Die Sphärentheorie im Mehrwertsteuerrecht: Dogmatik der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre nach der VNLTO-Entscheidung des EuGH 9783504383930

Das Werk stellt die weitreichenden Auswirkungen der EuGHEntscheidung in der Rechtssache VNLTO (EuGH, Urteil v. 12.2.2009

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German Pages 328 [324] Year 2013

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Die Sphärentheorie im Mehrwertsteuerrecht: Dogmatik der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre nach der VNLTO-Entscheidung des EuGH
 9783504383930

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Geleitwort Die Verfasserin verfolgt mit ihrer gedankenreichen Arbeit das Ziel, Wege aufzuzeigen, um das geltende Umsatzsteuerrecht und die Umsatzsteuerdogmatik in Einklang mit den Vorgaben der bahnbrechenden, jedoch oft missverstandenen Entscheidung des EuGH in der Rechtssache VNLTO (Urteil vom 12. Februar 2009, Rs. 515/07, Slg. 2009, I-839) zu bringen. Die Arbeit leistet einen Beitrag zur steuerrechtlichen Grundlagenforschung. Die Verfasserin schlägt darin eine weitreichende und in weiten Zügen überaus überzeugende Modernisierung der Sphärentheorie vor, einem der zentralen Konzepte des deutschen Umsatzsteuerdenkens. Als Ausfluss dessen unterbreitet sie einen Gesetzgebungsvorschlag, mit dem einige der wohl wichtigsten umsatzsteuerlichen Normen an die Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie in ihrer durch die EuGH-Rechtsprechung gefundenen Ausprägung angepasst würden. Ihre Ausführungen gründen auf einer Rezeption der französischen Rechtsdogmatik, deren Einfluss auf die Rechtsprechung des EuGH in diesem Bereich sie deutlich vor Augen führt. Sie leistet damit en passant eine vorbildliche umsatzsteuerliche Rechtsvergleichung, die für das zutreffende Verständnis des eigenen Rechts unabdingbar ist. Zugleich ist die Verfasserin aber auch den zahlreichen praktisch äußerst relevanten und zugleich streitbefangenen Detailfragen nicht aus dem Weg gegangen. Vielmehr entwickelt sie für eine Vielzahl dieser Probleme innovative Lösungen, die in Verwaltung und Rechtsprechung Gehör finden sollten. Insgesamt bietet die Arbeit eine wahre Fundgrube für Denkanstöße zu einer Vielzahl aktueller umsatzsteuerlicher Probleme. Ihr ist damit ein breiter Leserkreis von Praktikern, wissenschaftlich mit der Umsatzsteuer Befassten und dem Gesetzgeber zu wünschen.

Nürnberg, im Juli 2013 Roland Ismer

VII

Vorwort Die Arbeit lag im Wintersemester 2012/2013 der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, Fachbereich Rechtswissenschaft, der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertationsschrift vor. Rechtsprechung und Literatur sind bis Dezember 2012 berücksichtigt. An erster Stelle danke ich ganz herzlich meinem Doktorvater und Erstgutachter Herrn Prof. Dr. Roland Ismer M.Sc. Econ. (LSE). Er hat die Arbeit angeregt und ihre Entstehung ebenso geradlinig wie verständnisvoll betreut. Dabei lenkte er den Fokus konsequent auf den Gewinn neuer Erkenntnisse, gab in tiefgründigen Anmerkungen und Diskussionen viele hilfreiche Denkanstöße und vermittelte unermüdlich die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens und Schreibens. Es war ein Glücksfall und eine Ehre, bei ihm promovieren zu dürfen. Mein besonderer Dank gilt weiterhin dem Zweitkorrektor, Herrn Prof. Dr. Wolfram Reiß, für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens, vor allem aber für die spannenden und ertragreichen Diskussionen. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Alexander Rust LL.M., der mir vor vielen Jahren mit seinem Examinatorium an der LMU München und seiner Begeisterungsfähigkeit den Weg ins Steuerrecht eröffnet hat. Ich danke weiterhin Herrn Dr. Friedrich Klenk, RiBFH a. D., und Herrn Dieter Steinhauff, RiBFH a. D., für wertvolle Diskussionen und Anregungen sowie Herrn Prof. Rüdiger von Groll, RiBFH a. D., und Herrn Michael Wendt, VRiBFH, die mir wiederholt Türen geöffnet haben. Mein Dank gilt auch den Mitarbeitern der BFH-Bibliothek und der Bibliothek des Max-Planck-Instituts, mit deren Hilfe jedes Dokument auffindbar wurde, sowie der Kanzlei Rödl & Partner für die großzügige Gewährung eines Abschluss-Stipendiums. Ein großes Dankeschön geht weiterhin an Herrn Thomas Weitmann, der mir aus mehr als einem PC-Notfall herausgeholfen hat. Herrn Dr. Jochen Schöllmann danke ich für die sehr hilfreichen Anmerkungen, er hat das Manuskript Korrektur gelesen. Danken möchte ich auch meinem VolleyballMixed-Team „Decke – Boden!“ und dessen Trainer und guten Freund Wilhelm Specht. Das Team hat mich nicht nur körperlich fit gehalten, sondern sorgte und sorgt auch mit unübertroffenem Spaßfaktor für die nötige Ablenkung. Schließlich danke ich meiner Familie für ihre vielfältige Hilfe und Förderung, namentlich meinem Mann Herrn Norbert Heynen, meinen Eltern Frau Birgid und Herrn Johannes Pull, meinem Bruder Herrn Christian Pull, sowie meinen Schwiegereltern Frau Elfriede und Herrn Frank Heynen. IX

Vorwort

Mama, Papa, es gäbe noch viel zu sagen, was meine wenigen Worte hier bestenfalls andeuten können: Danke für eure bedingungslose Unterstützung! Danke für euer unerschütterliches Vertrauen! Danke für eure verlässliche Liebe! Euch widme ich diese Arbeit.

München, im Juli 2013 Veronika Pull

X

Inhaltsübersicht Seite Geleitwort ............................................................................................... VII Vorwort ................................................................................................... IX Inhaltsverzeichnis ................................................................................... XV Abbildungsverzeichnis ........................................................................... XXIII Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... XXV Literaturverzeichnis ................................................................................ XXXI

Einleitung .............................................................................................

1

I.

Status quo nach der VNLTO-Entscheidung ..................................

1

II.

Innovative Ansätze und Kernfragen der Arbeit............................

4

III.

Gang der Darstellung ...................................................................

10

Erster Teil: Die Sphärentheorie als Systemmodell......................

13

1. Kapitel: Die traditionelle Sphärentheorie im nationalen Umsatzsteuerrecht..............................................................................

15

I.

Grundlagen ...................................................................................

16

II.

Erste Funktion: Abgrenzung der steuerbaren von der nichtsteuerbaren Sphäre .......................................................................

33

Zweite Funktion: Abgrenzung potenzieller Entnahmezielbereiche ..................................................................

42

Dritte Funktion: Abgrenzung der Sphäre mit und ohne Vorsteuerabzugsberechtigung ......................................................

46

Zuordnungswahlrecht für gemischt genutzte Investitionsgüter ...

55

III. IV. V.

XI

Inhaltsübersicht

2. Kapitel: Entwicklungen der Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung ....................................................................... I.

69

Die VNLTO-Entscheidung: Unterscheidung zwischen nichtwirtschaftlichen unternehmenseigenen und unternehmensfremden Bereichen .................................................

70

II.

Aktuelle BFH-Rechtsprechung zur Sphärentheorie.....................

71

III.

Die neue Sphärentheorie als zweistufiges Modell .......................

79

IV.

Neujustierung des Unternehmensbegriffs ....................................

89

Zweiter Teil: Die nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Sphäre – Abgrenzung und Rechtsfolgen .......................................

105

3. Kapitel: Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche......................................

107

I.

Nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten.................................................

108

II.

Nicht-wirtschaftliche Tätigkeitsbereiche .....................................

124

III.

Unternehmenseigene Bereiche .....................................................

128

4. Kapitel: Anwendungsfälle und Abgrenzung ............................

145

I.

Nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Bereiche ..................

145

II.

Unternehmensfremde Bereiche ....................................................

159

III.

Unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten ............

172

IV.

Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter ...............................................................................

183

5. Kapitel: Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen ...........................................................................................

201

I. II. XII

Grundsätzliche Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen....................................................................................

202

Rechtfertigung der Nicht-Steuerbarkeit von Entnahmen .............

203

Inhaltsübersicht

6. Kapitel: Kein Vorsteuerabzug und Aufteilung gemischter Eingangsleistungen.............................................................................

217

I.

Keine Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts ..............................

217

II.

Aufteilung trennbar gemischter Eingangsleistungen ...................

221

III.

Aufteilung untrennbar gemischter Eingangsleistungen nach ihrem jeweiligen Verwendungswert .............................................

238

7. Kapitel: Vorsteuerberichtigung und Übertragung der Lennartz-Grundsätze .........................................................................

253

I.

Vorsteuerberichtigung bei Erhöhung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Verwendungsanteile ..................................

253

Keine Vorsteuerberichtigung bei Erhöhung wirtschaftlicher Verwendungsanteile .....................................................................

255

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse .........................

271

Stichwortregister .....................................................................................

279

II.

XIII

Inhaltsverzeichnis Seite Geleitwort ............................................................................................... VII Vorwort ................................................................................................... IX Inhaltsübersicht ....................................................................................... XI Abbildungsverzeichnis ........................................................................... XXIII Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... XXV Literaturverzeichnis ................................................................................ XXXI

Einleitung .............................................................................................

1

I.

Status quo nach der VNLTO-Entscheidung ..................................

1

II.

Innovative Ansätze und Kernfragen der Arbeit............................

4

III.

Gang der Darstellung ...................................................................

10

Erster Teil: Die Sphärentheorie als Systemmodell......................

13

1. Kapitel: Die traditionelle Sphärentheorie im nationalen Umsatzsteuerrecht..............................................................................

15

I. 1. 2. 3.

16 16 25 29

Grundlagen ................................................................................. Historische Hintergründe ............................................................. Das Sphärenurteil des BFH: Bekenntnis zur Sphärentheorie ...... Die Grundsatz-Urteile des EuGH ................................................ a. EuGH-Urteil Lennartz: Kein nachträglicher Vorsteuerabzug bei privaten Aufwendungen ........................ b. EuGH-Urteil Armbrecht: Zuordnungswahlrecht; Veräußerung eines teilweise dem Unternehmen zugeordneten Investitionsgutes ist nur teilweise steuerbar ... c. EuGH-Urteil Seeling: Voller Vorsteuerabzug bei voller Unternehmenszuordnung eines Grundstücks ........................

30 31 32

XV

Inhaltsverzeichnis

II. 1. 2. 3. 4. III. 1. 2. IV. 1. 2. 3.

V. 1. 2. 3.

XVI

Erste Funktion: Abgrenzung der steuerbaren von der nicht-steuerbaren Sphäre .......................................................... Gewerbliche oder berufliche Tätigkeit als Synonym wirtschaftlicher Tätigkeit ............................................................. Selbstständigkeit als Voraussetzung unternehmerischer Tätigkeit ....................................................................................... Sonderregelung für juristische Personen öffentlichen Rechts ..... Reichweite unternehmerischer Tätigkeitsbereiche ......................

37 39 41

Zweite Funktion: Abgrenzung potenzieller Entnahmezielbereiche ................................................................ Handeln im Rahmen des Unternehmens ...................................... Verfolgung von Zwecken außerhalb des Unternehmens .............

42 42 44

Dritte Funktion: Abgrenzung der Sphäre mit und ohne Vorsteuerabzugsberechtigung ................................................... Verwendungszweckbestimmung statt Zuordnungsentscheidung bei reinen Eingangsleistungen ............ Zuordnungsmaßstab des „direkten und unmittelbaren Zusammenhangs“ ......................................................................... Vorsteuerkorrektur bei nachträglichem Sphärenwechsel einer Eingangsleistung .......................................................................... a. Wechsel von der unternehmerischen in die nichtunternehmerische Sphäre ...................................................... b. Wechsel von der nicht-unternehmerischen in die unternehmerische Sphäre ...................................................... Zuordnungswahlrecht für gemischt genutzte Investitionsgüter ......................................................................... Inhalt und Reichweite .................................................................. Dogmatisches Verständnis und Rechtfertigung durch den EuGH............................................................................................ Kein voller Vorsteuerabzug für gemischt genutzte Grundstücke seit 1.1.2011 ............................................................

33 35

46 48 50 52 52 54 55 55 59 66

Inhaltsverzeichnis

2. Kapitel: Entwicklungen der Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung .......................................................................

69

Die VNLTO-Entscheidung: Unterscheidung zwischen nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen und unternehmensfremden Bereichen .............................................

70

I.

II. 1. 2. 3. 4. III. 1. 2.

3. IV. 1. 2. 3.

4.

Aktuelle BFH-Rechtsprechung zur Sphärentheorie ............... Übernahme der VNLTO-Grundsätze ............................................ Abgrenzung hoheitlicher und wirtschaftlicher Tätigkeitsbereiche ........................................................................ Uneinheitliche Behandlung untrennbar gemischter Eingangsleistungen ...................................................................... Entnahmehandlungen als eigenständiger Tätigkeitsbereich ohne Vorsteuerabzug .................................................................... Die neue Sphärentheorie als zweistufiges Modell ................... Relevanz der VNLTO-Rechtsprechung nach Einführung von Art. 168a MwStSystRL ................................................................ Modelle einer modifizierten Sphärentheorie................................ a. Unterscheidung von drei Sphären ......................................... b. Aufteilung der unternehmerischen Sphäre in eine wirtschaftliche und eine nicht-wirtschaftliche Sphäre .......... c. Aufteilung der nicht-unternehmerischen Sphäre in eine satzungsgemäße und eine unternehmensfremde Sphäre ....... Eigenes Modell nach französischem Vorbild ............................... Neujustierung des Unternehmensbegriffs ............................... Konflikt zwischen rein innerstaatlicher Auslegung und Richtlinienvorgaben ..................................................................... Vorrang richtlinienkonformer differenzierender Auslegung ........ Reformbedarf im Umsatzsteuergesetz ......................................... a. Pflicht zur Reform gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV................... b. Übernahme des unionsrechtlichen Unternehmensbegriffs ist empfehlenswert ................................................................ c. Unternehmensbegriffe in § 15 Abs. 1 S. 2 UStG sind anzupassen............................................................................. Enger Unternehmensbegriff im Kontext des Zuordnungswahlrechts .................................................................

71 72 73 75 77 79 79 82 82 83 84 85 89 89 91 93 93 95 100 102

XVII

Inhaltsverzeichnis

Zweiter Teil: Die nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Sphäre – Abgrenzung und Rechtsfolgen .......................................

105

3. Kapitel: Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche......................................

107

I. 1.

108

3. 4.

Nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten ............................................. Typologische Prüfung nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 MwStSystRL ......................................................................... Klassifikatorische Prüfung nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 MwStSystRL ......................................................................... Prüfung unabhängig vom Totalgewinn ........................................ Abgeleitete Wirtschaftlichkeit ......................................................

II.

Nicht-wirtschaftliche Tätigkeitsbereiche .................................

124

III. 1.

Unternehmenseigene Tätigkeitsbereiche ................................. Unternehmen als Vermögen einerseits und zweckdefinierte Tätigkeit andererseits in der EuGH-Rechtsprechung .................. Unterschiedliche Interpretation der EuGH-Rechtsprechung durch BFH und Literatur .............................................................. a. Ausschließlich private Tätigkeiten sind unternehmensfremd ............................................................... b. Unternehmenseigene Tätigkeiten sind nach dem Zweck der Einrichtung positiv festzustellen ..................................... c. Lennartz-Grundsätze gelten nur für unternehmensfremde Tätigkeiten............................................................................. Eigene Interpretation: Definition des Unternehmens nach dem Zweck der Einrichtung ......................................................... a. Tätigkeitsbezogener Unternehmensbegriff ist ausschließlich maßgeblich .................................................... b. Unternehmen ist eine Einrichtung mit wirtschaftlichem Tätigkeitsbereich ................................................................... c. Unternehmenszweck kann grundsätzlich jeder denkbare Satzungszweck sein ............................................................... d. Ausgenommen sind illegale und sittenwidrige nichtwirtschaftliche Zwecke sowie der Zweck fremder Bedarfsdeckung durch unentgeltliche Leistungen ................ e. Unternehmensvermögen richtet sich nach der zweckdefinierten Unternehmenstätigkeit .............................. Fazit und Schaubild des Unternehmens .......................................

128

2.

2.

3.

4.

XVIII

108 114 116 122

129 132 132 134 134 135 135 137 138 139 142 143

Inhaltsverzeichnis

4. Kapitel: Anwendungsfälle und Abgrenzung ............................

145

I. 1. 2. 3.

145 146 146 148 149

4.

II. 1. 2. 3.

III. 1. 2. 3.

Nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Bereiche .............. Der ideelle Bereich ....................................................................... Der hoheitliche Bereich ohne Wettbewerbsrelevanz ................... Der Bereich bloßer Vermögensverwaltung .................................. a. Bloße Verwaltung von Beteiligungen und Wertpapieren ...... b. Unterhaltung von Kapitalanlagegütern ist nur im Ausnahmefall bloße Vermögensverwaltung ......................... c. Verzinste Kapitalanlagen begründen zumeist keine bloße Vermögensverwaltung ........................................................... Der Bereich echten Factorings mit zahlungsgestörten Forderungen ................................................................................. a. Nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Bereich aus Sicht des Factors ................................................................... b. Kein nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Bereich beim Forderungsverkäufer .................................................... c. Kein nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Bereich in anderen Factoringkonstellationen ..................................... Unternehmensfremde Bereiche ................................................. Der Privatbereich, Tätigkeitsbereiche Dritter, illegale und sittenwidrige nicht-wirtschaftliche Bereiche ............................... Der Bereich bewussten und dauerhaften Leerstehenlassens von Gebäuden............................................................................... Entnahmebereiche für unternehmensfremde Zwecke .................. a. Entnahmebereich für private Zwecke des Steuerpflichtigen (Privatentnahmen) .................................... b. Entnahmebereich für Personalbedarf (Personalentnahmen) ............................................................. c. Entnahmebereich für Zwecke unentgeltlicher Bedarfsdeckung dritter Personen .......................................... Unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten ...... Das Verwalten von Beteiligungen und Wertpapieren in wirtschaftlichen Bereichen ........................................................... Schadensereignisse zum Nachteil des Steuerpflichtigen und Schädigungen durch den Steuerpflichtigen .................................. Unentgeltliche Zuwendungen für Unternehmenszwecke ............

150 152 155 156 158 158 159 160 161 164 166 167 170 172 172 176 179

XIX

Inhaltsverzeichnis

IV. 1. 2. 3. 4.

Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter.............................................................................. Gesellschafterbeiträge gegen Gewinnbeteiligung........................ Offene Einlagen in Geld gegen Gewährung von Gesellschafterrechten ................................................................... Offene Sacheinlagen gegen Gewährung von Gesellschafterrechten ................................................................... Verdeckte Einlage ohne korrespondierende Gewährung von Gesellschafterrechten ...................................................................

5. Kapitel: Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen ........................................................................................... I. II. 1. 2. 3. 4. 5.

Grundsätzliche Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen .................................................................................. Rechtfertigung der Nicht-Steuerbarkeit von Entnahmen ...... Unionsrechtliche Entnahmetatbestände sind nach ihrer Gleichstellungsfunktion eng auszulegen ...................................... Systematische Beziehungen der Entnahmetatbestände stehen nicht entgegen .............................................................................. Traditionell weite Auslegung der deutschen Entnahmetatbestände steht nicht entgegen .................................. VNLTO-Entscheidung bestätigt die Überlegungen ...................... Zwischenergebnis .........................................................................

183 187 191 194 198

201 202 203 205 209 212 214 215

6. Kapitel: Kein Vorsteuerabzug und Aufteilung gemischter Eingangsleistungen.............................................................................

217

I.

Keine Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts .........................

217

II. 1.

Aufteilung trennbar gemischter Eingangsleistungen ............. Grundsatz der Aufteilung und Ausschluss des SeelingModells ......................................................................................... Keine Geltung der Sonderregelung für gemischt genutzte Grundstücke ................................................................................. Aufteilungsmaßstab nach § 15 Abs. 4 UStG analog .................... Bedenken gegen die Ungleichbehandlung im Vergleich zum Seeling-Modell ............................................................................. a. Rechtsgrundlage und Bedeutung des unionsrechtlichen Gleichheitssatzes ...................................................................

221

2. 3. 4.

XX

222 224 225 230 230

Inhaltsverzeichnis

b. Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte................ c. Keine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung .................... d. Rechtsfolge: Aufgabe statt Erweiterung des SeelingModells ist vorzugswürdig .................................................... III. 1. 2.

3. 4.

5.

Aufteilung untrennbar gemischter Eingangsleistungen nach ihrem jeweiligen Verwendungswert ................................ Anwendungsfall: Pkw-Anschaffung durch eine Gemeinde gegen Werbeleistung mit Baraufgabe .......................................... Erste Ansicht: Kein Vorsteuerabzug ............................................. a. Fehlender denkbarer Aufteilungsmaßstab verbietet den Vorsteuerabzug ...................................................................... b. Wirtschaftliche Zurechnung zum hoheitlichen Bereich verbietet den Vorsteuerabzug ................................................ Zweite Ansicht: Voller Vorsteuerabzug ........................................ Vermittelnde Ansichten: Teilweiser Vorsteuerabzug.................... a. Vorsteuerabzug nach Maßgabe des tauschähnlichen Umsatzes ............................................................................... b. Vorsteuerabzug nach Maßgabe eines (fiktiven) Umsatzschlüssels................................................................... Eigene Ansicht: Teilweiser Vorsteuerabzug nach dem wirtschaftlichen Verwendungswert der Eingangsleistung ........... a. Sachgerechte Methoden zur Bestimmung der isolierten Verwendungswerte ................................................................ b. Bedenken gegen anteiligen Vorsteuerabzug bei Verlusten im wirtschaftlichen Bereich ..................................................

7. Kapitel: Vorsteuerberichtigung und Übertragung der Lennartz-Grundsätze ......................................................................... I.

II. 1. 2.

Vorsteuerberichtigung bei Erhöhung nichtwirtschaftlicher unternehmenseigener Verwendungsanteile ................................................................... Keine Vorsteuerberichtigung bei Erhöhung wirtschaftlicher Verwendungsanteile ....................................... Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL ist nicht anwendbar .................................................................................... Lennartz-Grundsätze sind auf Eingangsleistungen für rein nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke zu übertragen .....................................................................................

232 234 236 238 238 239 239 242 243 245 245 246 247 248 251

253

253 255 256 257

XXI

Inhaltsverzeichnis

3.

Lennartz-Grundsätze sind auf nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Verwendungsanteile gemischter Eingangsleistungen zu übertragen ............................................... Aktuelle Rechtslage ist vor übergeordneten Besteuerungsprinzipien teilweise bedenklich .............................. Ausweg: Konkrete wirtschaftliche (Mit-) Verwendung bei Leistungsbezug einplanen und nachweisen .................................

268

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse .........................

271

Stichwortregister .....................................................................................

279

4. 5.

XXII

259 263

Abbildungsverzeichnis Schaubild 1:  Die Sphärentheorie nach dem Sphärenurteil.................. Schaubild 2:  Bedeutung der Sphärentheorie für die Steuerbarkeit ..... Schaubild 3: Bedeutung der Sphärentheorie für die Entnahmebesteuerung für außerunternehmerische Zwecke ........................................................................... Schaubild 4:  Bedeutung der Sphärentheorie für den Vorsteuerabzug ............................................................... Schaubild 5:  Bedeutung der Sphärentheorie für das Zuordnungswahlrecht..................................................... Schaubild 6: Die neue Sphärentheorie ................................................ Schaubild 7: Vereinfachte Darstellung der neuen Sphärenunterscheidung .................................................. Schaubild 8: Das Verhältnis von Wirtschaftlichkeit zu Nachhaltigkeit und zu nachhaltiger Einnahmeerzielung ......................................................... Schaubild 9: Originär wirtschaftliche Tätigkeit gem. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 MwStSystRL ......... Schaubild 10: Originär wirtschaftliche Tätigkeit gem. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL .................. Schaubild 11: Abgeleitete wirtschaftliche Tätigkeit ............................. Schaubild 12: Abgrenzung von Einzeltätigkeiten gegenüber Tätigkeitsbereichen ........................................................ Schaubild 13: Sphärenzuordnung von nicht-wirtschaftlichen Einzeltätigkeiten ............................................................. Schaubild 14:  Das Unternehmen im Sinne der VNLTOEntscheidung .................................................................. Schaubild 15: Entnahmebereiche für unternehmensfremde Zwecke .... Schaubild 16: Qualifikation unselbstständiger Beteiligungsverwaltung ................................................. Schaubild 17: Unentgeltliche Zuwendungen für Zwecke des Unternehmens ................................................................ Schaubild 18: Zwitterstellung von offenen Sacheinlagen aus Gesellschaftersicht ......................................................... Schaubild 19: Offene Sacheinlage aus Gesellschaftssicht ....................

28 34

45 47 59 87 88

113 114 115 123 125 126 144 166 176 183 197 198 XXIII

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. a. D. a. E. a. F. ABl. EG ABl. EU Abs. Abschn. AEUV AG AktG Alt. Anm. AO Art. Aufl. Az. BB Beschl. BFH BFHE BFH/NV BGB BGBl BGH BK Steuerrecht BMF BR-DrS BStBl BT-DrS Buchst. BVerfG BVerfGE

andere Ansicht am angegebenen Ort außer Dienst am Ende alte Fassung Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Abschnitt Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesellschaft Aktiengesetz Alternative Anmerkung(en) Abgabenordnung Artikel Auflage Aktenzeichen Betriebs-Berater (Zeitschrift) Beschluss Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des BFH Sammlung amtlich nicht veröffentlicher Entscheidungen des BFH (Zeitschrift) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Basiskommentar Steuerrecht Bundesministerium der Finanzen Bundesrats-Drucksache Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache Buchstabe Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des BVerfG

XXV

Abkürzungsverzeichnis

bzw.

beziehungsweise

CE

CMLRev

Conseil d’État (oberstes französisches Verwaltungsgericht) Code général des impôts (französisches Steuergesetzbuch) EuGH-Entscheidung v. 6.10.1982, C-283/81, CILFIT, Slg 1982, I-3415 Common Market Law Review (Zeitschrift)

d. h. DB ders. DM DrS DStBl DStJG DStR DStRE DStZ

das heißt Der Betrieb (Zeitschrift) derselbe Deutsche Mark Drucksache Deutsches Steuerblatt (Zeitschrift) Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) DStR-Entscheidungsdienst (Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung (Zeitschrift)

EEG EFG EG EL EStG EStR EU EU-UStB EuGH EUV EWG

Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) Europäische Gemeinschaft Ergänzungslieferung Einkommensteuergesetz Einkommensteuer-Richtlinien Europäische Union EU-Umsatz-Steuer-Berater (Zeitschrift) Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

f. ff. FA FG Fn FS

folgende fortfolgende Finanzamt Finanzgericht Fußnote Festschrift

GA

Generalanwalt

CGI CILFIT

XXVI

Abkürzungsverzeichnis

GBl GesR GG ggf. GmbH GmbHG GmbH & Co.KG GRCh GrS GStB

Gesetzblatt Gesellschaftsrecht Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH & Compagnie Kommanditgesellschaft Charta der Grundrechte der EU Großer Senat Gestaltende Steuerberatung (Zeitschrift)

HS

Hermann, Carl/ Heuer, Gerhard/ Raupach, Arndt, Kommentar EStG/KStG Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift) Hauptverband der landwirtschaftlichen Buchstellen und Sachverständigen e.V. Halbsatz

i. d. F. i. e. S. i. H. v. i. S. v. i. S. d. i. V. m. i. w. S. insb. IStR

in der Fassung im engeren Sinn in Höhe von im Sinne von im Sinne des in Verbindung mit im weiteren Sinn insbesondere Internationales Steuerrecht (Zeitschrift)

JbStR JbFfSt JStG jurisPR-SteuerR JZ

Jahrbuch des Steuerrechts Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Jahressteuergesetz juris PraxisReport Steuerrecht (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift)

Kfz Kodex ÖstUStG

Kraftfahrzeug UStG: Richtlinienkommentar, Reihe: Kodex des österreichischen Rechts Kommentiertes Steuerrecht direkt (Zeitschrift) Körperschaftsteuergesetz

H/H/R HFR HLBS

KSR direkt KStG

XXVII

Abkürzungsverzeichnis

Landesorg. lit.

Landesorganisation littera (lat.: Buchstabe)

m. w. N. MPI MünchKomm, BGB

mit weiteren Nachweisen Max-Planck-Institut Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch Durchführungsverordnung zur Mehrwertsteuersystemrichtlinie Nr. 282/2011 v. 15.3.2011, Abl. EU 2011, L 77/1 Mehrwertsteuersystemrichtlinie Vorschlag der Kommission zur Änderung der MwStSystRL v. 7.11.2007, KOM(2007) 677 endgültig, juris-DokNr. 52007PC0677 (insb. neuer Art. 168a)

MünchenKomm, HGB MwSt-DVO

MwStSystRL MwStSystRL-E

n. F. NJW Nr. NStZ NWB

neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Wirtschafts-Briefe (Zeitschrift)

OFD ÖstUStG ÖStZ

Oberfinanzdirektion Österreichisches Umsatzsteuergesetz Österreichische Steuerzeitung (Zeitschrift)

PC Pkw

Personal Computer Personenkraftwagen

R/D/F/G

Rau/ Dürrwächter/ Flick/ Geist, Umsatzsteuergesetz – Kommentar Revue de Droit Fiscal (französische Zeitschrift) Reichsfinanzhof Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des RFH Reichsgesetzblatt Revue de Jursiprudence Fiscale (französische Zeitschrift) Richtlinie

RDF RFH RFHE RGBl RJF RL XXVIII

Abkürzungsverzeichnis

Rn Rs. Rspr. RStBl RStempelG RT-DrS

Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Reichssteuerblatt Reichsstempelgesetz Reichstags-Drucksache

S. Schrb. Slg. sog. Stbg StBp StEntlG SteuerStud StuW SWI

Seite oder Satz Schreiben Sammlung der Rechtsprechung des EuGH so genannt (-e, er, es) Die Steuerberatung (Zeitschrift) Die Steuerliche Betriebsprüfung (Zeitschrift) Steuerentlastungsgesetz Steuer und Studium (Zeitschrift) Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Steuer und Wirtschaft International (österreichische Zeitschrift)

TVA

Taxe sur la valeur ajoutée (franz.: Mehrwertsteuer)

u. a. Unterabs. UR USt UStAE UStB UStDV UStG UVR

unter anderem Unterabsatz Umsatzsteuerrundschau (Zeitschrift) Umsatzsteuer Umsatzsteueranwendungserlass Der Umsatz-Steuer-Berater (Zeitschrift) Umsatzsteuerdurchführungsverordnung Umsatzsteuergesetz Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht (Zeitschrift) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

UWG v. VAT VAT-Monitor vgl. VNLTO

vom Value Added Tax (engl.: Mehrwertsteuer) International VAT Monitor (Zeitschrift) vergleiche Vereniging Noordelijke Landen Tuinbouw Organisatie (EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, Slg 2009, I-839) XXIX

Abkürzungsverzeichnis

wistra

Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht

z. B. Ziff. ZSteu

zum Beispiel Ziffer Zeitschrift für Steuern & Recht

XXX

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XLVI

Einleitung I.

Status quo nach der VNLTO-Entscheidung

Bis ins Mark erschütterte der EuGH mit seiner Entscheidung in Sachen VNLTO1 das deutsche Verständnis des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems. Mit wenigen Worten beseitigte er jahrzehntelang gefestigte Rechtsprechung des BFH. Auf den ersten Blick ist die Entscheidung eher unscheinbar. Sie verlangt im Ergebnis nur die Aufteilung gemischter Eingangsleistungen für den Vorsteuerabzug. Solche teilweise Vorsteuerabzugsberechtigung sieht das Mehrwertsteuerrecht beispielsweise auch für gemischt (unecht) steuerfreie und steuerpflichtige Umsätze vor, vgl. Art. 173 ff. MwStSystRL. Die Brisanz des Urteils erschließt sich erst aus den Entscheidungsgründen, speziell den Ausführungen des EuGH zum Zuordnungswahlrecht. Ein Agrarverein aus den Niederlanden hatte auf Gewährung des vollen Vorsteuerabzugs für seine gemischten Eingangsleistungen geklagt. Er hatte diese einerseits zur Wahrnehmung der allgemeinen Interessen seiner Mitglieder (ideelle Tätigkeit) genutzt und andererseits für entgeltliche Dienstleistungen gegenüber seinen Mitgliedern und Dritten (wirtschaftliche Tätigkeit). Der EuGH ließ nur einen anteiligen Vorsteuerabzug entsprechend der wirtschaftlichen Mitverwendung zu. Es stellte sich jedoch die Frage nach dem Zuordnungswahlrecht, wie es der EuGH in ständiger Rechtsprechung für gemischt wirtschaftlich und privat genutzte Investitionsgüter gewährt.2 Bei voller Zuordnung zum wirtschaftlichen Bereich hätte ein volles Vorsteuerabzugsrecht bestehen müssen. Die ideellen Verwendungsanteile hätten eine Verwendungsentnahmebesteuerung „allgemein für unternehmensfremde Zwecke“ ausgelöst, Art. 26 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL. Das aber verneinte der EuGH, weil die ideelle Tätigkeit der Hauptzweck des Agrarvereins und deswegen nicht unternehmensfremd sei.3 Damit entzog der EuGH der Sphärentheorie in ihrer bisherigen Form den Boden, die seit dem Sphärenurteil des BFH4 als Fundamentalprinzip des deutschen Umsatzsteuersystems gegolten hatte. Nach der Sphärentheorie hat

1 2

3 4

EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. Der Steuerpflichtige kann sie insbesondere vollständig seinem wirtschaftlichen Bereich zuordnen und dadurch den vollen Vorsteuerabzug erreichen, vgl. EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu unten S. 32. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39. BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524.

1

Einleitung

jeder Unternehmer eine unternehmerische und eine nicht-unternehmerische Sphäre.5 Die ideelle Tätigkeit lässt sich nun weder der unternehmerischen noch der nicht-unternehmerischen Sphäre zuordnen. Sie ist mangels Entgeltlichkeit nicht unternehmerisch im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 UStG. Sie liegt aber mangels Verfolgung unternehmensfremder Zwecke auch nicht außerhalb des Unternehmens im Sinne von § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG. Die deutsche Umsatzsteuerliteratur reagierte entsprechend heftig: Die einen halten die Urteilsbegründung für verfehlt und sprechen ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung ab.6 Der EuGH habe bisher unternehmerische Tätigkeit und wirtschaftliche Tätigkeit als Synonym verwendet. Daher müssen ideelle Tätigkeiten gleichermaßen unternehmensfremd sein wie private Tätigkeiten. Andere wollen sich von der Sphärentheorie lösen.7 Denn der Mehrwertsteuersystemrichtlinie sei in ihrer Auslegung durch den EuGH ein nach starren Sphären unterscheidendes Modell fremd. Überwiegend müht man sich jedoch um einen Neuanfang und den Aufbau eines neuen Systemmodells,8 so auch die vorliegende Arbeit. Das komplexe Mehrwertsteuersystem kann ein Sphärenmodell nicht entbehren. Einzelvorgänge müssen zu Tätigkeitssphären zusammenfasst und einheitlich qualifiziert werden. Erst das garantiert eine einheitliche 5

6 7

8

2

In der unternehmerischen Sphäre sind Ausgangleistungen steuerbar, Eingangsleistungen berechtigen zum Vorsteuerabzug und die unentgeltliche Inanspruchnahme von Ressourcen oder Leistungen aus dem unternehmerischen Bereich löst keine Entnahmebesteuerung aus. In der nicht-unternehmerischen Sphäre sind Ausgangleistungen nicht steuerbar, Eingangsleistungen berechtigen nicht zum Vorsteuerabzug und die unentgeltliche Inanspruchnahme von Ressourcen oder Leistungen aus dem unternehmerischen Bereich ist als Entnahme zu besteuern. Wäger, DB 2012, 1288, 1293 f.; ders. JbFfSt 10/11, 649, 653, der das Urteil nur im Ergebnis für zutreffend hält; vgl. auch Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1512. Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 33; Korf/Kurtz, UR 2010, 86, 102 f.; schon vor der VNLTO-Entscheidung: Korf, IStR 2008, 294 f., aus Anlass der Securenta-Entscheidung (EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Slg 2008, I-1597); Grünwald, DStR 2005, 1377, 1378 ff., der die Rechtsprechung des EuGH zu gemischt tätigen Holdings und zur Ausgabe von Aktien für unvereinbar mit der Sphärentheorie hält; ebenso von Streit, UR 2003, 1. Lippross, DStZ 2012, 320, 324, 328, 331; Reiß, UR 2010, 797, 804 f.; Sterzinger, UR 2010, 125, 131; Korf, DB 2009, 758, 763; Korf/Kurtz, UR 2010, 86, 98, 100; Lohse, IStR 2009, 486, 487; Korn, DStR 2009, 372, 373; Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1509; Slapio/Erdbrügger, EU-UStB 2009, 26, 30; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 300a; Widmann in Vogel/Schwarz, UStG, § 15 Rn 100; Janzen in Lippross, BK Steuerrecht, UStG, § 15 Rn 61 f.; auch BFH v. 29.6.2010, V B 160/08, BFH/NV 2010, 1876, unter 1.a).

Status quo nach der VNLTO-Entscheidung

mehrwertsteuerliche Behandlung und damit eine gleichmäßige Besteuerung. Ohne Sphärenmodell müsste für jeden Einzelvorgang grundsätzlich neu entschieden werden. Beispielsweise wäre die Vorsteuerabzugsberechtigung völlig offen, wenn ein Steuerpflichtiger Aufwand für ein zu Finanzierungszwecken unterhaltenes Aktiendepot tätigt. Das FA Berlin könnte auf die Nicht-Wirtschaftlichkeit des Dividendenbezugs9 abstellen und den Vorsteuerabzug versagen. Denn die Aufwendungen stehen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit dem Dividendenbezug. Das FA München könnte den Vorsteuerabzug aus allgemeinen Kosten gewähren. Wegen der Finanzierungsfunktion bei der wirtschaftlichen Tätigkeit lässt sich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zu der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit begründen. Ordnet man dagegen die Beteiligungsverwaltung einer Sphäre zu, bestimmt sich der Vorsteuerabzug nach dieser Sphärenzuordnung. Die Sphärentheorie des BFH erscheint an sich als der richtige Ansatz. Aber sie wurde den Neuerungen der Zeit nicht angepasst. Inhaltlich ist sie auf dem Stand des Sphärenurteils von 1984.10 Sie vermag – um nur ein Beispiel zu nennen – die mehrwertsteuerliche Behandlung der Ausgabe von Gesellschaftsanteilen schon lange nicht mehr zu erklären.11 Die VNLTOEntscheidung12 legt nun einen neuen Bruch offen und verlangt eine Generalüberholung des Modells.

9

Dividenden sind nicht Entgelt für eine Leistung und daher nicht-wirtschaftlich, eingehend unten S. 148 ff. 10 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524. 11 Nach der traditionellen Sphärentheorie besteht kein Recht zum Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen im Zusammenhang mit nicht-unternehmerischen im Sinne von nicht-wirtschaftlichen Tätigkeiten. Die Ausgabe von Gesellschaftsanteilen ist ein nicht-unternehmerischer Vorgang. Gleichwohl gewährt der EuGH den Vorsteuerabzug für damit zusammenhängende Aufwendungen. Vgl. EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 28 f.; v. 26.05.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 36 ff.; vgl. zu diesem Widerspruch auch Korf, IStR 2008, 294, 295; Grünwald, DStR 2005, 1377, 1380. 12 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839.

3

Einleitung

II. Innovative Ansätze und Kernfragen der Arbeit Vor diesem Hintergrund stellen sich zunächst vier grundsätzliche Systemfragen, nämlich: Wie lässt sich die Sphärentheorie zu einem unionsrechtskonformen Modell weiterentwickeln? Wie kann der Unternehmensbegriff des nationalen Umsatzsteuergesetzes den unionsrechtlichen Vorgaben angepasst werden? Welche Bedeutung und welchen Anwendungsbereich hat das Zuordnungswahlrecht unter Zugrundelegung des neuen Systemverständnisses? Und wie sind nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten, die dennoch ein Recht zum Vorsteuerabzug eröffnen können, dogmatisch einzuordnen? Anzufangen ist bei der Entwicklung eines neuen Sphärenmodells. Dazu gibt es bereits mehrere Vorschläge in der Literatur. Nach dem ersten Vorschlag muss die Sphärentheorie um eine dritte Sphäre erweitert werden, die „nicht unternehmerische und nicht unternehmensfremde Sphäre“.13 Nach dem zweiten Vorschlag ist die unternehmerische Sphäre weiter als bisher zu verstehen und soll sowohl wirtschaftliche als auch nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten umfassen.14 Nach dem dritten Vorschlag soll innerhalb der nichtunternehmerischen Sphäre zwischen satzungsgemäßen nichtwirtschaftlichen und unternehmensfremden Tätigkeiten differenziert werden.15 Die Arbeit weicht, soweit ersichtlich, von allen vorgeschlagenen Modellen ab. Sie unterscheidet auf erster Stufe zwischen der wirtschaftlichen und selbstständigen Tätigkeitssphäre einerseits und der nichtwirtschaftlichen oder nicht-selbstständigen Tätigkeitssphäre andererseits. Auf zweiter Stufe differenziert sie zwischen der unternehmenseigenen und unternehmensfremden Sphäre. Nach diesem neuen Modell gehören ideelle Tätigkeiten zur nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre des Steuerpflichtigen.

13 Korn, DStR 2009, 372, 373; Lippross, DStZ 2012, 320, 324, 328, 331; vgl. auch Widmann in Vogel/Schwarz, UStG, § 15 Rn 100; Janzen in Lippross, BK Steuerrecht, UStG, § 15 Rn 61 f. 14 Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 300a; Slapio/Erdbrügger, EUUStB 2009, 26, 30; Korf, DB 2009, 758, 763; Korf/Kurtz, UR 2010, 86, 98, 100; Sterzinger, UR 2010, 125, 131; Lohse, IStR 2009, 486, 487; vgl. auch BFH v. 29.6.2010, V B 160/08, BFH/NV 2010, 1876, unter 1.a). 15 Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1509; vgl. auch Reiß, UR 2010, 797, 804; Wäger, DStR 2011, 433, 437.

4

Innovative Ansätze und Kernfragen der Arbeit Schaubild 6:

Die neue Sphärentheorie16

„als Steuerpflichtiger“ = wirtschaftliche und selbstständige Sphäre

„nicht als Steuerpflichtiger“ = nicht-wirtschaftliche oder nicht-selbstständige Sphäre

(unternehmenseigen)

unternehmenseigen unternehmensfremd

Ļ - Ausgangsumsätze steuerbar - Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen - kein mögliches Entnahmeziel

Ļ

Ļ

- Ausgangsumsätze nicht steuerbar - kein Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen - kein mögliches Entnahmeziel

- mögliches Entnahmeziel

Das so abgebildete neue unionsrechtliche Systemverständnis verlangt zweitens die Anpassung des nationalen Umsatzsteuergesetzes, konkret seines Unternehmensbegriffs. Der Besteuerungstatbestand, die Entnahmetatbestände und der Vorsteuerabzugstatbestand legen ihn einheitlich als Schlüsselbegriff zugrunde. Nach den unionsrechtlichen Vorgaben bezeichnet er aber im Besteuerungstatbestand und im Vorsteuerabzugstatbestand nur die wirtschaftliche und selbstständige Tätigkeit des Steuerpflichtigen; in den Entnahmetatbeständen umfasst er dagegen auch nicht-wirtschaftliche, VNLTO-gleiche Tätigkeiten. Zwar lässt er sich jeweils richtlinienkonform und damit differenziert auslegen. Ungeklärt ist aber, ob Deutschland auf diese Weise seiner Umsetzungspflicht aus Art. 288 Abs. 3 AEUV genügt. Die insofern strengen Anforderungen des EuGH17 sprechen stark dagegen. Jedenfalls erscheint eine derartige differenzierende Auslegung unbefriedigend. Daraus folgt für das nationale Umsatzsteuergesetz ein umfassender terminologischer Anpassungsbedarf. Die Arbeit zeigt die verschiedenen

16 Vgl. S. 79 ff. 17 Vgl. EuGH v. 3.3.2011, C-50/09, Kommission/Irland, Slg 2011, I-873, Rn 46 f.; v. 12.7.2007, C-507/04, Kommission/Österreich, Slg 2007, I-5939, Rn 162, 278, 301, 317, 342; v. 10.5.2007, C-508/04, Kommission/Österreich, Slg 2007, I-3787, Rn 79; Schroeder, in Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn 95.

5

Einleitung

Möglichkeiten auf und gibt im Ergebnis der unionsrechtlichen Terminologie den Vorzug.18 Neue Fragen wirft drittens das Zuordnungswahlrecht für gemischte Eingangsleistungen auf. Wenn der EuGH in diesem Zusammenhang von einer Zuordnung zum Unternehmen spricht, meint er nur das wirtschaftlichen Zwecken dienende Unternehmensvermögen.19 Hierüber besteht noch weitgehend Einigkeit.20 Umstritten ist dagegen, ob die VNLTOEntscheidung21 bei gemischt wirtschaftlicher und ideeller Verwendung das Zuordnungswahlrecht ausschließt oder nur die volle Vorsteuerabzugsberechtigung.22 Die Urteilsgründe sprechen gegen die Gewährung des Zuordnungswahlrechts. Anderenfalls ließe sich die VNLTO-Entscheidung23 im nationalen Recht auch nicht mehr abbilden, weil die Unternehmenszuordnung nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG dem Grunde und der Höhe nach ein Vorsteuerabzugsrecht für die ideellen Verwendungsanteile eröffnen würde. Das Hauptproblem in diesem Zusammenhang wird jedoch noch kaum diskutiert: Private Verwendungsanteile gemischter Eingangsleistungen sind auf Grund der Möglichkeit zum vollen Vorsteuerabzug mit sukzessiver Entnahmebesteuerung gegenüber ideellen Verwendungsanteilen (SeelingModell24) privilegiert. Das bedarf vor dem unionsrechtlichen Gleichheitssatz der Rechtfertigung. Worin diese bestehen soll ist fraglich, zumal ideelle Tätigkeiten der wirtschaftlichen Tätigkeit näher stehen als unternehmensfremde. Der EuGH sollte deswegen das Seeling-Modell aufgeben. Dafür würde es genügen, wenn er private Entnahmeumsätze nicht mehr als

18 Vgl. S. 89 ff. 19 Vgl. S. 102 f. 20 Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 79 ff.; Lohse, BB 2009, 1681, 1682; Reiß, UR 2010, 797, 805 f.; vgl. auch Wäger, DB 2012, 1288, 1293. 21 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 22 Für Ausschluss des Zuordnungswahlrechts: Reiß, UR 2010, 797, 805 f.; Lohse, IStR 2009, 486 f.; Ehrke-Rabel, ÖStZ 2010, 97, 100; Swinkels, VAT Monitor 2010, 194, 195. Gegen Ausschluss des Zuordnungswahlrechts: Küffner/von Streit, DStR 2012, 581 ff., 586 f.; Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 78 ff., insb. S. 84 ff. Der Streit wirkt sich bei nachträglicher Erhöhung des wirtschaftlichen Verwendungsanteils aus. Nur eine Zuordnung zum (wirtschaftlichen Zwecken dienenden) Unternehmensvermögen würde eine Vorsteuerberichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen ermöglichen, vgl. dazu S. 223 f., 255 ff., S. 259 ff. 23 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 24 Eingehend S. 32 f.

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Innovative Ansätze und Kernfragen der Arbeit

steuerbare Umsätze im Sinne von Art. 168 lit. a) MwStSystRL verstehen würde.25 Einer grundlegenden Auseinandersetzung bedürfen viertens Vorgänge, die als solches nicht-wirtschaftlich und daher nicht steuerbar sind, aber dennoch ein Recht zum Vorsteuerabzug eröffnen können. Ein typisches Beispiel ist die Ausgabe neuer Gesellschaftsanteile.26 Die Problematik bestand zwar schon vor der VNLTO-Entscheidung, wurde aber im Kontext der Sphärentheorie bisher nicht aufgearbeitet. In der Arbeit werden diese Vorgänge als unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten bezeichnet. Sie begründen trotz ihrer Nicht-Wirtschaftlichkeit keinen nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich, sondern müssen einem bestehenden Tätigkeitsbereich zugeordnet werden. Bei einer Zuordnung zu einem wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich kann dann ein Recht zum Vorsteuerabzug entstehen. Die Arbeit entwickelt die maßgeblichen Abgrenzungskriterien solcher unselbstständigen Einzeltätigkeiten zu nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereichen.27 Nach Klärung dieser vier Systemfragen liegt der Fokus des Zweiten Teils der Arbeit auf der neuen nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre. Ihren Anwendungsbereich umschreibt die Rechtspraxis bisher nur anhand von Beispielen. Die allgemeinen Abgrenzungsmaßstäbe sind unklar. Sie sollen in der Arbeit anhand der EuGH-Rechtsprechung entwickelt werden.28 Dabei kann für die Nicht-Wirtschaftlichkeit weitgehend auf gesicherte Erkenntnisse zurückgegriffen werden. Dagegen steht die Abgrenzung zur unternehmensfremden Sphäre und zu unselbstständigen nicht-wirtschaftlichen Einzeltätigkeiten erst am Anfang. Auf Grundlage der gewonnen Erkenntnisse lassen sich vier Arten nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche ausmachen: der ideelle Bereich, der hoheitliche Bereich ohne Wettbewerbsrelevanz, bloße Vermögensverwaltung einschließlich bloßer Beteiligungsverwaltung und echtes Factoring mit zahlungsgestörten Forderungen auf Seiten des Factors.29 In zwei jüngeren Entscheidungen hat der BFH darüber hinaus das bewusste Leerstehenlassen

25 Vgl. S. 230 ff. 26 EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 27 ff.; v. 26.05.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 22 ff.; v. 26.6.2003, C-442/01, KapHag, Slg 2003, I-6851, Rn 39 ff. 27 Vgl. S. 124 ff. 28 Vgl. 3. Kapitel, S. 107 ff. 29 Vgl. S. 145 ff.

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Einleitung

eines Gebäudes30 und steuerbare unentgeltliche Zuwendungen gem. § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG31 als nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Tätigkeiten qualifiziert. Das ist mit den hier entwickelten Abgrenzungsmaßstäben nicht vereinbar.32 Eine „Entnahme“ in die nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Sphäre ist nach der VNLTO-Entscheidung33 grundsätzlich ausgeschlossen. Hiergegen richtet sich im Kern die Kritik der Literatur.34 Die einzige denkbare Erklärung für diese Beurteilung sieht sie darin, dass der EuGH die Folgen des Zuordnungs- und des damit verbundenen Vorsteuerwahlrechts einschränken wollte. Es gibt jedoch noch eine andere, letztlich überzeugendere Erklärung: Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie könnte unternehmensfremden Endverbrauch und vom Satzungszweck noch erfassten Endverbrauch qualitativ unterschiedlich werten. Dieser qualitative Unterschied vermag die Privilegierung bei der Entnahmebesteuerung zu rechtfertigen. Der EuGH hat damit dem französischen Verständnis den Vorrang gegenüber dem deutschen eingeräumt. Denn das französische Mehrwertsteuerrecht kannte schon vorher nicht-wirtschaftliche Bereiche innerhalb des Unternehmens.35 Weitere Rechtsfragen ergeben sich bei der Aufteilung gemischter Eingangsleistungen für wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke.36 Der EuGH hat insofern seine frühere Rechtsprechung37 aufgegeben, wonach Finanzholdings den vollen Vorsteuerabzug für ihre gemischten Eingangsleistungen beanspruchen konnten. Das wurde bisher nur selten festgestellt.38 Als Aufteilungsmaßstab zieht die deutsche

30 BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.4.b). 31 BFH v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.1.c), II.1.d)aa) mit Verweis auf EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 32 Vgl. S. 161 ff., S. 179 ff. 33 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 34 Wäger, JbFfSt 10/11, S. 649, 653; ders., UR 2012, 25, 27; Reiß, UR 2010, 797, 805; Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 35, 81; Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 1112.4; Wäger, DB 2012, 1288, 1293 f.; Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1509. 35 Vgl. S. 203 ff.; zu nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Tätigkeiten im französischen Mehrwertsteuerrecht Pull, UR 2012, 701 ff. 36 Vgl. S. 221 ff. 37 EuGH v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 54, 64; v. 22.6.1993, C-333/91, Sofitam, Slg 1993, I-3513, Rn 14. 38 Insbesondere von Klenk, UR 2012, 663, 664 f.; vgl. S. 222 f.

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Innovative Ansätze und Kernfragen der Arbeit

Rechtspraxis § 15 Abs. 4 UStG analog heran.39 Der EuGH hat jedoch die Anwendung der entsprechenden unionsrechtlichen Regelung in Art. 173 MwStSystRL ausdrücklich abgelehnt.40 Diesen scheinbaren Widerspruch löst die vorliegende Arbeit auf.41 Weiterhin gibt die Problematik der Vorsteueraufteilung bei untrennbar gemischt genutzten Eingangsleistungen Anlass für kontroverse Einzelfalldiskussionen. Hier soll eine allgemeine Lösung gefunden werden. Der Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei, dass die Mehrwertsteuersystemrichtlinie zwingend eine Aufteilung nach Verwendungsanteilen vorsieht. Kann man diese Verwendungsanteile nicht quantifizieren, so bleibt nur die Möglichkeit, sie zu bewerten. Die Schwierigkeit liegt dann in der Bestimmung des Verwendungswertes einer Eingangsleistung.42 Schließlich steht in Frage, ob für Eingangsleistungen in der nichtwirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre die Lennartz-Grundsätze43 gelten. Mit anderen Worten: Können nachträgliche wirtschaftliche Verwendungsanteile ein Recht zum Vorsteuerabzug eröffnen? Das ist stark umstritten.44 Die EuGH-Rechtsprechung spricht jedoch dagegen. Der in diesem Zusammenhang angemahnte Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz45 wird näher untersucht. Für den Steuerpflichtigen stellt sich darüber hinaus die Frage, inwieweit er sich den Vorsteuerabzug mittels einer zukünftigen wirtschaftlichen Verwendungsabsicht sichern kann.46

39 BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II.3.; v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.6.; v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.5.; v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, unter II.3.; Englisch, USt-Kongress-Bericht, 2010, S. 25, 73 f.; Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 155; ders., UR 2010, 797, 807; Robisch, UR 2008, 881, 882. 40 EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 33. 41 Vgl. S. 226 f. 42 Vgl. S. 238 ff. 43 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, dazu unten S. 30 f. 44 Ausführlich unten S. 255 ff. 45 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 1388; wohl auch Radeisen, Stbg 2012, 49, 55; Küffner/von Streit, DStR 2012, 581, 582 f.; Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 86. 46 Vgl. S. 268 ff.

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Einleitung

III. Gang der Darstellung Der Erste Teil der Arbeit widmet sich der Sphärentheorie als Systemmodell. Das 1. Kapitel gibt zunächst einen Überblick über ihre historische Entwicklung und ihre traditionelle Bedeutung im nationalen Umsatzsteuersystem. Ihre dreifache Systemrelevanz für die Steuerbarkeit, die Entnahmebesteuerung und den Vorsteuerabzug wird ebenso wie ihre mittelbaren Auswirkungen auf die Berücksichtigungsfähigkeit nachträglicher unternehmerischer Verwendungsanteile und auf das Zuordnungswahlrecht veranschaulicht. Das 2. Kapitel stellt ihre jüngeren Entwicklungen seit der VNLTO-Entscheidung dar. Es wird ein Überblick über die aktuelle BFHRechtsprechung zur Sphärentheorie gegeben. Das Hauptaugenmerk liegt sodann auf der Fortentwicklung der Sphärentheorie zu einem neuen unionsrechtskonformen Systemmodell. Dabei werden die entsprechenden Vorschläge aus der Literatur ausgewertet und das insofern fortschrittlichere französische Systemverständnis herangezogen. Der letzte Abschnitt behandelt die Auswirkungen des neuen Systemverständnisses auf den Unternehmensbegriff. Insbesondere wird aufgezeigt, dass der Unternehmensbegriff im deutschen Umsatzsteuergesetz differenziert ausgelegt werden muss und dass der Gesetzgeber dies durch Übernahme der unionsrechtlichen Terminologie klarstellen sollte. Der Zweite Teil der Arbeit behandelt die neue Sphäre nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeiten. Zunächst geht es um ihre Reichweite. Im 3. Kapitel werden die maßgeblichen Abgrenzungsmaßstäbe herausgearbeitet: Demnach darf erstens die Tätigkeit keine wirtschaftliche im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL sein. Hier wird insbesondere untersucht, welche Bedeutung Nachhaltigkeit für die Typusprüfung nach S. 1 der Vorschrift hat. Kritisch hinterfragt wird auch, ob eine auf einen Totalverlust angelegte Tätigkeit wirtschaftlich sein kann, was mit der herrschenden Lehre zu bejahen ist. Zweitens muss die Tätigkeit einen eigenständigen nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich begründen. Die Abgrenzung zu unselbstständigen nicht-wirtschaftlichen Einzeltätigkeiten wird hier erstmals dogmatisch aufgearbeitet. Drittens sind nichtwirtschaftliche unternehmenseigene Bereiche von unternehmensfremden Bereichen abzugrenzen. Maßgeblich dafür ist der Unternehmensbegriff der VNLTO-Entscheidung. Er wird eingehend untersucht und in einem Schaubild zusammengefasst. Das 4. Kapitel setzt die gewonnenen Erkenntnisse um und gibt einen systematischen Überblick über konkrete nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten. Im Zentrum stehen die bisher bekannten nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereiche. Ihnen werden 10

Gang der Darstellung

unternehmensfremde Bereiche und unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten gegenübergestellt. Gesondert dargestellt werden die vielfältigen Leistungsbeziehungen zwischen einer Gesellschaft und ihren Gesellschaftern. Die letzten drei Kapitel betreffen die Rechtsfolgenseite der nichtwirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre. Das 5. Kapitel untersucht die Nicht-Steuerbarkeit von Ausgangsleistungen und von Entnahmen. Es wird nachvollzogen, warum der EuGH in der VNLTO-Entscheidung eine Entnahmebesteuerung für ideelle Zwecke abgelehnt hat. Die heftige Kritik an der Entscheidung wird dabei weitgehend entkräftet. Das 6. Kapitel behandelt die Fragen des Vorsteuerabzugs. Zunächst geht es um Eingangsleistungen zu rein nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Zwecken. Sie berechtigen per definitionem nicht zum Vorsteuerabzug und zwar auch nicht aus allgemeinen Kosten. Es folgt die Behandlung trennbar gemischter Eingangsleistungen für wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke. Sie eröffnen nur hinsichtlich des wirtschaftlichen Verwendungsanteils ein Recht zum Vorsteuerabzug. Geprüft wird insofern auch ein Verstoß gegen den unionsrechtlichen Gleichheitssatz im Vergleich zum Seeling-Modell. Schließlich untersucht das 7. Kapitel, in welchen Fällen eine Vorsteuerberichtigung erfolgen muss, wenn eine Eingangsleistung nachträglich mehr oder weniger in der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre verwendet wird. Dabei wird insbesondere aufgezeigt, dass die Lennartz-Rechtsprechung des EuGH47 auf Leistungsbezüge in der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre übertragen werden muss und welche Probleme sich daraus ergeben.

47 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, dazu unten S. 30 f.

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1. Kapitel: Die traditionelle Sphärentheorie im nationalen Umsatzsteuerrecht Die hergebrachte Sphärentheorie ist das Grundgerüst des deutschen Umsatzsteuersystems, das Abbild seiner zentralen Systematik. Sie ordnet alle Tätigkeiten eines Steuerpflichtigen einer von zwei Sphären zu – der unternehmerischen oder der nicht-unternehmerischen. Die unternehmerische Sphäre umfasst alle Tätigkeiten, die ihrer Art nach1 in den Anwendungsbereich des Umsatzsteuerrechts fallen. Die nicht-unternehmerische Sphäre bilden alle anderen Tätigkeiten. Mit der Sphärenzuordnung eines Vorgangs sind die grundlegenden Fragen seiner mehrwertsteuerlichen Behandlung beantwortet. Ein Blick zurück zu den historischen Hintergründen und Weichenstellungen für die Sphärentheorie ist für ihr Verständnis unverzichtbar (unter I.). Systemrelevante Bedeutung hat die Sphärentheorie im Besteuerungstatbestand, in den Entnahmetatbeständen für außerunternehmerische Zwecke und im Vorsteuerabzugstatbestand. Im Besteuerungstatbestand grenzt sie die steuerbare Sphäre von der nicht-steuerbaren Sphäre ab (unter II.). In den Entnahmetatbeständen für außerunternehmerische Zwecke qualifiziert sie alle Tätigkeitsbereiche in der nicht-unternehmerischen Sphäre als potenzielles Entnahmeziel (unter III.). Und im Vorsteuerabzugstatbestand grenzt sie die Sphäre mit Vorsteuerabzugsberechtigung dem Grunde nach von der Sphäre ohne Vorsteuerabzugsberechtigung ab (unter IV.). Darüber hinaus hat die Sphärenunterscheidung weitreichende mittelbare Auswirkungen.2 Zwei davon haben große praktische Relevanz: Das ist zum einen die Problematik einer Vorsteuerkorrektur bei nachträglichem Sphärenwechsel. Insbesondere ist nach ständiger EuGH-Rechtsprechung eine Vorsteuerberichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen ausgeschlossen,

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Auch ausländische Umsätze gehören ihrer Art nach zur unternehmerischen Sphäre, liegen aber räumlich außerhalb des Anwendungsbereichs des Umsatzsteuerrechts, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG. Beispielsweise ist der Ort einer Dienstleistung davon abhängig, ob der Empfänger die Leistung in seiner unternehmerischen oder nicht-unternehmerischen Sphäre bezieht, vgl. § 3a Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 S. 1 UStG. Eine Pflicht zur Ausstellung von Rechnungen kommt nur in der unternehmerischen Sphäre in Betracht, § 14 Abs. 2 UStG. Aufzeichnungspflichten bestehen für Ausgangsleistungen und Leistungsbezüge in der unternehmerischen Sphäre und unentgeltliche Leistungen in die nicht-unternehmerische Sphäre, § 22 Abs. 2 Nr. 1., Nr. 3., Nr. 5 UStG.

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Die traditionelle Sphärentheorie

wenn eine im Privatbereich bezogene Eingangsleistung nachträglich unternehmerisch verwendet wird.3 Nach der Sphärentheorie muss dies für alle Leistungsbezüge in der nicht-unternehmerischen Sphäre gelten (unter IV.3.). Zum anderen gewährt der EuGH ein Zuordnungswahlrecht und damit einhergehendes Vorsteuerwahlrecht für gemischt unternehmerisch und privat verwendete Investitionsgüter. Nach der traditionellen Sphärentheorie ist dieses Zuordnungswahlrecht auch auf andere Formen nichtunternehmerischer Mitverwendung anzuwenden, beispielsweise im ideellen Bereich (unter V.).

I.

Grundlagen

Die grundsätzliche Unterscheidung von Tätigkeitsbereichen ist keine Erfindung des Sphärenurteils des BFH.4 Die Geschichte der Sphärenunterscheidung ist viel älter. Schon der Warenumsatzstempel von 1916 unterschied für die Steuerbarkeit systematisch zwischen betrieblichen und nicht-betrieblichen Geschäften. Die nachfolgenden Umsatzsteuersysteme übernahmen diese Sphärenunterscheidung und entwickelten sie fort, bis in das heutige Netto-Allphasen-System mit Vorsteuerabzug (unter 1.). Auf dieser historisch gewachsenen Grundlage erklärte der BFH 1984 die Sphärentheorie zum Systemmodell für das deutsche Umsatzsteuerrecht (unter 2.). Ihre weitere Entwicklung war dann – auch schon vor der VNLTOEntscheidung5 – von der Rechtsprechung des EuGH geprägt (unter 3.).

1.

Historische Hintergründe

Die Geschichte der Sphärentheorie beginnt mit dem Warenumsatzstempel (1916-1918).6 Sein Vorgänger, das Bremer Umsatzsteuergesetz von 18627, hatte für die Besteuerung noch nicht zwischen Lieferungen im Privatbereich 3 4 5 6

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EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, dazu unten S. 30 f. BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, dazu sogleich S. 25 ff. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. Gesetz über einen Warenumsatzstempel v. 26.6.1916, RGBl 1916, 639 ff. Entgegen seiner Bezeichnung war er weitgehend als Veranlagungssteuer ausgestaltet. Der Steuerpflichtige musste seine Warenumsätze jährlich anmelden und dabei seine Steuerschuld einzahlen, § 76 Abs. 1 S. 1, § 77 RStempelG 1916, RGBl 1916, 639, 641 f. Nur im nicht-betrieblichen Bereich wurde die Steuer durch Verwendung von Stempelzeichen entrichtet, § 83b RStempelG 1916, RGBl 1916, 639, 643 f.; vgl. Auslegungsgrundsätze des Bundesrates zum Warenumsatzstempelgesetz v. 23.10.1916, RZBl 1916, 382, 387 f., unter XV und XVI. Bremer GBl 1861, 29 ff.

Grundlagen

und im Geschäftsbereich unterschieden;8 ebenso wenig der 1916 zurückgewiesene Regierungsentwurf über einen Quittungsstempel.9 Erst der Warenumsatzstempel beschränkte den Grundtatbestand der Besteuerung auf betriebliche Warenlieferungen, § 76 Abs. 1 S. 1 RStempelG 1916.10 Daneben erfasste ein gesonderter Besteuerungstatbestand außerbetriebliche Warenlieferungen im Gegenwert von über 100 Mark, § 83a RStempelG 1916.11 Er fand sowohl für Nicht-Gewerbetreibende als auch im nichtbetrieblichen Bereich von Gewerbetreibenden Anwendung.12 Als nichtbetrieblich galt seinerzeit neben dem Privatbereich13 auch bereits der hoheitliche Bereich juristischer Personen öffentlichen Rechts.14 Mit der Unterscheidung betrieblicher und außerbetrieblicher Geschäfte legte der Gesetzgeber des Warenumsatzstempels den Grundstein für eine auf geschäftsmäßige Warenumsätze beschränkte Umsatzbesteuerung. Über die Tragweite dieser Entscheidung war er sich offenbar nicht bewusst. Denn das dokumentierte Gesetzgebungsverfahren15 enthält keine Begründung dafür. Wegen des erheblichen Finanzierungsbedarfs des Ersten Weltkrieges wurde der Warenumsatzstempel 1918 zur Brutto-Allphasen-Umsatzsteuer

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Nach § 1 Bremer UStG 1862, Bremer GBl 1861, 29, 30. § 76 ff. aus dem Entwurf eines Quittungsstempelgesetzes in RT-DrS 321 v. 26.5.1916, Verhdlg. des RT, Bd. 318, S. 633, 645 f., Anlage B; vgl. auch RG v. 19.11.1918, Az. 306, Amtl. Mitt. 1919, 48 ff. Der Reichstag wies den Entwurf wegen der befürchteten Belästigung des Rechtsverkehrs durch den Stempelzwang zurück, RT-DrS 321, a. a. O., S. 633, 634; vgl. auch Popitz/Kloss/Grabower, UStG, Einleitung, S. 121; Jacobs, DStZ 2006, 654, 655. RGBl 1916, 639, 641. RGBl 1916, 639, 643. Die Besteuerung sollte den „Schleichhandel“ treffen, d. h. den „zwar wiederholten, eventuell gewohnheitsmäßigen, aber doch nicht gewerbsmäßigen Absatz von Waren“, vgl. RT-DrS 321 v. 26.5.1916, Verhdlg. des RT, Bd. 318, S. 633, 638. Auslegungsgrundsätze des Bundesrates zum Warenumsatzstempelgesetz v. 23.10.1916, RZBl 1916, 382, 387, unter XVIII Nr. 1 S. 1. Auslegungsgrundsätze des Bundesrates zum Warenumsatzstempelgesetz v. 23.10.1916, RZBl 1916, 382, 388, unter XVIII. Auslegungsgrundsätze des Bundesrates zum Warenumsatzstempelgesetz v. 23.10.1916, RZBl 1916, 382, 388, unter XVIII; Reichsschatzamt, Schrb. v. 7.5.1918, Az. III. 2560, Amtl. Mitt. 1918, 58; Schrb. v. 12.6.1917, Az. III. 3256 und v. 26.11.1917, Az. III. 8125, Amtl. Mitt. 1917, 169; Schrb. v. 20.9.1917, Az. III 6745, Amtl. Mitt. 1917, 161; v. 3.5.1918, Az. III 2337, Amtl. Mitt. 1918, 42; RT-DrS 321 v. 26.5.1916, Verhdlg. des RT, Bd. 318, S. 633, 638; Popitz, in: JbStR 1920, 325, 326. RT-DrS 321 v. 26.5.1916, Verhdlg. des RT, Bd. 318, S. 633 ff.

17

Die traditionelle Sphärentheorie

ausgebaut (1918-1967).16 Dabei übernahm der Gesetzgeber die Unterscheidung von Tätigkeitsbereichen ohne weitere Begründung.17 Steuerbar waren nach dem Grundtatbestand nur Leistungen innerhalb gewerblicher Tätigkeit, § 1 Abs. 1 S. 1 UStG 1918.18 Die Sonderbesteuerung für außerbetriebliche Geschäfte19 wurde aufgegeben.20 Denn die Besteuerung im Privatbereich hatte sich als schwer durchsetzbar erwiesen.21 Trotz erheblichen Verwaltungsaufwands hatte sie zu keinen nennenswerten Erträgen geführt. Im Ergebnis beruht die der deutschen Umsatzsteuer wesensimmanente Beschränkung auf unternehmerische Leistungen auf einem strukturellen Vollzugsdefizit,22 nicht etwa auf einer systematischen Grundentscheidung des historischen Gesetzgebers. Das Umsatzsteuergesetz 191823 führte darüber hinaus die Besteuerung von Gegenstandsentnahmen ein, den späteren Eigenverbrauch.24 Damit bekam die Unterscheidung gewerblicher und außergewerblicher Bereiche eine zweite systematische Bedeutung. Der Entnahmetatbestand fingierte einen steuerbaren Umsatz, wenn ein Betriebsgegenstand für außerhalb der gewerblichen Tätigkeit liegende Zwecke entnommen wurde, § 1 Abs. 2 UStG 1918.25 Es machte keinen Unterschied, ob der Unternehmer den Gegenstand erworben oder selbst hergestellt hatte.26 Das Ziel der Entnahmebesteuerung war, den selbstversorgten Unternehmer mit dem 16 Umsatzsteuergesetz v. 26.7.1918, RGBl I 1918, 779 ff.; Popitz/Kloss/Grabower, UStG, Einleitung, S. 123 ff. 17 Vgl. auch Söhn, StuW 1975, 1, 4. 18 RGBl I 1918, 779. 19 § 83a RStempelG 1916, RGBl 1916, 639, 643. 20 Versteigerungen im Privatbereich wurden zwar zunächst noch besteuert, § 1 Abs. 3 UStG 1918, RGBl I 1918, 779. Dafür sah der Gesetzgeber 1934 aber keinen Bedarf mehr, nachdem die umfangreichen Versteigerungen von Privatbesitz in der Nachkriegszeit zurückgegangen waren, Begründung zum UStG 1934, RStBl 1934, 1549 f. 21 Entwurf des UStG 1918, RT-DrS 1461, S. 25 ff., in: Verhdlg. des RT 1914/1918, Bd. 324; vgl. auch Söhn, StuW 1975, 1, 5. 22 Vgl. zum gleichheitsrechtlichen Problem eines strukturellen Vollzugsdefizits nur BVerfG v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, unter C.I.1.d) (Zinssteuerurteil); Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rn 113 f. 23 RGBl I 1918, 779. 24 Vgl. § 1 Nr. 2 UStG 1934, RGBl I 1934, 942. Inhaltliche Änderungen brachte die neue Terminologie nicht, Begründung zum UStG 1934, RStBl 1934, 1549, 1550. 25 RGBl I 1918, 779. 26 Plückebaum/Malitzky, UStG I 1965, Rn 14012; Niemann/Knauerhase, Umsatzsteuer 1967, § 1 Rn 18.

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Grundlagen

fremdversorgten Verbraucher gleichzustellen.27 Ohne den fiktiven Umsatz hätte sich der selbstversorgte Unternehmer die Umsatzsteuer auf der letzten Umsatzstufe erspart. Die Umsatzfiktion wurde nicht vollständig umgesetzt, da sich die Bemessungsgrundlage nach fiktiven Anschaffungskosten durch Wiederverkäufer richtete und nicht nach einem fiktiven Verbraucherentgelt, § 1 Abs. 2 UStG 1918.28 Das war jedoch nur eine Vergünstigung der Höhe nach29 und berührte nicht die Gleichstellungsfunktion dem Grunde nach. Als steuerbar galten neben Privatentnahmen30 insbesondere Entnahmen in den hoheitlichen Bereich juristischer Personen öffentlichen Rechts31 und in den satzungsmäßigen Tätigkeitsbereich gemischt tätiger Personenvereini-

27 Entwurf des UStG 1918, RT-DrS 1461, S. 29, in: Verhdlg. des RT 1914/1918, Bd. 324, zu § 1 UStG 1918; RFH v. 27.3.1931, V A 186/31, RFHE 28, 293; v. 12.4.1935, V A 387/34, RFHE 37, 310; BFH v. 9.2.1961, V 66/58 U, BStBl III 1961, 173; Popitz/Kloß/Grabower, UStG 1928, § 1 S. 382; Ball/Koppe, UStG 1932, § 1 Anm. 11; Plückebaum/Malitzky, UStG I 1965, Rn 1400; Niemann/Knauerhase, Umsatzsteuer 1967, § 1 Rn 17; Grabower/Schwarz in Hübschmann/Grabower/Beck/v. Wallis, UStG 1967, § 1 Ziff. 2 Rn 2, 10; Klenk/Martin in Sölch/Ringleb, UStG, § 3 Rn 302. Darüber hinaus sollte die Entnahmebesteuerung auch missbräuchliche Gestaltungen durch sog. Möbelschieber verhindern. Diese stellten zur Weiterveräußerung bestimmte Möbelstücke in ihren Privatwohnungen auf, um sie ohne Umsatzsteuer weiterzuveräußern. Die Entnahmebesteuerung verhinderte den unversteuerten Letztumsatz. Dazu Entwurf des UStG 1918, RT-DrS 1461, S. 29, in: Verhdlg. des RT 1914/1918, Bd. 324 zu § 1 UStG 1918; Popitz/Kloß/Grabower, UStG 1928, § 1 S. 382. 28 RGBl I 1918, 779, vgl. auch § 8 Abs. 2 UStG 1926, RGBl I 1926, 218; § 5 Abs. 1 S. 3 UStG 1934, RGBl I 1934, 942; § 5 Abs. 1 S. 3 UStG 1951, BGBl I 1951, 791. 29 Vgl. Bericht des 12. Ausschusses über den Entwurf des UStG 1919, DrS der Nationalversammlung 1753 v. 13.12.1919, Verhandlungen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 340, S. 1787, 1792; Popitz/Kloß/Grabower, UStG 1928, § 1 S. 382. 30 Vgl. Bericht des Ausschusses für den Reichshaushalt über den Entwurf des UStG 1918, RT-DrS 1745 v. 8.7.1918, Verhandlungen des RT, Bd. 325, S. 2648, 2653; RFH, Gutachten v. 4.4.1919, II D 3/19, RFHE 1, Teil B 20 ff.; v. 14.1.1920, II A 338/19, RFHE 2, 122; v. 27.3.1931, V A 186/31, RFHE 28, 293; Popitz/Kloß/Grabower, UStG 1928, § 1 S. 383 ff.; Bode, DStZ 1938, 73, 78. 31 RFH v. 11.1.1927, V A 746/26, RFHE 20, 147, 148 ff.; v. 5.9.1930, V A 340/30, RFHE 27, 180; v. 17.10.1930, V A 282/30, RFHE 27, 234; v. 18.12.1931, V A 506/30, RFHE 30, 128; v. 4.3.1932, V A 1122/30, RFHE 31, 90; v. 17.3.1933, V A 133/32, RStBl 1933, 1344; v. 20.5.1938, V A 295/37, RStBl 1938, 614; v. 13.2.1964, V 99/63 U, BStBl III 1964, 174; Popitz, JbStR 1920, 349, 355; ders., DStBl 1918/19, 345, 347; Popitz/Kloß/Grabower, UStG 1928, § 1 S. 386; Bode, DStZ 1938, 73, 77.

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Die traditionelle Sphärentheorie

gungen.32 In einer Grundsatzentscheidung des RFH von 192733 wehrte sich eine Stadt gegen die Heranziehung zur Eigenverbrauchsbesteuerung. Sie hatte die Beschaffung ihrer Brennstoffe in einem unselbstständigen Geschäftsbereich zusammengefasst. Einen Teil der Brennstoffe verkaufte sie steuerbar an Dritte. Die Finanzverwaltung unterwarf deswegen die unentgeltliche Überlassung von Brennstoffen an die rein hoheitlich tätigen Stellen der Stadt (insbesondere Stadtentwässerung, Schulen, Feuerwehr, Friedhofswesen, Müllbeseitigung) einer Entnahmebesteuerung. Das bestätigte der RFH mit Verweis auf den klaren Gesetzeswortlaut.34 Das hoheitliche Eigenleben sei genauso wie das private Eigenleben ein außergewerblicher Bereich im Sinne des Entnahmetatbestandes.35 Es komme daher nicht auf die ursprüngliche Intention der Entnahmebesteuerung an, den selbstversorgten Landwirt mit dem fremdversorgten Städter gleichzustellen.36 1934 fand der Unternehmer- und der Unternehmensbegriff Eingang in das Umsatzsteuergesetz.37 Das Unternehmen fasste die „selbständig ausgeübte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit“ im Besteuerungstatbestand38 zu einem einheitlichen Begriff zusammen. Der Unternehmer präzisierte die persönliche Steuerpflicht.38 Beide Begriffe wurden in der bis heute gültigen Fassung definiert, vgl. § 2 Abs. 1 UStG 1934.39 Ihre inhaltliche Reichweite sollte sich entsprechen.40 Die neue Terminologie diente allein der sprachli-

32 RFH v. 23.12.1932, V A 814/32, RFHE 32, 211; Bode, DStZ 1938, 73, 76 f., m. w. N.; vgl. zum nicht steuerbaren satzungsmäßigen Bereich von Vereinen und Personenvereinigungen: RFH v. 3.12.1920, II A 321/20, RFHE 4, 65; v. 27.6.1921, II A 223, RStBl I 1921, 324; v. 17.3.1933, V A 595/32, RFHE 32, 351; v. 5.10.1934, V A 587/33, RFHE 37, 30. 33 RFH v. 11.1.1927, V A 746/26, RFHE 20, 147, 148; dazu Popitz/Kloß/Grabower, UStG 1928, § 1 S. 386 f. 34 RFH v. 11.1.1927, V A 746/26, RFHE 20, 147, 148 und 150. 35 RFH v. 11.1.1927, V A 746/26, RFHE 20, 147, 150. 36 RFH v. 11.1.1927, V A 746/26, RFHE 20, 147, 148 f. 37 Umsatzsteuergesetz v. 16.10.1934, RGBl I 1934, 942 ff. 38 § 1 Nr. 1 UStG 1919 (RGBl I 1919, 2157) regelte die Steuerbarkeit noch für „Lieferungen und sonstige Leistungen, die jemand innerhalb der von ihm selbständig ausgeübten gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit im Inland gegen Entgelt ausführt.“ 39 RGBl I 1934, 942. 40 Begründung zum UStG 1934, RStBl 1934, 1549, 1550, zu § 2.

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Grundlagen

chen Verbesserung des Gesetzestextes.41 Sachliche Änderungen waren damit nicht verbunden.42 Die Erste und Zweite Mehrwertsteuerrichtlinie43 gaben 1967 den Systemwechsel zum heutigen Netto-System mit Vorsteuerabzug vor.44 Vorausgegangen war eine langjährige Kritik am Brutto-Allphasen-System wegen seiner kumulativen und infolgedessen wettbewerbsverzerrenden Wirkung,45 zuletzt auch durch das Bundesverfassungsgericht.46 Der Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen beseitigte dieses Problem. Technisch setzte er Leistungsbezüge im unternehmerischen Bereich voraus, vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967,47 und gab damit der Sphärentheorie ihre dritte systemrelevante Bedeutung. Sie grenzte vorsteuerabzugsberechtigte von nicht-vorsteuerabzugsberechtigten Bereichen ab. Die Eigenverbrauchsbesteuerung erfuhr grundlegende Neuerungen. Ihr Anwendungsbereich wurde vom Gegenstandseigenverbrauch auf den Verwendungseigenverbrauch und den Leistungseigenverbrauch (spätere

41 Begründung zum UStG 1934, RStBl 1934, 1549 f. 42 So ausdrücklich Begründung zum UStG 1934, RStBl 1934, 1549 f. 43 Erste und Zweite Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer v. 11.4.1967, 67/227/EWG, 67/228/EWG, ABl. EG 1967, Nr. 71/1301, 1303. 44 Art. 11 Zweite RL 67/228/EWG, ABl. EG 1967, Nr. 71/1303; vgl. Art. 1 und 2 Erste RL 67/227/EWG, ABl. EG 1967, Nr. 71/1301; Stellungnahme der Kommission über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem v. 3.6.1964, 64/406/EWG, Abl. EG 1964, Nr. 64/1800 f.; Kommissionsbegründung zur zweiten Mehrwertsteuerrichtlinie v. 3.5.1965, BT-DrS IV/3335, S. 13; vgl. auch Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes (Nettoumsatzsteuer) – DrS V/48 – v. 30.3.1967, zu BT-DrS V/1581, S. 2. 45 Die kumulative Umsatzsteuererhebung privilegierte Unternehmen mit wenigen Umsatzstufen und gab so Anreiz zur Konzentration, vgl. BMF, Studie zu einer Mehrwertsteuer, 1960, S. 40; Kommissionsbegründung zur ersten Mehrwertsteuerrichtlinie v. 17.12.1962, BT-DrS IV/850, S. 4; BT-DrS IV/3335, S. 13, 17 (S. 21 Fn 44); Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes v. 30.10.1963, BT-DrS IV/1590, S. 16 f., 19 f., 22, 25, 39; zu BT-DrS V/1581, S. 1 f., S. 15 (S. 21 Fn 44); Stadie in R/D/F/G, UStG, Einführung, Rn 38 ff. 46 BVerfG v. 20.12.1966, 1 BvR 320/57, 1 BvR 70/63, BVerfGE 21, 12, insb. unter B.II.3., 5d., 10. Das BVerfG erklärte das Brutto-Allphasen-System für gleichheitswidrig. Dies musste bis zum Abschluss der bereits eingeleiteten Umsatzsteuerreform hingenommen werden. 47 BGBl I 1967, 545.

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Die traditionelle Sphärentheorie

Gegenstands-, Verwendungs- und Leistungsentnahme)48 ausgeweitet, § 1 Abs. 1 Nr. 2 a), Nr. 2 b) UStG 1967, § 1 Abs. 1 Nr. 2a, Nr. 2b UStG 1980.49 Das erklärt sich aus ihrer um ein Vielfaches gestiegenen Bedeutung. Im Brutto-Allphasen-System betraf sie nur die Umsatzsteuerlast der letzten Umsatzstufe.50 Im Netto-System mit Vorsteuerabzug stellte sie dagegen nach dem Vorsteuerabzug auf den vorhergehenden Umsatzstufen die Umsatzsteuerzahllast erstmals und in voller Höhe her. Parallel trat ihre allgemeine Gleichstellungsfunktion von Selbstversorgern und Fremdversorgten51 in den Hintergrund gegenüber ihrer vorsteuerkorrektiven Wirkung.52 Sie sollte den ursprünglichen Vorsteuerabzug neutralisieren und dadurch einen unbelasteten Letztverbrauch verhindern.53 Dementsprechend setzten die Gegenstands- und Verwendungsentnahme voraus, dass der Gegenstand bei Leistungsbezug zum Vorsteuerabzug berechtigt hatte, vgl. § 3 Abs. 1b S. 2, § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG 1999.54 Die Leistungsentnahme

48 Neuregelung im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.1999, BGBl I 1999, 402, 487, vgl. § 3 Abs. 1b, § 3 Abs. 9a UStG 1999. 49 BGBl I 1967, 545; BGBl I 1979, 1953. 50 Dazu oben S. 19 f. 51 Oben S. 19 Fn 27. 52 Eine Vorsteuerkorrektur sorgt nur eingeschränkt für Gleichstellung. Insbesondere bei selbst hergestellten Gegenständen bleibt der selbstversorgte Unternehmer gegenüber dem fremdversorgten Verbraucher privilegiert. Der EuGH ignoriert diesen Unterschied regelmäßig, wenn er die Entnahmebesteuerung mit ihrer Gleichstellungsfunktion erklärt, vgl. nur EuGH v. 6.5.1992, C-20/91, de Jong, Slg 1992, I-2847, Rn 15; v. 20.1.2005, C-412/03, Hotel Scandic Gåsabäck, Slg 2005, I-743, Rn 23; v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549, Rn 46 ff.; v. 30.9.2010, C-581/08, EMI Group, Slg 2010, I-8607, Rn 17. 53 Vgl. Vorschlag einer sechsten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern, BT-DrS 7/913 v. 19.7.1973, S. 38 f., zu Art. 5 Abs. 3 und Art. 7 Abs. 2; Rat der EG, Arbeitsunterlage v. 25.3.1975, T/226/75 (FIN), S. 2, www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/189.pdf, S. 93 f.; Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes v. 30.10.1963, BT-DrS IV/1590, S. 35 (Ursprünglicher Regierungsentwurf, auf dessen Begründung der spätere Entwurf des UStG 1967 verweist, BT-DrS V/48, S. 16); vgl. auch zu BT-DrS V/1581, S. 10 (S. 21 Fn 44); vgl. auch EuGH v. 25.5.1993, C-193/91, Mohsche, Slg 1993, I-2615, Rn 8 f.; v. 27.6.1989, C-50/88, Kühne,. Slg 1989, I-1925, Rn 8 f. 54 Die Sechste RL 77/388/EWG (v. 17.5.1977, ABl. EG 1977, Nr. L 145) hatte dies verbindlich vorgegeben, trotz heftigen Widerstandes der deutschen Delegation, vgl. Rat der EG, Arbeitsunterlage v. 29.1.1975, T/73/75 (FIN), S. 5, www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/186.pdf, S. 107, 111; v. 11.7.1975, T/440/75 (FIN), S. 6a, www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/193.pdf, S. 1, 15;

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Grundlagen

war zwar unabhängig von einem Vorsteuerabzugsrecht ausgestaltet, sie wurde aber analog zur Verwendungsentnahme gerechtfertigt.55 Dabei war man sich durchaus bewusst, dass eine Vorsteuerneutralisierung auch durch technische Vorsteuerberichtigung hätte erreicht werden können.56 Die Entnahmebesteuerung hielt man aber für einfacher und gerechter.57 Weiterhin wurden unentgeltliche Leistungen an das Personal gesetzlich geregelt, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 lit. b UStG 1980.58 Die Vorschrift bildete zunächst nur die frühere BFH-Rechtsprechung ab.59 Der BFH hatte unterstellt, dass ein Arbeitnehmer bei Personalzuwendungen grundsätzlich eine Gegenleistung in Form seiner Arbeitsleistung erbringt.60 Nur für

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Rat der EG, Aide-Memoire v. 23.9.1976, T/705/76 (FIN), www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/214.pdf, S. 13; Entwurf eines StEntlG 1999/2000/2002 v. 9.11.1998, BT-DrS 14/23, S. 195, zu Art. 8 und zu Art.8 Nr. 2 lit. a und lit. b. Gesetzesbegründung in Entwurf des UStG 1979 v. 5.5.1978, BT-DrS 8/1779, S. 29, Einzelbegründung zu § 1 Abs. 1 Nr. 2; vgl. auch BT-DrS 7/913, S. 38 zu Art. 7 Abs. 2 (S. 22 Fn 53), wo sich der Richtliniengeber auf die „Steuerneutralität“ beruft. Auch der EuGH erklärt die Funktion der Leistungsentnahme und der Verwendungsentnahme einheitlich, vgl. EuGH v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549, Rn 46 ff., m. w. N. Zum darin liegenden Widerspruch: Nieskens in R/D/F/G, § 3 Rn 1325; Probst in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 3 Abs. 9a Rn 121; Stadie, UStG, § 3 Rn 181 f., der sich wegen der Vorsteuerkorrekturfunktion für eine teleologische Reduktion der Leistungsentnahme ausspricht. In der Zweiten Mehrwertsteuerrichtlinie war es den Mitgliedstaaten noch freigestellt, die Entnahmebesteuerung durch eine Vorsteuerberichtigung zu ersetzen, Zweite Richtlinie 67/228/EWG, Anhang A, Nr. 6 Zu Art.5 Abs. 3 Buchst. a) (S. 21 Fn 43); BTDrS IV/3335, S. 14, zu Art. 3 Ziff. 2 Buchst. d. (S. 21 Fn 44). BT-DrS 7/913, S. 38 f., zu Art. 5 Abs. 3 und Art. 7 Abs. 2 (S. 22 Fn 53); www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/189.pdf, S. 93 f. (S. 22 Fn 53), wo der Richtliniengeber darauf hinwies, dass die Entnahmebesteuerung zeitlich unbegrenzt anwendbar sei und der Unternehmer behandelt werde, als hätte er den entnommenen Gegenstand bei einem dritten Unternehmen gekauft. BGBl I 1979, 1953. Demnach galt: „Die Steuerbarkeit entfällt nicht, wenn … ein Unternehmer Lieferungen oder sonstige Leistungen an seine Arbeitnehmer oder deren Angehörige auf Grund des Dienstverhältnisses ausführt, für die die Empfänger … kein besonders berechnetes Entgelt aufwenden. Das gilt nicht für Aufmerksamkeiten“. BT-DrS 8/1779, S. 28, (S. 23 Fn 55); Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf des UStG 1979 v. 9.5.1979, BT-DrS 8/2827, S. 64; vgl. auch BFH v. 11.3.1988, V R 30/84, BFHE 153, 155, unter II.2.b). BFH v. 6.2.1975, V R 103/72, BFHE 115, 75; vgl. auch BMF v. 23.5.1977, IV A 2 – S 7100 – 33/77, BStBl I 1977, 309, unter Verweis auf BFH v. 3.12.1953, V 119/53 U, BFHE 58, 404; auch bereits RFH, Gutachten v. 4.4.1919, II D 3/19, RFHE 1, Teil B

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Die traditionelle Sphärentheorie

Aufmerksamkeiten würde er keine Arbeitsleistungen aufwenden.61 Kurze Zeit später änderte der BFH sein Verständnis des Leistungsaustausches und erklärte Personalentnahmen zu unentgeltlichen Vorgängen62 für unternehmerische Zwecke.63 Ihre Funktion blieb die Besteuerung „quasi-entgeltlicher“ Leistungen.64 Mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/200265 wurden Personalentnahmen erneut grundlegend geändert. Der Gesetzgeber integrierte sie nach den europäischen Vorgaben in die Entnahmetatbestände.66 Dabei ging ihre ursprüngliche Funktion unter und sie dienten fortan analog zu den übrigen Entnahmetatbeständen der Neutralisierung des Vorsteuerabzugs.67 Zudem qualifizierte der EuGH Personalentnahmen als Entnahmen für unternehmensfremde Zwecke.68 Damit fügen sie sich nahtlos in das Sphärenmodell ein als Spezialfall einer Entnahme für außerunternehmerische Zwecke. In der Rechtspraxis rückte die Frage nach nicht-unternehmerischen Tätigkeitsbereichen neben dem Privatbereich und dem hoheitlichen Bereich in den Fokus. Erwerbsgesellschaften hatten nach zunächst herrschender

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20, 21; Knauerhase/Schäfer/Gabriel, UStG 1987, § 1 S. 11; Juretzek, UStG 1983, § 1 S. 25; Rau, UStG 1980, § 1 S. 86. BFH v. 6.2.1975, V R 103/72, BFHE 115, 75, unter 4., mit Verweis auf BFH v. 3.12.1953, V 119/53 U BFHE 58, 404. BFH v. 7.5.1981, V R 47/76, BFHE 133, 133, unter 3. und 4.; vgl. auch BFH v. 11.3.1988, V R 30/84, BFHE 153, 155, unter II.1. Demnach genüge die bloß kausale Veranlassung einer Zuwendung durch einen Dienstvertrag nicht für einen Leistungsaustausch. BFH v. 11.3.1988, V R 30/84, BFHE 153, 155, unter II.2.d). Wegen des unternehmerischen Zwecks gewährte der BFH auch den Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen: BFH v. 4.7.1985, V R 82/77, BFHE 144, 81, unter 5.; v. 18.12.1986, V R 176/75, BFHE 149, 78, unter B.I.2.a). Vgl. BFH v. 11.3.1988, V R 30/84, BFHE 153, 155, unter II.2.b): „Die Vorschrift bleibt als Ausnahmevorschrift … mit dem Inhalt bestehen, der ihr nach ihrer Bedeutung im Zeitpunkt ihrer Entstehung zukommt.“ Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.1999, BGBl I 1999, 402, 486 ff. Vgl. Entwurf eines StEntlG 1999/2000/2002 v. 9.11.1998, BT-DrS 14/23, S. 195 f. Der Richtliniengeber unterscheidet für die Begründung der Entnahmebesteuerung nicht zwischen den einzelnen Varianten, vgl. BT-DrS 7/913, S. 38 f., zu Art. 5 Abs. 3 und Art. 7 Abs. 2 (S. 22 Fn 53); www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/ 189.pdf, S. 93 f. (S. 22 Fn 53). Auch der EuGH behandelt den Regelungszweck der Entnahmetatbestände einheitlich, vgl. EuGH v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549, Rn 46 ff., m. w. N. EuGH v. 16.10.1997, C-258/95, Fillibeck, Slg 1997, I-5577, Rn 19 ff., 34 ff.; v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549, Rn 56 ff.; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 51 f.

Grundlagen

Ansicht69 kein Eigenleben, mit anderen Worten: keine nichtunternehmerische Sphäre. Folglich konnten sie keinen Eigenverbrauch verwirklichen, weil dies nach der Fiktionstheorie eine fiktive Leistung an das Eigenleben vorausgesetzt hätte.70 Bei unentgeltlichen Leistungen an die Gesellschafter konstruierte der BFH stattdessen eine Gegenleistung in Form eines entsprechenden Gewinnverzichts.71 Diese Rechtsprechung gab er 1983 in einem Grundsatzurteil auf.72 Eine Kommanditgesellschaft hatte Häuser auf den Grundstücken ihrer Gesellschafter errichtet und wehrte sich gegen die Besteuerung entgeltlicher Werklieferungen. Der BFH beurteilte dies als steuerbaren Eigenverbrauch.73 Entgegen der Fiktionstheorie seien Entnahmen reale Wertabgaben aus dem Unternehmen (Realakttheorie) und könnten daher auch direkt an dritte Personen erfolgen.74 Ob Erwerbsgesellschaften tatsächlich kein Eigenleben haben, konnte so offen bleiben.75 Nur ein Jahr später stellte sich diese Frage in anderem Kontext erneut: im Sphärenurteil des BFH.76

2.

Das Sphärenurteil des BFH: Bekenntnis zur Sphärentheorie

1984 bekannte sich der BFH im Sphärenurteil77 zur Sphärentheorie. Damit gab er der im deutschen Umsatzsteuersystem historisch angelegten

69 RFH v. 2.12.1938, V 297/37, RStBl 1939, 468; BFH v. 10.8.1961, V 269/58, HFR 1962, 67; vgl. auch BFH v. 3.11.1983, V R 4, 5/73, BFHE 140, 115, unter II.1.b); Rau, UStG 1980, § 1 S. 87; Juretzek, UStG 1983, § 1 S. 10, S. 28; Knauerhase/Schäfer/Gabriel, UStG 1987, § 1 S. 15. 70 RFH v. 2.12.1938, V 297/37, RStBl 1939, 468; v. 7.5.1926, V A 230/26, RFHE 19, 93; vgl. auch BFH v. 3.11.1983, V R 4, 5/73, BFHE 140, 115, unter II.1.b); Bode, DStZ 1938, 73, 76 ff.; Niemann/Knauerhase, Umsatzsteuer 1967, § 1 Rn 20, a. A. Popitz/Kloß/Grabower, UStG 1928, § 1 S. 385 f. 71 RFH v. 2.12.1938, V 297/37, RStBl 1939, 468; BFH v. 23.7.1959, V 42/58 U, BFHE 69, 316; v. 10.8.1961, V 269/58, HFR 1962, 67; v. 30.11.1967, V 237/64, BFHE 90, 550; v. 12.12.1968, V 160/65, BFHE 94, 469. 72 BFH v. 3.11.1983, V R 4, 5/73, BFHE 140, 115; vgl. Abschn. 3.3 Abs. 10 S. 9 UStAE; Weiss, UR 1984, 57; ders., UR 1985, 61. 73 BFH v. 3.11.1983, V R 4, 5/73, BFHE 140, 115, unter II. 74 BFH v. 3.11.1983, V R 4, 5/73, BFHE 140, 115, unter II.1. In den Entscheidungsgründen führte der BFH aus, die Fiktionstheorie widerspreche dem Gesetzeswortlaut, führe zu einer Privilegierung von Erwerbsgesellschaften und genüge nicht der Gleichstellungsfunktion der Eigenverbrauchsbesteuerung. 75 Vgl. BFH v. 3.11.1983, V R 4, 5/73, BFHE 140, 115, unter II.1.c). 76 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, dazu sogleich S. 25 f. 77 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524.

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Die traditionelle Sphärentheorie

Unterscheidung von Tätigkeitsbereichen78 eine dogmatische Grundlage und einen Namen. Nach der zentralen Aussage des Urteils können alle Unternehmer gleich welcher Rechts- und Organisationsform eine unternehmerische und eine nicht-unternehmerische Tätigkeitssphäre haben. In den Urteilsgründen stellte der BFH die zentralen Rechtsfolgen der Sphärenzuordnung dar und gewährte auch bereits ein Zuordnungswahlrecht für gemischt genutzte Gegenstände. Geklagt hatte ein gemischt tätiger Verein mit dem satzungsmäßigen Zweck, einen Sektor des Verkehrswesens zu fördern (ideelle Tätigkeit). Er bezog daneben umsatzsteuerbare Einnahmen aus der Mitveranstaltung einer Fachmesse (unternehmerische Tätigkeit). Das Finanzamt ließ den vollen Vorsteuerabzug nur für Aufwendungen im Zusammenhang mit der Fachmesse zu. Die Kosten für die Teilnahme an einer Fachkonferenz berücksichtigte es nur insoweit, als sie aus einer Kostenumlage finanziert wurden. Für die übrigen Vereinsaufwendungen gewährte es anteiligen Vorsteuerabzug nach dem Verhältnis der Einnahmen aus unternehmerischer Tätigkeit zu den Mitgliederbeiträgen. Der Kläger war dagegen der Ansicht, als Unternehmer generell unternehmerisch tätig zu sein und daher vollen Vorsteuerabzug beanspruchen zu können. Der BFH schloss sich der vom Bundesfinanzminister entwickelten79 Sphärentheorie an.80 Das Gemeinschaftsverhältnis sei nichtunternehmerischer Art, da kein Austauschverhältnis zwischen den Vorteilen aus der Mitgliedschaft und den Mitgliedschaftsbeiträgen bestehe.81 Treten entgeltliche Leistungen hinzu, sei dieser wirtschaftliche Geschäftsbetrieb als unternehmerische Sphäre abzugrenzen.82 Der BFH beanstandete aber die Vorsteueraufteilung durch die Finanzbehörden. Es würden Feststellungen fehlen, ob und inwieweit die streitigen Aufwendungen im Sonderinteresse einzelner Mitglieder (unternehmerische Sphäre) oder im Verbandsinteresse (nicht-unternehmerische Sphäre) getätigt wurden.83 Zudem habe der Verein bei gemischten Aufwendungen für unternehmerische und nicht-

78 Vgl. oben S. 16 ff.; auch BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.2. 79 BMF-Schrb. v. 15.3.1971, IV A/2-S 7104-5/70, IV A/1-S 7300-6/69, BStBl I 1971, 189. 80 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.2., B.4., B.5.c). 81 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter A., B.5.a). 82 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.5.c). 83 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter C.1.

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Grundlagen

unternehmerische Zwecke ein Zuordnungswahlrecht.84 Bei teilweiser Zuordnung zur unternehmerischen und nicht-unternehmerischen Sphäre müsse sich die Aufteilung an den tatsächlichen Verwendungsanteilen orientieren. Das Verhältnis der unternehmerischen Einnahmen zu den Mitgliedsbeiträgen sei dafür ungeeignet. Nach dem Sphärenurteil hat die Sphärentheorie folgenden Inhalt: Ein umsatzsteuerlicher Unternehmer hat zwei Tätigkeitssphären – eine unternehmerische und eine nicht-unternehmerische. Zur nichtunternehmerischen Sphäre gehören u. a. der Privatbereich natürlicher Personen, die hoheitliche Tätigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts und die ideelle Tätigkeit von Vereinen und anderen Personenvereinigungen.85 Die Sphärenzuordnung eines Vorgangs ist grundlegend für seine umsatzsteuerliche Behandlung: Ausgangsleistungen sind nur steuerbar, wenn sie in der unternehmerischem Sphäre erbracht werden.86 Eine unentgeltliche Leistung aus der unternehmerischen Sphäre in die nichtunternehmerische Sphäre erfüllt den Tatbestand des Eigenverbrauchs (heutige Entnahme) für außerhalb des Unternehmens liegende Zwecke.87 Der Vorsteuerabzug setzt einen Leistungsbezug in der unternehmerischen Sphäre voraus.88 Schließlich hat der Unternehmer für gemischt unternehmerisch und nicht-unternehmerisch genutzte Gegenstände ein Zuordnungswahlrecht.89 Soweit er den Gegenstand dem Unternehmen zuordnet, werden spätere Verwendungen in der nicht-unternehmerischen Sphäre als Verwendungseigenverbrauch besteuert.90 Zu den Voraussetzungen und den Grenzen des Zuordnungswahlrechts hat sich der BFH jedoch noch nicht konkret geäußert.91

84 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.7, C.2 mit Verweis auf BFH v. 19.4.1979, V R 11/72, BFHE 127, 447, unter 2. 85 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.4.a) und b), B.5.c). 86 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.2. Auch die Veräußerung von Gegenständen der nicht-unternehmerischen Sphäre ist nicht steuerbar, unter B.6. Insoweit setzt sich der BFH ausdrücklich in Widerspruch zum Schreiben des Bundesfinanzministers (S. 26 Fn 79), das einen vorherigen Übergang in die unternehmerische Sphäre fingieren wollte. 87 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.7. 88 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.2. 89 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.7, C.2 mit Verweis auf BFH v. 19.4.1979, V R 11/72, BFHE 127, 447, unter 2. 90 BFH v. 19.4.1979, V R 11/72, BFHE 127, 447, unter 2; v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.7. 91 Vgl. BFH v. 19.4.1979, V R 11/72, BFHE 127, 447, unter 2.

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Die traditionelle Sphärentheorie Schaubild 1:

Die Sphärentheorie nach dem Sphärenurteil

Unternehmerische Sphäre

Nicht-unternehmerische Sphäre

Ļ

Ļ

- Ausgangsumsätze steuerbar

- Ausgangsumsätze nicht steuerbar

- Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen dem Grunde nach

- kein Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen

- kein mögliches Entnahmeziel

- mögliches Entnahmeziel

- Zuordnungswahlrecht für gemischt genutzte Gegenstände Eine Literaturauffassung92 meint dagegen, der BFH differenziere im Sphärenurteil zweistufig: Auf erster Stufe grenze er zwischen privater und hoheitlicher Tätigkeit einerseits und betrieblicher Tätigkeit andererseits ab. Auf zweiter Stufe unterscheide er innerhalb der betrieblichen Betätigung eine unternehmerische und eine nicht-unternehmerische Sphäre. Solche zweistufige Differenzierung sieht das Sphärenurteil jedoch nicht vor. Der BFH räumt dem Privatbereich und dem hoheitlichen Bereich zwar eine Sonderstellung ein, weil diese nur natürliche Personen bzw. juristische Personen öffentlichen Rechts haben.93 Qualifikatorisch stellt er sie aber den anderen nicht-unternehmerischen Bereichen gleich. Für eine Differenzierung sieht er keine Veranlassung, weil der Besteuerungstatbestand und der Vorsteuerabzugstatbestand einheitlich an den Unternehmensbegriff anknüpfen.94 Ein Nebeneinander unternehmerischer und nicht-unternehmerischer Tätigkeit erkannte der BFH – entgegen seiner früheren Rechtsprechung95 –

92 Schettler, UR 1995, 129; Ruhmannseder, Gemischt genutzte Gegenstände, S. 47; ähnlich Flückiger/Georgy in Plückebaum/Widmann, UStG, II/1,2, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Rn 1202 ff., insb. Rn 1202/3. 93 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.4.a., b. 94 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.1. und B.2. 95 Insbesondere BFH v. 3.11.1983, V R 4, 5/73, BFHE 140, 115, unter II.1.b), wo der BFH für Erwerbsgesellschaften ein Eigenleben (= nicht-unternehmerische Sphäre) verneinte und deswegen die Fiktionstheorie zugunsten der Realakttheorie aufgab; näher dazu oben S. 25.

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Grundlagen

für alle Unternehmer gleich welcher Rechts- und Organisationsform an.96 Die Entscheidung ist insoweit weniger Ausdruck neuer Rechtserkenntnis als vielmehr der Etablierung des neuen Netto-Umsatzsteuersystems mit Vorsteuerabzug.97 Im Brutto-Allphasen-System bis 1968 bestand kein dringendes Bedürfnis zur Einschränkung des unternehmerischen Bereichs. Ein weiter unternehmerischer Bereich bedeutete einen weiten steuerbaren Bereich. Mit der Einführung des Vorsteuerabzugsrechts erhielt die Frage nach der Existenz eines nicht-unternehmerischen Bereichs aber eine neue Dimension, denn ein weiter unternehmerischer Bereich bedeutete nun auch ein weites Vorsteuerabzugsrecht. Das zwang den BFH, die Frage nach der Reichweite unternehmerischer Tätigkeit neu zu beantworten.

3.

Die Grundsatz-Urteile des EuGH

Der EuGH legt die Mehrwertsteuersystemrichtlinie zwar nicht nach einem der Sphärentheorie vergleichbaren Modell aus. Gleichwohl muss die Anwendung der Sphärentheorie mit den Auslegungsergebnissen des EuGH übereinstimmen, sonst verletzt Deutschland seine Umsetzungspflicht nach Art. 288 Abs. 3 AEUV, Art. 4 Abs. 3 EUV.98 Drei Grundsatzurteile des EuGH99 hatten insofern unmittelbaren Einfluss auf den Inhalt der Sphärentheorie: Die Lennartz-Entscheidung100 bedeutete ein endgültiges Vorsteuerabzugsverbot für Eingangsleistungen in der nicht-unternehmerischen Sphäre, auch wenn sie nachträglich in der unternehmerischen Sphäre (mit-)verwendet werden (unter a.). In der Armbrecht-Entscheidung101 gewährte der EuGH ein Zuordnungswahlrecht für gemischt genutzte

96 BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.4.; vgl. dazu Weiss, UR 1985, 61, 62. 97 Vgl. Weiss, UR 1985, 61; vgl. auch ders., UR 1984, 57, im Zusammenhang mit der Entwicklung der Eigenverbrauchsbesteuerung. 98 Vgl. zur Umsetzungspflicht nur EuGH v. 10.11.2005, C-316/04, Stichting ZuidHollandse Milieufederatie, Slg 2005, I-9759 Rn 77 f.; v. 7.9.2006, C-187/05, Agorastoudis u.a., Slg 2006, I-7775, Rn 43; v. 15.4.2008, C-268/06, Impact, Slg 2008, I-2483, Rn 98 f.; Borchardt in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 15 Rn 73 ff. Teilweise wird der zusätzliche Verweis auf Art. 4 Abs. 3 EUV (neben Art. 288 Abs. 3 AEUV) für unnötig gehalten: Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn 398. 99 Unberücksichtigt bleibt hier die VNLTO-Entscheidung (EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839). Ihre Auswirkungen auf die Sphärentheorie werden im 2. Kapitel (ab S. 69) behandelt. 100 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795. 101 EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775.

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Die traditionelle Sphärentheorie

Investitionsgüter. Es muss nach der Sphärentheorie für alle gemischt unternehmerisch und nicht-unternehmerisch genutzten Investitionsgüter gelten. Im konkreten Fall folgerte der EuGH, dass die Veräußerung eines nur teilweise dem Unternehmen zugeordneten Investitionsgutes nur teilweise steuerbar ist (unter b.). Auch die Seeling-Entscheidung102 betraf das Zuordnungswahlrecht. Hier gewährte der EuGH bei voller Unternehmenszuordnung eines Grundstücks den vollen Vorsteuerabzug im Anschaffungszeitpunkt (unter c.). a.

EuGH-Urteil Lennartz: Kein nachträglicher Vorsteuerabzug bei privaten Aufwendungen

In der Rechtssache Lennartz klagte ein selbstständiger Steuerberater, nachdem er sein privates Auto in seinen Steuerberaterbetrieb eingelegt und die Finanzverwaltung den Vorsteuerabzug verweigert hatte. Der Kläger hatte das Auto ursprünglich zu 92 % privat genutzt, sodass die Anschaffung nach damaliger Verwaltungspraxis als rein privat galt.103 Der EuGH verweigerte den nachträglichen Vorsteuerabzug. Die Vorsteuerberichtigungsvorschrift in Art. 20 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG (heute Art. 187 MwStSystRL) könne kein Recht zum Vorsteuerabzug entstehen lassen.104 Sie setze das Bestehen eines Vorsteuerabzugsrechts voraus und lege nur das Verfahren für die Berichtigung fest. Die Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug sei dagegen in Art. 17 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG (heute Art. 167 MwStSystRL) geregelt.105 Schaffe ein Steuerpflichtiger einen Gegenstand für den privaten Gebrauch an, handle er nicht „als solcher“ und es entstehe kein Recht zum Vorsteuerabzug. Zwar widerspreche die gänzliche Versagung des Vorsteuerabzugs bei nur geringer unternehmerischer Mitverwendung von Eingangsleistungen den Richtlinienvorgaben.106 Der Kläger hätte aber das Auto seinem Unternehmen zuordnen und gegen die Nichtanerkennung vorgehen können. Da er dies

102 103 104 105 106

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EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101. Diese Verwaltungspraxis wurde später in § 15 Abs. 1 S. 2 UStG Gesetz. EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 11 ff. EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 8 ff. EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 25 ff., Rn 34 f. Heute sieht § 15 Abs. 1 S. 2 UStG ein Zuordnungsverbot zum Unternehmen bei weniger als 10 %-iger unternehmerischer Nutzung vor. Die Regelung beruht auf einer Sonderermächtigung gem. Art. 395 Abs. 1 MwStSystRL: Entscheidung des Rates v. 28.2.2000, 2000/186/EG, ABl. EG 2000, L 59/12; v. 19.11.2004, 2004/817/EG, ABl. EG 2004, L 357/33; v. 20.10.2009, 2009/791/EG, ABl. EG 2009, L 283/55.

Grundlagen

nicht getan habe, sei von einem Erwerb zu privaten Zwecken auszugehen.107 Diese Grundsätze hat der EuGH später auf Eingangsleistungen zu rein hoheitlichen Zwecken108 und auf im Privatvermögen belassene Anteile gemischt genutzter Gegenstände übertragen.109 Für die Sphärentheorie bedeutet dies: Eingangsleistungen in der nichtunternehmerischen Sphäre sind endgültig vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Im Zeitpunkt des Leistungsbezugs entsteht kein Recht zum Vorsteuerabzug, weil der Unternehmer nicht für sein Unternehmen gem. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG handelt. Bei späterer (Mit-)Verwendung in der unternehmerischen Sphäre kann die von § 15a UStG vorgesehene Vorsteuerberichtigung kein Vorsteuerabzugsrecht entstehen lassen. b.

EuGH-Urteil Armbrecht: Zuordnungswahlrecht; Veräußerung eines teilweise dem Unternehmen zugeordneten Investitionsgutes ist nur teilweise steuerbar

In der Rechtssache Armbrecht war der Kläger Gastwirt und nutzte ein ihm gehörendes Gebäudegrundstück gemischt für seine steuerpflichtige Tätigkeit und für private Wohnzwecke. Im Streitjahr veräußerte er das Grundstück unter Option zur Steuerpflicht110 für den unternehmerisch genutzten Teil. Das Finanzamt erhob jedoch Umsatzsteuer auf den vollen Kaufpreis. Der EuGH hielt die Veräußerung nur hinsichtlich des dem Unternehmen zugeordneten Anteils für steuerbar.111 Gemischt genutzte einheitliche Gegenstände könne der Steuerpflichtige wahlweise voll dem Unternehmen, voll dem Privatbereich oder anteilig dem Unternehmen und dem Privatbereich zuordnen.112 Ordne er ihn teilweise dem Unternehmen zu, sei ein späterer Verkauf nur zu diesem Anteil steuerbar, weil der Steuerpflichtige nur insoweit „als solcher“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a MwStSystRL handle.113 Darüber hinaus könne nur insoweit ein Recht zum Vorsteuerabzug

107 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 23 f. 108 EuGH v. 02.06.2005, C-378/02, Waterschap Zeeuws Vlaanderen, Slg 2005, I-4685, Rn 37 ff., Rn 39. 109 EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 32 f.; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 43 f. 110 Vgl. Art. 135 Abs. 1 lit. j), 137 Abs. 1 lit. b) MwStSystRL, § 4 Nr. 9 lit. a), § 9 Abs. 1 UStG. 111 EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 24. 112 EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 19 ff. 113 EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 24.

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Die traditionelle Sphärentheorie

entstehen und die private Mitverwendung sei nur insoweit als Entnahme steuerbar.114 Für die Sphärentheorie folgt daraus: Bei der Anschaffung eines gemischt in der unternehmerischen und in der nicht-unternehmerischen Sphäre verwendeten Investitionsgutes hat der Unternehmer ein Zuordnungswahlrecht. Er kann den Gegenstand der unternehmerischen Sphäre, der nichtunternehmerischen Sphäre oder anteilig beiden Sphären zuordnen. Ordnet er ihn teilweise oder vollständig der nicht-unternehmerischen Sphäre zu, ist eine spätere Veräußerung insoweit nicht steuerbar. Es besteht insoweit aber auch kein Recht zum Vorsteuerabzug und die nicht-unternehmerische Mitverwendung ist nicht als Entnahme steuerbar. c.

EuGH-Urteil Seeling: Voller Vorsteuerabzug bei voller Unternehmenszuordnung eines Grundstücks

In der Rechtssache Seeling betrieb der Kläger eine Gärtnerei und errichtete ein Gebäude zur gemischten Nutzung für unternehmerische Zwecke und für private Wohnzwecke. Er ordnete es unter Inanspruchnahme vollen Vorsteuerabzugs seinem Unternehmen zu und erklärte für die private Nutzung steuerpflichtigen Verwendungseigenverbrauch. Das Finanzamt gewährte aber nur für den unternehmerischen Verwendungsanteil den Vorsteuerabzug, weil die private Mitverwendung einer steuerfreien Vermietung an sich selbst gleichstehe, vgl. § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG. Dagegen bestätigte der EuGH das freie Zuordnungswahlrecht115 und wies auf das Recht zum vollen Vorsteuerabzug bei vollständiger Unternehmenszuordnung hin.116 Die private Mitnutzung sei als Verwendungseigenverbrauch zu besteuern.117 Die Steuerbefreiung für Vermietungsumsätze sei als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und daher auf die private Verwendungsentnahme einer Wohnung nicht anwendbar.118 Dass die Entnahmebesteuerung eine Vorsteuerkorrektur nur innerhalb des Berichtigungszeitraumes von zehn Jahren zulasse, sei eine bewusste Entscheidung des Richtliniengebers.119

114 115 116 117 118 119

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EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 25 ff. EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, Rn 40. EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, Rn 41. EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, Rn 42 ff. EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, Rn 44 ff., 50. EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, Rn 53 f., zum entsprechenden Einwand der deutschen Regierung Rn 32.

Erste Funktion: Abgrenzung der steuerbaren von der nicht-steuerbaren Sphäre

Nach der Sphärentheorie ist das Urteil auf alle gemischt unternehmerisch und nicht-unternehmerisch genutzten Grundstücke zu übertragen. Bei voller Zuordnung zur unternehmerischen Sphäre hat der Steuerpflichtige das volle Vorsteuerabzugsrecht aus den Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Die Mitverwendung in der nicht-unternehmerischen Sphäre ist als Verwendungsentnahme sukzessive über den Berichtigungszeitraum nachzubesteuern. Die Rechtspraxis bezeichnet dies als Seeling-Modell. Trotz starker Kritik aus der Literatur120 hält der EuGH bis heute an diesen Grundsätzen fest.121 In der Rechtssache Puffer hat er sie auch für mit dem unionsrechtlichen Gleichheitssatz vereinbar erklärt.122

II. Erste Funktion: Abgrenzung der steuerbaren von der nicht-steuerbaren Sphäre Nach dem Grundtatbestand in § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG setzt die Steuerbarkeit einer entgeltlichen Leistung ein Handeln „im Rahmen seines [des Unternehmers] Unternehmens“ voraus. Nach der Sphärentheorie handelt ein Unternehmer nur in seiner unternehmerischen Sphäre „im Rahmen seines Unternehmens“.123 Eine konkrete Ausgangsleistung kann dabei nicht isoliert qualifiziert werden. Sie muss zunächst einem Tätigkeitsbereich zugeordnet werden, über dessen Qualifikation sodann die Sphärentheorie entscheidet. Beispielsweise lässt sich isoliert keine Aussage über die Steuerbarkeit eines Autoverkaufs treffen. Ist der Verkäufer ein Autohändler, gehört der Autoverkauf regelmäßig zu seinem handelsgewerblichen Tätigkeitsbereich und damit zur unternehmerischen Sphäre. Verkauft

120 Vgl. nur Reiß, UR 2010, 797, 799 ff.; ders. in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 89, Rn 157; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 435 ff., Rn 1382; ders., UStG, § 4 Nr. 12 Rn 27 f.; Krumenacker, UR 2007, 473, 475 ff.; ders., SWI 2009, 69 ff., 75; Widmann, UR 2009, 420; Dziadkowski, ZSteu 2009, 237; Swinkels, VAT Monitor 2009, 285, 289 f. 121 EuGH v. 14.07.2005, C-434/03, Charles und Charles-Tijmens, Slg 2005, I-7037, Rn 23; v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839 Rn 39; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 39 ff.; v. 16.2.2012, C-594/10, T. G. van Laarhoven, UR 2012, 681, Rn 25 ff.; v. 29.3.2012, C-436/10, BLM SA, UR 2012, 712, Rn 23 ff.; vgl. auch GA Kokott in EuGH v. 19.7.2012, C-334/10, X, http://eurlex.europa.eu, CELEX-Nr. 62010CC0334, Rn 30. 122 EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251. 123 Vgl. nur Jakob, Umsatzsteuer, Rn 130; Birkenfeld, USt-Handbuch I, § 33 Rn 51 ff., Rn 141; Tehler in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 1 Rn 463 f.; Meyer in Offerhaus/Söhne/Lange, UStG, § 1 Rn 299 f.; auch Lohse, Zuordnung, S. 236 f.

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Die traditionelle Sphärentheorie

dagegen ein selbstständiger Rechtsanwalt sein Privatfahrzeug, handelt er in seinem Privatbereich und damit in der nicht-unternehmerischen Sphäre. Schaubild 2:

Bedeutung der Sphärentheorie für die Steuerbarkeit

Entgeltliche Ausgangsleistung Zuordnung

Tätigkeitsbereich Qualifikation nach der Sphärentheorie

Unternehmerische Sphäre

Nicht-unternehmerische Sphäre

= steuerbare Sphäre

= nicht steuerbare Sphäre

Für konkrete entgeltliche Ausgangsleistungen ist positiv zu prüfen, ob sie zur unternehmerischen Sphäre gehören. Erfüllen sie die Voraussetzungen nicht, werden sie in der nicht-unternehmerischen Sphäre erbracht.124 Maßgeblich für die Qualifikation eines Tätigkeitsbereichs als unternehmerisch im Sinne der Sphärentheorie ist die Unternehmensdefinition des Umsatzsteuergesetzes. Der Autohandelsbereich erfüllt deren Voraussetzungen, der Privatbereich nicht. Für Ausgangsleistungen entscheidet die Unternehmensdefinition zugleich über ihre Zuordnung. Der Autoverkauf des Autohändlers aus obigem Beispiel gehört zu seinem unternehmerischen Autohandelsbereich. Der Autoverkauf des Rechtsanwalts ist dagegen nicht Teil seiner unternehmerischen Anwaltstätigkeit. Die Unternehmensdefinition des Umsatzsteuergesetzes hat zwei Grundvoraussetzungen. Erstens muss der Unternehmer gewerblich oder beruflich tätig sein, § 2 Abs. 1 S. 1 und S. 2 UStG. Auf Grund der unionsrechtlichen

124 BFH v. 15.7.1993, V R 61/89, BFHE 172, 183, unter II.3.; v. 5.5.1997, V B 63/96, BFH/NV 1997, 818, unter II.1.; Niedersächsisches FG v. 23.6.2005, 5 K 374/02, juris-DokNr. STRE200671436; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 15 Rn 91; Birkenfeld, USt-Handbuch I, § 33 Rn 52; Korf, DB 2009, 758, 762; Lohse, Zuordnung, S. 231 f.

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Erste Funktion: Abgrenzung der steuerbaren von der nicht-steuerbaren Sphäre

Vorgaben wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit im Sinne wirtschaftlicher Tätigkeit gem. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL ausgelegt (unter 1.). Zweitens muss die Tätigkeit selbstständig ausgeübt werden, § 2 Abs. 1 S. 2 UStG, Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL (unter 2.). Für Körperschaften öffentlichen Rechts gelten die Einschränkungen in Art. 13 MwStSystRL i. V. m. § 2 Abs. 3 UStG (unter 3.). Unternehmerische Tätigkeitsbereiche umfassen neben den Grundgeschäften sog. Hilfs- und Nebengeschäfte. Diese sind auch steuerbar, wenn sie die Merkmale der Unternehmensdefinition nicht selbst erfüllen (unter 4.).

1.

Gewerbliche oder berufliche Tätigkeit als Synonym wirtschaftlicher Tätigkeit

Nach § 2 Abs. 1 S. 2 UStG umfasst das Unternehmen die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit eines Unternehmers. Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit definiert § 2 Abs. 1 S. 3 UStG als nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen. Der Einnahmeerzielungszweck ist erfüllt, wenn die Geschäfte entgeltlich erfolgen.125 Einer Gewinnerzielungsabsicht bedarf es nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut nicht, § 2 Abs. 1 S. 3 2. HS UStG. Ein unternehmerischer Tätigkeitsbereich setzt demnach ein nachhaltiges entgeltliches Tätigwerden voraus. Die unionsrechtliche Terminologie weicht davon ab. Dem Handeln „im Rahmen des Unternehmens“ gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steht ein Handeln des Steuerpflichtigen „als solcher“ gem. Art. 2 Abs. 1 a), c) MwStSystRL gleich.126 „Als solcher“ referiert auf die Definition des Steuerpflichtigen in Art. 9 Abs. 1 S. 1 MwStSystRL. Steuerpflichtiger ist demnach, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Die wirtschaftliche Tätigkeit ist die unionsrechtliche Entsprechung zur gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit. Sie ist einerseits typologisch nach Berufsbildern definiert, Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 MwStSystRL. Für die entgeltliche Nutzungsüberlassung von Gegenständen ist dagegen klassifikatorisch die nachhaltige Erzielung von Einnahmen zu prüfen, Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL.127

125 Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 31, 58 f.; Stadie in R/D/F/G, § 2 Rn 200. 126 Vgl. nur Lohse, Zuordnung, S. 234; Reiß, UR 2010, 797, 805; ders. in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 49. 127 Eingehend zur Abgrenzung wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Tätigkeit nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL unten S. 108 ff.

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Die traditionelle Sphärentheorie

Der BFH legt den nationalen Unternehmensbegriff in ständiger Rechtsprechung nach Maßgabe wirtschaftlicher Tätigkeit i. S. v. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL aus.128 Das entspricht der einhelligen Auffassung in der Literatur.129 Der jahrelange Streit über die klassifikatorische oder typologische Bestimmung „unternehmerischer Tätigkeit“130 ist dadurch bedeutungslos geworden. Das „Einfallstor“ für die unionsrechtliche Prüfung ist nach herrschender Ansicht die von § 2 Abs. 1 S. 3 UStG geforderte Nachhaltigkeit.131 Nach der Gegenansicht hat die „gewerbliche oder berufliche Tätigkeit“ in § 2 Abs. 1 S. 1 UStG eine eigenständige Bedeutung und ist ihrerseits bereits richtlinienkonform auszulegen.132 Beide Ansichten führen zu demselben Ergebnis. Demnach setzt die Qualifikation eines Tätigkeitsbereichs als unternehmerisch im Sinne der Sphärentheorie die 128 BFH v. 20.4.1997, V R 17/94, BFH/NV 1997, 719, unter II.1.; v. 11.4.2008, V R 10/07, BFHE 221, 456, unter II.1.; v. 2.7.2008, XI R 60/06, BFHE 222, 112, unter II.1.; v. 4.9.2008, V R 10/06, BFH/NV 2009, 203, unter II.1.c); v. 18.12.2008, V R 80/07, BFHE 225, 163, unter II.1.; v. 20.1.2010, XI R 13/08, BFH/NV 2010, 1137, unter II.2.b); v. 27.1.2011, V R 38/09, BFHE 232, 278, unter II.2.b); v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, unter II.1.b). 129 Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 26 ff.; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 2 Rn 109; Radeisen in Vogel/Schwarz, UStG, § 2 Rn 22; Scharpenberg in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 2 Rn 108. 130 Für klassifikatorische Bestimmung: Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 21 ff.; ausdrücklich gegen Unternehmertypus BFH v. 28.7.1993, XI R 105/90, BFH/NV 1994, 205. Für typologische Bestimmung: Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 330 ff.; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 91 f.; Lohse, Zuordnung, S. 298; SchmidtLiebig, BB 1994, Beilage 2, 1, 8. Differenzierend zwischen § 2 Abs. 1 S. 1 UStG (typologisch) und S. 3 (klassifikatorisch): Blankenheim, „Steuerpflichtiger“, S. 169 ff., 187. Offen gelassen: Heidner in Bunjes/Geist, UStG § 2 Rn 5. Nach Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 2 Rn 8 ein „juristischer Kunstbegriff, der wenig mit einem … Typusbegriff zu tun hat“. 131 BFH v. 2.7.2008, XI R 60/06, BFHE 222, 112, unter II.1.; v. 18.12.2008, V R 80/07, BFHE 225, 163, unter II.1. und II.2.b); v. 20.1.2010, XI R 13/08, BFH/NV 2010, 1137, unter II.2.b); v. 27.1.2011, V R 21/09, BFHE 233, 77, unter II.2. und II.3.c); sowie BFH v. 7.7.2011, V R 41/09, BFHE 234, 513, unter II.1., wo der BFH für den Vorsteuerabzug auf einen Leistungsbezug „für Zwecke einer nachhaltigen (wirtschaftlichen) und gegen Entgelt ausgeübten Tätigkeit“ abstellt; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 17 Rn 43; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 2 Rn 15; vgl. auch Scharpenberg, in Hartmann/Metzenmacher, § 2 Rn 29; Klose, Unternehmer und Steuerpflichtiger, S. 127 ff.; Goertzen, DStR 1996, 164, 168 f.; Probst, DStJG 13, 1990, S. 137, 147. 132 Blankenheim, „Steuerpflichtiger“, S. 161; vgl. auch Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 326 ff. zur eigenständigen Bedeutung der „gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit“.

36

Erste Funktion: Abgrenzung der steuerbaren von der nicht-steuerbaren Sphäre

Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit gem. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL voraus.

2.

Selbstständigkeit als Voraussetzung unternehmerischer Tätigkeit

Die Bedeutung selbstständigen Tätigwerdens für die Sphärentheorie wird in der Literatur häufig übergangen. Das wird insbesondere in den nach der VNLTO-Entscheidung133 vorgeschlagenen Modellen einer neuen Sphärentheorie deutlich. Die Autoren stellen die steuerbare unternehmerische Sphäre gleich mit der wirtschaftlichen Tätigkeit, dem wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich oder der wirtschaftlichen Sphäre.134 Das Merkmal der Selbstständigkeit wird nicht in Bezug genommen. Es entsteht der Eindruck, die unternehmerische Sphäre sei allein durch die Wirtschaftlichkeit der umfassten Tätigkeiten definiert. Auf den ersten Blick spricht die Unternehmensdefinition in § 2 Abs. 1 S. 2 UStG auch gegen das Erfordernis der Selbstständigkeit. Sie enthält das Merkmal nicht ausdrücklich, im Gegensatz zur Unternehmerdefinition in § 2 Abs. 1 S. 1 UStG. Die Frage wird relevant, wenn eine Person teilweise selbstständig und teilweise nicht-selbstständig tätig ist. Hinsichtlich der nicht-selbstständigen Tätigkeit ist diese Person entweder nicht Unternehmer, d. h. ein „teilweiser Unternehmer“,135 oder handelt nicht „im Rahmen ihres Unternehmens“.136 Nur in letzterem Fall ist die Sphärentheorie einschlägig, denn sie qualifiziert Tätigkeitsbereiche eines Unternehmers. Über die Behandlung eines nur teilweise persönlich Steuerpflichtigen trifft sie keine Aussage. Der BFH verortet in seiner frühen Rechtsprechung das Problem eines sowohl selbstständig als auch nicht-selbstständig Tätigen bei der persönlichen Steuerpflicht. Eine natürliche Person könne sowohl Unternehmer als

133 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 134 Vgl. Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 300a; Korf, DB 2009, 758, 763; Korf/Kurtz, Handeln als Steuerpflichtiger, UR 2010, 86, 98, 100; Sterzinger, UR 2010, 125, 131; Reiß, UR 2010, 797, 804; Lohse, IStR 2009, 486, 487; Widmann in Vogel/Schwarz, UStG, § 15 Rn 100; auch BFH v. 29.6.2010, V B 160/08, BFH/NV 2010, 1876, unter 1.a); eingehend zu den Modellen unten S. 82 ff. 135 Im diesem Sinne wohl Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 67. 136 Vgl. Jakob, Umsatzsteuer, Rn 132; OFD Frankfurt a.M., v. 10.10.2002, S 7104 A – 68 – St I 10, UR 2004, 327, die nicht-selbstständige Tätigkeiten dem nichtunternehmerischen Bereich zuordnet.

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Die traditionelle Sphärentheorie

auch Angestellter sein.137 Andererseits ordnet er der unternehmerischen Sphäre alle Tätigkeiten zu, die die Merkmale von § 2 Abs. 1 UStG erfüllen.138 Die Selbstständigkeit ist eines dieser Merkmale. In einem neueren Urteil behandelt er die Problematik in der sachlichen Steuerpflicht. Er hatte über den Vorsteuerabzug eines sowohl selbstständig als auch nichtselbstständig Tätigen zu entscheiden.139 Maßgeblich war der Leistungsbezug „für das Unternehmen des Klägers“, nicht ob der Kläger bei Leistungsbezug die Unternehmereigenschaft besaß. Auch nach der Systematik des Umsatzsteuergesetzes ist die Selbstständigkeit konstitutives Merkmal des Unternehmens. Die Rechtsfigur eines „teilweisen Unternehmers“ sieht das deutsche Umsatzsteuerrecht nicht vor. Dies zeigt die unbegrenzte Unternehmerdefinition in § 2 Abs. 1 S. 1 UStG, wonach „Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt“ und nicht „soweit er eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt.“140 Man ist entweder ganz Unternehmer oder gar nicht. Das Tatbestandsmerkmal des Handelns „im Rahmen des Unternehmens“ dient gerade der Begrenzung des Besteuerungstatbestandes auf unternehmerische Aktivitäten. Die persönliche Steuerpflicht bleibt unberührt. Der historische Vergleich mit dem Umsatzsteuergesetz von 1919 bestätigt das. Nach § 1 Nr. 1 UStG 1919 waren Umsätze steuerbar, „die jemand innerhalb der von ihm selbständig ausgeübten gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit … ausführt.“141 1934 wurde der Steuerpflichtige als Unternehmer und der steuerbare Bereich mit dem „Rahmen seines Unternehmens“ gekennzeichnet.142 Die Regelung in § 2 Abs. 1 S. 2 UStG 1934,143 wonach das Unternehmen die gesamte gewerbliche oder

137 BFH v. 12.4.1962, V 21/60 U, BFHE 74, 710; v. 17.2.1966, V 152/64, BFHE 85, 549; vgl. auch BFH v. 21.7.1994, V R 102/92, BFH/NV 1995, 741, unter II.B.1.b), wo der BFH auf die „Eigenschaft als Arbeitnehmer“ und „einer davon zu unterscheidenden Stellung als Vermieter“ abstellt. 138 BFH v. 15.7.1993, V R 61/89, BFHE 172, 83, unter II.3.; dem folgend BFH v. 5.5.1997, V B 63/96, BFH/NV 1997, 818 unter II.1.; Niedersächsisches FG v. 23.6.2005, 5 K 374/02, juris-DokNr. STRE200671436. 139 BFH v. 11.10.2007, V R 77/05, BFHE 219, 277, unter II.1.a). 140 Vgl. zu diesem Gedanken in anderem Kontext Korf/Kurtz, UR 2010, 86, 100. 141 § 1 Nr. 1 UStG 1919, RGBl 1919, 2157. 142 § 1 Nr. 1, § 2 Nr. 1 UStG 1934, RGBl I 1934, 942; Gesetzesbegründung, RStBl 1934, 1549. 143 RGBl I 1934, 942.

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Erste Funktion: Abgrenzung der steuerbaren von der nicht-steuerbaren Sphäre

berufliche Tätigkeit des Unternehmers umfasst, sollte die Einheit des Unternehmens zum Ausdruck bringen.144 Sie ist nicht als Begriffsdefinition zu verstehen. Begrifflich entspricht das Unternehmen dem Unternehmer.145 Es trägt daher auch das Merkmal der Selbstständigkeit in sich. Schließlich sieht die Mehrwertsteuersystemrichtlinie die Voraussetzung der Selbstständigkeit vor. „Als solcher“ im unionsrechtlichen Besteuerungstatbestand verweist nicht nur auf die Wirtschaftlichkeit einer Tätigkeit, sondern auch auf ihre Selbstständigkeit, vgl. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL. Als solcher zu handeln heißt wirtschaftlich und selbstständig zu handeln.146 Im Ergebnis ist ein unternehmerischer Tätigkeitsbereich im Sinne der Sphärentheorie durch die Wirtschaftlichkeit und Selbstständigkeit der Tätigkeit definiert.

3.

Sonderregelung für juristische Personen öffentlichen Rechts

Der unternehmerische Tätigkeitsbereich juristischer Personen öffentlichen Rechts ist in § 2 Abs. 3 UStG i. V. m. § 4 KStG besonders geregelt. Voraussetzung ist die Unterhaltung eines Betriebes gewerblicher Art. Bestimmte, einzeln aufgeführte Tätigkeiten gelten unabhängig vom Vorliegen eines Gewerbebetriebes als unternehmerisch, § 2 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 5 UStG und § 4 Abs. 3 KStG. Die entsprechende Regelung in Art. 13 MwStSystRL ist als Ausnahmeregelung ausgestaltet. Ein Handeln „als Steuerpflichtiger“ setzt – wie bei allen anderen Personen – eine selbstständige und wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL voraus.147 Ausnahmsweise gelten juristische Personen öffentlichen Rechts bei Ausübung öffentlicher Gewalt nicht „als Steuerpflichtiger“, es sei denn es drohen Wettbewerbsverzerrun-

144 Gesetzesbegründung, RStBl 1934, 1549, 1550, zu § 2 erster Absatz; vgl. auch Lippross, Umsatzsteuer, S. 457 f. 145 Gesetzesbegründung, RStBl 1934, 1549, 1550, zu § 2 erster Absatz. 146 Missverständlich Birkenfeld, USt-Handbuch. I, § 24 Rn 5; ders., Mehrwertsteuer der EU, S. 50, der nur eine wirtschaftliche Tätigkeit verlangt. Die von ihm in Bezug genommene Rechtsprechung des EuGH (EuGH v. 04.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775; v. 8.3.2001, C-415/98, Bakcsi, Slg 2001, I-1831) betraf aber Fälle gemischt privater und wirtschaftlicher Tätigkeit, sodass der EuGH auf das Merkmal der Selbstständigkeit nicht eingehen musste. 147 EuGH v. 26.6.2007, C-284/04, T-Mobile Austria, Slg 2007, I-5189 Rn 48; v. 26.6.2007, C-369/04, Hutchison 3G, Slg 2007, I-5247; v. 13.12.2007, C-408/06, Götz, Slg 2007, I-5247, Rn 15; v. 29.10.2009, C-246/08, Kommission/Finnland, Slg 2009, I-10605, Rn 53; BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.2.b).

39

Die traditionelle Sphärentheorie

gen.148 Auch die gemeinschaftsrechtliche Regelung sieht einen Katalog ausdrücklich steuerbarer Tätigkeiten vor, Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 3 i. V. m. Anhang I MwStSystRL. Der Katalog hat wenig mit dem nationalen Katalog gemein.149 Die erheblichen äußeren Unterschiede der Regelungen können im Wege richtlinienkonformer Auslegung150 beseitigt werden: Auch ein Betrieb gewerblicher Art nach nationalem Recht setzt die Ausübung einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit voraus, vgl. § 4 Abs. 1 S. 1 KStG. Die Ausübung öffentlicher Gewalt ist auch nach nationalem Recht nicht steuerbar, sofern dies nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führt.151 Die gegenüber den Richtlinienvorgaben weitergehenden Einschränkungen in § 4 KStG haben nach der aktuellen BFH-Rechtsprechung für das Umsatzsteuerrecht keine Bedeutung.152 Schließlich gilt der Katalog ausdrücklich steuerbarer Tätigkeiten im Anhang I der Mehrwertsteuersystemrichtlinie auch im nationalen Recht.153 Denn die aufgezählten Tätigkeiten begründen keinen Hoheitsbetrieb im Sinne von § 4 Abs. 5 S. 1 KStG, weil sie nicht überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen. Umgekehrt sind die in § 2 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 5 UStG ausdrücklich unternehmerischen

148 „Größere Wettbewerbsverzerrungen“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL bestehen bereits bei nicht nur unbedeutenden Wettbewerbsverzerrungen. Eingehend dazu Ismer/Keyser, UR 2011, 81, 88 f. 149 Übereinstimmungen bestehen hinsichtlich der Versorgungsbetriebe, vgl. § 4 Abs. 3 KStG und Anhang I Nr. 2 MwStSystRL, dazu BFH v. 2.3.2011, XI R 65/96, BFHE 233, 264, unter II. a) und b); sowie hinsichtlich der Tätigkeiten der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, vgl. § 2 Abs. 3 S. 2 Nr. 5 UStG und Anhang I Nr. 7 MwStSystRL, dazu BFH v. 3.7.2008, V R 51/06, BFHE 222, 128, unter II.2.d)aa). 150 Vgl. BFH v. 20.8.2009, V R 30/06, BFHE 226, 465, unter II.2.a)cc); v. 20.8.2009, V R 70/05, BFHE 226, 458, unter II.2.b)bb); v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, unter II.2.c)aa); v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.1.; v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, unter II.2.a)aa); v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II.2.a); Ismer/Keyser, UR 2011, 81 ff.; kritisch Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 1149 ff. Vgl. zur aktuellen BFH-Rspr. auch unten S. 73 ff. 151 Vgl. BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.5.b), c), näher dazu unten S. 73 ff. 152 Vgl. BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, unter II.2.c); v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.2.c), d), e), näher dazu unten S. 73 ff. Weiterhin Ismer/Keyser, UR 2011, 81, 82 f.; Widmann, Stbg 2012, 57, 64. 153 Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 162.1; Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 2 Rn 269; vgl. auch BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, unter II.2.c)ee).

40

Erste Funktion: Abgrenzung der steuerbaren von der nicht-steuerbaren Sphäre

Tätigkeiten auch nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht steuerbar. Das folgt nach einer Ansicht aus der fehlenden Ausübung öffentlicher Gewalt.154 Jedenfalls aber erzwingt die Wettbewerbsrelevanz der aufgezählten Tätigkeiten ihre Steuerbarkeit.155 Im Ergebnis umfasst die unternehmerische Sphäre juristischer Personen öffentlichen Rechts ihre selbstständigen und wirtschaftlichen Tätigkeiten mit Ausnahme der Ausübung wettbewerbsneutraler öffentlicher Gewalt gemäß Art. 9 und Art. 13 MwStSystRL.

4.

Reichweite unternehmerischer Tätigkeitsbereiche

Zu einem unternehmerischen Tätigkeitsbereich gehören zunächst die Hauptleistungen in dem Geschäftszweig, die sog. Grundgeschäfte.156 Je nach Geschäftsgegenstand sind das die zentralen Warengeschäfte bzw. Dienstleistungsgeschäfte des Unternehmers. Darüber hinaus umfasst ein unternehmerischer Bereich sog. Hilfs- und Nebengeschäfte. Sie sind steuerbar, auch wenn sie die Voraussetzungen wirtschaftlicher und selbstständiger Tätigkeit nicht selbst erfüllen.157 Hilfsgeschäfte sind durch die Haupttätigkeit veranlasst und unterstützen sie. Der Geschäftsbetrieb bringt sie üblicherweise mit sich.158 Ein solches Hilfsgeschäft ist beispielsweise eine Betriebsverlagerung gegen Entgelt.159 Nebengeschäfte stehen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Grundgeschäften.160 Der Unternehmer nutzt seine beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen aus seiner Haupttätigkeit. Beispielsweise ist die einmalige Nebentätigkeit eines Steuerberaters als Prüfer in der Steuerberaterprüfung seiner unternehmerischen Sphäre zuzuordnen.161 Unionsrechtlich entspricht dem, wenn der EuGH eine

154 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 1460. 155 Scharpenberg in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 2 Rn 786. Vgl. zur Wettbewerbsrelevanz der Tätigkeiten Korn in Bunjes/Geist, UStG, § 2 Rn 210; Raudszus in Keller/Bustorff, UStG, § 2 Rn 339; BT-DrS 11/6174, S. 1, 5 ff. 156 Vgl. Husmann in R/D/F/G, § 1 Rn 189; Lippross, Umsatzsteuer, S. 466. 157 BFH v. 27.1.1995, V R 44/94, BFHE 178, 482, unter II.2.; Birkenfeld, UStHandbuch I, § 33 Rn 91 f., 111, 121; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 302; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 135. 158 Husmann in R/D/F/G, § 1 Rn 189; Lippross, Umsatzsteuer, S. 466. 159 BFH v. 1.2.1990, V R 102/85, BFH/NV 1990, 464 – Auf Betreiben der Stadt wurde der „störende Gewerbebetrieb“ in ein Gewerbegebiet verlagert. Die von der Stadt gezahlte Entschädigung qualifizierte der BFH nicht als Schadensersatz, sondern als Entgelt. 160 Husmann in R/D/F/G, § 1 Rn 191; Birkenfeld, USt-Handbuch I, § 33 Rn 91 f., 121; Lippross, Umsatzsteuer, S. 466. 161 Birkenfeld, USt-Handbuch I, Rn 122.

41

Die traditionelle Sphärentheorie

Tätigkeit als „unmittelbare, dauerhafte und notwendige Erweiterung einer wirtschaftlichen Tätigkeit“ qualifiziert.162

III. Zweite Funktion: Abgrenzung potenzieller Entnahmezielbereiche Die Entnahmetatbestände für außerunternehmerische Zwecke setzen eine unentgeltliche Leistung des Unternehmers im Rahmen seines Unternehmens für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, voraus. Abhängig vom Entnahmegegenstand wird sie als Gegenstandsentnahme gem. § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG, als Verwendungsentnahme gem. § 3 Abs. 9a S. 1 Nr. 1 Alt. 1 UStG oder als Leistungsentnahme gem. § 3 Abs. 9a S. 1 Nr. 2 Alt. 1 UStG besteuert. Die Sphärentheorie hat dabei eine doppelte Bedeutung. Sie entscheidet zum einen über den Leistungsursprung im Unternehmen (unter 1). Zum anderen richtet sich die Verfolgung außerunternehmerischer Zwecke nach der Sphärentheorie (unter 2.). Außer Betracht bleiben die Entnahmetatbestände für den privaten Personalbedarf (§ 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 2, Abs. 9a S. 1 Nr. 1 Alt. 2, Abs. 9a S. 1 Nr. 2 Alt. 2 UStG) und für Zwecke des Unternehmens (§ 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG). Sie sind für die Sphärentheorie nicht relevant. Personalentnahmen sind heute nur noch ein Spezialfall von Entnahmen für außerunternehmerische Zwecke.163 Die Entnahmebesteuerung unentgeltlicher Zuwendungen für Zwecke des Unternehmens ist dagegen eine systemfremde Ausnahmeregelung. Denn sie belastet Aufwendungen, die grundsätzlich zu entlasten sind, um eine Umsatzsteuerkummulation zu vermeiden.164

1.

Handeln im Rahmen des Unternehmens

Die Voraussetzung des Handelns „im Rahmen des Unternehmens“ ist in den Entnahmetatbeständen nicht ausdrücklich vorgesehen. Sie folgt aus ihrer

162 Vgl. dazu unten S. 122 ff. 163 Vgl. oben S. 24 bei Fn 68. 164 Vgl. Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 1260 ff.; Fritsch in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 3 Rn 322.48; Leonard, in Bunjes/Geist, UStG, § 3 Rn 156; Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 79; Lippross, Umsatzsteuer, S. 337 f.; Widmann, UR 1999, 20, 22. Die Besteuerung wird mit der Vermeidung eines umsatzsteuerlich unbelasteten Letztverbrauchs gerechtfertigt, Entwurf eines StEntlG 1999/2000/2002 v. 9.11.1998, BT-DrS 14/23, S. 196.

42

Zweite Funktion: Abgrenzung potenzieller Entnahmezielbereiche

Ausgestaltung als Ergänzungstatbestände. Die Entnahmetatbestände fingieren eine Leistung gegen Entgelt im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG. Die übrigen Voraussetzungen des Grundtatbestandes müssen positiv festgestellt werden, darunter das Handeln „im Rahmen des Unternehmens“.165 Für die Gegenstände betreffenden Entnahmetatbestände in § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 9a S. 1 Nr. 1 UStG geht das Handeln im Rahmen des Unternehmens in der Voraussetzung der Unternehmenszugehörigkeit des Gegenstandes auf. Der Gegenstand muss entweder in einem unternehmerischen Bereich bezogen oder vom Unternehmer selbst hergestellt worden sein.166 Für unentgeltliche sonstige Leistungen ist eine hypothetische Betrachtung erforderlich. Würde dieselbe Leistung in entgeltlicher Form an einen Dritten die Voraussetzungen unternehmerischer Tätigkeit erfüllen, wird sie im Rahmen des Unternehmens erbracht. Für die Qualifikation der hypothetisch entgeltlichen Leistung gelten die obigen Ausführungen zur Qualifikation entgeltlicher Leistungen.167 Die überwiegende Literaturansicht stellt dagegen auf die Verwendung sachlicher oder personeller Mittel aus dem Unternehmensbereich ab.168 Das genügt jedoch nicht für eine Leistungsentnahme. Erstellt beispielsweise ein selbstständiger Rechtsanwalt eine Hausarbeit seines Sohnes, ist die Hausarbeit nicht als Leistungsentnahme zu besteuern, auch wenn er seinen Firmencomputer dafür nutzt. Unbeachtlich ist insoweit auch, dass der Anwalt Humankapital aus seiner Rechtsanwaltsausbildung einsetzt. Denn eigenes Humankapital ist schon kein zum Betrieb gehörender Vermögensgegenstand.169 Stattdessen kommt nur eine Verwendungsentnahme hinsichtlich der privaten Nutzung des Computers in Betracht.

165 Lippross, Umsatzsteuer, S. 314, 358; Probst in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 3 Abs. 9a Rn 71; Fritsch in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 3 Rn 685.3.; vgl. auch Stadie, UStG, § 3 Rn 56 und Rn 161. 166 Lippross, Umsatzsteuer, S. 318; eingehend zum Leistungsbezug in der unternehmerischen Sphäre sogleich S. 46 ff. 167 Vgl. S. 33 ff. 168 Lippross, DStZ 2012, 320, 321, 330; ders. Umsatzsteuer, S. 358; Probst in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 3 Abs. 9a Rn 93; vgl. auch Widmann in Plückebaum/Widmann, UStG, § 3 Abs. 9a Rn 24. 169 Vgl. Ismer, Bildungsaufwand im Steuerrecht, S. 262, wonach eigenes Humankapital eines Bilanzierenden nicht bilanzierungsfähig ist.

43

Die traditionelle Sphärentheorie

2.

Verfolgung von Zwecken außerhalb des Unternehmens

Eine unentgeltliche Leistung verfolgt außerunternehmerische Zwecke, wenn sie der nicht-unternehmerischen Sphäre dienen soll. Die Sphärentheorie qualifiziert damit alle Tätigkeitsbereiche in der nicht-unternehmerischen Sphäre als potenzielle Entnahmezielbereiche. Tätigkeitsbereiche der unternehmerischen Sphäre scheiden als Entnahmeziel aus. Technisch trifft der Steuerpflichtige eine Zweckbestimmung für die konkrete unentgeltliche Leistung. Der Verwendungszweck ist einem Tätigkeitsbereich zuzuordnen. Diesen qualifiziert die Sphärentheorie als unternehmerisch bzw. nichtunternehmerisch. Im obigen Beispiel170 entscheidet der Rechtsanwalt über die Verwendung seines Firmencomputers zur Erstellung der Hausarbeit (Zweckbestimmung). Dieser Verwendungszweck ist dem Privatbereich zuzuordnen. Die Sphärentheorie qualifiziert ihn als nicht-unternehmerischen Bereich, sodass der Tatbestand einer Verwendungsentnahme nach § 3 Abs. 9a S. 1 Nr. 1 UStG erfüllt ist.

170 Vgl. S. 43.

44

Zweite Funktion: Abgrenzung potenzieller Entnahmezielbereiche Schaubild 3:

Bedeutung der Sphärentheorie für die Entnahmebesteuerung für außerunternehmerische Zwecke

Gegenstand oder sonstige Leistung aus dem Unternehmen Zweckbestimmung

Konkreter Verwendungszweck Zuordnung

Tätigkeitsbereich Qualifikation nach der Sphärentheorie

Unternehmerische Sphäre

Nicht-unternehmerische Sphäre

= kein Entnahmeziel

= potenzielles Entnahmeziel

Für einen konkreten Verwendungszweck ist positiv zu prüfen, ob er zu einem unternehmerischen Bereich gehört. Verneinendenfalls gehört er zu einem nicht-unternehmerischen Bereich. Über die Qualifikation eines Tätigkeitsbereichs als unternehmerisch entscheidet die Qualität der Ausgangsleistungen in dem Bereich. Nach der Sphärentheorie ist dafür die Unternehmensdefinition in Art. 2 Abs. 1 UStG i. V. m. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL maßgeblich. Das wurde bereits ausgeführt.171 Im Beispielsfall172 ist der Privatbereich nicht-unternehmerisch, weil der Rechtsanwalt im Privatbereich keine wirtschaftlichen Ausgangsleistungen erbringt. Für die Zuordnung des Verwendungszwecks ist der Zusammenhang mit einem unternehmerischen Tätigkeitsbereich entscheidend. Die Rechtsprechung hat bisher keine näheren Vorgaben für diese Zuordnung entwickelt. Es liegt die Übernahme des Zuordnungsmaßstabes für Eingangsleistungen nahe.173 Demnach muss ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Verwendungszweck und dem unternehmerischen Tätigkeitsbereich (der unternehmerischen Ausgangstätigkeit)

171 Dazu oben S. 34. 172 Vgl. S. 43. 173 Dazu unten S. 50 ff.

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Die traditionelle Sphärentheorie

bestehen. Der Verwendungszweck der Erstellung einer Hausarbeit im Beispielsfall172 steht nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zur unternehmerischen Rechtsanwaltstätigkeit. Klassischer Fall der Entnahme für außerunternehmerische Zwecke ist die Privatentnahme. Nach der traditionellen Sphärentheorie ist eine Entnahme darüber hinaus für Zwecke aller anderen nicht-unternehmerischen Bereiche möglich, insb. in den hoheitlichen Bereich, den ideellen Bereich von Personenvereinigungen und in Tätigkeitsbereiche reiner Beteiligungsverwaltung.174 Bis zur VNLTO-Entscheidung175 wurde diese Auslegung der Entnahmetatbestände für unionsrechtskonform gehalten. Man glaubte, die unionsrechtlichen Entnahmetatbestände „allgemein für unternehmensfremde Zwecke“ gem. Art. 16 S. 1, Art. 26 Abs. 1 lit. a) und b) MwStSystRL umzusetzen. Das zeigt die Stellungnahme der deutschen Regierung in Sachen VNLTO.176 Sie beurteilte die Mitverwendung eines Unternehmensgegenstandes in einem ideellen Bereich als Verwendungsentnahme für unternehmensfremde Zwecke.

IV. Dritte Funktion: Abgrenzung der Sphäre mit und ohne Vorsteuerabzugsberechtigung Die Vorsteuerabzugsberechtigung nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG setzt voraus, dass der Steuerpflichtige eine Leistung „für sein Unternehmen“ bezieht. Darüber entscheidet die Sphärentheorie. Nur in der unternehmerischen Sphäre handelt der Steuerpflichtige „für sein Unternehmen“ und kann folglich Vorsteuerabzug dem Grunde nach begehren.177 Die Qualifikation einer konkreten Eingangsleistung erfolgt in drei Stufen: Der Steuerpflichtige entscheidet über ihren konkreten Verwendungszweck.178 Dieser muss einem Tätigkeitsbereich zugeordnet werden. Die Sphärentheorie qualifiziert diesen Bereich als unternehmerisch oder nicht-unternehmerisch. Kauft beispiels-

174 Lippross, Umsatzsteuer, S. 459 f.; auch noch Fritsch in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 3 Rn 322.24. Vgl. auch unten S. 56 Fn 229 und Fn 230 zur Gewährung des Zuordnungswahlrechts bei gemischt unternehmerischer und ideeller bzw. unternehmerischer und hoheitlicher Verwendung. Die Unternehmenszuordnung eröffnete den Vorsteuerabzug und ging mit einer Entnahmebesteuerung hinsichtlich der nichtunternehmerischen Verwendungsanteile einher. 175 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 176 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 22. 177 Vgl. Lippross, Umsatzsteuer S. 459 f. 178 Vgl. Lippross, Umsatzsteuer, S. 953, 1000 f.

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Dritte Funktion: Abgrenzung der Sphäre mit und ohne Vorsteuerabzugsberechtigung

weise ein selbstständiger Rechtsanwalt eine Garderobe für seine Kanzleiräume, gehört diese geplante Verwendung zum anwaltlichen Tätigkeitsbereich und damit zur unternehmerischen Sphäre. Kauft er sie stattdessen für seine Wohnung, gehört der Leistungsbezug zum Privatbereich und damit zur nicht-unternehmerischen Sphäre. Daneben ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH auch eine Zuordnung von Eingangsleistungen zur wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Unternehmers möglich.179 Die wirtschaftliche Gesamttätigkeit steht dabei der unternehmerischen Sphäre gleich. Schaubild 4:

Bedeutung der Sphärentheorie für den Vorsteuerabzug

Eingangsleistung Zweckbestimmung

Konkreter Verwendungszweck Zuordnung zur wirtschaftl. Gesamttätigkeit

Zuordnung

Tätigkeitsbereich Qualifikation nach der Sphärentheorie

unternehmerische Sphäre

nicht-unternehmerische Sphäre

= Sphäre mit Vorsteuerabzugsberechtigung dem Grunde nach

= Sphäre ohne Vorsteuerabzugsberechtigung dem Grunde nach

Beim Bezug konkreter Eingangsleistungen ist positiv zu prüfen, ob ihr Verwendungszweck zum unternehmerischen Tätigkeitsbereich oder zur wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Unternehmers gehört. Sind die 179 EuGH v. 8.6.2000, C-98/98, Midland Bank, Slg 2000, I-4177, Rn 31; v. 27.09.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 33; v. 26.5.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 36; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 58; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 47.

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Die traditionelle Sphärentheorie

Voraussetzungen nicht erfüllt, wird die Eingangsleistung in der nichtunternehmerischen Sphäre bezogen. Über die Qualifikation eines Tätigkeitsbereichs als unternehmerisch entscheidet – wie bereits ausgeführt180 – die unternehmerische Qualität der Ausgangsleistungen in dem Bereich gem. Art. 2 Abs. 1 UStG i. V. m. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL. Die Zuordnung von Eingangsleistungen zu einem unternehmerischen Tätigkeitsbereich richtet sich nach herrschender Lehre nach einer Zuordnungsentscheidung des Unternehmers.181 Der Unternehmer trifft jedoch nur eine Entscheidung über die konkrete Verwendung der Eingangsleistung. Die Zuordnung dieser Verwendung ist – außer bei gemischten Eingangsleistungen182 – eine juristische Frage (unter 1). Maßgeblich für die Zuordnung ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang mit der unternehmerischen Ausgangstätigkeit des Steuerpflichtigen bzw. mit seiner wirtschaftlichen Gesamttätigkeit (unter 2.). Die Bedeutung der Sphärentheorie für den Vorsteuerabzug setzt sich in der Frage der Vorsteuerkorrektur bei nachträglichem Sphärenwechsel fort (unter 3.).

1.

Verwendungszweckbestimmung statt Zuordnungsentscheidung bei reinen Eingangsleistungen

Nach herrschender Lehre setzt die Unternehmenszugehörigkeit einer Eingangsleistung eine entsprechende Zuordnungsentscheidung des Unternehmers voraus.183 In seiner Zuordnungsentscheidung unterliege der Unternehmer Beschränkungen.184 Kann eine Eingangsleistung nur unternehmerisch verwendet werden, müsse sie der unternehmerischen Sphäre zugeordnet werden. Kann eine Eingangsleistung nur nichtunternehmerisch verwendet werden, müsse sie der nicht-unternehmerischen Sphäre zugeordnet werden.185 Eine sowohl unternehmerisch als auch nicht180 Oben S. 34. 181 Vgl. nur BFH v. 26.6.2009, V B 34/08, BFH/NV 2009, 2011, unter II.1.a); v. 23.9.2009, XI R 14/08, BFHE 227, 218, unter II.1.c); Lippross, Umsatzsteuer, S. 468, 953. 182 Bei gemischten Eingangsleistungen zur unternehmerischen und privaten Verwendung besteht nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ein echtes Zuordnungswahlrecht, dazu unten S. 55 ff. 183 Lippross, Umsatzsteuer, S. 953 f.; Forgách in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 15 Rn 122; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 798; Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhne/Lange, UStG, § 15 Rn 146; Birkenfeld, USt-Handbuch II, § 172 Rn 372 ff. 184 Lippross, Umsatzsteuer, S. 953 f.; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 796, 798; Forgách in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 15 Rn 123. 185 Lippross, Umsatzsteuer, S. 953; Birkenfeld, USt-Handbuch I, § 33 Rn 171 ff, 181 ff.

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Dritte Funktion: Abgrenzung der Sphäre mit und ohne Vorsteuerabzugsberechtigung

unternehmerisch verwendbare Eingangsleistung könne dem Unternehmen zugeordnet werden, wenn sie „in einem objektiven und erkennbar wirtschaftlichen Zusammenhang mit der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit steht und diese fördern soll“.186 Vorzugswürdig ist dagegen eine Unterscheidung zwischen der Verwendungszweckbestimmung durch den Unternehmer und der Zuordnung und Qualifikation dieses Verwendungszwecks. Indem die herrschende Lehre allein auf eine Zuordnungsentscheidung abstellt, suggeriert sie eine weiter reichende Entscheidungsbefugnis des Unternehmers, als er tatsächlich hat. Der Unternehmer entscheidet lediglich über den tatsächlichen Verwendungszweck einer Eingangsleistung. Zu welchem Bereich die beabsichtigte Verwendung gehört und ob dieser Bereich als unternehmerisch zu qualifizieren ist, sind juristische Fragen. Der Unternehmer kann darüber grundsätzlich187 nicht entscheiden.188 Im obigen Beispiel189 gehört die Anschaffung der Garderobe für die Privatwohnung des Rechtsanwalts zwingend zu seiner nicht-unternehmerischen Sphäre. Er kann sie unter Beibehaltung dieses Verwendungszwecks nicht seiner anwaltlichen Tätigkeit zuordnen. Beschränkungen unterliegt der Steuerpflichtige hinsichtlich der Verwendungszweckbestimmung nicht. Den Verwendungszweck muss der Unternehmer bei Bezug der Eingangsleistung bestimmen.190 In diesem Zeitpunkt entsteht das Recht zum

186 Abschn. 15.2 Abs. 21 Nr. 2 lit. a) S. 4 UStAE; BFH v. 27.7.1995, V R 44/94, BFHE 178, 482, unter II.1.a); v. 17.9.1998, V R 27/96, BFH/NV 1999, 832, unter II.1.; v. 28.3.2001, V B 182/00, juris-DokNr. STRE200150563, unter II.4.; FG Köln v. 30.6.2009, 8 K 1265/07, EFG 2011, 192, unter 3.a.; vgl. auch BFH v. 12.12.1985, V R 24/78, BFHE 145, 255, unter II.1.; v. 22.10.2009, V R 33/08, BFH/NV 2010, 957, unter II.2.a); Lippross, Umsatzsteuer, S. 954; Forgách in Reiß/Kraeusel/Langer, § 15 Rn 123. 187 Zum echten Zuordnungswahlrecht bei gemischten Eingangsleistungen unten S. 55 ff. 188 Vgl. Jakob, Umsatzsteuer, Rn 809. 189 S. 46 f. 190 Abschn. 15.12 Abs. 1 S. 7 und 15.2 Abs. 17 S. 4 UStAE; BFH v. 26.6.2009, V B 34/08, BFH/NV 2009, 2011, unter II.1.b); v. 23.9.2009, XI R 14/08, BFHE 227, 218, unter II.1.c); v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.3.a.; v. 7.7.2011, V R 42/09, BFHE 234, 519, unter II.3.; Lippross, Umsatzsteuer, S. 954; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 15 Rn 125; Forgách in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 15 Rn 131; vgl. auch EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795 Rn 8. Nach einer bisher einmalig gebliebenen Entscheidung des BFH sind die tatsächlichen Verwendungsanteile im Anschaffungsjahr maßgeblich, wenn mit der Verwendung bereits begonnen wurde, BFH v. 2.3.2006, V R 49/05, BFHE 213, 249, unter II.2.a).

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Die traditionelle Sphärentheorie

Vorsteuerabzug, sodass endgültig über seine Voraussetzungen zu entscheiden ist.191 Die Zweckbestimmung muss zeitnah dokumentiert werden, spätestens bis zum Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist der Jahressteuererklärung.192 Abweichungen der tatsächlichen von der beabsichtigten Verwendung werden anhand der Korrekturmechanismen des Umsatzsteuergesetzes korrigiert.193 Als innere Tatsache ist die Zweckbestimmung anhand objektiver Beweisanzeichen zu ermitteln.194 Wichtigstes Indiz ist die Inanspruchnahme bzw. fehlende Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs.195

2.

Zuordnungsmaßstab des „direkten und unmittelbaren Zusammenhangs“

Für die Zuordnung konkreter Eingangsleistungen zur unternehmerischen Sphäre sind die unionsrechtlichen Vorgaben zu beachten. In ständiger Rechtsprechung gewährt der EuGH den Vorsteuerabzug nur, wenn eine Eingangsleistung in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zu besteuerten Umsätzen steht. Dafür kommen zwei Varianten in Betracht: 1. Die Eingangsleistung steht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zu (einem oder mehreren) konkreten besteuerten Ausgangsumsätzen und ist Kostenelement dieser Umsätze.196

191

192 193 194 195

196

50

Dies muss als bloße Beweisregel für die allein maßgebliche Verwendungsabsicht verstanden werden. BFH v. 8.3.2001, V R 24/98, BFHE 194, 522, unter II.1.; v. 25.11.2004, V R 38/03, BFHE 208, 84, unter II.2.b); v. 2.3.2006, V R 49/05, BFHE 213, 249, unter II.2.a); v. 7.7.2011, V R 42/09, BFHE 234, 519, unter II.3.; auch BFH v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.3.b)cc)(2); Heidner in Bunjes/Geist, § 15 Rn 125, § 15a Rn 10; Forgách in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 15 Rn 131; Lippross, Umsatzsteuer, S. 480 f. BFH v. 7.7.2011, V R 42/09, BFHE 234, 519, unter II.3.b), der aus Praktikabilitätsgründen auf die allgemeine Abgabefrist für die Jahressteuererklärung zurückgreift. Dazu unten S. 52 ff. BFH v. 12.1.2011, XI R 9/08, BFHE 232, 254, unter II.4.; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 15 Rn 107. Abschn. 15.2 Abs. 21 Nr. 2 S. 7 f. und Nr. 2 lit. a) S. 5 UStAE; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 15 Rn 126. Weitere Beweisanzeichen sind die Bestellung unter dem Firmennamen oder die Erfassung in der betrieblichen Buchführung, vgl. BFH v. 27.7.1995, V R 44/94, BFHE 178, 482, unter II.1.b); Lange, UR 2008, 23, 25. St. Rspr., vgl. EuGH v. 8.6.2000, C-98/98, Midland Bank, Slg 2000, I-4177, Rn 20 f., 30; v. 22.2.2001, C-408/98, Abbey National, Slg 2001, I-1361, Rn 28; v. 27.9.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 29 ff.; v. 26.5.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 35; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF,

Dritte Funktion: Abgrenzung der Sphäre mit und ohne Vorsteuerabzugsberechtigung

2. Die Eingangsleistung steht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zur wirtschaftlichen Gesamttätigkeit. Sie muss als allgemeiner Aufwand Kostenelement aller vom Steuerpflichtigen gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sein.197 Diese so genannte ausgangsumsatzbezogene Betrachtungsweise198 des EuGH beruht auf der Ausgestaltung des Vorsteuerabzugstatbestandes in Art. 168 lit. a) MwStSystRL. Demnach setzt der Vorsteuerabzug einen Leistungsbezug des Steuerpflichtigen „für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze“ voraus. Die Regelung ist auf die Ausgangsumsätze des Steuerpflichtigen gerichtet.199 Der nationale Vorsteuerabzugstatbestand in § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG setzt dagegen einen Leistungsbezug „für das Unternehmen“ voraus. Er nimmt das Unternehmen, mit anderen Worten die unternehmerische Sphäre in Bezug. Den inhaltlichen Gleichlauf der nationalen und unionsrechtlichen Vorschriften zum Vorsteuerabzug stellen Sonderregelungen her.200 Insbesondere enthalten §§ 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 UStG Ausschlusstatbestände bei Leistungsbezügen für bestimmte steuerbefreite Umsätze. Art. 169 MwStSystRL erweitert das Vorsteuerabzugsrecht auf nicht steuerbefreite, ausländische Warenumsätze und bestimmte steuerbefreite Umsätze. Für die Zuordnung einer Eingangsleistung zur unternehmerischen Sphäre ist in richtlinienkonformer Auslegung201 der unionsrechtliche Zuordnungsmaß-

197

198 199 200 201

Slg 2009, I-10413, Rn 57; v. 6.9.2012, C-496/11, Portugal Telecom SGPS SA, UR 2012, 762, Rn 36; BFH v. 6.5.10, V R 29/09, BFH/NV 2010, 1952, unter II.2.a)aa); Birkenfeld, USt-Handbuch II, § 171 Rn 141 ff. EuGH v. 8.6.2000, C-98/98, Midland Bank, Slg 2000, I-4177, Rn 31; v. 22.2.2001, C-408/98, Abbey National, Slg 2001, I-1361, Rn 35 f.; v. 27.09.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 33; v. 26.5.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 36; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 58; v. 6.9.2012, C-496/11, Portugal Telecom SGPS SA, UR 2012, 762, Rn 37; Wäger in FS Reiß, 229, 231 ff. Analog gilt das auch für Aufwendungen im Zusammenhang mit nicht steuerbaren Geschäftsveräußerungen nach § 1 Abs. 1a UStG: EuGH v. 22.2.2001, C-408/98, Abbey National, Slg 2001, I-1361; Birkenfeld, UStHandbuch II, § 171 Rn 143. Vgl. Jakob, Umsatzsteuer, Rn 804 ff.; Ransiek, UStB 2011, 192, 196. Vgl. Wäger, DStR 2011, 433 f. Vgl. zur richtlinienkonformen Anwendung der Sonderregelungen Lippross, DStZ 2012, 320, 321 f. Vgl. zum Einfluss der Richtlinienvorgaben auf die Auslegung von § 15 Abs. 1 UStG Birkenfeld, USt-Handbuch II, § 170 Rn 22; Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 154 und die BFH-Rspr. nachfolgend in Fn 203.

51

Die traditionelle Sphärentheorie

stab zu übertragen.202 Die Eingangsleistung muss entweder in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zu einem oder mehreren konkreten unternehmerischen Ausgangsumsätzen stehen und Kostenelement dieses Umsatzes bzw. dieser Umsätze sein. Oder sie muss in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zu der gesamten unternehmerischen Tätigkeit, mit anderen Worten der unternehmerischen Sphäre, stehen und Kostenelement aller unternehmerischen Ausgangsumsätze sein. Der BFH überträgt die ausgangsumsatzbezogene Betrachtungsweise des EuGH in seinen neueren Entscheidungen unmittelbar in das nationale Recht.203

3.

Vorsteuerkorrektur bei nachträglichem Sphärenwechsel einer Eingangsleistung

Bei dem Wechsel einer Eingangsleistung aus der unternehmerischen in die nicht-unternehmerische Sphäre entfällt nachträglich die materielle Rechtfertigung des Vorsteuerabzugs. Nach der Sphärentheorie ist ein solcher Sphärenwechsel generell als Entnahme zu behandeln (unter a.). Bei dem umgekehrten Wechsel einer Eingangsleistung von der nichtunternehmerischen in die unternehmerische Sphäre wird sie nachträglich an sich in vorsteuerabzugsberechtigender Weise verwendet. Ein nachträglicher Vorsteuerabzug ist hier jedoch wegen der Lennartz-Rechtsprechung des EuGH204 ausgeschlossen (unter b.). a.

Wechsel von der unternehmerischen in die nichtunternehmerische Sphäre

Eine Eingangsleistung verlässt die unternehmerische Sphäre, wenn und soweit sie nachträglich für nicht-unternehmerische Zwecke verwendet werden soll. Dieser Verwendungswechsel begründet nach der traditionellen Sphärentheorie generell eine Entnahme für außerunternehmerische Zwecke. Sie ist unter den Voraussetzungen der Entnahmetatbestände für Gegenstände, Verwendungen und Dienstleistungen steuerbar, § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1,

202 Vgl. Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 15 Rn 146. 203 BFH v. 20.12.2005, V R 14/04, BFHE 212, 187, unter II.3.a); v. 9.11.2006, V R 9/04, BFHE 215, 372, unter II.1.b)aa); v. 3.7.2008, V R 51/06, BFHE 222, 128, unter II.2.; v. 6.5.2010, V R 29/09, BFHE 230, 263, unter II.2.; v. 8.9.10, XI R 31/08, BFH/NV 2010, 2370, unter II.1.; v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.; v. 13.1.2011, V R 12/08; BFHE 232, 261, unter II.1.; v. 27.1.2011, V R 38/09, BFHE 232, 278; unter II.2. 204 EuGH v. 11.7.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, dazu oben S. 30 f.

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Dritte Funktion: Abgrenzung der Sphäre mit und ohne Vorsteuerabzugsberechtigung

§ 3 Abs. 9a S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG.205 Für eine Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG ist insoweit kein Raum. Die Entnahmeregelungen sind spezieller.206 Nur in besonders geregelten Ausnahmefällen löst der Sphärenwechsel in die nicht-unternehmerische Sphäre eine Vorsteuerberichtigung aus. Gemein ist ihnen die fehlende Entnahmesteuerbarkeit des Sphärenwechsels.207 Beispielsweise kann die nicht-steuerbare Entnahme eines Unternehmensgegenstandes zu einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 3 S. 3 UStG führen. Die Regelung ist einschlägig, wenn ein Steuerpflichtiger für berufliche Zwecke einen Pkw von privat erwirbt, ihn unter Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs neu lackieren lässt und ihn ein Jahr später aus seinem Betrieb entnimmt.208 Eine Entnahmebesteuerung scheidet dann aus mangels Vorsteuerabzugsberechtigung bei Anschaffung des Pkw, § 3 Abs. 1b S. 2 UStG. Stattdessen ist der Vorsteuerabzug hinsichtlich der Lackierungsarbeiten nach § 15a Abs. 3 S. 3 i. V. m. Abs. 3 S. 1 Alt. 2 UStG zu berichtigen. Grundstücke erfahren seit 1.1.2011 eine Sonderbehandlung in Folge der Umsetzung von Art. 168a MwStSystRL.209 Die Regelung zielt auf die Abschaffung des Seeling-Modells210 für gemischt genutzte Grundstücke.211 In diesem Zusammenhang wurde der Vorsteuerkorrekturmechanismus für nicht-unternehmerische Verwendungen eines unternehmerischen Grundstücks speziell geregelt. Eine Entnahmebesteuerung für die Mitverwendung in der nichtunternehmerischen Sphäre ist ausgeschlossen, § 3 Abs. 9a S. 1

205 Noch: Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 15 Rn 120; Stadie, Umsatzsteuerrecht, Rn 4.13; zur Entnahmebesteuerung für außerunternehmerische Zwecke ausführlich oben S. 44 ff. 206 Stadie, Umsatzsteuerrecht, Rn 16.78; vgl. auch Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 15a Rn 21; Abschn. 15a.6 Abs. 13 S. 2 UStAE. 207 Stadie, Umsatzsteuerrecht, Rn 16.79. 208 Vgl. Abschn. 15a.6 Abs. 16 UStAE. Aus Vereinfachungsgründen erfolgt eine Vorsteuerberichtigung nur, wenn die zu berichtigende Vorsteuer 1.000 € übersteigt, § 44 Abs. 1 UStDV, dazu Abschn. 15a.11 UStAE. 209 Vgl. zum zeitlichen Anwendungsbereich der Neuregelung § 27 Abs. 16 UStG. 210 EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben S. 32 f. 211 Begründung zum Vorschlag der Kommission v. 7.11.2007, KOM(2007) 677 endgültig, unter Tz 120, Tz. 570 und unter (9) der Erwägungsgründe, juris-DokNr. 52007PC0677; dazu ausführlich unten S. 66 ff.

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Die traditionelle Sphärentheorie

Nr. 1 2. HS UStG.212 Stattdessen erfolgt eine Vorsteuerberichtigung, § 15a Abs. 6a UStG.213 Verlässt das Grundstück hingegen gänzlich den unternehmerischen Bereich, begründet dies auch weiterhin eine steuerpflichtige Entnahme nach § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1 UStG.214 b.

Wechsel von der nicht-unternehmerischen in die unternehmerische Sphäre

Der Wechsel von Leistungsbezügen aus der nicht-unternehmerischen in die unternehmerische Sphäre führt nicht zur nachträglichen Gewährung des Vorsteuerabzugs.215 Nach den Lennartz-Grundsätzen216 entsteht bei einem Leistungsbezug im Privatbereich kein Recht zum Vorsteuerabzug und kann auch nicht nachträglich entstehen. Trotz teilweise heftiger Kritik in der Literatur217 hält der EuGH an dieser Rechtsprechung fest.218 Wie bereits ausgeführt gilt sie nach der Sphärentheorie für alle Leistungsbezüge in der nicht-unternehmerischen Sphäre.219 Für Grundstücke sind die Lennartz-Grundsätze auch nach Einführung der Sonderregelung in Art. 168a MwStSystRL, § 15 Abs. 1b i. V. m. § 15a Abs. 6a UStG anwendbar.220 Eine Vorsteuerberichtigung nach dieser Sonderregelung setzt ein dem Unternehmen zugeordnetes Grundstück voraus.221 Das ist im Unionsrecht ausdrücklich festgelegt, Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 2 i. V. m. Unterabs. 1 MwStSystRL. Im nationalen Recht sind die allgemeinen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs

212 Umsetzung von Art. 168a Abs. 1 S. 2 MwStSystRL i. V. m. Art. 26 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL; vgl. von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524, 526; Meurer, UStB 2011, 44, 49; Stadie, UR 2011, 125, 144. 213 Umsetzung von Art. 168a Abs. 1 S. 2 i. V. m. 184 ff. MwStSystRL. 214 Stadie, UR 2011, 125, 145. 215 EuGH v. 11.7.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795; Abschn. 15a.1 Abs. 6 UStAE; vgl. auch Wagner in Sölch/Ringleb, § 15a Rn 59; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 15a Rn 12; Wenzel in R/D/F/G, UStG, § 15a Rn 109. 216 EuGH v. 11.7.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, ausführlich oben S. 30 f. 217 Reiß, UR 2010, 797, 801, dort auch Fn 15; Stadie in R/D/F/G, § 15 Rn 1380 ff., „Steinzeitniveau“; ders., Umsatzsteuerrecht, Rn 16.101 ff.; ders. UR 2011, 125, 145 f.; vgl. auch Dziadkowski, ZSteu 2009, 237; ders., UR 2008, 10, der sich für eine Einlagenentsteuerung ausspricht; ihm folgend Kußmaul/Türk, BB 2010, 1187, 1191. 218 Vgl. EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 43 ff. 219 Ausführlich oben S. 31. Daran ist auch nach der VNLTO-Entscheidung festzuhalten, vgl. unten S. 255 ff. 220 Vgl. von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524, 525 f; Stadie, UR 2011, 125, 145. 221 Eingehend unten S. 66 ff.

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Zuordnungswahlrecht für gemischt genutzte Investitionsgüter

nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG nicht erfüllt, soweit ein Grundstück nicht dem Unternehmen zugeordnet ist.222 § 15 Abs. 1b UStG ist als bloße Abzugsbeschränkung dann nicht einschlägig, sodass eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 6a UStG ausscheidet.

V. Zuordnungswahlrecht für gemischt genutzte Investitionsgüter Gemischt genutzte Eingangsleistungen berechtigten grundsätzlich nur hinsichtlich ihres unternehmerischen Verwendungsanteils zum Vorsteuerabzug. Sie sind entsprechend aufzuteilen.223 Für gemischt unternehmerisch und privat genutzte Investitionsgüter gewährt der EuGH jedoch ein Zuordnungswahlrecht. Es ist zugleich ein Wahlrecht zum Vorsteuerabzug, auch für den privaten Verwendungsanteil (unter 1.). Dafür führt der EuGH regelmäßig zwei Kernargumente an: Zum einen sei die Besteuerung des privaten Nutzungsanteils als Verwendungsentnahme ein besteuerter Umsatz im Sinne von Art. 168 lit. a) MwStSystRL. Dieses dogmatische Verständnis wird häufig kritisiert und ist im nationalen Recht nicht umgesetzt, was aber bisher keine praktischen Auswirkungen hat. Zum anderen garantiere das Zuordnungswahlrecht die Berücksichtigungsfähigkeit nachträglicher wirtschaftlicher Verwendungsanteile für den Vorsteuerabzug. Dies erklärt jedoch nur das Zuordnungswahlrecht. Warum ein Entnahmeumsatz ein Recht zum Vorsteuerabzug eröffnen kann, bleibt offen. Insofern gibt es bisher für den vollen Vorsteuerabzug keine hinreichende Rechtfertigung (unter 2.). Für gemischt genutzte Grundstücke gilt seit 1.1.2011 die auf Art. 168a MwStSystRL basierende Sonderregelung. Sie lässt das Zuordnungswahlrecht unberührt, verbietet aber den Vorsteuerabzug für private Verwendungsanteile (unter 3.).

1.

Inhalt und Reichweite

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH224 kann der Steuerpflichtige gemischt wirtschaftlich und privat genutzte Investitionsgüter wahlweise 222 Vgl. Regierungsentwurf des JStG 2010 v. 21.6.2010, BT-DrS 17/2249, 78, zu Art. 4 Nr. 10 lit. a); von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524, 525 f.; Meurer, UStB 2011, 44, 49; Stadie, UR 2011, 125, 145 ff., auch zur Kritik an dieser Rechtslage. 223 Abschn. 15.2 Abs. 21 Nr. 1 UStAE; Lippross, Umsatzsteuer, S. 956; zuletzt FG München v. 14.10.2010, 14 V 2289/10, DStRE 2011, 1543. 224 EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 20; v. 8.3.2001, C-415/98, Bakcsi, Slg 2001, I-1831, Rn 25 ff.; v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling,

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Die traditionelle Sphärentheorie

-

voll seinem Unternehmen, teilweise seinem Unternehmen und teilweise seinem Privatvermögen entsprechend der erwarteten Verwendungsanteile oder voll seinem Privatvermögen zuordnen.

Die deutsche Rechtspraxis hat das Zuordnungswahlrecht für gemischt unternehmerisch und privat genutzte einheitliche Gegenstände übernommen.225 Eine Übertragung auf Dienstleistungen lehnte die herrschende Lehre dagegen schon bisher ab226 und jüngst auch der EuGH.227 Nach der traditionellen Sphärentheorie gilt das Zuordnungswahlrecht für alle Formen nicht-unternehmerischer Mitverwendung,228 beispielsweise auch für eine ideelle229 oder hoheitliche230 Mitverwendung. Gesetzlich ausgeschlossen ist

225

226

227

228 229

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Slg 2003, I-4101, Rn 40; v. 21.4.2005, C-25/03, HE, Slg 2005, I-3123, Rn 46; v. 14.07.2005, C-434/03, Charles und Charles-Tijmens, Slg 2005, I-7037, Rn 23; v. 14.9.2006, C-72/05, Wollny, Slg 2006, I-8297, Rn 21; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 39 ff.; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 53; v. 22.3.2012, C-153/11, Klub, DStR 2012, 606, Rn 38. 15.2 Abs. 21 Nr. 2 UStAE; BFH v. 7.7.2011, V R 42/09, BFHE 234, 519, unter II.2.; v. 15.12.2011, V R 48/10, BFH/NV 2012, 808, unter II.2., jeweils m. w. N.; Lippross, Umsatzsteuer, S. 462; Kußmaul/Türk, BB 2010, 1187, 1189. BFH v. 23.9.1993, V R 87/89, BFHE 172, 546, unter II.2.; v. 17.2.1994, V R 17/91, BFH/NV 195, 351, unter II.2.b); Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 1401 f.; Lippross, Umsatzsteuer, S. 957, unter c. Eine Zuordnung zum Unternehmen soll nur ausnahmsweise möglich sein, wenn die Dienstleistung im Zusammenhang mit dem Erwerb, der Herstellung oder der Nutzung eines Unternehmensgegenstandes steht: Stellungnahme der deutschen Regierung in der Rs. VNLTO, EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 22; Abschn. 15.2 Abs. 21 Nr. 2 lit. a) S. 1 UStAE; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 433. EuGH v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230: Der EuGH stellte Finanzierungsleasing der Lieferung eines Investitionsgutes gleich und gewährte das Zuordnungswahlrecht (Rn 40, 53 ff.). Operating-Leasing behandelte er dagegen als Eingangsdienstleistung und gewährte kein Zuordnungswahlrecht. Stattdessen entstehe in diesem Fall das Vorsteuerabzugsrecht mit Ablauf des Zeitraums, auf den sich die jeweilige Leasingrate beziehe (Rn 33 ff., 45 ff., 62 und Rn 64 1. Spiegelstrich) und damit nach Maßgabe des tatsächlichen wirtschaftlichen Verwendungsanteils. Ein Zuordnungswahlrecht wäre zu diesem Zeitpunkt sinnentleert. Korn, DStR 2009, 372; Reiß, UR 2010, 797, 803 f.; Sterzinger, UR 2010, 125, 127; Wäger, JbFfSt 10/11, S. 649, 651; Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 29. Vgl. Nieskoven, GStB 2009, 381, 382; auch OFD Stuttgart v. 25.8.2004, S 7198, DStR 2004, 1705, unter 2. Bsp. 2 (außer Kraft seit 5.4.2011); in diesem Sinne bereits das Sphärenurteil des BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.7.

Zuordnungswahlrecht für gemischt genutzte Investitionsgüter

eine Unternehmenszuordnung aber, wenn ein Gegenstand nur in geringem Umfang (unter 10 %) unternehmerisch genutzt wird, § 15 Abs. 1 S. 2 UStG.231 Im Gegensatz zu reinen Eingangsleistungen ist die Zuordnung zur unternehmerischen Sphäre hier keine juristische Frage232, sondern ein echtes steuerliches Wahlrecht.233 Der Unternehmer entscheidet über die tatsächliche Verwendung der Eingangsleistung und darüber hinaus über ihre Zuordnung zum unternehmerischen oder privaten Bereich. Kauft beispielsweise ein Rechtsanwalt einen PC in der Absicht, ihn je zur Hälfte beruflich und privat zu verwenden (Zweckbestimmung), hat er die Wahl ihn seiner anwaltlichen Tätigkeit, seinem Privatbereich oder beiden Bereichen anteilig zuzuordnen (Zuordnungswahlrecht). Auf Rechtsfolgenseite bestimmt die Zuordnung zum Unternehmen weitreichend über die mehrwertsteuerliche Behandlung: Ein Recht zum Vorsteuerabzug kann nur im Rahmen der Unternehmenszuordnung entstehen. Private Verwendungsanteile werden dann als Verwendungsentnahme gem. § 3 Abs. 9a S. 1 Nr. 1 UStG erfasst.234 Spätere Veräußerungen oder Entnahmen des Gegenstandes sind ebenfalls nur im Rahmen der Unternehmenszuordnung steuerbar, weil der Steuerpflichtige nur insoweit im Rahmen seines Unternehmens handelt.235 An der Steuerbarkeit ändert sich auch nichts, wenn der ursprüngliche Vorsteuerabzug auf Grund privater Mitverwendung (teilweise) neutralisiert wurde.236 Schließlich ist die Unternehmenszuordnung Voraussetzung für die Berücksichtigung einer nachträglichen Erhöhung der unternehmerischen Mitverwendung des Gegenstandes. Erhöht sich bei voller Unternehmenszuordnung später der unternehmerische Verwendungsanteil, vermindert sich die Bemessungs230 Vgl. BFH v. 18.8.1988, V R 18/83, BFHE 154, 269, unter 1.; v. 11.6.1997, XI R 65/95, BFHE 183, 283, unter II.B.1.; v. 22.10.2009, V R 33/08, BFH/NV 2010, 957, unter II.2.a); Boos, DStZ 2012, 267, 270 f. 231 Zur Unionsrechtswidrigkeit dieser Regelung unten S. 101 insb. Fn 171. 232 Vgl. dazu oben S. 48 f. 233 Vgl. Jakob, Umsatzsteuer, Rn 810 ff, 814. 234 Vgl. Lippross, Umsatzsteuer, S. 460; BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.7. 235 Vgl. BFH v. 27.7.1995, V R 44/94, BFHE 178, 482, unter II.2.; EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 15 ff., 29; v. 8.3.2001, C-415/98, Bakcsi, Slg 2001, I-1831, Rn 38 f.; Abschn. 15.2 Abs. 21 Nr. 2 lit. b S. 8 UStAE; Reiß, Umsatzsteuerrecht, Rn 300 ff.; Lippross, Umsatzsteuer, S. 483; Dziadkowski, StuW 2001, 316, 318 ff. 236 Vgl. Kussmaul/Türk, BB 2010, 1187, 1191; Dziadkowski, StuW 2001, 316, 318.

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Die traditionelle Sphärentheorie

grundlage der Entnahmebesteuerung entsprechend.237 Soweit der Gegenstand jedoch dem Privatbereich zugeordnet ist, löst eine nachträgliche Erhöhung der unternehmerischen Verwendung keine Vorsteuerberichtigung aus. Der EuGH wendet die Lennartz-Grundsätze238 sowohl auf Leistungsbezüge zu rein privaten Zwecken an als auch auf im Privatvermögen belassene Verwendungsanteile gemischter Eingangsleistungen.239

237 Reiß, UR 2010, 797, 800; Wäger, DStR 2011, 433, 437. 238 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795; dazu oben S. 30 f., 54 f. 239 EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 32 f.; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 43 f.; vgl. dazu Abschn. 15a.1 Abs. 6 UStAE; Lippross, Umsatzsteuer, S. 483; Kußmaul/Türk, BB 2010, 1187, 1191, Reiß, UR 2010, 797, 800, 802; Wäger, DStR 2011, 433, 436 f.; ders., UR 2012, 25, 29.

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Zuordnungswahlrecht für gemischt genutzte Investitionsgüter Schaubild 5:

Bedeutung der Sphärentheorie für das Zuordnungswahlrecht

Einheitlicher Gegenstand Zweckbestimmung

Konkrete gemischte Verwendung, teils im unternehmerischen, teils im privaten Bereich Zuordnungswahlrecht

Tätigkeitsbereich Qualifikation nach der Sphärentheorie

2.

Unternehmerische Sphäre

Nicht-unternehmerische Sphäre

- Vorsteuerabzug

- kein Vorsteuerabzug

- Besteuerung privater Verwendungssanteile als Entnahme

- keine Entnahmebesteuerung privater Verwendungsanteile

- Veräußerung steuerbar

- Veräußerung nicht steuerbar

- Berücksichtigung erhöhter unternehmerischer Verwendung

- Keine Berücksichtigung erhöhter unternehmerischer Verwendung

Dogmatisches Verständnis und Rechtfertigung durch den EuGH

Der EuGH unterscheidet dogmatisch zwischen der Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug (erste Stufe) und seinem Umfang (zweite Stufe).240 Das Zuordnungswahlrecht betrifft die erste Stufe. Demnach entsteht das Vorsteuerabzugsrecht mit der Zuordnung des Investitionsgutes zum Unternehmen, mit anderen Worten zu den wirtschaftlichen Ausgangsumsät-

240 Eingehend unten S. 217 f.

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Die traditionelle Sphärentheorie

zen des Unternehmers.241 Der Steuerpflichtige handelt insoweit „als solcher“. Für den Umfang des Vorsteuerabzugs auf zweiter Stufe stellt der EuGH dann aber nicht mehr auf die unternehmerischen Ausgangsumsätze ab, sondern auf den Entnahmeumsatz für den privaten Verwendungsanteil.242 Die Verwendungsentnahme sei der besteuerte Umsatz im Sinne von Art. 168 lit. a) MwStSystRL. Dieses Verständnis wird teilweise als inkonsequent kritisiert. Die Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung müsse denknotwendig geklärt sein, bevor eine Entnahmebesteuerung geprüft werden könne.243 Anderenfalls müssten auch rein für private Zwecke angeschaffte Gegenstände zum Vorsteuerabzug berechtigen.244 Auch für gemischt (unecht) steuerfrei und privat verwendete Gegenstände müsste dann ein Vorsteuerabzug für den privaten Verwendungsanteil möglich sein,245 was die ganz herrschende Ansicht verneint.246 Diese Kritik überzeugt nicht: Bei rein für private Zwecke angeschafften Gegenständen gewährt der EuGH von vornherein kein Zuordnungswahlrecht. Insofern entsteht schon kein Recht zum Vorsteuerabzug, sodass es auf

241 Vgl. EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 43 mit Verweis auf EuGH v. 11.7.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 8 und 9, wonach kein Vorsteuerabzugsrecht entsteht, soweit ein gemischt genutztes Investitionsgut dem Privatvermögen zugeordnet wird. Umgekehrt entsteht das Vorsteuerabzugsrecht, soweit es dem Unternehmen zugeordnet wird. Jüngst auch v. 19.7.2012, C-334/10, X, UR 2012, 726, Rn 30 ff., 34. 242 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 26; v. 14.7.2005, C-434/03, Charles und Charles-Tijmens, Slg 2005, I-7037, Rn 25; v. 14.9.2006, C-72/05, Wollny, Slg 2006, I-8297, Rn 23; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 41 f.; v. 19.7.2012, C-334/10, X, UR 2012, 726, Rn 35 ff. 243 Unabhängiger Finanzsenat in EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 28 f.; vgl. auch FG Düsseldorf v. 17.1.2007, 5 K 3659/04 U, EFG 2007, 1385; Wäger, DB 2012, 1288, 1291. 244 So schriftliche Erklärung des Unabhängigen Finanzsenates in der Rechtssache Puffer (EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251) bei Krumenacker, SWI 2009, 69, 70; vgl. auch Krumenacker, UR 2007, 473, 474; Wäger, DStR 2011, 433, 436. 245 Unabhängiger Finanzsenat in EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 31. 246 EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 49; BFH v. 8.10.2008, XI R 58/07, BFHE 223, 487, unter II.3.c.; v. 11.3.2009, XI R 69/07, BFHE 224, 192, unter II.2.; von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524; Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 3 Rn 610; Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhn/Lange,UStG, § 15 Rn 334; Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 1115; Krumenacker, UR 2007, 473, 478 f.; a. A. Hegemann/ Querbach, Stbg 2004, 349, 353.

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Zuordnungswahlrecht für gemischt genutzte Investitionsgüter

die Möglichkeit der Entnahmebesteuerung nicht ankommt. Für gemischt (unecht) steuerfrei und privat verwendete Gegenstände besteht zwar das Zuordnungswahlrecht und es entsteht daher bei Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen auch ein Recht zum Vorsteuerabzug. Der Höhe nach ist der Vorsteuerabzug für den privaten Verwendungsanteil jedoch ausgeschlossen, weil eine Entnahmebesteuerung eine zumindest teilweise Vorsteuerabzugsberechtigung für den Gegenstand voraussetzt, Art. 26 lit. a) MwStSystRL a. E. Der (unecht) steuerfreie Verwendungsanteil vermittelt diese teilweise Vorsteuerabzugsberechtigung nicht.247 Der EuGH rechtfertigt das Zuordnungswahlrecht und den darauf beruhenden Vorsteuerabzug für private Verwendungsanteile mit dem Neutralitätsgrundsatz.248 Dieser gebietet als Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems249 den Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten Mehrwertsteuer zu entlasten.250 Die Entlastung wird für gemischt wirtschaftlich und privat genutzte Investitionsgüter durch Zuordnung zum Unternehmensvermögen erreicht, was ein Recht zum Vorsteuerabzug entstehen lässt. In der Folge greift die LennartzRechtsprechung251 für den privaten Verwendungsanteil nicht, sodass nachträglich erhöhte wirtschaftliche Verwendungsanteile berücksichtigt werden können. Auch diese Argumentation des EuGH steht in der Kritik.252 247 Vgl. dazu GA Mengozzi in EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 43. 248 EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 45 f.; GA Kokott in EuGH v. 19.7.2012, C-334/10, X, http://eur-lex.europa.eu, CELEX-Nr. 62010CC0334, Rn 31; vgl. zu dieser Rechtfertigung Reiß, UR 2011, 797, 800; Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 80; Wäger, UR 2012, 25, 27. 249 EuGH v. 19.9.2000, C-454/98, Schmeink & Cofreth und Strobel, Slg 2000, I-6973, Rn 59; v. 21.2.2006, C-255/02, Halifax, Slg 2006, I-1609, Rn 92; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 55; v. 29.7.2010, C-188/09, Profaktor, Slg 2010, I-7639, Rn 26; v. 22.12.2010, C-438/09, Dankowski, Slg 2010, I-14009, Rn 37; v. 21.6.2012, C-80/11, Mahagében, UR 2012, 591, Rn 57. 250 Zuletzt EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 27; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 55 f.; v. 22.12.2010, C-438/09, Dankowski, Slg 2010, I-14009, Rn 22 ff.; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 43; v. 22.3.2012, C-153/11, Klub, DStR 2012, 606, Rn 35, 42; v. 6.9.2012, C-496/11, Portugal Telecom SGPS SA, UR 2012, 762, Rn 44; Stadie in R/D/F/G, UStG, Einf. Rn 610 m. w. N. aus der EuGH-Rspr.; vgl. auch Erwägungsgrund (30) der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. 251 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, dazu oben S. 30 f., 54 f. 252 Vgl. Reiß, UR 2010, 797, 801; Dziadkowski, ZSteu 2009, 237; Stadie in R/D/F/G, § 15 Rn 430, 1382; ders., UR 2011, 125, 141.

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Die traditionelle Sphärentheorie

Um Neutralität herzustellen bedürfe es keines systemfremden Zuordnungswahlrechts. Näher liege die Aufgabe der insoweit verfehlten LennartzRechtsprechung. Aber auch diese Kritik überzeugt nicht: Der EuGH entscheidet verbindlich, und mit Wirkung über das konkrete Verfahren hinaus über die Auslegung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Zwar ist europäisches Recht eine kontinentaleuropäische Rechtsordnung und kein Common law-System.253 Formal setzen EuGH-Entscheidungen damit selbst kein Recht, sondern interpretieren nur bestehendes Recht. Dennoch hat die Common law-Tradition Einfluss auf die EuGHRechtsprechung,254 was sich schon darin zeigt, dass seine häufigste Argumentationsform der Verweis auf frühere Entscheidungen ist.255 Faktisch haben seine Entscheidungen heute auch stark normativen Charakter.256 Das ist keine Fehlentwicklung, sondern die unmittelbare Folge aus seiner verbindlichen Auslegungskompetenz von Unionsrecht257 und dem insofern vorgesehenen Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV.258 253 Vgl. Schmitz, Wichtige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, http://Lehrstuhl.jura.uni-goettingen.de/tschmitz/Lehre/Europa-Rspr-1.htm, unter Vorbemerkung; Pötters/Christensen, JZ 2012, 289, 290; Arnull, The European Union and its Court of Justice, S. 622, 625; ders., CMLRev 1993, 247 ff.; GA Trstnjak, Schlussanträge v. 28.3.2007 in der Rs. C-331/05 P, Internationaler Hilfefonds/Kommission, Slg 2007, I-5475, Rn 84 f.; GA La Pergola, Schlussanträge v. 12.2.1998 in der Rs. C-262/96, Sürül, Slg 1999, I-2685, Rn 36, der darauf hinweist, dass sich die Stare-decisis-Doktrin auf Unionsebene nicht durchgesetzt hat; auch Ehricke, Bindungswirkung von Urteilen des EuGH, S. 48; Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der Europäischen Union, S. 404 f. 254 Vgl. Arnull, The European Union and its Court of Justice, S. 624 ff., 638; ders., CMLRev 1993, 247, 252; Pötters/Christensen, JZ 2012, 289 ff.; Everling, JZ 2000, 217, 219. 255 Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 37 ff., S. 63 f.; vgl. auch oben Fn 254. 256 Arnull, The European Union and its Court of Justice, S. 627; ders., CMLRev 1993, 247, 265 f. 257 Vgl. EuGH v. 6.7.1995, C-62/93, BP/Griechenland, Slg 1995, I-1883, Rn 39; v. 22.10.1998, C-10/97 bis C-22/97, IN.CO.GE.’90 Srl. u.a., Slg 1998, I-6307, Rn 23; v. 4.5.1999, C-262/96, Sürül, Slg 1999, I-2685, Rn 4; BVerfG v. 25.7.1979, 2 BvL 6/77, BVerfGE 52, 187, unter B.1.c); v. 8.4.1987, 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223, unter B.2.a); Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn 468 f., 570; Breucha/Prätzler/Birkenfeld, DB 2011, Beilage 3 zu Heft 11 v. 18.3.2011, S. 1. 258 Dadurch soll die einheitliche Auslegung und Anwendung von Unionsrecht in den Mitgliedstaaten gewährleistet werden. Vgl. EuGH v. 16.1.1974, C-166/73, Rheinmühlen-Düsseldorf, Slg 1974, I-33, Rn 2; v. 13.5.1981, C-66/80, SpA International Chemical Corp., Slg 1981, I-1191, Rn 11; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn 558; Kotzur in Geiger/Hahn/Kotzur, AEUV, § 267 Rn 3; Breucha/Prätzler/

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Demnach sind letztinstanzliche Gerichte zur Vorlage verpflichtet, wenn sie Zweifel bei der Auslegung von Unionsrecht haben, Art. 267 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 lit. b) AEUV. Wollen sie von einer Auslegung des EuGH abweichen, bestehen solche Zweifel zwingend.259 Die Vorabentscheidung bindet sodann zwar nur die Verfahrensbeteiligten unmittelbar.260 Mittelbar sind aber auch nationale Gerichte außerhalb des konkreten Verfahrens gebunden261 und damit letztlich die gesamte Rechtspraxis.262 Denn wird von einer Auslegung

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Birkenfeld, DB 2011, Beilage 3 zu Heft 11 v. 18.3.2011, S. 1; The British Institute of International and Comparative Law, The Role and Future of the European Court of Justice, S. 1, 68. Vgl. Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur, AEUV, § 267, Rn 38; Classen, in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 4 Rn 79; Schwarze in Schwarze, EGV, Art. 267 Rn 71. Nach den CILFIT-Grundsätzen (EuGH v. 6.10.1982, C-283/81, CILFIT, Slg 1982, I-3415 Rn 21) sind Zweifel bei der Auslegung nur dann ausgeschlossen, wenn das Gericht festgestellt hat, „daß die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder daß die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt“. Vgl. dazu EuGH v. 24.6.1969, C-29/68, Milch-, Fett- und Eierkontor, Slg 1969, I-165, Rn 2 f.; v. 3.2.1977, C-52/76, Benedetti, Slg 1977, I-163, Rn 26/27; v. 14.12.2000, C-446/98, Fazenda Pública, Slg 2000, I-11435, Rn 49; BVerfG v. 25.7.1979, 2 BvL 6/77, BVerfGE 52, 187, unter B.1.c); v. 22.10.1986, 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, unter B.I.1.b); v. 8.4.1987, 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223, unter B.2.a); Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 267 Rn 99 f.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn 569, 570; Ehricke in Streinz, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn 68; ders., Bindungswirkung von Urteilen des EuGH, S. 40 ff.; Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der Europäischen Union, S. 346 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht V, Rn 3395; auch Kapteyn in Kapteyn & VerLoren van Themaat, S. 481; The British Institute of International and Comparative Law, The Role and Future of the European Court of Justice, S. 21. Ehricke in Streinz, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn 69 ff.; ders., Bindungswirkung von EuGH-Urteilen, S. 44 ff., S. 53; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn 570; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn 868; Everling, Vorabentscheidungsverfahren, S. 66; Kapteyn in Kapteyn & VerLoren van Themaat, S. 482; Classen in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 4 Rn 79; Schwarze in Schwarze, EGV, Art. 267 Rn 71; Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur, AEUV, § 267 Rn 38; auch Rodríguez Iglesias, NJW 2000, 1889, 1891. Ehricke in Streinz, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn 73; Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 267 Rn 101 f.; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn 869; vgl. auch The British Institute of International and Comparative Law, The Role and Future of the European Court of Justice, S. 21; Stadie, UStG, Vorbemerkung Rn 67.

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Die traditionelle Sphärentheorie

des EuGH abgewichen, wäre die Einlegung von Rechtsmitteln angezeigt und in letzter Instanz müsste wieder zwingend der EuGH angerufen werden.263 Das Vorabentscheidungsverfahren hat sich so zu einem eigenständigen Garanten für die Umsetzung von EuGH-Entscheidungen entwickelt.264 Zweifel an seinen Auslegungsentscheidungen sind im Ergebnis nur beachtlich, wenn sie eine erneute Vorlage rechtfertigen. Dafür bedarf es neuer Gesichtspunkte, die den EuGH veranlassen könnten, seine Auslegung zu ändern.265 Vor diesem Hintergrund ist die Lennartz-Rechtsprechung und die damit einhergehende Gewährung des Zuordnungswahlrechts für private Verwendungsanteile unangreifbar. Der EuGH hat diese Rechtsprechung wiederholt geprüft und bestätigt.266 Sie ist zwar nicht die einzige, aber eine mögliche Interpretation der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Allein das Argument, es gäbe eine dogmatisch bessere Interpretationsmöglichkeit, ist nach oben Gesagtem unbeachtlich. Allerdings rechtfertigt das Neutralitätsargument des EuGH nur das Zuordnungswahlrecht, nicht dagegen den Vorsteuerabzug für den privaten Verwendungsanteil.267 Die Unternehmenszuordnung lässt bereits ein Vorsteuerabzugsrecht entstehen und erlaubt damit eine nachträgliche Vorsteuerberichtigung. Es ist dann nicht mehr erforderlich, auch der Höhe nach den Vorsteuerabzug für den privaten Verwendungsanteil zu gewähren. Dagegen spricht auch der Normzweck der Entnahmebesteuerung. Die Entnahmebesteuerung zielt auf die Gleichstellung des selbstversorgten Unternehmers mit einem fremdversorgten Verbraucher.268 Insofern ist es nicht einsichtig, aus einem Entnahmeumsatz ein Recht zum Vorsteuerabzug 263 Ehricke in Streinz, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn 72; Frenz, Handbuch Europarecht V, Rn 3407; Everling, Vorabentscheidungsverfahren, S. 66; Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 267 Rn 102. 264 Vgl. Sweet in Craig/de Búrca, The Evolution of EU Law, S. 149 f.; auch Alter, in Slaughter/Sweet/Weiler, The European Court and National Courts, S. 249 f. 265 Vgl. EuGH v. 5.3.1986, C-69/85, Wünsche, Slg 1986, I-947, Rn 15; v. 6.3.2003, C-466/00, Kaba, Slg 2003, I-2219, Rn 39. 266 Zuletzt EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 39 ff. m. w. N. 267 Ähnlich Krumenacker, UR 2007, 473, 478. 268 EuGH v. 8.3.2001, C-415/98, Bakcsi, Slg 2001, I-1831, Rn 45; v. 20.1.2005, C-412/03, Hotel Scandic Gåsabäck, Slg 2005, I-743, Rn 23; v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549, 46 ff.; BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.c.bb); Vorschlag einer Sechsten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern, BT-Drs. 7/913 v. 19.7.1973, S. 38 f., zu Art. 5 Abs. 3.

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abzuleiten.269 Bezieht ein Unternehmer eine Eingangsleistung teilweise für Entnahmezwecke, ist er einem Verbraucher insoweit nur gleichgestellt, wenn der Vorsteuerabzug von Anfang an ausgeschlossen ist. Der volle Vorsteuerabzug lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass der Steuerpflichtige genauso behandelt werden müsste, als hätte er das Investitionsgut für rein wirtschaftliche Zwecke angeschafft und sich erst nachträglich für eine private Mitverwendung entschieden. Maßgeblich für den Vorsteuerabzug ist die Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des Leistungsbezuges.270 Insofern sind die Fälle nicht vergleichbar, was gerade eine unterschiedliche Behandlung nahe legt.271 Hinsichtlich dieser in der EuGH-Rechtsprechung bisher nicht behandelten Bedenken bleibt das Modell fragwürdig und eine entsprechende Vorlage weiterhin zulässig.272 Anhand der Vorschriften des nationalen Umsatzsteuergesetzes lässt sich das dogmatische Verständnis des EuGH nicht abbilden. Im Gegensatz zur Mehrwertsteuersystemrichtlinie unterscheidet § 15 UStG nicht zwischen der Entstehung und dem Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug. Bezieht ein Unternehmer eine Eingangsleistung „für sein Unternehmen“ i. S. v. § 15 Abs. 1 UStG, entsteht ein Recht zum Vorsteuerabzug dem Grunde und der Höhe nach. Das Vorsteuerabzugsrecht kann dann nur noch wegen besonderer Ausschlusstatbestände entfallen, § 15 Abs. 2 ff. UStG. Ordnet ein Unternehmer eine gemischte Eingangsleistung seinem Unternehmen im Sinne seiner unternehmerischen Ausgangstätigkeit zu, bezieht er sie „für sein Unternehmen“.273 Für die Höhe seiner Vorsteuerabzugsberechtigung

269 Vgl. Wäger, DB 2012, 1288, 1291; Tumpel in FS Reiß, S. 123, 134; Krumenacker, UR 2007, 473, 476. 270 Vgl. oben S. 49 bei Fn 190. 271 Das bestätigt die Behandlung gemischt wirtschaftlich und ideell verwendeter Eingangsleistungen nach der VNLTO-Entscheidung (EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839): Bei anfänglich rein wirtschaftlicher Verwendungsabsicht kann der Steuerpflichtige vollen Vorsteuerabzug begehren. Die nachträgliche ideelle Mitverwendung wird im Wege der Vorsteuerberichtigung erfasst (dazu unten S. 253 f.). Dagegen ist bei anfänglich gemischter Verwendungsabsicht nur ein anteiliger Vorsteuerabzug möglich. Die Fälle sind nicht vergleichbar. 272 Vgl. Rodríguez Iglesias, NJW 2000, 1889, 1891, der darauf hinweist, dass nationale Gerichte den EuGH mit einer bereits beantworteten Rechtsfrage erneut anrufen können, wenn sie Zweifel an der Stichhaltigkeit seiner Auslegung haben. Vgl. auch Krumenacker, UR 2007, 473, 483, 485, der insoweit der EuGH-Rspr. als „ausbrechendem Rechtsakt“ jegliche Rechtswirkung versagt; kritisch dazu Lohse, BB 2009, 1681, 1682. 273 Vgl. in diesem Sinne bereits BFH v. 19.4.1979, V R 11/72, BFHE 127, 447, unter 2.

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sind dann ebenfalls seine unternehmerischen Ausgangsumsätze maßgeblich und nicht der private Entnahmeumsatz. Die dogmatische Abweichung hat jedoch bisher keine praktischen Auswirkungen. Beispielsweise besteht nach beiden Ansätzen ein volles Vorsteuerabzugsrecht, wenn ein Investitionsgut für gemischt steuerpflichtige und private Zwecke bezogen und voll dem Unternehmen zugeordnet wird. Für den privaten Verwendungsanteil würde der EuGH auf den besteuerten Entnahmeumsatz abstellen und das nationale Recht allein auf die Unternehmenszuordnung. Bei gemischt (unecht) steuerfrei und privat verwendeten Eingangsleistungen ist ein Vorsteuerabzug nach beiden Ansichten ausgeschlossen.274 Der EuGH würde für den privaten Verwendungsanteil auf den fehlenden Entnahmeumsatz abstellen und das nationale Recht auf die Zuordnung zu nicht vorsteuerentlasteten Ausgangsumsätzen. Diskrepanzen können sich erst ergeben, wenn der EuGH das Zuordnungswahlrecht auf nicht-wirtschaftliche, VNLTO-gleiche Verwendungsanteile erweitern würde.275

3.

Kein voller Vorsteuerabzug für gemischt genutzte Grundstücke seit 1.1.2011

Die Sonderregelung für gemischt genutzte Grundstücke in Art. 168a Abs. 1 MwStSystRL276 zielt auf die Beseitigung des Seeling-

274 Vgl. oben S. 60 Fn 246. 275 Hätte der EuGH in der VNLTO-Entscheidung (EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839) ein Zuordnungswahlrecht gewährt, wäre nach Unionsrecht dennoch nur anteiliger Vorsteuerabzug möglich gewesen, weil die ideelle Mitverwendung nicht als Entnahme steuerbar ist. Dagegen hätte nach nationalem Recht wegen der Unternehmenszuordnung der Vorsteuerabzug auch für den ideellen Verwendungsanteil gewährt werden müssen. 276 Demnach gilt: „Soweit ein dem Unternehmen zugeordnetes Grundstück vom Steuerpflichtigen sowohl für unternehmerische Zwecke als auch für seinen privaten Bedarf oder den seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke verwendet wird, darf bei Ausgaben im Zusammenhang mit diesem Grundstück höchstens der Teil der Mehrwertsteuer nach den Grundsätzen der Art. 167, 168, 169 und 173 abgezogen werden, der auf die Verwendung des Grundstücks für unternehmerisch Zwecke des Steuerpflichtigen entfällt. Ändert sich der Verwendungsanteil eines Grundstücks nach Unterabsatz 1, so werden diese Änderungen abweichend von Art. 26 nach den in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Vorschriften zur Anwendung der in den Art. 184 bis 192 festgelegten Grundsätze berücksichtigt.“

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Modells.277 Sie wurde durch das Jahressteuergesetz 2010 mit Wirkung zum 1.1.2011278 in nationales Recht umgesetzt.279 Von dem Recht die Sonderregelung auf sonstige Gegenstände auszuweiten, Art. 168a Abs. 2 MwStSystRL, hat Deutschland keinen Gebrauch gemacht. Technisch enthält die Regelung eine Vorsteuerabzugsbeschränkung für unternehmensfremde Verwendungsanteile gemischt genutzter Grundstücke, Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL, § 15 Abs. 1b UStG.280 Die Aufteilung erfolgt nach dem Maßstab für gemischt steuerpflichtig und (unecht) steuerfrei verwendete Eingangsleistungen, § 15 Abs. 4 S. 4 UStG. Das Zuordnungswahlrecht zum Unternehmen bleibt bestehen.281 Mit anderen Worten: Trotz Unternehmenszuordnung kann kein Vorsteuerabzug für unternehmensfremde Verwendungsanteile begehrt werden. Im Gegenzug ist die Besteuerung einer Verwendungsentnahme ausgeschlossen, Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL, § 3 Abs. 9a Nr. 1 2. HS UStG. Nachträgliche Nutzungsänderungen führen zu einer Vorsteuerberichtigung, Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL, § 15a Abs. 6a UStG.282 Erhöhungen des unternehmerischen Verwendungsanteils können entsprechend den LennartzGrundsätzen283 berücksichtigt werden, soweit das Grundstück dem Unternehmen zugeordnet wurde.284 Eine spätere Veräußerung des Grundstücks ist ebenfalls insoweit steuerbar, als das Grundstück dem Unternehmen zugeordnet ist. Sie ist aber grundsätzlich steuerfrei mit der Options277 Begründung zum Vorschlag der Kommission v. 7.11.2007, KOM(2007) 677 endgültig, unter Tz 120, Tz. 570 und unter (9) der Erwägungsgründe, juris-DokNr. 52007PC0677; Ramb, SteuerStud 2011, 629 ff.; von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524, 525; Scholz/Nattkämper, EU-UStB 2010, 32; Lohse, IStR 2009, 486, 489; Steens, UVR 2008, 365, 367; Lippross, DStZ 2012, 320, 323; Swinkels, VAT-Monitor 2010, 194, 195. Vgl. zum Seeling-Modell oben S. 33 f. 278 Vgl. § 27 Abs. 16 S. 1 UStG. 279 Gesetzesbeschluss des Bundestages v. 28.10.2010, BR-DrS 679/10 v. 5.11.2010, Art. 4 Nr. 9, S. 25 f.; Zustimmung des Bundesrates v. 26.11.2010, BR-DrS 679/10 (B) v. 26.11.2010. 280 Vgl. von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524, 525 f. 281 Art. 168a Abs. 1 MwStSystRL setzt tatbestandlich die Unternehmenszuordnung des Grundstücks voraus. Vgl. Ramb, SteuerStud 2011, 629, 631 f.; Küffner/Zugmaier, DStR 2011, 1954, 1955; von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524, 525 f.; anders noch in der Entwurfsfassung von Art. 168a MwStSystRL, dazu Steens, UVR 2008, 365, 367; Sterzinger, BB 2010, 1958, 1959; von Streit, UStB 2012, 197, 203. 282 Reiß, UR 2010, 797, 802, 808; Ramb, SteuerStud 2011, 629, 633. 283 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, dazu oben S. 30 f., 54 f. 284 Von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524, 525 f.; Meurer, DStR 2011, 2183, 2185; Ramb, SteuerStud 2011, 629, 633 mit Beispielen.

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möglichkeit zur Steuerpflicht, Art. 135 Abs. 1 lit. j), lit. k), Art. 137 Abs. 1 lit. b), lit. c) MwStSystRL, § 4 Nr. 9 lit. a), § 9 Abs. 1 UStG. Erfolgt die Veräußerung innerhalb des Berichtigungszeitraums, wird der Vorsteuerabzug im Rahmen der Unternehmenszuordnung berichtigt, Art. 188 Abs. 1, Abs. 2 MwStSystRL, § 15a Abs. 8 S. 2 i. V. m. S. 1, Abs. 9 UStG.285

285 Ist die Veräußerung steuerfrei, wird der Steuerpflichtige so gestellt, als hätte er das Grundstück bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums steuerfrei verwendet, sodass der ursprüngliche Vorsteuerabzug anteilig rückgängig gemacht wird. Optiert der Steuerpflichtige zur Steuerpflicht, wird er so gestellt, als hätte er das Grundstück bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums steuerpflichtig verwendet. Es ist dann nachträglich anteiliger Vorsteuerabzug zu gewähren, soweit das Grundstück dem Unternehmen zugeordnet ist. Vgl. Ramb, SteuerStud 2011, 629, 634 mit Beispielen.

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2. Kapitel: Entwicklungen der Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung Die VNLTO-Entscheidung1 markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Sphärentheorie. Sie lässt sich mit der zweigliedrigen Sphärenunterscheidung nicht vereinbaren. Nach der Kernaussage des Urteils dient der ideelle Tätigkeitsbereich eines gemischt tätigen Vereins nicht unternehmensfremden Zwecken im Sinne der Entnahmetatbestände. Damit lässt er sich aber weder der unternehmerischen noch der nicht-unternehmerischen Sphäre zuordnen (unter I.). Der BFH sieht sich gleichwohl nicht veranlasst, die Sphärentheorie zu hinterfragen. Im Gegenteil scheint er in der VNLTO-Entscheidung sogar eine Bestätigung zu erkennen. In seiner aktuellen Rechtsprechung ist er mit weiteren Problemen bei der Abgrenzung von Tätigkeitssphären konfrontiert, insbesondere der Reichweite wirtschaftlicher Tätigkeit von juristischen Personen öffentlichen Rechts, der Vorsteueraufteilung bei untrennbar gemischten Eingangsleistung und der Qualifikation von Entnahmehandlungen (unter II.). Die Literatur diskutiert dagegen umso heftiger über die Auswirkungen der VNLTO-Entscheidung auf die Sphärentheorie und das deutsche Umsatzsteuersystem. Die verschiedenen Ansichten werden nachfolgend zusammengestellt. Sie bilden die Grundlage für die Entwicklung einer neuen unionsrechtskonformen Sphärentheorie. Dabei lässt sich auch das französische Mehrwertsteuerrecht, speziell seine zweifache Unterscheidung von Tätigkeitsbereichen, als Anhaltspunkt heranziehen (unter III.). Die neue Dogmatik verlangt eine terminologische Anpassung des Unternehmensbegriffs im deutschen Umsatzsteuergesetz. Ein einheitlicher Unternehmensbegriff im Besteuerungstatbestand, im Vorsteuerabzugstatbestand und in den Entnahmetatbeständen ist nach der VNLTO-Entscheidung nicht mehr haltbar. Hier muss der Gesetzgeber tätig werden. Bis dahin ist der Rechtsanwender zur richtlinienkonformen, mithin differenzierenden Auslegung verpflichtet. Terminologischer Anpassungsbedarf besteht darüber hinaus in der Rechtsprechung des EuGH, speziell im Kontext des Zuordnungswahlrechts (unter IV.).

1

EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839.

69

Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

I.

Die VNLTO-Entscheidung: Unterscheidung zwischen nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen und unternehmensfremden Bereichen

Geklagt hatte die gemischt tätige Vereinigung VNLTO auf vollen Vorsteuerabzug für ihre gemischten Eingangsleistungen. Die VNLTO förderte satzungsgemäß die Interessen des Agrarsektors in bestimmten Provinzen in den Niederlanden und handelte insoweit nicht-wirtschaftlich (in deutscher Terminologie: nicht-unternehmerisch).2 Daneben erbrachte sie individuelle, gesondert vergütete Dienstleistungen an ihre Mitglieder und Dritte und war insoweit wirtschaftlich tätig (in deutscher Terminologie: unternehmerisch). Für ihre gemischt genutzten Gegenstände und Dienstleistungen gewährte die Finanzbehörde nur anteiligen Vorsteuerabzug entsprechend der wirtschaftlichen Mitverwendung. Die deutsche Regierung nahm in dem Verfahren offiziell Stellung.3 Nach ihrer Ansicht könne VNLTO die gemischt genutzten Gegenstände in vollem Umfang dem Unternehmen zuordnen und vollen Vorsteuerabzug begehren. Die ideelle Mitverwendung sei als Verwendungsentnahme zu besteuern. Für die Dienstleistungen solle dies nur gelten, soweit sie zugunsten eines Unternehmensgegenstands bezogen würden. Der EuGH ließ hingegen nur einen anteiligen Vorsteuerabzug zu.4 Bei gemischten Aufwendungen für wirtschaftliche und ideelle Tätigkeiten bestehe kein Zuordnungswahlrecht hinsichtlich des ideellen Verwendungsanteils.5 Die Besteuerung von Verwendungsentnahmen sei insofern ausgeschlossen.6 Die ideelle Tätigkeit sei zwar nicht-wirtschaftlich, aber nicht unternehmensfremd. Denn sie stelle den Hauptzweck der Vereinigung dar.7 Gleichzeitig hielt der EuGH am Seeling-Modell8 für gemischt wirtschaftlich und privat genutzte Eingangsleistungen fest.9 Anders als die

2 3 4 5 6 7 8 9

70

Eingehend zur Qualifikation ideeller Tätigkeit unten S. 146. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 22. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 37 ff. Vgl. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 37. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 35 ff., Rn 38 f. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39. EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben S. 32 f. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 32, 39.

Aktuelle BFH-Rechtsprechung zur Sphärentheorie

ideelle Verwendung sei die private Verwendung „begriffsmäßig ein dem Unternehmen des Steuerpflichtigen völlig fremder Zweck“.10 Die Entscheidung entzieht der Sphärentheorie in ihrer traditionellen Form den Boden. Demnach wäre die ideelle Tätigkeit der nichtunternehmerischen Sphäre zuzuordnen, sodass gelten würde: Ausgangsumsätze sind nicht steuerbar, Eingangsumsätze berechtigen (endgültig) nicht zum Vorsteuerabzug, Entnahmen in den ideellen Bereich lösen eine Entnahmebesteuerung aus und für gemischte Aufwendungen besteht das Zuordnungswahlrecht.11 Die VNLTO- Entscheidung bestätigt zwar die NichtSteuerbarkeit und die fehlende Vorsteuerabzugsberechtigung im ideellen Bereich.12 Eine Entnahmebesteuerung und ein Zuordnungswahlrecht für gemischte Eingangsleistungen schließt sie jedoch aus. Der ideelle Bereich lässt sich damit nicht mehr als Teil der nicht-unternehmerischen Sphäre erklären. Die Entscheidung erzwingt eine Reform der Sphärentheorie und damit des deutschen Umsatzsteuersystems.13

II. Aktuelle BFH-Rechtsprechung zur Sphärentheorie Die aktuelle BFH-Rechtsprechung zur Sphärentheorie lässt sich vier Problembereichen zuordnen. Der erste betrifft die Umsetzung der VNLTOEntscheidung14 und ihre Integration in die deutsche Dogmatik. Man würde hier eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Sphärentheorie erwarten. Der BFH wählt einen anderen Weg. Er hält an seinem Sphärenurteil15 fest. Fast gewinnt man den Eindruck, es stünde in Einklang mit der VNLTO-Entscheidung16 (unter 1.). Im zweiten Bereich widmet sich der BFH dem steuerbaren Tätigkeitsbereich juristischer Personen öffentlichen Rechts. Hier stellt der BFH im Wege richtlinienkonformer Auslegung Einklang zwischen der Sonderregelung in § 2 Abs. 3 Alt. 1 UStG i. V. m. § 4 KStG und ihrer unionsrechtlichen Entsprechung in Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL her17 (unter 2.). Der dritte Bereich betrifft die Vorsteueraufteilung bei untrennbar gemischten Eingangsleistungen. Die BFH-Rechtsprechung folgt

10 11 12 13 14 15 16 17

EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39. Vgl. oben S. 28 ff. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 34. Unten S. 79 ff. und Zweiter Teil der Arbeit ab S. 107. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. Vgl. zu der Problematik bereits oben S. 39 ff.

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Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

insofern keiner klaren Linie. Es handelt sich um Einzelfallentscheidungen (unter 3.). Schließlich ändert der BFH seine Rechtsprechung zu Eingangsleistungen für Entnahmezwecke. Damit bringt er ein neues dogmatisches Verständnis zum Ausdruck, wonach Entnahmehandlungen eigenständige nicht-wirtschaftliche Tätigkeitsbereiche begründen (unter 4.).

1.

Übernahme der VNLTO-Grundsätze

Die VNLTO-Grundsätze18 hat der BFH in seinen aktuellen Entscheidungen umgesetzt. Insbesondere verneinte er eine Entnahmebesteuerung für einen Medienverein, der im Rahmen seines Satzungszwecks unentgeltlich einen Pressedienst an seine Mitglieder herausgegeben hatte.19 Er erklärte weiterhin einen gemischt tätigen Verein nur hinsichtlich seines wirtschaftlichen Tätigkeitsbereichs für vorsteuerabzugsberechtigt.20 Auch einer gemeinnützigen Forschungseinrichtung gewährte er nur anteiligen Vorsteuerabzug für ihre gemischten Eingangsleistungen.21 Sie hatte neben steuerbarer Auftragsforschung auch nicht-steuerbare Eigenforschung betrieben. Für letztere bestätigte der BFH die Qualifikation des FG als VNLTO-gleiche Tätigkeit. Schließlich gewährte er für die Herstellung einer Sporthalle nur anteiligen Vorsteuerabzug, weil sie nicht nur steuerpflichtig vermietet, sondern auch hoheitlich genutzt werden sollte.22 Gleichzeitig hielt der BFH aber an der Sphärentheorie fest. Wiederholt stützte er sich in den Entscheidungsgründen auf das Sphärenurteil.23 Von einer (teilweisen) Aufgabe seiner Rechtsprechung war keine Rede. Er zitierte die VNLTO-Entscheidung sogar als Bestätigung des Sphärenurteils.24 Schon im Sphärenurteil hätte er ideelle Vereinstätigkeiten als nichtwirtschaftlichen (in deutscher Terminologie nicht-unternehmerischen)

EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. BFH v. 18.3.2010, V R 12/09, BFH/NV 2010, 1500, unter II.2. BFH v. 6.5.2010, V R 29/09, BFH/NV 2010, 1952, unter II.2.b). BFH v. 29.6.2010, V B 160/08, BFH/NV 2010 1876, unter 1. BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II.2.d) und 3. BFH v. 6.5.2010, V R 29/09, BFH/NV 2010, 1952, unter II.2.b) mit Verweis auf das Sphärenurteil (BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524); BFH v. 29.6.2010, V B 160/08, BFH/NV 2010 1876, unter 1.a) mit Verweis auf BFH v. 14.4.2008, XI B 171/07, BFH/NV 2008, 1215, das seinerseits unter 2. auf das Sphärenurteil verweist. 24 BFH v. 6.5.2010, V R 29/09, BFH/NV 2010, 1952, unter II.2.b) mit Verweis auf das Sphärenurteil und „ebenso das EuGH-Urteil VNLTO“. Kritisch dazu zu recht Klenk, UR 2012, 663, 665.

18 19 20 21 22 23

72

Aktuelle BFH-Rechtsprechung zur Sphärentheorie

Tätigkeitsbereich qualifiziert und den Vorsteuerabzug ausgeschlossen. An anderer Stelle ordnete er dagegen die nicht-wirtschaftlichen VNLTOgleichen Tätigkeiten der unternehmerischen Sphäre zu.25

2.

Abgrenzung hoheitlicher und wirtschaftlicher Tätigkeitsbereiche

In drei aktuellen Entscheidungen hatte der BFH darüber zu befinden, inwieweit juristische Personen öffentlichen Rechts unternehmerisch und damit steuerbar handeln. Die Werbetätigkeit einer Gemeinde erachtete er für steuerbar und steuerpflichtig, obwohl sie die Umsatzgrenze von 30.768 € nicht überschritten hatte.26 Nach den einschlägigen Verwaltungsrichtlinien war das Überschreiten dieser Umsatzgrenze dagegen Voraussetzung für ein Herausheben aus der Gesamtbetätigung im Sinne von § 2 Abs. 3 S. 1 UStG i. V. m. § 4 Abs. 1 S. 1 KStG, mithin für eine steuerbare Tätigkeit.27 Für steuerbar hielt er es auch, wenn eine Hochschule die Aufstellung von Automaten auf ihrem Hochschulgelände gegen Entgelt gestattet.28 Der Einwand reiner Vermögensverwaltung im Sinne von § 14 AO konnte dies nicht hindern. Die Hochschule hatte darüber hinaus entgeltlich Personal und Sachmittel an ihre Hochschulbediensteten überlassen. Hier war nach Ansicht des BFH die Wettbewerbsrelevanz der Tätigkeit entscheidend für die Steuerbarkeit.29 Zwar handle die Hochschule hoheitlich im Sinne von § 4 Abs. 5 S. 1 KStG.30 Im Fall drohender Wettbewerbsverzerrungen sei die Tätigkeit aber dennoch steuerbar entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben.31 Schließlich erklärte der BFH eine Gemeinde dem Grunde nach für vorsteuerabzugsberechtigt, soweit sie eine Sporthalle entgeltlich an

25 BFH v. 29.6.2010, V B 160/08, BFH/NV 2010 1876, unter 1.a). 26 BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, unter II.2. 27 Heute ist das Überschreiten der Umsatzgrenze nur noch ein Indiz für eine steuerbare Tätigkeit und keine zwingende Voraussetzung mehr, vgl. Abschn. 2.11 Abs. 4 UStAE i. V. m. R 6 Abs. 5 KStR. 28 BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.3.a). 29 BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.5.d). 30 BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.5.a). Rechtsgrundlage für die Überlassung des Personals und der Sachmittel war die Verordnung über die Nebentätigkeiten des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an den Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (HNtV-NW). Das FG hatte der Verordnung öffentlich-rechtlichen Charakter beigemessen. Daran sah sich der BFH gebunden. 31 BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.5.b).

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Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

Dritte überließ.32 Auch hier stellte er auf die Wettbewerbsrelevanz ab.33 Für die Überlassung an eine Nachbargemeinde gegen bloßen Aufwendungsersatz, eine sog. hoheitliche Beistandsleistung, würde nichts anderes gelten.34 Grundlage dieser Rechtsanwendung war eine spezifisch umsatzsteuerrechtliche und richtlinienkonforme Auslegung des Verweises in § 2 Abs. 3 S. 1 UStG auf § 4 KStG.35 Demnach beruhe die Steuerbarkeit einer von Hoheitsträgern ausgeübten Tätigkeit – wie bei allen anderen Unternehmern – auf einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen.36 Die darüber hinausgehenden Voraussetzungen in § 4 Abs. 1 S. 1 KStG wendete der BFH für das Umsatzsteuerrecht nicht an oder legte sie zumindest einschränkend aus. Es bedürfe weder einer eigenständigen Einrichtung37 noch eines wirtschaftlichen Heraushebens innerhalb der Gesamtbetätigung38 noch eines Hinausgehens über reine Vermögensverwaltung.39 Dagegen hindere die Ausübung öffentlicher Gewalt grundsätzlich eine steuerbare Tätigkeit.40 In richtlinienkonformer Auslegung von § 2 Abs. 3 S. 1 UStG i. V. m. § 4 Abs. 5 S. 1 KStG gelte dies aber nicht, wenn die Nicht-Steuerbarkeit zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.41 Die Wettbewerbsrelevanz sei, entgegen der früheren Rechtspre-

32 33 34 35

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74

BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II.2. BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II.2.b)cc). BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II.2.b)cc). BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, unter II.2.c)aa); v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.1., 2.a) und 4.b); v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II.2.a). BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, unter II.2.a) und b); v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, unter II.2.a) und b); v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.2.b); v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II.2.b)aa). BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, unter II.2.c)cc); auch BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.2.d), wonach eine „Einrichtung“ im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 KStG lediglich die funktionelle Abgrenzbarkeit der sonstigen Tätigkeit voraussetzt. BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, unter II.2.c)dd) Gründe; v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.2.e), offen gelassen aber unter II.B.3.a); vgl. auch BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II.2.b)bb), der zumindest die Geltung der Gewinn- und Umsatzgrenzen in R 6 KStR verneint. BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.2.c). BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, unter II.2.c)bb); v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.4. BFH v. 15.4.2010, V R 10/09, BFHE 229, 416, unter II.B.5.b), c); v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II.2.a) und II.2.b)cc).

Aktuelle BFH-Rechtsprechung zur Sphärentheorie

chung, auch bei sog. Beistandsleistungen zwischen Hoheitsträgern zu beachten.42

3.

Uneinheitliche Behandlung untrennbar gemischter Eingangsleistungen

Zwei aktuelle Urteile43 behandelten die Frage, inwieweit eine Gemeinde Vorsteuerabzug für Aufwendungen in Zusammenhang mit der Sanierung ihres Marktplatzes beanspruchen kann. Gemeinden obliegt die Unterhaltung ihres Marktplatzes zum Allgemeingebrauch als hoheitliche Aufgabe. Sanierungsaufwendungen berechtigen daher grundsätzlich nicht zum Vorsteuerabzug. Vermietet die Gemeinde aber entgeltlich Marktstände an Markttreibende, übt sie daneben auch eine wirtschaftliche Tätigkeit aus. Die Sanierungsaufwendungen kommen dieser zugute. In Frage steht dann ein (anteiliges) Vorsteuerabzugsrecht, vorausgesetzt die Gemeinde hat auf die Steuerbefreiung für ihre Vermietungsumsätze verzichtet.44 Wegen des Fortbestands der hoheitlichen Unterhaltungspflicht in Zeiten der Vermietung dienen die Sanierungsaufwendungen untrennbar wirtschaftlichen und hoheitlichen Zwecken. Auf die Problematik untrennbar gemischten Aufwands ging der BFH in beiden Urteilen nicht ein. In dem älteren Urteil gewährte er ein Zuordnungswahlrecht zum wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich mit entsprechendem Vorsteuerabzug.45 Diese Beurteilung ist nach der VNLTO- Entscheidung46 überholt.47 In dem jüngeren Urteil nahm der BFH eine Aufteilung nach wirtschaftlichen und hoheitlichen Verwendungsanteilen vor.48 Dabei hielt er die Aufteilung nach Nutzungstagen für einen sachgerechten Aufteilungs-

42 BFH v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II.2.b)dd); näher dazu Widmann, BB 2012, 1074, 1075. 43 BFH v. 22.10.2009, V R 33/08, BFH/NV 2010, 957; v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274. 44 Vgl. §§ 4 Nr. 12 S. 1 lit. a), 9 Abs. 1 UStG; Art. 135 Abs. 1 lit. l), 137 Abs. 1 lit. d) MwStSystRL. Leistungsbezüge für steuerfreie Vermietungsumsätze begründen kein Recht zum Vorsteuerabzug, § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG, Art. 168 lit. a) MwStSystRL. 45 BFH v. 22.10.2009, V R 33/08, BFH/NV 2010, 957, unter II.2.a). 46 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 47 Vgl. Reiß, UR 2010, 797, 810; Ismer/Keyser, UR 2011, 81, 88; auch BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, unter II.1.c. und II.2.b. 48 BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, unter II.2.b) mit Verweis auf EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839.

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Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

maßstab.49 Nach diesem Aufteilungsmaßstab sind Marktbetriebstage voll als vorsteuerabzugsberechtigte Nutzung anzusetzen, obwohl die hoheitliche Unterhaltungspflicht auch an diesen Tagen fortbesteht.50 Vier weitere Urteile betrafen den Vorsteuerabzug51 aus Herstellungs- und Erhaltungskosten für Gebäude mit Photovoltaikanlagen auf den Dächern: Im ersten Fall52 war es ein privat genutzter Carport, im zweiten Fall53 ein privat genutztes Wohnhaus, im dritten Fall54 ein leer stehender Holzschuppen und im vierten Fall55 eine leer stehende Scheune. Das bewusste und dauerhafte Leerstehenlassen in letzteren Fällen beurteilte der BFH als VNLTO-gleiche Verwendung.56 Die Gebäudekosten kamen jeweils untrennbar dem wirtschaftlichen Betrieb der Photovoltaikanlagen57 und der nichtwirtschaftlichen Nutzung des Gebäudeinneren zugute. In allen vier Fällen hielt der BFH eine Aufteilung der Gebäudekosten nach Maßgabe fiktiver Vermietungsumsätze für sachgerecht, gestützt auf § 15 Abs. 4 analog.58 Fiktiven Vermietungsumsätzen aus der Vermietung des Gebäudeinneren seien fiktive Vermietungsumsätze aus der Vermietung der Dachfläche zum Betrieb einer Photovoltaikanlage gegenüberzustellen. Die dafür erforderlichen Feststellungen müsse das FG treffen. Im Carport-Fall 49 BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, unter II.3. 50 Vorzugswürdig ist dagegen eine weitere Aufteilung des auf Marktbetriebszeiten entfallenden Aufwendungsanteils nach Maßgabe untrennbar gemischten Aufwands, dazu unten S. 238 ff. und S. 251. 51 Die Kläger begehrten jeweils vollen Vorsteuerabzug. Sie beriefen sich auf ihr Zuordnungswahlrecht. Die Vorsteuerabzugsbeschränkung nach § 15 Abs. 1b UStG n. F. galt in den Streitjahren noch nicht. 52 BFH v. 19.7.2011, XI R 21/10, BFHE 235, 14. 53 BFH v. 14.3.2012, XI R 26/11, BFH/NV 2012, 1192. 54 BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556. 55 BFH v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564. 56 BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.4.b) mit Verweis auf EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839; BFH v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.4.c). Dazu von Streit, UStB 2012, 197, 199. 57 Zur Wirtschaftlichkeit des Betriebs der Photovoltaikanlagen: BFH v. 19.7.2011, XI R 21/10, BFHE 235, 14, unter II.2.b)aa); v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.2.; v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.2.a); v. 14.3.2012, XI R 26/11, BFH/NV 2012, 1192, unter II.2.a); zweifelnd ÖstVwGH v. 29.3.2012, Zl. EU 2012/0001-1 (2009/15/0143), UR 2012, 750 (Vorabentscheidungsersuchen). 58 BFH v. 19.7.2011, XI R 21/10, BFHE 235, 14, unter II.4.c); v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.6.c); v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.5.c); v. 14.3.2012, XI R 26/11, BFH/NV 2012, 1192, unter II.5.c); dazu ausführlich Sterzinger, UR 2012, 213 ff.

76

Aktuelle BFH-Rechtsprechung zur Sphärentheorie

war die Aufteilung entscheidend für die 10 %-ige wirtschaftliche Mindestnutzung nach § 15 Abs. 1 S. 2 UStG.59 Der BFH erkannte dem Kläger unter dieser Voraussetzung ein Zuordnungswahlrecht zu.60 Im Wohnhausfall mussten die Erhaltungsaufwendungen für den Vorsteuerabzug aufgeteilt werden.61 Ein Zuordnungswahlrecht diskutierte der BFH hier nicht.62 Im Holzschuppen-Fall war nach dem BFH wiederum die wirtschaftliche Mindestnutzung nach § 15 Abs. 1 S. 2 UStG zu prüfen.63 Sodann erkannte er wegen der VNLTO-gleichen Mitverwendung nur für den wirtschaftlichen Verwendungsanteil den Vorsteuerabzug zu.64 Im Scheunenfall gewährte der BFH ebenfalls anteiligen Vorsteuerabzug nach Maßgabe des wirtschaftlichen Verwendungsanteils.65

4.

Entnahmehandlungen als eigenständiger Tätigkeitsbereich ohne Vorsteuerabzug

Für die Qualifikation von Entnahmehandlungen setzte der BFH in drei aktuellen Entscheidungen neue Maßstäbe. Dabei muss zwischen ihrer Art nach steuerbaren Entnahmehandlungen einerseits66 und Aufmerksamkeiten andererseits unterschieden werden,67 und innerhalb der ihrer Art nach steuerbaren Entnahmehandlungen noch einmal zwischen solchen für Zwecke außerhalb des Unternehmens68 und solchen für Zwecke des Unternehmens69:

59 60 61 62

63 64 65 66

67 68 69

BFH v. 19.7.2011, XI R 21/10, BFHE 235, 14, unter II.3. und II.4. BFH v. 19.7.2011, XI R 21/10, BFHE 235, 14, unter II.2.d). BFH v. 14.3.2012, XI R 26/11, BFH/NV 2012, 1192, unter II.4. Dies entspricht der Ansicht von GA Mengozzi, Schlussanträge v. 22.12.2008 in EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 72, wonach Erhaltungsaufwendungen für gemischt wirtschaftlich und privat genutzte Investitionsgüter aufzuteilen sind und kein Zuordnungswahlrecht besteht. BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.5. und II.6. BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.4. BFH v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.4. und II.5. Ihrer Art nach steuerbar sind Entnahmehandlungen, wenn sie die Tatbestandvoraussetzungen von Art. 16, 26 MwStSystRL bzw. § 3 Abs. 1b, Abs. 9a UStG erfüllen, jedoch ungeachtet der Voraussetzung des Vorsteuerabzugs auf den Gegenstand, soweit diese vorgesehen ist. Denn die Vorsteuerabzugsberechtigung zum Zweck der Entnahmehandlung steht gerade in Frage. Vgl. § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 2 2. HS, § 3 Abs. 9a Nr. 1 2. HS und Nr. 2 2. HS UStG. Vgl. § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 3 Abs. 9a Nr. 1, Nr. 2 UStG. Vgl. § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG.

77

Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

Ihrer Art nach steuerbare Entnahmehandlungen qualifizierte der BFH als eigenständige nicht-unternehmerische Tätigkeitsbereiche. Entgegen seiner früheren Rechtsprechung70 versagte er den Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen, die ausschließlich für Zwecke solcher Entnahmehandlungen bezogen wurden. Im ersten Fall71 ging es um Kosten eines Betriebsausfluges für den privaten Personalbedarf72 im Wert von mehr als 200 € pro Person. Der BFH führte dazu aus, eine Leistungsentnahme für außerhalb des Unternehmens liegende Zwecke im Sinne von § 3 Abs. 9a S. 1 Nr. 2 UStG und ein Leistungsbezug für das Unternehmen im Sinne von § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG schlössen sich gegenseitig aus.73 Im zweiten Fall74 hatte eine GmbH Erschließungsanlagen hergestellt, um sie später unentgeltlich auf eine Gemeinde zu übertragen. Der BFH verneinte den Vorsteuerabzug aus den Herstellungskosten, weil sie für eine unentgeltliche Zuwendung i. S. v. § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG, mithin eine nicht-wirtschaftliche Verwendung bezogen worden seien.75 Schließlich versagte der BFH einer GmbH den Vorsteuerabzug aus Herstellungskosten eines Gebäudes, wenn es ausschließlich durch die Gesellschafter-Geschäftsführer zu deren privaten Wohnzwecken genutzt wird.76 Die Wohnraumüberlassung erfolge im nichtunternehmerischen Bereich der GmbH. Hinsichtlich der Unternehmenszugehörigkeit im Sinne der VNLTOEntscheidung77 differenzierte der BFH bei ihrer Art nach steuerbaren Entnahmehandlungen: Solche für private Zwecke des Steuerpflichtigen, seines Personals oder seiner Gesellschafter qualifizierte er als unternehmensfremd. Auf dieser Grundlage gewährte er das Zuordnungswahlrecht und entsprechenden Vorsteuerabzug für gemischte Eingangsleistungen zu

70 Vgl. dazu BFH v. 20.12.2005, V R 14/04, BFHE 212, 187, unter II.2. 71 BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243. 72 Zur Abgrenzung privaten Personalbedarfs als unternehmensfremder Zweck und der Verfolgung betrieblicher Interessen als unternehmenseigener Zweck BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.2., II.3.c)aa) und bb). 73 BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.c). 74 BFH v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261. 75 BFH v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.1.c) und II.2.c). 76 BFH v. 12.1.2011, XI R 9/08, BFHE 232, 254, unter II.3.c)aa). Zur Abgrenzung unentgeltlicher Wohnraumüberlassung an die Gesellschafter-Geschäftsführer in ihrer Eigenschaft als Anteilseigner von einem entgeltlichen Mietverhältnis bzw. einem Sachbezug im Rahmen des Anstellungsverhältnisses unter II.3.a) und II.3.b). 77 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839.

78

Die neue Sphärentheorie als zweistufiges Modell

wirtschaftlichen Zwecken und zu Entnahmezwecken.78 Solche für Zwecke des Unternehmens79 qualifizierte er dagegen als unternehmenseigen. Gemischte Eingangsleistungen für wirtschaftliche Tätigkeiten und Entnahmezwecke teilte er hier auf.80 Für Aufmerksamkeiten gewährte der BFH dagegen den Vorsteuerabzug. Leistungsbezüge für Aufmerksamkeiten würden nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zu einem konkreten Ausgangsumsatz (Entnahmeumsatz) stehen. Daraus folge ein Recht zum Vorsteuerabzug aus allgemeinen Kosten bei der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit.81

III. Die neue Sphärentheorie als zweistufiges Modell Das Schicksal der Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung82 wird unterschiedlich beurteilt. Eine Auffassung hält die VNLTO-Entscheidung nach Einführung der Anti-Seeling-Regelung in Art. 168a MwStSystRL83 für überholt und will an der traditionellen Sphärentheorie festhalten (unter 1.). Überzeugender erscheinen dagegen Bemühungen um eine Modifizierung und Anpassung der Sphärentheorie an die unionsrechtlichen Vorgaben (unter 2.). Auf Grundlage der vorgeschlagenen Modelle und unter Berücksichtigung der Unterscheidung von Tätigkeitsbereichen im französischen Mehrwertsteuerrecht wird sodann ein eigener Vorschlag erarbeitet (unter 3.).

1.

Relevanz der VNLTO-Rechtsprechung nach Einführung von Art. 168a MwStSystRL

Eine Auffassung in der Literatur stellt in Frage, ob der VNLTOEntscheidung84 nach der Einführung von Art. 168a MwStSystRL noch eine Bedeutung zukommt.85 Art. 168a MwStSystRL könne als abschließende 78 BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.d)bb); v. 12.1.2011, XI R 9/08, BFHE 232, 254, unter II.3.c)bb); v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.1.d)bb); v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, unter II.1.c). 79 Vgl. § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG. 80 BFH v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.1.d)aa) 1. Absatz; zweifelnd allerdings wieder im 2. Absatz. 81 BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.c)cc) und II.3.c)cc). 82 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 83 Vgl. dazu oben S. 67 Fn 277. 84 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 85 Wäger, JbFfSt 10/11, S. 649, 653; ders., UR 2012, 1288, 1293 f.

79

Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

Umsetzung des Rechtsgedankens der VNLTO-Entscheidung verstanden werden. Außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 168a MwStSystRL gelte die traditionelle Sphärenabgrenzung nach der Sphärentheorie. Der ideelle Bereich eines Vereins sei wieder als unternehmensfremd zu qualifizieren.86 Gemischt steuerbar und ideell genutzte Gegenstände könnten voll dem Unternehmen zugeordnet werden mit der Konsequenz vollen Vorsteuerabzugs und anschließender Entnahmebesteuerung des ideellen Verwendungsanteils.87 In Deutschland würde nur für gemischt genutzte Grundstücke die Einschränkung des Vorsteuerabzugsrechtes nach Art. 168a Abs. 1 MwStSystRL gelten.88 Diese Ansicht widerspricht indes der Entstehungsgeschichte von Art. 168a MwStSystRL. Sie unterstellt, der Richtliniengeber habe Art. 168a MwStSystRL als Reaktion auf die VNLTO- Entscheidung geschaffen. Dagegen spricht aber schon die zeitliche Abfolge. Die VNLTOEntscheidung erging 15 Monate nach dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag eines Art. 168a MwStSystRL-E.89 Zudem verfolgt Art. 168a MwStSystRL ein anderes Regelungsziel. Der Richtliniengeber wollte eine Sonderregelung für im Sinne der Seeling-Entscheidung90 gemischt steuerbar und unternehmensfremd (insbesondere privat)91 genutzte Grundstücke schaffen.92 Die Reichweite unternehmensfremder Nutzungsan-

86 Wäger, JbFfSt 10/11, S. 649, 653; zustimmend Aussprache von Kraeusel, S. 655, der aber auch vor vorschnellen Schlüssen warnt. 87 Wäger, JbFfSt 10/11, S. 649, 655. 88 Wäger, JbFfSt 10/11, S. 649, 653. 89 Vorschlag der Kommission v. 7.11.2007, KOM(2007) 677 endgültig, juris-DokNr. 52007PC0677. 90 EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101. 91 Die EuGH-Rechtsprechung zum Zuordungswahlrecht betraf bis zur VNLTOEntscheidung ausschließlich private Mitverwendungsanteile von Unternehmensgegenständen, vgl. EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775; v. 8.3.2001, C-415/98, Bakcsi, Slg 2001, I-1831; v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101; v. 21.4.2005, C-25/03, HE, Slg 2005, I-3123; v. 14.7.2005, C-434/03, Charles und Charles-Tijmens, Slg 2005, I-7037; v. 30.3.2006, C-184/04, Uudenkaupungin Kaupunki, Slg 2006, I-3039; v. 14.9.2006, C-72/05, Wollny, Slg 2006, I-8297. In der Rechtssache Waterschap Zeeuws Vlaanderen (EuGH v. 02.06.2005, C-378/02, Slg 2005, I-4685) hat der EuGH die ausdrücklich gestellte Frage nach dem Zuordnungswahlrecht bei gemischt steuerbarer und hoheitlicher Tätigkeit (Rn 25 f.) offen gelassen (Rn 46). 92 Vorschlag der Kommission v. 7.11.2007, KOM (2007) 677 endgültig, http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2007:0677:FIN:DE:PDF, unter 1)

80

Die neue Sphärentheorie als zweistufiges Modell

teile wurde in dem Richtlinienentwurf nicht thematisiert. Diese Problematik ist erst mit der VNLTO-Entscheidung ins Bewusstsein gerückt. Der Richtliniengeber konnte und wollte dafür keine Lösung bieten.93 Für gemischt steuerbar und ideell verwendete Eingangsleistungen (VNLTOVerwendung) war nach der VNLTO-Entscheidung auch keine derartige Sonderregelung notwendig. Denn das Seeling-Modell94 ist wegen der zwingenden Aufteilung der Aufwendungen von vornherein ausgeschlossen. Die Ansicht läuft auch dem erklärten Ziel von Art. 168a MwStSystRL zuwider. Die Regelung soll den Anwendungsbereich des Seeling-Modells94 einschränken.95 Sie würde ihn aber im Fall gemischt steuerbarer und ideeller Tätigkeit gegenüber der VNLTO-Entscheidung96 erweitern.97 Der EuGH verweigerte den vollen Vorsteuerabzug für gemischt steuerbar und ideell verwendete Eingangsleistungen. Nach der vorgeschlagenen Auslegung würde das nur für gemischt steuerbar und ideell genutzte Grundstücke gelten. Für andere gemischt steuerbar und ideell genutzte Gegenstände wäre bei voller Unternehmenszuordnung der volle Vorsteuerabzug zu gewähren. Zudem steht die Ansicht in offenem Widerspruch zu den Grundaussagen der VNLTO-Entscheidung.98 Demnach sind nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten nicht zwingend unternehmensfremd. Namentlich ideelle Tätigkeiten gehören zum Unternehmen, sodass eine Entnahmebesteuerung für ideelle Zwecke ausgeschlossen ist. Und für gemischt wirtschaftlich und ideell verwendete Eingangsleistungen ist generell nur ein anteiliger Vorsteuerabzug möglich.

93

94 95 96 97 98

der Begründung, Allgemeiner Kontext, S. 2 f., und unter 5) der Begründung zu Artikel 1 Nummer 11, S. 8 f. Insbesondere enthält das dokumentierte Gesetzgebungsverfahren keine Anhaltspunkte dafür, vgl. Vorschlag der Kommission v. 7.11.2007, KOM(2007) 677 endgültig, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2007:0677:FIN:DE: PDF; Stellungnahme des EWSA v. 12.3.2008, ABl. EU 2008, C 204/119; Legislative Entschließung des EP v. 8.7.2008, ABl. EU 2009, C 294 E, S. 95 ff.; Legislative Entschließung des EP v. 24.11.2009, ABl. EU 2010, C 285 E, S. 118 ff.; Annahme durch den Rat mit Richtlinie 2009/162/EU v. 22.12.2010, Nr. L 10, S. 14 ff.; Übersicht unter http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_real.dfm?CL=de&DosId=196353. EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben S. 32 f. Vgl. oben S. 80 Fn 92. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. Das konzediert auch Wäger, JbFfSt 10/11, S. 649, 655. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 38 f.

81

Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

2.

Modelle einer modifizierten Sphärentheorie

Die in der Literatur vorgeschlagenen Modelle einer modifizierten Sphärentheorie führen in der Anwendung immer zu denselben Ergebnissen. Sie unterscheiden sich aber im Aufbau und in der Terminologie. Eine Auffassung stellt drei Sphären gleichrangig nebeneinander (unter a.). Eine zweite Auffassung differenziert innerhalb der unternehmerischen Sphäre zwischen wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Tätigkeiten (unter b.). Schließlich differenziert eine dritte Auffassung innerhalb der nichtunternehmerischen Sphäre zwischen satzungsgemäßen nichtwirtschaftlichen und unternehmensfremden Tätigkeiten (unter c.). a.

Unterscheidung von drei Sphären

Die erste Auffassung unterscheidet zwischen der unternehmerischen, der unternehmensfremden und einer nicht unternehmerischen, aber auch nicht unternehmensfremden Sphäre.99 In der neuen „nicht unternehmerischen und nicht unternehmensfremden“ Sphäre gelten die VNLTO-Grundsätze.100

Unternehmerisch

Nicht unternehmerisch und nicht unternehmensfremd

Unternehmensfremd

(VNLTO-gleich) Das Modell erscheint sowohl sprachlich als auch inhaltlich problematisch. Nach allgemeinem Sprachverständnis ist „unternehmensfremd“ ein Gegenbegriff zu „unternehmerisch“. Die Existenz eines nichtunternehmerischen und nicht-unternehmensfremden Bereichs ist nicht unmittelbar einsichtig. Inhaltlich entfernt sich das Modell von der Systematik. Demnach ist für die Steuerbarkeit und das Vorsteuerabzugsrecht reiner Eingangsleistungen zweigliedrig zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten zu unterscheiden. Für die Entnahmebesteuerung ist ebenfalls eine zweigliedrige Abgrenzung maßgeblich, zwischen unternehmenseigenen und unternehmensfremden Bereichen.

99 Korn, DStR 2009, 372, 373; Lippross, DStZ 2012, 320, 324, 328, 331; vgl. auch Widmann in Vogel/Schwarz, UStG, § 15 Rn 100; Janzen in Lippross, BK Steuerrecht, UStG, § 15 Rn 61 f.; Boos, DStZ 2012, 267. 100 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839.

82

Die neue Sphärentheorie als zweistufiges Modell

b.

Aufteilung der unternehmerischen Sphäre in eine wirtschaftliche und eine nicht-wirtschaftliche Sphäre

Die zweite Ansicht versteht die unternehmerische Sphäre weiter als bisher und differenziert innerhalb der unternehmerischen Sphäre zwischen wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Tätigkeit.101 Im nichtwirtschaftlichen Bereich innerhalb der unternehmerischen Sphäre gelten die VNLTO-Grundsätze.102 Unternehmerisch

Wirtschaftlich

Nichtwirtschaftlich

Unternehmensfremd

(nicht-wirtschaftlich)

(VNLTO-gleich) Vorteil dieses Modells ist seine terminologische Klarheit. Es unterscheidet klar zwischen dem Merkmal der Unternehmenszugehörigkeit und der Wirtschaftlichkeit. Hinsichtlich der Prüfungsreihenfolge überzeugt das Modell hingegen nicht. Es nimmt auf erster Stufe die für die Entnahmebesteuerung maßgebliche Abgrenzung zwischen unternehmerischer und unternehmensfremder Sphäre vor und trifft erst auf zweiter Stufe eine Aussage über die Steuerbarkeit und das Vorsteuerabzugsrecht in einem Tätigkeitsbereich. Soll beispielsweise bestimmt werden, ob die ideelle Tätigkeit eines Vereins steuerbar ist, muss nach diesem Modell zunächst die dafür unbeachtliche Abgrenzung zwischen der unternehmerischen und der unternehmensfremden Sphäre vorgenommen werden. Erst auf zweiter Stufe entscheidet das Modell über die Steuerbarkeit anhand der hier beachtlichen Abgrenzung zwischen wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Tätigkeiten.

101 Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 300a; Slapio/Erdbrügger, EUUStB 2009, 26, 30; Korf, DB 2009, 758, 763; Korf/Kurtz, UR 2010, 86, 98, 100; Sterzinger, UR 2010, 125, 131; Lohse, IStR 2009, 486, 487; vgl. auch BFH v. 29.6.2010, V B 160/08, BFH/NV 2010, 1876, unter 1.a). 102 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839.

83

Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

c.

Aufteilung der nicht-unternehmerischen Sphäre in eine satzungsgemäße und eine unternehmensfremde Sphäre

Nach dem dritten Modell ist die nicht-unternehmerische Sphäre in einen satzungsgemäßen nicht-wirtschaftlichen und einen unternehmensfremden Bereich aufzuteilen.103 Die unternehmerische Sphäre umfasst dann allein wirtschaftliche Tätigkeiten. Im satzungsgemäßen nicht-wirtschaftlichen Bereich innerhalb der nicht-unternehmerischen Sphäre gelten die VNLTOGrundsätze.104 Unternehmerisch

Nichtunternehmerisch Satzungsgemäß nichtwirtschaftlich (VNLTO-gleich)

Unternehmensfremd (insb. privat)

Die Finanzverwaltung105 schlägt dasselbe Modell vor, bezeichnet aber die satzungsgemäße nicht-wirtschaftliche Sphäre als nicht-wirtschaftlich im engeren Sinn: Unternehmerisch

Nicht-unternehmerisch Nichtwirtschaftlich i. e. S.

Unternehmensfremd

Inhaltlich bildet das Modell die unionsrechtliche Systematik am besten ab. Auf erster Stufe entscheidet es über die Steuerbarkeit und das Vorsteuerabzugsrecht und hält insoweit an der traditionellen Sphärentheorie fest. Die Differenzierung auf der zweiten Stufe betrifft sodann die Entnahmebesteuerung. Terminologisch bedarf das Modell jedoch der Präzisierung. Die

103 Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1509; vgl. auch Reiß, UR 2010, 797, 804; Wäger, DStR 2011, 433, 437. 104 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 105 BMF v. 2.1.2012, IV D 2 – S 7300/11/10002, BStBl I 2012, 60, unter I.; Abschn. 2.3 Abs. 1a UStAE.

84

Die neue Sphärentheorie als zweistufiges Modell

Kombination aus der Terminologie des Umsatzsteuergesetzes (unternehmerisch und nicht-unternehmerisch), der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (unternehmensfremd) und neuer Begriffsfindung (satzungsgemäß nichtwirtschaftlich bzw. nicht-wirtschaftlich i. e. S.) ist verwirrend.106 Setzt man im Modell der Finanzverwaltung alle verwendeten Begriffe um, hätte die neue Sphärentheorie folgendes Bild: Unternehmerisch

(Unternehmenseigen)

Nicht-unternehmerisch = Nicht-wirtschaftlich i. w. S. Nichtwirtschaftlich i. e. S. und zugleich unternehmenseigen

Unternehmensfremd

Wo es unternehmensfremde Tätigkeiten gibt, muss es auch unternehmenseigene Tätigkeiten geben. Wo es nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten im engeren Sinn gibt, muss es auch nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten im weiteren Sinn geben. Es ergeben sich Doppelbezeichnungen für ein und denselben Sachverhalt. Das macht das Modell unnötig komplex.

3.

Eigenes Modell nach französischem Vorbild

Das französische Mehrwertsteuerrecht ist hinsichtlich der Unterscheidung von Tätigkeitsbereichen fortgeschrittener als das deutsche.107 Zwar hat die französische Rechtspraxis bisher kein der Sphärentheorie vergleichbares Modell entwickelt. Aber die Existenz nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche war schon vor der VNLTO-Entscheidung108 bekannt. Ein Sonderentnahmetatbestand erfasst ausdrücklich Gegenstandsentnahmen in den nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich.109 Dementsprechend unterscheidet das französische Recht zwischen der Frage, ob ein Steuerpflichtiger „als solcher“ handelt, und der Frage, ob sein 106 Kritisch auch Wäger, DB 2012, 1288, 1294; Lippross, Umsatzsteuer, S. 461. 107 Ausführlich zur Unterscheidung von Tätigkeitsbereichen im französischen Mehrwertsteuerrecht Pull, UR 2012, 701 ff. 108 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 109 Art. 257-II-1-2° CGI, dazu Pull, UR 2012, 701, 703 f.

85

Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

Handeln zum Unternehmen gehört. Für die Abgrenzung steuerbarer und nicht-steuerbarer Bereiche kommt es auf ein Handeln „als Steuerpflichtiger“ an, mit anderen Worten auf ein wirtschaftliches und selbstständiges Handeln.110 Auch für den Vorsteuerabzug ist allein diese Abgrenzung maßgeblich.111 Die Frage der Unternehmenszugehörigkeit einer Tätigkeit hat erst für die Entnahmebesteuerung Bedeutung. Hier wird zwischen unternehmensfremden und unternehmenseigenen Bereichen unterschieden.112 Damit legt das französische Recht einen zweistufigen Aufbau der neuen Sphärentheorie nahe. Auf der ersten Stufe steht die Abgrenzung zwischen einem Handeln „als Steuerpflichtiger“ und einem Handeln „nicht als Steuerpflichtiger“. Dabei ist neben der Wirtschaftlichkeit des Handelns auch seine Selbstständigkeit in Bezug zu nehmen. Denn „als Steuerpflichtiger“ handelt nur, wer wirtschaftlich und selbstständig tätig ist.113 Die Abgrenzung entscheidet über die Steuerbarkeit von Ausgangsleistungen und über das Vorsteuerabzugsrecht für Eingangsleistungen. Da die Sphärenunterscheidung ihren systematischen und auch historischen Ursprung114 im Besteuerungstatbestand hat, erfolgt sie auf der ersten Stufe. Auf der zweiten Stufe folgt die Abgrenzung zwischen unternehmenseigenen und unternehmensfremden Bereichen für Zwecke der Entnahmebesteuerung. Dabei gehört die Sphäre, in der der Steuerpflichtige „als solcher“ handelt, zum Unternehmen.115 Die Sphäre, in der der Steuerpflichtige „nicht als solcher“ handelt, setzt sich aus unternehmenseigenen und unternehmensfremden Tätigkeiten zusammen.

110 Art. 256-I, Art. 256 A Satz 1 CGI, dazu Pull, UR 2012, 701, 702 f. 111 Art. 271-I-1 CGI, Art. 205, Art. 206-I, -II Anhang II CGI, dazu Pull, UR 2012, 701, 704 f. 112 Art. 257-II-1-1° und -2°, Art. 257-II-2-1° und -2° CGI, dazu Pull, UR 2012, 701, 703 f. 113 Vgl. oben S. 37 ff. 114 Zur Historie der Sphärenunterscheidung im deutschen Umsatzsteuerrecht oben S. 16 ff. 115 Vgl. GA Mengozzi in EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 46.

86

Die neue Sphärentheorie als zweistufiges Modell Schaubild 6:

Die neue Sphärentheorie

„als Steuerpflichtiger“ = wirtschaftliche und selbstständige Sphäre

„nicht als Steuerpflichtiger“ = nicht-wirtschaftliche oder nicht-selbstständige Sphäre

(unternehmenseigen)

unternehmenseigen unternehmensfremd

Ļ - Ausgangsumsätze steuerbar - Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen - kein mögliches Entnahmeziel

Ļ

Ļ

- Ausgangsumsätze nicht steuerbar - kein Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen - kein mögliches Entnahmeziel

- mögliches Entnahmeziel

Die Sphärenabgrenzung auf der ersten Stufe entspricht der traditionellen Sphärentheorie. Sie wird lediglich in die unionsrechtliche Terminologie „übersetzt“. Die Tätigkeit „als Steuerpflichtiger“ steht für die unternehmerische Sphäre, die Tätigkeit „nicht als Steuerpflichtiger“ steht für die nichtunternehmerisches Sphäre.116 Es ist nicht sinnvoll, an den nationalen Begrifflichkeiten festzuhalten. Denn das deutsche Umsatzsteuergesetz legt für die Steuerbarkeit, den Vorsteuerabzug und die Entnahmebesteuerung einheitlich den Unternehmensbegriff zugrunde. Dagegen bringt die unionsrechtliche Terminologie anhand eines eigenständigen Begriffspaares den inhaltlichen Unterschied zum Unternehmensbegriff der Entnahmetatbestände zum Ausdruck. Es macht auch keinen Sinn, gänzlich neue Begrifflichkeiten einzuführen. Der Rechtsanwender müsste sie unmittelbar wieder in die Sprache der Mehrwertsteuersystemrichtlinie bzw. des Umsatzsteuergesetzes übersetzen. Auf der zweiten Stufe modifiziert das Modell die traditionelle Sphärentheorie und passt sie den Vorgaben der VNLTO-Entscheidung117 an. Nach der traditionellen Sphärentheorie waren der Tätigkeitsbereich, in dem der Steuerpflichtige „nicht als solcher“ handelt und der unternehmensfremde

116 Vgl. zur traditionellen Sphärentheorie oben S. 28. 117 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839.

87

Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

Tätigkeitsbereich gleichzusetzen.118 Die neue Sphärentheorie unterscheidet hingegen innerhalb der „nicht als Steuerpflichtiger“ ausgeübten Tätigkeiten zwischen unternehmenseigenen und unternehmensfremden Tätigkeiten im Sinne der Entnahmetatbestände. Dabei gehört die wirtschaftliche und selbstständige Sphäre immer zum Unternehmen. Denn Entnahmen für unternehmensfremde Zwecke erfassen nur Leistungsabgaben, die die wirtschaftliche und selbstständige Sphäre verlassen. Im Ergebnis sind drei Tätigkeitssphären zu unterscheiden: 1. die wirtschaftliche und selbstständige unternehmenseigene Sphäre 2. die nicht-wirtschaftliche oder nicht-selbstständige unternehmenseigene Sphäre und 3. die nicht-wirtschaftliche oder nicht-selbstständige unternehmensfremde Sphäre. Die Bezeichnungen lassen sich verkürzen auf: 1. die wirtschaftliche und selbstständige Sphäre 2. die nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Sphäre und 3. die unternehmensfremde Sphäre. Denn die wirtschaftliche und selbstständige Sphäre gehört zwingend zum Unternehmen (1. Sphäre). Nicht-selbstständige Tätigkeiten stehen privaten Tätigkeiten gleich und sind daher unternehmensfremd. Sie müssen folglich bei der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre nicht in Bezug genommen werden (2. Sphäre). Unternehmensfremd können schließlich nur nicht-wirtschaftliche oder nicht-selbstständige Tätigkeiten sein (3. Sphäre). Schaubild 7:

Vereinfachte Darstellung der neuen Sphärenunterscheidung

Wirtschaftliche und selbstständige Sphäre

Nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Sphäre

118 Vgl. zur traditionellen Sphärentheorie oben S. 28.

88

Unternehmensfremde Sphäre

Neujustierung des Unternehmensbegriffs

IV. Neujustierung des Unternehmensbegriffs Das neue Systemverständnis hat Auswirkungen auf den Inhalt des Unternehmensbegriffs als mehrwertsteuerlicher terminus technicus. Das nationale Umsatzsteuergesetz verwendet ihn im Besteuerungstatbestand, im Vorsteuerabzugstatbestand und in den Entnahmetatbeständen. Unter systematischen, historischen und teleologischen Gesichtspunkten müssten diese Unternehmensbegriffe eigentlich einheitlich ausgelegt werden. Dies verstieße jedoch gegen die Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (unter 1.). Der Rechtsanwender muss den Konflikt lösen, indem er den Unternehmensbegriff im Umsatzsteuergesetz richtlinienkonform, mithin differenziert auslegt. Dabei verdrängt das Gebot richtlinienkonformer Auslegung die systematischen, historischen und teleologischen Bedenken (unter 2.). Eine solche differenzierende Auslegung erschwert aber nicht nur die Rechtsanwendung. Deutschland genügt damit auch nicht seiner Umsetzungspflicht aus Art. 288 Abs. 3 AEUV. Vielmehr muss der nationale Gesetzgeber die Differenzierung im Umsatzsteuergesetz kenntlich machen (unter 3.). Darüber hinaus bedarf der Unternehmensbegriff im Kontext des Zuordnungswahlrechts der Präzisierung. Das Zuordnungswahlrecht erlaubt dem Steuerpflichtigen ein gemischt wirtschaftlich und privat genutztes Investitionsgut in vollem Umfang seinem Unternehmen zuzuordnen.119 Das meint eine Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensbereich. Ein Zuordnungswahlrecht zur nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre besteht dagegen nicht (unter 4.).

1.

Konflikt zwischen rein innerstaatlicher Auslegung und Richtlinienvorgaben

Nach nationalem Recht sind Ausgangsleistungen des Unternehmers nur „im Rahmen seines Unternehmens“ steuerbar, § 1 Abs. 1 S. 1 UStG. Der Vorsteuerabzug besteht für Eingangsleistungen, die der Unternehmer „für sein Unternehmen“ bezieht, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG. Eine Entnahmebesteuerung verlangt grundsätzlich eine unentgeltliche Leistung „für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen“, § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 9a S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG. Die drei Systemvorschriften legen einheitlich den Unternehmensbegriff zugrunde. Seine Bedeutung definiert § 2 Abs. 1 S. 2 und S. 3 UStG. Insofern bestehen keine systematischen Anhaltspunkte für 119 Eingehend oben S. 55 f.

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unterschiedliche Begriffsinhalte.120 Nach dieser Auslegung wären insbesondere unentgeltliche Leistungen eines gemischt tätigen Vereins für seinen ideellen Bereich als Entnahme steuerbar. Die Entstehungsgeschichte der nationalen Entnahmetatbestände bestätigt diese einheitliche Auslegung. Die Vorgängerregelung, der sog. Eigenverbrauch, war noch im selben Paragrafen wie der Besteuerungstatbestand geregelt, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG 1980.121 Zwecke „außerhalb des Unternehmens“ im Eigenverbrauchstatbestand waren offensichtlich der Gegenbegriff zu Umsätzen „im Rahmen des Unternehmens“ im Besteuerungstatbestand. Mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002122 ersetzten die Entnahmetatbestände in §§ 3 Abs. 1b und Abs. 9a UStG den Eigenverbrauchstatbestand. Die Begrifflichkeiten „im Rahmen des Unternehmens“ zur Kennzeichnung des steuerbaren Bereichs und „außerhalb des Unternehmens“ zur Kennzeichnung des Zielbereichs von Entnahmen behielt der Gesetzgeber bei. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass er sein Begriffsverständnis geändert hätte.123 Darüber hinaus spricht die vorsteuerneutralisierende Wirkung der Entnahmebesteuerung124 für ein weites Verständnis außerunternehmerischer Zwecke, mithin einen engen Unternehmensbegriff. Eine Vorsteuerneutralisierung ist immer geboten, wenn eine vorsteuerentlastete Eingangsleistung nachträglich vorsteuerabzugschädlich verwendet wird. Vorsteuerabzugschädlich ist aber nicht nur eine Verwendung im Privatbereich, sondern beispielsweise auch im ideellen Bereich. Der Bedarf zur Vorsteuerkorrektur besteht hier gleichermaßen. Die Abgrenzungskriterien der Mehrwertsteuersystemrichtlinie unterscheiden sich vom nationalen Recht. Demnach sind Ausgangsleistungen steuerbar, wenn der Steuerpflichtige „als solcher“ handelt, Art. 2 Abs. 1 lit. a), lit. c) MwStSystRL. Auch der Vorsteuerabzug nach Art. 167, Art. 168 lit. a) MwStSystRL setzt ein Handeln „als solcher“ voraus.125 Eine 120 Vgl. Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 39 f., 89; Wäger, DStR 2011, 433, 436; auch BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.c.bb); vgl. auch Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1510, die sich auf den Wortlaut berufen. 121 BGBl I 1979, 1953, vgl. zur Geschichte der Entnahmebesteuerung oben S. 18 f., 21 f. 122 Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.1999, BGBl I 1999, 402, 486 ff. 123 Vgl. Entwurf eines StEntlG 1999/2000/2002 v. 9.11.1998, BT-DrS 14/23, S. 195 f. 124 Vgl. dazu oben S. 22 f. insb. Fn 53. 125 St. Rspr. des EuGH: EuGH v. 11.7.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 15; v. 8.6.2000, C-400/98, Breitsohl, Slg 2000, I-4321, Rn 35; v. 8.6.2000, C-396/98, Schloßstraße, Slg 2000, I-4279, Rn 37; v. 30.3.2006, C-184/04, Uuden-

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Neujustierung des Unternehmensbegriffs

Entnahmebesteuerung verlangt hingegen grundsätzlich die Verfolgung „unternehmensfremder Zwecke“, Art. 16 S. 1, Art. 26 Abs. 1 lit. a), lit. b) MwStSystRL. Nach Maßgabe der VNLTO-Entscheidung126 umfasst das Unternehmen in diesem Sinne auch ideelle Vereinstätigkeiten. Demnach sind unentgeltliche Leistungen eines gemischt tätigen Vereins für seinen ideellen Bereich nicht als Entnahme steuerbar. Die einheitliche Auslegung des Unternehmensbegriffs im nationalen Umsatzsteuergesetz ist damit unvereinbar.

2.

Vorrang richtlinienkonformer differenzierender Auslegung

Bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten einer Rechtsvorschrift genießt die richtlinienkonforme Auslegung Vorrang gegenüber anderen Auslegungsmethoden.127 Ihre Grenzen findet sie in dem möglichen Wortsinn der nationalen Norm128 und in dem eindeutig geäußerten Willen des nationalen Gesetzgebers.129 Der EuGH respektiert diese innerstaatlichen Grenzen der Auslegung.130 Nach diesen Maßstäben erlaubt das nationale Umsatzsteuergesetz eine richtlinienkonforme, mithin differenzierende Auslegung des Unternehmensbegriffs.131 Der mögliche Wortsinn des Unternehmensbegriffs steht dem

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kaupungin kaupunki, Slg 2006, I-8039, Rn 38 f.; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 57. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. Vgl. EuGH v. 18.12.2007, C-357/06, Frigerio Luigi & C., Slg 2007, I-12311, Rn 28; v. 10.6.2010, C-395/08 und C-396/08, Bruno und Pettini, Slg 2010, I-5119, Rn 74; v. 26.4.2012, C-621/10, Balkan and Sea Properties, UR 2012, 435, Rn 54, jeweils m. w. N.; Schön, Die Auslegung europäischen Steuerrechts, S. 43; ders., DStJG 19, 1996, S. 167, 187. BFH v. 20.1.1988, X R 48/81, BFHE 152, 556, unter II.3.d)aa); v. 18.4.1991, V R 122/89, BFHE 165, 104, unter II.1.; v. 6.11.2002, V R 57/01, BFH/NV 2003, 827, unter II.2.a)bb); Ismer/Keyser, UR 2011, 81, 85 f.; Schön, DStJG 19, 1996, S. 167, 186 f.; ders., Die Auslegung europäischen Steuerrechts, S. 42 ff.; Lohse, Zuordnung, S. 195; Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 8; Ahlt, USt-KongreßBericht 1997/1998, S. 33, 34. Ismer/Keyser, UR 2011, 81, 85 f.; Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 8; Schön, DStJG 19, 1996, S. 167, 187; ders., Die Auslegung europäischen Steuerrechts, S. 45; a. A. Lohse, Zuordnung, S. 196 ff.; Ahlt, USt-Kongreß-Bericht 1997/1998, S. 33, 34. Vgl. EuGH-Rspr. oben in Fn 127; Lohse, Zuordnung, S. 195. Ebenso Lohse, BB 2010, 1437; ders., IStR 2009, 486, 487 ff.; Reiß, UR 2010, 497, 807 f.; vgl. auch BFH v. 18.03.2010, V R 12/09, BFH/NV 2010, 1500, unter II.2. A. A. Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 39 f., 89; Spiegel/Heidler,

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Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

nicht entgegen. Das Unternehmen lässt sich eng auslegen als Gesamtheit der wirtschaftlichen und selbstständigen Tätigkeiten einer Person. Es lässt sich aber auch entsprechend der VNLTO-Entscheidung132 weit auslegen, sodass es zusätzlich die nicht-wirtschaftlichen Tätigkeiten im Rahmen des Satzungszwecks einer Vereinigung umfasst. Der nationale Gesetzgeber hat sich auch nicht zwingend auf einen einheitlichen Unternehmensbegriff im Umsatzsteuergesetz festgelegt. Zwar ging er – wie dargelegt133 – von einem einheitlichen Unternehmensbegriff aus, als er die Entnahmebesteuerung im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002134 neu regelte. Mit der Neuregelung wollte er aber gerade die unionsrechtlichen Vorgaben umsetzen.135 Dafür wandelte er die eigenständigen Eigenverbrauchstatbestände in Ergänzungstatbestände um. Sie fingieren seither entsprechend den unionsrechtlichen Entnahmetatbeständen entgeltliche Leistungen im Sinne des Grundtatbestandes. Darüber hinaus knüpfte er die Gegenstands- und die Verwendungsentnahme an die Vorsteuerabzugsberechtigung für den Gegenstand, wie es die Sechste Richtlinie 77/388/EWG vorsah.136 Der gesetzgeberische Wille zur Umsetzung der Richtlinienvorgaben umfasste auch den Willen zur Übernahme des unionsrechtlichen Unternehmensbegriffs. Dafür musste sich der Gesetzgeber der Problematik um dessen Reichweite nicht bewusst sein. Es genügt sein erkennbarer Wille, die Richtlinienvorgaben umzusetzen.137 Das konnte er nur durch Übernahme des unionsrechtlichen Unternehmensbegriffs erreichen.

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DStR 2009, 1507, 1509, 1512; auch Ehrke-Rabel, ÖStZ 2010, 97, 102, die eine richtlinienkonforme Auslegung ablehnen. Der Steuerpflichtige hätte dann die Wahl: Er könnte sich gegenüber seinem Staat auf die geltende nationale Regelung berufen. Er könnte aber auch die Anwendung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie verlangen (Meistbegünstigungsprinzip). EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. Vgl. oben S. 90. Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.1999, BGBl I 1999, 402, 486 ff. Entwurf eines StEntlG 1999/2000/2002 v. 9.11.1998, BT-DrS 14/23, S. 195 f.; Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 75 f.; Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 3 Rn 304. Vgl. zur Unionsrechtswidrigkeit einer vom Vorsteuerabzug unabhängigen Verwendungsentnahmebesteuerung: EuGH v. 27.6.1989, C-50/88, Kühne, Slg 1989, I-1925, Rn 7 ff.; v. 25.5.1993, C-193/91, Mohsche, Slg 1993, I-2615, Rn 7 ff. Vgl. Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, Einführung, Rn 105.

Neujustierung des Unternehmensbegriffs

3.

Reformbedarf im Umsatzsteuergesetz

Der deutsche Gesetzgeber ist nach Art. 288 Abs. 3 AEUV verpflichtet, den Unternehmensbegriff des Umsatzsteuergesetzes an die Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie anzupassen (unter a.). Dabei empfiehlt sich die Übernahme der unionsrechtlichen Terminologie (unter b.). Ausgehend von den Systemvorschriften müssen auch die anderen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes angepasst werden,138 soweit sie den Unternehmensbegriff verwenden.139 Das wird am Beispiel von § 15 Abs. 1 S. 2 UStG veranschaulicht. Der Regelung liegt auf Tatbestandseite der weite und auf Rechtsfolgenseite der enge Unternehmensbegriff zugrunde (unter c.). a.

Pflicht zur Reform gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV

Der Gesetzgeber hat die Pflicht zur Umsetzung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, Art. 288 Abs. 3 AEUV. Die Umsetzungsmaßnahme muss die Richtlinienziele effektiv zur Wirkung bringen. Der EuGH stellt hier hohe Anforderungen: Der Umsetzungsakt muss klar und bestimmt sein und dem Erfordernis der Rechtssicherheit genügen.140 Die „Korrektur“ nationaler Vorschriften im Wege richtlinienkonformer Auslegung reicht dafür nicht aus.141 Das Umsatzsteuergesetz genügt in seiner derzeitigen Fassung diesen Anforderungen nicht. Denn, wie gezeigt,142 legen der Besteuerungstatbestand, der Vorsteuerabzugstatbestand und die Entnahmetatbestände bei

138 A. A. Wäger, DB 2012, 1288, 1293 f., der die Auslegung in der VNLTOEntscheidung (EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, Slg 2009, I-839) nicht verallgemeinern möchte. 139 Beispielsweise: § 1, § 1a Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 2, § 3, § 3a, § 3b, § 3f, § 6 Abs. 1 Nr. 3a, Abs. 3 Nr. 2, § 6a Abs. 1 Nr. 2, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 1, § 14 Abs. 2 Nr. 2, § 15, § 15a Abs. 3 S. 2, Abs. 9, § 22 Abs. 2 Nr. 5, Nr. 6, § 22d Abs. 1, § 24 Abs. 3, § 25 Abs. 1, § 27a Abs. 1 UStG. 140 EuGH v. 4.6.2009, C-102/08, Salix, Slg 2009, I-4629, Rn 41 ff.; v. 16.7.2009, C-427/07, Kommission/Irland, Slg 2009, I-6277, Rn 54; v. 3.3.2011, C-50/09, Kommission/Irland, Slg 2011, I-873, Rn 46, jeweils m. w. N.; Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn 11; Schroeder, in Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn 91. 141 EuGH v. 10.5.2007, C-508/04, Kommission/Österreich, Slg 2007, I-3787, Rn 79; v. 12.7.2007, C-507/04, Kommission/Österreich, Slg 2007, I-5939, Rn 162, 278, 301, 317, 342; v. 3.3.2011, C-50/09, Kommission/Irland, Slg 2011, I-873, Rn 47; Schroeder, in Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn 95. Dasselbe gilt für bloße Verwaltungspraktiken oder Verwaltungsvorschriften entgegen der formalen Rechtslage, vgl. EuGH v. 4.6.2009, C-102/08, Salix, Slg 2009, I-4629, Rn 43, m. w. N. 142 S. 89 ff.

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Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

systematischer, historischer und teleologischer Auslegung einheitlich den engen Unternehmensbegriff zugrunde, sodass der Rechtsanwender Unionsrechtskonformität nur im Wege richtlinienkonformer Auslegung erreicht. Der nationale Gesetzgeber muss hier begriffliche Klarheit schaffen.143 Zwar sprechen sich gewichtige Stimmen in der Literatur für die Beibehaltung der Terminologie des Umsatzsteuergesetzes aus.144 Die Anpassung würde Verwirrung stiften. Man müsse sich lediglich im Rahmen der Entnahmebesteuerung das unionsrechtliche Verständnis des Unternehmensbegriffs klar machen. Dieser Einwand überzeugt letztlich aber nicht. Schon der Verstoß gegen die Umsetzungspflicht nach Art. 288 Abs. 3 AEUV verbietet die Beibehaltung der Terminologie. Verwirrung stiftet in erster Linie die unterschiedliche Bedeutung des Unternehmensbegriffs im Umsatzsteuergesetz.145 Die terminologische Anpassung verdeutlicht die inhaltlichen Unterschiede und trägt dadurch zur „Entwirrung“ bei. Darüber hinaus liefe die Beibehaltung der Terminologie dem Interesse an der Wahrung des nationalen Umsatzsteuergesetzes zuwider. Die unterschiedliche Bedeutung des Unternehmensbegriffs ist aus dem Umsatzsteuergesetz nicht ersichtlich. Sie erschließt sich dem Rechtsanwender erst aus der EuGH-Rechtsprechung. Dadurch wird er faktisch zur Anwendung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie gezwungen. Die terminologische Anpassung des Umsatzsteuergesetzes gewährleistet dagegen seine selbstständige Anwendbarkeit. Gleichzeitig trägt sie dem Anliegen Rechnung, dass der Bürger seine Pflichten und Rechte aus dem Gesetz erfahren kann und nicht erst durch das Studium von EuGH-Entscheidungen.146 Schließlich hat der nationale Gesetzgeber auch nicht die Aufgabe, das nationale Umsatzsteuersystem gegen die Mehrwertsteuersystemrichtlinie zu verteidigen. Ihm obliegt deren Umsetzung. Diese Pflicht sollte er so klar wie möglich erfüllen. Das Interesse an der Wahrung nationaler Besonderheiten hat nur noch Bedeutung, soweit die Mehrwertsteuersystemrichtlinie einen

143 Vgl. Lohse, IStR 2009, 486, 488 f.; ders., BB 2010, 1437; allgemein zur Übernahme der unionsrechtlichen Terminologie: Wäger, DStR 2011, 433; Lohse in Achatz/Tumpel, EuGH-Rspr. und USt-Praxis, S. 47 ff. 144 Reiß, UR 2010, 797, 806. 145 Vgl. auch Lohse, BB 2010, 1437, der das Zusammentreffen beider Unternehmensbegriffe in § 15 Abs. 1 und Abs. 1b UStG kritisiert. 146 Vgl. zu diesem berechtigten Anliegen Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 12.

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Neujustierung des Unternehmensbegriffs

Umsetzungsspielraum belässt. Das ist der Preis für ein vereinheitlichtes Mehrwertsteuersystem in Europa. b.

Übernahme des unionsrechtlichen Unternehmensbegriffs ist empfehlenswert

Die Systemvorschriften zu Steuerbarkeit, Vorsteuerabzug und Entnahmebesteuerung verwenden einheitlich den Unternehmensbegriff als Schlüsselbegriff. Um den inhaltlichen Unterschied klarzustellen sind mehrere Varianten denkbar: Entweder der Unternehmensbegriff im Besteuerungstatbestand und im Vorsteuerabzugstatbestand wird umschrieben durch die „gewerbliche oder berufliche und selbstständige Tätigkeit“ (Variante 1). Oder der Unternehmensbegriff in den Entnahmetatbeständen wird durch einen anderen Begriff ersetzt (Variante 2). Oder die Terminologie der Mehrwertsteuersystemrichtlinie wird übernommen, was den Vorzug verdient (Variante 3). Letztlich ist die Entscheidung aber eine Abwägungsfrage und obliegt allein dem Gesetzgeber.147 Variante 1: Umschreibung des „Unternehmens“ im Besteuerungstatbestand und im Vorsteuerabzugstatbestand: Nach Variante 1 wären steuerbar gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG „die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Rahmen seiner gewerblichen oder beruflichen und selbstständigen Tätigkeit ausführt.“ Der Vorsteuerabzug wäre nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG zu gewähren „für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für seine gewerbliche oder berufliche und selbstständige Tätigkeit ausgeführt worden sind“. Die Entnahmeregelungen blieben unverändert. Zu ergänzen wäre eine Klarstellung des weiten Unternehmensbegriffs, entweder in § 2 UStG oder bei den Entnahmetatbeständen, der Art: „Das Unternehmen umfasst auch Unternehmensbereiche, in denen der Unternehmer weder gewerblich noch beruflich tätig ist.“ § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG

„im Rahmen seiner gewerblichen oder beruflichen und selbstständigen Tätigkeit“

§ 2 Abs. 1 S. 1 UStG

„Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt.“

147 Vgl. Lohse, IStR 2009, 486, 489.

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Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung Unternehmensdefinition (neu)

„Das Unternehmen umfasst auch Unternehmensbereiche, in denen der Unternehmer weder gewerblich noch beruflich tätig ist.“

§ 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1 UStG, § 3 Abs. 9a UStG

„für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen“

§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG

„für seine gewerbliche oder berufliche und selbstständige Tätigkeit“

Diese Variante würde den Unternehmensbegriff aus dem Bereich der Steuerbarkeit und des Vorsteuerabzugs eliminieren. Im Entnahmebereich würde die nationale Terminologie beibehalten. Nachteil dieser Lösung wäre die unterschiedliche Reichweite des Unternehmerbegriffs und des Unternehmensbegriffs. Der Unternehmer würde anhand der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit definiert. Das Unternehmen würde darüber hinaus auch Bereiche umfassen, in denen der Unternehmer nicht gewerblich oder beruflich tätig ist. Diese unterschiedliche Reichweite der Begriffe ist zwar nicht denknotwendig ausgeschlossen. Steht die persönliche Qualifikation einer Person als Unternehmer fest, lässt sich die Reichweite ihres Unternehmens auch unabhängig von den für die Unternehmereigenschaft maßgeblichen Kriterien festlegen. Der historische Gesetzgeber wollte aber einen inhaltlichen Gleichlauf der Begriffe.148 Variante 2: Ersetzung des „Unternehmens“ in den Entnahmetatbeständen: Nach Variante 2 wäre der Unternehmensbegriff in § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1 und Abs. 9a Nr. 1 und Nr. 2 UStG durch einen neuen Abgrenzungsbegriff zu ersetzen. Hier wird der Begriff „Geschäft“ gewählt.149 Demnach wären Entnahmen „für Zwecke, die außerhalb des Geschäfts liegen,“ steuerbar. Der neue Begriff „Geschäft“ müsste bei den Entnahmetatbeständen definiert werden, der Art: „Das Geschäft umfasst neben den unternehmerischen auch nicht-unternehmerische Geschäftsbereiche.“ Für die Steuerbarkeit und den Vorsteuerabzug bliebe dagegen der traditionelle enge Unternehmensbegriff maßgeblich.

148 Vgl. Begründung zum UStG 1934, RStBl 1934, 1549, 1550, zu § 2, dazu oben S. 20; vgl. zum Gleichlauf der Begriffe auch Radeisen in Plückebaum/Widmann, UStG II/2, § 2 Rn 26. 149 Alternativ kann beispielsweise der Begriff „Betrieb“ gewählt werden.

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Neujustierung des Unternehmensbegriffs

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG

„im Rahmen seines Unternehmens“

§ 2 Abs. 1 S. 1 UStG

„Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt.“

§ 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1 UStG, § 3 Abs. 9a UStG

„für Zwecke, die außerhalb des Geschäfts liegen“

Geschäftsdefinition (neu):

„Das Geschäft umfasst neben den unternehmerischen auch nicht-unternehmerische Geschäftsbereiche.“

§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG

„für sein Unternehmen“

Das Modell würde zwar das Umsatzsteuergesetz „schonend“ an die unionsrechtlichen Vorgaben anpassen. Das Unternehmen bliebe das zentrale Abgrenzungsmerkmal im Besteuerungstatbestand und im Vorsteuerabzugstatbestand. Nachteilig wäre aber die umgekehrte Terminologie zur Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Das Unternehmen im Umsatzsteuergesetz stünde für den „als solchen“ handelnden Steuerpflichtigen in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Und dem Unternehmen in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie entspräche das Geschäft im Umsatzsteuergesetz. Variante 3 (vorzugswürdig): Terminologie:

Übernahme

der

unionsrechtlichen

Nach Variante 3 wären steuerbar gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG „die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Steuerpflichtiger im Rahmen seiner wirtschaftlichen und selbstständigen Tätigkeit ausführt.“ „Steuerpflichtiger“ wäre nach § 2 Abs. 1 S. 1 UStG, „wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig ausübt.“ Der Vorsteuerabzug wäre nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG zu gewähren „für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Steuerpflichtigen für seine wirtschaftliche und selbstständige Tätigkeit ausgeführt worden sind“.150 In den Entnahmeregelungen wäre der „Unternehmer“ durch den „Steuerpflichtigen“ zu ersetzen. Der Unternehmensbegriff bliebe dagegen für die Abgrenzung des Entnahmeziels erhalten. Wünschenswert wäre auch hier eine Klarstellung des weiten Unternehmensbegriffs, der Art: „Das Unternehmen umfasst auch Unternehmensbereiche, in denen der Unternehmer nicht wirtschaftlich tätig ist.“

150 Ähnlich Lohse, IStR 2009, 486, 488 f.; ders., BB 2010, 1437, der aber nur die Wirtschaftlichkeit der Tätigkeit in Bezug nimmt.

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Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG

„im Rahmen seiner wirtschaftlichen selbstständigen Tätigkeit“

und

§ 2 Abs. 1 S. 1 UStG

„Steuerpflichtiger ist, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig ausübt.“

Unternehmensdefinition (neu)

„Das Unternehmen umfasst auch Unternehmensbereiche, in denen der Steuerpflichtige nicht wirtschaftlich tätig ist.“

§ 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1 UStG, § 3 Abs. 9a UStG

„für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen“

§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG

„für seine wirtschaftliche und selbstständige Tätigkeit“

Diese Variante151 ist vorzugswürdig. Sie entspricht hinsichtlich des Unternehmensbegriffs Variante 1. Dieser wäre im weiten, unionsrechtlichen Sinn zu verstehen und hätte nur noch für die Entnahmebesteuerung Bedeutung. Darüber hinaus würde hier nun der Unternehmer durch den Steuerpflichtigen ersetzt, sodass für den Unternehmensbegriff nicht mehr auf den Unternehmerbegriff Rücksicht genommen werden müsste. Zudem könnte durch die umfassende Übertragung der unionsrechtlichen Terminologie das Umsatzsteuergesetz direkt in Vergleich mit den Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie gesetzt werden. Das würde die Rechtsanwendung erheblich vereinfachen, insbesondere an der Schnittstelle zum Unionsrecht.152 Und es würde auch der seit Anbeginn der europäischen Mehrwertsteuerrichtlinien erhobenen Aufforderung an die Mitgliedstaaten entsprechen, ihre nationalen Umsatzsteuergesetze terminologisch anzupassen.153 Die Aufgabe der bisher tragenden Begriffe „Unternehmer“ und „Unternehmen“ zugunsten ihrer unionsrechtlichen Entsprechungen ist auf lange Sicht unvermeidbar. Auf Grund der detaillierten Vorgaben in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie sind umsatzsteuerliche Fragestellungen in weiten Bereichen durch Auslegung und Anwendung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie zu lösen. Die EuGH-Rechtsprechung bestimmt die Auslegungsmaßstäbe. Es 151 Sie wurde bereits der oben entwickelten neuen Sphärentheorie zugrunde gelegt, vgl. S. 87. 152 Vgl. Wäger, DStR 2011, 433, der sich aus diesen Gründen allgemein für die Übernahme der unionsrechtlichen Terminologie einsetzt. 153 Vgl. Kommissionsbegründung der zweiten Mehrwertsteuerrichtlinie v. 3.5.1965, BT-DrS IV/3335, S. 12.

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Neujustierung des Unternehmensbegriffs

macht keinen Sinn, die EuGH-Urteile zunächst in die Sprache des Umsatzsteuergesetzes „zu übersetzen“.154 Die Entwicklung hin zur unionsrechtlichen Terminologie wird in der neueren BFH-Rechtsprechung deutlich, wo er zunehmend auf eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ und ein Handeln „als Steuerpflichtiger“ abstellt.155 Auch historische Gründe stehen der Aufgabe des Unternehmens- und des Unternehmerbegriffs nicht entgegen.156 Der Gesetzgeber des Umsatzsteuergesetzes 1934 wollte mit dem „Unternehmen“ lediglich einen einheitlichen Begriff für die selbstständig ausgeübte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit schaffen.157 Ziel war die sprachliche Verbesserung des Umsatzsteuergesetzes. Diese historische Funktion kann der nationale Unternehmensbegriff heute nicht mehr erfüllen. Er weicht inhaltlich vom Unternehmensbegriff der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ab und sorgt daher eher für Verwirrung als für Klarheit. Insofern sprechen die historischen Gründe für die Einführung des Unternehmensbegriffs heute gerade für seine Aufgabe. Nationale systematische Besonderheiten lässt der Vorschlag unberührt. Insbesondere setzt das Vorsteuerabzugsrecht nach deutscher Systematik den Bezug von Eingangsleistungen für wirtschaftliche und selbstständige Tätigkeiten voraus, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG. Steuerbefreite Tätigkeitsbereiche unterliegen im zweiten Schritt einem Ausschluss vom Vorsteuerabzug, § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG. Demgegenüber knüpft das Vorsteuerabzugsrecht in Art. 168 MwStSystRL an den Bezug von Eingangsleistungen für „besteuerte Umsätze“ an. (Unecht) Steuerfreie Tätigkeitsbereiche sind von vornherein vom Vorsteuerabzug ausgenommen.

154 Zu recht Wäger, DStR 2011, 433. 155 Für den Vorsteuerabzug verlangt der BFH den Bezug der Eingangsleistung für eine „wirtschaftliche Tätigkeit“, statt für eine „gewerbliche oder berufliche“ Tätigkeit: BFH v. 6.5.2010, V R 29/09, BFH/NV 2010, 1952, unter II.2.b); v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.; v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.1.; v. 27.1.2011, V R 38/09, BFHE 232, 278, unter II.2.b); v. 27.1.2011, V R 21/09, BFH/NV 2011, 949, unter II.1.; vgl. auch Wäger, DB 2012, 601, 602. Für die Steuerbarkeit von Tätigkeiten juristischer Personen öffentlichen Rechts verlangt der BFH, dass sie „als Steuerpflichtige“ handeln, statt „im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art“: BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466, unter II.2.c). Dagegen ersetzt der BFH in den zitierten Urteilen den „Unternehmer“ (noch) nicht durch den „Steuerpflichtigen“. 156 Vgl. allgemein zur Kritik an der Beibehaltung historischer Begrifflichkeiten in Abweichung von der Mehrwertsteuersystemrichtlinie Wäger, DStR 2011, 433, 434. 157 Vgl. oben S. 21 insb. Fn 41.

99

Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

c.

Unternehmensbegriffe in § 15 Abs. 1 S. 2 UStG sind anzupassen

§ 15 Abs. 1 S. 2 UStG regelt: „Nicht als für das Unternehmen ausgeführt gilt die Lieferung … eines Gegenstands, den der Unternehmer zu weniger als 10 Prozent für sein Unternehmen nutzt.“158 Die Regelung schließt die Zuordnung des Gegenstandes zum Unternehmen aus.159 Seine Anschaffung berechtigt dann nicht zum Vorsteuerabzug. Es kann auch kein teilweiser Vorsteuerabzug für den unternehmerischen Verwendungsanteil begehrt werden. Der Unternehmensbegriff im Tatbestand („Lieferung … eines Gegenstands, den der Unternehmer zu weniger als 10 Prozent für sein Unternehmen nutzt“) muss – entgegen dem BFH,160 der Verwaltung161 und einem Teil der Literatur162 – weit ausgelegt werden.163 Die Vorschrift ist einschlägig, wenn der Steuerpflichtige einen Gegenstand zu mehr als 90 % privat verwendet. Sie ist dagegen nicht einschlägig, wenn er den Gegenstand zu mehr als 90 % beispielsweise für ideelle Zwecke verwendet. Das folgt aus den unionsrechtlichen Vorgaben: Art. 167, Art. 168 lit. a) MwStSystRL sehen für den Vorsteuerabzug kein Mindestmaß wirtschaftlicher Verwendung vor.164 § 15 Abs. 1 S. 2 UStG beruht auf einer Sonderermächtigung des Rates i. S. v. Art. 395 Abs. 1 MwStSystRL.165 Nach dieser Sonderermächtigung

158 Hervorhebung des Unternehmensbegriffs nur hier. 159 Vgl. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 890 ff.; Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 15 Rn 455 ff. 160 BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.5.a). Im Urteilsfall stand der wirtschaftlichen Verwendung eines Schuppendachs eine (vom BFH so qualifizierte) nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Verwendung des Schuppeninneren gegenüber. Der BFH hielt § 15 Abs. 1 S. 2 UStG für anwendbar, wenn der wirtschaftliche Nutzungsanteil 10 % nicht überstieg. 161 BMF v. 2.1.2012, IV D 2-S 7300/11/10002, 2011/1014846, BStBl I 2012, 60, unter II.2.a). 162 Vgl. Lohse, IStR 2009, 486, 488; Sterzinger, UR 2012, 213, 220, der einen Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 S. 2 UStG für ausgeschlossen hält, wenn ein Gegenstand zu mehr als 90 % hoheitlich genutzt wird. Lohse, IStR 2009, 486, 488; 163 Ebenso Küffner/von Streit, DStR 2012, 636, 638; von Streit, UStB 2012, 197, 203; von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524, 528. 164 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 25 ff.; Heidner in Bunjes/Geist, § 15 Rn 104, Rn 262 f.; kritisch Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 442 ff. 165 Entscheidung des Rates v. 28.2.2000, 2000/186/EG, ABl. EG 2000, L 59/12; v. 19.11.2004, 2004/817/EG, ABl. EG 2004, L 357/33; v. 20.10.2009, 2009/791/EG, ABl. EG 2004, L 283/55.

100

Neujustierung des Unternehmensbegriffs

dürfen „Gegenstände und Dienstleistungen, die zu mehr als 90 % für private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke genutzt werden“, vollständig vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen werden. Die Terminologie entspricht den unionsrechtlichen Entnahmetatbeständen, sodass die Ermächtigung analog auszulegen ist. Eine weit überwiegende nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Verwendung ist daher nicht tatbestandsmäßig. Auf Rechtsfolgenseite („Nicht als für das Unternehmen ausgeführt“) liegt der Vorschrift dagegen der enge Unternehmensbegriff zugrunde. Das zeigt ihre systematische Stellung gegenüber § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG. Demnach setzt der Vorsteuerabzug Eingangsleistungen voraus, die „für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.“ Dabei steht das Unternehmen für die wirtschaftliche und selbstständige Tätigkeit des Steuerpflichtigen.166 § 15 Abs. 1 S. 2 UStG schließt den Vorsteuerabzug aus, indem es einen solchen Leistungsbezug für die wirtschaftliche und selbstständige Tätigkeit des Steuerpflichtigen negiert.167 Führt man die hier empfohlene Terminologie168 fort, wäre § 15 Abs. 1 S. 2 UStG wie folgt neu zu fassen: „Der Vorsteuerabzug ist ausgeschlossen für die Lieferung, die Einfuhr oder den innergemeinschaftlichen Erwerb eines Gegenstands, den der Steuerpflichtige zu weniger als 10 Prozent für Unternehmenszwecke nutzt.“ Dabei würde die oben vorgeschlagene Unternehmensdefinition169 den weiten Unternehmensbegriff klarstellen. Der Vorschlag würde zudem das unionsrechtwidrige Zuordnungsverbot durch ein unionsrechtskonformes Vorsteuerabzugsverbot ersetzen. Die Sonderermächtigung des Rates erlaubt nur einen Ausschluss des Vorsteuerabzugs.170 Der Ausschluss des vom EuGH gewährten Zuordnungswahlrechtes zum Unternehmen geht darüber hinaus.171 Denn bei einer Unternehmenszuordnung ist eine nachträgliche Erhöhung wirtschaftlicher Verwendungsanteile

166 167 168 169

Vgl. oben S. 97 bei Fn 150. Vgl. Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 15 Rn 455. Oben S. 97 Variante 3. „Das Unternehmen umfasst auch Unternehmensbereiche, in denen der Unternehmer nicht wirtschaftlich tätig ist.“, oben S. 97 Variante 3. 170 Vgl. S. 100 f. bei Fn 165. 171 Vgl. Küffner/ von Streit, DStR 2012, 636, 638; von Streit, UStB 2012, 197, 202; von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524, 528; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 15 Rn 266; Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 15 Rn 455 ff.; Lohse, IStR 2000, 232, 235; Tumpel in FS Reiß, S. 123, 126 f.

101

Die Sphärentheorie nach der VNLTO-Entscheidung

auf über 10 % im Wege der Vorsteuerberichtigung berücksichtigungsfähig.172 Dagegen sind nicht dem Unternehmen zugeordnete Gegenstände endgültig vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen.173 Die Sonderregelung muss daher wie ihr französisches Pendant als besonderes Vorsteuerabzugsverbot ausgestaltet werden.174

4.

Enger Unternehmensbegriff im Kontext des Zuordnungswahlrechts

In seinen Ausführungen zum Zuordnungswahlrecht stellt der EuGH in der Regel auf eine Zuordnung des Investitionsgutes zum Unternehmen ab.175 Das ist an sich sprachlich ungenau. Spätestens seit der VNLTOEntscheidung ist zwischen wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Unternehmensbereichen zu unterscheiden. Im Zusammenhang mit dem Zuordnungswahlrecht meint der EuGH nur den wirtschaftlichen Unternehmensbereich.176 Das zeigen die Schlussfolgerungen, die er aus der Unternehmenszuordnung zieht: Mit der Unternehmenszuordnung eines Investitionsgutes entsteht das Recht zum Vorsteuerabzug.177 Dieses besteht aber nur im wirtschaftlichen Bereich. Darüber hinaus ist die spätere 172 Vgl. EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 43 ff. 173 EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 43 ff., m. w. N.; vgl. auch Widmann in Plückebaum/Widmann, UStG, II/6, § 15 Rn 116. 174 Art. 206-IV-2-1° Anhang II CGI schließt den Vorsteuerabzug aus, wenn ein Gegenstand zu mehr als 90 % für unternehmensfremde Zwecke genutzt wird, vgl. Pull, UR 2012, 701, 707, dort bei Fn 79. 175 EuGH v. 04.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 20, 28; v. 8.3.2001, C-415/98, Bakcsi, Slg 2001, I-1831, Rn 25 ff.; v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, Rn 40; v. 14.7.2005, C-434/03, Charles und Charles-Tijmens, Slg 2005, I-7037, Rn 23; v. 14.9.2006, C-72/05, Wollny, Slg 2006, I-8297, Rn 21; v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 32; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 39. 176 In zutreffender Terminologie: EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Leitsatz, Rn 17; vgl. BFH v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.1.d)bb); GA Mengozzi in EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839 Rn 42. Auf die begriffliche Ungenauigkeit weisen auch hin: Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 79 ff.; Lohse, BB 2009, 1681, 1682; Reiß, UR 2010, 797, 805 f. Vgl. auch Wäger, DB 2012, 1288, 1293; Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 15a Rn 56. 177 EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, Rn 41; v. 14.07.2005, C-434/03, Charles und Charles-Tijmens, Slg 2005, I-7037, Rn 24; v. 14.9.2006, C-72/05, Wollny, Slg 2006, I-8297, Rn 22; v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 32; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 40.

102

Neujustierung des Unternehmensbegriffs

Veräußerung eines Investitionsgutes steuerbar, soweit der Steuerpflichtige es seinem Unternehmen zugeordnet hat.178 Steuerbarkeit setzt aber ein Handeln des Steuerpflichtigen „als solchen“, mithin ein wirtschaftliches Handeln voraus, vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a), Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL. Leitet man aus der Unternehmenszuordnung diese Wirtschaftlichkeit der Veräußerung ab, muss die Unternehmenszuordnung den wirtschaftlichen Unternehmensbereich meinen. Warum der EuGH auf die terminologische Präzisierung des Unternehmens verzichtete, erklärt sich aus den entschiedenen Sachverhaltskonstellationen. Es war jeweils von einer rein wirtschaftlichen Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen auszugehen. Das gesamte Unternehmensvermögen diente wirtschaftlichen Zwecken. Eine Zuordnung zum Unternehmensvermögen bedeutete immer eine Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen. Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass beispielsweise ein rein ideell tätiger Verein keinen wirtschaftlichen Unternehmensbereich hat und folglich seine privat mitgenutzten Eingangsleistungen nur seinem nichtwirtschaftlichen Unternehmensbereich zuordnen kann. Zum einen besteht für gemischt ideell und privat verwendete Eingangsleistungen schon kein Zuordnungswahlrecht. Der EuGH hat es bisher nur für gemischt wirtschaftlich und privat genutzte Investitionsgüter gewährt.179 Zum anderen ließe eine Zuordnung zum nicht-wirtschaftlichen Unternehmensbereich auch kein Vorsteuerabzugsrecht entstehen, weil der Steuerpflichtige hier nicht „als solcher“ handelt.180 Damit wäre dem Zuordnungswahlrecht sein Sinn genommen.

178 EuGH v. 04.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 15 ff., Rn 29; v. 8.3.2001, C-415/98, Bakcsi, Slg 2001, I-1831, Rn 37 ff. 179 Vgl. S. 55 Fn 224. 180 Eingehend zur fehlenden Vorsteuerabzugsberechtigung in der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseignen Sphäre unten S. 217 f.

103

3. Kapitel: Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche Nachfolgend werden die allgemeinen Abgrenzungskriterien der nichtwirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre herausgearbeitet. Dies ist Voraussetzung für die Qualifikation konkreter Tätigkeiten und Tätigkeitsbereiche im 4. Kapitel.1 Die Rechtspraxis hat solche allgemeinen Abgrenzungskriterien bisher nicht entwickelt. Verbindlich2 steht seit der VNLTOEntscheidung nur fest, dass der ideelle Bereich eines gemischt tätigen Vereins unternehmenseigen ist und der Privatbereich natürlicher Personen unternehmensfremd.3 In der Entscheidung legte der EuGH insbesondere einen anderen Unternehmensbegriff als im Zusammenhang mit dem Zuordnungswahlrecht zugrunde, ohne diesen jedoch näher zu definieren. Hier werden nun die maßgeblichen Abgrenzungsmaßstäbe systematisch zusammengestellt. Das Ergebnis lässt sich auch als dreistufiges Prüfprogramm für die Qualifikation konkreter Einzeltätigkeiten verstehen: Nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Tätigkeitsbereiche sind durch drei Merkmale definiert: ihre Nicht-Wirtschaftlichkeit, ihre Eigenständigkeit als Bereich und ihre Unternehmenszugehörigkeit. Für die erste Voraussetzung der Nicht-Wirtschaftlichkeit ist auf Ebene der Einzeltätigkeiten anzusetzen. Sie dürfen die Voraussetzungen der Wirtschaftlichkeit i. S. v. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL nicht erfüllen (unter I.). Im zweiten Schritt müssen die nicht-wirtschaftlichen Einzeltätigkeiten einen eigenständigen nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich begründen. Die Unterscheidung von nicht-wirtschaftlichen Einzeltätigkeiten und nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereichen ist in der Rechtspraxis bisher noch wenig präsent. Sie ist jedoch grundlegend für die Dogmatik (unter II.). Schließlich ist innerhalb der nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereiche zwischen unternehmenseigenen und unternehmensfremden Bereichen zu unterscheiden. Dafür ist nach der VNLTO-Entscheidung maßgeblich, ob der Tätigkeitsbereich noch vom Zweck der Einrichtung im weitesten Sinn gedeckt ist (unter III.).

1 2 3

Ab S. 145. Vgl. zur Verbindlichkeit von Auslegungsentscheidungen des EuGH oben S. 62 ff. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39.

107

Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

I.

Nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten

Nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten sind negativ definiert als Gegenbegriff zu wirtschaftlichen Tätigkeiten.4 Wirtschaftliche Tätigkeiten sind ihrerseits anhand von Berufsbildern geregelt, Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 MwStSystRL. Entgegen der herrschenden Lehre und teilweise auch der EuGH-Rechtsprechung genügt es dafür nicht, die Entgeltlichkeit und Nachhaltigkeit einer Tätigkeit festzustellen. Es bedarf vielmehr einer typologischen Prüfung (unter 1.). Im Sonderfall der Nutzungsüberlassung von Gegenständen ist dagegen klassifikatorisch zu prüfen, ob sie entgeltlich erfolgt und auf die Erzielung nachhaltiger Einnahmen gerichtet ist, Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL (unter 2.). Eine Gewinnerzielungsabsicht bzw. eine Totalüberschussprognose ist in beiden Fällen keine zwingende Voraussetzung. Das Problem dauerhafter Vorsteuerüberschüsse regelt das Mehrwertsteuersystem auf andere Weise (unter 3.). Erfüllt eine Tätigkeit die Voraussetzungen von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL nicht, kann sie gleichwohl kraft dauerhafter und notwendiger Erweiterung einer anderen wirtschaftlichen Tätigkeit selbst wirtschaftlich sein. Eine abgeleitete Nicht-Wirtschaftlichkeit gibt es dagegen nicht (unter 4.).

1.

Typologische Prüfung nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 MwStSystRL

Nach herrschender Literaturansicht sind die in Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 MwStSystRL aufgezählten Berufe5 durch zwei Merkmale gekennzeichnet: ihre Entgeltlichkeit und ihre Nachhaltigkeit.6 Das entspricht der Definition unternehmerischer Tätigkeit in § 2 Abs. 1 S. 3 UStG. Die Entgeltlichkeit sei wesensimmanente Voraussetzung wirtschaftlicher Tätigkeiten.7 Das Erfordernis der Nachhaltigkeit folge aus Art. 9 Abs. 2 und

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7

Heidner in Bunjes/Geist, § 15 Rn 91. Erzeuger, Händler, Dienstleistender, Urproduzent, Landwirt, freier Beruf und gleichgestellter Beruf. Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 27, 31 f.; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 2 Rn 15; Radeisen in Plückebaum/Widmann, UStG, II/2, § 2 Rn 62. Vgl. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 59, 194; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 41; Korn in Bunjes/Geist, UStG, § 2 Rn 61; a. A. Blankenheim, „Steuerpflichtiger“, S. 64 ff., S. 81.

108

Nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten

Art. 12 Abs. 1 MwStSystRL.8 Nach diesen Sonderregelungen können auch gelegentliche innergemeinschaftliche Neufahrzeuglieferungen oder gelegentliche Immobiliengeschäfte die persönliche Steuerpflicht begründen. Im Umkehrschluss seien von der Grundregelung in Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL nur nachhaltige Tätigkeiten erfasst. Der EuGH hat sich zu solcher Reduktion wirtschaftlicher Tätigkeit auf Entgeltlichkeit und Nachhaltigkeit nicht eindeutig geäußert. In Sachen Wellcome Trust9 bestimmte er wirtschaftliche Tätigkeit noch typologisch ohne Rücksicht auf die Nachhaltigkeit der Tätigkeit. Der Trust hatte Aktienvermögen verwaltet und einen Großteil der Aktien an einem Tag veräußert. Für einen Teil der damit zusammenhängenden Kosten begehrte er den Vorsteuerabzug. Der EuGH hätte eine wirtschaftliche Tätigkeit auf Grund fehlender Nachhaltigkeit verneinen können. Stattdessen sah er in der Aktienveräußerung die typischen Merkmale eines Privatanlegers verwirklicht, im Gegensatz zu einem geschäftsmäßigen Wertpapierhändler.10 Der geringe zeitliche Umfang allein ließ also nicht zwingend den Schluss auf eine nicht-wirtschaftliche Tätigkeit zu.11 Später erklärte der EuGH Nachhaltigkeit zum konstitutiven Merkmal wirtschaftlicher Tätigkeit. Das leitete er in einem Fall aus dem bereits erwähnten Umkehrschluss12 zum heutigen Art. 12 Abs. 1 MwStSystRL ab.13 An anderer Stelle stützte er sich auf die Sonderregelung für Nutzungsüberlassungen in

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9 10

11 12 13

Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 27; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 2 Rn 15; Goertzen, DStR 1996, 164, 169; Klose, Unternehmer und Steuerpflichtiger, S. 99. EuGH v. 20.6.1996, C-155/94, Wellcome Trust, Slg 1996, I-3030. EuGH v. 20.6.1996, C-155/94, Wellcome Trust, Slg 1996, I-3030, Rn 34 ff.; vgl. auch Schlussanträge von GA Lenz, Slg 1996, I-3013, Rn 19 ff. mit ausführlichem Typenvergleich. So ausdrücklich Schlussanträge von GA Lenz in EuGH v. 20.6.1996, C-155/94, Wellcome Trust, Slg 1996, I-3013, Rn 32. Oben bei Fn 8. EuGH v. 26.9.1996, C-230/94, Enkler, Slg 1996, I-4537, Rn 20. Frau Enkler begehrte Vorsteuerabzug für ein Wohnmobil, das sie hauptsächlich privat genutzt, in geringem Umfang aber auch an Dritte vermietet hatte. Der EuGH wies für die Auslegung wirtschaftlicher Tätigkeit darauf hin, dass gelegentlich ausgeübte Tätigkeiten nicht die Voraussetzungen der Wirtschaftlichkeit erfüllen, weder nach S. 1 noch nach S. 2 von Art. 4 Abs. 2 Sechste RL 77/388/EWG (heute Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL). Nach diesen Maßstäben stand Frau Enkler kein Vorsteuerabzug zu, BFH v. 12.12.1996, V R 23/93, BFHE 182, 388, unter II.1.b).

109

Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL.14 Deren Voraussetzungen zur Nachhaltigkeit der Tätigkeit und der daraus erzielten Einnahmen würden für alle wirtschaftlichen Tätigkeiten gelten. Wiederholt führte der EuGH auch aus, eine Tätigkeit werde „im Allgemeinen als wirtschaftlich angesehen, wenn sie nachhaltig ist und gegen ein Entgelt ausgeübt wird“.15 Die Einschränkung „im Allgemeinen“ spricht zwar gegen eine abschließende Definition. Gleichwohl scheint die Feststellung von Entgeltlichkeit und Nachhaltigkeit eine Typusprüfung regelmäßig zu ersetzen. Die typologische Definition wirtschaftlicher Tätigkeit16 verbietet jedoch die Prüfung von Entgeltlichkeit und Nachhaltigkeit als konstitutive und abschließende Merkmale wirtschaftlicher Tätigkeit. Eine Typusprüfung verlangt einen Ähnlichkeitsvergleich anhand von charakteristischen Merkmalen des Typus.17 Zwar können nur entgeltliche Tätigkeiten, genauer gesagt entgeltliche Leistungen,18 wirtschaftlich sein. Denn die Wirtschaft-

14 EuGH v. 13.12.2007, C-408/06, Götz, Slg 2007, I-11295, Rn 18. Herr Götz hatte von einer staatlichen Milchquoten-Verkaufsstelle eine Lieferung Milch erworben und verlangte dafür eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis, um den Vorsteuerabzug geltend machen zu können. Die Milchquoten-Verkaufsstelle hielt ihre Tätigkeit jedoch für hoheitlich und folglich nicht steuerbar. Der EuGH führte aus, das nationale Gericht müsse zunächst die Entgeltlichkeit und Nachhaltigkeit der Tätigkeit feststellen und im Anschluss die Sonderregelungen für juristische Personen öffentlichen Rechts prüfen. Der BFH ließ im Nachgang gleichwohl die Entgeltlichkeit und Nachhaltigkeit offen und qualifizierte die Tätigkeit stattdessen als hoheitlich sowie wettbewerbsneutral und folglich nicht steuerbar, BFH v. 3.7.2008, V R 40/07, BFHE 221, 557, unter II.2.b). 15 EuGH v. 13.12.2007, C-408/06, Götz, Slg 2007, I-11295, Rn 18; v. 29.10.2009, C-246/08, Kommission/Finnland, Slg 2009, I-10605, Rn 37. 16 Vgl. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 55, 330; Birkenfeld, USt-Handbuch I, § 24 Rn 52; Blankenheim, „Steuerpflichtiger“, S. 156; Klose, Unternehmer und Steuerpflichtiger, 2000, S. 115 f.; Fischer, DStZ 2000, 885, 887; Schmidt-Liebig, BB 1994, Beilage 20, 1, 7, dort Fn 62; vgl. auch S. 109 Fn 10. 17 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 331 ff., 335; Klose, Unternehmer und Steuerpflichtiger, S. 117; Schmidt-Liebig, BB 1994, Beilage 20, 1, 2 f.; Birkenfeld, Mehrwertsteuer der EU, S. 57. Allgemein zum Typusbegriff: Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 34, 42 ff., 80 ff.; Bydlinksi, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 543 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 221, 464 ff. Aus dem Steuerrecht: Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn 53 f.; Pahlke, Beihefter zu DStR 2011, Heft 31, 66 ff.; Wernsmann, Beihefter zu DStR 2011, Heft 31, 72, 76; Florstedt, StuW 2007, 314 ff.; Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 160 ff.; Fischer, DStZ 2000, 885 ff. 18 Vgl. Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 43, der zutreffend aufzeigt, dass mit der Entgeltlichkeit der Tätigkeit ihr Leistungscharakter feststeht. Dagegen misst

110

Nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten

lichkeit einer Tätigkeit charakterisiert sie zusammen mit ihrer Selbstständigkeit als solche im Anwendungsbereich des Mehrwertsteuerrechts.19 Dieser ist auf entgeltliche Leistungen beschränkt, vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a) und lit. c) MwStSystRL. Die weitere Feststellung der Nachhaltigkeit einer Tätigkeit oder nachhaltiger Einnahmenerzielung kann jedoch eine Typusprüfung nicht ersetzen: Nachhaltigkeit hat gegenüber Wirtschaftlichkeit einen eigenen, teilweise abweichenden Begriffsinhalt. So kann eine auf einen Tag komprimierte Geschäftstätigkeit nicht als nachhaltig charakterisiert werden. Für die Beurteilung wirtschaftlicher Tätigkeit ist dagegen die Dauer nicht (allein) entscheidend.20 Umgekehrt handelt ein Berufspendler nachhaltig, wenn er auf seinem wöchentlichen Heimweg regelmäßig Mitfahrer gegen Beteiligung an den Benzinkosten mitnimmt. Den Typus wirtschaftlicher Tätigkeit erfüllt er deswegen aber noch nicht. Weiterhin kann entgegen der herrschenden Ansicht21 aus Art. 9 Abs. 2 und 12 Abs. 1 MwStSystRL kein Nachhaltigkeitserfordernis abgeleitet werden. Die Vorschriften erweitern lediglich den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer auf bestimmte nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten.22 Sie stellen keine zusätzlichen Voraussetzungen wirtschaftlicher Tätigkeit gegenüber Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL auf. Nur für die gesondert geregelten Fahrzeuglieferungen und Immobiliengeschäfte lässt sich schließen, dass ihre gelegentliche Erbringung noch keine wirtschaftliche Tätigkeit begründet. Die vom EuGH in den Rechtssachen Götz und Enkler geforderte Nachhaltigkeitsprüfung muss auf die konkreten Einzelfälle beschränkt bleiben. Beiden Fällen lag deutsches Umsatzsteuerrecht zugrunde, sodass das nationale Gericht nach § 2 Abs. 1 S. 3 UStG tatsächlich die Nachhaltigkeit der Tätigkeiten prüfen musste. Dieses nationale Nachhaltigkeitserfordernis

19

20 21 22

Englisch dem Leistungscharakter eigenständige Bedeutung zu, USt-Kongress-Bericht, 2010, S. 25, 41 ff. Vgl. EuGH v. 8.2.2007, C-435/05, Investrand, Slg 2007, I-1315, Rn 25; v. 13.12.2007, C-408/06, Götz, Slg 2007, I-11295, Rn 22; v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 26; v. 16.9.2008, C-288/07, Isle of Wight Council, Slg 2008, I-7203, Rn 38; v. 6.10.2009, C-267/08, SPÖ Landesorg. Kärnten, Slg 2009, I-9792, Rn 14 ff.; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 26 ff.; Englisch, VAT Monitor 2007, 172, 173 f. im Kontext von Holdingtätigkeiten. Vgl. GA Lenz in EuGH v. 20.6.1996, C-155/94, Wellcome Trust, Slg 1996, I-3013, Rn 32; Terra/Kajus, European VAT Directives 1, S. 323 f., 344. Vgl. oben S. 109 Fn 8 und Fn 13. Ebenso Terra/Kajus, European VAT Directives 1, S. 344.

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Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

ist jedoch richtlinienkonform nach Maßgabe wirtschaftlicher Tätigkeit auszulegen23 und nicht umgekehrt. Nachhaltigkeit ist auch als typisches Merkmal wirtschaftlicher Tätigkeit24 für die Typusprüfung ungeeignet. Zum einen ist die Ermittlung von Nachhaltigkeit genauso aufwändig wie eine davon unabhängige Typusprüfung. Es müssen dafür ebenfalls alle Umstände des Einzelfalles festgestellt und bewertet werden.25 Zum anderen verschiebt diese Prüfung den Fokus von den typischen Umständen für Wirtschaftlichkeit auf die typischen Umstände für Nachhaltigkeit. Ungeeignet für die Typusprüfung ist auch das Merkmal nachhaltiger Einnahmeerzielung. Es ist von Nachhaltigkeit im Sinne nachhaltiger Tätigkeit zu unterscheiden.26 Eine auf einen Tag komprimierte Geschäftstätigkeit ist nicht nachhaltig, kann aber zu nachhaltigen Einnahmen führen. Der Zufluss nachhaltiger Einnahmen ist im Gegensatz zu nachhaltiger Tätigkeit zwingende Voraussetzung von Wirtschaftlichkeit. Ohne nachhaltige Einnahmen ist eine Tätigkeit typisch privat. Zutreffend erklärte der EuGH daher die in Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL genannten Merkmale zu Mindestvoraussetzungen wirtschaftlicher Tätigkeit.27 Die Feststellung nachhaltiger Einnahmen würde aber ebenfalls eine Bewertung der Einzelfallumstände erfordern.28 Diese Vorprüfung bringt keine Vorteile.

23 Dazu oben S. 36 insb. Fn 131. 24 Probst, DStJG 13, 1990, S. 137, 147. 25 Vgl. zu den quantitativen und qualitativen Komponenten von Nachhaltigkeit Goertzen, DStR 1996, 164, 165 ff.; Radeisen in Plückebaum/Widmann, UStG, II/2, § 2 Rn 78 ff.; Lohse, Zuordnung, S. 298. 26 Vgl. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 57 und Rn 67 dort Fn 1; Klose, Unternehmer und Steuerpflichtiger, S. 127; Blankenheim, „Steuerpflichtiger“, S. 144; vgl. auch Radeisen in Vogel/Schwarz, UStG, § 2 Rn 86 ff.; Probst, DStJG 13, 1990, S. 137, 147; entgegen EuGH v. 13.12.2007, C-408/06, Götz, Slg 2007, I-11295, Rn 18. 27 EuGH v. 13.12.2007, C-408/06, Götz, Slg 2007, I-11295, Rn 18. Unzutreffend ist jedoch die Gleichstellung nachhaltiger Einnahmenerzielung mit einem nachhaltigen Tätigwerden. 28 Dazu sogleich bei Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL, S. 114 f.

112

Nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten Schaubild 8:

Das Verhältnis von Wirtschaftlichkeit zu Nachhaltigkeit und zu nachhaltiger Einnahmeerzielung Nachhaltigkeit

Nachhaltige Einnahmen

Umstand 5 Umstand 1

Umstand 4

Umstand 1

Umstand 4

Umstand 2 Umstand 3 Wirtschaftlichkeit

Umstand 2 Umstand 3 Wirtschaftlichkeit

Geeignete Merkmale für die typologische Prüfung wirtschaftlicher Tätigkeit sind stattdessen ein planmäßiges Vorgehen, eine gewisse Dauer der Tätigkeit, ein nicht unerheblicher Aufwand, die Hinwendung zum Markt und die Unterhaltung betrieblicher Räumlichkeiten.29 Eine abschließende Aufzählung ist nicht möglich. Die Merkmale sind so unterschiedlich wie die Bandbreite wirtschaftlicher Tätigkeit. Die konkrete Tätigkeit muss als typisch wirtschaftliche und als typisch nicht-wirtschaftliche gedacht werden, um ihre jeweiligen Merkmale voneinander abzugrenzen.30 Dabei ist ein weites Verständnis wirtschaftlicher Tätigkeit zugrunde zu legen.31 Beispielsweise handelt ein typischer Wertpapierhändler eher mit spekulati29 Vgl. zu diesen im Rahmen der Nachhaltigkeit entwickelten Kriterien: BFH v. 18.7.1991, V R 86/87, BFHE 165, 116, unter II.1.a); v. 4.9.2008, V R 10/06, BFH/NV 2009, 230, unter II.1.c)bb); Abschn. 2.3 Abs. 5 UStAE; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 339 ff.; Radeisen in Plückebaum/Widmann, UStG, II/2, § 2 Rn 79; Klenk, in Sölch/Ringleb, UStG, § 2 Rn 158. Speziell zur Teilnahme am Markt EuGH v. 6.10.2009, C-267/08, SPÖ Landesorg. Kärnten, Slg 2009, I-9781, Rn 24, wo der EuGH jedoch unzutreffend für Werbeleistungen auf die Nutzung von Gegenständen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL abstellt, dazu Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 66. 30 Ebenso Schmidt-Liebig, BB 1994, Beilage 20, 1, 5, 10; auch Blankenheim, „Steuerpflichtiger“, S. 117 f.; vgl. auch BFH v. 27.1.2011, V R 21/09, BFHE 233, 77, unter II.4.a); a. A. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 336, der auf einen abstrakten Typus anstelle eines konkreten Typus nach Berufsbildern abstellt. 31 EuGH v. 20.6.1996, C-155/94, Wellcome Trust, Slg 1996, I-3030, Rn 31; v. 6.10.2009, C-267/08, SPÖ Landesorg. Kärnten, Slg 2009, I-9781, Rn 17; v. 29.7.2010, C-40/09, Astra Zeneca UK, Slg 2010, I-7505, Rn 23, jeweils m. w. N.

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Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

ven Anlagen, reagiert schnell auf Kursschwankungen und will Gewinne aus dem Wertpapierhandel erzielen. Der private Anleger legt dagegen eher langfristig und in stabilen Wertanlagen an und will eher Dividendeneinkünfte als Spekulationsgewinne erzielen.32 Schaubild 9:

Originär wirtschaftliche Tätigkeit gem. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 MwStSystRL

Entgeltlichkeit

2.

Typusmerkmale

Klassifikatorische Prüfung nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 MwStSystRL

Die Nutzung körperlicher oder nicht-körperlicher Gegenstände ist gem. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL wirtschaftlich, wenn sie entgeltlich und zur nachhaltigen Einnahmeerzielung erfolgt. Wirtschaftliche Tätigkeit ist insoweit klassifikatorisch definiert.33 Dabei ist die „Nutzung“ eines Gegenstandes weit auszulegen. Sie verlangt keine besondere Rechtsform des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses34 und umfasst beispielsweise auch die Einräumung eines Erbbaurechts oder die Vergabe von Lizenzen.35 Eine nachhaltige Einnahmeerzielung ist von einem

32 Vgl. GA Lenz zu EuGH v. 20.6.1996, C-155/94, Wellcome Trust, Slg 1996, I-3013, Rn 19. 33 Blankenheim, „Steuerpflichtiger“, S. 157; Klose, Unternehmer und Steuerpflichtiger, S. 115 ff. 34 EuGH v. 4.12.1990, C-186/89, van Tiem, Slg 1990, I-4363, Rn 18; v. 6.2.1997, C-80/95, Harnas & Helm, Slg 1997, I-745, Rn 14; v. 26.6.2007, C-369/04, Hutchison 3G, Slg 2007, I-5247, Rn 32; v. 26.6.2007, C-284/04, T-Mobile Austria, Slg 2007, I-5189, Rn 64; v. 6.10.2009, C-267/08, SPÖ Landesorg. Kärnten, Slg 2009, I-9871, Rn 20. 35 Nicht wirtschaftlich ist dagegen die Erteilung von Konzessionen für Funkfrequenzen durch eine staatliche Regulierungsbehörde. Dies ist nur Vorbedingung einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Mobilfunkbetreibers, so EuGH v. 26.6.2007, C-284/04,

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Nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten

nachhaltigen Tätigwerden zu unterscheiden.36 Ein wiederholtes aktives Tun ist nicht zwingend. Es genügt das passive Dulden der Nutzung, sofern es auf einen nachhaltigen Einnahmezufluss angelegt ist.37 Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles, vor allem die Art des Gegenstandes.38 Wird ein Gegenstand üblicherweise ausschließlich zur nachhaltigen Einnahmenerzielung genutzt, wie beispielsweise ein Büroraum, bedarf es in der Regel keiner weiteren Feststellungen für die Wirtschaftlichkeit seiner entgeltlichen Nutzung. Kann ein Gegenstand dagegen sowohl wirtschaftlich als auch nicht-wirtschaftlich genutzt werden, sind die Gesamtumstände zu würdigen.39 Dazu gehören die Dauer der entgeltlichen Nutzung, die Zahl der Kunden und die Höhe der Einnahmen. Schaubild 10: Originär wirtschaftliche Tätigkeit gem. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL

Entgeltlichkeit

Nachhaltige Einnahmeerzielung

Das systematische Verhältnis zwischen Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 und S. 2 MwStSystRL ist unklar, hat aber keine Bedeutung für die Fallprüfung. Das Wort „insbesondere“40 spricht für die Benennung bloßer Beispiele in S. 2, die auch bei typologischer Bestimmung als wirtschaftlich anzusehen

36 37 38

39

40

T-Mobile Austria, Slg 2007, I-5189, Rn 32 ff.; v. 26.6.2007, C-369/04, Hutchison 3G, Slg 2007, I-5247, Rn 26 ff. Vgl. oben S. 112. Stadie in R/D/F/G, UStG § 2 Rn 67; Blankenheim, „Steuerpflichtiger“, S. 144; Probst, DStJG 13, 1990, S. 137, 149. EuGH v. 26.9.1996, C-230/94, Enkler, Slg 1996, I-4537, Rn 26 f.; v. 19.7.2012, C-263/11, AinƗrs RƝdlihs, UR 2012, 790, Rn 33 ff.; BFH v. 18.12.2008, V R 80/07, BFHE 225, 163, unter II.1.a). EuGH v. 26.9.1996, C-230/94, Enkler, Slg 1996, I-4537, Rn 27; v. 19.7.2012, C-263/11, AinƗrs RƝdlihs, UR 2012, 790, Rn 34 ff.; BFH v. 4.9.2008, V R 10/06, BFH/NV 2009, 230, unter II.1.c)aa). Analog in der englischen Fassung: „in particular“ und in der französischen: „en particulier“.

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Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

wären.41 Andererseits lässt sich S. 2 als Erweiterung in einem selbstständigen Tatbestand verstehen. Das Wort „insbesondere“ wäre dann, wie in der Vorgängerregelung des Art. 4 Abs. 2 S. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG, als „auch“ zu lesen.42 Dessen ungeachtet ist die Nutzung von Gegenständen allein nach S. 2 zu prüfen. Denn werden aus der Nutzung eines Gegenstandes keine nachhaltigen Einnahmen erzielt, kann die Tätigkeit auch nicht nach S. 1 wirtschaftlicher Art sein.43 Werden aber nachhaltige Einnahmen erzielt, ist eine darüber hinausgehende Typusprüfung unnötig.44

3.

Prüfung unabhängig vom Totalgewinn

Die Erzielung eines Totalgewinns ist nach Ansicht des BFH45, der Verwaltung46 und der herrschenden Literatur47 keine zwingende Voraussetzung wirtschaftlicher Tätigkeit. Denn Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL definiert den Steuerpflichtigen unabhängig von dem Zweck und dem Ergebnis der wirtschaftlichen Tätigkeit. Auch im nationalen Recht ist für eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit eine Gewinnerzielungsabsicht ausdrücklich entbehrlich, § 2 Abs. 1 S. 3 UStG. Die Gewinner-

41 So Schlussanträge von GA Slynn in EuGH v. 14.2.1985, C-268/83, Rompelman, Slg 1985, I-656, 658. 42 Vgl. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 64 f.; Blankenheim, „Steuerpflichtiger“, S. 104; Klose, Unternehmer und Steuerpflichtiger, S. 100 f. 43 Dazu bereits oben S. 112 bei Fn 27. 44 Vgl. EuGH v. 26.9.1996, C-230/94, Enkler, Slg 1996, I-4537, Rn 19 ff., wo der EuGH für die Vermietung eines Wohnmobils allein S. 2 für einschlägig erklärte. A. A. Blankenheim, „Steuerpflichtiger“, S. 102 ff., 138, nach dessen Ansicht S. 2 nur für nicht-berufliche Nutzungsüberlassungen gilt. 45 BFH v. 23.1.1992, V R 66/85, BFHE 167, 221, unter II.1.a)bb); v. 21.9.2000, IX B 100/00, BFH/NV 2001, 311; v. 2.7.2008, XI R 60/06, BFHE 222, 112, unter II.1.; v. 2.7.2008, XI R 70/06, BFH/NV 2009, 223, unter II.2.; v. 29.10.2008, XI R 76/07, BFH/NV 2009, 795, unter I., II.1.; v. 12.2.2009, V R 61/06, BFHE 224, 467, unter II.3.a). 46 BMF v. 14.7.2000, IV D 1 – S 7303 a – 5/00, UR 2000, 399; vgl. auch BMF v. 1.11.2001, IV A 5-S 1900-292/01, BStBl I 2001, 804, unter 1.2. 47 Korn in Bunjes/Geist, UStG, § 2 Rn 62; Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 132; Jakob, Umsatzsteuer, § 4 Rn 120; Lippross, Umsatzsteuer, S. 385; Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 2 Rn 180 „Liebhaberei“; Meyer in Offerhaus/Söhne/Lange, UStG, § 2 Rn 125; Menner/Herrmann, BB 2003, 1357 ff.; Valentin, EFG 2003, 270; Fritsch, UStB 2003, 127, 128; Schmidt-Liebig, BB 1994, Beilage 20, 1, 12, 15, der eine Umsatzüberschussabsicht für abdingbar erklärt.

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Nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten

zielungsabsicht ist nur Indiz für ein wirtschaftliches Tätigwerden; dauerhafte Verluste ein Indiz dagegen.48 Die Gegenansicht hält eine auf Totalverlust angelegte Tätigkeit für unvereinbar mit dem Typus wirtschaftlicher Tätigkeit.49 Teilweise wird die Gewinnprognose auf die umsatzsteuerbaren Einnahmen und vorsteuerentlasteten Ausgaben beschränkt. Demnach setzt eine wirtschaftliche Tätigkeit die Absicht der Erzielung eines Umsatzüberschusses in der Totalperiode voraus.50 Die Ansicht beruft sich auf den Zweck der Umsatzsteuer zur staatlichen Einnahmeerzielung, der bei einer auf dauerhafte Vorsteuerüberschüsse angelegten Tätigkeit nicht erreicht werden könne. Zudem würden nach der herrschenden Ansicht Hobbys systemwidrig subventioniert, da sie regelmäßig als wirtschaftlich deklariert werden könnten, um einen Vorsteuerüberschuss zu kassieren.51 Schließlich seien auch im österreichischen Umsatzsteuerrecht Liebhaberei-Tätigkeiten ausdrücklich von der Besteuerung ausgenommen.52 Bei genauerer Untersuchung des österreichischen Umsatzsteuerrechts ist jedoch eine Totalgewinnprognose keine zwingende Voraussetzung wirtschaftlicher Tätigkeit. Zwar erklärt das österreichische Umsatzsteuergesetz Liebhaberei-Tätigkeiten ausdrücklich für nicht steuerbar, vgl. § 2 Abs. 5 Nr. 2 ÖstUStG. Gleichwohl ist nach herrschender Auffassung in der österreichischen Rechtspraxis ein wirtschaftliches Tätigwerden unabhängig vom Zweck und vom Ergebnis der Tätigkeit zu bestimmen.53 § 2 Abs. 1 S. 3 ÖstUStG setze die unionsrechtlichen Vorgaben um.54 Wirtschaftlich ist 48 BFH v. 12.12.1996, V R 23/93, BFHE 182, 388, unter II.1.b); Meyer in Offerhaus/Söhne/Lange, UStG, § 2 Rn 125; Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 2 Rn 180 „Liebhaberei“; Schmidt-Liebig, BB 1994, Beilage 20, 1, 12 zur Umsatzüberschussabsicht als eines unter mehreren Abgrenzungsmerkmalen. 49 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 353, 469 ff. 50 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 353 f.; Bunjes, UR 1988, 307 f.; FG Saarland v. 3.3.1998, 1 K 233/97, EFG 1998, 903, unter 2.c); FG Saarland v. 5.12.2002, 1 K 381/02, EFG 2003, 269, das aber Ausnahmen für exportierende Unternehmen zulässt. Allgemein sollen sich Ausnahmen aus dem Gesetzeszweck und dem Gebot der Wettbewerbsneutralität ergeben. 51 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 473 f.; auch Bunjes, UR 1988, 308. 52 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 470, 475. 53 ÖstVwGH v. 11.12.2009, 2006/17/0118, www.ris.bka.gv.at/VwGH/; Prechtl, Liebhaberei, S. 29. 54 Doralt, Kodex ÖstUStG, § 2 Rn 192. Näher zur systematischen Interpretation von § 2 Abs. 1 S. 3 und Abs. 5 S. 2 ÖstUStG: Ruppe/Achatz, ÖstUStG, § 2 Rn 244 ff.; Prechtl, Liebhaberei, S. 22 f.

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demnach „jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt“. Die Ausnahme der Liebhaberei sei spezifisch umsatzsteuerlich auszulegen.55 Sie beschränke sich auf Tätigkeiten mit besonderer Verbindung zu privaten Neigungen.56 Solche Tätigkeiten seien auch bei typologischer Bestimmung wirtschaftlicher Tätigkeit nach Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL der Konsumsphäre zuzuordnen.57 Der EuGH hat sich bisher nicht eindeutig zur Bedeutung einer Gewinnbzw. Überschusserzielungsabsicht für die wirtschaftliche Tätigkeit geäußert. Einerseits weist er in ständiger Rechtsprechung auf den objektiven Charakter wirtschaftlicher Tätigkeit hin. Wirtschaftlichkeit sei unabhängig vom Zweck und vom Ergebnis der Tätigkeit.58 Die Absicht des Steuerpflichtigen ermitteln zu müssen widerspräche den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der einfachen Rechtsanwendung.59 In diesem Sinne

55 ÖstVfGH v. 20.6.2001, B 2032/99, ÖStZB 2002, Nr. 48, unter III.; ÖstVwGH v. 11.12.2009, 2006/17/0118, www.ris.bka.gv.at/VwGH/; Ruppe/Achatz, ÖstUStG, § 2 Rn 12, 244 ff., 254. 56 So § 6 i. V. m. § 1 Abs. 2, Abs. 4 der österreichischen Liebhabereiverordnung 1993, ÖstBGBl 1993, Nr. 33 i. d. F. ÖstBGBl II 1999, Nr. 15; zur Feststellung solcher privaten Neigung ÖstVwGH v. 15.12.2009, 2008/15/0059, www.ris.bka.gv.at/VwGH; Ruppe/Achatz, ÖstUStG, § 2 Rn 12,254, 256 ff. 57 ÖstVfGH v. 20.6.2001, B 2032/99, ÖStZB 2002, Nr. 48, unter III.; Ruppe/Achatz, ÖstUStG, § 2 Rn 12, 254; Prechtl, Liebhaberei, S. 125. 58 EuGH v. 26.9.1996, C-230/94, Enkler, Slg 1996, I-4517, Rn 25; v. 12.1.2006, C-354/03, Optigen, Slg 2006, I-483, Rn 43; v. 21.2.2006, C-223/03, University of Huddersfield, Slg 2006, I-1751, Rn 47; v. 21.2.2006, C-255/02, Halifax, Slg 2006, I-1609, Rn 55 ff.; v. 6.7.2006, C-439/04, Kittel und Recolta Recycling, Slg 2006, I-6161, Rn 41; v. 26.6.2007, C-284/04, T-Mobile Austria, Slg 2007, I-5189, Rn 35; v. 26.6.2007, C-369/04, Hutchison 3G, Slg 2007, I-5247, Rn 29; v. 13.12.2007, C-408/06, Götz, Slg 2007, I-11295, Rn 17; v. 6.10.2009, C-267/08, Landesorganisation Kärnten, Slg 2009, I-9781, Rn 17; v. 29.10.2009, C-246/08, Kommission/Finnland, Slg 2009, I-10605, Rn 37; v. 29.7.2010, C-40/09, Astra Zeneca, Slg 2010, I-7505, Rn 23. 59 EuGH v. 26.3.1987, C-235/85, Kommission/Niederlande, Slg 1987, I-1471, Rn 8 ff.; v. 6.4.1995, C-4/94, BLP Group, Slg 1995, I-983, Rn 24; v. 12.9.2000, C-276/97, Kommission/Frankreich, Slg 2000, I-6251, Rn 31 ff.; v. 12.9.2000, C-359/97, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg 2000, I-6355, Rn 41 ff.; v. 12.9.2000, 260/98, Kommission/Griechenland, Slg 2000, I-6537, Rn 26 ff.; v. 12.9.2000, C-358/97, Kommission/Irland, Slg 2000, I-6301, Rn 29 ff.; v. 12.9.2000, C-408/97, Kommission/Niederlande, Slg 2000, I-6417, Rn 25 ff.; v. 12.1.2006, C-354/03, Optigen, Slg 2006, I-483, Rn 43 ff.; v. 21.2.2006, C-255/02, Halifax, Slg 2006, I-1609, Rn 55 ff.; v. 21.2.2006, C-223/03, University of Huddersfield, Slg 2006, I-1751,

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entschied er in der Rechtssache Enkler.60 Frau Enkler begehrte Vorsteuerabzug für ein Wohnmobil, das sie gemischt für steuerbare Vermietungen und private Zwecke genutzt hatte. Die Anschaffungskosten des Wohnmobils lagen weit über den erzielten Vermietungsumsätzen. Nach den maßgeblichen Umständen für eine wirtschaftliche Nutzung gefragt, wies der EuGH auf die Unerheblichkeit von Zweck und Ergebnis der Tätigkeit hin.61 Das nationale Gericht müsse vielmehr die Gesamtumstände des Einzelfalles würdigen.62 Andererseits erklärte der EuGH in der Rechtssache SPÖ Landesorganisation Kärnten eine positive Gewinnprognose zur Voraussetzung nachhaltiger Einnahmeerzielung.63 Die Landesorganisation hatte Werbeleistungen für ihre Unterorganisationen erbracht und die Kosten nur zu einem geringen Teil weiterverrechnet. Die Verluste deckte sie mit öffentlichen Zuschüssen, Spenden und Mitgliederbeiträgen. Der EuGH verneinte eine nachhaltige Einnahmeerzielung und damit eine wirtschaftliche Tätigkeit, weil die Werbetätigkeit aus sich selbst heraus nicht finanzierbar war.64 Vorzugswürdig ist die Bestimmung wirtschaftlicher Tätigkeit unabhängig von einer Gewinnerzielungsabsicht. So sieht es die Mehrwertsteuersystemrichtlinie vor: Der Steuerpflichtige ist durch die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, unabhängig von ihrem Ergebnis definiert, Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL. Zudem gelten bestimmte Steuerbefreiungen nur für Einrichtungen ohne Gewinnstreben.65 Wären Tätigkeiten ohne Gewinnerzielungsabsicht schon nicht steuerbar, hätten diese Befreiungsvorschriften einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich. Beispielsweise wäre die Tätigkeit eines gemeinnützigen Sportvereins schon nicht steuerbar, wenn er in allen Leistungsbereichen ohne Gewinnstreben handelte. Erzielte er dagegen in einer Abteilung Gewinne, wäre insoweit

60 61 62 63 64 65

Rn 47 ff.; v. 6.7.2006, C-439/04, Kittel und Recolta Recycling, Slg 2006, I-6161, Rn 42; v. 29.10.2009, C-246/08, Kommission/Finnland, Slg 2009, I-10605, Rn 37 ff. EuGH v. 26.9.1996, C-230/94, Enkler, Slg 1996, I-4517, Rn 8 ff., dazu bereits oben S. 109 Fn 13. EuGH v. 26.9.1996, C-230/94, Enkler, Slg 1996, I-4517, Rn 25. EuGH v. 26.9.1996, C-230/94, Enkler, Slg 1996, I-4517, Rn 30. EuGH v. 6.10.2009, C-267/08, SPÖ Landesorg. Kärnten, Slg 2009, I-9781, Rn 21 ff. EuGH v. 6.10.2009, C-267/08, SPÖ Landesorg. Kärnten, Slg 2009, I-9781, Rn 22. Vgl. Art. 132 Abs. 1 lit. l), lit. m); Art. 133 lit. a) i. V. m. Art. 132 lit. b), lit. g), lit. h), lit. i), lit. n) MwStSystRL.

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Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

Art. 132 Abs. 1 lit. m) MwStSystRL einschlägig; die defizitären Leistungsbereiche blieben nicht steuerbar.66 Darüber hinaus kann es nach dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität nicht darauf ankommen, ob eine Leistung im Rahmen einer rentablen oder nicht-rentablen Tätigkeit erbracht wird.67 Wettbewerbsneutralität ist eine Ausprägung des Neutralitätsgrundsatzes und verlangt eine Gleichbehandlung von gleichartigen und deshalb in Wettbewerb stehenden Umsätzen.68 Klassisch ist der Fall eines Privatiers, der seine Segeljacht vermietet und so den Kaufpreis teilweise refinanziert.69 Er steht dem Verbraucher wie ein typisches Vermietungsunternehmen gegenüber, sodass eine Wettbewerbssituation gegenüber rentablen Vermietungsunternehmen entsteht. Seine Leistung muss daher steuerbar sein. Wäre eine Gewinnerzielungsabsicht Voraussetzung wirtschaftlicher Tätigkeit, bestünde auch die Gefahr, dass Vorsteuerüberschüsse aus unrentablen Tätigkeitsbereichen nicht mehr geltend gemacht werden

66 Dagegen spricht auch die EuGH-Entscheidung EuGH v. 21.3.2002, C-174/00, Kennemer Golf, Slg 2002, I-3293. Der klägerische Golfverein wollte hinsichtlich seiner Leistungen an Nichtmitglieder die Steuerbefreiung im Sinne von Art. 132 Abs. 1 lit. m) MwStSystRL erlangen, weil er insoweit keine Gewinne erzielte. Der EuGH verneinte dies, weil für das Gewinnstreben im Sinne der Befreiungsvorschrift auf die gesamte Einrichtung abzustellen sei und nicht auf einzelne Tätigkeitsbereiche. Wäre aber eine Gewinnerzielungsabsicht Voraussetzung wirtschaftlicher Tätigkeit, hätte der EuGH vorher die Steuerbarkeit der Leistungen an Nichtmitglieder prüfen müssen. 67 Vgl. Reiß, in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 60; ders. in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 160, wo er die Steuerbarkeit verlustbringender Vermietung von Freizeitgegenständen deswegen bejaht, gleichzeitig aber pauschal den Vorsteuerabzug versagt, entgegen hier vertretener Auffassung, dazu sogleich S. 121. Vgl. weiterhin Englisch in Tipke/Lang, § 17 Rn 44; Meyer in Offerhaus/Söhne/Lange, UStG, § 2 Rn 125, der die Überlegung auf den Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer stützt; zum österreichischen Umsatzsteuerrecht: Prechtl, Liebhaberei, S. 29; Ruppe, ÖstUStG, § 2 Rn 245, der den Gleichheitssatz heranzieht. 68 EuGH v. 23.4.2009, C-357/07, TNT Post UK, Slg 2009, I-3025, Rn 37; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 67; v. 10.3.2011, C-540/09, Akandinaviska Enskilda Banken, DStR 2011, 766, Rn 36, jeweils m. w. N.; FG Baden-Württemberg v. 30.6.2011, 12 K 4547/08, DStRE 2011, 1466, unter 1.b)cc); vgl. auch Erwägungsgrund (7) der Mehrwertsteuersystemrichtlinie; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 17 Rn 23; Berger/Kindl/Wakounig, MwStSystRL, Allgemeine Rechtsgrundsätze, S. 39; Lohse in Achatz/Tumpel, EuGH-Rspr. und USt-Praxis, S. 47, 50. 69 Vgl. BFH v. 23.1.1992, V R 66/85, BFHE 167, 221; v. 2.7.2008, XI R 60/06, BFHE 222, 112.

120

Nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten

können. Würde beispielsweise ein Steuerpflichtiger einen unrentablen Tätigkeitsbereich fortführen, um seinen Kunden ein breiteres Leistungsspektrum zu bieten, würde sein Vorsteuerabzugsrecht insoweit grundsätzlich untergehen. Es bliebe nur ausnahmsweise bestehen, wenn sich der unrentable Tätigkeitsbereich als unmittelbare, dauerhafte und notwendige Erweiterung seiner anderweitigen gewinnbringenden Wirtschaftstätigkeit darstellen würde.70 Die Problematik dauerhafter Vorsteuerüberschüsse aus wirtschaftlicher Tätigkeit lösen die Mehrwertsteuersystemrichtlinie und das nationale Umsatzsteuerrecht anders als durch die Negierung von Wirtschaftlichkeit. Im Grundsatz bleibt der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt. Das entspricht der zweiten Ausprägung des Neutralitätsgrundsatzes, wonach Steuerpflichtige vollständig von der im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten Umsatzsteuer zu entlasten sind.71 Im Normalfall wird der Steuerpflichtige die Tätigkeit jedoch schnell einstellen bzw. gewinnbringend umgestalten. Denn mit dem Vorsteuerüberschuss geht ein mehr als fünfmal so hoher Nettoverlust einher.72 Ist der Steuerpflichtige aus besonderen Gründen zur Verlusttragung bereit, verhindern spezielle Vorsteuerabzugsverbote das Ausufern von Vorsteuererstattungsansprüchen. Insbesondere im Grenzbereich zu privatem Aufwand sieht das nationale Recht Vorsteuerabzugsbeschränkungen vor, vgl. § 15 Abs. 1a UStG.73 Der Richtliniengeber erklärt zumindest die Absicht, für Ausgaben ohne streng geschäftlichen Charakter Vorsteuerabzugsbeschränkungen einzuführen, Art. 176 Unterabs. 1 MwStSystRL,74 und lässt im Übrigen die nationalen Vorsteuerabzugsbeschränkungen unberührt, die bereits vor Inkrafttreten der

70 Zur unmittelbaren, dauerhaften und notwendigen Erweiterung wirtschaftlicher Tätigkeit sogleich S. 122 f. 71 Vgl. oben S. 61 Fn 250. 72 Ein Vorsteuerüberschuss i. H. v. 19 € setzt einen Nettoverlust von 100 € voraus. 73 Vgl. BFH v. 2.7.2008, XI R 60/06, BFHE 222, 112, unter II.2.d)aa) i. V. m. II.3., der auf den Zweck der Vorgängerregelung in § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG 1999 hinweist, bei „Liebhaberei-Unternehmen“ mit Repräsentationsgegenständen den Vorsteuerabzug auszuschließen; vgl. auch BMF v. 14.7.2000, IV D 1 – S 7303 a – 5/00, UR 2000, 399, unter 2.b); Korn in Bunjes/Geist, UStG, § 2 Rn 62; auch Widmann, UR 1993, 14, 15, unter 4. zur Vorgängerregelung in § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) UStG 1993. 74 Gemeinsame Vorsteuerausschlüsse im Sinne von Art. 176 Unterabs. 1 MwStSystRL bestehen bisher nicht. Vgl. zuletzt EuGH v. 30.9.2010, C-395/09, Oasis East, Slg 2010, I-8811, Rn 20; Berger/Kindl/Wakounig, MwStSystRL, Art. 176, S. 416; Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 15 Rn 480 ff.

121

Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

Sechsten Richtlinie 77/388/EWG am 1.1.1979 Art. 176 Unterabs. 2 MwStSystRL (sog. Stillstand-Klausel).

bestanden,

Im Beispiel der verlustbringend vermieteten Segeljacht ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1a S. 1 UStG i. V. m. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 4 Alt. 3 EStG ausgeschlossen. Die Regelung ist von der Stillstand-Klausel gedeckt.75 Wird die Segeljacht dagegen mit Gewinnabsicht vermietet, gilt das Abzugsverbot nicht, § 4 Abs. 5 S. 2 EStG. Solche auf Verlustgeschäfte beschränkten Vorsteuerabzugsverbote hätten keinen Anwendungsbereich, wenn bereits eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeschlossen wäre.

4.

Abgeleitete Wirtschaftlichkeit

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist eine Tätigkeit auch dann wirtschaftlich, wenn sie sich als unmittelbare, dauerhafte und notwendige Erweiterung einer wirtschaftlichen Tätigkeit darstellt.76 Dieser Zusammenhang ersetzt die Typusmerkmale gem. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 MwStSystRL bzw. die nachhaltige Einnahmeerzielung gem. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL. Die Entgeltlichkeit der Tätigkeit bleibt jedoch konstitutive Voraussetzung ihrer Wirtschaftlichkeit. Das entspricht den Hilfs- und Nebengeschäften im nationalen Recht.77 Das umgekehrte Modell einer dauerhaften und notwendigen Erweiterung nichtwirtschaftlicher Tätigkeit gibt es dagegen nicht. Erneuert beispielsweise ein ideell tätiger Verein regelmäßig seine ideell genutzten Gegenstände, ist er nicht-wirtschaftlich tätig. Grund dafür ist aber nicht eine dauerhafte und notwendige Erweiterung seiner ideellen Tätigkeit, sondern dass er insoweit nicht den Händlertypus erfüllt.78

75 Zwar bestand am 1.1.1979 nur eine Eigenverbrauchsregelung mit entsprechendem Inhalt, vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 lit. c) UStG 1973. Nach herrschender Lehre wirkte diese jedoch wie ein mittelbares Vorsteuerabzugsverbot, sodass die Umwandlung in ein echtes Vorsteuerabzugsverbot unschädlich war: BFH v. 2.7.2008, XI R 60/06, BFHE 222, 112, unter II.3.c); Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 917; Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 168; Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 15 Rn 484, 486; zweifelnd Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 15 Rn 307. 76 EuGH v. 11.7.1996, C-306/94, Regie dauphinoise, Slg 1996, I-3695, Rn 18; v. 14.11.2000, C-142/99, Berginvest und Floridienne, Slg 2000, I-9567, Rn 27; v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 66; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 33; vgl. Korf/Kurtz, UR 2010, 86, 91. 77 Dazu oben S. 41. 78 Im nationalen Recht sind dagegen auch Hilfsgeschäfte im Rahmen nichtwirtschaftlicher Vereinstätigkeit anerkannt, vgl. Abschn. 2.10 Abs. 1 S. 10 und

122

Nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten Schaubild 11: Abgeleitete wirtschaftliche Tätigkeit

Entgeltlichkeit

Erweiterung einer originär wirtschaftl. Tätigkeit

Ein typischer Fall einer solchen abgeleiteten Wirtschaftlichkeit ist die Veräußerung von Beteiligungen durch eine Funktionsholding. Isoliert betrachtet, erfüllt die Veräußerung nicht den Typus wirtschaftlicher Tätigkeit.79 Denn sie ist nur der letzte Akt des bloßen Haltens einer Beteiligung zur Erzielung von Dividenden. Eine Funktionsholding erbringt jedoch auch steuerbare Verwaltungsdienstleistungen an ihre Beteiligungsgesellschaften.80 Die Beteiligungsveräußerung stellt sich dann als unmittelbare, dauerhafte und notwendige Erweiterung der Verwaltungstätigkeit dar.81 Sie ist folglich selbst wirtschaftlich, mithin steuerbar82 und gem. Art. 135 Abs. 1 lit. f) MwStSystRL steuerfrei.83 Auch die Finanzanlagetätigkeit einer Hausverwaltung beurteilte der EuGH als unmittelbare, dauerhafte und notwendige Erweiterung ihrer steuerbaren Hausverwaltertätigkeit.84 Die Hausverwaltung hatte Erträge aus der Anlage von Geldvorschüssen ihrer Eigentümer und Mieter erzielt. Sie begehrte nun vollen Vorsteuerabzug für ihre gesamten Aufwendungen. Die Steuerverwal-

79

80

81

82 83 84

11 UStAE; Husmann in R/D/F/G, § 1 Rn 189; auch bereits BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.6. EuGH v. 20.6.1996, C-155/94, Wellcome Trust, Slg 1996, I-3013, Rn 33; v. 26.5.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 19; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 28; eingehend unten S. 149 bei Fn 25. Vgl. zu dem Begriff Abschn. 2.3 Abs. 3 S. 2 und 3 UStAE. Im Gegensatz zu einer Funktionsholding beschränkt sich eine Finanzholding auf das reine Halten von Beteiligungen. EuGH v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 31, 33; vgl. auch EuGH v. 20.6.1996, C-155/94, Wellcome Trust, Slg 1996, I-3013, Rn 35; v. 26.5.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 20. EuGH v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 33. EuGH v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 45 ff. EuGH v. 11.7.1996, C-306/94, Regie dauphinoise, Slg 1996, I-3695.

123

Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

tung gewährte aber nur teilweisen Vorsteuerabzug und setzte dabei die Finanzerträge als steuerfreie Finanzumsätze i. S. v. Art. 135 Abs. 1 lit. b) und d) MwStSystRL im Nenner des Pro-rata-Satzes an. Das bestätigte der EuGH.85 Zwar sei die bloße Geldanlage bei einer Bank nichtwirtschaftlich,86 was den Ansatz im Rahmen des Pro-rata-Satzes ausschließt. Werden die Geldmittel aber im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit als Vorschuss überlassen, sei die Anlagetätigkeit deren unmittelbare, dauerhafte und notwendige Erweiterung.87

II. Nicht-wirtschaftliche Tätigkeitsbereiche Die Qualifikation einer Einzeltätigkeit als nicht-wirtschaftlich begründet nicht zwingend einen nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich.88 Auch in wirtschaftlichen Tätigkeitsbereichen gibt es Einzeltätigkeiten, für die kein Entgelt, d. h. keine unmittelbare Gegenleistung,89 erbracht wird (im Folgenden: unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten). Sie sind nicht-wirtschaftlich und folglich nicht steuerbar. Gleichwohl besteht für die damit zusammenhängenden Kosten ein Vorsteuerabzugsrecht. Besucht beispielsweise ein Händler einen Stammkunden zur Kontaktpflege, erbringt er keine entgeltliche Leistung, sodass der Besuch nicht steuerbar ist. Gleichwohl berechtigen die Fahrtkosten zum Vorsteuerabzug. Dasselbe gilt

85 EuGH v. 11.7.1996, C-306/94, Regie dauphinoise, Slg 1996, I-3695, Rn 23. 86 EuGH v. 11.7.1996, C-306/94, Regie dauphinoise, Slg 1996, I-3695, Rn 18 Satz 1. Der EuGH begründete die originäre Nicht-Wirtschaftlichkeit nicht näher. Sie beruht auf einer teleologischen Reduktion von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL, dazu unten S. 152 f. 87 EuGH v. 11.7.1996, C-306/94, Regie dauphinoise, Slg 1996, I-3695, Rn 18 Satz 2 und 3, bestätigt in EuGH v. 14.11.2000, C-142/99, Berginvest und Floridienne, Slg 2000, I-9567, Rn 26 f. und v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 66. 88 Ebenso Eggers, UR 2008, 348, 350, 352; Eggers/Korf, DB 2008, 719, 722 f.; Eggers, UR 2005, 344 f. Auch Englisch, USt-Kongress-Bericht, 2010, S. 25, 33, 65 f., 69 ff. Nach einem Modell von Rüth, EU-UStB 2006, 10, 12, sollen unselbstständige nichtwirtschaftliche Einzeltätigkeiten (insb. die Ausgabe von Gesellschaftsanteilen) eine eigenständige Sphäre, einen sog. „Zwischenbereich“ begründen, in dem Ausgangsleistungen nicht steuerbar sind, Eingangsleistungen aber als allgemeine Kosten zum Vorsteuerabzug berechtigen. Vgl. auch BFH v. 1.7.2004, V R 32/00, BFHE 205, 555, unter II.3.c), der ausdrücklich feststellt, dass bestimmte nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten den Vorsteuerabzug für darauf bezogene Kosten nicht hindern. 89 St. Rspr. des EuGH, vgl. nur EuGH v. 3.3.1994, C-16/93, Tolsma, Slg 1994, I-743, Rn 13 f.; v. 27.10.2011, C-93/10, GFKL Financial Services, UR 2011, 933, Rn 17 ff.; v. 3.5.2012, C-520/10, Lebara, UR 2012, 523, Rn 27; jeweils m. w. N.

124

Nicht-wirtschaftliche Tätigkeitsbereiche

für die Ausgabe neuer Aktien oder Gesellschaftsanteile. Der EuGH beurteilt dies als nicht-wirtschaftlich und gewährt im nächsten Atemzug den Vorsteuerabzug aus allgemeinen Kosten.90 Teile der Literatur sehen darin einen Widerspruch zur Sphärentheorie.91 Die Sphärentheorie ist jedoch nicht betroffen. Die Anteilsausgabe begründet keinen eigenständigen nichtwirtschaftlichen Bereich. Der EuGH ordnet sie vielmehr als unselbstständige Einzeltätigkeit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zu. Das erklärt das Recht zum Vorsteuerabzug. Schaubild 12: Abgrenzung von Einzeltätigkeiten gegenüber Tätigkeitsbereichen

wirtsch. Einzeltätigkeit

nichtwirtsch. Einzeltätigkeit

Wirtschaftlicher Geschäftsbereich

nichtwirtsch. Einzeltätigkeit

nichtwirtsch. Einzeltätigkeit

Nicht-wirtschaftlicher Geschäftsbereich

90 EuGH v. 26.05.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 36 ff.; v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 28 f.; vgl. auch v. 26.6.2003, C-442/01, KapHag, Slg 2003, I-6851, Rn 35 ff.; ausführlich dazu unten S. 192 f. 91 Korf, IStR 2008, 294, 295; ders., DB 2005, 1357 f.; vgl. auch Rüth, EU-UStB 2006, 10, 11 f., der eine dritte Sphäre für unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten schaffen will. A. A. Regierer/Meining, UR 2006, 316, 318 f.

125

Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche Schaubild 13: Sphärenzuordnung von nicht-wirtschaftlichen Einzeltätigkeiten

Nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeit Zuordnung

Tätigkeitsbereich Qualifikation nach der neuen Sphärentheorie92

Wirtschaftliche und selbstständige Sphäre

Nicht-wirtschaftliche oder nicht-selbstständige Sphäre

(unternehmenseigen)

unternehmenseigen unternehmensfremd

Nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten sind nicht steuerbar. Im Übrigen lässt sich ihre mehrwertsteuerliche Behandlung nicht verallgemeinern, sondern hängt von ihrer Zuordnung zu einem Tätigkeitsbereich ab. Ein Recht zum Vorsteuerabzug besteht grundsätzlich nur, soweit die Einzeltätigkeit zu einem wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich gehört.93 Das Zuordnungswahlrecht für Investitionsgüter kommt in Betracht, wenn die Einzeltätigkeit teilweise zum wirtschaftlichen und teilweise zum Privatbereich gehört.94 Schließlich sind unentgeltliche Leistungen zugunsten der Tätigkeit nur steuerbar, wenn sie zu einem unternehmensfremden Bereich gehört.93 Im obigen Beispiel95 gehört der Kundenbesuch zum wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich. Aus diesem Grund berechtigen die Fahrtkosten zum Vorsteuerabzug. Kauft der Steuerpflichtige für diese Zwecke ein Fahrrad und will auf dem Weg zum Kunden auch immer kurz bei seiner Mutter vorbeischauen, hat er das Zuordnungswahlrecht. Der EuGH bezeichnet unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten nicht einheitlich. Einerseits spricht er dem Erwerb von Beteiligungen

92 93 94 95

Vgl. zur neuen Sphärentheorie oben Schaubild 6, S. 87. Vgl. oben Schaubild 6, S. 87. Zum Zuordnungswahlrecht oben S. 55 ff. S. 124.

126

Nicht-wirtschaftliche Tätigkeitsbereiche

durch eine Funktionsholding wirtschaftlichen Charakter zu.96 Er meint damit, dass der Beteiligungserwerb zum wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich der Funktionsholding gehört, sodass die beteiligungsbezogenen Aufwendungen zum Vorsteuerabzug berechtigen.97 Der Erwerbsvorgang selbst ist mangels entgeltlicher Ausgangsleistung ein nicht-wirtschaftlicher und folglich nicht-steuerbarer Vorgang.98 Andererseits qualifiziert er die Ausgabe neuer Aktien als nicht-wirtschaftliche und daher nicht steuerbare Tätigkeit,99 gewährt jedoch im nächsten Schritt den Vorsteuerabzug.100 Worauf sich die Qualifikation im Einzelfall bezieht, muss aus dem Entscheidungskontext ermittelt werden. Bezeichnet der EuGH eine Tätigkeit als wirtschaftlich, obwohl sie selbst unentgeltlich erbracht wird, qualifiziert er den zugehörigen Tätigkeitsbereich. Bezeichnet er eine Tätigkeit als nichtwirtschaftlich, gewährt aber den Vorsteuerabzug aus darauf bezogenen Kosten, qualifiziert er nur die Einzeltätigkeit. Rechtlicher Maßstab für die Abgrenzung nicht-wirtschaftlicher Tätigkeitsbereiche und unselbstständiger nicht-wirtschaftlicher Einzeltätigkeiten ist der Neutralitätsgrundsatz. Denn er bestimmt über die Reichweite des Vorsteuerabzugs. In nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereichen ist ein Vorsteuerabzug per se ausgeschlossen, für unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten kann dagegen ein Recht zum Vorsteuerabzug bestehen. Steht folglich der Neutralitätsgrundsatz einem generellen Ausschluss des Vorsteuerabzugs für Eingangsleistungen zugunsten der Einzeltätigkeit entgegen, ist sie unselbstständig. Wahrt der generelle Ausschluss des Vorsteuerabzugs den Neutralitätsgrundsatz, gehört die Einzeltätigkeit zu einem nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich.

96 EuGH v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 34; vgl. auch EuGH v. 20.6.1991, C-60/90, Polysar, Slg 1991, I-3111, Rn 13 f.; v. 27.9.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 19 f.; v. 26.6.2003, C-305/01, MKG Kraftfahrzeuge-Factoring, Slg 2003, I-6729, Rn 45 f. Zum Begriff Funktionsholding oben S. 123 bei Fn 80. 97 EuGH v. 27.9.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 27 ff., 33. 98 Vgl. Reiß, IStR 2004, 450, 453; ders. UR 2003, 428, 435, unter a) und b); Eggers, UR 2008, 348, 351; Eggers/Korf, DB 2008, 719, 725. 99 EuGH v. 26.05.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 21 ff. unter Verweis auf EuGH v. 26.6.2003, C-442/01, KapHag, Slg 2003, I-6851, Rn 39 ff. 100 EuGH v. 26.05.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 36 ff.; auch EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 27 f.

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Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

Der Neutralitätsgrundsatz ist als Grundprinzip des Mehrwertsteuerrechts weit auszulegen.101 Er verlangt die vollständige Entlastung des Steuerpflichtigen von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten Umsatzsteuer.102 Für den Vorsteuerabzug präzisiert der EuGH sodann, dass die Eingangsleistung in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit stehen muss.103 Damit ist jedoch noch nicht beantwortet, wann eine nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeit diesen Zusammenhang generell unterbricht (dann nicht-wirtschaftlicher Tätigkeitsbereich) und wann nicht (dann unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeit). Eine Literaturstimme schlägt eine Unterscheidung nach der Entfernung zur wirtschaftlichen Tätigkeit vor.104 Nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten sind demnach unselbstständig, wenn sie „– nicht nur entfernt – der Vorbereitung, Förderung oder Abwicklung wirtschaftlicher Tätigkeiten“ dienen. Sie begründen dagegen einen eigenständigen Bereich, wenn sie „einen eigenständigen Geschäftsgegenstand des Unternehmens“ bilden und folglich nur ein entfernter Zusammenhang zu der wirtschaftlichen Tätigkeit besteht. Auf ein solches allgemeines Konzept hat sich der EuGH bisher nicht festgelegt. Er entscheidet nach Fallgruppen. Die Arbeit konzentriert sich darauf, diese Fallgruppen zusammenzustellen.105

III. Unternehmenseigene Tätigkeitsbereiche Für die Abgrenzung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Bereiche von unternehmensfremden Bereichen ist mangels Definition des Unternehmensbegriffs in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie die EuGHRechtsprechung die primäre Erkenntnisquelle. Sie lässt sich in zwei Gruppen einteilen. In der ersten Gruppe versteht der EuGH das Unternehmen als Vermögen im Gegensatz zum Privatvermögen, in der zweiten Gruppe als Oberbegriff für alle Tätigkeiten innerhalb des Zwecks einer Einrichtung (unter 1.). Das lässt breiten Raum für Interpretationen in der Rechtsprechung und in der Literatur (unter 2.). Maßgeblich kann nur der Unternehmensbegriff sein, wie er in der VNLTO-Entscheidung106 zum Ausdruck kommt. Denn die Entscheidung bezog sich spezifisch auf den

101 102 103 104 105 106

128

Vgl. oben S. 61 Fn 249 und Fn 250. Vgl. oben S. 61 Fn 250. Vgl. dazu oben S. 50 ff. Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 69 f. Dazu im 4. Kapitel ab S. 145. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 38 f.

Unternehmenseigene Tätigkeitsbereiche

Unternehmensbegriff der Entnahmetatbestände und dieser liegt dem neuen Sphärenmodell zugrunde.107 Demnach setzt das Unternehmen eine Einrichtung voraus, die zumindest in geringem Umfang wirtschaftlich tätig ist, und bezeichnet ihre gesamte Tätigkeit innerhalb des Unternehmenszwecks. Unternehmenszweck kann dabei grundsätzlich jeder denkbare Satzungszweck sein. Dieser tätigkeitsbezogenen Unternehmensdefinition folgend ist das Unternehmensvermögen das für die Unternehmenstätigkeit eingesetzte Vermögen (unter 3.). Der Inhalt des unionsrechtlichen Unternehmensbegriffs wird abschließend in einem kurzen Fazit mit Schaubild verdeutlicht (unter 4.).

1.

Unternehmen als Vermögen einerseits und zweckdefinierte Tätigkeit andererseits in der EuGH-Rechtsprechung

In seiner Rechtsprechung zu gemischt wirtschaftlich und privat genutzten Investitionsgütern versteht der EuGH das Unternehmen als Vermögen im Gegensatz zum Privatvermögen des Steuerpflichtigen. Der Steuerpflichtige kann das Investitionsgut wahlweise vollständig seinem Unternehmensvermögen, vollständig seinem Privatvermögen oder anteilig seinem Unternehmens- und seinem Privatvermögen zuordnen.108 Aus der Zuordnung zum Unternehmensvermögen leitet der EuGH insbesondere ein Recht zum Vorsteuerabzug ab.109 Die Zuordnung zum Unternehmensvermögen erklärt er auch zur Voraussetzung für die Berücksichtigung nachträglicher wirtschaftlicher Verwendungsanteile.110 Für im Privatvermögen belassene Anteile verweist er dagegen auf die Lennartz-Grundsätze111 und versagt die Vorsteuerberichtigung. Andererseits bestimmte der EuGH die Reichweite des Unternehmens in der VNLTO-Entscheidung112 tätigkeitsbezogen nach dem Zweck der Einrichtung. In Frage stand, ob ideelle Tätigkeiten unternehmensfremd im Sinne einer 107 Das Merkmal „unternehmenseigen“ bringt zum Ausdruck, dass die Sphäre nicht Ziel von Entnahmen für unternehmensfremde Zwecke sein kann, vgl. dazu oben Schaubild 6, S. 87. 108 Ausführlich zum Zuordnungswahlrecht oben S. 55 ff.; Nachweise der EuGHRechtsprechung S. 55 in Fn 224. 109 Ausführlich zu den Rechtsfolgen der Unternehmenszuordnung oben S. 57 f. 110 EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 32 f.; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 43 f. 111 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795; dazu oben S. 30 f., 54 f. 112 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, dazu ausführlich oben S. 70 f.

129

Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

Verwendungsentnahme sind, vgl. Art. 26 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL. Der EuGH qualifizierte sie als unternehmenseigene Tätigkeiten und grenzte sie von unternehmensfremden, namentlich privaten Tätigkeiten nach dem Zweck der Einrichtung ab: Die private Nutzung eines Gegenstandes sei „begriffsmäßig ein dem Unternehmen des Steuerpflichtigen völlig fremder Zweck“,113 und folglich eine unternehmensfremde Tätigkeit. Dagegen können die ideellen Tätigkeiten der VNLTO „nicht als unternehmensfremd betrachtet werden […], da sie den Hauptzweck dieser Vereinigung darstellen.“114 Ideelle Verwendungsanteile gemischter Eingangsleistungen konnten deswegen keine Entnahmebesteuerung auslösen. Die Eingangsleistungen waren für den Vorsteuerabzug zwingend aufzuteilen. Bereits ein knappes Jahr vorher hatte der EuGH in der Rechtssache Securenta115 einen nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich als unternehmenseigen behandelt, ohne dies jedoch kenntlich zu machen. Die Securenta AG hatte mit Vermögensanlagen jeglicher Art gearbeitet und daraus sowohl steuerbare Umsätze (teils steuerpflichtig, teils steuerfrei) als auch nichtsteuerbare Dividenden und Erträge aus Wertpapierveräußerungen erzielt. Ihre Tätigkeit hatte sie durch Ausgabe von Aktien und Beteiligungen finanziert. Für die damit zusammenhängenden Kosten begehrte sie den vollen Vorsteuerabzug, weil das erworbene Kapital ihrer wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zugute gekommen wäre. Der EuGH rechnete die Aufwendungen dagegen den wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Ausgangstätigkeiten zu und gewährte nur ein anteiliges Vorsteuerabzugsrecht.116 Das Zuordnungswahlrecht mit der Folge vollen Vorsteuerabzugs diskutierte er nicht. Das ließ zwei Erklärungen zu: Entweder der EuGH sah bereits hier einen qualitativen Unterschied zwischen privaten Verwendungsanteilen und Verwendungsanteilen für Zwecke bloßer Beteiligungsverwaltung. Analog zur späteren VNLTO-Entscheidung hätte dieser Unterschied einer Entnahmebesteuerung und damit dem vollen Vorsteuerabzug entgegengestanden. Oder er hielt das Zuordnungswahlrecht nicht für anwendbar, weil er es bisher ausschließlich für Investitionsgüter gewährt hatte,117 hier aber Aufwendungen aus Dienstleistungsverträgen streitig waren.118 Die VNLTO113 114 115 116 117 118

130

EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39. EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597. EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 27 ff. Vgl. S. 55 Fn 224. Vgl. das erstinstanzliche Urteil des Niedersächsischen FG v. 18.10.2001, 5 K 436/96, juris-DokNr. STRE200370958, Tatbestand.

Unternehmenseigene Tätigkeitsbereiche

Entscheidung löste die Frage mit ihrem Verweis auf die SecurentaEntscheidung119 auf: Der Securenta-Entscheidung lag bereits eine VNLTOKonstellation zugrunde.120 Die zweite Erklärung bleibt dennoch möglich. Denn jüngst hat der EuGH eine Übertragung des Zuordnungswahlrechts auf Eingangsdienstleistungen abgelehnt.121 Ein zweckbezogenes Verständnis des Unternehmensbegriffs hat der EuGH auch in der Rechtssache Danfoss und AstraZeneca122 zum Ausdruck gebracht. Die Kläger hatten bei Arbeitssitzungen unentgeltlich Mahlzeiten an Geschäftspartner abgegeben und wendeten sich gegen die Besteuerung als Leistungsentnahmen für unternehmensfremde Zwecke, vgl. Art. 26 Abs. 1 lit. b) MwStSystRL. Der EuGH stellte dafür zunächst die Reichweite der Unternehmenstätigkeit nach Maßgabe des Zwecks der Einrichtungen fest: „Insoweit ist daran zu erinnern, dass es sich bei Danfoss um eine Gesellschaft handelt, die im internationalen Maßstab insbesondere der Wärme- und Kälteregulierung dienende Industrieautomatik herstellt und vermarktet. Bei AstraZeneca handelt es sich um ein Pharmaunternehmen, dessen Hauptzweck der Vertrieb seiner pharmazeutischen Produkte auf dem dänischen Markt ist.“123 Die Qualifikation dieser Tätigkeiten als unternehmenseigen war hier nicht problematisch. Das Problem lag in der tatsächlichen Feststellung, ob die Bewirtungsleistungen der jeweiligen Unternehmenstätigkeit dienten oder nur einen Privatbedarf der Geschäftspartner decken sollten. Nach dem EuGH seien unternehmenseigene Zwecke nur anzuerkennen, wenn die Bewirtungsleistungen nach den objektiven Umständen für strikt geschäftliche Zwecke erfolgt waren. Das müsse das vorlegende Gericht prüfen.124

119 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839 Rn 35. 120 Vgl. Korn, DStR 2009, 372, 373; Ehrke-Rabel, ÖStZ 2010, 97, 98; auch Eggers/Korf, DB 2008, 719, 721, die die Securenta-Entscheidung auf gemischt wirtschaftlich und hoheitlich verwendete Eingangsleistungen übertragen (Beispiel Bäckermeister/Bürgermeister). 121 EuGH v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, dazu oben S. 56 bei Fn 227. 122 EuGH v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549. 123 EuGH v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549, Rn 52. 124 EuGH v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549, Rn 55.

131

Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

2.

Unterschiedliche Interpretation der EuGH-Rechtsprechung durch BFH und Literatur

Aus der EuGH-Rechtsprechung werden unterschiedliche Schlüsse für die Bestimmung der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre gezogen. Dabei lassen sich drei Ansätze unterscheiden, die sich jedoch nicht trennscharf voneinander abgrenzen lassen: Die bisher überwiegenden Stimmen beschränken die unternehmensfremde Sphäre auf private Tätigkeiten. Unternehmenseigene Tätigkeiten sind demnach nicht-private Tätigkeiten (unter a.). Nach einem zweiten Ansatz muss die Unternehmenszugehörigkeit einer nicht-wirtschaftlichen Tätigkeit positiv nach dem Zweck der Einrichtung festgestellt werden (unter b.). Schließlich werden aus der Lennartz-Rechtsprechung125 Rückschlüsse auf die Qualifikation einer Tätigkeit gezogen. Versagt der EuGH demnach die Vorsteuerberichtigung bei nachträglicher Erhöhung des wirtschaftlichen Verwendungsanteils einer Eingangsleistung, soll die ursprüngliche nicht-wirtschaftliche Verwendung unternehmensfremd sein (unter c.). a.

Ausschließlich private Tätigkeiten sind unternehmensfremd

Nach herrschender Lehre sind seit der VNLTO-Entscheidung ausschließlich private Tätigkeiten als unternehmensfremd zu qualifizieren.126 Der BFH scheint diese Ansicht zu teilen. Denn er beschränkt das Zuordnungswahlrecht seit der VNLTO-Entscheidung auf Fälle privater Mitverwendung von Investitionsgütern.127 Der EuGH hat das Zuordnungswahlrecht zwar bisher auch ausschließlich in Fällen privater Mitverwendung gewährt.128 Unterstellt man aber die Existenz anderer Formen unternehmensfremder Mitverwendung, wäre insoweit zu prüfen, ob das Zuordnungswahlrecht zu übertragen ist. Das tut der BFH nicht. Bei nicht-wirtschaftlicher Mitverwendung schließt er das Zuordnungswahlrecht von Vornherein aus, wenn es sich nicht um eine private Mitverwendung handelt. Uneinigkeit besteht hier im Detail hinsichtlich der Reichweite privater Zwecke. Nach der engeren Auffassung umfassen sie nur den Privatbereich

125 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795; dazu oben S. 30 f., 54 f. 126 Stadie, UR 2011, 125, 142; Lohse, IStR 2009, 486, 489; Reiß, UR 2010, 797, 812; Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1509; Ransiek, UStB 2011, 223, 229; vgl. auch Lippross, DStZ 2012, 320, 328, der die BFH-Rspr. in diesem Sinn zusammenfasst. 127 BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.d); v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.1.d); v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, unter II.1.c). 128 Vgl. die entsprechende EuGH-Rspr. S. 55 in Fn 224.

132

Unternehmenseigene Tätigkeitsbereiche

des Steuerpflichtigen und den seines Personals.129 In diesem Sinn beschränkt der 5. BFH-Senat das Zuordnungswahlrecht auf gemischte Eingangsleistungen für wirtschaftliche und private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines Personals.130 Folgt man dieser Ansicht, können juristische Personen keinen eigenen unternehmensfremden Bereich haben131 und das Merkmal „unternehmensfremder Zwecke“ in den Entnahmetatbeständen wäre bedeutungslos.132 Nach der weiteren Auffassung ist auch die Deckung des Privatbedarfs von Gesellschaftern und dritten Personen ein privater Zweck.133 In diesem Sinn gewährte der 11. BFH-Senat einer GmbH ein Zuordnungswahlrecht, wenn sie ein Haus zur gemischten Nutzung für wirtschaftliche Zwecke und für private Wohnzwecke ihrer Gesellschafter errichtet.134 Demnach haben auch juristische Personen einen unternehmensfremden Bereich und „unternehmensfremde Zwecke“ behalten eine eigenständige Bedeutung. Der Ansatz beruht vordergründig auf der EuGH-Rechtsprechung zum Zuordnungswahlrecht. Es wird unterstellt, das Zuordnungswahlrecht gelte grundsätzlich für jede Form unternehmensfremder Mitverwendung.135 Da der EuGH das Zuordnungswahlrecht aber bisher ausschließlich bei privater Mitverwendung gewährt hat,136 sei die unternehmensfremde Sphäre auf private Tätigkeiten beschränkt. Darüber hinaus wird auf den weiten Unternehmensbegriff der VNLTO-Entscheidung verwiesen, der nur noch private Tätigkeiten ausschließe.137 Teilweise wird dafür auch ein Unternehmensbegriff im „rein technisch-organisatorischen (betriebswirtschaftlichen) Sinne“ zugrunde gelegt.138 Bestätigung wird schließlich in den Vorschriften

129 Vgl. Stadie, UR 2011, 125, 142. 130 BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.d); v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.1.d); v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, unter II.1.c); vgl. dazu Lippross, DStZ 2012, 320, 327. 131 Stadie, UR 2011, 125, 142; Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1509. 132 Lohse, IStR 2009, 486, 489; Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1509. 133 Vgl. dazu Reiß, UR 2010, 797, 808 f., 810, 811, der auf den fortbestehenden Anwendungsbereich „unternehmensfremder Zwecke“ insbesondere bei Zuwendungen an andere Personen hinweist. 134 BFH v. 12.1.2011, XI R 9/08, BFHE 232, 254, unter II.3.c)bb). Art. 168a MwStSystRL galt im Streitjahr noch nicht. 135 BFH v. 12.1.2011, XI R 9/08, BFHE 232, 254, unter II.2.; Reiß, UR 2010, 797, 800; Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1509; Lippross, DStZ 2012, 320, 328 f. 136 Vgl. die EuGH-Rechtsprechung auf S. 55 in Fn 224. 137 Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1509 f. 138 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 47, 602, § 15 Rn 404; ders. UR 2011, 125, 142.

133

Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

zum Dienstleistungsort gesucht.139 Für die Bestimmung des Dienstleistungsortes gilt nach Art. 43 Nr. 1 MwStSystRL ein gemischt tätiger Steuerpflichtiger für alle an ihn erbrachten Dienstleistungen als Steuerpflichtiger. Diese Fiktion hebt Art. 19 MwSt-DVO140 wieder auf, wenn der Steuerpflichtige die Dienstleistung ausschließlich zum privaten Gebrauch empfängt, einschließlich zum Gebrauch durch sein Personal. Ein Leistungsbezug für ausschließlich unternehmensfremde Zwecke wird dabei nicht geregelt. Darin zeige sich, dass unternehmensfremde Zwecke keinen eigenständigen Inhalt haben. b.

Unternehmenseigene Tätigkeiten sind nach dem Zweck der Einrichtung positiv festzustellen

Der zweite Ansatz orientiert sich strenger an den Auslegungsvorgaben der VNLTO-Entscheidung für den Unternehmensbegriff. Demnach ist für die Unternehmenszugehörigkeit einer nicht-wirtschaftlichen Tätigkeit der Unternehmenszweck festzustellen.141 Bei juristischen Personen sei der Unternehmenszweck der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag zu entnehmen. Bei natürlichen Personen könne er beispielsweise den Anmeldungen zum Handelsregister oder der Gewerbeanmeldung entnommen werden. Maßgeblich sei eine „Nähe zu dem Erwerb“ im Sinne der wirtschaftlichen Tätigkeit. Der Unternehmenszweck habe keine starre Grenze. Der Steuerpflichtige könne ihn erweitern oder vermindern. c.

Lennartz-Grundsätze gelten nur für unternehmensfremde Tätigkeiten

In der Lennartz-Entscheidung142 versagte der EuGH für einen Leistungsbezug im Privatbereich die Möglichkeit zur Vorsteuerberichtigung, wenn sich der wirtschaftliche Verwendungsanteil nachträglich erhöht. Im Jahr 2005 übertrug er diese Rechtsprechung in der Rechtssache Waterschap Zeeuws Vlaanderen143 auf einen Leistungsbezug im hoheitlichen Bereich. Literaturstimmen folgern daraus, hoheitliche Tätigkeit müsste eigentlich als unternehmensfremd qualifiziert werden. Weil dies aber der VNLTOEntscheidung widerspreche, sei davon auszugehen, dass der EuGH die 139 Lohse, IStR 2009, 486, 487, 489; vgl. auch Lippross, DStZ 2012, 320, 324 f.; ders., Umsatzsteuer, S. 460; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 602. 140 Vgl. auch bereits Erwägungsgrund 4 S. 4 der Dienstleistungsortrichtlinie 2008/8/EG v. 12.2.2008, Abl. EU 2008, L 44/11. 141 Korf/Kurtz, UR 2010, 86, 100; vgl. auch Reiß, UR 2010, 797, 811 f. 142 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795; dazu oben S. 30 f., 54 f. 143 EuGH v. 2.6.2005, C-378/02, Waterschap Zeeuws Vlaanderen, Slg 2005, I-4685.

134

Unternehmenseigene Tätigkeitsbereiche

Waterschap-Entscheidung144 stillschweigend aufgegeben habe.145 Nach diesem Ansatz gelten die Lennartz-Grundsätze nur bei Leistungsbezügen für unternehmensfremde Zwecke. Wendet der EuGH sie in Zukunft auf andere als private Tätigkeiten an, sind diese Tätigkeiten folglich als unternehmensfremd zu qualifizieren.

3.

Eigene Interpretation: Definition des Unternehmens nach dem Zweck der Einrichtung

Die unternehmenseigene Sphäre ist anhand der tätigkeitsbezogenen Unternehmensdefinition des EuGH abzugrenzen. Demnach gehören nur Tätigkeiten innerhalb des Zwecks der Einrichtung zum Unternehmen. Unbeachtlich sind dagegen insoweit die EuGH-Rechtsprechung zum Zuordnungswahlrecht, die Lennartz-Rechtsprechung146 und die Diensleistungsortbestimmungen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (unter a.). Auf dieser Grundlage setzt ein Unternehmen eine Einrichtung voraus, die zumindest in geringem Umfang wirtschaftlich tätig ist. Unternehmenseigene Tätigkeiten können nur solche sein, die der Einrichtung zurechenbar sind (unter b.). Des Weiteren umfasst das Unternehmen nur Tätigkeiten innerhalb der Zweckbestimmung der Einrichtung. Die Bandbreite möglicher Unternehmenszwecke ist weit. Grundsätzlich ist jede von der Einrichtung vorgenommene Tätigkeit Ausdruck eines entsprechenden Unternehmenszwecks (unter c.). Ausgenommen sind jedoch illegale und sittenwidrige nicht-wirtschaftliche Zweckbestimmungen sowie der Zweck fremder Bedarfsdeckung durch unentgeltliche Leistungen. Insofern sind unternehmensfremde Zwecke nicht auf private Zwecke beschränkt147 (unter d.). Diesem Begriffsverständnis des Unternehmens folgt die Reichweite des Unternehmensvermögens.148 Es bezeichnet die der Einrichtung zurechenbaren Vermögenswerte, soweit sie dem Unternehmenszweck dienen (unter e.). a.

Tätigkeitsbezogener Unternehmensbegriff ist ausschließlich maßgeblich

In den Rechtssachen VNLTO und Danfoss und AstraZeneca hat der EuGH jeweils spezifisch den Unternehmensbegriff der Entnahmetatbestände

144 145 146 147 148

EuGH v. 2.6.2005, C-378/02, Waterschap Zeeuws Vlaanderen, Slg 2005, I-4685. Reiß, UR 2010, 797, 806 f., 811; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 414. EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795; dazu oben S. 30 f., 54 f. Ebenso Klenk, UR 2012, 663, 666 f. Ebenso Lippross, Umsatzsteuer, S. 468 f.

135

Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

ausgelegt.149 Dabei stellte er in beiden Fällen auf die Tätigkeit der Einrichtung innerhalb ihres Zwecks ab. Nach Maßgabe dieser Entscheidungen ist der Unternehmensbegriff zu bestimmen. Dagegen bringt die EuGH-Rechtsprechung zum Zuordnungswahlrecht150 für den Unternehmensbegriff der Entnahmetatbestände keine Erkenntnis. Zum einen meint eine Zuordnung zum Unternehmensvermögen in diesem Sinn – wie bereits ausgeführt151 – nur das wirtschaftlichen Zwecken dienende Unternehmensvermögen. Zum anderen kann nicht von der Reichweite des Zuordnungswahlrechts auf die Reichweite der Entnahmebesteuerung rückgeschlossen werden.152 Denn das Zuordnungswahlrecht ist ein richterrechtliches Ausnahmemodell aus Neutralitätsgründen. Der EuGH rechtfertigt es mit der Berücksichtigungsfähigkeit nachträglicher wirtschaftlicher Verwendungsanteile.153 Dieser Zweck bestimmt ausschließlich über seine Reichweite. Die Möglichkeit einer Entnahmebesteuerung hinsichtlich des nicht-wirtschaftlichen Verwendungsanteils ist zwar auf zweiter Stufe Voraussetzung für den vollen Vorsteuerabzug.154 Das heißt jedoch nicht, dass bei der Möglichkeit zur Entnahmebesteuerung auf zweiter Stufe immer ein Zuordnungswahlrecht auf erster Stufe besteht. In diesem Sinne hat der EuGH es bisher ausschließlich bei privater Mitverwendung eines Investitionsgutes gewährt,155 nicht dagegen allgemein bei unternehmensfremder Mitverwendung. Auch die Lennartz-Rechtsprechung ist für die Bestimmung des Unternehmensbegriffs unbeachtlich. Die Anwendung der Lennartz-Grundsätze bedeutet nur, dass die Tätigkeit nicht-wirtschaftlicher Art ist. Denn bei Eingangsleistungen für nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten, gleichgültig ob unternehmenseigen oder unternehmensfremd, entsteht kein Recht zum Vorsteuerabzug, was Voraussetzung für eine nachträgliche Vorsteuerberichtigung wäre.156 Dementsprechend stellt der EuGH in den Entscheidungen Lennartz und Waterschap darauf ab, dass der Steuerpflichtige bei Leistungsbezug nicht „als solcher“, d. h. nicht für Zwecke seiner wirtschaftlichen 149 150 151 152 153 154 155 156

136

Dazu oben S. 129 ff. Dazu oben S. 102 und S. 55 Fn 224. Ausführlich oben S. 102 f. Zur gegenteiligen Auffassung oben S. 133 bei Fn 135. Vgl. oben S. 61 f. Vgl. zu diesem zweistufigen Verständnis des EuGH oben S. 59 f. Vgl. die EuGH-Rechtsprechung auf S. 55 in Fn 224. Eingehend zur Anwendung der Lennartz-Grundsätze auf Leistungsbezüge in der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre unten S. 255 ff.

Unternehmenseigene Tätigkeitsbereiche

Tätigkeiten, gehandelt hat.157 Nur in Entscheidungen zu gemischten Eingangsleistungen für wirtschaftliche und private Zwecke erklärt der EuGH die Unternehmenszuordnung zur Voraussetzung der Berichtigung.158 Dabei meint Unternehmenszuordnung aber eine Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensbereich. Hier setzt sich die begriffliche Ungenauigkeit im Zusammenhang mit dem Zuordnungswahlrecht fort.159 Aus der Waterschap-Entscheidung lässt sich daher nicht auf die Unternehmensfremdheit hoheitlicher Tätigkeit schließen. Ohne Bedeutung für den Unternehmensbegriff sind schließlich auch die Dienstleistungsortbestimmungen.160 Art. 43 Nr. 1 MwStSystRL enthält eine Fiktion eines Handelns „als Steuerpflichtiger“ spezifisch für Zwecke der Bestimmung des Dienstleistungsortes. Wenn der Richtliniengeber die Geltung dieser Fiktion auf bestimmte Bereiche beschränkt,161 kann daraus nicht auf sein Verständnis des Unternehmensbegriffs in den Entnahmetatbeständen geschlossen werden. b.

Unternehmen ist eine Einrichtung mit wirtschaftlichem Tätigkeitsbereich

Unternehmen im Sinne der Entnahmetatbestände ist eine Einrichtung, d. h. eine organisatorischen Einheit.162 Die Einrichtung muss im Mindestmaß wirtschaftlich tätig sein. Dafür genügt es, wenn die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht besteht, eine wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig auszuüben und erste Investitionsausgaben für diese Zwecke getätigt werden.163 Einrichtungen ohne wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich, wie beispielsweise eine reine Finanzholding,164 sind keine Unternehmen. Für sie ist der Anwendungsbereich des Mehrwertsteuerrechts, einschließlich der Entnahmetatbestände, nicht eröffnet. Daher stellt sich die Frage nach der 157 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 15, 19 f.; v. 2.6.2005, C-378/02, Waterschap Zeeuws Vlaanderen, Slg 2005, I-4685, Rn 39. 158 EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 30 ff.; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 39 ff.; 159 Dazu ausführlich oben S. 102. 160 Vgl. dazu oben S. 134. 161 Art. 19 MwSt-DVO; vgl. auch bereits Erwägungsgrund 4 S. 4 der Dienstleistungsortrichtlinie 2008/8/EG v. 12.2.2008, Abl. EU 2008, L 44/11. 162 Vgl. Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 34. 163 St. Rspr. des EuGH: EuGH v. 14.2.1985, C-268/83, Rompelman, Slg 1985, 655, Rn 23 ff.; v. 8.6.2000, C-396/98, Schloßstraße, Slg 2000, I-4279, Rn 36; v. 22.3.2012, C-153/11, Klub, UR 2012, 606, Rn 43, jeweils m. w. N. 164 Vgl. zum Begriff Finanzholding S. 123 Fn 80.

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Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

Verfolgung unternehmensfremder Zwecke nicht. Nach der Gegenauffassung müssen auch rein nicht-wirtschaftlich tätige Einrichtungen ein Unternehmen haben.165 Nur das garantiere im Falle der späteren Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit den nachträglichen Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen. Jedoch ist nach den Lennartz-Grundsätzen166 dafür nicht entscheidend, dass eine Eingangsleistung für das Unternehmen im Sinne der Entnahmetatbestände bezogen wurde. Vielmehr muss sie von einem Steuerpflichtigen „als solchen“ bezogen worden sein.167 Wollte man einen Nicht-Steuerpflichtigen als Unternehmen verstehen, wäre ein nachträglicher Vorsteuerabzug daher trotzdem ausgeschlossen. Als Unternehmenstätigkeiten kommen nur der Einrichtung zurechenbare Tätigkeiten in Betracht. Das schließt Tätigkeiten anderer Personen aus, auch von Personal und von Gesellschaftern des Unternehmensträgers. Ebenso wenig ist die private Tätigkeit des Steuerpflichtigen der Einrichtung zurechenbar. Eine natürliche Person behält nach Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit ihren Privatbereich und steht insoweit dem Unternehmen als Einrichtung wie eine andere Person gegenüber. c.

Unternehmenszweck kann grundsätzlich jeder denkbare Satzungszweck sein

Der EuGH verfolgt ein weites Verständnis möglicher Unternehmenszwecke. Zum einen benennt er als unternehmensfremdes Gegenstück ausdrücklich nur den Privatbereich.168 Zum anderen begründet er die Unternehmenszugehörigkeit ideeller Tätigkeit in der VNLTO-Entscheidung allein mit der Verfolgung ihres Satzungszwecks.169 Zwar betraf die Entscheidung einen Unternehmerverband. Dessen Satzungszweck stand im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit seiner Mitglieder.170 Für die Unternehmenszugehörigkeit der satzungsmäßigen Tätigkeit kam es dem EuGH aber nicht auf diesen mittelbaren Zusammenhang zu wirtschaftlicher Tätigkeit an. Er stellte auf die Wahrnehmung der allgemeinen Interessen der Mitglieder ab und dass dies der Hauptzweck der VNLTO sei.171 Daraus ist abzuleiten: Eine

165 166 167 168 169 170 171

138

Stadie in /R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 404, 415. EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795; dazu oben S. 30 f., 54 f. Vgl. oben S. 137 bei Fn 157. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39 1. Teil. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39 2. Teil. Darauf weist insbesondere Lippross, DStZ 2012, 320, 325 hin. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39 2. Teil.

Unternehmenseigene Tätigkeitsbereiche

Tätigkeit ist unternehmenseigen, wenn der verfolgte Zweck satzungsmäßiger Hauptzweck der Vereinigung ist. Ein Unternehmenszweck muss aber nicht zwingend der Hauptzweck der Einrichtung sein.172 Es lässt sich nicht rechtfertigen, wenn eine Einrichtung mit ideellem Hauptzweck bei der Entnahmebesteuerung anders behandelt wird als eine Einrichtung mit demselben ideellen Zweck als Nebenzweck. Zwar erklärt der EuGH die ideelle Tätigkeit der VNLTO als unternehmenseigen, weil sie ihr Hauptzweck ist.173 Auch in Sachen Danfoss und AstraZeneca stellte der EuGH auf den Hauptzweck ab.174 Für die von der Securenta AG erzielten Beteiligungserträge traf der EuGH dagegen keine entsprechenden Feststellungen. Der Anteil der Erträge (ca. 1,6 Mio. DM) am Gesamtumsatz (knapp 6,5 Mio. DM) spricht hier eher für einen Nebenzweck.175 Unternehmenszwecke müssen auch nicht ausdrücklich benannt sein. Wenn eine Einrichtung eine Tätigkeit ausübt, bringt sie schon allein dadurch konkludent einen entsprechenden Unternehmenszweck zum Ausdruck. Die tatsächlichen Gegebenheiten entscheiden über die rechtliche Qualifikation einer Tätigkeit176 und nicht die Unternehmensleitung durch Benennung bzw. Nichtbenennung eines entsprechenden Unternehmenszwecks. Ein Industrieunternehmen übt beispielsweise eine unternehmenseigene Tätigkeit aus, wenn es gelegentlich Informationsveranstaltungen organisiert, um das Interesse der Öffentlichkeit für Wirtschaftsfragen zu fördern. Dafür muss die Öffentlichkeitsarbeit nicht im Gesellschaftsvertrag, der Gewerbeanmeldung oder anderen offiziellen Dokumenten niedergelegt sein. d.

Ausgenommen sind illegale und sittenwidrige nichtwirtschaftliche Zwecke sowie der Zweck fremder Bedarfsdeckung durch unentgeltliche Leistungen

Für gesetzeswidrige und sittenwidrige Zweckbestimmungen ist zwischen wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Bereichen zu unterscheiden. Bei wirtschaftlichen Tätigkeiten hat ein gesetzes- oder sittenwidriges Verhalten grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Qualifikation. Sie bleiben

172 Vgl. Küffner/von Streit, DStR 2012, 581, 587. Offen Swinkels, VAT Monitor 2009, 285, 287. 173 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39. 174 EuGH v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549, Rn 52. 175 Vgl. EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 12. 176 Vgl. Küffner/von Streit, DStR 2012, 581, 587.

139

Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

wirtschaftlich177 und gehören damit zwingend zum Unternehmen.178 Beispielsweise ist ein Parfümhändler auch dann wirtschaftlich und damit unternehmenseigen tätig, wenn er nachgeahmte Parfümeriewaren verkauft und dadurch gegen gewerbliche Schutzrechte verstößt.179 Nichtwirtschaftliche Bereiche sind dagegen bei gesetzes- oder sittenwidriger Zweckbestimmung unternehmensfremd.180 Denn eine solche Zweckbestimmung kann nicht rechtmäßiger Satzungszweck der Einrichtung sein.181 Dazu gehören insbesondere Händlertätigkeiten mit illegalen Waren, wie Haschisch, Amphetaminen oder Falschgeld.182 Ihr Vertrieb steht nicht in Wettbewerb zu einem legalen Wirtschaftssektor und ist daher ausnahmsweise nicht-wirtschaftlich und nicht steuerbar.183 Da solcher Vertrieb auch kein möglicher Satzungszweck ist, ist die Tätigkeit unternehmensfremd. Gleiches würde beispielsweise gelten, wenn eine Einrichtung die Förderung rechter Gewalt zum (rechtswidrigen) Satzungszweck erklärt. Darüber hinaus ist der Zweck unentgeltlicher fremder Bedarfsdeckung – insbesondere des Privatbedarfs des Steuerpflichtigen und anderer Personen – unternehmensfremd.184 Legt beispielsweise ein Industrieunternehmen in seinem Gesellschaftsvertrag fest, einen prozentualen Anteil der hergestellten Produkte an den Steuerpflichtigen oder an das Unternehmen eines 177 EuGH v. 28.5.1998, C-3/97, Godwin und Unstead, Slg 1998, I-3257, Rn 9 ff.; v. 29.6.2000, C-455/98, Salumets, Slg 2000, I-4993, Rn 19; v. 14.7.2005, C-435/03, British American Tobacco International u.a., Slg 2005, I-7077, Rn 38; vgl. auch § 40 AO. 178 Vgl. oben S. 88. 179 Vgl. EuGH v. 28.5.1998, C-3/97, Godwin und Unstead, Slg 1998, I-3257, Rn 14 ff. 180 Vgl. zu per se illegalen Tätigkeiten Englisch, USt-Kongress-Bericht, 2010, S. 25, 43. 181 Vgl. zur Gesamtnichtigkeit eines Vereins bei gesetzes- oder sittenwidrigem Satzungszweck Ellenberger in Palandt, BGB, § 25 Rn 5; zu Erwerbsgesellschaften: Sprau in Palandt, BGB, § 705, Rn 20. 182 Englisch, USt-Kongress-Bericht, 2010, S. 25, 43. 183 EuGH v. 5.7.1988, C-289/86, Vereniging Happy Family Rustenburgerstraat, Slg 1988, I-655, Rn 17 ff; v. 5.7.1988, C-269/86, Mol, Slg 1988, I-3627, Rn 15 ff.; v. 11.6.1998, C-283/95, Fischer, Slg 1998, I-3369, Rn 19 ff.; vgl. auch EuGH v. 6.12.1990, C-343/89, Witzemann, Slg 1990, I-4477, Rn 17 ff. zur Einfuhr von Falschgeld; Übersicht der einschlägigen EuGH-Rspr. bei Terra/Kajus, European VAT Directives 1, S. 296 ff. 184 Vgl. zur Unternehmensfremdheit unentgeltlicher Wohnraumüberlassung an Gesellschafter Geschäftsführer einer GmbH: BFH v. 12.1.2011, XI R 9/08, BFHE 232, 254, unter II.3.c)bb); dazu bereits oben S. 77 f. bei Fn 76. Vgl. auch GA Mengozzi, Schlussanträge v. 22.12.2008 in der Rs. C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 55.

140

Unternehmenseigene Tätigkeitsbereiche

Familienangehörigen abzugeben, verfolgt es damit unternehmensfremde Zwecke. Dass sich das Industrieunternehmen diesem Zweck verschrieben hat, macht ihn nicht zum Unternehmenszweck.185 Der Grund dafür liegt in den Entnahmetatbeständen selbst. Sie erfassen gerade unentgeltliche Leistungen des Steuerpflichtigen zur Deckung eines unternehmensfremden Bedarfs. Der Steuerpflichtige kann der Besteuerung nicht dadurch entgegen, dass er die unentgeltliche Deckung eines fremden Bedarfs, mithin einen reinen Entnahmezweck, zum Unternehmenszweck erklärt. Der Zweck unentgeltlicher fremder Bedarfsdeckung kann aber von anderen, unternehmenseigenen Zwecken überlagert sein. Klassische Fälle sind unentgeltliche Bewirtungsleistungen im Rahmen von geschäftlichen Besprechungen,186 Leistungen an das Personal zur Ermöglichung der Arbeitstätigkeit187 oder Warenmuster und Werbegeschenke an Kunden und Geschäftspartner.188 Die Deckung eines fremden Bedarfs ist dann bloßer Nebeneffekt. Solche unentgeltlichen Leistungen sind unselbstständige Einzelvorgänge in dem Tätigkeitsbereich, für dessen Zweck sie erfolgen. Verteilt beispielsweise der Nahrungsmittelhersteller „Prêt à manger“ in London überschüssige Sandwiches an Bedürftige,189 deckt er damit einen unternehmensfremden Bedarf durch unentgeltliche Leistungen. MarketingZwecke überlagern hier jedoch den Zweck fremder Bedarfsdeckung. Die Abgabe der Speisen ist daher nicht als Entnahme für unternehmensfremde Zwecke steuerbar.190

185 Vgl. auch das Beispiel bei Terra/Kajus, European VAT Directives 1, S. 474, die sich fragen, ob der von Anfang an erklärte Zweck, einen Ferienbungalow hauptsächlich privat zu nutzen, einen Unternehmenszweck darstellt. Dies ist zu verneinen. 186 EuGH v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549. 187 EuGH v. 16.10.1997, C-258/95, Fillibeck, Slg 1997, I-5577, insb. Rn 29 ff., zu Transportleistungen zur Arbeitsstätte; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 52; BFH v. 27.2.2008, XI R 50/07, BFHE 221, 410, unter II.2.b)bb) zur Überlassung von Arbeitskitteln an Personal in einem Metzgereibetrieb; Wäger, JbFfSt 11/12, S. 595, 631 zu Schulungsveranstaltungen. 188 Vgl. Art. 16 S. 2 MwStSystRL, § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG; dazu EuGH v. 30.9.2010, C-581/08, EMI Group, Slg 2010, I-8607; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 446. 189 Vgl. www.pret.com/pret_foundation_trust/charity_run.htm. 190 Da es sich um Geschenke von geringem Wert handelt, ist hier auch eine Besteuerung als unentgeltliche Zuwendung für unternehmenseigene Zwecke gem. Art. 16 Alt. 3 MwStSystRL, § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG ausgeschlossen.

141

Bestimmung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche

Fremder Bedarf kann auch ein wirtschaftlicher Bedarf des Leistungsempfängers sein.191 Schenkt beispielsweise ein Steuerpflichtiger einem Industrieunternehmen zu dessen 10-jährigen Betriebsjubiläum einen Gutschein für Unternehmensberatungsleistungen, deckt er damit einen Unternehmensbedarf des Empfängers. Die Zuwendung deckt aber einen der Einrichtung nicht zurechenbaren und daher unternehmensfremden Bedarf. Erfolgt sie allein zu diesem Zweck, ist sie als Leistungsentnahme steuerbar. Auch hier können aber eigene Werbezwecke den Zweck fremder Bedarfsdeckung überlagern,192 insbesondere, wenn das Industrieunternehmen ein potenzieller Kunde ist. e.

Unternehmensvermögen richtet sich nach der zweckdefinierten Unternehmenstätigkeit

Die Reichweite des Unternehmensvermögens entspricht der Reichweite des zweckdefinierten Unternehmensbegriffs. In seiner Rechtsprechung zum Zuordnungswahlrecht spricht der EuGH alternativ von einer Zuordnung zum Unternehmensvermögen,193 einer Zuordnung zum Unternehmen,194 und einer Zuordnung zur unternehmerischen Tätigkeit.195 Dabei meint er zwar nur das wirtschaftliche Unternehmensvermögen.196 Seine Terminologie verdeutlicht aber den Gleichlauf des (wirtschaftlichen) Unternehmensvermögens und des (wirtschaftlichen) Unternehmens. Unternehmensvermögen ist alles der Einrichtung zuzurechnende Vermögen, das der Ausübung ihrer Unternehmenstätigkeit dient. Nicht der Einrichtung zuzurechnen ist das Privatvermögen des Steuerpflichtigen und das Vermögen anderer Personen. Im Übrigen entscheidet der Unternehmenszweck. Beispielsweise sind Eingangsleistungen für den ideellen Bereich Unternehmensvermögen. Der EuGH spricht von „Gegenständen und 191 So auch Jakob, Umsatzsteuer, Rn 958 mit Verweis auf BFH v. 28.2.1991, V R 12/85, BFHE 164, 485, unter 4.; Husmann, UR 1991, 285, 286, unter 4. 192 Vgl. EuGH v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549, Rn 55, wonach Zuwendungen an Geschäftspartner nur unternehmenseigen sind, wenn sie „für strikt geschäftliche Zwecke“ erfolgen. 193 EuGH v. 8.3.2001, C-415/98, Bakcsi, Slg 2001, I-1831, Rn 28; v. 21.4.2005, C-25/03, HE, Slg 2005, I-3123, Rn 46, 52; v. 14.7.2005, C-434/03, Charles und Charles Tijmens, Slg 2005, I-7037, Rn 23; v. 14.9.2006, C-72/05, Wollny, Slg 2006, I-8297, Rn 21. 194 EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 19 ff.; v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, Rn 40 ff. 195 EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 43. 196 Vgl. oben S. 102 f.

142

Unternehmenseigene Tätigkeitsbereiche

Dienstleistungen …, die dem Unternehmen für die Zwecke anderer als der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen zugeordnet sind.“197 Einer über die Verwendungszweckbestimmung hinausgehende Zuordnungsentscheidung zum Unternehmen bedarf es dabei nicht.198

4.

Fazit und Schaubild des Unternehmens

Mit Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit durch einen Steuerpflichtigen entsteht ein Unternehmen. Es bezeichnet eine Einrichtung und alle Tätigkeiten innerhalb des Einrichtungszwecks. Dazu gehören alle wirtschaftlichen Tätigkeitsbereiche. Nicht-wirtschaftliche Tätigkeitsbereiche gehören dazu, wenn sie vom Satzungszweck der Einrichtung gedeckt sind oder ein entsprechender Satzungszweck denkbar ist. Ausgenommen sind insbesondere illegale und sittenwidrige Zwecke sowie der reine Zweck unentgeltlicher fremder Bedarfsdeckung. Das Unternehmensvermögen umfasst alles der Unternehmenstätigkeit dienende Vermögen. Unternehmensfremd sind der Privatbereich des Steuerpflichtigen, seine Tätigkeitsbereiche außerhalb des Unternehmenszwecks und alle Tätigkeiten dritter Personen. Dementsprechend umfasst das unternehmensfremde Vermögen das Privatvermögen des Steuerpflichtigen, das Vermögen für Tätigkeiten außerhalb des Unternehmenszwecks und das Vermögen dritter Personen.

197 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 40. 198 Vgl. zum Unterschied zwischen der Zweckbestimmung einer Eingangsleistung und ihrer Zuordnung oben S. 48 f.

143

Vermögen Dritter

Privatvermögen

UNTERNEHMENSFREMDES VERMÖGEN

Dritte

Privatbereich

wirtschaftl. Zwecken dienend

nicht-wirtschaftl. Zwecken dienend

UNTERNEHMENSVERMÖGEN

nicht-wirtschaftl. wirtschaftl. Tätigkeitsbereiche Tätigkeitsbereiche

Einrichtungszweck

Einrichtung

außerhalb der Einrichtung

Arbeitnehmer

UNTERNEHMEN

UNTERNEHMENSFREMD

Steuerpflichtiger

Schaubild 14: Das Unternehmen im Sinne der VNLTO-Entscheidung

nicht-wirtschaftl. Zwecken dienend

UNTERNEHMENSFREMDES VERMÖGEN

nicht-wirtschaftl. Tätigkeitsbereiche

außerhalb des Einrichtungszwecks

UNTERNEHMENSFREMD

4. Kapitel: Anwendungsfälle und Abgrenzung Eine abschließende Darstellung aller denkbaren nicht-wirtschaftlichen Tätigkeiten eines Steuerpflichtigen und ihrer Qualifikation ist naturgemäß nicht möglich. Die folgende Untersuchung beschränkt sich auf eine Auswahl der wesentlichen Fälle, insbesondere solcher, die die Rechtspraxis als VNLTO-gleich1 qualifiziert hat. Dabei zeigt sich, dass nur wenige nichtwirtschaftliche Tätigkeiten tatsächlich einen nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Tätigkeitsbereich begründen (unter I.). Andererseits gibt es deutlich mehr unternehmensfremde Tätigkeitsbereiche als den Privatbereich des Steuerpflichtigen und seines Personals (unter II.). Überwiegend sind nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten aber unselbstständige Einzeltätigkeiten und müssen einem bestehenden Tätigkeitsbereich zugeordnet werden (unter III.). Gesondert dargestellt werden die verschiedenen Leistungsbeziehungen zwischen einer Gesellschaft und ihren Gesellschaftern. Sie sind je nach Fallkonstellation und Blickwinkel ganz unterschiedlich zu qualifizieren (unter IV.).

I.

Nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Bereiche

Für die Feststellung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeitsbereiche geben die im 3. Kapitel entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe ein dreistufiges Prüfungsschema vor: Im ersten Schritt ist die NichtWirtschaftlichkeit der Einzeltätigkeiten festzustellen. Im zweiten Schritt müssen die Einzeltätigkeiten einen eigenständigen Tätigkeitsbereich begründen. Im dritten Schritt folgt die Qualifikation des Bereichs als unternehmenseigen. Auf dieser Grundlage lassen sich vier einschlägige Bereiche ausmachen: der ideelle Bereich (unter 1.), der hoheitliche Bereich (unter 2.), der Bereich bloßer Vermögensverwaltung, einschließlich bloßer Beteiligungsverwaltung (unter 3.) und der Bereich echten Factorings mit zahlungsgestörten Forderungen (unter 4.). In allen Fällen ist Voraussetzung, dass im Mindestmaß auch eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird. Anderenfalls ist der Anwendungsbereich des Mehrwertsteuerrechts nicht eröffnet und es gibt kein Unternehmen im mehrwertsteuerlichen Sinn.2

1 2

EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. Vgl. oben S. 137 f.

145

Anwendungsfälle und Abgrenzung

1.

Der ideelle Bereich

Der ideelle Bereich ist seit der VNLTO-Entscheidung3 der klassische nichtwirtschaftliche unternehmenseigene Bereich. Die ideellen Einzeltätigkeiten verfolgen die Gesamtbelange der Mitglieder und keine individualisierten Einzelinteressen. Insofern sind die Mitgliederbeiträge kein Entgelt für Leistungen der Einrichtung.4 Da Eingangsleistungen für ideelle Zwecke einen Vorsteuerabzug ausschließen, besteht ein eigenständiger nichtwirtschaftlicher Bereich. Er verfolgt die satzungsmäßigen Zwecke der Einrichtung und gehört folglich zum Unternehmen.5 Das gilt auch dann, wenn der ideelle Zweck nicht der Hauptzweck der Einrichtung ist oder nicht ausdrücklich benannt ist.6 Dementsprechend ist das ideellen Zwecken dienende Vermögen (nicht-wirtschaftliches) Unternehmensvermögen. Im Spezialfall unentgeltlicher Forschungstätigkeit ist zu differenzieren. Forschung ihrer selbst Willen steht ideeller Tätigkeit gleich.7 Insbesondere sind die Forschungsgelder kein Entgelt für individualisierte Leistungen an die Geldgeber und die Forschung ist ein denkbarer Satzungszweck. Ist die Forschungstätigkeit dagegen auf die Vermarktung der Ergebnisse gerichtet, ist sie eine unselbstständige (vorbereitende) Einzeltätigkeit in dem wirtschaftlichen Vermarktungsbereich.8 Die Forschungskosten berechtigen dann wegen des direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zu der Vermarktung zum Vorsteuerabzug.

2.

Der hoheitliche Bereich ohne Wettbewerbsrelevanz

Hoheitliche Tätigkeit ist die Tätigkeit von Einrichtungen öffentlichen Rechts im Rahmen der eigens für sie geltenden öffentlich-rechtlichen Sonderrege3 4

5 6 7 8

146

EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 34; BFH v. 21.4.1993, XI R 84/90, BFH/NV 1994, 60, unter II.2.; vgl. auch Abschn. 2.10 Abs. 1 S. 1 und S. 2 UStAE, m. w. N.; Englisch, USt-Kongress-Bericht, 2010, S. 25, 41 ff., der dem Leistungscharakter einer Tätigkeit neben der Entgeltlichkeit eigenständige Bedeutung zumisst und ihn für ideelle Tätigkeiten verneint. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39. Vgl. ausführlich oben S. 138 f. Vgl. Abschn. 2.10 Abs. 1 S. 3 UStAE; BFH v. 29.6.2010, V B 160/08, BFH/NV 2010, 1876, unter 1.a), dazu oben S. 72; vgl. auch Schettler, UR 1995, 129, 130, unter 2. Abschn. 2.10 Abs. 1 S. 6, Abs. 9 UStAE, Beispiele 7, 8 und 9; vgl. auch Schettler, UR 1995, 129, 130, unter 2.; weiterhin EuGH v. 20.6.2002, C-287/00, Kommission/Deutschland, Slg 2002, I-5811, Rn 27 ff., 41, zu entgeltlicher Auftragsforschung durch Universitäten.

Nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Bereiche

lungen.9 In der Regel sind hoheitliche Tätigkeiten mangels Entgeltlichkeit schon ihrer Natur nach nicht-wirtschaftlich (originär nicht-wirtschaftlich).10 Steht ihnen jedoch ein Entgelt gegenüber, fingiert Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL grundsätzlich die Nichtwirtschaftlichkeit (fingiert nichtwirtschaftlich). Nur ausnahmsweise bleiben sie wirtschaftlich, wenn die Fiktion zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL. Das betrifft insbesondere solche Tätigkeiten, die auch von privaten Einrichtungen ausgeübt werden können.11 Wirtschaftlicher Natur sind darüber hinaus die in Anhang I der Mehrwertsteuersystemrichtlinie aufgelisteten Tätigkeiten, Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 3 MwStSystRL. Das gilt in richtlinienkonformer Auslegung von § 2 Abs. 3 UStG i. V. m. § 4 KStG auch nach nationalem Recht.12 Hoheitliche Tätigkeit ohne Wettbewerbsrelevanz begründet einen eigenständigen Bereich, weil Eingangsleistungen für hoheitliche Zwecke ein Recht zum Vorsteuerabzug ausschließen.13 Der Bereich gehört zum Unternehmen.14 Die Ausübung öffentlicher Gewalt ist Zweck der öffentlichen Einrichtung, mithin ein Unternehmenszweck. Dem steht die Water-

9

10 11

12 13 14

EuGH v. 17.10.1989, C-231/87, Comune die Carpaneto Piacentino, Slg 1989, I-3233, Rn 16; v. 12.9.2000, C-408/97, Kommission/Niederlande, Slg 2000, I-6417, Rn 35; v. 14.12.2000, C-446/98, Fazenda Pública, Slg 2000, I-11435, Rn 17; v. 8.6.2006, C-430/04, Feuerbestattungsverein Halle, Slg 2006, I-4999, Rn 24; vgl. Ismer/Keyser, UR 2010, 81, 84. Bspw. EuGH v. 8.3.1988, C-102/86, Apple und Pear Development Council, Slg 1988, I-1443, Rn 11 ff. EuGH v. 17.10.1989, C-231/87, C-129/88, Comune die Carpaneto Piacentino, Slg 1989, I-3233, Rn 22; v. 8.6.2006, C-430/04, Feuerbestattungsverein Halle, Slg 2006, I-4999, Rn 24. Vgl. dazu S. 39 f. und zur aktuellen BFH-Rechtsprechung S. 73 f. Abschn. 15.19 Abs. 2, Abs. 3 UStAE; BFH v. 26.4.1990, V R 166/84, BFHE 161, 182, unter II.; v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II., insb. II.3. BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, unter II.1.c. und II.2.b. und v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II.2.d), wo der BFH jeweils die VNLTO-Grundsätze auf gemischt wirtschaftlich und hoheitlich verwendete Eingangsleistungen überträgt. Weiterhin Reiß, UR 2010, 797, 810; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 405; Hundt-Eßwein, UStB 2010, 83, 87; Ehrke-Rabel, ÖStZ 2010, 97, 100. Missverständlich Widmann, BB 2011, 2022, 2023, der von Entnahmen in den hoheitlichen Bereich spricht; Lehr, KSR direkt 2011, Nr. 2, S. 11. Offen: Klenk, UR 2012, 663, 665. A. A. Swinkels, VAT Monitor 2009, 285, 287; ders., VAT Monitor 2010, 194, 196. Überholt ist insofern Abschn. 15.19 Abs. 1 S. 3 UStAE, wo Entnahmen in den hoheitlichen Bereich noch für steuerbar erklärt werden.

147

Anwendungsfälle und Abgrenzung

schap-Entscheidung15 zur Nicht-Berücksichtigung nachträglicher wirtschaftlicher Verwendungsanteile im hoheitlichen Bereich nicht entgegen. Wie bereits ausgeführt16 lässt sich daraus nur die Nicht-Wirtschaftlichkeit hoheitlicher Tätigkeit ableiten, nicht ihre Unternehmensfremdheit. Hoheitlichen Zwecken dienendes Vermögen ist dementsprechend (nichtwirtschaftliches) Unternehmensvermögen.

3.

Der Bereich bloßer Vermögensverwaltung

Der klassische Anwendungsfall bloßer Vermögensverwaltung ist das reine Erwerben, Halten und Veräußern von Beteiligungen, insbesondere durch Finanzholdings.17 „Bloße Beteiligungsverwaltung“ erfolgt ihrer selbst Willen, d. h. zwecks Bezugs von Dividenden und Gewinnanteilen.18 Sie begründet einen nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Tätigkeitsbereich. Der Bereich verliert jedoch in Verbindung mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit (z. B. Wertpapierhandel, entgeltliche Verwaltungsleistungen einer Funktionsholding) seine Selbstständigkeit und ist dann dem wirtschaftlichen Bereich zuzuordnen19 (unter a.). Die Qualifikation bloßer Beteiligungsverwaltung lässt sich verallgemeinern auf andere Formen bloßer Vermögensverwaltung. Das ergibt sich per definitionem: Vermögensverwaltung im mehrwertsteuerlichen Sinn ist ein Gegenbegriff zu wirtschaftlicher Tätigkeit.20 Sie ist insbesondere von der Nutzung von Eigentum zur nachhaltigen Einnahmeerzielung abzugrenzen, vgl. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL.21 Bloße Vermögensverwaltung meint Vermögensverwaltung ihrer selbst Willen, d. h. zwecks Erzielung von Erträgen aus der reinen Eigentumsposition. Werden Eingangsleistungen für diesen Zweck bezogen, ist ein etwaiger Zweckzusammenhang mit besteuerten Umsätzen unterbrochen. Das begründet einen eigenständigen

EuGH v. 2.6.2005, C-378/02, Waterschap Zeeuws Vlaanderen, Slg 2005, I-4685. Oben S. 137 bei Fn 157. Zum Begriff Finanzholding oben S. 123 Fn 80. Vgl. Abschn. 2.3 Abs. 3 S. 5 Nr. 2 UStAE. Dazu unten S. 172 f. Vgl. EuGH v. 20.6.1996, C-155/94, Wellcome Trust, Slg 1996, I-3030, Rn 36 f.; v. 14.11.2000, C-142/99, Berginvest und Floridienne, Slg 2000, I-9567, Rn 28; v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 60. 21 Nach ertragsteuerlichem Verständnis umfasst dagegen Vermögensverwaltung auch die Vermietung von Gegenständen, vgl. § 14 S. 3 AO, vgl. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 17 Rn 43.

15 16 17 18 19 20

148

Nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Bereiche

nicht-wirtschaftlichen Bereich. Als denkbarer Satzungszweck gehört dieser Bereich auch zum Unternehmen. Praktisch gibt es aber, abgesehen von bloßer Beteiligungsverwaltung, nur wenige Anwendungsfälle. Die Unterhaltung von Wirtschaftsgütern als reine Kapitalanlage gehört nur ausnahmsweise dazu. Im Normalfall sind die angelegten Mittel dagegen für eine anderweitige Verwendung bestimmt. Die Anlagetätigkeit ist dann als unselbstständige Einzeltätigkeit gemäß dieser Verwendungsbestimmung zuzuordnen (unter b.). Bei verzinsten Kapitalanlagen aus Unternehmensmitteln sind nach der EuGH-Rechtsprechung die Grenzen der Vermögensverwaltung regelmäßig überschritten und die Tätigkeit ist wirtschaftlicher Art. Ist sie ausnahmsweise nicht-wirtschaftlich, behandelt der EuGH sie als unselbstständige Einzeltätigkeit (unter c.). a.

Bloße Verwaltung von Beteiligungen und Wertpapieren

Das bloße Erwerben, Halten und Veräußern von Beteiligungen sind nichtwirtschaftliche Tätigkeiten.22 Für die Verwaltung sonstiger Wertpapiere gilt das analog.23 Der Beteiligungsinhaber erbringt durch die bloße Beteiligungsverwaltung keine entgeltlichen Leistungen an die Beteiligungsgesellschaft. Die Dividenden und Gewinnanteile sind bloßer Ausfluss der Inhaberschaft der Beteiligung.24 Nicht-wirtschaftlich ist auch die Veräußerung der Beteiligungen, weil sich der Steuerpflichtige wie ein privater Anleger auf die Verwaltung seines Vermögens beschränkt (typologische Betrachtung).25 Dividenden und Veräußerungsentgelte sind folglich nicht steuerbar. 22 St. EuGH-Rspr.: EuGH v. 20.06.1991, C-60/90, Polysar, Slg 1991, I-3111, Rn 13; v. 14.11.2000, C-142/99, Berginvest und Floridienne, Slg 2000, I-9567, Rn 17 ff.; v. 27.09.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 19; v. 26.6.2003, C-442/01, KapHag, Slg 2003, I-6851, Rn 38 ff.; v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 57 ff.; v. 8.2.2007, C-435/05, Investrand, Slg 2007, I-1315, Rn 25; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 28; v. 6.9.2012, C-496/11, Portugal Telecom SGPS SA, UR 2012, 762, Rn 32, jeweils m. w. N.; vgl. auch zuletzt BFH v. 9.2.2012, V R 40/10, BFHE 236, 258, unter II.2.a); Abschn. 2.3 Abs. 2 UStAE. 23 EuGH v. 6.2.1997, C-80/95, Harnas & Helm, Slg 1997, I-745, Rn 17 ff.; v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 58 ff., Rn 63 ff.; vgl. auch EuGH v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 51. 24 Vgl. S. 149 Fn 22. 25 EuGH v. 20.6.1996, C-155/94, Wellcome Trust, Slg 1996, I-3030, Rn 36 f.; v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 60; vgl. auch Reiß, IStR 2004, 450, 452 f.

149

Anwendungsfälle und Abgrenzung

Diese bloße Verwaltungstätigkeit begründet einen nicht-wirtschaftlichen Bereich26 im Unternehmen.27 Denn Eingangsleistungen für Zwecke bloßer Beteiligungsverwaltung schließen ein Recht zum Vorsteuerabzug aus.28 Dagegen spricht auch nicht, dass der EuGH für beteiligungsbezogene Aufwendungen allgemeine Kosten bei der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit prüft.29 Bejaht er solche, ist die beteiligungsbezogene Tätigkeit nicht mehr „bloße Verwaltung“, sondern als unselbstständige Einzeltätigkeit einem wirtschaftlichen Bereich zugeordnet.30 Das Erzielen von Erträgen aus Beteiligungen und Wertpapieren ist auch ein denkbarer Satzungszweck, mithin Unternehmenszweck der Einrichtung. Dieser muss weder Hauptzweck der Einrichtung noch ausdrücklich benannt sein.31 Das für die bloße Beteiligungs- und Wertpapierverwaltung eingesetzte Vermögen ist folglich (nicht-wirtschaftliches) Unternehmensvermögen. b.

Unterhaltung von Kapitalanlagegütern ist nur im Ausnahmefall bloße Vermögensverwaltung

Der Erwerb, das Unterhalten und der spätere Verkauf von Kapitalanlagegütern (z. B. Gold oder Kunstgegenstände) sind nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten.32 Der Steuerpflichtige beschränkt sich wie ein privater Anleger

26 Vgl. Abschn. 2.3 Abs. 2 S. 4, S. 6 UStAE, wo von einem nicht-unternehmerischen Bereich (d. h. nicht-wirtschaftlichen Bereich) die Rede ist. Vgl. auch BFH v. 28.9.1988, X R 6/82, BFHE 155, 204, unter II.3.b); Reiß, IStR 2004, 450, 452. 27 Vgl. Hundt-Eßwein, UStB 2010, 81, 87; Reiß, UR 2010, 797, 811; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 405; Behrens, BB 2012, 2147, 2149; Lippross, Umsatzsteuer, S. 464. A. A. Ransiek, UStB 2011, 110, 114, der der VNLTO-Entscheidung für die Qualifikation von Beteiligungsverwaltung keine Bedeutung zumisst. 28 EuGH v. 8.2.2007, C-435/05, Investrand, Slg 2007, I-1315, Rn 28 ff.; v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 29, dazu oben S. 130; vgl. auch Abschn. 15.22 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 4 UStAE; von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524, 527. Vertiefend zu den daraus resultierenden Problemen bei konzernleitenden Holding-Gesellschaften Englisch, VAT Monitor 2007, 172, 176, 177 f. 29 Vgl. EuGH v. 27. 9.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 33; v. 8.2.2007, C-435/05, Investrand, Slg 2007, I-1315, Rn 29 ff.; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 66. 30 Zu wirtschaftlichen Formen von Beteiligungsverwaltung unten S. 172 f. Vgl. auch Reiß, UR 2010, 797, 811, unter 3. Erwerbsgesellschaften; Eggers, UR 2008, 348, 351. 31 Vgl. ausführlich oben S. 138 f. 32 Nieders. FG v. 6.12.2007, 1 K 511/05, DStRE 2008, 1092. Vgl. auch CE v. 29.12.1995, n° 118754, 9e et 8e s.-s., Sté Sudfer, RJF 1996, 106, wo der Cour d’État für das französische Mehrwertsteuerrecht in einem Grundsatzurteil festgestellt hat, dass die Veräußerung von Goldbarren nicht-wirtschaftlich und damit nicht steuerbar

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Nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Bereiche

auf die Verwaltung seines Vermögens. Er spekuliert auf die Wertstabilität des Anlagegutes. Das erfüllt nicht den Händlertypus, vgl. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL.33 Die Anlagetätigkeit bleibt auch nichtwirtschaftlich, wenn die angelegten Mittel aus Erträgen einer wirtschaftlichen Tätigkeit stammen. Denn sie ist deswegen nicht dauerhaft und notwendig mit der Wirtschaftstätigkeit verbunden.34 In der Regel begründet solche Vermögensverwaltung keinen nichtwirtschaftlichen Tätigkeitsbereich. Denn der Steuerpflichtige hat beispielsweise ein Recht zum Vorsteuerabzug, wenn er einen Teil seiner wirtschaftlichen Erträge in Gold anlegt und dabei steuerpflichtige Beratungsleistungen in Anspruch nimmt.35 Die Beratungsleistungen stehen dann in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit, weil der Steuerpflichtige lediglich seine für wirtschaftliche Zwecke bestimmten Finanzmittel verwaltet. Qualitativ steht dies der (vorsteuerentlasteten) Anschaffung eines Tresors zur Aufbewahrung der Finanzmittel in Form von Euro-Scheinen gleich. Auch die Steuerbefreiung für die Lieferung von Anlagegold in § 25c Abs. 1 S. 1 UStG36 hindert den Vorsteuerabzug nicht, denn sie ist mangels Steuerbarkeit der Veräußerung schon nicht anwendbar. Die Zuordnung solcher unselbstständigen Vermögensverwaltung muss sich nach der beabsichtigten Verwendung der angelegten Mittel richten, nicht dagegen nach ihrer Herkunft. Denn die beabsichtigte Verwendung entscheidet über den Vorsteuerabzug für Kosten der Vermögensverwaltung. Ein gemischt tätiger Verein kann beispielsweise keinen Vorsteuerabzug für Vermögensberatungsleistungen beanspruchen, wenn er wirtschaftliche Erträge in Gold anlegt und die Mittel zukünftig ideell verwenden möchte. Die Vermögensberatung wird dann für ideelle Zwecke bezogen.37 In der

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ist, wenn sie als Finanzanlage erworben wurden, dazu Pull, UR 2012, 701, 702; Klenk, UVR 1997, 105, 106. Vgl. Nieders. FG v. 6.12.2007, 1 K 511/05, DStRE 2008, 1092. Vgl. zu abgeleiteter Wirtschaftlichkeit oben S. 122 f. A. A. FG Münster v. 5.12.1996, 5 K 5854/94 U, EFG 1997, 769, das dem Steuerpflichtigen ein Zuordnungswahlrecht der Anlagegüter zum Unternehmensvermögen gewährt. Vgl. FG Münster v. 5.12.1996, 5 K 5854/94 U, EFG 1997, 769, das für den Vorsteuerabzug allerdings eine Zuordnung zum (wirtschaftlichen) Unternehmensvermögen verlangt und dann auch die spätere Veräußerung für steuerbar erachtet. Zustimmend Lohse, Zuordnung, S. 259 f. Vgl. Art. 346 MwStSystRL. Vgl. auch die EuGH-Rechtsprechung zur Zuordnung der (unselbstständigen) Ausgabe von Gesellschaftsanteilen, wo die beabsichtigte Verwendung der Erträge maßgeblich ist, dazu unten S. 191 ff., insb. bei Fn 262.

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Anwendungsfälle und Abgrenzung

Praxis ist jedoch die Mittelherkunft in der Regel ein starkes Indiz für ihre zukünftige Verwendung. Nur im Ausnahmefall werden Anlagegüter ihrer selbst Willen verwaltet, sodass ein eigenständiger nicht-wirtschaftlicher Bereich entsteht. Dafür muss die Anlagetätigkeit allein auf die Erzielung von Erträgen aus Wertsteigerungen der Anlagegüter gerichtet sein und sich insofern als eigenständiges Geschäftsmodell darstellen. Das Niedersächsische Finanzgericht38 hatte 2007 über einen solchen Ausnahmefall zu entscheiden: Die klägerische Bruchteilsgemeinschaft legte entsprechend ihrem Satzungszweck Geld ihrer Depotteilnehmer in Edelmetalle an. Jede andere Anlageform war ausgeschlossen. Wann die Edelmetalle wieder verkauft werden sollten, war nicht geregelt. Die Klägerin hielt sich für persönlich steuerpflichtig und begehrte den vollen Vorsteuerabzug aus ihren Kosten. Das Gericht beurteilte die Tätigkeit dagegen als bloßes Halten und Verwalten eines Vermögens, verneinte deswegen die persönliche Steuerpflicht und damit auch den Vorsteuerabzug. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn die Klägerin in einem zweiten Geschäftszweig steuerpflichtige Beratungsdienste am Markt anbieten würde. Sie wäre dann persönlich steuerpflichtig, würde aber einen nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Tätigkeitsbereich bloßer Vermögensverwaltung unterhalten und wäre insoweit vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen. c.

Verzinste Kapitalanlagen begründen zumeist keine bloße Vermögensverwaltung

Die verzinste Anlage von Geld ist an sich eine originär nicht-wirtschaftliche Tätigkeit.39 Sie erfüllt zwar alle geschriebenen Voraussetzungen wirtschaftlicher Tätigkeit nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL. Denn der Steuerpflichtige nutzt Kapital zur Erzielung nachhaltiger Einnahmen in Form von Zinsen.40 Dennoch ist die bloße Anlage von Geld eine typische Endverbrauchertätigkeit und damit nicht-wirtschaftlich. Art. 9 Abs. 1

38 Nieders. FG v. 6.12.2007, 1 K 511/05, DStRE 2008, 1092. 39 Vgl. EuGH v. 11.7.1996, C-306/94, Regie dauphinoise, Slg 1996, I-3695, Rn 18 S. 1; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 122; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 56.1; Wäger, USt-Kongress-Bericht 2007, S. 87, 96; auch bereits BFH v. 1.2.1973, V R 2/70, BStBl II 1973, 172; v. 11.10.1973, V R 14/73, BStBl II 1974, 47; dazu Söhn, StuW 1975, 164 ff. 40 EuGH v. 11.7.1996, C-306/94, Regie dauphinoise, Slg 1996, I-3695, Rn 16 f.; v. 14.11.2000, C-142/99, Berginvest und Floridienne, Slg 2000, I-9567, Rn 26; v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 65, 69.

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Nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Bereiche

Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL ist insoweit teleologisch zu reduzieren.41 Nicht-wirtschaftlich in diesem Sinn sind insbesondere das Unterhalten verzinster Giro- und Sparkonten.42 Zinsen aus Schuldverschreibungen sind dagegen kein Entgelt, sondern Ausfluss des Eigentums an den Schuldverschreibungen, sodass ihre Verwaltung bloßer Beteiligungsverwaltung gleichsteht.43 Der praktische Anwendungsbereich vermögensverwaltender Kapitalüberlassung ist jedoch auf Grund der EuGH-Rechtsprechung stark eingeschränkt. Geldanlagen aus Mitteln des Unternehmensvermögens beurteilt er regelmäßig als wirtschaftlich. Entweder stellt er dafür eine dauerhafte und notwendige Erweiterung anderweitiger wirtschaftlicher Tätigkeit fest,44 wie bei einer Hausverwaltung, die Vorschusszahlungen der Hauseigentümer und Mieter verzinst angelegt hatte.45 Oder er beurteilt die Kapitalüberlassung als originär wirtschaftlich,46 wie die Darlehensgewährung einer Holding an ihre Beteiligungsgesellschaften aus Mitteln des Unternehmensvermögens, wobei die Gründe für die Darlehensgewährung unbeachtlich sein sollten.47 Darüber hinaus sollen generell verzinste Geldanlagen bei Banken aus Mitteln des Unternehmensvermögens wirtschaftlich sein.48 Die Wirtschaftlichkeit führt

41 Blankenheim, „Steuerpflichtiger“, S. 146 ff. 42 Jakob, Umsatzsteuer, Rn 122; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 56.1; BFH v. 1.2.1973, V R 2/70, BStBl II 1973, 172; v. 11.10.1973, V R 14/73, BStBl II 1974, 47. 43 EuGH v. 6.3.1997, C-80/95, Harnas & Helm, Slg 1997, I-745, Rn 18 f. Zur Qualifikation bloßer Beteiligungsverwaltung oben S. 148 ff. 44 EuGH v. 11.7.1996, C-306/94, Regie dauphinoise, Slg 1996, I-3695, Rn 18; v. 14.11.2000, C-142/99, Berginvest und Floridienne, Slg 2000, I-9567, Rn 27; v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 66; vgl. auch Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 56.2. Vgl. zu abgeleiteter Wirtschaftlichkeit auch oben S. 122 ff. 45 EuGH v. 11.7.1996, C-306/94, Regie dauphinoise, Slg 1996, I-3695, Rn 18 Satz 2 und 3. 46 Insbesondere sei eine Kapitalüberlassung originär wirtschaftlich, wenn sie „nicht nur gelegentlich ausgeübt wird und sich nicht wie die eines privaten Anlegers auf die Verwaltung von Anlagen beschränkt …, sondern im Rahmen eines Unternehmensziels oder zu einem geschäftlichen Zweck erfolgt, der insbesondere durch das Interesse an der Rentabilisierung des investierten Kapitals geprägt ist.“ So EuGH v. 14.11.2000, C-142/99, Berginvest und Floridienne, Slg 2000, I-9567, Rn 28; vgl. auch EuGH v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 67. 47 EuGH v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 68. 48 EuGH v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 69.

153

Anwendungsfälle und Abgrenzung

wegen der Steuerbefreiungen für Finanzgeschäfte49 unmittelbar zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs. In den EuGH-Entscheidungen waren dementsprechend die Zinseinnahmen im Nenner des Pro-rata-Satzes anzusetzen.50 So trägt der Steuerpflichtige die Umsatzsteuerlast aus den Kosten der Kapitalanlage. Dagegen soll eine Funktionsholding nicht-wirtschaftlich tätig sein, wenn sie Dividendenforderungen gegen ihre Beteiligungsgesellschaften in Darlehensforderungen umwandelt.51 Geklagt hatten zwei Holdinggesellschaften gegen die (vorsteuerabzugsmindernde) Berücksichtigung der Zinsen im Nenner des Pro-rata-Satzes. Der EuGH stellte die Darlehenszinsen der Dividendenausschüttung gleich als nicht-wirtschaftlichen Ertrag aus der bloßen Innehabung einer Eigentumsposition. Damit waren sie im Nenner des Prorata-Satzes nicht zu berücksichtigen. Mit anderen Worten hatten die Holdinggesellschaften ein Recht zum Vorsteuerabzug aus den mit dem Darlehen verbundenen Kosten.52 Nach diesen Vorgaben war die Darlehensgewährung eine unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeit im Bereich der steuerpflichtigen Verwaltungsleistungen. Denn nur in diesem Bereich ist ein Vorsteuerabzug möglich. Die Entscheidung ist so nicht (mehr) haltbar.53 Zum einen sind Darlehenszinsen Entgelt für die Kapitalüberlassung und gerade nicht Ausfluss einer bloßen Eigentumsposition wie Dividenden.54 Zum anderen stammen die Mittel für das Darlehen aus Unternehmensvermögen, sodass nach den in der Entscheidung EDM aufgestellten Grundsätzen55 eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt. Der Fall ist genauso zu beurteilen, als hätten die Beteiligungsgesellschaften die

49 Art. 135 Abs. 1 lit. b), lit. d) MwStSystRL, § 4 Nr. 8 lit. a), lit. d) UStG. 50 EuGH v. 11.7.1996, C-306/94, Regie dauphinoise, Slg 1996, I-3695, Rn 23; v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 72 f. Nur wenn die Kapitalüberlassung ausnahmsweise ein Hilfsumsatz ist, sind die Zinsen nicht in den Pro-rata-Satz einzubeziehen, Art. 174 Abs. 2 lit. b) MwStSystRL. Das setzt voraus, dass der Steuerpflichtige seine Eingangsleistungen nur in sehr geringem Umfang für die Kapitalüberlassung verwendet. 51 EuGH v. 14.11.2000, C-142/99, Berginvest und Floridienne, Slg 2000, I-9567, Rn 29 ff. 52 Hätte die Darlehensgewährung noch vor Anwendung des Pro-rata-Satzes zum anteiligen Ausschluss des Vorsteuerabzugs geführt, wäre ein entsprechender Hinweis des EuGH zu erwarten gewesen. 53 Vgl. Reiß, IStR 2004, 450, 452; Wolf, VAT Monitor 2004, 251, 252 f., 255. 54 Vgl. oben S. 152 Fn 40. 55 EuGH v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 68.

154

Nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Bereiche

Dividenden ausgeschüttet und ihre Holding sodann das Darlehen in entsprechender Höhe gewährt. Problematisch ist die EuGH-Rechtsprechung aber nicht nur wegen ihrer fehlenden Stringenz,56 sondern auch mit Blick auf den Neutralitätsgrundsatz. Dieser verlangt, den Steuerpflichtigen vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten Umsatzsteuer zu entlasten.57 Der Vorsteuerabzug für Kosten verzinster Geldanlagen soll nach dem EuGH aber gerade dann ausgeschlossen sein, wenn der Steuerpflichtige Mittel seines Unternehmensvermögens und damit auch seines wirtschaftlichen Zwecken dienenden Vermögens einsetzt. Demnach würde beispielsweise ein Einzelhändler mit verzinstem Firmenkonto eine wirtschaftliche und steuerfreie58 Finanzanlagetätigkeit ausüben und hätte insoweit kein Recht zum Vorsteuerabzug. Die Kosten für die Verwaltung seiner Handelserträge dienen aber gerade der Stärkung seiner betrieblichen Mittel für seine steuerpflichtige Handelstätigkeit. Vorzugswürdig ist daher eine Würdigung der Umstände im Einzelfall. Dient die verzinste Anlage lediglich der Verwaltung von Unternehmensvermögen, handelt es sich um eine unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeit in dem Bereich, für den die Mittel bestimmt sind. Geht die Kapitalüberlassung darüber hinaus, übt der Steuerpflichtige eine wirtschaftliche, (unecht) steuerfreie Tätigkeit aus und ist insoweit vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen.

4.

Der Bereich echten Factorings mit zahlungsgestörten Forderungen

Factoring bedeutet, dass ein Forderungskäufer (Factor) fremde Forderungen unter ihrem Nennwert ankauft, sofort zahlt und die Einziehung übernimmt. Beim echten Factoring trägt der Factor das Ausfallrisiko, beim unechten Factoring trägt es der Verkäufer.59 Echtes Factoring begründet auf Seiten des Factors einen nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich, wenn er den Forderungseinzug im eigenen Interesse übernimmt. Das bejaht der EuGH bei zahlungsgestörten Forderungen (unter a.) Keinen nicht56 57 58 59

Vgl. S. 154 Fn 53. Vgl. S. 61 Fn 250. Art. 135 Abs. 1 lit. d) MwStSystRL, § 4 Nr. 8 lit. d) UStG. Creifelds, Rechtswörterbuch, „Factoringvertrag“; Grüneberg in Palandt, BGB, § 398, Rn 38 ff.; Roth in MünchKomm, BGB, § 398 Rn 164; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 46; BFH v. 10.12.1981, V R 75/76, BFHE 134, 470, unter II.; v. 4.9.2003, V R 34/99, BFHE 203, 209, unter II.2.a); Meyer, EFG 2010, 910; Philipowski, UR 2011, 936.

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Anwendungsfälle und Abgrenzung

wirtschaftlichen unternehmenseigenen Factoring-Bereich gibt es dagegen auf Seiten des Verkäufers (unter b.) und in anderen Factoringkonstellationen als echtem Factoring mit zahlungsgestörten Forderungen (unter c.). a.

Nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Bereich aus Sicht des Factors

Echtes Factoring ist nur im Ausnahmefall eine nicht-wirtschaftliche Tätigkeit. Im Normalfall erbringt der Factor eine entgeltliche Dienstleistung an den Forderungsverkäufer.60 Sie besteht im Wesentlichen in der Übernahme des Einziehungsaufwands und in der Entlastung vom Ausfallrisiko der Forderungen. Letzteres begründet nach dem EuGH eine Nutzung der Forderungen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen, Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 MwStSystRL.61 Die Differenz zwischen Nennbetrag und Verkaufspreis der Forderung ist dann die Vergütung für Factoringdienstleistungen.62 In diesem Sinne hat der EuGH einen langfristigen Factoring-Vertrag mit ausdrücklicher Factoring- und Delkrederegebühr beurteilt.63 Hingegen ist echtes Factoring nicht-wirtschaftlich, wenn der Factor auf eigenes Risiko zahlungsgestörte Forderungen mit erhöhtem Ausfallrisiko kauft und im eigenen Interesse einzieht.64 Er leistet dabei nicht an den Verkäufer, sondern umgekehrt der Verkäufer an ihn.65 Dass der Verkäufer auch hier vom Ausfallrisiko entlastet wird, ist bloßer Reflex und die Differenz zwischen Nennbetrag und Verkaufspreis bildet nur den verminderten wirtschaftlichen Wert der Forderungen ab.

60 EuGH v. 26.6.2003, C-305/01, MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring, Slg 2003, I-6729, Rn 49; BFH v. 4.9.2003, V R 34/99, BFHE 203, 209, unter II.2.b); v. 15.5.2012, XI R 28/10, BFHE 237, 537, unter II.1.a) und b); Abschn. 2.4 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2 UStAE; Nieskens in R/D/F/G, § 3 Rn 430 „Factoring“; Reiß in FS Korn, S. 521, 526 ff. 61 EuGH v. 26.6.2003, C-305/01, MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring, Slg 2003, I-6729, Rn 50. Näher liegt meines Erachtens jedoch die Annahme von Versicherungsleistungen gegen das Risiko des Forderungsausfalls. 62 EuGH v. 26.6.2003, C-305/01, MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring, Slg 2003, I-6729, Rn 49; v. 27.10.2011, C-93/10, GFKL Financial Services, UR 2011, 933, Rn 20 ff. 63 EuGH v. 26.6.2003, C-305/01, MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring, Slg 2003, I-6729. 64 EuGH v. 27.10.2011, C-93/10, GFKL Financial Services, UR 2011, 933, Rn 25; BFH v. 15.5.2012, XI R 28/10, BFHE 237, 537, unter II.1.a); vgl. auch bereits Thielo, BB 2007, 2487, 2490 zum Verkauf notleidender Kreditforderungen. 65 Philipowski, UR 2011, 936.

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Nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Bereiche

Die Abgrenzung wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen echten Factorings richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.66 Zieht der Factor die Forderungen im Interesse des Forderungsverkäufers ein, erbringt er wirtschaftliche Leistungen. Steht aber sein eigenes Interesse am Forderungseinzug im Vordergrund, ist er nicht-wirtschaftlich tätig.67 Dieses Geschäftsmodell beruht auf einem Spekulationsgewinn. Der Factor spekuliert auf die Durchsetzbarkeit einer zahlungsgestörten Forderung. Im Erfolgsfall ist sein Gewinn der Nennwert der Forderung abzüglich des Ankaufspreises und des Einziehungsaufwands. Nicht-wirtschaftliches echtes Factoring begründet im Grundsatz einen eigenständigen nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich, weil Eingangsleistungen generell nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen.68 Insbesondere steht der Einziehungsaufwand nicht im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit, sondern ist Kostenfaktor bei dem Spekulationsgeschäft. Der Tätigkeitsbereich umfasst den Erwerb der Forderungen, ihre Verwaltung, die Einziehungsbemühungen und auch ihren Weiterverkauf bei fehlgeschlagener Einziehung. Im Ausnahmefall kann die nicht-wirtschaftliche Factoringtätigkeit aber auch einem wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich des Steuerpflichtigen dienen. Sie ist dann als unselbstständige Einzeltätigkeit diesem Tätigkeitsbereich zuzuordnen.69 Das betrifft beispielsweise ein ConsultingUnternehmen, das zahlungsgestörte Bankforderungen gegen einen seiner Kunden ankauft, um dessen Insolvenz zu verhindern und ihn sich so als Kunden zu erhalten. Das Factoring dient dem wirtschaftlichen ConsultingBereich, sodass damit einhergehende Rechtsberatungskosten zum vollen Vorsteuerabzug berechtigen. Besteht ein eigenständiger Tätigkeitsbereich, gehört dieser auch zum Unternehmen.70 Factoringtätigkeiten werden regelmäßig von Finanzdienstleistungsinstituten ausgeübt, deren Satzungszweck echtes Factoring mit

66 Vgl. Hahne, BB 2012, 39, 40, auch zu Gestaltungsmöglichkeiten. 67 So auch Meyer, EFG 2010, 910, 911; vgl. auch FG Düsseldorf v. 15.2.2008, 1 K 3682/05 U, EFG 2008, 887; Thielo, BB 2007, 2487, 2490. 68 Vgl. BFH v. 26.1.2012, V R 18/08, BFHE 236, 250, unter II.2.b)bb); dazu Wäger, DB 2012, 601, 603; Hahne, BB 2012, 39, 40. Zur Abgrenzung von unselbstständigen Einzeltätigkeiten, die den Vorsteuerabzug nicht generell ausschließen oben S. 124 ff. 69 Zur analogen Problematik bei bloßer Beteiligungsverwaltung und unselbstständiger Beteiligungsverwaltung im wirtschaftlichen Bereich S. 148 ff. und S. 172 ff. 70 Korf, IStR 2011, 960, 961 wirft die Frage nach der Unternehmenszugehörigkeit auf, beantwortet sie aber nicht.

157

Anwendungsfälle und Abgrenzung

zahlungsgestörten Forderungen umfasst. Bei anderen Einrichtungen genügt es, dass die Factoringtätigkeit ein denkbarer Satzungszweck ist.71 b.

Kein nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Bereich beim Forderungsverkäufer

Der Verkäufer einer zahlungsgestörten Forderung erbringt eine entgeltliche Leistung an den Factor in Form der Übertragung der Forderung.72 Hat er die Forderung vorher selbst angekauft und verhält sich wie ein typischer Händler, ist er originär wirtschaftlich tätig, Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 MwStSystRL. Bei eigenen Forderungen gehört der Verkauf dagegen als unselbstständige Einzeltätigkeit zu dem Bereich, aus dem die Forderung stammt. Der Verkauf ist genauso zu beurteilen wie eigene Einziehungsbemühungen des Forderungsinhabers. Veräußert beispielsweise ein gemischt tätiger Verein eine zahlungsgestörte Forderung aus seinem wirtschaftlichen Bereich, gehört die Veräußerung zu diesem wirtschaftlichen Bereich. Sie ist als dauerhafte und notwendige Erweiterung der wirtschaftlichen Tätigkeit sogar selbst wirtschaftlich73 und damit steuerbar und steuerfrei, Art. 135 Abs. 1 lit. d) MwStSystRL, § 4 Nr. 8 lit. c) UStG.74 Für Eingangsleistungen stellt sich dann die Frage, ob sie Kostenfaktor bei der wirtschaftlichen Tätigkeit oder bei der Forderungsveräußerung sind.75 Veräußert der Verein dagegen eine zahlungsgestörte Forderung aus seinem ideellen Bereich, ist die Forderungsabtretung eine nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeit im ideellen Bereich. c.

Kein nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Bereich in anderen Factoringkonstellationen

Beim echten Factoring mit nicht-zahlungsgestörten Forderungen und beim unechten Factoring ist nicht der Forderungsverkäufer der Leistende, sondern

71 Vgl. oben S.138 f. 72 Philipowski, UR 2011, 936; vgl. auch EuGH v. 27.10.2011, C-93/10, GFKL Financial Services, UR 2011, 933, Rn 25. 73 Vgl. zur abgeleiteten Wirtschaftlichkeit oben S. 122. 74 Zur Steuerfreiheit Korf, IStR 2011, 960, 961. Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung gem. § 9 Abs. 1 UStG scheidet aus, weil der Factor nicht-wirtschaftlich tätig ist. 75 Vgl. zum analogen Problem, wenn eine Funktionsholding steuerfrei Aktien veräußert und für die Veräußerungskosten den Vorsteuerabzug begehrt, weil die Beteiligungsverwaltung zu ihrem wirtschaftlichen Dienstleistungsbereich gehört hat: EuGH v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 62 ff., dazu unten S. 174 bei Fn 160.

158

Unternehmensfremde Bereiche

der Factor.76 Er erbringt eine entgeltliche Dienstleistung, insbesondere durch Übernahme des Einziehungsaufwands.77 Diese ist steuerbar und steuerpflichtig78 und begründet einen entsprechenden wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich beim Factor. Der Forderungsverkäufer bezieht die Dienstleistung in dem Bereich, aus dem die Forderung stammt.79 Zwecks Empfangs der Leistung überträgt er die Forderung an den Factor. Das ist eine bloße Leistungsbeistellung80 und gehört zur Eingangsleistung. Beauftragt beispielsweise ein Autohändler ein Factoringunternehmen mit der Einziehung von Kundenforderungen unter pauschalem Abschlag von 10 % der Nennwerte, bezieht er eine Factoring-Dienstleistung. Für die FactoringGebühr kann er den Vorsteuerabzug beanspruchen,81 denn es besteht ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zu seiner wirtschaftlichen Tätigkeit.

II. Unternehmensfremde Bereiche Unternehmensfremde Bereiche sind ebenfalls in drei Schritten festzustellen: Erstens müssen alle umfassten Einzeltätigkeiten nicht-wirtschaftlicher Natur sein. Sie müssen zweitens einen eigenständigen Tätigkeitsbereich begründen und dieser darf drittens nicht zum Unternehmen gehören. Das lässt sich unproblematisch für den Privatbereich des Steuerpflichtigen, Tätigkeitsbe-

76 Zum echten Factoring mit nicht-zahlungsgestörten Forderungen oben S. 156, insb. bei Fn 60. Zum unechten Factoring: EuGH v. 26.6.2003, C-305/01, MKG-KraftfahrzeugeFactoring, Slg 2003, I-6729, Rn 34, 54; Abschn. 2.4 Abs. 1 S. 3, Abs. 4 S. 1 UStAE; Meyer, EFG 2010, 910. 77 Vgl. S. 159 Fn 76. Darlehenselemente in Factoringverträgen sind eine dauerhafte und notwendige Erweiterung der Factoring-Dienstleistungen. Im nationalen Recht werden sie als unselbstständige Nebenleistungen behandelt, Abschn. 2.4 Abs. 4 S. 4 UStAE; Hessisches FG v. 26.1.2010, 6 K 2933/07, EFG 2010, 907, unter 4. 78 Die Einziehung von Forderungen ist von der Steuerbefreiung in Art. 135 Abs. 1 lit. d) MwStSystRL ausdrücklich ausgenommen. EuGH v. 26.6.2003, C-305/01, MKGKraftfahrzeuge-Factoring, Slg 2003, I-6729, Rn 60 ff., 75 ff.; kritisch bei echtem Factoring Reiß in FS Korn, S. 521, 527 f.; vgl. auch BFH v. 15.5.2012, XI R 28/10, UR 2012, 719, unter II.2. 79 Vgl. Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 48, wonach der Steuerpflichtige mit der Abtretung der Forderung (Leistungsbeistellung) im Rahmen seines Unternehmens handelt, wenn die Forderung in seinem Unternehmen begründet wurde. 80 Abschn. 2.4. Abs. 3 S. 1 und S. 3 UStAE; Korf, IStR 2011, 960, 961; ders., UVR 2011, 116, 119. Einschränkend Reiß in FS Korn, S. 521, 533 f., der bei echtem Factoring in der Forderungsübertragung eine steuerfreie Leistung sieht. 81 Abschn. 2.4. Abs. 6 S. 6 UStAE; Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 430 „Factoring“.

159

Anwendungsfälle und Abgrenzung

reiche dritter Personen und Bereiche illegaler oder sittenwidriger nichtwirtschaftlicher Tätigkeit feststellen (unter 1.). Dagegen qualifizierte der BFH in zwei aktuellen Entscheidungen das bewusste und dauerhafte Leerstehenlassen eines Gebäudes als VNLTO-gleiche Verwendung.82 Da dies jedoch kein denkbarer Satzungszweck ist, liegt eine Qualifikation als unternehmensfremder Bereich näher (unter 2.). Unternehmensfremde Bereiche begründen auch Entnahmehandlungen des Steuerpflichtigen für unternehmensfremde Zwecke. Das bestätigen drei aktuelle BFHEntscheidungen83 (unter 3.).

1.

Der Privatbereich, Tätigkeitsbereiche Dritter, illegale und sittenwidrige nicht-wirtschaftliche Bereiche

Der Hauptanwendungsfall nicht-wirtschaftlicher unternehmensfremder Tätigkeit ist die private Tätigkeit des Steuerpflichtigen. Sie ist der typologische Gegenbegriff zu wirtschaftlicher Tätigkeit gem. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL und damit per definitionem nichtwirtschaftlich. Private Tätigkeit begründet einen eigenständigen Bereich, weil Leistungsbezüge für private Zwecke das Recht zum Vorsteuerabzug ausschließen. Er ist unternehmensfremd, weil er dem Unternehmen als Einrichtung nicht zurechenbar ist.84 Aus demselben Grund sind auch Tätigkeiten anderer Personen, wie von Personal, Kunden oder Geschäftspartnern, aus Sicht des Steuerpflichtigen unternehmensfremd. Sie sind schon dem Steuerpflichtigen nicht zurechenbar und damit auch nicht seinem Unternehmen.85 Weiterhin begründen illegale oder sittenwidrige nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten unternehmensfremde Tätigkeitsbereiche. Dazu gehören insbesondere entgeltliche illegale Tätigkeiten, die nicht in Wettbewerb zu einem legalen Wirtschaftssektor stehen.86 Das betrifft aber auch unentgeltliche illegale Tätigkeiten, wie folgendes Beispiel veranschaulicht: Eine Gruppe Computer-Hacker entschließt sich, ihr Wissen für einen guten

82 BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.4.b) mit Verweis auf EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839; v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.4.c). Dazu oben S. 76. 83 BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243; v. 12.1.2011, XI R 9/08, BFHE 232, 254; v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261; dazu oben S. 77 f. 84 Vgl. Schaubild 14, S. 144. 85 Vgl. Schaubild 14, S. 144. 86 Vgl. dazu oben S. 139 f.

160

Unternehmensfremde Bereiche

Zweck zu nutzen und bietet unentgeltliche Beratungsdienste für das Erstellen und Verkaufen von Kontendaten-CDs an. Dies ist strafbar als Beihilfe zum Ausspähen von Daten gem. §§ 27 Abs. 1, 202a StGB und zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gem. §§ 27 StGB, 17 Abs. 2 Nr. 1 lit. a), lit. b), Nr. 2 UWG; und zwar unabhängig davon, ob auch der Haupttäter im Inland strafbar ist, § 9 Abs. 2 S. 1 und S. 2 StGB.87 Die Hacker finanzieren sich durch den steuerpflichtigen Vertrieb von Computerspielen. Die Beratungstätigkeit ist schon wegen ihrer Unentgeltlichkeit nicht-wirtschaftlich, auf eine Wettbewerbssituation zu einem legalen Wirtschaftssektor kommt es insofern nicht an. Für darauf bezogene Eingangsleistungen, wie die Anschaffung von CD-Rohlingen, ist ein Vorsteuerabzug generell ausgeschlossen. Denn es besteht kein direkter und unmittelbarer Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Vertriebstätigkeit. Folglich begründen die Beratungsdienste einen eigenständigen nichtwirtschaftlichen Bereich.88 Er ist unternehmensfremd, weil der Zweck illegal und damit kein möglicher Satzungszweck ist.89

2.

Der Bereich bewussten und dauerhaften Leerstehenlassens von Gebäuden

Als nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Tätigkeit beurteilte der BFH jüngst das bewusste und dauerhafte Leerstehenlassen von Gebäuden.90 Insbesondere bestehe wegen dieser VNLTO-gleichen Nutzung für gemischte (auch wirtschaftlich genutzte) Investitionsgüter kein Zuordnungswahlrecht und folglich kein Recht zum Vorsteuerabzug für den auf den Leerstand entfallenden Kostenanteil.91 Das bewusste und dauerhafte Leerstehenlassen eines Gebäudes sei keine tatsächliche Verwendung, damit keine wirtschaftliche Nutzung92 und folglich eine nicht-wirtschaftliche Nutzung.93 Die 87 Zum Ganzen: Samson/Langrock, wistra 2010, 201, 204; Sieber, NJW 2008, 881, 883 f. Zur Strafbarkeit des Haupttäters: Pawlik, JZ 2010, 693, 697; Trüg/Habetha, NJW 2008, 887, 888 f.; Schünemann, NStZ 2008, 305, 308. Vgl. auch BVerfG v. 9.11.2010, 2 BvR 2101/09, DStR 2010, 2512, III.3.b)aa), das die Strafbarkeit des Ankaufs der Daten-CDs offen gelassen hat. 88 Vgl. zur Abgrenzung von unselbstständigen Einzeltätigkeiten, die den Vorsteuerabzug nicht generell ausschließen oben S. 124 ff. 89 Vgl. oben S. 138 ff. 90 BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.4.; BFH v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.4.c); dazu bereits oben S. 76. 91 BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.4.b), II.6. 92 BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.4.a); vgl. auch v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.4.c).

161

Anwendungsfälle und Abgrenzung

Unternehmenszugehörigkeit begründete der BFH schlicht mit der fehlenden privaten Mitnutzung.94 Dem BFH ist zuzustimmen, soweit er das Leerstehenlassen als nichtwirtschaftlichen Tätigkeitsbereich qualifiziert. Es ist ein Nichtstun, ein Unterlassen. Ein Unterlassen kann gleichwohl eine vertraglich geschuldete Leistung sein95 und ist daher eine Tätigkeit im mehrwertsteuerlichen Sinn.96 Diese Tätigkeit erfüllt die Voraussetzungen der Wirtschaftlichkeit nicht und ist folglich nicht-wirtschaftlich. Einem anderen Tätigkeitsbereich kann sie von vornherein nicht zugeordnet werden. Denn der Steuerpflichtige entscheidet nicht über die zukünftige Verwendung des Gebäudes, sodass jede Zuordnung willkürlich wäre. Lässt dagegen der Steuerpflichtige ein Gebäude nur vorübergehend leer stehen, ist dies eine unselbstständige nichtwirtschaftliche Einzeltätigkeit und muss dem Tätigkeitsbereich zugeordnet werden, in dem das Gebäude zukünftig verwendet werden soll.97 Der Bereich bewussten dauerhaften Leerstehenlassens kann jedoch nicht als unternehmenseigen qualifiziert werden.98 Unternehmenszugehörigkeit würde einen auf das Leerstehenlassen gerichteten Unternehmenszweck voraussetzen. Der Leerstand verfolgt überhaupt keinen Zweck, mithin auch keinen

93 BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.4.b); vgl. auch v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.5.a). 94 BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.4.b). 95 Vgl. Art. 25 lit. b) MwStSystRL; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 196. 96 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 198; auch von Streit, UStB 2012, 197, 200. 97 Vgl. EuGH v. 3.3.2005, C-32/03, Fini H, Slg 2005, I-1599, Rn 24 ff., wo der EuGH den Leerstand von Restauranträumlichkeiten der ehemaligen wirtschaftlichen Tätigkeit des Restaurantbetreibers zuordnete und für die ausstehenden Mietzahlungen den Vorsteuerabzug zuließ. EuGH v. 22.3.2012, C-153/11, Klub, DStR 2012, 606, zum anfänglichen Leerstand einer für Vermietungszwecke erworbenen Wohnung. Nach dem EuGH musste bei wirtschaftlicher Verwendungsabsicht (Tatfrage) voller Vorsteuerabzug von Anfang gewährt werden. BFH v. 25.4.2002, V R 58/00, BFHE 200, 434, unter II.2.a)bb), wo der BFH den Leerstand eines Bürogebäudes zunächst einer beabsichtigten Vermietungstätigkeit und später dem beabsichtigten steuerpflichtigen Verkauf zuordnete. BFH v. 30.4.2009, V R 4/07, BFHE 226, 138, unter II.2.d), wo der BFH den Leerstand von Büroräumen dem Bereich wirtschaftlicher Vermietungstätigkeit zuordnete, weil sie zur Vermietung bzw. Verpachtung bestimmt waren. Auch BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter 4.a), wo der BFH eine Zuordnung des Leerstehenlassens zum wirtschaftlichen Bereich nur deshalb versagte, weil der Kläger eine wirtschaftliche Verwendungsabsicht nicht belegt hatte. Von Streit, UStB 2012, 197, 198; Stadie, UStG, § 15a Rn 69. 98 Ebenso von Streit, UStB 2012, 197, 200.

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Unternehmensfremde Bereiche

unternehmenseigenen Zweck im Sinne der VNLTO-Entscheidung.99 Für die mehrwertsteuerliche Qualifikation eines nicht-wirtschaftlichen Bereichs ohne Zweck gibt es dann zwei denkbare Möglichkeiten: Entweder man versteht ihn als dritte Unterbereichsform, d. h. einen nicht-wirtschaftlichen neutralen (weder unternehmenseigenen noch unternehmensfremden) Bereich. Der BFH hätte dann im Ergebnis zu Recht den vollen Vorsteuerabzug versagt. Denn selbst wenn man das Zuordnungswahlrecht für übertragbar hielte, wäre der volle Vorsteuerabzug mangels steuerbaren (Verwendungsentnahme-) Umsatzes gem. Art. 168 lit. a) MwStSystRL ausgeschlossen.100 Oder man qualifiziert den Bereich als unternehmensfremd.101 In diesem Fall müsste das Zuordnungswahlrecht übertragen werden.102 Denn der Rechtfertigungsgrund für das Zuordnungswahlrecht ist die Berücksichtigungsfähigkeit zukünftiger wirtschaftlicher Verwendungsanteile.103 Ein Steuerpflichtiger, der einen Gebäudeteil leer stehen lässt, ist insofern aber nicht weniger schutzwürdig als ein Steuerpflichtiger, der den Gebäudeteil privat nutzt. Mit der Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen würde das Vorsteuerabzugsrecht dem Grunde nach entstehen. Es wäre auch der Höhe nach zu gewähren, weil das Leerstehenlassen als Verwendungsentnahme steuerbar ist (Seeling-Modell104). Vorzugswürdig ist die Qualifikation als unternehmensfremder Bereich. Dies vermeidet eine dreifache Differenzierung innerhalb der nichtwirtschaftlichen Sphäre105 und damit eine weitere Verkomplizierung des Systems. Darüber hinaus ist es nicht einsichtig, unentgeltliche Leistungen zugunsten eines bewusst und dauerhaft leerstehenden Gebäudes nicht zu besteuern. Beispielsweise entnimmt der Inhaber eines Malereibetriebs seinem Unternehmen eine Leistung, wenn er einen seiner Gesellen ein bewusst und dauerhaft leer stehendes Atelier streichen lässt. Der Fall ist genauso zu beurteilen, als hätte der Betriebsinhaber sich bereits auf eine private Verwendung des Ateliers festgelegt. Zwar besteht ein durchaus berechtigtes Interesse, das auf dem Zuordnungswahlrecht basierende Seeling-Modell104 als richterrechtliches Ausnahmemodell restriktiv

99 Vgl. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 100 Vgl. zur dogmatischen Bedeutung des Zuordnungswahlrechts oben S. 59 ff. 101 So von Streit, UStB 2012, 197, 200. 102 Ebenso von Streit, UStB 2012, 197, 200, der dies allerdings rein technisch mit der Möglichkeit zur Verwendungsentnahmebesteuerung begründet. 103 Vgl. zur materiellen Rechtfertigung des Zuordnungswahlrechts oben S. 61 f. 104 EuGH v. 08.05.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben S. 33 f. 105 Vgl. zur Neuen Sphärentheorie oben Schaubild 6, S. 87.

163

Anwendungsfälle und Abgrenzung

anzuwenden.106 Gerade wegen seines Ausnahmecharakters kann es aber keinen Einfluss auf die Auslegung der Entnahmetatbestände haben, und erst recht nicht auf systematische Grundfragen, wie die Unterscheidung von Tätigkeitssphären.

3.

Entnahmebereiche für unternehmensfremde Zwecke

Entnahmebereiche des Steuerpflichtigen sind nicht zu verwechseln mit Entnahmeempfängerbereichen. Der Bereich des Entnahmeempfängers ist in aller Regel schon deshalb unternehmensfremd, weil er dem Unternehmen als Einrichtung nicht zurechenbar ist.107 Das ist offensichtlich für Entnahmen an Personal, Gesellschafter, Geschäftspartner oder Kunden. Aber auch der Steuerpflichtige als Privatperson steht dem Unternehmen wie eine andere Person gegenüber.108 Damit ist jedoch keine Aussage über den Zweck der Entnahme und die daraus abzuleitende Qualität der Entnahmehandlung gewonnen. Macht beispielsweise ein Steuerpflichtiger Werbegeschenke an seine Kunden, empfängt sie der Kunde als unternehmensfremde Person und damit in einem unternehmensfremden Bereich. Die Entnahme verfolgt aber unternehmenseigene Werbezwecke. Daher ist sie als unternehmenseigen, in diesem Fall sogar als wirtschaftlich, zu qualifizieren. Die Qualifikation der Entnahmehandlungen des Steuerpflichtigen ist Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung. Sie entscheidet über die Vorsteuerabzugsberechtigung für Eingangsleistungen zu Entnahmezwecken und darüber, ob unentgeltliche Leistungen zugunsten der Entnahmehandlung ihrerseits als Entnahme zu besteuern sind. Entnahmehandlungen sind mangels Entgeltlichkeit nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten. Die gesetzliche Fiktion entgeltlicher Leistungen macht sie nicht wirtschaftlich.109 Sie begründet nur die Steuerbarkeit der Entnahme, hat aber insbesondere für die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts keine Bedeu-

106 Vgl. zur Kritik am Seeling-Modell oben S. 33 bei Fn 120. 107 Vgl. zum Unternehmen als Einrichtung oben S. 137 f. und Schaubild 14, S. 144. Nur im Ausnahmefall ist der Entnahmeempfängerbereich dem Unternehmen als Einrichtung zurechenbar, wenn beispielsweise ein Steuerpflichtiger seinen betrieblichen PC auch für den verbotenen Handel mit Betäubungsmitteln einsetzt, zur Unternehmensfremdheit dieses Tätigkeitsbereichs oben S. 139 f. und S. 160. 108 Vgl. oben Schaubild 14, S. 144. 109 A. A. Lippross, DStZ 2012, 320, 330 f.; Küffner/von Streit, DStR 2012, 581, 584, 587.

164

Unternehmensfremde Bereiche

tung.110 Anderenfalls bedürfte es des Zuordnungswahlrechts für gemischt wirtschaftlich und privat verwendete Investitionsgüter nicht. Insoweit erklärt der EuGH zwar den Verwendungsentnahmeumsatz zum besteuerten Umsatz i. S. v. Art. 168 lit. a) MwStSystRL.111 Das betrifft aber nicht die Entstehung, sondern nur den Umfang des Vorsteuerabzugsrechts.112 Entnahmehandlungen für unternehmensfremde Zwecke begründen eigenständige unternehmensfremde Tätigkeitsbereiche. Ihre unternehmensfremde Zweckbestimmung schließt zum einen das Recht zum Vorsteuerabzug aus. Denn wenn die Entnahme einen unternehmensfremden Zweck verfolgt, ist eine Eingangsleistung zu ihren Gunsten auf denselben unternehmensfremden Zweck gerichtet.113 Ein Vorsteuerabzug setzt aber voraus, dass der Steuerpflichtige die Leistung „als solcher“ bezieht, d. h. für Zwecke wirtschaftlicher Tätigkeiten.114 Zum anderen qualifiziert die unternehmensfremde Zweckbestimmung den Entnahmebereich als unternehmensfremd. Denn wenn eine Entnahme einen unternehmensfremden Zweck verfolgt, sind unentgeltliche Leistungen zugunsten dieser Entnahme auf denselben unternehmensfremden Zweck gerichtet.

110 Dementsprechend hat der EuGH jüngst ausdrücklich den Vorsteuerabzug verneint, wenn ein Steuerpflichtiger Eingangsleistungen für Zwecke unentgeltlicher Umsätze bezieht, EuGH v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 67 ff., Rn 71. 111 Vgl. oben S. 60 bei Fn 242, auch zur Kritik an dieser Rechtsprechung. 112 Eingehend oben S. 59 ff. 113 Vgl. BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.c), wonach sich eine Leistungserbringung für den privaten Personalbedarf und ein Leistungsbezug für das Unternehmen gegenseitig ausschließen. Vgl. auch BFH v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.1.c) und II.2.c); Wäger, DB 2012, 1288, 1989; ders., DB 2012, 601, 602. 114 Vgl. EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795 Rn 19, 20; v. 8.3.2001, C-415/98, Bakcsi, Slg 2001, I-1831, Rn 29; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 58; v. 22.3.2012, C-153/11, Klub, DStR 2012, 606, Rn 39 f.; näher zu den Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs unten S. 217 f.

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Anwendungsfälle und Abgrenzung Schaubild 15: Entnahmebereiche für unternehmensfremde Zwecke

Nichtwirtschaftliche Entnahme (steuerbar)

Eingangsleistung (ohne Vorsteuerabzug)

Unternehmensfremder Bereich Unternehmensfremde Entnahmebereiche in diesem Sinne sind der Entnahmebereich für private Zwecke (unter a.), der Entnahmebereich für den Personalbedarf (unter b.) und der Entnahmebereich für Zwecke unentgeltlicher Bedarfsdeckung dritter Personen (unter c.). a.

Entnahmebereich für private Zwecke des Steuerpflichtigen (Privatentnahme)

Der Privatentnahmebereich115 ist auf den unternehmensfremden Zweck unentgeltlicher privater Bedarfsdeckung des Steuerpflichtigen116 gerichtet. Das schließt ein Recht zum Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen aus und führt zur Entnahmebesteuerung, wenn für die Entnahmehandlung Ressourcen aus dem wirtschaftlichen Bereich in Anspruch genommen werden. Beispielsweise hat der Inhaber eines Malereibetriebes kein Recht zum Vorsteuerabzug, wenn er sein privates Wohnhaus von einem seiner Gesellen streichen lässt und kostenpflichtig Rechtsrat darüber einholt, ob der betriebliche Versicherungsschutz dies abdeckt. Denn die Rechtsberatung verfolgt entsprechend der Dienstleistungsentnahme den Zweck privater Bedarfsdeckung. Ein Recht zum Vorsteuerabzug kann auch nicht aus der

115 Vgl. Lehr, KSR direkt 2011, Nr. 2, S. 11, der ausführt: „Als unternehmensfremde Tätigkeiten gelten Entnahmen für den privaten Bedarf des Unternehmers als natürliche Person“. 116 Zur Unternehmensfremdheit des Zwecks oben S. 140 f.

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Unternehmensfremde Bereiche

fiktiven Entgeltlichkeit der Dienstleistungsentnahme abgeleitet werden.117 Nutzt der Maler auf dem Weg zu dem privat motivierten Rechtsanwaltstermin seinen betrieblichen Pkw, ist dies als Verwendungsentnahme zu besteuern. Denn der Pkw wird entsprechend der Dienstleistungsentnahme für Zwecke privater Bedarfsdeckung eingesetzt. Dagegen begründet es keine Verwendungsentnahme, wenn der Malergeselle betriebliche Pinsel und Gerätschaften einsetzt. Die damit verbundenen Aufwendungen fließen bereits in die Bemessungsgrundlage der Dienstleistungsentnahme ein, vgl. § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 UStG.118 b.

Entnahmebereich für Personalbedarf (Personalentnahme)

Leistungen eines Arbeitgebers an sein Personal ohne gesondertes Entgelt sind nicht in jedem Fall Personalentnahmen. Ein tauschähnlicher Umsatz liegt vor, wenn der Arbeitgeberleistung ein konkreter Teil der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gegenüber steht.119 Dieser ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu qualifizieren. Ebenso wenig begründet es eine Entnahme, wenn ein Arbeitgeber im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse handelt anstatt für den Bedarf seines Personals.120 Solche Tätigkeiten sind entsprechend ihrer eigenbetrieblichen Zwecksetzung einem Unternehmensbereich zuzuordnen.121 Tatbestandsmäßige Personalentnahmen begründen einen unternehmensfremden Bereich.122 Er ist auf den (nicht-wirtschaftlichen) unternehmens-

117 Vgl. oben S. 164. 118 Korn in Bunjes/Geist, UStG, § 10 Rn 93; Radeisen in Birkenfeld, USt-Handbuch II, § 126 Rn 111. 119 EuGH v. 16.10.1997, C-258/95, Fillibeck, Slg 1997, I-5577, Rn 10 ff.; vgl. auch EuGH v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549, Rn 50; Abschn. 1.8 Abs. 1 UStAE; Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 1225 ff.; Schallock, UStB 2011, 326, 327 zur Gestellung von Mahlzeiten durch den Arbeitgeber. 120 Vgl. EuGH v. 16.10.1997, C-258/95, Fillibeck, Slg 1997, I-5577, Rn 29 ff. und Rn 34; v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549, Rn 56 ff.; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 51 f. Vgl. auch BFH v. 27.2.2008, XI R 50/07, BFHE 221, 410, unter II.2.b)bb); v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.3.c)aa); Abschn. 1.8 Abs. 4 UStAE; auch Wäger, JbFfSt 11/12, S. 595, 631, Beispiel 2 Fall A zu Kosten einer Mitarbeiterschulung. 121 Dazu oben S. 141 f. 122 Vgl. BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.c) und d), dazu oben S. 77 f. Der BFH schließt hier den Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen zu reinen Personalentnahmezwecken per se aus und gewährt bei gemischter Verwendung das

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Anwendungsfälle und Abgrenzung

fremden Zweck unentgeltlicher Deckung von Personalbedarf123 gerichtet. Dementsprechend scheidet für Eingangsleistungen zu diesem Zweck ein Recht zum Vorsteuerabzug aus.124 In seiner früheren Rechtsprechung hatte der BFH Personalentnahmen noch dem wirtschaftlichen Bereich zugeordnet und den Vorsteuerabzug aus allgemeinen Kosten gewährt.125 Diese Ansicht hat er zu Recht aufgegeben.126 Zwar haben Personalzuwendungen regelmäßig Rückwirkungen auf die wirtschaftliche Tätigkeit, indem sie die Arbeitnehmer an das Unternehmen binden, ihre Motivation fördern und das Betriebsklima verbessern. Solche mittelbaren Wirkungen sind aber insbesondere für den Vorsteuerabzug unbeachtlich.127 Bestätigung findet dies in der Rechtsprechung des EuGH. Er versteht die Deckung von Personalbedarf als unternehmensfremden und damit nicht-wirtschaftlichen Zweck.128 Diesen grenzt er von dem Sonderfall ab, in dem überwiegende Erfordernisse des Unternehmens die Leistung gebieten und der Steuerpflichtige deswegen unternehmenseigene (in der Regel wirtschaftliche) Zwecke verfolgt.129 Nicht-steuerbare Aufmerksamkeiten an das Personal130 behandelt der BFH dagegen als unselbstständige Einzeltätigkeiten im wirtschaftlichen Bereich

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Zuordnungswahlrecht mit entsprechendem Vorsteuerabzug. Das ist nur in einem unternehmensfremden Bereich denkbar. Dazu Lippross, DStZ 2012, 320, 330. Vgl. auch Lehr, KSR direkt 2011, Nr. 2, S. 11, der ausführt: „Als unternehmensfremde Tätigkeiten gelten Entnahmen … für den privaten Bedarf seines Personals“. Vgl. zur Unternehmensfremdheit des Zwecks oben S. 140 f. Vgl. EuGH v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 65 ff.; dazu Wäger, DB 2012, 1288, 1289; weiterhin BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.c). A. A. Lippross, DStZ 2012, 320, 330. BFH v. 4.7.1985, V R 82/77, BFHE 144, 81, unter 2.a), 3. und 5; v. 18.12.1986, V R 176/75, BFHE 149, 78, unter B.I.2.a). BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.c). BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.3.c)bb), mit Verweis auf EuGH v. 6.4.1995, C-4/94, BLP Group, Slg 1995, I-983, Rn 19; v. 8.6.2000, C-98/98, Midland Bank, Slg 2000, I-4177, Rn 20; v. 22.2.2001, C-408/98, Abbey National, Slg 2001, I-1361, Rn 25; auch Wäger, JbFfSt 11/12, S. 595, 631 zu Beispiel 2 Fall B. A. A. Widmann in Plückebaum/Widmann, UStG, § 3 Abs. 9a Rn 36; Eldagen/Röhrbein, BB 2011, 1696, 1700. Vgl. EuGH v. 16.10.1997, C-258/95, Fillibeck, Slg 1997, I-5577, Rn 26 ff.; v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549, Rn 56 ff.; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 51 f. Und zum historischen Wandel des dogmatischen Verständnisses von Personalentnahmen oben S. 23 f. Dazu soeben S. 167 bei Fn 120. Vgl. § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 2, Abs. 9a Nr. 1 und Nr. 2 UStG.

Unternehmensfremde Bereiche

und gewährt für darauf gerichtete Aufwendungen den Vorsteuerabzug.131 Denn die Aufwendungen stünden nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zu einem Entnahmeumsatz, sodass sie als allgemeine Kosten der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zuzurechnen seien.132 Auf diese Weise stellt der BFH den Vorsteuerabzug für Aufmerksamkeiten sicher, den die nationale Regelung offenbar unterstellt.133 Gegen die Gewährung des Vorsteuerabzugs für Aufmerksamkeiten bestehen jedoch bisher nicht hinreichend erkannte Bedenken. Nach dem Gesetzeswortlaut134 werden Aufmerksamkeiten – ebenso wie steuerbare Personalentnahmen – unmittelbar für den privaten Bedarf des Personals geleistet. Dieser unternehmensfremde Zweck würde einen Vorsteuerabzug per se ausschließen.135 Die Kosten für Aufmerksamkeiten könnten auch nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zur wirtschaftlichen Gesamttätigkeit stehen, weil jede betriebsfördernde Wirkung nur ein mittelbarer Zweck wäre. Das veranschaulicht ein Vergleich mit Privatentnahmen. Wäre bei Privatentnahmen eine Ausnahmeregelung für Aufmerksamkeiten vorgesehen, bestünde dennoch kein Recht zum Vorsteuerabzug bei Anschaffung des Gegenstandes. Maßgeblich wäre allein die private Zweckbestimmung. Die Vorsteuerabzugsberechtigung lässt sich jedoch aufrecht erhalten, wenn man Aufmerksamkeiten als typisierte Fälle überwiegenden betrieblichen Eigeninteresses versteht. Sie sind dann unselbstständige nichtwirtschaftliche Einzeltätigkeiten und gemäß ihrer eigenbetrieblichen Zweckbestimmung einem Bereich zuzuordnen.136 Daraus folgt ein Recht zum Vorsteuerabzug, wenn die Aufmerksamkeiten für Personal im wirtschaftlichen Bereich bestimmt sind. Zudem ist nur nach diesem Verständnis die Nicht-Besteuerung von Aufmerksamkeiten unionsrechtlich gerechtfertigt: Personalentnahmen sind nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie grundsätzlich steuerbar, Art. 16 S. 1 Alt. 2, Art. 26 Abs. 1 lit. a) Alt. 2, lit. b) Alt. 2 MwStSystRL.

131 BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.c)cc) und II.3.c)cc); vgl. auch Wäger, JbFfSt 11/12, S. 595, 632 zu Beispiel 2 Fall C. 132 BFH v. 9.12.2010, V R 17/10, BFHE 232, 243, unter II.1.c)cc) und II.3.c)cc). 133 Vgl. Birkenfeld, USt-Handbuch I, § 81 Rn 1259; Probst, DStR 1988, 549, 550. 134 Vgl. § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 2, Abs. 9a S. 1 Nr. 1 Alt. 2, Nr. 2 Alt. 2 UStG. 135 Vgl. oben S. 165 bei Fn 113. Qualitativ stünden Aufmerksamkeiten damit steuerbaren Personalentnahmen vollkommen gleich; sie wären nur von der Steuerbarkeit ausgenommen. 136 Dazu oben S. 141.

169

Anwendungsfälle und Abgrenzung

Ausgenommen sind im Gegenstandsentnahmetatbestand Geschenke von geringem Wert für die Zwecke des Unternehmens, Art. 16 S. 2 Alt. 1 MwStSystRL. Diese Voraussetzung erfüllen Aufmerksamkeiten aber nur, wenn sie im überwiegenden betrieblichen Eigeninteresse stehen. Entgegen der herrschenden Ansicht in der Literatur137 kann die Voraussetzung der Verfolgung von Unternehmenszwecken auch nicht auf Warenmuster in Art. 16 S. 2 Alt. 2 MwStSystRL beschränkt werden.138 Denn die englische und französische Fassung der Regelung bezeichnen geringwertige Geschenke und Warenmuster gleichermaßen als Unterfälle unentgeltlicher Lieferungen für Unternehmenszwecke.139 Bei Dienstleistungsentnahmen an das Personal ist eine Ausnahme von der Besteuerung nur möglich, wenn dies nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führt, Art. 26 Abs. 2 MwStSystRL. In der Praxis dürfte jedoch der Großteil unentgeltlicher Personalzuwendungen nicht über Aufmerksamkeiten hinausgehen. Ihre Entnahmebesteuerung in anderen Mitgliedstaaten unterstellt, ergäben sich für inländische Unternehmen durchaus wettbewerbsrelevante Vorteile.140 Versteht man Aufmerksamkeiten dagegen als typisierte Fälle überwiegenden betrieblichen Eigeninteresses, erfüllen sie schon die positiven Voraussetzungen einer Personalentnahme nicht. c.

Entnahmebereich für Zwecke unentgeltlicher Bedarfsdeckung dritter Personen

Entnahmen mit dem Zweck unentgeltlicher Bedarfsdeckung141 dritter Personen142 begründen ebenfalls einen unternehmensfremden Entnahmebe-

137 Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 1246; auch Fritsch in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 3 Rn 322.36; Birkenfeld, USt-Handbuch I, § 81 Rn 1259; Probst in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 3 Abs. 1b Rn 202. 138 Vgl. Widmann in Plückebaum/Widmann, UStG, § 3 Abs. 1b Rn 43, der die Nichtbesteuerung von Aufmerksamkeiten durch Art. 16 MwStSystRL nicht gedeckt sieht. 139 Von der Entnahmebesteuerung sind demnach ausgenommen: „the application of goods for business use as samples or as gifts of small value“ bzw. „les prélèvements effecutés pour les besoins de l’entreprise pour donner des cadeaux de faible valeur et des échantillons“; Gegenüberstellung der Sprachfassungen bei Lohse/Peltner, MwStSystRL, Art. 16. 140 A. A. Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 1383; Lippross, Umsatzsteuer, S. 335; Birkenfeld, USt-Handbuch I, § 81 Rn 1259. 141 Vgl. zur Unternehmensfremdheit des Zwecks oben S. 140 f. 142 Das sind alle Personen mit Ausnahme des Steuerpflichtigen und seines Personals, insbesondere Familienangehörige und Freunde des Steuerpflichtigen, Geschäftspart-

170

Unternehmensfremde Bereiche

reich.143 Der Bereich steht dem Personalentnahmebereich weitgehend gleich, mit zwei Besonderheiten: Erstens sind hier Aufmerksamkeiten nicht privilegiert. Auch geringwertige Leistungen an dritte Personen lösen die Entnahmebesteuerung aus. Zweitens ist der Abgrenzungsmaßstab zwischen der Verfolgung des unternehmensfremden Zwecks fremder Bedarfsdeckung und einem überwiegenden betrieblichen Eigeninteresse an der Leistung verschoben. Beispielsweise beurteilt der EuGH bei Treuegeschenken an Kunden den unternehmerischen (regelmäßig wirtschaftlichen) Zweck der Leistung als maßgeblich.144 Daraus folgt ein Recht zum Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen145 und eine Entnahmebesteuerung kommt nur ausnahmsweise für gegenständliche Zuwendungen in Betracht.146 Bei Treuegeschenken an das Personal wäre dagegen der unternehmerische Zweck der Personalbindung als mittelbarer Zweck unbeachtlich. Die unterschiedliche Behandlung rechtfertigt sich aus der unterschiedlichen Zielsetzung. Das Treuegeschenk beim Kunden soll unmittelbar sein Konsumverhalten beeinflussen, ihm insbesondere Anreiz geben, die wirtschaftlichen Leistungen des Unternehmens wiederholt in Anspruch zu nehmen. Die Deckung seines Privatbedarfs ist dabei nachrangig. Das Treuegeschenk an das Personal soll dagegen gerade einen Bedarf des Arbeitnehmers decken, ihn auf diese Weise zufrieden und dankbar stimmen und ihn dadurch an das Unternehmen binden. Auch die deutsche Rechtspraxis verfolgt bei unentgeltlichen Leistungen an Dritte ein sehr weites Verständnis überwiegender betrieblicher Zweckbestimmung. Neben Werbegeschenken sollen dazu auch Zuwendungen zur Imagepflege, Sachspenden an Vereine oder Warenspenden aus humanitären Gründen zählen.147

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ner, Kunden, Spendenempfänger und auch Gesellschafter (näher zu Entnahmen an Gesellschafter unten S. 190 bei Fn 243). Vgl. BFH v. 12.1.2011, XI R 9/08, BFHE 232, 254, unter II.3.c)aa) und bb), zu unentgeltlichen Zuwendungen an Gesellschafter, dazu bereits oben S. 77 f. und eingehend nachfolgend S. 190 bei Fn 243. Vgl. auch GA Mengozzi, Schlussanträge v. 22.12.2008 in der Rs. C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 55. Vgl. EuGH v. 27.4.1999, C-48/97, Kuwait Petroleum, Slg 1999, I-2323. EuGH v. 27.4.1999, C-48/97, Kuwait Petroleum, Slg 1999, I-2323, Rn 19. Vgl. § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG. Würden Werbeleistungen dagegen als Leistungen zu unternehmensfremden Zwecken beurteilt, unterlägen sie der umfassenden Entnahmebesteuerung. Entwurf eines StEntlG 1999/2000/2002 v. 9.11.1998, BT-DrS 14/23, S. 196; Abschn. 3.3 Abs. 10 S. 9 UStAE; Probst in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 3 Abs. 1b Rn 218.

171

Anwendungsfälle und Abgrenzung

III. Unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten Unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten erfüllen die Voraussetzungen der Wirtschaftlichkeit in Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL nicht (1. Stufe). Dennoch kann ein Recht zum Vorsteuerabzug für auf sie bezogene Eingangsleistungen bestehen. Der Zusammenhang zu der nichtwirtschaftlichen Einzeltätigkeit steht einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zum wirtschaftlichen Bereich nicht entgegen (2. Stufe.). Es gibt unzählige Anwendungsbeispiele solcher unselbstständigen nichtwirtschaftlichen Einzeltätigkeiten. Praktisch jedem steuerbaren Umsatz gehen nicht-wirtschaftliche Einzelvorgänge voraus, wie die Einstellung von Mitarbeitern, die Bewerbung von Produkten oder Kundenbesuche. Hier werden nur wenige problematische Fälle herausgegriffen. Sie lassen jeweils einen nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich vermuten, weil sie nichtwirtschaftlich sind und einen Unternehmensbezug aufweisen. Da jedoch Eingangsleistungen für die Tätigkeiten zum Vorsteuerabzug berechtigen können, sind sie nur unselbstständige Einzeltätigkeiten. Dazu gehört nach ständiger Rechtsprechung des EuGH das Verwalten von Beteiligungen im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit (unter 1.). Betroffen sind weiterhin Schadensereignisse zum Nachteil des Steuerpflichtigen und Schädigungen durch den Steuerpflichtigen (unter 2.). Entnahmen in Form unentgeltlicher Zuwendungen qualifiziert der BFH als VNLTO-gleich.148 Sie sind jedoch ebenfalls nur unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten, wie die EuGH-Entscheidung Kuwait Petroleum149 bestätigt (unter 3.).

1.

Das Verwalten von Beteiligungen und Wertpapieren in wirtschaftlichen Bereichen

Wie oben ausgeführt,150 begründet das bloße Erwerben, Halten und Veräußern von Beteiligungen einen nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich. Davon zu unterscheiden ist die „nicht mehr bloße“ Beteiligungsverwaltung im Zusammenhang mit einem wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich. Sie begründet in dieser Form keinen eigenständigen nicht-wirtschaftlichen Bereich mehr,151 sondern ist als unselbstständige 148 149 150 151

172

BFH v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261; dazu oben S. 77 f. EuGH v. 27.4.1999, C-48/97, Kuwait Petroleum, Slg 1999, I-2323, Rn 19 S. 2. Vgl. S. 148 ff. Vgl. Eggers, UR 2008, 348, 350; Eggers/Korf, DB 2008, 719, 724; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 51; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 934; auch Danne-

Unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten

Einzeltätigkeit dem wirtschaftlichen Bereich zuzurechnen. Das betrifft die Beteiligungsverwaltung durch gewerbliche Wertpapierhändler152 sowie durch Funktionsholdings153 und die Verwaltung strategischer Beteiligungen.154 In allen drei Fällen wird die Beteiligungsveräußerung selbst wirtschaftlich und damit steuerbar: Ein Wertpapierhändler zum ersten ist originär wirtschaftlich tätig, wenn er Beteiligungen veräußert.155 Ihm kommt es im Gegensatz zum vermögensverwaltenden Privatanleger auf die Erzielung von Spekulationsgewinnen an.156 Das entspricht dem Händlertypus i. S. v. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL. Erbringt zum zweiten eine Funktionsholding steuerbare Verwaltungsleistungen an eine Beteiligungsgesellschaft, ist die spätere Veräußerung dieser Beteiligung eine dauerhafte und notwendige Erweiterung der steuerbaren Verwaltungstätigkeit.157 Schließlich fördern zum dritten strategische Beteiligungen eine bestehende oder beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit. Ihre Veräußerung ist dann ebenfalls eine

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cker/Steger, BB 2005, 1028, 1032, die den Untergang des eigenständigen Geschäftsbereichs dogmatisch für möglich, aber nicht für zwingend halten. Vgl. EuGH v. 20.6.1996, C-155/94, Wellcome Trust, Slg 1996, I-3030, Rn 35 f.; v. 6.2.1997, C-80/95, Harnas & Helm, Slg 1997, I-745, Rn 16; v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 59 a. E.; v. 26.05.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 20; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 31. EuGH v. 20.6.1991, C-60/90, Polysar, Slg 1991, I-3111, Rn 14; v. 27.9.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 19 f.; v. 26.6.2003, C-305/01, MKG Kraftfahrzeuge-Factoring, Slg 2003, I-6729, Rn 45 f.; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 34; v. 6.9.2012, C-496/11, Portugal Telecom SGPS SA, UR 2012, 762, Rn 33 f. Vgl. auch Eggers, UR 2005, 344, 345, der gegenstandsbezogen die Beteiligungen dem wirtschaftlichen Bereich zuordnet. Zum Begriff Funktionsholding oben S. 123 bei Fn 80. Abschn. 2.3 Abs. 3 S. 5 Nr. 2 UStAE; BFH v. 20.1.1988, X R 48/81, BFHE 152, 556, unter II.3.e); Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 54.3.; Eggers/Korf, DB 2008, 719, 723. EuGH v. 20.6.1996, C-155/94, Wellcome Trust, Slg 1996, I-3030, Rn 34 ff.; vgl. auch Schlussanträge von GA Lenz, Slg 1996, I-3013, Rn 19 ff. mit ausführlichem Typenvergleich. Dazu bereits oben S. 113 f. Dazu bereits oben S. 122 f.; insbesondere EuGH v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 31, 33. Dagegen ist es verfehlt, von der „Wirtschaftlichkeit“ des Erwerbs auf die Wirtschaftlichkeit der Veräußerung zu schließen, wie es der EuGH nahe legt (EuGH v. 26.6.2003, C-442/01, KapHag, Slg 2003, I-6851, Rn 40; v. 26.05.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 19; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 34). Das deckt Reiß überzeugend auf, UR 2003, 428, 434 ff.; vgl. auch Wäger in FS Reiß, 229, 242.

173

Anwendungsfälle und Abgrenzung

dauerhafte und notwendige Erweiterung dieser wirtschaftlichen Tätigkeit.158 Die Anteilsveräußerungen sind von der Mehrwertsteuer befreit,159 was zu schwierigen Abgrenzungsfragen für den Vorsteuerabzug aus den Veräußerungskosten führt.160 Das Erwerben und Halten der Beteiligungen bleiben jeweils nichtwirtschaftliche Einzeltätigkeiten, wie die Nicht-Steuerbarkeit der Dividendenbezüge zeigt.161 Sie sind als unselbstständige Einzeltätigkeiten dem jeweiligen wirtschaftlichen Bereich zuzurechnen. Beim Wertpapierhändler ist das der Handelsbereich, bei der Funktionsholding der Bereich steuerbarer Verwaltungsleistungen und bei strategischen Beteiligungen der Tätigkeitsbereich, dem die Beteiligung zugute kommt. Auf dieser Grundlage berechtigen beteiligungsbezogene Aufwendungen grundsätzlich zum Vorsteuerabzug aus allgemeinen Kosten.162 Dass die Aufwendungen gleichzeitig dem nichtsteuerbaren Dividendenbezug zugute kommen, ist unbeachtlich.163 Die weitreichende Gewährung des Vorsteuerabzugs ist insbesondere für Funktionsholdings umstritten.164 Der Fall Cibo Participations veranschaulicht die Problematik.165 Der EuGH gewährte der Funktionsholding Cibo vollen Vorsteuerabzug für Kosten aus dem Erwerb ihrer Beteiligungen,

158 Vgl. Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 54.3. 159 Vgl. Art. 135 Abs. 1 lit. f) MwStSystRL. 160 Vgl. EuGH v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 62 ff., wonach es bei einer Funktionsholding darauf ankommen soll, ob die Veräußerungskosten in den steuerfreien Veräußerungspreis der Beteiligungen oder in die steuerpflichtigen Preise der Verwaltungsleistungen Eingang gefunden haben. Kritisch dazu Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 54.3. Der BFH versagte dagegen jüngst den Vorsteuerabzug wegen des direkten und unmittelbaren Zusammenhangs mit der steuerfreien Anteilsveräußerung, BFH v. 27.1.2011, V R 38/09, BFHE 232, 278, unter II.2., dazu Wäger, JbFfSt 11/12, S. 595, 625 f. 161 EuGH v. 14.11.2000, C-142/99, Berginvest und Floridienne, Slg 2000, I-9567, Rn 20 ff.; v. 27.09.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 41 ff. 162 Vgl. EuGH v. 27. 9.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 27 ff., Rn 33; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 64 ff.; auch v. 14.11.2000, C-142/99, Berginvest und Floridienne, Slg 2000, I-9567, Rn 17 f. 163 Vgl. Ransiek, UStB 2011, 192, 196; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 55.2; ders, IStR 2004, 450, 453; Wäger in FS Reiß, 229, 240. 164 Ransiek, UStB 2011, 192, 196; ders., UStB 2011, 223, 226; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 55.3 ff.; Englisch, UR 2007, 290, 296; Behrens, BB 2012, 2147, 2148 f. im Kontext der Entscheidung des FG Niedersachsens v. 12.5.2011, 16 K 411/07, EFG 2011, 1751. 165 EuGH v. 27. 9.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663.

174

Unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten

während eine Finanzholding kein Recht zum Vorsteuerabzug gehabt hätte.166 In seiner Begründung stellte der EuGH allgemeine Kosten bei der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit fest.167 Dass der Beteiligungserwerb auch den nicht-wirtschaftlichen Dividendenbezügen zugute kam, berücksichtigte er nicht.168 Gleichermaßen hätte man die Kosten aber auch als unmittelbaren Kostenfaktor bei den Dividendenbezügen verstehen können. Das liegt sogar näher. Denn der Beteiligungserwerb ist zwingende Voraussetzung für die Dividendenbezüge, nicht aber für die Verwaltungsleistungen, die auf einem eigenständigen Dienstleistungsvertrag beruhen. Zudem spricht die Bezeichnung „Holding“ gegen eine Unterordnung der Beteiligungsverwaltung gegenüber den Verwaltungsdiensten. Der EuGH hat jedoch anders entschieden. Seine Auslegung ist rechtlich möglich und daher unangreifbar.169 Demnach stehen beteiligungsbezogene Kosten einer Funktionsholding in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit ihren steuerbaren Verwaltungsdienstleistungen.170 Die Dividendenbezüge sind dagegen nur indirekte und damit unbeachtliche Folge der Beteiligungsverwaltung. Für eine typische Funktionsholding ist das unmittelbar einsichtig. Sie ist Dachgesellschaft eines Konzerns und übernimmt dessen zentrale Hauptverwaltung.171 Als verselbstständigtes Konzernorgan ist ihre Gesellschafterstellung unabdingbar. Aber auch bei Funktionsholdings mit nur geringer steuerbarer Verwaltungstätigkeit steht die Beteiligungsverwaltung immer auch im Zusammenhang mit den Verwaltungsdiensten.172 Dem räumt der EuGH auf Grund eines weiten Neutralitätsverständnisses Vorrang gegenüber dem Zusammenhang zum Dividendenbezug ein. Das vermeidet eine einzelfallbezogene Würdigung der Beteiligungsverwaltung mit fraglichen Abgrenzungskriterien.173

Zu diesem Alles-oder-Nichts-Prinzip Reiß, UR 2004, 450, 454. EuGH v. 27. 9.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 33. Vgl. Reiß, UR 2004, 450, 453. Vgl. zur Verbindlichkeit von Auslegungsentscheidungen des EuGH oben S. 62 ff. Vgl. Dannecker/Steger, BB 2005, 1028, 1031; auch Behrens, BB 2012, 2147, 2149. Brockhaus, „Holdinggesellschaft“; Ransiek, UStB 2011, 110; Stapperfend, UR 2006, 112; vgl. auch Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 249. 172 Vgl. Diskussion um Grenzfälle bei Wäger, JbFfSt 07/08, S. 539, 554 ff. A. A. Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 55.4, der eine zweckbezogene Abgrenzung favorisiert. 173 Völlig offen ist, wo die Grenze verlaufen sollte zwischen einer Beteiligungsverwaltung für Zwecke steuerbarer Verwaltungsleistungen, für Zwecke des Dividendenbezuges und für beide Zwecke. Allgemeine und klare Abgrenzungskriterien gibt es 166 167 168 169 170 171

175

Anwendungsfälle und Abgrenzung Schaubild 16: Qualifikation unselbstständiger Beteiligungsverwaltung

Unselbstständige Beteiligungsverwaltung

Wirtschaftlicher Bereich

2.

Schadensereignisse zum Nachteil des Steuerpflichtigen und Schädigungen durch den Steuerpflichtigen

Ein Schadensereignis zum Nachteil des Steuerpflichtigen ist ein nichtwirtschaftlicher und folglich nicht steuerbarer Vorgang. Mit dem Erdulden des Schadens erbringt der Steuerpflichtige keine Leistung an den Schädiger und dessen Schadensersatzzahlung ist kein Entgelt.174 Auch wenn vorsteuerentlastetes Anlage- oder Umlaufvermögen beschädigt oder entwendet wird, dafür nicht. Auch die Höhe der Verwaltungsentgelte und der Dividendenbezüge bietet kein Maß für den Verwendungsumfang der Beteiligung. Vgl. dazu Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 55.4. 174 EuGH v. 1.7.1982, C-222/81, BAZ Bausystem, Slg 1982, I-2527, Rn 8 ff.; v. 14.7.2005, C 435/03, British American Tobacco International u.a., Slg 2005, I-7077, Rn 32 ff.; v. 18.7.2007, C-277/05, Société thermale d’Eugénie-Les-Bains, Slg 2007, I-6415, Rn 27 ff.; BFH v. 16.1.2003, V R 36/01, BFH/NV 2003, 667, unter II.2.b); v. 30.6.2010, XI R 22/08, BFHE 231, 248, unter II.1.a); BGH v. 14.3.2007, VIII ZR 68/06, NJW-RR 2007, 1066; Abschn. 1.3 Abs. 1 S. 1, S. 2 UStAE; Berger/Kindl/Wakounig, MwStSystRL, Art. S. 88 f.; Husmann in R/D/F/G, UStG, § 1 Rn 409; Lippross, Umsatzsteuer, S. 119 ff.; Robisch in Bunjes/Geist, UStG, § 1 Rn 46; Tehler in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 1 Rn 262. A. A. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 232 ff. Zur Abgrenzung von unechtem Schadensersatz, d. h. entgeltlichen Leistungen Abschn. 1.3 Abs. 11 ff. UStAE; Husmann in R/D/F/G, UStG, § 1 Rn 406 ff.; Janzen in Lippross, BK Steuerrecht, UStG, § 1 Rn 82 ff.; Lippross, Umsatzsteuer, S. 132 ff.; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 345; Birk, Steuerrecht, Rn 1702; Martin, UR 2006, 56 ff.

176

Unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten

muss der Schädiger nur den Nettowert ersetzen, vgl. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB.175 Unselbstständig sind Schadensereignisse, weil trotz ihrer Nicht-Wirtschaftlichkeit ein Vorsteuerabzugsrecht für damit einhergehende Kosten bestehen kann. Entwendet beispielsweise ein Dieb Kaufhausware, kann der Kaufhausbetreiber Vorsteuerabzug für seine Rechtsverfolgungskosten beanspruchen. Denn sie stehen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zu seiner Handelstätigkeit. Das Schadensereignis gehört hier zu seinem wirtschaftlichen Handelsbereich. Ob ein erlittenes Schadensereignis einem wirtschaftlichen Bereich zugeordnet werden kann, entscheidet der Neutralitätsgrundsatz. Er ist weit auszulegen und verlangt, den Steuerpflichtigen vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten Umsatzsteuer zu entlasten.176 Deswegen sind insbesondere Schadensereignisse an Gegenständen des wirtschaftlichen Unternehmensvermögens dem wirtschaftlichen Bereich zuzuordnen, auch wenn der Schaden bei nicht-unternehmerischer Nutzung entsteht. Wird beispielsweise ein Betriebs-Pkw auf einer Privatfahrt beschädigt, hat der Steuerpflichtige ein Vorsteuerabzugsrecht aus den Reparaturkosten.177 Denn durch die Reparatur wird das Fahrzeug gerade für die zukünftige wirtschaftliche Nutzung wieder instand gesetzt.178 Insofern sind die Kosten im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldet. Im Einkommensteuerrecht wird der Unfall dagegen der

175 Vgl. Lippross, Umsatzsteuer, S. 119, S. 131 f. mit Beispiel zu Schadensersatz bei entwendetem Umlaufvermögen. Erbringt der Dieb dagegen Schadensersatz durch Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB, trägt er die Umsatzsteuerlast aus der wiederbeschafften Ware. A. A. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 232 ff., der den Schädiger generell zum Ersatz des Bruttowerts verpflichtet sieht, u. a. aus Gleichbehandlungsgründen ggü. einer Naturalrestitution. Der entscheidende Unterschied ist jedoch der Empfänger der wiederbeschafften Ware. In dem einen Fall ist es der Dieb als Privatperson, in dem anderen Fall der Kaufhausbetreiber als Steuerpflichtiger. 176 Vgl. S. 61 Fn 250. 177 Lippross, Umsatzsteuer, S. 833 f. „Unfallkosten“ mit Verweis auf BFH v. 28.2.1980, V R 138/72, BFHE 130, 111 und v. 28.6.1995, XI R 66/94, BFHE 178, 257, unter II.2. Der BFH hat entschieden, dass die Unfallkosten nicht in voller Höhe bei der Verwendungsentnahme anzusetzen sind. Sie erhöhen lediglich die jährlichen Gesamtausgaben für das Fahrzeug und gehen entsprechend der prozentualen Privatnutzung in die Bemessungsgrundlage der Verwendungsentnahme ein. Da diese gem. § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 UStG nur vorsteuerentlastete Aufwendungen umfasst, müssen die Reparaturkosten zum Vorsteuerabzug berechtigen. Dazu auch Korn in Bunjes/Geist, UStG, § 10 Rn 90 mit Beispiel. 178 Vgl. bereits BGH v. 6.6.1972, VI ZR 49/71, NJW 1972, 1460, unter I. und II.

177

Anwendungsfälle und Abgrenzung

Privatsphäre zugeordnet und ein Betriebsausgabenabzug für Reparaturkosten ist ausgeschlossen.179 Verursacht der Steuerpflichtige selbst gegenüber einem anderen einen Schaden, ist auch das mangels entgeltlicher Leistung keine wirtschaftliche Tätigkeit. Solche Schadensverursachung muss ebenfalls einem bestehenden Tätigkeitsbereich zugeordnet werden. Kosten der Schadensbeseitigung berechtigen insbesondere zum Vorsteuerabzug, wenn der Steuerpflichtige den Schaden bei Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit verursacht hat. Beschädigt beispielsweise ein Gartenbauer bei seiner Arbeit eine Skulptur im Garten eines Kunden und ersetzt sie, kann er für die Anschaffungskosten den Vorsteuerabzug beanspruchen. Das Schadensereignis gehört zu seinem wirtschaftlichen Gartenbaubereich. In Sachen Midland Bank180 gewährte auch der EuGH den Vorsteuerabzug für Kosten eines schädigenden Verhaltens. Gegen die Bank hatten ein Bankkunde und ein Dritter Schadensersatzforderungen geltend gemacht, weil sie angeblich gegen ihre vertraglichen Pflichten verstoßen und fahrlässig falsche Angaben über die Finanzkraft des Bankkunden gemacht hätte. Der Streit endete in einem Vergleich. Daraufhin begehrte die Bank den Vorsteuerabzug aus ihren Rechtsanwaltskosten. Nach ihrer Ansicht standen sie in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den steuerpflichtigen Finanzdienstleistungen an den konkreten Bankkunden. Der EuGH ordnete die Kosten dagegen grundsätzlich als allgemeine Kosten der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit der Bank zu.181 Da sie neben steuerpflichtigen auch (unecht) steuerfreie Umsätze erbrachte, wäre der Vorsteuerabzug nur anteilig nach Maßgabe des Pro-rata-Satzes zu gewähren. Ausnahmsweise 179 BFH v. 28.2.1964, VI 180/62 S, BFHE 79, 602; v. 15.12.1977, IV R 78/74, BFHE 124, 185, unter 2.b); vgl. auch v. 23.1.2001, VIII R 48/98, BFHE 194, 383, unter IV.4.c); Söhn in Kirchhof/Söhn, EStG, § 4 Rn E 645 ff.; Heinicke in Schmidt, EStG, § 4 Rn 360 “Verlust”, Rn 520 “Verlust”. Grundlegend zur Abgrenzung zwischen betrieblicher und privater Veranlassung von Kfz-Unfällen: BFH v. 28.11.1977, GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, unter B.II. Die Versagung des Betriebsausgabenabzugs wird teilweise kritisch gesehen, auch vom 8. Senat des BFH. Vorzugswürdig sei es, bei Zerstörung oder erheblicher Beschädigung des Fahrzeugs auf einer Privatfahrt seinen Teilwert als Entnahmewert anzusetzen und für die Reparaturkosten den Betriebsausgabenabzug zuzulassen, vgl. BFH v. 23.1.2001, VIII R 48/98, BFHE 194, 383, unter IV. und speziell zu Reparaturkosten unter IV.4.c) (Vorlagebeschluss, aufgehoben mit Beschluss v. 16.3.2004, BFHE 205, 458); zustimmend Ismer, DB 2003, 2197 ff. 180 EuGH v. 8.6.2000, C-98/98, Midland Bank, Slg 2000, I-4177. 181 EuGH v. 8.6.2000, C-98/98, Midland Bank, Slg 2000, I-4177, Rn 31.

178

Unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten

solle eine Zuordnung zu den konkreten Ausgangsumsätzen an den Bankkunden aber möglich sein, wenn die Bank die (erwarteten) Schadenskosten nachweislich bei diesen Umsätzen einkalkuliert hat.182

3.

Unentgeltliche Zuwendungen für Unternehmenszwecke

Unentgeltliche Zuwendungen für Zwecke des Unternehmens im Sinne von Art. 16 S. 1 Alt. 3 MwStSystRL, § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG183 nehmen eine Sonderstellung innerhalb der Entnahmetatbestände ein. Eine Entnahmebesteuerung setzt grundsätzlich die Verfolgung unternehmensfremder Zwecke voraus. Unentgeltliche Zuwendungen sind dagegen auch zugunsten nichtwirtschaftlicher unternehmenseigener Tätigkeit steuerbar und sogar zugunsten wirtschaftlicher Tätigkeit.184 Die erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit solcher Entnahmebesteuerung vor dem Neutralitätsgrundsatz185 sind hier nicht zu erörtern. Die Untersuchung beschränkt sich auf die rechtliche Qualifikation der Entnahmehandlung. Nach Ansicht des BFH begründen steuerbare unentgeltliche Zuwendungen zu Unternehmenszwecken einen eigenständigen nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Entnahmebereich.186 Es bestehe kein Recht zum Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen, weil die beabsichtigte Verwendung für den nicht-wirtschaftlichen Entnahmeumsatz dies ausschließe.187 Das folge auch aus dem Gleichstellungszweck der Entnahmebesteuerung. Denn der Endverbraucher habe bei Leistungsbezug kein Recht zum Vorsteuerabzug, was für alle, auf Entnahmevorgänge gerichteten Leistungsbezüge gelten müsse.188 Gemischte Eingangsleistungen seien entsprechend der 182 EuGH v. 8.6.2000, C-98/98, Midland Bank, Slg 2000, I-4177, Rn 32. 183 Vgl. EuGH v. 27.4.1999, C-48/97, Kuwait Petroleum, Slg 1999, I-2323, Rn 22 ff., wonach die Gegenstandsentnahme im Sinne von Art. 16 S. 1 MwStSystRL auch solche für Zwecke des Unternehmens im Sinne von Art. 16 S. 2 MwStSystRL umfasst. 184 Vgl. zur systematischen Problematik des Tatbestandes Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 1260 ff.; Fritsch in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 3 Rn 322.48; Leonard, in Bunjes/Geist, UStG, § 3 Rn 156; Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 79; Lippross, Umsatzsteuer, S. 337 f. 185 Dazu Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 3 Rn 373; Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 79; Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 1261; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 446. 186 BFH v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, dazu oben S. 77 f. 187 BFH v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.1. und II.1.c); ebenso Lehr, KSR direkt 2011, Nr. 2, S. 11, a. E. 188 BFH v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.1.c)bb).

179

Anwendungsfälle und Abgrenzung

VNLTO-Grundsätze aufzuteilen.189 Auf Eingangsleistungen für Geschenke von geringem Wert und Warenmuster ging der BFH nicht ein. Insoweit würde er den Vorsteuerabzug wohl gewähren – analog zu Aufmerksamkeiten bei Personalentnahmen190 – und sie damit als zuordnungsbedürftige Einzelvorgänge bei der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit behandeln. Entgegen der Ansicht des BFH muss jedoch generell ein Recht zum Vorsteuerabzug entstehen, wenn die Zuwendung wirtschaftliche Zwecke verfolgt. Denn die Eingangsleistungen sind dann auf denselben wirtschaftlichen Zweck gerichtet.191 Verteilt beispielsweise ein Pkw-Verkäufer hochwertige192 Regenschirme mit Firmenaufdruck zu Werbezwecken an seine Kunden, verfolgt er mit dieser Entnahme einen wirtschaftlichen Zweck. Die Deckung von Privatbedarf der Leistungsempfänger tritt dahinter zurück. Auf denselben wirtschaftlichen Werbezweck ist die Anschaffung der Regenschirme gerichtet, sodass sie zum Vorsteuerabzug berechtigen muss.193 Der Vorsteuerabzug ist auch nicht gem. § 15 Abs. 1a S. 1 UStG, § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 EStG ausgeschlossen, weil Zuwendungen zu betrieblichen (Werbe-)Zwecken keine Geschenke in diesem Sinn sind.194 Der EuGH bestätigte in Sachen Kuwait Petroleum den Vorsteuerabzug.195 Die klägerische Tankstellenbetreiberin schenkte ihren Kunden im Rahmen einer Werbeaktion höherwertige Geschenke. Der EuGH qualifizierte dies als steuerbare unentgeltliche Zuwendung für Unternehmenszwecke gem. Art. 16 S. 1 Alt. 3 MwStSystRL.196 Gleichwohl wies er auf das Recht

189 BFH v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.1.d). 190 Dazu oben S. 169 Fn 131. 191 Ebenso Radeisen, Stbg 2012, 49, 55, der jedoch unentgeltliche Zuwendungen generell dem wirtschaftlichen Bereich zuordnet. Nach hier vertretener Auffassung ist dagegen zwischen solchen für wirtschaftliche Zwecke (wirtschaftlicher Bereich) und solchen für VNLTO-gleiche Zwecke (nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Bereich) zu unterscheiden. 192 Einzelwert jeweils > 35 € (Nettobetrag), vgl. Abschn. 3.3 Abs. 11 UStAE. 193 Verschenkt der Pkw-Händler dagegen Regenschirme ohne Firmenaufdruck, steht die Deckung eines Privatbedarfs der Kunden im Vordergrund und die Entnahme verfolgt unternehmensfremde Zwecke i. S. v. Art. 16 S. 1 Alt. 4 MwStSystRL, § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 1 UStG. Sie begründet dann einen unternehmensfremden Entnahmebereich (dazu oben S. 170 f.), so dass der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist. 194 Heinicke in Schmidt, EStG, § 4 Rn 520, “Sponsoring”; vgl. jedoch zur strengeren Auffassung der Finanzverwaltung R 4.10 Abs. 4 EStR; vgl. auch Musterfälle bei Liess, NWB 2011, 913 ff. 195 EuGH v. 27.4.1999, C-48/97, Kuwait Petroleum, Slg 1999, I-2323, Rn 19 S. 2. 196 EuGH v. 27.4.1999, C-48/97, Kuwait Petroleum, Slg 1999, I-2323, Rn 18 ff., Rn 32.

180

Unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten

zum Vorsteuerabzug beim Kauf der Gegenstände hin, weil die Zuwendungen dem wirtschaftlichen Zweck dienten, den Umfang der Treibstoffverkäufe zu erhöhen.197 Gegen den Vorsteuerabzug spricht auch nicht die jüngst ergangene EON ASET-Entscheidung198 des EuGH. Die Klägerin war eine wirtschaftlich tätige Gesellschaft und hatte (u. a.) ein Fahrzeug gemietet, um ihren Geschäftsführer von seiner Wohnung zu seiner Arbeitsstätte und zurück zu befördern. Für die Kosten begehrte sie vollen Vorsteuerabzug. Das verweigerten die nationalen Steuerbehörden mit Verweis auf einen nationalen Vorsteuerabzugsausschluss für Gegenstände und Dienstleistungen, die für unentgeltliche Umsätze bestimmt sind. Dazu führte der EuGH aus, eine solche Regelung würde den Vorsteuerabzug nur ausschließen, wenn seine Voraussetzungen ohnehin nicht erfüllt sind.199 Mit anderen Worten: Bei Eingangsleistungen für unentgeltliche Umsätze bestehe von vornherein kein Recht zum Vorsteuerabzug. Diese Aussage muss jedoch vor dem Hintergrund des konkret entschiedenen Falles gesehen werden. Unentgeltliche Personalleistungen verfolgen grundsätzlich unternehmensfremde Zwecke und begründen dann einen eigenständigen unternehmensfremden Bereich ohne Recht zum Vorsteuerabzug.200 Nicht zu entscheiden hatte der EuGH dagegen, ob es unionsrechtskonform wäre, wenn die Regelung auch bei Eingangsleistungen für unentgeltliche Zuwendungen zu wirtschaftlichen Unternehmenszwecken angewendet würde.201 Insoweit bleibt es bei der Auslegung in Sachen Kuwait Petroleum.202 Demnach würde die Anwendung der Regelung insoweit den Vorsteuerabzug beschränken und wäre folglich nur im Rahmen von Art. 176 Unterabs. 2 MwStSystRL zulässig. Gegen den Vorsteuerabzug spricht auch nicht die allgemeine Gleichstellungsfunktion der Entnahmetatbestände. Denn der Steuerpflichtige bezieht

EuGH v. 27.4.1999, C-48/97, Kuwait Petroleum, Slg 1999, I-2323, Rn 19. EuGH v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230. EuGH v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 71 f. Ausführlich dazu oben S. 167 f. Überlagern hingegen ausnahmsweise eigenbetriebliche Interessen, mithin wirtschaftliche Zwecke, den Zweck fremder Bedarfsdeckung, darf das Recht zum Vorsteuerabzug nicht eingeschränkt werden, EuGH v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 52. 201 Vgl. auch den Hinweis des EuGH, dass er über die Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit Unionsrecht im Vorabentscheidungsverfahren nicht entscheidet, EuGH v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 66. 202 EuGH v. 27.4.1999, C-48/97, Kuwait Petroleum, Slg 1999, I-2323. 197 198 199 200

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Anwendungsfälle und Abgrenzung

die Leistung gerade nicht zur Ermöglichung eines Endverbrauchs, sondern für wirtschaftliche Zwecke. Er handelt insofern nicht als Konsument.203 Für den Vorsteuerabzug spricht auch ein Vergleich mit Dienstleistungsentnahmen für wirtschaftliche Zwecke. Sie sind nicht steuerbar,204 gleichwohl besteht ein Recht zum Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen.205 Die Dienstleistungsentnahme unterbricht den direkten und unmittelbaren Zusammenhang zu der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht. Daran kann sich aber nichts ändern, wenn der Gesetzgeber, wie bei der Gegenstandsentnahme, die Steuerbarkeit anordnet. Für die Qualifikation ist daraus Folgendes abzuleiten: Eine unentgeltliche Zuwendung für Unternehmenszwecke ist mangels Entgeltlichkeit ein nichtwirtschaftlicher Vorgang – wie alle Entnahmehandlungen.206 Sie ist unselbstständig und muss entsprechend ihrer Zweckbestimmung einem Tätigkeitsbereich zugeordnet werden. Bei Zuordnung zu einem wirtschaftlichen Bereich entsteht ein Recht zum Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen. Warenmuster und geringwertige Geschenke für Unternehmenszwecke sind in gleicher Weise zu qualifizieren, sind aber ausnahmsweise von der Besteuerung ausgenommen, Art. 16 S. 2 MwStSystRL, § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 2. HS UStG.

203 Vgl. Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 1267. 204 Vgl. Art. 26 MwStSystRL bzw. § 3 Abs. 9a UStG, die eine Entnahmebesteuerung nur bei Verfolgung unternehmensfremder Zwecke vorsehen; Abschn. 3.3 Abs. 10 S. 10 UStAE. 205 BFH v. 11.12.2003, V R 48/02, BFHE 204, 349, unter II.3. Zu Unrecht hat der BFH diese Rechtsprechung aufgegeben in BFH v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.1.c)cc); Beispiel bei Lehr, KSR direkt 2011, Nr. 2, S. 11 a. E. 206 Vgl. oben S. 164.

182

Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter Schaubild 17: Unentgeltliche Zuwendungen für Zwecke des Unternehmens

Warenmuster

steuerbare Zuwendungen

geringwertige Geschenke

Zuordnung gemäß Zweckbestimmung

Wirtschaftlicher Bereich

Nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Bereich

IV. Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter Die Frage nach der Qualifikation von Vorgängen zwischen einer Gesellschaft und ihren Gesellschaftern stellt sich nur, wenn die Gesellschaft eine Außengesellschaft ist und der jeweils Handelnde persönlich steuerpflichtig. Nur Außengesellschaften nehmen durch ihre Vertreter am Rechtsverkehr teil.207 Sie sind mehrwertsteuerlich eigenständige Rechtssubjekte mit eigenständigem Tätigkeitsbereich.208 Dagegen beschränken sich Innengesellschaften auf die inneren Beziehungen der Gesellschafter zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks. Nach außen handeln nur die Gesellschafter im

207 Sprau in Palandt, BGB, § 705 Rn 33; Ulmer in MünchKomm, BGB, § 705 Rn 253. 208 Vgl. nur BFH v. 16.8.2001, V R 67/00, BFH/NV 2002, 223, unter II.1.; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 104; Lippross, Umsatzsteuer, S. 383; Reiß, IStR 2004, 450, 451 zu Arbeitsgemeinschaften des Baugewerbes.

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Anwendungsfälle und Abgrenzung

eigenen Namen und auf gemeinsame Rechnung.209 Mehrwertsteuerlich sind Innengesellschaften transparent, d. h. ihre Tätigkeit gilt als Tätigkeit der Gesellschafter und Beitragsleistungen erfolgen innerhalb desselben Rechtssubjekts.210 Bei Nicht-Steuerpflichtigen sind von vornherein entgeltliche und unentgeltliche Leistungen nicht steuerbar und berechtigen Leistungsbezüge nicht zum Vorsteuerabzug. Nicht-Steuerpflichtige haben auch kein Unternehmen.211 Eine Qualifikation ihrer Tätigkeit im Rahmen der sachlichen Steuerpflicht macht daher keinen Sinn. Problematisch ist die persönliche Steuerpflicht insbesondere auf Gesellschafterebene. Gesellschafter sind nicht allein wegen ihrer Gesellschafterstellung persönlich steuerpflichtig.212 Im Gegenteil verliert ein vorher selbstständig Tätiger mit Übergang seiner Firma auf eine Gesellschaft seine Steuerpflichtigeneigenschaft und persönlich steuerpflichtig ist nur noch die Gesellschaft. Der Gesellschafter muss daher anderweitig wirtschaftlich tätig sein. Im einfachsten Fall liegt der Leistungsbeziehung zwischen einem Gesellschafter und seiner Gesellschaft ein eigenständiges Austauschverhält-

209 Sprau in Palandt, BGB, § 705 Rn 33; Ulmer in MünchKomm, BGB, § 705 Rn 253, 275 ff.; Lippross, Umsatzsteuer, S. 384. 210 Vgl. BFH v. 11.11.1965, V 146/63 S, BFHE 84, 81; v. 12.2.1970, V R 50/66, BFHE 98, 518, unter 2.; v. 27.5.1982, V R 110/81 und 111/81, BFHE 136, 315, unter 3.b); v. 26.5.1993, X R 108/91, BFHE 171, 500, unter II.3.f); v. 24.2.2000, V R 23/99, BFHE 191, 88, unter II.2.d); Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 84 ff.; ders., IStR 2004, 450; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 189 ff.; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 911, Rn 936; Pump/Fittkau, UStB 2007, 262, 265 f.; dies., UStB 2007, 293, 297, „Innengesellschaft“. Vgl. auch EuGH v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 86, wo der EuGH die in einem Konsortialvertrag festgelegten Arbeitsanteile wie Tätigkeiten für eigene Rechnung des Unternehmens beurteilte. 211 Vgl. oben S. 137 f. 212 EuGH v. 27.1.2000, C-23/98, Heerma, Slg 2000, I-419, Rn 8; BFH v. 26.1.1984, V R 65/76, BFHE 140, 121, unter 3.-5.; v. 18.3.1988, V R 178/83, BFHE 153, 166; v. 9.3.1989, V B 48/88, BFHE 156, 535, unter 1.a) und b); v. 9.9.1993, V R 88/88, BFHE 172, 231, unter II.1.; v. 6.9.2007, V R 16/06, BFH/NV 2008, 1710, unter II.3.; Abschn. 1.6 Abs. 7, dort Beispiel 3 und Abschn. 15.20 Abs. 1 S. 5 bis 7 UStAE; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 49; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 197; Wäger, UR 2008, 69, 70 f.; Pump/Fittkau, UStB 2007, 293, 296, „Gesellschafter einer Personengesellschaft als Unternehmer“. Auch Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 514 ff., 535 ff., 541, der aber für den Vorsteuerabzug bei Beitragsleistungen die Unternehmereigenschaft der Gesellschaft auf die Gesellschafter ausstrahlen lassen möchte.

184

Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter

nis gegen gesonderte Vergütung zugrunde.213 Die Vertragsparteien stehen sich dann wie fremde Dritte gegenüber. Die Qualifikation der gegenseitigen Leistungen richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Beispielsweise erbringt ein Gesellschafter bei einem Beschäftigungsverhältnis214 seine Arbeitsleistung im nicht-selbstständigen, unternehmensfremden Bereich, vorausgesetzt er ist überhaupt persönlich steuerpflichtig.215 Ist er dagegen auf Grundlage eines Dienst- oder Werkvertrages selbstständig tätig, erbringt er seine Leistungen im wirtschaftlichen Bereich.216 Gegenstand solcher separaten Vertragsbeziehung können auch Geschäftsführungsleistungen in einer Personengesellschaft sein. Die gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Übernahme der Geschäftsführung (vgl. § 114 Abs. 1 HGB) steht dem nicht entgegen.217 Ein Austauschverhältnis kann sich auch aus dem Gesellschafts-

213 Zu Gesellschafterleistungen an die Gesellschaft: EuGH v. 27.1.2000, C-23/98, Heerma, Slg 2000, I-419, Rn 13; BFH v. 16.3.1993, XI R 44/90, BFHE 171, 114; v. 6.6.2002, V R 43/01, BFHE 199, 49, unter II.1.a); v. 14.5.2008, XI R 70/07, BFHE 221, 517, unter II.1. und 2.; v. 18.12.2008, V R 73/07, BFHE 223, 546, unter II.3.; v. 3.3.2011, V R 24/10, BFHE 233, 282, unter II.1.; Abschn. 1.6 Abs. 3 ff. UStAE; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 49.3 f.; ders. in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 47; Lippross, Umsatzsteuer, S. 146 f.; Wäger, UR 2008, 69 ff.; Forster, UStB 2007, 353, 354 f.; Forchhammer, Gesellschafterbeiträge, S. 58 f.; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 178 ff. Zu Gesellschaftsleistungen an die Gesellschafter: Jakob, Umsatzsteuer, Rn 956; Wäger, UR 2008, 69, 74 f.; Schön, DStJG 13, 1990, S. 81, 112; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 165 ff. 214 Vgl. EuGH v. 18.10.2007, C-355/06, van der Steen, Slg 2007, I-8863, Rn 17 ff. zum Angestelltenverhältnis in einer Ein-Mann-GmbH; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 49.6. 215 Dafür muss der Gesellschafter anderweitig eine wirtschaftliche und selbstständige Tätigkeit ausüben, vgl. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL. 216 Vgl. EuGH v. 27.1.2000, C-23/98, Heerma, Slg 2000, I-419, Rn 17 ff.; v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 89 ff. zum Spitzenausgleich in einem Konsortium; Engelberth, StBp 2010, 276 ff. zur Abgrenzung von nicht-selbstständiger Tätigkeit. 217 Dagegen galt nach der Organwaltertheorie die Geschäftsführungstätigkeit in einer Personengesellschaft auch bei gesonderter Vergütung als unentgeltlicher Gesellschafterbeitrag. Diese Theorie hat der BFH aufgegeben, vgl. BFH v. 6.6.2002, V R 43/01, BFHE 199, 49, unter II.1.c); v. 14.5.2008, XI R 70/07, BFHE 221, 517, unter II.1.a)aa); dazu Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 49.5; Engelberth, StBp 2010, 276 ff.; von Streit, UStB 2006, 195, 196; Wäger, UStB 2002, 359 ff.; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 187 f.

185

Anwendungsfälle und Abgrenzung

vertrag selbst ergeben, wenn sich die Gesellschafterbeiträge als Entgelt für individualisierte Leistungen der Gesellschaft darstellen.218 Davon zu unterscheiden sind Tätigkeiten der Gesellschafter auf Grund ihrer gesellschaftsvertraglichen Beitragspflicht (causa societatis). Ihnen steht die Beteiligung am Gewinn (und ggf. am Verlust) der Gesellschaft gegenüber.219 Aus Sicht des Gesellschafters gehören die Beitragsleistungen zur Beteiligungsverwaltung und folgen deren Qualifikation.220 Die Gewinnausschüttung auf Seiten der Gesellschaft begründet dagegen einen unternehmensfremden Bereich. Das gilt auch für Gewinnausschüttungen durch Sachleistungen (unter 1.). Von solchen Gesellschafterbeiträgen sind offene und verdeckte Gesellschaftereinlagen abzugrenzen. Offene Einlagen221 sind Leistungen in das Gesellschaftsvermögen zur Bildung von Eigenkapital. Ihr wirtschaftlicher Gegenwert besteht in dem Erwerb eines Gesellschaftsrechts. Für die Qualifikation ist zwischen Geldeinlagen und Sacheinlagen zu differenzieren: Der Beteiligungserwerb gegen Geldeinlage gehört aus Gesellschaftersicht zur Beteiligungsverwaltung und teilt deren Qualifikation. Aus Sicht der Gesellschaft ist die Gewährung der Gesellschaftsrechte unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeit in dem Tätigkeitsbereich, dem das erworbene Kapital zugeführt wird (unter 2.). Bei Sacheinlagen erwirbt der Gesellschafter ebenfalls ein Gesellschaftsrecht und verkauft parallel die Sache an die Gesellschaft. Das führt aus Gesellschaftersicht zu einer

218 Vgl. BFH v. 16.3.1993, XI R 44/90, BFHE 171, 114, unter II.2.; v. 18.4.1996, V R 123/93, BFHE 180, 204, unter II.2. und 3.; v. 27.9.2001, V R 37/01, BFH/NV 2002, 378, unter II.2.b); v. 5.12.2007, V R 60/05, BFHE 219, 455, unter II.1.b)aa); Wäger, UR 2008, 69, 71, 75; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 164. Zu Vereinsbeiträgen als Leistungsentgelt: EuGH v. 21.3.2001, C-174/00, Kennemer Golf & Country Club, Slg 2002, I-3293, Rn 36 ff. (Golfverein); BFH v. 9.5.1974, V R 128/71, BFHE 112, 430 (Lohnsteuerhilfeverein). 219 BFH v. 6.6.2002, V R 43/01, BFHE 199, 49, unter II.1.a); Abschn. 1.6. Abs. 3 S. 2 UStAE; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 941 und zur Abgrenzung von Leistungsaustausch gegen gesonderte Vergütung Rn 949; Pump/Fittkau, UStB 2007, 262, 264, unter 10. ff.; dies. UStB 2007, 293, 299, „Teilnahme am Gewinn oder Verlust“; von Streit, UStB 2006, 195, 196; Wäger, UR 2008, 69, 71 f. 220 Vgl. zur Qualifikation der Beteiligungsverwaltung oben S. 148 ff. und 172 ff. 221 Der Begriff stammt aus dem Ertragsteuerrecht. Er entspricht dem gesellschaftsrechtlichen Einlagenbegriff. Vgl. BFH v. 15.10.1997, I R 80/96, BFH/NV 1998, 624, unter II.1.; Birk, Steuerrecht, Rn 1258; Eckstein in H/H/R, EStG, § 6 Rn 1488b; Busch in Münchener Handbuch des GesR, § 60 Rn 3. Zum gesellschaftsrechtlichen Einlagenbegriff: Schmidt in MünchKomm, HGB, § 105 Rn 177.

186

Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter

Doppelqualifikation. Aus Sicht der Gesellschaft sind der entgeltliche Erwerb der Sache und die parallele Anteilsgewährung in gleicher Weise zu qualifizieren. Sie gehören als unselbstständiger nicht-wirtschaftlicher Einzelvorgang zu dem Tätigkeitsbereich, in dem die Sache verwendet wird (unter 3.). Verdeckten Einlagen222 schließlich steht kein korrespondierendes Gesellschaftsrecht gegenüber.223 Sie sind, wie Gesellschafterbeiträge, Teil der Beteiligungsverwaltung und folgen deren Qualifikation224 (unter 4.).

1.

Gesellschafterbeiträge gegen Gewinnbeteiligung

Der Gesellschafter erbringt seine gesellschaftsvertraglich geschuldeten Beiträge unentgeltlich225 und damit in nicht-wirtschaftlicher Form. Die Beteiligung am Gewinn ist nur Ausfluss seiner Eigentumsposition an der Beteiligung und kein Entgelt.226 Die Beitragsleistung ist Teil der Beteiligungsverwaltung.227 Hält der Gesellschafter die Beteiligung unabhängig von einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit, erbringt er seine Gesellschafterbeiträge im nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich bloßer Beteiligungsverwaltung (Variante 1).228 Steht die Beteiligung dagegen im

222 Der Begriff stammt aus dem Ertragsteuerrecht. Im gesellschaftsrechtlichen Sinn liegen hier keine Einlagen vor, vgl. BFH v. 16.4.1991, VIII R 100/87, BFHE 165, 31, unter 1.d); v. 15.10.1997, I R 80/96, BFH/NV 1998, 624, unter II.1.; v. 12.12.2000, VIII R 62/93, BFHE 194, 130, unter 2.b)aa); Eckstein in H/H/R, EStG, § 6 Rn 1488b; vgl. auch Weber-Grellet, DB 1998, 1532, 1535 f. 223 Vgl. BFH v. 24.3.1987, I R 202/83, BFHE 149, 542, unter II.2.; v. 20.7.2005, X R 22/02, BFHE 210, 345, unter II.2.a); v. 9.9.2010, IV R 12/08, BFH/NV 2011, 537, unter II.3., jeweils m. w. N.; Birk, Steuerrecht, Rn 1258; Kulosa in Schmidt, EStG, § 6 Rn 741. Im Umsatzsteuerrecht: Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, § 1 Rn 203; Wäger, UR 2008, 69, 73. 224 Vgl. zur Qualifikation von Beteiligungsverwaltung oben S. 148 ff. und 172 ff. 225 Reiß in Tipke/Lang, § 14 Rn 47; ders., IStR 2004, 450, 451; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 2 Rn 516; Lippross, Umsatzsteuer, S. 146; vgl. auch EuGH v. 27.1.2000, C-23/98, Heerma, Slg 2000, I-419, Rn 13; BFH v. 18.3.1988, V R 178/83, BFHE 153, 166. 226 Vgl. dazu oben S. 149 Fn 22. 227 Ebenso Forster, UStB 2007, 353, 356; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 941. 228 Zum nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich bloßer Beteiligungsverwaltung oben S. 148 ff. Ähnlich bereits Forchhammer, Gesellschafterbeiträge, S. 145 f.; BFH v. 20.1.1988, X R 48/81, BFHE 152, 556, unter II.2.; v. 9.3.1989, V B 48/88, BFHE 156, 535, unter 1.a); vgl. auch BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, (Sphärenurteil) unter B.4.c), wonach die Geschäftsführung der Komplementär-GmbH in einer GmbH & Co.KG zu ihrer nicht-unternehmerischen Sphäre gehört. Soweit der BFH hier jedoch auch bei entgeltlicher Geschäftsführung einen Leistungsaustausch verneint, ist diese Entscheidung seit Aufgabe der Organ-

187

Anwendungsfälle und Abgrenzung

Zusammenhang mit einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit, ist der Gesellschafterbeitrag eine unselbstständige Einzeltätigkeit in diesem wirtschaftlichen Bereich (Variante 2).229 Beispielsweise hat ein Händler kein Recht zum Vorsteuerabzug, wenn er eine Beteiligung ihrer selbst willen hält (Variante 1) und seine Gesellschafterbeiträge durch Buchhaltungsleistungen erbringt. Sichert ihm die Beteiligung dagegen günstige Einkaufskonditionen (Variante 2),230 berechtigen die Buchhaltungsaufwendungen als allgemeine Kosten bei der Bauunternehmertätigkeit zum Vorsteuerabzug.231 Dass die Buchhaltung selbst unentgeltlich ist, steht dem nicht entgegen. Werden Gesellschafterbeiträge durch Lieferung von Gegenständen erbracht,232 ist auch dies ein Akt der Beteiligungsverwaltung. Dieser wird jedoch von einer unentgeltlichen Zuwendung für unternehmenseigene Zwecke i. S. v. Art. 16 S. 1 Alt. 3 MwStSystRL, § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG überlagert.233 Denn der Steuerpflichtige verfolgt entweder den (nichtwirtschaftlichen) unternehmenseigenen Zweck, aus bloßer Beteiligungsverwaltung Gewinnanteile zu beziehen (Variante 1), oder er bezweckt, seine anderweitige (wirtschaftliche) unternehmenseigene Tätigkeit zu unterstützen

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waltertheorie (dazu oben S. 185 Fn 217) überholt, dazu Grünwald, DStR 2005, 1377, 1378. Zur unselbstständigen Beteiligungsverwaltung im wirtschaftlichen Bereich oben S. 172 ff. Ebenso Forster, UStB 2007, 353, 355 f.; ähnlich Forchhammer, Gesellschafterbeiträge, S. 145 ff.; vgl. auch OFD Hannover v. 10.6.2004, S 7100 – 271 – StO 351/ S 7100 – 598 – StH 446, DStR 2004, 1657, das den Vorsteuerabzug für nicht-steuerbare Geschäftsführungsleistungen in Bauarbeitsgemeinschaften zulässt. A. A. Blanke, Gesellschafterbeiträge bei Personengesellschaften, S. 116 f.; Pump/Fittkau, UStB 2007, 262, 263, nach deren Auffassung Gesellschafterbeiträge wegen ihrer Nicht-Steuerbarkeit den Vorsteuerabzug ausschließen. Vgl. Abschn. 2.3 Abs. 3 S. 5 Nr. 2 UStAE. Vgl. zum Vorsteuerabzug bei Gesellschafterbeiträgen auch Abschn. 15.20 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 i. V. m. Abschn. 1.6 Abs. 7 Nr. 2 lit. b) UStAE; BMF v. 12.9.1988, IV A 2 – S 7100 – 115/88, UR 1988, 362 zu Geschäftsführungsleistungen in einer Bauarbeitsgemeinschaft. In der Regel werden Gesellschafterbeiträge durch Dienstleistungen oder Nutzungsüberlassungen an die Gesellschaft erbracht. Bei Lieferungen handelt es sich häufig um Gesellschaftereinlagen gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten (dazu im Anschluss). Im Ausnahmefall können aber auch Lieferungen an die Gesellschaft durch Beteiligung am Gewinn und Verlust abgegolten werden. Dieser Fall ist hier gemeint. Für Dienstleistungen und Nutzungsüberlassungen ist dagegen keine Entnahme für unternehmenseigene Zwecke vorgesehen, vgl. Art. 26 Abs. 1 MwStSystRL, § 3 Abs. 9a UStG.

Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter

(Variante 2). Der Entnahmevorgang ist unselbstständig und entsprechend seinem Zweck zuzuordnen.234 Damit gehört er ebenfalls entweder zum Bereich bloßer Beteiligungsverwaltung (Variante 1) oder zu dem wirtschaftlichen Bereich, dem die Beteiligung dient (Variante 2). Erbringt der Händler im Beispiel oben seinen Gesellschafterbeitrag durch regelmäßige Lieferung aktueller Standard-Buchhaltungssoftware, gehört dies in Variante 1 zum Bereich bloßer Beteiligungsverwaltung. Folglich hat er kein Recht zum Vorsteuerabzug aus den Anschaffungskosten der Software und eine Entnahmebesteuerung entfällt, vgl. Art. 16 S. 1 2. HS MwStSystRL, § 3 Abs. 1b S. 2 UStG.235 In Variante 2 gehört die Software-Lieferung zum wirtschaftlichen Handelsbereich. Die Anschaffungskosten berechtigen daher zum Vorsteuerabzug und die Lieferung ist als unentgeltliche Zuwendung zu besteuern.236 Auf Seiten der Gesellschaft begründen Gewinnausschüttungen einen unternehmensfremden Tätigkeitsbereich. Gewinnausschüttungen in Geld sind schon mangels Leistung im mehrwertsteuerlichen Sinn237 nichtwirtschaftliche Vorgänge. Sie haben eigenständige mehrwertsteuerliche Relevanz, weil für darauf bezogene Aufwendungen (bspw. Rechtsberatungskosten) kein Vorsteuerabzugsrecht bestehen kann. Allgemeine Kosten würden nach ständiger EuGH-Rechtsprechung voraussetzen, dass die Aufwendungen in den Preis aller Produkte des Unternehmens eingehen und direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusammenhängen.238 Die Ausschüttung des Gewinns aus wirtschaftlicher Tätigkeit betrifft aber nicht mehr die wirtschaftliche Tätigkeit selbst. Sie ist nicht auf die Erbringung von Umsätzen gerichtet, sondern entzieht im Gegenteil die ausgeschütteten Gewinne der weiteren wirtschaftlichen Tätigkeit der Gesellschaft. Daher sind darauf bezogene Kosten nicht zu neutralisieren. Die Unternehmensfremdheit des Bereichs folgt aus dem ausschließlichen Zweck unentgeltlicher fremder Bedarfsdeckung.239 Die Gesellschafter stehen 234 Zur Qualifikation unentgeltlicher Zuwendungen für unternehmenseigene Zwecke oben S. 179 ff. 235 Vgl. Abschn. 1.6 Abs. 7 Nr. 3 lit. b) UStAE. 236 Vgl. Abschn. 1.6 Abs. 7 Nr. 3 lit. a) UStAE. 237 Wäger, UR 2008, 69, 76; vgl. allgemein zur Unterscheidung von Leistung und Entgelt: Jakob, Umsatzsteuer, Rn 195; Lippross, Umsatzsteuer, S. 77 f. 238 Vgl. EuGH v. 8.6.2000, C-98/98, Midland Bank, Slg 2000, I-4177, Rn 31; v. 27.09.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 33; v. 26.5.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 36; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 58. 239 Vgl. zu diesem unternehmensfremden Zweck oben S. 140.

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Anwendungsfälle und Abgrenzung

der Gesellschaft genauso als unternehmensfremde Personen gegenüber wie der Privatmann seinem Einzelunternehmen.240 Deren Bedarf unentgeltlich zu decken, ist ein reiner Entnahmezweck. Zwar löst die Gewinnausschüttung in Geld mangels Leistung241 keine Entnahmebesteuerung aus. Werden dabei aber Ressourcen aus dem wirtschaftlichen Bereich eingesetzt, ist dies als Entnahme steuerbar. Bei Gewinnausschüttungen durch Sachleistungen der Gesellschaft242 überlagert ein steuerbarer Entnahmevorgang für unternehmensfremde Zwecke243 die reine Gewinnausschüttung. Die Entnahme begründet ebenfalls einen unternehmensfremden Bereich.244 In diesem Sinne hat der BFH jüngst eine Gewinnausschüttung durch Wohnraumüberlassung an die Gesellschafter dem unternehmensfremden (Entnahme-) Bereich der Gesellschaft zugeordnet.245 Die Wohnraumüberlassung qualifizierte er als nichtwirtschaftliche Tätigkeit im „nicht-unternehmerischen Bereich“ der Gesellschaft.246 Er meinte den unternehmensfremden Bereich. Denn für die Baukosten des Hauses gewährte er im Falle teilweise wirtschaftlicher Verwendung das Zuordnungswahlrecht mit anschließender Verwendungsentnahmebesteuerung hinsichtlich der Wohnraumüberlassung.247 Das setzt die Unternehmensfremdheit der Wohnraumüberlassung voraus, sonst hätten 240 Vgl. oben Schaubild 14, S. 144. 241 Vgl. oben Fn 237. 242 Abzugrenzen sind Gewinnausschüttungen durch Sachleistungen von ideellen Tätigkeiten der Gesellschaft im Gesamtinteresse ihrer Mitglieder, vgl. dazu BFH v. 4.7.1985, V R 107/76, BFHE 145, 244, unter II.3.; v. 20.1.1988, X R 44/81, BFH/NV 1988, 528, unter 2.; v. 18.4.1996, V R 123/93, BFHE 180, 204, unter II.3.b); v. 26.10.2000, V R 12/00, BFH/NV 2001, 494, unter II.1.; Wäger, UR 2008, 69, 74; Pump/Fittkau, UStB 2007, 262, 266, unter 22; Schön, DStJG 13, 1990, S. 81, 114. Allgemein zur Qualifikation ideeller Tätigkeit oben S. 146. 243 Vgl. BFH v. 12.1.2011, XI R 9/08, BFHE 232, 254, unter II.3.c)bb); Jakob, Umsatzsteuer, Rn 956 f.; Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 1370. Vgl. auch bereits BFH v. 3.11.1983, V R 4/73, BFHE 140, 115, unter II., der Eigenverbrauch für außerhalb des Unternehmens liegende Zwecke bejahte. A. A. Wäger, UR 2008, 69, 76, der § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG für einschlägig hält. Das überzeugt jedoch nicht, weil Sachausschüttungen den Zweck verfolgen, einen Bedarf der Gesellschafter unentgeltlich zu decken, mithin einen unternehmensfremden Zweck, vgl. dazu oben S. 140 f. und S. 170 f. 244 Vgl. oben S. 170 f. 245 BFH v. 12.1.2011, XI R 9/08, BFHE 232, 254, unter II.3.c)aa); dazu bereits oben S. 77 f. 246 BFH v. 12.1.2011, XI R 9/08, BFHE 232, 254, unter II.3.c)aa). 247 BFH v. 12.1.2011, XI R 9/08, BFHE 232, 254, unter II.3.c)bb).

190

Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter

gemischte Eingangsleistungen nach den VNLTO-Grundsätzen248 zwingend aufgeteilt werden müssen.249 Als eigenständigen nicht-wirtschaftlichen Bereich hat der BFH unentgeltliche Leistungen an Gesellschafter auch schon vorher qualifiziert. Er versagte insbesondere den Vorsteuerabzug, wenn wirtschaftlich tätige Gesellschaften Kosten für die Einkommensteuererklärungen ihrer Gesellschafter übernommen haben.250 Die Gesellschaften seien zwar Empfänger der Geschäftsbesorgungsleistungen, würden sie aber nicht für ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten beziehen, sondern für den persönlichen Bereich ihrer Gesellschafter.251 Mit anderen Worten unterhielten sie einen nicht-wirtschaftlichen Bereich, soweit sie die Leistungen unentgeltlich an ihre Gesellschafter weitergaben.252

2.

Offene Einlagen in Geld gegen Gewährung von Gesellschafterrechten

Um seinen Gesellschaftsanteil zu erwerben, leistet der Gesellschafter im Normalfall eine Einlage in Geld. Das ist keine Leistung im mehrwertsteuerlichen Sinn253 und damit ein nicht-wirtschaftlicher Einzelvorgang. Er gehört als erster Akt zum Bereich der Beteiligungsverwaltung und folgt deren Qualifikation.254 Gesellschaftereinlagen werden daher entweder im nicht248 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 249 Die Gewährung des Zuordnungswahlrechts ist auch unionsrechtskonform. Der EuGH wendet es nicht nur auf natürliche, sondern auch auf juristische Personen an: EuGH v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 53 ff., wo der EuGH das Zuordnungswahlrecht für anwendbar erklärte, wenn eine Gesellschaft (Rn 20) ein Fahrzeug gemischt für wirtschaftliche und für private Zwecke ihres Geschäftsführers (Rn 27) verwendet. 250 BFH v. 13.7.1994, XI R 55/93, BFHE 175, 160; v. 8.9.2010, XI R 31/08, BFHE 231, 335. 251 BFH v. 13.7.1994, XI R 55/93, BFHE 175, 160, unter II.2.; v. 8.9.2010, XI R 31/08, BFHE 231, 335, unter II.1. 252 Die unentgeltliche Weitergabe der Leistung löste auch keine Entnahmebesteuerung aus, denn die Gesellschaft hat die Leistung nicht „als Steuerpflichtige“ bezogen und konnte sie daher auch nicht „als Steuerpflichtige“ weitergeben. Nach a. A. scheiterte die Entnahmebesteuerung, weil wirtschaftliche Interessen den Zweck der Bedarfsdeckung der Gesellschafter überlagerten, so Meyer, EFG 2009, 222; Herbert, UR 2009, 505, 508 f. Dies ist jedoch abzulehnen, weil die Gesellschaften nach den zutreffenden Ausführungen des BFH gerade keine wirtschaftlichen Interessen verfolgten. 253 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 45 a. E.; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 965; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 197; vgl. allgemein zur Unterscheidung von Leistung und Entgelt oben S. 189 Fn 237. 254 Jakob, Umsatzsteuer, Rn 918.

191

Anwendungsfälle und Abgrenzung

wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich bloßer Beteiligungsverwaltung erbracht255 oder in dem wirtschaftlichen Bereich, dem die Beteiligung zugute kommt.256 Die korrespondierende Ausgabe von Gesellschaftsrechten durch die Gesellschaft ist ebenfalls eine unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeit. Der EuGH hat sowohl die Aufnahme eines Personengesellschafters als auch die Ausgabe neuer Aktien als nicht-wirtschaftliche Vorgänge qualifiziert.257 Denn das Ziel der Gesellschaft sei der Erwerb neuen Kapitals und nicht die Erbringung einer Dienstleistung.258 Der neue Anteilseigener zahle auch kein Entgelt, sondern tätige eine Investition oder Kapitalanlage.259 Indes kann dem EuGH nicht gefolgt werden, wenn er an anderer Stelle die Nicht-Wirtschaftlichkeit der Ausgabe von Gesellschaftsanteilen aus der Nicht-Wirtschaftlichkeit eines Beteiligungserwerbs ableitet.260 Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.261 Trotz der NichtWirtschaftlichkeit der Ausgabe von Gesellschaftsanteilen können damit zusammenhängende Aufwendungen zum Vorsteuerabzug berechtigen. Der EuGH ordnet sie als allgemeine Kosten dem Tätigkeitsbereich zu, in dem das erworbene Kapital eingesetzt wird bzw. eingesetzt werden soll.262 Nach diesen Vorgaben ist für die Zuordnung der Ausgabe von Gesellschaftsrechten ihre Finanzierungsfunktion entscheidend. Diese dogmatische Einordnung wird teilweise anders gesehen. Eine Literaturansicht versteht die Anteilsausgabe als Eingangsleistung in Form des Bezugs einer sonstigen Leistung durch die Gesellschaft.263 Jedoch erbringt der neue Gesellschafter mit seiner Bareinlage gerade keine Leistung

255 Zum Bereich bloßer Beteiligungsverwaltung oben S. 148 ff. 256 Zur unselbstständigen Beteiligungsverwaltung im wirtschaftlichen Bereich oben S. 172 ff. 257 EuGH v. 26.6.2003, C-442/01, KapHag, Slg 2003, I-6851, Rn 39 ff.; v. 26.05.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 21 ff., Rn 27; vgl. dazu bereits oben S. 124 f. 258 EuGH v. 26.05.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 26. 259 EuGH v. 26.05.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 26. 260 Vgl. EuGH v. 26.6.2003, C-442/01, KapHag, Slg 2003, I-6851, Rn 40 f. 261 Vgl. Reiß, UR 2003, 428, 434 ff.; Lippross, Umsatzsteuer, S. 143; Wäger, UStKongress-Bericht 2007, S. 87, 98. 262 EuGH v. 26.5.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 36 ff.; v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 27 ff.; vgl. auch BFH v. 1.7.2004, V R 32/00, BFHE 205, 555, unter II.3.c); dazu Wäger, UStB 2004, 300 f. 263 Hundt-Eßwein, UStB 2010, 83, 86.

192

Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter

an die Gesellschaft.264 Es überzeugt auch nicht, wenn der EuGH die Aufnahme neuer Gesellschafter mit der Veräußerung von Beteiligungen gleichstellt.265 Wie dargelegt, behandelt er die Ausgabe von Gesellschaftsrechten als nicht-wirtschaftlichen Einzelvorgang und ordnet ihn nach seiner Finanzierungsfunktion einem Tätigkeitsbereich zu. Dagegen differenziert er für die Beteiligungsveräußerung: Sie ist entweder Teil des nichtwirtschaftlichen unternehmenseigenen Tätigkeitsbereichs bloßer Beteiligungsverwaltung.266 Oder sie steht in Verbindung mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit und ist dann selbst wirtschaftlich und steuerbar.267 Eine Gleichstellung ist nur im Sonderfall der Veräußerung eigener Anteile durch eine Kapitalgesellschaft denkbar: Eigene Anteile unterscheiden sich grundlegend von fremden Beteiligungen: Aus eigenen Anteilen stehen der Gesellschaft keine Rechte und damit auch keine Gewinnanteile zu,268 sie haben für die Gesellschaft keinen Vermögenswert269 und sie können auch nicht im Sinne einer strategischen Beteiligung die wirtschaftliche Tätigkeit der Gesellschaft fördern. Die Veräußerung eigener Anteile ist aber mit der Ausgabe neuer Anteile vergleichbar. Denn in beiden Fällen gewährt die Gesellschaft einen Gesellschaftsanteil mit dem Ziel, Kapital zu erwerben.270 In der mehrwertsteuerlichen Qualifikation ergibt sich nur ein kleiner Unterschied: Bei der Veräußerung eines eigenen Anteils leistet die Gesellschaft einen bestehenden Anteil gegen Entgelt. Der Vorgang ist gleichwohl nicht-wirtschaftlich. Denn die Gesellschaft ist weder wie ein Händler tätig, Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 MwStSystRL,271 noch ist die Veräußerung eine dauerhafte und notwendige Erweiterung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit. Führt die Gesellschaft das aus der Veräußerung erlangte Kapital ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu, muss analog zur Ausgabe neuer Gesellschaftsanteile ein Recht zum Vorsteuerabzug für die Veräußerungskosten bestehen.

264 Ebenso Reiß, UR 2003, 428, 435, unter b) und c); vgl. auch oben S. 191 bei Fn 253. 265 Vgl. EuGH v. 26.6.2003, C-442/01, KapHag, Slg 2003, I-6851, Rn 40 f.; übernommen von BFH v. 1.7.2004, V R 32/00, BFHE 205, 555, unter II.3.c)bb). 266 Dazu oben S. 148 ff. 267 Dazu oben S. 172 ff. 268 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 29 Rn 54, § 33 Rn 23 ff.; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71b Rn 9. 269 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, § 71 Rn 1, der eigene Aktien als „wertlose Rechtshülsen“ bezeichnet, weil sie die Beteiligung an einem Vermögen vermitteln, das der Gesellschaft ohnehin gehört. 270 Vgl. Hohner/Paura in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 33 Rn 86. 271 Vgl. auch das ausdrückliche Verbot zum Handel in eigenen Aktien § 71 Abs. 1 Nr. 8 S. 2 AktG.

193

Anwendungsfälle und Abgrenzung

3.

Offene Sacheinlagen gegen Gewährung von Gesellschafterrechten

Leistet der Gesellschafter seine Einlage zum Erwerb des Gesellschaftsanteils nicht in Geld, sondern überträgt der Gesellschaft eine Sache (offene Sacheinlage), erbringt er zunächst eine entgeltliche Lieferung.272 Zwar hat der EuGH der Anteilsausgabe den Leistungscharakter versagt,273 das steht aber ihrem Entgeltcharakter nicht entgegen.274 Lediglich ein tauschähnlicher Umsatz ist ausgeschlossen, wie es der BFH in seiner früheren Rechtsprechung annahm.275 Wollte man dagegen der Anteilsausgabe den Entgeltcharakter absprechen,276 würden Sacheinlagen unentgeltlich erbracht und der Gesellschaft würde kein Vorsteuerabzug aus dem Sachbezug zustehen. Das wäre nicht sachgerecht.277 Denn die Sacheinlage ist kein Geschenk, die Gesellschaft trägt einen Aufwand. Das Entgelt der Gesellschaft besteht nach herrschender Lehre in der Gewährung des Gesellschaftsanteils.278 Eine andere Ansicht sieht das Entgelt 272 BFH v. 8.11.1995, XI R 63/94, BFHE 179, 189, unter II.1.b); v. 15.5.1997, V R 67/94, BFHE 183, 278, unter II.1.b); v. 13.11.2003, V R 79/01, BFH/NV 2004, 685, unter II.2.c)aa); v. 6.10.2005, V R 7/04, BFH/NV 2006, 834, unter II.b); Abschn. 1.6 Abs. 2 S. 4-6 UStAE. 273 Vgl. EuGH v. 26.6.2003, C-442/01, KapHag, Slg 2003, I-6851, Rn 41; v. 26.05.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 22 ff.; dazu oben S. 192 Fn 257. 274 BFH v. 13.11.2003, V R 79/01, BFH/NV 2004, 685, unter II.2.c)aa); v. 18.12.2008, V R 73/07, BFHE 223, 546, unter II.4.; Reiß in FS Schaumburg, 1165, 1181 f.; ders., UR 2003, 428, 436 f.; Wäger, UR 2008, 69, 72 f.; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 198, 202. 275 Vgl. BFH v. 13.3.1986, V R 155/75, BFH/NV 1986, 500, unter 2. und 3.; v. 8.11.1995, XI R 63/94, BFHE 179, 189, unter II.1.b); v. 31.7.1996, XI R 43/96, BFH/NV 1997, 269, unter II.; v. 30.9.1999, V R 9/97, BFH/NV 2000, 607, unter II.1. 276 So Husmann in R/D/F/G, UStG, § 1 Rn 250; Blanke, Gesellschafterbeiträge bei Personengesellschaften, S. 82, 87; Terra/Kajus, European VAT Directives 1, S. 316 f. Vgl. auch Korf/Schneider in FS Reiß, S. 213, 226, die die Sacheinlage weder als entgeltlich noch als unentgeltlich, sondern als „dritte Art“ behandeln wollen. 277 Ebenso Schön, DStJG 13, 1990, S. 81, 107; Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 45 a. E.; ders. in FS Schaumburg, 1165, 1182. 278 BFH v. 8.11.1995, XI R 63/94, BFHE 179, 189, unter II.1.b); v. 15.5.1997, V R 67/94, BFHE 183, 278, unter II.1.b); v. 13.11.2003, V R 79/01, BFH/NV 2004, 685, unter II.2.c)aa); v. 6.10.2005, V R 7/04, BFH/NV 2006, 834, unter II.b); Abschn. 1.6 Abs. 2 S. 4-6 UStAE; Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 198 f.; Wäger, UR 2008, 69, 72 f.; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 965; auch Reiß in FS Schaumburg, 1165, 1182.

194

Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter

in der auf der Sacheinlage beruhenden Wertsteigerung des Gesellschaftsanteils.279 Die Wertsteigerung ist jedoch bloßer Reflex der Gesellschafterstellung, nicht eine Gegenleistung der Gesellschaft.280 Eine dritte Ansicht stellt für das Entgelt auf die Befreiung von der Einlagepflicht als Gesellschafter ab.281 Demnach erbringe der Gesellschafter seine Einlage nicht, um den Gesellschaftsanteil zu erlangen, sondern weil er bereits Gesellschafter sei. Würde man aber die Sacheinlage in dieser Form von der Gewährung des Gesellschaftsrechts trennen und als bloßen Ausfluss der gesellschaftsvertraglichen Einlagepflicht verstehen, so erbrächte die Gesellschaft überhaupt keine Gegenleistung mehr. Denn dann stünde die Sacheinlage einem Geschenk auf Grund eines verbindlichen Schenkungsvertrages mit der Gesellschaft gleich. Der Gesellschafter würde zwecks Befreiung von seiner vertraglichen Schenkungspflicht leisten. Ein Entgelt würde die Gesellschaft so gerade nicht erbringen. Vorzugsweise ist daher der Gegenwert der Sacheinlage mit der herrschenden Lehre in dem Erwerb des Gesellschaftsanteils zu sehen. Mit der Sacheinlage erbringt der Gesellschafter aber nicht nur eine entgeltliche Lieferung an die Gesellschaft, sondern erwirbt parallel auch den Gesellschaftsanteil. Der Vorgang hat insofern eine Zwitterstellung. Das Lieferungselement ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu qualifizieren. Als Kontrollfrage kann dienen, wie die Veräußerung an einen Dritten unter sonst gleichen Umständen zu qualifizieren wäre.282 Das Element des Beteiligungserwerbs ist wie bei einer Bareinlage ein Akt der Beteiligungs-

279 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 45; ders., UR 1996, 357, 363; ähnlich Forchhammer, Gesellschafterbeiträge, 64 f., 74 ff. 280 Korf/Schneider in FS Reiß, S. 213, 220 f.; vgl. auch Wäger, UR 2008, 69, 73 zur Unentgeltlichkeit einer verdeckten Einlage, weil die Erhöhung des Beteiligungswertes kein Entgelt ist. 281 Schön, DStJG 13, 1990, S. 81, 107 f., der auf diese Weise jegliche Gesellschafterbeiträge als entgeltlich qualifizieren will, um den Vorsteuerabzug umfassend zu garantieren. 282 Vgl. Jakob, Umsatzsteuer, Rn 965; Forchhammer, Gesellschafterbeiträge, S. 118 ff., die beide darauf hinweisen, dass die Steuerbarkeit die Leistung eines Unternehmers im Rahmen seines Unternehmens voraussetzt. Weiterhin BFH v. 15.1.1987, V R 3/77, BFHE 149, 272, unter 2.b), wo der BFH die Sacheinlage eines Unternehmens als nicht-wirtschaftlich qualifizierte, weil das Unternehmen allein zu diesem Zweck angeschafft wurde; BFH v. 6.10.2005, V R 7/04, BFH/NV 2006, 834, unter II.b), wo der BFH die Einlage von Wirtschaftsgütern in sechs neu gegründete GmbHs als wirtschaftliche Tätigkeit qualifizierte.

195

Anwendungsfälle und Abgrenzung

verwaltung und folgt deren Qualifikation.283 Für die Steuerbarkeit der Sacheinlage kommt es auf das Lieferungselement an. Für den Vorsteuerabzug und die Entnahmebesteuerung ist dagegen zu unterscheiden: Das Lieferungselement ist betroffen, wenn Aufwendungen bzw. unentgeltliche Leistungen ausschließlich auf den Veräußerungsvorgang bezogen sind, einschließlich der Kosten für die Sache selbst.284 Dagegen ist der Beteiligungserwerb maßgeblich, wenn die Aufwendungen bzw. unentgeltlichen Leistungen auch bei einer Bareinlage getätigt worden wären. Das sei an folgendem Beispiel verdeutlicht: Der Händler H erwirbt eine Beteiligung an dem Beratungsunternehmen B gegen Einlage von drei Kopiergeräten aus seinem Umlaufvermögen. Die Beteiligung hält H nur ihrer selbst willen (bloße Beteiligungsverwaltung). Mit der Einlage erbringt H eine steuerbare Lieferung in seinem wirtschaftlichen Bereich. Nimmt er Rechtsberatung hinsichtlich seiner Haftung bei Sachschäden in Anspruch, bezieht sich der Aufwand ausschließlich auf das Lieferungselement, denn er wäre bei einer Bareinlage nicht angefallen. Es besteht daher das Recht zum Vorsteuerabzug. Nimmt H dagegen allgemeine Beratungskosten hinsichtlich des Beteiligungserwerbs in Anspruch, ist die Qualifikation der (bloßen) Beteiligungsverwaltung als nicht-wirtschaftliche Tätigkeit maßgeblich. Die Aufwendungen berechtigen dann nicht zum Vorsteuerabzug. Dass die Beratungskosten mittelbar auch mit einem wirtschaftlichen Verkaufsvorgang zusammenhängen, ist unbeachtlich.

283 Vgl. bei der Bareinlage oben S. 191 f. 284 Forchhammer, Gesellschafterbeiträge, S. 120 f., zum Vorsteuerabzug des Gesellschafters für den Liefergegenstand.

196

Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter Schaubild 18: Zwitterstellung von offenen Sacheinlagen aus Gesellschaftersicht Offene Sacheinlage

Entgeltliche Lieferg.

Geschäftsbereich

Beteiligungserwerb

Bereich bloßer Beteiligungsverwaltg.

Unselbst. Beteiliggs.verwaltg. Wirtschaftlicher Bereich

Aus Sicht der Gesellschaft treffen spiegelbildlich ein Erwerbsvorgang hinsichtlich der Sache und die Gewährung von Gesellschaftsrechten aufeinander. Eine differenzierende Betrachtung entfällt hier jedoch. Denn beide Elemente sind unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzelvorgänge in dem Bereich, in dem die Sache verwendet wird: Der Erwerbsvorgang ist mangels entgeltlicher Ausgangsleistung nicht-wirtschaftlich. Gleichwohl besteht für Erwerbskosten ein Vorsteuerabzugsrecht, wenn die Sache im wirtschaftlichen Bereich verwendet wird, vgl. Art. 168 lit. a) MwStSystRL. Auch die parallele Gewährung des Gesellschaftsrechts ist eine unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeit.285 Bei Bareinlagen ist sie dem Bereich zuzuordnen, in dem das erworbene Kapital eingesetzt wird.286 Dementsprechend ist sie bei Sacheinlagen dem Bereich zuzuordnen, in dem die erworbene Sache verwendet wird. Folglich hat im Beispiel oben287 das Beratungsunternehmen B ein umfassendes Vorsteuerabzugsrecht, wenn es die Kopiergeräte ausschließlich wirtschaftlich verwendet: Zum Vorsteuerab-

285 Vgl. oben S. 192 bei Fn 257. 286 Vgl. oben S. 192 bei Fn 262. 287 Vgl. S. 196.

197

Anwendungsfälle und Abgrenzung

zug berechtigen insbesondere die Gerätekosten288 sowie Rechtsberatungskosten über Gewährleistungsansprüche. Kosten allgemeiner Rechtsberatung hinsichtlich der Aufnahme des neuen Gesellschafters berechtigen ebenfalls zum Vorsteuerabzug, weil die erworbenen Güter aus der Anteilsausgabe dem wirtschaftlichen Bereich zugeführt werden. Schaubild 19: Offene Sacheinlage aus Gesellschaftssicht

Offene Sacheinlage

Geschäftsbereich, in dem die Sache verwendet wird

4.

Verdeckte Einlage ohne korrespondierende Gewährung von Gesellschafterrechten

Bei verdeckten Einlagen wendet der Gesellschafter seiner Gesellschaft einen Vermögensvorteil zu, ohne dafür ein Gesellschaftsrecht zu erhalten (wie bei offenen Einlagen) und ohne dazu gesellschaftsvertraglich verpflichtet zu sein (wie bei Gesellschafterbeiträgen). Die Einlage kann entweder in Geld bestehen, einschließlich des Verzichts auf Forderungen gegen die Gesellschaft, oder in einem bilanzierungsfähigen Wirtschaftsgut.289 Ihre Ursache hat die Zuwendung im Gesellschaftsverhältnis. D. h. ein Nicht-

288 Vgl. Wäger, UR 2008, 69, 73, unter 5.b); Forchhammer, Gesellschafterbeiträge, S. 121; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 965, Beispiel zum Vorsteuerabzug bei Sacheinlage eines Patents. 289 Vgl. Eckstein in H/H/R, EStG, § 6 Rn 1488b „Bilanzierungsfähiger Vermögensvorteil“, Busch in Münchener Handbuch des GesR, § 60 Rn 5; Weber-Grellet, DB 1998, 1532 ff. mit Übersicht der Fallgruppen aus dem Ertragsteuerrecht.

198

Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter

Gesellschafter hätte der Gesellschaft den Vermögensvorteil bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht eingeräumt.290 Mehrwertsteuerlich sind verdeckte Einlagen nicht-wirtschaftliche Vorgänge. Bei Einlagen in Geld fehlt es schon an einer Leistung.291 Verdeckte Sacheinlagen292 sind auf Grund ihrer Unentgeltlichkeit293 nichtwirtschaftlich. Analog zu Gesellschafterbeiträgen sind verdeckte Einlagen Teil der Beteiligungsverwaltung. Denn auch sie haben ihren inneren Grund in der Gesellschafterstellung. Folglich gehören sie zum nichtwirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich bloßer Beteiligungsverwaltung, wenn der Gesellschafter die Beteiligung unabhängig von einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit hält (Variante 1).294 Steht die Beteiligung dagegen im Zusammenhang mit einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit, ist die verdeckte Einlage eine unselbstständige Einzeltätigkeit in diesem wirtschaftlichen Bereich (Variante 2).295 In letzterem Fall berechtigen Leistungsbezüge zwecks Erbringung der Einlage zum Vorsteuerabzug. Bei verdeckten Sacheinlagen überlagert eine unentgeltliche Zuwendung für Zwecke des Unternehmens i. S. v. Art. 16 S. 1 Alt. 3 MwStSystRL, § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG den Akt der Beteiligungsverwaltung296 – analog zu

290 St. Rspr. des BFH: BFH v. 20.7.2005, X R 22/02, BFHE 210, 345, unter II.2.a); v. 9.9.2010, IV R 12/08, BFH/NV 2011, 768, unter II.3., jeweils m. w. N. 291 Vgl. oben S. 191 Fn 253. 292 Der Begriff ist nicht zu verwechseln mit dem gesellschaftsrechtlichen Begriff „verdeckter Sacheinlagen“. Letzterer meint verschleierte Sacheinlagen, indem formell eine Bareinlage zum Erwerb des Gesellschaftsrechts vereinbart wird und der Gesellschafter alsbald einen Vermögensgegenstand an die Gesellschaft verkauft, um die Gelder zurückzuerhalten. Auf diese Weise sollen die gesellschaftsrechtlichen Sachgründungsvorschriften umgangen werden. Vgl. § 19 Abs. 4 GmbHG; § 27 Abs. 3 AktG; Kulosa in Schmidt, EStG, § 6 Rn 741; Freitag/Riemenschneider in Münchener Handbuch des GesR, § 9 Rn 61. 293 Vgl. Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 1 Rn 203; Wäger, UR 2008, 69, 73. 294 Zum nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich bloßer Beteiligungsverwaltung oben S. 148 ff. 295 Zur unselbstständigen Beteiligungsverwaltung im wirtschaftlichen Bereich oben S. 172 ff. 296 Vgl. Wäger, UR 2008, 69, 73. Einschränkend Forchhammer, Gesellschafterbeiträge, S. 147 ff., der nur bei strategischer Beteiligungsverwaltung unentgeltliche Zuwendungen für unternehmenseigene Zwecke annimmt, dagegen bei bloßer Beteiligungsverwaltung Entnahmen für unternehmensfremde Zwecke. Dies beruht noch auf der traditionellen Sphärentheorie, der zufolge bloße Beteiligungsverwaltung einen unternehmensfremden Bereich begründete.

199

Anwendungsfälle und Abgrenzung

Gesellschafterbeiträgen durch Lieferungen.297 Das ändert aber auch hier nichts an der Qualifikation. Der Entnahmevorgang ist ebenfalls unselbstständig und gehört ebenfalls zur Beteiligungsverwaltung.298 Denn maßgeblich für seine Zuordnung ist sein unternehmenseigener Zweck. Das ist entweder der Zweck, aus bloßer Beteiligungsverwaltung Gewinnanteile zu beziehen (Bereich bloßer Beteiligungsverwaltung) oder der Zweck, eine anderweitige wirtschaftliche Tätigkeit zu fördern (wirtschaftlicher Bereich).

297 Vgl. dazu oben S. 188 f. 298 Ausführlich im Kontext von Gesellschafterbeiträgen durch Lieferungen oben S. 188 f.

200

5. Kapitel: Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen In nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereichen sind Ausgangsleistungen, einschließlich unentgeltlicher Ausgangsleistungen, per definitionem nicht steuerbar. Ebenfalls per definitionem können diese Bereiche nicht Ziel von Entnahmen für unternehmensfremde Zwecke sein. Nur in einer Sonderkonstellation unentgeltlicher gegenständlicher Zuwendungen ist eine Entnahmebesteuerung denkbar (unter I.). Dies folgt unmittelbar aus der VNLTO-Entscheidung.1 Der EuGH hat hier die nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Sphäre definiert, indem er einen nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich als unternehmenszugehörig qualifizierte. Damit hat er dem hergebrachten deutschen Verständnis von der systematischen Bedeutung der Entnahmebesteuerung widersprochen. Insofern verwundert es nicht, dass die Entscheidung in der deutschen Literatur überwiegend auf Unverständnis und Kritik stieß: Sie sei fehlerhaft,2 gekünstelt,3 eigenwillig,4 unsystematisch5 und fiskalisch motiviert.6 Der EuGH wolle lediglich seine verfehlte Rechtsprechung zum Zuordnungswahlrecht einschränken.7 Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass das deutsche Verständnis keineswegs zwingend und die Kritik an der VNLTO-Entscheidung im Ergebnis nicht gerechtfertigt ist (unter II.).

1 2 3 4 5

6 7

EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 402; Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 39; ders. in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 17 Rn 159. Wäger, JbFfSt 10/11, S. 649, 653. Wäger, UR 2012, 25, 27. Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1511 f.: „Systembruch des Umsatzsteuerrechts“; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 407: „Vergewaltigung von Wortlaut und Systematik der Richtlinie“; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 15 Rn 121, 123 „Akt juristischer Hochseilakrobatik“ und „systematisch nur schwer verständlich[…]“; Nieskens, in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 1112.4, „systemlos“; Gerhards, DStZ 2012, 184, 185. Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1509. Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 35; ders. in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 17 Rn 159; Nieskens in R/D/F/G, UStG, § 3 Rn 1112.4; Wäger, DStR 2011, 433, 437; ders., DB 2012, 1288, 1293; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 407.

201

Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen

I.

Grundsätzliche Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen

Ausgangsleistungen im nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich sind nicht nach dem Grundtatbestand in Art. 2 Abs. 1 lit. a), lit. c) MwStSystRL steuerbar und können in unentgeltlicher Form auch keine Entnahmebesteuerung nach Art. 16 S. 1, Art. 26 Abs. 1 MwStSystRL auslösen. Denn beides setzt ein Handeln des Steuerpflichtigen „als solchen“ voraus, d. h. die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit i. S. v. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL. Die Entnahmetatbestände fingieren als Ergänzungstatbestände lediglich eine entgeltliche Lieferung bzw. eine entgeltliche Dienstleistung, nicht aber ein Handeln „als solcher“. In der nationalen Terminologie handelt der Steuerpflichtige nicht „im Rahmen des Unternehmens“ gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1b S. 1, § 3 Abs. 9a S. 1 UStG. Umgekehrt sind unentgeltliche Leistungen aus dem wirtschaftlichen Bereich für nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke per definitionem nicht als Entnahme für unternehmensfremde Zwecke steuerbar.8 Die deutsche Finanzverwaltung will dagegen eine Verwendungsentnahme nach § 3 Abs. 9a S. 1 Nr. 1 UStG besteuern, wenn sich der nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Verwendungsanteil einer gemischten Eingangsleistung erhöht.9 Eine solche Verwendungsentnahmebesteuerung stünde jedoch in offenem Widerspruch zur VNLTO-Entscheidung und ist daher abzulehnen.10 Eine Besteuerung unentgeltlicher Zuwendungen für Zwecke des Unternehmens i. S. v. Art. 16 S. 1 Alt. 3 MwStSystRL11 scheidet in der Regel ebenfalls aus. Denn der Steuerpflichtige bereichert keine andere Person im Sinne einer Zuwendung,12 wenn er Ressourcen aus seinem wirtschaftlichen Bereich in einem nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich in Anspruch nimmt. Nur in einer Sonderkonstellation kann die Verfolgung Vgl. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 38 f. BMF v. 2.1.2012, IV D 2-S 7300/11/10002, 2011/1014846, BStBl I 2012, 60, unter III.4; Abschn. 3.4 Abs. 5a S. 4 UStAE; Abschn. 15.19 Abs. 1 S. 3 UStAE (zur Erhöhung hoheitlicher Verwendungsanteile); zustimmend: Lippross, DStZ 2012, 320, 329; Wäger, UR 2012, 25, 29. 10 Ebenso Küffner/von Streit, DStR 2012, 636, 638 f.; Reiß, UR 2010, 797, 806; Klenk, UR 2012, 663, 666; offen gelassen von Wäger, DB 2012, 1288, 1294. 11 Vgl. dazu oben S. 179 ff. 12 Vgl. BFH v. 14.5.2008, XI R 60/07, BFHE 221, 512, unter II.1., der die zielgerichtete Verschaffung eines Vermögensvorteils an den Empfänger verlangt.

8 9

202

Rechtfertigung der Nicht-Steuerbarkeit von Entnahmen

nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Zwecke zur Besteuerung einer unentgeltlichen Zuwendung führen. Das betrifft hochwertige Geschenke an andere Personen, wenn nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke den Zweck fremder Bedarfsdeckung überlagern. Als Beispiel diene ein gemischt tätiger Verein, der in seinem wirtschaftlichen Bereich mit Schreibwaren handelt. Zwecks Bewerbung seiner ideellen Tätigkeit lässt der Verein auf 10 hochwertigen Federhaltern aus seinem Umlaufvermögen das Vereinslogo aufdrucken und verschenkt sie an potenzielle Mäzene seiner ideellen Tätigkeit. Die Entnahme ist als unentgeltliche Zuwendung für ideelle Unternehmenszwecke steuerbar.

II. Rechtfertigung der Nicht-Steuerbarkeit von Entnahmen Das hergebrachte deutsche Verständnis vom Zusammenspiel der Steuerbarkeit, des Vorsteuerabzugs und der Entnahmebesteuerung stellt sich vereinfacht wie folgt dar: Wirtschaftliche Tätigkeit ist steuerbar und berechtigt zum Vorsteuerabzug. Alle Tätigkeiten außerhalb des wirtschaftlichen Bereichs begründen Endverbrauch, sie sind daher nicht steuerbar und berechtigen nicht zum Vorsteuerabzug. Die Entnahmebesteuerung ist das notwendige Vorsteuerkorrektiv, wenn ein Gegenstand oder eine Leistung den wirtschaftlichen Bereich verlässt.13 Sie hat damit eine systemrelevante Vorsteuerkorrekturfunktion.14 Für eine Beschränkung ihres Anwendungsbereichs auf bestimmte Formen von Endverbrauch besteht demnach weder Anlass noch Rechtfertigung. Das gilt umso mehr als der Besteuerungstatbestand und die Entnahmetatbestände im nationalen Recht einheitlich den Unternehmensbegriff zugrunde legen.

13 In diesem Sinne: BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524, unter B.6 und B.7. (Sphärenurteil); v. 11.12.1986, V R 57/76, BFHE 148, 361, unter B.2.a)bb); v. 13.1.2011, V R 12/08, BFHE 232, 261, unter II.2.c) a. E.; auch BFH v. 22.10.2009, V R 33/08, BFH/NV 2010, 957, unter II.2.a) (m. w. N.), wo der BFH das Zuordnungswahlrecht mit entsprechendem Vorsteuerabzug noch auf gemischt wirtschaftlich und hoheitlich verwendete Gegenstände überträgt und eine Verwendungsentnahmebesteuerung hinsichtlich des hoheitlichen Verwendungsanteils unterstellt. Vgl. auch bereits oben S. 52 f. 14 Vgl. nur Jakob, Umsatzsteuer, Rn 415 ff.; Stadie in R/D/F/G, UStG, Einf., Rn 185 ff.; ders., UStG, § 3 Rn 56 f.; Robisch, DStR 1996, 488, 489; ders., Wertabgaben zu außerunternehmerischen Zwecken, S. 278 f.; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 17 Rn 159.

203

Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen

Der EuGH hat diesem Verständnis in der VNLTO-Entscheidung widersprochen, indem er ideelle Tätigkeiten zwar als nicht-wirtschaftlich, aber nicht als unternehmensfremd im Sinne der Entnahmebesteuerung qualifizierte.15 Er unterscheidet demnach zwischen unternehmensfremdem und unternehmenseigenem Endverbrauch. Das entspricht dem französischen Verständnis.16 Das französische Recht kannte schon vor der VNLTO-Entscheidung nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten für Zwecke des Unternehmens. Sie werden im französischen Innenlieferungstatbestand ausdrücklich in Bezug genommen, Art. 257-II-1-2° 2. Halbsatz CGI.17 Als nicht-wirtschaftlich und zugleich unternehmenseigen qualifiziert die französische Literatur insbesondere ideelle und hoheitliche Tätigkeiten18 sowie das reine Halten und Verwalten von Beteiligungen.19 Schon allein diese Übereinstimmung mit dem französischen Verständnis entkräftet die weitreichende Kritik an der VNLTO-Entscheidung.20 Die dem EuGH vorgelegte Rechtsfrage zum Anwendungsbereich der Entnahmebesteuerung wurde schlicht in zwei Mitgliedstaaten unterschiedlich beantwortet und der EuGH zog das französische Verständnis dem deutschen vor. Das unionsrechtliche Mehrwertsteuersystem lässt das französische Verständnis auch zu. Ein weiter Unternehmensbegriff und ein dementsprechend enger Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Entnahmetatbestände liegt bei unbefangener Analyse ihres Wortlauts, ihrer Historie, ihrer inneren Systematik und ihres Sinn und Zwecks sogar nahe. Demnach sind Entnahmetatbestände keine Vorsteuerkorrekturnormen, sondern ein Gleichstellungsinstrument von Selbstversorger und Fremdversorgtem.21 Sie

EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 34, 38 f. Eingehend dazu Pull, UR 2012, 701 ff. Vgl. Pull, UR 2012, 703 f. Vgl. Lefebvre, Déduire la TVA, Rn 15355, 1. Spiegelstrich zu hoheitlichen und ideellen Tätigkeiten, im Gegensatz zu unternehmensfremden Tätigkeiten in Rn 15355, 2. Spiegelstrich. 19 Schreiben der Finanzverwaltung v. 4.1.2010, 3 A-1-10, Beilage zu RDF 2010, Beitrag 14202, Rn 29; Lohse, Zuordnung, S. 232. 20 Vgl. zur Kritik an der VNLTO-Entscheidung oben S. 201 bei Fn 2 bis 7. 21 Zur Gleichstellungsfunktion der Entnahmebesteuerung: EuGH v. 20.1.2005, C-412/03, Hotel Scandic Gåsabäck, Slg 2005, I-743, Rn 23; v. 14.9.2006, C-72/05, Wollny, Slg 2006, I-8297, Rn 32; v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549 Rn 46 bis 48; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 54; v. 30.9.2010, C-581/08, EMI Group, Slg 2010, I-8607, Rn 17; Ruhmannseder, Gemischt genutzte Gegenstände, S. 48 f. Zur historischen Gleichstellungsfunktion der Entnahmebesteuerung im nationalen Recht oben S. 18 f.

15 16 17 18

204

Rechtfertigung der Nicht-Steuerbarkeit von Entnahmen

haben Ausnahmecharakter22 und deswegen einen beschränkten Anwendungsbereich (unter 1.). Der systematische Zusammenhang zu anderen Vorschriften der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und zum Seeling-Modell23 steht dieser Auslegung nicht entgegen (unter 2.). Im nationalen Umsatzsteuerrecht werden die Entnahmetatbestände zwar seit jeher weit ausgelegt. Diese Auslegung geht jedoch nicht auf eine Vorsteuerkorrekturfunktion zurück, sondern nur auf den Wortlaut des nationalen Gesetzestextes. Auf die Mehrwertsteuersystemrichtlinie ist dies nicht übertragbar (unter 3.). Der EuGH begründete seine Auslegung der Entnahmetatbestände in der VNLTOEntscheidung zwar nur rudimentär. Gleichwohl bestätigen seine wenigen Ausführungen die hier angestellten Überlegungen (unter 4.). Die wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung werden abschließend kurz zusammengefasst (unter 5.).

1.

Unionsrechtliche Entnahmetatbestände sind nach ihrer Gleichstellungsfunktion eng auszulegen

Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie sieht im Grundbesteuerungstatbestand und in den Entnahmetatbeständen unterschiedliche Schlüsselbegriffe vor. Steuerbarkeit setzt eine wirtschaftliche Tätigkeit voraus, Art. 2 Abs. 1 lit. a), c), Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL, die Entnahmebesteuerung die Verfolgung unternehmensfremder Zwecke, Art. 16 S. 1, Art. 26 Abs. 1 MwStSystRL. Das legt inhaltliche Unterschiede zwischen wirtschaftlicher und unternehmenseigener Tätigkeit nahe. Anderenfalls hätte der Richtliniengeber die Entnahmebesteuerung an die Verfolgung nicht-wirtschaftlicher Zwecke knüpfen können. Im Übrigen ist der Unternehmensbegriff inhaltlich offen. Der reine Wortsinn steht einer weiten Auslegung nach Maßgabe des Satzungszwecks einer Einrichtung24 wie in der VNLTO-Entscheidung nicht entgegen. Die Historie der unionsrechtlichen Entnahmetatbestände spricht gegen Vorsteuerkorrekturnormen mit entsprechend weitem Anwendungsbereich. Zwar begründete der Richtliniengeber die Entnahmebesteuerung mit ihrer vorsteuerneutralisierenden Wirkung.25 Gleichwohl sah er Unterschiede

22 Vgl. GA Mengozzi, Schlussanträge v. 22.12.2008 in der Rs. C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 37. 23 EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben 32 f. 24 Vgl. dazu oben S. 135 ff. 25 Vgl. Vorschlag einer sechsten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern, BT-DrS 7/913

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Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen

zwischen der Entnahmebesteuerung und einer technischen Vorsteuerberichtigung. Im Ergebnis entschied er sich bewusst gegen die Vorsteuerberichtigung.26 Dabei ging es ihm zum einen um die zeitlich unbegrenzte Anwendbarkeit der Entnahmebesteuerung. Zum anderen sollte der Steuerpflichtige dem Grunde nach behandelt werden, als würde er den Gegenstand im Entnahmezeitpunkt bei einem dritten Unternehmen kaufen27 bzw. mieten. Auch nach ihrer inneren Systematik sind Entnahmetatbestände keine Vorsteuerkorrekturnormen. Eine Vorsteuerkorrekturnorm zum Nachteil des Steuerpflichtigen müsste zwingend an eine Vorsteuerabzugsberechtigung hinsichtlich des Berichtigungsobjekts geknüpft sein. Dienstleistungsentnahmen sind jedoch unabhängig von einem ursprünglichen Vorsteuerabzug steuerbar, Art. 26 Abs. 1 lit. b), Art. 75 MwStSystRL.28 Wegen der systematischen Nähe zur vorsteuerabzugsabhängigen Verwendungsentnahme, Art. 26 Abs. 1 lit. a) 2. HS MwStSystRL, kann der Richtliniengeber die Vorsteueranknüpfung auch nicht vergessen haben.29 Darüber hinaus wäre eine Vorsteuerkorrektur zwingend anhand der ursprünglichen vorsteuerentlasteten Aufwendungen für das Berichtigungsobjekt zu bemessen. Bemessungsgrundlage der Gegenstandsentnahme ist jedoch der Einkaufspreis oder Selbstkostenpreis im Zeitpunkt der Entnahme, Art. 74 MwStSystRL. Insofern geht die Besteuerung teilweise über eine Vorsteuerkorrektur hinaus30 und bleibt teilweise dahinter zurück.31 Zudem

26

27 28

29

30

206

v. 19.7.1973, S. 38 f., zu Art. 5 Abs. 3 und Art. 7 Abs. 2; Rat der EG, Arbeitsunterlage v. 25.3.1975, T/226/75 (FIN), S. 2, www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/ 189.pdf, S. 93 f.; vgl. auch oben S. 22 f. Vgl. BT-DrS 7/913, S. 38 f., zu Art. 5 Abs. 3 und Art. 7 Abs. 2 (S. 22 Fn 53); www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/189.pdf, S. 93 f. (S. 22 Fn 53), dazu bereits oben S. 23 bei Fn 56 und 57. Rat der EG, Arbeitsunterlage v. 25.3.1975, T/226/75 (FIN), S. 2, www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/189.pdf, S. 93 f. Vgl. EuGH v. 25.5.1993, C-193/91, Mohsche, Slg 1993, I-2615, Rn 13; v. 20.1.2005, C-412/03, Hotel Scandic Gåsabäck, Slg 2005, I-743, Rn 23; BFH v. 18.5.1993, V R 134/89, BFHE 172, 159, unter II.2.; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 477. A. A. Stadie in R/D/F/G, UStG, Einführung Rn 189 ff., der von einem „Webfehler der Richtlinie“ spricht und daraus eine teleologische Reduktion der Leistungsentnahmebesteuerung ableitet, entgegen der Rechtsprechung des EuGH und des BFH (soeben Fn 28). Nachträgliche Wertzuwächse eines vorsteuerentlastet angeschafften Gegenstandes fließen in die Bemessungsgrundlage der Entnahmebesteuerung ein. Nebenkosten sind in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen, auch wenn sie nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt haben, vgl. Art. 78 MwStSystRL; vgl. Tehler in Reiß/Kraeusel/Langer,

Rechtfertigung der Nicht-Steuerbarkeit von Entnahmen

führt eine Erhöhung des Umsatzsteuersatzes zu einer erhöhten Entnahmesteuer. Die Entnahmebesteuerung ginge dann generell über eine Korrektur des ursprünglichen Vorsteuerabzugs hinaus. Umgekehrt bliebe sie generell dahinter zurück, wenn der Steuersatz nachträglich gesenkt würde. Vor diesem Hintergrund ist die tatbestandliche Anknüpfung der Gegenstands- und der Verwendungsentnahme an ein ursprüngliches Vorsteuerabzugsrecht nur ein schwaches Indiz für Vorsteuerkorrekturnormen.32 Näher liegt, dass sich der Richtliniengeber die vorsteuerneutralisierende Wirkung der Entnahmebesteuerung innerhalb ihres (anderweitig vorgegebenen) Anwendungsbereichs lediglich zunutze gemacht hat. Die Vorsteuerneutralisierung ist insofern nur eine – wenn auch willkommene – Begleiterscheinung. Als solche kann sie nicht Maßstab für die Reichweite der Besteuerung sein. Folglich bedeutet die Anknüpfung an die Vorsteuerabzugsberechtigung lediglich eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Entnahmebesteuerung. Sie ist notwendig, um eine Doppelbelastung mit Umsatzsteuer zu verhindern. Denn ohne Vorsteuerabzug ist eine Eingangsleistung bereits umsatzsteuerbelastet und würde bei Entnahme zum zweiten Mal besteuert. Maßstab für die Auslegung der Entnahmetatbestände muss ihre originäre Funktion als Gleichstellungsinstrument von Selbstversorger und Fremdversorgtem sein.33 Am deutlichsten wird diese Gleichstellungsfunktion heute bei der Dienstleistungsentnahme.34 Nur sie lässt einen von Vorsteuerüberlegungen bereinigten Blick auf die Entnahmebesteuerung zu. Steuerbar ist es demnach, wenn ein Malerunternehmer von seinem Personal sein Wohnzimmer streichen lässt. Der Unternehmer soll dem Grunde nach so behandelt

31

32 33

34

UStG, § 10 Rn 400. Selbstkosten sind auch anzusetzen, soweit sie nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt haben, Robisch, DStR 1996, 488, 491. Nachträgliche Wertminderungen eines vorsteuerentlastet angeschafften Gegenstandes sind einer Entnahmebesteuerung und damit ihrer vorsteuerneutralisierenden Wirkung entzogen. A. A. Jakob, Umsatzsteuer, Rn 417. Zur Gleichstellungsfunktion der Entnahmebesteuerung: EuGH v. 20.1.2005, C-412/03, Hotel Scandic Gåsabäck, Slg 2005, I-743, Rn 23; v. 14.9.2006, C-72/05, Wollny, Slg 2006, I-8297, Rn 32 f.; v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549 Rn 46 bis 48; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 54; v. 30.9.2010, C-581/08, EMI Group, Slg 2010, I-8607, Rn 17. Speziell zur Gleichstellungsfunktion von Dienstleistungsentnahmen unabhängig von einer ursprünglichen Vorsteuerabzugsberechtigung: EuGH v. 20.1.2005, C-412/03, Hotel Scandic Gåsabäck, Slg 2005, I-743, Rn 23; v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549 Rn 46 bis 48; Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 3 Rn 603 a. E.

207

Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen

werden, als hätte er die Leistungen wie eine Privatperson von einem Malerunternehmen steuerpflichtig bezogen. Streicht dagegen ein Arbeitnehmer aus dem wirtschaftlichen Bereich eines gemischt tätigen Vereins den rein ideell genutzten Tagungsraum, ist die maßgebliche Frage: Muss der Verein dem Grunde nach einem rein ideell tätigen Verein gleichgestellt werden, der die Malerleistungen von einem Malerunternehmen steuerpflichtig bezieht? Hier lässt sich durchaus ein wertungsmäßiger Unterschied zum Ausgangsfall erkennen, der gegen die Gleichstellung spricht: Zwar begründet auch die ideelle Nutzung Endverbrauch. Dieser ist aber dem Verein als Einrichtung noch zurechenbar und entspricht seinem Satzungszweck. Es besteht eine gewisse Nähe zum wirtschaftlichen Vereinsbereich, der Privatbereich des Malers ist hingegen seinem Unternehmen schon als Einrichtung nicht zurechenbar und insofern „völlig fremd“.35 Der Verbrauchsteuercharakter der Mehrwertsteuer steht dieser Auslegung nicht entgegen. Die Mehrwertsteuer soll nicht jede Art von Verbrauch belasten, sondern nur die Aufwandsbetätigung von Endverbrauchern für den Konsum von Wirtschaftsgütern.36 Beispielsweise ist es nicht steuerbar, wenn jemand Essensreste eines Restaurantgastes verzehrt. Steuerbar war dagegen der Restaurantleistung an den Gast. Bei Entnahmevorgängen wird nun aber kein Konsumaufwand getätigt. Der Steuerpflichtige versorgt sich oder andere unentgeltlich. Die Besteuerung entspricht insofern gerade nicht dem Belastungsgrund der Mehrwertsteuer, sondern dient allein dem genannten Gleichstellungszweck. Nach Maßgabe ihres Gleichstellungszwecks von Selbstversorger und Fremdversorgtem müssen die Entnahmetatbestände eng ausgelegt werden. Denn eine solche Selbstversorgungsbesteuerung hat Ausnahmecharakter. Lässt der Malerunternehmer aus obigem Beispiel von seinem Personal Betriebsräume streichen, ist eine Entnahmebesteuerung ausgeschlossen. Dies gilt auch dann, wenn er die Betriebsräume ausschließlich für eine unecht steuerfreie Tätigkeit nutzen würde und folglich jede Fremdleistung steuerpflichtig beziehen müsste.37 Bestätigt wird der Ausnahmecharakter 35 So die Wortwahl des EuGH in EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39. 36 Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 17 Rn 11; ders., USt-Kongress-Bericht, 2010, S. 25, 54; ders. in Schön/Beck, Zukunftsfragen des Steuerrechts, S. 39, 62; Reiß in Reiß/ Kraeusel/Langer, UStG, Einführung, Rn 46; Löhr, Optionsrecht für Vermietungsumsätze, S. 251 ff. 37 Die entsprechenden fakultativen Sonderentnahmetatbestände in Art. 27 MwStSystRL hat Deutschland nicht umgesetzt.

208

Rechtfertigung der Nicht-Steuerbarkeit von Entnahmen

durch den Grundbesteuerungstatbestand in Art. 2 Abs. 1 lit. a), lit. c) MwStSystRL, der Leistungen gegen Entgelt voraussetzt.38 Insofern ist es unbedenklich, Selbstversorgung nur zu besteuern, wenn sie zugunsten eines der Einrichtung „völlig fremden“ Tätigkeitsbereichs erfolgt.

2.

Systematische Beziehungen der Entnahmetatbestände stehen nicht entgegen

Die systematische Stellung der Entnahmetatbestände in Art. 16 und Art. 26 MwStSystRL gegenüber den Vorsteuerberichtigungsvorschriften in Art. 184 ff. MwStSystRL bestätigt, dass sie keine Vorsteuerkorrekturnormen sind. Sie wären sonst in Titel X. Kapitel 5. „Berichtigung des Vorsteuerabzugs“ geregelt.39 Die Entnahmetatbestände finden sich jedoch in Titel IV. „Steuerbarer Umsatz“. Es wäre auch nicht nachvollziehbar, warum die Richtlinie für reine Vorsteuerberichtigungszwecke zwei verschiedene Mechanismen einrichten bzw. beibehalten sollte. Entgegen einer Literaturansicht40 steht ein weiter Unternehmensbegriff im Sinne der VNLTO-Entscheidung auch in Einklang mit Art. 17 Abs. 1, Art. 18 lit. a) und Art. 174 Abs. 2 lit. a) MwStSystRL. Keine der Vorschriften unterstellt zwingend, dass nicht-wirtschaftliche Tätigkeitsbereiche unternehmensfremd sind. Nach Art. 17 Abs. 1 MwStSystRL41 steht die Verbringung eines Unternehmensgegenstandes in einen anderen Mitgliedstaat einer entgeltlichen Lieferung gleich und ist folglich steuerbar. Das gilt nicht für Gegenstände aus einem nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich. Dafür muss der Begriff „Unternehmensgegenstand“ jedoch nicht in dem engen Sinne wirtschaftlicher Tätigkeit ausgelegt werden. Denn verbringt der Steuerpflichtige einen nicht-wirtschaftlichen Zwecken dienenden Unternehmensgegenstand, handelt er schon nicht „als solcher“ im Sinne des Grundtatbestandes in Art. 2 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL. Art. 17 Abs. 1 MwStSystRL fingiert in derartigen Fällen auch kein Handeln „als solcher“, sondern nur eine entgeltliche Lieferung.

38 Vgl. zum Ausnahmecharakter der Entnahmebesteuerung auch GA Mengozzi, Schlussanträge v. 22.12.2008 in der Rs. C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 37. 39 Vgl. Robisch, Wertabgaben zu außerunternehmerischen Zwecken, S. 278, der eine entsprechende Verlegung der Entnahmetatbestände vorschlägt. 40 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 404; Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 35. 41 Umgesetzt in § 3 Abs. 1a UStG.

209

Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen

Art. 18 lit. a) MwStSystRL räumt den Mitgliedstaaten das Recht ein, die unternehmensinterne Neuzuordnung42 von Gegenständen als Entnahme zu besteuern, wenn im Zielbereich kein Recht zum Vorsteuerabzug besteht. Eine Literaturansicht schließt daraus gerade, dass die Vorschrift die Existenz eines nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereichs im Unternehmen unterstellt.43 Das ist zwar nicht zwingend. Als unternehmensinterne Zielbereiche ohne Vorsteuerabzugsrecht kommen auch ein (unecht) steuerfreier Tätigkeitsbereich oder ein Tätigkeitsbereich mit spezieller Vorsteuerabzugsbeschränkung in Betracht. Die Regelung steht aber jedenfalls einem weiten, nichtwirtschaftliche Tätigkeiten umfassenden Unternehmensbegriff nicht entgegen. Insbesondere besteuert Frankreich auf Grundlage von Art. 18 lit. a) MwStSystRL Gegenstandsentnahmen in nicht-steuerbare Unternehmensbereiche.44 Art. 174 Abs. 2 lit. a) MwStSystRL enthält eine Sonderregelung für die Ermittlung des Pro-rata-Satzes für gemischt steuerpflichtig und (unecht) steuerfrei verwendete Eingangsleistungen. Demnach bleiben Umsätze aus dem Verkauf von Investitionsgütern des Unternehmens außer Ansatz. Sie sollen den Umsatzschlüssel nicht verfälschen.45 Beim Verkauf von VNLTOgleich verwendeten Gegenständen ist die Regelung von vornherein nicht anwendbar. Der Verkaufserlös bleibt schon nach Art. 174 Abs. 1 lit. a) und lit. b) MwStSystRL bei der Berechnung des Pro-rata-Satzes unberücksichtigt, denn er ist mangels wirtschaftlicher Tätigkeit kein Umsatz in diesem Sinn.46 Art. 174 Abs. 2 lit. a) MwStSystRL gilt daher zwar faktisch nur für Unternehmensgegenstände aus dem wirtschaftlichen Bereich, steht einem weiten Unternehmensbegriff aber nicht entgegen.

42 „Verwendung“ in Art. 18 lit. a) MwStSystRL meint eine dauerhafte Verwendung im Sinne einer Neuzuordnung, keine nur vorübergehende Verwendung i. S. v. Art. 26 Abs. 1 lit. a) MwStSystRL. Deutlicher sind die französische und die englische Fassung, die von Zuordnung („affectation“ bzw. application“) anstatt von Verwendung („utilisation“ bzw. „use“) sprechen, vgl. Pull, UR 2012, 701, 703, dort Fn 33. 43 Lohse, IStR 2009, 486, 487. 44 Art. 257-II-1-2° CGI, 2. Halbsatz, dazu Pull, UR 2012, 701, 703 f. 45 EuGH v. 6.3.2008, C-98/07, Nordania Finans, BG Factoring, Slg 2008, I-1281, Rn 22. 46 St. Rspr., EuGH v. 22.6.1993, C-333/91, Sofitam, Slg 1993, I-3513, Rn 13 f.; v. 14.11.2000, C-142/99, Berginvest und Floridienne, Slg 2000, I-9567, Rn 21 ff.; v. 27.9.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 44; v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 54, 64.

210

Rechtfertigung der Nicht-Steuerbarkeit von Entnahmen

Auch die Anti-Seeling-Regelung in Art. 168a Abs. 1 MwStSystRL47 erlaubt einen weiten Unternehmensbegriff.48 Die Regelung soll den aus dem Zuordnungswahlrecht49 resultierenden vollen Vorsteuerabzug bei Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen50 verhindern. Insofern könnte man zwar annehmen, dass „ein dem Unternehmen zugeordnetes Grundstück“ ein Grundstück des (engen) wirtschaftlichen Unternehmensvermögens meint und auch die weitere Voraussetzung einer gemischten Verwendung für unternehmerische und unternehmensfremde Zwecke den engen Unternehmensbegriff zugrunde legt.51 Die Vorschrift ist aber auch dann nicht auf VNLTO-gleich (mit-)verwendete Grundstücke anwendbar, wenn man sie nach Maßgabe des weiten Unternehmensbegriffs auslegt: Rein VNLTOgleich verwendete Grundstücke sind dann mangels gemischter Verwendung nicht tatbestandsmäßig. Bei gemischt wirtschaftlich und VNLTO-gleich verwendeten Grundstücken fehlt es an einem Verwendungsanteil „für unternehmensfremde Zwecke“.52 Gemischt VNLTO-gleich und unternehmensfremd verwendete Grundstücke schließlich sind nur hinsichtlich des unternehmenseigenen Verwendungsanteils Unternehmensvermögen,53 werden insoweit jedoch nicht gemischt verwendet.54 Diese Auslegung ist 47 48 49 50 51 52 53

54

Vgl. S. 67 Fn 277. Vgl. Küffner/von Streit, DStR 2012, 581, 584; Stadie, UR 2011, 125, 142. Ausführlich dazu oben S. 55 ff. Vgl. zur begrifflichen Ungenauigkeit des EuGH in diesem Zusammenhang oben S. 102 f. Vgl. Wäger, UR 2012, 25, 28; ders., JbFfSt 10/11, S. 649, 653. Ausführlich dazu unten S. 224 ff. Das Zuordnungswahlrecht kann für den unternehmensfremden Verwendungsanteil nicht übertragen werden. Denn das Zuordnungswahlrecht dient nach dem EuGH der Wahrung des Neutralitätsgrundsatzes bei nachträglicher wirtschaftlicher Verwendung eines Investitionsgutes (ausführlich oben S. 61 f.). Der EuGH sieht aber den Neutralitätsgrundsatz nicht verletzt, wenn für die nachträgliche wirtschaftliche Verwendung eines rein privat angeschafften oder rein hoheitlich (d. h. nicht-wirtschaftlich unternehmenseigen) angeschafften Investitionsgutes kein Vorsteuerabzug gewährt wird (EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, 3795; v. 2.6.2005, C-378/02, Waterschap Zeeuws Vlaanderen, Slg 2005, I-4685). Dann kann nichts anderes gelten, wenn das Investitionsgut für gemischt privat und nicht-wirtschaftlich unternehmenseigene Zwecke angeschafft wird. Wollte man hier dagegen Art. 168a MwStSystRL für tatbestandsmäßig halten, liefen jedenfalls die Rechtsfolgen leer. Schafft beispielsweise ein Steuerpflichtiger ein Grundstück für ideelle (unternehmerische) und private (unternehmensfremde) Zwecke an, hat er dafür kein Recht zum Vorsteuerabzug, weil er nicht „als solcher“ handelt (vgl. unten S. 217). Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL würde dies nicht ändern, weil die Regelung lediglich ein bestehendes Vorsteuerabzugsrecht beschränkt

211

Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen

wegen des an die Entnahmetatbestände angelehnten Wortlauts heute zwingend.55 Schließlich hat auch das Seeling-Modell56 selbst für die Auslegung der Entnahmetatbestände keine Bedeutung. Zwar können gemischt genutzte Investitionsgüter nur dann zum vollen Vorsteuerabzug berechtigen, wenn die Möglichkeit einer Verwendungsentnahmebesteuerung besteht.57 In der Folge ergeben sich gleichheitsrechtliche Bedenken, wenn ein voller Vorsteuerabzug bei privater Mitverwendung möglich ist, aber nicht bei VNLTO-gleicher Mitverwendung.58 Daraus lässt sich jedoch nicht auf eine extensive Auslegung der Entnahmebesteuerung rückschließen. Denn die rechtliche Absicherung richterrechtlich entwickelter Rechtsinstitute ist keine sachgerechte Auslegungsmethode. Führt ein enger Anwendungsbereich der Entnahmetatbestände mit Blick auf das Seeling-Modell zu einem Gleichheitsverstoß, steht das Seeling-Modell in Frage, nicht die Reichweite der Entnahmetatbestände. Nicht gerechtfertigt ist daher die Kritik an der VNLTO-Entscheidung, sie würde zu einer Benachteiligung juristischer Personen wegen des nur noch beschränkt anwendbaren Zuordnungswahlrechts führen.59

3.

Traditionell weite Auslegung der deutschen Entnahmetatbestände steht nicht entgegen

Die deutschen Entnahmetatbestände wurden von Anbeginn an weit ausgelegt.60 Schon im Brutto-Allphasen-System galten Gegenstandsentnahmen für hoheitliche Zwecke und für ideelle Zwecke als steuerbar.61 Eine Vorsteuerkorrekturfunktion konnte dafür nicht ausschlaggebend sein. Denn

55 56 57 58 59 60 61

212

(vgl. oben S. 66 ff.). Verwendet der Steuerpflichtige das Grundstück nachträglich wirtschaftlich, ist eine Vorsteuerberichtigung nach Art. 184 ff. MwStSystRL grundsätzlich ausgeschlossen, weil bei Leistungsbezug kein Recht zum Vorsteuerabzug entstanden ist (vgl. EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, 3795, dazu oben S. 30 f. und unten S. 257 f.). Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL ließe auch keine Vorsteuerberichtigung zu, denn die Vorschrift schließt lediglich eine Entnahmebesteuerung aus und verweist im Übrigen auf die allgemeinen Grundsätze der Vorsteuerberichtigung (von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524, 526). Vgl. Stadie, UR 2011, 125, 142. EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben 32 f. Vgl. zum dogmatischen Verständnis des EuGH oben S. 59 f. Eingehend dazu unten S. 230 ff. So aber Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1509. Ausführlich oben S. 19 f. Vgl. S. 19 Fn 31 und Fn 32.

Rechtfertigung der Nicht-Steuerbarkeit von Entnahmen

im Brutto-Allphasen-System gab es noch keinen Vorsteuerabzug. Die Entnahmebesteuerung diente stattdessen der Gleichstellung des sich selbst versorgenden Unternehmers mit fremdversorgten Verbrauchern.62 Ohne die Entnahmesteuer hätte sich der Unternehmer die Umsatzsteuerlast auf der letzten Umsatzstufe erspart. Aber auch diese Gleichstellungsfunktion war für die weite Auslegung nicht maßgeblich. Im Gegenteil: Als der RFH 1927 in einem Grundsatzurteil die Steuerbarkeit von Entnahmen für hoheitliche Zwecke bejahte,63 erklärte er den Gleichstellungszweck für unbeachtlich und stellte stattdessen auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut ab. Seinerzeit setzte die Eigenverbrauchsbesteuerung die Verfolgung außergebewerblicher Zwecke voraus, § 1 Abs. 2 UStG 1918.64 Der Grundbesteuerungstatbestand in § 1 Abs. 1 S. 1 UStG 191865 verlangte die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit. Damit waren nicht-gewerbliche Tätigkeitsbereiche nicht steuerbar und zugleich möglicher Zielbereich von Entnahmen. Später ersetzte der Unternehmensbegriff den Gewerbebegriff,66 die parallele Auslegung im Besteuerungstatbestand und in den Entnahmetatbeständen wurde aber nicht mehr in Frage gestellt.67 Auf die unionsrechtlichen Entnahmetatbestände ist dieses im nationalen Recht entscheidende Wortlautargument nicht übertragbar. Denn die Mehrwertsteuersystemrichtlinie unterscheidet begrifflich zwischen wirtschaftlichen und selbstständigen Tätigkeiten einerseits und unternehmensfremden Zwecken andererseits.68 Hätte der nationale Gesetzestext 1927 in dieser Weise begrifflich unterschieden, hätte der RFH aller Voraussicht nach eine Entnahmebesteuerung für hoheitliche Zwecke abgelehnt: Der differenzierende Wortlaut hätte eine unabhängige Auslegung des Entnahmetatbestandes nahe gelegt. Dabei hätte der Ausnahmecharakter der Besteuerung unentgeltlicher Leistungen für eine restriktive Anwendung gesprochen. Vor allem aber wäre die Gleichstellungsfunktion des fremdversorgten Städters mit dem selbstversorgten Landwirt in den Vordergrund gerückt.69

62 63 64 65 66 67 68

Vgl. oben S. 19 Fn 27. RFH v. 11.1.1927, V A 746/26, RFHE 20, 147; ausführlich oben S. 20. RGBl I 1918, 779. RGBl I 1918, 779. Vgl. oben S. 20 f. Vgl. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 17 Rn 160. Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a), c), Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL und Art. 16 S. 1, Art. 26 Abs. 1 MwStSystRL. 69 Vgl. RFH v. 11.1.1927, V A 746/26, RFHE 20, 147, 148, wo der RFH diese Funktion feststellt, jedoch wegen des Gesetzeswortlautes für unbeachtlich erklärt.

213

Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen

Die Intention des Gesetzgebers war es, Entnahmen in den Privatbereich zu erfassen. Auf dieser Grundlage hätte die deutsche Entnahmebesteuerung eine andere Entwicklung genommen. Im Ergebnis ist eine extensive Entnahmebesteuerung keineswegs derart zwingend, wie es die jahrzehntelange Auslegungspraxis in Deutschland vermuten lässt.

4.

VNLTO-Entscheidung bestätigt die Überlegungen

Der EuGH begründet seine enge Auslegung der Entnahmetatbestände in der VNLTO-Entscheidung mit zwei Argumenten: Erstens können nicht alle nicht-steuerbaren Tätigkeiten unternehmensfremde Zwecke verfolgen, weil „[e]ine solche Auslegung … Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie jeden Sinn nehmen [würde]“.70 Zweitens sei ein privater Zweck „begriffsmäßig ein dem Unternehmen des Steuerpflichtigen völlig fremder Zweck“, ideelle Zwecke können dagegen „nicht als unternehmensfremd betrachtet werden […], da sie den Hauptzweck dieser Vereinigung darstellen.“71 Mit dem ersten Argument bringt der EuGH den Ausnahmecharakter der Entnahmebesteuerung zum Ausdruck und folgert daraus einen grundsätzlich beschränkten Anwendungsbereich. Inhaltlich ist das Argument jedoch nicht unmittelbar nachvollziehbar. Denn selbst wenn nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten generell unternehmensfremde Zwecke verfolgten, wären sie deswegen nicht als Entnahmen steuerbar, weil der Steuerpflichtige insoweit nicht „als solcher“ handelt, vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a), lit. c) i. V. m. Art. 16, 26 MwStSystRL. Das Argument soll wohl eher heißen, dass die Voraussetzung der Entgeltlichkeit im Grundbesteuerungstatbestand ausgehöhlt würde, wenn unentgeltliche Leistungen zu nicht-wirtschaftlichen Zwecken immer eine Entnahmebesteuerung auslösten. Auch das überzeugt jedoch inhaltlich nicht vollständig. Würde ein gemischt tätiger Verein aus seinem wirtschaftlichen Bereich einen von einer Privatperson erworbenen Betriebsgegenstand für ideelle Zwecke entnehmen, wäre dies mangels Vorsteuerabzugsberechtigung auch dann nicht als Gegenstandsentnahme steuerbar. Die Voraussetzung der Entgeltlichkeit im Grundtatbestand wäre insoweit nicht ausgehöhlt. Mit dem zweiten Argument konkretisiert der EuGH die Reichweite der Entnahmebesteuerung, indem er wertungsmäßig privaten und ideellen Endverbrauch unterscheidet.72 Dies lässt sich zwar nicht anhand des 70 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 38 mit Verweis auf GA Mengozzi, Schlussanträge v. 22.12.2008 in dieser Rechtssache, Rn 38. 71 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39. 72 Vgl. zu dieser wertungsmäßigen Unterscheidung oben S. 207 f.

214

Rechtfertigung der Nicht-Steuerbarkeit von Entnahmen

Unternehmensbegriffs rechtfertigen, wie es der EuGH tut. Dafür ist der Unternehmensbegriff zu unbestimmt. Insbesondere ist nach traditionellem deutschem Verständnis auch ein ideeller Zweck begriffsmäßig ein dem Unternehmen des Steuerpflichtigen (völlig) fremder Zweck. Die wertungsmäßige Unterscheidung verschiedener Endverbrauchsformen zeigt aber, dass die vorsteuerneutralisierende Wirkung der Entnahmebesteuerung nicht Auslegungsmaßstab für ihre Reichweite ist. Denn eine Vorsteuerkorrektur ist bei jeder Form von Endverbrauch einer vorsteuerentlasteten Eingangsleistung angezeigt. Der EuGH thematisiert die vorsteuerneutralisierende Wirkung in der VNLTO-Entscheidung auch mit keinem Wort. Legt man dagegen die originäre Gleichstellungsfunktion der Entnahmebesteuerung als Auslegungsmaßstab zugrunde, rechtfertigt sich ohne weiteres die wertungsmäßige Unterscheidung verschiedener Endverbrauchsformen. Demnach ist eine Gleichstellung von Selbstversorgung und Fremdversorgung nur ausnahmsweise geboten, wenn der Steuerpflichtige einen Bedarf außerhalb seines satzungsmäßigen Zwecks deckt. Im Übrigen bleibt Selbstversorgung nicht steuerbar.

5.

Zwischenergebnis

Der EuGH hat in der VNLTO-Entscheidung den Unternehmensbegriff der unionsrechtlichen Entnahmetatbestände weit ausgelegt. Damit hat er den Anwendungsbereich der Entnahmebesteuerung auf unentgeltliche Leistungen beschränkt, die für private Zwecke des Steuerpflichtigen, für den Bedarf anderer Personen und für Tätigkeitsbereiche außerhalb des Satzungszwecks der Einrichtung bestimmt sind. Dies widerspricht dem traditionellen deutschen Verständnis, wonach eine Entnahmebesteuerung für Zwecke aller nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereiche vorgesehen ist, also auch solcher innerhalb des Satzungszwecks einer Einrichtung. Die deutsche Literatur73 steht der Entscheidung dementsprechend kritisch gegenüber. Die Kritik ist jedoch ungerechtfertigt, denn die Auslegung des EuGH ist möglich und liegt sogar nahe: Erstens entspricht seine Auslegung dem französischen Verständnis. Das französische Recht kannte schon vor der VNLTO-Entscheidung nichtwirtschaftliche unternehmenseigene Tätigkeiten. Zweitens können Entnahmetatbestände nicht nach Maßgabe ihrer vorsteuerneutralisierenden Wirkung, sondern nur nach Maßgabe ihrer Gleichstellungsfunktion ausgelegt werden. Denn die vorsteuerneutralisierende Wirkung ist nur eine, 73 Vgl. S. 201 Fn 2 bis Fn 6.

215

Nicht-Steuerbarkeit von Leistungen und Entnahmen

wenn auch willkommene, Begleiterscheinung. Maßgeblich muss die originäre Funktion der Entnahmebesteuerung als Gleichstellungsinstrument von Selbstversorger und Fremdversorgtem sein. Eine solche Selbstversorgungsbesteuerung hat Ausnahmecharakter und folglich einen engen Anwendungsbereich. Insofern lässt sich ein wertungsmäßiger Unterschied zwischen privatem und ideellem Endverbrauch ausmachen. Drittens spricht die unterschiedliche Terminologie des unionsrechtlichen Besteuerungstatbestandes und der unionsrechtlichen Entnahmetatbestände gegen einen inhaltlichen Gleichlauf „wirtschaftlicher Tätigkeit“ und „unternehmenseigener Tätigkeit.“ Insofern ist auch die historisch extensive Auslegung der Entnahmetatbestände im deutschen Umsatzsteuerrecht unbeachtlich. Denn sie beruht maßgeblich auf dem einheitlichen Schlüsselbegriff „Unternehmen“ im deutschen Besteuerungstatbestand und in den deutschen Entnahmetatbeständen. Viertens ist bisher keine Norm aus der Mehrwertsteuersystemrichtlinie bekannt, die den Unternehmensbegriff zwingend im engen Sinne rein wirtschaftlicher Tätigkeit verwendet. Schließlich stehen fünftens gleichheitsrechtliche Bedenken mit Blick auf das Seeling-Modell74 einer restriktiven Entnahmebesteuerung nicht entgegen. Denn die rechtliche Absicherung richterrechtlich entwickelter Rechtsinstitute ist keine sachgerechte Auslegungsmethode.

74 EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben 32 f.

216

6. Kapitel: Kein Vorsteuerabzug und Aufteilung gemischter Eingangsleistungen Eingangsleistungen in nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereichen berechtigen per definitionem nicht zum Vorsteuerabzug. Der Steuerpflichtige bezieht sie nicht „als solcher“, sodass kein Recht zum Vorsteuerabzug entsteht. Ausgeschlossen sind auch allgemeine Kosten bei der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit (unter I.). Dementsprechend sind gemischte Eingangsleistungen zur Verwendung in der wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre aufzuteilen. Nur der wirtschaftliche Verwendungsanteil berechtigt zum Vorsteuerabzug. Daraus resultiert eine gleichheitswidrige Benachteiligung gegenüber privaten Verwendungsanteilen, die nach dem Seeling-Modell1 zum Vorsteuerabzug berechtigen können.2 Die Behandlung nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Verwendungsanteile steht deswegen aber nicht in Frage, sondern vielmehr das – ohnehin durch Art. 168a MwStSystRL in seiner Reichweite beschränkte3 – Seeling-Modell (unter II.). Im Anschluss wird das Sonderproblem untrennbar gemischt genutzter Eingangsleistungen untersucht. Zur Reichweite des Vorsteuerabzugs werden hier alle Ansichten vertreten, von der vollständigen Versagung, über eine anteilige Gewährung bis hin zur vollständigen Gewährung. Vorzugswürdig ist auch in diesem Fall eine Aufteilung nach Verwendungsanteilen. Da die Verwendungsanteile nicht gemessen werden können, müssen sie bewertet werden (unter III.).

I.

Keine Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts

Ein Recht zum Vorsteuerabzug besteht, wenn der Steuerpflichtige eine Leistung „als solcher“ für Zwecke seiner besteuerten Umsätze bezieht. Der EuGH unterscheidet dogmatisch zwischen der Entstehung und dem Umfang des Vorsteuerabzugsrechts.4 Die Entstehung setzt voraus, dass der 1 2 3 4

EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben S. 32 f. Vgl. oben S. 55 ff. Vgl. dazu oben S. 67 f. EuGH v. 11.7.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 15; v. 8.6.2000, C-400/98, Breitsohl, Slg 2000, I-4321, Rn 35; v. 8.6.2000, C-396/98, Schloßstraße, Slg 2000, I-4279, Rn 37; v. 30.3.2006, C-184/04, Uudenkaupungin kaupunki, Slg 2006, I-8039, Rn 38 f.; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 57; v. 19.7.2012, C-334/10, X, UR 2012, 726, Rn 17; vgl. auch Küffner/von Streit, DStR 2012, 581.

217

Kein Vorsteuerabzug

Steuerpflichtige „als solcher“ handelt. Die tatsächliche oder beabsichtigte Verwendung für besteuerte Umsätze im Sinne von Art. 168 MwStSystRL bestimmt nur den Umfang des Vorsteuerabzugs.5 Ausdrücklich vorgesehen ist die Voraussetzung eines Handelns „als solcher“ in Art. 167 und Art. 168 lit. a) MwStSystRL nicht. Der EuGH bezieht sich dafür auf den Besteuerungstatbestand, vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a) und lit. c) MwStSystRL. Er versteht ein Handeln „als Steuerpflichtiger“ als allgemeine Voraussetzung für die Anwendung des Mehrwertsteuersystems und damit auch der Regelungen zum Vorsteuerabzug. Eingangsleistungen in der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre bezieht der Steuerpflichtige nicht „als solcher“. Dies würde voraussetzen, dass er für Zwecke seiner wirtschaftlichen und selbstständigen Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL handelt.6 Die Zugehörigkeit der Eingangsleistung zur nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre bringt aber gerade den fehlenden Zusammenhang zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit zum Ausdruck. Auch ein Vorsteuerabzug aus allgemeinen Kosten bei der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit7 scheidet nach dem Sphärenmodell aus. Zwar prüft der EuGH regelmäßig allgemeine Kosten, wenn eine Eingangsleistung nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zu einer konkreten wirtschaftlichen Ausgangstätigkeit steht.8 Bejaht er jedoch allgemeine Kosten, gehört

5

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7 8

218

Der EuGH entwickelte diese dogmatische Unterscheidung im Kontext des Vorsteuerabzugs bei Investitionsausgaben im Vorfeld wirtschaftlicher Ausgangsumsätze. Demnach ist die sofortige wirtschaftliche Verwendung einer Eingangsleistung nicht Voraussetzung für die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts, wie es Art. 168 MwStSystRL vermuten lässt. Vielmehr genüge es, wenn der Steuerpflichtige bei Leistungsbezug die zukünftige wirtschaftliche Verwendung beabsichtigt, mithin „als solcher“ handelt. EuGH v. 11.7.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 13 ff. unter Verweis auf EuGH v. 14.2.1985, C-268/83, Rompelman, Slg 1985, I-655, Rn 22 ff. EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795 Rn 19 f.; v. 8.3.2001, C-415/98, Bakcsi, Slg 2001, I-1831, Rn 29; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 58; v. 22.3.2012, C-153/11, Klub, DStR 2012, 606, Rn 39 f.; v. 19.7.2012, C-334/10, X, UR 2012, 726, Rn 19 ff. Vgl. zum Vorsteuerabzug aus allgemeinen Kosten oben S. 47 f. bei Fn 179. EuGH v. 8.6.2000, C-98/98, Midland Bank, Slg 2000, I-4177, Rn 31; v. 27.09.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 33; v. 26.5.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 36; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 58; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 47.

Keine Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts

die Eingangsleistung zur wirtschaftlichen Sphäre.9 In der nichtwirtschaftlichen unternehmenseigenen (und auch der unternehmensfremden) Sphäre können Eingangsleistungen dagegen nach dem Sphärenmodell nie zum Vorsteuerabzug berechtigen. Das ist gerade eine seiner zentralen Aussagen.10 Allgemeine Kosten können insbesondere nicht aus der Verwendung von Überschüssen aus einem nicht-wirtschaftlichen (unternehmenseigenen) Bereich in einem wirtschaftlichen Bereich abgeleitet werden.11 Maßgeblich ist stattdessen die unmittelbare Verwendung der Eingangsleistung in dem nicht-wirtschaftlichen (unternehmenseigenen) Bereich.12 Bezieht beispielsweise ein gemischt tätiger Verein Büromaterial zur ausschließlichen Verwendung im ideellen Bereich, besteht kein Recht zum Vorsteuerabzug. Daran ändert sich nichts, wenn er Überschüsse aus den Mitgliedsbeiträgen für neue Investitionen im wirtschaftlichen Bereich verwendet. Das Büromaterial kommt dann allenfalls mittelbar der wirtschaftlichen Tätigkeit zugute, was für den Vorsteuerabzug nicht genügt. Wenn der EuGH dagegen bei der (nicht-wirtschaftlichen) Ausgabe von Beteiligungen den Vorsteuerabzug aus allgemeinen Kosten gewährt, weil das erworbene Kapital im wirtschaftlichen Bereich verwendet wird,13 qualifiziert er damit die Beteiligungsausgabe zur unselbstständigen Einzeltätigkeit.14

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12 13

14

Vgl. zur dogmatischen Einordnung allgemeiner Kosten im Kontext der (traditionellen) Sphärentheorie: Schaubild 4, S. 47. Vgl. zur neuen Sphärentheorie oben Schaubild 6, S. 87. Vgl. Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 54.2.; auch bereits Popitz/Kloss/Grabower, UStG 1928, § 1 Nr. 1, S. 374 zu Erlösen aus privaten Veräußerungsgeschäften. Vgl. auch BFH v. 27.1.2011, V R 38/09, BFHE 232, 278, unter II.2.d)aa), wo der BFH den Vorsteuerabzug für Beratungsleistungen bei einer steuerfreien Anteilsübertragung versagt, obwohl der Veräußerungserlös der wirtschaftlichen Tätigkeit zugute kommen soll; zweifelnd dazu Eldagsen/Röhrbein, BB 2011, 1696, 1698. A. A. Eggers, UR 2008, 348, 352; Eggers/Korf, DB 2008, 719, 723, 725; Nattkämper, EU-UStB 2008, 41, 45 f.; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 309 f., der für Kapitalbeschaffungsmaßnahmen generell einen Vorsteuerabzug zulassen will, insb. auch bei Veräußerung von Gegenständen in nicht-wirtschaftlichen Bereichen. Vgl. Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 54.2. EuGH v. 26.05.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 36 ff.; v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 28 f.; dazu oben S. 192 bei Fn 262. Dazu oben S. 192.

219

Kein Vorsteuerabzug

Allgemeine Kosten sind auch dann ausgeschlossen, wenn Eingangsleistungen in nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereichen aus Erträgen wirtschaftlicher Tätigkeit finanziert werden. Erhöht der Verein aus obigem Beispiel seine Produktpreise im wirtschaftlichen Bereich, um das Büromaterial zu finanzieren, entsteht daraus kein Recht zum Vorsteuerabzug. Bei wirtschaftlicher Betrachtung wird das Büromaterial zwar Kostenelement der steuerpflichtigen Ausgangsleistungen. Wegen der ausschließlichen Verwendung im ideellen Bereich bleibt der Vorsteuerabzug aber ausgeschlossen. Die auf Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL gestützte Kostenelements-Formel des EuGH15 kann insofern nur eine Hilfsüberlegung sein: Demnach ist es ein Indiz für die wirtschaftliche Verwendung einer Eingangsleistung, wenn der Steuerpflichtige ihre Kosten bei seinen wirtschaftlichen Ausgangsumsätzen einpreist, aber eben nur ein Indiz.16 Bestätigung findet der Ausschluss allgemeiner Kosten in der SecurentaEntscheidung.17 Die Securenta AG unterhielt neben einem wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich auch einen nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich bloßer Beteiligungsverwaltung.18 Für Aufwendungen im Zusammenhang mit der Ausgabe von Aktien begehrte sie vollen Vorsteuerabzug. Der EuGH rechnete die Aufwendungen jedoch als allgemeine Kosten der Gesamttätigkeit zu und versagte den Vorsteuerabzug anteilig hinsichtlich des nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereichs bloßer Beteiligungsverwaltung.19 Er erwog dabei nicht, den beteiligungsbezogenen Aufwandsanteil seinerseits als allgemeine Kosten der wirtschaftlichen Tätigkeit zuzurechnen.

15 Vgl. EuGH v. 6.4.1995, C-4/94, BLP Group, Slg 1995, I-983, Rn 19 ff.; v. 8.6.2000, C-98/98, Midland Bank, Slg 2000, I-4177, Rn 30; v. 22.2.2001, C-408/98, Abbey National, Slg 2001, I-1361, Rn 28; v. 27. 9.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 31; v. 26.05.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 35; v. 8.2.2007, C-435/05, Investrand, Slg 2007, I-1315, Rn 23 f.; v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 27; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 66, 71; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 48; v. 6.9.2012, C-496/11, Portugal Telecom SGPS SA, UR 2012, 762, Rn 36 f. Kritisch zu dieser Rspr. Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 Rn 54.1. 16 Anderenfalls müsste dem Steuerpflichtigen auch für private Anschaffungen der Vorsteuerabzug gewährt werden, wenn er sie in seine Produktpreise einkalkuliert. Vgl. auch Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 300 f. 17 EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, dazu bereits oben S. 130 f. 18 Vgl. zur Qualifikation bloßer Beteiligungsverwaltung oben S. 148 ff. 19 EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 27 ff.

220

Aufteilung trennbar gemischter Eingangsleistungen

Eine andere Frage ist, unter welchen Umständen ein nicht-wirtschaftlicher Tätigkeitsbereich seine Selbstständigkeit verliert. Die nicht-wirtschaftliche Tätigkeit ist dann nur noch eine unselbstständige Einzeltätigkeit und muss als solche einem Bereich zugeordnet werden. Aufwendungen für die Tätigkeit können dann als allgemeine Kosten zum Vorsteuerabzug berechtigen. Anerkannt ist das insbesondere für die Beteiligungsverwaltung durch Funktionsholdings.20 Die Frage wurde bereits beantwortet, sie zielt auf die Abgrenzung nicht-wirtschaftlicher Tätigkeitsbereiche von unselbstständigen nicht-wirtschaftlichen Einzeltätigkeiten.21 Maßgeblich dafür ist der Neutralitätsgrundsatz. Demnach verliert ein nicht-wirtschaftlicher Tätigkeitsbereich seine Eigenständigkeit, wenn ein genereller Ausschluss des Vorsteuerabzugs für darauf bezogene Kosten den Neutralitätsgrundsatz verletzt.22

II. Aufteilung trennbar gemischter Eingangsleistungen Gemischte Eingangsleistungen für wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke berechtigen nach der VNLTO-Entscheidung nur hinsichtlich des wirtschaftlichen Verwendungsanteils zum Vorsteuerabzug.23 Das Seeling-Modell24 ist nicht übertragbar (unter 1.). Für Grundstücke gelten keine Besonderheiten, denn die Anti-Seeling-Regelung in Art. 168a MwStSystRL25 ist nicht einschlägig (unter 2.). Der Aufteilungsmaßstab ist weder in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie noch im nationalen Umsatzsteuerrecht ausdrücklich geregelt. Es besteht insoweit eine planwidrige Regelungslücke, die durch analoge Anwendung von § 15 Abs. 4 UStG zu schließen ist.26 Die Aufteilung ist auch dann vorzunehmen, wenn die Eingangsleistung nur geringfügig wirtschaftlich bzw.

20 21 22 23 24 25 26

Eingehend oben S. 172 ff. Ausführlich oben S. 124 ff. Vgl. oben S. 128 f. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 37 ff. EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben 32 f. Vgl. oben S. 67 Fn 277. BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, unter II.3.; v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.6.; v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.5.; v. 10.11.2011, V R 41/10, BFHE 235, 554, unter II.3.; v. 9.2.2012, V R 40/10, BFHE 236, 258, unter II.2.b); Englisch, USt-Kongress-Bericht, 2010, S. 25, 73 f.; Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 155; ders., UR 2010, 797, 807; Robisch, UR 2008, 881, 882; Wäger, JbFfSt 11/12, S. 595, 637; ders., DB 2012, 601, 603; Lippross, Umsatzsteuer, S. 1023.

221

Kein Vorsteuerabzug

geringfügig VNLTO-gleich mitverwendet wird (unter 3.). Im Vergleich zu gemischt wirtschaftlich und privat verwendeten Investitionsgütern führt die Aufteilung zu einer Benachteiligung. Denn der private Verwendungsanteil kann nach dem Seeling-Modell27 zum Vorsteuerabzug berechtigen und ist dann nur sukzessive als Verwendungsentnahme nachzubesteuern. Die Ungleichbehandlung ist vor dem unionsrechtlichen Gleichheitssatz bedenklich. Der EuGH sollte deswegen das Seeling-Modell aufgeben (unter 4.).

1.

Grundsatz der Aufteilung und Ausschluss des SeelingModells

Bezieht ein Steuerpflichtiger eine Eingangsleistung teilweise für wirtschaftliche und teilweise für nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke, handelt er nur hinsichtlich der geplanten wirtschaftlichen Verwendung „als Steuerpflichtiger“.28 Sein Recht zum Vorsteuerabzug entsteht nur insoweit. Dementsprechend versagte der EuGH in den Rechtssachen VNLTO und Securenta ausdrücklich einen Vorsteuerabzug hinsichtlich der nichtwirtschaftlichen unternehmenseigenen Verwendungsanteile gemischter Eingangsleistungen.29 Die Aufteilung erfolgt vor Anwendung des Pro-rataSatzes, vgl. Art. 174 Abs. 1 MwStSystRL.30 Denn der Pro-rata-Satz sieht einen Umsatzschlüssel vor. Nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten begründen aber per definitionem keine Umsätze, sodass darauf entfallende Verwendungsanteile vorher ausgeschieden sein müssen. Seine frühere Rechtsprechung zur Nicht-Berücksichtigung bloßer Beteiligungsverwaltung beim Vorsteuerabzug31 hat der EuGH damit stillschweigend aufgegeben.32 Nationale Gerichte hatten wiederholt zur Auswirkung bloßer Beteiligungsverwaltung für den Vorsteuerabzug angefragt. Der EuGH hatte geantwortet, dass Dividenden und Veräußerungserlöse bei Berechnung des Pro-rata-Satzes nicht zu berücksichtigen 27 EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben S. 32 f. 28 Vgl. EuGH v. 8.3.2001, C-415/98, Bakcsi, Slg 2001, I-1831, Rn 29 zum teilweisen Handeln „als Steuerpflichtiger“ bei Leistungsbezug. 29 EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 30 f.; v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 37 ff. 30 Vgl. Beiser, BB 2009, 1324, 1326; Robisch, UR 2008, 881, 883; Gabriël/Kesteren, VAT Monitor 2011, 332 ff. 31 EuGH v. 22.6.1993, C-333/91, Sofitam, Slg 1993, I-3513, Rn 14; v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 54, 64. 32 Vgl. Klenk, UR 2012, 663, 664 f.

222

Aufteilung trennbar gemischter Eingangsleistungen

seien. Daraus schloss die Rechtspraxis, dass die Mitverwendung von Eingangsleistungen im Bereich bloßer Beteiligungsverwaltung keine vorsteuerabzugsmindernde Wirkung hat.33 Das hatte der EuGH auch so gemeint. Denn die Vorlagefragen waren offensichtlich auf die Reichweite der Vorsteuerabzugsberechtigung gerichtet. Die Antwort des EuGH konnte insofern nur bedeuten, dass bloße Beteiligungsverwaltung das Recht zum Vorsteuerabzug nicht beschränkte. Das galt umso mehr, als sich der EuGH zur Begründung auf den Neutralitätsgrundsatz berief.34 Ein Zuordnungswahlrecht zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen35 ist ausgeschlossen. Das Zuordnungswahlrecht ist ein richterrechtliches Ausnahmemodell.36 Der EuGH gewährt es ausschließlich für gemischt wirtschaftlich und privat verwendete Investitionsgüter.37 Auf gemischt wirtschaftlich und nicht-wirtschaftlich unternehmenseigen verwendete Investitionsgüter hat er es in der Securenta-38 und in der VNLTOEntscheidung39 nicht übertragen.40 Eine Literaturansicht meint dagegen, der EuGH gewähre generell ein umfassendes Zuordnungswahlrecht für alle Eingangsleistungen41 oder jedenfalls für alle gemischten Eingangsleistungen.42 Die Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen würde für nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Verwendungsanteile nur dem Umfang nach kein Recht zum Vorsteuerabzug eröffnen, weil es an einem 33 Vgl. FG Niedersachsen v. 5.10.2006, 5 K 109/05, EFG 2006, 1946, unter III. des Tatbestandes zum Vorbringen der Beteiligten (Vorlageentscheidung in Sachen EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597); Reiß, IStR 2004, 450, 453. 34 EuGH v. 22.6.1993, C-333/91, Sofitam, Slg 1993, I-3513, Rn 14; v. 29.4.2004, C-77/01, EDM, Slg 2004, I-4295, Rn 54; vgl. auch Reiß, IStR 2004, 450, 543 f. 35 Vgl. zur terminologischen Ungenauigkeit des EuGH insoweit oben S. 102 f. 36 Grundsätzlich hat der Steuerpflichtige nicht die Wahl, ob er eine Eingangsleistung „als solcher“ bezieht oder nicht. Er darf nur über ihre tatsächliche zukünftige Verwendung bestimmen. Die Qualifikation dieser Verwendung ist eine juristische Frage, vgl. dazu oben S. 48 f. 37 Vgl. S. 55 Fn 224. 38 EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 29 ff. 39 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 37 ff. 40 Ebenso Reiß, UR 2010, 797, 805 f.; Lohse, IStR 2009, 486 f.; Ehrke-Rabel, ÖStZ 2010, 97, 100; Swinkels, VAT Monitor 2010, 194, 195; wohl auch Sterzinger, BB 2010, 1958, 1960 f.; Wäger, DStR 2011, 433, 437. Missverständlich Ransiek, UStB 2011, 192, 195, der für eine gemischte Holding das Zuordnungswahlrecht diskutiert, dieses aber an anderer Stelle ablehnt: ders. UStB 2011, 223, 229. 41 Küffner/ von Streit, DStR 2012, 581 ff., 585 ff.; dies., DStR 2012, 636, 640. 42 Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, 25, 75 ff., 78 ff., 81 f.; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 427.

223

Kein Vorsteuerabzug

steuerbaren Verwendungsentnahmeumsatz fehle.43 Der Streit hat in diesem Zusammenhang keine Auswirkung. Nach beiden Ansichten berechtigt nur der wirtschaftliche Verwendungsanteil zum Vorsteuerabzug. Unterschiede ergeben sich erst bei der Vorsteuerberichtigung, wenn der Steuerpflichtige den VNLTO-gleichen Verwendungsanteil nachträglich einer wirtschaftlichen Nutzung zuführt.44

2.

Keine Geltung der Sonderregelung für gemischt genutzte Grundstücke

Die Vorsteuerabzugsbeschränkung in Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL45 setzt ein „dem Unternehmen zugeordnetes Grundstück“ voraus, das der Steuerpflichtige „sowohl für unternehmerische Zwecke als auch für seinen privaten Bedarf oder den seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke verwendet“. Gemischt wirtschaftlich und VNLTO-gleich genutzte Grundstücke erfüllen diese Voraussetzung nicht.46 Es fehlt jedenfalls an einem unternehmensfremden Verwendungsanteil. Die Formulierung entspricht insoweit den Entnahmetatbeständen in Art. 16 und 26 MwStSystRL, sodass ihr nach Maßgabe der VNLTO-Entscheidung47 der weite Unternehmensbegriff zugrunde liegt.48 Bestätigung findet dies in Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL, der eine Entnahmebesteuerung für die unternehmensfremden Verwendungsanteile ausschließt. Das macht nur Sinn, wenn man unternehmensfremde Verwendungsanteile analog zu den Entnahmetatbeständen auslegt. Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag eines Art. 168a Abs. 1 MwStSystRL-E49 sah noch vor, dass „die ursprüngliche Ausübung

43 Vgl. zur dogmatischen Unterscheidung von Entstehung und Umfang des Vorsteuerabzugsrechts oben S. 202 f. und im Kontext des Zuordnungswahlrechts S. 59 f. 44 Eingehend dazu unten S. 259 ff. 45 Vgl. zum Inhalt der Regelung oben S. 66 ff. 46 Ebenso von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524, 527 f. dort Fn 34; Swinkels, VAT Monitor 2010, 194, 196 f. A. A. Wäger, DB 2012, 1288, 1295 f.; ders. UR 2012, 25, 28, der aber auch nach der VNLTO-Entscheidung (EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839) an einem inhaltlichen Gleichlauf nicht-wirtschaftlicher und unternehmensfremder Zwecke festhalten will. Vgl. zum Unternehmensbegriff des Art. 168a MwStSystRL bereits oben S. 211 f. 47 Vgl. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 38 f. 48 Vgl. Stadie, UR 2011, 125, 142. 49 Vorschlag der Kommission v. 7.11.2007, KOM(2007) 677 endgültig, Art. 1 Nr. 11, Art. 168a Abs. 1 MwStSystRL-E, juris-DokNr. 52007PC0677.

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Aufteilung trennbar gemischter Eingangsleistungen

des Rechts auf Vorsteuerabzug … auf den Anteil der tatsächlichen Verwendung des Grundstücks für Umsätze, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, beschränkt“ ist. Dem Wortlaut nach galt diese Regelung auch für gemischt wirtschaftlich und VNLTO-gleich genutzte Grundstücke.50 In der endgültigen Fassung hat der Richtliniengeber jedoch den Tatbestand präzisiert, sodass nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Verwendungsanteile nicht mehr erfasst sind. § 15 Abs. 1b Alt. 1 UStG ist entsprechend diesen unionsrechtlichen Vorgaben auszulegen. Die Vorschrift schließt den Vorsteuerabzug für den „außerhalb des Unternehmens“ liegenden Verwendungsanteil eines Grundstücks aus.51 Nach Maßgabe des weiten Unternehmensbegriffs sind nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Verwendungsanteile damit nicht geregelt.52 Anderenfalls würde die Vorschrift über den Regelungsgehalt von Art. 168a MwStSystRL hinausgehen,53 was nicht die Intention des nationalen Gesetzgebers war.54

3.

Aufteilungsmaßstab nach § 15 Abs. 4 UStG analog

Nach dem EuGH ist es Sache der Mitgliedstaaten, den Aufteilungsmaßstab für gemischt wirtschaftlich und nicht-wirtschaftlich unternehmenseigen genutzte Eingangsleistungen zu bestimmen.55 Denn die Mehrwertsteuersystemrichtlinie enthalte dafür keinen Aufteilungsmaßstab. Dabei müssen die Mitgliedstaaten den Zweck und die Systematik der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten. Die 50 Lohse, IStR 2009, 486, 489; offen Hundt-Eßwein, UStB 2010, 83, 87 im Kontext der Vorsteuerberichtigung nach Art. 168a Abs. 2 MwStSystRL-E. 51 Dazu oben S. 66 ff. Die Vorschrift gilt nach dem Gesetzeswortlaut auch, wenn das Grundstück gemischt unternehmerisch und „für den privaten Bedarf seines Personals“ verwendet wird. Der Zusatz erweitert jedoch ihren Anwendungsbereich nicht, weil die Verwendung für den privaten Personalbedarf immer Zwecken außerhalb des Unternehmens dient, vgl. dazu Stadie, UR 2011, 125, 142. 52 Ebenso Stadie, UR 2011, 125, 142; Reiß, UR 2010, 797, 809; vgl. auch Abschn. 15.6a Abs. 1 und Abs. 2 UStAE. 53 Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 90. 54 Der nationale Gesetzgeber wollte lediglich Art. 168a MwStSystRL umsetzen, vgl. Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2010 v. 21.6.2010, BT-DrS 17/2249, Art. 4 Nr. 9, S. 19, S. 77 f.; Widmann in Plückebaum/Widmann, UStG, II/6, § 15 Rn 298c; Reiß, UR 2010, 797, 802. 55 EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 33 ff.; v. 6.9.2012, C-496/11, Portugal Telecom SGPS SA, UR 2012, 762, Rn 42; kritisch dazu Terra/Kajus, European VAT Directives 1, S. 1000.

225

Kein Vorsteuerabzug

Berechnung des Verhältnisses müsse objektiv widerspiegeln, welcher Teil der Aufwendungen dem wirtschaftlichen und dem nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich tatsächlich zuzurechnen ist.56 Es dürfe ein Investitionsschlüssel, ein Umsatzschlüssel oder jeder andere geeignete Schlüssel verwendet werden.57 Eine Beschränkung auf eine dieser Methoden sei nicht erforderlich. Das deutsche Umsatzsteuergesetz regelt den Aufteilungsmaßstab nicht explizit. § 15 Abs. 4 UStG kann jedoch analog angewendet werden.58 Denn es besteht erstens eine (offene) Regelungslücke hinsichtlich der Aufteilung gemischter Eingangsleistungen zu wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen unternehmenseigenen Zwecken. Insbesondere gilt § 15 Abs. 4 UStG direkt nur für gemischt steuerpflichtig und (unecht) steuerfrei verwendete Eingangsleistungen. Die Regelungslücke ist zweitens planwidrig, schon weil es nach dem EuGH Sache der Mitgliedstaaten ist, den Aufteilungsmaßstab festzulegen.59 Die Sachverhalte sind drittens auch vergleichbar. § 15 Abs. 4 UStG regelt die Aufteilung gemischt steuerpflichtig und (unecht) steuerfrei verwendeter Eingangsleistungen nach Maßgabe ihrer wirtschaftlichen Zurechnung zu den steuerpflichtigen und steuerfreien Tätigkeiten. Gemischte Eingangsleistungen für wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche unternehmenseigene Tätigkeiten sind nach dem EuGH ebenfalls nach Maßgabe ihrer tatsächlichen Zurechnung zu den jeweiligen Tätigkeiten aufzuteilen.60 Die in § 15 Abs. 4 UStG entwickelten Zurechnungsmaßstäbe sind daher übertragbar. Dem steht nicht entgegen, dass der EuGH die Anwendung des Pro-rataSatzes der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ausdrücklich verneint.61 Er verweist dafür auf dessen beschränkten Anwendungsbereich für gemischt steuerpflichtig und (unecht) steuerfrei verwendete Eingangsleistungen. Eine analoge Anwendung diskutiert er nicht. Dafür gibt es zwei denkbare Erklärungen, die beide eine analoge Anwendung von § 15 Abs. 4 UStG nicht verbieten: Nach der ersten Erklärung erkennt der EuGH keine

56 EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 37; v. 6.9.2012, C-496/11, Portugal Telecom SGPS SA, UR 2012, 762, Rn 42. 57 EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 38. 58 Vgl. oben S. 221 Fn 26. 59 Vgl. soeben S. 225 Fn 55. 60 Vgl. soeben S. 226 Fn 56. 61 EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 33; v. 6.9.2012, C-496/11, Portugal Telecom SGPS SA, UR 2012, 762, Rn 42, 49.

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planwidrige Regelungslücke in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie.62 Das lässt sich auf ihre Richtlinieneigenschaft stützen. Als Richtlinie enthält sie lediglich Leitlinien für die nationalen Umsatzsteuersysteme, kein abgeschlossenes Umsatzsteuersystem. Auf das nationale Recht ist dies nicht übertragbar. Denn die Mitgliedstaaten sind gerade verpflichtet, den unionsrechtlich verbleibenden Regelungsspielraum auszufüllen.63 Im nationalen Recht ist die Regelungslücke daher planwidrig. Die zweite mögliche Erklärung ist, dass der EuGH den Regelungsgehalt des Pro-rataSatzes nicht für vergleichbar hält. Denn der Pro-rata-Satz bestimmt das Aufteilungsverhältnis nach dem Verhältnis der steuerpflichtigen zu den (unecht) steuerfreien Umsätzen. In nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereichen werden aber keine Umsätze ausgeführt, sodass ein Umsatzverhältnis nicht gebildet werden kann.64 Im deutschen Umsatzsteuerrecht besteht dieser Mangel an Vergleichbarkeit nicht. Denn Deutschland hat von der Abweichungsbefugnis in Art. 173 Abs. 2 lit. c) MwStSystRL Gebrauch gemacht, sodass nach § 15 Abs. 4 S. 1 UStG grundsätzlich die wirtschaftliche Zurechnung der gemischten Eingangsleistung entscheidend ist. Ein Umsatzschlüssel ist nur ausnahmsweise vorgesehen, § 15 Abs. 4 S. 3 UStG. Die Ausführung von Umsätzen ist daher keine Voraussetzung.65 Der Streit um die Unionsrechtskonformität von § 15 Abs. 4 UStG66 hat hier keine Bedeutung. Zwar hat der EuGH die Regelung jüngst für unionsrechtswidrig erklärt, weil sie einen Umsatzschlüssel nur subsidiär zulässt

62 Dagegen hält Englisch, USt-Kongress-Bericht, 2010, S. 25, 73 f., eine planwidrige Regelungslücke für offensichtlich. 63 Vgl. nur EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 34. 64 Vgl. zu dieser Überlegung FG Niedersachsen v. 5.10.2006, 5 K 109/05, EFG 2006, 1946, unter III.2. (Vorlagefrage in Sachen EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597). Zur fehlenden Umsatzeigenschaft nicht-wirtschaftlicher Tätigkeiten Wäger, DB 2012, 1288, 1290. 65 In diesem Sinne wohl auch Robisch, UR 2008, 881, 882, der darauf abstellt, dass § 15 Abs. 4 UStG nur eine sachgerechte Schätzung verlangt. 66 Die Regelung sieht vorrangig eine Aufteilung nach wirtschaftlicher Zurechnung vor. Ein Umsatzschlüssel ist, entgegen dem unionsrechtlichen Pro-rata-Satz (Art. 173 Abs. 1 und 174 ff. MwStSystRL) nur ausnahmsweise zulässig, § 15 Abs. 4 S. 3 UStG. Streitig ist, ob dies von Art. 173 Abs. 2 lit. c) MwStSystRL gedeckt ist. Für Unionsrechtskonformität: FG Düsseldorf, v. 11.9.2009, 1 K 996/07 U, EFG 2010, 178, unter II.1. Gegen Unionsrechtskonformität: FG Niedersachsen v. 23.4.2009, 16 K 271/06, EFG 2009, 1790 und FG Münster v. 8.12.2009, 15 K 1271/06 U, BB 2010, 214. Vgl. Häberer, BB 2011, 28 ff. mit umfassender Darstellung der Problematik; auch Lausterer, UStB 2005, 302, 305; von Streit, UR 2006, 254 ff.

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Kein Vorsteuerabzug

und dies allgemein und nicht nur für bestimmte Umsätze gilt.67 Sie bleibt aber dennoch wirksam und ist lediglich nicht mehr anwendbar, soweit Unionsrecht entgegensteht.68 Das betrifft nur ihre direkte Anwendung auf gemischt steuerpflichtig und (unecht) steuerfrei verwendete Eingangsleistungen. Für die Aufteilung gemischter Eingangsleistungen für wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke sieht die Mehrwertsteuersystemrichtlinie gerade keine Aufteilungsregelung vor.69 Unionsrecht kann insoweit nicht mit der (analogen) Anwendung von § 15 Abs. 4 UStG kollidieren.70 Bei der Aufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG analog ist das quantitative Verhältnis der Verwendungsanteile im wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich zu bestimmen.71 Das tut der Steuerpflichtige durch Schätzung, § 15 Abs. 4 S. 2 UStG. Die Wahl der Schätzungsmethode liegt bei ihm. Das Finanzamt prüft lediglich, ob die Schätzung sachgerecht ist.72 Dafür muss der Aufteilungsmaßstab geeignet sein, die tatsächlichen Verwendungsanteile der betroffenen Eingangsleistung abzubilden.73 Das kann nur im Einzelfall entschieden werden. Ein Umsatzschlüssel scheidet jedoch aus. Im nicht-wirtschaftlichen unterneh-

67 EuGH v. 8.11.2012, C-511/10, BLC Baumarkt, UR 2012, 968, Rn 17 f.; nach Vorlage des BFH v. 22.7.2010, V R 19/09, BFHE 231, 280, insb. unter IV.2.b)cc); vgl. auch Prätzler, JurisPR-SteuerR 51/2012, Anm. 6 unter D. 68 Vgl. zum Anwendungsvorrang von Unionsrecht: EuGH v. 15.7.1964, C-6/64, Costa/E.N.E.L., Slg 1964, I-125, 3. Leitsatz; v. 9.3.1978, C-106/77, Simmenthal, Slg 1978, I-629, Rn 17 ff.; v. 22.10.1998, C-10/97, IN. CO. GE.’90, Slg 1998, I-6307, Rn 20 f.; v. 19.11.2009, C-314/08, Filipiak, Slg 2009, I-11049, Rn 81 ff.; Ruffert in Callies/Ruffert, AEUV, Art. 1 Rn 18; Streinz in Streinz, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn 37; vgl. auch BVerfG v. 30.6.2009, 2 BvE 2/08, u.a., BVerfGE 123, 267, unter C.II.1.b)aa)(4). 69 So ausdrücklich EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 33. 70 Daher dürfte der von Boos in DStZ 2012, 267, 275 vorgeschlagene Versuch aussichtslos sein, den Umsatzschlüssel anzusetzen, wenn andere (ungünstigere) Aufteilungsschlüssel in Betracht kommen. 71 Reiß, UR 2010, 797, 807; Behrens, BB 2012, 2147, 2150. 72 Vgl. BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, unter II.3.; v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.6.a); v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.5.a); vgl. auch Abschn. 15.17 Abs. 3 UStAE; Jakob, Umsatzsteuer, Rn 874; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 15 Rn 371; Lippross, DStZ 2012, 320, 328; Nattkämper, EU-UStB 2008, 41, 44. 73 So EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 37.

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Aufteilung trennbar gemischter Eingangsleistungen

menseigenen Bereich werden keine Umsätze bewirkt.74 Einnahmenschlüssel, bspw. nach Dividenden oder Mitgliederbeiträgen, sind in der Regel willkürlich und daher nicht sachgerecht.75 Sachgerecht sind dagegen zeitliche, räumliche und leistungsabhängige Aufteilungsmaßstäbe.76 Ein Investitionsschlüssel ist beispielsweise bei Kosten im Zusammenhang mit einer Kreditbeschaffung möglich. Soweit der Kredit für die wirtschaftliche Tätigkeit eingesetzt wird, besteht ein Recht zum Vorsteuerabzug.77 Für allgemeine Kosten, beispielsweise Mietkosten eines Bürogebäudes, kommt eine Aufteilung nach Mitarbeiteranzahl oder Arbeitsstunden in den jeweiligen Bereichen in Betracht.78 Die Aufteilung ist auch bei weit überwiegender wirtschaftlicher Verwendung der Eingangsleistung gegenüber nur geringfügiger Mitverwendung im nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich vorzunehmen. Eine Sonderregelung sehen insofern weder die Mehrwertsteuersystemrichtlinie noch das nationale Umsatzsteuergesetz vor.79 Umgekehrt berechtigen bei weit überwiegender nicht-wirtschaftlicher unternehmenseigener Verwendung geringfügige wirtschaftliche Verwendungsanteile zum Vorsteuerabzug. Denn nach Art. 168 lit. a) MwStSystRL besteht im Grundsatz ein uneingeschränktes Vorsteuerabzugsrecht,80 auch für nur geringfügige wirtschaftliche Verwendungsanteile.81 Die im nationalen Recht vorgesehene Einschränkung

74 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 418; Robisch, UR 2008, 881, 883; Eggers/Korf, DB 2008, 719, 721, jeweils auch zum Ansatz umsatzähnlicher Erträge. A. A. wohl Swinkels, VAT Monitor 2008, 347 ff. 75 Beiser BB 2009, 1324, 1326 f.; Robisch, UR 2008, 881, 883; speziell zu gemischt hoheitlicher und wirtschaftlicher Verwendung Keyser, UVR 2011, 269, 273; A. A. wohl Swinkels, VAT Monitor 2008, 347 ff. 76 Vgl. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 419; Lippross, Umsatzsteuer, S. 480; Eggers/Korf, DB 2008, 719, 721 (Verwendungseinheiten); weiterhin Keyser, UVR 2011, 269, 273 und Boos, DStZ 2012, 267, 274 speziell zur hoheitlichen Mitverwendung. 77 Beiser BB 2009, 1324, 1326; kritisch zu einem Investitionsschlüssel: Terra/Kajus, VAT Directives 1, S. 1000; Robisch, UR 2008, 881, 883. 78 Vgl. Robisch, UR 2008, 881, 884. 79 Dagegen können die Mitgliedstaaten geringfügige Verwendungsanteile für (unecht) steuerfreie Tätigkeiten unberücksichtigt lassen, Art. 173 Abs. 2 lit. e) MwStSystRL. 80 EuGH v. 21.9.1988, C-50/87, Kommission/Frankreich, Slg 1988, I-4797, Rn 16; v. 25.10.2001, C-78/00, Kommission/Italien, Slg 2001, I 8195, Rn 30. 81 EuGH v. 11.7.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 27 ff.

229

Kein Vorsteuerabzug

nach § 15 Abs. 1 S. 2 UStG ist bei unionsrechtskonformer Auslegung hier nicht anwendbar.82

4.

Bedenken gegen die Ungleichbehandlung im Vergleich zum Seeling-Modell

Der unionsrechtliche Gleichheitssatz ist heute in Art. 6 Abs. 1 EUV i. V. m. Art. 20 EGRC83 geregelt. Er garantiert für das Mehrwertsteuerrecht neben Neutralität auch die gleichmäßige Belastung von Endverbrauch (unter a.). Nach diesem Maßstab werden private Verwendungsanteile gemischter Eingangsleistungen gegenüber nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Verwendungsanteilen ungerechtfertigt benachteiligt.84 Dies wird anhand eines Beispielfalles veranschaulicht: Ein gemischt tätiger Verein soll ein Auto zur hälftigen Verwendung im wirtschaftlichen und im ideellen Bereich anschaffen und dafür vollen Vorsteuerabzug begehren. Dem wird ein Einzelunternehmer gegenübergestellt, der ein Auto zur hälftigen Verwendung im wirtschaftlichen und im privaten Bereich anschafft. Der Verein kann Vorsteuerabzug nur anteilig beanspruchen, der Einzelunternehmer dagegen voll. Dadurch werden vergleichbare Sachverhalte ungleich behandelt (unter b.). Zwischen den Vergleichsgruppen bestehen aber keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (unter c.). Der EuGH sollte deswegen entweder entgegen der VNLTO-Entscheidung das SeelingModell85 auf ideell mitverwendete Investitionsgüter ausweiten. Oder – und das ist vorzugswürdig – er gibt das Seeling-Modell gänzlich auf. Dafür genügte es, wenn er Verwendungsentnahmen nicht mehr als besteuerte Umsätze im Sinne von Art. 168 lit. a) MwStSystRL verstehen würde. Das Zuordnungswahlrecht bliebe davon unberührt (unter d.). a.

Rechtsgrundlage und Bedeutung des unionsrechtlichen Gleichheitssatzes

Nach Art. 20 GRCh86 gilt: „Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich.“ Diesen Gleichheitssatz erkennt die EU – wie alle Grundrechte der Grundrechtecharta – als den Verträgen gleichrangig an, Art. 6 Abs. 1 EUV. 82 Ausführlich dazu oben S. 100 ff. 83 Charta der Grundrechte der EU, ABl. EU 2010, C 83/389. 84 Vgl. Wäger, DB 2012, 1288, 1293, der die Differenzierung für “sachlich nicht begründbar” hält. 85 EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben S. 32 f. 86 Charta der Grundrechte der EU, ABl. EU 2010, C 83/389.

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Aufteilung trennbar gemischter Eingangsleistungen

Er ist Maßstab für das Sekundärrecht87 und damit auch für die Auslegung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Der EuGH bekennt sich in ständiger Rechtsprechung zur Geltung des allgemeinen Gleichheitssatzes.88 Demnach dürfen vergleichbare Situationen nicht unterschiedlich behandelt werden, es sei denn die Differenzierung ist objektiv gerechtfertigt. Die Bedeutung des unionsrechtlichen Gleichheitssatzes für das Mehrwertsteuerrecht erschöpft sich nicht im Neutralitätsprinzip,89 wie es die EuGHRechtsprechung teilweise vermuten lässt.90 Der Neutralitätsgrundsatz betrifft nur die Ebene des Steuerpflichtigen als Steuereinnehmer. Er garantiert einerseits die Entlastung des Steuerpflichtigen von jeder Mehrwertsteuerlast im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit und andererseits eine gleichmäßige Besteuerung gleichartiger Umsätze.91 Beides zielt auf eine wettbewerbsneutrale Mehrwertbesteuerung beim Unternehmer. Der Gleichheitssatz garantiert darüber hinaus aber eine gerechte und gleichmäßige Lastenverteilung auf Ebene des Steuerträgers,92 d. h. des Verbrauchers.93 Dies setzt entsprechend dem Leistungsfähigkeitsprinzip

87 Streinz in Streinz, EUV/AEUV, Art. 6 EUV Rn 2 ff.; Kingreen in Callies/Ruffert, EUV, Art. 6 Rn 12. 88 EuGH v. 19.7.1977, C-117/76, Ruckdeschel, Slg 1977, I-1753, Rn 7; v. 5.10.1994, C-280/93, Deutschland/Rat, Slg 1994, I-4973, Rn 67; v. 19.11.1998, C-85/97, SFI, Slg 1998, I-7447, Rn 30; v. 12.2.2002, C-442/00, Rodríguez Caballero, Slg 2002, I-11915, Rn 32; v. 7.9.2006, C-81/05, Cordero Alonso, Slg 2006, I-7569, Rn 37; v. 17.1.2008, C-246/06, Velasco Navarro, Slg 2008, I-105, Rn 32, 35 f.; v. 21.2.2008, C-498/06, Robledillo Núñez, Slg 2008, I-921, Rn 30; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 52. Zunächst hatte der EuGH den allgemeinen Gleichheitssatz noch aus den Diskriminierungsverboten des EG-Vertrages hergeleitet, dazu Englisch in Schön/Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 56 f.; Mayer in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV, nach Art. 6 Rn 223. 89 Englisch in Schön/Beck, Zukunftsfragen des Steuerrechts, S. 39, 59; ders. in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 17 Rn 25. 90 Vgl. EuGH v. 8.6.2006, C-106/05, L.u.P., Slg 2006, I-5123, Rn 48; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 53. 91 Vgl. zum Inhalt des Neutralitätsgrundsatzes oben S. 61 bei Fn 250 und S. 120 bei Fn 68. 92 Englisch in Schön/Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 59 f.; auch EuGH v. 25.1.2001, C-429/97, Kommission/Frankreich, Slg 2001, I-637, Rn 40; und allgemein zum Grundsatz gleichmäßiger Besteuerung EuGH v. 15.7.2004, C-501/00, Spanien/Kommission, Slg 2004, I-6717, Rn 126 f. 93 Englisch in Schön/Beck, Zukunftsfragen des Steuerrechts, S. 39, 59 f.; Tipke, StuW 1992 103, 105, 113; Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 980 ff. Vgl. zur Mehrwertsteuer als Steuer auf den Endverbrauch: EuGH v. 24.10.1996, C-317/94, Elida

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Kein Vorsteuerabzug

voraus, dass gleich Leistungsfähige gleich und unterschiedlich Leistungsfähige unterschiedlich behandelt werden. Maßgebliche Anknüpfungspunkt (tertium comparationis) ist dafür im Mehrwertsteuerrecht die im Konsum von Verbrauchsgütern zum Ausdruck kommende Leistungsfähigkeit.94 Kurz: Gleichheitskonform ist nur eine gleichmäßige Belastung von Endverbrauch. Nach diesem Maßstab ist festzustellen, ob vergleichbare Sachverhalte ungleich behandelt werden und diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden kann.95 b.

Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte

Der Verein wird gegenüber dem Einzelunternehmer benachteiligt.96 Ihm steht nach den VNLTO-Grundsätzen97 der Vorsteuerabzug nur in Höhe von 50 % der Anschaffungskosten zu.98 Dagegen hat der Einzelunternehmer ein Zuordnungswahlrecht.99 Er kann bei voller Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen nach dem Seeling-Modell100 den vollen Vorsteuerabzug beanspruchen. Der private Verwendungsanteil wird dann sukzessive über den Berichtigungszeitraum von fünf Jahren als Verwendungsentnahme nachbesteuert. Das führt zwar zu einer nominal gleichen Steuerlast. Der Einzelunternehmer profitiert aber von dem Stundungseffekt hinsichtlich der Mehrwertsteuer für den privaten Verwendungsanteil.101

Gibbs, Slg 1996, I-5339, Rn 19 ff.; v. 11.10.2007, C-283/06, KÖGÁZ, Slg 2007, I-8463, Rn 51; v. 3.5.2012, C-520/10, Lebara, UR 2012, 523, Rn 25. 94 Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 17 Rn 11; ders., USt-Kongress-Bericht, 2010, S. 25, 54; ders. in Schön/Beck, Zukunftsfragen des Steuerrechts, S. 39, 59, 62; Widmann, UR 2009, 420, 421; Reiß in Reiß/ Kraeusel/Langer, UStG, Einführung, Rn 46; Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 980 ff.; Löhr, Optionsrecht für Vermietungsumsätze, S. 242 ff.; Streng, Zuschüsse und Subventionen im Umsatzsteuerrecht, S. 94 ff., 104 ff. Vgl. auch Terra/Kajus, European VAT Directives 1, S. 249 f.; Lang/Melz/Kristoffersson, VAT and Direct Taxation, S. 26 f. 95 Vgl. Graser in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 20 GRCh Rn 4; Rossi in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 20 GRCh Rn 19 ff.; Streinz in Streinz, EUV/AEUV, Art. 20 GRCh Rn 8 f.; vgl. auch die EuGH-Rspr. oben in Fn 88. 96 Vgl. auch Spiegel/Heidler, DStR 2009, 1507, 1509, 1511. 97 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 98 Vgl. oben S. 222. 99 Ausführlich zum Zuordnungswahlrecht oben S. 55 ff. 100 EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben S. 32 f. 101 Vgl. Nieskens, EU-UStB 2009, 43, 47; von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524; Kußmaul/Türk, BB 2010, 1187, 1191; Steens, UVR 2008, 365, 366; Tumpel in FS Reiß, S. 123, 134; auch EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251,

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Aufteilung trennbar gemischter Eingangsleistungen

Die Sachverhalte sind auch vergleichbar. Denn der Verein und der Einzelunternehmer sind gleich leistungsfähig. Beide beziehen das Fahrzeug je hälftig für Endverbrauchszwecke.102 Nach der Konzeption des Mehrwertsteuerrechts stehen sich beim Vorsteuerabzug ideeller Endverbrauch und privater Endverbrauch gleich. In beiden Fällen handelt der Steuerpflichtige nicht „als solcher“, sodass kein Recht zum Vorsteuerabzug entsteht. Nichts Gegenteiliges folgt aus der Puffer-Entscheidung.103 Der EuGH erklärte hier das Seeling-Modell104 für mit dem Gleichheitssatz vereinbar, insbesondere weil der Bezug einer gemischt genutzten Eingangsleistung durch einen Steuerpflichtigen nicht vergleichbar sei mit dem Bezug einer Eingangsleistung durch einen Nicht-Steuerpflichtigen.105 Der Nicht-Steuerpflichtige gehe im Gegensatz zum Steuerpflichtigen keiner wirtschaftlichen Tätigkeit nach und habe nicht die besondere Stellung des Steuerpflichtigen als Steuerschuldner.106 Hier sind jedoch sowohl der Verein als auch der Einzelunternehmer persönlich steuerpflichtig. Die Argumentation ist daher nicht übertragbar. Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, dass für ideelle Verwendungsanteile rein technisch keine Entnahmebesteuerung möglich ist107 und sie insofern privaten Verwendungsanteilen nicht vergleichbar wären. Zwar ist die technische Möglichkeit zur Entnahmebesteuerung nach dem SeelingModell104 tatsächlich Voraussetzung für den Vorsteuerabzug.108 Das schließt aber die Vergleichbarkeit eines Sachverhaltes nicht aus, bei dem diese Möglichkeit nicht besteht. Denn das Mehrwertsteuersystem muss sich nach den gleichheitsrechtlichen Vorgaben richten, nicht umgekehrt. Es kann nicht ein auf systematische Ungleichbehandlung angelegtes System geschaffen werden, um sodann die Sachverhalte für technisch nicht vergleichbar zu erklären. Offensichtlich wäre die Vergleichbarkeit, wenn eine Entnahmebesteuerung nur bei unentgeltlichen Leistungen zugunsten von Frauen

102 103 104 105 106 107 108

Rn 55 und Ausführungen des vorlegenden österreichischen Verwaltungsgerichtshofes in Rn 20 f.; vgl. auch EuGH v. 14.9.2006, C-72/05, Wollny, Slg 2006, I-8297, Rn 38. Vgl. zum tertium comparationis der im Konsum aufscheinenden Leistungsfähigkeit oben bei Fn 94. EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251. EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben S. 32 f. EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 57. EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 56 S. 2 und S. 3. Vgl. oben S. 202. Der zukünftige Verwendungsentnahmeumsatz hinsichtlich des privaten Verwendungsanteils ist nach dem EuGH der besteuerte Umsatz im Sinne von Art. 168 lit. a) MwStSystRL, vgl. oben S. 59 f.

233

Kein Vorsteuerabzug

vorgesehen wäre. Bezieht eine weibliche Einzelunternehmerin dann ein Fahrzeug zur gemischt wirtschaftlichen und privaten Nutzung, könnte sie nach dem Seeling-Modell den vollen Vorsteuerabzug beanspruchen. Ihr männlicher Geschäftspartner hätte diese Möglichkeit mangels technischer Möglichkeit zur Verwendungsentnahmebesteuerung nicht. Nichts anderes kann gelten, wenn für ideelle Verwendungsanteile technisch die Möglichkeit zur Entnahmebesteuerung fehlt. Kurz gesagt: Der Gleichheitssatz garantiert gerade, dass die Mehrwertsteuersystemrichtlinie technisch eine gleichmäßige Behandlung erlaubt. c.

Keine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung

Die Ungleichbehandlung lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass der Verein das Fahrzeug teilweise als Endverbraucher bezieht und insoweit eine Vorsteuerentlastung dem Verbrauchsteuercharakter der Mehrwertsteuer widerspräche. Denn auch der Einzelunternehmer bezieht das Fahrzeug teilweise für Endverbrauchszwecke. Die Vergleichsgruppen unterscheiden sich insofern nicht. Eine Sonderbehandlung für den Einzelunternehmer mit Blick auf die Berücksichtigungsfähigkeit nachträglicher wirtschaftlicher Verwendungsanteile beim Vorsteuerabzug ist nicht geboten. Nach dem EuGH hat der Einzelunternehmer ein Zuordnungswahlrecht.109 Bei voller Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen entsteht ein volles Vorsteuerabzugsrecht. Erst dies erlaubt die Berücksichtigung, wenn sich die wirtschaftliche Mitverwendung des Fahrzeugs nachträglich erhöht. Ohne diese Möglichkeit wäre der Neutralitätsgrundsatz verletzt.110 Für den Verein besteht aber in gleicher Weise der Bedarf zur Berücksichtigung nachträglicher wirtschaftlicher Verwendungsanteile und damit für das Zuordnungswahlrecht,111 auch wenn der EuGH es insofern nicht gewährt.112 Denn auch er handelt bei Leistungsbezug teilweise nicht „als Steuerpflichtiger“, sodass insofern kein Recht zum Vorsteuerabzug entsteht. Können deswegen nachträgliche wirtschaftliche Verwendungsanteile nicht berücksichtigt

109 Ausführlich oben S. 55 ff. 110 Vgl. EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 45 f., dazu bereits oben S. 61 bei Fn 248. 111 Vgl. Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 85 f.; Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 155. 112 Vgl. oben S. 223 Fn 36 und Fn 37.

234

Aufteilung trennbar gemischter Eingangsleistungen

werden, verletzt dies den Neutralitätsgrundsatz.113 Daher unterscheiden sich die Vergleichsgruppen auch insofern nicht. Ebenso wenig vermag der wertungsmäßige Unterschied zwischen ideellen und privaten Tätigkeiten die Benachteiligung zu rechtfertigen. Im Kontext der Entnahmebesteuerung unterscheidet der EuGH in der VNLTOEntscheidung wertungsmäßig zwischen ideellem und privatem Endverbrauch.114 Der ideelle Bereich ist kein mögliches Entnahmeziel und insofern privilegiert. Denn er steht wirtschaftlicher Tätigkeit näher als der Privatbereich. Die Nichtgewährung des Seeling-Modells benachteiligt jedoch die ideelle Mitverwendung gegenüber der privaten Mitverwendung. Insofern vertieft der wertungsmäßige Unterschied zwischen ideellen und privaten Tätigkeiten den Gleichheitsverstoß sogar noch. Aus dem Privileg bei der Entnahmebesteuerung wird beim Vorsteuerabzug ein Nachteil. Schließlich führt der EuGH in der Rechtssache Puffer den Neutralitätsgrundsatz als Rechtfertigungsgrund an.115 Die Verwendungsentnahmebesteuerung für private Verwendungsanteile diene der Umsetzung des Neutralitätsgrundsatzes, indem sie den Zusammenhang zwischen Vorsteuerabzug und Erhebung der Mehrwertsteuer sicherstelle.116 Der Neutralitätsgrundsatz gewährleiste aber gerade die Gleichbehandlung.117 Diese Argumentation ist nicht nachvollziehbar. Erstens beschränkt der EuGH damit die Bedeutung des Gleichheitssatzes für das Mehrwertsteuerrecht zu Unrecht auf den Neutralitätsgrundsatz.118 Neutralität beim Steuerpflichtigen kann eine ungleichmäßige Belastung beim Steuerträger nicht rechtfertigen. Zweitens dient die Entnahmebesteuerung nicht dem Neutralitätsgrundsatz. Neutralität wird durch den Vorsteuerabzug gewährleistet. Der Zusammenhang zwischen Vorsteuerabzug und Mehrwertsteuererhebung durch Entnahmebesteuerung betrifft dagegen die Logik des Mehrwertsteuersystems.119 Diese Logik ist aber kein Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung. Und drittens ergibt sich das gleichheitsrechtliche Problem nicht

113 114 115 116 117 118 119

Ausführlich dazu unten S. 259 ff. Dazu oben S. 214 f. EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 56 S. 1 i. V. m. Rn 54. EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 54. EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 56 S. 1 2. HS. Ausführlich dazu oben S. 231 f. So ausdrücklich EuGH v. 14.9.2006, C-72/05, Wollny, Slg 2006, I-8297, Rn 33, worauf die Puffer-Entscheidung verweist: EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 54.

235

Kein Vorsteuerabzug

aus dem Anwendungsbereich der Entnahmebesteuerung, sondern vorher aus der Gewährung des Vorsteuerabzugs für private Verwendungsanteile. d.

Rechtsfolge: Aufgabe statt Erweiterung des Seeling-Modells ist vorzugswürdig

Zur Beseitigung von Gleichheitsverstößen gibt es drei denkbare Wege120: Entweder die Behandlung der ersten Vergleichsgruppe wird übertragen oder die Behandlung der zweiten Vergleichsgruppe wird übertragen oder es wird für beide Gruppen eine neue einheitliche Regelung gefunden. Letzteres hat hier keine Bedeutung. Denn eine dritte Auslegungsvariante der Mehrwertsteuersystemrichtlinie für die Behandlung gemischter Eingangsleistungen ist nicht ersichtlich. Der EuGH sollte folglich entweder das Seeling-Modell121 auf gemischt wirtschaftlich und VNLTO-gleich verwendete Investitionsgüter erweitern (Lösung 1). Dies setzt voraus, dass er entgegen der VNLTOEntscheidung das Zuordnungswahlrecht überträgt und seine restriktive Auslegung der Entnahmetatbestände revidiert. Oder er gibt das SeelingModell gänzlich auf (Lösung 2). Dies kann durch Aufgabe des Zuordnungswahlrechtes geschehen (große Lösung 2). Es genügt aber auch, wenn der EuGH Verwendungsentnahmen nicht mehr als besteuerte Umsätze im Sinne von Art. 168 lit. a) MwStSystRL ansieht (kleine Lösung 2). Denn dann ist ein Vorsteuerabzug für private Verwendungsanteile trotz Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen dem Umfang nach ausgeschlossen.122 Vorzugswürdig ist die Aufgabe des Seeling-Modells (Lösung 2). Das Seeling-Modell widerspricht dem System der Mehrwertsteuersystemrichtlinie.123 Nach diesem System ist ein Vorsteuerabzug nur insoweit möglich, wie eine Eingangsleistung zur wirtschaftlichen Verwendung bestimmt ist.124 Folglich muss ein Vorsteuerabzug auch für private Verwendungsanteile

120 Vgl. Rossi in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 20 GRCh Rn 29; Hölscheidt, in Meyer, Art. 20 GRCh Rn 17 f.; Rust, IStR 2009, 382, 383, zu Art. 3 Abs. 1 GG. 121 EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben S. 32 f. 122 Vgl. zum dogmatischen Verständnis des Zuordnungswahlrechts durch den EuGH oben S. 59 f. 123 Vgl. Wäger, DB 2012, 1288, 1291 f., 1293; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 436; Reiß, UR 2011, 797, 799 f.; Dziadkowski, ZSteu 2009, 237; Krumenacker, SWI 2009, 69 ff., 75; Tumpel in FS Reiß, S. 123, 133 ff.; vgl. auch Eggers, UR 2008, 348, 349, der den Neutralitätsgedanken für verletzt hält. 124 Vgl. EuGH v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 29 ff.; v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 37.

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Aufteilung trennbar gemischter Eingangsleistungen

ausgeschlossen sein. Die Systemwidrigkeit wird auch nicht durch die AntiSeeling-Regelung in Art. 168a MwStSystRL125 beseitigt. Zwar unterstellt die Vorschrift die Existenz des Modells, wirkt ihm aber gerade entgegen. Dem Richtliniengeber kann insofern nicht unterstellt werden, er würde das Institut billigen. Zudem wäre die Ausweitung des Seeling-Modells auch hinsichtlich der damit verbundenen extensiven Auslegung der Entnahmetatbestände bedenklich. Wortlaut, Historie, Systematik und Sinn und Zweck der unionsrechtlichen Entnahmetatbestände sprechen für einen engen Anwendungsbereich.126 Die rechtliche Absicherung des Seeling-Modells ist dagegen kein sachgerechter Auslegungsaspekt.127 Bei Aufgabe des Seeling-Modells sollte das Zuordnungswahlrecht für gemischt wirtschaftlich und privat genutzte Investitionsgüter aber beibehalten werden (kleine Lösung 2). Denn nach dem EuGH ist ihre Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen Voraussetzung für die Berücksichtigungsfähigkeit nachträglicher wirtschaftlicher Verwendungsanteile beim Vorsteuerabzug.128 Erst dadurch wird dem Neutralitätsgrundsatz genüge getan.129 Literaturstimmen wenden dagegen ein, dem Neutralitätsverstoß sei bei der Vorsteuerberichtigung zu begegnen und nicht durch Gewährung eines systemfremden Zuordnungswahlrechts.130 Systemwidrig ist jedoch nicht das Zuordnungswahlrecht, sondern der daraus nach dem Seeling-Modell abgeleitete Vorsteuerabzug für private Verwendungsanteile. Dieser wird hier ausgeschlossen, indem der Verwendungsentnahmeumsatz keinen Vorsteuerabzug mehr eröffnet. Die Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen hat damit nur noch für die Vorsteuerberichtigung Bedeutung. Für diese Lösung spricht auch der „schonende“ Eingriff in die vom EuGH entwickelten Auslegungsmaßstäbe. Er müsste lediglich sein Verständnis von Entnahmen als den Vorsteuerabzug eröffnende Umsätze aufgeben. Mit Blick auf den Normzweck der Entnahmebesteuerung erscheint sein Verständnis ohnehin verfehlt.131

125 126 127 128 129

Vgl. oben S. 67 Fn 277. Ausführlich oben S. 204 ff. Vgl. oben S. 212. Vgl. oben S. 61. EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 45 f. Vgl. zur analogen Problematik bei nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Verwendungsanteilen unten S. 259 ff. 130 Vgl. Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 157; Tumpel in FS Reiß, S. 123 f., 135 f.; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 436 i. V. m. Rn 1380 ff. 131 Vgl. oben S. 64 f.

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Kein Vorsteuerabzug

III. Aufteilung untrennbar gemischter Eingangsleistungen nach ihrem jeweiligen Verwendungswert Werden Leistungen untrennbar für die wirtschaftliche und die nichtwirtschaftliche unternehmenseigene Sphäre bezogen, steht die Vorsteuerabzugsberechtigung grundsätzlich in Frage. Untrennbar ist eine Eingangsleistung, wenn sich die Verwendung nach keinem denkbaren Maßstab aufteilen lässt.1 Eine Eingangsleistung ist nicht untrennbar, wenn die Verwendungsanteile tatsächlich nicht genau festgestellt werden können, eine Aufteilung aber theoretisch möglich ist. In diesem Fall sind die Anteile zu schätzen.2 Die Problematik wird anhand eines abgewandelten BFH-Falles verdeutlicht (unter 1.). Die in der Literatur und Rechtsprechung angebotenen Lösungsvorschläge sind denkbar vielfältig. Eine Ansicht versagt den Vorsteuerabzug vollständig (unter 2.). Nach der Gegenansicht ist der Vorsteuerabzug in voller Höhe zu gewähren (unter 3.). Schließlich werden verschiedene Aufteilungen vorgeschlagen (unter 4.). Vorzugswürdig ist eine Aufteilung nach dem Verwendungswert der Eingangsleistung im jeweiligen Bereich. Dabei liegt die Wahl der Bewertungsmethode beim Steuerpflichtigen, solange sie sachgerecht ist. Insbesondere erweist sich die vom BFH in den Photovoltaik-Fällen vorgeschlagene Aufteilung nach Maßgabe fiktiver Vermietungsumsätze3 als sachgerechte Bewertungsmethode. Problematisch ist die Berücksichtigung des so ermittelten wirtschaftlichen Verwendungsanteils aber, wenn die wirtschaftliche Tätigkeit dadurch zum Verlustgeschäft wird (unter 5.).

1.

Anwendungsfall: Pkw-Anschaffung durch eine Gemeinde gegen Werbeleistung mit Baraufgabe

Eine Gemeinde G erwirbt von einem Werbeunternehmer U einen nach ihren Wünschen konfigurierten Pkw zum Einsatz im hoheitlichen Bereich. Der Listenpreis beträgt 11.900 € (10.000 € + 1.900 € USt). Als Gegenleistung verpflichtet sich die Gemeinde, Werbeaufdrucke anbringen zu lassen und den Pkw 5 Jahre lang in der Öffentlichkeit zu nutzen. Der Wert dieser Werbeleistung beträgt 1.190 € (1.000 € + 190 € USt). Zusätzlich zahlt die

1 2 3

238

Vgl. Stadie in R/D/F/G, § 15 Rn 320 f.; zur Definition untrennbaren Aufwands im Ertragsteuerrecht Fissenewert in H/H/R, EStG, § 12 Rn 73. Vgl. Stadie in R/D/F/G, § 15 Rn 321. Dazu sogleich S. 246 f.

Aufteilung untrennbar gemischter Eingangsleistungen

Gemeinde 10.710 € (9.000 + 1.710 € USt). Es handelt sich um einen tauschähnlichen Umsatz mit Baraufgabe im Sinne von § 3 Abs. 12 S. 2, § 10 Abs. 2 S. 2, S. 3 UStG, Abschn. 10.5 Abs. 1 S. 8 UStAE. Die Gemeinde nutzt das Fahrzeug ausschließlich für hoheitliche Fahrten. Da sie gleichzeitig Werbeleistungen erbringt, macht sie für die Anschaffung des Pkw den vollen Vorsteuerabzug in Höhe von 1.900 € geltend. Der Fall beruht auf einer aktuellen BFH-Entscheidung.4 Der BFH prüfte die Vorsteuerabzugsberechtigung des Werbeunternehmers aus der Werbeleistung der Gemeinde. Nach seiner Ansicht war die Gemeinde hinsichtlich der Werbeleistung wirtschaftlich tätig. Dass sie den Pkw für Fahrten im Rahmen ihrer hoheitlichen Tätigkeit einsetzte, hielt er für unschädlich. Der Vertragspartner konnte den Vorsteuerabzug aus der von der Gemeinde erteilten Rechnung über die Werbeleistung geltend machen. Hier interessiert nun umgekehrt die Vorsteuerabzugsberechtigung der Gemeinde aus dem Pkw-Kauf. Sie setzt den Pkw untrennbar gemischt im hoheitlichen Bereich und für wirtschaftliche Werbezwecke ein. Denn eine Aufteilung der Nutzung nach zeitlichen, räumlichen oder gegenständlichen Kriterien ist nicht möglich.

2.

Erste Ansicht: Kein Vorsteuerabzug

Nach der ersten Ansicht ist der Vorsteuerabzug vollständig zu versagen. Dabei sind zwei Standpunkte zu unterscheiden. Eine Literaturmeinung verneint wegen des fehlenden denkbaren Aufteilungsmaßstabs generell den Vorsteuerabzug für untrennbar gemischte Eingangsleistungen (unter a.). Die andere, von der Finanzverwaltung und Teilen der Rechtsprechung vertretene Ansicht, beschränkt sich auf die Überlassung von Fahrzeugen mit Werbeaufdrucken an soziale Einrichtungen und Kommunen und rechnet die Anschaffung deren nicht-wirtschaftlicher Sphäre zu (unter b.). a.

Fehlender denkbarer Aufteilungsmaßstab verbietet den Vorsteuerabzug

Nach der Literaturmeinung5 verbietet sich die Aufteilung einer Eingangsleistung, wenn es keinen denkbaren Aufteilungsmaßstab gibt. Da die Eingangsleistung nicht per se als für das Unternehmen ausgeführt angesehen werden könne, bleibe nur die Verwehrung des Vorsteuerabzugs. Ausnahmsweise sei 4 5

BFH v. 17.3.2010, XI R 17/08, BFHE 230, 466. Abwandlung nach Ismer/Keyser, UR 2011, 81, 89, Beispiel. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 320 ff, 325 ff.

239

Kein Vorsteuerabzug

aber bei unwesentlicher nicht-wirtschaftlicher Mitveranlassung6 der Vorsteuerabzug zu gewähren.7 Dieses „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ wird durch ein weites Verständnis von Trennbarkeit relativiert. Eine Eingangsleistung sei nicht nur trennbar, wenn sie real teilbar ist, sondern es genüge jeder denkbare Aufteilungsmaßstab,8 mit anderen Worten eine „nicht-reale Teilbarkeit“. Beispielsweise soll eine Taxifahrt zur Hälfte zum Vorsteuerabzug berechtigen, wenn am Zielort sowohl ein wirtschaftlicher als auch ein nicht-wirtschaftlicher Termin wahrgenommen wird.9 Näher präzisiert wird diese „nicht-reale“ Teilbarkeit nicht. Für den Anwendungsfall lässt diese Ansicht zwei Lösungen zu: Eine untrennbar gemischte Eingangsleistung unterstellt hätte die Gemeinde kein Recht zum Vorsteuerabzug, weil die hoheitliche Nutzung des Pkw nicht unwesentlich ist. Die Eingangsleistung könnte aber auch als trennbar angesehen werden. Denn das Fahrzeug wird zu 100 % im wirtschaftlichen Bereich und zu 100 % im nichtwirtschaftlichen Bereich eingesetzt, wie die Taxifahrt. Folglich bestünde ein 50 %-iges Vorsteuerabzugsrecht in Höhe von 950 €. Die Ansicht ist eng an die ertragsteuerlichen Grundsätze zur Behandlung gemischter Leistungsbezüge angelehnt.10 Hier sind gemischte Eingangsleistungen grundsätzlich aufzuteilen.11 Ausnahmsweise ist bei ganz überwiegender Verwendung im Rahmen einer einkünfteerzielenden Tätigkeit der Betriebsausgaben- bzw. Werbungskostenabzug in voller Höhe zulässig. Umgekehrt kommt bei ganz überwiegender privater Verwendung kein Abzug in Betracht.12 Lässt sich eine Trennung anhand objektiver Auftei-

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12

240

Notwendig sei eine typisierende Wertung unter Berücksichtigung „gesellschaftliche[r] Normalitätsvorstellungen“, Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 330. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 330. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 320. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 320. Vgl. Stadie in R/D/F/G, § 15 Rn 358. BFH v. 21.9.2009, GrS 1/06, BFHE 227, 1, unter C.III.2.c), 3. und 4.; BMF v. 6.7.2010, IV C 3 – S 2227/07/10003 :002, BStBl I 2010, 614, unter 1, 3.b). Die Doktrin eines aus § 12 Nr. 1 EStG abgeleiteten Aufteilungs- und Abzugsverbotes hat der BFH aufgegeben, vgl. BFH v. 21.9.2009, GrS 1/06, BFHE 227, 1, unter C.III.3.; Spindler, 61. HLBS Steuerfachtagung 2010, S. 11, 18. BFH v. 21.9.2009, GrS 1/06, BFHE 227, 1, unter C.III.4.b); BMF v. 6.7.2010, IV C 3 – S 2227/07/10003 :002, BStBl I 2010, 614, unter 3.a); Spindler, 61. HLBS Steuerfachtagung 2010, S. 11, 21.

Aufteilung untrennbar gemischter Eingangsleistungen

lungskriterien nicht vornehmen, scheidet ein Abzug vollständig aus.13 Der Steuerpflichtige trägt die objektive Beweislast für die Trennbarkeit. Diese ertragsteuerlichen Grundsätze sind jedoch auf das Mehrwertsteuerrecht nicht übertragbar. Zwar richtet sich sowohl der Betriebsausgabenabzug nach § 4 Abs. 4 EStG als auch der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG nach der Aufwandsentscheidung des Steuerpflichtigen.14 Die rechtlichen Fundamente sind jedoch unterschiedlich und verlangen eine unabhängige Behandlung: Betriebsausgaben sind nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dem daraus abgeleiteten objektiven Nettoprinzip absetzbar, weil die persönliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen gemindert ist.15 Bei untrennbar gemischtem Aufwand ist seine Leistungsfähigkeit nicht nachweislich gemindert und folglich der Abzug ausgeschlossen. Dagegen garantiert der Vorsteuerabzug die Neutralität der Mehrwertsteuer für den Steuerpflichtigen.16 Seine persönliche Leistungsfähigkeit hat dafür keine Bedeutung.17 Das Vorsteuerabzugsrecht kann als Fundamentalprinzip des Mehrwertsteuersystems nicht eingeschränkt werden,18 sofern die Mehrwert-

13

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17

18

BFH v. 21.9.2009, GrS 1/06, BFHE 227, 1, unter C.III.4.c); Fissenewert in H/H/R, EStG, § 12 Rn 73; BMF v. 6.7.2010, IV C 3 – S 2227/07/10003 :002, BStBl I 2010, 614, unter 3.c); Spindler, 61. HLBS Steuerfachtagung 2010, S. 11, 21. Vgl. Stadie in R/D/F/G, § 15 Rn 358. Vgl. nur BVerfG v. 9.12.2008, 2 BvL 1/07 u.a., BVerfGE 122, 210, unter C.I.3.; v. 12.5.2009, 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, B.I.1.c), v. 6.7.2010, 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, unter C.I.3.; v. 12.10.2010, 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, unter D.III.1.a); BFH v. 26.3.2009, VI R 42/07, BFHE 224, 448, unter II.2.a); v. 8.7.2010, VI R 10/08, BFHE 230, 352, unter II.2.a)bb); Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 2 Rn 10; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 8 Rn 42; Stapperfend in H/H/R, EStG, § 4 Rn 703. EuGH v. 14.2.1985, C-268/83, Rompelman, Slg 1985, I-660, Rn 19; v. 24.10.1996, C-317/94, Elida Gibbs, Slg 1996, I-5399, Rn 23; v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 27; v. 22.12.2010, C-438/09, Dankowski, Slg 2010, I-14009, Rn 24; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 56; v. 29.7.2010, C-188/09, Profaktor, Slg 2010, I-7639, Rn 20; Berger/Kindl/Wakounig, MwStSystRL, Einleitung, S. 39 ff., 42; Terra/Kajus, European VAT Directives 1, S. 278 f.; Lohse in Achatz/Tumpel, EuGH-Rspr. und USt-Praxis, S. 47, 50, 70 ff.; Birkenfeld, Mehrwertsteuer der EU, S. 42 ff. Vgl. Korn in Bunjes/Geist, UStG, § 2 Rn 54. Die Umsatzsteuer zielt als Verbrauchsteuer auf die Leistungsfähigkeit der Endverbraucher, die in ihrer Aufwandsbetätigung zum Ausdruck kommt, dazu oben S. 232 Fn 94. St. Rspr. des EuGH: u. a. EuGH v. 10.7.2008, C-25/07, Sosnowska, Slg 2008, I-5219, Rn 14 f.; v. 12.5.2011, C-107/10, Enel Maritsa Iztok 3, UR 2011, 507, Rn 31 f.; v. 21.6.2012, C-80/11, Mahagében, UR 2012, 591, Rn 37 f.; v. 6.9.2012, C-324/11,

241

Kein Vorsteuerabzug

steuersystemrichtlinie dies nicht ausdrücklich zulässt.19 Vor diesem Hintergrund kann der Vorsteuerabzug für untrennbar gemischte Aufwendungen nicht generell versagt werden, zumal die wirtschaftlichen Umsätze (hier Werbeumsätze) voll steuerbar sind. Darüber hinaus berechtigen im Ertragsteuerrecht so genannte „unverzichtbare Aufwendungen für die Lebensführung“ grundsätzlich nicht zum Betriebsausgabenabzug, weil sie bereits durch das einkommensteuerliche Existenzminimum abgegolten oder als Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind.20 Das kommt im Mehrwertsteuerrecht nicht in Betracht. b.

Wirtschaftliche Zurechnung zum hoheitlichen Bereich verbietet den Vorsteuerabzug

Nach Verwaltungsansicht scheidet ein Vorsteuerabzug für Werbeleistungen einer Gemeinde aus, wenn sie ein Werbemobil ausschließlich für hoheitliche Fahrten einsetzt.21 Denn sie verwende es in diesem Fall unmittelbar nur für hoheitliche Zwecke,22 die Erbringung von Werbeleistungen ist demnach nur ein mittelbarer Zweck. Zudem seien die Anschaffungskosten kein Kostenelement des ausgeführten Werbeumsatzes und könnten ihm daher nicht zugerechnet werden.23 Im Anwendungsfall könnte die Gemeinde nach dieser Ansicht keinen Vorsteuerabzug geltend machen. Ähnlich urteilte das FG Baden-Württemberg für Werbeleistungen eines gemeinnützigen Vereins, der die Fahrzeuge ausschließlich für ideelle Fahrten einsetzte.24

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22 23 24

242

Tóth, HFR 2012, 1124, Rn 23 f., jeweils m. w. N.; Lohse in Achatz/Tumpel, EuGHRspr. und USt-Praxis, S. 47, 49. EuGH v. 11.7.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 27; v. 6.7.1995, C-62/93, BP Soupergaz, Slg 1995, I-1883, Rn 18; v. 22.12.2008, C-414/07, Magoora, Slg 2008, I-10921, Rn 28; v. 16.2.2012, C-25/11, Varzim Sol, UR 2012, 677, Rn 36; v. 6.9.2012, C-496/11, Portugal Telecom, UR 2012, 762, Rn 35, jeweils m. w. N. BFH v. 21.9.2009, GrS 1/06, BFHE 227, 1, unter C.III.4.a). OFD Karlsruhe v. 29.2.2008, S 7100, DStR 2008, 974, unter 2.3 lit. a); OFD Koblenz v. 23.4.2003, – S 7100 – St 44 3, UR 2003, 552, unter 3.5., mit Verweis auf BFH v. 15.7.1993, V R 61/89, BFHE 172, 183. In dem Fall hatte ein Hobbyrennfahrer Werbeflächen an seinem Fahrzeug vermietet und der BFH versagte den Vorsteuerabzug. Denn aus den Herstellungskosten eines Hauses würde auch kein Vorsteuerabzug zugelassen, wenn der Eigentümer die Dachfläche zu Werbezwecken nutze, unter II.3.a). OFD Karlsruhe v. 29.2.2008, S 7100, DStR 2008, 974, unter 2.3 a). OFD Koblenz v. 23.4.2003, - S 7100 – St 44 3, UR 2003, 552, unter 3.5. FG Baden-Württemberg v. 29.3.2010, 9 K 115/06, EFG 2010, 1167, unter I)2).

Aufteilung untrennbar gemischter Eingangsleistungen

Jedoch wird hier die wirtschaftliche Zurechnung zum hoheitlichen Bereich nicht begründet, sondern lediglich festgestellt25 unter Verwendung der Formeln des EuGH zum Vorsteuerabzug.26 Es ließe sich mit denselben Formeln auch das umgekehrte Ergebnis vollen Vorsteuerabzugs erzielen. Demnach würde gelten: Die Gemeinde verwendet den Pkw unmittelbar nur für Werbezwecke. Dass die Fahrten gleichzeitig dem hoheitlichen Bereich zugute kommen, ist nur ein mittelbarer Vorteil. Weiterhin sind die Fahrzeugkosten Kostenelement bei den Werbeumsätzen. Dies führt zu einem Verlust aus der Werbetätigkeit, was gleichwohl die Vorsteuerabzugsberechtigung nicht in Frage stellt, weil ein Totalgewinn keine Voraussetzung wirtschaftlicher Tätigkeit ist.27 Das zeigt, allein mit den Formeln des EuGH lässt sich für untrennbaren Aufwand keine sachgerechte Lösung finden.

3.

Zweite Ansicht: Voller Vorsteuerabzug

Nach der Gegenmeinung ist bei untrennbar auch wirtschaftlich veranlassten Eingangsleistungen der volle Vorsteuerabzug zu gewähren. In diesem Sinne entschied der BFH jüngst über die Vorsteuerabzugsberechtigung einer Stadt aus Sanierungsaufwendungen für ihren Marktplatz.28 Die Stadt vermietete auf dem Marktplatz steuerpflichtig Standplätze, sodass die Sanierung dieser wirtschaftlichen Tätigkeit zugute kam. Gleichzeitig erfüllte die Stadt aber auch ihre hoheitliche Unterhaltungspflicht. Der BFH ließ den Vorsteuerabzug nach Maßgabe der Nutzungstage für den Marktbetrieb zu.29 Dass in diesen Zeiten die hoheitliche Unterhaltungspflicht fortbestand, hielt er für unschädlich. Nach diesem Verständnis könnte auch die Gemeinde im PkwFall den vollen Vorsteuerabzug geltend machen. Für diese Ansicht spricht der Neutralitätsgrundsatz. Er garantiert die vollständige Entlastung wirtschaftlicher Aufwendungen.30 Seine fundamentale Bedeutung für das Mehrwertsteuersystem31 spricht gegen eine

25 26

27 28

29 30 31

Vgl. Thieme, DB 2008, 2103, 2106. Nach dem EuGH setzt der Vorsteuerabzug voraus, dass die Eingangsleistung in direktem und unmittelbarem Zusammenhang zu besteuerten Ausgangsumsätzen steht und Kostenelement dieser Umsätze ist, vgl. dazu oben S. 50 ff. Vgl. dazu oben S. 116 ff. BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, dazu bereits oben S. 75 f.; zustimmend Keyser, UVR 2011, 269, 273 f.; kritisch. Eversloh, jurisPR-SteuerR 30/2011 Anm. 5, unter C., der eine wirtschaftliche Mitverwendung des Marktplatzes bezweifelt. BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274, unter II.3. Vgl. oben S. 61 Fn 250. Vgl. oben S. 241 Fn 18.

243

Kein Vorsteuerabzug

Beschränkung des Vorsteuerabzugs, wenn der Aufwand untrennbar auch nicht-wirtschaftlich mitveranlasst ist.32 Bestätigung scheint dies auch in der Cibo-Entscheidung des EuGH33 zu finden. Hier begehrte eine Funktionsholding Vorsteuerabzug für Kosten aus dem Erwerb ihrer Beteiligungen. Unterstellt, die Funktionsholding erbrachte jeweils steuerpflichtige Verwaltungsdienstleistungen an ihre Beteiligungsgesellschaften,34 ließ der EuGH den Vorsteuerabzug aus allgemeinen Kosten bei der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zu.35 Unbeachtet ließ er, dass der Beteiligungserwerb zugleich Voraussetzung für den nicht-wirtschaftlichen Dividendenbezug36 war.37 Andererseits führt der vollständige Vorsteuerabzug zu einem unbelasteten Leistungsbezug im nicht-wirtschaftlichen Bereich. Das widerspricht dem allgemeinen Verbrauchsteuercharakter der Mehrwertsteuer.38 Die Gemeinde könnte für das Fahrzeug vollständigen Vorsteuerabzug begehren, obwohl sie es für hoheitliche Fahrten einsetzt. Das gleiche Recht müsste dann auch Privatpersonen zustehen, wenn sie auf ihrem Pkw Werbeaufdrucke anbringen lassen. Originär nicht-wirtschaftlicher Aufwand ließe sich so leicht der Mehrwertsteuer entziehen. Die Ansicht kann sich auch nicht auf die Cibo-Entscheidung stützen. Denn die Kosten für den Beteiligungserwerb sind schon keine gemischten Aufwendungen. Der nicht-wirtschaftliche Dividendenbezug einer Funktionsholding begründet keinen eigenständigen Tätigkeitsbereich, sondern gehört als nicht-wirtschaftlicher Einzelvorgang zum Bereich ihrer wirtschaftlichen Verwaltungstätigkeit.39 Das erklärt den vollen Vorsteuerabzug für die Kosten des Beteiligungserwerbs.

32 33 34 35 36 37 38 39

244

Vgl. Keyser, UVR 2011, 269, 273 f. EuGH v. 27.09.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663. EuGH v. 27.09.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 14 ff. Das bejaht Wäger, UR 2001, 505, 507. EuGH v. 27.09.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 33 ff.; bestätigt durch EuGH v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 64. Vgl. EuGH v. 27.09.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 19, 41 ff. Vgl. Wäger, UR 2001, 505, 507; Ransiek, UStB 2011, 223, 226; Eggers, UR 2005, 344, 345. Vgl. Ismer/Keyser, UR 2011, 81, 89 f.; Keyser, UVR 2011, 269, 274. Eingehend oben S. 172 ff.

Aufteilung untrennbar gemischter Eingangsleistungen

4.

Vermittelnde Ansichten: Teilweiser Vorsteuerabzug

Vermittelnde Ansichten schlagen verschiedene Aufteilungen der Eingangsleistung vor: Dabei bemisst eine Literaturansicht40 den wirtschaftlichen Verwendungsanteil nach der Höhe des tauschähnlichen Umsatzes. In Höhe der Baraufgabe sei der Vorsteuerabzug dagegen ausgeschlossen (unter a.). Der BFH legte in vier aktuellen Entscheidungen zum Betrieb von Photovoltaikanlagen auf Gebäuden einen fiktiven Umsatzschlüssel zugrunde (unter b.). a.

Vorsteuerabzug nach Maßgabe des tauschähnlichen Umsatzes

Nach der Literaturansicht40 müsse bei untrennbar gemischtem Aufwand sowohl dem Neutralitätsgrundsatz als auch dem Verbrauchsteuerprinzip Geltung verschafft werden. Die Eingangsleistung sei daher aufzuteilen, wenn es einen denkbaren Aufteilungsmaßstab gibt.41 Anderenfalls habe der Neutralitätsgrundsatz Vorrang und der Vorsteuerabzug müsse in voller Höhe gewährt werden.42 Im Anwendungsfall sei demnach der Pkw-Kauf zwar nicht real teilbar. Als Aufteilungsmaßstab könne aber das Verhältnis des tauschähnlichen Umsatzes (1.000 €/10.000 € = 1/10) zur Baraufgabe (9.000 €/10.000 € = 9/10) dienen. Der tauschähnliche Umsatz würde zum Maß für die wirtschaftliche Verwendung, sodass die Gemeinde den Vorsteuerabzug aus 1/10 der Anschaffungskosten beabspruchen könnte, mithin in Höhe von 190 €. Zwar hat diese Lösung praktische Vorteile, weil die Eingangsleistung für Zwecke des Vorsteuerabzugs nicht gesondert aufgeteilt werden muss. Die Anschaffungskosten würden immer in gleicher Höhe zum Vorsteuerabzug berechtigen (hier 190 €) wie die Gemeinde Umsatzsteuer auf ihre Werbeleistung erheben muss (hier 190 €).43 Allerdings würde die Gemeinde aus der Werbetätigkeit auf Dauer immer einen vorsteuerbegünstigten Verlust erwirtschaften, der mehrwertsteuerlich auch anzuerkennen ist.44 Denn die laufenden Fahrzeugkosten würden entsprechend der wirtschaftlichen Mitnutzung ebenfalls zu 1/10 zum Vorsteuerabzug berechtigen. Das wird

40 41 42 43 44

Ismer/Keyser, UR 2011, 81, 89 f.; Keyser, UVR 2011, 269, 274. Ismer/Keyser, UR 2011, 81, 89 unter Verweis auf Stadie, in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 320, zu dessen Ansicht oben S. 239 f. Keyser, UVR 2011, 269, 274. Bemessungsgrundlage dafür ist gem. § 10 Abs. 2 S. 2 UStG i. V. m. Abschn. 10.5 Abs. 1 S. 8, S. 9 UStAE der Wert des Fahrzeugs abzüglich Baraufgabe. Vgl. zur Anerkennung von Verlustgeschäften oben S. 116 ff.

245

Kein Vorsteuerabzug

dem Finanzierungszweck der Werbeleistung nicht gerecht. Darüber hinaus bildet die vorgeschlagene Aufteilung auch nicht die tatsächlichen Verwendungsanteile des Pkws ab. Denn es wird unterstellt, je geringer die Zuzahlung, desto größer die Verwendung für Werbezwecke. Bei einem reinen Tauschgeschäft45 gäbe es keinen hoheitlichen Verwendungsanteil mehr und der Vorsteuerabzug wäre in voller Höhe zu gewähren. Tatsächlich wird das Fahrzeug aber auch in diesem Fall hoheitlich mitverwendet. b.

Vorsteuerabzug nach Maßgabe eines (fiktiven) Umsatzschlüssels

Der BFH hatte in vier aktuellen Urteilen über den Vorsteuerabzug aus Herstellungs- und Erhaltungskosten für Gebäude mit wirtschaftlich betriebenen Photovoltaikanlagen auf den Dächern zu entscheiden.46 Das Gebäudeinnere wurde entweder privat genutzt oder stand leer, letzteres qualifizierte der BFH als VNLTO-gleiche Verwendung.47 Für die Aufteilung der Kosten zog der BFH jeweils § 15 Abs. 4 UStG analog heran und erklärte fiktive Vermietungsumsätze zum Maßstab.48 Fiktiven Vermietungsumsätzen aus der Vermietung des Gebäudeinneren seien fiktive Vermietungsumsätze aus der Vermietung der Dachfläche zum Betrieb einer Photovoltaikanlage gegenüberzustellen. Im Anwendungsfall wären demnach die aus der Vermietung der Werbeflächen erzielten Umsätze einerseits und die aus der Vermietung des Pkw selbst erzielbaren Umsätze andererseits maßgeblich. Aus der Werbeflächenvermietung erwirtschaftet die Gemeinde in fünf Jahren 1.000 € netto, mithin jährlich 200 €. Für die Vermietung des Pkw selbst wird ein fiktiver jährlicher Vermietungsumsatz von 2.200 € netto unterstellt. Auf die Werbetätigkeit entfällt somit ein Umsatzanteil von 8,3 % (200 € von 2.400 €). Folglich könnte die Gemeinde Vorsteuerabzug in Höhe von 158,33 € beanspruchen. § 15 Abs. 1 S. 2 UStG stünde dem nicht entgegen, weil die Regelung nur bei weit überwiegender unternehmensfremder Mitverwendung gilt.49

45 46

47 48 49

246

Der vollständige Verzicht auf eine Zuzahlung ist durchaus üblich, vgl. BFH v. 16.4.2008, XI R 56/06, BFHE 221, 475; Thieme, DB 2008, 2103. BFH v. 19.7.2011, XI R 21/10, BFHE 235, 14; v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556; v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564; v. 14.3.2012, XI R 26/11, BFH/NV 2012, 1192, vgl. dazu oben S. 76 f. BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.4.; BFH v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.4.c); zur Kritik daran S. 161 ff. Vgl. oben S. 76 Fn 58. Dazu oben S. 100 f.

Aufteilung untrennbar gemischter Eingangsleistungen

Zutreffend ist der Ansatz des BFH, wie bei trennbar gemischten Eingangsleistungen für wirtschaftliche und VNLTO-gleiche Zwecke, § 15 Abs. 4 UStG analog heranzuziehen.50 Er lässt jedoch für die untrennbar gemischten Eingangsleistungen den Zurechnungsmaßstab gem. § 15 Abs. 4 S. 1 UStG offen und schätzt nur die Verwendungsanteile anhand fiktiver Umsätze gem. § 15 Abs. 4 S. 2 und S. 3 UStG. Mit anderen Worten: Der BFH benennt nicht, was er schätzt. Insofern lässt sich nicht sagen, ob seine Schätzmethode sachgerecht ist. Zudem hilft diese Schätzmethode bei untrennbar gemischten Eingangsdienstleistungen, wie beispielsweise einer untrennbar gemischten Taxifahrt,51 nicht weiter, weil sie nicht (fiktiv) vermietet werden können. Die Schätzungsmethode kann auch nicht mit Blick auf den Pro-rata-Satz nach Art. 173 ff. MwStSystRL pauschal als sachgerecht beurteilt werden.52 Der Pro-rata-Satz sieht eine Aufteilung gemischt steuerpflichtig und steuerfrei verwendeter Eingangsleistungen nach den tatsächlich erzielten Umsätzen vor. Auf fiktive Umsätze kommt es gerade nicht an. Wenn beispielsweise ein Zahnarzt im Stadtgebiet München eine Praxis betreibt (steuerfrei gem. § 4 Nr. 14 lit. a) UStG) und auf dem Dach steuerpflichtig eine Photovoltaikanlage unterhält, berechtigen die Gebäudekosten nach dem Verhältnis der tatsächlichen Umsätze anteilig zum Vorsteuerabzug. Das gilt auch dann, wenn der Praxisbetrieb nur halb so hohe Umsätze abwirft wie eine fiktive Vermietung der Räumlichkeiten. Der Ansatz fiktiver Umsätze ist auch von der „Idee“ des Pro-rata-Satzes nicht getragen, die besagt: Je höher der Umsatz aus einer Tätigkeit, desto höher der Verwendungsanteil gemischter Eingangsleistungen für diese Tätigkeit. Dagegen unterstellt der fiktive Umsatzschlüssel: Je höher fiktive Vermietungsumsätze aus der Eingangsleistung, desto höher ihr Verwendungsanteil im entsprechenden Tätigkeitsbereich. Es wird so nicht mehr ein Charakteristikum der Tätigkeit, sondern ein Charakteristikum der Eingangsleistung zum Maß genommen.

5.

Eigene Ansicht: Teilweiser Vorsteuerabzug nach dem wirtschaftlichen Verwendungswert der Eingangsleistung

Vorzugswürdig ist eine Aufteilung auch untrennbar gemischter Eingangsleistungen. Der Neutralitätsgrundsatz verlangt die Berücksichtigung der

50 51 52

Ausführlich dazu oben S. 225 ff. Vgl. dazu oben S. 240 bei Fn 9. Vgl. von Streit, UR 2006, 254, 258 f., der ausführt, die Bezugnahme auf fiktive Umsätze sei dem System der Mehrwertsteuer fremd.

247

Kein Vorsteuerabzug

wirtschaftlichen Mitverwendung, das Prinzip allgemeiner Verbrauchsbesteuerung die Berücksichtigung der nicht-wirtschaftlichen Mitverwendung.53 Eine Sonderbehandlung ist insofern nicht vorgesehen, vgl. Art. 167 ff. MwStSystRL, oder anders formuliert: Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie kennt keine untrennbare Verwendung. Für die Aufteilung ist, wie bei trennbar gemischten Eingangsleistungen, § 15 Abs. 4 S. 1 und S. 2 UStG analog anzuwenden.54 Maßgeblich ist demnach, inwieweit der Steuerpflichtige die Eingangsleistung wirtschaftlich und inwieweit nicht-wirtschaftlich verwendet. Da die Verwendungsanteile hier nicht quantifizierbar sind, bleibt nur die Möglichkeit sie zu bewerten. Die Verwendungswerte bestimmen das Aufteilungsverhältnis. Dabei kann der Steuerpflichtige eine sachgerechte Bewertungsmethode wählen, insbesondere nach fiktiven Vermietungsumsätzen oder nach fiktiven Kosten. Entgegen dem BFH55 ist die Aufteilung nach fiktiven Vermietungsumsätzen auch nicht nachrangig (unter a.). Problematisch erscheint ein anteiliger Vorsteuerabzug jedoch, soweit der Ansatz des wirtschaftlichen Verwendungswertes zu einem Gesamtverlust aus der wirtschaftlichen Tätigkeit führt. Hier drohen übermäßige Vorsteuererstattungsansprüche, weil die Mechanismen des Mehrwertsteuersystems, die dies verhindern, bei untrennbar gemischten Aufwendungen nicht eingreifen. Dem könnte begegnet werden, indem der Vorsteuerabzug im Wege teleologischer Reduktion ausnahmsweise versagt wird (unter b.). a.

Sachgerechte Methoden zur Bestimmung der isolierten Verwendungswerte

Der BFH schlägt eine Aufteilung nach fiktiven Vermietungsumsätzen vor, wenn ein Gebäude nicht-wirtschaftlich genutzt wird und auf dem Dach wirtschaftlich eine Photovoltaikanlage betrieben wird.56 Die Methode ist sachgerecht, weil sie geeignet ist, die isolierten Verwendungswerte des Gebäudes abzubilden. Sie unterstellt im Sinne eines Ertragswertverfahrens57: 53 54 55

56 57

248

Vgl. Keyser, UVR 2011, 269, 273 f., die jedoch Fälle ohne denkbaren Aufteilungsmaßstab für möglich hält und dann dem Neutralitätsgrundsatz den Vorrang einräumt. Vgl. oben S. 225 ff. BFH v. 19.7.2011, XI R 21/10, BFHE 235, 14, unter II.4.c)bb); v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.6.c)bb); v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.5.b)cc); v. 14.3.2012, XI R 26/11, BFH/NV 2012, 1192, unter II.5.c)bb). Dazu oben S. 246 f. Vgl. zum Umsatzschlüssel als Ertragswertverfahren: BFH v. 5.2.1998, V R 101/96, BFHE 185, 524, unter II.2.b); v. 12.3.1998, V R 50/97, BFHE 185, 530,

Aufteilung untrennbar gemischter Eingangsleistungen

Je höher die erzielbaren Vermietungsumsätze aus der jeweiligen Verwendung, desto höher der Verwendungswert des Gebäudes insoweit.58 Dadurch wird er Steuerpflichtige für den Aufteilungsmaßstab so gestellt, als würde er einerseits das Gebäude und andererseits die Dachfläche mieten. Dieser Umsatzschlüssel ist auch nicht nachrangig im Sinne von § 15 Abs. 4 S. 3 UStG. Zwar ist die Regelung auf gemischt wirtschaftlich und nicht-wirtschaftlich verwendete Eingangsleistungen grundsätzlich analog anwendbar, und das obwohl der EuGH sie in direkter Anwendung für unionsrechtswidrig hält.59 Sie muss als Ausnahmeregelung60 aber restriktiv angewendet werden und der Gesetzgeber hatte untrennbar gemischte Eingangsleistungen nicht im Blick. Er wollte in erster Linie verhindern, dass der Umsatzschlüssel zur Regel-Aufteilung bei gemischt genutzten Gebäuden wird,61 wo eine quantitative Aufteilung nach Nutzflächen62 möglich ist. Bei untrennbar gemischtem Aufwand kommt aber eine quantitative Aufteilung nicht in Betracht, sodass die Verwendungsanteile zwingend bewertet werden müssen. Dabei besteht kein Grund, einem Ertragswertverfahren andere Wertermittlungsmethoden vorzuziehen. Die Regelung ist insofern teleologisch zu reduzieren. Die Aufteilung nach fiktiven Vermietungsumsätzen lässt sich auf andere untrennbar gemischt genutzte Gegenstände und die darauf bezogenen Aufwendungen übertragen. Der fiktive Vermietungsumsatz beziffert den Wert der jeweils isolierten Nutzung. Im Anwendungsfall kann die Gemeinde demnach Vorsteuerabzug aus 8,3 % der Anschaffungskosten, d. h. in Höhe

58

59 60

61 62

unter II.1.a)bb); v. 20.4.1998, V B 129/97, BFH/NV 1999, 79, unter II.b); von Streit, UR 2006, 254, 256 f. Aus diesem Grund müssen auch zwingend Vermietungsumsätze gegenübergestellt werden. (Fiktive) Umsätze aus einer anderweitigen wirtschaftlichen Nutzung des Gebäudeinneren sind nicht vergleichbar, ebenso Sterzinger, UR 2012, 213, 218, 222. Vgl. oben S. 227 bei Fn 66. Ein Umsatzschlüssel ist eine sachgerechte Aufteilungsmethode und ist unionsrechtlich sogar als Regelaufteilung vorgesehen, Art. 173 ff. MwStSystRL, vgl. BFH v. 17.8.2001, V R 1/01, BFHE 196, 345, unter II.1.b); v. 18.11.2004, V R 16/03, BFHE 208, 462, unter II.3.; v. 28.9.2006, V R 43/03, BFHE 215, 335, unter II.2.b)aa); v. 22.11.2007, V R 43/06, BFH/NV 2008, 513, unter II.2.a); v. 13.8.2008, XI R 53/07, BFH/NV 2009, 228, unter II.2.a). Gesetzesbegründung im Entwurf zum Steueränderungsgesetz 2003, BT-DrS 15/1562, S. 51, zu Nr. 18 Buchst. d. Vgl. Abschn. 15.17 Abs. 7 S. 4 UStAE.

249

Kein Vorsteuerabzug

von 158,33 € begehren.63 Die laufenden Pkw-Kosten berechtigen zu demselben Anteil zum Vorsteuerabzug. Daneben ist auch eine Wertermittlung nach fiktivem Aufwand möglich. Nutzt beispielsweise ein ideell tätiger Verein das Dach seines Vereinsgebäudes zum Betrieb einer Photovoltaikanlage, kann er für die ideelle Nutzung die Gebäudekosten ohne Photovoltaikanlage ansetzen und für den Betrieb der Photovoltaikanlage die Kosten eines Photovoltaikanlagen-Trägers, der gleichwertig mit der Dachmontage ist. Die jeweiligen Kosten müssen über die Nutzungsdauer verteilt und aus dem Jahres- oder Monatswert das Wertverhältnis gebildet werden. Der Verwendungswert wird so nach einem Kostenverfahren anstatt einem Ertragswertverfahren ermittelt. Das kann insbesondere dann vorteilhaft sein, wenn das Vereinsgebäude in einer Gegend mit hohem Mietnieveau steht.64 In einem der PhotovoltaikanlagenVerfahren berief sich der Kläger auf die erhöhte Stromvergütung gem. § 11 Abs. 2 S. 1 EEG 200465 bei Installation auf einem Gebäude.66 Daraus lässt sich aber weder ein voller Vorsteuerabzug ableiten noch der Ansatz der gesamten Gebäudekosten als Verwendungswert für die wirtschaftliche Nutzung. Denn die erhöhte Stromvergütung subventioniert die Verknüpfung der Gebäudenutzung mit dem Betrieb der Photovoltaikanlage.67 Allein für Photovoltaikanlagen bestimmte Bauten sind gerade nicht erfasst. Die Wertermittlung nach fiktivem Aufwand ist auch für Eingangsdienstleistungen sachgerecht, die sich nicht auf einen Gegenstand beziehen. Fiktive Vermietungsumsätze kommen hier nicht in Betracht. Der Steuerpflichtige wird stattdessen für den Aufteilungsmaßstab so gestellt, als würde er die Dienstleistung für die jeweilige Verwendung isoliert beziehen. Die dabei fiktiv anfallenden Kosten bilden die Verwendungswerte der Dienstleistung ab. Im Beispiel der Taxifahrt68 wären die Fahrtkosten jeweils in voller Höhe angefallen, wenn am Zielort nur der wirtschaftliche bzw. nur der nicht-

63

64 65 66 67 68

250

Vgl. oben S. 246. Unterstellt wurde dabei eine erzielbare Jahresmiete für den Pkw i. H. v. 2.200 € gegenüber erzielten Erträgen aus der Vermietung von Werbefläche i. H. v. 200 €. Nach dem fiktiven Umsatzschlüssel ergäbe sich hier ein hoher ideeller Verwendungswert und dementsprechend ein niedriger Vorsteuerabzug. BGBl I 2004, 1918. Vgl. BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, Tatbestand und unter II.3.c). Vgl. zum Normzweck der Nachfolgeregelung Oschmann/Sösemann in Altrock/Oschmann/Theobald, EEG, § 33 Rn 3. Vgl. zu dem Beispiel von Stadie oben S. 240 Fn 9.

Aufteilung untrennbar gemischter Eingangsleistungen

wirtschaftliche Termin stattgefunden hätte. Folglich berechtigen sie zu 50 % zum Vorsteuerabzug.69 Auch in den Marktplatz-Sanierungsfällen70 liegt eine Wertermittlung nach fiktivem Aufwand nahe. Dabei ist zunächst der zeitlich trennbare Nutzungsanteil ohne Marktbetrieb dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen.71 Bei 274 Tagen ohne Marktbetrieb72 und 91 Markttagen wird der Aufwand zu ¾ für rein hoheitliche Zwecke bezogen. Der untrennbar gemischte Verwendungsanteil (¼) ist sodann nach dem Verwendungswert der Sanierung im wirtschaftlichen und im hoheitlichen Bereich aufzuteilen. Dabei sind jeweils die vollen Sanierungskosten anzusetzen, weil die Sanierung vollumfänglich im Rahmen der hoheitlichen Unterhaltungspflicht liegt und auch vollumfänglich dem Marktbetrieb zugute kommt. Im Beispielsfall ergibt sich ein Vorsteuerabzug aus 12,5 % (½ von 25 %) der Sanierungskosten. Daran ändert sich nichts, wenn der Marktplatz in Zeiten des Marktbetriebes stärker abgenutzt wird. Denn die hoheitliche Unterhaltungspflicht besteht unabhängig von den Gründen des Sanierungserfordernisses. Unbeachtlich ist es auch, wenn der Marktplatzbetrieb ausschlaggebend für die Sanierung war.73 Denn maßgeblich ist die Verwendung der Sanierungsleistung, nicht ihre Veranlassung. b.

Bedenken gegen anteiligen Vorsteuerabzug bei Verlusten im wirtschaftlichen Bereich

Das Mehrwertsteuersystem sieht zur Vermeidung von Vorsteuerüberschüssen zwei Mechanismen vor, die beide bei untrennbar gemischtem Aufwand nicht eingreifen. Zum einen geht ein Vorsteuerüberschuss mit einen mehr als fünfmal so hohen Nettoverlust einher, sodass der Steuerpflichtige eine 69

70 71 72

73

Im Ertragsteuerrecht kommt es dagegen nicht auf den Verwendungswert der Eingangsleistung, sondern auf ihre Veranlassung an. Daher ist hier ein voller Betriebsausgaben- bzw. Werbungskostenabzug möglich, wenn der Steuerpflichtige einen beruflichen Pflichttermin mit einem Privataufenthalt verbindet. Vgl. BFH v. 21.9.2009, GrS 1/06, BFHE 227, 1, unter C.III.4.e). BFH v. 3.3.2011, V R 23/10, BFHE 233, 274; vgl. oben S. 243 bei Fn 28. Ebenso Keyser, UVR 2011, 269, 274 dort bei Fn 57. Im Regelfall ist eine Aufteilung nach Tagen hinreichend genau. Andere zeitliche Aufteilungen kommen bei reinen Nachtveranstaltungen in Betracht oder wenn Märkte nur stundenweise geöffnet sind, vgl. dazu Widmann, BB 2011, 2022 f.; Eversloh, jurisPR-SteuerR 30/2011 Anm. 5, unter C. A. A. Widmann, BB 2011, 2022 f.; ders. Stbg 2012, 57, 64 f., der auf die primäre Motivation der Marktplatzsanierung abstellt, die er generell in der hoheitlichen Unterhaltungspflicht sieht.

251

Kein Vorsteuerabzug

verlustbringende Tätigkeit schnell einstellen bzw. gewinnbringend umgestalten wird.74 Bei untrennbar gemischtem Aufwand trägt der Steuerpflichtige jedoch im Vergleich zu einer rein nicht-wirtschaftlich verwendeten Eingangsleistung keinen zusätzlichen Aufwand. Er hat daher keinen Anlass, das Verlustgeschäft im wirtschaftlichen Bereich zu unterbinden. Zum anderen verhindern spezielle Vorsteuerabzugsverbote, insbesondere im Grenzbereich zu privatem Aufwand, das Ausufern von Vorsteuererstattungsansprüchen, vgl. § 15 Abs. 1a UStG.74 Für untrennbar gemischte Aufwendungen ist ein solches Verbot jedoch nicht vorgesehen. Das Ausufern von Vorsteuererstattungsansprüchen könnte hier im Wege einer teleologischen Reduktion von Art. 167, 168 lit. a) MwStSystRL verhindert werden. Zwar bezieht der Steuerpflichtige eine untrennbar gemischte Eingangsleistung auch für wirtschaftliche Zwecke, mithin „als solcher“ und er verwendet sie auch direkt und unmittelbar wirtschaftlich. Entstehen aus dem Ansatz des anteiligen Verwendungswertes aber Verluste im wirtschaftlichen Bereich, kann der entsprechende Aufwandsanteil kein unmittelbares Kostenelement der Ausgangsumsätze sein. Dies ist nach der Zielsetzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems aber Voraussetzung für den Vorsteuerabzug, Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL.75 Der Steuerpflichtige macht sich stattdessen einen nicht-wirtschaftlichen Aufwand mittelbar zunutze. Das genügt nicht für den Vorsteuerabzug. Die ergebnisunabhängige Definition wirtschaftlicher Tätigkeit in Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL stünde dem nicht entgegen. Dauerhafte Verluste aus einer wirtschaftlichen Tätigkeit sind zwar denkbar76 und im Rahmen des Vorsteuerabzugs grundsätzlich auch zu berücksichtigen.77 Hier steht jedoch vorher in Frage, ob ein Aufwand zum wirtschaftlichen Bereich gehört. Die Verluste bei Ansatz des wirtschaftlichen Verwendungswertes sprechen dagegen. 74 75

76 77

252

Vgl. oben S. 121. Vgl. dazu st. Rspr. des EuGH, u. a. EuGH v. 8.6.2000, C-98/98, Midland Bank, Slg 2000, I-4177, Rn 30; v. 22.2.2001, C-408/98, Abbey National, Slg 2001, I-1361, Rn 28; v. 27.9.2001, C-16/00, Cibo Participations SA, Slg 2001, I-6663, Rn 30 f.; v. 26.5.2005, C-465/03, Kretztechnik, Slg 2005, I-4357, Rn 35; v. 13.3.2008, C-437/06, Securenta, Slg 2008, I-1597, Rn 27; v. 29.10.2009, C-29/08, AB SKF, Slg 2009, I-10413, Rn 57; v. 6.9.2012, C-496/11, Portugal Telecom SGPS SA, UR 2012, 762, Rn 36. Eingehend dazu oben S. 116 ff. Vgl. zu speziellen Vorsteuerabzugsbeschränkungen bei negativer Gewinnprognose § 15 Abs. 1a UStG i. V. m. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 bis 4 i. V. m. S. 2 EStG, dazu oben S. 121 f.

7. Kapitel: Vorsteuerberichtigung und Übertragung der Lennartz-Grundsätze Eine Vorsteuerberichtigung ist in zwei Richtungen denkbar: Eine vorsteuerentlastete Eingangsleistung in der wirtschaftlichen und selbstständigen Sphäre dient nachträglich nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Zwecken. Und umgekehrt, eine umsatzsteuerbelastete Eingangsleistung in der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre dient nachträglich wirtschaftlichen Zwecken. Der erste Fall löst eine Vorsteuerberichtigung zum Nachteil des Steuerpflichtigen aus, sofern die Geringfügigkeitsschwellen überschritten sind (unter I.). Dagegen scheidet im zweiten Fall eine Vorsteuerberichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen aus. Denn der Leistungsbezug in der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre lässt nach den Lennartz-Grundsätzen1 kein Recht zum Vorsteuerabzug entstehen (unter II.).

I.

Vorsteuerberichtigung bei Erhöhung nichtwirtschaftlicher unternehmenseigener Verwendungsanteile

Werden vorsteuerentlastete Eingangsleistungen aus der wirtschaftlichen und selbstständigen Sphäre einer nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Verwendung zugeführt, ist der ursprüngliche Vorsteuerabzug insoweit nicht gerechtfertigt. Das Mehrwertsteuersystem sieht zwei denkbare Vorsteuerkorrekturmechanismen vor: die Entnahmebesteuerung und die technische Vorsteuerberichtigung. Eine Entnahmebesteuerung für unternehmensfremde Zwecke i. S. v. Art. 16 und Art. 26 MwStSystRL ist jedoch nach den Vorgaben der VNLTO-Entscheidung ausgeschlossen.2 Nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Tätigkeiten verfolgen per definitionem keine unternehmensfremden Zwecke.3 Eine weitergehende Entnahmebesteuerung für Innenlieferungen im Sinne von Art. 18 MwStSystRL oder Innendienstleistungen im Sinne von Art. 27 MwStSystRL sieht das deutsche Umsatzsteuerrecht nicht vor. 1 2

3

EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, dazu oben S. 30 f., 54 f. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 38 f.; vgl. Reiß, UR 2010, 797, 806, 808; ders. in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 155; a. A. Wäger, DB 2012, 1288, 1294. Vgl. dazu oben S. 202 f.

253

Vorsteuerberichtigung

Stattdessen ist eine technische Vorsteuerberichtigung zum Nachteil des Steuerpflichtigen durchzuführen.4 Bei Verringerung des wirtschaftlichen Verwendungsanteils einer Eingangsleistung vermindert sich die Vorsteuerabzugsberechtigung im Sinne von Art. 184 MwStSystRL bzw. ändern sich die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse im Sinne von § 15a Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 UStG. Die Vorsteuerberichtigung erfolgt grundsätzlich zeitlich gestreckt, bei Gebäuden und Grundstücken über 10 Jahre, bei allen anderen Wirtschaftsgütern über 5 Jahre, Art. 187 Abs. 1 MwStSystRL, § 15a Abs. 1 UStG. Sie ist jährlich für jeweils 1/10 bzw. 1/5 der auf das Wirtschaftsgut entfallenen Mehrwertsteuer vorzunehmen, Art. 187 Abs. 2 MwStSystRL, § 15a Abs. 5 S. 1 UStG. Aus Vereinfachungsgründen entfällt eine Vorsteuerberichtigung, wenn die in § 44 UStDV5 vorgesehenen Geringfügigkeitsschwellen nicht überschritten werden. Insbesondere muss die auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallende Vorsteuer 1.000 € übersteigen, § 44 Abs. 1 UStDV. Weiterhin müssen sich die für den für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse um mindestens 10 % geändert haben, § 44 Abs. 2 S. 1 UStDV.6 Die Vorsteuerberichtigung erfolgt auch dann zeitlich gestreckt, wenn eine (ausschließlich oder teilweise) für wirtschaftliche Zwecke bezogene Eingangsleistung endgültig dem nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich zugeordnet wird.7 Für eine globale Vorsteuerkorrektur bedürfte es entweder eines entsprechenden Innenlieferungstatbestandes, wie im französischen Recht,8 oder einer globalen Vorsteuerberichtigungsvorschrift. Die globale Vorsteuerberichtigung bei Veräußerung oder Gegenstandsentnahme nach Art. 188 MwStSystRL, § 15a Abs. 8, Abs. 9 UStG ist aber nicht tatbestandsmäßig.9 Die Neuzuordnung ist weder eine entgeltliche Lieferung noch eine Lieferung nach § 3 Abs. 1b UStG in diesem Sinn.

4 5 6 7 8

9

254

Reiß, UR 2010, 797, 806 f., 808; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 410, 412; missverständlich Swinkels, VAT-Monitor 2010, 194, 197. Rechtsgrundlage der Regelung ist § 15a Abs. 11 Nr. 1 UStG, Art. 189 lit. d) MwStSystRL. Das gilt nicht, wenn der Berichtigungsbetrag 1.000 € übersteigt, § 44 Abs. 2 S. 2 UStG. Reiß, UR 2010, 797, 808. Vgl. Art. 257-II-1-2° 2. HS CGI, wonach die Neuzuordnung eines Gegenstandes innerhalb des Unternehmens zu nicht-wirtschaftlichen Tätigkeiten steuerbar ist, dazu Pull, UR 2012, 701, 703 f. Vgl. zum demgegenüber weiteren Anwendungsbereich der globalen Vorsteuerberichtigung im französischen Recht Pull, UR 2012, 701, 705 f.

Keine Vorsteuerberichtigung bei Erhöhung wirtschaftlicher Verwendungsanteile

II. Keine Vorsteuerberichtigung bei Erhöhung wirtschaftlicher Verwendungsanteile Die Rechtspraxis diskutiert kontrovers, ob eine Vorsteuerberichtigung erfolgen muss, wenn eine ganz oder teilweise in der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre bezogene Eingangsleistung nachträglich für wirtschaftliche Zwecke verwendet wird. Ausdrückliche Vorgaben dazu enthalten weder die Mehrwertsteuersystemrichtlinie noch das Umsatzsteuergesetz. Insbesondere sind die Sonderregelungen für Grundstücke in Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL und § 15a Abs. 6a, Abs. 1b UStG nicht anwendbar (unter 1.). Für die Lösung ist die Reichweite der LennartzRechtsprechung,10 die einen Leistungsbezug im Privatbereich betraf, entscheidend. Die überwiegenden Stimmen halten sie für nicht oder nur für eingeschränkt übertragbar. Die Argumentation des EuGH in der LennartzEntscheidung lässt jedoch keinen anderen Schluss zu, als sie zu übertragen, und zwar sowohl auf Eingangsleistungen zu rein nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Zwecken (unter 2.) als auch auf VNLTO-gleiche Verwendungsanteile gemischter Eingangsleistungen (unter 3.). Die Übertragung der Lennartz-Grundsätze ist bei Eingangsleistungen zu rein nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Zwecken unbedenklich. Sie entspricht dem punktuellen Belastungskonzept der Mehrwertsteuer und lässt den Neutralitätsgrundsatz unberührt. Bei gemischten Eingangsleistungen ist die Übertragung jedoch mit Blick auf den Neutralitätsgrundsatz und den unionsrechtlichen Gleichheitssatz problematisch. Der EuGH sollte deswegen den Anwendungsbereich des Zuordnungswahlrechts erweitern. Dann könnte auch für VNLTO-gleiche Verwendungsanteile durch Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen ein Recht zum Vorsteuerabzug entstehen. Der Höhe nach bliebe der Vorsteuerabzug aber auf wirtschaftliche Verwendungsanteile beschränkt (unter 4.). Für den Steuerpflichtigen gibt es bisher nur einen Ausweg: Er muss im Anschaffungszeitpunkt großzügig einplanen, dass er die Eingangsleistung innerhalb des Berichtigungszeitraums wirtschaftlich verwenden wird. Eine solche reine Verwendungszweckbestimmung ist von einer Zuordnungsentscheidung im Sinne eines Zuordnungswahlrechts zu unterscheiden.11 Es bedarf des konkreten Nachweises der zukünftigen wirtschaftlichen Verwendung, sodass insoweit allein auf Grund dieser Verwendungszweck10 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, dazu oben S. 30 f., 54 f. 11 Vgl. zur Unterscheidung oben S. 48 f.

255

Vorsteuerberichtigung

bestimmung ein Recht zum Vorsteuerabzug entsteht. Eine vorübergehende Verwendung im nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Bereich ist dann unschädlich (unter 5.).

1.

Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL ist nicht anwendbar

Die Sonderregelung in Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL12 erlaubt eine Vorsteuerberichtigung, wenn ein Steuerpflichtiger ein gemischt genutztes Grundstück später in erhöhtem Umfang für wirtschaftliche Zwecke einsetzt.13 Die Vorschrift ist aber auf VNLTO-gleich (mit-)verwendete Grundstücke nicht anwendbar. Denn sie setzt ein dem Unternehmen zugeordnetes, gemischt genutztes Grundstück im Sinne von Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL voraus. Rein VNLTO-gleich verwendete Grundstücke sind schon mangels gemischter Verwendung nicht tatbestandsmäßig.14 Bei gemischter Verwendung für wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke fehlt es jedenfalls an einem Verwendungsanteil „für unternehmensfremde Zwecke“.15 Das gilt entsprechend im nationalen Recht. § 15a Abs. 6a UStG sieht eine Vorsteuerberichtigung vor, wenn sich die Verwendung eines Grundstücks im Sinne von § 15 Abs. 1b UStG ändert. § 15 Abs. 1b UStG setzt seinerseits eine gemischte Verwendung des Grundstücks für wirtschaftliche und unternehmensfremde Zwecke voraus.16 Bei gemischter Nutzung für wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke scheidet folglich eine Vorsteuerberichtigung gem. § 15a Abs. 6a i. V. m. § 15 Abs. 1b UStG aus.17

12 Ausführlich zum Inhalt von Art. 168a MwStSystRL oben S. 66 ff. 13 Reiß, UR 2010, 797, 802; von Streit/Zugmaier, DStR 2010, 524, 525 f.; Lohse, IStR 2009, 486, 487 zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag v. 7.11.2007, KOM(2007) 677 endgültig, Art. 1 Nr. 11, Art. 168a Abs. 2 MwStSystRL-E. Zur nationalen Umsetzung in § 15a Abs. 6a i. V. m. § 15 Abs. 1b UStG: Stadie, UR 2011, 125, 145; Wäger, UR 2012, 25, 28. 14 Dazu bereits ausführlich oben S. 211 f. 15 Vgl. bereits oben S. 211 f. und S. 224 ff. 16 Dazu bereits oben S. 225. 17 Ebenso Widmann, BB 2012, 1074, 1075. A. A. Stadie, UR 2011, 125, 147, der auf einen allgemeinen Rechtsgedanken des Mehrwertsteuersystems abstellt, „wonach ein Vorsteuerabzug nur insoweit ausgeschlossen sein soll, als der Gegenstand nicht für besteuerte Umsätze verwendet wird.“

256

Keine Vorsteuerberichtigung bei Erhöhung wirtschaftlicher Verwendungsanteile

2.

Lennartz-Grundsätze sind auf Eingangsleistungen für rein nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke zu übertragen

Für Eingangsleistungen zu rein nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Zwecken müssen die Lennartz-Grundsätze18 Anwendung finden. Das entspricht der Ansicht der Finanzverwaltung19 und von Teilen der Literatur.20 Nach der Lennartz-Entscheidung ist ein nachträglicher Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen zu rein privaten Zwecken ausgeschlossen, weil der Steuerpflichtige bei Leistungsbezug nicht „als solcher“ handelt.21 Bezieht der Steuerpflichtige Eingangsleistungen zu rein nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Zwecken, handelt er ebenso wenig „als solcher“.22 Das bestätigt die Rechtssache Waterschap, wo der EuGH die LennartzGrundsätze auf Eingangsleistungen zu rein hoheitlichen Zwecken übertragen hat.23 Qualitativ steht die hoheitliche Verwendung eine VNLTOgleiche Verwendung.24 Die Gegenansicht will die Lennartz-Grundsätze nicht übertragen, weil die Eingangsleistung für das Unternehmen bezogen wird.25 Teilweise wird auch unterstellt, der EuGH habe seine Rechtsprechung in Sachen Waterschap stillschweigend aufgegeben.26 Aus der Unternehmenszugehörigkeit von Eingangsleistungen lässt sich jedoch nicht auf die Möglichkeit zur Vorsteuerberichtigung schließen. Dementsprechend behandelt der EuGH die 18 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, dazu oben S. 30 f., 54 f. 19 BMF v. 2.1.2012, IV D 2-S 7300/11/10002, 2011/1014846, BStBl I 2012, 60, unter III.2. 20 Wäger, UR 2012, 25, 29; ders., DB 2012, 1288, 1290. Einige Literaturstimmen versagen die Vorsteuerberichtigung allgemein für nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Verwendungsanteile von Eingangsleistungen, mithin auch für Eingangsleistungen zu rein nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Zwecken: Lohse, IStR 2009, 486, 489; Radeisen, Stbg 2012, 49, 55; Küffner, UR 2011, 621, 622; Ransiek, UStB 2011, 223, 229. 21 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 8 ff., Rn 15. 22 Ausführlich oben S. 217 f. 23 EuGH v. 2.6.2005, C-378/02, Waterschap Zeeuws Vlaanderen, Slg 2005, I-4685, Rn 44. 24 Siehe oben S. 146 ff. 25 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 414 f.; Reiß, UR 2010, 797, 806 f.; wohl auch Korf/Kurtz, Handeln als Steuerpflichtiger, UR 2010, 86, 99; Ehrke-Rabel, ÖStZ 2010, 97, 100; Küffner/ von Streit, DStR 2012, 636, 640, die allerdings eine ausdrückliche Zuordnungsentscheidung zum Unternehmen bei Leistungsbezug verlangen. 26 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 414; Reiß, UR 2010, 797, 806 f.

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Vorsteuerberichtigung

Problematik in den zentralen Entscheidungen Lennartz und Watershap unabhängig vom Unternehmensbegriff.27 Wenn der EuGH in anderen Entscheidungen auf die Unternehmenszuordnung abstellt, geht es regelmäßig um gemischt wirtschaftlich und privat verwendete Investitionsgüter.28 Unternehmenszuordnung meint dabei aber eine Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensbereich.29 Hier setzt sich die terminologische Ungenauigkeit des EuGH im Zusammenhang mit dem Zuordnungswahlrecht30 fort. Zudem regelt auch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie die Vorsteuerberichtigung unabhängig vom Unternehmensbegriff. Nach Art. 184 MwStSystRL erfolgt eine Berichtigung, „wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war.“ Nach Art. 167, 168 lit. a) MwStSystRL ist dafür maßgeblich, ob und inwieweit der Steuerpflichtige „als solcher“ die Eingangsleistung „für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze“ verwendet.31 „Als solcher“ verwendet er sie, wenn und soweit sie seiner wirtschaftlichen und selbstständigen Tätigkeit zugute kommen, Art. 2 Abs. 1 lit. a), Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL. Schließlich widerspricht die Ansicht auch dem französischen Verständnis. Das französische Recht überträgt die LennartzGrundsätze auf Eingangsleistungen zu rein nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Zwecken,32 wie beispielsweise hoheitlichen Zwecken.33

27 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 8 bis 17, wonach eine Vorsteuerberichtigung voraussetzt, dass „eine Person als Steuerpflichtiger Investitionsgüter erwirbt und sie Zwecken ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten … zuordnet.“ (Rn 17). EuGH v. 2.6.2005, C-378/02, Waterschap Zeeuws Vlaanderen, Slg 2005, I-4685, wo die Entscheidungsgründe den Unternehmensbegriff nicht enthalten. 28 Vgl. EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 30 ff.; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 39 ff. 29 So ausdrücklich EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 17. Das sieht auch Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 79 ff. 30 Dazu ausführlich oben S. 102 f. 31 Vgl. oben S. 217 ff. 32 Vgl. Pull, UR 2012, 701, 706. Besondere Ausschlusstatbestände verhindern eine Vorsteuerberichtigung bei Eingangsleistungen zu rein nicht-wirtschaftlichen Zwecken, Art. 207-II-5-1° Anhang II CGI (jährliche Vorsteuerberichtigung) und Art. 207-III-4-2°-b CGI (globale Vorsteuerberichtigung). 33 Vgl. Schreiben der Finanzverwaltung v. 9.5.2007, 3 D-1-07, Beilage zu RDF 2007, Beitrag 13728, Rn 41.

258

Keine Vorsteuerberichtigung bei Erhöhung wirtschaftlicher Verwendungsanteile

3.

Lennartz-Grundsätze sind auf nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Verwendungsanteile gemischter Eingangsleistungen zu übertragen

Die Lennartz-Grundsätze34 gelten nach der ausdrücklichen EuGHRechtsprechung nicht nur für rein private Eingangsleistungen, sondern auch für im Privatvermögen belassene Verwendungsanteile gemischter Eingangsleistungen.35 Ordnet der Steuerpflichtige den privaten Verwendungsanteil nicht seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zu, handelt er insoweit nicht „als solcher“.36 Folglich entsteht insoweit kein Recht zum Vorsteuerabzug und eine Vorsteuerberichtigung bei nachträglicher Erhöhung der wirtschaftlichen Verwendung ist ausgeschlossen.37 Diese Erwägungen müssen auf nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Verwendungsanteile gemischter Eingangsleistungen übertragen werden.38 Der Steuerpflichtige handelt hinsichtlich des nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Verwendungsanteils nicht für Zwecke seiner wirtschaftlichen Tätigkeit,39 mithin nicht „als solcher“.40 Eine Zuordnung zur wirtschaftlichen Tätigkeit hat der EuGH in der VNLTO-Entscheidung abgelehnt.41 Demzufolge entsteht insoweit kein Recht zum Vorsteuerabzug und eine nachträgliche Vorsteuerberichtigung ist ausgeschlossen. Dagegen wollen die überwiegenden Stimmen die Lennartz-Grundsätze hier nicht übertragen. Die Begründungen sind unterschiedlich, überzeugen aber letztlich nicht: Die deutsche Finanzverwaltung hält die Lennartz-Grundsätze zwar für übertragbar. Sie gewährt aber im Billigkeitswege die Vorsteuerberichtigung, wenn sich der wirtschaftliche Verwendungsanteil nachträglich

34 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, dazu oben S. 30 f., 54 f. 35 EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 32; v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 43 f. 36 So ausdrücklich EuGH v. 21.4.2005, C-25/03, HE, Slg 2005, Slg 2005, I-3123, Rn 52. 37 EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 43 mit Verweis auf EuGH v. 11.7.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 8 und 9. 38 Lohse, IStR 2009, 486, 489; Radeisen, Stbg 2012, 49, 55; Küffner, UR 2011, 621, 622; Ransiek, UStB 2011, 223, 229; auch Pull, UR 2012, 701, 707 f. im Kontext des französischen Mehrwertsteuerrechts. 39 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 37. 40 Auf Eingangsseite handelt der Steuerpflichtige „als solcher“, wenn er Eingangsleistungen für Zwecke seiner wirtschaftlichen und selbstständigen Tätigkeit bezieht, vgl. oben S. 218 bei Fn 6. 41 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39.

259

Vorsteuerberichtigung

erhöht.42 Das ist nach der verbindlichen Auslegung des EuGH43 contra legem.44 Die Literaturansicht, die die Lennartz-Grundsätze für Eingangsleistungen zu rein nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Zwecken nicht anwendet, wendet sie konsequent auch für gemischte Eingangsleistungen nicht an.45 Maßgeblich stellt sie auf die Unternehmenszugehörigkeit des nichtwirtschaftlichen Verwendungsanteils ab. Daraus lässt sich aber – wie oben ausgeführt – nicht auf die Möglichkeit zur Vorsteuerberichtigung schließen. Nach einer dritten Ansicht sind die Lennartz-Grundsätze zwar auf Eingangsleistungen für rein nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke übertragbar, nicht aber auf gemischte Eingangsleistungen.46 Sie würden maßgeblich auf den fehlenden Buchhaltungspflichten bei Eingangsleistungen für rein nicht-wirtschaftliche Zwecke beruhen.47 Dass der EuGH sie im Armbrecht-Urteil48 auf im Privatvermögen belassene Verwendungsanteile übertragen hat, sei ein Spezialfall. Der EuGH habe hier die Vorsteuerberichtigung nur wegen des uneingeschränkten Zuordnungswahlrechts für überflüssig gehalten.49 Das aber ist allenfalls ein unbeachtliches Motiv seiner Entscheidung. In den Urteilsgründen stellt der EuGH darauf ab, dass im Privatvermögen belassene Verwendungsanteile dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer entzogen sind.50 Für nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Verwendungsanteile gilt das gleichermaßen. Eine vierte Ansicht will für alle Eingangsleistungen51 oder jedenfalls für alle gemischten Eingangsleistungen52 ein umfassendes Zuordnungswahlrecht 42 Abschn. 15a.1 Abs. 7 S. 1 UStAE; BMF v. 2.1.2012, IV D 2 – S 7300/11/10002, BStBl I 2012, 60, unter III.; dazu Lehr, KSR direkt 2011, Nr. 2, S. 11; Lippross, DStZ 2012, 320, 329. 43 Vgl. zur Verbindlichkeit von Auslegungsentscheidungen des EuGH oben S. 62 ff. 44 Vgl. Radeisen, Stbg 2012, 49, 55. 45 Reiß, UR 2010, 797, 806 f., 808; Korf/Kurtz, UR 2010, 86, 99; Ehrke-Rabel, ÖStZ 2010, 97, 100; auch Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 408 ff., 427, der jedoch für gemischte Eingangsleistungen eine Zuordnungsentscheidung zum Unternehmen verlangt. 46 Wäger, UR 2012, 25, 29; ders., DB 2012, 1288, 1290, 1294; ders., JbFfSt 11/12, S. 622, 638 f. 47 Wäger, UR 2012, 25, 29 mit Verweis auf EuGH v. 11.7.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-795, Rn 10. 48 EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 32. 49 Wäger, UR 2012, 25, 29. 50 EuGH v. 4.10.1995, C-291/92, Armbrecht, Slg 1995, I-2775, Rn 28 f., Rn 32. 51 Küffner/ von Streit, DStR 2012, 581 ff., 585; dies., DStR 2012, 636, 640.

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Keine Vorsteuerberichtigung bei Erhöhung wirtschaftlicher Verwendungsanteile

gewähren und von der Zuordnung die Vorsteuerberichtigung abhängig machen.53 Nach dieser Ansicht würde ein Recht zum Vorsteuerabzug entstehen, wenn ein Verein wie die VNLTO eine gemischte Eingangsleistung bezieht und sie in vollem Umfang ihrem Unternehmen zuordnet. Ein Vorsteuerabzug für den ideellen Verwendungsanteil wäre nur der Höhe nach ausgeschlossen, weil die ideelle Mitverwendung nicht als Entnahmeumsatz steuerbar ist.54 Der EuGH distanzierte sich von dieser Ansicht nicht ausdrücklich, nachdem sie den Schlussanträgen in der Rechtssache VNLTO zugrunde gelegen hatte.55 Gleichwohl findet ein solch extensives Verständnis des Zuordnungswahlrechts keine Bestätigung in seiner Rechtsprechung. Das Zuordnungswahlrecht ist ein Ausnahmemodell bei gemischt wirtschaftlich und privat genutzten Investitionsgütern.56 Auf gemischt wirtschaftlich und ideell genutzte Eingangsleistungen hat der EuGH es in der VNLTOEntscheidung gerade nicht übertragen.57 Zwar sprach er im Leitsatz von einer Unternehmenszuordnung ideeller Verwendungsanteile. Dabei präzisierte er das Unternehmen aber im Sinne des nicht-wirtschaftlichen Unternehmensbereichs und ordnete diesem Unternehmensbereich auch Dienstleistungen zu.58 Das Zuordnungswahlrecht betrifft dagegen den wirtschaftlichen Unternehmensbereich59 und findet auf Dienstleistungen

52 Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, 25, 81 f.; auch Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 427. 53 Küffner/ von Streit, DStR 2012, 581 ff., 586 f.; von Streit, UStB 2012, 197, 199; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 408 ff., 427; Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 78 ff., insb. S. 84 ff. unter Verweis auf einen Vorschlag des österreichischen unabhängigen Finanzsenates, dazu Öst. VwGH v. 24.9.2007, Zl. EU 2007/2008-1, IStR 2007, 781, 786, Rn 22.4 (Vorlage in der Rechtssache Puffer, EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Slg 2009, I-3251). 54 Vgl. zu dieser Ansicht bereits oben S. 223 f. 55 GA Mengozzi, Schlussanträge v. 22.12.2008 in der Rs. C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 41 ff. 56 Vgl. oben S. 223 Fn 36 und Fn 37. 57 Ebenso Reiß, UR 2010, 797, 805 f.; Lohse, IStR 2009, 486 f.; Ehrke-Rabel, ÖStZ 2010, 97, 100; Ransiek, UStB 2011, 223, 229; Swinkels, VAT Monitor 2010, 194, 195. 58 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Leitsatz: „… die Verwendung von Gegenständen und Dienstleistungen …, die dem Unternehmen für die Zwecke anderer als der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen – wie Tätigkeiten der Wahrnehmung der allgemeinen Interessen der Mitglieder durch eine Vereinigung – zugeordnet sind“. 59 Vgl. oben S. 102 f.

261

Vorsteuerberichtigung

keine Anwendung.60 Zudem versagte der EuGH den Vorsteuerabzug für ideelle Verwendungsanteile, weil sich der Aufwand insoweit auf nichtwirtschaftliche Tätigkeiten bezog.61 Bei einer Zuordnung zum wirtschaftlichen Zwecken dienenden Unternehmensvermögen würde sich der Aufwand aber gerade auf die wirtschaftliche Tätigkeit beziehen. Erst die tatsächliche oder beabsichtigte Verwendung für ideelle Zwecke würde mangels Entnahmesteuerbarkeit den Vorsteuerabzug ausschließen. Weiterhin hätte der EuGH nach dieser Ansicht den Unternehmensbegriff in der VNLTOEntscheidung mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet, einmal im weiten Sinne bei der Entnahmebesteuerung62 und einmal im engen Sinne für das Zuordnungswahlrecht.63 Dafür bestehen aber keine Anhaltpunkte. Schließlich ließe sich die VNLTO-Entscheidung64 nach diesem Verständnis im nationalen Recht auch nicht mehr abbilden. Denn die Unternehmenszuordnung würde nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG dem Grunde und der Höhe nach ein Vorsteuerabzugsrecht für die ideellen Verwendungsanteile eröffnen.65 Schließlich könnte man für die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts (und damit die Möglichkeit zur Vorsteuerberichtigung) als ausreichend erachten, dass der Steuerpflichtige bei gemischten Eingangsleistungen zumindest teilweise „als solcher“ handelt. Das Vorsteuerabzugsrecht wäre hinsichtlich des nicht-wirtschaftlichen Verwendungsanteils dann nur der Höhe nach eingeschränkt. Jedoch bedürfte es dann für gemischt wirtschaftlich und privat verwendete Investitionsgüter keines Zuordnungswahlrechts. Die teilweise wirtschaftliche Mitverwendung würde schon das Recht zum Vorsteuerabzug ganz entstehen lassen und damit die Vorsteuerberichtigung ermöglichen.66 Man könnte diese Ansicht aber auch noch einen Schritt weiter führen und die private Mitverwendung als Sonderfall verstehen, die nur ausnahmsweise die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts insoweit ausschließt. Der Privatbereich hätte dann hier eine ähnliche Sonderstellung wie bei der Entnahmebesteuerung. Das ist jedoch nicht das Verständnis des EuGH. 60 Jüngst EuGH v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, vgl. dazu oben S. 56 Fn 227. 61 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 37. 62 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 39. 63 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 40. 64 EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839. 65 Vgl. oben S. 66 bei Fn 275. 66 Vgl. zur Rechtfertigung des Zuordnungswahlrechts durch den EuGH oben S. 61.

262

Keine Vorsteuerberichtigung bei Erhöhung wirtschaftlicher Verwendungsanteile

Denn wenn das Vorsteuerabzugsrecht im Grundsatz schon bei teilweise wirtschaftlicher Verwendungsabsicht entstehen würde, dann macht es keinen Sinn, private Verwendungsanteile davon auszunehmen, um im nächsten Schritt das Zuordnungswahlrecht zu gewähren, damit das Recht zum Vorsteuerabzug wieder entstehen kann. Zudem ist nach dem EuGH das Handeln „als Steuerpflichtiger“ die alleinige Voraussetzung für die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts.67 Insofern misst er im Kontext des Zuordnungswahlrechts der Zuordnung zum (wirtschaftlichen) Unternehmensvermögen für die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts keine eigenständige Bedeutung neben dem Handeln „als solcher“ zu. Vielmehr handle der Steuerpflichtige mit der Unternehmenszuordnung insoweit „als solcher“ und sei deswegen insoweit zum Vorsteuerabzug berechtigt.68 Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass der EuGH in Zukunft seine Rechtsprechung in dem hier erörterten Sinn verstanden wissen will. Denn die NichtBerücksichtigung nachträglicher wirtschaftlicher Verwendungsanteile gemischter Eingangsleistungen schränkt den Neutralitätsgrundsatz ein, was nachfolgend aufgezeigt wird.69

4.

Aktuelle Rechtslage ist vor übergeordneten Besteuerungsprinzipien teilweise bedenklich

Dem Mehrwertsteuerrecht liegt ein punktuelles Belastungskonzept zugrunde. Demnach ist im Bezugszeitpunkt grundsätzlich abschließend über die Mehrwertbesteuerung zu entscheiden.70 Die Steuerbelastung bleibt auch dann bestehen, wenn die Eingangsleistung beschädigt wird, gestohlen wird oder aus anderen Gründen vorzeitig untergeht. Diesem Belastungskonzept entspricht die endgültige Versagung des Vorsteuerabzugs, wenn ein Steuerpflichtiger eine Eingangsleistung zu reinen Endverbrauchszwecken bezieht. Die Aufwandsbetätigung als Konsument rechtfertigt abschließend die Besteuerung. Auf nicht-wirtschaftliche (unternehmenseigene) Verwendungsanteile gemischter Eingangsleistungen kann diese Überlegung übertragen werden. Hier kann der Steuerpflichtige insoweit als Konsument verstanden werden, wie er die Eingangsleistung nicht-wirtschaftlich zu 67 EuGH v. 11.7.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 8; v. 2.6.2005, C-378/02, Waterschap Zeeuws Vlaanderen, Slg 2005, I-4685, Rn 38; v. 30.3.2006, C-184/04, Uudenkaupungin kaupunki, Slg 2006, I-3039, Rn 38. 68 EuGH v. 21.4.2005, C-25/03, HE, Slg 2005, I-3123 Rn 52. 69 Sogleich S. 264 ff. 70 Vgl. Terra/Kajus, European VAT Directives, 2010, S. 249 f.; auch Lang/Melz/Kristoffersson, VAT and Direct Taxation, S. 27.

263

Vorsteuerberichtigung

verwenden beabsichtigt. Das würde abschließend die anteilige Besteuerung rechtfertigen. Zwingend ist dieses Verständnis freilich nicht. Man könnte das punktuelle Belastungskonzept bei gemischten Eingangsleistungen auch für unanwendbar halten. Denn die Aufwandsbetätigung ist hier gleichermaßen und in voller Höhe Voraussetzung für die wirtschaftliche Verwendung und für die nicht-wirtschaftliche Verwendung. Insofern lässt sich im Bezugszeitpunkt ein Konsumverhalten nicht abgrenzen und damit nicht abschließend über die Besteuerung entscheiden. Problematisch ist die Übertragung der Lennartz-Grundsätze aber mit Blick auf den Neutralitätsgrundsatz.71 Die überwiegende Literaturansicht hält ihn für eingeschränkt.72 Er ist jedoch bei Eingangsleistungen zu rein nichtwirtschaftlichen Zwecken gar nicht betroffen. Denn der EuGH legt auch insofern ein punktuelles Verständnis zugrunde. Demnach verlangt Neutralität die mehrwertsteuerliche Entlastung allen Aufwands für wirtschaftliche Tätigkeiten.73 Werden Eingangsleistungen erst nachträglich für wirtschaftliche Zwecke verwendet, trägt der Steuerpflichtige aber keinen Aufwand mehr und damit auch keine Mehrwertsteuerlast. Es bleibt nur seine frühere Steuerlast als Endverbraucher bestehen. Bei gemischten Eingangsleistungen schränkt dagegen die NichtBerücksichtigung nachträglicher wirtschaftlicher Verwendungsanteile den Neutralitätsgrundsatz ein.74 Für gemischt steuerpflichtig und privat verwendete Investitionsgüter hat der EuGH das ausdrücklich festgestellt und deswegen am Zuordnungswahlrecht festgehalten.75 Er führte aus, die gemischte Nutzung könne im Laufe der Zeit variieren. Dann dürfe dem Steuerpflichtigen der Vorsteuerabzug für spätere wirtschaftliche Verwendungsanteile nicht versagt werden, wenn er den Gegenstand ursprünglich

71 Vgl. zum Inhalt des Neutralitätsgrundsatzes oben S. 61 bei Fn 250. 72 Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 1388; wohl auch Radeisen, Stbg 2012, 49, 55; Küffner/von Streit, DStR 2012, 581, 583; dies., DStR 2012, 636, 639 f; Krumenacker, UR 2007, 473, 478. 73 St. Rspr. des EuGH, zuletzt: EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839, Rn 27; v. 22.12.2010, C-438/09, Dankowski, Slg 2010, I-14009, Rn 24; v. 16.2.2012, C-118/11, EON ASET MENIDJMUNT, UR 2012, 230, Rn 43; v. 22.3.2012, C-153/11, Klub, DStR 2012, 606, Rn 35, 43; v. 21.6.2012, C-80/11, Mahagében, UR 2012, 591, Rn 39; Stadie in R/D/F/G, UStG, Einf. Rn 610, m. w. N. aus der EuGH-Rspr. 74 Vgl. Radeisen, Stbg 2012, 49, 55; Küffner/ von Streit, DStR 2012, 581, 582; Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 86. 75 EuGH v. 23.4.2009, C-460/07, Puffer, Slg 2009, I-3251, Rn 45 f., näher dazu oben S. 61 bei Fn 248.

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Keine Vorsteuerberichtigung bei Erhöhung wirtschaftlicher Verwendungsanteile

mit Blick auf diese künftige wirtschaftliche Verwendung dem wirtschaftlichen Unternehmensvermögen zuordnen wollte. Anderenfalls würde er entgegen dem Neutralitätsgrundsatz nicht vollständig entlastet. Im Unterschied zu einem für rein nicht-wirtschaftliche Zwecke bezogenen Investitionsgut hält der EuGH hier den Neutralitätsgrundsatz für anwendbar. Der Grund dürfte sein, dass der Steuerpflichtige den Aufwand auch für eine konkrete wirtschaftliche Verwendung tätigt. Das rechtfertigt dem Grunde nach seine Entlastung.76 Dem Umfang nach legt der EuGH den Neutralitätsgrundsatz sodann weit aus.77 Demnach kann der Steuerpflichtige Neutralität auch beanspruchen, soweit er sich im Anschaffungszeitpunkt eine spätere Erhöhung des wirtschaftlichen Verwendungsanteils offen hält und der wirtschaftliche Verwendungsanteil später tatsächlich zunimmt. Dieses Verständnis von Neutralität muss dann aber – entgegen der aktuellen Rechtslage78 – auch für den Erwerb von Investitionsgütern zu gemischt wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Zwecken gelten. Auch hier kann der wirtschaftliche Verwendungsanteil variieren und muss entsprechend berücksichtigungsfähig sein. Bedenklich ist die Übertragung der Lennartz-Grundsätze auf gemischte Eingangsleistungen auch mit Blick auf den Gleichheitssatz nach Art. 6 Abs. 1 EUV i. V. m. Art. 20 GRCh.79 Denn der Steuerpflichtige, der ein Investitionsgut für gemischt wirtschaftliche und VNLTO-gleiche Zwecke erwirbt, wird im Vergleich zu einem Steuerpflichtigen benachteiligt, der ein Investitionsgut für gemischt wirtschaftliche und private Zwecke erwirbt. Letzterer kann das Investitionsgut seinem wirtschaftlichen Unternehmensvermögen zuordnen, sodass nachträgliche wirtschaftliche Verwendungsanteile berücksichtigungsfähig werden.80 Die Fälle sind auch vergleichbar: In beiden Fällen wird das Investitionsgut gleichermaßen für wirtschaftliche und für Endverbrauchszwecke bezogen und soll jeweils für eine künftig 76 Insofern besteht ein rechtlicher Unterschied zwischen einer 1 %-igen wirtschaftlichen Mitnutzung eines Gegenstandes und seiner rein nicht-wirtschaftlichen Nutzung, a. A. Küffner/von Streit, DStR 2012, 581, 584. 77 Damit liegt der EuGH auf einer Linie zu seiner st. Rspr., wonach der Neutralitätsgrundsatz als Fundamentalprinzip der Mehrwertsteuer weit auszulegen ist. Vgl. EuGH v. 24.10.1996, C-317/94, Elida Gibbs, Slg 1996, I-5339, Rn 20 ff.; v. 11.12.2008, C-371/07, Danfoss und AstraZeneca, Slg 2008, I-9549, Rn 26; v. 18.12.2008, C-488/07, Royal Bank of Scotland, Slg 2008, I-10409, Rn 14 f.; v. 21.6.2012, C-80/11, Mahagében, UR 2012, 591, Rn 38 ff. 78 Vgl. oben S. 259 ff. 79 Charta der Grundrechte der EU, ABl. EU 2010, C 83/389. 80 Vgl. oben S. 61.

265

Vorsteuerberichtigung

erhöhte wirtschaftliche Verwendung zur Verfügung stehen. Demnach sind beide Steuerpflichtige gleich leistungsfähig.81 Für die Benachteiligung der VNLTO-gleichen Mitverwendung besteht auch keine Rechtfertigung. Die Überlegungen zum Gleichheitsverstoß beim Vorsteuerabzug sind insoweit übertragbar.82 Dem EuGH sollte durch eine geeignete Vorlage Gelegenheit gegeben werden, seine Rechtsprechung insofern zu überprüfen.83 Den Bedenken mit Blick auf den Neutralitätsgrundsatz und den unionsrechtlichen Gleichheitssatz kann er auf zwei denkbaren Wegen begegnen: Entweder er gibt die Lennartz-Grundsätze gänzlich auf und lässt eine Vorsteuerberichtigung auch dann zu, wenn ursprünglich kein Recht zum Vorsteuerabzug entstanden ist (Lösung 1). Nachträgliche wirtschaftliche Verwendungsanteile sind dann generell berücksichtigungsfähig. Oder er erlaubt die Berücksichtigung zumindest für gemischt wirtschaftlich und nicht-wirtschaftlich unternehmenseigen verwendete Investitionsgüter (Lösung 2). Dafür gibt es wiederum zwei Wege: Zum einen könnte der EuGH für die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts zukünftig als ausreichend ansehen, wenn der Steuerpflichtige eine Leistung zumindest teilweise „als solcher“ bezieht.84 Für das Zuordnungswahlrecht bestünde dann kein Bedarf mehr (Lösung 2a). Oder er überträgt das Zuordnungswahlrecht auf gemischt wirtschaftlich und nichtwirtschaftlich unternehmenseigen verwendete Investitionsgüter (Lösung 2b). Der Steuerpflichtige würde dann mit der Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen entscheiden, inwieweit ein Recht zum Vorsteuerabzug entsteht. Der Höhe nach bliebe der Vorsteuerabzug in beiden Fällen auf den wirtschaftlichen Verwendungsanteil beschränkt.85 Entgegen Lösung 1 sollte an den Lennartz-Grundsätzen bei Eingangsleistungen für rein nicht-wirtschaftliche Zwecke festgehalten werden. Dafür spricht nicht nur das punktuelle Belastungskonzept der Mehrwertsteuer,86

81 Vgl. dazu auch die Gleichheitssatzprüfung wegen unterschiedlicher Behandlung beim Vorsteuerabzug oben S. 232 f. 82 Vgl. oben S. 234 ff. 83 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, § 14 Rn 155. 84 Vgl. zu diesem Lösungsansatz oben S. 262. 85 Hinsichtlich des nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Verwendungsanteils fehlt es an einer konkreten Verwendungsabsicht für besteuerte Umsätze i. S. v. Art. 168 lit. a) MwStSystRL. Verwendungsentnahmeumsätze sind für nichtwirtschaftliche unternehmenseigene Verwendungsanteile per definitionem ausgeschlossen. 86 Dazu oben S. 263 f.

266

Keine Vorsteuerberichtigung bei Erhöhung wirtschaftlicher Verwendungsanteile

sondern auch, dass sich anderenfalls ungerechtfertigte Privilegierungen ergäben: Erwirbt eine Person privat ein Wirtschaftsgut und entscheidet sich nachträglich für eine wirtschaftliche Verwendung, ist sie zugleich Verbraucher und Steuerpflichtiger. Aus Verbrauchersicht erwirbt sie privat den Gegenstand und führt ihn später unentgeltlich einem Wirtschaftsbetrieb zu. Wäre dies ein anderer als der eigene Wirtschaftsbetrieb, müsste sie die Mehrwertsteuerlast tragen. Sie müsste sie sogar dann tragen, wenn sie den Gegenstand dem anderen Wirtschaftsunternehmen verkaufen würde. Denn jenes würde mangels Mehrwertsteuerausweises nur den Nettozeitwert zahlen. Demgegenüber kann die Einlage in den eigenen Wirtschaftsbetrieb nicht besser gestellt sein. Aus Steuerpflichtigensicht empfängt die Person eine Einlage. Hätte ihr ein Dritter den Gegenstand unentgeltlich zugewendet, wäre der Vorsteuerabzug mangels mehrwertbesteuerten Aufwands ausgeschlossen. Er wäre sogar dann ausgeschlossen, wenn die Person den Gegenstand entgeltlich von einem Verbraucher erworben hätte. Für eine Besserstellung bei Empfang einer Einlage besteht auch insofern keine Rechtfertigung. Um nachträgliche wirtschaftliche Verwendungsanteile jedenfalls für gemischt genutzte Eingangsleistungen berücksichtigen zu können, sollte sodann vorzugsweise das Zuordnungswahlrecht ausgeweitet werden (Lösung 2b). Ein teilweises Handeln „als solcher“ für die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts ausreichen zu lassen (Lösung 2a) wäre zwar insofern vorteilhaft, als eine ausdrückliche Zuordnungsentscheidung entbehrlich würde. Dieser Vorteil ist nicht zu unterschätzen. Denn für VNLTO-gleiche Verwendungsanteile ist kein Vorsteuerabzug möglich, sodass es in jedem Einzelfall einer expliziten Zuordnungsentscheidung bedürfte. Problematisch ist die Lösung aber hinsichtlich der Steuerbarkeit der späteren Veräußerung bzw. Entnahme des Investitionsgutes. Inwieweit handelt der Steuerpflichtige dabei „als solcher“? Oder anders gewendet: Inwieweit gehört das Wirtschaftsgut zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen? Denkbar wäre, auf den anfänglichen wirtschaftlichen Verwendungsanteil abzustellen oder den wirtschaftlichen Verwendungsanteil im Verkaufszeitpunkt oder den Maximalwert der tatsächlichen wirtschaftlichen Verwendung oder auf einen Durchschnittswert. Unter Umständen könnte ein Steuerpflichtiger so jahrelang im Wege der Vorsteuerberichtigung nahezu vollen Vorsteuerabzug erreichen und müsste dennoch die spätere Veräußerung nur zu einem geringen Teil besteuern. Sachgerechter erscheint insofern eine Zuordnungsentscheidung im Zeitpunkt des Leistungsbezugs. Die Zuordnung bestimmt dann über die Reichweite der Vorsteuerberichtigungsmöglichkeit und über die Steuerbarkeit der späteren Veräußerung bzw. Entnahme.

267

Vorsteuerberichtigung

5.

Ausweg: Konkrete wirtschaftliche (Mit-)Verwendung bei Leistungsbezug einplanen und nachweisen

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH setzt der Vorsteuerabzug nicht zwingend voraus, dass der Steuerpflichtige Eingangsleistungen sofort für besteuerte Umsätze verwendet.87 Es genügt, wenn er die wirtschaftliche Verwendung nachweislich beabsichtigt. Dafür verlangt der EuGH eine Gesamtwürdigung der Umstände, unter Berücksichtigung der Art der Eingangsleistungen und des Zeitraums bis zur Verwendung für wirtschaftliche Tätigkeiten.88 Eine vorübergehende nicht-wirtschaftliche Verwendung ist nach herrschender Lehre unschädlich, sofern die spätere wirtschaftliche Verwendungsabsicht nachgewiesen ist.89 Das bestätigte der EuGH jüngst mit Verweis auf den Neutralitätsgrundsatz.90 Für die wirtschaftliche Verwendungsabsicht besteht dabei jedoch ein erhöhtes Nachweiserfordernis. Denn wenn der Steuerpflichtige eine Eingangsleistung zunächst nichtwirtschaftlich nutzt, liegt eine dauerhafte nicht-wirtschaftliche Verwen-

87 EuGH v. 14.2.1985, C-268/83, Rompelman, Slg 1985, I-655, Rn 22 ff.; v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795 Rn 16; v. 21.3.2000, C-110/98, Gabalfrisa, Slg 2000, I-1577, Rn 47; v. 8.6.2000, C-396/98, Schloßstraße, Slg 2000, I-4279, Rn 36, 40; v. 8.6.2000, C-400/98, Breitsohl, Slg 2000, I-4321, Rn 34; v. 30.3.2006, C-184/04, Uudenkaupungin kaupunki, Slg 2006, I-3039, Rn 39; v. 22.3.2012, C-153/11, Klub, DStR 2012, 606, Rn 44; v. 19.7.2012, C-334/10, X, UR 2012, 726, Rn 31. 88 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 20 f. und Rn 5 zur entsprechenden 3. Vorlagefrage; v. 19.7.2012, C-334/10, X, UR 2012, 726, Rn 23; vgl. auch Schlussanträge von GA Kokott in dieser Rechtssache, http://eurlex.europa.eu, CELEX-Nr. 62010CC0334, Rn 71 ff., 82 ff. 89 BFH v. 20.7.1988, X R 8/80, BFHE 154, 255, unter 3.b); v. 21.6.1990, V B 27/90, BFHE 161, 201, unter II.; Abschn. 15.2 Abs. 17 S. 5 UStAE; Wäger, DB 2012, 1288, 1290, dort Fn 38; Gerhards, DStZ 2012, 184, 193 f.; vgl. auch Küffner/von Streit, DStR 2012, 581, 582 f., die allerdings entgegen hier vertretener Auffassung ein Zuordnungswahlrecht und damit vollen Vorsteuerabzug bei Leistungsbezug gewähren wollen. A. A. Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 281 f., der jedoch entgegen der Lennartz-Rechtsprechung (EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Slg 1991, I-3795, dazu oben S. 30 f., 54 f.) eine Einlagenentsteuerung zulassen möchte, wenn sich die wirtschaftlichen Verwendungsanteile nachträglich erhöhen (§ 15 Rn 1380 ff). 90 EuGH v. 19.7.2012, C-334/10, X, UR 2012, 726, Rn 30 ff.; vgl. auch GA Kokott, Schlussanträge v. 1.3.2012 in dieser Sache, http://eur-lex.europa.eu, CELEXNr. 62010CC0334, Rn 67 ff., insb. Rn 76.

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dungsabsicht bei Leistungsbezug nahe. Diese Vermutung muss der Steuerpflichtige widerlegen.91 Ungeklärt ist jedoch, ob ein langer Zeitraum zwischen Anschaffung und geplanter wirtschaftlicher Verwendung schädlich ist.92 Grundsätzlich darf das Vorsteuerabzugsrecht bei nachgewiesener wirtschaftlicher Verwendungsabsicht auch insoweit nicht eingeschränkt werden. Denn der Neutralitätsgrundsatz verlangt, den Steuerpflichtigen vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten Umsatzsteuer zu entlasten.93 Da eine Einlagenentsteuerung nach den Lennartz-Grundsätzen94 ausgeschlossen ist, muss der Steuerpflichtige zumindest bei Anschaffung die Möglichkeit haben, seine Umsatzsteuerlast für zukünftige wirtschaftliche Verwendungsanteile zu neutralisieren.95 Ausnahmsweise muss der Vorsteuerabzug aber verwehrt sein, wenn die wirtschaftliche Verwendung erst nach Ablauf des Berichtigungszeitraums geplant ist. Denn in diesem Fall würde der Vorsteuerabzug über den Berichtigungszeitraum vollständig rückgängig gemacht. Für die Gewährung des Vorsteuerabzugs besteht dann keine Rechtfertigung.96 Dem steht auch nicht entgegen, dass der EuGH dem Berichtigungszeitraum als solches keine Bedeutung für die Feststellung der wirtschaftlichen Verwendungsabsicht beimisst.97 Damit meint er nur, dass eine tatsächliche wirtschaftliche

91 Vgl. GA Kokott, Schlussanträge v. 1.3.2012 in der Rs. C-334/10, http://eurlex.europa.eu, CELEX-Nr. 62010CC0334, Rn 84. 92 Vgl. dazu Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 280 f.; Gerhards, DStZ 2012, 184, 194 f.; auch Lippross, Umsatzsteuer, S. 480. 93 Vgl. zum Neutralitätsgrundsatz S. 61 Fn 250. 94 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795; dazu oben S. 30 f., 54 f. 95 Vgl. zu diesem Gedanken EuGH v. 19.7.2012, C-334/10, X, UR 2012, 726, Rn 33; auch Küffner/von Streit, DStR 2012, 581, 582, die dieses Problem aber entgegen hier vertretener Auffassung durch ein extensives Verständnis des Zuordnungswahlrechts lösen. 96 Unter Neutralitätsgesichtspunkten unbeachtlich ist insofern auch, wenn der Steuerpflichtige den Leistungsbezug später doch noch innerhalb des Berichtigungszeitraums wirtschaftlich nutzt. Denn der Neutralitätsgrundsatz verlangt nur die Entlastung eines wirtschaftlichen Aufwands, nicht die Entlastung jeder wirtschaftlichen Verwendung einer steuerbelasteten Eingangsleistung. Ändert der Steuerpflichtige nachträglich seine Verwendungsabsicht, trägt er in diesem Zeitpunkt aber keinen Aufwand mehr. Vgl. zu diesem Verständnis von Neutralität oben S. 264. 97 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 20.

269

Vorsteuerberichtigung

Verwendung innerhalb des Berichtigungszeitraums nicht zwingend eine wirtschaftliche Verwendungsabsicht bei Leistungsbezug indiziert.98 Technisch ist für die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts das Jahr mit dem höchsten wirtschaftlichen Verwendungsanteil maßgeblich. Das sei am Beispiel eines gemischt tätigen Vereins veranschaulicht: Der Verein schafft ein Fahrzeug an, um es zunächst rein ideell zu verwenden. Ab dem dritten Jahr soll das Fahrzeug zu 20 % wirtschaftlich und zu 80 % ideell genutzt werden. Im fünften Jahr soll der wirtschaftliche Verwendungsanteil auf 50 % ansteigen. Der Vorsteuerabzug ist bei Leistungsbezug nach Maßgabe der geplanten wirtschaftlichen Verwendung im fünften Jahr in Höhe von 50 % zu gewähren. Entstünde das Vorsteuerabzugsrecht nur zu einem geringeren Anteil, wäre die volle Berücksichtigung des wirtschaftlichen Verwendungsanteils im fünften Jahr nicht gewährleistet. In den ersten vier Jahren ist jeweils 1/5 des Vorsteuerabzugs entsprechend der geringeren wirtschaftlichen Verwendung zu berichtigen.

98 Vgl. EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795, Rn 7, 20.

270

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Von der traditionellen zur neuen Sphärentheorie: Die Geschichte der Sphärentheorie beginnt beim Warenumsatzstempel von 1916, der steuerbare und nicht steuerbare Tätigkeitsbereiche unterschied. In den folgenden Umsatzsteuersystemen erweiterte sich die Bedeutung der Sphärenunterscheidung: Mit Einführung der Eigenverbrauchsbesteuerung im Brutto-Allphasen-System (1918-1967) bestimmte sie auch darüber, ob eine unentgeltliche Leistung Entnahmezwecke verfolgt. Im heutigen NettoSystem mit Vorsteuerabzug (ab 1968) grenzt sie darüber hinaus Bereiche mit Vorsteuerabzugsberechtigung dem Grunde nach von Bereichen ohne Vorsteuerabzugsberechtigung ab. Das Sphärenurteil1 gab der Sphärenunterscheidung mit der „Sphärentheorie“ eine dogmatische Grundlage und einen Namen. Seine inhaltlich neue Aussage war die Zuerkennung einer nichtunternehmerischen Sphäre für alle Unternehmer gleich welcher Rechts- und Organisationsform.2 Spätestens seit der VNLTO-Entscheidung3 bedarf die traditionelle Sphärentheorie jedoch der Modifikation und Anpassung an die unionsrechtlichen Vorgaben. Wichtige Anhaltspunkte dafür bietet das französische Recht, das schon vor der VNLTO-Entscheidung nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Bereiche kannte und insofern fortgeschrittener als das deutsche Recht ist. In Anlehnung an das französische Systemverständnis ist für die neue Sphärentheorie folgender zweistufige Aufbau vorzuschlagen:

1 2 3

BFH v. 20.12.1984, V R 25/76, BFHE 142, 524. Vgl. S. 15 ff. EuGH v. 12.2.2009, C-515/07, VNLTO, Slg 2009, I-839.

271

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Schaubild 6:

Die neue Sphärentheorie4

„als Steuerpflichtiger“ = wirtschaftliche und selbstständige Sphäre

„nicht als Steuerpflichtiger“ = nicht-wirtschaftliche oder nicht-selbstständige Sphäre

(unternehmenseigen)

unternehmenseigen unternehmensfremd

Ļ - Ausgangsumsätze steuerbar - Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen - kein mögliches Entnahmeziel

Ļ

Ļ

- Ausgangsumsätze nicht steuerbar - kein Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen - kein mögliches Entnahmeziel

- mögliches Entnahmeziel

Um dieses neue Systemverständnis im nationalen Umsatzsteuerrecht umzusetzen, muss der Unternehmensbegriff richtlinienkonform und damit differenziert ausgelegt werden. Der Besteuerungstatbestand in § 1 Abs. 1 S. 1 UStG und der Vorsteuerabzugstatbestand in § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 UStG verwenden den engen Unternehmensbegriff im Sinne wirtschaftlicher Tätigkeit. Den Entnahmetatbeständen in §§ 3 Abs. 1b und Abs. 9a UStG liegt dagegen der weite Unternehmensbegriff zugrunde. Der nationale Gesetzgeber ist auf Grund seiner Umsetzungspflicht nach Art. 288 Abs. 3 AEUV zur terminologischen Klarstellung verpflichtet. Vorzugsweise sollte er die Terminologie der Mehrwertsteuersystemrichtlinie übernehmen und zwischen wirtschaftlicher Tätigkeit und unternehmenseigener Tätigkeit unterscheiden. Der damit verbundenen Aufgabe des Unternehmer- und des Unternehmensbegriffs im nationalen Umsatzsteuergesetz stehen historische Gründe nicht entgegen. Denn die Begriffe wurden einst zur sprachlichen Verbesserung des Gesetzestextes eingeführt, können diese Funktion heute aber nicht mehr erfüllen.5 Auch jenseits der Systemvorschriften bedarf der Unternehmensbegriff der terminologischen Anpassung. Beispielsweise muss § 15 Abs. 1 S. 2 UStG neu gefasst werden. Die Regelung verwendet auf Tatbestandsseite den 4 5

272

Vgl. S. 79 ff. Vgl. S. 89 ff.

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

weiten und auf Rechtsfolgenseite den engen Unternehmensbegriff. Wenn der BFH6 dagegen auch auf Tatbestandsseite den engen Unternehmensbegriff zugrunde legen will, überschreitet er die Sonderermächtigung des Rates. Die Vorschrift ist zudem unionsrechtswidrig als Zuordnungsverbot ausgestaltet und sollte, wie ihr französisches Pendant,7 als bloßer Vorsteuerabzugsausschluss neu geregelt werden.8 Darüber hinaus sollte der EuGH den Unternehmensbegriff im Zusammenhang mit dem Zuordnungswahlrecht für gemischt wirtschaftlich und privat verwendete Investitionsgüter präzisieren. Hier ist Unternehmenszuordnung im engen Sinne einer Zuordnung zum wirtschaftlichen Zwecken dienenden Unternehmensvermögen gemeint.9

Inhalt und Rechtsfolgen der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre: Eine konkrete Einzeltätigkeit gehört zur nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre, wenn sie drei Voraussetzungen erfüllt: Erstens darf sie nicht wirtschaftlich im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL sein. Das ist im Grundsatz typologisch nach den in Satz 1 genannten Berufsbildern zu prüfen. Bei Nutzungsüberlassungen von Gegenständen genügt dagegen eine klassifikatorische Prüfung von Entgeltlichkeit und nachhaltiger Einnahmenerzielung nach Satz 2 der Vorschrift. Zweitens muss die konkrete Einzeltätigkeit Teil eines eigenständigen nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereichs sein. Sie ist insofern von unselbstständigen nichtwirtschaftlichen Einzeltätigkeiten zu unterscheiden, die es auch in wirtschaftlichen Bereichen gibt. Drittens muss die Unternehmenszugehörigkeit des Bereichs nach Maßgabe des Zwecks der Einrichtung festgestellt werden. Der Einrichtungszweck kann sich aus einer Satzung ergeben, aber auch konkludent aus dem bloßen Tätigwerden der Einrichtung. Ausgenommen sind illegale und sittenwidrige nicht-wirtschaftliche Zwecke sowie der Zweck fremder Bedarfsdeckung durch unentgeltliche Leistungen.10 Nach diesen Abgrenzungsmaßstäben sind bisher vier nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Tätigkeitsbereiche bekannt11:

6 7 8 9 10 11

BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.5.a). Art. 206-IV-2-1° Anhang II CGI. Vgl. S. 100 f. Vgl. S. 102 f. Vgl. S. 107 ff. Vgl. S. 145 ff.

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Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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der ideelle Bereich, der hoheitliche Bereich ohne Wettbewerbsrelevanz, der Bereich bloßer Vermögensverwaltung einschließlich bloßer Beteiligungsverwaltung und der Bereich echten Factorings mit zahlungsgestörten Forderungen

Unternehmensfremde Bereiche sind dagegen insbesondere12: - der Privatbereich des Steuerpflichtigen, - Tätigkeitsbereiche Dritter, - illegale oder sittenwidrige nicht-wirtschaftliche Bereiche, - der Bereich bewussten und dauerhaften Leerstehenlassens von Gebäuden, - die Entnahmebereiche für unternehmensfremde Zwecke und - der Gewinnausschüttungsbereich13 Für unselbstständige nicht-wirtschaftliche Einzeltätigkeiten gibt es unzählige Anwendungsbeispiele. Einige problematische Fälle hat die Arbeit herausgegriffen, weil sie auf Grund ihrer Nichtwirtschaftlichkeit und ihres Unternehmensbezugs zunächst einen nicht-wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich vermuten lassen14: - das Verwalten von Beteiligungen und Wertpapieren in wirtschaftlichen Bereichen (Wertpapierhändler, Funktionsholding, strategische Beteiligungen), - Schadensereignisse zum Nachteil des Steuerpflichtigen, - Schädigungen durch den Steuerpflichtigen, - unentgeltliche Zuwendungen für Unternehmenszwecke, - die Ausgabe von Gesellschaftsrechten,15 - Gesellschafterbeiträge,16 - Offene Gesellschaftereinlagen in Geld und17 - Verdeckte Gesellschaftereinlagen18

12 13 14 15 16 17 18

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Vgl. S. 159 ff. Vgl. S. 189 f. Vgl. S. 172 ff. Vgl. S. 191 f. Vgl. S. 187 ff. Vgl. S. 191. Vgl. S. 198 f.

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Auf Rechtsfolgenseite gibt es in der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre per definitionem keine steuerbaren Ausgangsleistungen, weil der Steuerpflichtige nicht „als solcher“, d. h. nicht wirtschaftlich und selbstständig, handelt. Ebenso wenig sind unentgeltliche Leistungen zugunsten der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre als Entnahme für unternehmensfremde Zwecke steuerbar. Denn sie verfolgen per definitionem unternehmenseigene Zwecke. Schließlich berechtigen Eingangsleistungen in der nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre per definitionem nicht zum Vorsteuerabzug, wiederum weil der Steuerpflichtige nicht „als solcher“ handelt, d. h. nicht für Zwecke seiner wirtschaftlichen und selbstständigen Tätigkeit. Auch ein Vorsteuerabzug aus allgemeinen Kosten bei der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit ist nach dem Sphärenmodell ausgeschlossen.19 Dabei ist die restriktive Auslegung der unionsrechtlichen Entnahmetatbestände im Sinne der VNLTO-Entscheidung – entgegen der weitreichenden Kritik der deutschen Literatur20 – möglich. Sie entspricht dem französischen Verständnis und sie liegt bei unbefangener Analyse der unionsrechtlichen Entnahmetatbestände auch nahe. Insbesondere sind Entnahmetatbestände keine Vorsteuerkorrekturvorschriften. Ihre vorsteuerneutralisierende Wirkung ist nur eine, wenn auch willkommene, Begleiterscheinung. Entnahmetatbestände sind stattdessen ein Gleichstellungsinstrument von Selbstversorger und Fremdversorgtem, haben Ausnahmecharakter und folglich einen engen Anwendungsbereich. Die dagegen extensive Auslegung der deutschen Entnahmetatbestände geht auf ein Grundsatzurteil des RFH21 zurück, wo er Bedenken gegen die extensive Entnahmebesteuerung wegen des eindeutigen Gesetzeswortlautes zurückwies. Auf die Mehrwertsteuersystemrichtlinie ist diese Argumentation nicht übertragbar.22 Gemischte Eingangsleistungen für wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke sind für den Vorsteuerabzug zwingend aufzuteilen. Auch für in diesem Sinne gemischt genutzte Grundstücke folgt dies aus der VNLTO-Entscheidung, Art. 168a MwStSystRL ist insoweit nicht anwendbar. Für die Aufteilung gilt § 15 Abs. 4 UStG analog. Dem steht nicht entgegen, dass der EuGH die Vorschrift in direkter Anwendung bei gemischt steuerpflichtig und (unecht) steuerfrei genutzten Eingangsleis-

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Vgl. S. 202 f., 217 ff. Vgl. S. 201 Fn 2 bis Fn 6. RFH v. 11.1.1927, V A 746/26, RFHE 20, 147. Vgl. S. 203 ff.

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tungen für unionrechtswidrig hält. 23 Insofern wählt der Steuerpflichtige eine sachgerechte Schätzungsmethode, die die tatsächlichen Verwendungsanteile der Eingangsleistung objektiv widerspiegeln muss. Diese zwingende Aufteilung einerseits und die Gewährung des Seeling-Modells24 bei gemischt wirtschaftlich und privat verwendeten Investitionsgütern andererseits ist mit Blick auf den unionsrechtlichen Gleichheitssatz bedenklich. Der EuGH sollte deswegen das Seeling-Modell aufgeben. Dafür genügt es, wenn er Verwendungsentnahmen nicht mehr als besteuerte Umsätze im Sinne von Art. 168 lit. a) MwStSystRL versteht. Das Zuordnungswahlrecht bliebe davon unberührt.25 Problematisch ist die Aufteilung bei untrennbar gemischt genutzten Eingangsleistungen. Hier können die Verwendungsanteile nicht quantitativ ermittelt, sondern müssen bewertet werden. Der Verwendungswert der Eingangsleistung in dem jeweiligen Bereich bildet den Aufteilungsmaßstab. Dabei darf der Steuerpflichtige die Bewertungsmethode wählen, sie muss nur sachgerecht sein. Bei Gegenständen kann der Verwendungswert anhand fiktiver Vermietungsumsätze ermittelt werden, wie es der BFH in den Photovoltaikanlagen-Fällen vorschlägt.26 Eingangsdienstleistungen, die nicht auf einen Gegenstand bezogen sind, können danach bewertet werden, zu welchem Preis sie bei jeweils isolierter Verwendung hätten bezogen werden müssen. Bedenklich ist eine Berücksichtigung des Verwendungswertes im wirtschaftlichen Bereich aber, wenn dies zu einem Gesamtverlust führen würde.27 Ändern sich nachträglich die Verwendungsverhältnisse einer Eingangsleistung, erfolgt eine Vorsteuerberichtigung nur zum Nachteil des Steuerpflichtigen, d. h. wenn sich der nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Verwendungsanteil erhöht. Wird dagegen umgekehrt eine in der nichtwirtschaftlichen unternehmenseigenen Sphäre bezogene Eingangsleistung nachträglich wirtschaftlich verwendet, ist eine Vorsteuerberichtigung

23 EuGH v. 8.11.2012, C-511/10, BLC Baumarkt, UR 2012, 968, Rn 17 f.; nach Vorlage des BFH v. 22.7.2010, V R 19/09, BFHE 231, 280, insb. unter IV.2.b)cc); dazu oben S. 227 f. 24 EuGH v. 8.5.2003, C-269/00, Seeling, Slg 2003, I-4101, dazu oben S. 32 f. 25 Vgl. S. 221 ff. 26 BFH v. 19.7.2011, XI R 21/10, BFHE 235, 14, unter II.4.c); v. 19.7.2011, XI R 29/09, BFHE 234, 556, unter II.6.c); v. 19.7.2011, XI R 29/10, BFHE 234, 564, unter II.5.c); v. 14.3.2012, XI R 26/11, BFH/NV 2012, 1192, unter II.5.c). 27 Vgl. S. 238 ff.

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zugunsten des Steuerpflichtigen nach den Lennartz-Grundsätzen28 ausgeschlossen. Die Lennartz-Grundsätze müssen – entgegen der herrschenden Lehre29 – auch auf nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Verwendungsanteile gemischter Eingangsleistungen übertragen werden. Das gibt die EuGH-Rechtsprechung vor, auch wenn es vor dem Neutralitätsgrundsatz und dem unionsrechtlichen Gleichheitssatz bedenklich ist. Insofern sollte der EuGH seine Rechtsprechung weiterentwickeln und das Zuordnungswahlrecht auch für gemischte Eingangsleistungen zu wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen unternehmenseigenen Zwecken gewähren. Mit der Zuordnung zum wirtschaftlichen Unternehmensvermögen entstünde dann auch für VNLTO-gleiche Verwendungsanteile ein Recht zum Vorsteuerabzug dem Grunde nach. Der Höhe nach bliebe der Vorsteuerabzug aber auf wirtschaftliche Verwendungsanteile beschränkt. Bis dahin hat der Steuerpflichtige nur einen Ausweg: Er muss im Anschaffungszeitpunkt eine zukünftige wirtschaftliche Verwendung großzügig einplanen und konkret nachweisen. Eine solche reine Verwendungszweckbestimmung30 lässt ein Vorsteuerabzugsrecht hinsichtlich des konkret geplanten wirtschaftlichen Verwendungsanteils entstehen, auch ohne Zuordnungswahlrecht.31

28 EuGH v. 11.07.1991, C-97/90, Lennartz, Slg 1991, I-3795; dazu oben S. 30 f., 54 f. 29 Die herrschende Lehre will hier eine Vorsteuerberichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen zulassen: Abschn. 15a.1 Abs. 7 S. 1 UStAE; Stadie in R/D/F/G, UStG, § 15 Rn 410, 427; Reiß, UR 2010, 797, 806 f., 808; Korf/Kurtz, UR 2010, 86, 99; Ehrke-Rabel, ÖStZ 2010, 97, 100; Wäger, UR 2012, 25, 29; ders., DB 2012, 1288, 1290, 1294; ders., JbFfSt 11/12, S. 622, 638 f.; Küffner/ von Streit, DStR 2012, 581 ff., 586 f.; von Streit, UStB 2012, 197, 199; Englisch, USt-Kongress-Bericht 2010, S. 25, 78 ff. 30 Vgl. zur Unterscheidung zwischen Verwendungszweckbestimmung und Zuordnungsentscheidung oben S. 48 f. 31 Vgl. S. 253 ff.

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Stichwortregister Die Zahlen bezeichnen die Seitenzahlen Allgemeine Kosten 218 ff. Armbrecht-Entscheidung 31 f. Aufmerksamkeiten 168 ff. Aufteilung siehe Gemischte Eingangsleistungen Ausgabe von Gesellschaftsrechten 124 f., 192 ff.  Berufspendler 111 Beteiligungsverwaltung − bloße Beteiligungsverwaltung 149 f. − Wirtschaftliche Beteiligungsverwaltung 172 ff. Brutto-Allphasen-Umsatzsteuer 17 ff.  Cibo-Entscheidung 174 ff.  Danfoss und AstraZenecaEntscheidung 131  Eigene Anteile 193 Einlage 186 ff. − offene Einlage in Geld 191 f. − offene Sacheinlage 194 ff. − Schaubilder offene Sacheinlage 197 f. − verdeckte Einlage 198 ff. Entnahme 164 ff., 179 ff. − Aufmerksamkeiten 168 ff. − für nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Zwecke 202 ff. − Historie 18 ff., 21 ff.

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in der BFH-Rspr. 77 ff. Personalentnahme 167 ff. Privatentnahme 166 f. Schaubilder 166, 183 systematische Stellung 209 ff. überwiegendes betriebliches Eigeninteresse 168 ff., 170 f. − Unentgeltliche Zuwendungen 179 ff. − Vorsteuerberichtigung statt Entnahme 253 f. − vorsteuerneutralisierende Wirkung 203, 204, 205 ff. − zur Bedarfsdeckung Dritter 170 f. EON ASET-Entscheidung 181 EuGH, Verbindlichkeit seiner Rechtsprechung 62 ff.  Factoring 155 ff. Fahrzeuglieferungen 111 Finanzholding 149 f. Forschung 146 Funktionsholding 123, 172 ff.  Gemischte Eingangsleistungen 221 ff. − Aufteilungsschlüssel, § 15 Abs. 4 UStG analog 225 ff. − trennbar 221 ff. − Übertragung der LennartzGrundsätze 259 ff. − Ungleichbehandlung 230 ff. − untrennbar 238 ff. Gesellschaft und Gesellschafter 183 ff. 279

Stichwortregister

Gesellschafterbeiträge 186 f., 187 ff. Gewinnausschüttung − durch Sachleistungen 190 f. − in Geld 189 Gleichheitssatz 230 ff. Grundstücke, Sonderregelung 53 ff., 66 ff., 224 f., 256  Hilfsgeschäfte 41 Hoheitliche Tätigkeit 146 f. − Abgrenzung wirtschaftliche Tätigkeit 73 f. − Sonderregelung 39 f.  Ideelle Tätigkeit 146 f. Illegale Tätigkeit 139 f., 160 f. Innengesellschaft 183 f.  Kapitalanlagen 148 ff. Klassifikatorische Prüfung 114 Kontendaten-CDs 160 f. Kostenelements-Formel 220 Kuwait Petroleum-Entscheidung 180 f.  Leerstehenlassen von Gebäuden 161 ff. Lennartz-Grundsätze 30 f. − bei gemischter Verwendung 259 ff. − bei rein nicht-wirtschaftlicher Verwendung 257 f. − und Neutralitätsgrundsatz 264 f.  Marktplatzsanierung 75 f., 243, 251 f. Midland Bank-Entscheidung 178 f. Mitfahrgelegenheit 111 280

Nachhaltigkeit 108 ff. − Abgrenzung nachhaltige Einnahmeerzielung 112 − Schaubild 113 Nachträgliche wirtschaftliche Verwendung 255 ff. − bei gemischter Verwendung 259 ff. − bei rein nicht-wirtschaftlicher Verwendung 257 f. − Lennartz-Entscheidung 30 f., 54 f. − nach traditioneller Sphärentheorie 54 f. Nebengeschäfte 41 Netto-System mit Vorsteuerabzug 21 ff. Neutralitätsgrundsatz 61, 120, 127, 155, 231, 235, 264 f., 269 f. Nicht-wirtschaftliche Tätigkeit − Abgrenzung Einzeltätigkeit Tätigkeitsbereich 124 ff. − Begriff siehe Wirtschaftliche Tätigkeit Nicht-wirtschaftliche unternehmenseigene Bereiche − Abgrenzung Einzeltätigkeit 124 ff. − Abgrenzung unternehmensfremde Bereiche 159145 ff. − Beispiele 145 ff. − Prüfprogramm 107 ff.  Offene Einlage 191 f., 194 ff Organwaltertheorie 185  Photovolataikanlagen-Fälle 76 f., 246 f., 248 f. Prêt à manger 141

Stichwortregister

Private Tätigkeit 160 Puffer-Entscheidung 233 Punktuelles Belastungskonzept 263 f.  Quittungsstempel 17  Reform des UStG 93 ff.  Sacheinlage ƐŝĞŚĞŝŶůĂŐĞ Schadensereignisse 176 ff. Schätzung 228 f. Securenta-Entscheidung 130 f., 220 f. Seeling-Modell 59 ff., 32 f., − Anti-Seeling-Regelung 53 ff., 66 ff., 224 f., 256 − Gleichheitsverstoß 230 ff. − Plädoyer für Aufgabe 236 ff. Segeljacht 120 ff. Selbstständigkeit 37 ff. Sittenwidrige Tätigkeit 139 f., 160 f. Sonderermächtigung 100 Sparkonto 152 f. Spenden 171 Sphärentheorie − Historie 16 ff. − Modifizierungs-Vorschläge 82 ff. − Neue Sphärentheorie 85 ff. − Neue Sphärentheorie, Schaubild 87 − Sphärenurteil 25 ff. − traditionelle Sphärentheorie 15 ff. − traditionelle Sphärentheorie, Schaubild 28 Steuerbarkeit 33 ff., 201 ff. Strategische Beteiligung 172 ff.

Tätigkeiten Dritter 160 Totalgewinn 116 ff. Typus wirtschaftlicher Tätigkeit 108 ff.  Überwiegend wirtschaftliche Verwendung 100 ff. Überwiegendes betriebliches Eigeninteresse 167 ff., 170 f. Unentgeltliche Zuwendungen für Unternehmenszwecke 179 ff. − Schaubild 183 Unterlassen 162 Unternehmen − Abgrenzung unternehmensfremde Bereiche 128 ff. − historischer Begriff 20 f. − i. S. d. Zuordnungswahlrechts 102 f. − in der EuGH-Rechtsprechung 129 ff. − neuer Begriffsinhalt 135 ff. − Reformbedarf des UStG 89 ff. − richtlinienkonforme Auslegung 91 f. − Schaubild 144 − Unternehmensvermögen 142 − Unternehmenszweck 138 ff. Unternehmensfremde Tätigkeitsbereiche 159 ff. Unternehmensinterne Neuzuordnung 210 Unternehmer 20 f. Unternehmerische Mindestnutzung 100 ff. Untrennbar gemischte Eingangsleistungen − Aufteilung 238 ff. − in der BFH-Rspr. 75 ff.

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Stichwortregister

Verbindlichkeit der EuGH-Rspr. 62 ff. Verbrauchsteuer 208, 231 Verbringung in anderen Mitgliedstaat 209 Verdeckte Einlage 198 ff. Vermögensverwaltung − Beteiligungsverwaltung siehe dort − Kapitalanlagegüter 150 ff. − Verzinste Kapitalanlagen 152 ff. VNLTO-Entscheidung 1, 70 f. − Entscheidungsgründe 214 f. − Kritik 201 − Rechtfertigung 203 ff., 215 f. − Übernahme durch BFH 72 f. Vorsteuerabzug 217 ff. Vorsteuerberichtigung 253 ff.  Warenumsatzstempel 16 f. Werbegeschenke 180 f. Werbeleistungen 238 ff. Wertpapierhandel 113 f., 172 ff. Wirtschaftliche Tätigkeit − Schaubilder 114, 115, 123 − Typus 108 ff.

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− Überwiegend wirtschaftliche Verwendung 100 ff. − Umsetzung im nationalen Recht 35 f. − unmittelbare, dauerhafte und notwendige Erweiterung 122 ff. − Vermietung und Verpachtung 114 ff.  Zukünftige wirtschaftliche Verwendung 268 ff. Zuordnung − direkter und unmittelbarer Zusammenhang 50 ff. − Zuordnungsentscheidung 48 ff. Zuordnungswahlrecht 55 ff. − Armbrecht-Entscheidung 31 f. − Ausschluss bei VNLTO-gleicher Mitverwendung 222 ff., 259 ff. − Dogmatik und Rechtfertigung 59 ff. − enger Unternehmensbegriff 102 f. − Seeling-Entscheidung 32 f.