Die Spur des Abendsterns 3534264851, 9783534264858

Am 6. Juni 2012 findet ein astronomisches Ereignis statt, das keiner von uns ein weiteres Mal erleben wird. Die Bahn der

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German Pages 216 [218] Year 2016

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Der Planet Venus
Venus als Morgen- und als Abendstern
Unser Sonnensystem
Was wir heute über Größe und Beschaffenheit der Venus wissen
Was ist ein Venustransit?
Helligkeit und Phasen der Venus
Die Bahn der Venus
Warum sind Venus- oder Merkurtransite so selten?
2. Weltbilder im Wandel als Voraussetzung für die Berechnung von Venusdurchgängen
Das heliozentrische Weltbild setzt sich durch
Tycho Brahe – der Himmelsgucker
„Mache Gläser für die Augen, um den Mond groß zu sehen“
Das Fernrohr eröffnet neue Perspektiven
Die Kreisbahn ist nicht rund
Die Entdeckung der Sonnenflecken
3. Erste Beobachtungen von Merkur- und Venusdurchgängen
Der kleine Merkur
Die schöne Venus
Falsche Berechnungen?
Der große Tag: 24. November 1639 (A. S.) bzw. 4. Dezember (N. S.)
4. Wie groß ist das Sonnensystem? Die Rolle von Venuspassagen zur Bestimmung der Distanz zwischen Erde und Sonne
Astronomische Einheit
Edmond Halley und seine Methode zur Ermittlung der Astronomischen Einheit
Konkurrierende Methoden zur Beobachtung von Venusdurchgängen
5. Wissenschaft im Schatten des Krieges – Der Venustransit von 1761
Der Erste wird der Letzte sein – Le Gentil auf dem Weg nach Pondicherry/Ostindien
Ein Augustiner-Chorherr im Indischen Ozean – Alexandre-Gui Pingré auf Rodrigues
Der Teufel sitzt im Fernrohr – Abbé Chappe d’Auteroche in Sibirien
Kurz und effizient – John Winthrop auf Neufundland
„Was auch immer die Konsequenz sein mag (…)“ – Charles Mason & Jeremiah Dixon mit Ziel Sumatra
Pech auf St. Helena
6. Zwei unerwartete Phänomene und das Längengradproblem
Ein heller Ring um die Venus
Der „Schwarze Tropfen“
Wo sind wir? Das Problem der Bestimmung der geographischen Länge
Monddistanzmethode
Jupitermonde
Ein Tischler erfindet die passende Uhr
7. Schicksale – Der Venustransit von 1769
Jedem seine Venus – James Cook auf Tahiti
Die englischen Expeditionen auf der Nordhalbkugel
Acht Monate Winter
Mason und Dixon – Erneut, aber getrennt unterwegs
Im Auftrag der Zarin – Venusbeobachtungen in Russland
Wiedersehen mit alten Bekannten: Pingré, Chappe d’Auteroche und Le Gentil erneut auf weiten Reisen
Höchster Einsatz für die Wissenschaft – Chappe d’Auteroche in Baja California (Mexiko)
Eine verhängnisvolle Wolke – Le Gentil endlich in Pondicherry
8. Neue Hoffnungen – Der Venustransit von 1874
Modernisierung der Arbeitsmethoden
Venus auf Platten gebannt
Vorbereitungen auf die Transitbeobachtungen
Neue Expeditionen zu den Enden der Welt
Im Auge des Zyklons
9. Letztes Aufgebot – Der Venustransit von 1882
Nochmals in weite Ferne für die Wissenschaft – Britische Expeditionen von 1882
Transitbeobachtungen in Nord- und Südamerika – Deutsche und französische Expeditionen von 1882
10. Venus entzaubert?
Bezaubernde Venuspassagen in der Kunst
Venusdurchgänge im 21. Jahrhundert
Literatur
Personenregister
Ortsregister
Sachregister
Abbildungsnachweis
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Die Spur des Abendsterns
 3534264851, 9783534264858

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Gudrun Bucher Die Spur des Abendsterns

Gudrun Bucher

Die Spur des Abendsterns Die abenteuerliche Erforschung des Venustransits

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Redaktion: Melanie Löw, Saarbrücken Layout, Satz und Prepress: SatzWeise, Föhren · Ramsgate UK Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Umschlagabbildung: © picture-alliance/Bildagentur-online/Saurer Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-23633-6

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72248-8 eBook (epub): 978-3-534-72249-5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Planet Venus

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Venus als Morgen- und als Abendstern . . . . . . . . . . . . . Unser Sonnensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was wir heute über Größe und Beschaffenheit der Venus wissen Was ist ein Venustransit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helligkeit und Phasen der Venus . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bahn der Venus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum sind Venus- oder Merkurtransite so selten? . . . . . . .

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2. Weltbilder im Wandel als Voraussetzung für die Berechnung von Venusdurchgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das heliozentrische Weltbild setzt sich durch . . . . . . . . . Tycho Brahe – der Himmelsgucker . . . . . . . . . . . . . . . „Mache Gläser für die Augen, um den Mond groß zu sehen“ . Das Fernrohr eröffnet neue Perspektiven . . . . . . . . . . . Die Kreisbahn ist nicht rund . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entdeckung der Sonnenflecken . . . . . . . . . . . . . .

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3. Erste Beobachtungen von Merkur- und Venusdurchgängen Der kleine Merkur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die schöne Venus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Falsche Berechnungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der große Tag: 24. November 1639 (A. S.) bzw. 4. Dezember (N. S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Wie groß ist das Sonnensystem? Die Rolle von Venuspassagen zur Bestimmung der Distanz zwischen Erde und Sonne . . . . Astronomische Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

Edmond Halley und seine Methode zur Ermittlung der Astronomischen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrierende Methoden zur Beobachtung von Venusdurchgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5. Wissenschaft im Schatten des Krieges – Der Venustransit von 1761 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Erste wird der Letzte sein – Le Gentil auf dem Weg nach Pondicherry/Ostindien . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Augustiner-Chorherr im Indischen Ozean – Alexandre-Gui Pingré auf Rodrigues . . . . . . . . . . . Der Teufel sitzt im Fernrohr – Abbé Chappe d’Auteroche in Sibirien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurz und effizient – John Winthrop auf Neufundland . . . . „Was auch immer die Konsequenz sein mag (…)“ – Charles Mason & Jeremiah Dixon mit Ziel Sumatra . . . Pech auf St. Helena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Zwei unerwartete Phänomene und das Längengradproblem . Ein heller Ring um die Venus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der „Schwarze Tropfen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wo sind wir? Das Problem der Bestimmung der geographischen Länge . . . . . . . . . . . Monddistanzmethode . . . . . . . . . . . . Jupitermonde . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Tischler erfindet die passende Uhr . . . .

7. Schicksale – Der Venustransit von 1769

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Jedem seine Venus – James Cook auf Tahiti . . . . . . . . . . . Die englischen Expeditionen auf der Nordhalbkugel . . . . . . Acht Monate Winter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mason und Dixon – Erneut, aber getrennt unterwegs . . . . Im Auftrag der Zarin – Venusbeobachtungen in Russland . . . . Wiedersehen mit alten Bekannten: Pingré, Chappe d’Auteroche und Le Gentil erneut auf weiten Reisen . . . . . . . . . . . Höchster Einsatz für die Wissenschaft – Chappe d’Auteroche in Baja California (Mexiko) . . . . . Eine verhängnisvolle Wolke – Le Gentil endlich in Pondicherry . 6

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Inhaltsverzeichnis

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9. Letztes Aufgebot – Der Venustransit von 1882 . . . . . . . . .

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8. Neue Hoffnungen – Der Venustransit von 1874 Modernisierung der Arbeitsmethoden . . . . . . Venus auf Platten gebannt . . . . . . . . . . . . Vorbereitungen auf die Transitbeobachtungen . Neue Expeditionen zu den Enden der Welt . . . Im Auge des Zyklons . . . . . . . . . . . . . . .

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Nochmals in weite Ferne für die Wissenschaft – Britische Expeditionen von 1882 . . . . . . . . . . . . . . . Transitbeobachtungen in Nord- und Südamerika – Deutsche und französische Expeditionen von 1882 . . . . .

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10. Venus entzaubert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bezaubernde Venuspassagen in der Kunst . . . . . . . . . . . . Venusdurchgänge im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsnachweis

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Zur Erinnerung an meinen Vater, Karl Bucher, der mir von den Sternen erzählte

Vorwort

Am 6. Juni 2012 findet ein besonderes astronomisches Ereignis statt: ein sogenannter Venusdurchgang oder Venustransit. Während eines Venustransits führt die Bahn der Venus zwischen Erde und Sonne hindurch und die Venus ist dann für mehrere Stunden als kleiner dunkler Punkt vor der Sonne zu sehen. Kaum einer der heute lebenden Menschen wird danach eine weitere Chance zur Beobachtung eines solchen Ereignisses haben, da sich dieses seltene Himmelsschauspiel erst am 11. Dezember des Jahres 2117 erneut zeigen wird. In der Geschichte der Astronomie wurden seit dem 18. Jahrhundert große Anstrengungen unternommen, um Venusdurchgänge von weit entfernt gelegenen Punkten der Erde zu beobachten und Messungen durchzuführen. Weder Mühe noch Aufwand wurden gescheut, um zu möglichst genauen Resultaten zu gelangen, denn die gewonnenen Erkenntnisse spielten eine wichtige Rolle bei der Ermittlung der Entfernung zwischen Erde und Sonne, der sogenannten Astronomischen Einheit. Diese sollte Aufschluss über die Größe des Sonnensystems und damit unseren Platz darin geben. Venusdurchgänge wurden im Laufe der Menschheitsgeschichte erst sechs Mal dokumentiert; sie fanden in den Jahren 1639, 1761, 1769, 1874, 1882 und 2004 statt. Dieses Buch folgt den Expeditionen durch den Wandel der Zeit. In jedem Jahrhundert waren dabei die Bedingungen und Möglichkeiten des Reisens und der Beobachtungen völlig andere. Berühmte Weltumsegelungen, wie beispielsweise die erste Reise von Kapitän James Cook, hatten – das ist heute nur Wenigen bekannt – ursprünglich die Beobachtung des Venustransits zum Ziel. Aber auch weniger bekannte Expeditionen führten in die fernsten Winkel der Erde, um den Vorübergang der Venus vor der Sonne zu dokumentieren. Die Reisen auf den Spuren der Venus trugen über ihren eigentlichen Zweck hinaus zur Erweiterung der Kenntnis der Welt bei und brachten neben der Astro9

Vorwort

nomie auch viele andere Wissenschaften voran. Erfolgreiche Messungen und tragische Schicksale standen unter demselben Stern, der bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt hat. Es gab viele „gute Geister“, die zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Besonders verbunden bin ich folgenden Personen: Von der ersten Zeile bis zum fertigen Manuskript hat Dr. Sabine Baumann das Projekt begleitet, Zweifel zerstreut oder Richtungsänderungen vorgeschlagen und unermüdlich verschiedene Textfassungen mit mir diskutiert. Auf dem Weg zur Fertigstellung des Textes haben mich Beate Lipps und Dr. Heike Thote durch ihr gründliches Lesen ermutigt, Unstimmigkeiten ausgemerzt und dem Ganzen den nötigen Schliff verliehen. Dr. Ulrich Dornsiepen hat gut gelaunt alle Höhen und Tiefen des Arbeitsprozesses mit mir durchgestanden. VIELEN DANK! Dafür, dass aus einer beiläufig geäußerten Idee ein fertiges Buch werden konnte, danke ich Dr. Jörn Laakmann, Dr. Rainer Aschemeier und Dr. Jens Seeling von der WBG. Gudrun Bucher, März 2011

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Der Planet Venus

Die Venus als heller, schöner Planet, der mit bloßem Auge zu erkennen ist, zog seit jeher die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich. Ihr heutiger Name geht auf die römische Göttin der Liebe und Schönheit zurück. Aber bereits in älteren Kulturen wurde die Venus aufgrund ihres unvergleichlichen Glanzes als Inkarnation zentraler weiblicher Gottheiten gesehen. Tatsächlich handelt es sich bei der Venus nach Sonne und Mond um den hellsten von der Erde aus sichtbaren Himmelskörper. Die ersten Aufzeichnungen von Venusbeobachtungen stammen aus der Zeit um 1650 v. Chr. Die Sumerer sahen in der Venus ihre Göttin Inanna, die mit Liebe und Krieg sowie Macht über Leben und Tod in Verbindung gebracht wurde. In Babylonien wurde aus Inanna die wichtigste Göttin Ischtar, Göttin der Liebe, des Krieges und der Fruchtbarkeit. Die gleichen Charakterzüge finden sich später bei der griechischen Göttin Aphrodite und der römischen Göttin Venus. Als Herrscherin über die geschlechtliche Lust gilt Venus gleichzeitig als Urbild weiblicher Schönheit und veranlasste Künstler und Literaten seit Jahrtausenden, sich mit ihr zu beschäftigen. Auch in den Mythologien und Kosmologien außereuropäischer Völker, insbesondere der Maya und Azteken, spielt sie eine große Rolle.

Venus als Morgen- und als Abendstern Aus irdischem Blickwinkel entfernt sich die Venus nicht besonders weit von der Sonne, maximal 48 Grad. Deshalb ist sie von der Erde aus entweder am Morgen im Osten oder am Abend nach Sonnenuntergang im Westen zu sehen, aber niemals tief in der Nacht. Das führte dazu, dass die Griechen die morgendliche Venus als Phosphoros, Bringer des Lichtes, bezeichneten und die abendliche Venus als Hesperos, Abendstern. Bei den Römern hieß sie entsprechend Lucifer (Lichtträger) am Morgen und Vesper (Abend) am Abend. 11

1.

Der Planet Venus

Bereits sehr früh in der Geschichte der Himmelsbeobachtungen wurde deutlich, dass es sich bei der Venus, obwohl sie sehr hell am Firmament erscheint, nicht um einen Stern, sondern um ein sich bewegendes, wanderndes Gestirn, also um einen Planeten oder Wandelstern, handelt. Aufgrund dieser Eigenschaften, ihrer Helligkeit, ihrer Position unter den Planeten und ihres Wegs zwischen Erde und Sonne, sollte sie zum Schlüssel für unser Verständnis für die Dimensionen unseres Sonnensystems oder gar des Universums werden.

Unser Sonnensystem In unserem Sonnensystem ist die Sonne der zentrale Stern. Acht bzw. ehemals neun Planeten ziehen ihre ellipsenförmigen Bahnen um die Sonne: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und Pluto. Pluto wurde erst 1930 entdeckt und hat nur einen Durchmesser von 2 300 Kilometern. Lange galt er als der neunte Planet im Sonnensystem, aber 1999 entbrannte unter Astronomen eine Diskussion darüber, ob Pluto wirklich als Planet anzusehen ist. Im Jahr 2006 schließlich stufte die Internationale Astronomische Union Pluto in die neu definierte Klasse der Zwergplaneten ein. Die Venus ist von der Sonne aus gesehen der zweite Planet und befindet sich damit in direkter Nachbarschaft zur Erde, die die dritte Position einnimmt. Gemeinsam mit dem Merkur gehört die Venus zu den sogenannten inneren Planeten, deren Umlaufbahn um die Sonne innerhalb der Erdumlaufbahn bleibt. Die vier der Sonne nächst gelegenen Planeten (Merkur, Venus, Erde und Mars) werden auch als terrestrische Planeten bezeichnet, weil sie ähnlich wie die Erde fest, felsig und relativ dicht sind. Nach dem Mars folgt eine große Lücke, in der sich viele Tausend Asteroiden oder Zwergplaneten aufhalten. Weiter außen ziehen die vier riesigen Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun ihre Bahnen. Von Norden aus gesehen kreisen alle Planeten gegen den Uhrzeigersinn um die Sonne, die sich ebenfalls gegen den Uhrzeigersinn um die eigene Achse dreht.

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Unser Sonnensystem

Merkur Venus Erde Mars

Jupiter

Saturn

Uranus

Neptun

Pluto

Abb. 1: Merkur und Venus ziehen ihre Bahn um die Sonne innerhalb der Erdbahn. Darum kann es nur bei diesen beiden Planeten zu Transiten kommen.

13

1.

Der Planet Venus

Was wir heute über Größe und Beschaffenheit der Venus wissen Mit einem Durchmesser von 12 103,6 Kilometern ist die Venus fast genauso groß wie die Erde, deren Durchmesser am Äquator 12 756 Kilometer beträgt. Der Radius der Venus entspricht 95 Prozent des Erdradius, ihre Masse macht aber nur 81 Prozent der Erdmasse aus. Die Venus hält sich hinter einer undurchdringlichen Wolkendecke versteckt, was lange Zeit Raum für Spekulationen bot. Da die Venus der Sonne näher ist als die Erde, gab es Vermutungen darüber, dass sie von seltsamen Kreaturen bevölkert sei, die gut im feuchtwarmen Klima gedeihen würden. Dass dies weit gefehlt war, zeigte sich, als erste Weltraumsonden mit der Erkundung der Venusoberfläche begannen. Die Venus ist von einer Atmosphäre aus Kohlendioxid (96 Prozent) und Stickstoff (3,5 Prozent) umgeben, was zu einem 90-mal höheren Atmosphärendruck als auf der Erde führt. Der Druck auf der Venusoberfläche entspricht dem Druck in einer Wassertiefe von 900 Metern. Zum Vergleich: Die Atmosphäre der Erde setzt sich in Bodennähe u. a. aus 78,08 Prozent Stickstoff, 20,95 Prozent Sauerstoff, 0,93 Prozent Argon und nur 0,03 Prozent Kohlendioxid zusammen. Die mittlere Temperatur auf der Venus beträgt ca. 470 oC und liegt damit um einiges höher als die Schmelztemperatur von Blei (327 oC) und Zink (420 oC). Die hohe Oberflächentemperatur kommt zustande, weil der Kohlendioxidgehalt von 96 Prozent in der Atmosphäre einen starken Treibhauseffekt hervorruft. Wo sogar Blei und Zink schmelzen, da ist an Wasser natürlich nicht zu denken. Selbst wenn es irgendwann Wasser auf der Venus gegeben haben sollte, ist dies längst verdampft. Aber auch in gasförmigem Zustand kann sich Wasser bei so hohen Temperaturen nicht halten. Damit ist kein Leben auf der Venus möglich. Die untere Atmosphäre der Venus speichert die Wärme und transportiert sie so effizient von einem Teil des Planeten zum anderen, dass es kaum Temperaturschwankungen gibt und auch vom Äquator zum Pol variiert die Oberflächentemperatur nur um wenige Grad. Selbst während der extrem langen Nächte kühlt es kaum ab (Lang und Whitney 1993, S. 99). Die Achse der Venus ist mit 2,7 Grad nur schwach gegen die Senkrechte zur Umlaufbahn geneigt, was bedeutet, dass es auf der Venus keine unterschiedlichen Jahreszeiten gibt. Die Neigung der Erdachse beträgt 23,5 Grad und beschert uns somit den Unterschied zwischen Frühling, Sommer, Herbst und Winter. 14

Was ist ein Venustransit?

Zudem wird die Venus – im Gegensatz zur Erde – nicht von einem Mond begleitet.

Was ist ein Venustransit? Zu Durchgängen oder Transiten kann es nur bei den inneren Planeten Merkur und Venus kommen. Von einem Transit spricht man dann, wenn die Venus genau zwischen Erde und Sonne vorbeizieht und dabei von der Erde aus als dunkler Fleck vor der Sonne zu sehen ist. Venusdurchgänge sind gerade noch mit bloßem Auge zu sehen. Da Merkur erstens kleiner ist als die Venus und zweitens weiter von der Erde entfernt seine Bahnen zieht, sind Merkurtransite ohne Fernrohr nicht zu beobachten.

Helligkeit und Phasen der Venus Planeten haben keine eigene Leuchtkraft. Wenn sie uns trotzdem hell erscheinen, liegt dies daran, dass sie von der Sonne angestrahlt werden und das Sonnenlicht reflektieren. Aufgrund ihrer dichten Wolkendecke reflektiert die Venus 76 Prozent des auftreffenden Sonnenlichts, was einer Albedo von 0,76 entspricht und damit nur wenig geringer ist als das Rückstrahlvermögen (Albedo) von frischem Schnee mit 0,9. Die Venus erreicht eine scheinbare Helligkeit von -4,6 mag und ist damit so hell, dass sie sogar tagsüber am Himmel zu finden ist, wenn die Sonne weit genug von ihr entfernt steht. Wenn sie vor Sonnenauf- oder nach Sonnenuntergang zu sehen ist, kann sie sogar leichte Schatten auf der Erde erzeugen. Mag ist die Abkürzung für Magnitude und gibt die scheinbare Helligkeit eines Himmelskörpers an. Je kleiner die Zahl, desto heller erscheint das Gestirn. Die scheinbare Helligkeit der Sonne wird mit –26,73 mag angegeben und die des Mondes mit –12,73 mag. An nächster Stelle steht bereits die Venus. Ähnlich wie beim Mond, der uns je nach seiner Stellung auf der Umlaufbahn um die Erde als voll, halb oder neu erscheint, gibt es auch bei der Venus entsprechende Phasen. Wenn die Venus sich in der unteren Konjunktion befindet, also zwischen Erde und Sonne steht, ist sie von der Erde aus nicht zu sehen, weil nur die „Rückseite“ von der Sonne angestrahlt wird. Wir haben also „Neuvenus“. Lediglich während der selten auftretenden Venus15

1.

Der Planet Venus

transite ist die „Neuvenus“ als schwarzer Punkt auf der Sonne zu sehen, was einer Sonnenfinsternis entspräche, wenn die Venus sehr viel größer wäre oder sich näher an der Erde befände. Bewegt sich die Venus nun weiter auf ihrer Bahn, sehen wir sie zunächst als schmale Sichel am Morgenhimmel. Auf ihrer weiteren Wanderung erscheint sie dann halb und nimmt immer mehr zu. Die „Vollvenus“ ist allerdings von der Erde aus nicht zu sehen, weil sich die Venus, wenn ihre „Vorderseite“ komplett von der Sonne angestrahlt wird, von der Erde aus gesehen hinter der Sonne befindet, beziehungsweise die Sonne zwischen Erde und Venus steht (obere Konjunktion). Die abnehmende Venus erscheint uns dann am Abendhimmel.

Die Bahn der Venus Die meisten Planeten kreisen in ungefähr derselben Ebene um die Sonne wie die Erde, die Neigung ihrer Bahnen im Verhältnis zur Erdbahn liegt unter drei Grad. Lediglich die Bahnen von Merkur und Venus sind im Vergleich zur Erdbahn stärker geneigt (Merkur um 7o; Venus um 3,4o). Die Venus bewegt sich mit einer mittleren Geschwindigkeit von 35 Kilometer pro Sekunde auf einer nahezu kreisförmigen Bahn um die Sonne und kommt dabei von allen Planeten der Erde am nächsten. Die mittlere Bahngeschwindigkeit der Erde beträgt ca. 30 Kilometer pro Sekunde. Kno ten lini e

Erdbahn absteigender Knoten

Sonne aufsteigender Knoten

Venusbahn

Abb. 2: Die Bahn der Venus um die Sonne ist im Vergleich zur Erdbahn um 3,4o geneigt.

Die Erde benötigt für eine Runde um die Sonne bekanntlich 365,256 Tage. Die Venus hingegen braucht für eine Umrundung der Sonne nur 224,7 16

Die Bahn der Venus

Erdentage, was bedeutet, dass das Venusjahr ungefähr 7,5 Erdmonaten entspricht. Alle 583,92 Tage überholt die Venus die Erde und befindet sich dann zwischen Erde und Sonne. Beim Umlauf der Venus um die Sonne spricht man von oberer Konjunktion, wenn die Venus, von der Erde aus betrachtet, hinter der Sonne steht, d. h., die Sonne sich zwischen Venus und Erde befindet. Die sogenannte untere Konjunktion hat die Venus erreicht, wenn sie auf ihrer Bahn zwischen Sonne und Erde vorbeizieht und der Erde dabei relativ nahekommt. Relativ nahe heißt ungefähr 41 Millionen Kilometer. Entfernt sich die Venus auf ihrer Bahn und erreicht die obere Konjunktion, beträgt der maximale Abstand zwischen Erde und Venus 257 Millionen Kilometer. Je nachdem, wie weit entfernt sich die Venus von der Erde befindet, beläuft sich ihr scheinbarer Durchmesser auf 9,5 Bogensekunden in der oberen Konjunktion oder 65 Bogensekunden, wenn sie sich in der unteren Konjunktion, also in maximaler Erdnähe, aufhält. Leider ist die Venus, wenn sie am größten erscheinen würde, außer während des Transits nicht zu sehen, da sie dann zwischen Sonne und Erde steht, und nur ihre Rückseite von der Sonne angestrahlt wird. In der Astronomie wird häufig von scheinbarer Größe oder scheinbarem Durchmesser gesprochen. Gemeint ist damit die von der Entfernung abhängige Ausdehnung von Himmelskörpern. Sie erscheinen umso kleiner, je weiter entfernt sie vom Beobachter auf der Erde sind. Beispielsweise ist die scheinbare Größe von Sonne und Mond fast gleich, obwohl die Sonne absolut gesehen erheblich größer als der Mond ist. Da sie aber auch sehr viel weiter von der Erde entfernt ist, kommt es, dass die scheinbare Größe fast gleich ist. Die scheinbare Größe wird in Einheiten von Grad, Bogenminuten und Bogensekunden angegeben. Ähnlich wie bei den Zeiteinheiten Stunde, Minute, Sekunde wird bei den Winkelmaßen das Sexagesimalsystem verwendet, d. h., ein Winkelgrad ist in 60 Bogenminuten unterteilt und eine Bogenminute hat 60 Bogensekunden. Ein Grad entspricht also 60  60 = 3 600 Bogensekunden. Als Symbole für diese Einheiten verwendet man o für das Grad, ’ für die Bogenminute und ’’ für die Bogensekunde. Die Besonderheit der Venus zeigt sich auch darin, dass sie sich erheblich langsamer um sich selbst dreht als die Erde oder irgendeiner der anderen Planeten. Die Venus benötigt für eine Drehung um die eigene Achse ungefähr 243 Erdentage. Was also die Erde bei fast gleicher Größe in 24 Stunden schafft, dauert bei der Venus 243 Tage. Damit entsteht die kuriose Situation, dass ein Venustag (d. h. eine Umdrehung um sich selbst) länger 17

1.

Der Planet Venus

dauert als ein Venusjahr (ein Umlauf um die Sonne). Auch Merkur dreht sich langsam, braucht aber „nur“ 59 Erdentage. Ein Merkurjahr entspricht 88 Erdentagen und dauert damit immerhin länger als ein Merkurtag. Im Gegensatz zu allen anderen Planeten unseres Sonnensystems drehen Venus und Uranus sich im Uhrzeigersinn (von Ost nach West) um sich selbst. Die Eigenrotation von Merkur, Mars, Jupiter, Saturn und Neptun verläuft gegen den Uhrzeigersinn (von West nach Ost). Warum Venus und Uranus sich anders herum drehen als die anderen Planeten, ist bislang nicht bekannt. Wenn man von der Venus aus durch die dichte Wolkenhülle hindurchschauen könnte, ginge die Sonne also im Westen auf, und ungefähr 118 Tage später ginge sie im Osten unter (Maunder und Moore 2000, S. 9). Bis heute gestaltet sich die Erforschung der Venusoberfläche extrem schwierig, da man durch die dichte Atmosphäre nicht hindurchschauen kann. Selbst für unbemannte Raumsonden ist es nur kurzzeitig möglich, die immensen Temperaturen zu überstehen und dabei noch zu funktionieren oder gar Bilder der Venusoberfläche zu übermitteln. Einzelne Raumsonden haben aber gezeigt, dass dort meist rötliches Dämmerlicht herrscht. Die Oberfläche konnte mittels Radar einigermaßen kartiert werden. Sie besteht aus relativ flachen Ebenen, die durch zwei größere Gebirgszüge unterbrochen werden, denen man nach der babylonischen und der griechischen Liebesgöttin die Namen Ischtar Terra und Aphrodite Terra gegeben hat. Außerdem gibt es viele Krater, ausgiebige Lavaströme und Vulkane, die möglicherweise noch aktiv sind. Für einen Umlauf um die Sonne benötigt die Venus, wie bereits erwähnt, 224,7 Erdentage. Da aber die Erde ihrerseits in Bewegung ist, dauert es von einer unteren Konjunktion bis zur nächsten erheblich länger, nämlich 583,92 Tage, sodass die Venus die Erde alle 583,92 Tage überholt. Wie der Wert von 583,92 Tagen für den Zeitraum, nach dem die Venus die Erde überholt, errechnet wird, findet man in dem sehr empfehlenswerten Buch von Eli Maor, Venus in Transit (Maor 2004, S. 55). Diesen Überholvorgang nennt man den synodischen Umlauf der Venus. (Erwähnt sei hier noch der siderische Umlauf, womit eine Umrundung der Sonne gemeint ist.) Fünf synodische Perioden der Venus, also 5  583,9169 Tage = 2919,5845 Tage entsprechen ziemlich genau acht Erdenjahren 8  365,256 Tage = 2922,048 Tage. Das bedeutet, dass Sonne, Venus und Erde alle acht Jahre fast die gleiche Position im Raum relativ zu den Fixsternen einnehmen. Theoretisch könnte es also in diesen Abständen zu Venusdurchgän18

Warum sind Venustransite so selten?

gen kommen. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass Erde und Venus ihre Bahnen auf der gleichen Ebene zögen. Genau dies ist aber nicht der Fall.

Warum sind Venus- oder Merkurtransite so selten? Transite würden regelmäßig auftreten, wenn die Bahnen von Merkur und Venus mit der Erdbahn in einer Ebene lägen. In diesem Fall hätten wir alle 116 Tage einen Merkurtransit und alle 584 Tage einen Venustransit. Da aber die Bahn der Venus um 3,4 Grad gegenüber der Erdbahn geneigt ist, sind Venusdurchgänge sehr viel seltener. Die beiden Stellen, an denen sich die gegeneinander geneigten Bahnen zweier Planeten kreuzen, werden Knoten genannt. An der Stelle, wo die Venus von der unteren bzw. Südseite der Erdbahn auf die obere bzw. Nordseite wechselt, spricht man von einem aufsteigenden Knoten und da, wo der Wechsel von Nord nach Süd erfolgt, von absteigendem Knoten. Damit es nun zum Transit kommen kann, muss die Venus sich zur Zeit der unteren Konjunktion sehr nahe an einem der Knoten befinden, damit sie mit Erde und Sonne in eine Linie gelangt. Ist dies nicht der Fall, wandert die Venus von der Erde aus gesehen entweder über oder unter der Sonne vorbei und ist dann gar nicht zu sehen. Die Erde kreuzt die Knotenlinie der Venusbahn zweimal im Jahr und zwar in den Tagen um den 7. Juni und in den Tagen um den 6. Dezember, was bedeutet, dass Durchgänge nur in der Nähe dieser Daten stattfinden können. Im Juni durchquert die Erde die Ebene der Venusbahn von Nord nach Süd und im Dezember von Süd nach Nord. Wenn die Erde die Knotenlinie der Venusbahn nur einen einzigen Tag vor oder nach der unteren Konjunktion erreicht, wandert die Venus während des Transits bereits nicht mehr durch die Mitte der Sonnenscheibe, sondern zieht neun Bogenminuten entfernt an ihr vorüber. In diesem Fall bewegt sich die Venus während des Transits entlang einer Sekante über die Sonnenscheibe hinweg. Aufgrund der Bahnneigung und des scheinbaren Sonnendurchmessers darf die Abweichung vom Zeitpunkt der idealen Position (d. h. wenn sich Erde, Venus und Sonne exakt in einer Linie befinden) 1,6 Tage nicht überschreiten (Neumann 2004, S. 23). Die unteren Konjunktionen wiederholen sich alle acht Jahre an ähnlichen Positionen der Erdbahn. Die Bahn der Venus ist mit einer Exzentrizität von nur 0,007 nahezu 19

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Der Planet Venus

kreisförmig, wohingegen die Exzentrizität der Erdbahn 0,017 beträgt und die Form damit etwas elliptischer ist. Unter Exzentrizität versteht man die Abweichung von der idealen Kreisbahn, deren Wert mit 0 angegeben wird. Werte, die größer als 0 und kleiner als 1 sind, bezeichnen elliptische Bahnen. Die Exzentrizität einer Ellipse ist ein Maß für die Entfernung der Brennpunkte der Ellipse zum Mittelpunkt. Bei einem Kreis fallen Brennpunkt und Mittelpunkt zusammen, sodass die Entfernung und damit die Exzentrizität 0 ist. Je flacher eine Ellipse ist, desto weiter sind die Brennpunkte vom Mittelpunkt entfernt und desto größer wird also die Exzentrizität. Ungefähr acht Erdenjahre entsprechen in etwa 13 Venusjahren (13  224,7 = 2921,1 Tage und 8  365,256 = 2922,05 Tage). Nach acht Jahren befinden sich die Sonne und die beiden Planeten wieder in annähernd derselben relativen Position zueinander (Maunder und Moore 2000, S. 13 f.). Theoretisch könnte es daher alle acht Jahre zu einem Durchgang kommen. Da aber auch die Erde exakt an dem Knotenpunkt sein muss, damit ein Transit sichtbar ist, sind sie seltener. Aufgrund der scheinbaren Größe der Sonne von ungefähr 32 Bogenminuten oder 0,5 Grad kann es auch zu einem Transit kommen, wenn sich die drei Gestirne nicht exakt in einer Linie befinden. Die Erde hängt bei jeder fünften Konjunktion 2,46 Tage hinter der Venus her (Maor 2004, S. 59), weil sich die Überholungen der Erde durch die Venus in etwas weniger als 584 Tagen vollziehen und die Erde etwas mehr als 365 Tage für eine Umrundung der Sonne benötigt. Multipliziert man 5 mit 583,9169 ergibt das 2919,5845 Tage, und 8  365,256 ergibt 2922,048 Tage. Würde man beide Zahlen zu vollen Tagen runden, ergäben sich 5  584 = 2920 Tage und 8  365 ebenfalls 2920 Tage. Aber die kleinen Abweichungen von dem vollen Tag verursachen das Zurückbleiben der Erde um 2,46 Tage bei jeder fünften Konjunktion. Das erscheint nicht viel, aber während dieser 2,46 Tage hat sich die Venus auf ihrer Bahn, bezogen auf die Ekliptik, d. h. die Bahnebene der Erde, leicht hinauf oder hinunter bewegt. Wenn man sowohl die Umlaufgeschwindigkeit der Venus als auch den Neigungswinkel gegenüber der Ekliptik kennt, zeigt eine Berechnung, dass sie in 2,46 Tagen, wenn sie sich in der Nähe ihres aufsteigenden oder absteigenden Knotens befindet, um 22 Bogenminuten höher oder niedriger in ihrer Bahn steht. Die Sonnenscheibe hat einen scheinbaren Durchmesser von ungefähr 32 Bogenminuten, damit misst ihr scheinbarer Radius 16 Bogenminuten. 20

Warum sind Venustransite so selten?

Wenn nun die Venus beim vorherigen Transit genau über die Mitte der Sonnenscheibe gewandert ist, so befindet sie sich acht Jahre später, wenn die nächste Transitmöglichkeit bestünde, gerade außerhalb der Sonne und ist somit nicht sichtbar. Wenn aber der vorherige Transitpfad nicht durch die Mitte führte, sondern näher zum Rand der Sonne lag, dann kann es acht Jahre später erneut zu einem Transit kommen (Maor 2004, S. 59 f.). Ein Beobachter, der ein solches Transitpaar im Abstand von acht Jahren beobachtet, wird die Venus auf parallelen Linien, die 22 Bogenminuten auseinander liegen, über die Sonne wandern sehen. Zu einem dritten Transit nach weiteren acht Jahren kann es nicht kommen, denn selbst wenn der erste Durchgang am unteren Rand der Sonne stattfände, wäre der zweite um 22 Bogenminuten versetzt, und der nächste ebenfalls um 22 Bogenminuten versetzt, was bedeutet, dass die Sonne mit ihren 32 Bogenminuten Durchmesser, nicht mehr den Hintergrund für die Venus bilden kann (Maor 2004, S. 60). Unter idealtypischen Bedingungen, wenn also sowohl Venus als auch Erde exakt kreisförmige Umlaufbahnen hätten und wenn keine anderen Planeten vorhanden wären, die mit ihrer Anziehungskraft die Bahnen beeinflussen, würde nach einem Transitpaar der nächste Transit nach 121½ Jahren stattfinden. Dies ist das theoretische Zeitintervall, das die Venus von ihrem aufsteigenden zu ihrem absteigenden Knoten benötigt, um der Mitte der Sonne wieder nahe genug zu sein, um von der Erde aus als Transit gesehen zu werden. Aber die Realität erweist sich als komplizierter. Erde und Venus umkreisen, wie erwähnt, die Sonne in elliptischen Bahnen, wobei die Bahn der Erde etwas elliptischer ist als die der Venus, deren Bahn die kreisförmigste von allen Planetenbahnen ist. Wegen der Anziehungskräfte, die sich bei einer elliptischen Bahn unterschiedlich auswirken, ist die Geschwindigkeit, mit der die Planeten sich auf ihren Bahnen bewegen, nicht immer gleich. Wenn der Planet sich der Sonne am nächsten befindet (Perihel), bewegt er sich schneller; befindet er sich an seinem entferntesten Punkt (Aphel), bewegt er sich langsamer. Auch ist der scheinbare Sonnendurchmesser etwas größer, wenn die Erde der Sonne näher ist (was im Januar der Fall ist) und kleiner am entferntesten Punkt (im Juli). Die Kombination dieser beiden Effekte verschiebt das Auftreten von Transitpaaren um 16 Jahre, sodass sich folgender Zyklus ergibt, der insgesamt 243 Jahre umfasst: Es finden zwei Transite im Abstand von acht Jahren statt, und zwar im aufsteigenden Knoten, dann folgt eine Lücke von 121½ Jahren, im Anschluss findet wieder ein Transitpaar im Abstand von acht Jahren 21

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Der Planet Venus

statt, dieses Mal im absteigenden Knoten. Bis zum nächsten Transit im aufsteigenden Knoten vergehen weitere 105½ Jahre, und damit ist der Zyklus von 243 Jahren vollendet. Die derzeitige Regelmäßigkeit begann mit dem Transit im Jahr 1631 und wird vermutlich am 14. Juni 2984 enden. Vorher gab es – und auch nach diesem Datum wird es – Phasen geben, in denen nur ein Transit stattfand bzw. stattfinden wird oder die Intervalle zwischen den Transiten andere Zeiträume einnahmen bzw. einnehmen. Es lässt sich keine absolute Regelmäßigkeit finden, bis auf die Tatsache, dass ein vollständiger Transitzyklus immer 243 Jahre umfasst, unabhängig davon wie die Intervalle dazwischen aussehen (Maor 2004, S. 62 f.). Wie bereits erwähnt, kann es nur zu einem Transit kommen, wenn die Erde die Knotenlinie der Venus kreuzt. Die Knotenlinie führt eine sehr langsame Rückwärtsbewegung durch (d. h. von Ost nach West) mit der Geschwindigkeit von 20,5 Bogensekunden pro Jahr. Gleichzeitig vollführt die Erdachse eine rückwärtsgerichtete Trudelbewegung von 50,3 Bogensekunden pro Jahr. Diese Trudelbewegung, Präzession der Äquinoktien genannt, wird durch die Anziehungskraft von Sonne und Mond auf die äquatoriale Wölbung der Erde verursacht. Da die beiden Bewegungen in dieselbe Richtung gehen, wird sich, von der Erde aus gesehen, die Knotenlinie der Venus langsam vorwärts (von West nach Ost) bewegen und zwar um 29,8 (= 50,3–20,5) Bogensekunden pro Jahr. Darum braucht die Erde jedes Jahr etwas länger, bis sie die Knotenlinie der Venus kreuzt. Über einen vollständigen Transitzyklus von 243 Jahren beträgt die Verspätung ungefähr zwei Tage. Dies bedeutet, dass über einen gesamten Transitzyklus von 243 Jahren der Transit immer zwei bis drei Tage später stattfindet. Dies zeigen die folgenden Daten der Venustransite von 1631 bis 2255 (in der oberen Reihe sind jeweils die Dezembertransite angegeben, in der unteren die Junitransite): 7. Dez. 1631 4. Dez. 1639

9. Dez. 1874 6. Dez. 1882

11. Dez. 2117 08. Dez. 2125

6. Juni 1761 3. Juni 1769

8. Juni 2004 6. Juni 2012

11. Juni 2247 09. Juni 2255

Ein Transit, egal, ob des Merkur oder der Venus, beginnt immer am östlichen Rand der Sonne und endet am westlichen, d. h., er verläuft von der Erde aus gesehen vom linken Rand der Sonne zum rechten. Dies steht in 22

Warum sind Venustransite so selten?

874 ber 1 m e z e 09. D 03. J uni 1 769 06. J uni 2 012

06. J uni 1 761

639 ber 1 m e ez 04. D 882 ber 1 m e z e 06. D

08. J

uni 2 0

04

Abb. 3: Pfade der Venus über die Sonne während der Transite von 1639–2012

direktem Kontrast zu Sonnenfinsternissen und Mondfinsternissen, die normalerweise von West nach Ost verlaufen. Der Grund dafür ist, dass Merkur, Venus und Erde in der gleichen Richtung um die Sonne wandern, und zwar von der Sonne ausgesehen von West nach Ost. Während eines Transits befindet sich die Venus in der unteren Konjunktion, also auf derselben Seite der Sonne wie die Erde. Und da die Venus sich schneller auf ihrer Bahn bewegt als die Erde, wandert sie von Ost nach West vor der Sonne vorbei. Diese Umkehr der „normalen“ Planetenbewegung ist ein Ergebnis der Tatsache, dass wir die inneren Planeten von unserem eigenen sich bewegenden Standpunkt aus betrachten (Maor 2004, S. 63 f.). Kennt man die Bewegungsgeschwindigkeit von Venus und Erde und auch die Entfernung zwischen beiden an der unteren Konjunktion, kann man die Dauer eines Transits errechnen. Wenn die Venus sich genau durch das Zentrum der Sonnenscheibe bewegt, dauert ein Transit etwas mehr als acht Stunden vom ersten bis zum letzten Kontakt. Je dichter der Pfad der Venus am Rand der Sonne liegt, desto kürzer ist die Transitdauer. Das 23

1.

Der Planet Venus

andere Extrem wäre ein streifender Transit, wenn die Venus sozusagen nur kurz den Rand der Sonne berührt (Maor 2004, S. 64). Die Gesetzmäßigkeiten der Planetenbewegungen und das komplizierte Zusammenspiel von Faktoren, die diese Bewegungen beeinflussen, konnten erst im Laufe von Jahrhunderten astronomischer Forschung erkannt und verstanden werden. Dazu bedurfte es einer Reihe von Voraussetzungen wie der Entwicklung des heliozentrischen Weltbildes, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen.

24

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Weltbilder im Wandel als Voraussetzung für die Berechnung von Venusdurchgängen

Eines der ältesten überlieferten Weltbilder stammt aus Babylon und bestand in der Vorstellung, die Erde sei eine hohle Halbkugel, die auf den Weltgewässern schwimme. Über der Erde spannte sich das Himmelsgewölbe, in dem die Götter sich aufhielten. Die Sonne betrat den Himmel jeden Morgen durch ein Tor im Osten und verließ ihn am Abend durch ein weiteres Tor im Westen. Es gab unbewegliche Sterne am Himmel, Meteoriten und wandernde Sterne, die Planeten. Unter der Erde befand sich das mehrfach untergliederte Totenreich. Für die Babylonier bildete die Erde das Zentrum des Universums. Da die Bewegung der Erde mit den Sinnen des Menschen nicht direkt wahrnehmbar ist, entsteht der Eindruck, als bewegten sich alle Gestirne um die Erde (Aughton 2009, S. 17). Der Wechsel von Tag und Nacht sowie die wiederkehrenden Jahreszeiten bestimmen den Rhythmus des Lebens, und der Wunsch, Zeit einzuteilen, zu gliedern und regelmäßige Ereignisse wie z. B. Frühjahrsüberschwemmungen vorhersagen zu können, veranlasste genauere Beobachtungen der Ereignisse am Himmel. So wurden in Babylon vor rund 4 000 Jahren Tontafeln angefertigt, auf denen Planetenkonstellationen und gleichzeitig eintretende irdische Ereignisse gegenüber gestellt wurden. Neben Sonne und Mond waren schon in Babylon fünf Wandelsterne bekannt. Es handelt sich dabei um die seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. nach römischen Göttern benannten Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Babylonier und Griechen hatten die Planeten damals nach ihren eigenen Göttern benannt, und um das Verhalten dieser Götter deuten zu können, versuchten Priester, die Gesetze des Planetenlaufs zu ergründen. Jede neue Beobachtung warf Fragen auf, und jede gefundene Erklärung barg neue Rätsel, die es zu lösen galt. Die Menschen entdeckten immer wieder Phänomene, die sich mit dem gerade gültigen Weltbild nicht erklären ließen, sodass weiter nachgedacht, gesucht und geforscht werden 25

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Weltbilder im Wandel

musste. Ein solches Problem war z. B. die Frage, wo denn die Sonne während der Nacht bleibe, nachdem sie am Abend im Westen untergegangen war. Und wie es kommen konnte, dass sie am nächsten Morgen im Osten wieder erschien. Solange die scheibenförmige Erde die Basis des halbkugelförmigen Himmelsgewölbes bildete, ließ sich weder erklären, wie die Sonne in der Nacht von der einen auf die andere Seite gelangte, noch wo sie während der Nacht blieb. Zur Lösung dieses Problems änderte man die Vorstellung von der Welt und dachte sich das Himmelsgewölbe nicht mehr als Halbkugel, sondern als Kugel, sodass die Sonne während der Nacht unter der Erde, die als Scheibe angesehen wurde, hindurchwandern konnte. Vermutlich geht dieser Gedanke auf die Griechen Thales und Anaximander zurück, die beide aus Milet stammten und offenbar Zugang zu den Überlieferungen aus Babylonien und Ägypten hatten. Milet war eines der lebhaftesten Wirtschafts- und Wissenschaftszentren in Griechenland und brachte die ältesten sogenannten vorsokratischen Naturphilosophen hervor, zu denen neben Thales (um 640–550 v. Chr.) und Anaximander (um 610–546 v. Chr.) auch Anaximenes (um 580–546 v. Chr.) gehörte. Sie stellten sich die Erde als Scheibe vor, wenn auch die Oberfläche eine leichte Krümmung aufzuweisen schien. Auf der anderen Seite der Erde wurden die Antipoden vermutet. Zu dieser Vorstellung gelangte Anaximander, weil er die Erde nicht auf dem Wasser schwimmend vermutete, sondern frei schwebend im Raum, sodass auch die Gegenseite bewohnt sein konnte. Anaximenes dachte sich das Ganze umgeben von einer runden Kristallkugel, an der die Sterne befestigt waren. Der Philosoph Anaxagoras (ca. 500–428 v. Chr.) beschäftigte sich mit den Phasen des Mondes und wunderte sich, warum die helle Seite immer Richtung Sonne wies. Er schloss daraus, dass der Mond seine Helligkeit von der Sonne erhalte, dass das Mondlicht demzufolge reflektiertes Sonnenlicht war (Sellers 2001, S. 19). Außerdem sah Anaxagoras Erde, Mond und Sonne in einem System. Er vermutete, dass eine Mondfinsternis zustande komme, weil die Erde dann zwischen Sonne und Mond stehe und ihr Schatten auf den Mond falle, und dass eine Sonnenfinsternis entstehe, wenn sich der Mond zwischen Erde und Sonne aufhalte (Sellers 2001, S. 19; Fontaine und Simaan 2010, S. 21). Bei der Beobachtung der Gestirne über längere Zeiträume fiel auf, dass der Nachthimmel im Winter einen anderen Anblick bot als im Sommer. Einem jährlichen Zyklus folgend erschienen Sternbilder über dem Hori26

2.

Weltbilder im Wandel

zont, während andere verschwanden – auch das ein Phänomen, das zu denken gab. Häufig wurden unterschiedliche, sich teilweise widersprechende Antworten gefunden, was zu heftigen Konflikten, meist mit den bestehenden religiösen Vorstellungen, führte. Bereits im vorchristlichen Griechenland gab es unterschiedliche Vorstellungen von der Form der Erde. Die einen behaupteten, sie sei eine Kugel, andere beharrten darauf, dass der Mensch auf einer gewölbten Scheibe lebe. Zu den Verfechtern der Kugelgestalt der Erde gehörten Pythagoras (570–500 v. Chr.) und Aristoteles (384–322 v. Chr.). Über die Stellung der Erde im Kosmos war man ebenfalls uneins. Stand nun die Erde im Zentrum des Kosmos, was durch die menschliche Wahrnehmung unterstützt wurde, oder bildete die Sonne den Mittelpunkt, da von ihr schließlich alles Licht und die Wärme ausging, ohne die menschliches Leben nicht möglich wäre? Zwar ist die Idee von der Sonne im Zentrum eng mit dem Namen Kopernikus verknüpft und auch als kopernikanisches Weltbild in die Astronomiegeschichte eingegangen. Den Gedanken fasste aber schon ca. 2 000 Jahre früher Aristarchos von Samos (ca. 320–250 v. Chr.). Er konnte sich aber aus religiöspolitischen Gründen nicht durchsetzen (Bührke 2009). Aristarchos entwickelte ein Modell des Universums, bei dem die Sonne im Mittelpunkt steht und von den Planeten umkreist wird. Er stellte sich die Erde als rotierende Kugel auf einer Umlaufbahn um die Sonne vor und ging damit noch um einiges weiter als Herakleides von Pontos. Aus verschiedenen Gründen setzte sich dieses erste heliozentrische Weltbild aber nicht durch. Erst in der frühen Neuzeit versuchten Gelehrte wie Kopernikus erneut zu beweisen, dass nicht die Erde im Zentrum des Universums steht. Aristoteles ging davon aus, dass die Erde sich weder von der Stelle bewegt noch sich um sich selbst dreht. Den Grund für diese Annahme sah er in der Beobachtung, dass ein Objekt, das man senkrecht nach oben werfe, nicht an der gleichen Stelle herunterkäme, wenn die Erde sich drehen würde. Dieses Argument wurde noch fast zwei Jahrtausende später auch gegen Galileo Galilei verwendet, und es sollte bis zur Entdeckung des Trägheitsgesetzes und der Gesetze der Gravitation durch Isaac Newton dauern, bis man dieses Problem in Einklang mit dem Konzept einer sich drehenden Erde bringen konnte. Ähnlich wie Pythagoras und Platon vermutete auch Aristoteles, dass das Universum endlich sei, begrenzt durch das Himmelsgewölbe, in dem sich die Sterne um die Erde bewegen. Die Erde befand sich im Zentrum 27

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Weltbilder im Wandel

des Universums und war von den sphärischen Hüllen der drei irdischen Elemente Wasser, Luft und Feuer umgeben. Die Feuersphäre ihrerseits dachte sich Aristoteles von den kristallenen Sphären bzw. Hohlkugeln umschlossen. In diese waren ihm zufolge in zunehmender Entfernung Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn eingelagert und zogen dort ihre Bahnen. Die äußerste Grenze des Weltalls bildete jenseits der durchsichtigen Planetensphäre die Fixsternsphäre (Kirchhoff 1985, S. 33). Herakleides von Pontos (388–310 v. Chr.), ein Schüler Platons, präsentierte, soweit es den spärlichen Quellen zu entnehmen ist, ein semiheliozentrisches Weltbild. Er war der Meinung, dass Merkur und Venus um die Sonne wandern, Sonne, Mond, Mars, Jupiter und Saturn aber um die Erde kreisen (Fontaine und Simaan 2010, S. 23). Außerdem führte er die tägliche Drehung des Himmels darauf zurück, dass die Erde sich um ihre eigene Achse drehe und nicht das Himmelsgewölbe sich um die Erde. Dennoch wurden immer wieder Stimmen laut, die der astronomischen Plausibilität der Erdrotation ihre physikalische Unmöglichkeit entgegenstellten (Kirchhoff 1985, S. 39). Hipparchos von Rhodos (194–120 v. Chr.) nahm an, dass die Erde eine rotierende Kugel sei, die im Verlauf eines Jahres einmal um die Sonne wandere. Er verglich die Positionen einzelner Sterne innerhalb von Sternbildern mit etwa 150 Jahre alten Aufzeichnungen und stellte fest, dass sie sich verändert hatten. Claudius Ptolemäus (ca. 100–160 n. Chr.) schrieb schließlich den Kenntnisstand der Zeit in seinem 13-bändigen „Mathematike Syntaxis“ (mathematische Zusammenstellung) nieder. Im 9. Jahrhundert nannten arabische Astronomen sein Werk „Megiste Syntaxis“ (größte Zusammenstellung) und übersetzten es ins Arabische unter dem Titel „al-Midschisti“. Im Mittelalter entstand die latinisierte Form „Almagest“. Im 12. Jahrhundert erschien eine spanische Übersetzung und im 16. Jahrhundert kam eine lateinische Fassung heraus, in der der Almagest den europäischen Gelehrten zugänglich war. Für mehr als 1 000 Jahre blieb Ptolemäus’ Zusammenstellung das Standardwerk für Astronomie. Sie beinhaltete auch einen ausführlichen Sternenkatalog, den Ptolemäus auf der Grundlage des Katalogs von Hipparchos erstellt hatte. Außerdem hatte Ptolemäus eine detaillierte Ausarbeitung des geozentrischen Weltbilds angefertigt, das später nach ihm ptolemäisches Weltbild genannt wurde. Um die retrograde, d. h. die beobachtbare rückläufige, Bewegung von Planeten am Himmel innerhalb des geozentrischen Weltbildes zu erklären, wurde die 28

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Weltbilder im Wandel

Epizykeltheorie entwickelt. Wer sie sich ausgedacht hat, ist nicht endgültig geklärt, aber Ptolemäus verdanken wir ihre Überlieferung. Erst Johannes Kepler war in der Lage, diese Theorie endgültig zu widerlegen. Weil der Kreis als die vollkommenste geometrische Figur galt, wurde davon ausgegangen, dass alle Himmelskörper auf Kreisbahnen um die Erde rotierten. Im Modell der Epizykeltheorie bewegen sich die Planeten entlang einer kleinen Kreisbahn, des sogenannten Epizykels. Dieser Kreis wiederum bewegt sich entlang eines großen Kreises, dem Deferenten, um die Erde. Ptolemäus hatte in seinem Almagest den Kenntnisstand zusammengefasst, wie er bis ins 16. Jahrhundert hinein gültig blieb, bis Nikolaus Kopernikus den Rest der Welt mit seiner Aussage erschütterte, dass die Erde nicht den Mittelpunkt des Universums bilde, sondern die Sonne. (Jahr 0) resultierende Jupiterbahn (Jahr 12) Epizykel des Jupiter

Jupiter Deferent des Jupiter Zentrum des Deferenten

Erde

Abb. 4: Epizykeltheorie am Beispiel des Planeten Jupiter.

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Weltbilder im Wandel

Während des Mittelalters standen die beiden Aussagen, dass die Erde eine Kugel bzw. eine Scheibe sei, gleichberechtigt nebeneinander. Dass man generell glaubte, die Erde sei eine Scheibe, ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts zur Abwertung der Vormachtstellung der Kirche in dieser Zeit.

Das heliozentrische Weltbild setzt sich durch Fortschritte im astronomischen Denken waren die Voraussetzung dafür, dass den Beobachtungen von Venustransiten überhaupt eine Bedeutung beigemessen werden konnte. Ein entscheidender Schritt dabei war der Übergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild. Bereits im antiken Griechenland hatte es, wie bereits dargestellt, unterschiedliche Ansichten darüber gegeben, ob nun, wie uns unsere Sinne das suggerieren, die Erde im Zentrum des Universums steht, und alle Himmelskörper um die Erde kreisen oder ob die Sonne das Zentrum bildet und die Erde selbst in Bewegung ist und ihre Bahnen um die Sonne zieht. Es dauerte fast zwei Jahrtausende, bis die Vorstellungen des Aristarchos von Samos sich erneut in den Köpfen einnisten konnten und sich schließlich auch durchsetzten. Der Übergang zum heliozentrischen Weltbild ist eng mit dem Namen Nikolaus Kopernikus verknüpft. Ohne es zu wollen, stieß er eine Revolution des Denkens an, indem er sich gründlich mit dem Stand der astronomischen Wissenschaft befasste und Ungereimtheiten aufdeckte, für die er neue Lösungen vorschlug. Schließlich stellte er das gesammelte astronomische Wissen aus 13 Jahrhunderten gründlich in Frage, nachdem er sich eingehend mit den Schriften des Ptolemäus auseinandergesetzt hatte. Kopernikus stammte aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie und wurde am 19. Februar 1473 in Thorn an der Weichsel geboren. Nach dem Tod des Vaters 1483 übernahm sein Onkel, Lukas Watzenrode (1447– 1512), die Erziehung. Nachdem er zwei Jahre in Krakau die sieben freien Künste studiert hatte, wechselte Kopernikus zum Studium der Rechte nach Bologna. In dieser Zeit hatte er Kontakt zu Domenico Maria di Novara (1454–1504), der als Astronom an der Universität wirkte, aber auch der offizielle Astrologe der Stadt Bologna war. Wahrscheinlich war es Novara, der Kopernikus mit den Arbeiten von Ptolemäus bekannt machte. Alle namhaften Astronomen befassten sich mit dem Almagest. Bereits Regiomontanus (eigentlich Johannes Müller, 1436–1476), zu dessen Schülern Novara gehörte, stellte Mängel und Ungenauigkeiten in den ptolemäi30

Das heliozentrische Weltbild

schen Schriften fest, als er das Werk in einer griechischen Version studierte. Er ging aber nicht so weit, das Weltbild grundsätzlich in Frage zu stellen. Novaras eigene Zweifel reichten bereits weiter. Nach seiner endgültigen Rückkehr aus Italien verfasste Kopernikus den „Commentariolus“, eine kurze Abhandlung, die seine neuen astronomischen Ideen enthält. Dieser Kommentar kursierte in mehreren Abschriften und fand Beachtung, denn Kopernikus deutet eine Vereinfachung und Verbesserung der mathematischen Grundlagen der Astronomie an. Man hoffte, sich diese für die bereits angedachte Kalenderreform nutzbar machen zu können. Noch galt der julianische Kalender, aber es wurde bereits über eine Reform nachgedacht, weil das julianische Jahr im Vergleich zum Sonnenjahr zu lang war. Zur Umstellung kam es schließlich 1582 unter Papst Gregor XIII. zum noch heute gültigen gregorianischen Kalender. In England erfolgte der Wechsel erst 1752 und in Russland nach der Oktoberrevolution, weshalb Daten in diesen Ländern entweder im alten Stil (julianisch) oder im neuen Stil (gregorianisch) angegeben werden. In seinem „Commentariolus“ formulierte Kopernikus auch erstmals seine bahnbrechenden Thesen: 1. Für alle Himmelskreise oder Sphären gibt es nicht nur einen Mittelpunkt. 2. Der Erdmittelpunkt ist nicht der Mittelpunkt der Welt, sondern nur der der Schwere und des Mondbahnkreises. 3. Alle Bahnkreise umgeben die Sonne, als stünde sie in aller Mitte, und daher liegt der Mittelpunkt des Universums in Sonnennähe. 4. Die Sonnenentfernung ist unbedeutend klein gegenüber der Distanz zu den Fixsternen. 5. Alles, was an Bewegung am Fixsternhimmel sichtbar wird, ist nicht von sich aus so, sondern von der Erde aus gesehen. Die Erde also dreht sich mit den ihr anliegenden Elementen in täglicher Bewegung einmal ganz um ihre unveränderlichen Pole. Dabei bleibt das Firmament als äußerster Himmel unbeweglich. 6. Alles, was uns bei der Sonne an Bewegungen sichtbar wird, entsteht nicht durch sie selbst, sondern durch die Erde und unseren Bahnkreis, mit dem wir uns um die Sonne drehen wie jeder andere Planet. 7. Was bei den Wandelsternen als Rückgang und Vorrücken erscheint, ist nicht von sich aus so, sondern von der Erde aus gesehen. Ihre Bewegung allein also genügt für verschiedenartige Erscheinungen am Himmel (Hamel 2004, S. 154; Nussbaumer 2007, S. 61). 31

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Weltbilder im Wandel

Mit diesen Thesen hatte Kopernikus erstmals sein verändertes Weltbild für sich zu Papier gebracht. Die Sonne bildet für ihn aber nicht das Zentrum, sie liegt lediglich nahe bei den Zentren der Bewegungen. Jede Planetenbahn verfügt über ihre eigene Mitte in der Nähe der Sonne. Kopernikus hielt an der Gleichförmigkeit der Bewegungen der Planeten fest und an der Kreisform ihrer Bahnen. Darum gelang es ihm nicht, sein Modell auf eine physikalische und genau berechenbare Grundlage zu stellen. Dies blieb später Johannes Kepler vorbehalten. Lange zögerte Kopernikus, seine Gedanken öffentlich zugänglich zu machen und so kam es, dass sein eigentliches Hauptwerk erst nach seinem Tod gedruckt wurde. Es trägt den Titel „Über die Kreisbewegungen der Himmelskörper“ (De revolutionibus orbium caelestium). Es gehörte Mut dazu, eine Schrift zu veröffentlichen, die die Wahrnehmung der Sinne in Frage stellte und sich zudem gegen das damals als gesichert geltende astronomische Wissen richtete. Ähnlich wie Aristarchos wurde auch Kopernikus schon zu seinen Lebzeiten verspottet und die Wiederentdeckung der quasi heliozentrischen Lehre als absurd bezeichnet. Dass Kopernikus die Arbeiten von Aristarchos kannte, wurde erst bekannt, als im 19. Jahrhundert Originalmanuskripte von ihm entdeckt wurden. Bis dahin war man davon ausgegangen, er kenne die alten Schriften nicht, weil er sie in der Druckfassung der „Kreisbewegungen“ nicht erwähnt. Kopernikus’ Ideen fanden Interesse bei den Päpsten seiner Zeit wegen der darin geäußerten Überlegungen zu einer Kalenderreform. Erst diejenigen, die Kopernikus’ Ideen aufgriffen, weiterdachten und mit philosophischen und religiösen Konsequenzen verbanden, wie Giordano Bruno oder Galileo Galilei, gerieten später in ernsthafte Konflikte mit der Kirche, da sie die Herrschaftssysteme in Frage stellten.

Tycho Brahe – der Himmelsgucker Der 14-jährige Tycho Brahe (1546–1601) erlebte im Jahr 1560 eine Sonnenfinsternis. Das Ereignis selbst, aber noch mehr die Möglichkeit der Vorhersage von Finsternissen faszinierten den jungen Brahe und ließen in ihm ein Interesse an Astronomie wachsen. Am 11. November 1572 beobachtete er das helle Aufleuchten eines Sterns im Sternbild Cassiopeia, was ihn derart beeindruckte, dass er beschloss, Astronom zu werden. Was er gesehen hatte, war eine Supernova, die zwei Jahre sichtbar blieb, deren 32

Tycho Brahe – der Himmelsgucker

Abb. 5: Das kopernikanische System.

Leuchtkraft aber immer schwächer wurde. Im Jahr 1576 machte König Friedrich II. von Dänemark Tycho Brahe ein großzügiges Angebot: Auf der Insel Ven im Sund zwischen Dänemark und Schweden errichtete der König dem Astronomen ein Observatorium. Die Pacht der örtlichen Bau33

2.

Weltbilder im Wandel

ern sollte Tycho Brahe zustehen und ihm finanzielle Sicherheit garantieren. Das Observatorium erhielt den Namen Uraniborg (Himmelsburg) und war damals das prächtigste der Welt. Es entwickelte sich zu einem Zentrum der Astronomie. Mehr als 20 Jahre beobachtete Brahe Nacht für Nacht den Lauf der Planeten und bestimmte ihre Positionen. Er fertigte den letzten Sternenkatalog an, der auf Beobachtungen mit dem bloßen Auge beruhte. Die Positionen von über 770 Sternen bestimmte er dabei so genau wie noch kein Astronom vor ihm. Und er stellte fest, dass seine Beobachtungen den gängigen Theorien über die Bewegungen der Gestirne teilweise widersprachen.

Abb. 6: Das Observatorium Uraniborg auf der Insel Ven.

Im Jahr 1588 starb König Friedrich II. und sein Sohn und Nachfolger Christian IV. stellte die finanzielle Unterstützung für Tycho Brahe ein. Dieser war nun gezwungen, seine Tätigkeit mit eigenen Mitteln fortzusetzen. 1597 verließ er die Insel Ven und ging zunächst nach Rostock. Später fand er Aufnahme bei Heinrich Rantzau in Schloss Wandsbek bei Hamburg, wo er zwei Jahre lang ungestört arbeiten konnte. Im Jahr 1599 wurde er zum Kaiserlichen Hofastronom ernannt und siedelte nach Schloss Benatek, ca. 34

„Mache Gläser für die Augen“

40 Kilometer nordöstlich von Prag, über. Er verfügte über die besten damals erhältlichen, astronomischen Instrumente. Im Mai 1600 zog er von Schloss Benatek nach Prag um und engagierte den damals 29-jährigen Johannes Kepler als Gehilfen. Im Januar des Jahres 1601 beauftragte Kaiser Rudolf II. Tycho Brahe und Kepler offiziell mit der Erstellung von Planetentafeln. Diese wurden später zu Ehren ihres Auftraggebers „Rudolfinische Tafeln“ genannt. Bei den Tafeln, sogenannten Ephemeriden, handelt es sich um Tabellen zur Berechnung der Stellung von Sonne, Mond und der fünf klassischen Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Das Zusammenstellen solcher Tafeln war damals eine sichere Einnahmequelle, da sie von Seefahrern, Astronomen und Astrologen gleichermaßen benötigt wurden. Tycho Brahe blieb zeitlebens ein Gegner des Planetensystems von Kopernikus und entwickelte ab 1580 ein eigenes System, das sogenannte Tychonische oder geo-heliozentrische Weltbild: Alle Planeten bewegen sich um die Sonne, die Sonne ihrerseits kreist um die Erde, die damit wieder im Zentrum steht und sich nicht bewegt. Dieses Weltbild war sowohl theologisch akzeptabel als auch mit den Beobachtungen vereinbar, die bis dahin gemacht worden waren (Naess 2006, S. 80). Brahe hatte sich auf genaue Beobachtungen des Himmels und das Sammeln von Daten konzentriert, wohingegen Keplers Leistung darin bestand, dank seiner mathematischen Fähigkeiten aus Brahes Daten eine Theorie zur Planetenbewegung zu entwickeln.

„Mache Gläser für die Augen, um den Mond groß zu sehen“ Erste Versuche, das Auge mittels linsenloser Sehrohre zu unterstützen, gab es bereits im Altertum und im Mittelalter. Schon die griechischen Naturphilosophen beschäftigten sich mit Fragen nach der Natur des Lichtes und versuchten, den Vorgang des Sehens zu verstehen. Unterschiedliche Theorien wurden entwickelt und standen nebeneinander – ein wichtiger Schritt dabei war das Auffinden des Reflexionsgesetzes: Gleichheit der Winkel des einfallenden und des reflektierten Strahls mit der spiegelnden Fläche bzw. mit einem auf dieser Fläche im Auftreffpunkt errichteten Lot. Neben der Reflexion ist die Brechung des Lichts an der Grenze zweier durchsichtiger Medien, wie z. B. Luft, Wasser, Glas oder Bergkristall, für die Funktion optischer Geräte von großer Bedeutung. Zur Licht35

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Weltbilder im Wandel

brechung sind nur vereinzelte frühe Beobachtungen überliefert (Riekher 1990, S. 11). Wichtigste technische Voraussetzung für die Erfindung des Fernrohrs waren geeignete Linsen. Zwar findet man bei Ausgrabungen auf Kreta und Troja Linsen aus Bergkristall aus der Zeit um 2600 v. Chr. Bis jedoch Glaslinsen so geschliffen werden konnten, dass sie sich zur Herstellung von Brillen und Fernrohren eigneten, dauerte es noch bis ins 13. Jahrhundert. So soll Roger Bacon (1214–1294), der aufgrund seines umfangreichen Wissens auch Doktor Mirabilis genannt wurde, schon den Gebrauch des Fernrohrs vorausgesagt haben (Riekher 1990, S. 14). Bacon beschreibt die vergrößernde Eigenschaft von gläsernen Kugelsegmenten und erwähnt dabei, dass diese ein vorzügliches Mittel für alte Leute seien und für solche, die schwache Augen haben – denn sie können damit noch so kleine Buchstaben in genügender Größe sehen. Da wenige Jahre nach dieser Feststellung die ersten Brillen auftauchen, wird der Name Roger Bacons mit der Erfindung der Brille in Verbindung gebracht. Man geht davon aus, dass sich die Brillen von Oberitalien aus verbreiteten. Die ersten Brillen waren nur für Weitsichtige nutzbar, es dauerte noch bis 1520, bis Brillen mit Konkavlinsen für Kurzsichtige Verwendung fanden. Venedig scheint der Ausgangsort für diese Entwicklung gewesen zu sein. Dort besaß man die nötigen Erfahrungen in der Herstellung und im Schleifen und Polieren von Glas. Die Erfindung der Brille war der wichtigste Schritt auf dem Weg zur Entwicklung des Fernrohrs (Riekher 1990, S. 15). Leonardo da Vinci (1452–1519) griff Bacons Gedanken gegen Ende des 15. Jahrhunderts also ungefähr 200 Jahre nach Bacons Tod wieder auf. Neben vielem anderen befasste er sich ebenfalls mit astronomischen Problemen und verfügte über eine eigene Sternwarte in seinem Haus. Unter da Vincis Aufzeichnungen findet sich die Bemerkung: „Mache Gläser für die Augen, um den Mond groß zu sehen“ (Riekher 1990, S. 16). Wer der eigentliche Erfinder des Fernrohrs ist, lässt sich nicht mit Sicherheit rekonstruieren. Kurz nach dem Auftauchen der ersten Fernrohre, beanspruchten gleich mehrere Personen für sich, Urheber dieser Erfindung gewesen zu sein. Wahrscheinlich wurden die ersten Linsenfernrohre kurz nach 1600 in Holland hergestellt, in Middelburg auf der Insel Walcheren. Es gibt Dokumente, die Hans Lipperhey (gest. 1619) als Erfinder des Fernrohres ausweisen. Lipperhey stammte aus Wesel und lebte ab 1594 als Brillenmacher in Middelburg. Er wandte sich am 2. Oktober 1608 mit dem von ihm 36

„Mache Gläser für die Augen“

erfundenen Fernrohr an die Generalstaaten in Den Haag und ersuchte diese um ein Patent für die Dauer von 30 Jahren. Sein Gerät stieß auf großes Interesse und sollte einer Delegation zur Prüfung vorgelegt werden. Er wurde aufgefordert, ein Fernrohr für beide Augen zu bauen, was er auch tat – dieses wurde Mitte Dezember 1608 geprüft und für gut befunden. Allerdings gewährte man ihm das Patent nicht, da auch andere Gelehrte Fernrohre zu bauen verstanden. Er erhielt eine Belohnung und einen Auftrag für zwei weitere Fernrohre. Konkurrent Lipperheys war Jacob Adriaanszon (gest. zwischen 1624 und 1631). Er hatte sich kurz nach Lipperhey mit seiner Erfindung an die Generalstaaten in Den Haag gewandt, sein Patentantrag wurde aber abgelehnt, und er erhielt lediglich eine Belohnung von 100 Gulden. Ein weiterer Brillenmacher, Zacharias Janssen (1588–ca. 1632), galt bis zur Auffindung der Dokumente bezüglich der Patentanfragen als der Erfinder des Fernrohrs (Riekher 1990, S. 20). Auf der Michaelismesse in Frankfurt am Main wurde 1608 von einem „Belgier“, bei dem es sich vermutlich um Zacharias Janssen gehandelt hat (Willach 2007, S. 111), ein Fernrohr angeboten, und in Paris tauchten die ersten Fernrohre im April 1609 auf. Die ersten Fernrohre bestanden aus zwei Linsen, die durch ein Rohr passender Länge verbunden wurden. Am vorderen Ende verwendete Lipperhey eine schwache konvexe Linse, die in der Mitte etwas dicker als am Rand ist, und am Auge eine ziemlich starke konkave Linse, die in der Mitte dünner ist als am Rand. Erst mit der Verbindung der Linsen durch ein Rohr liegt ein Fernrohr vor. Da einige wenige Fernrohre aus der Anfangszeit erhalten geblieben sind und es auch bald nach der Erfindung erste Abbildungen und Beschreibungen von Anwendern gab, weiß man recht gut über die Konstruktionsweise der ersten Fernrohre Bescheid (Riekher 1990, S. 44). Bereits 1609, also kurz nachdem die Existenz von Fernrohren bekannt geworden war, baute sich auch Galileo Galilei (1564–1642) ein solches Instrument. Durch Probieren von verschiedensten Linsenkombinationen schaffte er es, eine dreifache Vergrößerung zu erreichen. Er befasste sich weiterhin damit und war bald in der Lage, bessere Instrumente mit achtfacher und später sogar mit 30-facher Vergrößerung herzustellen (Riekher 1990, S. 21). Allerdings musste er feststellen, dass die Qualität der einzelnen Exemplare sehr unterschiedlich war, je nachdem wie gut ihm die Linsen gelangen. Auf einem Fest zu Ehren Galileis am 14. April 1611 wurde erstmals der Begriff Telescop verwendet. 37

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Weltbilder im Wandel

Vorher wurde das Fernrohr Perspicillum oder Instrumentum oder Occhiali genannt (Riekher 1990; Naess 2006, S. 84). Und auch Johannes Kepler zeigte sich fasziniert von den neuen Möglichkeiten. Er befasste sich eingehend mit Fragen der Optik und erläuterte in seiner 1611 erschienenen „Dioptrice“ die Funktionsweise des holländischen bzw. galileischen Fernrohrs, das ein aufrecht stehendes Bild bot, nicht besonders lang und damit gut zu handhaben war, und bei einfachem Aufbau eine große Lichtstärke aufwies (Riekher 1990, S. 27). Kepler war der Erste, dem es gelang, die Wirkungsweise des Fernrohrs optisch einwandfrei zu erklären. Er schuf damit die Grundlage zu dessen Weiterentwicklung (Willach 2007, S. 117). Er entwickelte auch selbst Verbesserungsvorschläge und Konstruktionsalternativen und schlug die Verwendung zweier konvexer Linsen vor: Das Bild wird durch die konvexe Objektivlinse entworfen und dann durch die gleichfalls konvexe Okularlinse am Ende des Rohrs vergrößert. Dadurch ergab sich ein größeres Gesichtsfeld, das Bild steht allerdings auf dem Kopf, was aber für astronomische Beobachtungen kein Problem darstellt. Es litt zwar unAbb. 7: Ein Teleskop zu ter den charakteristischen Mängeln, die sich durch Beginn des 17. Jahrhunderts. die Verwendung von kugelförmigen Linsen und durch die Aufspaltung des Lichts in verschiedene Farben ergeben, aber man erhielt schärfere Bilder als mit dem galileischen Fernrohr mit einer konvexen und einer konkaven Linse (Lemcke 1995, S. 82 f.; Learner 1991, S. 16). Das keplersche Fernrohr wurde für lange Zeit das Standardteleskop für astronomische Beobachtungen. So lassen bereits die Fernrohre der ersten Generation eine künftige Spezialisierung erkennen: Wollte man das Fernrohr für die Beobachtungen auf der Erde einsetzen, musste es ein aufrechtes Bild liefern, sollte möglichst leicht und gut transportierbar sein und vorzugsweise freihändig angewendet werden können. Für astronomische Beobachtungen hingegen ist die Bildaufrichtung nicht unbedingt erforderlich. Die gewünschte höhere Vergrößerung führte zwar dazu, dass die Instrumente immer größer wurden und nicht mehr freihändig benutzt werden konnten, das störte aber nicht, da man sowieso von einem festen Punkt, meist von einem Observatorium, aus beobachtete. 38

Das Fernrohr eröffnet neue Perspektiven

Das Fernrohr eröffnet neue Perspektiven Mit der Erfindung des Fernrohrs ergaben sich völlig neue Beobachtungsmöglichkeiten, bislang verborgene Erscheinungen am Himmel wurden sichtbar und veränderten stetig das Bild, das die Astronomen sich vom Universum machten. Aber auch für die weitere Erkundung der Erde war das Fernrohr ein Gewinn, da es bei der Seefahrt eingesetzt wurde und die Navigation sicherer machte. Nicht zuletzt der Nutzen im militärischen Bereich führte zu schnellen Weiterentwicklungen, nachdem das Teleskop erst einmal erfunden war. Zwar hat Galileo Galilei das Fernrohr nicht erfunden, er setzte es aber als Erster Abb. 8: Galileo Galilei (1564–1642). für ausgiebige Himmelsbeobachtungen ein. Dabei glückten ihm unglaubliche Entdeckungen, die zur Veränderung des Weltbildes beitrugen. Schon im März 1610 erschien sein „Sternenbote“ (Sidereus Nuncius). In dieser schnell verfassten Schrift berichtete er über das, was er mit seinem „Instrumentum“ am Himmel gesehen hatte. Zwar blieben die Sterne der Milchstraße trotz des Teleskops winzige Lichtpunkte, aber er entdeckte immer mehr davon und erkannte, dass die Milchstraße nicht aus einem diffusen Nebel, sondern aus einer Unzahl von einzelnen Sternen besteht. In der Zukunft würde es kaum noch möglich sein, vollständige Sternenkataloge zu erstellen, da die Anzahl der Sterne nun ins Unermessliche gestiegen war. Er beschrieb die Struktur der Mondoberfläche mit ihren eigenartigen Ringgebirgen und berichtete von seinem aufregenden Fund der Jupitermonde. Zunächst hatte er nur drei gesehen und dann am 13. Januar 1610 noch einen vierten entdeckt. Der Jupiter wurde also genau wie die Erde von Monden umkreist, was bedeutete, dass es Himmelskörper gab, die nicht um die Erde kreisten, sondern um ein anderes Zentrum. Zu weiteren Zweifeln am ptolemäischen Weltbild führte die Tatsache, dass es offenbar mehr als sieben bewegliche Objekte am Himmel gab. Bis 39

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Weltbilder im Wandel

dahin waren es im geozentrischen Weltbild die Sonne, der Mond und die fünf bekannten Planeten gewesen. Die Zahl Sieben galt als heilig, und so diente die Anzahl der Himmelskörper als Beweis für den göttlichen Ursprung des Universums (Aughton 2009, S. 66). Die „verkraterte“ Mondoberfläche widersprach der aristotelischen Vorstellung, nach der alle Himmelskörper vollkommene Kugeln seien. Hinzu kam, dass durch Galileis Entdeckung die physikalische Trennung von Himmel und Erde fragwürdig wurde, da es sich beim Mond offenbar um einen der Erde vergleichbareren Himmelskörper handelte. Die Jupitermonde wurden zu einem starken Argument für das kopernikanische System, da sie zeigten, dass die Erde nicht das einzige Zentrum im Weltall war, das von anderen Himmelskörpern umkreist wurde, wie es das ptolemäische Weltbild suggerierte. Galilei legte genaue Tabellen an, in denen die zukünftigen Positionen der Jupitermonde und ihre Eklipsen verzeichnet waren. Er schlug vor, sie auf hoher See für die Bestimmung des Längengrades heranzuziehen, allerdings erwies die Methode sich als wenig praktikabel – und bis das Problem der Längengradbestimmung zufriedenstellend gelöst werden konnte, vergingen noch gut 150 Jahre. Auch den Saturn betrachtete Galilei durch sein Fernrohr und nahm zwei seltsame Begleiter zu beiden Seiten des Planeten wahr. Sein Teleskop war damals aber noch nicht so stark, dass er die Beschaffenheit hätte erkennen können, und so hielt er die Saturnringe, von denen er Teile gesehen hatte, ebenfalls für Monde, die den Saturn umkreisten. Dass Galilei mit seinen Beobachtungen und den Schlüssen, die er daraus zog, nicht alleine stand, zeigt das Beispiel von Christoph Scheiner. Scheiner äußerte in einem Brief vom 19. Dezember 1611 an Markus Welser, der damalige Bürgermeister von Augsburg, die Vermutung, dass auch der Merkur um die Sonne kreise, und in einem Brief vom 16. Januar 1612 (zweiter Apelles-Brief) erwähnte er die Venusphasen und die Jupitermonde. In „Disquisitiones mathematicae“ beschrieb er detailliert die Oberfläche des Mondes und die „Sterne“ des Saturn (Daxecker 2008, S. 26). Die Venus war schwierig zu beobachten, weil sie so stark leuchtete, dass ihr Schein in den primitiven Linsen zu störenden Lichtbrechungen führte. Im Spätherbst des Jahres 1610 stand der Planet allerdings gut sichtbar am Abendhimmel, und Galilei hatte ein verbessertes Fernrohr zur Hand. Drei Monate lang beobachtete er die Venus genau und hatte anschließend keine Zweifel mehr. Voller Verblüffung stellte Galilei bei genauer Betrachtung der Venus fest, dass sie ähnlich wie der Mond Phasen hatte, also zeitweilig, 40

Das Fernrohr eröffnet neue Perspektiven

Abb. 9: Galilei entdeckt die Phasen der Venus – ein Argument für die Richtigkeit des heliozentrischen Weltbildes.

voll, halb oder sichelförmig und zeitweilig gar nicht zu sehen war. Dies bedeutete, dass sie über kein eigenes Licht verfügte, sondern von der Sonne angestrahlt wurde, und dass sie sich zeitweise zwischen Erde und Sonne und zeitweise hinter der Sonne befinden musste, was hieß, dass sie sich um die Sonne bewegte und nicht um die Erde. Auch dies war ein starkes Argument dafür, dass Kopernikus recht hatte und die Venus um ein Zentrum in der Nähe der Sonne wanderte und nicht die Erde im Mittelpunkt aller Bewegungen der bekannten Gestirne stand. Im Dezember 1610 konnte Galilei die Lösung in einem Anagramm formulieren: HAEC IMMATURA A ME IAM TRUSTRA LEGUNTUR OY (Diese unreifen Dinge lese ich vergeblich). Aufgelöst ergab das Anagramm die Botschaft „Cynthiae figuras aemulatur mater amorum – Die Mutter der Liebe (Venus) ahmt Cynthias (des Mondes) Formen nach“ (Naess 2006, S. 70 f.), die nichts weiter besagte, als dass die Venus ähnlich wie der Mond verschiedene Phasen aufweise. Johannes Kepler wartete mit Ungeduld auf Galileis Veröffentlichung und verteidigte sie, sobald er sie gelesen hatte. Er war begeistert und erkannte sofort die Perspektiven, die hier auf den Gebieten der Astronomie und der Optik eröffnet wurden. Die einwandfreie Erkennung der Phasen der Venus und die Andeutung des Saturnrings, der jedoch noch nicht als Ring identifiziert wurde, zeigen Leistung und Grenze von Galileis Fernrohr. Das Gesichtsfeld seiner Fernrohre zeigte, obwohl sie nur eine relativ geringe Vergrößerung aufwiesen, nur den halben Mond. 41

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Zwar hatte der „Sternenbote“ in Gelehrtenkreisen große Erfolge zu verzeichnen, er zog aber auch bald erste Kritik der Kirche auf sich. Im Jahr 1616 eröffnete die Inquisition ein Verfahren, das zum Verbot der kopernikanischen Lehre führte. Gleichzeitig wurde Kopernikus’ Werk „De Revolutionibus Orbium Coelestium“ auf den Index gesetzt und Galilei erhielt die Aufforderung, sich vom heliozentrischen Weltbild zu distanzieren, er durfte es höchstens als Hypothese bezeichnen, nicht aber als physikalische Wahrheit verbreiten. Zwar hielt er sich an diese Anweisung, forschte aber weiter (Aughton 2009, S. 67).

Die Kreisbahn ist nicht rund Johannes Kepler (1571–1630) gehörte ebenfalls zu den Verfechtern des kopernikanischen Systems, das er während seines Theologiestudiums kennengelernt hatte und sowohl mathematisch als auch theologisch verteidigte. Da er aufgrund eines Augenleidens nur schlecht sehen konnte, war er auf die dokumentierten Beobachtungen anderer Astronomen angewiesen. Die mathematische Begabung Keplers hingegen war schon in seiner Kindheit aufgefallen, dennoch wollte er eigentlich Pfarrer werden. Das Interesse für Astronomie hatte seine Mutter in ihm geweckt, als sie ihm im Jahr 1577 einen Kometen und 1580 eine Mondfinsternis gezeigt hatte. Noch vor Abschluss seines Theologiestudiums wurde er als Mathematiklehrer nach Graz berufen (1594). 1597 erschien in Tübingen sein „Weltgeheimnis“ (Mysterium cosmographicum), in dem er davon ausgeht, dass neben der Kugel die fünf regulären Platonischen Polyeder ineinander geschachtelt mit ihren Um- und Inkugeln die Abstände der Planeten bestimmen. Einen wichtigen Platz in der Astronomiegeschichte nimmt Kepler aufgrund seiner drei Gesetze ein, die er anhand der Beobachtungsdaten von Tycho Brahe formulierte. Die ersten beiden Gesetze erläutert er in seinem Hauptwerk, der „Neuen Astronomie“ (Astronomia nova), die 1609 erschien, also in genau jenem Jahr, in dem Galilei an seinem Fernrohr tüftelte. Sich auf die Messungen von Tycho Brahe stützend konnte Kepler am Beispiel der Bahn des Planeten Mars die Gesetzmäßigkeiten aufzeigen, denen die Planetenbewegungen unterliegen. Ihm war aufgefallen, dass Brahes Beobachtungsdaten sich nicht mit den vorhandenen Modellen der Planetenbahnen in Einklang bringen ließen. Sie passten weder zur ptolemäischen Epizykeltheorie noch zum kopernikanischen System. Und hier 42

Die Kreisbahn ist nicht rund

Abb. 10: Keplers Sphären und Polyeder.

zeigt sich der deutlichste Unterschied zu den Ansichten von Kopernikus. Dieser hatte zwar die Berechnung der Planetenbahnen vereinfacht, indem er die Sonne ins Zentrum des Universums gestellt hatte. Zu richtigen Ergebnissen war aber auch er nicht gekommen, weil er an der Gleichförmigkeit der Bewegungen der Planeten und an der Kreisform ihrer Bahnen festhielt. Kepler rüttelte erstmals an diesen Vorstellungen, indem er nachwies, dass die Planetenbahnen elliptisch sind, und es zeigte sich, dass Keplers Theorie besser mit den vorhandenen Beobachtungen in Einklang zu bringen war als alle vorherigen. 43

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Weltbilder im Wandel

Die ersten beiden keplerschen Gesetze lauten wie folgt: 1. Gesetz: Die Planetenbahnen sind Ellipsen und die Sonne steht in einem der beiden Brennpunkte der jeweiligen Ellipse. 2. Gesetz: Zieht man von der Sonne zum Planeten eine Linie, so überstreicht diese in gleichen Zeiten gleiche Flächen. Daraus folgt, dass sich ein Planet umso schneller bewegt, je näher er der Sonne ist. Denn da die Dreiecksseite Sonne-Planet kürzer ist, muss die Basis, also die Strecke auf der Umlaufbahn, länger sein (Aughton 2009, S. 60; Nussbaumer 2007, S. 70).

Sonne

In gleichen Zeiten deckt der Leitstrahl des Körpers gleiche Flächen ab.

Abb. 11: Keplersches Flächengesetz (2. Gesetz).

Bis zur Auffindung des dritten Gesetzes verging einige Zeit, und erst im Jahr 1619 veröffentlichte Kepler es in seiner „Harmonices mundi“ (Harmonie der Welt). Dort erscheint es im dritten Kapitel des fünften Buches als achter von 13 Hauptsätzen, d. h. alles andere als an prominenter Stelle. Es besagt: 3. Gesetz: Die Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten verhalten sich wie die dritten Potenzen der großen Halbachsen ihrer Bahnellipsen. Der Quotient der beiden Werte ist für alle Planeten gleich. Die große Halbachse bezeichnet den längeren Radius einer Ellipse (Aughton 2009, S. 60). Damit war der Schlüssel zu den möglichen Entfernungsmessungen gefunden. Vor allem das dritte keplersche Gesetz spielte in der Folge bei der Ermittlung der Entfernung von der Erde zu diversen Himmelskörpern eine große Rolle.

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Die Entdeckung der Sonnenflecken

Die Entdeckung der Sonnenflecken Klammert man einmal umstrittene Berichte aus der Antike und dem alten China aus, fällt die Entdeckung der Sonnenflecken ins frühe 17. Jahrhundert und wurde durch die Erfindung des Fernrohrs vorangetrieben. Als sei die Zeit dafür reif gewesen, behaupteten mehrere Gelehrte nahezu gleichzeitig, als Erster Sonnenflecken gesehen zu haben. Unter ihnen waren neben Galileo Galilei auch der Jesuitenpater Christopher Scheiner (1575– 1650) und der Astronom Johann Fabricius (1587–1617). Die erste Publikation über Sonnenflecken geht auf Johann Fabricius zurück, da zwar Thomas Harriot (1560–1621) im Dezember 1610 Aufzeichnungen über Sonnenflecken angefertigt, diese aber nicht veröffentlicht hat. Man konnte die Sonne natürlich nicht direkt durch das Fernrohr beobachten, Galilei ging deshalb dazu über, das Licht der Sonne durch das Teleskop auf ein Blatt Papier fallen zu lassen, um dann dort die Sonnenscheibe eingehend zu studieren, wobei ihm dunkle, bewegliche Felder auffielen, die er „macchie solari“ – Sonnenflecken – taufte (Naess 2006, S. 91). Die Entdeckung der Sonnenflecken lieferte gleich zwei Argumente gegen die traditionelle Kosmologie: Ähnlich wie der Mond war nun auch die Sonne nicht perfekt und unveränderlich, außerdem deutete die Bewegung der Sonnenflecken stark daraufhin, dass sich auch die Sonne um ihre eigene Achse drehte (Naess 2006, S. 91).

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Erste Beobachtungen von Merkur- und Venusdurchgängen

Die Entdeckung von Keplers Planetengesetzen war die Voraussetzung dafür, dass die Bewegungen der Planeten berechnet und Ereignisse wie Merkur- und Venustransite vorausgesagt und dank der Erfindung des Fernrohrs auch beobachtet werden konnten. Da Merkurdurchgänge häufiger vorkommen als Passagen der Venus, gab es entsprechend mehr Versuche, diese auch zu beobachten. Zunächst folgt eine kurze Geschichte der Merkurtransitbeobachtungen, weil diese im Laufe der Zeit immer wieder als Vorbereitung auf die als wichtiger erachtete Beobachtung des Venustransits angesehen wurden.

Der kleine Merkur Der direkte Blick in die hoch stehende Sonne führt zu Verbrennungserscheinungen auf der Netzhaut und in extremen Fällen zur vollständigen Erblindung. Um sich dagegen zu schützen, bediente man sich der sogenannten Camera obscura, der Lochkamera. Das Wissen darüber, dass ein Lichtstrahl, der durch eine kleine Öffnung von außen in einen völlig abgedunkelten Raum fällt, auf der gegenüberliegenden Wand dieses Raumes all das klar abbildet, was sich außen befindet, besaß schon Aristoteles (Baatz 2008, S. 12). Astronomen nutzten diese Erkenntnis, wenn sie sich der Sonne widmen wollten. Beispielsweise ist dokumentiert, dass Sonnenfinsternisse bereits seit dem Ende des 13. Jahrhunderts mittels solcher Lochkameras beobachtet wurden. So ließ auch Johannes Kepler am 29. Mai 1607 – also noch vor der Erfindung des Fernrohrs – Sonnenlicht durch ein kleines Loch in einen verdunkelten Raum fallen und fing es auf einem weißen Blatt Papier auf. Plötzlich wurde ein schwarzer Fleck sichtbar. Um sicher zu sein, dass er 46

Der kleine Merkur

nicht einen Klecks auf dem Papier beobachtete, wendete er es, schob es hin und her, sodass sich das Licht auf dem Papier zu bewegen schien und sich der schwarze Punkt immer mit bewegte. Hocherfreut glaubte Kepler nun, er habe einen Vorübergang des Merkurs vor der Sonne beobachtet. Bestärkt wurde er in seiner Annahme, weil es zwei Tage zuvor einen heftigen Sturm gegeben hatte, den er als Zeichen dafür angesehen hatte, dass der Merkur bald in der unteren Konjunktion stehen würde. Denn noch zu Keplers Zeiten glaubten Astronomen, dass bestimmte Planetenkonstellationen Einfluss auf das Wetter auf der Erde haben würden (Sellers 2001, S. 75). Auf Keplers große Aufregung Ende Mai 1607 folgte vier Jahre später bittere Ernüchterung, als er von Johann Fabricius erfuhr, dass er nicht den Planeten Merkur, sondern schlichte Sonnenflecken beobachtet hatte, von denen man freilich 1607 noch nichts wusste. Kepler kommentierte das mit den Worten: „Wie sehr ist auch in der Astronomie das Kriegsglück veränderlich, indem sich der bewegliche Heereszug der Konjekturen mit schwankender Zuversicht bald hierhin, bald dorthin wendet.“ Allerdings betonte er auch: „Ich Glücklicher, der ich als erster in diesem Jahrhundert die Flecken beobachtet habe“ (Lemcke 1995, S. 75). Der Merkur erscheint während eines Transits nur als winziges Pünktchen vor der Sonne und ist viel zu klein, um mit bloßem Auge beobachtet werden zu können. Aber das war damals noch nicht bekannt. Kepler hatte sich also doppelt geirrt, erstens, weil am 29. Mai 1607 gar kein Transit des Planeten Merkur stattfand, und zweitens, weil das, was er für den Merkur hielt, Sonnenflecken waren. Da der Merkur sich mit 88 Tagen erheblich schneller um die Sonne bewegt als die Venus mit 224,7 Tagen und seine Exzentrizität mit 0,206 größer als die von Venus und Erde ist, kommt es häufiger zu Transiten. Der Merkur schneidet die Knotenlinie der Erde im Mai und im November, sodass es in diesen beiden Monaten zu Durchgängen kommen kann. Im Mai befindet sich der Merkur am weitesten von der Sonne entfernt, und im November kommt er ihr am nächsten. Novembertransite ereignen sich häufiger als jene im Mai, das Verhältnis beträgt 9:4. Die Dauer der Merkurdurchgänge ist unterschiedlich, ein Transit kann nur wenige Minuten dauern oder mehrere Stunden, je nachdem an welcher Stelle der Sonne der Merkur vor ihr vorüberzieht. Im 17. Jahrhundert fanden 13 Merkurtransite statt, im 18. Jahrhundert waren es 14, und im 19. Jahrhundert wanderte der Merkur wieder 13-mal vor der Sonne vorüber. Im 20. Jahrhundert waren erneut 14 Transite zu verzeichnen (siehe Tabelle in Maunder 47

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Erste Beobachtungen

und Moore 2000, S. 15). Die Merkurtransite des 17. Jahrhunderts fanden in folgenden Jahren statt: 1605, 1615, 1618, 1628, 1631, 1644, 1651, 1661, 1664, 1674, 1677, 1690, 1697. Aus dieser Liste wird ersichtlich, dass es 1607 als Kepler glaubte, einen Merkurdurchgang beobachtet zu haben, keinen gab. Nach dem gescheiterten Versuch von Kepler 1607 dauerte es noch bis ins Jahr 1631, bis erstmals ein Merkurtransit von einem Astronomen beobachtet werden konnte. Die Transite der Jahre 1615, 1618 und 1628 waren nicht vorhergesagt worden und wurden darum auch von niemandem gesehen, obwohl Fernrohre inzwischen Abb. 12: Pierre Gassendi (1592–1655). eine Beobachtung theoretisch ermöglicht hätten. Da der Merkur während eines Transits vor der Sonne extrem klein erscheint, wird man ihn nicht zufällig entdecken, man muss sich schon geduldig zur rechten Zeit positionieren, um seine Umrisse überhaupt erkennen zu können. Bis 1629 hatte Kepler seine Planetentheorie verbessert und veröffentlichte einen Artikel, in dem er für den 7. November 1631 einen Merkurtransit voraussagte. Leider erlebte Kepler diesen Transit nicht mehr, denn er starb im November 1630, ziemlich genau ein Jahr vor dem erwarteten Transittermin. Er konnte nur noch andere auffordern, sich am entsprechenden Tag bereitzuhalten, was der Philosoph, Mathematiker und Astronom Pierre Gassendi (1592–1655) gewissenhaft befolgte. Ihm gelang es am 7. November 1631 den Vorübergang des Merkurs vor der Sonnenscheibe zu beobachten, was eine Weltpremiere war: Erstmals observierte und dokumentierte ein Mensch einen vorausberechneten Planetentransit. Gassendi begann am vorhergesagten Tag seine Beobachtungen bei Tagesanbruch, obwohl der wolkenverhangene Schlechtwetterhimmel über Paris nicht gerade ermutigend wirkte. Erst gegen neun Uhr schoben sich die Wolken kurz beiseite, sodass Gassendi den Planeten vor der Sonne erkennen konnte, noch aber seinen Augen nicht trauen wollte. Er hätte 48

Der kleine Merkur

den kleinen Punkt beinahe für einen Sonnenfleck gehalten, hätte also Keplers Fehler in umgekehrter Form wiederholt. Er maß die exakte Position des vermeintlichen Flecks, damit er ihm als Referenzpunkt dienen könne. Erst ein paar Stunden später, als die Wolken erneut aufrissen, realisierte er, dass sein Referenzpunkt sich erheblich bewegt hatte und es sich demzufolge nicht um einen Sonnenfleck handeln konnte. Noch vermochte er nicht zu glauben, was er sah, weil er sich den Merkur vor der Sonne deutlich größer vorgestellt hatte. Erst bei der nächsten Beobachtung, als zum dritten Mal die Wolken die Sonne freigaben, und der „Fleck“ sich noch weiter bewegt hatte, war er sich sicher, dass er den Merkur gesehen hatte. Dank der Verwendung eines Fernrohrs, durch das er das Bild der Sonne projizierte, war er überhaupt in der Lage, den kleinen schwarzen Punkt wahrzunehmen. Hätte er wie Kepler 1607 ohne Fernrohr arbeiten müssen, hätte er den Planeten nicht gesehen. Während Gassendi sich auf seine Beobachtungen des Merkurs konzentrierte, maß ein Assistent im Raum unter Gassendis Beobachtungsraum die Höhe der Sonne mit einem Quadranten. Jedes Mal wenn Gassendi mit dem Fuß aufstampfte, führte der Assistent eine neue Messung der Sonnenhöhe durch. Die Fachwelt wollte Gassendi zunächst nicht glauben, dass er tatsächlich den Merkur gesehen hatte und dass der Planet vor der Sonne derart klein wirkt. Gassendi gab als Größe ein Drittel einer Bogenminute an, d. h. ein Neunzehntel des Sonnendurchmessers. Kepler hatte ein Fünfzehntel vorhergesagt. Aber es zeigte sich, dass Gassendi recht hatte und seine Beobachtung galt als großer Erfolg und starker Beweis für die Richtigkeit von Keplers Rudolfinischen Tafeln (Sellers 2001, S. 77 f.). Über den Merkurtransit von 1644 sind keine Berichte vorhanden. Der Merkurtransit von 1651 wurde von Jeremiah Shakerley beobachtet, von dem man lediglich weiß, dass er nach Indien gereist ist, um den Transit zu dokumentierten (Maunder und Moore 2000, S. 24). Der Merkurtransit von 1661 wurde von Christiaan Huygens (1629–1695) während seines Aufenthaltes in London und von Johannes Hevelius (1611–1687) in Danzig beobachtet. Huygens war damals bereits berühmt und als Beobachter anerkannt. Er hatte im März 1655 mit einem 3,6 Meter langen Fernrohr den hellsten der Saturnmonde, Titan, entdeckt. In einem Anagramm teilte er 1656 verschlüsselt mit, der Saturn sei von einem dünnen, ebenen, nirgends mit dem Saturn zusammenhängenden und gegen die Ekliptik geneigten Ring umgürtet. Er erkannte also die eigentliche Natur der Saturnringe. Darüber 49

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Erste Beobachtungen

hinaus erfand er ebenfalls 1656 die Pendeluhr (Riekher 1990, S. 73). Hevelius fertigte eine der frühesten mit dem Teleskop erstellten Mondkarten an und arbeitete einen Sternenkatalog aus. Er errichtete außerdem ein über 45 Meter langes Linsenteleskop, das den Höhepunkt der im 17. Jahrhundert unternommenen Anstrengungen bildete, um die verschwommenen Bilder des Fernrohrs durch die Verwendung einer Objektivlinse sehr großer Brennweite wesentlich zu verbessern (Riekher 1990, S. 72; Learner 1991, S. 18; Aughton 2009, S. 79). Die Merkurtransite von 1664 und 1674 sind nicht dokumentiert. 1677 hat Edmond Halley von St. Helena aus einen Merkurtransit beobachtet. 1697 erwähnte Johann von Würzelbau erstmals einen hellen Punkt auf der Merkurscheibe während eines Transits. Solche Flecken und Punkte wurden bis ins 19. Jahrhundert hinein immer wieder beobachtet. Seitdem bessere Teleskope verfügbar sind, wurde über solche Lichterscheinungen nicht mehr berichtet. Wahrscheinlich handelt es sich bei all diesen Punkten lediglich um optische Effekte, die mit der Qualität der Fernrohre zusammenhängen. Das gesamte 18. Jahrhundert über bemühte man sich, Merkurtransite zu beobachten, um herauszufinden, ob der Merkur einen Satelliten aufweise, der ihn über die Sonnenscheibe begleiten würde, ob er eine Atmosphäre habe, die zu einer unscharfen Abbildung führen würde, und ob man überhaupt zu neuen Erkenntnissen den Merkur betreffend gelangen könne, indem man seine Durchgänge vor der Sonne beobachtet. Heute weiß man, dass der Merkur ohne Begleitung durch einen Trabanten im Weltall unterwegs ist; aber selbst wenn er einen Mond gehabt hätte, wäre dieser vermutlich so klein gewesen, dass man ihn mit den damaligen Mitteln gar nicht hätte sehen können. Mit der Atmosphäre war es komplizierter: Bis in moderne Zeiten glaubte man, der Merkur könne durchaus eine Atmosphäre besitzen, wenn sie auch erheblich dünner wäre als die der Erde. Bei mehreren Transiten wurden Lichtringe um den Merkur beobachtet, vermutlich handelt es sich dabei aber um Störungen, die entweder durch die Linsen im Teleskop oder durch die Erdatmosphäre hervorgerufen wurden. Man hat 1974 festgestellt, dass der Merkur so gut wie keine, d. h., nur eine extrem dünne, Atmosphäre hat (Maunder und Moore 2000, S. 26 f.). Heute kommt den Merkurtransiten zwar keine wissenschaftliche Bedeutung mehr zu, Hobbyastronomen lassen sich aber dennoch das Vergnügen der Beobachtung nicht nehmen.

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Die schöne Venus

Die schöne Venus Kepler hatte in seinen 1629 herausgegebenen Ephemeriden für das Jahr 1631, in denen er auf den anstehenden Merkurdurchgang hingewiesen hatte, auch einen Venustransit für den 6. Dezember 1631 vorhergesagt. Dieser fand einen Tag später als berechnet, am 7. Dezember statt, konnte allerdings von Europa aus nicht beobachtet werden, weil er erst nach Sonnenuntergang begann und vor dem nächsten Sonnenaufgang zu Ende war, was allgemein von der Fachwelt bedauert wurde. Der Erste, dem es acht Jahre später gelang, einen Venustransit zu beobachten, war ein junger Engländer, dessen Werk beinahe nicht erschienen wäre. Jeremiah Horrocks (1618–1641) wurde im Jahr 1618 in einer kleinen puritanischen Gemeinde in Toxteth Park, einem Stadtteil von Liverpool, geboren. Sein Vater, James Horrocks, war Uhrmacher. Die Mutter, Mary Aspinwall, stammte ebenfalls aus einer Uhrmacherfamilie. Der zweite Sohn der Familie kam drei Jahre später auf die Welt und erhielt den Namen Jonah. Eigentlich sollten die beiden Brüder den Familienbetrieb übernehmen, aber Jeremiah interessierte sich bereits früh für Philosophie und Astronomie und war von der Uhrmacherei weniger begeistert. Die Grundlagen für Jeremiah Horrocks’ Bildung legten seine Eltern und der örtliche Geistliche, Richard Mather. Um seine Begabungen zu fördern, erhielt er ein Stipendium und ging im Alter von 14 Jahren nach Cambridge, um dort im Emmanuel College Theologie zu studieren. Astronomie und Mathematik wurden zu Jeremiahs Leidwesen dort eher gering geschätzt (Aughton 2009, S. 72). Trotzdem beschäftigte sich Horrocks, wann immer er die Möglichkeit dazu sah, mit Mathematik und Astronomie und studierte die neuesten Veröffentlichungen. Seine engsten Freunde während der College-Zeit waren John Worthington und John Wallis, die beide später aktive Mitglieder der Akademie der Wissenschaften wurden und zur Veröffentlichung von Horrocks’ Manuskripten nach dessen viel zu frühem Tod beitrugen. Als 17-Jähriger kehrte Horrocks in seine Heimat zurück. Inzwischen war das Teleskop seit knapp 20 Jahren bekannt, und ihm war klar, dass er für seine Beobachtungen unbedingt ein solches Instrument brauchte. Der Wert seiner Beobachtungen würde selbstverständlich von der Qualität des vorhandenen Teleskops abhängen – so setzte er alles daran, sich 1638 ein möglichst gutes Teleskop anzuschaffen. In einem Gedicht äußerte er sich über die paradiesischen Möglichkeiten, die ihm das Teleskop eröffnen 51

3.

Erste Beobachtungen

Abb. 13: St. Michael Kirche in Much Hole. Ein Kirchenfenster erinnert an Jeremiah Horrocks’ Beobachtung des Venusdurchgangs von 1639.

würde (Aughton 2009, S. 73). Im Alter von 21 Jahren zog Horrocks aus heute unbekannten Gründen in das kleine Dorf Much Hoole, etwa 29 Kilometer nördlich von Liverpool. Es gibt Vermutungen, dass ihm vielleicht eine Stelle als Hilfspfarrer an der Kirche von Much Hoole angeboten oder er als Lehrer in Carr House in Bretherton tätig wurde. Die Briefe an seinen Freund William Crabtree trugen jedenfalls ab dem Sommer des Jahres 1639 den Absender Much Hoole.

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Falsche Berechnungen?

Falsche Berechnungen? Noch während Horrocks in Cambridge studierte, korrespondierte er mit Herbert Gellibrand (1597–1637). Dieser war als Professor der Astronomie am Gresham College in London tätig und empfahl Horrocks ein Buch des belgischen Astronomen Philip Lansberg (1561–1632). Horrocks beschaffte sich dieses Buch und versuchte seine Beobachtungen der Planetenbewegungen mit den Lansberg’schen Tafeln in Einklang zu bringen, was ihm aber nicht gelang – ja nicht gelingen konnte. Im Jahr 1636 schloss er Freundschaft mit dem Amateurastronomen William Crabtree (1610– 1644), der Tuchhändler war und in Broughton bei Manchester lebte. Crabtree wies Horrocks auf die präziseren Rudolfinischen Tafeln hin, die Johannes Kepler auf Grundlage der Beobachtungsdaten von Tycho Brahe erstellt hatte. Jeremiah Horrocks und William Crabtree waren 1639 die Ersten, die in England mit den Rudolfinischen Tafeln arbeiteten, die bereits zwölf Jahre zuvor erschienen waren. Das kopernikanische Weltsystem war unter englischen Gelehrten zu dieser Zeit noch nicht allgemein bekannt, meist fand noch das ptolemäische Modell Verwendung. Horrocks wurde aber schnell deutlich, dass das heliozentrische System dem ptolemäischen weit überlegen war, worüber er sich ebenfalls in Form eines Gedichtes äußerte (Aughton 2009, S. 74). Nacht für Nacht beobachtete Horrocks geduldig die Planetenbahnen und verglich seine Beobachtungen mit den verschiedenen Tafeln, die ihm nun zur Verfügung standen. Schon bald stellte er Diskrepanzen zwischen seinen eigenen Beobachtungen und den Tafeln fest. Beruhigend war, dass Horrocks’ Beobachtungen mit denen von Crabtree übereinstimmten – offenbar lagen die Fehler tatsächlich in den Tafeln und nicht in den Beobachtungen der beiden jungen Männer. Neben den 1627 veröffentlichten Rudolfinischen Tafeln konsultierte Horrocks auch jene von Christian Sørensen Longomontanus (1562–1647), die 1622 erschienen waren. Longomontanus war acht Jahre für Tycho Brahe als Assistent in Uraniborg tätig gewesen, sodass seine Tafeln auf diesen Beobachtungen beruhten. Außerdem standen ihm die Preußischen oder Prutenischen Tafeln zu Vergleichszwecken zur Verfügung, die 1551 von Erasmus Reinhold auf Grundlage des kopernikanischen Weltbildes erstellt worden waren. Durch seine Beobachtungen und die Arbeit mit den unterschiedlichen Tafeln entwickelte sich Horrocks zu einem glühenden Verfechter der keplerschen Gesetze der Planetenbewegungen, die damals in England kaum rezipiert wurden. Erst 53

3.

Erste Beobachtungen

Anfang Oktober 1639 erkannte Horrocks aufgrund seiner eigenen Berechnungen, dass sich noch in diesem Jahr höchstwahrscheinlich ein Venustransit ereignen würde. Keplers Ephemeriden reichten nur bis ins Jahr 1636. Ob aus seinen Rudolfinischen Tafeln hervorging, dass es 1639 einen weiteren Venusdurchgang geben würde oder nicht, ist heute umstritten. Häufig liest man, Kepler habe erklärt, die Venus würde 1639 in der unteren Konjunktion knapp an der Sonne vorbei wandern (Proctor 1874, S. 12; Sellers 2001, S. 80; Maor 2000, S. 33). Arundell Blount Whatton schreibt 1859, Kepler habe 1626 in seinem in Leipzig erschienenen „Admonitiuncula ad Curiosos rerum Coelestium“ geäußert, dass es zwischen 1631 und 1761 nicht zu einem Vorübergang der Venus kommen werde (Whatton, Nachdruck 2010, S. 22; Orig. 1859, 2. Aufl. 1875). Kollerstrom (2005, S. 36) schreibt hingegen, Owen Gingerich habe 2004 die Rudolfinischen Tafeln als Computerprogramm rekonstruiert und dabei herausgefunden, dass sie einen Venustransit für 1639 vorhersagten, allerdings für neun Stunden zu früh. So sei also aus den Rudolfinischen Tafeln ersichtlich gewesen, dass es einen Transit geben würde, und Horrocks sei durch die Tafeln darauf gestoßen (Kollerstrom 2005, S. 36). Horrocks war aufgewühlt von der Vorstellung vielleicht der erste Mensch zu sein, der einen Venustransit beobachten und dokumentieren würde. Darum bereitete er sich gründlich auf den Tag vor, den er als den Transittermin errechnet hatte. Nach dem damals in England noch gültigen julianischen Kalender handelte es sich um den 24. November 1639 (4. Dezember Neuer Stil). Er schrieb auch an seinen jüngeren Bruder in Liverpool und an Crabtree bei Manchester. Er bat beide, sich vorzubereiten und ebenfalls das seltene Ereignis zu beobachten. Sonst fiel ihm wohl niemand ein, den er damit hätte behelligen können, denn um einen Venusdurchgang beobachten zu können, musste man schon einigermaßen besessen von der Astronomie sein. Es erforderte viel Geduld, Ausdauer und Genauigkeit, ein solches Phänomen zu erwarten und zu dokumentieren, darum war der Kreis derjenigen, die Horrocks bitten konnte, vergleichende Studien durchzuführen, sehr klein. Zwar war er sich nicht hundertprozentig sicher, ob er den Transit korrekt vorausberechnet hatte, aber er wusste, dass es vor 1761 keine weitere Chance auf einen Venustransit mehr geben würde, sodass sich der Versuch der Beobachtung allemal lohnte (Sellers 2001, S. 80).

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Der große Tag

Der große Tag: 24. November 1639 (A. S.) bzw. 4. Dezember 1639 (N. S.) Auch Horrocks bediente sich der Methode, das Sonnenlicht durch ein Teleskop auf ein weißes Blatt Papier in einen abgedunkelten Raum fallen zu lassen, sodass sich die Sonne dort abbildete. Auf das Papier hatte er einen Kreis mit einem Durchmesser von ungefähr 15 Zentimetern gezeichnet. Die Sonne füllte genau den Kreis, ein Bleilot zeigte ihm die Senkrechte an. Auf dem Papier wollte er dann die Position der Venus einzeichnen. Dieses Vorgehen sollte ihm ermöglichen, Informationen über den Durchmesser der Venus, die Neigung ihrer Bahn, die Position des Knotens und die genaue Zeit – also wann sie den Knoten überschritt – zu gewinnen. Er hatte errechnet, dass die Venus am Nachmittag des 24. Novembers (A. S.) erscheinen müsste, weil aber die Tafeln, die er zugrunde gelegt hatte, unterschiedliche Angaben machten, und um sicher zu gehen, nichts zu verpassen, begann er schon am Nachmittag des 23. Novembers zu beobachten. Am Morgen des 24. Novembers setzte er seine Beobachtungen fort. Er musste sie allerdings unterbrechen, offenbar um seinen Dienst in der Kirche zu tun. Als er zurück in sein abgedunkeltes Zimmer kam, sah er den schwarzen Punkt auf seinem Papier – die Venus vor der Sonnenscheibe. Es gelang ihm, seine Aufregung zu bezwingen und drei Messungen durchzuführen, bevor die Sonne unterging. Zwar nur kurz, aber er hatte die Venus vor der Sonne gesehen; seine Berechnungen waren also korrekt. Wahrscheinlich führte Horrocks in Much Hoole seine Beobachtungen vom ersten Stock des Carr House aus durch. Später schrieb er eine kleine Abhandlung darüber, „Venus in Sole Visa“, in der er seine Beobachtungsmethode ausführlich beschrieb und seine Ergebnisse und weiteren Gedanken darlegte und diese mit blumigen Versen ausschmückte. Auch Crabtree hatte die Venus vor der Sonne gesehen und Horrocks plante seinen Freund am 4. Januar 1641 zu besuchen, um mit ihm die Ergebnisse zu besprechen. Er verstarb aber plötzlich am Tag vor seiner Abreise. Ein Teil seiner Papiere wurde im englischen Bürgerkrieg (1642–1649) zerstört, der Rest in alle Winde zerstreut. Manche Schriften gerieten in die Hände von Jeremiah Shakerley, und der nutzte sie zur Zusammenstellung der Britischen Tafeln, die 1653 erschienen. Bevor er nach Indien reiste, überließ Shakerley sie einem Buchhändler namens Nathaniel Brooks, der sie aufbewahrte, bis sie 1666 bei dem großen Brand in London in Flammen aufgingen. Zum Glück hatte Crabtree einige von Horrocks Schriften aufbewahrt. Diese 55

3.

Erste Beobachtungen

Abb. 14: Horrocks’ Beobachtung des Venustransits von 1639.

56

Der große Tag

sind erhalten geblieben, weil John Worthington, Horrocks Freund aus den Tagen des Emmanuel College, die Aufgabe übernahm, Crabtrees Bibliothek nach dessen Tod zu verkaufen. 1660 erhielt Huygens eine Kopie von „Venus in Sole visa“ und schickte sie wiederum an Hevelius. Dieser plante, sie zusammen mit seinen eigenen Beobachtungen des Merkurtransits zu veröffentlichen, was er mit entsprechenden Anmerkungen, die länger als der eigentliche Text waren, auch tat. 1662 erschien Horrocks’ Werk, herausgegeben von Hevelius. Horrocks hatte herausgefunden, dass die Venus nicht größer als eine Bogenminute war, womit keiner gerechnet hatte. Mindestens genauso bedeutend wie seine erste Beobachtung eines Venusdurchgangs ist die von Horrocks vorgenommene Verbesserung der Mondtheorie, in der er erklärte, warum die Mondbahn elliptisch ist. Newton war begeistert von Horrocks Arbeiten und baute darauf auf.

57

4.

Wie groß ist das Sonnensystem? Die Rolle von Venuspassagen zur Bestimmung der Distanz zwischen Erde und Sonne

Auf die Fragen nach der Größe des Weltalls bzw. der Entfernung zwischen Sonne, Erde und Mond suchten bereits die frühesten Himmelsbeobachter Antworten. Das Bedürfnis nach einer Maßeinheit für Entfernungen im Kosmos war einer der Motoren für die Beschäftigung mit Größen, Formen, Bewegungen und Distanzen von Himmelskörpern. Da sich die Entfernungen im All nicht einfach messen ließen, war nur eine indirekte Ermittlung möglich, indem Schlüsse aus verschiedenen Beobachtungen gezogen wurden. Aristarchos von Samos (um 310–230 v. Chr.) nutzte die Gesetze der Geometrie, um die Distanz zwischen Erde und Sonne herauszufinden. Das einzige Werk, das von ihm erhalten geblieben ist, trägt den Titel „Über die Größen und Entfernungen der Sonne und des Mondes“. Er ging von der Annahme aus, dass der Mond nicht von sich aus leuchtet, sondern seine Helligkeit der Sonne verdankt. Er sah im Mond eine Kugel im Weltraum, auf die die Sonne ihr Licht wirft und damit die verschiedenen Mondphasen hervorruft. Der Halbmond entsteht ihm zufolge dadurch, dass das Sonnenlicht genau senkrecht zu unserer Blickrichtung auf den Mond fällt. Das Dreieck Sonne, Mond, Erde weist also bei Halbmond einen rechten Winkel auf. Mit Hilfe der Geometrie konnte er die Seitenlängen des Dreiecks Erde, Sonne Mond berechnen, da er die Strecke zwischen Erde und Mond zu kennen vermeinte. Zwar waren seine Resultate verglichen mit den heutigen Werten erheblich zu gering, da er teilweise von falschen Voraussetzungen ausgegangen war, aber die Grundidee war richtig und sollte noch eine größere Rolle in der Geschichte der Astronomie spielen. Aristarchos argumentierte in folgenden Schritten: Von der Erde aus betrachtet, legt der Mond innerhalb einer Stunde eine Distanz zurück, die seinem Durchmes58

4.

Wie gross ist das Sonnensystem?

Halbmond Sonne 90° Distanz zum Mond

gemessener Winkel

e onn zur S z n a Dist

β

Abb. 15: Aristarchos’ Bestimmung der Distanzen im Sonnensystem.

ser entspricht. Die längste totale Mondfinsternis dauert fast zwei Stunden. Daraus schloss Aristarchos, dass die Erde ungefähr dreimal so groß ist wie der Mond (heute weiß man dass die Erde 3,67-mal so groß wie der Mond ist). Für die Distanz zwischen Erde und Mond ermittelte Aristarchos einen Wert von 60 bis 80 Erdradien. Die Sonne hielt er für sechs- bis siebenmal so groß wie die Erde (heutiger Wert 109) und die Distanz zwischen Erde und Sonne kalkulierte er auf 1 400 Erdradien, was einer Parallaxe von drei Bogenminuten entspräche, bzw. 180 Bogensekunden (heutiger Wert 8,79 Bogensekunden, das entspricht etwa 23 809 Erdradien). Hipparchos von Rhodos kommt bereits auf eine Distanz von 2 000 Erdradien zwischen Erde und Sonne. Poseidonius (135–51 v. Chr.) vergrößert die Entfernung auf 13 100 Erdradien und Ptolemäus verkleinert sie wieder auf 1 210. Das war der Wert, der noch zu Kopernikus’ Zeiten als richtig angesehen wurde (Toulmonde 2004, S. 277).

Mond

Erde Sonne

Abb. 16: Relativer Durchmesser des Mondes nach der Hypothese von Aristarchos von Samos.

59

4.

Wie gross ist das Sonnensystem?

Trotz prinzipiell richtiger Überlegungen kamen auch Aristarchos’ Nachfolger zu völlig falschen Ergebnissen, weil sie ihren Berechnungen das von Aristarchos bei der Beobachtung des Halbmonds gefundene um den Faktor 20 zu kleine Verhältnis zwischen Mondentfernung und Sonnenentfernung (1:19) zugrunde legten. Bis zu Keplers Zeiten galt dieses Verhältnis als „Stand der Wissenschaft“. Erst Kepler zweifelte es an und hielt es für viel zu gering (Uffrecht 2001, S. 656). Kepler sieht das All bereits dreimal so groß wie Ptolemäus, sein Wert der Distanz zur Sonne entspricht einer Bogenminute oder 60 Bogensekunden. Horrocks kam auf eine Sonnenparallaxe von 14 Bogensekunden, was einer Entfernung von 15 000 Erdradien entspräche. Sein Ergebnis ist immer noch 1,6-mal zu klein, aber mit seiner Hypothese näherten sich die Astronomen dem eigentlichen Wert zunehmend, und der Wunsch, es endlich genau zu wissen, wurde immer stärker (Toulmonde 2004, S. 277). Erst im Laufe der Jahrhunderte konnte man sich ein größeres Weltall vorstellen, sodass sich die vermuteten Distanzen erheblich vergrößerten. Die effizienteste Methode zur Ermittlung der Entfernungen von Himmelskörpern ist die Parallaxenmethode. Unter Parallaxe versteht man die Verschiebung eines Objektes, z. B. eines punktförmigen Sterns gegenüber dem entfernteren Hintergrund infolge eines Ortswechsels des Beobachters. Anders formuliert: Wenn man auf der ausgestreckten Hand einen Gegenstand vor sich hält und abwechselnd nur mit einem Auge schaut, beobachtet man, dass der Gegenstand scheinbar vor den weiter entfernten Gegenständen der Umgebung hin- und herspringt – nach rechts, wenn man das rechte Auge schließt, und nach links, wenn man das linke Auge schließt. Je näher der Gegenstand am Auge ist, desto stärker verändert er seine relative Position. Je weiter das Objekt entfernt ist, desto kleiner ist der Effekt. Um die Parallaxenmethode zu benutzen, verwendet man eine Basislinie (siehe Abb. 17), deren Länge bekannt ist. Beobachter messen an den Punkten A und B den Winkel zwischen der Basislinie und der Linie, die auf ein entferntes Objekt C hindeutet. Dies ergibt ein Dreieck ABC, in dem eine Seite und zwei Winkel bekannt sind. Unter Einsatz von elementarer Trigonometrie kann man die Länge der Seiten AC und BC, d. h., die Entfernung von jedem Beobachter zum Objekt ermitteln. Dieses Verfahren wird auch zur Vermessung auf der Erde benutzt. In der Astronomie sind die Strecken AC und BC um so Vieles länger als die Basislinie, dass man sie getrost als gleich lang ansehen kann. So erhält man ein gleichschenkliges 60

Astronomische Einheit

Dreieck, und die Beobachter müssen an A und B nur die Verschiebung in Richtung C messen (Winkel g). Durch eine einC fache Rechnung kommt man auf die Distanz von A bzw. B γ nach C. Je länger die Basislinie gewählt wird, desto größer ist die Veränderung der Position des Objekts, und umso größer ist die Genauigkeit in der Ermittlung der Distanz. Für ein relativ nahegelegenes Objekt wie den Mond reicht eine kurze Basislinie von ein paar Hundert Kilometern. Aber um die Distanz zu weiter entfernt liegenden Objekten wie z. B. der Sonne zu finden, braucht man möglichst den gesamten Durchmesser der Erde. Wenn nun zwei Beobachter von entgegengesetzt liegenden Orten der Erde die Sonne messen, ist B der Unterschied der Sonnenposition im Verhältnis zu den A Fixsternen von den zwei Punkten aus nur sehr gering, weil Abb. 17: Parallaxendie Sonne ca. 150 Millionen Kilometer entfernt ist und die methode. Erde nur einen Durchmesser von ca. 12 700 Kilometern aufweist. Hinzu kommt, dass am Tag die Sterne als Referenzpunkte nicht sichtbar sind. Um dieses Problem zu umgehen, sollte sich die Venus vor der Sonne als nützlich erweisen.

Astronomische Einheit Bei der Astronomischen Einheit (AE) handelt es sich um eine der wichtigsten Größen der klassischen Astronomie. Sie ist als die mittlere Entfernung zwischen Erde und Sonne (= große Halbachse der Erdbahn) definiert. Ist sie bekannt, kann man mittels des dritten keplerschen Gesetzes auf die Abstände der übrigen Planeten und damit auf die Ausdehnung des Sonnensystems schließen. Heute werden Distanzen im Sonnensystem mit Hilfe der Radarechomethode gemessen. Aus der Laufzeit von elektromagnetischen Wellen, die an Mond oder Venus reflektiert werden, kann man die absoluten Distanzen im Sonnensystem auf wenige Meter genau bestimmen. Die Astronomische Einheit hat eine Länge von 149 597 870 Kilometern, also knapp 150 Millionen Kilometer, diese entspricht einer Sonnenparallaxe von 8,79 Bogensekunden. Eine AE entspricht einer Lichtlaufzeit von acht Minuten und 20 Sekunden. Jahrhundertelang versuchte man die AE durch Vermessung von Venustransiten oder erdnahen Kleinplaneten von verschiedenen Punkten der 61

4.

Wie gross ist das Sonnensystem?

Erde aus zu bestimmen, bis man schließlich erkennen musste, dass dieses rein trigonometrische Verfahren nicht zu der gewünschten Genauigkeit führte. Wie es zunächst dazu kam, dass diese Methode entwickelt wurde, mit welchem unglaublichen Aufwand die Gelehrten im 18. und 19. Jahrhundert versuchten, die AE zu ermitteln, und welche immense Rolle die Venustransite dabei spielten, davon handeln die folgenden Kapitel dieses Buches.

Edmond Halley und seine Methode zur Ermittlung der Astronomischen Einheit Im Jahr 1066 war mehrere Nächte lang ein Komet zu sehen, der sogar auf dem Teppich von Bayeux abgebildet wurde, auf dem die Geschichte der Schlacht von Hastings und die Ereignisse um die Übernahme des englischen Throns durch Wilhelm den Eroberer dargestellt sind. Über 600 Jahre später erkannte Edmond Halley (1656–1742), dass es sich bei dem gezeigten Kometen um einen Himmelsschweif handelt, der alle 76 Jahre von der Erde aus zu sehen ist. Halley hatte vorausgesagt, dass der Komet, den er selbst 1682 beobachtet hatte, im Jahr 1758 wieder erscheinen würde. Der Komet trägt heute seinen Namen und hat Halley auch über Astronomenkreise hinaus berühmt gemacht. Als junger Mann, Halley war erst 21 Jahre alt, erhielt er den Auftrag, nach St. Helena zu reisen, um dort einen Katalog des südlichen Sternhimmels anzufertigen, der für die Navigation benötigt wurde. Zu diesem Zweck verwendete er ein ca. 7,30 Meter langes Teleskop. Obwohl er häufig mit schlechtem Wetter zu kämpfen hatte, führte er seine Arbeiten gut und gewissenhaft aus. Am 7. November 1677 hatte er großes Glück: Ein sonniger Vormittag ermöglichte ihm die Beobachtung eines Merkurtransits. Er stattete sein Teleskop mit einem Rauchglasfilter aus und richtete es auf die

Abb. 18: Edmond Halley (1656–1742).

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Edmond Halley und die Astronomische Einheit

Pfad von B aus gesehen A

S onne

B

Erde

Venus Pfad von A aus gesehen

Abb. 19: Halleys Methode zur Ermittlung der AE basiert auf dem Parallaxeneffekt.

Sonne. Gegen neun Uhr erschien ein kleiner schwarzer Punkt am äußersten Rand der Sonnenscheibe und schob sich langsam über den Rand vor die Sonne. Nun war der Merkurtransit in vollem Gang, und Halley beobachtete so lange – zeitweilig durch Wolken unterbrochen – bis der kleine schwarze Punkt auf der anderen Seite wieder jenseits der Sonne verschwand. Er machte sorgfältige Messungen und schrieb, dass es ihm gelungen sei, exakt die beiden Punkte zu messen, an denen Merkur den Rand der Sonne von innen berührte, einmal beim Eintritt und einmal beim Austritt. Ihm wurde deutlich, dass man einen Transit dazu benutzen könnte, um die Länge der Astronomischen Einheit herauszufinden. Aber er gab auch zu, dass die Merkurscheibe zu klein war, um die exakten Ergebnisse zu bekommen, die dazu nötig waren. Die Venus würde sich besser eignen, weil sie der Erde näher steht und vor der Sonne deutlicher zu erkennen ist. Die Parallaxe ist größer als bei anderen Himmelskörpern, weil die Venus der Erde so nah ist wie kein anderer Planet mit Ausnahme des Mondes und des Mars in bestimmten Konstellationen. Am 9. Februar des Jahres 1721 wurde Halley Nachfolger von John Flamsteed und war damit der zweite Königliche Astronom Englands. Er entwickelte ein praktisches Programm für die Beobachtung der Transite, indem er einen Aufruf an alle Gelehrten verfasste, sich das Ereignis nicht entgehen zu lassen und sich so gut wie irgend möglich darauf vorzubereiten. Jede Beobachtungsstation sollte mit einem qualifizierten Beobachter, einem Teleskop und einer exakt gehenden Uhr ausgestattet werden, um das wesentliche Ziel zu erreichen. Dieses bestand darin, mit größter Genauigkeit die Zeit zu messen, die die Venus benötigt, um die Sonnenscheibe zu durchqueren, denn die Dauer eines Transits hängt davon ab, wie nah 63

4.

Wie gross ist das Sonnensystem?

an der Sonnenmitte der Pfad der Venus verläuft. Außerdem bewegt sich die Venus vom Nordpol der Erde aus betrachtet, auf einem anderen Pfad über die Sonne als vom Südpol aus gesehen. Diesen Unterschied sollten die Astronomen sich Halley zufolge zunutze machen. Die Beobachtungsorte sollten auf möglichst weit voneinander entfernt gelegenen Breitengraden liegen, damit diese Differenz möglichst groß würde. Die einzige Bedingung an die geographische Länge war, dass der gesamte Transit dort vollständig bei Tageslicht zu beobachten sein sollte. (Sheehan und Westfall 2004, S. 130; Nussbaumer 2007; Sellers 2001, S. 110 f.). Der zweite Faktor, der die Transitdauer beeinflusst, ist die Erdrotation. Der Beobachter steht schließlich nicht still, sondern bewegt sich mit der Erde innerhalb der Stunden, in denen er den Transit beobachtet. Stünde die Erde still, würde ein Venustransit Halleys Berechnungen zufolge sieben Stunden und 20 Minuten dauern. Da sich die Erde aber dreht, und zwar dem Weg der Venus entgegengesetzt, beschleunigt sich der Transit dadurch. Und je nachdem, von welchem Ort der Erde aus man den Transit beobachtet, ob vom Äquator oder von einem der Pole, ist seine Dauer ebenfalls verschieden (Sellers 2001, S. 109). Das bedeutete, dass keine komplizierten Messungen nötig waren, sondern lediglich die Dauer des Transits exakt festgestellt werden musste. Dazu reichten die damals verfügbaren Pendeluhren aus (Sheehan und Westfall 2004, S. 129). Der Beobachter musste den genauen Zeitpunkt des vollständigen Eintritts der Venus ermitteln, d. h., wenn sie den inneren Rand der Sonne berührt. Insgesamt gibt es bei einem Venustransit vier Kontaktpunkte mit dem Rand der Sonne: Der erste Kontakt entsteht, wenn die Venus sich der Sonne nähert und den äußeren Rand berührt. Der zweite Kontakt kommt zustande, wenn die Venus sich vollständig vor die Sonne geschoben hat und von innen den Rand der Sonne berührt. Der erste und zweite Kontakt finden beim Eintritt der Venus vor die Sonne statt. Dann zieht die Venus ihre Bahn über die Sonne, was mehrere Stunden in Anspruch nimmt. Beim Austritt der Venus kommt es zum dritten und vierten Kontakt, wenn die Venus zunächst den inneren und dann den äußeren Rand der Sonne berührt (Abb. 20). Halley zufolge sei es ausreichend, die Zeit vom völligen Eintritt der Venus vor die Sonne bis zum Beginn des Austritts aus der Sonne genau zu messen. Seine Methode ist als die Methode der Dauer in die astronomische Geschichtsschreibung eingegangen. Während des Transits sollte möglichst noch die Distanz der Venus bis zur Sonnenmitte mit einem 64

Edmond Halley und die Astronomische Einheit

Transitphasen Kontakt 4 Kontakt 3

Kontakt 2

tritt Aus

Kontakt 1

tritt Ein

Abb. 20: Die vier Kontakte bei einem Planetentransit.

Mikrometer (Fadenkreuz im Teleskop) gemessen werden. Der größte Vorteil von Halleys Methode war, dass man außer einem geschickten und zuverlässigen Beobachter, einem Teleskop und einer genau gehenden Pendeluhr nichts weiter benötigte. Idealerweise sollte einer der Beobachtungspunkte an der Stelle sein, von der aus gesehen der Transit die längste Dauer hätte und einer dort, wo die kürzeste Transitdauer zu beobachten wäre. Diese beiden Punkte werden die Halley’schen Pole genannt. Halley sah voraus, dass seine Pole für den Transit von 1761 an sehr ungünstigen Stellen liegen würden. Einer mitten im öden Sibirien, der andere in unbekannten Regionen des südlichen Indischen Ozeans, eine der wolkigsten und stürmischsten Regionen der Erde. Den Eintritt der Venus vor die Sonne würde man von England aus gar nicht sehen können, aber in der Arktis, wo die Sonne im Juni nicht mehr untergeht, wäre der gesamte Transit von Trondheim aus bis zum Nordkap gut zu sehen, vermutete Halley. An der Hudson Bay würde der Eintritt der Venus genau nach Sonnenaufgang stattfinden und der Austritt kurz vor dem Sonnenuntergang; ein perfekter Beobachtungsposten also. Vorausgesetzt der Himmel bliebe wolkenfrei, wäre der gesamte Transit von dort aus zu verfolgen. In Indonesien würde die Sonne in der Mitte des Transits genau senkrecht stehen. Also wären Beobachtungen von diesen beiden Punkten aus vielversprechend – die Breitendifferenz wäre so maximiert. Vermutlich kannte Halley das 1663 erschienene Werk „Optica Pro65

4.

Wie gross ist das Sonnensystem?

mota“ des schottischen Mathematikers James Gregory (1639–1675), in dem Gregory bereits kurz darauf hinwies, dass Venus- oder Merkurtransite zur Ermittlung der Sonnenentfernung herangezogen werden können (Nunis 1982, S. 22 f.). Auch Horrocks hatte Ähnliches schon angedeutet, aber aufgrund seines frühen Todes nicht weiter ausgearbeitet. Schon 1679, also zwei Jahre nachdem er seine Idee dank der Beobachtung der Merkurtransits auf St. Helena entwickelt hatte, hatte Halley einen ersten Artikel über die Ermittlung der Sonnenparallaxe publiziert. Später schrieb er, dass der Venustransit das ehrwürdigste Ereignis sei, das die Astronomie zu bieten habe und dass es den Sterblichen aufgrund der Bewegungsgesetze ein ganzes Jahrhundert vorenthalten bliebe. Aber nur durch diese Beobachtung sei es möglich, die Entfernung von der Erde zur Sonne herauszufinden. Darum dürfe kein Aufwand gescheut werden, um die Beobachtungen seiner Methode gemäß durchzuführen, wenn die Zeit für den Transit gekommen sei (Nunis 1982, S. 23; Sellers 2001, S. 109). Im Jahr 1716 veröffentlichte Halley eine ausführliche Schrift im Publikationsorgan der Royal Society, den Philosophical Tansactions, in der er dazu aufrief, den Venustransit zu nutzen, um die Entfernung zwischen Sonne und Erde, die AE, zu ermitteln (Ratcliff 2008, S. 9). Leider gehörte Halley zu den Unglücklichen, die während ihrer Lebenszeit keine Möglichkeit hatten, einen Venusdurchgang zu beobachten, weil er im Jahr 1656, also 17 Jahre nach dem letzten Transit des 17. Jahrhunderts, geboren wurde. Das heißt, er hätte 105 Jahre alt werden müssen, um den ersten Transit des 18. Jahrhunderts noch miterleben zu können. Hochbetagt, aber dennoch 19 Jahre zu früh, starb er im Januar 1742 und hatte zeitlebens bedauert, dass ihm nicht vergönnt sein würde, einen Venusdurchgang mit eigenen Augen zu sehen.

Konkurrierende Methoden zur Beobachtung von Venusdurchgängen Im Prinzip wäre Halleys Methode auch für die sehr viel häufigeren Merkurtransite anwendbar. Da sich der Merkur aber zu nahe an der Sonne befindet, konnte die relative Parallaxe kaum gemessen werden – darum setzte man so große Hoffnungen auf die Venustransite des 18. Jahrhunderts. Allerdings waren nicht alle Gelehrten der Meinung, dass Venus besser geeignet sei als Merkur. William Whiston, der als fähiger Mathematiker 66

Beobachtungsmethoden

galt, bestand darauf, dass Merkur besser zur Ermittlung der AE geeignet sei. Seine Einwände wurden in Frankreich ernster genommen als in England, sodass französische Beobachtungen der Merkurtransite von 1723 und 1753 stattfanden, die aber nur bestätigten, dass Halley recht gehabt und Whiston sich geirrt hatte (Maunder und Moore 2000, S. 24 f.). Joseph Nicolas Delisle war zwar eigentlich Geograph, spielte aber auch in der französischen Astronomiegeschichte eine große Rolle. Auch er hatte den Merkurtransit des Jahres 1723 beobachtet, war aber mit der exakten Berechnung der Sonnenparallaxe gescheitert. Im gleichen Jahr besuchte Delisle Halley und Newton in London und wurde von beiden freundlich empfangen. Sie tauschten ihre neuesten Erkenntnisse aus, und es Abb. 21: Joseph Nicolas Delisle (1688–1768). scheint, als hätten sie auch über die Frage diskutiert, von wo aus der Venustransit am besten zu beobachten sei (Woolf 1959, S. 30). Zwischen 1743 und 1747 begann Delisle in einer unveröffentlichten Studie über die Methode der Bestimmung der Sonnenparallaxe an der Nützlichkeit von Merkurtransitbeobachtungen zu zweifeln, auch wenn er es noch für möglich hielt, die Sonnenparallaxe damit zu berechnen (Woolf 1959, S. 28 f.). Je mehr Delisle sich mit Halleys Methode befasste, desto klarer sah er ihre Mängel. Da es ausschließlich darum ging, die Dauer des Transits zu messen, konnte Halleys Methode nur dort angewendet werden, wo der gesamte Transit von Anfang bis Ende zu sehen war. Falls Wolken entweder den Eintritt oder den Austritt blockierten, wäre die gesamte Beobachtung wertlos. Die Beobachter mussten zur sinnvollen Anwendung von Halleys Methode unbedingt an weitentfernt gelegene Orte reisen, wie z. B. 1761 Bencoolen auf Sumatra und Hudson Bay. Und wenn das Wetter nicht stundenlang mitspielte, konnte der ganze Aufwand leicht vergeblich gewesen sein. Hinzu kam, dass der Unterschied zwischen minimaler und maximaler Dauer des Transits von 1761 bei nur 13 Minuten lag. Dies ist der geringste Wert von 67

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Wie gross ist das Sonnensystem?

allen Venustransiten zwischen 1761 und 2012, die Schwankungsbreite reicht von 13 bis 39 Minuten. Mit dem geringen Unterschied der Transitdauer von nur 13 Minuten war der Transit von 1761 nicht besonders gut zur Anwendung von Halleys Methode geeignet (Sheehan und Westfall 2004, S. 137). Das waren in Delisles Augen erhebliche Mängel. Darum ersann er einen anderen Zugang: Beobachter sollten an zwei Stationen dieselbe Phase, d. h., entweder den Eintritt oder den Austritt der Venus, messen. Es war nicht nötig, beide Kontakte aufzunehmen, was im Gegensatz zu Halleys Methode die Chance vergrößerte, dass das Wetter mitspielte, weil man nur für einen relativ kurzen Zeitraum freien Himmel brauchte. Schaffte man es aber, von einer Station aus sowohl den Eintritt als auch den Austritt zu beobachten, so wurde der Erfolg verdoppelt. Hinzu kam als Vorteil, dass man die Zahl der Beobachtungspunkte erhöhen konnte, weil auch solche in Frage kamen, bei denen nur der Beginn oder das Ende des Transits sichtbar sein würden. Es boten sich also auch Orte an, die nach Halleys Methode ausgeschlossen waren, weil entweder der Eintritt oder der Austritt während der Dunkelheit stattfand. Allerdings benötigte man für die von Delisle vorgeschlagene Variante die exakte Längenbestimmung der jeweiligen Beobachtungsstationen. Der gesamte Erfolg von Delisles Methode hing von der absoluten Zeit des Kontakts ab. Diese musste möglichst ohne Messfehler bestimmt werden und in Greenwich- oder ParisZeit angegeben werden. Das hatte zur Voraussetzung, dass man genau gehende Uhren zur Verfügung hatte, die europäische Zeit anzeigten, während man am anderen Weltende seine Beobachtungen durchführte. Da nun die Beobachter entweder die Eintritts- oder Austrittskontakte zeitlich bestimmen mussten, gab es vier Delisle’sche Pole. Für den Transit von 1761 waren diese die Folgenden: Der früheste Eintritt wäre im Südpazifik, in der Nähe der damals noch nicht entdeckten Insel Pitcairn zu erwarten. Mit dem spätesten Einritt war im Zentrum der Arabischen Halbinsel zu rechnen. Der früheste Austritt würde im Nordpazifik, südlich der Insel Attu in der Aleutenkette, zu sehen sein und der späteste Austritt im Südatlantik, ungefähr auf halbem Weg zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und Kap Hoorn. Delisle beteiligte sich intensiv an den Vorbereitungen für den Venusdurchgang von 1761, bei ihm liefen die Fäden vieler Korrespondenznetze zusammen. Er erstellte eine Weltkarte, auf der eingezeichnet war, wann von wo aus der Transit zu sehen sein würde. Es kam bei den Vorbereitun68

Beobachtungsmethoden

Abb. 22: Delisles Weltkarte zur Sichtbarkeit des Venustransits von 1761.

gen zu einer europäischen Zusammenarbeit, wenngleich das Projekt in den jeweiligen Ländern auch national motivierten Ehrgeiz anstachelte. Aber allen war klar, dass sie auf ein Jahrhundertereignis zusteuerten, das ihnen erstmals ermöglichen sollte, die genaue Entfernung der Erde zur Sonne und damit die Astronomische Einheit als Schlüsselmaß für die Astronomie zu ermitteln. 69

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Wissenschaft im Schatten des Krieges – Der Venustransit von 1761

Mit Spannung wurden die beiden Venusdurchgänge des 18. Jahrhunderts erwartet. Den Berechnungen zufolge würde der erste am 6. Juni des Jahres 1761 stattfinden und der zweite dann acht Jahre später am 3. Juni 1769. Obwohl inzwischen die Meinung vorherrschte, dass Merkurtransite weniger gut bzw. gar nicht dazu geeignet seien, die Distanz zur Sonne herauszufinden, schenkte man dem Merkurtransit von 1753 dennoch viel Aufmerksamkeit. Seine Beobachtung wurde gewissermaßen als Generalprobe für den magischen Tag am 6. Juni 1761 angesehen. Und so verwundert es auch nicht, dass unter den Beobachtern des Merkurtransits auf der inneren Terrasse des Observatoriums von Paris – noch unter angenehmen Bedingungen – genau jene Personen zu finden waren, die später von der Französischen Akademie der Wissenschaften zur Beobachtung des Venustransits ausgewählt wurden. Unter ihnen befanden sich drei junge Männer, die 1761 zu den weitesten Reisen aufbrechen sollten, um den Transit Halleys Methode entsprechend von weit auseinanderliegenden Stellen der Erde zu beobachten: Le Gentil, Chappe d’Auteroche und Pingré (Woolf 1959, S. 49). Den Astronomen war damals durchaus bewusst, dass sie in einer ganz besonderen Zeit lebten. So äußerte César François Cassini du Thury, der dritte Direktor des 1667 gegründeten Pariser Observatoriums beispielsweise, nur der Venustransit könne alle Unsicherheiten bezüglich der Größe der Astronomischen Einheit beseitigen, und schätzte sich glücklich in dem Jahrhundert zu leben, in dem jene Ereignisse stattfanden, die für alle Zeiten in die Annalen der Astronomie eingehen würden (Sheehan und Westfall 2004, S. 141). Das Pariser Observatorium hatte entscheidenden Anteil an der Organisation der französischen Transitexpeditionen. Vier Generationen der Familie Cassini lösten dort einander im Amt des Direktors ab: Erster Direktor war von 1671 bis 1712 Giovanni Cassini, der zweite, sein Sohn Jacques Cassini, von 1712 bis 1756. Dritter Direktor 70

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Im Schatten des Krieges – Venustransit 1761

wurde dessen Sohn César François Cassini du Thury von 1756 bis 1784 und der Sohn Cassini du Thurys, Dominique Compte de Cassini, leitete die Institution als vierter Direktor von 1784 bis 1793. Von der ersten Beobachtung des Venusdurchgangs im Jahr 1639 bis zur nächsten Chance im Jahr 1761 hatten Seeleute, Nautiker, Geographen, Naturforscher und andere Gelehrte erheblich zur Vermehrung des Wissens über die Welt beigetragen. Erkundungsreisen führten in immer weiter entfernte Weltgegenden. Selbst zu abgelegenen Winkeln der Erde gab es hin und wieder Schiffsverbindungen, einige Häfen mit für Europäer exotisch klingenden Namen wurden sogar regelmäßig angelaufen, weil sie im Aktionsgebiet der holländischen, englischen, französischen oder russischen Handelskompanien lagen. Während des 18. Jahrhunderts engagierten sich insbesondere England und Frankreich in der Erkundung und Erschließung der Ressourcen der Erde. Sie lösten damit die Vorherrschaft der Portugiesen, Spanier und Holländer ab. Außerdem waren die Teleskope zwischen 1639 und 1761 erheblich weiterentwickelt worden. Ab 1670 hatten Newton und Hooke Spiegelteleskope gebaut, die bis 1761 zunehmend verbessert worden waren. Ihr Hauptvorteil gegenüber den Linsenfernrohren war, dass es nicht zu Farbabweichungen kam. Obwohl die Vorbereitungen der Expeditionen verschiedener Nationen zur Beobachtung des Venusdurchgangs während des Siebenjährigen Krieges stattfanden, kam es zu einer bis dahin beispiellosen internationalen Zusammenarbeit, aber auch zu wissenschaftlichen Kontroversen, die öffentlich ausgetragen wurden und damit zu einem Interesse seitens einer breiteren Öffentlichkeit an diesem ursprünglich rein wissenschaftlichen Ereignis führten. Insbesondere die Auswahl der einzelnen Beobachtungsstationen wurde im Vorfeld ausgiebig und teilweise kontrovers diskutiert, weil je nachdem, ob man Halleys oder Delisles Methode zugrunde legte, andere Orte in Frage kamen. Neben den rein wissenschaftlichen Erwägungen kamen selbstverständlich auch immer praktische Probleme wie das der Erreichbarkeit der Beobachtungsstationen in Zeiten des Krieges hinzu. Die Kriegsereignisse beeinflussten die Auswahl der einzelnen Beobachtungsstationen bzw. hinderten einige der Gelehrten daran, das vorgesehene Ziel zu erreichen. Genaue Angaben darüber, wie viele Beobachtungsstationen letztlich eingerichtet wurden, sucht man vergeblich, da häufig gut ausgerüstete Amateure Beobachtungen auf eigene Kosten durchführten. Woolf, der nur die erfolgreichen, d. h. die zur Ermittlung der Sonnendistanz brauch71

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Im Schatten des Krieges – Venustransit 1761

baren, Ergebnisse aufzählt, kommt auf 120 Beobachter von 62 Beobachtungsstationen. Diese reichten vom nördlichen Polarkreis bis zum Kap der Guten Hoffnung, von St. John’s in Neufundland bis Peking, von Madras und Kalkutta bis Tobolsk in Sibirien. Frankreich erwies sich als besonders aktiv und entsandte die größte Anzahl von Expeditionen, gefolgt von Schweden und England. Frankreichs Akademie der Wissenschaften organisierte vier staatlich finanzierte Expeditionen, nach Pondicherry im Golf von Bengalen (Le Gentil), Rodrigues im Indischen Ozean (Pingré), Tobolsk in Sibirien (Chappe d’Auteroche) und nach Wien in Österreich (César François Cassini du Thury). England plante für 1761 lediglich zwei Expeditionen in weit entfernt gelegene Gebiete, eine nach Bencoolen auf Sumatra und die andere nach St. Helena. Die Station auf Sumatra wurde nie erreicht, da das Schiff, das die Gelehrten an Bord hatte, nach Portsmouth zurückkehren musste, nachdem es von französischen Schiffen angegriffen worden war.

Der Erste wird der Letzte sein – Le Gentil auf dem Weg nach Pondicherry/Ostindien Da die ausgewählten Beobachtungsorte teilweise auf weit entfernten Inseln lagen, mussten entsprechend lange Reisen zurückgelegt werden, um sie zu erreichen. Der Erste, der aufbrach, um seinen Beobachtungsposten Pondicherry an der Ostküste Indiens einzunehmen, war Guillaume Joseph Hyacinthe Jean-Baptiste Le Gentil de la Galaisière. Schon am 26. März 1760, also über ein Jahr und zwei Monate vor dem bedeutenden Ereignis, verließ er Frankreich, um rechtzeitig in Pondicherry anzukommen. Der Gelehrte stammte aus Coutance in der Normandie, wo er am 12. September des Jahres 1725 geboren wurde. Eigentlich hatte Le Gentil als junger Mann vorgehabt, Mönch zu werden, ließ sich aber von Delisle, dessen Vorlesungen er mit Enthusiasmus verfolgte, von diesem Vorhaben abbringen. Kaum war Le Gentils Begabung erkannt worden, erhielt er einen Posten als Assistent von Jacques Cassini (1677–1756), der damals als der zweite Cassini das Observatorium von Paris leitete. Und schon 1753 wurde Le Gentil im Alter von nur 28 Jahren Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er war ein exzellenter Beobachter des nächtlichen Sternenhimmels und beschrieb einige Sterne erstmals oder entdeckte sie wieder. Allerdings heißt es, er habe an Tagblindheit gelitten, worunter eine 72

Der Erste wird der Letzte sein

Verminderung der Sehfähigkeit bei hellem Tageslicht zu verstehen ist. Die Ursachen für Tagblindheit sind vor allem Lichtstreuungen bei zentralen Hornhaut- oder Linsentrübungen und Netzhautschäden. Zwar war Le Gentil im Umgang mit Menschen eher schweigsam, verfügte aber über eine scharfe Feder, deren Opfer Halley im Jahr 1756 wurde, als Le Gentil ihm in spitzem Tonfall einen Fehler bei der Berechnung der Sarosperiode nachwies. Bei der Sarosperiode handelt es sich um die Zeitspanne, nach der sich Sonnen- und Mondfinsternisse wiederholen (Marlot 2004, S. 106). Le Gentil hatte sich bereit erklärt, nach Pondicherry zu reisen, noch bevor Delisle seine Weltkarte mit den günstigsten Beobachtungspunkten veröffentlicht hatte. Pondicherry war damals französisches Kolonialgebiet, etwa 150 Kilometer südlich von Madras an der Osküste Indiens im Golf von Bengalen an der sogenannten Koromandelküste gelegen. Le Gentils Anerbieten wurde schnell angenommen, und so kam es, dass er sich bereits im März 1760 im Alter von 35 Jahren auf den Weg nach Pondicherry begab. Er schiffte sich mit allen seinen Instrumenten auf der Le Berryer ein, bei der es sich um ein mit über 50 Kanonen ausgestattetes Kriegsschiff Seiner Majestät handelte. Der Kapitän nutzte gute Winde, um möglichst schnell das offene Meer zu erreichen und feindlichen Schiffen auszuweichen. Schon in der ersten Nacht beklagte sich Le Gentil bitter über seine Seekrankheit, die dazu führte, dass er dem Leben gegenüber völlig gleichgültig wurde und sich bei der Vorstellung, es würde ihm auf der gesamten Reise derart schlecht ergehen, den Tod als Erlösung von seinen unerträglichen Leiden herbeiwünschte. Um das Übel noch zu vergrößern, wurde die Le Berryer von vier englischen Schiffen blockiert, und nur dank des Sturmes und der nächtlichen Dunkelheit gelang die Flucht. Die nächsten Tage wurden für Le Gentil zum Glück ruhiger als seine erste Nacht an Bord, was ihn neue Hoffnungen schöpfen ließ. Die Reise ging nun flott voran, am 3. April passierte das Schiff Gibraltar und am 7. April näherte es sich den Kapverdischen Inseln. Am 6. Mai erreichte es die Breite von St. Helena, das damals der Britischen Krone gehörte, weshalb eine Annäherung oder gar ein Landgang vermieden werden mussten. Vom 1. bis 11. Juni waren erneut widrige Wetterbedingungen durchzustehen, während die Le Berryer das Kap der Guten Hoffnung umfuhr. Dichter Nebel half den Franzosen, aufs Neue englischen Kriegsschiffen zu entkommen. Am 14. Juni erreichten sie die Straße von Mosambik, umschifften anschließend Madagaskar und landeten Mitte Juli auf der Île de France (heute Mauritius; die Insel Mauritius stand von 1715 bis 1810 unter französischer 73

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Im Schatten des Krieges – Venustransit 1761

Herrschaft). Dreieinhalb Monate fuhr Le Gentil nun schon übers Meer und hatte noch die Überquerung des Indischen Ozeans vor sich, bis er endlich an der Koromandelküste ankommen würde. In dieser Situation erreichten ihn auf der Île de France schlechte Nachrichten: Pondicherry war von den Engländern besetzt worden und es würde in absehbarer Zeit kein Schiff mit Ziel Pondicherry die Île de France verlassen. Noch trug Le Gentil die schlechten Neuigkeiten mit Fassung, schließlich blieb ihm noch ein knappes Jahr bis zum eigentlichen Venustransit. Bis dahin würde sich das Kriegsblatt im Indischen Ozean bestimmt wenden und eine neue Möglichkeit ergeben, nach Pondicherry zu gelangen. So richtete sich Le Gentil auf der Île de France notdürftig ein, hoffte darauf, dass sich die Engländer aus Pondicherry zurückzogen oder die Franzosen es zurückeroberten und befasste sich mit der Natur der Insel. Er unternahm Ausflüge ins Landesinnere und beschrieb ausgiebig unbekannte Pflanzen und Tiere. Die Zeit verging ihm dennoch langsam, er wurde zunehmend nervös. Im Februar 1761 war er schließlich am Ende seiner Geduld. Seine Gesundheit war ruiniert, denn er litt unter entsetzlichen und höchst schmerzhaften Durchfällen – in seiner Angelegenheit bewegte sich rein gar nichts. Jetzt drängte die Zeit, wollte er noch rechtzeitig vor dem Venustransit sein Observatorium in Pondicherry errichten. Schließlich überlegte er, ob es sinnvoll wäre, statt nach Pondicherry zu reisen, den Venustransit von der Insel Rodrigues aus zu beobachten. Diese Insel liegt ca. 560 Kilometer östlich von Mauritius und gehört ebenfalls zu den sogenannten Maskarenen. Was Le Gentil allerdings nicht wusste, war, dass bereits einer seiner Kollegen auf dem Weg zu eben jener Insel war. Er selbst befürchtete, das Wetter könne ihm in Rodrigues einen Strich durch die Beobachtungen machen, weil von Juni bis August die Saison der Südostwinde war, die üblicherweise viele Wolken brachten (Marlot 2004, S. 110). Wie es das Schicksal wollte, kam am 19. Februar ein Schiff an, das die gute Nachricht mitbrachte, es werde demnächst eine Überfahrt mit mehreren Schiffen zur Verstärkung nach Pondicherry geben. Noch zog sich die Abreise allerdings hin, und erst am 11. März stach Le Gentil erneut in See, dieses Mal auf der Fregatte Sylphide. Zu Le Gentils großem Schrecken richtete die Sylphide ihren Kurs aber nicht direkt nach Osten, sondern zunächst nach Westen Richtung Île Bourbon (heute La Réunion) und dann weiter nach Madagaskar, also genau entgegengesetzt der Richtung, in der sein Ziel lag. Hinzu kam, dass diese Reise just in die Monsunsaison fiel, was häufige und heftige Gewitter mit Starkregen zur Folge hatte. Am 74

Der Erste wird der Letzte sein

Abb. 23: Le Gentil versucht, den Venusdurchgang vom Schiff aus zu beobachten.

3. Mai verfolgte die Sylphide zu allem Überfluss noch ein fremdes Schiff, die Faymakay. Es dauerte bis zum nächsten Tag, bis die Faymakay endlich zum Anhalten gezwungen werden konnte, um sie zu überprüfen. Es handelte sich um ein maurisches Schiff, das mit Handelswaren beladen war und einige Personen der französischen Ostindienhandelskompanie an Bord hatte, die über gültige Passierscheine verfügten. Endlich, am 22. Mai – man hatte Lotsen des maurischen Schiffs konfisziert – wurde das Steuerrad in Richtung des indischen Mahé gerichtet. Mahé war ein französisches Handelskontor und befand sich immerhin auf dem indischen Subkontinent, allerdings auf der falschen, nämlich der westlichen Seite, der Malabarenküste, noch immer weit von Le Gentils eigentlichem Ziel auf der Ostseite des Kontinents entfernt. Am 29. Mai, nur noch eine Woche vor dem großen Datum, dessentwegen Le Gentil nun schon ein Jahr und zwei Monate unterwegs war, um es unter keinen Umständen zu verpassen, befand sich die Sylphide in der Nähe von Galle, einer holländischen Kolonie an der Südspitze Ceylons (heute Sri Lanka). Hoffnung keimte in Le Gentil auf, er könne rechtzeitig Land erreichen und den Transit von Galle aus beobachten, aber diese letzte Hoffnung wurde bald zerstört, weil die Holländer dem französischen Schiff keine Landung gestatteten. 75

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Im Schatten des Krieges – Venustransit 1761

Damit waren die Würfel für Le Gentil gefallen – es würde keine Beobachtung des Venusdurchgangs von Guillaume Joseph Hyacinthe Jean-Baptiste Le Gentil de la Galaisière, Mitglied der Französischen Akademie der Wissenschaften, in den Annalen der Akademie dokumentiert werden. Aufgrund der Ereignisse des Siebenjährigen Krieges war Le Gentil gezwungen, den fraglichen Tag auf dem Meer zu verbringen, irgendwo zwischen Ceylon und der Malabarenküste. Und obwohl auf den schwankenden Schiffsplanken natürlich keine brauchbaren Messungen durchgeführt werden konnten, baute le Gentil sein 4,60 Meter langes Teleskop auf und versuchte es mit einem Holzkasten zu schützen, den er mit Seilen an einem eigens errichteten Mast befestigte. Aufgrund des Schwankens hatte er Mühe, die Sonne zu fixieren, aber schließlich gelang es ihm, und er wollte wenigstens den Moment des völligen Eintritts der Venus erfassen. Er kam zu dem Ergebnis, dass der Eintritt um 8h 27’ 56’’ ½ begann und der Austritt um 2h 22’ 53’’, die Vollendung des Austritts datierte er auf 2h 38’ 52’’ ¼. Er kam somit auf eine Dauer von 6h 10’ 55’’ für den Gesamttransit. Allerdings war es ihm nicht gelungen, die absoluten Messungen des genauen Eintritts und Austritts durchzuführen, wie es Delisles Methode vorschrieb. Hinzu kam, dass auch seine Längenbestimmungen zur Berechnung der AE nicht genau genug waren. Aber er hatte immerhin das Beste aus seiner Situation gemacht, das Wetter war klar und er konnte den schwarzen Punkt beobachten, wie er seine Bahn über die Sonnenscheibe zog. Da er aber wusste, dass er in wissenschaftlicher Hinsicht gescheitert war, mochte er nicht nach Frankreich zurückkehren und sich seinem Misserfolg stellen – er entschied, im Indischen Ozean zu bleiben, um auf jeden Fall rechtzeitig zum nächsten Transit in acht Jahren in Pondicherry zu sein (Marlot 2004, S. 104 ff.).

Ein Augustiner-Chorherr im Indischen Ozean – Alexandre-Gui Pingré auf Rodrigues Alexandre-Gui Pingré (1711–1796) gehörte zu den interessantesten Männern innerhalb der Französischen Akademie der Wissenschaften. 1711 in Paris geboren, begann seine Ausbildung mit theologischen Studien, und als 16-Jähriger trat er in den Orden der Augustiner-Chorherren von SainteGeneviève ein. Im Alter von 24 Jahren wurde er bereits Professor der Theologie. Sein schnell aufgegangener Stern innerhalb der Theologie begann ab 76

Ein Augustiner-Chorherr im Indischen Ozean

1745 zu sinken: Da er dem Jansenismus zuneigte, wurde er von seinem Lehrstuhl entfernt und musste in einer kleinen Grundschule gleichgültigen Kindern die Anfänge der lateinischen Grammatik beibringen. Dort wiederum wurde er der Freimaurerei verdächtigt und man unterstellte ihm, einen schlechten Einfluss auf die Kinder auszuüben, weswegen er innerhalb der vier Jahre, die er dort tätig war, fünf offizielle Ermahnungen erhielt (Woolf 1959, S. 98; Simaan 2008, S. 105; Sheenan und Westfall 2004, S. 145). Als der damals berühmte französische Arzt Le Cat 1749 in Rouen eine Akademie begründen wollte, wandte er sich auf der Suche nach einem Astronomen an Pingré, der kurz zuvor nach Rouen gezogen war. Inzwischen 38 Jahre alt, nahm Pingré das Angebot an und kam nun erstmals mit Astronomie in Berührung. Im Gründungsjahr der Akademie Abb. 24: Alexandre-Gui Pingré (1711–1796). gehörte die Berechnung einer Mondfinsternis zu seinen Aufgaben. Er löste sie gut genug, um ihn in Kontakt mit der Akademie in Paris zu bringen, die ihn daraufhin zum Korrespondenten wählte. Diese wachsende wissenschaftliche Berühmtheit machte Pingré wieder für die Kirche interessant. Er wurde zurück nach Paris geholt, wo ihm in der Abtei von Sainte-Geneviève ein kleines Observatorium eingerichtet wurde und man ihn als Bibliothekar einstellte. Kurz darauf erhielt er den höchsten Rang (associé libre), der einem Kirchenmann innerhalb der Akademie zugebilligt wurde (Woolf 1959, S. 99). Pingré war ein unermüdlicher Schreiber, der Woolf zufolge den Leser rasch zur Erschöpfung treibe. In der Bibliothek von Sainte-Geneviève in Paris werden seine Manuskripte aufbewahrt – ein breit gefächertes Œuvre, das Übersetzungen früher spanischer Reiseberichte, Geschichte und historische Kritik, Diskurse über chinesische Astronomie und Chronologie, musikalische Satiren, liturgische Hymnen, eine Abhandlung über Lotte77

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Im Schatten des Krieges – Venustransit 1761

rien, literarische Sketche sowie Porträts von Ovid und seinen Zeitgenossen, unzählige Gedichte in Französisch und Latein, Epigramme, Sonette, Rondeaus, Elegien und Lieder umfasst und noch immer der Auswertung harrt (Woolf 1959, S. 100). In den Jahren vor dem Venustransit arbeitete Pingré an einem nautischen Almanach mit dem Titel „L’Etat du Ciel“ (1754–1757). Im November 1760 – Le Gentil war zu diesem Zeitpunkt bereits sieben Monate unterwegs und wartete auf der Île de France (Mauritius) auf seine Weiterreise – wurde schließlich die Entscheidung gefällt, Pingré zur Beobachtung des Venusdurchgangs nach Rodrigues zu schicken. Rodrigues (auch Rodriguez) ist Bestandteil der Inselkette der Maskarenen (Rodrigues, Mauritius, La Réunion) und gehört heute zum Staat Mauritius. Die Maskarenen liegen östlich von Madagaskar, und Rodrigues befindet sich ca. 570 Kilometer östlich von Mauritius, also auch nach heutigen Maßstäben durchaus abgelegen. 1735 wurde Port Louis als Gouverneurssitz gegründet. Bis zu ihrem Bankrott 1767 war die Französische Ostindienkompanie Eigentümerin der Insel, auf der sie Profit mit Zuckerrohrplantagen machte, die von Sklaven aus Ostafrika und Madagaskar bewirtschaftet wurden. Die Akademie erbat von der Britischen Admiralität für Pingré eine Art Passierschein. Dieser Schriftverkehr war ein ungewöhnliches Unterfangen zwischen zwei Kriegsgegnern, aber verblüffenderweise erhielt die Akademie eine positive Antwort, und am 25. November 1760 erging eine Instruktion an alle britischen Kapitäne, die zum Inhalt hatte, dass man Pingré und seine Habe unbehelligt passieren lassen solle, ohne ihn aufzuhalten (Woolf 1959, S. 100 f.). Am 17. November des Jahres 1760 wurde Pingré mit einem großen Abschiedsdinner geehrt. Da Pingré fürchtete, seine Freunde an diesem Abend zum letzten Mal zu sehen, aß er ohne Appetit. Schweren Herzens trat er die Reise an und legte den Weg zur Küste in einer Kutsche zurück, was er schon als sehr ermüdend empfand. Aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Rennes schrieb er einen ersten Brief zurück nach Paris an De Fouchy, den Sekretär der Akademie. Eine Woche war er inzwischen unterwegs und teilte mit, er sei wohlauf und die Reise lasse sich einigermaßen bewerkstelligen, aber wie solle er bloß das Barometer transportieren, ohne dass es Beschädigungen erleide? Der Transport der empfindlichen Messinstrumente entwickelte sich in der Folge zu seinem Hauptproblem. Sein Ziel war zunächst in der südlichen Bretagne Port Louis bei Lorient, der 78

Ein Augustiner-Chorherr im Indischen Ozean

Einschiffungshafen für die Französische Indienkompanie. Am 30. November traf er in der kleinen Stadt Hennebont, ganz in der Nähe von Port Louis, mit Denis Thuillier zusammen, der als Assistent für ihn ausgewählt worden war. Insgesamt war Pingré 13 Tage lang unterwegs, um von Paris aus an die Küste zu gelangen, und beschrieb jedes Detail in seinem Tagebuch, angefangen vom trockenen Brot in einem Ort über die Qualität der Waldschnepfen und des Weines an einem anderen bis zu den plötzlichen Zutraulichkeiten von Reisegefährten (Woolf 1959, S. 101). Den Dezember verbrachten Pingré und Thuillier in Lorient, während die Compte d’Argenson, das Schiff, auf dem sie nach Rodrigues reisen sollten, beladen wurde. Zu ihrem Leidwesen zeigte sich bald, dass das Platzangebot auf dem ehemaligen Kriegsschiff sehr eingeschränkt war und die riesigen Gepäckmengen der beiden Astronomen nicht unterzubringen waren. Pingré begann, sich mit dem Agenten der Kompanie über die Menge ihres Gepäcks zu streiten, und argumentierte, 700 bis 800 Pfund Gepäck sei durchaus nicht zuviel für einen Astronomen. Ein Briefwechsel mit George-Louis Leclerc de Buffon, Naturforscher in der Akademie der Wissenschaften, half das Problem zu lösen. Zusätzlich verärgert war Pingré, weil sein Assistent Thuillier direkt von Buffon Geld erhalten hatte, um eine naturkundliche Sammlung anzulegen, er selbst war in dieser Hinsicht aber nicht bedacht worden, obwohl er eine höhere Position innehatte als Thuillier. Dieses Ereignis zeigt aber auch, dass stets versucht wurde, die Venusexpeditionen über den rein astronomischen Zweck hinaus zur Erweiterung der Naturkenntnis zu nutzen. Heute hat man in vielen Fällen den eigentlichen Anlass vergessen, die Expeditionen werden aber als Meilensteine der Naturgeschichte gesehen. So sollte Thuillier Flora und Fauna einerseits für Buffons Studien, andererseits aber auch für den Jardin du Roi sammeln (Woolf 1959, S. 103). Am 9. Januar war endlich alles fertig beladen und die Compte d’Argenson konnte in See stechen. Zusätzlich zur Mannschaft waren 16 Passagiere an Bord, von denen es sich bei zwölfen um neue Angestellte der Kompanie handelte, die im Osten ihr Glück suchten. Weiterhin befand sich Monsieur de Saint-Jean Estoupeau unter den Reisegästen, der Vizekommandeur in Pondicherry werden sollte, seinen Posten aber nie erreichen würde. Außerdem gehörte der Bischof und Apostolische Vikar von Indochina zu den Mitreisenden. Kaum hatte sich das Schiff von der Küste entfernt, stieß es auf eine britische Flotte. Um Raum für die Kanonen zu haben, wurden die Zwi79

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Im Schatten des Krieges – Venustransit 1761

schenwände der Passagierkabinen entfernt und alles Gepäck in die Kabinen von Pingré und seinem Begleiter gebracht, was Pingré natürlich wenig gefiel. Günstiger Wind und ein geschicktes Manöver des Kapitäns MarieJoseph Marion Dufresne (1727–1772) während der langen Winternacht ermöglichte der Comte d’Argenson die Flucht. So blieb es Pingré erspart, kurz nach Reiseantritt wieder umkehren zu müssen. Ab dem 12. Januar 1761, knappe fünf Monate vor dem wichtigen Ereignis, der Venuspassage, war Pingré nun tatsächlich auf dem Weg nach Rodrigues. Gutes Wetter führte dazu, dass sie flott vorankamen und die Passagiere bester Stimmung waren. Die Zeit vertrieben sie sich mit Musik und Kartenspiel sowie mit philosophischen Diskussionen über Wind und Wetter. Pingré versuchte unter anderem das Meeresleuchten unter einem Vergrößerungsglas einzufangen, um es untersuchen zu können. Das Meeresleuchten wird durch größere Ansammlungen von Mikroorganismen erzeugt und gehört damit zum Phänomen der Bioluminiszenz. Die im Seewasser befindlichen Kleinstlebewesen senden nach Berührungsreiz mehr oder weniger lang andauernde Lichtsignale aus, was den Eindruck vermittelt, als würde das Meerwasser leuchten. So wussten Pingré und Thuillier sich sinnvoll zu beschäftigen, während die Seeleute diverse Rangeleien ausfochten. Der Kapitän musste noch immer einen Zickzackkurs fahren, um einem möglichen Zusammentreffen mit feindlichen Flotten auszuweichen (Woolf 1959, S. 104). Pingré nutzte die Reise auch dazu, um die von Lacaille während seiner Reise zum Kap der Guten Hoffnung neu entwickelte Methode zur Messung der Länge auf See auszuprobieren. Die korrekte Bestimmung der Länge gehörte zu den wichtigsten nautischen Fragen des Jahrhunderts, zu deren Klärung hohe Preise ausgelobt wurden (s. Kap. 6). Pingré, sein Assistent Thuillier und die Offiziere führten regelmäßig Messungen der Winkeldistanz vom Mond zur Sonne und einigen Fixsternen durch, um unter Verwendung von Mondtabellen die geographische Länge zu ermitteln. Diese Methode war bis zur Entwicklung von Uhren, die auch auf See die genaue Zeit anzeigten, die präziseste Methode, aber kompliziert in der Anwendung, weil umfangreiche Berechnungen angestellt werden mussten. Pingré stellte außerdem astronomische Beobachtungen an, schrieb die Anekdoten des Schiffslebens auf und notierte alle Merkwürdigkeiten der Natur, die neu für ihn waren. Wenn nach all diesen ernsthaften Verrichtungen noch Energie übrig blieb, wurde Schabernack der übelsten Sorte getrieben oder viel Zeit für die Organisation einer Äquatortaufe auf80

Ein Augustiner-Chorherr im Indischen Ozean

gewendet. Bei rauer See wurde der Alkohol zum besten Freund und sogar zum Assistenten für die astronomischen Beobachtungen. So schreibt Pingré in seinem Tagebuch, der Likör gebe ihnen die nötige Kraft, um die Distanz vom Mond zur Sonne zu messen. Die Herren gönnten sich hin und wieder, was Pingré eine „astronomisch-bacchantische Prise von einiger Höhe“ nennt. An anderer Stelle vermerkt er stolz, dass er die Höhe nicht mit der Flasche, sondern mit dem Oktanten gemessen habe. Offenbar fiel Pingré seinen Mitpassagieren mit seinen Erzählungen vom bevorstehenden Venusdurchgang ziemlich auf die Nerven. Einer ging sogar soweit, eine Grabinschrift für Pingré zu verfassen, weil er vermutete, Pingré werde sein Leben auf Rodrigues aushauchen, vorausgesetzt er erreiche die Insel überhaupt lebendig. Sie lautete: „Hier ruht ein Liebhaber der Venus, die auf Rodriguez er wollt’ überraschen. Vom Astrologen in partibus Respektiere, Passant, die Asche.“ (übersetzt von Annette Lallemand in: Jean-Pierre Luminet, Rendezvous mit Venus, 2005, S. 191). Zum Glück erwies sich die Vorhersage als falsch, die der „Unglücksprophet“ wie Pingré den ihm wenig gewogenen Mitreisenden in seinem Tagebuch titulierte, zum Besten gegeben hatte. Pingré überlebte nicht nur die Reise nach Rodrigues, sondern auch noch drei weitere Reisen und die Französische Revolution, um dann im Alter von 85 Jahren ruhig zu entschlafen (Woolf 1959, S. 106). Im April umrundete die Compte d’Argenson das Kap der Guten Hoffnung. Pingré glaubte, den schlimmsten Teil der Reise überstanden zu haben. Es wurde ein Te Deum gesungen. Einige Tage später trafen sie auf feindliche Schiffe, denen sie glücklicherweise entkamen. Aber mit dem Gefühl der Sicherheit war es nun vorbei, denn der Indische Ozean gehörte zu den wichtigen Kriegsschauplätzen des Siebenjährigen Krieges. Bald trafen sie auf die Lys. Das war der klägliche Rest einer Gruppe von sechs Schiffen, die von den Maskarenen zum Kap der Guten Hoffnung unterwegs gewesen war, um Vorräte aufzunehmen. Die Lys war von britischen Schiffen verfolgt worden und leckte nun schrecklich. Aufgrund eines Hilferufs von der Lys musste die Compte d’Argenson beidrehen (Woolf 1959, S. 107). Pingré erfuhr so, dass Bencoolen auf Sumatra von den Franzosen 81

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Im Schatten des Krieges – Venustransit 1761

eingenommen worden war. Dies war aus nationalistischer Perspektive eine gute Nachricht, aber vom wissenschaftlichen Standpunkt her war es ein herber Schlag, denn es bedeutete, dass die Briten Mason und Dixon ihre Beobachtungsstation Bencoolen nicht würden erreichen können und damit dem internationalen Unternehmen „Beobachtung Venusdurchgang“ erheblicher Schaden zugefügt wurde, weil einer der abgelegenen Beobachtungsorte wegfiel. Der Kapitän der Lys, Blain des Cormiers, besaß Seniorität gegenüber Marie-Joseph Marion Dufresne und hatte deshalb Befehlsgewalt. Er forderte, die Comte d’Argenson solle die Lys weiterhin begleiten, was hieß, dass es keine Landung auf der Insel Rodrigues geben würde: „Grande catastrophe“ für Pingré, der vor Wut schäumte. Einer der Offiziere schlug im Streit vor, die beiden Astronomen über Bord zu werfen, um das Problem zu lösen. Diese Enttäuschung so kurz vor seinem Ziel war mehr, als Pingré ertragen konnte. Darum verfasste er eine offizielle Protestnote an Kapitän Dufresne, die auch von Thuillier unterschrieben wurde. In der für das 18. Jahrhundert üblichen Weitschweifigkeit wies er auf die königliche Order ebenso hin, wie auf die Wünsche der Akademie der Wissenschaften und die Hoffnungen ganz Europas, das die Augen auf die Ereignisse im Indischen Ozean richte (Woolf 1959, S. 108). Nachdem der Streit in dieser Form eskaliert war, setzten sich Pingré und Dufresne zu einem Dinner zusammen, tranken große Mengen Weißwein vom Kap und vertrugen sich wieder. Es wurde eine einvernehmliche Lösung gefunden: Am 6. Mai 1761 gingen die Astronomen auf der Île de France an Land und begaben sich drei Tage später an Bord der Korvette La Mignonne, die sich auf dem Weg nach Rodrigues befand. Während seines kurzen Aufenthaltes auf der Île de France sammelte Pingré Proben der Fauna und Flora der Insel und sandte diese an Buffon. Obwohl die Distanz zwischen der Île de France und Rodrigues nur ca. 570 Kilometer beträgt, benötigten sie wegen der hohen See 19 Tage für die Überfahrt, sodass sie erst am 28. Mai 1761 in Rodrigues ankamen und nur noch wenig Zeit blieb, die Vorbereitungen für die Beobachtung des Venustransits ordnungsgemäß durchzuführen. Aber immerhin – sie waren, im Gegensatz zu Le Gentil, rechtzeitig angekommen! Für Pingré und Thuillier war ihre Ankunft in letzter Sekunde noch mit Aufregungen verknüpft gewesen. Am 26. Mai war die Insel zur Freude der Astronomen bereits in Sicht gekommen, allerdings hingen sie aufgrund einer völligen Windstille fest. Nichts, aber auch gar nichts bewegte sich. Die Ruhe legte sich über alles, auch über den Geist von Monsieur Thuillier, 82

Ein Augustiner-Chorherr im Indischen Ozean

schrieb Pingré, nur er selbst war über die Maßen aufgeregt und unendlich erleichtert, als sie dann endlich zwei Tage später an Land gehen konnten (Woolf 1959, S. 109 f.). Nun waren sie fieberhaft damit beschäftigt, die Instrumente auszuladen und die Insel nach einem geeigneten Platz für ihr Observatorium abzusuchen, was gar nicht so einfach war, denn die Insel besteht aus Basalten, die senkrecht aus dem Meer emporragen. Selbst im Jahr 1874 hatte eine britische Expedition mit erheblich moderneren Mitteln noch enorme Schwierigkeiten, ihr Material auf die Insel zu schaffen. Dies lässt ermessen, welche Probleme Pingré und Thuillier zu meistern hatten (Woolf 1959, S. 110). In der ihnen verbliebenen Zeit schafften sie es lediglich, einen notdürftigen Schutz für die Instrumente zu errichten, die noch dazu auf der Überfahrt erheblich gelitten und Rost angesetzt hatten. Glücklicherweise waren sie aber nicht zerbrochen, und Pingré und Thuillier entfernten den Rost mittels eines aus Schildkröten extrahierten Öls. Am 3. Juni 1761 – drei Tage vor dem großen Ereignis – waren sie fertig. In den verbliebenen Nächten testeten sie ihre Instrumente, indem sie den Jupiter beobachteten. Am Morgen des 6. Juni 1761 regnete es auf Rodrigues. Als der Regen aufhörte, war die Sonne von dicken Wolken verdeckt. Die Enttäuschung legte sich bleischwer auf Pingré und Thuillier, bis plötzlich der Himmel aufklarte. Trotz allem verpassten sie den ersten und zweiten Kontakt der Venus mit der Sonnenscheibe, weil sich die Wolken wieder vor die Sonne schoben. Aber immerhin waren zwischenzeitlich einige nützliche Beobachtungen möglich. Pingré führte aufeinanderfolgende Messungen der Distanzen zwischen Venus und dem nächstgelegenen Rand der Sonne mit einem 5,50 Meter langen Teleskop durch, an dem ein Mikrometer befestigt war. Die Zeiten, zu denen er die Messungen durchführte, notierte er minutiös. Zwar glückten ihm nicht die bestmöglichen Messungen, sie konnten aber mittels Trigonometrie dazu verwendet werden, die Sonnenparallaxe zu ermitteln. Thuillier beobachtete in der Zwischenzeit sowohl das Vorbeiziehen der Venus als auch das der Sonne am Fadenkreuz seines Quadranten. Trotz aller Einschränkungen war Pingré mit den Beobachtungen zufrieden und am Abend feierten sie das ganze Ereignis mit Trinksprüchen auf den König, seine Minister und auf alle Astronomen der Welt, die mit ihnen die Venus vor der Sonnenscheibe beobachtet hatten (Woolf 1959, S. 111). In den folgenden Tagen bestimmten Pingré und Thuillier die Länge und Breite ihres Aufenthaltsortes und schlossen sich dann mit den Offizieren der La Mignonne zusammen, um mit ihnen Rodrigues und 83

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Im Schatten des Krieges – Venustransit 1761

die umliegenden Inseln zu erkunden. Sie sammelten Proben, deren Wert heute darin besteht, dass sie eine Natur dokumentieren, die in dieser Form nicht mehr existiert. Das Gleiche gilt für die von ihnen angefertigten Beschreibungen des Pflanzen- und Tierlebens, die eine Ökologie darstellten, die sich seither dramatisch verändert hat. Ende Juni wurden sie von Engländern unter Kapitän Robert Fletcher überfallen, die La Mignonne wurde gekapert und die Oiseau niedergebrannt. Die Mannschaften der beiden französischen Schiffe wurden von den Engländern an Land zurückgelassen, wo sie 100 Tage lang festsaßen, bis am 6. September 1761 die Volant auf einer ihrer Routinefahrten von der Île de France aus kommend die „Gestrandeten“ mitnehmen konnte. Während eines Halts auf der Île de France schrieb Pingré eine lange Beschwerde an die britische Admiralität darüber, dass Robert Fletcher ihn so grausam behandelt und seinen Passierschein völlig ignoriert hatte (Woolf 1959, S. 113). Am gleichen Tag schickte Pingré auch die Resultate seiner Beobachtungen an die Akademie, obwohl er sich bewusst war, dass sie nur bedingt zu gebrauchen waren, weil die entscheidenden Momente der Kontakte von Wolken verdeckt gewesen waren (Woolf 1959, S. 113). Die beiden leidgeprüften Astronomen benötigten ungefähr einen Monat auf der Île de France, um sich von den Strapazen auf Rodrigues zu erholen und sich auf die lange Heimreise vorzubereiten. Schließlich reisten sie am 17. Oktober 1761 auf der 500-Tonnen-Fregatte Le Boutin ab. Bald erreichten sie die Insel Bourbon (La Réunion), auf der sie noch einen Monat blieben, um Erkundungen durchzuführen und Flora und Fauna zu beschreiben. Am 20. November schifften sie sich erneut auf der Le Boutin ein und reisten nun endlich Richtung Heimat. Obwohl Pingré die Engländer in seinem Tagebuch beschwor, sie in Ruhe zu lassen, folgten diese seinem Wunsch nicht. Am 11. Februar 1762 wurden sie erneut von einem englischen Schiff angegriffen. Im Gegensatz zu einigen anderen Mitreisenden wurde Pingré und Thuillier gestattet, nach der Schlacht auf der Le Boutin zu bleiben. Am 23. Februar erreichten sie schließlich Lissabon, wo für die Astronomen die Seereise zu Ende war. Die Sammlungen und Instrumente hatten unterwegs aufgrund diverser Durchsuchungen durch Engländer oder Zöllner erheblich gelitten. Es glückte Pingré aber, sie per Schiff nach Le Havre zu schicken. Die beiden Astronomen hatten genug von der Seefahrt und zogen es vor, auf dem Landweg von Lissabon nach Paris zu reisen. Ende Mai erreichten sie schließlich ihre Heimatstadt. Als sie auf der französischen Seite der Pyrenäen angekommen waren, schrieb 84

Der Teufel sitzt im Fernrohr

Pingré in sein Tagebuch: „So kehrten wir also zurück nach einem Jahr, drei Monaten, 18 Tagen, 19 Stunden, 53einhalb Minuten, nachdem wir Frankreich verlassen hatten“ (Woolf 1959, S. 115).

Der Teufel sitzt im Fernrohr – Abbé Chappe d’Auteroche in Sibirien Jean-Baptiste Chappe d’Auteroche wurde am 2. März 1728 in Mauriac, Auvergne (Cantal), Frankreich, geboren. Seine erste Bildung erhielt er im Jesuitenkolleg in Mauriac, wo man bald seine eindeutige mathematische Begabung und sein Talent für technisches Zeichnen erkannte. Abb. 25: Jean-Baptiste Chappe d’Auteroche Nach dem Wechsel in das Collège Louis(1728–1769). le-Grand in Paris genoss er die Protektion des brillanten Kartäusers Dom Germain, der in ihm auch die Leidenschaft für die Astronomie entfachte. Der Prinzipal des Collège, Père de la Tour, förderte das Talent von Chappe und machte Jacques Cassini auf ihn aufmerksam. Cassini zeigte sich von Chappes Fähigkeiten beeindruckt und ließ ihn als Zeichner bei der Erstellung der „Carte de France“ assistieren. Außerdem schlug er vor, dass Chappe die astronomischen Tabellen von Halley aus dem Jahr 1752 ins Französische übersetzen sollte. Diese Übersetzung erschien mit eigenen Erläuterungen und Kommentaren versehen im Jahr 1754 in Paris und wurde zu Chappes Eintrittskarte in die wissenschaftliche Welt. Denn Chappe zeigte damit, dass er nicht nur in der Lage war, die Werke des berühmten britischen Astronomen zu verstehen, sondern sie auch zu kommentieren und zu erweitern. Seine Anwesenheit im Pariser Observatorium ist erstmals am 6. Mai 1753 dokumentiert. Sein Name erscheint auf einer Liste von Beobachtern des Merkurtransits, zu denen auch die Astronomen des Observatoriums César François Cassini du Thury, Jacques-Phillipe Maraldi und Le Gentil gehörten. Chappe führte seine Beobachtung mit einem 1,80 Meter Quadranten durch. Mit königlichem Auftrag wurde Chappe ausgewählt, eine Aufnahme der Region Bitche in 85

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Im Schatten des Krieges – Venustransit 1761

Lothringen im Jahr 1753 durchzuführen. Ein dort ansässiger Adeliger stellte ihm sein Kabinett mit einem teleskopischen Quadranten mit 90 Zentimeter Radius, ein Teleskop mit 2,40 Meter Brennweite sowie eine Pendeluhr zur Verfügung. Damit konnte er zwischen 1756 und 1758 eigene Beobachtungen durchführen. Diese Arbeit bildete die Grundlage für seine erste wissenschaftliche Publikation. Während seiner Zeit in Bitche begann er auch die atmosphärische Elektrizität zu untersuchen, allerdings ohne größere Erfolge dabei zu verzeichnen. Da er aber dennoch als vielversprechender junger Mann galt, wurde er aufgrund seiner sonstigen Tätigkeiten am 14. Januar 1759 zum „adjoint astronome“ der Akademie der Wissenschaften ernannt. Er ersetzte damit Lefrançois de Lalande, der befördert worden war. Binnen Jahresfrist wurde Chappe in die Gruppe der Astronomen aufgenommen, die mit dem Observatorium zu tun hatten, und seine offizielle Karriere als Astronom begann. Chappe d’Auteroche wurde als mittelgroß, ziemlich beleibt, von robustem und sehr lebhaftem Temperament beschrieben. Er habe eine einfache, freie und offene Seele sowie ein nobles Herz gehabt und sei geradeheraus und voller Offenherzigkeit gewesen. Eine natürliche Fröhlichkeit habe ihn ausgezeichnet, er sei sozial eingestellt gewesen und habe schnell Freundschaften geschlossen. Auch sei er mit den Großen der Gesellschaft verbunden gewesen, und selbst der König habe sich häufiger dazu herabgelassen, sich mit Chappe zu unterhalten (Marlot 2004, S. 125, aus der Éloge de M. l’Abbé Chappe, MARS, année 1769; Nunis 1982, S. 87). Durch seine Teilnahme an der Beobachtung des Merkurtransits im Jahr 1753 erwies Chappe d’Auteroche sich als ausreichend qualifiziert, um die nördlichste der geplanten Venusexpeditionen zu übernehmen. Seine Reise führte ihn nicht ganz so weit in die Ferne wie seine Kollegen, die nach Übersee unterwegs waren, auch waren seine Instrumente nicht durch den Beschuss von Kanonenkugeln bedroht, und die Gefahr, dass der Skorbut seinen Enthusiasmus unterwandern würde, war gering – doch trotz alledem hielt das damals in Frankreich weitgehend unbekannte Sibirien so manche Abenteurer und Unwägbarkeiten bereit. Tobolsk, Chappes Zielort und die damalige Hauptstadt von Westsibirien, lag im kältesten seinerzeit bekannten Gebiet, ca. 500 Kilometer östlich des Ural zwischen Jekaterinburg und Omsk und etwas über 4 500 Kilometer östlich von Paris. Chappe d’Auteroche verließ Paris Ende November des Jahres 1760, kurz nach Pingré und acht Monate später als Le Gentil. Gleich zu Beginn der Reise entging der Abbé einer Katastrophe. Eigentlich hatte er geplant, den 86

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Seeweg nach St. Petersburg zu nehmen, da er aber mit seinen Vorbereitungen zu spät fertig wurde, verpasste er das letzte Schiff des Jahres. Sein Ärger darüber verflog schnell, als er nach einigen Tagen erfuhr, dass es vor der schwedischen Küste untergegangen war. Der Abbé fügte sich in sein Schicksal, mietete einen Vierspänner und begab sich im kalten Winter auf den Landweg über Straßburg, Wien, Warschau und Riga nach St. Petersburg. Die Landreise erwies sich als ausgesprochen beschwerlich. Starker Regen und mehrere Unfälle mit der Kutsche führten dazu, dass er allein acht Tage von Paris bis nach Straßburg benötigte. Als er dort ankam, musste er feststellen, dass alle seine Thermometer und Barometer auf der Fahrt zerbrochen waren. Die Beschaffung von Ersatz war ein schwieriges Unterfangen und hielt ihn zusätzlich auf. Aus Angst, dass die wertvollen Instrumente erneut zu Bruch gehen könnten, reiste er nach Ulm, um auf einem Donauschiff die Reise fortzusetzen, obwohl er gewarnt worden war, dass die Jahreszeit wegen häufigen Nebels ungeeignet sei. Folglich ging es nur sehr langsam voran. Auf das spärliche Tageslicht angewiesen, waren sie oft nur wenige Stunden am Tag unterwegs. Chappe nutzte seine freie Zeit, um eine Karte der Donau ab Ulm zu erstellen, da er wusste, dass noch keine gute Karte existierte. Wenn das Schiff gar nicht weiterfahren konnte, stieg er aus und erklomm die Berge, um ihre Höhe mit seinem Barometer zu ermitteln (Woolf 1959, S. 117). Am 31. Dezember erreichte er schließlich Wien, wo er von Joseph II. und Maria Theresia empfangen wurde. Außerdem besuchte er das königliche Naturalienkabinett und zeigte sich fasziniert von der dortigen Korallensammlung. Da er Briefe des habsburgischen Botschafters in Paris an den Zolldirektor bei sich trug, wurde er problemlos in die Stadt eingelassen. Das erwies sich als enormer Vorteil, da ihm auf diese Weise die Gepäckinspektion erspart blieb, und er die sorgsam verpackten Instrumente nicht auszupacken brauchte. Bedeutender war für ihn aber, dass er mit den beiden jesuitischen Astronomen Maximilian Hell und Joseph Liesganig zusammentraf, die den Auftrag hatten, den Venusdurchgang von Wien aus zu beobachten. Außer den Transitproblemen diskutierten sie die Höhe der Berge, die Chappe unterwegs gemessen hatte, verglichen und kalibrierten ihre Barometer, indem sie in der Umgebung von Wien Messungen durchführten, und bestimmten die magnetische Abweichung bei Hells Observatorium (Woolf 1959, S. 117). Chappe verließ Wien am 8. Januar 1762 in Begleitung des neuen Sekretärs der französischen Botschaft in St. Petersburg. Die Reise war schwierig, weil es zwar kalt, die Flüsse aber nicht fest genug gefroren wa87

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ren, als dass man sie gefahrlos hätte überqueren können. Sie mussten also erst das Eis brechen, um dann mit einer Fähre überzusetzen. Am 19. Januar erreichten sie Krakau und am 22. Warschau. Dort erfuhr Chappe vom russischen Botschafter, dass er in Russland voller Ungeduld erwartet werde, was er Cassini in einem Brief mitteilte, der am 11. Februar 1761 in der Akademie in Paris vorgelesen wurde. Am 27. Januar setzte er die Reise fort und stieg am 7. Februar in Riga von Kutschen auf Schlitten um. Von der Schlittenfahrt war Chappe begeistert, denn es ging alles geschwind und ohne weitere Unfälle voran. Bereits eine Woche später erreichte er St. Petersburg. Dort nahm er sofort Kontakt zum französischen Repräsentanten Baron de Breteuil und zur Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften auf. Dank der Hilfe von Breteuil und dem Grafen Woronzow erhielt er die benötigte Unterstützung zur Vorbereitung seiner Reise durch Russland. Außerdem erfuhr er durch die Akademie, dass seine Verspätung die Befürchtung ausgelöst hatte, er werde nicht rechtzeitig in Tobolsk ankommen (Woolf 1959, S. 118). Darum waren bereits einen Monat vor Chappes Ankunft in St. Petersburg russische Beobachter vorausgeschickt worden, Paupow nach Irkutsk und Rumowski nach Selenginsk (siehe Chappe S. 338; Woolf 1959). Die Spuren der Paupow-Expedition scheinen verloren zu sein, es wurde in Irkutsk 1761 keine Transitbeobachtung dokumentiert. Aber Rumowski war erfolgreich (Woolf 1959, S. 119). Die Akademie schlug Chappe vor, aufgrund seiner Verspätung eine andere, weniger weit entfernt gelegene Beobachtungsstation zu wählen, aber Chappe bestand auf Tobolsk, weil der Transit dort der kürzeste sein würde und es Halleys Methode zufolge gerade darauf ankam. So hatte er das Gefühl nach Tobolsk reisen zu müssen. Er hatte zweieinhalb Monate bis St. Petersburg gebraucht und damit noch nicht einmal die Hälfte der gesamten Strecke zurückgelegt. Am 10. März waren alle Vorbereitungen abgeschlossen und Chappe begab sich auf den Weg nach Tobolsk (Chappe; A Journey into Siberia, p. 26; Woolf 1959, S. 119). Mit dem einmonatigen Aufenthalt in St. Petersburg waren nun schon dreieinhalb Monate vergangen. Die Zeit wurde langsam knapp, und die Reise durch Sibirien geriet zur Herausforderung der besonderen Art: Chappe musste alles mitnehmen, sogar Brot, Betten, Geschirr, einen Dolmetscher sowie einen Uhrmacher, der die erwarteten Reparaturen an den Uhren und sonstigen Instrumenten durchführen sollte. Nun war Chappe völlig vom Wetter abhängig – würde das Tauwetter zu früh einsetzen, bliebe er irgendwo in der Wildnis im Morast hängen – nur mit Schlitten hatte er die Aussicht, 88

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schnell genug voranzukommen. Im Sommer hätte er ein Vielfaches der Zeit benötigt und oft genug im Schlamm festgesteckt. Im Winter hingegen konnten Seen und Flüsse problemlos überquert werden. Sie verließen St. Petersburg in vier geschlossenen Schlitten, jeder von fünf Pferden gezogen. Chappe und seine persönlichen Habseligkeiten sowie Vorräte befanden sich in einem Schlitten, der Uhrmacher und Chappes Diener in einem anderen, ein russischer Sergeant, der von der Regierung als Führer mitgeschickt worden war, in einem dritten und die Instrumente im vierten. Nach vier Tagen erreichten sie Moskau, wo sie sich neue Schlitten besorgen mussten, weil die alten so gelitten hatten, dass man sie nicht mehr reparieren konnte. Am 17. März 1761 ging es weiter. Die Akademie in Paris wurde mittels Briefen auf dem Laufenden gehalten. Die Reise von Moskau nach Tobolsk dauerte einen ganzen Monat und gestaltete sich gegen Ende zu einem Wettrennen mit dem nahenden Frühling und dem Tauwetter. Chappe hatte Glück: es blieb kalt – die Oberfläche der Wolga war glatt wie Glas und die Schlitten glitten leicht darüber hinweg. Bei Solikamsk überquerten sie den Ural und fuhren dann endlos durch Birken- und Kiefernwälder. Nur selten wurde die Einsamkeit der Reisenden durch einen Weiler oder eine Poststation, an der man Pferde wechseln konnte, unterbrochen. Chappe beschrieb die Natur und was er vom Leben der Menschen beobachten konnte, besonders wies er auf die Banja, das Schwitzbad, der Russen und ihre Zügellosigkeit hin, erging sich in Kommentaren über Krankheiten und das Wetter und berichtete von Schwierigkeiten mit seinem Gefolge. Mit großem Glück erreichte er Tobolsk am 10. April, bei der Überquerung des letzten Flusses stand bereits Wasser auf dem Eis, und nur sechs Tage später brach der Fluss auf (Woolf 1959, S. 120). Um diese Überquerung überhaupt zu bewerkstelligen, musste Chappe zu einer List greifen. Angesichts des schlechten Zustands des Eises weigerten sich seine Kutscher, den Fluss zu überqueren – auch reichlich fließender Wodka konnte sie nicht umstimmen. Da fiel ihm ein, dass die „muschiks“ mit ehrfürchtiger Überraschung die Bewegung des Quecksilbers in seinem Thermometer betrachtet hatten. Er erzählte ihnen nun, dass es sich dabei um ein magisches Tier handele, das sie während der Flussüberquerung beschützen werde, wenn es bis zu einem bestimmten Punkt gesunken sei. Er erwärmte nun sein Thermometer über dem Ofen und brachte es dann nach draußen. Nach einiger Zeit kam einer der „Aufständischen“, dessen Hinausgehen Chappe übersehen hatte, hereingestürzt und teilte allen Anwesenden mit, das Tier sei sogar noch weiter nach unten gekrabbelt als die 89

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angegebene Markierung. Es war also mehr als Willens, die Männer zu beschützen. So wurde schließlich die Überquerung des Flusses in Angriff genommen. Erst am anderen Ufer wurde Chappe sich seiner Unvorsichtigkeit bewusst, er hatte nicht nur sein Leben und das seiner Begleiter, sondern auch die wertvollen Instrumente aufs Spiel gesetzt – aber er war am Ziel (Simaan 2008, S. 110 f.). Wäre er durch die vielen Unfälle und die Schwierigkeiten, Pferde auszutauschen, noch länger aufgehalten worden, als es der Fall war, hätte er Tobolsk vor dem Sommer nicht mehr erreicht. Mit der Hilfe des Gouverneurs von Tobolsk, der Chappe auch Begleitschutz für seinen Aufenthalt zur Verfügung stellte, wurde auf dem Gipfel eines nahe gelegenen Vorgebirges ein Observatorium errichtet, das eher einer wackeligen Hütte als einer eleganten Observatoriumskuppel glich, seinen Zweck aber erfüllte. Aus groben Balken hatte Chappe eine Art Verschlag gebaut und ihn mit einem Fußboden aus Ziegelsteinen versehen. Dort brachte er seine Instrumente unter. Er hatte zwei Pendel, einen Quadranten, ein 1,80 Meter, ein 3 Meter und ein 5,80 Meter langes Fernrohr, das ihm ein vollständiges Bild der Sonnenscheibe ermöglichte und mit einem Mikrometer versehen war. Ab dem 11. Mai hatte er die Instrumente in seinem „Observatorium“ installiert und war bereit, mit den Beobachtungen zu beginnen. Am 18. Mai bot sich Chappe die Gelegenheit, einige Phasen einer Mondfinsternis zu beobachten, und am 3. Juni erlebte er eine Sonnenfinsternis, die in Frankreich nicht zu sehen war. Diese Beobachtungen waren wichtig, weil sie es Chappe ermöglichten, die Länge seines Beobachtungsortes genau zu bestimmen. Er schrieb, dass er nicht habe erwarten können, die Länge mittels der Jupitermonde zu bestimmen, weil es im Sommer fast die gesamte Nacht über hell sei. Da aber die Sonnenfinsternis auch in Schweden, Dänemark und St. Petersburg zu sehen gewesen sei, hoffe er, dass jemand sie beobachtet habe und er seine Messungen würde vergleichen können (Chappe, A Journey, p. 78, nach Woolf 1959, S. 121). Das seltsame Verhalten Chappes, sein Observatorium auf einem erhöhten Punkt und seine vielen Instrumente, deren Bedeutung den Einwohnern der Stadt nicht einleuchtete, riefen den Argwohn der Bevölkerung von Tobolsk hervor. Der Fluss brach in diesem Jahr mit großer Wucht auf, der Eisgang war heftig und es kam zu einer Überflutung von Tobolsk, die großen Schaden verursachte. Zunächst richteten die Bewohner der Stadt ihre Wut gegen den Himmel, aber schon bald war der Schuldige für diese Naturkatastrophe gefunden. Chappe musste mit dem Teufel 90

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im Bunde stehen und über magische Fähigkeiten verfügen, da der Fluch mit ihm zusammen gekommen war. Glücklicherweise ließ der Gouverneur daraufhin Chappes Leibwache aufstocken, sodass er trotz der schlechten Stimmung, die gegen ihn geschürt wurde, unbehelligt seine Beobachtungen durchführen konnte. Um sich mit dem Gouverneur und dem Erzbischof von Tobolsk gut zu stellen und ihnen für ihre Hilfsbereitschaft zu danken, errichtete Chappe ein Zelt in der Nähe seines Observatoriums, stellte ein Teleskop hinein und ließ die wichtigen Persönlichkeiten des Ortes dort an den Beobachtungen teilhaben. Darüber hinaus bot diese Variante den Vorteil, dass er während des eigentlichen Transits, des großen Ereignisses, ungestört in seinem Observatorium würde arbeiten können. Am Vorabend des 6. Juni schrieb er in sein Tagebuch, dass sich am nächsten Tag alle seine Wünsche erfüllen sollten. Die Vorstellung, vielleicht nach Frankreich zurückkehren zu müssen, ohne das Ziel der Reise erfüllt zu haben, um die Frucht der überstandenen Gefahren gebracht, erfüllte ihn mit Grauen. Alle Unannehmlichkeiten hatte er aushalten können, weil er auf den Erfolg der Beobachtung hoffte: Dies gab ihm Kraft und Rückhalt. Sollte alles vergeblich gewesen sein, sollte eine Wolke die Sonne verdecken – für diese Befürchtung fand er keine Worte. In der Nacht vor dem Transit war er so aufgeregt, dass er diese in seinem Observatorium verbrachte und kein Auge zutat. Der Himmel war klar, schrieb er, die Sonne sank unter den Horizont, frei von allen Nebelschwaden, das milde Schimmern der Dämmerung und die perfekte Stille des Universums stimmten ihn zufrieden und heiter. Er konnte weder schlafen noch essen, und jedes noch so kleine Dunstwölkchen raubte ihm seine stille Heiterkeit, bis es sich wieder verzogen hatte (Woolf 1959, S. 121). Nachdem er in den Wochen vor dem Transit einige geglückte Beobachtungen durchgeführt und seine Instrumente getestet hatte, entschied er sich, den Transit durch sein großes Fernrohr mit 5,80 Meter Brennweite und 134-facher Vergrößerung zu beobachten (Marlot 2004, S. 125 ff.). Am 6. Juni 1761, dem großen Tag, beauftragte Chappe den Uhrmacher, der ihn von St. Petersburg nach Tobolsk begleitet hatte, die Daten aufzunehmen und die Uhr im Auge zu behalten, während der Dolmetscher die Aufgabe erhielt, die Zeit laut zu zählen. Das Wetter war bestens, der Tag ruhig, sodass Chappe sein Teleskop ins Freie brachte. Als die Venus in Sicht kam, hatte sie sich bereits ein Stückchen vor die Sonnenscheibe geschoben, sodass er sich darauf vorbereitete, den inneren Kontakt zu mes91

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Abb. 26: Venusdurchgang von Tobolsk aus beobachtet. Aus: Mémoire du passage de Vénus sur le Soleil … von Abbé Chappe d’Auteroche.

sen. Ein Schauer durchzog ihn, als es so weit war, und er musste sich zwingen, all seine Gedanken beisammen zu halten, um seine Beobachtungen und Messungen präzise durchführen zu können. Er fühlte eine innere Überzeugung von der Genauigkeit seiner Messung und erlebte ein tiefes Vergnügen dabei. Der Gedanke, etwas zu tun, was auch noch für spätere Generationen nützlich wäre, wenn er die Erde schon längst verlassen hätte, erfüllte ihn mit Freude. Chappe hatte recht mit seinen Empfindungen. Wie sich später zeigte, waren seine Observationen von großem Nutzen für seine Zeitgenossen und verloren bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nichts von ihrer Bedeutung. Die Ergebnisse von Chappes Transitbeobachtung wurden mit einem berittenen Kurier so schnell wie möglich nach St. Petersburg und Paris zu den jeweiligen Akademien gebracht, während Chappe sich noch bis zum 92

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28. August in Tobolsk aufhielt, um weitere wichtige Beobachtungen durchzuführen. So musste er noch die exakte Länge und Breite von Tobolsk bestimmen. Außerdem beschäftigte er sich mit der Geologie, Meteorologie, Naturgeschichte sowie der Lebensweise der Völker in der Umgebung von Tobolsk (Woolf 1959, S. 122). Eigentlich hatte er früher abreisen wollen, wurde aber durch Krankheit aufgehalten. Auch sein Diener befand sich nicht wohl, wie Chappe schreibt, aufgrund zu galanten Verhaltens in Tobolsk. Als die beiden die Stadt Ende August verließen, geschah dies zur größten Freude der Bevölkerung, die der Meinung war, der Fluss Irtysch würde erst nach ihrer Abreise wieder in sein Bett zurückkehren. Die Hitze war vorbei, das Klima zum Reisen recht angenehm und die Krankheit verschwand bald nachdem sie aufgebrochen waren. Auf der Rückreise wählte Chappe eine weiter südlich gelegene Route, die ihm ermöglichte, das Eisenabbaugebiet und einige Minen zu besichtigen. Unterwegs fertigte er Beschreibungen der kleineren Völkerschaften an, auf die er traf. Chappe verbrachte den Winter in St. Petersburg, stellte in dieser Zeit eine Schrift über seine Beobachtungen zusammen und ließ sie auch gleich dort drucken: „Mémoire du Passage de Venus sur le Soleil; contenant aussi quelques autres observations sur l’astronomie, et la déclinaison de la bousonle.“ (St. Petersburg, Imp. Akad. Nauk, 1762). Eine gekürzte Version trug er am 8. Januar 1762 der Akademie vor und schickte eine Kopie nach Paris, die dort von De Fouchy am 5. Mai 1762 den Mitgliedern präsentiert wurde. Chappe wurde angeboten, in St. Petersburg zu bleiben, um die Position einzunehmen, die Delisle einst innehatte. Aber er lehnte ab, was nicht weiter verwundert, wenn man seine Meinung über Russland in seinem Reisebereicht liest (Woolf 1959, S. 126). Im Frühjahr 1762 kehrte er schließlich nach Paris zurück. Kaum angekommen, begann er mit seiner ausführlichen Reisebeschreibung, die im Jahr 1768 mit dem Titel „Voyage en Sibérie fait par orde du roi en 1761“ erschien. Der Untertitel war so lang, dass sich ein Vorwort erübrigte: „contenant les moeurs, les usages des russes et l’état actuel de cette puissance; la description géographique et le nivellement de la route de Paris à Tobolsk; l’histoire naturelle de la même route; des observations astronomiques, et des expériences sur l’électricité naturelle, enrichi de cartes géographiques, de plans, de profils du terrain, de gravures qui représentent les Russes, leurs moeurs, leurs habillements, les divinités des Calmouks, et plusieurs morceaux d’histoire naturelle.“ In seinem Werk äußerte Chappe unumwunden seine Meinung über das, was er in dem riesigen Land gesehen hatte. Sehr missbilligend schrieb 93

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er über die Rückständigkeit Russlands und die Ausbeutung der Leibeigenen. Ebenfalls schilderte er die aufregenden Zeiten nach dem Tod der Zarin Elisabeth Petrowna bis zur Inthronisation von Peter III. Darüber hinaus befasste er sich mit den Künsten und Wissenschaften in Russland, die seiner Meinung nach nicht sonderlich weit entwickelt waren. Er bemängelte, dass lediglich Ausländer in der Akademie zu Ruhm gekommen waren und es an Russen fehlte, es ihnen an Leistung gleich zu tun. Lediglich Lomonossow hob er hervor. Aber sogar die Ausländer hätten im fahlen Licht der russischen Atmosphäre merklich nachgelassen (Woolf 1959, S. 123). Dieses Machwerk war gar nicht nach dem Geschmack der Zarin Katharina, die Chappe noch als Großfürstin kennengelernt hatte. Katharina und ihr Korrespondent Friedrich Melchior Grimm mokierten sich über Chappe, er habe ganz Russland gesehen, während er in einem geschlossenen Schlitten auf dem Postweg von St. Petersburg nach Tobolsk geeilt sei. Beide waren überzeugt, er habe alles erfunden, sogar seine astronomischen Beobachtungen. Grimm schrieb, Chappe habe nur einen französischen Kopf, dem der Himmel alles Wissen schenke, ohne sich der Mühe des Lernens zu unterziehen, der alles sehe, ohne hinzuschauen, alles vorhersehe, ohne Wahrsager zu sein, und alles vertiefe, während er den Postweg entlanghaste. Zwar handelte Chappes Bericht von der Regierungszeit Elisabeth Petrownas, aber er war im Präsens abgefasst, sodass Katharina glaubte, darauf reagieren zu müssen. Sie schrieb eine Antwort, die im Jahr 1770 anonym unter dem Titel: „Antidote, ou examen du mauvais livre superbement imprimé intitulé ‚Voyage au Sibérie‘“ erschien. In Frankreich hatten diese Anwürfe aber keine Resonanz und Chappe wurde für den nächsten Venustransit wieder ausgewählt. Die vierte französische Expedition führte Cassini du Thury nach Wien, wo der Himmel sich jedoch als wenig gnädig erwies und die Beobachtungen nur episodisch durchgeführt werden konnten (Marlot 2004, S. 133 f.). England hatte später mit den Vorbereitungen begonnen und wollte ohnehin nur drei groß angelegte Expeditionen durchführen. Von allen dreien ist weniger bekannt als von den französischen Expeditionen, weil die Teilnehmer keine umfangreichen Tagebücher hinterließen und auch keine Reiseberichte gedruckt wurden.

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Kurz und effizient

Kurz und effizient – John Winthrop auf Neufundland Die Reise von John Winthrop und seinen drei Assistenten nach Neufundland war ebenso kurz wie erfolgreich. Schon allein die Anreise ging schnell vonstatten. Am 9. Mai 1761 verließen sie Boston und waren 13 Tage später in St. John’s, Neufundland. Dort erhielten sie jede benötigte Hilfe des Militärgouverneurs der Garnison und von Michael Gill, dem Vorsitzenden Richter. Da die Stadt von hohen Bergen umgeben ist, mussten sie eine Weile suchen, um eine Stelle zu finden, von der aus sie die Sonne unmittelbar nach Sonnenaufgang sehen konnten. Sie lebten in Zelten, und die Uhr sowie die Teleskope wurden auf schwere Stützen montiert, die in den Boden eingelassen waren. Sie regulierten ihre Uhr mittels Sonnenpeilungen. Diese wiederholten sie an jedem wolkenfreien Tag, manchmal sogar mehrfach täglich. Winthrop schreibt, sie hätten sich in ihrem Eifer auch nicht von den unendlichen Insektenschwärmen abhalten lassen, die den Hügel eingenommen hatten und sie mit ihren giftigen Stichen Tag und Nacht verfolgten (Winthrop, Woolf 1959, S. 133). Trotz dieser lästigen Störung war es Winthrop und seinen Assistenten gelungen, den Austritt der Venus aus der Sonne zu messen. So kam ihren Beobachtungen erheblicher wissenschaftlicher Wert zu. Zusätzlich war Winthrop in der Lage, fünf Positionen der Venus vor der Sonnenscheibe zu messen, wodurch er den Weg der Venus über die Sonne dokumentieren konnte, obwohl ein Teil des Tansits in St. John’s während der Nacht vom 5. auf den 6. Juni stattgefunden hatte. Allerdings gab es Schwierigkeiten mit der Längenbestimmung, da weder eine Sonnen- noch eine Mondfinsternis stattfand, während Winthrop auf der Insel war, und auch Jupiter mit seinen Monden war nutzlos, weil Jupiter mit seinen Satelliten, bevor es hell wurde, noch nicht hoch genug stand, um gut beobachtet zu werden. Erst am 11. Juni gelang es Winthrop, eine nützliche Beobachtung zu machen. Ein Stern wurde durch den Mond verdunkelt, was ihm half, die Länge im Verhältnis zu Greenwich zu bestimmen (Woolf 1959, S. 134).

„Was auch immer die Konsequenz sein mag (…)“ – Charles Mason & Jeremiah Dixon mit Ziel Sumatra Charles Mason und Jeremiah Dixon wurden dazu ausgewählt, nach Bencoolen (heute Bengkulu) an der Westküste Sumatras zu reisen. Bencoolen 95

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Im Schatten des Krieges – Venustransit 1761

wurde damals von der Holländischen Ostindischen Kompanie kontrolliert. Diese Expedition wurde quasi in letzter Minute auf den Weg gebracht. Charles Mason, der ursprünglich mit Nevil Maskelyne nach St. Helena hätte reisen sollen, wurde die Leitung der Expedition nach Bencoolen angeboten. Nachdem er einen Zuschlag in der Bezahlung und eine großzügigere Ausstattung mit alkoholischen Getränken ausgehandelt hatte, stimmte er zu (Sheehan und Westfall 2004, S. 146). Als Assistent wurde Jeremiah Dixon (1733–1779) ausgewählt, der bis dahin als Landvermesser tätig gewesen war und aus dem County Durham in Irland stammte. So kamen Mason und Dixon zusammen, die später durch die Grenzziehung zwischen Pennsylvania und Maryland, der sogenannten Mason-DixonLinie, berühmt wurden, die die Grenze zwischen den Nord- und den Südstaaten der USA markiert. Mit den Messungen der Grenze fingen die beiden 1763, also erst nach der Venusexpedition, an (Nunis 1982, S. 26). Die Erlebnisse von Mason und Dixon während ihrer Reise sind ein Beispiel dafür, wie die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit an der politischen Situation scheitern, sogar eher in Rivalität ausarteten konnte. Grund dafür waren auch hier die militärischen Aktionen während des Siebenjährigen Krieges, in dem sich Frankreich und England feindlich gegenüberstanden. Dieser Krieg war keineswegs auf Europa beschränkt, im Gegenteil, die Kolonien gehörten zu den zentralen Kriegsschauplätzen. Mason und Dixon reisten auf dem britischen Kriegsschiff Seahorse und verließen im Dezember 1760 England. Kaum waren sie aus dem Hafen von Plymouth ausgelaufen, als die Seahorse von der französischen Fregatte Le Grand angegriffen und in eine einstündige, heftige Seeschlacht verwickelt wurde, die mit einem beiderseitigen Rückzug, elf Toten und 37 Verwundeten endete. Mason und Dixon waren unversehrt, wenn auch die astronomischen Instrumente leichtere Beschädigungen erlitten hatten. Die nötigen Reparaturen am Schiff wurden sofort ausgeführt, und die Admiralität schlug vor, beim nächsten Versuch eine Eskorte mitzuschicken. Mason und Dixon hatten nach diesem Ereignis indes offenbar schon genug von ihrer Expedition nach Sumatra. Zunächst argumentierten sie, es sei nun ohnehin zu spät, Bencoolen noch rechtzeitig zu erreichen, dann wurden sie deutlicher und weigerten sich in einem Schreiben an die Royal Society, die Reise ein zweites Mal anzutreten. Mason schrieb, dass das ungewöhnliche Pech, das sie ereilt hatte, gepaart mit extremer Seekrankheit heftiges Unbehagen bei ihm auslöse, und er nicht willens sei, die Reise fortzusetzen, was auch immer die Konsequenzen seien. Die Royal Society 96

„Was auch immer die Konsequenz sein mag“

sah den Fall allerdings gänzlich anders und schoss scharf zurück: Ihre Weigerung, die Reise fortzusetzen, die mit so großem öffentlichen Aufwand geplant worden sei, wäre eine Schande für die gesamte Nation im Allgemeinen und für die Royal Society im Besonderen und vor allem auch für sie selbst. Mit ihrer Weigerung würden sie einen nachhaltigen Skandal auslösen und sich ihren Ruf für immer ruinieren. Die Androhung von strafrechtlicher Verfolgung ließ die beiden schließlich einlenken, und am 3. Februar 1761 unterschrieben sie als gehorsame Diener und willigten ein, sich ohne weitere Verzögerung nach Bencoolen einzuschiffen. Noch am selben Abend gingen sie an Bord (Sheehan und Westfall 2004, S. 149). Bencoolen wurde, während sie auf See waren, von den Franzosen eingenommen, sodass es für sie nicht mehr möglich war, von dort aus den Transit zu beobachten. Das kam ihnen gerade recht, denn ihr Drang dorthin zu reisen, war noch immer nicht sonderlich ausgeprägt. Am 27. April 1761 erreichten sie das Kap der Guten Hoffnung und beschlossen, dort an Land zu gehen, um den Transit von der Südspitze Afrikas aus zu beobachten. Da die Zeit schon so weit fortgeschritten war, wollten sie nicht riskieren, einen anderen Beobachtungsort in den ostindischen Gebieten zu suchen. Batavia (heute Jakarta) wäre zum Beispiel in Frage gekommen. Da ihnen nur noch sechs Wochen bis zum Transit blieben und die ostindischen Gebiete 6 000 Meilen entfernt lagen, die auf einem wellengepeitschten Ozean während der Hurrikansaison zu überwinden gewesen wären, war völlig klar, dass sie nie und nimmer rechtzeitig angekommen wären. So taten sie das einzig Vernünftige, wollten sie nicht riskieren, den Venustransit auf See zu erleben (Woolf 1959, S. 130). Kaum waren sie am Kap der Guten Hoffnung an Land gegangen, errichteten sie ein provisorisches Observatorium und begannen mit den Beobachtungen, die sie zur Vorbereitung auf den Venusdurchgang benötigten. Dreimal am Tag maßen sie die Temperatur und überprüften ihre Uhr. Leider mussten sie feststellen, dass sie pro Tag zwei Minuten und 17 Sekunden nachging. Am 18. Mai konnten sie eine Mondfinsternis beobachten, die ihnen half, die exakte geographische Länge ihres Observatoriums zu bestimmen, was unumgänglich war, sollten ihre Beobachtungen des Venusdurchgangs einen Wert für die Ermittlung der Astronomischen Einheit haben. Zusätzlich nutzten sie die Verdunkelung der Jupitersatelliten und anderer Sterne, die durch den Mond verdeckt wurden, um Längenbestimmungen durchzuführen. Sie bemühten sich, die vom Königlichen Astronomen, James 97

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Im Schatten des Krieges – Venustransit 1761

Bradley, verfassten Instruktionen möglichst genau zu befolgen. Diese lauteten zusammengefasst: „Errichten Sie das Observatorium an einer Stelle, von der aus ein klarer Blick in Richtung Nordost, Nord und Nordwest möglich ist. Beobachten Sie den ersten und zweiten Kontakt der Venus mit dem Rand der Sonne. Messen sie dann die Entfernung der Venus vom Rand der Sonne, um die größte Annäherung der Venus an den Mittelpunkt der Sonnenscheibe festzustellen. Messen Sie den Durchmesser der Venus. Positionieren Sie die Uhr so, dass die Beobachter an den Teleskopen direkten Blick darauf haben können. Die Beobachter haben darauf zu achten, sich nicht gegenseitig in ihren Beurteilungen der Ereignisse und Zeiten zu beeinflussen. Testen Sie die Uhr, um herauszufinden, wie viel Zeit sie an einem Tag verliert. Dann richten Sie sie nach der Sonnenzeit aus. Dokumentieren Sie die Temperatur im Uhrenkasten. Dokumentieren Sie nun, um wie viel das Pendel verändert werden muss, damit die Sonnenzeit richtig angezeigt wird“ (Woolf 1959, S. 131). Der Tag des Transits war in Kapstadt klar und heiter. Ungefähr zwei Stunden nach Sonnenaufgang, als die Venus sich dem westlichen Rand der Sonne näherte, war die Sicht perfekt. Unabhängig voneinander dokumentierten Mason und Dixon nun die Zeiten des inneren und äußeren Kontakts. Ihre Messungen unterschieden sich etwas, Dixon hatte den inneren Kontakt vier Sekunden früher gemessen als Mason und den äußeren sah er zwei Sekunden früher als Mason. Die Längen- und Breitengradbestimmungen der beiden waren hervorragend ebenso wie ihre Transitbeobachtung, so vergaß Maskelyne, der sich 1767 in höchstem Maße zufrieden über die Beobachtungen der beiden äußerte, geflissentlich, dass sie ihre Order gebrochen und selbstherrlich entschieden hatten, von Südafrika aus zu beobachten. Die Resultate von Mason und Dixon waren die einzigen für den Südatlantik, da es Maskelyne und Waddington auf St. Helena recht schlecht ergangen war.

Pech auf St. Helena Nevil Maskelyne (1732–1811), der Assistent des Königlichen Astronomen und seit 1758 ein Mitglied der Royal Society war, wurde zum Leiter der Expedition nach St. Helena bestimmt. Nach seiner Rückkehr wurde Maskelyne zum Königlichen Astronomen ernannt. Statt Mason fuhr nun 98

Pech auf St. Helena

Abb. 27: St. Helena vom Meer aus gesehen (nach G. H. Bellasis).

Waddington mit Nevil Maskelyne nach St. Helena, wo es ihnen sehr viel schlechter erging als Mason und Dixon am Kap der Guten Hoffnung. Den gesamten Monat vor dem Tag des Venusdurchgangs zeigte der Himmel über St. Helena sich völlig wolkenverhangen. Dies verhinderte die nötigen vorbereitenden Beobachtungen. Und selbst an ihrem großen Tag, dem 6. Juni 1761, war es ihnen nur kurzzeitig vergönnt, die Venus vor der Sonnenscheibe zu sehen. Dies bedeutete, dass sie keinen der Kontakte mit dem Rand der Sonne messen konnten und ihre Beobachtungen aus wissenschaftlicher Sicht völlig unbrauchbar waren (Woolf 1959, S. 132). Glücklicherweise hatte Maskelyne sich über den Venustransit hinaus ein ehrgeiziges astronomisches Forschungsprogramm auferlegt, das er in den 16 Monaten seiner Abwesenheit aus England durchführen wollte und das wenigstens von Erfolg gekrönt war. Er installierte im Hafen von St. Helena einen Tidenmesser und dokumentierte Ebbe und Flut zwischen dem 12. November und dem 22. Dezember 1761. Zu diesem Zeitpunkt waren auch Mason und Dixon auf St. Helena eingetroffen und Mason half Maskelyne bei den Tidenmessungen, sodass wie bei vielen anderen Venusexpeditionen auch, deren astronomische Beobachtungen gescheitert waren, dennoch erheblicher Nutzen für andere Wissenschaften bestand. 99

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Im Schatten des Krieges – Venustransit 1761

Die französischen Expeditionen wurden ausführlich publiziert, jeder der Teilnehmer führte Tagebuch und veröffentlichte einen umfangreichen Reisebericht. Über die Erlebnisse von Maskelyne, Waddington, Mason und Dixon sowie John Winthrop weiß man viel weniger. Als Quellen gibt es nur einige Briefe, kurze Artikel und knappe Bemerkungen in den Serien der jeweiligen wissenschaftlichen Gesellschaften. Die Gründe dafür können in der Person der Reisenden im nationalen Hintergrund und der entsprechenden Ausbildung liegen, Woolf sieht aber einen weitern Grund darin, dass die Engländer ihre Beobachtungsorte relativ einfach und unbeschadet erreicht hatten und dort ihre Messungen durchführen konnten. Die Reisen waren längst nicht so spektakulär verlaufen wie die der Franzosen (Woolf 1959, S. 97). Die Franzosen hingegen hatten erhebliche Aufregungen und Gefahren zu bestehen, ehe sie an ihren Beobachtungspunkten ankamen, darüber ließ es sich natürlich anschaulich schreiben und die Berichte an ein breiteres Publikum verkaufen. Mit vier sehr aufwendigen Expeditionen nach Übersee bzw. Sibirien und vielen Beobachtungen innerhalb Europas war Frankreich 1761 an der Spitze der Aktivitäten: 31 Beobachter waren Franzosen, darunter berühmte Astronomen und Akademiemitglieder wie Le Monnier, Messier, Lalande und Lacaille. Den zweiten Platz nahmen die Schweden mit 21 Beobachtern ein und die Briten kamen nur auf 19 erfolgreiche Beobachtungen. Über die beteiligten Schweden ist nicht viel bekannt. Die britischen Beobachtungen wurden zum größten Teil von hervorragend ausgebildeten Amateuren durchgeführt, darunter befanden sich berühmte britische Instrumentenbauer wie Bird, Ellicott, Dolland und Short. Dies ist ein Zeichen für ihr großes wissenschaftliches Interesse und eine charakteristische Verhaltensweise für britische Instrumentenbauer, andere waren weniger für astronomische Beobachtungen zu begeistern (Woolf 1959, S. 141 f.). Den vierten Rang nahmen die deutschsprachigen Beobachter ein. Meist waren dies Jesuiten, die im Umfeld der Schulen beobachteten, an denen sie Mathematik oder Astronomie lehrten. Zwei berühmte Namen unter ihnen waren Maximilian Hell und Tobias Mayer; Letzterer war zwar kein Jesuit, seine Mondtabellen waren aber die besten des Jahrhunderts (s. Kap. 6). Die Italiener nahmen mit neun Beobachtern den fünften Platz ein, gefolgt von den Russen, Dänen und Portugiesen mit jeweils drei Beobachtern. Die besten Beobachtungen stammten von Chappe, von schwedischen Beobachtern aus Stockholm – dort konnte der gesamte Transit beobachtet 100

Pech auf St. Helena

Eintritt sichtbar

Austritt sichtbar Transit nicht sichtbar

Eintritt sichtbar vollständiger Transit sichtbar

Abb. 28: Sichtbarkeit des Venustransits von 1761.

werden – und von Mason und Dixon, obwohl sie ihren Auftrag, nach Bencoolen zu reisen auf selbstherrliche Art und Weise abgeändert hatten – aber in ihrem Fall zählte letztendlich das Ergebnis. Schließlich brachten sie die einzig brauchbaren Beobachtungsdaten aus dem südlichen Atlantik mit. Die aus den Messergebnissen errechnete Parallaxe variierte zwischen 8,28 und 10,60 Bogensekunden, ein Ergebnis, das weit hinter der erhofften Genauigkeit zurückblieb.

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Zwei unerwartete Phänomene und das Längengradproblem

Ein heller Ring um die Venus Bei der Analyse der Beobachtungsergebnisse des Venustransits von 1761 stellte sich bald Enttäuschung ein. Die Resultate blieben in ihrer Genauigkeit hinter den Vorhersagen Halleys zurück und entsprachen nicht den Erwartungen und Hoffnungen der Astronomen. Schuld daran waren neben anderen Gründen zwei unerwartete Phänomene, die von verschiedenen Beobachtern beschrieben wurden. Zum einen handelte es sich dabei um einen hellen Lichtring, der sowohl beim Eintritt als auch beim Austritt der Venus zu sehen war, wenn sich die Venus gerade zur Hälfte vor der Sonne befand, also zwischen dem äußeren und dem inneren Kontakt. Sowohl beim Eintritt als auch beim Austritt war der Lichtring jeweils an der Außenseite der Venus zu sehen, die schon zur Hälfte den Rand der Sonne passiert hatte. Bewegte sich die Venus weiter nach innen beim Eintritt bzw. nach außen beim Austritt, war nur noch an einem ihrer Pole ein Lichtpunkt zu erkennen und sobald sich die Venus komplett vor die Sonne geschoben hatte oder sie vollständig verlassen hatte, war von dieser Lichterscheinung gar nichts mehr zu sehen. Insgesamt dauerte sie nur wenige Minuten. Der russische Universalgelehrte Michail Wassiljewitsch Lomonossow (1711–1765) gehörte zu denjenigen, die sich ausführlich mit dieser Lichterscheinung beschäftigten. Er hatte den Venustransit 1761 von St. Petersburg aus mit einem 1,40 Meter langen Linsenfernrohr beobachtet. In dem Bericht über seine Beobachtungen schreibt Lomonossow, dass während des Eintritts der Venus der Rand der Sonne plötzlich dunstig erschien, obwohl er kurz zuvor noch ganz klar zu sehen gewesen sei. Lomonossow glaubte zunächst, dies sei einer Schwäche seiner Augen geschuldet, aber als er nach einer kurzen Erholungspause erneut hinschaute, sah er eine 102

Ein heller Ring um die Venus

schwarze Ausbuchtung von der eintretenden Venus, die den vorher nur unscharf sichtbaren Bereich ersetzte. Dann erschien für kurze Zeit der Lichtring am äußeren Rand der Venus. Lomonossow schloss daraus, dass die Venus über eine Atmosphäre verfüge, die ähnlich groß wie die der Erde wäre oder sogar größer.

Abb. 29: Heller Lichtring am äußeren Rand der Venus.

Er unterstützte seine Erkenntnis mit den folgenden Argumenten: Der Verlust von Klarheit unmittelbar bevor die Venus sich vor die Sonne schiebt, bedeutet, dass der Rand durch die Atmosphäre der Venus verdunkelt wird. Auch die dunkle „Beule“, die nach dem Eintritt der Venus kurz zu sehen war, sah Lomonossow als einen Hinweis auf eine Venus-Atmosphäre (Marov 2005, S. 214 f.; Sheehan und Westfall 2004, S. 154 f.). William Hirst, der den Venusdurchgang von Madras aus beobachtet hatte, berichtete ebenfalls, vor dem Eintritt des Planeten auf die Sonnenscheibe sei ihm ein heller Ring um die Venus aufgefallen. Auch Chappe d’Auteroche hatte den Lichtring gesehen und ihn als „kleine Atmosphäre“ bezeichnet. Unabhängig voneinander berichteten gleichfalls die schwedischen Beobachter in Cajaneborg und Stockholm davon, wie auch Lemonnier, der mit Louis XV. gemeinsam den Venustransit von Château de Saint-Hubert aus beobachtet hatte, sowie Grandjean de Fouchy (1707–1788) in La Muette. Diese neue Beobachtung spielte bei der Größenbestimmung des Planeten eine Rolle. 103

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Zwei unerwartete Phänomene

Dass die Venus tatsächlich eine Atmosphäre besitzt, wurde in den 1790er-Jahren durch den deutschen Astronomen Johan Schroeter nachgewiesen, der beobachtet hatte, dass die Venus, wenn sie sich nur wenige Grad von der Sonne entfernt befindet, von einem hellen Ring umgeben scheint. Wie man heute weiß, entsteht dieser Ring durch Licht, das durch Dunst am Rand der Wolkendecke der Venus gestreut wird. Die Teleskope des 18. Jahrhunderts waren nicht stark genug, um diesen Effekt eindeutig zu zeigen. Wenn die Venus sich vor die Sonne schiebt bzw. sie wieder verlässt, wird die Sonnenoberfläche durch die Atmosphäre der Venus gebrochen und lässt den auffallend grellen Ring entstehen, der um einiges heller ist als der normale gestreute Lichthalo, den man in der Nähe der unteren Konjunktion sehen kann.

Der „Schwarze Tropfen“ Das zweite unerwartete Phänomen trat während der beiden inneren Kontakte auf. Just in dem Moment, in dem sich die Venus dem inneren Rand der Sonne näherte, verlor sie ihre klare runde Form und wies eine Art Ausbuchtung auf oder wurde, wie es einer der Astronomen beschrieb, birnenförmig. Vielen Beobachtern des Transits von 1761 war dieser Effekt aufgefallen; die meisten hatten sich darüber geärgert, weil es dadurch unmöglich war, den genauen Zeitpunkt der beiden inneren Kontakte zu bestimmen. Dieses Phänomen führte zu ernsthaften Problemen sowohl bei Halleys Methode der Bestimmung der Dauer als auch bei Delisles Methode, bei der nur entweder der vollständige Eintritt oder Austritt gemessen werden musste. Wann aber fand nun dieser vollständige Eintritt statt? Die Beobachtungen des entscheidenden Moments schwankten aufgrund dieses Effekts um bis zu 52 Sekunden, selbst wenn am selben Ort nur von verschiedenen Beobachtern gemessen wurde. Das Phänomen wurde als „Schwarzer Tropfen“ bezeichnet, ein Name, den es verdient, weil es den Astronomen, deren höchstes Ziel größtmögliche Präzision war, genau dieses Ziel verdüsterte. Die eigentliche Dauer des Transits ist als die Zeit zwischen den inneren Kontakten, also dem zweiten und dritten, definiert, wenn der Rand der Venus innen den Rand der Sonne berührt. Folglich gibt es zwei Möglichkeiten, den zweiten Kontakt zu bestimmen: Entweder wenn erstmals das Licht komplett um die Venus reicht oder wenn der Rand der Venus sich 104

Der „Schwarze Tropfen“

Abb. 30: Das Phänomen des Schwarzen Tropfens in einer Darstellung von Hirst 1769.

genau am Rand der Sonne befindet – in dem Moment, in dem die Form der Venus bestmöglich in die Form der Sonne passt (Schaefer 2001, S. 325; Sheehan und Westfall 2004, S. 156). Egal, welche der beiden Möglichkeiten der Astronom zur Bestimmung des inneren Kontakts anwenden möchte, der Schwarze Tropfen beeinflusst in jedem Fall das Ergebnis und führt zu unklaren Resultaten. Zunächst verstand man die Ursachen des Schwarzen Tropfens nicht. Erst später wurden sie zumindest teilweise geklärt und zwar von dem französischen Astronomen Joseph-Jérôme de Lalande (1732–1807) in seiner Schrift: „Explication du prolongement obscur du disque de Vénus, qu’on aperçoit dans ses passages sur le Soleil“ (Mémoires de l’Académie Royale, 1770, S. 406 ff.). Endgültig geklärt wurden sie erst durch den Astronomen Bradley E. Schaefer an der Universität von Texas im Jahr 2001. Schaefer listet auf, dass in 70 Prozent der Literatur zu Venustransiten drei falsche Ursachen für den Schwarzen Tropfen angegeben werden, nämlich 105

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Zwei unerwartete Phänomene

Lichtbeugung um die Venus, Lichtbrechung durch die Venusatmosphäre oder optische Täuschung. Heute weiß man, dass der Schwarze Tropfen nichts mit der Brechung des Lichts durch die Atmosphäre der Venus zu tun hat, denn er kann auch bei Merkurtransiten beobachtet werden und wurde dabei sogar fotografiert, obwohl der Merkur nicht über eine Atmosphäre verfügt (Schaefer 2001, S. 328; Sheehan und Westfall 2004, S. 156). Die Tatsache, dass der Schwarze Tropfen fotografiert werden kann, bedeutet, dass es sich auch nicht um eine optische Täuschung handelt. Er entsteht, weil das Bild der Venus vor der Sonne nicht exakt scharf gesehen werden kann. Für diese Unschärfe gibt es zwei Gründe: zum einen die Lichtbrechung in der Erdatmosphäre und zum anderen die Beugung der Lichtstrahlen im Teleskop (Schaefer 2001, S. 325 ff.). Die Ausprägung des Schwarzen Tropfens hängt also im Wesentlichen von der Qualität des verwendeten Teleskops ab. Je besser das verwendete Teleskop, desto weniger sieht der Beobachter von dem Schwarzen Tropfen. Die durch den Schwarzen Tropfen hervorgerufene Unsicherheit, wann nun tatsächlich die inneren Kontakte zu messen sind, führte dazu, dass die Sonnenparallaxe nicht so exakt ermittelt werden konnte, wie man sich das gewünscht hatte. Die Berechnungen schwankten zwischen 8,28 Bogensekunden und 10,60 Bogensekunden, was einem Abstand zur Sonne von 124 bis 159 Millionen Kilometern entspricht. Oft wurden die Beobachtungen von 1761 deshalb als völliger Misserfolg gewertet, was ein zu hartes Urteil ist, denn man kannte die Parallaxe nun immerhin genauer als zuvor. Bis dahin hatte man sie zwischen zehn und 14 Bogensekunden vermutet, nun wusste man, dass sie wahrscheinlich um neun lag. Das Gefühl des Scheiterns wurde eigentlich nur durch die viel zu hohen Erwartungen hervorgerufen. Dennoch wurde das ganze Unterfangen von 1761 nur als halber Erfolg gewertet, da einige Beobachtungsstationen unter schlechtem Wetter gelitten hatten, manche Astronomen durch die Kriegsereignisse aufgehalten oder völlig an ihrer Beobachtung gehindert wurden und wieder andere am Längengradproblem gescheitert waren. Aber alle hatten unter den unerwarteten Erscheinungen des Schwarzen Tropfens während der inneren Kontakte und dem hellen Ring um die Venus während ihres Eintritts und Austritts gelitten (Sheehan und Westfall 2004, S. 162).

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Bestimmung der geographischen Länge

Wo sind wir? Das Problem der Bestimmung der geographischen Länge Wollte man die Methode von Delisle anwenden, bei der nur entweder der Eintritt oder der Austritt der Venus beobachtet werden musste, was den Vorteil hatte, dass auch Beobachtungsstationen in Frage kamen, an denen einer der Kontakte während der Dunkelheit stattfand, brauchte man sehr exakte Längengradbestimmungen, die um 1761 nur durch sehr aufwendige Verfahren durchgeführt werden konnten. Ein Teil des Disputs über die Resultate der Messungen von 1761 entstand, weil die Meinungen über die genaue Lage, d. h. insbesondere die geographische Länge eines Beobachtungsortes, unterschiedlich waren. Selbst der Längenunterschied zwischen Greenwich und Paris war nicht eindeutig bestimmt, die Messungen differierten um bis zu 20 Sekunden. Dennoch war man hinsichtlich des zweiten Transits des Jahrhunderts optimistisch und verstärkte die Aktivitäten (Woolf 1959, S. 149) noch. Die Bestimmung der geographischen Breite hingegen war relativ einfach. Unter Verwendung eines Jakobsstabs oder eines Quadranten konnte man anhand des Sonnenstands oder der Höhe bekannter Sterne über dem Horizont die geographische Breite bestimmen. Länge ist Zeit, Zeit ist Länge und beides ist untrennbar aneinander gekoppelt. Die Bestimmung der Längengrade beruht auf Zeitmessung. Dazu benötigt man die genaue Uhrzeit sowohl an dem Ort, an dem man sich befindet und von dem man die Länge bestimmen möchte, als auch im Heimathafen oder einem anderen Ort bekannter Länge, der als Referenzpunkt dient. Die jeweilige Ortszeit zu ermitteln, war unproblematisch, man konnte seine Uhr anhand des Sonnenstands justieren, da es, wenn die Sonne genau senkrecht steht, zwölf Uhr ist. Die Erde dreht sich innerhalb von 24 Stunden um 360 Grad. Also legt sie in einer Stunde 15 Grad zurück (360:24 = 15). Eine Stunde Zeitunterschied zwischen dem aktuellen Aufenthaltsort und dem Referenzpunkt entspricht demzufolge einer Entfernung von fünfzehn Grad östlicher oder westlicher Länge. Das Grundprinzip ist also sehr klar und einfach. Das Problem lag darin, dass keine Uhren zur Verfügung standen, die dauerhaft genau gingen, sodass man die Zeit des Referenzortes hätte „mitnehmen“ können. Wie konnte man also herausfinden, wie viel Uhr es gerade am Referenzort war? Dazu wurden im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Methoden erprobt. Berühmte Astronomen wie Galileo Galilei, Jean Domi107

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Zwei unerwartete Phänomene

nique Cassini, Christiaan Huygens, Isaac Newton und Edmond Halley versuchten das Problem der Längengradbestimmung mittels Mond und Sternen zu lösen, gelangten aber zu recht komplizierten und fehleranfälligen Methoden. Um nun die Zeit am Referenzpunkt zu erhalten, kam mangels entsprechender Uhren die Idee auf, ein Himmelsphänomen zu beobachten, von dem die Zeit, zu der es am Referenzpunkt, z. B. Greenwich, stattfindet, vorausberechnet werden konnte. Insbesondere boten sich hierzu Mond- und Sonnenfinsternisse an. Die Nachteile dabei waren, dass diese Eklipsen nur relativ selten stattfanden und deshalb zur Bestimmung der Länge während einer Seereise nicht taugten. An Land konnte man warten, bis eine Finsternis eintrat, um die Länge des Ortes zu bestimmen. Dies war der Grund, warum die Beobachter der Venusdurchgänge häufig noch längere Zeit an ihren Beobachtungsorten blieben: Sie wollten eine entsprechende Mond- oder Sonnenfinsternis abwarten, um diese zur Längenbestimmung zu benutzen. Der andere Nachteil war, dass nicht alle Mond- bzw. Sonnenfinsternisse überall auf der Welt zu sehen sind, sodass auch dadurch Einschränkungen entstehen. Ebenso ließ die mögliche Genauigkeit zu wünschen übrig, es kam zu Abweichungen von bis zu einer Viertelstunde, was einem Fehler von ca. 4 Grad Länge entsprach. An Land waren Mondfinsternisse aber trotz aller Nachteile bis 1600 die wichtigste Methode zur Bestimmung der Länge. Erst danach setzten sich zunehmend andere Vorgehensweisen durch (Van Helden 1996, S. 92).

Monddistanzmethode Die sogenannte Monddistanzmethode wurde erstmals von Johann Werner (1468–1522) aus Nürnberg in einer Publikation im Jahr 1514 vorgeschlagen. Peter Apian (1495–1552) machte die Methode in seinem „Cosmographicus“ von 1524 bekannt. Die Probleme dabei waren, dass die Bewegungen des Mondes schwierig vorauszusehen waren und die Stellung der Sterne nicht mit ausreichender Genauigkeit bekannt war. Außerdem fehlte zu diesem Zeitpunkt ein Winkelmessgerät, mit dem man auf See Winkel präzise messen konnte. Der Jakobsstab war zu ungenau, um ihn auf Schiffen zu gebrauchen, an Land konnte er erfolgreicher eingesetzt werden (Howse 1996, S. 151). Bis man diese Schwierigkeiten alle im Griff hatte, vergingen noch ca. 250 Jahre. Bei der Monddistanzmethode machte man es sich zunutze, dass der Mond sich im Verhältnis zu den Sternen im Hin108

Bestimmung der geographischen Länge

tergrund recht schnell bewegt und zwar soviel wie sein eigener Durchmesser pro Stunde. Das kann wie eine Uhr gelesen werden. Der Mond wäre der Zeiger, die Sterne, Planeten und die Sonne das Ziffernblatt. Das Prinzip dieser Methode ist einfach, der Nachteil ist aber, dass komplizierte Berechnungen erforderlich sind, um zu richtigen Ergebnissen zu kommen, weil die Brechung der Lichtstrahlen durch die Erdatmosphäre einkalkuliert werden muss und die Tatsache, dass man nicht vom Erdmittelpunkt aus beobachtet, sondern von der gewölbten Oberfläche der Erde. Im Jahr 1675 wurde in Greenwich das Königliche Observatorium gegründet, um jene Beobachtungen durchführen zu können, die man für die Längengradbestimmungen mittels Himmelsphänomenen brauchte. Der Grund für die Eröffnung des Observatoriums war also weniger wissenschaftlich als praktisch motiviert: Man benötigte vor allem für die Schifffahrt bessere Längenbestimmungen. Dennoch fehlte es noch lange an den Daten, die die Bewegungen von Mond, Sonne und Sternen hinreichend präzise voraussagten. Die wichtigste Aufgabe des Königlichen Astronomen war es, die notwendigen Daten zur Anwendung der Monddistanzmethode zu liefern. Die Zeit drängte, und die exakte Bestimmung der geographischen Länge wurde immer dringlicher, da Schiffe häufig ihr Ziel verfehlten oder es zu Unfällen mit immensen Verlusten an Material und Menschenleben kam. Das berühmteste und traurigste Ereignis war die Katastrophe vor den Scilly-Inseln am 22. Oktober 1707. Vier heimkehrende britische Kriegsschiffe liefen wegen falscher Längengradbestimmungen auf Grund – fast 2 000 Mann starben dabei. Dies führte dazu, dass im Jahr 1714 unter Königin Anne der „Longitude Act“ erlassen wurde, der eine Belohnung von 20 000 Pfund aussetzte für denjenigen, der eine brauchbare Lösung für das Längengradproblem lieferte. Die Abweichung sollte nicht mehr als ein halbes Grad betragen. Immerhin war für eine Lösung mit einer Abweichung von zwei Drittel Grad noch eine Summe von 15 000 Pfund ausgelobt worden, und bei Abweichung um ein Grad winkten noch 10 000 Pfund. Ein Grad Länge bedeutet am Äquator immerhin 111 Kilometer, immer noch genug, um auf Grund zu laufen oder kleine Inseln zu verfehlen. „Dass die britische Regierung bereit war, solch riesige Summen für ‚Praktikable und Nützliche Methoden‘ bereitzustellen, mit denen man das Ziel um viele Meilen verfehlen konnte, drückte die Verzweiflung der Nation über den beklagenswerten Stand der Navigation beredt aus“ (Sobel 1998, S. 75). Um den Longitude Act umzusetzen, wurde eine Jury von Experten zusammengestellt, die die eingereichten Lösungsansätze beurtei109

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Zwei unerwartete Phänomene

len sollte. Diese Kommission (Board of Longitude) bestand aus Naturwissenschaftlern, Marineoffizieren und Regierungsbeamten und hatte freie Hand in der Zuerkennung der Preisgelder. Aufgrund ihres Amtes gehörten der Königliche Astronom, der Präsident der Royal Society, der Erste Seelord, der Staatssekretär für die Flotte, der Sprecher des Unterhauses sowie Mathematikprofessoren der Universitäten Oxford und Cambridge dazu. Der Longitude Act bewirkte, dass nun eine geradezu fieberhafte Suche nach Lösungen einsetzte. Die Experten mussten auch reichlich absurd anmutende Vorschläge begutachten. Besonders 1714 häuften sich die kuriosen Ideen, weil die Autoren sich schnellen Reichtum erhofften. Wie ernst die Lösungen jeweils gemeint waren, lässt sich nicht mehr in allen Fällen nachvollziehen. So birgt der Vorschlag von Sir Kenelm Digby (1603–1665) durchaus satirische Züge. Seine Idee wurde 1688, also bereits mehrere Jahre vor dem Longitude Act, in London publiziert. Digby hatte ein spezielles sympathetisches Pulver entwickelt, das ähnlich wie sympathetische Magie mittels Analogie und auch auf große Distanzen wirken sollte. Ein verletzter Hund musste mit an Bord des Schiffes genommen werden. Den Verband, mit dem die Wunde zuerst bedeckt war, behielt man an Land zurück, und eine vertrauenswürdige Person sollte den Verband jeden Mittag um zwölf Uhr in eine Lösung mit dem sympathetischen Pulver tunken. Der Hund an Bord des Schiffes würde dann laut aufjaulen, sodass die Seeleute das genaue Zeitsignal ihres Heimathafens zur Verfügung hätten und damit die Länge ihres Aufenthaltsortes bestimmen könnten. Der Nachteil war freilich, dass die Wunde dauerhaft offen gehalten werden musste und der arme Hund nicht genesen durfte, sollte das Pulver weiterhin seine Wirkung entfalten (Gingerich 1996, S. 135; Sobel 1998, S. 57).

Jupitermonde Eine andere Methode, Himmelserscheinungen zur Bestimmung des Längengrades zu nutzen, waren die Verfinsterungen der Jupitermonde. Diese Möglichkeit erschloss sich erst nach der Erfindung des Fernrohrs, da die Begleiter des Jupiters mit bloßem Auge nicht zu sehen sind. Am 7. Januar 1610 hatte Galileo Galilei erstmals die Jupitersatelliten durch sein Fernrohr erspäht, und bis Ende des Jahres wurden sie auch von Kepler in Prag und anderen Astronomen in London, Südfrankreich und Rom beobachtet. Kaum waren die Jupitermonde entdeckt, tauchte auch die Idee auf, sie als 110

Bestimmung der geographischen Länge

Himmelsuhr zu verwenden, und man begann Tabellen über ihre Bewegungen aufzustellen (Van Helden 1996, S. 88). Die Jupitersatelliten hatten „Tausend“ Eklipsen pro Jahr, die bis auf eine Minute genau gemessen werden konnten, was nur noch einem Fehler von 15 Bogenminuten entsprach (Van Helden 1996, S. 90). Es kam darauf an, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem der Jupitermond hinter dem Hauptplaneten verschwand, und wann er wieder auftauchte. Für die Seefahrt eignete sich die Methode nicht, weil sie nur nachts anwendbar war. Außerdem war es nicht möglich, von einem schwankenden Schiff ein Fernrohr exakt genug auf die Monde des Jupiters auszurichten, und nur wenige Teleskope hatten damals so gute Linsen, dass die Jupitermonde überhaupt zu sehen waren. Im Jahr 1668 veröffentlichte Giovanni Cassini Tabellen zu den Bewegungen der Jupitermonde, und erst danach wurde die Methode wirklich genutzt. 1674 fand Ole Rømer (1644–1710) systematische Abweichungen in den Tabellen im Vergleich zu den Beobachtungen des ersten Jupitermonds, die ihn zur Entdeckung seiner Theorie über die Lichtgeschwindigkeit führten. Befand die Erde sich auf ihrer Bahn um die Sonne näher an Jupiter, fanden die Verfinsterungen früher als vorhergesagt statt; war sie weiter von Jupiter entfernt, traten sie später auf. Damit war bewiesen, dass die Lichtgeschwindigkeit eine endliche Größe ist. Zu Kartierungszwecken an Land wurden die Eklipsen der Jupitermonde erfolgreich eingesetzt, und ab ca. 1680 galt diese Methode in Frankreich als Standard (Van Helden 1996, S. 96). Man gelangte so zu erheblich verbesserten und genaueren Karten. Als Ludwig XIV. im Jahr1693 eine mittels dieser Methode revidierte Karte von Frankreich vorgelegt wurde, soll der König sich beklagt haben, dass er mehr Land an seine Astronomen als an seine Feinde verloren habe. So lag Brest auf der neuen Karte ca. 80 Kilometer weiter östlich als zuvor (Van Helden 1996, S. 94, Abb. S. 95). Im 18. Jahrhundert war das Verfahren schließlich so gut entwickelt und bekannt, dass fast jeder es anwenden konnte. Man brauchte eine Pendeluhr, ein Teleskop mit einer Brennweite von 4,50 Meter bis 5,40 Meter und einen Quadranten zur Beobachtung der Jupitermonde. Um die Länge an jedem beliebigen Ort auf der Erde bestimmen zu können, musste man die Ortszeit der Beobachtungen mit den Zeiten für dasselbe Erscheinen oder Verschwinden des Jupitermondes, für Paris berechnet, vergleichen. Der Zeitunterschied, umgerechnet in Grad, entspricht dem Unterschied in der Länge zwischen dem aktuellen Ort und der Länge von Paris. Die Zeiten des ersten Jupitermondes waren sehr genau kalkuliert, die der drei 111

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Zwei unerwartete Phänomene

anderen waren bis in die 1770er-Jahre ungenauer berechnet, taugten aber dennoch für Längenbestimmungen. Komplizierter blieb es, die Länge auf See zu bestimmen. Dazu bediente man sich des Gissens bzw. der Koppelnavigation. Es wurde eine Logge über Bord geworfen und geschaut, wie schnell sich das Schiff von dieser Behelfsmarke entfernte. Die Ergebnisse dieser Geschwindigkeitsmessung wurden notiert. Die Fahrtrichtung wurde mit Hilfe der Gestirne oder des Kompasses bestimmt, und die Dauer des jeweils verfolgten Kurses maß man mit einer Sand- oder Taschenuhr. Zusätzlich waren noch die Meeresströmungen und unbeständige Winde zu berücksichtigen. Alles wurde gewissenhaft aufgeschrieben, und trotz der unvermeidbaren Ungenauigkeiten bei der Geschwindigkeitsmessung wurde schließlich die Position ermittelt. Insgesamt waren die so errechneten Längen relativ ungenau, weshalb es häufig vorkam, dass neu entdeckte Inseln über lange Zeiträume nicht wiedergefunden wurden. Da die Längenbestimmung mittels Jupitersatelliten auf See nicht funktionierte, bestand weiterhin Bedarf an neuen Lösungen. In den Jahren seit der Gründung des Board of Longitude bis zum Transit von 1761 entbrannte eine regelrechte Konkurrenz zwischen zwei favorisierten Methoden. Einerseits wurde die Monddistanzmethode zunehmend verbessert. Sie wurde praktikabler, nachdem die Erfindung des Sextanten präzisere Peilungen erlaubte. Tobias Mayer (1723–1762) aus Göttingen stellte Mondtabellen zusammen, die alle bisherigen in ihrer Exaktheit der Voraussagen der Position des Mondes im Verhältnis zur Sonne und den Sternen übertrafen. Im Jahr 1755 schickte er seine Tabellen an Admiral Lord Anson, First Lord of the Admiralty, der sie 1756 dem Board of Longitude vorlegte. Zwar konnten sie wegen des Siebenjährigen Kriegs nicht gleich auf Seereisen getestet werden, aber der Königliche Astronom, James Bradley (1693–1762), verglich Vorhersagen aus Mayers Tabellen mit aktuellen Beobachtungen und war höchst zufrieden mit der Genauigkeit von Mayers Vorausberechnungen. Der erste Test von Mayers Tabellen fand während einer der Venustransitexpeditionen statt: 1761 prüfte Nevil Maskelyne die Tabellen auf seiner Reise nach St. Helena. Er arbeitete mit einem Hadley-Quadranten, bei dem es sich um einen 1730 von John Hadley (1682–1744) erfundenen Spiegelquadranten handelt. Seine mittels der Monddistanzen vorgenommene Bestimmung der Länge auf See wies nur einen Fehler von 1,5 Grad auf, wohingegen die Schiffsoffiziere um sieben Grad falsch lagen (Woolf 1959, S. 133). Nach seiner Rückkehr veröffentlichte Maskelyne den „Brit112

Bestimmung der geographischen Länge

ish Mariner’s Guide“, in dem er die Anwendung der Monddistanzmethode auf einfache Art erklärte. 1753 und 1754 hatte auch Nicolas Louis Lacaille (1713–1762) auf dem Rückweg vom Kap der Guten Hoffnung erfolgreich mit Monddistanzen gearbeitet, obwohl er schlechtere Tabellen als die von Mayer zur Verfügung gehabt hatte. Auch Pingré bediente sich auf dem Weg nach Rodrigues erfolgreich dieser Methode. Im Jahr 1765 wurde Maskelyne Königlicher Astronom und damit Mitglied im Board of Longitude (Howse 1996, S. 154), wo er als vehementer Verfechter der Monddistanzen auftrat und anderen Verfahren wenige Chancen einräumte. Vor allem stand er den Versuchen, seegängige Uhren zu entwickeln, skeptisch gegenüber. Auch wenn man mit den Monddistanzen zu guten Ergebnissen kommen konnte, hatte die Methode dennoch einen entscheidenden Nachteil. Es mussten extrem umfangreiche Berechnungen angestellt werden, die pro Peilung ca. vier Stunden in Anspruch nahmen. Die Gleichungen dafür hatte Leonhard Euler entwickelt. Die Beobachtungen und Winkelmessungen wurden mehrfach (drei bis fünfmal) wiederholt und dann der Mittelwert genommen, um die Genauigkeit zu erhöhen. Die Winkel wurden am Rand von Sonne oder Mond gemessen, da man aber das Zentrum brauchte, musste umgerechnet werden. Um die gesamten Berechnungen auf ca. 30 Minuten zu verkürzen, wurde ab 1766 von Maskelyne der „Nautische Almanach“ herausgegeben, in dem die Positionen für alle drei Stunden vorausberechnet waren. Bis zum Erscheinen von Maskelynes „Nautischem Almanach“ hatten Seeleute die Länge in Bezug auf ihren Ausgangshafen angegeben, nun gaben sie sie in Bezug auf Greenwich an, weil dafür die Beobachtungen kalkuliert waren (Howse 1996, S. 155). Erst im Jahr 1884 wurde auf der Internationalen Meridiankonferenz in Washington D.C. offiziell beschlossen, Greenwich als den Nullmeridian anzuerkennen. Die Franzosen orientierten sich aber noch bis 1911 am Meridian ihres Pariser Observatoriums als Nullmeridian. Das Ausgangsproblem zur Längenbestimmung auf See war, dass Pendeluhren auf Schiffen sehr ungenau gingen. Die wechselnden Temperaturen ließen das Schmieröl in einer Uhr dünner oder dicker werden, und auch die metallischen Bestandteile dehnten sich aus oder zogen sich zusammen, was zu Ungenauigkeiten beitrug. Außerdem funktionierte die von Huygens entwickelte Pendeluhr nur bei ruhigem Wetter. Zur Behebung dieser Schwierigkeiten trug Huygens selbst bei, indem er die Spiralfeder erfand und sie anstelle des Pendels als Regulierorgan verwendete. Aber auch das führte nicht zum Durchbruch, weil die Feder stark auf 113

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Zwei unerwartete Phänomene

Temperaturschwankungen reagierte. Ebenso blieben Versuche mit kürzeren Pendeln erfolglos. Huygens’ theoretische Arbeiten legten immerhin die Grundlage für eine Lösung, nämlich die Entwicklung der Unruh mit einer Spiralfeder.

Ein Tischler erfindet die passende Uhr John Harrison (1693–1776), der eigentlich das Tischlerhandwerk erlernt hatte, beschäftigte sich sein Leben lang mit der Entwicklung einer geeigneten Uhr für die Seefahrt. Als Autodidakt konstruierte er reibungsfreie Uhren, die nicht geschmiert werden mussten und auch nicht gereinigt. Sie waren aus rostunempfindlichem Material und gingen trotz aller Erschütterungen sehr genau. Er verzichtete auf das Pendel und verwendete in seinen Konstruktionen Metalle mit unterschiedlicher Ausdehnung, die Temperaturschwankungen kompensierten und so ein konstant laufendes Uhrwerk ermöglichten. Den ihm zustehenden Preis bekam Harrison erst 1773 nach vier Jahrzehnten politischer Intrigen, Verleumdungen und zum Teil unsachlicher Angriffe gegen ihn. Zwar zeigten Prüfungen durch berühmte Kapitäne wie z. B. James Cook, dass Harrisons Uhren die geforderte Genauigkeit aufwiesen und mit ihnen die Längenbestimmungen erheblich verbessert werden konnten, aber die Uhren waren in den ersten Jahren zu teuer, um allgemeine Verwendung zu finden. Darum wurde die Monddistanzmethode von 1780 bis 1840 auf See intensiv genutzt, obwohl die mit dem Chronometer ermittelten Längen genauer waren. Teilweise setzten die Seeleute die Monddistanzen auch ein, um die Schiffsuhren zu überprüfen. Nachdem aber bewiesen war, dass Harrisons vierte Uhr, die H-4, exzellente Dienste tat, war der Ehrgeiz der Uhrmacher geweckt, und es kamen zunehmend Nachahmerprodukte und Weiterentwicklungen auf den Markt. Neben John Harrison entwickelten auch Pierre Le Roy (1717– 1785) und Ferdinand Berthoud (1727–1807) genau gehende Schiffschronometer, wodurch eine Konkurrenz zwischen englischen und französischen Uhrmachern entstand. Harrisons Uhr H-4 verlor nur 54,5 Sekunden auf einer Schiffsreise zu den Westindischen Inseln, die 147 Tage dauerte. Damit konnte die Länge bis auf ein halbes Grad genau bestimmt werden, was für die Navigation hervorragend war, aber als Irrtum noch immer viel zu groß war für astronomische Zwecke. So spielten Harrisons Uhren in den Transit-Expeditionen keine große Rolle. Aber die weiten 114

Bestimmung der geographischen Länge

Reisen der Venusexpeditionen wurden häufig dazu genutzt, solche Uhren zu testen. In dem Moment, in dem präzise Uhren zu erschwinglichen Preisen zu haben waren, hatte sich diese Methode gegenüber allen anderen durchgesetzt und sollte erst im 20. Jahrhundert durch GPS abgelöst werden.

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Schicksale – Der Venustransit von 1769

Um den Vorübergang der Venus vor der Sonne im Jahr 1761 zu beobachten, waren weder Risiken noch Anstrengungen gescheut worden, um selbst in Zeiten des Krieges die ausgewählten Beobachtungsstationen zu erreichen und die nötigen Messungen durchzuführen. Man wollte mittels des Transits die Distanz zwischen Sonne und Erde ermitteln, um damit die Astronomische Einheit, den Schlüssel zur Größe des Universums, zu besitzen. Die erreichten Resultate lagen zwischen 8,5 und 10,5 Bogensekunden und waren damit bei Weitem nicht so genau wie erhofft. Zum Glück bot sich acht Jahre später eine zweite Chance. Ein zweites Mal in diesem Jahrhundert wurden alle Kräfte gebündelt, um zu exakteren Resultaten zu gelangen. Es entbrannte ein regelrechter Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Nationen darüber, wer am besten ausgerüstet zur Lösung des Problems beitragen könne. Insbesondere für England wurden die Transitbeobachtungen zu einer Frage der nationalen Ehre (Nunis 1982, S. 41 f.). Woolf zufolge wurde der Transit von 1769 insgesamt von 138 Gelehrten an 63 Beobachtungsorten gemessen, von denen lediglich 15 dieselben waren wie acht Jahre zuvor. Das bedeutet, dass im 18. Jahrhundert von insgesamt 110 verschiedenen Stellen rund um den Globus (verteilt) ein Venustransit beobachtet wurde. Und damit sind nur die offiziellen Expeditionen dokumentiert. Zahllose Amateure haben aus eigener Initiative die Venuspassagen beobachtet, was sich lediglich in Erzählungen und vereinzelten Veröffentlichungen ihrer Erlebnisse spiegelt. Zu den wissenschaftlichen Resultaten lieferten die meisten von ihnen keinen wesentlichen Beitrag, aber sie bezeugen, welche Bedeutung diesem Naturschauspiel beigemessen wurde. Die Berechnungen hatten ergeben, dass der Transit von 1769 vollständig über dem Pazifik, dem Westen Amerikas und der Arktis zu sehen sein würde. Im Osten Amerikas und in Westeuropa wäre nur der Beginn des Transits zu sehen und in Ostasien nur das Ende. Von Lappland aus würde 116

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Schicksale – Venustransit 1769

die längste Dauer zu beobachten sein, die Pingré mit fünf Stunden, 55 Minuten und zehn Sekunden berechnet hatte. Nun war er auf der Suche nach dem Ort, von dem aus die kürzeste Dauer zu beobachten wäre. Er fand heraus, dass dieser Punkt auf 242 Grad Ost und 28,5 Grad Süd liegen würde. Dort wäre der Transit 28 Minuten und 34 Sekunden kürzer als in Nordeuropa und würde nur fünf Stunden, 26 Minuten und 36 Sekunden dauern. Dieser theoretisch ermittelte Punkt lag in der Nähe von Pitcairn, einer Insel, die damals gerade entdeckt war, aber aufgrund falscher Längenbestimmungen an anderer Stelle auf den Karten auftauchte. 1790 gelangte das Eiland zu einiger Berühmtheit, weil die Meuterer der Bounty sich dort niederließen (Woolf 1959, S. 153). Auch wenn man noch nicht genau wusste, welcher Ort erreichbar wäre, war es wünschenswert, eine Transitbeobachtung irgendwo in der Südsee durchzuführen, um wenigstens in der Nähe des Punktes mit der geringsten Dauer eine Observation zu haben. Nevil Maskelyne war als Königlicher Astronom für die Koordinierung und Planung der britischen Beobachtungen des Venusdurchgangs verantwortlich. Die britischen Aktivitäten wurden direkt durch König Georg III. unterstützt, indem er der Marine befahl, der Royal Society ein Schiff zur Verfügung zu stellen. Er spendete 4 000 Pfund, um die Kosten dafür zu decken. Das Interesse des Königs reichte aber über die eigentliche Transitbeobachtung hinaus, denn er wollte bei der Gelegenheit auch unerschlossene Gebiete auf der Südhalbkugel der Erde erforschen lassen. Der Pazifik schien ebenso groß wie unbekannt zu sein. England zeigte für den Transit von 1769 erheblich mehr Interesse als für den acht Jahre zuvor. Die Royal Society war federführend an den Vorbereitungen beteiligt und gründete ein Transitkomitee, das aus folgenden Mitgliedern bestand: Nevil Maskelyne, Königlicher Astronom; bis zu seinem Tod James Short (1710–1768), Instrumentenbauer; Henry Cavendish (1731–1810) befasste sich mit Chemie und Physik; James Ferguson (1710–1776), Astronom und Instrumentenbauer, sowie John Bevis (1693–1771), Arzt und Amateurastronom, der vorschlug, die Beobachter an einem Modell trainieren zu lassen. Es ist nicht klar, ob dies je in die Tat umgesetzt und das Modell überhaupt gebaut wurde. Das Komitee sollte die Orte auswählen, von denen aus es sinnvoll wäre, Beobachtungen anzustellen, die zu befolgenden Methoden bestimmen sowie die Expeditionsteilnehmer benennen. Das erste Treffen fand 19 Monate vor dem Transit statt und die Empfehlungen wurden in einem Memorandum an Georg III. formuliert. Im letzten Ab117

7.

Schicksale – Venustransit 1769

vollständiger Transit sichtbar

Transit nicht sichtbar Eintritt sichtbar

Austritt sichtbar

vollständiger Transit sichtbar

Abb. 31: Sichtbarkeit des Venustransits von 1769.

satz dieses Memorandums wird besonders darauf hingewiesen, dass die britische Nation ihren Ruf, weltweit führend in der Astronomie zu sein, nicht verlieren wolle, und es darum von besonderer Wichtigkeit sei, exzellente Beobachtungen des Venustransits durchzuführen (Sheehan und Westfall 2004, S. 163). Die Anweisungen für die Beobachter des Venusdurchgangs wurden als Anhang in Maskelynes „Nautischen Almanach“ für das Jahr 1769 veröffentlicht. Das Transitkomitee plante drei Beobachtungsstationen auf der Nordhalbkugel, um die nördliche Zone der Sichtbarkeit gut abzudecken und eine im Südpazifik in der Nähe des südlichen Halley’schen Pols, obwohl der Pazifik noch weitgehend „aqua incognita“ für die Europäer war. Hin und wieder hatten Handelsschiffe, wenn der Wind sie auf der Strecke von Acapulco nach Manila von ihrem Weg abbrachte, neue Inseln entdeckt, doch die meisten von ihnen wurden nicht wieder gefunden, weil die geographische Länge nur ungenau oder sogar falsch bestimmt worden war. Ursprünglich hatte die Royal Society geplant, Beobachter nach Kalifornien zu entsenden, aber Spanien gestattete dies aus politischen Gründen nicht. Darum konkretisierten sich die Südseepläne. Um die Vergleichbarkeit der Beobachtungen zu gewährleisten, hielt man es für wünschenswert, dass alle Beobachtungsteams mit den gleichen Gerätschaften arbeiteten, die bei den besten Londoner Instrumentenbauern wie John 118

Jedem seine Venus

Shelton, James Short, John Bird und Jesse Ramsden in Auftrag gegeben werden sollten.

Jedem seine Venus – James Cook auf Tahiti Für die geplanten Beobachtungen im Südpazifik empfahl Maskelyne ursprünglich Alexander Dalrymple (1737–1808). Dalrymple war bereits als 15-Jähriger in den Dienst der Ostindien-Kompanie getreten und nach Madras gesegelt. Später bemühte er sich, den englischen Handel in Ostindien zu beleben. Er gehörte zu jenen, die unablässig von der Entdeckung des vermuteten, aber unbekannten Südkontinents träumten. Aufgrund seiner reichhaltigen Erfahrungen galt er als guter Navigator und hatte außerdem Freude an neuen Entdeckungen. Aus diesen Gründen wählte das Transitkomitee ihn als Leiter einer Expedition in die Südsee zur Beobachtung der Venuspassage. Dalrymple machte allerdings zur Bedingung, dass er selbst das Kommando über das Expeditionsschiff erhielt, was für die Marine, die das Schiff zu stellen hatte, nicht in Frage kam. Seit 1698, als Halley die Paramore kommandiert und es fast eine Meuterei an Bord gegeben hatte, lehnte die Marine es strikt ab, eines ihrer Schiffe einem Zivilisten zu übergeben. So erhielt James Cook seine Chance, berühmt zu werden (Marlot 2004, S. 193). James Cook gilt als einer der bekanntesten Kapitäne in der Geschichte der Seefahrt und der Entdeckungsreisen. Viel weniger bekannt ist, dass der Anlass für seine erste der drei berühmten Weltumsegelungen die Beobachtung des Venusdurchgangs von 1769 war. Die Admiralität hielt Cook für den fähigsten Offizier zur Durchführung dieser Beobachtungen. 1766 hatte er auf Neufundland eine Sonnenfinsternis verfolgt und darüber der Royal Society berichtet. Damit hatte er bereits einen Nachweis seiner wissenschaftlichen Befähigung geliefert. Als Astronom wurde Cook Charles Green (1735–1771) zur Seite gestellt, einer der Assistenten Maskelynes am Königlichen Observatorium in Greenwich, der den Venustransit von 1761 in Greenwich beobachtet hatte. Geboren 1728 in Yorkshire, hatte Cook nur eine rudimentäre Bildung erhalten. Früh verließ er sein Elternhaus, um bei einem Fischhändler in die Lehre zu gehen. Als der Wunsch, zur See zu fahren, in ihm übermächtig wurde, wechselte er zu den Reederbrüdern John und Henry Walker im Hafen von Whitby. Zwei Jahre lang fuhr er auf dem Kohlenschiff Friend119

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Schicksale – Venustransit 1769

ship und wechselte dann zur Königlichen Marine. Er leistete gute Arbeit als Vermesser im St.-Lorenz-Strom (Kanada) und galt als seriös, loyal und vertrauenswürdig. So schien er der geeignete Mann zu sein, um das Kommando der Expedition in den Südpazifik zu übernehmen. Noch war aber nicht endgültig geklärt, von welchem Ort aus der Venustransit beobachtet werden sollte. Als eine Möglichkeit wurden die Marquesas in Betracht gezogen, die von dem Spanier Alvaro de Mendaña y Neira im Jahr 1595 entdeckt worden waren. Als Alternative galt die Insel Tonga, die der Holländer Abel Tasman 1643 ausfindig gemacht hatte. James Ferguson hatte die Salomonen oder die Fly Islands vorgeschlagen. Das Problem war nur, dass diese Inseln seither nicht mehr wiedergefunden werden konnten, da die Länge nicht korrekt bestimmt worden war. Als im Mai 1768 das Transitkomitee über die Vor- und Nachteile der vorgeschlagenen Inseln diskutierte, kehrte Samuel Wallis, Kapitän der Fregatte HMS Dolphin, von seiner zweijährigen Weltumsegelung zurück. Auch er hatte vergeblich nach dem unbekannten Südkontinent gesucht, aber stattdessen eine bewohnte Insel entdeckt, von der man in Europa noch nichts wusste. Nach König Georg III. hatte er sie „King George’s Land“ getauft, die Bewohner nannten ihr Eiland „Otaheite“, was wir heute als Tahiti kennen. Wallis war Otaheite wie das Land der Glückseligen erschienen, schöner als man es sich erträumen könnte. Er hatte in der Matavai-Bucht geankert, und die Insulaner waren den Fremden in Booten entgegen gekommen und hatten sie begrüßt. Die scheinbare Freundlichkeit der Insulaner wandelte sich in Aggression, und erst nach der Beilegung der ersten Konflikte und der Zerstörung mehrerer der einheimischen Boote, begannen beide Seiten Handelsbeziehungen aufzubauen. Die an Skorbut leidenden Engländer tauschten dringend benötigte frische Lebensmittel gegen Metallgegenstände ein. Besonders begehrt als Tauschobjekt waren Nägel. Die Engländer konnten auf Otaheite für einen Nagel ein ganzes Schwein bekommen. Ein Liebesabenteuer war für die Matrosen ebenfalls erschwinglich, kostete es sie doch gleichfalls nur einen Nagel. Das barg erhebliche Gefahren für die Dolphin, da die Matrosen überall Nägel entfernten, um die Gunst der schönen Insulanerinnen zu erringen. Voller Stolz über seine Entdeckung berichtete Wallis von dem kleinen Paradies in der Südsee. Ein gewichtigeres Argument als die Versorgung mit Trinkwasser, kulinarischen und sonstigen Freuden wurde für das Transitkomitee der Umstand, dass es Wallis und seinen Offizieren geglückt war, mittels der Monddistanzmethode recht genau die geographische Länge 120

Jedem seine Venus Matavai Bay

Fort Venus

Papeete

Mt. Orohena 2241 m

Tahiti

0

10

20

30 km

Abb. 32: Die Lage von Fort Venus auf Tahiti.

von Otaheite zu bestimmen, sodass die Aussichten gut standen, die Insel wiederzufinden. Aber auch aus wissenschaftlicher Hinsicht erwies Tahiti sich als gut geeignet für die Transitbeobachtungen, denn der Pfad, den die Venus von Tahiti aus gesehen über die Sonne nehmen würde, wiche ausreichend von dem ab, der von der Nordhalbkugel aus zu sehen wäre. Auch der Unterschied in der Dauer des Transits wäre groß genug. Die Transitdauer war für Tahiti auf fünf Stunden und 28 Minuten errechnet worden, volle 27 Minuten kürzer als in Norwegen. Diese Differenz von 27 Minuten lag relativ dicht an der maximal möglichen Differenz von 35 Minuten bei dem Transit von 1769. Damit war dieser Transit für die Anwendung von Halleys Methode der Dauer ausgezeichnet geeignet. Am 9. Juni 1768 teilte die Royal Society der Admiralität mit, dass Tahiti der bestmögliche Ort für die Venusbeobachtung auf der Südhalbkugel wäre (Woolf 1959, S. 168). So wurde der Plan gefasst, die Expedition unter Leitung von James Cook nach Tahiti zu schicken. Die Royal Navy kaufte eine 360 Tonnen Bark, Earl of Pembroke, die zuvor dem Transport von Kohlen für den Handel gedient hatte, ließ sie ausbessern und gab ihr den Namen Endeavour. Aufgrund der Berichte von Wallis war die Zahl der Freiwilligen, die sich für Cooks Expedition meldeten, nachdem klar war, dass sie nach Tahiti führen sollte, größer als sonst bei solchen Anlässen. Auch einige der Crew der Dolphin ließen sich erneut anheuern, um noch einmal nach Tahiti zu gelangen, obwohl sie gerade erst eine zweijährige strapaziöse Reise hinter 121

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Schicksale – Venustransit 1769

sich hatten. Zusätzlich zur Aufgabe, den Transit zu beobachten, erhielt Cook noch geheime Instruktionen von der Admiralität, die auf Wallis’ Bericht von fernen Gipfeln, die er vorgeblich weiter südlich gesehen hatte, fußten. Nach dem Transit sollte Cook weiter nach Süden vordringen, um den großen Südkontinent zu suchen, die Küste zu explorieren und mit Einverständnis der Einwohner von passenden Stellen Besitz zu ergreifen. Falls er den Kontinent nicht finden sollte, sollte er die Ostseite des von Tasman entdeckten Landes (Neuseeland) erkunden. Darüber hinaus geriet Cooks Weltumsegelung zu einem grandiosen Wissenschaftsunternehmen ganz im Sinne der europäischen Aufklärung. Erheblichen Anteil daran hatte Joseph Banks (1744–1820), ein reicher Adeliger mit ausgeprägtem Interesse für Botanik. Er steuerte Geld bei und erwirkte die Erlaubnis, samt sechs Begleitern an der Expedition teilzunehmen. Zu Banks Entourage gehörte Dr. Daniel Carl Solander (1732– 1782), ein Schüler von Carl von Linné und selbst exzellenter Botaniker. Außerdem schifften sich Sydney Parkinson (1745–1771), ein naturkundlicher Zeichner, und der schottische Landschaftsmaler Alexander Buchan (gest. 1769) ein sowie Herman Diedrich Spöring (1733–1771), der früher für Solander gearbeitet hatte und nun als naturkundlicher Assistent von Banks engagiert worden war. Eine Bibliothek mit allen wichtigen Werken zur Naturgeschichte war ebenso an Bord wie die bestmöglichen Instrumente zur Erforschung der Natur (Woolf 1959, S. 168). Mit Vorräten für 18 Monate beladen verließen 71 Mann am 26. August 1768 auf der Endeavour Plymouth. Sie hatten vier Tonnen Bier an Bord, außerdem 185 Käse aus Devonshire, frisches Fleisch und tonnenweise gesalzenes Rindfleisch, Zwieback, Essig, Sauerkraut und Früchte sowie 604 Gallonen jamaikanischen Rum. Am 13. September erreichten sie Madeira, ihren ersten Halt. Dort wurden frische Nahrungsmittel an Bord genommen. Der nächste Stopp war Rio de Janeiro am 13. November. Obwohl die Beziehungen zwischen England und Portugal zu dieser Zeit eigentlich gut waren, wurden sie vom portugiesischen Vizekönig recht kühl empfangen, da er nicht glauben wollte, dass ein aufgemöbeltes Kohlenschiff der Königlichen Marine gehören könne und die weite Reise nur antrat, um einen Planeten zu beobachten. Er hielt sie für Schmuggler. Eine bewaffnete Wache wurde an Bord postiert, und Landgänge waren nur in Begleitung erlaubt. Aber Banks schaffte es, sich mit Solander und Parkinson nachts von Bord zu stehlen, um an Land Pflanzen zu sammeln. 122

Jedem seine Venus

Sobald die Endeavour neuen Proviant an Bord hatte, verließ sie Rio, nicht ohne noch am Hafenausgang beschossen zu werden. Am 12. Januar erreichte das Schiff die Le-Maire-Straße. Banks musste sich einen Landgang erkämpfen, um in Feuerland die Flora studieren zu können. Im April 1769, nach sieben Monaten auf See, kamen sie endlich auf Tahiti an. Sie wurden dort relativ freundlich empfangen, und der Handel begann: Gegen Glasperlen tauschten die Engländer Kokosnüsse, Brotfrucht – geröstet und roh – und kleine Fische. Kaum waren sie angekommen, starb Alexander Buchan, der bereits seit Feuerland krank gewesen war. Die Matavai-Bucht, in der sie gelandet waren, bot Schutz vor Wellen und Wind. Die meisten Bewohner waren seit Wallis’ Besuch weiter weggezogen und hatten ihre Schweine mitgenommen. Dennoch entschied Cook, in der Bucht zu bleiben, weil er nicht glaubte, einen besseren Ankerplatz finden zu können. Als Ort für sein Observatorium wählte er eine Stelle nordöstlich der Bucht, an der ein Fluss parallel zum Strand floss, sodass sie ständig frisches Trinkwasser zur Verfügung hatten. Auf einer baumlosen Landzunge, die freien Himmel für teleskopische Beobachtungen bot, errichteten sie Zelte, begannen mit dem Bau eines Gebäudes, das sie Fort Venus nannten, und setzten das tragbare Observatorium aus Leinwand und Holz zum Schutz der Instrumente und der Uhr zusammen. Als Abwehr gegen Eindringlinge errichteten sie Palisaden. Auf der Seite des Flusses bauten sie eine Doppelreihe von Fässern auf, die sie mit zwei Vierpfündern befestigten. Dieses ganze Bauwerk weckte das Interesse der Einheimischen, einige erboten sich beim Bau zu helfen, andere zeigten ihre diebischen Qualitäten, von denen Wallis schon berichtet hatte. Daniel Solander wurde ein Fernglas entwendet und dem Schiffsarzt William Monkhouse kam seine Schnupftabakdose abhanden. Am nächsten Tag gab es einen unerfreulichen Zwischenfall. Banks demonstrierte gerade seine Schießfähigkeiten, indem er drei Enten mit einem Schuss erlegte, als einer der Tahitianer sich einer Muskete bemächtigte und sich damit davonstehlen wollte. Er wurde auf der Stelle von einer der Wachen erschossen. Die restlichen Tahitianer liefen erschrocken auseinander. Mit Mühe gelang es Cook, sie zurückzurufen und zu beruhigen. Er gab aber auch den Befehl, die Endeavour näher an die Küste zu bringen, damit sie notfalls ihre Kanonen auf den Küstenabschnitt richten könnten, um sich zu verteidigen. Cook und Green verbrachten als Erste eine Nacht an Land. Sie wollten mittels der Monddistanzen dringend eine genaue Längenbestimmung der Lage des Observatoriums vornehmen, aber Wolken verdeckten die Sicht. 123

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Schicksale – Venustransit 1769

Abb. 33: Fort Venus auf Tahiti (Gravierung nach einer Zeichnung von H. D. Spöring).

Banks und Solander leisteten ihnen Gesellschaft. Bald darauf kamen drei Schönheiten im Boot an, die sich bereit erklärten zu bleiben. Banks entbrannte in Begehren und geriet mit Monkhouse in Streit um ein Mädchen mit feurigem Blick. Es kam zum Duell zwischen beiden, aber die Pistolen funktionierten nicht, sodass keiner von beiden sein Leben lassen musste. Die Engländer zeigten sich beeindruckt von den geraden weißen Zähnen, dem graziösen Gang der Tahitianer und ihrer Hygiene – sie badeten dreimal am Tag – was wohl in starkem Kontrast zur Sauberkeit der Seeleute stand. Durch Wallis’ Erfahrungen vorgewarnt, gab Cook die Order, dass kein Stück Metall oder Stoff für etwas anderes als Lebensmittel eingetauscht werden dürfe. Inzwischen reichte ein einzelner Nagel auch bei Weitem nicht mehr aus, um ein Schwein oder ein Liebesabenteuer zu erwerben. Selbst ein Ferkel kostete nun schon mindestens eine Hacke. Cook und Parkinson waren wohl puritanischer als die anderen, Parkinson schreibt indigniert in sein Tagebuch, dass selbst tugendhafte Europäer sich in unzivilisierten Gegenden der Welt ungestraft Dinge erlaubten, die sie zu Hause nie täten, als würde der Ortswechsel die Schändlichkeit der Unzucht vertreiben. Bereits im Mai hatten sich Geschlechtskrankheiten ausgebreitet. Es stellte sich heraus, dass zwischen Wallis und Bougainville, der kurz nach Wallis auf Tahiti gewesen war, und Cook noch zwei spanische Schiffe in Tahiti waren – so gaben die tahitischen Schönheiten den Europäern zurück, was diese ihnen mitgebracht hatten. 124

Jedem seine Venus

Fort Venus, wie Cook sein Observatorium nannte, war ein Monat vor dem Transit fertiggestellt. Nun konnten die wertvollen astronomischen Instrumente an Land gebracht werden. Eine astronomische Uhr mit einem Rostpendel wurde in der Mitte eines großen Zeltes aufgebaut. Cook hatte zwei von James Short hergestellte Spiegelteleskope dabei. Er besaß auch einen großen Quadranten, um die Höhe von Himmelskörpern über dem Horizont zu messen. Damit konnte er die Breite ermitteln, die für eine genaue Ortsbestimmung genauso wichtig war wie die exakte Längenangabe. Kaum war der Quadrant aufgebaut, war er auch schon verschwunden, und das trotz der Schutzwände und der aufgestellten Wachen. Green war außer sich und rannte mit der Pistole in der Hand auf der Suche nach dem Dieb den Strand hinunter. Er fing einen Mann ein, doch es war der falsche und zu allem Übel auch noch ein Oberhaupt. Wieder musste Cook beide Seiten besänftigen. Zumindest die wichtigsten Teile des Quadranten tauchten wieder auf – der Dieb hatte ihn auseinandergenommen. In den Wochen bis zum Transit kam es immer wieder zu kleineren Diebereien von Nägeln, Behältern und Eisengeräten. Cook wurden sogar am helllichten Tag seine Seidenstrümpfe entwendet, aber es geschah nichts Dramatisches, und Green machte die Beobachtungen, die zur Ortsbestimmung nötig waren. Sie waren auf Breite: 17o 29’ 15’’ und Länge 149o 32’ 30’’ westlich von Greenwich. Jetzt, wo die Beziehungen mit den Tahitianern einigermaßen in geordneten Bahnen verliefen, beunruhigte zunehmend das Wetter. Die Beobachter hatten schließlich nur noch diese eine Chance, einen Venusdurchgang zu sehen, so lange sie lebten, der nächste würde erst wieder 1874 stattfinden. Also konzentrierte sich alles auf den 3. Juni 1769. Am Tag des Transits wurden die Tahitianer auf Distanz vom Observatorium gehalten, damit sie die Beobachtungen nicht stören konnten. Cook, Green und Solander wollten den Transit von Fort Venus aus beobachten. Banks, Monkhouse und Spöring waren mit dem Beiboot nach Moorea gefahren, eine kleinere Insel westlich von Tahiti. Dort richteten sich die Beobachter auf einem passenden Felsen ein. Banks sorgte für genügend Vorräte und lud den König von Moorea mit seiner Schwester ein, gemeinsam mit ihnen den Transit zu beobachten. Weitere Beobachter wurden nach Osten, nach Taaupiri, geschickt. Auf diese Weise erhoffte man sich, die Chancen auf eine gute Messung zu vergrößern. Am Vorabend des großen Ereignisses waren die Wetterbedingungen wenig vielversprechend. Es wehte ein heftiger Wind und der Himmel war völlig bedeckt. Die Spannung war für Green kaum zu ertragen. Glück125

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Schicksale – Venustransit 1769

licherweise war der Morgen des 3. Juni bei Sonnenaufgang vollkommen klar. Die tropische Sonne brannte gnadenlos auf die Insel herab. Mittags stieg die Temperatur auf ca. 48 oC, die höchste Temperatur die sie während ihres ganzen Aufenthaltes messen konnten. Ab neun Uhr morgens waren die schwitzenden Beobachter bereit und warteten auf den kritischen Moment, in dem die Venus erstmals den Rand der Sonne berühren würde. Endlich war es soweit, das Ereignis, auf das sie sich so lange vorbereitet hatten, für das sie so viel Unbill ausgestanden hatten, und das die Wissenschaft dank ihres Einsatzes voranbringen würde, begann. Das gute Wetter ermöglichte ihnen, einen vollständigen Satz an Messungen durchzuführen (Clifton 2009). Cook schrieb dazu in seinem Tagebuch: „Der Tag war so schön, wie man sich nur wünschen konnte, keine einzige Wolke zeigte sich den ganzen Tag über, und die Luft war von einer perfekten Klarheit, sodass wir die gesamte Passage der Venus über die Sonne beobachten konnten. Sehr deutlich sahen wir eine Atmosphäre oder einen düsteren Schatten, der die Kontaktzeiten, insbesondere der beiden inneren Kontakte störte. Dr. Solander, Green und ich beobachteten, und wir unterschieden uns bei der Beobachtung des Kontakts erheblich mehr als erwartet. Herrn Greens Teleskop und das meinige wiesen dieselbe Vergrößerung auf, das des Doktors vergrößerte stärker“ (Sheehan und Westfall 2004, S. 181; dort aus Beaglehole, „The Journals of Captain Cook“ S. 54 f.). Für den ersten Kontakt kamen Cook und Green auf 9 Uhr 25 Minuten und 45 Sekunden mit dem totalen Eintauchen 19 Minuten später. Der Austritt der Venus erfolgte um 3 Uhr 14 Minuten und 8 Sekunden. Die Beobachtungen wurden nur durch den Schwarzen Tropfen gestört und dadurch, dass ein Teil der Crew, als die Oberen konzentriert mit der Venusbeobachtung beschäftigt waren, 120 Pfund Nägel entwendete und sich damit auf die Suche nach den irdischen Göttinnen der Liebe machten. Cook hatte vorausgesehen, dass, wenn Nägel in großer Menge unter den Tahitianern zirkulierten, das Eisen an Handelswert einbüßen würde – womit er recht hatte. Einer der Übeltäter wurde überführt, weil er die Hosentaschen voller Nägel hatte. Er erhielt 20 Peitschenhiebe. Nachdem der Transit erfolgreich beobachtet worden war, verließ Cook Tahiti, um den Rest seiner Instruktionen zu erfüllen. Er wollte den Südkontinent finden, sofern er existierte. Nachdem er Tahiti umrundet hatte, drang er bis Ende Juni nach Süden bis 40 Grad Süd vor. Ohne den Kontinent gefunden zu haben, fuhr er weiter nach Neuseeland, wo er die Küste der Nordinsel Anfang Oktober zu Gesicht bekam. Im November beobach126

Jedem seine Venus

Appearances of Venus by Capt. Cook Fig. 6 5

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Appearances of Venus by Mr. Charles Green Fig. 5

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Abb. 34: Beobachtungen von Cook und Green (Philosophical Transactions of the Royal Society, vol. 61).

tete Cook den Merkurtransit, was der Mercury Bay ihren Namen gab. Cook umrundete Neuseeland und kartierte die Küstenlinien. Dann segelte er weiter nach Australien, wo er in Botany Bay landete und später auf das 127

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Schicksale – Venustransit 1769

bis dahin unbekannte Great Barrier Reef auflief. Auf dem Rückweg nach England machte er in Batavia, dem holländischen Handelsstützpunkt auf Java, eine Pause, während der seine gesamte Mannschaft an der Ruhr erkrankte. Green und Parkinson starben daran und einige Crewmitglieder ebenfalls. Über Kapstadt ging die Reise zurück nach England, wo Cook am 13. Juli 1771 in Deal, Kent, ankam. Fast drei Jahre war er unterwegs gewesen und hatte wertvolle physikalische Beobachtungen durchgeführt, wie Messungen des Erdmagnetismus, der Temperatur und des Salzgehalts des Ozeans sowie Beschreibungen von Gezeiten und Strömungen. Neuseeland und einen Teil Australiens, das spätere New South Wales, beanspruchte er für die britische Krone. Außerdem hatte er für diese Gebiete hervorragende Karten der Küsten angefertigt, während Joseph Banks viele von Europäern bis dahin nicht untersuchte Pflanzen und Tiere durch Proben oder Zeichnungen dokumentierte.

Die englischen Expeditionen auf der Nordhalbkugel Acht Monate Winter Weitere englische Expeditionen führten in die nördlichen Gefilde. William Wales (1734–1798) reiste mit Joseph Dymond als Assistent an die Westküste der Hudson Bay, um dort vom Fort Prince of Wales (Churchill) aus den Transit zu beobachten. Sie begaben sich auf ein Schiff der Hudson’s Bay Company, Prince Rupert, das seine jährliche Versorgungsfahrt durchführte. Im August 1768 kamen die beiden an der Mündung des Churchill River an und begannen mit dem Aufbau ihres Observatoriums. Als sie am 8. September ihre Uhr einbauten, lagen bereits fünf Zentimeter Schnee und sie mussten sich nun auf acht Monate Winter einrichten, in denen es vor allem galt, die teuren Instrumente vor Frostschäden zu bewahren. Die Angestellten der Hudson’s Bay Company betrachteten die Gelehrten mit Argwohn, weil sie fürchteten, sie würden Spionagedienste für die Royal Society leisten. Als der Tag des Transits endlich gekommen war, sahen die beiden sehr deutlich den hellen Lichtring um die Venus zwischen dem ersten äußeren und inneren Kontakt. Der Lichtring wurde von einem prächtigen Schwarzen Tropfen abgelöst (Marlot 2004, S. 216 f.). Den beiden glückte es, die gesamte Dauer des Transits zu beobachten und obwohl das Wetter vor 128

Im Auftrag der Zarin

dem Transit ausgesprochen wechselhaft gewesen war, profitierten sie den ganzen Tag von wolkenfreiem Himmel. Die Royal Society zeigte sich in höchstem Maße zufrieden mit ihren Beobachtungen. William Wales wurde nach seiner Rückkehr als Astronom für die zweite Weltumsegelung von James Cook von 1772 bis 1775 engagiert.

Mason und Dixon – Erneut, aber getrennt unterwegs Nachdem Mason und Dixon ihre Arbeiten an der Grenze von Pennsylvania abgeschlossen hatten, gingen sie nach England zurück. Mason erklärte sich zwar bereit, auch den Venusdurchgang von 1769 zu beobachten, weigerte sich aber, dafür eine weite Reise anzutreten. Er errichtete sein Observatorium ca. 100 Kilometer nordwestlich von Dublin (Irland) in Cavan/ Donegal. Zwar stand die Sonne während des ersten Kontakts der Venus nicht hoch über dem Horizont, aber Mason hatte gute Sichtverhältnisse. 40 nicht enden wollende Sekunden lang beobachtete er einen immensen Schwarzen Tropfen. Unmittelbar nach dem vollständigen Eintritt der Venus vor die Sonne verschwanden beide Himmelskörper in den dichten Wolken des irischen Himmels. Dixon hingegen reiste nach Hammerfest in Norwegen. William Bayley, ein Assistent Maskelynes, fand sich ebenfalls in Norwegen ein und errichtete am Nordkap auf der Insel Mageroy sein Observatorium. Damit sollte es zwei Beobachtungen nördlich des Polarkreises und damit vom Halley’schen Pol der längsten Dauer geben. Zwar ging die Sonne in Hammerfest nicht unter, aber Dixon hatte dennoch Pech, weil der zweite innere Kontakt sich hinter Wolken zutrug. Einen Tag nach dem Transit beobachtete er dafür eine Sonnenfinsternis. Mehr Glück hatte Bayley am Nordkap: Obwohl der Himmel rot und dunstig erschien, konnte er den ersten inneren Kontakt exakt messen. Kaum hatten beide ihre Arbeit erledigt, packten sie ihre Ausrüstung zusammen und reisten zurück nach London, wo sie bereits Mitte des Sommers ankamen.

Im Auftrag der Zarin – Venusbeobachtungen in Russland Der Venuspassage von 1769 schenkte man in Russland erheblich mehr Aufmerksamkeit als der von 1761, was nicht zuletzt an den veränderten 129

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Schicksale – Venustransit 1769

politischen Verhältnissen lag. Seit 1762 regierte Zarin Katharina II., die sich neben vielen anderen Projekten zur Aufgabe gestellt hatte, der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften wieder einen besseren Ruf zu verschaffen, indem sie an die erfolgreichen Gründungsjahre der Akademie anknüpfte und namhafte Gelehrte aus dem Ausland wie den Schweizer Mathematiker Leonhard Euler und den Naturforscher Peter Simon Pallas aus Berlin verpflichtete. Exzellente Beobachtungen des international in Gelehrtenkreisen diskutierten Venusdurchgangs boten sich an, der Akademie wieder zu mehr Ansehen im Ausland zu verhelfen. Darum schaltete sich die Zarin direkt in die Vorbereitungen für das große Ereignis ein. Sie wollte wissen, welche Orte innerhalb ihres Imperiums für sinnvolle Beobachtungen der Venuspassage in Frage kämen. Die Akademische Konferenz entschied sich nach einigen Diskussionen Ende März 1767, sieben Beobachtungsstationen in verschiedenen Gebieten des Russischen Reiches einzurichten, eine davon direkt in St. Petersburg. Die anderen sechs reichten von der Halbinsel Kola, ganz im Nordwesten, bis nach Jakutsk in Ostsibirien, wo der russische Kapitän I. I. Islenjew beobachten sollte. Ähnlich wie in der Anfangszeit der Akademie sollte nun wieder die Erkundung des riesigen Russischen Reiches und seiner Ressourcen zu ihren Aufgaben gehören. Darum wurde geplant, die astronomischen Observationen durch naturkundliche Studien zu ergänzen, indem man die Astronomen von Naturforschern begleiten ließ, die eigene Instruktionen erhielten. Daraus entwickelten sich dann eigenständige naturwissenschaftliche Forschungsreisen, die mehrere Jahre dauerten und unter dem Namen „Akademieexpeditionen“ berühmt wurden. Aus ihnen gingen mehrere umfangreiche Monographien hervor, die noch heute von größtem Wert für Historiker, Wissenschaftshistoriker verschiedener Disziplinen und Ethnologen sind. Durch die Erweiterung der Expeditionen auf die drei Naturreiche kam es tatsächlich zu einem erheblichen Prestigegewinn der Akademie und der Kaiserin im aufgeklärten Europa. Es ergingen Einladungen an ausländische Gelehrte, den Transit von Russland aus zu beobachten. In Frankreich hatte indes der Reisebericht von Chappe d’Auteroche offenbar seine Wirkung getan, denn niemand erklärte sich bereit, nach Russland zu reisen. Der Jesuit Christian Mayer (1719–1783), Professor für Mathematik und Experimentalphysik in Heidelberg, seit 1763 Hofastronom des pfälzischen Kurfürsten in Mannheim, war der Einladung nach Russland gefolgt und übernahm die Beobachtung von St. Petersburg aus. Den Transit von 1761 hatte Mayer von Schwetzin130

Im Auftrag der Zarin

gen aus beobachtet, er konnte also auf einschlägige Erfahrungen zurückblicken. Katharina hatte vorgeschlagen, Marineoffiziere für die Beobachtungen und Messungen zu schulen, falls nicht genügend Astronomen zur Durchführung der Beobachtungen zusammenkämen. Die Schweizer Astronomen Jacques-André Mallet (1740–1790) und Jean-Louis Pictet (1739–1781) folgten ebenfalls dem Aufruf der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. In Westeuropa war man über die russischen Vorbereitungen gut unterrichtet. Die beiden Genfer verließen ihre Heimatstadt im April 1768 und begaben sich zunächst nach Basel, wo sie sich einige Zeit aufhielten. Über Berlin, wo sie Kollegen besuchten, reisten sie weiter und kamen am 28. Mai 1768, ungefähr ein Jahr vor dem erwarteten Transit in St. Petersburg, an. Dort wurden sie von der Familie Euler herzlich empfangen, hatten aber Probleme mit der Erstattung der Reisekosten durch die Akademie. Sie wurden in einer unmöblierten Wohnung untergebracht, was beträchtliche zusätzliche Kosten verursachte. Auch der Zoll bereitete ihnen Ärger. Die beiden hatten Schwierigkeiten, sich an die russische Lebensweise zu gewöhnen, und Pictet stand den russischen Institutionen kritisch bis ablehnend gegenüber. Die beiden Schweizer waren für die Expeditionen im Nordwesten eingeplant. Dort sollte es insgesamt drei Beobachtungsstationen geben. Der Russe Stepan Rumowski sollte gemeinsam mit Ochtenski von Kola, einem Ort im Nordwesten der gleichnamigen Halbinsel, südlich von Murmansk gelegen, beobachten. Mallet sollte nach Ponoi ans Ufer des Weißen Meeres ganz im Osten der Halbinsel Kola reisen und Pictet erheblich weiter westlich an die Südseite derselben Halbinsel, nach Umba. Da sie noch auf die in Paris und London bei James Short bestellten Instrumente hatten warten müssen, konnten sie erst Anfang 1769 abreisen und waren gezwungen, den Landweg zu nehmen, da für eine Seereise aufgrund der Eisverhältnisse der September der letzte Termin gewesen wäre. Ende Februar hatten sie alle ihre Posten erreicht und begannen mit den Vorbereitungen. Mallet und Pictet hatten echtes Pech, denn gerade im entscheidenden Moment am 3. Juni 1769 verdeckten dicke Wolken den Himmel über der Kola-Halbinsel. Da in Russland zu dieser Zeit noch der julianische Kalender galt, war dort erst der 24. Mai. Pictets Reise über 1 900 Kilometer von Petersburg nach Umba war völlig vergeblich gewesen, während Mallet immerhin die beiden Kontakte beim Eintritt der Venus beobachten konnte. Gemeinsam reisten die beiden Genfer zurück. Unter der Leitung von Leonhard Euler berechnete der aus Schweden berufene Adjunkt Anders Jo131

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Schicksale – Venustransit 1769

han Lexell (1740–1784) alle in Russland getätigten Beobachtungen. Im Verlauf dieser Arbeiten gewann Euler neue Erkenntnisse über die Bewegung der Planeten und entwickelte seine bahnbrechende Mondtheorie. Die Astronomen verfassten jeweils Berichte über ihre Ergebnisse, die 1770 auch als Zusammenfassung veröffentlicht wurden. Als südliche Beobachtungsstationen waren die Städte Orenburg und Orsk im Südural sowie Gurjew am Nordufer des Kaspischen Meeres ausgewählt worden. Wolfgang Ludwig Krafft begab sich gemeinsam mit Christoph Euler, dem jüngsten Sohn von Leonhard Euler, nach Orenburg, von wo aus Euler alleine nach Orsk weiterreiste. Georg Moritz Lowitz (1722–1774) wurde für die Reise ans Kaspische Meer ausgewählt und war gemeinsam mit dem russischen Adjunkten P. B. Inochodzov unterwegs. Lowitz war seit 1767 Professor für Astronomie an der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg und hatte vorher ab 1762 die Sternwarte in Göttingen geleitet. Die Ergebnisse seiner Beobachtungen wurden 1770 auf Deutsch unter dem Titel „Auszug aus den Beobachtungen welche zu Gurjef bey Gelegenheit des Durchgangs der Venus vorbey der Sonnenscheibe angestellt worden sind durch Georg Moritz Lowitz, Professor und Mitglied der Kayserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg“ veröffentlicht. Mit welchen Problemen die Astronomen zu kämpfen hatten, wird aus dem folgenden Zitat vom 24. Mai 1769 deutlich: „Der Brigadier und Ober-Commendante der Festung Gurjef, Herr von Vegesack, lies noch vor Anbruch des Tages einen entfernten Cordon rings um das Observatorium des Herren Professors Lowitz ziehen, und befahl denen zu diesem Cordon commandirten Cosacken bey Strafe niemand durchzulassen auch sogar das Vieh, welches täglich bey Sonnen Aufgang einzeln ausser der Stadt bey dem Observatorio vorbey auf der Weide ziehet und einen starken Staub erreget, abzuweisen. Durch dieses Mittel war der Herr Professor vollkommen sicher und sah den ganzen Tag durch ausser seinen Leuten keinen Menschen um sein Observatorium“ (Lowitz 1770, S. 7). Die eigentliche Tansitbeobachtung beschreibt Lowitz mit folgenden Worten: „Morgens um 3 Uhr 40’ wurde der Himmel gänzlich heiter, und ich war mit der größten Freude und Hoffnung erfüllet. Nur stöhrten mich die dicken Dämpfe am Horizont in meinem Vergnügen. Denn wann ich das in der Morgenröthe stehende Schilf und Rohr am Horizonte durch das in Bereitschaft liegende Fernrohr betrachtete, so war es in einer sehr heftigen Bewegung bey einer gänzlichen Windstille, dergleichen ich in meinem Leben bey keinem Gegenstand wahrgenommen 132

Im Auftrag der Zarin

habe. Dieser Umstand verminderte meine Hoffnung, mit der Observation glücklich zu seyn: zumahl da ich noch nicht wusste wie nahe die Venus beym Aufgang der Sonne ihrem Austritt seyn werde. Um 4 Uhr 9’ nach der Uhr schienen mir die Dämpfe im Horizont so stark erleuchtet, dass ich glaubte die Sonne sey schon aufgegangen. Um 4 Uhr 10’ erst kam die Sonne zwischen dem Schilfe hervor. Sie war vollkommen einem kochenden und aufwallenden geschmolzenen Metalle ähnlich; sehr oval; der Rand aber äusserst hökericht, und ohne beständige Ründung. Die Venus war noch in der Sonne aber schon sehr nahe am Rande. Sie erschien vollkommen schwarz, aber am ganzen Rande höchst undeutlich geendet, und dazu war sie ebenfalls wie der Sonnen-Rand, in heftiger wallender und zitternder Bewegung. … Ich versuchte zwischen dieser Zeit verschiedene Mahle den Abstand der Venus vom Sonnenrande, mittelst dem Grahamschen Mikrometer des achtfüßigen Fernrohres, welches über dem zwölf füßigen zugleich befestiget war, zu messen: Allein wegen der Ungewissheit dieser Maaßen bey der noch fortdaurenden heftigen zitternden Bewegung des Sonnenbildes, habe ich die gefundenen Zahlen lieber unterdrückt; zumahl da das Feld dieses Fernrohrs zu klein ist, um die ganze Sonnenscheibe zu fassen. … Um 4 Uhr 54’ 34’’ nach der Uhr schätzte ich den Anfang des Austritts der Venus aus der Sonnenscheibe, oder die zwote innere Berührung der Venus an den Sonnenrand gewiß, obschon die zitternde Bewegung der Rände noch heftig war. Bey dieser Berührung merkte ich nicht die geringste Veränderung des Sonnenrandes, der, ob er wohl zitterte, dennoch scharf, und ohne einen leichten Ring um sich zu haben, geendet war. Um 5 Uhr 3’ 35’’ glaubte ich, seye die Hälfte der Venus ausgetreten. Der Austritt des Sonnenrandes war rein und scharf, ohne das geringste fremde Licht bemerken zu lassen. Um 5 Uhr 7’ 0’’ dauerte das Zittern der Ränder noch immer fort: dennoch schienen jetzt die Sonnenflecken viel deutlicher als vorher. Der Rand der Venus war immer ohne fremde Farbe. Um 5 Uhr 12’ 46’’ schätzte ich den gänzlichen Austritt der Venus aus dem Sonnenrand, oder die letztere äussere Berührung des Randes der Venus an den Sonnenrand, gewiß. Auch hier blieb nicht die geringste Spur eines fremden Lichtes am Sonnenrand zurück. … Das Wetter war vortrefflich“ (Lowitz 1770, S. 8 ff.). Auch der Adjunkt Inochodzov berichtete über die Beobachtungen an die Akademie. Lowitz und er waren übereingekommen, von zwei Bastio133

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Schicksale – Venustransit 1769

nen der Festung von Gurjew aus zu beobachten. Lowitz verfügte über eine englische Uhr und Inochodzov über eine französische. Da Inochodzov keinen Quadranten hatte, um seine Uhr zu justieren, verglichen die beiden die englische und französische Uhr und bedienten sich dabei des folgenden simplen Mittels: „Das Observatorium des Herrn Professoris Lowitz war auf eben der Mauer in der andern Bastion 48 Faden von dem meinigen entfernt: Er gab mir zu verschiedenen Zeiten, alle Minuten, von seinem Observatorio ein Zeichen, darauf ich die Zeit, welche meine Uhr in demselben Augenblicke wies genau aufschrieb, und nachgehends diese Zeit mit des Herrn Professor Lowitz seiner verglich. … Der Unterschied war demnach 2’ 50’’; Also dass in einem Zeitraume von 34 Stunden 47 Minuten, meine Uhr um 2’ 48’’ langsamer gieng als die englische Uhr des Herrn Prof. Lowitz“ (Lowitz 1770, S. 22 f.). Für die Astronomen in den südlichen Gebieten war die Expedition nach dem Venusdurchgang nicht zu Ende, da sie noch Ortsbestimmungen vornehmen sollten. Christoph Euler sammelte die Daten für das Geographische Department, damit Karten des Jaik erstellt werden konnten, sowie der Donmündung und des Dnjepr. Ende des Jahres 1770 wurde der junge Euler von Inochodzov abgelöst, der dann zusammen mit Lowitz Karten des Gebietes zwischen Don und Wolga anfertigte, die die Grundlage für den Bau eines Kanals bilden sollten. Lowitz geriet während seiner Vermessungsarbeiten zwischen Don und Wolga im März 1774 in die Hände der Rebellen Pugatschows (Anführer des nach ihm benannten Bauernaufstands) und wurde von ihnen umgebracht. Da es in diesem Jahr während der Expeditionen noch weitere Unglücksfälle gab, wurden die verbliebenen Gelehrten nun zurückgerufen. Riesige naturhistorische Sammlungen wurden der Kunstkammer in St. Petersburg übergeben, und die Reiseberichte riefen ein breites Echo hervor. Sie vermittelten der gelehrten Welt ein neues Bild des Russländischen Reichs vom Kaukasus bis Sibirien (Mumenthaler 1997).

Wiedersehen mit alten Bekannten: Pingré, Chappe d’Auteroche und Le Gentil erneut auf weiten Reisen Das Interesse Frankreichs an dem Transit von 1769 war genauso hoch wie schon 1761. Häufig wurden in der Akademie die Resultate des ersten Transits gleichzeitig mit den Vorbereitungen für den zweiten besprochen und 134

Wiedersehen mit alten Bekannten

die geplanten Aktivitäten ähnelten stark denen von 1761. So schickte die Französische Akademie der Wissenschaften dieselben Astronomen wie schon 1761 in abgelegene Weltregionen, um den zweiten Transit des Jahrhunderts zu beobachten. Am wenigsten spektakulär verlief dieses Mal die Reise von Pingré, der 1769 an einer umfangreicheren Expedition teilnahm, deren Hauptaufgabe es war, Längenbestimmungen auf See durchzuführen und dabei Marinechronometer zu testen (Woolf 1959, S. 160). Die Beobachtung der Venuspassage war in diesem Fall nur ein kleiner Teil der gestellten Aufgaben; am 13. Mai erreichte Pingré Santo Domingo, von wo aus er den Transit beobachten sollte. Es gelang ihm, beim Eintritt der Venus den äußeren und inneren Kontakt zu messen, aber von seiner Position aus, war es nicht möglich, den gesamten Transit zu sehen (Woolf 1959, S. 160). Erheblich aufregender verliefen die Expeditionen von Chappe d’Auteroche und Le Gentil.

Höchster Einsatz für die Wissenschaft – Chappe d’Auteroche in Baja California (Mexiko) Trotz der zwiespältigen Erfahrungen, die Abbé Chappe d’Auteroche 1761 in Sibirien gemacht hatte, war er bereit, erneut an irgendein Ende der Welt zu reisen, um den zweiten Venusdurchgang zu beobachten. Er hatte sich zwischen 1762 und 1768 weiterhin mit Astronomie beschäftigt und war 1764 vom 7. bis 24. Oktober auf der Korvette L’Hirondelle am Test der Marineuhr von Ferdinand Berthoud beteiligt (Chapin 1990, S. 104). Mond- und Sonnenfinsternisse beobachtete er, wann immer sie auftraten. Zudem studierte er die Bewegungen von Kometen und Planeten. Ursprünglich hatte es in England Pläne gegeben, neben einer Beobachtungsstation im Südpazifik auch eine in Mexiko zu einzurichten. Der aus Dubrovnik stammende Jesuitenpater Roger Joseph Boscovich (1711– 1787) war von englischer Seite dafür ausgewählt worden, weil man glaubte, einem Katholiken würde die Einreise ins spanische Kolonialgebiet eher erlaubt als einem britischen Anglikaner. Boscovich war durch Veröffentlichungen zur Mathematik und Physik in der gelehrten Welt Europas bekannt, lebte in Italien und war Mitglied sowohl der Französischen als auch der Englischen Akademie. Nachdem aber 1767 alle Jesuiten aus der Neuen Welt ausgewiesen worden waren, stand diese Option nicht mehr offen (Nunis 1982, S. 44 f.). Eine Anfrage der Briten, englische Gelehrte nach 135

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Schicksale – Venustransit 1769

Niederkalifornien schicken zu dürfen, wurde von Spanien brüsk abgelehnt, weil die Spanier den Engländern misstrauten, ihnen politische Gründe für die Reise unterstellten und in den Gelehrten Spione und Aufrührer vermuteten (Nunis 1982, S. 45 f.). Um zu verhindern, dass die Engländer heimlich nach Niederkalifornien reisten, wurde der Vizekönig von Mexiko gewarnt und aufgefordert, das englische Eindringen auf jeden Fall zu verhindern. Die Royal Society war also gezwungen, die Idee aufzugeben, eine Beobachtungsstation in Baja California einzurichten, stattdessen wurde James Cook beauftragt, in die Südsee zu reisen. Die englische Anfrage, in Mexiko (Baja California) eine Beobachtungsstation einrichten zu dürfen, setzte dennoch einiges in Bewegung: Erstens würde Spanien eine eigene Expedition entsenden, schließlich gab es genügend gute Astronomen und Mathematiker in Spanien, und auch die benötigten Instrumente konnte man im eigenen Land herstellen lassen. Zweitens erhielten die Franzosen nun jene Erlaubnis, die den Engländern verweigert worden war. Die Beziehungen zwischen Spanien und Frankreich waren zu der Zeit freundschaftlich, da beide Throne mit Bourbonen besetzt waren. Aus einer informellen Anfrage Frankreichs resultierte eine offizielle spanische Einladung an die Franzosen, die Beobachtungen 1769 von Niederkalifornien aus durchzuführen. Die französischen Gelehrten wurden eingeladen, die spanischen Marineoffiziere zu begleiten, die für die Transitbeobachtung ausgewählt worden waren. Sie hießen Vicente de Doz (1736–1781) und Salvador de Medina. Von Letzterem ist außer seiner Teilnahme an der Venusexpedition von 1769, von der er nicht zurückkehrte, nichts weiter bekannt. Von französischer Seite wurde Chappe d’Auteroche für die Expedition nach Mexiko ausersehen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die spanischen Auflagen zu akzeptieren, die darin bestanden, dass er ständig in Begleitung der spanischen Beobachter reisen und sich verpflichten musste, sich ausschließlich auf seine wissenschaftliche Aufgabe zu beschränken. Eine Forderung, die zu erfüllen ihm leicht fiel. Zu Chappes eigenem Gefolge gehörten ein Diener und drei Assistenten: Pauly war Ingenieur und Geograph, Alexandre-Jean Noël (1752–1834) war Künstler und Dubois Uhrmacher. Chappe verließ Paris am 18. September 1768 und erreichte drei Tage später Le Havre. Hier schiffte er sich nach Cádiz ein. Seine Reise begann gleich mit einem schlechten Omen: Heftigste Stürme führten dazu, dass er 21 Tage bis Cádiz benötigte, doppelt so lang, wie normalerweise üblich. Endlich angekommen, warteten bereits weitere Probleme auf ihn: Zwar lag 136

Wiedersehen mit alten Bekannten

die spanische Flotte, die nach Mexiko segeln wollte, schon seit einem Monat im Hafen von Cádiz, es gab aber keinen genauen Termin für die Abfahrt. Eine vorsichtige Nachfrage von Chappe ergab, dass man seinen Begleitern nicht gestatten wollte, an Bord zu gehen. Diverse Petitionen wurden ausgetauscht mit dem Resultat, dass Chappe, seine Begleiter und die beiden spanischen Marineoffiziere auf einem kleineren Schiff unter französischer Flagge nach Mexiko reisen würden. Am 21. Dezember liefen sie schließlich aus und erreichten Vera Cruz am 8. März 1769 nach 77 Tagen Überfahrt (Nunis 1982, S. 50 ff.). Während der Zeit auf See war Chappe nicht untätig. Er arbeitete detaillierte Pläne für die Beobachtungen des Transits aus und erklärte jedem seine Pflichten und die Benutzung der Instrumente. Außerdem führte er täglich Temperaturmessungen in verschiedenen Wassertiefen durch, um so die Dichte des Wassers zu ermitteln. Vor seiner Abreise hatte er mit Antoine Laurent Lavoisier (1743– 1794) das Problem der Bestimmung der Dichte von Wasser an verschiedenen Orten des Globus diskutiert, und Lavoisier hatte ihm einen Hydrometer zur Verfügung gestellt, den Chappe „aréometre“ nannte, sowie eine Tabelle von relativen Dichten. (Eigentlich hatte Lavoisier vorgehabt, über diese Instrumente einen Artikel zu publizieren, hat dies aber nie in die Tat umgesetzt.) Außerdem studierte Chappe gewissenhaft Kompassabweichungen. Ergänzt wurde das Programm durch Längenbestimmungen und astronomische Beobachtungen. Da Chappe schließlich damit rechnen musste, dass schlechtes Wetter die Venusbeobachtung vereiteln könnte, wollte er wenigstens einen Beitrag zur Erforschung der Welt geliefert haben. Darum ließ er nichts aus, was in irgendeiner Form von naturwissenschaftlichem Interesse sein könnte (Nunis 1982, S. 53). Am 6. März 1769 erreichten sie die mexikanische Küste und warfen Anker, um eine günstige Tide abzuwarten, die ihnen die Einfahrt in den Hafen von Vera Cruz ermöglichen würde. Aufgrund gefährlicher Wellenbrecher mussten sie zwei Tage warten. Am 8. März fuhr das Schiff in den Kanal, drohte aber auf Felsen aufzulaufen. Da der Kapitän um sein Schiff fürchtete, signalisierte er, dass er einen Lotsen brauche, und hisste, obwohl Doz und Medina ihn gewarnt hatten, die französische Flagge. Die Antwort war ein Kanonenschuss, der sie stoppte, denn es war ausländischen Schiffen verboten, den Hafen von Vera Cruz anzulaufen. Doz und Medina wurden an Land gebracht, um den Behörden zu erklären, dass dieses französische Schiff über eine Sondererlaubnis verfügte, Vera Cruz anzulaufen. Nach zähen Verhandlungen schickte man ihnen zwei Stunden später ein 137

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Schicksale – Venustransit 1769

Boot, in dem Chappe und Pauly an Land gebracht wurden. Aufkommender Wind kündigte einen Sturm an und bescherte ihnen eine äußerst raue und feuchte Überfahrt. Glücklicherweise erreichten sie das Ufer noch, bevor der Sturm richtig losbrach. Chappe musste nun drei Tage lang zusehen, wie das Schiff mit seinen Kameraden und den wertvollen, so dringend benötigten Instrumenten den Wellen ausgeliefert war. Sobald sich das Meer wieder beruhigt hatte, wurde alles an Land gebracht und sie wurden wohlwollend empfangen (Nunis 1982, S. 53). Chappe hatte seine Instrumente mit Bedacht und Sorgfalt ausgewählt. Er reiste mit einem in Frankreich von Canivet hergestellten 90 Zentimeter-Quadranten, einem 45 Zentimeter-Quadranten englischer Produktion, zwei achromatischen Teleskopen von John Dollond, eines davon mit 3 Meter Brennweite und das andere mit 90 Zentimeter Brennweite, einem Passageninstrument, das zur Beobachtung der Durchgangszeiten von Sternen durch einen bestimmten Vertikalkreis diente, und einer Pendeluhr von Berthoud. Am 18. März traten sie die Landreise von Vera Cruz nach San Blas an. Für Doz und Medina sowie für Chappe und Pauly war je eine Sänfte gemietet worden, die anderen ritten gemeinsam mit den Indianern, die die Lasttiere antrieben, auf Maultieren voraus. Am 26. März erreichten sie Mexiko-Stadt, wo sie freundlich vom Vizekönig empfangen und im ehemaligen Haus der Jesuiten untergebracht wurden. Chappe war begeistert von Mexiko-Stadt, insbesondere von der Vielzahl der Kirchen, Kapellen und Konvente (Nunis 1982, S. 55 f.). Während seines Aufenthaltes in Mexiko-Stadt freundete Chappe sich mit dem Wissenschaftler José Antonio Alzate y Ramirez an, der einen guten Ruf genoss. Außerdem lernte er kurz vor seiner Abreise einen Franzosen kennen, der Spanisch und einige mexikanische Sprachen sprach und sich gut auskannte, weil er bereits einige Jahre im Land lebte. Chappe engagierte den Franzosen für den Rest der Reise als Dolmetscher. Der Vizegouverneur gab Chappe eine Eskorte von drei Soldaten mit, weil er befürchtete, die Gelehrten könnten unterwegs von Indianern überfallen werden. Chappe entschied sich nun, auf einem Pferd zu reiten, Doz und Medina mieteten ein Fuhrwerk, mit dem sie auf den miserablen Wegen allerdings nur langsam vorankamen. Am 15. April erreichten sie unversehrt San Blas. Sie hatten insgesamt 28 Tage für die Durchquerung Mexikos von Osten nach Westen benötigt. Am Abend ihres Ankunftstages ankerte ein Paketboot in San Blas, das umgehend für sie gechartert wurde, weil das eigentlich für sie vorgesehene Schiff noch nicht bereit war. Da aber der 3. Juni näher und näher rückte 138

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Baja California

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MEXICO Cabo San Lucas San Blas Guadalajara Querétaro

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Gulf of Mexico

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Vera Cruz

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Abb. 35: Reiseroute von Chappe d’Auteroche in Mexiko.

und man für die Überfahrt sowohl mit Flauten als auch mit Stürmen rechnen musste, wollte Chappe jede überflüssige Verzögerung vermeiden. Innerhalb von vier Tagen wurden Vorräte für die gesamte Dauer der Expedition und Baumaterial zur Errichtung des Observatoriums an Bord geschafft. Dies war nötig, weil es an ihrem Zielort nichts zu kaufen geben würde. Als der Kapitän ihm mitteilte, dass die Reise sich erheblich verzögern könnte, überlegte Chappe, ob er nicht lieber in San Blas bleiben solle als zu riskieren, am 3. Juni noch auf dem Schiff zu sein. Aber nachdem man ihn gewarnt hatte, dass es üblicherweise ab Ende Mai dauerhaft heftigen Regen gebe, der normalerweise bis Ende Juni anhielte, nahm er Abstand von dieser Idee (Nunis 1982, S. 58). 139

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Schicksale – Venustransit 1769

Am 19. April war es endlich so weit, die Überfahrt konnte beginnen. Zwei Wochen kamen sie nicht vom Fleck, weil sie entweder Windstille oder entgegengesetzte Winde hatten. Ihr Ziel an der Südspitze von Baja California, Cabo San Lucas, lag noch in weiter Ferne. Die Gelehrten befürchteten schon, während des Transits noch auf See zu sein, was hieße, dass alles vergeblich gewesen wäre, weil sie keine Messungen würden durchführen können. Das Trinkwasser an Bord schmeckte entsetzlich, weil es in Fässer gefüllt worden war, die ursprünglich dem Transport von Essig gedient hatten. Als wäre dies nicht schon schlimm genug, wurde das Wasser auch noch knapp und musste rationiert werden. Nachdem sie 25 Tage unterwegs waren und nur noch 18 Tage bis zum Transit blieben, verlor Chappe die Geduld und wollte an der nächstmöglichen Stelle an Land gehen, egal, ob der Ort bewohnt oder wüst und leer wäre. Hauptsache, er könne von dort seine Beobachtungen durchführen. In dieser Situation kam endlich Wind auf, und passende Strömungen trieben das Schiff Richtung Baja California. Als ein ganzes Stück nordöstlich von Cabo San Lucas Land in Sicht kam, wollte Chappe sofort von Bord gehen, obwohl Doz und Medina heftige Einwände erhoben, weil sie es für zu gefährlich hielten, an dieser Stelle an Land zu gehen. Sie bestanden darauf, wie geplant weiter nach Süden zu segeln, was aber noch mehrere Tage gedauert hätte. Chappe bekniete den Kapitän, der sich zur Landung bereit erklärte, obwohl sie schwieriger wäre als weiter südlich. Da sich aber die Missionsstation San José del Cabo in der Nähe befand und der Kapitän wusste, dass sie von See aus versorgt wurde, andere Schiffe die Landung dort also bereits gemeistert hatten, hielt er es für machbar. So ankerten sie am 19. Mai gegenüber der Mündung des kleinen Flusses, an dem die Mission lag. Kurz vor der Landung kam noch heftiger Wind auf, alle fluchten auf Chappe, weil sie ihm diese Landung an ungünstiger Stelle verdankten, aber zum Glück legte der Wind sich bald wieder, sodass sie den Landgang wagen konnten. Wellen schlugen mehrfach ins Landungsboot und Chappe war damit beschäftigt, seine Uhr zu schützen, damit der komplizierte Mechanismus keinen Wasserschaden erlitte, denn ohne eine genaue Uhr wären seine Beobachtungen völlig zwecklos. Chappe war nach der Landung überglücklich, er hatte alle Instrumente heil den weiten Weg ans Ziel gebracht. Es blieb ihm sogar noch genügend Zeit für die nötigen Vorbereitungen. Die Mitarbeiter der Mission schickten am nächsten Morgen Maultiere, um beim Transport des Gepäcks zu helfen. Die Mission war 1730 von dem Jesuitenpater Nicolás Tamaral gegründet worden. Nachdem sie sich zu140

Wiedersehen mit alten Bekannten

nächst an verschiedenen Orten befunden hatte, wurde sie 1753 dauerhaft in San José del Cabo etabliert. Nach der Ausweisung der Jesuiten 1767 hatten die Franziskaner vom San Fernando Colegio in Mexiko-Stadt die Mission übernommen. José de Gálvez (1720–1787) war 1765 zum Generalinspektor von Neuspanien ernannt worden. Als er erfuhr, dass eine Delegation von französischen und spanischen Gelehrten die Erlaubnis erhalten hatte, nach Baja California zu reisen, forderte er die Franziskaner auf, für eine Besserung der Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung zu sorgen – schließlich stand Spaniens Ehre auf dem Spiel, und die Besucher würden sich kaum mit geschlossenen Augen im Land bewegen. Auch sorgte er dafür, dass die Expedition die benötigte Unterstützung erhielt, sodass die Gelehrten unmittelbar mit der Errichtung ihres provisorischen Observatoriums anfangen konnten (Nunis 1982, S. 62 f.). Am 28. Mai waren alle Vorbereitungen abgeschlossen, und Doz, Medina und Chappe begannen mit ihren nächtlichen Beobachtungen. Zunächst galt es, die Pendeluhren zu justieren und die Länge von San José del Cabo zu bestimmen. Ihr großer Tag, der 3. Juni 1769, rückte näher. Als es soweit war, erfreuten sie sich idealer Wetterbedingungen. Dem ausgearbeiteten Plan gemäß führte Chappe die Beobachtungen durch, während sein Diener die Sekunden laut zählte. Pauly übernahm die schriftliche Dokumentation der Zeiten und von Besonderheiten während der Beobachtungen. Dubois half bei der Benutzung der Instrumente. Im Nachhinein zeigte sich Chappes Erfahrung und wissenschaftliche Befähigung, denn seine Resultate gehören zu den genauesten, die 1769 weltweit angefertigt wurden. Chappe, Doz und Medina beobachteten jeweils unabhängig voneinander und verglichen hinterher ihre Datensätze. Sie stellten fest, dass sie kleine Unterschiede aufwiesen. Diese winzigen Beobachtungsvarianten führten bei den Berechnungen der Distanz zwischen Erde und Sonne immerhin zu einer Differenz von über drei Millionen Kilometern (Nunis 1982, S. 69). Kurz nachdem die Transitbeobachtungen stattgefunden hatten, wurden das Dorf und die Mission von einer schrecklichen Typhusepidemie heimgesucht, der Dreiviertel der Bevölkerung zum Opfer fielen. Obwohl auch Chappe erkrankt war, setzte er seine Beobachtungen fort, solange er sich irgendwie auf den Beinen halten konnte, und pflegte seine erkrankten Begleiter. Er schaffte es noch, exakte Längenbestimmungen mittels einer Mondfinsternis am 18. Juni 1769 und mittels der Beobachtung der Jupitermonde durchzuführen. Aber am 1. August 1769 waren 141

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Schicksale – Venustransit 1769

auch seine Kräfte erschöpft und er erlag im Alter von 41 Jahren der tückischen Krankheit (Woolf 1959, S. 158 f.). Auf dem Totenbett bat er Pauly, der inzwischen wieder genesen war, sich um seinen Besitz zu kümmern, außerdem wollte er in der Ordenstracht der Franziskaner beigesetzt werden – ein Wunsch, der ihm erfüllt werden konnte. Doz und Medina, die beide ebenfalls noch am Leben waren, hielten in Ermangelung eines Priesters eine weltliche Begräbniszeremonie ab und erwiesen Chappe so die letzte Ehre. Von den insgesamt 17 Expeditionsmitgliedern überlebten nur sechs, und von den elf spanischen Beteiligten blieben nur drei am Leben (Nunis 1982, S. 79 f.). Der Uhrmacher und der Dolmetscher waren unter den Toten, Pauly, der Ingenieur und Noël, der Künstler, gehörten zu den Überlebenden. Medina starb noch auf dem Rückweg in St. Blas. Grandjean de Fouchy, der Sekretär der Akademie, an den Chappe immer seine offiziellen Briefe gerichtet hatte, so lange er unterwegs war, schrieb später in seiner Eloge über Chappe, er habe am Abend vor seinem Aufbruch zu einem Freund, der ihn von der Reise abhalten wollte, gesagt – selbst die Gewissheit, dass er einen Tag nach der Transitbeobachtung sterben müsse, hielte ihn nicht davon ab, sich auf den Weg zu machen. Drei Tage vor seinem Tod habe er gesagt, er fühle, dass es Zeit für ihn sei, seine Angelegenheiten zu regeln, und dass ihm nur noch wenig Lebenszeit bleibe, aber er habe sein Ziel erreicht und könne zufrieden sterben. Diese Einstellung charakterisiert Chappes Hingabe an die Astronomie, der er sogar bereitwillig sein weiteres Leben opferte, nachdem er die Venus erfolgreich beobachtet hatte (Nunis 1982, S. 87). Weil Pauly glaubte, die Instrumente und Bücher seien Chappes Privatbesitz, verkaufte er sie vor der Abreise an einen mexikanischen Wissenschaftler, Joaquin Velazquez. Als sich später herausstellte, dass die Instrumente das Eigentum der Akademie waren, gab Velazquez sie zurück. Die Sachen wurden verpackt und nach Guadalajara geschickt, von wo sie nach Europa verschifft wurden und dort glücklich ankamen. Der von Berthoud angefertigte Chronometer wurde seinem Eigentümer von Chappes Bruder zurückgegeben. Erst am 21. Juni 1770, also über ein Jahr nach dem Transit, war Pauly in Cádiz angekommen. Der französische Botschafter versah ihn mit einem speziellen Pass, der Durchsuchungen überflüssig machte, sodass Pauly Chappes Dokumente nach Paris bringen konnte, ohne von Zöllnern behelligt zu werden (Nunis 1982, S. 80). Was von Chappes Expedition blieb, war ein Berg von Manuskripten, darunter sein abgebrochenes Tagebuch und wissenschaftliche Schriften. 142

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Abb. 36: Obwohl Chappe d’Auteroche nicht nach Europa zurückkehrte, wurden sein Tagebuch und die Resultate seiner Forschungen publiziert.

Pauly überbrachte sie dem Königlichen Observatorium. Cassini du Thury bereitete Chappes Journal für die Publikation vor und fügte dem Originaltagebuch noch die Beschreibungen von Pauly und Noël über Chappes Tod und das weitere Schicksal der Expedition bei. Es erschien 1772 in Paris unter dem Titel „Voyage en Californie pour l’observation du passage de Vénus sur le Disque du Soleil, le 3 Juin 1769; contenant les observations de ce phénomène, et la description historique de la route de l’Auteur à travers le Mexique“. Im Jahr 1778 wurde das Tagebuch ohne die Berichte von Pauly und Noël auf Englisch herausgegeben. Ergänzt wurde es durch „Natural History of the province of Mexico“ des Gelehrten Don José Antonio Alzate y Ramirez, den Chappe in Mexiko-Stadt kennen und schätzen gelernt hatte. Pauly hatte auch dieses Manuskript 1770 der Königlichen Akademie übergeben. 1781 erschien eine deutsche Übersetzung und 1973 ein 143

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Schicksale – Venustransit 1769

Faksimiledruck der Londoner Ausgabe. Das europaweite Interesse an Chappes Arbeiten blieb also lange ungebrochen (Nunis 1982, S. 84). Die von Doz angefertigten Beschreibungen gelangten ins Marinearchiv in Madrid, wurden aber nie vollständig publiziert. Damals wurden Kurzfassungen davon an die Akademie in Paris und die Royal Society weitergegeben und in ihren Tätigkeitsberichten veröffentlicht. Doz stand nach seiner Rückkehr noch eine erfolgreiche Karriere in der Marine bevor (Nunis 1982, S. 88), während Chappe für immer in der Erde von San José del Cabo ruhte.

Eine verhängnisvolle Wolke – Le Gentil endlich in Pondicherry Um den Erfolg seiner Anstrengungen betrogen, konnte Le Gentil nicht mit leeren Händen nach Frankreich zurückkehren. Darum hatte er sich nach seiner missglückten Venusbeobachtung von 1761 zunächst entschieden, noch ein Jahr im Indischen Ozean zu bleiben. Er wollte seiner Reise wenigstens einen geographischen, navigatorischen und naturhistorischen Nutzen geben, denn er verfügte über Schwung, Jugendlichkeit sowie Gelehrsamkeit, und die Lust, die Welt zu erkunden, hatte ihn noch nicht verlassen. Also wählte er die Île de France als sein Hauptquartier und unternahm weitere Exkursionen, bereiste die Maskarenen kreuz und quer, besuchte zweimal Madagaskar, eine Insel, die ihn sehr faszinierte, und schiffte sich anschließend Richtung Philippinen ein. Er interessierte sich dem Wissenschaftsverständnis der Zeit folgend für die drei Naturreiche und das Leben der Menschen (Marlot 2004, S. 172). Dieses eine Jahr wurde zu mehreren, und dann bot es sich an, gleich bis zum nächsten Venustransit 1769 in der Region zu bleiben. Schon ab 1765 beschäftigte Le Gentil sich fieberhaft mit der kommenden Venuspassage und überlegte, ob es nicht vielleicht sinnvoller wäre, sie von einem anderen Ort als von Pondicherry aus zu beobachten. Er stellte ausgiebige Berechnungen über den Verlauf des Transits in Indien, den Philippinen, Marianen, Mexiko und sogar Europa an und kam zu dem Ergebnis, dass für ihn eine Beobachtung von Manila oder den Marianen aus am besten wäre, weil die Parallaxe dort größer als in Pondicherry oder einem anderen Ort an der Koromandelküste wäre und die Sonne während des entscheidenden Moments höher über dem Horizont stünde (Woolf 1959, S. 151). 144

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Also schrieb Le Gentil an wichtige Mitglieder der Akademie wie Clairaut, Lalande und den Duc de Chaulnes. Im Januar 1766 teilte er ihnen mit, was er plante und bat um Unterstützungsschreiben vom Spanischen Hof an den Gouverneur auf den Philippinen. Im Juni 1766 wurde sein Anliegen in der Akademie vorgetragen, aber die Teilnehmer der Sitzung konnten sich zu keiner Entscheidung entschließen. Pingré war an der Diskussion um die besten Beobachtungsorte für 1769 beteiligt. Er stimmte zwar mit Le Gentil überein, dass die Sichtbarkeit der Venuspassage in Manila und den Marianen besser wäre als an der Koromandelküste, hielt aber dennoch Beobachtungen von der indischen Ostküste aus für wissenschaftlich wertvoller (Woolf 1959, S. 154). Noch bevor seine Briefe in Paris angekommen waren, nutzte Le Gentil die seltene Anwesenheit eines spanischen Kriegsschiffes, das auf dem Weg von Cádiz nach Manila einen ungeplanten Zwischenstopp auf der Île de France einlegen musste. Don Juan de Caseins, der Kapitän der mit 64 Kanonen bestückten Le Bon Conseil, willigte ein, den jungen Gelehrten mit nach Manila zu nehmen. Nach einer ereignislosen Überfahrt kam Le Gentil am 10. August 1766 in Manila an. Zwar hoffte er noch, die Marianen zu erreichen, als er aber erfuhr, dass es Schiffsverbindungen dorthin nur im Dreijahresrhythmus gab, entschied er sich, in Manila zu bleiben (Woolf 1959, S. 152). Die Philippinen standen unter spanischer Herrschaft und wurden von Don José Raón verwaltet, der hart, hinterhältig und argwöhnisch war. Die Ankunft des Franzosen sah er gar nicht gern, hielt er ihn doch für einen Spion, der von irgendeiner ausländischen Macht finanziert wurde. Die großen Kisten mit seltsamen Instrumenten, Le Gentils Angewohnheit des Nachts unter dem scheinheiligen Vorwand, die Sterne zu beobachten, auszugehen, sein ständiges Kommen und Gehen auf den einzelnen Inseln, seine Art, alles und jeden zu beobachten und die Tatsache, dass er jede Belanglosigkeit aufschrieb und sie noch dazu in ein großes Heft übertrug, machte ihn nicht weniger verdächtig. In der Tat befasste sich Le Gentil mit allem: Er beschrieb Manila, Mindanao und Jolo, kein Detail über Klima, Temperaturen, Vulkane, Erdbeben, Seen und Lagunen, Bodenfruchtbarkeit, Reichtum der Natur oder Früchte, die den Einwohnern zur Nahrung dienen, ließ er aus. Ihn interessierten die Lebensformen, alles was Politik, Wirtschaft, Herrschaft, Handel, Kirche und die Schwächen der Kolonie anbelangte. Zu seiner Entlastung hätte er seine Hefte mit den astronomischen Beobachtungen vorzeigen können, in denen Sonnenfinsternisse, 145

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die Jupitersatelliten, Mondpositionen, Pendellängen und dergleichen die Hauptrolle spielten und minutiös aufgeschrieben wurden. Aber gerade die exakten geographischen Informationen, die damit verbunden waren, hätte man für strategisch wichtig gehalten und ihm noch mehr Vorwürfe gemacht. Die Situation spitzte sich zu und wurde unhaltbar für ihn, sodass es besser schien, den Venusdurchgang doch von einem anderen Ort der Erde aus zu beobachten (Marlot 2004, S. 173). Da kam die Mitteilung der Akademie im Sommer des Jahres 1767, dass er erneut versuchen solle, den Transit von Pondicherry aus zu beobachten, gerade recht. Durch den Vertrag von Paris im Jahr 1763, mit dem der Siebenjährige Krieg beendet wurde, war Pondicherry in der Zwischenzeit wieder französisch geworden, sodass aus diesem Grunde seinem Aufenthalt nichts mehr im Wege stand. Bis dahin waren die Wünsche der Akademie bei Le Gentil immer auf taube Ohren gestoßen, er war der Meinung, dass die klimatischen Bedingungen in Manila besser seien als in Pondicherry. Er hatte auch errechnet, dass der dritte Kontakt der Venus mit der Sonne – der Moment, der sein ganzes Leben der letzten Jahre im Exil bestimmt hatte – in Manila zu sehen sein würde, wenn die Sonne noch 50 Grad über dem Horizont stand. In Ponidcherry hingegen wären es nur magere 15 Grad. Dennoch folgte er der Aufforderung der Akademie und verließ Manila zu Beginn des Jahres 1768. Er reiste nach Pondicherry, wo er Ende März ankam, nicht ohne wieder heftig unter dem Seegang gelitten zu haben (Marlot 2004, S. 174). Ob er sich nun widerwillig der Autorität aus Paris beugte oder ob die zunehmenden Konflikte mit dem korrupten Gouverneur von Manila der Hauptgrund für seine Abreise waren, ist nicht endgültig geklärt. Bevor er Manila verließ, versäumte er aber nicht, einen italienischen Pater, der Französisch sprach und ein guter Mathematiker war, zu instruieren, wie der Austritt der Venus zu beobachten und die Pendeluhr zu justieren sei, sodass ihm eine gute Beobachtung von Manila aus gewährleistet schien – vorausgesetzt das Wetter würde mitspielen (Woolf 1959, S. 154 f.). Le Gentil reiste auf einem portugiesischen Schiff nach Pondicherry. Am 27. März 1768 – 14 Monate vor dem Transit – kam er dort an. Mit Hilfe des Gouverneurs Law wurde ein gutes Observatorium auf den Ruinen des Stadtforts errichtet und Le Gentil blieb mehr als genug Zeit, um sich vorzubereiten, die entsprechenden Messungen durchzuführen und Daten zu sammeln. Diese schlossen die Länge und Breite der Station ein, sowie Studien der atmosphärischen Lichtbrechung, außerdem die Beobachtung einer totalen Sonnenfinsternis gemeinsam mit dem Gouverneur 146

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Law und die unvermeidbaren Beobachtungen der Jupitermonde zur Längenbestimmung. In den ersten Monaten des Jahres 1769 waren die Nächte in Pondicherry ungetrübt. Sie waren so klar, dass er kein Flimmern der Sterne in seinem 4,50 Meter Teleskop wahrnahm. Das Fernrohr leistete ihm gute Dienste, und obwohl er es mehrfach für einige Stunden des Nachts in senkrechter Position gen Himmel richtete, blieb es frei von Feuchtigkeit. Le Gentil erhielt sogar Unterstützung von den in Madras ansässigen Engländern, die ihm ein exzellentes 90 Zentimeter achromatisches Teleskop liehen. Nun musste er in Pondicherry mehr als ein Jahr lang geduldig darauf warten, dass der Planet sich vor der Sonne zeigen würde. Le Gentil wohnte sogar im Observatorium, um näher an seinem Arbeitsplatz zu sein. Er vertrieb sich zunächst die Zeit damit, die Kolonie zu vermessen, zeichnete einige Ruinen, interessierte sich für die lokalen Sitten und für die traditionelle indische Astronomie – wie Marlot schreibt, um die Zeit totzuschlagen (Marlot 2004, S. 174). Obwohl Le Gentil seltsame Ideen entwickelte, wie z. B. die Ansicht, dass die ägyptische Astronomie lediglich eine Kopie der hinduistischen sei, lieferte er einen wichtigen Beitrag, indem er sich überhaupt mit der indischen Astronomie befasste und sie auf diesem Weg in die Gelehrtendiskussionen des 18. Jahrhunderts Eingang fand. Sogar Voltaire korrespondierte später mit ihm über dieses Thema (Woolf 1959, S. 129). Der Monat, der dem großen Ereignis voranging, war der schönste, den man sich an der herrlichen Koromandelküste vorstellen kann. Le Gentil beschäftigte sich in seinem Tagebuch wie besessen mit dem Wetter: Der 1. Juni 1769 war ein herrlicher Tag, am 2. Juni war der Himmel am Morgen bedeckt, aber der Nachmittag war strahlend schön, der 3. Juni, also der Tag vor dem, von dem alles Wohl und Wehe Le Gentils abhing, war schön, nur kurzzeitig zogen immer einmal wieder Wolken vorüber. Am Vorabend des großen Ereignisses war das Wetter perfekt und Le Gentil war voller Zuversicht, dass ihm sein zweiter Versuch, den Transit zu beobachten, gelingen werde. Am entscheidenden Tag – der Transit war von Pondicherry aus kurz nach Sonnenaufgang des 4. Juni zu sehen – wachte er früh um zwei Uhr morgens auf und glaubte, es wehe der übliche Südostwind, den er für ein gutes Omen hielt, weil er gewöhnlich alle Wolken vertrieb. Aber nachdem er sich erhoben hatte, musste er erkennen, dass der Himmel voller Wolken war. Um vier Uhr stand er ein zweites Mal auf und sah, dass der Himmel weiterhin völlig bedeckt war. Um fünf Uhr wehte der Wind von Südwesten, sodass kurz Hoffnung in ihm aufkeimte, 147

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Schicksale – Venustransit 1769

die noch verstärkt wurde, weil es im Süden etwas aufklarte. Le Gentil hoffte, die Brise würde die Wolken vertreiben, aber weit gefehlt. Auch noch um kurz vor sieben, als der entscheidende Moment eintrat, als die Venus den dritten Kontakt haben müsste, war nur vage zu ahnen, wo die Sonne stehen könnte, so dicht waren noch immer die Wolken. Erst um neun Uhr, als alles längst vorbei war, setzte sich die Sonne durch, schien grell und grausam und war den ganzen restlichen Tag über zu sehen. Und Le Gentil hatte nach zehn Jahren unermüdlichen Einsatzes beide Transite des Jahrhunderts verpasst. Das sei das Schicksal, das Astronomen ereilen könne, schrieb er in sein Tagebuch. Er hatte Jahre seines Lebens gegeben – lediglich um eine dicke Wolke zu sehen, die sich genau im Moment des letzten Kontakts vor die Sonne schob, und ihn der Früchte seiner Leiden und Anstrengungen beraubte. Als wäre all dies noch nicht genug, erfuhr Le Gentil bald nach seinem zweiten Scheitern aus einem Brief von Don Estevan Melo und Vater Théatin, dass der Transit in Manila bei herrlichem Sonnenschein und klarer Sicht stattgefunden hatte und die Beobachtung hervorragend geglückt war (Woolf 1959, S. 155). Le Gentil widmete viele Seiten seines Tagebuchs der Verzweiflung, die ihn überkam. Acht Jahre hatte er gehofft und gebangt, auf diesen einen Tag hinglebt und in wenigen Minuten wurde alles zunichte gemacht – und das nun schon zum zweiten Mal. Wie sollte er das nur ertragen? 10 000 „lieues“ (= 40 000 Kilometer) hatte er zurückgelegt, riesige Ozeane leidvoll überquert, sich über Jahre fern der Heimat aufgehalten, alles nur um eine verhängnisvolle Wolke zu beobachten, die sich genau im entscheidenden Moment vor die Sonne schob. Le Gentil glaubte, seine Existenzberechtigung verloren zu haben. Er konnte es nicht fassen, dass ausgerechnet dieser eine Morgen wolkenverhangen war, wo doch vorher ein Monat lang bestes Wetter geherrscht hatte und danach auch. Zwei Wochen lang war er von einer nie gekannten Niedergeschlagenheit wie gelähmt, er wagte kaum, seine Feder in die Hand zu nehmen, um zu schreiben. Versuchte er es dennoch, entglitt sie seiner Hand, sobald er beginnen wollte, über sein Scheitern nach Frankreich zu berichten. Sein Unglück schwächte ihn dermaßen, dass er zu allem Übel auch noch krank wurde und deshalb seine Rückreise noch weiter aufschieben musste. Um sich abzulenken, führte er Experimente mit dem Sekundenpendel durch, befasste sich mit der Lichtbrechung der Atmosphäre zu verschiedenen Jahreszeiten und bei unterschiedlichen Temperaturen und kartierte das Gebiet um die Kolonie. In dieser Zeit erhielt er die Unterstützungsschreiben, die er zwei Jahre zuvor beim spa148

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nischen Hof für Manila beantragt hatte. Zwar hatten sie nun keinen großen Wert mehr für ihn, erleichterten ihm aber immerhin die Rückreise. Le Gentil traf noch kurz mit Pierre Antoine Véron (1736–1770) zusammen, der als Astronom auf Bougainvilles Reise in die Südsee dabei gewesen war, aber nicht mit Bougainville nach Frankreich zurückgekehrt war, weil er den Venustransit von einem geeigneten Ort aus beobachten wollte. Auch Véron grämte sich, weil er – genau wie Le Gentil beim ersten Mal – am Tag des Transits ungeplanterweise noch auf See war und den Transit so verpasst hatte (Woolf 1959, S. 156). Es dauerte lange, bis Le Gentil sich in der Lage fühlte, den Kampf mit den Wellen, den er nie gut vertragen hatte, wieder auf sich zu nehmen. Nur wer einmal richtig seekrank war, wird wohl ermessen können, was ihm bevorstand. Es gab auch nur wenige Schiffe, die zwischen Indien und Frankreich verkehrten. So bestieg er das nächstbeste als er genesen war, geriet damit in heftigste Stürme, die das Schiff so beschädigten, dass es nach Mauritius zurückkehren musste, um dort repariert zu werden. Als ginge es ihm noch nicht schlecht genug, musste er nun zu allem Übel auch noch unter einer verzögerten und schwierigen Heimreise leiden. Auf der Astrée segelte er schließlich von Mauritius nach Cádiz. Dort angekommen, reiste Le Gentil über Land zurück nach Paris, hatte aber seine Instrumente auf dem Seeweg vorausgeschickt. Als er die Pyrenäen überquerte, schrieb er – ähnlich wie Pingré damals bei der Rückkehr von seiner ersten Transitexpedition: „Am 8. Oktober passierten wir bei Sonnenaufgang den Kamm der Pyrenäen und um neun Uhr morgens betrat ich endlich wieder Frankreich nach elf Jahren, sechs Monaten und 13 Tagen Abwesenheit“ (Woolf 1959, S. 156). Aber noch immer hatte das üble Schicksal ihn fest im Griff. Aufgrund der langen Abwesenheit hatte man ihn für tot gehalten und sein Vermögen bereits unter den Erben verteilt, sein Sitz in der Akademie der Wissenschaften war an einen anderen vergeben. Es kostete ihn viel Zeit und teuren juristischen Beistand, um wieder Herr über sein Hab und Gut zu werden. Dann erfreute er sich aber eines langen und sesshaften Lebens als verheirateter Mann und Vater einer Tochter, die er vergötterte und die ihn all sein Unglück der Vergangenheit vergessen ließ; das teilt zumindest Cassini so mit. Die Akademie der Wissenschaften verhalf ihm schließlich zu einer Wohnung und einem Observatorium in Paris. Er starb im Jahr 1792 im Alter von 67 Jahren, aber sein Posten in der Akademie wurde nicht mehr besetzt. Die Zeiten hatten sich geändert und es bestand weniger Interesse an weiteren Mitgliedern der Akademie (Woolf 1959, S. 156). 149

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Schicksale – Venustransit 1769

Abb. 37: Titelblatt von Le Gentils Reisebericht.

Seine Erlebnisse hatte Le Gentil in einem zweibändigen Reisebericht zusammengefasst. Die Bände erschienen 1779 und 1781 unter dem Titel „Voyages dans les mers de l’Inde“ und wurden ein voller Erfolg. Don José Raón, der Gouverneur der Philippinen, der Le Gentil das Leben so schwer gemacht hatte und der womöglich der Grund war, weshalb Le Gentil Manila verlassen hatte, wurde zwei Jahre nach Le Gentils Abreise verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Als alle Daten der erfolgreichen Beobachtungen beisammen waren, begannen die Mathematiker mit der Neuberechnung der Sonnenparallaxe. Ihre Resultate lagen zwischen 8,43 und 8,9 Bogensekunden. Die Versuche einen allgemein akzeptierten Durchschnittswert zu finden scheiterten, so150

Wiedersehen mit alten Bekannten

dass der Spielraum zwischen 8,43 und 8,9 bestehen blieb. Zwar war er jetzt noch etwas genauer eingegrenzt als nach dem Transit von 1761, entsprach aber noch immer nicht den Erwartungen an seine Exaktheit, die seit Halleys Publikation 1716 gehegt wurden. Nun mussten andere Methoden zur Ermittlung der Astronomischen Einheit entwickelt und erprobt werden, da die nächste Venuspassage erst für 1874 vorausberechnet war.

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Neue Hoffnungen – Der Venustransit von 1874

Zwar war es mittels der Transitbeobachtungen von 1769 geglückt, den Wert für die Parallaxe noch genauer einzugrenzen als 1761. Er lag den Berechnungen zufolge zwischen 8,4 und 8,9 Bogensekunden, was für die Astronomische Einheit einen Wert ergab, der zwischen 157 und 147 Millionen Kilometer lag. Damit wusste man es jetzt besser als nach den Expeditionen von 1761, aber noch immer nicht gut genug, und auch noch nicht so exakt, wie Halley es 1716 vorhergesagt hatte. 105,5 Jahre vergingen, bis sich erneut die Chance bot, einen Venusdurchgang zu erleben. Für den 9. Dezember 1874 war eine Passage vorhergesagt und eine weitere acht Jahre später für den 6. Dezember 1882. Das Interesse an der Ermittlung der Astronomischen Einheit war nach wie vor ungebrochen. In den Jahren von 1822 bis 1824 hatte Johann Franz Encke (1791–1865) aus den Beobachtungen der beiden Transite des 18. Jahrhunderts einen Wert für die Parallaxe errechnet, der lange als allgemeingültig anerkannt wurde. Encke war damals Direktor der Seeberg-Sternwarte bei Gotha. Er gehörte zu jenen, die ungünstig im langen Abstand zwischen zwei Transiten geboren wurden, sodass sie keinen Transit erleben konnten. Encke hätte 83 Jahre alt werden müssen, um den Transit von 1874 noch mitzuerleben, was ihm aufgrund eines Schlaganfalls aber nicht vergönnt war. Ein Komet, dessen regelmäßige Rückkehr alle drei Jahre und vier Monate er vorausberechnet hatte, trägt heute seinen Namen. Nur unter Verwendung der Resultate der Venusbeobachtungen von 1769 berechnete er einen Wert von 8,6030 Bogensekunden für die Parallaxe. Eine zweite Berechnung unter Einbeziehung der 1761 gewonnenen Daten ergab einen Wert von 8,5776 Bogensekunden, der einer Distanz zur Sonne von 153 Millionen Kilometern entsprach. Enckes Resultat wurde zunächst anerkannt und galt über Jahre hinweg als allgemein akzeptierter Forschungsstand (Sellers 2001, S. 155; Marlot 2004, S. 226 f.). Robert Grant würdigte Enckes Resultate in seiner 152

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Neue Hoffnungen – Venustransit 1874

„History of Physical Astronomy“ nahezu hymnisch (Sellers 2001, S. 155). Grants Werk erschien im Jahr 1852, kurz bevor Enckes Zahl in Zweifel gezogen wurde. Trotz der allgemeinen Anerkennung von Enckes Wert wurde das gesamte 19. Jahrhundert über versucht, die AE auf anderen Wegen als über die Messungen von Venuspassagen zu ermitteln. Peter Hansen aus Gotha (1795–1864) – auch er ohne Chance, je selbst einen Transit zu beobachten – kam auf einen Wert von 8,916 Bogensekunden für die Sonnenparallaxe, indem er Untersuchungen des Einflusses der Sonne auf den Mond mit einbezog. Der französische Physiker Léon Foucault ermittelte einen Wert von 8,86 Bogensekunden mittels einer Technik, die den Faktor Lichtgeschwindigkeit einbezieht. Friedrich Wilhelm Bessel (1784–1846) hatte z. B. im Jahr 1838 erstmals eine Fixsternparallaxe gemessen, die weniger als eine Drittel Bogensekunde betrug. Es handelte sich dabei um den 61. Stern im Sternbild des Schwans. Bessel hatte sich dazu eines von Joseph von Fraunhofer (1787–1826) verbesserten Heliometers bedient. Zunehmend wurde in der Beobachtung der Bewegungen des Mars eine Alternative gesehen. Auch der Mars ist wie die Venus ein direkter Nachbarplanet der Erde, er zieht seine Bahn aber weiter außen, d. h. weiter von der Sonne entfernt als die Erde, und damit kann es natürlich nicht zu Marstransiten kommen. Aber auch der Mars steht in bestimmten Konstellationen der Erde relativ nahe. Er kommt der Erde am nächsten, wenn er sich in Opposition befindet, wenn also Sonne, Erde und Mars mehr oder weniger eine Linie bilden und der Mars sich somit auf der dunklen Seite der Erde befindet. Zu diesem Zeitpunkt musste von verschiedenen Stellen der Erde aus der Winkel zwischen dem Mars und bestimmten Sternen im Hintergrund gemessen werden. Daraus konnte dann die Entfernung zum Mars berechnet werden und mittels der keplerschen Gesetze anschließend auch die Entfernung zur Sonne. Erstmals kalkulierte Edward James Stone 1862 die Sonnenparallaxe unter Verwendung der sowohl von Greenwich als auch vom Kap der Guten Hoffnung in Südafrika beobachteten Marsopposition. Er kam auf einen Wert von 8,94 Bogensekunden für die Parallaxe, was einer Distanz Erde – Sonne von ca. 147,1 Millionen Kilometern entsprach. Aber ganz zufrieden war die Forschung auch damit nicht, sodass dennoch frühzeitig mit Vorbereitungen für die beiden Venuspassagen des 19. Jahrhunderts begonnen wurde (Sellers 2001, S. 158). Daraus wird ersichtlich, dass das Thema der Sonnenparallaxe nach wie vor aktuell war und die wissenschaftlichen Gemüter beschäftigte. In dem 153

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Neue Hoffnungen – Venustransit 1874

Maße, in dem immer höhere Werte ermittelt wurden, ging man dazu über, Enckes Wert zu verwerfen und sich von der Brauchbarkeit der Venusdurchgänge für die Ermittlung der Parallaxe zu verabschieden. Doch dem Unternehmen Venuspassage haftete noch immer Attraktivität an, gepaart mit einer gewissen Romantik, die man mit dem extremen Aufwand, den weiten Reisen und den einsamen Schicksalen des letzten Jahrhunderts verband. Zwar drängten andere Verfahren zur Ermittlung der AE mehr in den Vordergrund, aber man hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, mit den inzwischen modernisierten Methoden, Instrumenten und Kommunikationsmöglichkeiten bei den nächsten beiden Venusdurchgängen doch noch zu genaueren Ergebnissen zu gelangen.

Modernisierung der Arbeitsmethoden In den 105 Jahren zwischen 1769 und 1874 hatte die Welt sich verändert. Bewegende Ereignisse wie die Amerikanische Revolution, die Französische Revolution, die Napoleonischen Kriege, die Loslösung der lateinamerikanischen Staaten von Spanien und die Revolutionen von 1830 und 1848 hatten stattgefunden. Aber mindestens genauso bedeutend wie diese politischen Umwälzungen war die Industrielle Revolution mit der Erfindung von Dampfmaschine, Spinnmaschine, Lokomotive – das ganze 19. Jahrhundert atmete Erfolg, Entwicklung und technologische Verbesserung (Sheehan und Westfall 2004, S. 202). Inzwischen waren auch die Fotografie, die Dampfschifffahrt und die Telegrafie erfunden worden, was den Beobachtern und Organisatoren ganz neue Möglichkeiten eröffnete. Da man nun statt der Segelschiffe Dampfschiffe verwenden konnte, wurden die Reisen in entfernte Gebiete erheblich kürzer und planbarer. Auf den Dampfschiffen gab es darüber hinaus mehr Stauraum. Man war weniger von den Windverhältnissen abhängig. Die Atlantiküberquerung dauerte nur noch acht Tage; Chappe hatte noch 77 Tage dafür benötigt. Nach der Eröffnung des Suezkanals im Jahr 1869 hatten sich die Fahrzeiten von Europa zum Indischen Ozean und Pazifik erheblich verkürzt. Ein Dampfschiff schaffte es innerhalb von nur 50 Tagen von Europa nach Neuseeland, und Landreisen waren durch die Erfindung der Eisenbahn revolutioniert worden. All dies vergrößerte die Auswahlmöglichkeiten für Beobachtungsorte, zumal jetzt auch Inseln in Frage kamen, die 1761 noch gar nicht entdeckt gewesen waren. 154

Modernisierung der Arbeitsmethoden

Die Kommunikationsmöglichkeiten hatten sich, dank der Einführung der elektrischen Telegrafie, extrem verbessert. Über Land führten die Telegrafenkabel meist entlang der Eisenbahnwege, aber es wurden auch auf dem Meeresboden Telegrafenkabel verlegt, die die Küsten der sechs bewohnten Kontinente sowie die strategisch wichtigen Inseln in der Karibik und dem Mittelmeer, Holländisch Ostindien und den Philippinen, Japan und Neuseeland miteinander verbanden (Sheehan und Westfall 2004, S. 208). Botschaften, für deren Übermittlung man im 18. Jahrhundert Wochen oder Monate gebraucht hatte, erreichten nun innerhalb von Stunden oder Minuten ihren Empfänger. Dies machte man sich für die Kontrolle der Uhren zunutzte, um die Synchronisation mit der Greenwichzeit zu gewährleisten. Es konnten Zeitsignale zwischen der Observationsstation und einem Ort bekannter Länge übermittelt werden, die dazu dienten, die Länge genauer zu bestimmen. Die Fehler, die in der Längenbestimmung gemacht worden waren, hatten sich nämlich stärker auf die Ergebnisse ausgewirkt als die Messfehler, die durch den Schwarzen Tropfen entstanden waren. Insbesondere, wenn man sich der Methode Delisles bediente, war schließlich eine möglichst genaue Längengradbestimmung unumgänglich (Sheehan und Westfall 2004, S. 208). Ein weiterer Vorteil der neuen Kommunikationsmöglichkeiten war die schnelle Übermittlung der Beobachtungsresultate an die Akademien zu Hause, sodass unmittelbar mit den komplizierten Berechnungen begonnen werden konnte. Die Entwicklung der Teleskope war ebenfalls vorangegangen. Die Spiegelteleskope waren erheblich verbessert worden, indem man konkav geschliffene Glasscheiben auf der Vorderseite mit einer Art Silberbeschichtung versah. Diese lösten die Metallspiegel ab, die jedes Mal, wenn sie durch Anlaufen völlig blind geworden waren, neu geschliffen werden mussten. 1856 war das erste Teleskop mit versilberten Glasspiegeln gebaut worden. Die Spiegel hatten gegenüber Linsen den Vorteil, dass sie zu keiner chromatischen Aberration führten und auch nicht das ultraviolette Licht verschluckten, das für die Fotografie wichtig war. Dem stand als Nachteil gegenüber, dass Spiegel für die Auswirkungen von Fehlern in der Ausrichtung der Spiegel, der Biegsamkeit und der Vibration des Rohrs sowie für Temperaturschwankungen empfindlich waren. Viele der modernen Spiegelteleskope waren äquatorial auf eine Gabel montiert und verfügten über eine gleichförmige Nachführung, sodass die Bewegung der 155

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Neue Hoffnungen – Venustransit 1874

Sonne oder von Sternen verfolgt werden konnte, ohne dass der Beobachter jedes Mal von Hand korrigieren musste. Eine wichtige Variante dieser Neuerung war ein Heliostat, dessen Spiegel mittels einer Uhr angetrieben wurde, um der Sonne zu folgen. Ein Heliostat ist ein der täglichen Bewegung der Gestirne folgender drehbarer Planspiegel, der das Licht der Sonne ununterbrochen in ein festliegendes astronomisches Fernrohr wirft. Spezielle Horizontalteleskope, deren optische Achse fest auf die Ebene des Horizonts gerichtet war, mit einer Brennweite von bis zu zwölf Metern, wurden speziell für die Transitbeobachtungen entwickelt. Diese Teleskope produzierten vergleichsweise große Bilder von der Sonne mit bis zu elf Zentimetern Durchmesser. Diese Bilder waren fast viermal größer als die, die man mit einem 20 Zentimeter, achromatischen Linsenfernrohr erhielt. Für die Transitbeobachtungen des 19. Jahrhunderts wurde die Auswahl der Teleskope weitestgehend standardisiert, um die Beobachtungen vergleichen zu können. Außerdem plante man, Heliometer zur Messung des Abstands der Venus zum Rand der Sonne in der Mitte des Transits einzusetzen. Heliometer sind Fernrohre zum Messen kleiner Winkelabstände am Himmel. Zwar waren erste Messmöglichkeiten für kleine Winkel schon zu Horrocks Zeiten von William Gascoigne entwickelt worden, der das sogenannte Mikrometer erfunden hatte. Die Distanz von der Venus zum Rand der Sonne war aber zu groß für Messungen mittels Mikrometer. Das Heliometer besteht aus einem längs des Durchmessers geteilten Objektiv, dessen beide Hälften messbar gegeneinander bewegt werden können. Die Idee dazu hatten im 18. Jahrhundert Servington Savery und Pierre Bouguer. Joseph von Fraunhofer verbesserte es im 19. Jahrhundert zu großer Vollkommenheit (Sheehan und Westfall 2004, S. 211). So ausgerüstet entstand ein regelrechter Wettbewerb, an dem sich England, Frankreich, Deutschland und Russland und die USA beteiligten (Ratcliff 2008, S. 2). Nationaler Stolz in Bezug auf wissenschaftliche Errungenschaften spielte insbesondere für England eine große Rolle, dennoch legte man auch Wert auf internationale Zusammenarbeit. Eine brauchbare Berechnung der Sonnenparallaxe war nur unter Einbeziehung der Daten von allen Beobachtungsorten weltweit möglich. In England beeinflussten Cooks Erfolge des 18. Jahrhunderts die Planungen für den Venustransit von 1874 – von den Finanzierungen angefangen bis zur patriotischen Rhetorik in der englischen Presse (Ratcliff 2008, S. 3). Ähnlich wie im 18. Jahrhundert waren es auch im 19. Jahrhundert akademische Strei156

Venus auf Platten gebannt

tigkeiten, die dem Transit Popularität verliehen und ihm die Wege in die Presse ebneten (Ratcliff 2008, S. 13 f.). Ein großes Ziel für 1874 war eine größere Messgenauigkeit. Fünf Jahre widmete man der Vorbereitung und Planung für den Transit. Man wollte mit den Transitbeobachtungen auch die im 18. Jahrhundert gewonnenen Daten überprüfen. Zusätzlich hatten sich die mathematischen Möglichkeiten zur Korrektur von Irrtümern verbessert. Man war sich auch der persönlichen Beurteilungsspielräume in den Beobachtungen bewusst geworden und begann sich damit auseinanderzusetzen. Die Überseeexpeditionen wurden nun meist von den jeweiligen nationalen Regierungen finanziert. Es gab auch einige Enthusiasten, die auf eigene Kosten beobachteten, ihre Ergebnisse aber den nationalen Kommissionen zur Verfügung stellten. Die berühmteste dieser privat finanzierten Expeditionen wurde von Lord Lindsay (James Ludovic Lindsay, später Earl of Crawford, 1847–1913) durchgeführt. Als Beobachtungsstation hatte er sich die Insel Mauritius ausgewählt, die seit dem Ende der Napoleonischen Kriege eine britische Kolonie war. Lindsay arbeitete mit David Gill zusammen, einem versierten Uhrmacher und passionierten Amateurastronomen. Lindsays Expedition war mit hervorragenden Instrumenten ausgestattet (Brück 2005, S. 138 ff.).

Venus auf Platten gebannt Besonders großer Wert wurde im 19. Jahrhundert auf die erstmals mögliche fotografische Dokumentation der Transite gelegt. Der Wunsch, die Bilder der Camera obscura haltbar zu machen, hatte schon lange bestanden, und im Jahr 1839 war es endlich so weit, dass ein entsprechendes Verfahren der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte. Es war von Louis Jacques Mandé Daguerre (1787–1851) und Joseph Nicéphore Niepce (1765–1833) entwickelt worden und markiert den Beginn der Fotografiegeschichte. Die Daguerrotypie war ein Bild, das auf eine Kupferplatte geätzt wurde. Die neue Technik verbreitete sich extrem schnell. Die Verfahren wurden nun ständig verbessert und das dazu benötigte Material transportabler. Bis zu Beginn der 1870er-Jahre war man so weit, dass große Hoffnungen auf die fotografische Dokumentation des Venusdurchgangs gesetzt wurden. Schon Daguerres Versuche von 1838/39 hatten die Einwirkung des Mondlichtes auf die von ihm verwendete Jodsilberschicht 157

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Neue Hoffnungen – Venustransit 1874

gezeigt. Alexander von Humboldt hatte in einem Brief vom 7. Februar 1839 darüber berichtet: „Selbst die Mondscheibe lässt ihr Bild in Daguerres mysterieusem Stoffe. Doch den Morgen, an dem ich Paris verließ (3. Januar 1839), brachte der kunstreiche Mann meinem Freund Arago triumphierend das Mondbild, dessen Ränder darum etwas unbestimmt waren, weil die Camera obscura nicht schnell genug verschoben worden war, um der Bewegung des Mondes zu folgen“ (Stenger 1938). Am 2. April 1845 wurden bereits erste Aufnahmen von der Sonne gemacht, u. a. von Léon Foucault (1819–1868), und schon die Sonnenfinsternis vom 28. Juli 1851 wurde gleich mehrfach aufgenommen, und zwar von den Astronomen Berkowsky in Königsberg, Porro in Paris und Angelo Secchi in Rom. Zunehmend bediente sich die Astronomie der Fotografie zur Registrierung von Himmelskörpern und deren Erforschung. Stenger bringt dies in seinem Werk zur Fotografiegeschichte von 1938 auf den Punkt, indem er schreibt, in allen Fällen habe sich trotz mancher Gegnerschaft die fotografische Sicht der Augenbeobachtung gegenüber als überlegen erwiesen und der Forschung Gebiete zugänglich gemacht, in die das menschliche Auge nicht einzudringen vermochte. So sei die Astronomie seitdem untrennbar mit der Fotografie verbunden (Stenger 1938, S. 113). Beispielsweise wurde ab 1851 jede Sonnenfinsternis fotografisch dokumentiert. Daguerrotypien hatten den Vorteil, sehr haltbar zu sein. Dem standen aber zwei erhebliche Nachteile gegenüber: Das Bild entstand auf einem undurchsichtigen Medium, was es extrem schwierig machte, es zu vervielfältigen, und die Belichtung ging sehr langsam vonstatten. Allerdings war die geringe Lichtempfindlichkeit für Aufnahmen von der Sonne kein echtes Problem, und so kam es, dass noch für die Transite von 1874 und 1882 einige Beobachter mit Daguerrotypien arbeiteten (Sheehan und Westfall 2004, S. 216), obwohl es bereits eine schnellere Alternative gab. 1851 hatte Frederick Scott Archer (1813–1857) die Arbeit mit Nassplatten eingeführt. Eine Glasplatte wurde mit einer nassen, zähflüssigen Kollodiumschicht bedeckt. Der Vorteil war, dass man Abzüge davon machen oder das Bild vergrößern konnte. Der Prozess war allerdings heikel, denn die Platte musste kurz vor der Belichtung mit der Lösung bestrichen werden und durfte nicht trocknen, bevor das Bild entwickelt war. Ein reicher englischer Amateur, Warren de la Rue (1815–1889), begann die Nassplatten für die Sonnenfotografie einzusetzen und zeigte 1861, welche Möglichkeiten sie für die Transitfotografie boten. Eine einfacher anwendbare Methode wur158

Vorbereitungen auf die Transitbeobachtungen

de unmittelbar vor dem Transit 1874 erfunden, nämlich die Arbeit mit Trockenplatten. William de Wiveleslie Abney (1842–1920) veröffentlichte eine entsprechende Abhandlung darüber. Da die Entwicklung der Trockenplatten zu kurz vor den Transiten stattfand, spielten die Nassplatten eine größere Rolle in der Transitfotografie (Sheehan und Westfall 2004, S. 216). Aimé Laussedat (1819–1907) erfand die Fotogrammetrie, eine Methode zur Vermessung von Objekten auf Fotos. Für den Venustransit entwickelte er einen Fotoheliografen, im Grunde ein horizontal befestigtes Fernrohr mit einem Heliostat versehen (Marlot 2004, S. 245 ff.). Ein ganz entscheidender Unterschied zu den vorherigen Transiten war, dass es jetzt nicht mehr nur um die Dauer (Halley) des Transits oder um Eintritt bzw. Austritt (Delisle) ging, sondern darum, die Entfernung zwischen Venus und dem Rand der Sonne während der Passage zu messen. Deshalb war die Fotografie so wichtig, weil man im Anschluss in Ruhe auf den Fotos messen und viele Male nachmessen konnte. Egal, wie die Fotografien gewonnen worden waren, sie dienten demselben Zweck wie die Heliometermessungen, nämlich der Ermittlung der Distanz zwischen der Venus und dem Rand der Sonne während des Transits (Sheehan und Westfall 2004, S. 245). Es wurden immense Geldsummen eigens dafür investiert, um den Venustransit des Jahres 1874 fotografisch zu dokumentieren. Insbesondere setzte man große Erwartungen in die Revolver-Kamera von Pierre Jules César Janssen (1824–1907), mit der man innerhalb von 72 Sekunden 48 Belichtungen vornehmen konnte. Damit sollten die entscheidenden Kontakte der Venus fotografisch festgehalten und später vermessen und analysiert werden (Marlot 2004, S. 256 ff.).

Vorbereitungen auf die Transitbeobachtungen Im Jahr 1868 fand eine Sonnenfinsternis statt, zu deren Beobachtung ebenfalls Expeditionen ausgeschickt wurden. Diese galten quasi als Vorübung für den großen Einsatz bei den Venusexpeditionen. Es wurden zwei deutsche Expeditionen zur Beobachtung der totalen Sonnenfinsternis am 8. August 1868 ausgerüstet. Die eine ging nach Aden, Südarabien (heute Jemen), die andere nach Indien. Das wichtigste Instrument für die Expedition nach Aden war ein Fernrohr mit 152 Millimeter Öffnung und zwei 159

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Neue Hoffnungen – Venustransit 1874

Abb. 38: Die Revolver-Kamera von Janssen im Einsatz.

Meter Brennweite, das zur Protuberanzenfotografie eingesetzt wurde. Gleich zwei Fotografen, Hermann Vogel und Gustav Fritsch, waren an der Expedition beteiligt, außerdem ein Physiker (Wilhelm Zenker) und ein Astronom (Bernhard Tiele). Die 1863 als eine der ältesten wissenschaftlichen Vereinigungen Europas ins Vereinsregister eingetragene Astronomische Gesellschaft war der Träger dieser Expedition, kontrollierte die finanzielle Abwicklung und veröffentlichte die Ergebnisse. Gleichfalls gab es in diesem Jahr einen Merkurtransit, an dem die neuen Theorien zur Verbesserung der Messungen des Venustransits getestet werden konnten (Ratcliff 2008, S. 6 f.). Kaum war das alles erledigt, fing man mit den Planungen für die Beobachtung der Venusdurchgänge an. In den einzelnen Ländern wurden jeweils Kommissionen einberufen, die mit den Vorbereitungen betraut wurden. Die Forscher des 19. Jahrhunderts konnten auf die Erfahrungen des 18. Jahrhunderts aufbauen und glaubten deshalb zu wissen, was sie erwarten konnten und womit sie rechnen mussten, wie z. B. mit dem Schwarzen Tropfen, der für die Beobachter von 1761 so unerwartet aufgetreten war. 160

Vorbereitungen auf die Transitbeobachtungen

Abb. 39: Einzelteile von Janssens Revolver-Kamera.

Eine entscheidende Neuerung bei den Vorbereitungen der Transitbeobachtungen im 19. Jahrhundert war eine Idee, die in Russland, Deutschland, England, Frankreich und den USA nahezu gleichzeitig aufkam: Die für die Expeditionen ausgewählten Beobachter sollten an einem Transitmodell geschult werden. Ende 1873 hatten alle beteiligten Länder jeweils ihr eigenes Transitmodell konstruiert, an dem die fotografischen Methoden erprobt werden konnten, aber auch eine Schulung in den traditionellen Messmethoden stattfinden sollte. Zwar hatte es 1760 schon die Idee zu einem Modell gegeben, aber offenbar wurde es damals nicht in die Tat umgesetzt (Ratcliff 2008, S. 77). Mit Verblüffung stellte man fest, dass sich auch der Schwarze Tropfen in den Modellen einstellte, sodass man an diesen weitere Erkenntnisse über den Effekt zu erlangen hoffte. Man wollte sich den Schwarzen Tropfen nun sogar zunutze machen und begann zwischen echtem und geometrischem Kontakt zu unterscheiden, ohne allerdings zu einer allgemeingültigen Definition zu gelangen (Ratcliff 2008, S. 80). Die Experimente mit den künstlichen Modellen der Venus vor der Sonne eigneten sich zur Untersuchung der Eigenschaften des Schwarzen Tropfens, nicht aber zur Klärung seiner Ursache. George Forbes war frisch ernannter Professor für Naturphilosphie in Glasgow und 161

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Neue Hoffnungen – Venustransit 1874

ein vehementer Verfechter der Experimente mit den Transitmodellen. Er wollte den Zeitunterschied zwischen dem geometrischen Kontakt, wenn also der Rand der Modellvenus genau den Rand der Modellsonne berührte, und dem Moment messen, in dem der Kontakt für den Beobachter eindeutig sichtbar war. Man fand anhand der Modelle heraus, dass der Unterschied bei drei Sekunden lag. Da sich im 18. Jahrhundert gezeigt hatte, dass es interpersonelle Interpretationsspielräume in der Beurteilung des Zeitpunkts der genauen Kontakte gab, sollte auch dazu eine Schulung an den Modellen durchgeführt werden. Gleichfalls sollten Auf- und Abbau sowie die Benutzung der Teleskope trainiert werden (Ratcliff 2008, S. 80 ff.). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zur Beobachtung des Transits 1874 vier verschiedene Methoden angewendet werden sollten: Zuerst die bereits im 18. Jahrhundert verwendete Methode der Beobachtung und zeitlichen Messung der vier Kontakte und, wenn möglich, der Transitdauer. Hinzu kamen neue Methoden wie die fotografische Dokumentation der entscheidenden Momente des Eintritts und Austritts, u. a. mit Janssens Revolver-Kamera, aber auch mit den anderen damals gängigen Verfahren. Neu war auch das Messen des Abstands zwischen der Venus und dem Zentrum der Sonne während des Transits mit dem Heliometer. Diese gleiche Messung sollte dann auch auf den belichteten Fotoplatten durchgeführt werden. Insgesamt also vielversprechende Neuerungen auch jenseits der Ermittlung der AE. Vor allem die deutschen Expeditionen wurden mit fraunhoferschen Heliometern mit 75-Millimeter-Objektiven und Brennweiten von 1070 Millimeter ausgestattet, die von den einzelnen Sternwarten für die Reisen zur Verfügung gestellt wurden. Da Heliometer sehr teuer waren, war die üppige Ausstattung der deutschen Expeditionen damit eine Besonderheit. Gleichfalls verfügten einige der russischen Beobachtungsstationen über Heliometer.

Neue Expeditionen zu den Enden der Welt Die Karte mit den Zonen der Sichtbarkeit des Transits für 1874 zeigte, dass der Venusdurchgang in Nord- und Südamerika nicht zu sehen sein würde. In Europa würde er vor Sonnenaufgang zu Ende sein. Im Mittleren Osten und Afrika sowie in Südosteuropa und Russland würde der Austritt gut zu sehen sein, allerdings während die Sonne recht tief stehen 162

Neue Expeditionen zu den Enden der Welt

Transit nicht sichtbar Austritt sichtbar Eintritt sichtbar

vollständiger Transit sichtbar

Abb. 40: Sichtbarkeit des Venustransits von 1874.

würde. Das zentrale Pazifikbecken würde gute Sicht auf die interessanteste Phase – den Eintritt – ermöglichen. Der gesamte Transit würde nur von Südostasien, Australien und Neuseeland sowie vom Indischen Ozean aus zu sehen sein (Sheehan und Westfall, 2004, S. 230). Halleys Methode erforderte, dass die Sonne während der dreieinhalb Stunden zwischen dem zweiten und dem dritten Kontakt hinreichend hoch über dem Horizont stehen musste. Dies bedeutete, dass eine ideale nördliche Beobachtungsstation in Sibirien läge, während die ideale südliche Station auf dem antarktischen Kontinent liegen würde. Die Antarktis war zwar zu diesem Zeitpunkt bereits entdeckt, aber bei Weitem noch nicht so gut erschlossen, als dass man dort eine Beobachtungsstation hätte einrichten können. Noch hatte niemand den Kontinent betreten, geschweige denn sich länger dort aufgehalten. Auch die Delisle’schen Pole waren ungünstig gelegen. Eintrittszeiten wären am besten im Indischen Ozean südlich vom Kap der Guten Hoffnung zu erfassen gewesen oder im landlosen Nordpazifik. Die Austrittszeiten wären am besten im Norden des europäischen Teils Russlands zu messen oder in der Drake Passage südwestlich von Kap Hoorn. Da ein Teil der besten Orte auf offener See lag und diese damit für die Messungen nicht in Frage kamen, mussten Kompromisse eingegangen werden zwischen der idealen Geometrie und den realen Möglichkeiten (Sheehan und Westfall 2004, S. 230). So konzentrierten sich die Expedi163

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Neue Hoffnungen – Venustransit 1874

tionen vor allem auf den Indischen Ozean sowie auf Australien und Neuseeland. Großbritannien und Russland rüsteten für 1874 die größte Anzahl von Expeditionen aus. Insgesamt 30 Beobachtungsstationen richteten die Briten auf Hawaii, in Südafrika, Ägypten, Mauritius, Pakistan, Kerguelen, Indien und Neuseeland ein, während Russland 27 Stationen über das ganze russische Reich verteilte, ergänzt durch je eine Station in Japan, China, Ägypten und zwei im Iran, sodass die Russen insgesamt also auf Ergebnisse von 32 Stationen hoffen konnten, aber nur von 13 Stationen brauchbare Resultate erhielten, da an den anderen Orten aufgrund schlechten Wetters der Transit nicht sichtbar war. Die russischen Expeditionen wurden vom Pulkowo Observatorium koordiniert, dessen Direktor damals Otto Wilhelm von Struve (1819–1905) war. Australien beteiligte sich mit 13 Expeditionen, allesamt auf eigenem Staatsgebiet, Ägypten entsandte Beobachter in den Sudan und ins eigene Land nach Abbassiyya. Genau wie Frankreich organisierte Deutschland sieben Expeditionen, von denen zwei nach Neuseeland gingen (Auckland und Bluff Harbour), eine nach China (Yantai, damals Chefoo bzw. Tschifu), eine auf die Kerguelen im südlichen Indischen Ozean (Betsy Cove), eine auf die Insel Mauritius, eine nach Isfahan im Iran und eine nach Theben in Ägypten. Von den sieben französischen Expeditionen führten zwei nach Japan (Nagasaki und Kobe) sowie jeweils eine nach China (Peking) und Vietnam (Ho-Chi-Minh-Stadt, damals noch Saigon). Auf der Südhalbkugel waren Neukaledonien (Nouméa), Neuseeland (Campbell Island) sowie die im südlichen Indischen Ozean, nördlich der Kerguelen, gelegene Insel St. Paul ausgewählt worden. Italien organisierte lediglich eine Expedition nach Indien (Madhepur), und auch die Niederlande waren in diesem Forschungskonzert mit einer Expedition auf die Insel La Réunion vertreten. Mexiko schickte seine Beobachter nach Japan, eine Station in Yokohama und eine andere nicht weit davon entfernt bei „Bluff Hill“. Die USA beobachteten von Neuseeland (Chatham Island), den Kerguelen (Molly Point), China (Peking), Japan (Nagasaki), Russland (Wladiwostok), Tasmanien (Hobart und Campbell Town) und Neuseeland (Queenstown) aus (Sheehan und Westfall 2004, S. 236 ff., 242). Alle Forscher der von den USA organisierten Expeditionen für die südliche Hemisphäre wurden auf einem Schiff an ihre jeweiligen Zielorte gebracht. Am 8. Juni 1874 verließ die Swatara New York Harbor mit 26 Astronomen und Fotografen an Bord. Die erste Gruppe sollte eigentlich 164

Neue Expeditionen zu den Enden der Welt

auf den Crozet-Inseln ein Observatorium errichten, aber Wind und Wellen verhinderten eine Landung, sodass man entschied, direkt weiter zur nächsten Station, den Kerguelen, zu fahren, wo sie am 7. September ankamen. Die Mannschaft wurde am Nordende von Royal Sound mit Vorräten für ihren langen Aufenthalt dort zurückgelassen. Neben den Beobachtungen des Venusdurchgangs sollte eine biologische Studie der Insel durchgeführt werden. Am 3. Oktober erreichte die Swatara Hobart (Tasmanien) und brachte dort ein weiteres Team an Land. Die Gruppe, die für Crozet vorgesehen war, sollte eine zweite Station auf Tasmanien aufbauen, und zwar in Campbell Town. Am 16. Oktober wurden die nächsten Astronomen in Bluff Harbour, Neuseeland, abgesetzt und am 19. Oktober ging die letzte Gruppe von Bord, um von Chatham Island aus ihre Beobachtungen durchzuführen. Die Swatara kehrte nach Hobart zurück, wo sie bis nach dem Transit blieb. Jede der amerikanischen Expeditionen war mit einem 13 Zentimeter Linsenfernrohr ausgestattet und einer sehr genauen Pendeluhr. Im Wesentlichen sollte die Venus fotografiert werden, wie sie sich über die Sonnenscheibe schob, das wurde als wichtiger erachtet, als die Zeiten des Ein- und Austritts aufzunehmen (Maunder und Moore 2000, S. 63 f.). Doch die amerikanischen Expeditionen waren vom Pech verfolgt. Die Bedingungen auf Chatham Island und in Tasmanien waren so schlecht, dass kaum etwas erreicht werden konnte. Auf den Kerguelen war es zwar etwas besser, die besten Ergebnisse kamen aber von Queenstown auf der neuseeländischen Südinsel, obwohl es dort offenbar Probleme mit den Zeitmessungen gab. Das Team in Peking wurde von James Watson geleitet, der bereits mehrere Asteroiden oder kleinere Planeten entdeckt hatte. Er konnte einige Messungen des Transits durchführen und machte noch eine weitere Entdeckung: Watson beobachtete am 10. Oktober den Himmel mit dem 13 Zentimeter Teleskop und fand einen weiteren Asteroiden, der die Nummer 139 erhielt. Der chinesische Prinz Kung wurde gebeten, einen Namen dafür zu wählen und entschied sich für Shui Hua Hsing, was jetzt in der Kurzform Juewa für diesen Kleinstplaneten verwendet wird (Maunder und Moore 2000, S. 64). Das Team in Wladiwostok stand unter der Leitung von Asaph Hall, der später berühmt wurde, weil er die zwei winzigen Satelliten des Mars, Phobos und Deimos, entdeckte. Aufgrund von unbeständigen atmosphärischen Bedingungen hatten die Fotos des Venusdurchgangs leider nur zweifelhafte Qualität (Maunder und Moore 200, S. 64). Die Beobachtungen in Nagasaki wurden von George Davidson geleitet und verliefen etwas besser. 165

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Neue Hoffnungen – Venustransit 1874

Davidson erhielt Gesellschaft von Kapitän Yanagi, Chef des japanischen Hydrographischen Büros, und von Hiroma Ueno, der ein führender Astronomie-Fotograf war. 50 Platten wurden während des Transits belichtet. Diese sowie 47 Platten aus Queenstown und 15 von den Kerguelen waren die einzigen nützlichen Bilder, die von den amerikanischen Expeditionen mitgebracht wurden. Damit waren aber die Probleme der amerikanischen Expeditionen noch nicht zu Ende. Die Analyse der Ergebnisse verzögerte sich, weil das vom Kongress zugesicherte Geld anderweitig ausgegeben worden war. Dies führte dazu, dass sich einer der wichtigsten amerikanischen Mathematiker, Simon Newcomb, ganz aus dem Projekt zurückzog. Im Jahr 1881 analysierte David Todd vom US-Marine-Observatorium die mit den Fotoheliografen gewonnenen Platten. Er maß 213 Fotografien aus, die in Nagasaki, Peking, Tasmanien und Neuseeland aufgenommen worden waren, und kam auf eine Parallaxe von 8,883 Bogensekunden, die den geschätzten Wert für die Astronomische Einheit auf 148 103 000 Kilometer brachte. Diesem Resultat wurde indes wenig Vertrauen geschenkt (Maunder und Moore 2000, S. 64; Marlot 2004, S. 324). Zwar waren die amerikanischen Expeditionen, was die Transitbeobachtungen anbelangt, kein richtiger Erfolg, aber die Erweiterung der Naturkenntnis war die Ausgaben für die Expeditionen wert. Darüber hinaus wurden ethnologische und archäologisch bedeutsame Artefakte gesammelt, denen man wichtige Erkenntnisse über die frühe Besiedlung Neuseelands durch die Polynesier verdankt (Keyes 1967). Großbritannien entschied sich früh, möglichst viele gut ausgerüstete Teams an geeignete Orte zu schicken. Sir George Airy, der Königliche Astronom, beteiligte sich voller Begeisterung an den Vorbereitungen und konzipierte detaillierte Instruktionen. Die Briten wendeten 15 000 Pfund zur Unterstützung der Expeditionen mit Militärpersonal und Schiffen der Royal Navy auf. Die Strategie war, in jede Region gleich mehrere Expeditionen zu senden, um die Chancen auf klare Sicht für jeden Distrikt zu erhöhen. Auf den Kerguelen wurden drei britische Stationen eingerichtet, die von dem Jesuiten Stephen Joseph Perry geleitet wurden. In der viktorianischen Zeit war es erstaunlich, dass die Briten einen Jesuiten statt eines Marineangehörigen als Expeditionsleiter einsetzten, da er aber besonders qualifiziert war, wurde eine Ausnahme gemacht (Sheehan und Westfall 2004, S. 240). Außerdem gab es ein amerikanisches und ein deutsches Beobachterteam auf den Kerguelen. 166

Neue Expeditionen zu den Enden der Welt

Die Kerguelen liegen im südlichen Indischen Ozean auf 49o 20’ südlicher Breite und 70o 20’ östlicher Länge, ungefähr auf halbem Weg zwischen der Antarktis, Australien und Afrika und in der Nähe der antarktischen Konvergenz, wo sich die kalten Wasser des Antarktischen Ozeans mit den wärmeren Wassern des Indischen Ozeans mischen und dort viel Nebel und Dunst erzeugen. Die Kerguelen weisen kaum Vegetation auf, es ist kühl und windig, und das Meer ist dort oft sehr rau, es gibt weniger als 130 klare Tage im Jahr. Bis heute ist der Archipel unbewohnt. Erst seit 1950 existiert eine dauerhafte Forschungsstation, auf der sich im Sommer bis zu 100 Menschen aufhalten. Die Kerguelen gehören zu Frankreich, sie wurden im Jahr 1772 von Yves de Kerguelen-Trémarec entdeckt, der sie in seinem Tagebuch als so öde wie Island und noch unbewohnbarer beschrieb, aber genau das Gegenteil öffentlich berichtete, als er nach Frankreich zurückgekehrt war (Maunder und Moore 2000, S. 65). Cook besuchte die Inseln während seiner dritten Reise. Er schrieb in seinem Tagebuch, nachdem sie am Weihnachtstag 1776 mit der Resolution und der Discovery dort in die Hauptbucht eingefahren waren: „Ich hätte diese Insel durchaus Insel der Trostlosigkeit nennen können, um aber M. Kerguelen nicht die Ehre der Entdeckung zu nehmen, habe ich sie Kerguelen Land getauft“ (Maunder und Moore 2000, S. 66). Das Team von Perry verließ England im Mai 1874. Ein Expeditionsmitglied, Cyril Corbet, führte ein Tagebuch, das erhalten geblieben ist und anschaulich über die Ereignisse und Bedingungen während des Transits informiert. Am 7. Dezember schrieb er beispielsweise, dass sie einige Beobachtungen am Abend gemacht hätten, was bei dem heftigen Wind eine fürchterliche Arbeit gewesen sei. Die Lampen flackerten und wurden ausgeblasen, man konnte das Ticken der Uhren nicht hören und auch sonst nichts außer dem Heulen des Windes. Corbet äußerte die Befürchtung, seine Beobachtungen würden sich bei genauer Analyse als nicht sonderlich korrekt erweisen. Er versuchte für den übernächsten Tag ruhig und gefasst zu bleiben. Und das, obwohl das Barometer schnell fiel und das Wetter sich weiter zu verschlechtern drohte. Am 8. Dezember vertraute er seinem Tagebuch an, das Wetter sei noch immer schlecht, der Luftdruck falle weiter, aber er hoffe, hoffe, hoffe für den nächsten Tag. Zu denken, dass der Tag nun so nah sei, rief ein höchst seltsames Gefühl in ihm hervor, seltsamer als je zuvor in seinem Leben, und er fürchtete, am nächsten Tag werde er bis elf Uhr die schlimmste Zeit seines Lebens durchmachen müssen, bis er 167

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Neue Hoffnungen – Venustransit 1874

sein Schicksal kenne. Er blieb bis ein Uhr nachts auf, beobachtete eine Weile die Sterne und legte sich vollständig angezogen auf sein Bett. Natürlich konnte er nicht schlafen und stand um 4.30 Uhr wieder auf. Es gab heißen Kakao, dann befestigte er sein Teleskop, verglich die Uhren und bereitete alles vor, obwohl es um sechs Uhr noch sehr bedenklich aussah. Er rüttelte die anderen wach, und alle nahmen ihre Posten ein, um geduldig zu warten. Der Himmel wirkte milchig, mit einem dünnen Film von Schäfchenwolken bedeckt, dazwischen gelegentlich dunkle, schwere Wolken, kein Wind – alles war ruhig und still. Der offizielle Bericht hingegen liest sich ausgesprochen sachlich, knapp und frei von Emotionen: „11 h 49 m 43,5 s (Zeit auf der siderischen Uhr). Erstes Erscheinen der Venus vor der Sonnenscheibe. Ich glaube nicht, dass ich mehr als eine Minute verloren habe zwischen der oben genannten Zeit und dem wirklichen äußeren Kontakt, konnte fast sofort die Kerbe im Rand der Sonne entdecken – sie war so gleichmäßig und genau an der Stelle, wo ich sie gesucht hatte (…)“ (Maunder und Moore 2000, S. 67). Minutiös beschreibt Corbet seine Beobachtung des Eintritts der Venus vor die Sonnenscheibe, berichtet, dass er deutlich den hellen Ring um die Außenseite der Venus sehen konnte, als sie etwas mehr als zur Hälfte eingetreten war, und gibt an, dass er um 12 h 19 m 26,8 s den echten zweiten Kontakt gesehen habe: Der zweite Rand der Venus war in perfektem Kontakt mit dem Rand der Sonne. Er berichtet weiter, dass er nur einen sehr schwach ausgeprägten Schwarzen Tropfen gesehen habe und um 1h 20m 8s sei auch dieser kaum sichtbare, zitternde Schatten zwischen den Rändern von Venus und Sonne verschwunden. Er weist darauf hin, dass er die Venus zu keinem Zeitpunkt birnenförmig gesehen habe, was eigentlich aufgrund der vorhandenen Berichte aus dem 18. Jahrhundert zu erwarten gewesen wäre. Er zeigte sich höchst zufrieden mit seiner Beobachtung des Eintritts, wurde aber enttäuscht, weil ab etwa einer halben Stunde nach dem ersten inneren Kontakt schwere, dunkle, sich nur langsam bewegende Wolken die Sonne verdeckten. Erst um 15 h 47 m 52 s war die Sonne erneut für ca. acht bis zehn Sekunden sichtbar, und er konnte in dieser kurzen Zeit gerade erkennen, dass die Venus bereits mit dem Austritt begonnen hatte. Für Messungen war dieses wolkenfreie Intervall zu kurz, und die Sonne zeigte sich an diesem Tag leider nicht mehr. Aber immerhin hatte er einen kurzen Blick auch auf den Austritt erhaschen können (Maunder und Moore 2000, S. 67). Zwischen dem zweiten und dritten Kontakt (d. h. zwischen dem völ168

Neue Expeditionen zu den Enden der Welt

ligen Eintritt und dem Beginn des Austritts) hissten die Engländer um Corbet ihre Fahnen, frühstückten Oxfordwürstchen mit Champagner und genossen ihr Glück, das sie mit dem Eintritt gehabt hatten. Ständig waren sie mit ihren Gedanken bei den anderen Stationen, wie es den Beobachtern dort wohl ergangen war? (Maunder und Moore 2000, S. 68). Corbet hatte festgestellt, dass er und sein Kollege mit der Zeit für den Eintritt um 15 Sekunden auseinander lagen, was daran lag, dass es trotz des vorausgegangenen Trainings subjektive Beurteilungsspielräume dafür gab, wann genau der Eintritt stattgefunden hatte (Maunder und Moore 2000, S. 68). In Observatory Bay konnten Perry und Sidgreaves den Austritt, aber nicht den Einritt beobachten. In Thumb Peak sah Goodridge den Eintritt, aber nicht den Austritt. Die Forscher blieben noch einige Wochen auf den Kerguelen und reisten am 27. Februar ab. Corbet beschrieb zum Abschied in seinem Tagebuch, wie die trostlos düstere Insel langsam ihrem Blickfeld entschwand und dass er leichten Herzens die Insel verließ. Der Aufenthalt von fünf Monaten war ihm einerseits wie eine Ewigkeit erschienen, andererseits sah er ihn als verrückte und turbulente Zeitspanne in seinem Leben, die schnell an ihm vorbeigerauscht war (Maunder und Moore 2000, S. 69). Cyril Corbet starb ungefähr ein Jahr später vor der afrikanischen Küste an einem Fieber und wurde in St. Helena begraben. Ähnlich wie bei Jeremiah Horrocks ging ein vielversprechendes Forscherleben viel zu früh zu Ende. Die deutsche Expedition zu den Kerguelen war Teil einer fast zweijährigen Forschungsreise der Dampfkorvette S. M. S. Gazelle, die auch meereskundliche, geographische und zoologische Forschungen durchführte. Am 21. Juni verließ die Gazelle Kiel, segelte nach Kapstadt, warf am 26. Oktober in Betsy Cove (Kerguelen) Anker und am nächsten Tag begann die Suche nach einem geeigneten Platz zur Errichtung der Station. Auch ein Teilnehmer dieser Expedition beschrieb die entscheidenden Momente in seinem Tagebuch: „Noch am Abend des 8. Dezember regnete es; am 9. dem Tag des Phänomens, ging die Sonne klar und freundlich auf. Der Eintritt der Venus in die Sonnenscheibe sollte kurz nach 6,5 Uhr morgens, der Austritt um elf Uhr erfolgen. Mehrere Minuten vor der errechneten Zeit eilte jeder auf seinen Posten, die Astronomen an ihre Fernrohre, der Photograph in die Dunkelkammer. Börgen stand am Heliometer, Weinek am Refraktor, und Wittstein an einem 3,5-füßigen Fernrohr. – 169

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Neue Hoffnungen – Venustransit 1874

Mittlerweile bedeckte sich der Himmel mit einem ziemlich dichten weißen Wolkenschleier; auch lagerte im Westen über den schneebedeckten Bergen dunkleres Gewölk. Die Venus, eine kleine schwarze Scheibe von 1/30 des Sonnendurchmessers, begann sich allmählich in die Sonne hereinzuschieben. Wir erwarteten mit Spannung die sogenannte zweite oder innere Berührung der beiden Ränder; denn war diese gelungen, so konnten wir uns sagen, nicht vergeblich in diese unwirtlichen Gegenden gegangen zu sein. Schon nähert sich der kritische Moment, man blickt nochmals nach dem tickenden Chronometer, um die in Gedanken fortgezählte Sekunde zu kontrollieren. Bereits scheint die Venus sich vom Sonnenrande loslösen zu wollen, noch bildet sich eine Brücke, diese wird dünner, und endlich reißt sie entzwei. Dies war der zu beobachtende Moment. Zu unserer Freude hatten wir ihn fixiert. – Während nun die Venus frei in der Sonne steht, wird die Arbeit der Astronomen eine andere; es geschehen jetzt Distanzmessungen der Venus vom Sonnenmittelpunkte oder richtiger, Abstandsmessungen der beiderseitigen Ränder, einesteils am Heliometer mit dem Auge, andernteils am photographischen Fernrohr, wo das Licht die Stellungen der Venus neu und neu aufzeichnet. Börgen blieb am Okulare des Heliometers, während Wittstein die Skala des Objektives fortlaufend ablas; dagegen eilte Weinek mit Crille an den Photoheliographen, wo ersterer die Exposition, letzterer das Wechseln der Platten besorgte, welche in der Dunkelkammer von Bobzin und Studer bereit gestellt wurden. (…) Wir waren mit dem Erhaltenen zufrieden, besonders da auch noch die Beobachtung des inneren und äußeren Austrittes der Venus vollständig gelang. (…) Nach dem 9. Dezember folgte wieder trübes, stürmisches Wetter, sodass wir bis zum 19. Dezember warten mussten, um wieder einmal die Sonne photographieren zu können“ (Duerbeck 2004/3, S. 37 f.). Die vierte deutsche Expedition führte nach Solitude, Mauritius, und bestand aus zwei Astronomen und zwei Gehilfen. Mauritius wurde gewählt, um bei Fehlschlägen der anderen Expeditionen aufgrund der Wetterbedingungen einen meteorologisch zuverlässigeren südlichen Standort zu haben. Als Beobachtungspunkt wurde ein im Südosten der Insel an einer Eisenbahnlinie gelegene freie Fläche gewählt, in der Nähe von einem unbewohnten Landhaus – Solitude; im Nordosten hatte die englische Expedition von Lord Lindsay ihr Lager aufgeschlagen. Das Wetter war äußerst schlecht, aber dennoch gelangen einige Heliometermessungen. Die deutsche Expedition nach Isfahan bestand aus vier Teilnehmern, drei Fotografen und einem Astronomen, was verdeutlichte, welches Ge170

Neue Expeditionen zu den Enden der Welt

wicht man auf die fotografische Dokumentation legte. Die Vier fuhren mit dem Zug bis Wolgograd, dann mit einem Dampfschiff die Wolga hinunter nach Astrachan, über das Kaspische Meer bis zu dem persischen Hafen Rasht. Von dort reisten sie mit einer Karawane von 58 Lasttieren nach Teheran, wo sie an einer Audienz beim Schah teilnahmen, bevor sie ihren Weg nach Isfahan fortsetzten. Am Ziel wurde ihnen ein Gartenpalais zur Verfügung gestellt, in dessen unmittelbarer Nähe sie ihre Instrumente aufbauten. Einer der Teilnehmer veröffentlichte nach seiner Rückkehr einen Bericht in der „Illustrirten Zeitung“ in Leipzig, aus dem hier ein Auszug zitiert sei: „Der Humor verließ die Expedition doch nie ganz, bis auf jenen verhängnißvollen Tag, wo sich die ungetreue Venus bei ihrer verdächtigen Annäherung an die Sonne gänzlich in Schleier zu hüllen drohte. Da herrschte düstere Verzweiflung in dem engen Raum, bis unter Benutzung der spärlichen lichten Augenblicke doch zwanzig brauchbare photographische Aufnahmen des Phänomens gewonnen waren“ (Bericht von Gustav Fritsch in der Illustrirten Zeitung, Duerbeck 2004, S. 39). Die fotografischen Beobachtungen der Expeditionen waren eine Enttäuschung, die Erwartungen wurden nicht erfüllt. Die Heliografen hatten keine parallaktische Montierung, da die Belichtungszeiten so kurz gewählt waren, dass die Sonne scharf abgebildet wurde. Dabei hatte man ignoriert, dass die Luftunruhe eine starke Verzerrung der Bilder hervorrufen würde. Wilhelm Foerster, der Direktor der Berliner Sternwarte, erinnert sich in seinen Memoiren im Jahr 1911 an die enttäuschten Erwartungen bezüglich der Fotografie: „Wir hatten uns bei den Vorarbeiten bemühen müssen, die Wirkungen des Sonnenlichts auf die photographische Platte auf die kleinste Zeitdauer einzuschränken, und es war auch gelungen, die Belichtungsdauer der Platte ein Zehntausendstel der Sekunde nicht überschreiten zu lassen. Nur so konnten wir scharf begrenzte Bilder der Sonnenscheibe und der auf ihr sichtbaren Details (…) erlangen. Als wir nun aber an die feinste Ausmessung der photographischen Sonnenaufnahmen unserer Venusexpeditionen von 1874 gingen, stellte sich (…) heraus, dass die photographischen Augenblicksaufnahmen der Sonnenbilder für die feinsten Messungsresultate völlig untauglich sind, und zwar wegen der bis dahin noch gar nicht genügend erkannten enormen Schwankungen, welche die Fortpflanzungsrichtung der Lichtstrahlen durch die unablässigen Veränderungen der Zustände der verschiedenen Atmosphärenschichten erleidet“ (Duerbeck 2004, S. 39). Da der Sonnenrand auf den Fotos schlecht definiert war und das 171

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Neue Hoffnungen – Venustransit 1874

Venusbild verzerrt erschien, beschloss man – auch aus Kostengründen – beim Durchgang von 1882 bei den deutschen Expeditionen ganz auf die Fotografie zu verzichten (Duerbeck 2004, S. 39). Der Einsatz der Fotografie hatte 1874 zu immensen Personal- und Materialkosten geführt. In die Expeditionen von 1874 hatte Deutschland 620 000 Mark investiert. 1882 kam man, ohne Fotografie einzusetzen, mit 160 000 Mark aus. Jeweils ein Drittel der Ausgaben wurde für Instrumente und Kuppeln verwendet, zwei Drittel waren reine Expeditionskosten (Duerbeck 2004, S. 40).

Im Auge des Zyklons Insbesondere bei den französischen Expeditionen zeigte sich, dass es trotz aller Modernisierungen, Verbesserungen und Erleichterungen schwierig und riskant blieb, die Venus vor der Sonne zu beobachten. Neuentdeckte Inseln, inmitten der Ozeane, weitab vom nächsten Festland gelegen, ermöglichten es, näher an die von der Geometrie her wünschenswerten Orte heranzukommen, und der Maschinenantrieb der Schiffe beschleunigte die Reisen. So kam es, dass Frankreich sich entschied, eine seiner Expeditionen nach St. Paul zu schicken. Dabei handelt es sich um eine zu Frankreich gehörende sieben Quadratkilometer kleine Insel, die ca. 3 000 Kilometer von der Antarktis entfernt liegt, ca. 4 300 Kilometer sind es bis Südafrika und 4 000 Kilometer bis Australien. St. Paul war bereits im 16. Jahrhundert von portugiesischen Seefahrern entdeckt worden, doch alle Versuche, die Insel dauerhaft zu besiedeln, waren an den extremen klimatischen Bedingungen gescheitert. Ständiger kalter Wind verhinderte das Wachstum von Nutzpflanzen. Als wäre es eine Sache der nationalen Ehre, versuchten fast alle beteiligten Staaten Beobachtungsstationen in äußerst abgelegenen und unwirtlichen Gegenden einzurichten. So liegen die Kerguelen – das Ziel englischer, amerikanischer und deutscher Expeditionen – noch 1 500 Kilometer weiter südwestlich von St. Paul und damit noch näher an der Antarktis. Zwar waren die Chancen auf freien Himmel am Tag des Transits äußerst gering; sollte aber eine Beobachtung glücken, wären die gewonnenen Daten besonders aufschlussreich. Aufgrund der vorauszusehenden logistischen Probleme wurde die Expeditionsleitung einem Marineangehörigen übertragen. Die Insel St. Paul ist ein erloschener Vulkan mit einer Meerwasser gefüllten Kaldera von ca. 1 200 Metern Durchmesser, die an einer Seite offen ist. Die Innenwände des Einsturzkraters ragen bis zu 260 172

Im Auge des Zyklons

Abb. 41: Die französische Beobachtungsstation auf der Insel St. Paul.

Meter steil auf. Es gibt dort noch geothermische Aktivität, was dazu führt, dass das aufgewärmte Wasser ständig mit dem kalten Wind in Berührung kommt und die Insel ständig in Dampf und Wolken gehüllt ist. Schon die Landung der Expedition gestaltete sich unter diesen Bedingungen extrem schwierig. Als gerade die ersten 20 Kisten an Land geschafft worden waren, kam heftiger Wind auf, der die Ankerkette der La Dives zum Reißen brachte. Es tobte ein wilder Sturm, der die La Dives aus der Landungsbucht trieb, nachdem zwei weitere Ankerketten gerissen waren. Von ehemals vier Ankern verblieb jetzt nur noch ein einziger. Acht Tage lang war das Schiff 173

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Neue Hoffnungen – Venustransit 1874

ein Opfer der Wellen, bevor es erneut möglich wurde, sich der Insel zu nähern. Am 30. September konnten endlich weitere 200 Kisten und einige Tage später das Baumaterial für das Observatorium an Land geschafft werden. Die kleine Vulkaninsel bot kaum Raum zum Aufbau des Observatoriums, weil fast überall Steilküsten aufragten. Als Unterkunft für die Beobachter wurden alte Hütten gewählt, die von ehemaligen Walfängern dort zurückgelassen worden waren. Bei der Erkundung zeigte sich, dass das Dach der Hütte am besten erhalten war, die von den auf der Insel zurückgebliebenen Ratten als Unterkunft genutzt worden war. Erst nach einer gründlichen Reinigung konnten die Forscher dort einziehen. Die kurioseste Entdeckung auf diesem ständig windumtosten Eiland war aber eine wohlsortierte kleine Bibliothek in einer der Hütten; 200 bis 300 Bände der europäischen Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts waren dort gelagert. Ein seltsamer Fund auf einer Insel, die nur von Kabeljaufischern, Walfängern und Schiffbrüchigen aufgesucht wurde, und es blieb ein Rätsel, wie die wertvollen Bücher dorthin gelangt waren. Mit Mühe, und behindert durch den pausenlosen Wind, gelang schließlich die Errichtung des Observatoriums. In den Wochen vor dem Transit war das Wetter durchgehend scheußlich und der Himmel immer voller dicker, dunkler Wolken. Am 3., 4. und 5. Dezember 1874 kam auch noch Nebel hinzu. Die einzige Hoffnung gründete sich auf den Aberglauben madagassischer Fischer, der besagte, dass Neumond eine Wetterbesserung bringen würde – Neumond wäre am 9. Dezember. Am 6. Dezember stieg der Luftdruck, nur um kurz darauf wieder rapide zu fallen. Zwischen dem 6. und dem 8. Dezember sank er von 770 auf 750 Hektopascal. In der Nacht auf den 9. Dezember fürchteten die Beobachter sogar um die Stabilität ihrer Hütten, so heftig rüttelte der Wind daran. Trotzdem begannen sie um Mitternacht mit der Vorbereitung von 200 Daguerre-Fotoplatten, obwohl kaum Hoffnung bestand, sie benutzen zu können. Zwischen drei und vier Uhr nachts wechselte der Wind plötzlich die Richtung, die Wolken jagten über den Himmel, von dem nun hier und da ein blaues Stückchen hervorblitzte. Bei Sonnenaufgang eilten alle zu den Teleskopen, das Barometer zeigte 749 Hektopascal, was bedeutete, dass sie nun mitten im Zentrum eines Wirbelsturms waren und damit Hoffnung auf einige Stunden guten Wetters bestand. Und tatsächlich, unmittelbar nach dem ersten Kontakt klarte der Himmel völlig auf, sodass es den Unermüdlichen auf St. Paul vergönnt war, die beiden inneren Kontakte bei einer unglaublichen Klarheit der Atmosphäre zu beobachten. Die Bilder, die sie erhielten, waren 174

Im Auge des Zyklons

von einer perfekten Reinheit. Zwar hatte man den Eintritt der Venus verpasst, die beiden inneren Kontakte aber konnten unter den denkbar besten Bedingungen gemessen werden. Sehr deutlich ließ sich auch der helle Lichtring um die Venus erkennen. Auf St. Paul wurden 124 Daguerrotypien angefertigt und 47 Kollodiumplatten belichtet. Die Fotos waren exzellent gelungen, auf einigen war sogar der Lichtring zu sehen. Den Schwarzen Tropfen hatte nur einer der Beobachter und zwar derjenige mit dem schlechtesten Teleskop gesehen. Kaum war der Transit vorüber, setzte ein mehrtägiger Dauerregen ein, und der Himmel blieb auch tagsüber durch Wolken verdunkelt. Trotz alledem wurde der unerwartete Erfolg mit fünf Kanonenschüssen von dem inzwischen von La Réunion zurückgekehrten Schiff gefeiert. Und bevor die Beobachter das öde Eiland am 4. Januar 1875 verließen, errichteten sie eine neun Meter hohe Steinpyramide, an der sie zwei gravierte Platten befestigten, die von ihrem Erfolg auf St. Paul erzählten (Marlot 2004, S. 283 ff.). Unter Verwendung der britischen Ergebnisse berechnete Airy eine Parallaxe von 8,754 Bogensekunden, Eward Stone kam auf 8,88 und George Tupman auf 8,81 Bogensekunden. Auch die Berechnungen der anderen Nationen differierten weiterhin und man musste einsehen, dass die Venusdurchgänge selbst bei Anwendung der besten und modernsten Beobachtungs- und Messmethoden nicht dazu geeignet waren, die Astronomische Einheit so genau zu ermitteln wie gewünscht. Aber noch stand schließlich ein Transit bevor. Im Jahr 1882 würde der letzte Transit vor dem 21. Jahrhundert stattfinden, und Zweifel hin, böse Vorahnungen her, es wurde mit den Vorbereitungen für 1882 begonnen (Maunder und Moore 2000, S. 69).

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Letztes Aufgebot – Der Venustransit von 1882

Der 6. Dezember des Jahres 1882 war ein wichtiger Tag für die Astronomen der Welt, da der letzte Venustransit bis zum 21. Jahrhundert stattfinden würde. Das hieß natürlich – wie bei jedem zweiten Transit des Transitpaares eines Jahrhunderts – jetzt oder nie. Der Venusdurchgang von 1882 barg den immensen Vorteil, dass er von bequem zugänglichen Orten aus zu sehen sein würde. Es war nicht nötig, bis ans „Ende der Welt“ zu reisen, wie das noch 1874 der Fall gewesen war. Der Transit von 1882 konnte von den USA und Europa aus gut beobachtet werden, was dazu führte, dass aufgrund der Seltenheit des Ereignisses auch das Interesse von Laien sehr groß war. Der Transit von 1874 war hingegen hauptsächlich für Wissenschaftler und nur wenige reiche Amateure, die sich entsprechend weite Reisen leisten konnten, interessant gewesen. So gab es 1882 erstmals eine wirklich breite, öffentliche Anteilnahme an einem Venusdurchgang. In New York begann der Transit um 9.30 Uhr und dauerte ungefähr sechs Stunden. In der Broad Street in der Nähe der Börse wurde ein jedermann zugängliches Teleskop aufgestellt, und es hieß, dass die Börsenmakler genauso viel Interesse daran zeigten wie zufällig vorbeikommende Passanten. Die Straßen waren voll von Leuten mit Rauchglas in der Hand, die, wenn sie nicht gerade mit ihren „wissenschaftlichen“ Beobachtungen beschäftigt waren, sich einen Spaß daraus machten, anderen Nase und Gesicht zu schwärzen. Einige der staatlichen Schulen hatten an diesem Tag sogar geschlossen und die Zeitungen waren voll von Berichten über den Venustransit. Das Wetter war bestens und viele Amateurbeobachter konnten den Schwarzen Tropfen und den Lichtring um die Venus erkennen. Sehr viel schlechter waren die Beobachtungen in Europa, wo man eigentlich die Anfangsphase des Venusdurchgangs hätte sehen können, wäre der Himmel nicht voller Wolken gewesen. Lediglich südlich der Alpen gab es mehrere erfolgreiche Sichtungen. Da man beim letzten Transit acht Jahre zuvor trotz der moderneren Mittel nicht in der Lage gewesen war, die genaue Entfernung zwischen 176

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Letztes Aufgebot – Venustransit 1882

Abb. 42: Kinder beobachten den Venustransit von 1882 durch Rauchglas. Eine Methode, die nicht zu empfehlen ist.

Erde und Sonne zu ermitteln, hatte bei den Astronomen eine gewisse Desillusionierung eingesetzt. Dennoch konnte man die zweite Chance des Jahrhunderts natürlich nicht ungenutzt verstreichen lassen, weil es schließlich bis 2004 keine weitere geben würde. William Harkness, der 1874 eine der amerikanischen Transitexpeditionen geleitet hatte und sich danach mit der Analyse der fotografischen Resultate befasste, äußerte 1882 während einer wissenschaftlichen Tagung: „Es wird keinen anderen (Venusdurchgang) geben, bis das 21. Jahrhundert über der Erde dämmert, und im Juni 2004 die Blumen blühen. Als die letzten Durchgänge auftraten, erwachte die intellektuelle Welt gerade aus dem Schlummer der Jahrtausende, und es setzte die wundersame wissenschaftliche Aktivität ein, die zu unserer heutigen fortgeschrittenen Kenntnis führte. Gott allein weiß, welchen Stand die Wissenschaften haben werden, wenn die nächsten Venusdurchgänge auftreten. Nicht einmal unsere Enkel werden an der Astronomie jener Tage teilnehmen können“ (Duerbeck 2004/2, S. 93; 177

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Letztes Aufgebot – Venustransit 1882

Marlot 2004, S. 373). Unter dem Eindruck der Seltenheit des Ereignisses und der langen Zeit, bis es das nächste Mal stattfinden würde, begann man dennoch mit den Planungen für den Transit von 1882. Um die Aktivitäten zu koordinieren, fand im Oktober 1881 erstmals eine internationale Konferenz in Paris statt. Als Ehrenpräsident fungierte Jules Ferry (1831–1893), Präsident war Jean Baptiste Dumas (1800–1884), der auch bei den Planungen für 1874 eine führende Rolle innegehabt hatte. Russland und die USA nahmen nicht an dieser Tagung teil, Österreich-Ungarn, Chile und Norwegen schickten Vertreter zur Konferenz, organisierten dann aber keine Expeditionen. Russland hatte über die Ergebnisse von 1874 kaum etwas publiziert, offenbar hatte man dort aufgrund der geringen Zahl von geglückten Beobachtungen 1874 das Interesse an den Venusdurchgängen verloren. Ein weiterer Grund dafür, dass einige Staaten 1882 auf die Organisation von Transitbeobachtungen verzichteten, war die Ansicht, dass es nun bessere Wege gebe, um die Länge der Astronomischen Einheit zu messen. Diese waren die Parallaxe des Mars und einiger Asteroiden sowie die des Zwergplaneten Flora (erstmals von Johann Galle 1873 angewendet). Weiterhin wurden Analysen von Störungen der Planetenbahnen, Mondbewegungen und die Aberration von Sternenlicht als mögliche Methoden zur Ermittlung der Astronomischen Einheit diskutiert und ausprobiert. Unter Anwendung der neuen Methoden kam man auf eine Parallaxe von 8,85 Bogensekunden plus-minus 0,05 Bogensekunden. Die Hauptfrage war, ob man durch Beobachtungen des Transits von 1882 in der Lage wäre, die verbliebene kleine Restunsicherheit zu beseitigen. Darüber gingen die Meinungen in den einzelnen Staaten auseinander (Sheehan und Westfall 2004, S. 270 ff.). Auf der Tagung wurde ausgiebig über Transitfotografie diskutiert und es stellte sich heraus, dass sich weder die Deutschen noch die Briten im Jahr 1882 auf Fotografie verlassen wollten. Da der Transit am besten in Amerika zu sehen sein würde, konnten die USA Expeditionen im eigenen Land durchführen, was zu einigem Optimismus beitrug. Die Transitkommission der USA stellte Gelder für einige Expeditionen zur Verfügung, bei denen erneut die Fotografie eine große Rolle spielen sollte. Allerdings entschied man sich, statt der nassen Bromjodidplatten, die 1874 verwendet wurden, trockene Kollodiumplatten zu benutzen, die leichter zu belichten waren und in großen Stückzahlen bereits im Voraus präpariert werden konnten (Sheehan und Westfall 2004, S. 274). Das Hauptgewicht bei den amerikanischen Expeditionen lag also ähnlich wie 1874 auf der 178

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Letztes Aufgebot – Venustransit 1882

Austritt sichtbar

Austritt sichtbar vollständiger Transit sichtbar

Eintritt sichtbar

Transit nicht sichtbar

Abb. 43: Sichtbarkeit des Venustransits von 1882.

Anfertigung von Fotografien. So entstanden Hunderte von Bildern, die die Venus, sehr viel dunkler als jeden Sonnenfleck, als winzige Scheibe vor der Sonne zeigten. Auch Belgien, Frankreich und Deutschland entsandten eigene Expeditionen nach Amerika, um den Transit von dort aus zu beobachten. Ein weiteres Ziel war es herauszufinden, ob die Venus vielleicht einen Satelliten aufweise, der mit ihr über die Sonnenscheibe wandere. Es gab nämlich viele unbestätigte Berichte über einen solchen Satelliten, der aber nie mit Sicherheit beobachtet werden konnte. Und erst heute hat sich geklärt, dass die Venus keinen Mond als Begleiter hat. Vermutlich hatten sich die Beobachter durch undeutlich sichtbare Sterne oder durch Teleskopfehler in die Irre führen lassen. Aus geometrischen Gründen konnte man sich nicht auf Beobachtungen in den USA beschränken, es waren auch Beobachtungsorte in Übersee nötig, egal, ob man nun der Halley’schen oder der Delisle’schen Methode folgte. Der nördliche Halley’sche Pol war ganz bequem zu erreichen, er befand sich an der Ostküste der USA, aber der südliche Halley’sche Pol lag im südwestlichen Indischen Ozean, vor der Küste der Antarktis. Von den vier Delisle’schen Polen lag einer der Eintrittspole im südlichen Kanada, der andere Eintrittspol befand sich im südwestlichen Indischen Ozean. Die Austrittspole waren in Zentralaustralien (in der 179

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Letztes Aufgebot – Venustransit 1882

Nähe des heutigen Alice Springs) und mitten im Atlantik zwischen Bermuda und den Kapverdischen Inseln (Sheehan und Westfall 2004, S. 274). So kam es, dass trotz aller Zweifel 45 Überseeexpeditionen zur Observation des Transits von 1882 organisiert wurden. Sie führten in die Karibik (Großbritannien, Dänemark, Niederlande, Frankreich, Spanien), nach Südafrika, Madagaskar und Mauritius (USA, Großbritannien), nach Australien und Neuseeland (USA, Großbritannien) und nach Patagonien und Südgeorgien (USA, Argentinien, Belgien, Brasilien, Großbritannien, Frankreich, Deutschland). Simon Newcomb leitete eine der amerikanischen Expeditionen, obwohl er eigentlich den Glauben an den Erfolg von Transitbeobachtungen verloren hatte. Er sollte den Transit von Wellington in Südafrika, ca. 60 Kilometer nördlich von Kapstadt, aus beobachten. Er hatte Glück und konnte den Eintritt der Venus unter guten Bedingungen messen.

Nochmals in weite Ferne für die Wissenschaft – Britische Expeditionen von 1882 Im Indischen Ozean gab es 1882 nur zwei Beobachtungsstationen, beide waren von den Briten eingerichtet worden und ihnen glückte es, den Eintritt der Venus zu beobachten. Die eine Station befand sich auf der winzigen Insel Nosy Vé vor der Südwestküste Madagaskars und wurde von Vater Perry geleitet, der 1874 auf den Kerguelen gewesen war. Die andere nutzte Lord Lindsays ehemalige Station auf der Insel Mauritius. Außerdem schickten die Briten erneut Expeditionen in weit entfernte Regionen von Queensland bis Bermuda. Damit verzettelten sie sich in gewisser Weise und konnten im Grunde nicht viel mehr an Erkenntnis gewinnen als 1874. Es gab eine lange Diskussion darüber, ob man in Durban (Südafrika) ein Observatorium errichten sollte, die mit einer positiven Entscheidung endete. Edmund Neville Neison Nevill, ein bekannter englischer Astronom, der ein detailreiches Buch über die Mondoberfläche geschrieben hatte, wurde gefragt, ob er Direktor des Observatoriums werden wolle. Er nahm das Angebot an und reiste unmittelbar nach Südafrika. Am 27. November kam er dort an und am 1. Dezember traf er in seinem neuen Observatorium ein, das aber sehr zu wünschen übrig ließ. Der Mechanismus zur Bewegung der Kuppel war sorgfältig mit einer dicken 180

Beobachtungen in Nord- und Südamerika

Lage Farbe gestrichen worden und damit funktionsuntüchtig, das Passageninstrument war noch in Kapstadt und würde nicht rechtzeitig ankommen. Es ist durchaus erstaunlich, dass Nevill sich nicht hat entmutigen lassen und unter diesen Umständen erfolgreiche Transitbeobachtungen durchführen konnte (Maunder und Moore 2000, S. 73 f.). Das Observatorium litt dauerhaft unter Geldmangel und wurde deshalb 1911 wieder geschlossen. Heute ist von dem Gebäude nichts mehr zu sehen. Nevill kehrte nach England zurück, wo er geruhsam bis 1938 in Eastbourne in Sussex lebte.

Transitbeobachtungen in Nord- und Südamerika – Deutsche und französische Expeditionen von 1882 Deutschland richtete für 1882 vier Expeditionen nach Übersee aus: zwei in die USA (Hartford, Connecticut und Aiken, South Carolina), eine nach Argentinien (Bahia Blanca) und eine nach Chile (Punta Arenas). Außerdem wollte man von einem zusätzlichen Beobachtungsposten profitieren, indem man die deutsche Südgeorgien-Expedition, die im Rahmen des ersten Internationalen Polarjahres stattfand, mit einer Kuppel und einem Heliometer ausstattete und die Teilnehmer beauftragte, den Transit zu beobachten. Die Station in Hartford wurde in der Nähe des Trinitiy College errichtet. Ein Modell mit künstlicher Venus war ebenfalls im Expeditionsgepäck und wurde zur Vorbereitung ausgiebig genutzt, wie der Bericht eines Expeditionsteilnehmers verdeutlicht: „Das Modell zur künstlichen Darstellung der Contacterscheinungen wurde (…) in einem Holzhäuschen in einer Entfernung von genau 103 Meter im Norden des Heliometerthurms aufgestellt. (…) Bei den Beobachtungen an diesem Modell wurden wiederholentlich für jeden Beobachter die Stellungen der künstlichen Venus am Modell ermittelt, für welche die verschiedenen Phasen eintraten, auf die beim Durchgang geachtet werden sollte. Fast noch grössere Aufmerksamkeit richtete ich aber auf die Beobachtungen nach Zeit, bei denen die künstliche Venus in einer bestimmten Geschwindigkeit über die Sonne bewegt wurde. (…)“ (Duerbeck 2004/2, S. 81). Trotz der angenehmen Bedingungen im Umfeld und des intensiven Trainings verliefen die Beobachtungen nicht sonderlich gut, weil am Tag des Transits Tauwetter herrschte, es in der Nacht zuvor geregnet hatte und der Morgen trüb war. Erst eine 181

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Letztes Aufgebot – Venustransit 1882

Stunde nach dem Eintritt der Venus klarte es auf, sodass wenigstens einige Heliometermessungen durchgeführt werden konnten. Auch der Austritt der Venus war aufgrund der Wolken nicht richtig zu sehen. Der zweite Beobachtungsort, der damals 2 000 Einwohner zählende Luftkurort Aiken in South Carolina, war ebenfalls vergleichsweise einfach zu erreichen. Die erste Etappe ging mit dem Dampfschiff von Hamburg nach New York und von dort mit der Eisenbahn zum Bestimmungsort. Die Beobachtungen glückten einigermaßen und schon am 22. Dezember begaben sich die Astronomen auf den Rückweg. Die Überfahrt von New York nach Hamburg erfolgte auf dem Dampfer Cimbria der HamburgAmerikanischen Packetfahrt Actien Gesellschaft (HAPAG). Zu ihrem Glück wussten die Astronomen nicht, dass dies die vorletzte Fahrt der Cimbria war. Kurz nach seinem nächsten Auslaufen aus Hamburg, stieß der Auswandererdampfer in der Nacht des 19. Januar 1883 in dichtem Nebel mit einem englischen Kohlendampfer zusammen und sank daraufhin. Nur 56 Menschen überlebten das Unglück, 17 davon, weil sie sich an den noch aus dem Wasser ragenden Masten festklammerten, während 437 Passagiere und Mannschaftsmitglieder in den kalten Fluten ertranken. Die Expedition nach Bahia Blanca (Argentinien) ließ sich auf einer kleinen Farm westlich des Ortes nieder. „Das eingenommene Terrain war eingezäunt, um sich vor den Tieren zu schützen, die frei in der Pampa grasten“ (Duerbeck 2004/2, S. 84). Trotz wechselhaften Wetters konnte immerhin der erste Kontakt beobachtet und später zwei Messreihen durchgeführt werden. Auch der Austritt war sichtbar. Die Expedition nach Punta Arenas (Chile) war ebenfalls mit Enttäuschungen verbunden, aber es gelangen mehrere Heliometermessungen sowie die Bestimmungen des dritten und vierten Kontakts. Einer der Expeditionsteilnehmer berichtete 1883 in einer öffentlichen Festrede über die entscheidenden Momente: „In der That fieng am Nachmittage des 5. Dezember der Regen in so normaler Stärke an, dass die Hoffnungen tief sanken. (…) Die aufgehende Sonne beschien einen durchsichtig blauen Himmel; nur Schwärme kleiner Haufenwolken quollen hinter der Cordillere hervor und wurden vom mäßig lebhaften Westwinde über Punta Arenas hinweg getrieben. Der erste Kontakt erfolgte, und zwanzig Minuten später folgte der wichtige zweite: Eben will der Lichtfaden den Rand der Sonne erreichen, da schiebt sich eine dichte Wolke vor dieselbe, und als sie anderthalb Minuten später vorübergezogen ist, steht Venus vollkommen innerhalb des Sonnenrandes“ (Duerbeck 2004/2, S. 86). Das bedeutet also, 182

Beobachtungen in Nord- und Südamerika

Abb. 44: Eintritt der Venus und Bildung des Schwarzen Tropfens während des Transits von 1882. Zeichnungen von Hermann Vogel, Astrophysikalisches Observatorium Potsdam.

dass gerade der besonders wichtige Moment des zweiten Kontakts für die Beobachter nicht sichtbar war. Zusätzliche Beobachtungen des Venusdurchgangs wurden, wie erwähnt, im Internationalen Polarjahr 1882/83 auf Südgeorgien (östlich der Falkland-Inseln gelegen) durchgeführt. In der Royal Bay wurde am Moltke-Hafen vom 20. August 1882 bis 6. September 1883 eine von elf Personen besetzte Station eingerichtet. Am Tag des Transits war der Himmel klar, es herrschte aber offenbar beträchtliche Luftunruhe. Einer der 183

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Letztes Aufgebot – Venustransit 1882

Teilnehmer äußerte sich folgendermaßen dazu: „Besonders günstig verlief die Beobachtung des Venusdurchgangs am 6. Dezember, die trotz heftigen Sturmes, welcher die Drehkuppel so in Gefahr brachte, dass dieselbe von drei und vier Mann an Seilen gehalten werden musste, doch ein ganz günstiges Resultat lieferte, indem das Wetter den ganzen Tag über hell und die Sonne unbedeckt blieb“ (Duerbeck 2004/2, S. 88). Leider stellte sich im Nachhinein heraus, „dass wegen offenkundiger Schreib-, Einstellungsund Ablesefehler und der schlechten Kalibrierung des verwendeten Heliometers die Beobachtungen der Station Süd-Georgien nur von geringem Nutzen gewesen sind“ (Duerbeck 2004/2, S. 88). Im Reichs-Anzeiger vom 9. Juli 1884 erschien eine Würdigung der deutschen Expeditionen durch Kaiser Wilhelm I., die an einer Stelle noch einmal die politische Dimension und die Konkurrenz zwischen den einzelnen Nationen verdeutlicht: „(…) ist es gelungen, der deutschen Wissenschaft in hohem Maße Erfolg und Würdigung zu erringen auf einem Gebiete erdumfassender Veranstaltungen, auf welchem Deutschland in früherer Zeit bei gleichartigen Anlässen gegenüber den Leistungen anderer Nationen zurückgestanden hatte (…)“ (Duerbeck 2004/2, S. 88). Auf insgesamt 3 600 Seiten wurden die Ergebnisse der deutschen Expeditionen von 1874 und 1882 in den Jahren 1887 bis 1898, also lange nach den beiden Transiten des Jahrhunderts, publiziert (Duerbeck 2004/2, S. 64). Auch Frankreich organisierte eine Expedition mit doppelten Aufgaben. Die sogenannte „Mission scientifique du Cap Horn“ gehörte zum französischen Beitrag des Internationalen Polarjahrs und sollte als Zusatzaufgabe auf der Isla Hoste im Süden Feuerlands den Venusdurchgang beobachten. Unter der Leitung von Kapitän Louis Ferdinand Martial erreichten die Teilnehmer auf dem Expeditionsschiff Romanche ihren Bestimmungsort, der gleichzeitig der südlichste Beobachtungspunkt von allen im Jahr 1882 war. Obwohl es dauerhaft regnete und die Sonne in den letzten drei Monaten des Jahres 1882 nur selten zu sehen war, glückten Messungen des zweiten, dritten und vierten Kontakts. Von dieser Expedition stammten darüber hinaus Beschreibungen der damals durch den Kontakt mit Europäern stark in Mitleidenschaft gezogenen Kulturen der verschiedenen Gruppen von Feuerlandindianern sowie deren fotografische Dokumentation. Faktisch scheiterte die Transitmethode – man schaffte es nicht, die Astronomische Einheit mit der Sicherheit und Genauigkeit zu ermitteln, die man sich gewünscht hatte. Dennoch war das ganze Unternehmen von Be184

Beobachtungen in Nord- und Südamerika

deutung, da erstmals mit vereinten Kräften international ausgerichtete Expeditionen durchgeführt wurden und die Transitexpeditionen über den rein astronomischen Zweck hinaus erheblich zur Erweiterung des Wissens über die Welt beitrugen (Maunder und Moore 2000, S. 74). Zwar führten die Expeditionen des 19. Jahrhunderts nicht zu einem wissenschaftlichen Durchbruch, gewähren aber einen Einblick in den ungebrochenen Forschergeist der Zeit.

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Venus entzaubert?

Als die Astronomen von ihren Reisen zur Beobachtung des Transits von 1882 zurückgekehrt waren, setzte das übliche Warten auf die Berechnungen der Mathematiker ein. Es wurden allerdings nach dem Venusdurchgang von 1882 weniger Parallaxenergebnisse veröffentlicht als nach dem Transit von 1874, was vermutlich damit zu tun hatte, dass man nicht mehr erwartete, zu Ergebnissen in der gewünschten Genauigkeit zu gelangen. Die anderen Methoden zur Ermittlung der Parallaxe setzten sich zunehmend durch. Wie bereits erwähnt, war man in Deutschland viele Jahre mit der Publikation der Ergebnisse beschäftigt, und noch bevor der letzte Band erschienen war, entdeckten Gustav Witt und Felix Linke an der Berliner Urania-Sternwarte auf einer Fotografie einen kleinen Planeten, der den Namen Eros erhielt. Unabhängig von Witt entdeckte auch der französische Astronom Auguste Charlois (1864–1910), ein Mitarbeiter des Observatoriums in Nizza, den Zwergplaneten. Eros kommt in seiner Bahn der Erde sehr nahe. 1932 wurde ein weiterer Asteroid entdeckt, der sich ähnlich verhielt wie Eros und Amor getauft wurde; beide werden nun in die Klasse der Amor-Objekte eingeordnet (inzwischen sind über 2 000 Asteroiden des Amor-Typs bekannt). Auf seiner ausgeprägt elliptischen Bahn näherte Eros sich 1900/1901 der Erde, während er in Opposition stand, bis auf 48 Millionen Kilometer. Der Ort des Eros wurde in Bezug auf Fixsterne mit Okularmikrometern von mehreren Observatorien aus gemessen und lieferte einen Wert der Sonnenparallaxe von 8,8006 plus-minus 0,0022 Bogensekunden, der einer AE von 149 488 000 plus-minus 38 000 Kilometern entsprach und genauer war als alle vorherigen Bestimmungen. Damit erlosch das wissenschaftliche Interesse an den Venusdurchgängen rasch und gründlich. 1931 näherte sich Eros der Erde sogar auf 26 Millionen Kilometer, ein Ereignis, das von 24 Observatorien beobachtet und fotografiert wurde. Harold Spencer Jones (1900–1960), damals Königlicher Astronom in England, veröffentlichte daraufhin einen revidierten Wert für die AE: 8,7904 186

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d es Bahn

Venus entzaubert?

433 Eros

August 1898 Eros S

M

ar

sb

ah

Erde

Erdba

n

hn

November 1900

S

Januar 1931

S

Abb. 45: Annäherung des Zwergplaneten Eros an die Erde während der Opposition in den Jahren 1898, 1900 und 1931.

plus-minus 0,0010 Bogensekunden (= 149 675 000 plus-minus 17 000 Kilometer). Jones schrieb in einer populären Zeitschrift, damit sei das Ziel erreicht, das so viele Astronomen unter erheblichen Anstrengungen und 187

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Venus entzaubert?

teilweise unter Einsatz ihres Lebens angestrebt hatten (Sheehan und Westfall 2004, S. 298). Zwar war Jones schon sehr nah am heutigen Wert, aber das letzte Wort war in punkto AE noch immer nicht gesprochen. Erst seitdem man sich der Radarechomethode bedienen konnte, war die AE bis auf wenige Meter genau zu bestimmen. Im Jahr 1976 wurde der derzeit gültige Wert von 149 597 870,691 Kilometern plus-minus drei Meter festgelegt. Dieser Wert wird als die mittlere Distanz der Erde zur Sonne definiert. Zwischen 1639 und 2004 wurden insgesamt sechs Venuspassagen beobachtet, und die Anzahl der Beobachter stieg mit jedem neuen Transit an. Nahezu zwei Jahrhunderte hatten Männer auf der Jagd nach den bestmöglichen Messergebnissen von Venustransiten ihr Leben riskiert. Immer mit dem Ziel, die Wissenschaft voranzubringen, ließen sie sich selbst vom Siebenjährigen Krieg nicht abschrecken. Bei allen Venusdurchgängen zeigte sich eine gewisse Zweispurigkeit: Einerseits war internationale Zusammenarbeit unumgänglich, wollte man zu brauchbaren Resultaten gelangen. Denn nur eine möglichst große Anzahl von Messungen in verschiedenen Regionen der Welt würde tatsächlich zum Ziel führen. Andererseits wuchs die Konkurrenz der führenden Nationen untereinander, und erfolgreiche Beobachtungen der Venustransite, die schließlich immer auch entsprechend gute Instrumente und die dazugehörige Logistik voraussetzten, brachten nationales Prestige ein und spornten zu Konkurrenz und Wettbewerb an. Letztlich aber endete das Unternehmen Venustransit mit einer großen Enttäuschung, denn man musste einsehen, dass die Genauigkeit, die man erwartet hatte, mit dieser Methode nicht erreicht werden konnte. Weil aber die Gelehrten, insbesondere des 18. Jahrhunderts, aber auch noch im 19. Jahrhundert, immer auch andere Interessen verfolgten, sind viele der Venusexpeditionen noch heute von größtem wissenschaftshistorischem Wert, weil sie wichtige Beiträge zur Biologie, Geographie, Geologie und Ethnologie lieferten. Insbesondere bei der ersten Weltumsegelung von James Cook ist der eigentliche Anlass für seinen Aufbruch nach Süden weitgehend in Vergessenheit geraten: Der große Kapitän war auf den Spuren der Venus unterwegs. Die Expeditionen zur Beobachtung von Venuspassagen waren auch eng verzahnt mit den jeweiligen technischen Errungenschaften. So wurde stets versucht, die neuesten und besten Instrumente einzusetzen. Fortschritte in der Entwicklung von Teleskopen, Messmöglichkeiten, Marinechrono188

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Venus entzaubert?

Abb. 46: a) eine der Fotoheliostat-Platten des Venustransits aus dem Lick-Observatorium; b) vergößertes Helligkeits-Konturdiagramm von Venus und dem Sonnenrand.

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Venus entzaubert?

metern oder der Fotografie im 19. Jahrhundert sowie von modernen Kommunikationsmitteln versuchte man für die Venusbeobachtungen nutzbar zu machen. Selbst das Jahr 2004 hielt noch Neuerungen bereit, denn der Transit wurde erstmals farbig fotografiert und in Filmen festgehalten.

Bezaubernde Venuspassagen in der Kunst In dem Maße, in dem die wissenschaftliche Bedeutung der Venusdurchgänge sich verflüchtigte, ließen sich Literaten und Komponisten davon inspirieren. Auch in der darstellenden Kunst zeigen sich Spuren. John Philip Sousa hatte 1883 einen Marsch komponiert, den er unter dem Eindruck der populären Transitbeobachtung von 1882 „Transit of Venus“ getauft hatte. Dieser Marsch wurde 1883 zur Einweihung der Joseph Henry Statue vor der Smithsonian Institution in Washington D.C. vor 5 000 Zuhörern aufgeführt. Außerdem hat Sousa im Jahr 1920 einen Roman mit dem Titel „Transit of Venus“ verfasst, der laut Sheehan und Westfall zu den grässlichsten Romanen gehört, die je geschrieben wurden (Sheehan und Westfall 2004, S. 270). Im Gewölbe des Lick Observatoriums auf dem Mount Hamilton (Kalifornien), von dem aus bald nach seiner Gründung der Transit von 1882 beobachtet worden war, fanden Sheehan und Westfall unzählige Fotos, die die Venus 1882 vor der Sonne zeigen. Sie setzten diese Bilder zu einem Film zusammen, den sie mit der 1883 komponierten Marschmusik von John Philip Sousa unterlegten. Dieser kurze Film ist heute im Internet zu sehen. Der Venustransit von 2004 wirkte ebenfalls musikalisch inspirierend. Verschiedene Komponisten haben kurze Stücke geschrieben, die die einzelnen Phasen des Transits aufgreifen. Darunter sind John Wesley Barker sowie der Bonner Musiker und Amateurastronom Paul Hombach (mehr dazu auf www. venustransit.de). Venusdurchgänge verschwanden zwar aus den wissenschaftlichen Publikationen, zogen aber vermehrt in literarische Werke ein. Erwähnt sei hier zunächst Arno Schmidt, der sich 1956 in „Das schönere Europa“ mit den Reisen zur Beobachtung des Venustransits von 1769 auseinandersetzte. Es gibt zwei Fassungen von diesem Text: eine monologische sowie eine dialogische, die für den Rundfunk gedacht war. Jüngeren Datums sind zwei Romane, die sich mit den französischen 190

Venusdurchgänge im 21. Jahrhundert

Expeditionen des 18. Jahrhunderts befassen. Zum einen von Lorenz Schröter, „Venuspassage“, der Le Gentil dicht auf den Fersen ist, aber auch seine eigene Fantasie spielen lässt. Sehr nah an den Fakten bleibt der Roman von Jean-Pierre Luminet „Rendezvous mit Venus“ (deutsche Übersetzung von Annette Lallemand). In diesem Roman verlieben sich Chappe d’Auteroche, Le Gentil und Lalande in dieselbe Frau, nämlich die Mathematikerin und Gattin des Uhrmachers Lepaute, Reine Lepaute. Lalande bleibt in Paris und hat eine Affäre mit Reine, während die anderen in die Welt reisen, um ihr Rendezvous mit dem Planeten Venus vor der Sonne zu suchen. Thomas Pynchon veröffentlichte 1997 seinen Roman „Mason & Dixon“, in dem es zwar hauptsächlich um die Arbeit der beiden an der Grenze zwischen den Nord- und den Südstaaten der USA geht, aber die Venusdurchgänge, von denen sie den ersten (1761) gemeinsam und den zweiten (1769) getrennt beobachtet haben, ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. (Eine deutsche Übersetzung von Nikolaus Stingl erschien 1999.) Darüber hinaus gibt es ein Theaterstück von der kanadischen Autorin Maureen Hunter, in dem Le Gentil die Hauptrolle spielt, das aber erheblich von seinem tatsächlichen Leben abweicht, da er beispielsweise zwischen den beiden Transiten noch einmal kurz in seiner Heimat auftaucht. Erstmals aufgeführt wurde es am Centre Theatre in Manitoba im November 1992. Die Autorin hat ebenfalls das Libretto für eine Oper verfasst, die von Victor Davies komponiert und an der Oper von Manitoba am 24. November 2007 uraufgeführt wurde. Die Liste von künstlerischen Auseinandersetzungen mit der Venus und ihren Passagen ließe sich fortsetzen und wird wohl auch noch weiter wachsen.

Venusdurchgänge im 21. Jahrhundert Im gesamten 20. Jahrhundert fand kein einziger Venustransit statt, erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts war es wieder so weit. Der erste Transit vollzog sich am 8. Juni 2004, und der zweite des Paares wird im Abstand von acht Jahren am 5./6. Juni 2012 zu sehen sein. Wer diesen verpasst, muss sich bis zum Jahr 2117 gedulden. Auch wenn das wissenschaftliche Interesse an den Venusdurchgängen wegen der auf Meter genauen Bestimmung der AE erloschen ist, lassen sich insbesondere Amateurastronomen dennoch nicht das Vergnügen nehmen, die Venus zu beobachten, wie sie ihre 191

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Venus entzaubert?

Eintritt sichtbar Transit nicht sichtbar

Austritt sichtbar

vollständiger Transit sichtbar

Abb. 47: Sichtbarkeit des Venusdurchgangs von 2004.

Bahn über die Sonne zieht, denn Venuspassagen sind seltener als totale Sonnenfinsternisse oder das Erscheinen von hellen Kometen mit Schweif (Sheehan und Westfall 2004, S. 328). Viele Sternwarten führten im Jahr 2004 Projekte zur Transitbeobachtung durch, so dass es auch für Laien möglich wurde, den Lichtring um die Venus und den Schwarzen Tropfen zu sehen und sogar zu fotografieren. Millionen von Menschen auf der ganzen Welt (mit Ausnahme der Antarktis, Südargentinien und Chile, von dort ist keiner der Venusdurchgänge des 21. Jahrhunderts sichtbar) konnten den Transit von 2004 beobachten, der jetzt nur noch ein höchst seltenes Himmelsspektakel bietet und nicht mehr als zentrales Entschlüsselungsmoment der Astronomie gilt. Der gesamte Transit 2004 war von nahezu allen Teilen Europas aus zu sehen. In Ostasien, Australien dem Westteil Neuseelands und den Inseln im westlichen Pazifik war nur der Eintritt zu beobachten. Von Nordwest Afrika und von den östlichen Teilen Nord- und Südamerikas konnte man nur den Austritt erleben. Der Transit 2004 wurde aber auch von historisch interessierten Wissenschaftlern mit Tagungen gefeiert, deren Höhepunkt die Beobachtung des Transits z. B. von Much Hoole aus war, wo Jeremiah Horrocks im Jahr 1639 seine erste einsame Beobachtung durchgeführt hatte. Außerdem gab es einige Ausstellungen anlässlich der Venuspassage von 2004. 192

Venusdurchgänge im 21. Jahrhundert

vollständiger Transit sichtbar Eintritt sichtbar

Transit nicht sichtbar

Austritt sichtbar

Abb. 48: Sichtbarkeit des Venusdurchgangs von 2012.

Hatte die Venus 2004 ihren Pfad über den südlichen Teil der Sonne genommen, so wird sie 2012 die nördliche Hälfte durchqueren. Da ihr Weg näher an der Sonnenmitte vorbeiführen wird als 2004, dauert der Transit von 2012 einige Minuten länger. Bis auf den östlichen Teil von Südamerika und den westlichen Teil von Afrika werden zumindest einzelne Phasen des Transits von überall auf der Welt sichtbar sein. Wie immer bei einem Junitransit kann man die Gesamtdauer in der Arktis, im Land der Mitternachtssonne, verfolgen, aber auch in weiten Teilen Australiens und im Nordpazifik wird der gesamte Transit zu sehen sein, natürlich immer abhängig von der jeweiligen Wolkenbedeckung. Dass die Venuspassagen im 21. Jahrhundert von einer breiten Masse von Menschen wahrgenommen werden, zeigt sich nicht zuletzt auf ungezählten Internetseiten, die Informationen darüber zusammentragen, und Foren, in denen Begeisterte sich austauschen. Es werden sogar spezielle Reisen, vor allem nach Australien, zur Beobachtung des Transits von 2012 angeboten. Und es gibt Versicherungsvertreter, die selbst Hobbyastronomen sind und sich darum kümmern, dass die Venusbegeisterten eine Reiseversicherung für ihre wertvollen Teleskope abschließen können. Bei Beobachtungsversuchen gilt es vorsichtig zu sein, direktes Schauen in die Sonne kann zur Erblindung führen: Man muss Schutzbrillen wie für Sonnenfinsternisse oder spezielle Filter verwenden. Mit bloßem Auge, d. h. 193

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Venus entzaubert?

mit Filter, aber ohne Fernglas oder Teleskop, ist ein Venustransit gerade so zu sehen. Ein winziger schwarzer Punkt wandert langsam über die Sonne, spannender wird es allerdings mit Fernglas oder Teleskop. Ratschläge bezüglich der zu verwendenden Filter und Beobachtungsmethoden für Laien findet man in „The Transits of Venus“ von Sheehan und Westfall (2004, S. 308 ff.). Der Abendstern wird mit Sicherheit auch im Jahr 2012 wieder seine Bahn über die Sonne ziehen und der ein oder andere wird vielleicht auf den Spuren von Männern wie Cook, Chappe d’Auteroche oder Le Gentil eigene Reisen unternehmen, sei es in der Realität oder in der Fantasie.

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199

Register Personenregister Adriaanszon, Jacob 37 Airy, George 166, 175 Anaxagoras 26 Anaximander 26 Anaximenes 26 Anne (Stuart) 109 Anson, George Admiral Lord 112 Apian, Peter 108 Archer, Frederick Scott 158 Aristarchos 27, 30, 32, 58–60 Aristoteles 27 f., 46 Aspinwall, Mary 51 Auteroche, Jean-Baptiste Abbé Chappe d’ 70, 72, 85 f., 92, 103, 130, 134 f., 139, 143, 191, 194 Bacon, Roger 36 Banks, Joseph 122–125, 128 Bayley, William 129 Berkowsky 158 Berthoud, Ferdinand 114, 135, 138, 142 Bessel, Friedrich Wilhelm 153 Bevis, John 117 Bird, John 100, 119 Blain des Cormiers, Michel 82 Bobzin, H. 170 Börgen, Karl 169 f. Boscovich, Roger Joseph 135 Bougainville, Louis Antoine de 124, 149 Bouguer, Pierre 156

Bradley, James 98, 106, 112 Brahe, Tycho 32–35, 42, 53, Breteuil, Louis Auguste Le Tonnelier Baron de Brooks, Nathaniel 55 Bruno, Giordano 32 Buchan, Alexander 122 f. Buffon, George-Louis Leclerc de 79, 82 Canivet 138 Caseins, Don Juan de 145 Cassini du Thury, César François 70– 72, 85, 94, 143 Cassini, Dominique Compte de 71, 107 f. Cassini, Giovanni 70, 111 Cassini, Jacques 70–72, 85, 88 Cavendish, Henry 117 Charlois, Auguste 186 Chaulnes, Duc de 145 Christian IV. 34 Clairaut, Alexis-Claude 145 Cook, James 9, 114, 119–129, 136, 156, 167, 188, 194 Corbet, Cyril 167–169 Crabtree, William 52–57 Crille, C. 170 Daguerre, Louis Jacques Mandé 157 f. Dalrymple, Alexander 119

201

Register

Davidson, George 165 f. Davies, Victor 191 De Fouchy, Jean-Paul Grandjean 78, 103 Delisle, Joseph Nicolas 67–69, 71–73, 75, 93, 104, 107, 155, 159 Digby, Kenelm 110 Dixon, Jeremiah 82, 95 f., 98–101, 129, 191 Dollond, John 138 Doz, Vicente de 136–138, 140–142, 144 Dubois 136, 141 Dufresne, Marie-Joseph Marion 80, 82 Dumas, Jean Baptiste 178 Dymond, Joseph 128 Petrowna, Elisabeth 94 Ellicott 100 Encke, Johann Franz 152–154 Euler, Christoph 132, 134 Euler, Leonhard 113, 130–132 Fabricius, Johann 45, 47 Ferguson, James 117, 120 Ferry, Jules 178 Flamsteed, John 63 Fletcher, Robert 84 Foerster, Wilhelm 171 Forbes, George 161 Foucault, Léon 153, 158 Fraunhofer, Joseph von 153, 156 Friedrich II. von Dänemark 33 f. Fritsch, Gustav 160, 171 Galaisière 3 siehe Le Gentil Galilei, Galileo 27, 32, 37–42, 45, 107, 110 Galle, Johann 178 Gálvez, José de 141 Gascoigne, William 156

202

Gassendi, Pierre 48 f. Gellibrand, Herbert 53 Georg III. 117, 120 Gill, David 157 Gill, Michael 95 Goodridge 169 Grant, Robert 152 f. Green, Charles 119, 123, 125–128 Gregory, James 66 Grimm, Friedrich Melchior 94 Hadley, John 112 f. Hall, Asaph 165 Halley, Edmond 50, 62–69, 73, 85, 102, 108, 119, 152 Hansen, Peter 153 Harkness, William 177 Harriot, Thomas 45 Harrison, John 114 f. Hell, Maximilian 87, 100 Herakleides 27 f. Hevelius, Johannes 49 f., 57 Hipparchos 28, 59 Hirst, William 103, 105 Hombach, Paul 190 Hooke, Robert 71 Horrocks, James 51 Horrocks, Jeremiah 51–57, 60, 66, 156, 192 Horrocks, Jonah 51 Humboldt, Alexander von 158 Hunter, Maureen 191 Huygens, Christiaan 49, 57, 108, 113 f. Inochodzov, P. B. 132–134 Islenjew, I. I. 130 Janssen, Pierre Jules César 159–162 Janssen, Zacharias 37 Jones, Harold Spencer 186–188 Joseph II. 87

Register

Katharina II. 130 Kepler, Johannes 29, 32, 35, 38, 41–44, 46–49, 51, 53 f., 60, 110 Kerguelen-Trémarec, Yves de 167 Kopernikus, Nikolaus 27, 29 f., 32, 35, 41–43, 59 Krafft, Wolfgang Ludwig 132 Lacaille, Nicolas Louis de 80, 100, 113 Lalande, Joseph-Jérôme 105, 145, 191 Lalande, Lefrançois de 86, 100 Lansberg, Philip 53 Laussedat, Aimé 159 Lavoisier, Antoine Laurent 137 Le Cat, Claude Nicolas 77 Le Gentil de la Galaisière, Guillaume Joseph Hyacinthe Jean-Baptiste 70, 72–76, 78, 82, 85 f., 134 f., 144–150, 191, 194 Le Roy, Pierre 114 Lemonnier, Louis Guillaume 103 Lepaute, Reine 191 Lexell, Anders Johan 131 f. Liesganig, Joseph 87 Lindsay, James Ludovic 157, 170, 180 Linke, Felix 186 Linné, Carl von 122 Lipperhey, Hans 36 f. Lomonossow, Michail Wassiljewitsch 94, 102 f. Longomontanus, Christian Sørensen 53 Louis XV. 103 Lowitz, Georg Moritz 132–134 Ludwig XIV. 111 Luminet, Jean-Pierre 81, 191 Mallet, Jacques-André 131 Maraldi, Jacques-Philippe 85 Maria Theresia 87 Martial, Louis Ferdinand 184 Maskelyne, Nevil 96, 98–100, 112 f., 117–119

Mason, Charles 82, 95–101, 129, 191 Mather, Richard 51 Mayer, Christian 130 Mayer, Tobias 100, 112 f. Medina, Salvador de 136–142 Melo, Don Estevan 148 Mendaña y Neira, Alvaro de 120 Messier, Charles 100 Monkhouse, William 123–125 Müller, Johannes 30 Nevill, Edmund Neville Neison 180 f. Newcomb, Simon 166, 180 Newton, Isaac 27, 57, 67, 71, 108 Niepce, Joseph Nicéphore 157 Noël, Alexandre-Jean 136, 142 f. Novara, Domenico Maria di 30 f. Pallas, Peter Simon 130 Papst Gregor XIII. 31 Parkinson, Sydney 122, 124, 128 Pauly 136, 138, 141–143 Paupow 88 Perry, Stephen Joseph 166 f., 169, 180 Peter III. 94 Pictet, Jean-Louis 131 Pingré, Alexandre-Gui 70, 72, 76–86, 113, 117, 134 f., 145, 149 Platon 27 Porro 158 Ptolemäus, Claudius 28–30, 59 f. Pugatschow, Jemeljan Iwanowitsch 134 Pynchon, Thomas 191 Pythagoras 27 Ramirez, José Antonio Alzate y 138, 143 Ramsden, Jesse 119 Rantzau, Heinrich 34 Raón, Don José 145, 150 Regiomontanus 30

203

Register

Reinhold, Erasmus 53 Rømer, Ole 111 Rudolf II. 35 Rue, Warren de la 158 Rumowski, Stepan 88, 131 Saint-Jean Estoupeau, de 79 Savery, Servington 156 Scheiner, Christoph 40, 45 Schmidt, Arno 190 Schroeter, Johan 104 Schröter, Lorenz 191 Secchi, Angelo 158 Shakerley, Jeremiah 49, 55 Shelton, John 118 f. Short, James 100, 117, 119, 125, 131 Shui Hua Hsing 165 Sidgreaves, Walter 169 Solander, Daniel Carl 122–126 Sousa, John Philip 190 Spöring, Herman Diedrich 122 Stenger, Erich 158 Stingl, Nikolaus 191 Stone, Edward James 153, 175 Struve, Otto Wilhelm von 164 Studer, Th. 170 Tamaral, Nicolás 140 Tasman, Abel 120, 122 Thales 26 Théatin 148 Thuillier, Denis 79–84 Tiele, Bernhard 160 Todd, David 166 Tour, Père de la 85 Tupman, George 175

204

Ueno, Hiroma 166 Vegesack, von 132 Velazquez, Joaquin 142 Véron, Pierre Antoine 149 Vinci, Leonardo da 36 Vogel, Hermann 160, 183 Voltaire, François Marie Arouet 147 Waddington 98–100 Wales, William 128 f. Walker, Henry 119 Walker, John 119 Wallis, John 51 Wallis, Samuel 120–124 Watson, James 165 Watzenrode, Lukas 30 Weinek, Ladislaus 169 f. Welser, Markus 40 Werner, Johann 108 Whatton, Arundell Blount 54 Whiston, William 66 f. Wilhelm der Eroberer 62 Wilhelm I. 184 Willach, Rolf 37 f. Winthrop, John 95, 100 Witt, Gustav 186 Wittstein, Arthur 169 f. Wiveleslie Abney, William de 159 Woronzow, Graf 88 Worthington, John 51, 57 Würzelbau, Johann von 50 Yanagi 166 Zenker, Wilhelm 160

Register

Ortsregister Abbassiyya 164 Acapulco 118 Aden 159 Afrika 97, 162, 167, 192, 193 3 siehe auch Ostafrika, Südafrika, USA Ägypten 26, 164 Aiken 181 f. Aleuten 68 Alice Springs 180 Amerika 116, 178 f. 3 siehe auch Nordamerika, Südamerika Antarktis 163, 167, 172, 179, 192 Aphrodite Terra 18 Arabische Halbinsel 68 3 siehe auch Südarabien Argentinien 180–182, 192 Arktis 65, 116, 193 Astrachan 171 Atlantik 68, 98, 101, 154, 180 Attu 68 Auckland 64 Augsburg 40 Australien 127 f., 163 f., 167, 172, 180, 192 f. Auvergne 85 Babylon 11, 25 f. Bahia Blanca 181 f. Baja California 135–141 Basel 131 Batavia 97, 128 Bayeux 62 Bencoolen 67, 72, 81 f., 95–97, 101 Bengkulu 95 Berlin 130 f., 171, 186 Bermuda 180 Betsy Cove 164, 169 Bitche 85 f. Bluff Harbour 164 f. Bluff Hill 164

Bologna 30 Boston 95 Botany Bay 127 Brest 111 Bretagne 78 Bretherton 52 Broad Street 176 Broughton 53 Cabo San Lucas 139 f. Cádiz 136 f., 142, 145, 149 Cajaneborg 103 Cambridge 51, 53, 110 Campbell Island 164 Campbell Town 164 Cantal 85 Cavan 129 Ceylon 75 f. Château de Saint-Hubert 103 Chatham Island 164 f. Chefoo 164 Chile 178, 181 f., 192 China 45, 164 Churchill 128 Churchill River 128 Connecticut 181 Coutance 72 Crozet-Inseln 165 Dänemark 33, 90, 180 Danzig 49 Deal 128 Den Haag 37 Deutschland 156, 161, 164, 172, 179– 181, 184, 186 Dnjepr 134 Don 134 Donau 87 Donegal 129 Drake Passage 163

205

Register

Dublin 129 Dubrovnik 135 Durban 180 Durham 96 Eastbourne 181 England 31, 53 f., 63, 65, 67, 71 f., 94, 96, 99, 116 f., 122, 128 f., 135, 156, 161, 167, 181, 186 Europa 51, 82, 96, 100, 116 f., 120, 130 f., 135, 142–144, 154, 160, 162, 176, 190, 192 3 siehe auch Südosteuropa, Westeuropa Falkland-Inseln 183 Feuerland 123, 184 Fly Islands 120 Fort Prince of Wales 128 Fort Venus 121–125 Frankfurt am Main 37 Frankreich 67, 71 f., 76, 85 f., 90 f., 94, 96, 100, 111, 130, 134, 136, 138, 144, 148 f., 156, 161, 164, 167, 172, 179 f., 184 Galle 75 Genf 131 Glasgow 161 Golf von Bengalen 72 f. Gotha 152 f. Göttingen 112, 132 Graz 42 Great Barrier Reef 128 Greenwich 68, 95, 107–109, 113, 119, 125, 153 Griechenland 26 f., 30 Großbritannien 164, 166, 180 Guadalajara 139, 142 Gurjew 132 Hamburg 34, 182 Hammerfest 129

206

Hartford 181 Hastings 62 Hawaii 164 Heidelberg 130 Hennebont 79 Hobart 164 f. Ho-Chi-Minh-Stadt 164 Holland 36 Hudson Bay 65, 67, 128 Île Bourbon 74 Île de France 73 f., 78, 82, 84, 144 f. Indien 49, 55, 72–75, 119, 144, 149, 155, 159, 164 Indischer Ozean 65, 72, 74, 76–85, 144, 154, 163 f., 167, 179 f. Indonesien 65 Iran 164 Irkutsk 88 Irland 96, 129 Irtysch 93 Ischtar Terra 18 Isfahan 164, 170 f. Isla Hoste 184 Italien 31, 36, 135, 164 Jaik 134 Jakarta 97 Jakutsk 130 Japan 155, 164, 166 Java 128 Jekaterinburg 86 Jemen 159 Jolo 145 Kalifornien 118, 136, 190 Kalkutta 72 Kanada 120, 179 Kap der Guten Hoffnung 68, 72 f., 80 f., 97, 99, 113, 153, 163 Kap Hoorn 68, 163 Kapstadt 98, 128, 169, 180, 181

Register

Kapverdische Inseln 73, 180 Karibik 155, 180 Kaspisches Meer 132, 171 Kent 128 Kerguelen 164–167, 169, 172, 180 Kiel 169 King George’s Land 120 Kobe 164 Kola 130 f. Königsberg 158 Koromandelküste 73 f., 144 f., 147 Krakau 30, 88 Kreta 36 La Muette 103 La Réunion 74, 78, 84, 164, 175 Lappland 116 Le Havre 84, 136 Leipzig 54, 171 Le-Maire-Straße 123 Lissabon 84 Liverpool 51 f., 54 London 49, 53, 55, 67, 110, 129, 131 Lorient 78 f. Lothringen 86 Madagaskar 73 f., 78, 144, 180 Madeira 122 Madhepur 164 Madras 72 f., 103, 119, 147 Madrid 144 Mageroy 129 Mahé 75 Malabarenküste 75 f. Manchester 53 f. Manila 118, 144–150 Manitoba 191 Mannheim 130 Marianen 144 f. Marquesas 120 Maryland 96 Maskarenen 74, 78, 81, 144

Matavai-Bucht 120–123 Mauriac 85 Mauritius 73 f., 78, 149, 157, 164, 170, 180 Mercury Bay 127 Mexiko 135–144, 164 Mexiko-Stadt 138, 141, 143 Middelburg 36 Milet 26 Mindanao 145 Molly Point 164 Moltke-Hafen 183 Moorea 125 Moskau 89 Mount Hamilton 190 Much Hoole 52, 55, 192 Murmansk 131 Nagasaki 164–166 Neufundland 72, 95, 119 Neuseeland 122, 126–128, 154 f., 163– 166, 180, 192 New South Wales 128 New York 164, 176, 182 Niederkalifornien 136 Niederlande 164, 180 Nordamerika 96, 162, 181–185, 192 Nordkap 65, 129 Nordpazifik 68, 163, 193 Normandie 72 Norwegen 121, 129, 178 Nosy Vé 180 Nouméa 164 Oberitalien 36 Observatory Bay 169 Omsk 86 Orenburg 132 Orsk 132 Ostafrika 78 Ostasien 116, 192 Österreich 72

207

Register

Österreich-Ungarn 178 Ostsibirien 130 Otaheite 120 Pakistan 164 Pampa 182 Paris 37, 48, 70, 72, 76–79, 84–89, 92 f., 107, 111, 113, 131, 136, 142–146, 149, 158, 178, 191 Patagonien 180 Pazifik 116 f., 154, 163, 192 3 siehe auch Nordpazifik, Südpazifik Peking 72, 164–166 Pennsylvania 96, 129 Philippinen 144 f., 150, 155 Pitcairn 68, 117 Plymouth 96, 122 Pondicherry 72–76, 79, 144–147 Ponoi 131 Pontos 27 f. Port Louis 78 f. Portsmouth 72 Portugal 122 Prag 35, 110 Punta Arenas 181 f. Pyrenäen 84, 149 Queenstown 164–166 Rasht 171 Rennes 78 Rhodos 28, 59 Riga 87 f. Rio de Janeiro 122 Rodrigues 72, 74, 76–84, 113 Rom 110, 158 Rostock 34 Rouen 77 Royal Bay 183 Royal Sound 165 Russland 31, 88, 93 f., 129–134, 156, 161–164, 178

208

Saigon 164 Salomonen 120 San Blas 138 f. San José del Cabo 140–144 Santo Domingo 135 Schweden 33, 72, 90, 100, 131 Scilly-Inseln 109 Selenginsk 88 Sibirien 65, 72, 85–88, 100, 134 f., 163 3 siehe auch Ostsibirien, Westsibirien Solikamsk 89, 170 Solitude 170 South Carolina 181 f. Spanien 118, 136, 141, 154, 180 Sri Lanka 75 St. Helena 50, 62, 66, 72 f., 96,98–101, 112, 169 St. John’s 95 St.-Lorenz-Strom 120 St. Paul 164, 172–175 St. Petersburg 87–94, 102, 130–134 Stockholm 100, 103 Straßburg 87 Straße von Mosambik 73 Südafrika 98, 153, 164, 172, 180 Südamerika 162, 181–185, 192 f. Sudan 164 Südarabien 159 Südfrankreich 110 Südgeorgien 180 Südostasien 163 Südosteuropa 162 Südpazifik 68, 118–120, 135 Südural 132 Suezkanal 154 Sumatra 67, 72, 81, 95 f. Sussex 181 Tahiti 119–126 Tasmanien 164–166 Teheran 171 Texas 106

Register

Theben 164 Thorn 30 Thumb Peak 169 Tobolsk 72 Tonga 120 Toxteth Park 51 Troja 36 Trondheim 65 Tschifu 164

Vietnam 164

Ulm 87 Umba 131 Ural 86, 89 3 siehe auch Südural Uraniborg 34, 53 USA 96, 156, 161, 164, 176, 178–181, 191 3 siehe auch Amerika

Walcheren 36 Wandsbek 34 Warschau 87 f. Washington D.C. 113, 190 Weißes Meer 131 Wellington 180 Wesel 36 Westeuropa 116, 131 Westsibirien 86 Whitby 119 Wien 72, 87, 94 Wladiwostok 164 f. Wolga 89, 134, 171 Wolgograd 171

Ven 33 f. Venedig 36 Vera Cruz 137–139

Yantai 164 Yokohama 164 Yorkshire 119

Sachregister Aberration, chromatische 155, 178 Akademie der Wissenschaften 51, 70, 72, 76, 79, 82, 86, 88, 130–135, 149 Akademieexpeditionen 130 Albedo 15 Almagest 28–30 Amateurbeobachter 176 Antipoden 26 Aphrodite 11, 18 Asteroid 12, 165, 178, 186 Astronomia nova 42 Astronomische Einheit (AE) 9, 61–65, 69 f., 97, 116, 151 f., 166, 175, 178, 184 Atlantiküberquerung 154 Atmosphäre 14, 18, 50, 94, 103 f., 106, 109, 126, 148, 171, 174 Aufklärung 122

Augustiner-Chorherren 76–85 Austritt (der Venus aus der Sonne) 63– 65, 67 f., 76, 95, 102, 104, 107, 126, 133, 146, 159, 162–170, 180, 182, 192 Austrittspol 180 Barometer 78, 87, 167, 174 Bauernaufstand 134 Benatek, Schloss 34 f. Beobachtungsstation 63, 68, 71 f., 82, 88, 106, 116, 118, 130–132, 135 f., 157, 162–164, 172 f., 180 Board of Longitude 110, 112 f. Bogensekunden 17, 22, 59–161, 101, 106, 116, 150, 152 f., 166, 175, 178, 186 f. Brechung 3 siehe Lichtbrechung

209

Register

Brille 36 f., 194 Brotfrucht 123 Camera obscura 46, 157 f. Carr House 52, 55 Chronometer 114, 135, 142, 170 Cimbria 182 Commentariolus 31 Compte d’Argenson 79, 81 f. Cosmographicus 108 Daguerrotypie 157 f., 175 Dampfschiff 154, 171, 182 Deferent 29 Deimos 165 Delisle’scher Pol 68, 163, 179 Dioptrice 38 Distanz zur Sonne 58–61, 64, 70 f., 80 f., 83, 116, 141, 152, 156, 159, 170, 188 Dolphin 120 f. Durchmesser, scheinbarer 17, 20 Earl of Pembroke 121 Eintritt (der Venus vor die Sonne) 63– 65, 67 f., 76, 102–104, 107, 129, 131, 135, 159, 162 f., 168 f., 175, 180 f., 183, 192 Eintrittspol 179 Eisenbahn 154 f., 170, 182 Ekliptik 20, 49 Ellipse 12, 20, 44 Emmanuel College 51, 57 Endeavour 121–123 Ephemeriden 35, 51, 54 Epizykeltheorie 29, 42 Erdachse 14, 22 Erde 9, 11–24, 25–32, 35, 38–41, 44, 47, 50, 58–66, 69–71, 92, 103, 107, 109, 111, 116 f., 141, 144, 146, 153, 177, 186–188, Erdmagnetismus 128

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Erdradius 14, 59 f. Erdrotation 28, 64 Eros 186 f. Exzentrizität 20, 47 Faymakay 75 Fernrohr 15, 36–42, 45 f., 48–50, 71, 85–91, 102, 110 f., 132 f., 147, 156, 159, 165, 169 f. Fixstern 18, 28, 31, 61, 80, 153, 186 Fort Venus 121, 123–125 Fotografie 154 f., 157–160, 165 f., 171 f., 178, 186, 190 Fotogrammetrie 159 Fotoheliograf 159, 166 Gazelle 169 Geographische Breite 107 Geographische Länge 64, 80, 97, 107– 115, 118, 120 Geschlechtskrankheiten 124 Gravitation 27 Grenzziehung 96 Gresham College 53 Halbachse 44, 61 Halley’scher Pol 65, 118, 129, 179 Handelsbeziehungen 120 Harmonices mundi 44 Heliometer 153, 156, 159, 162, 169 f., 181 f., 184 Himmelsgewölbe 25–28 Himmelsuhr 111 Hund 110 Hydrometer 137 Inquisition 42 Instrumente 3 siehe Messinstrumente Internationale Meridiankonferenz 113 Internationales Polarjahr 181, 183 f.

Register

Jesuiten 45, 85, 87, 100, 130, 135, 138, 140 f., 166 Jupiter 12 f., 18, 25, 28 f., 35, 83, 95, 110 f. Jupitermonde 39 f., 90, 97, 110–112, 141, 146 f. Kalender, gregorianischer 31 f. Kalender, julianischer 54, 131 Keplersche Gesetze 44, 53, 61, 153 Knoten 19–22, 47, 55 Kollodiumplatte 175, 178 Kolonie 75, 96, 145, 147 f., 157 Komet 42, 62, 135, 152, 192 Königliche Marine 120, 122 Königlicher Astronom 63, 97 f., 109 f., 112 f., 117, 166, 186 Konjunktion 15–20, 23, 47, 54, 104 Kontakt (zwischen Sonnenscheibe und Venus) 23, 64 f., 68, 83 f., 92, 98 f., 102, 104–107, 126, 128 f., 131, 135, 146, 148, 159, 161–163, 168, 174 f., 182–184 Koppelnavigation 112 Kreisbahn 20, 29, 42–44 Kunstkammer 134 Kutsche 78 La Dives 173 La Mignonne 82–84 Längenbestimmung 40, 68, 76, 95, 97, 107–109, 112–114, 117, 123, 135, 137, 141, 147, 155 Längengrad 40, 102–115 Längengradproblem 102–115 Lansberg’sche Tafeln 53 Le Berryer 73 Le Bon Conseil 145 Le Boutin 84 Le Grand 96 Lichtbeugung 106

Lichtbrechung 35 f., 40, 106, 109, 146, 148 Lichtempfindlichkeit 158 Lichtgeschwindigkeit 111, 153 Lichtring 50, 102 f., 128, 175 f., 192 Lichtstrahlen 46, 106, 109, 171 Linsenfernrohr 36, 71, 102, 156, 165 Longitude Act 109 f. Lys 81 f. Manuskript 32, 51, 77, 142 f. Marinearchiv 144 Mars 12 f., 18, 25, 28, 35, 42, 63, 86, 153, 165, 178 Mason-Dixon-Linie 96 Meeresleuchten 80 Merkur 12 f., 15 f., 18 f., 22 f., 25, 28, 35, 40, 46–50, 63, 66 f., 106 Merkurtransit 15, 19–24, 46–51, 57, 62 f., 66 f., 70, 85 f., 106, 127, 160 Messgenauigkeit 61–63, 92, 101, 108, 112–114, 157, 184, 186, 188 Messinstrumente 35, 37–39, 51, 73, 79, 83 f., 86–91, 96, 122 f., 125, 128, 131, 136–138, 140–142, 145, 149, 154, 157, 159, 171 f., 180, 188 Mikrometer 65, 83, 90, 133, 156, 186 Missionsstation 140 Modelle (des Universums/Schulungsmodelle zur Transitbeobachtung) 27, 29, 32, 42, 53, 117, 161 f., 181 Mond 11, 15, 17, 22, 25 f., 28, 35, 39 f., 45, 50, 57, 58–61, 80 f., 95, 97, 108– 114, 132, 146, 153, 157 f., 174, 178, 180 Monddistanzen 58 f., 80 f., 108–110, 113 f., 123 Monddistanzmethode 108–110, 112– 114, 120 Mondfinsternis 23, 46, 52, 59, 73, 77, 90, 95, 97, 108, 135, 141

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Register

Mondphasen 26, 41, 58 Mondtabellen 80, 100, 112 Nassplatten 158 f. Naturalienkabinett 87 Naturkundliche Sammlung 79 Naturphilosophen 26, 35 Nautischer Almanach 78, 113 Navigation 39, 62, 110, 112, 115 Neptun 12 f., 18 Neumond 174 Nordpol 64 Nullmeridian 113 Observatorium 33 f., 38, 70, 72, 74, 77, 83, 85–87, 90 f., 97 f., 109, 113, 119, 123, 125, 128 f., 132, 134, 139, 141, 143, 146 f., 149, 164–166, 174, 180 f., 183, 186, 189 f. Oiseau 84 Optica Promota 65 f. Ostindienhandelskompanie 75 Parallaxe 59–61, 63, 66, 101, 106, 144, 152, 154, 166, 175, 178, 186 3 siehe auch Sonnenparallaxe Passageninstrument 138, 180 Passierschein 75, 78, 84 Pendeluhr 50, 64 f., 86, 111, 113 f., 138, 141, 146, 165 Pfad der Venus (Transitpfad) 21, 23, 64, 121, 193 Phasen der Venus 15 f., 40 f. 3 siehe auch Mondphasen, Transitphasen der Venus Phobos 165 Planetengesetze 46 Planetentafeln 35 Pluto 12 f. Präzession 22 Prince Rupert 128

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Quadrant 49, 83, 86, 90, 107, 111 f., 125, 134, 138 3 siehe auch Spiegelquadrant Radar 18, 61, 188 Rauchglasfilter 62 Reflexionsgesetz 35 Reisebeschreibung 93 Revolution 31, 81, 154 Revolver-Kamera 159–162 Rostpendel 125 Royal Navy 121, 166 Royal Society 66, 69 f., 98, 110, 117– 119, 121, 127–120, 136, 144 Rudolfinische Tafeln 35, 49, 53 f. Ruhr 128 Sammlungen 79, 84, 87, 134 Sarosperiode 73 Saturn 12 f., 18, 25, 28, 35, 40, 49 Saturnmonde 49 Saturnringe 41, 49 Schlitten 88 f., 94 Schutzbrille 194 Schwarzer Tropfen 104–107, 126, 128 f., 155, 160 f., 168, 175 f., 183, 192 Seahorse 96 Sekundenpendel 148 Sextant 112 Siebenjähriger Krieg 71, 76, 81, 96, 112, 146, 188 Skorbut 86, 120 Sonnenfinsternis 16, 23, 26, 32, 46, 73, 90, 95, 108, 119, 129, 135, 145 f., 158 f., 192, 194 Sonnenflecken 45, 47, 49, 133, 179 Sonnenparallaxe 60 f., 66 f., 83, 106, 150, 153, 156, 186 Sonnenpeilung 95 Sonnenrand 133, 170 f., 182, 189 Spiegelquadrant 112 Spiegelteleskop 71, 125, 155

Register

Spiralfeder 113 Sternenbote 39, 42 Sternenkatalog 28, 34, 39, 50 Südkontinent 119 f., 122, 126 Südpol 64 Sumerer 11 Supernova 32 Swatara 164 f. Sylphide 74 f. Sympathetisches Pulver 110

Uhr 63, 68, 80, 88, 95, 97 f., 107–109, 112 f., 115, 123, 125, 128, 134 f., 140, 155 f. 3 siehe auch Himmelsuhr, Pendeluhr Uhrmacher 51, 88 f., 91, 136, 142, 157, 191 Universum 9, 12, 25, 27–31, 39 f., 43, 91, 116 Uraniborg (Himmelsburg) 34, 53 Uranus 12 f., 18

Tagblindheit 72 f. Tagebuch 79, 81, 84 f., 91, 94, 100, 124, 126, 142 f., 147 f., 167, 169 Telegrafie 154 f. Teleskop 38–40, 45, 50 f., 55, 62 f., 65, 71, 76, 83, 86, 91, 95, 98, 104, 106, 111, 123, 126, 138, 147, 155 f., 162, 165, 168, 174–176, 179, 188, 194 3 siehe auch Spiegelteleskop Temperatur 14, 18, 97 f., 113 f., 126, 128, 137, 145, 148, 155 Thermometer 87, 89 Tidenmesser 99 Trägheitsgesetz 27 Transitmodell 3 siehe Modelle Transitphasen der Venus 65, 68, 162, 176, 181, 190, 193 Trigonometrie 60, 83 Trockenplatten 159 Typhusepidemie 141

Venus in Sole Visa 55, 57 Volant 84 Vulkan 18, 145, 172, 174 Weltbild, geozentrisches 28, 40 Weltbild, heliozentrisches 24, 27, 30– 32, 41 f. Weltbild, kopernikanisches 27, 53 Weltbild, ptolemäisches 28, 39 f. Weltbild, semiheliozentrisches 28 Weltbild, tychonisches 35 Weltgeheimnis 42 Winkeldistanz 80 Winkelmessgerät 108 Wolken 14 f., 18, 48 f., 63, 67, 74, 83 f., 99, 104, 129, 131, 147 f., 168, 170, 173–175, 182, 193 Zoll 84, 87, 131, 142

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Abbildungsnachweis

Abb. 5: Grzegorz Petka – Wikimedia Commons; 6, 8, 10, 12, 14, 18, 33: Akg-images; 9: aus Camille Flammarion: L’Astronomie populaire, 1879; 13: aus Christophe Marlot: Les passages de Vénus. Histoire et observation d’un phénomene astronomique. Vuibert, Paris, 2004; 21, 22, 24, 25: aus Harry Woolf: The Transits of Venus: A Study of Eighteenth-century Science, Princeton University Press; 26: Chappe d’Auteroche: Mémoire du passage de Vénus sur le Soleil, 27: Barry L. Weaver; 30: aus William Hirst: Account of several phaenomena observed during the ingress of Venus into the solar disc. Philosophical Transactions of the Royal Society, Vol. 59, 1769; 36: aus Jean-Baptiste Chappe d’Auteroche: Voyage en Californie pour l’Obervation du Passage de Vénus sur le disque du soleil. Paris, 1772; 37: aus Guillaume Joseph Le Gentil de La Galaisière: Voyage dans les mers de l’inde, fait par orde du roi à l’occasion du passage de Vénus sur le disque du soleil le 6 juin 1761 et le 3 du meme mois 1769; 41: aus Alphonse Berget: Le Ciel, 1923; 42: aus Harper’s Weekly, 1883; 44: aus Hermann K. Vogel: Beobachtungen des Venusdurchganges am 6. December 1882, angestellt auf dem astrophysikalischen Observatorium zu Potsdam. Astronomische Nachrichten 104, 1883; 46: Tony Misch, Lick Observatory.

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