem Leser nicht nur mithilfe von Beschreibungen die Kunst der griechischen Antike nahezubringen, sondern ihre Schönheit vor allem durch visuelle Hilfsmittel erlebbar zu machen. Als illustratives Beispiel dient Winckelmann die Stadt „Pesto“ (heutige Schreibweise Paestum), da ihm zu seinen Lebzeiten noch mehrere gut erhaltene Bauwerke einige Erkenntnisse über das antike Bauwesen liefern konnten. Seinen diesbezüglichen Text untergliedert er in zwei Teile, um so das „Wesentliche“ und die „Zierlichkeit“ der antiken Baukunst gesondert aufzuzeigen. Im ersten Kapitel über das Wesentliche der Baukunst erläutert der Autor die verwendeten Materialien sowie Bauart und -form. Hierbei scheint es dem Thema geschuldet, dass Winckelmann sich einer sehr strukturierten Sprache bedient, um die elementaren Fakten darzulegen. Anders verhält es sich im zweiten Kapitel über die Zierlichkeit der Baukunst. Der Unterschied wird bereits am Beginn seiner Ausführungen sehr deutlich, in dem er die „Zierlichkeit“ sprachlich zu erfassen versucht. Dabei strebt er an, vor allem ihre ästhetische Funktion in Worte zu kleiden. Er schreibt hierzu: „Ein Gebäude ohne Zierde, ist wie die Gesundheit in Dürftigkeit, die niemand allein für glücklich hält, wie Aristoteles saget; und das Einerley oder die Monotonie kann in der Baukunst, so wie in der Schreibart und in anderen Werken der Kunst, tadelhaft werden. Die Zierde hat ihren Grund in der Mannigfaltigkeit; in Schriften und an Gebäuden dient sie dem Geiste und dem Auge zur Abwechslung, und wenn die Zierde in der Baukunst, sich mit Einfalt gesellet, entsteht Schönheit: denn eine Sache ist gut und schön, wenn sie ist, was sie seyn soll.“67

Zierelemente in der Architektur erfüllen demzufolge einen wesentlichen Zweck, nämlich den der geistigen Anregung; aus ihr entsteht nach Winckelmanns Ansicht Schönheit. 65 Fernow 1808, S. 330. 66 Fernow 1808, S. 337. 67 Fernow 1808, S. 405.

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

Dies ist eine Schönheitsidee, die derjenigen von Immanuel Kant aus seinem berühmten Werk Kritik der Urteilskraft aus dem Jahre 1790 sehr nahekommt, sodass anzunehmen ist, dass Winckelmanns Gedanken zur funktionalen Ästhetik prägend für seine Zeitgenossen waren. Um die Funktion der Zierelemente und ihren ästhetisch wertvollen Einsatz klarer verdeutlichen zu können, schreibt Winckelmann weiter: „Es sollen daher Zierrathen eines Gebäudes ihrem allgemeinem so wohl, als besonderem Endzwecke gemäß bleiben: nach jenem betrachtet, sollen sie als Zusatz erscheinen, und nach diesem die Natur des Orts und ihre Anwendung nicht verändern. Sie sind als Kleidung anzusehen, welche die Blöße zu decken dienet, und je größer ein Gebäude von Anlage ist, desto weniger erfordert es Zierrathen; so wie ein kostbarer Stein nur wie in einen goldenen Faden einzufassen wäre, damit es sich selbst in seinen völligen Glanze zeige. […] Diese Mannigfaltigkeit aber, welche sich einer jeden Ordnung in der Baukunst verschiedentlich eigen machte, wurde eigentlich als keine Zierlichkeit angesehen, welche in der That so wenig von den Althen gesuchet wurde, daß das Wort, welches diese Bedeutung bey den alten Römern hatte, nur vom Putze in der Kleidung gebraucht wurde; in späteren Zeiten deutete man allererst das römische Wort Zierlichkeit auch auf Werke des Verstandes. Denn da der wahre gute Geschmack fiel, und der Schein mehr als das Wesen gesuchet wurde, sahe man die Zierrathen nicht mehr als Zusatz an, sondern es wurden Plätze, welche bisher ledig geblieben waren, mit denselben angefüllet. Hierdurch entstand die Kleinlichkeit in der Baukunst: Denn wenn ein Theil klein ist, so ist auch das Ganze klein, wie Aristoteles saget. Der Baukunst erging es, wie den alten Sprachen; diese wurden reicher, da sie von ihrer Schönheit abfielen, welches so wohl von der Schönheit entweder nicht erreichen, oder nicht übertreffen konnten, suchten sie sich reicher als jene zu zeigen.“68

Winckelmann betont auf diese Weise ausführlich, dass die „Zierlichkeit“ zwar der geistigen Stimulanz des Rezipienten dient, sie jedoch gemäßigt angewendet werden soll, damit die Funktion sichtbar bleibt. Die Größe des Bauwerks muss somit immer evident sein und darf nicht durch zu viel Zierrat überlagert werden. Eine Ausgewogenheit an Dekor ist folglich am Bauwerk vonnöten. In Anlehnung an Aristoteles macht Winckelmann damit deutlich, dass eine übertriebene Verzierung die Schönheit der Architektur mindere und ein Ausdruck von ästhetischem Unvermögen sei. In diesem Zusammenhang wird auch der Titel Anmerkungen über die Baukunst der Alten verständlich, da Winckelmann die Meisterschaft der Griechen (somit der Alten) gegenüber den Römern hervorhebt. Er erläutert im Text, dass nach seiner Kenntnis diese übertriebene Zierlichkeit unter Neros Herrschaft seinen Anfang nahm, „denn zu Titus

68 Fernow 1808, S. 405–407.

Winckelmanns Erinnerungsort der antiken Griechen

Zeiten herrschte bereits dieser Geschmack, wie man an dessen Bogen sieht, und es nahm derselbe immer mehr überhand, unter den folgenden Kaisern“.69 Hierbei stellt sich unweigerlich die Frage, wieso Winckelmann gerade bei Kaiser Nero den Ausgangspunkt für den „überhöhten Zierrath“70 sieht, wenn er als Beispiel den Titusbogen anführt, da zwischen Nero (37–68 n. Chr.) und Titus (39–81 n. Chr.) noch weitere Kaiser herrschten, unter anderem zehn Jahre lang Vespasian (9–79 n. Chr.). Es ist anzunehmen, dass mit dieser Aussage eine Verbindung zwischen dem überschwänglichen Bauschmuck und der historisch schlechten Meinung über Kaiser Nero und den ihm zugeschriebenen Brand von Rom (64 n. Chr.) entstehen solle. Durch diese Überblendung entwickelt sich eine ablehnende Analogie, die dazu dient, den Leser negativ auf die übertriebene Zierlichkeit einzustellen. Solche Formulierungen dienen Winckelmann offenbar dazu, die griechische Architektur in der Gegenüberstellung mit den detailverspielten römischen Bauformen als einzig wahre Baukunst zu charakterisieren. Die griechischen Architekten brauchten, so Winckelmann, aufgrund ihres ausgewogenen Schönheitsempfindens und meisterhaften Könnens keine kleinteiligen Elemente zu verwenden, um Unfähigkeiten zu verschleiern. Dabei sind seine drastischen Aussagen über die Kleinteiligkeit der römischen Architektur und die damit verbundene Kritik an ihren ästhetischen Schwächen genauso als populistische Rhetorik zu verstehen, wie ihren Ursprung in Neros Amtszeit zu lokalisieren. All diese sprachlichen Stilmittel nutzt er, um seine Idee der griechischen Baukunst und ihrer reduzierten sowie funktionalen Schönheit überhöhen zu können. Damit wird ersichtlich, dass Winckelmann hier eine glorifizierende Idee der Epoche und ihrer Kunstwerke entwirft. Seine Ausführungen über die antiken Denkmäler werden somit nicht nur abgeleitet aus einem historiografischen Verständnis, das ihr Dasein erklärt, oder aus einem ästhetischen Bedürfnis, das ihre Schönheit darlegt, sondern er nutzt sie darüber hinaus aus ideologischen Gründen, um ein angepasstes Vorbild für seine Epoche zu entwickeln. Dadurch wird deutlich, dass der Autor eine moralische Überhöhung der griechischen Antike bezweckt und sie zu einem Erinnerungsort formt. Winckelmanns Ausführungen über die funktionale Ästhetik der griechischen Bauformen sind dabei so einprägsam, dass sie von Architekten als Vorbild verwendet und für eigene Bedürfnisse umgewandelt werden. In der Folge ist im deutschen Klassizismus besonders eine Reduktion von Zierelementen zu beobachten.

69 Fernow 1808, S. 407–408. 70 Fernow 1808, S. 407.

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

2.7  Idealisierung attischer Bauformen Leo von Klenze

Einer der hervorstechendsten Architekten in der geistigen Erbfolge Winckelmanns ist Leo von Klenze, der sich in seiner Schrift Anweisung zur Architectur des christlichen Cultus aus dem Jahre 1822 eingehend mit der funktionalen Ästhetik der alten Griechen auseinandersetzt. In diesem Traktat führt der Architekt, neben einer Analyse des christlichen Kirchenbaus, vornehmlich die Vorzüge der antiken Architektur an, sodass diese glorifizierenden Formulierungen hier im Einzelnen aufgezeigt werden sollen, um die Ideologie darzulegen, die sich in seinen Bauwerken widerspiegelt. Klenze macht in seiner Abhandlung zu Beginn deutlich, dass für ihn die griechische Architektur diejenige Bauart sei, die von einem außerordentlichen Schönheitsgefühl geleitet wird, „[…] welches aus einer ungebundenen, freyen, und dabey stets von Erinnerung und Ahnung göttlicher Vollkommenheit hervorgeht, so muß die griechische Architektur in sich die vollkommene genannt werden, und es ist dann kein Grund mehr vorhanden, sie nicht als Architektur aller Zeiten und Länder, besonders aber als durchaus wahr, wesentlich und positiv, auch als die Architektur des wahren, wesentlichen und positiven Christenthums anzuerkennen.“71

An diesem Zitat werden bereits einige für ihn wichtige positive Wesensmerkmale der griechischen Architektur ersichtlich. Im Besonderen macht der Architekt auf jene Ästhetik der Gestaltung aufmerksam, die er nach dem Kant’schen Vorbild mit „Schönheit“ betitelt, wie auch an anderer Stelle als „Vollkommenheit“ bezeichnet. Neben diesen idealisierenden Formulierungen, die sich auf die äußere Form beziehen, ist seine Äußerung, die griechische Architektur sei die Baukunst „aller Zeiten und Länder“, von besonderem Interesse, da sie eine Allgemeingültigkeit der Bauformen suggeriert. Diese verabsolutierende Feststellung formuliert Klenze auch an anderer Stelle seiner Schrift, in der er erläutert: „So wie die griechische Architektur überall entstehen konnte, wo geistreiche und gebildete Menschen nach ewigen Gesetzen der Natur, Mathematik und klaren Vernunft handelten, so konnte die Architektur des Mittelalters nur aus dem Mittelalter hervorgehen, weshalb denn auch die griechische, die Architektur aller Zeiten, die des Mittelalters aber nur die des Mittelalters, so wie die indische, ägyptische, persische und astekische, nur die von Indien, Aegypten, Persien und Amerika seyn und werden konnten.“72

71 von Klenze 1822, S. 7. 72 von Klenze 1822, S. 12–13.

Idealisierung attischer Bauformen

In der Konfrontation mit der Gotik zeigen sich für Klenze ganz deutlich die Vorteile der antiken Baukunst auf: ihre allgemeine Verwendbarkeit und Akzeptanz. Hingegen sei die Gotik eine „[…] Idee von scheinbarer Leichtigkeit und Kühnheit einer künstlerischen, aber nicht kunstgerechten Construktion […]“.73 Diese Überhöhung der antiken Bauformen durch die Gegenüberstellung mit dem großen Konkurrenten Gotik legt Klenze in seinem Traktat weiter dar, indem er ausführlich auf die Nachteile der mittelalterlichen Bauart eingeht, wie beispielsweise: „Ueberhaupt ist die Willkühr nach nur scheinbaren Gesetzen der Hauptcharakter dieser Bauwerke, so wie ihre Zeit, und im Gegensatz mit dem strengen Style der Griechen, wo alles nach unumstößlichen Gesetzen der Natur und Kunstphilosophie sich bildet.“74

Es wird bei dem von Klenze gezogenen Vergleich ein weiterer für ihn sehr wichtiger Charakterzug der antiken Baukunst deutlich: ihre zweckgebundene Ausarbeitung. Klenze bezeichnet diese als „griechische Mäßigung“75, die ein Resultat eines vollkommenen Gleichgewichts zwischen der Form und ihrer Zweckmäßigkeit ist. Die Abwesenheit jedweden Zierrats ist dabei Vorausetzung für das Gleichgewicht und dessen Wahrnehmung als ästhetisch; diese Eigenschaft, so Klenze, fehlt jedoch der Gotik. Dabei sind weitere Assoziationsketten hervorzuheben, die Klenzes Glorifizierung unterstreichen. Neben Attributen und Beschreibungen wie „herrliche“76, „wahr“77, „wesentlich“78, „positiv“79, „göttliche[…] Vollkommenheit“80, „stets von dem Schönheitsgefühle geleitet“81, „Großartigkeit der Conception“82, „Aufwand von Schönheitssinn“83, „Gewandtheit und große[…] Praktik“84 sind zwei Formulierungen hervorzuheben: „schönste“85 und „einzigwahre“86. Diese beiden Wörter erfassen die wesentlichen Merkmale, die für Klenze an der antiken Architektur am wichtigsten sind: ihre ästhetische Form sowie ihre einmalige Allgemeingültigkeit.

73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86

von Klenze 1822, S. 15. von Klenze 1822, S. 16. von Klenze 1822, S. 15. von Klenze 1822, S. 15. von Klenze 1822, S. 7. von Klenze 1822, S. 7. von Klenze 1822, S. 7. von Klenze 1822, S. 7. von Klenze 1822, S. 7. von Klenze 1822, S. 12. von Klenze 1822, S. 12. von Klenze 1822, S. 12. von Klenze 1822, S. 8. von Klenze 1822, S. 8.

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Franz Kugler

Die griechischen Bauformen, insbesondere der dorische Parthenon auf der Akropolis, beeinflussen zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht nur Architekten maßgeblich, sondern inspirieren auch Kunsttheoretiker zu idealisierenden Äußerungen über die Kunstfertigkeit antiker Baumeister. Ein Jahrzehnt nach der Herausgabe von Klenzes Traktat fasst Franz Kugler (1808– 1858) solch eine glorifizierende Bewunderung in seinem Werk Über die Polychromie der griechischen Architektur und Skulptur aus dem Jahre 1835 in Worte. Obwohl es in dieser Schrift, wie der Titel bereits deutlich macht, um Vielfarbigkeit in der Antike geht, befasst sich der Autor in einem Kapitel auch mit den Formen der Architektur, worin er in einem Unterkapitel Die Bedeutung der architektonischen Formen, entwickelt an den Monumenten von Attika, darlegt. Direkt zu Beginn formuliert Kugler: „(…) wie klar, edel und verhältnissmässig ist hier Form gegen Form gebildet; auf wie bewunderungswürdige Weise sind hier Kraft und Gesetz, Würde und Heiterkeit, Majestät und Anmuth mit einander verbunden! Nur unter dem segenreichen Einflusse, welchen die jungfräuliche Schutzgöttin des Landes ausübte, konnte eine solche Reinigung der Formen stattfinden.“87

In dieser Passage führt Kugler eine Assoziationsreihe ein, die – ähnlich derjenigen von Winckelmann und Klenze – die ästhetische Bedeutung des griechischen Baustils in ihrer Reduktion erkennt. Insbesondere betont der Kunsthistoriker in seinem Buch die „Anmuth“ des attischen Stils, die er als herausragend gegenüber den Bauformen anderer historischer Gebiete ansieht. Kuglers Bewunderung für die attischen Bauformen manifestiert sich vor allem in seiner Beschreibung der dorischen Ordnung. Auf mehreren Seiten analysiert Kugler die Bauelemente auf ihre Bedeutung hin. Dabei fügt er Sprachbilder ein, die seine subjektive Begeisterung als objektive Feststellungen erscheinen lassen. So erklärt Kugler unter anderem, dass Säulen „lebendige“88, „aktive Stützen“89 seien, wobei die Verjüngung, je nach Machart, entweder „Kraft“90 oder „Leichtigkeit“91 ausdrücken könne und der Abakus wiederum ein „sicheres, ruhiges Lager“92 sei. Diese Formulierungen werden hier nur beispielhaft angeführt, um zu erläutern, welche positiv konnotierenden Assoziationen Kugler evoziert, um dem Rezipienten seine überhöhte Sicht auf die dorische Ordnung nahezubringen und diesen dabei sogar etwas Übernatürliches imaginieren zu lassen, da

87 88 89 90 91 92

Kugler 1835, S. 35. Kugler 1835, S. 37. Kugler 1835, S. 36. Kugler 1835, S. 36. Kugler 1835, S. 36. Kugler 1835, S. 37.

Idealisierung attischer Bauformen

Säulen weder „lebendig“ noch „leicht“ sind. Diese von Kugler kreierte Apotheose stellt eine Art Quintessenz der vorherrschenden Meinung über die griechische Baukunst dar, die sich vornehmlich auf die Idee der „edlen Einfalt und stillen Größe“93 Winckelmanns stützt, jedoch schon bereits zu dieser Zeit einem Wandel unterliegt. Gottfried Semper

Bereits ein Jahr vor Kugler veröffentlicht der Architekt Gottfried Semper (1803–1879) sein Buch über die antike Baukunst unter dem Titel Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architectur und Plastik bei den Alten (1834). Hierfür reist er im Jahre 1832 nach Athen, um für einige Monate die Monumente der Akropolis vor Ort zu studieren.94 Dabei geht er in der Einleitung auf die Kopierwut seiner zeitgenössischen Kollegen ein, die er schroff kritisiert: „Man macht der Architectur unserer Zeit den Vorwurf, dass sie im Wettlauf der Künste hinter ihren Schwestern zurück bleibt und den Bedürfnissen, die eine ganz neue und, wie es den Anschein hat, für die Kunst vortheilhafte Gestaltung der Dinge nothwendig macht, keinesweges mehr entspricht. […] [Wir] sind […] unumschränkte Meister über alte, mittlere und neue Zeit. Der Kunstjünger durchläuft die Welt, stopft sein Herbarium voll mit wohl aufgeklebten Durchzeichnungen aller Art und geht getrost nach Hause, in der frohen Erwartung, dass die Bestellung einer Walhalla à la Parthénon, einer Basilike à la Montréale, eines Boudoir à la Pompéi, eines Palastes à la Pitti, einer Byzantinischen Kirche oder gar eines Bazars in türkischem Geschmacke nicht lange ausbleiben könne, denn er trägt Sorge, dass seine Probekarte an den rechten Kenner komme. Was für Wunder uns aus dieser Erfindung erwachsen! Ihr verdanken wir’s, dass unsere Haupt-Städte als wahre Extraits de mille fleurs, als Quintessenzen aller Länder und Jahrhunderte emporblühen, so dass wir, in angenehmer Täuschung, am Ende selber vergessen, welchem Jahrhunderte wir angehören.“95

Seine drastischen Worte versucht Semper zwar mit der Formulierung „Scherz bei Seite“ abzumildern, doch machen sie seinen Unmut über den fast beliebig scheinenden Umgang mit Epochenstilen sehr deutlich. Er formuliert diesbezüglich weiter: „Wir wollen Kunst, man giebt uns Zahlen und Regeln. Wir wollen Neues, man giebt uns Etwas, das noch älter ist, und noch entfernter von den Bedürfnissen unserer Zeit. Wie sollen wir vom Gesichtspunkte des Schönen auffassen und ordnen, und nicht bloss 93 Diese Formulierung führt Winckelmann in seiner ersten Schrift Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst aus dem Jahre 1756 ein. Hier erläutert er: „Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als auch im Ausdrucke.“ Winckelmann 1756, S. 21. 94 Mallgrave 1996, S. 45. 95 Semper 1834, S. VI–VIII.

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Schönheit da sehen, wo der Nebel der Ferne und Vergangenheit unser Auge halb verdunkelt. So lange wir nach jedem alten Fetzen haschen und unsere Künstler sich in den Winkeln verkriechen, um aus dem Moose der Vergangenheit sich dürftige Nahrung zu holen, so lange ist keine Aussicht auf ein wirksames Künstlerleben.“96

Zu dieser pathetischen Aussage über das ästhetische Bedürfnis nach Neuem fügt Semper seine Ideologie zur Baukunst hinzu, in der er sich uneingeschränkt für das Gesamtkunstwerk ausspricht. Dieser Grundgedanke einer Einheit der bildenden Künste wird alsdann prägend sein für viele Generationen von Architekten und Designern.97 Er erläutert hierzu, dass die Kunst „[n]ur Einen Herrn kennt […], das Bedürfniss“98, eine Idee, die er seinen eigenen Analysen über die funktionale Ästhetik der Antike entnimmt. Dabei versteht Semper die „griechische Mäßigung“99 als kunsthistorischen Irrglauben, der auf einer Fehlinterpretation der antiken Funde beruht. Dementsprechend verfasst er barsch: „Wir haben das übrig gebliebene entseelte Knochengebäude alter Kunst für etwas Ganzes und Lebendes angesehen und es so, wie wir es fanden, nachzuahmen für gut befunden. Es fehlt diesen Copien nach dem Tode, diesen Wachslarven, natürlich an Originalität und Leben. Das Ebenmaass der Grundformen, die man an diesen Trümmern noch bewundern muss, obgleich sie alles bedungen nothwendigen Schmuckes beraubt sind, verleitete uns, im Schmucklosen und Kahlen die Griechische Reinheit zu suchen, und die ganz unrichtige Idee in Ausführung zu bringen. Weit entfernt, das Wesentliche der Antike aufzusuchen, brachten wie in geistloser Nachäfferei jene Mammuthsknochen erstorbener Vorzeit ganz in dem Zustande, wie wir sie finden, für unsere ärmlichen Bedürfnisse in Anwendung. Das Magere, Trockene, Scharfe, Charakterlose der neueren Erzeugnisse der Architektur lässt sich ganz einfach aus dieser unverständigen Nachäfferei antiker Bruchstücke erklären.“100

Dieses Zitat markiert einen Wendepunkt im Verständnis der antiken Baukunst und der Analyse ihrer Rudimente, die nach Sempers Ansicht ursprünglich durchaus Zierrat besaß, und zwar aus Farbe. Diesbezüglich betont er in seiner Schrift, „dass die gemalten Verzierungen an Griechischen Monumenten mit den plastisch auf ihnen dargestellten und überhaupt mit dem Ganzen in höchsten vollkommenen Einklang des Charakters und der Ausführung stehen“.101

96 97 98 99 100 101

Semper 1834, S. VIII. Berents 2011, S. 28–35. Semper 1834, S. VIII. Klenze 1822, S. 15. Semper 1834, S. 10–11. Semper 1834, S. 19.

Farbe als Zankapfel: Polychromiestreit oder Paragoneproblem?

Infolge dessen prangert Semper in seiner Publikation diejenigen an, die jegliche Vorstellung einer ganzheitlichen griechischen Polychromie nur deswegen ablehnen, da eine vielfarbige Fassmalerei mit ihrem monochromen Ideal der Antike nicht in Einklang zu bringen ist.102 Hierbei ist zu betonen, dass das vorherrschende Dogma von der monochrom-weißen Architektur der Griechen, die sogar immer noch unsere Vorstellung von der antiken Baukunst bestimmt, ein genauso bedeutender Bestandteil vom Ideal der „griechische[n] Mäßigung“103 ist wie die zuvor aufgezeigte Glorifikation der reduzierten Bauformen. Daher soll im weiteren Verlauf dieser Publikation eingehender das Phänomen der Ablehnung von Farbe analysiert werden.

2.8  Farbe als Zankapfel: Polychromiestreit oder Paragoneproblem?104 Winckelmann und der Verlust von Farbe

Johann Joachim Winckelmanns Antiken-Gesinnung von der „edlen Einfalt und stillen Größe“105 lenkt mehrere Jahrzehnte die kollektive Meinung deutschsprachiger Wissenschaftler und Künstler des 18. und 19. Jahrhunderts über den Erinnerungsort Antike, was wiederum die historischen Vorstellungen und Wahrnehmungspräferenzen der Bevölkerung nachhaltig modelliert. In seinem Werk Geschichte der Kunst des Alterthums erklärt Winckelmann, dass Farbe zwar die Schönheit der Kontur unterstütze, jedoch Weiß zu bevorzugen sei. Er erläutert: „Die Farbe trägt zur Schönheit bei, aber sie ist nicht die Schönheit selbst, sondern sie erhebt dieselbe überhaupt und ihre Formen. Da nun die weiße Farbe diejenige ist, welche die meisten Lichtstrahlen zurückschickt, folglich sich empfindlicher macht, so wird auch ein schöner Körper desto schöner sein, je weißer er ist, ja er wird nackend dadurch größer, als er in der That ist, erscheinen, so wie wir leben, daß alle neu in Gips geformten Figuren größer, als die Statuen, von welchen jene genommen sind, sich vorstellen.“106

Winckelmann schildert weiter, dass die Gesichtszüge einer Skulptur in einer anderen Farbe zwar auch als „schön“ zu bezeichnen seien, sie jedoch nicht Größe entfalten würden.107 Darüber hinaus unterstreicht er in seiner Schrift die besondere Wesensart von Weiß, indem er es als einen „reinen Ausdruck“108 bezeichnet. 102 Semper 1834, S. 18. 103 Klenze 1822, S. 15. 104 Einige Informationen aus diesem Kapitel wurden bereits veröffentlicht. Mann 2016, S. 171–186. 105 Winckelmann 1756, S. 21. 106 Lessing 1870, S. 105. 107 Lessing 1870, S. 147–148. 108 Eiselein 1825, S. 150.

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Diese besondere Aufwertung von Weiß als eine ästhetische Einheit des „Reinen“ wird alsdann von Winckelmann-Anhängern übernommen und neu taxiert. So erläutert beispielsweise Julius Lessing (1843–1908) in seiner Einleitung zu Johann Joachim Winckelmann’s Geschichte der Kunst des Alterthums aus dem Jahre 1870, dass Winckelmanns Schönheitsideal auf Platons Lehre beruhe, aus der folge, dass Schönheit nur aus „höchster Einfachheit“ entstehen könne und möglichst „rein ohne Farbe“ sein muss.109 Dies ist eine folgenschwere Interpretation von Winckelmanns Farbverständnis, der die antike Polychromie in seinen Schriften nicht negiert. Die Idee vom schönen Weiß wird jedoch bis heute kritiklos als Dogma weitergetragen und die Vielfarbigkeit als „Barbarei des Mittelalters“110 diffamiert. Darüber entbrennt im 19. Jahrhundert ein regelrechter „Polychromiestreit“, nachdem vermehrt Farbreste auf Statuen und Gebäudefragmenten gefunden worden sind, sodass gefragt werden muss, wie sich die Vorstellung von der „weißen Antike“ so lange hat halten können und warum die Debatte so emotional geführt wird. Zeitgenössischer Kunstgeschmack

Schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts werden von James Stuart (1713–1788) und Nicholas Revett (1720–1804) einige antike Farbfragmente während ihrer Griechenlandreise dokumentiert. Diese Ergebnisse halten sie zwar in ihrer Publikation Antiquites of Athens (1762) fest, vermeiden jedoch darin, allzu ausführlich auf die Polychromie einzugehen.111 Diesen Umstand erläutert Frank Salomon in der Neuauflage ihrer Schrift (2008): „Another factor in Stuart and Revett’s failure to record these refinements, however, was surely what has been called the ‚perceptual psychology‘ of their vision, in other words the preconceptions about Greek architecture that caused them to fail to perceive features that were, strictly speaking, visible. Their particular way of looking also made it impossible for them to accept the traces of original polychromatic paintwork that they found on certain of the Athenian monuments as evidence that these buildings had been brightly colored in their original states. Stuart’s later statement – was only in line with aesthetic ideas of Greek art being so forcefully promoted in the 1750s by Johann Joachim Winckelmann, but the precedence given to sculpture over painting helps explain why, in engraved form in the Antiquities, Stuart appears to have transformed into relief sculpture a palmette decoration in the soffit of Parthenon portico’s southwestern corner that he must have seen had originally been painted.”112

109 110 111 112

Lessing 1870, S. XXIII. Kugler 1835, S. 2. Prater 2003, S. 260. Stuart; Revett; Salomon 2008, S. XI.

Farbe als Zankapfel: Polychromiestreit oder Paragoneproblem?

In der „Wahrnehmungspsychologie“113 sieht Salomon den Grund für die massive Wirkung dieser – auf Winckelmanns Schriften beruhenden – vorgefassten Meinung oder vielmehr des Dogmas über die griechische Architektur, aus dem im weiteren Verlauf der Polychromiedebatte ein komplexes Gefüge von unterschiedlichen Standpunkten zu diesem Thema hervorgeht, die wiederum einen enormen Einfluss auf die Re-Inszenierungsmaßnahmen der Antike im 19. Jahrhundert haben. Nach Salomons Auffassung bewirkt die zentrale Identifikation der Monochromie mit den maßgeblichen idealisierenden humanistischen und ästhetischen Fundamenten des Erinnerungsortes Antike, dass belegbare Farbfunde psychologische Mechanismen aktivieren, welche die kollektive Vorstellung vom edlen und reinen Weiß der Antike um jeden Preis aufrechterhalten wollen. Diese Diskrepanz zwischen der zeitgenössischen Erwartung und den archäologischen Funden führt sogar dazu, dass um das Ausmaß der Farbigkeit von Architektur und Skulptur gerungen wird. Dies kann eindrücklich an den verschiedenen Rekonstruktionsversuchen antiker Monumente belegt werden, in denen dieselben Funde unterschiedlich interpretiert worden sind. Sogar unter den Polychromieanhängern entwickelt sich daraus ein Disput über die Intensität der Farben wie auch über eine teilweise vorhandene oder totale Polychromie. Häufig wird dabei die Theorie geäußert, dass Farbe nur als Goldgrund gedient habe. Eine solche Hypothese formulieren bereits Stuart und Revett in ihrer populären Publikation, die in mehrere Sprachen übersetzt worden ist. Diesbezüglich findet sich in der deutschen Übersetzung: „Spuren von Mahlerei und Vergoldung entdeckten die Künstler, welche bei der Abnahme dieser Sculpturen zugegen waren, und zwar besonders an den Statuen der Giebelfelder; […] jetzt noch zeigt das Haar an dem Fragment des Kopfs der Minerva in dem Museum unbestreitbar die Ueberreste einer rothen Farbe, vielleicht des Grundes geschwundener Vergoldung, welche die Atmosphäre im Verlauf so langer Zeiten verzehrt haben kann.“114

Die im Zitat aufgestellte Behauptung, dass die rote Farbe auf dem Haupt der Athene nicht die Haarfarbe, sondern vielmehr die Unterlage für eine Goldverzierung sein könnte, scheint – in der Reflexion von Salomons Theorie über vorgefasste Meinungen, die keine objektive Bewertung der archäologischen Funde zulassen, – ein Effekt der „Wahrnehmungspsychologie“ zu sein. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, ob ein individuelles oder kollektives Bewusstsein zu dieser Annahme geführt hat beziehungsweise ob Stuart und Revett auch dann Gold auf dem Haupt der Athene als eine logische

113 Mit dem Begriff „Wahrnehmungspsychologie“ wird die Relation zwischen der Wahrnehmung, somit dem Erfassen von realen Gegebenheiten, und ihrem Einfluss auf das Verhalten bzw. Denken beschrieben. Schill-Fendl 2004, S. 184–185. 114 Wagner 1829, S. 460.

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Schlussfolgerung empfunden hätten, wenn der „zeitgenössische Kunstgeschmack“ sie nicht dahingehend gelenkt hätte. Die Frage ist nicht unerheblich, bedeutet sie doch, dass auch wir uns bei einer Bewertung von historischen Artefakten selbst hinterfragen müssen, ob wir bei einer Vermutung aus uns selbst heraus eine derartige Annahme treffen oder vielmehr vom zeitgenössischen Kunstgeschmack beeinflusst werden. Solch eine bedeutsame Einflussnahme des vorherrschenden Zeitgeistes lässt sich beispielhaft am Polychroniestreit des 19. Jahrhunderts aufzeigen, der im Jahre 1815 mit der Veröffentlichung von Antoine Chrysostôme Quatremère de Quincys (1755–1849) Werk Le Jupiter Olympien, ou l’Art de la Sculpture antique, considéré sous un nouveau point de vue aufkommt, in dem auch kolorierte Rekonstruktionen veröffentlicht worden sind. Die farbigen Abbildungen zeigen Bauelemente in Weiß mit goldenen Verzierungen, während die Skulpturen mit kleinen blauen und roten Details akzentuiert werden. Die Figuren bleiben dabei immer als Marmorplastiken erkennbar, auch wenn die Farbfragmente eine gewisse Lebendigkeit vortäuschen. Konträr zu den Rekonstruktionen erläutert Quatremère de Quincy in seiner Schrift, dass mit Farbe offenbar Natur imitiert werden sollte. Hierzu schreibt er: „A cette époque, et dès que l’on sentit le besoin d’indiquer, dans les premiers signes dont on a parlé, les qualités des objets, la couleur obtient le second rang après la forme, et bientôt elle s’associa aux figures de relief ou de ronde-bosse. Cette association fut par-tout l’ouvrage uniforme de l’instinct. La couleur des corps vivants, quelque imparfaite qu’on la suppose, est pour l’œil d’un sauvage ou d’un enfant l’image de la vie. Le mélange du relief et du coloris leur fait une illusion complète. Là est pour eux le comble de l’Imitation.“115

Somit existiert offenkundig eine Diskrepanz zwischen den verfassten Ideen und den kolorierten Illustrationen. Dies lässt sich exemplarisch am Frontispiz aufzeigen, das die Kolossalstatue des Zeus im Inneren des Tempels von Olympia zeigt. Weiß wird vornehmlich für Zeus’ Inkarnat sowie den Innenraum eingesetzt, des weiteren Gold, welches in der Kleidung, in Ornamenten sowie im Relief zu Füßen der Figur Verwendung findet, als auch in geringeren Maßen Rot und Blau im Hintergrund der Dekorationen sowie im floralen Muster des Gewandes. Die Zeus-Statue bleibt dabei eindeutig als bildhauerisches Werk erkennbar, da weder Haar- noch Augenimitation der Skulptur etwas Lebendiges verleihen. Obgleich Quatremère de Quincy bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts erkennt, dass antike Polychromie auf Skulpturen offenkundig die Aufgabe einer Naturimitation innehat, beschließt er dennoch, diese Erkenntnis im Frontispiz nur anzudeuten.

115 Quatremère de Quincy 1815, S. 2–3.

Farbe als Zankapfel: Polychromiestreit oder Paragoneproblem?

Erstmalig wird hierzu die vorherrschende weiß-goldene Darstellungsart antiker Artefakte um Rot und Blau ergänzt. Solch eine erweiterte Farbpalette zeigt ebenfalls eine bayrische Farbrekonstruktion, die auf Johann Martin von Wagners (1777–1858) Bericht über die Äginetischen Bildwerke im Besitze S. K. Hoheit des Kronprinzen von Baiern (1817) beruht. Hierin beschreibt er die Fundstücke aus den Ruinen des Aphaiatempels, den Carl Haller von Hallerstein (1774– 1817) zusammen mit seinen Reisegefährten Charles Robert Cockerell (1788–1863) und Jakob Linckh (1787–1841) entdeckt und dessen Giebelfiguren durch die Vermittlung von Wagner für die Sammlung des Kronprinzen Ludwigs erworben worden sind. Das Farbmodell wird jedoch aufgrund der vordergründig weiß-blau-roten Polychromie von den Zeitgenossen abgelehnt, da sie den geläufigen Vorstellungen nicht entspricht.116 Zwar ist das ursprüngliche Farbmodell zerstört, jedoch existiert eine französische Rekonstruktionszeichnung (1831–1838) vom Architekten Guillaume Abel Blouet (1795– 1853), die sich an der Münchner Vorlage orientiert.117 Eine entsprechende Farbigkeit zeigt auch die Grafik von Jakob Ignaz Hittorff (1792–1867) aus dem Jahre 1846, der das Kolorit an den Versionen von Klenze und Blouet anlehnt.118 In beiden Varianten wird das Giebelfeld durch einen blauen Hintergrund betont, der den Himmel imitiert und dabei die Figuren deutlicher hervortreten lässt. Das rekonstruierte Farbkonzept des Aphaiatempels wird dabei durch gelbe und grüne Farbakzente erweitert. Inwiefern dies der bayrischen Farbrekonstruktion entspricht, lässt sich heute nicht mehr feststellen, jedoch kann eventuell Klenzes polychromer Entwurf des Monopteros für den Englischen Garten einen Anhaltspunkt hierfür liefern, da dort ebenfalls eine solch erweiterte Farbpalette eingesetzt worden ist.119 Auch Cockerell, der seine Erkenntnisse über den Aphaiatempel erst 1860 veröffentlicht, verwendet für seine Rekonstruktion diese Farbauswahl, wobei hier als wichtiger

116 Ausstellungskatalog 2003, S. 73. Dennoch entscheidet sich Klenze einige Jahre später dafür, jenes umstrittene Farbkonzept auch für den Incunabeln-Saal der Münchner Glypthotek (1816–1830) zu verwenden, um so sein „volkserzieherisches“ (Ausstellungskatalog 1985, S. 39) Ausstellungskonzept zu ergänzen. Diesbezüglich ist im Morgenblatt für gebildete Stände vom 5. Januar 1830 konstatiert worden: „Der Architekt, der in der Verzierung jenes Saals den Charakter der darin enthaltenen Bildwerke anzudeuten sucht, hat durch diesen Farbenschmuck auf die Eigenheit der altgriechischen Architektur und Bildnerei hingewiesen, welche sich nicht an der bloßen Form begnügte, sondern zur Verstärkung ihrer sinnlichen Wirkung auch die bunteste Bemalung anzuwenden pflegte.“ Schorn 1830, S. 1. 117 Ausstellungskatalog 2003, S. 73. 118 Ausstellungskatalog 2003, S. 73. 119 Sein polychromer Entwurf des Monopteros im Englischen Garten (München), den er seit 1822 plant und im Jahre 1836 vollenden kann, wird so noch vor Jakob Ignaz Hittorffs Cirque d’Été (1841–1843) und Gottlieb Bindesbølls (1800–1856) Thorvaldsen Museum (1838–1847) realisiert. Der Bau ist damit „das erste Beispiel der Lithochromie in unserer Zeit“ (Ausstellungskatalog 1985, S. 217), wie Klenze dies in einem Brief an das Institute of British Architects vom 2. Juni 1837 betonte.

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Unterschied anzumerken ist, dass das Kolorit zum größten Teil deutlich pastelliger erscheint. Cockerell schreibt hierzu: „In the design of this ornament we trace some resemblance to the carving on the columns and doorway of the treasury of Atreus and Mycenae. The leaves, alternate blue and red (as are the greatest proportions of colour throughout) are wonderfully tempered by the purple and apple-green, removing all the harshness which might otherwise be objected; and when it is considered that these were seen by reflected light, and forming but a small enrichment to a great mass of wall surface, the vivacity of the colours maybe understood.”120

Mit der Verwendung von Pastellfarben ahmt Cockerell folglich diesen beschriebenen Lichteffekt nach, der eine dreidimensionale Wirkung innehat. Mit kräftigeren Farben imitiert er demzufolge die Schattenpartien, während mit hellen Farben die Reflexe des Sonnenlichts nachgeahmt werden. Des Weiteren erläutert er, dass diese Farben – hierbei führt er auch noch Violett an – bereits bei ägyptischen Fundstücken dokumentiert worden seien.121 Dementsprechend erörtert er: “It cannot be doubted that the connexion of the Maritime Greeks with Egypt, where colour was universally applied, must have greatly contributed to the practice in Greece, especially in the early times […].”122

Mit der Aussage, dass eine ähnliche Vielfalt und vor allem dieselbe generelle Farbverwendung bereits bei den Ägyptern vorgeherrscht hat, untermauert Cockerell seine Farbhypothese und seine Theorie, dass Ägypten als Ausgangspunkt der griechischen Farbästhetik anzusehen sei. Folglich sind, nach seiner Ansicht, alle griechischen Bauwerke analog gestaltet gewesen.123

120 121 122 123

Cockerell 1860, S. 27. Cockerell 1860, S. 27. Cockerell 1860, S. 28. Hansgeorg Bankel äußert in seinem Aufsatz über Farbmodelle des spätarchaischen Aphaia-Tempels von Ägina den Verdacht, dass Cockerell „[…] vielleicht […] aus ästhetischen Überlegungen davor zurück[schreckte], die Farben hier kräftiger auftragen zu lassen“. Bankel 2003, S. 76. Damit suggeriert er, ähnlich wie Salomon bei Stuart und Revett, dass bei der pastelligen Kolorierung eine Selbstzensur vorgelegen haben könnte. Bankels Hypothese kann jedoch anhand vorhandener Farbanalysen des Parthenons revidiert werden, aufgrund des Nachweises, dass den ursprünglichen Farben Weiß beigemischt worden war. Brinkmann 2003 [2], S. 122. Eine solche Farbtechnik kann folglich auch für den Aphaia-Tempel von Ägina angenommen werden, sodass der von Cockerell beobachtete Licht­effekt archäologisch belegbar ist, genauso wie die Intensivierung der Dreidimensionalität der Objekte durch eine dunklere Untermalung der Vertiefungen, bei der sogar schwarze Pinselstriche nachgewiesen wurden. Brinkmann 2003 [2], S. 122.

Farbe als Zankapfel: Polychromiestreit oder Paragoneproblem?

Trotz Cockerells Erkenntnissen über die antike Licht- und Schattenmalerei wie auch über die kunsthistorische Genealogie mit der ägyptischen Kunst werden seine Ansichten in den Farbtafeln nur bedingt erfahrbar gemacht. Dies wird besonders anhand der Farbrekonstruktion des Giebelfeldes (Plate 6) deutlich, da durch das monochrom-weiße Inkarnat die menschlichen Figuren als Skulpturen erkennbar bleiben, während Helme, Schilder und Kriegswerkzeuge farblich akzentuiert worden sind. Salomons Theorie folgend ist auch hier anzunehmen, dass die Giebelfiguren offenbar als Marmorskulpturen wahrnehmbar bleiben mussten, um nicht störend zu wirken, obwohl archäologische Funde belegen, dass beispielsweise das Inkarnat ägyptischer Skulpturen eine intensive Farbigkeit aufwies. Ablehnung aufgrund von Vorurteilen

Auch Wagner verweist in seiner Publikation darauf, dass immense Probleme bei der augenfälligen Wahrnehmung der ursprünglichen Polychromie vorherrschen würden. Er erläutert demgemäß: „Die Spuren von Farbe, die sich hier und da erhalten, sind zwar nur schwach, und durch Einwirkung der Witterung und Feuchtigkeit der Erde, in der sie vom Einsturze des Tempels bis jetzt gelegen, halb verloschen; doch geben die wenigen noch vorhandenen Spuren hinreichende und unwiderlegliche Beweise ihrer ursprünglichen Bemalung. Die an diesen Figuren noch hier und da bemerklichen Farben sind blos roth und himmelblau. […] Von andern Farben, oder Farben-Nuancen, als Gelb, Grün u. f. w. ließ sich keine Spur an den Figuren entdecken, wohl aber an den Theilen der Architektur des Tempels […] – Vielleicht auch daß einige Farben dem Einflusse der Witterung und der Erdsäure weniger widerstanden, als die rothe und die blaue Farbe. Auch bey diesen bemerkt man, daß die erstere sich stärker und lebhafter als die andere erhalten.“124

Wagner gibt folglich zu bedenken, dass sich an den Giebelfiguren zwar nur rote und blaue Farbfragmente erhalten haben, jedoch davon ausgegangen werden muss, dass weitere Farben existierten, diese aber mit bloßem Auge nicht mehr nachweisbar sind. Weißblau-rote Rekonstruktionen sind demnach das Resultat eines folgenschweren historischen Missverständnisses, da offenbar Rot und Blau länger am Stein haften als andere Farben, die schneller verblassen oder abblättern. Das Weiß des Marmors ist somit nicht als eigenständige Farbe zu verstehen, sondern vielmehr als eine unbekannte Variable. Wagners Schlussfolgerungen machen deutlich, dass sich Forscher zu Beginn des 19. Jahrhunderts darüber bewusst waren, dass weiß-blau-rote Farbrekonstruktionen keine authentische Wiederherstellung der originalen Bemalung sein können, sondern

124 von Wagner 1817, S. 209–210.

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vielmehr nur eine Reflexion vorhandener Rudimente darstellen. Dabei, so erläutert er weiter, wird das reduzierte Kolorit bei Rekonstruktionen zumeist vom künstlerisch-ästhetischen Zeitgeist gelenkt. Er erläutert hierzu: „Es mag uns nach unserm heutigen Geschmack und neuern Ansichten wohl auffallend und sonderbar vorkommen, Statuen zu erblicken, welche bey ihrer vollkommenen Ausführung in Marmor auch noch zum Theil bemalt waren, so wie von Tempeln zu hören, welche von innen und von außen gefärbt, und deren Verzierungen, statt eingehauen zu seyn, vielfärbig angegeben waren. – Wir wundern uns über diesen scheinbar bisarren Geschmack, und beurtheilen ihn als eine barbarische Sitte, und ein Ueberbleibsel aus früheren roheren Zeiten. Allein wie mir scheint, geht es uns nicht anders, als jenem im Evangelium der mit dem Balken im eigenen Auge dem andern den Splitter herausziehen wollte. Hätten wir vor erst unsere Augen rein und vorurtheilsfrey, und das Glück zugleich, einen dieser griechischen Tempel in seiner ursprünglicher Vollkommenheit zu sehen, ich wette, wir würden unser voreiliges Urtheil gern wieder zurücknehmen, und preisen, was wir jetzt zu verdammen uns herausgenommen.“125

Wagner prangert damit die Ablehnung der antiken Polychromie als Vorurteil an, wobei er sich mit seiner Formulierung „barbarische Sitte […] aus früheren roheren Zeiten“ eindeutig auf die Voreingenommenheit der Winckelmann-Anhänger von der „Barbarei des Mittelalters“126 bezieht. Er brandmarkt sie damit als Manipulatoren des zeitgenössischen Kunstgeschmacks, die mit den Dogmen vom reinen und edlen Weiß wie auch der barbarischen Polychromie als negativer Gegenpol dermaßen prägend für ihre Epoche sind, dass archäologische Funde einfach ignoriert werden. Gepaart mit Winckelmanns Glorifizierung der griechischen Kultur und seinem Konstrukt der ästhetischen Genealogie, die die Neugriechen des 19. Jahrhunderts auch optisch in ihre Epoche transferieren wollen, dominiert das Bild von der monochromen Antike und führt so zur Ablehnung der griechischen Polychromie. Demnach ist das monochrome Ideal der antiken Griechen ein visueller Ausdruck der angestrebten eigenen Sittsamkeit, Vernunft und Erhabenheit, während die Vielfarbigkeit durch den Stempel des „Barbarischen“ als obszön abgelehnt werden muss. Diese Vorurteile sind dabei in einem Maße im kollektiven Gedächtnis verankert, dass ein Umdenken nur sehr langsam erfolgen kann.

125 von Wagner 1817, S. 219–220. 126 Kugler 1835, S. 2.

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Ablehnung der Fusion von Malerei und Architektur 127

Erst mit Jakob Ignaz Hittorff, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als größter Verfechter der antiken Polychromietheorie gilt,128 verändert sich allmählich die öffentliche Wahrnehmung. Seine Erkenntnisse über die antike Farbgestaltung, die er auf einer Studienreise nach Sizilien (1823–1824) gewinnt, führt Hittorff nach eigenen Angaben in seine Baukunst ein,129 um „mittels der Verwendung von Farbe […] die Architektur der Gegenwart […] [zu verfeinern und zu beleben]“.130 Er überträgt auf diese Weise seine Ansichten von einer antiken „Verschmelzung der Bildhauerei mit der Malerei“131 auf die zeitgenössische Architektur, um diese zu modernisieren. Dabei ist er zunächst selbst vom positiven Ergebnis dieser ästhetischen Fusion mehr als überrascht, wie er in einem Brief vom 14.12.1823 schreibt: „[…] und das erstaunlichste ist, daß diese Vereinigung zweier Kunstarten mich begeistert und mir gefällt, trotz der Prinzipien, die ich aus meiner Lektüre und den Vorlesungen unserer gelehrten Archäologen geschöpft habe, die mir so oft beweisen wollten, daß die Farben ihren Zauber verlieren, wenn sie in den plastischen Künsten Anwendung finden. Kam das daher, weil sie sich eine solche Vereinigung in ihrer Wirkung nicht hatten vorstellen können, daß alles nur vom notwendigen großen Talent abhängt, um eine solche Verbindung zu gestalten […].“132

An diesem Zitat wird deutlich, weshalb farbig gestaltete Bauwerke oder Skulpturen so lange abgelehnt worden sind. Zum einen liegt es am Kunstgeschmack jener Zeit, zum anderen aber auch an der Unvorstellbarkeit einer Verschmelzung von Malerei und Skulptur beziehungsweise Malerei und Architektur. Somit ist der Polychromiestreit vielmehr ein Paragoneproblem. Das Ablehnen der Polychromie für Architektur wie auch für Skulptur ist demnach ein Zurückweisen der Farbe an sich, da sie allein der Malerei vorbehalten ist. Folglich beruht der Disput nicht nur auf mangelndem Wissen oder auf Winckelmanns Ideen vom „reinen Weiß“, sondern fußt auf einer vorsätzlich geschaffenen Diskrepanz zwischen Geschichte und kulturellem Bedürfnis. Daher ist die eigentliche Frage nicht, ob plastische Objekte in der Antike farbig gefasst waren oder nicht, sondern ob im Klassizismus nach Jahren eines Wettstreits zwischen den Künsten einer solchen Symbiose erneut zugestimmt werden darf.

127 128 129 130 131 132

Einige der hier dargelegten Ergebnisse sind bereits veröffentlicht worden. Mann 2016, S. 171–186. Haag 2012, S. 111. Hittorff 1900, S. VII. Hammer 1987, S. 10. Westfehling 1987, S. 40. Westfehling 1987, S. 40.

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Eine solche Konkurrenz unter den unterschiedlichen Kunstgattungen ist zwar seit der Antike überliefert,133 jedoch wird vor allem der Disput zwischen Malerei und Bildhauerei erst seit der Renaissance vehement geführt.134 Zu jener Zeit versuchen Künstler wie Theoretiker gleichermaßen, die Besonderheiten und Vorzüge der einzelnen Gattungen herauszustellen. Diese Ideen werden zu Dogmen, welche auf die darauffolgenden Künstlergenerationen übertragen werden. Demgemäß grenzt Hittorffs Feststellung, dass in der Antike jene Gattungen verbunden gewesen sind, fast an Blasphemie und wird entsprechend von seinen Zeitgenossen stark abgelehnt. Hittorff trägt durch seine beharrliche Begeisterung über diese Entdeckung einen wichtigen Teil dazu bei, dass der Polychromiestreit über Jahrzehnte ausartet. Sein Engagement zur Anerkennung der antiken Vielfarbigkeit ist dabei so groß, dass Karl Hammer pointiert festhält: „Er wurde einer der Entdecker der Polychromie der antiken Architektur. Von seiner Entdeckung war er so erfüllt, daß er nach seiner Rückkehr nach Frankreich geradezu ein Apostel der neuen Erkenntnis wurde.“135

Hittorffs Missionsarbeit erfolgt dabei nicht nur in seiner Kunst, sondern vor allem auch in seinem schriftlichen Werk. Bereits 1830 veröffentlicht er in Annales de l’institut de correspondance archéologique seine Ideen zur antiken Vielfarbigkeit im Aufsatz De l’architecture polychrôme chez les grecs, ou restitution complète du temple d’empédocles dans l’acropolis de sélinunte136, zwanzig Jahre darauf folgt Restitution du temple d’Empédocle à Sélinonte, ou l’architecture polychrôme chez les Grecs (1851) und ein weiteres Jahrzehnt später wird Mémoire sur Pompéi et Pétra (1866) publiziert. Daher sollen hier einige Passagen aus diesen Schriften kommentiert dargelegt werden, um seine Erkenntnisse deutlicher hervorzuheben. In seinem Essay De l’architecture polychrôme chez les grecs, ou restitution complète du temple d’empédocles dans l’acropolis de sélinunte führt Hittorff das fruchtbare Kunstschaffen der Griechen auf die vorhandenen Klima- und Naturverhältnisse zurück,137 wobei er erläutert: 133 Diese Konkurrenz zwischen den Kunstgattungen in der Antike bezeichnet Christiane Hessler in ihrem Buch Zum Paragone: Malerei, Skulptur und Dichtung in der Rangstreitkultur des Quattrocento (2014) als „Bevorzugungstopos“ und unterstreicht damit den andersgearteten Charakter dieses Disputs im Laufe der Jahrhunderte, indem sie auf die Differenz zwischen Wettstreit und Vorliebe aufmerksam macht. Hessler 2014, S. 3. 134 Prochno 2006, S. 97. 135 Hammer 1987, S. 10. 136 Hittorff 1830. 137 Bereits Winckelmann hat auf die nutzbringenden Klimaverhältnisse des antiken Griechenlands in Bezug auf das Kunstschaffen hingewiesen, verbindet dies jedoch vielmehr mit den wohlgeformten Körpern: „Alle Erfindungen fremder Völker kamen gleichsam nur als der erste Saame nach Griechenland, und nahmen eine andere Natur und Gestalt an in dem Lande, welches Minerva, sagt man,

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„[…] que le système de l’architecture polychrôme a été permanent chez les Grecs, qu’il est entré dans l’ensemble de leurs productions architectoniques comme un des moyens les plus propres à ajouter au caractère de majesté de leurs temples le charme d’une élégante beauté qui fut toujours le poétique apanage de ce peuple et de ses divinités; de faire voir que ce système, appliqué à des édifices élevés sous le ciel le plus pur, éclairés par le plus beau soleil, et entourés d’une végétation brillante, par la fraîcheur et l’éclat des couleurs, était le seul à la disposition de l’artiste pour mettre l’œuvre de l’art en harmonie avec l’inépuisable richesse de la nature […].“138

Nach Hittorffs Vorstellungen stülpten antike Künstler Naturfarben über ihre Werke, um damit die vorhandene Farbvielfalt ihres Umfelds zu reflektieren. Seine Argumentation knüpft demnach an Quatremère de Quincys Idee einer Naturimitation an, stellt jedoch darüber hinaus auch fest, dass die dreidimensionalen Künste hierfür eine Symbiose mit der Malerei eingehen mussten, um diesen Effekt überhaupt erzielen zu können. Ferner geht er auf die besondere Funktion der Architektur in diesem Gefüge der bildenden Künste ein: „[…] que les plus belles et les plus importantes productions architectoniques de l’antiquité tiraient leur puissant effet de l’alliance de trois arts, dont les ouvrages, pris isolément, pouvaient déjà s’élever jusqu’au sublime, mais dont l’impression simultanée devait frapper et les sens et l’esprit par tout ce que le génie, le talent et la science de l’homme pouvaient produire de plus attrayant et de plus imposant tout à la fois.”139

Diese „alliance”, die Hittorff hier beschreibt, ist essenziell für sein Verständnis der antiken Polychromie, die vollkommen losgelöst vom allbekannten Wettstreit der Gattungen zu sein scheint. Jedes Medium hat demzufolge eine spezifische Aufgabe in diesem Gefüge und darf nicht separat von den anderen betrachtet werden, da in der Antike ein bewusstes Zusammenspiel der Künste kreiert wurde. Der Widerschein des natürlichen Farbreichtums auf Wänden und Skulpturen scheint hier eine fast logische Schlussfolgerung für griechische Künstler gewesen zu sein, die eine bildliche Reflexion zwischen Objekt und Subjekt entstehen ließen. Antike Bauwerke wie Plastiken wurden somit in die Natur mit eingebunden und nicht durch ein monochromes Weiß abgegrenzt. Eine solche Fusion der bildenden Künste strebt Hittorff daher ebenfalls fürs 19. Jahrhundert erneut an, scheut jedoch, wie er 1851 schreibt, die vielen Polychromiegegner. Er vor allen Ländern, wegen der gemässigten Jahreszeiten, die sie hier angetroffen, den Griechen zur Wohnung angewiesen, als ein Land welches kluge Köpfe hervorbringen würde. […] Der Einfluß eines sanften und reinen Himmels würde den der ersten Bildung der Griechen, die frühzeitigen Leibesübungen aber gaben dieser Bildung die edle Form.“ Winckelmann 1756, S. 1–3. Dementsprechend sehen sowohl Hittorff als auch Winckelmann im gemäßigten Klima einen wichtigen Indikator für die künstlerische Entwicklung der antiken Griechen. 138 Hittorff 1830, S. 263. 139 Hittorff 1830, S. 263.

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ist sich der Ablehnung seiner Zeitgenossen durchaus bewusst, auch wenn ihm wichtige Künstlerpersönlichkeiten wie Pierre Narcisse Guérin (1774–1833) und auch Berthel Thorvaldsen (1770–1844) in seinen Bestrebungen bestätigen.140 Trotz der Zurückweisungen betont Hittorff sehr eindringlich die immense Bedeutung dieser Kunstallianz. Diesbezüglich formuliert er in Restitution du temple d’Empédocle à Sélinonte, ou l’architecture polychrôme chez les Grecs : „Les produits des trois arts, de l’architecture, de la sculpture et de la peinture, en tant que leur application réunie est indispensable pour constituer un monument hellénique dans perfection, pouvaient seuls se coordonner de cette manière, s’appuyer mutuellement, naître pour ainsi dire les uns des autres, et offrir, dans leur puissante unité, la preuve la plus certaine en faveur du système polychrôme; car c’est moins encore dans les faits matériels, quelque puissants qu’ils soient, et dans les inductions historiques et philologiques, que dans son harmonie avec les principes entièrement analogues empreints sur toutes les œuvres l’art créées par le génie des Grecs, que ce système doit trouver le vrai témoignage de son existence, et la prévue de son emploi permanent chez les Hellènes.”141

Diese Harmonie der Gattungen, wie sie von Hittorff beschrieben wird, impliziert somit das Prinzip eines antiken Gesamtkunstwerks. Er erläutert weiter: „C’était donc le même sentiment profond et inné de l’art qui avait inspiré, dans la capitale de la chrétienté, une opinion si favorable sur l’architecture coloriée à un des peintres les plus renommés et au sculpteur le plus célèbre de son temps; c’était ce même sentiment qui donna, dans la capitale de la France, à l’architecte le plus haut placé de son époque, la conviction qu’un monument représenté avec l’application du système polychrôme n’offrait rien qui pût choquer ni le goût ni la raison, et qu’au contraire cette application pouvait ajouter à la beauté des formes et faire valoir l’harmonie des proportions architectoniques.“142

Vor allem die Formulierung „l’architecture coloriée“ scheint hier von besonderer Bedeutung, da sie den Charakter seiner Idee verdeutlicht: Die Architektur ist das formgebende Objekt, während mit Farbe Akzente gesetzt werden, ähnlich wie bei seinem Lehrer Charles Percier (1764–1838). Diese Erkenntnis ist Hittorff so wichtig, dass er abschließend in seinem Buch betont:

140 Hittorff 1851, S. 3. 141 Hittorff 1851, S. 4. 142 Hittorff 1851, S. 7.

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„Le système de la coloration des édifices d’origine hellénique étant resté caché pendant des siècles aux yeux des savants et des artistes, j’ai voulu exprimer ce fait: que les recherches continues dans mon ouvrage avaient tiré le voile qui cachait pour tous, il y a un quart de siècle, et qui ne saurait plus couvrir pour personne aujourd’hui, l’existence de l’architecture polychrôme chez les Grecs.“143

Er selbst sieht sich dabei offenbar in der Rolle des Aufklärers, der seine Erleuchtung über die ästhetische Kunstsymbiose der Antike mit dem Wegziehen eines Schleiers vergleicht und damit eine Analogie zum Aurora-Mythos entwirft. In seiner dritten Publikation gibt Hittorff einen detaillierten Einblick in die architektonische Polychromie der Antike, die er in drei Kategorien unterteilt: 1. „la peinture décorative“, 2. „peintures de sujets mythologiques et historiques“ und 3. „peintures de paysages, de marines et d’architecture“.144 Insbesondere die Architekturbilder sind für ihn ein vielversprechender Ansatz, möglichst zahlreiche Erkenntnisse über die antike Baukunst zu erhalten. Fernerhin entwirft er anhand einiger Bespiele eine Entwicklungsgeschichte, die nach seiner Ansicht „importance ce genre d’études peut être pour l’histoire de l’archi­tecture“145 deutlich macht. Dabei muss hier betont werden, dass, trotz der enormen Bedeutung seiner Erkenntnisse über die antike Kunstallianz, auch Hittorff sich nicht gänzlich von den vorgefassten Meinungen seiner Zeitgenossen über die griechische Polychromie hat befreien können. Besonders wird dies an seiner harschen Kritik an Charles Garniers (1825–1898) Farbrekonstruktionszeichnungen des Tempels von Ägina deutlich, die eine mimetische Kolorierung der Giebelfiguren zeigen.146 So wird eindrücklich belegt, wie tief das monochrome Dogma im kollektiven Kunstgedächtnis verankert gewesen ist. Mimetische Polychromie

Charles Garnier reist im Jahre 1852 nach Ägina, um die archäologischen Rudimente vor Ort zu studieren. Damit ist er einer der wenigen zu jener Zeit, der die Möglichkeit erhält, eine Farbrekonstruktion von Objekten anzufertigen, die er im Original und im Zusammenhang der Fundstelle gesehen hat. Er veröffentlicht seine Untersuchungsergebnisse zunächst ohne Abbildungen in der Revue archéologique (1854) unter dem Titel Ile d’Egine. Temple de Jupiter panhellénien.147 Kolorierte Zeichnungen fügt er erst seiner Publikation aus dem Jahre 1884 bei, in der er sowohl die unterschiedlichen Bauelemente ausführlich beschreibt, als auch seine Schilderungen durch aufwendig gestaltete Farbtafeln ergänzt. Diese, so Garnier

143 Hittorff 1851, S. 753. 144 Hittorff 1866, S. 2. 145 Hittorff 1866, S. 14. 146 Bankel 2003, S. 76. 147 Garnier 1854, S. 423–440.

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selbst, entwirft er nicht nur anhand eigener Beobachtungen, sondern erweitert diese durch Erkenntnisse der Farbrekonstruktionen von Klenze und Blouet. So schreibt er zu Beginn von Mémoire descriptif de la restauration du Temple de Jupiter Panhellénien à Égine: „Pour les ouvrages modernes, j’ai consulté Dodwell, Leake, Quatremère de Quincy, Vaguer, Winckelmann, les Antiquités de l’Attique, O. Muller, mais spécialement les ouvrages de M. Hittorff sur la polychromie chez les Grecs, et de M. Blouet sur l’expédition scientifique de Morée. […] Les réflexions et les ouvrages des auteurs ont donc une large part dans la restauration que je soumets à l’Institut; cependant, lorsque je me suis trouvé en désaccord avec eux, et que, par des preuves évidentes, j’ai cru trouver ou quelque oubli ou quelque erreur dans leurs travaux, j’ai dû quelquefois réfuter leurs opinions et présenter les parties, soit à l’état actuel, soit à l’état restauré, suivant les données positives résultant de l’étude du monument.“148

Garnier sieht sich demnach selbst als Bestandteil der zeitgenössischen Polychromiedebatte, doch während er in seinem Text das Für und Wider der vorangegangenen Versionen diskutiert, präsentiert er schlussendlich den Tempel von Ägina radikal anders als seine Vorgänger: als „mimetische Farbrekonstruktion“149, die einen drastischen Wandel im Verständnis der antiken Farbgestaltung der sogenannten Ägineten markiert.150 Seine kolorierten Blätter, die er bereits auf dem Pariser Salon von 1853 dem kunstinteressierten Publikum präsentiert hat, werden aufgrund der ungewohnten Farbgestaltung von den Polychromiegegnern verrissen. Aber auch für Hittorffs gemäßigtes Polychromieverständnis ist die farbintensive und vor allem flächendeckende Kolorierung zu viel, sodass er ihn der „Etruskomanie“151 bezichtigt. Darüber hinaus ist es aber vor allem die naturfarbene Hautimitation, die bewirkt, dass selbst Polychromiebefürworter Garniers Farbrekonstruktion als unästhetisch brandmarken. Damit stellt sich hier unweigerlich die Frage, wieso Garnier in seiner Rekonstruktion des Aphaiatempels dermaßen vom vorherigen Farbkonzept abweicht, indem er die Giebelfiguren durch das kolorierte Inkarnat mimetisch hervorhebt und sich dadurch dieser unerbittlichen Kritik einer „Etruskomanie“ bewusst aussetzt. Es ist anzunehmen, dass neben Quatremère de Quincys Idee einer Naturnachahmung in der griechischen Kunst noch ein weiterer wichtiger Impuls Garnier dahingehend beeinflusst hat; in diesem Zusammenhang sind vor allem Gottfried Sempers Erkenntnisse über die Farbgestaltung der Akropolis hervorzuheben, die bereits zwei Jahrzehnte zuvor in einer Farbrekonstruktion 148 Garnier 1884, S. 3–4. 149 Der Begriff „mimetische Farbrekonstruktion“ orientiert sich hier an Theodor Adornos (1903–1969) Idee einer ästhetischen Mimesis im Sinne einer künstlerischen Nachahmung der Natur. Scholze 2000, S. 137. 150 Während erneuter Grabungen am Tempel im Jahre 1901 werden sogar schwarze Farbfragmente an Bauelementen entdeckt. Bankel 2003, S. 78. 151 Bankel 2003, S. 76.

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des Parthenons illustriert worden sind und offenbar einen nachhaltigen Einfluss auf Garniers mimetische Darstellung der Ägineten gehabt haben. Totale Polychromie

Sempers Hypothese über eine totale Polychromie der griechischen Bauwerke und Skulpturen liegen die Ideen zur antiken Kunstsymbiose zugrunde, in die Hittorff ihn als seinen Mitarbeiter in den Jahren 1826 und 1827 eingeführt hat.152 Er selbst reist zwischen 1830 und 1833 nach Griechenland sowie Italien, wo er vor Ort antike Farbreste studieren kann. 1832 erhält Semper dabei die Möglichkeit, an den archäologischen Arbeiten zur Akropolis teilzunehmen, wo er eigene Erkenntnisse zur Farbgestaltung gewinnen kann, auf die sich seine kolorierten Rekonstruktionszeichnungen stützen.153 Seine unmittelbaren Einblicke in die griechische Polychromie veröffentlicht Semper alsdann im Jahre 1836 in seiner Publikation Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architectur und Plastik bei den Alten, in der er kommentiert: „Es ist in der That eine auffallende Erscheinung, dass durch das ganze verflossene Jahrhundert, welches sich auszeichnete in dem Bestreben, Bildung jeder Art auf das genaue Studium der Alten zu gründen, die wichtige Frage über Polychromie antiker Monumente fast ganz unberührt geblieben ist. Und doch ist ein gründliches Verständniss des Alterthums, geschweige das Eingehen in den Sinn der Antike bei Kunstleistungen nicht möglich, so lange sie ungelöst bleibt.“154

Somit sieht Semper, wie bereits Hittorff, in der antiken Farbgestaltung eine essenzielle Charaktereigenschaft zur Beurteilung der „Alten“ und wundert sich, dass seine Zeitgenossen die Existenz der griechischen Polychromie verleugnen. Diesem Phänomen will er mit seiner Schrift entgegentreten und führt hierzu im Verlauf seiner Publikation eine Entwicklungsgeschichte der Farbelemente ein, um ein allgemeines Verständnis für das antike Bedürfnis von Farbe auf Bauwerken zu generieren. Dabei zeigt er unterschiedliche Beweggründe auf: angefangen mit dem ursprünglichen Wunsch nach Überdeckung des Baugrundes und der Verzierung der Gebäude, über die erste Symbiose zwischen Malerei und Skulptur in Nubien als auch in Ägypten, bis zur bewussten Farbillusion bei Halbreliefs, um die Dreidimensionalität zu unterstreichen.155 Semper erläutert dabei, dass diese Ursprünge der farbigen Architektur noch unstrukturiert gewesen sind und erst die Griechen sie zur reinen Kunstform emporhoben. Hier ist die glorifizierende Sprache Sempers besonders hervorzuheben, die – wie es seit Winckelmann üblich ist – dazu dient, die antiken Griechen zu überhöhen. So formuliert er: 152 Sturm 2003, S. 16. 153 Ettlinger 1937, S. 46. 154 Semper 1834, S. 2. 155 Semper 1834, S. 3–4.

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„Da entzündete der Funke des Prometheus die Gemüther und erweckte das Feuer der Freiheit und des politischen Selbstgefühls. Mit dem Kampf um Freiheit gegen innere Tyrannen und fremde Invasionen entwickelten sich und reiften jene wunderbaren Kräfte, durch die sich Griechenland über alle Völker aller Zeiten erhob. Der Genius der Kunst entfaltete seine Schwingen.“156

Dieser „Genius der Kunst“ spiegelt sich, nach seiner Ansicht, im Zusammenspiel der Kunstgattungen wider, da durch das Gesamtkunstwerk ein mannigfaltiges Objekt entsteht, das gerade aufgrund dieser Symbiose erst zu einem komplexen Kunstwerk wird. Diese wiederbelebte Idee vom Zusammenspiel der Gattungen kann damit keinen „überhöhten Zierrat“ zur Folge haben, den seine Zeitgenossen nach den Lehren Winckelmanns argwöhnen, sondern es entsteht vielmehr ein ausgewogenes Gefüge der Künste. Semper folgt in diesem Kontext Winckelmanns Argument, dass Verzierungen nicht aufgrund ihrer selbst verwendet werden dürfen und schreibt diesbezüglich: „Doch kehren wir zur alten Kunst zurück, die wir in ihrer schönsten Entfaltung verliessen. Ihr folgte die üppige Zeit Jonischer und Korintischer Kunst. Beides Variationen des altdorischen reineren Grundstyles. Eine entartende Pracht und asiatische Ueberfüllung bezeichneten sie. Was im Dorischen nur verschönernde Stickerei war die der Grundform nie schaden konnte, tritt hier schon zu sehr hervor und macht sich geltend durch anspruchsvolle Ueberladung.“157

Semper markiert hierin den historischen Scheideweg der Kunstgattungen. Diese Abspaltung dient nach seiner Auffassung dazu, in einen Wettstreit untereinander treten zu können, was den Anfang des Paragone zur Folge hatte. Dementsprechend äußert sich Semper auch sehr abfällig über den Untergang dieser Kunstallianz: „Das Alte belästigte, die Mode fing an zu walten, das Band, was die Künste verknüpfte, hörte auf, die Architectur sah sich verlassen. Bildnerei, auf eigne Mittel stolz, erreichte eine unübertroffene Kunstfertigkeit unter den Rhodischen Meistern, allein dem ohne Zusammenhang Entstandenen fehlte der tiefere Sinn und der Einklang. Die Malerei, ihre leichtfertige Schwester gab sich jeder willkürlichen Laune des Künstlers und den Gelüsten der Reichen hin.“158

Hierbei ist die Formulierung „das Band, was die Künste verknüpfte, hörte auf, die Architectur sah sich verlassen“ von besonderem Interesse, da Semper offenbar den abtrünnigen Künsten Malerei und Bildhauerei die Schuld für die Trennung gibt, die nach seiner

156 Semper 1834, S. 9–10. 157 Semper 1834, S. 11–12. 158 Semper 1834, S. 12.

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Ansicht aus reinem Egoismus erfolgte.159 Diese Aufspaltung der Kunstgattungen bewirkte letztendlich, dass Jahrhunderte später eine vielfarbige Antike von Sempers Zeitgenossen aufgrund des vorherrschenden Paragone nicht akzeptiert werden kann, obwohl archäologische Funde diese eindeutig belegen. Semper schreibt daher empört: „Aber man nennt sie dennoch barbarisch, man giebt nicht zu, dass Griechen ihre so zart gebildeten Formen ganz übermalen konnten. Im Gegentheil, die Monumente sind durch Barbarei monochrom geworden.“160

Diese drastische Sprache Sempers zeigt deutlich seine Frustration in Bezug auf das vorherrschende Dogma von einer monochrom-weißen Antike auf. Die vehemente Verweigerung der Akzeptanz einer totalen Polychromie lässt dabei den Schluss zu, dass diese Idee offenbar mit den kollektiven Bedürfnissen des vorherrschenden Zeitgeistes nicht kompatibel gewesen ist. Diese Unvereinbarkeit von Form und Farbe lässt sich besonders deutlich an Sempers kolorierten Rekonstruktionen des Parthenon belegen, in denen allen voran die Farbe Rot dominiert. Damit kehrt er das Verhältnis zu dieser Farbe gegenüber den vorherigen Darstellungen des Tempels um: Während zuvor die Signalfarbe nur für Details verwendet worden ist, stülpt Semper hingegen förmlich diese ausdrucksstarke Farbe über die weiß erhaltenen Rudimente, somit auch über die Säulen, und verleiht dem Gebäude damit eine Ausdrucksstärke wie auch Signalwirkung, die der „edlen Einfalt und stillen Größe“ Winckelmanns entgegenstehen soll. Semper erläutert hierzu im ersten Band seines Buches Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik (1860–1863), dass er „die röthlichen Ueberreste eines durchsichtigen Harzes (Drachenblut?) an einzelnen Stellen der Säulen, die […] [er] von einem fliegenden Gerüste herab einzeln mit der Federmesserklinge untersuchte, sowie an dem Architrave vorgefunden“161 habe.162 Damit suggeriert er, dass die intensive Polychromie der Farbrekonstruktion auf seinen Forschungsergebnissen beruht. Vinzenz Brinkmann legt allerdings in seinem Aufsatz über Die nüchterne Farbigkeit der Parthenonskulpturen dar, dass sich für solch ein

159 Der Architekt erläutert diesbezüglich weiter, dass die Römer jene Mode kritiklos übernommen hätten, welche er als „Prunksucht“ abwertet (Semper 1834, S. 12), und dabei ebenfalls die Polychromie dazu missbraucht hätten. Insofern stimmt Semper auch hierbei Winckelmanns Kunstanschauung zu. 160 Semper 1834, S. 20. 161 Semper 1860, S. 516. 162 Semper schildert in seiner Publikation, dass er an den Säulen und am Architrav des Parthenons Spuren einer rötlichen Substanz entdeckt hätte. Aufgrund des Farbtons nimmt er an, dass es sich um „Drachenblut“, folglich um Zinnober gehandelt haben könnte. Dies ist „das beliebteste und wertvollste Rot der Antike“ und besticht durch seine intensiv orange-rote Farbe. Heutzutage wirken die Farbreste nach solch einer langen Zeit jedoch eher „braunschwarz“. Ausstellungskatalog 2020 [1], S. 122.

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totales Farbkonzept der Säulen und Kapitelle, wie sie Semper darlegt, heutzutage „[a]uf den Marmorbauten […] jedoch keine Spuren finden lassen“.163 Daher muss die Frage gestellt werden, ob Semper die extreme Ausdrucksform in seiner Farbrekonstruktion nur deshalb verwendet, um sich bewusst von den anderen Farbabbildungen abzuheben. Dies ist nach einer so langen Zeit nicht eindeutig zu klären, doch soll hier angemerkt werden, dass an den Säulen des Parthenons (Abb. 13) wie auch des Erechtheions (Abb. 14a. und 14b.) durchaus rote Farbabweichungen mit dem bloßen Auge festzustellen sind, die Sempers Wahrnehmung heutzutage immer noch nachvollziehbar erscheinen lassen. Der impulsive Effekt der roten Säulen pointiert nicht nur die ideologische Divergenz zwischen Semper und Winckelmann, sondern auch die zu Quatremère de Quincys Verständnis der antiken Polychromie, da bei dieser expressiven Verwendung von Rot nicht ausschließlich von einer Naturimitation gesprochen werden kann. Caroline van Eck erläutert hierzu in ihrem Aufsatz Semper’s Metaphor of the Living Building (2014): „For Quatremère as for Semper polychromy was the result of an innate urge of primitive man to associate collar and form: but for former it did not become the dressing through which matter and reality were denied; on the contrary, its purpose was to strengthen the mimetic illusion of statues to the point where viewers believed the statue was alive, not an image, but the god it represented. […] [But there][…] are significant differences between Quatremère and Semper on the nature of art and the implications of polychromy for its reality. For Quatremère polychromy undermines the reality of a statue as an autonomous work of representational art but is essential for suggesting the living presence of the being the statue represents, whereas for Semper polychromy – as any other kind of dressing or masking – is the condition of its status as an autonomous work of art […].“164

Dieser Gegensatz ist entscheidend im Verständnis von Sempers Idee der totalen Polychromie im Kontrast zu Quatremère de Quincys Naturimitation; Semper erfasst die Gattungen als Einheit, während Quatremère de Quincy sie separiert. Damit unterscheiden sich die Fundamente von Sempers Urteilen bezüglich der antiken Architektur grundlegend von denen Quatremère de Quincys oder Cockerells, selbst von jenen Hittorffs, die zwar in ihren Schriften auf die Besonderheiten der antiken Polychromie eingehen, diese sogar in ihre Zeit übertragen wollen, sich jedoch bei ihren Farbrekonstruktionen am vorhandenen Zeitgeschmack orientieren. Semper hingegen formt aus diesen Ideen eine eigene Ideologie, die er in Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik verdeutlicht.

163 Brinkmann 2003 [2], S. 123. 164 Eck 2014, S. 142–144.

Farbe als Zankapfel: Polychromiestreit oder Paragoneproblem?

13 Parthenon (Detail) mit roten Farbabweichungen an Säulen, Foto: K. Mann

14a Erechtheion (Detail) mit roten Farbab­weichungen an Säulen, Foto: K. Mann

14b Hypothetische Farbrekonstruktion des Erechtheions (Detail) mit roten ­Säulen, © K. Mann

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Seine einzigartige Auffassungsgabe im Hinblick auf die antike Verschmelzung der Kunstgattungen spiegelt sich dabei in seinen kolorierten Rekonstruktionen des Par­the­ nons wider und setzt sich auch in seinen eigenen Projekten durch, wenngleich er hier auf solch eine extreme Farbgestaltung verzichtet. Die Farbreduktion in seinem eigenen Werk kann folglich als Indiz dafür gewertet werden, dass Semper das drastische Kolorit in seiner Farbrekonstruktion vielleicht doch in erster Linie aus ideologischen Gründen verwendet hat. Zumindest muss gefragt werden, warum die Polychromieanhänger unter seinen Zeitgenossen in ihren Rekonstruktionen weiße Marmorsäulen darstellen. Selbst Garnier, der sich für eine Naturimitation ausspricht, zeigt diese nur anhand der Figuren. Dies wird beispielsweise an Garniers Darstellung der „façade latérale“ deutlich,165 in der nur der Fries, die Kapitelle und die Außenwand des Naos farbig gestaltet worden sind, während die formenden Elemente des Baukörpers wie Treppen, Säulenschäfte und sogar das Dach in Weiß gehalten bleiben. Gänzlich anders präsentiert Semper den Parthenon vornehmlich in einem kräftigen Rot. Daher liegt der Verdacht nahe, dass diese Signalfarbe von Semper eingesetzt wurde, um mit der vorherrschenden Meinung über die antike Polychromie zu brechen. Diese Abgrenzung wird mittels der roten Farbe zumindest provokant in Szene gesetzt. Semper contra Kugler: Polychromiedebatte als Kompetenzstreit

Sempers Darstellungsweise antiker Denkmäler wird von seinen Zeitgenossen stark abgelehnt. Christiane Zinten erläutert diesbezüglich in ihrem Buch Von Pompeji nach Troja: Archäologie, Literatur und Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert (1998): „Sempers Publikation der Ergebnisse seiner Studienreise in den Vorläufigen Bemerkungen zeigten eine ‚erdbebenartige Wirkung‘: In den Augen mancher Zeitgenossen stellt die Sempersche Hypothese eine ‚extreme Ansicht‘ dar, ‚die zu bekämpfen das Interesse des reinen Geschmacks und des richtigen Verständnisses der Antike dringend anmahne‘. “166

In dieser Passage wird Semper selbst zitiert, der sich über die negative Einstellung zu seiner Farbrekonstruktion in der Publikation Die vier Elemente der Baukunst. Ein Beitrag zur vergleichenden Baukunde aus dem Jahre 1851 äußert. Auch in seinem Werk Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik rechnet der Architekt mit den „Gegner[n] der Polychromie“167 ab.168 165 Garnier 1884, S. 55. 166 Zintzen 1998, S. 112–113. 167 Semper 1860, S. 452, 497, 499, 520, 520. Diesen Terminus verwendet Semper in seinen Schlussnotizen häufiger. Dies belegt eindeutig, wie ausgiebig er sich mit den „Gegner[n] der Polychromie“ beschäftigt hat. Ähnlich verhält es sich mit Franz Kugler, der in diesem Zusammenhang mehr als ein Dutzend Mal in der elf Seiten langen Textpassage erwähnt wird. 168 Zintzen 1998, S. 113.

Farbe als Zankapfel: Polychromiestreit oder Paragoneproblem?

Seine Desillusionierung in Bezug auf diese wird alsdann in seinen Schlussnotizen besonders deutlich, in denen er anführt, dass seine Publikation, „nur für solche Leser bestimmt [ist] welche die Gelehrten- und Künstlerkontroverse über Vielfarbigkeit der antiken Kunst im Einzelnen verfolgten“169, und richtet sich damit an jene, die offen dafür sind, seine Argumente für eine totale Polychromie nachvollziehen zu wollen. Hierbei ist die Formulierung „Gelehrten- und Künstlerkontroverse“ hervorzuheben, da die antike Polychromie von Gelehrten und Künstlern nach Ansicht Sempers offenbar unterschiedlich bewertet wird, was er vor allem anhand des kolorierten Frontispizes in Kuglers Publikation Ueber die Polychromie der griechischen Architektur und Sculptur und ihre Grenzen hervorzuheben versucht. Semper formuliert dementsprechend kritisch: „Ein Kugler’sches, oberhalb massenhaft dunkelfarbiges und buntes, unten blendend weisses, Monument, sowie ganz weisse Marmorfiguren, die sich auf blauem oder rothem Grunde abheben, mit gemalten Haaren, Lippen, Augäpfeln, Augwimpern, Augenbrauen, Brustwarzen, und mit einer Fülle farbigen und goldenen Kleiderschmuckes, können Künstler nicht wohl begreifen, sie behaupten, man habe zu vieles oder noch nicht genug zugestanden […].“170

Semper bringt darüber hinaus auch seinen Unmut über diejenigen Gelehrten zum Ausdruck, welche die Erkenntnisse ablehnen, die vor Ort nachgeprüft wurden, „[…] als wären wir und alle anderen nicht genannten Architekten, die gleiches gefunden haben, nur Phantasten und gelegentlich auch der Idee zulieb Aufschneider!“171 Durch die Betonung seines Berufsstandes wird ersichtlich, dass Semper den Polychromiestreit nicht nur als Paragoneproblem wahrnimmt, sondern ihn vielmehr als Kompetenzdisput zwischen Künstlern und Wissenschaftlern versteht.172 Neben solchen Gelehrten wie Kugler rügt Semper in seiner Schrift aber auch diejenigen Architekten, die sich, nach seiner Ansicht, vor der Idee einer totalen Polychromie verschließen.173 Explizit kritisiert Semper vor allem Klenze, der im Jahre 1834 mit der Griechenlandreise die Möglichkeit bekommen hatte, seine Kenntnisse über antike Polychromie zu intensivieren, und der in seinem Reisebericht von 1838 festhält, dass nach seiner Ansicht „[d]as Schönheitsgefühl allein

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Semper 1860, S. 514. Semper 1860, S. 515. Semper 1860, S. 516. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Praktikern (Künstlern) und Theoretikern (Wissenschaftlern) um die richtige Deutung von antiken Kunstwerken verstärkt sich alsdann, nachdem sich Fachbereiche wie Kunstgeschichte und Archäologie als Universitätswissenschaften im ausgehenden 18. Jahrhundert emanzipiert hatten. Diesbezüglich schreibt Johann Dominik Fiorillo (1748–1821) in Kleine Schriften artistischen Inhalts aus dem Jahre 1803: „Daß sich Gelehrte und Künstler, besonders wenn von den mechanischen Theilen der Kunst die Rede ist, oft einander nicht verstehen, hat die Erfahrung mehrmahls bestätigt […].“ Fiorillo 1803, S. 288. 173 Semper 1860, S. 516.

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hier […] die Modalität der Farbenanwendung nach dem Zwecke, der Lage und dem zu einem Gebäude verwendeten Materiale [bestimmte].“174 Daraus ergibt sich für Klenze, dass die antiken Bauwerke „keine völlige Bemalung“175 hätten haben können und stellt sich damit Sempers Ansichten über eine totale Polychromie entgegen. Dementsprechend missbilligend formuliert Semper in seiner Publikation: „[…] wenn der Herr Geh. Rath v. Klenze in dieser Beziehung anderer Meinung ist so hat er bei seinen viel wichtigeren Arbeiten während seines Aufenthaltes in Athen wahrscheinlich nicht, wie ich obscurer Arbeiter in der Linnenjacke, wochenlang auf dem Theseustempel herumklettern und an Wänden und Säulen kratzen können.“176

Am Beispiel Sempers lässt sich die allmähliche Abkehr der Antikenbewunderer vom Dogma des intellektuellen Weiß aufzeigen, das in Gelehrtenzimmern ersonnen wird, während aktiv auf antike Tempel geklettert werden muss, um Erkenntnisse über die griechische Polychromie zu erhalten. Dieses Aufbegehren gegen die vorherrschende Doktrin und damit gleichzeitig gegen die Bevormundung durch die Gelehrten zeigt sich alsdann noch eindrücklicher an einer anderen Textpassage. Semper schreibt hierin: „ ‚Aus fertigen Bausteinen bauen sich manchmal recht hübsche Throne auf‘ – meint Kugler am Schlusse seiner Notiz über diese Schrift Hettner’s. – Kugler freilich brauchte sich den Thron, auf dem er in dieser Sache richtet, nicht erst zu bauen, denn er war schon vor ihm fertig; – wenigstens sein Vorbild, sein weissscheckiges Archetyp; – nämlich jener von Klenze restaurierte äginetische Tempel in der Glyptothek zu München, zu dem der Katalog bemerkt: ‚Man sei in dieser bemalten Reliefdarstellung so gewissenhaft gewesen dass selbst dann nichts dem aus den Ruinen sicher zu Beweisenden hinzugefügt worden sei, wenn das unläugbare Erforderniss zur Harmonie des Ganzen einen Zusatz erfordert hätte.‘ – Man gab nur Farben an, wo sichere Spuren derselben sich fanden, das übrige liess man weiss; – das Weiss ist also an diesem Modelle des Tempels in der klar ausgesprochenen Absicht des Architekten Klenze ein Gedankenstrich, eine unausgefüllte Stelle! – Und auf diesem unfertigen Münchner Tempel thront nun Kugler seit länger als 20 Jahren und spricht Entscheid von ihm herab wie Salomo!“177

Wie zuvor Wagner prangert somit auch Semper das Dogma des edlen und reinen Weiß der antiken Denkmäler als historisches Missverständnis an, wobei er vor allem in Kugler einen bedeutenden Meinungsmacher sieht, der den idealisierten Mythos bis in die 1850er Jahre hinein aufrechterhält, obwohl schon seit langem dieser Irrglaube aufgrund

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von Klenze 1838, S. 550–551. von Klenze 1838, S. 552. Semper 1860, S. 516. Semper 1860, S. 515.

Farbe als Zankapfel: Polychromiestreit oder Paragoneproblem?

archäologischer Farbfunde angezweifelt wurde und damit ein Wandel in der kollektiven Wahrnehmung hätte erfolgen müssen. Goethes Farbenlehre

Zeitgleich zur Erörterung erster belegbarer Farbfunde der Antike entsteht in der Folge ein neues Bewusstsein hinsichtlich der Farbwahrnehmung. Einer ihrer bedeutendsten Vertreter im deutschsprachigen Raum ist Johann Wolfgang von Goethe, der 1810 seine Untersuchungsergebnisse zu Farben in seinem mehrteiligen Werk Zur Farbenlehre178 veröffentlicht. Seine Erkenntnisse stellen einen deutlichen Kontrapart zum vorherrschenden Zeitgeschmack des reinen Weißen dar und sollen daher eingehend beleuchtet werden. Johann Wolfgang von Goethe gliedert seine Arbeit über Farben in einen didaktischen, einen polemischen und einen historischen Teil. Für diese Publikation sind dabei vornehmlich die überlieferten Farbtheorien bezüglich der Griechen von Bedeutung, sodass seine Erkenntnisse hier verkürzt dargelegt werden sollen. Bereits in seiner Einleitung Zur Geschichte der Urzeit erläutert Goethe eindringlich: „Jener löst das Rätsel bequem durch ein phantastisches, höchstens poetisches Symbolisieren; und so verwandelten die Griechen den Regenbogen in ein liebliches Mädchen, eine Tochter des Thaumas (des Erstaunens); beides mit Recht: denn wir werden bei diesem Anblick das Erhabene auf eine erfreuliche Weise gewahr. Und so ward sie diesem Gestalt liebenden Volke ein Individuum, Iris, ein Friedensbote, ein Götterbote überhaupt; andern, weniger Form bedürfenden Nationen ein Friedenszeichen.“179

Mit der Bezugnahme auf die Personifikation des Regenbogens kreiert Goethe eine prägnante Analogie, die zur besseren Illustration seiner Idee dient, wonach die alten Griechen Farben dazu nutzten, Stimmungsbilder zu erzeugen, die das Kollektiv positiv beeinflussen sollen. Bei anderen Völkern, so Goethe weiter, verfielen Farben hingegen zu etwas Selbstverständlichem, das nur der Zierde des Menschen diene.180 Goethe folgt demnach Winckelmanns negativem Assoziationsbeispiel des Zierrats, wonach Farben, die von anderen Völkern zweckentfremdet wurden, abzulehnen seien, während hingegen bei den Griechen der Farbverwendung ein erhabenes Moment innewohne, das der allgemeinen Erleuchtung diene. Essenziell für die Analyse von Goethes Antikenbezug in seiner Farbenlehre ist dabei das Unterkapitel Theophrast oder vielmehr Aristoteles von den Farben. Goethe bezieht sich

178 Rupprecht Matthaei (1895–1976) erläutert im Vorwort zu seinem Buch Die Farbenlehre im GoetheNatio­nalmuseum, dass „Die Farbenlehre […] wie der Faust dem Deutschen gegeben [ist], damit er an diesen Werke wachse und reife. Das gilt für den Einzelnen; das gilt für das Werden des Volkes und seiner Kulturleistungen.“ Matthaei 1941, S. X. 179 Goethe 2016, S. 211–212. 180 Goethe 2016, S. 213.

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hierin auf den antiken Text Über Farben (περί χρωμάτων), der ursprünglich Aristoteles zugeschrieben wurde, jedoch bereits zu jener Zeit als Theophrastische Abhandlung identifiziert worden ist.181 Zum besseren Verständnis der komplexen antiken Farbtheorie soll daher hier Carl Prantls (1820–1888) Publikation Aristoteles acht Bücher Physik. Griechisch und Deutsch und mit facherklärender Anmerkung aus dem Jahre 1849 vergleichend herangezogen werden. Der Autor erklärt hierin, dass Aristoteles’ Farbtheorie als einheitliches Lehrbuch zwar nicht vorhanden sei, aber seine Ideen in der Gegenüberstellung mit anderen Schriften aus seinem Umkreis nachvollzogen werden können.182 Dementsprechend sieht Prantl in Aristoteles Farbenlehre den Ursprung für den Theophrastischen Abriss. Der Philologe vergleicht daher Aristoteles’ Primärtexte mit der Abhandlung Über Farben, um damit einen Gesamteindruck über die antike Farbenlehre zu erhalten. Die Gegenüberstellung der Schriften Prantls mit denen Goethes soll in dieser Publikation somit dazu dienen, Aristoteles’ (384–322 v. Chr.) und Theophrasts (um 371–287 v. Chr.) Farbtheorien besser unterscheidbar zu machen; in diesem Zuge werden nicht nur begriffliche, sondern auch grundlegend inhaltliche Divergenzen erkennbar gemacht, die darauf zurückzuführen sind, dass Goethe sich vornehmlich mit Theophrasts Publikation Über Farben auseinandersetzt, während Prantl Aristoteles’ Gesamtwerk beleuchtet. Hierbei wird der Unterschied bereits in der Analyse von einfachen Farben deutlich, die Goethe in Anlehnung an Theophrast mit folgenden Farbassoziationen versieht: „Einfache Farben sind diejenigen, welche die Elemente begleiten, das Feuer, die Luft, das Wasser und die Erde. Die Luft und das Wasser sind ihrer Natur nach weiß, das Feuer und die Sonne aber gelb. Die Erde ist ursprünglich gleichfalls weiß, aber wegen der Tingierung erscheint sie vielfärbig.“183

In der Farbwahrnehmung der Sonne werden die unterschiedlichen Wesensmerkmale der beiden Farbtheorien deutlich, da – anders als bei Theophrast und Goethe – nach Aristoteles’ Farbverständnis die Sonne weiß sein muss,184 da der Rezipient mit Weiß Wärme und mit Schwarz Kälte verbinde.185 Weiß und Schwarz wie auch warm und kalt sind nach Aristoteles’ Ansicht dementsprechend Gegensatzpaare, die das Angenehme und das Unangenehme charakterisieren.186 Auch Goethe bedient sich in seiner Farbenlehre dem Gegensatzpaar Weiß und Schwarz, jedoch nicht nach Aristoteles’ Idee als logische Kontraparts, sondern als

181 Prantl 1849, S. 84. 182 Prantl 1849, S. 84–85. 183 Goethe 2016, S. 227. 184 Prantl 1849, S. 102. 185 Prantl 1849, S. 104. 186 Kant 2001, S. 76.

Farbe als Zankapfel: Polychromiestreit oder Paragoneproblem?

emotionales Gleichnis von Licht und Finsternis,187 das bei einem entsprechend geprägten Rezipientenkollektiv die Assoziation von Gut und Böse hervorruft. Anhand der Gegenüberstellung von logischer und ästhetischer Farbtheorie wird ersichtlich,188 warum sich Goethe im historischen Teil seiner Farbenlehre gerade mit Theophrasts Farbassoziationen auseinandersetzt, da inhaltliche Ähnlichkeiten beider Farbtheorien offensichtlich werden. Die historische Genealogie von Theophrasts und Goethes Farbenlehre wird dabei im Vergleich der Farbassoziation des Gelbrots deutlich. Hierzu schreibt Goethe in Theophrast oder vielmehr Aristoteles von den Farben: „21. Wird aber das Licht durch ein häufiges und reines Schwarz gemäßigt, so erscheint ein Gelbrot, das, sowie es lebhaft wird und leuchtet, in Flammenfarbe übergeht.“189

Vergleicht man damit Goethes eigenes Farbverständnis des Gelbrots aus seinem Didaktischen Teil, welches er im Unterkapitel Sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe als ästhetisches Erlebnis kennzeichnet, so fallen unweigerlich Parallelen auf. Hierin schreibt er: „774. Wie das reine Gelb sehr leicht in das Rotgelbe hinübergeht, so ist die Steigerung dieses letzten ins Gelbrote nicht aufzuhalten. Das angenehme heitre Gefühl, das uns das Rotgelbe noch gewährt, steigert sich bis zum unerträglich Gewaltsamen im hohen Gelbroten. 775. Die aktive Seite ist hier in ihrer höchsten Energie, und es ist kein Wunder, daß energische, gesunde, rohe Menschen sich besonders an dieser Farbe erfreuen.“190

In beiden Schriften wird demnach das Gelbrot als „lebhaft“ beziehungsweise „energisch“ beschrieben und übt damit eine intensive oder vielmehr stimulierende Wirkung auf den Rezipienten aus. An dieser Stelle zeigt sich unverkennbar Goethes Re-Inszenierungsmaßnahme der antiken Farbwahrnehmungslehre, die er in die eigene Epoche transferiert. Die Sinnlich-sittliche Wirkung191 von Farbe entwickelt er alsdann für insgesamt acht Farben, die er entsprechend seinem Zuordnungssystem anhand der Dimensionen warm, kalt, hell und dunkel kategorisiert. Daraus ergibt sich für ihn:

187 Goethe 2016, S. 227. 188 Goethe definiert in seiner Farbenlehre dieses sinnlich-sittliche Farbverständnis als „ästhetische Wirkungen der Farbe“. Goethe 2016, S. 173. 189 Goethe 2016, S. 229. 190 Goethe 2016, S. 179. 191 Goethe 2016, S. 176.

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Gelb

heitere, muntere, sanft reizende Eigenschaft (766), warmen und behaglichen Eindruck (768), angenehm und erfreulich (770), Licht (778)

Rotgelb

mächtig und herrlich (772), heiteres Gefühl (774)

Gelbrot

unerträglich Gewaltsam (774), höchste Energie (775), unglaubliche Erschütterung (776)

Blau

Dunkles (778), Ruhe (779), Gefühl von Kälte (782)

Rotblau

passiv, unruhig (787), ermüdend (788), Lebhaftes ohne Fröhlichkeit (789)

Blaurot

Unruhe (790)

Rot

Ernst und Würde (796)

Grün

reale Befriedigung, einfach (802)

Die in der Tabelle aufgeführten Farbcharakteristika192 bezieht Goethe dabei ebenfalls auf ihre Raumwirkung, so erläutert er beispielsweise, dass „783. Zimmer, die rein blau austapeziert sind, […] gewissermaßen weit, aber eigentlich leer und kalt [erscheinen]“193, während „802. Unser Auge [bei Grün] in derselben eine reale Befriedigung [findet]. Wenn beide Mutterfarben [Gelb und Blau] sich in der Mischung genau das Gleichgewicht halten, dergestalt, daß keine vor der andern bemerklich ist, so ruht das Auge und das Gemüt auf diesem Gemischten wie auf einem Einfachen. Man will nicht weiter und man kann nicht weiter. Deswegen für Zimmer, in denen man sich immer befindet, die grüne Farbe zur Tapete meist gewählt wird.“194

Aus diesem Farbwirkungssystem entwickelt Goethe ferner auch Raumkonzepte für sein Wohnhaus in Weimar, das er ab 1792 mehrfach nach seiner Farbenlehre umgestalten lässt.195 Das Goethehaus am Frauenplan wird alsdann zum Muster zahlreicher Innenräume des 19. Jahrhunderts, sodass in dieser Publikation auf sein Farbkonzept näher eingegangen werden soll. Das heutige Wohnhaus, welches 1885 zum Nationalmuseum wird, zeigt dabei die Farbgestaltung der Innenräume, wie sie nach Goethes Tod im Jahre 1832 vorgefunden wurde.196 Folglich kann immer noch ein Eindruck von der praktischen Anwendbarkeit seiner Farbtheorie gewonnen werden.

192 Goethe 2016, S. 177–182. 193 Goethe 2016, S. 180 (783). 194 Goethe 2016, S. 182 (802). 195 Holler; Knebel; Geyersbach 2011, S. 10. 196 Holler; Knebel; Geyersbach 2011, S. 18.

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Farbarrangement im Goethehaus am Frauenplan

Zum Zwecke der einfacheren Veranschaulichung der letzten Farbgestaltung in ­Goethes Wohnhaus am Frauenplan in Weimar soll hier eine Auflistung dargestellt werden, welche die einzelnen repräsentativen Räume kurz in ihrer Funktion,197 ihrem visuellen ­Fokus sowie der Hauptfarbe wiedergeben: Raum

Funktion und ­visueller Fokus

Farbe

Treppenhaus (Antikenrezeption)

Eingangsbereich durch das Wort Salve gekennzeichnet, Präsentation von Antikenabgüssen, z. B. Büsten von Apollo Belvedere und Ares Borghese

Grün (hell)

Gelber Saal

Verbindungszimmer, Präsentation von kolorierten Kupfer­ stichen nach Raffael, Fresken und Antiken­abgüssen, z. B. ­Medusa Rondanini

Gelb

Kleines Esszimmer

Präsentation von Kunstblättern, auf dem Reposito­rium steht ein Antikenabguss der Minerva Velletri

Grün

Brückenzimmer (Antikenrezeption)

Präsentation von Antikenabgüssen, z. B. Ilioneus in der Raummitte stehend zur Allansicht

Blau

Gartenzimmer

Präsentation von Abgüssen antiker und klassizistischer Skulp­ Grau turen wie Reliefs, z. B. C. F. Tiecks Minerva und sog. Klytia

Großes Sammlungszimmer

Präsentation von Gemälden und antiken Klein­bronzen (­Goethe hielt sie zumindest für Originale198)

Grün

Majolikazimmer

Präsentation der Majolikasammlung sowie Kleinplastiken

Grau (hell)

Deckenzimmer

Präsentation von Grafiken, z. B. Aquarell nach ­Daniele ­Ricciarellis Kreuzabnahme

Rot (­gedeckt)

Junozimmer (Abb. 15) Empfangs- und Musikzimmer, dominierend der ­kolossale Antikenabguss der Juno Ludovisi, die namens­gebend für das Zimmer ist Urbinozimmer

Privatpräsentation der Sammlung durch Goethe199, Präsentation von Gemälden, namensgebend ist hier das Bildnis des Francesco Maria II. della Rovere, ­Herzog von Urbino200 von Federico Barocci

Blau

Blau

Goethes Arbeitsräume Bewahrung und Präsentation der mineralogischen Sammlung Grün (Vor-, Arbeitszimmer sowie des Buchbestandes und Bibliothek)

197 Mit der Bezeichnung „repräsentative Räume“ werden hier diejenigen gekennzeichnet, die dem zeitgenössischen Besucher zugänglich waren. Damit werden Räume wie beispielsweise Privaträume, Küche und Dienerzimmer ausgelassen. Jedoch werden auch die Bibliothek und das Arbeitszimmer mit aufgenommen, da sie einen Bestandteil seiner Sammlungsräume darstellen. Hierbei ist zu bemerken, dass die andauernden Veränderungen der Farbgestaltung der Räume auf die Präsentation seiner weiter anwachsenden Sammlung zurückzuführen sind, somit mussten einige Wohnräume in Repräsentationsräume umgewandelt werden. 198 Holler; Knebel; Geyersbach 2011, S. 78. 199 Holler; Knebel; Geyersbach 2011, S. 97.

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Durch die Tabelle wird ersichtlich, dass Goethe zur Präsentation seiner antiken Sammlung vorzugsweise kalte Farben wie Blau und Grün verwendete. Grün ist dabei den Forschungszimmern vorbehalten, die für die alltägliche Nutzung gedacht waren, während mit Blau in den repräsentativen Empfangsräumen (Abb. 15) seine Prestigeobjekte hervorgehoben werden sollten. Diese zweckgebundene Einteilung reflektiert Goethes Farbenlehre über die ästhetische Wirkung der beiden Farben, da Grün, welches dem Betrachter eine „reale Befriedigung“ bietet, zum langen Verweilen einladen soll, während Blau nach Goethes Auslegungen zwar „Ruhe“ ausdrückt, jedoch gleichzeitig kalt sowie leer wirkt und sich folglich nicht für den Alltag eignet. Trotz der Dominanz kalter Farben, deren bevorzugte Wahl auf ihren ästhetischen Effekt zurückzuführen ist, bilden zwei farbige Räume eine deutliche Ausnahme in der Auflistung: der sogenannte Gelbe Saal und das Deckenzimmer. Anhand dieser Sonderfälle soll daher aufgezeigt werden, wie komplex das Farbkonzept Goethes im Grunde ist. Betrachtet man die Objekte genauer, welche die Gestaltung dieser beiden Räume prägen, so fällt eine unmittelbare Parallele auf: In beiden Fällen dominieren Grafiken die Ausstattung, sodass anzunehmen ist, dass zu ihrer Präsentation warme Farben von Goethe bevorzugt wurden. Demzufolge orientiert sich Goethe bei der Wahl der Wandfarbe nicht allein an ihrer ästhetischen Wirkung, sondern kreiert vielmehr eine Wechselwirkung zwischen präsentierten Objekten und der sie umgebenden Farbe. Dies wird insbesondere im Deckenzimmer ersichtlich, wo der rote Ocker der Tapete mit den Rötelzeichnungen eine Art Symbiose eingeht. Im Gelben Saal hingegen kontrastiert das warme Gelb der Wände das vorherrschende Blau der kolorierten Kupferstiche nach Raffael, ohne diese jedoch zu dominieren. Goethe entscheidet sich folglich bewusst gegen eine komplementäre Farb­totalität,200 da Gelbrot offenbar zu energisch gewesen wäre. Somit kreiert er stattdessen eine einfache „charakteristische Zusammenstellung“201 bestehend aus Gelb und Blau, die wie Grün, welches das Ergebnis aus diesen beiden Farben ist, eine reale Befriedigung bewirkt.202 Demzufolge sind für Goethe bei der Zusammenstellung seines Farbkonzepts zwei Faktoren entscheidend: die ästhetische Wirkung auf den Betrachter sowie das Gleichgewicht mit der Umgebung.203 Eine Farbharmonie in Räumen ergibt sich demnach aus einer unterstützenden Hervorhebung der Objekte durch die Wandfarbe, die jedoch nicht störend sein darf. Dieses Prinzip gilt dabei nicht nur für die einzelnen Räume, sondern auch für ihre Gesamtheit. Die Farben der unterschiedlichen Räume müssen entsprechend miteinander korrespondieren und gleichzeitig für sich wirken. Zu diesem Zweck werden beispielsweise das Gartenzimmer und das Majolikazimmer grau gehalten, um sich, 200 Goethe 2016, S. 183 (810). 201 Goethe 2016, S. 184. 202 Goethe 2016, S. 185 (819). 203 Goethe; Matthaei 1970, S. 184.

Farbe als Zankapfel: Polychromiestreit oder Paragoneproblem?

15 Junozimmer, Goethes Wohnhaus in Weimar, Foto: K. Mann

wie Goethe erläutert, der „[…] Totalität gewahr zu werden, um sich selbst zu befriedigen, sucht es neben jedem farbigen Raum einen farblosen, um die geforderte Farbe an demselben hervorzubringen“.204 Daher dienen graue Zimmer als Ruhezimmer, welche die darauffolgenden Wandfarben intensiver erlebbar scheinen lassen. Dieses ausgleichende Gefüge von unterschiedlich farbigen Zimmern ergibt ein harmonisches Gesamtkonzept, in dem der Rezipient den unterschiedlichen ästhetischen Farbwirkungen ausgesetzt ist, die Goethe in seiner Farbenlehre beschreibt, und erlaubt gleichzeitig ein innovatives Farbkonzept zur Darstellung der eigenen Sammlung und damit eine effektvolle Ausstellungspräsentation. Dieses Goethe’sche Wahrnehmungskonzept, welches einer antiken Farbenlehre entlehnt worden ist, wird im 19. Jahrhundert maßgeblich für die Kunstvermittlung zeitgenössischer wie auch historischer Objekte. Infolgedessen wird es von vielen Museen wie auch anderen Ausstellungsinstitutionen übernommen. So entwickelt sich zu dieser Zeit ein Archetypus für Museumsbauten, bei dem eine antikisierende weiße Fassade farbig gestaltete Innenräume umschließt. Dadurch entsteht ein Zwitter von Winckelmanns Idee der reduzierten Formästhetik und Goethes Farbenlehre.

204 Goethe 2016, S. 182 (806).

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

16 Venus mit Apfel, Thorvaldsen-­Museum Kopenhagen, Foto: K. Mann

Die Veröffentlichung von Goethes Farbenlehre und ihre praktische Anwendung in seinem Wohnhaus in Weimar bewirkt, dass viele zeitgenössische Kunstrezipienten seine Idee übernehmen, dass farbige Innenräume die ästhetische Erfahrung von Kunstwerken bereichern. Dies kann heute noch am Thorvaldsen-Museum in Kopenhagen (1838–1848) eindrücklich belegt werden, in dem die Wandgestaltung der einzelnen Räume (Abb. 16) die darin beherbergten Skulpturen reflektieren.205 Goethes Farbenlehre dient hier zur Intensivierung der ästhetischen Erfahrung von Bertel Thorvaldsens (1770–1844) Werk, dessen monochrom-weiße Plastiken durch unterschiedlich gestaltete Wände mannigfaltiger wirken. Die Bedeutung von Farbe im ästhetischen wie kunsthistorischen Wahrnehmungsprozess ist somit bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allgemein anerkannt und geschätzt, wird jedoch zumeist nur auf die Gestaltung der Innenräume beschränkt. Die strikte Separierung der einzelnen Kunstgattungen durch die Verwendung von Farbe bleibt darüber hinaus jedoch bestehen. Da Goethes Farbenlehre einem antiken Prinzip der Farbwahrnehmung folgt, muss hier gefragt werden, ob die Idee der künstlerischen Farbwirkung bereits in der Antike bei der Gestaltung dreidimensionaler Objekte Anwendung gefunden hat. Falls eine solche

205 Der Architekt des Thorvaldsen-Museums Michael Gottlieb Birkner Bindesbøll (1800–1856) hat ­Goethe 1822 in Weimar besucht. Lange 2002, S. 23.

Hierarchisierung der Kunstgattungen Skulptur und Malerei

Parallele zwischen der antiken und klassizistischen Farbgestaltung gezogen werden kann, wäre dies eine Chance, die ästhetische Farbenlehre auch auf heutige Wahrnehmungsprozesse anzuwenden und damit auf neuzeitliche Farbrekonstruktionen zu übertragen. Daher soll im weiteren Verlauf der Publikation eine solche Symbiose von Farbe und dreidimensionaler Form eingehender analysiert werden.

2.9  Hierarchisierung der Kunstgattungen Skulptur und Malerei Gegenwärtige Untersuchungen zur Polychromie beschäftigen sich weniger mit Farbkonzepten antiker Bauwerke, sondern vermehrt mit der Rückführung des ursprünglichen Kolorits auf Skulpturen. Daher sollen in dieser Publikation Re-Inszenierungsprozesse der Polychromiedebatte antiker Skulpturen des 19. Jahrhunderts mit aktuellen Modellen verglichen werden, um aufzuzeigen, wie auch in dieser Phase der zeitgenössische Kunstgeschmack auf unterschiedliche Rekonstruktionsmodelle wirkt. Die Diskussionen über das Kolorit antiker Plastiken werden seit Winckelmann zwischen Künstlern und Wissenschaftlern wiederkehrend in unterschiedlichen Publikationen geführt,206 wobei es verschiedene Konzepte gibt, die ausgehend von einer Patinierung, über eine partielle Bemalung bis hin zu einer totalen Polychromie alle möglichen Interpretationsansätze abdecken. Doch trotz dieser lebhaften Debatten wirkt das Thema kaum auf die allgemeine Rezeption antiker Plastiken ein. Selbst heute, mehr als 260 Jahre nach der Veröffentlichung von Winckelmanns glorifizierenden Ideen über die griechische Kunst, werden bemalte Skulpturen als „ungewohnt“ oder „zu bunt“ abgelehnt, obwohl erwiesenermaßen diese Kunstform seit Jahrtausenden zum Kulturerbe zählt.207 Dass der Mensch sein Habitat seit jeher farbig gestaltet, insbesondere in Hinblick auf Skulpturen, hat sich somit seit dem Ende des 18. Jahrhunderts nicht im Kunstbewusstsein verankern wollen. Im Nachgang der Separation der Kunstgattungen bleibt die Verbindung zwischen Farbe und Malerei weiter bestehen, sodass der Rezipient hier seine Sehgewohnheiten nicht anpassen muss; die Beziehung beider erscheint damit am „natürlichsten“ und wirkt insofern auf die Zeitgenossen nicht so irritierend wie beispielsweise die Vereinigung von Farbe und Skulptur. Diese Diskrepanz in der ästhetischen Beurteilung der Kunstgattungen erfolgt heutzutage immer noch durch die Gegenüberstellung von Form (Skulptur) 206 Patrik Reuterswärd (1922–2000) legt in seiner Publikation Studien zur Polychromie der Plastik. Griechenland und Rom. Untersuchungen über die Farbwirkung der Marmor- und Bronzeskulptur (1960) dar, dass sich seit Winckelmann bis 1954 rund 155 Publikationen mit dem Thema Polychromie antiker Skulpturen auseinandergesetzt haben. Reuterswärd 1960, S. 9–27. 207 Bereits die Venus von Willendorf (Abb. 17a und 17b) aus der Epoche des Jungpaläolithikums wurde mit Rötel (roter Ocker) farbig gefasst. https://www.nhm-wien.ac.at/forschung/praehistorie/­forschungen/ venus-forschung (10.02.2021).

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17a Venus von Willendorf, Naturhistorisches M ­ useum Wien, Foto: K. Mann

17b Mit Rötel farbig gefasste Kopie der Venus von ­Willendorf, K. Mann

und Farbe (Malerei). Beide Kunstdisziplinen ahmen die Natur nach und wetteifern um den ersten Rang. Bereits in der Renaissance wird diese Separation von Farbe und Form vollzogen, um die Besonderheiten der beiden Gattungen herauszustellen, wobei sich diese Kunstentwicklung parallel zur Tradition farbig gefasster Skulpturen ereignet, was bildhauerische Werke Donatellos (1386–1466) noch heute eindrücklich belegen. Die Abspaltung der beiden Gattungen im Klassizismus ist somit eine „Re-Re-Inszenierung“ der Antike, die den Geltungsdrang dieser beiden Kunstformen widerspiegelt. Dies wird vor allem bei der Darstellung des Menschen offenkundig, mit der Künstler ein ideales Abbild entwerfen. Sowohl die Bildhauerei als auch die Malerei nehmen für sich in Anspruch, die einzig wahre Gestaltungsform zu sein, die das Wesen des Menschen am Eindrücklichsten wiedergibt. Während die Malerei mithilfe der Farbe sinnliche Stimmungsbilder erzeugt, welche die emotionalen Seiten des Menschen darlegen, erlauben vor allem monochrome Skulpturen eine Konzentration auf die selbstreflektierende Form, losgelöst von assoziativ-emotionsgeladener Lenkung durch Farbe. Die nunmehr klare Form wird so ihrer rationalen Bestimmung zurückgeführt. Somit handelt es sich bei der Abspaltung der Skulptur von der Malerei um eine künstlerische Umsetzung des „anthropologischen

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Dualismus“, in dem der Körper von der Seele getrennt betrachtet wird.208 Damit zeigen sich im Klassizismus parallele Debatten in der Kunst sowie in der Philosophie, in denen erörtert wird, ob der Mensch ein Sinnes- oder ein Vernunftwesen sei. Beispielsweise wendet sich Immanuel Kant gegen Ende seines Lebens in der Publikation Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798) der Frage nach dem Wesen und der Bedeutung des Menschen zu. Er erläutert diesbezüglich in seiner Abhandlung: „Dass der Mensch in seiner Vorstellung das Ich haben kann, erhebt ihn unendlich über alle andere auf Erden lebende Wesen. Dadurch ist er eine Person und, vermöge der Einheit des Bewusstseins, bei allen Veränderungen, die ihm zustossen mögen, eine und dieselbe Person, d. i. ein von Sachen, dergleichen die vernunftlosen Thiere sind, mit denen man nach Belieben schalten und walten kann, durch Rang und Würde ganz unterschiedenes Wesen; selbst wenn er das Ich noch nicht sprechen kann; weil er es doch in Gedanken hat: wie es alle Sprachen, wenn sie in der ersten Person reden, doch denken müssen, ob sie zwar diese Ichheit nicht durch ein besonderes Wort ausdrücken. Denn dieses Vermögen (nämlich zu denken) ist der Verstand.“209

Kant macht hierin deutlich, dass gerade die Vernunft und so auch das Denken über das eigene Ich entscheidende Charakteristika des Menschen sind . Diese hier verkürzt dargelegte Erkenntnis über die Beschaffenheit des Menschen wirft jedoch in Bezug zur Publikation die Frage auf, was dieser vermeintliche Antagonismus zwischen „Ratio“ und „Emotio“ für unsere ästhetische Wahrnehmung bedeutet, wenn der Mensch an sich ein Vernunftwesen ist. In Anthropologie in pragmatischer Hinsicht beschäftigt sich Kant daher erneut mit seinen Ideen über das „Angenehme“ und das „Schöne“, die er bereits in seiner Publikation Kritik der Urteilskraft (1790) näher ausgeführt hat. Das Angenehme ist dabei für ihn ein rein subjektives Sinnesurteil, das uns Lust bereiten soll.210 „Aber die Allgemeingültigkeit dieser Lust für Jedermann, durch welche die Wahl mit Geschmack (des Schönen) sich von der Wahl durch blosse Sinnenempfindung (des blos subjektiv Gefallenden), d. i. des Angenehmen, unterscheidet, führt den Begriff eines Gesetzes bei sich; denn nur nach diesem kann die Gültigkeit des Wohlgefallens für den Beurtheilenden allgemein sein. Das Vermögen der Vorstellung des Allgemeinen aber ist der Verstand. Also ist das Geschmacksurtheil sowohl ein ästhetisches, als ein Verstandesurtheil, aber in beider Vereinigung (mithin das letztere nicht als rein) gedacht.“211

208 Bordt 2006, S. 99. 209 Kant 1872, S. 7. 210 Kant 1872, S. 138. 211 Kant 1872, S. 150, 152.

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Ein ästhetisches Urteil über das Schöne ist nach Kants Auffassung demnach sowohl emotional als auch rational und wird von unseren Gefühlen und von unserem Verstand getroffen. Betrachtet man aus dieser anthropologischen Perspektive Kants Kritik der Urteilskraft von neuem, so wird seine Hierarchisierung der Künste fasslicher, da Malerei als „Sinnenschein“212 definiert wird und so der Plastik unterzuordnen sei, die nach seiner Auffassung die Natur nachahmt und dabei „mit Rücksicht auf ästhetische Zweckmäßigkeit“213 handelt, da nur ein Geschmacksurteil ohne emotionale Verfälschung, das „[…] also bloß die Zweckmäßigkeit der Form zum Bestimmungsgrunde hat, […] ein reines Geschmacksurteil [ist]“.214 Daraus resultiert für Kant, dass allein die Form als schön bezeichnet werden kann, da Farben Sinneseindrücke sind, die das Dargestellte zwar beleben, aber nicht verschönern.215 Nach dieser Beurteilung von Form und Farbe entwickelt Kant in Kritik der Urteilskraft folgende Hierarchie der bildenden Künste:216 1. Plastik und Baukunst 2. Malerei und Gartenkunst

Die Gleichsetzung der Malerei und Gartenkunst erscheint aufgrund der völlig verschiedenen Medien befremdlich, folgt jedoch Kants Logik, wonach ein reines Geschmacksurteil bei Plastik und Baukunst durch ihre Form gefällt wird, während bei Malerei und Gartenkunst das Urteil durch Sinneseindrücke beeinflusst wird. Monochrome Skulpturen, die allein auf ihre Form reduziert sind, können so nach Kants Verständnis objektiver bewertet werden als polychrome Gemälde, deren Beurteilung durch den Eindruck der Farbe verfälscht wird. Bei Kants Hierarchisierung der bildenden Kunst, wie bei der Bewertung vom „Angenehmen“ und „Schönen“, ist der Stellenwert der Vernunft beim Fällen des Geschmacksurteils ausschlaggebend. Je rationaler, desto reiner ist demnach das Urteil. Selbst Zierraten können nach Kants Verständnis das „Wohlgefallen des Geschmacks vergrößern“217, solange sie nur aus einer „schönen Form“218 bestehen, da das Zuführen von Farbe sie zum Schmuck macht und so „der echten Schönheit Abbruch“219 tut. Verkürzt formuliert bedeutet dies, dass das Zugeben von Farbe, aufgrund ihrer sinnlichen Einflussnahme auf die Gemütsbewegungen des Rezipienten, ein reines und somit 212 Kant 2001, S. 214. 213 Kant 2001, S. 214. 214 Kant 2001, S. 75. 215 Kant 2001, S. 78. 216 Kant 2001, S. 213–214. 217 Kant 2001, S. 79. 218 Kant 2001, S. 79. 219 Kant 2001, S. 79.

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rationales Geschmacksurteil unmöglich macht. Polychrome Skulpturen forcieren somit nach Kants Theorie aufgrund der assoziativ-sinnlichen Wirkung von Farbe ein emotionaleres Urteil. Diese leitende Idee einer vernunftmäßigen Beurteilung von Kunstwerken ist seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert prägend für die intellektuelle Auseinandersetzung mit ästhetischen Objekten. Mit solch einer negativen Farbwahrnehmung eines führenden Gelehrten im Hinterkopf ist es folglich für den zeitgenössischen Rezipienten schwer, kein negatives Urteil über Farbe zu treffen, da er befürchten muss, dass sein Urteil über ein Kunstwerk nicht als rational empfunden, sondern als emotional abgetan wird; somit erfolgt streng genommen dann kein reines, sondern ein vorgeformtes beziehungsweise vorformuliertes Geschmacksurteil. Die vorherrschende Idee der Kunstrezipienten des 18. Jahrhunderts über die Unvereinbarkeit der Antagonisten Form und Farbe, ferner Skulptur und Malerei, ist dabei als Fundament des Polychromiestreits bei antiken Plastiken zu sehen. Durch die Übertragung der eigenen Wertvorstellungen auf die antiken Griechen, die von Winckelmann als künstlerische Vorfahren angepriesen werden, entsteht eine ideelle Inkompatibilität zwischen Skulptur und Malerei bei antiken Kunstwerken. Die „Neugriechen“ des 18. und 19. Jahrhunderts gehen davon aus, dass bereits zuvor auch die alten Griechen ihre Kunstwerke über die Form als schön definiert haben müssen. Farbe auf antiken Skulpturen ist damit für dieses Rezipientenkollektiv undenkbar, da nach ihrer Ansicht die alten Griechen als Ideal der Vernunftwesen ebenfalls darum bestrebt gewesen sein mussten, nur erkenntnistheoretische Urteile treffen zu wollen. In der antiken Kunst hätte demzufolge schon eine Separation von Form und Farbe erfolgt sein müssen, damit eine entsprechende Huldigung der Form hätte vollzogen werden können, wie dies im 18. Jahrhundert geschieht. Das Auftauchen polychromer Plastiken während dieser Debatte legt damit eine Differenz in den ästhetischen Wertesystemen offen und bewirkt so eine Infragestellung der (kunst)historischen Erbschaft. Winckelmann über Malerei und Bildhauerei der Griechen

Die dogmatische Separation von Form und Farbe, die Kants Theorie des „anthropologischen Dualismus“ maßgeblich mitgeprägt hat, zeigt sich unter anderem deutlich in Winckelmanns Schriften. Um veranschaulichen zu können, wie dies mit seiner Antikenrezeption korrespondiert, müssen daher seine Überlegungen zu diesen Themen kurz dargelegt werden. In seiner Schrift Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der ­Malerei und Bildhauerkunst werden von Anfang an Winckelmanns unterschiedliche Beurteilungssysteme für Bildhauerei und Malerei ersichtlich, wobei er der „Contour“220, wie

220 Winckelmann 1756, S. 8.

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er die Form bezeichnet, den ästhetischen Vorzug gibt. Wie zuvor beim Vergleich der Griechen und Römer in Bezug auf die Baukunst, wählt Winckelmann auch hier eine Gegenüberstellung, um den Lesenden seine Argumente besser zu veranschaulichen. Besonders interessant ist bei dieser Gegenüberstellung von Skulptur und Malerei die zeitliche Differenz der herangeführten Beispiele. So wird von Winckelmann zu Beginn des Textes die Skulpturengruppe Laokoon (Vatikanische Museen, Rom, Inv1059-1064-1067) als „eine vollkommene Regel der Kunst“221 deklariert, während er gleichzeitig erklärt, dass Künstler wie Michelangelo (1475–1564), Raffael (1483–1520) und Poussin (1594–1665) ihren „guten Geschmack“222 an den „Werken der Alten“223 gebildet haben. Damit suggeriert Winckelmann hier ein Meister-Schüler-Verhältnis, wobei die „Nachahmer der griechischen Werke“224 zwar an diesen Kunstobjekten das antike Schönheitsideal erkennen lernen, jedoch es nach seiner Ansicht nie erreichen können.225 Dies wird am Beispiel des niederländischen Malers Peter Paul Rubens (1577–1640) besonders deutlich, den Winckelmann zwar mit dem Adjektiv „groß“ versieht, der jedoch bei der Nachbildung der „Contour“ seinen Anforderungen offenbar nicht standhalten kann. So schreibt er: „Könnte auch die Nachahmung der Natur dem Künstler alles geben so würde gewiß die Richtigkeit im Contour durch sie zu erhalten seyn; diese muß von den Griechen allein erlernet werden. Der edelste Contour vereiniget oder umschreibet alle Theile der schönsten Natur und der idealischen Schönheiten in den Figuren der Griechen; oder er ist vielmehr der höchste Begrif in beyden. Euphranor, der nach des Zeuris Zeiten sich hervor that, wird vor den ersten gehalten, der demselben die erhabenere Manier gegeben. Viele unter den neueren Künstlern haben den griechischen Contour nachzuahmen gesuchet, und fast niemanden ist es gelungen. Der große Rubens ist weit entfernt von dem griechischen Umriße der Körper, und in denenjenigen unter seinen Werken, die er vor seiner Reise nach Italien, und vor dem Studio der Antiquen gemachet hat, am weitesten. Die Linie, welche das Völlige der Natur von dem Ueberflüßigen derselben scheidet, ist sehr klein, und die größten neueren Meister sind über diese nicht allezeit greifliche Grenze auf beyden Seiten zu sehr abgewichen. Derjenige, welcher einen ausgehungerten Contour vermeiden wollen, ist in die Schwulst verfallen; der diese vermeiden wollen, in das Magere. Michael Angelo ist vielleicht der einzige, von dem man sagen

221 Winckelmann 1756, S. 3. 222 Winckelmann 1756, S. 3. 223 Winckelmann 1756, S. 3. 224 Winckelmann 1756, S. 4. 225 Eric Michaud schlussfolgert aus Winckelmanns Aufruf zur Antikennachahmung, dass dieser „[…] die Kunstpraxis [als] eine vom ‚Geschmack‘ bestimmte Aktivität [ansehe] […], mit anderen Worten [als] eine Tätigkeit, die durch Moden – einer Art sozialer Mimesis oder mimetischen Ansteckung – [geregelt würde] […]“. Michaud 2017, S. 116. Folglich ist die Vermittlung beziehungsweise entsprechende Lenkung des Kunstgeschmacks zugunsten dieses griechischen Ideals, wie sie in Winckelmanns Publikationen erfolgt, ein wichtiger Bestandteil jenes kollektiven Erinnerungsortes.

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könnte, daß er das Alterthum erreichet; aber nur in starken muskulösen Figuren, in Körpern aus der Heldenzeit; nicht in zärtlich jugendlichen, nicht in weiblichen Figuren, welche unter seiner Hand zu Amazonen geworden sind. Der griechische Künstler hingegen hat seinen Contour in allen Figuren wie auf die Spitze eines Haars gesetzt, auch in feinsten und mühsamsten Arbeiten, dergleichen auf geschnittenen Steinen ist.“226

Diese längere Passage aus Winckelmanns Schrift macht einige Charaktermerkmale seiner Ideen über Malerei und Plastik deutlich. Die wohl wichtigste Besonderheit ist dabei seine Auslegung des griechischen Schönheitsideals als eine edle Form, die von einem klar definierten Körper gekennzeichnet wird, der weder zu schwülstig noch zu dürr sein darf. Um zu veranschaulichen, dass ein Maler solch eine ideale Form nicht darstellen kann, wählt Winckelmann als Beispiel den Barockmaler Rubens, der für seine Darstellung von üppigen Körperformen berühmt ist. Winckelmann nimmt gezielt nicht Tizian (um 1488–1576), Raffael oder Botticelli (1445–1510) als Muster für seine Auslegungen, sondern einen Künstler, nach dessen menschlichen Visualisierungen selbst heutzutage korpulente Formen als „Rubensfiguren“ bezeichnet werden. Somit wird durch die Wahl seines Malerbeispiels die Assoziation entworfen, dass mit Malerei das griechische Schönheitsideal nicht dargestellt werden kann. Als Kontrast zu Rubens führt Winckelmann Michelangelo an, der nach seiner Ansicht als Einziger dieses antike Schönheitsvorbild nachahmen kann. Auch hier ist der Künstler zur besseren Illustration gewählt, da er mit dem berühmten Universalkünstler aus der Renaissance sein Antikenbeispiel Euphranor vom Isthmus (4. Jh. v. Chr.) am eindrücklichsten widerspiegeln kann. Dabei charakterisiert Winckelmann Michelangelo hier zwar nicht explizit als Bildhauer, schafft jedoch indirekt eine solche Gedankenverknüpfung, indem er angrenzend an seine Auslegungen zum Renaissancekünstler die Vorzüge der griechischen Skulptur anführt. So entsteht beim Leser der Eindruck, dass Winckelmann von Michelangelo als Skulpteur spricht, der allein deswegen eine ideale Kontur zu erschaffen vermag, weil er in erster Linie ein Bildhauer ist. Winckelmann konstruiert mit diesen Beispielen eine klare Trennung zwischen der ästhetischen Funktion der Form, die allein durch die Skulptur wiedergegeben wird, und der hier noch nicht definierten Funktion der Malerei, die nach seiner Ansicht keinem ästhetischen Zwecke dienen kann, da sie nicht in der Lage ist, das antike Schönheitsideal darzustellen. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen kommt er dementsprechend zu der Feststellung: „Die Malerey erstreckt sich auch auf Dinge, die nicht sinnlich sind; diese sind ihr höchstes Ziel, und die Griechen haben sich bemühet, dasselbe zu erreichen, wie die Schriften der Alten bezeugen.“227

226 Winckelmann 1756, S. 16–17. 227 Winckelmann 1756, S. 40.

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Demnach wird mit Malerei gar nicht erst das idealisierte Ziel verfolgt, ein reines Geschmacksurteil zu generieren, sondern etwas ganz anderes angestrebt. Hierzu erläutert er weiter: „Parrhasius, ein Maler, der wie Aristides die Seele schilderte, hat sogar, wie man sagt, den Charakter eines ganzen Volks ausdrücken können. Er malete die Athenienser, wie sie gütig und zugleich grausam, leichtsinnig und zugleich hartnackig, brav und zugleich feige waren.“228

Folglich dient Malerei dazu, „Seelenzustände“ darzustellen, eine Kunst, welche die zeitgenössischen Maler nach Ansicht Winckelmanns nicht beherrschen, da sie nur unbedeutende „Fabeln“229 beziehungsweise „Allusionen“230 reproduzieren, die den eigentlichen Zweck der Malerei, „nämlich die Vorstellung unsichtbarer, vergangener und zukünftiger Dinge“231 zu visualisieren, nicht zu erfüllen vermögen. Somit fasst er zum Ende seiner Gedanken über die Nachahmung der griechischen ­Werke in der Malerei und Bildhauerkunst zusammen: „Der Pinsel, den der Künstler führet, soll im Verstand getunkt seyn, wie jemand von dem Schreibegriffel des Aristoteles gesaget hat: Er soll mehr zu denken hinterlassen, als was er dem Auge gezeiget, und dieses wird der Künstler erhalten, wenn er seine Gedanken in Allegorien nicht zu verstecken, sondern einzukleiden gelernet hat. Hat er einen Vorwurf, den er selbst gewählet, oder der ihm gegeben worden, welcher dichterisch gemacht, oder zu machen ist, so wird ihn seine Kunst begeistern, und wird das Feuer, welches Prometheus den Göttern raubete, in ihm erwecken. Der Kenner wird zu denken haben, und der bloße Liebhaber wird es lernen.“232

Damit spricht Winckelmann der Malerei eine ganz andere Rolle zu als der Bildhauerei. Eine Skulptur führt über ihre Form zu einem reinem Geschmacksurteil, während Malerei dem Rezipienten, wie Philosophie oder Geschichte, als eine Art Reflexionsebene dient, die den menschlichen Geist stimulieren soll und so zum Nachdenken anregt. Daher veranschaulicht Malerei nach Winckelmanns Auffassung den menschlichen Geist beziehungsweise die Seele, während Bildhauerei den Körper und das damit verbundene Schönheitsideal widerspiegelt, sodass ihre Trennung hier mit dem anthropologischen Dualismus gleichzusetzen ist.

228 Winckelmann 1756, S. 40. 229 Winckelmann 1756, S. 41. 230 Winckelmann 1756, S. 41. 231 Winckelmann 1756, S. 43. 232 Winckelmann 1756, S. 44.

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Nach dieser Auslegung von Malerei ist Winckelmanns Feststellung nicht verwunderlich, nach der diese Kunstgattung – sofern sie ohne jedwede Funktion ist – als Zierrat abzulehnen sei.233 So schreibt er verächtlich: „Die Gemälde an Decken und über den Thüren stehen mehrentheils nur da, um ihren Ort zu füllen, und um die ledigen Plätze zu decken, welche nicht mit lauter Vergoldungen können angefüllet werden. Sie haben nicht allein kein Verhaltniß mit dem Stande und mit den Umständen des Besitzers, sondern sie sind demselben so gar oftmals nachtheilig. Der Abscheu vor den leeren Raum füllet also die Wände; und Gemälde von Gedanken leer, sollen das Leere ersetzen. Dieses ist die Ursach, daß der Künstler, dem man seiner Willkühr überläßt, aus Mangel allegorischer Bilder oft Vorwürfe wählet, die mehr zur Satire, als zur Ehre desjenigen, dem er seine Kunst weihet, gereichen müssen: und vielleicht, um sich hiervor in Sicherheit zu stellen, verlanget man aus seiner Vorsicht von dem Maler, Bilder zu machen, die nichts bedeuten sollen.“234

Seinen Überlegungen zu Malerei und Bildhauerei folgend, die nach Ansicht Winckelmanns einem höheren Ziel dienen sollten, bedeutet es im Umkehrschluss, dass das einfache Auftragen von Farbe ohne jedweden Zweck auch als Zierrat abzustempeln sei. Demnach wären nach Winckelmanns Auffassung polychrome Statuen der Antike undenkbar, wenn die Farbe allein ein Überwurf einer zwecklosen Substanz über ein zweckgebundenes Objekt wäre. Die deutliche Bevorzugung der zweckgebundenen Kontur sowie die negative Bewertung von zweckloser Farbe lässt Winckelmanns Formulierung „[d]ie Farbe trägt zur Schönheit bei“235 aus Geschichte der Kunst des Alterthums in einem neuen Licht erscheinen. Offenkundig erfolgt hier ein Wandel in seinem ästhetischen Verständnis von antiker Kunst aufgrund vermehrter Farbfunde auf antiken Skulpturen.236 Eine dieser Plastiken, deren Farbfassung Winckelmann in seiner Schrift Geschichte der Kunst des Alterthums aufzeigt, soll daher in dieser Publikation exemplarisch herangezogen werden, um die Veränderung in der ästhetischen Beurteilung polychromer Skulpturen eingehender zu untersuchen.

233 Winckelmann 1756, S. 44. 234 Winckelmann 1756, S. 43. 235 Lessing 1870, S. 105. 236 Helmut Pfotenhauer erläutert diesbezüglich, dass Winckelmann nach seiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den pompejischen Ausgrabungsfunden seine Ansichten bezüglich der antiken Polychromie grundlegend geändert habe. Hingegen versuchten Winckelmanns Nachlassverwalter in Weimar nach dessen Tod seine Erkenntnisse zu relativieren. „Die Monochromie-Dogmatiker sitzen also – unter anderem – in Weimar. Winckelmann ist vor ihnen über sie hinaus“, wie Pfotenhauer pointiert. Pfotenhauer 2017, S. 75.

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Der Einfluss der Pigment-Fragilität auf die ästhetische Wahrnehmung der Artemis von Pompeji

Nur wenige Jahre nach der Veröffentlichung von Winckelmanns Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst wird im Jahre 1760 bei Ausgrabungen in Pompeji eine Skulptur gefunden, die eindeutige Spuren einer polychromen Fassmalerei aufweist. Nach der Entdeckung der Artemis von Pompeji (Museo Archeologico Nazionale di Napoli, Inv. 6008) wurde entsprechend vermerkt: hautfarbene Arme, rotes Haar, roter Gürtel, rote Sandalenriemen.237 Ähnliche Beobachtungen macht auch Camillo Paderni (1720–1770), der den Abtransport der Figur nach Neapel veranlasst. Dabei besteht jedoch eine essenzielle Divergenz in ihrer Beschreibung, wonach die Haarfarbe der Frauenfigur blond gewesen sei.238 Trotz dieser Abweichung in der Schilderung ist die Farbfassung jener Artemis-Skulptur offenkundig mit bloßem Auge erkennbar gewesen, somit auch für Winckelmann, der die Skulptur während seines Neapelbesuchs 1762 in Augenschein nehmen kann. Er beschreibt diese daher in seiner Publikation Geschichte der Kunst des Alterthums wie folgt: „Die Haare von derselben sind blond, die Veste weiß, so wie der Rock, an welchem unten drei Streifen umher laufen; der unterste ist schmal und goldfarbig, der andere breiter, von Lackfarbe, mit weißen Blumen und Schnirkeln auf demselben gemalt; der dritte Streif ist von eben der Farbe.“239

Somit bestätigt Winckelmann mit seiner Schilderung Padernis Wahrnehmung, dass die Artemis blond ist. Es stellt sich daher die Frage, wie es zu der ersten Beschreibung einer rothaarigen Figur hatte kommen können? Um dies besser zu erläutern, sind weitere Beschreibungen der Farbfassung ebenfalls für diese Publikation von besonderem Interesse. Rund neunzig Jahre später legt beispielsweise Désiré-Raoul Rochette (1789–1854) in seiner Schrift Peintures antiques inédites (1836) dar, dass er in der unteren Partie der Figur rosa Farbe entdeckt habe, während oben ein intensives kaltes Rot in den Details vorherrsche.240 Wiederum stellt Franz Studniczka (1860–1929) in seiner Abhandlung Die archaische Artemisstatuette aus Pompeii aus dem Jahre 1888 fest, dass nur noch überwiegend rosafarbene Details sowie Ockergelb bei den Haaren, Deckweiß des Gewandes, Hellblau der Schuhriemen sowie Rotbraun und Schwarz bei den Augen vorzufinden seien. Die unterschiedlichen Beschreibungen vermitteln damit den Eindruck, dass in den verschiedenen Zeitabschnitten eine unterschiedliche Farbwahrnehmung der Figur vorgeherrscht hat, die von einer intensiven Polychromie hin zu Pastellfarben übergegangen ist. 237 Primavesi 2011, S. 26. 238 Primavesi 2011, S. 30. 239 Winckelmann 1870, S. 26. 240 Primavesi 2011, S. 30.

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Die verkürzt dargelegten Berichte von 1760 bis 1888 legen dabei anscheinend ein allmähliches Verblassen der ursprünglichen Farben nahe, das sogar zu Studniczkas Trugschluss führt, dass „die nackten Teile […] nur geglättet [sind]“.241 Darüber hinaus scheinen die unterschiedlichen Angaben bei Haarfarbe (Rot/Ockergelb) sowie Schuhriemen (Rot/Purpur/Hellblau) den Schluss zuzulassen, dass im Laufe eines Jahrhunderts andersfarbige Unterschichten sichtbar geworden beziehungsweise Farbveränderungen erfolgt sind. Heutzutage sind selbst diese kaum noch zu sehen, sodass nur noch an einigen Details die ursprüngliche Fassmalerei erahnt werden kann. Der merkliche Verfall der Pigmente respektive ihre chemische Veränderung insbesondere auf Marmor erklärt folglich,242 warum kaum farbige Spuren auf repräsentativen Plastiken sowie Bauelementen vorhanden sind. Die Langlebigkeit des polychromen Effekts ist somit von der Unterlage, auf den die Pigmente aufgetragen worden sind, sowie von Witterungseinflüssen abhängig. Bereits Patrik Reuterswärd (1886–1971) stellt daher in seiner Publikation Studien zur Polychromie der Plastik. Griechenland und Rom (1960) die Frage nach der Verlässlichkeit der vorgefundenen Farbreste. Neben der bekannten „Tatsache, daß Blau sich oft zu Grün verfärbt“243, wie er schreibt, verhalten sich andersgeartete Pigmente ungleich auf Marmor. Rot beispielsweise bleibt zwar nach seiner Aussage sehr lange auf Marmor haften, hingegen bleicht es zunehmend aus. Hierzu erläutert er weiter: „Auch schwarze und gelbe Farbspuren kann der Marmor absorbieren; es gibt Beispiele haarfein gemalter Wimpern, die eher in als auf der Marmorfläche haften. Dagegen pflegten besonders die blauen und die später vorkommenden rosa und gelb-orangenen Farbschichten so oberflächlich aufzuliegen, daß man, wenn man sie mit einem Messer abschabte, kaum eine in den darunterliegenden Marmor eingedrungene Färbung finden würde. […] Oft kann man unter den oberflächlich haftenden Farben eine Stuckschicht feststellen, und es fragt sich, ob man nicht stets mit einer dünnen Grundierung zu rechnen hat. Soviel ist sicher, daß der Marmor verschieden auf die angewandten Farben reagierte und daß man deshalb beim Farbauftrag auch in verschiedener Weise verfuhr. Daraus folgt aber, daß das Bild der ursprünglichen Polychromie, das uns die Denkmäler heute bieten, nicht nur unzureichend sein kann, sondern uns auch durch das Übergewicht vor allem roter, vom Marmor absorbierter Erdfarben, geradezu irreführt.“244

Demzufolge können Farbreste auf Marmor äußerst „trügerisch“ sein. Die Farben unterliegen nicht nur einem chemischen Wandlungsprozess, sondern wirken nach all der Zeit 241 Primavesi 2011, S. 33. 242 Brinkmann; Koch-Brinkmann; Piening 2011, S. 81. 243 Reuterswärd 1960, S. 64. 244 Reuterswärd 1960, S. 65–66.

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sogar mehr wie Unreinheiten beziehungsweise farbige Einschlüsse des Steins als eine bewusst gefertigte Fassmalerei. Vor allem das mehrheitliche Verblassen sowie das witterungsbedingte Abtragen der Pigmente hat einen enormen Einfluss auf die ästhetische Wahrnehmung derjenigen Skulpturen, welche die Idee untermauern, dass in der Antike überwiegend farbfreie Bildwerke erschaffen worden sind. Die Fragilität von Pigmenten und Bindemitteln ist mitunter dafür verantwortlich, dass Fassmalerei wie die antike Malerei überhaupt nur rudimentär überdauert hat, und bewirkt dabei eine fast herkulische Herausforderung in der Vermittlung farbig gefasster Skulpturen. Neuinterpretation antiker Malerei im 19. Jahrhundert

Im Zuge der Antikenrezeption im 18. und 19. Jahrhundert beschäftigen sich nicht nur Architekten und Bildhauer immer intensiver mit ihrem antiken Erbe, sondern auch Maler, die jedoch nur auf wenige Funde zurückgreifen können, um einen Einblick in die Könnerschaft ihrer geistigen Vorfahren zu erhalten. Hierzu erläutert Alphonse de ­Calonne (1818–1902): „Wir besitzen nichts von griechischer Malerei aus der alten Epoche! Ich spreche nicht von den bemalten Vasen, welche uns nicht einmal eine annähernde Idee davon geben können. Die einzigen Malereien, welche von der griechischen Schule herrühren und die wir kennen, sind jene von Pompeji. Sie stammen ungefähr aus derselben Zeit wie jene in Egypten aufgefundenen Porträts, aber sie weichen von letzteren in einem Hauptpunkte ab: Die Malereien von Pompeji sind gewöhnliche Arbeiten von Decorations-Malern, wirklichen Handwerkern; die Porträts, von welchen wir sprechen, sind Arbeiten von Künstlern! Die ersteren haben keinen anderen Zweck, als die Wände zu schmücken; die letzteren erheben sich zur Höhe der höchsten Kunst, was Ausdruck und Ausführung anbelangt.“245

Calonne macht in diesem Zitat deutlich, dass bis dato nur anhand dreier unterschiedlicher Gestaltungsarten, Vasenmalerei, Wandmalerei und römisch-ägyptische Mumienporträts, die ästhetische Virtuosität antiker Maler erahnt werden kann, obwohl eigentlich nur die zuletzt erwähnten Porträts tatsächlich einen Einblick in die Kunstfertigkeit geben. Jedoch erlaubt die Gesamtschau der unterschiedlichen Typen allgemeine Erkenntnisse über charakteristische Themen und Ausdrucksmöglichkeiten, wie beispielsweise Form, Farbe und Maltechnik. Diese Einsichten werden im 19. Jahrhundert von zeitgenössischen Künstlern re-inszeniert und sollen daher in dieser Publikation näher beleuchtet werden.

245 Stamm 2007, S. 16.

Hierarchisierung der Kunstgattungen Skulptur und Malerei

Themenwahl und -umsetzung246

Eine malerische Auseinandersetzung mit dem antiken Erbe erfolgt sehr unterschiedlich in den Werken der Maler des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts: Zum einen können Künstler auf historische Themen im Sinne antiker Mythen zurückgreifen, deren Darstellungstradition von damaligen Vasen- oder Wandmalereien abgeleitet werden, zum anderen können dem Betrachter frei gewählte Inhalte durch entsprechende Staffagen wie Architekturelemente, Skulpturen oder Kleidung als Antikenrezeption präsentiert werden. Eine aufzeigende Funktion hat auch der Werktitel, der zumeist deutlich macht, welche antike Geschichte oder historische Persönlichkeit dargestellt worden ist. Diese differenzierten Maßnahmen sind notwendig, damit der Betrachter eine entsprechende Verknüpfung mit den Informationen aus seinem kollektiven Gedächtnisapparat erstellen kann. Luca Giuliani erläutert dabei: „Der Betrachter muß die Geschichte, die das Bild zu erzählen aufgibt, seinerseits kennen. Narrative Bilder sind – wenn sie verstanden werden sollen – auf eine solche Vorkenntnis seitens der Betrachter angewiesen und beschränken sich deshalb in aller Regel auch auf bekannte Geschichten: Sie greifen Stoffe auf, die im sprachlichen Medium fest verankert und im hohem Ausmaß vorgeformt sind.“247

Dementsprechend haben populäre Mythen den Vorteil, dass sie von einem großen Kollektiv identifiziert werden können, während spezifische Motive einer entsprechenden Erklärung oder Vorbildung bedürfen. Dies ist einer der Gründe, warum beispielsweise Homers (um 850 v. Chr.) Werke Ilias und Odyssee immer wieder rezipiert und umgeformt werden, da die Epen dermaßen bekannt sind, dass ihre Grundideen, selbst nur angedeutet, immer wiedererkannt werden können. Zudem erlangen Homers Epen nach der Entdeckung des vermeintlichen Trojas im Jahre 1870 durch Heinrich Schliemann (1822–1890) eine neue Aktualität und entfachen eine „Debatte um die Historizität des trojanischen Krieges“248. Dabei werden die populären Mythen im Zuge neuer ästhetischer Ausdrucksformen an politische oder soziale Erfordernisse der eigenen Zeit angepasst und umgestaltet. „[…] nicht Übersetzung, sondern Übertragung, nicht Eklektizismus, sondern Transformation, statt Historismus und Motivklauberei das Streben nach dem Essenziellen im Hier und Jetzt“249, charakterisiert Tobias Natter die Transgression der Kunst jener Zeit. Dies gilt gleichermaßen für Visualisierungen spätantiker Texte wie Ovids (43 v. Chr.–17. n. Chr.) Metamorphosen oder Lukians (ca. 120–200 n. Chr.) Hetärengespräche, die nicht nur stoisch illustriert, sondern, im Zuge eines neuen künstlerischen Anspruchs an erotische Motive, modern interpretiert werden. 246 Einige Informationen wurden bereits veröffentlicht. Mann 2020, S. 169–195. 247 Giuliani 1998, S. 9. 248 Grethlein 2010, S. 396. 249 Natter 2017, S. 14.

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Körperlichkeit und Aspektive am Beispiel Gustav Klimts

Das ästhetische Bedürfnis nach einem angepassten Körperbild in Malerei, Grafik wie auch Bildhauerei entstammt dabei einem „Dualismus von Eros und Thanatos“250, der vor allem für die Kunst des Fin de Siècle prägend ist. Damir Barbaric erläutert diesbezüglich: „Die vieldiskutierte ‚Dämonisierung der Erotik‘ und des Erotischen im […] Fin de siècle lässt sich allem Anschein nach auf eben diese Grundambivalenz des reinen Werdens zurückführen, das Anfang und Ende zugleich ist. Nur aus der Ahnung der Anwesenheit des Todes und der geheimem Todesentzückung auch im sonst ganz jugendlichen und unschuldigen Leben kann die übermäßige Faszination verständlich werden, von der für Künstler, Literaten und Denker des […] Fin de siècle eine jede Manifestation der Erotik bekränzt wurde.“251

Dem künstlerischen Bedarf entsprechend werden akademische Allegorien durch reale Aktmodelle ersetzt.252 Dabei wandelt sich insbesondere die Darstellung des menschlichen Körpers, die nicht mehr dem „apollinischen ‚Schönheitskanon‘ “253 folgt, sondern vielmehr eine kraftvolle Körperlichkeit sowie „seelische Bewegung“254 visualisiert. Ihre ästhetische Entsprechung findet sich in der Übergangszeit vom 6. ins 5. Jahrhundert v. Chr., in der neue Themen wie Tod und Melancholie eine wichtige kunsthistorische Transgression in der Antike bewirken.255 Dieser Rückgriff im ausgehenden 19. Jahrhundert erlaubt den Künstlern, die Zierlichkeit des Historismus zu überwinden und den Körpern mehr Substanz zu verleihen. Eine solch einschneidende Veränderung in der ästhetischen Wahrnehmung durch einen Re-Inszenierungsprozess antiker Maleffekte zeigt sich ebenfalls in der Anwendung von „Aspektive“256. Die damit einhergehende künstlerische Neuinterpretation der altägyptischen Flachmalerei illustriert ein elementares Verständnis für die Ursprünge der Malerei, da die Nutzung der Perspektive als künstlerisches Mittel erst in der Klassik beginnt. Diese ästhetische Transgression hin zu einer dreidimensionalen Illusion, die Ernst Gombrich als „griechische Revolution“257 bezeichnet, unterliegt dabei, so Martin 250 Salin 2008, S. 87. 251 Barbaric 2015, S. 345. 252 Borchardt-Birbaumer 2017, S. 34–35. 253 Borchardt-Birbaumer 2017, S. 35. 254 Robertson 1959, S. 146. 255 Robertson 1959, S. 137. 256 Den Begriff Aspektive verwendet Emma Brunner-Traut (1911–2008) als „Gegenbegriff zur Perspektive“, um das optische Phänomen altägyptischer Flachmalerei charakterisieren zu können, welches das „seit den Griechen der klassischen Zeit – […] bis heute – an tiefenräumlich-perspektivische Darstellungsweise gewöhnte Auge […] in ägyptischen Bildern flächig ausgebreitete Gebilde [sehen lässt], denen Körperlichkeit und Raumtiefe fehlen und die Lösungen anbieten, welche mit der Sehbild-Wirklichkeit nicht übereinstimmen“, wie sie erläutert. Brunner-Traut 1990, S. 7. 257 Gombrich 2010, S. 122.

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18 Gustav Klimt, Griechische ­Antike, Zwickelbild, Kunsthistorisches Museum Wien, Foto: K. Mann

Robertson, einem „geistige[n] Wandel von der archaischen zur klassischen Kunst[, der] zum Teil ein[en] Wandel vom ‚am Tun interessiert sein‘ zum ‚am Sein interessiert sein‘ “258 darstellt. Diese Unterscheidung von „Tun“ und „Sein“ ist dabei nicht nur für eine humanistische Weltanschauung maßgebend, sondern auch für die malerische Darstellung des neuen Menschen, der sich nicht mehr auf sein Tun reduzieren lässt, sondern ein Bewusstsein für das eigene Sein entwickelt und dies auch künstlerisch umsetzen will. Mit dem Wandel zur Flachmalerei und dem Einsatz von Aspektive im Fin de Siècle wird dieser Anspruch umgekehrt, wobei die Fokussierung auf den Bildvordergrund die „Leserlichkeit“259 des zumeist komplexen Inhalts unterstützt.

258 Robertson 1959, S. 130–131. 259 Gombrich 2010, S. 105.

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Die Besonderheit der Neuinterpretation altägyptischer Flachmalerei wird vor allem an Gustav Klimts (1862–1918) Werken deutlich. Die damit einhergehende „Neuinterpretation der Ästhetik“260, wie sie Brigitte Borchardt-Birbaumer am Wiener Secessionisten ausmacht, zeigt dabei eindrücklich das künstlerische Potenzial von Aspektive, sodass einige seiner Werke hier unter diesem Aspekt analysiert werden sollen. Bereits am Zwickelbild Griechische Antike (Abb. 18) von 1891, welches Klimt für das Kunsthistorische Museum in Wien entwirft, wird sein elementares Verständnis für antike Malerei offenbar. Er interpretiert das vorgegebene Thema als Verbildlichung einer Pallas Athene im zinnoberroten Peplos, die in ihrer rechten Hand eine Nike-Statuette hält und dabei mit Aigis, Lanze und Schild bewaffnet ist. Das archäologische Wissen des Malers über die griechische Klassik wird dabei vor allem in seiner Übertragungsskizze ersichtlich, in der Klimt die Gesichtszüge wie auch die Frisur von Pallas Athene einer frühklassischen Skulptur entnimmt.261 Im ausgearbeiteten Wandbild weicht er jedoch von der ursprünglichen Idee ab und fertigt stattdessen ein naturnachahmendes Frauenbildnis, das mit dem ästhetischen Konzept des restlichen Bilderzyklus übereinstimmt. Als Hintergrund dient dem Künstler eine eisenoxidrote Wandfläche, die mit Efeuranken verziert und durch einen schmalen grün- und goldfarbenen Mäander obenhin abgeschlossen wird. Mit dem farbig wie flach gestalteten Hintergrund vereint Klimt dabei in seinem Zwickelbild Sempers Idee von einer totalen Polychromie mit der antiken Aspektive. Ein solches Konzept verfolgt der Sezessionist auch in seinem Entwurf zum Werk Die Musik (Abb. 19) aus dem Jahre 1895, in dem er ein profilansichtiges Mädchen durch den aspektivischen Hintergrund abhebt. Dabei demonstriert Klimt nicht nur sein Wissen über archäologische Artefakte, sondern vor allem auch sein künstlerisches Bewusstsein über Aspektive und die damit verbundene Notwendigkeit einer malerischen Reduktion. Doch nirgends bekundet Klimt sein Gespür für den ästhetischen Nutzen antiker Aspektive so eindrücklich wie in seinem berühmten Beethovenfries von 1901/02, den er als Pendant zu Max Klingers (1857–1920) Beethoven (Abb. 20) für die XIV. Ausstellung der Wiener Secession entwirft. Obwohl Klimt in seinem monumentalen Wandbild eigentlich, wie Christoph Grunenberg aufzeigt, „eine überaus eigenwillige Huldigung an Beethovens Neunte Symphonie dar[legt], in der der Künstler ein Musikstück durch eine höchst originelle und fantasievolle Bilderzählung interpretiert“262, werden anhand dieses Beispiels vor allem seine Re-Inszenierungsmaßnahmen antiker Motive und Maltechniken deutlich. 260 Borchardt-Birbaumer 2017, S. 34. 261 Als Vergleichsbeispiel kann hier die Kore mit den Mandelaugen (Akr.674) aus dem Akropolismuseum in Athen herangeführt werden, die um 500 v. Chr. entstanden ist. 262 Grunenberg 2018, S. 95. Darüber hinaus wird im Katalog zur XIV. Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession erläutert: „Die drei bemalten Wände bilden eine zusammenhängende Folge. Erste Längswand, dem Eingang gegenüber: Die Sehnsucht nach Glück. Die Leiden der schwachen Menschen: Die Bitte dieser an den wohlgerüsteten Starken als äußere, Mitleid und Ehrgeiz als innere treibende Kräfte, die ihn das Ringen nach dem Glück aufzunehmen bewegen.

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19 Gustav Klimt, Die Musik (Entwurf), 1895, Neue Pinakothek München, Foto: K. Mann

20 Max Klinger, Beethoven, 1902, Museum der bildenden Künste Leipzig, Foto: K. Mann

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

21 Gustav Klimt, Beethovenfries (­Poesie), 1902, Secession Wien, Foto: K. Mann

Dabei wird Klimts Antikenrezeption nicht nur am Abschnitt Poesie mit dem Kithara spielenden Apollo evident,263 sondern auch durch die verwendete Aspektive, die die beiden Längswände als undefinierten monochrom-weißen Raum dominiert und nur oben von schwebenden Genien begrenzt wird (Abb. 21). Hierzu wird im Ausstellungskatalog Klimt und die Antike. Erotische Begegnungen aus dem Jahre 2017 erläutert: „Klimt platziert das sich rhythmisch wiederholende Figurenpaar knapp unter dem Bildrand, so dass die leere Fläche im Eingangsmotiv zum bestimmenden gestalterischen Element der Komposition wird. Ein um 500 v. Chr. entstandenes monumentales Mischgefäß weist in seinem freien Umgang mit dem Bildmotiv und dem umgebenden Leerraum erstaunliche Parallelen zu dem von Klimt angewandten Gestaltungsprinzip auf.“264 Schmalwand: Die feindlichen Gewalten: Der Gigant Typheus, gegen den selbst Götter vergebens kämpften; seine Töchter, die Gorgonen. Krankheit, Wahnsinn, Tod. Wollust und Unkeuschheit, Unmäßigkeit. Nagender Kummer. Die Sehnsüchte und Wünsche der Menschen fliegen darüber hinweg. Zweite Langwand: Die Sehnsucht nach Glück findet Stillung in der Poesie. Die Künste führen uns in das ideale Reich hinüber, in dem allein wir reine Freunde, reines Glück, reine Liebe finden können. Chor der Paradiesengel. ‚Freude, schöner Götterfunke‘. ‚Diesen Kuß der ganzen Welt!‘ “ Ausstellungskatalog 1902, S. 25–26. 263 Die Apollo-Figur einer schwarzfigurigen Amphore aus dem British Museum in London (Inv. 1839, 1109.1) dient hierbei Klimt als Vorbild. Ausstellungskatalog 2017 [1], S. 106. 264 Ausstellungskatalog 2017 [1], S. 124.

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Das im Zitat erwähnte antike Mischgefäß besticht durch eine monochrom-schwarze Fläche,265 welche am Fuß wie auch an den Henkeln farbig akzentuiert worden ist. Dabei ist als einziger Gegenstand eine kleine Lyra am oberen Rand des Gefäßes zu erkennen. Trotz der geringen Größe wie auch durch die ungewöhnliche Platzierung des feingliedrigen Objektes ermöglicht die Aspektive eine gelenkte Konzentration, sodass die Lyra bildprägend wird. Diesen gestalterischen Effekt übernimmt Klimt für seinen Beethovenfries und verleiht ihm durch die rhythmische Wiederholung der Genien einen ornamentalen Charakter. Die schwebenden Figuren erinnern zudem durch die fließenden Bewegungen an einen Mäander, der wie ein architektonisches Element die monochrom-weiße Fläche am oberen Bildrand begrenzt. Ferner kreiert Klimt mit seiner dekorativen Gestaltung der Figuren sowie der Dominanz der weißen Flächen eine künstlerische Symbiose mit dem Ausstellungsbau von Joseph Maria Olbrich (1867–1907). So entsteht ein ästhetisches Gefüge zwischen Gebäude, Wandbild und Klingers Beethoven-Skulptur. Diese Idee eines zeitgenössischen Gesamtkunstwerks wird alsdann im Ausstellungskatalog der Wiener Secession wie folgt beschrieben: „Ein einheitlicher Raum sollte vorerst geschaffen werden und Malerei und Bildhauerei diesen im Dienste der Raumidee dann schmücken. Hier gilt es, in gegebenen Verhältnissen, in enggezogenen Grenzen die Teile der Wirkung des Ganzen unterzuordnen. Die unerbittliche Logik zwingt zur Vertiefung in den Raumcharakter und zum Festhalten an einer leitenden Idee. Alle diese Forderungen werden bei Aufgaben der Monumentalkunst gestellt und das Höchste und Beste, was die Menschen zu allen Zeiten bieten konnten, entwickelte sich daran: die Tempelkunst.“266

Diese ästhetische Einheit wird von Klimt durch den expressiven Mittelteil durchbrochen, in dem der Künstler mit einer polychromen sowie flächendeckenden Wandgestaltung eine spürbare Bedrohung durch „feindliche Gewalten“267 (Abb. 22) erschafft. Das Unbehagen erzeugt er nicht nur durch monströse Figuren wie den Typheus, sondern im besonderen Maße auch durch das unruhige Dekor. Die ornamentale Aspektive dient dem Maler hier als künstlerisches Ausdrucksmittel zur Kreierung einer bestimmten Atmosphäre, wobei er die Flachmalerei sowohl als erzählerisches als auch als dekoratives Mittel einsetzt, das der Wandgestaltung ein grafisches Moment verleiht.268

265 Das rotfigurige Mischgefäß ist Eigentum der Staatlichen Antikensammlung und Glyptothek in München (Inv. SH 2404). Ausstellungskatalog 2017 [1], S. 125. 266 Ausstellungskatalog 1902, S. 9–10. 267 Ausstellungskatalog 1902, S. 25–26. 268 Den dekorativen Charakter der Aspektive unterstreicht Klimt dabei durch den Einsatz ornamentaler Muster und Goldapplikationen.

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22 Gustav Klimt, Beethovenfries (feindliche Gewalten), 1902, Secession Wien, Foto: K. Mann

Der künstlerische Vorzug dieser transgressiven Re-Inszenierungsmaßnahme antiker Aspektive und Flachmalerei zeigt sich in dieser spezifischen Verschmelzung von Malerei und Grafik. Dabei werden diese ästhetischen Gestaltungsformen von unterschiedlichen Künstlern des ausgehenden 19. Jahrhunderts für die eigenen Bedürfnisse neu interpretiert und dem eigenen Stil angepasst. Arnold Böcklins Adaption antiker Maltechniken (Gemälde und Skulpturen)

Eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem antiken Erbe lässt sich nicht nur anhand von Aspektive und Flachmalerei aufzeigen, sondern auch an einem Beispiel, das den meisten Betrachtern nur mittelbar ins Auge fällt, jedoch für einen Maler elementar ist: die Maltechnik. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, somit zur selben Zeit, in der der Polychromiestreit seinen Höhepunkt erreicht, arbeiten Maler wie Arnold Böcklin (1827–1907) daran, antike Maltechniken wiederherzustellen. Böcklins Bewunderung für antike Malweisen entfacht während seines zweiten Italienaufenthaltes von 1862 bis 1866, während dessen er erstmalig die Möglichkeit erhält, die pompejischen Wandmalereien vor Ort zu studieren. Hierzu erläutert Wibke Neugebauer in ihrer Publikation Von Böcklin bis Kandinsky: Kunsttechnologische Forschungen zur Temperamalerei in München zwischen 1850 und 1914 aus dem Jahre 2016: „Besonders bei der pompejanischen Malerei beeindruckte Böcklin das Zusammenspiel von ‚Farbenglut und dekorative[r] Behandlung‘, also die einfache und klare Bildsprache dieser Malerei, die mit einer leuchtenden Farbigkeit einherging. Diese verzichtete auf eine detaillierte, naturalistische Behandlung von einzelnen Bildpartien und betonte stattdessen die einzelnen Formen und Bildflächen, was den Eigenwert der Farben unterstrich. Die Farbe hatte dabei die wichtige Funktion, Stimmungen zu vermitteln […]. Sowohl in dieser gezielten Anwendung von Farbe und Farbkontrasten als auch in der Anwendung des dekorativen Gestaltungsprinzips lag in Böcklins Augen die Möglichkeit,

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den Betrachter – auch den ‚rohesten und ungebildetsten Menschen‘ – mit seiner Kunst auf emotionaler Ebene unmittelbar ansprechen zu können. Während für Böcklin das Gestaltungsprinzip des ‚dekorativen‘ in Rom ab 1862/63 immer mehr an Bedeutung gewann, stieß diese Tendenz offensichtlich bei verschiedenen Auftraggebern auf Ablehnung und Unverständnis, da sie nicht den damaligen Sehgewohnheiten für Staffeleigemälde entsprach.“269

Böcklins Re-Inszenierung antiker Maltechniken wie seine Hinwendung zum „dekorativen Gestaltungsprinzip“ bewirken demnach in den 1860er Jahren eine künstlerische Transgression in seinem Werk. Dabei steht für ihn fest, dass die Quintessenz des „Dekorativen“270 in der antiken Maltechnik liegt, sodass für Böcklin „praktische Versuche“271 essenziell werden. Jedoch erweist sich die Rekonstruktion antiker Maltechniken für ihn als überaus problematisch, wie dies Fritz von Ostini (1861–1927) in seiner Künstlerbiografie über Böcklin aufzeigt: „In der ersten wie gesagt, relativ weniger fruchtbaren Zeit seines zweiten römischen Aufenthalts, arbeitete Böcklin fast nur kleine Sachen, die offenbar fast immer der Gegenstand technischer Experimente waren, darunter relativ viele Bildnisse und Studienköpfe. Der Enkaustik seiner ‚Sappho‘ hat er viel Zeit und Mühe gewidmet. Er suchte nach einer möglichst dauerhaften Technik und ließ sich die Mühseligkeit jener Wachsmalerei nicht verdrießen, die eine weniger intensivere Willenskraft sicher abgestoßen hätte. Das Arbeiten mit den zähen Wachsfarben, die er sich doch erst selber schaffen mußte, erforderte unendliche Geduld – aber Böcklin wollte eine Technik haben, welche die Frischerhaltung des Kolorits auf lange gewährleistete.“272

In dieser Zeit des „Verexperimentierens“273 fertigt Böcklin acht Werke, in denen er seine Interpretationen antiker Maltechniken ausprobiert. Neugebauer legt diese Bilder in ihrer Publikation tabellarisch dar, sodass hier nur die unterschiedlichen Malmittel aufgezeigt werden sollen, mit denen Böcklin antike Techniken auf ihre Praktikabilität hin untersucht,274 wie Kopal, Weihrauch und Wachs. Letzteres dient ihm auch als Firnis, wobei er das Bienenwachs mit einem Eisen erwärmt und anschließend glättet.275

269 Neugebauer 2016, S. 85. 270 Das „Dekorative“ steht dabei in Korrespondenz zum antiken Verständnis der Aspektive. 271 Neugebauer 2016, S. 91. 272 Ostini 1909, S. 48–49. 273 Neugebauer 2016, S. 88. 274 Böcklin folgt dabei Hinweisen zu antiken Maltechniken aus unterschiedlichen Schriftquellen, wie beispielsweise einer deutschen Ausgabe von Vitruvs (80–15 v. Chr.) Baukunst oder Auszügen aus Plinius’ (um 23–79 n. Chr.) und Pausanias’ (um 390 v. Chr.) Werken, die er bei Abbé Requenos Saggi sul ristabilimento dell’antica arte de’greci e romani pittori (1784) nachlesen kann. Neugebauer 2016, S. 89–90. 275 Neugebauer 2016, S. 89.

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Nach diesen maltechnischen Probearbeiten lehnt der Künstler die Enkaustik (Wachsmalerei) als unzweckmäßig ab, während er seine Erkenntnisse zur wasserverdünnbaren Maltechnik in sein Œuvre mit aufnimmt.276 Eines der bekannteren Werke aus dieser Zeit ist die erste Version der Villa am Meer (Sammlung Schack, München, Inv.-Nr. 11528) von 1864, die Böcklin „mit Weihrauch und Sandorg gemalt [hat], die mit Wasser vermischt mit der Farbe vertrieben wurden. Dann tränkte er die Fläche mit geschmolzenen Wachs.“277 Der immense Vorteil dieser antiken Technik, die Böcklin als „Tempera“278 bezeichnet, zeigt sich dabei im direkten Vergleich mit der zweiten Version des Bildes, die er ein Jahr später mit Ölfarben malt. Anders als die Ölfarben-Variante aus dem Jahre 1865 (Sammlung Schack, München, Inv.-Nr. 11538), die mit Lasuren streng durchmodelliert worden ist, besticht die Temperaversion vor allem durch das „dekorative Gestaltungsprinzip“ in Anlehnung an die pompejischen Wandgemälde. In der Verbindung von schnellem wie großflächigem Pinselauftrag und dunkler Farbgebung spiegelt Böcklin einen melancholischen „Seelenzustand“ wider. Diese essenzielle Verknüpfung zwischen Maltechnik und Bildausdruck legt bereits Böcklins Schüler Rudolf Schick (1840–1887) pointiert dar, indem er formuliert: „Wenn nicht ausschließlich, so war es doch vorwiegend die Seelenwirkung, die ­Böcklin zur Tempera[malerei] führte. Nicht an Kraft nämlich, wie man so häufig selbst in Künstlerkreisen hört, ist die Tempera[malerei] der Öltechnik überlegen […], sondern der Hauptunterschied der beiden Techniken liegt im Charakter der Farben. Die Öl­farbe hat, wenigstens bei Böcklin, eher etwas Scharfes Herbes; die Tempera[farbe] etwas ­Weiches, Tiefes, Sehnsüchtiges.“279

Die Re-Inszenierung der antiken Maltechnik ermöglicht Böcklin demnach eine Wirksteigerung seiner Werke und wird dementsprechend zu einem wesentlichen Gestaltungselement seiner Arbeiten. Während seines zweiten Italienaufenthaltes wird Böcklin auch erstmalig mit farbig gestalteten Skulpturen aus der Antike konfrontiert. Dies geschieht eindringlich 1863, als er bei Ausgrabungsarbeiten in Primaporta anwesend ist und die Augustusstatue in ihrer „ganzen […] Farbenpracht […] sah“.280 Seitdem steht für den Maler fest, dass Rundplastiken wie auch Reliefs in der Antike farbig gefasst waren, wobei er eine ästhetische Wechselwirkung zwischen Malerei und Bildhauerei annimmt, weil „Farbe […] da [ist], um die Fläche aufzuheben, um Raum zu schaffen, vor- und rücktreten zu lassen […] [und

276 Neugebauer 2016, S. 91. 277 Ostini 1909, S. 50. 278 Neubauer 2016, S. 209. 279 Neubauer 2016, S. 86. 280 Floerke 1902, S. 133.

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sie da spricht], wo die Form nicht mehr sprechen kann“.281 Demzufolge darf weder Farbe auf Skulpturen um ihrer selbst willen angewendet werden noch die Form dem Kolorit zu wenig Platz einräumen. Zur Veranschaulichung seiner Idee über die antike Symbiose von Malerei und Skulptur beginnt Böcklin damit, eigene polychrome Skulpturen zu schaffen. Gustav Floerke (1846–1898) erläutert dementsprechend in seinem Buch Zehn Jahre mit Böcklin. Aufzeichnungen und Entwürfe: „Was für eine Natur, wie die Böcklins, den Reiz (an jenen Entdeckungen) erhöhen musste, das zuerst der Versuch das am Augustus Gesehene selbst zu machen […] – aus dem man ein Original schuf, direkt aus den Händen der Bildhauers hervorgegangen, eine Schöpfung, bei welcher der Bildhauer Böcklin bei der Arbeit stets den Maler Böcklin im Auge hatte, und ersterer nichts machte, was letzterer besser auszudrücken vermochte oder tot gemacht hätte. Also von vornherein keine zu bemalte Statue, sondern eine vom Maler und Bildhauer in einer Person für die farbige Entscheidung und ihrer Hilfsmittel dazu erfundene, gedachte Figur.“282

Neben autonomen Versuchen geht Böcklin auch eine Kooperation mit dem Bildhauer Peter Bruckmann (1850–1925) ein. Fritz von Ostini schreibt diesbezüglich: „In den Züricher Jahren hat sich Böcklin wiederholt plastischen Bestrebungen zugewendet und allerhand Schönes und Merkwürdiges zusammen mit seinem talentvollen Schwiegersohn Peter Bruckmann ausgeführt. ‚Die Brunnenherme mit dem Froschkönig‘ ist wohl die merkwürdigste von diesen Früchten gemeinsamer Arbeit. Böcklin interessierte sich lebhaft für das Werk, das er selbst bemalte. […] Auch ein paar Reliefs, von Böcklin bemalt, von dessen Schwiegersohn modelliert, existieren und eine auf gleichem Wege entstandene Büste von des Künstlers Gemahlin. Arnold Böcklin war […] ein leidenschaftlicher Verfechter der Polychromie in der Bildhauerkunst, worin ihn sein Studium der Alten nur bestärken konnte. ‚Die alten Griechen mit ihrem ausgesprochen feinen Farbengefühl hätten sich bedankt für solch weiße Gipsgespenster! Das ist nur so eine Idee der Herren Kunstgelehrten. Die alten Statuen waren alle mehr oder weniger polychrom!‘ sagte er.“283

Böcklins eigene Äußerung zur antiken Fassmalerei belegt dabei seine analogen Anschauungen zu Sempers Idee einer totalen Polychromie, wobei er in seiner Polemik gleichfalls die „Herren Kunstgelehrten“ als Dogmatiker der „Gipsgespenster“ brandmarkt. Um denen entgegenzuwirken, beginnt Böcklin eigene Plastiken zu bemalen und so den ursprünglichen Effekt der antiken Skulpturen zu re-inszenieren.

281 Floerke 1902, S. 134. 282 Floerke 1902, S. 134–135. 283 Ostini 1909, S. 118.

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Die meisten seiner farbig gefassten Plastiken überdauern die Jahrhunderte jedoch nicht, sodass der gestalterische Effekt dieser Werke nur schwer nachzuvollziehen ist. Der bemalte Gorgonenschild (um 1887, DLG_NE_016, Museum Wiesbaden und 1894, zweite Version, Accession Number: 1978.514, Museum of Fine Arts Boston) bildet hierbei eine wichtige Ausnahme, da er sehr eindrucksvoll die schöpferische Nähe zu Böcklins Medusenhaupt (Ölgemälde auf Holz, um 1878) aus dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg (Inv.-Nr. Gm2096) belegt. Dies lässt die Hypothese zu, dass auch seine anderen bemalten Plastiken ähnlich intensiv in ihrer Farbgestaltung gewesen sind wie seine Gemälde. Eine solch eindringliche Farbgebung kann daher ebenfalls für eines seiner letzten bildhauerischen Werke angenommen werden. Auch hier gilt das Original Madonna mit Kind (1888) als verschollen, jedoch wird die ästhetische Farbwirkung des Rundreliefs explizit in Gustav Floerkes Publikation beschrieben. Dabei erläutert er: „Man sieht daran also eine Meinung über Polychromie ausgesprochen, von einem Manne, der interessieren dürfte, und die ich verbreiten sehen möchte, da ich der Sache eine Zukunft wünsche. Wir hatten im Atelier (München) zwei Exemplare, eines bemalt, eines unbemalt. Das bemalte vor mir in seinem milden Glanz, seiner weichen Deutlichkeit, soll dasselbe sein, wie das kalte, fast unsichtbare und durch das Licht ganz ungewollt und falsch wirkende Gipsrelief. Gips und nichts das eine. Weich und still das andere – ganz vom Standpunkt unabhängig. […] Die Haare, Augenbrauen, Lippen zunächst mal – um keine kalten stumpfen Töne zu haben – mit Gold resp. Silber unterlegt. Mit dem kalten Glanz hört das Leben, die Teilnahme daran auf. Wärme! Die hohen Lichter hat man mit Wachs in Terpentin abgedämpft. Wenn nun gar noch der Reiz des Marmors und der Marmorarbeit hinzukommt! Diesen farbigen Gegenstand kann man in fast jedes Licht hängen.“284

Nach Floerkes Schilderung hat demnach eine bemalte Skulptur gegenüber der monochrom weißen Variante zwei wesentliche Vorteile zu bieten: Zum einen strahlt sie Wärme im Sinne von Lebendigkeit aus und zum anderen ist die Plastik vom Licht unabhängig. Solch positive Aussagen zur Farbgestaltung von Skulpturen bleiben jedoch trotz andauernder Polychromiedebatte im kunsthistorischen Diskurs des Fin de Siècle eine Seltenheit. Zahlreicher sind hingegen kritische Äußerungen zu lesen, wie beispielsweise diejenigen von Alexander Heilmeyer (1872–1940) in seiner Publikation Die Plastik seit Beginn des 19. Jahrhunderts aus dem Jahre 1903, wonach „das charakterliche und allein wesentliche Ausdrucksmittel der Plastik die Form, nicht die Farbe ist“.285 Selbst Belege

284 Floerke 1902, S. 148. 285 Heilmeyer 1907, S. 27.

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für eine totale Polychromie in der Antike haben dabei keinen nachhaltigen Effekt auf den zeitgenössischen Kunstgeschmack. Entsprechend schreibt Heilmeyer weiter: „Der gleichmäßig strahlende Himmel Griechenlands ermöglichte, ja forderte eine starke und frohe dekorative Färbung der gewaltigen Götterbilder, mit denen die Tempel und ihre Höfe geschmückt waren. […] diese Dinge stehen als stilistische Kunstmittel auf einer Stufe mit ähnlichen Erscheinungen, die wir noch heute in der orientalischen Kunst vorfinden. Sie haben ihre Berechtigung in der Umgebung, wie z. B. dem Hintergrunde eines tiefblauen Himmels oder eines Bauwerks mit bestimmter Steinfärbung oder der Nachbarschaft von Bäumen oder Gemälden. Darüber hinaus kann ihnen eine Berechtigung nicht zuerkannt werden.“286

Demnach lehnt der Kunsthistoriker einen ästhetischen Einsatz von Farbe für zeitgenössische Skulpturen in Deutschland kategorisch ab. Alsdann wird ersichtlich, dass bei diesem Thema eine klare Abspaltung vom Vorbild des griechischen Genius vollzogen wird. Seine Vorbehalte beschreibt er weiterführend in seiner Publikation: „Den zweiten, naturalistischen Weg einzuschlagen war dem naturwissenschaftlichen Fanatismus unserer Tage vorbehalten. Diese Methode übersieht, daß sie im günstigsten Falle nämlich bei guter, natürlicher Beleuchtung einen dem Begriff des Kunstwerks geradezu entgegengesetzten, an das Panoptikum gemahnenden Wirklichkeitseindruck erzielt, in anderen Fällen aber ohne positiven Gewinn lediglich die vorteilhaften Wirkungen des reinen Materials preisgibt. […] Freilich für Leute, denen trotz alledem gerade eine solche Verwechslung als Kunstideal erscheint, ist damit wenig bewiesen. Allein solchen ist eben nur der Rat entgegenzuhalten, sie möchten statt die Gewandung ihrer Statuen zu bemalen, den Schneider kommen lassen.“287

Heilmeyers Argument vom Wachsfiguren-Effekt farbig gestalteter Skulpturen ist dabei allgemeiner Konsens der Polychromiegegner,288 welche der Kontur eine hohe Kunstfertigkeit zugestehen, dabei aber die malerische Gestaltung von Plastiken als „Nachäffen der Natur“289 abtun und als Ausdruck schlechten Geschmacks verspotten. Solch drastische Polychromiegegner, wie beispielsweise Heilmeyer, sind dabei überwiegend Kunstwissenschaftler, wie Karina Türr in ihrer Publikation Farbe und Naturalismus in der Skulptur des 19. und 20. Jahrhunderts aus dem Jahre 1994 aufzeigt. Sie schreibt diesbezüglich:

286 Heilmeyer 1907, S. 28–29. 287 Heilmeyer 1907, S. 29. 288 In ihrem Kapitel Die Diskussion um die Polychromie im 19. Jahrhundert führt Türr jene Polychromiegegner explizit auf. Türr 1994, S. 95–124. 289 Türr 1994, S. 141.

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„Daß dieses Urteil keineswegs mit den Wechselfällen einer bloßen Geschmacksgeschichte zusammenhängt, scheint nicht nur durch seine lange Tradition, sondern vor allem dadurch bewiesen, daß es gerade nicht die Liebhaber und Laien sind, die die farbige Skulptur ablehnen – im Gegenteil, […] ein großer Teil der polychromen Skulpturen des 19. Jahrhunderts gelangte und befindet sich im Privatbesitz. Es sind vielmehr die geschulten Fachleute und Philosophen, die heute wie damals das Denken über Kunst dem ‚interesselosen Wohlgefallen‘ voranstellen, die einst ‚die Antike abdankten, um das Ideal zu retten‘ (Th. Alt) […].“290

Hierin liegt auch eine Begründung dafür, warum farbig gefasste Skulpturen sogar in der kunsthistorischen Forschung des 20. Jahrhunderts kaum Beachtung finden. Türr stellt dabei fest, dass „[d]er eigentliche Grund für dieses Desinteresse […] wohl vielmehr in der Entstehungsgeschichte unserer Wissenschaft selbst [liegt], die sich gerade zu dem Zeitpunkt als Wissenschaft zu etablieren begann, als mit einer Neuformulierung idealistischer Gedanken im Klassizismus die Nachahmung der Natur als Ziel der Kunst – und damit die ‚gefärbte Bildsäule‘ (Herder) – so deutlich wie nie zuvor verdammt wurde“.291 Georg Treus Sollen wir unsere Statuen bemalen? (1884)

Dem negativen Image polychromer Skulpturen versucht Georg Treu (1857–1919) im Jahre 1885 mit seiner Berliner Ausstellung farbiger und getönter Bildwerke entgegenzutreten. Der Archäologe plant hierfür eine Kunstschau, in der „Rekonstruktionen antiker Artefakte neben farbig gestalteten Werken moderner Künstler“292 präsentiert werden. Daraus entwickelt sich ein epochenübergreifendes Gesamtbild,293 das rund 300 polychrome Plastiken von den alten Ägyptern bis hin zur Gegenwart umfasst. Mit seinen bemalten Skulpturen will auch Böcklin an der Kunstschau teilnehmen, doch wird sein Froschkönig (Foto-Farbrekonstruktion, Abb. 23) „auf Wunsch der Kaiserin […] von der Ausstellung weg in den Keller gebracht […]“.294 Dies belegt eindrücklich, dass selbst farbig gefasste Skulpturen eines solch berühmten Künstlers wie Böcklin schlichtweg abgelehnt wurden. Dieser ausgeprägten Missbilligung will Treu daher nicht nur mit der Ausstellung entgegenwirken, sondern vor allem auch mit seiner Publikation Sollen wir unsere Statuen bemalen? (1884), in der er neben einem Plädoyer für farbig gefasste Plastiken der Gegenwart auch den archäologischen Wissensstand polychromer Skulpturen

290 Türr 1994, S. 11. 291 Türr 1994, S. 7. Diese starke Ablehnung der polychromen Skulpturen im 19. Jahrhundert führt dazu, dass selbst nach einer neuen Popularisierung farbig gestalteter Plastiken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Vorläufer keine historische Wertschätzung erfahren. Türr 1994, S. 13–14. Dies gilt gleichermaßen auch für Plastiken, die sich über einen künstlerischen Weg mit der antiken Fassmalerei auseinandersetzten. Wünsche 2003, S. 15. 292 Klamm 2012, S. 96. 293 Ostini 1909, S. 118. 294 Ostini 1909, S. 118.

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23 Foto-Farbrekonstruktion von Arnold Böcklins Froschkönig, © K. Mann296

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24 Foto-Farbrekonstruktion von Robert Diez’ ­Rumänierin, © K. Mann297

aus der Antike zusammenfasst.295 Anhand zahlreicher antiker Werke, deren Farbspuren bei ihrer Entdeckung noch deutlich sichtbar sind, versucht Treu auf diese Weise, eine künstlerische Genealogie polychromer Statuen darzulegen. Dabei hebt er vor allem „ein Duzend Marmorstatuen mit Resten früherer Bemalung“298 aus Pompeji hervor, die erst 1873 entdeckt worden sind. Der Archäologe führt dabei aus, dass auch Skulpturen des olympischen Zeustempels sowie Figuren am Mausoleum in Halikarnassos deutliche Spuren antiker Bemalung aufweisen würden.299 Vor 295 Zu diesem Zweck werden in Kooperation mit Künstlern Farbrekonstruktionen angefertigt, die viel Aufmerksamkeit erregt haben, aber auch sehr umstritten gewesen sind. „Treu verstand sich dabei als Wissenschaftler und Künstler, was zu einer fruchtbaren Wechselwirkung zwischen Archäologie und der zeitgenössischen Kunst führte“, wie Hans-Peter Müller erläutert. Müller 2021, S. 97. 296 Die Foto-Farbrekonstruktion (Abb. 23) der Abb. 103 aus Fritz von Ostinis Künstlerbiografie Böcklin, die die Brunnenherme mit dem Froschkönig zeigt, wurde mit Photoshop (Adobe) koloriert. 297 Die Foto-Farbrekonstruktion (Abb. 24) der WV-Nr. 083 aus Ernst-Günter Knüppels Publikation Robert Diez. Bildhauer zwischen Romantik und Jugendstil zeigt die Büste Rumänierin (ca. 1884, Katalognr. 253), die Diez neben fünf weiteren polychromen Werken (Knüppel 2009, S. 50) auf der Ausstellung farbiger und getönter Bildwerke von 1885 präsentierte. Auch hier erfolgte die Farbrekonstruktion per Photoshop. 298 Treu 1884, S. 12. 299 Treu 1884, S. 13–14.

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allem am Grabmal sind „nicht nur das Ultramarinblau des Grundes und die bunten Farben von Gewändern und Waffen, sondern auch der braunrote Ton des Nackten an den männlichen Körpern deutlich [zu] erkennen“300 gewesen. Des Weiteren führt er an: „Zu diesen noch wirklich erhaltenen Farbspuren an den nackten Teilen der Bildwerke kommt nun als einer der stärksten Beweise für eine vollständige Bemalung auch des nackten der Umstand hinzu, daß die pompejischen Gemälde, wo sie Marmorstatuen darstellen, dieselben stets in vollem farbigen Schmucke, mit naturnaher Carnation auch in den nackten Teilen wiedergeben.“301

Die Farbwirkung der polychromen Skulpturen lässt sich dabei auch an antiken Terrakotten ablesen, so Treu, wie beispielsweise an Tanagra-Figuren, die „im Kleinen ganz so aussehen sollten, wie die Marmorstatuen im Großen“.302 Ferner schreibt er: „Ich sehe daher durchaus nicht, was der Annahme entgegenstehen sollte, daß z. B. der Hermes von Olympia und die Venus von Milo, als sie noch in ihrem vollen Farbenschmucke prangten, im Großen wesentlich so ausgesehen haben, wie eine tanagräische oder kleinasiatische Terracotte im Kleinen.“303

Für den Archäologen steht damit fest, dass antike Skulpturen intensiv vielfarbig gewesen sind, wobei archaische Werke „grellbunte Farbreste“304 aufweisen, während „[i]n der Blütezeit der griechischen Kunst […] sich die plastische Farbgebung sodann zu lichterer Gesamtwirkung und zarterer Harmonie [mildert]“.305 Zur künstlerischen Vermittlung der ästhetischen Farbwirkung antiker Skulpturen beauftragt Treu den Bildhauer Robert Diez (1844–1922) mit einer „farbigen Wiederherstellung“306 einiger Plastiken aus der Dresdner Abgusssammlung. Dem Archäologen ist dabei bewusst, „[d]aß ein solcher Versuch […] den einen eine Thorheit und den anderen ein Aergerniß sein werde […]. Aber das Abenteuer, so gefährlich es ist, muß einmal gewagt werden, wenn unsere Vorstellungen von antiker Polychromie nicht anschauungsleeres theoretisches Erbe bleiben sollen.“307

Hierbei ist vor allem die Farbrekonstruktion eines Aphrodite-Kopfs (1883, Inv. ASN 4733, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Skulpturensammlung) hervorzuheben, den Diez 300 Treu 1884, S. 23. 301 Treu 1884, S. 23. 302 Treu 1884, S. 32. 303 Treu 1884, S. 32. 304 Treu 1884, S. 14. 305 Treu 1884, S. 14. 306 Treu 1884, S. 33. 307 Treu 1884, S. 33.

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mit rotbraunem Haar und Brauen, blauen Augen wie roten Lippen malerisch ergänzt und dabei auch die Hautpartie farbig fasst, sowie die Wangen rötlich betont. An dieser farbigen Fassung ist dabei Diez’ Wahl der braunen Haarfarbe von besonderem Interesse, da sie der gängigen Vorstellung einer blonden Venus entgegenzustehen scheint. Die brünette Variante spiegelt hingegen die bevorzugte Haarfarbenversion antiker Frauendarstellungen wider,308 sodass anzunehmen ist, dass Diez hier nicht nur die Farbrekonstruktion einer Aphrodite anfertigt, sondern auch den allgemeinen Zeitgeschmack der Antike darstellen will. Diese Hypothese wird von Treus Auslegungen zu Diez’ Rekonstruktionsmaßnahmen untermauert, in denen der Archäologe anführt, dass der Bildhauer sich bei seiner Farbgestaltung an antiken Terrakottafiguren orientiert hat, deren Polychromie noch deutlich zu erkennen gewesen ist. Treu erläutert darüber hinaus, dass vor allem die Bemalung der Haare problematisch gewesen sei, da ein gleichmäßiger Farbauftrag „zu sehr als compacte Masse“309 gewirkt habe. Um dies zu vermeiden, hat sich Diez bei der Farbgebung an einem weiblichen Marmorkopf aus der Dresdner Antikensammlung orientiert, an dem „[…] sich nämlich nicht nur die gelbe Untermalung des Haares erhalten [hat], sondern auch die Detailzeichnung der einzelnen Strähnen, welche in derben dunkelbraunen Parallelstrichen dem Wuchs und der Lage aller Haarpartien folgt, ihre plastische Modellierung halb verstärkend, halb vervielfältigend. Die Strichlagen setzen überdies an der Stirn sehr dünn an, wie eine Reihe feiner Haarwurzel, so daß der Rand des Haares dadurch etwas Durchsichtiges bekommt, ganz wie in der Natur. Auf diese Weise ist der Uebergang von der Gesichtshaut auf das zarteste vermittelt, und einige gemalte Locken an den Schläfen und Nacken helfen noch weiter mit. Auch die in brauner Farbe ausgeführte Zeichnung von Iris und Pupille, Augenlidern und Wimpern hat sich an jenem Marmorkopfe erhalten.“310

Ergänzend erläutert Treu weiter: „Der Dresdner Kopf weist ferner auch noch auf seinen nackten Teilen hier und da einen ockergelben Ton auf, den ich für einen Rest des ursprünglichen Farbenüberzugs dieser Partin halte, und zwar um so mehr, als er deutlich unter der braunen Zeichnung einzelner in das Gesicht hineinreichender Locken sitzt.

308 Blume 2015, S. 59. 309 Treu 1884, S. 35. 310 Treu 1884, S. 35.

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Leider sind die Spuren so gering, daß sie eine chemische Bestimmung nicht zuließen. Im Uebrigen aber ist der enkaustische Ueberzug sowohl an Gesicht wie an Haaren so gut erhalten, daß die Analyse […] nicht nur reichliches Bienenwachs, sondern auch Anwendung einer Eisenfarbe in der Schraffierung des Haars erkennen ließ.“311

Der Archäologe vermittelt mit dieser detaillierten Beschreibung damit eindrücklich die Charakteristika der antiken Fassmalerei, die offenbar dazu dient, den naturnachahmenden Effekt der Kontur durch Farbe hervorzuheben. Diese farbige Annäherung an die Natur hat jedoch keinen „panopticiösen Charakter“312, wie zeitgenössische Polychromiegegner behaupten, sondern zeigt vielmehr sehr differenziert natürliche Strukturen, wie beispielsweise Mehrfarbigkeit von Haaren und Darstellung von Haarwurzeln am Kopfansatz. Des Weiteren schreibt Treu: „Die Schöpfungen dieser Meister [Phidias und Praxiteles] werden auch zum Beweis dafür ausreichen, daß nicht jede bunte Statue nach der Schaubude auszusehen brauche. Wenn wir den Erinnerungen an die letztere so besonders zugänglich sind, so beruht das lediglich auf dem Zufall, daß zu unserer Zeit eine handwerkliche Production die Farbe für Wachs­ puppen zu widerwärtigen Schaustellungen zu mißbrauchen pflegt. Und diese werden doch hoffentlich nicht mehr gegen eine künstlerische Verwendung der Farbe bei plastischen Werken beweisen sollen, als ein beliebiges Wirtshauschild gegen die Oelmalerei.“313

Die drastische Rhetorik, derer sich Treu hier bedient, belegt deutlich, wie wichtig es dem Archäologen ist, den Vorwurf des Wachsfiguren-Effekts endgültig auszumerzen, da für ihn der künstlerische Wert dieser bemalten Plastiken mit Ölgemälden gleichzusetzen ist. Die künstlerische Tradition der polychromen Skulpturen, so Treu weiter, ist „hierin den Griechen nicht nur Römer und Byzantiner, sondern auch das ganze Mittelalter gefolgt […], und […] [wurde] erst durch die Antikenfunde der Renaissanceepoche, an denen die Farbe natürlich im Laufe der Zeit verschwunden war, die Farblosigkeit zur plastischen Sitte zunächst der Marmorskulptur erhoben“.314 Wie bereits Semper verordnet demnach auch Treu den Verlust von Farbe, der nach seiner Ansicht ein „archäologisches Mißverständnis“315 darstellt, in der Bildhauerkunst zur Zeit der Renaissance. Winckelmanns Untersuchungen, so Treu daran anknüpfend, machen dabei „die Marmorweiße der Antike noch ein zweites Mal zum Evangelium der Kunst“316, was weitreichende Folgen hat. Er schreibt weiter:

311 Treu 1884, S. 36. 312 Treu 1884, S. 10. 313 Treu 1884, S. 10. 314 Treu 1884, S. 10. 315 Treu 1884, S. 5. 316 Treu 1884, S. 19.

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„Viel schlimmer aber ist, daß die von Jugend auf eingewurzelte Gewöhnung an weiße Statuen und das allgemeine Vorurteil, daß diese gar nicht anders sein dürfen, uns die Empfindung dafür vollkommen abgestumpft hat, wie doch aus ihnen in ihrer pseudoantiken Weiße eigentlich eine ganz fremdartige Kunstauffassung spricht; eine Art die Natur zu sehen, welche sich im grellen Widerstreit befindet mit dem gesunden Wirklichkeitssinne unserer gesamten sonstigen Kunstübung. Wie diese bleichen Abstractionen vom Leben und Wirklichkeit sich im letzten Grunde lediglich aus dem alten, theoretischen hundertmal widerlegen, aber praktisch, wie es scheint, unausrottbaren Aberglauben an den farblosen Marmor der Antike erklären, den nur eine Jahrhunderte alte Gewöhnung für uns mit dem täuschenden Nimbus der Denknotwendigkeit umgeben hat. Man sage nicht, daß dieser Irrtum ein unschädlicher gewesen sei. In unserer Zeit wenigstens ist er der Entwicklung der Plastik geradezu verhängnisvoll geworden. Er hat diese Kunst nicht vielfach genötigt, eine dem Volk fremde oder doch nur halb verständliche Sprache zu sprechen, sondern auch ganze Kreise des modernen Lebens fast das ganze Gebiet realistischer Naturauffassung, derselben verschlossen.“317

Dieses einprägsame Zitat macht deutlich, dass Treu nicht nur darum besorgt ist, dass dem Verlust von Farbe auf Skulpturen ein historisches Missverständnis der Antike folgt, sondern dass vielmehr der Bildhauerkunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein enormer Schaden entsteht, da durch die Polychromiegegner moderne Künstler in ihrem ästhetischen Ausdruck eingeschränkt werden. Seine Sorgen untermauert er am Beispiel von Diez’ männlicher Porträtbüste, die 1883 ausgestellt worden ist. Treu berichtet: „Vor dieser Büste war es, wo die Geister am heftigsten aufeinanderplatzen, wo es von allen Seiten Schlagworte hagelte, von der reinen Form, welche die Plastik zu wahren habe, von dem leichenhafte Abschreckenden bemalter Skulpturen, von der drohenden Verrohung der Kunst, von dem Panopticum als Konsequenz eines solchen Verfahrens und dergl. mehr. In Summa, die Ablehnung war eine fast allgemeine; man hat den Diez’schen Versuch nicht genug verdammen können und auch in der Presse hat sich meines Wissens keine einzige Stimme für denselben erhoben. Wenn ich es dennoch wage, voll für den Künstler einzutreten und zu behaupten, daß seiner Weise die Zukunft gehöre, so werden mir billig gesinnte von vornherein wenigstens so viel zuzugeben geneigt sein, daß zu einem gerechten Urteil vor Allem längere Gewöhnung und wiederholtes Anschauen erforderlich sei. Ein solches vermag, wie ich z. B. von mir selbst bezeugen kann, unter Umständen dahin zu führen, daß Einem neben der farbig ausgestatteten Büste umgekehrt der weiße Gypsabguß unfertig und unerfreulich erscheint. […]

317 Treu 1884, S. 7–8.

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Gibt man also überhaupt einmal die Anwendung von Farbe in der Skulptur zu, so wird doch wohl eins der natürlichsten und einleuchtendsten Gesetze plastischer Polychromie eben in der Gleichartigkeit von Form und Farbe bestehen.“318

Der Archäologe suggeriert damit, dass der Kunstgeschmack des zeitgenössischen Betrachters so weit umerzogen werden könne, dass für den Rezipienten der ästhetische Wert polychromer Skulpturen sowohl für die Antike als auch für die Neuzeit evident wird. Dementsprechend hoffnungsvoll fragt er gegen Ende seiner Publikation: „Man denke sich einmal unsere Tage hätten die Kunst der Plastik neu zu erfinden: würden wir von selbst auf eine so blasse Abstraction der Natur und leben als ausschließliches Gesetz für eine lebendige und reiche Kunst geraten, die doch eben das Leben nachahmen soll? Auch dort geraten, wo keine Rücksicht auf ein besonders kostbares Material oder monumentale Dauer empfiehlt, dies in seinem Eigenton allein wirken zu lassen? Alle wirklich naiven Kunstepochen haben eine solche Schranke nicht gekannt und wir sollten uns, nachdem uns dies bewußt geworden, dennoch freiwillig einer solchen Regel unterwerfen, bloß um ein Jahrhunderte altes Vorurteil noch ein Jahrhundert weiter zu schleppen?“319

Diese Fragen scheinen, angesichts einer über 130 Jahre weiter andauernden Propagierung der weißen Antike, fast prophetisch. In der Folge zweier Weltkriege geraten die Erkenntnisse über polychrome Plastiken in Vergessenheit und Hollywood-Blockbuster wie Quo Vadis? (1951), Ben Hur (1959) oder Spartacus (1960) prägen anschließend das monochrome Bild der Antike so effektvoll, dass die ursprüngliche Vielfarbigkeit erneut als barbarisch abgetan wird. Doch in dieser kurzen Zeit nach der Veröffentlichung seiner Publikation bis zum Ersten Weltkrieg fruchten Treus Bemühungen, sodass beispielsweise Wilhelm Radenberg (1877–1933) in seiner Publikation Moderne Plastik aus dem Jahr 1912 formuliert: „Wer wie diese Künstler von der wohlgeordneten Form ausgeht, und diese Form nach dem geringen Grad seiner Kräfte nur notdürftig mit Leben füllt, kann freilich nichts Lebendiges erzeugen. Ein echter Künstler wird dagegen den umgekehrten Weg machen und ein frisch geschautes Stück Natur, oder das in ihm waltende starke Lebensgefühl in die Gesetze der Form bannen. Dabei ist es ihm auch nicht versagt, sich des Kunstmittels der Farbe zu bedienen. Von den Zeiten der Assyrer und Ägypter bis in die Renaissance hinein ist ein großer Teil der Plastik stets farbig gewesen. Michelangelo, dessen mit einer unheimlichen Gewalt

318 Treu 1884, S. 37. 319 Treu 1884, S. 39.

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gestaltete Werke die Farbe allerdings nicht ertragen mochten, hat dann das allenthalben befolgte Beispiel farbloser Plastik gegeben. Erst in unserer Zeit gelang die Befreiung von der Zwangsvorstellung, Plastik dürfe nicht farbig sein.“320

Radenberg sieht demnach die zeitgenössische Plastik in der direkten Erbfolge der Antike sowie des Mittelalters und kontrastiert dies mit der „Zwangsvorstellung“ einer farblosen Bildhauerkunst seit Michelangelo, dessen Werke viel zu kraftvoll gewesen sind, um Farbe „ertragen“ zu können. Der Autor kehrt folglich Winckelmanns Argument von Michelangelos idealen Konturen um und behauptet, dass sich die bildhauerischen Formen des Renaissancekünstlers nicht für eine farbige Gestaltung eignen. Radenbergs Aussage dokumentiert damit eindrucksvoll die ästhetische Transgression von Winckelmanns Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst aus dem Jahre 1756 zu Treus Publikation Sollen wir unsere Statuen bemalen? rund 130 Jahre später. Diese enorme Veränderung der zeitgenössischen Wahrnehmung wird dabei nicht allein durch die andauernde Polychromiedebatte angeregt, sondern vor allem auch durch die ersten Re-Inszenierungsmaßnahmen antiker Malerei auf Skulpturen, die diese Idee künstlerisch vermitteln. Re-Inszenierung antiker Fassmalerei im 19. Jahrhundert

Bereits in den 1850er Jahren erfolgen ästhetische Re-Inszenierungsversuche bemalter Plastiken. Als erste vollständig farbig gefasste Marmorskulptur des 19. Jahrhunderts gilt dabei John Gibsons (1790–1866) Tinted Venus (Walker Art Gallery, Liverpool, WAG7808) (Abb. 25),321 die er 1856 fertigstellt.322 Der Bildhauer verleiht seiner Figur mit den farbig gefassten Augen, Lippen und Haaren einen mimetischen Ausdruck, der durch das natürliche Inkarnat unterstützt wird. Zum Abschluss versiegelt er die Plastik nach antikem Vorbild mit einem Wachsfirnis.323 Gibson folgt darüber hinaus bei der malerischen Ausarbeitung der Attribute, wie Apfel und Schildröte, sowie der Musterung des Stoffsaumes „dem von der Archäologie soeben hypothetisch rekonstruierten Bild der farbigen antiken Statue“324. Weitere polychrome Plastiken des Künstlers, wie Pandora und Cupid, entitled love tormenting the soul, entstehen in den darauffolgenden Jahren. Sie werden zusammen mit der Tinted Venus auf der Londoner Weltausstellung (1862) in einem von Owen Jones (1809–1874) entworfenen griechischen Tempel 320 Radenberg 1912, S. VI. 321 John Gibson war sowohl Schüler Antonio Canovas (1757–1822) wie auch Bertel Thorvaldsens, sodass anzunehmen ist, dass er über den zuletzt genannten von Hittorffs Idee über die „Verschmelzung der Bildhauerei mit der Malerei“ (Westfehling 1987, S. 40) in Kenntnis gesetzt wurde und diese später in seinen Skulpturen umsetzte. 322 Wünsche 2003, S. 13. 323 Türr 1994, S. 18. 324 Türr 1994, S. 19.

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25 Foto-Farbrekonstruktion von John Gibsons Tinted Venus, © K. Mann

26 Foto-Farbrekonstruktion von Artur Volkmanns Psyche, © K. Mann

präsentiert;325 alle gemeinsam ergeben in einem Gefüge dreier Kunstgattungen ein antikes Gesamtkunstwerk. Die Kritiken sind vernichtend. Die Statuen werden „mit rosigen Porzellanfiguren für das bürgerliche Interieur und deren dezenter Schamlosigkeit verglichen, ohne daß Gibsons Versuch, sich auf neue Weise der antiken Skulptur zu nähern, gewürdigt worden wäre“.326 Die Farben dieser 1862 als skandalös empfundenen Tinted Venus sind heute verblasst, sodass das ursprüngliche Kolorit nur noch erahnt werden kann.327 Rund 160 325 https://www.royalcollection.org.uk/collection/2022/the-tinted-venus (31.08.2017). Gegenüber wird die weiße Plastik Zenobia von Gibsons Schülerin Harriet Hosmer (1830–1908) ausgestellt, sodass beide Varianten polychrom und monochrom vergleichend präsentiert werden. Frasca-Rath 2016, S. 16. 326 Türr 1994, S. 20. 327 Lothar Bucher, der die Tinted Venus auf der Weltausstellung gesehen hatte, beschrieb den malerischen Ausdruck dabei wie folgt: „Die Göttin, in Lebensgröße, hält betrachtend den ihr eben zuerkannten Apfel in der rechten Hand, während das Gewand noch über dem linken Arme hängt. Das Fleisch hat eine matte Färbung, die anfangs gelblich erscheint, unter dem längeren Anschauen aber, das sie verdient, sich zu dem Kolorit einer gesunden Haut erwärmt; die Augäpfel sind braun, das Haar hellblond, Stirnband, Armband und Apfel vergoldet und der Saum des weißen Gewandes leicht gefärbt. […] Vor diesem Bilde begreift man das Gebet des griechischen Bildhauers, dass die Götter sein Werk beleben möchten […].“ Bucher 1863, S. 28.

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Jahre nach der Fertigstellung der bemalten Figur sind die blonden Haare sowie die Musterung des Saums nur noch geringfügig erkennbar, während andere Kolorit-Partien der Skulptur fast vollkommen verschwunden sind. Vor allem die Hautfarbe ist kaum noch wahrnehmbar. Heute wird der Betrachter infolgedessen mit einem verblassten Widerhall der einstigen Farbigkeit konfrontiert, der den ursprünglichen Eindruck der polychromen Plastik stark verzerrt. Die Skulptur belegt damit sehr nachhaltig, wie schnell, aber auch unterschiedlich stark der Verfall von Pigmenten voranschreitet.328 Das Auflösen der Farbschichten lässt sich auch an Plastiken des Fin de Siècle beobachten, wie beispielsweise an Artur Volkmanns (1851–1941) Werken (Abb. 26), die zu den letzten lebensgroßen und bemalten Skulpturen jener Epoche zählen. Partiell ist etwa die Farbfassung seiner Weiblichen Figur (1904, Kunsthalle Bremen, Inv.-Nr. 143-1906/5) aus der Kunsthalle Bremen noch sichtbar, doch sehr stark verblasst, sodass der ursprünglich naturnachahmende Farbeffekt der Figur heute kaum mehr auszumachen ist. Dieser ist jedoch für das ästhetische Konzept der Plastik essenziell gewesen, da Volkmann, Sempers Idee eines Gesamtkunstwerks entsprechend, seine polychromen Plastiken als Bestandteil der harmonischen Einheit dreier Kunstgattungen verstand. Nach Auffassung des Bildhauers, die er 1912 in seinem Buch Vom Sehen und Gestalten darlegt, „[…] gehören Architektur, Bildhauerei und Malerei naturgemäß zusammen. Die beiden letzteren brauchen die Architektur als Stütze, als Anlehnung. Es ist nicht das Ideal der Statue noch des Bildes, einzeln in der Welt herumzuwandern. Am besten wäre es, wenn sie jedesmal für einen bestimmten Platz gedacht und geschaffen würden. Da dies nun heutzutage aus praktischen und anderen Gründen selten der Fall ist, so möchte man das losgelöste Kunstwerk zum Ideal erheben. Das ist aber ein Irrtum.“329 Diese Idee integriert Volkmann bereits kurz nach dem Tode seines Lehrers Hans von Marées (1837–1887) in sein Œuvre. Über seinem ersten Versuch schreibt er: „Erst nach seinem Tode aber geschah es, daß ich ein Gipsrelief anmalte: die Figuren mit leichten Fleischtönen, die Gewänder etwas farbiger, ein Pferd mit weiß und schwarz als Apfelschimmel, den Boden grün. Als nun noch der Hintergrund blau gefärbt wurde dadurch als Luft wirkte, da zeigte es sich, daß ein Bild im primitivsten Sinne entstanden war. Freilich wurden Halbtöne und Schatten durch die Modellierung hergestellt, und der Horizont war ungewöhnlich tief. Doch war hiermit die Vorbereitung zu dem ersten wirklichen Bilde geschehen. Der Übergang von der Plastik zur Malerei war für mich gefunden.“330

328 Eigene Experimente haben ergeben, dass Farbe, die auf einem glatten Untergrund aufgetragen wurde und dem Sonnenlicht ausgesetzt worden ist, unter einem Wachsfirnis verblasst, während sie ohne Schutz zerspringt und abfällt. 329 Volkmann 1912, S. 66. 330 Volkmann 1912, S. 74.

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27 Foto-Farbrekonstruktion von Max Klingers Amphitrite, © K. Mann

28 Innenansicht der Oper von Charles Garnier, Paris, Foto: K. Mann

Von besonderen Interesse an der Beschreibung ist Volkmanns Erkenntnis, dass ihm mit der Kolorierung des Reliefs ein „Übergang von der Plastik zur Malerei“ gelungen ist. Damit definiert der Künstler seine bemalten Werke nicht mehr als Skulpturen, sondern vielmehr als eigenständiges „Bild“ (Abb. 26)331, und setzt sich damit in die direkte Erbfolge seines Lehrer Marées, der schließlich kein Bildhauer, sondern Maler gewesen ist. Die Idee einer harmonischen Allianz der drei Kunstgattungen nach antikem Vorbild, die ein einheitliches Bild ergibt, propagieren neben Volkmann auch andere Künstler des Fin de Siècle. Besonders eindrucksvoll zeigt sich diese Symbiose in der XIV. Ausstellung der Wiener Secession von 1902, in der Max Klingers „Kompositstatue“332 (Abb. 20) zum ästhetischen Höhepunkt eines Gesamtkunstwerks erhoben wird. 331 Die Foto-Farbrekonstruktion (Abb. 26) der Abb. 16 aus Heilmeyers Publikation Die Plastik seit Beginn des 19. Jahrhunderts zeigt Vollkmanns bemalte Marmorskulptur Psyche (1883). Die Fotografie wurde mit Photoshop koloriert. 332 Türr verwendet in ihrem Buch für „Werke aus unterschiedlichem naturfarbenen Stein“ (Türr 1994, S. 58.) die Bezeichnung „Polylithe Skulpturen“, doch hier soll in Anlehnung an Kristin Thompsons Defini­tion zusammengefügter Plastiken Altägyptens der Begriff „Kompositstatue“ übernommen werden, um das historische Vorbild dieses Skulpturentyps deutlich zu kennzeichnen. Thompson 2012, S. 164. Jan ­Nicolaisen erörtert darüber hinaus, dass neben den polychromen Skulpturen Böcklins auch diejenigen

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29 Max Klinger, Salome, 1892, Wallraf-­ Richartz-Museum Köln, Foto: K. Mann

30 Arthur Volkmann, weibliche Hermenbüste, 1883–1885, Museum der 
bildenden Künste Leipzig, Foto: K. Mann

Neben seiner berühmten Beethoven-Skulptur fertigt Klinger aber auch polychrome Statuen mit „leicht getönter Epidermis“333 an, die er nach Böcklins Vorbild ausführt.334 Die ursprünglich vielfarbige Gestaltung seiner Skulpturen lässt sich heute noch an einzelnen Figuren ablesen. Klinger zeigt beispielsweise bei Salome (Abb. 29) seinen mimetischen Anspruch an die Plastik, indem er den Brustausschnitt der Büste so wählt, dass er das Fleisch unter der Haut mit roter Farbe imitieren kann. Trotz der ihr fehlenden Arme offenbart Klinger auch in Amphitrite (Abb. 27) sein naturnachahmendes Bedürfnis an die Kunst. Heute ist das ursprüngliche Kolorit aus dem Jahre 1898 nur sehr schlecht erhalten, jedoch erklärt Max Schmid, dass

französischer Bildhauer wie Charles Cordier (1827–1905), Louis-Ernest Barrias (1841–1905) und Jean-Léon Gérôme (1824–1904), die Klinger während seines Paris-Aufenthalts (1883–1888) vor Ort studiert haben könnte, eine tiefgreifende Bedeutung für sein Schaffen gehabt haben. Nicolaisen 2020, S. 21. Auch wenn Klinger zu Lebzeiten einen französischen Einfluss auf seine Skulpturen negierte, entgegnet Nicolaisen, dass zumindest die Kompositstatuen (Abb. 28) in der neu erbauten Pariser Oper von Charles Garnier „Klinger nachhaltig beeindruckt haben [dürften]“. Nicolaisen 2020, S. 22. 333 Schmid 1901, S. 123. 334 Mai 1984, S. 42.

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„die Hermengestalt […]335 aus leicht polierten Marmor, in einzelnen Teilen bemalt […]“336 gewesen war. Georg Treu geht in seinem Artikel Max Klinger als Bildhauer dabei eingehender auf die Polychromie der Figur ein und erläutert, dass „[d]as Leben in diesem Stein […] durch die Politur noch gesteigert [wurde] und […] dadurch dem weichen Schimmer eines atmenden Menschenleibes so nahe gekommen [ist], wie sonst nie wieder“.337 Darüber hinaus erörtert er, dass Klingers Amphitrite bernsteinfarbene Augen, schwarzes Haar mit „Goldlichtern“338 sowie ein in „schöner lichtblauer Farbe“339 bemaltes Gewand besaß, sodass aus „der Hermenstele die Königin der Meere“340 ward. Die antike Harmonie von Malerei und Plastik, die Klinger anhand seiner farbig gefassten Skulptur re-inszeniert, sieht der Künstler dabei „als monumentale Schöpfung im Gesamtzusammenhang des Raumes“341. Das Kreieren einer solchen „Stimmungseinheit“342 demonstriert er bereits einprägsam am Vestibül der Villa Julius Albers (1885) in Berlin, für das er Hermann Prell (1854–1922) engagiert, um die von Artur „Volkmann geschaffene[n] Büsten aus carrarischen Marmor [zu] bemalen“343 (Abb. 30). Ekkehard Mai (1946–2020) erläutert hierzu im Ausstellungskatalog Max Klinger. Wege zum Gesamtkunstwerk aus dem Jahre 1984: „Von der Dreidimensionalität zur Fläche, die alle im Dienste der einen Stimmung stehen. Die Farbe sei das vermittelnde Band zwischen allem, weshalb denn in der Polychromie der höchste Grundsatz für die vereinheitlichende Wirkung zu suchen wäre. ‚Hier, bei der Raumkunst, ist es, wo die farbige Skulptur einzusetzen hat, der wir so merkwürdig zaudernd gegenüberstehen‘.“344

Polychrome Plastiken sind nach Klingers Auffassung folglich Verbindungselemente zwischen Malerei und Architektur. Farbe dient dabei als Bindeglied zwischen einem dreidimensionalen und zweidimensionalen Bild, um so die Beziehungen der Kunstgattungen untereinander sichtbar zu machen. Klinger schreibt diesbezüglich in seiner Publikation Malerei und Zeichnung (1885):

335 Schmid führt weiter aus, dass die Hermenform zwar aufgrund des schmalen Marmorblocks generiert worden ist, jedoch lässt die Ähnlichkeit zur Venus vom Esquilin (um 50 n. Chr., Kapitolinische Museen, inv. MC1141) und Venus von Milo (3. Viertel 2. Jahrhundert v. Chr., Louvre, N 527) die Hypothese zu, dass hier ein Antikenzitat vorherrscht. Der Marmor entstammt einer alten Treppenstufe, die Klinger auf der Insel Syra gefunden hat. Vogel 1902, S. 38. 336 Schmid 1901, S. 123. 337 Treu 1900, S. 21–22. 338 Treu 1900, S. 24. 339 Treu 1900, S. 25. 340 Treu 1900, S. 25. 341 Mai 1984, S. 41. 342 Mai 1984, S. 42. 343 Mai 1984, S. 42. 344 Mai 1984, S. 43.

Hierarchisierung der Kunstgattungen Skulptur und Malerei

„Dieses Gesamtwirken aller bildenden Künste entspricht dem, was Wagner in seinen musikalischen Dramen anstrebte und erreichte. Wir besitzen jenes noch nicht, und das, was davon aus vergangenen großen Epochen uns überkommen ist, haben anders denkende Zeiten meist verstümmelt oder zerrissen. Malerei beschränkt sich für uns auf den Begriff ‚Bild‘. Der Wert dieses in sich abgeschlossen sein sollenden Kunstwerkes beruht, wie gesagt, auf der vollendeten Durchbildung von Form, Farbe, Gesamtstimmung und Ausdruck.“345

Klingers ästhetische „Stimmungseinheit“ entstammt damit nicht Sempers Vorstellungen eines antiken Gesamtkunstwerks, sondern vielmehr Richard Wagners (1813–1883) Idee von der Harmonie der Künste, die der Komponist in seiner Schrift Die Kunst und die Revolution (1849) vehement fordert. Richard Wagners Konzept des Gesamtkunstwerks am Beispiel der Villa Stuck

Wagner erklärt in seiner Denkschrift, dass Kunst eine Reflexion des „sozialen Lebens“346 sei, deren Ausgangspunkt im antiken Griechenland liege. So schreibt er: „Wir können bei einigem Nachdenken in unserer Kunst keinen Schritt thun, ohne auf den Zusammenhang derselben mit der Kunst der Griechen zu treffen. In Wahrheit ist unsere moderne Kunst nur ein Glied in der Kette der Kunstentwicklung des gesammten Europa, und diese nimmt ihren Ausgang von den Griechen. […] […] das edelste Theil seines Wesens, vereinigt mit den edelsten Theilen des Gesammtwesens der ganzen Nation; […] göttlicher Mensch, er in der Allgemeinheit, die Allgemeinheit in ihm, als eine jener Tausenden von Fasern, welche in dem einen Leben der Pflanze aus dem Erdboden hervorwachsen, in schlanker Gestaltung in die Lüfte sich heben, um die eine schöne Blume hervorzubringen, die ihren wonnigen Duft der Ewigkeit spendet. Diese Blume war das Kunstwerk, ihr Duft der griechische Geist, der uns noch heute berauscht und zu dem Bekenntnisse entzückt, lieber einen halben Tag Grieche dem Tragischen Kunstwerke sein zu mögen, als in Ewigkeit – ungriechischer Gott!“347

Analog zu den Thesen Winckelmanns und Klenzes sieht damit auch Wagner die deutsche Kunst in einer griechischen Erbfolge. Dementsprechend fügt er die zeitgenössische Kunst in einen unsterblichen Kreislauf ein, der ihr einen angemessenen Status in der Kunstgeschichte zusichert. Zur besseren Veranschaulichung der herausragenden Stellung kreiert Wagner nach Winckelmanns Vorbild ein negatives Stimmungsbild von den Römern, die er als „brutale Weltbesieger“348 bezeichnet. In der Gegenüberstellung hebt er so die positiven Eigenschaften der alten wie neuen Griechen deutlich hervor. 345 Klinger 1987, S. 30. 346 Wagner 1849, S. 5. 347 Wagner 1849, S. 5, 10. 348 Wagner 1849, S. 12.

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

Solch rhetorische Mittel nutzt Wagner darüber hinaus auch für eine entsprechende Gegenüberstellung von Kunst und Religion. Er formuliert dabei: „Soviel aber erkennt der redliche Künstler auf den ersten Blick, daß das Christentum weder Kunst war, noch irgendwie aus sich die wirkliche lebendige Kunst hervorbringen konnte. Der freie Grieche der sich an die Spitze der Natur stellte, konnte aus der Freude des Menschen an sich die Kunst erschaffen: der Christ, der die Natur und sich gleichmäßig verwarf, konnte seinem Gotte nur auf dem Altar der Entsagung opfern, nicht seine Thaten, sein Wirken durfte er ihm als Gabe darbringen, sondern durch die Enthaltung von allem selbstständig kühnen Schaffen glaubte er ihm sich verbinden zu müssen. Die Kunst ist höchste Thätigkeit des im Einklang mit sich und der Natur sinnlich schön entwickelten Menschen; […] als Menschheit aus ihrem inneren unversiegbaren Quell und trotz des Christentums sich neu erfrischte und Lösung ihrer wirklichen Aufgabe zureifte. Die Natur ist so stark, so unvertilgbar immer neu gebärend, daß keine erdenkliche Gewalt ihre Zeugungskraft zu schwächen vermöchte.“349

Seine kritische Haltung gegenüber dem Christentum im Kontext der Kunst stellt er dem positiven Bild der Griechen gegenüber, die er als „frei“ bezeichnet. Dieser Aspekt ist für Wagner essenziell, „denn die wahre Kunst ist höchste Freiheit und nur die höchste Freiheit kann sie aus sich kundgeben, kein Befehl, keine Verordnung, kurz kein außerkünstlerische[r] Zweck kann sie entstehen lassen“350, wie er an einer anderen Stelle seiner Schrift betont. Kunst muss demgemäß zweckfrei sein und genügt sich selbst. Diese Idee von der autonomen Kunst verknüpft Wagner mit seinem Topos von den „freien Griechen“, deren künstlerische Quelle er in der Natur sieht. Seine Vorstellung von der freien Kunst konfrontiert der Komponist ferner mit den Bestrebungen der „Kunstindustrie“, deren alleiniger Zweck im Geldverdienen liege. Als deren Sinnbild wählt Wagner den römischen Gott der Krämer und Betrüger, wobei er Merkur ganz anders bewertet, als – sein jugendliches und schönes Pendant – den griechischen Gott Hermes, den der Tonkünstler als „ausgeführten Gedanken des Zeus“351 charakterisiert. Hierzu schreibt er: „Dieser verachtete Gott rächte sich aber an den hochmütigen Römern und warf sich statt ihrer zum Herr der Welt auf: denn krönet sein Haupt mit dem Heiligenscheine christlicher Heuchelei, schmückt seine Brust mit dem seelenlosen Abzeichen abgestorbener, feudalistischer Ritterorden, so habt ihr ihn, den Gott der modernen Welt, den heilighoch­ade­ ligen Gott der fünf Prozent, den Gebieter und Festordner unserer heutigen – Kunst. […]

349 Wagner 1849, S. 15–17. 350 Wagner 1849, S. 11. 351 Wagner 1849, S. 20.

Hierarchisierung der Kunstgattungen Skulptur und Malerei

Das ist die Kunst, wie sie jetzt die ganze civilisierte Welt erfüllt! Ihr wirtschaftliches Wesen ist die Industrie, ihr moralischer Zweck der Gelderwerb, ihr ästhetisches Vorgeben die Unterhaltung der Gelangweilten. Aus dem Herzen unserer modernen Gesellschaft, aus dem Mittelpunkte ihrer kreisförmigen Bewegung: der Geldspeculation im Großen, saugt unsere Kunst ihrer Lebenskraft, erborgt sich eine herzlose Anmuth aus den leblosen Überresten mittelalterlich ritterlicher Convention, und läßt sich da […] entnervend, entsittlichend, entmenschlichend überall, wohin sich das Gift ihres Lebenssaftes ergießt.“352

Wagner sieht demnach die Autonomie der Kunst durch die Kunstindustrie bedroht und plädiert dafür, dass die Kunst als wichtiger Bestandteil des „öffentlichen Lebens“353 anerkannt wird. Diesbezüglich schreibt er weiter: „Die Kunst bleibt an sich aber immer, was sie ist; wir müssen nur sagen, daß sie in der modernen Oeffentlichkeit nicht vorhanden ist: sie lebt aber und hat im Bewußtsein des Individuums immer als eine unteilbare schöne Kunst gelebt. Somit ist der Unterschied nur der: bei den Griechen war sie im öffentlichen Bewußtsein vorhanden, wogegen sie heute nur im Bewußtsein des Einzelnen im Gegensatze zu dem öffentlichen Unbewußtsein davon da ist. Zur Zeit ihrer Blüthe war die Kunst bei den Griechen daher conservativ, weil sie dem öffentlichen Bewußtsein als ein gültiger und entsprechender Ausdruck vorhanden war: bei uns ist die echte Kunst revolutionär, weil sie nur im Gegensatz zur gültigen Allgemeinheit existiert.“354

Aus dem griechischen „Konservatismus“ leitet Wagner alsdann seine Theorie über das Gesamtkunstwerk ab, das als harmonische Kunst der Öffentlichkeit dienen soll.355 Daher erweitert er den ursprünglichen „Reigen“ der bildenden Künste um Musik und Dichtkunst. Diese Ideen prägen das Schaffen der Künstler des Fin de Siècle nachhaltig, sodass neben der XIV. Ausstellung der Wiener Secession an einem anderen gattungsübergreifenden Beispiel die künstlerische Symbiose zwischen der Wagner’schen Vorstellung von einer Kunstharmonie und der Re-Inszenierung der Antike eingehender dargelegt werden soll. Die Villa Stuck eignet sich im besonderen Maße für eine Analyse dieser allumfassenden Kunstsymbiose, da die ideelle Genealogie Franz von Stucks (1863–1928), gepaart mit einer ästhetischen Fusion unterschiedlicher Kunstgattungen, in seinem Prunkatelier allgegenwärtig ist. Hierfür integriert der Künstler bemalte Gipsabgüsse antiker Statuen in das Interieur seines Hauses, um so eine kunsthistorische Erbfolge zu schaffen.

352 Wagner 1849, S. 21–22. 353 Wagner 1849, S. 34. 354 Wagner 1849, S. 36–37. 355 Wagner 1849, S. 49.

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

Insbesondere ist sein Präsentationskonzept der Artemis von Pompeji im Kontrast zu seiner Interpretation einer römischen Wandgestaltung im sogenannten „ornamentalen Stil“356 hervorzuheben; dieses Arrangement, welches als Orpheus-Wand bezeichnet wird, ziert den Musiksalon der Villa Stuck und vermittelt so den ästhetischen Eindruck des antikisierenden Gefüges dreier Hauptkunstgattungen in Verbindung mit Musik und Poesie. Bereits das gewählte Thema der Wandgestaltung spiegelt eine ästhetische Fusion zwischen Architektur (Raum), Skulptur (Artemis von Pompeji) und Malerei (farbige Wandgestaltung), gepaart mit griechischer Mythologie und Musik, wider: Die Dekoration stellt dabei im weitesten Sinne die Orpheus-Sage in einer idyllischen Landschaft dar, in welcher der berühmte antike Musiker im suggerierten Tympanon mit einer roten Lyra von Tieren umringt gezeigt wird. Die architektonische Illusion eines Tempelaufrisses wird auch mit dem darunterliegenden Fries weitergeführt, in dessen Metopen Tiere sowie eine Inschrift eingefügt worden sind. Hierunter imitieren vier schmale vertikale Streifen den Eindruck von Säulen, während die drei größeren Rechtecke die friedliche Atmosphäre des Tympanons aufgreifen. In den zwei äußeren Bildfeldern zitiert Stuck sein eigenes Werk, während im mittleren stilisierte Bäume einen arkadischen Wald andeuten. Vor diesem Feld platziert Stuck die kolorierte Artemis-Skulptur im rechten Profil auf einem Sockel, sodass die Illusion entsteht, die Göttin der Jagd würde durch einen aspektivischen Wald schreiten (Abb. 31). Trotz des schlechten Erhaltungszustands der Figur (beide Arme fehlen) ist die ursprüngliche Wirkung dieser „Stimmungseinheit“ zwischen farbiger Wandgestaltung und bemalter Skulptur heute noch deutlich sichtbar.357 Die vorhandene Polychromie der Statue korrespondiert dabei augenfällig mit der dahinterliegenden Wandmalerei, indem sich die Hauptfarben der Wand (Schwarz, Blau, Grün, Rot, Gold und Weiß) in der Farbgestaltung der Figur widerspiegeln.358 Das dunkle Haar sowie der schwarz gestaltete Peplos rahmen dabei das helle Inkarnat wie auch die oberen Partien des Kleidungsstücks ein, wobei der rosa umfasste Saum und grüne Details einen Farbakzent setzen. Eine ähnliche Farbkorrespondenz zwischen Figur und Raumgestaltung herrscht auch bei Stucks farbiger Fassung der Athena vom Westgiebel des Aphaiatempels vor, deren Kolorit zwar stark verblasst ist, aber die farbliche Wechselwirkung durch den Einsatz des „Pompejanisch Rot“359 (Eisenoxidrot) evident werden lässt. Damit hat der Künstler für den gesamten Raum, inklusive der Gipsmodelle, ein harmonisches Farbkonzept entworfen, das die unterschiedlichen Elemente im Raum miteinander verbindet. 356 Mau 1882, S. 289. Nach Angaben der Familie Stuck reiste der Künstler kurz vor Baubeginn der Villa im Jahre 1897 nach Pompeji. Brandlhuber; Hardtwig; Jooss 2006, S. 141. 357 Die Villa Stuck wird im April 1944 „bombardiert und stark beschädigt“. Birnie 2006, S. 296. 358 Die Wandgemälde sind mit ölhaltigen Temperafarben „al secco“ (Brandlhuber; Hardtwig; Jooss 2006, S. 141) gefertigt worden, wobei diese Technik den charakteristischen Schimmer der antiken Wandmalereien mit Wachsfirnis nachahmt. 359 Brandlhuber; Hardtwig; Jooss 2006, S. 144.

Hierarchisierung der Kunstgattungen Skulptur und Malerei

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31 Artemis-Skulptur, Villa Stuck, ­München, Foto: K. Mann

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

Obwohl Stuck keine wissenschaftliche Rekonstruktion, sondern ein „ästhetisches Raumkonzept“360 zur Präsentation seiner Werke entworfen hat, ist hier anzunehmen, dass ein solch gattungsübergreifendes Farbschema für die Artemis von Pompeji bereits auch in der Antike existiert haben könnte. Dementsprechend erläutern Vinzenz Brinkmann und Ulrike Koch-Brinkmann, dass, „[…] die Skulptur zunehmend ein gemaltes Licht erhält, […] die Grenze zwischen den Gattungen Malerei und Skulptur weitgehend aufgelöst [wird]. Auch die Farbigkeit ist gattungsübergreifend.“361 Beide beziehen dies zwar nur auf die Gattungen Malerei und Skulptur, dennoch muss hier angenommen werden, dass ein einheitliches Farbkonzept auch den die poly­chrome Skulptur umgebenden Raum mit einbezieht. Damit kann Stucks Re-Inszenierungsmaßnahme uns heutzutage dazu dienen, eine künstlerische Idee der antiken „­Stimmungseinheit“ von Architektur, Skulptur und Malerei durch verbindende Farbakzente zu generieren, auch wenn das damalige Farbkonzept höchstwahrscheinlich ein gänzlich anderes gewesen ist. Anhand des Beispiels der Villa Stuck kann die Hypothese formuliert werden, dass mit dem Einbeziehen des damals vorherrschenden Zeitgeschmacks auf die ursprüngliche Farbkombination von antiken Skulpturen rückge­ schlossen werden kann. Eine solch theoretische Analyse kann exemplarisch vorgenommen werden für die charakteristische Farbgebung der pompejischen Wandmalstile, die August Mau (1840– 1909) in seinem Buch Geschichte der decorativen Wandmalerei in Pompeji (1882) aufzeigt. Maus Ausführungen zu Grunde legend ist anzunehmen, dass analog zu dem von ihm geschilderten Farbwandel vom dritten zum vierten pompejischen Malstil ein ähnlicher Wechsel auch bei der Farbgestaltung der Skulpturen erfolgt ist. Dementsprechend kann aufgrund einer neu auftretenden Dominanz von Weiß362 und lichteren Farbnuancen wie Rosa, Gelb und Hellblau für Skulpturen geschlussfolgert werden, dass die vorherrschende Dominanz erdiger und dunkler Töne wie Ockergelb und Eisenoxidrot durchbrochen werden sollte. Auf Basis dieser These kann das Ermitteln des ursprünglich vorherrschenden Farbgeschmacks dabei helfen zu bestimmen, ob ein Verblassen des Pigments oder ein bewusstes Verwenden von Lichtfarben vorliegt, denn dies ermöglicht Rückschlüsse auf die einstige Polychromie. Die Bestimmung des Farbkonzepts, etwa des Peristyls, in der die Artemis von Pompeji initial aufgestellt gewesen ist, könnte so Klarheit darüber geben, welche Farben bei der Bemalung der Figur verwendet worden sind. Dementsprechend ist die Beschreibung der vorgefundenen Rudimente des Präsentationsraums von entscheidender Bedeutung, denn sie legen dar, dass „[d]as Piedestal […] aus Ziegeln, mit Marmor vertäfelt [war]: vorn ein Täfelchen aus grünem Porphyr, das von weißen Streifen, dann einem schwarzen Streifen und schließlich wieder einem weißen Streifen 360 Brandlhuber; Hardtwig; Jooss 2006, S. 144. 361 Brinkmann; Koch-Brinkmann 2020, S. 77. 362 Mau 1882, S. 455.

Hierarchisierung der Kunstgattungen Skulptur und Malerei

32a/b/c Farbergänzte Reproduktionsgrafiken der Artimis von Pompeji, © K. Mann; a: farbergänzte Reproduktionsgrafik nach Stuck; b: hypothetische Farbreproduktionsgrafik in Anlehnung an das Sockelkolorit; c: Reproduk­ tionsgrafik nach Brinkmann.364

gerahmt war, sowie Gesimse aus weißen Marmor und rotem Porphyr; beide Längsseiten des Piedestals waren mit Cipollaccio-Marmor vertäfelt“.363 Wenn die Annahme zutreffend sein sollte, dass in der Antike ein gattungsübergreifendes Gesamtkunstwerk vorherrschte, muss nach der Beschreibung des Sockelkolorits (Grün/Schwarz/Weiß/Rot) angenommen werden, dass die Farbgestaltung der Artemis-Statue sich am ägyptisch geprägten 3. pompejischen Stil orientiert hat (Abb. 32b).365

363 Primavesi 2011, S. 26. 364 Neueste Thesen zur ursprünglichen Farbgestaltung der Artemis von Pompeji legen nahe, dass sich das Konzept an etruskischen Vorbildern orientiert hat. Vortrag: Sonne Møller, Katrine: Reflections on the Polychromy of the Archaistic Statue of Diana from Pompeii, 10th International Round Table on Polychromy in Ancient Sculpture and Architecture, 12.11.2020. Dieser Hypothese folgend zeigt (b) ein dunkleres Inkarnat, das die Figur als tatkräftige Kriegerin (im Sinne der etruskischen Jagdgöttin Artumes) charakterisiert. 365 Mau 1900, S. 455. Sowohl der ägyptische als auch der etruskische Stil werden von Hell-Dunkel-Kontrasten dominiert, sodass sie sich gegenseitig ergänzen, wie dies Abb. 32b erkennen lässt. Bereits seit der Mitte des 18. Jahrhunderts werden Reproduktionsgrafiken in Publikationen dazu verwendet, dem Rezipienten einen reduzierten Eindruck des Kunstwerks zu vermitteln. Ingeborg Reichle erläutert hierzu: „Durch die Reduktion der Werke auf die Umrisslinien der Figuren […] und deren Präsentation in einem die tatsächlichen Größenunterschiede nivellierenden Maßstab wurden die Kunstwerke homogenisiert und dem Betrachter auf einen Blick verfügbar. Dieser Diskurs der Bilder suggerierte

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Re-Inszenierung der Antike im 18. und 19. Jahrhundert

33a/b Farbergänzte Reproduktionsgrafik des Löwen aus Loutraki, © K. Mann

Das wissenschaftliche Rekonstruktionsmodell, das nach einer Farbanalyse von ­Vinzenz Brinkmann, Ulrike Koch-Brinkmann366 und Heinrich Piening angefertigt worden ist, vermittelt jedoch ein vollkommen anderes Farbkonzept der Artemis von Pompeji. Dieses Farbschema (Abb. 32c) zeigt lichtere Farbnuancen und impliziert damit, dass die antike Plastik in einem Kolorit des 4. Stils (Beispiel: Domus Aurea) bemalt worden ist. Die Diskrepanz zwischen der Farbgestaltung des Sockels und der Figur wirft folglich unweigerlich die Frage auf, ob eine antike Fusion der Kunstgattungen, wie sie von Semper und Wagner propagiert wird, überhaupt existiert hat, oder vielleicht nur eine Utopie des 19. Jahrhunderts ist, ähnlich dem Trugbild von der monochrom-weißen Antike. Doch wenn das Gesamtkunstwerk tatsächlich ein antikes Konzept wäre, was bedeutet dies für die unterschiedlichen Farbkonzepte Abb. 32b und 32c? Gehört der Sockel vielleicht gar nicht zu dieser Figur? Bestand eventuell eine farbige Neufassung? Oder sind die Pigmente verblasst und die wissenschaftliche Rekonstruktion zeigt ihren lichten Ist-Zustand an? Was ist hier historische Reflexion und was nur eine Illusion? dem Betrachter die Vergleichbarkeit der Objekte und provozierte ein ‚vergleichendes Sehen‘.“ Reichle 2007, S. 180. Auch in dieser Publikation dient die grafische Reduktion als Pointierung, die dem Leser neben der schnellen Erfassung der Form auch diejenige der ästhetischen Farbzusammenstellungen erlaubt. Der Rezipient kann so die unterschiedlichen Farbwahrnehmungen „vergleichen, diese in Beziehung setzen und sein eigenes Urteil fällen“. Reichle 2007, S. 183. Die digitale Rekonstruktionszeichnung wird in diesem Zusammenhang als visuelle Ergänzung eingesetzt. Für das digitale Zeichnen wird zunächst eine Form benötigt, die mit einem Bildbearbeitungsprogramm eingefärbt wird. Hierbei können Farben aus historischen Vergleichsbeispielen ausgewählt und mit dem Pipette tool auf die eigene Farbrekonstruktion übertragen werden. Dies ist eine sehr schnelle und einfache Methode, um einen farbigen Eindruck zu erzeugen, auch wenn der ästhetische Effekt nicht gänzlich nachgeahmt werden kann. Jedoch können so verschiedene Versionen hypothetischer Farbrekonstruktion hergestellt werden, um die eigenen Thesen visuell zu untermauern (siehe Abb. 33a/b). 366 In unterschiedlichen Videos präsentiert sich das Ehepaar Brinkmann nicht nur bei wissenschaftlichen Analysen der antiken Skulpturen, sondern darüber hinaus auch als deren Rekonstrukteure. Siehe beispielsweise: https://www.youtube.com/watch?v=jjDccOpwGys und https://www.youtube. com/watch?v=8BdGSJoV-EE (21.10.2020).

3 Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert Im Zusammenhang mit der Frage nach dem ursprünglichen Farbkonzept der Artemis von Pompeji zeigt sich der elementare Unterschied zwischen den Re-Inszenierungsmaßnahmen des 19. Jahrhunderts und Farbrekonstruktionen des 21. Jahrhunderts: das Bedürfnis nach historischer Authentizität. Während im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert die glorifizierenden Ideen Winckelmanns in den Zeitgeist eingebunden und in der Folge zeitgenössische Kunstwerke in ihrem ästhetischen Wert daran gemessen worden sind, konzentrieren sich Rekonstrukteure des 21. Jahrhunderts vornehmlich darauf, ein wissenschaftlich belegbares Bild von der Antike zu entwerfen.

3.1  Archäologische Farbrekonstruktionen Obwohl auch Mitte des 20. Jahrhunderts vereinzelt Farbrekonstruktionen angefertigt worden sind,1 bewirken erst nun, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, neue naturwissenschaftliche Untersuchungsverfahren eine langfristige Wiederbelebung des Themas. Dieses neu entfachte Interesse spiegelt sich in zahlreichen weltweiten Ausstellungen von Farbrekonstruktionen antiker Skulpturen wider. Das einstige Forschungsfeld des 19. Jahrhunderts spricht offenbar ein neuzeitliches Bedürfnis an, mithilfe der Wissenschaft ein authentisches Bild der antiken Geschichte zu erhalten. Hierfür werden plastische Farbmodelle antiker Skulpturen geschaffen, die dem Besucher dieser Ausstellungen einen Eindruck der ursprünglichen Polychromie vermitteln sollen. Vor allem die Wanderausstellung Bunte Götter. Die Farbigkeit antiker Skulptur sowie die dazugehörigen Kataloge schaffen dabei ein internationales Bewusstsein für die antike Fassmalerei.

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Brinkmann 2003 [1], S. 31.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

Dem Forschungsfeld Farbrekonstruktion wird dabei erstmalig eine eigene Ausstellungsreihe gewidmet, bei der in „enger Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Restauratoren“2 nach neuesten Forschungsergebnissen mehrere Rekonstruktionen farbiger Skulpturen der Antike angefertigt und einem nicht fachspezifischen Publikum öffentlich präsentiert werden. Diese neuzeitlichen Rekonstruktionen des 21. Jahrhunderts grenzen sich dabei durch ihren strikt wissenschaftlichen Ansatz von den „künstlerischen Erfindungen“3 ihrer Vorläufer ab. Dabei muss Raimund Wünsche jedoch im ersten Ausstellungskatalog der Reihe Bunte Götter. Die Farbigkeit antiker Skulptur (2003) einräumen: „Trotz vieler neuer und sicherer Erkenntnisse musste man sich bei der Fertigung dieser farbigen Rekonstruktionen nicht selten auf Analogieschlüsse und Hypothesen stützen. Wie man sich bei solch fraglichen Punkten entschied, ist von großer Bedeutung für das Aussehen der Figur. Jeder Fehler in der Farbwahl, in der Intensität eines Farbtones hat natürlich eine große Wirkung auf das gesamte Erscheinungsbild der Figur. Bei solchen Fragen nützt keine Diskussion. Einer muss entscheiden, muss im wörtlichen Sinn ‚Farbe bekennen‘. Selbst wenn die Farben nicht immer exakt getroffen sein sollten, wird dennoch – wohl die wichtigste Aussage dieser Ausstellung – ein erstaunliches Phänomen der griechischen Skulptur offensichtlich, nämlich die für unsere Augen ungewohnte Verbindung von vollendet plastischer Form mit reicher detailverliebter malerischer Verzierung. Dies konnte nur durch Rekonstruktionen im Originalformat dargestellt werden.“4

2 3

4

Brinkmann; Wünsche 2003, S. 9. Wünsche 2003, S. 15. Zeitgenössische Rekonstrukteure, deren Modelle nach neuesten technologischen Untersuchungsmethoden gefertigt werden, messen den Erkenntnissen ihrer Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert nur wenig Bedeutung bei, zumindest wird dieser Eindruck im Ausstellungskatalog Bunte Götter. Die Farbigkeit antiker Skulptur aus dem Jahre 2003 generiert, in dem Raimund Wünsche erläutert: „Es sind keine Rekonstruktionen, sondern freie künstlerische Erfindungen, die natürlich den Kunstgeschmack ihrer Entstehungszeit deutlich offenbaren. Andererseits ist man erstaunt, wie diese sicherlich routinierten, aber nicht gerade bedeutenden Maler des späten 19. Jahrhunderts dem stumpfen Gips durch geschickte Kolorierung viel an lebendigem Reiz verleihen konnten. Wie viel eindrucksvoller, so ahnt man seufzend, müssen erst die griechischen Originale dieser Zeit gewirkt haben, deren glänzenden Marmor griechisches Malergenie durch Farbe zum Leben erweckt hat. Welche Fülle malerischer Möglichkeiten, welche Raffinesse des Kolorits diesen antiken Figurenbemalern zu Verfügung standen, können wir, wie ich glaube, uns nicht vorstellen, da in der Geschichte der abendländischen Malerei die Kunst der Marmorbemalung nur selten geübt wurde und keine lange Tradition hatte.“ Wünsche 2003, S. 15. Wünsche trennt folglich die historisch wissenschaftliche Bedeutung der Fassmalerei von der ästhetischen Wirkung der Modelle, indem er den Rekonstrukteuren des 19. Jahrhunderts vorwirft, dass ihre Arbeiten weder reine Rekonstruktionen noch herausragende Kunstwerke seien. Diese Trennung ist für das Verständnis der Rekonstruktionsart des 21. Jahrhunderts entscheidend, da Archäologen wie Vinzenz Brinkmann und Ulrike Koch-Brinkmann zu Beginn bewusst darauf verzichten, die malerischen Fähigkeiten der antiken Fassmaler zu imitieren. Wünsche 2003, S. 22–23.

Archäologische Farbrekonstruktionen

Die Rekonstruktionen beruhen folglich, wie bereits ihre Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert, neben neueren technischen Erkenntnissen auch auf vergleichendem Sehen, wirken dabei aber ganz anders auf den heutigen Rezipienten als ihre Wegbereiter; daher sollen hier einige dieser wissenschaftlichen Rekonstruktionen genauer betrachtet und auf ihre Wirkung hin untersucht werden. Die aktuellen Rekonstruktionen ergeben sich aus vereinzelten Farbfragmenten, die mithilfe naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden ausgewertet und daraufhin zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden. Vinzenz Brinkmann legt die angewendeten Methoden in seiner Einführung in die Ausstellung genau dar, sodass an dieser Stelle nur eine kurze Auflistung erfolgt: UV-Fotografie, Mikroskop, chemisch-physikalische Analysen, Streiflicht, UV-Fluoreszenz und UV-Reflexion.5 Jene Techniken dienen dazu, wichtige Einblicke in die Arbeitsmethoden der antiken Fassmaler zu gewinnen. Brinkmann zufolge ist „[d]ie wiederhergestellte Farbigkeit einer Skulptur […] eher zweitrangig im Vergleich zu dem schrittweisen Erkenntnisprozess, anhand dessen die antike Bemalungstechnik rekonstruiert werden kann“.6 Demnach ist für die heutigen Rekonstrukteure der Beitrag zur wissenschaftlichen Erkenntnis von größerem Wert als das Ergebnis an sich, die ursprünglich künstlerische Wirkung der Skulptur spielt hier nur eine untergeordnete Rolle. Das Kunstwerk wird so zu einem archäologischen Untersuchungsobjekt und die ursprüngliche Idee der ästhetischen Funktion der antiken Fassmalerei nicht gänzlich mit einbezogen. Dieser wissenschaftliche Ansatz einer bewussten Loslösung vom ästhetischen Objekt, der für die Brinkmannschen Modelle essenziell ist, scheint dabei dem kollektiven Bedürfnis nach historischen Bildern zu entsprechen, was daran zu erkennen ist, dass die zumeist „grafischen Rekonstruktionen“7 von der Presse als „authentisch“8 deklariert werden. Mit Überschriften zu den Ausstellungen wie beispielsweise „So schrill und bunt waren die antiken Götter“9 oder „Ganz schön grell – So bunt war die Antike“10 wird eine historische Wahrhaftigkeit suggeriert, der die evidenzbasiert geschaffenen Rekonstruktionen mangels ausreichender Belege jedoch nicht gerecht werden können.11

5 Brinkmann 2003 [1], S. 29–30. 6 Brinkmann 2003 [1], S. 31–32. 7 Brinkmann 2011, S. 13. 8 https://geschimagazin.wordpress.com/2013/05/11/die-bemalung-antiker-skulpturen-5637/ (04.08.2017). 9 https://www.welt.de/kultur/article2548590/So-schrill-und-bunt-waren-die-antiken-Goetter.html (05.08.2017). 10 https://www.welt.de/kultur/article831662/Ganz-schoen-grell-So-bunt-war-die-Antike.html (05.08.2017). 11 Die Wanderausstellung wurde von 2003 bis 2020 von München über Los Angeles bis Oxford in 22 Städten gezeigt.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

Aufgrund der bewussten Loslösung von der ästhetischen Wirkung und dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit entsteht eine Diskrepanz zwischen Farbrekonstruktion und Katalogtext. Ein eindrückliches Beispiel stellt Die Farbfassung des Caligula-Porträts (Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen, Inv.-Nr. 2687) von Vinzenz Brinkmann, Sylvia Kellner, Ulrike Koch-Brinkmann und Jan Stubbe Østergaard dar. Im Katalog wird erläutert: „Die erhaltenen Zeugnisse bemalter Skulptur seit der Klassik belegen, dass eine farbige Rekonstruktion über das Ornament oder die Einfärbung eines eingegrenzten Bereiches nur noch bedingt möglich sind. Spätestens seit dem Hellenismus hatten malerische Techniken die Fassmalerei erobert. Auf diese Weise konnte die tatsächliche Plastizität der Skulptur virtuos durch Licht- und Schatteneffekte gesteigert werden. Dies wurde erzielt durch einen mehrschichtigen, modellierenden Auftrag der Farben. Das Bedürfnis ein authentisches, wirklichkeitsnahes Bild zu erzeugen, bestimmte Farbwahl und Technik. Im Laufe der Jahrhunderte verlor die einzelne Farbe, die ihre volle Strahlkraft entfalten konnte, an Bedeutung und wurde in einem abgetönten, harmonisierten Kolorit abgelöst.“12

Im weiteren Verlauf wird detailliert wiedergegeben, wie wichtig die Licht- und Schattenmalerei dabei vor allem für die Darstellung des Inkarnats gewesen ist und dass zuerst mit schwarzen Linien eine Unterzeichnung zur Orientierung angefertigt wurde. Chemische Analysen haben darüber hinaus aufzeigen können, dass es sich bei den verwendeten Farben beim Caligula-Porträt um Eitempera gehandelt hat. Der Pinselduktus ist teilweise sogar noch sichtbar.13 „Partielle Spuren eines […] Kreidegrunds [sind ebenfalls] zu erkennen […]“.14 Die veröffentlichten Forschungsergebnisse zeigen somit Analogien zur Maltechnik, die Ernst Berger (1857–1919) in seiner Abhandlung Die Maltechnik des Altertums nach Quellen, Funden, chemischen Analysen und eigenen Versuchen aus dem Jahre 1904 als Stuckmalverfahren bezeichnet.15 Die ästhetische Wirkung dieser und anderer Büsten ist demnach in der Antike mimetisch gewesen, ganz so wie dies bereits Treu in seinem Vortrag von 1884 ausführt. Hingegen zeigt die präsentierte Farbrekonstruktion im Katalog von 2003 diesen naturnachahmenden Effekt nur bedingt, da insbesondere das Inkarnat weder Farbnuancen noch eine entsprechend haptische Optik oder charakterförderliche Licht- und Schattenmalerei aufweist. Dies erfolgt bewusst, worauf der Katalogtext auch hinweist:

12 13 14 15

Brinkmann; Kellner; Koch-Brinkmann; Østergaard 2003, S. 207. Brinkmann; Kellner; Koch-Brinkmann; Østergaard 2003, S. 207–208. Brinkmann; Kellner; Koch-Brinkmann; Østergaard 2003, S. 209. Berger 1904, S. 10.

Archäologische Farbrekonstruktionen

„Bis zu diesem Punkt gibt die Rekonstruktion eine Vorstellung von der genau konzipierten Maltechnik römischer Fassmaler. Bereits die Untermalung bestimmt die illusionistischen Effekte, die auf der Lokalfarbe von Haut und Haar dann wiederum verfeinert ausgebaut werden. G. Mendel beobachtete an dem Porträtkopf in Bursa noch die weitere Ausarbeitung der Haut: Das gelbliche Inkarnat ist durch rosafarbene Partien modelliert, die Augenhöhle durch einen fast schwarzen Schatten verstärkt und die Nasenflügel in impressionistischer Manier durch graue Schatten hervorgehoben. Diese letzte Modellierung der Haut durch abgetönte Farbflächen und Schraffur fehlt bei der Rekonstruktion des Caligula. Mit einer zusätzlichen Politur oder Behandlung mit Wachs (ganosis), die zu einer glänzenden Oberfläche führen würde, könnte dann der Unterschied von Haarstruktur zu glatter Haut in seiner Wirkung noch gesteigert werden. Die vorgestellte Rekonstruktion zeigt also offensichtlich noch nicht alle malerischen Möglichkeiten, die dem römischen Fassmaler zur Verfügung standen. Die erkennbare technische Verbindung zur mittelalterlichen Fassmalerei weist darauf hin, dass mittelalterliche Heiligenfiguren dem originalen Aussehen römischer Herrscherporträts womöglich näher stehen als unsere vom Marmor geprägte Anschauung.“16

Dieses längere Zitat legt die wissenschaftliche Idee dieser grafischen Farbrekonstruktion deutlich dar und bietet dem Leser sogar einen Lösungsvorschlag an, wie der eigentliche ästhetische Effekt der antiken Statuen mit entsprechender Fassmalerei gewirkt haben könnte. Der experimentelle Charakter der Forschungsarbeit wird folglich durch die grafischen Realisierungen gekennzeichnet, wobei die Rekonstrukteure sehr darauf bedacht sind, nichts hinzuzufügen, was nicht mit naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden am Objekt belegbar ist, somit auch die Licht-/Schattenmalerei sowie der Wachsfirnis, die durch historische Quellen überliefert sind. Folglich stellt sich die Frage, welchen Eindruck die wissenschaftlichen Rekonstruktionen in den Ausstellungen vermitteln sollen, wenn sie nur eine reduzierte Idee des eigentlichen Effekts der antiken Skulpturen in ihrer Farbigkeit wiedergeben. Hierzu schreibt Østergaard: „Rekonstruktionen dienen dazu, die Bedeutung der antiken Skulptur der Öffentlichkeit gegenüber zu vermitteln. Rekonstruktionen sind physische Dokumentationen unseres Wissenstands zur Polychromie und seiner Grenzen. Detaillierte Dokumentation des Rekonstruktionsprozesses und der Daten, auf denen er basiert, sind essentiell. Ein solcher Annäherungsversuch

16 Brinkmann; Kellner; Koch-Brinkmann; Østergaard 2003, S. 211.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

gerät in Bewegung, wenn die Rekonstruktionen im Rahmen der Polychromieforschung einer kritischen Bewertung unterzogen werden. Dies ist auch eine Voraussetzung, um Bereiche zu definieren, in denen künftige Forschung besonders aussichtsreich wäre.“17

Folglich soll mithilfe der Farbrekonstruktionen und ihrer öffentlichen Präsentation einem größeren Kollektiv das Bewusstsein vermittelt werden, dass zum einen a­ ntike Skulpturen farbig gefasst waren und zum anderen die Forschung eigentlich keine authen­tischen Farbrekonstruktionen herstellen möchte. Trotz des deutlichen Hinweises darauf, dass diese Rekonstruktionen „einer kritischen Bewertung unterzogen werden“ sollen, wird jedoch ersichtlich, dass angesichts des Bedürfnisses nach einer authentischen Geschichtswahrnehmung in Hinblick auf die antiken Farbrekonstruktionen ein Vermittlungsproblem nur schwer vermieden werden kann. Diese Schwierigkeiten werden eindrücklich an der ästhetischen Wahrnehmung des Löwen aus Loutraki (um 550 v. Chr., Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen, Inv.Nr. 1297/1296) ersichtlich, dessen Farbrekonstruktion (Abb. 33a) – mit seinem leuchtend gelben Fell, der blauen Mähne, den grünen Augen und roten Konturlinien im Gesicht – mit den Bestrebungen der Griechen nach Naturalismus in der Umbruchzeit von der Archaik zur Klassik wenig gemein zu haben scheint;18 diese spiegeln sich somit allein in der bildhauerischen Form wider. Es stellt sich daher die Frage, wieso die neuzeitliche Rekonstruktion dermaßen stark von einem naturnachahmenden Ideal eines Löwen abweicht und durch die blauen Haare sowie die Betonung der roten Linien im Gesicht sogar eine groteske Erscheinung annimmt. Da auch bei den Mähnen anderer Löwendarstellungen Reste von Blau, Grün und Rot unter dem Mikroskop nachgewiesen wurden, folgert Vinzenz Brinkmann in seinem Essay über Die Farben der archaischen und frühklassischen Skulptur, dass die unterschiedlich kolorierten Mähnen zur leichteren Unterscheidung der Tiere gedient haben. Die abwechselnden Farben sind folglich nicht realistisch, sondern sind zur Kontrastierung verschiedener Merkmale verwendet worden.19 Østergaard schließt hieraus: „The use of colour is stylized in such way as to correspond to the stylization of the form. Colour is applied unmixed, only ‚local‘ colour, without shading or other effects. The choice of colour is often non-naturalistic – example blue for a lion’s mane –, often being determined, rather, by the necessity of distinguishing between the figures visually, as well as the desire to give prominence to especially valuable pigments, and thus to the patron’s prestige.”20

17 18 19 20

Østergaard 2003, S. 199. Siehe Annex, S. 201. Jensen 2016, S. 58. Østergaard 2010, S. 89.

Archäologische Farbrekonstruktionen

Østergaards Aussage legt demnach nahe, dass die blaue Mähne des Löwen aus Loutraki einer stilisierten Form entsprechen soll. Jedoch zeigt der Löwe durch seine detaillierten Konturen in Hinblick auf die kunsthistorische Entwicklungsgeschichte eher ein mimetisches Verständnis der Figur, das mit den naturalistischen Tendenzen jener Zeit übereinstimmt. Daher stellt sich die Frage, wieso die vorgefundenen Farben mit der Form nicht zu korrespondieren scheinen und darüber hinaus ein fiktives Farbverständnis suggerieren. Angesichts dessen, dass eine solche Abstraktion dem Zeitgeist entgegengesetzt zu sein scheint, muss daher zunächst erwogen werden, welche Funktion die dargelegte Farbe hier gehabt haben kann. Wilhelmina Lepik-Kopaczyńska (1915–1962) erläutert in ihrer Publikation über Die antike Malerei (1963), dass bis ins 4. Jh. v. Chr. hauptsächlich mit einer Schichtenmalerei gearbeitet wurde, da vermengte Farben als „schmutziger und missfarbiger“21 galten. Das Auftragen von mehreren Farben übereinander wurde daher angewendet, um „reine Mischtöne“ zu erzeugen. Diese Maltechnik wurde dabei schon von den alten Ägyptern gebraucht und ist sowohl von Platon (um 428–347 v. Chr.) als auch von Aristoteles (384–322 v. Chr.) überliefert worden.22 Lepik-Kopaczyńska erörtert des Weiteren, dass über einer Deckfarbe „mehrere Schichten reiner ungemischter Lasurfarben“23 aufgetragen wurden. „Die auf diese Weise erhaltene Mischfarbe“, so die Althistorikerin daran anknüpfend, „war sozusagen die optische Summe aller Einzelfarben des optischen Farbauftrags.“24 Demgemäß kann auch beim Löwen aus Loutraki geschlussfolgert werden, dass das vorgefundene Blau der Mähne ursprünglich als „Unterfarbe“25 gedient hat, um mit der Sechs-Farben-Maltechnik eine naturnachahmende Tierdarstellung zu kreieren.26 Mit einer entsprechenden farbigen Unterschicht aus Blau, Grün oder Rot konnten antike Maler unterschiedliche Löwenmähnen mit ein und derselben Oberfarbe entwerfen, da die ästhetische Wahrnehmung der oberen von der unteren Farbe beeinflusst wird. Beim 21 Lepik-Kopaczyńska 1963 [1], S. 69. 22 Robertson 1959, S. 46; Lepik-Kopaczyńska 1963 [1], S. 69. Darüber hinaus erläutert Platon in Kratylos: „[…] so machen es ja auch die Maler: Die ihren Nachbildungen tragen sie bisweilen nur Purpur auf oder manchmal auch irgendeine andere Farbe; es kommt aber auch vor, dass sie viele Farben mischen, so etwa wenn sie die Farbe für Fleisch oder etwas anderes derartiges zubereiten, je nachdem welche Farbe eben für das jeweilige Bild erforderlich scheint.“ Platon 2014, S. 153. Seine Beschreibung impliziert folglich, dass im 4. Jh. v. Chr. Schichtenmalerei und Farbmischtechnik parallel verwendet wurden. Farbspuren auf antiken Skulpturen aus der Mitte des 6. Jh. v. Chr. belegen darüber hinaus, dass die Mischfarbtechnik bereits in der Übergangzeit von der Archaik zur Klassik etabliert gewesen war. Brinkmann; Koch-Brinkmann 2020, S. 71–72. 23 Lepik-Kopaczyńska 1963 [1], S. 69. 24 Lepik-Kopaczyńska 1963 [1], S. 69. 25 Diese spezifische Funktion als Unterschicht belegt Patrik Reuterswärd in seiner Publikation Studien zur Polychromie der Plastik. Griechenland und Rom (1960) an verschiedenen Beispielen für die Farbe Rot. Reuterswärd 1960, S. 66. 26 Die Sechs-Farben-Technik wurde bereits im alten Ägypten entwickelt. Nagel 2007, S. 219.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

Löwen aus Loutraki ist daher anzunehmen, dass mit dem Blau eine Übermalung aus rötlichem oder gelblichem Ocker (Abb. 33b) für den Betrachter deutlich kühler wie auch bräunlicher gewirkt haben musste als bei der Verwendung auf einem weißen Untergrund. Infolgedessen kann auch bei den markanten roten Linien im Antlitz des Löwen vermutet werden, dass diese eine Untermalung darstellen, die sich bei einer einheitlichen Übermalung beispielsweise mit Ockergelb subtil absetzen würden. Demnach wird die ästhetische Wirkung der antiken Schichtentechnik durch die aktuellen Farbrekonstruktionen nicht ausreichend vermittelt; zumindest muss hierbei bedacht werden, dass Ausstellungsbesucher die blaue Löwenmähne sowie die grotesk wirkenden roten Linien im Gesicht kritiklos als apodiktisch annehmen. Im Endeffekt unterliegt der Forderung nach einer „authentischen Rekonstruktion“ das Bewusstsein für eine ästhetische Gesamtwirkung der Skulptur. Zwar scheint mit einer „bunten“ Farbrekonstruktion des Löwen aus Loutraki ein gewisser Wiedererkennungswert generiert zu werden, der die gewünschte Erkenntnis über jene antike Polychromie zu gewährleisten vermag, jedoch besteht die Gefahr, dass solch eine Visualisierung antiker Skulpturen von den Ausstellungsbesuchern als Kitsch abgetan oder die Wahrnehmung der vielfarbigen Figur gänzlich abgelehnt wird. Die Bedeutung wie auch das Vermittlungsrisiko dieser visuellen Hilfsmittel sind demnach so groß, dass hier erwogen werden muss, ob optische Missverständnisse nicht direkt vermieden werden sollten, indem beispielsweise die naturalistischen Tendenzen in der Umbruchphase von der Archaik zur Klassik eindeutig an der Figur ablesbar gemacht werden, damit gar nicht erst der Eindruck entsteht, der Löwe sei die „authentische“ Wiedergabe einer antiken „Disney-Figur“27. Auf diese Weise keimt jedoch unvermeidlich ein Konflikt zwischen wissenschaftlicher Ethik und Vermittlung, da hierbei reflektierend gefragt werden muss, wie viel noch nicht Evidenzbasiertes bei solchen Farbrekonstruktionen ergänzt werden darf. Andererseits entsteht ohne solche Vervollständigungen eine beeinträchtigte Wahrnehmung der Kunstfertigkeit der Künstler jener Periode und folglich ein verfälschter Eindruck ihrer Kunst. Es scheint nur ein schmaler Grat zwischen wissenschaftlichem Anspruch und dem visuellen Erlebbarmachen von Geschichte, den die Forschungsarbeit angemessen zu illustrieren vermag.28 Die immense Verantwortung bei der Herstellung historischer Rekonstruktionen ist den Ausstellungsmachern durchaus bewusst, so ist beispielsweise eine weitere Variante

27 https://www.welt.de/kultur/article2548590/So-schrill-und-bunt-waren-die-antiken-Goetter.html (05.08.2017). 28 Diesbezüglich soll hier der Vorschlag unterbreitet werden, dass mehrere Varianten der Farbrekonstruktionen angefertigt werden sollten, sodass Fundberichte und hypothetische Ergänzungen gegenübergestellt und analysiert werden können. Ein solches Fallbeispiel wird daher in dieser Publikation ergänzend dargelegt.

Archäologische Farbrekonstruktionen

des Caligula-Porträts angefertigt worden, um die Verwendung von Licht- und Schattenmalerei darzulegen. Den Unterschied dieser beiden Caligula-Versionen (Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen, Inv.-Nr. 2687) erläutern fernerhin Vinzenz Brinkmann und Ulrike Koch-Brinkmann im Ausstellungskatalog Gods in Color. Polychromy in the Ancient World (2017): „The skin on variant A […] was redered exactly how it was preserved on the original, yielding a flat, toneless color with no shading. However, it was hypothesized that the skin would have been modelled with light and shadow in the manner of contemporary Egyptian mummy portraits from the same period. Variant B takes this into account and attempts to reproduce the modelling of the skin, with the application of paint in several layers and the addition of highlights by polishing areas such as the bridge of the nose, the cheekbones, and the chin.”29

Die Anlehnung an eine analoge Maltechnik aus derselben Epoche, deren ästhetische Wirkung heute noch erfahrbar ist, dient den Polychromieforschern dazu, das komplexe Gefüge zwischen Skulptur und Malerei prägnant wahrnehmbar zu machen. Da diese zweite Art der Darstellung dem ursprünglich von den Rekonstrukteuren verfolgten, eigentlich strikt wissenschaftlichen Ansatz zuwiderläuft, zeigt dieser Typus der Farbrekonstruktion bei Brinkmanns Modellen einen bedeutenden Entwicklungsprozess. Dabei kristallisiert sich nach dem künstlerischen und neben dem rein wissenschaftlichen Rekonstruktionstyp ein neuer Ansatz heraus, in den die künstlerische Wirkung der Maltechnik einbezogen wird, der in dieser Publikation zur besseren Differenzierung als wissenschaftlich-ästhetische Rekonstruktion bezeichnet wird. Besonders eindrucksvoll ist dies bei der Farbrekonstruktion der sogenannten Kleinen Herkulanerin (Abb. 34a/b) aus dem Jahr 2019, bei der das ästhetische Zusammenspiel von kalten und warmen Farben in den Vordergrund gerückt wird. Während Künstler im Zuge der Herstellung von Farbrekonstruktion wichtige Rückschlüsse auf antike Maltechniken und Forscher durch wissenschaftliche Methoden maßgebliche Erkenntnisse über die Fassmalerei gewinnen konnten, wird mit der wissenschaftlich-ästhetischen Methode erstmalig eine Einsicht zur ästhetischen Wahrnehmung antiker Skulpturen erworben, nicht nur in Hinblick auf ihre Form, sondern auch auf ihre Farbigkeit. Diese Rekonstruktionsmethode behandelt antike Skulpturen somit nicht mehr nur als archäologische Funde, anhand derer die antiken Pigmente studiert werden können, sondern vermittelt eine fundierte Impression des antiken Kunstgeschmacks. Die neuen Erkenntnisse über die Bedeutung der ästhetischen Wirkung markieren folglich einen Wendepunkt im Verständnis der Farbrekonstruktionen. Dieser Wandel lässt sich darüber hinaus an Vinzenz Brinkmanns Transdiziplinärem Gespräch an der

29 Ausstellungskatalog 2017 [2], S. 148.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

34a Sogenannte Kleine Herkulanerin, Archäologisches Nationalmuseum, Athen, 
Foto: K. Mann

34b Farbrekonstruktion der sogenannten Kleinen Herkulanerin, Vinzenz 
Brinkmann und Ulrike Koch-Brinkmann 2019, Foto: K. Mann

Goethe Universität in Frankfurt am Main aufzeigen, das er unter dem provokanten Titel Farbige Antike – Ein Angriff auf die Ideale der westlichen Welt30 am 25. Februar 2011 hält. Der Archäologe erläutert hierin, dass exakte Rekonstruktionen nicht möglich seien und folglich in diesem Zusammenhang mehr von „Konstruktionen“ gesprochen werden sollte. Des Weiteren legt Brinkmann dar, dass es sich bei Farbe auf antiken Skulpturen um eine visuelle Erfahrung handele, die, nach seiner Auffassung, in der historischen Reflexion schwer nachzuahmen sei. Dabei macht er deutlich, dass Innovationen der antiken Malerei auf Skulpturen übertragen wurden, um mit ihrer Hilfe den illusionistischen Effekt der Plastik von unbeständigen Lichtverhältnissen zu „emanzipieren“. Folgerichtig kommt Brinkmann zu dem Schluss, dass Polychromie auf antiken Skulpturen eine sinntäuschende Malerei sei. Somit entspricht die antike Polychromie auf Skulpturen dem ästhetischen Bedürfnis an Malerei. In der Gegenüberstellung seiner theoretischen Überlegungen und der angefertigten Modelle wird demnach eine deutliche Diskrepanz erkennbar. Die gleiche Kluft ist ferner zwischen fachspezifischen und nichtfachspezifischen Adressaten zu beobachten, da der

30 https://www.youtube.com/watch?v=FaKe_mRAOUQ (05.08.2017).

Archäologische Farbrekonstruktionen

von Brinkmann intendierte Erkenntnisprozess nur an wenigen Farb(re)konstruktionen in den Ausstellungen vermittelt wird. Die comichaft kolorierten Figuren wie der Löwe aus Loutraki werden somit wahrscheinlich als bewusstes Hilfsmittel eingesetzt, um zu provozieren wie auch zu schockieren und so die Sehgewohnheiten der Besucher herauszufordern, wie Brinkmann dies in einem Interview zur Ausstellung im Fine Arts Museums of San Francisco (2017) andeutet.31 Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob diese Intention des optischen Wachrüttelns von den Besuchern der Ausstellungen uneingeschränkt nachvollzogen werden kann. Im Katalog zur Ausstellung Golden Edition. Bunte Götter von 2020 erläutert Vinzenz Brinkmann dementsprechend: „Unsere experimentellen Rekonstruktionen stehen in der Tradition der Bemühungen von Leo von Klenze, Georg Treu, Edward Robinson und anderen und haben sich als zentrales Werkzeug des Erkenntnisgewinnes herausgestellt. Der Versuch einer vollständigen Wiedergewinnung zwingt zur Genese und Lösung zahlreicher neuer Fragestellungen. Erst das Experiment mit den antiken Malmaterialien und -techniken auf dem dreidimensionalen Körper kann für diese zuvor unbekannten Fragen Lösungsvorschläge erarbeiten. Naturgemäß werden für den Prozess einer Rekonstruktion Objekte gewählt, deren Farbigkeit möglichst gut erhalten ist. Die Rekonstruktion stellt grundsätzlich einen Versuch der Annäherung dar und wird niemals das ursprüngliche Erscheinungsbild vollständig wiedergewinnen. In Ermangelung einer Ausbildung in den antiken Werkstätten, die ja von Generationen zu Generationen ihre Technik und ihren Stil verändert haben, können moderne Rekonstruktionen zu keinem Zeitpunkt die künstlerische Raffinesse des Originals nachbilden, sondern bleiben das Ergebnis eines wissenschaftlichen und damit schematischen Prozesses.“32

Die Rekonstruktionen anderer Polychromieforscher erzeugen in Bezug auf die ästhetische Wirkung der antiken Skulpturen noch deutlicher eine bewusste Diskrepanz zwischen Farbmodellen und wissenschaftlicher Erkenntnis; diese ist so gravierend, dass gefragt werden muss, ob nicht andersgeartete Farbrekonstruktionsmethoden einen weniger irritierenden Eindruck beim Rezipienten hinterlassen würden. Insbesondere wird dies an Farbrekonstruktionen der Augustus-Statue aus Prima Porta deutlich. Hier hinterlässt beispielsweise das Liverani-Modell (Vatikanische Museen Rom, Inv.-Nr. 2290, Abb. 35a) aufgrund der Farbreduktion (Blau, Braun, Rot und Weiß), des Verzichts auf eine markante Hautfarbe sowie durch den unausgewogenen Farbauftrag einen deutlich befremdlicheren Eindruck beim Betrachter als beispielsweise eine

31 https://www.youtube.com/watch?v=jjDccOpwGys (10.01.2018). 32 Brinkmann 2020, S. 39.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

35a/b/c Farbergänzte Reproduktionsgrafik der Augustus-Statue aus Primaporta, © K. 
Mann34

kolorierte Zeichnung aus Ludvig Peter Fengers (1833–1905) Publikation ­Dorische Polychromie: Untersuchungen der Farbe auf dorischen Tempeln aus dem Jahre 1886 (Abb.  35b),33 in der dem Betrachter trotz des zweidimensionalen Charakters der Grafik durch Lichtund Schattenschraffuren wie auch dank der erweiterten Farbpalette ein ausgewogenerer Eindruck der Skulptur vermittelt wird. In der Gegenüberstellung wird deutlich, dass das plastische Modell nicht in der Lage ist, ein harmonisches Farbkonzept der antiken Fassmalerei zu generieren, obwohl die vorhandenen Farbreste (hauptsächlich ein warmes Kolorit, das durch kalte Farben akzentuiert wird)35 dies nahelegen würden. Stattdessen könnte der Rezipient aufgrund der optischen Qualität dieser Farbrekonstruktion einen negativen Eindruck von der antiken Fassmalerei erhalten. Dies belegt den immensen Einfluss des visuellen Hilfsmittels auf den ästhetischen Wahrnehmungsprozess; daher muss darauf geachtet werden, dass 33 Fenger 1886, Tafel 8. 34 Die Reproduktionsgrafik Abb. 35c zeigt eine eigene hypothetische Farbrekonstruktion der Augustus-Statue aus Prima Porta. Sie ist angelehnt an den Versionen von Liverani (Abb. 35a) und Fenger (Abb. 35b). Der größte Unterschied besteht hier im lederfarbenen Brustpanzer wie im dunkleren Inkarnat. Mit der sonnengebräunten Haut soll in Anlehnung an die Temperamentenlehre die Tatkraft der Figur unterstrichen werden. Bereits seit den alten Griechen ist durch eine dunklere Inkarnatfarbe nicht nur die Unerschrockenheit männlicher Soldaten hervorgehoben worden, sondern ebenfalls die der weiblichen Kriegerinnen wie beispielsweise der Amazonen (Abb. 36). Jockey 2015, S. 49. Darüber hinaus wird durch das rötliche Purpur seines Mantels Augustus’ imperialer Status unterstrichen, während das Karminrot in der Uniform seine militärische Stärke kennzeichnet. Jockey 2015, S. 59. 35 Die Untersuchungsergebnisse sind tabellarisch im Ausstellungskatalog festgehalten. Ausstellungskatalog 2003, S. 193.

Archäologische Farbrekonstruktionen

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36 Berittene Amazone (Detail), Westmetope Parthenon, 445–440 v. Chr., 
Akropolis-Museum Athen, Foto: K. Mann

ein Modell ansprechend gestaltet wird, um nicht eine irreführende Impression beim Betrachter zu generieren. Dies bedarf jedoch einer entsprechenden Fachkraft, die einen ästhetischen Effekt der antiken Fassmalerei zumindest in Ansätzen zu imitieren weiß. Der Vorteil anderer Medien bei der Visualisierung antiker Fassmalerei zeigt sich mitunter in Clarissa Blumes zweibändigem Werk Polychromie hellenistischer Skulptur. Ausführung, Instandhaltung und Botschaften von 2015, in dem sie auf kostenintensive Modelle verzichtet und stattdessen bei der Vermittlung ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse auf Rekonstruktionszeichnungen zurückgreift. Blume schreibt dabei selbst, dass für sie nicht nur der „Erkenntnisprozess [wichtig ist], anhand dessen die antike Bemalungstechnik rekonstruiert werden kann“36, sondern der „Informationsgehalt der polychromen Gestaltung hellenistischer Skulpturen“37 im Vordergrund ihrer Analysen steht. Insbesondere wird dies in den kolorierten Rekonstruktionsgrafiken des Apollon aus Delos (Archäologisches Museum Delos, Inv.-Nr. A4125)38 wie auch der Kleinen Herkulanerin39 (Archäologischen Museum in Athen, Inv.-Nr. 1827) sichtbar, mittels derer versucht worden ist, den ästhetischen Anspruch an die antike Fassmalerei wiederzugeben. Obwohl diese Farbrekonstruktionen aufgrund des starken mimetischen Eindrucks einen adäquaten ästhetischen Effekt erzeugen, schreibt Blume in ihrer Publikation:

36 37 38 39

Brinkmann 2003 [1], S. 3. Blume 2015, S. 103. Abb. 24.21, Blume 2015, CD-ROM. Abb. 25.62, Blume 2015, CD-ROM.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

„Rekonstruktionen als solche haben Stärken und Schwächen, können aber das Bild davon unterstützen, wie man sich die fragmentarischen Farbreste zusammengenommen vorstellen könnte. Es kann sich bei den Rekonstruktionen jedoch nicht um absolut fehlerfreie Abbildungen des antiken Erscheinungsbildes handeln. Dies liegt erstens darin begründet, dass für die Rekonstruktionen Partien, an denen sich keine Farbreste erhalten haben, mit Hilfe von Vergleichsbeispielen fiktiv erschlossen wurden, um ein lückenloses Bild der Statuen zu generieren. Zweitens stellt es für den Zeichner eine besondere Herausforderung dar, eine möglichst originalgetreue Strichintensität (bei der Buntstiftzeichnung) oder Farbintensität (bei Adobe Photoshop) festzulegen. Drittens können die Charakteristika einer reellen Farbfassung (wie beispielsweise der spezifische Pinselstrich) weder mit einer Buntstiftzeichnung noch mit einer computerbasierten Rekonstruktion imitiert werden. Je nach Aufwand der Bearbeitung einer Rekonstruktion bietet diese entweder nur einen Anhaltspunkt zur Einordung der festgestellten Farbreste oder eine nuancenreiche Abbildung des möglichen Erscheinungsbildes.“40

Diese selbstreflektierende Kritik in Bezug auf jedwede Farbrekonstruktion ist bemerkenswert, deutet sie doch an, dass es aufgrund der vielen Leerstellen keine authentischen Rekonstruktionen geben kann, ferner die meisten Farbrekonstruktionen auf vergleichendem Sehen beruhen müssen und damit Ähnlichkeiten zu den Re-Inszenierungsmaßnahmen des 19. Jahrhunderts haben. Damit ist hier festzuhalten, dass wissenschaftliche wie auch künstlerische Farbrekonstruktion ebenso wie die farbfreien Repliken niemals den Gesamteindruck der ursprünglichen Skulptur wiedergeben können. Analog zu Vinzenz Brinkmann zeigt somit auch Clarissa Blume neben den immensen Vorteilen ebenso die Mankos dieser Farbrekonstruktionen auf. Fernerhin ist festzuhalten, dass, während Brinkmanns Forschung mit modernen Untersuchungsmethoden eine Erneuerung der Polychromiedebatte bewirkt hat, der beachtliche Wert von Blumes Arbeit darin besteht, dass sie einen allgemeinen Einblick in den hellenistischen Zeitgeschmack ermöglicht, indem sie beispielsweise populäre Farbkombinationen bei der historischen Kleidung darstellt.41 Blume geht damit in der Polychromieforschung einen Schritt weiter, indem nicht nur einzelne Skulpturen auf ihre Farbgestaltung hin untersucht werden, sondern aus der Summe der zahlreichen Untersuchungsobjekte generelle Einsichten über die antike Farbästhetik ermittelt werden. Ihre Erkenntnisse geben dementsprechend Anhaltspunkte dafür, wie mögliche Farbergänzungen bei hellenistischen Skulpturen vorgenommen werden können, deren ursprüngliches Kolorit nicht mehr vorhanden oder bei denen eine wissenschaftliche Farbanalyse nicht möglich ist, um dennoch einen Gesamteindruck der antiken Farbigkeit zu erzielen. Vor allem scheint eine solch hypothetische Rekonstruktionsidee bei denjenigen

40 Blume 2015, S. 155. 41 Blume 2015, S. 62.

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

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Skulpturen reizvoll, die zu prägenden Erinnerungsorten der Antike zählen wie die Venus von Milo, Apollo von Belvedere oder die Laokoon-Gruppe; da hier die Sehgewohnheiten der Rezipienten besonders stark durch das Dogma der weißen Antike geprägt sind, stellt eine polychrome Gestaltung den Betrachter dort auch vor die größte Herausforderung. Eine solch hypothetische Farbrekonstruktion ist daher nur deswegen zu erwägen, da Farben von Künstlern nicht nur eingesetzt werden, um eine naturnachahmende Wirkung der Skulpturen zu erzielen, sondern darüber hinaus auch, um den damals vorherrschenden Zeitgeist zu reflektieren. Mit einer Identifizierung des Kunstgeschmacks kann somit ein Rückschluss auf die bevorzugte Polychromie einer Epoche sowie ihre malerische Umsetzung gezogen werden, ähnlich wie dies Mau für die pompejanische Wandmalerei geschlussfolgert hat. Die Geschichte der antiken Malerei, deren künstlerische Innovationen mit politischen oder sozialen Veränderungen einhergehen, kann folglich dabei helfen, wichtige Erkenntnisse für solch hypothetische Farbrekonstruktionen antiker Skulpturen zu generieren. In diesem Fall ist es wichtig, sich auf Farben, Farbtheorien, zeitgemäße Maltechniken und Malstile der jeweiligen Epochen zu konzentrieren, um einen umfassenden Eindruck von der antiken Fassmalerei zu erhalten.42 Das Resultat ist dabei nicht als ein authentisches Original zu verstehen, sondern als Rekonstruktion eines epochenbestimmenden Kunstgeschmacks, die dem Rezipienten einen Eindruck vom ursprünglichen Zweck der antiken Polychromie vermitteln soll. Hypothetische Rekonstruktionsversuche dieser Art sollen in Bezug auf die zuvor dargelegten Erkenntnisse über die antike Fassmalerei auch aus dieser Publikation resultieren; darüber hinaus erfolgt eine Ergänzung durch eigene Gedanken über die ästhetische Wirkung von farbig gefassten Skulpturen aus der Antike. Auch hier soll als Endergebnis ein visuelles Beispiel entstehen, um die theoretischen Überlegungen über die ästhetische Funktion mit einem optischen Hilfsmittel belegen zu können.

3.2  Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen: Eigene Gedanken zur ästhetischen Wirkung polychromer Skulpturen Eine geeignete Rekonstruktionsmethode zur Vermittlung der antiken Polychromie wird angesichts des steigenden Bedürfnisses nach einer identitätsstiftenden Historisierung sowie durch den kollektiven Wunsch nach einer Belebung der Geschichte von zunehmender Bedeutung,43 damit die gängigen Vorstellungen von der monochrom weißen 42 https://www.chnt.at/wp-content/uploads/Hypothetical-reconstruction-of-antique-sculptures-in-­ colour.pdf. 43 Dieses Bedürfnis zeigt sich nicht nur in neuen Altstädten, wie dies bereits in der Einleitung dargelegt wurde, sondern vor allem auch in historischen TV-Dokumentationen, die keine absolute historische

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

Antike endgültig aufgebrochen werden können. Dieses wissenschaftliche Unterfangen ist in Hinblick auf Massenmedien wie Kinofilme, Serien, Werbung, aber auch Dokumentarfilme, in denen die weiße Darstellungsart der Antike weiterhin dominiert, mit einigen Schwierigkeiten verbunden.44 Diese Problematik legt auch Mario Bloier in seinem Artikel Neue Bilder für den Limes!? Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte? Anforderungen an moderne Visualisierungen am Limes aus dem Jahre 2017 dar, der im Nachrichtenblatt der deutschen Limeskommission erschienen ist. Hierin beklagt der Archäologe die Macht „romantische[r] Bilder der Vergangenheit“45 und der „liebgewonnene[n] Bildikonen“46, vor deren Einfluss selbst Wissenschaftler nicht gefeit sind.47 Bloier erläutert: „Der Mensch ist auch ein visuelles Lebewesen. Neben Gerüchen und Geräuschen haben ebenso Bilder die Macht, uns in eine gewisse Stimmung zu versetzen – sei es Trauer, Freude oder Anteilnahme. Das kollektive Gedächtnis der Menschheit speichert Bilder der Vergangenheit, die schlaglichtartig erscheinen, wenn bestimmte Begriffe oder Gefühle beschrieben werden.“48

Diese assoziative Beeinflussung der kollektiven Erinnerung durch Bilder ist dabei so stark, dass „[f ]alsche Bilder […] nur schwer zu revidieren oder gar zu beseitigen [sind]“49, wie er schreibt. Die Gefahr einer irreversiblen Einflussnahme durch ein falsches vielfarbiges Bild ist damit immens. Daher muss die Art der Darstellung solcher Farbrekonstruktionen gut abgewogen werden, vor allem da Bloier erklärt, dass „[i]n der Rezeption der Nicht-Fachbesucher […] lediglich ein kurzweiliger ‚Aha-Effekt‘ [bleibt], [während] in der Fachwelt […] die Frage der Farbigkeit Thema unzähliger Fachtagungen und wissenschaftlicher Beiträge [ist]“.50 Damit hat sich offenkundig seit der Polychromiedebatte des 19. Jahrhunderts nichts Wesentliches verändert und das Thema ist vorrangig ein wissenschaftliches Phänomen geblieben.

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Wahrheit zeigen, sondern vielmehr durch 3D-Animationen oder Schauspielsequenzen eine Belebung der dargestellten Geschichte generieren. Die zahlreichen Dokus belegen dabei, dass dieses Vermittlungskonzept mit der kollektiven Notwendigkeit nach einer entsprechenden Visualisierung der Geschichte einhergeht. Beispielsweise zeigt das Videospiel Assasin’s Creed: Odyssey (Ubisoft) die griechische Antike polychrom, sodass der Spieler während seiner Erkundungen einen Einblick in die allumfassende Idee der Farbvielfalt erhält. Bloier 2017, S. 24. Bloier 2017, S. 25. Bloier 2017, S. 25. Bloier 2017, S. 24. Bloier 2017, S. 25. Bloier 2017, S. 27.

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

Es muss daher hier gefragt werden: Für wen werden diese Farbrekonstruktionen überhaupt gemacht und zu welchem Zweck? Ist ein Wandel in der ästhetischen Wahrnehmung der Antike überhaupt möglich oder hat sich die „edle Einfalt und stille G ­ röße“ Winckelmanns dermaßen im kollektiven Kunstgedächtnis verankert, dass wir eine historische Sichtweise fernab massenmedialer Darstellung nicht zulassen wollen? Oder anders formuliert: Sind wir überhaupt in der Lage, dieses Thema so nachhaltig in das kollektive Kunstgedächtnis einer breiten Öffentlichkeit zu etablieren, dass das Bild einer vielfarbigen Antike nicht mehr pauschal abgelehnt wird, ferner auch diese polychromen Skulpturen in ihrem ästhetischen Wert wahrgenommen und nicht mehr als unangenehm zurückgewiesen werden? Das Problem der Vermittlung der vielfarbigen Antike ist damit tiefgreifend und steht vor drei Herausforderungen: Erstens sind die Risiken sehr hoch, ein falsches Bild der Antike zu kreieren, zweitens ist der Nutzen dieser Farbrekonstruktionen offenbar infrage zu stellen, wenn Rezipienten sie pauschal ablehnen oder nicht annehmen wollen, drittens ist eine grundsätzliche Änderung der historischen Wahrnehmung vonnöten, da die Kunstgattungen der Antike als Einheit verstanden werden müssen. Eine fast unlösbare Aufgabe, bedeutet dies doch einen kompletten Wandel unserer Sehgewohnheiten in Bezug auf antike Kunstwerke und ihre ästhetische Beurteilung. Und doch scheint es angesichts des neuen Bedürfnisses nach einer Belegbarkeit von Geschichte und der besonderen Bedeutung von Bildern in unserer Zeit gerade jetzt notwendig zu sein, einen solchen Wandel vorzunehmen, da ansonsten die Gefahr besteht, dass das Thema der antiken Polychromie nur für die Wissenschaft sichtbar bleibt und so auch ein Riss zwischen wissenschaftlichem Konsens und den Vorstellungen der breiten Bevölkerung entsteht, der sich quer durch den Erinnerungsort der Antike zieht. Das Problem der liebgewordenen Topoi betrifft nicht nur die wissenschaftliche Vermittlung der Antike, sondern all derjenigen Epochen, deren Überreste durch ein subjektives Prisma interpretativ dargestellt werden müssen, um dem Rezipienten ein angemessenes Bild zu bieten. Die visuelle Gedächtnisstütze ist durch ihren beeinflussenden Charakter enorm wichtig für den Vermittlungsprozess, da markante Bilder nachhaltiger auf Rezipienten wirken als wissenschaftliche Beschreibungen, was die enorme Anzahl unterschiedlicher Rekonstruktionsmodelle belegt. Pictorial Turn beziehungsweise die Bedeutung angemessener Bilder

Die enorme Bedeutung der visuellen Hilfsmittel wird im Pictorial Turn der letzten Jahrzehnte evident; ein einprägsames Bild dient hierbei als „ikonische[s] Erkenntnisinstrument“51, das vollkommen unabhängig von seinem historischen Wahrheitsgehalt existiert. Diese manipulative Macht der Bilder wird bereits von Winckelmann für sein Buch Ge-

51 Brückner 2013, S. 15.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

schichte der Kunst des Alterthums ausgiebig genutzt, in dem er Kupferstiche zur Visualisierung seiner glorifizierenden Ideen verwendet. Entsprechend seinem Anspruch an die Publikation, keine rein historiografische Abhandlung über die Antike und ihre Kunst zu generieren, sondern vielmehr ein Lehrmittel zu erschaffen, stellen einige Illustrationen keine reinen Rekonstruktionen, sondern vielmehr formende Stimmungsbilder dar. Seit Winckelmann werden so in wissenschaftlichen Publikationen vermehrt ansprechende Bilder zur Vermittlung bestimmter Hypothesen über die Antike verwendet, um dem Rezipienten ein vermeintlich „authentisches“ Bild der Vergangenheit zu offerieren. Dabei werden zumeist Rekonstruktionen dargestellt, die ein makelloses und zeitloses Bild von der Antike präsentieren. Dies gilt auch für kostenintensive Farbrekonstruktionen, die mit dem Aufkommen des Polychromiestreits in Abhandlungen eingesetzt werden, um entsprechende Theorien einprägsam zu visualisieren.52 Die enorme Aufwertung des Bildes für die Humanwissenschaften birgt dabei in sich zum einen ein Erkenntnispotenzial, zum anderen aber auch viele Risiken, was vor allem auf der Tatsache beruht, dass die subjektive Bedeutungszuschreibung von Bildern entweder positiv oder negativ ausfallen kann, weitgehend gelenkt vom Bedürfnis des Vermittlers. So schreibt William Mitchell: „Was die Bedeutung des Pictorial Turn also ausmacht, liegt nicht darin, daß wir eine schlüssige Erklärung von visueller Repräsentation hätten, die unsere kulturhistorischen Begriffe diktieren würde, sondern daß Bilder eine sonderbare Reibungsfläche und Anlaß zu Unbehagen in einer breiten Vielfalt von intellektuellen Untersuchungen sind. Das Bild hat heute einen Status irgendwo zwischen dem, was Thomas Kuhn ein ‚Paradigma‘ genannt hat, und einer ‚Anomalie‘. Es taucht in den Humanwissenschaften als zentrales Diskussionsthema auf, so wie dies vormals die Sprache getan hat: d. h. als eine Art Modell oder Figur für andere Dinge (inklusive der Figuration selbst) und als

52 Das geschriebene Wort allein reicht heutzutage nicht mehr aus, um wissenschaftliche Theorien einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, was evident an populärwissenschaftlichen Vermittlungsmedien belegt werden kann, die auf Rekonstruktionsmodelle zurückgreifen, um ein ausdrucksvolles Bild der Vergangenheit zu offerieren. Dies zeigt beispielhaft das VR-Projekt von Palmyra, dass in einer Zusammenarbeit zwischen ZDF und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz realisiert worden ist. https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/antikes-palmyra-in-360-grad-und-3d-tour-eins-100.html (01.03.2019). Die 3-D Rekonstruktion der Stadt, deren historische Rudimente 2015 während des Bürgerkriegs in Syrien gesprengt wurden, wird hierin als homogene „Megacity“ ohne Menschen, Tiere oder Farben präsentiert, die eventuell ihre ästhetische Impression hätten verändern können. Obwohl die Rekonstrukteure eine „historische Korrektheit“ propagieren, wird eine sandsteinfarbige Metropole ohne polychromes Dekor gezeigt, die zwar den allgemeinen Vorstellungen einer monochromen römischen Stadt folgt, jedoch der historischen Farbvielfalt anderer Städte des römischen Reichs aus derselben Epoche, wie beispielsweise Pompeji, nicht entsprechen kann. Diesem Rekonstruktionsmodell der „edlen Einfalt und stillen Größe“ stehen offenkundig die „bunten“ Farbrekonstruktionen antiker Skulpturen entgegen, welche die Sehgewohnheiten der Besucher aufgrund der ungewohnten Farbkraft der Modelle herausfordern.

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

ungelöstes Problem, vielleicht sogar als Gegenstand einer eigenen ‚Wissenschaft‘, die Erwin Panofsky ‚Ikonologie‘ genannt hat. Am einfachsten läßt sich dies so ausdrücken, daß wir in einer Zeit, die oft als Zeitalter des ‚Spektakels‘ (Debord), der ‚Überwachung‘ (Focault) und einer alles durchdringenden Bildproduktion charakterisiert wird, immer noch nicht genau wissen, was Bilder sind, in welchem Verhältnis sie zur Sprache stehen, wie sie sich auf Beobachter und die Welt auswirken, wie ihre Geschichte zu verstehen ist und was mit ihnen bzw. gegen sie gemacht werden kann.“53

Der Einsatz eines aussagekräftigen Bildes zur Visualisierung der eigenen Hypothese ist somit im Zeitalter des Pictorial Turns eine absolute Notwendigkeit,54 um dem Rezipienten überhaupt eine angemessene Reibungsfläche bieten zu können. Dies gilt auch für Farbrekonstruktionen antiker Skulpturen, die einen nachhaltigen Eindruck von der antiken Polychromie vermitteln sollen. Das Bild erlaubt dementsprechend dem Rezipienten einen intuitiven Zugang zur wissenschaftlichen Idee, die der Text allein nicht einprägsam genug zu vermitteln vermag. Aufgrund der Tatsache, dass ein ansprechendes Bild für die Vermittlung wissenschaftlicher Theorien enorm an Bedeutung hinzugewonnen hat, sollen auch in dieser Publikation entsprechende visuelle Hilfsmittel generiert werden.

53 Mitchell 2018, S. 104. 54 Mitchell erläutert diesbezüglich: „Wenn wir uns fragen, warum heute, in einem Zeitalter, das häufig als ‚postmodern‘ charakterisiert wird, nämlich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, ein Pictorial Turn stattzufinden scheint, so stoßen wir auf ein Paradoxon. Zum einen ist auf überwältigende Weise klar, daß das Zeitalter von Video und kybernetischer Technologie, das Zeitalter der elektronischen Produktion, neue Formen visueller Stimulation und eines Illusionismus mit noch nicht dagewesenen Kräften entwickelt hat. Zum anderen ist die Furcht vor dem Bild, die Angst, daß die ‚Macht der Bilder‘ letztlich sogar ihre Schöpfer und Manipulatoren zerstören könnte, so alt wie das Bildermachen selbst. Idolaterie, Ikonoklasmus, Ikonophilie und Fetischismus sind keine ausschließlich ‚postmodernen‘ Phänomene. Was für unsere Situation spezifisch ist, ist genau dieses Paradoxon. Die Fiktion eines Pictorial Turn, einer Kultur, die vollständig von Bildern beherrscht wird, ist nunmehr zu einer realen technischen Möglichkeit in globalem Ausmaß geworden.“ Mitchell 2018, S. 106–107. Bilder werden heutzutage durch die schnelle Vermittlung im Internet und ihre selektive Verbreitung durch soziale Netzwerke zu einem noch unkalkulierbareren Machtpotenzial, als dies von Mitchell 1992 prophezeit wurde. Auch wenn dies nicht in solch einem Umfang auf wissenschaftliche Bildproduktionen zutrifft, wie auf massentaugliche Bilder, so hat dennoch die enorme Streuungsmöglichkeit Einfluss auf unsere „liebgewonnenen Bildikonen“ (Bloier 2017, S. 25), da die Problematik gefestigter Sehgewohnheiten noch mehr gesteigert wird. Der Pictorial Turn stellt uns somit vor die Herausforderung, wie Michell weiter erklärt, „daß, obgleich sich das Problem der bildlichen Repräsentation immer schon gestellt hat, es uns heute unabwendbar mit noch nicht dagewesener Kraft bedrängt, und das auf allen Ebenen der Kultur, von den raffiniertesten philosophischen Spekulationen bis zu den vulgärsten Produkten der Massenmedien. Traditionelle Strategien zur Eindämmung scheinen nicht länger adäquat zu sein, das Bedürfnis nach einer globalen Kritik der visuellen Kultur scheint zwingend.“ Mitchell 2018, S. 108. Trotz Mitchells Kritik an unserem Umgang mit Bildern überwiegen die Vorteile des Pictorial Turn offensichtlich die Nachteile, da verschiedene Disziplinen durch das Bild verbunden werden können.

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Polychromie antiker Skulpturen: Kolorierung oder Malerei?

Bevor jedoch ein eigener Rekonstruktionsversuch der antiken Fassmalerei erfolgen kann, müssen zunächst einige Überlegungen zur Funktion der Farbgestaltung antiker Skulpturen formuliert werden. Eine Idee hierzu liefert bereits Winckelmanns Titel Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst. Der essenzielle Begriff „Nachahmung“, der in unterschiedlichen Konstellationen in seiner Schrift auftaucht, hat – obwohl Winckelmann ihn nicht explizit auf die farbige Gestaltung antiker Skulpturen bezieht – einen deutlich mimetischen Ursprung gemäß Aristoteles, wonach der Mensch ein selbstreflektierendes Bedürfnis des Wiedererkennens hat.55 Die Mimesis ist dabei nicht nur physisch als ästhetisch-optischer Widerschein zu verstehen, sondern hat darüber hinaus einen weiteren wichtigen Aspekt inne, den Aristoteles in seinem zweiten Buch der Physik darlegt: „Und überhaupt ist es die Kunst, welche theil dasjenige noch gänzlich vollendet, was die Natur ins Werk zu setzen unvermögend ist, theils die Natur nachahmt; also, wenn das Kunstgemäße um eines Zweckes willen ist, so ist es auch das Naturgemäße, denn in dem Kunstgemäßen und Naturgemäßen verhalten sich das Frühere und das Spätere ganz in gleicher Weise zu einander […].“56

Aristoteles definiert folglich den Zweck von Kunst nicht nur als Nachahmung der Natur, sondern vielmehr als Verbesserung ihrer Unzulänglichkeiten. Somit ist die Kunst, wie es später Winckelmann formuliert, „noch mehr als Natur“57. Er folgt demnach Aristoteles’ Ideen, wenn er erläutert, dass das Studium der Natur einem Künstler nicht ausreichen würde, um ein ideales Abbild des Menschen zu erschaffen, denn dies würde man nur von den alten Griechen erlernen können.58 Schönheit erstand demgemäß in der Antike durch die künstlerische Korrektur der Natur. Mit seinem Buchtitel macht Winckelmann somit deutlich, dass sein Verständnis der antiken Kunst auf Aristoteles’ Idee der Mimesis beruht. Des Weiteren nimmt er jedoch an, dass eine Separation von Malerei und Skulptur bestünde, Winckelmann orientiert sich hierbei offenbar am Kunstbedürfnis seiner Zeit, da Farbe – nach Aristoteles’ Ansicht – eine „gemeinschaftliche Eigenschaft“59 mit der Form eingehen müsse, um Schönheit zu erschaffen. Nach antiker Farbenlehre erfüllt die Symbiose zwischen Kolorit und Kontur demnach den eigentlichen Zweck einer ästhetischen Naturnachahmung. Dies gilt im antiken Kunstverständnis gleichermaßen für Malerei auf einer zweidimensionalen oder

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Stenzel 2012, S. 14. Prantl 1854, S. 91–93. Winckelmann 1756, S. 4. Prantl 1854, S. 16. Voigt 1794, S. 176–177.

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

dreidimensionalen Unterlage. Die antike Fassmalerei ist folglich zweckgebunden und darf nicht getrennt von der Form betrachtet werden. Ergänzend erklärt Aristoteles in seinem Werk Poetik, dass Malerei nicht nur am eindringlichsten die Natur des Menschen wiedergebe, sondern gleichzeitig ihren Charakter visualisieren könne.60 Das Kolorit unterstützt demnach die Form in ihrer naturnachahmenden Wirkung, wobei eine gleichberechtigte Allianz zwischen Malerei und Skulptur unerlässlich ist, wenn eine vollkommene Natur (z. B. ein Mensch) künstlerisch erschaffen werden soll. Die Abwesenheit einer der beiden Symbionten bewirkt demzufolge eine Verzerrung des ästhetischen Resultats. Demnach ist bei der Analyse antiker Skulpturen die ursprüngliche Idee der Fassmalerei immer mit einzubeziehen, auch wenn sie am Objekt nicht mehr vorhanden ist, um ein mimetisches Gesamtkunstwerk zu generieren. Der Einfluss von Malmittel und –techniken auf die ästhetische Wirkung

Damit die künstlerische Wirkung auf einer theoretischen Ebene erörtert werden kann, um später eine hypothetische Rekonstruktion der antiken Fassmalerei zu erschaffen, ist zunächst eine historische Reflexion über antike Malerei und Maltechniken auf Skulpturen vonnöten. Daher sollen allgemeine Überlegungen zu relevanten Aspekten der Kunstgattung Malerei erfolgen, um die Eigenarten der antiken Fassmalerei besser beleuchten zu können. Lorenz Dittmann erläutert in seinem Handbuch über die Farbgestaltung in der europäischen Malerei, dass Malerei aus „Synthesen von Farbe und Licht“61 bestehe. Dementsprechend formuliert er in Bezug auf die antike Malerei: „Hier ist, seit frühgriechischer Zeit, das Bildlicht weithin ‚mit der Farbe identisch‘. In vielen Werken ist ein weißer Grund Basis der gesamten Buntfarbigkeit und stärkt die Farben in ihrer Buntkraft. Unfarbige Dunkelheit fehlt. Dunkel ist immer Farbe, auch beim Schwarz von Bildgründen. Schatten sind, wenn sie erscheinen, nie Reflexe von Finsternis, sondern sind nach den Hellen zu orientieren, wirken als durchhellte Halbschatten. So folgt die Farbgestaltung hier dem ‚koloristischen Prinzip‘ .“62

Damit stimmt Dittmann mit Cockerells Beobachtungen zur antiken Lichtfarbigkeit überein, wonach die Griechen für die Erzeugung von Lichtwahrnehmung Weiß mit anderen Farben vermengten und intensivere Farbnuancen zu Schattendarstellungen nutzten. Die antike Lichtmalerei erfüllt demnach offenbar denselben Zweck wie der Kolorismus im 19. Jahrhundert, wonach die Imitation des Lichts, beispielsweise nach den

60 Söffing 1981, S. 41–42. 61 Dittmann 2010, S. 9. 62 Dittmann 2010, S. 11.

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Ideen der Impressionisten, die „empirische Wahrnehmung“63 beherrsche und damit zur Nachahmung der Natur gehöre. Ein solcher Vergleich scheint zwar aus historiografischer Sicht argumentativ problematisch, doch einem künstlerischen Standpunkt folgend, wonach die M ­ alerei bestimmten ästhetischen Bedürfnissen unterliegt, nicht ganz abwegig zu sein. Bei der Natur­nachahmung, wie sie in der Antike und später im 19. Jahrhundert zum Kunstideal emporgehoben wurde, müssen ästhetische Lösungsvorschläge von M ­ alern generiert werden, die nicht nur den Farbreichtum, sondern auch das Verhältnis der Farbe zum Licht mit einbeziehen. Ein ähnliches Phänomen lässt sich auch in der venezianischen Malerei des 16. Jahrhunderts beobachten, in der Künstler wie Tizian (um 1488–1576), Tintoretto (1518–1594) und Veronese (1528–1588) durch das Ausschöpfen der unterschiedlichen Helligkeitsgrade der mannigfaltigen Farbtöne Licht und Schatten entwerfen, um so Räumlichkeit in ihren Werken zu erschaffen.64 Dadurch wird ersichtlich, dass ästhetische Ansprüche an die Malerei nicht allein epochenspezifisch entstehen, sondern allen voran künstlerischen Erfordernissen unterliegen und dementsprechend epochenübergreifend sein können. Dies zeigt sich beispielsweise an analogen Maltechniken, wie die „impressionistische Behandlung“65 in der Antike, die augenscheinlich demselben künstlerischen Bedürfnis unterliegt, wie ihr Pendant aus dem 19. Jahrhundert. Daraus resultiert, dass – neben der mimetischen Kontur und Farbe – auch die dreidimensionale Illusion einen wichtigen Bestandteil in der künstlerischen Naturnachahmung darstellt.66 Dieser Anspruch an die Lichtmalerei gilt bei den alten Griechen nicht nur für die Tafelmalerei, sondern auch für die Fassmalerei, wie dies Cockerells Untersuchungen der antiken Baukunst belegen konnten. Sie dient augenscheinlich zur Verbesserung des dreidimensionalen Eindrucks bei ungünstigen Lichtverhältnissen, da durch die Lichtmalerei die Impression von Licht und Schatten bei schlechtem Wetter, strahlender Sonne oder in Innenräumen trotzdem erfahrbar bliebt. Neben den Charakteristika der Malerei müssen unterschiedliche Arten mit einbezogen werden, um deren Spezifika im ästhetischen Ausdruck hervorzuheben. Die anschaulichste Aufteilung erfolgt dabei in Tafel- und Wand- bzw. Deckenmalerei. Hierbei bestehen die hervorstechendsten Unterschiede in der Möglichkeit zum Transport wie auch in der Größe der Unterlage.67 Dies geht einher mit einer ästhetischen Wahrnehmung von Detailgenauigkeit, welche aus der späteren Ansichtsperspektive resultiert. Je näher der Betrachter am Objekt stehen wird, desto detailreicher wird gearbeitet, damit die

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Dittmann 2010, S. 237. Dittmann 2010, S. 144. Michałowski 1970, S. 180. Gombrich 2010, S. 122. Berger 1904, S. 171.

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

minuziöse Naturnachahmung auch beim genaueren Ansehen deutlich wird, wodurch eine gewisse Intimität zwischen Bild und Rezipient entsteht. Hingegen wird bei einer großen Entfernung, beispielsweise an einer Decke oder Außenfassade, großflächig gearbeitet, damit auch von weitem das Dargestellte in seiner Gesamtheit erfasst werden kann. Die unterschiedlichen Ansprüche an Malerei wirken sich demnach auf ihre zweckgebundene Malweise aus. Das gilt vor allem für das Bedürfnis nach Individualität bei der Selbstreflexion von menschlichen Figuren. Je ausführlicher die Darstellung, umso mehr Wesensmerkmale können durch diese Kunstgattung hervorgehoben werden, was sich besonders in der Porträtmalerei widerspiegelt. Die perfektionierten menschlichen Konturen werden so durch farbliche Einzelheiten ergänzt, sodass ein Wiedererkennen für den Rezipienten forciert wird. Die Farbgebung erfolgt dabei nuanciert, um unterschiedliche Lichtbrechungen zu suggerieren. Der Teint wird nicht allein durch Hautfarbe wiedergegeben, sondern durch verschiedene Ockertöne abgestuft, denen Blau wie auch Rot beigefügt oder unterlegt wird, damit die Hautdichte nachgeahmt werden kann. Haare werden wiederum nicht nur in ihren Hauptfarben Schwarz, Braun, Rot und Blond koloriert, sondern untereinander vermengt und in verschiedenen Tönen abgestuft dargestellt. Die malerische Ausführung der Augen, die zusammen mit dem Mund einen bedeutenden Anteil am Wiedererkennungsprozess haben,68 folgt demselben Muster, sodass auch hier Farbabstufungen wie auch Mischfarben eingesetzt werden. Darüber hinaus wird durch Lichtpunkte im Auge eine natürliche Feuchtigkeit nachgeahmt, die dem Blick des Dargestellten eine gewisse Lebendigkeit und Intensität verleiht. Diese unterschiedlichen Farbeffekte lassen sich besonders eindrücklich an römisch-ägyptischen Mumienporträts (Abb. 37) aufzeigen, die, kongruent mit der römischen Bildhauerkunst zu jener Zeit, eine große Individualität der dargestellten Personen aufweisen. Hier wird deutlich, dass die Bedeutung einer nuancierten und naturgetreuen Farbgestaltung proportional mit dem Bedürfnis nach Individualität ansteigt. Bei Idealporträts wird Farbe hingegen symbolisch verwendet, so Blumes Einschätzung, wie der Einsatz von Gold als Inkarnatersatz bei Götterbildnissen belegt.69 In dieser Publikation sollen Blumes Auslegungen jedoch durch die Hypothese ergänzt werden, dass Gold in einigen Fällen auch als lichtreflektierende Unterlage für eine darüberliegende Haut- oder Haarfarbe gedient hat, um eine entsprechende Tiefenwirkung wie auch einen einzigartigen Schimmer zu erzielen.70 Diese Methode würde damit

68 Schwender 2006, S. 57. 69 Blume 2015, S. 104. 70 Diese Methode korrespondiert beispielshalber mit der Arbeitsweise des Barockmalers Rembrandt van Rijn (1606–1669), der für sein Gemälde die Betende alte Frau (1629/30, Residenzgalerie Salzburg, Inv. Nr. 562), „eine Grundierung aus Leim, Kreide und Bleiweiß aufgetragen und erst darauf

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37 Mumienporträt einer Frau (Detail), ca. 200 n. Chr., Petrie Museum of 
Egyptian and Sudanese Archaeology, London, Foto: K. Mann

im Resultat einen künstlerischen Hybrid zwischen Marmor- und Bronzestatue darstellen, wie Beispiele aus dem 19. Jahrhundert belegen.71 Bereits Carl Cauer (1828–1885) hat in den 1880er Jahren mit solch einem polychromen Verfahren auf Skulpturen experimentiert, bei dem „[d]er Künstler […] zunächst die zu bemalenden Statuen und Reliefs [vergoldet], […] dann feine Firnisfarben auf diesen Goldgrund auf[trägt] und […] an den erhabenen Stellen die Farbe hie und da derart weg[wischt], daß die Lichter der Modellierung innerhalb der bunten Bemalung goldig schimmern. […] Das Gold, auch wo es vollständig mit Farbe gedeckt ist, schimmert als Untergrund durch, namentlich wenn es von hellem Sonnenlichte getroffen wird, und trennt den auf diese Weiße höher gestimmten Farbton von vulgärer Naturnachahmung“72, wie Georg Treu dies eingehend beschreibt. Auch Robert Diez verwendet für sein Waldgeheimnis (1894, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. ZV 1389) einen Gold- und Silbergrund unter der Fassmalerei. Darüber hinaus setzt er seiner aus Lindenholz herausgearbeiteten Nixe Augen aus

hauchdünnes Gold gelegt [hat]“, was ein Forschungsprojekt aus Salzburg 2016 zutage förderte. http:// www.salzburg.com/nachrichten/welt/kultur/sn/artikel/in-salzburg-gibt-rembrandt-sein-geheimnispreis-200738/ (01.09.2017). 71 Den ästhetischen Effekt von antiken Bronzestatuen stellt das Liebieghaus Polychromy Research Project in der Rekonstruktion eines griechischen Helden (Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main, Inv.-Nr. ST.P712) eindrucksvoll dar. 72 Treu 1884, S. 28, 31.

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

Bergkristall ein,73 um die naturnachahmende Gestaltung der Figur zu unterstreichen. Diese Methode wurde bereits in der Antike gebraucht, um die Optik realer Augen zu imitieren. Die Anwendung einer Goldgrundierung, durch die versucht wird, den Hautschimmer nachzuahmen, dient demselben ästhetischen Anspruch. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der ästhetischen Wirkung von Malerei, neben ihrer Betrachernähe wie auch der Wahl des Untergrunds, ist die Maltechnik. Sie hat einen enormen Einfluss auf den Farbeffekt (matt oder glänzend) sowie auf ihre visuell zu erahnende Haptik, indem die Spuren des verwendeten Malwerkzeuges in unterschiedlichem Maße für den Betrachter sichtbar gemacht werden. Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen der Schichtenmalerei, in der einzelne Flächen übereinander mit Farbe ausgeführt werden, und der Farbmischtechnik, in der die Form durch Farbe modelliert wird. Mit der Verwendung von unterschiedlichen Bindemitteln kann der Maler das Gefühl für die Haptik der Farbe beeinflussen, die damit mehr oder weniger deutlich als Teil des künstlerischen Gefüges gesehen wird. Folglich wirken Malerei mit einer Warm-Wachs-Technik (Enkaustik) oder Malerei mit einer Wasser-Öl-Emulsion auf einer Harz-, Leim- oder Eibasis (Tempera) vollkommen unterschiedlich auf den Betrachter,74 da sich durch heterogene Maltechniken mannigfaltige Strukturwirkungen entfalten können. Dabei ist nicht nur die Trocknungsgeschwindigkeit von entscheidender Bedeutung, die verschiedene Effekte erlaubt, sondern auch die Benutzung eines entsprechenden Werkzeugs, beispielsweise eines Griffels (Enkaustik) oder eines Pinsels (Tempera), die spezifische Spuren hinterlassen.75 Letzteres ist deswegen so entscheidend, da ein sichtbarer Duktus vom Rezipienten als bewusstes Kunstmittel wahrgenommen wird. Entscheidend für die ästhetische Wahrnehmung von Malerei ist also die Wahl einer – dem erwünschten Effekt entsprechenden – Technik. Diese mannigfachen Wirkungen der unterschiedlichen Malweisen sind auch bei polychromen Skulpturen zu beobachten, wobei der naturnachahmende Anspruch nicht nur an die Form, sondern auch an die Fassmalerei gestellt wird. Eduard Magnus’ Die Polychromie vom künstlerischen Standpunkte (1872)

Eduard Magnus (1799–1872) stellt in seinem Vortrag über Die Polychromie vom künstlerischen Standpunkte (1872) weitere Spezifika der Malerei heraus, die er in Hinblick auf die mögliche farbige Gestaltung antiker Skulpturen untersucht hat. Er schreibt diesbezüglich:

73 https://loomings-jay.blogspot.de/2011/08/meerjungfrauen-waldnixen.html (04.09.2017). 74 Berger 1904, S. 180. 75 Knirim 1845, S. 299.

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„In beiden Kategorien, sowohl im Bereiche des Reliefs, als in der vollrunden Sculptur, muss man ferner einen Unterschied statuieren zwischen dem auf Vollendung angelegten Kunstwerke, und der nur für decorative Zwecke entstandenen Sculptur. Was in unmittelbarem Zusammenhange mit der Architectur ornamental entsteht, das muss begreiflicher Weise als integrierender Theil der Architectur auch conform mit ihr in Farbe kleiden.“76

Magnus schlägt demnach vor, die Fassmalerei unter dem Aspekt des Künstlerischen versus Dekorativen zu differenzieren. Diese Unterteilung impliziert eine jeweils andere Wertigkeit, die vom ästhetischen Ausdruck des Baukörpers oder der Skulptur abhängt. Daher ist anzunehmen, dass diese Unterscheidung sowohl von der Betrachternähe wie auch von dem Verwendungszweck des dreidimensionalen Objekts im Raum abhängig ist. An dieser Publikation ist allem voran jedoch Magnus‘ Kritik an seinen Zeitgenossen hervorzuheben, deren Präsentationsart monoton weißer Skulpturen inmitten farbig gefasster Innenräume von ihm als „Rathlosigkeit“77 gebrandmarkt wird. Hierbei erläutert er: „Also muss die gesunde Vernunft und guter Geschmack die Sache beurtheilen. Also urtheilt auch unsere Zeit; ja! Die meisten unserer Bildhauer ergreift sogar ein Grausen, sobald man ihnen nur davon spricht, der reinen Form das Geringste hinzuzuthun. Auch wir stimmen im Princip vollständig mit ihnen überein! Allein – ich frage anderseits: Muss und soll Sculptur, das vollrunde Kunstwerk, muss es absolut einfarbig verbleiben? Ist der schneeweise Marmor, ist vollends der Gipsabguss, diese gespensterhafte, absolute Farblosigkeit, ist gerade diese und diese allein das Rechte?“78

Magnus argumentiert ferner, dass die monochrom-weißen Skulpturen dem natürlichen Bedürfnis nach Lebendigkeit und Wärme entgegenstehen würden, und dass die antiken Griechen diese „frostige Monotonie“79 mit Farbe bezwungen hätten.80 Farbe dient demgemäß zur Überwindung ästhetischen Einerleis. Diese Erkenntnis entlehnt Magnus Fundstücken aus Pompeji und Herculaneum, wobei er feststellt: „Ein Blick in das alte Pompeji hinein eröffnet uns ein neues Verständniss, lässt uns keinen Zweifel länger darüber, dass man im Alterthum (nach Art und Natur des Kindes) lebendiger und allgemeiner sich in Farben gefiel; dass in jenen Zeiten eines

76 77 78 79 80

Magnus 1872, S. 14. Magnus 1872, S. 14. Magnus 1872, S. 14. Magnus 1872, S. 22. Magnus 1872, S. 22–24.

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

naturgemässeren Daseins auch überall ein grösseres Bedürfniss bestanden hat: die Monotonie in der Architektur sowohl, wie auch in der Skulptur nach orientalischer Art, so gut es ging, zu beleben. Pompeji, Herculanum und die anderen verschütteten Städte, sowie die in neuester Zeit in Griechenland an verschiedenen Orten geöffneten Grabkammern, sie belehren thatsächlich unwidersprechlich über dieses Phänomen. Ueberall tritt uns dort eine über­ raschend farbige Welt entgegen. Wer bis dahin die allgemeine Vorstellung getheilt hat, dass der Schwerpunkt griechischer Kunst in der Plastik zu suchen sei, der kann in Pompeji etc. eine andere Ueberzeugung gewinnen; dem muss es dort erleuchtend werden, dass bei den Alten die Malerei wohl eben so allgemein mit dem Leben verwachsen war, wie die Sculptur. Ueberall schmückten sinnigie farbige Darstellungen die Wände. Selbst das geringste Zimmerchen, der kleinste Raum, da wo Tageslicht in Ermangelung jedes Fensters nur durch die geöffnete Thür eindringen konnte – selbst dort durfte die Wand das lebendige muntere Bildchen nicht entbehren. Damals rankte und lebte die Kunst mit und an der Natur, und an was für einer Natur!“81

Diese längere Passage aus Magnus‘ Schrift macht somit deutlich, dass Malerei ein alles umgebender Bestandteil des antiken Lebens gewesen ist. Farbe war demnach ein wichtiges Element der antiken Kunstwahrnehmung. Dieses neue Verständnis der Bedeutung von Farbe im antiken Alltagsleben wäre infolgedessen ohne die Entdeckung Pompejis und anderer Ausgrabungsstätten kaum möglich gewesen.82

81 Magnus 1872, S. 34. 82 Der extreme Wandel in der zeitgenössischen Wahrnehmung von Antike ist demgemäß auf ein neues archäologisches Bewusstsein des 19. Jahrhunderts zurückzuführen. Daher bezeichnet Hans Kraemer (1870–1938) die Zeit als Epoche der Ausgrabungen. Krämer 1898, S. 403. Im Kapitel über Ausgrabungen, in dem er sich fast ausschließlich mit Pompeji beschäftigt, erläutert er diesbezüglich: „Das 19. Jahrhundert bedeutete auch für die Geschichte der Altertumswissenschaften einen großartigen Fortschritt. Während man in früheren Zeiten vorwiegend auf die durch das Mittelalter überlieferten schriftlichen Zeugnisse angewiesen war, suchte man in unserem Jahrhundert in dem antiken Boden selbst ältere und reine Quellen zu erschließen und damit nicht nur einen mehr unmittelbaren Eindruck von antiken Geiste und Leben, sondern auch eine festere und sichere Grundlage für die Forschung zu gewinnen. […] Die ersten Ausgrabungen wurden im Jahre 1748 unter der Herrschaft Karls von Bourbon vorgenommen. Was jedoch im vorigen Jahrhundert dort geschah, ist der Wissenschaft wegen der mangelhaften Methode und der Lässigkeit, mit der die Arbeiten betrieben wurden, verloren gegangen. Es waren eigentlich nur Raubzüge ohne höheren Zweck, die schließlich im Anfange unseres Jahrhunderts ganz ins Stocken gerieten. Planmäßig begann man erst unter der Herrschaft der französischen Könige Joseph Bonaparte (1806) und Joachim Murat (1808–15) zu graben.“ Krämer 1898, S. 403–404. Von besonderem Interesse an diesem Zitat ist dabei die Erwähnung eines „höheren Zwecks“. Erstmalig dienen Ausgrabungen nicht allein der Plünderung von Wertgegenständen, sondern auch der wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte. Die Ausgrabungen im 19. Jahrhundert sind demnach einem neuen historischen Bedürfnis unterworfen, mit dem auch die Aufwertung der Antike einhergeht.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

Neben dieser bemerkenswerten Charakterisierung der antiken Malerei als Alltagsphänomen sind vor allem Magnus‘ Ideen zum ästhetischen Zweck der Farbe auf Skulpturen eingehender zu untersuchen. Seine Einteilung in dekorativ oder künstlerisch geht dabei mit der Funktion des dreidimensionalen Objekts einher. Daher wird in der Baukunst vornehmlich eine dekorative Kolorierung verwendet, während vollendete Skulpturen zumeist eine mimetische Fassmalerei haben. Dieser Argumentation folgend wird auch in dieser Publikation davon ausgegangen, dass bei jeweils andersgearteten Ansprüchen an antike Skulpturen (Kunstwerk oder Dekorationsobjekt) auch unterschiedliche Techniken eingesetzt werden. Ähnlich den verschiedenartigen Bedürfnissen an Tafel- oder Wandmalereien ist die Fern- beziehungsweise Nahansicht der Skulptur entscheidend für die verwendete Maltechnik. Daher sollen im weiteren Verlauf vornehmlich nahansichtige Plastiken besprochen werden, damit der mimetische Anspruch an die antike Fassmalerei deutlicher hervorgehoben werden kann. Antike Farblehre, erörtert am Beispiel der hellenistischen Fassmalerei

Bei nahansichtigen Skulpturen ist eine Größen-, Qualitäts- und Bedürfnisunterscheidung vonnöten, die Einfluss auf das detailgenaue wie naturnachahmende Arbeiten hat. Je kleiner das Objekt, desto präziser muss der Maler arbeiten können, um markante Charaktermerkmale der Figur hervorzuheben. Skulpturen weisen daher eine bestimmte Mindestgröße auf, um die Kunstfertigkeiten in Form und Farbe eindrücklich abbilden zu können. Darüber hinaus ist sowohl ein herausragender Bildhauer als auch Maler essenziell für eine qualitativ hochwertige Arbeit, wobei auch individuelle Kunstideen ausprobiert werden können. Kultfiguren wie beispielsweise Götterbildnisse unterliegen ferner einem spezifisch religiösen Ideal, sodass das naturalistische Bedürfnis hier der andächtigen Funktion des Objekts untergeordnet ist und ein Farbcode das Aussehen der Figur prägt. Kultbilder folgen dementsprechend eigenen ästhetischen Normen. Diese symbolischen Besonderheiten sind wesentlich, da sie nachhaltig die Fassmalerei der Skulptur beeinflussen. Darüber hinaus sind für das Kolorit der Figur Kunstgeschmack und Farbmode entscheidend, die in den unterschiedlichen Epochen variieren können. Diesbezüglich erläutert Clarissa Blume, dass im Hellenismus beispielsweise verschiedene „Rot- und Gelbtöne aus Ocker und aus Eisenoxiden“83 vorherrschten. Zu dem konnte sie bei ihren Untersuchungen weitere Farbvorlieben feststellen, wie etwa unterschiedliche Rosa- und Blautöne, die insbesondere in der Variante Rosa und Hellblau ein sehr beliebtes Farbpaar darstellten. Farben wie Grün und Dunkelviolett sind hingegen seltener verwendet worden.84

83 Blume 2015, S. 41. 84 Blume 2015, S. 41.

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

Besonders an Gewändern lässt sich die vorherrschende Farbpräferenz aufzeigen. Blume erläutert, dass sie an den Skulpturen vor allem „dunkle Rottöne, dunkles Gelb, aber auch leuchtendes Rot, Rosa, Rosarot, Mittel- und Hellblau sowie Violett als Grundtöne“85 entdeckt hat. Dabei stellte sie an ihren Untersuchungsobjekten folgende bevorzugte Farbkombinationen fest: Rosa/Blau, Rosa/Violett, Rosa/Rot sowie Blau/ Gelb.86 Blumes Analyse der hellenistischen Farbmode zeigt eine Bevorzugung von Hell/ Dunkel- sowie von Warm/Kalt-Kontrasten. Diese farblichen Gegenpole lassen sich noch heute mit bloßem Auge an kleinfigurigen Terrakottaplastiken ablesen, an denen sich die Farben besser konserviert haben als auf Marmor. Daher sollen in dieser Publikation mit ihrer Hilfe unterschiedliche Farbkombinationen dargestellt und auf ihre ästhetische Wirkung hin untersucht werden. Terrakottafigurinen sind Kultobjekte, die als „Weihe- und Opfergaben“87 gedient haben. Trotz des relativ kleinen Formats zeichnen sich diese Kleinplastiken durch einen hohen Grad an Mimesis aus, die alsdann Rückschlüsse über die vorherrschende Farbästhetik zulassen. Hierzu erläutert Blume: „Zahlreiche gut erhaltene Terrakotten zeigen, dass sie selbst stets lückenlos bemalt waren und wie die großen Standbilder eine realistisch wirkende Farbfassung hatten. In vielen Fällen scheinen die Figuren in den dargestellten Motiven, im Darstellungstypus sowie dem plastischen Stil großformatigen Skulpturen aus Stein ähnlich. […] Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Farbpallette der Terrakottafiguren die gleiche ist wie die der Skulpturen, doch gibt es bei Terrakotten nur die Gestaltung mit einem realistischen Inkarnat […]. Darüber hinaus ist die polychrome Gestaltung von Terrakotten insgesamt einfacher gehalten […].“88

Blume nimmt damit an, ähnlich wie bereits Treu,89 dass sich die Fassmaler der Terra­ kottafiguren an der ästhetischen Wirkung populärer Großplastiken orientiert haben, wobei sie aufgrund des Formats weniger Details aufzeigen konnten und sich daher vor allem auf die Farbkombinationen konzentriert haben. Die Farbzusammenstellungen wirken dabei gerade wegen des Kleinformats eindringlicher, da zumeist keine malerischen Schmuckelemente angebracht worden sind. Details sind folglich dem naturnachahmenden Effekt dieser Figuren vorbehalten: Augen, Lippen etc. Dem Bedürfnis menschlicher Imitation unterliegt dabei sogar das Übernatürliche, sodass Götterbildnisse von denen Normalsterblicher kaum unterschieden werden können.

85 86 87 88 89

Blume 2015, S. 62. Blume 2015, S. 62. Blume 2015, S. 87. Blume 2015, S. 87. Treu 1884, S. 32.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

38 ­Farbergänzte Reproduktions­grafik einer weiblichen F­ igurengruppe aus dem ­B­ritish Museum, © K. Mann

Ein solches Beispiel stellt die weibliche Figurengruppe aus dem British Museum (Museumnr. 1885,0316.1) dar, bei der angenommen wird, dass es sich um Demeter mit Persephone handelt (Abb. 38).90 Die Terrakottaplastik wurde um 100 v. Chr. in Myrina gefertigt und zeigt zwei Frauen auf einem länglichen, blauen Sitzmöbel, wie sie sich im Gespräch zugewandt sind und so eine Dreieckskomposition bilden. Beide Frauen sind unterschiedlich charakterisiert, sowohl durch die Form ihrer Kleidung als auch durch die Farbigkeit. Das British Museum definiert die rechte Figur im weißen Chinton mit entblößter Brust als die „Ältere“, während die linke Frau im rosafarbenen Himation als die „Jüngere“ bezeichnet wird.91 Von besonderem Interesse ist an dieser Charakterisierung die entsprechende Farbzuordnung, in der Rosa die jüngere und Weiß die ältere Frau kennzeichnet. Die Farbe Rosa scheint demzufolge Jugendlichkeit zu assoziieren, während Weiß offenbar Reife oder Göttlichkeit charakterisiert. Mit dem Hellblau des Sitzmöbels wird ferner, neben der formgebenden Dreieckskomposition, eine Farbtrias erzeugt. Die Reduktion der Terrakottaplastik auf die markanten Farbfelder macht dementsprechend deutlich, wie hell und warm der ursprüngliche Eindruck durch die Dominanz von Rosa und Weiß gewesen ist. Das kühle Hellblau des Sitzmöbels hingegen dient als Farbbruch. Trotz der hier vorherrschenden warmen Farben wurde folglich vom Fassmaler darauf geachtet, einen farblichen Gegenpol zu kreieren, um eine malerische Spannung in die Figurengruppe einzubringen. 90 http://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details/collection_ image_gallery.aspx?partid=1&assetid=541743001&objectid=460453 (24.08.2017). 91 http://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details.aspx?assetId=34724001&objectId=460453&partId=1 (24.08.2017).

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

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39 Farbergänzte Reproduktionsgrafik einer Tanagrafigur aus dem Louvre, © K. 
Mann

Diese spannungsreichen Farbfelder dienen darüber hinaus auch dazu, das Auge des Betrachters zu lenken, was insbesondere bei einer Tanagrafigur aus dem Louvre (Dame en bleu, ca. 300 v. Chr., Inv.-Nr. MNB 907) ersichtlich wird. Die verhüllte Frauendarstellung mit Spiegel wird durch einen Blau/Gold-Kontrast dominiert, wobei über einen gelben Untergrund Blattgold aufgelegt wurde. Das Gold verziert bei dieser Figur den Saum des Himation und kreiert so ein auffälliges Zickzackmuster, das sich vom Kopf bis zu den Knien zieht. Die Reproduktionsgrafik (Abb. 39) zeigt deutlich, wie stark das Goldgelb hervortritt und dafür das Blau an Dominanz verliert. So entsteht durch malerische Mittel eine Bewegung, die konträr zur kompakten Figur angelegt ist. Mithilfe der Farben wird eine Dynamik erzeugt, die die Form allein nicht darstellt. Die vermeintlich ruhige Frauendarstellung erhält infolgedessen eine neue Wirkungsstärke. Der gleiche Effekt zeigt sich ebenfalls an einer Kleinplastik aus Berlin (Antikensammlung Berlin, Inv.-Nr. 1986.33), die von Blume eingehender untersucht wurde. Hierzu erläutert sie: „Die rosa Fassung, die ihr Himation rahmt, ist mit einzelnen blauen Pigmenten durchsetzt. Die blau wirkende Farbe ihres Chitons ist aus Blau, Rosa und Schwarz gemischt und die grün wirkende Farbe des mittleren Feldes ihres Chitons aus Grün, Blau, Schwarz und etwas Rosa. Die violette Fassung ihrer Standfläche beruht auf einer Mischung aus Rosa, Rot, Blau und Schwarz.“92

92 Blume 2015, S. 89.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

40 Farbergänzte Reproduktionsgrafik e ­ iner tarentinischen ­Terra­kotte der 
 Staat­lichen Museen zu Berlin, © K. Mann

41 Verkleinerte Farbrekonstruk­tionen der Stehenden ­ rinkmann, 
Ulrike Koch-Brinkmann Muse, Vinzenz B und Bianca Larissa Kress, Foto: K. Mann

Die hier zitierten Untersuchungsergebnisse machen somit deutlich, dass die Mischtechnik dazu verwendet wurde, hybride Farben zu erzeugen, wie ein kaltes Rosa oder ein warmes Blau. Diese Farben schaffen demzufolge im unteren Bereich (Abb. 40) der Terrakottafigurine ein abwechslungsreiches Farbfeld, das vom Bildhauer monoton gestaltet worden ist. So entsteht durch den Einsatz von Farbe für den Betrachter ein Spannungsfeld, wo eigentlich keines ist. Die malerische Platzierung von Farbe auf Skulpturen dient demzufolge dazu, die Form durch Farbkontraste zu vervollkommnen und so spannungsreiche Farbfelder für den Betrachter zu schaffen, die die Form nicht bietet. Die Fassmalerei der antiken Skulpturen soll dementsprechend nicht nur den naturnachahmenden Effekt unterstützen, sondern auch Spannungsfelder dort erzeugen, wo die Kontur dies nicht leistet. Dieser enorme Einfluss von Farbe wird vor allem bei größeren reizlosen Flächen ersichtlich, wie sie vornehmlich bei Großplastiken entstehen können. Folglich ist es hier vonnöten, die formbedingten Leerstellen mit Farbe zu füllen. Dies wird eindrücklich an der sogenannten Stehenden Muse (Statue der Thalia, Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main, Inv.-Nr. 160) aus der Liebieghaus-Sammlung deutlich, deren Farbreste in Kooperation mit der Frankfurter Goethe-Universität eingehender untersucht wurden (Abb. 41). Hierbei stellte man folgende Pigmentspuren fest: Bleiweiß, Krapplack

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

42a/b/c/d Farbergänzte Reproduktionsgrafiken der Stehenden Muse, © K. Mann93

(Rosa), Ägyptisch Blau, Azurit, Gelb sowie Eisenoxidrot.94 Darüber hinaus erklärten die Rekonstrukteure, dass an der Vorderseite des Mantels gelbe und blaue Farbreste entdeckt wurden, die darauf hinweisen, dass ein figuratives Schmuckband mit Wagenlenkern das Gewand zierte.95 Des Weiteren wird die Hypothese formuliert, dass das Untergewand breite Längsstreifen aus Malachitgrün (Abb. 42c) aufwies, obwohl sich keine Farbreste hierfür finden ließen.96 Die unterschiedlichen Farbrekonstruktionsgrafiken (Abb. 42) zeigen eindrücklich, wie sich der ästhetische Ausdruck der Figur durch den Einsatz des abwechslungsreichen Farbkonzepts verändert und so in der kompakten Figur spannungsreiche Farbfelder geschaffen werden. Vor allem die blauen Streifen erzeugen Dynamik, während das warme und dunkle Eisenoxidrot als Gegenpol eingesetzt wird, um ein Wechselspiel mit den 93 Die Farbrekonstruktionsgrafiken beruhen auf Untersuchungsergebnissen aus dem Ausstellungskatalog Golden Edition. Bunte Götter (2020). Dennoch weichen die Farbnuancen der Farbrekonstruktionsgrafik deutlich von den Brinkmann’schen Farbmodellen (Abb. 41) ab, da hier eine andersgeartete Farb­definition von Eisenoxidrot angenommen wird, die auf historischen Vergleichsbeispielen (Abb. 43) beruht. Der unterschiedliche Farbausdruck dieser Figur belegt dabei den immensen Einfluss des Kolorits auf die ästhetische Wirkung der Figur, wobei ebenfalls deutlich wird, wie komplex die Entscheidungen bei einer Farbrekonstruktion sein können. 94 Ausstellungskatalog 2020 [1], S. 85. 95 Ausstellungskatalog 2020 [1], S. 85. Das figurative Schmuckband mit Wagenlenkern legt die Hypothese nahe, dass eine historische Schlacht dargestellt wurde. Die ursprüngliche Fassmalerei hätte also dazu gedient, die sogenannte Stehende Muse als Klio (Geschichte) und nicht als Thalia (komische Dichtung) zu identifizieren. 96 Ausstellungskatalog 2020 [1], S. 86.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

43 Stabianer Thermen, Innenansicht (Detail), Pompeji 2017, Foto: K. Mann

lichteren und kühleren Farben zu erzeugen. Die Komplexität des Farbkonzepts macht dabei deutlich, dass insbesondere bei repräsentativen Großplastiken eine Zusammenarbeit zwischen Bildhauer und Maler unerlässlich gewesen sein muss, damit eine ästhetische Vereinigung beider Kunstgattungen erfolgen konnte. Künstlerische Kooperation von Bildhauern und Malern am Beispiel der Aphrodite von Knidos

Eine solche Fusion zwischen Bildhauer und Maler sieht Georg Treu in der künstlerischen Zusammenarbeit von Praxiteles (395–330 v. Chr.) und Nikias (Mitte des 4. Jahrhunderts), die er als einen handfesten Beleg für die totale Polychromie in der Antike begreift. So schreibt er: „Wie hoch übrigens die Leistungen der Statuenmaler unter Umständen geschätzt wurden, beweist am besten die Thatsache, welche sich aus der bereits erwähnten Antwort des Praxiteles ergibt. Wenn der berühmte Nikias, einer der ersten Maler seiner Zeit, wenn dieser Künstler sich nicht für zu gut hielt, dem Praxiteles seine Statuen zu bemalen – dann liegt hierin für uns doch wohl die sicherste Bürgschaft, daß Schönheit und Feinheit der Färbung gewißlich nicht hinter den Formen zurückgeblieben sein werden, die der große Bildhauer geschaffen.

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

Und wie seltsam erscheint im Lichte dieser Nachricht, die Meinung derjenigen, welche eine Bemalung von Statuen überhaupt barbarisch schelten und insbesondere behaupten, Farbe und Vergoldung seien bei Marmorwerken der Alten stets nur für Neben­ sachen angewendet worden. Praxiteles also sollte den stolzen und fürstlich reichen Nikias bemüht haben, damit dieser ihm bei seinen Statuen das Haar vergolde, den Augenstern male und etwa hie und da am Gewande ein schüchternes Säumchen oder Ornamentchen anbringe?“97

Diese Kooperation zwischen zwei ranggleichen Künstlern zeigt deutlich den ästhetischen Anspruch von Praxiteles an die Fassmalerei seiner Werke. Dabei ist Nikias offenbar der einzige Maler in seinem Umfeld gewesen, der aufgrund seines Könnens diesem Anspruch gerecht werden konnte. Um jedoch die künstlerische Kooperative zwischen Praxiteles und Nikias eingehender an einem Beispiel untersuchen zu können, ist es zunächst notwendig, verkürzt auf die Biografien der beiden Künstler einzugehen. Praxiteles zählt zu den bekanntesten Bildhauern der Übergangszeit von der Klassik zum Hellenismus, dessen Werke aus Marmor in verschiedenen Schriften98 sowie in römischen Kopien überliefert worden sind.99 Insbesondere das Werk Aphrodite von Knidos begründet dabei seinen Ruhm. Diese heute nur noch in Kopien vorhandene Statue verkörpert „die erste großformatige Rundplastik, die die Liebesgöttin vollkommen unbekleidet darstellte“.100 Reinhard Stupperich erläutert in seinem Essay über Praxiteles, dass die antiken Zeitgenossen vor allem den Naturalismus lobend hervorgehoben haben, wobei der „Marmor wie wirkliche Haut wirkte“101. Diese menschliche Illusion ist dabei so erfolgreich gewesen, so Stupperich weiter, dass sich die Rezipienten regelrecht in Praxiteles’ Marmorskulptur verliebten.102 Folglich ist anzunehmen, dass eine ansprechende Bemalung sehr wichtig für diesen Effekt gewesen sein musste. Um ein dermaßen überragendes Resultat erzielen zu können, ist eine Zusammenarbeit mit einem Maler unerlässlich, der dieses naturnachahmende Wunschbild durch Farbe Wirklichkeit werden lassen kann. Solch ein Maler ist fraglos Nikias von Athen gewesen, der ein Freund von Praxiteles war. Er wurde vor allem für seine Darstellungen weiblicher Figuren berühmt, indem er erstmalig das Pigment cerussa Usta (gebrannte Umbra)103 anwendete,104 das sich aufgrund seiner tiefdunklen Färbung ideal für ­Schattendarstellungen eignet.105 Martin Robertson erläutert darüber hinaus, dass ­Nikias,

97 Treu 1884, S. 24. 98 Friedrichs 1855, S. 8. 99 Stupperich 1999, S. 289. 100 http://viamus.uni-goettingen.de/fr/sammlung/ab_rundgang/q/07/04 (01.08.2017). 101 Stupperich 1999, S. 291. 102 Stupperich 1999, S. 291. 103 Funke 1802, S. 463. 104 Pierer 1844, S. 14. 105 Wiegmann 1836, S. 225.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

nach seiner Kenntnis, einer der ersten Maler gewesen sein soll, der überhaupt das Inkarnat von Frauenfiguren schattierte.106 In den Biografien von Praxiteles und Nikias zeigt sich folglich ein wichtiger künstlerischer Konsens: die innovative Darstellung von Frauenfiguren. Dementsprechend muss angenommen werden, dass Nikias auch für das Kolorit der Aphrodite von Knidos zuständig gewesen ist. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, welche Maltechnik er hätte anwenden können, damit er einen ansprechenden Effekt erzielen konnte. Die Künstleranekdote von Plinius dem Älteren (um 23–79 n. Chr.), auf die sich Treu bezieht, vermittelt nicht nur die besondere Wertschätzung des Bildhauers für den Maler, sondern gibt auch einen Hinweis auf die verwendete Maltechnik. Diesbezüglich schreibt er, dass auf die Frage, welche seiner Skulpturen er als die besten ansehe, Praxiteles erwidert habe: diejenigen, deren „circumlitio“ von der Hand des Nikias stammen.107 Diese Formulierung impliziert, dass Plinius mit „circumlitio“ anscheinend eine Maltechnik bezeichnet, die Nikias besonders gut beherrscht hat. Schon im 17. Jahrhundert gehen Wissenschaftler der Frage nach, was Plinius der Ältere mit dem Begriff „circumlitio“ meinen könnte. Carlo Roberto Dati (1619–1676) geht in seiner Abhandlung über des Leben der alten Maler (1667) davon aus, dass hiermit eine „Glättung und letzte Reinigung“108 bezeichnet wurde, während Jean Hardouin (1646–1729) unter Berücksichtigung dessen, dass Nikias ein Maler gewesen ist, von einer dünnen Lasur ausgeht, mit der die Brillanz des Marmors hervorgehoben und gleichzeitig der Stein geschützt werden sollte.109 Winckelmann hingegen vertritt die Theorie, dass „circumlitio“ keine Maltechnik, sondern die Korrektur eines Tonmodells sei. Er erläutert jedoch nicht, warum ausgerechnet ein Maler ein dreidimensionales Modell eines Bildhauers überarbeiten sollte.110 Oliver Primavesi legt hierzu dar, dass Winckelmann in seiner Annahme einem semasiologischen Argument folgt, wonach „das lateinische Verb linere, von dem circum-litio abgeleitet ist“111, die wörtliche Übersetzung „ringsum bestreichen“ naheliege. Demzufolge könnte mit diesem Begriff das Auftragen von etwas Pastösem charakterisiert worden sein. Quatremère de Quincy (1755–1849) verweist wiederum bei seiner Definition darauf, dass Nikias mit enkaustischen Farben gearbeitet habe und somit „circumlitio“ diese besondere Maltechnik auf Stein beschreibe.112

106 107 108 109 110 111 112

Robertson 1959, S. 167. Primavesi 2011, S. 23. Primavesi 2011, S. 23. Primavesi 2011, S. 24. Primavesi 2011, S. 24. Primavesi 2011, S. 24. Quatremère de Quincy 1815, S. 45. Quatremère de Quincy hält dabei satte Farben auf Skulpturen jedoch für unwahrscheinlich. Er erläutert diesbezüglich: „Ces teintes incorporées par l’encaustique, n’ayant aucune épaisseur, et n’étant qu’une approximation du ton réel des objets, ne détruisaient pas l’opinion d’unité dans la matière, et pouvaient sembler n’être que le jeu des nuances d’un marbre que

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

Neueste Studien, wie beispielsweise die Primavesis, erläutern hingegen, dass mit dem Begriff „circumlitio“ die Bemalung einer antiken Skulptur an sich bezeichnet wird, was aus seinem Kommentar zu Winckelmanns Ideen sehr deutlich wird. Hierzu schreibt er: „Winckelmanns semasiologische Argumentation ist indessen leicht zu widerlegen, da sie an der Tatsache vorbeigeht, dass Plinius den Begriff circumlitio terminologisch als Lehnübersetzung aus dem Griechischen verwendet: Gerade in dem […] Polychromie-Zeugnis in Platons Staat, das Winckelmann anführte und korrekt erklärte, bezeichnet das griechische Vorbild von (circum-) linere, d. h. (en-)aleiphein, eindeutig die farbige Fassung von Marmorstatuen, so dass dieselbe Bedeutung ohne weiteres auch für circumlitio bei Plinius anzunehmen ist.“113

Dies scheint meines Erachtens jedoch nicht ausreichend zu sein, da die haptische Wahrnehmung der Maltechnik so evident gewesen sein muss, dass ihre Optik mit dem Beiwort „linere“ überhaupt erst assoziiert werden konnte. Damit wird hier Quatremère de Quincys Interpretation befürwortet, dass Plinius der Ältere mit „circumlitio“ eine Maltechnik bezeichnet hat, jedoch nicht seine Annahme über eine durchsichtige Malweise, in welcher der Stein im Endeffekt sichtbar bleibt.114 Hingegen wird in diesem Punkt, Winckelmanns semasiologischem Interpretationsansatz über das „Aufstreichen“ von etwas Dickflüssigem folgend, die Hypothese formuliert, dass mit „circumlitio“ eine pastöse sowie mehrschichtige Fassmalerei bezeichnet wird. Dies würde optisch der Maltechnik entsprechen, die am sogenannten Treu-Kopf (2. Jh. n. Chr., The British Museum, London, Inv. 1884,0617.1) festgestellt werden konnte.115 Damit wird in dieser Publikation davon ausgegangen, dass „circumlitio“ einen ähnlichen haptischen Eindruck charakterisiert, wie ihn Winckelmann bei Wandgemälden vorgefunden hat, welche mit „dick aufgesetzte[n] Farben“116 geschaffen wurden. Diese seien

113 114 115 116

la nature se serait plue à diversifier. On eut en effet moins admiré ce semblant d’illusion, s’il eût paru être l’effet de la peinture.“ Quatremère de Quincy 1815, S. 50. Er bezieht sich hierbei auf Kallistratos (3. Jahrhundert v. Chr.) Skulpturenbeschreibung einer Bacchantin bzw. Mänade mit totem Tier, die vom griechischen Bildhauer Skopas (395–350 v. Chr.), einem Zeitgenossen Praxiteles, geschaffen worden sein soll. In seiner Schilderung der Figur hebt er insbesondere einen herausragenden Effekt hervor, durch den das tote vom lebendigen Fleisch durch die verwendete Farbe deutlich unterschieden werden konnte. Der Gegensatz kommt dabei durch eine farbige Gegenüberstellung zustande, in der das „aschfahle“ Zicklein (Primavesi 2003, S. 235.), das mit Tod assoziiert wird, im Kontrast zur kräftigen Inkarnatfarbe der Bacchantin dargestellt wird, was die Tatkraft der Figur unterstreicht. Dabei muss angenommen werden, dass mit der Beschreibung des Zickleins als „aschfahl“ eine gräuliche Mattfarbe gemeint ist, die der leuchtenden Hautfarbe gegenübergestellt wurde. Für solch einen Effekt eignen sich Lasurfarben, wie sie von Quatremère de Quincy angenommen werden, jedoch nur bedingt, sodass seine Hypothese ein Ausdruck des vorherrschenden Kunstgeschmacks sein kann. Primavesi 2011, S. 25. Quatremère de Quincy 1815, S. 50. Ausstellungskatalog 2020 [1], S. 126. Berger 1904, S. 65.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

dabei so dickflüssig gewesen, wie er schreibt, dass sie „von der Seite beleuchtet einen Schatten werfen“117. Ob Nikias für den naturalistischen Effekt Tempera- oder Wachsfarben verwendet hat, kann heute nicht zweifelsfrei geklärt werden. Beide Varianten sind möglich, wobei eine von Berger beschriebene Mischtechnik (Eitempera vermengt mit punischem Wachs)118 der optisch erahnbaren Haptik einer dickflüssigen Farbe am nächsten kommen würde und dabei auch das von Peter von Cornelius (1783–1867) beschriebene Farbleuchten „ähnlich dem Fettglanz der menschlichen Haut“119 innehätte. Jedoch ist ebenfalls die Pinselenkaustik unter Verwendung eines Nussöls vorstellbar, da Nikias von Athen diese Technik erstmalig in der Tafelmalerei angewendet haben soll.120 Temperamentenlehre und Inkarnatfarben

Die verwendete Maltechnik ist allen voran im Zusammenhang mit der ästhetischen Imitation von Haut von besonderem Interesse. Wilhelmina Lepik-Kopaczyńska erläutert diesbezüglich in ihrem Aufsatz über Die Inkarnatsfarbe in der griechischen Malerei aus dem Jahre 1963, dass für die unterschiedlichen Hautnuancen sowohl Farbschichten als auch Mischfarben verwendet worden sind.121 Die farbliche Unterscheidung dient hierbei nicht nur zur Kennzeichnung von Geschlecht oder Alter, sondern darüber hinaus auch zur Charakterisierung der „vier physischen Typen“122 nach Hippokrates (um 460–370 v. Chr.). Entsprechend seiner Humorallehre – die sich später zur Temperamentenlehre (Abb. 44a/b/c/d)123 entwickelt – entstehen auf diese Weise folgende Farbassoziationen in Bezug zum Inkarnat:124 1. Sanguiniker (RG8a)

rötlich

2. Choleriker (RG8b)

gelblich

3. Phlegmatiker (RG8c)

weiß/hell

4. Melancholiker/Pessimist (RG8d)

grünlich

Berger 1904, S. 65. Berger 1904, S. 203. Berger 1904, S. 69. Pieszczek 1973, S. 445. Lepik-Kopaczyńska 1963 [2], S. 108. Lepik-Kopaczyńska erläutert darüber hinaus, dass die vier Inkarnatfarben „[…] zur Untermalung der nackten Partien des menschlichen Körpers [gedient haben] […], auf denen dann die endgültige Farbmodellierung ausgeführt wurde“. Lepik-Kopaczyńska 1963 [2], S. 108. 122 Lepik-Kopaczyńska 1963 [2], S. 102–103. 123 Die Rekonstruktionsgrafiken (Abb. 44) zeigen bei Verwendung der unterschiedlichen Inkarnatfarben nach Hippokrates’ Lehren einen mannigfaltigen ästhetischen Ausdruck derselben Figur. Haar- und Stofffarbe sind neutral schwarz gehalten, um die unterschiedlichen Inkarnatfarben deutlicher hervorheben zu lassen. 124 Lepik-Kopaczyńska 1963 [2], S. 107–108. 117 118 119 120 121

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

44 a/b/c/d Farbergänzte Reproduktionsgrafik der Aphrodite von Knidos, 
unterschiedliche Inkarnatfarben, © K. Mann

Analog zu Hippokrates’ Lehren lassen sich bei antiken Skulpturen solch Psychologisierungen der Inkarnatfarbe belegen. Ein entsprechendes Beispiel führt Plutarch (um 45– 125 n. Chr.) an, indem er erläutert, dass der Gemütszustand der Königin Iokaste an einer Statue mithilfe der Hautfarbe ausgedrückt worden ist.125 Untersuchungsergebnisse von Brinkmann, Koch-Brinkmann und Piening zeigen ferner auf, dass der Inkarnatfarbe neben Gelb-, Weiß- und Rotpigmenten auch Ägyptisch Blau beigemischt wurde, um den „veristische[n] Effekt“126 zu verstärken. Die Komplexität der ästhetischen Imitation von Haut spiegelt sich dementsprechend nicht nur in der Maltechnik, sondern auch in der Wahl der mannigfaltigen Pigmente wider. Welche Farbtechnik Nikias auch immer für die Fassmalerei der Aphrodite von Knidos verwendet haben mag, um solch einen veristischen Effekt zu erzielen, denkbar ist, dass Praxiteles gerade die Fähigkeiten seines Freundes am meisten schätzte, die den „ästhetischen Schein“127 des Inkarnats am eindrücklichsten zu unterstützen vermochten. Allen voran ist bei der Darstellung eines Akts aufgrund der großflächigen Darstellung von Haut ein mimetischer Effekt von enormer Bedeutung und damit eine Synergie herausragender Künstler bei solch einem Werk essenziell. Die Skulptur stellt einen markanten Wendepunkt in der Kunst der Griechen dar, daher soll in dieser Publikation der Versuch einer hypothetischen Analyse der polychromen Wirkung rekonstruiert werden, um ein

125 Henke 2020, S. 63. 126 Ausstellungskatalog 2020 [1], S. 125. 127 Primavesi 2003, S. 236.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

45 Knidische Aphrodite, röm. Kopie nach Praxiteles, um 350 v. Chr., Glyptothek 
München, Foto: K. Mann

46 Perseus und Andromeda (Detail), römische Kopie nach Nikias von Athen, um 
79 n. Chr., Archäologisches Nationalmuseum Neapel, Foto: K. Mann

Bewusstsein für den ästhetischen Zweck des naturnachahmenden Effekts dieses Kunstwerks zu evozieren.128 Versuch einer hypothetischen Farbrekonstruktion

Obwohl die Originalstatue nicht mehr vorhanden ist, existieren zahlreiche Kopien und Interpretationen (Abb. 45), die sich zwar in einigen Details unterscheiden, aber die allgemeine Idee der Figur wiedergeben. Demzufolge hat Praxiteles eine überlebensgroße Aphrodite beim Baden dargestellt, die entsprechend dieser Thematik vom Bildhauer nackt entworfen wurde. Der allansichtige weibliche Akt steht im leichten Kontrapost, hält in der linken Hand ein drapiertes Tuch über eine Vase und führt sittsam die rechte 128 Bereits Christine Mitchell Havelock hat in ihrer Publikation The Aphrodite of Knidos and Her Successors: A Historical Review of the Female Nude in Greek Art eigene Überlegungen zur ursprünglichen Polychromie eruiert, wobei sie gleichsam davon ausgeht, dass mit dem Kolorit eine reale Frau imitiert werden sollte und Nikias der Fassmaler dieses weiblichen Akts gewesen ist. Sie geht jedoch in ihrer Hypothese davon aus, dass die Figur ohne helle und dunkle Nuancen bemalt wurde. Des Weiteren schreibt sie, dass die Skulptur wahrscheinlich gelbes bzw. goldenes Haar hatte, der Schmuck gemalt war, das Tuch in einer kräftigen matten Farbe gehalten und das Gefäß eventuell bronzefarben war. Havelock 1995, S. 14.

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

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47a/b Farbergänzte Reproduktionsgrafik der Aphrodite von Knidos, 
unterschiedliche Tuch- und Haarfarben, © K. Mann

Hand vor ihren Schambereich. Die Geste der rechten Hand korrespondiert mit dem Ritual des Badens, bei dem Aphrodite ihre Jungfräulichkeit zurückerhält.129 In dieser Publikation wird daher davon ausgegangen, dass das Thema sich auch in der entsprechenden Fassmalerei der Statue widergespiegelt hat. Dabei kann angenommen werden, dass Nikias von Praxiteles mit der farbigen Gestaltung des weiblichen Akts beauftragt wurde. Leider hilft die Identifizierung des Fassmalers bei der Rekonstruktion des ursprünglichen Kolorits nur bedingt, da Nikias’ Gemälde fast ausschließlich in schriftlicher Form überliefert sind. Die historischen Beschreibungen konzentrieren sich ferner vor allem auf die dargestellten Themen, sodass eine Farbpräferenz des Malers nicht evident wird. Eine wichtige Ausnahme bildet dabei sein Werk Perseus und Andromeda (Abb. 46), das so populär gewesen ist, dass sich die ursprüngliche Idee in einigen römischen Kopien erhalten hat und heute noch wichtige Erkenntnisse über Nikias’ Arbeitsweise liefern kann. Die Variante aus Pompeji zeigt beispielsweise eine braunhaarige Andromeda mit entblößter Brust, die in ein goldgelbes Gewand gekleidet ist. Der naturalistische Effekt der hellen Haut wurde durch entsprechende Licht- und Schattenmodellierung erzeugt. Dieser naturnachahmende Eindruck der Frauenfigur muss daher auch für Aphrodite von Knidos angenommen werden.

129 Kiel 2012, S. 33.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

47c Farbergänzte Reproduktionsgrafik der Aphrodite von Knidos, Tuchfarbe 
(blau/gelb), Haarfarbe (blond/braun), © K. Mann

Darüber hinaus wird hier davon ausgegangen, dass der Fassmaler – zur Vermeidung von allzu großen monotonen Flächen – Spannungsfelder in Form von Goldschmuck sowie durch eine Musterung auf dem drapierten Stoff kreiert haben wird. Ein weiterer Farbkontrast wird durch die Vase gestaltet worden sein, die zusammen mit dem Tuch als Gegenpol zur dominierenden Inkarnatfarbe diente. Das so erzeugte spannungsreiche Farbfeld korrespondiert dabei mit dem Kontrapost der Figur, das der Aphrodite-Statue noch mehr Dynamik verleiht. Neben der Hautfarbe ist bei der hypothetischen Farbrekonstruktion die Haarfarbe (Abb. 47a/b) ein entscheidender Faktor, da sie den Charakter der Figur nachhaltig beeinflusst. Blondes wie braunes Haar ist bei der Aphrodite von Knidos denkbar. Eine goldblonde Variante der Statue, wie sie von Christine Mitchell Havelock angenommen wird,130 stimmt dabei zwar mit unserer gängigen Vorstellung von der Liebesgöttin überein, jedoch zählten vor allem rotbraune Haare zu den populäreren Varianten in der Antike.131 Beim Vergleich der beiden hypothetischen Farbschemata mit unterschiedlichen Tuchfarben bietet offenbar die Version in Brünett (a) mit gelbem Tuch sowie die Variante in Blond (b) mit ultramarinem Tuch den größeren Hell- und Dunkelkontrast. Aber auch

130 Havelock 1995, S. 14. 131 Blume 2015, S. 59.

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

andere Modifikationen zeigen harmonische Farbkompositionen, wobei Brünett mit Rot und Blond mit Gelb hier am monotonsten wirken. Historische Vergleichsbeispiele können dabei helfen, die verschiedenen Variationsmöglichkeiten zu begrenzen. Beispielsweise wird Venus auf pompejischen Wandmalereien hauptsächlich als brünette Frau gezeigt, die entweder in ein blaues oder gelbes Tuch gehüllt ist, sodass diese beiden Varianten (Abb. 47c) als „wahrscheinlicher“ angenommen werden können, obwohl hier betont werden muss, dass unterschiedliche Faktoren wie persönliche Farbvorlieben oder die Anpassung an ein vorherrschendes Farbkonzept durchaus andere Versionen zur Folge gehabt haben können. Die unterschiedlichen Farbvarianten der Rekonstruktionsgrafiken zeigen somit deutlich, wie abwechslungsreich die Ausdrucksmöglichkeiten sein können. Dieses Medium bietet folglich eine schnelle und einfache Lösung, um verschiedene Versionen miteinander zu vergleichen. Dieses visuelle Hilfsmittel erlaubt ferner die Komplexität der antiken Farbenlehre zu erörtern, ohne die Annahme einer historischen Authentizität der antiken Farbfassung zu evozieren, die bei einem einzelnen Modell automatisch erzeugt werden könnte. Hier wird ersichtlich, dass bereits eine Entscheidung zwischen Variante a und b durch die Wahl der Haarfarbe bei der Rekonstruktion als dreidimensionales Modell einen enormen Eingriff in die Wahrnehmung dieser Figur bedeutet, sodass an dieser Stelle gefragt werden muss, ob eine hypothetische Farbrekonstruktion, die auf nur eine Version reduziert werden soll, nicht zu sehr die Vorstellungen des Rezipienten von dieser antiken Skulptur beeinflussen würde. Die Festlegung auf ein plastisches Modell ist jedoch fast unerlässlich, da diese sowohl kosten- als auch platzintensiv sind. Die immense Verantwortung kann zwar durch Computergrafiken abgemildert werden, die den hypothetischen Charakter der jeweiligen Rekonstruktion durch die Darstellung verschiedener Varianten unterstreichen können, allerdings verändert sich der ästhetische Ausdruck signifikant. Doch gerade bei solch prominenten Plastiken wie der Aphrodite von Knidos wird allzu gerne darüber gemutmaßt, wie sie ursprünglich ausgesehen haben mag, wobei mit jeder Hypothese bewusst in die ästhetische Wahrnehmung der Antike eingegriffen wird. Beispielsweise eruiert Patrik Reuterswärd (1922–2000) für die Venus von Milo, ob „[b]ei solchen Werken, wo keine Farbreste vorhanden sind, […] die Ausführung im übrigen uns zu einer Beurteilung der einstigen Farbwirkung verhelfen [könnte]. Bei der Venus von Milo z. B., um hier abschließend die Farbwirkung einiger berühmter Werke versuchsweise zu umreißen, sollte man mit einer recht vollständigen Bemalung rechnen, ganz sicher waren aber ihre Haare, wie es bei der mediceischen Venus in Florenz der Fall gewesen ist, vergoldet. Noch mehr dürfte das Mädchen vom Antium sich der Farbwirkung der Tanagra- und Myrinastatuetten genähert haben.“132

132 Reuterswärd 1960, S. 180.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

47d/e Farbergänzte Reproduktionsgrafik der A ­ phrodite von Knidos, Tuchfarbe 
(gelb), Haarfarbe (braun), Inkarnat (olivfarben/rosa), © K. Mann

Der schwedische Kunsthistoriker impliziert damit, dass Götterstatuen nach üblichen Farbschemata bemalt worden sind, während Plastiken Normalsterblicher offenbar populäre Farbvarianten widerspiegeln. Von besonderem Interesse an seinen Auslegungen ist hierbei vor allem die Verknüpfung der Venus von Milo mit der Venus Medici, die Interpretationsvarianten der Aphrodite von Knidos darstellen. Reuterswärd impliziert damit indirekt, dass auch diese Ausführung der Liebesgöttin vergoldete Haare gehabt haben könnte. Angesichts des vorherrschenden Zeitgeistes in der antiken Malerei, reflektiert in den gefundenen Rudimenten, wird jedoch in dieser Publikation davon ausgegangen, dass mit dem Aufkommen des Bedürfnisses nach Naturnachahmung in der Kunst eine farbige Abgrenzung des Göttlichen durch Gold nicht mehr vollzogen, sondern stattdessen ein zeitgenössisches Ideal dargestellt wurde. Konsequentermaßen muss daher angenommen werden, dass die Aphrodite von Knidos wie auch die Venus von Milo oder die Venus Medici brünett gestaltet gewesen sind, um so den ästhetischen Bedürfnissen des zeitgenössischen Rezipienten zu entsprechen. Dabei kann jedoch gemutmaßt werden, dass in allen drei Aphrodite- beziehungsweise Venus-Darstellungen Gold als Unterfarbe für Lichtreflexe verwendet wurde, um den naturnachahmenden Effekt von glänzendem Haar zu unterstützen.133 133 Diesbezüglich erläutern Vinzenz Brinkmann und Ulrike Koch-Brinkmann, dass Vergoldung „eine sehr wichtige Rolle spielte […], die immer größere Bereiche der Skulptur eroberte und wiederum als Malgrund dienen konnte. Gerade auf vergoldetem Haar konnte die Angabe von Strähnen und

Die Grenzen archäologischer Farbrekonstruktionen

Jene künstlerische Mimesis, wie sie in Praxiteles und Nikias’ Werk zum Ausdruck kommt, geht einher mit einem neuen Verständnis des Göttlichen, in dem zunehmend der archaische Kanon aufgebrochen wird. Dies wird insbesondere an der Aphrodite von Knidos deutlich, die beim Betrachter nicht mehr religiöse, sondern erotische Gefühle forcieren soll. Diese Neuerung wird dabei durch einen Wandel im gesellschaftlichen Verständnis der Religion ermöglicht. Zuvor war das Religionsbedürfnis unlöslich mit der Idee der Poleis und ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihren Bürgern verbunden, nun ändert sich dies hin zu einer individuellen Kultpraxis. Dadurch entsteht eine Wende in der Resonanz von Götterbildnissen, die nicht mehr rituelle Objekte sind, sondern zu darstellerischen Figuren werden.134 Dies korrespondiert mit der Theorie, dass dem Bildhauer eine Hetäre mit dem Pseudonym Phryne (Kröte) Modell gestanden hat,135 deren Schönheit und Charme bereits zu ihren Lebzeiten legendär gewesen sein soll.136 Dementsprechend ist für die malerische Fassung anzunehmen, dass diese reale Frau auch dem Maler Nikias als Vorlage gedient hat. Daraus lässt sich die Hypothese ableiten, dass die Statue eventuell dunkelhaarig wie -äugig und mit „blasse[m] Teint“137 bemalt gewesen ist. Das Markante an dieser Statue wäre demnach die Hautfarbe gewesen, da nach Plutarchs Aussage die Farbe von Phrynes Inkarnat so charakteristisch gewesen ist, dass sie zu ihrem Spitznamen „Kröte“ beigetragen hat.138 Aus ihrem Pseudonym lässt sich somit ableiten, dass ihre Hautfarbe nicht rosa, sondern vielmehr gelblich bzw. olivfarben (Abb. 47d) war. Die Gegenüberstellung von oliv- (Abb. 47d) und rosafarbenem Inkarnat (Abb. 47e) demonstriert dabei eindrücklich, wie stark sich der ästhetische Ausdruck der Figur durch die Hautfarbe verändert. Diese Impression kann ferner durch die Tuchfarbe gesteigert werden, wie dies Reproduktionsgrafiken belegen. Während bei Abb. 47e der warme rosafarbene Hautton durch das kühlere Gelb des Stoffes hervorgehoben wird, unterstreicht das warme Gelb den Olivton bei Abb. 47d nachhaltig. Im Vergleich offenbaren die beiden Farbrekonstruktionen den markanten Charakter der Figur durch das olivfarbene Inkarnat, das sich deutlich von anderen antiken Darstellungen weiblicher Figuren unterschieden hat. Für die hypothetische Farbfassung bietet derweilen das eigentliche Thema „Aphrodite beim Baden“ einen weiteren wichtigen Hinweis auf das ursprüngliche Farbkonzept der

134 135 136 137 138

Schatteneffekten in Rot, Braun oder Schwarz nachgewiesen werden.“ Brinkmann; Koch-Brinkmann 2020, S. 78. Ein ähnlicher ästhetischer Effekt kann dementsprechend auch für die Aphrodite von Knidos und ihre zahlreichen Variationen angenommen werden. Makowiecka 2007, S. 132. Haas 1797, S. 212. Hartmann 2017, S. 60. Haas 1797, S. 212. Haas 1797, S. 212.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

47d/f Farbergänzte Reproduktionsgrafik der Aphrodite von Knidos, Tuchfarbe 
(gelb/blau), Haarfarbe (braun), Inkarnat (olivfarben), © K. Mann

Skulptur. Dem Motiv entsprechend kann am ehesten ein blaues Tuch angenommen werden, da Dunkelblau seit der ägyptischen Farbenlehre dem Element Wasser zugeordnet wird.139 Dies setzt voraus, dass Götterbildnisse in der Übergangszeit von der Klassik zum Hellenismus noch immer einem allgemeinverständlichen Farbcode folgten, wie ihn beispielsweise Wolfgang Helbig (1839–1915) in seiner Publikation Das homerische Epos aus den Denkmälern erläutert (1884) für das schwarzblaue Schleiertuch der Thetis erörtert, das „in Übereinstimmung mit der Farbe des Elements [zu sehen ist], dem die Nereide angehört“.140 Jedoch kann heutzutage nicht mehr zweifelsfrei geklärt werden, ob das Tuch in ein warmes Gelb (Abb. 47d), ein kaltes Dunkelblau (Abb. 47f ) oder in einer gänzlich anderen Farbe gefasst war. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die verschiedenen Varianten der Aphrodite von Knidos, wie beispielsweise die Venus Medici oder die Venus von Milo, unterschiedlich bemalt gewesen sein könnten, um den Farbgeschmack des Auftraggebers oder des Zeitgeistes widerzuspiegeln. Doch abgesehen vom historischen Wahrheitsgehalt der Farbrekonstruktion belegen die unterschiedlichen Farbmodelle die mannigfaltigen Ausdrucksmöglichkeiten der mimetischen Fassmalerei, die den Kunstgeschmack jener Zeit zu reflektieren vermögen. Die ästhetische Impression der Skulptur muss dabei eine enorme Wirkung auf den Rezipienten gehabt haben.

139 Warburton 2010, S. 178. 140 Helbig 1884, S. 149.

Hypothetische Farbrekonstruktionen

3.3  Hypothetische Farbrekonstruktionen Aufgrund der Tatsache, dass die Rekonstruktionsgrafiken zwar die Farbkomposition eindrücklich wiedergeben können, jedoch den malerischen Effekt nur bedingt erfahrbar machen, soll in dieser Publikation ein hypothetischer Rekonstruktionsversuch am Modell unternommen werden, um die naturnachahmende Wirkung der antiken Fassmalerei eingehender zu beleuchten. Hierbei steht – anders als bei den archäologischen Farbrekonstruktionen – nicht die Analyse von Farbresten im Vordergrund, da populäre Plastiken, die unseren Erinnerungsort der Antike prägen, heutzutage entweder nur zum Teil oder gänzlich ohne ursprüngliche Fassmalerei erhalten sind. Demzufolge wird hier vielmehr der Versuch unternommen, den ästhetischen Zeitgeist visuell zu vermitteln; dadurch kann zumindest ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass antike Statuen wie die Venus von Milo, die Venus Medici, der Torso von Belvedere, die Laokoon-Gruppe oder der Apollo von Belvedere – die wir in unserem kollektiven Kunstgedächtnis als monochrom weiße Skulpturen abgespeichert haben – ursprünglich eine mimetische Fassmalerei hatten, die nicht nur den ästhetischen Effekt der Kontur bereichert hat, sondern darüber hinaus „von essentieller Bedeutung für die Identität und Wirkung einer Skulptur“141 gewesen ist. Dabei wird nicht nur die antike Farbenlehre mit ihren Hell/Dunkel- wie auch Warm/ Kalt-Kontrasten in diesem Modell mit einbezogen, sondern auch aufgezeigt, dass die antike Fassmalerei einen bestimmten Farbcode beziehungsweise eine Farbmode reflektiert hat. Blume erläutert diesbezüglich, dass bestimmte Farbvorlieben auch „lokale Phänomene“142 sein können: beispielsweise wurde Schwarz nur in Ägypten auf größeren Flächen verwendet,143 in Italien wiederum wurden Erdtöne bevorzugt144 und in Canosa erhielt Violett einen besonderen Stellenwert;145 somit muss bei einer hypothetischen Rekonstruktion auf unterschiedliche Farbpräferenzen Rücksicht genommen werden. Auseinandersetzung mit dem antiken Farbkonzept der Venus von Milo

Um die Vielzahl an Farbvariationen zu begrenzen, wird hier die hypothetische Farbrekonstruktion der zuvor beschriebenen Darstellungen der Aphrodite von Knidos zu Grunde gelegt, wobei die Venus von Milo (Abb. 48), als eine der meist rezipierten antiken Statuen, das Konturmodell bilden soll. Als theoretische Grundlage der hypothetischen Farbrekonstruktion dient Clarissa Blumes verallgemeinert formulierte Feststellungen über die Polychromie hellenistischer

141 Henke 2020, S. 63. 142 Blume 2015, S. 74. 143 Blume 2015, S. 72. 144 Blume 2015, S. 74. 145 Blume 2015, S. 75.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

48 Venus von Milo, ca. 130 v. Chr., Louvre Paris, Foto: K. Mann

Skulptur. Blume erläutert hierin, dass mit Farbe ein „Realismus“ erzeugt werden sollte, der durch deckende Mischfarben wie Farbüberlagerung kreiert wurde.146 Dabei wurden folgende Farben verwendet: Ockererde in Rot- und Gelbtönen, Rot, Rosa, Gelb, Zinnoberrot, Krapplack (Rot/Rosa), hellgelbes Vanadium (selten), Ägyptisch Blau und Grün (teuer), Azurit, Malachitgrün, Grünerde (Seladonit/Grünblau), Eisenoxide, Bleiweiß, Kohle (Schwarz) und Gold.147 Im Zuge ihrer Untersuchungen stellt Blume dabei fest, dass Darstellungen von Menschen bestimmten Farbschemata folgten. Beispielsweise wurde Hautfarbe verschiedenartig abgestuft, auch Haare konnten mehrfarbig gestaltet sein, um Plastizität zu erzeugen, wobei zumeist Brauntöne verwendet wurden. Analog dominierten auch bei den Augen unterschiedliche Braunvarianten, jedoch sind auch blaue und polychrome Irisfarben nachweisbar. Des Weiteren zählten zur Gestaltung der Augenpartien das Augenweiß, rosa Karunkel in den Augenwinkeln, schwarze Pupillen, braune Wimpern, Augenrahmung in Schwarz oder Rot sowie braune Brauen. Die Lidfalten wurden in Rot, Nasenlöcher sowie Ohrinnenräume in Rosa beziehungsweise in einem Hellrot gefasst. Auch die Lippen wurden in Rottönen gehalten, wobei die Lippenlinien eine Nuance dunkler gemalt wurden.148 146 Blume 2015, S. 35, 38. 147 Blume 2015, S. 40. 148 Blume 2015, S. 56–60.

Hypothetische Farbrekonstruktionen

Vor allem die differenzierte Verwendung verschiedener Rottöne bei der malerischen Gestaltung des Gesichts offenbart, wie sorgsam der naturnachahmende Effekt der antiken Skulpturen durch die Fassmalerei hervorgehoben wurde. Somit ist es wahrscheinlich, dass die diffizile Bearbeitung der Kontur sich in der malerischen Verwendung der Farbe widerspiegelte. Blumes Untersuchungsergebnissen folgend, lässt sich auch für die Venus von Milo annehmen, dass die ausdrucksstarke Form – mit Kontrapost, herausgearbeiteten Muskeln, dramatischem Faltenwurf und charakterstarkem Gesicht – eine Entsprechung in der Farbgestaltung hatte. Bis dato lag jedoch der Fokus bei einer wissenschaftlichen Analyse dieser antiken Skulptur nicht auf der ursprünglichen Farbgestaltung, sondern vornehmlich auf der Rekonstruktion der fehlenden Arme und möglicher Attribute, zu denen es – seit ihrer Auffindung im Jahre 1820 – mannigfache Hypothesen gab. Diesbezüglich erläutert August Preuner (1832–1906) in seiner Schrift Ueber die Venus von Milo. Eine archäologische Untersuchung auf Grund der Fundberichte (1873), dass neben den zwei Hauptteilen der Venus von Milo ebenfalls zwei Hermen sowie auch ein rechter und ein linker Arm mit beiden Händen gefunden wurden, die Jules Dumont d’Urville (1790–1842) – der die Statue für Frankreich erwarb – „ohne irgend einen Zweifel zu hegen, mit der Statue“149 verband. Daher stellt Preuner zu Beginn seiner Abhandlung verwundert fest: „Die Frage über die Art, wie wir die Venus von Milo ergänzt denken sollen, hat seit ihrer Auffindung bis heute Gelehrte und Künstler immer auf ’s neue beschäftigt. Immer auf ’s neue wird von den Einen behauptet, von den Andern bestritten, dass die beiden Fragmente eines l. Arms und einer l. einen Apfel haltenden Hand zugehörig seien. Man fragt sich verwundert, wie dies bei einer vor wenigen Decennien im gepriesenen Lichte des XIX. Jahrhunderts gefundenen Statue möglich sei.“150

Die hier erwähnten Fragmente wurden allerdings nicht von allen Wissenschaftlern als authentisch angesehen. Damit blieb die Möglichkeit offen, die Arme der Venus von Milo in anderer Form zu ergänzen. Infolge von Restaurationsarbeiten an der Venus von Milo zwischen 2005 und 2009 wurde jedoch die Annahme bestätigt, dass die vorgefundene linke Hand mit dem Apfel der Figur zugehörig ist. Im Bericht aus dem Jahre 2011 ist hierzu vermerkt worden: „En revanche, elles rendent possible l’appartenance à la statue d’une main gauche tenant la pomme (Ma 400) et d’un départ du bras gauche (Ma 401) découverts également avec la statue mais non intégrés au XIXe siècle à la restauration. L’hypothèse désormais confortée de l’appartenance de ces deux fragments du bras gauche à la statue n’est pas

149 Preuner 1873, S. 7. 150 Preuner 1873, S. 3.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

Abb.49a/b/c Farbergänzte Reproduktionsgrafik der Venus von Milo, Tuchfarbe (gelb/blau), 
 Haarfarbe (braun), © K. Mann

sans conséquence sur l’identification de la déesse représentée et la restitution de son attitude: il faudrait reconnaître une Aphrodite à la pomme du jugement de Pâris, le bras gauche tendu.“151

Mit dem Apfel in ihrer linken Hand verweist die Venus von Milo somit auf das Urteil des Paris. Damit wird die Figur als „Venus Genitrix“ (Stammmutter der Römer) gekennzeichnet: Nach mythologischer Überlieferung resultierte aus ihrer Wahl zur Schönsten aller Göttinnen der Trojanische Krieg, in dessen Zuge Aeneas zur Flucht gezwungen wurde; Aeneas wiederum gilt als Sohn der Venus und als Vorfahre von Romulus und Remus – der Sage nach die Begründer Roms. Damit ist der goldene Apfel, den die Venus von Milo dem Betrachter ursprünglich in ihrer linken Hand präsentierte, nicht nur als mythologisches Attribut, sondern vielmehr als politisches Symbol zu verstehen. Dies gilt umso mehr, wenn die heute vertretene Annahme zutrifft, die Statue sei ein späthellenistisches Werk,152 das wahrscheinlich um ca. 130 v. Chr. entstand, denn Griechenland wurde 147 v. Chr. von Rom erobert.153 Kurze Zeit nach der Eroberung Griechenlands eine solche Venus Genitrix in einem Gymnasion aufzustellen,154

151 https://www.louvre.fr/sites/default/files/medias/medias_fichiers/fichiers/pdf/louvre-­recherchescientifique-louvre-rs2011_3.pdf, S. 197 (28.03.2018). 152 Havelock 1971, S. 117. 153 Drobner 2004, S. 181. 154 http://viamus.uni-goettingen.de/fr/sammlung/ab_rundgang/q/09/10 (28.02.2018).

Hypothetische Farbrekonstruktionen

Abb.49c/d/b/e Farbergänzte Reproduktionsgrafik der Venus von Milo, Tuchfarbe (gelb/blau), 
Haarfarbe (braun), Inkarnat (rosa/gelblich), © K. Mann

in dem die Jugend von Milo erzogen wurde, war dementsprechend eine unmissverständlich politische Aussage. Aus dieser Überlegung resultiert, dass das politische Statement eventuell nicht nur über den goldenen Apfel, sondern auch über die Farbgestaltung vermittelt wurde. In dieser Publikation werden daher zwei unterschiedliche Farbfassungen des Tuchs als Rekonstruktionsgrafiken aufgezeigt: zum einen ein warmes Goldgelb (Abb. 49b), mit dem der herrschaftliche Anspruch Roms deutlich hervorgehoben worden wäre, und zum anderen die populärere dunkelblaue Variante (Abb. 49c)155. Einem pompejischen Vergleichsbeispiel folgend, das Venus im Parisurteil (Fresko, um 79 n. Chr., Museo archeologico nazionale di Napoli, Inv.-Nr. MN 8990) mit entblößtem Körper von einem dunkelblauen Stoff eingerahmt zeigt, wird hier die Hypothese aufgestellt, dass auch die Farbe des Tuches, das um die Hüften der Venus von Milo gebunden ist, wahrscheinlich eher dunkelblau als goldgelb gefasst war, da in diesem Fall der goldene Apfel, entsprechend Abb. 49c, durch den Kontrast zur dunklen Tuchfarbe den Farbfokus gebildet hätte. Ein ähnliches Farbschema zeigt ebenso die detailreiche Darstellung von Venus und Mars (Abb. 50) aus Pompeji, die hier schwerpunktmäßig als historische Vorlage herangezogen werden soll. Demgemäß kann für die Venus von Milo angenommen werden, dass die Liebesgöttin braune Haare und Augen sowie ein helles

155 Die Rekonstruktion der Arme ist angelehnt an Adolf Furtwänglers (1853–1907) Version aus dem Jahre 1916.

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

50 Venus und Mars (Detail), um 79 n. Chr. Museo ­archeologico nazionale di 
Napoli, Foto: K. Mann

Inkarnat hatte, das durch einen subtilen Hell- und Dunkelkontrast modelliert wurde. Darüber hinaus kann gemutmaßt werden, dass – analog zum Vergleichsobjekt – Goldschmuck, beispielsweise in Form von Armreifen und/oder Ketten (real oder gemalt), eingesetzt wurde, um die Monotonie des Inkarnats aufzubrechen. Angesichts der vorhandenen Vergleichsbeispiele sind rosige Hautimitationen bei Frauendarstellungen dieser Zeit als beliebte Variante einzuschätzen. Bereits Homer charakterisierte in der Ilias das Inkarnat der meisten Frauenfiguren als „rosig“, während Männer, wenn überhaupt, von ihm als „bräunlich“ (vgl. Menelaos) beschrieben wurden. Drei weibliche Gottheiten weichen in Homers Schilderungen jedoch von diesem populären Farbschema ab: die silberfüßige Thetis, die lilienarmige Hera und die goldene Aphrodite (vgl. Annex, S. 207). Da die Wandgemälde aus Pompeji überwiegend Aphrodite-Darstellungen mit rosafarbigem Inkarnat zeigen, ist anzunehmen, dass sich das Erscheinungsbild der goldenen Aphrodite in den darauffolgenden Jahrhunderten gewandelt hat und gegebenenfalls nur noch ihre Gewandung golden bzw. gelblich war.156 Ob Aphrodite-Darstellungen aus der Archaik hauptsächlich ein goldenes bzw. ockergelbes Inkarnat hatten, kann bis dato nicht eindeutig geklärt werden. Evident wird jedoch, dass eine solch markante Hautfarbe das ästhetische Erscheinungsbild der Figur

156 Jockey 2015, S. 23.

Hypothetische Farbrekonstruktionen

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51 Farbmodell Venus von Milo (drei Ansichten), ©K. Mann

(Abb. 49d) merklich verändert. Dies wird besonders an der Variante mit gelbgoldenem Tuch (Abb. 49e) deutlich. Es stellt sich unweigerlich die Frage, ob die bereits erörterte Temperamentenlehre nach Hippokrates eventuell zu dem drastischen Farbwandel geführt haben könnte, da ein gelbliches Inkarnat Aphrodite als Cholerikerin gekennzeichnet hätte. Bei der Übertragung einer der unterschiedlichen Varianten auf ein einzelnes hypothetisches Farbmodell muss daher zunächst entschieden werden, welche Farbkomposition der dargestellten Rekonstruktionsgrafiken als wahrscheinlicher einzuordnen ist. Aufgrund der optischen Ähnlichkeit der Venus von Milo mit der Darstellung von Venus und Mars aus Pompeji wird hier davon ausgegangen, dass das Kolorit von Abb. 49c mit braunem Haar, rosigem Inkarnat und dunkelblauem Tuch vermutlich der ursprünglichen Farbidee am nächsten kommt. Das daraus resultierende hypothetische Modell (Abb. 51) zeigt nach seiner Gestaltung einen naturnachahmenden Effekt, der durch Licht- und Schattendarstellung sowie eine entsprechend pastöse Farbmodellierung deutlich hervorgehoben wird. Als Malmittel wurde Eitempera mit punischem Wachs verwendet, das zusätzlich mit einem Wachsfirnis versiegelt wurde, um damit den Fettfilm einer realen Haut wiederzugeben; dies soll nicht nur die Optik, sondern auch die Haptik imitieren. Überdies werden durch die Farbmodellierung jene Details der bildhauerischen Arbeit hervorgehoben, denen der Betrachter bei der monochromen Variante weniger Beachtung schenkt. Dies wird vor allem

180

Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

bei der Halspartie deutlich, bei der die horizontalen Falten durch die farbige Gestaltung sowie die Lichtreflexe des Wachses hervorgehoben werden. Diese subtile Vermittlung von Alter korrespondiert dabei eindrücklich mit der Lesart dieser Venusvariante als Stammmutter der Römer. Der mimetische Farbeffekt der Figur wird somit neben dem ästhetischen Erlebnis offenbar auch dazu eingesetzt, dem Betrachter einen bestimmten Inhalt zu vermitteln. Ohne die Farbfassung fehlt somit ein wichtiger Bestandteil der ursprünglichen Idee und Wahrnehmung dieser Figur, die allerdings durch eine hypothetische Farbrekonstruktion nur zum Teil wiederbelebt werden kann. Es stellt sich daher die Frage, wie dem Rezipienten diese Erkenntnisse durch ein angemessenes Bild eindrücklich und immediat vermittelt werden können.

3.4 Vermittlungsarbeit Damit ein nachhaltiger Erkenntnisprozess zur antiken Polychromie stattfinden kann, ist es offenbar vonnöten, solche Farbmodelle (virtuell oder real) beständig in Dauerausstellungen zu integrieren. Dabei wäre eine Gegenüberstellung der Rekonstruktion mit dem Original zweifellos wünschenswert, damit der Besucher die Möglichkeit erhält, sich mit dem ästhetischen wie auch inhaltlichen Zweck der Fassmalerei auseinanderzusetzen. Ein solches Konzept zeigte beispielsweise die Ausstellung Archaic Colors (2012–2020) im Akropolis Museum von Athen, in dem Besucher direkt neben dem Original mit der Farbrekonstruktion konfrontiert wurden und somit ein nachhaltiges Bewusstsein für die ursprüngliche Idee der Fassmalerei generieren konnten. Darüber hinaus wurde für den Rezipienten mit dem digitalen Spiel Color the Peplos Kore auf eine zwanglose Weise erlebbar gemacht, wie stark sich der ästhetische Ausdruck der Figur durch die Farbwahl verändert (Abb. 52a/b)157. Solche Vermittlungsmaßnahmen wären auch für andere Antikensammlungen erstrebenswert, um eine allmähliche Gewöhnung an farbig gefasste Skulpturen zu forcieren. Dabei können auch digitale Medien helfen, wie das Polychromieprojekt Mann-InColours des archäologischen Nationalmuseums in Neapel eindrücklich belegt. Hier wird bewusst auf klassische Farbrekonstruktionsmodelle verzichtet, stattdessen werden die lokalisierten Farbfragmente digital angezeigt, um über die Menge an Überbleibseln ein Bewusstsein für die antike Polychromie zu schaffen. Darüber hinaus sollen auf diese Weise die antiken Farbreste auch digital bewahrt werden.158 Eine vielversprechende Möglichkeit scheint darüber hinaus der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) zu sein, wie das Projekt The Klimt Color Enigma (Abb. 53a/b/c) von 157 Abb. 52a/b stellen jeweils einen eigenen Kolorierungsversuch der Peplos Kore dar. https://www.­ theacropolismuseum.gr/peploforos/ (22.01.2020). Das Spiel ist derzeit nicht zugänglich. 158 Vortrag: Barandoni, Christiana, In search for lost colours, CHNT 24 Wien, 04.11.2019.

Vermittlungsarbeit

52a/b Screenshots des Onlinespiels „Color the Peplos Kore“, ©Acropolis Museum 
2012, in Zusammenarbeit mit YSMA

Google Art Culture und dem Wiener Belvedere zeigt, bei dem Schwarz-Weiß-Foto­grafien von Klimts zerstörten Fakultätsbildern (1900–1907) mithilfe eines von Emil Wallner entwickelten Algorithmus in Farbe rekonstruiert wurden.159 Die Farbrekonstruktionen basieren auf den von Franz Smola gesammelten kunsthistorischen Informationen, die von der KI verarbeitet und ergänzt wurden. Die im Zweiten Weltkrieg verbrannten Gemälde Jurispundenz, Medizin und Philosohie liegen nun in einer wiederaufbereiteten Farbfassung vor und können so einen Eindruck vermitteln, wie intensiv, ja geradezu berauschend diese „Skandalbilder“ auf die Wiener Bevölkerung gewirkt haben dürften, als sie der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Es stellt sich daher unweigerlich die Frage, welchen ungemeinen Nutzen die KI für die Zukunft bei der Farbrekonstruktion antiker Skulpturen haben wird. Das Württembergische Landesmuseum hat einen anderen Ansatz gewählt, indem es die hypothetischen Farbrekonstruktionen in subtilen Variationen des Inkarnats präsentiert, die zeigen, wie unterschiedlich die ursprüngliche Farbfassung von Agrippina Minor (Digitale Farbrekonstruktion, Abb. 54)160 ausgesehen haben könnte. Der ästhetische Anspruch der digitalen Rekonstruktion erlaubt es dem Rezipienten dabei, jede dieser Versionen vorbehaltlos zu akzeptieren.161

159 https://artsandculture.google.com/story/SQWxuZfE5ki3mQ (09.10.2021). Die rekonstruierten Farben von Medizin erscheinen mir viel kühler als Klimts Farbskizze (Kompositionsentwurf zur Medizin, 1898, The Israel Museum, Jerusalem, Inv.-Nr. B14.0536), sodass die Frage gestellt werden muss, ob die drei Gemälde ursprünglich ein paar Nuancen wärmer gemalt waren. Der große Vorteil der KI besteht jedoch darin, dass die Rekonstruktion unabhängig vom Farbgeschmack des Rekonstrukteurs erfolgt, also auch von meinem. 160 Wie die farbigen Umrisszeichnungen ermöglichen auch die digitalen Farbrekonstruktionen mehrere Vergleichsmöglichkeiten zu schaffen. 161 https://artsandculture.google.com/story/lAXxf VgU7pOhbA (13.09.2021).

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

53a Farbrekonstruktion des Fakultätsbildes Medizin, Österreichische Galerie 
Bevedere / Image by Google

Vermittlungsarbeit

53b/c Farbrekonstruktion der Fakultätsbilder Jurisprudenz und Philosophie, Wien, 
Österreichische Galerie B ­ evedere, Image by Google

Die unterschiedlichen digitalen Vermittlungsansätze zeigen, wie groß das Potenzial der vielfältigen Darstellungsmöglichkeiten ist, die jedoch eines gemeinsam haben: Bewahrung, Verlebendigung und Erleben unseres kulturellen Erbes, das durch das Wecken von Emotionen und Wissensvermittlung ein neues Bewusstsein schaffen will. Auch ich möchte daher bei der hypothetischen Farbrekonstruktion der Venus von Milo einen solchen Vermittlungsansatz verfolgen, bei dem das entstandene Modell immer und überall für alle zugänglich sein soll, sei es für Lehre, Forschung oder Ausstellungsbesuche. Zu diesem Zweck wurde mithilfe der Photogrammetrie eine 3D-Version (Abb. 55) der kolorierten Figur erstellt und von der Firma collectAR in eine browser-basierte AR (Augmented Reality) übertragen, damit die hypothetische Farbrekonstruktion der Venus von Milo mit einem Smartphone sowohl im Museum als auch zu Hause betrachtet werden und so ein jeder sein eigenes Geschmacksurteil fällen kann. Ungeachtet der Frage, ob eine digitale oder analoge Vermittlungsmethode gewählt wird, scheint Persistenz und weitgefächerte Präsenz entscheidend zu sein, um das Bewusstsein für die antike Polychromie nachhaltig im kollektiven Kunstgedächtnis verankern zu können und letztlich das Erinnerungsvakuum zu füllen. So geht Jan Stubbe Østergaard von Folgendem aus: „Absolute Grundvoraussetzungen, um zum Kern dieses so

183

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Farbrekonstruktion der Antike im 21. Jahrhundert

54 Digitale ­Rekonstruktion der Agrippina Minor, unterschiedliche
 Inkarnat­farben, Stuttgart, Landes­museum Württemberg: Stephen Chappell

entscheidenden Elements visueller Kommunikation im Altertum vordringen zu können, […] [sind] Investitionen in die Ausbildung der heranwachsenden Forschergenerationen auf allen Bildungsebenen und ein größerer Fokus auf den Bereich der skulpturalen Polychromie bei musealen Ausstellungskonzepten.“162 Um einen dauerhaften Effekt zu erzielen, wäre es demnach vonnöten, zuerst Wissenschaftler dahingehend zu schulen, nicht nur die antike Polychromie auf Skulpturen oder Bauwerken als historische Tatsache zu akzeptieren, sondern darüber hinaus auch den gesellschaftlichen Wert der Farben in der Antike zu erfassen. Dabei kann ein internationaler und epochenübergreifender Vergleich mit anderen Polychromiekonzepten helfen, ein Bewusstsein für die historische Bedeutung der Fassmalerei zu generieren. Das Erkenntnispotenzial durch vergleichendes Sehen hat bereits Georg Treu für die Polychromieforschung erkannt und demgemäß seine Ausstellung Farbiger und getönter Bildwerke (1885) so konzipiert, dass sie „einerseits […] Proben polychromer Plastiken aus den verschiedensten Ländern und Zeiten theils in Originalen, theils in Wiederherstellungsversuchen und Nachbildungen vorführen [sollen], um den Besuchern auf diese Weise einen Überblick über die Ausbreitung, die Geschichte und die Verfahrensweisen der farbigen Skulpturen zu geben. Andererseits sollte denjenigen Künstlern, welche Versuche

162 Ausstellungskatalog 2020 [1], S. 115.

Vermittlungsarbeit

55 3D-Version der hypothetischen Farbrekonstruktion der Venus von Milo nach 
K. Mann, AR: collectAR

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zu einer Wiedererweckung jener uns seit Jahrhunderten fremd gewordenen Kunstweise gemacht haben, Gelegenheit geboten werden, ihre Werke gesammelt, in verwandter und angemessener Umgebung auszustellen und auf diese Weise unter günstigeren Umständen der Beurteilung darzubieten, als sie sonst gewöhnlich angetroffen werden“.163 Hierfür stellt Treu in der Ausstellung polychrome Beispiele verschiedener Epochen und Länder zusammen, wie etwa ägyptische, etruskische, griechische und römische Originale im Vergleich zu zeitgenössischen Re-Inszenierungen (z. B. Peter Bruckmanns und Arnold Böcklins Gorgonenschild, Katalognr. 63).164 Darüber hinaus präsentiert Treu deutsche, italienische und spanische Bildwerke aus dem 15. bis 18. Jahrhundert, die er japanischen und chinesischen Plastiken gegenüberstellt, um damit aufzuzeigen, dass „die asiatischen Völkerschaften zu allen Zeiten an der Vielfarbigkeit ihrer Plastik fest[halten]“.165 Im Kontrast zu den historischen Skulpturen werden in der Ausstellung zeitgenössische Statuen – so beispielsweise Robert Diez’ Rumänierin (Katalognr. 253, Abb. 24) – dargeboten, die nach Treus Ansicht „jenen älteren Kunstwerken den Vorzug voraus [haben], dass sie an die Kunstweise unserer Tage anknüpfen und dieselbe um ein neues und wichtiges Element zu bereichern suchen“.166 Das im Idealfall aus der Ausstellung generierte Bewusstsein über den ästhetischen und sozialen Wert der Fassmalerei soll infolgedessen auch dazu dienen, zeitgenössische Skulpturen neu bewerten zu können. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen somit dabei behilflich sein, das negative Geschmacksurteil der Gesellschaft über die barbarische Unsitte polychromer Skulpturen zu wandeln. Ein analoges Verständnis versucht die Ausstellung Die große Illusion. Veristische Skulpturen und ihre Techniken (2014) im Liebieghaus in Frankfurt am Main rund 130 Jahre später erneut zu schaffen. Nach Jahren des kunsthistorischen Vergessens wird durch Zuhilfenahme einer länder- und epochenübergreifenden Schau von polychromen Skulpturen ein Überblick geboten, der den Besuchern die Möglichkeit gibt, sich mit der eigenen ästhetischen Irritation auseinanderzusetzen, die mimetische Skulpturen weiterhin erzeugen. Dabei wird in der Gegenüberstellung verschiedenartiger Methoden zur Hervorbringung der veristischen Illusion deutlich, welcher ästhetische Effekt mit der polychromen Fassmalerei unter Zuhilfenahme unterschiedlicher Fremdmaterialien erzielt werden konnte. Die heute noch vorherrschende Irritation in Bezug auf polychrome Statuen liegt dabei nach Ansicht Stefan Rollers in der Hierarchisierung der Kunst, die einen prägenden Einfluss auf die Sehgewohnheiten von Kunsthistorikern hat. Er erläutert, aus welchen Gründen seine Fachkollegen Polychromie weiter ablehnen, da zum Ersten die Hierarchisierung uns Kunsthistorikern 163 Ausstellungskatalog 1885, S. 5. 164 Ausstellungskatalog 1885, S. 16. 165 Ausstellungskatalog 1885, S. 9. 166 Ausstellungskatalog 1885, S. 10.

Vermittlungsarbeit

„[…] scheinbar objektive Mittel an die Hand [gibt], gute von schlechter Kunst zu scheiden. Das impliziert auch die Kritik an einer bestimmten Form der Naturnachahmung, die angeblich zu stark oder gar allein auf kopierender Wiedergabe beruht, anstatt auf Idealisierung zu setzen. Oder sie diffamiert realistische Naturdarstellungen generell als banal und einer Kunst unterlegen, die den intellektuellen Diskurs in den Vordergrund stellt. Zum Zweiten weil wir gelernt haben, bestimmte klassische Werkstoffe (Marmor, Bronze) als wertvoller und ideell besser als die anderen (Holz, Ton, Wachs) zu akzeptieren. Und zum Dritten weil uns Skulptur zumeist immer noch als aus ‚purem‘ Material hergestellte reine Form vermittelt wird, obwohl sich das Spektrum skulpturaler Werkstoffe heutzutage immens geweitet hat. In einem solchen System hat weder die farbige Oberflächengestaltung als ursprünglich zu einem plastischen Bildwerk ganz selbstverständlich zugehörig einen Platz, noch lassen sich darin Fremdmaterialien als plastische ‚Hilfsmittel‘ integrieren.“167

Die drastische Kritik an der kunsthistorischen Aburteilung der Fassmalerei, wie sie Stefan Roller im Ausstellungskatalog formuliert, scheint dabei eine Kombination aus Treus Ablehnung des Panoptikum-Vergleichs mit Sempers Äußerung über eine verschiedenartige Bewertung durch Wissenschaftler und Künstler zu sein, die belegt, dass polychrome Skulpturen weiterhin keine kollektive Akzeptanz erfahren können, da monochrome Stauen als künstlerisch wertvoller angesehen werden. Dabei wird ersichtlich, dass unsere Vorstellungen von einer kunstgerechten Skulptur sich dogmatisch an Winckelmanns „edler Einfalt und stillen Größe“ orientieren, ohne dieses Gebot kritisch zu hinterfragen oder an kunsthistorische Erkenntnisse anzupassen. Demnach fällen wir bei der Bewertung von mimetischen Skulpturen kein reines, sondern offenbar ein „angewandtes Geschmacksurteil“168. Kant erläutert diesbezüglich: „Zwar gewinnt der Geschmack durch diese Verbindung des ästhetischen Wohlgefallens mit dem intellektuellen darin, daß er fixiert wird und zwar nicht allgemein ist, ihm aber doch in Ansehung gewisser zweckmäßig bestimmter Objekte Regeln vorgeschrieben werden können. Diese sind alsdann auch keine Regeln des Geschmacks, sondern bloß der Vereinbarung des Geschmacks mit der Vernunft, d. i. des Schönen mit dem Guten, durch welche jenes zum Instrument der Absicht in Ansehung des letzteren brauchbar wird, um diejenige Gemütsstimmung, die sich selbst erhält und von subjektiver allgemeiner Gültigkeit ist, derjenigen Denkungsart unterzulegen, die nur durch mühsamen Vorsatz erhalten werden kann, aber objektiv allgemeingültig ist. Eigentlich aber gewinnt weder die Vollkommenheit durch die Schönheit, noch die Schönheit durch die Vollkommenheit; sondern weil es nicht vermieden werden kann, wenn wir die Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird, mit dem Objekte (in Ansehung dessen,

167 Ausstellungskatalog 2014, S. 14–15. 168 Kant 2001, S. 86.

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was es sein soll) durch einen Begriff vergleichen, sie zugleich mit der Empfindung im Subjekte zusammenzuhalten so gewinnt das gesamte Vermögen der Vorstellungskraft, wenn beide Gemütszustände zusammenstimmen.“169

Dabei wird der immense Vorteil eines vorgefassten Geschmacksurteils evident, das einer kollektiven Kunstnorm entspricht: Wir sind nicht gezwungen, ein eigenes reines Geschmacksurteil zu fällen und dabei eventuell vom intellektuellen Richtmaß abzuweichen. Wir haben demnach gelernt, monochrome Skulpturen als schön zu empfinden, noch bevor wir ein Bewusstsein für den ästhetischen Wert polychromer Plastiken bilden konnten. Folglich lehnen wir den ästhetischen Wert der Fassmalerei ab, da sie unserem anerzogenen Geschmacksurteil entgegengesetzt steht.

169 Kant 2001, S. 85–86.

4 Schlusswort Zum Abschluss dieser Publikation über das Problem der gelenkten Sinneseindrücke in Hinblick auf unser historisches Kunstempfinden muss daher auch das komplexe Gefüge der ästhetischen Wahrnehmung umrissen werden. Elenor Jain erläutert diesbezüglich in Hermeneutik des Sehens (1995): „Man kann also sagen, daß das, was in der Wahrnehmung gegeben und gemeint ist, auf ein unmittelbares Empfinden zurückweist und gleichzeitig darüber hinaus auf die Vermittlung im Denken hinsichtlich des immanenten Sinnes vorausweist. Wahrnehmung wäre dann ein internationaler Akt des Bewußtseins, der sich sowohl auf alltägliche Erfahrungen bezieht als auch auf solche, die die alltägliche Erfahrung transzendieren.“1

Die ästhetische Wahrnehmung wird demzufolge deutlich von unseren Gefühlen für das Kunstwerk gelenkt, sodass deren Veränderung in Hinblick auf antike Polychromie nur durch entsprechend positiv konnotierte Stimmungsbilder erzeugt werden kann. Hingegen muss der Eindruck des „Fremden“2 vermieden werden, da sich dies negativ auf unser ästhetisches Urteil in Bezug auf die antike Farbvielfalt auswirkt. Das historische Bewusstsein, dass polychrome Artefakte in der Antike zum politischen, religiösen wie auch privatem Leben dazugehörten und somit ein allumfassender Bestandteil der Lebenskultur waren, sollte dementsprechend in der Vermittlungsarbeit hervorgehoben werden, damit eine Identifikation des Rezipienten mit dem antiken Bedürfnis nach farbig gefassten Skulpturen erfolgen kann. Da im Zusammenhang mit dem neuen Heroenkult der Comics (Marvel, DC etc.) polychrome Plastiken erneut einen besonderen Stellenwert in der Gesellschaft erhalten und nicht mehr pauschal abgelehnt werden, scheint es gerade jetzt möglich zu sein, eine Selbstreflexion in Bezug auf dieses 1 2

Jain 1995, S. 33. Diese universelle Aussage lässt sich auch auf die heutige Rezeption von antiken Kunstwerken übertragen. Jain 1995, S. 43–44.

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Schlusswort

Thema anzustoßen. Wenn wir mimetische Figuren in unser Umfeld integrieren können, warum sollten es nicht auch die Menschen der Antike getan haben? Diese Frage im Hinblick auf den neuen Heldenkult des 21. Jahrhunderts könnte auf diesem Wege dabei helfen, vorherrschende Dogmen dauerhaft aufzubrechen. Um einen anhaltenden Wandel der ästhetischen Beurteilung antiker Kunst zu forcieren, ist es demnach unabdingbar, Rezipienten nicht ausschließlich mit einer Fülle von weißen antiken Statuen zu konfrontieren, die ihre Annahme der „historischen Authentizität“ dieser Präsentationsart zu bestätigen scheinen. Wie bereits Bloier betont, ist der Mensch „ein visuelles Lebewesen“3, sodass für solch einen Wandel die entsprechende Vermittlung durch farbige Bilder essenziell ist, welche die ästhetische Wahrnehmung der „liebgewonnene[n] Bildikonen“4 kompensieren können. Jedoch muss hier die Frage gestellt werden, ob sich ein solcher Versuch der Einflussnahme auf die heute vorherrschende Wahrnehmung von antiker Kunst überhaupt lohnt, wenn das Risiko des Scheiterns so hoch ist. Sollte das Kollektiv nicht einfach mit seinen liebgewonnenen Re-Inszenierungen der Antike aus dem 18. und 19. Jahrhundert leben dürfen, zusammen mit seinen edlen und reinen Kunstwerken? Wozu diese Mühen? Die Gesinnung der US-amerikanischen Suprematisten, die ihre ideologische Vormachtstellung in die Genealogie einer marmorweißen Antike stellen,5 zeigt deutlich, dass die Arbeit der Polychromieforscher und Farbrekonstrukteure heutzutage zweifellos notwendig ist, damit eine politisch motivierte Diffamierung der antiken Vielfarbigkeit unterbunden werden kann. Vor allem die verbalen Angriffe auf Sarah Bond,6 die in den USA die Polychromie antiker Skulpturen proklamiert, belegen eindrücklich die Notwendigkeit einer angemessenen Vermittlung des antiken Farbenreichtums. Insbesondere Lepik-Kopaczyńskas Aufsatz über Die Inkarnatsfarbe in der griechischen Malerei (1963) scheint heutzutage angesichts der rassistischen Missdeutungen eine neue Bedeutung zu erlangen, da hierin die Diversität der Inkarnatfarben in der antiken Kunst eingehend besprochen wird. Die uneingeschränkte Notwendigkeit für einen Wandel der kollektiven Wahrnehmung im Hinblick auf antike Polychromie legt auch Bond in ihrer Abhandlung Why we need to start seeing the classical world in color aus dem Jahre 2017 eindrücklich dar und offeriert dem Leser darüber hinaus auch einen Lösungsvorschlag, wie das Verständnis für antike Vielfarbigkeit langfristig generiert werden könnte. Hierin schreibt sie:

3 Bloier 2017, S. 24. 4 Bloier 2017, S. 25. 5 Ausstellungskatalog 2020 [1], S. 45. 6 https://hyperallergic.com/383776/why-we-need-to-start-seeing-the-classical-world-in-color/ (19.03.2020).

Schlusswort

„The equation of white marble with beauty is not an inherent truth of the universe; it’s a dangerous construct that continues to influence white supremacist ideas today. […] If we want to see more diversity in Classics, we have to work harder as public historians to change the narrative – by talking to filmmakers, writing mainstream articles, annotating our academic writing and making it open access, and doing more outreach that emphasizes the vast palette of skin tones in the ancient Mediterranean. I’m not suggesting that we go, with a bucket in hand, and attempt to repaint every white marble statue across the country. However, I believe that tactics such as better museum signage, the presentation of 3D reconstructions alongside originals, and the use of computerized light projections can help produce a contextual framework for understanding classical sculpture as it truly was. It may have taken just one classical statue to influence the false construction of race, but it will take many of us to tear it down. We have the power to return color to the ancient world, but it has to start with us.“7

Nach Bonds Ansicht braucht es folglich mehre Maßnahmen, um eine solche Veränderung hervorrufen zu können; aber vor allem Museen stehen für sie in der Pflicht, ein nachhaltiges Bewusstsein für die antike Polychromie aufzubauen. Auch Vinzenz Brinkmann erläutert: „Die USA erleben augenblicklich eine lebhafte Debatte zu Fragen der Diversität in einer offenen Gesellschaft. Weite Kreise wenden sich verstärkt gegen die Tradition einer white supremacy und damit gegen die Mechanismen eines weißen Rassismus […]. Womöglich wird diese Debatte […] in den kommenden Jahren Europa erreichen. Bereits jetzt wird weltweit der Druck auf Sammlungen, die griechische und römische Antiken beherbergen, mit dem Ziel erhöht, der Öffentlichkeit ein konkretes, also polychromes Bild der antiken Marmorskulpturen und Marmortempel zu vermitteln.“8

In der Folge ist anzunehmen, dass auch in Europa ein neuer Polychromiestreit entstehen wird, in dem über die Diversität der antiken Hautfarben diskutiert wird, wie dies bereits die neue Denkmaldebatte nahelegt.9 7 https://hyperallergic.com/383776/why-we-need-to-start-seeing-the-classical-world-in-color/ (19.03.2020). 8 Ausstellungskatalog 2020 [1], S. 44–45. 9 Die bis heute andauernde Vorliebe der Vertreter des US-amerikanischen Konservatismus für den sogenannten „klassischen“ Stil, vor allem in Hinblick auf Architektur, wird besonders in der Anweisung Nr. 13967 vom 23. Dezember 2020 deutlich, die Präsident Donald Trump kurz vor Amtsniederlegung unterzeichnet hat. Hierin wird der Zweck der Executive Order On Promoting Beautiful Federal Civic Architecture wie folgt erläutert: „Section 1. Purpose. Societies have long recognized the importance of beautiful public architecture. Ancient Greek and Roman public buildings were designed to be sturdy and useful, and also to beautify public spaces and inspire civic pride. […] Notable Founding Fathers agreed with these assessments and attached great importance to Federal civic architecture. They wanted America’s public buildings to inspire the American people and encourage civic virtue. President George Washington and Secretary of State Thomas Jefferson consciously modeled the most

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Schlusswort

Um der rassistischen Position dieser Streitfrage keinen Vorschub zu leisten, muss erwogen werden, ob die Vermittlung der antiken Polychromie nicht schon eher in Schulen oder sogar in Kindergärten erfolgen müsste, damit erst gar keine Missdeutung oder Ablehnung durch vorgeformte beziehungsweise vorformulierte Geschmacksurteile entstehen kann.10 Darüber hinaus besteht dem Anschein nach, trotz der pessimistischen Einschätzung Bloiers über den geringen „Aha-Effekt“ von polychromen Rekonstruktionen antiker Skulpturen, auch bei erwachsenen Nicht-Fachbesuchern ein entsprechendes Bedürfnis

important buildings in Washington, DC, on the classical architecture of ancient Athens and Rome. They sought to use classical architecture to visually connect our contemporary Republic with the antecedents of democracy in classical antiquity, reminding citizens not only of their rights but also their responsibilities in maintaining and perpetuating its institutions. Washington and Jefferson personally oversaw the competitions to design the Capitol Building and the White House. […] Classical and other traditional architecture, as practiced both historically and by today’s architects, have proven their ability to meet these design criteria and to more than satisfy today’s functional, technical, and sustainable needs. Their use should be encouraged instead of discouraged. Encouraging classical and traditional architecture does not exclude using most other styles of architecture, where appropriate. Care must be taken, however, to ensure that all Federal building designs command respect of the general public for their beauty and visual embodiment of America’s ideals.“ Federal Register Vol. 85, No. 247 Wednesday, December 23, 2020, www.govinfo.gov/content/pkg/FR-2020-12-23/ pdf/2020-28605.pdf (25.12.2020). Der Verweis auf die geistige Genealogie mit George Washington (1732–1799) und Thomas Jefferson (1743–1826) bildet in der Argumentation einen wichtigen Moment, der Trumps Anordnung zur „schönen“ und „inspirierenden“ Gestaltung öffentlicher Gebäude unterstreichen soll. Das Betonen des Weißen Hauses wie auch des Kapitol-Gebäudes in Washington visualisiert dabei dem Leser die erwünschte Form. Eingehender wird in Sec. 3. Definitions erläutert: „‚Classical architectur‘ means the architectural tradition derived from the forms, principles, and vocabulary of the architecture of Greek and Roman antiquity, and as later developed and expanded upon by such Renaissance architects as Alberti, Brunelleschi, Michelangelo, and Palladio; such Enlightenment masters as Robert Adam, John Soane, and Christopher Wren; such 19th-century architects as Benjamin Henry Latrobe, Robert Mills, and Thomas U. Walter; and such 20th-century practitioners as Julian Abele, Daniel Burnham, Charles F. McKim, John Russell Pope, Julia Morgan, and the firm of Delano and Aldrich. Classical architecture encompasses such styles as Neoclassical, Georgian, Federal, Greek Revival, Beaux-Arts, and Art Deco.“ Federal Register Vol. 85, No. 247 Wednesday, December 23, 2020, www.govinfo.gov/content/pkg/FR-2020-12-23/pdf/2020-28605.pdf. Trumps Durchführungsverordnung wurde am 24. Februar 2021 von Präsident Joe Biden wieder aufgehoben. 10 Im Rahmen einer neuen Kampagne gegen Rassismus kündigte das Museum of Archaeology and Anthropology der University of Cambridge im August 2021 an, Informationsschilder anzubringen, die darauf hinweisen, dass antike Skulpturen ursprünglich farbig gestaltet waren und dass die weißen Gipsabgüsse einen „irreführenden Eindruck“ (misleading impression) von einer „Abwesenheit von Diversität“ (absence of diversity) in der Antike vermitteln würden. Diese Initiative ist Bestandteil eines „öffentlichen Eingeständnisses von Rassismus in den Altertumswissenschaften und Notwendigkeit einer aktiven antirassistischen Arbeit innerhalb des Fachs“ (public acknowledgement of the problems of racism within Classics and need for active anti-racist work within our discipline), die das Bewusstsein für die Vielfalt in der römischen und griechischen Antike schärfen soll. https:// www.dailymail.co.uk/news/article-9917625/Cambridge-University-notes-misleadingly-white-Roman-Greek-plaster-cast-sculptures.html (15.12.2021).

Schlusswort

vorzuherrschen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, was die rund drei Millionen Besucher der Wanderausstellung Bunte Götter belegen.11 Der Rezipient ist anscheinend innerhalb der neuen Historisierungswelle daran interessiert, Näheres über sein historisches Ich und dessen Ansprüche an die Kunst zu erfahren. In dieser Umbruchzeit zum konservativen Neo-Historismus, der in den nächsten Jahrzehnten wohl seinen Höhepunkt erreichen wird, scheint sich eine aktuelle Anforderung an die ästhetische Wahrnehmung von historischen Kunstwerken herauszukristallisieren; dieser neue Historismus muss dabei offenbar mehr sein als nur ein „kalter Aufguss“ des 19. Jahrhunderts und stattdessen die eigenen Ansprüche an die Geschichte reflektieren. Dieses Verlangen nach vermeintlich „authentischen“ Bildern der Vergangenheit wird dabei von neuen wissenschaftlich-technischen Medien angetrieben, in denen beispielsweise mit 3D-Druckern Repliken des Torbogens aus Palmyra12 genauso wie der Vokaltrakt einer 3.000 Jahre alten Mumie hergestellt werden können.13 Angesichts des neuen Bedürfnisses nach einem angemessenen Bild der Geschichte können demnach auch hypothetische Farbrekonstruktionen dabei helfen, einen Einblick in den antiken Kunstgeschmack zu generieren, um damit ein Bewusstsein für den immensen Stellenwert der damaligen Polychromie zu erzeugen. Dies gilt selbst bei denjenigen Skulpturen oder Bauwerken, deren ursprüngliches Farbkonzept nicht mehr vorhanden ist; dabei wird kein authentisches Abbild erzeugt, sondern durch antike Vergleichsbeispiele eine Rekonstruktion des spezifischen Zeitgeistes hergestellt. Diese Idee beruht auf der Prämisse, dass „Künste als Gradmesser der Gesellschaft“14 zu verstehen sind, welche die „politischen und sozialen Gegebenheiten“15 eines Kollektivs widerspiegeln. Kunst ist demnach ein kultureller Seismograf, der die gesellschaftliche Dynamik visualisiert. Im Umkehrschluss können ästhetische Normen beziehungsweise künstlerische Transgressionen in einer Epoche dabei als Anhaltspunkt für eine hypothetische Rekonstruktion dienen, indem die kulturellen Bedürfnisse des Kollektivs auf das Objekt zurück reflektiert werden. Die unterschiedlichen Ausdrucksformen der antiken Kunst belegen dabei eindrücklich, dass bereits von Anbeginn unseres Kunstverständnisses an in Intervallen ein Wandel der ästhetischen Bedürfnisse stattfindet, bei denen im Wechsel entweder abstrakte Ideen oder der Mensch – als körperliches und sinnliches Wesen – im Vordergrund stehen. Damit scheint auch für unsere Zeit ein erneuter Wandel der ästhetischen Wahrnehmung durchaus wahrscheinlich. Ob in dessen Zuge auch die kollektive Vorstellung

11 https://www.liebieghaus.de/de/ausstellungen/bunte-goetter-golden-edition (25.01.2020). 12 https://www.welt.de/wissenschaft/video154527701/Dieser-Torbogen-kommt-aus-dem-groessten-3D-Drucker-der-Welt.html (25.01.2020). 13 https://www.nature.com/articles/s41598-019-56316-y (25.01.2020). 14 Haskell 1995, S. 237. 15 Haskell 1995, S. 237.

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Schlusswort

von der Separation der Kunstgattungen revidiert werden kann, hängt damit davon ab, ob sich Rezipienten bis dahin von ihren „romantische[n] Bilder[n] der Vergangenheit“16 und den „liebgewonnene[n] Bildikonen“17 trennen können, um das Stimmungsbild der polychromen Antike zu akzeptieren lernen. Durch eine ansprechende Vermittlung des ästhetischen Werts wie auch des ursprünglichen Zweckes kann vielleicht doch noch ein nachhaltiges Bewusstsein für die antike Fassmalerei generiert werden, damit eine pauschale Ablehnung keine Grundlage findet. Diesbezüglich betont Salvatore Settis: „Die aktuelle und fortschrittliche Forschungsarbeit auf dem Gebiet der antiken griechischen und römischen Polychromie stellt in meinen Augen ein machtvolles Werkzeug dar, das dazu beitragen kann, die Kultur des Altertums nicht länger als identisch mit der unseren, sondern als zutiefst anders wahrzunehmen. Wenn wir es schaffen, neue experimentelle Rekonstruktionen zur antiken Polychromie zu erarbeiten, und wir erkennen, was in der klassischen Kunst und Kultur der unseren ähnlich und was radikal anders ist, wird der Blick auf das klassische Altertum als eine Art geistiger Gymnastik wirken, als ein ständiges Springen zwischen Identität und Andersartigkeit. Überlegungen und Experimente zur Polychromie der klassischen Skulptur (und Architektur), die in den Institutionen (Vorzugsweise den Museen) unserer Zeit stattfinden, können daher gleichzeitig (auf wissenschaftlicher Ebene) der Lackmustest für die ganz unterschiedlichen, ja sogar diametralen Positionen sein, die von verschiedenen Forschern vertreten werden; und auf der anderen Seite sind sie ein wirkungsvolles Statement für das enorme Potential der klassischen Kunst als Vermittlerin von Werten, die für unsere Zeit von enormer Bedeutung sind, wie der Bedarf nach einem Vergleich mit anderen Kulturen.“18

Bei der Auseinandersetzung mit antiker Kunst wird folglich, nach Settis‘ Ansichten, mehr generiert als nur ein Geschmacksurteil; die ästhetische Wahrnehmung ist demnach auch ein Erkenntnisprozess über das eigene Ich zwischen Identifikation und Abgrenzung sowie zwischen der Reflexion des Selbst und der Selbst-Welt-Beziehung.19 Das Bedürfnis 16 17 18 19

Bloier 2017, S. 24. Bloier 2017, S. 25. Settis 2020, S. 26–27. Diesbezüglich erläutert Jain: „Wahrnehmung bezeichnen wir als wahrnehmendes Empfinden und Denken, als psychisches Erleben in seiner Bewußtheit, welches das bloß sinnenhafte Konstatieren überschreitet. Es ist ein Gewahr-Werden von etwas, das höchste Intensität des Bewußtseins erfordert und innere, geistige Aktivität voraussetzt. Von daher hat auch die Verfaßtheit oder Befindlichkeit des Individuums wesentlich Anteil an der Art und Weise, mit der Wahrnehmung einsetzt und welche Qualität sie überhaupt erreicht. Wahrnehmung ist i. w.S. dann ein Gestaltungsprozeß in zweifacher Hinsicht: zum einen inbezug auf die Qualität des Gewahr-Werdens, Empfindens und Strukturierens des wahrgenommenen Objekts, was Verstehen intendiert. Zum anderen inbezug auf die Gestaltung des Menschen selber – seiner Seele, um den in Mißkredit geratenen Begriff mangels eines besseren

Schlusswort

nach einem stilgetreuen Bild des jeweils vorherrschenden Zeitgeistes ist damit ebenfalls eine Spiegelung der eigenen Neigungen und Interessen, die in der sozialen und politischen Gemeinschaft ihre Epoche prägen. Dies gilt in der Folge ebenfalls für die heutigen Rekonstruktionen historischer Stile, wie sie in den neuen Altstädten entworfen werden. Jedoch scheint aktuell ein Wandel unserer ästhetischen Wahrnehmung in Hinblick auf griechische und römische Fassmalerei gerade dadurch bedroht zu sein, dass die Reflexion des 18. und 19. Jahrhunderts im kollektiven Kunstgedächtnis in einem Maße verankert ist, das die Idee von reinen, weißen Skulpturen und Bauwerken als Spiegel unserer rationalen Vernunft nicht angetastet werden kann. Um eine nachhaltige Veränderung zu evozieren, ist es dementsprechend notwendig, die Kunst der Antike – insbesondere die der alten Griechen – nicht mehr durch das Prisma unseres zeitgenössischen Schönheitsempfindens zu betrachten, sondern vielmehr ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Griechen keine „weiße“ Kunst kannten, geschweige denn diese als schön beziehungsweise als vollkommen angesehen hätten. Darüber hinaus wäre es erforderlich, die unterschiedlichen Einflüsse auf die griechische Kunst – beispielsweise jene des alten Ägyptens auf die Archaik – eingehend zu vermitteln, um den ästhetischen Wert der Polychromie – insbesondere bei der Visualisierung des Inkarnats – deutlicher aufzeigen zu können. Eine dunklere und rötliche Hautfarbe galt zu jener Zeit beispielsweise als mannhaft, weshalb gerade Krieger mit solch einem Farbton dargestellt wurden, was sie als Sanguiniker charakterisierte, der – wie Lepik-Kopaczyńska nach Hippokrates’ Lehren erläutert – „unter den vier Typen an erster Stelle steht. Er ist der gesündeste und auch psychisch wertvollste Typus.“20 Somit entsprach nicht der Phlegmatiker mit seiner hellen Haut und einem „schwachen Kopf“21 dem Schönheitsideal der Griechen, sondern gerade der sonnengebräunte und tatkräftige Temperamententypus des Sanguinikers. Dieses dunklere Leitbild des energischen und resoluten Kriegers zeigt sich darüber hinaus auch auf pompejischen Wandmalereien (Abb. 50), sodass angenommen werden kann, dass Hippokrates‘ Humorallehre ebenfalls von den Römern übernommen wurde. Die Auseinandersetzung mit der ursprünglichen Idee der antiken Fassmalerei – insbesondere in Hinblick auf das Inkarnat – konfrontiert uns radikal mit unserem vorherrschenden Dogma über die antiken Griechen, das mit Winckelmanns überhöhten Vorstellungen von der „edlen Einfalt und stillen Größe“22 nicht übereinstimmt. Damit ist der einmal zu bemühen. Damit sind Veränderungen der Einstellung, der Offenheit, Distanz u. a.m. gemeint. Beide Weisen dieses Gestaltungsprozesses verknüpfen ein Innen und Außen, Empfinden und Denken, ein Sich-selbst-Wahrnehmen und ein Wahrnehmen des Außen. Damit ist auch zugleich das Wahrnehmungsspektrum benannt, das sowohl sinnlich Gegebenes als auch sinnliches Transzendierendes einschließt.“ Jain 1995, S. 37. 20 Lepik-Kopaczyńska 1963 [2], S. 102. 21 Lepik-Kopaczyńska 1963 [2], S. 102. 22 Winckelmann 1756, S. 21.

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Schlusswort

eigentlich überfällige Erkenntnisprozess nicht nur rein ästhetisch, sondern gleichzeitig zutiefst gesellschaftspolitisch. Ein jeder muss daher für sich selbst entscheiden, inwieweit er seine anerzogene Sichtweise auf die Antike ändern möchte, beziehungsweise wie umfassend er im Zuge dieser neuen Historisierungswelle überhaupt ein Bewusstsein dafür generieren will, dass Re-Inszenierungs- sowie Rekonstruktionsmaßen einen solch nachhaltigen Einfluss auf unsere Kunstwahrnehmung und auch auf unsere Identität haben. Ethik des Rekonstruierens

Ein letzter Punkt soll in dieser Publikation noch angeführt werden, der meines Erachtens für künftige Rekonstruktionsmaßnahmen entscheidend sein sollte. Dorgerlohs Erkenntnis, dass man nicht unschuldig rekonstruieren kann,23 zeigt eindrucksvoll, wie wichtig eine Ethik des Rekonstruierens ist und dass in diesem Zusammenhang möglichst bald und für alle verbindlich eine Richtlinie entwickelt werden sollte. Ein Vorbild hierfür wären beispielsweise die ethischen Grundsätze der Restauratoren, die nicht eins zu eins übernommen werden sollten, aber als Orientierung dienen können. Grundsätzlich sollte daher zunächst geklärt werden, wozu eine Rekonstruktion genutzt werden soll, und damit, welchem unmittelbaren Bedürfnis sie unterliegt. Ziel ist es zu klären, ob der Zweck bzw. Nutzen der Rekonstruktion wissenschaftlich-rational oder symbolisch-emotional geprägt ist. Dies ist entscheidend, um den Mehrwert der Rekonstruktion im Vorfeld zu bestimmen, damit kein Missverhältnis zwischen dem zu schaffenden Objekt und seinem Nutzen besteht. Eine Rekonstruktion sollte daher immer als reines Objekt oder symbolische Projektionsfläche verstanden werden. Sind diese Eigenschaften nicht klar voneinander abgegrenzt, entstehen Missverständnisse, die sich nicht so leicht überbrücken lassen. Damit einher geht meines Erachtens auch eine differenzierte Betrachtung des Begriffs der historischen „Authentizität“, der kritisch hinterfragt und ggf. präzisiert werden muss; denn wie kann etwas historisch authentisch sein, das defacto neu angefertigt wird. Zudem kann nicht immer die ursprüngliche Herstellungsmethode verwendet werden, weil sie nicht überliefert ist. Es stellt sich also unweigerlich die Frage, was an einer solchen Rekonstruktion authentisch ist. Diese Überlegung scheint mir zentral zu sein, um der Rekonstruktion ihre fast mystische Aura zu nehmen, dass mit ihrer Hilfe die Vergangenheit zurückgewonnen werden könne, und sie stattdessen auf ihren Nutzen zu reduzieren, der entweder darin besteht, der wissenschaftlichen Vermittlungsarbeit zu dienen oder als symbolisches Wunschbild zu fungieren. Beides sind wichtige soziale Faktoren, die entweder dem Erkenntnisprozess oder der Funktion als Gedächtnisstütze zugeschrieben werden können. Aber macht das die Rekonstruktionen historisch authentisch?

23 Das Humboldt Forum – Schloss mit zwei Gesichtern, 2021.

Schlusswort

Ein weiterer wichtiger Aspekt neben der Definition der eigentlichen Funktion sowie der historischen Authentizität scheint daher auch die Dokumentation der einzelnen Arbeitsschritte zu sein, insbesondere bei wissenschaftlichen Rekonstruktionen. Dabei geht es nicht nur um die Erfassung der einzelnen Herstellungsprozesse, sondern vor allem um die anschauliche Darstellung jener Gedanken, die zu der einen oder anderen Hypothese geführt haben. Dies garantiert eine nachhaltige Fortführung der Projekte, die bei neuen Erkenntnissen durch Modifikationen ergänzt werden können, wobei an dieser Stelle grundsätzlich betont werden muss, dass eine Rekonstruktion immer nur den Ist-Zustand eines aktuellen Wissensstandes darstellen kann und daher Anpassungen unterliegt.24 In diesem Zusammenhang scheint auch die visuelle Qualität der Rekonstruktion von besonderer Bedeutung zu sein, sowohl für einen symbolischen als auch für einen wissenschaftlichen Nutzen. Während dies im Falle einer emotionalen Gedächtnisstütze unmittelbar einleuchtet, da ein ansprechendes Ergebnis die Wirkung und damit den beabsichtigten Nutzen erhöht, sollte ein überzeugendes Resultat auch ein wichtiger Bestandteil des erkenntnistheoretischen Modells sein, damit der Rezipient die Hypothese nicht aufgrund einer unzureichenden Optik ablehnt. Rekonstrukteure müssen sich dabei immer darüber im Klaren sein, dass Rekonstruktionen einen bewussten Eingriff in die Wahrnehmung darstellen, sodass besondere Vorsicht geboten ist und der Nutzen im Vorfeld abgewogen werden muss, damit z. B. eine wissenschaftliche Rekonstruktion nicht zu einer Re-Inszenierung verformt wird. Dies scheint mir ein wesentlicher Punkt zu sein, da es offenbar ein Bedürfnis nach einem kontrollierten Bild des eigenen Erinnerungsortes gibt, das einen starken Einfluss auf die Art der Rekonstruktion hat. Darüber hinaus ist es wichtig zu betonen, dass wissenschaftliche wie auch symbolische Rekonstruktionen niemals am historischen Original „ausprobiert“ werden dürfen, sondern vorher an einem Modell (digital oder analog) erarbeitet werden müssen. Das Projekt hat dabei stets von einer unabhängigen Kommission aus Wissenschaftlern und Künstlern begleitet bzw. geleitet zu werden. Vorzugsweise wird überhaupt keine hypothetische Rekonstruktion am Original ausgeführt, sondern nur am (digitalen oder analogen) Modell veranschaulicht. Die hier formulierten Fragen bzw. Anmerkungen, die im Rahmen dieser Publikation deutlich geworden sind, bedürfen meines Erachtens dringend einer verbindlichen Klärung im Rahmen einer Ethik des Rekonstruierens. Sie verdeutlichen in diesem kurzen Exkurs aber auch die komplexen Probleme, die im Vorfeld der eigentlichen Rekonstruktionsarbeit zu lösen sind. Die Publikation ist daher als Aufforderung an den Lesenden zu verstehen, für sich selbst eine Ethik des Rekonstruierens zu formulieren, die den eigenen Bedürfnissen entspricht, noch bevor ein allgemeiner Leitfaden erstellt wird. 24 Die hier formulierten Überlegungen können sich beispielsweise an den FAIR-Data-Prinzipien orientieren. https://www.force11.org/group/fairgroup/fairprinciples (22.10.2021).

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5 Annex Grundlageninformationen zur Anfertigung hypothetischer Farbrekonstruktionen antiker Skulpturen

Hypothetische Farbrekonstruktionen können unter Berücksichtigung des damals vorherrschenden Zeitgeistes sowie weiterführender Informationen (z. B. Farbreste, historische Vergleichsbeispiele, Beschreibung) dazu dienen, eine ästhetische Idee der antiken Fassmalerei und ihrer ursprünglichen Funktion zu generieren. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, die eigene Hypothese in der Reflexion des antiken Gesamtkunstwerks zu betrachten, indem die Wechselwirkung zwischen Form und Farbe unmittelbar visuell erfahrbar wird. So kann beispielsweise bei der Laokoon-Gruppe (Vatikanische Museen, Rom, Inv.-Nr. 1059-1064-1067) erprobt werden, ob die in der Form unterschiedlich dargestellten Temperamente (Phlegmatiker, Sanguiniker und Choleriker) eine farbige Entsprechung im Inkarnat der Figuren gehabt haben könnten (Abb. 56, 57).1 Neben der Möglichkeit, hypothetische Farbrekonstruktionen entweder als kolorierte Grafik (Abb. 56) oder als Fassmalerei am Modell zu visualisieren, besteht ebenfalls die Option, ein Foto farbig zu ergänzen (Abb. 57). Das Verfahren lässt sich auch auf Fotografien bereits existenter Farbrekonstruktionen übertragen. So kann beispielsweise eine Schichtenmalerei imitiert werden,2 die in der Folge den künstlerischen Ausdruck der

1

2

Abb. 56 zeigt einen hypothetisch kolorierten Kupferstich der Laokoon-Gruppe. Die Umrisszeichnung aus A. L. Millin’s Mythologische Gallerie (Parthey 1848, S. CLXVI) wurde mit Photoshop bearbeitet. Das Farbkonzept der Rekonstruktionsgrafik wurde auf ein Foto der Laokoon-Gruppe (Abb. 57) übertragen. Beide Varianten der Laokoon-Gruppe zeigen, dass trotz analogen Kolorits deutliche Unterschiede im ästhetischen Ausdruck existieren. Die zwei Versionen illustrieren damit eindrücklich die mannigfachen Vermittlungsmöglichkeiten (z. B. Farbschemata oder Gesamteindruck) visueller Hilfsmittel. Im eigenen Versuch hat sich herausgestellt, dass die Deckkraft beim digitalen Farbauftrag 30 % nicht übersteigen sollte, um den ästhetischen Effekt von „Lasurfarben“ mit einem Fotobearbeitungsprogramm imitieren zu können.

200

Annex

56 Hypothetisch kolorierter Kupferstich der Laokoon-Gruppe, ©K. Mann

57 Foto-Farbrekonstruktion der Laokoon-Gruppe, ©K. Mann

58 Farbrekonstruktion der Grabstele des Aristion (Inv. A 63), Archäologische 
Sammlung der Universität Greifswald, Foto: Heinrich-Schliemann-­Institut der Universität Rostock 59 Frise des Archers (AOD 488, Detail), © RMN-Grand Palais (Musée du Louvre), Franck Raux, ­https://collections.louvre.fr/ en/ark:/53355/cl010170854 60 Foto-Farbrekonstruktion der Grabstele des Aristion, ©K. Mann

Figur deutlich verändert. Bei diesem Verfahren ist es jedoch unbedingt erforderlich, die überarbeitete Version der früheren Rekonstruktion gegenüberzustellen (Abb. 58–60)3. 3

Musterhaft kann das Verfahren der digitalen Überarbeitung von bereits existenten Rekonstruktionen am Farbmodell der sogenannten Aristion-Stele (um 510 v. Chr.) beleuchtet werden. Abb. 58 (Rostock/Greifswald Inv. A 63) wurde mit Photoshop so bearbeitet, dass eine optische Parallele zum persischen Fries der Bogenschützen (um 510 v. Chr.) aus dem Louvre (Abb. 59, AOD 488) erzeugt wurde. Die Neuinterpretationen (Abb. 60) illustrieren damit die Hypothese, dass – aufgrund der zeitlichen Nähe und analogen Formsprache – der Aristion-Stele ursprünglich ein wärmeres und dunkleres Farbkonzept zu Grunde lag.

Annex

201

Robertsons Untersuchungen zur Griechischen Malerei Epoche

Themen und Neuerungen

Farben

Besonderheiten und Erkenntnisse

Bronzezeit

Muster, Blumen, Tiere, Landschaft, Menschen4

Weiß, Rot, Braun, Violett,5 abgestufte Farben,6 Inkarnat der Männer rötlich und der Frauen Weiß7

∙∙ Ursprung Ägypten8 ∙∙ „Impressionismus“9 ∙∙ Menschen in Handlung10 und im Profil gezeigt11

Geometrischer Ornamente, geometriStil sche Darstellung von (ab 1000 v. Chr.) Figuren, Tieren und Pflanzen12

Schwarz (betonte Umrisslinie), Weiß, Braungelb13

∙∙ „Zeitpunkt für die Wiederbelebung und den ästhetischen Umschwung [… der] Kunst Griechenlands“14, zuvor ein „Zusammenbruch der Kultur“15 ∙∙ „Der Maler [zeichnet] meistens nicht […], was er sieht, […] sondern […] was er weiß.“16

Archaik Anfänge einer (ab 700 v. Chr.) Raumdarstellung,17 Schlachtenszene, Mythologische Darstellung18

Schwarz (Sil­hou­ ∙∙ Ursprung Ägypten20 ette männlicher ∙∙ Zur selben Zeit wurden erste dorische Tempel geschaffen.21 Figuren), Weiß (Silhouette weib- ∙∙ Inschriften zur Kennzeichnung der Figuren22 licher Figuren auf schwarzem Grund), Flügel rot-weiß19

Spätarchaik (ab 600 v. Chr.)

∙∙ „Das alte Formgut wird von neuen männliche Gefühlen erschüttert und verformt, die und weibliche um einen Ausdruck ringen […].“25 Figuren in roter Tonfarbe,23 ∙∙ „Interesse am Aufbau und der Gliederung des menschlichen Körpers“26 Goldgelb, Pur∙∙ anatomische Zeichnungen schematisch purrot, Weiß24 und dekorativ22 ∙∙ Darstellung von Schmerz28

4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Robertson 1959, S. 19–21. Robertson 1959, S. 19. Robertson 1959, S. 20. Robertson 1959, S. 23. Robertson 1959, S. 19. Robertson 1959, S. 23. Robertson 1959, S. 19. Robertson 1959, S. 28. Robertson 1959, S. 36–42. Robertson 1959, S. 43. Robertson 1959, S. 35. Robertson 1959, S. 35. Robertson 1959, S. 36.

17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

Robertson 1959, S. 46. Robertson 1959, S. 48. Robertson 1959, S. 53. Robertson 1959, S. 46. Robertson 1959, S. 51. Robertson 1959, S. 57. Robertson 1959, S. 83. Robertson 1959, S. 84. Robertson 1959, S. 83. Robertson 1959, S. 90. Robertson 1959, S. 91. Robertson 1959, S. 96.

202

Annex

Frühklassik „Anfang der Idee (ab 500 v. Chr.) vom malerischen Raum“29 nicht allein zur Dekoration (wird bei Polygnots Arbeit ersichtlich)

Griechenland: Klassik (ab 450 v. Chr.) Melancholie,39 klassische Ruhe,40 körperliche Anstrengung und seelische Bewegung,41 sitzende und stehende Figur im Kontrast,42 Tod und Grab,43 Tod und Schlaf44 Italien: Gesichter unidealisiert,45 Theaterszenen, Komödien46

Purpurrot, Weiß, Gold30, Blau31, Grundton des Inkarnats beim Mann Braun, bei der Frau Weiß, Abwandlung in „Richtung natürlicher Nuancen“32

Mattfarben47

∙∙ „Geisteswandel und […] Wechsel der Atmosphäre“33 ∙∙ stilisierte heraldische Darstellung von Tieren34 ∙∙ Nackte Körper als Ausdrucksmittel, um „die Zeichnung reicher zu gestalten[, wurden] […] immer gern und überall eingefügt“.35 ∙∙ Die „Figuren haben […] Kraft […] [und] einen Beiklang von Empfindung“.36 ∙∙ „Bildhauer waren die ersten, die […] endgültig mit den archaischen Ausdrucksformeln brachen.“37 ∙∙ Der „geistige Wandel von der archaischen zur klassischen Kunst [ist] zum Teil ein Wandel vom ‚am Tun interessiert sein‘ zum ‚am Sein interessiert sein‘ “.38 ∙∙ „In den Künsten ist dieser Zeitraum durch eine Tendenz zur Verniedlichung und zum Überreichen hin bemerkenswert, in der Architektur und Skulptur ebenso wie in der rotfigurigen Vasenmalerei; aber es ist ein Zeitalter der großen Namen in der Malerei und offenbar der wiederaufgenommenen Experimente und Kämpfe. […] [Die Werke besitzen] eine große Kraft neben einer Gefühlsstärke, die zeigt, daß nicht alles nur niedlich war. Sie haben außerdem eine Freiheit in der Behandlung, die Weiterentwicklungen in der großen Malerei widerspiegeln muß.“48 ∙∙ Bei Vasen wird die Schwere der Figuren durch „lineare Mittel erreicht; Schattierungen gibt es nicht“.49 ∙∙ Konträr dazu beschäftigen sich Maler im späten 5. und frühen 4. Jh. v. Chr. mit Räumlichkeit, sodass die Visualisierung von Schatten immer wichtiger wird.50 ∙∙ Schattenmaler451 ∙∙ Der Maler Agatharchos von Samos schreibt ein Buch über das Bühnenbild und damit eine theoretische Abhandlung über Perspektive.52 ∙∙ Verwendung der enkaustischen Methode zur wasserfesten Farbgebung von Statuen und Bauelementen53

Annex

203

changierende Hellenismus Hell- und DunkelFarben60 (ab 336 v. Chr.) malerei zur Erzeugung verschiedener Bildebenen,54 Blumen, Tiere, 55 Schattierungen, Glanzlichter, Reflexe und Schlagschatten,56 künstlerischer Höhepunkt in der Nachahmung von Plastizität in der Malerei durch „Raum und Licht“,57 Architektur mit perspektivischem Fluchtpunkt,58 Landschaftsbilder59

29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46

Robertson 1959, S. 127. Robertson 1959, S. 112. Robertson 1959, S. 117. Robertson 1959, S. 129. Robertson 1959, S. 112. Robertson 1959, S. 114. Robertson 1959, S. 120. Robertson 1959, S. 121. Robertson 1959, S. 122. Robertson 1959, S. 130–131. Robertson 1959, S. 137. Robertson 1959, S. 146. Robertson 1959, S. 146. Robertson 1959, S. 137. Robertson 1959, S. 146. Robertson 1959, S. 148. Robertson 1959, S. 158. Robertson 1959, S. 159–160.

47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63

∙∙ tiefgreifender Wandel nach dem Peloponnesischen Krieg61 ∙∙ Eroberungen durch Alexander den Großen erweitern den griechischen Einfluss in Kleinasien, Ägypten bis an die Grenzen Indiens. Die Regierungszeit seiner Generäle, die das Reich Alexanders nach dessen Tod in Provinzen aufteilen, wird von späteren Generationen als das große Zeitalter der griechischen Malerei beschrieben.62 ∙∙ In den Darstellungen erkennt man eine „impressionistische Behandlung“.63

Robertson 1959, S. 148. Robertson 1959, S. 149. Robertson 1959, S. 153. Robertson 1959, S. 153. Robertson 1959, S. 154. Robertson 1959, S. 165. Robertson 1959, S. 167. Robertson 1959, S. 169. Robertson 1959, S. 169. Robertson 1959, S. 170. Robertson 1959, S. 170. Robertson 1959, S. 176. Robertson 1959, S. 179. Robertson 1959, S. 172. Robertson 1959, S. 168. Robertson 1959, S. 168. Robertson 1959, S. 180.

204

Annex

Rekonstruktion antiker Maltechniken nach Berger Stuccotechnik

Eine „leichte flotte Bemalung“64 mit einer glatten Oberfläche und tiefer Farbsättigung wie auch Farbleuchtkraft65, wobei „die dick aufgesetzten Farben […] von der Seite beleuchtet einen Schatten werfen“.66 Farbpigmente werden wahrscheinlich mit einem fettsäurehaltigen Bindemittel gemischt und entweder auf trockenem oder feuchtem Stuck angebracht;67 für den glänzend-glatten Farbeindruck wird einen Überzug aus punischem Wachs aufgetragen.68

Punisches Wachs

Eine gekochte Wachsemulsion, bestehend aus sonnengebleichtem Bienenwachs mit Natrium und Öl,69 welches mit Wasser vermengt wird und sich so leicht mit einem Borstenpinsel auftragen lässt. Durch ein erneutes Erhitzen des Wachses kann die Masse einfach geglättet werden und erhält nicht nur eine gleichmäßige Oberfläche,70 sondern auch einen besonderen Schimmer.71 Aufgrund des Glanzes ähnelt das Verfahren und der ästhetische Effekt dem „Stucco lustro“72, der noch bis ins Mittelalter hinein angewendet worden ist.73

Temperamalerei Vorteile: ∙∙ Die Temperafarbe ermöglicht, dass „sorgfältige und klare Linien“74 gezogen werden können, sowie eine „Licht- und Schattenmalerei mit deutlicher Tiefenwirkung“75 erzielt werden kann, was insbesondere für „Übergänge vom Licht zum Schatten beim Fleischmalen“76 von Bedeutung ist. ∙∙ Die Verwendung von „Deckfarben und Lasurfarben“77 für Über- und Untermalungen bei unterschiedlichen Farbschichten ist gleichermaßen möglich.78 Nachteile: ∙∙ Ein Firnis muss aufgetragen werden, da Temperafarben besonders feuchtigkeitsanfällig sind.79 ∙∙ Einige Farbpigmente konnten bei der ursprünglichen Temperamethodik nicht so gut verarbeitet werden wie beispielsweise Purpur, Indigo und Bleiweiß,80 sodass die Enkaustik auch neue Farbzusammenstellungen und Mischtöne ermöglicht hat. Enkaustik

Die Enkaustik wurde vor allem auf zwei Malgründen angewendet: Holz und Elfenbein. Da beide Malgründe feuchtigkeitsanfällig sind und ferner dazu neigen zu bersten, liegt die Vermutung nahe, dass die sehr komplexe enkaustische Methode durch das Wachsbindemittel die Eigenschaft besitzt, gleichsam als Schutzschicht zu dienen. Diese Hypothese mag eine Begründung dafür liefern, warum sich gerade so viele Mumienporträts aus Ägypten, die mit der enkaustischen Methode direkt auf Holz gemalt worden sind,81 dermaßen gut erhalten haben. Leuchtkraft sowie Plastizität der enkaustischen Farben ermöglichen eine neue Stufe der Naturnachahmung. Durch Modellierung der pastösen Farbsubstanz ist die Visualisierung eines lockeren und kunstvollen Duktus möglich, welche die ästhetische Wahrnehmung beherrscht; somit ist anzunehmen, dass nicht ein glatt-glänzender Effekt erwünscht war.82

Annex

Wachsfarben

64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81

205

Seit dem Beginn des 4. Jahrhunderts existieren verschiedene Arten von Wachsfarben parallel zueinander (Wachstempera mit punischem Wachs, enkaustische Tempera, Pinselenkaustik und Cauteriumenkaustik), welche die stumpfen Temperafarben immer mehr verdrängen. Aufgrund der unterschiedlichen Mischtechniken ist eine Unterscheidung der verschiedenen Malerschulen möglich. Mannigfache Malerwerkzeuge können angewendet werden: Pinsel, Cestrum (Graviernadel) und Cauterias (löffelförmiges Stäbchen).83 Bei der Pinselenkaustik wird das Wachs mit Öl vermengt, wodurch es leichter zu verarbeiten ist.84 Aus der Pinselenkaustik mit Öl entwickelt sich die Ölfarbentechnik, die bereits im 6. Jh. n. Chr. erwähnt wird und die Wachsmalerei nach und nach verdrängt. Sowohl Lepik-Kopaczyńska als auch Berger nehmen an, dass die Ölmalerei bereits in der Antike entwickelt wurde und einige Mumienporträts mit dieser Technik gefertigt worden sind. Ein Beleg hierfür ist ein archäologischer Fund aus dem Grab einer Malerin aus dem ausgehenden 3. bzw. beginnenden 4. Jh. n. Chr., bei dem Farbreste gefunden wurden, deren Bindemittel aus Öl, Wachs und Harz bestehen.85

Berger 1904, S. 63. Berger 1904, S. 64. Berger 1904, S. 64. Berger 1904, S. 79. Berger 1904, S. 82. Berger 1904, S. 98–99. Berger 1904, S. 101. Berger 1904, S. 104. Berger 1904, S. 105. Berger 1904, S. 106. Berger 1904, S. 181. Berger 1904, S. 181–182. Berger 1904, S. 182. Berger 1904, S. 182. Berger 1904, S. 182–183. Berger 1904, S. 183–184. Berger 1904, S. 186. Berger 1904, S. 198.

82 Lepik-Kopaczyńska erläutert in ihrer Abhandlung über Die antike Malerei, dass die künstlerische Virtuosität der Mumienbilder, wie dies Berger bereits 1904 vermutet hatte, auf einer Mischtechnik beruht, die sie als Cauterium-Pinsel-Enkaustik bezeichnet. Sie schreibt hierzu: „Die wichtigen Teile dieser Bildnisse, wie Haar, Gesicht, Hals und die nackten Körperteile, wurden in Cauteriumenkaustik, der mehr künstlerischen Technik, ausgeführt, die weniger wichtigen Teile dagegen, wie Kleider, Schmuck und der Hintergrund des Bildes, wurden in der Pinselenkaustik gemalt.“ Lepik-Kopaczyńska 1963 [1], S. 22. Nach Lepik-Kopaczyńskas Ansicht wurde die Cauterium-Pinsel-Enkaustik-Mischtechnik um 420 v. Chr. (Lepik-Kopaczyńska 1963 [1], S. 27) dazu entwickelt, die malerische Virtuosität zu steigern, was auf einen Wandel im Kunstbedürfnis jener Zeit schließen lässt. 83 Lepik-Kopaczyńska 1963 [1], S. 13, 27. 84 Lepik-Kopaczyńska 1963 [1], S. 25. 85 Lepik-Kopaczyńska 1963 [1], S. 25–27.

206

Annex

Ägyptische Malerei Charakteristik

∙∙ Einordnung in sieben Periode ∙∙ zu Beginn: Flächenkunst mit dekorativem Charakter86 ∙∙ „Je näher der hellenistischen Zeit, desto mehr verwarf man das althergebrachte Schema und begann, ein der Wirklichkeit näher kommendes Verfahren der Bemalung“87 anzuwenden. ∙∙ Dementsprechend wird gegen Ende der altägyptischen Malerei die Hautfarbe auch immer mehr zu einem charakterisierenden Merkmal.88 ∙∙ Porträtmalerei und räumliche Darstellung in der hellenistischen Epoche: eine „[i]mportierte Kunst“89 ∙∙ Übernommen werden ebenso ein Helldunkelkolorit und die neue enkaustische Maltechnik, jedoch wird Tempera parallel verwendet.90 ∙∙ Man „glättete die Malerei selbst“.91

Farben

∙∙ zu Beginn fünf Farben: Schwarz, Gelb, Rot, Blau, Grün92 ∙∙ In späteren Perioden kommen Mischtöne hinzu: Hautfarbe, Zinnober, Purpur, Gold.93 ∙∙ Die Farbpalette der Ägypter: 94 ∙∙ GELB: heller Ocker / Schwefelarsenik (ähnlich Neapelgelb) ∙∙ GRÜN: Kupferoxid (von Laubgrün bis Berggrün) ∙∙ BLAU: Lazurblau, Bergblau = Kupferoxid mit Eisen, Ägyptisch Blau (ähnlich Ultramarin) ∙∙ BRAUN bzw. Hautfarbe: Eisenoxid, Kohle mit rotem Ocker, Erdpigmente ∙∙ ZIEGELROT, ROTBRAUN, ROT: roter Ocker, Zinnober (ähnlich Englischrot) ∙∙ VIOLETTPURPUR: nur als Golduntergrund ∙∙ SCHWARZ: Kohle ∙∙ WEISS: Gips

Malmittel

∙∙ Tempera (mit einer Basis aus Leim, Wachs, Gummi, evtl. Ei, Milch oder Honig)95 ∙∙ Enkaustik (punisches Wachs)96 ∙∙ Firnis (Harz) ∙∙ Maluntergrund (sehr feiner Gips und Leim zur Glättung der Oberfläche)97 ∙∙ Malwerkzeug: Pinsel, Feder, Binse (?)98 ∙∙ Farbpalette (längliche Form)99

Malerei auf Skulptur

∙∙ Skulpturen aus Kalkstein ∙∙ Eine „allgemeine Deckung von flüssiger weisser Kalkfarbe […] [bewirkt] einen ganz glatten Eindruck“.100 ∙∙ In der 18. und 19. Dynastie wird eine „wachs- oder harzhaltige Tempera oder […] [ein firnisartiger] Ueberzug auf einer Malerei mit Eibindemittel“101 angewendet. ∙∙ Beispiel: Nofretete, Ägyptisches Museum Berlin, Inv.Nr. ÄM 23100

86 87 88 89 90 91 92 93

Berger 1904, S. 5. Berger 1904, S. 19. Berger 1904, S. 19. Berger 1904, S. 21. Berger 1904, S. 22. Berger 1904, S. 17. Berger 1904, S. 5. Berger 1904, S. 5.

94 Berger 1904, S. 23–26. 95 Berger 1904, S. 6–7. 96 Berger 1904, S. 7. 97 Berger 1904, S. 6. 98 Berger 1904, S. 27–28. 99 Berger 1904, S. 27. 100 Berger 1904, S. 10. 101 Berger 1904, S. 10.

Annex

207

Homers Charakterisierung der Figuren durch Inkarnatfarbe Figur

Farbe/Charakterisierung

Ilias102

Leto

lockig rosenwangig

I/36 XIV/607

Apollon

silbriger Bogen

I/37

Hera

lilienarmig

I/55

Achilles

bräunliches Haar

I/197

Briseis

rosig schöngelockt

I/184 II/689

Athena

blauäugig schöngelockt

I/206 VI/92

Eos

Rosenfinger Safrangewand

I/477 VIII/1

Zeus

schwärzliche Brauen ambrosische Locken

I/528 I/529

Thetis

silberfüßig schönlockig schwarze Kleidung

I/539 XX/207 XIV/94

Melegros

bräunlich

II/642

Kameiros

weiß

II/656

Aphrodite

golden

III/64

Helena

rosig schimmernd lockig

III/75 III/121 III/295

Laodike

rosig

III/124

Kleopatra

rosig

IX/556

Iris

goldgeflügelt

XI/184

Theano

rosig

XI/224

Agamede

blond

XI/740

Themis

rosig

XV/87

Menelaos

bräunlich

XVII/18

102 Übertragung von Johann Heinrich Voß, Homer 1990.

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210

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Dank Mein Dank gilt nicht nur dem Deutschen Kunstverlag, der sich dieser Publikation angenommen hat, sondern vor allem zwei mir sehr lieben Menschen, Prof. Dr. Paweł ­Taranczewski sowie Karin Schultz-Frank, die mich mit Rat und Tat unterstützt haben. Des Weiteren möchte ich mich bei den Museen und Instituten bedanken, die mir ihre Farbrekonstruktionen zur Verfügung gestellt haben, sowie bei der Firma collectAR, die es mir ermöglicht hat, eine 3D-Version des von mir kolorieren Modells der Venus von Milo als Augmented Reality (AR) in diese Publikation zu integrieren.