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German Pages 167 Year 1968
Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung
Band 12
Die Rechtstatsachenforschung Programmschriften und praktische Beispiele Von
Prof. Dr. Arthur Nußbaum Ausgewählt und eingeleitet von
Priv.-Doz. Dr. Manfred Rehbinder
Duncker & Humblot · Berlin
ARTHUR NUSSBAUM· DIE RECHTSTATSACHENFORSCHUNG
Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung Herausgegeben von Prof. Dr. Ernet E. Hirsch
Band 12
Die Rechtstatsachenforschung Programmschriften und praktische Beispiele
Von
Prof. Dr. Arthur NuJ3haum Ausgewählt und eingeleitet von
Priv.-Doz. Dr. Manfred Rehhinder
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot. Berlin 41 Gedruckt 1968 bei Alb. Sayffaerth. Berlln 61 Printed in Germany
© 1968 Duncker
Vorwort Mit dem vorliegenden Band sieht sich der Herausgeber veranlaßt, den Titel seiner Schriftenreihe zu ändern. Wie schon die Sammlung älterer Schriften von Eugen Ehrlich zeigte, die als Band 7 erschienen ist, scheint es mir für die weitere Entwicklung der Rechtssoziologie erforderlich zu sein, auch solche Publikationen zu fördern, die nicht im Institut für Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung der Freien Universität Berlin entstanden sind. In der Folgezeit sollen sowohl Neuausgaben von wichtigen, aber schwer zugänglichen früheren Arbeiten als auch Übersetzungen bedeutender ausländischer Werke zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung erscheinen. Ferner haben die Forschungsbemühungen des Instituts erfreulicherweise auch an anderen Orten ähnliche Bestrebungen gefördert, von denen einige schon zur PublikationsReife gediehen sind. Um auch diese Arbeiten im Rahmen dieser Schriftenreihe der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können, ohne dadurch über ihre Herkunft unrichtige Vorstellungen zu erwecken, lautet der Titel der Reihe nunmehr: Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung. Berlin, im Mai 1968 Ernst E. Hirsch
Inhalt Arthur Nußbaum. Von Privatdozent Dr. Manfred Rehbinder ..........
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Erster TeiL Programmschriften Die Rechtstatsachenforschung. Ihre Bedeutung für Wissenschaft und Unterricht (Tübingen: Verlag J. C. B. Mohr [Paul Siebeck] 1914) Ziele der Rechtstatsachenforschung (Aus: Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht 14 [1920], Sp. 873-878, 912-916) ..........................................................
Die Rechtstatsachenforschung (Aus: Archiv für die civilistische Praxis 154 [1955], S. 453-484)
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Zweiter Teil Praktische Beispiele Theoreme und Wirklichkeit in den Allgemeinen Lehren des bürgerlichen Rechts (Aus: Archiv für Bürgerliches Recht 42 [1916], S. 136--193) .......... über die Anwendung gewisser familien- und erb rechtlicher Vorschriften des BGB. Ein Beitrag zur Rechtstatsachenforschung (Aus: Archiv für die civilistische Praxis 128 [1928], S. 40-54, und 130
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[1929], S. 332-340) ................................................
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Soziologische und rechtsvergleichende Aspekte des" trust" (Aus: Archiv für die civilistische Praxis 151 [1950/51], S. 193-208) ....
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Arthur NuJ3baum Als im Herbst 1964 an der Juristischen Fakultät der Freien Universität Berlin ein Institut für Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung begründet wurde, knüpfte man bewußt und schon im Titel des Instituts erkennbar an eine Berliner Tradition an. Ging es doch insbesondere um "die Wiederaufnahme der durch die nationalsozialistische Herrschaft unterbundenen Bemühungen von Arthur Nußbaum um Erforschung der Rechtstatsachen"l. Es war geplant, mit Nußbaum über Fragen der Institutsarbeit in persönlichen Kontakt zu treten. Da erreichte uns die Nachricht, daß er im November des Jahres in New York verstorben sei 2 • Der Tod dieses bedeutenden Gelehrten in der Emigration machte uns erneut bewußt, welchen ungeheuren Verlust die deutsche Rechtswissenschaft durch den Ungeist des Nationalsozialismus erlitten hat. Schon 1952 bezeichnete Wieacker das Fehlen einer neueren Rechtstatsachenforschung als "bedenkliche Lücke unserer Privatrechtswissenschaft"3 und 1957 forderte Baur die Rechtswissenschaft auf, sich "mehr als zur Zeit üblich um die Rechtstatsachenforschung (zu) bemühen"'. Daß Rechtstatsachenforschung notwendig sei, darüber bestand damals und besteht auch heute kein Zweifel. Hier und da kam es sogar zu recht erfreulichen Ansätzen5 • Aber im allgemeinen blieb doch die wissenschaftliche Literatur in den gewohnten Bahnen. Denn Rechtstatsachenforschung, so wie Nußbaum sie versteht, nämlich die systematische Untersuchung der sozialen, politischen und anderen tatsächlichen Bedingungen, auf Grund derer einzelne 1 So der Direktor des Instituts im Geleitwort zur vorliegenden Schriftenreihe: Ernst E. Hirsch, Das Recht im sozialen Ordnungsgefüge, 1966, S. 5. ! Vgl. die Nachrufe von Martin Domke in American Journal of Comparative Law 13 (1964), S. 664-665; Willis L. M. Reese in Columbia Journal of Transnational Law 3 (1965), S. 97-98; Albert A. Ehrenzweig in RabelsZ 29 (1965), S. 649-650; F. A. Mann in NJW 1965, S. 577, und Manfred Rehbinder in JZ
1965, S. 225-226. 3 Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1. Aufl. 1952, S. 340; vgl. auch 2. Aufl. 1967, S. 573, wo er weiterhin vom "Verschwinden dieser
Forschungsrichtung" spricht. 4 Fritz Baur: Sozialer Ausgleich durch Richterspruch, in JZ 1957, S. 193-197, 197.
5 Besonders gelungene Beispiele waren die Untersuchungen von Ernst Wolf, Gerhard Lüke und Herbert Hax: Scheidung und Scheidungsrecht. Grund-
fragen der Ehescheidung in Deutschland, untersucht an Hand der Statistiken, 1959, sowie Erich Fechner u. a.: Probleme der Arbeitsbereitschaft. Arbeitsbereitschaft und verwandte Erscheinungen in der Ordnung der Arbeit, 1963.
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rechtliche Regeln entstehen, und die Prüfung der sozialen, politischen und sonstigen Wirkungen jener Normen', ist ein mühseliges Unterfangen. Ist es doch viel bequemer, aus 100 Büchern mit viel konstruktivem oder analytischem Scharfsinn7 das 101. zu machen, anstatt sich von der "reinen" Rechtslehre der "schmutzigen" Wirklichkeit zuzuwenden, für die ja das Recht geschaffen ist und in der es wirkt. Wenn wir hier noch einmal die Programmschriften von Nußbaum und einige der kleineren praktischen Arbeiten vorlegen, die neben seinen 4 größeren rechtstatsächlichen Untersuchungen8 entstanden sind, so tun wir das nicht nur, um eine Orientierung über Ziele und Aufgaben der Rechtstatsachenforschung zu erleichtern. Wir wollen vielmehr auch und in erster Linie den heutigen wissenschaftlichen Bemühungen um die Erkenntnis des Rechts und seiner Zusammenhänge mit der Gesellschaft einen neuen Impuls geben. Denn heute noch gilt weithin, was Nußbaum schon vor 50 Jahren sagte: "Was wir in Lehrbüchern, Kommentaren, Monographien ... finden, ist zu einem sehr beträchtlichen Teile gegenstandslos und überflüssig, während die für das Leben wirklich wichtigen Dinge durchweg zu kurz kommen ... Nur die Erforschung der Rechtswirklichkeit kann dazu verhelfen, den ungeheuren Ballast, den die dogmatische Rechtslehre mit sich führt, endlich als solchen zu erkennen und seinem verdienten Schicksal zu überliefernD." Noch heute werden wir in Vorlesungen und beim Repetitor des längeren über die Besitzschutzvorschriften des Sachenrechts belehrt, doch kann man schon bei Nußbaum10 nachlesen, er habe in seiner langjährigen Anwaltspraxis nur in einem einzigen Falle von einem Besitzschutzprozeß gehört, und auch da habe nur ein Versehen bei der Formulierung des Klagantrages vorgelegenl l • Das dürfte gegenwärtig kaum anders sein. Auch die von Nußbaum12 angeprangerte tiefgründige Abhandlung über die in WirkSo die Definition u. S. 67. "Der Scharfsinn ist die unfruchtbarste unter den Gaben des menschlichen Geistes: es liegt eine tiefe Weisheit darin, daß der Teufel der deutschen Volkssage so häufig ein scharfsinniger Dialektiker ist", Eugen Ehrlich: Recht und Leben, 1967, S. 202. 8 Diese sind: Deutsches Hypothekenwesen. Ein Lehrbuch, 1913,2. Aufl. 1921 unter dem Titel: Lehrbuch des Deutschen Hypothekenwesens nebst einer Einführung in das allgemeine Grundbuchrecht; Die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 1916; Tatsachen und Begriffe im deutschen Kommissionsrecht, 1917, und Das Nießbrauchsrecht des BGB unter den Gesichtspunkten der Rechtstatsachenforschung, zugleich ein Beitrag zur Kritik des BGB, 1919. 9 Vorwort zu: Das Nießbrauchsrecht usw., 1919. 10 Vgl. u. S. 46. 11 Die gleiche Beobachtung findet sich bei Ernst Fuchs: Juristischer Kulturkampf, 1912, S. 188. Dort auch der Hinweis von Fuchs, er habe noch nie einen Rücktritt nach den §§ 346-361 BGB erlebt. 1! Vgl. u. S. 24. Nußbaum meint dort die Arbeit von RA Dr. (Hans) Bürgner: Zum Rechte der Inhabergrundschuld, in Gruchot 57 (1913), S. 281-308. e 7
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lichkeit nicht existierende Inhabergrundschuld und der Bovigus von Ernst Fuchs 13 geistern noch in mannigfacher Verkleidung durch den juristischen Blätterwald. Dem Zeitgenossen möge es erspart bleiben, hier konkrete Beispiele zu nennen. Es wird sich wohl kaum noch feststellen lassen, was es eigentlich war, das den jungen Nußbaum seinerzeit veranlaßte, über die damals recht umfangreiche und unter dem Stichwort "soziologische Jurisprudenz" oder "Freirecht" zum Teil sehr lautstark geführte methodologische Grundlagendiskussion hinauszuschreiten und gemäß seinem Wahlspruch: "Bilde, Künstler, rede nicht"1' mit der praktischen Einzelarbeit zu beginnen. Auf jeden Fall spielte hier sein ausgeprägter Sinn für das Praktische eine Rolle und seine langjährige Tätigkeit als Anwalt, die ihm fühlbar werden ließen, daß sich Rechtswissenschaft und Rechtswirklichkeit in weiten Teilen auseinandergelebt hatten. Am 31. 1. 1877 in Berlin geboren, erlebte Nußbaum während seines sechssemestrigen Studiums vom Wintersemester 1894/95 bis zum Referendar-Examen am 1. 11. 1897 die Juristische Fakultät der Berliner Universität in ihrer Blütezeit. Obwohl einige seiner Lehrer, von denen er insbesondere Dernburg, Gierke, Kohler, Biermann, Crome, Oertmann, Schmoll er und Friedländer hervorgehoben hat, bereits den soziologischen Rechtsauffassungen aufgeschlossen gegenüberstanden, wurde er noch im rein normativen Denken erzogen. Am 1. 3. 1898 promovierte er mit einer Dissertation über die "Haftung für Hülfspersonen nach gemeinem und Landesrecht". Auch die ersten Arbeiten, die er während seiner im Jahre 1903 begonnenen Anwaltstätigkeit veröffentlichte, spiegeln ganz die traditionelle Denkweise wider. Noch die im Jahre 1908 veröffentlichte Monographie über "Die Prozeßhandlungen. Ihre Voraussetzungen und Erfordernisse" wird beherrscht von der "Konstruktion als der Entwicklung und Aufeinanderbeziehung der allgemeinen Rechtsbegriffe und -normen". Dann aber erscheint im Jahre 1913 das viel beachtete Lehrbuch "Deutsches Hypothekenwesen". Im Vorwort dazu heißt es: "Die Dogmatik reicht nicht aus, es bedarf der Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse, soweit sie das Recht berühren. Eine systematische Verarbeitung und zusammenhängende Kenntnis des rechtstatsächlichen Materials kann nur dadurch gesichert werden, daß die Rechtslehre selbst den Kreis ihrer Aufgaben erweitert: Der juristische Lehrstoff muß im Sinne der neuen Forderungen umgebildet werden. Das vorliegende Buch gibt also nicht nur das geltende Gesetzesrecht wieder, sondern bezieht auch die im Verkehr frei sich bildenden Rechtsformen und diejenigen Institutionen in die Dar13 Ernst Fuchs: Bovigus, Bovigismus und echte Rechtswissenschaft, in Recht und Wirtschaft 5 (1916), S. 137-143, nachgedruckt in: Gerechtigkeitswissenschaft, 1965, S. 169-179. 14 Vgl. u. S. 67.
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stellung ein, die auf dem betreffenden Gebiet das Rechtsleben tatsächlich beherrschen. Was das Gesetz selbst anlangt, so sind außer seinem Inhalt auch seine Ziele, seine Anwendungsformen und seine Wirkungen zu untersuchen. Dies kann vielfach nur mit den Mitteln der Statistik geschehen. Für die Erweiterung des Lehrstoffs ist dadurch Raum zu schaffen, daß die dogmatischen Einzelfragen und namentlich die Konstruktionsfragen nur nach Maßgabe ihrer tatsächlichen Bedeutung berücksichtigt werden. Es ist zur Zeit noch nicht möglich, die Forderungen eines solchen Programms ganz zu erfüllen. Es fehlt an fast allen Vorarbeiten auf dem eigentlichen rechtstatsächlichen Gebiet, dessen Erschließung eine schöne Aufgabe der Zukunft bildet." Mit seinen Bemühungen, die normative Behandlung des Rechts durch eine empirische Rechtsforschung zu ergänzen, stand Nußbaum nicht allein. Er selbst erwähnt die Arbeiten von Lotmar, Wüsten dörfer und Flechtheim sowie die späteren Arbeiten von Friedländer, Hedemann, Rühl, Großmann-Doerth, Haußmann und Raiser 15 ; Müller-Erzbach16 nennt daneben noch Göppert, Schmidt-Rimpler und Franz Fränkel. Allen diesen Autoren ist gemeinsam, daß sie sich - wie die Handelsrechtler des 19. Jahrhunderts - um neu entstehende Rechtsgebiete, insbesondere um das Wirtschaftsrecht1 7 und Arbeitsrecht bemühten, deren rechtliche Systematik nicht aus Kodifikationen abgeleitet, sondern nur durch Beobachtung der Praxis vorsichtig aus den Rechtstatsachen neu aufgebaut werden konnte. Was Nußbaum jedoch von ihnen unterscheidet und was uns berechtigt, ihn als Begründer einer besonderen Forschungsrichtung, anzusehen, ist die Planmäßigkeit seines Vorgehens und die programmatische Forderung einer allgemeinen Neubewertung des gesamten Rechtsstoffs, insbesondere auch solcher Materien, die dogmatisch bereits verfestigt und gesetzlich umfassend geregelt sind. Dieses umfassende Forschungsprogramm ist erstmals in Nußbaums 1914 erschienener Gi-undsatz schrift über "Die Rechtstatsachenforschung. Ihre Bedeutung für Wissenschaft und Unterricht" enthalten, die hier gleich zu Beginn des Sammelbandes neu abgedruckt ist. In der Folgezeit entfaltete Nußbaum eine rege Forschungs- und Lehrtätigkeit. 1914 in Berlin habilitiert, wurde er 1918 zum Extraordinariu~ 15
Vgl. u. S. 68.
Rudolf Müller-Erzbach: Wohin führt die Interessenjurisprudenz? Die rechtspolitische Bewegung im Dienste der Rechtssicherheit und des Aufbaus der Rechtswissenschaft, 1932, S. 92. 11 Siehe Heinrich Kronstein: Wirtschaftsrecht - Rechtsdisziplin und Zweig der Rechtstatsachenkunde, in Die Justiz 3 (1927/28), S. 215-225. Nußbaums eigene Darstellung des Wirtschaftsrechts hatte mehr die Aufgabe einer Systematisierung des Kriegs- und Nachkriegsrechts, vgl. Das neue deutsche Wirtschaftsrecht. Eine systematische übersicht über die Entwicklung des Privatrechts und der benachbarten Rechtsgebiete seit Ausbruch des Weltkrieges, 1920, 2. Aufl. 1922. . 18
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ernannt, nachdem er der Fakultät zusagen mußte, seine Anwaltstätigkeit aufzugeben. Er war ein glänzender Pädagoge. Seine Lehrfächer beschränkten sich auf Handels-, Bank- und Börsenrecht. Sein Arbeitsgebiet war aber ungleich weiter. Wie ungewöhnlich weit, zeigt die Bibliographie, die sich aus Anlaß seines 80. Geburtstages im Jahrgang 1957 der Columbia Law Review findet und 5 Lehrbücher, 22 Monographien und 108 Abhandlungen umfaßt1 8 • Die Themenstellung erstreckt sich insbesondere auf Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschafts recht, Prozeßrecht, Schiedsgerichtsbarkeit, Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Völkerrecht. Von diesen Arbeiten sind aus der Berliner Zeit vor allem die grundlegende Untersuchung über: Das Geld in Theorie und Praxis des deutschen und ausländischen Rechts (1925) sowie sein Deutsches Internationales Privatrecht (1932) allgemein bekannt geworden. Gleichwohl blieb ihm bis zu seinem Weggang aus Deutschland die ordentliche Professur versagt, nachdem oder weil er Anfang der zwanziger Jahre einen Ruf nach Frankfurt/Main abgelehnt hatte 19 • Was die Rechtstatsachenforschung betrifft, so hatte Nußbaum vor, sein Lehrbuch des Hypothekenwesens zu einem Lehrbuch des Liegenschaftsrechts zu erweitern. Zu diesem Zweck verfaßte er die beiden Ergänzungsbände: Die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung (1916) und Das Nießbrauchsrecht des BGB unter den Gesichtspunkten der Rechtstatsachenforschung (1919). Ferner begründete er 1917 die Schriftenreihe "Beiträge zur Kenntnis des Rechtslebens" , die er mit einer Arbeit über" Tatsachen und Begriffe im deutschen Kommissionsrecht" eröffnete. In dieser Reihe sind bis 1933 einige sehr bemerkenswerte Arbeiten erschienen20 , und zwar im wesentlichen Dissertationen seiner Schüler, die 18 Columbia Law Review 57 (1957), S. 11 ff. Siehe dort (S. 8 ff.) auch den Beitrag von Martin Domke, in dem Nußbaum als Bahnbrecher der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in Handelssachen gewürdigt wird. Später erschienen noch: A History of the Dollar, 1957, sowie die 2. Aufl. des American-Swiss Private International Law, 1958. 1Y Mann (Anm. 2) macht diese Ablehnung dafür verantwortlich, daß Nußbaum nicht zum Ordinarius ernannt wurde. Demgegenüber soll nach einer Äußerung von Geheimer Justizrat Dr. h. c. Ernst Heinitz, wie mir dessen Neffe Prof. Dr. Dr. h. c. Ernst Heinitz (Berlin) mitteilte, der Grund darin zu sehen sein, daß die Fakultät der Ansicht war, Nußbaums Arbeiten seien, was das Rechtstechnische anlangt, nicht sorgfältig genug gearbeitet. Auch Mann spricht an anderem Zusammenhang davon, "daß manchen seiner Schriften die letzte Präzision, die feine Durcharbeitung, die sorgfältige Schattierung und Formulierung fehlte, die gerade zu seiner Zeit die führenden Juristen pflegten" (ebd.). über ähnliche (in weiten Teilen unberechtigte) Vorwürfe gegen das Werk von Ehrlich vgl. Manfred Rehbinder: Die Begründung der Rechtssoziologie durch Eugen Ehrlich, 1967, S. 53 Anm. 22. 20 Beiträge zur Kenntnis des Rechtslebens, hrsg. von Arthur Nußbaum: 1. Nußbaum, Arthur: Tatsachen und Begriffe im deutschen Kommissionsrecht, 1917 2. Nußbaum, Arthur: Das Nießbrauchsrecht des BGB unter den Gesichtspunkten der Rechtstatsachenforschung. Zugleich ein Beitrag zur Kritik des BGB,1919
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aus seinem Seminar für Rechtstatsachenforschung hervorgegangen sind. Ab 1926 gab er daneben die Gesellschaftsrechtlichen Abhandlungen heraus, von denen die meisten ebenfalls im Sinne der Rechtstatsachenforschung geschrieben waren21 • Schließlich veranlaßte er als Mitherausgeber 3. Löwenfeld, Günther: Die Anweisung in Gesetz und Verkehr, 1922 4. Hagelberg, Ernst: Entwicklung und Probleme der neueren Hypothekenpraxis, 1926 5. Rosenthai, Heinz: Die Auszahlung. Ein Beitrag zum Recht des internationalen Zahlungsverkehrs, 1927 6. Diamand, Werner: Vorläufige Vormundschaft und Gebrechlichkeitspfiegschaft als Ersatzformen der Entmündigung, 1931 7. Littmann, Georg: Das Bankguthaben, 1931 8. Michel, Ulrich: Die allgemeinen Geschäftsbedingungen als Vertragsbestandteil in der Rechtsprechung, 1932 9. Spiegel, Hans Wilhelm: Der Pachtvertrag der Kleingartenvereine, 1933 Bd. 1-3: Verlag Julius Springer, Berlin Bd. 4--9: Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen. 21 Gesellschaftsrechtliche Abhandlungen, hrsg. von Arthur Nußbaum, Carl Heymanns Verlag, Berlin 1. Horrwitz, Hugo: Schutz- und Vorratsaktien, 1926 2. Gieseke, Paul: Das Aktienstimmrecht der Banken, 1926 3. Lion, Max: Wahre Bilanzen. Ein Beitrag zur Vereinheitlichung von Handels- und Steuerbilanz, 1927 4. Voß, Wilhelm: Die obligatorische Revision im Rahmen der Reform des Aktienrechts, 1927 5. Molitor, Erich: Die ausländische Regelung der GmbH. und die deutsche Reform, 1927 6. Geiler, Karl: Die wirtschaftlichen Strukturwandlungen und die Reform des Aktienrechts, 1927 7. Bernicken, Hans: Das Bezugsrecht des Aktionärs in rechtlicher und banktechnischer Hinsicht, 1928 8. Nußbaum, Arthur: Aktionär und Verwaltung, 1928 9. Ruth, Rudolf: Eigene Aktien und Verwaltungsaktien, 1928 10. Netter, Oscar: Die aktienrechtliche Auskunftspflicht, 1928 11. Müller-Erzbach, Rudolf: Umgestaltung der Aktiengesellschaft zur Kerngesellschaft verantwortungsvoller Großaktionäre, 1929 12. Eiser, Ernst: Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Generalversammlungsbeschlüssen der eingetragenen Genossenschaft, 1930 13. Nell-Breuning, Oswald von: Aktienreform und Moral, 1930 14. Varrentrapp, Eberhard: Der besondere Vertreter nach § 30 BGB unter Berücksichtigung des Handels- und Arbeitsrechts, 1930 15. Kaufmann, Paul: Die Rückgängigmachung der Auflösung bei Handelsgesellschaften und Genossenschaften, 1930 . 16. Gottlieb, Josef: Der Genußschein im deutschen Recht, 1931 17. Eckartsberg, Karl von: Anstellungsverträge der Organmitglieder im Konkurs handelsrechtlicher Körperschaften, 1932 18. Meyerowitz, Ernst: Das Recht der Aktionäre auf gleichmäßige Behandlung,1932 19. Riesenfeld, Stefan-Albrecht: Das Problem des gemischten Rechtsverhältnisses im Körperschaftsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, 1932
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des Archivs für die civilistische Praxis (ab 1925) den Abdruck mehrerer entsprechender Abhandlungen22 . Noch im Frühjahr 1933 war es ihm möglich, die erste Spezialvorlesung über Rechtstatsachenforschung abzuhalten.Da wurde seine Arbeit durch die politischen Ereignisse jäh unterbrochen. Nußbaum wurde zunächst von der Berliner Fakultät für Gastvorlesungen an der Internationalen Akademie in Den Haag beurlaubt. Doch bald mußte er erkennen, daß es besser sei, Deutschland für einige Zeit zu verlassen. In der Hoffnung, in Kürze zurückkehren zu können, folgte er einer Einladung von Karl N. Llewellyn23 und übernahm 1934 eine Gastprofessur an der ColumbiaUniversity in New York. Als ihm die Columbia University antrug, seine Gastprofessur in eine ordentliche Professur umzuwandeln, lehnte er dieses ehrenvolle Angebot zunächst ab und blieb bis 1939 Gastprofessor. Spätestens in diesem Jahre mußte er jedoch einsehen, daß er wohl kaum wieder nach Deutschland zurückkehren könne. So wurde er 1939 zum Research Professor of Public Law ernannt. Es ist bewundernswert, wie dieser fast 60 Jahre alte Mann sich nun in ein fremdes Rechtssystem einarbeitete und in der Folgezeit in englischer Sprache unermüdlich Abhandlungen und Monographien veröffentlichte, darunter so bekannte Arbeiten wie Money in the Law (1939, 2. Auf!. 1950), Principles of Private International Law (1943)24, A Concise History of the Law of Nations (1947, 2. Auf!. 1954)25, A History of the Dollar (1957), ferner sein American-Swiss Private International Law (1951, 2. Auf!. 1958)26 in 20. Spindler, Joachim von: Wanderungen gewerblicher Körperschaften von
Staat zu Staat als Problem des internen und des internationalen Privatrechts, 1932 21. Hueck, Alfred: Das Recht der Generalversammlungsbeschlüsse und die Aktienrechtsreform, 1933 22. Griebel, Hugo: Die Einmanngesellschaft, 1933 23. Schindler, Walter: Die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Generalversammlung und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, 1933 22 Vgl. Theodor Cohn: Die praktische Anwendung .der vorläufigen Vormundschaft, in AcP 124 (1925), S. 361-369; Curt Rosenberg: Verträge unter Ehegatten bei bevorstehender Scheidung, in AcP 127 (1927), S. 46-77; Hörner: Familien- und erbrechtliche Tatsachen in Württemberg, in AcP 129 (1928), S. 340345; Siefert: Familien- und erbrechtliche Tatsachen in Baden, in AcP 132 (1930), S. 339-344; Paul Nitzsche: Tatsachen zum Erbrecht in Thüringen, in AcP 133 (1931), S. 201-210; Günter Polzin: Die praktische Anwendung der Grundschuld, in AcP 134 (1931), S. 219-235. 23 über diesen und seine Beziehungen zu Deutschland vgl. Manfred Rehbinder: Karl N. Llewellyn als Rechtssoziologe, in KZfSS 18 (1966), S. 532-556, sowie Rehbinder:Die Begründung der Rechtssoziologie durch Eugen Ehrlich, 1967, S. 16 Anm. 32. 24 Deutsche übersetzung von Abo Hosiosky unter dem Titel: Grundzüge des internationalen Privatrechts. Unter besonderer Berücksichtigung des amerikanischen Rechts, 1952. 25 Deutsche übersetzung von Herbert Thiele-Fredersdorf unter dem Titel: Geschichte des Völkerrechts in gedrängter Darstellung, 1960. 26 Deutsche übersetzung von WHfried Schaumann unter dem Titel: Ameri-
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den von ihm begründeten und herausgegebenen Bilateral Studies in Private International Law der Parker School of Foreign and Comparative Law. Mehrere seiner Werke wurden ins Spanische, Deutsche, Japanische und auch Persische übersetzt. Er widmete seiner Arbeit "almost every wakeful minute of his life"27, wie es in einem amerikanischen Nachruf heißt. "Dreißig Jahre lang, tagein und tagaus, stieg er zu seinem Arbeitsraum drei steile Stiegen hoch in einem alten, der Universität gehörigen Wohnhaus, wo hohe Bäume ihm in der Riesenstadt New York ein wenig Berliner Vorstadtluft vortäuschten. Viele, viele hundert Menschen, Freunde und Fremde, aus aller Welt, kamen immer wieder, um den berühmten Mann sehen und hören zu können. Aber für ihn bestand das Leben aus den Büchern, die zu ihm und durch ihn sprachen - und seinem schönen Heim am Ufer des Hudson"28, voll der "Atmosphäre und Tradition des alten Westens an der Spree mit den Biedermeier-Möbeln und den Berliner Kupferstichen"29. Zu seinem 80. Geburtstag brachte die Columbia Law Review im Januar 1957 eine ehrenvolle Grußadresse, die von namhaften Professoren der Fakultät unterzeichnet war. Im hohen Alter von 87 Jahren, wenige Monate nach dem Tode seiner Frau, ist er dann am 22. November 1964 verstorben. Welche große Bedeutung Nußbaum inzwischen auch für die amerikanische Rechtswissenschaft erlangt hatte, geht deutlich aus dem Kondolenzschreiben hervor, das der Präsident der Columbia University, Grayson Kirk, an die Töchter Nußbaums richtete. Es heißt dort u. a.: "Our regret is over much more than the loss of one of this century's most distinguished and productive scholars and teachers of the law. His inspiration to law students and indeed to the entire legal profession is legendary, and his writing on the law and actual revision of existing statutes has had a significant effect on the development of German and American law. Columbia's debt of gratitude to your father for his unique contributions to the Parker School and for the major role he played in enhancing Columbia's reputation as an internationally known and respected center for graduate study and research in comparative legal institutions can never be repaid. We hope, however, that by continued respect for and vigorous pursuit of the scholarly tradition synonymous with your father's name, we may express this gratitude in useful, although inadequate, fashion. While the many tributes which you and your sisters are receiving are probably of little comfort to you today, reflection upon the widespread and constructive influence of your father's long and active life cannot fail to provide satisfaction for you." kanisch-schweizerisches internationales Privatrecht. Abhandlungen zum schweizerischen Recht, N. F. Heft 336, Bern 1959. 27 Reese (Anm. 2), S. 97. 28 Ehrenzweig (Anm. 2), S. 649. 29 Mann (Anm. 2), ebd.
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Wenn wir hier einige Abhandlungen von Nußbaum erneut vorlegen, so wollen wir damit, wie eingangs erwähnt, die Orientierung über Ziele und Aufgaben der Rechtstatsachenforschung erleichtern sowie der heutigen Rechtswissenschaft einen neuen Anstoß geben. Selbstverständlich sind bei Arbeiten, deren Entstehungszeit um fast ein Menschenalter differiert, manche Wandlungen und Akzentverschiebungen festzustellen. Will Nußbaum anfänglich aus der Rechtstatsachenforschung das Wort "soziologisch" verbannen, so schreibt er schließlich selbst über "soziologische" Aspekte des trust. Ist er zunächst ein glühender Verfechter ausführlicher Statistiken, so meint er später, vor der StatistikGläubigkeit warnen zu müssen. Mißversteht er am Anfang noch völlig das Anliegen von Eugen Ehrlich, so erkennt er später dessen Bedeutung an, wenn er auch - immer noch auf Grund von Mißverständnissen seinem Werk schwere Mängel vorwerfen zu müssen glaubt und irrtümlich annimmt, Ehrlich habe selbst keinerlei nennenswerte Tatsachenforschung getrieben 30 • Dennoch sollte über diesen Unstimmigkeiten die große einheitliche Konzeption nicht übersehen werden. Nußbaum versteht es, mitreißend zu formulieren und seine Sache einfallsreich zu vertreten. Man kann sich seinem Plädoyer für eine umfassende Rechtstatsachenforschung kaum entziehen. Sicher bleibt noch manches offen. Was ist z. B. unter Rechtstatsachen zu verstehen: Sind es die tatsächlich wirksamen Normen oder das "lebende Recht" im Sinne von Ehrlich oder die faits sociaux von Durkheim? Geht es um die Rechtswirklichkeit oder um die soziale Wirklichkeit des Rechts 31 • Und was ist dann Rechtstatsachenforschung: Eine normative Disziplin (soziologische Jurisprudenz) oder empirische Rechtssoziologie? Zu diesen und anderen Fragen hoffe ich, demnächst eingehend Stellung nehmen zu können. Ich glaube aber, daß Nußbaums Anliegen aus seinen praktischen Beispielen hinreichend deutlich wird. Dabei sollten wir uns durch den Umfang der von ihm gestellten Aufgabe nicht entmutigen lassen. Rechtstatsachenforschung ist nur im team-work denkbar. Es würde schon genügen, wenn jeder einen kleinen Beitrag liefert. Dann wird sich insgesamt ein lebendiges Bild der Rechtswirklichkeit ergeben. Mögen dies recht viele als Aufforderung verstehen, den Gedanken von Nußbaum weiterzutragen! Berlin, im Mai 1968
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30 Vgl. demgegenüber Eugen Ehrlich: Recht und Leben. Gesammelte Schriften zur Rechtstatsachenforschung und zur Freirechtslehre, 1967, S. 11-79, und dazu Manfred Rehbinder: Die Begründung der Rechtssoziologie durch Eugen Ehrlich, 1967, S. 21-25. 31 Zu dieser Unterscheidung vgl. Rene König in Hirsch/Reh binder: Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, 1967, S. 48.
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Die Rechtstatsachenforschung Ihre Bedeutung für Wissenschaft und Unterricht (1914) I
Es ist nun etwa schon ein Jahrzehnt her, daß sich in der Jurisprudenz ein "neuer Geist" bemerkbar macht. Er hat sich der Jugend und vieler Älteren bemächtigt: man ist der leeren Dogmatik überdrüssig geworden, alles drängt zu der lebendigen Natur, der die Quellen des Rechts entströmen. Wenn diese schöne und tiefe Bewegung der deutschen Geistes- und Wirtschaftskultur den vollen, heute noch gar nicht abzuschätzenden Gewinn bringen soll, den sie zu bringen vermag, so kann dies nur auf einem Wege geschehen: durch die Rechtswissenschaft und durch den Rechtsunterricht. Nur durch die planmäßige Arbeit der Wissenschaft und die stets sich erneuernde lebendige Lehrwirkung läßt sich der Boden bereiten, auf dem die neuen Gedanken zur Reife und zu dauerndem Ertrage gebracht werden können. Nach der in Deutschland herkömmlichen Arbeitsteilung sind es in erster Linie die Universitäten, denen diese hohe und umfassende Aufgabe winkt. Bislang ist leider in dieser Hinsicht wenig geschehen, wenigstens im Vergleich zur Größe der Aufgabe. Blickt man auf die Literatur, an deren Stand man den Anteil der offiziellen Rechtslehre an der neuen Bewegung in gewissem Sinne ablesen kann, so findet man auffallend wenig nennenswerte Arbeiten vor, die im Sinne der Bewegung liegen, und vor allem wird der Nutzen dieser Arbeiten wesentlich dadurch beeinträchtigt, daß ihr weitaus größter Teil sich fortgesetzt auf dem Gebiete rein formalmethodologischer Erörterungen bewegt - um den abstrakten Begriff der Rechtsfindung als Mittelpunkt. Gewiß ist die dabei geleistete Arbeit für die Rechtstheorie nicht durchweg vergebens aufgewendet, und besonders ist es zu begrüßen, daß man bei dieser Gelegenheit den lange gestörten Zusammenhang mit der Philosophie wiedergefunden oder doch enger geknüpft hat. Aber im ganzen ist doch auf solche Weise das rechtswissenschaftliche Reformwerk vom Ziele abgetrieben worden; die starke methodologische Strömung, die von der Philosophie der Gegenwart herkommt, und jene Schwäche des Wirklichkeitssinnes, die nun einmal das Erbe
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unserer Privatrechtswissenschaft zu sein scheint, haben es verhindert, daß die im Gegenstande selbst liegenden Probleme zu ihrem vollen Recht gekommen sind. Es mag hier dahingestellt bleiben, ob es möglich ist, die Methode auf dem "kalten" Wege der Abstraktion zu gewinnen, und ob sie nicht aus der Arbeit selbst hervorspringt. In jedem Falle wäre es zwecklos - und übrigens zugleich aussichtslos -, zu warten, bis die aufgetretenen methodologischen Meinungsverschiedenheiten auch nur einigermaßen beseitigt sind. Richtet man den Blick aufs Ganze, so treten die Gegensätze, die oft mehr in der Formulierung als in den Resultaten selbst liegen, schon in einiger Entfernung völlig zurück, und es wird die Gemeinsamkeit der großen Grundstimmung und -überzeugung deutlich sichtbar. Während es aber vor allem gilt, diese aus dem Bereich des Unbestimmten und Allgemeinen herauszubringen, und die notwendigen Folgerungen für die juristische Einzelarbeit zu ziehen, ist durch die literarische Entwicklung das Problem verschoben und übermäßig kompliziert worden. Das Ergebnis ist, daß die Vertreter der Theorie auf die zwecks Förderung der neuen Richtung getroffenen Maßnahmen auffallend wenig Einfluß gewonnen haben, wenn auch neuerdings eine steigende Anteilnahme nicht zu verkennen ist. Die Justiz- und Unterrichtsverwaltungen sind es hauptsächlich, die - von Praktikern beeinflußt - in der Förderung des neuen Geistes vorangegangen sind durch Veranstaltung besonderer Kurse über wirtschaftliche, psychologische und ähnliche Themata, durch Erleichterung einer kaufmännischen oder gewerblichen Ausbildung einzelner Juristen usw. Auch der Verein "Recht und Wirtschaft" ist der Initiative eines Praktikers entsprungen. Alle diese mannigfachen Sonderveranstaltungen bedeuten sicherlich einen erheblichen Fortschritt. Namentlich wirken die verschiedenen Fortbildungskurse nützlich nach der Richtung, daß sie den Hörer anregen, seinen Blick erweitern. Aber auf diesem Wege allein kann schließlich doch nicht das erreicht werden, worauf es ankommt: nämlich die systematische wissenschaftliche Verarbeitung und zusammenhängende Kenntnis des für den Juristen als notwendig erkannten neuen Materials. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es jener Umbildung, insbesondere einer Erweiterung des juristischen Lehrstoffes selbst. Die Notwendigkeit der Umbildung ist leicht zu erweisen. Wenn es die (oder doch mindestens "eine") Aufgabe der Rechtslehre ist, ihren Jüngern dasjenige Wissen und Können zu vermitteln, dessen Richter, Anwälte, Notare usw. bedürfen, so kann sich die Jurisprudenz nicht mehr auf die Verarbeitung des rein dogmatischen Rechtsstoffes beschränken, nachdem man erkannt hat, daß der Jurist wenigstens unter den komplizierten Verhältnissen des heutigen Rechtslebens für seinen Beruf noch anderes
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braucht. Das "Andere" wird vielmehr mitverarbeitet werden müssen, soweit es der wissenschaftlichen Erfassung zugänglich ist. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, daß die Aufgabe der Rechtslehre sich keineswegs darin erschöpft, die wissenschaftlichen Grundlagen für eine spätere prozeßrichterliche Wirksamkeit zu liefern. Nur der kleinere Teil der Juristen gelangt überhaupt zu dauernder richterlicher Tätigkeit, und abgesehen von den juristischen Hauptberufen, nämlich denen des Richters, Staatsanwalts, Rechtsanwalts und des Notars, nimmt die Zahl der für die Verwaltung und für das Geschäftsleben benötigten Juristen immer mehr zu. Auf die Bedürfnisse der nichtrichterlichen Juristen muß aber im Rechtsunterricht bedeutend mehr Rücksicht genommen werden. übrigens ist ja auch die richterliche Tätigkeit keineswegs gleichbedeutend mit der prozeßrichterlichen, auf welche der heutige Rechtsunterricht vorwiegend zugeschnitten ist. Es gibt im Deutschen Reiche eine ganze Anzahl von Amtsgerichten, auf welche im Jahre noch nicht ein halbes Dutzend kontradiktorischer Urteile entfällt1! An den ländlichen Amtsgerichten steht eben vielfach die freiwillige Gerichtsbarkeit (nebst dem ihr verwandten Zwangsversteigerungswesen) im Vordergrunde. Wie wichtig ist es aber, daß z. B. der Vormundschaftsrichter über gewisse wirtschaftliche Dinge, wie die Bedeutung eines Pfandbriefs oder die für die Beurteilung einer Hypothek wesentlichen Gesichtspunkte und über die neueren Einrichtungen sozialer Jugendfürsorge Bescheid weiß. Dies alles sind Dinge, die gelehrt werden können und müssen. Bei alledem handelt es sich nicht etwa um die banausische Forderung, daß die Jurisprudenz ihren Jüngern einfach das zu bieten habe, was sie für ihre spätere praktische Tätigkeit unmittelbar brauchen. Ist auch das Endziel ein praktisches, so ist doch das Mittel die volle wissenschaftliche Durchdringung des gesamten Rechtsstoffes. Die juristische Bildung soll nicht dürftiger, sondern vielseitiger werden! Dazu bedarf es durchaus keiner soziologischen Jurisprudenz im Sinne von Ehrlich oder Ernst Fuchs. Gegenstand der Rechtswissenschaft sind - das sollte seit den grundlegenden Untersuchungen Jellineks 2 nicht mehr verkannt werden - Normen, nicht Naturgesetze; die Methoden der naturwissenschaftlichen Forschungen, überhaupt aller Ursachenforschung, können daher nicht die Methoden der Jurisprudenz sein. Mit innerer Notwendigkeit stehen in ihrem Mittelpunkt immer nur die Normen als solche, und wenn auch die Bedeutung der sogenannten Konstruktion heute in der Tat ganz erheblich überschätzt wird, so sind doch die spezi1 Beispiele sind der Bayerischen Justizstatistik und den justizstatistischen Angaben im "Statistischen Jahrbuch für das Großherzogtum Mecklenburg" zu entnehmen. In der Preußischen Justizstatistik werden die Ziffern für die einzelnen Amtsgerichte nicht angegeben. 2 Insbesondere "System der subjektiven öffentlichen Rechte" (1892), S. 15 ff.
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fisch juristischen Denkformen der Subsumtion, Auslegung und Konstruktion die wichtigsten Hebel aller Rechtsfindung. Auch didaktisch muß mit allem Nachdruck betont werden, daß es die erste Aufgabe des Rechtsunterrichts ist, juristisch denken zu lehren. Was man nicht genügend beherzigt hat, ist nur, daß daneben in die Jurisprudenz und Lehre auch ein bestimmter Komplex von induktiv zu erforschenden Tatsachen hineingehört. Es sind dies, wie wir zunächst ganz allgemein sagen können, diejenigen Tatsachen, deren Kenntnis für ein volles Verständnis und eine sachgemäße Anwendung der Normen erforderlich ist. In dieser Begriffsbestimmung liegt schon, daß die Auswahl jener Tatsachen lediglich nach den Bedürfnissen der Rechtslehre selbst, also nach spezifisch juristischen Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Es kann deshalb nicht die Rede davon sein, daß etwa das Material der Volkswirtschaftslehre ganz oder zum Teil in die Rechtswissenschaft hinüberzunehmen wäre. Besonders Zacharias (Über Persönlichkeit, Aufgaben und Ausbildung des Richters, 1911) hat schon in einleuchtender Weise dargelegt, daß die Lehren der Nationalökonomie, abgesehen von ihrem allgemeinen Bildungswert, den Juristen in seinen beruflichen Aufgaben wenig fördern können. Die Betrachtungsweise ist auf beiden Wissensgebieten eine wesentlich verschiedene - die juristische ist gegenüber der volkswirtschaftlichen mehr technischer Natur - , aber auch der Stoff selbst ist keineswegs der gleiche. Nicht nur, daß weite Gebiete der Volkswirtschaftslehre für die eigentliche juristische Arbeit so gut wie gar nicht in Betracht kommen (z. B. die Lehre von den Wirtschaftskrisen), entbehrt ein großer und vielleicht der größte Teil der in die Rechtslehre gehörigen Tatsachen des volkswirtschaftlichen Interesses. Wann z. B. im Verkehr die Brief- oder die Buchhypothek gewählt wird, wie in der Praxis Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung miteinander verbunden werden, wo und in welcher Weise an den Kollegialgerichten die Einrichtung des Referenten besteht, dies alles ist für den Juristen von großer Bedeutung, für den Nationalökonomen aber gleichgültig. Betrachten wir selbst etwa die Frage, wie beschaffen die Betriebe sind, für welche die Form der G.m.b.H. zum Unterschied von der Genossenschafts- oder Aktiengesellschaftsform tatsächlich verwendet wird und geeignet ist, so ist auch dieses Problem vorwiegend juristischer, obschon nicht dogmatischer Art; auch praktisch pflegt der Anwalt, der Notar, der juristisch vorgebildete Syndikus bei der Entscheidung über die zu wählende Form den Ausschlag zu geben; den Nationalökonomen als solchen aber interessiert wesentlich der Betrieb nach seinen wirtschaftlichen Merkmalen. Nehmen wir noch hinzu, daß die für das Verständnis des Rechts zu berücksichtigenden Tatsachen großenteils rein politischer, gesellschaftlicher und psychologischer Natur sind, so erhellt, daß die übliche Ausdrucksweise, die eine "wirtschaftliche" Betrachtung des Rechts fordert,
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ungenau ist. Die in die Jurisprudenz gehörigen Tatsachen kennzeichnen sich vielmehr durch ihre spezifisch juristische Färbung; will man sie mit einem Schlagwort bezeichnen, so wird dafür vielleicht der Ausdruck "Rechtstatsachen" gewählt werden können. Damit ist zugleich gesagt, daß die Tatsachenforschung für die Jurisprudenz nicht Selbstzweck sein kann. Es gilt nicht, innerhalb der Jurisprudenz eine "neue Disziplin" oder gar eine Reihe von Paralleldisziplinen zu den bisherigen Lehrfächern aufzurichten (Schellhas), sondern den bisherigen Lehrstoff durch Heranziehung der Rechtstatsachen zu beleben, zu bereichern und zu vertiefen, sowie fruchtbare Problemstellungen für die wissenschaftliche Einzelarbeit zu gewinnen. Bei solcher Begrenzung der Aufgabe scheint die Forderung der Rechtstatsachenforschung im Verhältnis zu dem herrschenden Wissenschaftsund Unterrichtsbetrieb kaum noch etwas wesentlich Neues zu enthalten. Daß die Jurisprudenz den "Zweck im Recht" zu berücksichtigen habe, ist heute nur noch ein Gemeinplatz, und schon damit ist der Heranziehung der tatsächlichen Verhältnisse in gewissem Umfange prinzipiell der Weg eröffnet, da vielfach nur an ihnen der Zweck der Normen erkannt werden kann. Es dürfte auch sicherlich keine Vorlesung mehr geben, in welcher auf die hinter den Normen stehenden Tatsachen überhaupt mit keinem Worte eingegangen würde (vgl. Gerland in seinem Gutachten für den 31. Deutschen Juristentag, Verhandlungen desselben Bd. II, S. 845). Es handelt sich also gar nicht um das Prinzip, sondern um das Mehr oder Minder. Das Mehr oder Minder ist aber in Wahrheit das Entscheidende, und nur durch die übermäßig spekulativ-methodologische Behandlung der Frage ist dies verschleiert worden. Ich wage zu behaupten, daß auch bei Festhaltung eines durchaus konservativen Standpunktes der Rechtswissenschaftsbetrieb sein Aussehen wesentlich verändern würde, wenn die Rechtstatsachen und die mit ihnen zusammenhängenden Gesichtspunkte in Forschung und Lehre ernstlich zur vollen Geltung gelangten. Heute herrscht freilich in den Kreisen der Rechtslehrer wohl überwiegend die Meinung vor, das wirklich Erstrebenswerte sei schon erreicht. Kisch meint sogar - in der Vorrede zu seiner Schrift "Parteiänderung im Zivilprozeß" (1913) - der berechtigte Kern der neuen Lehre sei nichts anderes, als was die Meister der Dogmatik von jeher gelehrt und geübt hätten, und er findet den Unterschied zwischen der alten und der neuen Schule nur darin, daß die erstere von der Beachtung der schutzwürdigen Interessen "nicht so viel Aufhebens" gemacht habe. Derartige wenig einsichtsvolle Äußerungen zu verallgemeinern, wäre jedoch ungerecht. Eine richtigere Vorstellung von dem Stande der Dinge wird etwa den Ausführungen Heinsheimers über "Recht und Lebenskunde" (Recht und Wirtschaft, Bd. I, S. 4 ff.) entnommen werden können.
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Heinsheimer vertritt in diesem Aufsatz, der viel Interessantes und Beherzigenswertes enthält, die Ansicht, im Lehrvortrag könne hinsichtlich der tatsächlichen Verhältnisse "in kurzen Strichen meist das Nötige gezeigt, mit geringer Mühe die Brücke geschlagen werden, die dann rasch vom Recht zum Leben hinüberführe"; das Lehrbuch selbst aber müsse von diesen Dingen absehen und sich auf den "eigentlichen Rechtsstoff" beschränken. Heinsheimer betont nachdrücklich, daß die Heranziehung der Lebenskunde in der ihm vorschwebenden Art mit der allgemeinen übung im Einklang stehe und ein so sachkundiger Beurteiler wie Gerland bezeichnet ausdrücklich und beifällig die Auffassung Heinsheimers über die Berücksichtigung der Lebenskunde als die herrschende (a.a.O. Seite 817). M. E. geht allerdings Heinsheimer, nach dem Inhalt seiner Ausführungen zu schließen, in der Berücksichtigung der Lebensverhältnisse schon ganz erheblich weiter als die meisten anderen. Als sicher darf angenommen werden, daß - vielleicht von vereinzelten Ausnahmen abgesehen - die von Heinsheimer gezogene Grenze nicht überschritten wird. Es ist nun charakteristisch, daß nach Heinsheimer die Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse nur in den Lehrvortrag, nicht in das Lehrbuch gehören soll. Der Grund wird zwar von Heinsheimer nicht genannt, ist aber nach dem Zusammenhange seiner Ausführungen zu erkennen. Was eben heute im Lehrvortrag an tatsächlichen Verhältnissen gewöhnlich vorgebracht wird, ist freilich mit "geringer Mühe" zu beschaffen; es sind bekannte oder leicht zugängliche Dinge, die bei geeigneter Auswahl sehr wohl den flüchtigen Vortrag beleben können, - aber den Druck nicht vertragen; sie sind nicht schwerwiegend genug, um in einem wissenschaftlichen Lehrbuch ihren Platz zu finden, und darum ist denn auch tatsächlich in den heutigen juristischen Lehrbüchern so gut wie nichts davon enthalten. Diese Behandlung der Rechtstatsachen genügt aber in keiner Weise. Es handelt sich nicht um Dinge, die mit leichter Mühe zu erreichen wären, sondern um unübersehbare Gebiete vielfältiger, bedeutender und schwieriger Aufgaben, zu deren Bewältigung es der vollen Einsetzung der wissenschaftlichen Arbeitskraft bedarf, und die als Ganzes ebensowenig restlos gelöst werden können wie die Aufgaben wissenschaftlicher Arbeit überhaupt. Dies näher zu zeigen ist das Hauptziel dieser Schrift. Wir wollen zunächst die Folgerungen betrachten, die sich aus dem Programm der Rechtstatsachenforschung in wissenschaftstheoretischer Hinsicht ergeben, um so dann die Nutzanwendungen in didaktischer Hinsicht zu ziehen.
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II 1. In erster Linie gilt es zu erforschen, wie die Formen der tatsächlichen Anwendung des Gesetzes beschaffen sind, insbesondere in welcher Weise das Gesetz von den Gerichten und dem Publikum tatsächlich angewendet wird, ferner welche Zwecke mit den Normen verfolgt werden und welche Wirkungen sie äußern. Wir wollen z. B. wissen, ob Rentenschulden oder Nachlaßverwaltungen in der Wirklichkeit vorkommen und eventuell weshalb sie nicht oder nur vereinzelt vorkommen; wie sich die verschiedenen Güterrechtsformen des BGB örtlich und persönlich verteilen und wie sie sich bewähren; welche typischen Formen nicht rechtsfähiger Vereine es gibt; wie Mietsverträge und Pachtverträge in Stadt und Land wirklich aussehen; in welchen Fällen und unter welchen Modalitäten Vormerkungen, Sicherheitshypotheken, Grundschulden eingetragen zu werden pflegen; welche typischen Klauseln in Gesellschaftsverträgen und Verlagsverträgen aller Art auftreten; wie die Erhöhung oder Herabsetzung eines Aktienkapitals, je nach dem verfolgten Zweck, sich in ihren rechtlichen Einzelheiten verschieden gestaltet usw. Mit allen diesen Dingen beschäftigt sich die Rechtslehre so gut wie gar nicht. So ist es z. B. bemerkenswert, daß man in den geläufigen Darstellungen des Hypothekenwesens auch nicht ein Wort über den Unterschied der typischen ersten und zweiten Hypothek zu finden pflegt, obschon auf ihm die ganze Ordnung unseres Hypothekarkredits beruht. Dabei sind dies alles recht eigentlich juristische Unterschiede, weil sie unmittelbar auf (typischen) Rechtsgeschäften beruhen. Ihre Kenntnis ist daher für den Juristen von hoher praktischer Wichtigkeit. Wissenschaftlich aber hat die Erforschung der tatsächlichen Gesetzesgeltung und -anwendung nicht nur um ihrer selbst willen Wert, sondern sie ist für die Dogmatik ein unentbehrlicher Wegweiser. Denn sie leitet zu fruchtbaren Problemen und eröffnet die Möglichkeit, gegenstandslose Probleme als solche zu erkennen. Gerade dieser Punkt ist von großer Tragweite. Wir finden z. B. im Jahrgang 1913 einer sehr angesehenen Zeitschrift eine Abhandlung "Beiträge zur Inhabergrundschuld". Die Inhabergrundschuld kommt aber im Leben überhaupt nicht vor; diese Tatsache und ihre Gründe sind an dem ganzen Institut das einzig Wissenswerte. Glaubt man, Beiträge zum Recht der Inhabergrundschuld schreiben und veröffentlichen zu sollen, so ist auch gegen ein umfangreiches systematisches Werk über diesen Gegenstand oder etwa über die ebenso unpraktische Rentenschuld nichts zu sagen. Ein solches Werk könnte sogar ernstlich viel Gelehrsamkeit, Scharfsinn und selbst Tiefsinn enthalten, und doch wäre es wertlos. Tatsächlich ist ein ganz gewaltiger Teil der juristischen Literatur schon wegen verfehlter Problemstellung vollständig unnütz. Eine Abhandlung wird auch dadurch nicht gerechtfertigt, daß die ihren Vorwurf bildende rechtliche Konstellation tatsächlich in irgendeinem veröffentlichten Falle einmal vor-
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gekommen ist oder daß sie einmal vorkommen könnte. Es muß ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Aufwand an wissenschaftlicher Energie und den in der Regel doch nur wirtschaftlichen Interessen bestehen, die von der Entscheidung der Streitfrage abhängen. Oft kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die wirklichen wirtschaftlichen Interessen, die durch das Thema einer Abhandlung oder Monographie betroffen werden, nicht einmal die baren Kosten des Drucks und Verlags decken könnten. Man denke etwa an die unabsehbare Literatur über viele gänzlich unpraktische Streitfragen der Besitzlehre. Die Rechtstatsachenforschung und die Erziehung zur Beachtung der Tatsachen bedeutet deshalb die Freimachung mißbrauchter geistiger Energie zu fruchtbarerer Arbeit. Eine in der herkömmlichen Rechtslehre besonders vernachlässigte Seite der tatsächlichen Gesetzesanwendung ist die außerhalb der eigentlichen Rechtsprechung liegende Praxis der Justiz- und anderen Behörden. Es sei etwa auf folgende Fragen hingewiesen: Wie gestalten sich in der Wirklichkeit des Zivilprozesses die Prinzipien der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit? (Die Frage ist zwar schon oft berührt worden, aber eine genaue Erforschung der tatsächlichen Verhältnisse in den verschiedenen deutschen Landesteilen fehlt.) Wie werden die Vorschriften über die Verkündung der Urteile gehandhabt? Nach welchen Grundsätzen werden seitens der Justizverwaltungen Prozeßagenten zugelassen 3 und wie ist deren rechtliche Stellung zu beurteilen? Nach welchen Grundsätzen wird die Geschäftsverteilung insbesondere bei den Zivilprozeßgerichten bewirkt? Nach welchen Gesichtspunkten werden seitens der Gerichte die Konkursverwalter und Zwangsverwalter (ständige und nicht ständige) ausgewählt? Nach welchen Grundsätzen wird bei der staatlichen Genehmigung von Inhaberschuldverschreibungen4, bei der Befreiung von Ehehindernissen verfahren usw.? Die Erforschung der tatsächlichen Erscheinungen eines Rechtsgebietes führt mit Notwendigkeit zur Betrachtung derjenigen typischen Institutionen, die auf dem betreffenden Gebiet in bedeutenderem Umfange rechtsgeschäftlich handelnd auftreten. So sind z. B. im Vormundschaftsrecht die an die Vormundschaftsgerichte sich anlehnenden sozialen Institutionen, im Hypothekenrecht die Bodenkreditorganisationen, im Prozeßrecht die typischen Formen anwaltlicher Kooperation, z. B. das bayerische Konzipientenwesen5 und die sogenannten Anwaltskartelle, im Börsenrecht die Effektenliquidationsvereine und die Warenliquidationskassen, auf Hierüber jetzt Deutsche Rechtsanwaltszeitung 1913, S. 156 ff., 175 ff. Wertvolles Material hierüber bei Pauly: Schuldverschreibungen auf den Inhaber (1913). 5 Vgl. z. B. Jur. Wochenschrift, 1913, S. 81 ff. 3
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dem Gebiete der künstlerischen Urheberrechte die dort zur gemeinschaftlichen Rechtsausübung sich bildenden Verbände geeignete Gegenstände rechtstatsächlicher Forschung. Die Organisationen gehören schon deshalb in die Rechtslehre hinein, weil sie überwiegend rechtlichen Charakter haben (wenn auch der Satz Ehrlichs - Verhandlungen des 31. Deutschen Juristentages, S. 213 - "Recht ist vor allem Organisation" zu weit geht). Vielfach, wie bei den Hypothekenbanken, der Reichsbank, den Handelskammern und anderen öffentlichen Körperschaften haben die Organisationsnormen ja sogar formell den Charakter von Gesetzesvorschriften; ob aber die Normen auf Gesetz oder etwa auf Statut oder Vertrag beruhen, ist im Prinzip ohne Bedeutung. Abgesehen aber selbst von dem unmittelbar juristischen Charakter der Organisationsnormen pflegen die erwähnten Institutionen eigene rechtsgeschäftliche Betätigungsformen zu entwickeln, die dann vielfach auf dem betreffenden Rechtsgebiet vorbildlich werden. Aus einem ähnlichen Grunde sind auch die gewerblichen Gliederungen und die durch sie bedingten Typen der Rechtsgeschäfte ein wichtiger Gegenstand der Untersuchung. Großenteils hat sich freilich schon die Gesetzgebung der hier in Betracht kommenden Unterscheidungen bemächtigt, man denke etwa an die Verhältnisse der Handlungsgehilfen, Gewerbegehilfen, Betriebsbeamten, gewerblichen Arbeiter, Bergarbeiter, Agenten, Makler, Spediteure, Verleger, Versicherungsunternehmer usw. Aber auch gegenüber solchen gesetzlich schon erfaßten Begriffen ist die Aufgabe der Rechtstatsachenforschung noch nicht erschöpft, weil sich fortgesetzt im Verkehr neue engere Unterscheidungen herausbilden, die auf die Gestaltung der Rechtsgeschäfte Einfluß gewinnen. Dafür bietet der Kommissionär des Handelsgesetzbuches ein lehrreiches Beispiel. Der Typus dieses Kommissionärs entstammt einer älteren Wirtschaftsepoche, er erinnert einigermaßen an die Firma F. A. Schröter in Freytags "Soll und Haben". Heute besteht dieser Typus kaum noch. Begrifflich sind Kommissionäre 1. die Exporteure, 2. die Sortimenter, 3. die Bankiers, 4. die Kommissionäre der Warenbörsen - alle diese aber nur mit mannigfachen Einschränkungen. Die typischen Rechtsgeschäfte dieser vier Gruppen weichen weit voneinander ab - die Sortimenter sind vielleicht überhaupt nicht mehr als Kommissionäre anzusehen (Lehmann, Handelsrecht, S. 871) - , und auch bei identischer Fragestellung wird die rechtliche Beurteilung bei den verschiedenen Typen oft verschieden ausfallen müssen. So ist z. B. die Bedeutung des sogenannten "In-sich-Machens" der Börsengeschäfte bei Gruppe 3 und 4 durchaus abweichend zu beurteilen (vgl. Monatsschr. für Handelsrecht und Bankwesen 1912, S. 260). 2. Bei Untersuchungen solcher Art würde sich alsbald herausstellen, wie stark das formell einheitliche Recht sich in den verschiedenen Teilen Deutschlands differenziert. Diese Differenzierung ist aber auch um ihrer
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selbst willen ein sehr wichtiger Gegenstand der Untersuchung, der bisher vollständig vernachlässigt worden ist. Es ist ein riesenhaftes Arbeitsgebiet, das sich an dieser Stelle auftut. Nebenher verdient auch das partikulare Recht nach Maßgabe seiner wirklichen Bedeutung weit größere Beachtung seitens der juristischen Wissenschaft. Ich nenne in dieser Hinsicht z. B. das Gesinderecht und namentlich das Recht der preußischen Rentengüter. Die Rentengutsbildung ist ein Vorgang von solcher volkswirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedeutung für die ganze Nation, und die dabei auftauchenden Rechtsfragen sind von solcher Schwierigkeit und Tragweite, daß die Jurisprudenz alle Veranlassung hätte, hier mitzuarbeiten. Tatsächlich ist aber in juristischer Hinsicht, wenn man von kurz erläuternden Textausgaben der einschlagenden Gesetze absieht, so gut wie nichts geschehen. 3. Der Inhalt des Rechtslebens erschöpft sich nicht im Gesetzesrecht. Schulmäßig pflegt man die Ergänzung des Gesetzesrechts im Gewohnheitsrecht zu finden, ja man versucht das Gewohnheitsrecht wie zur Zeit Puchtas zur "eigentlichen Erscheinungsform des Rechts" zu stempeln (Jung, Das Problem des natürlichen Rechts, S. 138). In Wahrheit ist das Gewohnheitsrecht heutzutage ein ganz untergeordneter Faktor der Rechtsbildung, seine lebendigen Erzeugnisse können nur noch als Kuriositäten angesprochen werden und rechtfertigen gewiß nicht die Unsumme dessen, was darüber geschrieben und gedruckt wird. Seine eigene rechtsschöpferische Kraft entfaltet das freie Rechtsleben heute fast ausschließlich in den Vertragsformen und Verkehrsgebräuchen, insbesondere auch in den Handelsbräuchen. Mit der Erforschung dieser freien Rechtsbildungen und ihrer systematischen Verwertung für die Rechtswissenschaft ist es aber übel bestellt, obschon die Normen neuerdings in zunehmendem Maße kodifiziert werden (übrigens ein auch um seiner selbst willen sehr beachtenswerter, bisher kaum gewürdigter Vorgang). Selbst in der Behandlung derjenigen Materien, die zum eisernen Inventar der Jurisprudenz gehören, pflegt auf Handelsbrauch und Verkehrssitte in den juristischen Untersuchungen nicht viel Gewicht gelegt zu werden. Ein noch größerer Mangel ist die Vernachlässigung der vom Verkehr neu geschaffenen Rechtsformen und -institutionen. Ein Gebiet von allergrößter Bedeutung, das auch zu zahlreichen, noch unausgetragenen Zweifelsfragen Anlaß gibt, ist z. B. der außergerichtliche Akkord, dessen Art und Zustandekommen jetzt vielfach durch Gläubiger-Schutzverbände bestimmt und dadurch typisiert wird. Ebenso ist auf dem Gebiet des modernen Treuhandwesens für eine zugleich auf die Tatsachen gerichtete rechtswissenschaftliche Betrachtung fast noch alles zu tun. Auch auf die literarische Behandlung des Börsenrechts kann in diesem Zusammenhang hingewiesen werden. Die Literatur beschäftigt sich hier fast nur mit der Klagbarkeit oder Unklagbarkeit der Termin- und Differenzgeschäfte,
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d. i. mit den ausdrücklich durch das Gesetz geregelten Punkten. Das große und wichtige Gebiet der Börsengebräuche ist dagegen, obschon es zum größten Teil durch den Druck fixiert ist, fast unberücksichtigt geblieben. Unter den von der Rechtswissenschaft übersehenen neuen Vertragsformen im engeren Sinne seien hier besonders die wichtige Ausbietungsgarantie des Hypothekenverkehrs (neuestens darüber Stillschweig in der Juristischen Wochenschrift 1914, S. 334 ff.) und die der Erschließung von Baugelände dienenden typischen Verträge zwischen Stadtgemeinden und Grundstücksgesellschaften hervorgehoben. Es gibt auch ein Wertpapier, das in Millionenbeträgen umläuft, einen Gegenstand täglichen Handels bildet und doch der Theorie gänzlich entgangen ist, nämlich der Zolleinfuhrschein auf den Inhaber. 4. In einem gewissen Zusammenhang mit den vorstehenden Gedankengängen steht der von Schellhas (Deutsche Juristenzeitung 1913, S. 501 ff.) gemachte Vorschlag, die charakteristischen Typen und Unterschiede der vorkommenden Prozesse zu erforschen und dadurch das Material zu der "neuen Disziplin" zu liefern, die den Zivilprozeß ergänzen soll. Vierhaus (Juristische Wochenschrift 1913, S. 666) hat dagegen eingewendet, daß jene Unterschiede den Prozeßrichter an sich nichts angingen. Das ist zutreffend, aber nicht entscheidend. Den wissenschaftlichen Wert solcher Untersuchungen an sich stellt Vierhaus anscheinend nicht in Abrede, er verweist sie nur in die Soziologie. Aber das würde nichts daran ändern, daß es sich um einen für den Juristen hochbedeutsamen Gegenstand handelt, zu dessen Untersuchung auch wiederum der Jurist in erster Linie befähigt ist; er fällt also in das Interessen- und Arbeitsgebiet des Juristen. Die Jurisprudenz könnte aus Untersuchungen der von Schellhas geforderten Art auch mittelbar reichen Gewinn ziehen. Man würde insbesondere Aufschluß über diejenigen Rechtsgebiete erhalten, die vom Standpunkt der streitigen Rechtspflege aus vornehmlich der dogmatischen Bearbeitung bedürfen; vermutlich wäre das Ergebnis, daß die Zahl dieser Gebiete wesentlich geringer ist, als man gewöhnlich annimmt. Weiter aber könnte man z. B. wertvolle Anhaltspunkte dafür gewinnen, ob und inwieweit die jetzt übliche Geschäftsverteilung nach den Anfangsbuchstaben der Beklagten sich durch eine Verteilung nach Materien ersetzen ließe - gewiß eine für die Rechtspflege wichtige Frage. Übrigens würden Untersuchungen der hier fraglichen Art nicht von einem einzelnen ausgeführt werden können, sie bedürfen vielmehr der Organisation (vgl. darüber unten 6). 5. Für die Bearbeitung abgestorbener Rechtssysteme, insbesondere des römischen, ergibt sich, daß sie nicht unter dem dogmatischen, sondern unter dem geschichtlichen Gesichtspunkt zu erfolgen hat. Kantorowicz hat auf dem Ersten Deutschen Soziologentage diese These in so eingehender und scharfsinniger Weise begründet, daß, um Wiederholungen
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zu vermeiden, im allgemeinen auf seine Ausführungen Bezug genommen werden kann. Allerdings geht es zu weit, wenn Kantorowicz der dogmatischen Betrachtungsweise in der Rechtsgeschichte überhaupt keinen Raum mehr vergönnt. Max Weber hat schon in der an den Vortrag von Kantorowicz anschließenden Diskussion hervorgehoben, daß die dogmatische Betrachtung als Mittel der Einfühlung in den geschichtlichen Stoff Wert behalte, und die Berechtigung dieses Einwandes ist auch von Kantorowicz anerkannt worden. Wichtiger ist vielleicht noch, daß die Rechtsgeschichte sich doch zunächst mit Rechtserscheinungen zu befassen hat, die schließlich nur mit denselben Begriffsformen zu bewältigen sind wie das geltende Recht, weshalb ja auch Rechtsgeschichte von Juristen und nicht von Historikern getrieben zu werden pflegt. Die Rechtsgeschichte wird deshalb einen starken dogmatischen Zusatz nie entbehren können. Im übrigen orientiert sich ja die rechtsgeschichtliche Arbeit seit mehr als einem Jahrzehnt in zunehmendem Maße an der historischen Methode - nämlich seitdem die Romanisten durch das BGB von dem Zwange erlöst sind, das geschichtliche Recht im Hinblick auf die Gegenwart zu bearbeiten. Mit vollem Recht aber hat m. E. Kantorowicz gegen die rechtsgeschichtliche Wissenschaft einen Vorwurf daraus hergeleitet, daß sie zugunsten der römischen Antike und des deutschen Mittelalters allzusehr die letzten Jahrhunderte der deutschen Entwicklung vernachlässige. Liegen doch die Wurzeln der heutigen Zustände oft gerade in den letzten Jahrhunderten oder gar Jahrzehnten. Das gilt z. B. vom deutschen Hypothekenwesen. Die deutsche Wissenschaft besitzt zwei Werke, die sehr wichtige Aufschlüsse über die Entwicklung des Hypothekenwesens seit der Rezeption gewähren, nämlich Arthur Cohen, Die Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes in Bayern vor der Entstehung der Hypothek bis zum Beginne der Aufklärungsperiode (1906) und Weyermann, Zur Geschichte des Immobiliarkredits in Preußen (1910). Beide Werke sind aber in der juristischen Literatur so gut wie unbeachtet geblieben. 6. Die Rechtstatsachenforschung bedarf der Organisation. Für ihre Aufgaben reichen die Kräfte des einzelnen vielfach nicht aus; die vom einzelnen gesammelten Tatsachen werden oft zu sehr durch die individuellen Umstände bestimmt sein, und können daher zu unzulässigen Verallgemeinerungen Anlaß geben. Es müßte daher eine Zentralstelle geschaffen werden, die für das ganze Gebiet des Deutschen Reichs aus dem Rechtsleben typische oder sonst bedeutsame Vertragsurkunden, Statuten, Schlußscheine, Protokolle, Wertpapierformulare usw. sammelt. Die Zentralstelle hätte ferner für Erhebungen die Fragebogen auszuarbeiten, die geeigneten Untersuchungsstellen auszuwählen und eventuell das Material zu verarbeiten. Die Erforschung der Prozeßgegenstände z. B., wie sie von Schellhas gefordert wird, könnte nur dann vollen Nutzen bringen,
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wenn sie in einer solchen planmäßigen und umfassenden Weise betrieben wird. Die Arbeit einer solchen Zentralstelle würde nicht nur wissenschaftlich, sondern auch praktisch von großer Bedeutung sein können. Ihr Material könnte Notaren, öffentlichen Verwaltungen, Geschäftsleuten bei der Abfassung von Verträgen wertvolle Dienste leisten, namentlich aber würde für viele Fragen der Gesetzesreform hier eine Vorarbeit geleistet werden können, wie sie zur Zeit nirgends zu beschaffen ist. Das an der Wiener Universität eingerichtete Institut für angewandt es Recht (vgl. Recht und Wirtschaft 1914, S. 120; Ehrlich in den Verhandlungen des 31. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 216) scheint sich ähnliche, wenn auch beschränktere Aufgaben gesetzt zu haben, wie sie hier der Zentralstelle zugedacht sind. 7. Daß die in Deutschland so erfreulich aufstrebende Rechtsvergleichung ganz im Sinne der hier vertretenen Bestrebungen liegt, bedarf nur der Erwähnung. Das Recht der anderen Kulturländer sollte für die deutsche Rechtswissenschaft noch in weit höherem Maße fruchtbar gemacht werden als bisher. Z. B. sind Untersuchungen über Gewohnheitsrecht, Gerichtspraxis, Billigkeit m. E. unvollständig, wenn nicht die eigenartigen und lehrreichen Verhältnisse des englisch-nordamerikanischen Rechtes berücksichtigt werden. Jedenfalls würde statt der beliebten schematischen Vergleiche mit dem antiken und dem mittelalterlichen Recht meist eine vergleichende Heranziehung des Rechtes der großen außerdeutschen Kulturnationen förderlicher sein.
III Die Veränderung der wissenschaftlichen Betrachtungsweise muß auf die Methodik des Unterrichts notwendig stark zurückwirken. Vor allem werden die Ergebnisse der Rechtstatsachenforschung in den Rechtsunterricht aufzunehmen sein. Aber auch darüber hinaus sind mancherlei Verschiebungen unausbleiblich. Das gilt hauptsächlich von dem eigentlichen Lehrvortrag und den Lehrbüchern, die ja der Idee nach nur die erweiterte (gelegentlich auch verkürzte) Wiedergabe des Lehrvortrages darstellen. In meinem "Deutschen Hypothekenwesen" habe ich den Versuch unternommen, ein Lehrbuch vorzulegen, das sich in den Dienst der neuen Entwicklung stellt. Schon wegen des Mangels an Vorarbeiten konnte es sich in der Tat nur um einen Versuch handeln; gleichwohl darf ich hier auf das Buch insofern Bezug nehmen, als es die im folgenden theoretisch dargelegten Grundsätze, die sich größtenteils erst bei der Ausarbeitung des Buches ergeben haben, verdeutlich und ergänzt. Im einzelnen dürften sich m. E. die folgenden Forderungen aufstellen lassen6 • S
Vgl. hierzu auch die akademische Antrittsrede, die Riesser bereits im Jahre
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1. Auf die Darstellung der Absichten, die mit den einzelnen Bestimmungen - nicht nur mit den Gesetzen im ganzen - verfolgt werden, und den Wirkungen, die durch die Bestimmungen tatsächlich erzielt sind, ist das größte Gewicht zu legen. Insbesondere sollte bei keinem Rechtssatz die Angabe des Zwecks fehlen, falls dieser nicht ohne weiteres ersichtlich ist - eine selbstverständlich erscheinende Forderung, die aber tatsächlich viel zu wenig beachtet wird. Freilich darf der juristische Gehalt der Darstellung nicht durch das tatsächliche Material erdrückt werden, und noch weniger können die sämtlichen wirtschaftlichen, technischen, psychologischen und sonstigen Fragen nichtdogmatischer Art, die mit den Normen in Zusammenhang stehen, in den Rechtsvortrag hineingezogen werden. Man kann nicht beim Dienst- und Werkvertrag die gesamte Lohnarbeiterfrage und im Wechsel recht nicht die gesamte Diskontpolitik mitbehandeln 7 • Die Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse des Juristen muß für die Auswahl des Stoffes maßgebend bleiben, und ebenso wie in der rechtswissenschaftlichen Forschung werden auch im Rechtsunterricht die Normen stets Mittel- und Zielpunkt sein müssen. Auch wo Rechtliches und Wirtschaftliches sich noch so innig durchdringen, soll die juristische Darstellung stets ein wesentlich anderes Bild geben wie die volkswirtschaftliche. Wo freilich im einzelnen Falle die Grenze gezogen wird, ist vor allem Frage des Taktes.
2. Grundsätzlich zu verwerfen ist die Methode, die gesetzlichen Bestimmungen im großen und ganzen als gleichwertig zu behandeln. Die Darstellung muß vielmehr die tatsächlichen Wertverhältnisse der Rechtssätze widerspiegeln. Sie kann ganze Gesetzesparagraphen oder selbst -abschnitte, wenn sie tot geblieben sind, beiseite lassen oder kurz abtun, um andere einzelne Bestimmungen, die sich im Rechtsleben als besonders wichtig erwiesen haben, - auch wenn ein prinzipielles Interesse dogmatischer Art fehlt -, um so ausgiebiger erörtern zu können. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Bestimmungen im Gesetz oder etwa in einer Ministerialverfügung stehen. Der wesentliche Inhalt und oft auch wichtige Einzelheiten mancher das Rechtsleben berührenden Verwaltungsverordnungen gehören in den Rechtsunterricht, auch den akademischen (man denke etwa an die Gerichtsvollzieherordnungen). 3. Wenngleich jede Rechtsdarstellung sich auf der Systematik aufbauen muß, die durch die logischen Grundverhältnisse der Rechtsordnung gegeben ist, so darf doch nicht übersehen werden, daß die systematische Gliederung nur ein Mittel zum Zweck übersichtlicher Darstellung ist und 1906 über "Die Methode des akademischen Unterrichts im Handelsrecht" an der Berliner Universität gehalten hat (auszugsweise abgedruckt in GeHers Oesterr. Zentralblatt für die juristische Praxis, 1907, S. 36 ff.). 7 So mit Recht Dr. F. Schulte in der "Frankfurter Zeitung" vom 15. Februar 1914.
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nicht zur Fessel für den Stoff selbst werden darf. Vielfach gehören nun die Gebilde des Rechtslebens mehreren Rechtsgebieten, insbesondere gleichzeitig dem öffentlichen und dem privaten Recht an. Je mehr eine Darstellung darauf ausgeht, das Rechtsleben in seiner Wirklichkeit zu erfassen, um so mehr wird sie genötigt sein, aus sachlichen und didaktischen Rücksichten über rein formal-systematische Gesichtspunkte hinwegzugehen. Eine völlig reine Durchführung der letzteren ist ohnehin ausgeschlossen. Niemand wird das private Erbrecht lehren, ohne gewisse der freiwilligen Gerichtsbarkeit angehörige Bestimmungen über Testamentsvollstreckung, Erbschein, Formen der Testamentserrichtung mit darzustellen; im allgemeinen Teil des bürgerlichen Rechts werden die gleichfalls in das öffentliche Recht gehörigen Vorschriften über das Vereinsregister und die Hinterlegung mitbehandelt usw. In dieser Hinsicht wird aber noch erheblich weiter gegangen werden können. In eine Darstellung des Hypothekenrechts gehört z. B. m. E., wie schon erwähnt, auch die Lehre von dem Recht der Hypothekeninstitute, obschon diese Lehre zum größten Teil öffentlichrechtlicher Natur ist. Heute wird sie deshalb aller Regel nach aus dem Hypothekenrecht ausgeschieden; an anderer Stelle aber wird sie auch nicht vorgetragen, weil sie eben nur im Zusammenhang mit dem Hypothekenrecht verständlich ist. Die Folge ist, daß diese so überaus wichtige Materie - es sind ca. 15 Milliarden deutscher Pfandbriefe im Umlauf - im Rechtsunterricht nur obenhin gestreift wird oder ausfällt. Ähnlich geht es mit anderen Stoffen, die sich in die hergebrachte Systematik nicht einfügen lassen, z. B. mit dem Gewerberecht und dem Taxwesen, das vielfach durch Rechtsnormen bestimmt und überhaupt für das Rechtsleben von hoher Bedeutung ist. 4. Der Paria unter den juristischen Materien ist das Kostenrecht, und das ist an sich wohl zu verstehen. Das Gedächtnis des lernenden Juristen mit Gebührenziffern und anderen Einzelheiten der Kostengesetze behelligen zu wollen, wäre verfehlt. Aber in manchen Punkten erhebt sich die Kostenfrage zu großer allgemeiner Bedeutung. Sie ist z. B. für das Verständnis des Unterschiedes deutscher und englischer Zivilrechtspflege wichtig. Aber auch der degressive Charakter des deutschen Kostenwesens, vermöge dessen die kleineren Objekte stark belastet, die größeren stark entlastet werden, ist ein charakteristischer Zug im Gesamtbilde des deutschen Prozesses. Weiter wird z. B. die Gestaltung unseres Konkurswesens immer mehr beeinflußt durch die übermäßige Ausdehnung der Vorschußpflicht des Antragstellers und dergleichen. Hiervon eine Vorstellung zu haben, ist nicht minder wichtig als etwa die Vorschriften über das Verfolgungsrecht oder die verschiedenen Theorien über die Rechtsstellung des Konkursverwalters zu kennen. Was nun das Stempel recht anlangt, so werden auch hier alle Einzelheiten der Praxis überlassen bleiben müssen. Aber der Einfluß der Stem-
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pelvorschriften auf die Gestaltung der Privatrechtsverhältnisse ist ein überaus wichtiges und interessantes Problem, das sowohl im Prinzip wie in seinen wichtigeren Einzelheiten nicht unberücksichtigt bleiben sollte. 5. Grundsätzlich zu brechen ist mit dem noch immer häufig angewandten Verfahren, die Darstellung, soweit partikularrechtliche Verhältnisse hineinspielen, auf die Verhältnisse des Bundesstaats zu beschränken, dem der Verfasser des Buchs angehört. Kann auch eine schematische, sämtliche Bundesstaaten berücksichtigende Vollständigkeit für den Lehrvortrag nicht in Betracht kommen, so müssen doch die charakteristischen Verschiedenheiten, die der Rechtsbildung in den einzelnen Teilen Deutschlands nach Lebensgewohnheit und Gesetz anhaften, zur vollen Geltung kommen. 6. Abzuweisen ist ferner die verbreitete Methode, den Erörterungen der geltenden Rechtsinstitute äußerlich angeklebte Betrachtungen darüber voranzuschicken, welche Sätze für das betreffende Rechtsinstitut in Rom und im mittelalterlichen Deutschland maßgebend waren. Abgesehen aber auch von dem in dieser Hinsicht anzutreffenden Schematismus wird aus den früher angedeuteten Gründen oft mehr Gewicht auf die letzten Jahrhunderte zu legen sein, soweit überhaupt für den Vortrag des geltenden Rechts das Zurückgehen auf die geschichtlichen Grundlagen wirklich notwendig ist. In jedem Falle wird man, wie schon bemerkt, auf die schulmäßige Heranziehung des römischen und des mittelalterlichen deutschen Rechts eher verzichten können als auf die vergleichende Betrachtung des Rechts der nichtdeutschen großen Kulturnationen. Der in besonderen Vorlesungen sich vollziehende rechtsgeschichtliche Unterricht bleibt von diesen Forderungen unberührt. Aber er gehöri, wie ja neuerdings schon vielfach dargelegt worden ist, nicht an den Anfang, sondern an das Ende des akademischen Unterrichts, und zwar auch im Interesse der Geschichtslehre selbst. Das Nächstverständliche ist die Gegenwart, sie erst gibt die Anschauung des Rechtslebens, vermöge deren wir die uns fremde Vergangenheit begreifen können. Der rechtsgeschichtliche Unterricht selbst wird mehr unter dem Gesichtspunkt auszugestalten sein, daß das geschichtliche Recht als Ausdrucksform einer bestimmten kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Entwicklungsstufe erscheint. 7. Das hier verfochtene Programm bedeutet auf der einen Seite eine Vermehrung, auf der anderen Seite aber auch eine wesentliche Verringerung des Rechtsstoffes. Schon die bescheidenere Rolle, die der Konstruktion zuzuweisen ist, kommt dabei in Betracht. Wohl wird es immer die wichtigste Aufgabe der praktischen und der seminaristischen übungen bleiben, bei Erörterung der einzelnen Streitfragen die darüber vorhandenen Konstruktionen und sonstigen Theoreme zu erörtern und zu 3 Nußbaum
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prüfen. Auch der systematische Rechtsunterricht kann nicht anders als wesentlich dogmatischer Art sein. Aber wenn er den Stoff mehr nach seiner allgemeinen Bedeutung für das Rechtsleben auswählt, wird er eine unendlic..~ viel größere Menge von Theoremen und Konstruktionen beiseite lassen können, soweit sie nämlich eine allgemeinere Bedeutung für das Rechtsleben nicht besitzen, was jeweils an der Hand der von der Praxis dargebotenen Erfahrungen zu beurteilen ist. Mit den auf solche Weise als unwesentlich erkannten Theoremen verschwinden zugleich die zahlreichen Exemplifikationen, die überflüssigerweise in den systematischen Lehrvortrag und namentlich die Lehrbücher hineingezogen zu werden pflegen, um die Existenzberechtigung der einzelnen Konstruktionen zu erweisen. Vor allem aber führt die anzustrebende größere Unabhängigkeit vom Gesetzestext dahin, den Lernenden mehr von den positiven Einzelheiten zu befreien. Ganz gewiß ist es unumgänglich, auch positive Einzelheiten zu lehren, aber es wird, wie besonders Zacharias mit Recht hervorgehoben hat, darin - eben in folge des Anklammerns an das Gesetz - viel zu weit gegangen. In der Praxis kann man sich bezüglich der Einzelheiten doch nicht auf sein Gedächtnis verlassen, sondern muß das Gesetz oder den Kommentar nachschlagen. Das Ziel des systematischen Vortrages kann nur sein, die leitenden Gedanken darzulegen und den Hörer zu befähigen, sich im objektiven Recht zurechtzufinden und die Einzelheiten richtig zu verstehen. Auch hier läßt sich theoretisch die Quantitätsfrage nicht entscheiden. Keinesfalls aber darf der Vortrag so sehr mit positiv-rechtlichen Details belastet werden, daß für die rechtstatsächliche Seite kein Raum mehr bleibt; dann müssen eben jene Details zurücktreten. Ein Gebiet, auf welchem die überfütterung mit Einzelheiten ganz besonders geübt wird, ist übrigens der Zivilprozeß. Gerade hier ist dem Lernenden mit Einzelheiten wenig gedient, da diese sich doch nur durch die Praxis einprägen können und nur durch sie Anschaulichkeit gewinnen. Umgekehrt ist die rechtstatsächliche Seite hier von besonderer Bedeutung und auch von besonders hohem Interesse. Während heute der Zivilprozeß vom Standpunkt des Rechtsjüngers aus im allgemeinen zu den trockensten Materien gehört, so würde sich dies beim Durchdringen der neuen Bewegung wesentlich ändern. 8. Was den Rechtsunterricht außerhalb der systematischen Vorträge und der Lehrbücher anlangt, so ist der Nutzen der praktischen übungen für die akademische Lehrzeit und den Vorbereitungsdienst heute so allgemein anerkannt, daß darüber kein Wort mehr zu verlieren ist. Nur eine kleine Anregung sei hier noch gestattet. Soviel mir bekannt, werden heute dem Lernenden fast durchweg nur Streitfälle zur Entscheidung vorgelegt. Im Rechtsleben handelt es sich aber - besonders häufig für den Anwalt, nicht selten auch für den Richter - nicht darum, eine
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streitige Frage zu bearbeiten, sondern den zur Erreichung eines bestimmten Zwecks zulässigen und gebotenen Weg herauszufinden. Ich denke hierbei nicht an die Taktik im engeren Sinne, die eine psychologische Einwirkung auf den Richter, auf eine Partei, auf einen Zeugen usw. erstrebt. Diese Taktik ist an sich zwar nichts Unzulässiges, namentlich ist die psychologische Einwirkung auf Zeugen oder Parteien zum Zwecke der Wahrheitserforschung im Rahmen des Gesetzes und der guten Sitte sogar notwendig, aber diese Dinge lassen sich m. E. im Rahmen von praktischen übungen nicht behandeln, schon weil sich der Komplex psychologischer Voraussetzungen, wie er sich im Leben ergibt, nicht auf künstlichem Wege darstellen läßt. Anders aber steht es mit der Entscheidung, welche von mehreren gesetzlichen Verfahrensmöglichkeiten im einzelnen Falle zweckmäßigerweise zu wählen sei, und mit der Auffindung dieser Möglichkeiten. Ich setze etwa folgenden Fall: X. erstreitet im Wechselprozeß gegen den Akzeptanten A. und den Aussteller B. ein verurteilendes Erkenntnis. Im Nachverfahren erhebt A. gegen den Wechselanspruch Einwendungen, die er nur durch das Zeugnis des B. beweisen kann. X., der mit B. unter einer Decke steckt, läßt diesem das Urteil nicht zustellen. In welcher Weise kann eine Vernehmung oder Eidesleistung des B. über die Einwendung gegen den Willen des X. und des B. herbeigeführt werden? Schwierige Lagen solcher Art, aus denen ein Ausweg gefunden werden muß, kommen dem Praktiker tagtäglich vor, und ihre Bearbeitung ist nicht nur vom dogmatischen Standpunkt ebenso lehrreich wie die Entscheidung von Streitfällen, sondern sie ist auch geeignet, den Sinn für den "Zweck im Recht" zu entwickeln. Aus dem gleichen Grunde würde es sich auch empfehlen, gelegentlich einfache Aufgaben aus dem Gebiet der Kautelarjurisprudenz (Entwürfe von Darlehns-, Dienst-, Kauf-, Schiedsverträgen, Wechselerklärungen u. dgl.) zu stellen. Großen Gewinn könnten schließlich von der Rechtstatsachenforschung die Dissertationen und die seminaristischen übungen ziehen. Zwar sind gerade auf einem Gebiet wie der Jurisprudenz, zu deren vollem Verständnis die Lebenserfahrung gehört, von Studierenden nur ganz selten erhebliche selbständige Leistungen zu erwarten. Aber gerade weil der junge Jurist die volle Reife des Urteils noch nicht besitzen kann, würden die Befähigteren unter den Rechtsjüngern dazu herangezogen werden können, aus irgend einem bestimmten Gebiet, am besten einem solchen, zu dem sie persönliche Beziehungen haben, Rechtstatsachen zu sammeln und sie unter Anleitung des Lehrers zu bearbeiten. Auf diese Weise könnten sie etwas wirklich Förderliches leisten und den eigentlichen Forschern einen Teil der Sammelarbeit abnehmen, die ja der einzelne doch nicht zu bewältigen vermag. Der durchschnittliche Dissertationstypus, der auf dem Zusammenstellen fremder Meinungen, allenfalls unter Aufstellung sogenannter eigener Mittelmeinungen beruht, bedarf wahrlich dringend der Aufbesserung.
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Die seminaristische Heranziehung zur Rechtstatsachenforschung wird z. B. ja bereits durch Ehrlich in seinem "Institut für lebendes Recht" geübt. Die Einrichtung solcher Institute fordert freilich gewisse prinzipielle Bedenken heraus. Man kann den Rechtsstoff nicht gewissermaßen in einen lebenden und einen toten Teil zerlegen und letzteren denen überlassen, die für eine derartige Anatomenarbeit Neigung haben. Solche Zerlegung des Stoffes verbietet sich nicht nur aus sachlichen, sondern auch aus didaktischen Gründen. Alles geltende Recht soll als ein lebendes gelehrt werden, und selbst das geschichtliche als ein lebend gewesenes; im Rahmen der bisherigen Teildisziplinen müssen sich die neuen Forderungen dereinst verwirklichen. Für die Übergangszeit mag indes die Schöpfung Ehrlichs berechtigt und sogar notwendig sein. Denn jedenfalls ist es besser, daß an einer Universität das lebende Recht im Rahmen einer besonderen Veranstaltung gelehrt werde als überhaupt nicht. Die einzige juristische Disziplin, die bereits heute eine volle Entwicklung im modernen Sinne zeigt, ist die "gesamte Strafrechtswissenschaft" , obschon auch hier der Unterricht den Fortschritten der Wissenschaft nicht durchweg gefolgt sein dürfte. Indessen steht die kriminalistische Arbeit unter ganz besonderen Bedingungen und Gesichtspunkten, weshalb wir sie auch in Vorstehendem beiseite gelassen haben. Was nun aber die übrigen Disziplinen anlangt, ganz besonders das Privatrecht (im weitesten Sinne), so wird, wer unserm Programm im wesentlichen beistimmt, zugeben müssen, daß der heutige Wissenschaftsbetrieb hinter den Anforderungen der Zeit zurückgeblieben ist. Der Grund dafür liegt m. E. in den Traditionen der gemeinrechtlichen Wissenschaft, die schon deshalb so stark wirken, weil wir fast alle unsere Ausbildung noch unter der Herrschaft des gemeinen Rechts empfangen haben. Die gemeinrechtliche Wissenschaft erhielt ihre charakteristische Ausprägung dadurch, daß das römische Recht der justinianischen Kompilationen dem deutschen Wirtschafts- und Geistesleben als etwas absolut Fremdes gegenüberstand. Um diesem Recht näher zu kommen, war man durchaus nicht genötigt, sich im Leben umzutun, und die Schwierigkeit, den gewaltigen, unübersichtlichen und antinomienreichen Stoff zu verarbeiten, war so groß, daß die Rechtsgelehrten daran vollauf zu tun hatten. So mußte sich jene Geistesrichtung herausbilden, die das Recht vorwiegend als etwas für sich Bestehendes, aus sich zu Erklärendes betrachtete, und sie wurde wesentlich gefördert durch die schon frühzeitig einsetzende Verdrängung des gemeinen Rechts aus der praktischen Geltung. Die dafür einströmenden Partikularrechte boten aber der wissenschaftlichen Betrachtung allzuwenig Reiz; namentlich galt dies von dem preußischen Allgemeinen Landrecht wegen seiner kasuistischen Fassung und seiner Abhängigkeit von der Rechtstheorie des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Dem römischen Recht blieb demgegenüber nicht nur der Glanz
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seiner weltgeschichtlichen und internationalen Bedeutung und die gegenüber der Wirklichkeit gewissermaßen transzendentale Idee seiner Allgemeingültigkeit, es war und ist vielmehr auch kraft seiner Begriffsschärfe, Großzügigkeit und Plastizität für die theoretische Bearbeitung in der Tat besonders geeignet. So ist es zu begreifen, daß die Wissenschaft bei ihm stehen blieb. Aber gerade in der Anwendung und Ausprägung als gemeines deutsches Recht fehlte dem römischen Recht der eigentliche Lebensnerv, der organische Zusammenhang mit dem Rechtsbewußtsein der Nation, und dieser Umstand mußte die Entwicklung der gemeinrechtlichen Doktrin notwendig in schädlichster Weise beeinflussen. Darin liegt die Ursache jener erschreckenden Unlebendigkeit, die uns heute aus den dogmatischen Erzeugnissen der gemeinrechtlichen Literatur entgegentritt, jenes Versteinerungszustandes, in den die einmal aufgeworfenen Streitfragen im Laufe der Jahrzehnte oder gar der Jahrhunderte - ohne Aussicht auf Erlösung durch die Praxis - allmählich gerieten; das wissenschaftliche Interesse war durchaus auf die Bücher statt auf die Erscheinungen des Rechtslebens eingestellt. Dieser Charakter der gemeinrechtlichen Wissenschaft ist in seiner Nachwirkung deshalb so gefährlich, weil ohnehin das juristische Denken der starken, nur durch ständige Selbstkontrolle zu bekämpfenden Versuchung ausgesetzt ist, lediglich die Begriffe gegeneinander arbeiten zu lassen, ohne sich die entsprechenden realen Interessen stets gegenwärtig zu halten. Die gemeinrechtliche Tradition verschärft und legalisiert diese gefährliche Tendenz. Auch die altüberkommene Arbeitsweise des gemeinrechtlichen Gelehrten spielt hier eine Rolle. Sein Handwerkszeug waren ausschließlich die Bücher, und zwar gewöhnlich eben nur der äußerlich so breite und sachlich doch so enge Kreis der Pandektenliteratur selbst. Wer aber Rechtstatsachenmaterial sammeln, überhaupt, wer in das Rechtsleben der Gegenwart tieferen Einblick gewinnen will, darf sich nicht auf die Bücher beschränken. Er ist meist genötigt, umfangreiche Korrespondenzen zu führen, Auskunftspersonen und Behörden zu befragen, die Tagespresse, besonders in ihren sogenannten Handelsteilen aufmerksam zu verfolgen usw. Für den, der vom gemeinen Recht herkommt, sind solche Arbeitsformen höchst ungewohnt, das anerzogene Gefühl sträubt sich dagegen in mehr als einer Hinsicht. Diese psychischen Hemmungen bilden meiner überzeugung nach einen der wichtigsten Erklärungsgründe für den Beharrungszustand unserer Disziplin. Vom Standpunkt der gemeinrechtlichen Wissenschaft aus war es auch verständlich, daß auf die praktische Vorbildung der Rechtslehrer kein Gewicht gelegt wurde. Selbst diese Tradition, über deren Schädlichkeit sowohl an sich wie namentlich unter den heutigen Verhältnissen kein
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Zweifel mehr sein sollte, wird vielfach tatsächlich und vereinzelt sogar prinzipiell aufrecht erhalten. So führt Jacobi, ordentlicher Professor an der Universität Münster, in seiner Schrift "Die Ausbildung der Juristen" (Münster 1912) mit einer bemerkenswerten Entschiedenheit aus, es sei nicht erforderlich, daß der Rechtslehrer auch nur das Assessorexamen abgelegt habe, die Lehrbefähigung habe mit der Praxis "gar nichts" zu schaffen. Er deutet sogar an, daß die Praxis für die Theorie verderbe. Nun soll ohne weiteres zugegeben werden, daß für einige wenige Fächer, namentlich Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie, die praktische Vorbildung von verhältnismäßig geringer Bedeutung ist. Dagegen ist sie für das volle Verständnis des bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts, des Strafrechts, des Prozesses, kurz aller der Materien, die den eigentlichen Kern der Jurisprudenz ausmachen, nicht zu entbehren, wenn sie auch ausnahmsweise einmal durch geniale Begabung ersetzt zu werden vermag. Daß die Lehrbefähigung mit der Praxis nichts zu tun habe, ist ein Scheinargument. Mit seiner Hilfe kann auch bewiesen werden, daß man Chirurgie lehren könne, ohne operiert zu haben. Wenn die Lehrbefähigung fruchtbar sein soll, so muß zu ihr eben das sachliche Können hinzutreten, wie es vom Juristen durch bloßes Bücher- und Vorlesungsstudium nicht erworben werden kann. Darum ist es auch mit der Absolvierung des Assessorexamens durchaus nicht getan. Nur die Selbständigkeit und volle Verantwortung, die dem Referendar leider versagt bleiben, können die juristische Urteilskraft zur vollen Entwicklung bringen; das hat wohl noch jeder Praktiker an sich selbst erfahren und wird auch anscheinend von Jacobi (S. 61) nicht verkannt. Das Ideal ist deshalb die - in der Medizin ja allgemein anzutreffende - dauernde berufliche Verbindung des Lehrberufs mit der Praxis, und Männer wie Wach, Fr. Stein, R. Schmidt, Otto Fischer, Danz und noch viele andere haben gezeigt oder zeigen, daß solche Verbindung auch für den Juristen möglich ist. Freilich muß zugegeben werden, daß die daraus entspringenden Anforderungen zu groß sind, um auf die Dauer erfüllt zu werden, und daß sie eine ganz außerordentliche Arbeitskraft verlangen. Aber es sollte doch wenigstens in dieser Hinsicht das Mögliche geschehen und der praktischen Vorbildung erheblich größere Bedeutung beigemessen werden. Daß dem Rechtswissenschaftsbetrieb tiefgreifende Veränderungen bevorstehen, kann heute schon mit Sicherheit angenommen werden, wenn auch die Überwindung der Widerstände noch geraume Zeit in Anspruch nehmen wird. Aber es ist wohl keine Selbsttäuschung zu behaupten, daß die Forderungen unseres Programms, im ganzen genommen, nicht eine Einzelmeinung, sondern den Ausdruck einer weit verbreiteten Auffassungsweise bilden. Von zahlreichen Seiten sind schon gleiche oder ähnliche Forderungen theoretisch gestellt worden und es sind, was vielleicht noch wichtiger ist, gerade in neuester Zeit mannigfache wertvolle Unter"
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suchungen erschienen, die unsere Kenntnis von den Tatsachen des Rechtslebens bereichert und neue Gesichtspunkte für eine der Wirklichkeit entsprechende Beurteilung der Rechtsbildungen gebracht haben. Ich erinnere nur an Flechtheims "Deutsches Kartellrecht" , an Wüstendörfers "Studien zur modernen Entwicklung des Seefrachtvertrages" und an das allerdings schon etwas weiter zurückliegende monumentale Werk Lotmars über den Arbeitsvertrag; auch einige vielversprechende Erstlingsarbeiten wie Heinrich Veit-Simons "Interimspapiere" und Paulys "Schuldverschreibungen auf den Inhaber" sind hier zu nennen. Leists "Privatrecht und Kapitalismus" gehört streng genommen vielleicht nicht hierher, weil das Kernproblem, nämlich die Einwirkung der Privatrechtsentwicklung auf die Ausbildung des Kapitalismus, wirtschaftswissenschaftlicher Natur ist und Leist auf die Tatsachen wenig eingeht; immerhin kann das Werk als ein bedeutsames Zeugnis für die Abkehr von der "absoluten" Rechtsbetrachtung angesehen werden. Es wird nicht ausbleiben können, daß durch die Macht der Strömung die Rechtswissenschaft allmählich auch im ganzen schneller vorwärts getrieben wird. Dahin wirken schon die Lernenden selbst, die, wie wohl überall zu beobachten ist, durch das lebendige Recht angezogen, durch dürre Dogmatik aber abgestoßen werden. Auch die besonderen Fortbildungskurse, die zum Teil durch die Lücken des akademischen Rechtsunterrichts bedingt sind, können auf diesen schließlich nicht ohne Rückwirkung bleiben. Mit innerer Notwendigkeit wird sich einmal die Einheit des juristischen Wissenschaftsbetriebes wiederherstellen - freilich nicht auf dem Wege einer Abwehr der neuen Gedanken, sondern auf dem der systematischen Bereicherung des überkommenen Lehrstoffes.
Anhang Im folgenden stelle ich verschiedene dem vorstehenden Programm entsprechende Themata zusammen, die m. W. bisher entweder überhaupt keine oder keine eingehendere Behandlung gefunden haben, einer solchen aber bedürfen. Der Hauptteil der Beispiele ist im Anschluß an mein Buch dem Hypothekenrecht entnommen. Der Rest der Beispiele soll zeigen, daß die veränderte Fragestellung sich sogar für den allgemeinen Teil der bürgerlichen Rechtslehre als fruchtbar erweist, obschon dieser seiner Natur nach sich unserem Programm gegenüber am sprödesten verhält; die letztgenannten vier Themata beziehen sich auf verschiedene Gebiete und sind deshalb aufgeführt, weil sie mir besonders wichtig erscheinen. Gerichtsverfassung, Prozeß und Konkurs sind absichtlich beiseite gelassen; hier braucht man nur hineinzugreifen, um Themata rechtstatsächlicher Art in Menge zu finden.
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A. Hypothekenwesen einschließlich Zwangsversteigerung
Die Ziffern in den Klammern beziehen sich auf die Seiten meines "Deutschen Hypothekenwesens" (1913) 1. Der Stand der Grundbuchanlegung in den deutschen Kleinstaaten (2). 2. Die tatsächliche Gestaltung des Hypothekenwesens in den deutschen Schutzgebieten (2). 3. Die Zuverlässigkeit des Katasters für die Zwecke des Immobiliarund Hypothekenverkehrs unter Berücksichtigung der verschiedenen Landesteile (7). 4. Die städtischen Grundbuchämter in Mecklenburg und Baden (10). 5. Das tatsächliche Anwendungsgebiet und die praktische Verwertbarkeit der Vorrangseinräumung (10). 6. Das tatsächliche Anwendungsgebiet und die praktische Verwertbarkeit des Rangvorbehalts (25). 7. Das tatsächliche Anwendungsgebiet und die praktische Verwertbarkeit des Widerspruchs (32). 8. Desgl. der Vorbemerkung (34). 9. Desgl. der verschiedenen Grundpfandformen (Buch- und Briefhypothek, Sicherungshypothek, Grundschuld, Rentenschuld) (43). 9a. Unterthema. Die überbrückung der theoretischen Unterscheidungsmerkmale zwischen Verkehrshypothek, Sicherungshypothek und Grundschuld durch die Praxis (42,137). Vgl. jetzt noch RG in JW 1914, 197. 10. Die tatsächliche Gestaltung des Verfahrens bei Eintragung neuer Briefhypotheken und die Zweckmäßigkeit der verschiedenen dabei angewandten Formen (47). 11. Das Durchdringen des Prinzips der Eigentümerhypothek in den verschiedenen deutschen Landesteilen (51). 12. Die Bedeutungslosigkeit der sogenannten forderungsbekleideten Eigentümerhypothek (53, 59 f.). Die dort noch angenommene Bedeutung ist jetzt noch weiter wesentlich verringert durch RGZ 80, 320. 13. Das tatsächliche Anwendungsgebiet und die praktische Verwertbarkeit der Löschungsvormerkung aus § 1179 BGB (57/58). 14. Reverse gegenüber einer Hypothek (61/62). 15. Anpassung des Hypothekenzinsfußes an wechselnde Geldmarktverhältnisse (62). 16. Rechtsformen und Durchführung der Amortisation bei Hypotheken. Hierzu eine vortreffliche, aber nicht abschließende Arbeit von Sachs, Iher. Jahrb. 58, 321 ff. Spätere Bearbeiter seien auf den Geschäftsbe-
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richt der Pfälzischen Hypothekenbank für das Geschäftsjahr 1912 hingewiesen. Wie auch durch diesen bestätigt wird, liegen hinsichtlich der Amortisationshypotheken die Verhältnisse in den einzelnen deutschen Ländern sehr verschieden. 17. Abschlußprovision und Damno bei Hypotheken (68). 18. Der Hypothekensicherungsschein (81). 19. Der Nießbrauch als Mittel hypothekarischer Sicherung (83). Hierüber jetzt der Aufsatz von Goldmann, Gruchots Beiträge 57, 617 ff., der sich jedoch auf gewisse allgemeinere Gesichtspunkte beschränkt. 20. Das tatsächliche Vorkommen der Gesamthypothek und die tatsächliche Durchführung der gesamthypothekarischen Haftung (86). 21. Revenuenhypotheken nach den wichtigeren deutschen Landesrechten (91). 22. Der außergrundbuchliche Umlauf der Hypothekenbriefe (94/95). 23. Die Abtretung einer Hypothek zur Sicherheit (94). Vgl. jetzt noch Reichsgericht JW 1913, 927. 24. Mißbräuche beim Lösungsrecht und ihre Vereitelung (100). 25. Die tatsächliche Anwendung des § 416 BGB (106). 26. Vorteile und Nachteile derVerkehrsformen bei Ablösung einer Hypothek durch einen neuen Geldgeber (108). 27. Aufgabe des Grundeigentums zu unlauteren Zwecken und Mittel der Bekämpfung (110). 28. Die üblichen Fälligkeitsklauseln für Hypotheken und ihre Auslegung in der Praxis (112). 29. Hypothekenteilklagen (115). Die hierbei auftretenden Zweifelsfragen habe ich in dem Buch nicht berührt. 30. Die vollstreckbare hypothekarische Urkunde (115). 31. Die Rechtsstellung des Hypothekars bei Veränderung und Abbruch des belasteten Gebäudes (118). 32. Die Sicherungshypothek in Baden und Elsaß-Lothringen (119). 33. Anwendungsgebiet und praktische Verwertbarkeit der eigentlichen und der verdeckten Sicherungshypothek (120 ff.). 34. Hypothekarisch gesicherte Anleihen unter Berücksichtigung der typischen Anleihebedingungen (122 ff.). 34a. Unterthema: Rechtsverhältnis zwischen Anleihegläubiger und Treuhänder (§ 1189 BGB). 34b. Unterthema: Treuhänder und Gläubigervertreter. 35. Hypotheken für öffentlichrechtliche Ansprüche. 36. Die Entstehung der Grundschuld in Mecklenburg.
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Bei dieser Untersuchung wird sich möglicherweise herausstellen, daß man in Mecklenburg bei Schaffung der abstrakten Grundstücksbelastung gar nicht beabsichtigte, etwas praktisch oder dogmatisch Neues einzuführen, sondern die Unterscheidung zwischen abstrakter und kausaler Belastung erst durch die Theorie aufgegriffen und (m. E. künstlich) vertieft worden ist. 37. Tatsächliches Anwendungsgebiet und Verwertbarkeit der Grundschuld (134). 38. Die Formen, Anwendungsgebiete und Anwendungsmöglichkeiten der Rentenreallast (141 ff.). 38a. Unterthema: Rentenreallast und Rentenschuld (140/143). 38b. Unterthema: Die Anwendung hypothekenrechtlicher Grundsätze auf die Rentenreallast (143). 39. Die Beeinträchtigung des übernahmesystems in der Zwangsversteigerung durch Vertrag und Gesetz (147 f., 157). 40. Die tatsächliche Gestaltung des Bieterkreises in der Zwangsversteigerung (148). 41. Die GmbH in der Zwangsversteigerung (149). 42. Die Ausbietungsgarantie (153). Der gedankenreiche Aufsatz von Stillschweig, JW 1914, 334 ff. hat die erste genauere Erörterung dieses Themas gebracht, er läßt jedoch noch mannigfache Fragen offen. 43. Die Einstellung der Immobiliarzwangsversteigerung in einzelne mithaftende Gegenstände (154 f.). 44. Das Verhältnis zwischen Konkurs und Zwangsverwaltung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht (155). 45. Das Vorrecht des betreibenden Gläubigers auf Ersatz seiner Aufwendungen (§ 10 ZVG) (156). 46. Das Vorrecht der öffentlichen Lasten in der Zwangsversteigerung (157). über die Gemeindeabgaben jetzt eingehend Lüttich ArchBürgR 37, 399 ff. Wichtig ist für das Thema die Scheidung städtischer und ländlicher Verhältnisse. 47. Welche Maßnahmen könnten durch Gerichtspraxis, Justizverwaltung und Gesetzgebung getroffen werden, um bei der Zwangsversteigerung die Bietungslustigen besser über die Verhältnisse des Grundstücks zu unterrichten? (161 f.). 48. Die "Abänderung der Versteigerungsbedingungen" unter Berücksichtigung ihrer typischen Fälle (164). 49. Das Abhalten vom Mitbieten oder Weiterbieten in der Zwangsversteigerung (166).
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50. Die praktische Durchführung der Zwangsversteigerung bei Gesamthypotheken (171). 51. Die tatsächliche Gestaltung des Verteilungsverfahrens, insbesondere des Verteilungstermins, in den verschiedenen deutschen Landesteilen (174). 52. Die grundbuchamtlichen Maßnahmen nach Abschluß der Zwangsversteigerung unter gesetzpolitischer Berücksichtigung der dabei hervortretenden Mängel (177). 53. Die gerichtliche Verwaltung aus § 94 ZVG. 54. Verbindung der Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung (177). 55. Verhältnis zwischen Zwangsverwalter, Konkursverwalter, Nießbraucher, Eigentümer (179). 56. Organisation des Zwangsverwalteramts in den größeren deutschen Bundesstaaten (179). 57. Die Rechtsstellung des Zwangsverwalters, insbesondere Umkreis und Kontrolle seiner Verwaltung. Vgl. hierzu den lehrreichen Vortrag von Schwartz in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin (Jahresbericht derselben für 1913). Das Thema berührt sich zum Teil mit Thema Nr. 55. 58. Die landschaftliche Zwangsverwaltung (180). 59. Berechnung des deutschen Hypothekenbestandes (185). 60. Zwangsversteigerungsstatistik für das Reich unter Berücksichtigung der verschiedenen Verhältnisse in den einzelnen Bundesstaaten (188). 61. Die typischen grundbuchlichen Angaben des hypothekarischen Schuldgrundes unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung (193). 62. Erste und zweite Hypothek (194). 63. Mündelsicherheit bei Hypotheken (202). 64. Rechtliche und tatsächliche Stellung der Makler im Hypothekenverkehr (207). 65. Modalitäten der Sparkassenhypotheken (210). 66. Die Modalitäten der von öffentlichen Versicherungsanstalten ausgegebenen Hypotheken (212). 67. Die Modalitäten der von Genossenschaften, insbesondere ländlichen ausgegebenen Hypotheken (215). 68. Die von kirchlichen Anstalten ausgegebenen Hypotheken (215). 69. Die Rechtsformen der Geschäftstätigkeit bei Baubanken (216). 70. Das Sonderrecht der Rittergüter seit der Rezeption (226). 71. Die sogenannten Garantien der landschaftlichen Pfandbriefe in rechtlicher und gesetzpolitischer Hinsicht (231).
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72. Das Pfandbriefdarlehn in rechtlicher Beziehung (238). 73. Der landschaftliche Tilgungsfonds, besonders in der Zwangsversteigerung (240). 74. Organisation und Rechtsstellung der städtischen Hypotheken- und Pfandbrief ämter (245). 75. Die Rechtsgeschäfte der Besitzbefestigungsbanken (248). 76. Die Beleihungsgrenze für Hypothekenbanken und Versicherungsgesellschaften (257). Im einzelnen ist darüber besonders in der Tagespresse schon sehr viel geschrieben, eine umfassende, systematische Erörterung des wichtigen Gegenstandes fehlt jedoch. 77. Die gemeinschaftlichen Rechte der Pfandbriefgläubiger mit besonderer Berücksichtigung der Verschiedenheiten der einzelnen Pfandbriefserien (267). 78. Schutzvereinigungen von Anleihegläubigern (268). 79. Die Rechtsformen der Organisation des zweitstelligen Realkredites (275). Neue Bahnen sind hier durch den 1913 von der Stadt Berlin-Schöneberg gegründeten "Berlin-Schöneberger Hypothekenbankverein" eingeschlagen. 80. Baugeldvertrag (284). 81. Treuhänder bei Bauhandwerker- und anderen Hypotheken (299). 82. Die Verschuldungsgrenze (307). 83. Hypothekarische und rentenmäßige Belastung der Rentengüter (314). 84. Rechtsgrundlagen des Taxwesens (316). B. A n der e T h e m a t a aus dem bürgerlichen Recht 85. Gewohnheitsrecht und Usance in ihrem tatsächlichen und rechtlichen Verhältnis. Die Untersuchung dürfte ergeben, daß die tatsächliche Geltung des Gewohnheitsrechts heute eine ganz verschwindende ist. Um so größer wird zusehends die Bedeutung der Usancen. 85a. (Unterthema) Die Kodifikationen der Verkehrsgebräuche. 86. Die Anwendungen der Form des nichtrechtsfähigen Vereins. Der nichtrechtsfähige Verein ist die fast ausschließliche Form für Bohrgesellschaften, Arbeitergewerkschaften, nicht eingetragene Genossenschaften (Wygodzinski, Die neue re Entwicklung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens, S. 7, schätzt allein für die Rhein-
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provinz die Zahl der Genossenschaften, die sich nicht dem Genossenschaftsgesetz unterstellt haben, der sogenannten "Kasinos", auf etwa 1000). Sie ist eine häufige Form für Kartelle, Kriegervereine (Juristische Wochenschrift 1913, S. 737), Studentische Vereine, Vergnügungsvereine usw. Der verschiedene Zweck drückt sich durchweg in der rechtlichen Organisation aus; man denke z. B. an die wichtige Frage der Zubußen pflicht bei Bohrgesellschaften. Dieselbe Fragestellung ergibt sich für die eingetragenen Vereine, Aktiengesellschaften und namentlich die GmbH. Hier fehlt es überall an den erforderlichen Untersuchungen. 87. Die Anwendungen der Formen des eingetragenen Vereins. 88. Formularmäßige Verträge, insbesondere Formularvereinbarungen durch Interessentengruppen. Die fortschreitende Organisation sowohl der einzelnen Großbetriebe wie ihrer korporativen Zusammenfassungen, überhaupt des ganzen Wirtschaftslebens und der öffentlichen Verwaltungen drückt sich in der zunehmenden Verwendung typischer rechtsgeschäftlicher, bis ins einzelne durchgebildeter Formulare aus. Die für die Auslegung solcher Formulare und für die Behandlung gewisser Einwendungen maßgebenden Grundsätze bieten ein unmittelbares dogmatisches Interesse, und in rechtstatsächlicher Hinsicht sind die auf dem Wege der Formularverbreitung sich geltend machenden Einflüsse für das Verständnis der Rechtsgestaltungen oft von entscheidendem Einfluß (vgl. z. B. wegen des Einflusses amtlicher Formulare auf die Gestaltung des Hypothekenwesens in Baden und Elsaß-Lothringen mein "Deutsches Hypothekenwesen", S. 119 f.). Von besonderer Bedeutung sind die typischen Vertragsformulare (Vertragsbedingungen), die zwischen Interessentengruppen mit Wirkung für ihre beiderseitigen Mitglieder aufgestellt werden. Dieses Vertragsrecht zweiter Instanz, welches bisher nur auf dem Gebiete des Arbeitstarifvertrages Beachtung gefunden hat, ist eine allgemeine Erscheinung, die sich z. B. im internationalen Getreidehandel (vgl. Jöhlinger, Praxis des Getreidegeschäfts, S. 125 ff.) und auch auf anderen Gebieten geltend macht. Diese Dinge sollten in keinem allgemeinen Teil eines Lehrbuchs des bürgerlichen Rechts unerörtert bleiben. 89. Der Einfluß des Stempelrechts auf die Gestaltung der Privatrechtsformen. Der Gesichtspunkt der Stempelersparnis ist einer der wichtigsten Faktoren für die Gestaltung der Privatrechtsformen, und eine zusammenfassende wissenschaftliche Untersuchung hierüber, die zugleich die Grenzen der erlaubten Ersparnis und der unzulässigen Hinterziehung zu bezeichnen hätte, von höchstem Interesse.
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90. Die Anonymität und Namensverdeckung als bestimmender Faktor der Privatrechtsbildung. Der Wunsch, bei Unternehmungen geschäftlicher oder finanzieller Art in der Öffentlichkeit nicht erkannt zu werden, führt sehr häufig zu Deckformen und damit zur Entstehung eigenartiger Rechtskombinationen. Es braucht sich dabei durchaus nicht um unerlaubte Zwecke zu handeln. Hauptmittel zur Wahrung der Anonymität ist die GmbH, auf sachenrechtlichem Gebiet die Grundschuld. 91. Die praktische Bedeutung der Vorschriften über Selbsthilfe und Selbstverteidigung (§§ 227 ff.). Sie wird sich bei näherer Untersuchung m. E. als verschwindend herausstellen, abgesehen vom § 225 (Notstand) und gewissen mittelbaren Folgen strafrechtlicher Art. 92. Die Rechtsformen der Erschließung von städtischem Baugelände. Verträge der Terraingesellschaften mit den Stadtgemeinden, Parzellenkäufern, Bauunternehmern usw. 93. Die praktische Geltung des Besitzrechts. Wolff, Sachenrecht, S. 42, bemerkt, daß Besitzschutzklagen in der Praxis zu den Seltenheiten gehören, das französische, englische und spanische Recht kenne einen Besitzschutzprozeß überhaupt nicht. M. E. haben die Besitzklagen - außer der Immissionsklage des Mieters, die aber nur ein Lückenbüßer für die leider fehlende Wirkung des Mietrechts gegen Dritte ist und im Grunde petitorischen Charakter hat - praktisch überhaupt keine nennenswerte Bedeutung, und das gilt auch von der Klage aus früherem Besitz (§ 1007 BGB). In einer mehr als 15jährigen Erfahrung ist mir nur ein angeblicher Besitzprozeß vorgekommen, und dieser war in Wahrheit eine negatoria mit dem irrtümlich formulierten Antrage, daß der Beklagte sich weiterer Störungen des Besitzes (nämlich des Eigentümers) enthalten solle. Die überflüssige oder mißverständliche Heranziehung der possessorischen Elemente läßt sich m. E. auch an dem geringen bisher veröffentlichten Entscheidungsmaterial über Besitzprozesse großenteils dartun. Auch die Vorschriften über Selbsthilfe bei Besitzstörung und Entziehung führen eine papierne Existenz. Der Besitz erscheint m. a. W. praktisch nicht als selbständiges Rechtsinstitut, sondern nur als Stück anderer rechtserheblicher Tatbestände, insbesondere der Eigentumsübertragung. Die positivrechtliche Gestaltung und namentlich die literarische Behandlung des Besitzrechts beruhen ganz und gar auf überlebter, gemeinrechtlicher Tradition (vgl. die fortdauernden Untersuchungen über animus und corpus possessionis usw.). Die Zurückführung des Besitzrechts auf seine wirkliche Bedeutung wäre eine sehr dankbare Aufgabe. Es gilt nicht nur einen
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Schlupfwinkel verstaubter Theoreme auszuräumen, sondern auch den Rechtsunterricht von einem schweren Ballast zu befreien. 94. Der Ersatz der Entmündigung durch die Pflegschaft des § 1910 BGB in der Praxis. 95. Die Erbenhaftung in der Praxis. Sie erhält ihre charakteristische Abweichung gegenüber dem Plane des Gesetzes dadurch, daß die Nachlaßverwaltung sich durchaus nicht hat einbürgern können und m. E. fast gar nicht vorkommt. Auch das Aufgebot der Nachlaßgläubiger ist eine höchst seltene Erscheinung. Daß und wie man auch ohne diese Behelfe praktisch auskommt, ist sehr bemerkenswert, bedarf aber durchaus noch der Aufklärung.
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Die juristische Betrachtungsweise kann, bei gleichem Gegenstande, mehr formaler oder mehr realistischer Art sein. Man braucht nur an Windscheid und Demburg zu denken, um sich diesen Gegensatz vor Augen zu führen, der so alt ist wie die Rechtswissenschaft selbst und sich z. B. schon bei den großen römischen Juristen findet. Es handelt sich dabei zunächst um ein Problem der Individualität, daneben aber auch um ein massenpsychologisches, nämlich um ein solches der Zeitalter; man kann z. B. die Glossatoren in gewissem Sinne mehr der formalen, die Postglossatoren mehr der realistischen Richtung zurechnen. In jedem Falle steht es fest, daß die realistische Betrachtungsweise an sich keineswegs ein modernes Erzeugnis ist. Und doch glaube ich, daß die Forderung der sogenannten "Rechtstatsachenforschung"l (= RTF.) etwas Neues bringt. Sie geht davon aus, daß die Kenntnis der Realien des Rechtslebens nicht lediglich der individuellen Erfahrung, d. i. dem Zufall überlassen bleiben dürfe. Sie fordert daher ihre methodische Durchforschung und begriffliche Verarbeitung, also die Einfügung der Realien in das System der Rechtswissenschaft. Anders ausgedrückt: Die naive Behandlung der Realien ist durch eine wissenschaftliche zu ersetzen. Diese wird hier wie anderwärts zeigen, daß das scheinbar Einfache und Selbstverständliche in Wahrheit vielfältig zusammengesetzt, das scheinbar Vereinzelte beziehungsreich und das scheinbar Zufällige notwendig ist. Der Grundgedanke ist also zunächst ein wissenschaftlicher: Es handelt sich um ein Problem des Erkennens, ihm liegt die Einsicht zugrunde, daß das Recht sich keineswegs so mit dem wirklichen Recht deckt, wie es die Schulmeinung lehrt. Je mehr sich diese Einsicht durch die neuere wirtschaftliche Entwicklung und vor allem durch die erschütternden Erlebnisse der letzten Jahre verallgemeinert und vertieft hat, um so stärker wird sich der Jurisprudenz das Bedürfnis nach einer Erforschung der Rechtswirklichkeit aufdrängen. Leider ist der beginnende Umbildungsprozeß durch das allgemeine Darniederliegen der wissenschaftlichen Arbeit vorerst aufgehalten worden. 1 Vgl. Nußbaum: Die Rechtstatsachenforschung (1914), abgedruckt oben S.18-47.
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Die neue Forschungsrichtung geht von einem erweiterten Normenbegriff aus, neben dem übrigens für die Dogmatik der überkommene Normenbegriff als ein engerer, mehr technischer bestehen bleibt. Ihr Gegenstand sind schlechthin die allgemeinen Regeln, die das Verhalten der Rechtsgenossen in rechtlich bindender Weise bestimmen (Normen in weiterem Sinne). Die außergesetzlichen Normen dieser Art lassen sich ihrer Entstehung nach in zwei große Gruppen teilen, solche, die sich allmählich durch Gewohnheit bilden, und solche, die durch bestimmte rechtsschöpferische Akte ins Leben gerufen werden. Zu der ersten Gruppe gehört das Gewohnheitsrecht, dessen Bedeutung für die neuere Entwicklung von der historischen Schule so sehr überschätzt wurde2 • Es ist eine außergesetzliche Norm im engeren Sinne. Zu den auf Gewohnheit beruhenden außergesetzlichen Normen im weiteren Sinne gehören sodann die Verkehrsbräuche, zumal die Handelsbräuche. Sie können es oft genug mit den wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen an Bedeutung aufnehmen. Man denke etwa an die Regel, daß wer die Führung eines Bankkontos in verkehrsüblicher Weise bekanntgibt, überweisungen auf dieses Konto als Zahlungen gegen sich gelten lassen muß. Die RTF. verlangt die systematische Ermittlung der Verkehrsgebräuche, ihrer Inhalte und Geltungsbereiche, nicht minder aber auch die Untersuchung ihres Zustandekommens und der Methoden ihrer Feststellung. Die neuerdings ausgebrochene Meinungsverschiedenheit3 über Art und Wert der amtlichen Auskünfte, die von den Handelskammern über das Bestehen der Handelsbräuche den Gerichten erstattet zu werden pflegen, gehört in diesen Zusammenhang. Gewohnheitsmäßige Bildungen von allgemeiner Bedeutung sind aber neben den Verkehrsbräuchen auch die typischen Rechtsgeschäfte. Solche pflegt besonders die Kautelarjurisprudenz (Notariatspraxis) hervorzubringen. Ein Beispiel bildet etwa die Abrede des Sicherungsnießbrauchs, die ich an anderer Stelle näher geschildert habe'. Andere Rechtsgeschäftstypen gehen unmittelbar aus dem Geschäftsverkehr hervor. Diesen Ursprung zeigen z. B. die verschiedenen Kartellierungsformen (Flechtheim5 ), das Vinkulationsgeschäft (Breit 6), die Formen des Seeschiff-Bauvertrages (Wüstendörfer7 ) usw. Dies sind nur einige literarisch besonders bekannt gewordene Beispiele. Zahlreiche andere ließen sich unschwer beibringen. Gerade hier liegt eine äußerst dankbare Vgl. ArchBürgR. 42,143 ff., abgedruckt unten S. 95-109. RuW 1920, S. 100; Dove, ebd., S. 133; Nußbaum: Tatsachen und Begriffe im deutschen Kommissionsrecht (Beitr. zur Kenntnis des Rechtslebens, Heft 1), i. f. zit. als "Kommissionsrecht", S. 56. 4 Das Nießbrauchsrecht unter den Gesichtspunkten der RTF. (Beitr. zur Kenntnis des Rechtslebens, Heft 2), i. f. zit. "Nießbrauchsrecht", S. 20 ff. S Flechtheim: Das Kartellrecht (1912), sowie Geiler bei Düringer-Hachenburg HGB IV, S. 305 ff., dort auch weitere Literatur. 6 Breit: Das Vinkulationsgeschäft (1908). 7 Wüstendörjer: Tatsachen und Normen des Seeschiffbaues (1920). 2
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Schreiber,
4 Nußbaum
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Aufgabe der RTF., zumal infolge der wirtschaftlichen und politischen Umwälzung allenthalben neue Formen entstehen und die vorhandenen sich ändern. Auf rechtsschöpferischem Akt beruht zunächst die Autonomie. Sie ist eine Norm im engeren Sinne, gewissermaßen ein Partikulargesetz zweiten Ranges. Im herkömmlichen Schema der Zivilistik hat sie bereits ihren Platz, doch ist es auch ihr widerfahren, daß ihre Bedeutung (auf germanistischer Seite) stark überschätzt worden ist. Für die Gegenwart kann ihr nur sehr geringe Bedeutung beigemessen werden. Sehen wir hiervon ab, so sind die rechtsschöpferischen Akte, aus denen die Normen in weiterem Sinne hervorgehen, entweder vertraglicher oder einseitiger Art. Vertragliche Normen sind natürlich vor allem die Tarifverträge, deren gesetzähnliche Wirkung jetzt für Deutschland durch die revolutionäre Verordnung vom 23. November 1918 (RGBl. 1456) stark ausgebaut worden ist. Hier handelt es sich um Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmergruppen. In dieselbe Kategorie fallen aber auch Vereinbarungen anderer Interessentengruppen, sofern die Vereinbarungen dazu bestimmt sind, den Angehörigen der betreffenden Gruppen als allgemeine Rechtsgrundlage des künftigen rechtsgeschäftlichen Verkehrs zu dienen. Derartige übereinkommen sind z. B. in der Vorkriegszeit abgeschlossen worden zwischen den deutschen Getreideimporteuren und den ausländischen Getreideexporteuren8 , und in neuester Zeit dehnt sich diese Erscheinung auch auf den innerstaatlichen Verkehr in der Form von Vereinbarungen zwischen Organisationen der Produzenten mit denen der Händler bzw. Verbraucher aus. Neben derartigen vertraglichen Formen finden wir aber auch einseitige Normenschöpfungsakte da, wo eine mächtige Organisation die für den Rechtsverkehr mit ihr künftig allgemein maßgebenden Regeln einseitig festsetzt, wie dies namentlich seitens der Versicherungsgesellschaften geschieht. Im Einzelfalle erlangen sie freilich Wirkung nur durch Zustimmung des anderen Teils, aber daß sich in dieser vertragsrechtlichen Folge ihre Wirksamkeit nicht erschöpft, hat bereits das Reichsgericht anerkannt, indem es derartige Bedingungen als revisible Rechtsnormen behandelt9 • In der Mitte zwischen gewohnheitsmäßigem Wirken und rechtsschöpferischem Akt steht bisweilen die Tätigkeit der Handelskammern und anderer hervorragender Handelsorgane (z. B. der Börsenvorstände) bei der Kodifikation von Handelsgebräuchen. Hierbei pflegen z. T. gewohnheitsmäßige Elemente übernommen, aber auch neue hinzugefügt zu werden 10 • 8 So der "deutsch-niederländische Vertrag", Jöhlinger: Praxis des Getreidegeschäfts 2, S. 127 ff., oder der La Plata-Grain-Vertrag, RG 96, S. 230. 9 RG 81, S. 117; 86, S. 284; 90, S. 380; 98, S. 122; die letztgen. Entsch. bringt zugleich einen wichtigen Beitrag zu der materiellrechtl. Behandlung der einseitigen Normenschöpfungsakte. 10 Vgl. z. B. Dove und Meyerstein: Gutachten über Handelsgebräuche, er-
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Nicht geringere Aufgaben, als sie die außergesetzmäßige Rechtsbildung stellt, erwachsen der RTF. aus dem Gesetz selbst. Sie kann sich hier bei der formalen Geltung des Gesetzes nicht beruhigen; vielmehr wirft sie die Frage nach der tatsächlichen Geltung auf. Gerade die neueste Zeit hat zum Erschrecken gezeigt, in welchem Umfange es möglich ist, die Geltung gesetzlicher Vorschriften durch allgemeinen Widerstand zu beseitigen. Wie wichtig es wäre, dieser Erscheinung, ihren Ursachen und Bekämpfungsmöglichkeiten mit wissenschaftlicher Methode auf den Grund zu gehen, bedarf nicht der Ausführung. Immerhin ist die Beiseiteschiebung des Gesetzes durch vorsätzliche Zuwiderhandlungen seitens weiterer Bevölkerungskreise im ganzen ein Krankheitssymptom der Kriegs- und Revolutionszeit, also doch eine zeitlich bedingte Ausnahmeerscheinung. Erheblich wichtiger ist etwas anderes. In viel weiterem Umfange werden nämlich gesetzliche Vorschriften einfach so um ihre Geltung gebracht, daß der Rechtsverkehr die tatsächlichen Bedingungen für ihr Wirksamwerden, d. h. also die entsprechenden Tatbestandsmerkmale nicht schafft, oder daß er sie nachträglich wieder beseitigt. Aus dem ersteren Grunde sind namentlich zahlreiche Bestimmungen des BGB toter Buchstabe geblieben, so etwa die Vorschriften über die Anweisung (§§ 783 ff.), die Besitzschutzklagenl l (§§ 861 ff.), die Inhabergrundschuld (§ 1195), die Rentenschuld (§ 1199). Den gleichen Nachweis habe ich bezüglich eines großen Teils der Nießbrauchsvorschriften erbracht 12 , er wird sich aber z. B. auch hinsichtlich großer Strecken des Erbrechts führen lassen. Überall hat der Gesetzgeber hier die tatsächlichen Verhältnisse, zumal die Psychologie der Beteiligten, von vornherein unrichtig beurteilt. Ein Beispiel für Vorschriften, die durch den Wandel der Verhältnisse nachträglich ihre Bedeutung eingebüßt haben, bilden die Bestimmungen des HGB (§§ 489 ff.) über die Reederei. Etwas anders verhält es sich mit der eingehenden Regelung des Seeversicherungswesens (§§ 778 ff. HGB). Auch diese hat ihre Bedeutung ganz verloren, jedoch nicht durch den Wegfall der in Frage kommenden Tatbestände, sondern durch die Einführung der Allgemeinen deutschen Seeversicherungsbedingungen, die sich an die Stelle der dispositiven Vorschriften des HGB gesetzt haben 13 • Bisweilen ist nur ein Teil der auf eine bestimmte Materie bezüglichen Regeln veraltet, so im Kommissionsrecht, wo man drei Normenschichten vorfindet, die sich im Laufe der Zeit übereinander abgelagert haben 14 • stattet von der Handelskammer zu BerUn I, S. 207 ff.; II, S. 351 ff., ArchBürgR. 42, S. 151. 11 Mit Ausnahme vielleicht des Falles, daß der Vermieter wegen Besitzstörung klagt, RGZ 59, 328. Hier aber hat die Besitzschutzklage der Sache nach petitorischen Charakter. 12 In der Anm. 4 zit. Schrift. 13 Vgl. Bruck, JW 1920, S. 16. 14 Kommissionsrecht (oben Anm. 3), S. 32 ff. 4"
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Auch örtliche Beschränkungen der tatsächlichen Geltung kommen häufig vor, namentlich hat das Reichsrecht trotz formeller Einheitlichkeit keineswegs in allen Teilen Deutschlands Geltung erlangt. Ohne weiteres einleuchtend ist dies bei den Vorschriften des BGB über die Fahrnisgemeinschaft und die Errungenschaftsgemeinschaft, deren schwer verständliche Systeme nur da der praktischen Verwendung fähig sind, wo sie an eine örtliche überlieferung anknüpfen können. überraschender ist z. B., daß der Nießbrauch im Geltungsbereich des BGB abgesehen von dem Sicherungsnießbrauch, der sich seit 1908 allgemein in den deutschen Großstädten findet und hier eine große Rolle spielt, ganz überwiegend eine elsaß-lothringische Sondererscheinung ist1 5 • Steht die tatsächliche Geltung des Gesetzes fest, so fragt sich weiter, welche von den verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten des Gesetzes sich im Rechtsleben durchsetzt. Auch hier kann wieder das Beispiel des Nießbrauchs herangezogen werden, der heute hauptsächlich, wie oben bemerkt, als Sicherungsnießbrauch und daneben als Versorgungsnießbrauch - als solcher in gewissen Spielarten - zu beobachten ist1 6 • Ein noch charakteristischeres Beispiel bildet vielleicht der kaufmännische Verpflichtungs schein (§ 363 Abs. 1 S. 2 HGB), der nur in der Form der Anleihe vorkommt. Auch die typischen Formen des Hpothekenverkehrs (erste und zweite Hypotheken, Amortisations-Hypotheken usw.) mögen hier genannt sein. Sehr bedeutsam sind wiederum die territorialen Unterschiede sowie die zeitlichen Verschiebungen. Hinsichtlich der ersteren genügt es, sich der unendlich verschiedenen Formen zu erinnern, in denen sich auf Grund der ZPO die mündliche Verhandlung in den verschiedenen Teilen Deutschlands unter dem Einfluß zäh festgehaltener überlieferungen abspielt. Der Einfluß zeitlicher Verschiebungen mag belegt werden durch die Vorschriften der ZPO (§§ 1025 ff.) über die Schiedsgerichte. Diese Vorschriften bezogen sich von Haus aus lediglich auf die sog. Gelegenheits-SchG., die von den Parteien im Einzelfall zusammengestellt werden; sie wurden aber im Laufe der Zeit in immer weiterem Umfange zur Rechtsgrundlage der ständigen SchG., durch die heute die Gelegenheits-SchG. weit überflügelt worden sind l7 • Bemerkenswert sind auch die Verschiebungen des Verhältnisses zwischen Eigenhandel und Kommission im 19. Jahrhundert l8 . Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Umgehungs- und die von ihnen noch nicht genügend geschiedenen Ersatzformen. Solche Ersatzformen finden sich fast bei allen Rechtsinstituten, die ganz oder z. T. unter zwingenden Normen stehen - eine Erscheinung, die längst nicht die genügende Beachtung gefunden hat und von deren 15 18 17 18
Nießbrauchsrecht (oben Anm. 4), S. 2, 23. Nießbrauchsrecht, S. 4 ff. ZZP 42, 254 ff. Kommissionsrecht, S. 12 ff.
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planmäßiger Untersuchung noch bedeutende Ergebnisse zu erwarten sind. Das geläufigste Beispiel ist die Ausbildung der Sicherungs-übereignung neben dem Mobiliarpfandrecht. Daß eine Darstellung des Mobiliarpfandrechts nicht nur praktisch, sondern auch für eine über das rein Formale hinausgehende wissenschaftliche Betrachtung unvollständig und irreführend ist, wenn sie von der Sicherungsübereigung absieht, liegt auf der Hand. Im Grunde verhält es sich aber mit zahlreichen Rechtsinstituten ähnlich, z. B. gibt die Lehre von der Abtretung ein schiefes Bild, wenn man nicht die durch die neuere Praxis zugelassene Abtretung des Verfügungsrechts 19 mitberücksichtigt, oder, um wieder den Nießbrauch heranzuziehen, so findet man neben dem echten Nießbrauch eine ganze Anzahl von wichtigen Ersatzformen, namentlich gewisse nießbrauchsähnliche Nutzungsformen schuldrechtlicher Art, und zwar teils solche, die schon ihrem Inhalt nach nicht dinglich sein können, teils auch solche, bei denen die Grundbucheintragung und daher die Verdinglichung lediglich kraft freien Entschlusses beider Teile unterlassen wurde 20 • Daneben kann bei einer Forderung oder einer Hypothek die lebenslängliche Abtrennung des Zinsrechts vom Hauptrecht den Zwecken des Nießbrauchs dienen und diese Ersatzform scheint eine nicht geringe praktische Bedeutung gewonnen zu haben 21 • Auf der anderen Seite bedarf es der Klarstellung, daß der Verkehr seinerseits den echten Nießbrauch von ähnlichen Rechtsformen nicht genügend unterscheidet, namentlich pflegt der sog. Nießbrauch an einer Erbschaft in Wahrheit fast immer eine Vorerbschaft zu sein 22 . Die in tatsächlicher Hinsicht entscheidende Fixierung einer bestimmten Anwendung des Gesetzes geschieht vorzugsweise durch die Rechtsprechung, insbesondere die des höchsten Gerichts, in England z. T. auch durch die der unteren Instanzen. Für die rechtstatsächliche Betrachtung ist deshalb die Rechtsprechung, mag man sie nun als Rechtsquelle im technischen Sinne ansehen oder nicht, ein selbständiger Faktor der Rechtsbildung, der in dieser Wirkungsweise ein besonderes Forschungsproblem darstellt. Das nötigt dazu, die Rechtsprechung - zu der auch die freiwillige Gerichtsbarkeit zu rechnen ist - mehr als bisher für sich in ihren inneren und äußeren Zusammenhängen zu betrachten. Allgemein wird man finden, daß die Rechtsprechung die Rechtsgebiete nicht gleichmäßig durcharbeitet, sondern sich an einigen wenigen Stellen gewissermaßen zu stauen pflegt. Das kann an wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen, aber auch an juristisch-technischen Umständen, etwa an Eigentümlichkeiten der Grundbuchverfassung, liegen. Mit der Veränderung der wirt19 20 21 22
RGZ 73, 308; 78, 90; 94,137. Nießbrauchsrecht, S. 39 ff. Nießbrauchsrecht, S. 44 ff. Nießbrauchsrecht, S. 6 ff.
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schaftlichen und sozialen Verhältnisse verschieben sich die Ansatzpunkte der Rechtsprechung. Meist wird innerhalb eines jeden Rechtsgebietes die Rechtsprechung ihre besonderen Schicksale haben, die naturgemäß von der Gesetzgebung nicht unabhängig, aber doch keineswegs ausschließlich durch sie bedingt sind. So finden wir z. B., daß in der Rechtsprechung zum Kommissionsrecht die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hindurch die Fragen der Konsignation, d. h. einer besonderen dem überseeverkehr dienenden Exportkommissionsart überwiegen 23 • Seit den sechzigerJahren taucht in der Rechtsprechung die Börsenkommission auf, um bald in den Vordergrund zu treten. Dabei handelt es sich zunächst hauptsächlich um die Frage des Selbsteintritts. In den achtziger Jahren beginnt die Rechtsprechung so dann das (tatsächlich gleichfalls dem Kommissionshandel angehörige) Thema des Spiel-(Differenz-)einwandes anzuschlagen. Dieses scheint in den neunziger Jahren bisweilen fast die gesamte übrige handeIsrechtliche Judikatur zu übertönen, es klingt aber mit dem Inkrafttreten des BörsG (1896) schnell ab. Seitdem treten die typischen Schadensersatzansprüche des Kommittenden gegen den Kommissionär-Bankier wegen schuldhafter Ratserteilung in den Vordergrund. Auch dieses Stadium scheint schon wieder überwunden zu sein. Die hier obwaltenden Zusammenhänge näher zu betrachten, liegt nicht im Rahmen dieser Skizze. Immerhin gibt das Beispiel vielleicht eine Vorstellung davon, daß auf diesem Wege eine vertiefte Behandlung der Rechtsprechung erreicht werden kann. Auch die Untersuchung der in der Rechtsprechung obwaltenden psychologischen Antriebe ist eine Aufgabe der Wissenschaft. Es handelt sich dabei z. T. um die allgemeine Einstellung der Rechtsprechung, insbesondere um das Maß ihrer Selbständigkeit gegenüber dem Gesetz (Einfluß der Freirechtsschule!) und um ihr Verhältnis zur Theorie; andererseits aber auch um den Einfluß wirtschaftspolitischer und anderer Strömungen, die außerhalb des eigentlichen Rechtsgebiets entspringen. Mit Vorliebe treten diese Strömungen naturgemäß im öffentlichen Recht auf. Aber auch auf dem zivilistischen Gebiet lassen sie sich nachweisen, z. B. sehr deutlich in der börsenrechtlichen Judikatur von 1900 24 • Zu ihnen gehört in gewissem Sinne auch der Vorgang, daß Mißbräuche, die sich im Rechtsverkehr auf einem bestimmten Gebiet einschleichen, bisweilen die Gerichte in eine Kampfstellung versetzen, die dann zu überscharfen Entscheidungen führen kann. Diese Erklärung dürfte beispielsweise zum Verständnis der sehr angreifbaren neueren Judikatur über die Haftung der GmbH-Gesellschafter mit heranzuziehen sein 25 • Wenn auch derartige Hierzu und zum folgenden Kommissionsrecht, S. 1 ff., 67 ff. Vgl. Ehrenbergs Handbuch des Handelsrechts IV, 2, S. 630. 25 RGZ 82, 116; 93, 251; vgl. aber Hachenburg, LZ 1914, S. 119 ff. sowie JW 1918, S. 688 Anm. 23
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Strömungen die Reinheit des richterlichen Urteils trüben können, so haben sie doch selbstverständlich mit Parteilichkeit nichts zu tun, sie sind bis zu einem gewissen Grade unvermeidliche Begleiterscheinungen des psychologischen Urteilsprozesses und übrigens gerade in der deutschen Rechtsprechung verhältnismäßig von geringer Bedeutung. Die wissenschaftliche Literatur leidet an derartigen Einflüssen sicherlich nicht in geringerem Maße, und wer derartige Erscheinungen kritisch untersuchen will, ist ihnen gleichfalls unterworfen. Daher werden Strömungen, die von noch aktuellen Interessenkämpfen herkommen, sich für wissenschaftliche Untersuchungen im allgemeinen nicht eignen. Selbstverständlich kann nicht die Rede davon sein, daß durch die RTF. die dogmatische Arbeit verdrängt werden könnte oder sollte. Es handelt sich, wie schon hervorgehoben, nur um eine Ergänzung der Dogmatik. Immerhin ist anzunehmen, daß die neue Richtung auf die Dauer auch den Inhalt der dogmatischen Arbeit im ganzen beeinflussen wird. Die RTF. führt überall zu neuen fruchtbaren Problemstellungen, wie dies Wüstendörffer neuestens mit prinzipieller Zuspitzung wieder an dem Beispiel des Seeschiffbaues gezeigt hat26 • Es wird sicherlich von selbst dahin kommen, daß sich durch diese Einflüsse die dogmatische Arbeit in höherem Maße an den Erscheinungen des Rechtslebens orientieren und dadurch die Unfruchtbarkeit überwinden wird, der in der Vorkriegszeit große Teile der zivilistischen Literatur, teils unter dem Einfluß eines übertriebenen Paragraphenkults, teils unter den Nachwirkungen einer überlebten gemeinrechtlichen Tradition anheimgefallen waren. Sogar der rechtsgeschichtlichen Arbeit wird die RTF. gewisse Anregungen geben können, denn wenn auch die Rechtshistoriker im Gegensatz zu den reinen Dogmatikern innerhalb ihres Arbeitsgebietes den tatsächlichen Zusammenhängen schon seit langem Beachtung geschenkt haben, so fehlt es doch auch hier an einer systematischen Durchbildung dieses Forschungsprinzips. Der Nutzen der RTF. für die Praxis, und zwar sowohl für die Rechtsanwendung wie für die Gesetzgebung, ist so einleuchtend, daß darüber kein Wort verloren zu werden braucht. Sie ist vor allem ein wirksames Mittel gegen Formalismus und "Weltfremdheit". Das ist natürlich nicht so zu verstehen, als wenn durch das Studium der RTF. die praktische Erfahrung und die nur durch sie zu gewinnende lebendige Anschauung des Rechtslebens ersetzt werden könnte. Aber es liegt auf der Hand, wie sehr dem Richter und dem Anwalt seine Aufgaben erleichtert würden, wenn er in der Lage wäre, sich über die auf seinem Arbeitsgebiet obwaltenden tatsächlichen Verhältnisse in wissenschaftlich zuverlässiger Weise 26 In der Anm. 6 zit. Schrift; s. a. seine Ausführungen im Arch. f. Rechts- u. Wirtschafts philosophie, Bd. 9, S. 170 ff., insbesondere S. 434 f.
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zu unterrichten und wenn vor allem schon in seiner Lehrzeit ihm der Sinn für die Tatsachen des Rechtslebens geschärft würde! Das führt zugleich zu der pädagogischen Seite der Frage. Die Forderungen der neuen Richtung decken sich hier mit den Wünschen der Studierenden, die geradezu danach lechzen, auch über die Gestaltung der Rechtswirklichkeit belehrt zu werden. Unverkennbar ist aber auch in den Kreisen der Rechtslehrer das Verständnis für die neuen Aufgaben im Wachsen, und es darf als ein bemerkenswertes Symptom verzeichnet werden, daß die Neigung zu einer unmittelbaren Verbindung mit der Praxis unter ihnen sichtlich zunimmt. Man darf hoffen, daß diese Bewegung sich mit der Zeit vertiefen und verbreitern und dadurch von innen her zur Reform des Rechtsunterrichts beitragen wird.
Die Rechtstatsachenforschung* (1955)
Vorbemerkung: Die theoretischen Grundlagen
In den letzten Jahrzehnten hat sich im Rechtsdenken einer Anzahl von Ländern eine Reformbewegung bemerkbar gemacht, die als "realistische", " soziologische " oder "funktionale" Schule bekanntgeworden ist!. Die Bewegung weist nicht überall die gleiche Stärke auf. Sie erreichte nicht die Insel England und rührte auch die geruhsamen Wasser italienischer Rechtsgelehrsamkeit nicht merklich auf. Frankreich hatte seinen Geny, wenn auch seine umfangreichen und hochakademischen Werke die Rechtsgemeinschaft wenig beeinfiußten 2 • Französischer "bon sens" im Recht • Der Aufsatz, dessen englischer Text unter dem Titel "Fact Research in Law" in der Columbia Law Review 40 (1940), S. 189-219 erschienen ist, geht auf die Einladung zurück, die ich im Januar 1934 von der Columbia University empfing und in der mir nahegelegt wurde, die Entwicklung der Rechtstatsachenforschung in Deutschland und den Vereinigten Staaten einem Vergleich zu unterziehen. In der übersetzung sind die für den Amerikaner bestimmten Erläuterungen der deutschen Rechtsbegriffe und andere entbehrliche Bemerkungen weggelassen. Die übersetzung wird hier mit Genehmigung der Redaktion der Columbia Law Review veröffentlicht. Sie ist im Auftrag der Schriftleitung durch Herrn Dr. Ulrich Drobnig vorgenommen, der das Recht der Vereinigten Staaten an Ort und Stelle studiert hat. Er hat auch einige Ergänzungen hinzugefügt. Ich bin ihm zu aufrichtigem Danke verpflichtet. A. N. 1 Diese Ausdrücke, die sich nur in der Schattierung unterscheiden, charakterisieren die Bewegung durchaus angemessen. In den Vereinigten Staaten werden "soziologische" oft von "realistischen" Bewegungen unterschieden, indem der letzte Begriff als Name einer radikaleren Denkschule verwendet wird, auf die aber wahrscheinlich der Ausdruck "soziologische" viel besser zutreffen würde. Es erscheint wünschenswert, die Bezeichnung des Rechtsrealismus als "soziologisch" zu vermeiden, da Rechtswissenschaft und Soziologie verschiedene Methoden verwenden; siehe die Nachweise unten Anm. 25. Der in den Vereinigten Staaten nicht selten verwandte Begriff "institutionell" bezeichnet ein Verhalten, das häufig, wiederholt, gewöhnlich vorkommt. Siehe Moore und Hope: An Institutional Approach to the Law of Commercial Banking, Yale Law Journal 39 (1929), S. 703, 707. Dieser stelzenhafte Ausdruck ist zu eng, um die ganze Bewegung zu decken. Siehe auch unten Anm. 47. Die Entwicklung auf dem Gebiet des Strafrechts wird hier nicht berücksichtigt. : Geny's Methode d'Interpretation et Sources en Droit Prive Positif (1. Auf!. 1899, 2. Auf!. 1917) ist in dieser Beziehung an erster Stelle zu nennen. Seine "Science et Technique en Droit Prive Positif", 4 Bde. (1913-24) hat mehr philosophischen Charakter. Siehe z. B. Pound: Fifty Years of Jurisprudence, Harvard Law Review 51 (1938), S. 444 bis 464, auch Wortley: Fran