Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen: Eine vergleichende Studie des Rechts der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland [1 ed.] 9783428508457, 9783428108459


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Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen: Eine vergleichende Studie des Rechts der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland [1 ed.]
 9783428508457, 9783428108459

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SIEGMAR POHL

Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen

Schriften zum Technikrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M ich a e I Klo e p fe r, Berlin

Band 7

Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen Eine vergleichende Studie des Rechts der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland

Von

Siegmar Pohl

Duncker & Humblot . Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2001 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1616-1084 ISBN 3-428-10845-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Für Sarah Louise

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2001 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Mein vorzüglicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Rüdiger Breuer; der das Entstehen der Arbeit betreut hat. Während meiner Tätigkeit am Institut für Umwelt- und Technikrecht der Universität Trier hat er mein Interesse für rechts vergleichende Wissenschaften angeregt und seitdem stets durch wissenschaftliche Diskussionen gefördert. Mit seiner tatkräftigen Unterstützung wurde mir mein Master of Laws-Programm der University of Iowa (USA) im Rahmen eines Fulbright- und ISEP-Stipendiums ermöglicht, bei dem ich das US-amerikanische Rechtssystem grundlegend studierte und Recherchen zur Vorbereitung dieser Arbeit durchführen konnte. Herrn Professor Dr. Matthias Herdegen danke ich für die Übernahme und zügige Erstellung des Zweitgutachtens zu dieser Arbeit. Besonders danken möchte ich Herrn Professor lohn C. Reitz von der International and Comparative Law Faculty at The University of Iowa College of Law für zahlreiche wissenschaftliche Gespräche, die eine wertvolle Grundlage für die Strukturierung dieser Arbeit waren, sowie auch Herrn Professsor lohn-Mark Stensvaag von The University of Iowa College of Law für seine engagierte Unterstützung bei meinen Recherchen zum US-amerikanischen Umweltrecht. Die Hilfsbereitschaft von Mark Segal und lim Alwood von der TSCA Biotechnology Workgroup der US Environmental Protection Agency hat ebenfalls besonders zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Für die Unterstützung beim Korrekturlesen und für kritische Anregungen danke ich herzlich Herrn Rechtsanwalt Bemhard Störkmann und Frau Assessorin des Lehramtes ludith Störkmann, Herrn Rechtsanwalt Oliver Schoofs sowie Frau Studienrätin Angelika Buß. Meinen Eltern Marika und Herbert Pohl, die mein Studium der Rechtswissenschaften und das Entstehen dieser Arbeit in jeder Hinsicht gefördert haben, sei an dieser Stelle besonders gedankt. Meiner Ehefrau Sarah Louise Brewster Pohl, die durch ihr fortdauerndes Verständnis und liebevolle Ermunterung wesentlich zur Fertigstellung dieser Arbeit beigetragen hat, widme ich diese. Berlin, im Mai 2002

Siegmar Pohl

Inhaltsverzeichnis

Kapitell

Einführung

21

Kapitel 2

Die Gentechnologie als Regelungsgegenstand

26

I. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

1. Der naturwissenschaftliche Sachverhalt .........................................

26

a) Freisetzung ..................................................................

26

b) Biotechnologie ..............................................................

27

c) Gentechnologie..............................................................

27

2. Der Grad der Sachverhaltsaufklärung ...........................................

28

a) Risiko und Unsicherheit

28

b) Risiko und Ungewißheit

29

3. Die juristische Erfassung und der Umgang mit Risiko.... . .. .. .. . . .. . .. . .. . ... . .

30

a) Risikoabschätzung ...........................................................

30

b) Risikobewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

c) Risikomanagement ..........................................................

32

11. Die Herausforderung der Gentechnik an das Rechtssystem .........................

33

1. Neuartige Schadensverläufe und das Ausmaß möglicher Schäden ...............

33

2. Gentechnikspezifische Risiken ..................................................

35

a) Positionseffekte und Kontextstörungen bei rekombinierten Genen .. . . . . . . . . . .

35

b) Physiologische Veränderungen transgener Organismen .......................

37

c) Unerwünschter horizontaler oder vertikaler Gentransfer ......................

37

d) Verwilderung transgener Organismen ........................................

38

e) Ökologische und evolutionäre Auswirkungen als Langzeiteffekt .............

39

10

Inhaltsverzeichnis 3. Defizite und zeitliche Dimension der Erkenntnis über Risikofaktoren

40

4. Versagen traditioneller Regulierungsmethoden und Ungewißheit ................

43

III. Internationale Lösungsansätze .................... . ............ . ...................

47

1. Empfehlungen der OECD .......................................................

47

2. Andere Regelungen .............................................................

49

IV. Zusammenfassung zu Kapitel 2 ....................................................

50

Kapitel 3

Vergleich der bestehenden Nonnierungen

51

I. Vereinigte Staaten .................................................................

51

1. Gesetzliche Regelungen ........................................................

51

a) Das Chemikaliengesetz TSCA ...............................................

52

b) Das Bundesgesetz über Insektizide, Fungizide und Rodentizide FIFRA ......

53

c) Das Bundesgesetz über Pflanzenschädlinge FPPA ............................

54

d) Das Pflanzenquarantänegesetz PQA .........................................

55

e) Das Virus-Serum-Toxin-Gesetz VSTA .......................................

55

f) Andere Gesetze ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

2. Untergesetzliche Bestimmungen ................................................

57

a) NIH-Richtlinien .............................................................

57

b) Das Coordinated Framework . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

c) Framework for Decisions des U.S. National Research Council ...............

60

d) Federal Oversight Document .................................................

61

aa) Entscheidung des Präsidenten zur Überwachung der Biotechnologie .....

62

bb) Bericht des Science Advisory Board der EPA über Risikoprioritäten .....

63

cc) Biotechnologie-Politik des Rates des Präsidenten zur Wettbewerbsfähigkeit .....................................................................

63

dd) Tatsachenbericht des Rates des Präsidenten zur Wettbewerbsfähigkeit ...

64

e) Regelungen mit Normcharakter ..............................................

64

aa) Die APHIS-Regeln ......................................................

64

bb) Die TSCA-Regeln .......................................................

67

Inhaltsverzeichnis

11

3. Staatengesetze ..................................................................

68

a) Gesetzgebungskompetenz der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

b) Die vier Modelle der Staatengesetze .........................................

69

11. Deutschland .......................................................................

70

1. Die EG-Freisetzungsrichtlinie . .... . . . . . . . . . ... . . . . ... . ..... . . . . . . . . . . .. . . ...... .

71

2. Gentechnikgesetz 1990 ............... . . . .......... . ............................

72

3. Untergesetzliche Bestimmungen ................................................

73

4. Bundesstaatliche Einze1gesetze .................................................

73

IH. Vergleich ..........................................................................

74

1. Horizontaler oder vertikaler Regelungsansatz ...................................

74

a) Transparenz der Regelung ...................................................

75

b) Aufteilung von Behördenkompetenzen .......................................

76

c) Kompetenzaufteilung und Sachnähe .........................................

80

d) Bestehende Normen und neue Regelungsgegenstände ........................

80

2. Gesetzliche oder untergesetzliche Regelung .............. . ......................

81

a) Verfassungsrechtliche Anforderungen ........................................

83

b) Gesellschaftliche Wahrnehmung technischer Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

c) Rechtspolitische Erwägungen................................................

89

IV. Zusammenfassung zu Kapitel 3 ....................................................

90

Kapitel 4

Vergleich der Regelungsstrategien

91

I. Verfahrensbezogene oder produktbezogene Regelung..............................

91

1. Vereinigte Staaten ..............................................................

92

2. Deutschland ....................................................................

94

3. Vergleich .......................................................................

94

H. Auswahlansatz oder Gebot der Risikominimierung ................................

97

1. Vereinigte Staaten .................................................. . ...........

98

a) Risikobezogene Auswahl der Regelungspolitik ..............................

98

b) Ansätze des Scope Documents ...............................................

99

12

Inhaltsverzeichnis c) Vorgaben des Federal Oversight Documents ................................. 100 d) Umsetzung in den Regelungen ............................................... 103 aa) Regelung unter APHIS .................................................. 104 bb) Regelung unter TSCA ................................................... 105 2. Deutschland .................................................................... 106 a) Grundlagen für das Risikominimierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Umsetzung in den Regelungen............................................... 109 3. Vergleich ....................................................................... 109 a) Steuerungskraft der Regelungen in Grenzbereichen .......................... 110 b) Kompatibilität der Risikopolitik mit produktbezogenen Ansätzen ............ 111 c) Deregulierung und Verfahrensökonomie ..................................... 112 d) Eignung zum Schutz vor ungewissen Risiken................................ 115

III. Zusammenfassung zu Kapitel 4 .................................................... 116

Kapitel 5 Die Risikoabschätzung

118

I. Berücksichtigungsfähige Risiken.................................................. 118 1. Vereinigte Staaten .............................................................. 118

a) Gesetze...................................................................... 118 b) Untergesetzliche Bestimmungen............................................. 119 aa) Federal Oversight Document ............................................ 119 bb) Entscheidungsschema der Ecological Society ofAmerica ............... 120 c) Umsetzung in den APHIS-Regeln ............................................ 121 aa) Auswahlkriterien für das Anmeldeverfahren ................ . ............ 121 bb) Genehmigungsverfahren unter APHIS ................................... 123 d) Umsetzung in den TSCA-Regeln ............................................ 123 aa) Freistellung von der Anmeldepflicht.............................. . ...... 124 bb) Anmeldungsverfahren MCAN ........................................... 125 cc) Freisetzungsgenehmigungen TERA ..................................... 125 e) Schutzgüter und schädliche Einwirkungen.......................... . ........ 126 aa) Unter APHIS ............................................................ 126 bb) UnterTSCA ............................................................ 129

Inhaltsverzeichnis

13

f) Vergleichende Betrachtung .................................................. 129

g) Sozioökonomische und ethische Kriterien ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 h) Mittelbare Einwirkungen und Langzeiteffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 i) Wahrscheinlichkeit der Schädigung und Ungewißheit ........................ 132 2. Deutschland .................................................................... 134 a) EG-Richtlinie ................................................................ 134 aa) Kriterienkatalog der EG ................................................. 134 bb) Bewertungsraster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) GenTG ................................................... . .......... . ....... 136 aa) Schutzgüter ............................................................. 136 bb) Schädliche Einwirkungen ............................................... 137 c) Sozioökonomische und ethische Kriterien.................................... 140 d) Mittelbare Auswirkungen und Langzeiteffekte ............................... 141 e) Wahrscheinlichkeit der Schädigung und Ungewißheit ........................ 142 3. Vergleich ....................................................................... 144 a) Schutzgut Umwelt oder Schutzgut Landwirtschaft ........................... 144 b) Ethische Gesichtspunkte..................................................... 145 c) Gentechnikspezifische Umwelteinwirkungen oder vergleichende Risikoanalyse .......................................................................... 146 d) Common Law oder technische Normung zur Konkretisierung ................ 150 e) Beweislast ................................................................... 152 11. Methoden für die Risikoabschätzung .............................................. )53 l. Vereinigte Staaten .............................................................. 153

a) Empirische Methoden ....................................................... 155 b) Quantitative Methoden ...................................................... 155 c) Qualitative Methoden........................................................ 156 aa) Qualitative Risikoüberprüfung (Screening) .............................. 156 bb) Deterministische Konsequenzanalyse .................................... 157 cc) Deterministische Konsequenzanalyse mit Vertrauensgrenzen ............ 157 d) Geeignetheit der Methoden unter Bedingungen der Ungewißheit ............. 158 e) Qualität der berücksichtigungsfähigen Studien. . . ... . . . ....... ... . . ... . . ..... 162

Inhaltsverzeichnis

14 2. Deutschland

162

a) Methoden der Risikoabschätzung ............................................ 163 b) Geeignetheit der Methoden unter Bedingungen der Ungewißheit ............. 164 c) Qualität der berücksichtigungsfähigen Studien............................... 164 3. Vergleich ....................................................................... 165 III. Zusammenfassung zu KapitelS.................................................... 169

Kapitel 6

Die Risikobewertung

171

I. Vereinigte Staaten ......................................... . ....................... 171 1. Maßnahmen zur Risikominderung als Abzugsposten ............................ 171 a) Ausführungsstandards und Qualitätszie1e ....................... . ............ 172 b) Standardisierung durch Privatpersonen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Regelung und Anwendungsbereich der Nutzen-Risiko-Abwägung . . .. . . . .. . . . . .. 176 3. Durchführung der Abwägung ................................................... 176 a) Berücksichtigungsfähige Nutzen ................................ . ............ 178 b) Zwingende Abwägungsentscheidungen ...................................... 179 aa) Sicherer Schadenseintritt ................................................ 179 bb) Berücksichtigung von Alternativen...................................... 179 c) Hierarchie der Faktoren...................................................... 180 4. Kombination von abschätzenden und bewertenden Elementen................... 181 5. Die Bewertungspraxis .......................................................... 182 H. Deutschland....................................................................... 183 1. Maßnahmen der Risikominderung als Abzugsposten ............................ 183

a) Technologiebezogene Standards ............................................. 183 b) Standardisierung durch Privatpersonen....................................... 184 2. Regelung und Anwendungsbereich der Nutzen-Risiko-Bewertung ............... 185 3. Durchführung der Abwägung ................................................... 187 a) Berücksichtigungsfähige Nutzen........................................... . . 188

Inhaltsverzeichnis

15

b) Zwingende Abwägungsentscheidungen ...................................... 190 aa) Sicherer Schadenseintritt ................................................ 190 bb) Berücksichtigung von Alternativen...................................... 191 c) Hierarchie der Faktoren...................................................... 191 4. Kombination von abschätzenden und bewertenden Elementen................... 192 5. Die Bewertungspraxis ............................ . ............................. 192 III. Vergleich .............................................. . ..................... . . . ... 193 1. Technologiestandards oder Qualitätsziele ....................................... 193 2. Normkonkretisierung durch Behörden oder durch Private ....................... 195 3. Kosten-Nutzen-Abwägung oder Gebot der Risikominimierung .................. 199 4. Anwendungsbereiche und Durchführung der Nutzen-Risiko-Abwägung ......... 201 5. Kombination abschätzender und bewertender Elemente......................... 205 6. Prozedurale oder materielle Strukturierung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 205 IV. Zusammenfassung zu Kapitel 6 ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 207

Kapitel 7

Der Entscheidungsfindungsprozeß

209

I. Verfahren zum Erlaß von Normen ................................................. 209

1. Vereinigte Staaten .............................................................. 209 a) Öffentlichkeitsbeteiligung ................................................... 209 aa) Allgemeine Vorschriften des APA ............... . ....................... 210 bb) Sondervorschriften ...................................................... 211 b) Weitere Verfahrensanforderungen ............................................ 212 2. Deutschland .................................................................... 213 3. Vergleich ....................................................................... 214 a) Normgebung als technokratischer oder sozialer Prozeß ....................... 215 b) Nachteile starker Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 216 c) Vorteile starker Öffentlichkeitsbeteiligung ................................... 218 11. Verfahren bei Einzelentscheidungen ....................... . ....................... 220 1. Vereinigte Staaten ...................................... . ....................... 220 a) Spezialvorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung ........................... 221

16

Inhaltsverzeichnis b) Allgemeine Vorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung

221

c) Beteiligungspraxis ............... . ........................................... 222 2. Deutschland .................................................................... 223 3. Vergleich ....................................................................... 224 a) Nachteile starker Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 224 b) Vorteile starker Öffentlichkeitsbeteiligung ................................... 225 c) Materielle Standards oder Prozeduralisierung ................................ 226 III. Zusammenfassung zu Kapitel 7 ...... . .......... . .......... . ....................... 233

Kapitel 8

Gerichtliche Kontrolle

234

I. Zulässigkeit von Klagen gegen die Risikoentscheidung

234

1. Vereinigte Staaten .............................................................. 234 a) Tatsächliche Rechtsverletzung ............................................... 234 b) Kausalität und Abhilfemöglichkeiten ........................................ 235 c) Schutzbereich der Norm ..................................................... 236 2. Deutschland .................................................................... 237 a) Tatsächliche Rechtsverletzung ............................................... 238 b) Kausalität und Abhilfemöglichkeiten ........................................ 239 c) Schutzbereich der Norm ..................................................... 239 3. Vergleich .............................................................. . . . ...... 241 a) Verbandsklagen oder Geltendmachung eigener Rechte ....................... 241 b) Tatsächliche Rechtsverletzung ............................................... 242 c) Kausalität und Abhilfemöglichkeiten ..... . ........................... . ...... 244 d) Schutzbereich der Norm ..................................................... 244 11. Kontrollmaßstab der Gerichte ......... . ..................... . . . ............ . ...... 245 1. Vereinigte Staaten .............................................................. 245 a) Tatsachenfeststellungen ............................................... . ...... 246 b) Fragen rechtlicher Auslegung ................................................ 248 c) Anwendung von Recht auf Tatsachen (gemischte Fragen) .................... 250

Inhaltsverzeichnis

17

d) Anforderungen an das Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 252 aa) Foundation on Economic Trends VS. Heckler ............................ 252 bb) Kontrollmaßstab für die verfahrensrechtlichen Anforderungen . . . . . . . . . .. 254 2. Deutschland ..................................... . ....................... . ...... 255 a) Tatsachenfeststellungen ...................................................... 255 b) Fragen rechtlicher Auslegung................................................ 255 c) Anwendung von Recht auf Tatsachen (gemischte Fragen) ............. . ...... 256 d) Anforderungen an das Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 258 3. Vergleich ....................................................................... 258 a) Tatsachenfeststellungen ...................................................... 258 b) Fragen rechtlicher Auslegung ................................................ 260 c) Anwendung von Recht auf Tatsachen (gemischte Fragen) .................... 261 d) Anforderungen an das Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 264 III. Zusammenfassung zu Kapitel 8 .................................................... 266

Kapitel 9

Gesamtvergleich und Zusammenfassung

267

Anhang 1 ............................................................................. 272

Anhang 2 ............................................................................. 276

Literaturverzeichnis ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 278

Sachwortregister ..................................................................... 298

2 Pohl

Abkürzungsverzeichnis APA

Administrative Procedure Act, Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes

APHIS

Animal and Plant Health Inspection Service, Behörde des USDA

BBEP

Biotechnology, Biologics, and Environmental Protection, Abteilung des APHIS The Bureau of National Affairs, Inc.

BNA CAA

Clean Air Act

CEQ

Council of Environmental Quality

CFR Chem.Reg.Rep. Cir.

Code of Federal Regulations Chemical Regulations Reporter Circuit District of Columbia

D.C. DNA D-NJ EA EIS EPA ESA

F.2d. FFDCA FIFRA FOIA FONSI FPPA FR GDP Gen. Stat. GenTG Hrsg.

IBC Inc. L.Ed. LIBC

Desoxyribonuc\eic acid Delegate from New Jersey Environmental Assessment Environmental Impact Statement Environmental Protection Agency Ecological Society of America Federal Reporter, second edition Federal Food, Drug, and Cosmetic Act , Lebensmittel-, Drogeriewaren- und Kosmetikartikelgesetz des Bundes Federal Insecticide, Fungicide and Rhodenticide Act Freedom of Information Act, Gesetz über freien Informationszugang Finding Of No Significant Impact FederaI Plant Pest Act FederaI Register, Bundesanzeiger Good Development Principles General Statutes Gentechnikgesetz Herausgeber InstitutionaIized Biosafety Committee, institutionalisiertes Komitee für Biologische Sicherheit Incorporated Lawyer's Edition LocaI Industrial Biosafety Committee

Abkürzungsverzeichnis MCAN NBIAP NEPA NIH

NLRB NRC NRDC OECD OMB ORD OSTP R

rDNA RNA rRNA S S. SAB TERA TSCA UNEP U.S. U.S. U.S.C. U.S.C.A USDA

v. W Wash.L.Rev.

19

Mierobial Commercial Activity Notice National Biologieal Impact Assessment Program, Va. Polytechnic Inst. State University, Blacksburg, Va. National Environmental Policy Act National Institute of Health National Labor Relations Board, Behörde für arbeitsrechtliche Beziehungen National Research Council Natural Resources Defense Council Organization of Economic Cooperation and Development Office for Management and Budget Office for Research and Development Office for Science and Technology Policy Risiko recombinant DNA Ribonuc1eic acid recombinant RNA Schaden Seite Science Advisory Board, Wissenschaftliches Beratungsgremium bei derEPA TSCA Environmental Release Application Toxie Substances Control Act United Nations Environment Program United States United States Reporter, Entscheidungssarnmlung des Supreme Court United States Code United States Code Annotated United States Department of Agriculture Versus Wahrscheinlichkeit Washington Law Review

Kapitell

Einführung Im Oktober 1994 bot ein Gemüsegroßhändler in 730 US-amerikanischen Lebensmittelmärkten das erste gentechnisch veränderte Vollnahrungsmittel, die sogenannte Flavr Savr Tomate zum Verkauf an und löste damit erneut eine öffentliche Grundsatzdebatte um ethische Fragen der Gentechnologie aus. Besonders stark fiel der Widerstand in der Bundesrepublik Deutschland aus, wo Politiker, Interessengruppen, Wissenschaftler und Medien seit Anfang der achtziger Jahre die Gentechnologie mit globalen Schreckensbildern wie in Aldous Huxley's "Brave New World" verbinden. Die Entscheidung über den Einsatz der Gentechnik hat einen zwiespältigen Charakter, weil sie sowohl vielversprechende Chancen als auch große Risiken erschließt. Nicht nur im Bereich der Medizin, des Umweltschutzes oder bei der Bekämpfung von Hunger könnten durch den Einsatz gentechnisch veränderter Organismen völlig neue Perspektiven eröffnet werden,1 sondern auch das Innovationspotential der neuen Technologie für die nationalen Volkswirtschaften ist von erheblicher praktischer Bedeutung. Andererseits könnten jedoch die technischen und ökologischen Risiken zu bisher unbekannten Schäden für Mensch, Tier und Umwelt führen. Hinzu kommen die Gefahr der Sortenverarmung, ethische Bedenken und das militärtechnische Potential der Gentechnologie. 2 Das deutsche Parlament reagierte auf dieses Dilemma im Jahre 1990, als es in der außergewöhnlich kurzen Zeit von nur sechs Monaten eines der restriktivsten Gentechnikgesetze der Welt schaffte? In den Vereinigten Staaten hingegen traten Kongreß und Administration der Herausforderung, einen angemessenen rechtlichen Umgang mit der neuen Technologie zu finden, auf andere Weise entgegen. Nachdem die öffentliche Gentechnikdebatte bereits Anfang der siebziger Jahre durch ein Forschungsvorhaben ausgelöst 1 Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie", BT-Drs. 10/6775, S. III; ähnlich: V.S. Congress, Biotechnology in aGlobai Economy, Office of Technology Assessment 1991, S. 29; Schauzu, ZLR 1996, S. 655 ff.; Wagner Pfeifer, S. 23 ff.; F.A.Z vom l. Oktober 1998 ("Biotechnologie im Aufwind"); Bohne, NVwZ 1999, S. I (3). 2 V gl. dazu für viele: SagojJ. Biotechnology and the Environment: Ethical and Cultural Considerations, in: Envtl. L. Rpt. (1989), S. 10520; Stone, S. I ff.; Smith, G. P. 11., Judicial Decisionmaking in the Age of Biotechnology, in: Notre Dame Journal of Law, Ethics & Public Policy, Bd. 13 (1999), S. 93 (94 ff.); v. Lersner, NVwZ 1988, S. 988. 3 Gesetz zur Regelung der Gentechnik vom 20. Juni 1990, BGBI. I, S. 1080-1094, geändert durch Gesetz vom 24. Juni 1994, BGBI. I, S. 1416 (GenTG).

22

Kap. I: Einführung

worden war, bei dem die Affenviren SV 40 zum Transport von Genen aus einer tierischen Zelle in eine andere benutzt werden sollten, fand schon 1973 die erste Konferenz von Asilomar statt, in deren Verlauf die Grundprobleme im Umgang mit der Gentechnologie abgesteckt wurden. 4 Erste Maßstäbe wurden durch die Richtlinien des Bundesgesundheitsinstitutes, National Institute 0/ Health (NIH) gesetzt, die Sicherheitsbestimmungen für gentechnische Projekte aufstellten und später für gesetzliche Regelungen weltweit Pate standen. In den Vereinigten Staaten selbst gibt es jedoch bis heute kein Bundesgesetz, welches speziell zur Regelung der Gentechnik bestimmt ist,5 statt dessen entstanden zahlreiche untergesetzliche Einzelvorschriften. Obwohl eine umfassende gesetzliche Regelung fehlt, fanden in den Vereinigten Staaten seit 1987 in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren mehrere hundert Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Organismen statt, wohingegen in der Bundesrepublik Deutschland (im folgenden: Deutschland) lediglich etwa 40 genehmigte Freisetzungen bis zum Jahre 1996 durchgeführt wurden. Bis Anfang des Jahres 2000 steigerte sich hier die Zahl jedoch deutlich auf insgesamt etwa 100 Versuche. 6 Bis zum Jahre 1998 gab es weltweit mehr als 5000 Freisetzungen, davon fanden bis 1994 jedoch nur etwa 300 in Europa statt, bis 1998 jedoch bereits etwa 1300. 7 Auch wenn die Zahl der Freisetzungen in Anbetracht der öffentlichen Kontroversen um gentechnische Freisetzungen alarmierend erscheint, 8 gehen Wissenschaftler davon aus, daß die Risiken für Lebewesen und Naturhaushalt bei den bisher weltweit durchgeführten Freilandversuchen gering waren. 9 Nachdem sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland die grundsätzliche Entscheidung für den Einsatz der Gentechnologie bereits gefallen ist, ist nunmehr die Rechtsordnung aufgefordert, sich mit der Frage zu befassen, in wel4 Zu der Entwicklung der Debatte vgl.: Winter, Grundprobleme des Gentechnikrechts, S. I ff.; ders., KJ 1991, S. 18 (18 f.); Mahro, RIW 1987, S. 114 ff.; Breuer, NuR 1994, S. 157 (157); Rave, Interagency Conflicts and Administrative Accountability: Regulating the Release of Recombinant Organisms, in: Geo.LJ. Bd. 77 (1989), S. 1787 ff.; Siddhanti, S. 8 ff. (mit einer Übersicht zu den Hauptereignissen); Dederer, S. 180 ff.; Vito, State Biotechnology Oversight: The Juncture of Technology, Law, and Public Policy, Maine Law Rev., Bd. 45 (1993), S. 329 ff. 5 Noviek, Law of Environmental Protection, Bd. 3, S. 18.2.1. 6 Angaben des Robert-Koch-Instituts, Stand 24. Januar 2000. 7 The Bureau of National Affairs, [ne. (BNA), Daily Report For Executives, 24. August 1994; Tätigkeitsbericht der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit, Neunter Bericht nach Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes für den Zeitraum vorn 1. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 1998, S. 3 (12); SehüttelHeidenreiehlBeusmann, Bd. I, S. m. g Wie beispielsweise bei der Ankündigung, das Donald Danford Plant Scienee Center in St. Louis einzurichten, anläßlich derer die Gentechnik als "Wall Street technology" kritisiert wurde, siehe: St. Louis Post-Dispateh, vorn 2. August 1998 ("Scientists, activists dash over biotechnology"). 9 Badehaus, Vorstellung eines geplanten Projektes, S. 218 (220).

Kap. 1: Einführung

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chem rechtlichen Rahmen die Potentiale dieser Technologie genutzt und gleichzeitig ihre Risiken eingedämmt werden können. Die liberale Regelungspolitik der Vereinigten Staaten und der eher restriktive rechtliche Rahmen in Deutschland stehen sich dabei grundsätzlich diametral gegenüber. Im Rahmen der internationalen und europäischen Standortdebatte wird auch das deutsche Gentechnikrecht schrittweise liberalisiert und es entsteht immer wieder die Versuchung, einzelne Rechtsinstitute aus der offenbar so bewährten US-amerikanischen Rechtsordnung zu entlehnen. Dabei können, soweit derartige Entlehnungen überhaupt rechtspolitisch wünschenswert und effizient erscheinen, Kompatibilitätsprobleme auftreten, die sich oft nur durch eine Gesamtschau beider Rechtsordnungen erklären und - soweit sinnvoll - einer Lösung zuführen lassen. Die vorliegende Studie versteht sich als Erklärungsversuch für die unterschiedliche Behandlung der Risiken bei Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen in den Vereinigten Staaten und in Deutschland. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem unterschiedlichen Verständnis von dem Kernstück der Freisetzungsentscheidung, nämlich der Risikobewertung. Untersucht werden vornehmlich die rechtlichen Ansätze der Vereinigten Staaten, während das deutsche Gentechnikrecht allein zu Vergleichszwecken herangezogen wird. Um einen umfassenden Vergleich der Risikobewertung zu ermöglichen, soll wegen des begrenzten Umfanges dieser Studie hinsichtlich anderer Aspekte der Regelung von Freisetzungen auf andere Arbeiten verwiesen werden. lo Dazu gehören die bloße Erforschung gentechnisch veränderter Organismen in geschlossenen Systemen, Notfallpläne oder der Inhalt von Ausführungsstandards, wie etwa die Grundsätze ordnungsgemäßer Laborpraxis, die Frage der Beweislast 11 und die Risiko-Begleitforschung mit der notwendigen flexiblen Fortschreibung der entsprechenden Risikoregeln. Ebenfalls außerhalb des Rahmens dieser Studie liegen die Regelungen von neuartigen Lebensmitteln, Lebensmittelzutaten, Futtermitteln und von humangenetischen Versuchen. Auch die beachtlichen transnationalen und internationalen Implikationen der Freisetzung von gen technisch veränderten Organismen sollen nicht vorrangig Gegenstand der vorliegenden Untersuchungen sein, obwohl ihr angesichts der globalen Natur gentechnischer Risiken eine besondere Bedeutung zukommt. 12 Zu diesem Zweck sollen zunächst in einer einleitenden Darstellung die besonderen naturwissenschaftlichen Herausforderungen der Gentechnik als Regelungsgegenstand herausgestellt werden (Kapitel 2). Anschließend vergleicht diese Arbeit alle diejenigen staatlichen Entscheidungen von der Gesetzgebung bis zur Behandlung eines einzelnen Freisetzungsprojektes miteinander, die sich auf die Erfassung oder auch Vernachlässigung möglicher Risiken der Gentechnik auswirken. Wegen Siehe beispielsweise Dederer, S. 1 ff.; Tünnesen-Harmes, S. 1 ff. Siehe Determann, S. 165 (168). 12 Vgl. Dunn, From Flav'r Sav'r to Environmental Saver? Biotechnology and the Future of Agriculture, International Trade and the Environment, in: Colo. J. Int'l Envtl. L. & Policy Bd. 9 (1998); S. 145 ff. \0 11

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Kap. I: Einführung

der für einen sinnvollen Vergleich notwendigen Distanz zu den Wertungen der einzelnen Rechtsordnungen 13 werden dabei zunächst rechtssoziologische Aspekte, später einzelene Rechtsinstitute in systemübergreifenden Kategorien verglichen. Erste Unterschiede ergeben sich bereits aus der Art und Weise, in welcher der deutsche und der US-amerikanische Gesetzgeber mit der Technologie Gentechnik umgehen, und aus der Zahl der untergesetzlichen Bestimmungen, die eventuelle Regelungslücken schließen müssen (Kapitel 3). Wichtig für das Verständnis der Unterschiede bei der Risikobewertung sind die in den genannten Normen zum Ausdruck kommenden Regelungsstrategien, die sich in den hier verglichenen Rechtsordnungen teilweise grundlegend konträr entwickelt haben (Kapitel 4). Hier wird erstmals deutlich, daß die direkte Gegenüberstellung des US-amerikanischen mit dem deutschen Gentechnikrecht oft schwierig ist, weil fundamentale Unterschiede in den rechtlichen Ansätzen bestehen. 14 So kann etwa der legislativen Zuständigkeit eines Landes häufig eine administrative Kompetenz des anderen Landes gegenüberstehen. Sinnvolle Vergleiche sind oft nur möglich, wenn -anders als beim schlicht rechtspositivistischen Vergleich- die begrifflichen Kategorien des deutschen Staats- und Verwaltungsrechts verlassen werden, um im kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Kontext der verglichenen Rechtsordnungen nach funktionalen Äquivalenten 15 suchen zu können. Dabei sollen hier verfassungsrechtliche Grundsätze nur dort herangezogen werden, wo sie die konkrete administrative Entscheidung oder Regelungsstrategie vorbestimmen. Ergänzend kann auf die rechtspolitischen Empfehlungen der OECD, der Good Development Principles, zuriickgegriffen werden, die als Vergleichsmaßstab in die Studie einfließen sollen. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt jedoch auf dem Kernstück der Verwaltungsentscheidung über Freisetzungen, der Risikoabschätzung und -bewertung (Kapitel 5 und 6). Wieder erweist sich der direkte Vergleich der Einzelnormen als nicht ausreichend, weil in den Vereinigten Staaten die materielle Entscheidung über bestimmte Arten von Freisetzungen abstrahiert und auf die Normebene verlagert wird. Daher soll die Durchführung der Risikoabschätzung anhand einer US-amerikanischen und einer deutschen Risikoabschätzung für entsprechende Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten, virusresistenten Zuckerrüben illustriert werden, um die konkreten Unterschiede der Rechtssysteme in der Anwendung zeigen zu können. 16 Die Methoden für die Risikoentscheidung beider hier verglichenen Rechtsordnungen sollen eingehend einander gegenübergestellt werden, auch wenn sie auf unterschiedlichen Ebenen staatlichen HandeIns entwickelt werden. Sommennann, DÖV 1999, S. 1017 (1017). Zu einer ähnlichen Schlußfolgerung gelangt Buro, S. 3; zu grundlegenden Unterschieden vgl. Jarass/DiMento, S. 357 ff.; Rose-Ackennan, American Administrative Law Under Siege: Is Germany A Model ?, in: The Harvard Law Review Bd. 107 (1994), S. 1279 ff. IS Für viele zuletzt: Reitz, How to do Comparative Law, in: American Journal of Comparative Law, Bd. 46 (1998), S. 1 ff.; Brickman/Jasanof/Ilgen, S. 29 f.; Tushnet, M., The Possibilities of Comparative Constitutional Law, in: The Yale Law Journal Bd. 108 (1999), S. 1225 (1269 ff.); Sommennann, DÖV 1999, S. 1017. 16 Sogenannte "law in action "-Analyse, vgl. Pound, S. 212. 13

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Kap. 1: Einführung

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Die naturwissenschaftliche Risikoabschätzung ist dabei deshalb relevant, weil ihre Defizite und verbleibenden Ungewißheiten zu den größten Problemen der normativen Risikobewertung gehören, also der Entscheidung, welche Risiken für die Gesellschaft hinnehmbar sein sollen. Maßgeblichen Einfluß auf das Ergebnis der Entscheidung, ob ein bestimmter gentechnisch veränderter Organismus freigesetzt werden soll, nehmen auch die prozessualen Anforderungen, die bei der Entscheidungsfindung eingehalten werden müssen (Kapitel 7). Ein wichtiger Bestandteil dieses Verfahrens ist die Einbeziehung möglichst hohen technischen Sachverstandes und gegebenenfalls auch der öffentlichen Meinung, insbesondere soweit ethische Gesichtspunkte der Gentechnologie betroffen sind. Gerade diese Gesichtspunkte stellen erneut die Frage, inwieweit schließlich die Gerichte noch befugt sein sollen, die administrative Entscheidung zu kontrollieren und die auf komplexe Weise zustande gekommene Verwaltungsentscheidung durch ihre eigenen Einschätzungen zu ersetzen (Kapitel 8). Es geht dabei um die Frage, an welcher Stelle im staatlichen Gewaltengefüge die letztendliche Entscheidung über eine Freisetzung fallen soll. Die isolierte Betrachtungsweise der genannten Schritte der staatlichen Entscheidungsfindung von der Gesetzgebung bis hin zur gerichtlichen Kontrolle im Einzelfall kann mitunter den Eindruck erwecken, eine Rechtsordnung sei im Vergleich zu der anderen Rechtsordnung in einzelnen Verfahrensschritten defizitär. Um vorschnellen Schlußfolgerungen vorzubeugen, wird in dieser Studie abschließend in einem Gesamtvergleich (Kapitel 9) versucht gegenüberzustellen, welche Funktion die einzelnen Institutionen und Verfahrensschritte in dem Gesamtprozeß staatlicher Entscheidungsfindung einnehmen. Auf diese Weise wird deutlich, wie die beiden hier verglichenen Rechtsordnungen ihre Ressourcen verteilen, um den Herausforderungen der Freisetzung solcher gentechnisch veränderter Organismen entgegenzutreten, die bereits existieren oder in Zukunft entwickelt werden.

I. Begriffsbestimmungen

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scherweise wird von einer Freisetzung gesprochen, sobald ein Organismus, der zunächst im Labor oder im abgeschlossenen Gewächshaus getestet wurde, in das Freiland verbracht wird. Entscheidend ist, daß keine physikalischen Schranken, insbesondere baulich-technische Maßnahmen, zwischen den Organismen und der Umwelt mehr bestehen, auch wenn mitunter noch biologische oder chemische Schranken, wie etwa Pflanzengürtel um das Freisetzungsgelände oder die vorprogrammierte Zerstörung der Wirtszellen durch "suicide"-Systeme, angelegt werden. 2 Freisetzungen sind zwar räumlich und zeitlich begrenzt, können aber sowohl Versuchszwecken dienen als auch kommerziellen Charakter haben, etwa bei veränderten Mikroorganismen zur gezielten Bekämpfung von Umweltbelastungen. 3

b) Biotechnologie

Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt4 definiert den Begriff der Biotechnologie als ,jede technische Anwendung, welche biologische Systeme, lebende Organismen oder ihre Derivate nutzt, um Produkte oder Verfahren für bestimmte Zwecke herzustellen oder zu verändern".5 Weitergehende Definitionen verstehen unter Biotechnologie unabhängig von einem technischen oder industriellen Zweck jedes Verfahren zur Schaffung neuer Arten von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen. 6 Vorliegend soll der Begriff Biotechnologie ähnlich weit verstanden werden, nämlich als die Verwendung verschiedener traditioneller oder neuartiger biologischer Prozesse mit dem Ziel, Produkte oder Leistungen aus lebenden Organismen oder deren Bestandteilen zu gewinnen. Weil unter diese Definitionen auch die traditionellen Selektionsmethoden der Pflanzen- und Tierzucht fallen, existiert die Biotechnologie in gewisser Weise schon seit Tausenden von Jahren, der Begriff hat sich jedoch erst seit der Erfindung der Gentechnologie durchgesetzt.

c) Gentechnologie

Die modernste Ausprägung der Biotechnologie heißt Gentechnologie. Sie definiert sich als Lehre von der gezielten Neukombination des genetischen Materials von Lebewesen. 7 Das Verfahren, das Gegenstand der Gentechnologie ist, heißt 2 Für das US-amerikanische Recht: Fed. Reg. Bd. 51, vom 26. Juni 1986, S. 23335; für das deutsche Recht: HirschISchmidt-Didczuhn, § 3 Rn. 46. 3 Jörgensen, Rechtliche Probleme der Freisetzung von Gentechnisch veränderten Organismen, S. 6 (7). 4 Convention on BiologicaI Diversity, vom 5. Juni 1992 (Biodiversity Convention). 5 Art. I, 31 I.L.M. 818, 823. 6 Siehe World Intellectual Property Organization, Industrial Property Protection of BiotechnologicaI Inventions, Publication Biot/CE/ 1 /2,1984, S. 4-5.

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Kap. 2: Die Gentechnologie als Regelungsgegenstand

Gentechnik und umfaßt die Methoden der neukombinierten DNS (rDNS), der neukombinierten RNS (rRNS) und der Zellfusion. 8 Obwohl also Gentechnik nur eine Maßnahme, Gentechnologie jedoch einen Wissenschaftszweig bezeichnet, werden beide Begriffe mitunter auch gleichbedeutend verwendet. 9 Durch die Gentechnik werden ein Gen oder Gene, die eine bestimmte Eigenschaft in einem Organismus kodieren, aus dem Genom eines Organismus extrahiert und in das Genom eines anderen Organismus eingefügt. Die verschiedenen Verfahren, Produkte und Leistungen der Gentechnik können in vielen Gebieten Anwendung finden, wie etwa Medizin und Pharmazie, Landwirtschaft, Industrie und Umweltschutz.

2. Der Grad der Sachverhaltsaufklärung

Die Verwaltungsentscheidung über eine Freisetzung ergeht zwar mit der Zielrichtung, Gefahren abzuwehren und Risiken zu mindern, allerdings unter den Bedingungen naturwissenschaftlicher Unsicherheit oder sogar Ungewißheit.

a) Risiko und Unsicherheit

Ähnlich wie der Begriff einer Gefahr, der eine Sachlage kennzeichnet, bei der nach allgemeiner Lebenserfahrung die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht, \0 bezeichnet der Begriff des Risikos grundsätzlich eine Situation, in der ein Schadenseintritt ebenfalls nicht sicher vorausgesagt werden kann. Allerdings kann ein Risiko auch dann bestehen, wenn die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts die Gefahrenschwelle nicht erreicht und somit nur eine Vorstufe zur Gefahr vorliegt. Eine wichtige Rolle spielt insoweit das Ausmaß des zu erwartenden Schadens, wobei jedoch verschiedene Definitionen weitere Unterschiede machen. So bestimmte das vorbereitende Komitee der Konferenz der Vereinten Nationen über die menschliche Umwelt den Begriff des Risikos als "die erwartete Häufigkeit von unerwünschten Auswirkungen einer umweltgefährdenden Substanz".11 Obwohl durch Risikobestimmungen üblicherweise Handlungsalternativen gegen7 Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie", BT-Drs. 10/6775, S. III; Novick, Law of Environmental Protection, Bd. 3, S. 18 - 2. 8 Id.; die Legaldefinition der APHIS-Rege1n (unten) urnfaßt lediglich die genetische Veränderung von Organismen durch rDNA-Techniken. 9 Das deutsche GenTG etwa verwendet nur den Begriff "Gentechnik"; im US-amerikanischen Sprachgebrauch ist einheitlich von "genetic engineering" die Rede; zu der begrifflichen Unterscheidung vgl. Gerlach. Das Genehmigungsverfahren zum Gentechnikgesetz, S. 15, Fn. 33. 10 Götz. S. 62 ff. 11 World Health Organization. S. 19.

I. Begriffsbestimmungen

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einander abgewogen werden sollen, läßt diese Definition von "Risiko" das Ausmaß des erwarteten Schadens unberücksichtigt. Geeigneter scheint daher eine ökonomische Risikoformel, 12 die ursprünglich hauptsächlich im Versicherungswesen gebraucht, und zunächst unkritisch zur Berechnung technischer Risiken übernommen wurde. Nach dieser Formel bezeichnet Risiko (R) "ein Produkt aus der Wahrscheinlichkeit des schädigenden Ereignisses (W) und dem Ausmaß des möglichen Schadens (S) ist, oder R = W X S."I3 Allerdings wird vor allem in der neueren Literatur der Begriff des Risikos noch weiter differenziert und in "eindeutige" und in "uneindeutige" Unsicherheiten eingeteilt. 14 Bei den eindeutigen Unsicherheiten bezieht sich die zu analysierende Risikosituation auf einen geschlossenen Ereignisraum, dessen mögliche Ausgänge zwar nicht im einzelnen, aber doch in ihrer Gesamtheit bekannt sind. Standardbeispiel für diese Situation ist das Würfelspiel, bei dem kein anderes Ergebnis als eine Ziffer zwischen eins und sechs möglich ist. Nur derartige eindeutige Unsicherheiten sollen im folgenden als Risiko im engeren Sinne verstanden werden.

b) Risiko und Ungewißheit

Uneindeutige Unsicherheiten lassen sich hingegen nicht mehr als einfaches Produkt von Wahrscheinlichkeit und Ausmaß beschreiben, weil zusätzlich die Gefahr besteht, daß die Situation falsch eingeschätzt wird. Im Gegensatz zu den eindeutigen Risiken, welche die auf Wissen beruhende, unter Umständen geringe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts beschreiben, handelt es sich bei den uneindeutigen Unsicherheiten nicht um einen Ereignisraum, dessen Ergebnisse in ihrer Gesamtheit bekannt sind, sondern um einen Ereignisraum, über den wegen mangelnder naturwissenschaftlicher Erkenntnismöglichkeiten nichts bekannt ist. Der Begriff ist als mehrdimensionale Größe zu verstehen, die ein offenes System mit vielfältigen Risikofaktoren beschreibt, zu denen auch die Aussagesicherheit und die Folgekosten einer Fehlprognose gehören. 15 Deshalb kann nach diesem Verständnis eine ungewisse Situation auch lediglich einen Gefahrenverdacht oder sogar nur ein qualitativ weiterreichendes "Besorgnispotential" enthalten. 16 Das Beispiel des Würfelspiels müßte zur Beschreibung der Ungewißheit dahingehend abgewandelt werden, daß der Spieler nicht weiß, wieviele Seiten der ,Würfel' hat, Zu den Begrifflichkeiten dieser Ansätze: Schwarz, S. 125. Stellvertretend für viele: Banse, S. 35; Campbell, S. 2467 - 84. 14 VgJ. beispielsweise BonßI Hohlfeldl Kollek, S.40. 15 Scherzberg, VerwArchiv Bd. 84 (1993), S. 484 (497); zur Entscheidungsfindung unter Bedingungen der Ungewißheit: Environmental Protection Agency, Risk Assessment and Management: Framework for Decision Making, December 1984, S. 14 f. 16 Priddat, Risiko, Ungewißheit und Neues, S. 105 ff.; Pfaundler, UPR 1999, S. 366, (338). 12 13

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Kap. 2: Die Gentechnologie als Regelungsgegenstand

bevor er ihn wirft. Solche uneindeutigen Unsicherheiten werden im folgenden auch als Ungewißheit bezeichnet.

3. Die juristische Erfassung und der Umgang mit Risiko Die juristische Erfassung und der Umgang mit Risiko wirden üblicherweise in die Bereiche Risikoabschätzung, Risikobewertung und Risikomanagement unterteilt.

a) Risikoabschätzung

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gab es kaum Diskussionen um ein umfassendes Konzept für Risikoanalysen, 17 bis sich aus den Bewertungen großtechnischer Anlagen über die operations research die systems analysis und das technology assessment l8 als bloße Technikfolgenforschung entwickelten. Solche TechnologieAssessment-Studien, die mitunter auch schon als "Risikoabschätzung" bezeichnet wurden, dienen der Berechnung des Gesamtrisikos einer bestimmten Substanz oder Technologie zum Zweck der Festlegung von Handlungsprioritäten in den Regelungsbehörden. 19 Wenn solche Berechnungen technikinduzierte Folgenabschätzungen in Gestalt von Kosten-Nutzen-Abschätzungen aktueller Innovationen zum Gegenstand haben, werden sie als Technologie-Assessment der ersten Generation bezeichnet. Mit einer solchen Strategie arbeitete beispielsweise auch die EnqueteKommission des Deutschen Bundestages "Chancen und Risiken der Gentechnologie" im Jahre 1987. 20 Technologie-Assessments der zweiten Generation sind solche, die statt einer reaktiven Folgenabschätzung auch präventiv verschiedene Entwicklungsaltemativen der wissenschaftlich-technischen Entwicklung mitberücksichtigen. 21 Aus diesen Technikfolgenabschätzungen entwickelte sich eine eigenständige Forschung zur Risikoabschätzung (risk assessment) als rein technisches InstruBanse. S. 35. Vgl. für die Vereinigte Staaten: Technology Assessment Act 1972 (2 USC §§ 471481), der das Office of Technology Assessment einrichtete, das jedoch 1995 wieder geschlossen wurde (2 USC § 472.); dazu Schevitz. Einige Aspekte der Geschichte und der Arbeit des United States Office of Technology Assessment, in: Petermann (Hrsg.), Technikfolgenabschätzung als Technikforschung und Politikberatung, S. 225 ff.; für Deutschland: Paschen. Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag: Ein neues Instrument wissenschaftlicher Politikberatung. in: KfK-Nachrichten 25 (1993). S. 158 ff. 19 Vgl. Rodgers. S. 55. Beispielsweise wurden 1.400 kontaminierte Grundstücke, sogenannte "Superfund"-Sites, in einer nationalen Prioritätenliste aufgrund ihrer Gefährlichkeit eingestuft (ebd., S. 56). 20 Siehe oben Kapitel 2, Fn. 7. 21 Bonß/Hohlfeld/Kollek, S. 10. 17

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I. Begriffsbestimmungen

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ment, das nicht nur zur Bewertung ganzer Technologien, sondern auch zur Bewertung einzelner Handlungen, wie etwa gentechnischer Freisetzungen, eingesetzt werden kann. In diesem Sinne soll der Begriff auch in der vorliegenden Studie verwandt werden. Demnach dient die Risikoabschätzung lediglich der wertneutralen, objektiv wissenschaftlichen Analyse von Risiko anhand naturwissenschaftlicher Informationen. Mit ihrer Hilfe werden die faktischen Grundlagen identifiziert, anhand derer die Wahrscheinlichkeit bestimmt werden soll, daß potentiell gefährliche Tatigkeiten oder Substanzen negative Auswirkungen haben. 22 Deshalb wird die Risikoabschätzung mitunter auch Risikobestimmung oder Risikoanalyse genannt. 23 Der Wahrheitsbeweis soll möglichst durch akkurate mathematische oder sonst quantitative, mitunter aber auch durch qualitative Methoden, geführt werden. 24 Probabilistische Sicherheits- und Zuverlässigkeitsanalysen zur Beschreibung des Verhältnisses von Einwirkungsweise und Auswirkungen (wie etwa Dosis-Reaktionsanalysen) gehören zum Instrumentarium der Risikoabschätzung. 25 Probabilistische Analysen quantifizieren Eintrittswahrscheinlichkeiten durch Verhältnisse (z. B. 1:1 Mio.), oder Prozentsätze (z. B. 10-6 %). Die Risikoabschätzung, die rein technisch vor allem die "traditionellen" technischen Risiken beschreiben kann, setzt voraus, daß der praktische Schaden bemeßbar ist, daß man die Risikofolgen individuell zurechnen kann, und daß die Ursachen und Folgen von Schäden in räumlicher und zeitlicher Hinsicht eingrenzbar sind. Insbesondere dort, wo verläßliches empirisches Datenmaterial fehlt, ist es zur Risikoabschätzung notwendig, neben den genannten rein faktischen Grundlagen wissenschaftlich abgesicherte Annahmen und Theorien zu verwenden, um sinnvolle Bestimmungen der Größen vorzunehmen. 26 Ergebnis der Risikoabschätzung für eine gentechnische Freisetzung ist eine Aussage, die das Risiko bei der Durchführung einer Freisetzung deutlich macht, ohne eine Entscheidung über das "Ob" der Freisetzung zu fallen.

b) Risikobewertung

Von der rein naturwissenschaftlichen Risikoabschätzung ist die normative Risikobewertung zu unterscheiden. 27 Sie schließt sich an die Risikoabschätzung an und enthält eine Gewichtung und Abwägung der erkannten Tatsachen, der Er22 Grundsätzlich ähnlich National Research Council, Managing the Process, S. 3; vgl. OECD 1993, S. 12 23 Breuer, NuR 1994, S. 157 (160); Murswiek, VVDStRL 48 (1990), S. 207 (208 ff., 211 ff.). 24 Mitunter werden nur quantitative Methoden anerkannt; Murswiek, VVDStRL 48 (1990), S. 207 (208 ff., 211 ff.). 25 Rodgers, S. 55. 26 Vgl. die Feststellungen des National Research Council, Managing the Process, S. 151. 27 Breuer; NuR 1994, S. 157 (160).

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Kap. 2: Die Gentechnologie als Regelungsgegenstand

kenntnisdefizite sowie der berührten Belange der Allgemeinheit und führt aufgrund eines normativen Prozesses zu einer Entscheidung. Es handelt sich um den Teil der Freisetzungsentscheidung, bei dem die objektiven Daten verarbeitet und in sozial angemessene Entscheidungen umgewandelt werden. 28 Die Risikobewertung stellt das Bindeglied zwischen wissenschaftlichem Sachverstand und der staatlichen Entscheidung über die Zulassung einer neuen Technologie dar. 29 Abzugrenzen ist die Risikobewertung in dem hier gebrauchten Sinne von thematisch verwandten Disziplinen, wie Wissenschaftsforschung, Technikforschung oder der Risikosoziologie mit ihren Unterabteilungen der Organisationssoziologie oder der sozialpsychologische Akzeptanzforschung, obwohl auch diese Wissenschaften für die Risikobewertung wertvolle Erkenntnisse liefern können und zum Teil auch maßgebliche Disziplin zur Beantwortung der Frage nach der unterschiedlichen legislativen Aufmerksamkeit für die Gentechnik von seiten der Politik in den Vereinigten Staaten und in Deutschland sein dürfte?O

c) Risikomanagement

Die OECD gebraucht eine enge, eher naturwissenschaftlich orientierte Definition von Risikomanagement. Danach beschreibt dieser Begriff die Art der Anwendung angemessener Mittel, um die wissenschaftlich festgestellten Risiken zu minimieren. Risikomanagement steht danach grundsätzlich in engem Bezug zu den Ergebnissen der Risikoabschätzung und beinhaltet keine soziopolitischen Wertungen. 31 Demnach kommen als Mittel des Managements etwa verschiedene Arten der Isolierung von Organismen in Betracht, soweit sie nicht nur aus einer einfachen physikalischen Einschließung (Containment) bestehen. Bei der Konferenz von Asilomar wurde anstelle des sogenannten "physikalischen Containments" das sogenannte "biologische Containment" propagiert, bei dem Gene nur aus solchen biologischen Systemen eingeführt werden, die sich außerhalb der künstlichen, nur im Labor zu schaffenden Umgebung nicht vermehren können?2 In der vorliegenden Studie soll jedoch ein rechtspolitisch ausgerichteter Begriff des Risikomanagements zugrundegelegt werden, der das Verfahren des Abwägens von alternativen Regelungspolitiken und der Auswahl einer angemessenen Regulierungsmaßnahme zur Reduzierung des Risikos auf ein zumutbares Maß bezeichnet. 33 Risikomanagement beinhaltet die Entwicklung von Strategien zur Reduzie28 Silbergeld. Risk Assessment, S. 99. Zu den Problemen der Trennung zwischen volitiver Willensbildung und rationaler Kognition vgl. Denninger, S. 124 f. 29 Vgl. Breuer, NuR 1994, S. 157 (160). 30 Vgl. Breyer, S. 1. 31 OECD 1993, S. 9. 32 Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie", BT-Drs. 10/6775, S. 195; ausführlicher § 725.3 der TSCA-Regeln 1997.

11. Die Herausforderung der Gentechnik an das Rechtssystem

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rung von Risiken und zur Vorbeugung gegen Risiken. Dabei werden die Ergebnisse der Risikoabschätzung, einschließlich der festgestellten Ungewißheiten,34 sowie weitere technische Daten und soziale, ökonomische und politische Belange berücksichtigt, um eine Entscheidung zu treffen?5 Diese Entscheidung ist ebenfalls politischer Natur, weil Werturteile über die Vor- und Nachteile von schädlichen Umweltauswirkungen und anderen Auswirkungen behördlichen Handeins gefällt werden müssen?6

11. Die Herausforderung der Gentechnik an das Rechtssystem In den Begriffsbestimmungen deutet sich bereits an, daß der Umgang mit der Gentechnologie, insbesondere die Entscheidung über eine Freisetzung, nicht nur gesellschaftliches Konfliktpotential birgt, sondern auch juristische Probleme aufwirft. Weil sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland die politische Entscheidung über das "Ob" der Gentechnologie längst gefallen ist,37 stehen beide Rechtssysteme jetzt vor der Herausforderung, ein juristisches Instrumentarium zur angemessenen Berücksichtigung von Chancen und Risiken der Gentechnologie zu entwickeln. Dabei sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, welche die Gentechnik von anderen Regelungsgegenständen unterscheidet.

1. Neuartige Schadensverläufe und das Ausmaß möglicher Schäden Die potentiell schädlichen Auswirkungen, die gentechnisch veränderte Organismen auf ein fein abgestimmtes Ökosystem haben können, erreichen ein extrem hohes Ausmaß. Gentechnische Veränderungen haben das Potential, Mutationen in Mikroorganismen, Pflanzen, Tieren und sogar Menschen hervorzurufen. Sie können bei der Fortpflanzung mutieren, konjungieren und sich multiplizieren. 38 Magnifizierung, Feedback sowie sekundäre und tertiäre Reaktionen spielen dabei eine 33 VgJ. auch Maine Commission Biotechnology and Genetic Engineering, Final Workplan (15. Januar 1990), S. 4, wie zitiert in: Vito, State Biotechnology Oversight: The Juncture of Technology, Law, and Public Policy, Maine Law Rev. Bd. 45 (1993), S. 329 (377), Fn. 244. 34 EPA, Risk Assessrnent, Exposure Pathways to Hurnans, S. I. 35 Siehe National Research Council. Managing the Process, S. 3. 36 Ähnlich der National Research Council, Managing the Process, S. 151. 37 Zu der Entstehung der Gentechnik und anfangliche Diskussionen über Moratorien, sowie die Grundsatzentscheidungen der Konferenz von Asilornar vgl. Winter, Grundprobleme, S. 1-11; Dederer, S. 180 ff. 38 National Science Foundation, Suitability and applicability of risk assessrnent rnethods, S.34.

3 Pohl

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Kap. 2: Die Gentechnologie als Regelungsgegenstand

bedeutende Rolle?9 Daher kann auch die nicht ausreichend kontrollierte Freisetzung nur kleinster Mengen veränderten genetischen Materials wegen der komplexen Eigendynamik bei der Vermehrung des veränderten Genmaterials zu katastrophalen Folgen führen. Wenngleich solche Folgen nur schwer vorhersehbar sind, können schädliche Auswirkungen nicht ausgeschlossen werden, weil bislang niemand mit Bestimmtheit sagen kann, welche Elemente ein Ökosystem ausmachen. Die Kausalverläufe werden komplexer und können teilweise nur durch das Zusammentreffen verschiedener Ereignisse voll realisiert werden oder realisieren sich erst in ihren Langzeitwirkungen. 4o Dies gilt allerdings für exotische Organismen ebenso wie für gentechnisch veränderte Organismen. Als Beispiel sei etwa der Fall des falschen Mehltaus des Tabaks (Peronospora tabacina) genannt, der 1959 nach einer versehentlichen Freisetzung in England über Holland nach Deutschland gelangte, wo er Tabakkulturen sChädigte. 41 Allerdings besteht auch im Chemikalienrecht das Problem, daß Verhalten und Wirkung einer neu synthetisierten chemischen Substanz schlecht vorauszusehen sind. Trotzdem verursacht die falschliche Freisetzung einer toxischen Chemikalie immer noch ein nur begrenztes Risiko, weil die Auswirkungen der Chemikalie meist geographisch begrenzt sind. Ursachen und Folgen sind bei den traditionellen Technologien häufig eingrenzbar, weil praktische Erfahrungen und Vergleichsdaten vorliegen und Theorien über wissenschaftliche Zusammenhänge durch praktische Versuche überprüft werden können. Dabei können Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadensumfange um so objektiver bemessen werden, je größer die Zahl der empirisch ausgewerteten Ereignisse ist. Mit einer Verbesserung der Berechnungsmethoden bildete sich zusätzlich als Grenzwert für die Akzeptanz einer Technologie die Vorstellung heraus, daß man ,absolute Sicherheit' herstellen könne. 42 Die neuartige Qualität gentechnischer Risiken im Vergleich zu anderen Technologien wie etwa der Nukleartechnologie liegt dabei unter anderem darin, daß die Wirkungen der Gentechnologie nicht zeitlich und räumlich eingrenzbar und die Verantwortlichen oft nicht lokalisierbar sind. Risiken entstehen daher ohne Rücksicht auf ihren Entstehungsort global. 43 Ein Fehlschlag könnte irreversibel und schlecht kompensierbar sein und wäre daher gegenwärtig sowie gegenüber zukünftigen Generation nur schwer zu verantworten. Insbesondere gentechnisch veränderte Mikroorganismen stellen eine besondere Herausforderung dar, da sie wegen ihrer geringen Größe schwer nachweisbar und damit faktisch nach einer Freisetzung nicht rückholbar sind. Sie können leicht durch verschiedene Medien transportiert werden und extrem schnell hohe Popula39 Rodgers, S. 35. Ebenso hinsichtlich synergistischer Effekte: Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie", BT-Drs. 10/6775, S. 1986. 40 Banse, S. 33. 41 ReitinglKianiiSchmidt, S. 7. 42 Vgl. Banse, S. 32. 43 Borif31 Hohlfeldl Kollek, S. 3.

11. Die Herausforderung der Gentechnik an das Rechtssystem

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tionsdichten erreichen. Beispielsweise konnten laut einer vom Umweltbundesamt in Auftrag gegebenen Studie Übertragungen gentechnisch veränderter Mikroorganismen von Tier zu Tier, von Tier zu Mensch und von Pflanze zu Pflanze nachgewiesen werden. 44 Zwar befanden sich nach dem Versuch gentechnisch veränderte Mikroorganismen auch in nicht-Ziel-Insekten, allerdings blieb unklar, ob veränderte Vektoren oder landwirtschaftliches Gerät die Übertragung bewirkt hatten. 45

2. Gentechnikspezifische Risiken

Neben den genannten Besonderheiten möglicher Schäden und Phänomene durch gentechnisch veränderte Organismen, die bei der rechtlichen Behandlung der Technologie zu berücksichtigen sind, wird mitunter die Betrachtung auf sogenannte gentechnikspezifische Risiken beschränkt. 46 Per definitionem versteht man darunter Risiken, die in ihrer Ausprägung und in ihrem Ausmaß eine Besonderheit gentechnisch veränderter Organismen darstellen.

a) Positionseffekte und Kontextstörungen bei rekombinierten Genen

Unter den Positionseffekten und Kontextstörungen sind die unterschiedlichen Wirkungsweisen eines Gens, das heißt eines Abschnitts auf dem molekularen Erbinformationsstrang DNS, zu verstehen, welche davon abhängen, in welchem genetischen, zellulären oder phylogenetischen Kontext das Gen eingebunden ist, insbesondere soweit sich Transgene unspezifisch in eine DNS integrieren. 47 Denn obwohl ein Gen stets in ein bestimmtes Protein in dem zugehörigen Lebewesen übersetzt wird und es somit grundsätzlich eine bestimmte regulatorische Funktion hat, kann dieses Protein unterschiedliche Funktionen in einer Zelle wahrnehmen, und die Aktivität des Gens kann sich auf die Interaktion verschiedener Organismen unterschiedlich auswirken. Weil somit dasselbe Gen verschiedene biologische Wirkungen mit unterschiedlicher ökologischer Relevanz beeinflussen kann, wird davon ausgegangen, daß eine vollständige biochemische Beschreibung eines Gens neben der rein chemischen Analyse des Gens zumindest noch räumliche und zeitliche Faktoren berücksichtigen muß. Wissenslücken bestehen auch noch hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Umwelteinwirkungen und Wirtspflanzen einer44 Bende/LOpez-Pila, S. 209; siehe auch Levin/Strauss, Risk Assessment in Genetic Engineering, S. 163 ff. 45 Bende/LOpez-Pila, S. 208. 46 So etwa Dederer; S. 44 ff. (49), im Anschluß an: van den Daele / Pühler / Sukopp, die jedoch nur spezifische Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen, nicht aber von Mikroorganismen behandeln. 47 Wagner Pfeifer; S. 23 (48).

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seits und der Expression der Transgene andererseits. 48 Allerdings konnte eine verläßliche Theorie, die in der Lage ist, die Beziehungen zwischen den funktionalen Effekten eines Gens und ihrer Anordnung im Genom umfassend zu beschreiben, bislang noch nicht formuliert werden. 49 Zwar sind Positionseffekte insofern keine spezifisch gentechnischen Probleme, als sie auch bei traditionellen Züchtungsmethoden zu beobachten sind,5o jedoch ist gerade im Bereich der Gentechnik die Einflußgröße der Synergie, in Form von Positionseffekten bei Molekülen und von Interaktionen zwischen Organismen, besonders zu beachten. 51 Grundlegende Unterschiede zu traditionellen Züchtungsmethoden liegen allerdings vor allem in der Zeitdimension und Geschwindigkeit der Veränderungen. 52 Hinzu kommt die Intensität der Veränderungen, denn mit Hilfe der Gentechnologie können Rekombinationen grundsätzlich schneller, mit einer neuen Reichweite und insbesondere auch artübergreifend in einer Weise vorgenommen werden, in der sie sich unter natürlichen Bedingungen nicht entwickeln würden und nicht mit traditionellen Methoden erreicht werden könnten. 53 In diesem Zusammenhang sei die in den Vereinigten Staaten genehmigte Freisetzung von Tabakpflanzen genannt, die ein Metallothionein-Gen ausprägen, das von der Maus stammt. 54 Zwar sind Erbgutveränderungen durch die Gentechnologie mit erhöhter Präzision möglich, und es entstehen potentiell besser vorhersehbare Organismen, 55 andererseits kann aber auch eine größere Vielfalt von Genen in einen Organismus eingefügt werden, was zu weiteren Bedenken führt, sofern keine Erfahrung mit der Kombination von Genen verschiedener Herkunft besteht. 56 Außerdem zeigen sich bei gentechnisch veränderten Organismen häufiger unerwartete Effekte als bei konventionallen Züchtungen. 57 Folglich sind Positionseffekte zwar nicht nur in der Gentechnik zu beobachten, sie müssen hier jedoch in besonderem Maße bei Risikoerwägungen berücksichtigt werden. 48 49

Bonß/Hohlfeld/Kollek. S. 21 ff.; Brinkler, S. 126. Ebd.

50 Dies betont Dederer, S. 34 ff., im Anschluß an Weber, S. 11 ff., 72 ff.; allerdings können die Befunde für herbiszidresistente Pflanzen nicht ohne weiteres auf alle denkbaren Arten von gentechnisch veränderten Organismen verallgemeinert werden. Daran ändern auch weitere Differenzierungen wie "gentechnikspezifischen Risiken im eigentlichen Sinn" (Dederer, S. 44, Fn. 211) nichts. 51 Rodgers. S. 35; ebenso hinsichtlich synergistischer Effekte: Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie", BT-Drs. 10 /6775, S. 1986. 52 Sukopp. Resümee des Fachgespräches, S. 225. 53 Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie", BT-Drs. 10/6775, S. III; Wagner Pfeifer, S. 47; ähnlich: JÖrgensen. Rechtliche Probleme der Freisetzung von Gentechnisch veränderten Organismen, S. 24; TIedje. et al.. S. 310 - 311; Umweltbundesamt, Beitrag, S. 144. 54 Siehe Fed. Reg. Bd. 55, 27. Juli 1990, S. 30729. 55 Wagner Pfeifer, S. 46; von Schell. S. 457 ff. 56 OECD. Safety Considerations for Biotechnology: Scale-Up ofCrop Plants, 1993, S. 7. 57 Lips. S. 148.

11. Die Herausforderung der Gentechnik an das Rechtssystem

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b) Physiologische Veränderungen transgener Organismen

Neben den beabsichtigten Veränderungen kann die gentechnische Veränderung auch unbeabsichtigte physiologische Veränderungen transgener Organismen, insbesondere Nebenwirkungen auf den Stoffwechsel des betroffenen Organismus haben. Weil dies auch bei herkömmlich gezüchteten Organismen der Fall sein kann, wären gentechnikspezifische Risiken nur im Fall vermehrter Nebenwirkungen gegeben. Das Risiko müßte auch höher angesetzt werden, wenn aus den Eigenschaften des übertragenen Gens nicht die zu erwartenden Nebenwirkungen vorhergesagt werden könnten. Nach dem bisherigen Stand der Wissenschaft ist es offenbar nicht möglich, allgemeine Aussagen darüber zu machen, ob physiologische Veränderungen in gentechnisch veränderten Pflanzen häufiger vorkommen als in herkömmlich gezüchteten Pflanzen. 58 c) Unerwünschter horizontaler oder vertikaler Gentransfer

Unter vertikalem Gentransfer ist die Weitergabe von genetischer Information an die nächstfolgende Generation zu verstehen. Unerwünscht ist dieser Effekt zumindest dann, wenn die Übertragung auch verwandte Wildstämme betrifft. Neuere Forschungen mit Raps deuten an, daß in der Abschätzung der Ausbreitung von verändertem Genmaterial von Kultur- auf Wildpflanzen Fortschritte gemacht wurden. 59 Ernster genommen werden müssen jedoch die Risiken des horizontalen Gentransfers, also der Übertragung von Erbgut aus einem gentechnisch veränderten Organismus über Vektoren wie Viren und Plasmide in einen anderen Organismus, mit dem der veränderte Organismus nicht kreuzbar ist. 60 Bedeutung gewinnt das Risiko eines Gentransfers, weil so die bestehende Flora und Fauna beeinträchtigt werden kann, was über die Veränderung einzelner Organismen weitgreifendere ökologische Auswirkungen nach sich ziehen könnte. 61 Das Phänomen des horizontalen Gentransfers kommt in der Natur äußerst selten vor und verläuft nach Regeln, welche die Wissenschaft bis dato noch nicht erschlossen hat. 62 Die Wahrscheinlichkeit des horizontalen Gentransfers zwischen Nutzpflanzen und verwandten Nutz- oder Wildpflanzen wurde in einem umfangreichen Programm der EG untersucht. Es ergab sich, daß im Rahmen gentechnischer Veränderungen mitunter mit den Plasmiden Gene transportiert werden, die in der zu verändernden Art noch Böger; S. 126 (155). OECD, Field Releases of Transgenic Plants 1986-1992, 1993, S. 20; Nature Bd. 380 (1996), S. 94. 60 Lopez Pi/al Heitmannl Seeber I Kopecka, S. 434 -438; Wagner Pfeifer; S. 51. 61 OECD, Safety Considerations for Applications of Recombinant DNA Organisms in Industry, Agriculture and the Environment, 1986, S. 38; "Gentechnik auf dem Acker bleibt ein Risiko - Studie untersucht Erfahrungen in den USA" in: Allgemeine Zeitung vom 11. I. 1999. 62 Vgl. Diskussion in: BartschlSukopp, S. 235; Heidenreich, Horizontaler Gentransfer, S. 221 (225). 58

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nicht vorgekommen sind und während der Evolution noch nicht auf dem neuen genetischen Hintergrund getestet worden sind. Die Risiken wurden dabei unterschiedlich eingeschätzt, je nachdem, welches Gen migriert und welche Pflanze genutzt wird; Generalisierungen sind nicht rnöglich. 63 Auch bei Pflanzen mit gentechnisch erzeugter Herbizidresistenz konnte unter bestimmten Umständen ein erhöhter Gentransfer auf Bodenbakterien festgestellt werden. 64 Die Ausbreitung von Fremdgenen von transgenen Pflanzen auf verwandte wilde Pflanzensorten kann somit nicht ausgeschlossen werden. 65 Besondere Beachtung muß der horizontale Gentransfer bei Freisetzungen von Pflanzen finden, deren verändertes Genom Toxine gegen Insekten kodiert, und mit denen zumindest in Deutschland noch geringe Erfahrungen bestehen. 66 Aber dariiber hinaus ist insbesondere bei gentechnisch veränderten Mikroorganismen das Risiko eines horizontalen Gentransfers in jedem Fall zu beriicksichtigen. 67

d) Verwilderung transgener Organismen

Weitere Risikofaktoren sind in der Möglichkeit der Verwilderung transgener Organismen und deren ökologischer Auswirkungen zu sehen. Im Beispiel von gentechnisch manipulierten Pflanzen wäre daran zu denken, daß sie sich weit über ihren vorgesehenen kultivierten Anwendungsbereich hinaus in der Natur ausbreiten und natürliche Organismen verdrängen. Weil aber die Entstehung von Unkräutern auch bei der herkömmlichen Pflanzenzüchtung zu beobachten ist, muß auch hier gefragt werden, ob bei transgenen Pflanzen eine Auswilderung wahrscheinlich ist. Nach derzeitiger wissenschaftlicher Erkenntnis ist noch nicht sicher zu sagen, ob die Gentechnologie vermehrt solche Veränderungen einer Pflanze ermöglicht, die sich auf die Auswilderungsfähigkeit auswirken. 68 Falls jedoch eine erhöhte Auswilderungsgefahr bestehen sollte, stellt sich die weitere Frage, ob trans gene Organismen ein größeres ökologisches Durchsetzungsvermögen (Fitness) aufweisen oder dieses schneller evolutionär entwickeln können als herkömmlich gezüchtete Organismen. Noch komplizierter als bei gentechnisch veränderten Pflanzen ist die Situation bei der Freisetzung von Mikroorganismen. Diese naturwissenschaftliche Ebd., S. 234; Brinkler, S. 126. Broer / Pühler, S. 11 (80); Umweltbundesamt, Beitrag, S. 86; allerdings soll ein horizontaler Gentransfer zwischen transgenen Pflanzen und Mikroorganismen äußerst unwahrscheinlich sein (NZZ vom 14. Februar 1996, S. 41). 65 Ebenso: NZZ vom 20. März 1996, S. 41; BioTeCH forum 1/96, S. 6. 66 Vgl. Jörgensen/Winter, ZUR 1996, S. 294. 67 Wilson/Lindow, Release of Recombinant Microorganisms, in: Annual Review of Microbiology Bd. 47 (1993), S. 913 (934). 68 Dieser Effekt wird befürchtet, siehe etwa Alfred Pühler von der Universität Bielefeld in einem Bericht im Auftrag des UBA vom Mai 1998 wie zitiert in: Süddeutsche Zeitung, vom 8. September 1998 (",Gen-Kartoffeln' außer Kontrolle"); zum Streitstand vgl. Dederer, S. 41, Fn. 193. 63

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Komplexität führt dazu, daß gegenwärtig nicht zuverlässig festgestellt werden kann, ob gentechnikspezifische Risiken existieren. 69 Illustrativ sei nur darauf hingewiesen, daß ein Drittel aller Pflanzenschädlinge importierte Arten sind, die in eine Umgebung gebracht wurden, die für sie keine historischen oder biologischen Begrenzungen enthielt. 70

e) Ökologische und evolutionäre Auswirkungen als Langzeiteffekt

Neben der Entstehung von pathogenen oder virulenten Stämmen oder toxischen Wirkungen werden in der wissenschaftlichen Diskussion negative Auswirkungen von gentechnischen Modifikationen auf die Ökosysteme befürchtet. 71 Dies kann der Fall sein, wenn gentechnisch veränderte Organismen durch einen selektiven Vorteil die Artenzusammensetzung verschieben und dadurch Veränderungen in essentiellen Kreisläufen oder anderen Eigenschaften eines Ökosystems auslösen. 72 Insbesondere könnten ein exzessives Populationswachstum an transgenen Organismen oder eine Veränderung des manipulierten Organismus in der Umwelt (Mutation) aufgrund ihrer komplexen Eigendynamik die bestehende Flora und Fauna beeinträchtigen und zu nachhaltigen ökologischen Auswirkungen führen,73 wobei auch ökosystemale Zusammenbrüche nicht ausgeschlossen werden können. 74 Als Folgenwirkungen der Herbizidresistenz kommen die Einengung der Fruchtfolgen der Nutzpflanzen, Einschränkung der Artenvielfalt und Auswirkungen auf die Akkerbegleitflora in Betracht. Zudem wirken sich Störungen in Ökosystemen möglicherweise erst nach Jahrzehnten oder gar nach Jahrhunderten aus. 75 Obwohl herkömmlich gezüchtete Organismen ebenso wie auch trans gene Organismen auf den evolutionären Prozeß Einfluß nehmen, sind spezifische Risiken zumindest insoweit zu berücksichtigen, als bestimmte Organismen nur mit Hilfe der Gentechnik erzeugt werden können. Zudem sind ökologische und evolutionäre Auswirkungen besonders hohen Ausmaßes "denkbar, weil bei gentechnischen Veränderungen eine größere Anzahl Reiting / Kianil Schmidt, S. 8. Winston, S. 1 ff. 71 Kovarik, S. 67 -71; Umweltbundesamt, Beitrag, S. 144; "Gen-Kartoffeln" außer Kontrolle, Süddeutsche Zeitung Nr. 206 vom 8.9. 1998; Skorupinski, B., Gentechnik und ethische Urteilsbildung - ein Beispiel aus der Landwirtschaft, in: Schallies, M.I Wachlin, K. 0., Biotechnologie und Gentechnik, Neue Technologien verstehen und beurteilen, Berlin u. a. 1999, S. 131 (134). 72 Für viele Bende / LOpez-Pila, S. 170; weiter differenzierend: Weber, S. 4; Novick, Bd. 3, S.18-11. 69

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73 Vgl. OECD, Safety Considerations for Applications of Recombinant DNA Organisms in Industry, Agriculture and the Environment, 1986, S. 38; Näh, ZUR 1999, S. 12 (14). 74 Vgl. ähnlich Weber, S. 33.

75 Siehe Sukopp/Sukopp, S. 267 ff.; Umweltbundesamt, Beitrag, S. 87; Näh, ZUR 1999, S. 12 (14).

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von Merkmalen eines Organismus gleichzeitig verändert werden können. Pflanzenzüchter hatten bislang keine unlösbaren Probleme, wenn nur einzelne Charakteristika einer Pflanze verändert wurden. Wenn jedoch zahlreiche Charakteristika geändert werden, entsteht eine ähnliche Situation wie bei der Einführung völlig neuer Pflanzen in eine neue Umgebung. 76 Eine solche Einführung kann zu Komplikationen führen, was sich etwa bei der Einführung der Kastanien-Braunfäule (chestnut blight) und des Schwammspinners in die Vereinigte Staaten zeigte, die dort zuvor nicht vertreten waren, und erhebliche ökologischen Probleme verursachten. 77 Dabei ist das Verhalten von Organismen, die Gene von anderen Pflanzen oder Tieren enthalten, weniger vorhersehbar als das Verhalten von Organismen, die mit genetischem Material derselben Art gezüchtet wurden. Wissenschaftler bestätigen, daß bei "Organismen mit neuen Kombinationen von vererblichen Merkmalen eine größere Wahrscheinlichkeit besteht, daß sie neue ökologische Rollen spielen.,,78

3. Defizite und zeitliche Dimension der Erkenntnis über Risikofaktoren

Wie gezeigt, werden die Risiken der Gentechnik in verschiedenen Kategorien von naturwissenschaftlichen Auswirkungen vermutet und analysiert, wobei für einige Auswirkungen weniger und für andere mehr Anhaltspunkte bestehen. Zudem unterscheiden sich die Auswirkungen und auch der Kenntnisstand über die möglichen Auswirkungen bei verschiedenen gentechnisch veränderten Organismenarten, wie etwa bei Pflanzen oder Mikroorganismen. Dabei ist davon auszugehen, daß sich mit dem Fortschreiten wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Gentechnologie einige der vermuteten Auswirkungen hinsichtlich eines Teils der Organismenarten bestätigen werden, während sie hinsichtlich eines anderen Teils womöglich widerlegt werden können. Letzteres belegen zahlreiche Feldversuche, die bisher insbesondere in den Vereinigten Staaten, aber auch in Europa, mit gentechnisch veränderten Kulturpflanzen erfolgreich durchgeführt wurden und sich nur auf eine geringe Anzahl von Pflanzenarten und Modifikationen bezogen. Allerdings rechtfertigen solche einzelnen Befunde keine Verallgemeinerungen dahingehend, daß von derartigen Auswirkungen generell in der gesamten Technologie nicht auszugehen sei. 79 Denn bereits gentechnisch veränderte Mikroorganismen sind anders zu 76 Gerlach, S. 21; Kovarik/Sukopp, Ökologische Folgen der Einführung neuer Pflanzenarten, in: Gentechnologie Bd. 10 (1986), S. 111 ff.; Novick, Bd. 3, S. 18-11 77 Novick, Bd. 3, S. 18-12. 78 Ebd., S. 18-11: "völlig neue Organismen". 79 Jedenfalls kann nicht daraus, daß in einem in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführten Verfahren zur Technikfolgenabschätzung (vgl. den Schlußbericht zu diesem Verfahren: van den Daele/Pühler/Sukopp, S. 1 ff.) mögliche Schäden durch Kulturpflanzen mit gentechnisch erzeugter Herbiszidresistenz nicht spezifiziert werden konnten, geschlossen

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behandeln als veränderte Pflanzen. Auch dürften einzelne Modifikationen als weniger problematisch einzuschätzen sein als andere. Das Grundproblem bei dem rechtlichen Umgang mit einer sich entwickelnden Technologie wie der Gentechnik liegt daher in dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisdefizit, das von dem beträchtlichen Mangel an Daten über das Verhalten gentechnisch veränderter Organismen herrührt; insbesondere fehlt Erfahrungswissen über die Arten und Richtungen ihrer Umweltauswirkungen. 8o Über die Kontrollierbarkeit potentieller Risiken gentechnischer Freisetzungen besteht unter Wissenschaftlern noch kein Konsens. 81 Die Unsicherheit über die ökologischen Auswirkungen betrifft die Dimension des Gesamtrisikos, die Vorhersage des Schicksals einzelner Organismen und die Beachtlichkeit ökologischer Auswirkungen, soweit sie bekannt sind. 82 Im Zusammenhang mit der Umweltverträglichkeitsprüfung hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, "daß die Einsicht in das Wirkungsgefüge zwischen den einzelnen Umweltfaktoren vom Stand der Erkenntnis und der Erkenntnismöglichkeiten abhängt, der derzeit noch lückenhaft ist".83 Dabei können die Wissensdefizite im Bereich der Gentechnologie nicht wie etwa bei der Kernenergie dem Bereich des Risikos im Sinne naturwissenschaftlicher Unsicherheit zugeordnet werden. Da es kaum definitives Wissen über die komplexe Eigendynamik manipulierter Organismen und über ihre Wechselwirkungen mit der Umwelt gibt,84 ist das Risiko der meisten denkbaren Freisetzungen nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft noch nicht quantifizierbar. 85 Probabilistische Analysen und andere etablierte Verfahren zur Präzisierung und Minimierung der Schadenswahrscheinlichkeit sind für Freisetzungsversuche im Gentechnikrecht zumindest bislang weitgehend ungeeignet,86 insbesondere weil eine hinreichend große Zahl vergleichbarer Ereignisse fehlt und empirische Beobachtungen zu biologischen Zusammenhängen für zahlreiche Aspekte gentechnischer Freisetzungen werden, daß gentechnikspezifischen Risiken für alle Arten von Organismen und Modifikationen generell auszuschließen sind; a.A. offenbar Dederer; S. 44. 80 Für viele: Kloepfer; Umweltrecht, Rn. 1037; JörgensenlWinter; ZUR 1996, S. 296; vgl. National Research Council, Managing the Process, S. 20-28; Bohne, NVwZ 1999, S. 1 (4); Brinkler; S. 1 ff. 81 SchweizerlCalame, RIW 1997, S. 34,45. 82 Novick, Bd. 3, S. 18-4. 83 BVerwG, NVwZ 1996,788,791; Novick, Bd. 3, S. 18-14, der jedoch Lösungen in empirischen und pragmatischen Ansätzen sucht. 84 BonßlHohlfeldlKollek, S. 19; Allen, The Current Regulatory Framework for Release of Genetically Altered Organisms into the Environment, in: Florida Law Review Bd. 42 (1990), S. 531 (544); Vito, State Biotechnology Oversight: The Juncture of Technology, Law, and Public Policy, Maine Law Rev., Bd. 45, 1993, S. 329 (350). 85 Für viele: Bum, S. 32; Ecological Society of America, The Release of Genetically Engineered Organisms: A Perspective for the Ecological Society of America, in: Ecology Bd. 70 (1989), S. 298 (300 f.). 86 Breuer; NuR 1994, S. 157(159); Seiler; S. 147.

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nicht zureichend sind. 87 Die klassische, auf der Multiplikation von Schadenswahrscheinlichkeit und Größenordnung basierende Risikoformel versagt für die Kontrolle von gentechnisch veränderten Organismen,88 weil das Risiko, das bei gentechnischen Versuchen auftritt, völlig neuer Natur ist. 89 Dabei bestehen Unsicherheiten nicht nur mangels Sachverhaltsaufklärung, sondern auch die naturwissenschaftliche Regeln, unter die der Sachverhalt fällt, sind unbekannt. 90 Teilweise wird sogar behauptet, daß die traditionellen Methoden der Risikoabschätzung und Systemanalyse als Versuch, komplexe Zusammenhänge wie die Auswirkungen der Gentechnologie in umfassender Art und Weise rational zu erfassen, von dem relativiert werden, was in der Literatur als Chaos-Theorie91 bekannt ist. 92 Zumindest existieren bislang noch keine ausreichend verläßlichen Prognosemodelle und anerkannte Methoden der Risikoabschätzung. 93 Die Gründe für den Mangel empirischer Erkenntnisse im Bereich der Gentechnik und das Versagen der traditionellen Regulierungsmethoden sind vor allem darin zu sehen, daß sich die Risikoerforschung wegen des drohenden Ausmaßes der Schäden als äußerst problematisch darstellt. Beispielsweise sind die in traditionellen Technologien üblichen "trial-and-error"- Verfahren zur Beschaffung empirischer Vergleichsdaten völlig ungeeignet,94 obgleich die Herbeiführung der Schäden erkenntnisfördernd wäre. Zudem fehlen beispielsweise Vorstellungen über die Zuverlässigkeit der Methode, Ergebnisse der Risikobewertung vom Labor zum Feld und von einem Standort zum anderen zu übertragen. 95 Daher lassen sich Wissensdefizite anders als bei anderen Quellen für Gesundheitsgefährdungen nicht schnell durch die Beschaffung weiterer Daten beheben. 96 87 Bonß/Hohlfeld/Kollek, S. 38; Banse, S. 21; Sulwpp, Resümee eines Fachgesprächs, S.227. 88 So auch Banse, S. 62. 89 Für die ganz überwiegende Meinung: Vito, State Biotechnology Oversight: The Iuncture of Technology, Law, and Public Policy, in: Maine Law Rev. Bd. 45 (1993), S. 329 (374); a.A. Dederer, S. 45. 90 Grundlegend Di Fabio, DöV 1991, S. 629 ff.; vgl. Wagner Pfeifer, S. 76. 91 Dawkins, S. 1 ff.; Gleick, S. I ff.; Peat, S. I ff.; Hayes, An Introduction to Chaos and the Law, in: UMCK L.Rev. Bd. 60 (1992), S. 751 ff.; Scott, Chaos Theory and the Iustice Paradox, in: WM. & Mary L.Rev. Bd. 35 (1993), S. 329 ff. 92 Rodgers, S. 35; Wagner Pfeifer, S. 46; Ruhl, Complexity Theory as a paradigm for the dynarnicallaw-and-society system: A wake-up call far the legal reductionism and the modem administrative state, Duke L.I. Bd. 45 (1996), S. 849 (893), der darauf hinweist, daß dem Problem der Komplexität nicht dadurch zu begegnen sei, daß man sie weiter aufspalte, vielmehr müßten contra-reduktionistische Methoden entwickelt werden, mit deren Hilfe "MetaPrinzipien" in die Rechtstheorie intergriert werden könnten; Haber, S. 214. 93 Breuer, NuR 1994, S. 159 (168 ff.); Sukopp, Resümee des Fachgespräches, S. 229; Umweltbundesamt, Beitrag, S. 124. 94 Banse, S. 34; Murswiek, VVDStRL Bd. 48, S. 207 (215). 95 Sulwpp, Resümee des Fachgespräches, S. 229. 96 Siehe National Research Council, Managing the Process, S. 6.

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4. Versagen traditioneller Regulierungsmethoden und Ungewißheit Auch bei anderen Technologien sind die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse beschränkt. Im Fall der Gentechnik kommt jedoch erschwerend hinzu, daß die möglichen Auswirkungen nicht eingegrenzt werden können, sondern sich vielmehr in einem unbekannten offenen Ereignisraum bewegen. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, daß die Gentechnik trotz der beschränkten Erkenntnislage dennoch in komplexe und weitgehend unerforschte Natursysteme eingreift. 97 Zweifel über die Aussagekraft von Testergebnissen ergeben sich unter anderem aus maßstabsabhängigen Phänomenen, die erst bei Freisetzungen größeren Maßstabs erkennbar werden. Beispielsweise kann bei kleinen Versuchsrnaßstäben nicht immer jede Art eines Pflanzenschädlings ausgemacht werden, die gegebenenfalls eine gentechnisch erzeugte Resistenz überwinden kann, oder Ereignisse mit niedriger Wahrscheinlichkeit wie etwa die Auskreuzung werden nicht immer offenbar. 98 Das heißt, bestimmte Arten des Gentransfers kommen nur in Freilandversuchen großen Maßstabs vor, und können in Laborversuchen nur bedingt vorausgesehen oder nachvollzogen werden. Ferner bestehen in der Gentechnik bislang Erfassungsgrenzen, denn die Komplexität und schwierige Zugänglichkeit der Umweltzusammenhänge hindert die Berücksichtigung aller potentiell relevanten Risikofaktoren. 99 Insbesondere die langfristigen Risiken der Gentechnologie sind weitgehend unerforscht. 100 Hinzu kommen die Risiken, die heute noch nicht erkennbar sind. 101 Eine der vielen noch offenen naturwissenschaftlichen Fragen bezieht sich auf das nicht analysierbare "Geheimnis der Lebensfähigkeit des Organismus". 102 Daß die Risiken der Gentechnik ungewiß sind, das heißt, sich in einem komplexen, offenen System abspielen, zeigt sich auch daran, daß es bei Freisetzungen von gentechnisch veränderten Mikroorganismen wiederholt Fehlschläge in dem Sinne gab, daß die vorhergesagten Effekte teilweise nicht eintraten. Beispielsweise gelang die Bekämpfung einer Pilzkrankheit mit mycotoxinbildenden Bakterien an Pflanzen in einem Versuch im Jahre 1988 nicht in vollem Umfang. Die Ursachen wurden nicht geklärt, sind aber möglicherweise in den Umweltverhältnissen am 97 Vgl. BonßlHohlfeldl Kollek, s. 3; vgl. auch Biotech. Bus. News, vom 30. Oktober 1992 ("EC ,Stocktaking' on Biotechnology"). 98 OECD, Field Releases of Transgenic Plants 1986 - 1992, S. 17. 99 Perrow, S. 1 ff.; Haber, S. 203; zur sachlichen Komplexität der Verwaltungsentscheidung in den Bereichen modemen Umweltschutzrechts: Di Fabio, Risikoentscheidung im Rechtsstaat, S. 64; Ladeur, Zur Prozeduralisierung, S. 297 ff. 100 SchweizerlCalame, RIW 1997, S. 34 (41); vgl. Seiler, S. 160; Scherzberg, Verwaltungs-Archiv Bd. 84 (1993), S. 484 (496); Winter, Grundprobleme, S. 37; A. Reich, GefahrRisiko-Restrisiko, 1989, S. 126 ff. Das nicht quantifizierbare Risiko, also die Ungewißheit wird teilweise auch "hypothetisches" oder sogar "spekulatives Risiko" genannt, vgl. Dederer, S. 46, Fn. 222. 101 JörgensenlWinter, ZUR 1996, S. 297. 102 Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie", BT-Drs. 10/6775, S.196.

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Versuchsort zu sehen. \03 In einem anderen Fall war die Expressionsrate eines Toxins zur Bekämpfung des Maiszünslers geringer als erwartet. 104 Auch bei Versuchen mit rekombinierten Rhizobien und Bradyrhizobien wurde deutlich, daß der Erfolg von Freisetzung stark von den Umweltbedingungen und von der Konkurrenz durch die einheimische Flora abhängen kann, weil signifikante Ertragssteigerungen nur in Einzelfällen erreicht werden konnten. \05 In einer solchen Forschungssituation muß die Bestimmung des Risikos typischerweise bereits im naturwissenschaftlichen Bereich interdisziplinär sein und Fragen aus vielfältigen Disziplinen wie Epidemologie, Biologie, Entomologie, Toxikologie und Biochemie beriicksichtigen. \06 Zwangsläufig müssen bei jeder Entscheidung in diesem Bereich Spekulationen über physikalische oder biologische Fragen angestellt werden, welche die Wissenschaften selbst nicht beantworten können. Dabei muß sich der Entscheidungsträger für einen und gegen einen anderen Wert entscheiden, muß eine Disziplin einer anderen unterstellen, muß "das Nichtvorhersehbare vorhersehen und das Unvergleichliche vergleichen". \07 Wer die Ergebnisse derartiger Risikoabschätzungen heranziehen will, muß deren starke subjektive Gewichtung und Wertbehaftetheit beriicksichtigen. l08 Daraus entsteht eine "Unsicherheit", die Weinberg lO9 als trans-wissenschaftlich bezeichnet, weil die Wissenschaft wichtige Wertungsfragen aufwirft, die sie selbst nicht beantworten kann. In diesem Zusammenhang ist auch die sogenannte historische Unsicherheit zu sehen, die immer dann auftritt, wenn vergangene Ereignisse, wie gentechnische Versuche, als nicht wiederholbar eingestuft werden müssen, wenn es unmöglich ist, alle Aspekte der Freisetzung mit einer einzigen Beschreibung zu erklären und man nachträglich nur spekulieren kann, warum bestimmte Effekte unter den besonderen Umständen aufgetreten oder unterblieben sind. I \0 Schließlich entsteht ein Teil der Unsicherheit auch aus den Versuchen, Fragen zu beantworten, die in der Gentechnologie möglicherweise keine faßbare Antwort haben, wie beispielsweise nach dem Verhältnis von Freisetzungen und Auswirkungen oder ob es bei bestimmten Organismen sichere Schwellenwerte für deren Freisetzung gibt. 111 Der hier gebrauchte Begriff der Unsicherheit, wonach die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden kann, 112 reicht daBende/LOpez-Pila, S. 95. Ebd., S. 97. 105 Ebd., S. 207. 106 Rodgers, S. 410. 107 Ebd., S. 407. 108 Banse, S. 34; Heidenreich, Regulierung transgener Pflanzen, S. 58. 109 Weinberg, S. I ff. 110 Vgl. Wagner Pfeiffer, S. 77. 111 Latin, The Significance ofToxic Health Risks: An Essay on Legal Decisonmaking Under Uncertainty, in: Ecol.L.Q. Bd. 10 (1982), S. 339. 103

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her nicht aus, um die Möglichkeit eines Schadenseintritts zu beschreiben. Vielmehr ist gerade im vordersten Bereich gentechnologischer Forschung über die Eintrittswahrscheinlicheit eines Schadens nichts bekannt, das heißt die Möglichkeit eines Schadenseintritts ist bei der Entscheidung über gentechnische Freisetzungen sogar ungewiß. Gerade auch das Ausmaß dieser Ungewißheit trägt dazu bei, daß den Risiken der Gentechnologie eine neuartige Qualität 113 zugesprochen werden muß. Jedoch ist die Ungewißheit über die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge kein Einzelphänomen der Gentechnologie, denn wie zahlreiche Hochtechnologien wird sie zunehmend von den natürlichen Gesamtzusammenhängen getrennt erforscht. Die Hochtechnologien haben eine naturwissenschaftlich-theoretische Basis, und einige ihrer Risiken sind somit wissenschaftsinduziert. 1l4 Während nach aristotelischem Wissenschaftskonzept Naturphänomene beobachtet und gegebenenfalls durch Experimente zum Zwecke der Datenerhebung ergänzt wurden, ist es typisch für die neuere experimentelle Wissenschaft, daß durch Experimente Naturphänomene verändert werden. In der Gentechnik konnten die Wissenschaftler Watsan und Crick erst 1953 die komplexe genetische Struktur von Erbinformation weitgehend erklären. Mit Hilfe des Modells von der DNS-Doppelhelix aus den Einzelbausteinen der Aminosäuren gelang es, ganze Organismen und ihre Eigenschaften zu analysieren. Wissenschaftler versuchen typischerweise in einem methodischen Abstraktions- und Idealisierungsprozeß, die einzelnen Kontexte der Ausgangsphänomene "abzutragen". Dabei führt man komplexe natürliche Phänomene auf immer einfachere Bedingungen zurück. Im Verlauf dieses Prozesses werden solche Phänomene zu Laborobjekten reduziert und von natürlich auftretenden Ungereimtheiten getrennt. Die Beziehungen der Objekte zur Umwelt und Verflechtungen mit der Umwelt sind nicht Gegenstand des analytischen Forschungsprozesses. Der Preis dieser bewußten Kontextreduktion liegt in einer Dialektik von Objektbeherrschung und Unsicherheit. Oder: "Die Risiken einer experimentellen Naturforschung lassen sich letztlich als Nicht-Berücksichtigung von Kontextbeziehungen beschreiben, die gleichsam ,wegdefiniert' werden und sich erst in der Gestalt der vielzitierten ,Gefahren' neuer Technologien bemerkbar machen ... ,,115

Wenn die Ergebnisse aus dem isolierten Forschungsvorgang sodann wieder synthetisiert und rekontextualisiert werden, entstehen Unsicherheiten über die Beziehungen des Organismus, die zuvor ausgeblendet waren. Das Wissen über die Verhaltensweisen des Organismus unter anderen Bedingungen als die des Labors oder der Produktionsanlagen ist somit nicht empirisch, sondern rein hypothetisch. 116 Vgl. oben S. 28 f. BenderlSparwasserl Engel, Teil 8, Rn. 16; Drescher; Gentechnikrecht, S. 861 ff. 114 Beck, S. I ff. IIS BonßIHohlfeldlKollek, S. 11. 116 Mit Bezug auf das gentechnische Risiko: Novick, Bd. 3, S. 18-12; BonßIHohlfeldl Kollek, S. 18. 112 113

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Kap. 2: Die Gentechnologie als Regelungsgegenstand

Aus dieser Perspektive gesehen wären die Probleme der Risikobewertung für gentechnische Freisetzungsversuche durch eine "Rekontextualisierung" der Wissenschaft in Gestalt einer Heuristik der Kontextbeziehungen zu verringern. Die Isolierung und Segmentierung der Betrachtung von Eigenschaften einzelner Organismenteile könnte demnach durch die Rekonstruktion des analytischen Prozesses rückgängig gemacht werden, um eine physiologisch sinnvolle Aussage über die Funktion des betreffenden Teiles machen zu können. 117 Eine schrittweise Reintegration des synthetisierten Teiles in die Ungereimtheiten des Organismus, die durch das der Synthese zugrundeliegende Modell nicht erklärbar sind, sowie in die Wechsel wirkungen mit dem Ökosystem, in dem der Organismus lebt, wäre nach dieser Vorstellung eine Möglichkeit, die Risiken für die Umwelt gering zu halten. Jedenfalls ist mittelfristig nicht mit Lösungen für die wissenschaftlichen Fragestellungen, die sich bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen stellen, zu rechnen. 118 Für Mikroorganismen ist davon auszugehen, daß der geringe Kenntnisstand über die Überlebensfähigkeit, die Ausbreitung des freizusetzenden Organismus sowie über die Auswirkungen auf das Ökosystem die Abschätzung der potentiellen Risiken erheblich erschweren. 119 Allerdings deuten die positiven Ergebnisse aus einer zunehmenden Zahl von Freisetzungen mit gentechnisch veränderten Pflanzen an, daß sich möglicherweise die Ungewißheit hinsichtlich einiger erprobter Teilbereiche gentechnischer Anwendungen reduziert. 120 Mit Fortschreiten dieser Entwicklung und der einhergehenden Erweiterung der empirischen Wissensgrundlage ist es denkbar, daß in solchen Bereichen die nicht quantifizierbare Ungewißheit in eine quantifizierbare Unsicherheit überführt und traditionellen Regelungsschemata unterstellt werden kann. Dies liegt daran, daß eine Art von Freisetzung nach dem 10. oder 100. Freisetzungsversuch ohne sichtbare Folgeschäden unter Umständen anders bewertet werden kann als nach dem ersten Versuch. 121 Weil damit jedoch noch nichts über andere Teilbereiche der Technologie gesagt ist, in denen an der Spitze der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse geforscht wird, muß bei einer sich entwickelnden Technologie wie der Gentechnologie von zwei verschiedenen Bereichen des Sachverhaltes ausgegangen werden, zwischen denen sich die Grenze im Laufe der Zeit verschiebt: Zum einen der Bereich der naturwissenschaftlichen Ungewißheit, und zum anderen der Bereich der naturwissenschaftlichen Unsicherheit. Wahrend beiBonß/Hohljeld/Kollek, S. 12, 14. Backhaus, Vorstellung eines geplanten Projektes, S. 218 (220). 119 Reiting / Kianil Schmidt, Möglichkeiten des Biologischen Containments bei der gezielten Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 9. 120 Seit 1994 vertritt die EG-Kommission die Auffassung, daß die Risiken der Gentechnik überschätzt worden seien, vgl. Biotechnologie und das Weißbuch über Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung - Vorbereitung der nächsten Phase, Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuß, KOM (94) 219 endg. 121 Bonß/Hohljeld/Kollek, S. 38. 117 118

III. Internationale Lösungsansätze

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spielsweise bestimmte Modifikationen an gentechnisch veränderten Pflanzen möglicherweise bald dem Bereich der quantifizierbaren Unsicherheit angehören, liegen die Mikroorganismen noch im Bereich des Ungewissen. Herausragende Komponente bei der Zuordnung einzelner gentechnischer Veränderungen zu diesen beiden Bereichen bleibt die Berücksichtigung der zeitlichen Dimension, weil sich das Wissens über die Technologie fortentwickelt. Konsequenz aus der Feststellung, daß einige Risiken der Gentechnik gegenwärtig nicht nachweisbar seien und daher als ungewiß bezeichnet werden müssen, ist nicht, daß die Risikodiskussion offen bleiben und ein Moratorium verhängt werden muß,122 sondern es müssen behutsame Wege des administrativen Umgangs mit dem Fortschritt in das empirisch Ungewisse gefunden werden.

Irr. Internationale Lösungsansätze Verschiedene internationale Regelungen existieren, die auch die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen betreffen. 123

1. Empfehlungen der OECD

Unter den Veröffentlichungen der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) sind für die Risikobewertung für gentechnische Freisetzungen insbesondere die Good Developmental Principles (GDP), die in den Safety Considerations for Biotechnology 1992 124 enthalten sind, einschlägig. Die GDP bauen auf die Recombinant-DNA Safety Considerations 1986 125 auf und enthalten wissenschaftliche Rahmenvorgaben für die Durchführung von Forschung in kleinem Maßstab mit gentechnisch veränderten Pflanzen und Mikroorganismen. Den Vorgaben liegen die folgenden Prinzipien zugrunde. Erstens soll die Entwicklung der Anwendung rekombinierter Organismen in einem Kontinuum von Versuchen in kleinem Rahmen hin zu Anwendungen in größerem Rahmen erfolgen (Scale_up).126 So könnte die Erforschung eines rekombinierten Organismus zunächst im Labor beginnen, im Treibhaus fortgesetzt werden, So jedoch Dederer. S. 47. Vgl. den Überblick bei McGarity, International Regulation, S. 319; vgl. auch Bosselmann, Plants and Politics: The International Legal Regime concerning Biotechnology and Biodiversity, (Focus: Biodiversity and Biotechnology), 7 COLO. J. INT'L ENVTL. L. & POL'Y (Winter 1996), S. llI, 1I6. 124 OECD, Safety Considerations for Biotechnology 1992. 125 OECD, Safety Considerations for Applications of Recombinant DNA Organisms in Industry, Agriculture and the Environment 1986. 126 OECD, Safety Considerations for Biotechnology 1992, S. 25 (27); OECD 1993, S. 9 (1I). 122 123

Kap. 2: Die Gentechnologie als Regelungsgegenstand

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zum Feldversuch und schließlich zur endgültigen (kommerziellen) Freisetzung führen. Zweitens sind bei dieser Vorgehensweise die Feldversuche schrittweise vorzunehmen, das heißt die Daten, die bei Feldversuchen kleinen Maßstabs gewonnen werden, sollen dazu dienen, Sicherheit von Versuchen großen Maßstabs vorauszusagen, obwohl maßstabsabhängige Phänomene berücksichtigt werden müssen. 127 Dabei sollen die Schritte flexibel durchlaufen werden und je nach den Umständen können auch einzelne Schritte übersprungen werden können (step by step). 128 Diese Vorschläge könnten so verstanden werden, daß Vorversuchen im Gewächshaus Einzelversuche mit und ohne Blühisolierung folgen. Der nächste Schritt könnte in einer Reihe mehrortiger Versuche in verschiedenen Ökotypen bestehen, bis hin zu Vermehrung und begrenzter Einführung in die Landwirtschaft; vereinzelt werden sogar Fraß- und Verdauungsexperimente vorgeschlagen. 129 Schließlich empfiehlt die OECD, soweit allgemeine Richtlinien zur Beurteilung von gentechnischen Freisetzungen noch nicht vorhanden sind, die potentiellen Risiken eines Vorhabens anhand solcher Kriterien, die für das jeweilige Projekt relevant erscheinen, im Einzelfallverfahren zu untersuchen (case by case).130 Die GDP sind ein Versuch, Grundsätze für die Erstellung solcher Richtlinien für Feldversuche in kleinem Rahmen aufzustellen. 131 Sie bestehen aus Faktoren, die sich auf (l) die Eigenschaften des verwendeten Organismus einschließlich des eingeführten Gens oder genetischen Materials, (2) die Eigenschaften der Forschungsstätte und der sie umgebenden Umwelt sowie (3) die erforderlichen Versuchsbedingungen beziehen. 132 Die OECD konkretisierte ihre Empfehlungen durch die "Safety Considerations for Biotechnology: Scale-Up of Crop Plants 1993".133 Darin wird ausgeführt, daß bei der Risikoabschätzung die Vertrautheit mit dem Organismus, dem eingefügten genetischen Material, der betroffenen Umwelt, den Wechselwirkungen zwischen diesen Faktoren und mit der beabsichtigten Anwendung berücksichtigt werden soll. Die Vertrautheit sei nicht notwendigerweise mit Sicherheit gleichzusetzen, insbesondere soll mangelnde Vertrautheit durch einen angemessenen Umgang kompensiert werden können. 134

Siehe oben S. 43. OECD. Safety Considerations for Biotechnology 1992, S. 27; ausführlicher: OECD 1993, S. 9. 129 Vgl. Sukopp. Resümee eines Fachgesprächs, S. 229. 130 OECD. Safety Considerations for Biotechnology 1992, S. 25. 131 Vgl. Ebd., S. 27. 132 Ebd., S. 29. I33 OECD. Safety Considerations for Biotechnology: Scale-Up of Crop Plants 1993. 134 Ebd., S. 8 ff. 127

128

III. Internationale Lösungsansätze

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2. Andere Regelungen In anderen internationalen Regelungen finden sich Richtlinien allgemeiner Art, die auch für die Gentechnik angewandt werden können, oder auch internationale Harmonisierungsbestrebungen, etwa innerhalb der World Trade Organization (WTO), bezüglich verschiedenster technischer Sicherheitsvorschriften. Für einige hochpolitisierte Technikbereiche, zu denen auch die Gentechnologie zählt, findet allerdings kaum eine tatsächliche Debatte über die Höhe der akzeptablen Risiken statt. 135 Daher sind nur wenige internationale Normen einschlägig. Im Rahmen der UNO ist der von der informellen Arbeitsgruppe Biosicherheit der UNIDO I UNEP/WHO/FAO 1991 erarbeitete "Voluntary Code of Conduct for the Release of Organisms into the Environment" I 36 zu nennen. Der Code betont, daß ausdrücklich nicht die gentechnischen Verfahren an sich im Mittelpunkt stehen sollen, sondern die aus ihnen hervorgehenden Produkte. Ziel soll es sein, nur mit bekannten DNASequenzen zu arbeiten und stets Experten für die Risikobewertung heranzuziehen, obwohl auch Vertreter verschiedener gesellschaftlicher Gruppen bei der Risikoabschätzung mitwirken können sollen. Grundsätzlich seien Analysen im Einzelfall vorzunehmen, wobei die Eigenschaften der verwendeten Organismen, der eingeführten Genabschnitte, der Umgebung und mögliche Maßnahmen zur Beschränkung unerwünschter Genübertragung, zu deren Kontrolle, zur Begrenzung der Wirkungsfolgen und zur ihrer Beendigung und Beseitigung zu berücksichtigen sind. Außderdem wurden unter dem Dach der UNEP 1995 internationale Leitlinien zum sicheren Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen nach europäischen Vorbild verabschiedet. 137 Die Konvention über die Biologische Vielfalt l38 erwähnt zwar die Biotechnologie (etwa in Art. 2) im Zusammenhang mit dem Schutz der biologischen Vielfalt, die für die Abschätzung und die Verringerung nachteiliger Auswirkungen einschlägige Vorschrift des Art. 14 beschränkt sich jedoch darauf, sehr allgemeine Prinzipien aufzustellen. So geht Art. 14 Nr. 1 a des Abkommens davon aus, daß bei Abschätzungen von Umweltauswirkungen die Beteiligung der Öffentlichkeit angemessen sein kann, und Art. 14 Nr. 1 b bestimmt, daß geeignete Vorkehrungen getroffen werden sollen, die sicherstellen, daß die Umweltfolgen stattlicher Programme, die wahrscheinlicherweise bedeutende Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben, angemessen berücksichtigt werden. Der für die Biotechnologie 135 Seiler, S. 152. Eine Ausnahme bildet jedoch der informelle Austausch der US-Behörden mit der EU-Kommission über Fragen des Umgangs mit der Gentechnologie. 136 Pubiliziert in: Biopractice 1/ 1992, S. 64. 137 UNEp, International Technical Guidelines for Safety in Biotechnology, UNEP 1995. 138 Convention on Biological Diversity, vom 5. Juni 1992 (Rio de Janeiro), 31 I.L.M. 818 (1992), in Kraft getreten am 29. Dezember 1993; vgl. dazu Gunningham/Young, Toward Optimal Environmental Policy: The Case of Biodiversy Conservation, in: Ecology L.Q. Bd. 24 (1997), S. 243; World, The Futility, Utility, and Future of the Biodiversity Convention, in: Colo J. International Environmental Law & Policy, 1998, S. 1 ff.

4 Pohl

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Kap. 2: Die Gentechnologie als Rege1ungsgegenstand

einschlägige Artikel 19 zielt vor allem darauf ab, faire Bedingungen zwischen den Unterzeichnerstaaten hinsichtlich der Teilnahme an biotechnologischer Forschung und an der Nutzung der Ergebnisse zu schaffen, sowie den Austausch technischer Informationen sicherzustellen. Nur Art. 19 Nr. 3 des Abkommens regt die Ausarbeitung ein Zusatzprotokoll an, in dem ein angemessenes Verfahren, insbesondere zur Förderung einer wissenschaftlich fundierten Einigung über Methoden sicherer Übertragung, sicheren Umgangs und sicherer Verwendung von biotechnisch modifizierten Organismen, geregelt werden soll. Inzwischen wurde die Ausarbeitung eines Teil eines solchen Protokolls beschlossen. 139 Außerdem beschäftigt sich Kapitel 16 der ebenfalls auf der Konferenz in Rio de Janeiro vom 3. Bis 14. Juni 1992 verabschiedeten Agenda 21 mit dem Umgang mit der Biotechnologie und fordert die Entwicklung von international anerkannten Prinzipien für die Risikobewertung. 140

IV. Zusammenfassung zu Kapitel 2 Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen beinhaltet insbesondere bei neuartigen Organismen, die nach Erkenntnissen von der vordersten Front wissenschaftlichen Fortschritts hergestellt wurden, ein Risiko für die Umwelt. Die Risiken der Gentechnologie unterscheiden sich von anderen Regelungsgegenständen vor allem durch komplexe Interaktionen mit Ökosystemen und weitgehend unerforschte Schadensverläufe, die im Falle eines Fehlschlages geographisch nicht eingrenzbar und irreversibel sein können. Weil unter diesen Umständen die naturwissenschaftlichen Erkenntnisdefizite nur in begrenztem Maß durch empirische Methoden reduziert werden können, erfolgt die administrative Entscheidung über Freisetzungen in vielen Fällen unter Bedingungen der Ungewißheit. Das Risiko ist nämlich nicht nur nicht quantifizierbar, sondern vielmehr ist über das Risiko nichts bekannt. Diese Einschätzung ändert sich jedoch mit dem Fortschreiten wissenschaftlicher Erkenntnis, weshalb die zeitliche Dimension für die Risikobewertung eine erhebliche Rolle spielt. Wegen dieser Unterschiede zu anderen Technologien versuchen internationale Abkommen und Empfehlungen, allerdings nur mit mäßigem Erfolg, den nationalen Gesetzgebern Richtlinien für den verantwortungsvollen Umgang mit den Risiken der Gentechnologie zu geben.

Vgl. Nature Biotechnology, Vol. 14, 1996, S. 326; Umweltbundesamt, Beitrag, S. 132. Agenda 21: Konferenz der Vereinten Nationen für Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro, Dokumente, Agenda 21, Eine Information des Bundesumweltministeriums in der Reihe "Umweltpolitik"; näher dazu Sitarz, S. 1 ff. 139

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Kapitel 3

Vergleich der bestehenden Normierungen Die vorherigen Kapitel skizzierten den Regelungsgegenstand der gentechnischen Freisetzungen, das außerordentliche Ausmaß denkbarer Folgen im Zusammenspiel mit der wissenschaftlichen Ungewißheit über solche Folgen sowie internationale Versuche, Vorgaben für nationale Rechtsordnungen zu machen, wie die sich ergebenden Herausforderungen zu bewältigen seien. Nun soll vorgestellt werden, mit welchen Normierungen die hier verglichenen Rechtsordnungen bislang versuchen, diesen Herausforderungen gerecht zu werden.

I. Vereinigte Staaten In den Vereinigten Staaten werden bestehende Umweltschutzgesetze auch auf die Biotechnologie einschließlich der Gentechnologie angewandt. Die maßgeblichen Vorgaben finden sich meist jedoch erst in den untergesetzlichen Bestimmungen.

1. Gesetzliche Regelungen In den Vereinigten Staaten ist die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen nicht in einem allumfassendem Gesetz geregelt, sondern in einer Vielzahl sektoraler Einzelgesetze 1, die jeweils verschiedene Gesichtspunkte einer Freisetzung oder nur eine bestimmte Art von Freisetzungen regeln. Einige Gesetzesinitiativen im Bereich der Biotechnologie, die weitergehende Genehmigungserforder1 Eine Matrix über die vielfältigen Bundesvorschriften mit Bezug zur Biotechnolgie findet sich in: Fed. Reg. Bd. 50, vom 14. November 1985, S. 47174; vgl. ferner: Coordinated Framework, Fed. Reg. Bd. 51, vom 26. Juni 1986, S. 23302 (23303). Oft finden sich jedoch keine ausdrücklichen Verweise auf die Gentechnik, sondern gentechnisch veränderte Organismen werden konkludent mitgeregelt. Siehe auch die Darstellungen beispielsweise bei McGarity, Federal Regulation of Agricultural Biotechnologies, Journal ofLaw Reform 1987, S. 10891155; Goldman, Issues in the Regulation of Bioengineered Food, High Technology Law Journal 1993, Vol 7: 1, S. 107 (119 ff.); Mahro, RIW 1987, S. 114-122; die Übersicht über Normen und Zuständigkeiten bei Winter, Grundprobleme, S. 29 ff.; zuletzt Dederer, S. 203 -217.

4*

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Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

nisse vorsahen,2 konnten sich bislang nicht durchsetzen. Prominentestes Beispiel ist der Entwurf von 1990 für ein Allgemeines Biotechnologie-Gesetz, Omnibus Biotechnology Act. 3 a) Das Chemikaliengesetz TSCA

Der Toxic Substances Control Act (TSCA)4 regelt den Umgang mit Chemikalien. Zuständige Behörde für TSCA ist die Umweltschutzbehörde, die Environmental Protection Agency (EPA).5 Die gesetzliche Definition von chemischen Substanzen lautet "jede organische oder anorganische Substanz mit einer spezifischen molekularen Identität, einschließlich der Verbindungen, die ganz oder teilweise als Ergebnis chemischer Reaktionen in der Natur vorkommen".6 Unter diese weite Definition fallen auch lebende Organismen, einschließlich gentechnisch veränderter Organismen, weil sie organische Substanzen einer bestimmten molekularen Identität beinhalten. Über die Anwendbarkeit von TSCA auf gentechnisch veränderte Organismen besteht heute kein Zweifel mehr. 7 Aus dem Anwendungsbereich von TSCA sind solche Substanzen ausgenommen, die von einem Spezialgesetz geregelt sind. 8 Aus den vielfältigen Kontrollinstrumenten, die unter TSCA zur Verfügung stehen, sind vor allem die Anmeldepflichten unter § 5 TSCA (Premanufacture Notice 2 Siehe zu den zahlreichen Gesetzes- und Verordnungsentwürfe zur Verbesserung der Risikobewertung im Rahmen der Verwaltungsreformbemühungen: Simon, Risk symposium: Issues in risk assessment and cost-benefit analysis and their relationship to regulatory reform, U.cin.L.Rev. Bd. 63 (1995), S. 1611 ff.; O'Reilly, Risk Assessment in the 1995 Reform Bills: Victory for Banshes, Loss for the Public, in: Administrative Law Review Bd. 48 (1996), S. 387 ff. 3 Beispielsweise der Gesetzesentwurf von Robert A. Roe (D-NI) für ein Allgemeine Biotechnologiegesetz, Omnibus Biotechnology Act (OBA), HR 5312, vgl. dazu und zum Pflanzenschutzgesetz, Plant Protection Act (PPA): Review of Current and Proposed Agricultural Biotechnology Regulatory Authority and the Omnibus Biotechnology Act 1990: Hearing before the Subcommittee on Department Operations, Research and Foreign Agriculture, 101 sI Cong., 2nd Sess. (2. Oktober 1990) (Statement of Robert A. Roe, Rep. D-NI). 4 U.S.C. Titel 15, §§ 2601-2692. 5 Die EPA wurde im Iahr 1970 durch eine executive order errichtet (Reorg. Plan No. 3 of 1970, U.S.c. Titel 5, app. S. 1132.) und hat keine gesetzliche Charta. Der Leiter der EPA, der keinen Kabinettsposten innehat, wird vom Präsidenten ernannt und entlassen; vgl. neuerdings: GeltmanlSkroback, Reinventing the EPA to Conform With the New American Environmentality, 23 Colum. I. Envtl. L. 1998, S. 1. 6 TSCA, § 3 (2)(A) .. 7 Die Bundesumweltbehörde EPA geht weiter von der Anwendbarkeit der TSCA-Regeln über neue Substanzen auf Mikroorganismen aus, vgl. EPA, Microbial Products of Biotechnology; Final Regulation Under the Toxic Substances Control Act, Discussion of Final Rule and Response to Comments, Fed. Reg. Bd. 62, vom 11. April 1997, S. 17909 (17913). 8 Etwa FIFRA, FFDCA, vgl. U.S.c. Titel 15, § 2602(2)(B).

I. Vereinigte Staaten

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Rufe (PMN))9 untergesetzlich für gentechnische Freisetzungen ausgestaltet worden. Die Anmeldepflichten unter TSCA beziehen sich auf neuartige Organismen, die noch nicht in das Verzeichnis chemischer Substanzen (TSCA Chemical Substances Inventory) aufgenommen sind, wozu grundsätzlich auch intergenerisch kombinierte Mikroorganismen gehören. 1O Ferner bestehen Anmeldepflichten für Substanzen, die zwar bereits bekannt sind, aber eine "wesentlich neuartige Verwendung" finden (significant new use). Die Frage, wann eine Substanz "wesentlich neuartig" verwendet wird, regelt die EPA durch eine Significant New Use Rule (SNUR)Y Bei einem Mikroorganismus ist in der Regel von einer solchen neuartigen Verwendung auszugehen, wenn er freigesetzt wird, obwohl er pathogen ist oder genetisches Material von Krankheitserregern enthält. 12 Die EPA prüft anband der eingereichten Unterlagen und gegebenenfalls anzufertigender Testdaten, 13 ob der Umgang mit einer Substanz im Einzelfall "kein unvertretbares Risiko einer Gesundheitsverletzung" bedeutet. 14 Eine Freisetzung kann stattfinden, wenn die Behörde nicht innerhalb einer Frist von 90 Tagen, die gegebenenfalls verlängert werden kann,15 nach dem Vorliegen der vollständigen Anmeldeunterlagen Auflagen, Beschränkungen 16 oder ein Verbot 17 erläßt.

b) Das Bundesgesetz über Insektizide, Fungizide und Rodentizide FIFRA Das Bundesgesetz über Insektizide, Fungizide und Rodentizide, der Federaf Insecticide, Fungicide and Rhodenticide Act (FIFRA)18 regelt Schädlingsbekämpfungsmittel. Zuständige Behörde ist wie bei TSCA die EPA. Obwohl TSCA bereits eine umfassende Ermächtigungsgrundlage für die Regulierung gentechnisch veränderter Organismen beinhaltet, stellt FIFRA ein Regelungssystem für solche gen9 § 5 TSCA vom 13. Mai 1983, CFR, Titel 40, Teil 720, zuletzt geändert durch Alteration/ Amendment of sec. 5 TSCA (Fed. Reg. Bd. 60, 29. März 1995, S. 16298). 10 Vgl. U.S.c. Titel 15, §§ 2602(9), 2607(b)(I). 11 § 5(a)(I) TSCA. Über das Vorliegen einer "erheblich neuen Verwendung" entscheidet die Behörde gemäß § 5 TSCA; vgl. auch Allen, The Current Federal Regulatory Framework for Release of Genetically Altered Organisms into the Environment, in: Florida Law Review Bd. 42 (1990), S. 531 (543 f.); Shapiro, Biotechnology and the Design of Regulation, Ecology L.Q.J., Bd. 17 (1990), S. 1,39 f. 12 Coordinated Framework, Fed. Reg. Bd. 51, vom 26. Juni 1986, S. 23302 (23333); konkretere Abgrenzungen werden als Significant New Use Rule (SNUR) in § 725.1000 der TSCA-Regeln entwickelt. 13 § 5(b) TSCA. 14 § 5(b)(2)(B). 15 § 5 (c) TSCA; U.S.c. Titel 15, § 2604(c). 16 § 5 (f) (2)(A) TSCA; U.S.c. Titel 15, § 2604 (f) (2)(A). 17 § 5 (e) (I)(A) TSCA; U.S.c. Titel 15, § 2604(e) (l)(A). 18 U. S. C. Titel 7, §§ 136-136(y).

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Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

technisch veränderten und nicht veränderten Organismen zur Verfügung, die als Pestizide verwendet werden. 19 Darunter ist sehr weit gefaßt jede Substanz zu verstehen, die verwendet wird, "um Tiere (mit Ausnahme von Menschen) oder Pflanzen zu töten oder ihr Wachstum zu regeln",2o so daß auch Pestizide, deren aktiver Bestandteil Mikroorganismen sind, erfaßt sind. Für Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen ist unter FlFRA vor allem die Versuchserlaubnis, Experimental Use Permit (EUP), maßgeblich?1 Die EPA erteilt eine EUP nur, wenn der Antragsteller sie benötigt, um Informationen zu beschaffen, die für die Registrierung der betreffenden Substanz gemäß § 3 FlFRA 22 notwendig sind, und wenn der Feldtest keine "unvertretbaren nachteiligen Auswirkungen" auf die Umwelt verursacht. 23 Wenn ein Pestizid eine neue Chemikalie oder Verbindung enthält, die noch nicht in einem bereits registrierten Pestizid enthalten war, kann die Behörde die Durchführung von Studien verlangen, um die möglichen Auswirkungen bestimmen zu können. 24 Die EPA entscheidet über vollständige Anträge innerhalb einer Frist von 90 Tagen, bei aufwendigeren Anträgen innerhalb einer Frist von höchstens 120 Tagen. 25

c) Das Bundesgesetz über Pflanzenschädlinge FPPA Der Federal Plant Pest Act (FPPA)26 regelt die Einfuhr und den Transport von Pflanzenschädlingen einschließlich der Untersuchung von Pflanzen und Pflanzenprodukten sowie die Ausrottung und Bekämpfung von Pflanzenschädlingen. Zuständige Behörde ist das Landwirtschaftsministerium, United States Department of Agriculture (USDA). Die Definition von Pflanzenschädlingen 27 ist ausgesprochen weitgreifend und umfaßt beispielsweise nicht nur Insekten, wirbellose Tiere, Einzeller, Bakterien, Pilze oder deren reproduktionsfahige Teile, sondern auch Viren und alle Substanzen, die Pflanzen beschädigen können, sowie pflanzliche Pro19 Vgl. auch EPA, Microbial Products Subject to the Federal Insecticide, Fungicide, and Rhodenticide Act and the Toxic Substances Control Act, Fed. Reg. Bd. 51, S. 23313 (1986). Eine aufschlußreiche emprische Studie zur Pestizidgesetzgebung findet sich bei Dunning, Pests, Poisons, and the Living Law: The Control of Pesticides in Califomia's Imperial Valley, 2 Ecol.L.Q. 633 (1972). 20 So die Übersetzung des Original-Gesetzestextes; § 2(u) FIFRA, 7 U.S.DA § 136(u). 21 40 CFR § 172.1-59, Fassung vom 1. Juli 1997, aufgrund U.S.c. Titel 7 §§ 136c, 136w; siehe Milewski, S. 65. In einigen Fällen kann auch eine Anmeldung ausreichen, wenn die EPA den Versuch billigt (approval); im einzelnen dazu Dederer; S. 250 f. 22 U.S.C. Titel 7, § 136a. 23 § 5 (d) FIFRA; U.S.c. Titel 7, § 136c(d). 24 § 5 (d) FIFRA; U.S.c. Titel 7, § 136c(d) Satz 3. 25 § 5 (a) Satz 3 FIFRA; U.S.c. Titel 7, § 136c(a), Satz 3. 26 U.S.C. Titel 7, §§ 147a; 150aa - 150jj. 27 § 147a(d)(1) FPPA.

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dukte, auch wenn sie hergestellt oder verarbeitet wurden. Gentechnisch veränderte Pflanzen gelten dabei als hergestellte pflanzliche Produkte. Aber auch Mikroorganismen, soweit sie als Pflanzenschädling anzusehen sind, fallen unter den Anwendungsbereich des Gesetzes. Es ermächtigt den Landwirtschaftsminister ohne weitere Vorgaben zum Erlaß von Regeln, soweit diese notwendig sind, um die Untersuchung von Pflanzen und Pflanzenprodukten zu gewährleisten und um die Schädlingsfreiheit einer Pflanze bescheinigen zu können. 28 Auch wenn diese Ermächtigungsgrundlage sich nicht ausdrücklich auf die Kontrolle von Freisetzungen erstreckt, hat der Untersuchungsdienst für die Tier- und Pflanzengesundheit, Animal and Plant Health Inspection Service (APHIS) des USDA, in den untergesetzlichen Bestimmungen derartige Kontrollinstrumente vorgesehen, stützt sich aber zusätzlich auf die weitergehende Ermächtigungsgrundlage des Pflanzenquarantänegesetzes. 29

d) Das PJlanzenquarantänegesetz PQA

Das Pflanzenquarantänegesetz, der Federal Plant Quarantine Act (PQA),30 verbietet die Beförderung, die Einfuhr und den sonstigen Transport von Pflanzen und Tieren über Bundesländergrenzen hinweg, sofern sie Pflanzenschädlinge sind oder enthalten, unabhängig davon, ob die Organismen aus der kommerziellen Produktion stammen oder aus der Forschung. Ausnahmen können aufgrund von Rechtsverordnungen zugelassen werden, die der Landwirtschaftsminister erläßt, um die Verbreitung solcher Organismen in den Vereinigten Staaten zu verhindern?\ Zuständige Behörde ist wie für den PPA das USDA, insbesondere APHIS.

e) Das Virus-Serum-Toxin-Gesetz VSTA

Das Virus-Serum-Toxin-Gesetz, Virus Serum Toxin Act (VSTA), 32 regelt tiermedizinische Produkte, und zuständig ist wiederum APHIS des USDA. In den Regelungsbereich fallen alle biologischen Veterinärprodukte, die in die Vereinigten Staaten importiert werden, die innerhalb oder zwischen den Bundesstaaten befördert werden oder zur Beförderung abgegeben werden und die exportiert werden. Zu diesen Produkten gehören unter anderem Viren, Sera, Toxine, einschließlich le§ 147a(e) FPPA. Siehe APHIS Regeln, unten S. 64. Zu Zweifeln hinsichtlich der Reichweite der Ermächtigungsgrundlage vgl. Dederer; S. 254, Fn. 50; grundlegend: Organizations, Functions, and Delegations of Authority, C.F.R., Titel 7, § 371.2 (1992). 30 U.S.c. Titel 7, §§ 151 bis 164a, 166 bis 167. 3\ Vgl. U.S.C. Titel 7, § 150aa iVrn § 150bb und § 155bb; Definition von "Pflanzenschädling" in U.S.c. Titel 7, § 15aa(c). 32 U.S.c. Titel21, §§ 151 bis 159. 28

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Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

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bender oder abgetöteter Mikroorganismen oder ihrer Teile, die in der Tiermedizin etwa als Diagnostika oder Impfstoffe verwendet werden. Die Versendung der von dem VSTA erfaßten Produkte, die noch nicht zugelassen wurden, gilt grundsätzlich ein Versendungsverbot, wobei jedoch Zulassungen für die experimentelle Anwendung erteilt werden können. 33

f) Andere Gesetze Über die genannten Gesetze hinaus können im allgemeinen für BiotechnologieProdukte beispielsweise der Federal Food, Drug and Cosmetic Act (FFDCA)34, der Nahrungsmittel, Nahrungsmittelzusätze, Kosmetikartikel und Menschen- und Tiermedikamente sowie medizinische Hilfsmittel regelt, das Luftreinhaltungsgesetz, Clean Air Act (CAA),35 das Wasserreinhaltungsgesetz, Federal Water Pollution Control Act (FWPCA),36 das Ölverschmutzungsgesetz, Oil Pollution Act (OPA),3? das Umwelthaftungsgesetz, Comprehensive Environmental Response, Compensation and Liability Act (CERCLA),38 oder das Gesetz zur Erhaltung und Wiederherstellung der Ressourcen, Resource Conservation & Recovery Act (RCRA),39 anwendbar sein. Die allgemeinen vornehmlich prozessualen Anforderungen des National Environmental Policy Act (NEPA)40 sind auch im Bereich der Gentechnik anwendbar. NEPA verlangt von den Bundesbehörden, vor jeder bedeutenden Maßnahme ein Dokument anzufertigen, in dem die Umweltauswirkungen dieser Maßnahme untersucht werden (Environmental Assessment, kurz EA). Diese Prüfung kann zu der kurz zu begründenden Feststellung führen, daß keine signifikanten Auswirkungen zu erwarten sind (Finding of No Significant Impact, kurz FONSI). Anderenfalls muß die Behörde eine detaillierte Analyse der zu erwartenden Umweltauswirkungen verfassen (Environmentallmpact Statement, kurz EIS).41 Die NEPA-Anforderungen gelten allerdings für die Prüfung von gen technischen Freisetzungen nur entsprechend, weil die genannten Spezialgesetze Verfahrensvorschriften enthalten, die NEPA als funktionales Äquivalent vorgehen. 42 Beispielsweise entscheidet APHIS regelmäßig über Freisetzungen im Wege eines FONSI. CFR Titel 9, § 103.3 cU. Siehe 21 U.S.c. 321 342(a)(l). 35 U.S.c. Titel 42, §§ 7401 bis 7671q. 36 Der sogenannte Clean Water Act (CWA); U.S.C. Titel 33, §§ 1251 bis 1387. 37 U.S.c. Titel 33, §§ 2701 bis 2761. 38 Das sogenannte "Superfundgesetz"; U.S.c. Titel 42, §§ 9601 bis 9675, und Titel 49, §§ 11901. 39 U.S. C. Titel 42 in verstreuten Abschnitten. 40 42 V.S.C.A. §§ 4321 to 4370d. 41 Vgl. § 102 (2) NEPA. 33

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2. Untergesetzliche Bestimmungen

Bei der Entscheidung über die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen können verschiedene untergesetzliche Bestimmungen zu berücksichtigen sein, deren Anwendungsbereich und rechtlicher Charakter sich jeweils unterscheiden. So reicht die Bandbreite von verwaltungsinternen Richtlinien für die Behördenpolitik (policy guidelines) bis zu verordnungs ähnlichen Regeln (rules). Regulations oder rules sind Behördenregeln mit genereller Anwendbarkeit und Bindungswirkung für die Zukunft, die aufgestellt wurden, um Recht oder Behördenpolitik umzusetzen, sie zu interpretieren oder vorzuschreiben oder um das behördliche Verfahren oder [materielle] Anforderungen zu beschreiben. 43 Sie haben Rechtsverbindlichkeit wie Gesetze, wenn bei ihrem Erlaß die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes, Administrative Procedure Act, eingehalten wurden (Sekundäre Gesetzgebung). Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten der Einflußnahme, aber dennoch wird die Verwaltung in diesem Zusammenhang als "Vierte Staatsgewalt" kritisiert. 44

a) NIH-Richtlinien

Das Bundesgesundheitsinstituts, National Institute of Health (NIH), erstellte bereits im Jahre 1976 Regeln mit Bezug zu gentechnischen Versuchen. 45 Es handelte sich allerdings nicht um eine umfassende Regelung, sondern lediglich um die "Abwägungspunkte für Anträge bezüglich von Tests in der Umwelt mit Mikroorganismen, die mit rDNA-Techniken hergestellt wurden".46 Sie wurden von der Arbeitsgruppe zu Freisetzungsversuchen des Beirats für Rekombinante DNS, dem Recomhinant DNA Advisory Committee (RAC), erstellt und gelten nur vertraglich gegenüber Betreibern von aus NIH-Mitteln geförderten Projekten. Die Richtlinien wurden stetig weiterentwickelt,47 aber ihre praktische Bedeutung ist heute vor42 Pagel, Federal Regulation of the Biotechnology Industry: The Need to Prepare Environmental Impact Statements for Deliberate Release Experiments, in Santa Clara Law Review, Bd. 27 (1987), S. 567 ff.; Bum, S. 27. 43 So die Definition der umstrittenen executive order 12, 291, Fed. Reg. Bd. 46, 17. Februar 1981, S. 13193. 44 Vgl. etwa Bucks, S. 42. 45 NIH, Recombinant DNA Research, Guidelines, Fed. Reg. Bd. 41, 1976, No. 131, S. 27902, 27911- 27922; vgl. auch Winter, Grundprobleme, S. 30. Zur Weiterentwicklung der Richtlinien vgl ausführlich: Vito, State Biotechnology Oversight: The Juncture of Technology, Law, and Public Policy, Maine Law Rev., Bd. 45 (1993), S. 329 (333 ff.). Die neueste Fassung stammt von 1994: U.S. Department 0/ Human Services, National Institutes 0/ Health, Guidelines for Research Involving Recombinant DNA Molecules, Fed. Reg. Bd. 59, S. 34496 vom 5. Juli 1994. 46 Fed.Reg., Teil 11, Bd. 50, 28. März 1985. 47 Die neueste Fassung stammt vom 5. Juli 1994.

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Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

nehmlich auf die grundlegenden Standards für die Forschung im Labor beschränkt. 48 Das Dokument gibt Hinweise darauf, welche Informationen der Antragsteller liefern soll, und enthält Kriterien, anhand derer die Unbedenklichkeit der geplanten Feldversuche festgestellt werden soll. Die Kriterien lassen sich in fünf Bereiche aufteilen, nämlich (l) eine Zusammenfassung, (2) genetische Aspekte des betreffenden modifizierten Organismus, (3) umweltbezogene Aspekte, (4) beantragte Feldversuche und (5) eine Risiko-Analyse. 49 Inhalt der Regeln sind Sicherheitsbestimmungen, deren Einhaltung Voraussetzung für die Vergabe von Bundesmitteln oder Zuschüssen des NIH an Institutionen wurden, die Versuche mit gentechnisch veränderten Organismen durchführen. Obwohl die Bestimmungen des Dokumentes private Unternehmen, die nicht bezuschußt werden, nicht rechtlich binden, wurden sie später auf Aufforderung des NIH und zur Vermeidung von negativer Öffentlichkeitswirkung in weiten Teilen auch von zahlreichen Privatunternehmen freiwillig übernommen. 5o Nachdem zunächst nur Versuche zu Forschungszwecken erlaubt waren, wurden die Richtlinien nach zwei Jahren geändert, um Freisetzungsversuche auf Einzelfallbasis unter Einbeziehung der "Wissenschaftlichen Überpriifungsbereiche bei beantragten Freisetzungsversuchen mit gentechnisch veränderten Organismen" (Points to consider Jor experiments involving release oJ genetically engineered organisms) genehmigen zu können. 51 Die NIH-Regeln listen die Arten der Informationen auf, die für die Durchführung einer Risikobewertung erforderlich sind, unter anderem werden Eigenschaften der Versuchsorganismen genannt und die Versuchsprotokolle. Hinsichtlich der genauen Vorgehensweise bei der Risikobewertung für die Freisetzung veränderter Organismen ist jedoch in den Richtlinien nichts enthalten. Die Richtlinien dienten vielen anderen Behörden später als Vorbild für ihre eigenen Vorschriften. 52 Die Dokumente der NIH haben auch als Vorbild für die Anhänge Bund D der OECDRichtlinien von 198653 gedient. 54 48 Vgl. EPA, Microbial Products of Biotechnology, Final Regulation Under the Toxic Substances Control Act, Discussion of Final Rule and Response to Comments, Fed.Reg. vorn 11. April 1997, Bd. 62, Nr. 70, S. 17909 (17924 f.). 49 Bum, S. 33 - 36, der auch eine Übersetzung eines bewußt offengelassenen detaillierteren Themenkatalogs der Prüfungsbereiche liefert, wie beschrieben in: Milewsky, E.A., Fie1d Testing of Microorganisms modified by Recombinant DNA Techniques: Applications, Issues and Development of "Points to Consider" Document, Recombinant DNA Technical Bulletin 8 (1985); 3, S. 102-108 (wie zitiert in Bum, S. 59). so Bum, S. 20. SI Ebd., S. 21. S2 Bum, S. 20. S3 OECD, Safety Considerations for Applications of Recombinant DNA Organisms in Industry, Agriculture and the Environment, 1986. S4 OECD, International Survey on Biotechnology Use and Regulations, Environment Monographs Bd. 39, 1990, S. 13.

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b) Das Coordinated Framework Das Büro für Wissenschafts- und Technologiepolitik, Office of Science and Technology Policy (OSTP) des Exekutivbüros des Präsidenten, verabschiedete im Jahre 1986 auf untergesetzlicher Ebene das Coordinated Frameworlf 5 in der Form einer Verwaltungsrichtlinie, die eine "integrierte und koordinierte,,56 Regulierung der Biotechnologie gewährleisten soll. Die Ermächtigung zum Erlaß dieser Richtlinien ergibt sich aus der Verfassung, welche die Gesamtheit staatlicher Aufgaben der Exekutive, Legislative und Judikative überträgt, gleichzeitig jedoch keine Rechtsetzungspflicht des Kongresses enthält, was dazu führt, dass die Abgrenzung der Zuständigkeiten von Exekutive und Legislative bei der Regelung neuer Tatbestände zum evolutionären politischen Prozess wird. 57 Das Coordinated Framework ist ein Richtliniendokument der Exekutive, das die verschiedenen Behörden, die im Bereich der Gentechnik tätig sind, bei der Ausführung der einzelnen Programme unter den einschlägigen sektoralen Gesetzen durch die Vorgabe einer Regelungspolitik leiten soll.58 Es ist anwendbar für die Herstellung und Vermarktung gentechnischer oder gentechnisch hergestellter Produkte. Das Dokument dient hauptsächlich dazu, die Zuständigkeiten verschiedenster Fachbehörden unter bestehenden Gesetzen auch für Zwecke der Gentechnik zu definieren und einheitliche Ausführung der verschiedenen gesetzlichen Programme auf einheitliche Art und Weise sicherzustellen. 59 Es stellt klar, daß die genannten Bestimmungen von RCRA, CERCLA, CAA, FWPA für gentechnisch veränderte Organismen herangezogen werden können, und löst die ursprünglich umstrittene Frage, ob TSCA auch für gentechnisch veränderte Mikroorganismen anwendbar sei, durch die folgenreiche Feststellung, daß sie "und ihre DNA-Moleküle chemische Substanzen sind".60 Ein weiteres Ziel des Coordinated Framework ist es, dem Behördenhandeln im Bereich Biotechnologie ausreichende Schranken zum Schutz der Allgemeinheit zu setzen. Es werden vier Grundsätze aufgestellt. Erstens soll die Gentechnik innerhalb der bestehenden Gesetze geregelt werden. Zweitens sollen die Produkte, nicht das Verfahren der Gentechnik der Regelung unterworfen sein. Drittens geht die jeweils zuständige Bundesbehörde bei der Entscheidung über gentechnische VorhaCoordinated Framework, Fed. Reg. Bd. 51, vom 26. Juni 1986, S. 23302 (23303). Ebd. 57 Dazu näher unten S. 81. 58 Vgl. auch Dederer. S. 186 ff. 59 Grundlegend zu dem Problem der Umsetzung von programmatischen Rechtsvorschriften siehe Henderson & Pearson, Implementing Federal Environmental Policies: The Limits of Aspirational Commands, Colum.L.Rev. Bd. 78 (1978), S. 1429. 60 Coordinated Framework, Fed. Reg. Bd. 51, vom 26. Juni 1986, S. 23302 (23304). Zur Frage, wie Mikroorganismen unter TSCA behandelt werden können vgl. OSTP, Proposal for a Coordinated Framework for Regulation of Biotechnology; Notice, Fed. Reg. Bd. 49, 31. Dezember 1984, S. 50856. 55

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Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

ben grundsätzlich in einem Einzelfallverfahren vor. Schließlich sollen alle betroffenen Behörden bei der Regulierung zusammenarbeiten. Das Coordinated Framework erwähnt selbst ausdrücklich, daß bei seiner Erstellung die von der OECD gesetzten Ziele berücksichtigt wurden. 61 Das Coordinated Framework leistet zwar einen wertvollen Beitrag dazu, die verschiedenen Sektoren-Gesetze im Bereich der Gentechnik zu entflechten, enthält jedoch keine verbindlichen materiellrechtlichen Vorgaben und leistet daher keinen Beitrag dazu, die Ermessensentscheidung über Einführungen von gentechnisch veränderten Organismen unter den verschiedenen Programmen zu formulieren. Insbesondere macht es keine Vorgaben zu den Methoden der Risikoabschätzung oder des Risikomanagements. 62

c) Frameworkfor Decisions des U.S. National Research Council

Der Nationale Forschungsrat, National Research Council (NRC),63 veröffentlichte im Jahre 1989 als Rahmensetzung für Freisetzungsentscheidungen das Framework for Decisions64 , das Vorgaben für die Abschätzung von Risiken bei Freisetzungsversuchen enthält. Der NRC fungiert als Berater der Regierung in Fragen der Wissenschaft, Technologie sowie Umwelt und ist als loses Netzwerk von hochqualifizierten Gremien, Kommissionen, Büros und Räten organisiert. 65 Seine Rahmensetzung für Freisetzungsentscheidungen hat keine direkte Außenwirkung, allerdings hat sie die Überarbeitung der amerikanischen Richtlinien beeinflußt. 66 Das Dokument schlägt als Kriterien für die Beurteilung von Freisetzungen die Vertrautheit mit dem Organismus und der Umwelt, in der die Freisetzung stattfinden soll, effiziente Möglichkeiten zur Begrenzung und Kontrolle der Organismen 61 OECD, Safety Considerations for Applications of Recombinant DNA Organisms in Industry, Agriculture and the Environment, 1986; vgl. dies., International Survey on Biotechnology use and regulations, Environment Monographs Bd. 39, 1990, S. 13. 62 Shapiro, S. 37 -49; Vito, State Biotechnology Oversight: The Juncture of Technology, Law, and Public Policy, Maine Law Rev., Bd. 45, 1993, S. 329, 354; V.S. Congress, OTA, A New Technological Era for American Agriculture (OTAF-474), 1992, S. 181- 270. 63 Der Nationale Forschungsrat (National Research Council) wurde im Jahre 1916 von der Nationalen Akademie der Wissenschaften (National Academy 0/ Sciences) gegründet, um die Wissenschaftsgemeinschaft dem Ziel der Akademie näher zu bringen, das Wissen fortzuentwickeln und die Bundesregierung zu beraten. 64 Committee on Scientific Evaluation of the Introduction of Genetically Modified Microorganims and Plants into the Environment, Board on Biology Commission on Life Sciences National Reserach Council "Field Testing Genetically Modified Organisms: Framework for Decisions" National Academy Press, Washington, D.C. (1989) = Recombinant DNA Technical Bulletin Bd. 12, S. 183 ff. (1989). 65 36 V.S.C.A. § 253. Eine jüngere Studie über das Gremium findet sich bei Smith, B.L.R., The Advisers: Scientists in the Policy Process (1992). 66 Smitlvan Elsaslvan Veen, Risks Associated with the Application ofGenetically Modified Microorganisms in Terrestrial Ecosystems, FEMS Microbiology Rev., 88 (1992), S.263-278.

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sowie die möglichen Auswirkungen des Verbleibs des genetischen Materials in der Umwelt oder der Übertragung auf Nicht-Zielorganismen vor. Die Schritte einer Risikoabschätzung sind ähnlich wie bei der Abschätzung der Gesundheitsrisiken von Chemikalien konzipiert und umfassen hazard identification, exposure assessment, und das dose-response assessment. Wenn ein vertrauter Organismus freigesetzt werden soll, d. h. wenn es ausreichende Erfahrungen im sicheren Umgang mit dem Organismus insbesondere am Ort der Freisetzung und in der beabsichtigten Verwendung gibt, soll keine erneute Risikobewertung mehr stattfinden müssen. Um das Risiko soweit wie möglich zu quantifizieren, werden die Überlebensrate und die Eigenschaften des eingeführten Gens betrachtet, das eingeführte Gen wird lokalisiert, und die Auswirkungen auf das Ökosystem, in dem die Freisetzung stattfindet, werden untersucht.

d) Federal Oversight Document

Eine der wichtigsten Regelungen im Bereich des Risikos, das von gentechnisch veränderten Organismen ausgeht, ist das Leitlinien-Papier mit dem Titel "Die Ausübung der Bundesüberwachung im Rahmen der gesetzlichen Kompetenz: Geplante Einführungen von Biotechnologie-Produkten in die Umwelt". Die Leitlinie wurde ähnlich wie schon das Coordinated Framework vom OSTP aufgrund einer pauschalen Kompetenzzuweisung für staatliche Aufgaben 67 verabschiedet68 und verkündet die Politik, die für alle Behörden, die im Bereich der Biotechnologie tätig sind, maßgeblich ist. Das Dokument ist als Richtlinie für die sektoralen Regelungen gedacht, die von den Regelungsbehörden,69 deren Zuständigkeitsbereich für die Biotechnologie relevant ist, erlassen werden. 7o Dieses Dokument, kurz Federal Oversight Document, versteht sich selbst als Ergänzung zu dem erwähnten Coordinated Framework von 1986. Wahrend das Coordinated Framework die Aufteilung der Überwachungskompetenzen in bezug auf die verschiedenen einschlägigen Gesetze und die zuständigen Behörden klarstellen sollte, zielt das Federal Oversight Document auf die Frage ab, wie diese Kompetenzen in den zahlreichen Situationen auszuüben sind, in denen ein Gesetz der ausführenden Behörde einen weiten Ennessensspielraum gewährt. 71 Die Eckpunkte dieses Dokumentes sind die Vorgabe eines risikobezogenen Regelungsansatzes für die gesamte Biotechnologie-Industrie, 72 einer produktbezogenen Risiko67 Siehe oben S. 59. 68 Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753. 69 Das Konzept der "Regelungsbehörden" ist in Deutschland in dieser Form unbekannt. 70 Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6758). Zu einem historischen Überblick über die Biotechnologie-Politik siehe Forum, NBIAP NEWS REP, April 1992, S. 9 f. 71 Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753. 72 Vgl. dazu sogleich unten, S. 97.

Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

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bewertung mit der Möglichkeit der vergleichenden Risikoanalyse sowie einer Kosten-Nutzen-Abwägung bei der Freisetzungsentscheidung. Das Federal Oversight Document ist sowohl unter dem Einfluß verschiedener politischer Organe als auch unter starker Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen des Bekanntmachungs- und Stellungnahmeverfahrens 73 entstanden. Bereits im Juli 1990 veröffentlichte das Büro für Wissenschafts- und Technologiepolitik, OSTP, in Zusammenarbeit mit einer zwischenbehördlichen Arbeitsgruppe einen Entwurf für eine Richtlinie über das Ausmaß staatlicher Überwachungsmaßnahmen im Bereich der Biotechnologie, welche später nur kurz "Scope Document" genannt wurde. 74 Dieser Entwurf des Scope Documents wurde bis zur endgültigen Fassung durch verschiedene Entscheidungen und Stellungnahmen beeinflußt. Das Federal Oversight Document zitiert teilweise wörtlich aus den Stellungnahmen75 und entwickelt aus den Regelungszielen konkrete Strategien als Anweisung an die zuständigen Behörden.

aa) Entscheidung des Präsidenten zur Überwachung der Biotechnologie Eine der wichtigsten Entscheidungen, die das Scope Document beeinflußten, war eine Entscheidung des Präsidenten Bush vom August 1990,76 die vier Prinzipien für die Überwachung der Biotechnologie aufstellte. Erstens legte es fest, die Überwachung solle sich auf die Charakteristika und die Risiken eines biotechnisch hergestellten Produktes, und nicht auf das Herstellungsverfahren beziehen, weil das Risiko nicht durch die Herstellung, sondern nur durch den Gebrauch des Organismus hervorgerufen werde. Wo kein Risiko oder nur geringes Risiko bestehe, solle die Industrie nicht unnötigerweise durch Überwachung des Testens und der Kommerzialisierung behindert werden, zumal die staatlichen Ressourcen auf die Kontrolle größerer Risiken konzentriert werden solle. Zweitens sollten die Behörden dort, wo Überwachungsmaßnahmen notwendig seien, die Belastungen durch die Kontrolle gering halten und dennoch die öffentliche Gesundheit und das Allgemeinwohl sichern. Beschleunigte Verfahren sollten für Produkte entwickelt werden, die wahrscheinlicherweise ein geringeres Risiko bedeuten. Die Kompetenzen der einzelnen Behörden sollten geklärt werden, um Verwirrung und Verzögerungen "Notice and comment procedure", dazu ausführlicher unten Kapitel 7. Siehe "Principles for Federal Oversight of Biotechnology: Planned Introduction Into the Environment of Organisms with Modified Hereditary Traits", in: Fed. Reg. Bd. 55, 31. Juli 1990, S. 31118 ff. (im folgenden: "Proposed Scope Document"). 75 So wird in "Federal Oversight Document", in: Fed. Reg. Bd. 57, vom 27. Februar 1992, S. 6753 (6757) der Bericht der US EPA, "Reducing Risk: Setting Priorities and Strategies for Environmental Protection," Executive Summary, 1990, S. 2, wörtlich zitiert. 76 Wiedergegeben in "Federal Oversight Document", in: Fed. Reg. Bd. 57, vom 27. Februar 1992, S. 6753 (6760). 73

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zu venneiden, und die einzelnen Behörden sollten die gleichen Standards verwenden und sie gleichfönnig umsetzen. Beispielsweise werde eine schädlingsresistente Pflanze einerseits von der EPA wegen ihrer Eigenschaften als Schädlingsbekämpfungsmittel und andererseits auch von der FDA mit Hinblick auf die Lebensmittelsicherheit kontrolliert. Drittens seien Ausführungsstandards den Technologiestandards vorzuziehen, damit sich das Regelungsprogramm der Entwicklung der Biotechnologie anpassen könne. Viertens müßten Ausführungsstandards auch in anderen Nonnen, die für die Biotechnolgie relevant sind, eingeführt werden, um Innovationen in diesem Bereich zu erleichtern.

bb) Bericht des Science Advisory Board der EPA über Risikoprioritäten Im September 1990, einen Monat nach der Entscheidung des Präsidenten, veröffentlichte das wissenschaftliche Beratungsgremium der EPA, das Science Advisory Board (SAB), seinen Bericht über die Prioritäten bei der Behandlung von Umweltrisiken. 77 Unter anderem unterstützt das Dokument den Ansatz, daß Risikoregulierungsmaßnahmen nur dort einzusetzen seien, wo die Risikoprioritäten liegen, das heißt dort, wo das Risiko am größten ist.

cc) Biotechnologie-Politik des Rates des Präsidenten zur Wettbewerbsfähigkeit Im Februar 1991 verfaßte der Rat des Präsidenten zur Wettbewerbsfahigkeit, The President's Council on Competitiveness, seinen Bericht über die nationale Biotechnologie-Politik. 78 Darin heißt es, im Bereich der Biotechnologie sei die nationale Rechtsetzung ausschlaggebend für die Kosten und die Zeit, die zur Vennarktung eines Produktes aufgewandt werden müßten. 79 Weil die Regulierungsbehörden als "Torhüter" (gatekeepers) für die Vennarktung neuer Produkte fungierten, könnten sie durch Regelungsmaßnahmen Dauer und Kosten einer Vennarktung bestimmen. Wenn jedoch zu große Unsicherheit in den Biotechnologie-Regelungen der Bundesbehörden herrsche, dann führe dies zu einem Flickwerk gegensätzlicher Regelungen in den Einzelstaaten, behindere die Wissenschaft und untergrabe das Vertrauen der Bevölkerung in die Technologie.

77 EPA's SAB, Report, Reducing Risk: Setting Priorities and Strategies for Environmental Protection, September 1990. 78 The President's Council on Competitiveness, Report on National Biotechnology Policy, Februar 1991. 79 Ebd. S. 11.

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Kap. 3: Vergleich der bestehenden Nonnierungen

dd) Tatsachenbericht des Rates des Präsidenten zur Wettbewerbsfähigkeit Im April 1991 veröffentlichte der Rat des Präsidenten zur Wettbewerbsfähigkeit einen Tatsachenbericht 80, wonach Rechtsvorschriften, die Innovationen behindern oder bestrafen, als sich selbst multiplizierende Lasten für die amerikanische Industrie bezeichnet werden.

e) Regelungen mit Normcharakter

Neben den genannten politischen Dokumenten sind auch Vorschriften zur Ausgestaltung der gesetzlichen Regimes für gentechnisch veränderte Organismen erlassen worden, denen überwiegend Normcharakter zukommt. 8I Weil in einigen Gebieten die Regelungspolitik der Behörden noch nicht endgültig ausgereift ist, wie etwa unter FIFRA, sollen Schwerpunkt der Ausführungen im folgenden exemplarisch die APHIS-Regeln und die TSCA-Regeln sein.

aa) Die APHIS-Regeln Die meisten praktischen Erfahrungen liegen bislang mit den Regeln des Animal and Plant Health Inspection Service (APHIS)82 des USDA vor,83 welche als erste Bundesvorschriften speziell auf die Biotechnologie-Industrie zugeschnitten waren. 84 Sie greifen die äußerst weitgefaßten Ermächtigungsgrundlagen des FPPA 80 Zusammenfassung des Inhalts des Tatsachenberichtes in Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992,S.6753,S.6761. 81 In Foundation on Economic Trends VS. Heckler (756 F.2d 143 (158), D.C. Cir. 1985) führte das Gericht aus, daß Behördenhandeln dann die Schwelle zur verbindlichen Außenwirkung ( .. point of commitment überschreitet, wenn die Behörde sich nicht mehr per Einzelfallentscheidung über ihre abstrakten Vorgaben hinwegsetzen kann. Dieser Punkt ist nach Auffassung von APHIS erst dann erreicht, wenn die Behörde jeden einzelnen Antrag oder jede einzelne Petition, insbesondere auf Bestimmung des Status als nicht regulierter Artikel, beurteile, da dieser Teil der Regeln kein abschließendes Recht eines Antragstellers auf Befürwortung des Antrags oder der Petition begründe. Hinsichtlich des Benachrichtigungsverfahren sei allerdings davon auszugehen, daß ein Antragsteller, der alle Durchführungsstandards einhält, bezüglich eines Organismus, der alle Auswahlkriterien erfüllt, aus den APHIS-Regeln grundsätzlich ein Recht zur Freisetzung herleiten kann. Die Behörde glaubt, daß die voile Erfüllung dieser Standards immer zu einem FONSI für die Einführung der betreffenden Pflanze führe (vgl. Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044, 17054). 82 7 CFR § 340 Regeln über die Einführung von Organismen oder Produkten, die mit Hilfe von Gentechnik geändert oder hergestellt wurden, und die Pflanzenschädlinge darstellen oder bei denen Grund für die Annahme besteht, es handele sich um Pflanzenschädlinge. 83 Bum, S. 21. 84 Siehe Chem.Reg.Rep., Bd. 11,20. Juli 1990, S. 602. U

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und des PQA zur Regelung von Pflanzenschädlingen auf und haben auf dieser Grundlage unter Berücksichtigung der genannten politischen Dokumente ein fein ausdifferenziertes Regelungssystem entwickelt, das auf bestimmte gentechnisch veränderte Pflanzen und Mikroorganismen und weitere ,geregelte Artikel' Anwendung findet, die genetisches Material beinhalten, das als Pflanzenschädling fungiert. 85 Während jedermann in einem formalisierten Verfahren beantragen kann, daß bestimmte gentechnisch veränderte Organismen aus dem Anwendungsbereich der APHIS-Regeln ausgenommen und damit dereguliert werden, besteht grundsätzlich ein Anmeldungs- oder Genehmigungsvorbehalt für die Beförderung oder die Freisetzung von geregelten Artikeln. 86 Das Anmeldeverfahren ohne ausführliche Risikoabschätzungen kommt nur für die in den Regeln genannten Arten Mais, Baumwolle, Kartoffel, Soja, Tabak oder Tomate in Frage, soweit zusätzliche Kriterien erfüllt sind. Dabei ist jedoch die schrittweise Erweiterung des Anmeldeverfahrens auf andere Arten und bestimmte gentechnische Modifikationen geplant. Im Fall der Anmeldung kann mit der Freisetzung dreißig Tage, nachdem die zuständige Abteilung bei APHIS schriftlich benachrichtigt wurde, begonnen werden, falls APHIS nicht die Einleitung eines Genehmigungsverfahrens anordnet. 87 Unter den ursprünglichen APHIS-Regeln von 198788 hatte APHIS bis zum 2. Oktober 1990 bereits 98 Feldversuche befürwortet,89 Zwischen 1987 und November 1997 wurden von APHIS 3300 Freisetzungsgenehrnigungen erteilt oder Anmeldungen gebilligt, die sich auf jeweils eine Vielzahl von Testfeldern und auf 48 Pflanzenarten bezogen. 9o Im gleichen Zeitraum wurden 29 veränderte Organismenarten dereguliert. Ein kleiner Teil von Anträgen wurde zurückgezogen, aber APHIS hat noch nie offiziell einen Freisetzungsantrag abgelehnt. 9l Die Projekte, denen APHIS bislang zustimmte, waren nicht nur zahlreich und umfaßten eine große Vielfalt von verschiedenen Nutzpflanzen, mit denen experimentiert wurde, sondern betrafen auch die unterschiedlichsten Methoden genetischer Veränderung. Beispielsweise konnte die Behörde bei den folgenden Freisetzungen keine erheblichen Umweltauswirkungen feststellen. Im Juni 1989 verfaßte APHIS unter ande-

85 Jedermann kann eine Petition auf Aufnahme jeglicher Art (Genus), Spezies oder Unterspezies in die Liste der Pflanzenschädlinge in § 340.2 APHIS, aber auch auf Löschung von Artikeln aus dieser Liste stellen. 86 Siehe § 340 APHIS Regeln. Die Anmeldung ist in § 340.3 APHIS Regeln enthalten, das Genehmigungserfordernis in § 340.4 APHIS-Regeln und die Ausnahmetatbestände beschreibt § 340.2(b) APHIS-Regeln. Dazu im einzelnen unten S. 104 ff. 87 CFR Titel 7, § 340.3 (e)(5). 88 Vgl. oben S. 64. 89 14 Chem. Reg. Rep. (BNA) vom 5. Oktober 1990, S. 1028. 90 Information von der APHIS, in: Internet http: 1www.aphis.gov 1bbep Ibp I, Stand l. Oktober 1998. 91 Earp, The Regulation of Genetically Engineered Plants: Is Peter Rabbit Safe in Mr. McGregor's Transgenic Vegetable Patch?, in: Environmental Law, Bd. 24 (1994), S. 1633 (1664); Heidenreich, Regulierung transgener Pflanzen, S. 10.

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Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

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rem ein FONSI für Feldversuche der Firma Monsanto Agricultural Co. für veränderte Tomatenpflanzen, die ein Gen des Bazillus thuringiensis var. kurstaki HDI ausprägen, die das Protein Delta-Endotoxin ausprägen, weIches für Larven bestimmter lepidopteraner Insekten tödlich ist. 92 Im Jahre 1990 billigte APHIS beispielsweise Feldversuche der Firma Upjohn Co. mit Honigmelonen und PatissonKürbissen, die beispielsweise die Mantelproteine des Gurken-Mosaikvirus beziehungsweise des Papaya-Ring Spot Virus ausprägen. 93 Bemerkenswert ist ferner die Genehmigung für Freisetzungen von Tabakpflanzen, die gentechnisch so verändert wurden, daß sie ein Metallothionein Gen ausprägen, das VOn der Maus stammt. 94 Eine der weltweit prominentesten Entscheidungen traf APHIS am 19. Oktober 1992. Die Behörde billigte der aus rekombinierten Genen bestehenden langsam reifende sogenannten Flavr Savr-Tomate den Status als nicht geregelter Artikel zu. Die von der Firma Calgene Inc. aus Davis (Kalifornien) produzierte Tomate, die länger frisch bleibt als natürliche Tomaten, war das erste gentechnisch veränderte Vollnahrungsmittel, das in den Vereinigten Staaten verkauft wurde. 95 Im Jahre 1993 bemühten sich nicht nur mehr und mehr private Gentechnik-Unternehmen, wie beispielsweise PanAmerican Seed und PetoSeed Comat Inc.,96 sondern auch weiterhin Universitäten, wie der Forschungspionier University of California at Berkeley97 oder der Landwirtschaftsspezialist Iowa State University98, aber auch das Landwirtschaftsministerium (USDA)99 selbst um Genehmigungen für Freisetzungsversuche. Während in den anfänglichen Anträgen Hauptziel der gentechnischen Veränderungen der Pflanzen gewesen war, sie resistent gegen gewisse Viren oder Insekten zu machen, wurde nun vermehrt auch versucht, die charakteristischen Eigenschaften der Nutzpflanze selbst zu modifizieren. So bezog sich der Antrag der PanAmeriean Seed und PetoSeed Comat Ine. beispielsweise auf Karotten, deren Nährwert gentechnisch verändert worden war. IOO Im Jahre 1994 bezogen sich Genehmigungen unter anderem auf Apfelbäume 101 , Brokkoli, Patissons-Kürbisse und Luzernen,102 Weizen, Kopfsalat, verschiedene Modifikationen von Kürbissen und von Melonen und von Cyphonectria Parasitica, die Braunfäule auf Pflanzen verursacht und so verändert wurde, daß sie hypervirulent Siehe Fed. Reg. Bd. 54, S. 24924. Siehe Fed. Reg. Bd. 55, S. 32936. 94 Siehe Fed. Reg. Bd. 55, S. 30729. 95 Zu den Einzelheiten über das Verwaltungsverfahren und die Sicherheitserwägungen siehe Radenbaugh u. a., Safety assessment of Genetically Engineered Fruits and Vegetables, A Case Study of the Flavr Savr Tomato, 1992. 96 Siehe Fed. Reg. Bd. 59, S. 1710. 97 Ebd. 98 Siehe beispielsweise Fed. Reg. Bd. 54, S. 24249. 99 Siehe oben Kapitel 3, Fn. 97. 100 Siehe Fed. Reg. Bd. 59, S. 1710. 101 Siehe Fed. Reg. Bd. 59, S. 28334. 102 Siehe Fed. Reg. Bd. 59, S. 46030 und 18 Chem. Reg. Rep. (BNA), 1994, S. 713. 92 93

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wurde. 103 Hinzu kamen Aubergine und Paprika 104, käferresistente Kartoffeln 105 , modifizierte Preiselbeeren und antibiotikaproduzierende Rhizobium-Arten, die eng verwandte Bakterien im Boden eindämmen. 106

bb) Die TSCA-Regeln Zu den jüngsten untergesetzlichen Bestimmungen zur Regelung gentechnisch veränderter Organismen gehören die TSCA-Regeln von 1997 107 , die vor allem auf gen technisch veränderte Mikroorganismen Anwendung finden. Diese Regeln ergingen aufgrund § 5 TSCA 108 zur Ausgestaltung des TSCA-Anmeldeverfahrens für bestimmte rekombinierte Mikroorganismen. Von besonderer praktischer Bedeutung für Freisetzungen von Mikroorganismen ist der Anmeldevorbehalt für Aktivitäten mit mikrobiellen Substanzen, soweit sie für unmittelbar oder letztendlich kommerzielle Zwecke erforscht, hergestellt oder verarbeitet werden (Microbial Commercial Activity Notice (MCAN».109 Mit der Anmeldung sind umfangreiche Daten über das Risikopotential des freizusetzenden Organismus bei der EPA einzureichen. Wenn die 90 tägige Prüfungsfrist abgelaufen ist und EPA keine anderweitigen Anordnungen trifft, kann der Anmelder mit der Aktivität beginnen. lIo Soweit ein Freisetzungsversuch der kommerziellen Forschung und Entwicklung dient, kommt alternativ zur MCAN auch ein Antrag auf eine Freisetzung in die Umwelt unter TSCA, die TSCA Environmental Release Application (TERA) 111 in Betracht. Dieser Antrag stellt im wesentlichen eine verkürzte MCAN dar, und die EPA soll über die Erteilung der Erlaubnis in der Regel innerhalb von 60 Tagen entscheiden, bevor der Forscher mit der Freisetzung fortfahren kann. 112 In einigen Fällen reicht für derartige Freisetzungen auch eine Anzeige aus. 113 Siehe Fed. Reg. Bd. 59, S. 33726. Siehe Fed. Reg. Bd. 59, S. 29274. 105 Siehe Fed. Reg. Bd. 59, S. 44707. 106 Ebd. 107 Microbial Products of Biotechnology; Final Regulation Under the Toxie Substances Control Act, vom 27. April 1997,40 CFR Parts 700, 720, 721, 723, 725. Die Regeln traten am 10. Juni 1997 in Kraft. 108 U.S.C. Titel 15, § 2604. 109 CFR Titel 40, § 725.1(a), (b), § 725.100(a), § 725.900(a). 110 § 725. 170(b) TSCA-Regeln. 111 CFR Titel 40, § 725.205(b). 112 Zwar kann auch für die Forschung immer ein MCAN eingereicht werden, allerdings erwartet EPA, daß oft ein TERA gewählt wird, weil zu erwarten ist, daß die EPA gerade im Bereich der Forschung wegen der naturwissenschaftlichen Ungewißheiten ohnehin Auflagen nach § 5(e) TSCA macht und dies dazu führen würde, daß eine MCAN bei jeder Änderung des Projekts angepaßt werden müßte. Vgl. EPA, Mierobial Products of Biotechnology; Final Regulation Under the Toxic Substance Control Act, Fed.Reg. vom 11. April 1997, Bd. 62, Nr. 70, S. 17909, 17912. 103 104

5*

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Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

Die EPA hatte 1986 einen Regelungsansatz für ihr Biotechnologie-Prograrnm l14 veröffentlicht, im Jahre 1990 ein Subkomitee ihres Biotechnolgie Science Advisory Committees (BSAC) eingesetzt, mehrere Anhörungsverfahren durchgeführt 115 und schließlich die endgültige Regelung veröffentlicht. Die Prüfung unter den TSCARegeln ist darauf ausgerichtet, ein unvertretbares Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu verhindern, ohne der Biotechnologie-Industrie unnötige Regulierungslasten aufzuerlegen. 116 Nur in sehr seltenen Fällen schreitet die EPA gegen Freisetzungsvorhaben ein, weil sie der Auffassung ist, diese stelle ein unvertretbares Risiko dar. 117

3. Staatengesetze Auch einige Einze1staaten der Vereinigten Staaten sowie bestimmte Kommunen besitzen gesetzliche Bestimmungen zur Regelung der Biotechnologie, die innovative Regelungsansätze verfolgen, denen jedoch in der Freisetzungspraxis nur eine geringe Bedeutung zukommt.

a) Gesetzgebungskompetenz der Staaten Grundsätzlich liegt die Gesetzgebungskompetenz bei den Gliedstaaten,118 mit Ausnahme der in Art. I § 10 der Verfassung enumerativ aufgezählten Bundeskompetenzen. In der Biotechnologie ergeben sich Kompetenzen für die Staatengesetzgebung bereits daraus, daß beispielsweise TSCA und FlFRA den Staaten oder ihren politischen Untereinheiten grundsätzlich erlauben,119 strengere Anforderungen als die der Bundesregelung zu stellen. Daraus folgt, daß auch die von APHIS nicht erfaßten Organismen und Freisetzungen noch in einzelstaatliche Kompetenz fallen. 12o

CFR Titel 40, § 725.238(a)(l). EPA, Statement of Policy: Microbial Products Subject to the Federal Insecticide, Fungicide, and Rhodenticide Act and Toxic Substances Control Act, veröffentlicht als Teil des Coordinated Framework, Fed. Reg. Bd. 51, vom 26. Juni 1986, S. 23302 ff. 115 Vgl. etwa EPA, Microbial Products of Biotechnology; Proposed Regulation Under the Toxic Substances Control Act, Fed. Reg. Bd. 59 vom I. September 1994, S. 45526 ff. 116 Vgl. die offizielle Zusammenfassung der Regeln in: Fed. Reg. Bd. 62, vom 11. April 1997, S. 17909-17958. 117 Schreiben von fim Alwood, TSCA Biotechnology Coordinator, vom Oktober 1998. 118 Amendment 10 der Verfassung. 119 Zum Teil sind jedoch Ausnahmen oder Bedingungen vorgesehen; vgl. §§ 18(e) und 404(e) TSCA; § 136v(a) FIFRA. 120 Fed. Reg. Bd. 57, 1992, S. 53036 (53040). 113

114

I. Vereinigte Staaten

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b) Die vier Modelle der Staatengesetze

Weil die Staaten Regelungslücken im Bundessystem sahen, versuchten einige Staaten zwischen 1986 und 1991, eigene Schutzgesetze, insbesondere wegen sozioökonomischer und ethischer Bedenken, einzuführen. 121 In einem Grundlagenpapier der Staaten wurde unter anderem die Notwendigkeit betont, die Öffentlichkeit und Interessengruppen in die Entscheidungsprozesse einzubinden. 122 Die Versuche gesetzlicher Regelungen lassen sich in vier Kategorien einteilen. Erstens wurde versucht, die Rege1ungsgegenstände der Biotechnologie und der Gentechnik durch Änderungen der bestehenden Staatengesetze für Landwirtschaft, Gesundheit oder Umweltschutz zu integrieren. 123 So wurden beispielsweise gesetzliche Genehmigungsanforderungen mit größerem Anwendungsbereich aufgestellt, die jedoch nur insoweit anwendbar sind, als sie das Pflanzenleben in dem betreffenden Staat beeinflussen. Kritiker machen geltend, daß diese Veränderungen in ihrem Anwendungsbereich ebenso lückenhaft seien wie die Bundesregelung. 124 Zweitens haben einige Staaten ebenfalls bestehende Gesetze verändert, sie aber zu einer staatsweiten Regelungsmatrix weiterentwickelt, die einem behördenübergreifenden Spezialausschuß untersteht. 125 Trotz der vie1gepriesenen Kreativität der Staatengesetze in den Vereinigten Staaten sind in den Regelungen dieser Kategorie nur geringfügige Abweichungen von der Bundesrege1ung enthalten. Hervorzuheben ist jedoch die explizite Aufgabe der Califomia Interagency Task Force, Erwägungen zu der allgemeinen Aufgabe anzustellen, wie Informationen aus Risikoabschätzungen in wirksame Entscheidungen über einen Regelungskurs umzusetzen sind. 126 Drittens wurde in einigen Staaten versucht, eine Spezialregelung für Biotechnologie und Gentechnik zu treffen, die von den bestehenden Gesetzen unabhängig iSt. 127 Die restriktiven Gesetze Minnesotas und North Carolinas (North 121 Vgl. Vito, State Biotechnology Oversight: The Juncture of Technology, Law, and Public Policy, Maine Law Rev., Bd. 45 (1993), S. 329 (356). 122 University of Califomia Systemwide Biotechnology Research and Education Program, Workshop Steering Committee, Guidance for Sate Govemment on Oversight of Biotechnology (1990), S. 2 f. 123 Derartige Initiativen existieren in Hawaii (Haw. Rev. Stat. § 321-11.6 (Supp 1991», Florida (Fla. Stat. Ann. 58l.011, 581.083 (West 1987 & West Supp. 1992», West Virginia (w. Va. Code 19-12-1 bis 19-12-17 (1991 Supp. 1992» und Wisconsin (Wis. Stat. Ann. 146.60 (West Supp. 1992». 124 Vito, Chr. C., State Biotechnology Oversight: The Juncture of Technology, Law, and Public Policy, Maine Law Rev., Bd. 45, 1993, S. 329,364. 125 Dieses Modell verfolgen Califomia (Executive order D-46-85 (1985), Assembly Concurrent Res. 170 (1984» und New Jersey (Der Spezialausschuß wurde nach den Vorgaben des Grundlagenpapiers, siehe oben Kapitel 3, Fn. 122, gebildet). 126 Interagency Task Force on Biotechnology, Califomia's Biotechnology Pennits and Regulations: ADescription (Sept. 1986), S. 3. 127 Dazu gehören North Carolina (N.C. Gen. Stat. §§ 106-765 bis 106-777 (Supp. 1992», Minnesota (1991 Minn. Sess. Law Serv., Kapitel 250, 28-30 (West», Illinois

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Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

Carolina Genetic Engineering Act, kurz N.C. GEA I28 ) wurden wieder außer Kraft gesetzt. Viertens gibt es Staaten, die Spezialgesetze zur Ermächtigung eines ständigen Verwaltungskörpers mit gesetzlichem Auftrag zur Regelung der Biotechnologie und der Gentechnik erlassen haben. 129 Hervorzuheben ist das Gesetz von Maine, das eine Kommission errichtet, welche unter anderem "Standards für die Genehmigungserteilung entwickeln und Risiken für die Öffentlichkeit und für die Umwelt durch die Biotechnologie und die Gentechnik abschätzen" sol1. 130 Auch Iowa, einer der Staaten ohne eigene Gentechnik-Gesetzgebung, hat ein "Biotechnology Advisory Comrnittee" eingerichtet, das eng mit der lokalen APHIS-Stelle zusammenarbeitet. 131 Die genannten Gesetze und Kommissionen wurden teilweise verändert oder ganz aufgehoben.

11. Deutschland Maßgeblicher Rahmen für die deutsche Gentechnikgesetzgebung sind die europäischen Richtlinien, die im Zusammenhang mit der modemen Biotechnologie stehen, nämlich die horizontalen Richtlinien 90/219/EWG ("Systemrichtlinie,,)132, 90/220/ EWG ("Freisetzungsrichtlinie") 133, 90/679/ EWG und 94/55/ EG, von denen vorliegend insbesondere die "Freisetzungsrichtlinie" 90/220/ EWG einschlägig ist. 134 Diese Richtlinie ist von den EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen, wobei es wegen Art. 102 Abs. 4 EGV den Mitgliedstaaten nicht gestattet ist, im Vergleich zur Richtlinie strengere, weitergehende oder sonst abweichende Regelungen zu erlassen, es sei denn, die Abweichungen sind durch wichtige Erfordernisse im Sinne des Art. 30 EGVoder in bezug auf den Schutz der Arbeitsumwelt oder den Umweltschutz gerechtfertigt (sogenanntes ,opting-up,).135 (Ill. Ann. Stat., Kap. 111.5, §§ 7600-11 (Smith-Hurd Supp. 1992» und Oklahoma (Okla. Stat. Ann. Titel 2, §§ 2011-18 (West Supp. 1992)). 128 N.C. General Statutes (Gen. Stat.), chapter 106 Agriculture, §§ 106-765 bis 777 (1989). 129 Dies sind Maine (Me. Rev. Stat. Ann. Titel 7, §§ 231-36 (West 1989 und Supp. 19921993) und New York N.Y. Public Health Law 3220-23 (McKinney 1985). 130 Me. Rev. Stat. Ann. Titel 7, § 233(5) und (7) (West Supp. 1992-1993). 131 Heidenreich, Regulierung trangener Pflanzen, S. 46. 132 Richtlinie 90 I 219 I EWG des Rates vorn 23. 4. 1990 über die Anwendung von genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1990, Nr. L 117 I 1. 133 Richtlinie 90/220 1EWG des Rates vorn 23. 4. 1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt, ABl. vorn 8. 5. 1990, Nr. L 117 115, geändert und ergänzt durch die Richtlinie 94 I 15 I EG der Kommission vorn 15. April 1994 zur ersten Anpassung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt an den technischen Fortschritt, ABI. vorn 22. 4. 1994, Nr. L 103 I 20. 134 Zum ganzen: Schweizer/Calame, RIW 1997, S. 34 ff. 135 Vgl. auch Gerlach, S. 50.

11. Deutschland

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1. Die EG-Freisetzungsrichtlinie

Die Freisetzungsrichtlinie erlaubt die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen in die Umwelt und die kommerzielle Vermarktung von Produkten, die für die anschließende Freisetzung bestimmt sind. Sie regelt unter anderem die absichtliche Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen in die Umwelt. Es ist geplant, die Freisetzungsrichtlinie durch eine neue Richtlinie zu ersetzten, die weitreichende Verfahrensvereinfachungen vorsieht. 136 Schon in der jetzigen Fassung der Richtlinie wird als wesentliches Kontrollinstrument die Zustimmung der zuständigen Behörde zu jeder Freisetzung verlangt, eine Öffentlichkeitsbeteiligung ist nicht immer vorgesehen, allerdings kann ein Mitgliedstaat ein Anhörungsverfahren vorschreiben (Art. 7 der Richtlinie; nach Art. 8 des Richtlinienvorschlages wird die Anhörung obligatorisch). Wenn eine Anmeldung bei der Behörde eingeht, entscheidet diese gemäß Art. 6 der Richtlinie innerhalb von 90 Tagen über die Freisetzung und kann Auflagen erteilen (Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie). Zu diesem Zweck muß der Antragsteller die in Anhang 11 der Richtlinie aufgelisteten Angaben machen. Dabei sind einige der genannten Kriterien nur für bestimmte Arten von Organismen, etwa Tiere, Pflanzen oder Mikroorganismen, anwendbar. Die Kommission hat die in der Richtlinie vorgesehenen generellen Kriterien festgelegt, nach denen ein vereinfachtes Verfahren für die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen zulässig sein SOll.137 Allerdings hat das OVG Berlin festgestellt, daß diese Kommissionsentscheidungen ohne die nach dem GenTG erforderliche Rechtsverordnung zur Einführung des vereinfachten Verfahrens nicht ausreiehen. 138 Hinsichtlich der Risikobewertung enthält die Freisetzungsrichtlinie nur wenige Vorgaben. Allerdings setzt die Richtlinie das von der OECD vorgeschlagene Prinzip der Einzelfallbewertung (case by case/ 39 um und läßt generalisierte Betrachtungen im Rahmen des Zulassungs verfahrens beispielsweise nur in den engen 136 Gemeinsamer Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlaß der RL des Europäischen Parlamentes und des Rates über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der RL 90/220/EWG des Rates, Brüssel, den 26. 11. 1999 (98/0072 (COD». 137 Entscheidung 93/584/EWG der Kommission vom 22. Oktober 1993 zur Festlegung der Kriterien für vereinfachte Verfahren für die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Pflanzen gemäß Artikel 6 Absatz 5 der Richtlinie 90/220/EWG des Rates, AB!. vom 12. 11. 1993, Nr. L 279/42. Anläßlich eines späteren Antrags auf konkrete Verfahrensvereinfachungen für transgene Nutzpflanzen hat die Kommission durch die Entscheidung 9417301 EG vom 4. November 1994 zur Festlegung von vereinfachten Verfahren für die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen nach Artikel 6 Absatz 5 der Richtlinie 901 220/EWG des Rates, AB!. vom 12. 11. 1994, Nr. L 292/31, ein Anmeldeverfahren eingeführt, das für Wiederholungsanträge und Nachmeldungen weiterer Standorte eine Bearbeitungszeit von 15 Tagen vorsieht. 138 OVG Berlin, Besch!. vom 9. Juli 1998-2 S 9/97, NVwZ 1999, S. 96 ff. =NUR 1999, S. 268 ff. =ZUR 1999, S. 37 ff. =UPR 1999, S. 31 ff. 139 Vg!. oben S. 48.

72

Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

Grenzen des Art. 6 Abs. 5 ZU. 140 Das schrittweise Verfahren (step by step)141 drückt sich in der Freisetzungsrichtlinie insoweit aus, als sich die Ausbringung der Organismen stufenweise von geschlossenen Systemen bis hin zur Umwelt steigert, wobei die Einschließungsmaßnahmen schrittweise gelockert werden. 142 Die konkrete Ausgestaltung des schrittweisen Verfahrens läßt die Richtlinie offen. Jedenfalls soll für jede Freisetzung eine Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne des Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie vorgenommen werden.

2. Gentechnikgesetz 1990

In Deutschland ist das Gentechnikrecht in einem einheitlichen Spezialgesetz geregelt worden. Das Gentechnikgesetz von 1990 143 und die auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen haben unter anderem den Zweck, Leben und Gesundheit von Menschen, Pflanzen sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge und Sachgüter vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen. l44 Neben den gentechnisch veränderten Produkten selbst wird also zusätzlich auch die Durchführung gentechnischer Verfahren dem Regelungsrahmen unterstellt. Das Gesetz regelt gentechnische Anlagen, gentechnische Arbeiten, Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen sowie das Inverkehrbringen von Produkten, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten. 145 Das Gesetz beinhaltet umfangreiche materielle Zulassungskriterien, sieht eine bedeutende Rolle für die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS), für das Umweltbundesamt (UBA) und für die biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) vor. Zudem verlangt es die Öffentlichkeitsbeteiligung auf Genehmigungs- und Verordnungsebene. 146 Die deutsche Regulierung der Gentechnik wird als eine der strengsten Regelungen überhaupt angesehen. 147 In der Praxis wurden mit etwa 100 Freisetzungen an 140 Vgl. Erwägungsgrund 9 zur Freisetzungsrichtlinie; Schweizer/Calame, RlW 1997, S. 34 (41); vgl. OECD, International Survey on Biotechnology use and regulations, Environment Monographs Bd. 39 (1990), S. 14. 141 Siehe oben S. 48. 142 Vgl. Erwägungsgründe 10 bis 12 der Richtlinie; vgl. OECD, International Survey on Biotechnology use and regulations, Environment Monographs Bd. 39, 1990, S. 14; zu dem Vorschlag einer europäischen Verordnung mit gestufter Risikosteuerung: Maier, S. 201 ff. 143 Gesetz zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz) vom 20. Juni 1990, BGBL I, S. 1080. Vgl. dazu auch Bundestags-Drucksache 11 /6778 vom 27. März 1990. 144 § 1 Nr. 1 GenTG. 145 § 2 Abs. 1 GenTG. 146 Vgl. im einzelnen Gerlach, S. 60 ff. (99 ff.); Simon, InfUR 1992,193 ff. 147 U.S. Congress, Office of Technolgy Assessment, Biotechnolgy in aGlobai Economy, (1991), S. 233; vgl. auch Wurzel, BayVB11991, S. 1 (5 ff.).

11. Deutschland

73

mehreren hundert Standorten bis Anfang des Jahres 2000 vergleichsweise wenige Freisetzungen durchgeführt. Die bisher durchgeführten Freisetzungen erfolgten allein zu Versuchszwecken und betrafen zunächst nur die Pflanzen Petunie, Zuckerrübe, Kartoffel, Mais und Raps, aber ab Mitte der neunziger Jahre kamen modifizierte Bakterien, Tabak, Pappel, Wein und Erbsen hinzu. 148

3. Untergesetzliche Bestimmungen Von den Rechtsverordnungen sind insbesondere die Gentechnik-Sicherheitsverordnung (GenTSV)149, die in Anhang I allgemeine Kriterien für die Sicherheitsbewertung und Einteilung der Risikogruppen der Spender- und Empfängerorganismen sowie weitere Anhänge zu einzelnen Sicherheitsrnaßnahmen enthält, die Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung (GenTAufzV)150, die vorschreibt, welche Aufzeichnungen bei der Durchführung von Freisetzungen zu führen, aufzubewahren oder vorzulegen sind, die Gentechnikverfahrensverordnung (GenTVfV)151, die Einzelheiten über das Verfahren bei Genehmigungen oder Anmeldungen enthält, die Gentechnik-Anhörungsverordnung (GenTAnhV)152, die Anhörungsverfahren und Erörterungsterrnine regelt, und schließlich die ZKBS-Verordnung (ZKBSV)153, die Aufgaben und Verfahren der ZKBS zum Gegenstand hat, besonders hervorzuheben.

4. Bundesstaatliche Einzelgesetze Die Zuständigkeit im Bereich Gentechnik wurde auf die Bundes- und Landesbehörden verteilt. Genehmigungen für Freisetzungen und das Inverkehrbringen gentechnischer Produkte fallen in den Verantwortungsbereich des Robert-Koch-Instituts als Bundesbehörde, das mit anderen Bundesbehörden Einvernehmen herstellen 148 JörgensenlWinter, ZUR 1996, S. 294; Angaben des Robert-Koch Instituts, Stand Januar 2000. 149 Verordnung über die Sicherheitsstufen und Sicherheits maßnahmen bei gentechnischen Arbeiten in gentechnischen Anlagen, in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. März 1995, BGB!. I, S. 297. 150 Verordnung über die Aufzeichnungen bei gentechnischen Arbeiten zu Forschungszwecken oder zu gewerblichen Zwecken und bei Freisetzungen, in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. November 1996, BGB!. I, S. 1645. 151 Verordnung über die Antrags- und Anme1deunterlagen und über Genehmigungs- und Anme1deverfahren nach dem Gentechnikgesetz, in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. November 1996, BGB!. I, S. 1657. 152 Verordnung über Anhörungsverfahren nach dem Gentechnikgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. November 1996, BGB!. I S. 1649. 153 Verordnung über die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit, in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1996, BGB!. I, S. 1232.

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Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

muß, während für die Genehmigung von gentechnischen Anlagen und deren Überwachung die nach Landesrecht bestimmten Behörden zuständig sind. 154

III. Vergleich Die Untersuchung des Regelwerks hat ergeben, daß in den Vereinigten Staaten und in Deutschland die Freisetzung bestimmter veränderter Pflanzen in ähnlicher Weise geregelt ist. APHIS sieht ein Anmeldeverfahren vor, das dem Anmeldeverfahren unter der EU-Freisetzungsrichtlinie hinsichtlich der Durchführung und der Voraussetzungen ähnelt. Unterschiede bestehen darin, daß APHIS im Gegensatz zum GenTG eine vollständige Deregulierung bestimmter Organismen vorsieht, andererseits jedoch Mikroorganismen, bei denen größere naturwissenschaftliche Unsicherheit besteht, einem spezielleren Regelwerk wie TSCA unterstellt. Insgesamt unterscheidet sich das US-amerikanische vom deutschen Regelwerk für die Gentechnologie vor allem durch den vertikalen Regelungsansatz und durch die Reichweite des Gesetzesvorbehaltes beziehungsweise der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen an die Exekutive.

1. Horizontaler oder vertikaler Regelungsansatz

In den Vereinigten Staaten unterstehen transgene Organismen nur insoweit einer Regelung, als sie aufgrund ihres Anwendungsgebietes unter ein bereits bestehendes sektorales Umweltschutz- oder Produktzulassungsgesetz fallen. Statt querschnittsartig an die Herstellungsmethode der Organismen anzuknüpfen, liegen die Regelungsbereiche der einzelnen Gesetze nebeneinander und bilden eine gleichsam vertikale Struktur. Die Folge ist, daß in den Vereinigten Staaten für die Gentechnologie ein fragmentarisches Regelungswerk existiert, das sehr unterschiedliche Anknüpfungspunkte auf undurchsichtige Art und Weise kombiniert,155 die in einer Vielzahl von gesetzlichen Programmen, einschließlich TSCA, FIFRA, FPPA, PQA und FFDCA, verstreut sind und lediglich untergesetzlich an die Herausforderungen der Gentechnologie angepaßt wurden. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei dem deutschen Gentechnikgesetz um eine horizontale Regelung, weil allein die Tatsache, daß die Gentechnologie bei der Herstellung des Organismus verwendet wird, Anlaß zur einer sektorenübergreifenden Regelung ist, die unabhängig von dem Verwendungszweck des Organismus Anwendung findet. Mit dem Gentechnikgesetz und den begleitenden Verordnungen wurde somit eine umfassende und 154 RollerlJülich, ZUR 1996, S. 74 ff.; Winter, Grundprobleme, S. 19; vgl. grundlegend Brocks I Pohlmannl SenJt, S. 1 ff.; in Bayern existieren Bestrebungen, die Gesetzgebungskompetenz insgesamt auf die Länder zu übertragen. 155 So auch schon Winter, Grundprobleme, S. 30, mit einer teilweise überholten Übersicht über die verstreuten gentechnischen Vorschriften, Instrumente und Tätigkeiten auf S. 32/33.

III. Vergleich

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einheitliche Bundesregelung für Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen geschaffen. Das GenTG ist die zentrale Norm, obwohl einige Randbereiche auch durch Produktgesetze wie das Arzneimittel- und Pflanzenschutzgesetz abgedeckt werden 156 und zum Teil Defizite bei der verfahrensmäßigen Verknüpfung des Gentechnikgesetzes und seiner Verordnungen mit Gesetzen wie dem Bundesnaturschutz- und Saatgutverkehrsgesetz bestehen. 157 Allerdings sind neuerdings gewisse Annäherungen der hier verglichenen Rechtssysteme aneinander festzustellen. Denn für die Vereinigten Staaten hat neuerdings die EPA die Notwendigkeit betont, beispielsweise alle Anforderungen und Verfahren, die für "neue", also auch gentechnisch veränderte, Mikroorganismen angewandt werden, in einem Teil des Code oi Federal Regulations zu konsolidieren, was wegen der spezifischen Eigenschaften der Mikroorganismen angemessen sei, um eine konzentriertere und klarere Regelung zu treffen. 15s Auf der anderen Seite tendieren Reformbemühungen der Europäischen Kommission zu einer Deregulierung des horizontalen Gentechnikrechts in Richtung eines vertikalen Produktzulassungsrechts. Dadurch wird sich ein gemischter Ansatz eines speziellen Produktzulassungsrechts entwickeln, hinter das die horizontale Freisetzungsrichtlinie wegen der Vorrangklausel ihres Art. 10 Abs. 2 in die Position einer Auffangvorschrift zurückgedrängt wird. 159 Zwar kann ein horizontaler Ansatz zum Gentechnikrecht nicht schlechthin als restriktiver und damit ressourcenschonender als ein vertikaler Ansatz bezeichnet werden, da insoweit jeweils die formellen und materiellen Standards den Ausschlag geben, jedoch können sich die unterschiedlichen Ansätze auf die Erfassung möglicher mit der Gentechnologie verbundenen Risiken auswirken.

a) Transparenz der Regelung

Der größte Nachteil einer vertikalen Regelungsstruktur ist ihre Unübersichtlichkeit. In den Vereinigten Staaten sind die Regelungen, die für Risikobewertungen für Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen relevant sind, über eine Vielzahl von verschiedenen Gesetzen, Verordnungen und behördlichen Kompetenzen verteilt. Das führt dazu, daß für Anwender die Vorschriften schwer zu handhaben sind und Unsicherheit darüber entsteht, welche Vorschriften im Einzelfall ein156 § 2 Ziff. 4 GenTG stellt dabei sicher, daß das gentechnikrechtliche Niveau nicht unterschritten wird. 157 Sukopp, Resümee eines Fachgesprächs, S. 228. 158 EPA, Microbial Products of Biotechnology; Final Regulation Under the Toxic Substances Control Act; Final Rule; Fed.Reg. vom 11. April 1997, Bd. 62, Summary of Proposed Rule, S. 17909 (17911). 159 Schenek, S. 148; vgl. dazu Art. 11 Gemeinsamer Standpunkt, (oben Kapitel 3, Fn. 136); Schweizer/Calarne, RIW 1997, S. 34 (44); zu den Vorteilen aber auch dem Verlust an Systematik durch einen gemischten Ansatz: Maier, S. 137,200 ff.

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Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

schlägig sind. Selbst die Europäische Kommission, die verstärkt auf eine vertikale Regelungspolitik übergehen will, hat mitunter Vorschriften übersehen, wie etwa in der Übersicht zu Inhalt und Zeitplan der Anpassung des Gentechnikrechts, in dem der Entwurf der Aromastoffverordnung übersehen wurde. 160 Zudem hat das fragmentarische Regelungswerk den Nachteil, daß die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte für eine Regulierung Ungereimtheiten und Lükken geradezu heraufbeschwört. 161 In den Vereinigten Staaten wird sogar berichtet, daß es Gentechnik-Unternehmen möglich sei, die behördliche Kontrolle wegen "Schlupflöchern" in den Regelungen, ähnlich den Lücken in der deutschen Gentechnikregelung vor der Einführung des Gentechnikgesetzes, 162 ganz zu umgehen. 163 Insbesondere für gentechnisch veränderte höhere Tiere scheinen bislang Lücken zu bestehen. Eine Regelungslücke unter TSCA wird für Freisetzungen von Mikroorganismen zu nicht-kommerziellen Zwecken befürchtet, die auch nicht unter die APHIS-Regeln, unter FIFRA oder die NIH-Richtlinien fallen, weil sie weder Pflanzenschädlinge noch Schädlingsbekämpfungsmittel sind und nicht mit Bundesmitteln gefördert werden. Jedenfalls ist unbestritten, daß die verstreuten Regelungen "zu verwirrend" sind. 164 Das Dokument des Rates zur Wettbewerbsfähigkeit wiederholt die Kritik an den Unsicherheiten und dem Flickwerk der Regulierung der Biotechnologie und betont die maßgebliche Rolle des Regulierungssystems als "Gatekeeper" für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Bereich. Hinzu kommt, daß in diesem Dokument auch die Kräfte des Marktes mit seinen wirtschaftlichen Anreizen als geeignetes Mittel dafür bezeichnet werden, zumindest einigen Risiken im Bereich der Gentechnik entgegenzuwirken. 165

b) Aufteilung von Behördenkompetenzen

Eng verbunden mit der Entscheidung für eine horizontale Regelung oder für eine vertikale Regelung ist die Frage der Konzentration von Behördenkompetenzen. Im deutschen Gentechnikrecht sind die Zuständigkeiten bislang klar verteilt. In den Vereinigten Staaten hingegen werden die für die Biotechnologie anwendbaren Programme von sechs verschiedenen Behörden ausgeführt, die unterschiedliEbd. unter Verweis auf von Kameke, S. 131 Fn. 484. In diese Richtung auch Winter, Grundprobleme, S. 29. 162 Winter, DVBI. 1986, 585 ff. 163 OTA, Biotechnolgy, S. 186. Genetically Modified Fish - Environmental Threat? NBIAP News Rep., Nov. 1992, S. 4 f. 164 So auch selbst OTA, Biotechnology, S. 186; laffe, S. 531. 165 Z. B. die Vergabe von Fördermittein für Forschungsprojekte im Bereich der Biotechnolgie nach dem NIH-Richtlinien an Unternehmen, die die NIH-Sicherheitsrichtlinien befolgen. 160 161

III. Vergleich

77

che und überlappende Kompetenzen besitzen. 166 Wie und von welcher Behörde eine Anwendung eines gentechnisch veränderten Organismus geregelt wird, hängt davon ab, ob die Anwendung oder der Organismus nach geltenden Bestimmungen als Arzneimittel, Pestizid, Nahrungsmittel, Pflanzenschädling, oder als neue chemische Substanz gilt. 167 Die EPA ist für FlFRA, TSCA und andere Umweltschutzgesetze zuständig, USDA für FPPA und PQA, die Food & Drug Administration (FDA) für den FFDCA. Weitere Zuständigkeiten liegen beim National Institute of Health (NIH), der National Science Foundation (NSF) und bei der Behörde für Arbeitsschutz und -gesundheit, Occupational Safety and Health Administration (OSHA). Jedes Gesetz weist der implementierenden Exekutivbehörde verschiedene Verantwortungsbereiche zur Ausführung zu. 168 Dabei kann es vorkommen, daß das NIH über die Zuschüsse für ein Forschungsprojekt entscheiden muß, EPA über die Zulässigkeit des Vorhabens und OSHA über die Durchführung im Hinblick auf die Arbeitnehmersicherheit. Die meisten dieser Behörden haben separate Gremien eingerichtet, um unter anderem die Fragen des Umgangs mit dem Risiko der Gentechnik zu behandeln. Das NIH hat ein Recombinant DNA Advisory Committee (RAC) ernannt, bei der EPA ist unter anderem die Hazard Evolution Division (HED) zuständig. FIFRA 169 sieht ein Scientific Advisory Panel (SAP) vor, das unter anderem auch mit den Risiken der Gentechnik befaßt ist. Dieses verstreute Netz von Programmen, Behörden und Gremien mit überlappenden Kompetenzen ist kennzeichnend für die gesamte Regelung von Gesundheitsrisiken in den Vereinigten Staaten 170 und führt zu einer uneinheitlichen und oft ineffizienten Überwachung der Gentechnik mit unklarer Kompetenzverteilung zwischen Bundes- und Landesbehörden. 17I Die Verwirrung über unvollständige oder überlappende Kompetenzen hat zur Verabschiedung des Coordinated Framework geführt, das hauptsächlich eine einheitliche Rahmenregelung schaffen und die Zuordnungs- und Kompetenzprobleme zwischen den Behörden lösen sollte. Auch wenn insoweit der Status-Quo der sektoralen Behördenzuständigkeit transparenter wurde, schlägt das Coordinated Framework vorausschauend selbst vor, daß "soweit möglich, die Verantwortung für eine Produktanwendung bei einer einzigen Behörde liegen soll". 172 Die Regelungsbehörden sollten "konsistente Definitionen für diejenigen gentechnisch veränderten Organismen verwenden, die in den ZuCoordinated Framework, Fed. Reg. Bd. 51, vom 26. Juni 1986, S. 23302 (23303). Vgl. auch Bum, S. 11. 168 Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753. 169 § 25(d) FIFRA. 170 Eine systematische Untersuchung des Entscheidungsfindung innerhalb der EPA findet sich bei Landy/Roberts/Thomas, S. I ff.; für das Umweltrecht allgemein und insbesondere für die Regulierung von Pestiziden: Rodgers, S. 409. 171 So auch schon Winter, Grundprobleme, S. 29; Mahro, RIW 1987, 114-122; Rave, Interagency Conflict and Administrative Accountability: Regulating the Release of Recombinant Organisms, in: Geo.L.J. Bd. 77 (1989), S. 1787. 172 Siehe Fed. Reg. Bd. 51, S. 23363 oder beispielsweise Fed. Reg. Bd. 57, S. 6167. 166

167

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Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

ständigkeitsbereich ihrer einschlägigen Ermächtigungsgesetze fallen ( ... ) und wissenschaftliche Prüfungen gleicher Strenge durchführen".173 Auch wenn durch das Federal Oversight Document in der Folge weitere Vereinheitlichungen, insbesondere auch im Hinblick auf den Umgang mit technischen Risiken, vorangetrieben wurden, blieben die grundsätzlichen Nachteile der Zersplitterung von Zuständigkeiten erhalten. Diesbezüglich identifiziert der Richter am Supreme Court Stephen Breyer zwei hauptsächliche Probleme im Zusammenhang mit der Regelung von Gesundheitsrisiken. Zum einen sieht er die Gefahr, daß die isolierte Behandlung ähnlicher Risiken in den einzelnen Behörden zu einer sogenannten "Tunnelsicht" führen könne. 174 Darunter ist das Phänomen zu verstehen, daß ein Entscheidungsträger in einer Behörde die Regelung eines bestimmten Gesundheitsrisikos engstirnig bis zum Äußersten betreibt, während andere Risikobereiche unreguliert bleiben oder Regelungen nicht konsequent angewandt werden. So sind bestimmte Freisetzungen intergenerischer gentechnisch veränderter Organismen, die keine Pestizide, Nahrungsmittelzusätze oder Phytopathogene sind, nicht reguliert. 175 Zweitens führt die Verschiedenartigkeit der Behörden und Programme zu Uneinheitlichkeiten und Unzweckmäßigkeiten bei der gesamten Kontrolle. Die Behörden benutzen laut Breyer verschiedene Methoden, um das Risiko zu abzuschätzen, und wenn KostenNutzen-Abwägungen notwendig werden, veranschlagen sie unterschiedliche Zahlen für die Erfassung des Nutzwertes der Menschenleben, die bei statistischer Betrachtungsweise durch ein gesetzliches Programm gerettet werden. 176 Schließlich sind die Handlungen der Behörden nicht koordiniert und führen somit zu uneffektiver Verwaltungstätigkeit. 177 Weiterhin wurde kritisiert, daß insbesondere der Mechanismus der Petition zur Bestimmung des Status als nicht geregelter Artikel zu einer unzureichenden Überwachung über die Kommerzialisierung transgenetischer Pflanzen führe und die Anforderungen an die Daten, die zu einer solchen Petition eingereicht werden müßten, ungeeignet seien, die bekannten Risiken der Kommerzialisierung zu erfas173 Coordinated Framework, Fed. Reg. Bd. 51, vom 26. Juni 1986, S. 23302 (23303). Auf die Abweichungen in den Definitionen der als gentechnisch modifiziert, pathogen oder anerkannt ungefährlich anzusehenden Organismen, zumindest zum Zeitpunkt des Entstehens des Coordinated Frarneworks weist Bum, S. 19, hin. 174 Breyer, Breaking the Vicious Circle, S. 11; für die die Regelung der Risikobewertung: Brown (Committee on Science, Space, and Technology), Report together with additional and supplemetal views, to accompany H.R. 4306, House of Representatives, 103d Congress, 2nd Session, Report 103-857, 7. Oktober 1994, § 2 (6); zur Tunnelsicht bei der Anfertigung eines EIS: Colorado River Indian Tribes vs. Marsh, 605 F.Supp. S. 1425 (1433) (C.D.Cal. 1985). 175 Heidenreich, Regulierung transgener Pflanzen, S. 48. 176 Ebd., S. 23. m So auch mit direktem Bezug zur Regelung der Gentechnik: Saperstein, "The Monkey's paw: Regulating the Deliberate Environmental Release of Genetically Engineered Organisms", in: 66 Washington Law Review 247 (January 1991).

111. Vergleich

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sen. 178 Das wesentlichste Gegenargument von APHIS war, daß FPPA und PQA als Ennächtigungsgrundlagen lediglich beabsichtigen, die amerikanische Landwirtschaft und die Umwelt gegen die Einführung und Verbreitung von Pflanzenschädlingen zu schützen. 179 Die Vennarktung und Kommerzialisierung auch von gentechnisch veränderten Pflanzen hingegen sei ausschließlich in den marktregelnden Gesetzen der Staaten und des Bundes geregelt l80 , die von der Food and Drug Administration (FDA) und der EPA ausgeführt werden. 181 Die APHIS-Regeln ergänzten diese Vorschriften nur, und soweit auch Aspekte der Vennarktung von APHIS erwogen würden, geschehe dies nur vorläufig und unter dem Vorbehalt einer abschließenden Regelung über gentechnisch veränderte Organismen unter den genannten Vennarktungsgesetzen. 182 Im Hinblick auf diesen beschränkten Aufgabenbereich von APHIS, der hauptsächlich den Schutz vor Pflanzenschädlingen umfaßt, glaubt die Behörde aufgrund der in § 340.6(c)(4) APHIS genannten Datenelemente eine angemessene Überwachung gewährleisten zu können. Speziell für die Durchführung von Risikoabschätzungen hinsichtlich verschiedenster Gesundheitsrisiken hatte der NRC schon früh untersucht, ob die reine Risikoabschätzung organisatorisch von der Risikobewertung getrennt werden sollte und ob dazu eine zentrale Spezialbehörde für Risikoeinschätzungen eingerichtet werden sollte. Dabei konnte jedoch wegen der Schwierigkeit des Vergleiches der verschiedenen Programme in den verschiedenen Behörden mit deren Unterschieden in Struktur, Verfahren, personeller Ausstattung und Verwaltungsgeschichte sowie gesetzlicher Zielsetzung kein zwingender Vorteil einer Zentralisierung festgestellt werden, der nicht spekulativ gewesen wäre. 183 Allerdings kritisierte der NRC, daß Risikobewertungen für dasselbe Regelungssubjekt meist in mindestens zwei Behörden notwendig werden, was den Aufwand dupliziere und auch die 178 Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044 (17050). Vgl. auch: The Potential Environmental Consequences of Genetic Engineering: Hearings Before the Subcommittee on Toxic Substances and Environemtnal Oversight of the Comm. On Environment and Public Works, 98 th Cong., 2 nd Sess. (1984). 179 Beispielsweise betont APHIS, daß es bei der Bearbeitung der Anträge außer des potentiellen Risikos von Pflanzenschädlingen auch eine weite Bandbreite anderer möglicher Wirkungen auf die menschliche Umwelt beriicksichtige (Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044, 17054), obwohl seine Entscheidungskompetenz auf Pflanzenschädlinge begrenzt ist. Falls eine andere Behörde mit ebenfalls nur sektoraler Zuständigkeit ebenso verfährt und alle Umweltrisiken abschätzt, besteht grundsätzlich Gefahr, daß die Behörden hinsichtlich der allgemeinen Umweltrisiken ein und desselben Organismus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen könnten (zu Risikobewertungen mittlerer Ebene jedoch unten, S. 206). 180 Solche Gesetze sind insbesondere die Saatzertifizierungsgesetze der Staaten, das Lebensmittel-, Drogeriewaren- und Kosmetikartikelgesetz des Bundes (Federal Food, Drug, and Cosmetic Act (FFDCA) und der FIFRA des Bundes. 181 Diese Behörden haben Verwaltungsvorschriften zu diesen Regelungsbereichen verabschiedet oder vorgeschlagen, siehe Fed. Reg. Bd. 57, S. 22984- 23005, 29. Mai 1992, und ebd. S. 55531- 2,25. November 1992. 182 Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044 (17050-17051). 183 National Research Council, Managing the Process, S. 5.

Kap. 3: Vergleich der bestehenden Nonnierungen

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Glaubwürdigkeit verringere, soweit die Behörden zu unterschiedlichen Ergebnissen kämen, weil sie unterschiedliche Schlußfolgerungen aus den gelieferten Daten zögen. 184 Vor diesem Hintergrund sind auch die Tendenzen zu einer Vertikalisierung des europäischen Gentechnikrechts kritisch zu betrachten. Wenn heute gefordert wird, daß das Verhältnis von vertikalen europäischen Produktvorschriften und der horizontalen Freisetzungsrichtlinie systematisiert werden müssen,185 so ist darin das gleiche Klärungsbedürfnis zu sehen, das 1986, mehr als ein Jahrzehnt friiher, zu der Verabschiedung des Coordinated Framework in den Vereinigten Staaten führte. Allerdings waren beide Systeme von entgegengesetzten Regelungsstrukturen ausgegangen. c) KompetenzauJteilung und Sachnähe

Die sektorale Aufteilung von gesetzlichen Programmen und behördlichen Zuständigkeiten hat insoweit den Vorteil größerer Sachnähe, als Differenzierung nach Art des Organismus oder seiner Verwendung sinnvoll ist. Hinsichtlich der Art des gentechnisch veränderten Organismus ist anerkannt, daß sich wissenschaftliche Methoden zur Abschätzung der Sicherheit unterscheiden und für Mikroorganismen beispielsweise andere Kriterienkataloge als für Pflanzen anzuwenden sind,186 weil die Sachzusarnrnenhänge oft zu verschieden sind. 187 Grundsätzlich können für verschiedene Anwendungen der Gentechnik die Abwägungsprozesse unterschiedlich ausfallen. 188 Hinzu kommt das Problem der Fortschreibung der Regeln. Zwar ist es grundsätzlich bei einem vertikalen Regelungsgefüge wie in den Vereinigten Staaten schwieriger, Anpassungen an den Stand des Wissens in einer Vielzahl vertikaler Regelungen vorzunehmen,189 allerdings ergeben sich Vorteile, wenn sich der Stand des Wissens in den einzelnen Sektoren auch unterschiedlich schnell entwickelt. d) Bestehende Normen und neue Regelungsgegenstände

Nachteil der Regelung der Gentechnologie unter den bestehenden sektoralen Gesetzen sind die erheblichen Anpassungsschwierigkeiten. Die US-amerikanische Regelung besteht aus Gesetzen, die urspriinglich Produkte regeln sollten, die keinen Bezug zu gentechnischen Produkten aufweisen. Von Wissenschaftlern und Po184 185 186 187 188

S.IV. 189

Ebd., S. 80. So etwa Schweizer/Calame, RIW 1997, S. 34 (45). Backhaus, Vorstellung eines geplanten Projektes, S. 218 (220). "Proposed Scope Document", Fed. Reg. Bd. 55, vom 31. Juli 1990, S. 31118 ff. Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie", BT-Drs. 10/6775,

Schweizer/Calame, RIW 1997, S. 34 (44), von Kameke, S. 76.

III. Vergleich

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litikern wurde wiederholt hinterfragt, ob die bestehenden Gesetze überhaupt das Potential besitzen können, der Biotechnologie und insbesondere den speziellen Herausforderungen der Gentechnik in dem erforderlichen Maße gerecht zu werden. Sogar die EPA gesteht zu, daß die bestehenden Programme die Herausforderungen der Gentechnologie nicht vorhersehen konnten, und versuchte sie deshalb durch untergesetzliche Bestimmungen auf die speziellen Anforderungen der gentechnisch veränderten Organismen zuzuschneiden. 19o Allerdings bestehen zum Teil erhebliche Anpassungsprobleme, die besonders am Beispiel der Anwendung von TSCA auf Mikroorganismen besonders plastisch werden. Um TSCA auf die Gentechnologie anwenden zu können, erklärte die EPA Mikroorganismen durch eine umstrittene Definition kurzerhand zu chemischen Substanzen. 191 Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob nicht alle Lebewesen letztlich auch chemische Substanzen sind. Obwohl TSCA nicht völlig sachfremd erscheint, zumal auch in Deutschland das GenTG häufig mit Hilfe von Parallelen zum Chemikalienrecht ausgelegt wird,192 können zahlreiche der genannten Herausforderungen der Gentechnologie an das Rechtssystem nicht in vollem Umfang durch das Chemikalienrecht erfaßt werden. Noch weiter geht die leider nicht näher begründete Behauptung einiger Umweltschutzverbände und Wissenschaftler, wonach die Einordnung von gentechnisch veränderten Organismen unter APHIS nicht auf fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt sei 193, sondern vielmehr auf die Verwaltungsphilosophie: "Wir werden's schon irgendwie in das bestehende Recht einpassen.,,194

2. Gesetzliche oder untergesetzliche Regelung Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen dem deutschen und dem US-amerikanischen Regelungsansatz liegt darin, daß in Deutschland die Gentechnologie 190 Zu dieser Zielsetzung vgl. etwa: EPA, Microbial Products of Biotechnology; Final Regulation Under the Toxic Substance Control Act, Fed.Reg. vom 11. April 1997, Bd. 62, Nr. 70, S. 17909 (17910). 191 Manor; Living Organisms as Chemical Substances: The EPA's Biotechnology Policy Under the Toxic Substances Control Act, in: Rutgers Computer & Technology Law Journal Bd. 13 (1987), S. 409. 192 So beispielsweise ]örgensen, in: Winter (Hrsg.), Die Priifung der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 17; Winter, in: ders. (Hrsg.), Risikoanalyse und Risikoabwehr im Chemikalienrecht, S. 52. 193 Hauptsächlich mit Bezug auf die verzerrte Definition des Wortes "Schädling": Margaret Mellon, Dirketor des National Wildlife Federation's Biotechnology Center, bei einer Anhörung am 2. Oktober 1990 bezüglich der Vorlage HR 5312, oben Kapitel 3, Fn. 3. Ähnlich Eric M. Hallerman, Professor in der Abteilung Tierleben und Fischerei Wissenschaften an der Virginia Tech University hinsichtlich des Änderungsentwurfes HR 5312 für den PPA: "Der Einordnung eines Karpfens mit einem eingefügten Gen, das ein Wachstumshormon kodiert, als schädliches Unkraut fehlt jegliche Glaubwürdigkeit", ebd. 194 Statement von Harold L. Volkmer (D-Mo), oben Kapitel 3, Fn. 3. 6 Poh1

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Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

weitgehend durch Parlamentsgesetz geregelt wird, während sich in den Vereinigten Staaten maßgebliche Bestimmungen in untergesetzlichen Regelungen befinden. Die genannten US-amerikanischen Gesetze, die auf die Gentechnologie angewandt werden, lassen wesentliche Fragen offen oder drücken sich in wichtigen Streitpunkten nicht klar aus. Beispielsweise beschränken sich die Vorgaben von TSCA hinsichtlich der Feststellung eines "unvertretbaren Risikos" auf prozessuale Anforderungen, während materielle Standards gänzlich fehlen. Noch unbestimmter ist die Ermächtigungsgrundlage des PQA, der das USDA dazu ermächtigt, in Form der APHIS-Regeln geeignete Regelungen zu treffen, um Gesundheitsgefährdungen zu verhindern. Deshalb gibt es in diesen Bereichen ein Netzwerk von sekundärer Gesetzgebung und von Verwaltungsvorschriften und Richtlinien. 195 Dabei ist es typisch für die US-amerikanische Regelungspolitik, daß Rechtsetzungsbefugnisse aufgrund weit gefaßter Aufgabenzuweisungen delegiert werden können, indem ein Regelungsziel hervorgehoben wird und die zuständige Behörde benannt wird, während in Deutschland die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Ermächtigungsgrundlage weitaus enger gefaßt sind. Obwohl auch aus deutscher Sicht die untergesetzliche Regelung insbesondere für die technische Standardisierung eine bevorzugte Regelungsmethode ist,196 geht der US-amerikanische Gesetzgeber insofern weiter, als er auch die Festlegung der Intensität staatlicher Kontrolle und der anwendbaren Instrumente delegiert. Eine derartige Regelung erfüllt nicht der deutschen verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Umgang mit der Gentechnologie. 197 In den Vereinigten Staaten hingegen verläßt man sich bei der legislativen Überwachung der Exekutive gerne auf den extensiven Einsatz von förmlichen oder unförmlichen Anfragen zu spezifischen Fragen und der Anhörung vor parlamentarischen Ausschüssen. 198 Es handelt sich um die Selbstkontrolle der Verwaltung in der Erwartung parlamentarischer Rechenschaftspflicht und nachbessernder Kontrolle, während die deutsche Verfassung das Parlament zwingt, der Exekutive vorab konkrete Handlungsvorgaben zu machen. Die Gründe für das unterschiedliche Ausmaß, zu dem Rechtsetzungsbefugnisse in den Vereinigten Staaten und in Deutschland delegiert werden, sind in verfassungsrechtlichen Anforderungen und Rehbinder; in: Smithl Kromarek, S. 8 (12). Insbesondere für die Gentechnik: Winter; Grundprobleme, S. 29. 197 Vgl. grundsätzlich etwa Winter; Grundprobleme, S. 84; für eine weitergehende "Standardisierungsermächtigung" für die Verwaltung in dynamischen Veränderungen unterliegenden Handlungsfeldern neuerdings jedoch Ladeur; DÖV 2000, S. 217 (222). 198 Brickmanl Jasanoff/llgen, S. 45. Diese Ausschüsse nehmen auch die Funktion der parlamentarischen Wachhunde "Congressional watchdog committees for federal agencies" wahr, vgl. Reitz, Political Economy and Abstract Review in Germany, France, and the United States, in: Kenney, Reisinger, Reitz (Hrsg,), Constitutional Dialogues in Comparative Perspective, S. I ff.; kritsch: Rosenberg, M., Whatever happened to Congressional Review of Agency Rulemaking?: ABrief Overview, Assessment and Proposal for Reform, in: Administrative Law Review, Bd. 51 (1999), S. 1051 ff.; Seidenfeld, M., Bending the Rules: Flexible Regulation and Constraints on Agency Discretion, in: Administrative Law Review, Bd. 51 (1999), S. 429 (432,434). 195

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III. Vergleich

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ihrer Abhängigkeit von der jeweils unterschiedlichen öffentlichen Meinung sowie in weiteren rechtspolitischen Erwägungen zu sehen.

a) VerJassungsrechtliche Anforderungen

In Deutschland wurde ein Spezialgesetz zur Regelung der Gentechnologie aus verfassungsrechtlichen Gründen für erforderlich gehalten, nachdem der VGR Kassel am 6. 11. 1989 eine gentechnische Anlage mangels gesetzlicher Spezialregelung für grundsätzlich nicht genehmigungsfähig gehalten hatte. 199 Das Gericht betonte, daß der Umgang mit der Gentechnologie die Grundrechte auf Leben und Gesundheit berühre und darüber hinaus eine "wesentliche" Angelegenheit der Gesellschaft darstelle, über die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich und bewußt durch Parlamentsgesetz entschieden werden müsse. 2OO Mit dieser Argumentation stimmt das Gericht mit zwei Literaturauffassungen hinsichtlich der Verpflichtung des Gesetzgebers überein, den Umgang mit der Gentechnik spezialgesetzlich zu regeln. 20 1 Denn zum einen wird die Ansicht vertreten, daß den Gesetzgeber objektive Randlungspflichten treffen, die sich bei ausreichender Individualisierung zu subjektiven Rechten auf den Erlaß von Schutzgesetzgebung für tangierte Grundrechte verdichten. 202 Weil nach dieser Auffassung das Gesetz nur dem Grundrechtsschutz dienen soll, muß es im Rahmen der Gefahrenabwehr und Risikovorsorge nicht ungewisse oder kollektive Risiken erfassen, sondern es reicht aus, wenn das Gesetz solche gentechnischen Projekte regelt, bei denen Anhaltspunkte für eine Gefährdung subjektiver Rechte Dritter vorliegen. 203 Allerdings beruft sich der VGR Kassel auch darauf, daß der Gesetzgeber über den Grundrechtsbereich hinaus auch "wesentliche" Sachverhalte wie etwa Gefährdungen des Naturhaushaltes zu regeln habe. In der Literatur wird vertreten, daß zumindest auch die Gefährdung des Naturhaushaltes und der Evolution durch die Gentechnik als so wesentlich anzusehen sei, daß sie parlamentsgesetzlich geregelt werden müsse?04 199 Hessischer Verwaltungsgerichtshof in Kassel, Beschluß vom 6. November 1989, NJW 1990, S. 336 = NVwZ 1990,276 = DVBI. 1990,63; RütschlBroderick, New Biotechnology Legislation in the European Community and Federal Republic of Germany, in: International Business Law, Bd. 18 (1990), S. 408. 200 So etwa in der Kalkar-Entscheidung vom 8. 8. 1978, BVerfG E 49,89, 126 f. - Kalkar -. 201 Einer dritten Auffassung zufolge sollen die von Privaten geschaffenen Risiken dem Staat zugerechnet werden. Dadurch gelangt man zu der Konstruktion eines Eingriffs in die Rechte Dritter, die nach der Lehre vom Gesetzesvorbehalt einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfen; vgl. dazu auch Kraatz, S. 1 ff. 202 Vgl. die Gegenüberstellung bei Winter, Grundprobleme, S. 24. 203 Wahl, Forschungs- und Anwendungskontrolle technischen Fortschritts als Staatsaufgabe?, in: Breuer/Kloepfer/Marburger/Schröder (Hrsg.), Gentechnikrecht und Umwelt, UTR Bd. 14, S. 25 (27). 204 Vgl. Winter, Grundprobleme, S. 25.

6*

Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

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Eine derartige verfassungsrechtliche Argumentation konnte in den Vereinigten Staaten nicht durchschlagen. Die US-amerikanische Verfassung hat nämlich historisch bedingt einen anderen Charakter als das deutsche Grundgesetz und besitzt eine weitaus geringere Steuerungskraft für das Rechtssystem. 205 Allerdings existiert in den Vereinigten Staaten ebenfalls der Gedanke staatlicher Schutzgesetzgebung, was sich daran zeigt, daß die Gesetze, die auf die Gentechnologie angewandt werden, ausdrücklich dem Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt dienen. 206 Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer solchen Gesetzgebung läßt sich aus der in der Praxis wenig bedeutsamen non-delegation-Doktrin 207 ableiten, wonach grundsätzlich der Kongreß seine legislative Gewalt nicht auf eine andere Staatsgewalt wie etwa die Exekutive delegieren darf, es sei denn, er stellt dabei nachvollziehbare Leitlinien auf, um eine funktionierende Staatsleitung in der Praxis zu gewährleisten. 208 Diese Doktrin wird mitunter so verstanden, daß eine Pflicht zu einer parlamentsgesetzlichen Regelung jedenfalls dann besteht, wenn die Regelung möglicherweise Grundrechte berührt. 209 In den meisten Fällen wird in den Vereinigten Staaten jedoch, wie im Fall der Regelung der Gentechnologie, die Entscheidung, ob ein Spezialgesetz erforderlich ist, unverhohlen im Wege offener politischer Meinungsbildung entschieden?1O Letztlich ist aber auch in Deutschland die Frage, wann sich mögliche Gefahren der Gentechnologie zu subjektiven Rechten auf den Erlaß von Schutzgesetzgebung für tangierte Grundrechte verdichten, eine graduelle Frage, die gerade im Bereich der Ungewißheit von Risiken häufig politisch beantwortet wird. Der VGH Kassel forderte im Grunde eine gesetzliche Regelung vor allem deshalb, weil die biologischen Risiken letztlich nicht abschätzbar seien. Jedoch auch nach Erlaß des GenTG bleibt die Frage nach der Abschätzbarkeit des Risikos im Einzelfall offen und kann dogmatisch nur durch das Konzept des dynamischen Grundrechtsschutzes beantwortet werden, den das BVerfG im KalkarUrteil angedeutet hat. 211 Dieses Konzept würde die systematische Anpassung Vgl. dazu etwa Dederer; S. 164. Zu der sogenannten "Protective Regulatory Policy": Buck, S. 30. 207 Art. 1 (1) der Verfassung der Vereinigten Staaten; vgl. etwa Trouby vs. United States, S.Ct. Bd. 111(1991), S. 1752, 1755, kritisch zu der restriktiven Anwendung der Doktrin: Ruhl, Complexity Theory as a Paradigm for the Dynarnical Law-and-Society System: A Wake-Vp Call for Legal Reductionism and the Modem Modern Administrative State, Duke Law Journal, Bd. 45, 1996, S. 849,908. 208 Vgl. Crowell vs. Benson, 285 V.S. 22 (1932); A.L.A. Schechter Poultry Corp. vs. United States, 295 V.S. 495 (1935); Mistretta VS. United States, V.S. Bd. 488 (1989), S. 361, 380 f.; Trouby vs. United States, S.Ct. Bd. 111 (1991), S. 1752,1755; Breyer/Stewart, S. 68; Dederer; S. 159. 209 Vgl. United States VS. Robel, S.Ct. Bd. 88 (1967), S. 419, 428 ff.; (Sondervotum Justice Brennan). 210 Davis, D. L., The "Shotgun Wedding" of Science and Law: Risk Assessment and Judicia! Review, in: Columbia Journal of Environmental Law Bd. 10 (1985), S. 67 ff. (99). 211 BVerfGE 49, S. 89 (137, 140). 205

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der rechtlichen Anforderungen an den naturwissenschaftlichen Erkenntniszuwachs ermöglichen. Auch das Kriterium der "Wesentlichkeit" zur Entscheidung der Frage, ob die Gentechnologie spezialgesetzlich geregelt werden soll, ist für politische Strömungen besonders anfallig. Soweit in den Vereinigten Staaten das non-delegation-Prinzip so verstanden wird, daß der Kongreß zumindest die grundlegenden politischen Entscheidungen selbst zu treffen habe, kommt dies der deutschen Wesentlichkeitstheorie nahe. Allerdings ließ dieser Gedanke sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland bezüglich der Gentechnologie unterschiedlichen Interpretationen Raum, die von der Entwicklung der öffentlichen Meinung abhingen. Das zeigt sich daran, daß Ende der siebziger Jahre eine Gesetzesinitiative zu einem Gentechnikgesetz mangels politischen Drucks erfolglos geblieben war. Z1Z Ab Mitte der achtziger Jahre entfaltete sich jedoch eine rege Debatte über die Gentechnik, die 1987 in den relativ kritischen Abschlußbericht der Bundestags Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie"Zl3 mündete, worautbin dann 1990 der VGH Kassel schließlich feststellte, daß die Gentechnologie so wesentlich sei, daß sie von Verfassungs wegen parlamentsgesetzlich geregelt werden müsse. Es erscheint nur folgerichtig zu fragen, ob die Wesentlichkeit einer Angelegenheit überhaupt objektiv Guristisch) bestimmbar ist oder ob sie stets nur in Abhängigkeit von der subjektiven öffentlichen Meinung zu sehen iSt. ZI4 In beiden verglichenen Rechtsordnungen hängt die verfassungsrechtliche Frage, ob ein Parlamentsgesetz über eine Angelegenheit wie die Gentechnologie ergehen soll, somit faktisch von der politischen Lage und damit von der öffentlichen Meinung in dem betroffenen Staat ab. b) Gesellschaftliche Wahrnehmung technischer Risiken

Soweit die Frage der gesetzlichen Regelung der Gentechnologie von der öffentlichen Meinung abhängt, sind die Unterschiede zwischen den Regelungen der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland anhand ihrer Gesellschaftsstruktur zu erklären. Die Wahrnehmung von technischen Risiken unterscheidet sich nämlich in unterschiedlichen Gesellschaften, insbesondere haben die Werte einer Gesellschaft Einfluß darauf, ob Risiken als wesentlich wahrgenommen werden. Die Risikobereitschaft einer Gesellschaft ist eng verbunden mit dem Lebensstandard, den moralischen Standards, mit einer risikofreundlichen oder risikofeindlichen Sozialpsychologie und mit der Kultur überhaupt. 215 Unter dem Stichwort "Risikogesellschaft"ZI6 hat sich die Risikodiskussion sogar zu einer allgegenwärti212 213

S.III. 214 215

EA.Z. vom 1. 11. 78, zitiert nach Winter, Grundprobleme, S. 7. Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie", BT-Drs. 10/6775, Vgl. Winter, Grundprobleme, S. 25. Douglas, S. 82.

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gen Wesens bestimmung einer Gesellschaft entwickelt, die sich auch dadurch auszeichnet, wie sie mit Gefahren und Risiken umgeht und welches Maß an Restrisiko sie zu akzeptieren bereit ist. Dem US-amerikanischen Volk wird mitunter die Bereitschaft, Risiko zu akzeptieren, zugeschrieben. 217 Zwar gerieten auch in den Vereinigten Staaten einige Gentechnik-Produkte in das Kreuzfeuer der Öffentlichkeit. 218 Aber bereits 1986 war in einer Umfrage die Mehrheit der Bürger der Auffassung, daß die Risiken der Gentechnik reichlich übertrieben worden seien und eine unbegriindete Angst nicht der Entwicklung von Arzneimitteln und Therapeutika im Wege stehen sollte. 219 In Deutschland hingegen wird die Diskussion weit emotionaler und kontroverser als in anderen Ländern geführt. Laut einer Umfrage glauben weniger als 10% der Befragten, daß der Staat genug tue, um die Gesundheit der Bevölkerung in diesem Bereich zu schützen. 22o In Deutschland wurde die Furcht vor Technikunfällen nach der zunächst selektiven Wahrnehmung von presseträchtigen Umweltkatastrophen der achtziger Jahre, wie etwa im Bereich der Kernenergie, der Waldschäden oder Giftmüllagerung, durch die Medien verstärkt, zur politischen Kraft. 221 Die Akzeptanz der Gentechnik stellt jedoch inzwischen kein grundsätzliches Problem mehr dar. 222 Erst Ende der neunziger Jahre ist die grundsätzliche Ablehnung einer differenzierten Sichtweise gewichen, wonach medizinische Anwendungen akzeptiert werden, die Verwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelerzeugung hingegen wegen der Risiken, mangelnden Bedarfs und ethischer Bedenken nach wie vor kritisch beurteilt wird. 223 Eine verbreitete Typologie für die Einteilung von Gesellschaften und ihren Methoden des Risikomanagements ist die Unterscheidung von bürokratischen und marktorientierten Systemen. Grundsätzlich wird den bürokratischen Systemen zugeschrieben, daß sie mit dem Risiko umgehen, indem sie Verfahrensregeln und hierarchische Werte entwickeln, während die marktorientierten Gesellschaften Beck, S. I ff. Vito, State Biotechnology Oversight: The Juncture of Technology, Law, and Public Policy, Maine Law Rev., Bd. 45 (1993), S. 329, 383. 218 Platzer; K, "Wenn die Antimatsch-Tomate als Tomatenpüree endet ... " - Überlegungen zur ethischen Urteilsbildung am Beispiel der sogenannten Flavr-Savr-Tomate, in: Schallies, M./Wachlin, K D., Biotechnologie und Gentechnik, Neue Technologien verstehen und beurteilen, Berlin u. a. 1999, S. 147 (150). 219 Urnfage des OTA, wie wiedergegeben bei Bum, S. 48. 220 Umweltbundesamt, Beitrag, S. 116. 221 Rehbinder; in: Smith/Kromarek, S. 8 (19); Kepplinger; H. M., Historical Notes on German Press Coverage of Technology, Risk: Health, Safety & Environment, Bd. 5, 1994, S. 213 ff.; Kepplinger; H. M.! Ehmig, S. Chr.! Ahlheim, Chr., Gentechnik im Widerstreit: Zum Verhältnis von Wissenschaft und Journalismus, Frankfurt am Main 1991. 222 Umweltbundesamt, Beitrag, S. 120. 223 Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit, Tätigkeitsbericht der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit, Neunter Bericht nach Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes für den Zeitraum vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 1998, S. 3. 216

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111. Vergleich

87

Mittel-Zweck-Abwägungen verwenden. 224 Die Akzeptanz öffentlicher Risikopolitik hängt stark von standardisierten Konzepten von Fairneß und Gerechtigkeit ab. 225 Hinzu kommt, daß bestimmte Risiken in bestimmten Kulturen zur besonderen Wahrnehmung selektiert werden.2 z6 Ein Grund dafür könnte sein, daß der institutionelle Filter, durch den Risiken wahrgenommen werden, eine gleichmäßige Verzerrung der Wahrnehmung bewirken. 227 Soziologen behaupten, daß Menschen Risiken mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, wie etwa auch die Risiken der Gentechnik, nicht wahrnehmen, es sei denn die Institutionen einer Gesellschaft zielen auf die Erfassung derartiger Risiken ab.2 28 Die gesellschaftlichen Institutionen der Vereinigten Staaten entschieden sich bewußt gegen eine spezialgesetzliche Regelung der Gentechnologie. Denn bereits 1985 wurde die außergewöhnliche Natur der Risikobewertung für gentechnisch veränderte Organismen vom US-amerikanischen Nationalen Wissenschaftsrat, dem National Research Council, herausgestellt. Der Rat betonte in seinem Framework Jor Decisions, daß die Risikobewertung bei gentechnisch veränderten Organismen nicht analog zu konventioneller Risikobewertung für chemische Stoffe ablaufen könne. Der Grund dafür sei darin zu sehen, daß Mikroorganismen in der Lage sind zu mutieren, sich zu multiplizieren und sich an ihre Umwelt anzupassen.2 29 Dieselbe Studie gesteht jedoch auch zu, daß Anwendungen der Biotechnologie in der Umwelt kein neues Unterfangen seien, denn Organismen, die durch andere Methoden als durch DNS-Rekombination verändert wurden, seien erfolgreich und bereits häufig in die Umwelt ausgesetzt worden. 23o Hinzu komme, daß die Richtlinien der Behörden, wie sie im Coordinated Framework dargestellt sind, sich auf die Erfahrungen stützten, die aus traditionellen Modifikationstechniken gewonnen wurden. Das Coordinated Framework betont, daß die "kürzlich entwickelten Methoden eine Ausweitung traditioneller Methoden seien, die ähnliche oder identische Ergebnisse produzieren können".231 Das OSTP geht sogar noch weiter. In dessen Federal Oversight Document heißt es, daß es eine einzelne umfassende Regelung für die Biotechnologie ebensowenig gebe, wie es eine solche auch nicht für jede andere grundlegende Technologie mit vielen Zweckrichtungen gebe, wie etwa für die Technik chemischer Vorgänge, für Ingenieurwesen oder für den Einsatz von Feuer oder Elektrizität. Ein Einzelgesetz wäre schnell überholt oder bedeute eine 224 Viscusi. K., Equivalent Frames of Reference for Judging Risk Regulation Policies, N.Y.U. EnvtI.LJ., Bd. 3,1995, S. 431; Douglas. S. 86. 225 Ebd., S. 5. 226 Ebd., S. 54. 227 Ebd., S. 92. 228 Ebd., S. 99. 229 National Research Council, Field testing genetically modified organisms: A Framework for Decisions (1989). 230 Id., S. 31. 231

Coordinated Framework. Fed. Reg. Bd. 51, vom 26. Juni 1986, S. 23302 ff.

Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

88

übermäßige Einschränkung für die Innovation, weil immer neue und nützliche Wege entwickelt würden, die Technologie anzuwenden. Schließlich wäre ein einzelnes Gesetz auch nicht in der Lage, die wichtigen Unterschiede in den Auswirkungen der Technologie in ihren verschiedenen Anwendungsarten zu erfassen. 232 Die beiden maßgeblichen Dokumente im Bereich der Biotechnologie-Regelung der Vereinigten Staaten erkennen in der Biotechnologie keine neue gesetzgeberische Herausforderung. Nachdem Ende der siebziger Jahre Versuche zu der infektiösen Wirkung von Bakterien, die mit DNAs der Tumorviren Polyoma 1978 in der Forschungsstätte Fort Dettrick der US-Army, sowie von E-Coli, die mit Tumorviren rekombiniert waren, nicht eindeutig positiv ausgefallen waren, schlug die Grundannahme über das Risiko der neuen Technik um. Da sich mögliche Horrorszenarien der Gentechnologie nicht unmittelbar eingestellt hatten, sollte offenbar die Genforschung - unter den Bedingungen des Containments - als grundsätzlich sicher durchführbar angesehen werden. Fortan sollten nicht mehr die Betreiber gentechnischer Forschung den Nachweis für die Sicherheit ihrer Experimente tragen, sondern die Kritiker hatten zu beweisen, daß unvertretbare Risiken bestünden. 233 Im Gegensatz zu dem US-amerikanischen Ansatz ist das deutsche Gentechnikgesetz entstanden, weil die Gentechnik als radikal neue gesetzgeberische Herausforderung empfunden wurde. Weil "die letztlich nicht abschätzbaren biologischen Risiken" der Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen fundamental neuer Natur seien, schlußfolgerte der VGH Kassel,234 daß die bestehenden Gesetze die Risiken nicht vorausgesehen haben konnten. Die Unsicherheiten im Umgang mit den Basisinnovationen Kernenergie, Raumfahrt, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie Biotechnolgie, insbesondere Gentechnologie, hätten ganz andere Dimensionen und damit auch eine andere Qualität angenommen, durch die der Gesetzgeber gefordert werde. Insbesondere wird vorgebracht, daß die Gentechnik neben Risiken, die den manipulierten Produkten anhaften, und anderen gentechnikspezifischen Risiken weitere vielfältige Risiken verursacht, die aus der Anlagenbetreibung, der Freisetzung oder der Vermarktung resultieren. Derartige Risiken müßten einer Gesamtbetrachtung unterzogen werden, die auf untergesetzlicher Ebene verlorenginge?35 Zumindest in der öffentlichen Diskussion wurden zu diesen grundlegenden Risiken auch solche gezählt, die aus der Verfügbarkeit der Gentechnologie selbst herrühren, selbst wenn nicht mit jeder Anwendung der Technologie risikoreiche Organismen produziert werden?36 Hervorzuheben ist etwa die Gefahr, daß die Möglichkeit, Mikro- und Makroorganismen präzise und ziel gerichtet zu manipulieren, zu verfassungswidrigen Zwecken mißFed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6754. Winter, Grundprobleme, S. 11. 234 VerwaItungsgerichtshof Kassel (VGH) vom 6. November 1989 - 8 TH 685/89 -. DVBI. 1990,63 ff. 235 So im Zusammenhang mit dem GesetzesvorbehaIt Winter, Grundprobleme, S. 25. 236 So auch Mostow, P., Reassessing the scope of federal biotechnology oversight, in: 10 Pace Environmental Law Review 227 (Fall 1992). 232 233

III. Vergleich

89

braucht werden könnte. Ferner sind in diesem Zusammenhang die Folgen möglicher Störfälle und menschlichen Fehlverhaltens zu nennen, die nicht aus einem regulären Produktionsablauf resultieren. 237 Mit einer Verbesserung der Berechnungsmethoden bildete sich zusätzlich als Grenzwert für die Akzeptanz einer Technologie die Herstellbarkeit absoluter Sicherheit heraus. 238 Obwohl weder das Umweltschutzrecht der Vereinigten Staaten noch das der Bundesrepublik Deutschland die Berücksichtigung derartiger grundsätzlicher Risiken verlangt, kann ein horizontales Gesetz insoweit ein rechtspolitisches Signal setzen und gesellschaftlich legitimierend wirken.

c) Rechtspolitische Erwägungen

Unabhängig von einer verfassungsrechtlichen Pflicht und von gesellschaftsbedingten Unterschieden bei der Wahrnehmung von Risiken, spielt für die Frage, ob ein horizontales Parlamentsgesetz die Gentechnologie regeln sollte, auch dessen legitimatorische Wirkung eine Rolle. Gegen das Argument, die Einführung eines horizontalen Verbotsgesetzes mit Erlaubnisvorbehalt könne dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die staatliche Kontrolle der Biotechnologie-Industrie dienen und rechtfertigend wirken 239 , brachten US-amerikanische Wissenschaftler vor, daß "ein Genehmigungssystem wahrscheinlich die Wahrnehmung hervorrufen würde, daß die Anwendung der Biotechnologie problematisch bleibt,,?40 Unbestritten dürfte jedoch die Feststellung sein, daß eine gesetzliche Regelung durch die Schaffung eines Ordnungsrahmens die Technologie insoweit fördert, als sie eine positive Entscheidung des Gesetzgebers ausdrückt und Klarheit über die Anforderungen an die Praxis schafft. 241 Zumindest in Deutschland änderte sich nach dem Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes am 1. Juli 1990 die Meinung der deutschen Öffentlichkeit zugunsten der Gentechnologie. 242 237 Vgl. Krüger, w., Risiken als Gegenstand der Sicherheitswissenschaft. In: Compes, P.C. (Hrsg.): Technische Risiken in der Industriegesellschaft. Erfassung - Bewertung - Kontrolle. Wuppertal1986, S. 299, 301 f. 238 Vgl. Banse, S. 32. 239 So die Argumentation um das deutsche Gentechnikrecht, vgl. die schriftlichen Stellungnahmen der Industrievertreter zur Anhörung des BT-Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Unterausschuß Gentechnikgesetz, vom 17. - 19. Januar 1990, S. 131 ff. Auch in den USA wurde betont, daß das öffentliche Vertrauen der ausschlaggebende Faktor für jegliche Gesetzesänderungen für APHIS sei, vgl. Anhörung zu HR 5312, oben Kapitel 3, Fn. 3, dazu Biotechnology: Public confidence emphasized as key to any legislative changes in APHIS' authority, in: Chem.Reg.Rep., Bd. 14,5. Oktober 1990, S. 1028 f. 240 Statement von Susan Tolin, Professor des Fachbereiches Pflanzen-Molekularbiologie an der Virginia Tech, oben Kapitel 3, Fn. 3. 241 Winter, Grundprobleme, S. 26. 242 Ruhrmann, Protokoll des Workshops des TAB v. 19./20.3. 1992, S. 240 f. wie zitiert in: Winter, Grundprobleme, S. 26.

90

Kap. 3: Vergleich der bestehenden Normierungen

In den Vereinigten Staaten unterstützen politische und wahltaktische Überlegungen den Trend, wesentliche Entscheidungen an die Exekutive zu delegieren. Vage Delegationsklauseln, wie sie auch zur Regelung des Gentechnikrechts verwandt wurden, sind durchaus üblich, um die Verantwortung für politisch kontroverse Entscheidungen auf die Exekutive abzuwälzen. Beispielsweise wurde in TSCA trotz des Verlangens nach einer Definition von "unvertretbarem Risiko" absichtlich keine konkrete derartige Bestimmung in den Gesetzestext aufgenommen. Den ausschlaggebenden Grenzwert nicht zu definieren, war deshalb so verlockend für den Gesetzgeber, weil er so die Verantwortung für die eigentliche Entscheidung auf die Exekutive abwälzen konnte und so den politisch so beliebten Weg der Zweideutigkeit gehen konnte. 243 Mit einer ähnlichen "Flucht in die Generalklausei" arbeitet jedoch auch das deutsche Gentechnikrecht, beispielsweise in § 16 Abs. I Nr. 3 GenTG. Aber der US-amerikanische Gesetzgeber hat für APHIS eine derart pauschale Programmermächtigung vorgesehen, die in Deutschland wegen mangelnder Bestimmtheit als Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip angesehen würde.

IV. Zusammenfassung zu Kapitel 3 In den Vereinigten Staaten wurde die Gentechnologie durch die Anpassung einer Vielzahl sektoraler Einzelgesetze, wie etwa das Chemikaliengesetz, das Pflanzenschutzmittelgesetz, das Pflanzenschädlingsgesetz und das Pflanzenquarantänegesetz sowie in geringem Maße durch landesgesetzliche Bestimmungen geregelt. Weil die Gesetze den Regelungsbehörden weite Ermessensspielräume belassen, finden sich Vorgaben über Freisetzungen erst in politischen Richtlinien der Regierung, die durch administrative Vorschriften wie die APHIS-Regeln oder die TSCA-Regeln konkret umgesetzt werden. In Deutschland wurde ein umfassendes Spezialgesetz zur Regelung der Gentechnologie auf Bundesebene geschaffen. Die Vorteile dieser Lösung liegen in ihrer größeren Transparenz und klareren Aufteilung der Behördenkompetenzen, während man sich in den Vereinigten Staaten durch die Zuständigkeitsmatrix eine größere Sachnähe bei den Freisetzungsentscheidungen erhofft. Der Verzicht auf ein Bundesgesetz ist durch ein unterschiedliches Verständnis der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewaltenteilung, auf eine unterschiedliche Wahrnehmung technischer Risiken in der Gesellschaft und andere rechtspolitische Erwägungen zurückzuführen.

243 Rodgers, S. 520; Bressmann, L.S., Schechter Poultry at the Millennium: Delegation Doctrine for the Administrative State, The Yale Law Journal, Bd. 109, S. 1399 (1406).

Kapitel 4

Vergleich der Regelungsstrategien

Neben der im vorstehenden Kapitel untersuchten Struktur des Regelungsrahmens für die Gentechnologie ist auch die in den genannten Normen und Richtlinien verfolgte Regelungsstrategie maßgeblich für die Untersuchung der Frage, wie die hier verglichenen Rechtsordnungen mit den Herausforderungen der Gentechnologie umgehen.

I. Verfahrensbezogene oder produktbezogene Regelung Einer der bekanntesten Unterschiede zwischen der Regelung der Gentechnologie in Deutschland und in den Vereinigten Staaten ist die Tatsache, daß in den Vereinigten Staaten ein produktbezogener Regelungsansatz vorherrscht, während das deutsche Recht einen verfahrensbezogenen Ansatz in der Form anlagenbezogener Normen verfolgt. 1 Das heißt, in Deutschland unterliegen alle gentechnischen Anlagen, in denen gentechnische Verfahren durchgeführt werden, einer Regelung, während in den Vereinigten Staaten hauptsächlich die Ergebnisse des Verfahrens, nämlich die veränderten Produkte, kontrolliert werden. Zu unterscheiden von der Frage, ob allein die Anwendung gentechnischer Verfahren Anlaß für eine staatliche Kontrolle sein soll, ist die Frage, ob bei einer Freisetzung eines bestimmten gentechnisch veränderten Organismus auch die Risiken der Anwendung gentechnischer Verfahren eine Rolle spielen sollen. Diesbezüglich ist nämlich unbestritten, daß in der Regel lediglich der Phänotyp eines Organismus und nicht die Art seiner Erzeugung maßgeblich sein soll? 1 Eine grundlegend andere andere Möglichkeit als das technologieinduzierte Vorgehen wäre eine probleminduzierte Regelung; vgl. dazu van den Daele, Technikfolgenabschätzung als politisches Experiment, S. 2 ff. 2 Willmitzer, L., Überlegungen zur Risikoabschätzung bei gentechnisch veränderten Organismen mit spezieller Berücksichtigung von Pflanzen, in: Bartsch I Sukopp, Ermittlung und Bewertung des ökologischen Risikos, S. 54. Die OECD betont, daß die Sicherheit eines Organismus nicht von dem Verfahren seiner Veränderung an sich abhängt. Allerdings bestimmt sich das Risiko einer Freisetzung gemäß den GDP nicht nur nach dem Organismus, sondern auch nach der Umwelt und nach nach der Art der Anwendung (vgl. OECD 1993, S. 8.); diese Prinzipien werden sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland befolgt.

Kap. 4: Vergleich der Regelungsstrategien

92

1. Vereinigte Staaten Die einschlägigen US-amerikanischen Gesetze und Regelungen, insbesondere TSCA und FIFRA, unterstellen ausdrücklich das Risiko gentechnisch veränderter Produkte und nicht die Risiken aus dem gentechnischen Verfahren einer Kontrolle. Diese Strategie wird zum Umgang mit der Gentechnologie für ausreichend gehalten? Der produktbezogene Ansatz wird ausdrücklich im Coordinated Framework befürwortet, 4 das die Gentechnik als eine Fortführung traditioneller Veränderungsmethoden mit ähnlichen Produkten beschreibt. Auch die übrigen Strategiepapiere und wissenschaftlichen Untersuchungen, namentlich die Ausführungen der Ecological Society of America (ESA),5 der Nationalen Wissenschaftsakademie, National Academy of Sciences, 6 und der National Research Council (NRC) 7 verfolgen einen produktbezogenen statt eines verfahrensbezogenen Ansatzes. Das OSTP übernahm die Schlußfolgerungen des NRC im Entwurf für das Federal Oversight Document. 8 Auch die Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit vom Oktober 1990 zu dem Scope Document befürworteten unter anderem insbesondere die Produktbezogenheit der Vorschrift. 9 Zur Begründung der produktbezogenen Regelung stützen sich die genannten Dokumente auf nahezu identische Argumentationen mit geringen Abweichungen. So wird in der Endfassung des Federal Oversight Document das Risiko, das von einer Einführung eines Biotechnologie-Produktes in die Umwelt ausgeht, als Funktion der Eigenschaften des Organismus und anderer Produkte, der speziellen Anwendung mitsamt der Eingrenzungsmaßnahmen und der Umwelt selbst bezeichnet. 10 Die Biotechnologie als Herstellungsmethode allein stelle noch kein Risiko für die Gesundheit oder die Umwelt dar. ll Zur Begründung der Annahme, daß durch das Verfahren der gentechnischen Veränderung keine zusätzlichen Risiken entstünden, wird auf die Argumentation der ausführlichen Studie des National Research Council zurückgegriffen. Dieser war zu dem Schluß gekommen, daß veränderte Organismen nicht per se ein größeres Risiko als unveränderte bedeuteten, 12 Bum, S. 22. Darauf weist auch Bum, S. 10, hin. 5 Tiedje, u.a., The Planned Introduction Of Genetically Engineered Organisms: Ecological Considerations and Recornrnendations, in: Ecology Bd. 70, S. 2, 298-315. 6 Committee on the lntroduction of genetically engineered organisms into the environment, Council of the National Academy of Sciences, Introduction of Recombinant DNA-Engineered Organisms in the Environment: Key Issues (1987). 7 National Research Council, Field testing genetically modified organisms: A Framework for Decisions (1989). 8 Proposed Oversight Document, Fed. Reg. Bd. 55, I. Juli 1990, S. 31118, 31120. 9 Siehe die Zusammenfassung in Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6760). 10 Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6755). II Ebd. 3

4

12

National Research Council, Field Testing Genetically Modified Organisms, 1989, S. 14, 15.

I. Verfahrensbezogene oder produktbezogene Regelung

93

weil für das Verhalten von Organismen, die mit modernen molekularen und zellulären Methoden verändert werden, dieselben physikalischen und biologischen Gesetze gelten wie für Organismen, die mit klassischen Methoden verändert wurden. 13 Zumindest gebe es keinen konzeptionellen Unterschied zwischen der genetischen Veränderung von Pflanzen und Mikroorganismen durch klassische Methoden oder durch molekulare Methoden zur Veränderung von DNAs und TransferGenen. Soweit Besonderheiten dadurch bestünden, daß durch die Gentechnik pathogene Organismen entstehen können, könnten Risiken durch Art und Bedingungen der Verwendung gelindert werden,14 wie beispielsweise beim Einsatz zu Forschungszwecken in der Pflanzenpathologie. Jedenfalls rechtfertige die Tatsache, daß durch die Biotechnologie auch risikoreiche Organismen produziert werden können, nicht eine generelle rechtliche Kontrolle aller biotechnologischer Verfahren, denn auch mit den traditionellen Methoden könnten Gefahren entstehen, ohne daß die Anwendung solcher Verfahren als solche gesetzlich geregelt wäre. Beispielsweise käme die Einführung von neuen Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen in der Landwirtschaft seit langem routinemäßig vor, wobei nur wenige der Organismen, die nicht einheimisch oder die pathogen sind, die Bewilligung einer Regelungsbehörde benötigten. 15 Zudem stellten auch gewisse unveränderte Organismen oder Viren, wie etwa der Fuß- und Mundkrankheitsvirus (Foot and Mouth Disease Virus, abgekürzt als FMDV), ein so hohes Risiko dar, daß sie nicht in den Vereinigten Staaten erlaubt seien. Schließlich hänge das Risiko in jedem Fall von dem Organismus, der Zielumgebung und Art der Anwendung ab. Im Proposed Oversight Document heißt es sogar weiter, die neuen Methoden der Biotechnologie hätten zwei Eigenschaften, die sie sogar noch nützlicher machten als die klassischen Methoden: Durch ihre Präzision erlaubten sie Wissenschaftlern einerseits, Veränderungen in Erbinformationen auf mikrobiologischer Ebene vorzunehmen, die genauer identifiziert werden können, manchmal bis hin zur Ebene von DNA-Sequenzen, und andererseits könnten diese Organismen besser vorhergesehen werden als klassisch gezüchtete. Dadurch werde die Unsicherheit bei einer Einführung eines Organismus sogar noch verringert. 16 Allerdings werden die Besonderheiten des Verfahrens der Gentechnik auch in den Vereinigten Staaten erkannt. Das Scope Document beispielsweise beruft sich zwar auf die Feststellungen des NRC, verkennt jedoch nicht, daß die gewaltigen Möglichkeiten der neuen Techniken auch dazu führen, daß Wissenschaftler in der Lage sind, Gene schneller zu transferieren, was zu Organismen mit neuem Erbgut oder Kombinationen von vererbbaren Merkmalen führt. 17 Wissenschaftler erhalten Ebd., S. 15. Dadurch werden Maßnahmen des Risikomanagements angesprochen, vgl. oben S. 32. 15 Fed. Reg. Bd. 51, S. 23303. 16 So bereits das Proposed Oversight Document, Fed. Reg. Bd. 55, S. 31118 (31120, 31123). 17 National Research Council, Field Testing Genetically Modified Organisms, 1989, S. 123. 13

14

94

Kap. 4: Vergleich der Regelungsstrategien

weitergehende Möglichkeiten, weil sie so Gene isolieren und über natürliche Schranken hinweg transferieren können. 18 Die neuartige Möglichkeit der gentechnischen Kombination verlange daher eine erhöhte Aufmerksamkeit. Letztlich hat sich jedoch die Auffassung durchgesetzt, daß das Verfahren, mit dem ein Organismus verändert wurde, wichtig für das Verständnis der Eigenschaften des Organismus sei, es könne jedoch nicht bestimmen, ob ein Produkt mehr oder weniger Überwachung benötige. 19 Die Natur des Verfahrens könne ein Anzeichen für die Möglichkeit eines Risikos darstellen, dürfe jedoch niemals das einzige oder gar maßgebliche Kriterium für die Auslösung staatlicher Überwachung der Freisetzung sein?O Wichtiger seien die Natur eines Organismus und die Umwelt, in die der Organismus freigesetzt wird, sowie Sicherheitsmaßnahmen.

2. Deutschland

Im Gegensatz zu dem US-amerikanischen Ansatz verfolgt das deutsche Gentechnikrecht einen verfahrensbezogenen Ansatz in der Form einer anlagenbezogenen Regelung. 21 Wahrend urspriinglich für das Gentechnikgesetz vorgesehen war, daß gentechnische Arbeiten genehmigungsbedürftig sein sollten, wird jetzt das kombinierte Konzept verfolgt, wonach Anlagen einschließlich bestimmter Arbeiten zu genehmigen sind, während "weitere Arbeiten" genehrnigungs- beziehungsweise anmeldebedürftig sind. 22 Dabei dient die Anlagengenehmigung der Priifung, ob die vorgesehenen Arbeiten und weitere Arbeiten derselben Sicherheitsstufe in der Anlage sicher durchgeführt werden können. 23 Die Sicherheitsstufen nach § 7 GenTG werden statt nach der Pathogenität der verwendeten Organismen nach der Gefahrlichkeit des ganzen Projekts definiert. Die Griinde für die Auswahl eines solchen Regelungsansatzes sind weitgehend identisch mit denen, die auch zu der Verabschiedung eines Parlamentsgesetzes zur Regelung der Gentechnik geführt haben. 24 3. Vergleich

Die Vereinigten Staaten haben einen produktbezogenen Ansatz zur Regelung der Gentechnik gewählt, weil gentechnisch veränderte Organismen grundsätzlich 18 19 20

21 22

23

So bereits das Proposed Oversight Document, Fed. Reg. Bd. 55, S. 31118 (31120). Fed. Reg. Bd. 57, S. 6733 (6756). Fed. Reg. Bd. 55, S. 31118 (31120). Zum Anlagenbegriff im deutschen Gentechnikrecht: Fluck, UPR 1993, S. 81 ff. Winter, Grundprobleme, S. 19. BVerwG, Beschluß v. 15. April 1999 -7 B 278.98 - (OVG Hamburg), DÖV 2000, S. 37

(38). 24

Siehe dazu ausführlich oben S. 81.

I. Verfahrensbezogene oder produktbezogene Regelung

95

nicht anders behandelt werden sollten als andere Organismen auch. Insoweit stimmen die US-amerikanischen Erwägungen mit den Empfehlungen der OECD, einen produktbezogenen Ansatz für die Regelung der Biotechnologie zu wählen, überein?5 Teilweise hat die US-amerikanische Administration den Ansatz, nur die Merkmale eines Produktes statt die des Verfahrens zu berücksichtigen, sogar auch mit Hinblick auf die Empfehlungen der OECD beibehalten. 26 Die meisten Länder, in denen die Gentechnik geregelt ist, wenden einen solchen produktbezogenen Regelungsansatz an. 27 Es wird von einem additiven Modell ausgegangen, wonach sich die Gefahrlichkeit des Gesamtprojektes ausschließlich aus einer Addition der Gefährlichkeiten der verwendeten Organismen ergibt. 28 Im Gegensatz dazu deutet das sogenannte synergistische Modell an, daß die Gefährlichkeit des Gesamtprojektes sich nicht nur aus den Einzelgefährlichkeiten zusammensetzt, sondern daß zusätzliche Risiken aus dem Zusammenspiel der Einzelgefährlichkeiten entstehen können. Im deutschen Gesetzgebungsverfahren wurde betont, daß die synergistischen Prozesse der Gentechnologie nicht überblickt werden könnten. 29 Wegen dieser Ungewißheiten wird das gesamte Verfahren der Gentechnik selbst bereits als Risiko angesehen, und das deutsche Recht verfolgt somit folgerichtig einen verfahrensbezogenen Regelungsansatz. Aufgrund dieser Argumentation müßte allerdings auch mit der beschriebenen Verringerung der naturwissenschaftlichen Ungewißheiten über die Gentechnik, insbesondere über synergistische Effekte, auch der Umfang der verfahrensbezogenen Regelung zurückgenommen werden. Jedoch kann die Aufrechterhaltung einer verfahrensbezogenen Regelung auch mit der erwähnten Argumentation der grundsätzlichen Risiken der Gentechnik aufgrund des apokalyptischen Schadensausmaßes im Falle einer Störung oder der Gefahr des Mißbrauchs der Möglichkeiten der Gentechnik begründet werden. 30 Je nach der faktischen Einschätzung der Intensität solcher Gefahren, die sich wie gezeigt in den Vereinigten Staaten und in Deutschland zumindest bislang unterscheidet, könnte sogar die staatliche Verpflichtung zur Kontrolle des bloßen Verfahrens der Gentechnologie hergeleitet werden. In Deutschland wird argumentiert, daß eine Analyse riskanten technischen Handeins zu spät ansetzt, wenn sie mit den Folgen in25 Siehe etwa OECD, Safety Considerations for Applications of Recombinant DNA Organisms in Industry, Agriculture and the Environment, 1986, S. 41. 26 So speziell für die Politik der FDA: OECD, International Survey on Biotechnology use and regulations, Environment Monographs Bd. 39,1990, S. 14. 27 Gibbs, et al., S. 271. Siehe beispielsweise das dänische Umwelt- und Gentechnikgesetz, Gesetz Nr. 288 vorn 4. Juni 1986. Auch in Deutschland wird dikutiert, langfristig die Risikoprüfung in die jeweilige Produktregelung zu integrieren, vgl. Umweltbundesamt, Beitrag, S.143. 28 Ähnlich auch Winter, Grundprobleme, S. 12. Das additive Modell wurde auch im deutschen Gentechnikgesetz-Gesetzebungsverfahren erörtert, vgl. D. Bauer, Hoechst AG, Ausschußdrucksache 11/3, S. 15. Vgl. Dederer, S. 36, Fn. 153. 29 So die schriftlichen Stellungnahmen des Öko-Instituts, Ausschußdrucksache 1112, S. 19,23; BUND, Ausschußdrucksache 11 / I, S. 87,111. 30 Vgl. dazu oben S. 88.

96

Kap. 4: Vergleich der Regelungsstrategien

nerhalb der industriellen Anwendung beginnt. Der Grund ist die Strategie des neuzeitlichen WissenschaftshandeIns, dessen Risiken untrennbar aus den Verfahrensweisen der experimentellen Naturwissenschaft hervorgehen?' Der produktbezogene Ansatz der Vereinigten Staaten schneidet eine solche Argumentation jedoch von vornherein ab, weil er von der Prämisse ausgeht, daß die erwähnten Risiken der Technikgenese nicht zu berücksichtigen sind und ansonsten kein sachlicher Grund zur Unterscheidung gentechnisch veränderter Produkte von herkömmlichen Züchtungen besteht. 32 Dadurch bleiben die genannten Risiken, die aus dem Verfahren der Gentechnik selbst hervorgehen, völlig unkontrolliert. Daher wurde bereits konstatiert, die Regelung der Biotechnologie in den Vereinigten Staaten gehe "in die falsche Richtung".33 Eine produktbezogene Regelung ist in der Praxis leichter handhabbar, zumindest wenn Risiken konkret bewertet werden sollen. Denn während eine verfahrensbezogene Bewertung in der Form der Anlagengenehmigung mitunter zu Pauschalisierungen innerhalb von Risikostufen tendiert, kann eine produktbezogene Bewertung eine genau auf den Einzelfall abgestimmte und damit verhältnismäßige Regelung ermöglichen. Zu den Vorteilen der Regelungsstruktur in den Vereinigten Staaten gehört der ausgesprochene wirtschaftliche Erfolg, der mit der Technologie unter dieser Regelung erzielt wurde und wird. Im Bereich der Biotechnologie gehören die Vereinigten Staaten zu den globalen Marktführern als Anbieter hoch profitabler Produkte. Einer der Gründe für die Wahl des produktbezogenen Ansatzes war es, die Wissenschaft und "die nützliche Entwicklung der Biotechnologie-Industrie nicht zu verzögern".34 Denn wenn die staatliche Kontrolle allein dadurch ausgelöst wird, daß ein spezifische innovative Technologie verwandt wird wie etwa die DNA-Rekombination, so werde die Industrie und die Wissenschaft von der Verwendung dieser Technologie abgehalten. Darüber hinaus besteht bei einem technologiebezogenen Ansatz die Gefahr, daß einer bestimmten Technologie Hindernisse bereitet werden, während ältere und manchmal ebenso gefährliche 35 Technologien grundlos verschont bleiben (sogenanntes "Grandjathering,,36) und daher weiterhin verstärkt verwendet werden. 37 BonßIHohlfeldlKollek, S. 11. Dieser Mangel ist auch in der Staatengesetzgebung des Staates Maine erwähnt worden, wo als Zweck des Gesetzes angegeben wird, das Risiko für die Öffentlichkeit und die Umwelt abzuschätzen, das durch die "Verwendung der Biotechnologie und der Gentechnik entsteht." (ME.REV.STAT.ANN. Titel 7, § 233(5) (West Supp 1992-1993)). 33 Mostow, S. 227 f. 34 So bereits das Proposed Oversight Document, 55 Fed. Reg. Bd. 31118, S. 31120. 35 Vgl. oben S. 93. 36 Das "Grandfathering" ist auch aus anderen Bereichen des amerikanischen Umweltrechts bekannt. Vgl. Huber; P., The Old-New Division in Risk Regulation, Va.L.Rev. Bd. 69, S. 1025, 1029-37. 37 Zusammenfassung des Inhalts des Tatsachenberichtes des Rates des Präsidenten zur Wettbewerbsfähigkeit vom April 1991, wie zitiert in in Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S.6761. 31

32

11. Auswahlansatz oder Gebot der Risikominimierung

97

Während sich die Vereinigten Staaten mit diesem Regelungsansatz zweifellos Vorteile im internationalen Wettbewerb um Industriestandorte verschaffen, muß dieser Effekt für die Untersuchung eines Rechtssystems vor den Herausforderungen der Gentechnologie außer Betracht bleiben. 38 Denn je nachdem, welche rechtlich begründeten staatliche Schutzpflichten man annehmen will, muß der wirtschaftliche Erfolg des produktbezogenen Ansatzes des US-amerikanischen Modells gerade als Konsequenz von Regelungslücken angesehen werden, während ein verfahrensbezogener Ansatz mögliche Ungewißheiten der Gentechnologie umfassender berücksichtigen kann. 39 Der verfahrensbezogene Ansatz hat den Vorteil, daß Regelungslücken weniger wahrscheinlich sind. ,Schlupflöcher', die in der USamerikanischen Regelung bestehen sollen,4o oder auch solche, die erst mit der Erfindung eines neuen gentechnisch veränderten Produktes entstehen könnten, werden durch eine verfahrensbezogene Regelung von vornherein gestopft, weil sie per definitionem unabhängig von der Art der Anwendung der Produkte ist.

11. Auswahlansatz oder Gebot der Risikominimierung Nach der Entscheidung einer Rechtsordnung, entweder das gesamte gentechnische Verfahren einer Regelung zu unterstellen oder die staatliche Kontrolle auf gentechnische veränderte Produkte zu beschränken, stellt sich die Frage, ob staatliche Überwachung weiter reduziert werden sollte. Während nämlich das deutsche Gentechnikrecht von einem weitreichenden Verständnis des Gebotes zur Risikovorsorge geprägt ist, verfolgt die staatliche Kontrolle der Gentechnologie in den Vereinigten Staaten einen sogenannten Auswahlansatz.

Rein wirtschaftliche Betrachtung: Dederer, S. 354. Zudem machen sich Vereinheitlichungstendenzen im gesamten US-amerikanischen Umweltrecht bemerkbar. Seit dem Beginn der neunziger Jahre wird zunehmend gefordert, bei der Bewertung von umweltbelastenden Aktivitäten, nicht die Belastungen für jedes einzelne Umweltmedium gesondert zu betrachten, sondern vielmehr eine Gesamtschau der Auswirkungen einer Aktivität auf alle verschiedenen Umweltmedien vorzunehmen (vgl. Guruswamy, L., Integrating Thoughtways: Re-Opening of the Environmental Mind?, 1989 Wis.L.Rev. 463; ders., Integrated Environmental Contro!: The Expanding Matrix, 22 Envt'l Law 77 (1992); Sussman, R. M., Should Environmental Laws be Integrated?, 15 Pace Envtl. Law Rev. 1997, S. 57 f.). Obwohl der Gedanke intergrierter Betrachtung hier nicht direkt anwendbar ist, erscheint es doch trendwidrig, im Bereich der Gentechnik allein auf das Produkt selbst abzustellen, und die Risiken, die aus der Anwendung des Verfahrens selbst entstehen können, zu vernachlässigen. 40 Vgl. laffe, G. A., Inadequacies in the Federal Regulation of Biotechnology, Harv.Env.L.R. Bd. 11, 1987, S. 491, 528. Auch bezeichnet als "Regulatorisches Vakuum" bei: Vito, Ch., State Biotechnology Oversight: The Juncture of Technology, Law, and Public Policy, Maine Law Rev., Bd. 45, 1993, S. 329, 355. 38 39

7 Pohl

Kap. 4: Vergleich der Regelungsstrategien

98

1. Vereinigte Staaten

Die Regelung der Gentechnologie in den Vereinigten Staaten verfolgt einen Auswahlansatz, das heißt, die staatlichen Regelungsressourcen werden nur für diejenigen ausgewählten Lebenssachverhalte eingesetzt, die das größte Risikopotential besitzen.

a) Risikobezogene Auswahl der Regelungspolitik

Eine Risikoregulierungspolitik wird nach der für das US-amerikanische Recht typischen ökonomischen Analyse des Rechts 41 danach bewertet, ob der Nutzen der Politik ihre Kosten übersteigt. Der Nutzen wird grundsätzlich, trotz einiger Bedenken, in den statistischen Menschenleben, die durch die Politik geschützt werden, gemessen an der Bereitschaft der Gesellschaft für die Risikoreduzierung zu zahlen, ausgedrückt. 42 Häufig werden vergleichende Risikoabschätzungen eingesetzt, die Umweltrisiken verschiedenster Problemkreise auf regionaler, bundesstaatlicher, nationaler und globaler Ebene miteinander vergleichen, wobei Risiko-Rankings nicht unüblich sind, die für die Entwicklung von Behörden-Agendas eine Rolle spielen können. 43 Es wird die Notwendigkeit empfunden, Gefahren für die Umwelt zu bewerten und in eine Rangfolge zu bringen, um sicherzustellen, daß die wichtigsten Gefahren auf kosteneffektivste Weise behandelt werden. 44 Dabei sollen Prioritäten dort gesetzt werden, wo die größten Risikoreduzierungen erreicht werden können, wobei ökologische Risiken in gleichem Maße wie Gesundheitsrisiken zu beachten sind. Risikoabschätzungsverfahren wurden zunächst für den Bereich von Krebsrisiken entwickelt, wo man davon ausgehen mußte, daß es keinen Grenzwert für Karzinogenität gab. Dabei ging die EPA von dem "Null-Risiko"-Gebot der Dela41

Für viele: Bivona, What Price Are We Willing to Pay for Our Environment?, J. Int'!. L.

& Practice, Bd. 5, 1996, S. 161 ff.; Goldman, Risk Symposium: Environmental Risk Assess-

ment and National Policy: Keeping the Process Fair, Effective and Affordable, Vniversity of Cincinnati Law Review, Bd. 63, Sommer 1995, S. 1533 ff. 42 Viscusi, Equivalent Frames of Reference for Judging Risk Regulation Policies, N.Y.V. Envt!.L.J., Bd. 3,1995, S. 431. 43 EPA, Risk Assessment, Exposure Pathways to Humans, 1992, S. I. 44 Goldman, Risk Symposium: Environmental Risk Assessment and National Policy: Keeping the Process Fair, Effective, and Affordable, V.Cin.L.Rev., Bd. 63, Sommer 1995, S. 1533 (1542); Office of Policy Analysis & Office of Policy, Planning and Evaluation, V.S. EPA, Vnfinished Business: A Comparative Assessment of Environmental Problems, Washington D.C., 1987; Science Advisory Board, V.S. EPA, Reducing Risk: Setting Priorities and Strategies for Environmental Protection, Washington D.C., 1990; Appelgate, Worst Things First: Risk, Information, and Regulatory Structure in Toxic Substances Control, in: The Yale Journal on Regulation Bd. 9 (1992), S. 277 ff.; kritisch: Applegate, Risk Symposium: A Beginning and Not an End in Itself: The Role of Risk Assessment in Environmental Decisionmaking, in: V.Cin. L. Rev. Bd. 63 (1995), S. 1643 ff.

II. Auswahlansatz oder Gebot der Risikominimierung

99

ney-Klausel 45 aus, aber sie entwickelte Modelle, die eine Risikoabschätzung auch in Anbetracht wissenschaftlicher Unsicherheit zuließ. Während die EPA ständig versucht, die Daten und analytischen Methoden für die Risikoabschätzung, -vergleichung und -reduzierung zu verbessern, ist sie seit den letzten zwei Jahrzehnten die weltweit führende Institution bei der Verwendung von Risikoanalysen für die Entscheidungsfindung im Umweltschutz. 46 Seit der Carter-Administration gibt es eine Serie von executive orders, die eine Risiko-Kosten-Analyse vorschreiben. 47 Danach müssen alle Bundesbehörden, einschließlich der EPA, die geschätzten Kosten und die abgewendeten Risiken bei allen wichtigen Rechtsverordnungen, welche die Gesellschaft $ 100 Millionen oder mehr kosten, bestimmen. Allerdings bedeutet diese Kosten-Nutzen-Analyse manchmal ein Hindernis für sinnvolle Entscheidungsfindung. Etwa bei der Bestimmung von "unvertretbaren Risiken" im Rahmen von TSCA48 soll die Behörde die Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen, aber auch die ökonomischen Konsequenzen einer Regelung beriicksichtigen. Im Jahre 1995 wurde vom House of Representatives ein "Supermandat" eingebracht, das alle bestehenden Standards in Gesundheits- und Umweltgesetzen durch einen Kosten-Nutzen-Standard ersetzen sollte. 49 b) Ansätze des Scope Documents Bereits das Scope Document des OSTP vom Juli 199050 verfolgte einen Auswahlansatz. Es schreibt vor, daß die Einzelbehörden, die für die Regelung der Biotechnologie zuständig sind, ihr Ermessen bei der Auswahl von Überwachungsmaßnahmen 51 ausschließlich risikobezogen ausüben sollen, das heißt unabhängig von der Frage, ob ein Organismus gentechnisch verändert wurde oder auf natürliche 45 Die Klausel verlangt, daß kein Risiko durch krebserregende Pestizide bei verarbeiteten Lebensmitteln bestehen darf, vgl. Food Additives Amendment of 1958 (Delaney Amendment), § 6(a); U.S.c. Titel 21, § 348(c)(3)(A). Turner, Delaney Lives! Report of Delaney's Death Are Greatly Exaggerated, in: Environmental Law Reporter Bd. 28 (1998), S. 10004 ff. 46 Goldman, Risk Sysmposium: Environmental Risk Assessment and National Policy: Keeping the Process Fair, Effective, and Affordable, U.Cin.L.Rev., Bd. 63, Sommer 1995, S. 1533 (1544); Biancardil Bogardus, From "Command and Control" to Risk Management: The Evolution of the Natural Gas Pipeline Safety Program, in: Energy Law Journal Bd. 16 (1995), S. 461 ff. 47 Executive order No. 12,044 (1978, Carter Administration); executive order No. 12,291 (1981, Reagan Administration); executive order No. 12,866 (1993, Clinton Administration). 48 U.S.c. Titel 15, § 2605 (1991). 49 H.R. 9, 104th Cong., 1SI Session (1995) (Job Creation and Wage Enhancement Act of 1995, introduced Jan. 4, 1995); vgl. Simon, Risk Symposium: Issues in Risk Assessment and Cost-Benefit Analysis and their Relationship to Regulatory Reform, in: U. Cin. L. Rev. Bd. 63 (1995), S. 1611 ff. 50 "Proposed Scope Document", in: Fed. Reg. Bd. 55, vom 31. Juli 1990, S. 31118 ff. 51 Gemeint ist das Ermessen zum Erlaß von diesbezüglichen Regeln.

7*

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Kap. 4: Vergleich der Regelungsstrategien

Weise ein Risiko darstellt. 52 Dabei werde es sich zwangsläufig ergeben, daß in einigen Regelungsgebieten staatliche Eingriffe häufiger vorkommen als in anderen. Neben der EPA, die in einem Bericht den Auswahlansatz als umweltpolitische Maxime billigte, sprach sich auch das SAB für die risikobezogene Überwachung der Biotechnologie aus, ebenso wie auch eine überwiegende Zahl der Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit zum Scope Document. 53 c) Vorgaben des Federal Oversight Documents

Dementsprechend macht auch die Endfassung des Federal Oversight Document die Vorgabe, daß die Behörden innerhalb ihrer gesetzlichen Kompetenzen hinsichtlich der Biotechnologie Überwachungsmaßnahmen nur dort vorsehen sollen, wo das Produkt ein "unvertretbares Risiko" (unreasonable risk) darstelle. Diese Eingriffsschwelle wird auch in den meisten einschlägigen Vorschriften wie etwa TSCA, FPPA oder in den APHIS-Regeln genannt. Das Federal Oversight Document versucht, den Begriff des unvertretbaren Risikos zu definieren, den der Gesetzestext von TSCA bewußt vage gewählt hatte. Demnach ist ein Risiko dort unvertretbar, "wo der volle Wert der Risikoreduzierung, die durch staatliche Überwachung erreicht wird, die vollen Kosten der Überwachungsmaßnahme übersteigt. ,,54 Diese Formulierung soll sicherstellen, daß die "begrenzten Überwachungsressourcen dort eingesetzt werden, wo sie den größten Nettonutzen für den öffentlichen Gesundheit und der Umwelt erreichen,,55, während nützliche und sichere Innovationen vorangetrieben werden können. Denn jede Maßnahme wird unter dem Blickwinkel betrachtet, daß im Regelfall mit zunehmender Reduzierung der unerwünschten Umweltauswirkungen die Maßnahmekosten steigen, und zwar typischerweise entlang einer Kurve absteigender Effizienz. Das bedeutet, daß die letzten Verbesserungen des Umweltschutzes weitaus aufwendiger sind als die ersten. 56 Ein angemessenes Verhältnis sei beispielsweise bei der Überwachung gefährlicher Pathogene gegeben, jedoch nicht bei der Überwachung von Aktivitäten mit niedrigem Risiko, wie etwa die herkömmliche Zucht von landwirtschaftlichen Nutztieren oder -pflanzen. Um den Wert der Risikoreduzierung zu ermitteln, muß demnach zunächst einmal abgeschätzt werden, wie hoch das naturwissenschaftlich feststellbare Risiko ist. Dazu führt das Federal Oversight Document aus, daß Produkte, die durch Biotechnologie hergestellt wurden, nicht schon allein wegen dieser Herstellungsmethode ein Risiko für die Gesundheit oder die Umwelt darstellen. Vgl. etwa der FMDV-Virus, oben S. 93. Siehe die Zusammenfassung in Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6760). 54 Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6755 f.). 55 Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753. Zu den begrenzten Ressourcen auch: Viscusi, Equivalent Frames of Reference for Judging Risk Regulation Policies, N.Y.U. Envtl.L.J., Bd. 3, 1995, S. 431 (452). 56 EPA, oben Kapitel 2, Fn. 15, S. 29. 52 53

11. Auswahlansatz oder Gebot der Risikominimierung

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Das Risiko müsse vielmehr anhand von Infonnationen über die Eigenschaften des Organismus oder anderer Biotechnologie-Produkte, die Zielumgebung und die Art der Anwendung nachgewiesen werden. 57 Denn die Regulierung müsse an dem relativen Risiko einer bestimmten Aktivität ausgerichtet werden. 58 Für solche Freisetzungen, die nach dieser Abwägung überhaupt eine staatliche Überwachung erfordern, ist nach der Art der Überwachungsmaßnahme zu fragen. Nach dem Federal Oversight Document sind nur solche Maßnahmen vertretbar, die den größten Nutzen für die Risikoreduzierung zu den geringsten Kosten unter Beriicksichtigung der Auswirkungen zusätzlicher Maßnahmen auf bestehende Sicherheitsanreize haben. Die Verwaltung kann eine Vielfalt verschiedener Überwachungsmaßnahmen anwenden, und ist nicht auf die binäre Wahl zwischen "Überwachung" und "keine Überwachung" beschränkt. 59 Zu den risikobezogenen Überwachungsmaßnahmen auf Bundesebene können die Veröffentlichung von Vorschlägen für Industriepraktiken, die Entwicklung von Richtlinien für bestimmte Freisetzungen, Anmelde- oder Kennzeichnungspflichten, Vorpriifungen der Behörde oder Bewilligung bestimmter Freisetzungen gehören. Diese Bandbreite von Überwachungsmaßnahmen kann entweder von einer Bundesbehörde direkt ausgeführt werden oder von einem örtlichen Verwaltungsorgan unter Aufsicht einer Bundesbehörde. Überwachungsmaßnahmen können folgendennaßen gestaffelt sein: Richtlinien für einwandfreie Handhabung, einfache Benachrichtigung eines örtlichen Priifungskomitees, Antrag auf vorherige Bewilligung durch ein örtliches Priifungskomitee, Benachrichtigung einer Bundesbehörde, Priifung der Übergabe an eine andere Behörde, die bereits derartige Freisetzungen regelt, oder Antrag auf vorherige Bewilligung durch eines Bundesbehörde. 60 Das Scope Document führt weiter aus, daß auf Überwachung verzichtet werden kann, wenn sich bestimmte Industriepraktiken lang bewährt hätten, oder wenn man sich auf das pragmatische Verständnis der Industrie verlassen kann, daß staatliche Eingriffe erfolgen, wenn die Sicherheitsregeln verletzt werden. In solchen Fällen sicheren Umgangs mit einer Technologie sollten Überwachungsmaßnahmen auf Bundesebene rechtlich verfügbar sein, von denen aber nur wenige oder keine ausgeübt werden müßten. 61 Ziel ist ein Gleichgewicht, wie es etwa in der traditionellen Landwirtschaft besteht, weil sie mit sicheren Organismen umgeht und anerkannte Verfahren anwendet. Sicherheit könne eben auch von bewährten Forschungspraktiken, Richtlinien und Standards der Berufs- und Industrieverbände sowie von anderen Sicherheitsrichtlinien ausgehen. Dabei muß auch bedacht werden, welche Auswirkungen zusätzliche Überwachungsmaßnahmen auf bestehende Sicherheitsanreize, die entweder von anderen gesetzlichen Programmen, von dem 57 58 59 60

61

Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6755). Siehe US EPA, SAB, Executive Summary, S. 2. Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6756). Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6760). Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6757).

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Kap. 4: Vergleich der Regelungsstrategien

Recht der Bundesstaaten oder von Marktanreizen wegen erhöhter Nachfrage sicherer Produkte ausgehen, haben könnten. 62 Jedenfalls müssen bei der Bestimmung der Überwachungsmaßnahmen bestehende Anreize berücksichtigt werden, so daß beide Systeme sich ergänzen und nicht gegenseitig aushebeln. Beispielsweise könnten neue Sicherheitsstandards einfach staatenrechliche Anreize außer Kraft setzen oder auch den Unterschied im Marktpreis für die Akzeptanz von Risiko. Solche Effekte müssen in der Berechnung des Nettonutzens einer Überwachungsmaßnahme berücksichtigt werden. Die Behörde kann bestehende Systeme unterstützen, beispielsweise könnte sie die Informationsgrundlage, auf der Marktanreize begründet sind, stärken, sie kann aber auch auf zusätzliche Maßnahmen verzichten, wenn die bestehenden Anreize das betroffene Risiko angemessen erfassen. 63 Um eine dem abgestuften Risiko angepaßte Überwachung der Biotechnologie zu gewährleisten, schlägt das Federal Oversight Document den Behörden hinsichtlich der Ausgestaltung der Überwachungsmaßnahmen in den einzelnen Regelungsbereichen verschiedene Regelungstechniken und -schemata vor. Dazu gehört die Entwicklung von Ausnahmekategorien für bestimmte Produkte, die typischerweise die maßgebliche Risikoschwelle nicht erreichen, bei der eine Überwachung notwendig wird. Eine wieder andere Möglichkeit ist es, daß die Behörde eine geschichtete Hierarchie bildet, bei der verschiedenen Ebenen oder Arten von Risiko bestimmte Arten von Überwachungsmaßnahmen zugeordnet werden. Nicht für jede Behörde mag jede der Methoden geeignet sein. Ausnahmekategorien können insbesondere in solchen gesetzlichen Programmen angemessen erscheinen, wenn die von der Ausnahme erfaßten Organismen teilweise unter andere Regelungen fallen - wie die Organismen, die nicht unter TSCA, aber unter FlFRA fallen, oder wenn die Programme Organismen mit niedrigem Risiko betreffen. Eine Behörde kann auch zunächst Kategorien definieren, die überhaupt erst der Regelung unterfallen sollen. Beispielsweise im FPPA ist der Transport von Pflanzenschädlingen geregelt, ohne Rücksicht auf die Techniken, mit denen der Schädling produziert wurde. Um dieses Gesetz, das Pflanzenschädlinge weit definiert, umzusetzen, hat das USDA eine Liste von Organismen erstellt, welche die Eigenschaften eines Pflanzenschädlings erfüllen und deren Transport genehmigungsbedürftig ist. Die Liste kann erweitert, aber auch reduziert werden, wenn die Einschätzungen von Organismen sich ändem. 64 In manchen Regelungsgebieten kann es erforderlich sein, so das Federal Oversight Document, sowohl positive Kategorien von Organismen zu bilden, die der Regelung überhaupt erst unterfallen, und auch Ausnahmekategorien, ein sogenannter kombinierter Ansatz. Nur die Aktivitäten, die in keiner der Kategorien vorkommen, könnten individuell auf einer Einzelfallbasis behandelt werden, um gegebenenfalls später in Kategorien gefaßt zu

63

Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6756). Ebd.

64

Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6759).

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werden. Beispielsweise die NIH-Richtlinien über rekombinierte DNA-Organismen verwenden beide Strategien, weil sie in einem Appendix Organismen auflisten, bei denen eine Gefahr wahrscheinlich ist, während E. coli K-12, B. subtilis und Saccharomyces ausdrücklich von der Regelung ausgenommen sind. Als weiteres Beispiel für eine risikobezogenen Regelungsstrategie nennt das Federal Oversight Document, daß eine Behörde die Offenlegung jeglicher gefährlicher Freisetzungen verlangt, indem sie grundsätzlich einige Aktivitäten, die nur ein triviales Risiko bedeuten, ausschließt, während einige Aktivitäten aufgelistet werden, die typischerweise ein Risiko bedeuten. Die Offenlegungspflicht für die restlichen Aktivitäten beurteilt sich nach von der Behörde aufzustellenden Kriterien. Ein Behörde könnte weiterhin im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben für alle Freisetzungen einer Risikoebene oder als Bedingung für eine vorherige Genehmigung in einem Fall die Offenlegung von Informationen oder Auflagen für eine Freisetzung oder angemessene prophylaktische Maßnahmen fordern (Beschränkung und Eindämmung) oder gewisse Aktivitäten grundsätzlich verbieten. Ein hierarchische Abstufung schließlich ist beispielsweise in dem USDA-Entwurf der Richtlinien für aus Bundesmitteln geförderte Forscher enthalten. 65 Die Richtlinien klassifizieren fünf Risikoebenen, je nach der Veränderung des Risikos bei der Freisetzung des modifizierten Organismus im Vergleich zum Parentalorganismus. Für jede der fünf Stufen schlagen die Richtlinien verschiedene Ebenen von Eindämmungsmaßnahmen zur Anwendung vor sowie Prüfungsrechte verschiedenen Ausmaßes für unbeteiligte Dritte ("Desinterested Parties"), wie etwa für örtliche Sicherheitskornitees. 66 Insgesamt bleibt also das Federal Oversight Document hinsichtlich seiner Vorgaben für die Behörden recht abstrakt und flexibel. Die sachliche Kompetenz der Behörden zur Regelung der eigenen Sektoren soll offenbar nicht beeinträchtigt werden.

d) Umsetzung in den Regelungen

Der Auswahlansatz drückt sich in zahlreichen abgestuften Regelungsinstrumenten zur Regulierung der Gentechnik aus. Je nach Produkt, Behörde, Anwendung oder Gesetz kann eine Erlaubnis (permit), eine Genehmigung (license), eine Billigung (approval) oder nur eine Anmeldung (notification) vorgesehen sein. Am deutlichsten wird der Unterschied zu der deutschen Regelung jedoch in den Fällen, in denen aufgrund des Auswahlansatzes auf eine Regelung überhaupt verzichtet wird, also in den Fällen der Deregulierung.

65 66

Fed. Reg. Bd. 56,1. Februar 1991, S. 4134 ff. Fed. Reg. Bd. 56, 1. Februar 1991, S. 6760.

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Kap. 4: Vergleich der Regelungsstrategien

aa) Regelung unter APHIS In den APHIS-Regeln sind die Möglichkeiten zur Deregulierung vor allem in den Vorschriften über die Bestimmung des Status als nicht geregelter Artikel 67 enthalten. Danach werden Artikel, obwohl sie ursprünglich in den Anwendungsbereich der APHIS-Regeln fällen,68 schrittweise aus der Regelung ausgenommen, wenn angenommen wird, daß sie ein geringes Risikopotential besitzen. Jedermann, der bezweifelt, daß ein bestimmter Organismus tatsächlich die Kriterien erfüllt, die eine Regelung durch APHIS rechtfertigen, kann die Bestimmung des Status als nicht geregelter Artikel beantragen. Zu diesem Zweck muß der Antragsteller eine Beschreibung des Phänotyps des geregelten Artikels einreichen, die folgenden Punkte umfaßt: die bekannten und potentiellen Unterschiede zu dem unveränderten Empfängerorganismus, die belegen, daß der geregelte Artikel wahrscheinlich kein größeres Risiko darstellt, ein Pflanzenschädling zu sein, als der unveränderte Empfängerorganismus, aus dem er hergestellt wurde. Gleiches gilt, wenn ein geregelter Artikel kein größeres Risiko darstellt als ein anderer gentechnisch veränderter Organismus, für den der Status als nicht geregelter Artikel bereits festgestellt wurde. 69 In der Begründung zu dem Antrag sollen mindestens folgende Kriterien behandelt werden: Eigenschaften, die das Risiko eines Pflanzenschädlings ausmachen, Anfälligkeit für Krankheiten und Schädlinge, Expression des Genproduktes, neue Enzyme oder Änderungen im Pflanzenmetabolismus, in der Verunkrautung des geregelten Artikels, oder Auswirkungen auf die Verunkrautung anderer kreuzbarer Pflanzen, landwirtschaftliche Praktiken oder Kulitivierungspraktiken, Auswirkungen des geregelten Artikels auf Nicht-Zielorganismen, indirekte Auswirkungen auf andere landwirtschaftliche Produkte hinsichtlich ihrer Schädlichkeit für andere Pflanzen, Transfer genetischer Information auf nicht kreuzbare Organismen und jegliche andere Information, die der Direktor für die Feststellung als relevant erachtet. Auch jegliche dem Petitionär bekannte Information, die auf ein höheres Risiko der Pflanzenschädlichkeit des regulierten Organismus hinweist, ist der Petition beizufügen. 7o Der Status des nicht geregelten Artikels kann nur Pflanzen eingeräumt werden. 7l Obwohl kein materiellrechtlicher Anspruch auf eine bestimmte Entscheidung besteht, zwingt die Petition die Behörde, eine verbindliche Feststellung über den Status des betreffenden Organismus zu machen. Es handelt sich um eine Verfahrensvorschrift, die ermöglichen soll, daß Anträge auf Deregulierung von Organismen mit den unterschiedlichsten Eigenschaften einer gründlichen und umfassen§ 340.6 APHIS. Vgl. die Liste der geregelten Artikel in § 340.2 APHIS, die grundsätzlich als schädlich für Pflanzen eingestuft werden. 69 CFR Titel 7, § 360.6(e)(l) und (2). 70 § 340.6 (c)(4) APHIS-Regeln. 71 Vgl. dazu auch Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044 (17051). 67

68

11. Auswahlansatz oder Gebot der Risikominimierung

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den Prüfung der Schädlichkeit für Pflanzen und Umwelt im Einzelfallverfahren unterzogen werden und gegebenenfalls dereguliert werden können. 72 bb) Regelung unter TSCA Der risikobezogene Regelungsansatz hat im Zuständigkeitsbereich der EPA dadurch Ausdruck gefunden, daß bei der Anwendung von TSCA ein nach Risikopotential abgestuftes Kontrollinstrumentarium zum Einsatz kommt. So sieht die Regelung unter TSCA etwa keine behördliche Prüfung von Feldversuchen vor, insoweit die veränderten Mikroorganismen bereits ein MCAN-Anmeldeverfahren durchlaufen haben und in das Chemical Substances Inventory unter TSCA aufgenommen sind und gleichzeitig die Freisetzung nicht als wesentlich neuartige Verwendung im Sinne der SNUR gilt. Darüber hinaus kann die EPA grundsätzlich im Einzelfall oder durch Regelung bestimmen, daß das Anmeldeerfordernis oder andere Anforderungen des § 5 TSCA für eine neue chemische Substanz nicht anzuwenden sein sollen, soweit kein unvertretbares Risiko einer Schädigung für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt von der Substanz ausgeht. 73 Für manipulierte Mikroorganismen ist diese Ausnahme in den TSCA-Regeln dahingehend spezifiziert worden, daß die EPA unter anderem auf Antrag einen Mikroorganismus deregulieren kann. 74 Dazu muß der Antragsteller darlegen, daß die Aktivitäten, die von der Ausnahme betroffen sind, nicht ein "unvertretbares Risiko" für Gesundheit oder Umwelt darstellen. 75 Die Ausnahme wird gewährt, wenn die Behörde nach Berücksichtigung allen relevanten Beweismaterials, das in dem Verordnungsgebungsverfahren nach § 725.67 (b)(l) TSCA-Regeln vorgelegt wurde, bestimmt, daß kein unvertretbares Risiko von dem Organismus ausgeht, anderenfalls wird der Antrag abgelehnt. 76 Weitere Ausnahmen von der Anmeldepflicht nach § 5 TSCA bestehen, wenn im Rahmen von Forschung und Entwicklung, Research and Development ("R&D"), Feldtests kleinen Maßstabs nur für bestimmte Mikroorganismen, derzeit betrifft diese Ausnahme nur Bradyrhizobium japonicum oder mit Rhizobium meliloti, durchgeführt werden, die bestimmte Voraussetzungen an Versuchsfeldgröße, eingeführtes genetisches Material und an Containment-Maßnahmen erfüllen. 77 In diesem Fall reicht eine Anzeige des Versuchs aus. 72 Dies machte APHIS durch entsprechende Klarstellungen im Wortlaut der Vorschrift gegenüber dem Entwurf deutlich, V gl. Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044 (17054). 73 § 5(h)(3)-( 4 )TSCA. 74 § 725.67 TSCA-Regeln 75 § 725.67(a)(2) TSCA-Regeln. 76 § 725.67(c)(3) TSCA-Regeln. 77 EPA, Microbial Products of Biotechnology; Final Regulation Under the Toxic Substances Control Act; Final Rule; Fed.Reg. Bd. 62, vom 11. April 1997, Discussion of Final Rule and Response to Comments, V. C. 5, S. 17909 (17924).

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Kap. 4: Vergleich der Regelungsstrategien

2. Deutschland Dem risikobezogenen Regelungsansatz der Vereinigten Staaten steht im deutschen Gentechnikrecht das generelle Gebot zur Risikominimierung und -vorsorge gegenüber. a) Grundlagen für das Risikominimierungsgebot

Das deutsche Gentechnikrecht ist aus dem Gefahrenabwehrrecht entstanden, jedoch hat sich ein darüber hinausgehender dogmatischer Ansatz entwickelt. Nach dem klassischen Gebot der Gefahrenabwehr ist eine Gefahr strikt zu bekämpfen, wenn eine nicht ganz unerhebliche Rechtsgutbeeinträchtigung mit größter Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorsteht, wobei im technischen Sicherheitsrecht häufig schon eine geringere Wahrscheinlichkeit ausreichen sole 8 Im Risikorecht muß der Staat jedoch nicht nur gegen direkte Gefahren schützen, sondern auch Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle mindern. Solche Risiken, die im Vorfeld von Gefahren einsetzen, bestehen, wenn denkbare Schäden objektiv wenig wahrscheinlich oder subjektiv ungewiß sind. 79 Diese Stufe ist im deutschen Recht unter dem Stichwort "Gefahrenverdacht" bekannt, worunter eine herabgesetzte Prognosesicherheit zu verstehen ist. 80 Allerdings reicht im Fall der geschilderten Risiken moderner Technologien wie der Gentechnik das Instrumentarium des klassischen Gefahrenabwehrrechts nicht aus, denn selbst wenn man, wie in der Situation eines Gefahrenverdachts, zumindest einen Gefahrerforschungseingriff oder ein vorläufiges Verbot zulassen wollte,81 so würde dies mangels weiterer gegenwärtiger Erkenntnismöglichkeiten nicht weiterhelfen, da alle menschenmöglichen Untersuchungen in der Regel bereits durchgeführt wurden. In dieser Situation der nicht quantifizierbaren "Gefahr, Gefahren nicht zu erkennen",82 ist über die klassischen Maßnahmen hinaus eine weitergehende Risikovorsorge zu betreiben. 83 Eine Intervention ist nicht nur dann geboten, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Schadens nachweisbar eine gewisse Höhe überschreitet, sondern auch dann, wenn der mögliche Schaden unbekannt ist, aber erheblich sein könnte und die Wahrscheinlichkeit nicht berechnet werden kann, es somit an der Unmittelbarkeit des Schadenseintritts mangelt. 84 Die Wahrscheinlichkeit eines 78 Breuer, Umweltschutz und Gefahrenabwehr in Anscheins- und Verdachtslagen, in: Gedächtnisschrift für W. Martens, S. 317 ff. 79 Winter, Grundprobleme, S. 37. 80 Scherzberg, S. 495. 81 So etwa BVerwGE 39, 190 (195 f.); vgl. grundlegend auch Kartlwus, S. 1 ff. 82 Scherzberg, S. 497. 83 BVerfGE 49, S. 89 (134 ff., 141 ff.); Breuer, NUR 1994, S. 157 (164) m. w. N. 84 Zu dem Rahmen "erlaubten" oder "akzeptablen" Risikos vgl. Marburger, S. 1 ff. Vgl. grundsätzlich auch die Formel des Bundesverfassungsgerichts im Kalkar-Entscheid, wonach Risiken unterhalb der Schwelle der praktischen Vernunft von den Grenzen menschlichen

11. Auswahlansatz oder Gebot der Risikominimierung

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Schadenseintritts muß nicht mehr bewiesen werden, sondern es besteht unabhängig davon beim Überschreiten einer Sicherheitsmarge die Pflicht, nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten und der Verhältnismäßigkeit unüberschaubare Risiken zu vermeiden. 85 Wahrend im Bereich der Unsicherheit, in dem das Risiko also quantifizierbar ist, das Gebot der Gefahrenabwehr zur Anwendung kommen kann, ist für den Bereich der Ungewißheit, in dem die Risiken schon aufgrund der Unkenntnis über die Schadenswahrscheinlichkeiten bestehen, das Vorsorgeprinzip anwendbar. Entscheidungstheoretisch ist "Gefahrenabwehr" das Instrument für Entscheidungen unter Risiko, "Risikovorsorge" demgegenüber für Entscheidungen unter Ungewißheit. 86 Das Vorsorgeprinzip gehört nicht zum reinen Gefahrenabwehrrecht, sondern stellt ein Instrument der Umweltplanung dar. 87 Obwohl die Konturen der Risikovorsorge nicht endgültig geklärt sind, dienen als Anhaltspunkte die Ziele des Vorsorgeprinzips. Zu diesen Zielen gehört es, Umweltbeeinträchtigungen in ihrem Ursprung zu bekämpfen und die Naturschätze nur auf der Basis nachhaltiger Entwicklung zu nutzen. Zu seinen Facetten wird die möglichst weitgehende Reduzierung der Umweltverschmutzung sowie die Reduzierung von Abfall, die Überwachung neuer Produkte und die Reduzierung bekannter, jedoch äußerst unwahrscheinlicher Risiken gezählt. 88 Das Risikovorsorgeprinzip wurde in Deutschland sowohl für das Ausmaß staatlicher Regelung als auch für deren Intensität beriicksichtigt. Soweit das Ausmaß staatlicher Regelungen betroffen ist, spielt die bereits erwähnte deutsche Theorie vom Gesetzesvorbehalt eine Rolle. 89 Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit Kernenergieanlagen entschieden, daß bestimmte Grundrechte wie etwa das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben und auch die Eigentumsgarantie so auszulegen sind, daß sie eine objektive Schutzverpflichtung des Staates begriinden, die zum Teil auch Umweltinteressen beinhaltet. 9o Inwieweit dariiber hinaus staatliche Schutzpflichten existieren und an welcher Schwelle nur noch das Vorsorgeprinzip eingreift, ist bislang ungeklärt. Insbesondere wird mit dem Fortschreiten der modernen Technologien diskutiert,91 dem Staat aufgrund des Vorsorgeprinzips weitergehende grundrechtliche Schutzpflichten aufzuerlegen. 92 Dem Erkenntnisvermögens verursacht und dadurch als sozial-adäquate Last von allen Bürgern zu tragen seien (BVerfGE 49,89 (143». 85 BGE 117 Ib 34; Breuer, DVBI. 1978, S. 836; Kloepfer, Handeln unter Unsicherheit im Umweltstaat, in: Gethmann / Kloepfer, Handeln unter Risiko im Umweltstaat, S. 55 ff. (72 f.); Reich, S. 201 ff. 86 Seiler, S. 162. 87 Wagner Pfeifer, s. 77. 88 Rehbinder, in: Smith/Kromarek, S. 8 (13). 89 Vgl. oben S. 81. 90 BVerfG vorn 18. August 1978, Bd. 49, S. 89 ff. (143). 91 Siehe oben S. 81 f. 92 Murswiek, Die staatliche Verantwortung, S. 250 f.; Robbers, S. 1 ff. Auch das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt Schutzpflichten des Staates mit Hinblick auf Art. 2

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Kap. 4: Vergleich der Rege1ungsstrategien

einzelnen sollen danach subjektive Rechte gegenüber dem Gesetzgeber zustehen, Vorsorge gegen zivilisatorische Risiken zu treffen, sofern diese die Schutzschwelle überschreiten. Dies ist dann der Fall, wenn die Risikointensität nach Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren als Grundrechtsverletzung angesehen werden kann. 93 Die Schutzschwelle dürfte jedoch erst jenseits einer nachweisbaren Gefahr für Leben und Gesundheit angesiedelt sein, da anderenfalls ohnehin die polizeirechtliche Generalermächtigung, die durch verwaltungsrechtliche Spezialnormen ausgefüllt wird, eingreift. Wenn jedoch davon ausgegangen wird, daß die staatlichen Schutzpflichten an der Schwelle einer nachweisbaren Gefahr enden 94 oder zumindest dort, wo ein Schaden nach praktischer Vernunft unvorstellbar ist,95 so läßt sich aus dem Inhalt des Vorsorgeprinzips lediglich schließen, daß die Schwelle, jenseits derer die Allgemeinheit Ungewißheiten als sozialadäquate Last zu tragen hat, anhand rechtlicher und politischer Rationalitäten zu bestimmen ist,96 weil sie ansonsten durch die Grenzen naturwissenschaftlichen Erfassungsvermögens festgelegt würde. 97 Im Grunde geht es bei der Bestimmung der Restrisiken nicht um die Verneinung einer Gefahr, sondern um die wertende Abwägung, welche Risiken "als sozialadäquat" hinzunehmen sind. 98 In diesem Sinne wird auch die verfassungsrechtliche Schutzverpflichtung als sehr vage angesehen, zumal sie unter dem Vorbehalt gesetzlicher Konkretisierung steht. Zumindest stellt das Vorsorgegebot jedoch ein objektiv-rechtliches Gebot an den Gesetzgeber dar, das nicht notwendigerweise auch subjektive Anspriiche des Einzelnen begriindet. Die Gerichte tendieren dazu, zumindest in Bereichen neuartiger Technologien, wie der Gentechnik, eine Vorsorgepflicht des Gesetzgebers anzunehmen. 99 Damit können sie den Gesetzgeber zum Tätigwerden zwingen, allerdings nicht zum Tätigwerden auf eine bestimmte Art und Weise. Weil ein großer Teil der gentechnischen Risiken im Bereich des Ungewissen liegt, kann eine generelle Einordnung in die Kategorien Gefahr, Risiko und Restrisiko nicht vorgenommen werden. 1oo Der Gesetzgeber kann jedoch spezifische Schutzziele und konkrete Einzelermächtigungen festlegen, um die Restrisiken weiter zu reduzieren. 101 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. I S. 2 GG in BVerfGE 49, 89 (132 und 141); 53, 30 (57 f.); 79, 174 (201 f.) diskutiert. 93 Zu der Schutzschwelle Dietlein, S. 112 ff.; Hermes, S. 66 ff., Gerlach, S. 35; vgl. auch BVerfGE 49,89 (142) - Kalkar-. 94 Murswiek, Die staatliche Verantwortung, S. 138 ff. 95 Breuer; OVBI. 1978, S. 829 (836). 96 Wagner Pfeifer; S. 73; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 58 ff. 97 BVerfGE 49, S. 89 (137, 143) - Kalkar -. 98 Vgl. Gerlach, S. 35, Hofmann, S. 333, 339; Hermes, S. 240, der allerdings die Schutzpflichten auch auf den Bereich der Restrisiken ausdehnt. 99 Verwaltungsgerichtshof Kassel (VGH) vom 6. November 1989 - 8 TH 685/89 -, OVBI. 1990,63 ff. Dazu auch Wahl/Masing, JZ 1990, S. 553-563. 100 Zur Unterscheidung dieser Kategorien: BVerfGE 49, 143 - "Kalkar"; vgl. Ger/ach, S.35.

H. Auswahlansatz oder Gebot der Risikominimierung

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b) Umsetzung in den Regelungen Durch das Gentechnikgesetz wurde das Gebot der Risikominimierung und -vorsorge umgesetzt und konkretisiert. 102 Auch unter dem deutschen Gentechnikregime werden einige Methoden und Produkte, die von vornherein als ungefährlich erscheinen, aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes ganz ausgenommen, wie etwa bei den in § 3 Ziff. 3 GenTG genannten Ausnahmen. Allerdings handelt es sich hier um Ausnahmen, die sich aus dem sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes ergeben, statt um Ausnahmen, die bereits eine Risikobewertung für Organismen enthalten, die sachlich grundsätzlich in den Regelungsbereich des Gesetzes fallen. Im übrigen sieht das GenTG eine Genehmigungspflicht für die Errichtung oder den Betrieb gentechnischer Anlagen vor. 103 Hinsichtlich des hier untersuchten Bereichs der Freisetzungen sieht das GenTG grundsätzlich ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt vor. 104 Zuständige Behörde ist das Robert-Koch-Institut, das seine Entscheidung gemäß § 16 Abs. 4 GenTG im Einvernehmen mit der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, dem Umweltbundesamt und für den Fall, daß Wirbeltiere oder Mikroorganismen, die an Wirbeltieren angewendet werden, gentechnisch verändert wurden, der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere zu treffen hat. Im Rahmen des grundsätzlichen Genehmigungsvorbehaltes können bestimmte Priifungen, etwa dann, wenn ein Organismus bereits bekannt ist, wenig umfangreich sein. Weitere Verfahrensvereinfachungen ergeben sich aus den Entscheidungen der Europäischen Kommission zur Durchführung vereinfachter Verfahren 105 für den Fall, daß genügend Erfahrungen mit dem entsprechenden Organismus existieren, die eventuell noch durch Rechtsverordnung umgesetzt werden müssen.

3. Vergleich Das US-amerikanische Recht nimmt nicht wie das deutsche Recht bereits die Anwendung gentechnischer Verfahren im Fall der Ungewißheit über konkrete Umweltauswirkungen zum Anlaß zur Regulierung (Eröffnungskontrolle), sondern Wagner Pfeifer, S. 78. Da sich der risikobezogene Ansatz auf die gesamte Regulierung der Gentechnik in den Vereinigten Staaten bezieht, erstreckt er sich neben den hier diskutierten Auswirkungen auf den Umfang der Regelungen auch auf die Frage, wann eine Freisetzung untersagt werden muß. 103 § 8 Abs. 1 S. 2 GenTG 104 § 14 Abs. 1 S. I und 2 GenTG. Zum Genehmigungsverfahren vgl. ausführlich Gerlach, S. 78, 84 ff. 105 Entscheidung 93/584/ EWG der Kommission vom 22. Oktober 1993, ABI. vom 12. 11. 1993, Nr. L 279/42 und Entscheidung 94/730/ EG der Kommission vom 4. November 1994, ABI. vom 12. 11. 1994, Nr. L 292/31. 101

102

110

Kap. 4: Vergleich der Regelungsstrategien

strebt an, die staatliche Verwaltungskapazität zur Kontrolle der Biotechnologie risikobezogen zu verteilen.

a) SteuerungskraJt der Regelungen in Grenzbereichen

Politische Dokumente zur Interpretation von unbestimmten gesetzlichen Formulierungen legen in den Vereinigten Staaten als Auswahlansatz zur Regelung der Gentechnologie von vornherein fest, daß Regelungen nur dort erlassen werden, wo das Risiko am größten ist, und nur solche Maßnahmen geeignet sind, deren Nettonutzen die gesellschaftlichen Kosten übersteigen. In Deutschland hingegen werden staatliche Schutzpflichten zur Regelung der Risiken der Gentechnik angenommen, wobei unklar bleibt, wie weit sich diese Pflichten im Rahmen des über das Gebot der Gefahrenabwehr hinausreichenden Vorsorgegebotes erstrecken. Letztlich wird die Entscheidung über die Regelung unter den Vorbehalt gesetzlicher Konkretisierung gestellt, um damit Raum für politische Wertungen zu schaffen. Bei Erlaß des GenTG wurden in Deutschland die Risiken der Gentechnologie vom Gesetzgeber pauschal so hoch eingeschätzt, daß bei Freisetzungen generell ein Genehmigungsverfahren vorgesehen wurde. Im Gegensatz dazu besagt die politische Wertung des Federal Oversight Document in den Vereinigten Staaten, daß staatliche Überwachung nur an den kosteneffizientesten Stellen eingesetzt werden soll. Die in Deutschland problematische Frage, wie weit staatliche Schutzpflichten oder auch das Vorsorgeprinzip reichen, stellt sich in den Vereinigten Staaten nicht mit gleicher Schärfe, weil sie im Rahmen der ökonomischen Analyse des Rechts von der Prämisse abgeschnitten wird, daß Regelungen in derartigen Grenzbereichen jedenfalls nicht effizient sind. Allerdings entstehen bei der Prüfung, ob einer Regelung wegen staatlicher Schutzpflichten geboten oder aus Vorsorgeerwägungen politisch gewünscht ist, ähnliche Probleme der Identifizierung und Quantifizierung von Risiken J06 wie bei der Bestimmung, ob ein Risiko so groß ist, daß die gesellschaftlichen Kosten einer staatlichen Kontrolle geringer sind als die zu erzielende Risikoverringerung. Jedoch kann nicht behauptet werden, daß die Regelungspolitiken der Vereinigten Staaten leichtfertig Risiken als marginal abqualifizieren und daher aus ökonomischen Erwägungen unreguliert lassen. Denn die Exekutivgremien der Vereinigten Staaten befassen sich wie kein anderer Staat der Erde mit quantitativen Analysen über die ökonomischen Auswirkungen von Gesetzen und Verordnungen und mit einer umfangreichen Begleitforschung über die Risiken, die durch diese Verordnungen bekämpft werden. Diesen Studien liegt eine aufwendige abstrakte Risikoabschätzung im Sinne einer Technikfolgenabschätzung jenseits der abstrakten Rechtsnorm und des einzelfall bezogenen Verwaltungs akts im klassischen Sinn zu106 Vgl. etwa Shere, The Myth of Meaningful Environmental Risk Assessment, Harv. Env. Law. Rev., Bd. 19, 1995, S. 409 ff.

11. Auswahlansatz oder Gebot der Risikominimierung

111

grunde, die in Deutschland jeglichen Gegenstücks entbehrt. 107 Während in den Vereinigten Staaten Daten und Hypothesen für derartige Analysen veröffentlicht werden, finden in Deutschland die wissenschaftlichen Untersuchungen von Umweltgefahren und von Regelungsaltemativen meist auf ministerialer Ebene statt, ohne daß die Öffentlichkeits beteiligung eine grundlegend entscheidende Rolle spielen würde. 108 In den Vereinigten Staaten hingegen folgen die Behörden bei der Formulierung ihrer rechtlich verselbständigten Entscheidungsstrategien strengen Verfahrensvorschriften. Diese abstrakte Abschätzung der technischen Risiken für die Gesellschaft ist pragmatisch, weil sie einem effektiven Ressourcenmanagement dient. 109 Auf diese Weise können gesellschaftliche Risikoprioritäten festgesetzt werden. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, daß durch die pauschalisierte und statistische Beurteilung der Risiken Unbilligkeiten im Einzelfall auftreten.

b) Kompatibilität der Risikopolitik mit produktbezogenen Ansätzen

Spürbare Auswirkungen des Auswahlansatzes im Gegensatz zum Gebot der Risikominimierung ergeben sich jedoch vor allem in zweierlei Hinsicht. Dies ist zum einen die besondere Kompatibilität des Auswahlansatzes mit dem produktbezogenen Ansatz. Denn die Regelung der Sachverhalte mit dem höchsten Risiko wird häufig mit der Regelung bestimmter Produkte zusammenfallen. Allerdings ist es auch ohne konsequente Anwendung des Auswahlansatzes nicht ausgeschlossen, daß ein sorgfältiger Gesetzgeber alle Arten von gentechnisch veränderten Organismen durch eine produktbezogene Spezialregelung abdeckt, und sei es durch eine Auffangbestimmung, wie im europäischen Ansatz vorgesehen. In diesem Fall entstünde jedoch ein Widerspruch zu der Annahme, daß durch das Verfahren der Gentechnologie selbst rechtlich relevante Risiken entstehen können. Zum anderen ist eine einheitliche ethische Kontrolle des Verfahrens 110 bei einer horizontalen risikobezogenen Regelungspolitik schwerer umsetzbar als beim Gebot der Risikominimierung. Der Entscheidung gegen eine produktbezogene Kontrolle überhaupt oder der Verwendung von Auffangvorschriften wäre jedoch aus US-amerikanischer Sicht vorzuwerfen, daß Überwachungsressourcen ohne Rücksicht auf das relative Risiko fehlgeleitet und Aktivitäten mit niedrigem Risiko un107 Vgl. Brickmanl Jasanoffl Ilgen, S. 53. Es bestehen Bemühungen, das Verfahren der Risikoabschätzung für Verordnungen, für die jährliche volkswirtschaftliche Auswirkungen von $ 100.000.000 oder mehr erwartet werden, zu formalisieren. V gl. etwa der Entwurf des Bundesgesetzes über die Risikoabschätzung in Regelungsbehörden (Federal Regulatory Risk Assessment Act 1997), der im März 1998 dem Senat vorgelegt wurde (U.S. Cong., 1051h Congress, 2d Session, S. 1728, vom 6. März 1998). 108 Brickmanl Jasanoff/llgen, S. 40 f. 109 Viscusi, Regulating the Regulators, in: The University of Chicago Law Review Bd. 63 (1996), S. 1423 (1424 f.); in eine ähnliche Richtung gehen auch Bestrebungen in Deutschland nach einer Risikoabschätzung mittlerer Ebene, vgl. dazu S. 206. 110 Dazu mehr unten Kapitel 5 und 7.

112

Kap. 4: Vergleich der Regelungsstrategien

nötig belastet würden. Bei einer Gesamtbetrachtung des Umweltrisikos für die Gesellschaft verbleibt bei einem Verzicht auf eine risikobezogene Regelung insgesamt ein größeres Risiko, wenn Ressourcen fehlgeleitet werden und nicht in vollem Maße und ausschließlich den potentiell gefährlicheren Anwendungen zugute kommen. 111 Auch in Deutschland wird mitunter bemängelt, daß eine Fokussierung staatlicher Regulierung auf die Gentechnologie stattfindet und die Risiken anderer biologischer Techniken womöglich unterschätzt werden. 112 Dementsprechend wird erwogen, den Vorsorgegrundsatz durch eine risikobezogene Prioritätenbildung auszufüllen. 113 Diesen Gedanken hat die Europäische Union bereits aufgegriffen. 114

c) Deregulierung und Verfahrensökonomie

Eine weitere wichtige Auswirkung des Auswahlansatzes ist - neben dem abgestuften Einsatz staatlicher Kontrollmittel - die Möglichkeit, auch innerhalb der produktbezogenen Regelungen Organismen mit niedrigem Risikopotential gänzlich zu deregulieren. Im Gegensatz dazu hat in Deutschland der Gesetzgeber das Vorsorgeprinzip für die Gentechnik so ausgestaltet, daß zunächst alle Organismen unter ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt fallen. Dadurch wird die Entscheidung über eine konkrete Freisetzung auf die administrative Einzelfallprüfung anhand der gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien verlagert, während in den Vereinigten Staaten solche Organismen, bei denen von einem geringen Risiko ausgegangen wird, weil sie bestimmte Kriterien erfüllen, von vornherein aus der Regelung ausgenommen sind oder vereinfachten Kontrollverfahren unterliegen und insoweit eine umfassende administrative Einzelfallprüfung nicht mehr erforderlich wird. APHIS etwa glaubt, daß die Beschränkungen durch die Auswahlkriterien und die Ausführungsstandards wirkungsvoll das Risiko für eine wesentliche Umweltbeeinträchtigung ausräumen, "welches eine Analyse von Fall zu Fall erforderlich machen würde".1l5 Mit dem Verzicht auf einen Erlaubnisvorbehalt und die daraus resultierenden Einzelfallprüfungen beabsichtigt die US-amerikanische Administration die Einspa111 Siehe National Science F oundation, The suitability and applicability of risk assessment methods, Executive Summary, S. 2. 112 Winter, Grundprobleme, S. 27. 113 Ladeur, Zur Prozeduralisierung, S. 297-331; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 87, 92; Murswiek, Die staaatliche Verantwortung, S. 255 f. Allerdings verfolgt die deutsche Regelung im Grunde bereits insoweit einen Auswahlansatz, als per definitionem Biotechnologie-Produkte oder klassische landwirtschaftliche Produkte nicht unter das Gentechnikgesetz fallen. 114 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament "Förderung eines wettbewerbsorientierten Umfeldes für die industrielle Anwendung der Biotechnologie in der Gemeinschaft" v. 19.4. 1991 (sog. Bangemann-Papier), SEK(91)629 endg., zitiert nach Winter, Grundprobleme, S. 20, Fn. 98. 115 Fed. Reg. Bd. 58, vom 31. März 1993, S. 17044 (17054).

11. Auswahlansatz oder Gebot der Risikominimierung

113

rung von Verwaltungsressourcen. Der einschlägige Bericht des Science Advisory Board betont, daß für die Behandlung von Umweltrisiken grundsätzlich beschränkte Ressourcen zu Verfügung stünden. Wenn ein großer Teil der Ressourcen auf Probleme einer niedrigeren Prioritätsstufe auf Kosten der Risiken höherer Priorität ausgegeben werden, dann setze sich die Gesellschaft unnötig hohen Risiken aus. Die Prioritäten müßten daher aufgrund des Umweltrisikos verteilt werden. Falls dies die Gesellschaft nicht tue, entstünden immense Kosten. APHIS selbst beabsichtigt, durch das Anmeldeverfahren Zeit und Kosten einzusparen, die bei einem Genehmigungsverfahren anfallen würden. Etwa 85 Prozent der Feldversuche können nach Schätzungen der Behörde unter dem maximal 30 tägigen Anmeldeverfahren der APHIS-Regeln durchgeführt werden, bei denen die 120 Tage Wartezeit für eine Freisetzungsgenehmigung wegfällt. 116 Nachdem das Anmeldeverfahren durch die Ausweitung von 1997 für geschätzte 99 Prozent aller Freisetzungen einschlägig ist, hofft APHIS auf Kosteneinsparungen von bis zu 95 Prozent gegenüber der Durchführung von Genehmigungsverfahren. 117 Gesellschaftliche Kosten im Sinne volkswirtschaftlicher Nachteile könnten zusätzlich auch entstehen, wenn die Entwicklung der Industrie durch einfachere Verfahren wie etwa Anmeldeverfahren weniger behindert wird als durch volle Genehmigungsverfahren. Im April 1991 veröffentlichte der Rat des Präsidenten zur Wettbewerbsfähigkeit einen Tatsachenbericht,118 wonach RechtsvOTschriften, die Innovationen behindern oder bestrafen, als sich selbst multiplizierende Lasten für die amerikanischen Industrie bezeichnet werden, weil gerade durch Innovation die Ziele eben jener Gesundheits-, Sicherheits- oder Umweltvorschriften möglicherweise besser erreicht werden können. Einige Regelungen seien nicht mehr den neuen Technologien angemessen oder beachteten die Lasten für den internationalen Wettbewerb nicht. Insbesondere sollte zur Verbesserung der Regelungen im Bereich der Gentechnik vor jeder Verabscheidung einer Vorschrift gepriift werden, ob ihr potentieller Nutzen ihre potentiellen Kosten übersteigt. Der Gesamtnutzen für die Gesellschaft müsse maximiert werden. In der Tat zeigt sich am Beispiel der APHIS-Regeln, daß die dichteste Kontrollebene mit Genehmigungsvorbehalt durch kategorische Ausnahmen langfristig zunehmend an Bedeutung verliert. Die Ausnahmen werden formuliert, wenn die Behörde das Freisetzungsrisiko für einige Gruppen von Organismen generalisiert und abstrakt bewerten kann. Dadurch werden die Lasten, die mit der Durchführung eines Genehmigungsverfahrens verbunEbd., S. 17044 (17055). Fed. Reg. Bd. 62 (1997), S. 23956. 118 The President's Council on Competitiveness, Report on National Biotechnology Policy, 1991, Zusammenfassung in Fed. Reg. Bd. 57, vom 27. Februar 1992, S. 6753 (6761). Regulierungsbehörden haben bei der Entwicklung von Regelungsansätzen eng mit dem Office for Management and Budget (OMB) des Weißen Hauses zusammenzuarbeiten, wodurch jeglicher Ermessensspielraum im Endeffekt durch eine zwingende Kosten-Nutzen-Abwägung ersetzt wird; vgl. dazu näher Vita, Ch., State Biotechnology Oversight: The Juncture of Technology, Law, and Public Policy, Maine Law Rev., Bd. 45,1993, S. 329 (342 ff.). 116

117

8 Pohl

114

Kap. 4: Vergleich der Regelungsstrategien

den sind, verhältnismäßig an den zunehmenden Wissensstand über den Organismus angepaßt. Dementsprechend sollen nach US-amerikanischer Auffassung Vorschriften, die darauf abzielen, Gesundheits- oder Sicherheitsrisiken zu reduzieren, sich auf wissenschaftliche Risikoabschätzungsverfahren stützen und Risiken aufgreifen, die real und bedeutend sind, nicht solche, die hypothetisch oder fernliegend sind. Genehmigungsentscheidungen sollten in zügigen Verfahren herbeigeführt werden und auf vorab klar definierte Standards gestützt werden. Der Antragsteller soll in den Vereinigten Staaten für die Freisetzung eines vertrauten Organismus nicht erneut auf die langwierigen Genehmigungsverfahren verwiesen werden, zumal deren Ausgang sich von dem vorheriger Verfahren bezüglich vergleichbarer Freisetzungen kaum unterscheiden dürfte. Dem deutschen Gentechnikgesetz wurde diesbezüglich vorgeworfen, daß es den Gentechnikstandort Deutschland behindere, wenngleich vor allem der aufwendige Vollzug in den ersten Jahren mit Antrags- und Anmeldeformularen gemeint war. 119 Deshalb wird verstärkt eine Deregulierung angeregt, um die internationale Wettbewerbsflihigkeit Europas zu stärken und um dem Wissenszuwachs aufgrund weltweiter Erfahrungen mit Freisetzungen gerecht zu werden. 120 Gerade der deregulative Charakter des Auswahlansatzes war allerdings auch in den Vereinigten Staaten bereits in der Kommentierungsphase zu dem Entwurf der APHIS-Regeln vom 2. November 1992 angegriffen worden. In Deutschland erscheint die Deregulierung einzelner Organismen auch nach heutigem Wissensstand noch bedenklich, weil eine Risikoklassifizierung VOn Fremdgenen und ihrer im Zielorganimus vermittelten Eigenschaften nach deutschem Verständnis noch nicht zuverlässig möglich ist. 121 Deshalb könnte eine Deregulierung (auch wenn sie mit einer Teilprivatisierung der Normkonkretisierung gekoppelt wäre) Eingriffscharakter erreichen und verfassungsrechtlich unzulässig sein. 122 Auf europäischer Ebene wird jedoch vorgeschlagen, gestützt auf die Erfahrungen in den Vereinigten Staaten, Genehmigungsverfahren weiter zu vereinfachen, für Freisetzungen geringerer Risikokategorie ein Anmeldeverfahren vorzusehen und einen Kriterienkatalog zu entwickeln, nach dem bestimmte Organismen aus der Regulierung ausgenommen werden können. 123 Deshalb hat APHIS versucht, den Zweck des Anmeldeverfahrens, die Vereinfachung und Standardisierung des Freisetzungsverfahrens beizubehalten, aber dabei dennoch durch zusätzliche prozessuale Schranken den Entscheidungsein119 120

(66).

Winter, Grundprobleme, S. 20. Vgl. KOM (98) 85, Art. 6a; vgl. Ratfür Forschung, Technologie und Innovation, S. 51

Rehbinder, ZUR 1999, S. 6 (9). Vgl. Huber, DVBI. 1999, S. 489 (493 ff.). 123 Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit, Tatigkeitsbericht der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit, Neunter Bericht nach Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes für den Zeitraum vom I. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 1998, S. 22 f.; vgl. die Option "differenzierter Verfahren" nach Art. 6 Gemeinsamer Standpunkt, oben Kapitel 3, Fn. 136. 121

122

11. Auswahlansatz oder Gebot der Risikominimierung

115

klang zu gewährleisten und der Rechenschaftspflicht des Entscheidungsträgers gegenüber der Öffentlichkeit zu genügen. 124 Grundsätzlich hat die Verwaltung es angestrebt, alle unnötigen Hindernisse für Labor- und Feldversuche, Produktentwicklung, Verkauf und Gebrauch von Biotechnologie-Produkten zu beseitigen. Abgesehen von gewissen Unsicherheiten biete die staatliche Regelung bislang einen angemessenen Schutz für die "begrenzten Situationen", in denen es den privaten Märkten nicht gelingt, angemessene Anreize zu schaffen, um unvertretbare Gesundheits- und Umweltrisiken zu vermeiden. 125

d) Eignung zum Schutz vor ungewissen Risiken

In diesem Zusammenhang ist dem Auswahlansatz entgegenzuhalten, daß er zwar kosteneffektiv arbeiten mag und den rechtlichen Rahmen für einen attraktiven Industriestandort bildet, jedoch dazu beiträgt, daß insbesondere in Bereichen der Unsicherheit unerkannte Risiken unberücksichtigt bleiben können. 126 Dementsprechend wurde die gegenwärtige Regelung als laissez-Jaire-Ansatz zur Entwicklung der Biotechnologie charakterisiert. 127 Veränderte Organismen völlig aus dem Anwendungsbereich der entsprechenden Regelungen auszunehmen, widerstrebt auch aus europäischer Sicht dem Schutzpflichtgedanken, 128 obwohl dieser wie erwähnt im Einzelfall nicht grundsätzlich zu anderen Entscheidungen zwingt. Zwar beruft sich die pragmatische Regulierungspolitik der Vereinigten Staaten darauf, daß Schutz durch bestehende Anreize zur Risikoreduzierung wie Richtlinien der Berufsverbände bestehe, jedoch ist die staatliche Kontrolle insoweit weniger effektiv, da im Falle des Verstoßes gegen die Richtlinien ein Verbot weniger schnell vollzogen werden kann als im Falle eines präventiven Erlaubnisvorbehaltes. Wenn 124 Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044 (17044), Department of Agriculture, Animal and Plant Health Inspection Service, Final Rule 7 CFR Part 340 with cornments (Docket No. 92-156-02),) S. 2 f. Zu prozessulen Lösungen sogleich unten Kapitel 7. 125 S. 11 des Berichts, wie zitiert in Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6761). 126 Goldman. H., Issues in the Regulation of Bioengineered Food, High Technology Law Journal, Vol 7: 1, S. 113, 116. Für die institutionell bedingte Gefahr, daß Behörden in den USA gesellschaftliche Risiken zu wenig regulieren: Krier & Gillette. Risk, Courts and Agencies, U.Pa.L.Rev., Bd. 138, 1990, S. 1027, 1100; Campbell-Mohn. C./Applegate. J. S., Learning from NEPA: guidelines for responsible risk legislation, in: Harvard Environmental Law Review, Bd. 23 (Winter 1999), S. 93 ff. 127 Mostow, S. 1 ff.; Johnson. R., Former House Committee Chief Calls for "National Trust for Biotechnology" Genetic Engineering News, 15. April 1992, S. 5. Zur "antistaatlichen laissez-faire Ideologie" vgl. auch Reitz. Political Economy and Abstract Review in Germany. France, and the United States, in: Kenney / Reisinger / Reitz, Constitutional Dialogues in Comparative Perspective, S. 1 ff. 128 V gl. hinsichtlich Kritik hinsichtlich einer Freistellung von jeglicher Regelung: Schweizer/Calame. RIW 1997, S. 34, 45; kritisch auch: MalinowskilO'Rourke. A False Start? The Impact of Federal Policy on the Genotechnology Industry, in: The Yale Journal on Regulation Bd. 13 (1996), S. 163 ff.

8*

116

Kap. 4: Vergleich der Regelungsstrategien

sogar Marktanreize zum sicheren Umgang mit der Biotechnologie berücksichtigungsfähig sein sollen, dann wird die zuverlässige staatliche Risikoüberwachung vollständig aufgegeben, und die Verantwortung für die Sicherheit der Projekte wird weitgehend in die Hände der Unternehmer und Projektträger gelegt. Auch die Kritik, daß eine umfassende Überprüfung aller Freisetzungsvorhaben in der Praxis nicht gewährleistet ist, wenn die Freisetzung nur einem Anmeldevorbehalt unterliegt und im Falle der Untätigkeit der Behörde nach 60 beziehungsweise 90 Tagen l29 stattfindet, konnte von der EPA bislang nichts entgegengesetzt werden. Nach dem US-amerikanischen Ansatz wird auch die Möglichkeit abgeschnitten, daß die Behörde im Einzelfall ein zusätzliches Risiko, etwa ein synergistisches Risiko, entdeckt, das in die Abwägung zur Ausnahme vom Regelungsbereich überhaupt nicht eingegangen war. Das zeigt sich etwa daran, daß in einer Stellungnahme zu einem Entwurf der APHIS-Regeln Beweise dafür vorgelegt wurden, daß selbst die Organismen, die unter die genannten Ausnahmekriterien fielen, immer noch ein Risiko für Gesundheit oder Umwelt darstellen konnten. 130 Insoweit verfolgt die US-amerikanische Regelung nicht die von der OECD vorgeschlagene fallweise Vorgehensweise (case by case). Ferner mißachtet sie auch die Empfehlungen des NRC, bei Freisetzungen das Risiko auch anhand der Charakteristika der betreffenden Zielumwelt abzuschätzen. 131 Folglich ist der risikobezogene Ansatz prinzipiell weniger geeignet, Risiko mit Bestimmtheit auszuschließen und damit letztlich "riskanter" als ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Insoweit verfolgt der deutsche Ansatz tendenziell eher die Grundsätze der Einzelfallentscheidung, die ansonsten in den Vereinigten Staaten favorisiert werden.

In. Zusammenfassung zu Kapitel 4 Die Regelungsstrategie für die Gentechnologie in den Vereinigten Staaten unterscheidet sich von der deutschen vor allem dadurch, daß sie einen produktbezogenen Ansatz statt eines verfahrens bezogenen Ansatzes verfolgt. Dem produktbezogenen Ansatz liegt ein additives Modell zugrunde, wonach das Umweltrisiko des Gesamtprojektes nicht über die Summe der Risiken der verwendeten Organismen hinausgeht. Dagegen urnfaßt der verfahrensbezogene Ansatz auch die Berücksichtigung synergistischer Effekte und kann insbesondere in der Form des anlagebezogenen Verfahrens auch die Gefahr des Mißbrauchs oder von Unfällen berücksichtigen. Darüber hinaus werden in Deutschland staatliche Schutzpflichten zur Risikominimierung und -vorsorge angenommen, die jedoch in Grenzbereichen wissen129

Im TERA- beziehungsweise MCAN-Vefahren.

Fed. Reg. Bd. 55, S. 31121. Allerdings ist auch die Argumentation von APHIS nachzuvollziehen, wonach die Eigenschaften der Zielumwelt der Vereinigten Staaten für bestimme Pflanzenarten auch pauschal abzuschätzen seien (Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044 f.). 130

131

III. Zusammenfassung zu Kapitel 4

117

schaftlicher Erkenntnis wenig Steuerungskraft entfalten. Eine ähnlich geringe Steuerungskraft im Bereich der Ungewißheit geht von dem Auswahlansatz der Vereinigten Staaten aus, wonach staatliche Kontrolle nur dort und in dem Maße eingesetzt werden darf, wie ihr Nutzen die gesellschaftlichen Kosten übersteigt. Aufgrund ausführlicher Risikostudien haben APHIS und die EPA unter TSCA ein abgestuftes Instrumentarium von Kontrollinstrumenten und Deregulierungsvorschriften für solche gentechnisch veränderten Organismen entwickelt, die bekanntermaßen mit einem geringen Risiken behaftet sind. Dadurch werden Verwaltungsressourcen eingespart, und die Industrie wird nicht mit langwierigen Genehmigungsverfahren belastet. Die Deregulierung eines naturwissenschaftlich so komplexen und ungewissen Gebietes, für das auch die OECD eine Einzelfallprüfung vorschlägt, erscheint jedoch aus europäischer Sicht als Vernachlässigung staatlicher Schutzpflichten. Die Überprüfung der Einhaltung der Deregulierungsvoraussetzungen gestaltet sich in der Praxis problematisch, und bei einem deregulierten Artikel können nachträglich erkannte oder synergistische Risiken nicht mehr erfaßt werden. Wahrend der risikobezogene Ansatz mit dem produktbezogenen Ansatz der OECD besser kompatibel erscheint, ist ein horizontales und generelles Gebot der Risikominimierung besser geeignet, eine einheitlich angewandte Kontrolle aller gentechnischen Risiken zu gewährleisten.

KapitelS

Die Risikoabschätzung Nachdem grundlegende Ansätze und Regelungsstrategien erörtert wurden, soll nun verglichen werden, wie das Risiko eines Freisetzungsvorhabens naturwissenschaftlich abgeschätzt I wird. Sowohl die Regelungen der Vereinigten Staaten als auch die deutschen Regelungen behandeln die Risikoabschätzung und die Risikobewertung zusammen. Innerhalb der Risikoabschätzung stellt sich die Frage, welche Risiken für die Abschätzung berücksichtigt werden müssen, und welche Methoden verwandt werden, um Risiken festzustellen und zu bezeichnen.

I. Berücksichtigungsfähige Risiken Zunächst soll gegenübergestellt werden, welche materiellen Vorgaben die Regelungen der Vereinigten Staaten und Deutschlands für die Risikoabschätzung machen und welche Arten von Risiken danach in die Risikoabschätzung eingestellt werden können.

1. Vereinigte Staaten

Vorgaben für die Risikoabschätzung ergeben sich im Recht der Vereinigten Staaten aus Rechtsverordnungen und aus Verwaltungsrichtlinien sowie in beschränktem Maß aus Gesetzen.

a) Gesetze

Die Vermeidung von Risiken wird in den US-amerikanischen Gesetzen auf unterschiedliche Weise vorgeschrieben. Beispielsweise ermächtigen FPPA und PQA die Verwaltung lediglich dazu, die Verbreitung von Pflanzenschädlingen in den Vereinigten Staaten durch entsprechende Regelungen zu verhindem. 2 In FIFRA und TSCA etwa heißt es hinsichtlich der Regelung von Risikoabschätzung und RiI

2

Zum Begriff der Risikoabschätzung vgl. oben S. 30. Siehe oben S. 54 f.

I. Berücksichtigungsfähige Risiken

119

sikobewertung, daß "unvertretbare Risiken" zu vermeiden sind. 3 Unter FIFRA sind darunter unvertretbare Risiken für Mensch oder Umwelt zu verstehen, wobei die wirtschaftlichen und sozialen Kosten und Nutzen sowie Kosten und Nutzen für die Umwelt aus der Verwendung eines Pestizids zu berücksichtigen sind. 4 Auch unter TSCA findet eine Risiko-Nutzen-Abwägung statt. s Diese Abwägung berücksichtigt zumindest Wahrscheinlichkeit, Ausmaß und Bedrohlichkeit des Schadenseintritts einerseits und andererseits, ob eine Kontrollmaßnahme den Nutzen der betreffenden Substanz für die Gesellschaft mindert oder andere nachteilige Auswirkungen hat. 6 Der Teil dieser Abwägung, der die Aussage über den Schadenseintritt betrifft, wird als Risikoabschätzung bezeichnet. Die meisten der Faktoren dieser Abwägung sind nur schwer an tatsächlichen Gegebenheiten festzumachen, und die genauen Umrisse können nur im Einzelfall anhand differenzierender Beurteilungen bestimmt werden/ wobei auch Strategien der schrittweisen Erweiterung von Versuchen zur Anwendung kommen können. 8

b) Untergesetzliche Bestimmungen

Konkretisierungen der sich aus Gesetz ergebenden Abwägungsformel befinden sich in verschiedenen untergesetzlichen Bestimmungen.

aa) Federal Oversight Document Speziell für die Regulierung der Gentechnik hat das Federal Oversight Document definiert, daß ein Risiko dort unvertretbar ist, wo der Nutzen der Überwachungsmaßnahme für die Umwelt größer ist als die sozialen Kosten dieser Maßnahmen. Dieser Maßstab bestimmt also nicht nur, welche Sachverhalte grundsätzlich unter staatliche Kontrolle fallen,9 sondern auch, in welchem Fall eine Freisetzung rechtmäßig ist, also die administrative Bewertung eines Freisetzungsrisikos im Einzelfall. Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6757). § 2(z)(bb) FlFRA; U.S.c. Titel 7, § 136(z)(bb). 5 laffe, S. 541; Latin, Good Seienee, Bad Regulation, and Toxie Risk Assessment, in: Yale Journal on Regulation Bd. 5 (1988), 89 ff. 6 "Exereise of Federal Oversight Within the Seope of Statutory Authority: Planned Introduetions of Biotechnology Produets Into the Environment", in: Fed. Reg. Bd. 57, vom 27. Februar 1992, S. 6753 ff. (im folgenden: "Federal Oversight Doeument") 7 Vgl. Tribe, Teehnology Assessment and the Four Diseontinuity: The Limits of Instrumental Rationality, 46 Cal.L.Rev. 617 (1973). 8 Siehe H.R.Rep. No. 94-1341, 94th Cong., 2d Sess. 35 (1976) (House Report), in: Legis. Hist., S. 442. 9 Dazu bereits oben, S. 97 ff. 3

4

120

Kap. 5: Die Risikoabschätzung

Dabei soll das Risiko, das wie erwähnt aufgrund der Eigenschaften eines Organismus und der Umwelt bestimmt werden soll, anhand bestimmter Kategorien von Parametern erfaßt werden. Dies sind die ökologische Nische des Organismus, sein Potential für den Genaustausch, die Möglichkeiten, einen Verbleib in der Umwelt und die Ausbreitung in eine weitere Umwelt zu erkennen und zu bekämpfen, und die potentiellen Folgen einer Ausbreitung in der weiteren Umwelt. IO Diese Kategorien werden weiter durch Risikobewertungsfaktoren spezifiziert, die hauptsächlich aus einer Studie der Ökologischen Gesellschaft Amerikas, der Ecological Society of America (ESA), entnommen sind. 11 Sie stimmen mit den grundlegenden Anforderungen der OECD und der UNO in bemerkenswert großem Ausmaß überein. 12

bb) Entscheidungsschema der Ecological Society of America Aufgrund der Vorschläge der Ökologischen Gesellschaft der Vereinigten Staaten (Ecological Society of America), unter dem Titel "The Planned Introduction of Genetically Modified Organisms; Ecological Considerations and Recommendations" wurde im Jahre 1989 ein Schema für die Risikoabschätzung bei der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen vorgelegt 13 • Danach soll die Risikobewertung für Freisetzungen anhand eines 34-Punkte-Kataloges durchgeführt werden. Diese Punkte konkretisieren die genannten Parameter, nämlich die neue Eigenschaft des veränderten Organismus, die Eigenschaften des veränderten Ausgangsorganismus und die Eigenschaften der Umwelt, in die der neukonstruierte Organismus entlassen wird. 14 Dieser Katalog schematisiert die Risikoabschätzung insoweit, als er die möglichen Gefahrenquellen bei einer Freisetzung abstrakt systematisiert, und jeder Quelle gestufte Intensitätsattribute zur Eintrittserwartung zuordnet. Aufgrund einer solchen Strukturierung des Abschätzungsprozesses wäre es möglich, Grenzwerte dergestalt zu formulieren, daß das Freisetzungsrisiko jedenfalls dann als zu hoch und im Rahmen der Risikobewertung nicht genehmigungsfähig einzustufen ist, wenn alle (oder der überwiegende Teil oder eine bestimmte Kombination von) Gefährdungsquellen mit dem jeweils ungünstigsten Attribut versehen werden müßten. Andererseits wäre von einer Genehmigungspflicht auszugehen, wenn alle (oder der überwiegende Teil oder eine bestimmte Kombination von) Gefährdungsquellen mit dem jeweils günstigsten Attribut versehen werden müßten. Das Gutachten der Ecological Society of America setzt jedoch keinen Grenzwert dergestalt, daß eine 10 Federal Oversight Document, in: Fed. Reg. Bd. 57, vom 27. Februar 1992, S. 6753 (6757). I1 Siehe dazu sogleich unten. 12 Siehe oben S. 48 f. I3 Tiedje u.a., The Planned Introduction Of Genetically Engineered Organisms: Ecological Considerations and Recommendations, in: Ecology Bd. 70 (1989), S. 298 - 315. 14 Der Katalog ist in Anhang I im Volltext wiedergegeben. Vgl. auch Rum, S. 38 ff.

I. Berücksichtigungsfähige Risiken

121

Freisetzung nur beim Vorliegen einer gewissen Eintrittserwartung bei einer bestimmten Anzahl von Attributen zulässig sein soll. Vielmehr sollen auch ökonomische, ethische und soziale Erwägungen zu berücksichtigen sein, die nicht von dem Katalog erfaßt sind. Die Autoren der Studie weisen darauf hin, daß selbst bei genauer genetischer Charakterisierung des neukonstruierten Organismus keine Sicherheit darüber bestehe, ob alle ökologisch bedeutsamen Aspekte der Freisetzung vorhergesagt werden können. Jedoch können die Erfahrungen bei der Einführung nichteinheimischer Arten für die Risikoabschätzung vor der Freisetzung eines gentechnisch veränderten Organismus relevant sein. 15 c) Umsetzung in den APHIS-Regeln

Den APHIS-Regeln ist an mehreren Stellen zu entnehmen, welche Faktoren in die Risikoabschätzung eingehen sollen. Zum einen ergibt sich gleichsam eine standardisierte Risikoabschätzung aus den bereits erörterten Vorschriften über die Feststellung des Status als nicht geregelter Artikel, 16 zum anderen aus den Vorschriften über das Anmeldeverfahren und das Genehmigungsverfahren.

aa) Auswahlkriterien für das Anmeldeverfahren Das Anmeldeverfahren gilt für alle Pflanzenarten, die nicht in den aufgrund des Bundesgesetzes über schädliche Unkräuter (Federal Noxious Weed Act, FNWA) erlassenen Regelungen 17 als schädliche Unkräuter aufgeführt sind und auch nicht im Freisetzungsgebiet als Unkräuter anzusehen wären. 18 Zusätzlich müssen die folgenden Auswahlkriterien des § 340.3(b)(2) bis (6) APHIS-Regeln erfüllt sein. Das eingefügte genetische Material ist "stabil in das Pflanzengenom integriert".19 Die Funktion des eingefügten Materials ist "bekannt" und seine Ausprägung (Expression) in dem geregelten Artikel führt nicht zu PfIanzenerkrankungen?O Das Material führt nicht zur Bildung einer infektiösen Einheit oder von Substanzen, die "bekanntermaßen oder wahrscheinlicherweise" toxisch für Nicht-Ziel15

TorgersenlPalmetshoferlGaugitsch, S. 129.

16 Oben S. 104. 17 CFR Titel 7, Teil 360. 18 CFR Titel 7, § 340.3(b)(I) n.F. Ursprünglich war das Anmeldeverfahren nur für die in der Liste des § 340.3 genannten Arten Mais, Baumwolle, Kartoffel, Sojabohne, Tabak und Tomate, oder für eine Art, für die APHIS bestimmt, daß sie sicher freigesetzt werden kann, in Betracht gekommen. 19 § 340.3(b)(2) APHIS-Regeln. Was unter stabiler Integration zu verstehen ist, ist in § 340.1 APHIS-Regeln definiert. 20 Mit diesem Kriterium wollte APHIS solche Organismen dem Benachrichtigungsverfahren unterstellen, welche neues genetisches Material enthalten, dessen Funktion erschlossen ist und das nicht pathogen ist (Fed. Reg. Bd. 58, vom 31. März 1993, S. 17044 (17046».

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

organismen sind, noch ist es wahrscheinlich, daß das Material sich von der Pflanzenspezies ernährt oder auf ihr lebt oder Produkte kodiert, die für den pharmazeutischen Gebrauch bestimmt sind. Die Definition von "toxisch im Verhältnis zu Organismen, die nicht Ziel der Veränderung waren", bleibt schwierig und schwer umsetzbar. Zumindest sollen aber laut APHIS solche Organismen ausgeschlossen werden, die absichtlich modifiziert wurden, um Substanzen zu kodieren, die toxisch für Nicht-Zielorganismen sind. APHIS legt den Begriff "bekanntermaßen" so aus, daß er "allgemein anerkannterweise" bedeutet. Im Gegensatz dazu bedeutet "wahrscheinlicherweise", daß die Wirkung "durch Beweise belegt sein muß, die stark genug sind, um eine Vermutung, wenn nicht sogar einen Beweis zu begründen." Hinsichtlich der Definition von Produkten für den pharmazeutischen Gebrauch verweist APHIS auf die Definitionen des Federal Food, Drug and Cosmetic Act21 , der solche Produkte definiert. Darüber hinaus ist das Anmeldeverfahren für solche Organismen ausgeschlossen, die ein "nicht unerhebliches Risiko,,22 der Schaffung eines neuen Pflanzenvirus bedeuten. Bei welchen Organismen dies der Fall ist, legt APHIS durch naturwissenschaftliche Kriterien fest. Diese Spezifizierungen stellen nach Auffassung von APHIS klar, welche Art von Sequenzen, die von einem Pflanzenvirus stammen, gentechnisch in eine Pflanze, die unter das Anmeldeverfahren fällt, eingefügt werden darf. Beispielsweise muß die Funktion jeder nicht kodierenden Sequenz bekannt sein, wie beispielsweise bei Sequenzen, die bekanntermaßen ein Promoter oder Transkriptions-Terminator sind. Schließlich dürfen die Pflanzen weder Nukleinsäuresequenzen (oder deren Produkte), die tierischen oder menschlichen Viren entstammen, oder kodierende Sequenzen aus tierischen oder menschlichen Pathogenen enthalten, die bekanntermaßen oder wahrscheinlicherweise Krankheiten in Tieren oder Menschen verursachen?3 Insgesamt läßt sich festhalten, daß die APHIS-Regeln differenzierte Kriterien aufstellen, um zu spezifizieren, unter welchen Umständen das Anmeldeverfahren zulässig ist. Die Kriterien greifen auch einige Kriterien, die in dem Entscheidungsbaum der ESA enthalten sind, auf. Jedoch arbeiten die Kriterien, welche die Risikoabschätzung und -bewertung beinhalten, an entscheidender Stelle mit unbestimmten Begriffen wie "bekannte Funktion,,24 einer genetischen Sequenz, oder auf das Kriterium, daß der Organismus nicht "bekanntermaßen oder wahrscheinlicherweise,,25 auf bestimmte Weise schädlich ist. Damit fehlen präzise materielle Standards für die Risikoabschätzung.

21 22 23 24

25

21 U.S.c. Titel 7, § 321(g). § 340.3 (b )(5) APHIS. der Originaltext lautet "significant risk". § 340.3(b)(6) APHIS. § 340.3(b)(3) und § 340.3(b)(5)(i). § 340.3(b)(6)(iii) und § 340.3(b)(4)(ii).

I. Berücksichtigungsfahige Risiken

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bb) Genehmigungsverfahren unter APHIS Alle Organismen, die unter den Anwendungsbereich der APHIS-Regeln fallen, für die jedoch das vereinfachte Anmeldeverfahren nicht anwendbar ist, dürfen nur freigesetzt werden, wenn APHIS eine Genehmigung erteilt. 26 Der Antrag auf Genehmigung muß eine Beschreibung darüber enthalten, wie sich das veränderte Material oder seine Ausprägung (Expression) von seiner Ausprägung in dem nicht veränderten Parental-Organismus unterscheidet. 27 Im Kommentierungsverfahren zu den Regeln wurde zur Erweiterung von § 340.6(b)(A) APHIS-Regeln vorgeschlagen, daß ein Antragsteller alle seine Daten über den Organismus einreichen müsse und nicht lediglich die Daten, die für den Antrag relevant sind. 28 APHIS entgegnete jedoch, daß die Fragen, die der Antragsteller erwägen müsse, um die Datenanforderungen des § 340.6(c)(4) APHIS erfüllen zu können, die volle Bandbreite der "greifbaren" Risiken 29 illustrierten, die denkbarerweise von einer gentechnisch veränderten Pflanze ausgehen könnten. Die einschlägige Vorschrift enthält sehr ausführliche Angaben darüber, welche Daten mit dem Antrag eingereicht werden müssen?O Insbesondere sind nicht nur allgemein anerkannte Literatur ("peer reviewed scientific studies "pi einzureichen, sondern auch unveröffentlichte Studien, Daten, die sich ungünstig für die Petition auswirken, aber auch deskriptive Daten, wie etwa reine Beobachtungsbeschreibungen. Welche der eingereichten Studien tatsächlich wissenschaftliche Substanz haben, wird von APHIS' wissenschaftlichem Personal geprüft. Eine zusätzliche Kontrolle stellt das öffentliche Kommentierungsverfahren dar. 32 Jedoch fehlen Anhaltspunkte dafür, wie die Behörde die eingereichten Daten verwenden oder bewerten soll, welches Gewicht den einzeln Daten beigemessen werden soll oder welche Qualität die Daten haben müssen, um zu einer verläßlichen Aussage über die Höhe des naturwissenschaftlichen Risikos zu kommen.

d) Umsetzung in den TSCA-Regeln In den TSCA-Regeln ist ebenfalls nicht ausdrücklich geregelt, wie die Risikoabschätzung erfolgen soll. Dies erklärt sich daraus, daß die EPA keine absoluten Methoden anstrebt, sondern case by case-Analysen für geeigneter hält. 33 Gewisse 26 27

28 29 30

31 32 33

§ 340.4 APHIS-Rege1n. § 340.4(b)(5) APHIS-Regeln. Fed. Reg. Bd. 58, vom 31. März 1993, S. 17044 (17050). "Substantive risks", id. § 340.4(a)-(c) APHIS-Regeln. Vgl. etwa U.S.C. Titel 7, § 136w(e). Dazu ausführlich unten Kapitel 7. Aussage von Mark Segal, EPA, im Gespräch am 2. Oktober 1998.

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

Standardisierungen ergeben sich daraus, daß Organismen, mit denen bereits viele Erfahrungen bestehen, vereinfachten Anforderungen unterfallen. Dennoch lassen sich hinsichtlich der Anforderungen an Risikoabschätzungen Rückschlüsse aus den Daten ziehen, die im Rahmen der einzelnen Regulierungsinstrumente vorgelegt werden müssen.

aa) Freistellung von der Anmeldepflicht In einem Antrag auf Freistellung eines bestimmten Mikroorganismus von den Berichtspflichten nach § 5 TSCA 34 liefert der Antragsteller unter anderem Daten über (I) die Wirkungen des Mikroorganismus auf Gesundheit und Umwelt, (2) den Umfang, zu dem Mensch und Umwelt dem Organismus ausgesetzt sein werden, (3) den Nutzen des neuen Mikroorganismus für verschiedene Verwendungen und die Verfügbarkeit von Alternativen für die verschiedenen Verwendungen und über (4) die vernünftigerweise bestimmbaren ökonomischen Konsequenzen der Bewilligung oder Versagung der Ausnahmen, einschließlich der Effekte für die Volkswirtschaft, kleine Unternehmen und technologische Innovation. Der Standard des "unvertretbaren Risikos" ist definiert als eine "Abwägung des Schadens für die Gesundheit oder die Umwelt, den eine Chemikalie verursachen kann, und das Ausmaß und die Schwere dieses Schadens, gegen die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen für die Gesellschaft von Handlungen der EPA zur Reduzierung dieses Schadens ...35 Soweit Gesundheits- und Sicherheitsstudien vorgelegt werden sollen, sind nicht nur formelle Studien bestimmter Disziplinen, wie epidemiologische, toxikologische, klinische und ökologische Studien oder Arbeitsschutzstudien, sondern auch andere Informationen, die Wirkungen auf Gesundheit oder Umwelt beschreiben, gemeint. 36 Als Beispiele werden genannt: Tests hinsichtlich ökologischer oder anderer Umweltauswirkungen, einschließlich Tests auf akute oder chronische Toxizität, Verhaltenstests, Algenwachstumstest, Saatkeimungstests, Pflanzenwachstumsoder Schadenstests, mikrobiologische Funktionstests, Biokonzentrations- und Bioakkumulationstests und Modellstudien für Ökosysteme (Mikrokosmos-Studien). Ferner sollen Langzeit- und Kurzzeittests hinsichtlich der Mutagenizität, Karzinogenizität oder Teratogenizität, Dermatoxizität, sowie hinsichtlich kumulativer, additiver und synergistischer, akuter, subchronischer und chronischer Effekte eingereicht werden. Erwähnt werden ausdrücklich Abschätzungen zu der Frage, inwieweit Menschen und Umwelt dem Mikroorganismus ausgesetzt sein werden, einschließlich Studien über das Überleben und den Transport des Organismus in der Luft, im Wasser und im Boden, die Fähigkeit, genetisches Material mit anderen 34 35

36

Gemäß § 5(h)(4) TSCA und § 725.67 TSCA-Regeln. § 725.67(c)(I) TSCA-Regeln. § 725.3 TSCA-Regeln

I. Berücksichtigungsfähige Risiken

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Organismen auszutauschen, die Fähigkeit, menschliche Gedärme oder Pflanzen zu kolonisieren. Neben Monitoring-Daten werden ausdrücklich auch Abschätzungen des Risikos für die Gesundheit und die Umwelt erwähnt. 37

bb) Anmeldungsverfahren MCAN Mit der MCAN müssen äußerst umfangreiche Daten über den freisetzenden Organismus eingereicht werden. 38 Erstens sollen Informationen über den Mikroorganismus eingereicht werden. Dazu gehören unter anderem eine taxonomische Beschreibung des Empfängerorganismus und des neuen Mikroorganismus. Zweitens werden Informationen über die genetische Konstruktion des neuen Mikroorganismus verlangt. Dies sind im einzelnen eine Beschreibung des eingeführten genetischen Materials, einschließlich der kodierenden Sequenzen und Strukturgenen sowie ihrer Produkte, und eine Beschreibung des erwarteten Einflusses des eingefügten genetischen Materials auf das Verhalten des Empfängers, der Expression und der Veränderung und Stabilität des eingefügten Materials. Schließlich müssen Daten über die phänotypischen und ökologischen Eigenschaften des Organismus vorgelegt werden. Diese umfassen Angaben zu Habitat, geographischer Ausbreitung, Methoden, mit denen man den neuen Organismus in der Umwelt entdecken kann, und zu der Sensitivitätsgrenze für die Entdeckungsmethode. Auch eine Beschreibung der vorherzusehenden biologischen Interaktionen mit den Effekten auf den Zielorganismus und andere Organismen sowie eine Beschreibung der erwarteten Bedeutung für biochemische oder biologische Kreisläufe und andere genau bezeichnete Naturkreisläufe. 39 Darüber hinaus muß der Anmelder unter anderem Testdaten zu den Auswirkungen seines Umgangs mit dem Mikroorganismus auf die Gesundheit oder die Umwelt einreichen. Alle genannten Informationen muß der Anmelder entweder anhand frei zugänglicher wissenschaftlicher Literatur belegen, oder er muß, soweit solche Literatur nicht existiert, eigene Studien und diesbezügliche Monitoring-Daten vorlegen. 40 Ferner soll der Anmelder eine Zusammenfassung der Testdaten, über die er verfügt, die aber nicht in den TSCA-Regeln verlangt werden, einreichen. 41

cc) Freisetzungsgenehmigungen TERA Im Fall der TSCA Environmental Release Application (TERA) muß der Antrag unter anderem alle Daten enthalten, die EPA benötigt, um eine sinnvolle Bewer37 38

39 40

41

§ 725.3(1) und (2)(i)-(v) TSCA-Regeln. Vgl. § 725.155 TSCA-Regeln. Vgl. § 725.155(d)(2) und (3) TSCA-Regeln § 725. 160(a)(l) und (2) TSCA-Regeln. § 725. 160(b) TSCA-Regeln.

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

tung der Gesundheits- und Umweltauswirkungen des geplanten Tests vornehmen zu können, einschließlich jeglicher Information, die der Antragsteller als sinnvoll für die Risikoabschätzung erachtet. 42 Allerdings muß ein Mindestmaß an Information abgedeckt werden, wozu unter anderem die folgenden Punkte gehören: die Ziele und die Bedeutung der Aktivität und der Grund für den Test von Mikroorganismen in der Umwelt, Charakteristika des Testfe1ds, Bezeichnung des Zielorganismus und auch Informationen über Monitoring, Eingrenzung und Beendigung des Tests sowie über Möglichkeiten, negative Auswirkungen in der Umwelt zu erkennen. 43 Wenn die EPA nicht feststellt, daß der Test kein "unvertretbares Risiko" darstellt, lehnt sie den Antrag mit schriftlicher Begründung ab. 44 Falls die EPA nachträglich Informationen erhält, welche die Risikoabschätzung oder Bewertung betreffen, gibt sie dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesen Daten. Falls das Risiko nunmehr dennoch als "unvertretbar" einzustufen ist, erteilt die Behörde entweder zusätzliche Auflagen oder untersagt die Fortsetzung des VersUChS. 45

e) Schutzgüter und schädliche Einwirkungen

Da in den Vereinigten Staaten kein einheitliches Gesetz über die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen existiert, werden die Schutzgüter und die schädlichen Einwirkungen, die für die Risikoabschätzung maßgeblich sind, exemplarisch anhand einzelner Programme behandelt.

aa) Unter APHIS Auch unter APHIS ist Voraussetzung, daß Freisetzungen kein unvertretbares Risiko für die "menschliche Gesundheit oder Umwelt" darstellen. Die Auslegung dieser Schutzgüter, insbesondere des Begriffes "Umwelt" läßt sich an den frühen Entscheidungen von APHIS belegen. Im Jahre 1994 bewertete APHIS das Risiko der Freigabe von neuen Flavr Savr-Linien. 46 Die EA's, die APHIS für diese Petitionen anfertigte, offenbaren, daß die Behörde selbstgeschaffene Kriterien, die über den Wortlaut der APHIS-Regeln hinausgehen, für die Risikoabschätzung erwog. In der Risikoabschätzung der Behörde für die neuen Linien stellte APHIS einen Vergleich mit den nicht veränderten Mutterpflanzen an und stellte fest, daß "Berichte von Feldversuchen und andere Daten zeigen, daß die neuen Tomaten-Linien normal wachsen, die erwarteten morphologischen, reproduktiven und physiologischen 42 43

44 45

46

Vgl. §§ 725.255(a), 725.260 TSCA-Regeln. § 725.255(e)(l) und (2) TSCA-Regeln. § 725.270(b)(4) TSCA-Regeln. § 725.288 TSCA-Regeln. Oben, S. 129.

I. Berücksichtigungsfähige Risiken

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Eigenschaften aufweisen und keine unerwartete Schädlings- oder Krankheitsanfälligkeit oder -symptome besitzen".47 Im Jahre 1994 erteilte APHIS den Status eines nicht geregelten Artikels für eine Linie gentechnisch veränderten Canolas. 48 In der Begründung heißt es, die Canola-Linien wiesen keine pflanzenpathogenen Eigenschaften auf, es sei bei den veränderten Linien nicht wahrscheinlicher, daß sie Unkräuter werden, als bei ihren nicht veränderten Mutterarten, und sie würden keinen Schaden für verarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse verursachen. Ferner sei es unwahrscheinlich, daß die Canola-Linien anderen Organismen, die für die Landwirtschaft nützlich sind, wie etwa Bienen oder Regenwürmern, Schaden zufügen. 49 Bei einer weiteren Feststellung des Status eines nicht geregelten Artikels im Jahre 1995 für eine weitere verzögert reifende Tomaten-Linie und für jegliche Abkömmlinge dieser Linie benutzte APHIS eine ähnliche Abschätzungsformel. 50 Im Jahre 1995 billigte APHIS der von der Firma Monsanto Co. entwickelten Mais-Linie MON 80100 den Status als nicht geregelter Artikel ZU. 51 Die Mais-Linie ist gen technisch so verändert, daß sie ein Insekten bekämpfendes Protein ausprägt, welches aus einem gewöhnlichen, im Boden vorkommenden Bakterium gewonnen wurde. 52 Wieder verwendete APHIS die bereits bekannte Formel für die Risikoabwägung, wobei nicht mehr nur die Organismen, die der Landwirtschaft direkt nützlich sind, sondern auch solche, die dem landwirtschaftlichem Ökosystem nützlich sind, berücksichtigt werden. Ferner betrachtete APHIS die Auswirkungen der Freisetzung auf die Möglichkeit der herkömmlichen Insektenbekämpfung an anderen Pflanzen. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn durch die gentechnische Veränderung der Pflanze zu erwarten wäre, daß das kontrollierte Insekt eine entsprechende Resistenz entwickelt. 53 Bei der Feststellung des Status als nicht geregelter Artikel bezüglich einer weiteren verzögert reifenden Tomaten-Linie, der Linie 8338, gab sich APHIS im wesentlichen mit der Schlußfolgerung zufrieden, die Tomaten-Linie 8338 und jegliche ihrer Abkömmlinge, die aus hybriden Kreuzungen mit anderen nicht veränderten Tomatenarten stammen, seien "genauso sicher anzubauen wie mit traditionellen Verfahren gezüchtete Tomaten-Linien, die nicht geregelt sind [ ... ]".54 Chem. Reg. Rep. (BNA) Bd. 18 (1994), S. 1144. Bestimmung des Status als nicht geregelter Artikel am 4. November 1994, siehe Fed. Reg. Bd. 59, S. 55250. 49 Chem. Reg. Rep. (BNA) Bd. 18, vom 11. November 1994, S. 1054. 50 Ebd. 51 Siehe Fed. Reg. Bd. 60, S. 46107. 52 Es handelt sich um das Protein CryCIA(b), das von dem Bakterium Bacillus thuringiensis subsat kurstaki stammt. Das Protein wirkt gegen bestimmte lepidopterane Insekten einschließlich des Europäischen Maisbohrkäfers. 53 Ebd. 54 "Will be just as safe to grow", Chem. Reg. Rep. (BNA), Bd. 19 (1994), S. 820. 47

48

Kap. 5: Die Risikoabschätzung

128

Ebenfalls im Jahre 1995 deregulierte APHIS die herbizidresistente Mais-Linie B-16 der Firma Dekalb Genetics CO. 55 APHIS verwendete die bekannte Abschätzungsformel, schlußfolgerte diesmal aber nicht nur, daß keine schädlichen Auswirkungen auf landwirtschaftliche Ökosysteme zu erwarten seien, sondern schloß solche Wirkungen auch generell auf "die Umwelt" aus. 56 Bei der Auswahl der Schutzgüter fällt auf, daß zunächst nur solche erwähnt werden, die spezifisch auf den landwirtschaftlichen Ablauf zugeschnitten sind. Später jedoch taucht auch die Umwelt als solche als Schutzgut auf. Es ist jedoch aus den betreffenden Verwaltungsverfahren nicht zu entnehmen, ob es sich bei der Ausweitung der Formel lediglich um sprachliche Anpassungen oder um eine inhaltliche Änderung des Prüfungsrahmens handelt. Zwar ist die Berücksichtigung von anderen Interessen als allein der menschlichen Gesundheit Mitte der Achtziger stärker in das Bewußtsein gerückt. 57 Jedoch kommt dem USDA weiterhin als Regelungsbehörde im Gegensatz zur EPA nicht die gesetzliche Aufgabe zu, die Umwelt zu schützen, vielmehr hat es die Aufgabe, landwirtschaftliche Technologien zu fördern. 58 Freilich ist auch APHIS unter NEPA verpflichtet, die Umweltauswirkungen eines landwirtschaftlichen Projektes zu berücksichtigen, dies gilt für APHIS' FONSl's oder EA's insbesondere auch deshalb, weil sie als funktionales Äquivalent für das formelle EIS unter NEPA gelten. NEPA selbst beispielsweise fordert, den Wert der Umwelt als solcher zu quantifizieren. 59 Hinsichtlich der berücksichtigten Arten von Einwirkungen werden in den hier skizzierten Abschätzungen jeweils unterschiedliche Kriterien berücksichtigt, von denen je nach Besonderheit der gentechnischen Veränderung einige Faktoren besonders hervorgehoben werden. Zu den Einwirkungen zählen jedenfalls die (1) Schädlichkeit für andere Pflanzen oder Nicht-Zie1organismen, die (2) Verunkrautung der veränderten Pflanze, die (3) Verunkrautung anderer kultivierter oder kreuzbarer wilder Pflanzen und (4) sonstige Einwirkungen auf die landwirtschaftliche Erzeugnissen oder die Umwelt. APHIS betont, bei der Bearbeitung der Anträge außer dem potentiellen Risiko von Pflanzenschädlingen auch eine weite Bandbreite anderer möglicher Wirkungen auf die menschliche Umwelt zu berücksichtigen~ 60 55 Die Mais-Linie war gentechnisch so verändert worden, daß sie das Herbizit Glufosinate tolerierte; siehe Fed. Reg. Bd. 61, S. 1744. 56 ehern. Reg. Rep. (BNA) Bd. 19, vom 26. Januar 1996, S. 1243. 57 Siehe zum Beispiel: Simberloff, D. / Colwell, R.K., Release of engineered organisms. A call for ecological and evolutionary assessments of risks, in: Genetic Engineering News, 4, (8), S. 4 (1985). 58 Bastian, Biotechnology and the United States Department of Agriculture: Problems of Regulation in a Promotional Agency, Ecology L.Q., Bd. 17, 1990, S. 413; laffe, S. 529. Diese gegensätzlichen Zielsetzungen von USDA und EPA provozieren die oben bereits bemängelten unterschiedlichen Priifungsstandards für Freisetzungen, vgl. oben S. 77. 59 Siehe oben NEPA 102(A).

60

Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044 (17054).

I. Berücksichtigungsfähige Risiken

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bb) Unter TSCA Wie die EPA bei der Prüfung von Freisetzungen unter TSCA (und FlFRA) in der Praxis vor Einführung der neuen TSCA-Regeln vorgegangen ist, wird regelmäßig im Federal Register dokumentiert. 61 Hervorzuheben ist der Ansatz der EPA, keine konkreten Umweltauswirkungen zu nennen, die sie systematisch untersucht und zu denen sie gegebenenfalls von einem Anwender Testdaten anfordert, sondern nur allgemeine Kategorien von Auswirkungen festzuschreiben, unter denen sie im Einzelfallverfahren eine Freisetzung untersucht. Derzeit erarbeitet die EPA ein Schema, in dem klargestellt wird, in welchen Fallkonstellationen welche Arten von Tests verlangt werden sollen. 62

f) Vergleichende Betrachtung

Die problematische Abgrenzung zwischen Einwirkungen, die spezifisch auf die gentechnische Veränderung zurückzuführen sind, und anderen Einwirkungen, die bei Freisetzungen des betreffenden Organismus auftreten können, taucht nur im deutschen Recht auf. Die Abschätzung in den Vereinigten Staaten umgeht sie weitestgehend dadurch, daß eine vergleichende Analyse vorgenommen wird. Dabei werden Risiken eines gentechnisch veränderten Organismus im Vergleich zu den Risiken anderer Organismen betrachtet. Schädliche Auswirkungen werden nur in dem Maße berücksichtigt, als sie die Auswirkungen eines auf herkömmliche Weise gezüchteten oder eines bereits zuvor bewerteten modifizierten Organismus übersteigen. Für die Abwägung verbleiben nur die zusätzlichen Risiken des Organismus mit neuem phänotypischen Merkmalen und nicht die Gesamtrisiken der Freisetzung. Beispielsweise ging APHIS ausschließlich im Wege des Vergleichs vor, als es neun weitere Linien der sogenannten Flavr Savr-Tomate der ursprünglichen Bestimmung des Status als nicht geregelter Artikel hinzufügte. Für die ursprüngliche Flavr Savr®-Linie hatte APHIS im Jahre 1992 die Bewertung anhand von eingereichten Testdaten vorgenommen. Zugleich hatte die Behörde jedoch die Bestimmung des Status als nicht geregelter Artikel für verschiedene andere Linien, für die keine Tests vorlagen, abgelehnt. Im Jahre 1994 hingegen bewertete APHIS die zu dieser Zeit eingereichten Petitionen unter anderem mit Hilfe eines Vergleichs der neuen Flavr Savr-Linien mit der ersten Linie, für welche ursprünglich der Status als nicht geregelter Artikel bestimmt worden war. 63 Die Behörde konnte keine 61 Eine tabellarische Zusammenfassung von zwei älteren Verfahren findet sich bei: ßum, S.30-33. 62 Eine solche Systernatisierung von Daten in Formate, die für eine ökologische Risikoabschätzung sinnvoll ist, wurde bereits verlangt in: SAß, EPA, Reducing Risk: Setting Priorities and Strategies for Environrnental Protection, 1990, S. 16. 63 ehern. Reg. Rep. (BNA), Bd. 16, S. 1283. 9 Poh1

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

unerwarteten Abweichungen feststellen. Während also APHIS 1992 sich für die Bewertung von neuen Flavr Savr-Linien ausschließlich auf Literatur und eingereichte Daten verlassen wollte, so hatte sie 1994 bereits begonnen, auch Vergleiche mit bereits bewerteten Organismen für die Bewertung neuer gentechnisch veränderter Linien mit heranzuziehen.

g) Sozioökonomische und ethische Kriterien

Sozioökonomische Kriterien, darunter sind neben den primären Sicherheitsfragen bezüglich der menschlichen Gesundheit und der Umwelt die sekundären ökologischen Risiken ethische Bedenken oder Bedenken der sozialen Zuträglichkeit zu verstehen, spielen keine explizite Rolle für die Risikoabschätzung in den Vereinigten Staaten unter den APHIS- und TSCA-Regeln. Insbesodnere in der Praxis von APHIS zeigt sich, daß die ökologischen Risiken von Freisetzungen transgener Pflanzen nicht ausreichend ermittelt wird. 64 Allerdings sehen die TSCA-Regeln vor, daß Stellungnahmen zu jeglichen Auswirkungen des Freisetzungsvorhabens eingereicht werden können, was natürlich auch sozioökonomische Kriterien umfassen könnte. Daß auch in den Vereinigten Staaten ethische Bedenken in der Biotechnologie-Diskussion nicht unberücksichtigt bleiben, zeigt sich an Dokumenten des OSTP, das neben wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekten ausdrücklich auch die ethischen Auswirkungen der Biotechnologie erwähnt. 65

h) Mittelbare Einwirkungen und Langzeiteffekte

Grundsätzlich ist die Berücksichtigung mittelbarer Auswirkungen von umweltrelevanten Vorhaben in den Vereinigten Staaten nicht unbekannt. Nach den Regeln des CEQ müssen in einem EIS Diskussionen unter anderem zu den direkten und indirekten Auswirkungen, zu kumulativen Effekten mehrerer Vorhaben, zu Alternativen und zu Möglichkeiten, die Auswirkungen abzuschwächen, enthalten sein. 66 Eine solche Studie kumulativer Effekte ist um so sachgerechter, je mehr sie einzelne Disziplinen überschreitet und multiple Ursachen berücksichtigt. 67 Auch globales Denken soll durch die Analyse kumulativer Effekte angeregt werden. 68 Zu den direkten Auswirkungen eines Projektes, neben gesondert festzustellenden Heidenreich, Regulierung transgener Pflanzen, S. 52. Beispielsweise Committee on Life Sciences and Health of the Federal Coordinating Councilfor Science, Engineering, and Technology, OSTP, Biotechnology for the 21 st Century, Washington D.C., 1992, S. 65. 66 CFR Titel 40, § 1502.12 ("Environmental Consequences"). 67 Havasupai Tribe vs. United States, 752 F.Supp. 1471, 1504-05, 1505 (D. Arizona 1990). 68 Rodgers, S. 952. 64 65

I. Berücksichtigungsfähige Risiken

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Umweltauswirkungen, können auch sozioökonomische Effekte zählen, beispielsweise bis hin zu dem psychologischen Streß der Bevölkerung in der Umgebung eines Reaktorbauvorhabens aufgrund der Angst vor einem nuklearen Unfall. 69 Nur abwegige Auswirkungen sollen nicht zu berücksichtigen sein. Zu den indirekten Auswirkungen können insbesondere auch die Effekte eines Vorhabens für das Ökosystem zählen70 oder die langfristigen Auswirkungen für globale Ökosysteme. 71 Die Literatur stellt zunehmend die Verantwortung der Menschheit gegenüber zukünftigen Generationen heraus. 72 Nach dem Gesetz von Maine 73 sind sogar solche Risiken bei der Risikoabschätzung zu berücksichtigen, die nicht real existieren, aber von der Bevölkerung wahrgenommen werden. Allerdings ist nicht klar, inwieweit wahrgenommene Risiken zur Untersagung einer Freisetzung führen können. Vielmehr soll im Rahmen des Risikomanagements als primäre Gegenmaßnahme die Risikokommunikation genutzt werden. 74 Dadurch werden die latenten Probleme der Quantifizierbarkeit von Gütern wie etwa des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung entschärft, weil spezifische Gegenmaßnahmen genannt werden. Derartige Erwägungen finden in den EA's des APHIS offenbar keine Berücksichtigung, und zwar deshalb, weil keine wesentlichen Auswirkungen festgestellt wurden, die sich in kumulativen Effekten noch verstärken könnten. Der Gedanke, daß Risiken ausschließlich in kumulativen Effekten bestehen könnten, während jedes Einzelrisiko vernachlässigbar sein könnte, findet keine Grundlage in der APHIS-Praxis. Bei der Untersuchung der Verwilderungsfahigkeit wurde hinsichtlich des Vorhandenseins von wilden kreuz baren Verwandten sogar ausdrücklich nur auf die Populationen in den Vereinigten Staaten verwiesen. Langzeiteffekte finden nur insoweit Berücksichtigung, als sie konkret anhand von Testdaten nachgewiesen oder vorhergesehen werden können. Die Prüfung unter TSCA stellt ebenfalls nicht auf kumulative Effekte ab, aber Langzeiteffekte sollen so weit wie möglich berücksichtigt werden. Dies geschieht im Wege der Wirkungsprognose (predictive analysis), zu der sich die EPA aufgrund des wissenschaftlichen Fortschritts in der Genom-Analyse ausreichend in der Lage sieht. 75 69 Metrolpoliton Edison Co. vs. People Against Nuclear Energy (PANE), 460 U.S. 766, 103 S.o. 1556,75 L.Ed.2d 534 (1983). 70 40 CFR § 1508.8(b). 71 Siehe oben S. 43 f. 72 Richtungsweisend insoweit Weiss, Our Rights and Obligations to the Future Generations for the Environment, 84 AmJ.Int'l L. 198 (1990). 73 Dazu bereits oben S. 70. 74 Die Commission sieht es als ihre Aufgabe an, die möglichen Risiken für die Öffentlichkeit und die Umwelt abzuschätzen, einschließlich der wahrgenommenen Risiken und die öffentliche Akzeptanz für die Bio- und Gentechnologie und ihrer Produkte (Maine Commission Biotechnology and Genetic Engineering, Final Workplan (15. Januar 1990), S. 3 wie zitiert in: Vito, State Biotechnology Oversight: The Juncture of Technology, Law, and Public Policy, Maine Law Rev., Bd. 45, 1993, S. 329, 377, Fn. 252). Für die Berücksichtigung gesellschaftlicher Ängste: Goldman Herman, Issues in the Regulation of Bioengineered Food, High Technology Law Journal, VoI7:1, S. 113 (119).

9*

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

Mittelbare Auswirkungen, die nicht durch den Organismus selbst, sondern ausschließlich durch seinen Gebrauch entstehen, sind nicht zu berücksichtigen. 76

i) Wahrscheinlichkeit der Schädigung und Ungewißheit

Insbesondere in der Situation der Ungewißheit ist es entscheidend für das Ergebnis der Risikoabschätzung, ab welchem Wahrscheinlichkeitsgrad die Behörde eine Auswirkung berücksichtigt. Das Federal Oversight Document erläutert, ebenso wie schon das Proposed Scope Document und der Tatsachenbericht des Rates des Präsidenten zur Wettbewerbsfähigkeit, daß geplante Freisetzungen, soweit rechtlich möglich, keinen Überwachungsmaßnahmen unterworfen sein sollen, falls nicht Informationen über das Risiko bei der Freisetzung die Notwendigkeit von Überwachung anzeigen. 77 Dieser Bericht lehnt unter Verweis auf den internationalen ökonomischen Wettbewerb ausdrücklich die Berücksichtigung hypothetischer Risiken ab. 78 Mit anderen Worten, nur konkrete und nachweisbare Risiken sollen in der Abwägungsentscheidung von Bedeutung sein. Damit wird der Schwellenwert für das Risiko, das überhaupt zu berücksichtigen ist, von vornherein hoch angesetzt. Unter APHIS wird häufig formuliert, daß schädliche Einwirkungen "wahrscheinlicherweise" ausgeschlossen sein müssen. Davon ist auch auszugehen, wenn die Schädigung sehr selten auftritt. Bestes Beispiel ist das mitunter verwandte Kriterium, daß eingefügtes genetisches Material "schwer mobilisierbar" sein muß, wobei als Schwellenwert eine Übertragungsfrequenz von 10-8 angegeben wird. 79 Allerdings alarmiert die Tatsache, daß APHIS eine Freisetzung als unbedenklich einstufte, weil zu Punkten wie Anfälligkeit für Schädlinge, Genießbarkeit für Insekten und Auswirkungen auf einheimische Fauna keine auf Probleme hinweisende Literatur zu finden war. 80 Unter TSCA bestimmt die EPA anhand der eingereichten Daten, inwieweit die Schutzgüter durch die Freisetzung einer Gefährdung ausgesetzt werden (hazard exposure assessment). Ergebnis dieser Bestimmung ist das quantifizierte Risiko, das gegen den beabsichtigten Nutzen des betreffenden Experiments abgewogen wird. Das Ergebnis der Abwägung ist entweder, daß das Risiko (1) unbeachtlich ist, (2) Aussage von Mark Segal im Gespräch vom 2. Oktober 1998. Fed. Reg. Bd. 57, vom 27. Februar 1992, S. 6753 (6760). 77 Fed. Reg. Bd. 55, S. 31120. 78 Beispielsweise ist auch unter NEPA ein EIS nur dann anzufertigen, wenn Effekte nicht nur fernliegend, spekulativ oder hypothetisch sind (Pennsylvania Protect Our Water & Environmental Resources, Inc. vs. Appalachian Regional Commission, 574 ESupp. 1203, 1236 (M.D.Pa.1982». Die Behörde soll auch nicht zum Blick in die "Kristallkugel" verpflichtet sein (NRDC vs. Morton, 148 U.S.App.D.C., S. 15; 458 E2d, S. 837, 2 ELR, S. 20034). 79 Dies allerdings unter den Defintionen der TSCA-Regeln. 80 Heidenreich, B., Regulierung transgener Pflanzen, S. 50. 75

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I. Berücksichtigungsfähige Risiken

133

beachtlich, aber in Kauf zu nehmen ist (eventuell mit Auflagen), (3) die Freisetzung verboten wird oder (4) weitere Informationen erforderlich sind. 8\ Aber auch wenn das Risiko als unbeachtlich bezeichnet wird, bedeutet dies nicht, daß ,null Risiko' vorliegen muß. 82 Soweit noch Ungewißheit über das Verhalten eines Organismus besteht, kann die EPA zusätzliche Tests hinsichtlich zweifelhafter Punkte verlangen. Die EPA geht davon aus, ausreichende Erfahrung mit Voraussagen hinsichtlich der Richtung und des Ausmaßes der Auswirkungen zu haben. Aber die EPA stellt auch Mutmaßungen darüber an, welche Risiken bestehen könnten und wozu noch Tests durchzuführen sind, auch wenn Anhaltspunkte für derartige Auswirkungen in existierenden Testdaten nicht bestehen. Damit versucht die EPA solcher Kritik entgegenzutreten, derzufolge Risiken regelmäßig unterschätzt würden, wenn man auf einen konkreten Nachweis warten wolle. 83 Wenn Tests zu umfangreich werden, entscheiden sich Anmelder mitunter zur Rücknahme einer Anmeldung. 84 Grundsätzlich liegt die Beweislast hinsichtlich des Vorliegens eines "unvertretbaren Risikos" unter TSCA bei der EPA. 85 Die EPA muß unter TSCA beweisen, daß der Organismus ein unvertretbares Risiko darstellt, bevor sie Maßnahmen ergreifen kann,86 während andere Gesetze, wie etwa der FDA, die Behörde zu Maßnahmen ermächtigt, falls nicht der Hersteller die Ungefährlichkeit des Produktes beweist. 87 Soweit Wissenslücken lediglich einen naturwissenschaftlichen Bereich betreffen, der soweit eingegrenzt ist, daß unvertretbare Risiken ausgeschlossen werden können, wirken Wissenslücken selbstverständlich für das Projekt. Darüber hinaus wirken selbst Wissenslücken, die einen größeren naturwissenschaftlichen Bereich betreffen, so daß nicht mehr festgestellt werden kann, ob die daraus resultierenden Risiken vertretbar sind, ebenfalls für das Projekt, weil die Freisetzung nicht verboten werden kann, wenn kein "unvertretbares Risiko" nachgewiesen ist. Daher kommt die Beweislastverteilung unter TSCA wegen der bestehenden Ungewißheiten einer Vermutung für die Sicherheit von Mikroorganismen gleich, die im Zweifel zugunsten einer Freisetzung wirkt. 88 Wie erwähnt wird die EPA in einer solchen Situation jedoch weitere Tests vom Anmelder anfordern, bis die Wissenslücken geschlossen sind. Falls die Lücken jedoch nicht durch die von der EPA vorgeschlagenen Tests geschlossen werden können, darf die Freisetzung nicht verboten werden. Burn, S. 25. Aussage von Mark Segal, EPA, im Gespräch vom 2. Oktober 1998. 83 Knox, Regulatory Reform: The present viability of Risk Assessment, Wisconsin Env. L. J., Bd. 3,1996, S. 49, 57. 84 Aussage von Mark Segal, EPA, im Gespräch vom 2. Oktober 1998. 85 laffe, S. 541. 86 Vgl. U.S.c. Titel 15, § 2605. 87 U.S.c. Titel 21, §§ 301-393 (1988). 88 Allen, The Current Federal Regulatory Framework for Release of Genetically Altered Organisms into the Environment, in: Florida Law Review Bd. 42 (1990) S. 531 (546 f.). 8\

82

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

2. Deutschland Für die Durchführung der Risikoabschätzung unter dem deutschen Recht sind die Freisetzungsrichtlinie und das GenTG maßgeblich.

a) EG-Richtlinie

Nach Art. 4 der Richtlinie 90/220/ EWG darf eine Freisetzung nur durchgeführt werden, wenn diese keine "Gefährdung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt" darstellt. Zwar schreibt die Richtlinie weiter vor, daß der Anwender vor jeder Freisetzung die Risiken der Organismen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt bewerten soll,89 aber zu der Art und Weise, in der diese Bewertung stattfinden soll, schweigt die Richtlinie.

aa) Kriterienkatalog der EG

Allerdings werden die beriicksichtigungsfahigen schädlichen Auswirkungen aus den in der Richtlinie genannten Kriterien deutlich. Vor der Freisetzung muß ein Anmelder Informationen unter anderem über den veränderten Organismus, über die Bedingungen der Freisetzung, über die Wechsel wirkungen des Organismus mit der Umwelt, über Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen sowie eine Erklärung über die Gefahren für die menschliche Gesundheit und die Umwelt bei den vorgesehenen Anwendungen vorlegen. 90 Anhang 11 macht detaillierte Angaben darüber, welche Angaben über den Spender- und Empfangerorganismus, über den Vektor, über den veränderten Organismus und über die Ziel umwelt gemacht werden müssen.

bb) Bewertungsraster Daher hat die Kommission im Jahre 1996 erste Leitlinien aufgestellt,91 die ein sechsstufiges Bewertungsraster für die Beurteilung der schädlichen Auswirkungen 89 Art. 5 Abs. 2 Iit. b und Art. 11 Abs. 2 Freisetzungsrichtlinie. 90 Vgl. Art 5 der Richtlinie 90/220/EWG; vgl. die noch differenzierteren Kriterien bezüglich Organismus, Umwelt und deren Wechselwirkungen sowie zu "zusätzlichen" Informationen: Anhang III und IV von: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Änderung der Richtlinie 90/2201 EWG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt, Brüssel, den 23.2. 1998 (KOM (1998) 85 endg. 98/0072 (COD». 91 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, A Framework Approach to environmental Risk Assessment for the Release of Genetically Modified Organisms, Doc. XI/08?1 96, Brüssell996.

I. Berücksichtigungsfähige Risiken

135

enthalten. 92 Danach sind in einem ersten Schritt zunächst die Eigenschaften des Organismus (Überlebensflihigkeit, Übertragbarkeit, Stabilität, Pathogenität usw.) sowie alle denkbaren Auswirkungen (Gentransfer, Schädigung von Nicht-Zielorganismen und Menschen, Umweltschäden usw.) zu identifizieren. Dabei wird auch die Erhöhung der Artenvielfalt erwähnt, was insoweit den Vorgaben des Abkommen über die Biologische Vielfalt93 gerecht werden dürfte. In Schritt 2 ist das Ausmaß der in Schritt I identifizierten Auswirkungen zu bestimmen, und in Schritt 3 deren Eintrittswahrscheinlichkeit anzugeben. Dies erfolgt jeweils in den Stufen "hoch", "mäßig", "gering" oder "vernachlässigbar". Das Schadensausmaß ist als ,,hoch" einzustufen, wenn die Freisetzung zur Ausrottung nützlicher und bedrohter Lebewesen und somit zu einer irreversiblen Veränderung eines Ökosystems führt. Der Schaden wird als "mäßig" bezeichnet, wenn nur andere Organismen als nützliche und bedrohte ausgerottet werden und daher keine gravierenden nachteiligen Auswirkungen auf ein Ökosystem zu befürchten sind. "Gering" ist das Schadensausmaß, wenn die Freisetzung nicht zu einer Ausrottung von Lebewesen und daher nicht zu nachteiligen Auswirkungen auf ein Ökosystem führt, es aber nicht auszuschließen ist, daß vereinzelt nichtnützliche und nichtbedrohte Organismen geschädigt werden. Schließlich wird das Ausmaß als "vernachlässigbar" angesehen, wenn keine bedeutenden Auswirkungen auf die Umwelt zu befürchten sind. Sobald die jeweilige Eintrittswahrscheinlichkeit den Stufen zugeordnet ist, erfolgt die eigentliche Risikobewertung in Schritt 4 des Rasters. Das Risiko soll als Produkt von Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit ausgedrückt werden und wird anhand eines Diagramms als hoch, mäßig, gering oder als vernachlässigbar eingestuft. 94 Schritt 5 besteht darin, für den Fall, daß ein hohes oder mäßiges Risiko festgestellt wurde, die Freisetzungsbedingungen so lange zu ändern, bis das Risiko gering ist. Schließlich sind in Schritt 6 die Risiken aller möglichen schädlichen Auswirkungen zu addieren und als Gesamtrisiko der Freisetzung auszudrücken. Obwohl dieses Bewertungsraster den Weg zu einem operationalisierbaren materiellen Standard ebnete, wurde dieser Ansatz zugunsten einer Prozeduralisierung aufgegeben. 95

Ebd., S. 12. Siehe oben S. 27. 94 Ebd. S. 10, Diagramm 2. 95 Siehe die Umweltverträglichkeitsprüfung mit Verfahrensleitlinien in Anhang 11 und IV von: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Änderung der Richtlinie 90/220/EWG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt, Brüssel, den 23.2.1998 (KOM (1998) 85 endg. 98/0072 (COD)). 92

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

b) GenTG

Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen ist gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG zu erteilen, wenn nach dem Stand der Wissenschaft im Verhältnis zum Zweck der Freisetzung unvertretbare schädliche Einwirkungen auf die in § 1 Nr. 1 GenTG bezeichneten Rechtsgüter nicht zu erwarten sind. Die Bedeutung dieser Abwägungsklausel ist weitgehend unklar.

aa) Schutzgüter Die Schutzgüter des § I Nr. I GenTG, die bei der Risikoabschätzung zugrunde gelegt werden müssen, sind Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge und Sachgüter. Zur weiteren Konkretisierung dieser Merkmale können die Kriterien aus Anhang I der GenTS V entsprechend herangezogen werden, die nur für gentechnische Arbeiten in Anlagen gelten. Probleme treten üblicherweise auf, wenn das Schutzgut "Umwelt" definiert werden soll. Bei der Definition von Umwelt wird ein ökozentrischer Ansatz verfolgt, der auf den Schutz der Umwelt ohne Bezug auf den Menschen abzielt. 96 Umwelt wird dabei als das Zusammenwirken aller natürlichen Faktoren in ihrem Wirkungsgefüge einschließlich der Einzelorganismen verstanden. 97 In der Literatur wird jede erhebliche Beeinträchtigung des Naturhaushaltes als Schaden angesehen, einschließlich der Eingriffe in Nahrungsketten, Symbiosen, Verarmung der Artenvielfalt, der Natur- und Kulturlandschaft in ihrer Struktur und Vielfältigkeit. 98 Wenn man noch weiter gehen wollte und Eigenrechte von Arten und Lebensgemeinschaften anerkennen würde, müßte man konsequenterweise dazu auch solche natürlichen Schädlinge zählen, die durch gentechnisch veränderte Organismen bekämpft werden sollen. Dann müßte bei jeder Freisetzung grundsätzlich ein Umweltschaden konstatiert werden. 99 Auch wenn man diese Organismen ausnehmen wollte, so entsteht doch immer auch ein ökologischer Schaden in Form einer Veränderung des Status Quo, beispielsweise wenn durch die Vernichtung eines Schädlings ein Glied aus einer Nahrungskette wegfällt. Geeignet scheint der Maßstab des BNatSchG, welches die Natur in ihrer gewachsenenen Eigenheit und Vielfalt schützt. 1OO Die unmittelbar durch die gentechnische Veränderung hervorgerufene, 96 HirschlSchmidt-Didczuhn, § I Rn. 17. Insoweit ist es verwunderlich, daß das RobertKoch-Institut (RKI) als zuständige Behörde im Ressort des Bundesgesundheitsministeriums angesiedelt ist, und nicht im Ressort des Umweltministeriums. Zu alternativen Interpretationsmöglichkeiten grundsätzlich: Lersner; NUR 1999, S. 61 ff. 97 HirschlSchmidt-Didczuhn, § I Rn. 19. 98 Ebd., § 16 Rn. 15. 99 Der sich nach hier vertretener Auffassung freilich sofort auf der Nutzenseite der Freisetzung in Form der Vernichtung eines Schädlings ausgleichen ließe.

I. Berücksichtigungsfähige Risiken

137

beabsichtigte Veränderung des Organismus wird man jedoch nicht als Schädigung im eigentlichen Sinne auffassen dürfen. Mitunter wird versucht, das Schutzgut Umwelt, ebenso wie in anderen Umweltschutzgesetzen, über das Merkmal der Leistungsfähigkeit des Naturhaltes zu definieren. Sie wird beispielsweise beeinträchtigt durch eine Verringerung lebensfähiger Systeme, eine Verarmung des natürlichen Wirkungsgefüges oder durch eine Veränderung der Vegetation oder der Tierwelt wegen der damit verbundenen Änderung der funktionalen Beziehungen der vorhandenen Pflanzen- und Tierwelt zueinander, so daß bestimmte genetische Anlagen oder geschützte Arten verschwinden. 101 Wegen der im Einzelfall unterschiedlichen lokalen Bedingungen am Ort der Freisetzung wird es schwierig sein, einheitliche materielle Maßstäbe eines Standards von Ökosystemen, wie etwa einen Standard von Natürlichkeit, festzulegen. Lösungen liegen möglicherweise in prozedura1en Vorgaben, wonach der Prozeß behördlicher Maßstabsbildung nachvollziehbar und willkürfrei sein muß oder auch auf formalisierten Planungsverfahren basieren soll. 102

bb) Schädliche Einwirkungen Soweit die Risikoabschätzung betroffen ist, ist zunächst zu fragen, welche "schädlichen Einwirkungen" in die Abwägung einzustellen sind. Eine Definition findet sich weder in der Freisetzungsrichtlinie noch im GenTG. Daher muß der Schutzzweck des GenTG herangezogen werden, das darauf abzielt, "vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren zu schützen und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen". 103 Darunter sind die Risiken zu verstehen, die sich spezifisch aus der Anwendung der Gentechnik ergeben,I04 wobei nicht abschließend geklärt ist, welche Risiken im einzelnen dazu gehören sollen. Das UBA sieht nach wie vor Handlungsbedarf bei der Entwicklung von Konzepten der Risikoabschätzung. 105 Unstreitig sind solche schädlichen Einwirkungen ausgeschlossen, die nur "anläßlich" einer Freisetzung auftreten können, aber im Grunde auch aufgetreten wären, wenn nicht veränderte Organismen freigesetzt worden wären, oder zumindest solche Einwirkungen, die auf andere Ursachen zurückzuführen sind. Beispielswei100 §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 10 BNatSchG; vgl. auch JörgensenlWinter; S. 295; Nöh, ZUR 1999, S. 12 (14). 101 OVG Münster, Urt. vom 7.3.1985, NuR 1985, S. 288 (288); Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Abs. 864, 922. 102 Dies deuten bereits JörgensenlWinter, ZUR 1996, S. 296 an. 103 § 1 Nr. 1 GenTG. 104 VG Berlin, Beschluß vom 12. September 1995-14 A 216.95 S. 22, 25; VG Berlin, Beschluß vom 12. September 1995-14 A 255.95 und - 14 A 216.95, S. 29. Vgl. Jörgensenl Winter, ZUR 1996, S. 296; vgl. auch Jörgensen, in: Winter, S. 15. 105 Umweltbundesamt, Beitrag, S. 124.

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

se sind demnach Nachteile ausgeschlossen, die etwa nur aus der "Blockierung" des Testfelds resultieren oder aus dem Herbizideinsatz bei einem Versuch mit einer herbizidresistenten Pflanze. 106 Von den verbleibenden Auswirkungen, die folglich auf die gentechnische Veränderung zumindest im Sinne strenger Kausalität zurückzuführen sind, berücksichtigt das VG Berlin 107 solche Gefahren und Risiken, die sich unter die in § 6 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 Satz 3 GenTG bestimmten Faktoren fassen lassen. 108 Diese Faktoren beinhalten die Eigenschaften von Vektoren, Spender- und Empfängerorganismen, von veränderten Organismen sowie deren Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt. Ferner werden die besonderen Bedingungen des Umfelds der Freisetzung und sein Einfluß auf die Eigenschaften des Organismus erfaßt, einschließlich möglicher Verbreitungswege. 109 Dabei ist die genetische Veränderung anderer Organismen allein noch nicht als Schädigung anzusehen. Das Umweltbundesamt hat jedoch als gentechnikspezifisches Handlungsziel vorgeschlagen, die Natur möglichst gering mit konstruiertem, nicht natürlicherweise vorkommendem Genmaterial zu belasten. 110 Die Rechtsprechung zitiert bislang die im Schrifttum genannten schädlichen Wirkungen. Darunter fallen etwa toxische Wirkungen, Bildung toxischer Stoffwechselprodukte, pathogene Wirkungen für andere als den Zielorganismus, Verdrängung anderer Arten, Übertragung negativer Eigenschaften auf andere Arten oder entsprechend gravierende Eingriffe in die eingespielte Interaktion der Gene. 111 Zusätzlich wird vorgeschlagen, eine Bewertung nach dem Maßstab der "Natürlichkeit" im Sinne einer Gleichartigkeitsprüfung einzuführen. 1I2 Letztlich handelt es sich dabei um den Vorschlag, Umweltqualitätsziele für Freisetzungen zu schaffen. Daß derartige Maßstäbe handhabbar sind, zeigt sich an den Erhaltungszielen eines Naturschutzgebietes nach § 19 c Abs. 1 Satz 2 BNatSchG. 113

106 Vgl. grundsätzlich Rehbinder, Zulässigkeit der Berücksichtigung von mittelbaren Folgen und Fernwirkungen der Freisetzung bei Freisetzungsgenehmigungen; Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 11/5622; Dederer, S. 273. 107 VG Berlin, Beschluß vom 12. September 1995-14 A 255.95, ZUR 1996, 147 und14 A 216.95. 108 Vgl. dazu oben S. 33; sowie grundlegend zu den einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen: Kapteina, S. 1 ff. 109 Das OVG Berlin berücksichtigte jedoch bei Freisetzungen bestimmter Pflanzen nur die pflanzenspezifischen und nicht die standortspezifischen Risiken, wenn bereits feststeht, daß keine schädlichen Einwirkungen zu erwarten sind und keine echte Kosten-Nutzen-Analyse stattfindet, siehe OVG Berlin, Beschl. vom 10. 8. 1998 -2 S 8/97-, NVwZ 1999, S. 95 (99); OVG Berlin, Beschl. vom 9.7.1998 -2 S 9/97- mit kritischer Anmerkung Appel, ZUR 1999, S. 37 (41). 110 Näh, ZUR 1999, S. 12 (14). 111 HirschlSchmidt-Didczuhn, § 16 Rn. 15; vgl. auch TorgersenlPalmetshojerlGaugitsch, Beurteilungskriterien für Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen, S. 15 ff. 112 Rehbinder, ZUR 1999, S. 6 (8). 113 Vgl. Weihrich, DVBI. 1999, S. 1697 (1701).

I. Beriicksichtigungsfähige Risiken

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Nach einer engen Auffassung in der Literatur sollen jedoch aus den Risiken im Rahmen dieser Faktoren nur solche als "gentechnikspezifische Risiken" bezeichnet werden, die bei einigen Organismen bereits konkret untersucht wurden. 114 Dagegen spricht, daß gerade beim Fortschreiten der Erkenntnisse über die Gentechnologie mit der Entdeckung neuer Kausalzusammenhänge und Risiken zu rechnen ist, die sodann beriicksichtigungsfähig sein müssen. Gegen eine derart enge Auslegung spricht schon der Wortlaut des § I Nr. I GenTG selbst, der auch verlangt, "dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen". Denn eine wirksame Vorsorge kann nicht für die Zukunft die Beriicksichtigung solcher Auswirkungen verbieten, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkennbar sind. Daher müssen auch im Vorfeld der Gefahren zumindest alle möglichen Auswirkungen in die Abwägung eingestellt werden. Diese Absicht des Gesetzgebers kommt auch in der Formulierung des § 6 Abs. I GenTG zum Ausdruck, der eine "umfassende" Bewertung der mit der Freisetzung "verbundenen" Risiken verlangt. Schließlich macht die durch § 16 Abs. I Nr. 3 GenTG vorgeschriebene Nutzen-Risiko-Abwägung nur dann einen Sinn, wenn jegliche Risiken uneingeschränkt eingestellt werden, gegen die dann ein eventueller Nutzen abgewogen werden kann. Bestimmte Risiken aus der Risikoabschätzung auszunehmen, wäre nur möglich, wenn man sie von vornherein als so gering einstufen könnte, daß sie als Restrisiken angesehen werden könnten. Im Bereich der Ungewißheit paßt jedoch der Begriff des Restrisikos, das sozialadäquat ist und dann möglicherweise auch in die Abwägung gar nicht erst eingestellt werden müßte, nicht. 115 Er wurde im Bereich der bereits quantifizierbaren Risiken geprägt und ist unanwendbar für Bereiche, in denen über die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens und damit über seine Sozialadäquanz allein aufgrund der Betrachtung des Schadenspotentials nichts gesagt werden kann. 116 Folglich sind alle Arten von Risiken in die Abschätzung möglicher Schäden einzubeziehen, wobei freilich praktische Grenzen gezogen sind. Für die vorderste Front der Erkenntnis kann aber typischerweise der Gesetzgeber nicht vorhersagen, welche Kausalverläufe und Risiken die Wissenschaft neu entdeckt oder auch eliminiert. Deshalb wird die Frage, welche Risiken in die Abwägung einzugehen haben, in den fortschrittlichsten Gebieten nur im Einzelfall zu entscheiden sein. Aufgrund des Vorsorgeprinzips ist die Eingriffsermächtigung beziehungsweise -verpflichtung der Behörde herabgesetzt. Weil Schäden und Gesundheitsgefahren bereits im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens ausgeschlossen werden sollen, ist die Behörde zu einer umfangreichen Risiko- und Folgenanalyse für das geplante Vorhaben verpflichtet. 117

114 So offenbar Maier, S. 177; Dederer, S. 34, 273, der die Betrachtung von vorne herein auf bestimmte Effekte beschränken will. Jedenfalls für Mikroorganismen müssen jedoch weitere Kriterien beachtet werden, vgl. oben S. 33 ff. IIS Im Ergebnis ebenso: Appel, NuR 1996, S. 227 (232). 116 Vgl. oben S. 28 ff., 43 f. 117 Vgl. Di Fabio, Grundfragen, S. 138.

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

Diese in Anbetracht der naturwissenschaftlichen Ungewißheit weite Auslegung findet offenbar auch in der Praxis Unterstützung. Häufig wird die Freisetzung in ihrer Gesamtheit untersucht, das heißt einschließlich aller Auswirkungen, sogar auch solcher, die nicht auf die gentechnische Veränderung zurückzuführen sind. Dementsprechend wird in der Literatur gefordert, über die Angaben nach Anhang 11 der Freisetzungsrichtlinie eine zusammenhängende Beschreibung des geplanten Versuches einzureichen, mit Verweisen auf bereits bekannte Versuche und auf Literatur, sowie eine Auflistung aller Fragen, die durch ein sich anschließendes Monitoring beantwortet werden sollen u. a. 1l8 Die Gerichte prüfen beispielsweise die Gesundheitsgefährdungen für Menschen und Tiere durch die Aufnahme von Resten gentechnisch veränderter Pflanzen oder Herbizidrückständen. Ferner untersuchen sie, ob sich die Allergenität eines Produktes durch seine gentechnische Veränderung erhöht oder ob sich ein veränderter Organismus nachhaltig und dauerhaft verbreitet und etabliert. 119 Eine Schädigung wird jedoch nur angenommen, wenn Auskreuzung, Auswilderung, Gentransfer oder toxische Wirkungen negative Folgen haben. Dabei ist zu berücksichtigen, ob das relevante genetische Material in der Natur vorhanden ist, einen Selektionsvorteil und damit mögliche Dominanz ausprägt, ein Ökosystem in seinen wesentlichen Grundfunktionen stört. Bei toxischen oder pathogenen Wirkungen ist maßgeblich, ob die no effect- Konzentration überschritten wird. Auf Pflanzen bezogen wird in der Rechtsprechung eine Schädigung angenommen, wenn andere Pflanzen aufgrund der Freisetzung zerstört oder ungenießbar würden oder gesundheitliche Beeinträchtigungen beim Verzehr die Folge wären. 120 Man wird bei der Abschätzung, ob ein Schaden eintritt, auch berücksichtigen müssen, ob innerhalb des Ökosystems ausreichende Ausgleichskapazitäten vorhanden sind, das heißt, ob sich eine geschädigte Population regenerieren kann, ob Ersatzorganismen das Glied in der Nahrungskette schließen können oder auch ob aufgrund einer gentechnischen Veränderungen Resistenzen eintreten, die als Schaden zu sehen sind. I2I Das Ausmaß der berücksichtigungsfähigen Aspekte kann den Ausgang der Entscheidung maßgeblich vorbestimmen.

c) Sozioökonomische und ethische Kriterien

Es wird in Deutschland diskutiert, ob es zulässig wäre, auch sogenannte sozioökonomische Kriterien in die Risikoabschätzung einfließen zu lassen. Das deutsche GenTG sieht solche Kriterien nicht ausdrücklich vor, und auch die FreisetUBA Wien, S. 84 VG Berlin, Beschluß vom 18. Juli 1995-14 A 181.94, ZUR 1996,41; 12. September 1995,14 A 216.95 und 7. Mai 1993-14 A 167.93; OVG Berlin, Beschluß vom 29. März 1994-1 S 45.93, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Band 3, Nr. 3 zu § 16 GenTG. 120 VG Berlin, Beschluß vom 12. September 1995, - 14 A 216.95 - und 19. April 199414 A 156.94. 121 Vgl. auch Jörgensen, in: Winter, 1998, S. 17. 118 119

I. Berücksichtigungsfähige Risiken

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zungsrichtlinie läßt die Frage bisher offen. Jedoch wird häufig versucht, solche Kriterien im Rahmen einer Bedarfspriifung oder als viertes Kriterium neben der Sicherheit, Qualität und der Wirksamkeit eines Produktes in sie hineinzuinterpretieren. 122 Denn im Gegensatz zu den handhabbaren Risiken traditioneller Techniken müsse die Abschätzung und Bewertung der Risiken moderner Technologien wie der Gentechnik umfassender ausfallen, weil die neue Qualität des Risikos auch neue Methoden des Umgangs mit dem Risiko erfordere. Die Methoden müßten ökonomische, sozi al wissenschaftliche und psychologische Implikationen und Aspekte aus dem Bereich der Philosophie und speziell der Ethik beriicksichtigen. 123 Auch die langfristigen materiellen und immateriellen Entwicklungen einschließlich ihrer Humanität, Sittlichkeit und Schönheit sind zu beriicksichtigen. Ein theoretisches Beispiel wäre die Erzeugung eines Huhnes ohne Knochen mit Hilfe der Gentechnik. Für die Fleischproduktion wäre ein solches Tier sicherlich vorteilhaft, und auch sonst ist eine Gesundheits- oder Umweltgefährdung durch den Organismus nicht ohne weiteres festzustellen. Dennoch sind die ethischen Bedenken in einem solchen Fall sicher unbestritten. Dementsprechend fordern auch jüngere Dokumente der EG 124 explizit die Beriicksichtigung der ethischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen biotechnologischer Vorhaben.

d) Mittelbare Auswirkungen und Langzeiteffekte

Innerhalb der genannten Einwirkungen ist weiter zu fragen, welche Intensität die Einwirkungen haben müssen, um in die Schadensabschätzung eingestellt werden zu können. Grundsätzlich sollen nur unmittelbare Risiken beriicksichtigt werden. Es wird jedoch immer wieder auf die Wirkungen hingewiesen, die nicht durch den Organismus selbst, sondern durch seine Verwendung entstehen. Solche sogenannten sekundären Effekte können etwa in der veränderten Anbaupraxis bei gentechnisch veränderten Kulturpflanzen bestehen. 125 Andere indirekte Auswirkungen bestehen in Wechselwirkungen mit anderen Organismen oder in einer geänderten Verwendung oder Handhabung. Ebenso ist unklar, inwieweit Langzeitfolgen zu beriicksichtigen sind, weil sie sich auch erst mittelbar einstellen. Im GenTG selbst hat sich das Nachhaltigkeitsprinzip jedenfalls nicht ausdrücklich niedergeschlagen, und die Überlegung, ob gentechnisch veränderte Organismen einer dauerhaften umweltgerechten EntwickWinter, Grundprobleme, S. 35; Schweizer/Calame, RIW 1997, S. 34 (44). Banse, S. 35; Wagner Pfeifer, S. 74; Bickel, Verwaltungs-Archiv Bd. 87 (1996), S. 169 (183 ff.); Mieth, S. 245 ff.; Umweltbundesamt, Beitrag der Biotechnologie, S. 136. 124 Etwa die Entscheidung 92/218 IEWG des Rates vom 26.3. 1992 über ein spezifisches Programm für Forschung und technologische Entwicklung in der Biotechnologie in der EG für den Zeitraum (1990-1994), ABI. L 107 111 vom 24. 4. 1992, Entscheidungsgründe 10 und 11 sowie Anhang I zu dieser Entscheidung. 125 Umweltbundesamt, Beitrag, S. 140, 142; Nöh, ZUR 1999, S. 12 (14). I22

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

lung entgegenstehen, ist gesondert zu treffen. Die Frage, welche Langzeitfolgen zu prüfen sind, ist daher nicht abschließend geklärt. Zumindest die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes im Rahmen der Risikoabschätzung muß zukunftsgerichtet erfolgen. 126 Auch die Freisetzungsrichtlinie erfaßt direkte und indirekte, gegenwärtige und zukünftige Auswirkungen, um das globale Ökosystem langfristig zu schützen. 127 Insbesondere in der Literatur wird verstärkt die Berücksichtigung von Langzeitfolgen gefordert. Dies sei zumindest erforderlich, um eine weitergefaßte Technikbewertung im Rahmen einer Technologieabschätzung der zweiten Generation zu ermöglichen. 128 In der zweiten Generation der Risikodebatte geht es um die langfristigen evolutionären Risiken der Freisetzung rekombinierter Organismen, die systematisch schwer zu erfassen sind. 129 Allerdings bereitet die Bestimmung eines ökologischen Schadens wegen der Komplexität der Zusammenhänge weiterhin Probleme. Ebenso problematisch ist die Berücksichtigung synergistischer Effekte. Auch wenn in Deutschland Bedenken gegen die Addition der Einzelrisiken einzelner Aspekte eines Freisetzungsvorhabens statt der Berücksichtigung synergistischer Effekte bestehen,130 scheint die ZKBS in der Praxis zumindest die Beweislast für synergistische Effekte auf den Antragsteller abzuwälzen. 131

e) Wahrscheinlichkeit der Schädigung und Ungewißheit

Bei der Risikoabschätzung werden nur solche schädigenden Einwirkungen berücksichtigt, die eine gewisse Eintrittswahrscheinlichkeit aufweisen. Dabei sind grundsätzlich an die Wahrscheinlichkeit nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden iSt. 132 In den bisherigen Entscheidungen hat das VG Berlin stets darauf abgestellt, ob schädliche Wirkungen "nahezu ausgeschlossen" sind. 133 Die Interventionsschwelle liegt bei dem begründeten Verdacht einer Gesundheitsschädigung. 134 Bei der Beurteilung der Erheblichkeit der Beeinträchti\26 Vgl. VG Schleswig, Urt. vom 3.12. 1986, NuR 1987,234 (235); Näh, Risikoabschätzungen, S. 9. \27 Nentwich, Spezifische nationale Spielräume bei der Umsetzung, S. 14. \28 Vgl. oben Defintionen, Kapitel 2 Abschnitt 11 3; BonßIHohljeldl Kollek, S. 10. \29 Winter, Grundprobleme, S. 7. \30 Ausführlich: BonßI Hohljeldl Kollek, S. 33. \3\ Winter, Grundprobleme, S. 39, der sich auf Diskussionen während eines Workshops des Büros für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages (TAB) vom 19./ 20. 3. 1992 beruft. \32 Für das Atomrecht etwa: BVerwG, Urt. v. 17.3. 1981; BVerwGE 62, 36 (39). \33 VG Berlin, Beschluß vom 12. September 1995-14 A 255.95, ZUR 1996, 147 und14 A 216.95. \34 Di Fabio, Grundfragen, S. 138.

I. Berücksichtigungsfähige Risiken

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gung sind das Ausmaß und die Häufigkeit der Schädigung und die Bedeutung der betroffenen Individuen zu beriicksichtigen. 135 Eine Vielzahl von Kriterien kann eine Rolle bei der Risikobewertung spielen, unter anderem auch die Rückholbarkeit der freigesetzten Organismen, die bei Mikroorganismen schwieriger als bei Pflanzen oder Tieren sein dürfte. 136 Ein geringer horizontaler Genaustausch wird akzeptiert. Als untere Schwellen kommt etwa in Betracht, daß eine Vermehrung nur unter Bedingungen stattfindet, die außerhalb der Anlage "selten" angetroffen werden, und das Absterben der Organismus muß nicht "sicher" sein. 137

Im Zusammenhang mit dem Pflanzenschutzgesetz hatte das BVerwG ausgeführt, daß unvertretbare schädliche Auswirkungen dann nicht anzunehmen sind, wenn sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sind. 138 Die Vorinstanz hatte sich noch damit zufrieden gegeben, daß die schädlichen Wirkungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht eintreten. Die Rechtsprechung des BVerwG läßt den Trend erkennen, daß Wissenslücken gegen das Projekt wirken sollen und im Rahmen der Hinnehmbarkeit des Risikos Beriicksichtigung finden. Bei gentechnischen Freisetzungen ist der Sachverhalt grundsätzlich ähnlich. Auch die gesetzlichen Formulierungen des Entscheidungsmaßstabs, nämlich "keine sonstigen Auswirkungen [ ... ] hat" im Chemikaliengesetz und "schädliche Einwirkungen [ ... ] nicht zu erwarten sind" im Gentechnikgesetz schließen eine rechtliche Gleichbehandlung nicht aus. 139 Dennoch priifen die Gerichte bei Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen bedenklicherweise nur, ob keine ernstzunehmenden Anhaltspunkte für schädliche Wirkungen bestehen. 14o Konkreter führte das OVG Berlin in Anlehnung an das Atomrecht aus, daß auch Schadensmöglichkeiten in Betracht zu ziehen sind, die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können. 141 Zumindest müssen Anhaltspunkte für eine Schadens möglichkeit gegeben sein, auch wenn sie weder empirisch nachgewiesen sein müssen noch rein hypothetisch sein dürfen. 142 Die Beweislast für das Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen des § 16 Abs. I GenTG trifft grundsätzlich den Antragsteller. Er hat zu beweisen, daß alle erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen getroffen sind und keine unvertretbaren Risiken bei der Freisetzung auftreten. Soweit also Erkenntnisdefizite (aufholbares Wissen und verbleibende Ungewißheiten) einen naturwissen135 Jörgensen, Rechtliche Probleme der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 13. 136 Mit weiteren Beispielen: Meyer, in: Eberbach 1Lange 1Ronellenfitsch, vor § 14 Rn. 31 ff. 137 Winter, Grundprobleme, S. 39. 138 BVerwGE 81, S. 12 (16) - Paraquat-. 139 Vgl. Jörgensen, Rechtliche Probleme der Freisetzung von Gentechnisch veränderten Organismen, S. 9. 140 Z. B. VG Berlin, Beschluß vom 12. September 1995-14 A 181.94, ZUR 1996, S. 41. 141 OVG Berlin, Beschl. v. 10.8.98-2 S 8/97-, NVwZ 1999, 95 (99). 142 Rehbinder, ZUR 1999, S. 6 (7).

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

schaftlichen Bereich betreffen, der soweit eingegrenzt ist, daß unvertretbare Risiken ausgeschlossen werden können, wirken die Erkenntnisdefizite nicht gegen das Projekt. Wenn Wissenslücken jedoch einen größeren naturwissenschaftlichen Bereich betreffen, so daß nicht mehr festgestellt werden kann, ob die daraus resultierenden Risiken vertretbar sind, wirken die Wissenslücken gegen das Projekt. Mit anderen Worten, den Antragsteller trifft die Beweislast hinsichtlich aller Wissenslücken, die nach dem Stand der Wissenschaft geschlossen werden können. Seine Beweispflicht endet an dem Punkt, an dem die Behörde die verbleibenden Ungewißheiten für vertretbar hält. Wenn die verbleibenden Ungewißheiten so groß sind, daß die Behörde sie nicht für vertretbar hält, muß der Antrag abgelehnt werden. 3. Vergleich

Bei dem Vergleich der Risiken, die in die Risikoabschätzung in den Vereinigten Staaten und in Deutschland eingehen, zeigt sich, daß in beiden Rechtsordnungen in den Grundzügen ähnliche Vorschriften existieren, die sich jedoch in Nuancen unterscheiden, welche Auswirkungen auf das Ergebnis der Abschätzung haben können. Den wichtigsten Bestimmungen der Vereinigten Staaten und Deutschlands zur Regelungen der Gentechnik ist gemeinsam, daß zum Zweck der Risikoabschätzung und Risikobegleitforschung umfangreiches und im wesentlichen ähnliches Datenmaterial eingereicht werden muß. 143 Weder in den Normen der Vereinigten Staaten noch in denen Deutschlands ist jedoch eindeutig geregelt, auf welche Art und Weise die Risikoabschätzung stattfinden soll. Die Behörden in den Vereinigten Staaten sind durch das Gebot, "unvertretbare Risiken" zu vermeiden, auf eine offene Nutzen-Risiko-Abwägung verwiesen. 144 Die deutsche Formel, derzufolge "nach dem Stand der Wissenschaft im Verhältnis zum Zweck der Freisetzung unvertretbare schädliche Einwirkungen [auf Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge und Sachgüter] nicht zu erwarten,,145 sein dürfen, wirft zahlreiche dogmatische und praktische Fragen auf. a) Schutzgut Umwelt oder Schutzgut Landwirtschaft

Soweit die Risikoabschätzung betroffen ist, stellt sich zunächst die Frage, hinsichtlich welcher Rechtsgüter überhaupt schädliche Auswirkungen beriicksichtigungsfähig sein sollen. Während beide hier verglichenen Rechtsordnungen unproblematisch Gesundheit und Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen schützen, bestehen jeweils unterschiedliche Auffassungen, inwieweit auch die Umwelt als solche geschützt werden soll. Dabei ergeben sich in den Vereinigten Staaten Unge143

144 145

Umweltbundesamt, Beitrag, S. 127, 129, 136. § 5 TSCA. § 16 Abs. 1 NI. 3 GenTG.

I. Beriicksichtigungsfähige Risiken

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reimtheiten ansatzweise bereits daraus, daß für gentechnische Freisetzungen zum einen die EPA als ausdrückliche Umweltschutzbehörde zuständig ist, während andere Freisetzungen in die Kompetenz des USDA fallen, dessen ausdrücklicher Auftrag die Förderung landwirtschaftlicher Technologien ist. Der Kern des Problems liegt jedoch darin, abzugrenzen, welche einzelnen Positionen zu dem Gut "Umwelt" gehören. Die Exemplare eines Organismus, an denen die Veränderung vorgenommen wird, sind jedenfalls nicht dazu zu zählen. Schwierigkeiten bereiten die Fälle, in denen durch die gentechnische Freisetzung der natürliche Zustand der Umwelt geändert wird, wobei sich nicht eindeutig bestimmen läßt, ob die Veränderung als Schaden anzusehen ist. In Deutschland wird ausgehend von der gesetzlichen Formulierung der "Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge" argumentiert, nur solche Positionen zu schützen, welche die Funktionsfähigkeit der natürlichen Kreisläufe beeinträchtigen, und auch die TSCA-Regeln stellen den Begriff der Umwelt als solcher in den Vordergrund. Eine Ausnahme bildet nur die APHIS-Praxis, die insoweit liberaler ist, als sie primär nur solche Positionen schützt, die für landwirtschaftliche Zwecke wesentlich sind. Zumindest insoweit gehen die Regelungen der Vereinigten Staaten grundsätzlich von einem anthroprozentrischen und ressourcenökonomischen Ansatz aus, während das GenTG eindeutig Raum für einen ökozentrischen Umweltschutz läßt.

b) Ethische Gesichtspunkte

Die viel diskutierten ethischen Bedenken und sonstigen sozioökonomischen Aspekte sind bislang unter keiner der hier verglichenen Rechtsordnungen ausdrücklich berücksichtigungsfähig, obwohl sowohl die ESA als auch die EU in ihren Regelungsvorschlägen ausdrücklich auf die Notwendigkeit derartiger Kriterien (ebenso wie die Literatur in beiden Ländern) hinweisen. Inwieweit die einzelnen Rechtsordnungen letztlich kulturelle und ethische Streitpunkte zulassen, hängt von ihrer staatlichen Sicherheitsphilosophie ab,146 welche die Schutzziele und Schutzobjekte letztlich festlegt l47 . Auch bei der Sicherheitsphilosophie lassen sich Unterschiede zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland vermuten. Allerdings ist gerade dem US-amerikanischen Recht die Berücksichtigung derartiger ideeller Aspekte durchaus nicht fremd, was sich etwa unter NEPA an der Berücksichtigungsfähigkeit VOn Streß für die Bevölkerung zeigt. Wie gezeigt, geht das Konzept des US-Staates Maine sogar so weit, neben den realen Risiken auch die Risiken, die lediglich von der Bevölkerung wahrgenommen werden, in die Risikobilanz einzustellen. Bislang hat der Supreme Court jedoch die Verpflichtungen, psychologische Effekte von Verwaltungsentscheidungen zu berücksichtigen, jeweils restriktiv ausgelegt. 148 146 Wagner Pfeifer, S. 74. The Plant Science Center, Think About Bioethics Now, in: St. Louis Post-Dispatch vprn 19. Juli 1998. 147 Rossnagel, Rechtswissenschaftliche Technikfolgenforschung, S. 245 ff.

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

c) Gentechnikspezijische Umwelteinwirkungen

oder vergleichende Risikoanalyse

Sobald feststeht, hinsichtlich welcher Schutzgüter das Risiko von Freisetzungen analysiert werden soll, stellt sich die Frage, welche Einwirkungen gentechnisch veränderter Organismen auf diese Schutzgüter betrachtet werden sollen. Die ESA hat diesbezüglich ein 34-Punkte-Schema entwickelt, in dem die wichtigsten Einwirkungen gentechnisch veränderter Organismen erfaßt sind, obwohl betont wird, daß je nach Organismus auch andere Aspekte maßgeblich sein können. In den APHIS-Regeln hat die Behörde versucht, alle "greifbaren Risiken" zu konkretisieren, die innerhalb der pflanzenschutzrechtlichen Kompetenz von APHIS Bedeutung haben können. Zur Bestimmung dieser Risiken werden Daten zur Überlebensfähigkeit und Reproduktionsfähigkeit der Organismen in ihrer natürlichen Umgebung verlangt sowie Daten über pathogene Wirkungen gegenüber Mensch, Tier und Pflanze oder anderen Mikroorganismen und über die Herkunft der rekombinierten DNS. Insbesondere ist anzugeben, ob der Spender-Organismus ökologische Schäden verursacht oder ob er weitgehend unbekannt ist. Der neue Organismus muß zweifelsfrei identifizierbar sein, ebenso der Empfängerorganismus, wobei physiologische, pathologische, genetische, taxonomische und ökologische Daten vorzulegen sind. 149 Wie sich aus der Definition der einzureichenden Studien ergibt, sind jegliche Auswirkungen berücksichtigungsfähig. Die TSCA-Regeln sind für viele Freisetzungen anwendbar, mit denen weniger praktische Erfahrung besteht als unter APHIS. Gleichzeitig betonen die TSCA-Regeln auch stärker, daß ein Anmelder alle ihm bekannten Studien hinsichtlich der Umweltauswirkungen vorlegen soll. Damit wird bei Organismen, mit denen wenig Erfahrung besteht, die Berücksichtigung nahezu jeglicher Art von Auswirkung ermöglicht. Der Gefahr, durch diesen Ansatz zu weit zu greifen und eine unüberschaubare Menge von Einflüssen berücksichtigen zu müssen, wird durch das Gebot der vergleichenden Risikoabschätzung entgegengewirkt. Denn nur solche Auswirkungen sollen in die Abschätzung eingehen, die nicht auch von dem entsprechenden nicht veränderten oder mit traditionellen Methoden gezüchteten Organismen ausgehen würden. Die vergleichende Risikoanalyse stößt auf ähnliche Kritik, wie sie schon gegenüber dem produktbezogenen Ansatz geltend gemacht wird. 150 Ferner werden bestimmte Risiken von vornherein aus der Betrachtung ausgenommen. Dazu gehören Risiken, die zumindest hypothetisch daraus entstehen können, daß Gene über evolutionär entstandene Raum- und Zeitbarrieren hinweg neukombiniert werden. 151 Durch den Vergleich mit anderen Organismen liegt es nahe, daß die sogenannten 148 Metropolitan Edison Co. vs. People Against Nuclear Energy, 460 V.S. 766, 103 S.Ct. 1556, 75 L.Ed.2d 534 (1983) (im Zusammenhang mit Anforderungen an eine Vmweltverträglichkeitspriifung). 149 Bum, S. 25. 150 Vgl. dazu oben, S. 94 ff. 151 Bonß/Hohlfeld/Kollek, S. 17.

I. Berücksichtigungsfähige Risiken

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Positionseffekte weniger Beachtung finden, weil nur noch die Unterschiede zu bereits bekannten Organismen betrachtet werden. Das Risikopotential der Positionseffekte liegt jedoch gerade darin, daß identische Gene in verschiedenen genetischen, zellulären oder phylogenetischen Kontexten unterschiedliche biologische Phänomene mit unterschiedlicher ökologischer Relevanz hervomIfen können. 152 Deshalb muß in einer sinnvollen vergleichenden Betrachtung entschieden werden, ob der neue Organismus etwa auch hinsichtlich aller Positionseffekte mit dem bekannten Organismus vergleichbar ist. Negativ ausgedrückt heißt dies, daß die vergleichende Methode lediglich ein System darstellt, um zu entschieden, welche Probleme ignoriert werden sollten. Aus diesem Grund wird die vergleichende Methode auch als irrational kritisiert. 153 Tatsächlich wird die Risikoabschätzung durch die vergleichende Analyse nicht grundlegend vereinfacht. Die Entscheidung, welche Risiken berücksichtigt werden müssen, wird dabei nur auf die Frage verschoben, inwieweit ein neuer Organismus mit einem bekannten Organismus vergleichbar ist und welche Unterschiede nicht relevant sind. Der Vorteil der vergleichenden Methode liegt demnach hauptsächlich in der Reduzierung des Verwaltungsaufwandes für eindeutig identische Fälle. In diesen Fällen könnte aber auch ohne die formale Entscheidung für eine "vergleichende Betrachtung" auf Erkenntnisse aus abgeschlossenen Verfahren zurückgegriffen werden. Durch die vergleichende Betrachtung wird in den Vereinigten Staaten jedoch auch die in Deutschland problematische normative Frage nach der Schädlichkeit einer Freisetzung umgangen. Denn solche Auswirkungen, die auch von herkömmlichen Organismen ausgehen können, die aber als schädlich angesehen werden könnten, fallen weg, wenn nur die zusätzlichen Risiken der veränderten Organismen Berücksichtigung finden. Die Feststellung der Schädlichkeit ist in den Vereinigten Staaten anders als in Deutschland aber auch mangels eines formalen Gebotes der Gefahrenabwehr nicht erforderlich, da stets die Umweltauswirkungen (mit Ausnahme der positiv beabsichtigten Ziele der Veränderungen) in der Summe gegen den Gesamtnutzen abgewogen werden. 154 Ein objektiver Standard könnte geschaffen werden, wenn man alle Abweichungen von dem natürlichen Bestand als schädliche Auswirkung definieren würde. Weitaus größere systematische Probleme entstehen in Deutschland durch die Beschränkung der Betrachtung auf spezifische Risiken der Gentechnik innerhalb bestimmter Faktoren wie Eigenschaften von Spender- und Empfängerorganismen sowie Vektoren und deren Umweltauswirkungen und Verbreitungswege. Diese Faktoren sind im GenTG aufgezählt. Ein Vorschlag der EU-Kommission stellt in einem dem Schema der ESA ähnelnden Bewertungsraster eine weitere Konkretisierung für die Behandlung dieser Faktoren zur Verfügung. Das Europäische Recht Dazu bereits oben, S. 33; Bonß/Hohljeld/Kollek, S. 21. Rachel's Hazardous Waste News #395, "Risk Assessment-Part 3, Which Problems Shall We Ignore," June 23, 1994. 154 Dazu unten S. 31. 152 153

10*

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

durchläuft somit derzeit eine ähnliche Entwicklung wie das der Vereinigten Staaten vor einem Jahrzehnt, was sich etwa an den europäischen Vorschlägen für ein Raster der Bewertungsentscheidung zeigt,155 das methodische Ähnlichkeit mit dem Schema der Ecological Society oi America hat. 156 Allerdings wird der Versuch, materielle Kriterien zu entwickeln, offenbar zugunsten von Verfahrenslösungen nicht weiterverfolgt. Vorschläge, die Bewertungskriterien abschließend enumerativ zu erfassen, gehen angesichts der Herausforderungen naturwissenschaftlicher Ungewißheit ins Leere, die ihrerseits vor dem Hintergrund des Gebotes der Risikovorsorge eine weitere behördliche Einschätzungsprärogative erfordert. 157 Auch in der Literatur wurde eine Beriicksichtigung weiterer Aspekte einer Freisetzung verlangt, wie etwa die direkte Interaktion des stofflichen Prinzips, das dem neuen Organismus zugrundeliegt, mit der Umwelt. Dabei ist wichtig, ob die Wirkungen des stofflichen Prinzips sich nur mit oder auch unabhängig von dem Organismus entfalten können (spezifische Aktivität), und ferner die Menge der veränderten Organismen. Weiterhin soll die indirekte Interaktion des Organismus mit der Umwelt zu beriicksichtigen sein. Maßgeblich sind die Erhöhung der Kompetition (Fitness) des veränderten Organismus gegenüber konkurrierenden Organismen, die Menge der veränderten Organismen und die Einwirkzeit (Persistenz). 158 In der Tat wird auch durch die deutsche Praxis bestätigt, daß eine über den Rahmen der Faktoren hinausgehende umfassende Abschätzung aller Umweltauswirkungen sachdienlich ist. Letztlich entspräche eine derartige offenere Handhabung auch dem Streben nach medienübergreifendem Umweltschutz, der gesamthaft und bilanzierend operiert, jedoch dem angelsächsischen Rechtskreis entstammt und mit grundlegenden Prinzipien des deutschen Genehmigungsrechts kollidiert. 159 Auch die Regeln der Vereinigten Staaten, insbesondere die TSCA-Regeln, die auf den Umgang mit Ungewißheit zugeschnitten sind, lassen zunächst die Einstellung aller möglichen Auswirkungen und Erwägungen zu. Eine Ausnahme bilden insoweit nur die Effekte, die auch bei natürlichen Organismen aufgetreten wären. Diese Methode der Risikoerfassung stellt ein inklusives Modell mit Ausnahmen dar. Es unterscheidet sich von dem deutschen exklusiven Modell, wonach vor allem in Bereichen der Ungewißheit über mögliche Folgen nur spezifische Risiken der Gentech155 Europäische Kommission, Framework Approach to environmental Risk Assessment for the Release of Genetically Modified Organisms, Doc. XI/ 087/96. 156 Vgl. dazu oben S. 120. 157 Breuer, Ansätze für ein Gentechnikrecht, S. 4; a.A. HirschISchmidt-Didczuhn, § 16 Rn. 56f. 158 Willmitzer, Überlegungen zur Risikoabschätzung bei gentechnisch veränderten Organismen mit spezieller Berücksichtigung von Pflanzen, in: Bartsch / Sukopp, Ennittlung und Bewertung des ökologischen Risikos, S. 56, der weiterhin die Kriterien für gentechnisch veränderte Pflanzen weiter spezifiziert. 159 Di Fabio, NVwZ 1998, S. 329 ff. (330); Haigh, S. 59; Volkmann, VerwArch, Bd. 89 (1998), S. 363 ff.

I. Berücksichtigungsfähige Risiken

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nik zugelassen werden. Denn wenn bei einem neuen Organismus möglicherweise die erwähnten Schutzgüter auf eine Art und Weise beeinträchtigt werden könnten, die nicht unter die bisherigen Faktoren gefaßt werden kann, dann wären diese Auswirkungen in Deutschland grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig, solange nicht nachgewiesen ist, daß die Risiken gentechnikspezifisch sind. In den Vereinigten Staaten hingegen können die Erwägungen grundsätzlich aufgenommen werden, obwohl ebenfalls nicht feststeht, ob sie das Ergebnis der Risikoabwägung verändern, solange sie als hypothetisch bezeichnet werden müssen. Ähnliches gilt für die Langzeitwirkungen einer Freisetzung. Nach Literaturmeinungen in beiden Ländern müssen die langfristigen ökologischen Folgen gentechnischer Freisetzungen mehr Berücksichtigung finden. Nur so kann man den in der Vergangenheit vorherrschenden anthropozentrischen Ansatz durch eine Risikobewertung der zweiten Generation 160 ersetzen. Diesem Bestreben sind in der Praxis Grenzen gesetzt. Der Grund dafür liegt in Deutschland schon allein darin, daß regelmäßig nur unmittelbare Auswirkungen berücksichtigungsfähig sind, wohingegen der Schwerpunkt der Argumentation in den Vereinigten Staaten darin zu sehen ist, daß hypothetische Folgen ausgeschlossen sein sollen. Allerdings werden in den Vereinigten Staaten Prognosen über Langzeitwirkungen angestellt. Soweit jedoch mittelbare Auswirkungen betroffen sind, die nicht vom Organismus selbst herrühren, sondern vom Umgang mit ihm, so soll dies in den Vereinigten Staaten nicht, in Deutschland jedoch zumindest nach Auffassung des UBA zu berücksichtigen sein. Wieder ist festzustellen, daß die US-amerikanischen Regeln, insbesondere TSCA, grundsätzlich offener für unkonventionelle Argumente sind, was auch zur Fortentwicklung der Gentechnikregelungen beiträgt, während die deutsche Praxis dies durch eine flexible Handhabung der Regelungen zu kompensieren sucht. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den hier verglichenen Rechtsordnungen ist darin zu sehen, daß in Deutschland versucht wird, möglichst genau im voraus zu bestimmen, welche Auswirkungen einer Freisetzung als "gentechnikspezifisch" in der Risikoabschätzung zu berücksichtigen sind, was in Anbetracht bestehender Ungewißheiten abstrakt schwer möglich erscheint. In den Vereinigten Staaten wird es jedoch, beispielsweise unter den TSCA-Regeln, als selbstverständlich hingenommen, daß die EPA jegliche Art von Studien über Auswirkungen anfordern und berücksichtigen kann, die nur unter vage Kategorien von Gesundheitsschädigungen faßbar sein müssen. Ziel ist es dort, durch prozedurale Vorgaben sicherzustellen, daß die Abschätzungen routinemäßig alle verfügbaren wissenschaftlichen Informationen voll ausschöpfen, während notwendig diversifizierte Ansätze der einzelnen behördlichen Programme erhalten bleiben. 161

160 161

Winter, S. 7. National Research Council, Managing the Process, S. 76.

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

d) Common Law oder technische Normung zur Konkretisierung

Der gegenwärtige Versuch der EPA, ein Schema über einzureichende Testdaten für bestimmte Freisetzungssituationen zu erstellen, das im Grunde deutschen Anforderungen an Rechtssicherheit und Bestimmtheit entsprechen würde, steht im Widerspruch zu US-amerikanischen Stimmen in der Literatur, die gerade beim Umgang mit extrem komplexen Sachverhalten eine Rückbesinnung auf die Grundsätze des common law mit seinem Reduktionismus hinsichtlich abstrakter Normen fordern. Die Komplexität der zu beurteilenden Sachverhalte sei im modemen administrativen Staat nur noch durch eine nicht mehr faßbare Normenflut zu bewältigen, die im Verwaltungsalltag auch nicht ständig auf dem neuesten Stand gehalten werden könnten. 162 Auch an dem deutschen Verwaltungsrecht wurde wiederholt kritisiert, daß es eine enorme Regelungsdichte aufweise und die Zahl der Vorschriften selbst von den Behörden nicht mehr handhabbar sei. 163 Außderdem setzt die Vorstellung, daß Rechtsbegriffe durch technische Normung konkretisiert werden, voraus, daß die Begriffe, wenn auch mit Wertungsspielräumen, rechtlich stabil sind und letztlich durch richterliche Erkenntnisse definiert werden können, was jedoch bei der Gentechnologie angesichts der Vielfalt und Komplexität der Faktoren fraglich ist. 164 Weil gerade die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge der Evolutionsbiologie chaotische Züge hätten,165 können zudem wesentliche Auswirkungen nicht erfaßt werden, wenn die Effekte in kleinere Teile aufgespalten und durch rechtliche Normung in - womöglich überkommene _166 Kategorien gefaßt würden. Das common law versucht tatsächlich nicht, komplexe Zusammenhänge unter einfache Regeln zu subsumieren, und hat selbst chaotische Züge. Deshalb ist es darauf zugeschnitten, Probleme in ihrem Kontext flexibel und als Ganzes zu behandeln und nachvollziehbaren Lösungen zuzuführen. 167 Diese Vorzüge erscheinen gerade in der Gentechnologie unter Bedingungen der Ungewißheit, in denen auch die OECD einzelfall bezogenes Vorgehen vorschlägt, erstrebenswert, und selbst die deutsche Praxis, die trotz der gesetzlichen Beschränkung der Abschätzung auf definierte gentechnikspezifische Risiken alle Auswirkungen einer Freisetzung priift, 162 Ruhl, Complexity Theory as a Paradigm for the Dynamical Law-and-Society System: A Wake-Up Call for Legal Reductionism and the Modern Modern Administrative State, Duke Law Journal, Bd. 45, 1996, S. 849 ff.; Seidenfeld, M., Bending the Rules: Flexible Regulation and Constraints on Agency Discretion, in: Administrative Law Review, Bd. 51 (1999), S. 429 (451). 163 So beispielsweise Rehbinder, The Federal Republic of Germany, in: Smith / Kromarek, S. 8 (12). 164 Ladeur, DÖV 2000, S. 217 (219). Zur Komplexität bereits oben Kapitel 2. 165 Vgl. dazu schon oben S. 64. 166 Seidenfeld, M., Bending the Rules: Flexible Regulation and Constraints on Agency Discretion, in: Administrative Law Review, Bd. 51 (1999), S. 429 (452). 167 Ruhl, Complexity Theory as a Paradigm for the Dynamical Law-and-Society System: A Wake-Up Call for Legal Reductionism and the Modern Modern Administrative State, Duke Law Journal, Bd. 45, 1996, S. 849, (893 ff., 919).

I. Berücksichtigungsfähige Risiken

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wendet insoweit grundlegende common law-Prinzipien an. Insbesondere für die Definition des Rechtsbegriffs der "schädlichen Einwirkungen" im Rahmen des § 16 GenTG wurde bereits festgestellt, daß an der kasuistischen Methode der Praxis der Risikobewertungen angeknüpft werden sollte, da abschließende Definitionen floskelhaft bleiben müßten. 168 In ihren Standardisierungsbestrebungen bei vertrauten Sachverhalten rücken jedoch beide hier verglichenen Rechtsordnungen von derartigen Methoden ab, sobald sich zu einigen der Faktoren eine Entscheidungspraxis gebildet hat. Das Rechtssystem der Vereinigten Staaten, wie am Beispiel der TSCA-Regeln gezeigt, ist grundsätzlich flexibel bei der Berücksichtigung individueller Umstände und Umweltauswirkungen. Auch der National Research Council hat sich bewußt gegen eine zu starke Berücksichtigung der Vorhersehbarkeit und Konsistenz ausgesprochen. Es sei wichtig, daß es in der Risikoabschätzung möglich bleibe, Beweismaterial zu berücksichtigen, das den Vorgaben der Regeln widerspreche, soweit dies wissenschaftlich zu rechtfertigen sei. 169 Durch die Möglichkeit, andere risikorelevante Daten vorzulegen, hat die Behörde die Nachbesserungsmöglichkeiten und kann in Kooperation mit den Privaten ein praktikables Risikomanagement betreiben, welches abstrakt nicht mehr wirksam steuerbar iSt. 170 Aus diesem Grund ist es nach US-amerikanischer Auffassung unvermeidbar, daß die Vorhersehbarkeit der Entscheidung hinter die Flexibilität zur verantwortlichen Entscheidung unter den Umständen des Einzelfalles zurücktritt, und die Verwaltungspraxis kurzfristig geändert werden kann, notfalls sogar unter Abweichung von bestehenden Normen oder unter bewußter Ausnutzung persönlicher Kontakte zwischen Behörde und Antragsteller. 17I Verfechter dieser Auffassung sprechen von einem "Kochbuch-Ansatz"l72 für die Risikoabschätzung, wenn wissenschaftliche Daten außer acht gelassen werden, nur weil sie nicht in Richtlinien aufgeführt sind. Abstrakte Regeln können mitunter zu einer Entscheidung zwingen, die dem Geist der Regel widerspricht, können eine Übersimplifizierung darstellen und den Raum für die Abwägung von Beweisdaten nehmen. 173 Die praktischen Gefahren beim Verzicht auf Normierung sind dabei zumindest darin zu sehen, daß die Entscheidungsfindung von Interessengruppen oder unberechtigtem politischem Einfluß bestimmt wird oder daß die Behörde ihre eigenen ideosynkratischen Werte umsetzt. 174 Dennoch sprechen sich auch in Deutschland Teile der Winter, 1998, S. 4. National Research Council, Managing the Process, S. 81. 170 Ladeur, DÖV 2000, S. 217 (222 f.). 171 National Research Council, Managing the Process, S. 81; vgl. verallgemeinernd Seidenfeld, M., Bending the Rules: Flexible Regulation and Constraints on Agency Discretion, in: Administrative Law Review, Bd. 51 (1999), S. 429 (432, 434, 440, 442). 172 National Research Council, Managing the Process, S. 74. 173 Id.; Seidenfeld, M., Bending the Rules: Flexible Regulation and Constraints on Agency Discretion, in: Administrative Law Review, Bd. 51 (1999), S. 429 (436). 174 Id., S. 459 ff. 168

169

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

Literatur dafür aus, daß in Bereichen, in denen Standards variabel sein müssen, dem Entscheidungsträger in der Verwaltung eine ,,standardisierungsermächtigung" zustehen sollte, deren praktische Handhabung nur einer Rationalitäts- und methodischen Kontrolle unterliegen soll. Dies ist sogar notwendig, wenn in den Bereichen der Ungewißheit im Einzelfall nicht nur neue Fakten unter vom Gesetzgeber vorgegebene Kriterien subsumiert werden, sondern auch neue Kriterien zu berücksichtigen sind. Die dazu erforderliche normative Bewertung durch die Exekutive ist jedoch nur unbedenklich, soweit sie vom Konzept des "dynamischen Grundrechtsschutzes,,175 gedeckt werden könnte. Tatsächlich dürften dessen Grenzen nach deutschem Verständnis bei der Einführung neuer Kriterien jedoch häufig überschritten sein, nach US-amerikanischer Vorstellung jedoch nicht, weil ein prozessualer Ausgleich geboten wird. 176 Eine einzelfallbezogene Flexibilisierung wäre jedoch auch in Deutschland möglich, soweit man sie auf der Ebene der Verhältnismäßigkeitsprüfung ansiedeln würde, während im übrigen weitestgehend an einer Normierung festzuhalten iSt. I77 Die Eingangskontrolle für die Berücksichtigung von Hypothesen in Risikoabschätzungen findet in den Vereinigten Staaten auf der Ebene der Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit schädigender Wirkungen statt. Während in den Vereinigten Staaten schädliche Wirkungen zumeist mindestens "wahrscheinlich" sein müssen, um in die Risikoabschätzung eingehen zu können, lassen deutsche Gerichte alle ernstzunehmenden Anhaltspunkte ausreichen. Konkrete endgültige Aussagen mangels ausreichenden Fallmaterials sind in Deutschland noch nicht möglich, vom reinen Wortlaut her verlangt der US-amerikanische Standard jedoch eine höhere Eintrittswahrscheinlichkeit für Schäden aufgrund der Freisetzung. Diese anspruchsvollere Nachweispflicht für bestehende Risiken stellt offenbar ein entscheidendes Korrektiv für die offene Ausgangshaltung der US-Behörden dar. e) Beweislast

Schließlich besteht ein entscheidender Unterschied zwischen den Freisetzungsregelungen in den Vereinigten Staaten und in Deutschland in der Beweislast, was sich insbesondere in der Situation der Ungewißheit auswirkt. Während Wissenslükken, die einen naturwissenschaftlichen Bereich betreffen, der soweit eingegrenzt ist, daß unvertretbare Risiken ausgeschlossen werden können, in beiden Länder die Freisetzung nicht verhindern, wirken sich Wissenslücken, die einen größeren naturwissenschaftlichen Bereich betreffen, so daß nicht mehr festgestellt werden kann, ob die daraus resultierenden Risiken vertretbar sind, in Deutschland gegen,178 in den Vereinigten Staaten jedoch zugunsten der Freisetzung aus. 179 175

176 I77

178

Siehe oben Kapitel 3 Abschnitt III 2 a). Siehe dazu unten Kapitel 7 Abschnitt II 3 c). Lübbe-Wolff, NUR 1999, S. 241 (246). Vgl. oben S. 143.

H. Methoden für die Risikoabschätzung

153

11. Methoden für die Risikoabschätzung Wenn feststeht, welche Art von Infonnationen innerhalb welcher Kriterien für die Freisetzungsentscheidung berücksichtigt werden sollen, ist zu fragen, wie aus dieser Infonnation die Höhe des entsprechenden Risikos ermittelt werden soll. Es handelt sich um den Teil der Risikoabschätzung, bei dem der Naturwissenschaftler eine Auswahl zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Theorien zu treffen hat, um zu einer Aussage über das Risiko zu kommen. Die Frage nach der Methode dieser Risikoabschätzung wirft zahlreiche Möglichkeiten auf, die gleichzeitig auch schon die Ergebnisse der Abschätzung vorwegnehmen können. 180

1. Vereinigte Staaten In der US-amerikanischen Regierung war man sich der entscheidenden Bedeutung der Risikoabschätzung bereits früh bewußt. Dies liegt unter anderem auch daran, daß die abstrakte Risikoabschätzung naturgemäß einen ausschlaggebenden Faktor für die Entwicklung einer risikobezogenen Regulierungspolitik für Gesundheitsrisiken darstellt. 181 Bereits Anfang der achtziger Jahre verfaßte das Office of Science and Technology Policy (OSTP) unter Teilnahme der Fachbehörden ein Dokument, das die wissenschaftlichen Grundlagen der Risikoabschätzung beschreibt und letztendlich die Entwicklung einer Reihe von Prinzipien für die Risikoabschätzung aus diesem Dokument bewirkte. 182 Der Kongreß gab beim National Research Council eine Studie in Auftrag, die später "Red Book,,183 genannt wurde, und die Verläßlichkeit und Objektivität wissenschaftlicher Einschätzungen verbessern sollte, welche die Grundlage für die Regelungspolitik des Bundes insbesondere in Bezug auf Karzinogene, aber allgemeiner auch für andere Gefahren für die öffentliche Gesundheit, bilden. Unter zahlreichen weiteren Initiativen ist der gescheiterte Entwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Risikoabschätzung 1994 184 zu erwähnen, der verschiedene abstrakte Prinzipien für die Bewertung von Gesundheitsrisi179 Vgl. oben S. 133; grundlegend zu einer Ausweitung von Beweislastumkehrungen: Determann, Beweislastumkehr hinsichtlich der Gefährlichkeit neuer Technologien?, in: Marburger I Reinhardt I Schröder, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1997, S. 165 ff. 180 Siehe grundlegend: Committee on Risk Assessment Methodology, Board on Environmental Studies & Toxicology, Communication on Life Sciences, National Research Council, Issues in Risk Assessment (1993). 181 Vgl. dazu bereits oben, S. 97. 182 National Research Council, Managing the Process, S. 80. 183 Ders., Managing the Process; eine Verfeinerung hinsichtlich anderer komplexerer Risiken nahm der NRC vor: Comm. On Risk Assessment Methodology, NRC, Issues in Risk Assessment, 1993, S. 244. 184 Die Entwurfsfassung des 103. Kongresses wird bezeichnet als H.R. 4306; vgl. auch Paxman, Congressional Risk Proposals, in: Risk: Health, Safety & Environment Bd. 6 (1995), S. 167 ff.; O'Reilly, Risk Assessment in the 1995 Reform Bills: Victory for Banshes, Loss for the Public, in: Administrative Law Review Bd. 48 (1996), S. 387 ff.

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

ken enthalten hatte. Unter anderem sollten Risikoabschätzungsrichtlinien innerhalb der EPA etabliert werden, die regelmäßig an den neusten Stand wissenschaftlichen Fortschritts angepaßt werden sollten. 18S Ein zu dem Gesetz veröffentlichter Bericht schlägt vor, vergleichende Methoden der Risikoabschätzung, wissenschaftliche Kontrollmechanismen und Verfahren zur Aktualisierung von Risikoabschätzungsmethoden einzuführen. 186 Auch die EPA hat einige grundlegende Richtlinien für die Durchführung der Risikoabschätzung verfaßt. 187 Allen Dokumenten ist gemeinsam, daß die Risikoabschätzung grundsätzlich in vier Untersuchungsschritten erfolgt. Diese sind (1) die Feststellung einer Gefährdungsmöglichkeit (hazard identification), wobei bestimmt wird, ob zwischen einem Stoff und einer Umweltauswirkung eine Kausalbeziehung besteht, (2) die Abschätzung von Dosierung und Reaktion (dose-response assessment), wobei das Verhältnis zwischen dem Ausmaß der Einwirkung und der Wahrscheinlichkeit des Eintritts negativer Auswirkungen abgeschätzt wird, (3) die Abschätzung, inwieweit Menschen oder Umwelt einer schädlichen Einwirkung vor und nach dem Einsatz von Regulierungsmaßnahmen ausgesetzt sind (exposure assessment) und (4) die Charakterisierung des Risikos (risk characterization), wobei die Natur und häufig das Ausmaß des Risikos, einschließlich der begleitenden Unsicherheitsfaktoren, beschrieben wird. 188 Diese vier Priifungsschritte wendet die EPA in bezug auf alle Risikoabschätzungen für Gesundheitsrisiken an. Um Grundlagen zu erarbeiten, wie eine derartige Risikoabschätzung im Bereich der Biotechnologie durchzuführen ist, gab die EPA in den achtziger Jahren bei ihrem Forschungs- und Entwicklungsdienst (Office tor Research and Development, ORD) ein Forschungsprograrnm in Auftrag. Die Forschung bezog sich zunächst auf die Risikoevaluierung, insbesondere auf biologiche Nachweis-, Bestimmungs- und Voraussagemethoden beziehungsweise -modelle, was auch die Entwicklung einer Datenbasis, festgelegter Protokolle zur Vorgehensweise bei Versuchen und eines Informationsaustausches mit Vertretern der verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen beinhaltete. 189 Ziel war die Entwicklung eines einheitlichen Risikobewertungsmodells zur einheitlichen Festlegung von Minimalanforderungen an die Risikoabschätzung für Freisetzungen. 190 Das Scope Document will ausdriicklich keine Methoden diktieren, wie Informationen bezüglich des Risikos ausgewertet werden sollten. Verschiedene Arten der wissenschaftlichen Abschätzung des Risikos seien möglich. Das Federal Oversight 185 Brown (Committee on Science, Space, and Technology), Report together with additional and supplemetal views, to accompany H.R. 4306, House of Representatives, 103d Congress, 2nd Session, Report 103-857,7. Oktober 1994. 186 Ebd. §§ 2(8)-( 10). 187 Habicht, S. 1 ff.; National Research Council, Science and judgement. 188 Ähnlich die Defintionen des National Research Council, Managing the Process, S. 3. 189 Näher: Bum, S. 47. 190 laffe, S. 534.

11. Methoden für die Risikoabschätzung

155

Document weist darauf hin, daß die Studie der ESA keine Methoden zur Risikoabschätzung vorschreibt, und nennt selbst als eine Methode die vergleichende Risikoabschätzung. 191 Wahrend das Federal Oversight Document es den Einzelbehörden überläßt, geeignete Analyseverfahren zu wählen, werden grundsätzlich die folgenden Methoden diskutiert: a) Empirische Methoden

Die National Science Foundation empfiehlt, empirische Methoden, wie etwa Mikrokosmos-Testversuche, zur Risikoabschätzung zu verwenden. Denn genügendes Wissen über den Organismus sei ein wichtiges Kriterium bei der Bewertung. 192 b) Quantitative Methoden

Für die Risikoanalyse im Bereich der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen müssen verschiedene Faktoren beriicksichtigt werden. Zu diesen Faktoren gehören die genetischen, evolutionären und ökologischen Auswirkungen der Freisetzung eines Organismus in die Umwelt. Weil jedoch gerade bei neu geschaffenen gentechnisch veränderten Organismen historische Daten über diese Faktoren oft fehlen, bieten sich Fehlerbaum-Analysen oder ähnliche Techniken zur Risikoabschätzung an. 193 Allerdings ist der Nachteil solcher Techniken, daß im Bereich der Gentechnik die Risiken oft in den langfristigen Auswirkungen auf komplexe Ökosysteme bestehen, und quantitative Abschätzungen bestenfalls spekulativ sein können. 194 Die Einflüsse, die beachtet werden müssen, sind vielfältig und jeweils sehr verschieden in ihrer Art und Bedeutung. Die Erstellung von Modellen zur Vorhersage von Auswirkungen der Freisetzungen unter Verwendung quantitativer Methoden scheinen daher ein schwieriges Unterfangen zu sein. Die ökologische Forschung ist, wie viele andere empirische Wissenschaften, bislang noch wenig als Grundlage für Voraussagen geeignet. Unter diesen Voraussetzungen führen regelmäßig weder Modelling noch Simulation zu eindrucksvollen Ergebnissen unter NEPA. 195 Die EPA verfügt derzeit über keine Methode, gentechnische Risiken quantitativ zu bestimmen. 196 Beim gegenwärtigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Gentechnik scheint ein qualitatives Verfahren zur RisikoanalyFed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6756 f.). Ebd.; vgl. auch Dunster; Risk Assessment, in: Bazin/Lynch, (Hrsg.), Environmental Gene Release, Model Experiments and risk assessment, S. 139 ff. 193 National Science F oundation, The suitability and applicability of risk assessment methods, S. 4. 194 Siehe Mostow, S. 1 ff. 195 Rodgers, pocket part, S. 101. 1% Heidenreich, Regulierung transgener Pflanzen, S. 60. 191

192

156

Kap. 5: Die Risikoabschätzung

se besser geeignet. Bei andauernder Unfähigkeit zur Quantifikation von Risiken im Bereich der Gentechnik könnten die Gerichte dazu übergehen, extensivere Forschungen zu den Vorhaben zu verlangen. Andererseits kämen auch verstärkte Nachbewertung und Überwachungen während der Durchführung von Vorhaben in Betracht. 197 Die National Science Foundation analysierte in einem Bericht für das OSTP, inwieweit bestehende Methoden zur Risikoabschätzung auch für die Anwendung im Bereich der Biotechnolgie geeignet sind. 198 Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur eine qualitative Risikoanalyse durchführbar ist, weil der Stand der Wissenschaft keine quantitative Risikoabschätzung zulasse. 199

c) Qualitative Methoden

Im Gegensatz zu den quantitativen Methoden stellen die qualitativen Methoden nicht auf empirische Daten über den zu bewertenden Freisetzungsversuch ab, sondern auf gewisse Eigenschaften des veränderten Organismus. Es sind verschiedene qualitative Methoden in diesem Zusammenhang bekannt, die gegebenenfalls auch kombiniert werden müssen. Allerdings ist bislang wenig erschlossen, welche der Methoden sich für welche Art von Experiment am besten eignet, und auch die EPA nimmt bei ihren Risikoabschätzungen derzeit keine qualitative Bewertung der Ungewißkeiten wie beispielsweise durch ein Ranking vor. 2OO Abhängig vom Ausmaß der Erkenntnisse über einen Organismus kommt entweder die qualitative Risikoüberprüfung (risk screening), die deterministische Konsequenzanalyse oder die deterministische Konsequenzanalyse mit Vertrauensgrenzen (Wahrscheinlichkeitsbereichen) in Betracht. 201

aa) Qualitative Risikoüberprüfung (Screening) Die qualitative Risikoüberprüfung wird verwandt, wenn die naturwissenschaftliche Unsicherheit groß ist und eine relativ unpräzise Analyse ausreicht. Die Methode identifiziert mögliche Gesundheitsrisiken, indem sie ihre Eigenschaften rein 197 Committee on the Applications of Ecological Theorie to Environmental Problems, Cornrnission on Life Sciences, National Research Council, Ecological Knowledge and Environmental Problem-Solving: Concepts and Case Studies (1986). 198 National Science Foundation. The suitability and applicability of risk assessment methods; vgl. auch Fiksel/Covello. S. 1 ff. 199 Ebd., Einleitung "Executive summary"; vgl. auch The Conservation Foundation. Risk Assessment and Risk Control, S. 19 ff. 200 Heidenreich. Regulierung transgener Pflanzen, S. 60. 201 Ebd.

11. Methoden für die Risikoabschätzung

157

qualitativ beschreibt. Das Verfahren ist geeignet, um verschiedene potentielle Gefahren voneinander zu unterscheiden, indem man sie zueinander ins Verhältnis setzt. Bestimmte Charakteristika, wie etwa Pathogenität für Menschen, werden verwandt, um die potentielle Gefahr abzubilden. Allerdings wird der qualitativen Risikoüberprüfung jegliche Eignung zur Voraussage abgesprochen. 202

bb) Deterministische Konsequenzanalyse Die deterministische Konsequenzanalyse versucht Gesundheitsrisiken darzustellen, indem sie aus vorhandenen Daten die Eigenschaften eines neuen Stoffes mit Hilfe von Vorhersagemodellen herzuleiten beziehungsweise zu extrapolieren versucht. Die Methode eignet sich in Fällen, in denen die naturwissenschaftliche Unsicherheit gering ist, weil relativ umfangreiche empirische Daten vorliegen und die Systemeigenschaften weitgehend bekannt sind. Die deterministische Konsequenzanalyse führt zu vergleichsweise präzisen Ergebnissen. Sie wird verwandt, um eine quantitative Basis für die Entscheidungsfindung bereitzustellen, etwa wenn die Risiken und Nutzen von zwei alternativen Umweltschutzmaßnahmen abgewogen werden müssen. 203

cc) Deterministische Konsequenzanalyse mit Vertrauensgrenzen Wenn der Grad der wissenschaftlichen Unsicherheit mittelmäßig ist, weil noch Datenlücken bestehen oder das zu beurteilende System zu komplex ist, führt die deterministische Konsequenzanalyse mit Vertrauensgrenzen zu Ergebnissen mit einem gewissen Grad an Präzision. Bei dieser Methode werden die Lücken in den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen mit verschiedenen Vermutungen ausgefüllt. Für jede dieser Annahmen wird eine deterministische Konsequenzanalyse ausgeführt, um die möglichen Wirkungen des zu bewertenden Projektes eingrenzen zu können. Die Ergebnisse für die jeweils optimistischste Annahme und die jeweils pessimistischste Annahme nennt man Vertrauens grenzen. Deterministische Konsequenzanalysen mit Vertrauensgrenzen werden oft eingesetzt, um die Risiken von Chemikalien einzuschätzen. Je größer freilich die Lücke in den Daten über das betreffende Projekt ist, um so weiter werden die Vertrauens grenzen auseinander liegen. 204 Allerdings werden erhebliche mathematische Anstrengungen unternommen, um Zufallseffekte und Unsicherheiten in Optimierungsmodelle zu integrieren. 205

204

Ebd., S. 43. Ebd., S. 42. Id.

205

Vgl. etwa Galambos/Holmes, S. 93 ff.

202 203

158

Kap. 5: Die Risikoabschätzung

d) Geeignetheit der Methoden unter Bedingungen der Ungewißheit

Die genannten Methoden, nämlich die Risikoüberprüfung (risk screening), die deterministische Konsequenzanalyse und die deterministische Konsequenzanalyse mit Vertrauensgrenzen, wurden bereits bei der Umsetzung anderer US-amerikanischer Umweltschutzprogramme eingesetzt. Im Bereich der Biotechnologie-Anwendungen sind die natürlichen oder technischen Systeme extrem komplex und das Wissen über das Verhalten der veränderten Organismen ist in den kritischen Fällen meist begrenzt. In einer solchen Konstellation ist die Anwendung probabilistischer Methoden, wie bereits erörtert,206 ungeeignet. Eine Risikoüberprüfung im Sinne einer Risikoabbildung kann zwar durchgeführt werden, ihr Nutzen für die Verwaltungsentscheidung über zukünftige Wirkungen einer speziellen Freisetzung ist jedoch begrenzt. Auch eine rein deterministische Analyse kann nicht problemlos ausgeführt werden, da das Spektrum der möglichen Konsequenzen so breit ist, daß eine sinnvolle Voraussage über das Risiko des zu bewertenden Projektes nicht möglich ist. Eine sinnvolle Eingrenzung kann sich jedoch ergeben, wenn innerhalb einer deterministischen Konsequenzanalyse noch Vertrauensgrenzen ermittelt werden, welche die Unsicherheitsspektren verringern. Grundsätzlich scheinen die verschiedenen Ausgangssituationen mit ihren verschiedenen Erkenntnisdichten unterschiedliche Methoden der Risikoabschätzung zu verlangen. Durch eine Kombination der Methoden können die Ergebnisse weiter konkretisiert und abgesichert werden. Die National Science Foundation empfiehlt die folgenden Unterscheidungen: Bei einem bekannten einheimischen Organismus mit einer eng definierten genetischen Veränderung, dessen Transport und genetische Stabilität in der Umwelt relativ gut vorhersehbar sind, eignen sich Gefahrbeschreibung und deterministische Konsequenzanalyse zur Charakterisierung der Risiken einer geplanten Freisetzung. In dem Ausmaß, zu dem Datenlücken bestehen, wird die Abgrenzung der Unsicherheit nach unten und nach oben notwendig sein. Bei der Nutzung eines Organismus in der Umwelt, der entweder nicht einheimisch ist oder nur wenig erforscht ist, [ ... ] ist ein weites Spektrum von Möglichkeiten zu erwägen. 207

In Fällen mit höherer Unsicherheit müssen nach Auffassung der National Science Foundation qualitative Methoden zur Überprüfung von Risiko entwickelt werden, mit denen antizipierte Risiken dargestellt und mit einem Richtwert oder Referenzmaßstab vergleichbar gemacht werden können. Ein andere Ansatz wäre, ausschöpfende empirische Tests von dem Antragsteller für eine Freisetzung zu verlangen. 208 All diese Methoden müßten jedoch von empirischen Methoden unter Freilandbedingungen unterstützt werden, wie etwa überwachte Versuche (MonitoSiehe oben S. 43 f. National Science Foundation, The suitability and applicability of risk assessment methods, S. 43. 208 Ebd. S. 44. 206 207

II. Methoden für die Risikoabschätzung

159

ring), um Daten zu sammeln, die wissenschaftliche Unsicherheit zu reduzieren und schließlich Tests größeren Maßstabs zu entwerfen. Allerdings seien empirische Modelle weniger geeignet, Ergebnisse mit niedriger Eintrittswahrscheinlichkeit vorauszusagen. Solche Ergebnisse würden nämlich definitionsgemäß bei Tests in kleinem Maßstab höchstwahrscheinlich nicht erkennbar werden. Durch voraussagende Modellbildung könnten solche Risiken jedoch erfaßt werden. 209 Weil jedoch bislang insbesondere in den fortschrittlicheren Bereichen gentechnischer Veränderungen grundlegende Monitoring-Daten fehlen und nicht kurzfristig beschafft werden können, ist es stets schwierig, die vorhandenen Informationen in quantitativer Art und Weise auszudrücken, und zudem immer höchst subjektiv. Die Daten zusammenzufügen und daraus eine akkurate Beschreibung des Natursystems zu entwerfen, wird nur von wenigen unternommen und dies auch nur in wenig zufriedenstelIender Art und Weise. 2IO Bei der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen schätzt die EPA häufig das Risiko von Organismen ab, über deren Umweltauswirkungen keine verläßlichen Modelle existieren. Sie ist dann nach Durchführung aller sinnvollen Tests mit zwei oder mehr gleichwertigen Theorien über die Auswirkungen der in Frage stehenden Substanzen konfrontiert. Soweit also Ungewißheiten bestehen, müssen die vorhandenen Daten interpretiert werden. Dabei sind meist optimistische oder pessimistische Interpretationsweisen möglich. In den sechziger und siebziger Jahren verwendeten die Behörden bei Gesundheitsrisiken typischerweise konservative Ansätze für die Risikoabschätzung. Sie gingen dabei immer von den Risiken für die empfindlichste Spezies oder der ungünstigsten Kurve von Dosierung und Reaktion aus und akzeptierten keinerlei negative epidemilogischen Daten. 211 Dieses Vorgehen wurde jedoch kritisiert, weil die resultierenden Regelungen keinen Raum zur Verwendung abweichender Beweise im Einzelfall zuließen. 212 Auch unter NEPA wurden Unsicherheiten durch warst case-Analysen (Abschätzungen des größtmöglichen Schadens) zu erfassen versucht. 213 Der CEQ hat sich jedoch gegen den Einsatz dieser Methode zur Erfassung von Datenmangel ausgesprochen, weil sie "unproduktiv und ineffektiv" sei,z14 Statt dessen soll das Unbekannte, insbesondere auch für Vorhaben, die katastrophale Folgen mit einer geringen Eintrittswahr209 Ebd. S. 45; zum Ökosystem-Modelling: Stensvaag. Regulating Radioactive Air Emissions from Nuclear Generating Plants: A Primer for Attomeys, Decisionmakers, and Intervenors, in: 78 N.W. U. L. Rev. 1, 133-201 (1983); Goldman. Risk Symposium: Environmental Risk Assessment and National Policy: Keeping the Process Fair, Effective and Affordable, University of Cincinnati Law Review, Bd. 63, Sommer 1995, S. 1533 (1545). 210 Rodgers. pocket part, S. 101. 211 National Research Council, Managing the Process, S. 76. 212 Ebd., S. 4. 213 Zum Beispiel Methow Valley Citizens Council vs. Regional Forester, 833 F.2d 810, 817 -818 (9 th Cir. 1987). 214 "Theoretische Ansätze oder Forschungsmethoden, die in der Wissenschaftsgesellschaft allgemein akzeptiert sind," 51 Fed Reg. 15618, 15620 (25. April 1986), auf der Grundlage von 40 CFR § 1502.22.

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

scheinlichkeit haben, in den Analysen durch wissenschaftlich respektable Verfahrensweisen behandelt werden,215 obwohl in der Praxis, wenn auch in weniger formeller Art und Weise, weiterhin die ungünstigste mögliche Folge eines Vorhabens erwogen wird. 216 Die warst case-Analyse ist eine etablierte Technik der formalen Entscheidungstheorie, weil sie sowohl der Wahrnehmung eines Risikos durch die Öffentlichkeit nahekommt als auch zusammen mit einigen optimistischeren Szenarios die Grundlage für Überlegungen von Entscheidungsträgern in der Praxis sein dürfte. 217 Sie hilft, alle möglichen Konsequenzen eines Verfahrens in die Entscheidung einzubeziehen, und führt auch zu der Überlegung, ob eine Katastrophe, nachdem sie eingetreten ist, reparierbar ist. Zu den Schwächen gehört, daß bei manchen Projekten die schädlichste Konsequenz nicht identifizierbar ist, in anderen Fällen die Bezeichnung der schlechtmöglichsten Auswirkung geradezu banal wirken muß. Der Behörde ist es nicht zuzumuten, spezifischere Szenarios vorauszusagen als solche, die in der einschlägigen Fachliteratur beschrieben sind. Da der Nutzen der warst case-Analyse damit letztlich gering ist, wurde sie im US-amerikanischen Recht auch zumeist als Überregulierung empfunden, die als Vehikel im Kampf gegen bestimmte Projekte mißbraucht werden kann. 218 Letztlich ist der Nachteil der warst case-Analyse, daß sie zwar den Bereich der Ungewißheit weiter einschränken kann, letztlich aber häufig auf eine Spekulation mit Unbekannten hinausläuft und somit zur Suche nach geeigneten Methoden der Systematisierung von Verwaltungsentscheidungen unter Bedingungen der Ungewißheit nur in begrenztem Maße beitragen kann. Die warst case-Analyse wurde als Anforderung an ein EIS abgeschafft. 219 Heute arbeitet die EPA bei der Risikoabschätzung für gentechnische Freisetzungen mit warst case-Analysen und mit reasanable case-Analysen (Abschätzung des vernünftigerweise zu erwartenden Schadens). Üblicherweise glaubt die EPA, konservative Aussagen zu machen und sich im Zweifel zugunsten der Sicherheit zu irren, obwohl ausdrücklich nicht die vollständige Gewißheit über das Verhalten des Organismus verlangt wird. 22o Um den Umgang mit Ungewißheiten zu vereinheitlichen, wird bereits seit längerem diskutiert, ob eine sogenannte Schlußfolgerungsvorgabe (inference guideline) als ausdrückliche Aussage einer vorbestimmten Wahl aus verschiedenen AltemaEbd. Vgl. Robertson vs. Methow Valley Citizens Council, 490 U.S. 332, 354, 109 S.Ct. 1835, 1847, 104 L.Ed.2d 351, 372 (1989). 217 Rodgers, S. 966. 218 Rodgers, S. 967 f. 219 Robertson VS. Methow Valley Citizens Council, 490 U.S. 322, (352-354), 109 S.Ct. 1835, (1847 -1848), 104 L.Ed.2d 351, (371-372) (1989), on remand 879 F.2d 705 (9 th Cir. 1989). 220 Aussage von Mark Segal, EPA, im Gespräch vom 2. Oktober 1998; Schreiben von firn Alwood, TSCA Biotechnology Coordinator, vom Oktober 1998, Anhang 2; für diese Haltung wird die EPA regelmäßig von der Industrie kritisiert (Knox, Regulatory Reform: The present viability of Risk Assessment, Wisconsin Env. L. J., Bd. 3, 1996, S. 49, 57). 215

216

11. Methoden für die Risikoabschätzung

161

tivmethoden (inference options) sinnvoll sei?21 Eine solche Vorgabe könnte etwa in einer mathematischen Methode liegen, die zur Schätzung von Auswirkungen herangezogen wird. Derartige Richtlinien hatten seit den sechziger Jahren mehrere Behörden zu entwickeln versucht, um einen systematischen Weg der Gesetzesanwendung zu finden, die Öffentlichkeit und die Betroffenen über die Politik der Verwaltung zu unterrichten, öffentliche Stellungnahmen zu dieser Politik anzuregen, zu verhindern, daß allgemeine Fragen in jedem Einzelfall neu erörtert werden müsse und um die Einheitlichkeit und Kontinuität zu fördern. Griffige Lösungen für die Praxis haben sich daraus bislang jedoch noch nicht ergeben. Als Grund dafür wird angegeben, daß sich einige Schritte der Risikoabschätzung, insbesondere diejenigen, die sich mit der Qualität der Daten und der Größe der Unsicherheit befassen, für eine generelle Einschätzung in Richtlinien nicht eignen. Vielmehr ist in diesen Fällen individuelles Urteilsvermögen von höchster Wichtigkeit und sollte durch Richtlinien immer noch möglich bleiben. 222 Richtlinien sollten nach Auffassung des Nationalen Forschungsrates als wichtige Werkzeuge betrachtet werden, jedoch nicht als Formeln, um Risikoabschätzungen zu produzieren. 223 Ergebnisse sollten nicht nur (soweit dies überhaupt möglich ist) quantitativ dargestellt werden, sondern stets auch qualitative Elemente aufweisen, welche die Gewißheit der übrigen Ergebnisse bezeichnen. 224 Dementsprechend stimmen die Behörden die Risikoabschätzungsverfahren auf die Erfordernisse des Einzelfalles ab. Nur wenn der wissenschaftliche Erkenntniszuwachs Risikoabschätzungen für bestimmte Organismen erlaubt, kann dies in die Regelungen aufgenommen werden. Es wurde angeregt, einen Mechanismus einzuführen, mit dem etwa durch ein Fachgremium die Modifikation der Risikoabschätzungsverfahren behördenübergreifend sichergestellt wird. 225 Eine Möglichkeit könnte in diesem Zusammenhang sein, individuelle Risikoabschätzungen in einem behördenspezifischen, aber ansonsten einheitlichen Format anzufertigen und anderen Behörden in sogenannten case by case-Handbüchern zur Verfügung zu stellen. In diesen Dokumenten sollen auch Abweichungen von Methoden aus Richtlinien aufgrund wissenschaftlicher Erwägungen und die Annahmen, die zur Interpretation von Daten oder von Datenlücken verwandt wurden, erwähnt werden. 226 In der Praxis kommen häufig Fälle vor, in denen nach Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Methoden noch Ungewißheit über das Verhalten des betreffenden 221 National Research Council, Managing the Process, S. 79; dazu auch Knox, Regu1atory Reform: The present vi ability of Risk Assessment, Wisconsin Env. L. J., Bd. 3, 1996, S. 49, 60f. 222 National Research Council, Managing the Process, S. 76, 80. 223 Ebd., S. 81.

National Research Council, Managing the Process, S. 165. Ebd., S. 6; vgl. allgemein Green, The Law-Science Interface in Public Po1icy Decisionmaking, Ohio St. L. J., Bd. 51,1990, S. 375. 226 National Research Council, Managing the Process, S. 154 f. 224

225

11 Pohl

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

Organismus verbleibt. Dann erlaubt die EPA üblicherweise zunächst Freisetzungen kleineren Maßstabs. Die Situation, daß das Verhalten eines Organismus so ungewiß wäre, daß die EPA auch solche Tests verbieten wollte, ist noch nicht vorgekommen. Denn gewisse Prognosen aus Daten von verwandten Arten des betreffenden Organismus sind in der EPA Praxis bislang immer möglich gewesen, und kein Anmelder hat bislang die Freisetzung eines völlig neuen Organismus vorgeschlagen. 227 Aufgrund der aus der "Freisetzung in kleinerem Maßstab" gewonnenen Erkenntnisse schätzt die EPA sodann das Risiko für weitere Freisetzungen neu ab.

e) Qualität der berücksichtigungsfähigen Studien

Ein üblicher Standard, der im US-amerikanischen Umweltrecht zur Bezeichnung der Qualität einer wissenschaftlichen Studie herangezogen wird, ist der der "peer review", der eine unabhängige Einschätzung wissenschaftlicher Experten in den einschlägigen Disziplinen bezeichnet. Unter den TSCA-Regeln können hinsichtlich Mikroorganismen jedoch ausdrücklich nicht nur Informationen, die aus einer formellen Studie innerhalb einer bestimmten Disziplin stammen, sondern auch andere Informationen mit Bezug auf die Auswirkungen eines Mikroorganismus eingereicht werden?28 Allerdings ist zu erwarten, daß die Prüfung der wissenschaftlichen Vertretbarkeit der Studien in diesem Fall innerhalb der EPA stattfindet. 229

2. Deutschland Bislang ist es auch in Deutschland weitgehend einhellige Meinung, daß das Recht die Risikoabschätzung nur beschränkt inhaltlich steuern kann, jedoch wird angestrebt, Modelle für eine systematische Risikoanalyse zu entwickeln, was gerade im Gentechnikrecht wegen der vielfliltigen und unüberschaubaren Eigendynamik von freigesetzten Organismen komplexe Kriterien und neue Wege der Risikoabschätzung erfordert. Aus rechtlicher Sicht ist es erforderlich, ein zuverlässiges Instrumentarium zu entwickeln, um Risiken effektiv erfassen zu können und auch Risiken unterschiedlicher Risikoquellen vergleichbar zu machen. 23o Die Methoden müssen geeignet sein, komplexe Überlegungen zu integrieren. Dabei müssen stets Risikofaktoren in irgendeiner Form identifiziert, bewertet, relationiert oder ausgeblendet werden. 231 Naturwissenschaftler haben sich eingehend mit der Frage aus-

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Aussage von Mark Segal. EPA, im Gespräch vom 2. Oktober 1998. § 725.3(1) TSCA.Regeln. Hinsichtlich der peer review vgl. grundsätzlich u.s.c. Titel 7, § 136w(e). Seiler; S. 152; Umweltbundesamt, Beitrag, S. 124.

231

Bonß/Hohljeld/Koliek. S.41.

227 228 229

11. Methoden für die Risikoabschätzung

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einandergesetzt, mit welchen Methoden Risiken bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen zu identifizieren und darzustellen sind. 232 a) Methoden der Risikoabschätzung

Die Methoden zur Identifizierung von Risiken, die in der naturwissenschaftlichen Literatur vorgeschlagen werden, sind bislang sehr abstrakt und erfüllen die Vorstellung eines handhabbaren materiellen Standards nicht. Demanch sollen zunächst die zu untersuchenden Auswirkungen festgelegt werden. 233 Dann werden die ökologischen Wechsel wirkungen überpriift, die zu den Auswirkungen geführt haben. Anschließend werden die phänotypischen und physiologischen Eigenschaften, die zu den Wechsel wirkungen geführt haben, untersucht. Schließlich werden die genetischen Eigenschaften eines Organismus beschrieben, die zu den phänotypischen und physiologischen Eigenschaften geführt haben. 234 So kann die Kausalkette anders als bei der üblichen Risikoabschätzung von hinten nach vorne aufgerollt werden, und man kann annäherungsweise im Wege des Analogieschlusses zu Einschätzungen der Langzeiteffekte einer bestimmten genetischen Eigenschaft gelangen. Es handelt sich um die Modellierung als "Simulation zum Verständnis der Wirklichkeit,,235 gearbeitet. Dabei wird zunächst aus einzelnen beobachteten Parametern ein sogenanntes konzeptionelles Modell erstellt, wobei es zahlreiche verschiedene Möglichkeiten der Modellierung geben kann. Allerdings können auch durch diese Methoden die Unsicherheiten bei der Freisetzung nicht eliminiert, sondern lediglich verringert werden, eine normative Wertungsstrategie ist hierin nicht enthalten. Soweit extrem differenzierte Modelle verlangt werden, sind lokale Experten wegen ihrer intimen Kenntnisse der Örtlichkeiten und ihrer Probleme, vor allem der historischen Aspekte, die einem Ortsunkundigen kaum zugänglich sind, für die "Validierung und Plausibilisierung der Modelle unverzichtbar".236 Bei der Ermittlung von Erwartungswahrscheinlichkeiten für einzelne Effekte oder ihre Interaktionen stößt die Naturwissenschaft wegen der bestehenden Ungewißheiten jedoch weiterhin an kontingente Grenzen. 237 Wissenschaftler arbeiten daher derzeit offenbar mit Strategien wie der Extrapolation von Information aus bisherigen Erfahrungen, der Simulation des für die Gefährdung verantwortlichen Prozesses und der wohlerwogenen Mutmaßung (educated guess).238 Kjellsson/Simonsen, S. 1 ff. Siehe oben S. 137; vgl. Wagner/ Jeske, S. 30 ff. 234 UBA Wien, S. 103. 235 Haber, Möglichkeiten der Risikoabschätzung, S. 203. 236 Ders., in: Bartsch / Sukopp, Ermittlung und Bewertung des ökologischen Risikos, S.211. 237 Vgl. schon oben, S. 43; Goldstein, Risk Symposium: Risk Management will not be Improved by Mandating Numerical Uncertainty Analysis for Risk Assessment, U. ein. L. Rev. Bd. 63 (1995), S. 1599. 238 Fritsche, S. 365. 232 233

11*

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

b) Geeignetheit der Methoden unter Bedingungen der Ungewißheit

Ebenso wie die Modelle selbst können auch die Erwartungswahrscheinlichkeiten durch den Vergleich mit der Realität verbessert oder auch verworfen werden. Weil die Methoden der Risikoabschätzung im Bereich des Ungewissen operieren und angepaßt und gegebenenfalls korrigiert 239 werden müssen, eignet sich auch zur Schaffung eines entwicklungsoffenen Risikokonzepts 240 das von der OECD vorgeschlagene step by step- Verfahren 241 . Solange das Idealmodell noch nicht erreicht ist, muß die naturwissenschaftliche Risikoabschätzung bereits aus ihrer eigenen Definition heraus zwangsläufig einen sozialen und politischen Charakter haben. 242 Denn schon auf der ersten Stufe der genannten Methode, nämlich bei der Festlegung der zu berücksichtigenden Variablen, entscheidet die Wahrnehmung einer Einflußgröße als sozial geprägtes Kriterium über den Gang der Risikoabschätzung. 243 Zumindest bei der dritten Stufe, der wohlerwogenen Mutmaßung, können politische Motivationen oder zumindest Prägungen des Wissenschaftlers nicht mehr geleugnet werden. Lösungen sind bei Anleitungen für den Umgang mit ,Nichtwissen' zu suchen, welche die Erwägungen des Naturwissenschaftlers in ungewissen Situationen vorbestimmen. Falls dies wegen der Komplexität der Überlegungen nicht praktikabel sein sollte, müßten Mittel und Wege gefunden werden, um verschiedene Sichtweisen zu kombinieren und Verfahrensrationalität anzustreben.

c) Qualität der berücksichtigungsfähigen Studien

Laut § 16 Abs. I Nr. 3 GenTG hat die Risikoabwägung innerhalb der Freisetzungsentscheidung "nach dem Stand der Wissenschaft" zu erfolgen. Dieser Standard ist insbesondere für die naturwissenschaftliche Risikoabschätzung bedeutend 244 und verlangt, daß die Behörde sämtliche vertretbaren wissenschaftlichen 239 Breuer, NuR 1994, S. 157 (161); Lerche in: Lukes/Scholz (Hrsg.), Rechtsfragen der Gentechnologie, S. 98; Nicklisch, BB 1989, S. 1 (&); Wahl/Masing, JZ 1990, S. 553 (560 f.); Wahl in: Breuer/Kloepfer/MarburgerlSchröder (Hrsg.), Gentechnikrecht und Umwelt, UTR Bd. 14, S. 20 ff.; Scherzberg, VerwArch. 84 (1993), S. 484 (507 f.). 240 Vgl. BVerwGE 69,37 (45); Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 289 f.; Ladeur, Zur Prozeduralisierung, S. 297. 241 Siehe oben S. 48; Breuer, NuR 1994, S. 157 (161). Das step by step-Verfahren kann unter Umständen in das GenTG hineingelesen werden, weil der nach § 16 Abs. 1 GenTG erforderliche "Stand der Wissenschaft" nur nach dem Durchlaufen der Vorstufen erreicht werden kann. 242 Bonßl Hohlfeldl Kollek, S. 42. Für das Atomrecht beispielsweise: BVerwG, Urt. v. 19.12.1985-7 C 65/82 -, DVBI. 1986, S. 190 = BVerwGE 72, 300 = NVwZ 1986, S. 28; BVerwG, Urt. V. 14. 1. 1998-11 C 11 196 -, DVBI. 1998, S. 339 = BVerwGEE 106, S. 115Mühlheim-Kärlich -. 243 Vgl. grundlegend Wiedemannl Hennen, S. 1 ff.

11. Methoden für die Risikoabschätzung

165

Standpunkte berücksichtigt,245 wozu auch die vorderste Front des Erkenntnisfortschritts zählt. 246 Dies birgt die Gefahr, wie sich am Beispiel der Gentechnik plastisch zeigt, daß über bestehende Risiken wissenschaftlicher Streit besteht, der in der Situation der Ungewißheit nicht auf verläßliche Weise beigelegt werden kann. Dennoch ist es die Pflicht der Behörde, zu solchen Fragen Stellung zu nehmen. 247 Sie wird dabei die Stellungnahme des ZKBS berücksichtigen oder im Fall begründeter Zweifel andere Gutachten zur Darstellung des wissenschaftlichen Streitstandes hinzuziehen. Wahrend dies einerseits so verstanden werden kann, daß sich die Behörde für oder gegen eine der streitigen Auffassungen entscheiden muß, ist andererseits auch denkbar, daß die Behörde in ihrer Stellungnahme dazu kommt, auch nur "theoretisch diskutable Möglichkeiten" in die "Modellierung ,möglicher Auswirkungen' ,,248 zu integrieren.

3. Vergleich

Vergleicht man der Methoden der Risikoabschätzung in den Vereinigten Staaten und in Deutschland, ist zunächst festzustellen, daß in den Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten Anstrengungen unternommen werden, die Abschätzungsmethoden für die Risikoabschätzung zu verbessern. Es existieren zahlreiche Dokumente zu Verfahren und Methodik der Risikoabschätzung, während in Deutschland kaum Versuche verzeichnet werden können, standardisierte Prinzipien für die Risikoabschätzung zu entwickeln. 249 Das liegt vor allem daran, daß die Risikoabschätzung in den Vereinigten Staaten anders als in Deutschland eine wesentliche Rolle bei der Auswahl der Regelungspolitik einschließlich der Deregulierung spielt. 25o Wenn Risiken zum Zwecke der Deregulierung analysiert werden, stellen sich jedoch naturwissenschaftlich ähnliche Fragen wie bei der Risikoabschätzung im Einzelfall. Auch rechtlich werden ähnliche Aspekte relevant, weil das Verfahren betroffen ist, in dem die Grundlagen für die pauschale oder individuelle Entscheidung, ob ein Risiko hinnehmbar ist, festgestellt werden. Zur Illustration sei auf eine US-amerikanische und auf eine deutsche Risikoabschätzung verwiesen, die jeweils eine Freisetzung einer gentechnisch veränderten Zuckerrübenart zum Gegenstand hat. In den Vereinigten Staaten unterliegt die Zückerrübe anders als in Deutschland heute bereits keinem Genehrnigungsvorbe244 Auf seine zusätzliche Anwendbarkeit auch für die Quantifizierung des Nutzens einer Freisetzung weist zutreffend hin Dederer, S. 278. 245 BVerwGE 72, S. 300 (316); Kroh, DVBI. 2000, S. 102 (106). 246 BVerfGE 49, S. 89 (135). 247 Ebd., S. 136. 248 Ladeur, NuR 1992, S. 254 (256 f.). 249 So bereits für die Risikoabschätzung für Karzinogene: Brickmannl Jasanoff/Ilgen, S.43. 250 Vgl. dazu oben S. 97 ff.

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

halt mehr. 251 Die Rübenart ist resistent gegen den Virus Polymyxa betae. der die Krankheit Rhizomania (Wurzelbärtigkeit) auslöst. Die Resistenz wird dadurch hervorgerufen, daß mit Hilfe von Agrobacterium tumefaciens als Überträger neukombinierte Nukleinsäure in die Pflanze eingeführt wird. Die deutsche Risikoabschätzung ist Teil eines Freisetzungsbescheides des Robert-Koch-Instituts nach § 16 Abs. 1 GenTG aus dem Jahre 1995. 252 Ebenfalls im Jahre 1995 verfaßte APHIS im Genehmigungsverfahren nach § 340.0 APHIS-Regeln eine Risikoabschätzung. 253 Die Prüfung von APHIS befaßt sich nach einer Beschreibung der Durchführung des Versuchs mit den potentiellen Umweltauswirkungen. APHIS geht davon aus, daß sich das modifizierten Genmaterial nicht unbeabsichtigt verbreiten wird. Denn bei einem der Testfelder wachsen keine kreuzbaren Pflanzen im Umkreis von 3200 Fuß und die trans genen Pflanzen werden mit Plastik abgedeckt. Die Pflanzen auf einem anderen Testfeld werden nicht zur Blüte kommen gelassen. Der horizontale Gentransfer sei vernachlässigbar, weil die Gene in das Pflanzengenom integriert sind. Einwirkungen auf andere Organismen seien nicht zu erwarten, weil es keinen identifizierbaren direkten Effekt für wilde Vertebraten oder für die sonstige Fauna gebe. Allerdings seien Zuckerrüben ernstzunehmende Unkräuter. Die Anfälligkeit für Krankheiten oder -resistenzen sollte im Rahmen des Feldtests untersucht werden. APHIS glaubt nicht, daß ein schädliches Potential für eine Vermischung von Phänotypen besteht. Unter Berufung auf die Fachliteratur sieht APHIS nicht die Gefahr, daß durch Rekombination ein neuer Virus entsteht. Jedoch kann der Virus Polymyxa betae, der bei der Herstellung des veränderten Organismus verwendet wird, von einem Feld praktisch nicht mehr entfernt werden, da kein Gegenmittel frei verfiigbar ist. Schließlich habe der Organismus keine Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Deshalb verfaßte APHIS ein FONSI und genehmigte die Freisetzung mit Auflagen. Das Robert-Koch-Institut erläuterte in der vergleichsweise ausführlichen Begründung das Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG. Der Versuch wurde ähnlich wie der US-amerikanisehe Versuch so angeordnet, daß im Umkreis von lOOOm um das Testfe1d keine kreuzbaren Pflanzen existieren, zudem sollten Trennwände, Bastmatten und Isoliersäcke eingesetzt werden. Die naturwissenschaftliche Prüfung ist ausführlicher angelegt als in den Vereinigten Staaten, folgt aber einer parallelen Argumentation. Insgesamt seien keine schädliche Auswirkungen zu erwarten. Damit könnten auch keine unvertretbaren Risiken bestehen, und eine Nutzen-Risiko-Abwägung sei nicht vorzunehmen. Es zeigt sich, daß die zuständigen Behörden bei der Länder in der Sache eine weitgehend übereinstimmende Entscheidung getroffen haben. Die 251 Vgl. zum Verfahren oben S. 104 ff.; zu den Deregulierungssignalen im deutschen Gentechnikrecht: Wahl/Melchinger; JZ 1994, S. 973 (981). 252 Bescheid vom 25. November 1994 für die Standorten Wetze und Oberviehausen, abgedruckt bei: Winter; Die Prüfung der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, Anhang 2 (mit einer Fallstudie von Andreas Fisahn, ebd. S. 25 ff.). 253 Prüfung der Umweltauswirkungen von USDAI APHIS zur Genehmigung, Nr. 94355-01 vom März 1995, für die Standorten Monterey County (Kalifornien) und Twin Falls County (ldaho) im April 1995.

11. Methoden für die Risikoabschätzung

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Risikoabschätzungspraxis in beiden Ländern unterscheidet sich offenbar vor allem durch die Fälle, in denen in Deutschland ein signifikantes Risiko festgestellt würde, in den Vereinigten Staaten jedoch nicht. Gerade an dem hier beschriebenen Fall zeigt sich jedoch auch, wie vorsichtig das Robert-Koch-Institut ein Freisetzungsrisiko analysiert, das in den Vereinigten Staaten inzwischen bereits nicht mehr unter einen Genehmigungsvorbehalt fällt. Bei dem Vergleich der naturwissenschaftlichen Methoden zur Abschätzung von Risiken gentechnischer Freisetzungen können sich zwangsläufig keine relevanten rechtlichen Unterschiede ergeben. Falls sich die Methoden überhaupt unterscheiden, wird dies weitestgehend auf den unterschiedlichen Stand der Forschung oder ihrer Veröffentlichung zuriickzuführen sein, die freilich in gewissem Maße auch durch den jeweiligen rechtlichen Rahmen gesteuert und begrenzt wird. Obwohl der hier skizzierte Überblick über die gentechnische Wirkungsforschung keinen Anspruch auf Vollständigkeit stellen kann, lassen sich doch die folgenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellen. Naturwissenschaftler in beiden hier verglichenen Ländern stehen insbesondere bei den jeweils fortschrittlichsten gentechnischen Veränderungen vor dem eingangs angedeuteten Problem der Ungewißheit. 254 Sie müssen nämlich bei der Risikoabschätzung Aussagen über Auswirkungen von gentechnischen Veränderungen und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten treffen, über die wenig bekannt ist und die empirisch nur in beschränktem Maße aus getestet werden können. Lösungen scheinen in beiden Ländern in Modellbildungen gesucht zu werden, wobei offenbar Unterschiede in der Komplexität der Modelle bestehen und in der Zahl und Art der Einflüsse, die im Fall der Weiterentwicklung der Modelle auf der höchsten Stufe noch beriicksichtigungsfähig sein sollen. Jedoch sollen angesichts der bestehenden Ungewißheiten Aussagen über gentechnische Risiken in beiden Ländern durch eine schrittweise Weiterentwicklung der Modelle mit Hilfe von Monitoring-Daten an die Realität angenähert werden. Für den juristischen Umgang mit den Ergebnissen der Risikoabschätzung ist vor allem festzuhalten, daß es meist vielfältige Möglichkeiten zur Interpretation der verfügbaren Risikodaten gibt. Es existieren unterschiedliche, wenn auch wissenschaftlich gleichwertige Methoden der Modellbildung. Daher sind die Wahlmöglichkeiten der Wissenschaftler und der soziale Charakter der Urteilsfindung unbestritten. Die Risikoabschätzung ist in hohem Maße manipulierbar?55 Treffend hat Steinberg festgestellt, daß die Methoden empirischer Risikoanalyse und -bewertung bislang als technokratischer Versuch einer Verdeckung der ihnen zugrundeliegenden Wertungen erscheinen. 256 Weil im Entscheidungsfindungsprozeß einschließlich einer eventuellen gerichtlichen Überpriifung klar hervortreten muß, Siehe oben S. 43 ff. Knox, Regulatory Reform: The present viability of Risk Assessment, Wisconsin Env. L. J., Bd. 3 (1996), S. 49, 58 und 64. 256 Steinberg, NUR 1999, S. 192 (194). 254 255

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

welche Ergebnisse der Risikoabschätzung tatsächlich rein naturwissenschaftlich bestimmt wurden und welche Rückschlüsse wertenden und damit politischen Charakter haben, müssen beide Bereiche klar getrennt und kenntlich gemacht werden. In dieser Situation helfen auch Standards für die Qualität der einzureichenden Studien über Umweltauswirkungen nicht. Zwar überprüfen die Behörden in den Vereinigten Staaten vorgelegte Studien auf ihre wissenschaftliche Zuverlässigkeit hin (peer review), und auch die Behörden in Deutschland entscheiden nach dem "Stand der Wissenschaft", der nur von wissenschaftlich vertretbaren Studien bestimmt wird. Entscheidend ist jedoch, welche von zwei wissenschaftlich widersprüchlichen Theorien in die Abwägung eingehen soll. Wenngleich es auf den Einzelfall ankommen wird, inwieweit zwei gegensätzliche wissenschaftliche Theorien in ein Gesamtmodell integriert werden können, erscheint dies zumindest im Rahmen von Wahrscheinlichkeitsmessungen möglich. Daher wird dem Bestreben, den einem Ergebnis einer Risikoabschätzung zugrundeliegenden Methodenpluralismus oder auch nur die hohe oder geringe Zuverlässigkeit eines Ergebnis sichtbar zu machen, in Deutschland die Forderung nach einer Quantifizierung der verwandten Monitoring-Daten entgegengesetzt. In den Vereinigten Staaten wurde zu diesem Zweck seit längerem konkret die Methode der deterministischen Konsequenzanalyse mit Vertrauensgrenzen vorgeschlagen. In der Praxis wird häufig mit sogenannten case by case-Handbüchern gearbeitet, in denen Einzelentscheidungen festgehalten werden, die dann zum Vergleich mit späteren Vorhaben dienen können. 257 Solche Dokumente sollen die Kontrolle der Behörde, die Diskussion unter Spezialisten und die Durchführung späterer Abschätzungen hinsichtlich desselben Stoffes erleichtern. 258 Dieser Ansatz jedoch stößt in der Bundesrepublik Deutschland auf die Bedenken, daß derartige Fallbücher doch auch stets durch abstrakte Richtlinien zur Beurteilung neuer Fälle ergänzt werden müßten. 259 Aber auch in Deutschland ist anerkannt, daß hinsichtlich der Risikokriterien, insbesondere insoweit die Beurteilung der Art des neuen Genproduktes betroffen ist, d. h. beispielsweise die Toxizität einer veränderten Pflanze für die biotischen Umwelt, nur eine Einzelfallabschätzung möglich ist. 260 Auch die Rechtsprechung tendiert dazu, die volitive Komponente bei der Konkretisierung der Anforderungen des Vorsorgeprinzips, insbesondere bei wissenschaftlichen Meinungsverschiedenheiten über Risikoabschätzungen, zu akzeptieren. 261 Gleichzeitig besteht auch in den Vereinigten Staaten ein Bedürfnis, Risikoabschätzungen zu standardisieren. Derartige Bemühungen betreffen vor allem die Vereinheitli257 Backhaus, Diskussionsbeitrag, in: Bartschi Sukopp (Hrsg.), Enniulung und Bewertung des ökologischen Risikos, S. 224. 258 National Research Council, Managing the Process, S. 153. 259 Backhaus, Diskussionsbeitrag, in: Bartschi Sukopp (Hrsg.), S. 224. 260 Willmitzer, in: Bartsch I Sukopp, S. 56. 261 Ladeur; DÖV 2000, S. 217 (217).

III. Zusammenfassung zu Kapitel 5

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chung allgemeiner prozessualer Vorgaben, während die Wahl der konkreten Methoden in beiden Rechtsordnungen dem Einzelfall vorbehalten bleibt.

III. Zusammenfassung zu Kapitel 5 Das Ergebnis einer Risikoentscheidung bei der Freisetzung gen technisch veränderter Organismen wird maßgeblich von der Frage vorbestimmt, welche Arten von Umwelteinwirkungen in der Risikoabschätzung überhaupt berücksichtigt werden sollen und wie die vorhandenen Daten in Aussagen über die Höhe des Risikos umgewandelt werden. Auf EU-Ebene wird ein Bewertungsschema diskutiert, das ähnlich wie das US-amerikanische Vorbild der ESA die Zuordnung von Erwartungswahrscheinlichkeiten zu typischen Umweltauswirkungen gentechnischer Freisetzungen vorsieht. Obwohl es dem deutschen Bestreben nach materieller Strukturierung der Risikoentscheidung entgegenkommt, orientiert sich die EU-Politik nunmehr offenbar in Richtung einer prozeduralen Strukturierung wie in den Vereinigten Staaten. Darüber hinaus sind die Regelungen der Vereinigten Staaten zunächst extrem weitgreifend und lassen die Berücksichtigung jeglicher Art von Umwelteinwirkungen zu, die nicht auch von natürlichen Organismen ausgehen, während die deutschen Normen nur spezifisch gentechnische Risiken berücksichtigen. Die Risiken werden jedoch in den Vereinigten Staaten tendenziell ressourcenökonomisch, in Deutschland jedoch auch ökozentrisch erfaßt. Zur Berücksichtigung ungewisser und komplexer Zusammenhänge mit chaotischen Tendenzen im Rahmen einer Risikoabschätzung ist der flexible Einzelfallansatz des common law gut in der Lage, was die deutsche Praxis unterstreicht, die über den bloßen Gesetzeswortlaut hinaus ebenfalls eine umfassende Prüfung aller möglichen Umwelteinwirkungen im Einzelfall vornimmt und sich nicht ausschließlich auf technische Normung verläßt. Problematisch ist jeweils die Frage, welche Umweltauswirkungen als schädlich gelten sollen. Sozioökonomische Faktoren bleiben in beiden Rechtsordnungen bislang weitgehend ausgeblendet, obwohl nach dem Konzept des US-Bundesstaats Maine auch die Berücksichtigung lediglich wahrgenommer Risiken möglich ist. Um in die Risikobilanz einzugehen, muß in beiden Rechtsordnungen eine gewisse Eintrittswahrscheinlichkeit überschritten werden, wobei diese Schwelle in den Vereinigten Staaten tendenziell höher angesetzt wird. Dieser zunächst nebensächlich erscheinende Unterschied hat in der Praxis fundamentale Auswirkungen, weil er über Zulassung oder Verbot eines Projektes entscheiden kann. Gleiches gilt für die Beweislastverteilung, weil in den Vereinigten Staaten Wissenslücken, die eine Erheblichkeitsschwelle überschreiten, anders als in Deutschland, zumindest grundsätzlich nicht gegen die Freisetzung wirken. Zur Feststellung der Risikofaktoren und ihrer Eintrittswahrscheinlichkeiten arbeiten Naturwissenschaftler mit Modellen, die sie bei schrittweisem Vorgehen

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Kap. 5: Die Risikoabschätzung

durch die Berücksichtigung von Monitoring-Daten an die Realität annähern. Weil verschiedene Methoden der Modellbildung möglich sind und wissenschaftlich gleichwertige Strategien in Bereichen des Ungewissen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können, ist auch die Risikoabschätzung ein sozialer Prozeß. Anhand einer Fallstudie konnte die leicht unterschiedliche Wertung desselben Freisetzungsversuches in beiden Rechtsordnungen gezeigt werden. Die Darstellung der subjektiven Einflüsse des jeweiligen Wissenschaftlers auf das Ergebnis der Risikoabschätzung ist eine der andauernden Herausforderungen an die Naturwissenschaften. Ein möglicher Ansatz für eine methodische Stukturierung liegt in der deterministischen Konsequenzanalyse mit Vertrauensgrenzen.

Kapitel 6

Die Risikobewertung Nachdem das naturwissenschaftliche Risiko durch die Risikoabschätzung ermittelt und dargestellt wurde, muß im Rahmen der nonnativen Risikobewertung' entschieden werden, ob und unter welchen Umständen die Freisetzung stattfinden soll.

I. Vereinigte Staaten In den Vereinigten Staaten erfolgt die Risikobewertung gedanklich in zwei Schritten. Erstens wird gepriift, welchen Risiken durch Sicherheitsmaßnahmen wirksam begegnet werden kann. Zweitens werden die verbleibenden Risiken gegen den Nutzen einer Freisetzung abgewogen. 1. Maßnahmen zur Risikominderung als Abzugsposten

Bei der Entscheidung über die Freisetzung legen die Behörden die im Wege der naturwissenschaftlichen Risikoabschätzung ennittelten Risiken zugrunde, die generell von dem in Frage stehenden Organismus ausgehen. Soweit erhebliche Umweltrisiken festgestellt wurden, sollen laut Federal Oversight Document wirkungsvolle Begrenzungsmaßnahmen bei Freisetzungen als Abzugsposten in der Risikobilanz wirken. 2 Dies hat zur Folge, daß solche Auswirkungen, die durch Gegenmaßnahmen verhindert werden können, nicht in die Risikobilanz eingehen. Denkbare Gegenmaßnahmen sind Vorkehrungen des Risikomanagements, wie etwa physikalische oder biologische Containment-Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des getesteten gentechnisch veränderten Organismus. 3 Soweit bei der Risikoabschätzung, etwa im Staatenrecht von Maine, auch bloßes wahrgenommenes Risiko beriicksichtigt werden soll, ist im Rahmen der Möglichkeiten zur Risikoreduzierung auch die Risikokommunikation als Management-Maßnahme zu beriicksichtigen. 4 Der hohe Stellenwert von Kommunikationsmaßnahmen wird auch , Zum Begriff siehe oben S. 31. Fed. Reg. Bd. 57, vom 27. Februar 1992, S. 6753 (6757). 3 Vgl. dazu oben S. 32. 2

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Kap. 6: Die Risikobewertung

an den Bemühungen des Verbandes der Chemieindustrie, Chemical Manufacturers Association (CMA) um die Verabschiedung eines Gesetzes über die Risikokommunikation, den Risk Communication Act,5 deutlich. Grundsätzlich erblickt die USamerikanische Regelungspolitik eine wirkungsvolle Verhinderung von Risiken in einer Vielzahl von Maßnahmen.

a) Ausführungsstandards und Qualitätsziele

Grundsätzlich sollen die Behörden, soweit sie Maßnahmen zur Risikominderung notwendig sind, Ausführungsstandards (performance standards) verwenden und auf Technologiestandards verzichten. Ein Ausführungsstandard schreibt Verfahrensanforderungen für die Durchführung einer Freisetzung, d.h. Versuchsbedingungen, vor. Dieser Begriff umfaßt Elemente von technologiebezogenen Standards, hauptsächlich jedoch Umweltqualitäts- und vor allem Handlungsziele. 6 Für diese Versuchs bedingungen soll belegt sein, daß die sich in der Vergangenheit zur Vermeidung unerwünschter Auswirkungen bewährt haben. Ferner arbeiten die USamerikanischen Regeln mitunter mit abstrakten Zielvorgaben, die nur die Zwecke oder Ziele, die durch Risikomanagementmaßnahmen erreicht werden sollen, vorschreiben, im Gegensatz zu Technologiestandards, die Mittel zur Erreichung dieser Ziele festsetzen. Die Regelungen sollen leistungsbezogene Anreize schaffen, welche die Kreativität der Marktkräfte anregen, um schrittweise bessere Wege der Risikoreduzierung zu entwickeln. 7 Auf diese Weise kann sich das Regelungsprogramm den überaus schnellen Fortschritten der Biotechnologie anpassen, und zusätzlich entstehen Freiräume für die Anwendung innovativer Biotechnologie-Produkte. Firmen oder Forschern soll ausreichende Flexibilität zur Auswahl der besten Mittel für die Einhaltung der Vorschriften gewährt werden. Jedenfalls wird nicht angenommen, daß die Einhaltung der gesetzlichen Gebote durch eine strenge Kontrolle oder spezielle technologiebezogene Vorgaben gewährleistet werden müßte. 8 Beispielsweise verlassen sich die APHIS-Regeln zur Gewährleistung der Sicherheit einer Freisetzung in großem Maße auf Ausführungsstandards. APHIS ist der Auffassung, daß die Ausführungsstandards die Sicherheit der Freisetzungen unter jeglichen Umweltbedingungen gewährleisten. Dies gilt insbesondere für die Einschätzungen der Ausbreitung von Genmaterial veränderter Pflanzen. Der Antrag4 Vgl. Maine Commission Biotechnology and Genetic Engineering, Final Workplan (15. Januar 1990), S. 4 wie zitiert in: Vita, State Biotechnology Oversight: The Juncture of Technology, Law, and Public Policy, Maine Law Rev., Bd. 45, (1993), S. 329 (377), Fn. 252. 5 H.R. 2910, 103 rd Cong., 1st Sess. (1993); vgl. dazu Knox. Regulatory Reform: The present Viability of Risk Assessment, Wisconsin Environmental L.J., Bd. 3, S. 49, 54. 6 Zur deutschen Tenninologie: Valkmann. DVBI. 1999, S. 579 (579). 7 Zusammenfassung in Fed. Reg. Bd. 57, 27. Februar 1992, S. 6753 (6761). 8 Ebd.

I. Vereinigte Staaten

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steiler muß demnach selbst sicherstellen, daß die Umweltbedingungen in seinem Testfeld die Einhaltung der Ausführungsstandards ermöglichen und örtliche Gegebenheiten berücksichtigen. 9 Die APHIS-Regeln bezeichnen beispielsweise die Regeln für die Durchführung von Freisetzungen, die sich in § 340.3(c) der APHISRegeln befinden, als Ausführungsstandards. 10 Es handelt sich um Anforderungen an den Transport und die Aufbewahrung des veränderten Materials am Bestimmungsort vor seiner Verwendung. Ferner wird bestimmt, daß veränderte Pflanzen getrennt von nicht geregelten Pflanzen anzubauen sind und wie das Material während und nach der Verwendung behandelt werden soll. Kein lebensfähiger Vektor darf mit dem veränderten Organismus verbunden sein, und nach der Verwendung des Materials darf kein geregelter Artikel oder dessen Abkömmling in der Umwelt verbleiben. Schließlich werden Sicherheitsvorschriften für die Beendigung der Freisetzung aufgeführt. Auch die TSCA-Regeln verzichten weitgehend auf Technologiestandards zugunsten von Ausführungsstandards. Innerhalb des TERA-Verfahrens schreiben die Regeln für Forschungsaktivitäten innerhalb eines geschlossenen Systems hinsichtlich Risikominderungsmaßnahmen nur noch vor, daß die Aktivität unter Leitung einer technisch qualifizierten Person stattfinden soll und bestimmte Kriterien bei der Auswahl der Containment- und Deaktivierungsmaßnahmen berücksichtigt werden sollen. 11 Stellenweise gehen die Regeln sogar so weit, nur noch das Ziel vorzugeben, daß die Betreiber "unvertretbare Risiken" beim Umgang mit dem Organismus vermeiden müssen. Ob ein solches Risiko gegeben ist, können die Betreiber selbst feststellen, indem sie entweder die NIH-Richtlinien einhalten oder eine Prüfung anhand des Kriterienkatalogs in § 725.235(a)(2) der TSCA-Regeln durchführen. Für Aktivitäten außerhalb eines geschlossenen Systems schreiben die Regeln hinsichtlich bestimmter Organismen 12 nur noch vor, daß "die technisch qualifizierte Person geeignete Methoden zur Begrenzung der Ausbreitung [des Organismus] wählen muß". 13 In dem Entwurf des Bundesgesetzes über die Risikoabschätzung in Regelungsbehörden (Federal Regulatory Risk Assessment Act 1997), der im März 1998 dem Senat vorgelegt wurde,14 ist ebenfalls die Verwendung von Ausführungsstandards vorgesehen. Danach soll eine Regelungsbehörde in solchen Regelungen, die voraussichtlich eine jährliche Auswirkung auf die Volkswirtschaft von $100.000.000 oder mehr haben, sogenannte flexible Regulierungsoptionen (flexible regulatory options) vorsehen. Darunter sind Möglichkeiten zu verstehen, die es den Adressaten der Regelung erlauben, das Ziel der Regelung auf individuelle Weise zu erreiVgl. dazu Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044, 17046. § 340.3(c)(I) - (6) APHIS-Regeln. 11 § 725.234(b) und (d) TSCA-Regeln. 12 Dies sind Bradhyrhizobiumjaponicum und Rhizobium meliloti. 13 § 725.239(a)(3)(ii) und § 725.239(b)(3)(ii) TSCA-Regeln. 14 V.S. Cong., 105 th Congress, 2d Session, S 1728, vom 6. März 1998.

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Kap. 6: Die Risikobewertung

ehen. Solche Optionen sollen Marktmechanismen nutzen sowie ergebnisorientierte Ausführungsstandards und andere Wahlmöglichkeiten, welche die Flexibilität fördern. 15 b) Standardisierung durch Privatpersonen Darüber hinaus können in der US-amerikanischen Regelung gentechnischer Risiken weitere freiwillige Maßnahmen von Privatpersonen zur Reduzierung des Risikos berücksichtigt werden. Dazu gehören, wie erwähnt, die Befolgung nicht-obligatorischer Richtlinien nach dem Vorbild der NIH-Richtlinien. 16 In Betracht kommen aber auch etwa die Richtlinien des International Bio-Industry Forum (IBF)17 oder die oben genannten UNEP-Richtlinien. 18 Auch wenn technische Standardisierung durch Private oder internationale Organisationen nicht unüblich ist, kommt in der US-amerikanischen Diskussion hinzu, daß die Einhaltung der nicht staatlich gesetzten Standards zusätzlich auch noch durch Privatpersonen überwacht werden SOll.19 Auf eine command and control-Politik wird somit weitgehend verzichtet. 2o Wahrend herkömmliche Regelungsstrategien zur Kontrolle bekannter Risiken verwandt werden sollen, wird vorgeschlagen, diese gerade im Bereich der Risikovorsorge, in dem es ungewiß ist, ob Risiken überhaupt bestehen, durch private Mechanismen im Zusammenspiel mit Informationssystemen21 zu ergänzen oder zu ersetzen. 22 Auch ein Memorandum des Präsidenten 23 schreibt den Behör15 § 2 (a)(3) des Entwurfes des Federal Regulatory Risk Assessment Bills 1997. Die Kodifizierung ist in U.S.C. Titel 5, Teil 6; S. 621 ff. vorgesehen. Zu Marktmechanismen: Pi/des/ Sunstein, Reinventing the Regulatory State, in: The University of Chicago Law Review, Bd. 62 (1995), S. 1,75 ff. 16 Kim, Out of the Lab and into the Field: Harmonization of Deliberate Regulations of Genetically Modified Organisms, Fordham Int'l LJ., Bd. 16 (1993), S. 1160 (1183); Hess, flexible Regs, Chem. Marketing Rep., 16. Sept. 1996, S. 16 f.; allgemein: Nash/ Ehren/ei, S. 16. 17 International Bio-Industry Forum, A Statement of Principle by the International Bio-Industry Forum, June 1995. 18 Siehe oben S. 49. 19 Vgl. Redick/Reavey/Michels, Private Legal Mechanisms for Regulating the Risk of Genetically Modified Organisms: An Alternative Path within the Biosafety Protocol, in: Environmental Law Bd. 4 (1997), S. 1, 10 und 49. 20 Hazard, Protecting the Environment: Finding the Balance Between Delaney and Free Play, in: University of Pennsylvania Journal of International Economic Law Bd. 18 (1997), S. 487 ff. 21 Als Beispiel sei nur die gemeinschaftliche Datenbank von UNIDO und OECD genannt: BIOBIN, in: Internet, http://www.oecd.org/ehs/biobin.Stand1.Mai2000. 22 Vgl. Redick/Reavey/Michels, S. 16; für private Vollstreckungsmechanismen und sonst kritisch: Furrow, Governing Science: Public Risks and Private Remedies, U.Pa.L.Rev. Bd. 131, (1983), S. 1403. Ferner wird auf die Regelungskraft von patentrechtlichen Lizenzverträgen im Bereich der Kommerzialisierung der Biotechnologie hingewiesen. Denn Patentinhaber seien etwa bei einer insektizidbildenden Pflanze daran interessiert, daß die betreffenden Insekten keine Resistenz aufbauten, und sehen Klauseln für Eindämmungs- und Sicherheitsrnaßnahmen in den Lizenzverträgen vor (Ebd., S. 26 ff.).

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den vor zu prüfen, ob private Unternehmen ihre Regelungsaufgaben übernehmen können. Neben einer Ausweitung der Anwendbarkeit der freiwilligen NIH-Richtlinien 24 hat dies, begleitet von starkem Druck von seiten der Industrie,25 bereits zu den beschriebenen Lockerungen der Freisetzungsregelungen geführt. 26 Als weiteres Beispiele für private Initiativen, die staatliche Regulierung ersetzen, sind die sogenannten "XL"-Projekte der EPA 27 zu nennen. Innerhalb dieser Projekte ist es zulässig, daß Privatpersonen Risikomanagement-Verfahren anwenden, die nicht den gesetzlichen Verfahren entsprechen, solange diese bessere Ergebnisse für den Umweltschutz erzielen. 28 Die Unternehmen, die unter diese Projekte fallen, werden von der EPA anhand bestimmter Kriterien sorgfältig ausgewählt. Sie müssen vor dem Projekt alle gesetzlichen Anforderungen an Emissionen erfüllen, ein effektives, innovatives und übertragbares Umweltschutzkonzept vorweisen, dessen Ergebnisse meßbar sind und welches nicht die Verantwortlichkeit für Schutzmaßnahmen abwälzt. Von der Industrie wurde der Vorstoß der EPA begrüßt. In der Praxis liefen die Projekte jedoch zögerlich an, weil die Entwicklungskosten für die Konzepte hoch sind und kein ausreichender Schutz vor Nachbarklagen wegen Verstoßes gegen bestehende Verordnungen bereitsteht. 29 Es zeigt sich also, daß von den im Rahmen der Risikoabschätzung festgestellten Risiken solche Risiken abgezogen werden, die durch Risikominderungsmaßnahmen bei der Durchführung der Freisetzung verhindert werden können. Dabei gelten bereits solche Risiken als ausgeräumt, die der Unternehmer durch Einhaltung von Ausführungsstandards vermeiden kann, wobei weite Spielräume bestehen, was die Wahl der Mittel anbelangt. Teilweise wird dem Anmelder einer Freisetzung nur noch vorgeschrieben, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines Gesundheitsrisikos zu treffen, und je geringer oder ungewisser Risiken sind, um so 23 President's Memorandum on Regulatory Reforms, Weekly Comp. Pres. Doc., Bd. 31, vorn 4. März 1995, S. 363 f. 24 Beispielsweise Fed. Reg. Bd. 51, S. 16958. 25 Vgl. etwa Resistance Management for Plant Pesticides Already Conducted Voluntaritly Industry Says, Chem. Reg. Rep. (BNA), Nr. 15, 28. März 1997, S. 1665; Minutes of BIO Food & Agriculture Steering Committee, 10. Dezember 1996, S. 3, wie zitiert in: Redickl ReaveylMichels, S. 52, Fn. 392. 26 Genetically Engineered Organisms and Products; Simplification of Requirements and Procedures for Genetically Engineered Organisms, Fed. Reg. Bd. 60, vorn 22. August 1995, S. 43567 f.; kodifiziert als C.F.R., Titel 7, Teil 340 (1997). 27 Regulatory Reinvention (XL) Pilot Projects, in: Fed. Reg. Bd. 60, vorn 23. Mai 1995, S. 27282 (27283); Steinzor; Reinventing Environmental Regulation: The Dangerous Journey From Cornrnand to Self-Control, in: Harvard Environmentai Law Review Bd. 22 (1998), S. 103 (149 ff.). 28 Vgl. dazu Bowers, The Alternative Path: A New Blueprint, Envtl. F., Mar. / Apr. 1997, S. 36 f.; Fiorino, Towards a New System of Environmental Regulation: The Case for a Industry Sector Approach, Environmental Law, Bd. 26, 1996, S. 457 f. 29 Beardsley et al., Improving Environmental Management: What Works, What Doesn't, Environment, Sept. 1997, S. 6 (9).

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Kap. 6: Die Risikobewertung

stärker wird von den Behörden erwogen, Regulierungsaufgaben auf Private abzuwälzen. Gründe dafür sind im Fall der Ungewißheit offenbar die größere Expertise des Herstellers des Organismus, der die Risiken des Organismus besser kennt als die Behörde, die insoweit mit ihrem Kenntnissen nur "hinterherhinken" kann. Im Fall geringer Risiken wirkt sich die Konkretisierung durch Private vor allem für die Reduzierung des Verwaltungsaufwandes aus. 2. Regelung und Anwendungsbereich der Nutzen-Risiko-Abwägung

Die nach dem Abzug der durch Minderungsmaßnahmen erfaßten Risiken verbleibenden schädlichen Auswirkungen gehen weiter in die Risikobewertung ein. Der Umfang der Risikobewertung ist in den einzelnen gesetzlichen Programmen unterschiedlich geregelt. Die wichtigsten für die Gentechnologie einschlägigen Regelungen sehen zur Bewertung gentechnischer Risiken den Standard des "akzeptablen Risikos" oder des "vertretbaren Risikos" vor. Obwohl in den APHIS-Regeln ebenso wie in den TSCA-Regeln von der Venneidung eines "unzumutbaren Risikos" gesprochen wird, ist APHIS nicht zu einer Kosten-Nutzen-Abwägung ermächtigt. 30 Vielmehr prüft APHIS allein im Weg der bereits erläuterten Risikoabschätzung, ob das von einem gentechnisch veränderten Organismus ausgehende Risiko "akzeptabel" ist, zu einer echten Risiko-Nutzen-Abwägung kommt es also nicht. APHIS führt nur solche Vorhaben durch, für die es ein FONSI erstellen kann, eine Freisetzung aufgrund eines EIS fand bislang nicht statt?! Unter TSCA und FIFRA hingegen wird der Begriff des "unzumutbaren Risikos" als Kosten-Nutzen-Abwägung verstanden. Allerdings wird hier, anders als unter dem CAA oder CWA, keine fonnelle Kosten-Nutzen-Abwägung verlangt, sondern es soll eine umwelt- und kostenbewußte Analyse ausreichen, um die Vertretbarkeit eines Risikos zu begründen. Unter den TSCA-Regeln urteilt die Verwaltung über die Zumutbarkeit eines Risikos, indem sie den Schaden für Gesundheit oder Umwelt, den eine chemische Substanz verursachen kann, und Umfang und Schwere dieses Schadens gegen die sozialen und ökonomischen Effekte von Maßnahmen der EPA zur Reduzierung dieses Schadens für die Gesellschaft abwägt. 32 3. Durchführung der Abwägung

Verschiedene Arten von Kosten-Nutzen-Abwägungen sind denkbar. Bei der oben erörterten 33 Frage, wieviel staatliche Kontrolle der Gentechnologie erforder30 31

32 33

Siehe oben S. 54 f. Umweltbundesamt, Beitrag, S. 127. § 725.67(c)(1) TSCA-Regeln. Oben, S. 97.

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lieh ist, wurden im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Abwägung die Kosten einer staatlichen Maßnahme gegen den monetarisierten Nutzen der Maßnahme abgewogen. Im Gegensatz dazu wird im Rahmen der administrativen Einzelfallbewertung eines gentechnischen Freisetzungsrisikos eine Risiko-Nutzen-Analyse durchgeführt. Dabei wird der wirtschaftliche Nutzen einer umweltbeeinträchtigenden Tätigkeit den resultierenden Risiken für Gesundheit und Umwelt gegenüber gestellt. Maßgeblich ist nicht der Nutzen einer Umwe1tschutzmaßnahme, sondern der Nutzen einer umweltbeeinträchtigenden Tlitigkeit. Diese Analyse ist geeignet, um ein oder mehrere Risiken gegen die wirtschaftlichen Vorteile einer Tätigkeit abzuwägen?4 Laut Federal Oversight Document sollen neben den bereits oben erörterten Risiken einer Freisetzung auch die Auswirkungen einer behördlichen Kontrollmaßnahme auf die Vorteile der betreffenden Substanz für die Gesellschaft sowie andere nachteilige Auswirkungen für die Gesellschaft berücksichtigt werden. 35 Dazu können grundsätzlich differenzierte Beurteilungen eingebracht werden,36 unter anderem auch hinsichtlich sekundärer und tertiärer wirtschaftlicher Folgen37 oder der Verwundbarkeit kleiner Unternehmen. 38 Auch der Grenzwert des "unvertretbaren Risikos" auf der Ebene der Einze1entscheidung wird wie bei der gesamten Ausrichtung der Regelungspolitik durch den Punkt bestimmt, an dem der Nutzen für die Umwelt durch eine Überwachungsmaßnahme zur Risikoreduzierung größer ist als die gesellschaftlichen Kosten dieser Maßnahme. 39 Wie diese Risiko-Nutzen-Abwägung im einzelnen stattfinden soll, ist nirgends ausdriicklich geregelt. Zwar umfassen die Daten, die zu Freisetzungsvorhaben eingereicht werden müssen, auch Angaben zum Zweck oder zu den wirtschaftlichen Auswirkungen einer Freisetzung. Jedoch fehlen Vorgaben, wie die festgestellten Risiken mit den festgestellten Vorteilen in Beziehung gesetzt werden sollen, um zu einer Entscheidung über die Vertretbarkeit des Risikos zu kommen. Jedenfalls werden die Risiken der neuen Organismen im Rahmen eines Vergleichs mit herkömmlichen Organismen bewertet. Auch das Coordinated Framework beschränkt sich darauf festzustellen, daß die Prüfungen unter den verschiedenen Programmen gleich streng sein sollen. 4o Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, daß die Risiken und der Nutzen einer Freisetzung in vollem Umfang gegeneinander abgewogen werden. Die Abwägung 34

35

EPA,ebd. Id.

36 Vgl. Tribe, Technology Assessment and the Four Discontinuity: The Limits of Instrumental Rationality, 46 Cal.L.Rev. 617 (1973). 37 Id., siehe auch die Entscheidung in Corrosion Proof Fittings vs. EPA, 947 F.2d 1201, 1220-23 (5 th Cir. 1991). 38 Diese wird in der gesamten Gesetzgebungsgeschichte berücksichtigt. Eines der deutlichsten Beispiele ist die Ausnahme für Kleinunternehmen von gewissen Berichtspflichten gemäß § 8(a) TSCA. 39 Fed. Reg. Bd. 57, S. 6753 (6757). 40 Vgl. Bum, S. 17.

12 Pohl

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Kap. 6: Die Risikobewertung

ist nicht auf eine bestimmte Intensität der Risiken beschränkt, obwohl größere Risiken selbstverständlich stärker ins Gewicht fallen als geringere.

a) Berücksichtigungsfähige Nutzen

Im Rahmen der Risiko-Nutzen-Abwägung unter TSCA oder FIFRA muß immer ein Nutzen der Freisetzung feststellbar sein. An die Feststellung des Nutzens werden jedoch sehr geringe Anforderungen gestellt. Es reicht beispielweise die Hoffnung, daß das gentechnisch veränderte Produkt ein guter Stickstoffixierer sei und den Düngereinsatz verringere. 41 Die Anforderungen an beriicksichtigungsfähige Nutzen sind nicht normiert, aber die EPA greift auf die Erfahrungen, die sie bei der Chemikalienzulassung gesammelt hat, zuriick. Dabei sind vielfältige unmittelbare und mittelbare positive Auswirkungen der Freisetzung in Betracht zu ziehen. Mitunter wird jeder Zweck, wie beispielsweise eine Produktionssteigerung ohne weitere Bewertung als nützlich anerkannt. 42 Aber nicht nur der positive Effekt, der von dem veränderten Organismus unmittelbar ausgeht, sondern auch Erwägungen hinsichtlich des Gesarntnutzens dieses Effektes für die Gesellschaft werden in die Nutzenanalyse aufgenommen. In dem Fall, daß der veränderte Organismus etwa ein bereits existierendes Produkt auf dem Markt ersetzt, ist bei dem veränderten Organismus ein Nutzen festzustellen, falls seine Anwendung weniger umweltschädlich und damit sicherer ist. 43 Gleiches gilt, wenn der Organismus eine chemische Substanz ersetzen kann, die als gefährlich eingestuft wird. Die Frage, ob eine Freisetzung abzulehnen ist, wenn eine herkömmliche Alternative zu dem gentechnisch veränderten Produkt existiert, stellt sich in der Praxis kaum, da in diesem Fall meist ein anderer Nutzen des veränderten Produkts festgestellt werden kann. Denn auch tertiäre Folgen, wie etwa die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Freisetzung, insbesondere auch Exportchancen und potentielle Produktionsmengen für das zu testende Produkt werden in Betracht gezogen, so daß auch von eine Risiko-Marktpotential-Analyse gesprochen werden kann. 44 Die nach TSCA und FIFRA geltende Nutzen-Risiko-Abwägung ist somit wenig nutzenkritisch oder alternativenbezogen und fungiert kaum als zusätzliche Vorsorgegarantie, sondern im Gegenteil eher als Risikoermöglichung. 45 Das mag darauf zuriickzuführen sein, daß die Entscheidung des Präsidenten zur Biotechnologie46 gleichsam pauschalisiert die Bewertung von Vorteilen für die Industrie und VolksHeidenreich, Regulierung transgener Pflanzen, S. 59. Siehe beispielsweise die EPA-Entscheidung zur Kornrnerzialisierung einer veränderten Linie von Luzernen (Alphalpha), S. 182. 43 Aussage von Mark Segal, EPA, im Gespräch vom 2. Oktober 1998. 44 Heidenreich, Regulierung transgener Pflanzen, S. 59; Schreiben von firn Alwood, TSCA Biotechnology Coordinator vom Oktober 1998 (Anhang 2). 45 Vgl. auch schon Winter, Grundprobleme, S. 30/31. 46 Vgl. dazu oben, S. 62. 41

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wirtschaft vorwegnimmt. Abweichende Anforderungen finden sich teilweise in den Regelungen der Einzelstaaten, soweit diese anwendbar sind. 47 Nach dem Konzept des früheren Gentechnikrechtes im Staat Minnesota sind nur die positiven Auswirkungen auf die Umwelt berücksichtigungsfähig. 48

b) Zwingende Abwägungsentscheidungen

Verfassungsrechtliche Gebote, wonach bestimmte Ergebnisse einer Abwägung von vornherein rechtswidrig sind, existieren nicht. Allerdings wird in der Praxis meist so vorgegangen, daß, soweit die Abwägung ergibt, daß die verbleibenden Risiken unzumutbar sind, die Risikominderungsmaßnahmen solange erhöht werden, bis nur noch zumutbare Risiken verbleiben. 49

aa) Sicherer Schadenseintritt In Fällen eines sicheren Schadenseintritts durch ein Freisetzungsvorhaben ist die Behörde nicht kategorisch verpflichtet, das Vorhaben zu untersagen, wenn wirtschaftlicher Vorteile zu erwarten sind. 50 Faktisch sind jedoch kaum Fälle vorstellbar, in denen der Zweck einer Freisetzung so nützlich wäre, daß er einen sicheren Schadenseintritt überwiegen könnte. Theoretisch wäre es jedoch rechtlich möglich, daß ein fiktiver Organismus freigesetzt würde, der zwar eine Pflanzenart vernichtet, aber zur Abwendung einer Welthungerkatastrophe beiträgt. Im Regelfall ordnet die EPA jedoch Risikominderungsmaßnahmen an. Wenn beispielsweise die Freisetzung oder Produktion zwingend mit Schäden etwa für die Angestellten des herstellenden Unternehmens verbunden wäre, müßte entsprechende Vorsorge getroffen werden.

bb) Berücksichtigung von Alternativen Alternativen zu der Freisetzung und auch mittelbar zu der späteren Kommerzialisierung sind zu berücksichtigen. Allerdings wirkt die Verfügbarkeit einer Alternative, also eines Organismus, der nicht gentechnisch verändert ist, aber in der AnVgl. dazu oben S. 68. Zur Bedeutung des Staatengesetze neben den Bundesrege1ungen, vgl. oben S. 68 ff. In Minnesota werden "unvertretbare Risiken" definiert als "unvertretbare Risiken für den Mensch oder die Umwelt unter Berücksichtigung der Umweltkosten und des Umweltnutzens der Verwendung des gentechnisch veränderten Organismus" (Minn. Sess. Law Serv., Kap 250, 18F.02, subd. 9 (West». 49 Aussage von Mark Segal. EPA, im Gespräch vom 2. Oktober 1998. 50 Schreiben von firn Alwood. TSCA Biotechnology Coordinator. vom Oktober 1998 (siehe Anhang 2). 47

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Kap. 6: Die Risikobewertung

wendung den gleichen Zweck erfüllt wie ein veränderter Organismus, im Ergebnis nur dann gegen die Freisetzung, wenn der veränderte Organismus keinen anderen Vorteil besitzt. Wegen der weiten Auslegung des berücksichtigungsfähigen Nutzens, ist diese Konstellation jedoch vernachlässigbar, zumal vernünftigerweise ein Unternehmer die Entwicklungskosten für eine gentechnische Veränderung nur dann auf sich nimmt, wenn er in ihr eine vermarktungsfähige Verbesserung erblickt. Somit führt die Verfügbarkeit einer Alternative in aller Regel nicht zwingend zur Ablehnung des Freisetzungsvorhabens.

c) Hierarchie der Faktoren

Nach dem bisher in Kapitel 5 zur Risikoabschätzung und soeben zu den zu berücksichtigenden Nutzen einer gentechnischen Freisetzung Gesagten sind unter TSCA zahlreiche Gesundheits- und Umweltrisiken einer Freisetzung zu berücksichtigen, soweit sie nicht von Risikominderungsmaßnahmen erfaßt werden und nicht hypothetisch erscheinen. Auf der anderen Seite sind auch denkbare positive Auswirkungen der Freisetzung in großem Umfang als Nutzen berücksichtigungsfähig. Weil die Risiko-Nutzen-Abwägung einen Ausgleich zwischen widerstreitenden Freiheitsrechten und Schutzrechten 51 herstellen soll, ist es von besonderem Interesse, ob eine abstrakte Hierarchie der Abwägungsfaktoren festgestellt werden kann und ob bestimmte Risiken nur durch bestimmte Arten und Quantitäten von Nutzen ausgeglichen werden können. Eine gewisse Wertung könnte aus dem " Frameworkfor Decisions" des National Research Council von 198952 abgeleitet werden, das Vorgaben für die Abschätzung von Risiken bei Freisetzungsversuchen enthält, welche die unerwünschten Auswirkungen der Freisetzungen in eine absteigende Reihenfolge bringt. An oberste Stelle wird die Pathogenität für Mensch, Tier oder Pflanze gestellt, es folgt unter anderem die Mobilisierung toxischer Produkte und schließlich wird an unterster Stelle die Beeinflussung des Kohlenstoff- oder Stickstoffkreislaufs genannt. Durch die Rangfolge der Berücksichtigung der Auswirkungen beinhaltet dieser Rahmen für die Risikoabschätzung auch Elemente der Risikobewertung. Damit gehen sie über die reine Risikoabschätzung, wie sie die EG-Freisetzungsrichtlinie vorsieht, hinaus. 53 In den TSCA-Regeln ist eine Hierarchie und Wertigkeit der Faktoren nicht vorgegeben, obwohl den Industrieinteressen betontermaßen ein hoher Stellenwert ein51 Vgl. allgemein Sunstein, Conflicting Values in Law, Fordham Law Rev., Bd. 43, 1994, S. 1661. 52 "Field Testing of Genetically Modified Organisms: Framework for Decisions," Committee on Scientific Evaluation of the Introduction of Genetically Modified Microorganims and Plants into the Environment. Board on Biology Commission on Life Sciences National Reserach Council. National Academy Press, Washington, D.C. (1989). 53 Nentwich, S. 16 ff.

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geräumt wird und auch Intensität und Ausmaß der Risiken berücksichtigt werden muß. Rückschlüsse über die Wertung der einzelnen Risiken und Nutzen können bestenfalls aus der Tatsache abgeleitet werden, daß bislang noch nie ein Freisetzungsversuch von der EPA verboten wurde, obwohl einige Anmeldungen, wenn auch aus unterschiedlichsten Gründen, zurückgezogen wurden. 54

4. Kombination von abschätzenden und bewertenden Elementen

Die Nationale Wissenschaftsakademie (National Academy of Science) empfahl schon 1983, daß die Risikoabschätzung und das Risikomanagement konzeptionell getrennt gehalten werden sollten. 55 Wiederum getrennt davon sind die politischen, ökonomischen und technischen Überlegungen, welche die Entscheidungen beeinflussen, aufzuführen. Dies wird damit begründet, daß die Risikoabschätzung und -bewertung in äußerst komplexen Verfahren abläuft. Subjektive Wertungen sind im Rahmen der Risikoabschätzung maßgeblich, wenn der Wissenschaftler zwischen verschiedenen gleichwertigen Theorien wählt. Noch stärker ist der subjektive Einfluß bei der Abwägung der Risiken gegen den Nutzen einer Freisetzung im Rahmen der Risikobewertung. Eine ausdrückliche Trennung ist erforderlich, damit die Behörde nicht ihre Schlußfolgerungen als wissenschaftliche Daten ausgeben kann, obwohl sie teilweise auf rechtspolitischen Erwägungen beruhen. 56 Nur so kann Kontrolle ermöglicht und ein objektiveres Verfahren gewährleistet werden. Problematisch erscheint jedoch, daß sozioökonomische und ethische Kriterien, wie die internationale Regelungspraxis zeigt, nicht immer klar von einer Bewertung ökologischer Sicherheitskriterien getrennt werden können. 57 Andererseits sind auch Details der Risikoabschätzung für das Risiko-Management (Risikominderungsmaßnahmen) von Bedeutung, und auch bestehende Ungewißheiten im Rahmen der Risikoabschätzung können im Rahmen der Risikobewertung ausschlaggebend sein. Zwar müssen beide Vorgänge getrennt bleiben, wobei jedoch der Austausch zwischen beiden Verfahrensschritten nicht gestört werden sollte. 58 Außerdem könnten im Rahmen des Risikomanagements auch neue Alternativen auftauchen. Eine Kommunikation zwischen den Bereichen der Risikoabschätzung und -bewertung ist erforderlich, um sicherzustellen, daß die Bewerter verstehen, auf welchen Unsicherheitsfaktoren die Abschätzungen beruhen und was die relative Qualität des Beweismaterials ist. 59 Deshalb verkündete die EPA Aussage von Mark Segal, EPA, im Gespräch am 2. Oktober 1998. National Research Council, Managing the Process, S. 7; so immer noch: Knox, Regulatory Reform: The present viability of Risk Assessment, Wisconsin Env. L. J., Bd. 3, 1996, S. 49, 60. 56 National Research Council, Managing the Process, S. 76. 57 Nentwich, S. 3. 58 National Research Council, Managing the Process, S. 6. 59 Ebd., S. 152. 54

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Kap. 6: Die Risikobewertung

im Jahre 1995, daß die Verbindung zwischen Risikoabschätzung und Risikomanagement verstärkt werden sollte, denn Risikomanager und die Öffentlichkeit müßten ein besseres Bild davon bekommen, welche Informationen in einer Risikoabschätzung verwendet wurden, einschließlich Datenlücken, Unsicherheiten und Annahmen. 60 Generell verpflichtet auch § 102(2)(A) NEPA alle Bundesbehörden, einen systematischen, interdisziplinären Ansatz zu verwenden, der den integrierten Gebrauch der Natur- und Sozialwissenschaften und der umweltrechtlichen Planungsmethoden neben den wirtschaftlichen und technischen Überlegungen bei der Planung und Entscheidungsfindung sicherstellt. 61 S. Die Bewertungspraxis

Wie bereits erwähnt, führt APHIS keine echte Risikobewertung im Sinne einer Risiko-Nutzen-Abwägung durch, sondern prüft nur, ob keine signifikanten Risiken zu erwarten sind. Die Bewertungspraxis kann jedoch anhand der ersten Zustimmung der EPA zur beschränkten Kommerzialisierung eines intergenerischen, also artübergreifend gekreuzten, Organismus unter TSCA erläutert werden. Es handelt sich um Sinorhizobium meliloti (S. meliloti) RMBPC-2, einen Mikroorganismus, der als mikrobieller Saat-Inokulant für Luzernen (Alfalfa)-Samen vor der Pflanzung dient und von Research Seeds, Inc., St. Joseph, Missouri, stammt. Der neue Mikroorganismus wurde eingehend von EPA's Office of Pollution Prevention and Toxics unter TSCA geprüft. Die Behörde begründete die Zustimmung damit, daß sie den Organismus genetisch charakterisiert habe, daß sie analysiert habe, inwieweit die menschliche, tierische oder pflanzliche Gesundheit von dem Organismus beeinträchtigt werden könne, und daß sie geprüft habe, ob der Organismus gegen Antibiotika resistent sei. Ferner analysierte sie die Auswirkungen auf den Ertrag von Alfalfa, die Auswirkungen auf andere Pflanzen, sowie das Überleben und die Ausbreitung der Mikroorganismen in der Umwelt. Die Risikobewertung wird in der Schlußfolgerung folgendermaßen zusammengefaßt: Aufgrund der verfügbaren Infonnationen stellt die Kommerzialisierung ein Umwelt- und Gesundheitsrisiko niedriger Stufe dar. Weiterhin hat RMBPC-2 einen erheblichen Vorteil gegenüber anderen kommerziellen Alfalfa Saat-Inokulanten, weil es die Alfalfa-Erträge unter bestimmten Bodenbedingungen verbessert. Dennoch ist sich die EPA bewußt, daß das Verhalten des Organismus in der Umwelt noch mit einiger Ungewißheit verbunden ist. 62 60 U.S. EPA, Policy for Risk Characterization at the US EPA (1995); Memorandum von Carol M. Browner, Administrator vorn 21. März 1995, wie zitiert in: Goldman. Risk Symposium: Environmental Risk Assessment and National Policy: Keeping the Process Fair, Effective and Affordable, in: University of Cincinnati Law Review Bd. 63 (Sommer 1995), S. 1533 (1547) Fn. 69. 61 U.S.C.A. Titel 42, § 4332(2)(A). 62 Zusammenfassung der Entscheidung in: Internet, http://www. epa. gov I opptintr / biotech / factdft6. htrn.

11. Deutschland

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Die Risikobewertung verläuft in der US-amerikanischen Praxis offen und pragmatisch. Geringe Risiken werden benannt, auch Ungewißheiten identifiziert, aber unproblematisch dem Nutzen der Ertragssteigerung gegenüber gestellt, ohne daß weitere Rechtfertigungen für die Freisetzung erforderlich werden.

11. Deutschland Auch im deutschen Recht müssen nach erfolgter Risikoabschätzung zunächst Risikominderungsmaßnahmen ergriffen werden bevor zu überlegen ist, inwieweit verbleibende Risiken gegen den Nutzen der Freisetzung abgewogen werden können.

1. Maßnahmen der Risikominderung als Abzugsposten

Sicherheitsvorkehrungen zur Gefahrenabwehr und Risikominderung sind im deutschen Recht verfassungsrechtlich vorgeschrieben, und deshalb sind grundsätzlich alle nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 GenTG). Wie die Maßnahmen nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GenTG in die Abwägung nach Nr. 3 eingehen, ist nicht eindeutig geklärt. Keinesfalls ist der Tatbestand erfüllt, wenn schädliche Einwirkungen durch Sicherheitsmaßnahmen vollständig ausgeschlossen werden können. Ansonsten können die Vorschriften über die Risikoabschätzung zwecks der Zuordnung zu einer Risikostufe entsprechend angewandt werden. Danach ist das Risikopotential einer Freisetzung zusammen mit den möglichen biologischen Sicherheitsmaßnahmen und risikomindernden Auflagen insgesamt abzuschätzen, um das Vorhaben einer bestimmten Sicherheitsstufe zuzuordnen. 63 Die Risikokommunikation wird zwar als wichtige politische Maßnahme gesehen,64 eine Beriicksichtigung in der Abwägung kommt jedoch nicht in Betracht.

a) Technologiebezogene Standards

Eine Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen kann in Deutschland nur genehmigt werden, wenn gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 GenTG die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen sind. Die Bedeutung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes ist noch unklar, obwohl das Bundesverfassungsgericht in ihm einen Verweis auf die diejenige Technik sieht, die nach dem Stand der Wissenschaft [über die Risiken für die betroffenen Me63 64

§§ 4, 6 GenTS V; Umweltbundesamt, Beitrag, S. 143. Umweltbundesamt, Beitrag, S. 116.

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Kap. 6: Die Risikobewertung

dien] gefordert ist. 65 In der Literatur wird in der Formel häufig ein strikt technischer Maßstab gesehen, der den Entwicklungsstand fortschrittlichster Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen bezeichnet, die nach Auffassung führender Fachleute aus Wissenschaft und Technik auf der Grundlage neuester wissenschaftlich vertretbarer Erkenntnisse im Hinblick auf das gesetzlich vorgegebene Ziel für erforderlich gehalten werden und die Erreichung dieses Ziels als gesichert erscheinen lassen. 66 Dieser Standard orientiert sich somit nicht an dem technisch Realisierbaren, sondern an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, obwohl nicht erforderlich ist, daß auch eine Mehrheit von Wissenschaftlern diese Auffassung vertritt. 67 In jedem Fall wird aber auf eine bestimmte Technologie verwiesen, die für die Sicherheitsrnaßnahmen einer Freisetzung eingesetzt werden soll. Zusätzlich dürfen nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG keine unvertretbaren Einwirkungen zu erwarten sein. Sobald es gelingt, die Schutzgüter der schädlichen Einwirkungen qualitativ genauer zu definieren, läßt sich der § 16 GenTG als Annäherung an eine Kombination eines Technologie- mit einem Umweltqualitätsstandard verstehen, wobei stets der strengere Standard maßgebend ist.

b) Standardisierung durch Privatpersonen

Weil im Rahmen des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GenTG ein technologiebezogener Standard vorgegeben ist, haben Unternehmen, die eine Freisetzung durchführen wollen, wenig Spielraum bei der Wahl der Mittel. Im Zweifel stellt die Genehmigungsbehörde fest, welche Sicherheitsvorkehrungen dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen, und schreibt ihren Einsatz dem Antragsteller vor, auch wenn sie sich dabei mitunter auf technische Normen beruft, die von Verbänden erarbeitet wurden. 68 Eine Vorschrift, die es dem Privaten gestattet, in einzelnen Fällen geringen Risikos sogar selbst anhand von vorgegebenen Kriterien letztverbindlich zu beurteilen, ob ein Risiko einer Freisetzung vertretbar ist, existiert nicht. Wiederholte Vorstöße der Literatur, die Rechtmäßigkeit der privaten Option herauszustellen, das heißt das Recht des Unternehmers, in den Grenzen der Lücken und Spielräume des Gesetz- und Verordnungsrechts eine Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen technischen Gestaltungs- und Betriebsweisen zu treffen,69 über die weder Verwaltung noch die Gerichte ein Letztentscheidungsrecht hätten, haben in der Praxis bislang kaum Niederschlag gefunden. Folglich bleibt es bisher dabei, daß die private technische Normung eine faktische Bindungswirkung für die VerBVerfGE 49,89,136. Ebd., S. 135. 67 HirschISchmidt-Didczuhn. § 6 Rn. 23. 68 Vgl. Marburger, S. 1 ff. 69 Breuer, NVwZ 1988, S. 104 (106); für den Einsatz rechtlich gesteuerter Kooperationsverfahren zur Risikoregulierung: Di Fabio. Grundfragen, S. 142. Für mehr Kommunikation, Mediation, Verhandlung und Diskurs: Seiler, S. 147. 65

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11. Deutschland

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waltung entfaltet, die Standardisierungsspielräume für den einzelnen Unternehmer jedoch äußerst gering sind.

2. Regelung und Anwendungsbereich der Nutzen-Risiko-Bewertung

Bei der nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG vorgeschriebenen Nutzen-Risiko-Abwägung ist eine Genehmigung zu erteilen, wenn nach dem Stand der Wissenschaft im Verhältnis zum Zweck der Freisetzung unvertretbare schädliche Einwirkungen nicht zu erwarten sind. Es handelt sich bei der Freisetzungsgenehmigung um eine gebundene Entscheidung, das heißt, der Behörde steht kein Ermessen zu. Die Bedeutung dieser Abwägungsklausel ist noch umstritten, zumal sich die Gerichte mit ihr und mit dem Verhältnis von § 16 Abs. 1 Nr. 2 zu § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG, insbesondere ob Nr. 3 den Maßstab der Nr. 2 modifiziert, bislang noch nicht befaßt haben. Nach dem bloßen Wortlaut des § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG ist eine Freisetzung auch zulässig, wenn schädliche Auswirkungen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu erwarten sind, solange dies der Zweck der Freisetzung rechtfertigt. 70 Zur Auslegung dieser Vorschrift werden deshalb verschiedene Auffassungen vertreten. Ein Teil der Literatur sieht den Zweck der Abwägungsklausel der Nr. 3 darin, jeweils einen Ausgleich zwischen widerstreitenden Schutzielen der in § 1 Nr. 1 genannten Rechtsgüter herzustellen. Die Anwendung von verfassungsrechtlichen Gefahrenabwehr- oder Risikominderungsgeboten komme nicht Betracht, weil eine genaue Einteilung in Gefahr, Risiko oder Restrisiko wegen der Komplexität des Wirkungsgefüges nicht möglich sei. Somit komme nur eine Vertretbarkeitsprüfung für eine Freisetzung in Betracht. Als Begründung wird angeführt, daß man Schädigungen deshalb nicht identifizieren könne, weil der Zustand der Umwelt nicht auf einen bestimmten Standard festzulegen sei, welchem gegenüber ein Schaden gemessen werden könne. 7 ! Es ist jedoch einzuwenden, daß das gleiche Problem auch bei § 15 Abs. 1 Nr. 3 PflSchG besteht. Dort wird festgestellt, ob eine Veränderung im Naturhaushalt vertretbar ist, indem der Grad der Wahrscheinlichkeit, daß die Veränderung nachteilig ist, und das Gewicht des Nachteils geprüft wird. 72 Eine solche Abgrenzung ist auch im Gentechnikrecht möglich und notwendig, um die Grenzen der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten deutlich und vorhersehbar zu machen. Gegen eine umfassende Anwendung der Abwägung nach Nr. 3 für alle Gefahren und Risiken einer Freisetzung spricht auch die Freisetzungsrichtlinie, die keine 70 So etwa NöthlichslWeber, § 16 Anm. I, der eine Gesamtabwägung der zu erwartenden schädlichen Wirkungen zulassen will; Bedeutung der Klausel offen gelassen: Maier, S. 174. 71 Vgl. Ladeur, NuR 1992,254,255 ff.; von Kameke, S. 97 f. 72 BVerwGE 81,13 (17), - Paraquat-.

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Kap. 6: Die Risikobewertung

ausdrückliche Abwägung des Risikos einer Freisetzung vorsieht. Insbesondere ist kein Kriterium der Risikobewertung vorgesehen, das es ermöglichen würde, den Zweck der Freisetzung für die Beurteilung des Risikos zu berücksichtigen. Deshalb könnte beanstandet werden, daß die Einführung des Mischkriteriums des § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG die Beurteilung der Sicherheitsaspekte der Freisetzung relativiert und aufweicht. Allerdings hilft die europarechtskonforme Auslegung des GenTG hier nur beschränkt weiter, weil die Einführung eines zusätzlichen Kriteriums nicht schlechthin als mangelhafte Umsetzung der Richtlinie angesehen werden kann. 73 Zudem wird die Freisetzungsrichtlinie mitunter auch so verstanden, daß sie es ausreichen lasse, wenn die Freisetzung ..per saldo" risikominimierend sei. 74 Deshalb argumentiert eine andere Literaturmeinung, daß die Formulierung der Abwägungsklausel gesetzestechnisch mißlungen sei, weil eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht des Staates für die genannten Rechtsgüter bestehe. Durch das Kriterium der Zweck-Mittel-Relation bei der Beurteilung eines Risikos in Nr. 3 würden eventuell dennoch Gefährdungen hingenommen. 75 Deshalb müsse die Vorschrift verfassungskonform dahingehend reduziert werden, daß die Abwägung des Freisetzungszweckes erst jenseits der strikt gebotenen Gefahrenabwehr im Bereich der Risikorninderung eingreife. 76 Grundsätzlich ist von dem Bestehen staatlicher Schutzpflichten auszugehen, die sich jedoch nicht bloß auf den Bereich der Gefahrenabwehr, sondern auch darüber hinaus auch auf die Risikominderung erstrecken. Wenn sich jedoch die Abwägung nach Nr. 3 im Bereich der Risikominderung abspielen soll, dann wäre es möglich, bei einem entsprechend großen Nutzen einer Freisetzung auf die erforderlichen Sicherheitsrnaßnahmen nach Nr. 2 zu verzichten. Um dies zu verhindern, wird vertreten, daß die Abwägung weder eine Bedeutung im Rahmen der Gefahrenabwehr noch im Rahmen der Risikorninderung, sondern dazu diene, als Vorsorgemaßnahme Ungewißheiten zu berücksichtigen. 77 Gegen diese Auffassung wird eingewandt, daß ein Restrisiko, das nur in den Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens begründet ist, ohnehin als sozialadäquate Last hinzunehmen sei. 78 Eine Abwägung stelle sich dann als überflüssig dar, weil ihr 73 Nentwich, S. 10; vgl. auch Herdegen, RIW 1992, S. 89 (90 f.); Jarass, NuR 1991, S. 49 (54 f.). 74 Herdegen, Erläuterungen 1., Rn. 26; vgl. auch Art. 4 Abs. I Gemeinsamer Standpunkt, oben Kapitel 3, Fn. 136. 75 Brief von Kommissar Karel Van Miert an den deutschen Außenminister [Zahl: SC (92) 0/10908]; zum Streitstand: Herdegen, Erläuterungen I., Rn. 26. 76 Koch/lbelgaujts. § 16 Rn. 14 f.; JörgensenlWinter, ZUR 1996, S. 295. 77 Führ, OVBI. 1991,559,565; ders., IUR 1992, 1,6; Breuer, in: Breuer/Kloepfer/Marburger 1Schröder (Hrsg.), Gentechnikrecht und Umwelt, UTR 14, 1991, S. 73, Breuer, Ansätze für ein Gentechnikrecht, S. 4. 78 So etwa BVerfGE 49, 89; vgl. zur gentechnischen Freisetzungen auch das VG Berlin, Beschluß vom 7. Mai 1993-14 A 167.93.

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Ergebnis nicht zur Versagung der Genehmigung führen könne. 79 Der Gesetzeswortlaut mache die Abwägung jedoch zur Genehmigungsvoraussetzung. Es läßt sich umgekehrt aber auch argumentieren, daß gerade diese gesetzliche Formulierung zum Ausdruck bringt, daß der Gesetzgeber im Falle der Gentechnik verbleibende Risiken nicht als sozialadäquat ansieht, wenn sie nicht durch einen besonderen Zweck gerechtfertigt sind. Für diese Ansicht spricht auch die Tatsache, daß die Theorie vom sozialadäquaten Restrisiko für Fallgruppen entwickelt wurde, bei denen die Nützlichkeit der Anwendung unterstellt werden konnte. Die Nützlichkeit der Anwendungen der Gentechnik hingegen hängt vom Einzelfall ab. 8o Ferner bezieht sich der Begriff des Restrisikos meist auf Fälle der weitgehend quantifizierbaren Unsicherheiten, während die fortschrittlichsten Anwendungen der Gentechnologie zumeist mit Ungewißheiten im eigentlichen Sinn verbunden sind. 81 Deshalb ist die Theorie vom sozialadäquaten Restrisiko für § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG nur insoweit anwendbar, als es sich um minimale, aber weitgehend quantifizierbare Risiken handelt. Soweit es sich jedoch um nicht quantifizierbare Ungewißheiten handelt, ist Nr. 3 nach hier vertretener Auffassung so zu verstehen, daß sich die Sozialadäquanz nach dem individuellen Zweck der Freisetzung richtet. Darüber hinaus ließe der Wortlaut der Nr. 3 auch den Schluß zu, daß auch minimale, quantifizierbare Restrisiken nicht als hinnehmbar eingestuft werden sollen, wenn der Zweck der Freisetzung besonders verwerflich ist. Bisher wurde die Abwägung in der deutschen Praxis noch nie angewandt, was vor allem darauf zurückzuführen sein dürfte, daß weder Freisetzungen beantragt wurden, die einen besonders verwerflichen Zweck verfolgt hätten, noch solche, die mit besonders großen Ungewißheiten verbunden gewesen wären.

3. Durchführung der Abwägung

Bei der Risikobewertung sind die schädlichen Auswirkungen gegen den Zweck der Freisetzung abzuwägen. Zu der Frage, wie diese Abwägung vorzunehmen sei, sind dem Gesetzestext weder verfahrensrechtliche noch materielle Vorgaben zu entnehmen, was vielfach kritisiert wird. 82 Wohl auch aus diesem Grund wurde eine solche Abwägung in der Praxis noch nie durchgeführt. Die Europäische Kommission hat in ihrer bisherigen Entscheidungspraxis Risiko-Nutzen-Abwägungen ebenfalls nicht zugelassen. Maßgeblichen Einfluß auf das Ergebnis der Abwägung, wenn sie einmal durchgeführt werden sollte, haben ihre Ausgangspunkte, nämlich die Begrenzung der in Betracht zu ziehenden Zwecke und Alternativen.

Jörgensen/Winter, ZUR 1996, S. 295. Vgl. zu Nutzen und Mißbrauchsmöglichkeiten oben S. 21, 88. 81 Vgl. zu der Unterscheidung oben S. 28, 43. 82 Vgl. auch Kloepjer/Delbrück, DÖV 1990, S: 897 (904); Fritsch/Haverkamp, BB 1990, Beilage 31, S. 1 (16). 79

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Kap. 6: Die Risikobewertung

Angesichts der Tatsache, daß in Deutschland bislang noch keine echte NutzenRisiko-Abwägung für Freisetzungen durchgeführt wurde, kann möglicherweise auf die von der Rechtsprechung zu der Abwägung nach § 25 Abs. 2 Nr. 5 AMG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Danach sind in die Abwägung folgende Kriterien einzubeziehen: Der Grad der Wahrscheinlichkeit, daß die nicht auszuschließenden Wirkungen für den Naturhaushalt nachteilig sind, das Gewicht des Nachteils, der Vorteil der Anwendung und dessen eventuelle Ersetzbarkeit. 83 Wegen der Schwierigkeiten, alle möglichen Risiken durch diese Kriterien zu erfassen, könnte auch das offenere Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG)84 für die Risikobewertung fruchtbar gemacht werden. a) Berücksichtigungsfähige Nutzen Welche Zwecke im Rahmen der Risiko-Zweck-Abwägung des § 16 Abs. 1 Nr.3 GenTG berücksichtigungsfähig sein sollen, ist von der Rechtsprechung bislang nicht diskutiert worden und im Schrifttum äußerst umstritten. Weder im Gesetz selbst noch in der Gesetzesbegründung werden Vorgaben gemacht, welche Zwecke im Rahmen dieser Abwägung berücksichtigungsfähig sind, und gegen welche Intensität von Risiken sie abwägbar sein sollen. Diese Unbestimmtheit ist bereits im Gesetzgebungsverfahren als verfassungswidrig kritisiert worden. 85 Theoretisch wäre auch die negative Berücksichtigung verwerflicher Zwecke denkbar. Zwar ist die Darlegung des Zwecks der Freisetzung und der möglichen Verwendungsarten des betreffenden Organismus erforderlich,86 aber zur Bewältigung der Frage, wie schlecht vergleichbare Nutzen und Kosten gegeneinander abgewogen werden sollen, steht in Deutschland kein prozessualer oder materieller Rahmen der zugelassenen Gründe und Gegengründe bereit. Während der Zweck eines Freisetzungsversuchs zunächst immer der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn ist, ist weiter zu fragen, ob darüber hinaus auch mittelbare Zwecke, wie etwa volkswirtschaftliche Gesichtspunkte oder die Möglichkeiten zur Steigerung der Nahrungsmittelproduktion Berücksichtigung finden müssen. 87 Dies wird mitunter mit dem Argument verneint, daß bei der BerücksichtiBVerwGE 81, 13 ff. (- Paraquat -); vgl. grundlegend auch: Theuer; NuR 1996, s. 120 ff. BGBl. 1990, Teil I., S. 205; vgl. dazu Umweltbundesamt, Beitrag, S. 137; ebenso: Art. 4 Abs. 2 Gemeinsamer Standpunkt (oben Kapitel 3, Fn. 136). 85 Vgl. Lukes, DVBl. 1990, S. 273 (277); Kloepfer I Delbrück, DÖV 1990, S. 897 (904); FritschlHaverkamp, BB 1990, Beilage 31, S. 1 (16). 86 Vgl. § 15 GenTS V; allerdings fordert § 5 Abs. 1 Ziff. 3 GenTV für Freisetzungen nicht die Einreichung von Unterlagen über den Zweck der Freisetzung, materiellrechtlich sind jedoch Zweckerwägungen schon allein aufgrund des Vorsorgegebotes zu beriicksichtigen, wonach ein Restrisiko nur zu einern unschädlichem Zweck als sozialadequat zu bezeichnen ist. 87 Denkbare "gesellschaftliche Nutzwerte" einer konkreten Anwendung nennt Winter et al., Jenseits des Umweltschutzes, S. 46 ff. 83

84

11. Deutschland

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gung von Fernwirkungen, wie etwa ökonomischen Konsequenzen, auf der Nutzenseite solche Fernwirkungen auch auf der Seite der schädlichen Einwirkungen berücksichtigt werden müßten. Hierzu sei die Behörde jedenfalls nicht zuständig oder in der Lage. 88 Dagegen spricht jedoch schon allein der Gesetzeswortlaut, wonach nur schädliche Einwirkungen auf bestimmte Rechtsgüter zu berücksichtigen sind, zu denen eine profitable Landwirtschaft oder Volkswirtschaft nicht zählen. 89 Soweit Fernwirkungen auf die Schutzgüter des GenTG ausreichend substantiiert dargelegt werden können, sind sie darüber hinaus zumindest nach der Handhabung in der Praxis und nach hier vertretener Auffassung zu berücksichtigen. 9o Wenn die Behörde den gesellschaftlichen Nutzen einer Freisetzung berücksichtigen soll, entstehen in der Tat Zweifel, inwieweit sie zu derart wesentlichen und genuin politischen Entscheidungen befugt iSt. 91 Die Bedenken verlieren jedoch an Schärfe, wenn man den Anwendungsbereich der Nutzenabwägung betrachtet, der, wie soeben erläutert, trotz mißverständlicher gesetzlicher Formulierung nur die Fälle erfaßt, in denen bereits alle Maßnahmen der Gefahrenabwehr und Risikominimierung getroffen wurden. 92 In diesem Bereich der Risikovorsorge ist es der Behörde durchaus zuzumuten, im Einzelfall wirtschaftspolitische und ökonomische Aspekte zu berücksichtigen, obwohl die Grundsatzentscheidung über die Bedingungen für die Genehmigungsfähigkeit von gentechnischen Projekten freilich im Rahmen legislativer Normen zu bestimmen sind. Dementsprechend wird von der Berücksichtigungsfähigkeit des mittelbaren Nutzens einer Freisetzung im allgemeinen aus gegangen,93 wenngleich unklar ist, ob die Behörde die Berücksichtigung eines Nutzens ablehnen darf, für den sie keinen Bedarf sieht bzw. den sie nicht für ,nützlich' hält. 94 Wenn die Behörde jedoch keine Nützlichkeitsprüfung vornimmt, muß sie jeden vom Antragsteller angegebenen Zweck ausreichen lassen. 95 Soweit mittelbare Zwecke der Freisetzung berücksichtigungsfähig sind, stellt sich die weitere Frage, ob bestimmte Zwecke ausgenommen sind. Zumindest zur Begründung der Notwendigkeit des Suspensiveffekts im Rahmen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde die Erwägung, die Freisetzung sei gesellschaftspolitisch sinnvoll, nicht gelten ge1assen. 96 Rückschlüsse auf die Abwägung nach § 16 Abs. 3 GenTG sind damit noch nicht zwingend vorgegeben. 88

Dederer; S. 275 f.

89 Vgl. dazu schon oben S. 137. 90

Vgl. oben S. 137 ff.

91 Vgl. Dederer; S. 275 f. 92 Siehe oben S. 207 f. 93 Ladeur; NuR 1992, S. 254, 260, Winter; Eine Kritik des Gentechnikgesetzes, S. 161 (168); a.A. offenbar Dederer; S. 275 f. 94 Winter; KJ 1991, S. 18 (27), der für die Einführung einer Bedarfsprüfung auf "mittlerer Ebene" zwischen Behörde und Parlament plädiert. Vorsichtig befürwortend: Führ; DVBI. 1991, S. 559 (565). Gegen eine Bedarfsprüfung auf administrativer Ebene: Ladeur; NuR 1992, S. 254 (259); Dederer; S. 277; HirschISchmidt-Didczuhn, § 16, Rn. 25. 95 Winter, Grundprobleme, S. 44. 96 VG Berlin, Beschluß vom 7. Mai 1993-14 A 167/93.

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Kap. 6: Die Risikobewertung

Andere Autoren werden konkreter und lassen jegliche volkswirtschaftlichen Ziele als legitimen Zweck einer Freisetzung gelten. Nachteil ist die schwere Prognostizierbarkeit von ökonomischen Effekten, was vielfältigen Argumentationen Tür und Tor öffnet. Daher wird mitunter auch jeder unmittelbar betriebliche Zweck wie etwa Ertragssteigerung als ausreichend bewertet, um einen abwägbaren Nutzen festzustellen. Engere Grenzen werden nach einer anderen Auffassung gezogen, wonach Umweltrisiken für den Fall, daß die Abwägung als wirklicher Ausgleich aller in § I GenTG genannten Schutzgüter gelten soll, nur durch Vorteile für die Umwelt ausgeglichen werden können. 97 Dieser Auffassung liegt der Gedanke zugrunde, daß bei einer Risiko-Nutzen-Abwägung zumindest eine grundsätzliche potentielle Identität zwischen Profitierenden und Belasteten bestehen soll. Außerhalb dieses Rahmens liegende höherrangige Zwecke, wie etwa Welternährung, dürfen danach nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden. Jedenfalls wird befürchtet, daß die zuständige Behörde mit der Bewertung nützlicher Auswirkungen überfordert ist. 98 Sie muß beispielsweise entscheiden, ob eine herbizidresistente Pflanze einen sinnvollen Zweck erfüllt oder ob biologischer Landbau eine bessere Alternative ist, als der Einsatz eines genetisch modifizierten Pestizids. 99 Deshalb wird Abhilfe durch eine Technologiebewertung mittlerer Ebene eventuell in Form von Standardisierungen für die Abwägungsentscheidung in Verordnungen vorgeschlagen. 100 Nach der hier vertretenen Auffassung bestehen jedoch keine Bedenken, daß die Behörde mit der Nutzenbewertung ihre Befugnisse überschreiten könnte. Denn die Bewertung kann ohnehin nur im Bereich der Risikovorsorge stattfinden, in dem behördliche Abwägungen verschiedenster Interessen nicht unüblich sind und schon gar nicht gegen Grundentscheidungen des Gesetzgebers wirken oder diese ersetzen. b) Zwingende Abwägungsentscheidungen

Verfassungsrechtliche Grundsätze zwingen die Behörde in einigen Fällen zu bestimmten Abwägungsentscheidungen. aa) Sicherer Schadenseintritt Die Abwägung fallt in jedem Fall gegen die Freisetzung aus, wenn sich der Zweck einer Freisetzung nicht realisieren läßt, ohne daß zwingend Schäden eintreten. IOl Dies ergibt sich bereits aus dem Gefahrenabwehrgebot, das - wie oben erLadeur, NuR 1992, 260, 264; vgl. auch Herdegen, RIW 1992, S. 89 (91). Winter, Grundprobleme, S. 67. 99 Beispiele bei Winter, Grundprobleme, S. 67. 100 Vgl. Winter, S. 90. 101 Mertens, S. 45 ff. 97

98

11. Deutschland

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läutert - in einem solchen Fall bereits den Anwendungsbereich für eine RisikoNutzen-Abwägung verschließt.

bb) Berücksichtigung von Alternativen Die Nutzen-Risiko-Abwägung nach § 16 Abs. I Nr. 3 GenTG umfaßt auch die Berücksichtigung von Alternativen zu der Freisetzung des gentechnisch veränderten Organismus. Das heißt, falls der durch die Freisetzung beabsichtigte Zweck auf eine andere Weise als durch die Freisetzung erreicht werden kann und diese Alternative kein Risiko darstellt, so ist die Freisetzung nicht zu genehmigen. \02 Denn Risiken sind dann nicht vertretbar, wenn andere Lösungen weniger riskant sind und den Zweck dennoch verwirklichen. \03 Weil aber Freisetzungsversuche regelmäßig nur dem Zweck des Erkenntnisgewinns dienen, entfällt in den meisten Fällen die Möglichkeit, alternative Verfahren zu berücksichtigen. 104 Sinnvoller erscheint es jedoch, den mit der Forschung längerfristig verfolgten wirtschaftlichen Zweck zu berücksichtigen. Denn die Vorteile der Gentechnologie liegen vornehmlich in ihrem Nutzen für zahlreiche praktische Anwendungen. \05 Die zugrundeliegende Forschung ist insoweit nur Mittel zum Zweck, ohne welches jedoch auch der mittelfristige Zweck in der praktischen Anwendung nicht erreicht werden könnte. Wenn also der Zweck des Erkenntnisgewinns im Einzelfall nicht ausreicht, um verbleibende Risiken zu überwiegen, müßte die Freisetzung in jedem Fall versagt werden. Der mittelfristige Zweck kann dann nie realisiert werden, auch wenn er die Risiken der Freisetzung eventuell bei weitem überwogen hätte.

c) Hierarchie der Faktoren

Gerade in Deutschland, dessen Rechtssystem eine ausdifferenzierte grundrechtliehe Werteordnung kennt, wird ein ausgeprägtes Bedürfnis verspürt, die Risikobewertung zu systematisieren und eine Hierarchie der Risiko- und Nutzenfaktoren aufzustellen, die Abwägungsentscheidungen vorhersehbar macht. Es werden operable, handhabbare materielle Entscheidungsstandards gefordert, die bestimmt genug sein sollen, um den Anforderungen der Rechtssicherheit, der Vorhersehbarkeit und Kontinuität der Verwaltungsentscheidung unter gleichbleibenden Voraussetzungen bei der Definition von unvertretbare Risiken zu genügen und darüber hinaus unsachliche Umgehungsmöglichkeiten zu vermeiden. 106 Dazu wird die ErstelJÖrgensenlWinter. ZUR 1996, S. 295. Winter. Grundprobleme, S. 46, ders. et al. S. 49; ablehnend v. Vitzthum. ZG 1992,243 (262); S. 46; Winter. KJ 1991, 18 (24 f.). 104 HirschISchmidt-Didczuhn. § 16 Rn. 25. 105 Oben, S. 21. 106 Vgl. Umweltbundesamt. Beitrag, S. 124. 102

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lung einer "Checkliste" von Faktoren, eine Prioritätenliste für einzelne Werte über eine verläßliche Rangfolge und Hierarchie der Kriterien mit Kollisionsordnung, bis hin zu der Entwicklung von materiellen Abwägungsschemata, falls dies möglich sei, vorgeschlagen. 107 Jedenfalls sind sich die meisten Autoren darin einig, daß eine verbindliche Nutzen-Risiko-Abwägung vorgeschrieben werden müsse. 108 Soweit die Bildung eines Rangverhältnisses zwischen verschiedenen Freisetzungszwecken möglich ist, soll Forschungszwecken ein höherer Stellenwert einzuräumen sein als kommerziellen Zwecken. 109 Andererseits wird die Ansicht vertreten, daß die Entscheidung generell davon abhänge, ob das Rechtsgut, an dem durch die Freisetzung ein Nutzen eintritt, höher einzustufen ist als das Rechtsgut, das durch Freisetzung geschädigt wird. Eine wirkliche Abwägung zwischen Risiko und Zweck soll jedoch nur dann notwendig sein, wenn beide Rechtsgüter gleichrangig sind. 11 0 Mitunter wird sogar gefordert, daß ein Ausgleich zwischen Risiken und Nutzen nur möglich sein soll, wenn Risiko und Nutzen jeweils die gleiche Gesellsc ha ftsgruppe treffen würde. 111 Letztlich ist jedoch das Ergebnis einer Risikobewertung stets ein sozialer Komprorniß. 112

4. Kombination von abschätzenden und bewertenden Elementen Aus ähnlichen Erwägungen, wie sie für das US-amerikanische Recht beschrieben wurden, wird in Deutschland eine strikte Trennung von abschätzenden und bewertenden Elementen gefordert. Denn um die notwendige Transparenz und Kontrollierbarkeit der Risiko-Nutzen-Abwägung zu gewährleisten, muß zunächst der Zweck von der Behörde unabhängig vom Risiko bewertet werden. 113

5. Die Bewertungspraxis In der Praxis haben die zuständigen Behörden bislang in keinem Fall die dem deutschen Umweltschutzrecht fremde Zweck-Risiko-Vertretbarkeitsprüfung nach § 16 Abs. I Nr. 3 GenTG durchgeführt, sondern sich stets mit der Feststellung begnügt, daß die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden und keine schädlichen Einwirkungen zu erwarten seien. Die Behörden gehen davon aus, daß keine Abwägung nach Nr. 3 107 108

109 110 111 112

113

Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 128. Winter, Ausschußdrucksache 11/3, S. 140 ff. Kochllbelgaufts, § 16 Rn. 14 ff. Id. Dies behauptet Seiler, S. 152. Banse, S. 21. Winter, S. 44.

III. Vergleich

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erforderlich wird, solange keine schädlichen Einwirkungen festzustellen sind, die abgewogen werden könnten. 114

111. Vergleich Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland ist zur Bewertung des Risikos einer Freisetzung eine Risiko-Nutzen-Abwägung vorgesehen, ein wesentlicher Unterschied liegt jedoch in der Anwendung dieses Instrumentes. Während die US-amerikanische Praxis auf eine lange Tradition von Kosten-Nutzen-Abwägungen als integralem Bestandteil des Umweltschutzrechts zurückgreifen kann ll5 und diese mit großer Selbstverständlichkeit auch im Gentechnikrecht fortsetzt, begab sich der deutsche Gesetzgeber mit der ausdrücklichen Regelung einer Risiko-Nutzen-Abwägung im GenTG in ungewohntes Gebiet und rief dementsprechend dogmatische Einordnungsstreitigkeiten hervor.

1. Technologiestandards oder Qualitätsziele

Ausgehend vom Gefahrenabwehrgebot und Risikominderungsgebot ist es in Deutschland eine unverzichtbare Freisetzungsvoraussetzung, daß alle nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. 116 Statt dieses technologiebezogenen Standards wählen die Regelungen in den Vereinigten Staaten Ausführungsstandards und Qualitätsziele als Teil des Risikomanagements. Sie schreiben als flexible Regulierungsoptionen vor, welche Versuchsbedingungen herzustellen sind oder stellen Qualitätsziele auf, ohne zu spezifizieren, mit welchen Mitteln diese Ziele erreicht werden sollen. Die in beiden Ländern vorgeschriebenen Risikominderungsmaßnahmen bewirken jeweils faktisch, daß die durch die Maßnahmen bekämpften Gefahren und Risiken nicht mehr in die Betrachtung der Risiken innerhalb des weiteren Entscheidungsprozesses eingehen. Der Unterschied liegt jedoch darin, daß diese Risikominderung in Deutschland aufgrund des Gebots verlangt wird, alle erforderlichen technischen Sicherheitsrnaßnahmen zu ergreifen, während in den Vereinigten Staaten derartige Maßnahmen als Abzugsposten auf der Risikoseite in eine grundsätzlich offene Abwägungsformel eingestellt werden. Im Rahmen des Risikomanagements unter APHIS oder TSCA ist eine flexible Anpassung der Sicherheitsvorkehrungen im Einzelfall an die tatsächlich identifizierten Risiken nach ökonomischen Gesichtspunkten möglich. Dabei ist es theore114 ]örgensen, Rechtliche Probleme der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 11. 115 McGdrity, A Cost-Benefit State, Administrative Law Review Bd. 50 (1998), S. 7 ff. 116 § 16 Abs. 1, Nr. 2 GenTG.

13 Pohl

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tisch denkbar, daß das Risikomanagement im Einzelfall hinter den Anforderungen des Standes von Wissenschaft und Technik zurückbleiben könnte, wenn dies der Nutzen der Freisetzung rechtfertigt. Dennoch ist es in der US-amerikanischen Praxis gewährleistet, daß die Risikomanagement-Maßnahmen so lange erhöht werden, bis im Einzelfall keine unvertretbaren Risiken mehr verbleiben. Letztlich ist darin nach deutschem Verständnis die unbedingte Ausdehnung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bis in den Bereich der Gefahrenabwehr zu sehen. Würde in Deutschland eine zielorientierte Qualitätssteuerung eingeführt, wie in den Vereinigten Staaten ansatzweise vorhanden, so könnte man dem Verlangen nach einer (formalen) Programmierung des Rechts gerecht werden, ohne jedoch eine unüberschaubare NormenfIut zu verursachen, die enorme Kapazitäten von Verwaltungsressourcen beansprucht und deshalb latente Vollzugsdefizite befürchten läßt. Die Verwendung von Qualitätszielen hat den Vorteil einer wesentlich geringeren Regelungsdichte und ist kompatibel mit anderen Konzepten, wie etwa dem der Nachhaltigkeit, dem integrierten Umweltschutz und dem Gedanken einer einheitlichen Umweltplanung oberhalb der Normebene. Dies sind freilich Konzepte, die in der US-amerikanischen Regelungsstrategie beispielsweise in Form der abstrakten behördenübergreifenden Risikoabschätzungen und den prozedural angelegte Anforderungen des NEPA viel tiefer verwurzelt sind als in Deutschland. Dort kann eine Pflicht zur Erstellung von behördenübergreifenden Umweltqualitätszielen im Rahmen von Risikoabschätzungen nicht abgeleitet werden, auch nicht aus Art. 20a GG. 117 So lange detaillierte Qualitätsziele nicht erstellt werden, leidet ihre Verwendung naturgemäß an einer normativen Unbestimmtheit und kann nicht operationalisiert werden. Daher hat in Deutschland auch das Argument, die staatlichen Zielvorgaben könnten Grundrechte Dritter gefährden, 118 eine größere Durchschlagkraft als in den Vereinigten Staaten. Qualitätsziele können vor diesem Hintergrund bislang nur als Ergänzung zu anderen Abwägungsgeboten zum Zuge kommen. Das deutsche technologieorientierte Freisetzungskonzept ist außerdem wenig kompatibel mit Lösungen, die in den Vereinigten Staaten Impulse für eigenverantwortliches ökologisches Handeln und für die Normkonkretisierung durch Private im Rahmen von Selbstverpflichtungserklärungen setzen wollen. Zielvorgaben ermöglichen die gerade bei gentechnischen Freisetzungen in besonderem Maße erforderliche Berücksichtigung von Langzeiteffekten und kumulativen Wirkungen, die bei emissions bezogener Betrachtung kaum möglich ist. Stufte man die Zielvorgaben zusätzlich ab, so könnten auch regionale Besonderheiten berücksichtigt werden. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß die Erstellung von Zielvorgaben ebenfalls ein ressourcenintensives Verfahren, wenn nicht sogar ein aussichtsloses Unterfangen ist. Sie kommt diesbezüglich der Festsetzung von Technologiestandards gleich.

117

118

Volkmann. DVBl. 1999, S. 579 (582). Ebd.

III. Vergleich

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Der Unterschied besteht jedoch darin, daß die Festlegung einer Technologie durch Experten im Wege naturwissenschaftlicher und überprüfbarer Deduktion erfolgt, während die Definition eines gewünschten Zustandes der Umwelt höchst politischer Natur ist. Daher rückt die Frage nach der Legitimation solcher Standards in den Blick. Soweit man akzeptieren möchte, daß Verfahrensrechte und die Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen legitimierend wirken können, so ist das USamerikanische Recht dazu mit seinen ausgeprägten Verfahrensstandards besser ausgerüstet als das deutsche Recht. Wieder zeigt sich, daß das Instrument der Qualitätsstandards im US-amerikanischen Kontext bestehender staatlicher Risikoprograrnme, anderer verfassungsrechtlicher Anforderungen und anderer prozessualer Beteiligungsrechte eine völlig andere Stellung einnimmt und anders zu bewerten ist als in Deutschland. Insofern bietet der kombinierte Standard des § 16 Abs. 1 GenTG eine für das deutsche Recht angemessene Lösung, während der Verzicht auf technologiebezogene Regulierung in den Vereinigten Staaten im Gesamtkontext des Verwaltungssystems ebenfalls zu sachgerechten Ergebnissen kommt. Lediglich der Import der Instrumente des einen Rechtssystems in das andere führt zu Kompatibilitätsproblemen, wenn nicht die verbundenen Parameter ebenfalls geändert werden. 2. Normkonkretisierung durch Behörden oder durch Private

Weil der Einsatz eines bestimmten Technologiestandards nicht gesetzlich vorgeschrieben wird, ist es aus Sicht der US-amerikanischen Regelungspolitik nur folgerichtig, die auf den Einzelfall abgestimmte Auswahl der Technologie dem Risikomanager vor Ort zu überlassen, soweit die Vermeidung von Risiken gewährleistet bleibt. Ein ausführungsbezogener Standard für Containment-Maßnahmen beispielsweise würde alternative biologische Ansätze zur Sicherstellung der Eingrenzung erlauben, an statt wie technologiebezogene Standards spezifische physische Barrieren vorzuschreiben. Zielbezogene Ausführungsstandards sind auch dynamisch, denn sie erfordern keine langwierigen und strittigen Änderungsverfahren für die Regelungen, wenn neue wirksame Containment-Methoden entwickelt werden. Gleiches gilt allerdings auch für die deutschen technologiebezogenen Standards, die den Unternehmer und die Behörde auf die jeweils fortschrittlichsten Schutzvorkehrungen für die konkrete Freisetzung verweisen. In diesem Zusammenhang sind auch die Vorschriften der APHIS-Regeln und der TSCA-Regeln zu sehen, welche die Konkretisierung von Sicherheitsmaßnahmen im Rahmen von sogenannten "flexiblen Regulierungsoptionen" weitgehend in die Verantwortung des privaten Unternehmers legen. Hinzu kommen die Vorstöße der EPA, in den sogenannten "XL"-Projekten andere als die gesetzlich vorgesehenen Umweltschutzstrategien zuzulassen, solange das in Emissionen gemessene Gesamtergebnis optimiert wird. In Deutschland dürfen Sicherheitsanforderungen zumindest dann nicht der Selbsteinschätzung der Anwender überlassen werden, wenn sie (wie im Fall der \3*

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Kap. 6: Die Risikobewertung

Zuordnung von gentechnischen Einzelarbeiten zu den höheren Sicherheitsstufen) keinen eindeutig definierbaren Kriterien unterliegen. 119 Derart weitgehende Gestaltungsrechte des Unternehmers stoßen deshalb auf Unbehagen,120 weil eine generelle staatliche Verantwortung so stark wahrgenommen wird, daß sie in den Vereinigten Staaten als übertriebenen Paternalismus abgelehnt werden würde. Der staatliche Steuerungsverlust wird sowohl bei der Privatisierung von Normierungsaufgaben wie auch sonst bei der Deregulierung als Verstoß gegen den Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG und gegen das Demokratieprinzip verstanden, so daß eine Normierung durch Private bestenfalls in eingeschränkter Art und Weise möglich wäre. 121 Allerdings bietet es sich gerade in Bereichen der Ungewißheit an, wie in den Vereinigten Staaten mit Qualitätszielen zu arbeiten, da hier die konkreten Anforderungen nicht abstrakt vorherzusehen sind. Der dadurch entstehende Entscheidungsspielraum bei der Erreichung dieser Ziele kann auch Privaten übertragen werden, soweit diese nachweisen, daß sie die Ziele erreichen. In Deutschland würde verlangt werden, daß der Entscheidungsspielraum durch Abwägungsdirektiven verengt würde, deren Befolgung der Staat garantieren müßte. Das unterschiedlich ausgeprägte Verständnis staatlicher Schutzpflichten lassen sich historisch erklären. Die Wurzeln des US-amerikanischen Verwaltungsrechts entwickelten sich nämlich urspriinglich aus einer Fallgruppe des Zivilrechts. Es ist daher primär auf den Ausgleich zwischen konkreten Interessen individueller Parteien ausgerichtet. Ausgangspunkt für diese Betrachtungsweise ist das Säkulare Naturrecht, das die großen Staatsrechtler der USA, Madison und lefferson, versucht haben zu positivieren. Die Legitimität juristischer Entscheidungsfindung hängt davon ab, inwieweit sie mit dem Naturrecht konform geht, das grundsätzlich auch unabhängig vom Staat besteht. Im Gegensatz dazu wird es in Deutschland auch als staatliche Pflicht angesehen, eine objektive Rechtsordnung bereitzustellen. Dazu gehört auch eine einheitliche, vorhersehbare und transparente Standardsetzung mit Vollzugskontrolle, die zumindest traditionell nicht ohne weiteres in private unternehmerische Hand übergeben wird. Ladeur erkennt jedoch in der Rechtsprechung des BVerfG die Bereitschaft, die Standardsetzung durch Kooperation zwischen administrativen und privaten Entscheidungsträgern in dynamischen Handlungsfeldern unter Bedingungen der Ungewißheit anzuerkennen. 122 Möglicherweise ist auch eine unterschiedliche Gewichtung der Leistungen der einzelnen Akteure erforderlich. Überwiegend wird die Beteiligung Privater skeptisch betrachtet, wenn sie über die Grenzen eines freiwilligen Zulassungssystems nach dem Vorbild des Ökoaudits hinausgehen. 123 HirschISchmidt-Didczuhn, ZRP 1989, S. 458 (459). Erbguth, UPR 1995, S. 369 (371). 121 H.M. beispielsweise Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rn. 79; ders., Gesetzgebung im Rechtsstaat, VVDStRL Bd. 40 (1982), S. 63 (77 f.); vgl. auch BVerfGE 9, S. 268 (281 f.); BVerfG, DVBI. 1995, S. 1291 (1292, 1295). 122 Insbesondere BVerfGE 49, S. 89 (131) - Kalkar -, vgl. Ladeur, DÖV 2000, S. 217 (222 f.). 119

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III. Vergleich

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Auch wenn derart ernstgenommene staatliche Schutzpflichten trotz der Vollzugsdefizite grundsätzlich geeignet sind, bestmöglichen Schutz vor gentechnischen Risiken zu gewährleisten, können sie über ihr Ziel hinausschießen, wenn sie wegen der letztlich nicht vollständig abstrakt geklärten Definition von "Stand von Wissenschaft und Technik,,124 den Einsatz innovativer Sicherheitstechniken auf im Einzelfall ineffektive Weise verhindern. 125 Beispielsweise bestünde für den einzelnen Unternehmer kein Anreiz mehr, neue Sicherheitsmaßnahmen zu erforschen, wenn er diese im Erfolgsfall ohnehin nicht einsetzen könnte, weil die Behörde eine andere Technologie vorschreiben würde. Aus diesem Grund und wegen der positiven Erfahrungen, insbesondere angesichts des gestiegenen unternehmerischen Umweltbewußtseins, 126 rücken die US-amerikanischen Behörden auch in anderen Gebieten als dem Gentechnikrecht zunehmend von dem als überkommen betrachteten command and control-Ansatz zugunsten von Kooperationsstrategien ab. 127 Weil die deutsche Interpretation des Rechtsstaatsprinzips besondere Anforderungen an die Bestimmtheit und die demokratische Legitimation stellt, ist nach wie vor eine normative Steuerung des Verwaltungshandelns erforderlich, und der Gedanke der Kooperation hat nur als Strukturprinzip Niederschlag gefunden. Es verlangt bei der öffentlichen Entscheidungsfindung über Umweltschutzmaßnahmen eine enge Zusammenarbeit unter anderem zwischen der Verwaltung, Umweltverschmutzern und betroffenen Bürgern, wobei stets auf die nötige Distanz hingewiesen wird. 128 Anfänglich schlechte Erfahrungen in der Praxis 129 sind möglicherweise auf den bloß prozessualen Charakter des Prinzips zurückzuführen, der die Entscheidungsbefugnis letztlich auch bei der Behörde beläßt. Die Entscheidung für gänzlich private Mechanismen hätte nach den von US-Unternehmen geäußerten Erfahrungen den Vorteil, daß Umweltschutzkosten geringer sein sollen, wenn sie durch freiwillige Maßnahmen internalisiert werden, anstatt weiterhin der traditionellen kostspieligen staatlichen Kontrolle von außen unterworfen zu sein. 130 Jedenfalls können von dem Unternehmen vor Ort die Umstände des Einzelfalls besser berücksichtigt werden als in abstrakten Regeln. 131 Dies wirkt sich insbesondere dann aus, wenn, wie in der Gentechnik, die Entscheidungen für bestimmte techniVgl. Umweltbundesamt, Beitrag, S. 138. Vgl. oben S. 183. Wiedergegeben in Fed. Reg. Bd. 57, vom 27. Februar 1992, S. 6753 (6760). Vgl. Redick/Reavey/Michels, Private Legal Mechanisrns for Regulating the Risk of Genetically Modified Organisrns: An Alternative Path within the Biosafety Protocol, in: Environrnental Law Bd. 4 (1997), S. 1 (56). 127 Badaracco, S. 1 ff. 128 Winter, NVwZ 1999, S. 467 (474); grundlegend Hengstschläger/Osterloh/Bauer/ Haag, VVDStRL Bd. 54 (1995), S. 167 ff. 129 Rehbinder, in: Smith/Krornarek, S. 8 (13). 130 Campbell-Mohn, § 4.3; Stewart, United Staes Environrnental Regulation: A Failing Paradigm, J.L.& Corn., Bd. 15, 1996, S. 585 (587 - 8). 131 Bowers, The Alternative Path: A New Blueprint, in: Envtl. F., (Mar./ Apr. 1997), S. 36.

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sche Gestaltungs- und Betriebsweisen sehr komplex sind. 132 Schließlich wird durch die Beteiligung der privaten Unternehmen an der Entscheidung, wie die Risiken der von ihnen hergestellten Organismen am besten kontrolliert werden, gewährleistet, daß ausreichende rechtliche und technische Expertise für das Risikomanagement zur Verfügung steht. 133 Auch bei aufwendigem Training für das Personal der Regelungsbehörden wird dieses nie den gleichen Stand an Expertise erreichen wie die entwickelnden Unternehmen. Eine Gruppe von Mitarbeitern der EPA gab in einem Bericht zu, daß sie nicht ausreichend vorbereitet sind, um kompetente Risikoanalysen zu Freisetzungen zu erstellen. 134 Administrative Fachgremien wie das SAC und das SAB der EPA oder USDA's NBIAP, sowie in Deutschland die ZKBS 135, werden auf Dauer schwer in der Lage sein, die Masse der eingereichten Anträge in der Einzelfallmethode zu bewältigen l36 . Wegen der zu erwartenden Vollzugsdefizite verliert auch der Einwand, daß bei freiwilligem Risikomanagement durch Private mit Berichtspflichten eine Vollzugskontrolle und damit effektiver Umwelt- und Grundrechtsschutz nicht gewährleistet ist, zumindest in der Praxis an Gewicht. 137 Dogmatisch gesehen reicht dieses Argument in Deutschland nicht aus, um Steuerungsverluste des Staates hinnehmen zu können. 138 Ein wirksamer Vollzug durch Private erscheint nämlich wegen des typischen Interessenkonfliktes des Unternehmers, einerseits Umweltschutzmaßnahmen ergreifen zu müssen, andererseits aber Kosten sparen zu wollen, nicht jedenfalls gewährleistet. Zumindest würde aber die Bereitsstellung von Wissen durch Private verhindern, daß der Gesetzesvollzug wegen der Konkretisierung durch unpraktikable Regelungen erschwert wird. 139 In Bereichen eines komplexen Risikomanagements, in denen gewisse Risiken erst durch private Unternehmen geschaffen werden, muß der Gesetzgeber der Verwaltung eine situative Planung der Vorsichtsmaßnahmen abverlangen, für die die Einbeziehung des von Privaten erzeugten Wissens unerläßlich ist. Allerdings sollten Konkretisierungsspielräume für Private auf Bereiche beschränkt bleiben, in denen verschiedene Konkretisierungen gleichermaßen den gesetzlichen Rahmen ausfüllen können.

Breuer; NVwZ 1988, S. 104 (108 f.); Kirchhof, NVwZ 1988, S. 97 (98 ff.). Redickl Reavey I Michels, Private Legal Mechanisms for Regulating the Risk of Genetically Modified Organisms: An Alternative Path within the Biosafety Protocol, in: Environmental Law Bd. 4 (1997), S. 1 (76). 134 Vgl. Heidenreich, Regulierung transgener Pflanzen, S. 58; laffe, S. 530. 135 Vgl. § 11 Abs. 8 GenTG. 136 laffe, S. 530. 137 Vgl. auch Fed. Reg. Bd. 60, S. 66706. 138 BVerfG, DVBI. 1995, S. 1291 (1293). 139 Ladeur; DÖV 2000, S. 217 (223); für eine "Pflichtübernahme durch Private" auch Winter; NVwZ 1999, S. 467 (474). 132

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III. Vergleich

199

3. Kosten-Nutzen-Abwägung oder Gebot der Risikominimierung Auch wenn die genannten Unterschiede sich nur in Extremfällen praktisch auswirken dürften, besteht ein weiterer grundlegender Unterschied in den dogmatischen Problemen, die sich in ungewissen Risikosituationen aus der Zweiteilung in das Gebot zur Gefahrenabwehr und Risikominderung einerseits und das Gebot zur Risikovorsorge andererseits ergeben. 140 In den Vereinigten Staaten unterfallen beide Bereiche unproblematisch einer Gesamtabwägung, in der Umweltauswirkungen, die in Deutschland als Gefahr eingestuft würden, ein stärkeres Gewicht haben als solche, deren Eintritt nur unsicher oder sogar ungewiß iSt. 141 Auch wenn in Deutschland eine ähnlich weite Auslegung der nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG vorzunehmenden Abwägung vertreten wird,142 wäre eine derartige umfassende Abwägbarkeit aller Schutzgüter des GenTG angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts 143 und der Gebote des Gefahrenabwehrrechts derzeit nicht durchsetzbar, auch wenn nicht zu verkennen ist, daß sich in Deutschland auf rasante Weise eine sich verselbständigende Risikodogmatik l44 entwickelt hat. 145 Nach der hier vertretenen Auffassung dient die Risiko-Nutzen-Abwägung in Deutschland nur der Einbeziehung von Aspekten, die über eine reine Sicherheits- und Risikoanalyse hinausgehen. 146 Wenn die verbleibenden Risiken die Hinnehmbarkeitsschwelle in erkennbarer Weise überschreiten, darf die Freisetzung wegen des strikten Gefahrenabwehr- und Risikominderungsgebotes nicht genehmigt werden. Soweit darüber hinaus nicht quantifizierbare Risiken vermutet werden, über deren Sozialadäquanz nichts gesagt werden kann, weil sie mit beträchtlicher Ungewißheit verbunden sind,147 greift die Risiko-Nutzen-Abwägung des § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG ein. Ein erheblicher Unterschied zwischen der Risiko-Nutzen-Abwägung in den hier verglichenen Rechtsordnungen liegt somit in ihrem Anwendungsbereich. Während in Deutschland die Kosten-Nutzen-Abwägung für die verbleibenden Ungewißheiten einer gentechnischen Freisetzung anwendbar ist,148 umfaßt die US-amerikanische Abwägung grundsätzlich alle Aspekte der Freisetzung. Im Falle des überwiegenden Nutzens würde die Freisetzung stattfinden, was in den Vereinigten Staaten

140

Vgl. Enders. S. 157 ff.

141 Zu den Begriffen schon oben, S. 28 ff. 142 Vgl. oben S. 71. 143 Insbesondere § 16 Abs. 1 Nr. 2 GenTG. 144 Zur Konvergenz des technischen Sicherheitsrechts und des Umweltrechts im Bereich des Risikorechts: Seiler, S. 145 ff., Murswiek. Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht, in: VVDStRL, Bd. 48, 1990, S. 207 (211 ff.); grundsätzlich: Di Fabio. Risikoentscheidungen im Rechtsstaat. 145 Unterschiede des Begriffes "Risiko" in Europa und den Vereinigten Staaten identifizieren für das Chemikalienrecht: Brickmanl JasanoffI ligen. S. 34. 146 Winter, Ausschußdrucksache 11/3, S. 140 ff. 147 Vgl. dazu oben, S. 43. 148 Vgl. dazu bereits oben, S. 185 f.

200

Kap. 6: Die Risikobewertung

keine dogmatischen Probleme bereitet, jedoch in Deutschland je nach Intensität des eingegangenen Risikos einen eklatanten Verstoß gegen das Gefahrenabwehrgebot und gegen Grundrechte darstellen könnte. Der vergleichsweise weite Anwendungsbereich der Kosten-Risiko-Abwägung in den Vereinigten Staaten ist darauf zurückzuführen, daß das Umweltschutzrecht in der rechts- und sozialphilosophischen Tradition des Utilitarismus entstanden ist. Die utilitaristische Lehre entstand Ende des 18. Jahrhunderts und bewertet das menschliche Handeln nach dem Nutzen für den einzelnen wie für die Gesamtheit. Eine Handlung wird danach beurteilt, in welchem Maße sie zur Förderung des Glücks der meisten Menschen beiträgt. Sie wird nicht an ihrem Motiv oder der zugrundeliegenden Gesinnung, sondern an den Folgewirkungen gemessen. Hauptvertreter dieses Ansatzes war der englische Jurist Jeremy Bentham (1748 - 1832). Eng verwandt mit dem Pragmatismus gilt der Utilitarismus auch heute noch als Basistheorem der Nationalökonomie. Im Gegensatz dazu werden im deutschen Umweltrecht mit seiner gefahrenabwehrrechtlichen Tradition Entscheidungen traditionell im Zusammenhang mit staatlichen Schutzpflichten gesehen, was dazu führt, daß bei Vorliegen einer Gefahr ohne Abwägungsmöglichkeit der Behörde Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen. Gerade in Anbetracht von Situationen, in denen eine Gefahrenschwelle nicht eindeutig definiert werden kann, wie zunächst bei Karzinogenen,149 wurden jedoch auch die Konturen der Handlungspflicht des Staates zunehmend aufgeweicht. Dies hat dazu geführt, daß keine Abwägungsmöglichkeit im Bereich des Gebotes der Risikominimierung besteht, im Bereich der Vorsorge jedoch stets die Angemessenheit einer Maßnahme geprüft werden muß. Im Rahmen dieser Prüfung sind ökonomische und ökologische Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen, was letztlich einer Nutzen-Risiko-Abwägung gleichkommt. Im US-amerikanischen Recht wird diese Abwägung jedoch offen und direkt vorgenommen, während sie in Deutschland nur im Rahmen der Risikovorsorge im Bereich des Ungewissen zum Zuge kommt. Auch wenn in beiden Rechtsordnungen eine Kosten-Nutzen-Abwägung durchgeführt wird, bestehen weitere Unterschiede in der Durchführung der Abwägung. Nicht nur die genannten Unterschiede im Umfang des Anwendungsbereiches für die Abwägung fallen auf, sondern auch die Vorschläge für die Art der Durchführung. Die deutschen Vorschläge, wonach ein Risiko für eine bestimmte Gesellschaftsgruppe nur durch einen Nutzen für dieselbe Gesellschaftsgruppe ausgeglichen werden darf,150 wäre in den Vereinigten Staaten äußerst schwer vorstellbar. Denn nach utilitaristischer Tradition ist es Ziel staatlicher Maßnahmen, den Gesarntnutzen für die Gesellschaft zu optimieren, unabhängig von einzelnen Gesellschaftsgruppen.

149

S.39. 150

So die Deutsche Forschungsgemeinschaft, wie zitiert in: Brickmanl Jasanoffl Ilgen. Dies behauptet mit fragwürdiger Begründung Seiler; S. 152.

III. Vergleich

201

Auch in Deutschland ist anerkannt, daß Gegenmaßnahmen der Risikoreduzierung berücksichtigt werden müssen. Die Auffassung im deutschen Schrifttum, wonach sich die Abwägung des § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG im Bereich des Risikominderungsgebotes abspielt l51 und somit auch Auswirkungen für die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen haben SOll,152 findet auch im Vergleich mit dem Recht der Vereinigten Staaten keine Stütze. Dort werden in der Praxis nämlich so lange die Sicherheitsvorkehrungen erhöht, bis nach dem Stand der Erkenntnis keine schädlichen Auswirkungen mehr zu erwarten sind. Falls die Sicherheitsvorkehrungen nicht mehr erhöht werden können oder sollen, werden so lange weitere Testdaten angefordert, bis die Ungewißheit auf ein Maß geschrumpft ist, das durch den Nutzen der Freisetzung gerechtfertigt werden kann. 153 Die dritte Variante, nämlich, daß der Nutzen so groß ist, daß auf nach dem Stand der Erkenntnis erforderliche Sicherheitsmaßnahmen verzichtet wird, wird in den Vereinigten Staaten nicht praktiziert. Eine materiellrechtliche Garantie dafür existiert jedoch nicht, solange die Abwägung im Einzelfall rational erscheint. 154

4. Anwendungsbereiche und Durchführung der Nutzen-Risiko-Abwägung In der deutschen Praxis wurde noch kein Gebrauch von der vollständigen Abwägung nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG gemacht. 155 In der Praxis betrafen die Freisetzungen nämlich bisher nur Experimente, über die genügende wissenschaftliche Kenntnisse vorlagen und deren Auswirkungen effektiv begrenzt werden konnten. Dies entspricht der Praxis unter den APHIS-Regeln, wo keine vollständige RisikoNutzen-Abwägung durchgeführt wird. Grund ist die fehlende gesetzliche Ermächtigung zu einer solchen Abwägung unter dem PQA und FPPA, was letztlich nur historisch aus der eingangs geschilderten verstreuten Regelung der Gentechnik in den Vereinigten Staaten l56 zu erklären ist. APHIS prüft daher lediglich, ob ein Freisetzungsrisiko "akzeptabel" ist. 157 Dazu werden ähnliche Erwägungen vorgenommen wie in Deutschland auf der Stufe der Feststellung, daß schädliche Einwirkungen nahezu ausgeschlossen sind. 15s Hingegen wurden unter TSCA bereits zahlreiche Freisetzungen durch eine Risiko-Nutzen-Abwägung entschieden, für die TSCA auch das nötige Instrumentarium liefert. Beispielsweise arbeitet die EPA unter TSCA zur Vgl. oben S. 185. So HirschISchmidt-Didczuhn, GenTG, § 16 Rn. 12; ]örgensenIWinter, ZUR 1996, S. 293 (295). 153 Aussage von Mark Segal, EPA, im Gespräch am 2. Oktober 1998. 154 Dazu mehr unten Kapitel 8. 155 Winter, 1998, S. 4. 156 Siehe oben S. 77. 157 Siehe oben S. 54 f.; vgl. auch Umweltbundesamt, Beitrag, S. 127. 158 Auch wenn graduelle Unterschiede bestehen, vgl. dazu oben S. 169. 151

152

202

Kap. 6: Die Risikobewertung

Kontrolle von Chemikalien seit langem mit Kosten-Nutzen-Abwägungen, bei denen ökonomische Gesichtspunkte fast selbstverständlich eine Rolle spielen, während das deutsche Chemikaliengesetz mit gefahrenabwehrrechtlichem Auftrag keinen Spielraum für die Berücksichtigung wirtschaftlicher Auswirkungen läßt. 159 Die Gefahr einer Ausweitung des Nutzendiskurses bis hin in den Bereich der Gefahrenabwehr besteht darin, daß ein besonders wichtiger Zweck einer Freisetzung angeführt werden könnte, um zu versuchen, eine schädliche Auswirkung eines Projektes auszugleichen. Es wird als bedenklich angesehen, daß der Zweck zur Heilung der Nebenwirkungen herangezogen wird, an statt wegen der Bedeutsamkeit des Zweckes auch die Nebenwirkungen weiter einzuschränken. 160 Die Nebenwirkungen werden zwar in der US-amerikanischen Praxis regelmäßig eingeschränkt, eine ausdrückliche Verpflichtung dazu ist jedoch nicht ersichtlich. 161 In Deutschland würde dies auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen, insoweit die Grundrechte auf Leben und Gesundheit zugunsten eines überragenden Nutzens eingeschränkt würden, weil jede Grundrechtseinschränkung in der Ermächtigungsgrundlage grundsätzlich ausdrücklich zu bezeichnen iSt. 162 Nur im Bereich der Risikovorsorge ist es verfassungsrechtlich möglich, daß die Hinnahme von geringen, unwahrscheinlichen oder ungewissen Schäden, im Verhältnis zu einem Zweck gesehen, vertretbar ist. 163 In Deutschland ist der Einsatz fortschrittlichster Sicherheitstechnik in jedem Fall erforderlich (§ 16 Abs. I Nr. 2 GenTG), während in den Vereinigten Staaten Sicherheitsmaßnahmen in die Gesamtabwägung eingestellt werden mit der Konsequenz, daß sie theoretisch nicht ergriffen werden müssen, wenn das verbleibende Risiko durch den Nutzen gerechtfertigt werden kann. Für die Anwendung der ökonomischen Analyse in der Form der Risiko-NutzenAbwägung spricht, daß sie es leichter macht, alle Umstände einer speziellen Freisetzungsentscheidung systematisch zu diskutieren. Dabei können grundlegende ökonomische Parameter wie Externalitäten, Abschläge und Quantifizierungen, wo sie möglich sind, genutzt werden, was die Analyse systematischer macht. Als Nachteil der Verwendung der Kosten-Nutzen-Abwägung wirkt sich aus, daß es zuweilen nicht möglich ist, im voraus und abstrakt zu bestimmen, wie präzise und umfangreich die Informationen, die der Abwägung als Grundlage dienen, sein müssen. Genaue Angaben, insbesondere über die möglichen Umweltauswirkungen, aller Arten von gentechnisch veränderten Organismen, sind nach dem derzeiVgl. Bricknulnl Jasanoffl Ilgen, S. 34 f. Winter, S. 43, insbesondere unter Hinweis auf Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. 161 Vgl. nur oben die Richtlinien des Präsidenten zur Biotechnologie-Politik, S. 62; Lauroesch, Genetic Engineering: Innovation and Risk Minimization, in: George Washington Law Review Bd. 57 (1988), S. 100 ff. 162 Art. 19 Abs. 1 Satz s GG; vgl. Winter, S. 44. 163 Breuer, Ansätze für ein Gentechnikrecht in der Bundesrepublik Deutschland, UTR Bd. 14 (1991), S. 37 ff. (73); Führ, IUR 1992, S. 1 ff. (6). 159

160

III. Vergleich

203

tigen Wissensstand unmöglich. Weil dies aber eine der grundlegenden Herausforderungen der Gentechnologie an die Rechtssysteme darstellt,l64 scheint die Abwägung sogar besonders gut geeignet zu sein, derartige Unwägbarkeiten in abgestufter Feinabstimmung zu berücksichtigen. Deshalb macht es aber auch Sinn, daß die US-amerikanischen Regeln nicht nur bestimmte Arten von Information zu den Freisetzungsanträgen zulassen, sondern nahezu jegliche Art von Risiko_ 165 und Nutzeninformation. 166 Auch wenn es dadurch schwieriger wird, mögliche Abwägungsentscheidungen zu systematisieren, scheint dieser Ansatz offenbar geeigneter, um mit den Komplexitäten der ökologischen Risiken im Einzelfall angemessen umzugehen. Besonders treffend ist auch der Vorschlag des US-Bundesstaates Maine, gerade weil in der Gentechnik auch die teilweise übertrieben starke öffentliche Wahrnehmung gentechnischer Risiken einen ernstzunehmenden Faktor darstellt, auch das Risikomanagement auf die Besonderheit des Risikos abzustimmen und Maßnahmen der Risikokommunikation zu ergreifen. Dennoch werden im deutschen Schrifttum zahlreiche Vorschläge gemacht, wie man die Qualität der berücksichtigungsfähigen Nutzen einer Freisetzung definieren könnte. Eine Beschränkung auf den Primärzweck, der bei Feldtests zumeist der des Erkenntnisgewinns sein dürfte, erscheint aus US-amerikanischer Sicht künstlich und verkennt, daß auch die Forschung in aller Regel nur aus kommerziellen Gründen angestrengt wird. Die deutsche Literaturmeinung, derzufolge Risiko und Nutzen einer Freisetzung jeweils die gleichen Rechtsgüter oder die gleiche Gesellschaftsschicht betreffen sollte,167 wären der US-amerikanischen Rechtspolitik völlig fremd, da nach utilitaristischer Sichtweise stets nur der Nutzen für die Gesellschaft in der Summe optimiert werden muß. Ob der gesellschaftliche Nutzen letztlich gesteigert wird, wenn die über die besonderen Risiken der Gentechnik durch eine ökonomischen Analyse entschieden wird, ist eine politische Frage, die jedoch auch in den Vereinigten Staaten angesichts des gestiegenen Umweltbewußtseins möglicherweise neu zu beantworten wäre. Eine unterschiedliche Tendenz zwischen der US-amerikanischen und der deutschen Risiko-Nutzen-Abwägung zeichnet sich ab, wenn Alternativen zur Erreichung des durch den gentechnisch veränderten Organismus veränderten Zwecks geprüft werden. Während in Deutschland der berücksichtigungsfähige Nutzen vergleichsweise eng definiert wird und im Falle der Verfügbarkeit von Alternativen zur Erreichung dieses Zwecks gegen die gentechnische Freisetzung entschieden wird, fällt in den Vereinigten Staaten eine solche Entscheidung meist zugunsten der Freisetzung aus, weil derart viele, auch rein ökonomische, Nutzen berücksichtigungsfähig sind, daß in fast allen Fällen ein Vorteil gegenüber der herkömmlichen Alternative feststellbar ist. 164

165 166 167

Siehe oben S. 43 ff. Siehe oben S. 118 ff. Vgl. oben, S. 178. Siehe oben S. 192.

204

Kap. 6: Die Risikobewertung

Ein weiterer Faktor, der bewirkt, daß eine Risikobewertung im Einzelfall in den hier verglichenen Rechtsordnungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, liegt in dem Einfluß subjektiver Wahrnehmungen. Denn wie erwähnt hat bereits bei der Risikoabschätzung der Wissenschaftler die Möglichkeit, persönliche Präferenzen bei der Wahl der Analysemethoden und der Interpretation ihrer Ergebnisse einzubringen. Dies gilt um so mehr für die normative Risikobewertung, wo die Ergebnisse der Risikoabschätzung gewichtet und gegen die Nutzen der Freisetzung abgewogen werden müssen. Das Abwägen von Chancen und Gefahren, von Nutzen und Kosten ist nicht ohne die Wertung von Zielen und die Festlegung von Prioritäten möglich. Es ist wichtig, welchen Stellenwert die identifizierten Risiken gegenüber den Nutzen einnehmen. Die Wahrnehmung von Risiken kann subjektiv in verschiedenen Kontexten unterschiedlich ausfallen. Gerade im Fall der Entscheidungsfindung unter Bedingungen der Ungewißheit werten Entscheidungsträger typischerweise Daten mit Hilfe von mitunter unbewußten Vorurteilen aus und bringen ihre persönlichen Annahmen ein. 168 Bei der Bewertung der Risiken der Gentechnik wird deshalb die Struktur einer Gesellschaft und ihre moralische Grundlage stets Teil der Gleichung sein müssen. 169 Gleiches gilt bei der Bewertung der Nutzen einer Freisetzung. Je mehr soziale Werte, etwa auch in Form von ethischen Kriterien, beriicksichtigt werden sollen, um so mehr werden individuelle und gesellschaftliche Wertvorstellungen und Werturteile des kulturellen Kontextes einer Rechtsordnung bedeutsam. Dies gilt insbesondere, wenn Wirtschaftlichkeit, Wohlstand, Gesundheit und Umweltqualität in die Abwägung einbezogen werden sollen. 170 Laut einer Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung (Office of Technology Assessment, OTA) des Kongresses aus dem Jahre 1986 171 zeigen Amerikaner Unbehagen hinsichtlich der Gentechnologie als abstraktes Konzept, sind aber gegenüber fast allen konkreten umweltbezogenen oder therapeutischen Anwendungen positiv eingestellt. 172 In Deutschland verändert sich die Einstellung zur Gentechnologie erst langsam. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß eine Kosten-Nutzen-Analyse zu unterschiedlichen Ergebnissen führt, wenn sie in verschiedenen ethischen Systemen durchgeführt wird. 173

168 Tversky/ Kahneman, Judgement under Uncertainty: Heuristics and Biases, in: Science Bd. 185 (1974), S. 1124 ff. 169 Ebd., S. 18. 170 Vgl. VDI-Richtlinie 3780 "Technikbewertung - Begriffe und Grundlagen". Düsseldorf (VDI) 1991. 171 Diese Studie der öffentlichen Meinung zur Biotechnologie ist zusammengefaßt bei Bum, S. 48 f. 172 Wie wiedergegeben in: Bum, S. 48. 173 Douglas, S. 15.

III. Vergleich

205

5. Kombination abschätzender und bewertender Elemente Die Behandlung des Risikos der Gentechnik ist konzeptionell aufgegliedert in die Risikoabschätzung und die Risikobewertung. Bei jedem der genannten Schritte der Risikoabschätzung (Risk Assessment Policy) 174 können sowohl wissenschaftliche Urteile als auch rechtspolitische Präferenzen eine Rolle spielen, wenn anhand der verfügbaren Beweise eine Auswahl zwischen mehreren Schlußfolgerungsketten zu treffen sind. Diese Urteile und Präferenzen sind jedoch nochmals zu unterscheiden von den sozialen und ökonomischen Erwägungen, die wichtig für die Risikobewertung sind. In den Vereinigte Staaten ist diese Trennung auch von der EPA als vernünftiger Ansatz gebilligt worden. 175 Obwohl bereits die Risikoabschätzung erhebliche wissenschaftliche Probleme mit sich bringt, ist weitgehend anerkannt, daß die wissenschaftlichen Probleme vor den politischen Problemen verblassen, die in einem demokratischen Staat auftreten, wenn eine Risikoentscheidung mit Kosten-Nutzen-Abwägung gerechtfertigt werden SOIl.176 Um die Entscheidungsprozesse dennoch möglichst nachvollziehbar zu gestalten, legen beide hier verglichenen Gentechnikregelungen äußersten Wert darauf, soweit dies möglich ist, die naturwissenschaftliche Risikoabschätzung und die normative Risikobewertung, zu trennen und deren Ergebnisse auch in der Entscheidungsbegründung getrennt darzustellen.

6. Prozedurale oder materielle Strukturierung Insoweit, als gerade die Nutzen-Risiko-Abwägung als Kernstück der Risikobewertung in beiden hier verglichenen Rechtsordnungen als verbesserungsbedürftig angesehen wird, ist von besonderem Interesse, in welche Richtung die Verbes serungsvorschläge in den jeweiligen Rechtsordnungen zielen. In Deutschland wird die Nutzen-Risiko-Abwägung als mittelbarer, weil entscheidungs offener, und damit problembelasteter Standard angesehen. Zwar verkleinert das Recht den Entscheidungsspielraum der Behörde durch Verfahrensnormen, materielle Zielvorgaben und Optimierungsgebote. Zudem stehen individuelle Gegenrechte bereit. Dennoch wurde seit Beginn des Gesetzgebungsverfahrens im deutschen Schrifttum gefordert, die formalen Entscheidungsabläufe weiter zu gestalten. 177 Am dringlichsten wird jedoch das Ziel verfolgt, die materiellen Entscheidungen stärker zu strukturieren. 178 Das Verlangen der deutschen Rechtsordnung nach der Siehe oben Kapitel 2 Abschnitt I. 3. Silbergeld, Risk Assessment, S. 103.; Harrison/Hoberg, S. I ff. 176 Douglas, S. 19. m Backhaus, Vorstellung eines geplanten Projektes, S. 218; Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 135; für die Ausweitung der Umwe1tverträglichkeitsprüfung, der Produktlinienanalyse, der Ökobilanz und des Öko-Audits auf die Bewertungsentscheidung: Umweltbundesamt, Beitrag, S. 137. 178 Vgl. dazu schon oben, S. 191; Winter, Ausschußdrucksache 11 /3, S. 140 ff. 174 l75

206

Kap. 6: Die Risikobewertung

Fonnulierung der öffentlichen und privaten Verantwortlichkeiten, möglichst in Rechtsverordnungen unter Verwendung von numerisch präzisen Standards, wird in den Vereinigten Staaten als "nationale Vorliebe für Präzision" wahrgenommen. 179 Auch in der US-amerikanischen Literatur wird eine größere Vorhersehbarkeit der jeweiligen Abgrenzung von unvertretbarem Risiko gefordert. 180 Dementsprechend liegt auch in den Vereinigten Staaten der Schwerpunkt der Bemühungen seit Jahrzehnten in der Erstellung von behördenübergreifenden Studien und Richtlinien, in denen bestimmte Gesundheitsrisiken abstrakt bewertet und in eine Reihenfolge gebracht werden. 181 Dabei werden vielfach kritisierte Kriterien und Maßstäbe verwendet. Beispielsweise haben solche Gesundheitsrisiken höchste Priorität, bei denen durch staatliche Maßnahmen die meisten potentiellen Menschenleben gerettet werden können. Grundsätzlich sollen zumindest gewisse Vorgaben für eine derartige Abwägung auf abstrakter Ebene geschaffen werden. Eine abstrakte Technologiebewertung wurde auch für das deutsche Technologierecht bereits als sogenannte Risikobewertung mittlerer Ebene gefordert. 182 Darunter wird die Bewertung einer Technologie, hier insbesondere eines bestimmten Organismus oder einer Gruppe von Organismen, auf unterparlamentarischer, aber behördenübergreifender Ebene verstanden. Ein solches Vorgehen wäre nicht nur aus Griinden der Rechtssicherheit vorteilhaft, sondern würde auch den erheblichen Verwaltungsaufwand eines unstandardisierten Abwägungsvorganges beträchtlich verringern. Daneben verläßt sich das US-amerikanische Recht zur fairen Gewichtung einzelner Werte stark auf prozessuale Instrumente. Die Öffentlichkeitsbeteiligung spielt bei Entscheidungen auf administrativer Ebene, aber auch bei der Verordnungsgebung eine starke Rolle. 183 Die Bemühungen gehen dahin, bei einer gesamtgesellschaftlichen Betrachtung die Risiken, die von verschiedenen Substanzen ausgehen, effektiv zu kontrollieren, daher ist das US-amerikanische System nicht mit gleichem Nachdruck um die Standardisierung einer Einzelentscheidung, etwa durch Vorgabe einer Kollisionsordnung bemüht, sondern um die effektive Lösung einzelner Probleme im Zusammenhang des Einzelfalles. Der Bürger ist vornehmlich auf Kontrolle der Einhaltung eines sachlichen und fairen Verfahrens verwiesen.

"National bias toward precision", BrickmanlJasanojf/llgen, S. 53. Siehe Saperstein, "The Monkey's Paw: Regulating the Deliberate Environmental Release of Genetically Engineered Organisms", in: 66 Wash.L.Rev. 247 (Januar 1991) S. 255; Floumoy, Coping with Complexity, Loyola L.A.L.Rev. Bd. 27 (1994), S. 809 (817); dies., Legislating Inaction: Asking the Wrong Questions in Protective Environmental Decisionmaking, in: Harvard Environmental Law Review Bd. 15 (1991), S. 327 ff. 181 Dazu bereits oben, S. 97 ff. 182 Vgl. Winter, S. 86. 183 Dazu ausführlich unten Kapitel 7. 179

180

IV. Zusammenfassung zu Kapitel 6

207

Im übrigen verbleibt der Verwaltung jedoch ein beträchtlicher Spielraum, der rechts staatlich durch einen Verweis auf eine autonome Legitimation, die Aufgabenangemessenheit der Verwaltungstätigkeit und die Pluralisierung von Behörden und Verfahren gerechtfertigt wird. Dieser Spielraum würde in Deutschland die Grenzen des Art. 20 und 19 Abs. 4 GG und auch die These von der Konkretisierung des Verfassungsrechts durch das Verwaltungsrecht 184 trotz neuerlicher Anstregungen zur Dynamisierung des Rechtsstaatsprinzips 185 sprengen. Eine derart eigenständige Regelungsermächtigung, wie sie die Exekutive in den Vereinigten Staaten innehat, wäre in Deutschland nur denkbar, wenn man eine Legitimation nicht nur in der Entscheidung durch den Staat selbst, sondern auch schon in der Verantwortung des Staates für die richtige Entscheidung sähe.

IV. Zusammenfassung zu Kapitel 6 Kernstück der Freisetzungsentscheidung ist die Risikobewertung. Sie ist in beiden hier verglichenen Rechtsordnungen als Risiko-Nutzen-Abwägung ausgestaltet. In den Vereinigten Staaten, ist diese Abwägung, soweit die gesetzliche Ermächtigung dazu vorhanden ist, umfassender Entscheidungsmaßstab. Das heißt, die im Rahmen der Risikoabschätzung identifizierten Risiken gehen neben dem gesellschaftlichen Nutzen der Freisetzung voll in die grundsätzlich offene Abwägung ein. Derartige ökonomische Analysen sind tief im US-amerikanischen Umweltrecht verwurzelt. In der Praxis ordnet die Umweltschutzbehörde so lange die Erhöhung von Sicherheitsvorkehrungen oder von zusätzlichen Tests an, bis die verbleibende Ungewißheit durch den Nutzen der Freisetzung gerechtfertigt werden kann. Eine materiellrechtliche Garantie zur Einhaltung von Schutzpflichten existiert nicht. In Deutschland wird verlangt, alle nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglichen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen sind und die Risiko-Nutzen-Abwägung des § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG betrifft nur den Bereich verbleibender Ungewißheiten bei gentechnischen Freisetzungen, der nicht vom Gefahrenabwehr- und Risikominderungsgebot erfaßt wird. Statt auf Technologiestandards verläßt sich das Recht der Vereinigten Staaten auf Qualitätsziele und flexible Optionen, in denen auch Privaten Standardisierungsaufgaben zukommen, was in Deutschland als Vernachlässigung staatlicher Schutzpflichten verstanden würde. Die Anwendung der Nutzenabwägung wurde in der deutschen Praxis bislang wohl auch aus Furcht vor in den Vereinigten Staaten üblichen Nutzendiskursen vermieden. Stattdessen wird nach Möglichkeiten geforscht, den als problematisch empfundenen Standard materiell stärker zu strukturieren. Neben der Systematisierung verschiedener Nutzen kommt auch eine Abstufung verschiedener Risiken in 184

185

Wemer, DVBI. 1959, S. 527 ff. Beispielsweise Vi Fabio. VerArch Bd. 81 (1990), S. 193 (210 f.).

208

Kap. 6: Die Risikobewertung

Betracht, wie sie in verschiedenen US-amerikanischen Richtlinien vorgenommen wird. Wegen der Komplexität der Regelungsmaterie verläßt man sich in den Vereinigten Staaten auf eine prozedurale Strukturierung der Abwägung. Ähnliche Vorschläge für das deutsche Recht stoßen auf rechts staatliche Einwände.

Kapitel 7

Der Entscheidungsfindungsprozeß In den vorangegangenen Kapiteln hat sich ergeben, daß griffige materielle Kriterien für die Risikobewertung in beiden hier verglichenen Rechtsordnungen fehlen. Gerade das US-amerikanische Recht verweist in diesem Zusammenhang häufig auf prozessuale Rechte. Daher sollen an dieser Stelle zunächst das Verfahren zum Erlaß von exekutiven Normen und von exekutiven Einzelentscheidungen verglichen werden.

I. Verfahren zum Erlaß von Normen Als untergesetzliche Normen kommen in Deutschland Rechtsverordnungen und in den Vereinigten Staaten Regeln (ru/es) als Regelungen der Exekutive mit Normcharakter in Betracht. 1. Vereinigte Staaten

In den Vereinigten Staaten werden Regeln, wie beispielsweise die APHIS-Regeln oder die TSCA-Regeln, von den gesetzlich ermächtigten Ministerien oder von der EPA als unabhängiger Sonderbehörde erlassen. 1 Es existieren zahlreiche Verfahrensvorschriften für exekutive Normsetzungsverfahren, die in der deutschen Literatur bereits erörtert wurden. 2 Daher sollen Schwerpunkt der Betrachtung hier nur noch die Verfahrensvorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung und andere Verfahrensvorschriften sein, die für Risikoabschätzungen von besonderem Interesse sind. a) Öjfentlichkeitsbeteiligung

Dabei müssen die Behörden die allgemeinen Vorschriften aus dem Federal Administrative Procedure Act3 (APA) einhalten, und mitunter sind auch Sondervorschriften anwendbar. 1 2

3

Vgl. dazu bereits oben, S. 64, 67. Brugger, S. 190 ff. U.S.C. Title 5, chapter 5.

14 Pohl

210

Kap. 7: Der Entscheidungsfindungsprozeß

aa) Allgemeine Vorschriften des APA Beim Erlaß von Rechtsverordnungen zur Regelung der Gentechnik hat die Öffentlichkeit ebenso wie in anderen Regelungsgebieten des US-amerikanischen Verwaltungsrechts weitgehende Teilnahmerechte. Die wichtigsten Instrumente sind die Bekanntmachung und die Einwendungsmöglichkeit, welche gegebenenfalls mehrfach hintereinander ausgeführt werden können, sowie im Einzelfall auch Erörterungen. Die Behörde muß eine allgemeine Bekanntmachung einer vorgeschlagenen Rechtsverordnung im Bundesanzeiger, dem Federal Register; veröffentlichen. 4 Gemäß § 553(c) APA gibt die Behörde dann "interessierten Personen die Möglichkeit, am Rechtsetzungsverfahren durch die Einreichung von schriftlichen Daten, Ansichten oder Argumenten teilzunehmen, entweder mit oder ohne Gelegenheit einer mündlichen Anhörung". Somit kann nach der Bekanntmachung des Verordnungsentwurfes jedermann seine schriftlichen Kommentare zu der geplanten Regelung abgeben, und es steht im Ermessen der Behörde, auch mündliche Präsentationen zuzulassen. Im Zusammenhang mit der Gentechnikregelung fordert das Coordinated Framework die Öffentlichkeit ausdrücklich dazu auf, Kommentare zu seiner Regelungspolitik abzugeben. 5 Die Stellungnahmen der Öffentlichkeit können sehr qualifiziert erfolgen, weil jedermann unter dem Gesetz über den freien Zugang zu Verwaltungsinformationen, dem Freedom of Information Acl (FOIA), Einsicht in die Unterlagen eines Verwaltungsverfahrens nehmen und die wissenschaftlichen Studien der Verwaltung anfordern kann, um so gezielte Gegenargumente aufzubauen. Ferner sind nach dem Govemment in the Sunshine AcP Verhandlungen und deren Protokolle und Ergebnisse jeder Kollegialbehörde grundsätzlich öffentlich. 8 Daher werden zu jedem Verwaltungsverfahren auch Kopien angefertigt, in denen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (Confidential Business Information, kurz CB/) ausgespart sind. In aller Regel nehmen die Behörden die Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit sehr ernst, und oft beeinflussen diese die Regelungspolitik maßgeblich. Beispielsweise befaßte sich eine große Zahl der Stellungnahmen zu dem Entwurf der Neufassung der APHIS-Regeln im Jahre 1993 mit dem Anzeigeverfahren. Es war nämlich vorgesehen, daß es im Falle einer bloßen Anzeigepflicht ausreicht, die Anzeige am Tag der Freisetzung einzureichen. 9 Annähernd 48 Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit bezogen sich nur auf diese Vorschrift. 10 Die einzigen Befürworter § 553(b) APA. Coordinated Framework Fed.Reg. Bd. 51, vom 26. Juni 1986, S. 23302 ff. 6 5 U.S.c. 552. 7 5 U.S.C. § 552b. 8 Vgl. dazu umfassend: Gur/it, Akteneinsicht in den Vereinigten Staaten, in: Winter (Hrsg.), Öffentlichkeit von Umweltinformationen (1990), S. 511 ff. 9 § 340.3(d)(3) APHIS-Regeln. 10 Fed. Reg. Bd. 58, vom 31. März 1993, S. 17044 (17050). 4

5

I. Verfahren zum Erlaß von Normen

211

dieser Vorschrift waren eine Gruppe von Industrievertretern, die eine solche knappe Benachrichtigungsfrist für die Durchführung von bloßen Transportvorhaben genügen lassen wollten. Im Gegensatz dazu sprachen sich 37 Stellungnahmen von Regierungen der US-Bundesstaaten, von Industrievertretern, von Verbraucherverbänden und von Kongreßmitgliedern gegen die Benachrichtigung am selben Tag aus und schlugen Fristen von 10 bis 15 Tagen bis hin zu 60 Tagen vor. APHIS reagierte auf die Eingaben dadurch, daß es in den endgültigen Regeln eine Frist von 10 Tagen für zwischenstaatlichen Transport von gentechnisch veränderten Organismen festschrieb, und 30 Tage für den Import oder die Freisetzung solcher Organismen.

bb) Sondervorschriften Zu den allgemeinen Vorschriften des Verordnungsverfahrens treten mitunter auch Spezialvorschriften der Fachgesetze, die häufig die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Entwicklung der Regelungspolitik in besonderer Art und Weise vorsehen. II Speziell für Verbesserungen der Risikoabschätzungen betrachtet die EPA erklärtermaßen Transparenz und Beteiligung der Öffentlichkeit als Schlüsselfaktoren für die Entwicklung von Methoden und Instrumenten. Gerade bei der Erkenntnis über chemische Substanzen und wissenschaftlichen Fortschritt hat die Industrie, zusammen mit Wissenschaftlern und Forschern, eine wichtige Rolle gespielt und Möglichkeiten für eine Partnerschaft zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor zur Entwicklung der Risikoabschätzung eröffnet. 12 Unter TSCA hat die EPA sogar die Möglichkeit, Vertreter des öffentlichen Interesses finanziell zu unterstützen, die zum Entscheidungsfindungsprozeß wahrscheinlicherweise positiv beitragen würden. 13 Die APHIS-Regeln sehen beispielsweise ausdrücklich die Beteiligung der Öffentlichkeit zur Fortentwicklung der Regelung und Anpassung an den Stand des Wissens vor. Beispielsweise veröffentlicht APHIS Petitionen zur Änderung der Liste der geregelten Artikel in § 340.2 APHIS-Regeln im Federal Register und nimmt Stellungnahmen der Öffentlichkeit dazu entgegen. Ein Artikel kann nur den Status als "nicht regulierter Artikel" erhalten, nachdem die Öffentlichkeit beteiligt wurde. Ebenso soll die Erweiterung der Liste des § 340.3(b)(I)(i) APHIS-Regeln über die Organismen, die nur dem Anzeigeverfahren unterliegen, im Wege des Verfahrens der Veröffentlichung und Stellungnahme erfolgen. Auf diesem Wege wurden beispielsweise die Nutzpflanzen Walnuß, Karotte, Endivie, Artischocke, Sonnenblume, Kopfsalat, Zuckerrübe, Weizen, Bohne, Canola, Apfel und Hafer 11 Bell, USDA Regulation of Biotechnology: Incorporating Public Participation, in: Stanford Environmental Law Journal Bd. 7 (1987 -1988), S. 7 ff. 12 Goldman, Risk Symposium: Environmental Risk Assessment and National Policy: Keeping the Process Fair, Effective and Affordable, University of Cincinnati Law Review, Bd. 63, Sommer 1995, S. 1533, 1548 f. 13 Brickman/JasanojJ/llgen, S. 44 f.

14*

212

Kap. 7: Der Entscheidungsfindungsprozeß

für das Benachrichtigungsverfahren vorgeschlagen. APHIS lehnte dies mit der Begriindung ab, nur jeweils eine einzige Stellungnahme habe die entsprechenden Pflanzen als für das Anzeigeverfahren geeignet bezeichnet, während ansonsten kein wissenschaftlicher Konsens über deren Eignung für das Benachrichtigungsverfahren vorgelegen habe. 14 Zur Erweiterung der Liste von Organismen, die einem bloßen Anzeigeverfahren unterliegen, verläßt sich APHIS in starkem Maße auf Informationen aus Stellungnahmen der Öffentlichkeit. 15 b) Weitere Verfahrensanlorderungen

Bei dem Erlaß von Regeln muß eine Behörde nicht nur die öffentliche Partizipation ermöglichen. Sie ist auch verpflichtet, den Regelungsvorschlag verschiedenen Analysen zu unterziehen. Bekanntestes Beispiel ist die Umweltverträglichkeitspriifung unter NEPA. Danach muß für jede legislative Maßnahme und für jede andere bedeutende Handlung auf Bundesebene, die auf signifikante Weise die Qualität der menschlichen Umwelt beeinträchtigen könnte, eine Einschätzung über die Umweltauswirkungen angefertigt werden. 16 Daher hat auch APHIS für den Entwurf der neuen APHIS-Regeln ein EA formuliert, das sich hauptsächlich mit den Umweltauswirkungen des neu eingeführten Anzeigeverfahrens befaßt. 1? Im wesentlichen beruft sich APHIS auf das D.C. Circuit Urteil im Fall Foundation on Economic Trends vs. Heckler l8 , wonach das EA an dem Punkt der Behördentätigkeit erforderlich werde, an dem verbindliche Außenwirkung eintrete ("point 01 commitment"). Dieser Punkt sei bei den APHIS-Regeln erst dann erreicht, wenn die Behörde jeden einzelnen Antrag oder jede einzelne Petition, insbesondere auf Bestimmung des Status als nicht regulierter Artikel, beurteile. Vor dieser Einzelfallentscheidung nämlich begriinden die entsprechenden Vorschriften der APHIS-Regeln noch kein abschließendes Recht eines Antragstellers auf Befürwortung eines Antrags oder einer Petition. Etwas anderes gilt für die Vorschriften über das Anzeigeverfahren. Diese Vorschriften begriinden nämlich ein Recht zur Freisetzung für einen Antragsteller, der alle Ausführungsstandards einhält, wenn der freizusetzende Organismus eines der entsprechenden Auswahlkriterien erfüllt. Eine volle Umweltverträglichkeitspriifung (EIS) ist jedoch unter APHIS nicht erforderlich, weil die Behörde davon ausgeht, daß die volle Erfüllung der genannten Standards immer zur Feststellung keiner erheblichen Umweltauswirkungen (Finding 01 No Significant Impact, kurz FONSI) für die Einführung der betreffenden Pflanze führen würde. 19 14 Fed. Reg. Bd. 55, S. 32279; Fed. Reg. Bd. 55, S. 32279; Chem. Reg. Rep. (BNA), Bd. 17, vom 10. Januar 1994, S. 1728. 15 Vgl. etwa Fed. Reg. Bd. 58, vom 31. März 1993, S. 17047 -17048. 16 U.S.C.A. Titel42, § 4332(C). Vgl. auch schon oben S. 56. 17 Vgl. Fed. Reg. Bd. 58, vom 31. März 1993, S. 17044 (17044). 18 756 F.2d 143, D.C. Cir. 1985; siehe dazu ausführlich unten S. 252 f.

I. Verfahren zum Erlaß von Normen

213

Wie bereits erwähnt, ergeben sich weitere zum Teil stark belastende Verfahrensanforderungen aus executive orders, die eine ökonomische Analyse jeder neuen Rechtsverordnung verlangen. 20 Ferner müssen die Behörden Risikoabschätzungsverfahren durchführen, welche sicherstellen sollen, daß die Regelungspolitik risikobezogen gestaltet wird. Es handelt sich um behördenübergreifende Studien, deren Ziel es ist, Prioritäten für die Verteilung staatlicher Ressourcen auf die Überwachung verschiedenster Gesundheitsrisiken zu setzen. 21 Ferner ergeben sich Anforderungen hinsichtlich des Ausmaßes an Verwaltungsaufwand, den eine neue Norm verursachen darf. 22 So wurden beispielsweise auch die APHIS-Regeln durch das Office of Management and Budget (OMB) hinsichtlich der einzureichenden Daten und des Aufwands im Verwaltungs verfahren unter dem Gesetz zur Verringerung von Schreibarbeit, Paperwork Reduction Act23 , gepriift und bewilligt. 24

2. Deutschland Die Verfahrensanforderungen bei der exekutiven Normsetzung sind weitaus weniger ausgeprägt als in den Vereinigten Staaten. Ein formales Verfahren für die Erstellung von Rechtsverordnungen existiert über die Vorlagepflicht beim Bundesrat hinaus nicht. Ein Ausnahme bildet die praktisch sehr bedeutsame Verfügung für die Bundesverwaltung, wonach interessierte Kreise bei der Vorbereitung von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften angehört werden sollen. Dabei entscheidet jedoch die Exekutive sowohl dariiber, welche Gruppen konsultiert werden sollen, als auch über die Art und Weise und den Zeitpunkt der Anhörung. Obwohl die Bundesbehörden schriftliche Anhörungen zu Regelungsentwürfen durchführen, geht die Öffentlichkeitsbeteiligung nach Auffassungen in der Literatur nicht weit genug, weil die Öffentlichkeit nicht auf breiter Grundlage unterrichtet wird und eine vollintegrierte Beteiligung der Öffentlichkeit kein wesentlicher Faktor bei der Regulierung ist. 25 In Deutschland sind Verfahrensvorschriften für den Erlaß von Rechtsverordnungen auch nicht in Spezialvorschriften vorgesehen. Insbesondere sieht das GenTG für die Verordnungsgebung, außer der Beteiligung der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) oder der Zustimmung des Bundesrates, nicht einmal die Anhörung der beteiligten Kreise vor. 26 Diese geringen Partizipationsmög19 Fed. Reg. Bd. 58, vom 31. März 1993, S. 17044 (17054). 20 Oben, S. 99. 21 Vgl. oben S. 97. 22 MashawlMerrill, S. 58 ff. 23 U.S.c. Titel 44, §§ 3501 et seq. 240MB control number 0579-0085. 25 HirschlSchmidt-Didczuhn, DVBl. 1991, S. 428 ff. 26 Vgl. §§ 5, 9, 14 Abs. 4 GenTG im Gegensatz etwa zu zahlreichen Vorschriften des BlmSchG; Drescher, ZUR 1994, S. 289 (298).

214

Kap. 7: Der Entscheidungsfindungsprozeß

lichkeiten erscheinen inkonsequent. Denn sogar vor Inkrafttreten des GenTG war eine Anhörung für alle grundsätzlichen Entscheidungen der Exekutive insofern vorgesehen, als alle Anlagen zum Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen im förmlichen Verfahren, das eine Anhörung beinhaltete, zu genehmigen waren. Zudem hatte die Enquete-Kommission des Bundestages hat darauf hingewiesen, daß, gerade solange sich die Gentechnik noch rapide fortentwickelt und sich als Folge davon auch das Wertebewußtsein vieler Menschen verändere, beim Umgang mit der Gentechnologie der rationale gesellschaftliche Diskurs erforderlich bleibe. 27

3. Vergleich Das Recht der Vereinigten Staaten zeichnet sich durch seine prozedurale Komplexität aus. Diese ergibt sich aus den allgemeinen Anforderungen an das Verordnungsgebungsverfahren sowie aus speziellen Anforderungen, die Verordnungen wissenschaftlichen und ökonomischen Analysen zu unterziehen. 28 Zudem ist eine extensive Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen, die sich auch in der Praxis bewährt. In Deutschland hingegen existieren neben der Beteiligung des Bundesrates vergleichsweise wenige Verfahrensvorschriften. Insbesondere sind die Verfahrensrechte der Öffentlichkeit im Verordnungsgebungsverfahren minimal, und der tatsächliche Einfluß öffentlicher Stellungnahmen auf die letztendliche Rechtsverordnung ist gering. Das US-Verwaltungsverfahren stellt sehr großzügige Vorschriften bereit, damit auch nur marginal interessierte Gruppen am Regulierungsprozeß teilnehmen können. 29 Im Gegensatz dazu haben in Deutschland faktisch vor allem Vertreter bestimmter Interessengruppen Zugang zum Beteiligungsverfahren. 30 Die Konsensgewinnung erfolgt durch ein informelles, und tendenziell eher undurchsichtiges Verfahren der Interessenanpassung. Trotz der Ansätze zur Öffentlichkeitsbeteiligung können die Normen der Exekutive nicht als wirklich zwischen den Parteien gleichberechtigt ausgehandelt angesehen werden, wie dies im Rahmen der Veröffentlichung, Kommentierung, gegebenenfalls mit erneuter Veröffentlichung und Kommentierung, bis hin zur Möglichkeit des Erörterungstermins mit kontradiktorischem Charakter ("adversarial approach") im amerikanischen Recht geschieht. 31

27

S. V. 28 29

30

31

Enquete-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie", BT-Drs. 10/6775, Vgl. Brickmanl Jasanoff/llgen, S. 52. Allgemein: ebd., S. 44 f.; siehe oben S. 211. Brickmanl JasanofflIlgen, S. 44 f. Rehbinder; in: Smith/Kromarek, S. 8 (18).

I. Verfahren zum Erlaß von Nonnen

215

a) Normgebung als technokratischer oder sozialer Prozeß

Die Unterschiede in der Bedeutung der Öffentlichkeitsbeteiligung im Normsetzungsverfahren sind eine Ausprägung des unterschiedlichen Grundverständnisses von Verwaltungshandeln in beiden Ländern. In den Vereinigten Staaten bestand vor 1930 eine völlig technokratische Auffassung von dem Verordnungsgebungsverfahren, wie sie den Verfahren in einigen europäischen Staaten auch heute noch zugrunde liegt. Der technokratische Ansatz bedeutet, daß das Verordnungs gebungsverfahren als weitgehend mechanischer Prozeß verstanden wird, bei dem die politischen Vorgaben für ein Regelungsgebiet lediglich detailliert in Einzelbestimmungen umgesetzt werden. Da diese Umsetzung ein rein technischer Ablauf ohne wesentliche politische Entscheidung ist, schöpfen Verwaltungsnormen ihre Berechtigung daraus, daß die Spitze der Exekutive vom Volk gewählt wird, die ihrerseits die Rechtsetzungskompetenz an behördliche Fachleute delegiert. Die Experten in den Behörden schreiben daraufhin die Verordnungen, von freiwilligen Anhörungen abgesehen, weitgehend isoliert von weiterem Einfluß der Öffentlichkeit. In den Vereinigten Staaten setzte sich nach weitreichenden Umwälzungen in der Rechtsphilosophie, die unter dem Stichwort "New Deal" in die Literatur eingingen, ab etwa 1937 in den Vereinigten Staaten der rechtliche Realismus durch, der auch zu einem neuen Verständnis von der Rolle der Behörden führte. Man glaubte nicht mehr daran, daß rechtliche Autoritäten definitive Ergebnisse determinieren können. Vielmehr wird seitdem die Rechtsfindung als kultureller Prozeß zur Ordnung der Gesellschaft gesehen. Ihre Legitimität hängt von ihrer Funktionalität, der zugrundeliegenden Rechtspolitik und Orientierung ab. Dabei wird zugestanden, daß die juristischen Entscheidungsträger stets vor einer Wahl zwischen verschiedenen rechtspolitischen Ansätzen stehen. Die Entscheidung ist deshalb daran zu messen, inwieweit sie mit sozialen Normen im Einklang steht und effektiv im Sinne des zugrundeliegenden rechtspolitischen Ansatzes ist. Das US-amerikanische Verwaltungsrechtssystem verläßt sich zur Überprüfung der Frage, ob eine Ausführungsbestimmung tatsächlich im Einklang mit sozialen Normen steht, neben der demokratischen Legitimationskette auch auf die direkte Beteiligung der Öffentlichkeit. Grund dafür ist auch ein grundlegend großes Mißtrauen gegenüber dem bürokratischen Apparat. 32 Beispielsweise entschieden sich 63% der Befragten bei einer Umfrage im Jahre 1986 zu der Frage, wem die Bürger Glauben schenken würden, wenn eine Bundesbehörde angebe, ein veränderter Organismus stelle kein bedeutendes Risiko dar, während eine nationale Umweltschutzorganisation von einem erheblichen Risiko ausgehe, gegen die Behörde. 33 Für die gentechnischen Freisetzungen bedeutet der Verlust an behördlicher Autorität, daß idealerweise die Experten der Behörde nur noch an dem wissenschaftlichen Teil der Risikoabschätzung beteiligt sind, während das wertende Risikomana32

33

Stewart, in: Turner / Kromarek, S. 1 (2). Wie wiedergegeben in: Burn, S. 48.

216

Kap. 7: Der Entscheidungsfindungsprozeß

gement der Öffentlichkeit überlassen wird, "um eine Machtübernahme durch einen elitären Expertenkult zu verhindern".34 Diese Vorgehensweise wird als essentieller Teil des demokratischen Prozesses empfunden, weil es die Behörden davon abhält, zwar rechtmäßige und technisch einwandfreie Regelungen zu erlassen, die jedoch in Anbetracht der aktuellen politischen Wünsche der Gemeinschaft im weiteren Sinne als unannehmbar erscheinen. 35 Eine "Priesterschaft verantwortungsvoller Technologen" nach Platonischem Ideal wird in der Risikotheorie als Entfremdung empfunden, weil die Öffentlichkeit stärker integriert werden muß, um die verzerrte Wahrnehmung von Risiken zu verhindern. 36 Dagegen wird es als demokratisch legitim angesehen, der öffentlichen Meinung mehr Gewicht beizumessen als den Ansichten der Behörde. Denn die Behörde soll keine Rechtsverordnungen gegen den Willen der Öffentlichkeit erlassen können. Der Gesetzgeber hätte nämlich Normen solchen Inhalts ebenfalls nicht erlassen, weil er unter ähnlichem politischen Druck gestanden hätte wie die Behörde während des Partizipationsverfahrens. 37 In Deutschland hingegen wird in Anlehnung an die idealtypische hierarchische Ministerialverwaltung mit expertokratischer Legitimation neben der Vorlage beim Bundesrat darauf vertraut, daß die gewählten Volksvertreter in den Ministerien die fachlich qualifiziertesten Experten mit der Verordnungsgebung beauftragen. Die Öffentlichkeitsbeteiligung als zusätzliche Gemeinwohlinstanz ist erst wiederentdeckt worden, als die mangelnde Steuerungsfähigkeit bei komplexen Regelungsgegenständen offenbar wurde. 38

b) Nachteile starker Ö!fentlichkeitsbeteiligung

Der größte Nachteil, den der starke Einfluß der Öffentlichkeit auf die exekutive Normgebung hat, sind die Bedenken, daß die Industrie einen zu großen Einfluß auf den Inhalt der Regelungen nehmen könnte, von denen sie später betroffen sein wird. Daraus ergibt sich auch für die Gentechnik der weitverbreitete Vorwurf der Selbstregulierung der Industrie, die oft finanziell und personell am besten in der Lage ist, technische und wissenschaftliche Kommentare abzufassen. Tatsächlich bietet es sich für die Regelungsbehörde geradezu an, die Interessen der Industrie stärker zu berücksichtigen als die Rechte anderer Parteien, die nicht die Ressourcen besitzen, um ihre Interessen ebenso nachdrücklich zu präsentieren. Wegen möglicher Auswüchse im Rahmen von stark ausgeprägtem Lobbyismus ist es fragRuckeishaus, S. 19. Vgl. grundlegend FeldmaniMilch, S. 1 ff.; Fraiberg, J. D./ Trebilcock, M. J., Risk regulation: technocratic and dernocratic tools for regulatory reform, in: McGill Law Journal, Bd. 835 - 887 (Decernber 1998), S. 835 ff. 36 KrierlGillette, Risk, Courts and Agencies, U.Pa.L.Rev., Bd. 138 (1990), S. 1027, (1103). 37 Bonfield, S. 54 ff. 38 Trute, DVBl. 1996, S. 950 (963). 34

35

I. Verfahren zum Erlaß von Nonnen

217

lich, ob die direkte Teilnahme der Betroffenen im Verordnungsgebungsprozeß wirklich eine größere Legitimationswirkung hat als die Rechtsetzung durch behördliche Experten als qualifizierte Repräsentanten der Öffentlichkeit. Hinzu kommt, daß die Behörden bei der Regulierung von Umweltproblemen den größten Schwerpunkt dort setzen, wo die meiste Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erwarten ist, und nicht dort, wo der größte Regelungsbedarf besteht. 39 Neben dem Vorwurf, daß die Industrie im allgemeinen einen zu großen Einfluß auf die Verordnungsgebung haben könnte, existieren Bedenken hinsichtlich der Gleichheit der Beteiligungsmöglichkeiten aller Betroffenen. Die starke Öffentlichkeitsbeteiligung ermöglicht zwar direkte Teilnahmerechte der Bürger, was insbesondere in einem System, das auf die Repräsentation von Einzelinteressen aufbaut, wünschenswert ist. Jedoch können im Einzelfall bestimmte Gruppen von Bürgern wegen mangelnder Ressourcen unterrepräsentiert sein. In der US-amerikanischen Verwaltungspraxis werden die meisten Stellungnahmen von Interessengruppen oder Industrieverbänden eingereicht, in denen sich zahlreiche kleinere Unternehmen zusammenschließen, um ihre gemeinsamen Interessen zu formulieren, obwohl auch zahlreiche Privatpersonen Eingaben machen. In Deutschland machen Einzelpersonen nur selten Eingaben, und oft konsultiert der Verordnungsgeber nur bestimmte Industrieverbände. Das führt dazu, daß häufig bereits außerhalb des Verwaltungsverfahrens im engeren Sinne ein politischer Konsens über bestimmte Regelungsfragen von den potentiell Betroffenen angestrebt wird. Im Anhörungsverfahren werden dann von den Verbänden, die mächtige wie auch weniger einflußreiche Unternehmen repräsentieren, oft nur noch solche Argumente vorgebracht, die von den betroffenen Kreisen mehrheitlich unterstützt werden. Ein weiterer Nachteil der extensiven Beteiligung der Öffentlichkeit am Verordnungsgebungsverfahren sind die zeitlichen Verzögerungen und die zusätzlichen Kosten, die durch die Bekanntmachung und Auswertung der Stellungnahmen entstehen. Dies gilt in den Vereinigten Staaten in besonderem Maße, weil die Einhaltung bestimmter Kommentierungsfristen vorgeschrieben ist. Zudem kann es erforderlich werden, einen geänderten Entwurf nochmals zu veröffentlichen und weitere Anhörungen zuzulassen. Diese Partizipationsmöglichkeiten können auch dazu mißbraucht werden, die Verabschiedung politisch unerwünschter Regelungen durch detaillierte Änderungsvorschläge und Kommentierungen um beträchtliche Zeit zu verschieben. Insbesondere die formale Verordnungsgebung, die in den Vereinigten Staaten Kreuzverhör und andere gerichtstypische Verfahrensregelungen enthält, kann extrem lange dauern, nicht selten mehrere Jahre. Beispielsweise war der Verabschiedung der Krebs-Richtlinien von OS HA im Jahre 1980 ein dreijähriges Verwaltungsverfahren vorausgegangen, das über 250 000 Aktenseiten in Anspruch genommen hatte. 40 39 Stewart, in: Smith/Kromarek, S. 1 (3); vgl. auch Breyer, oben S. 78 f. ("random agenda selection "). 40 National Research Council, Managing the Process, S. 68, 73, 77.

218

Kap. 7: Der Entscheidungsfindungsprozeß

c) Vorteile starker Öjfentlichkeitsbeteiligung

Obwohl die genannten Nachteile nicht geleugnet werden können, verfolgt das US-amerikanische Verwaltungsrechtssystem eine Partizipationsstrategie, weil sie vor allem im Kontext des Rechtssystems mit erheblichen Vorteilen verbunden ist. Unter anderem kann durch Teilnahme der Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten die Rechtmäßigkeit einer Verordnung bereits im Anhörungsverfahren überpriift werden. Dies ist deshalb wünschenswert, weil gerichtliche Kontrolle zu diesem Zweck teurer und teilweise nicht verfügbar ist. Denn abstrakte Normenkontrollverfahren sind dem amerikanischen Rechtsdenken fremd und werden sogar als Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip angesehen, soweit die Judikatur legislative Kompetenzen wahrnimmt. An konkreten gerichtlichen Verfahren wird bemängelt, daß sie aus der Natur der Sache retrospektiv sind, weil die Gerichte unrechtmäßige Vorschriften erst nach ihrer Anwendung für nichtig erklären können. 41 Das Beteiligungsverfahren trägt ferner dazu bei, technisch einwandfreie Rechtsverordnungen zu schaffen. Der Behörde wird relevante Information zugänglich gemacht, die sie anderenfalls nicht zur Verfügung gehabt hätte. Sie kann akkuratere Bewertungen aller relevanter Unterlagen und Meinungen durchführen,42 die regelmäßig sehr qualifiziert vorgetragen werden. Bei der Anhörung zu dem Entwurf der APHIS-Regeln43 beispielsweise gingen 84 Stellungnahmen von seiten von Staatsfunktionären, Universitäten, Industrie, Umwelt- und Verbraucherverbänden, Branchen- und Berufsverbänden, Kongreßabgeordneten, Bundesbehörden, Privatpersonen und Gewerkschaften ein. 44 Weiterhin ist nach US-amerikanischer Auffassung das Beteiligungsverfahren erforderlich, um politisch verantwortbare und demokratisch legitimierte Regeln zu schaffen. In den Vereinigten Staaten verspricht man sich von einer direkten Beteiligung der Öffentlichkeit am Normsetzungsverfahren eine hohe legitimierende Wirkung, die mitunter durch unbestimmte und weitgreifende Verordnungsermächtigungen verloren zu gehen droht. Dieser Gedanke ist auch dem deutschen Recht nicht fremd, jedoch stets nur als Ergänzung der klassischen rechtsformorientierten demokratischen Legitimation der Verwaltung. Im Zusammenhang mit der Feststellung, daß sich im Gentechnikrecht die entscheidenden Sicherheitsanforderungen in Verordnungen und nicht im Gesetz befinden, hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß eine Verlagerung materiellrechtlicher Vorgaben auf untergesetzliche Regelungen nur tragbar ist, wenn sie durch prozedurale Rechte kompensiert wird. 45 Weil in den Vereinigten Staaten materielle Standards selten in den Geset41 42

Bonfield, S. 143 - 153. Ebd.

APHIS-Regeln in der Fassung vom 2. November 1992. Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044, 17044, Department of Agriculture, Animal and Plant Health Inspection Service, Final Rule, CFR, Bd. 7, Part 340 with comments (Dokket No. 92-156-02), S. 2. 45 Vgl. BVerfGE 33,303 (341); 41, 251 (265); 44, 105 (116). 43 44

1. Verfahren zum Erlaß von Nonnen

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zen selbst zu finden sind, ist das gesamte Verwaltungsrechtssystem auf öffentliche Partizipation ausgerichtet. Beispielsweise hat der NRC gerade für die Entwicklung von Strategien für Risikoabschätzungen den Regelungsbehörden vorgeschlagen, friihzeitig eine unabhängige Überpriifung wichtiger Risikoabschätzungen durchzuführen, um die wissenschaftliche und öffentliche Kontrolle zu erleichtern. Dariiber hinaus sollten routinemäßig schriftliche Risikoabschätzungen zu verfassen sein, die ausdriicklich die Grundlage für die Auswahl zwischen Schlußfolgerungsoptionen aufführen. Dabei sei es möglich, den Umfang und das Gewicht wissenschaftlichen Beweismaterials zu identifizieren, um öffentlichen Zugriff zum Zwecke der Kommentierung zu erleichtern. 46 Die Öffentlichkeitsbeteiligung fördert auch die Akzeptanz der Regeln. 47 Die Möglichkeiten des Individuums zur Teilnahme verbessert den immanenten Wert der Regeln, die Befriedigung des Nutzers der Regeln und das öffentliche Vertrauen in den Staat. Dazu die gilt Partizipation als notwendig, weil anders als beispielsweise in Großbritannien48 in den Vereinigten Staaten ein grundsätzlicher Respekt vor der behördlichen Autorität nicht vorhanden ist. 49 Nur so haben die Betroffenen das Empfinden, eine adäquate Möglichkeit zu haben, um ihre Interessen zu verteidigen, und im Verfahren gerecht behandelt zu werden. Diese Wirkungen zeigten sich beispielsweise, als nach verschiedenen Modifikationen des Entwurfs im Jahre 1993 die neuen APHIS-Regeln veröffentlicht wurden. So riefen sie positive Reaktionen von Seiten sowohl der Umweltschützer, als auch der Industrie hervor. Umweltschützer aber auch die Industrie beanspruchten, daß eine große Zahl der Bestimmungen dadurch verbessert worden sei, daß die Vorschläge von Umweltschutzgruppen unmittelbar in die Regeln implementiert worden seien. Insbesondere im Bereich der Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen sieht der US-amerikanische Kongreß das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Sicherheit des behördlichen Genehmigungsverfahrens als Schlüsselfaktor dafür an, welche Änderungen in der Gesetzgebung gemacht werden dürfen. 5o Wenn die Öffentlichkeit schon an der Entwicklung von Regelungspolitiken in abstrakten Richtlinien im Gegensatz zu Einzelfallentscheidungen partizipieren kann, hat dies zudem zur Folge, daß die Diskussion objektiver stattfindet und nicht von Einzelfallinteressen verdunkelt wird. Dadurch wird möglicherweise sogar das Forschungsinteresse an den abstrakten Fragestellungen stimuliert, was zur Weiterentwicklung der Regelungen beiträgt. 51 National Research Council, Managing the Process, S. 153. Vgl. Kloepjer/ Mast, S. 1 ff. 48 Mayo/Hollander, S. 1 ff. 49 Otway, Regulating Risk and risk analysis, in: Otway IPeltu (Hrsg.), Regulating Industrial Risks, Science, hazards and public protection, S. 1 (5). 50 Anhörung im Kongress arn 2. Oktober 1990, gehalten vom House Agricultural Subcornmittee on Departrnent Operations, Research, and Foreign Agriculture, wie zitiert in: ehern. Reg. Rep., Bd. 14 (1990), S. 1028. 51 National Research Council, Managing the Process, S. 72, 162. 46

47

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Kap. 7: Der Entscheidungsfindungsprozeß

Zudem wird es in den Vereinigten Staaten als effektiver und verfahrensökonomischer angesehen, potentielle Konflikte bereits auf administrativer Ebene statt vor Gericht auszutragen. Durch Stellungnahmen zu den Entwürfen der Rechtsverordnungen soll den Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden, am Entscheidungsfindungsprozeß durch frühzeitige Geltendmachung von befürchteten Rechtsbeeinträchtigungen teilzunehmen. Während der Anhörungsverfahren können Streitfragen einer Regelung oft durch einen guten Kompromiß zwischen den Regelungszielen und den Industrieinteressen vorab gelöst werden. Tatsächlich wurde in den Vereinigten Staaten keine Klage, die indirekt eine Bestimmung einer der gentechnischen Regelungen zum Gegenstand gehabt hätte, eingereicht. 52 Demgegenüber erstreckt sich die in Deutschland latente und exorbitante Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit53 auch auf den Bereich gentechnischer Freisetzungen. Insgesamt sind erhebliche Vorteile, aber auch Nachteile von starken Teilnahmerechten im exekutiven Normsetzungsverfahren zu erkennen, insbesondere soweit ein Erörterungsverfahren vorgesehen ist. Einige Vorteile ergeben sich jedoch nur im Kontext eines Rechtssystems. Dies gilt etwa für die Legitimationswirkung, die einen anderen Stellenwert besitzt als in Deutschland, weil Rechtsetzungsbefugnisse auf extrem unbestimmte Weise delegiert werden. Ferner findet die vorverlagerte Rechtmäßigkeitsprüfung statt, welche die Funktionen der deutschen abstrakten Normenkontrolle einnimmt. Rechtsordnungsübergreifende Werturteile über Instrumente wie die Öffentlichkeitsbeteiligung sind problematisch, da es darauf ankommt, wie sich die Instrumente in die jeweilige Rechtsordnung einfügen. 54

11. Verfahren bei Einzelentscheidungen Gerade wegen der in Kapitel 6 erläuterten Schwierigkeiten bei der Konkretisierung materieller Standards ist zu prüfen, ob Verfahrens anforderungen geeignet sind, Einzelfallentscheidungen ausreichend zu strukturieren.

1. Vereinigte Staaten Neben den allgemeinen Verfahrensrechten von Antragstellern oder Anmeldern hinsichtlich gentechnischer Freisetzungen sind wiederum die Teilnahmerechte der Öffentlichkeit von Interesse. Maßgeblich sind insoweit insbesondere Spezialvorschriften.

Aussage von Mark Segal, EPA, im Gespräch vom 2. Oktober 1998. Winter, NVwZ 1999, S. 467 (474). 54 Es handelt sich um sogenannte Argumente des "cultural fit", vgl. Reitz, S. 1 ff.; vgl. auch Sommermann, DÖV 1999, S. 1017 (1022). 52

53

H. Verfahren bei Einzelentscheidungen

221

a) Spezialvorschriften zur Ö!fentlichkeitsbeteiligung

Unter FIFRA und dessen untergesetzlichen Ausführungsbestimmungen ist für Feldversuche mit gentechnisch veränderten Schädlingsbekämpfungsrnitteln im kleinen Maßstab keine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen. 55 Im Verfahren zur Erteilung einer Erlaubnis zur experimentellen Freisetzung (EUP)56 kann die EPA unter Umständen eine Anhörung durchführen. 57 Im Verfahren um eine MCAN oder eine TERA unter TSCA58 muß nach Veröffentlichung der Anträge Gelegenheit zu schriftlichen Stellungnahmen durch die Öffentlichkeit gegeben werden. 59 Unter den APHlS-Regeln ist für Einzelfallentscheidungen keine Öffentlichkeitsbeteiligung mehr vorgesehen. Eine Ausnahme bilden nur die Vorschriften über die Feststellung des Status als nicht geregelter Artikel, die weitgehende Partizipationsrechte vorsehen,60 die aber auch eher der Normsetzung zuzuordnen sind. Es fällt auf, daß die Partizipationsrechte bei Einzelfallentscheidungen geringer ausgeprägt sind als bei dem Normsetzungsverfahren. 61 Insbesondere wird nicht auf die förmliche Anhörung des APA für Einzelentscheidungen, die den Anforderungen an eine gerichtliche Anhörung entspricht und weiterhin allen interessierten Personen die Möglichkeit der schriftlichen Stellungnahme gewährt,62 verwiesen.

b) Allgemeine Vorschriften zur Ö!fentlichkeitsbeteiligung

Allerdings sind bei allen Freisetzungsentscheidungen auch die prozessualen Anforderungen des NEPA zu beachten. Denn die Risikoabschätzungen, welche die Behörden bei gentechnischen Freisetzungen durchführen, müssen den grundlegenden Anforderungen an eine Prüfung von Umweltauswirkungen (EA) unter NEPA genügen. 63 Zu diesen Anforderungen gehört die Teilnahme der Öffentlichkeit durch Bekanntmachung und Anhörung zu den Risikoabschätzungen. Erörterungstermine werden meist nicht anberaumt, zumal die Entscheidungen unter NEPA nicht im formellen Verwaltungsverfahren ergehen, für das der APA weitergehende Partizipationsrechte vorschreiben würde. Die EA's unter den APHIS-Regeln stellen in der Praxis meist fest, daß kein signifikantes Risiko besteht (FONSI), mit der Folge, daß kein volles EIS erforderlich 55 56 57 58 59 60 61

62 63

Vgl. CFR Titel 40, § 172.50. Vgl. oben S. 54. CFR Titel 40, § 172.11 (b). Vgl. oben, S. 125. CFR Tite140, § 725.95. CFR Titel 7, § 340.6. Vgl. im einzelnen Dederer; S. 293 ff. V gl. § 554 APA. Siehe oben S. 56.

222

Kap. 7: Der Entscheidungsfindungsprozeß

ist. 64 So sieht etwa APHIS es in dem Verfahren zur Bestimmung des Status als nicht geregelter Artikel als ausreichend an, wenn ein geeignetes Verfahren sicherstellt, daß Entscheidungen auf einschlägige Daten und Rechtfertigungen gestützt werden. Das Verfahren muß auch die Möglichkeit für Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit vorsehen und Gelegenheit zur Einsicht in die eingereichten Daten durch die Öffentlichkeit geben. 65 Im Falle der Risikobewertung unter den APHISRegeln im Einzelfall beispielsweise gibt die Öffentlichkeit üblicherweise zahlreiche Kommentare zur Bewertung der Sicherheit der geplanten Projekte ab und reicht wertvolle Daten ein. Beispielsweise bestätigte APHIS ausdrücklich die Nützlichkeit der eingereichten Daten zu den Entscheidungen betreffend Calgene, Inc.'s FLAVR SAVR super Tomate und auch im Verfahren zum virusresistenten Patissons-Kürbis der Firma Upjohn, Inc. 66 Auch unter TSCA ist die Behörde verpflichtet, eine kurze Stellungnahme zu bestimmten Nutzen und Auswirkungen der in Frage stehenden Chemikalie zu verfassen. 67 Statt einer formalen Kosten-Nutzen-Abwägung mit monetären Einschätzungen einzelner Effekte ist eine kosten- und umweltbewußte Untersuchung anvisiert. Damit stellt TSCA besondere Verfahrens anforderungen auf, die eine besondere Form des EIS darstellt, welches sechs Jahre vor Verabschiedung des TSCA in NEPA so erfolgreich gewesen war.

c) Beteiligungspraxis

Es stehen also unter den Spezialgesetzen Teilnahmerechte zur Verfügung, die auch noch durch Teilnahmerechten unter NEPA für alle Risikoabschätzungen ergänzt werden. Von diesen Rechten macht die US-amerikanische Öffentlichkeit rege Gebrauch, auch wenn inzwischen hinsichtlich der Freisetzungen ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten ist. Beispielsweise verursachte APHIS eine Kontroverse in der Öffentlichkeit, als es im Dezember 1994 verkündete, daß die Gelbe Krumrnhals-Patisson-Kürbis-Linie mit der Bezeichnung ZW-20 kein geregelter Artikel unter den APHIS-Regeln mehr sei. Als Ergebnis dieser Feststellung wäre der Gelbe Krumrnhals-Patisson-Kürbis ZW-20 das erste gentechnisch veränderte Vollnahrungsmittel geworden, das ohne Kennzeichnung auf den Mark gebracht werden dürfte. 68 APHIS erklärte, der ZW-20 Kürbis sei genauso sicher anzubauen wie herkömmlich gezüchteter virusresistenter Patisson-Kürbis, stelle kein Risiko als Pflanzenschädling dar und werde deshalb nicht mehr als geregelter Artikel an64 Vgl. Availability of Environmentai Assessments and Findings of No Significant Impact Relative to Issuance of Permits to Field Test Genetically Engineered Organisms, Fed. Reg. Bd 56, S. 24775, 59925, 66616 (USDA 1991). 65 Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044, (17051). 66 Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044, (17052). 67 § 6(c), 15 U.S.C.A. § 2605(c). 68 Chem. Reg. Rep. (BNA), Bd. 18,16. Dezember 1994, S. 1381.

II. Verfahren bei Einzelentscheidungen

223

gesehen. 69 Dem hielt der sogenannte Verband Besorgter Wissenschaftler (Union of Concemed Scientists) entgegen, die kommerzielle Anpflanzung der veränderten Kürbis-Linie ,,könnte neue und schlimmere Pflanzenviren schaffen, Kürbisnutzpflanzen in Unkräuter verwandeln, und neue Gene in wilde und unkrautartige Verwandte des Pihisson-Kürbisses übertragen".7o Auch andere Stellungnahmen aus der Industrie, von Wissenschaftlern und VOn anderen Interessierten spiegeln große Uneinigkeit über den Antrag in der Öffentlichkeit wider. Die öffentliche Kontroverse findet ihren Niederschlag auch in den drastischen Schwankungen in den Meinungsverhältnissen bei den Anhörungen zu dem Antrag: Während im September 1992 zunächst sieben Stellungnahmen bei APHIS eingingen, die Freigabe des ZW-20 befürworteten, und 10 Stellungnahmen dagegen, kehrte sich dieser Trend um, als in einer zweiten Kommentierungsphase im März 1993 bereits zehn befürwortende und nur noch zwei ablehnende Antworten eingingen. In der letzten Kommentierungsphase im Juli 1994 schließlich zählte die Behörde 23 befürwortende Kommentare, aber 29 Stellungnahmen lehnten die Freigabe ab. 71

2. Deutschland In Deutschland ergeben sich Teilnahmerechte für die Öffentlichkeit nur aus dem GenTG. Denn die Rechte, die sich aus den allgemeinen Vorschriften des VwVfG ergeben, sind auf Verfahrensbeteiligte (§ 29 VwVfG) beschränkt. Grundsätzlich ist nach dem GenTG vor jeder Freisetzungsgenehrnigung ein Anhörungsverfahren durchzuführen. 72 Durch die Gesetzesnovelle 1993 wurde unter anderem § 18 Abs. 3 Satz 3 GenTG dahingehend geändert, daß die entsprechend anzuwendenden Vorschriften des Bundes-Imrnissionsschutzgesetzes über den Erörterungstermin für Freisetzungen nicht mehr gelten. Vorschriften über die Durchführung von Anhörungen enthält die Anhörungsverordnung. 73 Demnach wird jetzt nur noch ein Einwendungsverfahren ohne Erörterungstermin durchgeführt. 74 Ein Anhörungsverfahren entfällt gänzlich bei vereinfachten Verfahren. 75 Kritik knüpft vor allem daran an, daß die Öffentlichkeits beteiligung bereits ursprünglich davon abhängig war, ob die Ausbreitung des freigesetzten Organismus begrenzbar ist oder nicht. Weil bei Mikroorganismen die Begrenzbarkeit problematisch ist, wird mitunter eine uneingeschränkte Öffentlichkeitsbeteiligung für erforderlich gehalten. 76

69 Vgl. die Ausführungen unter der Referenz-Aktennurnrner 101:0351. 70

Oben Kapitel 7, Fn. 68.

71 Ebd. 72

§ 18 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz I GenTG.

73 Gentechnik-Anhörungsverordnung (GenTAnhV), BGBI. I, S. 1649. 74 BGBI. I, S. 2059. 75

§ 18 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2, Alt. 2 GenTG. Ausführlich dazu Dederer, S. 298 ff.

76 Vgl. der Änderungsantrag der SPD-Fraktion BT Drs. 11/6778, S. 91.

224

Kap. 7: Der Entscheidungsfindungsprozeß

3. Vergleich Die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Einzelfallentscheidungen über Freisetzungen ist in den Vereinigten Staaten weniger stark in den Spezial gesetzen und Verordnungen verankert als die Partizipation der Öffentlichkeit beim Normsetzungsverfahren. In Deutschland besteht eine grundsätzliche Pflicht, die Öffentlichkeit vor Freisetzungen anzuhören, während im Verordnungsgebungsverfahren Anhörungen einen geringeren Stellenwert einnehmen. Allerdings wurden in Deutschland der Erörterungstermin und in einigen Fällen auch das Anhörungsverfahren gestrichen. Betrachtet man nur die Partizipationsmöglichkeiten für Einzelfallentscheidungen, könnte leicht der unzutreffende Eindruck entstehen, daß in Deutschland, von den genannten Ausnahmen abgesehen, sogar mehr Beteiligungsrechte für Freisetzungsentscheidungen bestehen als in den Vereinigten Staaten. Jedoch erscheint ein direkter Vergleich der Anhörungserfordemisse für Einzelentscheidungen nicht sachgerecht, weil in den Vereinigten Staaten eine größere Zahl an letztverbindlichen Entscheidungen über Freisetzungen auf abstrakter Ebene, etwa im Rahmen von Änderungen der Normen zur Deregulierung,77 getroffen werden. In Deutschland hingegen liegt der Schwerpunkt auf der Einzelfallentscheidung, weil alle Freisetzungen einem Genehmigungs- oder Anmeldevorbehalt unterliegen. Darüber hinaus sind für Risikoabschätzungen bei gentechnischen Freisetzungen in den Vereinigten Staaten die Anforderungen des NEPA über die Öffentlichkeitsbeteiligung entsprechend anzuwenden, weil die für die Gentechnik anwendbaren Spezialvorschriften als funktionales Äquivalent für die Anforderungen des NEPA dienen. Somit verläßt sich das US-amerikanische Umweltrecht für die Risikoabschätzungen im Normsetzungsverfahren und im Einzelfallverfahren auf starke Partizipationsmöglichkeiten für die Öffentlichkeit, während die Teilnahmerechte in Deutschland eingeschränkt wurden.

a) Nachteile starker Öf!entlichkeitsbeteiligung

Hauptnachteil einer intensiven Öffentlichkeitsbeteiligung an Einzelfallentscheidungen ist der zeitliche und personelle Aufwand bei der Bearbeitung der Stellungnahmen. 78 In Deutschland wurden etwa die Erörterungstermine wegen der schlechten Erfahrungen abgeschafft. 79 Die Versuche, im Rahmen von sozioökonomischen Aspekten die Grundsatzentscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers bei der Verabschiedung des GenTG neu zu diskutieren, hatten nämlich mitunter zu erheb77 Beispiele unter APHIS wären die Aufnahme in die Liste der Organismen, die dem Benachrichtigungsverfahren unterfallen oder die nicht in den Anwednungsbereich der Regeln . fallen, vgl. auch oben, S. 104. 78 Seiler, S. 148. 79 Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz, 1996, S. 50 f.; Knoche, BayVBI. 1994, S. 673 ff.

11. Verfahren bei Einzelentscheidungen

225

lichen Verzögerungen geführt. 8o Aber auch hinsichtlich des Anhörungsverfahrens wird vorgebracht, daß dieses regelmäßig eine unvertretbare Verlängerung des Genehmigungsverfahrens bedeute. 81 Dies wird regelmäßig grundsätzlich bestritten 82 oder auf anderweitige Versäumnisse der Behörden zurückgeführt. Wenn die Verzögerungen durch Einwendungen zustande kämen, hätten sie jedenfalls der Rechtmäßigkeit der Entscheidung gedient. 83 Insofern läuft die Argumentation parallel zu den Gründen, aus denen in den Vereinigten Staaten ein erheblicher Verwaltungsaufwand zugunsten weitgehender Partizipationsmöglichkeiten in Kauf genommen wird. Weiterer Nachteil der Prozeduralisierung der Entscheidung ist die Tatsache, daß Partizipation der Öffentlichkeit meist von regionalen Interessen geleitet sein wird ("not in my backyard attitude ,,).84 Dies steht im Gegensatz zu den erwähnten und gerade im Bereich der Gentechnologie erforderlichen internationalen Vereinheitlichungsbestrebungen, die am leichtesten durch die Verwaltung und deren Einbindung in inter- und supranationale Gremien zu verfolgen sind. Ferner wird die Fähigkeit der Öffentlichkeit, technische Streitfragen zu begreifen85 und Risiken unverzerrt wahrzunehmen,86 unterschiedlich eingeschätzt. Schließlich wird befürchtet, daß bei der Öffentlichkeitsbeteiligung spontane Äußerungen von nicht formal demokratisch strukturierten Bevölkerungsgruppen überbetont werden könnten. 87

b) Vorteile starker Ö!fentlichkeitsbeteiligung

Grundsätzlich erfüllt die Beteiligung der Öffentlichkeit im Genehmigungsverfahren jedoch bedeutende Funktionen. Sie soll nämlich die wissenschaftlichen Entscheidungsgrundlagen der Behörde durch Eingaben aus der Bevölkerung erweitern und weitere Informationen über die Einwände gegen das betreffende Projekt sammeln. Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland hat man insoweit ausgesprochen gute Erfahrungen gemacht. Zumindest haben die Stellungnahmen zu einer intensiveren Prüfung der Antragsunterlagen geführt. 88 Soweit auch fachlich nicht einwandfreie Stellungnahmen eingereicht werden, kann die Öffentlichkeitsbeteiligung an der Entscheidungsfindung jedoch nicht als ein ,,sich-Durch80

Vgl. SimonlWeyer, NJW 1994, S. 759 ff. (765).

81 So z. B. der Verband chemischer Industrie, Ausschußdrucksache 11/3, S. 225, 235;

WurzelmlMerz, BayVBI. 1991, 1(7), zitiert nach Winter, S. 57. 82 Gerlach, S. 110; SteinberglAliertlGramslScharioth, S. 57. 83 Winter, S. 57. 84 Vgl. etwa: WilliamslMatheny, 1995, S. 166 ff. 85 Doble J.I Richardson, A., You don't Have to Be a Rocket Scientist. .. , in: Tech.Rev.,

Bd. 95,1992, S. 51. 86 8? 88

MayolHollander, S. 1 ff. Seiler, S. 147. Gerlach, S. 110.

15 Poh1

226

Kap. 7: Der Entscheidungsfindungsprozeß

wursteln"S9 durch Trial-and-error angesehen werden. Denn auf lange Sicht kann so ein besserer Ausgleich von individuellen Fehlannahmen als durch einen von der Behörde konsequent angewandten Fehler geschaffen werden. 9o In beiden Rechtsordnungen ist anerkannt, wie bereits im Normsetzungsverfahren,91 daß die Öffentlichkeitsbeteiligung die Akzeptanz der Behördenentscheidung unterstützt. 92 Die Behörde kann Einwände und Argumente schon vor der Entscheidung beriicksichtigen, und die Angehörten haben das Gefühl, daß ihre Bedenken beriicksichtigt werden. Nach einer Anhörung können sich Betroffene oft zumindest mit einem demokratischen Komprorniß abfinden. In Deutschland wird die Funktion jedoch bislang lediglich als Dienst am richtigen Ergebnis gesehen, den Verfahrensschritten wird kein Eigenwert beigemessen. 93 So werden zahlreiche Konflikte bereits vor der Freisetzung und auf administrativer statt auf gerichtlicher Ebene ausgetragen. Dies gilt zumindest für die Risikobewertungen bei gentechnischen Freisetzungen, die bislang in den Vereinigten Staaten noch niemals Anlaß zu einer gerichtlichen Geltendmachung von Einwänden gegeben haben. 94 Hinzu kommt, daß ein wachsendes Risikobewußtsein in der Gesellschaft auch dazu führt, daß Benachteiligte wie Begünstigte in stärkerem Maße beanspruchen, auf die Abschätzung von Risiken und die Festsetzung ihres vertretbaren Maßes in einem demokratischen Verfahren auf der Grundlage begriindeter Szenarien für Zukünftiges (humane Expertisen) beteiligt zu werden. 95 Die Bestimmung, ob ein Risiko akzeptabel ist, soll nicht einer sachverständigen Elite überlassen werden. 96

c) Materielle Standards oder Prozeduralisierung

Eine wesentliche Funktion der Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsrechtssystem der Vereinigten Staaten besteht offenbar darin, fehlende oder sogar absichtlich vermiedene materielle Vorgaben durch prozessuale Rechte zu kompensieren. Im Gegensatz dazu wird im deutschen Recht eine solche Prozeduralisierung der Verwaltungsentscheidung grundsätzlich skeptisch betrachtet, obwohl die legitimie89 "Muddling through", vgl. Krier/Gillette, Risk, Courts and Agencies, U.Pa.L.Rev., Bd. 138, 1990, S. 1027 (1107). 90 Ebd., S. 1108 f. 91 Vgl. oben S. 226. 92 Brohm, NVwZ 1991, S. 1025 (1028 ff.); Jörgensen/Winter, ZUR 1996, S. 293, 293. 93 St. Rspr., z. B. BVerwGE 75, 285 (291) = NJW 1987, S. 1154 = NVwZ 1987, S. 491 f.; die Vorzüge der Interessenabstimmung im Vorfeld der Genehmigung betont Winter, NVwZ 1999, S. 467 (474). 94 Aussage von Mark Segal. EPA, im Gespräch vom 2. Oktober 1998. 95 Banse. S. 20. 96 Bechmann. Folgen, Adressaten, Institutionalisierungs- und Rationalitätsmuster: Einige Dilemmata der Technikfolgen-Abschätzung, in: Petermann T. (Hrsg.), Technikfolgen-Abschätzung als Technikforschung und Politikberatung, S. 43, 64; Denninger, S. 156.

11. Verfahren bei Einzelentscheidungen

227

rende Wirkung prozessualer Rechte als Verstärkung der materiellen Standards nicht generell bestritten werden kann. 97 In beiden Rechtsordnungen ist anerkannt, daß sowohl die Risikoabschätzung und in besonders starkem Ausmaß auch die Risikobewertung letztlich anhand subjektiver Kriterien erfolgt. 98 Gerade an der vordersten Front des technischen Fortschritts zeichnet sich die Gentechnologie nämlich durch besondere Ungewißheit und das Fehlen materieller Standards aus. 99 Im Bereich der Risikovorsorge muß die Entscheidung über den Umgang mit dem analysierten Risiko von staatlichen Stellen - eingebunden in demokratische und rechtsstaatliche Entscheidungsabläufe _100 sozial verantwortet werden. Es kann nicht geleugnet werden, daß es sich dabei um einen politischen und wertenden Prozeß handelt. 101 In anderen Ländern, wie etwa in Dänemark, wird bei Freisetzungsentscheidungen ein parlamentarischer Ausschuß beteiligt, was die politischen Aspekte einer Freisetzungsentscheidung unterstreicht. 102 Das Recht der Vereinigten Staaten läßt Raum für die politische Komponente der Risikobewertung, indem es unbestimmte gesetzliche Bestimmungen verwendet. 103 Die rechtlichen Spielräume werden durch Verwaltungsnormen, in den hier interessierenden Grenzbereichen aber hauptsächlich im Einzelfall konkretisiert. Dabei gewährleisten die prozessualen Rechte der Betroffenen die Rechtsstaatlichkeit der Entscheidungsfindung, was sich aus der Grundidee eines flexiblen Utilitarismus erklärt. 104 Diesen Ansatz verfolgt beispielweise TSCA deshalb stärker als der CAA oder der CWA, weil bestimmtere materiellrechtliche Standards in TSCA schwer durchsetzbar waren. Denn für die betroffenen Umweltprobleme gibt es keine eindeutig empfehlenswerten juristischen Lösungen. Der Gesetzgeber war sich durchaus bewußt, daß "zumutbares Risiko" je nach dem Regelungskontext unterschiedlich definiert werden muß. 105 Insofern genügt der US-amerikanische Ansatz der OECD-Vorgabe, derzufolge Freisetzungen von Fall zu Fall zu beurteilen sind. 106

V gl. oben Kapitel 6, Abschnitt 111. 6. Vgl. dazu oben Kapitel 5 und 6. 99 Vgl. Ladeur; NuR 1987, S. 60 ff. 100 Vgl. Breuer, NUR 1994, S. 161; Murswiek, VVDStRL 48 (1990), S. 207 (219); Ossenbühl, DVBI. 1974, S. 309 (312). 101 Winter, Grundprobleme, S. 54; Di Fabio, NVwZ 1998, S. 335; Steinberg, NUR 1999, S. 192 (198). 102 JörgensenlWinter; Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen, ZUR 6/ 96, S. 294. 103 Vgl. oben S. 67, 73. 104 Schroeder; Rights against Risks, 86 Colum.L.Rev. 495 (1986). 105 Siehe H.R.Rep. No. 94-1341, 94th Cong., 2d Sess. 14-15 (1976) (House Rep.), in: Legis. ist., S. 422-423. 106 Vgl. oben, S. 48. 97 98

15*

228

Kap. 7: Der Entscheidungsfindungsprozeß

Auch für die gentechnischen Freisetzungen wurde gezeigt,107 daß für die sich gegenüberstehenden Rechtspositionen tatsächlich Standardisierungen in Form von eindeutigen Werthierarchien fehlen. Ungewißheiten, Risiken und Nutzen können nur in sehr begrenztem Ausmaß zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, und pauschale Standards erscheinen nicht sachgerecht. 108 Dieser Effekt ist typisch für komplexe Materien, die einen sinnvollen Interessenausgleich häufig nur im Einzelfall mit seiner individuellen Parameterkombination und nicht in der Standardsetzung zulassen. Wenn also sachgerechte Wertungen nur im Einzelfall erfolgen können, stellt sich tatsächlich die Frage nach der demokratischen Legitimation der Entscheidung. Denn wenn nicht einmal der Gesetzgeber die konkrete Einzelentscheidung vorbestimmen kann, so kann auch der Wähler nicht im Sinne einer Legitimationskette vorhersehen, wie ein bestimmter Entscheidungsträger sich verhalten wird. Dieser Bruch in der Legitimationskette kann durch weitgehende Verfahrensrechte ("procedural due process ") und insbesondere Öffentlichkeitsbeteiligung an der Einzelentscheidung ausgeglichen werden. Auch in Deutschland wird seit Beginn der Gentechnikdebatte eine breite ,Vergesellschaftung der Entscheidungsfindung' durch Öffentlichkeitsbeteiligung und andere kooperative Verfahren gefordert. Dies gilt in erster Linie für die Einzelfallgenehmigung. 109 Konkret wurde immer wieder die vermehrte Nutzung von Erörterungsterminen vorgeschlagen. 11o Partizipationsrechte werden dabei nicht so verstanden, daß die Wertungen des Gesetzgebers auf basisdemokratische Weise im Einzelfall ausgehebelt werden können. l11 Vielmehr wird angestrebt, soweit politische Prioritäten innerhalb des gesetzlichen Rahmens eine Rolle spielen,112 diese aufgrund des gesellschaftlichen Diskurses zwischen Wissenschaftlern und Vertretern einer breiten Öffentlichkeit festzulegen. 113 Grundsätzlich wird in der Literatur anerkannt, daß ein gentechnisches Projekt den Filter der Öffentlichkeitsbeteiligung passieren mußY4 Problematisch ist jedoch die Frage, ob weitgehende Beteiligungsrechte ein Fehlen an materiellen Standards legitimatorisch kompensieren können. In seiner Mülheim-Kärlich-Entscheidung hat das BVerfG darauf hingewiesen, daß verfahrensOben Kapitel 6. Murswiek, VVDStRL 48 (1990), S. 207 ff., 227 f.; Gerlach, S. 44; Günther; Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des regulativen Rechts, in: Grimm, (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, S. 51 ff. 109 Winter; Ausschußdrucksache 11 /3, S. 140; Breuer; (Kapitel 2, Fn. 27), S. 161; Di Fabio, Grundfragen, S. 142; Banse, S. 34. 110 Di Fabio, Risikoentscheidung im Rechtsstaat, S. 135. 111 Darauf weist Dederer; S. 304 f., hin. 112 Dazu oben Kapitel 6. 113 Wagner Pfeifer; S. 66; Evers/Nowotny, S. 324 ff.; Habermas/Luhmann, S. 115 ff., 197 ff.; Traube, Technikkontrolle, in: Zöpel (Hrsg.), Technikkontrolle in der Risikogesellschaft, S. 19 ff. (29). 114 Winter; S. 56. 107

108

H. Verfahren bei Einzelentscheidungen

229

rechtliche Regelungen auch dem Schutz der Grundrechte potentiell Betroffener dienen können. 115 Mitunter werden auch das Demokratieprinzip sowie die grundgesetzlich vorgesehene Delegationsbefugnis bemüht, um zu begriinden, daß die Öffentlichkeit dort zu beteiligen ist, wo das materielle Programm mit Ermessen und Beurteilungsspielräumen arbeitet. 116 Überhaupt soll der Pluralismus einer umfassenden Öffentlichkeitsbeteiligung am Genehmigungsverfahren eine eigene Steuerungsstruktur entfalten und Defizite im materiellen Recht ausgleichen können. 1I7 Dies überzeugt zumindest in Bereichen wie der vordersten Front gentechnischer Forschung. Denn das klassische Modell demokratischer Legitimation verliert an praktischer Durchschlagskraft, wenn in der Wirklichkeit der Verwaltungsorganisation Weisungen und Weisungsmöglichkeiten keine Rolle spielen und latente Vollzugsdefizite herrschen. 1I8 Die überwiegende Auffassung lehnt jedoch in Deutschland eine derartige komplementäre Legitimation ab. 119 Demnach muß der Grundrechtsschutz primär durch materiellrechtliche Vorschriften gewährleistet werden, während Verfahrensvorschriften unbestimmt sind l20 und immer nur eine Verstärkerfunktion einnehmen können. 121 Konsequente Vertreter dieser Auffassung sind weiter der bislang ungelösten Aufgabe verpflichtet, unter den Bedingungen der Ungewißheit die Normativität der Rechtsordnung gegenüber der Technik durch handhabbare materielle Vorgaben zu bewahren. 122 Eine dogmatische Briicke zur Bewältigung der Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie bietet die Auslegung, wonach das Wesentliche einer Entscheidung unter Ungewißheit gerade eine Vorstrukturierung des Verfahrens sei. 123 Wenn man sich jedoch zu stark auf prozessuale Lösungen und gesellschaftlichen Diskurs verläßt, scheint der Ausgleich individueller Freiheitsrechte des Individuums mit den überindividuellen Rechtsgütem der Allgemeinheit einschließlich staatlicher Schutzpflichten gefährdet. Kritiker befürchten einen "Abgrund der Beliebigkeit",124 einen "Positivismus der Tageswertungen,,125 oder eine übermäßige Inanspruchnahme von Verwaltungskraft und feh-

115

BVerfGE 53, 30 ff.

Winter, S. 88. Gerlach, S. llO; ähnlich Steinberg, NUR 1999, S. 192 (198); ders., ZUR 1999, S. 126 (126); Ladeur, DÖV 2000, S. 217 (222). 118 Möllers, VeIWArch 1999, S. 187 (203). 119 Vgl. VitzhumIGeddert-Steinacher, Standortgefahrdung, S. 39 ff. 120 Seiler, S. 148. 121 HirschISchmidt-Didczuhn, ZRP 1989, S. 458 (460). 122 Vgl. Seiler, S. 149. 123 Ladeur, DÖV 2000, S. 217 (227); angesichts der Komplexität moderner Entscheidun116

117

gen stellt der US Supreme Court inzwischen auch sehr geringe Anforderungen an die parallele non-delegation doctrine, vgl. Seidenfeld, M., Bending the Rules: Flexible Regulation and Constraints on Agency Discretion, in: Administrative Law Review, Bd. 51 (1999), S. 429 (438). 124 125

Luhmann, S. 141. Böckenförde, S. 67 ff. (90).

230

Kap. 7: Der Entscheidungsfindungsprozeß

lende Transparenz, Gleichbehandlung und Rechtssicherheit im Spannungsfeld divergierender gesellschaftlich-kultureller Zielsetzungen. 126 Der Einwand, ohne materiellrechtliche Standards sei der Schutz der Rechte der Betroffenen nicht ausreichend zu gewährleisten, ist dem US-amerikanischen Rechtsdenken fremd. Denn der konsequente Einsatz der Partizipationsverfahren im Bereich der Gentechnik als Kompensation für fehlende materielle Standards steht im Einklang mit dem grundlegenden Verständnis des US-amerikanischen Verwaltungsrechts. Es akzeptiert weniger klar definierte materielle Standards, solange die "Gesamtheit der Schutzes" (" totality of safeguards"), 127 völlig gleich ob materieller oder prozeduraler Art, ausreichen, um willkürliches Verwaltungshandeln auszuschließen. Die Entscheidung für eine prozessuale Steuerung von Verwaltungshandeln, die in einigen politischen und rechtlichen Systemen eine Schwäche darstellen würde, erfolgt in den Vereinigten Staaten bewußt. 128 Sie bietet sich vor allem in den Vereinigten Staaten an, wo die Größe und kulturelle Verschiedenartigkeit des Landes die einheitliche Anwendung und Umsetzung von materiellen Standards erschwert. 129 Dogmatisch gilt es hier als unschädlich, wenn Behördenentscheidungen nicht voraussehbar sind, solange sie dem Prinzip der ,,rule of law" folgen, welches erheblich weiter definiert ist als die "Rechtmäßigkeit" eines deutschen Verwaltungsaktes. 130 Ein solches summatives Rechtsstaatsverständnis scheitert in Deutschland an den Geboten des Art. 20 Abs. 3 GG, weil die in Bereichen der Ungewißheit erforderliche Dynamisierung des Rechts den Geboten der formellen Verrechtlichung und des Vertrauens schutzes entgegensteht. 131 Durch NEPA steht tatsächlich ein beachtliches prozessuales Instrumentarium bereit, von dem behauptet wird, daß es durch zahlreiche prozessuale Erörterungsund Begründungspflichten im Einzelfall sogar zu einer eingängigeren Untersuchung aller materiellen Aspekte einer Freisetzung führt, als dies materielle Standards gewährleisten würden. Das System stützt sich auf die Hoffnung, daß die formale Verpflichtung, Umweltkonsequenzen aufzuzeigen, auch auf die Qualität der materiellen Entscheidung durchschlägt. Beispielsweise geht APHIS davon aus, daß unter anderem die prozessualen Voraussetzungen des NEPA geeignet sind, um jegliches Risiko, das von einer gentechnisch veränderten Pflanze ausgeht, zu identifizieren und angemessen überwachen zu könnenY2 126 Banse, S. 21; vgl. Paetow, NUR 1999, S. 199 (199); Rakoff, T. D., The Choice between Fonnal and Infonnal Modes of Administrative Regulation, in: Administrative Law Review, Bd. 52 (2000), S. 159 (171 f.). 127 Tribe, S. 1 ff. 128 Rodgers, S. 811.

Stewart, in: Turner / Kromarek, S. I (2). Rakoff, T. D., The Choice between Fonnal and Infonnal Modes of Administrative Regulation, in: Administrative Law Review, Bd. 52 (2000), S. 159 (161). 131 Vgl. dazu Möllers, VerwAreh 1999, S. 187 (189). 132 Fed. Reg. Bd. 58, 31. März 1993, S. 17044 (17050). 129

\30

11. Verfahren bei Einze1entscheidungen

231

Die prozessuale Kontrolle von Risikoabschätzungen zeigt sich sogar den materiellen Standards in zahlreichen Punkten als überlegen. Beispielsweise NEPA ruft dazu auf, interdisziplinäre Ansätze zu verfolgen 133 und innovative Methoden zu entwickeln, um die ökologischen Besonderheiten von Phasenwechseln, Vergrößerung von Effekten, Feedback sowie sekundäre und tertiäre Konsequenzen besser zu verstehen. 134 Einzelprojekte können einer integrierten Betrachtungsweise 135 unterzogen werden. Prozessuale Standards erleichtern es zudem, auf der Ebene unterhalb der Tatsachenfeststellung auch Spekulationen und Annahmen zu beriicksichtigen, die sonst die Erheblichkeitsschwelle nach der Risikoabschätzung nicht erreichen würden. 136 Allerdings soll eine Umweltverträglichkeitspriifung nicht dazu gebraucht werden, Wissenschaftsstreits auszutragen 137 oder jedes Problem aus jedem Winkel auf sein Schadenspotential hin zu untersuchen. 138 Zwar können Verfahrensanforderungen nicht die materielle Entscheidung letztverbindlich bestimmen, aber sie können Einfluß auf ein schrittweises Vorgehen und auf Kompromisse nehmen,139 indem sie etwa vorschreiben, daß die Risikobewertung das Verfahren der Risikoabschätzung beriicksichtigen SOll.140 Nach US-amerikanischem Verständis wird es - konträr zum deutschen Rechtsdenken - als Vorteil von NEPA als Verfahrensgesetz gesehen, daß ähnliche Projekte im Laufe der Jahre mehrfach durch EIS' beurteilt werden. Da keine absoluten materiellen Standards existieren, können die Behörden in der Beurteilungsweise experimentieren. Dabei wird die Kontrolle der Verwaltungsentscheidung auch dadurch gewährleistet, daß die Gerichte wegen der vollen Überpriifbarkeit der Einhaltung von Verfahrensschritten mitunter die Erwägungen der Behörde auf intensivere Weise nachvollziehen, als sie es bei einer bloßen materiellen Priifung tun könnten. 141 Die Informationen, die Behörden aufgrund von Verfahrensanforderungen (etwa für ein EA) zu produzieren verpflichtet ist, liefert Bürgergruppen Material für Prozesse, während sie in Europa möglicherweise nur verwaltungsintern ausgewertet würden. § 102(2)(A) NEPA. Rodgers, a. a. 0., S. 439. \35 Guruswamy, Integrating Thoughtways: Re-Opening of the Environmental Mind?, 1989 Wis.L.Rev. 463; Wilson/Harris, Integrated Pollution Control: A Prologue, 22 Envt'1 L., Prologue i (1991); für ein integriertes Umweltschutzgesetz mit der Möglichkeit Risikoprioritäten zu setzen: National Academy 0/ Public Administration, Setting Priorities, Getting Results: A New Direction for the Environmental Protection Agency, Washington D.C., 1995; Krier, On Integrated Pollution Control, 22 Envt'l L. 1991, S. 119 (125). \36 Vgl. oben S. 132 f. 137 Baltimore Gas & Electrie CO. VS. Natural Resourees DeJense Council, lne., 462 U.S. 87, 103, 103 S.ct. 2246, 2255, 76 L.Ed.2d 437, 450 (1983). \38 lowa Citizens Jor Environmental Quality, lne. vs. Volpe, 487 F.2d 849, 852, 4 ELR 20056, 20057 (8th Cir. 1973). \39 Lindbiom, c., Incrementalism and Environmentalism, in Managing the Environment 83,84 (U.S. EPA ed. 1973). \40 Vgl. dazu schon oben S. 181. \4\ Vgl. Brickman/Jasanojf/llgen, S. 157 ff.; dazu sogleich in Kapitel 8. 133

134

232

Kap. 7: Der Entscheidungsfindungsprozeß

Der fonnalisierte Entscheidungsfindungsprozeß strebt nach umfassender Rationalität in der Fonn, daß Alternativen und Quantifizierungsversuche für die Konsequenzen des Verwaltungshandelns vertieft dargestellt werden müssen. Daher sind prozessuale Instrumente besonders wertvoll für die Regelung von Rechtsgebieten, in denen materielle Standards weithin fehlen. Vor diesem Hintergrund sind auch die Vorschläge des deutschen UBA zu sehen, eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Freisetzungen einzuführen. 142 Moderne rechtstheoretische Konzeptionen des deutschen Rechts nähern sich inzwischen für die Entscheidungsfindung unter Bedingungen der Ungewißheit ebenfalls an prozessuale Lösungen an. Neben die klassische hoheitliche Verfügung aufgrund "konditional programmierter Rechtssätze" tritt die Prozeduralisierung des Rechts, die fehlende nonnative Programmierung kompensiert. 143 Weil der Gesetzgeber umweltrechtliche Standards in Bereichen der Ungewißheit nicht bis zum gewünschten Maß nonnieren kann, scheitert auch das Subsumtionsmodell gerichtlicher Kontrolle. Stattdessen wird die Exekutive ennächtigt, das noch nicht abschließend entschiedende Nonnprogramm zu konkretisieren und zu aktualisieren. 144 Die staatliche Steuerungsleistung könnte auf diese Weise auch in der Festlegung eines Verwaltungsverfahrens zur Ermittlung und Minderung anlagen- oder produktbezogener Risiken bestehen. 145 Das Recht schafft dabei nur den Rahmen für einen limitierten Diskurs und einen fokussierten Erkenntnis- und Entscheidungsfindungsprozeß, in den die eigentliche Entscheidung im konkreten Fall eingebettet werden muß. 146 Die Prozeduralisierung des Rechts setzt voraus, daß sich das Demokratieprinzip von dem Erfordernis, daß das Staats volk mittels bestimmter Rechtsfonnen entscheidet, löst und sich an politischen Modellen orientiert, soweit die Frage nach der richtigen Entscheidung abstrakt nicht geklärt werden kann. Zusätzlich sollen über den Einzelfall hinausreichende Konzepte zur Risikoerkennung und Risikominderung entwickelt werden,147 die in den Vereinigten Staaten ihr Gegenstück vor allem in den abstrakten Risikostudien der Verwaltung jenseits von Nonnsetzung und Einzelfallentscheidung finden dürften. 148

Umweltbundesamt, Beitrag, S. 138. Seiler, S. 146 f.; für prozessuale Lösungen unter Umständen auch im Gefahrenabwehrrecht Wagner Pfeifer, Herausforderungen der Gentechnologie, Kapitel 2.3.1. 144 Vgl. etwa Hiller, S. 1 ff.; Steinberg, ZUR 1999, S. 126 (126); ders., Der ökologische Verfassungsstaat, S. 228 ff., 256 ff. 145 Di Fabio, Die Verwaltung Bd. 27 (1994), S. 345-360; Hili, Umweltrecht als Motor 142

143

und Modell einer Weiterentwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts, in: Jahrbuch für Umwelt- und Technikrecht, Bd. 27 (1994), S. 91-116. Für mehr Kommunikation, Mediation, Verhandlung und Diskurs: Seiler, S. 147. 146 147

148

Ders., S. 148. Di Fabio, Grundfragen, S. 142. Vgl. dazu oben S. 206.

III. Zusammenfassung zu Kapitel 7

233

111. Zusammenfassung zu Kapitel 7 In den Vereinigten Staaten muß die Exekutive bei der Normgebung zahlreiche Verfahrens vorschriften beachten, die neben der Durchführung verschiedenster genau bestimmter Analysen auch weitgehende Partizipationsrechte vorschreiben. Dazu können Bekanntmachungen bis hin zu kontradiktorischen Erörterungsterminen zählen. In Deutschland hingegen sind Teilnahmerechte in weniger starkem Ausmaß vorhanden, weil Legitimation vor allem durch die Beteiligung des Bundesrates hergestellt werden kann. Während in den Vereinigten Staaten die Normgebung - wohl auch wegen der weitgreifenden gesetzlichen Ermächtigungen - als sozialer Prozeß gesehen wird, steht in Deutschland die expertokratische Legitimation des exekutiven Normgebers im Vordergrund. Bei Einzelentscheidungen über gentechnische Freisetzungen sind in den Vereinigten Staaten spezialgesetzlich grundsätzlich sogar weniger Partizipationsmöglichkeiten vorgesehen als in Deutschland. Hier wurden jedoch Erörterungstermine und in bestimmten Fällen auch Anhörungen gestrichen. Für den hier untersuchten Bereich der Risikobewertungen bestehen in den Vereinigten Staaten jedoch umfassende Teilnahmerechte aufgrund der entsprechend geltenden Anforderungen des NEPA. Die verschiedenen Vor- und Nachteile der Öffentlichkeitsbeteiligung am Verwaltungsverfahren wirken sich in den hier verglichenen Rechtsordnungen unterschiedlich stark aus, weil die Partizipation jeweils andere Funktionen im Gesamtsystem der totality of safeguards einnimmt. Von besonderem Interesse ist die legitimatorische Wirkung, die von Verfahrensanforderungen ausgehen kann. Nach US-amerikanischer utilitaristischer Tradition werden Verwaltungsentscheidungen wesentlich durch Verfahrensanforderungen gesteuert. Defizite bei den materiellen Standards für Risikobewertungen können auch nach moderner deutscher Risikotheorie durch eine stärkere Prozeduralisierung abgeschwächt werden, solange handhabbare materielle Werthierarchien fehlen.

Kapitel 8

Gerichtliche Kontrolle Bei der Untersuchung des Entscheidungsfindungsprozesses bezüglich Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen kommt es nicht nur auf die Untersuchung der Verwaltungsentscheidung selbst an, sondern auch auf die Rolle, welche die Gerichte bei der Überpriifung solcher Entscheidungen spielen.

I. Zulässigkeit von Klagen gegen die Risikoentscheidung In den Vereinigten Staaten ist der Zugang zu den Verwaltungsgerichten weniger restriktiv als in Deutschland. Der Hauptunterschied liegt im Bereich der Klageoder Antragsbefugnis.

1. Vereinigte Staaten Die gerichtliche Klage ist nur zulässig, wenn der Kläger antrags befugt ist. Im Rahmen der Antragsbefugnis priift das Gericht im wesentlichen die folgenden Voraussetzungen. 1 a) Tatsächliche Rechtsverletzung

Ein Kläger muß für die Zulässigkeit seiner Klage zunächst vortragen, daß er durch die angegriffene Verwaltungshandlung tatsächlich in seinen Rechten verletzt ist (injury in fact). Das Merkmal der Tatsächlichkeit wurde in der Geschichte des US-amerikanische Verwaltungsrechts unterschiedlich streng ausgelegt. Nach moderner Auffassung dürfte eine Rechtsverletzung "tatsächlich" sein, wenn sie an einem bestimmten Ort "konkret" und zu einer bestimmten Zeit "aktuell" oder "nahe bevorstehend" ist,2 wobei die Anforderungen nicht zu streng ausgelegt werden. I Vgl. grundlegend Sheldon, K.P., Lujan vs. Defenders of Wildlife: The Suprerne Court's Slash and Burn Approach To Environmental Standing, 23 ELR 10031 (1993); Colhoun, M./ Hamill, T. S., Environmental Standing in the Ninth Circuit: Wading Through the Quagrnire, 15 Pub. Land L. Rev. 249 (1994); Nichol, G.R. Jr./Justice Scalia, Standing and Public Law Litigation, 42 Duke LJ. 1165 (1994).

I. Zulässigkeit von Klagen gegen die Risikoentscheidung

235

Für den Bereich der Antragsbefugnis im Gentechnikrecht sind vor allem die Fallgruppen, die im Atomrecht oder Pflanzenschutzrecht entwickelt wurden, von Interesse. In der Entscheidung Environmental DeJense Fund, [ne. vs. Environmental Proteetion Agenelließ das Gericht einen Antrag eines Verbandes gegen das Sprühen von Unkrautvernichtungsmitteln zu, obwohl die behauptete Rechtsverletzung nur wahrscheinlich, jedoch noch nicht "tatsächlich" eingetreten war. Ähnliche, nur im Bereich des Möglichen liegende Rechtsverletzungen ließen die Gerichte auch im Atomrecht für die Antragsbefugnis ausreichen. 4 Ebenso dürfte die Behauptung eines Klägers, möglicherweise von den Folgen eines zukünftigen Freisetzungsprojektes beeinträchtigt zu werden, genügen. Insbesondere bei Schäden, deren Eintritt nur aufgrund probabilistischer Berechnungsmethoden möglich erscheint, gibt das Fallrecht keinen Anlaß, die Geltendmachung einer konkreten, unmittelbaren Gefahr zu verlangen. Noch geringere Anforderungen an die Klagebefugnis wären zu stellen, wenn die Klage darauf gerichtet wäre, daß keine oder keine ausreichende Risikobewertung für eine Freisetzung durchgeführt wurde. Die Klage wäre dann nämlich auf die Anfertigung eines EIS gerichtet. In solchen Fällen reicht es für die Antragsbefugnis aus, daß der Kläger eine generelle Rechtsverletzung behauptet, weil die speziellen Einzelheiten erst in dem EIS zu identifizieren sind. 5

b) Kausalität und Abhilfemögliehkeiten Von gesteigertem Interesse für den Bereich der Gentechnik sind die Anforderungen der Gerichte an die Antragsbefugnis bei der Prüfung, ob die angegriffene Verwaltungshandlung die behauptete Rechtsverletzung verursacht hat und ob das Gericht der Rechtsverletzung Abhilfe schaffen kann. Der Standard ist, daß der Schaden "vernünftigerweise" auf die Verwaltungshandlung zurückzuführen ist ("Jairly traeeable"). Besondere Probleme bei der Ausfüllung dieses Standards treten auf, wenn mit naturwissenschaftlicher Kausalität nachgewiesen wird, daß kein Zusammenhang zwischen Handlung und Schaden 2 Lujan vs. Defenders ofWildlife, 112 S.Ct. 2130, 2140-42,119 L.Ed.2d 351, 371 (1992); Ohio Forestry Ass'n vs. Sierra Club, 118 S. Ct. 1665 (1998). 3 150 U.S.App.D.C. 348, 465 F.2d 528, 2 ELR 20228 (1972). 4 Citizens for Clean Air, Ine. vs. Corps of Engineers, 349 F.Supp. 696, 2 ELR 20650 (S.D.N.Y. 1972). In Scientists' Institute for Publie Information vs. AEC, 156 U.S.App.D.C. 395,481 F.2d 1079,3 ELR 20525 (973), war ein Verband antragsbefugt, nur weil seine Mitglieder, wie allerdings auch die gesamte Bevölkerung, von den Plutoniurnfreisetzungen eines zukünftigen Brütreaktors beeinträchtigt werden könnten. Die Begründung für die Antragsbefugnis beruft sich allerdings auch auf den Umstand, daß die Rechtsverletzung des Verbandes darin zu sehen sei, daß ihm Informationen nicht zur Verfügung gestellt worden seien, auf die er nach dem Freedom of Information Act Anspruch habe (sogenanntes "informational standing"). 5 Sierra Club vs. Mason, 351 F.Supp. 419; 2 ELR 20694 (D.C.Conn. 1972).

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Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

besteht. Dann muß das Gericht mit Hilfe von Kausalitätstheorien die wahren Zusammenhänge ermitteln. Gerichte ließen eine Klage gegen die Einstufung von Altöl als "charakteristische Abfalle" statt als "gelistete Abfalle" mit der Begründung zu, daß diese Einstufung der Grund für Fälle von Mißmanagement von Altöl in einigen Gemeinden gewesen sei. 6 Eine Abhilfemöglichkeit wird von den Gerichten meist dann angenommen, wenn konkrete Tatsachen zeigen, daß "ein gerichtliches Einschreiten dem Kläger auf greifbare Weise persönlich zugute kommt,,7 oder das Gerichtsurteil wahrscheinlicherweise dazu führt, daß der Kläger die Rechtsverletzung verhindern kann. 8 Obwohl dieses Merkmal in der Praxis keine wesentlichen Zugangsbarrieren schafft,9 wurde beispielsweise die Klage gegen die Aufnahme des Leopard Darters in die Liste gefährdeter Arten und auf Erstellung eines entsprechenden EIS nicht zugelassen, weil das Hochwasserregulierungsprojekt, das die Kläger durch diese Maßnahme gefährdet sahen, ohnehin nicht finanzierbar war. IO Soweit ein Kläger Verfahrensfehler bei der Risikobewertung für gentechnische Freisetzungen geltend machen will, könnte ein Gericht die Klage für unzulässig erklären, falls nicht geriigt wird, daß die Behörde einen wichtigen Aspekt nicht in die Abwägung einbezogen hat und dadurch die Freisetzungsentscheidung anders ausgefallen wäre. Ansonsten würde nämlich bei einem bloßen Verfahrensfehler die Abhilfemöglichkeit durch die Gerichtsentscheidung fehlen. Rein empirisch gesehen, ist die Zahl der Fälle gering, in denen man nachweisen kann, daß ein geringfügiger Verfahrensfehler den Ausgang der materiellen Entscheidung maßgeblich beeinflußt hätte. c) Schutzbereich der Norm

Schließlich ist eine Klage gegen eine Verwaltungshandlung nur zulässig, wenn argumentiert werden kann, daß das mit der Klage verfolgte Interesse in dem Schutz- und Regelungsbereich ll der betreffenden Norm oder der verfassungsrecht6 Natural Resources Defense Couneil, Ine. vs. U.S. EPA, 25 F.3d 1063, 1067 (D.C.Cir. 1994). 7 So der Supreme Court in der Fünf-zu-Vier Entscheidung in dem Fall Warth vs. Seldin, 422 V.S. S. 490,508; 95 S.o. 2197, 2210; 45 L.Ed.2d 343, 358 (1975). 8 MeElfish, J.M., Jr., Drafting Standing Affidavits After Defenders: In the Court's Own Words, 23 ELR 10026, 10029 (1993). 9 Beispielsweise in Duke Power Co. vs. Carolina Environmental Study Group, 438 V.S. 59, 98 S.o. 2620; 57 L.Ed.2d 595 (1978). 10 Glover River Organization vs. U.S. Dep't ofthe Interior; 675 F.2d 251 (10th Cir.1982). Bei dieser Auslegung können die Gerichten freilich frei spekulieren, warum die beantragte Maßnahme keine Abhilfe schaffen könnte, und wie empirische Hindernisse jeglichen Richterspruch zunichte machen könnten (vgl. Rodgers, S. 109). 11 Auf die vergleichsweise große Dehnbarkeit des Begriffs "Regelungsbereich" weist Winter; NVwZ 1999, S. 467 (473) hin.

I. Zu lässigkeit von Klagen gegen die Risikoentscheidung

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lichen Garantie liegt, und nur die Adressaten eines Gesetzes auch seinen Schutz genießen können. 12 Weil damit der Schutzbereich relativ weit definiert war, haben die Gerichte es in der Folge beispielsweise abgelehnt, Klagen Unter dem Gesetz über gefährdete Arten oder unter NEPA zuzulassen, wenn die Anträge VOn Entwicklungsträgern, Wettbewerbern oder Umweltverschmutzern stammten, die von wirtschaftlichen Gesichtspunkten getragen waren und kein Umweltschutzinteresse verfolgten. J3 In Cross-Sound Ferry Services, Inc. vs. ICC 14 lehnte das Gericht die Antragsbefugnis eines Fährunternehmers in einer Klage wegen der Umweltauswirkungen der Unternehmung eines Wettbewerbers ab, weil es eine wirtschaftliche Motivation statt des von dem in Frage stehenden Gesetz angestrebten Umweltschutzes annahm. Dieses Zulässigkeitskriterium ist deshalb problematisch, weil die Frage, wen der Gesetzgeber mit einem Gesetz schützen wollte, insbesondere im Bereich des Umweltschutzes zu Auslegungskontroversen führen kann. Nach moderner Auffassung wird der Schutzbereich der Norm jedoch weit ausgelegt. Es soll sich nur um Faustregeln handeln, die es den Gerichten ermöglichen, sich der Klagen zu entledigen, die eindeutig nicht den Zweck der angewandten Gesetze verfolgen. 15 Zusammenfassend ist jedoch festzustellen, daß in den Vereinigten Staaten die Kriterien, die den Zugang zu den Verwaltungsgerichten bestimmen, nicht restriktiv ausgelegt werden. Allerdings wird argumentiert, daß die bestehenden Zugangskriterien ausreichen, um eine Vorauswahl der Klagen bezüglich gesellschaftlicher Risiken wie das der DNA-Rekombination zu treffen. Denn die Betroffenen sind meist geographisch zu weit verstreut und der individuelle Schaden von Risiken mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit ist üblicherweise gering. Ferner ist eine gegenwärtige Rechtsverletzung und die Kausalität teilweise schwer nachweisbar, denn der Schaden materialisiert sich erst auf lange Sicht. 16

2. Deutschland In Deutschland ist das Zulässigkeitsmerkmal der Klage- oder Antragsbefugnis wesentliches Zugangskriterium für die gerichtliche Kontrolle VOn Freisetzungsent12 Association oj Data Processing Service Organizations vs. Camp, 397 V.S. 150, 154; 90 S.Ct. 827, 830, 25 L.Ed.2d 184, 188 (1970); North Shore Gas Co. vs. EPA, 930 F.2d. 1239, 1243 (7th Cir.199I). 13 Zum Beispiel Portland Audubon Society vs. Hodel, 866 F.2d 302 (9 th Cir. 1989); CrossSound Ferry Services, lnc. vs. lCC, 873 F.2d 395 (D.C.Cir.1989); North Shore Gas Co. vs. EPA, oben Kapitel 8, Fn. 12. 14 873 F.2d 395 (D.C.Cir.1989), nach Berufung 934 F.2d 327 (D.C.Cir.1991). 15 Pierce, R. J. Jr., Lujan vs. Defenders of Wildlife: Standing as a Judicially Imposed Limit on Legislative Power, 42 Duke LJ. 1170 (1993). 16 Krier & Gillette, Risk, Courts and Agencies, V.Pa.L.Rev., Bd. 138, 1990, S. 1027, 1029, 1046, 1048.

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Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

scheidungen. Auch im Gentechnikrecht ergeben sich die Anforderungen an die Klagebefugnis aus § 42 Abs. 2 VwGO,17 wonach der Antragsteller oder Kläger die Möglichkeit einer Rechtsverletzung substantiiert darlegen muß. Im Umweltrecht erkennen die Gerichte die Möglichkeit einer Rechtsverletzung nur an, wenn der Kläger qualifiziert von dem angegriffenen Vorhaben betroffen ist und nicht nur seine vermeintlichen Rechte als Teil der Allgemeinheit geltend machen Will. 18 Daher haben die Gerichte Umweltschutzorganisationen generell die Klage- oder Antragsbefugnis abgesprochen, soweit sie nicht die Verletzung VOn ihnen selbst zukommenden Rechten, etwa von Eigentumsrechten, geltend machen können. Verbände sind auch nicht hinsichtlich der Rechte ihrer Mitglieder klagebefugt. 19

a) Tatsächliche Rechtsverletzung

Im Rahmen der Klagebefugnis muß der Kläger geltend machen, in seinen eigenen Rechten verletzt zu sein. Die Gerichte haben die Klagebefugnis individueller Kläger abgelehnt, die zu weit von der streitgegenständlichen Quelle der Umweltverschmutzung entfernt wohnen?O Gegen die zeitliche und insbesondere die räumliche Beziehung des Individuums zum Genehmigungsgegenstand als Abgrenzungskriterium für die Klagebefugnis spricht der Umstand, daß sich die schädlichen Auswirkungen gentechnischer Freisetzungen möglicherweise erst in den Langzeitwirkungen VOn ökologischen Veränderungen und durch die ungewöhnlichen Ausbreitungspfade gentechnisch veränderter Organismen realisieren?1 Das VG Berlin, bei dem wegen der Nähe zum Robert-Koch-Institut zahlreiche Klagen aus dem Bereich der Gentechnik anhängig werden, hat daher die Anforderungen an die Klagebefugnis bei gentechnischen Projekten bereits spezifiziert und läßt es genügen, wenn der Kläger vorträgt, wie die veränderten Organismen in seine Rechtssphäre gelangen sollen. Falls dies nicht gelingt, bleibt es bei den geographischen Abgrenzungen. 22 Auch diese Anforderung ist problematisch, soweit die Klage sich gegen ein Projekt richtet, über das zu wenig Risikodaten bekannt sind, um darzulegen, daß Auswirkungen auch außerhalb der geographischen Barrieren eintreten können, weil die Darlegung ungewisser Geschehensabläufe nicht zur Zulässigkeitsvoraussetzung werden darf?3 17 Die im Gesetzgebungsverfahren von Umweltschutzverbänden geforderte Einführung der Verbandsklage wurde nicht aufgnommen. 18 BVerwG vom 22.10.1982, DVBI. 1983, 183. 19 Enge Ausnahmen gelten für anerkannte Naturschutzvereine im Naturschutz- und Fachplanungsrecht (BVerwG, Urteil vom 31. 10.1990- 4 C 7/88 -, BVerwGE 87, S. 62). 20 Zuletzt VG Aachen v. 14. 10. 1991; weitere Nachweise bei Eberbach/Lange, GenTRES zu § 5 BImSchG; vgl. auch grundlegend Europäische Rechtsakademie, S. I ff. 21 Winter, S. 62. 22 VG Berlin vom 24. 5. 1991. 23 Winter, S. 63.

I. Zulässigkeit von Klagen gegen die Risikoentscheidung

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Soweit jedoch von ökologisch arbeitenden Landwirten geltend gemacht wird, durch ein benachbartes Freisetzungsgelände würden sie insoweit in ihren Eigentumsrechten verletzt, als durch Einkreuzungen Umsatzeinbußen zu befürchten seien, lassen dies die Gerichte als bloßen Vermögensschaden nicht ausreichen, solange nicht sachbezogene Einwirkungen auf die Nachbargrundstücke erfolgen, was bei Einkreuzungen allenfalls durch eine gewisse Dauer und Intensität erreicht werden könne. 24 Bei der Frage, ob die durch die Klage geltend gemachte Beeinträchtigung tatsächlich eintritt, sind deutsche Gerichte großzügig. Sie priifen lediglich, ob nach dem Klägervortrag die Beeinträchtigung möglich erscheint, und unterstellen dabei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zunächst die für den Kläger günstigste Betrachtungsweise?5 Dies erleichtert dem Kläger den Zugang zu den Gerichten, wenn er sich gegen die einer Risikobewertung im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG zugrundeliegende naturwissenschaftliche Ungewißheit wendet.

b) Kausalität und Abhilfemöglichkeiten

Auch im deutschen Recht ist Zulässigkeitsvoraussetzung, daß die angegriffene Verwaltungshandlung die behauptete Rechtsverletzung verursacht hat. Die Priifung von Abhilfemöglichkeiten spielt eine weniger große Rolle, soweit sich nicht ergibt, daß die durch die Klage geltend gemachte Rechtsposition im Einzelfall nicht schutzwürdig ist. 26 Allerdings ist ein auf Verfahrensmängel gestütztes Rechtsschutzbegehren nur zulässig, wenn es sich auf materielle Rechtspositionen ausgewirkt haben kann. 27

c) Schutzbereich der Norm

Nach der herrschenden Schutznormtheorie gewährt eine Rechtsnorm dann ein subjektives Recht, wenn sie nicht nur den Interessen der Allgemeinheit, sondern nach ihrer Zweckbestimmung zumindest auch den Individualinteressen des Klägers dienen soll. Falls die Beachtung einer Verfahrensvorschrift gerichtlich geltend gemacht werden soll, priift das Gericht zunächst, ob die Vorschrift zum Schutz der Rechte des Klägers bestimmt ist und ob durch deren Nichtbeachtung die materielle Entscheidung anders ausgefallen ist. Dabei wird die Klagebefugnis in den Fällen VG Berlin, Beschluß vom 12. 9. 1995 -14 A 255.95. Ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. BVerwG NVwZ 1995, 1200; DVBl. 1995, 47; NVwZ 1994,999. 26 Vgl. Koblenz NVwZ 1983, 692. 27 St. Rspr. zuletzt für Freisetzungen: OVG Berlin, Beschl. v. 10.8. 1998-2 S/97, NVwZ 1999, S. 95 ff.; OVG Berlin, Beschl. v. 9. 7.1998-2 S 9/97, NVwZ 1999, S. 97 (99) = NUR 1999, S. 287 =UPR 1999, S. 37 ff. 24 25

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Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

abgelehnt, in denen der Kläger sich nur auf gesetzliche Bestimmungen beruft, die dem Vorsorgeprinzip entspringen, weil das Vorsorgeprinzip keine drittschützende Wirkung entfaltet. 28 In Fällen, in denen der Kläger die Risikobewertung gerichtlich angreift, stellt sich daher die Frage, welche der Anforderungen des § 16 GenTG tatsächlich auf das Vorsorgeprinzip zurückzuführen sind. In paralleler Argumentation zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG und § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG29 kann davon ausgegangen werden, daß § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG zumindest teilweise eine Ausprägung des Vorsorgeprinzips darstellt, obwohl der Charakter der MittelZweck-Abwägung noch nicht abschließend geklärt ist. Gegen die Versagung der Klagebefugnis in solchen Fällen, in denen sich der Kläger auf das Vorsorgeprinzip beruft, spricht das Gebot des effektiven Rechtsschutzes für die Verletzung der Rechte des Einzelnen. Denn gerade im Umweltrecht kann das Interesse des Einzelnen sich mitunter nur in Fragen materialisieren, die noch Ausfluß von hochpolitischen Kontroversen sind und daher noch keine konkrete Form angenommen haben. Der Schwerpunkt gerichtlicher Tätigkeit im Bereich UmweItrecht verlagerte sich daher zunehmend auf die Lösung von Streitfragen, die der Gesetzgeber nicht regeln wollte oder konnte und daher der Verwaltung in Form von unbestimmten Rechtsbegriffen überlassen hat. Dabei mußten die Gerichte häufig die angegriffenen Verwaltungsakte und oft insbesondere auch die Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften überprüfen, auf die der Verwaltungsakt sich stützt, und dabei nicht mehr nur Einzelinteressen schützen, sondern bei einer Vielzahl von Klägern Interessen mit kollektivem Charakter berücksichtigen, widerstreitende öffentliche Belange gegeneinander abwägen und unvollständige Normen ausfüllen. 3o Anderenfalls bestünde auch kein effektiver Rechtsschutz für die Verletzung der Rechte des Einzelnen bei Projekten, die sich an der Spitze des wissenschaftlichen Fortschritts bewegen und das eigentümliche gentechnische Risiko verwirklichen. 3l Für den Fall, daß das Vorsorgegebot weiter für nicht drittschützend gehalten wird, wäre die Einführung der Verbandsklage im Gentechnikrecht, die Nutzung anderer gesetzlicher Bestimmungen zur Klagebefugnis oder die Ausweitung der Schutznormtheorie in Richtung des Betroffenseins rechtlich geschützter Interessen zu erwägen?2

28 Vgl. Breuer, DVBI. 1983,431 ff.; DVBI. 1986,849 ff.; BVerwG, Urt. V. 22. 1. 1997, DVBI. 1997, S. 719 (722). 29 Vgl. OVG Koblenz NVwZ 1991, 86 f.; zum Gebot der Rücksichtnahme im Immissionsschutz: Schlotterbeck NJW 1991,2269,2270. 30 Rehbinder, in: Smith/Kromarek, S. 8 (17). 31 Vgl. VG Neustadt v. 16.2.1992, NVwZ 1992, 1088 ff.; Ladeur, Drittschutz bei der Genehmigung gentechnischer Anlagen, NVwZ 1992, 948. 32 Vgl. Winter, S. 63; ders., NVwZ 1999, S. 467 (469); Steinberg, ZUR 1999, S. 126 (129).

I. Zulässigkeit von Klagen gegen die Risikoentscheidung

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3. Vergleich Grundsätzlich ist der Zugang zu den Gerichten in den Vereinigten Staaten leichter möglich als in Deutschland, weil die Antragsbefugnis weiter gefaßt ist. Wahrend in Deutschland zahlreiche Freisetzungsgenehrnigungen im Wege des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens angegriffen wurden, was zu einer differenzierten Rechtsprechung in diesem Gebiet geführt hat, müssen Rückschlüsse für das USamerikanische Recht aus anderen umweltschutzrechtlichen Entscheidungen gezogen werden.

a) Verbandsklagen oder Geltendmachung eigener Rechte

Der erste wesentliche Unterschied besteht darin, daß in den Vereinigten Staaten Umweltschutzverbände für ihre Mitglieder klagen können, während in Deutschland Klagen eines Verbandes nur zulässig sind, wenn Rechte des Verbandes als solchen geltend gemacht werden. In der richtungweisenden US-amerikanischen Entscheidung im Fall Sierra Club vs. Morton 33 wurde die Klagebefugnis von Verbänden weit definiert. 34 Das Gericht entschied zunächst, daß der Umweltschutzverband Sierra Club nicht antragsbefugt war, gegen die behördliche Zustimmung zum Bau eines $35-Millionen-Skikomplexes im Mineral King Valley der Sierra Nevada Mountains (Kalifornien) zu klagen. Der Verein hatte zur Antragsbefugnis lediglich vorgetragen, daß es eines der Ziele des Vereines sei, die Naturschätze der Sierra Nevada Mountains zu schützen und zu erhalten. 35 Weil das Gericht über ein besonderes Interesse an dem Ausgang des Rechtsstreits hinaus verlangte, daß der Verein oder seine Mitglieder das beeinträchtigte Gebiet "nutzen",36 führte der Sierra Club in einer zweiten Klage an, daß bestimmte Clubmitglieder in den Mineral Mountains wanderten und die Natur genössen?7 Die Beeinträchtigung in diesem Genuß ließ das Gericht ausreichen, und auch andere Gerichte, von Ausnahmen abgesehen,38 legten keinen besonderen Wert darauf, daß die verletzten Rechte ,eigene' Rechte des Klägers waren. 39 In den Vereinigten Staaten entfallen für den einzelnen auf diese Weise Zugangs barrieren in Form von Kostenrisiken, da sie der Verband 405 V.S. 727,759; 92 S.o. 1361,1377; 31 L.Ed.2d 636, 656 (1972). Vgl. Stone, Should Trees have Standing? Toward Legal Rights for Natural Objects, So. Calif.L.Rev. Bd. 45 (1972), S. 450. 35 Oben Kapitel 8, Fn. 33, S. 735. 36 Id. 37 Sierra Club vs. Morton. 348 ESupp. 219, 2 ELR 20576 (N.D.Ca1.l972). 38 Zum Beispiel People for Environmental Progress vs. Leisz. 373 ESupp. 589, 4 ELR 20706 (C.D.Ca!. 1974); Natural Resourees Defense Couneil. [ne. vs. Environmental Proteetion Ageney, 507 E2d 905; 5 ELR 20032 (9 th Cir. 1974). 39 Beispielsweise in Salmon River Coneerned Citizens vs. Robertson 32 F.3d 1346, 13511355 (9th Cir. 1994) reichte es aus, daß der uneingeschränkte Gebrauch von Pflanzenschutzmitteln den Erholungswert für Besuchern in der Pacific Southwest Region minderte. 33

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16 Poh1

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Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

abfedert. Das deutsche Erfordernis, eigene Rechte geltend zu machen, dient dazu, Popularklagen auszuschließen, also die Verfolgung von Allgemeininteressen im Klagewege. Aber auch in den Vereinigten Staaten sind Popularklagen nicht zulässig. Allerdings bietet sich gerade für die Gentechnologie, wo mögliche Schäden meist nicht mehr geographisch begrenzbar sind,4o eine Ausweitung der Klagebefugnis an. Eine zusätzliche Ausweitung der Möglichkeiten einer Verbandsklage im deutschen Recht de lege lata würde dem einzelnen Bürger helfen, der im Gegensatz zur Biotechnologie-Industrie von seiner Rechtsverfolgeung durch den Prozeßaufwand abgeschreckt wird. So könnte man dem praktischen Bedürfnis nach Verbandsklagen Rechnung tragen, das sich an Umgehungsmaßnahmen wie dem symbolischen Kauf eines Quadratmeters Land in der Nähe einer Anlage oder an Kostenzuschüssen von Verbänden für Einzelklagen zeigt. Andererseits dient die weitgreifende Klagebefugnis auch der umfassenderen Überprüfbarkeit von Normen der Exekutive,41 die - anders als in Deutschland - nur auf äußerst pauschalen Programmermächtigungen der Legislative beruhen.

b) Tatsächliche Rechtsverletzung

In beiden Ländern wird verlangt, daß der Kläger eine tatsächliche Rechtsverletzung geltend macht. In den Vereinigten Staaten reicht dazu etwa aus, daß die Möglichkeiten, die Natur zu genießen, durch die angegriffenen Maßnahmen beeinträchtigt ist, während in Deutschland die Verletzung von Natur und Landschaft, die den Einzelnen nur als Mitglied der Allgemeinheit treffen, nicht ausreicht, soweit sie nicht Gegenstand rechtlich geschützter Positionen wie körperliche Unversehrtheit und Eigentum sind. Im Zusammenhang mit gentechnischen Freisetzungen ist das deutsche Kriterium der räumlichen Nähe zum Testfeld besonders ungeeignet, um die Verletzung eigener Rechte abzugrenzen. Weil die Ausbreitungspfade von gentechnisch veränderten Organismen vielfältig sein können, läßt die Rechtsprechung daher für Mikroorganismen bereits ausreichen, daß der Antragsteller substantiiert vorträgt, wie der Organismus in seinen Rechtskreis gelangen soll. Diese Annäherung an den von vornherein liberaleren Zulassungsstandard der Vereinigten Staaten erscheint im Risikorecht angemessen. Eine weite Auslegung der Klagebefugnis ohne zu starke Fokussierung auf den konkreten Individualbelang hat den Vorteil, daß komplexere und möglicherweise verfahrensübergreifende Abwägungsgebote, insbesondere zur Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen für künftige Generationen, ohne konkrete gegenwärtige Rechtsverletzung überprüft werden können. Dies würde erleichtert, wenn in Deutschland den Normen, die dem Vorsorgeprinzip zuzuordnen sind, verstärkt ein drittschützender Charakter wie Vgl. oben zum Versagen der traditionellen Regulierungsmethoden, S. 43 f. Seiden/eid, M., Bending the Rules: Flexible Regulation and Constraints on Agency Discretion, in: Administrative Law Review, Bd. SI (1999), S. 429 (446). 40

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in den Vereinigten Staaten zugesprochen würde. Unter Verweis auf eine komplexe Abwägungsentscheidung, wie sie auch die Risikobewertung darstellt, ist das BVerwG diesen Weg bereits gegangen. 42 Um andererseits zu verhindern, daß der Kläger die Rolle eines "privaten Staatsanwaltes" für das öffentliche Interesse43 einnimmt, wird in den Vereinigten Staaten neuerdings verstärkt verlangt, daß eine substantiierte Rechtsverletzung vorgetragen wird. Die Gerichte bestehen zunehmend auf deutlicheren Nachweisen einer tatsächlichen Nutzung des in Frage stehenden Naturschatzes durch den Kläger sowie wirklicher, spezifischer Verletzungen. 44 Weitere Einschränkungen erreicht das USamerikanische Recht durch eine Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes. Während in der Vergangenheit ein Bürger, der eine Rechtsverletzung hinsichtlich eines Aspektes einer Verwaltungshandlung geltend machen konnte, wie in Deutschland üblich, die gerichtliche Kontrolle der gesamten Maßnahme auslöste, gingen die US-Gerichte vermehrt dazu über, den Klägern die Antragsbefugnis nur noch hinsichtlich der Teile der Verwaltungshandlung zuzusprechen, die eine tatsächliche Rechtsverletzung bei den Klägern hervorrufen können. 45 Allerdings müssen die Rechtsverletzungen in beiden Ländern nicht tatsächlich eintreten, sondern nur "wahrscheinlich" beziehungsweise nicht gänzlich ausgeschlossen sein. Dies erscheint für die Zulässigkeitsprüfung im Risikorecht angemessen, insbesondere wenn die bloße Möglichkeit einer Rechtsverletzung durch gentechnisch veränderte Organismen Gegenstand der Begründetheitsprüfung sein soll. Soweit nur Verfahrensfehler gerügt werden, muß in beiden Rechtsordnungen gezeigt werden, daß die Verfahrensfehler letztlich zur Rechtsverletzung geführt haben. Wenn man sich im Bereich der Risikobewertung mangels handhabbarer materieller Standards auf prozedurale Lösungen verlassen muß, dann könnte der Rechtsschutz effektiver gestaltet werden, wenn auch Verfahrenspositionen als subjektive Rechte einklagbar wären. Das wäre durch eine Erweiterung der Klagebefugnis oder - wie in den Vereinigten Staaten - dadurch möglich, daß Verfahrensvorschriften zwar nur einklagbar sind, wenn sie sich auf das materielle Ergebnis ausgewirkt haben können, dabei aber der Begriff des materiellrechtlichen Ergeb42 BVerwGE 67, S. 74; Winter, NVwZ 1999, S. 467 (468); Steinberg, ZUR 1999, S. 126 (127). 43 In Conservation Law Foundation 01 New England, [ne. vs. Reilly (950 F.2d 38, 43 (1 st Cir. 1991.) konnten die Kläger die rechtzeitige Bewertung von Einrichtungen, die in dem Bundesregister für Gefahrstoffe aufgelistet sind, nur hinsichtlich der Bundeseinrichtungen einklagen, zu denen sie eine Verbindung nachweisen konnten; vgl. grundsätzlich Winter, NVwZ 1999, S. 467 (474). 44 Siehe Lujan vs. Delenders 01 Wildlife, 112 S. Ct. 2130, 2139-40; 119 L.Ed.2d 351, 367-68 (1992); Lujan vs. National Wildlife Federation, 497 U.S. 871, 889,110 s.o. 3177, 3189, III L.Ed.2d 695, 716-17 (1990). 45 Conservation Law Foundation 01 New England, [ne. vs. Reilly (950 F.2d 38, 43 (1 st Cir. 1991).

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Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

nisses weiter ausgelegt würde. Abgesehen davon wird dem Verfahren in den Vereinigten Staaten dennoch ein Eigenwert beigemessen, der den nach deutscher Auffassung übersteigt.

c) Kausalität und Abhilfemöglichkeiten

In beiden verglichenen Rechtsordnungen muß die behauptete Rechtsverletzung kausal auf die angegriffene Verwaltungshandlung, unter gewissen Umständen auch nur mittelbar, zurückzuführen sein. Hier ist eine gewisse Flexibilität der Gerichte angemessen, da es, wie bereits erläutert, gerade ein besonderes Merkmal der Risiken der Gentechnik ist, daß die Kausalitäten nicht genau feststellbar sind, Schäden oft erst langfristig oder erst durch das kumulative Zusammenwirken verschiedener Umstände eintreten. 46 Offenbar als Korrektiv für die geringeren Anforderungen bei der Geltendmachung eigener Rechte, lehnen US-amerikanische Gerichte die Klagebefugnis mitunter ab, wenn ein Urteil wegen anderer äußerer Umstände der Rechtsverletzung keine Abhilfe schaffen könnte. Eine Abhilfemöglichkeit wurde beispielweise abgelehnt, als sich eine Umweltschutzgruppe gegen eine Einschränkung von Konsultationen unter dem Gesetz über gefährdete Arten (Endangered Species Act) wandte. Unter anderem begründete dies das Gericht damit, daß einige Behörden sich ohnehin nicht an die streitige Regelung halten müßten und ausländische Projekte wohl ohnehin fortgesetzt würden. 47 Mit einer ähnlichen Argumentation ließe sich auch die Abhilfemöglichkeit im Bereich gentechnischer Maßnahmen ablehnen, insbesondere falls ein Kläger lediglich negative Auswirkungen auf die globale Artenvielfalt geltend machte. Dies könnte zu einer erheblichen Einschränkung der Klagebefugnis führen, die jedenfalls mit dem Gebot der Rechtsweggarantie ("day in the court") in Konflikt geraten könnte. Dementsprechend spielen derartige Erwägungen in Deutschland eine erheblich geringere Rolle, etwa dann, wenn die geltend gemachte Rechtsposition im Einzelfall nicht schutzwürdig ist.

d) Schutzbereich der Norm

Schließlich verfolgen beide Rechtsordnungen Argumentationen, wonach eine Klage unzulässig sein soll, wenn die vom Kläger geltend gemachte Rechtsposition nicht vom Schutzzweck der zugrundeliegenden Norm erfaßt wird. Dabei wird der Schutzbereich der Norm in den Vereinigten Staaten grundsätzlich weiter ausgelegt als in Deutschland, denn tendenziell genügt die Beeinträchtigung rechtlich ge46 Siehe für die kumulative Kausalität Shoreham-Wading River Central School District vs. U.S. Nuclear Regulatory Comm'n, 931 F.2d 102 (D.C.Cir. 1991). 47 Lujan vs. Dejenders oj Wildlije, 112 S.o. 2130, 2140-42, 119 L.Ed.2d 351, 371 (1992).

11. Kontrollrnaßstab der Gerichte

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schützter Interessen. Es haben sich Fallgruppen zur Einschränkung dieses Maßstabes gebildet, die vornehmlich Mißbrauch verhindern sollen. Beispielsweise kann ein Kläger nicht den Verstoß gegen Umweltschutzvorschriften bemängeln, wenn er etwa im Wege einer Nachbarklage in Wirklichkeit nur seine wirtschaftlichen Interessen verfolgen will. Nach deutschem Recht sind die individuellen Beweggründe des Klägers weitgehend unbeachtlich, solange er sich auf seine subjektiven Rechte berufen kann. Subjektive Rechte sind jedoch meist nur in konkreten Schutzbestimmungen für Gesundheit oder Eigentum zu sehen, während bloße umweltschützerische Ziele einer Norm, etwa im Rahmen des Vorsorgeprinzips,48 typischerweise gerade nicht von Individuen geltend gemacht werden können. Im Falle der Nachbarklage wegen Umweltverschmutzung könnte ein Kläger wirtschaftliche Interessen verfolgen, solange er zumindest auch geltend macht, daß die angegriffene Anlage gegen Normen verstößt, die subjektive Rechte des Klägers schützen soll. Etwas anderes gilt nur, wenn die subjektiven Rechte des Klägers im Einzelfall nicht schutzwürdig wären.

11. Kontrollmaßstab der Gerichte Soweit die Klage zulässig ist, kommt der Frage, wie intensiv die Gerichte die Verwaltungsentscheidung kontrollieren, insbesondere für Risikoabschätzung und -bewertung eine entscheidende Bedeutung zu. Denn die Maßstäbe für die administrativen Risikoentscheidungen hätten ein viel geringeres Gewicht, wenn die Gerichte ein umfassendes Letztentscheidungsrecht beanspruchen würden. 1. Vereinigte Staaten

Die US-amerikanischen Gerichte wenden unterschiedliche Kontrollrnaßstäbe an, je nachdem welcher Teil der Verwaltungshandlung angegriffen wird. Als Regel gilt, daß die Gerichte ihr Urteil an die Stelle der Verwaltungsenscheidung setzen, wenn die zu entscheidende Sachfrage durch eine gesetzliche Anordnung geregelt ist, die der Behörde keinen Ermessensspielraum läßt. Außerdem können die Gerichte eingreifen, wenn die Behörde gesetzlich vorgeschriebene Verfahren mißachten. 49 Die Gerichte ersetzen dann die Verwaltungsentscheidung durch ihre völlig neue, eigene Entscheidung ("de novo review"). Im Gegensatz dazu üben die Gerichte ausgesprochene Zurückhaltung bei der Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen, die sich im Bereich eines vom Gesetzgeber delegierten Entscheidungsspielraumes für die Behörde abspielen ("deferential review ,,).50 Darüber hinaus ist V gl. dazu S. 240. 5 V.S.C.A. § 706(2)(C) und (D) (Administrative Procedure Act). 50 5 V.S.C.A. § 706(2)(E) (Adminitrative Procedure Act). Scalia, Judicial Deference to Administrative Interpretations ofthe Law, 1989, Duke LJ. 511. 48 49

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Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

Verwaltungshande1n, das durch Gesetz in das Ermessen der Behörde gestellt wurde, von den Gerichten nicht kontrollierbar. 51 Somit bestimmt sich das Ausmaß gerichtlicher Kontrolle für verschiedene Aspekte einer Entscheidung im wesentlichen danach, in welchem Umfang der Gesetzgeber Entscheidungsbefugnisse auf die Behörden übertragen hat. Bei der Grenzziehung zwischen administrativen und judikativen Letztentscheidungsrechten gingen die US-amerikanischen Gerichte in der Vergangenheit äußerst unterschiedliche Wege zwischen der sogenannten "hard look doetrine ", dem Ansatz richterlichen Aktivismus, und der "soft glanee poliey", dem Gedanken richterlicher Selbstbeschränkung.52 Die hard look doctrine wurde vom Supreme Court in der Entscheidung Citizens to Preserve Overton Park, [ne. vs. Volpe 53 , der meistzitierten Entscheidung des US-amerikanischen Umweltrechts, zugrunde gelegt. Im Gegensatz dazu wird stets Vermont Yankee Nuclear Power Corp. vs. Natural DeJense Council, [ne. 54 herangezogen, um die Anwendbarkeit der soft look doetrine zu begründen. Bei der Entscheidung, welchen Kontrollrnaßstab ein Gericht anwenden soll, werden die folgenden Kategorien von Verwaltungshandeln betrachtet.

a) TatsachenJeststellungen

Wenn Gerichte die Tatsachen kontrollieren, die der Behördenentscheidung zugrunde liegen, sind sie lediglich befugt zu überprüfen, ob die Feststellungen der Behörden von stichhaltigen Beweisen unterstützt werden (sogenannter substantial evidenee-Test).55 Die einschlägigen Vorschriften in § 706 APA gelten im übrigen für die Kontrolle formeller Verordnungsgebung durch die Behörden und auch für Einzelfallentscheidungen. In der richtungweisenden Entscheidung Universal Camera Corp. vs. National Labor Relations Board (NLRB) (/951)56 definierte das Gericht 51 5 V.S.c.A. § 706 (2)(C) (Administrative Procedure Act). Citizens to Preserve Overton Park, Inc. vs. Volpe, 401 V.S. 402, 411, 91 S.Ct. 814, 820-21; 28 L.Ed.2d 136, 150 (1971). 52 Vgl. grundsätzlich Ruhl, Complexity Theory as a Paradigm for the Dynarnical Lawand-Society System: A Wake-Vp Call for Legal Reductionism and the Modem Modem Administrative State, Duke Law Journal, Bd. 45, 1996, S. 849, 923 ff.; Sargentich, Th. 0., The Critiques of Active ludicial Review of Administrative Agencies: AReevaluation, in: Administrative Law Review Bd. 49 (1997), S. 599 ff. 53 401 V.S. 402, 411, 91 S.ct. 814, 820-21; 28 L.Ed.2d 136, 150 (1971). 54 435 V.S. 519, 98 S.ct. 1197,55 L.Ed.2d 460 (1978). Der Supreme Court stellte fest, daß die Auswirkungen von verbrauchtem nuklearem Brennstoff unter NEPA zu berücksichtigen seien. Wenn die Gerichte forderten, die Alternative der Energiespeicherung berücksichtigen, ohne daß von den Parteien etwas vorgetragen worden sei, was vernünftigerweise zu weiteren Ermittlungen Anlaß gebe, so sei dies ,,kafkaesque" und eine Auswucherung des richterlichen Aktivismus (435 V.S., S. 557; 98 S. Ct., S. 1218.) 55 5 V.S.C.A. § 706(2)(E) (Administrative Procedure Act). Zuvor war in einigen Entscheidungen ein anderer Kontrollstandard angewandt worden, der auf heftige Kritik gestoßen war. 56 340 V.S. 474 (1951).

H. Kontrollmaßstab der Gerichte

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den Begriff der "stichhaltigen Beweise" im Rahmen des substantial evidence-Standards. Danach darf das Gericht Tatsachenfeststellungen der Behörde dann nicht mißachten, wenn nach der Aktenlage als ganzes die folgenden Bedingungen erfüllt sind. Erstens muß es möglich erscheinen, daß eine vernünftige Person die Beweise der Behörde als angemessene Unterstützung für deren Schlußfolgerung akzeptiert. Zweitens muß die Behörde sowohl Faktoren in Betracht gezogen haben, die für die Schlagkräftigkeit der Beweismittel sprechen, als auch solche, die dagegen wiegen. Soweit die Beweislage zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen zuläßt, darf das Gericht die Auswahl der Behörde nicht mißachten, auch wenn das Gericht vertretbarerweise zu einer anderen Wahl gekommen wäre, wenn es den Fall de novo zu entscheiden gehabt hätte. 57 Aus den genannten Kriterien ergibt sich ein sogenannter "Vernünftigkeitstest" ("reasonableness test"), der üblicherweise auf Universal Camera zurückgeführt wird. Demnach kann das Gericht nur dann gegen die behördliche Einschätzung von Sachfragen einschreiten, wenn die Behörde die Vertretbarkeitsgrenze in ihrer Entscheidung überschritten hat. Diese eingeschränkte gerichtliche Kontrollgewalt ist von grundlegender Bedeutung für die Überprütbarkeit von behördlichen Risikoabschätzungen. 58 Weil hier typischerweise verschiedene Auslegungsmöglichkeiten der biologischen Modelle über die Auswirkungen und Ausbreitungsmöglichkeiten von Mikroorganismen existieren, wird ein Gericht nur in Ausnahmefällen nachweise können, daß die Schlußfolgerung der Behörde unvernünftig war. Dies gilt um so mehr, je größer die wissenschaftliche Ungewißheit ist. 59 Der Entwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Risikoabschätzung 199460 hätte eine gerichtliche Kontrollmöglichkeit für die Risikoabschätzung spezialgesetzlich vorgeschrieben. 61 57 Eine ähnliche Interpretation wendete das Gericht auch in DeFries vs. Association of Owners, 999 Wilder (555 AT2d 855 (HI 1976» an. Das Gericht wollte hier lediglich dann eingreifen, wenn die Behördenentscheidung bei Betrachtung des Gesamtverfahrens klar fehlerhaft ("clearly erroneous") erscheine. 58 Vgl. zum Begriff oben S. 30. Vgl. grundlegend Jenkins, B. S., The Role of the Courts in Risk Assessment, Environmental Law, Spring 1986, S. 1 (Quaterly Newsletter of the Standing Commitee on Environmental Law.) 59 Bazelon, D., Coping with Technology Through the Legal Process, Comell L, Rev 1977, S. 817; ders., Goveming Technology: Choices and Scientific Progress, Tech. In Soc'y, Bd. 5, 1983, S. 15; von Oehsen 11I, W., Regulating Genetic Engineering in an Era of Increased Judicial Deference: A Proper Balance of the Federal Powers, Admin. L. Rev., Bd. 40, 1988, S. 303; Merrill, A. 1., Scientific Vncertainty in the Courts, Issues in Sei & Tech Bd. 2 (1986), S. 93 ff.; Deatherage, S. D., Seientific Vncertainty in Regulating Deliberate Release ofGenetically Engineered Organisms: Substantive Judieial Review and Institutional Alternatives, Harvard Environmental Law Review, Bd. 11, 1987, S. 203; Reynolds, G. H., Chaos and the Court, 91 ColumLRev. 110 (1991); vgl. auch die Gerichtsentschiedungen in Vermont Yankee Nuclear Power Corp. vs. Natural Resources Defence Council, 435 V.S. 519 (1978); BASF Wyandotte Corp. vs. Costle, 598 F.2d 637 (l st Cir. 1979); Hercules Ine. vs. Environmental Protection Agency, 598 F.2d 91 (D.C. Cir. 1978); Environmental Defense Fund VS. Environmental Protection Agency, 598 F.2d 62 (D.C. Cir. 1978). 60 H.R. 4306, 103rd Cong., 2 nd Sess. (1994); dazu bereits oben, S. 153.

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Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

b) Fragen rechtlicher Auslegung

Die rechtliche Auslegung von Normen durch eine Behörde untersteht einer weitgehenden, aber doch zurückhaltenden gerichtlichen Kontrolle. Das Gericht kann alle relevanten Rechtsfragen entscheiden, Vorschriften aus Verfassung und Gesetzen interpretieren und Inhalt und Anwendbarkeit von Rechtsbegriffen aus behördlichen Richtlinien oder Einzelfallhandlungen bestimmen. 62 Die bislang bedeutendste Anwendung fand diese Vorschrift in der Entscheidung Chevron USA, [nc. vs. Natural Resources Defense Council. 63 Der Rechtsstreit war im Bereich des Immissionsschutzrechts entstanden und betrifft im wesentlichen die Frage, wie weit der Spielraum der Behörde bei der Definition des Begriffes einer genehmigungspflichtigen "stationären Emissionsquelle" reicht, wie er in § 173 des Clean Air Act (CAA) verwandt wird. Als die EPA versuchte, in diesem Zusammenhang den Begriff "Emissionsquelle" zu definieren, wandte sie das sogenannte "Glockenprinzip" (bubble-approach) an. Sie schwächte die Schutzwirkung des sogenannten Nicht-Verschlechterungsgebots in Nichterfüllungsgebieten ab, indem sie eine Anlage (mit zahlreichen Schornsteinen) als Ganzes oder auch eine gesamte Region als eine einzige neue Emissionsquelle ansah, anstatt das Nicht-Verschlechterungsgebot auf jede individuelle Emission in dieser "Glocke" anzuwenden. Damit konnten die Emissionen einer Einzelanlage weiter vergrößert werden, solange dieser Zuwachs durch eine Verringerung an anderen Punkten unter demselben Dach oder derselben Gruppierung ausgeglichen wurde. Als Folge dieser Definition ist wirtschaftliches Wachstum aufgrund industrieller Weiterentwicklung auch in Nichterfüllungsregionen möglich. Diese Anwendung des Glockenprinzips in der Definition des Begriffes "Emissionsquelle" wurde in Chevron angefochten. Das Gericht prüfte zunächst, ob es überhaupt ermächtigt sei, seine eigene Einschätzung an die Stelle der Definition durch die EPA zu setzen. Dazu entwickelte es einen ZweiStufen-Test: Als erste Stufe ermittelt das Gericht durch sein unabhängiges Urteil, ob die fragliche Gesetzesbestimmung eine klare Antwort auf die zu entscheidende Interpretationsfrage gibt. Wenn bereits der eindeutige Wortsinn des Gesetzestextes der Auslegung durch die Behörde widerspricht, dann muß die Intention des Kongresses überwiegen und die behördliche Auslegung bleibt unbeachtlich. 64 Wenn der Wortlaut des Gesetzes jedoch unklar ist, dann greift als zweiter Schritt die Vermutung ein, daß die Kompetenz zur Interpretation des Begriffes an die Behörde delegiert worden sei. In diesem Fall unterwirft das Gericht die behördliche Auslegung lediglich einem zurückhaltenden Vernünftigkeitstest. Wie in Universal Camera erläu61 Vgl. auch Knox, W., Regulatory Reform: The present viability of Risk Assessment, Wisconsin Env. L. J., Bd. 3, 1996, S. 49, 54. 62 Vgl. § 706 APA. 63 467 V.S. 837 (1984), 104 S.o. 2778, 81 L.Ed.2d 694. 64 467 V.S., S. 837, 843; 104 S.Ct., S. 2781; 81 L.Ed.2d, S. 703.

11. Kontrollrnaßstab der Gerichte

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tert,65 prüft das Gericht dann nur, ob eine vernünftige Person zu derselben Schlußfolgerung wie die Behörde hätte kommen können, selbst wenn sie nicht die einzige rechtmäßige Konstruktionsmöglichkeit des Gesetzes darstellt. In der Praxis hat der Supreme Court im Rahmen dieser Befugnisse erst ein einziges Mal feststellen können, daß eine Behördenentscheidung nicht "vernünftig" war. 66 In Chevron führt das Gericht dann auch aus, daß der CAA keinerlei Anzeichen dafür enthalte, wie das gesetzliche Programm zur Anlagengenehmigung in Nichterfüllungsregionen umgesetzt werden solle. Das Gericht vermutet, daß die folgenden Faktoren die Gründe dafür sein könnten: (1) Die Umsetzung des CAA ist eine technische und komplexe Aufgabe; (2) es existierten gegensätzliche Auffassungen über die Art der Umsetzung des Programms; (3) der Kongreß wollte die Verantwortung dafür, welche Politik zu wählen sei, auf die Verwaltung abwälzen; (4) die Verwaltung ist besser in der Lage, die richtige Politik auszuwählen, weil sie die größere Expertise besitzt und das Programm auch durchführen muß; (5) dem Gesetzgeber war das Problem nicht bewußt; oder (6) der Kongreß war für keine der beiden Auslegungsmöglichkeiten in der Lage, Koalitionen zu bilden. Somit entschied das Gericht, daß die Interpretation des Begriffes "stationäre Emissionsquelle" an die Verwaltung delegiert sei. Als Folge konnte das Gericht nur noch prüfen, ob die Auslegung der EPA sich im Rahmen der Vernünftigkeitsgrenzen bewegt, nicht jedoch, ob sie zweckmäßig ist. Das Gericht schlußfolgerte, daß das Glockenprinzip zu einer vernünftigen Auslegung von "Emissionquelle" führt, die in der Folge vom Gericht beachtet werden mußte. Die Prinzipien von Chevron sind weiterhin anwendbar, auch wenn Gerichte in der Folge ständig versuchten, ihre Kontrollmöglichkeiten wieder auszuweiten. 67 Fragen rechtlicher Auslegung im Zusammenhang mit der Risikobewertung für gentechnische Freisetzungen beziehen sich hier vor allem auf die rechtliche Definition des in TSCA benutzten Begriffes des "unzumutbaren" Risikos, beziehungsweise unter PQA oder dem FPPA, die Auslegung des behördlichen Auftrags, die Ausbreitung von Pflanzenschädlingen68 zu verhindern. 69 Die behördlichen Auslegungen sind in den APHIS- und TSCA-Regeln niedergelegt worden. Obwohl, wie bereits erwähnt, keine gerichtlichen Entscheidungen verfügbar sind, die sich mit den hier aufgeworfenen Fragen konkret befassen, wird im Zweifel davon auszugehen sein, daß die Auslegung der genannten rechtlichen Begriffe den Regelungsbehörden übertragen werden sollte. 7o In diesem Fall würden sich die Gerichte bei der 65 Siehe S. 247; vgl. neuerdings auch Allentown Mack Sales & Services, Inc. vs. NLRB, 118 S. Ct. 818 (1998). 66 AT & T Corp. vs. Iowa Utilities Board (119 S. Ct. 721 (1999». 67 Seiden/eid, M., Bending the Rules: Flexible Regulation and Constraints on Agency Discretion, in: Administrative Law Review, Bd. 51 (1999), S. 429 (446). 68 § 147a(e) FPPA; vgl. Applegate, Worst Things First: Risk, Information, and Regulatory Structure in Toxic Substances Control, in: The Yale Journal on Regulation Bd. 9 (1992), . S. 277 (336 ff.). 69 Vgl. zu den behördlichen Auslegungen der Gesetze oben S. 64,67.

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Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

Überprüfung der in den Regeln enthaltenen rechtlichen Auslegungen gemäß dem Universal Camera- Test stark zurückhalten und lediglich eingreifen, falls die Auslegung die Grenze jeglicher Vernünftigkeit überschreitet. Weiterhin ist anzunehmen, daß grundsätzlich die behördliche Einzelfallentscheidung stärker kontrolliert wird als die administrative Normsetzung,71 allerdings haben die Gerichte sich stets unterschiedlich verhalten. Soweit die Behörde im Rahmen ihrer Rechtsetzungsbefugnisse Letztentscheidungs- oder Konkretisierungsrechte auf Private überträgt,72 überprüfen die Gerichte nur, ob die Verwaltung im Rahmen ihrer Befugnisse zu einer derartigen Delegierung befugt war. Die Entscheidung der Privaten dürfen die Gerichte nicht intensiver als die der Behörde kontrollieren, weil insofern die Privaten wie "Erfüllungsgehilfen" der Behörde zu betrachten sind.

c) Anwendung von Recht au/Tatsachen (gemischte Fragen)

Wenn ein Gericht überprüfen soll, ob eine Behörde Recht auf bestimmte Tatsachen richtig angewendet hat, ist zu differenzieren: Die grundlegende Entscheidung hinsichtlich der Reichweite gerichtlicher Kontrolle in solchen Fällen gemischter Fragen ist McPherson vs. Employment Division. 73 Hier hatte das Gericht zu entscheiden, ob eine Behörde rechtmäßig entschieden hatte, daß die Klägerin keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte, weil sie ihre Arbeitsstelle ohne "ausreichenden Rechtfertigungsgrund" (" no good cause") verlassen hatte. Das Gericht stellte zunächst fest, daß die Entscheidung über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes tatsächliche und rechtliche Feststellungen umfasse. Die Reichweite gerichtlicher Kontrolle hänge von dem Ausmaß ab, zu dem der Behörde Kompetenz verliehen worden sei, den Begriff "ausreichender Rechtfertigungsgrund" näher zu bestimmen. US-amerikanische Gerichte sind bei gemischten Fragen verschiedene Wege gegangen, um zu entscheiden, wie weit Kompetenzen an die Verwaltung delegiert worden sind. In McPherson baute das Gericht auf die Entscheidung in NLRB vs. Hearst Publications74 auf, wo das Gericht eine behördliche Entscheidung in einer gemischten Frage allein deshalb unangetastet gelassen hatte, weil sie auf einer "vertretbaren rechtlichen Grundlage" beruhe. Die rechtliche Grundlage war die behördliche Definition des Begriffes "Angestellter", die Tatsachenfeststellung war die Subsumtion des Falles unter die Definition. Das Gericht überprüfte eingehend, ob die rechtliche Definition der Behörde "richtig" war. Ob die Tatsachen des konkreten Falles zur Ausfüllung dieser Definition ausreichten, überprüfte das Gericht 70 Vgl. zu TSCA: H.R.Rep. No. 94-1341, 94th Cong., 2d Sess. 14-15 (1976) (House Rep.), in: Legis. ist., S. 422-423; dazu bereits schon oben S. 227. 71 Rodgers. S. 91, Fn. 10. n Dazu oben, S. 174 ff. 73 591 AT2d. 1381 (Or 1979). 74 322 U.S. 111 (1944).

11. Kontrollmaßstab der Gerichte

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lediglich im Rahmen des genannten, weniger anspruchsvollen "Vernünftigkeitstests". Als Grund für seine Zurückhaltung führt das Gericht in Hearst an, daß es die tägliche Erfahrung der Behörde anerkenne, das Recht auf bestimmte Tatsachenmuster anzuwenden. Zurückhaltung gegenüber behördlichen Entscheidungen sei insbesondere dann geboten, wenn das Gesetz undefinierte Standards verwende, wie "ausreichender Rechtfertigungsgrund", "unvertretbar" oder "unangemessen".75 Bei Freisetzungsentscheidungen für gentechnisch veränderte Organismen handelt es sich typischerweise um gemischte Fragen, in denen von der Behörde sowohl die rechtliche Auslegung als auch die Anwendung dieser Auslegung auf die Tatsachen eines konkreten Falles verlangt wird. Anders als in McPherson, wo das Gericht die behördliche Auslegung von ,Angestellter' voll überprüfte, wird es die Auslegung von "unvertretbares Risiko" im Rahmen der TSCA-Regeln weitgehend unangetastet lassen, weil die Unbestimmtheit dieses Rechtsbegriffes darauf schließen läßt, daß die Auslegungsbefugnis auf die Behörde delegiert wurde. Im Fall der APHIS-Regeln könnte eine derartige Delegierung schon zweifelhafter sein. Soweit die in Regeln gefaßten rechtlichen Auslegungen der Behörden mit weiteren unbestimmten Begriffen, wie etwa "unwahrscheinlicher Schadenseintritt", arbeiten, wird es besonders problematisch, ob die Behörden das Recht auf die Fakten des Falles richtig angewandt haben. Es geht um die gerichtliche Überprüfung der tatsachenbezogenen Risikoabschätzung. Wie gesehen 76 besteht große naturwissenschaftliche Ungewißheit darüber, wie wahrscheinlich ein Schadenseintritt bei gentechnischen Freisetzungen ist. Aber gerade im tatsachenbezogenen Teil der Freisetzungsentscheidung werden die Gerichte gegenüber den Behörden nach den Prinzipien von Universal Camera Zurückhaltung üben. Insbesondere wenn sich die Entscheidung auf eine wissenschaftliche Einschätzung konzentriert, die Voraussagen an vorderster Front des technologischen Fortschritts umfaßt, fällt die gerichtliche Kontrolle "auf das äußerste zurückhaltend" aus. 77 Folglich spricht vieles dafür, daß die Gerichte die behördliche Entscheidung, ob in einem konkreten Fall ein unvertretbares Freisetzungsrisiko vorliegt, sowohl auf der Tatsachenseite als auch auf der Wertungsseite nur eingeschränkt überprüfen würden. 78

"Good cause", "unreasonable", "undue", siehe Hearst, oben S. 130 ff. Oben Kapitel 5. 77 Im Kontext der Gentechnik: Foundation on Economic Trends vs. Thomas, 637 F. Supp. 25, S. 28, im Anschluß an Baltimore Gas & Electric Co. vs. N.R.D.C., 462 U.S. 87, 103 S.o. 2246, 2256, 76 L.Ed.2d 437 (1983). 78 Für bestimmte Aspekte der behördlichen Entscheidungen im Rahmen der TSCARegeln, schreibt § 19 TSCA spezielle Vorschriften für die gerichtliche Kontrolle einschließlich eines besonderen Kontrollstandards (Abs. (c». Besondere Vorschriften, die zivile Klagen von Bürgern zulassen, befinden sich in § 20 TSCA. FIFRA weist Spezialvorschriften für die gerichtliche Kontrolle in § 136(n) auf. 75

76

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Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

d) Anforderungen an das Verwaltungsveifahren

Allerdings sind die Gerichte im Rahmen der Tatsachenfeststellungen sehr streng, wenn es um die Einhaltung aller notwendigen Verfahrensschritte geht. In NLRB vs. Yeshiva University79 beispielsweise betonte das Gericht, daß es die behördliche Expertise respektiere, solange die Schlußfolgerungen rational auf artikulierte Tatsachen gestützt würden. Allerdings hat die EPA trotz sorgfältiger Analyse nur selten die Standards eingehalten, die von den Gerichten in TSCA hineininterpretiert wurden. 8o Noch strengere Anforderungen bestehen, wenn Spezialnormen die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens zur administrativen Entscheidungsfindung fordern. Es ist nicht verwunderlich, daß das US-amerikanische Recht besonders viele Normen kennt, die ein bestimmtes Entscheidungsverfahren vorschreiben. Im Risikorecht sind insbesondere die zahlreichen bei der Normgebung durchzuführenden Risikoanalysen und ökonomischen Analysen zu beriicksichtigen,81 sowie allen voran die unter NEPA vorgeschriebene Priifung der Umweltauswirkungen einer behördlichen Maßnahme.

aa) Foundation on Economic Trends vs. Heckler Soweit überhaupt gerichtliche Entscheidungen mit Bezug zu gentechnischen Freisetzungen vorhanden sind, betreffen sie im Grunde nur die Anforderungen von NEPA in diesem Zusammenhang. So liegt es auch im Fall von Foundation on Economic Trends vs. Heckler,82 der ein Experiment betrifft, welches der erste vom National Institute of Health (NIH) bewilligte 83 Freisetzungsversuch gewesen wäre, wenn man ihn jemals ausgeführt hätte. 84 Es handelte sich um das Vorhaben der Wissenschaftler Drs. Lindow und Panapoulos von der University of California at Berkeley, die gentechnisch veränderte Eis-Minus-Bakterien auf verschiedene Nutzpflanzen, unter anderen Kartoffeln, Tomaten und Bohnen, anwenden wollten. Die Wissenschaftler hatten die kälteempfindlichen Bakterien dahingehend verändert, daß sie kälteresistent wurden, um so schließlich die natürliche Bakterienpopulation zu ersetzen. Dabei beabsichtigten die Wissenschaftler, die Erntepflanzen vor 444 V.S. 672 (1980). Corrosion Proof Fittings vs. EPA, 947 F.2d 1201, 1215 (5 th Cir. 1991). 81 Siehe oben S. 97, 153,206. 82 244 V.S.Apat.D.C. 122, 1985; 756 F.2d 143,22 ERC 1375, 15 Envtl.L.Rep., S. 20,248 (D.C.Cir., Feb. 27, 1985)(no. 84-5314, 84-5419). 83 Es handelt sich nicht um eine Genehmigung im engeren Sinne. Die Bewilligung eines Vorhabens durch das NIH bedeutet nur, daß das NIH auch finanzielle Förderungen für das Projekt bereitstellt. Die NIH Richtlinien schreiben die Bedingungen vor, unter denen Institutionen, die NIH-Mittel erhalten, ihre Versuche durchführen müssen. Für einige Kategorien von Experimenten, einschließlich Freisetzungsversuche, verlangen die Richtlinien, daß der Direktor des NIH die Versuche einzeln bewilligt. 84 Ebd., S. 150. 79

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11. Kontrollrnaßstab der Gerichte

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Frost zu schützen und so die Wachstumssaison zu verlängern. Die Umweltschutzgruppen Foundation on Economic Trends, Environmental Action [ne., und Environmental Task Force sowie zwei Einzelkläger machten unter anderem geltend, daß das NIH nicht die Anforderungen des NEPA beachtet habe, weil es darauf verzichtet habe, die Umweltauswirkungen des Vorhabens in Betracht zu ziehen. Tatsächlich konnte das NIH entgegen den Anforderungen von § 102(2) NEPA kein Dokument vorweisen, das als EIS, oder wenigstens EA, bezeichnet war. Das einzige Schriftstück, in dem überhaupt irgendwe1che Umwe1tauswirkungen der geplanten Freisetzung erwähnt wurden, war das Protokoll einer Sitzung des Recombinant DNA Advisory Committee (RAC)85, bei der der geplante Versuch diskutiert wurde. Das Protokoll erörtert nicht die eigentlichen Umweltauswirkungen des Versuches, insbesondere nicht das Risiko der Verbreitung der veränderten Bakterien, sondern erwähnt lediglich, daß die "Zahl der lebensfähigen veränderten Zellen sehr gering sei [ ... ] und diese Zellen biologischen und physikalischen Vorgängen unterworfen seien, die ihre Überlebensfähigkeit begrenzen".86 Diese Aussage bezieht sich lediglich auf bestimmte Eigenschaften der Organismen und enthält keine Einschätzungen darüber, wie sich diese Eigenschaften auf die Umwelt auswirken. Dementsprechend folgerte auch das Gericht, daß das RAC es vollständig versäumt habe, die möglichen Umweltauswirkungen der Verbreitung der genetisch veränderten Bakterien zu erwägen. In der Begründung heißt es: "Die lediglich schlußfolgernde Feststellung, daß die Zahl der rDNA enthaltenden Organismen gering sein werde und daß sie Prozessen unterliegt, die ihr Überleben begrenzen, ist nicht ausreichend.,,8? Weiter macht das Urteil deutlich, daß es nicht genüge, wenn die Behörde lediglich feststelle, daß die Umweltauswirkungen derzeit unbekannt seien. Die Behörde muß jedenfalls die Umweltauswirkungen analysieren, auch wenn das Gericht nicht verlangt, daß die Behörde bei der Analyse materiell zu einer bestimmten Schlußfolgerung gelangt. Je größer die Unsicherheit über die möglichen Auswirkungen auf die menschliche Umwelt ist oder je mehr sie einzigartige oder unbekannte Risiken betreffen, um so wahrscheinlicher ist es, daß ein vollständiges EIS erforderlich ist. 88 Um zu beurteilen, wie wahrscheinlich eine nachteilige Umweltauswirkung ist, muß die Behörde bei Freisetzungen von veränderten Organismen "versuchen, ernsthaft das Risiko zu bewerten, daß die Emigration derartiger Organismen aus dem Versuchsfeld eine ökologische Störung hervorruft".89 Zusammenfassend stellt das Gericht in Heckler als Regel für die Risikobewertung eines Freisetzungsversuches auf der Ebene eines EA auf, daß die Behörde in der Verfahrensakte nachweisen kann, daß (1) alle wichtigen Umweltbedenken, insbesondere die Möglichkeit der Verbreitung, erwähnt wurden, und (2) die Behörde 85 86 87

88 89

Das RAC ist das Komitee, das für das NIH Umweltrisiken bewertet. RAC minutes, April 11, 1983, JA 715. Siehe oben Kapitel 8, Fn. 82, S. 252. 40 CFR § 1508.27(b)(5). Oben Kapitel 8, Fn. 82, S. 252.

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Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

versucht hat, ernsthaft das Risiko zu bewerten, daß die Emigration eines veränderten Organismus eine ökologisch störende Wirkung hat; oder (3) die Behörde ihre Einschätzung einer vormals identifizierten Gefahr aufgrund eines Prozesses begründeter Entscheidungsfindung geändert hat.

bb) Kontrollmaßstab für die verfahrensrechtlichen Anforderungen An den im Fall Heckter entwickelten verfahrensrechtlichen Anforderungen zeigt sich, daß die US-amerikanischen Gerichte die Einhaltung der einzelnen Verfahrensschritte bei der Prüfung der Umweltauswirkungen durch die Behörde genauestens überprüfen. Selbst für die Feststellung, daß keine formelle Umweltverträglichkeitsprüfung unter NEPA erforderlich ist, weil keine wesentlichen Umweltauswirkungen zu erwarten sind (FONSI), muß die Behörde noch Verfahrensanforderungen einhalten. Diese Anforderungen werden etwa für die Freisetzungsentscheidungen unter den APHIS-Regeln relevant, die regelmäßig im Rahmen eines FONSI ergehen. Der V.S. Court of Appeals for the District of Columbia hat die Pflichten der Behörde folgendermaßen konkretisiert: "Erstens muß die Behörde genau die relevanten Umweltbelange identifiziert haben. Zweitens muß die Behörde dieses Problem bei der Anfertigung des EA einer tiefgreifenden Betrachtung ("hard look") unterziehen. Drittens, wenn ein FONSI angefertigt wird, muß die Behörde überzeugende Gründe für ihre Schlußfolgerungen angeben. Schließlich, wenn die Behörde wirklich signifikante Beeinträchtigungen feststellt, kann die Anfertigung eines EIS nur unterbleiben, wenn Änderungen oder Sicherungsvorkehrungen die Beeinträchtigungen bis auf ein Minimum reduzieren.,,90 Allerdings steht jedem "hard look" der Gerichte auf die Methode zur Entscheidungsfindung ein "soft glance" auf die materielle Entscheidung gegenüber, weil es sich überwiegend um Tatsachenfeststellungen der Behörde handelt. Bei Risikobewertungen haben die Gerichte insbesondere im Rahmen eines EIS nie eine umfassende Rationalität in der Behördenentscheidung verlangt. 91 Noch weitergehend tendiert der Supreme Court bei der Prüfung des Inhalts von Umweltverträglichkeitsprüfungen92 sogar dazu, statt des oben genannten Vernünftigkeitstests (reasonableness-Test) lediglich eine Willkürkontrolle (arbitrary and capricious-Standard) anzuwenden. 93 In den niederen Gerichten wird jedoch teilweise noch disku90 Sierra Club VS. United States Department of Transportation, 753 F.2d 120, 127 (D.C.Cir. 1985). 91 Rodgers, S. 811. 92 Insgesamt handelt es sich um zwölf Verfahren, auch bekannt als "the Dirty Dozen", in denen der Supreme Court jeweils den Behörden weitreichendes Ermessen für die Anfertigung eines EIS einräumte. 93 So beispielsweise in Marsh VS. Oregon Natural Resources Council, 490 V.S. 360, 109 S.o. 1851, 104 L.Ed.2d 377 (1989), on remand 880 F.2d 242 (9th Cir. 1989).

11. Kontrollmaßstab der Gerichte

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tiert, welcher der beiden Tests für die Kontrolle des EIS anwendbar sein soll oder gar, ob der Standard der "de novo review" eingreift. 94 In Calvert Clijf5 räumte sich das Gericht unter NEPA die Kompetenz für die Priifung ein, ob die Behörde eine Abwägung von Kosten und Nutzen vorgenommen hat, die klar willkürlich war oder Umweltwerten eindeutig unzureichendes Gewicht einräumte. Die Balance müsse vielmehr fein abgestimmt sein und systematisch sein. Typischerweise geben sich die Gerichte auch mit einer beschränkteren Analyse zufrieden, wenn die Vorhaben in ihrem Umfang beschränkt sind96 oder die erwarteten Umweltauswirkungen eher fernliegend und spekulativ sind. 97

2. Deutschland In Deutschland sind Gerichte zu einer wesentlich umfassenderen Überpriifung des Verwaltungshandelns befugt als in den Vereinigten Staaten. a) TatsachenJeststeliungen

Tatsachenfeststellungen der Behörde sind voll gerichtlich überpriifbar. Die Verwaltungsgerichtsordnung stellt dafür detaillierte Beweisregeln zur Verfügung. b) Fragen rechtlicher Auslegung

Fragen rechtlicher Auslegung sind grundsätzlich Gegenstand gerichtlicher Überpriifung. Die Fälle, die in den Vereinigten Staaten unter rechtliche Auslegung durch Behörden gefaßt werden, insbesondere abstrakte Darstellungen der Behördenpolitik, beispielsweise in Form von administrativer Normgebung, werden als Vorfrage inzident bei der Überpriifung von behördlichen Einzelfallentscheidungen kontrolliert. In einigen Fällen kommt grundsätzlich auch das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle in Betracht. 98 Dariiber hinaus sind rechtliche Interpretationen der Behörden unterhalb der Normebene ebenfalls gerichtlich kontrollierbar. 94 Goos vs. ICC, 911 F.2d 1283, 1292-93 (8 th Cir. 1990); Village of Los Ranchos De Albuquerque vs. Marsh, 956 F.2d 970 (10th Cir. 1992); Sabine River Authority vs. U.S. Department of Inferior; 951 F.2d 669, 677 -78 (10th Cir. 1992); Sierra Club vs. Lujan, 949 F.2d 362, 367 (10th Cir. 1991). 95 Calvert Cliffs' Coordinating Committee vs. Atomic Energy Commission, 146 U.S.App. D.C. 33, 39; 449 F.2d 1109,1115,1 ELR 20346, 20349 (1971). 96 Rankin vs. Coleman, 394 F.Supp. 647, 654, 5 ELR 20626,20628 (E.D.N.C. 1975). Gerade im Bereich Gentechnik sollte jedoch von dem kleinen geographischen Ausmaß eines Feldversuches wegen der komplexen Eigendynamik gentechnisch veränderter Organismen nicht auf den beschränkten Umfang eines Vorhabens geschlossen werden. 97 Sierra Club vs. Morton, 510 F.2d 813, 824,5 ELR 20249, 20253 (5 th Cir. 1975). 98 § 47 VwGO.

256

Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

c) Anwendung von Recht auf Tatsachen (gemischte Fragen)

In Deutschland ist auch der Teil der Behördenentscheidung, in dem rechtliche Auslegungen auf die Tatsachen eines konkreten Falles angewandt und in eine Entscheidung umgesetzt werden, grundsätzlich justitiabel. Ausnahmen greifen grundsätzlich nur innerhalb der engen Grenzen behördlicher Beurteilungsspielräume ein. 99 Ein solcher Beurteilungsspielraum bei Risikobewertungen für gentechnische Freisetzungen wurde von den Gerichten zunächst abgelehnt. 100 In neueren Entscheidungen tendieren die Gerichte jedoch dazu, auch im Gentechnikrecht einen Beurteilungsspielraum oder eine Einschätzungsprärogative der Behörden anzuerkennen. So wird zunehmened die Anlagengenehmigung des GenTG mit parallelen Normstrukturen im Atomrecht verglichen, wo den Behörden ein Letztentscheidungsrecht für die Wertung wissenschaftlicher Streitfragen zugestanden wird. Weil Freisetzungen noch größere Schwierigkeiten bei der wissenschaftlichen Risikoermittlung bereiten, soll hier umso mehr eine Einschätzungsprärogative gelten. Denn es sei schwer nachvollziehbar, daß die Kompetenz der Gerichte zur Entscheidung wissenschaftlicher Streitfragen mit deren Komplexität nicht abnimmt, sondern steigt. 101 In der Literatur ist jedoch umstritten, wie weit die gerichtliche Kontrolle gerade in komplexen technischen Materien reichen sollte. 102 Von Teilen des Schrifttums 103 wird die Ansicht vertreten, daß eine gerichtlich nicht zu kontrollierende Einschätzungs- und Entscheidungsprärogative der Exekutive bei der Risikoabschätzung [und -bewertung] bestehe. Von anderer Seite jedoch wird die volle lustitiabilität rechtsbegrifflicher Generalklauseln gefordert. 104 Die Rechtsprechung differenziert zwischen einzelnen Aspekten einer Freisetzungsentscheidung. Die Frage, ob eine tatsächliche Einwirkung auf die in § 1 Nr. 1 GenTG bezeichneten Rechtsgüter einen Schaden darstellte, wird von der Rechtsprechung Kritisch dazu Sendler; DVBI. 1994, S. 1089-1101. So auch: ]örgensen, Rechtliche Probleme der Freisetzung von Gentechnisch Veränderten Organismen, S. 23. 101 Für das Atomrecht: BverfGE 49, S. 89 ff. - Kalkar -; BVerfGE 61, S. 82 - Wyhl -, BVerfGE 72, S. 300 ff.; für das Gentechnikrecht: BVerwG, Besch!. v. 15.4. 1999-7 B 2781 98 - (OVG Harnburg) = DÖV 2000, S. 37 (39) = DVBI. 1999, S. 1138 ff. 102 Siehe Wahl, NVwZ 1991, S. 409-418; grundsätzlich Breuer; NVwZ 1988, S. 104115; Ossenbühl, VVDStRL Bd. 29 (1971), S. 137 ff. 103 Breuer; NUR 1994, S. 157 (162); ders., Das Umweltgesetzbuch - über das Problem der Kodifikation in der Gegenwart, in: UPR Bd. 10 (1995), S. 365 (368); ders. in: ders. 1Kloepfer/Marburgerl Schröder (Hrsg.), Gentechnikrecht und Umwelt, UTR Bd. 14, 1991, S. 39 ff.; ders., NVwZ 1990, S. 211 (222); ebenso für die Freisetzungsgenehrnigung Gerlach, Das Genehrnigungsverfahren zum Gentechnikgesetz, 1993, S. 60 (122 f.); sehr vorsichtig und differenzierend Hirsch 1 Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 13 Rdnr. 94 ff.; § 16 Rdnr. 56 f.; tendenziell ebenso Ladeur; NuR 1992, S. 254 (258 ff., 261 f.), der planerisches Ermessen nach Maßgabe einer gesetzlich gebotenen Abwägung annimmt. Di Fabio, Grundfragen, S. 139. 104 Pfaundler; UPR 1999, S. 336 (338); Ossenbühl in: Festschrift für Konrad Redeker, 1993, S. 55 ff.; speziell für gemischt-interdisziplinäre Tatbestände im Umweltrecht: Salzwedel, ebd., S. 421 ff. 99

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11. Kontrollrnaßstab der Gerichte

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als Rechtsfrage gesehen und voll überprüft. 105 Dies wird damit begründet, daß die vorgegebenen Kriterien nur als unverbindliche Anregung für Abwägungen zu verstehen seien. In deren Beurteilung sind zwar Wertungen enthalten, ein Wertungsoder Beurteilungsspie1raum der Behörde sei jedoch nicht erforderlich. I06 In der Praxis überprüfen die Gerichte jedoch nur die Nachvollziehbarkeit der behördlichen Wertung. Im Gegensatz dazu sei die administrative Bewertung der Frage, ob nach dem Stand von Wissenschaft und Technik alle erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden und ob nach dem Stand der Wissenschaft schädliche Einwirkungen auf die in § 1 Nr. 1 GenTG genannten Schutzgüter nicht zu erwarten sind, gerichtlich nicht kontrollierbar. Es sei ausreichend, daß die Behörde eine "nachvollziehbare Begründung" liefere. 107 Die Gerichte könnten nur kontrollieren, ob die Behörde ausreichend Daten ermittelt, sie in ihrer Bewertung zugrundege1egt habe sowie ob diese hinreichend vorsichtig sei. Letztlich seien die Gerichte aufgrund eines Funktionsvorbehalts der Behörde auf eine Willkürkontrolle beschränkt. 108 Diese Anforderungen hat das VG Freiburg im Zusammenhang mit der Anlagenzulassung konkretisiert. Die Behörde muß sich danach auf willkürfrei ermittelte wissenschaftliche Standards stützen, welche konservative, also vorsichtige, Annahmen enthalten und von allen wissenschaftlich vertretbaren Erkenntnissen ausgehen, weder veraltet noch widerlegt, wissenschaftlich erschüttert oder wegen der Besonderheiten des Einzelfalls unanwendbar sind. I09 Die Gerichte beschränken sich auf eine Rechtmäßigkeitsprüfung, wobei jedoch inhaltlich das Gericht nicht die behördliche Bewertung durch seine eigene Bewertung ersetzen darf. 110 Wenn die Behörde jedoch feststellt, was bei gentechnischen Freisetzungen bisher nicht geschehen ist, daß schädliche Einwirkungen nicht ausgeschlossen werden können, werden die Gerichte voll überprüfen, ob die Einwirkungen vertretbar sind. Im Zusammenhang mit dem Pflanzenschutzgesetz hat das BVerwG ausgeführt, daß die Behörde hinsichtlich der Frage der Vertretbarkeit der sonstigen Auswirkungen keinen Beurteilungsspielraum habe, da unvertretbare Auswirkungen eines VG Berlin, Beschluß vom 12. September 1995 -14 A 255.95 und - 14 A 216.95. So auch: Jörgensen, Rechtliche Probleme der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 23. 107 OVG Berlin, Beschlüsse vom 9. März 1995 -1 S 62.94 - und 12. Februar 1996-1 S 156.95, vom 29. 4.1997-1 S 87/96, und vom 10. 8.1998-2 S 8/97, NVwZ 1999, S. 95 (99); VG Berlin, Beschlüsse vom 19. April 1994-14 A 156.94; 18. Juli 1995-14 A 181.94; 12. September 1995 -14 A 216.95. 108 OVG Berlin, Beschl. v. 10. August 1998-2 S 8/97, NVwZ 1999, S. 95 (99); für das Atomrecht zuletzt: BVerwG, Beschl. v. 16. Februar 1998 -11 B 5 I 98 -, DVBl. 1998, S. 596 =NVwZ 1998, S. 631 =NuR 1998, S. 319 - Krümmel-. 109 VG Freiburg, Urteil v. 23. Juni 1999-1 K 1599/98-. 110 OVG Berlin, Beschluß vom 29. März 1994-1 S 45.93, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Band 3, Nr. 3 zu § 16 GenTG; 9. März 1995 - 1 S 62.94 - und 12. Februar 19961 S 156.95 -; VG Berlin, Beschluß vom 7. Mai 1993-14 A 167.93 -; 19. April 1994-14 A 156.94 -; 18. Juli 1995-14 A 181.94 -, ZUR 1996,41; 12. September 1995-14 A 216.95und 12. September 1995-14 A 255.95 -, ZUR 1996, 147; BVerfGE 61, S. 82 (115). 105

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17 Pohl

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Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

Pflanzenschutzmittels mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein müßten. 11 1 d) Anforderungen an das Verwaltungsverfahren

Deutsche Gerichte überpriifen voll, ob die Behörde alle vorgeschriebenen Verfahrensentscheidungen einhält. Allerdings sind die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Behörde nur in geringem Maße normiert. Insbesondere hat sich keine differenzierte Rechtsprechung dazu entwickelt, welche Einzelerwägungen eine Behörde unternommen haben muß, um zu einer Entscheidung über das Vorliegen von Umweltauswirkungen zu kommen. Im Gegenteil, die Gerichte begnügen sich damit, zu überpriifen, ob Verfahrens- oder Ermittlungsfehler vorhanden sind und die Begriindungen der Behörde "nachvollziehbar" sind. 112

3. Vergleich Vergleicht man die Standards gerichtlicher Kontrolle, so fällt zunächst auf, daß in den Vereinigten Staaten anders als in Deutschland nicht grundsätzlich zwischen sachverhaltsbezogenem Beurteilungsspielraum und Ermessen auf der Rechtsfolgenseite unterschieden wird. 113 Stattdessen kontrollieren die Gerichte auf beiden Ebenen unterschiedlich intensiv, je nachdem ob tatsächliche oder rechtliche Erwägungen zu überpriifen sind. Daß auch die US-amerikanischen Gerichte die rechtliche Interpretation der Behörden auf der Tatbestandsseite überpriifen, bietet einen gewissen Ausgleich für die Unbestimmtheit der Ermächtigungsgrundlagen, der jedoch die deutschen Anforderungen an Rechtssicherheit und Transparenz nicht erreicht. Hinsichtlich der Kontrolldichte, mit der die Gerichte in den Vereinigten Staaten und in Deutschland administrative Entscheidungen überpriifen, fallen unterschiedliche Argumentationen auf, soweit Judikative und Exekutive andere Funktionen im jeweiligen Staatssystem wahrnehmen. Hinsichtlich der Überpriitbarkeit von Risikoentscheidungen treten jedoch ähnliche Abgrenzungsfragen auf. a) Tatsachenfeststellungen

Tatsachenfeststellungen der Behörde werden in den Vereinigten Staaten in der Regel nur auf die Frage hin überpriift, ob die Behörde sich auf stichhaltige BeweiBVerwGE 81, 13 (15) - Paraquat-. OVG Berlin, Beschlüsse vom 9. März 1995-1 S 62.94 - und 12. Februar 1996-1 S 156.95 -; VG Berlin, Beschlüsse vom 19. April 1994-14 A 156.94 -; 18. Juli 1995-14 A 181.94 -; 12. September 1995-14 A 216.95 -; VG Freiburg, 23. Juni 1999-1 K 1599/98-. 113 Vgl. auch Ladeur, OÖV 2000, S. 217 (218). 111

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II. Kontrollmaßstab der Gerichte

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se stützt, aus welchen man die Feststellungen vernünftigerweise ableiten kann. In Deutschland ist grundsätzlich von einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle des entscheidungserheblichen Sachverhaltes auszugehen. Als Begriindung für die Zuriickhaltung der Gerichte in derartigen Tatsachenfeststellungen wird meist angeführt, daß die Gerichte üblicherweise in den relevanten Sachgebieten eine geringere Expertise besitzen als die Fachbehörden und ihr wissenschaftlich ausgebildetes und erfahrenes Personal. Ferner wird nach US-amerikanischem Verständnis die Delegation der parlamentarischen Entscheidungsgewalt auf die Exekutive unterwandert, wenn die Gerichte die behördlichen Entscheidungen über Tatsachenfeststellungen aufheben könnten. Insbesondere besteht auch nach der intensiven öffentlichen Kontrolle 1l4 eine Vermutung für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandeins, die durch weitgehende gerichtliche Nachpriifungskompetenzen ausgehöhlt würde. Dadurch, daß die Gerichte von vornherein nur beschränkte Kontrollmöglichkeiten über die behördlichen Entscheidungen haben, besteht auch ein geringerer Anreiz, die Verwaltungsentscheidungen bei Gericht anzufechten. So werden aus amerikanischer Sicht sowohl die Ressourcen der Verwaltung effektiver genutzt als auch die Gerichte nicht über Maß beansprucht. Anderenfalls besteht - so meint man - die Gefahr, daß die Verwaltungsentscheidung an Bedeutung verliert, weil die grundlegenden Entscheidungen letztendlich doch von den Gerichten getroffen werden. Nach deutschem Recht bestehen erhebliche Bedenken gegen die Beschränkung von gerichtlichen Kontrollbefugnissen bei Tatsachenfeststellungen wegen der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Beurteilungsspie1räume sind nur im Rahmen engster Grenzen zulässig, für die sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet haben. Für die rein naturwissenschaftliche Risikoabschätzung bietet sich jedoch keine dieser Fallgruppen an. Es wäre auch nicht einzusehen, warum ein Gericht im Falle eines wissenschaftlichen Fehlschlusses der Behörde nicht berechtigt sein sollte, diesen Fehler zu korrigieren. Es liegt nämlich gerade in der Natur der Risikoabschätzung durch Verwendung von Modellen, sich der Realität nur schrittweise annähern zu können,l15 so daß eine Verfeinerung der Methodik sogar regelmäßig zu erwarten ist. Auch wenn nicht zu leugnen ist, daß das Ideal der letztverbindlichen Klärung von Tatsachenfragen auf administrativer Ebene effektiver ist, als stets zusätzlich die Gerichte zu bemühen,116 so ist aus rechtsvergleichender Sicht zu bemerken, daß in den Vereinigten Staaten das Verwaltungsverfahren auch deshalb einen höheren Stellenwert im Vergleich zum gerichtlichen Verfahren einnimmt, weil das Verwaltungsverfahren aufwendiger gestaltet ist, mitunter sogar gerichtstypische Züge aufweist. 117 Somit ist nicht grundsätzlich von einem Beurteilungsspielraum hinsichtlich Tatsachenfeststellungen auszugehen. Allerdings ist geVgl. dazu oben Kapitel 7. Dazu bereits oben Kapitel 5. 116 Di Fabio, Grundfragen, S. 139. 117 Vgl. dazu oben S. 222 ff; vgl. zur Bedeutung rechtsvergleichender Argumente: Rumpf, NVwZ 1997, S. 981 f. 114 115

17*

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Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

richtliche Zurückhaltung geboten, wenn sich die Behörde für eine von zwei wissenschaftlichen Interpretationsmöglichkeiten entscheidet, von denen keine offensichtlich fehlerhaft ist. Denn dann muß die behördliche Expertise in Sachfragen respektiert werden, und die Gerichte dürfen nicht ihre eigenen Präferenzen den Behörden aufzwingen.1\8 In der Praxis überprüfen die deutschen Gerichte auch nur, ob die behördliche Begründung für die Annahme, daß eine bestimmte Auswirkung nicht zu erwarten ist, nachvollziehbar ist. 119 Letztlich nähert sich die Prüfung dem US-amerikanischen Test, ob die Schlußfolgerungen von stichhaltigen Beweisen untermauert werden, 120 an.

b) Fragen rechtlicher Auslegung

Die rechtliche Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen kann in den Vereinigten Staaten nur insoweit voll kontrolliert werden, wie anzunehmen ist, daß das Parlament nicht die Konkretisierung solcher Begriffe an die Exekutive delegieren wollte. Jenseits dieser Grenze sind die Gerichte auf einen Vernünftigkeitstest beschränkt. Bei unbestimmten Rechtsbegriffen ist in der Regeln anzunehmen, daß die Interpretation der Verwaltung anvertraut wurde, wobei sie die Interpretation in Normen oder im Einzelfall vornehmen kann. In Deutschland kann das Gericht ebenfalls untersuchen, ob eindeutige gesetzliche Bestimmungen von der Verwaltung rechtmäßig interpretiert werden. Darüber hinaus kann das Gericht auch Normen, zu deren Erlaß die Exekutive ermächtigt wurde, inzident oder durch selbständige Verfahren auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen. Schließlich können auch rechtliche Interpretationen unbestimmter Rechtsbegriffe der Behörde im Einzelfall von den Gerichten kontrolliert werden. Hauptunterschied ist daher, daß in den Vereinigten Staaten solche rechtlichen Auslegungen, die von der Legislative an die Exekutive übertragen wurden, nur einer eingeschränkten Kontrolle durch die Judikative unterliegen. In Deutschland hingegen unterliegen delegierte und nicht delegierte rechtliche Interpretationen der gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle. Als Grund für die Zurückhaltung bei der Kontrolle rechtlicher Interpretationen geben US-Gerichte an, daß nur die Verwaltung das Gesetz "im Lichte der Realitäten des Alltags" interpretieren kann. 121 Richter sind meist keine Fachleute in allen speziellen Aufgabengebieten, die eine Behörde zu regeln hat, insbesondere wenn naturwissenschaftliche Fragestellungen betroffen sind. 122 Auch wenn Sachverstän118 In diese Richtung deutet auch die Wyhl-Entscheidung des BundesverwaItungsgerichts in BVerwGE 72,300 (316 f.). 119 OVG Berlin, Beschlüsse vom 9. März 1995-1 S 62.94 - und 12. Februar 1996-1 S 156.95 -; VG Berlin, Beschlüsse vom 19. April 1994-14 A 156.94 -; 18. Juli 1995-14 A 181.94 -; 12. September 1995 -14 A 216.95-. 120 Vgl. Universal Camera. oben S. 247. 121 Ebd.

11. Kontrollmaßstab der Gerichte

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dige herangezogen werden könnten, geht das US-amerikanische Recht davon aus, daß nicht die politischen Präferenzen des Richters in den einzelnen Regelungssektoren ausschlaggebend sein sollten. Dies zeige sich schon allein daran, daß die Verantwortung für die Regelungspolitik an die Behörde delegiert wurde. Es wird somit nicht als juristische Aufgabe angesehen, die Weisheit der Entscheidung für eine bestimmte Regelungspolitik zu beurteilen und den Konflikt zwischen konkurrierenden Ansichten über das öffentliche Interesse zu lösen, denn die "Verfassung überträgt diese Verantwortung den politischen Gewalten".123 Zumindest die Spitze der Exekutive (Chief Executive) ist direkt dem Volk verantwortlich. Die Gerichte hingegen gehören grundsätzlich nicht zu den demokratisch gewählten Staatsgewalten und sind deshalb aus US-amerikanischem Verständnis nicht legitimiert, in politische und wertbehaftete Entscheidungen inhaltlich einzugreifen oder in öffentlichen Partizipationsverfahren eine politische Entscheidung durchzusetzen. 124 In Deutschland würde eine solche Auslegung von Gewaltenteilung als Verkürzung des verfassungsrechtlich garantierten Rechtswegs verstanden werden.

c) Anwendung von Recht auf Tatsachen (gemischte Fragen)

In den Vereinigten Staaten sind Gerichte bei der Überpriifung der Frage, wie die Behörde Recht auf bestimmte Tatsachen anwendet, zuriickhaltend, soweit Feststellungen von Tatsachen betroffen sind. Zudem unterziehen sie auch die rechtlichen Erwägungen der Behörde nur einer eingeschränkten Kontrolle, wenn eine Einschätzungs befugnis vom Gesetzgeber eingeräumt wurde. Davon gehen die Gerichte in der Regel aus, wenn es um die Feststellung geht, ob die Voraussetzungen eines unbestimmten Rechtsbegriffes, wie etwa der des unvertretbaren Risikos, im Einzelfall vorliegen. In Deutschland werden administrative Einschätzungsprärogativen äußerst eng gefaßt und bei Risikobewertungen in der Regel nicht angenommen. Gerichte sind grundsätzlich befugt, sowohl zu überpriifen, ob von der Behörde festgestellte Auswirkungen der gentechnischen Freisetzung auf die Umwelt "schädlich" im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GenTG sind, als auch, ob sie "vertretbar" im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG sind. In der Praxis haben die Gerichte jedoch bislang Erwägungen der Behörde zur "Schädlichkeit" nur auf ihre Nachvollziehbarkeit hin überpriift. Zu der "Vertretbarkeit" einer Auswirkung existiert noch keine Gerichtsentscheidung. In einigen neueren Entscheidungen gehen die 122 Pierce, R. J. Jr., The Inherent Limits on Judicial Control of Agency Discretion: The D.C. Circuit and the Nondelegation Doctrine, in: Administrative Law Review, Bd. 52 (2000), S. 63 (72). 123 TVA vs. Hili, 437 V.S. 153; zum Prinzip der "Prevention of Significant Deterioration", vgl. Oren, Prevention of Significant Deterioration: Control-Compelling Versus Site-Shifting, lowa L. R. Bd. 74 (1988), S. 1 ff. 124 Seidenjeld, M., Bending the Rules: Flexible Regulation and Constraints on Agency Discretion, in: Administrative Law Review, Bd. 51 (1999), S. 429 (480).

262

Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

Gerichte ausdrücklich von einer Einschätzungsprärogative aus, innerhalb derer nur eine Willkürkontrolle und minimale Verfahrenskontrolle möglich ist. 125 Für die volle gerichtliche Kontrolle der Behördenentscheidung in gemischten Fragen spricht, daß ein Entscheidungsspielraum der Behörde zu einer Rechtswegverkürzung führen kann. Dieses Argument verliert an Gewicht, wenn man bedenkt, daß die Rechtsweggarantie nach deutschem wie nach US-amerikanischem Verständnis dem Schutz individueller Rechte dient. Diese Interessen spielen jedoch faktisch bei den Prozessen gegen Freisetzungen eine untergeordnete Rolle. Unter dem Vorwand eines konkreten Falles geht es Klägern häufig um die Abwehr von Schäden, die geographisch nicht begrenzbar sind. 126 Die Risikoentscheidung betrifft nicht mehr primär den Schutz individueller Interessen, sondern es geht im Grunde um die Abwägung öffentlicher Interessen. Der eigentliche Zweck der Rechtsweggarantie, der Schutz individueller Rechte, wird durch die Einräumung einer Einschätzungsprärogative also nicht ausgehöhlt. Weil es um öffentliche Interessen geht, kann der Kläger auf die politischen Partizipationsrechte verwiesen werden. Denn soweit man die gerichtliche Kontrolle allgemeiner gesellschaftlicher Entscheidungen verlangen wollte, würde dies dazu führen, daß Grenzziehung zwischen Exekutive und Legislative weiter verwischt. Die Verfechter einer behördlichen Einschätzungsprärogative bei der Entscheidung über die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge bei modemen Hochtechnologien verweisen sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland darauf, daß die Exekutive dafür besser ausgerüstet sei als die Gesetzgebung und die Rechtsprechung. Die legislativen Vorgaben sind nämlich ebenso unbestimmt und unvollkommen wie die naturwissenschaftlichen Erkenntnislage, die sie zu erfassen suchen. Die Bereitschaft, eine Einschätzungsprärogative grundsätzlich zu akzeptieren, ist in den Vereinigten Staaten deshalb größer als in Deutschland, weil die gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen breitere Programmdelegationen enthalten (wie z. B. für APHIS), die von den Gerichten mangels demokratischer Legitimation nicht sinnvoll überprüft werden können. 127 Dies gilt insbesondere hinsichtlich rechtsbegrifflicher Generalklausein der gebotenen Sicherheit, weil in Grenzsituationen der menschlichen Erkenntnis komplexe Ungewißheiten bestehen. Wegen dieser Ungewißheiten ist nicht mehr nur eine einzig richtige Auslegung möglich, die dann von den Gerichten festzustellen wäre und die Steuerungskraft gesetzlicher Begriffe versagt. Vielmehr muß die Einschätzung komplexer naturwissenschaftlicher Fragen in solchen Situation tatsächlich politisch verantwortet werden, weil juristische Prinzipien die naturwissenschaftlichen Probleme nicht lösen können. Wenn Gesetze, wie das GenTG, die SicherheitsanVgl. BVerwG, Beschl. v. 10.8. 1998-2 S 8/97, NVwZ 1999, S. 95 (99). Vgl. oben S. 33. 127 Pierce, R. J. Jr., The Inherent Limits on Judicial Control of Agency Discretion: The D. C. Circuit and the Nondelegation Doctrine, in: Administative Law Review, Bd. 52 (2000), S. 63 (64 f.). 125

126

11. Kontrollrnaßstab der Gerichte

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forderungen an die Front der naturwissenschaftlichen Erkenntnis vorverlagern, sind Juristen mit der Entscheidung von Fragen überfordert, die selbst unter Naturwissenschaftlern noch mitunter diametral diskutiert werden. 128 Die behördliche Expertise ist zu respektieren, insbesondere in Fällen, wo das gesetzliche Vokabular technisch ist und Begriffe einer speziellen wissenschaftlichen Disziplin, einer Industrie oder Branche beinhaltet. Andererseits wird eingewandt, daß Wertungen, die das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit betreffen, stets gerichtlich überpriifbar sein müssen, notfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigen. Soweit eine Einschätzungsprärogative bestehe, sei diese allein auf die Grenzziehung bei der Vertretbarkeit eines verbleibenden Risikos beschränkt. 129 Allerdings sind auch die Behörden in ihrer Rationalität beschränkt, werden entweder von Interessengruppen oder von Klägern beeinflußt und finden gerade im Bereich der Ungewißheit bei weitem keine perfekten Lösungen. 130 Die deutschen Gerichte ringen sich schrittweise dazu durch, eine Einschätzungsprärogative für Risikoentscheidungen unter Bedingungen der Unsicherheit anzuerkennen 131 und folgern daraus im "erst-Recht"-Schluß, daß dies im noch komplexeren Fall der Ungewißheit gelten muß. 132 Dieser Schluß ist jedoch nicht zwingend. Denn gerade die Ungewißheit entsteht nur dadurch, daß die Wissenschaft an ihre Grenzen gestoßen ist. In dieser Situation ist wieder eine politische Wertung gefragt, die durchaus auch von externen Dritten, auch aus anderen Staatsgewalten, geleistet werden könnte. In den Vereinigten Staaten wird versucht, vertretbare Ergebnisse dadurch zu erzielen, daß den Behörden durch strenge verfahrensrechtliche Standards vorgeschrieben wird, welche Analysen sie durchzuführen hat, um zu einer Entscheidung zu kommen. 133 Daneben können sich die Behörden den Sachverstand des privaten Unternehmers oder Forschers zunutze machen, indem sie die Konkretisierung der gesetzlichen Anforderungen auf ihn weiter delegieren. 134 Eine solche Einschätzungsprärogative erscheint insoweit sinnvoll, als eine volle Kontrolldichte um so weniger einleuchtend ist, je aufwendiger die Fachgesetze Verwaltungsorganisation und Verwaltungsverfahren gestalten und je mehr die Nutzen-Risiko-Abwägung der Be128 Breuer, NUR 1994, S. 157 (162); Krier, J./ Gillette, C., Risk, Courts and Agencies, U.Pa.L.Rev., Bd. 138 (1990), S. 1027 (1060). 129 Pflaundler, UPR 1999, S. 336 (338). 130 Krier, J./Gillette, c., Risk, Courts and Agencies, U.Pa.L.Rev., Bd. 138 (1990), S. 1027

(llOO).

131 Für das Atomrecht zusammenfassend: BVerfG, Urt. v. 14. Januar 1998, NVwZ 1998, S.628. 132 BVerwG, Beschl. vom 15.4. 1999-7 B 278/98 - (OVG Hamburg), DÖV 2000, S. 36 (39). \33 Vgl. dazu oben S. 206 f., 222 ff.; Harlow, R. E., Note, The EPA and Biotechnology Regulation: Coping with Scientific Uncertainty, Yale L.J., Bd. 95 (1996), S. 553. 134 Vgl. oben S. 174 ff. Vgl. für das deutsche Recht: Breuer, NVwZ 1988, S. 104 (106); für das US-amerikanische Recht: Redick/Reavey/Michels, Private Legal Mechanisms for Regulating the Risk of Genetically Modified Organisms: An Alternative Path within the Biosafety Protocol, in: Environmental Law Bd. 4 (1997), S. I (76).

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Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

hörde vom Gesetzgeber aufgetragen wird. 135 Offenbar gehen auch die deutschen Gerichte davon aus, daß das Verfahren des GenTG, insbesondere unter Einbeziehung der ZKBS,136 besser dazu geeignet ist, eine möglichst lückenlose Tatsachenbasis zu ermitteln und auch eine wertende Entscheidung darauf zu stützen. 137 Dies überzeugt insbesondere aus rechtsvergleichender Sicht. 138 Denn gerade in den Vereinigten Staaten, wo die Risikoentscheidungen stark verfahrensrechtiche strukturiert sind, üben die Gerichte äußerste Zuriickhaltung. Würde die gerichtliche Kontrolle ausgeweitet, dann müßte aus Sicht des US-amerikanischen Rechts das Verwaltungsverfahren weniger aufwendig gestaltet werden. 139 d) Anforderungen an das Verwaltungsveifahren

In den Vereinigten Staaten priifen die Gerichte eingehend, ob die Behörden ihre Entscheidung über die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im konkreten Fall rational auf artikulierte Feststellungen stützen und ob sie dariiber hinaus alle spezialgesetzlich vorgeschriebenen Analysen, insbesondere die Umweltverträglichkeitsprüfung nach NEPA oder deren Äquivalente, durchgeführt haben. 140 Grundsätzlich priifen sie dabei eingängig, ob die Behörden tiefgreifende Überlegungen angestellt haben (hard look), während sie hinsichtlich des Inhalts der Feststellungen äußerst zuriickhaltend sind (soft glance). In Deutschland wird die Einhaltung von Verfahrensvorschriften voll gerichtlich überpriift, allerdings existieren vergleichsweise wenige solcher prozessualer Anforderungen. Eine neuere Entscheidung zur Anlagengenehmigung l41 betont stärker die Kontrolle der einzelnen Verfahrensschritte. Die Behörde ist demnach verpflichtet, in sachlich begriindeten Fällen andere wissenschaftlic:he Stellungnahmen neben der der ZKBS einzuholen. Das Gericht überpriifte jedoch, wann ein sachlich begriindeter Fall vorliegt. Es stellte sogar das Postulat eines gesetzlich nicht vorgesehenen Verfahrens schritts auf, indem es die wiederholte Beteiligung der ZKBS nach Einholung eines Fremdgutachtens verlangte. Zudem untersuchte das Gericht, ob die Behörde den gesetzlich vorgeschriebenen Weg der Risikoermittlung und -bewertung eingehalten hat und ob der Stand der Wissenschaft durch das konkrete Verfahren richtig ermittelt wurde. 135 Vgl. Di Fabio, Die Risikoentscheidung im Rechtsstaat, S. 286 ff.; Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 753 -762; vgl. VG Berlin, Beschlüsse vom 12. September 1995 -14 A 216.95 - und - 14 A 255.95 -. 136 Vgl. etwa VG Berlin, Beschluß vom 18. Juli 1995-14 A 181194, ZUR 1996, S. 41 und vom 12. September 1995-14 A 216/95 - und -14 A 255/95 -, ZUR 1996, S. 147. 137 BVerwG, Beschl. v. 15.4.1999-7 B 278/98 - (OVG Hamburg). 138 Breuer, NuR 1994, S. 157 (162). 139 Ruhl, Complexity Theory as a Paradigm for the Dynarnical Law-and-Society System: A Wake-Up Call for Legal Reductionism and the Modem Modem Administrative State, Duke Law Journal, Bd. 45 (1996), S. 849 (917). 140 Vgl. dazu soeben, S. 252; Rodgers, S. 812. 141 Urteil des VG Freiburg vom 23. 6. 1999 -1 K 1599/98 -.

11. Kontrollrnaßstab der Gerichte

265

Obwohl die Intensität der gerichtlichen Kontrolle hinsichtlich der einzelnen Komponenten der behördlichen Entscheidungsfindung ständig Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen bleibt und auch für verschiedene Einzelfragen unterschiedlich stark ausfällt, hat das Verwaltungsrechtssystem der Vereinigten Staaten ein handhabbares Modell für den Umgang mit naturwissenschaftlicher Ungewißheit bei Entscheidungen über den Umgang mit modernen Hochtechnologien entwickelt. Die Gerichte tun der höheren Expertise der Behörde und ihrer Zuständigkeit als Organ der Exekutive zur Entscheidung der letztlich politischen Fragen der Vertretbarkeit technischer Risiken und Ungewißheiten durch Zuriickhaltung in der Kontrolle von sachlichen Feststellungen Genüge. Auf der anderen Seite gewährleisten sie Rechtsschutz, indem sie den Entscheidungsfindungsprozeß in der Behörde minutiös nachvollziehen und für jeden Schritt rationale Begriindungen und Erklärungen fordern, sich also auf die Schlüssigkeitspriifung der Argumentation konzentrieren, die inhaltliche Entscheidung jedoch der dazu besser ausgestatteteten und legimitierten, sowie idealerweise pluralistisch besetzten Behörde überlassen. 142 Die wenigen Entscheidungen, die zu gentechnischen Freisetzungen ergingen, hatten stets nur die Einhaltung von Verfahrensvorschriften zum Gegenstand und stellten keine materiellrechtlichen Erwägungen an. Darin ist durchaus eine effektive Kontrolle zu sehen,143 auch wenn die subjektiven Rechte, die in Deutschland durch die Einführung des GenTG ausdriicklich verankert werden sollten, bei dieser Lösung an Kontur verlieren. Dies gilt natürlich insbesondere dann, wenn wie in den Vereinigten Staaten darauf verzichtet wird, die Verletzung subjektiver Rechte als Voraussetzung der Klagebefugnis zu sehen. Allerdings wird sogar die Auffassung vertreten, die Verfahrenskontrolle schlage dermaßen auf die materielle Entscheidung der Behörde durch, daß sie letztlich eine intensivere Kontrolle gewährleistet als eine materiellen Priifung. Auch die neuere deutsche Rechtsprechung l44 erzielt durch eine strenge Verfahrenskontrolle ein hohes Maß an Rechtsschutz, da sich die Verfahrenskontrolle an eine Richtigkeitskontrolle des Ergebnisses der Verwaltungsentscheidung annähert, ohne die Wertung der Exekutive durch die Wertungen des Gerichts zu ersetzen. 145 Wenn es nach einem aufwendigen Verwaltungsverfahren zusätzlich noch zu einer gerichtlichen Überpriifung der Entscheidung kommt, bei der zumindest das Verwaltungsverfahren detailliert nachvollzogen wird, entwickelt sich der Gesamtprozeß zu einem aufwendigen, kostspieligen und zeitraubenden Verfahren. In diesem Zusammenhang wird der US-amerikanische Entscheidungsfindungsprozeß ebenfalls als schwerfällig und über-prozessiert charakterisiert. 146 142 Seidenfeld. M., Bending the Rules: Flexible Regulation and Constraints on Agency Oiscretion, in: Administrative Law Review, Bd. 51 (1999), S. 429 (489, 492 ff.). 143 Ähnlich sogar aus deutscher Sicht: Ladeur; OÖV 2000, S. 217 (222). 144 VG Freiburg, Vrt. V. 23. 6. 1999-1 K 1599/98-. 145 Kroh. OVBI. 2000, S. 102 (106). 146 Beispielsweise von Stewart. in: Smith/Kromarek, S. 1 (3).

266

Kap. 8: Gerichtliche Kontrolle

III. Zusammenfassung zu Kapitel 8 Der Zugang zu den Gerichten für Streitigkeiten über Risiken bei gen technischen Freisetzungen ist in den Vereinigten Staaten tendenziell leichter möglich als in Deutschland. Denn die Anforderungen an die Antragsbefugnis werden so ausgelegt, daß auch Verbände für ihre Mitglieder klagen können. Es reicht zudem aus, jegliche Rechtsverletzung, nicht nur die von subjektiven Rechten, substantiiert darzulegen. Diese Abgrenzungskriterien sind flexibler und können die spezifischen Risiken und indirekten Beeiträchtigungen bei gentechnischen Freisetzungen angemessen berücksichtigen, für welche die deutschen Anforderungen an die Verletzung eigener Rechte ungeeigent erscheinen. Um dennoch eine effektive Vorauswahl an Klagen zu treffen, prüfen die US-Gerichte in stärkerem Maße, ob ein Urteil tatsächlich Abhilfe für den Kläger schaffen würde und ob die wirklichen Interessen des Klägers tatsächlich vom Schutzbereich der Norm erfaßt sind. Das deutsche Recht geht bei der Prüfung subjektiver Rechte kategorischer vor, ist aber flexibler bei Ausnahmen zur Verhütung von Mißbrauch. Einer der Griinde für die geringeren Anforderungen an den Zugang zu den US-Gerichten liegt darin, daß ein Ausgleich für die mangelnde demokratische Kontrolle bei pauschalen Programmermächtigungen für die Exekutive geschaffen werden muß. Wenn eine Klage vor einem deutschen Gericht erst einmal zugelassen ist, erfolgt sodann die inhaltliche Prüfung der Freisetzungsentscheidung äußerst intensiv, erst in neueren Entscheidungen schränken die Gerichte ihre Kontrollrnaßstäbe ein. In den Vereinigten Staaten üben die Gerichte hingegen traditionell starke Zurückhaltung, insbesondere bei unbestimmten Rechtsbegriffen zur Regulierung von Hochtechnologien. Während in Deutschland verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Beschränkung von Kontrollbefugnissen bestehen, fallen diese Bedenken in den Vereinigten Staaten weniger stark aus, zumal auch das Verwaltungsverfahren mit zum Teil gerichtstypischen Zügen aufwendiger gestaltet ist und bei technischen und politischen Fragen einen höheren legitimatorischen Stellenwert innehat. Andererseits kontrollieren US-Gerichte ebenso wie die deutschen Gerichte vollständig die Einhaltung von Verfahrensstandards für die administrative Entscheidungsfindung. Diese Kontrolle stellt in den Vereinigten Staaten deshalb einen Ausgleich für die zurückhaltende materielle Kontrolle dar, weil in komplexen wissenschaftlichen Streitfragen materielle Standards oft fehlen. Stattdessen gibt es in den Vereinigten Staaten bei Risikoentscheidungen weitaus mehr Verfahrensanforderungen, deren minutiöse Überprüfung eine intensive Kontrolle der Verwaltung bedeutet. Dazu zählen insbesondere die detaillierten Anforderungen der Umweltverträglichkeitsprüfung, die bei der Prüfung von Freisetzungsvorhaben eine wesentliche Rolle spielen und auch im deutschen und europäischen Gentechnikrecht vermehrt diskutiert werden.

Kapitel 9

Gesamtvergleich und Zusammenfassung Im Verlauf dieser Studie hat sich an zahlreichen Stellen gezeigt, daß die Risiken bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in den Vereinigten Staaten anders erfaßt werden als in Deutschland. Unterschiede ergeben sich auf nahezu allen Stufen des staatlichen Entscheidungsfindungsprozesses. So wurde in den Vereinigten Staaten bereits im Gesetzgebungsverfahren auf ein Spezialgesetz zur Regelung der Gentechnologie verzichtet. Dadurch werden die Risiken der Gentechnologie, die sich nur aus der Möglichkeit ihres Mißbrauchs oder aus Unfallpotentialen ergeben, anders als im Falle des deutschen Gentechnikgesetzes nicht erfaßt. 1 Der Verzicht auf eine spezialgesetzliche Regelung ist vor allem auf die Besonderheiten im politischen Meinungsbildungsprozeß und auf sozialpsychologische Unterschiede zwischen der US-amerikanischen und der deutschen Öffentlichkeit zuriickzuführen. 2 Die verstreuten sektoralen Einzelgesetze der Vereinigten Staaten, 3 die untergesetzlich an die Besonderheiten gentechnischer Freisetzungen angepaßt wurden,4 lassen weitere Risiken unerfaßt, soweit Regelungslücken insbesondere für gentechnisch veränderte höhere Tiere nicht ausgeschlossen werden können. 5 Die Regelungslücken rufen in den Vereinigten Staaten jedoch weniger als in Deutschland die Besorgnis mangelnder staatlicher Kontrolle hervor, da die gesetzlichen Ennächtigungen für die administrative Nonngebung äußerst weit fonnuliert sind oder interpretiert werden. 6 Es ist nicht unüblich, daß in den Vereinigten Staaten die Umweltschutzbehörde neue Nonnen auch ohne zusätzliche Ennächtigung erläßt, wenn die technischen Entwicklungen entsprechenden Regelungsbedarf anzeigen. Derart weitgehende Befugnisse der US-Behörden werden nicht als unbestimmt und damit rechtswidrig empfunden, weil der Schwerpunkt parlamentarischer Kontrolle in extensiv genutzten Fragerechten des Kongresses und Berichtspflichten der Behörden gesehen wird. 7 Zudem wird zusätzliche Legitimation durch weitgehende Verfahrensanforderungen und Partizipationsrechte am Nonnsetzungsverfahren geschaffen. 8 I

2

3 4 5

6 7

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

oben S. 77, 88. oben S. 85. oben S. 77. oben S. 64, 67. oben S. 76. oben S. 81, 227. oben S. 81.

268

Kap. 9: Gesamtvergleich und Zusammenfassung

Die Gentechnikregelung der Vereinigten Staaten läßt zudem mögliche Gefahrenquellen unerfaßt, indem sie einen produktbezogenen Ansatz verfolgt, also nur die Risiken des veränderten Produktes berücksichtigt, aber nicht die Risiken, die aus dem Verfahren der Gentechnologie selbst herrühren. 9 Diese Risiken werden jedoch wiederum auf anderer Ebene behandelt, nämlich im Rahmen von aufwendigen behördenübergreifenden Risikostudien. lO Solche Studien dienen dazu, die Verwaltungsressourcen effektiv auf die Risiken höchster Priorität zu verteilen und gleichzeitig die Wirtschaft nicht unnötig durch staatliche Kontrollrnaßnahmen zu belasten. Verfahrensbezogene Risiken der Gentechnik werden allerdings regelmäßig als Risiken niedrigster Priorität angesehen. 11 Konsequente Folge des Auswahlansatzes in den Vereinigten Staaten ist zudem die schrittweise Deregulierung von Freisetzungen bestimmter gentechnisch veränderter Organismen. Man entläßt die Organismen, über die genügend Erfahrungswissen existiert, aus der staatlichen Überwachung, um diese auf die Risiken höherer Priorität zu konzentrieren. Am Beispiel von zwei Risikoabschätzungen für gentechnisch veränderte, virusresistente Zuckerrüben wurde gezeigt, daß die naturwissenschaftliche Risikoabschätzung in bestimmten Fällen in beiden Ländern ähnlich ausfallen kann, niedrige Risiken in den Vereinigten Staaten jedoch dereguliert werden. In Deutschland würde eine Deregulierung als Verletzung staatlicher Schutzpflichten angesehen, weil alle Freisetzungen einem Anmelde- beziehungsweise Genehmigungsvorbehalt unterstellt sind. Die Beibehaltung dieser strengen Anforderungen wird jedoch im Zuge der Fortentwicklung der Technologie zunehmend auch aus europarechtlicher Sicht in Frage gestellt. 12 Kernproblem bleibt daher der Umgang mit den Risiken der Freisetzung von Organismen, die unter Verwendung modernster gentechnischer Verfahren im Bereich der vordersten Front wissenschaftlicher Erkenntnis hergestellt wurden. Die mit solchen Freisetzungen verbundenen Risiken können zumindest zu Beginn der Entwicklung eines neuen Organismus nur schwer abgeschätzt werden. Denn das Verhalten des neuen Organismus und seine äußerst komplexen ökologischen Interaktionen sind nicht durch herkömmliche quantitative Methoden prognostizierbar.1 3 Vielmehr ist die Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden völlig offen, weil die Auswirkungen der Freisetzung naturwissenschaftlich ungewiß sind. 14 Die Verpflichtung, behördenübergreifende Risikostudien anzufertigen, zwang die Behörden in den Vereinigten Staaten schon früh dazu, sich mit der Entwicklung neuer Methoden zur Erfassung der Ungewißheit bei gentechnischen Freisetzungen zu beVgl. oben S. 206. Vgl. oben S. 94. 10 Vgl. oben S. 206. 11 Vgl. oben S. 97. 12 Vgl. oben S. 112. 13 Vgl. oben S. 28. 14 Vgl. oben S. 43.

8

9

Kap. 9: Gesamtvergleich und Zusammenfassung

269

fassen. Die Ecological Society of America entwickelte ein Abschätzungsschema, das als Vorstufe einer materiellen Strukturierung der Risikoentscheidung gesehen werden kann. Derartige Modelle wurden auch auf europäischer Ebene diskutiert. 15 Die Ausfüllung der Prüfungskriterien derartiger Schemata erfordert jedoch weiterhin, daß Wissenschaftler mit Modellen und Annahmen arbeiten, die verschiedene politisch-soziale Wertungsmöglichkeiten offenlassen. Um die Feststellungen der Wissenschaftler kontrollierbar zu halten, werden in beiden hier verglichenen Rechtsordnungen abschätzende Elemente von wertenden Elementen klar getrennt, um verbleibende Ungewißheiten artikulieren zu können. Vorschläge zur weiteren Steuerung der Risikoabschätzung umfassen die Verwendung von deterministischen Konsequenzanalysen mit Vertrauensgrenzen und Erstellung von Standardanweisungen für den Umgang mit Ungewißheit (inference guidelines). In Deutschland wie in den Vereinigten Staaten wird es aus Gründen der Rechtssicherheit angestrebt, diesen Abschätzungsvorgang weiter materiell zu strukturieren. Um zu verhindern, daß die Strukturierung der Risikoabschätzung für einen so komplexen Sachverhalt wie die Gentechnologie zu einer kaum noch handhabbaren Flut technischer Normen mit Vollzugsdefiziten führt, wird in den Vereinigten Staaten die Rückbesinnung auf die für das common law typische Einzelfallbetrachtung gefordert. 16 Dabei soll eine Flexibilität erreicht werden, die in Deutschland nur über das Modell des dynamischen Grundrechtsschutzes zu rechtfertigen wäre. Ein solches fallweises Vorgehen geht allerdings mit den Empfehlungen der OECD für den Umgang mit der Gentechnologie konform. 17 Tatsächlich verzichten im USamerikanischen Recht bereits jetzt die einschlägigen untergesetzlichen Normen auf die konkrete Auflistung der berücksichtigungsfähigen Risiken. Der Behörde sollen alle Arten von Studien über jegliche, vornehmlich ressourcenökonomisch verstandenen, Umwelteinwirkungen zur Beurteilung vorgelegt werden können. Die Defizite auf seiten der Rechtssicherheit können nach US-amerikanischem Verständnis durch verstärkte Partizipationsrechte der Betroffenen in der Einzelfallentscheidung und durch minutiöse prozessuale Vorgaben für die Risikoabschätzung ausgeglichen werden. 18 Durch den Vorschlag, eine Umweltverträglichkeitsprüfung für die Risikoentscheidung einzuführen, scheint auch die EU prozedurale Lösungen zu favorisieren. Bei der normativen Risikobewertung wirken sich Ungewißheiten noch stärker aus als bei der naturwissenschaftlichen Risikoabschätzung, weil ein Urteil darüber gefällt werden muß, ob ein Freisetzungsrisiko für die Gesellschaft hinnehmbar ist. Beide Rechtsordnungen kennen die Risiko-Nutzen-Abwägung zur Ausfüllung dieser Frage. Das deutsche Gebot der Gefahrenabwehr- und Risikominderung bewirkt, daß die Abwägung nur zur Erfassung verbleibender Ungewißheiten einer 15 16 17 18

Vgl. oben S. 120. Vgl. oben S. 150. Vgl. oben S. 49. Vgl. oben S. 252.

270

Kap. 9: Gesamtvergleich und Zusammenfassung

Freisetzung angewendet werden kann. Das Recht der Vereinigten Staaten hingegen ist in einer utilitaristischen Tradition verwurzelt und entscheidet daher über Freisetzungen ausschließlich im Wege einer umfassenden Abwägung aller Risiken und Nutzen. 19 In der deutschen Freisetzungspraxis wurde noch kein Gebrauch von der in § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG normierten Abwägungsformel gemacht. Auch in den Vereinigten Staaten wird der Risiko-Nutzen-Abwägung so gehandhabt, daß in der Praxis zumindest in einer großen Zahl der Fälle nicht gegen ein Risikominderungsgebot deutschen Zuschnitts verstoßen würde. Eine materiellrechtliche Garantie für eine solche Handhabung besteht jedoch nicht. Vielmehr delegieren US-Behörden sogar in bestimmten Fallgruppen die Konkretisierung dessen, was im Einzelfall unter einem vertretbarem Risiko zu verstehen ist, auf den privaten Anmelder einer Freisetzung und beschränken sich hinsichtlich der Sicherheitsvorkehrungen auf abstrakte (Qualitäts-)Zielvorgaben. 20 Weil der technisch kompetente Private letztlich wie ein Erfüllungsgehilfe der Behörde handelt, werden seine Entscheidungen gerichtlich auch nur insoweit kontrolliert, wie dies auch mit administrativen Entscheidungen der Fall wäre. Die Unbestimmtheit der materiellen Vorgaben für die Risikobewertung wird nach US-amerikanischem Verständnis wiederum dadurch kompensiert, daß detaillierte verfahrensrechtliche Normen für die Durchführung der Risikobewertung bereit stehen. 21 In Deutschland hingegen sollen verfahrensrechtliche Rechte stets nur materielle Kriterien unterstützen. Geeignete materielle Standards für gentechnische Freisetzungen konnten bislang jedoch nicht festgelegt werden. Gerade im Anbetracht der Defizite auf seiten der materiellen Standards erscheint es paradox, die volle gerichtliche Kontrollierbarkeit der behördlichen Entscheidung einzufordern, wenn man nicht die Letztentscheidung wissenschaftlicher Streits den Gerichten übertragen will. In Deutschland werden grundsätzlich nur eng begrenzte Ausnahmen vom Grundsatz der umfassenden gerichtliche Kontrolle zugelassen. Bei der Risikoabschätzung und -bewertung haben sich die Gerichte in der Praxis jedoch auf eine Einschätzungsprärogative zubewegt und hinsichtlich einzelner Aspekte jedoch darauf beschränkt, zu priifen, ob die Behörde zumindest nachvollziehbar argumentiert hat. 22 In den Vereinigten Staaten priifen die Gerichte in solchen Fällen grundsätzlich nur, ob die Behörde vertretbar argumentiert hat. Einen Ausgleich für die Zuriickhaltung der Gerichte in inhaltlichen Fragen, bildet wieder die äußerst strenge Kontrolle, ob die Behörde alle Verfahrensschritte eingehalten hat. Aus verfahrens- und prozeßökonomischer Sicht ist es ineffektiv, eine volle materiellrechtliche Kontrolle der Gerichte zuzulassen, wenn bereits das Verwaltungsverfahren aufwendig gestaltet wurde. 23 Das Verwaltungsverfahren wie19 20 21 22

23

Vgl. oben S. Vgl. oben S. Vgl. oben S. Vgl. oben S. Vgl. oben S.

185. 174. 218 f. 261. 265.

Kap. 9: Gesamtvergleich und Zusammenfassung

271

derum muß aufwendig gestaltet werden, wenn die Ermächtigungsnormen äußerst weitgefaßte Programmermächtigungen für die Exekutive enthalten. In dieser Konstellation wird die Funktion der gerichtlichen Kontrolle, die inhaltliche Richtigkeit der Freisetzungsentscheidung sicherzustellen, durch die Einbeziehung sachverständiger Meinungen in das administrative Verfahren erfüllt. Zum anderen stellen zumindest aus Sicht des US-Rechts die Partizipationsrechte im administrativen Normgebungsverfahren, das als politisch-sozialer und nicht als technokratischer Prozeß verstanden wird, die rechtsstaatliehe Kontrolle und demokratische legitimation des Behördenhandelns sicher. Auch in Deutschland fällt es schwer, eine behördliche Einschätzungsprärogative für den Bereich der verbleibenden Ungewißheiten gentechnischer Freisetzungen zu verneinen, wenn gleichzeitig fachwissenschaftliehe Ausschüsse im Verwaltungsverfahren eine starke Rolle spielen sollen. Im Gesamtvergleich der Regelungssysteme der Vereinigten Staaten und Deutschlands hat sich gezeigt, daß auf jeder Stufe des Entscheidungsfindungsprozesses beide Rechtssysteme ähnliche Mechanismen mit unterschiedlicher Gewichtung verwenden, die sich in ein rechtssystematisches und kulturelles Gleichgewicht einfügen. Während beide Systeme in ihrer Gesamtheit die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen wirkungsvoll regeln, kann es jedoch bei dem Versuch, einzelne bewährte Elemente der Risikoentscheidung aus der einen in die andere Rechtsordnung zu übertragen, wie etwa die Steuerung der Entscheidung durch prozessuale Anforderungen, zu Kompatibiltätsproblemen kommen, also gleichsam zu "Positionseffekten der Rechtsordnungen".

Anhang 1 Merkmale der Organismen und der Umwelt, die bei der Risikoabschätzung zu beachten sind (Ökologische Gesellschaft von Amerika (Ecologic Society 0/ America), Gutachten 1989, Übersetzung nach Bum, James, Genehmigungsverfahren und ökologische Kriterien bei Freisetzungsanträgen in den USA, Bericht im Auftrag des Umweltbundesamtes, Dezember 1989, S. 38 ff.)

Merkmal

Grad der möglichen wissenschaftlichen Ern,ägung mehr

weniger A. Merkmale der genetischen Veränderung

1. Charakterisierung

2. Genetische Stabilität oder Veränderung 3. Artder Veränderung

4. Funktion

5. Herkunft des 1nserts 6. Vektor 7. Herkunft des Vektors 8. Vektor DNS/ RNS im veränderten Genom

Oll

Vollständig charakterisiert

Unzureichend charakterisiert oder unbekannt

Oll

Gering (z. B. extrachromosomal)

Hoch (z. B. chromosomal) Oll

Deletion (außer bei veränderter Wirtsspezifität) Oll

Keine (keine Expression oder Regulation)

Hinzufügen eines Gens

Hinzufügen zahlreicher Gene

Regulation des bestehenden Genprodukts

Synthese eines für den Elternorganismus neuen Genprodukts

Eng verwandte Art

Nicht verwandte Art

Kein eigener Transfer

Eigener Transfer

Eng verwandte Art, nicht pathogen

Nicht verwandte Art oder pathogen

Vorhanden, aber ohne Funktion

Funktionstragend

Oll

Gleiche Art Oll

Ohne Oll

Gleiche Art, nicht pathogen Oll

Nicht vorhanden

Anhang 1

273

B. Eigenschaften der Eltern-(Wildtyp-)organismen

1. Domestikationsgrad

..

Vermehrungsunfähig ohne menschliche Hilfe

2. Kontrollierbarkeit

3. Herkunft 4. Habitus

5. Status als Schädling

6. Überleben unter günstigen Bedingungen

..

~

Halbdomestiziert; wilde / verwilderte Population bekannt

Selbstvermehrend, wild ~

Kontrollmaßnahmen bekannt

Kontrollmaßnahmen unbekannt

Einheimisch

Exotisch

Freilebend (eigenständig)

Pathogen, parasitisch, symbiotisch

.. . ..

Verwandte keine Schädlinge

..

~

~

~

Verwandte sind Schädlinge

~

Kurze Zeit

Lange Zeit (z. B. Sporen, Zysten, Samen, Dauerformen)

.

7. Geographische Verbreitung, Habitatauswahl

Begrenzt

8. Gentransfers in natürlichen Populationen

Keine

Selbst Schädling

~

Unbegrenzt

.

~

Häufig

C. Phänotypische Eigenschaften des gentechnisch veränderten Organismus im Vergleich zum Elternorganismus

1. Fitness

2. 1nfektiosität, Virulenz, Pathogenität, Toxizität

3. Wirtsspektrum

4. Substrat, Nährstoffspektrum

5. Umweltbedingte Wachtstums- oder Vermehrungsschranken (Habitat, Mikrohabitat) 18 Pohl

..

~

Unwiederherstellbar verringert

Wiederherstellbar verringert

Erhöht

Unwiederherstellbar verringert

Wiederherstellbar verringert

Erhöht

Unverändert

Verändert oder erweitert

. .

..

Unverändert

.

Eingeengt, aber nicht verschoben

~

~

~

Verändert

Erweitert ~

Erweitert oder verschoben

274 6. Resistenz gegen Krankheit, Parasiten, Pflanzenfraß, Predation

7. Kontrollierbarkeit durch Antibiotika, Biozide, Substratentzug, mechanische Eingriffe 8. Merkmalexpression

9. Ähnlichkeit mit bereits sicher angewandten Phänotypen

Anhang 1

.

Reduziert

~

Unverändert

Erhöht

Unverändert

Reduziert

. Erhöht

~

.

~

Umweltunabhängig

Umweltabhängig

. Gleich

~

Ähnlich

Verschieden

D. Eigenschaften der Umwelt

1. Selektionsdruck auf die eingebrachte Eigenschaft

2. Wilde, unkrautige oder verwilderte Verwandte innerhalb des Verbreitungsgebietes des Organismus oder seiner Gene 3. Verbreitungsvektoren (Milben, Insekten, Nager, \0gel, Menschen, Machinen, Wind, Wasser usw.) 4. Direkte Betroffenheit bei grundlegenden ökosystemaren Prozessen (z. B. Nährstoffzyklen)

5. Alternative Partner, wenn Organismus symbiot

.

~

Vorhanden

Nicht vorhanden

..



Nicht vorhanden

Vorhanden

..



Vorhanden, unkontrollierbar

Nicht vorhanden oder kontrollierbar

..

Keine

..

Nicht vorhanden

Geringe



Schlüsselfunktion



Vorhanden

Anhang I 6. Bandbreite der Ökosysteme, in denen der gentechnisch veränderte Organismus erprobt oder angewandt wird; mögliche geographische Verbreitung

7. Simulation der Testbedingungen 8. Zugang der Öffentlichkeit zum Versuchsgelände 9. Effektivität von Monitoring- oder Notfal/plänen

IS*

275

..



Sehr begrenzt

Breit, weit verbreitet

..



Realistisch simulierbar

..

Streng kontrolliert

..

Als effektiv nachgewiesen

Sehr schwer realistisch simulierbar

Begrenzt kontrolliert



Nicht kontrolliert



Unerprobt oder wahrscheinlich nicht effekti v

Anhang 2 Schreiben von Jim Alwood, TSCA Coordinator vom Oktober 1998. Mr. Siegmar Pohl Möckernstraße 93 10963 Berlin Germany Dear Mr. Pohl: This letter is in response to the questions you sent to Mark Segal, of the TSCA Biotechnology Workgoup concerning the Environmental Protection Agency's (EPA) review of genetically engineered microorganisms (GEM) under the Toxic Substances Control Act (TSCA). I will attempt to address some of your specific questions conerning our risk management decision making. EPA is rarely able to quantify risks and benefits as a result of a review of a GEM. Therefore, there is no costlbenefit analysis equation where a certain amount of benefit overcomes a certain amount of risk. For each GEM, EPA analyses the potential risks and benefits and makes adecision on a case-by-case basis. In those cases where only a field trial is under review, EPA makes its decision based solely on the risks from the proposed filed trial as further application is necessary for commercial application. EPA does notify field trial applicants of potential unacceptable risks from commercialization of a GEM if any have been identified. The risk assessment consists of many reports integrated into a picture of the risks potentially associated with the GEM under review. These reports inc1ude microbial identification, construct assessment, human health and ecological hazard assessments, engineering, and fate reports. For all assessments a worst case analysis is the standard assumption. The reports identify how the GEM under review was genetically modified, how it functions, and how it is manufactured, processed, and used. Further analysis identify its potential for human health or environmental effects from exposures during its manufacture, processing, and use. EPA attempts to identify every potential risk from a GEM (inc1uding long term and hypothetical risks) and then assess whether such risks are "unreasonable". The economics report focuses on potential substitutes, projected production levels, import status, and alternative uses as weil as addressing all of the potential benefits of the GEM. Potential economic benefits are always considered in cases where EPA has identified potential human health or environmental risks. However, because TSCA

Anhang 2

277

mandates that EPA prevent any unreasonable risk, the small incremental benefits attributed to new GEMs are usually far outweighed by any risk considerations. While it is theoretically possible that commercialization of an organism resulting in some human health or environmental damage would be allowed because of overwhelming economic benefits, practically speaking it would occur only rarely. Under TSCA only a very few GEMs have warranted regulatory action because of their potential unreasonable risk. If you have any further questions on our decision making or risk assessment procedures, please contact Laura Stalter at [email protected], or at (202) 2600028. She can provide further information you may need.

Thank you for your interest in our program. Sincerely, Jim Alwood TSCA Biotechnology Coordinator New Chemicals Notice Management Program

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World Health Organization (WHO), Environmental Health Criteria, Six: Principles and Methods for Evaluating the Toxicity of Chernicals, Teil 1, Genf, 1978 (zitiert: Environmental Health Criteria). World Intellectual Property Organization (WIPO), Industrial Property Protection of Biotechnological Inventions, Publication Biot/CE/1/2 (1984). World, c., The Futility, Utility, and Future of the Biodiversity Convention, 9 Colo J. International Environmental Law & Policy (1998), S. 1 ff. Wurzel, G., Gentechnologie, Gentechnikgesetz und Dritter Bericht der Bioethik-Komrnission Rheinland-Pfalz, BayVB11991, S. 1 ff.

Sachwortregister Abstrakte Nonnenkontrolle 220, 255 Abwägung öffentlicher Interessen 262 Additiver Ansatz 124 Administrative Procedure Act 57, 209 Allergenität 140 Anhörung 219, 221 - zu den APHIS-Rege1n 218 - zur Biotechnologie-Politik 68 Anhörungsverfahren 73, 220, 221, 226 siehe Öffentlichkeitsbeteiligung, Partizipationsrechte - Deutschland 73,213,223,224 - EU-Recht 71 - parlamentarische 82 - Vereinigte Staaten 210, 218 Animal and Plant Health Inspection Service 55,64 Anlagenbezogene Regelung 94 Anlagengenehrnigung 94, 96, 249, 256, 264 Anmeldeverfahren 65, 71, 73, 74, 105, 113, 114, 121, 123 - EU-Recht 71 - nach den TSCA-Regeln 67,125 - unter den APHIS-Regeln 65 - Vereinigte Staaten 103, 133 Anmeldungs- oder Genehrnigungsvorbehalt 65 Anreiz 102, 115, 172 Anzeigeverfahren 67, 105,210,212 APHIS-Regeln 64, 104, 121, 122, 126, 145, 173,195,209 Ausführungsstandards 23, 63, 112, 172, 175, 193,195,212 Auskreuzung 43, 140 Auswahlansatz 97, 99, 103, 110, 112, 114, 115,117,268 Behördenkompetenzen 76,77,90 Behördenübergreifende Studien 30, 194, 206,213,268

Bentham, Jeremy 200 Berücksichtigungsfähige Studien 162, 164 Beschleunigtes Verfahren 62 Bestimmtheitsgrundsatz 90 Beurteilungsspielraum 229, 256, 259 Beweislast 23, 133, 142, 143, 152 Bewertungsraster siehe Schema für die Risikoabschätzung135, 146, 147 Biotechnologie 27 Breyer, Stephen 78 Califomia Interagency Task Force 69 case by case 48,71, 116, 123, 161, 168 Chancen und Risiken 21, 26, 30, 33, 36, 85, 214 Chaos-Theorie 42, 150 Chernical Substances Inventory 53, 105 Chevron USA, Inc. vs. Natural Resources Defense Council 248 Citizens to Preserve Overton Park, Inc. vs. Volpe 246 Clean Air Act 56, 248 command and control-Politik 174, 197 common law 150, 169,269 Comprehensive Environmental Response, Compensation and Liability Act 56 Containment 103, 173 - biologisches 171, 195 - Definition 32 - Feldtests 105 - Risikodefinition 92 Coordinated Framework 59, 61, 77, 80, 87, 92,177,210 - Grundsätze 59 Cross-Sound Ferry Services, Inc. vs. ICC 237 Datenlücken 157, 158, 161, 182 Delaney-Klausel99

Sachwortregister Delegationsklauseln 250, 251 siehe Ennächtigungsgrundlage, Programmennächtigung Deregulierung 65, 74, 75, 103, 105, 112, 114,117,165,196,224,268 Detenninistische Konsequenzanalyse 158, 168,170,269 DNS 28, 35, 45, 57, 87 dose-response assessment 61, 154 Drittschützende Wirkung 240 Dynamischer Grundrechtsschutz 84, 152, 269 Ecological Society of America 92, 120, 121, 148,269 educated guess 163 Eindämmung siehe Containment Einschätzungsprärogative 148, 256, 261, 262,270 Eintrittswahrscheinlichkeit 87, 120, 135, 139,142,152,159,160,169,237,268 Einzelfallentscheidung 58, 102, 112, 116, 117,198,212,224,232,250,269 Endangered Species Act 244 Enquete-Kommission 30, 36, 85, 214 Entscheidungsbaum der ESA 122 Entscheidungsfindung 77, 209, 228, 232, 252 - Einfluß von Interessengruppen 151,211 - Experten 215 - Gerichtliche Kontrolle 254, 265, 266 - Kooperation 197 - Legitimität 196 - Materielle Strukturierung 205 - Nonnsetzung 220 - Öffentlichkeitsbeteiligung 225 - Prozedurale Strukturierung 206 - Quantitative Basis 157 - Rechtliche Steuerung 232 - Rechtsstaatlichkeit 227 - Standardisierung 232 - Stufen 267 - Transparenz 75, 90, 167, 192, 211, 229, 230,258 - Ungewißheit 204

299

- Verwendung von Kosten-Nutzen-Analysen 99 - Verwendung von Risikoanalysen 99 Environmental Action Inc 253 Environmental Assessment 56,64, 126, 128, 131,212,221,231,253,254 Environmental Defense Fund, Inc. vs. Environmental Protection Agency 235 Environmental Impact Statement 56, 128, 130, 132, 160, 176, 212, 221, 222, 231, 235,236,253,255 Environmental Release Application 67, 125 Environmental Task Force 253 EPA 52, 54, 58, 63, 67, 68, 75, 77, 79, 81, 98, 100, 105, 123, 128, 129, 133, 150, 160, 162, 177, 181, 182, 201, 220, 226, 231,236,252,263 - Biotechnologie-Programm 68 - Biotechnology Science Advisory Committee 68 - Hazard Evolution Division 77 - Science Advisory Board 63, 113 Erkenntnisdefizite 31, 32, 50, 143 Erkenntnismöglichkeiten 29, 41, 106 Erlaubnisverfahren 67, 103,221 Erlaubnisvorbehalt 89, 109, 112, 116 Ennächtigungsgrundlage 55 siehe Delegationsklauseln - APHIS 55 - FIFRA 53 - FPPA und PQA 64 - Pauschale Kompetenzzuweisung 59 siehe Programmennächtigung - TSCA67 - Verfassungs rechtliche Anforderungen 202 Ennessensspielraum 61, 113,245 Erörterungstennin 214, 223, 224 Ethische Gesichtspunkte 69,111, 145 Ethische Kriterien 130, 140, 181 Europäische Kommission 75, 109 Evolutionäre Auswirkungen 39 executive orders 99, 213 Experimental Use Pennit 54 Exportchancen 178 exposure assessment 154 Expression 36, 104, 121, 123, 125 Extrapolation von Infonnation 163

300

Sachwortregister

Fallbücher 168 Federal Food, Drug and Cosmetic Act 56, 122 Federal Insecticide, Fungicide and Rhodenticide Act 53 Federal Noxious Weed Act 121 Federal Oversight Document 61, 62, 78, 87, 92, 100, 102, 103, 110, 119, 132, 155, 171,177 - Proposed Oversight Document 93 Federal Plant Pest Act 54 Federal Plant Quarantine Act 55 Federal Regulatory Risk Assessment Act 173 Federal Water Pollution Control Act 56 Feldversuche 40, 48, 58, 65, 113, 115,221 FlFRA53 Finding of No Significant Impact 56, 64, 66, 128,166,176,212,221,254 Flavr Savr-Tomate 21, 66, 126, 129, 130, 222 Flexibilität 151, 172, 174,244,269 Flexible Regulierungsoptionen 173, 193, 195 Flucht in die Generalklausei 90 Food and Drug Administration 79 Foot and Mouth Disease Virus 93 Fortschreibung der Regeln 80 Foundation on Economic Trends 253 Foundation on Economic Trends vs. Heckler 212,252 Fragmentarisches Regelungswerk 74, 76 Frarnework for Decisions 60, 87, 180 Freedom ofInformation Act 210 Freisetzung siehe Definition 26 Freisetzungsgenehmigung 113, 185, 223, 256 siehe Genehmigung - APHIS 65 - TERA 125 Freisetzungsrichtlinie 70, 72, 74, 75, 80, 134, 137, 140, 142, 180, 185 - Kriterien 134 Funktionales Äquivalent 24, 56, 128,224

Gefahrenabwehr 106, 107, 202 - Abwägung 189 - Vereinigte Staaten 194 - Zuständigkeit 262 Gefahrenabwehrgebot 83, 106, 107, 110, 147,183,185,186,200 - Abwägung 186,190,199,207,269 - Anforderungen 193 Gefahrenabwehrrecht 106, 199 Gefahrenverdacht 29, 106 Gefahrerforschungseingriff 106 Genehmigung - APHIS 123 - Bedingungen 103 - Beispiele 66 - Deutschland 185 - Vereinigte Staaten 103 Genehmigungsverfahren 74, 109, 110, 113, 114, 117, 121, 166,225,229,256 Genehmigungsvorbehalt 165, 166 Gentechnik-Anhörungsverordnung 73, 223 Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung 73 Gentechnikgesetz - Deutschland 21, 72, 74, 85, 88, 89, 94, 109,112,114,143,224,256 - Anwendungsbereich 109 - Einzelgesetze der Vereinigten Staaten 51 - Entwurf der Vereinigten Staaten 52 - Legitimatorische Wirkung 89 - Rechtspolitische Erwägungen 90 Gentechnik-Sicherheitsverordnung 73, 136 Gentechnikspezifische Risiken 37, 39, 45, 147, 150 - Definition 35, 139 Gentechnik -Verfahrensverordnung 73 Gentechnologie - Definition 27 GenTG 21, 26, 72, 75, 109, 134, 198, 201, 213,223,256,257 Gentransfer 37, 43, 135, 140 - horizontaler 37, 38, 166 - Natürliche Schranken 94 - vertikaler 37 Gerichtliche Kontrolle 234 - Unzumutbares Risiko 249 - Vernünftigkeitstest 247 - Verwaltungsverfahren 252, 262 - Zuriickhaltung 260

Sachwortregister Gesamtvergleich 25, 267, 271 Gesetzesvorbehalt 83, 88, 107 - Verfassungsrechtliche Anforderungen 83 Gesundheitsrisiken 61, 77, 79, 98, 153, 154, 156,157,159,206,213 Gewaltengefüge 25 Gewaltenteilung 90, 261 Glockenprinzip 248, 249 Government in the Sunshine Act 210 Grandfathering 96 Grenzwert 34, 89, 90, 98, 121, 177 Großbritannien 219 Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit 263 hard look doctrine 246 hazard exposure assessment 132 hazard identification 61, 154 Herausforderung an das Rechtssystem 33, 81,88 Herbizidresistenz 38, 39 Hierarchie der Abwägungsfaktoren 180 Horizontaler Regelungsansatz 74 Indirekte Auswirkungen siehe Mittelbare Auswirkungen Innovation 63, 88, 113, 114, 124,202 Interessengruppen 21, 69, 151, 214, 217, 263 International Bio-Industry Forum 174 Iowa State University 66 Kausalität 138,235,237,239,244 Klagebefugnis 235, 238, 239, 241,244,265 Komrnerzialisierung 62, 78,174,179,182 Komplexität 39, 42, 43, 142, 150, 164, 167, 185,208,214,229,256 Konferenz von Asilomar 22, 32, 33 Kontextstörungen 35 Kontrollmaßstab der Gerichte 245, 246, 254,266 Konvention über die Biologische Vielfalt 49 Kosten-Nutzen-Abschätzung - Regelungspolitik 98 Kosten-Nutzen-Abwägung 62, 113, 200, 222 - Anwendbarkeit in Deutschland 199 - APHIS 176

301

- F1FRA 119 - Nachteile 202, 205 - Quantifizierbarkeit 78 - TSCA und FIFRA 176 - von staatlicher Kontrolle 177 Kosten-Nutzen-Analyse 110, 138 - beim Erlaß neuer Regelungen 99, 113 - Einfluß des Gesellschaftssystems 204 - Gerichtliche Kontrolle 255 - Unvertretbarkeit eines Risikos 119 Kräfte des Marktes 76 Kriterien für die Freisetzungsentscheidung 104, 134 laissez-faire-Ansatz 115 Landesgesetze - Deutschland 73 - Vereinigte Staaten 68, 69 Langzeiteffekte 34, 39, 124, 131, 141, 142, 149,163,238 Legitimation - der gerichtlichen Kontrolle 262 - der Verwaltung 197,207,218 - durch Expertenwissen 216 - durch Öffentlichkeitsbeteiligung 215, 271 - durch Verfahren 267 - Einzelfallentscheidung 228 - im Kontext des Rechtssystems 220, 233 - Legitimationskette 228, 229 - Verordnungsgebung 217 - von Standards 195 Lobbyismus 216 Madison und Jefferson 196 Marktmechanismen 174 siehe Kräfte des Marktes Marktpotential 178 Maßnahmen zur Risikominderung 171, 172 Materielle Standards 82, 122, 135, 137, 147, 165,218,227,230,232,266,270 McPherson vs. Employment Division 250 Medienübergreifender Umweltschutz 148 Microbial Comrnercial Activity Notice 67, 105, 116, 125,221 Mittelbare Einwirkungen 130 Mittel-Zweck-Abwägung 87, 240 Modellstudien 124

302

Sachwortregister

Monitoring 125, 126, 140, 158, 159, 167, 168,170 Mutation 33 Nachhaltigkeitsprinzip 141, 194 Nachvollziehbarkeit der Behördenentscheidung 261 National Environmental Policy Act 56 National Institute of Health 22, 57, 77, 252 - Recombinant DNS Advisory Committee 77 National Research Council 60, 87, 92, 151, 153, 180 National Science Foundation 158 NEPA 56, 115, 128, 132, 145, 155, 159, 182, 194, 212, 221, 222, 224, 230, 231, 233,237,246,252,254,255,264 New Dea1215 Nicht geregelter Artikel 104, 127 NIH-Richtlinien 22, 57, 76,103,173,175 NLRB vs. Hearst Publications 250 NLRB vs. Yeshiva University 252 non-delegation-Doktrin 84, 85 Normenflut 150, 194 Normenkontrollverfahren 218 Normkonkretisierung 114, 194,195 Nutzen-Risiko-Abwägung 188 - anhand materieller Schemata 192 - Anwendungsbereich 176, 200 - Einschätzungsprärogative 263 - GenTG 139,185,191,201 - offene 144 - Praxis 166 - TSCA und FIFRA 178 - Verbesserungsvorschläge 205 - Vorteile für die Industrie 178, 179 Occupational Safety and Health Administration 77 OECD 24, 26, 31, 32, 36, 39, 47, 48, 58, 60, 71,72,95, 116, 117, 120, 150, 164,227, 269 - Good Development Principles 24 - Recombinant-DNA Safety Considerations 47 - Richtlinien 58 - Safety Considerations for Biotechnology 47,48

Öffentlichkeits beteiligung 220, 223 siehe Partizipationsrechte, Anhörungsverfahren, Erörterungstermin - Abstrakte Risikoanalysen 111 - Allgemeine Vorschriften 221, 223, 224 - Bekanntrnachungs- und Stellungnahmeverfahren 62 - Bewertung wissenschaftlicher Studien 123 - Deutschland 213 - Einzelfallentscheidung 222, 224 - Entwicklung des Federal Oversight Documents 62 - Freisetzungsrichtlinie 71 - Funktion im Rechtssystem 226, 228, 229, 233 - GenTG72 - im Normsetzungsverfahren 210, 215 - Legitimation 216 - Nachteile 216, 217, 224, 225 - Spezialvorschriften 221, 223 - Vereinigte Staaten 206, 209 - Vorteile 218, 219, 225, 226 Office of Management and Budget 213 Office of Science and Technology Policy 59,61,62,87,92,99, 130, 153, 156 Office of Technology Assessment 204 Oil Pollution Act 56 Ökologische Fitness 39 Ökonomische Analyse des Rechts 98, 110 Ökonomische Konsequenzen der Normsetzung 99 Ökonomische Konsequenzen von Einzelfallentscheidungen 124, 189 Ökosystem 39,124,128,131,135,140,155 Ökozentrischer Ansatz 136 opting-up 70 Paperwork Reduction Act 213 Parameter 120,163,195,202 Partizipationsrechte 221, 228, 233, 262, 267,269,271 Petition 64, 65, 78, 104, 123,212 Physiologische Veränderungen 37 point of commitment 212 points to consider for experiments involving release of genetically engineered organisms 58

303

Sachwortregister policy guidelines 57 Popularklagen 242 Positionseffekte 35, 36, 146, 147 - der Rechtsordnungen 271 Positivismus der Tageswertungen 229 Premanufacture Notice Rule 52, 53 Privatpersonen 174 - Regulierungsaufgaben 176 - Standardisierung 184, 198 Probabilistische Analysen 31, 41, 158 procedural due process 228 Produktbezogener Ansatz 91, 94, 96, 97, lll, 116, 117, 146,268 Prognosesicherheit 106 Programmermächtigung 242, 266, 271 siehe Ermächtigungsklauseln, De1egationsklauseln Prozeduralisierung 43, 112, 135, 164, 225, 226,232,233 Prozessuale Standards 230, 231 Psychologische Implikationen 145 Qualitätsziele 193, 194, 207 Rechtsstaatsprinzip 197, 207 Rechtsweggarantie 244, 259, 262 Recombinant DNA Advisory Committee 57, 253 Red Book 153 Reformbemühungen 75 Regelungsdichte 150, 194 Regelungslücke 76 Regelungsstrategie 24, 91, 118, 174 Research and Development 105, 154 Resource Conservation & Recovery Act 56 Ressourcenmanagement 62, 111 Restrisiko 43,86, 108, 185, 186, 188 Risiko - akzeptables 201 - Analyse 58 - berücksichtigungsfähiges 118 - Charakterisierung 158 - Definition 28 - greifbares 123 - hypothetisches 132 - Naturwissenschaftliche Bestimmung 44 - Prioritäten 111 - Psychologische Implikationen 141

-

Qualitative Standards 156 quantifizierbares 107, 110 Rankings 98 reales 114 Restrisiko 108, 139, 187 sozialadäquates 108, 139, 187, 199 ungewisses 115 unüberschaubares 107 unvertretbares 53, 54, 68, 82, 88, 90, 99, 100, 105, 119, 124, 126, 133, 143, 144, 152, 166, 173, 177, 191, 194,206,251, 261 - vertretbares 176,261 - zumutbares 227 Risikoabschätzung 118, 126 - Abgrenzung Risikobewertung 79 - abstrakte 11 - Abwägung 132 - Additives Modell 95 - APHIS 121 - Definition 30 - Deterministische Konsequenzanalyse 156, 158 - dose-response assessment 61 - Empirische Methoden 155, 158 - Exklusives Modell 148 - exposure assessment 61 - Fehlerbaum-Analyse 155 - Formel 29, 106, 127, 128, 144, 184 - Gesamtmodell 168 - Kochbuch-Ansatz 151 - Methoden 42, 60, 99, 154, 163, 165 - Modelle 162, 167 - Politischer Charakter 168 - Praxis 166, 167 - Prozessuale Kontrolle 231 - Qualitative Methoden 156 - Quantitative Methoden 155 - Ranking 156 - Schlußfolgerungsvorgabe 160 - Subjektive Einflüsse 170 - Synergistisches Modell 95, 117 - Ungewißheit 133 - Verfahren 161 - vergleichende 61, 62, 98, 126, 146, 147 Risikoanalyse siehe Risikoabschätzung Risikobegleitforschung 144

°

304

Sachwortregister

Risikobewertung 171 - Abgrenzung Risikoabschätzung 79 - anthropozentrisch 149 - Berücksichtigung von Alternativen 179, 191 - Berücksichtigungsfähige Nutzen 188 - Definition 31 - konventionelle 87 - Modelle 154 - Praxis 182, 192 - produktbezogene 61, 62 - Schlußfolgerungsketten 205 - Subjektive Wahrnehmung 44, 204 - Verfahren 98, 114,213 - Zweite Generation 149 Risikobezogener Ansatz 98, 103 Risikogesellschaft 85 Risikokommunikation 131, 171, 183,203 Risikomanagement 30, 32, 60, 86, 93, 131, 151, 171, 175, 181, 193, 198,203,215, 216 Risikominderung - Maßnahmen 189 Risikominderungsmaßnahmen 173, 175, 179,181,183,193 Risikominimierungsgebot 97, 106, 109, 111, 116,117,200 Risiko-Nutzen-Abwägung 119, 176, 178, 180, 182, 190, 193, 199, 201, 203, 207, 269 Risiko-Nutzen-Analyse 177 - Berücksichtigungsfähige Nutzen 178 Risikostufen 103 Risikovorsorge 83, 97, 106, 107, 148, 174, 189,190,199,200,202,227,262 Risk Assessment Policy 205 risk characterization 154 Risk Communication Act 172 RNS28 Robert-Koch-Institut 22, 73, 109, 136, 166, 167,238 rules und regulations 57 Schadens verläufe 33 Schädliche Einwirkungen 34, 126, 132, 137, 138, 143, 166, 183, 185, 189, 192, 201, 257,261 - berücksichtigungsfähige 144, 189

- Definition 151 - unvertretbare 136, 143, 144, 185 Schema für die Risikoabschätzung siehe Bewertungsraster, EntscheidungsbaumderESA Schutzbereich der Norm 236, 237, 239, 244, 266 Schutzgut Umwelt 137 Schutzgüter 126, 128, 132, 136, 144, 146, 149,184,189,190,199,257 Scientific Advisory Panel 77 Scope Document 62, 92, 93, 99, 101, 132, 154 Sekundäreffekte 141 Selbstkontrolle der Verwaltung 82 Selbstregulierung der Industrie 216 Selektionsvorteil 140 Sicherheitsmaßnahmen siehe Sicherheitsvorkehrungen 73, 143, 171, 183, 184, 186, 193, 195, 197, 201, 202 Sicherheitsrichtlinien 76, 101 Sicherheitsstufen 94, 183 Sicherheitsvorkehrungen 183, 184, 192, 193,201,207,257,270 Sicherheitsvorkehrungen siehe Sicherheitsmaßnahmen Sierra Club vs. Morton 241 Significant New Use Rule 53, 105 soft glance policy 246 Sozioökonomische Kriterien 130, 140, 169 Staatliche Schutzgesetzgebung 84 Staatliche Schutzpflicht 95, 108, 200 Staatliche Überwachung 97,100,101,110 Stand der Wissenschaft 37, 41, 136, 144, 156,164,168,183,185,257,264 Stand von Wissenschaft und Technik 183, 184,192,193,197,207,257 Standardisierung 114, 206 Standardisierungsermächtigung 82, 152 Standardisierungsspielräume 185 Standortdebatte 23 step by step 48,72, 164 Steuerungskraft 84, 110, 117, 262 Subjektive Kriterien 227 Subjektive Rechte 245, 265 Synergistische Effekte 95, 142

Sachwortregister Synergistischer Ansatz 116, 124, 142 Systemrichtlinie 70 Tatsachenfeststellungen 247, 252, 254, 255, 258,259 Tatsächliche Rechtsverletzung 234, 238, 242 Technische Standardisierung 82, 150, 169, 184 - durch Privatpersonen 174 Technokratischer Ansatz 215 Technologiestandards 63, 172, 173, 183, 193,195,207 technology assessment 30 TERA 173 The President's Council on Competitiveness 63 totality of safeguards 230, 233 Toxic Substances Control Act 52 Traditionelle Methoden genetischer Veränderung 36, 42, 93, 146 Transparenz der Regelung 75 trial-and-error 42 TSCA siehe Anpassungsprobleme 81 TSCA-Regeln 67, 125, 129, 145, 146, 162, 173,176,195,209 - Anwendungsbereich 105 Tunnelsicht 78 Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit 220 Überwachungsmaßnahmen 62, 99, 102, 132 Überwachungsressourcen 100, 111 Umwelt - Definition 145 Umweltauswirkungen 33, 41, 50, 56, 65, 100, 109, 124, 126, 128, 131, 146, 148, 151, 159, 166, 168, 169, 199, 202, 212, 221,237,252,255,258 Umweltbundesamt 35, 36, 38, 39, 50, 72, 86, 109, 137, 138, 140, 141, 149, 162, 163,176,201,205,232 Umwelteinwirkungen - ökozentrisch 169 - ressourcenökonomisch 169 Umwelteinwirkungen, Defintion - ressourcen ökonomisch 269 20 Pohl

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Umweltqualitätsstandards 184 Umweltqualitätsziele 138 Umweltverträglichkeitsprüfung 41, 72, 135, 146, 188, 205, 212, 231, 232, 254, 264, 266,269 Unbestimmte Rechtsbegriffe 183, 260, 261, 264 Unbestimmtheit der Errnächtigungsgrundlagen 258 Ungewißheit 67, 95, 97, 142, 143, 165, 183, 187,247,262,269 - Auswirkung auf die Regelungspolitik 95 - Beweislast 133 - Definition 29 - Gerichtliche Kontrolle 239 - Grenzen menschlicher Erkenntnis 262 - Identifizierung 269 - Quantifizierung 228 - Risikoabschätzung 25, 149, 158 - Risikobewertung 159, 199,207,269 - sozialadäquate 108, 187 - Verringerung 167 - Vorsorgeprinzip 186 - Zurückhaltung der Gerichte 265, 271 Union of Concemed Scientists 223 United States Department of Agriculture 54 Universal Camera Corp. vs. National Labor Relations Board (NLRB) 246 University of Califomia at Berkeley 66, 252 UNO 49, 120 unreasonable risk 100 Unsicherheit - Definition 29 - eindeutige 29 - quantifizierbare 46 - uneindeutige 29 - Wertungsfragen 44 Utilitarismus 200, 227 Verbandsklage 238, 240, 242 Verbot 53, 106, 109, 112, 115, 116, 169 Vereinfachtes Verfahren 71, 109,223 Verfahrensanforderungen 172, 254, 266, 267 siehe Verfahrensvorschriften - Effekte 231, 233 - Einzelfallentscheidung 220, 222 - Norrngebung 212, 214

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Sachwortregister

Verfahrensbezogener Ansatz 91, 95, 97, 116, 268 Verfahrensfehler 236, 239, 243 Verfahrensökonomie 112,220 Verfahrensrechtliche Standards siehe Prozessuale Standards Verfahrensvorschriften 56, 111, 209, 264, 265 - Grundrechtsschutz 229 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 107, 142, 152, 194 Vennont Yankee Nuclear Power Corp. vs. Natural Defense Council, Inc. 246 Vernünftigkeitstest 251, 254 Vertikaler Regelungsansatz 74 Vertrauensschutz 230 Verunkrautung 104, 128 Verwaltungsressourcen 113, 117, 194,268 Verwaltungsverfahrensgesetz - deutsches 223 - US-amerikanisches 57 Verwilderung 38 Virus Serum Toxin Act 55 Vollzugsdefizite 194, 197, 198,229,269 Vorsorgeprinzip 107, 108, 110, 112, 139, 168,240,242,245

Wahrnehmung von Risiken 85, 89, 204, 216 Wahrscheinlichkeit 29, 142, 143 - Abgrenzung zur Unsicherheit 29 - eines Schadenseintritts 28, 29, 106, 251 - Gefahrenabwehr 106 - Risikoabschätzung 31,132,154 - Risiko-Nutzen-Abwägung 119 Watson und Crick 45 Werthierarchie 228, 233 Wesentlichkeitstheorie 83 Wettbewerb um Industriestandorte 97 Wettbewerbsfähigkeit 46, 63, 64, 76, 96, 113, 114, 132 Willkürkontrolle 254, 257, 262 Wirkungsprognose 131 Wissenslücken 35, 133, 143, 152, 169 Wohlerwogene Mutmaßung 163, 164 World Trade Organization 49 worst case-Analysen 159 Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit 72, 73,142,165,198,213,264 Zuständigkeit der Behörden - Deutschland 109 - Kompetenzaufteilung 80 - Vereinigte Staaten 52, 55, 59