Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung: Grundlegung der Rechtsverhältnistheorie [1 ed.] 9783428451906, 9783428051908


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Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung: Grundlegung der Rechtsverhältnistheorie [1 ed.]
 9783428451906, 9783428051908

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NORBERT

ACHTERBERG

Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung

Schriften

zur

Rechteth

Heft 100

Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung

Grundlegung der Rechtsverhältnistheorie

Von

Norbert Achterberg

dllf! ^(i'sdii^hJ

DUNCKER &

H U M B L O T / B E R L I N

Alle Hechte vorbehalten © 1982 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1982 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 05190 4

Vorwort Studien über die Bedeutung der Rechtsverhältnisse als Strukturelemente der Rechtsordnung münden in die Erkenntnis ein, daß diese als ein komplexes Beziehungsgefüge von Rechtsverhältnissen, als Rechtsverhältnisordnung begriffen werden muß. Überlegungen zu diesem Gegenstand werden i m folgenden i m Sinne einer Grundlegung der Rechtsverhältnistheorie zusammengefaßt. Rechtsverhältnisse bilden ebenso wie Rechtsnormen Bausteine der Rechtsordnung. Die zwischen beiden bestehende Interdependenz ist unverkennbar: kein Rechtsverhältnis ohne determinierende Rechtsnorm, aber auch keine Rechtsnorm ohne determiniertes Rechtsverhältnis. Denn jede Rechtsnorm begründet bereits durch sich selbst ein Rechtsverhältnis zwischen Normgeber und Normadressaten. Die Wechselbezüglichkeit darf gleichwohl nicht verdunkeln, daß Rechtsnorm und Rechtsverhältnis nicht identisch sind, sondern i n der Rechtsordnung verschiedene Denkstufen einnehmen: Die Rechtsnorm ist Voraussetzung für das Rechtsverhältnis, das Rechtsverhältnis Folge der Rechtsnorm. Obwohl Rechtsverhältnisse i n der Rechtsgeschichte immer wieder auf das Interesse der Rechtsphilosophie und der Rechtswissenschaft gestoßen sind, haben sich diese i m allgemeinen doch erheblich intensiver den Rechtsnormen zugewandt. Vor allem ist dies i n den vergangenen Jahrzehnten dieses Jahrhunderts erkennbar. Hierbei t r i t t eine — übrigens auch sonst zu beobachtende — Abhängigkeit der Rechtstheorie von der Rechtsdogmatik zutage. Der i m Gefolge der umfangreichen Kodifikationen des ausgehenden 19. Jahrhunderts aufgekommene Positivismus hatte den Blick für die theoretische Bewältigung der Rechtsnorm geöffnet. So ist es nicht verwunderlich, daß vor allem sie den Beschäftigungsgegenstand der Reinen Rechtslehre bildet — von Hans Kelsens Frühwerk „Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze" bis zu seinem Nachlaßwerk „Allgemeine Theorie der Normen". Die hervorragende Bedeutung der hierbei gewonnenen Erkenntnisse für die Rechtsphilosophie und die Rechtsdogmatik w i r d durch die Hinwendung zum Rechtsverhältnis nicht geschmälert. Das Rechtsverhältnis ist über diese Entwicklung theoretisch zu kurz gekommen — obwohl unübersehbar ist, daß die Rechtsdogmatik gerade der Beschäftigung m i t i h m wesentliche Fortschritte verdankt.

6

Vorwort

Das gilt schon allein für die Erkenntnis, daß es keineswegs nur Rechtsverhältnisse zwischen den Staatsbürgern oder zwischen dem Staat und dem Staatsbürger gibt, sondern auch solche innerhalb des Staats selbst, und die auf ihrer Grundlage entstandene Dichotomie von „ A u ßenrechtsverhältnis" und „Innenrechtsverhältnis". Das t r i f f t ebenso für die Einsicht zu, daß „Gewaltverhältnisse" nicht reine „Machtverhältnisse" darstellen, i n denen uns das von Kelsen aufgezeigte Gorgonenhaupt entgegenstarrt, sondern daß auch sie Rechtsverhältnisse sind. Indessen sind dies alles erst — wenn auch wichtige — Teilaspekte, m i t denen die Problematik nicht i m entferntesten ausgeschöpft ist; flankierende Erkenntnisse, wie sie vor allem i n der Soziologie und i n i h r insbesondere der Beziehungssoziologie und der Systemtheorie anzutreffen sind, haben hierfür den Blick geschärft. Die Komplexität einer nicht auf Dichotomie, sondern auf Polytomie von Rechtsverhältnissen gegründeten, ihrerseits aus nebeneinander und ineinander gelagerten Teilrechtsordnungen bestehenden Rechtsordnung fordert zur Entwicklung einer umfassenden Rechtsverhältnistheorie auf. Mehr als das: I n einer Zeit, i n der „Übernormierungen" — i m Sinne zu zahlreicher rechtlicher Regelungen — allgemein beklagt werden, ist danach zu fragen, welche Sozialverhältnisse überhaupt zu Rechtsverhältnissen gemacht und — wenn dies schon geschehen muß — i n welchem Ausmaß sie durch Rechtsnormen determiniert werden müssen. Die Rechtsnorm i n allen ihren Arten w i r d auch künftig ihre Bedeutung behalten. Die Entwicklung zu ihrem „relationsspezifischen" Einsatz — erkennbar schon jetzt i m Vordringen vertraglicher gegenüber einseitigen Regelungen i m öffentlichen Recht — w i r d jedoch weiter voranschreiten, wobei es auch zu einer weiteren Rezeption von Metarechtsnormen kommen mag. Auch dies zwingt zur Analyse der Rechtsverhältnisse, die i m folgenden vorgenommen wird. Verschiedenen Teilen dieses Buches liegen — hier weiter entwikkelte — Referate zu Grunde, durch welche der Denkansatz der Rechtsverhältnistheorie i n die internationale rechtsphilosophische Diskussion eingeführt worden ist, so für den I X . Weltkongreß der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) „Zeitgenössische Rechtskonzeptionen", Basel 1979, für das Symposium der österreichischen Sektion der I V R „Ideologiekritik und politische Theorie bei Hans Kelsen", Schloß Retzhof bei Graz 1981, für den X . Weltkongreß der I V R „Das Recht als Maßstab für ökonomisches, politisches und k u l turelles Leben i n unserer Zeit", Mexiko City 1981, sowie für das Internationale Symposium des Hans Kelsen-Instituts „Hans Kelsen zum 100. Geburtstag", Wien 1981. Für Anregungen, die ich durch Diskussionsbeiträge und i n Gesprächen — insbesondere m i t meinen Freunden

Vorwort

i m Vorstand der Deutschen Sektion der I V R i n der Bundesrepublik Deutschland — erfuhr, b i n ich dankbar. A l l e Überlegungen sind unter ihrer Berücksichtigung überarbeitet und ergänzt. Die nachfolgende Darstellung ist keine Bilanz, sondern eine Grundlegung. M i t i h r soll ein neuer Problembereich der analytischen Jurisprudenz der Erforschung zugeführt werden. Münster, i m Juni 1982 Norbert

Achterberg

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil Rechtsverhältnisse als Strukturelemente der Rechtsordnung. Prolegomena zu einer Rechtsverhältnistheorie I. Einführung I I . Dogmengeschichtliche Grundlagen

17 18

1. Juristische Aussagen

18

2. Metajuristische Aussagen a) Beziehungssoziologie b) Systemtheorie

26 26 30

I I I . Der Begriff des Rechtsverhältnisses

31

1. Definition

31

2. Wesensmerkmale a) Rechtsnormgestaltung b) Zahl der Endpunkte

33 33 35

I V . Strukturebenen der Rechtsverhältnisse

36

1. Rechtssubjekte a) Rechtsverhältnisse i m staatlichen Bereich b) Rechtsverhältnisse i m suprastaatlichen u n d interstaatlichen Bereich

36 36

2. Symmetrien

39

V. Rechtssubjektivität

38

40

1. Doppelnatur des Rechtssubjektsbegriffs

40

2. Rechtsverhältnisbezogenheit der Rechtssubjektivität

40

3. Rechtssubjektivität u n d Zurechnungssubjektivität

42

V I . Determination u n d Transformation

43

1. Determination a) Volldetermination u n d Teildetermination b) Heteronome u n d autonome Determinanten

43 43 44

2. Transformation

45

V I I . Konsequenzen V I I I . Thesen

46 47

10

nsverzeichnis Zweiter

Teil

Grundzüge der Rechtsverhältnistheorie I. Vorbemerkung

50

I I . Die geschichtliche Entwicklung des Bewußtseins von der Bedeut u n g der Rechtsverhältnisse

50

1. Die Bedeutung der Beziehungen i n der Philosophie

50

2. Die Bedeutung der Beziehungen i n der Soziologie

52

I I I . Die Grundannahmen der Rechtsverhältnistheorie

54

1. Das Rechtsverhältnis i n der Normenordnung

54

2. Die Rechtsnormgestaltung des Rechtsverhältnisses

56

I V . Der Rechtssubjektsbegriff

58

1. Rechtssubjekte i m o b j e k t i v - u n d i m subjektiv-rechtlichen Sinne

58

2. Die Polytomie der Rechtsverhältnisordnung

60

V. A r t e n der Rechtsverhältnisse

61

1. Rechtsverhältnisse allgemeiner A r t

61

2. Rechtsverhältnisse besonderer A r t

63

V I . Die Bedeutung von N o r m u n d W i l l e n i m Rechtsverhältnis

63

1. Heteronome Determination von Rechtsverhältnissen

63

2. Autonome Determination von Rechtsverhältnissen

65

V I I . Die Normvalenz

66

Dritter

Teil

Die analytisch-jurisprudentielle Bedeutung der Rechtsverhältnistheorie I. Die Stellung der A n a l y t i k i n der Rechtsphilosophie der Gegenwart I I . Die Grundaussagen der Rechtsverhältnistheorie

68 71

I I I . Der Beitrag der Rechtsverhältnistheorie zur analytischen Jurisprudenz

72

1. Vorbemerkung

72

2. Analyse der Rechtsverhältnisse a) Subjekte von Rechtsverhältnissen b) Symmetrien v o n Rechtsverhältnissen c) Determination von Rechtsverhältnissen d) Dauer von Rechtsverhältnissen e) Beziehungen zwischen Rechtsverhältnissen tionen")

73 73 75 76 78 („Relationsrela-

78

nsverzeichnis aa) bb) cc) dd) ee)

Vorläufige u n d endgültige Rechtsverhältnisse Ableitende u n d abgeleitete Hechtsverhältnisse Fortsetzende u n d fortgesetzte Rechtsverhältnisse Aufeinanderfolgende Rechtsverhältnisse Widerstreitende Rechtsverhältnisse

3. Analyse der Rechtsnormen a) Rechtsverhältnisrelevanz b) Rechtsverhältnisrelevanz c) Rechtsverhältnisrelevanz d) Rechtsverhältnisrelevanz

der der der der

Normstufen Normen Normdetermination Norminterpretation

I V . Zusammenfassung

78 80 81 81 82 83 83 84 85 86 87

Vierter

Teil

Rechtsnorm und Rechtsverhältnis in demokratietheoretischer Sicht I. Vorbemerkung

89

1. Die Lage der Demokratietheorie i m allgemeinen

89

2. Die Demokratietheorie Hans Kelsens

90

3. Zwischenergebnis

91

I I . Die Rechtsnorm i n demokratietheoretischer Sicht

92

1. Elemente der Offenheit a) Öffnung des Normstufenbaus i n rechtlicher Hinsicht b) Öffnung des Normstufenbaus i n metarechtlicher Hinsicht . . c) Unbestimmter Rechtsbegriff u n d Ermessen als Elemente fallbezogener Normkonkretisierung d) Topische Interpretation

92 92 93

2. Elemente der Geschlossenheit a) Dichotomie von Sein u n d Sollen b) Rückbezug der Rechtsnormen auf höherrangige Rechtsnormen c) Unabänderlichkeit von Rechtsnormen d) Traditionelle Interpretation

96 96 96 97 98

I I I . Das Rechtsverhältnis i n demokratietheoretischer Sicht

94 95

98

1. Elemente der Offenheit a) Polytomie der Rechtsverhältnisordnung b) Multidetermination c) M u l t i p o l a r i t ä t

99 99 100 100

2. Elemente der Geschlossenheit a) Rechtsnormdetermination von Rechtsverhältnissen b) Widerstreitende Rechtsverhältnisse

101 101 101

I V . Ergebnis: Die demokratietheoretische Relevanz der Reinen Rechtslehre u n d der Rechtsverhältnistheorie 102 V. Thesen

102

nsverzeichnis

12

Fünfter

Teil

Rechtsnorm und Rechtsverhältnis als Bausteine der Rechtsordnung I. Vorbemerkung

104

I I . Rechtsnorm u n d Rechtsverhältnis i n der Sicht der Reinen Rechtslehre u n d der Rechtsverhältnistheorie 104 1. Reine Rechtslehre

105

2. Rechtsverhältnistheorie

108

I I I . Die Beziehungen zwischen Rechtsnorm u n d Rechtsverhältnis

111

I V . Schlußbemerkung

118

Sechster Teil Die Bedeutung des Rechtsverhältnisses für die Grundrechtssubjektivität von Organisationen I. Vorbemerkung

120

I I . Die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen i n Rechtslehre u n d Rechtsprechung 121 1. Historischer Bedingungsrahmen

121

2. Dogmatischer Bedingungsrahmen a) Rechtslehre b) Rechtsprechung

123 123 135

I I I . Der Verlustkatalog der Rechtsdogmatik

144

I V . Das Rechtsverhältnis als Deutungsschema

147

1. Theoretischer Bezugsrahmen

147

2. Konsequenzen

148

V. Schlußbemerkung

152

Namenverzeichnis

153

Sachverzeichnis

155

Abkürzungsverzeichnis abgedr. Abs. AcP

= = =

a. F. AfK AG AktG a. M. Anm. AöR ArchRWiPhil.

= = = = = = = =

ARSP

=

Art. AS

= =

Aufl. B. BadWürttStGH

= = =

BayV BayVBl. BayVerfGH BBG Bd. Bearb. BGB Β GHZ

= = = = = = = =

BK

=

BVerfGE BVerfGG

= =

BVerwG BVerwGE ders. Diss. DOK

= = = =

abgedruckt Absatz Archiv f ü r die civilistische Praxis (Band, Jahr, Seite) alter Fassung Archiv f ü r Kommunalwissenschaften (Jahr, Seite) Aktiengesellschaft Aktiengesetz anderer Meinung Anmerkung Archiv f ü r öffentliches Recht (Band, Jahr, Seite) A r c h i v f ü r Rechts- u n d Wirtschaftsphilosophie (Band, Jahr, Seite) Archiv f ü r Rechts- u n d Sozialphilosophie (Band, Jahr, Seite) Artikel Amtliche Sammlung von Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz und Saarland Auflage Book Staatsgerichtshof für das L a n d Baden-Württemberg Verfassung des Freistaates Bayern Bayerische Verwaltungsblätter (Jahr, Seite) Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bundesbeamtengesetz Band Bearbeiter, Bearbeitung Bürgerliches Gesetzbuch Entscheidungen des Bundesgerichtshofes i n Z i v i l sachen Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht — Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) — Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts derselbe Dissertation Die Ortskrankenkasse (Jahr, Seite)

14

Abkürzungsverzeichnis

DÖV DVB1. ed. EG EGBGB EntschOVG B e r l i n

= = = = = =

ESVGH

=

EuGH EWGV

= =

f., ff. GewO GG

= = =

GmbH GS

= =

GV.NW.

=

Halbbd. HDSW HessStGH HessV HessVGH h. M. Hrsg. i. V. m. IVR

= = = = = = = = =

JöR JuS JZ KG KGaA Kgl. m. NJW o. OHG OVG OVGE

= = = = = = = = = = = =

Die öffentliche V e r w a l t u n g (Jahr, Seite) Deutsches Verwaltungsblatt (Jahr, Seite) edited Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes u n d des Verwaltungsgerichtshofes B a den-Württemberg m i t Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe beider Länder Europäischer Gerichtshof Vertrag zur Gründung der Europäischen W i r t schaftsgemeinschaft folgende(r), folgende Gewerbeordnung Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland Gesellschaft m i t beschränkter Haftung Gesetz-Sammlung für die Kgl. Preußischen Staaten Gesetz- u n d Verordnungsblatt für das L a n d Nordrhein-Westfalen Halbband Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Staatsgerichtshof des Landes Hessen Verfassung des Landes Hessen Hessischer Verwaltungsgerichtshof herrschende Meinung Herausgeber i n Verbindung m i t Internationale Vereinigung f ü r Ptechts- u n d Sozialphilosophie Jahrbuch des öffentlichen Rechts (Band, Seite) Juristische Schulung (Jahr, Seite) Juristenzeitung (Jahr, Seite) Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf A k t i e n Königlich mit Neue Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite) oben Offene Handelsgesellschaft Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte f ü r das L a n d Nordrhein-Westfalen i n Münster sowie für die Länder Niedersachsen u n d Schleswig-Holstein i n Lüneburg m i t Entscheidungen des V e r fassungsgerichtshofes Nordrhein-Westfalen und des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes

Abkürzungsverzeichnis

Ρqu. RdNr. Rechtstheorie RhPfBürgerbeauftrG RGZ RVerfE 1849 S. s. SGb Sp. Staat Städtetag u. v. Verf. VerwArch. VGH VGHE

vgl. Vorbem. VRspr. VVDStRL weit,

ζ. Β. ZevKR ZöffR ZPO

page, pagina quaestio Randnummer Rechtstheorie (Band, Jahr, Seite) Landesgesetz über den Bürgerbeauftragten des Landes Rheinland-Pfalz Entscheidungen des Reichsgerichts i n Zivilsachen E n t w u r f der Reichs Verfassung von 1849 Seite siehe Die Sozalgerichtsbarkeit (Jahr, Seite) Spalte Der Staat (Band, Jahr, Seite) Der Städtetag (Jahr, Seite) unten von, v o m Verfasser(in) Verwaltungsarchiv (Band, Jahr, Seite) Verwaltungsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs m i t Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, des Bayerischen Dienstgerichtshofs für Richter u n d des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte vergleiche Vorbemerkung Verwaltungsrechtsprechung i n Deutschland (Band, Seite) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer weitere zum Beispiel Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht (Band, Seite) Zeitschrift f ü r öffentliches Recht (Band, Seite) Zivilprozeßordnung

Erster Teil

Rechtsverhältnisse als Strukturelemente der Rechtsordnung Prolegomena zu einer Rechts Verhältnistheorie I. Einführung Die These von der „Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung" 1 ist von der Rechtsprechung aufgegriffen worden. I n einer neueren Entscheidung hatte der Hessische Verwaltungsgerichtshof sich m i t der Frage zu befassen, ob eine nicht von der Gemeindevertretung, sondern von dem Magistrat beschlossene Gebührenregelung wegen fehlender Zuständigkeit ungültig sei oder i n eine gültige Magistratsanordnung umgedeutet werden könne. Der Senat hat die Umdeutungsmöglichkeit verneint und dazu ausgeführt: „Die Rechtsordnung als Ordnung von Rechtsverhältnissen läßt nicht zu, daß nicht zuständige Organe Regelungen vornehmen, die nicht für die von ihnen zu gestaltenden, sondern für sonstige Rechtsverhältnisse maßgebend sind. Insbesondere sind Normen der staatlichen Innenrechtsverhältnisse und der Rechtsverhältnisse zwischen Staat oder Gemeindeverbänden oder Gemeinden einerseits und Staatsbürgern andererseits zu unterscheiden 2 ." Damit ist der Zeitpunkt gekommen, u m den Versuch zu unternehmen, die These von der Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung zu einem Denkmodell durchzugestalten, nachdem die Bedeutung der Rechtsverhältnisse i n der neueren Rechtslehre zwar oft betont 3 , aber doch erst mehr erahnt, als erfaßt ist. 1 Soweit ersichtlich, erstmals bei N. Achterberg, Hans Kelsens Bedeutung i n der gegenwärtigen deutschen Staatslehre, D Ö V 74, 445 ff. (454) = ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, 1980, S. 51 ff. (71 f.); ders., Die Bedeutung des Rechtsverhältnisses für die Grundrechtssubjektivität von O r ganisationen, i n : Gedächtnisschrift f ü r Friedrich Klein, 1977, S. 1 ff. (1). 2 HessVGH, Beschluß v. 27. 9.1976 — V Ν 4/75 —, N J W 77, 455. 3 Vgl. ζ. B. O. Bachof, Uber einige Entwicklungstendenzen i m gegenwärtigen deutschen Verwaltungsrecht, i n : Staatsbürger u n d Staatsgewalt, Hrsg. K ü l z / Naumann, 1963, Bd. I I , S. 3 ff. (10); ders., Die Dogmatik des V e r w a l tungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, W D S t R L 30,193 ff. (231 f.), nach dem das Rechtsverhältnis i m Verwaltungsrecht jene zentrale Stellung einzunehmen verdient, die seit O. Mayer dem Verwaltungsakt zuerkannt w i r d (dazu auch noch die weiteren Belege, S. 232 A n m . 172); H.-17. Erichsen / W. Martens, Das Verwaltungshandeln, § 10 Verwaltungshandeln

2 Achterberg

18

1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente

I I . Dogmengeschichtliche Grundlagen 1. Juristische Aussagen

a) Die Erkenntnis von der Bedeutung der Rechtsverhältnisse reicht i n das 18. Jahrhundert zurück, i n dem William Blackstone das Staatsrecht als solches öffentlicher und privater Rechtsverhältnisse zwischen Herrscher und Untertanen darstellte, und zwar noch ohne den Staat selbst als Rechtssubjekt zu begreifen 4 . Diese Vorstellung griff i n das kontinentaleuropäische Rechtsdenken über, wurde hier indessen i n der Richtung verfeinert, daß die rechtlichen Verhältnisse i m Staat i n Einzelbeziehungen staatlicher Organe zueinander und zu den Individuen aufgelöst wurden 5 — früher Ansatz der späteren Unterscheidung von Innen- und Außenrechtsverhältnissen. Als K r i t i k e r dieses Theorems erwies sich vor allem Georg Jellinek, nach dem die Deutung des Staats als Rechtsverhältnis nicht seine „Einheit . . . , das Bleibende i m Wechsel der Personen zu erklären vermag" 6 und überdies die völkerrechtlichen Beziehungen nicht i n solche „von Rechtsverhältnissen aufgelöst" werden könnten 7 — eine, wie sich noch zeigen wird, freilich irrige Annahme. Er selbst kam i m übrigen durch die — m i t seiner Statutenlehre eng zusammenhängende — Erfassung der Bedeutung, die das Rechtssubjekt für das Rechtsverhältnis besitzt 8 , modernem rechtsverhältnistheoretischem Verständnis einen beachtlichen Schritt näher. u n d Verwaltungsrechtsverhältnis, i n : Allgemeines Verwaltungsrecht, Hrsg. Erichsen / Martens, 5. Aufl., 1981, S. 121 ff. Daß sich die Bedeutung des Rechtsverhältnisses nicht auf das Verwaltungsrecht beschränkt, braucht nicht weiter dargelegt zu werden. 4 W. Blackstone , Commentaries on the Laws of England, Β . I 2, 1765, p. 146. 5 Vgl. A. Haenel, Deutsches Staatsrecht, 1. Bd., 1892, S. 96 ff. (wo übrigens nicht n u r f ü r den Staat, sondern überhaupt f ü r „korporative Verbände" u n terschiedliche Rechtsverhältnisse konstatiert werden [ähnlich J. Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, 1907, S. 144; E. Holder, Natürliche u n d juristische Personen, 1905, S. 184, 206 f., 210, 213 ff., 340 f.]). Das Verständnis des Staats als Rechtsverhältnis findet sich ferner bei E. Loening, Der Staat, i n : Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Hrsg. Conrad / Elster / Lexis / Loening, 3. Aufl., Bd. V I I , 1911, S. 692 ff. (702 ff.). — Weitere Hinweise bei G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 5. Neudruck, 1959, S. 167 f. A n m . 3. 6 G. Jellinek, S. 167. 7 Ebd., S. 169. 8 G. Jellinek, S. 419. Z u r Statutenlehre ders. t System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., 1905, S. 94 ff. Die dort dargelegten Thesen bedürfen unter rechtsverhältnistheoretischem Aspekt noch der kritischen A u s w e r t u n g (vgl. insb. S. 41 ff. [41 : „Das Leben des Menschen vollzieht sich i n ununterbrochenen Beziehungen zu äußeren Dingen u n d anderen Menschen. Diese Beziehungen sind Lebensverhältnisse. Werden diese von der Rechtsordnung anerkannt u n d geregelt, so werden sie zu Rechtsverhältnissen erhoben." 42: „Aus den Rechtsverhältnissen entspringen die subjektiven Rechte..."]).

I I . Dogmengeschichtliche Grundlagen

19

b) Kein anderer Rechtstheoretiker des vergangenen Jahrhunderts hat sich m i t dem Rechtsverhältnis indessen derartig ausführlich befaßt, wie Ernst Rudolf Bierling i n seiner „Juristischen Prinzipienlehre" 9 . Nach ihm drücken alle Rechtsnormen den Inhalt von Rechtsverhältnissen, „d. h. Verhältnissen zwischen Berechtigten und Verpflichteten" aus 10 . Die zentrale Bedeutung des Rechtsverhältnisses für die Rechtsordnung w i r d damit bereits sichtbar, zugleich die i n i h m bestehende Korrelation von Rechten und Pflichten. Jeder Rechtsanspruch hat die Beziehung auf einen rechtlich Verpflichteten oder zu Verpflichtenden, jede Rechtspflicht die Beziehung auf einen Berechtigten, nämlich auf ein Subjekt, das einen Rechtsanspruch hat, so daß Rechtsanspruch und Rechtspflicht als Korrelate erscheinen, ein Rechtsverhältnis immer eine Beziehung zwischen mehreren Subjekten darstellt 11 . Damit sind i n der Tat wesentliche Eigenschaften des Rechtsverhältnisses erkannt, wenn auch zugleich ersichtlich wird, daß Bierling der — i m folgenden noch näher zu entwickelnde — Unterfall des asymmetrischen Rechtsverhältnisses unbekannt war. Demgegenüber kann man ihm wiederum darin zustimmen, daß Rechtsverhältnisse auch insofern anzutreffen sind, als normgebenden normnehmende Subjekte gegenüberstehen. Dies ist nicht nur insofern der Fall, als es Rechtsansprüche „der Unterthanen gegen die Obrigkeit" gibt 1 2 , sondern auch insofern, als sich zwischen Normgeber und Normadressaten mehrpolige Rechtsverhältnisse entwickeln, wie sie bei Gesetzen und Verordnungen anzutreffen sind. Bierlings Konsequenz lautet: „ A l l e Rechtsnormen . . . drücken in Wahrheit nichts anderes aus, als den Inhalt von Rechtsverhältnissen", und umgekehrt: „überall, wo Rechtsverhältnisse bestehen, da bilden den Inhalt Rechtsansprüche und entsprechende Rechtspflichten, die sich auch losgelöst von ihren Subjekten schlechtweg als Rechtsnormen o d e r . . . als eine A r t objektiven Rechts denken lassen". Die Herauslösung der Rechtsnorm aus dem Rechtsverhältnis führt konsequenterweise dazu, daß auch vertragliche Vereinbarungen dem objektiven Recht zuzurechnen sind 13 . Nicht minder modern ist die Erkenntnis, daß Staatsverträge Rechtsverhältnisse zwischen den betreffenden Staaten erzeugen, ihre ver9 E.R. Bierling, Juristische Prinzipienlehre, 1. Bd., 1894, 2. Bd., 1898; vgl. auch ders., Strafrechtsverhältnis u n d Strafprozeßverhältnis, Z S t r W X , 271 ff., 291 ff.; erwähnt seien aber auch die Ausführungen über das Wesen der Rechtsverhältnisse bei F. C. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, 1. Bd., 1840, S. 331 ff. (dazu H. Kiefner, Das Rechtsverhältnis, i n : Europäisches Rechtsdenken i n Geschichte u n d Gegenwart, Festschrift f ü r H e l m u t Coing, 1982, S. 149 ff.). 10 E. R. Bierling, Prinzipienlehre, 1. Bd., S. 145. 11 Ebd., S. 152, 171, 183. 12 Ebd., S. 154. 13 Ebd., S. 156 f.

2*

20

1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente

fassungsmäßige Einführung als Gesetz aber erst ihre Geltung innerhalb des Staatsgebiets und damit für die Staatsangehörigen begründet 14 . Damit ist bereits die — ebenfalls i m folgenden näher zu entfaltende — Transformation von Rechtsnormen angesprochen. Die weitere Ausdifferenzierung der Rechtsverhältnisse führt Bierling zu der Anerkennung „zusammengesetzter Rechtsverhältnisse" 15 , wie sie i m folgenden als multipolare Rechtsverhältnisse entwickelt werden. Ebenso ist ihm darin zuzustimmen, daß der Begriff des „Organs" dazu Anlaß gibt, „ w o das positive Recht einmal bis zu der Annahme fiktiver Rechtssubjekte und i m Zusammenhang damit zu der Vorstellung von Organen solcher Subjekte vorgeschritten ist, das Verhältnis zwischen dem fiktiven Subjekt und seinen Organen als ein Rechtsverhältnis zu denken" 1 6 . Damit w i r d die Komplexität der Rechtsordnung immerhin schon erahnt, i n der es unter anderen allerdings auch Organisation-OrganVerhältnisse gibt. Aber auch eine weitere Erkenntnis erweist sich als zukunftsweisend: Herausgestellt w i r d nämlich bereits, daß i n der Regel ein und dasselbe Rechtsverhältnis eine Mehrzahl von Rechtsansprüchen und Rechtspflichten i n sich schließt 17 . Hierin kommen die Disymmetrie und die Polysymmetrie von Rechtsverhältnissen zum Ausdruck, die Bierling bereits vorstellbar waren, während dies für die Asymmetrie — wie gesagt — nicht zutrifft. Man w i r d Bierling auch darin zustimmen dürfen, daß der Begriff des Rechtsverhältnisses enger ist als der Begriff des „LebensVerhältnisses" und daß sich vor allem Besitzer und besessene Sache niemals als Inhaber oder Träger von Rechtsansprüchen und Rechtspflichten gegenüberstehen. Schon vom Boden dieser Erkenntnis aus war die Annahme „dinglicher Verwaltungsakte" unmöglich. Insofern liegt die Auffassung näher, daß das „dingliche Rechtsverhältnis" i n so viele „Rechtsverhältnisse desselben aufzulösen . . . , als es Menschen giebt, die sein Verhältnis zur Sache stören können" 1 8 . Demgegenüber erscheint es als zu eng gesehen, daß für Verhältnisse zwischen Menschen, die i n keiner Weise als Rechtsverhältnisse eingeordnet werden könnten, nur mehr oder weniger rasch vorübergehende Verhältnisse übrigbleiben 19 . Übersehen w i r d dabei, daß es durchaus — auch dauernde — Sozialverhältnisse zwischen Menschen gibt, die nicht i n die Natur von Rechtsverhältnissen hineinwachsen. Damit w i r d nicht abgestritten, daß 14

Ebd., S. 159 f. Ebd., S. 174 f. 16 Ebd., S. 175 A n m . 1. 17 Ebd., S. 183. 18 Ebd., S. 184 A n m . 1, 188. Besonders k l a r w i r d S. 258 herausgestellt, daß eine Sache kein Rechtssubjekt sein kann. 19 Ebd., S. 190. 15

I I . Dogmengeschichtliche Grundlagen

21

i n ein und demselben Lebensverhältnis rechtliche und nichtrechtliche Bestandteile angetroffen werden können sowie daß nicht jeder einzelnen Rechtsnorm jeweils ein besonderes Rechtsverhältnis entspricht, obwohl es solche geben kann, deren Inhalt durch eine einzige Rechtsnorm erschöpft wird. Anzuerkennen ist auch, daß es Normen gibt, die als Inhalt mehrere Rechtsverhältnisse vorkommen 2 0 ; insofern ist — wie an späterer Stelle dazulegen sein w i r d — von einer Polyvalenz von Rechtsnormen zu sprechen, die deren Transformation erübrigt. Die Komplexität der Rechtsordnung kommt weiterhin i n der Unterscheidung subordinierter und superordinierter Rechtsverhältnisse zum Ausdruck 21 . Hier k l i n g t die moderne Erkenntnis an, daß die Rechtsordnung aus nebeneinander und ineinander gelagerten Teilrechtsordnungen besteht, wobei die i n diesen wirkenden Rechtsverhältnisse i n der Tat Subordinationsbeziehungen sein können. Auch aus diesem Umstand resultiert, daß ein Rechtsverhältnis „Objekt" eines anderen Rechtsverhältnisses sein kann, wie Bierling am Beispiel der Bürgschaft darlegt, die sich auf ein weiteres Schuldverhältnis bezieht, an dem derjenige als Gläubiger beteiligt ist, für den gebürgt wird 2 2 . Hiermit angesprochen ist ein Fall der interrelationalen Beziehungen zwischen Rechtsverhältnissen, die an späterer Stelle näher betrachtet werden sollen. Bierling kommt von seiner Ausgangsposition aus zu einer „Klassifikation der Rechtsverhältnisse", innerhalb deren er unter anderen „einseitige" und „mehrseitige" sowei „einnormige" und „mehrnormige" unterscheidet 23 . Einseitige Rechtsverhältnisse sind für i h n solche, die i m folgenden als „symmetrische", mehrseitige demgegenüber solche, die hier als „disymmetrische" oder „polysymmetrische" Rechtsverhältnisse bezeichnet werden. Eine weitere Unterscheidung w i r d von i h m nach der A r t der Rechtssubjekte getroffen, indem er solche „ z w i schen wahren Rechtsgenossen", „von Vereinen oder Körperschaften", „von sonstigen oder halbfiktiven Rechtssubjekten" unterscheidet; ferner untergliedert er nach der Zahl der i n einem Rechtsverhältnis verbundenen Rechtssubjekte sowie nach der Bestimmtheit der Rechtssubjekte solche m i t „individuell bestimmten, anderseits solche m i t bloß generell bestimmten Subjekten, öfters aber auch . . . m i t teils individuell, teils generell bestimmten Subjekten" 2 4 . Gleichmäßig zusammengesetzte Rechtsverhältnisse seien solche, i n denen für alle Rechtssubjekte dieselben Normen gelten, ungleichmäßig zusammengesetzte dem20 21 22 23 24

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. 195, 198. S. 199. S. 271 f. S. 275, 282. S. 286, 292, 300.

1. Teil:

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echtserhältnisse als Strukturelemente

gegenüber solche, für deren Subjekte verschiedene Normen Verschiedenes vorschrieben. Hierbei scheint allerdings übersehen zu sein, daß es sich dann in Wirklichkeit zumindest i n der Regel nicht mehr um dasselbe Rechtsverhältnis, sondern u m mehrere, wenn auch i n Beziehung zueinander stehende Rechtsverhältnisse handelt. Die Komplexität der Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung zwingt nicht dazu, Beziehungen m i t unterschiedlichen Rechten und Pflichten als ein einziges Rechtsverhältnis zu deuten. Die Erkenntnis, daß sich zusammengesetzte Rechtsverhältnisse — zu denen Bierling allerdings schon mehr als zwei Subjekte umfassende zählt — i n Teil Verhältnisse auflösen lassen 25 , ist sicherlich richtig; nur erscheint dies nicht schon aus diesem Grunde als notwendig, sondern erst, sobald die i n der Beziehung auftretenden Rechte und Pflichten wegen ihrer Unterschiedlichkeit die Annahme mehrerer Rechtsverhältnisse nahelegen. Dasselbe Bedenken ist der These gegenüber zu erheben, die Annahme mehrerer Teilverhältnisse erscheine nicht als angezeigt, sofern sich i n einem Rechtsverhältnis nur zwei Subjekte gegenüberständen 26 . Bei mangelnder Konnexität — beispielsweise einem Kaufvertrag zwischen Vermieter und Mieter — w i r d man dennoch hierzu kommen müssen. Auch die Vorstellung, die Addition aller Teilverhältnisse ergebe das Gesamtverhältnis 27 , ist m i t h i n ungenau. Zutreffende und unzutreffende, zumindest jedoch mißverständliche Erwägungen stehen bei Bierling nahe nebeneinander. Dies gilt auch für seine Annahme, das „Verhältnis der Staatsgemeinschaft" zerfalle i n „zwei höchst umfassende Teilverhältnisse", nämlich ein Rechtsverhältnis zwischen allen Staatsgenossen untereinander, dessen Inhalt das Privatrecht des betreffenden Staats bilde, sowie das Rechtsverhältnis zwischen den verschiedenen Staatsgenossen einerseits und dem Staat andererseits, welches das öffentliche Recht desselben Staats ausmache. I n diese beiden Rechtsverhältnisse sei das „Gesamtrechtsverhältnis" Staat aufzuteilen 28 . Richtig ist daran zwar, daß auch der Staat selbst als Rechtssubjekt i n einem Rechtsverhältnis erscheinen kann, unzutreffend aber, den Staat selbst als Rechtsverhältnis zu bezeichnen, und ebenso unrichtig, die Einteilung i n Privatrecht und öffentliches Recht an der zuvor dargestellten Gliederung zu orientieren. Abwegig ist auch die Erwägung, Rechtsverhältnisse zwischen den Rechtssubjekten i m Bereich des Privatrechts ließen sich zum einen als „AnspruchsVerhältnis", zum anderen als „Pflichtverhältnis" deuten, wenn auch hierbei nicht von „TeilVerhältnissen" innerhalb eines Rechtsverhältnisses die 25 26 27 28

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. 292, 309. S. 309. S. 310. S. 312 f.

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Rede sein dürfe 29 . Demgegenüber klingt die richtige Erkenntnis an, wenn Bierling auch hinsichtlich der Beziehungen zwischen dem Staat und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, insbesondere Gemeinden und Gemeindeverbänden, von Rechtsverhältnissen spricht 30 . N u r handelt es sich bei diesen eben nicht um Teilverhältnisse innerhalb des „StaatsVerhältnisses", sondern u m Rechtsverhältnisse eigener A r t , die sich zwanglos i n die Komplexität der Gesamtrechtsordnung einfügen lassen. Verwirrend und für die Erkenntnis nicht förderlich ist es schließlich, außer koordinierten, super- und subordinierten auch noch super- und subsumierbare Rechtsnormen anzunehmen — von denen eine Norm (die „subsumierbare") vom Standpunkt einer anderen (der „supersumierbaren") als Norm „zweiter Ordnung" erscheint — und daraus die Möglichkeit abzuleiten, subsumierbare und supersumierbare Rechtsverhältnisse anzuerkennen 31 . Sicherlich gibt es unter den interrelationalen Beziehungen auch solche zwischen ableitenden und abgeleiteten oder i n einer anderen Weise von einander abhängigen Rechtsverhältnissen, nur führt die Untergliederung i n super- und subsumierbare Rechtsverhältnisse, nämlich solche, die „sei es ihrem ganzen Inhalte nach, sei es nur i n Bezug auf bestimmte i n ihnen enthaltene Rechtsansprüche und Pflichten, einen . . . Rechtsgrund i n anderen Rechtsverhältnisse finden" 3 2 zu unterscheiden. Die Ableitung der Rechtsverhältnisse voneinander ist keine Frage der Subsumtion, wie sie i n der Unterordnung eines Tatbestands unter eine Rechtsnorm geschieht, sondern hängt damit zusammen, daß Ableitungsverhältnisse zwischen den sie schaffenden und gestaltenden Rechtsnormen anzutreffen sind. c) Die grundlegende Bedeutung des Rechtsverhältnisses zeigt ferner schon der frühe Hans Kelsen auf 33 . Auch bei i h m erscheint es allerdings als solches nicht zwischen Rechtssubjekten, sondern zur Rechtsordnung überhaupt. Von diesem Ausgangspunkt leugnet er die Möglichkeit der Konstruktion von Über- und Unterordnungsverhältnissen — eine für die Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht überaus brisante These —; vielmehr stellt er den Staat allen sonstigen Rechtssubjekten gleich und m i t ihnen der Rechtsordnung gegenüber. Hierbei erweist sich die Gleichsetzung des Staats m i t sonstigen Rechtssubjekten als zukunftsweisend; sie entspricht auch den i m folgenden darzulegen29 Ebd., S. 317. Dabei w i r d übersehen, daß es hierbei u m die Rechte-Pflichten-Korrespondenz innerhalb desselben Rechtsverhältnisses, nicht aber u m verschiedene Rechtsverhältnisse geht, was Bierling schließlich auch selbst erkennt. 30 Ebd., S. 320 ff. 31 Ebd., S. 327 ff. 32 Ebd., S. 349. 33 H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 1910, S. 702 ff.

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1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente

den Thesen. Demgegenüber liegt der Deutung des Rechtsverhältnisses als Beziehung zur Rechtsordnung überhaupt ein Rechtsverhältnisbegriff zugrunde, der m i t dem modernen Verständnis des Rechtsverhältnisses nicht i n Einklang steht, w e i l dieses nun einmal Rechtssubjekte als Endpunkte des Rechtsverhältnisses voraussetzt. Kelsens These läßt sich zwar auch hierin einpassen, wenn seine — freilich erst spätere — Identifizierung von Staat und Recht 34 mitberücksichtigt wird. Dann allerdings ist i n dem m i t der Rechtsordnung identischen Staat ein Rechtssubjekt als Endpunkt von Rechtsverhältnissen vorhanden. Nur ist dies eben erst die Lehrmeinung des späteren Kelsen — sie mag m i t der erwähnten These i n den „Hauptproblemen der Staatsrechtslehre" vorausgeahnt sein; niedergelegt ist sie dort jedoch noch nicht. d) U m eine beachtliche Erweiterung der Perspektive handelt es sich bei der von Hans Nawiasky vorgenommenen Zusammenfassung „der Verpflichtung des Normadressaten" und der „Berechtigung des Staates" unter dem Begriff „Rechtsverhältnis i m weiteren Sinn" 3 5 , das er m i t dem „allgemeinen Gewaltverhältnis" identifiziert und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das vorgeschriebene Verhalten eines Rechtsunterworfenen diesem zugunsten eines anderen auferlegt ist oder nicht und sich die objektiven Rechtsnormen dann nur als Reflexe auswirken. Rechtsverhältnisse „ i m engeren Sinne" seien demgegenüber dadurch gekennzeichnet, daß der Staat i n ihnen nicht als Träger der Rechtsordnung — „Rechtsordnungssubjekt" 38 —, sondern als ein Rechtssubjekt wie alle anderen Rechtssubjekte auftrete. Dabei könne es sein, daß sich staatliche Organe i n verschiedenen Funktionen gegenüberträten: das eine als Inhaber eines subjektiven Rechts, das andere als Rechtsschutzinstanz. Ebenso könne es sein, daß der Staat als Rechtsordnungssubjekt sich selbst als Rechtssubjekt m i t einer Verpflichtung belaste 37 . Immerh i n klingt hierin schon etwas von der Komplexität der Subjekte und der Verschiedenheit der Symmetrien an, wenn auch beide Kategorien 34 H. Kelsen, Der soziologische u n d der juristische Staatsbegriff, 1928, S. 86 ff., 114 ff., 140 ff.; ders., Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 16 f., 19 ff.; ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 288. — Vgl. hierzu N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 34 f. 35 H. Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl., 1948, S. 166 f.; ders., A l l gemeine Staatslehre, 3. Teil, 1956, S. 38 ff. 36 H. Nawiasky s F i g u r des Rechtsordnungssubjekts (vgl. Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, 1920, S. 17 ff.; ders., Allgemeine Rechtslehre, S. 17, 86, 238; ders., Allgemeine Staatslehre, 1. Teil, 1945, S. 49 ff., 67 f., 151 f., 167, 170, 3. Teil, S. 3 ff.) k n ü p f t an einschlägige Überlegungen v o n E. Beling, Das Rechtsordnungssubjekt, ArchRWiPhil. 20 (1926/27), 56 ff., an. Z u r K r i t i k N. Achterberg, D Ö V 74, 451; ders., Die Reine Rechtslehre i n der Staatstheorie der Bundesrepublik Deutschland, i n : Der Einfluß der Reinen Rechtslehre auf die Rechtstheorie i n verschiedenen Ländern ( = Schriftenreihe des Hans K e l sen-Instituts, Bd. 2), 1978, S. 7 ff. (33). 37 H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, 3. Teil, 1956, S. 39.

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miteinander vermischt, statt — wie erforderlich und i m folgenden geschehen — voneinander unterschieden werden. e) Hans Heinrich Rupps Untersuchungen zu den Rechtsverhältnissen des Außenbereichs — zwischen Staat und Staatsbürger — sowie des Innenbereichs — Organverhältnis und Organwalterverhältnis 3 8 — schließlich haben Rechtssubjekte als Bezugspunkte. M i t der Ersetzung der tradierten Dichotomie von Rechtsverordnung und VerwaltungsVerordnung durch diejenige von Außen- und Innenrechtssatz w i r d zugleich die Standortbedingtheit der Qualifizierung von Rechtsverhältnissen aufgezeigt, gemäß der aus der Sicht des Völkerrechts das Staatsrecht als Innenrecht erscheint 39 . Denkt man diese Überlegungen konsequent weiter, so sind auch innerhalb der staatlichen Rechtsordnung sowohl nebenals auch ineinander gelagerte Teilrechtsordnungen — Beziehungsgefüge von Rechtsverhältnissen — anzutreffen, innerhalb deren sich weitere Rechtsverhältnisse vielfältiger A r t entwickeln können. Die Gliederung i n Außen- und Innenverhältnis, allgemeines und besonderes Gewaltverhältnis, Organ- und Organwalterverhältnis ist noch bei weitem zu grob, u m die Komplexität der Rechtsverhältnisordnung einzufangen. Nicht Dichotomien vermögen sie abzubilden, sondern nur eine „Polytomie" vermag dies zu leisten. f) Karl Loewensteins Darstellung des Staats als Kontrollsystem, Gefüge von Inter- und Intra-Organ-Kontrollen 4 0 , bedeutet gewissermaßen das politikwissenschaftliche Pendant dieser Erkenntnisse, geht über den zuvor erwähnten Ansatz allerdings insofern hinaus, als m i t ihr schon Inter-Organ-Verhältnisse einbezogen werden, die bei Rupp noch ausgeblendet bleiben. Politikwissenschaftlich als „Kontrollen" bezeichnete Steuerungsvorgänge vollziehen sich unter rechtswissenschaftlichem Blickwinkel i n Rechtsverhältnissen; dem Pluralismus von Kontrollsystemen entspricht ein solcher von Rechtsverhältnissen. Der Ansatz erweist sich aber noch i n einer anderen Richtung als bedeutsam: M i t dem Kontrollsystem sind „checks and balances" angesprochen — die Rechtsverhältnisordnung wächst in die Dimension der Funktionenordnung hinein. Sind innerhalb dieser interfunktionelle und intrafunktionelle Funktionenverschränkungen zu unterscheiden, von denen die letzteren Inter- oder Intra-Organ-Kontrollen sein können 41 , so ergibt sich hieraus 38 H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 15 ff., 19 ff., 104. 39 H. H. Rupp, S. 21. 40 K. Loewenstein, Verfassungslehre, 3. Aufl., 1975, S. 167 ff. Z u m Erfordernis, diese Unterscheidung zu präzisieren, N. Achterberg, Probleme der F u n k tionenlehre, S. 112 f. A n m . 21. 41 Systematisierung der möglichen Funktionenverschränkungen, i n die auch die I n t e r - u n d I n t r a - O r g a n - K o n t r o l l e n einzupassen sind, bei N. Achterberg, S. 122 f.

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1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente

schon eine recht komplexe, polytome Struktur der Rechtsverhältnisordnung. g) Schließlich aber findet sich der Bezug auf die Bedeutung des Rechtsverhältnisses auch i m modernen Kirchenrecht — dort i n der Ableitung des Rechtsverhältnisses vom „GottesVerhältnis". So formuliert Hans Dombois: „Wenn das Kirchenrecht das Handeln der Kirche nachdenkt und auf seine Legitimität prüft, damit also geistige Beziehungen erwägt und verfolgt, so stößt es alsbald auf die Tatsache, daß das Evangelium selbst das Verhältnis Gottes zu den Menschen i n Rechtsvorstellungen beschreibt 42 ."Nicht der Mensch beanspruche Rechte, sondern Gott selbst setze sich ins Recht, übe seine Herrschaft aus, gebe und fordere, weshalb eine Klärung dieser Rechtsvorstellungen nach Grund, Inhalt und Tragweite der Problematik des Kirchenrechts vorausliege. Hierbei stelle sich zunächst die Frage, ob das Gottesverhältnis selbst i n solchen Vorstellungen begriffen und angemessen ausgedrückt werden könne, wobei sich drei Fragen ergäben: diejenige nach der Rechtsstruktur personaler Bezüge, insbesondere des Gottesverhältnisses, diejenige nach der Interpretation der Rechtsakte und Rechtsverhältnisse, i n denen sich das Gottesverhältnis selbst vollzieht, diejenige nach den Rechtsformen der Kommunikation, der personalen Verbindung, deren sich Gott zur Ausrichtung seines Heilswillens bediene. Das Gottesverhältnis als materialer Grundbezug wende sich dabei gegen Drittbezüge, die das Leben konstituieren. Solange sich Gott und der Mensch gegenüberständen, fehle es am Dritten. Während aber alle übrigen Religionen ein Zweierverhältnis bedeuteten, i n dem die Menschen als M i t t l e r aufträten, schaffe der christliche Glaube durch die Menschwerdung Gottes das allein mögliche Drittverhältnis, i n dem auch der Gedanke der Stellvertretung — des stellvertretenden Leidens — einen Rechtsgedanken, die Trinitätslehre den Drittbezug wiedergebe. 2. Metajuristische Aussagen

a) Beziehungssoziologie aa) I n der aus der u m die Wende zum 20. Jahrhundert aufbrechenden Erkenntnis, daß die Verbundenheit der Menschen untereinander oder miteinander als zwischenmenschliche oder soziale Beziehung wegen ihrer Bedeutung für das Zusammenleben einen oder gar den Hauptgegenstand der Soziologie bildet, entstandenen Beziehungssoziologie 43 42 H. Dombois, Das Recht der Gnade, Oekumenisches Kirchenrecht I, 1956, S. 90 ff., insb. S. 94. 43 Vgl. hierzu L.H.A. Geck, Beziehung u n d Beziehungslehre, i n : Wörterbuch der Soziologie, Hrsg. Bernsdorf / Bülow, 1955, S. 62 ff.; B. Sievers, Beziehungslehre, i n : L e x i k o n zur Soziologie, Hrsg. Fuchs / K l i m a / L a u t m a n n / Rammstedt / Wienold, 1973, S. 100 f.

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ging Georg Simmel davon aus, „der Mensch sei i n seinem ganzen Wesen und allen Äußerungen dadurch bestimmt, daß er i n Wechselwirkung m i t anderen Menschen lebt". Infolgedessen forderte er eine nicht mehr substantiell von dem „Einzelmenschen, seinem Verstände und seinen Interessen" ausgehende neue Betrachtungsweise, bei der die „historischen Erscheinungen aus dem Wechselwirken und dem Zusammenwirken der einzelnen . . . [zu] verstehen [seien], aus der Summierung und Sublimierung unzähliger Einzelbeiträge, aus der Verkörperung der sozialen Energien i n Gebilden, die jenseits des Individuums stehen und sich entwickeln" 4 4 . Das Objekt der Soziologie war hiernach ein „ K o m plex von Bestimmungen und Beziehungen", i n dem der Mensch in ein „Zusammensein, ein Füreinander-, Miteinander-, Gegeneinander-Handeln, i n eine Korrelation der Zustände m i t andern" t r i t t 4 5 . „Gesellschaft" war nurmehr der „Name für einen Umkreis von Individuen, die durch derartig sich auswirkende Wechselbeziehungen aneinander gebunden sind"; als Aufgabe der Gesellschaftswissenschaft wurde genannt, die Formen dieser Wechselwirkung zu beschreiben 46 . Die Existenz der als „Organe" bezeichneten Institutionen wurde auf dieser Grundlage beziehungssoziologisch als das „Resultat soziologischer Arbeitsteilung", die „Wechselwirkungen der Elemente untereinander" wurden dadurch erklärt, daß jedes dieser Elemente für sich m i t dem neu herausgebildeten Organ i n Beziehung tritt, „anders ausgedrückt: während dort, wo keine Organbildung erfolgt, die individuellen primären Elemente allein substantielle Existenz haben, und ihr Zusammenhang ein rein funktioneller ist, gewinnt nun dieser Zusammenhang selbst einen eigenen, gesonderten Bestand, und zwar nicht nur jenseits aller Gruppenangehörigen, auf die er sich überhaupt bezieht, sondern auch jenseits derjenigen Einzelelemente, die i h n tragen oder erfüllen"; das Organ erschien letztlich als die „verkörperte Abstraktion der Wechselwirkungen i n der Gruppe" 4 7 . — Obwohl sich Simmel der Bedeutung der Beziehungssoziologie für die Nachbarwissenschaften bewußt war, nahm er selbst nur ansatzweise zu möglichen Konsequenzen Stellung, wobei i h m der Begriff des Rechtsverhältnisses geläufig war: Den konstitutionellen Lehren seiner Zeit entsprechend unterschied er insbesondere Rechtsverhältnisse der Gleichordnung und solche der Uber- und Unterordnung 4 8 . Indessen ist dies weniger wichtig; bedeutsamer ist der Umstand, daß i n dieser Lehre frühe Anzeichen einer 44 G. Simmel, Soziologie. Untersuchung über die Formen der Vergesellschaftung, 4. Aufl., 1958 ( = Gesammelte Werke, Bd. 2), S. 3. 45 G. Simmel, S. 4. 46 G. Simmel, Grundfragen der Soziologie. I n d i v i d u u m u n d Gesellschaft, 3. Aufl., 1970, S. 14. 47 G. Simmel, Soziologie, S. 407, 426. 48 G. Simmel, S. 172.

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1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente

Theorie sozialen Handelns zu finden sind, die nicht mehr nur von der Substanz, sondern von der Funktion ausgehen m i t der Folge, daß „Erkenntnis i m allgemeinen und auch die von Gesellschaft i m besonderen nicht auf Deduktion, sondern auf Relation gegründet ist und daß diese Relation die Gesamtverhältnisse des Erkennenden einbezieht" 49 . A u f den dergestalt gelegten Grundlagen einer Soziologie der Wechselbeziehungen aufbauend wandte sich Alfred Vierkandt der „Beziehung als Grundkategorie des sozialen Denkens" zu 50 , indem er forderte, die Wissenschaft müsse m i t einer gegenständlichen Denkweise brechen, dam i t die „Kategorie der Beziehung" i n den Mittelpunkt treten könne 51 , u m einer funktionalen Sichtweise den Weg zu bahnen. Die Funktionen seien für die soziologische Betrachtung so wichtig, „daß das Bedürfnis nach einer entsprechenden Begriffsbildung unabweisbar ist. Funktionen aber werden erfaßt nicht von dem gegenständlichen, sondern von dem beziehenden Denken" 5 2 . Von diesem Ausgangspunkt w a r es nur ein Schritt bis zu der Erkenntnis, daß man zu einem zutreffenden Verständnis der gesellschaftlich-geschichtlichen Tatsachen nur gelangt, „wenn w i r als Einheit der Betrachtung nicht die Person, sondern die Verhältnisse zugrundelegen" 53 . bb) War hiermit eine Beziehungssoziologie zwar gefordert, aber noch nicht entwickelt, so wurde eine solche schließlich von Leopold v. Wiese systematisch ausgebaut und zu einem ersten Abschluß gebracht. Er ging davon aus, daß „so zusammengesetzte Erscheinungen wie Staat, Klasse, abstrakte Masse, Volk ohne die Stützen i n soliden Fundamenten" nicht zu behandeln seien 54 und wollte das „Zwischenmenschliche aus den Verworrenheiten des Lebens" herauslösen, wobei er den Schlüssel dazu i n einer „Beziehungslehre" erblickte, deren Aufgabe darin bestehe, „aus allen Geschehnissen, die Menschen betreffen, das Zwischenmenschliche zu isolieren und in einem System wechselnder Distanzierungen zu erfassen" 55 , w e i l die sozialen Beziehungen der Menschen und Menschenvereinigungen als „Abstände (Distanzen)" zwischen ihnen anzusehen 49 H. Becher, Georg Simmel. Die Grundlagen seiner Soziologie, 1971 ( = B o n ner Beiträge zur Soziologie, Nr. 12), S. 23. — Z u r Würdigung Simmeis insgesamt P. E. Schnabel, Die soziologische Gesamtkonzeption Georg Simmeis. Eine wissenschaftshistorische u n d wissenschaftstheoretische Untersuchung, 1974 ( = Sozialwissenschaftliche Studien, Heft 13), insb. S. 152 ff. 50 A. Vierkandt, Die Beziehung als Grundkategorie des sozialen Denkens, ArchRWiPhil. 9 (1915/16), 83 ff., 214 ff. 51 Ebd., S. 83. 52 Ebd., S. 218. 53 Ebd., S. 221. 54 L. ν . Wiese, System der beziehenden Soziologie als Lehre von den sozialen Gebilden der Menschen (Beziehungslehre), 3. Aufl., 1955, S. V I I I . 55 Ebd., S. 51, 53.

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seien, als das „eigentlich Wesentliche des Sozialen überhaupt" erschienen 56 . Die sozialen Beziehungen stellen sich hiernach als die Ergebnisse von sozialen Prozessen dar, so daß sich eine Begriffsbestimmung dergestalt ergab, daß man „eine soziale Beziehung als einen durch einen sozialen Prozeß oder (meist) durch mehrere soziale Prozesse herbeigeführten labilen Zustand verhältnismäßiger Verbundenheit oder Getrenntheit zwischen Menschen bezeichnen" könne 57 . Gesellschaft ist unter diesen Bedingungen „nichts Substantivisches", sondern ein „verwickeltes Netz von Geschehnissen oder Vorgängen", die beziehungssoziologisch soziale Prozesse sind. Beziehungssoziologie erscheint als „Prozeß-Soziologie", „denn die Kategorie der Prozesse ist ihre Basis, während die Beziehungen aus jenen abgeleitet werden" 5 8 . Unzweifelhaft — schon für v. Wiese — umgriff eine so verstandene Beziehungssoziologie das Phänomen der Organisation, war sie zugleich Organisationslehre, (auch) soweit sie „Mensch-Mensch-Verhältnisse" betraf 59 . Unter diesem Aspekt unterschied er zwischen den „einfachen und den verwickelten Prozessen", „Prozessen erster und zweiter Ordnung" 6 0 . Sind die ersteren allgemein-menschliche, „bei deren Analyse w i r von dem (stets vorhandenen) Bestehen von sozialen Gebilden, i n denen sie sich vollziehen . . . absehen", so werden die letzteren „erst durch die Vorstellung von sozialen Gebilden, in denen sie sich abspielen", verständlich. Damit ergab sich die Schlußfolgerung, daß man sich die „sozialen Prozesse zweiter O r d n u n g . . . nicht unabhängig von den Prozeßkomplexen [ = sozialen Gebilden] vorstellen" kann. Die Prozesse erster Ordnung setzen nicht notwendig das Vorhandensein eines vorher geformten Gebildes voraus, während die Prozesse zweiter Ordnung solche i n und zwischen sozialen Gebilden sind 61 . Die Bedeutung v. Wieses für eine Rechtsverhältnislehre liegt hiernach zum einen i n seiner Typologie sozialer Prozesse begründet, die eine erste Basis für die Anschauung von der Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung abzugeben vermag; zum anderen ist sie i n der organisationssoziologischen Erfassung der sozialen Gebilde zu erblicken, die als „Prozeßkomplexe" i n die Beziehungssoziologie einbezogen werden und damit eine Parallele zu dem i m folgenden darzustellenden Phänomen multipolarer Rechtsverhältnisse bilden.

56 Handwörterbuch der Soziologie, Hrsg. Vierkandt, 1931, Neudruck 1959, S. 66 ff., 79. 57 L. v. Wiese, Geschichte der Soziologie, 9. Aufl., 1971, S. 138 f. 58 L. v. Wiese, Beziehungssoziologie, HDSW 2, 1959, S. 198 (199). 59 L. v. Wiese, System der beziehenden Soziologie als Lehre von den sozialen Gebilden der Menschen, S. 615. 60 Ebd., S. 157. 61 Ebd., S. 175.

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1. Teil: Hechts Verhältnisse als Strukturelemente

b) Systemtheorie Während die Beziehungssoziologie den Gesellschaftsbegriff aufzulösen suchte und die Gesellschaft lediglich als Gefüge sozialer Beziehungen und Wechselwirkungen erblickte, legt die Systemtheorie ein funktionalistisches Verständnis der Gesellschaft als soziales System zugrunde. I h r geht es nicht um die „Feststellung des Seins i n Form von Wesenskonstanten, sondern u m Variation von Variablen i m Rahmen komplexer Systeme". Dementsprechend versteht Niklas Luhmann den Funktionsbegriff als „regulatives Prinzip für die Feststellung von Ä q u i valenzen i m Rahmen funktionaler Variablen" m i t der Folge, daß ein kausalwissenschaftlicher Funktionalismus durch einen Äquivalenzfunktionalismus ersetzt wird 6 2 . Die Kausalbeziehung erscheint unter diesen Voraussetzungen nur noch als Anwendungsfall funktionaler Ordnung. A u f dieser Basis w i r d die Beziehung zwischen System und Umwelt Interpretationsbasis des Verhältnisses der Gesellschaft zu anderen Sozialsystemen; Gesellschaft erscheint als „Sozialsystem par excellence", als „soziales System der sozialen Systeme", und kann demnach funktional definiert werden als „dasjenige Sozialsystem, das i m Voraussetzungslosen einer durch physische und organische Systembildungen strukturierten Umwelt soziale Komplexität regelt" 6 3 . Zur entscheidenden Funktion sozialer Systeme w i r d die durch Stabilisierung einer Differenz von Innen und Außen erfüllte Erfassung und Reduktion von Komplexität zwecks sozialer Konfliktsabsorption 6 4 . Die dabei aufgeworfene Frage nach der Struktur sozialer Systeme w i r d so beantwortet, daß diese nicht nur als soziale Beziehungen und Wechselwirkungen, sondern als aus „faktischen Handlungen, die sinngemäß zusammenhängen", zusammengesetzt verstanden werden 6 5 . Systeme sind jedoch nicht i n der Weise aus Handlungen gebildet, daß diese wie i m voraus bestehende Gegenstände m i t bestimmten Qualitäten vorhanden sind; vielmehr konstituieren sich Sinn und Identität einzelner Handlungen überhaupt erst in Systemen 66 . Vor diesem Hintergrund fordert die Systemtheorie, konsequenter als bisher funktionalistisch zu denken und die „Besonderhei62 N. Luhmann, F u n k t i o n und Kausalität, i n : ders. Soziologische A u f k l ä rung. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, Bd. 1, 4. Aufl., 1974, S. 9 ff. (15), i m Anschluß an die analytische Systemtheorie T. Parsons (Das System mo-* derner Gesellschaften, 2. Aufl., 1976 [ = Grundfragen der Soziologie, Bd. 15], S. 12 ff.). 63 N. Luhmann, Gesellschaft, i n : ders., Soziologische Aufklärung, S. 137 ff., 143, 145. 64 N. Luhmann, S. 145. 05 N. Luhmann, Funktionale Methode u n d Systemtheorie, i n : ders., Soziologische Aufklärung, S. 31 ff. (42). 66 N. Luhmann, Sinn als Grundbegriff der Soziologie, i n : Habermas / L u h mann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie — Was leistet die Systemforschung?, 1974, S. 25 ff. (80).

I I I . Der Begriff des Rechtsverhältnisses

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ten sinnhafter Erfassung und Reduktion von Komplexität" herauszuarbeiten. Erst dann lasse sich Gesellschaft als dasjenige Sozialsystem begreifen, „das m i t seinen Grenzen unbestimmte, nicht manipulierbare Komplexität ausgrenzt und damit die Möglichkeiten vorstrukturiert, die i n der Gesellschaft ergriffen und realisiert werden können" 8 7 . Die rechtswissenschaftliche Relevanz der Systemtheorie liegt hiernach vor allem i n ihrer Bedeutung für die rechtliche Erfassung komplexer Sozialstrukturen, wie sie etwa i m Staatsorganisationsrecht i n Erscheinung treten 68 . Insoweit war die Beziehungssoziologie trotz ihrem Streben nach Einbeziehung von Systemstrukturen i n eine Lehre von sozialen Gebilden auf Grenzen gestoßen, weil sich Makroorganisationen zumindest i n zweiseitigen Beziehungen nicht adäquat darstellen lassen. Beziehungssoziologische Sichtweise ist daher mehr zur Abbildung einfacherer Zusammenhänge geeignet, wie sie i n überschaubaren Mikroorganisationen vorkommen. Für die Rechtsverhältnisordnung bildet dagegen die systemtheoretische Argumentation weitaus eher eine meta juristische Entsprechung zur Rechtsverhältnistheorie. Wie dem auch sei: Weder i n der Beziehungssoziologie noch i n der Systemtheorie erfährt eine Rechtsverhältnistheorie ihre meta juristische Begründung; eine solche ist auch nicht erforderlich. Beide stellen jedoch jeweils i n ihrem Aussagebereich sozial theoretische Analoga zu ihr dar. I I I . Der Begriff des Rechtsverhältnisses 1. Definition

Der Begriff des Rechtsverhältnisses ist zu bestimmen als die rechtsnormgestaltete Beziehung zwischen zwei oder mehreren Subjekten. Damit sind kompliziertere Definitionen des Rechtsverhältnisses auf eine erheblich einfachere Formel zurückgeführt: Nach Hans J. Wolff be67 N. Luhmann, Moderne Systemtheorien als F o r m gesamtgesellschaftlicher Analyse, i n : Habermas / Luhmann, S. 7 ff. (24). 68 Die Leistungsfähigkeit der Systemtheorie zur Bewältigung rechtlicher Probleme (vgl. dazu n u r N. Luhmann, Rechtssystem u n d Rechtsdogmatik, 1974, passim; ders., Grundrechte als Institution, 2. Aufl., 1974, S. 186 ff.; ders., Gerechtigkeit i n den Rechtssystemen der modernen Gesellschaft, Rechtstheorie 4 [1973], 131 ff.) w i r d deutlich, wenn man eine Begriffsvergleichung v o r n i m m t : Autonome u n d abhängige Systeme finden ihre Entsprechung i n den Bereichen der Selbstverwaltung u n d der E r f ü l l u n g staatlicher Aufgaben durch kommunale Gebietskörperschaften, grenzerhaltende Systeme i m Bereich der Grundrechte u n d ihrer Schranken; Subsysteme sind beispielsweise die Fraktionen des Parlaments diesem gegenüber, selbstregulierende Systeme solche, i n denen I n t r a - O r g a n - K o n t r o l l e n stattfinden — unter dem Aspekt der Staatsfunktion u n d ihrer Organgruppe als Supersystems darüber hinaus sogar intrafunktionelle Inter-Organ-Kontrollen. — Z u m Recht als Systems t r u k t u r überhaupt N. Luhmann, Rechtssoziologie, 1972, S. 8 f., 105, 124, 134, 251 f.

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1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente

deutet Rechtsverhältnis die Konkretisierung einer Rechtsstellung durch Verwirklichung von Tatbestandsmomenten eines Rechtssatzes zu einer rechtlich geregelten sozialen Beziehung zwischen einzelnen Personen 69 . Nach Rupp dagegen ist das Rechtsverhältnis die Konkretisierung der Rechtsbeziehungen von Rechtssubjekten i n bezug auf das Rechtsnormgefüge; nach seiner Auffassung ist es m i t h i n rein norm-, nicht aber tatsachenbezogen. Er schließt sich damit der normativen Rechtsverhältnisdeutung des späteren Kelsen an, der verschiedene Arten von Rechtsverhältnissen — insbesondere auch solche zwischen Normsetzungs- und Normanwendungssubjekten — anerkannte 70 . Das relativ hohe Abstraktionsniveau des hier zugrunde gelegten Rechtsverhältnisbegriffs erfordert Wesensmerkmale nicht, wie sie i m Vorstehenden genannt wurden. Insbesondere bedeutet jede Abstellung auf „Rechts"-Stellung, „Rechts"-Satz, „Rechts"-Beziehung, „RechteSubjekt oder eine ähnliche Verbindung m i t dem Rechtsbegriff dessen überflüssige Duplizierung. Daß m i t dem Rechtsverhältnis eine „soziale Beziehung" zwischen einzelnen Personen rechtsnormativ gestaltet wird, braucht nicht besonders erwähnt zu werden: Dieser Umstand ergibt sich daraus, daß der soziale Bereich den rechtlichen umgibt. Jede rechtliche Beziehung stellt zugleich eine soziale dar 71 . Aber auch Rechtsverhältnisse zwischen Normsetzungs- und Normanwendungssubjekten brauchen nicht i n die Begriffsbestimmung aufgenommen zu werden, weil sie einen — allerdings auch nur einen — Unterfall des Rechtsverhältnisses bedeuten, der als das noch zu erwähnende inter-, mitunter auch intrafunktionelle Inter-Organ-Verhältnis zu bezeichnen ist. Unter Berücksichtigung der i m folgenden zu behandelnden asymmetrischen Beziehungen läßt sich das Rechtsverhältnis allerdings auch funktional bestimmen als die Verteilung zumindest von Pflichten, i m allgemeinen aber auch von Rechten, i m Hinblick auf rechtsnormativ zu ordnende menschliche Verhaltensweisen. Das Rechtsverhältnis ist i n dieser Sicht ein mit Mitteln des Rechts geregeltes Sozialverhältnis.

69 H. J. Wolff / Ο. Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., 1974, § 32 V a 1, S. 213. — Z u m Problem der „sachenrechtlichen Rechtsbeziehung" ebd. § 32 V a 2, S. 214, u n d dazu sogleich A n m . 72. 70 H. H. Rupp, S. 15 ff. — Vgl. dazu auch H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 168. 71 Vgl. dazu N. Achterberg, Die Gesellschaftsbezogenheit der Grundrechte, i n : Recht u n d Gesellschaft, Festschrift f ü r H e l m u t Schelsky, 1978, S. 13 = ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, S. 421 ff. (433).

I I I . Der Begriff des Rechtsverhältnisses

33

2. Wesensmerkmale

Die Wesensmerkmale des Rechtsverhältnisses sind nach der vorstehenden Definition seine Rechtsnormgestaltung, das Vorhandensein von Subjekten als Endpunkten und die denkmöglich verschiedene Zahl dieser Subjekte. a) Rechtsnormgestaltung Beziehungen zwischen Subjekten brauchen nicht notwendigerweise rechtsnormgestaltet zu sein. I n Betracht kommt vielmehr auch eine Moralnorm- oder einfach Sozialnormgestaltung. Die Bereiche von Sollen und Sein können nicht derartig voneinander abgegrenzt werden, daß Sollen m i t Rechtsnormgestaltung identifiziert w i r d und der gesamte me ta juristische Bereich i n das Sein verwiesen wird. Vielmehr verhalten sich Rechtsnorm- und Moralnormbereich wie zwei sich schneidende Kreise. I m Überschneidungsbereich der Rechtsethik w i r d Verhalten rechts- und moralnormgesteuert: Die verfassungsrechtlichen Grundrechtskataloge geben hierfür Beispiele ab. I m rein rechtlichen Bereich ist ausschließlich Rechtsnormsteuerung anzutreffen, ohne daß diese moralischen Bezug hätte; i m rein moralischen Bereich besteht dagegen ausschließlich Moralnormsteuerung, ohne daß diese rechtlichen Bezug hätte. Für die erste Alternative bieten zahlreiche rechtstechnische Regelungen — beispielsweise des Straßenverkehrs- oder des Baurechts —, für die zweite Moralforderungen — wie Wahrhaftigkeit oder Nächstenliebe — Beispiele. Die sich schneidenden Kreise des Rechtsnorm- und Moralnormbereichs werden umgeben von einem Sozialnormbereich. Rechtliche und moralische Beziehungen sind i n sie eingelagert, darüber hinaus aber gibt es einfache Anforderungen an das gesellschaftliche Miteinander, das weder rechtlicher, noch moralischer Erwartung entspricht: Hierzu zählen ausschließlich sozialtechnische Verhaltensregeln wie die Benutzung umgrenzter Räume nur i n dem Ausmaß, in dem diese Personen aufzunehmen vermögen. Vorgänge solcher A r t werden unter dem Aspekt der Rücksicht schnell i n den moralnormgesteuerten Bereich hineinwachsen; das zuvor genannte Beispiel zeigt jedoch, daß ohne Ansehung der Befolgung eines moralischen Rücksichtsgebots schon allein ein aus der Vielheit der anderen resultierendes Sozialgebot besteht, dem das Mitglied der Gesellschaft Folge zu leisten hat. Noch besser läßt sich das an einem weiteren Fall verdeutlichen: W i l l Β den vor ihm gehenden A einholen, so steht er unter der Sozialnorm „ B muß schneller gehen", w i l l er dem seine Schritte verlangsamenden A nicht begegnen, so gilt für i h n „ B muß noch langsamer gehen". Die Fassung dieser Sätze zeigt, daß es sich i n der Tat u m Normen, nicht nur um Aussagen handelt. Ebenso deutlich erkennbar ist aber auch, daß es sich hierbei nicht u m Rechts- oder Moralnormen, sondern allein um Gebote aus dem sozialen Bereich handelt. 3 Achterberg

34

1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente

Aus allem folgt, daß Sollen nicht m i t dem rechtlichen oder moralischen, Sein nicht m i t dem gesellschaftlichen Bereich identifiziert werden kann. Dieses Ergebnis schmälert m i t der i n i h m beschlossenen Korrekt u r die Erkenntnisse der Wiener rechtstheoretischen Schule nur unwesentlich. Auch unter dem Blickwinkel der Rechtsverhältnistheorie unverändert bleiben die beiden folgenden: (1) A n die Stelle eines Methodensynkretismus hat zwar kein Methodenmonismus, wohl aber ein Methodenpluralismus zu treten. (2) Unbeschadet des Umstands, daß dem Sollensbereich nicht nur Rechtsnormen und Moralnormen, sondern auch Sozialnormen angehören, bleiben der Satz „ex factis ius non oritur" sowie seine Umkehrung „ex iure facta non oriuntur" gültig. Einflüsse des Seins auf das Sollen und umgekehrt solche des Sollens auf das Sein lassen sich nur, aber immerhin durch eine Induktion bewirken: solche des Seins auf das Sollen, indem reale Vorgänge bei der Rechtsnormgebung oder Rechtsnormauslegung berücksichtigt werden, solche des Sollens auf das Sein, indem Rechtsnormen angewendet werden. Sein und Sollen sind also nicht völlig impermeabel. Von der Induktion strikt zu unterscheiden ist jedoch die Überführung von verschiedenen Normensystemen angehörenden Normen. Jede Norm — Rechtsnorm, Moralnorm, Sozialnorm — kann i n ein anderes Normensystem n u r durch Transformation übertragen werden. Werden Moralnormen i n das Rechtssystem übergeführt, so bedarf es hierfür einer transformierenden Rechtsnorm (wie sie beispielsweise i n A r t . 2 Abs. 1 GG vorhanden ist), werden umgekehrt Rechtsnormen i n das Moralsystem übergeführt, so ist dafür ein transformierender Konsens erforderlich. Entsprechendes gilt für die Transformation der Sozialnormen i n das Rechtssystem. Rechtsnormen brauchen demgegenüber allerdings nicht ausdrücklich i n das Sozialsystem übergeführt zu werden, w e i l die Rechtsordnung i n die Gesellschaftsordnung eingelagert ist, jede Rechtsnorm infolgedessen auch als Sozialnorm w i r k t . Das Begriffsmerkmal, daß das Rechtsverhältnis zwischen Subjekten besteht, ohne daß diese i n der Definition als Rechts-Subjekte bezeichnet werden, erscheint ausreichend. Die Einführung des Begriffs „Rechtssubj e k t " bedeutete eine Überbestimmung. Indem nämlich eine Beziehung rechtsnormgestaltet wird, werden deren Endpunkte Rechtssubjekte. Moralnormgstaltete Beziehungen lassen demgegenüber deren Endpunkte als Moralsubjekte erscheinen, ausschließlich sozialnormgestaltete als Sozialsubjekte. M i t dem durch die Rechtsnormgestaltung eingeführten Verständnis der Subjektivität als Rechtssubjektivität sind alle nur möglichen Endpunkte von Rechtsverhältnissen gewonnen — und dies abermals auf einem Abstraktionsniveau, das von der Definition her die verschiedensten — wie noch zu zeigen sein wird, allerdings höchst vielfältigen — Arten von Rechtsverhältnissen umgreift 7 2 . Die Anerken-

I I I . Der Begriff des Rechtsverhältnisses

35

nung von Moralnormen und Sozialnormen außer Rechtsnormen i m Sollensbereich widerspricht i m übrigen noch nicht der neukantianischen, insbesondere kelsenianischen These von der Disparität von Sein und Sollen. N u r geht es nicht an, soziale Phänomene auf den Bereich des Seins festzulegen. Kelsen selbst hat anerkannt, daß Recht nicht nur dem Sollens-, sondern auch dem Seinsbereich angehört 73 ; umgekehrt gilt dasselbe für jegliches Metarecht. Das Verdienst der Reinen Rechtslehre, dem Methodensynkretismus eine Absage erteilt zu haben, bleibt ungeschmälert. Das hindert jedoch nicht, über sie hinauszugelangen, ohne hinter sie zurückzufallen 74 , und ein Beitrag dazu kann auch unter rechtsverhältnistheoretischen Perspektiven geleistet werden, indem unter Vermeidung methodensynkretistischer Fehldeutungen die vielfältigen Verschränkungen von Recht und Metarecht uneingeschränkt systematisch erf aßt werden. b) Zahl der Endpunkte Die Begriffsbestimmung des Rechtsverhältnisses umschließt ferner, daß dieses zwischen mindestens zwei Subjekten an seinen Endpunkten besteht oder aber zwischen einem Subjekt auf der einen sowie einer unbestimmten Zahl von Subjekten auf der anderen Seite, abermals oder — zumindest denkmöglicherweise — zwischen einer solchen auf beiden Seiten. I m ersten Fall ist das Rechtsverhältnis als „bipolar", i m zweiten und dritten als „multipolar" zu bezeichnen. Bipolare Rechtsverhältnisse werden i m Regelfall durch Vertrag, multipolare beispielsweise durch Gesetz oder Allgemeinverfügung begründet 75 . Erst die A n 72 M i t der Anerkennung des Erfordernisses, daß Rechtsverhältnisse z w i schen Subjekten bestehen, sind deren Objekte als mögliche Endpunkte ausgeschieden. Damit werden zugleich die m i t u n t e r vertretenen Thesen von der Möglichkeit „sachenrechtlicher Rechtsbeziehungen" (L. Enneccerus / H. C. Nipperdey, Allgemeiner T e i l des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., 1. Halbbd., 1959, § 71 I, S. 427; H. J. Wolff / O. Bachof, § 32 V a 2, S. 214) oder „dinglicher Verwaltungsakte" (Ν. Niehues, Dinglichkeit i m Verwaltungsrecht, Diss. M ü n ster, 1963, passim; ders., Verwaltungssachenrecht, i n : Fortschritte des V e r waltungsrecht, Festschrift f ü r Hans J. Wolff, 1973, S. 247 ff. [248 ff.]) entbehrlich. K r i t i k gegenüber der letzten These auch bei C.-F. M eng er / H.-TJ. Erichsen, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht, V e r w Arch. 56 (1965), 374 ff. (383); U. Penski, Z u r Abgrenzung von Rechtssatz u n d Einzelakt, DÖV 66, 845 ff. (845 f.); H. H. Rupp, S. 17, 166, 223. 73 Z u r Beziehung zwischen Sein u n d Sollen H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 6 ff. — Z u m Thema auch N. Achterberg, i n : Der Einfluß der Reinen Rechtslehre auf die Rechtstheorie i n verschiedenen Ländern, S. 31. 74

N. Achterberg, D Ö V 75, 454 A n m . 72, i n A b w a n d l u n g der Forderung von C. Cossio, über „Kelsen hinauszugehen, ohne i h n zu verlassen" (s. dazu H. Rimmel, Die A k t u a l i t ä t Kelsens, ARSP 47 [1961], 289 ff. [296]). 75 Auch „absolute Rechte" widerlegen die These nicht, daß die Normen Rechtsverhältnisse gestalten: Unter diesem Aspekt bedeuten sie lediglich eine terminologische A b b r e v i a t u r f ü r eine Vielzahl durch dieselbe N o r m gestalteter Rechtsverhältnisse. 3*

36

1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente

erkennung multipolarer Beziehungen schafft die Voraussetzung, hochkomplexe Sozialstrukturen i n Rechtsverhältnissen abzubilden und durch eine Rechtsverhältnistheorie zu deuten. Mikroorganisationen — face-to-face groups oder andere Kleingruppen — mögen i n dualen Beziehungen zu erfassen sein; für komplexere Organisationsformen gilt dies dagegen nicht. Ihre Auflösung i n Zweierbeziehungen und Deutung als Addition bipolarer Rechtsverhältnisse ist weder erforderlich noch zweckmäßig. Sinnvoll wäre sie allenfalls, wenn innerhalb eines multipolaren Rechtsverhältnisses Sondergestaltungen möglich wären. T r i f f t dies nicht zu, so kann es bei der Multipolarität bewenden.

IV. Strukturebenen der Rechtsverhältnisse Der vorhergehende Abschnitt, i n dem fast ausschließlich vom Rechtsverhältnis (im Singular) die Rede war — eben um ein Abstraktionsniveau zu erreichen, das alle nur möglichen A r t e n von Rechtsverhältnissen erfaßt —, ist zu ergänzen u m weitere Erwägungen über die Strukturebenen der einzelnen Rechtsverhältnisse (im Plural), die nunmehr Differenzierungen erkennen lassen. Solche Untergliederungen sind möglich nach den als Endpunkten der Rechtsverhältnisse erscheinenden Rechtssubjekten sowie nach der Symmetrie der Interaktionen in Rechtsverhältnissen 76 . 1. Rechtssubjekte

a) Rechtsverhältnisse

im staatlichen Bereich

Endpunkte von Rechtsverhältnissen i m staatlichen Bereich können nicht nur Staat und Staatsbürger, Staat und Organ oder Staat und Organwalter sein, obwohl hiermit i n erster Annäherung wichtige Rechtssubjekte erfaßt werden. Die erforderliche Polytomie muß berücksichtigen, daß der Staat zwar eine besonders bedeutsame Organisation darstellt, aber keineswegs die einzige. Vielmehr gibt es zahlreiche weitere, herkömmlicherweise als juristische Personen bezeichnete Organisationen. Das notwendige Abstraktionsniveau gebietet, alle diese m i t der Bezeichnung „Organisation" zu belegen, bei der es sich stets u m ein innendifferenziertes Rechtssubjekt handelt. Da Organisationen zugleich 76 M i t u n t e r (vgl. L. Enneccerus / H. C. Nipperdey, § 71 I 4, S. 428) findet sich auch noch die Unterscheidung von einfachen u n d zusammengesetzten Rechtsverhältnissen — je nach dem, ob sich ein Rechtsverhältnis „ i n einer einzelnen Machtbefugnis u n d der i h r entsprechenden Pflicht [erschöpft]" — als Beispiel hierfür w i r d das unverzinsliche Darlehen genannt — oder ob es eine Mehrheit von Machtbefugnissen u n d Rechtswirkungen zugunsten derselben Person (verzinsliches Darlehen) oder verschiedener Personen (Kauf) enthält. Die folgende Unterscheidung nach Symmetrien (s. u. 2) erfaßt dies indessen treffender.

I V . Strukturebenen der Rechtsverhältnisse

37

Organträger sind, ergibt sich hieraus die Existenz von Rechtsverhältnissen zwischen Organisation und Organ. Da Organe ihrerseits erst durch Organwalter — letzte selbst nicht mehr innendifferenzierte Ausdifferenzierung eines innendifferenzierten Rechtssubjekts — handlungsfähig werden, folgt daraus weiter das Bestehen von Rechtsverhältnissen zwischen Organisation und Organwalter sowie zwischen Organ und Organwalter. Ebenso können zwischen den Organen Rechtsverhältnisse entstehen, die als „Inter-Organ-Verhältnisse" bezeichnet werden können, wenn es i m allgemeinen auch exakter ist, die an den Rechtsverhältnissen als Endpunkte beteiligten Rechtssubjekte i n die Bezeichnung des Rechtsverhältnisses aufzunehmen (beispielsweise: Organisation-Organ-Verhältnis). Innerhalb der staatlichen Organisation ist weiterhin zu beachten, daß sowohl natürliche als auch juristische Personen als deren Bestandteile auftreten; sie können als Organisationsmitglieder bezeichnet werden eingedenk des Umstands, daß keine von ihnen außerhalb einer — zumindest der staatlichen — Organisation steht. Natürliche und juristische Personen unterscheiden sich allerdings insofern, als nur die zweite eine Innendifferenzierung aufweist, nämlich Organe und Organwalter hat. Unter Aufgabe der tradierten anthropomorphisierenden Terminologie „natürliche" und „juristische Person" soll daher i m folgenden von Organisationsmitgliedern ohne und mit Innendifferenzierung gesprochen werden. Der Begriff „Organisationsmitglied" schließt i m übrigen nicht aus, daß es sich auch bei einem solchen seinerseits u m eine Organisation handelt. Dies t r i f f t zu, wenn das Organisationsmitglied selbst Organträger ist, also Organe besitzt. Die Bezeichnung „Organisationsmitglied" ist indessen insofern umfassender, als sie auch sonstige innendifferenzierte Organisationsmitglieder erfaßt, die nicht Organisationen sind (beispielsweise außer rechtsfähigen Vereinen [ = Organisationen] auch nichtrechtsfähige Vereine [ = innendifferenzierte Organisationsmitglieder, die keine Organisationen darstellen]). Nach allem gibt es Rechtsverhältnisse zwischen (1) Organisationsmitglied und Organisationsmitglied (damit möglicherweise auch zwischen Organisation und Organisation), (2) Organisation und Organisationsmitglied (damit ebenfalls möglicherweise zwischen Organisation und Organisation), (3) Organisationsmitglied m i t Innendifferenzierung und Organ (oder Organisation und Organ), (4) Organ und Organ, (5) Organisation und Unterorgan, (6) Organ und Unterorgan, (7) Organisationsmitglied m i t Innendifferenzierung und Organwalter (oder Organisation und Organwalter), (8) Organ und Organwalter. Das folgende Schaubild, i n dem die Kreise die Rechtssubjekte, die Pfeile die Rechtsverhältnisse symbolisieren, mag dies verdeutlichen:

38

1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente Organisation

b) Rechtsverhältnisse

im suprastaatlichen

und inter staatlichen

Bereich

Endpunkte von Rechtsverhältnissen können i m suprastaatlichen und interstaatlichen Bereich auch Gemeinschaftsrechts- und Völkerrechtssubjekte sein. Unter diesem Aspekt kommen Rechtsverhältnisse zwischen Organisation und Organisation — beispielsweise Staat und Staat — sowie zwischen Organisationsmitglied und (fremder) Organisation i n Betracht. Rechtsverhältnisse i n diesem Bereich sind gekennzeichnet dadurch, daß die das Rechtsverhältnis begründende Norm keinen (staats-) gesetzlichen Charakter hat, daß ein Primat autonomer Gestaltung besteht und daß die Kategorie des Sollens vermindert ist. M i t der Vielfalt solcher Rechtsverhältnisse i m staatlichen, suprastaatlichen und interstaatlichen Bereich ist die Impermeabilitätstheorie

I V . Strukturebenen der Rechtsverhältnisse

39

ebenso überwunden 7 7 wie die pauschalierende Dichotomie von Außenund Innenrechtsverhältnissen. Damit w i r d die systemtheoretische Unterscheidung von Außen- und Innendifferenzierung nicht geleugnet, diese ist auch keineswegs lediglich eine Folgeerscheinung der Impermeabilitätslehre. Vielmehr sind auch bei Aufgabe der Impermeabilitätsthese Innen- und Außendifferenzierungen zu unterscheiden — dies nur nicht i m Sinne einer solchen „Abschottung", wie sie die Unterscheidung von Innenrechtsverhältnis und Außenrechtsverhältnis oder Verwaltungsverordnung und Rechtsverordnung bedeutet, wohl aber i m Sinne der Beherrschung des Rechtsverhältnisses durch spezifische Normgruppen, die — wie noch darzulegen sein w i r d — einen Einfluß „außenstehender" Normen nur über den Weg der Transformation eröffnet. Außen-Innen-Differenzierung behält für jedes erdenkliche Rechtsverhältnis Relevanz und nicht nur für die herkömmliche Unterscheidung von Außenbeziehungen und Innenbeziehungen. I m Grunde ist dies — wie das vorhergehende Schaubild verdeutlicht — nur eine Frage des Blickwinkels und des Umstands, daß auf einer gewissen Schwelle der Komplexität Systeme eben nur noch weiter wachsen können, indem sie sich differenzieren — also Teile bilden, die gleichfalls Systemcharakter besitzen, ihre eigenen Grenzen stabil halten und i n diesen ein gewisses Maß von Autonomie besitzen. 2. Symmetrien

Rechtsverhältnisse können asymmetrisch, symmetrisch oder disymmetrisch — zumindest denkmöglicherweise: auch polysymmetrisch — sein. Asymmetrische Rechtsverhältnisse sind dadurch gekennzeichnet, daß nur dem einen der beiden als Endpunkte des Rechtsverhältnisses erscheinenden Subjekte eine Pflicht auferlegt ist, ohne daß dieser ein Recht des anderen Subjekts entspricht. I n den Kategorien von Recht und Pflicht gesprochen, erscheint das Rechtssubjekt hier m i t h i n als „Pflichtsubjekt". Gleichwohl ist auf der anderen Seite des Rechtsverhältnisses ein Rechtssubjekt als notwendiger Endpunkt vorhanden, nämlich ein solches, dem gegenüber die Pflicht besteht. Asymmetrische Rechtsverhältnisse — innerhalb deren das erwähnte Phänomen herkömmlicherweise als „Reflex" bezeichnet w i r d — kommen vor allem i m Öffentlichen Recht vor; die Aufrechterhaltung einer öffentlichen Straße kann hierfür als Beispiel genannt werden. 77 Z u r Überwindung der Impermeabilitätslehre N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 55 f., 79 f., 82; O. Bachof, Verwaltungsakt u n d innerdienstliche Weisung, i n : Verfassung u n d V e r w a l t u n g i n Theorie u n d W i r k lichkeit, Festschrift f ü r W i l h e l m Laforet, 1952, S. 285 ff. (296 ff.); F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften u n d Grundgesetz, 1968, S. 57 f., 120, 129, 146, 164; H. H. Rupp, S. 4 f., 19 ff., 81 ff.

40

1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente

Symmetrisch ist ein solches Rechtsverhältnis, in dem von seinen Endpunkten das eine Rechtssubjekt ein Recht gegenüber dem anderen hat und diesem anderen die Pflicht obliegt, dieses Recht zu erfüllen. Abermals i n den Kategorien von Recht und Pflicht gesprochen, steht hier also einem Rechtssubjekt ein Pflichtsubjekt gegenüber. Beispiele hierfür finden sich sowohl i m öffentlichen Recht (Verwaltungsakte i m Bereich der „Eingriff s ver waltung") als auch i m Bürgerlichen Recht (einseitig verpflichtende Rechtsgeschäfte). Disymmetrisch sind Rechtsverhältnisse dann, wenn das eine Rechtssubjekt ein Recht gegenüber dem anderen hat und diesem die Pflicht obliegt, jenes Recht zu erfüllen, es zugleich und konnex aber auch ein Recht gegenüber dem zuerst erwähnten Rechtssubjekt hat, das seinerseits verpflichtet ist, diesem Recht nachzukommen. Hier stehen sich also Rechtssubjekt und Pflichtsubjekt einerseits sowie Pflichtsubjekt und Rechtssubjekt andererseits gegenüber. Beispiele hierfür sind die schuldrechtlichen synallagmatischen Verträge, aber auch öffentlichrechtliche beiderseitig verpflichtende Rechtsgeschäfte.

V. Rechtssubjektivität 1. Doppelnatur des Rechtssubjektsbegriffs

Der Rechtssubjektsbegriff n i m m t an der Doppelnatur des Rechtsbegriffs teil: Recht i m objektiven Sinne als dem Rechtsnormgefüge, Recht i m subjektiven Sinne als der Berechtigung. I n der ersten Weise ist das Rechtssubjekt ein m i t Zuständigkeiten ausgestatteter Teil der Normenordnung, i n der zweiten Weise ein Berechtigter (Rechtssubjekt i m engeren Sinne) oder Verpflichteter (Pflichtsubjekt). Beide Rechtssubjektsbegriffe treffen i m allgemeinen zusammen. Bei asymmetrischen Rechtsverhältnissen gibt es allerdings zwar zwei Rechtssubjekte i m objektiven Sinne als Endpunkte des Rechtsverhältnisses, doch ist nur eines von ihnen — nämlich der Verpflichtete — auch Rechtssubjekt i m subjektiven Sinne. Die Unterscheidung von Rechtssubjekt i m engeren Sinne und Pflichtsubjekt ist zugleich bedeutsam für die Kategorien von „Wollen" und „Sollen": Das Rechtssubjekt i m engeren Sinne kann wollen, das Pflichtsubjekt muß sollen. Sofern nicht ausdrücklich anderes gesagt, w i r d der Rechtssubjektsbegriff i m folgenden m i t dem zweiten Inhalt — der Rechtssubjekt i m engeren Sinne und Pflichtsubjekt umfaßt — verstanden. 2. Rechtsverhältnisbezogenheit der Rechtssubjektivität

Ausschließlich normativ w i r d bestimmt, zwischen welchen Subjekten Rechtsverhältnisse (abstrakt) entstehen können; den Subjekten selbst

V . Rechtssubjektivität

41

i s t diese B e s t i m m u n g s m ö g l i c h k e i t entzogen. Z w i s c h e n w e l c h e n sie (konkret) entstehen, h ä n g t d e m g e g e n ü b e r m ö g l i c h e r w e i s e v o n i h r e r M i t w i r k u n g ab. H i e r a u f w i r d z u r ü c k z u k o m m e n sein. D i e m i t u n t e r a n z u t r e f fende Unterscheidung von Rechtsfähigkeit und Rechtssubjektivität 7S ist e n t b e h r l i c h . F e s t z u h a l t e n i s t jedoch, daß d i e Rechtssubjektivität rechtsverhältnisbezogen ist. Besonders d e u t l i c h l ä ß t sich dies a m B e i s p i e l d e r G r u n d r e c h t s s u b j e k t i v i t ä t j u r i s t i s c h e r Personen n a c h w e i s e n 7 9 . I h r e r B e zogenheit a u f das k o n k r e t e R e c h t s v e r h ä l t n i s scheint z w a r zunächst e n t gegenzustehen, daß n i c h t d i e R e c h t s f ä h i g k e i t aus d e m R e c h t s v e r h ä l t n i s erwächst, s o n d e r n gerade n o t w e n d i g ist, u m e i n R e c h t s v e r h ä l t n i s z u b e g r ü n d e n . Indessen i s t z u beachten, daß diese B e z i e h u n g a l l e n f a l l s f ü r eine „ g e n e r e l l e " R e c h t s f ä h i g k e i t g i l t , v o n d e r d i e G r u n d r e c h t s s u b j e k t i v i t ä t als eine spezielle R e c h t s f ä h i g k e i t z u u n t e r s c h e i d e n i s t 8 0 , die n u r i n solchen R e c h t s v e r h ä l t n i s s e n erwächst, a n d e n e n d e r S t a a t b e t e i l i g t ist. A n e r k a n n t e r m a ß e n l i e g t eine p u n k t u e l l e R e c h t s f ä h i g k e i t v o r , sobald d i e R e c h t s o r d n u n g e i n e m Z u r e c h n u n g s s u b j e k t auch n u r eine einzige R e c h t s p f l i c h t a u f e r l e g t 8 1 . H i e r a u s aber e r g i b t sich, daß n i c h t die G r u n d 78 I m Schrifttum ist versucht worden, diesen angeblichen Unterschied t e r minologisch dadurch sichtbar zu machen, daß als Rechtsfähigkeit die Fähigkeit bezeichnet w i r d , generell Verpflichtungs- u n d Berechtigungssubjekt zu sein, als Rechtssubjektivität diejenige, Zurechnungssubjekt mindestens einer Rechtsnorm, also Verpflichtungs- u n d Berechtigungssubjekt i m beschränkten Umfang zu sein (O. Bachof, Teilrechtsfähige Verbände des öffentlichen Rechts, AöR 83 [1958], 208 ff. [260]; H.R. Förger, Teilrechtsfähigkeit u n d rechtlich unselbständige Anstalten des öffentlichen Rechts, BayVBl. 73, 10; F. Ossenbühl, S. 165, der den Unterschied zwischen Rechtsfähigkeit u n d Rechtssubj e k t i v i t ä t nicht als qualitativen, sondern als quantitativen begreift; zweifelnd an der Berechtigung des Unterschieds H. H. Rupp, S. 82 m i t A n m . 177). 79 Vgl. dazu N. Achterberg, i n : Gedächtnisschrift für Friedrich Klein, S. 34 ff., s. ferner u. S. 120 ff. Ähnliche Überlegungen w i e hier auch bei F. E. Schnapp, Amtsrecht u n d Beamtenrecht, 1977, S. 80 ff., 140 f. 80 Theoretisch aufbereitet ist die Problematik insb. durch F. Fabricius, Rel a t i v i t ä t der Rechtsfähigkeit, 1963. Die Rechtslehre hat sich m i t der U n t e r scheidung von totaler u n d partieller Rechtsfähigkeit sowie externer u n d interner Rechtssubjektivität allerdings „ein begriffliches Rüstzeug geschaffen", u m „den verschiedensten positivrechtlichen Phänomenen beizukommen", w i e F. Ossenbühl, S. 165, m i t Recht bemerkt. N u r ist die Dichotomie extern/intern — w i e dargelegt — noch zu pauschal, so daß allgemein, aber dennoch i m erforderlichen Maße differenzierend, von „rechtsverhältnisbezogener Rechtssubjektivität" gesprochen werden sollte. Vgl. zum Thema auch noch Η . υ. Olshausen, Z u r Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen des öffentlichen Rechts, Diss. Marburg, 1969, S. 97 f., 105; H.H. Rupp, S. 82 ff.; W. Weber, Nichtrechtsfähige öffentlich-rechtliche Verbände, i n : Festschrift f ü r Hermann Jahrreiß, 1974, S. 323 ff.; H. J. Wolff, Organschaft u n d Juristische Person, Bd. I, 1933, S. 202 f., Bd. I I , 1934, S. 249. 81

F. Klein, Verfassungsrechtliche Grenzen der Gemeinschaftsaufgaben, i n : Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund, Ländern u n d Gemeinden, 1961, S. 125 ff. (126 ff.). I h m folgt H. H. Rupp, S. 83 m i t A n m . 178, S. 86 m i t A n m . 188, S. 87. Ä h n l i c h auch H. R. Förger, BayVBl. 73, 10 f. (dem n u r i n seiner Bezeichnung der Rechtssubjektivität als „Vorstufe von Rechtsfähigkeit" nicht gefolgt werden kann).

42

1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente

rechtssubjektivität gegenüber dem Rechtsverhältnis, sondern umgekehrt dieses gegenüber der Grundrechtssubjektivität logisches prius ist. (Allgemeine) Rechtsfähigkeit und Grundrechtssubjektivität verhalten sich wie zwei konzentrische, sonstige (beispielsweise Privat-)Rechtssubjektivität und Grundrechtssubjektivität wie zwei einander schneidende Kreise. Die Grundrechtssubjektivität ist in die allgemeine Rechtsfähigkeit eingelagert, da die Entstehung des Rechtsverhältnisses, i n dem sie auftritt, diese voraussetzt. Demgegenüber können sonstige Rechtssubjektivität und Grundrechtssubjektivität übereinstimmen, brauchen dies aber nicht zu tun: So sind i m Organ Verhältnis auch Organe Rechtssubjekte, ohne aber Grundrechtssubjekte zu sein, umgekehrt können nichtjuristische Personen Vereinigungen Grundrechtssubjekte sein, ohne aber Rechtssubjekte i n einem Privatrechtsverhältnis zu sein. 3. Rechtssubjektivität und Zurechnungssubjektivität

Die an einem Rechtsverhältnis beteiligten Subjekte sind notwendigerweise dessen Endpunkte. Rechtsverhältnisse bestehen stets zwischen Zurechnungsendpunkten. Aus der Komplexität der Rechtsverhältnisordnung ergibt sich indessen, daß i n die Zurechnungsstränge Zurechnung szwischensubjekte eingeschaltet sein können 82 . Das Zurechnungsendsubjekt i n einem Rechtsverhältnis kann zugleich i n einem anderen Rechtsverhältnis als Zurechnungszwischensubjekt auftreten. Beispiel hierfür war das Rechtsverhältnis zwischen einem Organisationsmitglied und der Organisation nach A r t . 34 GG, § 839 BGB, i n dem der seine Amtspflicht verletzende Organwalter Zurechnungszwischensubjekt war. U m die Zuordnung der Rechtsverhältnisse zueinander und ineinander bewältigen zu können, muß der Begriff der Zurechnungsendsubjektivität m i t h i n um den der Zurechnungszwischensubjektivität ergänzt werden: Bedeutet Rechtsträgerschaft, i n einem Rechtsverhältnis Zurechnungssubjekt von Rechtsnormen zu sein, so sind Rechtssubjekte eben nicht nur Zurechnungsend-, sondern auch Zurechnungszwischensubjekte, beispielsweise Organe und Unterorgane eines Rechtsträgers. Bestehen nicht nur zwischen Zurechnungsendsubjekten — beispielsweise Organisationsmitgliedern ohne und m i t Innendifferenzierung (nach der tradierten Terminologie: natürlichen und juristischen Personen) — Rechtsverhältnisse (des Außenbereichs oder des Innenbereichs [Organwalterverhältnis]), sondern auch zwischen Zurechnungsendsubjekten und Zurechnungszwischensubjekten (Organverhältnisse) sowie zwischen Zurechnungszwischensubjekten (Inter-Organ-Verhältnisse), so w i r d hieraus die unterschiedliche Stellung der Rechtssubjekte i n den einzelnen Rechtsverhältnissen deutlich. U m dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Regierung und Parlament sind i m „Innenrechtsverhältnis" 62

Hierzu N. Achterberg,

S. 31 f.

V I . Determination u n d Transformation

43

(Inter-Organ-Verhältnis), i n dem dieses die Anwesenheit von Regierungsmitgliedern verlangen kann, gleichermaßen Zurechnungsendsubjekte, während i m „Außenrechtsverhältnis" zwischen Staatsbürger und Staat beide nur Zurechnungszwischensubjekte sind. VI. Determination und Transformation 1. Determination

Von herausragender Bedeutung für die Entstehung, Ausgestaltung und Beendigung von Rechtsverhältnissen ist die Determination, die ein unterschiedliches Ausmaß haben kann. a) Volldetermination

und Teildetermination

Bezüglich der Schaffung von Rechtsverhältnissen gilt folgendes: Die Norm kann ein solches begründen und insofern eine Volldetermination vornehmen. Sie kann es aber auch nur zulassen und damit eine Teildetermination ausüben. I m ersten Fall bedeutet die Normdetermination Gestaltung — das Rechtsverhältnis w i r d als aktuelles geschaffen —, i m zweiten Fall Gestaltungsermächtigung — das Rechtsverhältnis w i r d erst als potentielles begründet. Der von der Norm nicht ausgeschöpfte Determinationsteil unterliegt der freien Gestaltung durch die an dem Rechtsverhältnis beteiligten Rechtssubjekte. Insofern besitzt das Rechtsverhältnis eine „autonome Determinante", auf die zurückzukommen sein wird. Bezüglich der Ausgestaltung von Rechtsverhältnissen gilt prinzipiell dasselbe. Auch sie kann volldeterminiert oder nur teildeterminiert sein. Beispiele für volldeterminierte Rechtsverhältnisse sind gesetzliche Schuldverhältnisse oder durch Verwaltungsakte i m Bereich der „gebundenen Verwaltung" begründete Rechtsverhältnisse, Beispiele für teildeterminierte Rechtsverhältnisse dagegen Verträge. Die Teildetermination bei der Schaffung von Rechtsverhältnissen entspricht der Abschlußfreiheit, diejenige bei der Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse der Inhaltsfreiheit als Komponenten der Vertragsfreiheit. Der Rückbezug aller Rechtsverhältnisse auf den staatlichen Willensakt — die Norm — verhindert zugleich, daß die polytome Natur der Rechtsverhältnisse zu einer Atomisierung der Rechtsordnung entartet. N u r die Norm gestaltet oder ermächtigt, ohne daß dieses allerdings einen Methodenmonismus i m Sinne der Kelsenschen Identifizierung von Staat und Recht bedeutet. I m Gegenteil: Kein Zweifel kann bestehen, daß jede Organisation und damit auch der Staat meta juristische Komponenten aufweist und damit nichtrechtswissenschaftlicher Betrachtung zugänglich ist.

44

1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente

b) Heteronome

und autonome

Determinanten

Soweit die Rechtsverhältnisse nicht voll-, sondern nur teildeterminiert sind, t r i t t zu der Normdetermination eine autonome Determinante hinzu. Insofern lassen ich heteronome und autonome Regelungen von Rechtsverhältnissen unterscheiden. Die autonome Determinante darf dabei nicht m i t dem gleichnamigen Institut der Merkl-Kelsenschen Stufenlehre verwechselt werden. Dort geht es um einen jeder Normerzeugungsstufe zukommenden eigenen Regelungsbereich innerhalb des Erzeugungszusammenhangs der Rechtsnormen: I m Rahmen des Rechtserzeugungsprozesses regelt jede Rechtsnorm das Verfahren und bis zu einem gewissen Grade auch den Inhalt der zu erzeugenden Norm. Diese stellt also den Geltungsgrund der erzeugten Norm dar, so daß sich hieraus eine Uberordnung der einzelnen Erzeugungsstufen ergibt 8 3 . Gleichwohl führt die Determination der erzeugten durch die erzeugenden Normen nicht zu einem reinen Subsumtionsmechanismus, innerhalb dessen den Organen der einzelnen Rechtserzeugungsstufen überhaupt keine Entschließungsfreiheit bliebe. Jede dieser Stufe besitzt vielmehr eine autonome Determinante, aufgrund deren eine Regelung nach ihren eigenen Bedürfnissen vorgenommen werden kann 8 4 , abgesehen von der „hypothetischen Grundnorm", die ausschließlich das Verfahren der Normerzeugung regelt, so daß die auf sie folgende Normerzeugungsstufe inhaltlich i n vollem Umfang autonom determiniert ist. Unter rechtsverhältnistheoretischem Aspekt handelt es sich bei der autonomen Determinante demgegenüber darum, daß bezüglich des normdeterminierten Rechtsverhältnisses ein den Rechtssubjekten offener Gestaltungsbereich verbleibt. Das ist nicht denknotwendigerweise so; vielmehr besteht auch die Möglichkeit, daß Abschluß und Inhalt von Rechtsverhältnissen i n vollem Umfang durch Normen und damit heteronom determiniert sind. Beispiele für Rechtsverhältnisse, die autonomer Gestaltung durch die Rechtssubjekte unterliegen, sind jedoch der bereits erwähnte Vertrag sowie der mitwirkungsbedürftige Verwaltungsakt. Kategorien des Wollens sind aber auch bei Teildetermination des Rechtsverhältnisses durch Rechtsnormen eröffnet: Hier w i r d heteronomes Sollen durch autonomes Wollen ergänzt. 83 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 238, 243; A. Merkl, Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaues, i n : Gesellschaft, Staat u n d Recht. U n tersuchungen zur Reinen Rechtslehre. Festschrift Hans Kelsen, 1931, S. 252 ff. (275), abgedr. auch i n : Die Wiener rechtstheoretische Schule, Hrsg. Klecatsky / Marcie / Schambeck, 1968, S. 1311 ff. (1335). 84 Vgl. dazu H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 243. — Insoweit zustimmend auch H. Nawiasky, Kritische Bemerkungen zur Lehre v o m Stufenbau des Rechtes, ZöffR V I , 488 ff. (488), der die Stufenlehre i m übrigen w e i t h i n ablehnt und n u r als Ermächtigungsstufen-, nicht aber als Normstufenlehre gelten lassen w i l l . — Z u r autonomen Determinante ausführlicher N. Achterberg, D Ö V 74, 454; J. Β ehr end, Untersuchungen zur Stufenbaulehre A d o l f Merkls u n d Hans Kelsens, 1977, S. 82 ff.; weit. Hinweise S. 76 A n m . 19.

V I . Determination u n d Transformation

45

2. Transformation

Rechtsverhältnisse werden von Rechtsnormgruppen — einer Mehrzahl zweckhaft untereinander verbundener Rechtsnormen — beherrscht, die rechtsverhältnisgestaltend w i r k e n — und zwar unter Einschluß derjenigen, die nur mittelbar eine Gestaltung vornehmen, unmittelbar dagegen erst eine Gestaltungsermächtigung i m Sinne der Teildetermination enthalten. Nun kann es allerdings sein, daß derartige Normgruppen auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis oder eine Gruppe bestimmter Rechtsverhältnisse zugeschnitten sind, ihr Regelungsbereich infolge der Beziehungsgeltung von Rechtsnormen — des Umstands, daß die Rechtssubjektivität vor dem Hintergrund der konkreten Rechtsverhältnisse zu sehen ist, deren Endpunkte die Subjekte sind — auf dieses oder diese begrenzt sind. Das gilt beispielsweise für die Völkerrechtsnormen, welche interstaatliche Organisationsverhältnisse gestalten, ebenso aber auch für die Grundrechtsbestimmungen, die das Rechtsverhältnis zwischen Staat und Staatsbürger betreffen. Die Übertragung von Normen oder Normgruppen auf andere Rechtsverhältnisse als diejenigen, auf die sich ihre Beziehungsgeltung erstreckt, bedarf der Transformation. Die hierfür erforderlichen Transformationsnormen müssen dem aufnehmenden Rechtsverhältnis angehören. Beispiele für solche Transformation sind die Übertragung interstaatlich wirkender (Völkerrechts-)Normen i n das intrastaatliche Recht durch Inkorporation (Art. 25 GG) oder Transformationsgesetz (Art. 59 Abs. 2 S a t z l G G ) . Solche Transformation führt zur Geltungserstreckung außerstaatlicher Rechtsverhältnisse i n den innerstaatlichen Bereich. Selbst die scheinbar unmittelbare Einwirkung sekundären Gemeinschaftsrechts auf intrastaatliche Rechtsverhältnisse (Art. 189 Abs. 2 Satz 2 EWGV) widerlegt das Transformationserfordernis nicht: Die Transformation erfolgt insoweit durch diese Vorschrift i n Verbindung m i t A r t . 24 Abs. 1 GG, gemäß dem der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen kann. Auch hier ist durch die genannte Bestimmung des Grundgesetzes dem Erfordernis genügt, daß die Transformationsnorm dem aufnehmenden Rechtsverhältnis angehören muß. Weiteres Beispiel ist die Transformation von Grundrechtsbestimmungen aus dem Rechtsverhältnis zwischen Organisationsmitglied und Organisation (hier: Staat) i n Rechtsverhältnisse zwischen Organisationsmitglied und Organisationsmitglied durch privatrechtliche Generalklauseln. Wie bereits an anderer Stelle dargelegt 85 , läßt sich der herrschenden Drittwirkungslehre als weiteres unterstützendes Argument hinzu85 N. Achterberg, Verfassungswidrigkeit von Wettbewerbs verboten?, Schlußwort, JZ 76, 440 ff. (440).

46

1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente

fügen, daß die Rechtsordnung einen Komplex von Rechtsverhältnissen darstellt, deren Normenbestände nicht ohne weiteres austauschbar sind. Für die Grundrechtsgeltung ergibt sich aus diesem Ansatz, daß die Grundrechte — historisch und genetisch belegbar „staatsgerichtet" — zunächst nur i m Rechtsverhältnis zwischen Staatsbürger und Staat w i r ken. Sollen sie andere Rechtsverhältnisse durchwalten, so bedarf es hierzu ihrer Transformation, die i n Privatrechtsverhältnissen eben durch die wertausfüllungsfähigen Generalklauseln und Ermessenssätze erfolgt. Denn auch aus dem zwischen Staatsbürger und Staat bestehenden Rechtsverhältnis können Grundrechte nur i n andere Rechtsverhältnisse übertragen werden, wenn sich Transformationsnormen auffinden lassen, welche die Erstreckung der Grundrechtsgeltung ermöglichen. Allgemein kann demnach formuliert werden, daß die Normtransformation eine Erweiterung des Normgeltungsbereichs bewirkt.

V I I . Konsequenzen Jede Rechtstheorie ist so gut und so schlecht wie ihre Anwendungsmöglichkeit. Theorie ist nicht Selbstzweck, sondern erhält i h r Gewicht durch die Befähigung zur Anleitung der Praxis. Einige Konsequenzen (Beseitigung der Dichotomie von Außen- und Innenrecht und damit endgültige Uberwindung der Impermeabilitätstheorie) wurden i m Vorstehenden, andere — für die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen oder die D r i t t w i r k u n g der Grundrechte — bereits an anderer Stelle aufgezeigt. Die Abstellung rechtlicher Probleme auf Rechtsverhältnisse gestattet es, viele von ihnen theoretisch widerspruchsloser und einleuchtender zu deuten, als dies i n der Vergangenheit zutraf. Der Anwendungsbereich der Rechtsverhältnistheorie ist damit bei weitem nicht erschöpft. I h n auszuschöpfen, bedarf es eines Problemkatalogs, i n den — ohne Anspruch auf Vollständigkeit — folgende Themen aufzunehmen sind: 1. M i t der Impermeabilitätslehre sind auch die Dichotomien von Außen- und Innenrecht sowie von allgemeinem und besonderem Gewaltverhältnis unter rechtsverhältnistheoretischer Perspektive überwunden. A n ihre Stelle hat die Erforschung und Darstellung der polytomen Rechtsverhältnisse in einer hochkomplexen Rechtsverhältnisordnung zu treten. 2. Die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Rechtsverhältnisse beider Rechtsgebiete unter Einbeziehung der Frage zu erforschen, inwie-

V I I I . Thesen

47

weit hierfür Besonderheiten der Determination (Voll- oder Teildetermination, heteronome und autonome Determinanten) und der Transformation, aber auch der Legitimation bedeutsam sind. 3. Bezüglich der Unterscheidung von Staatsrecht und Kirchenrecht ist bedeutsam, daß sich diejenige von Rechtsverhältnissen zwischen Organisationen sowie zwischen Organisationsmitgliedern, Organen und Organwaltern einerseits und Organisationen andererseits auch nutzbar machen läßt, u m Verzahnungen m i t und i n einem metastaatlichen Organisationsbereich abzubilden. 4. Die Drittwirkung der Grundrechte als Beispiel für die Transformationsbedürftigkeit von Normen fremder Normgruppen kann als Parallele zu Phänomenen sonstiger Transformation herangezogen werden u m darzulegen, auf welche Weise dem Transformationsbedürfnis genügt werden kann und muß. 5. Weiterhin entsteht die noch zu beantwortende Frage, ob rechtsverhältnistheoretische Aspekte auch für die Definition der Rechtsnorm bedeutsam sind: Möglicherweise besteht deren Wesen gerade darin, Rechtsverhältnisse zu begründen und zu gestalten. Dies müßte zugleich Konsequenzen für die Interpretationstheorie auslösen. 6. Tieferer Durchdringung bedürfen die Verbindungslinien zwischen einer Rechtsverhältnistheorie und der Organisationssoziologie sowie der Systemtheorie. Das Rechtsverhältnis löst Interaktionen zwischen den an i h m beteiligten Subjekten aus, die auf Überschneidungen von rechts- und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen hinweisen. Ihre Einbeziehung i n die Rechtsverhältnistheorie läßt erwarten, daß sie zu zusätzlichen Erkenntnissen oder Absicherungen bestehender Hypothesen führt. V I I I . Thesen Die vorstehenden Überlegungen ermöglichen folgende erste Thesen zur Rechtsverhältnistheorie: 1. Die Rechtsordnung steht auch als Rechtsverhältnisordnung i n einem Pluralismus von Sollensordnungen, zu dem außer i h r die Moralund die Sozialnormenordnung gehören. Die Normen einer Normenordnung gelten i n einer anderen nur, wenn sie i n diese transformiert sind. 2. Von den Sollensordnungen ist die Seinsordnung zu unterscheiden. Beide Bereiche sind jedoch nicht impermeabel. Vielmehr können auch Seinsfaktoren bei der Rechtsnormsetzung oder Rechtsnorm-

48

1. Teil:

echtserhältnisse als Strukturelemente

interpretation berücksichtigt und dergestalt i n die Sollensordnung induziert werden. Umgekehrt w i r d das Sollen durch die Normanwendung i n das Sein induziert. Ohne derartige Induktionsprozesse bleiben beide Bereiche aber disparat. A l l e i n „ex factis ius non orit u r " und allein „ex iure facta non oriuntur". 3. Wie den Pluralismus von Sollensordnungen gibt es innerhalb der Rechtsordnung einen Pluralismus von Rechtsverhältnissen, nämlich rechtsnormgestalteter Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Subjekten. Die Endpunkte der Rechtsverhältnisse sind stets Rechtssubjekte. Rechtsverhältnisse haben mindestens zwei solcher Endpunkte — dann sind sie „bipolar" —, möglicherweise aber auch mehrere — dann sind sie „multipolar". Beispiel des ersten Typs ist das zweiseitige Schuldverhältnis, des zweiten die Widmung zu einer öffentlichen Sache. 4. Nach den beteiligten Rechtssubjekten lassen sich i m staatlichen Bereich vor allem Rechtsverhältnisse zwischen Organisationen, zwischen Organen sowie zwischen Organisationsmitgliedern, aber auch solche zwischen Organisation und Organisationsmitglied, Organisation und Organ, Organisation und Organwalter sowie Organ und Organwalter unterscheiden; hinzukommen weitere i m supra- und internationalen Bereich. Die Rechtssubjektivität ist stets rechtsverhältnisbezogen, doch kann ein i n einem Rechtsverhältnis als Zurechnungsendsubjekt auftretendes Rechtssubjekt zugleich i n einem anderen lediglich Zurechnungszwischensubjekt sein. 5. Rechtsverhältnisse werden durch Rechtsnormen determiniert. Die Determination kann eine vollständige oder nur eine teilweise sein. I m ersten Fall w i r d das Rechtsverhältnis durch die Norm i n vollem Umfang heteronom gestaltet, i m zweiten verbleibt den an dem Rechtsverhältnis beteiligten Rechtssubjekten eine autonome Determinante eigener Gestaltungsfreiheit. 6. Die Beziehungsgeltung von Normen oder Normgruppen für eine bestimmte A r t von Rechtsverhältnissen kann durch Transformation erweitert werden. Dabei müssen die Transformationsnormen dem aufnehmenden Rechtsverhältnis angehören, wie das bei der Geltungserstreckung der zunächst nur i m Rechtsverhältnis zwischen Staat und Staatsbürger geltenden Grundrechte auf Rechtsverhältnisse unter Privaten durch die ausfüllungsfähigen Generalklauseln des Privatrechts geschieht. 7. Von der Prämisse aus, daß der Zweck von Rechtsnormen i n der Gestaltung von Rechtsverhältnissen besteht, lassen sich Rückschlüsse für die Interpretation ziehen. I m Rahmen der teleologischen Inter-

V I I I . Thesen

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prêtation ist zu berücksichtigen, ob der Normzweck i n der Voll- oder nur i n der Teildetermination von Rechtsverhältnissen besteht, woraus ein unterschiedliches Ausmaß interpretativer Ausfüllungsfähigkeit des Normrahmens folgt, bei dem auch der jeweilige Typ des zu gestaltenden Rechtsverhältnisses zu beachten ist.

Zweiter

Teil

Grundzüge der Rechtsverhältnistheorie I. Vorbemerkung Die Rechtsordnung ist ein Beziehungsgefüge von Rechtsverhältnissen und damit eine Rechts Verhältnisordnung 1. So einleuchtend dieser Satz sein mag, so erstaunlich ist das rechtstheoretische Defizit i n der Behandlung der Rechtsverhältnisse als Strukturelemente der Rechtsordnung. Die Rechtstheorie des Positivismus hatte sich freilich begreiflicherweise mehr der Rechtsnorm als dem Rechtsverhältnis, den Institutionen als den Relationen zugewandt. Die Öffnung der Rechtswissenschaft zu den Sozialwissenschaften, die Erkenntnis der Einfügung der Rechtsordnung i n die sie umwölbende Sozialordnung, der Abschied von einer allein das Juristische umgreifenden monistischen Betrachtungsweise der Rechtsordnung hätten indessen längst Anlaß zu einem theoretischen Zugriff auf die Rechtsverhältnisse sein sollen. Er bildet das Anliegen der Rechtsverhältnistheorie 2 , die sehr schnell zum Gegenstand der theoretischen wie der dogmatischen Diskussion geworden ist 3 und deren zentrale Aussage — daß die Rechtsordnung eine Rechtsverhältnisordnung darstellt — bereits Eingang in die Rechtsprechung gefunden hat 4 . I I . Die geschichtliche Entwicklung des Bewußtseins von der Bedeutung der Rechtsverhältnisse 1. Die Bedeutung der Beziehungen in der Philosophie

Das Bewußtsein von der Bedeutung der Rechtsverhältnisse für die Rechtsordnung ist nicht neu und nicht begrenzt; es ist i m Gegenteil i n zeitlicher und räumlicher Unbeschränktheit anzutreffen. 1

Vgl. o. S. 17. Erstmalig N. Achterberg, Rechtstheorie 9 (1978), 385 ff. 3 Vgl. vorerst aus theoretischer Sicht H. Rodingen, Die Lehre von der Rechtsbeziehung: Eine neue Rechtsontologie?, Rechtstheorie 11 (1980), 208 ff., u n d dazu N. Achterberg, Schlußwort zu der Erwiderung von Hubert Rodingen „Die Lehre von der Rechtsbeziehung: Eine neue Rechtsontologie?", ebd. 219 ff., aus dogmatischer Sicht W. Meyer-Hesemann, Methodenwandel i n der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1981, S. 167 ff.; F.E. Schnapp, Sozialrecht u n d Verwaltungsrecht, SGb 1979, 200 (202 ff.); s. auch o. S. 17, A n m . 3. 4 HessVGH, N J W 77, 455. 2

I I . Geschichtliche E n t w i c k l u n g

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a) Bereits die aristotelische Unterscheidung der austeilenden Gerechtigkeit (iustitia distributiva) und der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa) 5 beruht auf der Erkenntnis, daß Gerechtigkeit und Gerechtigkeit nicht notwendigerweise identisch sind. Die Zuordnung der einen zu dem Verhältnis zwischen Staat und Bürger, i n dem es u m geometrische Gleichheit gehe — m i t der Konsequenz, daß lediglich für den angemessenen Ausgleich entstandenen Unrechts zu sorgen ist —, die Zuordnung der zweiten zu dem Verhältnis zwischen den Bürgern, i n dem es u m arithmetische Gleichheit gehe — m i t der Konsequenz, daß für den vollen Ausgleich entstandenen Unrechts zu sorgen ist — 6 , implizieren das Vorhandensein wesensverschiedener Rechtsverhältnisse und stimmen damit i n der Grundposition m i t der Rechtsverhältnistheorie überein. Die Ausdifferenzierung der Rechtsverhältnisse, die strikte Vermeidung pauschalisierender Aussagen über sie, stattdessen die Hervorkehrung relationsspezifischer Besonderheiten sind Erfordernisse, die bei einer Deutung der Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung i n der Tat unerläßlich sind. b) Bemerkenswerterweise findet sich für die relatio selbst i m thomistischen Denken Raum. Das der göttlichen Vorsehung unterfallende Schicksal (fatum) liegt nicht nur i n Gott selbst, w o es seine Macht oder seinen Willen (dei potestas vel voluntas) ausdrückt, sondern es verkörpert auch die von Gott zur Hervorrufung bestimmter Wirkungen (ad aliquos effectus producendos) gesetzte Ordnung der sekundären Ursachen (ordo causarum secundarum). I n diesem zweiten, auf die Wirkungen bezogenen Sinne ist das Schicksal als Fügung (dispositio) zu verstehen, die qualitäthaft nicht nur zur Substanz gehört, sondern eine Beziehung darstellt: „Dispositio, non quae est i n genere qualitatis; sed secundum quod dispositio désignât ordinem, qui non est substantia, sed relatio 7 ." Obwohl dieser Aussage für die Rechtsverhältnistheorie nicht unmittelbar etwas zu entnehmen ist, läßt sie immerhin erkennen, daß sich selbst eine m i t einem Beziehungsdenken keineswegs verhaftete philosophische Richtung der Bedeutung von Relationen nicht verschließt. c) Darüber hinausgehend bemerkt Immanuel Kant, der Begriff des Rechts, „sofern er sich auf eine ihm korrespondierende Verbindlichkeit bezieht", betreffe das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegenüber einer anderen, ferner nicht das Verhältnis der W i l l k ü r auf den Wunsch, sondern auf die W i l l k ü r des anderen; und schließ5 Aristoteles, Nikomachische E t h i k V, 1130 a 27 — 1131 b 27 (z. B. i n : A r i s t o teles, Die Nikomachische Ethik, übertragen von Gigon, 1951, S. 156 ff.) 8 Dazu R. Hauser, Gerechtigkeit, i n : Historisches Wörterbuch der P h i l o sophie, Hrsg. Ritter, Bd. 3, 1974, Sp. 329 (330); A. Verdroß, Abendländische Rechtsphilosophie, 2. Aufl., 1963, S. 45. 7 T. v. Aquino, Summa Theologiae I, qu. 116 (De fato).

A*

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2. Teil: Grundzüge der Rechts Verhältnistheorie

lieh komme es in diesem wechselseitigen Verhältnis der W i l l k ü r nicht auf die Materie der W i l l k ü r , also die m i t dem begehrten Objekt verbundenen Absicht, sondern lediglich auf die Form i m Verhältnis der beiderseitigen W i l l k ü r an. Kant formuliert: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die W i l l k ü r des einen m i t der W i l l k ü r des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann 8 ." Die Bedeutung der Beziehung, des Verhältnisses, für Kants Rechtsauffassung ist hiernach evident. d) Für die Stellung des Rechtsverhältnisses i n der marxistischen Rechtstheorie braucht lediglich auf Eugen Pasukanis verwiesen zu werden, der dessen zentrale Bedeutung m i t der Formel umreißt: „ Ä h n lich wie der Reichtum der kapitalistischen Gesellschaft die Form einer ungeheuren Anhäufung von Waren annimmt, stellt sich die ganze Gesellschaft als eine unendliche Kette von Rechtsverhältnissen dar." Das Rechtsverhältnis erscheint hiernach als „Keimzelle des Rechtsgewebes", i n dem allein das Recht seine „reale Bewegung vollzieht", während es als Inbegriff der Normen nur „leblose Abstraktion" ist 9 . Damit ist bereits der Rang gekennzeichnet, den Rechtsverhältnis und Rechtsnorm i n dieser Theorie einnehmen und der ein gänzlich anderer ist, als derjenige insbesondere i n der Kelsenschen Lehre: Nicht die Norm erzeugt hiernach ein Rechtsverhältnis, sondern das Verhältnis hat den „Primat" über die Norm 1 0 . Entgegen der von Pasukanis so bezeichneten „positiven Jurisprudenz" ist nach seiner Auffassung nicht die Norm, sondern das ökonomische Verhältnis — und zwar ohne Vermittlung durch die Norm als Zwischenglied — Quelle des i m Augenblick des Streits geborenen Rechtsverhältnisses 11 . „Daraus folgt, daß man zur Analyse des Rechtsverhältnisses . . . nicht von dem Begriff der Norm als äußeren autoritativen Gebots auszugehen braucht. Es genügt ein Rechtsverhältnis der Analyse zugrunde zu legen, ,dessen Inhalt von dem ökonomischen Verhältnis selbst gegeben ist' (Marx), und dann die gesetzliche' Form dieses Rechtsverhältnisses als Einzelfall zu untersuchen 12 ." 2. Die Bedeutung der Beziehungen in der Soziologie

Indessen befaßt sich nicht nur die Philosophie, sondern auch die Soziologie vielfältig m i t Beziehungen und Verhältnissen, die — sobald ihnen Rechtsnatur zukommt — als Rechtsverhältnisse erscheinen. 8 I. Kant, Metaphysik der Sitten, 230 (vgl. z.B. K . Vorländer [Hrsg.], 1959, S. 34 f.). 9 E. Pasukanis, Allgemeine Rechtslehre u n d Marxismus, 3. Aufl., 1970 ( = Archiv sozialistischer L i t e r a t u r 3), S. 60. 10 Ebd., S. 62. 11 Ebd., S. 68. 12 Ebd., S. 72.

I I . Geschichtliche Entwicklung

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a) Nach der Erkenntnis, daß die Verbundenheit der Menschen untereinander als zwischenmenschliche Beziehungen einen oder gar den Hauptgegenstand der Soziologie bildet, forderte die Beziehungssoziologie eine Betrachtungsweise, die nicht substantiell von dem Individuum, sondern von den Wechselwirkungen und dem Zusammenwirken der Einzelnen auszugehen habe, von der Summierung und Sublimierung von Einzelbeiträgen, von der Verkörperung sozialer Energie in transindividuellen Gebilden. Objekt der Soziologie w a r hiernach ein Komplex von Bestimmungen und Beziehungen, i n dem der Mensch i n ein „Füreinander-, Miteinander-, Gegeneinander-Handeln... m i t anderen" t r i t t 1 3 . Gesellschaft wurde hiernach die Bezeichnung für einen Umkreis von Individuen, die durch derartige Wechselbeziehungen verbunden waren, Aufgabe der Gesellschaftswissenschaft, solche zu beschreiben 14 . Georg Simmel zog hieraus für Rechtsverhältnisse die — den konstitutionellen Lehren seiner Zeit entsprechende — Konsequenz der Unterscheidung von Beziehungen der Gleichordnung und Beziehungen der Uber- und Unterordnung. Damit ist der Durchbruch zu einer Auffassung gemacht, nach der die Theorie des sozialen Handelns nicht mehr von der Substanz, sondern von der Funktion ausgeht, Institutionenlehre durch Funktionenlehre überwunden wird. Von der Prämisse aus, daß Funktionen nicht durch gegenständliches, sondern allein durch beziehendes Denken erfaßt werden, war es sodann nur ein Schritt zu der Erkenntnis, daß man zu einem zutreffenden Verständnis gesellschaftlich-geschichtlicher Tatsachen erst gelangt, wenn nicht die Personen, sondern die Verhältnisse als Betrachtungseinheit zu Grunde gelegt werden 15 . I n der Konsequenz dieser These liegt die Auffassung Leopold v. Wieses, daß aus allen die Menschen betreffenden Geschehnissen das Zwischenmenschliche zu isolieren und i n einem System wechselnder Distanzierungen zu erfassen sei. Nach dieser Ansicht bildet Gesellschaft nichts Substantivisches, sondern ein „verwickeltes Netz von Geschehnissen oder Vorgängen", wobei einfache und schwierige Prozesse, solche erster und zweiter Ordnung unterschieden werden 1 6 — dies i n Erkenntnis der Heterogenität von Beziehungen, wie sie auch bezüglich der Rechtsverhältnisse i n Erscheinung tritt, worauf zurückzukommen sein wird.

13

G. Simmel, Soziologie. Untersuchung über die Formen der Vergesellschaftung, 4. Aufl., 1958 ( = Gesammelte Werke, Bd. 2), S. 3. 14 G. Simmel, Grundfragen der Soziologie. I n d i v i d u u m u n d Gesellschaft, 3. Aufl., 1970, S. 14. 15 A. Vierkandt, Die Beziehung als Grundkategorie des sozialen Denkens, ArchRWiPhil. 9 (1915/16), 83, 214 (221). 16 L. v. Wiese, System der beziehenden Soziologie als Lehre von den sozialen Gebilden der Menschen (Beziehungslehre), 3. Aufl., 1955, S. 157.

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2. Teil: Grundzüge der Rechtserhältnistheorie

b) Begreift die Beziehungssoziologie die Gesellschaft hiernach lediglich als Gefüge sozialer Beziehungen und Wirkungen, so legt demgegenüber die Systemtheorie ein funktionales Verständnis der Gesellschaft als soziales System zugrunde — und ähnlich ist auch rechtsverhältnistheoretisch die Rechtsordnung ein komplexes Gefüge, bei dem es gleichfalls nicht u m Feststellung des Seins i n Form von Wesenskonstanten, sondern u m „Variation von Variablen" 1 7 geht. Die Forderung der Systemtheorie, funktionalistisch zu denken m i t dem Ziel der Reduktion von Komplexität zwecks sozialer Konfliktsabsorption läßt sich gleichermaßen als solche der Rechtsverhältnistheorie formulieren, nur daß i h r Betrachtungsfeld nicht das „soziale System der sozialen Systeme" 18 — i m Sinne der Gesellschaft als Ganzer —, sondern das aus sozialwissenchaftlicher Sicht als ihr Subsystem erscheinende Rechtssystem — m i t h i n die Rechtsordnung als Ganze sowie die i n sie eingelagerten Teilrechtsordnungen — ist. Die Bedeutung der Systemtheorie liegt hiernach vor allem i n der Erfassung komplexer Sozialstrukturen, die sich i n zweiseitigen Beziehungen nicht adäquat darstellen lassen. Auch solche sind jedoch gleichermaßen rechtstheoretisch zu bewältigen. Aus allem ergibt sich zweierlei: Zum ersten ist erkennbar, daß Relationen zu den verschiedensten Zeiten und von den unterschiedlichsten Prämissen aus Beschäftigungsgegenstand der Philosophie und der Soziologie waren. Zum zweiten finden sich mannigfache Vergleichbarkeiten m i t der Rechtsverhältnistheorie, ohne daß diese indessen i n solchen ihre meta juristische Begründung erführe. Die Rechts Verhältnistheorie besitzt keinen eklektischen Charakter. I I I . Die Grundannahmen der Rechtsverhältnistheorie 1. Das Rechtsverhältnis in der Normenordnung

Sind somit Teile des philosophischen und soziologischen Rahmens der Rechtsverhältnistheorie abgesteckt, so gilt es i m folgenden, ihre Grundannahmen zu entwickeln. Zu ihnen zählt zunächst die Definition des Rechtsverhältnisses selbst, das als die rechtsnormgestaltete Beziehung zwischen zwei oder mehreren Subjekten zu begreifen ist 1 9 . 17 N. Luhmann, F u n k t i o n u n d Kausalität, i n : Soziologische Aufklärung. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme. Bd. 1., 4. Aufl., 1974, S. 9 (15), i m A n schluß an die analytische Systemtheorie T. Parsons (Das System moderner Gesellschaften, 2. Aufl., 1976 [Grundfragen der Soziologie, Bd. 15], S. 12 ff.). 18 N. Luhmann, Gesellschaft, i n : ders., Soziologische Aufklärung, S. 137 ff., 143, 145. 19 N. Achterberg, Rechtstheorie 9 (1978), 394. — Abzulehnen ist die These von F. Sander, Allgemeine Staatslehre, 1936, S. 475, nach der ein Rechts-

I I I . Grundannahmen der Rechts Verhältnistheorie

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Zur Erklärung dieser Begriffsbestimmung ist folgendes zu bemerken: a) Das Abstraktionsniveau des Rechtsverhältnisbegriffs erfordert keine weiteren Wesensmerkmale, insbesondere keine Abstellung auf „Rechts"-Stellung, „Rechts"-Satz, „Rechts"-Beziehung oder „Rechts"Subjekt, die lediglich eine überflüssige Duplizierung der Rechtsnormgestaltung bedeuteten. Nicht besonders erwähnt zu werden braucht auch, daß m i t dem Rechtsverhältnis eine soziale Beziehung zwischen einzelnen Personen rechtsnormativ gestaltet wird: Dieser Umstand folgt daraus, daß der soziale Bereich den rechtlichen umgibt, jede rechtliche zugleich eine soziale Beziehung darstellt 20 . Die sich schneidenden Kreise der Rechtsnormen- und Moralnormen-Ordnung — m i t einem Uberschneidungsbereich, i n dem Rechtsnorm und Moralnorm sich dekken (wie weite Teile des Strafrechtssy stems), m i t einem ausschließlich rechtlichen Bereich moralneutraler Normen (wie der größte Teil des Straßenverkehrs- oder Baurechts) m i t einem ausschließlich moralischen Bereich rechtsneutraler Normen (der gesamte Bestand nicht „ j u r i d i f i zierter" Sittengesetze) — sind umgeben von der Sozialnormenordnung. Rechtsnormenordnung und Moralnormenordnung sind i n sie eingelagert und bilden deren Subsysteme. Darüber hinaus aber gibt es sowohl rechts- und auch moralneutrale Anforderungen an das gesellschaftliche Miteinander: „sozialtechnische Verhaltensregeln". b) Hieraus folgt die Unmöglichkeit, Sollen m i t dem rechtlichen und/ oder moralischen Bereich, Sein m i t dem gesellschaftlichen Bereich zu identifizieren 21 . Insoweit sind insbesondere die Erkenntnisse der Wiener rechtstheoretischen Schule zu korrigieren, während aber auch — wie schon hier gesagt sei — den Prämissen der marxistischen Rechtstheorie nicht gefolgt werden kann. Auch unter dem Blickwinkel der Rechtsverhältnistheorie bleiben — unbeschadet des Umstands, daß dem Sollensbereich nicht nur Rechtsnormen und Moralnormen, sondern auch Sozialnormen angehören — der Satz „ex factis ius non oritur" sowie seine Umkehrung „ex iure facta non oriuntur" gültig. Zwar lassen sich Einflüsse des Seins auf das Sollen wie auch des Sollens auf das Sein erkennen, doch erfolgen solche nicht automatisch, sondern bedürfen sie jeweils der Induktion, aufgrund deren Sein und Sollen allerdings einander nicht impermeabel gegenüberstehen. I m Interesse einer eindeuverhältnis niemals eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Berechtigten u n d dem Verpflichteten darstellt, sondern stets durch solche Menschen v e r m i t t e l t w i r d , „welche als Richter u n d Vollstrecker i n einem besonderen Rechts verfahren i n Betracht kommen". Ubersehen bleibt damit nämlich, daß es auch Rechtsverhältnisse gibt, die oberhalb der Rechtserzeugungsstufen der Rechtsprechung u n d der Rechtsvollstreckung angesiedelt sind u n d i n denen es nicht zur Befassung des Richters u n d des Vollstreckers kommt. 20 N. Achterberg, Rechtstheorie 9 (1978), 395. 21 Ebd., 396.

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2. Teil: Grundzüge der Rechtserhältnistheorie

tigen Terminologie w i r d der Vorschlag gemacht, die Einführung von Seinsgegebenheiten i n die Sollensordnung als Induktion, die Übertragung von Sollensnormen der einen in eine andere Ordnung — also von Sozialnormen i n die Rechtsordnung oder Moralordnung, von Rechtsnormen i n die Moralordnung oder von Moralnormen i n die Rechtsordnung — als Transformation zu bezeichnen 22 . Lediglich das Verhältnis von Rechtsnormen und Moralnormen einerseits und Sozialordnung andererseits ist anders zu sehen: Insoweit bedarf es keiner Transformation, w e i l Rechtsnormen und Moralnormen sich auch ohne eine solche i m Sozialordnungsbereich auswirken, da die Rechtsordnung und die Moralordnung i n die sie umwölbende Sozialordnung eingegliedert sind. Soweit hiernach eine Transformation nötig ist, erfolgt diese entweder durch Norm oder durch Konsens: Durch transformierende Rechtsnorm werden Moralnormen oder Sozialnormen i n das Rechtssystem, durch transformierenden Konsens werden Rechtsnormen i n das Moralsystem übergeführt. 2. Die Rechtsnormgestaltung des Rechtsverhältnisses

Begriffsmerkmal des Rechtsverhältnisses ist seine Rechtsnormgestaltung. Von vornherein zu unterscheiden sind dabei die Schaffung (das „Ob") sowie die Ausgestaltung — die Formung — (das „Wie") des Rechtsverhältnisses. Beide Fälle seien unter dem Oberbegriff der Gestaltung zusammengefaßt. Hinsichtlich der Ausgestaltung dürfte dabei auch die marxistische Rechtstheorie m i t der Rechtsverhältnistheorie einig gehen, daß diese durch Rechtsnormen erfolgt. So bemerkt etwa E. Pasukanis, die objekt i v existierende Ordnung erzeuge zwar nicht das Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger bei der zwangsmäßigen Schuldeneintreibung, doch „garantiere" sie es, „stelle sie es sicher" 23 . Grundlegend unterscheidet sich die Rechtsverhältnistheorie in dem hier vorgetragenen Sinne von der marxistischen Rechtstheorie jedoch dadurch, daß diese die Entstehung der „juristischen Verhältnisse" unmittelbar aus dem ökonomischen Verhältnis ableitet 24 . Entgegen dieser These ist nicht nur m i t der Reinen Rechtslehre, sondern m i t der herrschenden Rechtstheorie nicht-marxistischer Provenienz daran festzuhalten, daß es die Rechtsnorm ist, diej das Rechtsverhältnis konstituiert. Pasukanis 9 und der marxistischen Rechtstheorie Fehler liegt darin, das Sozialverhältnis und das Rechtsverhältnis nicht hinreichend zu unterscheiden. M i t der unmittelbaren Ableitung des juristischen Ver22 23 24

Ebd., 396. E. Pasukanis, S. 64. Ebd., S. 67 ff., 72.

I I I . Grundannahmen der Rechtsverhältnistheorie

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hältnisses aus dem ökonomischen Verhältnis kann nicht erklärt werden, daß es Sozialverhältnisse gibt, die ausschließlich i m meta juristischen Raum verbleiben, also keineswegs ein Rechtsverhältnis darstellen. Kann dies nicht gelingen, so bleibt es dabei, daß erst und allein die Rechtsnorm ein wie auch immer geartetes Verhältnis zu einem Rechtsverhältnis macht, und dies bedeutet nichts anderes, als daß eben doch der Rechtsnorm bei der Schaffung des Rechtsverhältnisses konstitutive Bedeutung zukommt. Demgegenüber greift der Einwand der marxistischen Rechtstheorie nicht, das Vorhandensein einer Waren- und Geldwirtschaft sei die Grundvoraussetzung, ohne welche die konkreten Normen keinen Sinn hätten; nur unter dieser Grundvoraussetzung hätte das juristische Subjekt sein materielles Substrat i n der Person des w i r t schaftenden Subjekts, welches das Gesetz nicht schaffe, sondern vorfinde — und wo dieses Substrat fehle, sei — so zumindest Pasukanis — das „entsprechende Rechtsverhältnis a priori undenkbar" 2 5 . Die Bedeutung der Vorfindlichkeit des materiellen Substrats mag i n diesem Zusammenhang auf sich beruhen. Sicherlich aber führt das Fehlen des Substrats noch nicht zur „Undenkbarkeit" eines Rechtsverhältnisses. Dementsprechend ist i m deutschen Recht auch eine des persönlichen und sachlichen Substrats ermangelnde hoheitliche Verwaltungsmaßnahme kein Nichtakt, sondern ein nichtiger Verwaltungsakt, dessen Ungültigkeit zum Gegenstand eines Verwaltungstreitverfahrens gemacht werden kann. Begriffsmerkmal des Rechtsverhältnisses ist, daß diese zwischen Subjekten besteht, ohne daß diese freilich als Rechtssubjekte bezeichnet zu werden brauchen, da durch die Rechtsnormgestaltung einer Beziehung deren Endpunkte bereits hierdurch Rechtssubjekte werden. Moralnormgesteuerte Beziehungen lassen demgegenüber deren Endpunkte als Moralsubjekte, ausschließlich sozialnormgesteuerte als Sozialsubjekte erscheinen. M i t der durch die Rechtsnormgestaltung eingeführten Veränderung der Subjektivität zur Rechtssubjektivität sind alle nur möglichen Endpunkte von Rechtsverhältnissen gewonnen, so daß deren verschiedenste Arten umrissen werden können. Damit ist auch der jüngst erhobenen K r i t i k der Boden entzogen, m i t der Verwendung des Subjektsbegriffs werde den unterschiedlichen gesellschaftlichen Lagen nicht hinreichend Rechnung getragen 26 . Gerade dies t r i f f t wegen des hohen Abstraktionsniveaus des Subjektsbegriffs nicht zu — und zwar ohne daß dabei auf Erkenntnisse der Topik oder der Semiotik zurückgegriffen werden braucht. Die Rechtsverhältnistheorie ist sich der Komplexität der als Rechtsverhältnisordnung begriffenen Rechtsordnung durchaus bewußt — gerade sie wendet sich m i t der Hervorhebung 25 26

Ebd., S. 69. H. Rodingen, Rechtstheorie 11 (1980), 214 ff.

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2. Teil: Grundzüge der Rechtserhältnistheorie

der Polytomie von Rechtsverhältnissen gegen jegliche pauschalisierende Reduktion dieser Komplexität 2 7 . Die Begriffsbestimmung des Rechtsverhältnisses umfaßt, daß dieses zwischen mindestens zwei Subjekten als seinen Endpunkten — jeweils einem Subjekt an jedem Endpunkt — besteht. Nicht ausgeschlossen ist damit eine größere, sogar unbestimmte Zahl von Subjekten. I m ersten Fall ist das Rechtsverhältnis als bipolar, i m zweiten als multipolar zu bezeichnen. Bipolare Rechtsverhältnisse werden i m Regelfall durch Vertrag, multipolare durch Gesetz oder Allgemeinverfügung begründet. Erst die Anerkennung multipolarer Beziehungen schafft die Voraussetzung, hochkomplexe Sozialstrukturen i n Rechtsverhältnissen abzubilden und durch eine Rechtsverhältnistheorie zu deuten. Deren A u f lösung i n Zweierbeziehungen und Deutung als Addition bipolarer Rechtsverhältnisse ist weder erforderlich noch sinnvoll. Sie würde der Komplexität multipolarer Rechtsverhältnisse nicht gerecht werden: Die Reduktion der Multipolarität auf eine Addition von Bipolaritäten müßte beispielsweise zur Folge haben, daß der erfolgreiche Angriff gegen eine Norm nur inter partes statt inter omnes w i r k t . Diese Situation w i r d demgegenüber dadurch erfaßt, daß neben der Bipolarität eine hiervon nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu unterscheidende Multipolarität anerkannt wird. I V . D e r Rechtssubjektsbegriff 1. Rechtssubjekte im objektiv- und im subjektiv-rechtlichen Sinne

Der i n der Rechts Verhältnistheorie zugrunde gelegte Rechtssubjektsbegriff nimmt an der Doppelnatur des Rechtsbegriffs teil: Recht i m objektiven Sinne als Rechtsnormengefüge, Recht i m subjektiven Sinne als Berechtigung. I m objektiv-rechtlichen Sinne ist das Rechtssubjekt ein m i t Zuständigkeiten ausgestatteter Teil der Normenordnung, i m subjektiv-rechtlichen Sinne ein Berechtigter (Rechtssubjekt i m engeren Sinne) oder Verpflichteter (Pflichtsubjekt). Beide Rechtssubjektsbegriffe treffen i m allgemeinen zusammen. Allerdings gibt es auch Rechtsverhältnisse — sie werden i m folgenden als asymmetrische bezeichnet —, die zwar zwei Rechtssubjekte i m objektiven Sinne als Endpunkte aufweisen, während jedoch nur eines von ihnen — nämlich der Verpflichtete — auch Rechtssubjekt i m subjektiven Sinne ist 28 . 27

N. Achterberg, Rechtstheorie 9 (1978), 398 ff., 405. Nicht zuzustimmen ist F. Sander, S. 4781, der die Unterscheidung von subjektivem u n d objektivem Recht ablehnt u n d die Rechtsverhältnisse ausschließlich am subjektiven Recht orientieren w i l l . H i e r m i t bleiben notwendigerweise die asymmetrischen Rechtsverhältnisse aus der Betrachtung ausgeblendet. 28

I V . Der Rechtssubjektsbegriff

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Das Abstraktionsniveau des Rechtssubjektsbegriffs gestattet es dabei, Subjekte nicht lediglich als Personen zu begreifen, sondern zu ihnen Organisationseinheiten jeglicher A r t und jeglichen Zuständigkeitsbereichs zu rechnen. Infolgedessen kann die soziale Zuordnung der Subjekte, die A r t des Sozial ver hältnisses, i n dem sie stehen, i n diesem Zusammenhang auf sich beruhen. I n welcher sozialen Rolle sich eine Person befindet — ob als Arbeitgeber oder als Arbeitnehmer, als Produzent oder als Konsument —, ist für die Erfüllung des Rechtssubjektsbegriffs, übrigens sogar des Sozialsubjektsbegriffs dieses Abstraktionsgrades unerheblich 29 . Die Konkretisierung des Rechtssubjektsbegriffs erfolgt durch die das jeweilige Rechtsverhältnis determinierenden Rechtsnormen. Zwischen welchen Subjekten Rechtsverhältnisse (abstrakt) entstehen können, w i r d normativ bestimmt; die Subjekte selbst besitzen keine Möglichkeit, dies zu entscheiden. Zwischen welchen Subjekten Rechtsverhältnisse (konkret) zustande kommen, hängt dagegen möglicherweise von ihrer M i t w i r k u n g ab. A m Beispiel der Grundrechtssubjektivität läßt sich dabei nachweisen, daß die Rechtssubjektivität rechtsverhältnisbezogen ist: Sobald die Rechtsordnung einem Zurechnungssubjekt auch nur eine einzige Rechtspflicht auferlegt, ist diesem bereits eine begrenzte Rechtsfähigkeit zuerkannt. Hieraus folgt, daß nicht die Grundrechtssubjektivität gegenüber dem Rechtsverhältnis, sondern umgekehrt dieses gegenüber der Grundrechtssubjektivität vorrangig ist. Nur i n Rechtsverhältnissen, an denen der Staat beteiligt ist, besteht eine Grundrechtssubjektivität; Grundrechte sind staatsgerichtet. Sonstige Rechtssubjektivität und Grundrechtssubjektivität können übereinstimmen, brauchen dies aber nicht zu tun. So sind i m Rechtsverhältnis zwischen Organen auch diese Rechtssubjekte, ohne aber Grundrechtssubjekte zu sein, während umgekehrt nichtjuristische Personenvereinigungen Grundrechtssubjekte sein können, ohne aber Rechtssubjekte i n einem Privatrechtsverhältnis zu sein 30 . 29 Dies verkennt H. Rodingen, Rechtstheorie 11 (1980), 215, bei seiner auf ideologischen Hypostasierungen beruhenden These, der von m i r vertretene Subjektsbegriff gründe sich auf eine „mittelschichtige Syntaxdressur", m i t der die Besonderheiten der „Unterschicht", die Rechtsverhältnisse solidarischk o l l e k t i v u n d nicht individuell-subjektivistisch erführen, unberücksichtigt blieben: Die Weite des hier vertretenen Subjektsbegriff läßt diese Berücksichtigung durchaus zu (wenn keineswegs — w i e H. Rodingen verkürzend meint — n u r Personen als Subjekte begriffen werden, sondern — wie dargelegt — auch Organisationen u n d Organe, so ist schon hieraus die Irrelevanz der Schichtenzugehörigkeit für den Subjektsbegriff erkennbar). 30 Hierzu N. Achterberg, i n : Gedächtnisschrift f ü r Friedrich Klein, S. 34 ff.; F. E. Schnapp, Amtsrecht u n d Beamtenrecht, 1977, S. 80 ff., 140 f. — Die Staatsgerichtetheit der Grundrechte w i r d auch nicht durch die D r i t t w i r k u n g i n Privatrechtsverhältnissen widerlegt. Bei dieser handelt es sich vielmehr — w i e noch darzulegen sein w i r d — u m ein Problem der Beziehungsgeltung.

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2. Teil: Grundzüge der Rechtserhältnistheorie 2. Die Polytomie der Rechtsverhältnisordnung

Die Rechtsverhältnisordnung ist polytom. I m staatlichen Bereich können Endpunkte von Rechtsverhältnissen Organisationen, Organe und Organwalter, aber auch die Staatsbürger selbst sein. Organisationen — unter ihnen insbesondere der Staat selbst — sind stets innendifferenziert; sie besitzen Organe, die ihrerseits durch Organwalter handlungsfähig werden. Sowohl der Organwalter als auch der Staatsbürger erscheinen als Organisationsmitglieder. Natürliche Personen — auch Organwalter — unterscheiden sich dabei von juristischen Personen dadurch, daß sie selbst keine Innendifferenzierung aufweisen. Hieraus folgt die bereits dargelegte 31 Existenz einer großen Zahl von Rechtsverhältnissen zwischen den verschiedensten Rechtssubjekten. Aus der Polytomie der Rechtsverhältnisse ergibt sich weiterhin das Erfordernis, außer einer Zurechnungsend- auch eine Zurechnungszwischensubjektivität zu unterscheiden. Die an einem Rechtsverhältnis beteiligten Rechtssubjekte sind dessen Endpunkte; Rechtsverhältnisse bestehen zwischen Zurechnungsendpunkten. Doch können i n die Zurechnungsstränge Zurechnungszwischensubjekte eingeschaltet sein, so daß das Zurechnungsendsubjekt des einen Rechtsverhältnisses zugleich Zurechnungszwischensubjekt i n einem anderen Rechtsverhältnis sein kann. Der Begriff der Zurechnungsendsubjektivität muß demnach um denjenigen der Zurechnungszwischensubjektivität ergänzt werden. Gibt es nicht nur Rechtsverhältnisse zwischen Zurechnungsendsubjekten ohne, sondern auch solche, i n die Zurechnungszwischensubjekte eingeschaltet sind, so w i r d hieraus die unterschiedliche Rechtsstellung der Rechtssubjekte i n den einzelnen Rechtsverhältnissen deutlich. Besondere Konstellationen veranschaulichen — international — die Komplexität der Rechtsverhältnisordnung noch zusätzlich. Von ihnen seien i m folgenden zwei Beispiele genannt: a) Aus dem deutschen Recht ist i n diesem Zusammenhang der Bürgerbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz zu erwähnen, dem „Eingaben an den Landtag oder an den Petitionsausschuß" zuzuleiten sind, der solche „ f ü r den Landtag" entgegennimmt, der „als ständiger Beauftragter des Petitionsausschusses" die Landesregierung, alle Behörden des Landes und die seiner Aufsicht unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts u m Auskunft, Akteneinsicht und Zut r i t t zu den von ihnen verwalteten Einrichtungen ersuchen kann, der weiterhin der Herbeirufungsbefugnis des Landtags und des Petitionsausschusses unterliegt, der beiden gegenüber berichtspflichtig ist, der indessen in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis zum Land 31

Vgl. o. S. 36 ff.

V. A r t e n der Rechtsverhältnisse

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Rheinland-Pfalz steht (§§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 1, 7 Abs. 1, 3, 4, 10 Abs. 1 RhPf Bürgerbeauf trG). Hieraus ist zu folgern, daß der Bürgerbeauftragte zum einen i n einem Organisation-Organwalter-Verhältnis steht, das i n diesem Zusammenhang als „öffentlich-rechtliches Amts Verhältnis" bezeichnet wird, zugleich aber i n einem Organ-Organwalter-Verhältnis zum Landtag und i n einem ebensolchen zum Petitionsausschuß. Da der Petitionsausschuß Organ des Landtags und damit Unterorgan des Landes ist, ergibt sich hieraus das gleichzeitige Bestehen eines Organisation-OrganwalterVerhältnisses sowie eines Organ-Organwalter- und eines UnterorganOrganwalter-Verhältnisses. M i t h i n bestehen zwei — vereinbare — Organwalterverhältnisse zwischen dem Bürgerbeauftragten einerseits und dem Landtag sowie dem Petitionsausschuß andererseits. Die rechtstheoretische Lage läßt sich aber auch so begreifen, daß das Unterorgan Zurechnungszwischensubjekt i m Verhältnis zwischen Organ und Organwalter ist. b) I n diesem Zusammenhang bemerkenswert ist weiterhin die Stellung der Bundeskanzlei als gemeinsames Organ der Bundesversammlung und des Bundesrats i n der Schweiz. Die Bundeskanzlei ist Stabsorgan des Bundesrats und zugleich Kanzlei der Bundesversammlung und w i r d infolgedessen i n der führenden Darstellung des schweizerischen Verwaltungsrechts 32 als „Nahtstelle" zwischen Bundesrat und Bundesversammlung bezeichnet, deren Stellung nur verständlich sei, wenn man die ursprüngliche Bedeutung der Exekutive als Ausschuß der Bundesversammlung berücksichtige. Rechtsverhältnistheoretisch liegt i n beiden Konzeptionen indessen ein wesentlicher Unterschied: Nach der ursprünglichen Rechtslage bildete die Bundeskanzlei ein Organ des Bundesrats als Organ der Bundesversammlung und damit deren Unterorgan, nach der neuen dagegen ein gemeinsames Organ von Bundesversammlung und Bundesrat, wobei davon auszugehen ist, daß zwei Organ-Organ-Verhältnisse zwischen Bundesversammlung sowie Bundesrat einerseits und Bundeskanzlei andererseits bestehen, wegen des höchst unterschiedlichen Inhalts der Beziehungen dagegen kein multipolares Rechtsverhältnis. V. Arten der Rechtsverhältnisse 1. Rechtsverhältnisse allgemeiner Art

Für die Arten der einzelnen Rechtsverhältnisse sind zunächst deren Symmetrien bedeutsam: Rechtsverhältnisse können asymmetrisch, symmetrisch, disymmetrisch oder polysymmetrisch sein. 32 T. Fleiner-Gerster, Grundzüge des allgemeinen u n d schweizerischen V e r waltungsrechts, 2. Aufl., 1980, S. 456 f.

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2. Teil: Grundzüge der Recht s Verhältnistheorie

a) Das Rechtsverhältnis ist asymmetrisch, wenn zwar dem einen seiner Zurechnungsendsubjekte eine Pflicht auferlegt ist, ohne daß aber dem anderen ein entsprechendes Recht zusteht. Das eine Rechtssubjekt erscheint hier als „Pflichtsubjekt", das andere ist zwar (in dem zuvor gekennzeichneten objektiv-rechtlichen Sinne) — und damit den Prämissen der Rechtsverhältnistheorie genügend — vorhanden, weil i h m gegenüber die Pflicht besteht, es besitzt aber keinen Anspruch, m i t dem es deren Erfüllung verlangen könnte 3 3 . b) Das Rechtsverhältnis ist symmetrisch, wenn außer dem Pflichtsubjekt auf der einen Seite auch auf der anderen Seite ein Rechtssubjekt vorhanden ist, das diesem gegenüber sein Recht geltend machen kann. M i t der Pflicht des einen korreliert das Recht des anderen Rechtssubjekts. Beispiele hierfür bilden die einseitig verpflichtenden Rechtsgeschäfte des Bürgerlichen Rechts sowie die belastenden Verwaltungsakte des Öffentlichen Rechts. c) Das Rechtsverhältnis ist disymmetrisch, wenn dem einen Rechtssubjekt dem anderen gegenüber eine Pflicht obliegt, dem ein korrelierendes Recht entspricht, diesem Rechtssubjekt aber zugleich und konnex eine Pflicht auferlegt ist, deren Erfüllung wiederum das andere Rechtssubjekt verlangen kann. Hier stehen sich m i t h i n Rechtssubjekt und Pflichtsubjekt einerseits sowie Pflichtsubjekt und Rechtssubjekt andererseits gegenüber. Auch das disymmetrische Rechtsverhältnis ist aufgrund der Konnexität der i n i h m enthaltenen Beziehungen ein einziges Rechtsverhältnis, bildet dagegen kein Bündel mehrerer Rechtsverhältnisse. Beispiel hierfür ist der Kaufvertrag m i t einer Symmetrie sowohl bezüglich der Zahlung des Kaufpreises als auch der Übereignung des Kaufgegenstands. d) Das Rechtsverhältnis ist schließlich polysymmetrisch, wenn zu den beiden erwähnten Recht-Pflicht-Beziehungen noch weitere hinzutreten. Auch hier w i r k t sich i m übrigen die zuvor hervorgehobene Konnexität aus: U m ein polysymmetrisches Rechtsverhältnis und nicht mehrere Rechtsverhältnisse handelt es sich nur, wenn zwischen den einzelnen Beziehungen eine Verknüpfung besteht 34 . Das gilt beispielsweise, wenn bei einem Kaufvertrag eine zusätzliche Vereinbarung über die Tilgung 33 Z u eng daher F. Sander, S. 474, der ein Rechtsverhältnis n u r annimmt, w e n n die Lage besteht, daß „ v o n Seiten eines Menschen dessen Recht, von Seiten des anderen Menschen dessen Rechtspflicht" vorhanden ist. 34 Ganz i n dieser Richtung bereits das Theorem von W. Jellinek, V e r w a l tungsrecht, 3. Aufl., 1947, S. 50, von der „Einheit des Rechtsverhältnisses", vermöge deren alle aus einem einheitlichen Rechtsverhältnis entspringenden Rechtsbeziehungen einheitlicher N a t u r sind. Dazu auch L. Renck, V e r w a l tungsakt u n d verwaltungsrechtlicher Vertrag — BVerwG, N J W 1969, 809, JuS 77, 77 (79). Auch i n diesem Zusammenhang t r i t t die Bedeutung der V e r knüpfung hervor.

VI. Norm und Willen

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der Kaufpreisschuld getroffen wird, da diese die Verpflichtung zur Kaufpreisentrichtung voraussetzt. 2. Rechtsverhältnisse besonderer Art

Noch näherer Erforschung bedürfen verschiedene Rechtsverhältnisse besonderer A r t . Hierzu rechnen zunächst „vorläufige" Rechtsverhältnisse 35 , die m i t Begriffen wie „Anwartschaft", „Vorvertrag", „Verwaltungsvorakt" 3 6 umrissen werden können. Dabei geht es insbesondere u m die Beziehungen zwischen dem vorläufigen und dem endgültigen Rechtsverhältnis: Das Erfordernis der Subjektidentität, die Möglichkeit des Formwandels, die Offenhaltung von Regelungsspielräumen, das Ausmaß der Bindungswirkung sind Probleme, die einer spezielle Rechtsverhältnisse übergreifenden Deutung harren. I n diesen Zusammenhang gehören ferner „abgeleitete" Rechtsverhältnisse — wie das Eltern Verhältnis i m Verhältnis zum Schulverhältnis, das Hinterbliebenenverhältnis i m Verhältnis zum Beamten Verhältnis. Das Ausmaß der Ubereinstimmung zwischen „ursprünglichem" und „abgeleitetem" Rechtsverhältnis ist bis heute noch nicht hinreichend erforscht. I n der Tat läßt sich sagen, daß durch die Herausarbeitung der i n den verschiedenen Rechtsverhältnissen waltenden unterschiedlichen Motivationen, Zielsetzungen und Strukturen deutlich gemacht werden kann, „zu welchen komplexen Regelungsmechanismen, -Institutionen und -Instrumentarien die Staatsfunktionen und die Wissenschaft greifen (müssen), u m Lebenssachverhalte zu bewältigen und/oder klarstellend zu erläutern" 3 7 . V I . D i e Bedeutung von N o r m und W i l l e n i m Rechtsverhältnis 1. Heteronome Determination von Rechtsverhältnissen

Für die Entstehung, Ausgestaltung und Beendigung von Rechtsverhältnissen von hervorragender Bedeutung ist deren Determination. Für die Schaffung von Rechtsverhältnissen gilt — wie erwähnt — zunächst, daß diese nur durch eine Rechtsnorm möglich ist. Die Auffassung, daß sie nicht die Norm, sondern ein Lebenssachverhalt hervorbringt — wie sie von einigen, wenn auch nicht allen, marxistischen Rechtstheoretikern vertreten w i r d 3 8 —, ist nicht zutreffend. So falsch es 35

Dies erwähnt auch F. E. Schnapp, SGb 79, 204. Dazu N. Achterberg, Der Verwaltungsvorakt, D Ö V 71, 397 ff. 37 F. E. Schnapp, SGb 79, 204. 38 So zwar P. I. Stucka u n d E. Pasukanis; a. M . jedoch A. J. Vysinskij. Vgl. zu dem Theorienstreit u m den soziologischen oder normativen Rechtsbegriff, der sich h i e r i n widerspiegelt, N. Reich, Marxistische Rechtstheorie, 1973, S. 17 f. 38

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2. Teil: Grundzüge der Rechtserhältnistheorie

wäre, eine Impermeabilität von Sein und Sollen anzunehmen, so dürfen die Grenzen beider Bereiche jedoch nicht kurzerhand niedergelegt werden. Bei aller K r i t i k am neukantianischen Disparitätstheorem ist die Unterscheidung von Sein und Sollen zu einem festen und gebliebenen Bestandteil der Rechtsphilosophie geworden, wie schon allein diejenige von indikativer (ontischer) und nichtindikativer (deontischer) Logik zeigt. Seinsordnungselemente vermögen nicht von sich aus rechtserzeugend zu wirken, sondern bedürfen der Induktion i n die Sollensordnung, bevor sie sich in dieser auswirken können. Sollen ist die Konsequenz eines Wollens: Jede gesollte Handlung setzt eine gewollte Erklärung voraus; Faktizität allein ersetzt diese nicht. Demgemäß wäre es beispielsweise falsch, ein Schadensersatzrechtsverhältnis als durch die schadenstiftende Handlung, statt durch Schadensersatznormen determiniert zu betrachten 39 . Der Rückbezug auf den staatlichen Willensakt allein verhindert i m übrigen, daß die Polytomie zu einer Atomisierung der Rechtsordnung entartet. I m einzelnen ist dazu folgendes festzustellen: a) Bezüglich der Entstehung von Rechtsverhältnissen ist erkennbar, daß die Norm ein solches begründen und insofern eine Volldetermination vornehmen, sie ein solches aber auch nur zulassen und damit lediglich eine Teildetermination ausüben kann. I m ersten Fall bedeutet die Normdetermination Gestaltung — das Rechtsverhältnis w i r d als aktuelles geschaffen —, i m zweiten Gestaltungsermächtigung — das Rechtsverhältnis w i r d erst als potentielles begründet. Der von der Norm nicht ausgeschöpfte Determinationsteil unterliegt der freien Gestaltung durch die an dem Rechtsverhältnis beteiligten Subjekte, das Rechtsverhältnis besitzt insoweit eine — derjenigen der Norm freilich nicht vergleichbare — autonome Determinante. b) Hinsichtlich der Ausgestaltung von Rechtsverhältnissen gilt prinzipiell dasselbe. Auch sie kann volldeterminiert oder auch teildeterminiert sein. Beispiele für volldeterminierte Rechtsverhältnisse sind gesetzliche Schuldverhältnisse oder durch Verwaltungsakte i m Bereich der „gebundenen" Verwaltung begründete Rechtsverhältnisse, Beispiele für teildeterminierte Rechtsverhältnisse sind Verträge. Der Teildetermination bei der Ausgestaltung entspricht die — von der Abschlußfreiheit (einem bei der Entstehung von Rechtsverhältnissen erheblichen Problem) zu unterscheidende — Inhaltsfreiheit von Rechtsverhältnissen. c) Bezüglich der Beendigung von Rechtsverhältnissen ist erkennbar, daß auch diese volldeterminiert oder teildeterminiert erfolgen kann. Um volldeterminierte Beendigung handelt es sich, wenn diese durch 39

I r r i g daher H. Rodingen, o. A n m . 26.

VI. Norm und Willen

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Norm vorgesehen ist — wie dies bei rechtsnormativer Rechtsverhältnisbefristung oder bei Rechtsnormaufhebung zutrifft —, um teildeterminierte Beendigung dagegen bei einer solchen kraft Zulassung der A u f hebung eines Rechtsverhältnisses durch Willensentschluß der Rechtssubjekte oder durch Bedingung: I n diesem Fall hängt die Beendigung von einer Handlung der Zurechnungsendsubjekte ab — und zwar denkmöglicherweise nicht nur von einem Willensakt, sondern auch von einem Realakt: Auch dies widerspricht indessen nicht der zuvor erwähnten Erkenntnis, daß Rechtsverhältnisse allein aus Willensakten, nicht aber aus Tathandlungen resultieren, sofern nicht Seinselemente i n die Sollensordnung induziert sind. Gerade u m einen solchen Fall der Induktion handelt es sich nämlich bei der Bedingung, deren Erfüllung auf Tathandeln beruht. 2. Autonome Determination von Rechtsverhältnissen

Volldeterminierte Rechtsverhältnisse sind ausschließlich heteronom, nämlich durch Rechtsnormen, teildeterminierte auch durch Willensakte der Subjekte des Rechtsverhältnisses determiniert 4 0 . Soweit die Rechtsverhältnisse nicht volldeterminiert sind, t r i t t zu der heteronomen eine autonome Regelung innerhalb des Rechtsverhältnisses. Die somit bestehende autonome Determinante des Rechtsverhältnisses darf m i t dem gleichnamigen Institut der Merkl-Kelsenschen Stufenlehre allerdings nicht verwechselt werden 41 . Dieses bezieht sich auf die jeweilige Rechtserzeugungsstufe, jene dagegen auf das Rechtsverhältnis. I n der Kelsenschen Theorie bewirkt die autonome Determinante, daß die Rechtserzeugungsstufen nicht nur Wiederholungen der vorhergehenden darstellen. Nur m i t ihrer Hilfe läßt sich jene fortschreitende Konkretisierung hervorrufen, die das Kennzeichen des Stufenbaus bildet; anderenfalls hätte dieser überhaupt keinen Sinn. Unter rechtsverhältnistheoretischem Aspekt bedeutet die autonome Determinante demgegenüber, daß den Subjekten des normdeterminierten Rechtsverhältnisses ein offener Gestaltungsraum verbleibt, dessen Weite in jedem Rechtsverhältnis unterschiedlich ist. Besonders groß ist sie i n teildeterminierten Rechtsverhältnissen, obwohl auch i n volldeterminierten Rechtsverhältnissen ein Gestaltungsraum verbleibt: So kann beispielsweise i n einem gesetzlichen Schuldverhältnis noch Raum für eine autonome Gestaltung der Leistungsmodalitäten — der Tilgung einer Schadensersatzschuld beispielsweise — offen stehen. Unter diesem 40 Die Unterscheidung ähnelt derjenigen von F. Sander, Allgemeine Gesellschaftslehre, 1930, S. 446, von „Pflicht-Gesellschaft", die auf Herrschaft, u n d „Pflicht-Freiheit-Gesellschaft", die auf Einverständnis beruht. 41 Z u r autonomen Determinante i m Sinne der Merkl-Kelsenschen Stufenlehre die Hinweise u. S. 76 m. A n m . 19.

5 Achterberg

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2. Teil: Grundzüge der Rechtsverhältnistheorie

Aspekt erweist sich, daß die zuvor gemachte Unterscheidung von vollund teildeterminierten Rechtsverhältnissen nur, aber immerhin approximativen Wert besitzt. Subtilere Betrachtung führt zu dem Ergebnis, daß Volldetermination und Teildetermination i n dem beschriebenen Sinne keinen prinzipiellen, sondern lediglich einen graduellen Unterschied darstellen. V I I . Die Normvalenz 1. Rechtsverhältnisse werden von Rechtsnormen oder Rechtsnormengruppen — einer Mehrzahl zweckhaft untereinander verbundener Rechtsnormen — beherrscht, die das jeweilige Rechtsverhältnis — sei es gestaltend, sei es gestaltungsermächtigend — determinieren. Dabei kann es sein, daß die Rechtsnorm oder die Rechtsnormgruppe auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis oder eine Gruppe bestimmter Rechtsverhältnisse zugeschnitten ist, ihr Regelungsbereich infolge der Beziehungsgeltung der Rechtsnorm auf dieses oder diese beschränkt ist. Damit angesprochen ist das Problem der Normvalenz. Rechtsnormen können monovalent sein und sich nur auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis beziehen, sie können aber auch polyvalent 4 2 sein und sich auf mehrere Rechtsverhältnisse erstrecken. Beispiel einer monovalenten Rechtsnorm ist die Verfassungsvorschrift, aufgrund deren das Parlament Regierungsmitglieder zitieren kann; sie w i r k t nur i m Inter-Organ-Verhältnis von Parlament und Regierung. Beispiel polyvalenter Normen sind diejenigen über den Kaufvertrag, die nicht nur i m Rechtsverhältnis zwischen Organisationsmitgliedern, sondern auch i n demjenigen zwischen Organisationen bedeutsam sind. Normgruppen, die für bestimmte Rechtsverhältnisse gelten, wie die Völkerrechtsnormen i n interstaatlichen Rechtsverhältnissen, können noch bedingt als monovalent begriffen werden. Auch polyvalente Normen sind indessen nicht omnivalent. Das aber erfordert sowohl bei monovalenten als auch bei polyvalenten Normen, den Umfang ihrer Beziehungsgeltung zu beachten. I m transvalenten Bereich bedarf es einer Erweiterung der Beziehungsgeltung durch Transformation. 2. Die für die Transformation erforderliche Transformationsnorm muß dem aufnehmenden Rechtsverhältnis angehören. Beispiel für eine derartige Transformation ist die Übertragung von Völkerrechtsnormen i n das innerstaatliche Recht durch verfassungsgesetzliche Inkorporation oder einfachgesetzliche Transformation. Sie führen zur Geltungserstrek42 Begriff bei F.E. Schnapp, Amtsrecht u n d Beamtenrecht, S. 119 ff.; ders., Z u r Dogmatik u n d F u n k t i o n des staatlichen Organisationsrechts, Rechtstheorie 9 (1978), 275 (291 ff.); ders., SGb 79, 204.

V I I . Die Normvalenz

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kung außerstaatlicher Rechtsverhältnisse i n den innerstaatlichen Bereich. Ein weiteres Beispiel stellt die Transformation von Grundrechtsbestimmungen aus dem Rechtsverhältnis zwischen Organisationsmitglied (mit oder ohne Innendifferenzierung) und Organisation (dem Staat) i n Rechtsverhältnisse zwischen Organisationsmitgliedern durch privatrechtliche Generalklauseln dar. Normtransformation bewirkt m i t h i n eine Erweiterung des Normgeltungsbereichs, Erstreckung der Normvalenz. Die Rechtsverhältnistheorie bietet nach allem ein modernes Deutungsschema der Rechtsordnungen, das deren Komplexität zu bewältigen vermag. Die analytische Jurisprudenz erhält durch sie eine zeitgenössische Rechtskonzeption, die i m internationalen Bereich verwendbar ist. Die Rechtsverhältnistheorie leistet hierdurch einen gegenwartsgerechten und staatsgebundenen Beitrag zur Rechtsontologie.

Dritter

Teil

Die analytisch-jurisprudentielle Bedeutung der Rechtsverhältnistheorie I . D i e Stellung der A n a l y t i k i n der Rechtsphilosophie der Gegenwart

1. Die Wertschätzung der analytischen Philosophie und Jurisprudenz hat zu allen Zeiten und an allen Orten geschwankt. Ihre große Bedeutung i m England des 16. bis 18. Jahrhunderts — belegbar am Einfluß von Thomas Hobbes, Edward Coke, William Blackstone —, weitergeführt i m 18. und 19. Jahrhundert durch John Austin und Jeremy Bentham, in den Vereinigten Staaten von Amerika anzutreffen bei Christopher C. Langdell und John C. Gray, findet ihre zeitgenössische Entsprechung i n der neoanalytischen Rechtstheorie Herbert L. A. Harts 1. I n der Bundesrepublik Deutschland ist demgegenüber eine deutliche Unterentwicklung der analytischen Jurisprudenz zu verzeichnen, die hier allenfalls unter sprachphilosophischen Aspekten gepflegt wird 2 . Immerh i n w i r d die analytische Rechtstheorie jedoch i n einem eigenen A b schnitt einer derzeit führenden Darstellung der Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart behandelt und w i r d — freilich vereinzelt — auch i n Abhandlungen auf sie eingegangen 3 . Um so erfreulicher ist es, daß die Weltkongresse der Internationalen Vereini1 Vgl. des näheren W. Krawietz, Juristische Entscheidung u n d wissenschaftliche Erkenntnis, 1978, S. 86 ff., 97 ff. 2 Die Bedeutung der Sprachphilosophie f ü r die analytische Philosophie (kennzeichnend etwa die Zurechnung W. V. Quines zu den A n a l y t i k e r n , w i e sie bei D. Follesdal anzutreffen ist [dazu W. Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Bd. I I , 1975, S. 101]) w i r d beispielsweise bei dem erheblichen Raum ersichtlich, den sie bei W. K . Essler, Analytische P h i l o sophie I, 1972, S. 103 ff., einnimmt. 3 Vgl. P. Mazurek, Analytische Rechtstheorie, i n : A. K a u f m a n n / W. Hassemer (Hrsg.), Einführung i n Rechtsphilosophie u n d Rechtstheorie der Gegenwart, 3. Aufl., 1981, S. 164 ff.; N. Hoerster, Grundthesen analytischer Rechtstheorie, i n : Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, Jahrbuch für Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie, Bd. 2, Hrsg. H. A l b e r t / N. L u h m a n n / W . M a i h o f e r / O . Weinberger, 1972, S. 115 ff. — Vgl. i m übrigen noch K.-L. Kunz, Die analytische Rechtstheorie: Eine „Rechts"-theorie ohne Recht?, 1977, u n d dazu die bemerkenswerte Rezension von G. Lübbe-Wolff, Rechtstheorie 11 (1980), 507 f.

I. Stellung der A n a l y t i k

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g u n g f ü r Rechts- u n d S o z i a l p h i l o s o p h i e i h r d a d u r c h R a u m g i b t , daß sie d o r t t r a d i t i o n e l l als eines d e r U n t e r t h e m e n d e r B e r a t u n g e n erscheint. 2. D i e i n i h r e n G r u n d z ü g e n b e r e i t s a u f d e m Baseler W e l t k o n g r e ß dieser V e r e i n i g u n g v o r g e t r a g e n e R e c h t s v e r h ä l t n i s t h e o r i e 4 — d e r e n z u n e h m e n d e r E i n g a n g auch i n d i e R e c h t s d o g m a t i k v e r z e i c h n e t w e r d e n k a n n 5 — b e t r i f f t n i c h t d i e sprachphilosophische, s o n d e r n d i e o n t o l o gische K o m p o n e n t e d e r a n a l y t i s c h e n Rechtsphilosophie. D i e D a r s t e l l u n g d e r Rechtsverhältnisse als S t r u k t u r e l e m e n t e d e r R e c h t s o r d n u n g , d i e D e u t u n g d e r R e c h t s o r d n u n g als R e c h t s v e r h ä l t n i s o r d n u n g l i e f e r t e i n A b b i l d r e c h t l i c h e n Seins. D i e R e c h t s v e r h ä l t n i s t h e o r i e e n t s p r i c h t aber auch i m ü b r i g e n d e m A n l i e g e n a n a l y t i s c h e r R e c h t s p h i l o s o p h i e : D e n n sie i s t z u m ersten u n m e t a p h y s i s c h , d a sie keineswegs e i n umfassendes S y s t e m v o l l s t ä n d i g e n p h i l o s o p h i s c h e n Wissens z u k o n z i p i e r e n versucht, sie a k z e p t i e r t z u m z w e i t e n auch die T r e n n u n g b e g r i f f l i c h e r , e m p i r i s c h e r u n d n o r m a t i v e r Sätze ü b e r das Recht. A u f d e r G r u n d l a g e d e r E r k e n n t n i s , daß d i e analytische Rechtstheorie i h r e „ A u f g a b e s o w o h l i n der i n concreto 4 N. Achterberg, Grundzüge einer Rechts Verhältnistheorie, Vortrag auf dem I X . Weltkongreß der I V R „Zeitgenössische Rechtskonzeptionen" i n der Arbeitsgruppe 1 „Structure de la norme j u r i d i q u e " des Arbeitskreises „ T h è mes complémentaires", Basel, 30. 8.1979 (erscheint demnächst i n den K o n greßbänden) u n d schon zuvor ders., Rechtsverhältnisse als Strukturelemente der Rechtsordnung, Prolegomena zu einer Rechtsverhältnistheorie, Rechtstheorie 9 (1978), 385 ff.; sowie ders., Deutschland nach 30 Jahren Grundgesetz, V V D S t R L 33, 55 (65 ff.). 5 Vgl. n u r O. Bachof, Uber einige Entwicklungstendenzen i m gegenwärtigen deutschen Verwaltungsrecht, i n : Staatsbürger und Staatsgewalt, J u b i läumsschrift zum hundertjährigen Bestehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Hrsg. K ü l z / Naumann, 1963, Bd. I I , S. 3 (10); ders., Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der V e r w a l tung, W D S t R L 30, 193 (231 f.); H. Bley, Ausgleichsansprüche der Sozialleistungsträger, D O K 81, 143 ff.; E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, 10. Aufl., 1973, § 10, S. 177 ff.; P. Häberle, Das Verwaltungsrechtsverhältnis — eine Problemskizze, i n : ders., Die Verfassung des Pluralismus. Studien zu einer Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, 1980, S. 248 ff.; W. Henke, Die Rechtsformen der sozialen Sicherung u n d das Allgemeine Verwaltungsrecht, V V D S t R L 28, 149 (156 ff.); ders., Die Lehre v o m Staat, Staat 12 (1973), 219 (235 f.); ders., Das subjektive öffentliche Recht i m System des öffentlichen Rechts, D Ö V 80, 621 (622 ff.); W. Hoppe, Organstreitigkeiten vor den Verwaltungs- u n d Sozialgerichten, 1970, S. 132 ff.; P. Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, 1974, S. 110 f., 114; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1982, § 8, RdNr. 16 ff.; W. Rüfner, Die Rechtsformen der sozialen Sicherung u n d das Allgemeine V e r waltungsrecht, W D S t R L 28, 187 (2151); F.E. Schnapp, Sozialrecht und V e r waltungsrecht, SGb 79, 200 (202 ff.) ; ders., Dogmatische Überlegungen zu einer Theorie des Organisationsrechts, AöR 105 (1980), 243 (250 ff.); H. F. Zacher, Z u r Rechtsdogmatik sozialer Umverteilung, D Ö V 70, 3 (11 f.). — Auch auf H.-TJ. Erichsen / W. Martens, Das Verwaltungshandeln, § 10 Verwaltungshandeln u n d Verwaltungsrechtsverhältnis, i n : dies., (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., 1979, S. 119 (120 ff.), kann verwiesen werden.

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3. Teil: A n a l y t i s c h j u r i s p r u d e n t i e l l e Bedeutung

durchzuführenden Abgrenzung der drei Aussagetypen wie in der k r i tischen Diskussion zweier dieser Typen, nämlich der begrifflichen und der normativen Aussagen" erblickt 6 , erfüllt sie deren Voraussetzungen. Empirische Sätze über das Recht bleiben aus rechtsverhältnistheoretischen Überlegungen ausgeblendet, w e i l es dieser Theorie uninteressant ist, welche und wieviele Rechtsverhältnisse in der Rechtswirklichkeit anzutreffen sind. Rechtsverhältnistheorie fragt nicht nach Realtypen, sondern nach Idealtypen, m i t Hans Kelsen gesprochen nicht nach Rechtsinhaltlichkeit, sondern nach Rechtswesenhaftigkeit 7 , um hierdurch ein Modell zu erhalten, an dem die Realität gemessen werden kann, das indessen gleichwohl nicht realitätsfern, sondern realitätsnah sein soll und auch ist. 3. Zwei zusätzliche Bemerkungen erscheinen angebracht: a) Das Grundanliegen der Rechtsverhältnistheorie — der Aufweis der Polytomie der Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung — belegt nicht nur ihre geistige Nähe zur Systemtheorie, sondern auch zur Topik 8. Der Vielfalt der τόποι i n der Hermeneutik entspricht die Vielfalt der Relationen i n der Analytik. Die Möglichkeit der Zuordnung der Rechtsverhältnistheorie zu den zuvor genannten Theoremen erweist i m übrigen erneut, daß die Problemstellung der Philosophie eben keinen Kanon streng gegeneinander abgegrenzter oder auch nur abgrenzbarer Disziplinen darstellt. b) Analyse bildet den Gegensatz zur Synthese 9, A n a l y t i k zugleich denjenigen zur Kritik. Alle diese Methoden haben Aussagewert und damit Berechtigung. Dennoch ist unübersehbar, daß die Analyse eher als die Synthese die Gewähr dafür bietet, Problematiken i n allen ihren Ausdifferenzierungen zu erfassen, i n dem hier i n Rede stehenden Fragenkreis: die Rechtsverhältnisordnung i n ihrer ganzen Polytomie i n die Betrachtung einzubeziehen. A n a l y t i k ist Voraussetzung für K r i t i k — 6

N. Hoerster, S. 115; P. Mazurek, S. 165, 173. H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 256. Dazu N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 39. 8 Wegen der Beziehung zur Systemtheorie N. Achterberg, Rechtstheorie 9 (1978), 392 ff., wegen derjenigen zur Topik muß zunächst auf den — auch unter demokratietheoretischen Aspekten bedeutsamen — Umstand v e r w i e sen werden, daß die Rechtsverhältnisse τόποι innerhalb der Rechtsordnung bilden, die auch interpretationstheoretische Bedeutung besitzen. Dieser U m stand belegt erneut, daß die scharfe Unterscheidung von A n a l y t i k u n d Topik, wie sie Aristoteles vorgenommen hat, w i e sie aber bald verlassen w u r d e (zu dieser E n t w i c k l u n g R. Kuhlen, A n a l y t i k , i n : J. Ritter [Hrsg.], Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. I, 1971, Sp. 250 [250]), i n der Tat nicht durchgehalten werden kann. 9 Ausführlich hierzu L. Oeing- Η anhoff, Analyse/Synthese, i n : J. Ritter (Hrsg.), Sp. 232 ff.; H. Delius / H. Schwarz, Analytisch/Synthetisch, ebd., Sp. 251 ff. 7

I I . Grundaussagen der Rechtsverhältnistheorie

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solche aber ist nicht möglich ohne analytische Aufbereitung des zu kritisierenden Problemkreises. Wer auch immer also an der Rechtsordnung als Beziehungsgefüge von Rechtsverhältnissen K r i t i k üben w i l l , muß sich zunächst i n analytischer Betrachtung über deren Wesensmerkmale informieren. I I . D i e Grundaussagen der Rechtsverhältnistheorie

Die Grundthesen der Rechtsverhältnistheorie sind bereits an früherer Stelle zusammengefaßt worden 10 . Hierauf kann Bezug genommen werden. I n erweiterter und neuformulierter Weise lassen sie sich folgendermaßen widergeben: Die Rechtsordnung gehört einem Pluralismus von Sollensordnungen an, zu dem außer ihr auch die Sozialordnung und die Moralordnung zählen. Normen einer Normenordnung müssen grundsätzlich i n eine andere transformiert werden, u m auch diese zu durchwalten. Die Ausnahme bildet lediglich die — Moralordnung und Rechtsordnung wie ein konzentrischer Kreis umgebende — Sozialordnung: Ihre Normen gelten automatisch auch i n jenen. — Die Rechtsordnung gehört ferner der Seinsordnung an, da sie nicht nur normiert, sondern auch existiert. I m Hinblick auf die (begrenzte) Disparität von Sein und Sollen bedürfen deren Verschränkungen allerdings jeweils einer Induktion, wie sie hinsichtlich der Seinsfaktoren durch die „autonome Determinante" ermöglicht wird, die jeder Rechtserzeugungsstufe eignet. Wie den Pluralismus von Sollensordnungen gibt es aber auch denjenigen von Rechtsordnungen. Neben der pluralistischen Gesellschaft ist der pluralistische Staat zu unterscheiden. Ist jene durch eine Vielfalt von Interessen gekennzeichnet, denen Raum gegeben wird, so t r i t t dieser i n der Vielzahl von Teilrechtsordnungen zu Tage. Nicht nur der dezentralisierte, sondern auch der zentralisierte, wenn auch notwendigerweise dekonzentrierte Staat weist eine Fülle von Entscheidungszentren und damit — wie sogleich darzulegen sein w i r d — Teilrechtsordnungen auf. Der moderne Staat kann eine derartige Vielzahl von Entscheidungsträgern nicht entbehren, soll er funktionsfähig sein. Dekonzentration ergänzt insofern Repräsentation. Auch ihrer bedarf der moderne Staat; ausschließlich unmittelbare Demokratie läßt sich aus mancherlei Gründen — Erfordernis umfassender Kommunikation, Notwendigkeit der Arbeitsteilung, um nur zwei von ihnen zu nennen — nicht verwirklichen. Rechtsverhältnistheoretisch führt dies dazu, daß es außer Organisationsordnungen des Staats, der Gemeindeverbände, der Gemeinden 10

N. Achterberg,

Rechtstheorie 9 (1978), S. 409 f.

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3. Teil: A n a l y t i s c h j u r i s p r u d e n t i e l l e Bedeutung

sowie sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts eine Fülle von Organordnungen — des Parlaments, der Behörden, der Gerichte — gibt, i n denen Intra-Organ-Verhältnisse auftreten. Die Gesamtrechtsordnung w i r d so zu einem Komplex nebeneinander und ineinander gelagerter Teilrechtsordnungen, die ihrerseits nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, sondern zwischen denen sich vielfältige Organisation-Organisation-, Organisation-Organ- sowie Organ-Organ-Verhältnisse entwickeln, was sich i n den Bereich von Unterorganen fortentwickeln läßt. Die Vielfalt der Rechtsordnungen und Rechtsverhältnisse, die hiernach zwischen den verschiedenartigsten Rechtssubjekten bestehen und zwei oder auch mehrere Subjekte als Endpunkte auf weisen können, zwingt zur genauen Beachtung der Beziehungsgeltung der sie durchwaltenden Rechtsnormen. I n einem die jeweilige Normvalenz überschreitenden („transvalenten") Bereich bedarf es der Normtransformation, u m eine Geltungserweiterung zu bewirken. Die enge Beziehung zwischen Rechtsnorm und Rechtsverhältnis, die hierbei zutage tritt, führt zu Konsequenzen auch bezüglich der Norminterpretation, die unter Beachtung des jeweiligen Rechtsverhältnisses durchzuführen ist, das vollständig oder teilweise zu determinieren, der Zweck der zu interpretierenden Rechtsnorm ist. I I I . D e r Beitrag der Rechtsverhältnistheorie zur analytischen Jurisprudenz 1. Vorbemerkung

Die zuvor erwähnten Aussagen gründen sich nicht zufällig auf Uberlegungen, für die zunächst William Blackstone — zuvor als einer der Analytiker erwähnt —, später auch Beziehungssoziologen (Georg Simmel, Alfred Vierkandt, Leopold von Wiese), Systemtheoretiker (Niklas Luhmann), Politologen (Karl Loewenstein) sowie Juristen (Otto Bachof, Peter Häberle, Wilhelm Henke, Werner Hoppe, Peter Krause, Hartmut Maurer, Wolfgang Rüfner, Hans Heinrich Rupp, Friedrich E. Schnapp, Hans F. Zacher) wesentliche Beiträge geleistet haben 11 . Die endgültige 11 W. Blackstone, Commentaries on the Laws of England, B. I, 2, 1765, p. 146; G. Simmel, Soziologie, 4. Aufl., 1958, S. 3 f., 172, 407, 426; ders., G r u n d fragen der Soziologie. I n d i v i d u u m u n d Gesellschaft, 3. Aufl., 1970, S. 14; A. Vierkandt, Die Beziehung als Grundkategorie des sozialen Denkens, A r c h RWiPhil. 9 (1915/16), 83 ff., 214 ff.; L. v. Wiese, System der beziehenden Soziologie als Lehre von den sozialen Beziehungen der Menschen (Beziehungslehre), 3. Aufl., 1955, insb. S. 51, 53, 157, 175, 615; ders., Beziehungssoziologie, H D S W 2, S. 198 (199); N. Luhmann, Funktionale Methode u n d Systemtheorie, i n : Soziologische Aufklärung, Bd. 1, 4. Aufl., 1974, S. 31 (42); ders., Moderne Systemtheorien als F o r m gesamtgesellschaftlicher Analyse, i n : J. Habermas/ N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie — Was leistet

I I I . Rechtsverhältnistheorie u n d analytische Jurisprudenz

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Reichweite dieses Spektrums ist noch nicht abzusehen — die Aussage, daß die Rechtsverhältnistheorie i n das nächste Jahrhundert überleiten wird, erscheint nicht als zu gewagt. T r i f f t dies zu, so w i r d die analytische Rechtstheorie dieses Saeculums von zwei rechtstheoretischen A n sätzen beherrscht: der Reinen Rechtslehre und der Rechtsverhältnistheorie. Die innere Konsequenz dieser Entwicklung ist ersichtlich: Die Rechtsordnung ist nicht nur als eine, grundsätzlicher Disparität von Sein und Sollen 12 entsprechende Rechtsnormenordnung zu begreifen, sondern — unter Berücksichtigung der autonomen Determinante jeder Rechtserzeugungsstufe — auch als Rechtsverhältnisordnung. 2. Analyse der Rechtsverhältnisse

Von Seiten der Rechtsdogmatik ist m i t Recht gefordert worden, eine „Typologie der Verwaltungsrechtsverhältnisse" zu erarbeiten 13 . I n der Tat ist dies unerläßlich — und zwar nicht nur für Verwaltungsrechtsverhältnisse, sondern für Rechtsverhältnisse überhaupt 14 . Diese A u f gabe zu erfüllen, obliegt der Rechtstheorie; sie entspricht der „dienenden Funktion", welcher dieser gegenüber der Rechtsdogmatik zukommt. I m folgenden soll dementsprechend der Versuch unternommen werden, eine Typologie der Rechtsverhältnisse zu entwerfen, i n der die Subjekte, die Symmetrien, die Determinanten und die Dauer der Rechtsverhältnisse sowie schließlich die Verhältnisse zwischen Verhältnissen („interrelationale Relationen") zu Kategorien erhoben werden sollen. a) Subjekte von Rechtsverhältnissen aa) Rechtsverhältnisse sind rechtsnormgestaltete Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Subjekten 15 . Die Endpunkte dieser Verhältdie Systemtheorie?, 1974, S. 25 (80); K. Loewenstein, Verfassungslehre, 3. Aufl., 1975, S. 167 ff., sowie die Hinweise o. A n m . 5. 12 Z u r K r i t i k hieran insb. Sein u n d Sollen i m Erfahrungsbereich des Rechtes, Weltkongreß der I V R 1967, ARSP 6/1970, dazu der Bericht von R. Neidert, Sein u n d Sollen i m Erfahrensbereich des Rechtes, DÖV 67, 847 f. 13 H. Maurer, § 8, RdNr. 18 ff.; ähnlich P. Häberle, S. 248, der einen „systematischen Gesamtentwurf" fordert, welcher aber n u r nach entsprechenden theoretischen Vorarbeiten möglich ist. 14 Mißverständlich u n d daher besser zu vermeiden ist der Gebrauch des Begriffs Rechtsverhältnis i m Singular (bei P. Häberle, S. 248, 252; H. Maurer, § 8, RdNr. 18 f.). Der Polytomie der Rechtsverhältnisordnung w i r d n u r der Gebrauch i m P l u r a l gerecht (so denn auch H. Maurer, ebd., dem freilich i n seiner Skepsis gegenüber der Eignung der Rechtsverhältnisse als Grundbegriffe der Rechtsordnung nicht gefolgt werden kann; m i t Recht optimistisch P. Häberle, S. 250, 256, der die von i h m i n ihrer N a t u r als „Zweckschöpfung" m i t dem Verwaltungsakt verglichenen Verwaltungsrechtsverhältnisse als möglichen „neuen archimedischen Bezugspunkt" des Verwaltungsrechts bezeichnet, vgl. auch S. 265). 15 N. Achterberg, Reditstheorie 9 (1978), 394. Daß eine Beziehung k r a f t Rechtsnormgestaltung, nicht dagegen durch soziale Tatsachen zum V e r w a l -

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3. Teil: A n a l y t i s c h j u r i s p r u d e n t i e l l e Bedeutung

nisse werden aufgrund der Rechtsnormgestaltung zu Rechtssubjekten, während Moralnormgestaltung von Verhältnissen deren Endpunkte als Moral-, ausschließlich Sozialnormgestaltung solcher deren Endpunkte (nur) als Sozialsubjekte erscheinen lassen. bb) Rechtsverhältnisse bestehen zwischen mindestens zwei Subjekten, nämlich je einem Rechtssubjekt an jedem seiner Endpunkte. Sie sind dann als „bipolar" zu bezeichnen. U m ein derartiges bipolares Rechtsverhältnis handelt es sich beispielsweise bei einem Vertrag, aber auch bei der Verfügung einer Behörde, die sich an einen einzigen Adressaten richtet. Rechtsverhältnisse können aber auch zwischen mehreren Subjekten bestehen, sei es, daß an dem einen Endpunkt ein Subjekt, an dem anderen Endpunkt mehrere, insbesondere unbeschränkt viele Subjekte anzutreffen sind (wie dies bei einem Gesetz oder einer Verordnung der Fall ist), sei es, daß an beiden Endpunkten mehrere Subjekte vorhanden sind (wie dies bei multilateralen Verträgen zutrifft). Solche Rechtsverhältnisse lassen sich als „multipolar" bezeichnen 16 . Erst die Anerkennung multipolarer Rechtsverhältnisse ermöglicht die Erfassung hochkomplexer Sozialstrukturen, deren Auflösung i n Zweierbeziehungen — also bipolare Rechtsverhältnisse — weder notwendig, noch sachgerecht ist, solange nicht innerhalb dieser Beziehungen Sondergestaltungen anzutreffen sind, die nur dadurch berücksichtigt werden können, daß eine solche Zergliederung erfolgt. cc) Die Vielfalt der hiernach vorkommenden Rechtsverhältnisse verbietet von vornherein die Reduzierung der Polytomie der Rechtsverhältnisordnung auf eine Dichotomie, wie sie i n der pauschalisierenden Unterscheidung von „Außenrecht" — den Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Bürger — und „Innenrecht" — innerhalb der Staatsorganisation — zu Tage tritt. Die Rechtsverhältnisordnung ist wesentlich vielfältiger, als diese Einteilung den Anschein erweckt. Exakte Distinktion erfordert die Einteilung der Rechtsverhältnisse nach den an ihnen beteiligten Subjekten, die als Endpunkte des jeweiligen Rechtsverhältnisse genannt werden müssen 17 .

tungsrechtsverhältnis w i r d , habe ich bereits i n meinem Referat auf dem Baseler Weltkongreß der I V R dargelegt, s. dazu auch u. A n m . 28. 16 M i t u n t e r findet sich i m Schrifttum statt der Bezeichnung „ m u l t i p o l a r " auch die Benennung „polygonal", vgl. P. Häberle, S. 262, 264 (der — soweit es u m Verwaltungsrechtsverhältnisse geht — entsprechende Beziehungen i m „makroadministrativen Bereich" ansiedelt; die bei i h m auch anzutreffende weitere Unterscheidung von „Massen"- u n d „Bündel"-Verwaltungsrechtsverhältnissen enthält keinen zusätzlichen theoretischen Erkenntnis wert). 17 Dazu o. S. 36 ff.

I I I . Rechtsverhältnistheorie u n d analytische Jurisprudenz

b) Symmetrien

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von Rechtsverhältnissen

Rechtsverhältnisse lassen sich weiterhin nach der Symmetrie der in ihnen bestehenden Rechte und Pflichten untergliedern: aa) Asymmetrische Rechtsverhältnisse sind solche, i n denen dem einen der als Endpunkte erscheinenden Subjekte eine Pflicht auferlegt ist, ohne daß dieser ein Recht des als anderer Endpunkt erscheinenden Subjekts entspricht. Mitunter w i r d diese Situation als „Reflex" bezeichnet: A u f die Erfüllung der Pflicht gibt es keinen Anspruch, sondern diese stellt nur eine nicht einklagbare Begünstigung dar. Die Unterhaltung einer öffentlichen Straße bildet hierfür ein Beispiel. bb) Symmetrische Rechtsverhältnisse sind solche, i n denen gleichfalls das eine der als Endpunkte erscheinenden Subjekte eine Pflicht hat, der jedoch ein entsprechendes Recht des als anderer Endpunkt anzutreffendes Subjekts gegenübersteht. Beispiel hierfür sind einseitig verpflichtende Rechtsgeschäfte i m Bürgerlichen Recht, aber auch Verfügungen i m Öffentlichen Recht: So verpflichtet der Sozialhilfebescheid den Träger der Sozialhilfe, auf die der Adressat einen Rechtsanspruch hat. cc) Disymmetrische Rechtsverhältnisse zeichnen sich dadurch aus, daß das eine Subjekt ein Recht gegenüber dem anderen hat und diesem die Pflicht obliegt, jenes Recht zu erfüllen, es zugleich und konnex aber auch ein Recht gegenüber dem zuerst erwähnten Subjekt hat, das seinerseits verpflichtet ist, diesem Recht nachzukommen. Hier stehen sich m i t h i n Rechtssubjekt und Pflichtsubjekt einerseits sowie Pflichtsubjekt und Rechtssubjekt andererseits gegenüber. Die Konnexität der Beziehungen gehört dabei zu den Merkmalen der Disymmetrie. Disymmetrische unterscheiden sich hierdurch von der Addition symmetrischer Rechtsverhältnisse. Beispiele für disymmetrische Rechtsverhältnisse sind beiderseitig verpflichtende Rechtsgeschäfte jeglicher Art, beispielsweise Kaufverträge m i t der Pflicht, den gekauften Gegenstand zu übereignen, sowie dem gegenüberstehenden Recht, diesen übereignet zu erhalten, sowie der konnex hiermit verbundenen Pflicht zur Entrichtung des Kaufpreises, der wiederum ein entsprechendes Recht gegenübersteht. Disymmetrische bilden den Unterfall polysymmetrischer Rechtsverhältnisse. Zu solchen zählen alle solche, i n denen unter mehreren Beziehungen Konnexität besteht. Solche kann über die Disymmetrie hinaus vorliegen, wenn zusätzliche Vereinbarungen getroffen werden, beispielsweise indem bei einem Kaufvertrag eine Abrede über die T i l gungsmodalitäten der Kaufpreisschuld stattfindet. Die Konnexität kann generell als Voraussetzung dafür bezeichnet werden, daß ein zwar polysymmetrisches, aber eben doch einziges Rechtsverhältnis und nicht eine Mehrheit von Rechtsverhältnissen anzunehmen ist.

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3. Teil: A n a l y t i s c h j u r i s p r u d e n t i e l l e Bedeutung

I n rechtsverhältnistheoretischer Sicht erscheint i m Hinblick auf Polarität und Symmetrie der Prozeßv er gleich als eines der interessantesten Rechtsinstitute. Er umschließt rechtliche Beziehungen zwischen den Vergleichsparteien — und zwar sowohl hinsichtlich der materiellen Bewältigung des Rechtsstreits durch Vergleich, als auch hinsichtlich der formellrechtlichen Erledigung durch Prozeßhandlung. Ebenso bestehen Beziehungen zwischen dem Gericht und den beiden Prozeßparteien. Ohne i n diesem Zusammenhang i n die rechtsdogmatischen Besonderheiten des Prozeßvergleichs einzutreten, w i r d zumindest zwischen den Vergleichsparteien ein polysymmetrisches Rechtsverhältnis sowie zwischen dem Gericht einerseits und den beiden Prozeßparteien andererseits ein multipolares Rechtsverhältnis zu erkennen sein, wobei i n diesem Zusammenhang die immerhin bestehende Deutungsmöglichkeit offen bleiben mag, ob auch das Rechtsverhältnis zwischen den Vertragsparteien insofern bipolar ist, als es nicht nur den anderen Vertragspartner, sondern auch das Gericht als Endpunkte umschließt. c) Determination

von Rechtsverhältnissen

Rechtsverhältnisse werden durch Rechtsnormen determiniert. Beide sind gleichermaßen Bausteine der Rechtsordnung. Zu unterscheiden sind A r t und Ausmaß der Determination. aa) Nach der A r t der Determination lassen sich Rechtsverhältnisse i n heteronom und autonom determinierte untergliedern. Rechtsverhältnisse unterliegen heteronomen und autonomen Determinanten, wobei die letzteren — wie bereits an anderer Stelle hervorgehoben wurde 1 8 — nicht m i t der „autonomen Determinante" i m Sinne der Wiener rechtstheoretischen Schule 19 verwechselt werden darf. Bei dieser geht es um einen jeder Regelungsstufe innerhalb des Rechtserzeugungsprozesses eigenen, nicht durch vorangehende Regelungsstufen bestimmten, sondern selbständig ausfüllbaren Regelungsbereich, aufgrund deren die Regelung nach den Bedürfnissen eben gerade dieser Regelungsstufe vorgenommen werden kann. Bei jener dagegen handelt es sich darum, daß die Regelung nicht durch Rechtsnormen, sondern durch die — an den Rechtsverhältnissen als Endpunkte beteiligten — Rechtssubjekte 18

N. Achterberg, Rechtstheorie 9 (1978), 406. Z u dieser H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 243, sowie N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 37; ders., Rechtstheoretische Probleme einer Kontrolle der Gesetzgebung durch die Wissenschaft, Rechtstheorie 1 (1970), 147 (149 ff.); ders., Hans Kelsens Bedeutung i n der gegenwärtigen deutschen Staatslehre, D Ö V 74, 445 (454); J. Β ehr end, Untersuchungen zur Stufenbaulehre A d o l f Merkls u n d Hans Kelsens, 1977, S. 87 ff.; P. Bernard, Gebundenheit u n d Ermessen, i n : F. E r m a c o r a / G . W i n k l e r / F . K o j a / H . P. R i l l / C.-B. F u n k (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 1979, S. 89 (89 f.); F. Eberhard, Grenzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, ebd., S. 599 (609, 611). 19

I I I . Rechtsverhältnistheorie u n d analytische Jurisprudenz

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erfolgt. Beispiele solcher Rechtsverhältnisse sind Verträge sowie m i t wirkungsbedürftige! Verwaltungsakte. Nach dem Ausmaß der Determination (durch die Rechtsnorm) sind demgemäß voll- und teildeterminierte Rechtsverhältnisse zu unterscheiden — auf einen hierbei zu machenden Vorbehalt w i r d sogleich zurückzukommen sein. Das Ausmaß der Determination ist dabei unterschiedlich je nach dem, ob es sich u m die Schaffung oder u m die Ausgestaltung — anders gesagt: das „Ob" oder das „Wie" — von Rechtsverhältnissen handelt: (1) Hinsichtlich der Schaffung von Rechtsverhältnissen ist festzustellen, daß Rechtsnormen ein solches begründen können; dann liegt eine Volldetermination vor — die Rechtsnorm gestaltet das Rechtsverhältnis, schafft es als aktuelles. Sie kann ein solches aber auch nur zulassen und damit eine Teildetermination ausüben — die Norm ermächtigt dann lediglich zur Gestaltung des Rechtsverhältnisses, schafft es erst als potentielles. Die Teildetermination entspricht m i t h i n der Abschlußfreiheit als Komponente der Vertragsfreiheit. (2) Hinsichtlich der Ausgestaltung von Rechtsverhältnissen gilt prinzipiell dasselbe. Auch sie können voll- oder teildeterminiert sein. Der Teildetermination i n diesem Bereich entspricht die Inhaltsfreiheit als Bestandteil der Vertragsfreiheit. I n beiden Fällen gilt, daß der von der Rechtsnorm nicht ausgeschöpfte Determinationsteil der freien Gestaltung durch die an dem Rechtsverhältnis beteiligten Subjekte unterliegt. Beispiel für volldeterminierte Rechtsverhältnisse sind gesetzliche Schuldverhältnisse sowie i m Bereich „gebundener" Verwaltung begründete Rechtsverhältnisse, Beispiel für teildeterminierte sind Verträge. I m übrigen ist einzuräumen, daß auch volldeterminierte Rechtsverhältnisse diese Natur nur m i t Einschränkungen aufweisen. Die autonome Determinante hat eben nicht nur i n teil-, sondern auch i n scheinbar volldeterminierten Rechtsverhältnissen Bedeutung. I n einem gesetzlichen Schuldverhältnis kann beispielsweise noch Raum für die autonome Gestaltung von Leistungsmodalitäten (Zahlungsfristen, Zinsen) verbleiben. Die Unterscheidung von voll- und teildeterminierten Rechtsverhältnissen besitzt infolgedessen keine prinzipielle, sondern nur graduelle Bedeutung, nur — aber immerhin — approximativen Wert 2 0 .

20 Dazu H. Rodingen, Die Lehre von der Rechtsbeziehung: Eine neue Rechtsontologie?, Rechtstheorie 11 (1980), 208 (212 f.), u n d dazu die A n t i k r i t i k von N. Achterberg, Schlußwort zu der Erwiderung von Hubert Rodingen „Die Lehre von der Rechtsbeziehung: eine neue Rechtsontologie?", ebd., 219 (222).

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3. Teil: A n a l y t i s c h j u r i s p r u d e n t i e l l e Bedeutung

d) Dauer von Rechtsverhältnissen Nach der Dauer lassen sich das einmalige („Momentverhältnis") und das dauernde Rechtsverhältnis („Dauerverhältnis") unterscheiden 21 . Jenes ist dadurch gekennzeichnet, daß sich die i n i h m gegenüberstehenden Berechtigungen und Verpflichtungen i n einem einzigen Vollzug erschöpfen, wofür sich der Steuerbescheid i m Bereich der eingreifenden Verwaltung sowie die Subventionsbewilligung i n demjenigen der leistenden Verwaltung als Beispiele erwähnen lassen. Dieses zeichnet sich demgegenüber dadurch aus, daß die i n ihm gegenüberstehenden Berechtigungen und Verpflichtungen sich (möglicherweise unbefristet) wiederholen. Als Beispiel hierfür ist die Widmung eines Wegs zur öffentlichen Sache zu nennen. Sie begründet den fortdauernden Gemeingebrauch an einer solchen. Dabei kann es auch sein, daß die Berechtigungen oder Verpflichtungen sich nicht unbefristet, sondern befristet i n wiederkehrendem Verhalten erschöpfen. Beispiel hierfür bildet der Vorauszahlungsbescheid i m Steuerrecht, aufgrund dessen der Steuerschuldner gemäß einmaliger Anordnung wiederholte Vorauszahlungen auf die Steuerschuld erbringen muß. Auch diese Konstellation ist dem Dauerverhältnis zuzurechnen. e) Beziehungen zwischen Rechtsverhältnissen („Relationsrelationen") Rechtsverhältnisse, die Beziehungen zu anderen aufweisen, lassen sich untergliedern i n vorläufige und endgültige, ableitende und abgeleitete, fortsetzende und fortgesetzte, aufeinander folgende sowie widerstreitende. aa) Vorläufige und endgültige Rechtsverhältnisse Vorläufige Rechtsverhältnisse stehen i n Beziehung zu endgültigen Rechtsverhältnissen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß sie eine bestimmte Rechtslage eben noch nicht endgültig, sondern nur vorläufig gestalten — dies unter dem Vorbehalt späterer, anderweitiger Regelungen. (1) Vorläufige Rechtsverhältnisse solcher A r t können disymmetrischer Natur sein. Dann handelt es sich u m Vorverträge. Der Vorvertrag ist i n rechtsverhältnistheoretischer Hinsicht dadurch gekennzeichnet, daß er ein Rechtsverhältnis darstellt, i n dem die Verpflichtung zum 21 Z u dieser Unterscheidung P. Häberle, S. 262, 264; H. Maurer, § 8, RdNr. 20, 21, m i t der weiteren Unterteilung i n personen- u n d vermögensbezogene V e r waltungsrechtsverhältnisse u n d Anstalts- u n d Benutzungsverhältnisse (freilich m i t dem Eingeständnis, daß eine scharfe Trennung dieser Gruppen nicht möglich ist).

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Eingehen eines anderen Rechtsverhältnisses — des Hauptvertrags — übernommen wird. Der Vorvertrag w i r d für zulässig gehalten, wenn die Vertragserfordernisse — korrespondierende Willenserklärungen — vorliegen und der abschließende Hauptvertrag hinreichend bestimmt ist 22 . (2) Vorläufige Rechtsverhältnisse können auch symmetrischer Art sein — wenn i n ihnen ein Recht einer Pflicht gegenübersteht. Beispiel hierfür ist der Verwaltungsvorakt. Verwaltungsvorakte sind Verwaltungsakte m i t der Besonderheit, daß durch sie eine Vorfrage des Gesamtkomplexes endgültig oder der Gesamtkomplex vorläufig geregelt wird. Sie stehen unter dem Vorbehalt der endgültigen, möglicherweise abweichenden Regelung, die dadurch ermöglicht wird, daß der Behörde ein Entschließungsspielraum für die durch Verwaltungsendakt zu treffende Regelung verbleibt 2 3 . Die interrelationalen Beziehungen zwischen Vorvertrag und Hauptvertrag sowie zwischen Verwaltungsvorakt und Verwaltungsendakt sind hiernach evident. Rechts-,,Vorverhältnisse" nehmen i n jedem Fall regelungsbedürftige Teile des Rechts-„EndVerhältnisses" voraus, belassen diesem aber einen Spielraum eigener Regelung. W i r d er ausgefüllt, so w i r d das vorläufige zum endgültigen Rechtsverhältnis ergänzt, w i r d diese Möglichkeit dagegen nicht wahrgenommen, so entfallen auch die durch das Vorverhältnis getroffenen Regelungen. Dies bedarf näherer Ausführung: Die Gründe für den Fortbestand der behördlichen Entscheidungsfreiheit können sowohl darin liegen, daß die Behörde selbst noch Teilfragen des zu regelnden Sachverhalts zu klären hat, als auch darin bestehen, daß noch ein anderer — etwa eine m i t w i r kungsbefugte weitere Behörde oder der Betroffene selbst — zu handeln hat, bevor der Sachverhalt abschließend geregelt werden kann; schließlich aber kann sie deshalb fortbestehen, w e i l sich bis zur endgültigen Regelung noch weitere bei dieser zu berücksichtigende Umstände ergeben können 24 . Läßt man den letzten, rechtsverhältnistheoretisch uninteressanten, Fall außer Betracht, so zeigt sich, daß die Vorläufigkeit der Regelung aus Umständen resultieren kann, die auf jedes der beiden an dem Rechtsverhältnis beteiligten Subjekte zurückgeführt werden können, überdies gar auf das Verhalten weiterer Subjekte, die an dem betreffenden Rechtsverhältnis nur mittelbar beteiligt sind, weil sie durch ein — i n einem weiteren Rechtsverhältnis zu dem einen der beteiligten Subjekte begründeten — Mitwirkungsrecht auf die Deter22 Hierzu L. Enneccerus / H. C. Nipperdey, Allgemeiner T e i l des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., 2. Halbbd., 1959, § 162 I V 1, S. 998. 23 Dazu N. Achterberg, Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, Ausgewählte Abhandlungen 1960—1980, 1980, S. 506 (512). 24 N. Achterberg, S. 513.

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3. Teil: A n a l y t i s c h j u r i s p r u d e n t i e l l e Bedeutung

mination des zuerst erwähnten Rechtsverhältnisses Einfluß zu nehmen vermögen. bb) Ableitende und abgeleitete Rechtsverhältnisse Das abgeleitete folgt aus einem anderen (ableitenden) Rechtsverhältnis. Beide Rechtsverhältnisse sind dadurch gekennzeichnet, daß sich das eine Endsubjekt des ableitenden und das eine Endsubjekt des abgeleiteten Rechtsverhältnisses jeweils i n einer rechtlichen Beziehung zu einem gemeinsamen anderen Endsubjekt befinden. I n der Oberflächenstruktur gleichen ableitendes und abgeleitetes demnach einem m u l t i polaren Rechtsverhältnis. Der Tiefenstruktur nach ist indessen zu berücksichtigen, daß das ableitende und das abgeleitete Rechtsverhältnis nicht denselben Inhalt haben, sondern sich hinsichtlich der korrespondierenden Rechte und Pflichten wesentlich unterscheiden. Dies sei an zwei Beispielen dargelegt: (1) Schulverhältnis und Elternverhältnis: I m Schulverhältnis stehen sich Schüler und Schulträger, i m Elternverhältnis Eltern und Schulträger gegenüber. Beide bilden also Organisationsmitglied-Organisation-Verhältnisse. Das Elternverhältnis ist dabei von dem Schulverhältnis abgeleitet. N u r Eltern m i t Schülern als Kindern stehen i m Elternverhältnis zum Schulträger. Der Schulträger ist das eine (gemeinsame) Endsubjekt dieser Rechtsverhältnisse, Schüler und Eltern bilden das jeweils andere. Rechte und Pflichten unterscheiden sich indessen insofern, als es i m Schulverhältnis u m das Recht des Schülers auf Ausbildung, i m Elternverhältnis um das Recht der Eltern auf Ausbildung ihres Kindes und die jeweils entsprechende Pflicht des Schulträgers geht. (2) Beamtenverhältnis und Hinterbliebenenverhältnis: I m Beamtenverhältnis treten Beamter und Anstellungskörperschaft, i m Hinterbliebenenverhältnis Hinterbliebene des Beamten und dessen Anstellungskörperschaft einander gegenüber. Auch i n diesen Fällen handelt es sich m i t h i n um Organisationsmitglied-Organisation-Verhältnisse. Dabei ist das Hinterbliebenenverhältnis vom Beamtenverhältnis abgeleitet. Sinngemäß gilt das soeben Ausgeführte. Rechte und Pflichten beider Verhältnisse unterscheiden sich insofern, als es i m Beamtenverhältnis u m Rechte und Pflichten des Beamten, i m Hinterbliebenenverhältnis dagegen u m solche seiner Hinterbliebenen geht. Die beiden Beispiele zeigen einen weiteren typologischen Unterschied: Abgeleitetes und ableitendes Rechtsverhältnis sind gleichzeitig (Typ 1) oder auch zeitlich nacheinander anzutreffen (Typ 2): Das Elternverhältnis besteht während des Schulverhältnisses, das Hinterbliebenenverhältnis entsteht m i t Erlöschen des Beam ten Verhältnisses. Weiter-

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hin folgt hieraus, daß zwischen den auf jeweils derselben Seite stehenden Endsubjekten des ableitenden und des abgeleiteten Rechtsverhältnisses wiederum ein Rechtsverhältnis bestehen kann (Typ 1) oder nicht (Typ 2). Zwischen Eltern und Kindern besteht ein Rechtsverhältnis, zwischen dem Beamten (der nach seinem Tod als Rechtssubjekt nicht mehr vorhanden ist) und seinen Hinterbliebenen dagegen nicht. Hieraus folgt zugleich — und abermals —, daß es nicht die tatsächlichen Umstände, sondern allein die Rechtsnormen sind, die das Entstehen und Bestehen eines Rechtsverhältnisses determinieren. cc) Fortsetzende und fortgesetzte Rechtsverhältnisse Das fortgesetzte steht in einer interrelationalen Beziehung zu dem fortsetzenden Rechtsverhältnis. Das eine Endsubjekt des einen (fortsetzenden) bildet zugleich das eine Endsubjekt des anderen (fortgesetzten) Rechtsverhältnisses. Nach der Oberflächenstruktur scheint m i t h i n kein Unterschied zwischen dem fortgesetzten und dem zuvor erwähnten abgeleiteten Rechtsverhältnis zu bestehen. Bei genauerer Betrachtung ist indessen erkennbar, daß das fortgesetzte und das abgeleitete Rechtsverhältnis nicht vergleichbar sind: Bei dem abgeleiteten Rechtsverhältnis besteht zwischen denjenigen Endpunkten, die den jeweils einen Endpunkt des ableitenden und abgeleiteten Rechtsverhältnissen bilden, wiederum ein Rechtsverhältnis oder hat doch einmal ein solches bestanden. Bei dem fortgesetzten Rechtsverhältnis t r i f f t dies nicht zu. Hier ist i n der Tat der Fortsetzungszusammenhang das einzige Kennzeichen. Beispiel für die Fortsetzung von Rechtsverhältnissen sind das Rechtsverhältnis zwischen der Aufsichtsbehörde und dem Selbstverwaltungsträger bei der Genehmigung, diesem und dem Adressaten beim Erlaß einer Satzung. Der Umstand, daß die Genehmigung ihrerseits noch von der Zustimmung einer weiteren Behörde abhängen kann 2 5 , erweist i m übrigen die Möglichkeit wiederholt fortgesetzter Rechtsverhältnisse. dd) Aufeinanderfolgende Rechtsverhältnisse Aufeinanderfolgende Rechtsverhältnisse sind das „Vorverhältnis" i n der interrelationalen Beziehung zum „Hauptverhältnis", dieses i n derjenigen zum „NachVerhältnis". (1) Beispiel für das Vorverhältnis ist das Verschulden bei Vertragsschluß („culpa i n contrahendo"). Die Haftung für derartiges Verschulden wurde ursprünglich allein aus dem späteren Vertragsschluß ge23 § 2 Abs. 2 Satz 2 Kommunalabgabengesetz für das L a n d NordrheinWestfalen (KAG) v. 21. 10.1969 (GV. NW. 712).

6 Achterberg

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3. Teil: A n a l y t i s c h j u r i s p r u d e n t i e l l e Bedeutung

folgert — dies in der durchaus zutreffenden Erkenntnis der „interrelationalen Beziehung" zwischen den Vorverhandlungen und dem Vertrag selbst. Die Argumentation versagte indessen dort, wo es später zu keinem Vertragsschluß kam; sie stellte dann ein unzulässiges ύστερον πρότερον dar 26 . Infolgedessen wurde die Begründung später dahin verändert, daß nicht der nachfolgende Vertragsschluß, sondern schon der Eintritt in Vertragsverhandlungen kraft Gesetzes ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis entstehen läßt, das die Beteiligten zur Beachtung der i m Verkehr erforderlichen Sorgfalt verpflichtet — und zwar unabhängig davon, ob es später zum Vertrag kommt oder nicht. Da Rechte und Pflichten aber nur i n einem Rechtsverhältnis bestehen, ist auch dieses vertragsähnliche Vertrauensverhältnis als solches zu begreifen. Nur ist es nicht in einem solchen Ausmaß wie der Vertrag teildeterminiert, i n dem der autonomen Determinante durch die Subjekte ein weitaus größerer Spielraum verbleibt, sondern weitgehend gesetzlich volldeterminiert. Dennoch ändert dies nichts an der interrelationalen Beziehung: Das vertragsähnliche Vertrauensverhältnis der zuvor genannten A r t bildet — ohne Rücksicht auf die Frage, ob der Vertrag zustande kommt oder nicht — zu diesem ein Vorverhältnis, weil es auf diesen „hingeordnet", ihm zweckhaft zugeordnet ist. (2) Beispiel für das Nachverhältnis sind Beziehungen i m Anschluß an beendete Rechtsverhältnisse. Hierzu zählen sowohl das Recht des Abgeordneten, auch nach Beendigung des Abgeordnetenverhältnisses für sein Verhalten i m Parlament nicht zur Verantwortung gezogen zu werden (Indemnität), als auch die Pflicht des Beamten, noch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses über dienstliche Vorgänge Verschwiegenheit zu bewahren sowie auf Verlangen amtliche Schriftstücke oder A u f zeichnungen über dienstliche Vorgänge herauszugeben 27 . Auch diese Rechte und Pflichten gründen sich unmittelbar auf Gesetz; dennoch ändert dies abermals nichts an der zuvor erwähnten interrelationalen Beziehung, da die genannten Rechte und Pflichten Konsequenz des Rechtsverhältnisses sind, zu dem sie i n einem Nachverhältnis erwachsen, das dem „ursprünglichen" Rechtsverhältnis gleichfalls zweckhaft zugeordnet ist. ee) Widerstreitende Rechtsverhältnisse Widerstreitende Rechtsverhältnisse sind solche, an denen ein Rechtssubjekt nicht gleichzeitig beteiligt sein kann. Zu unterscheiden sind dabei solche, i n denen ein Rechtssubjekt zu demselben, und solche, in denen es zu einem anderen Rechtssubjekt i n Beziehung stände. 26

L. Enneccerus / H. Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 14. Bearb., 1954, § 43 I I I , S. 183. 27 Vgl. dazu A r t . 46 Abs. 1 GG; §§ 61 Abs. 1, 3 BBG.

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(1) Zur ersten Gruppe gehört der Widerstreit zwischen dem Beamtenverhältnis und dem Richterverhältnis. Beide Rechtsverhältnisse weisen dieselben Subjekte auf, nämlich ein Organisationsmitglied (natürliche Person) und die Organisation (Staat). Wegen der rechtsnormativ angeordneten Inkompatibilität zwischen Beamten- und Richteramt können beide nicht zugleich eingegangen werden, wobei den inneren Grund hierfür die Verschiedenheit zwischen der Weisungsgebundenheit des Beamten und der Unabhängigkeit des Richters bildet. (2) Zur zweiten Gruppe zählt der Widerstreit zwischen mehreren Eheverhältnissen in Rechtsordnungen, welche die Monogamie vorschreiben. Allgemein w i r d man solche Fälle hierher zu rechnen haben, i n denen nach Abschluß eines Rechtsverhältnisses ein vergleichbares anderes für nichtig erklärt wird. Auch insoweit sind es — entgegen der marxistischen Rechtstheorie — also nicht schon tatsächliche Umstände, welche das Rechtsverhältnis und damit auch die A r t des Rechtsverhältnisses konstituieren, sondern ist es die Rechtsnorm 28 . Dies läßt sich gerade an dem zuvor genannten Beispiel des Eheverhältnisses erkennen: Tatsächlich möglich sind sowohl Monogamie als auch Polygamie. A l l e i n die Rechtsnormen sind es, welche den Charakter der entsprechenden Rechtsverhältnisse als widerstreitend oder vereinbar konstituieren. 3. Analyse der Rechtsnormen

Zeigen die soeben angestellten Erwägungen die herausragende Bedeutung, welche der Rechtsnorm für die Schaffung und Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zukommt, so läßt sich die analytisch-jurisprudentielle Bedeutung der Rechtsverhältnistheorie weiterhin durch eine Rechtsnormenanalyse erhärten. a) Rechtsverhältnisrelevanz

der Normstufen

Der auf die Wiener rechtstheoretische Schule zurückführbare Normstufenbau 29 ist auch rechtsverhältnistheoretisch bedeutsam. I n ihm — 28 Dazu i n Auseinandersetzung m i t der gegenteiligen Ansicht vor allem von E. Pasukanis, Allgemeine Rechtslehre u n d Marxismus, 3. Aufl., 1970 ( = Archiv sozialistischer L i t e r a t u r 3), S. 67 ff., 72, o. S. 56 f. 29 A. Merkl, Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaues, i n : Gesellschaft, Staat u n d Recht (Festschrift Hans Kelsen), 1931, S. 252 ff. (abgedr. auch i n H. K l e c a t s k y / R . M a r c i e / H . Schambeck [Hrsg.], Die Wiener rechtstheoretische Schule, 1968, S. 52 ff.); ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, § 11, S. 157 ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 229 ff.; ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 196 ff.; ders., Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 203 ff. Vgl. auch R. Walter, Der A u f b a u der Rechtsordnung, 2. Aufl., 1974, S. 53 ff.

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3. Teil: A n a l y t i s c h j u r i s p r u d e n t i e l l e Bedeutung

aber nicht nur i n ihm, sondern zumindest auch i n der autonomen Determinante — vollzieht sich die Verbindung zwischen Rechtsverhältnistheorie und Reiner Rechtslehre. I m einzelnen ist folgendes erkennbar: Die Verfassung ist Determinante inhaltsoffener multipolarer Rechtsverhältnisse zwischen Organisation und Organisationsmitgliedern, insbesondere solchen ohne Innendifferenzierung („allgemeines Gewaltverhältnis" zwischen Staat und Staatsbürger). Das Gesetz ist solche inhaltsgeschlossener — nämlich durch den Normbereich abgegrenzter — multipolarer Rechtsverhältnisse zwischen Organisation und Organisationsmitgliedern, Organisation und Organen, Organisation und Organwaltern sowie Organisationsmitglied und Organisationsmitglied (in Gestalt gesetzlicher Schuldverhältnisse). Der Verwaltungsakt ist Determinante inhaltsgeschlossener bipolarer (als Allgemeinverfügung auch multipolarer) Rechtsverhältnisse zwischen Organisation und Organisationsmitglied. Hieraus ergibt sich zugleich, daß i n rechtsverhältnistheoretischer Sicht i m H i n blick auf die Polarität kein Unterschied zwischen Allgemeinverfügung und Gesetz besteht. Die Verwaltungsverordnung determiniert inhaltsbestimmte multipolare Rechtsverhältnisse zwischen Organisation und Organisationsmitgliedern (Organwaltern) oder zwischen Organisation und Organen. I m Hinblick auf die Inhaltsbestimmtheit entspricht sie m i t h i n dem Gesetz und dem Verwaltungsakt, bezüglich der Polarität der Verfassung und dem Gesetz. Die Satzung schließlich determiniert inhaltsoffene (Hauptsatzung) und inhaltsbestimmte (Gebührensatzung) Rechtsverhältnisse zwischen einem Organisationsmitglied m i t Innendifferenzierung (juristischer Person) und solchen ohne diese (natürlichen Personen). b) Rechtsverhältnisrelevanz

der Normen

Die Rechtsverhältnisrelevanz der Normen läßt sich als „Normvalenz" 3 0 bezeichnen. Rechtsverhältnisse werden von Rechtsnormen oder Rechtsnormengruppen — einer Mehrzahl zweckhaft untereinander verbundener Rechtsnormen — beherrscht, die das jeweilige Rechtsverhältnis determinieren. Die Rechtsnorm oder Rechtsnormgruppe kann dabei auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis oder eine Gruppe bestimmter Rechtsverhältnisse zugeschnitten sein, ihr Regelungsbereich infolge ihrer Beziehungsgeltung auf dieses oder diese beschränkt sein. aa) Die Rechtsnorm kann monovalent sein und sich dann nur auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis beziehen. Beispiele solcher Rechtsnormen sind Verfassungsvorschriften, aufgrund deren das Parlament die Regierungsmitglieder zitieren kann; sie wirken nur i m Organ-Organ (Inter30

Dazu näher o. S. 45 f.

I I I . Rechtsverhältnistheorie u n d analytische Jurisprudenz

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Organ)-Verhältnis zwischen Parlament und Regierung. Weiteres Beispiel bilden Grundrechtsbestimmungen, die sich nur auf das Organisationsmitglied-Organisation-Verhältnis zwischen Staatsbürger und Staat erstrecken. bb) Die Rechtsnorm kann aber auch polyvalent sein und sich dann auf mehrere — wenn auch wohl nicht alle möglichen — Rechtsverhältnisse beziehen. Beispiele solcher Rechtsnormen sind diejenigen über den Kaufvertrag, die für Rechtsverhältnisse zwischen Organisationsmitglied und Organisationsmitglied, aber auch Organisation und Organisationsmitglied bedeutsam sind. I m transvalenten Bereich der Beziehungsgeltung bedürfen Normen der Transformation in jene Rechtsverhältnisse, für die sie nicht gelten. Normtransformation erweitert den Normgeltungsbereich, erstreckt die Normvalenz. c) Rechtsverhältnisrelevanz

der Normdetermination

Die Normdetermination des Rechtsverhältnisses kann eine unmittelbare oder eine mittelbare sein 31 . aa) Unmittelbar ist die Normdetermination, wenn die Rechtsnorm ein Rechtsverhältnis schafft oder ausgestaltet, ohne daß dabei die autonome Determinante eine Rolle spielt; die unmittelbare Normdetermination ist vielmehr — von den an dem Rechtsverhältnis beteiligten Subjekten aus gesehen — heteronom. bb) Mittelbar ist die Normdetermination, wenn die Rechtsnorm zur Schaffung oder Ausgestaltung eines Rechtsverhältnisses lediglich ermächtigt, zu der heteronomen (normativen) m i t h i n eine autonome (subjektive) Determinante hinzutritt. Der von der Rechtsnorm nicht ausgeschöpfte Entscheidungsteil unterliegt i n diesem Fall der Regelungsfreiheit. U m dies auf eine kurze Formel zu bringen: Heteronomes Sollen w i r d durch autonomes Wollen ergänzt.

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Einem Gespräch m i t O. Weinberg er auf dem I X . Weltkongreß der I V R i n Basel 1979 verdanke ich i m übrigen den Hinweis auf „ F e r n w i r k u n g e n " von Rechtsnormen, die ebenfalls als „mittelbare Determination" bezeichnet w e r den können, m i t der i m folgenden gebrauchten Bedeutung dieses Begriffs jedoch nicht verwechselt werden dürfen: Durch entsprechende Gestaltung von Ehescheidungsnormen beispielsweise w i r d die Begründung von Eheverhältnissen, durch eine solche von Mineralölsteuernormen der A n k a u f von Kraftfahrzeugen begünstigt oder erschwert. Hier gestalten die zuvor genannten Rechtsnormen derartige Rechtsverhältnisse indessen nicht, sondern lösen i n den potentiellen Subjekten solcher Rechtsverhältnisse lediglich bestimmte Motivationen aus, die ihre autonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen beeinflußt.

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3. Teil: A n a l y t i s c h j u r i s p r u d e n t i e l l e Bedeutung

d) Rechtsverhältnisrelevanz

der Norminterpretation

Hervorzuheben sind schließlich die Beziehungen zwischen der Rechtsverhältnistheorie und der Hermeneutik. aa) Dabei ist zunächst erkennbar, daß die „Offenheit" der Topik der Komplexität der Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung offenbar besser entspricht als die „Geschlossenheit" des Methodenkanons der traditionellen Interpretation. Obwohl innerhalb dieser die teleologische Auslegung die unterschiedlichsten Normzwecke zu berücksichtigen vermag, w i r d damit die Offenheit der Topik noch nicht erreicht. Das w i r d i m Blick auf den τέλος als τόπος deutlich. Wie die teleologische Auslegung zu den canones der traditionellen, so rechnet der τέλος zu den τόποι der topischen Interpretation. Nur t r i t t bei dieser eben eine denkmöglich unbegrenzte Anzahl weiterer τόποι hinzu, aufgrund deren sie jener zuvor erwähnten Offenheit der traditionellen Auslegung überlegen ist. bb) Noch wichtiger ist indessen die interpretationsbegrenzende Wirkung des Rechtsverhältnisses. Die Natur der Rechtsnorm als Determinante von Rechtsverhältnissen findet ihre Entsprechung darin, daß das jeweilige Rechtsverhältnis den Interpretationsrahmen der Rechtsnorm bildet. Die determinierende Rechtsnorm ist nur insoweit auslegungsfähig, wie das zu regelnde Rechtsverhältnis reicht. Die Relationsbezogenheit bedeutet dabei keineswegs dasselbe wie die „Normbezogenheit" von Normen. Die Aufeinanderbezogenheit der Normen zwingt zur normkonformen — beispielsweise verfassungskonformen — Interpretation: Bei einer Mehrzahl von Deutungsmöglichkeiten einer Norm ist derjenigen der Vorzug zu geben, bei der diese m i t höherrangigen Normen übereinstimmt, wobei Einheit und Effektivität der Rechtsordnung die tragenden Gründe sind, um möglichst weitgehende Widerspruchsfreiheit' zwischen den Normen zu erzielen. Rechtsverhältnisse sind indessen nicht „Regelungsmaßstäbe für Normen, an denen diese gemessen werden könnten, sondern Regelungsgegenstände. Infolgedessen kann die Frage nach Widerspruchsfreiheit zwischen Rechtsnorm und Rechtsverhältnis gar nicht gestellt werden. Hier geht es nicht darum, die Übereinstimmung von Rechtsnormen und Rechtsverhältnissen herauszustellen, sondern u m die Reichweite des Interpretationsspielraums. Sie aber hängt wiederum von der Normvalenz ab. Polyvalente Normen besitzen einen größeren als monovalente. I n jedem Fall aber bildet das zu regelnde Rechtsverhältnis den Rahmen, innerhalb dessen die Interpretation zu erfolgen hat.

IV. Zusammenfassung

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IV. Zusammenfassung 1. Analytische Philosophie und Jurisprudenz werden seit dem 16. Jahrhundert unterschiedlich eingeschätzt. I n der Gegenwart werden sie oft auf Sprachphilosophie reduziert. Demgegenüber nimmt die Rechtsverhältnistheorie den ontologischen Bestandteil der analytischen Jurisprudenz auf. 2. Das Anliegen der Rechts Verhältnistheorie ist es, die Rechtsordnung als Komplex von Rechtsverhältnissen zu deuten. Sie weist insofern Beziehungen zur Beziehungssoziologie, zur Systemtheorie und zur Reinen Rechtslehre auf, ohne deren Aussagen aber i n vollem Umfang zu übernehmen. 3. Zu den Grundaussagen folgenden:

der Rechtsverhältnistheorie

gehören die

a) Die Rechtsordnung steht als Rechtsverhältnisordnung i n einem Pluralismus von Sollensordnungen, zu denen außer ihr auch die Moral- und die Sozialnormenordnung gehört. Die Normen einer Normenordnung gelten i n einer anderen nur, wenn sie in diese transformiert sind. b) Innerhalb der Rechtsordnung gibt es einen weiteren Pluralismus von Rechtsverhältnissen, nämlich rechtsnormgestalteter Beziehungen zwischen Subjekten als deren Endpunkten. Die Rechtsverhältnisse werden durch Rechtsnormen determiniert. c) Rechtsnormen determinieren nicht alle, sondern nur einige oder auch nur ein einziges aller möglichen Rechtsverhältnisse. Soweit ihre Geltung (Normvalenz) nicht reicht, muß eine Norm in ein Rechtsverhältnis durch eine entsprechende andere Norm transformiert werden. 4. Die weitere Ausgestaltung der Rechtsverhältnistheorie Analysen der Rechtsverhältnisse und Rechtsnormen.

erfordert

a) Analyse der Rechtsverhältnisse: (1) Rechtsverhältnisse lassen sich nach Zahl und A r t der an ihnen beteiligten Subjekte untergliedern. Sie sind „bipolar", wenn an jedem ihrer Endpunkte nur ein Subjekt steht, „ m u l t i polar" bei mehreren Subjekten an den Endpunkten. Als Subjekte von Rechtsverhältnissen kommen Organisationen, Organe und Unterorgane, aber auch Mitglieder von Organisationen (natürliche und juristische Personen) i n Betracht. (2) Rechtsverhältnisse lassen sich weiterhin nach der Symmetrie der sich in ihnen gegenüberstehenden Rechte und Pflichten un-

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3. Teil: Analytische u n d jurisprudentielle Bedeutung

terscheiden (asymmetrische, Rechtsverhältnisse).

symmetrische,

polysymmetrische

(3) Nach der Determination sind durch Rechtsnormen ganz oder teilweise determinierte Rechtsverhältnisse zu unterscheiden. Die ersten werden ausschließlich heteronom durch Rechtsnormen, die zweiten auch autonom durch Willensakte der Subjekte der Rechtsverhältnisse bestimmt. (4) Hinsichtlich der Dauer gibt es einmalige und dauernde Rechtsverhältnisse: Einmalige Rechtsverhältnisse erschöpfen sich i n einem einzigen Vollzugsakt, dauernde enthalten — möglicherweise unbeschränkt viele — wiederholte Vollzugsakte. (5) Zahlreiche Rechtsverhältnisse stehen untereinander wiederum i n Beziehung: So gibt es vorläufige und endgültige, ableitende und abgeleitete, fortsetzende und fortgesetzte, aufeinanderfolgende und widerstreitende Rechtsverhältnisse. A r t und Wirkung der zwischen den Rechtsverhältnissen bestehenden Beziehungen zu deuten, ist eine besonders wichtige Aufgabe der Rechtsverhältnistheorie. b) Analyse der Rechtsnormen: (1) Auf das Rechtsverhältnis w i r k t sich zunächst die jeweilige Normstufe aus. Beispielsweise determinieren Verfassungen inhaltsoffene, multipolare Rechtsverhältnisse, Verwaltungsakte inhaltsgeschlossene, i m allgemeinen bipolare Rechtsverhältnisse zwischen Staat und Bürger. (2) Erheblich ist weiterhin der Umfang der Normgeltung: Monovalente Rechtsnormen determinieren nur eine einzige A r t von Rechtsverhältnissen, polyvalente dagegen mehrere Arten. Dabei läßt sich die A r t des Rechtsverhältnisses i m allgemeinen nach den an ihnen beteiligten Subjekten untergliedern. (3) Nach der A r t der Determination sind die unmittelbare und die mittelbare zu unterscheiden. Unmittelbar determinierende Normen schaffen oder gestalten das Rechtsverhältnis, mittelbar determinierende ermächtigen dagegen die Subjekte des Rechtsverhältnisses hierzu. (4) Das jeweilige Rechtsverhältnis ist schließlich insofern auch für die Interpretation der Rechtsnormen erheblich, als es ihre Auslegungsmöglichkeiten begrenzt.

Vierter

Teil

Rechtsnorm und Rechtsverhältnis in demokratietheoretischer Sicht I. Vorbemerkung 1. Die Lage der Demokratietheorie im allgemeinen

Die vor wenigen Jahren gestellte Diagnose „Demokratietheorie i n der Sackgasse?" führte trotz des m i t ihr verbundenen Fragezeichens zu dem Ergebnis, daß sich ein „pluralistisch-total-direktes" und ein „pluralistisch-partiell-repräsentatives" Demokratiemodell gegenüberstehen — wobei die Voraussetzungen und Folgen einer Demokratisierung von Subsystemen noch dahingestellt blieben 1 . Die m i t Recht konstatierte Unsicherheit — schon i n der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts anzutreffen i n dem Gegensatz zwischen dem Wertrelativismus der Neukantianer und der Wertbestimmtheit der Neuhegelianer, die sich bis in die Gegenwart i n der Unterscheidbarkeit relativistischer und dogmatistischer Rechtssysteme fortsetzt 2 — drängt zur Besinnung. Kelsens differenzierendes Demokratieverständnis bildet dabei einen A n satzpunkt, von dem aus Versuche unternommen werden können, Demokratie zu begreifen. Die i m folgenden anzustellenden Überlegungen machen es sich zur Aufgabe, nicht nur die Reine Rechtslehre, sondern auch die Rechtsverhältnistheorie auf demokratietheoretische Aussagen zu prüfen.

1 D. Grosser, Demokratietheorie i n der Sackgasse?, i n : öffentliches Recht und Politik, Festschrift f ü r Hans Ulrich Scupin, 1973, S. 107 ff. (116 ff.). 2 Z u m Thema W. Bauer, Wertrelativismus u n d Wertbestimmtheit i m K a m p f u m die Weimarer Demokratie. Zur Politologie des Methodenstreites der Staatsrechtslehre, 1968, m i t ausführlicher Darstellung des Wertrelativismus der Neukantianer G. Jellinek, M. Weber, G. Radbruch u n d vor allem H. Kelsen sowie der Wertbestimmtheit der Neuhegelianer E. Kaufmann und R. Smend. — Z u r Verwendbarkeit der Reinen Rechtslehre i n relativistischen u n d dogmatistischen Rechtssystemen N. Achterberg, Kelsen u n d M a r x , Polit i k u n d K u l t u r 1975, Heft 2, S. 40 ff. = ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, 1980, S. 73 ff., sowie Reine Rechtslehre u n d marxistische Rechtstheorie (Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts, Bd. 3), 1978 (und dazu meine Rezension Staat 20 [1981], 119 ff.).

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4. Teil: Rechtsverhältnis u n d Demokratietheorie 2. Die Demokratietheorie Hans Kelsens

I n der Idee der Demokratie — so Kelsen — vereinigen sich Freiheit und Gleichheit als Postulate der praktischen Vernunft, wobei die zwischen beiden bestehenden Antinomien trotz des Rückbezugs auf diesen gemeinsamen Nenner anerkannt werden, obwohl Kelsen — unter Bezugnahme auf Cicero — ihre sich in der Demokratie vollziehende Synthese weitaus deutlicher hervorhebt, als dies sonst üblich ist 3 . I n der arbeitsteiligen Demokratie, zu der auch die repräsentative zählt, sieht er „notwendigerweise eine Einschränkung der Freiheit" 4 — dies deshalb, w e i l Freiheit offenbar am sichersten i n der Hand des Volkes selbst verbürgt ist, ohne daß er damit jedoch die Unumgänglichkeit seiner Repräsentation i m modernen Staat verkennt. Indessen ist dies nur ein Wesensmerkmal der Demokratie; ein anderes bildet der m i t ihr verbundene — und i m Grunde eben aus dieser Freiheit folgende — Wertrelativismus 5 . Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, daß der Glaube an absolute Wahrheit und absolute Werte die Voraussetzung für eine metaphysische, wenn nicht gar mystische Weltanschauung schafft und damit einer autokratischen Haltung zuzuordnen ist, während die Meinung, daß nur relative Wahrheiten und Werte der menschlichen Erkenntnis erreichbar sind, demgegenüber einer demokratischen Einstellung zuzurechnen ist. I n diesem Sinne formuliert Kelsen: „Wer absolute Wahrheit und absolute Werte menschlicher Erkenntnis für verschlossen hält, muß nicht nur die eigene, muß auch die fremde, gegenteilige Haltung zumindest für möglich halten. Darum ist der Relativismus die Weltanschauung, die der demokratische Gedanke voraus3 Vgl. hierzu vor allem H. Kelsen, V o m Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., 1929 (dort S. 4 die Bezugnahme auf M. T. Cicero); ders., Z u r Soziologie der Demokratie, i n : Der österreichische V o l k s w i r t 19 (1926), 209 ff. (abgedr. auch i n : Die Wiener rechts theoretische Schule, Hrsg. H. K l e c a t s k y / R . M a r c i e / H . Schambeck, 1968, S. 1729 ff.); ders., Demokratie, i n : Schriften der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, I. Serie, V. Bd., Verhandlungen des Fünften Deutschen Soziologentages, 1927, S. 37 ff. (abgedr. auch ebd., S. 1743 ff.). 4 H. Kelsen, V o m Wesen u n d Wert der Demokratie (s. vorige Anm.), S. 29. 5 Z u r inneren Verbundenheit von Demokratie u n d Relativismus (sowie Pluralismus als dessen soziologischer Entsprechung) i m deutschen Staatsrecht BVerfGE 5, 85 (135, 204 f.); 12, 113 (125); N. Achterberg, Das rahmengebundene Mandat, 1975, S. 34 f.; E. Fraenkel, Der Pluralismus als Strukturelement der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie, Festvortrag auf dem 45. Deutschen Juristentag, Karlsruhe 1964, Bd. I I / B , 1964, S. Β 8, 17; Κ . Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1977, § 18 I I 6 f., S. 465, der dort der These Fraenkels zustimmt, gleichwohl aber § 18 I I 7, S. 467, ann i m m t , daß das Grundgesetz m i t dem Relativismus der Weimarer Reichsverfassung „ r a d i k a l gebrochen" habe. Diese strikte Gegenüberstellung, von der aus K . Stern, § 18 I I 7, S. 469 f., „Gefahren" der Kelsenschen Lehre hervorhebt, ist überzeichnet. Richtigerweise muß man — wie i m folgenden dargelegt — den Wertabsolutismus nicht als Antinomie, sondern als Bedingungsrahmen des Wertrelativismus anerkennen.

I. Vorbemerkung

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setzt. Demokratie schätzt den politischen Willen jedermanns gleich ein . . . Darum gibt sie jeder politischen Überzeugung die gleiche Möglichkeit, sich zu äußern und i m freien Wettbewerb . . . geltend zu machen 6 ." 3. Zwischenergebnis

Als Zwischenbilanz läßt sich festhalten, daß Kelsens Demokratietheorie, die deshalb i n den Vordergrund gestellt werden soll, weil auch neuere Denkansätze nicht wesentlich über sie hinaus gelangt sind (die erwähnte These von der Demokratietheorie i n der Sackgasse erweist dies zur Evidenz) — den Wertrelativismus als m i t der Demokratie untrennbar verknüpft erachtet. Der Pluralismus als soziologisches K o r relat des Relativismus entspricht dem durchaus, Partizipation — von sozialwissenschaftlicher Seite zu den Prinzipien der Demokratie gerechnet 7 — ist im Grunde nur Konsequenz dieses Pluralismus. Wo kein solcher herrscht, besteht auch kein Partizipationsstreben, nicht einmal ein Partizipationsbedürfnis. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß Wertbestimmtheit — korrespondierend zum Wertrelativismus auch als „Wertabsolutismus" zu bezeichnen — dessen notwendige Voraussetzung ist. Sie bildet die Grenze, gleichsam die „Kuppel", innerhalb deren sich Wertrelativismus überhaupt zu entfalten vermag 8 . Unter diesem Blickwinkel stellen beide keine Gegensätze dar; vielmehr ist Wertbestimmtheit geradezu Bedingung für Wertfreiheit. Dies klar zu erkennen, ist nicht nur demokratietheoretisches, sondern überhaupt rechtstheoretisches und rechtsphilosophisches Gebot. Die Konsequenz hieraus ist, nicht nur die „Offenheit der Verfassungsordnung" 9 , sonβ Η. Kelsen, V o m Wesen und Wert der Demokratie, S. 101. Vgl. dazu auch den bei N. Achterberg, i n : P o l i t i k u n d K u l t u r 1975, Heft 2, S. 40 (abgedr. auch i n : ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, 1980, S. 73), sowie R. A. Metall, Hans Kelsen und seine Wiener Schule der Rechtstheorie, i n : Hans Kelsen zum Gedenken (Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts, Bd. 1), 1974, S. 15 (24) abgedruckten Brief H. Kelsens an F. Weyr, i n dem derselbe Gedankengang wiederkehrt. 7 W. Steffani, Parlamentarische Demokratie — Z u r Problematik von E f f i zienz, Transparenz u n d Partizipation, i n : ders. (Hrsg.), Parlamentarismus ohne Transparenz ( = K r i t i k Bd. I I I ) , 1971, S. 17 ff. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht: R. Walter / W. Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, V V D S t R L 31, 147, 179 (insbes. 149 ff., 209 ff.). Vgl. auch noch W. Manti, Die Partizipation i n der Verwaltung, i n : F. Ermacora/ G. W i n k l e r / F. K o j a / Η . P. R i l l / B.-C. F u n k (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 1979, S. 485 (der S. 494 ausführlich auf H. Kelsen und A. Merkl eingeht). 8 So bereits N. Achterberg (s. o. A n m . 5) unter Abstützung dieser These auf die „wachsame" oder „streitbare" Demokratie. 9 Vgl. i n dieser Richtung aber vor allem P. Häberle, Öffentlichkeit u n d Verfassung, ZfP 16 (1969), 273; ders., Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, JZ 75, 297 (beide abgedr. auch i n : ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß. Materialien zu einer Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, 1978, S. 155, 225, ebd. auch weitere einschlägige Arbeiten); ders., Die Verfassung des Pluralismus. Studien zur Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, 1980.

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4. Teil: Rechtsverhältnis u n d Demokratietheorie

d e m auch deren Geschlossenheit i n den Blick zu nehmen. Rechtsnorm und Rechtsverhältnis als Bausteine der Rechtsordnung sollen daher i m folgenden auf diese beiden Kriterien geprüft werden.

I I . D i e Rechtsnorm i n demokratietheoretischer Sicht 1. Elemente der Offenheit

Als Elemente der Offenheit der Rechtsnormen erweisen sich Öffnungen des Normstufenbaus i n rechtlicher und i n metarechtlicher Hinsicht, unbestimmter Rechtsbegriff und Ermessen durch ihre fallbezogene Normkonkretisierung sowie die topische Interpretation. a) Öffnung des Normstufenbaus

in rechtlicher

Hinsicht

Auch demokratietheoretisch relevant ist zunächst die üblicherweise zur Rechtsstaatlichkeit i n Beziehung gesetzte Gestaltung des Normstufenbaus 10 . Freiheit als Postulat der Demokratie bedingt eine Offenheit des Rechtserzeugungsprozesses dergestalt, daß m i t ihr auf unterschiedlichste soziale Lagen angemessen reagiert werden kann, solche aber zugleich auch sachgerecht gesteuert zu werden vermögen. Der von der Merkl- Kelsenschen Stufenlehre beschriebene Normstufenbau entspricht — wie Kelsen selbst hervorgehoben hat — nur der Rechtswesenhaftigkeit, von der die Rechtsinhaltlichkeit abweichen kann 1 1 . A n ders ausgedrückt: Er bildet einen Idealtyp, m i t dem der jeweilige Realtyp nicht übereinzustimmen braucht. So kann die idealtypische Stufenfolge Verfassung — Gesetz — Verwaltungsakt — Richterspruch durch Einschub weiterer Stufen gedehnt werden: Beispiele hierfür bilden diejenige der Verordnung zwischen Gesetz und Verwaltungsakt, aber auch die Verdoppelung der Gesetzesstufe, indem eine Regelung durch Rahmengesetz und ausfüllendes Gesetz erfolgt. Umgekehrt kann der idealtypische Normstufenbau durch Weglassen von Stufen verkürzt 10 Vgl. dazu H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 238, 243; A. Merkl, Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaues, i n : Gesellschaft, Staat u n d Recht. Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre (Festschrift Hans Kelsen), 1931, S. 252 (275); R. Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung. Eine rechtstheoretische Untersuchung auf Grundlage der Reinen Rechtslehre, 2. Aufl., 1974, S. 53 ff. 11 H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 256. Er weist i n diesem Z u sammenhang auf den I r r t u m der überkommenen Gewaltenteilungslehre hin, die eine logische Unabhängigkeit der Gesetzgebung von der Vollziehung glaubte behaupten zu können, n u r u m die rechtstechnische Unabhängigkeit der Vollziehungs- von den Gesetzgebungsorganen begründen zu können. Ä h n l i c h A. Merkl, i n : Festschrift Hans Kelsen, S. 272 f., 278, der S. 268 sogar noch hierüber hinausgeht, indem er den Stufenbau nicht als rechtsimmanent, sondern als willkürliches, verwandlungsfähiges Produkt der Rechtsordnung bezeichnet.

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werden. Beispiel hierfür ist der — zwar seltene, aber immerhin mögliche — unmittelbare Verfassungsvollzug 12 dadurch, daß ein Verwaltungsakt sich ohne Mediatisierung durch die Gesetzesstufe unmittelbar auf die Verfassung stützt. Darüber hinaus ist die Rolle der Rechtsprechungsorgane einzubeziehen. Begreift man die Rechtserzeugung nicht als linear, sondern als kybernetisch — als einen Regelkreis, i n dem die Gerichte als (wenn auch nicht einzige) Regler fungieren 13 —, so w i r k t dessen rückkoppelnder Strang, durch den die Gerichte auf die vorgeordneten Normen und Normerzeuger einzuwirken vermögen, abermals als Öffnung des Normstufenbaus i m Sinne erhöhter Reagibilität auf gesellschaftliche Vorgaben. Insgesamt erweist sich hiermit der Rechtserzeugungsprozeß als höchst sensibler Mechanismus, durch den eine wertrelativistische und pluralistische Staatsform wie die Demokratie ihr sachentsprechendes Steuerungsinstrument erhält. b) Öffnung des Normstufenbaus

in metarechtlicher

Hinsicht

I n dieselbe Richtung zielt die autonome Determinante 14 , die jeder Normerzeugungsstufe eigen ist und durch die auf jeder solchen metarechtliche Elemente i n die Rechtsordnung induziert werden können. Die autonome Determinante entspricht insoweit dem i n Kelsens „Allgemeine Theorie der Normen" anzutreffenden modal indifferenten Substrat 15 , beide w i r k e n sich gleichsam als Brücken zwischen Sein und Sollen aus. Dies w i r d an anderer Stelle noch vertieft werden; hier mag es zunächst bei dieser Feststellung bewenden. I n diesem Zusammenhang wichtig ist vor allem, daß demgemäß nahezu jede Rechtserzeugungsstufe sowohl rechtlich als auch metarechtlich determiniert w i r d und daß zu den — wegen der Ambivalenz von Normanwendung und Normsetzung 16 — von ihr hervorgebrachten Rechtsnormen Metarechts12 Dazu BVerfGE 8, 210 (216f.); 17, 280 (284); N. Achterberg, Der V e r w a l tungsvorakt, DÖV 71, 397 ff. (404) = ders., Theorie u n d Dogmatik des Öffentlichen Rechts, S. 506 ff. (525) ; ders., Bundesverfassungsgericht u n d Zurückhaltungsgebote. Judicial, political, processual, theoretical self-restraints, DÖV 77, 649 ff. (652, 654) = ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, S. 396 ff. (404, 409). 13 Z u r Rechtserzeugung als Regelkreis N. Achterberg, Rechtsprechung — Desiderat der Wissenschaft, i n : ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, S. 179 ff. (180, 195); ders., DÖV 77, 654 = ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, S. 407 f. 14 Z u dieser die Hinweise o. S. 76, A n m . 19. 15 H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 44 f., u n d dazu K . Opalek, Überlegungen zu Hans Kelsens „Allgemeine Theorie der Normen" ( = Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts, Bd. 4), 1980, S. 24 ff. 18 A. Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 15. So w i r d i n dem Gesetz die Verfassung, i m Zwangsakt das richterliche U r t e i l angewendet, H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 233 f.; vgl. auch: ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 240; A. Merkl, S. 173; ders., i n : Festschrift Hans K e l sen, S. 269, 282.

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4. Teil: Rechtsverhältnis u n d Demokratietheorie

normen als Determinanten hinzutreten. Die Einschränkung durch die Wörter „nahezu alle" bezieht sich dabei darauf, daß sowohl die hypothetische Grundnorm als auch die auf sie folgende nächsthöhere Norm inhaltlich ausschließlich metarechtlich determiniert sind, w e i l die Grundnorm lediglich den Delegationszusammenhang eröffnet, ohne aber selbst inhaltliche Vorgaben zu machen. Wegen der durch die Erzeugungsstufen hindurch ständig anwachsenden Zahl der determinierenden Rechtsnormen w i r d der Raum für die metarechtliche Determination demgegenüber ständig schmaler. Anders ausgedrückt: Der Pyramide rechtlicher entspricht eine umgekehrte außerrechtlicher Determinanten. Leicht belegbar ist dies am Beispiel der Verfassung, die eine innerhalb des Normstufenbaus verhältnismäßig hoch angesiedelte Normstufe darstellt und selbst nur vergleichsweise geringfügig rechtlich, erheblich mehr sozial determiniert ist 17 . Das Zusammenspiel rechtlicher — und über die autonome Determinante einfließender — metarechtlicher Determination verbürgt erneut eine demokratiegerechte Offenheit der Normerzeugung. c) Unbestimmter Rechtsbegriff und Ermessen als Elemente fallbezogener Normkonkretisierung Was für den Normstufenbau gilt, kann auch für die einzelne Norm konstatiert werden. Die Erkenntnis, daß Verfassungsnormen offener sein müssen als unterrangige, wollen sie nicht allzu oft geändert oder gebrochen werden, ist alt. Der Grund hierfür liegt in der Natur der Verfassung als „Sozialgestaltungsplan" 18, der für eine relativ lange Geltungszeit berechnet ist. Bei ihr stößt i n besonderem Maße Präzisionsbedürfnis auf Prä Visionsfähigkeit: Der Verfassunggeber kann die gesellschaftliche Evolution während der angestrebten Geltungsdauer der von ihm produzierten Normen nicht i n vollem Umfang voraussehen. U m m i t dieser nicht i n K o n f l i k t zu geraten, bedarf es daher einer Normoffenheit, die sich auf der Verfassungsebene besonders deutlich zeigt, grundsätzlich aber für die Normen aller Normerzeugungsstufen gilt. Schon allein hieraus folgt, daß das Verhältnis von Offenheit und Geschlossenheit auf jeder Ebene des Normstufenbaus bewältigt werden 17 Dies beruht auf dem Umstand, daß — i m gleichstarken Ermächtigungsstrang gedacht — die Breite der rechtlichen Determination zu-, die der metarechtlichen abnimmt. Vgl. dazu N. Achterberg, Die Gesellschaftsbezogenheit der Grundrechte, i n : Recht u n d Gesellschaft, Festschrift für Helmut Schelsky, 1968, S. 1 ff. (10) = ders., i n : Theorie und Dogmatik des öffentlichen Rechts, S. 421 (429), unter Bezugnahme auf die Nullsummentheorie (dazu Ν. Luhmann, Grundrechte als Institution, 1956, S. 42 f., 151; T. Parsons, On the Concept of Political Power, i n : Proceedings of the American Philosophical Society 107 [1963], 232 [250 f f j ) . 18 N. Achterberg, i n : Festschrift für H e l m u t Schelsky, S. 10 m. A n m . 33 = ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, S. 430 f.

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i n demokratietheoretischer Sicht

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muß, insoweit also nicht prinzipielle, sondern nur graduelle Unterschiede vorhanden sind. Der Gesetzgeber trägt dem Konkretisierungsbedürfnis — schon Kelsen hat herausgestellt, daß das Wesen der Normerzeugungsstufen eben gerade darin besteht, eine stets weitergehende Konkretisierung zu bewirken 1 9 — durch Normen Rechnung, die unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten oder Ermessensspielräume eröffnen und damit die Konkretisierungsmöglichkeit i m Einzelfall eröffnen. Daß sie Präzisionsdefizite auf der Gesetzgebungsebene bewirken, ist unverkennbar. Dennoch kann der Auffassung nicht zugestimmt werden, entsprechende Rechtsnormen seien schlechthin verfassungswidrig, da sie nicht der rechtsstaatlich gebotenen Normpräzision entsprächen 20 . Sicherlich w i r d man allerdings nach Rechtsgebieten differenzieren müssen: Strafrecht und Steuerrecht beispielsweise stellen höhere Anforderungen an die Normpräzisierung als manche andere Bereiche. I m übrigen sind derartige Bedenken zurückzustellen, w e i l auch insoweit eine der Demokratie entsprechende Normoffenheit vorliegt, die trotz aller A n forderungen an die Rechtsstaatlichkeit hingenommen werden muß — abermals Beleg für Antinomien, wie sie auch sonst unter den verfassunggestaltenden Grundentscheidungen anzutreffen sind 21 . d) Topische Interpretation Auf derselben Linie liegt die topische Interpretation als offene Auslegungsmethode. I h r Rückbezug auf die Rhetorik ist allgemein bekannt, so daß hierzu nichts weiteres gesagt zu werden braucht 22 . Das Grundmuster der rhetorischen Situation — Rede und Gegenrede — ist auch ein solches der Demokratie, in der die Entscheidungen auf Kompromissen beruhen, die sich erst durch Diskussion finden lassen. Das Aufzeigen der Meinungsunterschiede, die allmähliche Annäherung der Standpunkte, die Uberwindung klaffender Gegensätze durch Mehrheitsentscheid unter Wahrung von Minderheitenrechten — alles dies geschieht in der Form des Dialogs. Darüber hinaus weist die topische Interpretation deshalb eine Beziehung zur Demokratie auf, weil die — nur durch das Erfordernis der Lösungsrelevanz begrenzte — denkmöglich offene Zahl der τόποι23 ge19 Vgl. dazu H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 233 f.; ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 243. 20 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ermessenseinräumung trägt Η. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 179 ff.; ders., Ermessensspielraum und Rechtsstaatlichkeit, N J W 69, 1273, vor. 21 Dazu ausführlich N. Achterberg, A n t i n o m i e n verfassunggestaltender Grundentscheidungen, Staat 8 (1980), 159 ff. = ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, S. 250 ff. 22 Grundlegend hierzu Th. Viehweg, Topik u n d Jurisprudenz, 5. Aufl., 1974. 23 Das Erfordernis der Fallrelevanz ergibt sich aus der Problemorientiertheit der Topik als „techne des Problemdenkens", vgl. dazu Th. Viehweg, S. 31.

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4. Teil: Rechtsverhältnis u n d Demokratietheorie

währleistet, unter Berücksichtigung aller möglichen Blickwinkel dem demokratischen Relativismus Rechnung zu tragen. 2. Elemente der Geschlossenheit

Zu den zuvor genannten Elementen der Offenheit treten solche der Geschlossenheit hinzu. Zu ihnen sind die Disparität von Sein und Sollen, der Rückbezug der Rechtsnormen auf höherrangige Rechtsnormen, die Unabänderlichkeit bestimmter Rechtsnormen sowie die traditionelle Interpretation zu rechnen. a) Dichotomie von Sein und Sollen Die neukantianische und auch kelsenianische These von der Disparität von Sein und Sollen 24 schließt das gesellschaftliche System. Der demokratische Relativismus und Pluralismus findet i n dieser Geschlossenheit seine Grenze. Die Frage nach weiteren Möglichkeiten läßt sich leicht beantworten: eine dritte wäre die Kombination von Sein und Sollen, wie sie etwa in dem Phänomen der Natur der Sache als Rechtsquelle oder i n der Normativität des Faktischen auftritt. I n der Tat entsteht die Frage, ob solche Erweiterungen Kelsenscher Demokratietheorie nicht eher entsprechen als die von der Wiener Schule vorgenommene Abgrenzung gegenüber solchen Möglichkeiten. Dennoch kann kein Zweifel daran bestehen, daß gerade die Disparität geeignet ist, einen Methodensynkretismus zu verhindern. Dieses Ziel bildet eine durchaus anerkennenswerte Grenze demokratischer Offenheit. Wo Brücken zwischen Sein und Sollen entstehen können, lassen sich diese nicht durch scheinbar dritte Möglichkeiten wie die erwähnten Rechtsinstitute, sondern nur durch Induktoren bilden, wie sie zuvor m i t dem Hinweis auf die autonome Determinante und das modal indifferente Substrat erwähnt wurden. b) Rückbezug der Rechtsnormen auf höherrangige

Rechtsnormen

Weiteres Element der Geschlossenheit der Rechtsordnung ist der Rückbezug der Normen auf höherrangige Normen. Der Normstufenbau verbürgt trotz der zuvor erwähnten Offenheit durch seine Verkürzung oder Verlängerung die Geschlossenheit dadurch, daß ein jeweils vorgegebener Kreis höherrangiger Normen die Determination der tieferrangigen vornimmt. Diese werden eben nicht von einer denkmöglich 24 Dies ist durchgehalten von H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 2. Aufl., 1923, S. 3 ff., insb. S. 5, 7, 9, über ders., Der soziologische u n d der juristische Staatsbegriff, 1928, S. 75 ff.; ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 5 ff., bis ders., Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 44 ff. Vgl. dazu auch W. Schild, Die Reinen Rechtslehren. Gedanken zu Hans Kelsen u n d Robert Walter, 1975, S. 12 1

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i n demokratietheoretischer Sicht

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unbegrenzten Zahl von Rechtsnormen bestimmt, sondern nur von der i n der — nach Kelsenscher Auffassung bis zur Grundnorm zurückzuleitenden — konkreten Normenpyramide vorliegenden Zahl von Rechtsnormen. Der Rückbezug auf die Spitze der Normenpyramide — wie auch immer man diese bezeichnen mag — bewirkt dabei die Geschlossenheit der konkreten Normenordnung 25 . Daß dabei i m Regelkreis die nachrangige Determination durch die gerichtliche Entscheidung hinzutritt, ändert an diesem Prinzip als solchem nichts. c) Unabänderlichkeit

von Rechtsnormen

Wiederum erneutes Beispiel für die Geschlossenheit der Rechtsordnung bildet das Institut der Unabänderbarkeit von Rechtsnormen. Kodifiziert ist dieses i n A r t . 79 Abs. 3 GG: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes i n Länder, die grundsätzliche M i t w i r k u n g der Länder bei der Gesetzgebung und die i n den Art. 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig." Damit sind unter der Geltung des Grundgesetzes — solange also nicht eine, nicht dem pouvoir constitué, sondern dem pouvoir constituant zustehende, Gesamtrevision vorgenommen w i r d 2 6 — die verfassunggestaltenden Grundentscheidungen für die Rechtsstaatlichkeit, die Sozialstaatlichkeit, die Bundesstaatlichkeit und die Demokratie, die Grundrechtsbindung der Staatsfunktionen und die Wahrung der Menschenwürde festgeschrieben. Unweigerlich knüpft sich hieran die Frage nach der demokratischen Natur solcher Unabänderlichkeit. Anders formuliert: Das Problem entsteht, ob Demokratie — zu Ende gedacht — nicht auch die Möglichkeit ihrer eigenen Abschaffung umschließen müßte — moderne und „säkularisierte" Variante des der Theologie geläufigen Unterschieds von potestas absoluta und potestas ordinata: Daß Gott etwas i n sich Widersprüchliches wollen kann (Petrus Damiani), seine Macht von seiner Weisheit und Gerechtigkeit losgelöst wirken könnte (Martin Luther, Johann Calvin), ist nach überwiegender 25 Der Sinn der hypothetischen Grundnorm als Verhinderung des regressus ad i n f i n i t u m ist inzwischen nicht mehr umstritten. Dazu N. Achterberg, Hans Kelsens Bedeutung i n der gegenwärtigen deutschen Staatslehre, D Ö V 74, 445 (453) = ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, S. 51 (70); ders., Kelsen u n d M a r x , P o l i t i k u n d K u l t u r 1975, Heft 2, S. 40 (51) = ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, S. 73 (87). — Demgegenüber überzeugt es nicht, w e n n A.-F. Utz, Die Gerechtigkeit, der Prüfstein naturrechtlichen Denkens, i n : ders., E t h i k u n d Politik. A k t u e l l e Grundfragen der Gesellschaft, Wirtschafts- u n d Rechtsphilosophie. Gesammelte Aufsätze, Hrsg. B. Streithofen, 1970, S. 229 (234), dem die Annahme einer unendlichen Kausalitätsreihe gegenüberstellt. 26 Z u r Bedeutung der Unantastbarkeit H. v. Mangoldt / F. Klein, Das B o n der Grundgesetz, Bd. I I I , 1974, A r t . 79 A n m . V I , i n ausführlicher Erörterung des kontroversen Schrifttums; Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog / R. Scholz, Grundgesetz, Bd. I I , 1981, A r t . 79 RdNr. 22 ff.

7 Achterberg

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4. Teil: Rechtsverhältnis u n d Demokratietheorie

Meinung selbst de potestate absoluta unmöglich 27 . Wie dem auch sei: Die Abschaffung der Demokratie ist zumindest de potestate ordinata — und u m sie geht es i n A r t . 79 Abs. 3 GG — ausgeschlossen. Schlaglichtartig zeigt sich hier abermals, daß Offenheit eben nicht einzige Maxime einer Gesellschafts- und Rechtsordnung ist, sondern durch Elemente der Geschlossenheit ergänzt wird. d) Traditionelle

Interpretation

Konnte die topische Interpretation zuvor als hermeneutische Ausprägung des Wertrelativismus ausgemacht werden, so gilt anderes für die traditionelle Auslegung. Die Geschlossenheit des Methodenkanons — philologische, logische, historische, genetische, systematische, komparative, teleologische Interpretation 2 8 — widerspricht einer Offenheit von Auslegungsgesichtspunkten. Einzuräumen ist dabei allerdings, daß gerade die teleologische Interpretation eine Öffnung zum metarechtlichen Bereich bewirkt, durch die alle möglichen Wertungen i n die Auslegung einzufließen vermögen; die Interessen- und Wertungsjurispudenz hat sich hier ein adäquates Instrument geschaffen, u m ihre Anliegen zu berücksichtigen. Der These, daß Offenheit durch Elemente der Geschlossenheit ergänzt wird, muß demnach hinzugefügt werden, daß auch dort, wo eine scheinbare Geschlossenheit der Normenordnung anzutreffen ist, sehr schnell wiederum Elemente der Offenheit i n Erscheinung treten: erneuter Beweis für die — demokratietheoretisch relevante — vielfältige Verflochtenheit beider Maximen, die nicht auf Maximierung, sondern auf Harmonisierung und Optimierung abzielt.

I I I . Das Rechtsverhältnis i n demokratietheoretischer Sicht

Unter der Voraussetzung, daß die Grundposition der Rechtsverhältnistheorie — Deutung der Rechtsordnung als Beziehungsgefüge von Rechtsverhältnissen und damit als Rechtsverhältnisordnung 29 — hier nicht i m einzelnen nochmals entfaltet zu werden braucht, lassen sich 27 J. Stöhr, Allmacht (Omnipotenz) Gottes, i n : J. Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, 1971, Sp. 193 (194). 28 Der K a n o n geht i n seinen wesentlichen Teilen zurück auf F. C. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, 1840, S. 206 ff.; ders., Juristische Methodenlehre, Hrsg. Wesenberg, 1851. — Z u m theoretischen H i n tergrund M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, S. 67 ff.; K . Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., 1979, S. 11 ff.; F. Müller, J u ristische Methodik, 2. Aufl., 1976, S. 67 ff. 29 Vgl. dazu zuerst N. Achterberg, Rechtsverhältnisse als Strukturelemente der Rechtsordnung. Prolegomena zu einer Rechts Verhältnistheorie, Rechtstheorie 9 (1978), 385 ff. = ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, S. 149 ff.

I I I . Rechtsverhältnis i n demokratietheoretischer Sicht

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weiterhin auch bezüglich der Rechtsverhältnisse Elemente der Offenheit und der Geschlossenheit aufzeigen. 1. Elemente der Offenheit

Als Elemente der Offenheit können die Polytomie der Rechtsverhältnisordnung, die Multidetermination der Rechtsverhältnisse und deren Multipolarität erwähnt werden. a) Polytomie

der Rechtsverhältnisordnung

Die Polytomie der Rechtsverhältnisse besteht darin, daß solche zwischen unterschiedlichsten Rechtssubjekten bestehen. Früher vorgenommene Dichotomien — wie die Unterscheidung von Außenrecht und Innenrecht, Rechtsverordnung und Verwaltungsverordnung, allgemeines und besonderes Gewaltverhältnis — sind zu pauschal, u m die gesamte Komplexität der Rechtsverhältnisordnung erfassen zu können. Rechtsverhältnisse bestehen zwischen Organisationen (beispielsweise zwischen Staaten und zwischen Gemeinden), zwischen Organisation und Organisationsmitglied (beispielsweise dem Staat und dem Staatsbürger), Organisation und Organ, Organisation und Organwalter, Organ und Organ sowie Organisationsmitglied und Organisationsmitglied — diese i n privatrechtlichen Rechtsbeziehungen —, um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen 30 . Die Rechtsverhältnisordnung mag dabei auf den ersten Blick keine unbeschränkte Zahl nach den Endsubjekten zu unterscheidender Rechtsverhältnisse kennen. Berücksichtigt man indessen, daß i n der Organhierarchie eine denkmöglich unbeschränkte Zahl von Organen und Unterorganen einer Organisation zu bestehen vermag, so kommt man gleichwohl zur Unbegrenztheit von Rechtsverhältnissen. Die Vielfalt der Gesellschaftsordnung, insbesondere der Pluralismus von Verbänden und sonstigen Sozialsubjekten, findet hierin die rechtliche Entsprechung — immerhin w i r k t wegen der Uberwölbung der Rechtsordnung durch die Sozialordnung jede Rechtsnorm auch als Sozialnorm, ist das Rechtsverhältnis ein m i t M i t t e l n des Rechts geregeltes Sozialverhältnis 31 . Die demokratietheoretische Dimension der Rechtsverhältnisordnung zeigt sich gerade unter dem Blickwinkel ihrer Polytomie aber auch darin, daß sie der Effizienz als einer der Leitmaximen der Gesellschaftsordnung 32 entspricht. I n der Vielfalt der Rechtsverhältnisse und 30 Ausführlich N. Achterberg, Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, 1980, S. 149 ff. 31 N. Achterberg, ebd., S. 145, vgl. auch ders., Die Gesellschaftsbezogenheit der Grundrechte, i n : Festschrift für H e l m u t Schelsky, S. 1 (10) = ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, S. 145. 32 W. Steff ani. S. 17.

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4. Teil: Rechtsverhältnis und Demokratietheorie

der an ihnen beteiligten Rechtssubjekte spiegelt sich das Bedürfnis nach Arbeitsteilung wider. Offenheit t r i t t damit zu Effizienz als weiterem demokratietheoretischem Aspekt. b)

Multidetermination

Die Offenheit der Rechtsverhältnisse zeigt sich aber auch i n deren unterschiedlicher Determination. Rechtsverhältnisse können i n vollem Umfang heteronom — nämlich durch Rechtsnormen —, können aber auch teilweise autonom — nämlich durch Willensbetätigungen ihrer Endsubjekte bestimmt sein 33 . Die i m zweiten Fall anzutreffende autonome Determinante der Rechtsverhältnisse — nicht zu verwechseln m i t derjenigen der Rechtserzeugungsstufen, wie sie von der Wiener Schule herausgestellt wurde — begründet erneut die Offenheit der Rechtsverhältnisordnung. Auch sie führt aber zugleich einen weiteren demokratietheoretischen Aspekt — nämlich die wiederum als sozialwissenschaftliches Leitbild hervorgehobene Partizipation 3 4 — ein. A u f dem Weg über die so begriffene autonome Determinante partizipieren die als Endpunkte der Rechtsverhältnisse i n Erscheinung tretenden Rechtssubjekte an der Rechts Verhältnisordnung und damit an der Rechtsordnung. c) Multipolarität Schließlich zeigt sich die Offenheit der Rechtsverhältnisse an ihrer Polarität. Rechtsverhältnisse sind bipolar, wenn an jedem ihrer Endpunkte nur ein einziges Rechtssubjekt, dagegen multipolar, wenn an zumindest dem einen Endpunkt eine Mehrzahl von Rechtssubjekten steht. Dies entspricht der Komplexität der Gesellschaftsordnung. Hochkomplexe Sozialstrukturen können nicht i n Zweierbeziehungen dargestellt werden; solche vermögen allenfalls, aber auch nur begrenzt i m mikro-, keinesfalls aber auch i m makrosoziologischen Bereich Abbildungsmaßstab zu sein 35 . Die Beziehungen zwischen mehreren Rechtssubjekten, wie sie durch Anerkennung multipolarer Rechtsverhältnisse i n Erscheinung tritt, zeigt m i t h i n wiederum die Offenheit an, i n der Rechtsverhältnistheorie und Demokratietheorie übereinstimmen.

33 N. Achterberg, Rechtstheorie 9 (1978), 406 = ders., Theorie u n d Dogmat i k des öffentlichen Rechts, S. 157 f. 34 s. o. A n m . 32, sowie zusätzlich R. Walter / W. Schmitt Glaeser, V V D S t R L 31, 147, 179. 35 N. Achterberg, Rechtstheorie 9 (1978), S. 397 f. = ders., Theorie u n d Dogm a t i k des Öffentlichen Rechts, S. 148.

I I I . Rechtsverhältnis i n demokratietheoretischer Sicht

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2. Elemente der Geschlossenheit

Wie hinsichtlich der Rechtsnormen, lassen sich aber auch hinsichtlich der Rechtsverhältnisse Elemente der Geschlossenheit erkennen. Zu ihnen sind die Rechtsnormdetermination sowie der Widerstreit und damit gegenseitige Ausschluß von Rechtsverhältnissen zu rechnen. a) Rechtsnormdetermination

von Rechtsverhältnissen

Rechtsverhältnisse werden zwar, wie soeben dargelegt, auch autonom — und damit auch unter Einschluß metajuristischer Determinanten —, vor allem aber heteronom durch Rechtsnormen determiniert. Das bedeutet zumindest den rechtswesenhaft umgrenzten Kreis determinierender Rechtsnormen, der rechtsinhaltlich — u m i m Sprachgebrauch Kelsens zu verbleiben — erweitert werden kann, auch dann aber nicht unbegrenzt ist. Unter Außerachtlassung der meta juristischen kommt man unter Berücksichtigung der juristischen Determinanten m i t h i n dazu, daß die Determination von Rechtsverhältnissen ebenso geschlossen ist, wie die Rechtsnormenordnung durch den Rückbezug der Rechtsnormen auf höherrangiges Recht. b) Widerstreitende

Rechtsverhältnisse

Die Rechtsverhältnisordnung erweist sich schließlich insofern als geschlossen, als es einander widerstreitende Rechtsverhältnisse gibt 3 8 . Bei ihnen handelt es sich u m solche, an denen ein Rechtssubjekt nicht gleichzeitig beteiligt sein kann. Zu unterscheiden sind dabei Rechtsverhältnisse, i n denen ein Rechtssubjekt zu demselben, und solche, i n denen es zu einem anderen Rechtssubjekt i n Beziehung stände. I n beiden Fällen sind der Widerstreit und der Ausschluß von Rechtsverhältnissen möglich. Als Beispiel der ersten Gruppe kann die Unvereinbarkeit von Beamtenverhältnis und Richterverhältnis genannt werden. Beide Rechtsverhältnisse weisen dieselben Subjekte auf, nämlich ein Organisationsmitglied — die natürliche Person, die als Beamter oder als Richter i n Erscheinung t r i t t — und den Staat als Organisation. Soweit — wie üblich — die Inkompatibilität zwischen Beamten- und Richteramt angeordnet ist, können beide Rechtsverhältnisse nicht zugleich eingegangen werden. Z u r zweiten Gruppe zählt der Widerstreit zwischen mehreren Eheverhältnissen i n Rechtsordnungen, welche die Monogamie vorschreiben. Darüber hinaus w i r d man allgemein solche Fälle hierher zu rechnen haben, i n denen nach Abschluß eines Rechtsverhältnisses ein vergleichbares anderes für nichtig erklärt wird. 38

Näher o. S. 82 f.

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4. Teil: Rechtsverhältnis u n d Demokratietheorie

Erneut zeigt sich hierbei die Bedeutung der Rechtsnorm als ausschließliche Konstituante des Rechtsverhältnisses 37 . IV. Ergebnis: Die demokratietheoretische Relevanz der Reinen Rechtslehre und der Rechtsverhältnistheorie Während die Reine Rechtslehre den Akzent ihrer Erkenntnisse auf die Rechtsnorm legt — obwohl auch bei ihr das Rechtsverhältnis eine Rolle spielt —, findet er sich i n der Rechtsverhältnistheorie bei dem Rechtsverhältnis — wobei auch bei ihr allerdings, wie dargelegt, die Bedeutung der Rechtsnorm keineswegs unberücksichtigt bleibt. I m Gegenteil: Gerade der Umstand, daß die Rechtsverhältnistheorie nicht i n Tatsachen, sondern i n Normen die Determinanten der Rechtsverhältnisse erblickt, erweist deren zentrale Stellung auch i n ihr. Wichtiger ist indessen, daß sich Reine Rechtslehre und Rechtsverhältnistheorie i n der Erkenntnis der Bedeutung von der Offenheit und Geschlossenheit der Rechtsnormen und der Rechtsverhältnisse begegnen. Sie bildet gewissermaßen einen gemeinsamen Nenner. Offenheit der Rechtsnormenordnung und der Rechtsverhältnisordnung ist nicht ohne Elemente der Geschlossenheit möglich; beide bedingen einander. Erst wertabsolutistische Elemente der Geschlossenheit verbürgen, daß sich unter ihnen wertrelativistische Offenheit zu entfalten vermag. Die eingangs gestellte Frage nach der demokratietheoretischen Bedeutung der Rechtsnormen und Rechtsverhältnisse läßt sich nach allem dahin beantworten, daß die Demokratie ein durch die Komplexität der Rechtsnormenordnung und der Rechtsverhältnisordnung gekennzeichnetes Optimierungsmodell darstellt, i n dem Offenheit und Geschlossenheit in ein Verhältnis gesetzt werden müssen, das Regierbarkeit in Freiheit ermöglicht. V. Thesen I. Die Demokratietheorie ist auch gegenwärtig von dem Gegensatz zwischen neukantianischer Wertoffenheit und neuhegelianischer Wertbestimmtheit gekennzeichnet. Dementsprechend werden ein „pluralistisch-total-direktes" und ein „pluralistisch-partiell-repräsentatives" Demokratiemodell unterschieden (D. Grosser). Insbesondere Kelsens Demokratietheorie stellt den Wertrelativismus in den Vordergrund. II. I n Offenheit und Geschlossenheit erweist sich die demokratietheoretische Relevanz auch der Rechtsnormen und der Rechtsverhältnisse. 37

Ausführlicher o. S. 56 ff.

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V. Thesen

1. Bezüglich der Rechtsnormen ist erkennbar: a) Elemente der Offenheit bilden die Möglichkeit, den rechtswesenhaft anzutreffenden Normstufenbau rechtsinhaltlich zu verlängern oder zu verkürzen, die autonome Determinante der Rechtserzeugungsstufen, auf der außerrechtliche Wertungen i n den Normerzeugungsprozeß einzufließen vermögen, die Normgestaltung durch Einfügung unbestimmter Rechtsbegriffe und Ermessenseinräumung zur Eröffnung fallbezogener Normkonkretisierung sowie die topische Norminterpretation als „offene" Auslegungsmethode. b) Elemente der Geschlossenheit sind die Disparität und zugleich Dichotomie von Sein und Sollen, der Rückbezug der Rechtsnormen auf höherrangige, insbesondere auf die Spitze der Normenpyramide als deren oberen Endpunkt, die Unabänderlichkeit bestimmter Normen sowie die traditionelle I n terpretation aufgrund ihres, bei der teleologischen Auslegung jedoch gleichwohl relativ offenen, Methodenkanons. 2. Hinsichtlich der Rechtsverhältnisse

zeigt sich folgendes:

a) Elemente der Offenheit sind die Polytomie, also die denkmöglich unbegrenzte Zahl von Rechtsverhältnissen i n der als Rechtsverhältnisordnung zu begreifenden Rechtsordnung, die Determination der Rechtsverhältnisse sowohl heteronom durch Rechtsnormen, als auch autonom durch Willensakte der an den Rechtsverhältnissen beteiligten Rechtssubjekte sowie die Multipolarität durch den bestimmten oder unbestimmten Kreis der Endsubjekte der Rechtsverhältnisse. b) Elemente der Geschlossenheit sind die prinzipielle Rechtsnormdetermination von Rechtsverhältnissen — dies entgegen der marxistischen Lehre von deren Tatsachenbestimmtheit —, sowie das Phänomen einander widerstreitender Rechtsverhältnisse. I I I . Reine Rechtslehre und Rechtsverhältnistheorie stimmen trotz unterschiedlicher Akzentuierung der Bedeutung der Rechtsnormen und der Rechtsverhältnisse darin überein, daß die Offenheit der Rechtsnormenordnung und der Rechtsverhältnisordnung nicht ohne Elemente der Geschlossenheit möglich ist. Diese bilden den Rahmen, innerhalb dessen sich Relativismus überhaupt zu entfalten vermag. Demokratie stellt hiernach ein Optimierungsmodell dar, i n dem Offenheit und Geschlossenheit i n ein Verhältnis gebracht werden müssen, das Regierbarkeit i n Freiheit ermöglicht.

Fünfter Teil

Rechtenorm und Rechtsverhältnis als Bausteine der Rechtsordnung I. Vorbemerkung Das Thema der nachfolgenden Überlegungen muß sich von vornherein der möglichen K r i t i k stellen, daß i n ihm m i t Rechtsnorm und Rechtsverhältnis scheinbar zwei auf verschiedenen Strukturebenen angesiedelte Begriffe zusammengefügt und gleichermaßen als Konstituanten der Rechtsordnung verstanden werden. Wie indessen ein Bauwerk nicht nur aus den tragenden Wänden, sondern auch aus eingezogenen, auf sie gestützten Zwischendecken besteht, so setzt sich die Rechtsordnung nicht nur aus determinierenden und determinierten Rechtsnormen, sondern auch aus determinierten Rechtsverhältnissen zusammen. Damit ist schon eine erste Parallele zwischen Rechtsnorm und Rechtsverhältnis angesprochen: die Determination durch die Rechtsnorm. Hinsichtlich des Rechtsverhältnisses w i r d hierauf zurückzukommen sein, hinsichtlich der Rechtsnorm gehört es zu den bleibenden Verdiensten der Wiener Schule, auf die Ambivalenz der Rechtsakte hingewiesen zu haben, i n denen sich i m allgemeinen — auf Ausnahmen w i r d zurückzukommen zu sein — Rechtserzeugung und Rechtsanwendung verbinden 1 . Die Rechtsnormenordnung ist ordo ordinans und ordo ordinata gleichermaßen. Ordo ordinata ist die Rechtsordnung aber auch i n ihrer Eigenschaft als Ordnung von Rechtsverhältnissen, als Rechtsverhältnisordnung.

I I . Rechtsnorm und Rechtsverhältnis in der Sicht der Reinen Rechtslehre und der Rechtsverhältnistheorie Die Aufgabe, Rechtsnorm und Rechtsverhältnis i n ihrer Bedeutung für die Rechtsordnung zu vergleichen, muß unter Berücksichtigung derjenigen Lehren erfolgen, i n denen sie den theoretischen Mittelpunkt bilden: der Reinen Rechtslehre hinsichtlich der Rechtsnorm, der Rechts1 H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 233 f.; A. Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 15. Dazu N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 38 f.

I I . Reine Rechtslehre u n d Rechtsverhältnistheorie

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Verhältnistheorie b e z ü g l i c h des Rechtsverhältnisses. D a b e i i s t es u n e r l ä ß l i c h — u n d gerade dies m a c h t d e n Reiz des T h e m a s aus — m i t z u berücksichtigen, w e l c h e R o l l e das j e w e i l s andere R e c h t s i n s t i t u t h i e r b e i einnimmt. 1. Reine Rechtslehre a) D i e B e d e u t u n g d e r R e c h t s n o r m i n d e r R e i n e n Rechtslehre — v o n d e r G r u n d n o r m ü b e r d i e N o r m e n d e r e i n z e l n e n Rechtserzeugungsstufen bis zur „ E n d n o r m " —, ist allgemein geläufig 2; i m einzelnen braucht h i e r a u f n i c h t eingegangen zu w e r d e n . A l l e i n d e r U m s t a n d , daß Kelsens N a c h l a ß w e r k sich gerade m i t d e r T h e o r i e d e r N o r m e n befaßt 3 , zeigt s c h l a g a r t i g d i e i n seiner L e h r e sich b i s z u dieser K u l m i n a t i o n steigernde R o l l e der Rechtsnorm. b) B e m e r k e n s w e r t e r w e i s e h a t aber auch das R e c h t s v e r h ä l t n i s i n i h r e i n e n w i c h t i g e n P l a t z gefunden. aa) I n seinem F r ü h w e r k „ H a u p t p r o b l e m e d e r Staatsrechtslehre" b e m ä n g e l t Kelsen, daß die organische S t a a t s t h e o r i e d u r c h A n n a h m e d e r K o o r d i n i e r u n g u n d d e r S u b o r d i n i e r u n g v o n R e c h t s s u b j e k t e n i n Rechtsv e r h ä l t n i s s e n u n e i n h e i t l i c h sei 4 . A n d i e S t e l l e d e r h e r k ö m m l i c h e n K o n 2 Die Stufenlehre w i r d ausführlich dargestellt bei H. Kelsen, S. 231 ff.; ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 228 ff.; ders., Der Begriff der Rechtsordnung, i n : Logique et Analyse, Nouvelle Série, 1958, S. 155 ff., abgedr. auch i n : Die Wiener rechts theoretische Schule, Hrsg. H. K l e c a t s k y / R . M a r c i e / H . Schambeck, 1968, S. 1395 (1400 ff.); A. Merkl, S. 157 ff. Vgl. aus der Sekundärliteratur N. Achterberg, S. 33 ff.; J. Behrend, Untersuchungen zur Stufenbaulehre A d o l f Merkls u n d Hans Kelsens, 1977; Th. öhlinger, Der Stufenbau der Rechtsordnung. Rechtstheoretische und ideologische Aspekte, 1975; W. Schild, Die Reinen Rechtslehren. Gedanken zu Hans Kelsen u n d Robert W a l ter, 1975, S. 21 f.; R. Walter, Der A u f b a u der Rechtsordnung. Eine rechtstheoretische Untersuchung auf Grundlage der Reinen Rechtslehre, 2. Aufl., 1974, S. 53 ff. (der zwei Stufenordnungen unterscheidet: diejenige nach der derogatorischen K r a f t u n d diejenige nach der rechtlichen Bedingtheit, wobei zwischen beiden Divergenzen bestehen — so ist das gerichtliche U r t e i l nach der rechtlichen Bedingtheit dem Gesetz nach-, nach der derogatorischen K r a f t dagegen [wie i m Falle der Normenkontrolle] vorgeordnet; derselbe Gedanke läßt sich durch ein kybernetisches Modell der Rechtsordnung darstellen, i n dem diese als Regelkreis erscheint [dazu B K - N . Achterberg, A r t . 92 RdNr. 155]). 3 H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979. Unter den bisherigen Stellungnahmen zu diesem W e r k ragen heraus: K. Opalek, Überlegungen zu Hans Kelsens „Allgemeine Theorie der Normen" ( = Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts, Bd. 4), 1980 dazu meine Rezension Rechtstheorie 11 (1980), S. 384 ff. — ; R. Walter, Der letzte Stand von Kelsens Normentheorie. Einige Überlegungen zu Kelsens „Allgemeine Theorie der Normen", i n : A r g u m e n tation u n d Hermeneutik i n der Jurisprudenz, Hrsg. W. K r a w i e t z / K . Opalek / A . Peczenik / A. Schramm ( = Rechtstheorie, Beiheft 1), 1979, S. 295 ff.; O. Weinberg er, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz u n d Ethik. Eine Auseinandersetzung m i t Hans Kelsens Theorie der Normen, 1981. 4 H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 1923, S. 693 f f i n s b . S. 702 ff.

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struktion mehrerer Ebenen — Beziehungen zwischen Staat und Organ, Staat und Privatem sowie Privaten untereinander — müsse diejenige einer einfachen treten, denn der Staat sei den anderen Personen gleichgeordnet. „ F ü r die juristische Betrachtung gibt es kein Unten und Oben, die formale Rechtskonstruktion muß gleichsam auf eine dritte Dimension verzichten... sie verläuft i n einer einzigen Ebene" 5 . Der Staat sei nur rechtlich zu erfassen, indem er als Person wie alle anderen Rechtssubjekte der Rechtsordnung gegenüber und damit diesen gleichgesetzt werde. A n die Stelle der Annahme eines Rechtsverhältnisses zwischen zwei Subjekten müsse deren Verhältnis zur Rechtsordnung treten. Rechtsverhältnis ist hiernach die Relation des „Subjektes zum Rechtssatze" (dies i n Kelsens früher, Rechtsnorm und Rechtssatz noch nicht unterscheidender Terminologie) oder auch der „Rechtsordnung zum Subjekt" 6 . Denn nur der Rechtsordnung gegenüber sei man verpflichtet, und nur aus Rechten und Pflichten bestehe eben das Rechtsverhältnis. Die Rechtsverhältnistheorie stimmt m i t diesem Theorem insofern überein, als auch sie Bilder wie „Uberordnung" und „Gleichordnung" nicht für geeignet halten kann, Wesensmerkmale von Rechtsverhältnissen zu kennzeichnen. I m übrigen aber unterscheidet sie sich von i h m i n mehrfacher Hinsicht: (1) Nach dem rechtsverhältnistheoretischen Denkansatz kann zunächst einmal Kelsens Simplexitätsthese nicht gefolgt werden, nach der nur Rechtsverhältnisse zu der Rechtsordnung als einzigem Endpunkt bestehen können. I m Gegensatz hierzu ist von einer denkmöglich unbeschränkten Vielzahl von Rechtsverhältnissen m i t unterschiedlichsten Rechtssubjekten als Endpunkten auszugehen. Nur so kann die Komplexität der Rechtsordnung als eines Beziehungsgefüges von Rechtsverhältnissen eingefangen werden, nur so eine hochkomplexe Sozialstruktur auch rechtlich adäquat abgebildet werden. (2) Weiterhin ist davon auszugehen, daß Rechtsverhältnisse nur zwischen Subjekten bestehen — dies keineswegs eine ausschließlich m i t der organischen Staatstheorie verhaftete These7 — und nicht etwa zur Rechtsordnung als solcher. Von Kelsens späterer Identifizierung von 5

Ebd., S. 703. Ebd., S. 706. 7 Vgl. n u r das moderne Verständnis von Verwaltungsrechtsverhältnissen, w i e es etwa bei H.-U. Erichsen/W. Martens, Das Verwaltungshandeln, i n : dies. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., 1981, § 10 I I , S. 122 ff.; P. Häberle, Das Verwaltungsrechtsverhältnis, i n : ders., Die Verfassung des Pluralismus. Studien zur Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, 1980, S. 248 ff. (251, 264 f.); H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1982, § 8, RdNr. 16, 32; H. J. Wolf / O. Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., 1974, § 32 V a, S. 213 (allerdings unter zusätzlicher Anerkennung auch „sachenrechtlicher Rechtsbeziehungen") zutage t r i t t . 6

I I . Reine Rechtslehre u n d Rechtsverhältnistheorie

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Recht und Staat aus ließe sich insofern zwar ein Brückenschlag vornehmen, weil dann m i t der Rechtsordnung zugleich der Staat als Zurechnungssubjekt zur Verfügung stände. Nur ist dies eben noch nicht die Auffassung Kelsens i n den „Hauptproblemen". Denn wenn dort wie andere Rechtssubjekte auch der Staat der Rechtsordnung gegenübergestellt und zwischen i h m und ihr ein Rechtsverhältnis für möglich gehalten wird, kommt es zu keiner Identifizierung von Recht und Staat. bb) I n der „Reinen Rechtslehre", i n der dem Rechtsverhältnis ein eigener Abschnitt gewidmet ist 8 , findet sich zunächst die wichtige Äußerung, daß zwischenmenschliche Beziehungen als Rechtsverhältnisse, nämlich als durch Rechtsnormen konstituierte Verhältnisse, Objekte rechtlicher Erkenntnis sind. Kelsen begreift das Rechtsverhältnis nunmehr als Verhältnis zwischen zwei Subjekten, wenn auch nicht nur zwischen solchen, von denen das eine zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet ist und das andere dasjenige ist, demgegenüber diese Pflicht besteht, sondern auch zwischen einem solchen, das zur Normerzeugung, und einem solchen, das zur Normanwendung ermächtigt ist, sowie schließlich zwischen einem solchen, das zur Normerzeugung oder Normanwendung ermächtigt, und einem solchen, das durch diese Norm berechtigt oder verpflichtet ist®, wobei die „Raumfigur" der Gleichoder Uberordnung sich als entbehrlich erweise. Da i n der Rechte-Pflichten-Korrespondenz das „Reflexrecht" des einen m i t der Pflicht des anderen identisch sei — i m Grunde nur eine andere Perspektive darstelle —, brauche eine entsprechende Unterscheidung nicht vorgenommen zu werden. Um ein Rechtsverhältnis besonderer A r t handelt es sich nach Kelsen schließlich, wenn die Verpflichtung des einen Individuums gegenüber einem anderen i n einem von der Rechtsordnung bestimmten Zusammenhang m i t der Verpflichtung des anderen gegenüber dem einen steht, wie dies beim Kaufvertrag zutrifft. Dann bestehe das Rechtsverhältnis zwischen der Norm, die den Käufer, und derjenigen, die den Verkäufer verpflichtet, oder genauer zwischen dem durch die Rechtsordnung gebotenen Verhalten des einen und dem gleichfalls durch diese vorgeschriebenen des anderen 10 . Rechtsverhältnistheoretische Überlegungen stimmen m i t diesen Thesen insofern überein, als Kelsen nunmehr — anders als i n den „Hauptproblemen" — von der Simplexitätsthese zur Anerkennung der Komplexität der Rechtsordnung m i t einer solchen auch verschiedenartigster, an den Rechtsverhältnissen als Endpunkten beteiligter Subjekte fortgeschritten ist. Wiederum ergeben sich indessen einige Divergenzen: 8

H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 167 ff. Ebd., S. 168. 10 Ebd., S. 171 f. 9

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(1) Überbetont ist bei Kelsen die Rechte-Pflichten-Korrespondenz. Wie noch i m einzelnen auszuführen sein wird, gibt es in der Gegenüberstellung der Rechte und Pflichten beträchtliche Unterschiede, welche die Rechtsverhältnisse als asymmetrisch, symmetrisch oder disymmetrisch erscheinen lassen. Insofern ist es auch unzutreffend, synallagmatische Rechtsgeschäfte — wie den Kaufvertrag — als exzeptionell, als Rechtsverhältnisse „besonderer A r t " zu begreifen. (2) Unverständlich, geradezu mystisch erscheint es i m übrigen, wenn Kelsen i n diesem Fall von einem Rechtsverhältnis nicht nur zwischen den Vertragspartnern, sondern auch zwischen den diese verpflichtenden Normen und sogar zwischen ihren durch die Rechtsordnung gebotenen Verhaltensweisen spricht. Demgegenüber ist daran festzuhalten, daß Rechtsverhältnisse nur zwischen Subjekten — die freilich keine Individuen zu sein brauchen — bestehen können. Normen kommen als determinierende, Verhaltensweisen ausschließlich als determinierte Größen i n Betracht, scheiden als Endpunkte von Rechtsverhältnissen jedoch aus. cc) I n der „Allgemeinen Theorie der Normen" schließlich geht Kelsen — dem Gegenstand seiner Überlegungen entsprechend — auf das Rechtsverhältnis nicht mehr besonders ein, so daß insoweit keine kritische Auseinandersetzung möglich ist. 2. Rechtsverhältnistheorie

a) Die erhebliche Bedeutung, welche die Rechtsnorm auch i n rechtsverhältnistheoretischer Sicht besitzt, ergibt sich daraus, daß das Rechtsverhältnis als die „rechtsnormgestaltete Beziehung zwischen zwei oder mehreren Subjekten", als ein m i t Mitteln des Rechts geregeltes Sozialverhältnis zu definieren ist 11 . Unter den verschiedenen Gruppen von Normen — Rechtsnormen, Moralnormen, Sozialnormen — sind es gerade die Rechtsnormen, welche intersubjektive Beziehungen als Rechtsverhältnisse konstituieren. Dies ist nicht selbstverständlich — vor allem angesichts der massiven K r i t i k , die i m Anschluß an Karl Marx und seine Uberbaulehre von der sozialistischen Rechtstheorie an diesem Verständnis geübt wird. Hatte Marx formuliert: „Meine Untersuchung mündete in dem Ergebnis, daß Rechtsverhältnisse... weder aus sich selbst zu begreifen sind noch aus der sog. allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern vielmehr i n den materiellen Lebensverhältnissen w u r z e l n . . . 1 2 ", 11 Vgl. auch N. Achterberg, Rechtsverhältnisse als Strukturelemente der Rechtsordnung. Prolegomena zu einer Rechtsverhältnistheorie, Rechtstheorie 9 (1978), S. 385 ff. (394 f.), = ders., Theorie u n d Dogmatik des öffentlichen Rechts, 1980, S. 135 ff. (144 f.). 12 K. Marx, i n : K . M a r x / F . Engels, Werke (MEW), 1960 ff., Bd. 13, S. 8.

I I . Reine Rechtslehre u n d Rechtsverhältnistheorie

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so w i r d zwar die zentrale Bedeutung der Rechtsverhältnisse anerkannt, wenn etwa E. Pasukanis die Gesellschaft als eine „unendliche Kette von Rechtsverhältnissen", das Rechtsverhältnis als „Keimzelle des Rechtsgewebes" bezeichnet, doch t r i t t die Bedeutung der Normenordnung gänzlich zurück, wenn sie als „leblose Abstraktion" eingestuft w i r d und nicht die Norm, sondern das ökonomische Verhältnis als Erzeuger des Rechtsverhältnisses betrachtet w i r d 1 3 . I n diesem Sinne bemerkt etwa Ρ. Ο Chalfina, der seinen Ausdruck i n den Rechtsverhältnissen findende Wille werde durch die materiellen Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens bestimmt, ökonomische Voraussetzungen determinierten nicht nur die Existenz und den Inhalt des objektiven Rechts, sondern auch seine Realisierung i n konkreten Rechtsverhältnissen 14 , oder formuliert A. Rappoport, daß sich Produktionsverhältnis und Rechtsverhältnis wie die Materie zur Form verhielten, daß die Gesetzgebung nicht nach ihrem Belieben Rechtsverhältnisse schaffen könne, diese vielmehr nur die Formen der Produktionsverhältnisse darstellten, welche von der Wirtschaft bestimmt würden 1 5 . Demgegenüber ist m i t der Reinen Rechtslehre der Primat der Rechtsnorm anzuerkennen. Die Rechtsnorm konstituiert das Rechtsverhältnis, nicht jedoch ein metarechtlicher Vorgang. Anders ist es nicht zu erklären, daß es Sozialverhältnisse gibt, die ausschließlich i m Gesellschaftlichen verbleiben, ohne in die Sphäre des Rechtlichen hineinzuwachsen. Rechtsnormen schaffen und gestalten Rechtsverhältnisse. Daran ändert auch nichts, daß zu der heteronomen Determinante, welche die Rechtsnorm für das Rechtsverhältnis bedeutet, die autonome durch Willensentschluß der an dem jeweiligen Rechtsverhältnis Beteiligten hinzutreten kann. Denn auch i n einem solchen Fall besteht das Rechtsverhältnis nicht losgelöst von Rechtsnormen, sondern w i r d es durch solche zugelassen, schon als potentielles geschaffen, wenn auch erst durch Willensakte seiner Endsubjekte als aktuelles begründet — ganz abgesehen davon, daß Kelsen gerade in der „Allgemeinen Theorie der Normen" die Bedeutung des 13 E. Pasukanis, Allgemeine Rechtslehre u n d Marxismus, 3. Aufl., 1970 ( = Archiv sozialistischer L i t e r a t u r 3), S. 60. 14 P. O. Chalfina, Sootnosenija prava i ekonomika, i n : K a r l Marks ο gosudarstve i prave, 1968, S. 79, abgedr. auch bei: N. Reich (Hrsg.), Marxistische u n d sozialistische Rechtstheorie, 1972, S. 129 ff. (131, 133). 15 A. Rappoport, Die marxistische Rechtsauffassung, 1927, abgedr. auch bei: N. Reich, S. 143 ff. (160). Er f ü h r t dort aus: „Das Recht ist aber i n erster L i n i e nicht Rechtsverhältnis, nicht soziale Beziehung, sondern soziale Norm. Diese N o r m entsteht auf dem Boden bestimmter Produktionsverhältnisse" (wobei u n k l a r bleibt, was Produktionsverhältnisse anders sein sollen, als soziale Beziehungen) u n d fährt (S. 161) fort: „ A u s der Gesamtheit der zum B e w u ß t sein gekommenen spezifischen Produktionsverhältnisse i n der V e r k e h r s w i r t schaft entsteht . . . die Rechtsnorm. N u n kehrt sie zu den Produktionsverhältnissen zurück u n d gibt ihnen die Rechtsform; findet die N o r m eine soziale Beziehung, so fallen Produktionsverhältnis u n d Rechtsverhältnis zusammen . . . " .

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Willensaktes hervorgehoben hat: Die Rechtsnormen sind nicht i n einem von Willensentschlüssen unabhängigen Konkretisierungsablauf verbunden, sondern bedürfen jeweils eines Willensaktes, der sich zwischen die einzelnne Normstufen einschiebt 16 . Die Bedeutung der Rechtsnorm für das Rechtsverhältnis zeigt sich ferner i n ihrer Begrenzung auf ein solches oder auf eine Gruppe von solchen. Damit angesprochen ist das Problem der Normvalenz. Haben Rechtsnormen nur für ein bestimmtes Rechtsverhältnis Bedeutung — beispielsweise die Vorschriften über den Kaufvertrag für das sich als einen solchen darstellende Rechtsverhältnis zwischen den Vertragspartnern, die Grundrechtsnormen für das Rechtsverhältnis zwischen Staat und Staatsbürger bei mangelnder D r i t t w i r k u n g —, so besitzen sie monovalente Natur. Gelten Rechtsnormen dagegen für verschiedenartige Rechtsverhältnisse — wie die Grundrechtsnormen unter der Voraussetzung ihrer absoluten D r i t t w i r k u n g auch i m Privatrechtsverkehr —, so haben sie polyvalenten Charakter. Die Begrenzung der Normvalenz auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis oder auf bestimmte Rechtsverhältnisse bedeutet allerdings noch nicht notwendigerweise, daß die betreffende Norm nicht auch auf andere Rechtsverhältnisse anwendbar ist, nur bedarf es dann ihrer Erstreckung auf solche, indem sie i n diese transformiert werden 17 . Auch die Transformation aber läßt sich wiederum nur durch eine Rechtsnorm bewirken. b) Wenn die Rechtsordnung aus der Sicht der Rechtsverhältnistheorie als Rechtsverhältnisordnung erscheint, so ist damit die Bedeutung der Rechtsverhältnisse als Bausteine der Rechtsordnung bereits umrissen. Damit ist zugleich aber auch die Aufgabe gestellt, diese Rechtsordnung zu strukturieren und Unterscheidungsmerkmale der einzelnen Rechtsverhältnisse herauszuarbeiten. Solche sind i n verschiedener H i n sicht erkennbar: (1) Rechtsverhältnisse lassen sich zunächst nach den beteiligten Rechtssubjekten unterscheiden. Als solche kommen Organisationen, Organe und Unterorgane, aber auch Organisationsmitglieder — natürliche und juristische Personen — i n Betracht. (2) Nach der Zahl der Endpunkte von Rechtsverhältnissen lassen sich bipolare und multipolare ausdifferenzieren, also solche m i t je einem 16 H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 2, 24 ff. — K r i t i s c h hierzu vor allem O. Weinberg er, der S. 33 f. hierin eine Quelle der antinormenlogischen Einstellung Kelsens i n seinem Nachlaßwerk sieht (vgl. auch S. 36 ff., 44 f.). Hierauf läßt sich i n der Tat die bei ihm, S. 169, anzutreffende Bezeichnung einer neuen „irrationalistischen Reinen Rechtslehre" gründen, der er die (alte) Reine Rechtslehre als „logisierende Theorie" vorzieht. 17 N. Achterberg, Rechtstheorie 9 (1978), 407 f. = ders., Theorie u n d Dogmat i k des öffentlichen Rechts, S. 158 f.

I I I . Beziehung zwischen Rechtsnorm u n d Rechtsverhältnis

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Rechtssubjekt als Endpunkt, wie dies bei bilateralen Verträgen oder i m allgemeinen bei Verwaltungsakten zutrifft, sowie solche m i t mehreren Subjekten zumindest an einem Endpunkt, wie dies bei Gesetzen oder Verordnungen der Fall ist. (3) Nach den i n einem Rechtsverhältnis einander gegenüberstehenden Rechten und Pflichten sind asymmetrische, symmetrische, disymmetrische und möglicherweise auch polysymmetrische unterscheidbar. Disymmetrisch sind dabei die von Kelsen als „besondere" eingestuften Rechtsverhältnisse, i n denen dem einen Rechtssubjekt dem anderen gegenüber eine Pflicht obliegt, dem ein korrelierendes Recht entspricht, diesem anderen Rechtssubjekt zugleich und konnex aber eine Pflicht auferlegt ist, dessen Erfüllung wiederum das erste Rechtssubjekt verlangen kann. (4) Nach den zwischen mehreren Rechtsverhältnissen untereinander bestehenden „interrelationalen" Beziehungen lassen sich insbesondere vorläufige und endgültige, ableitende und abgeleitete, fortsetzende und fortgesetzte, vorausgehende und nachfolgende, vereinbare und widerstreitende Rechtsverhältnisse unterscheiden. I I I . Die Beziehungen zwischen Rechtsnorm und Rechtsverhältnis Die weiteren Ausführungen sollen sich auf die Beziehungen zwischen Rechtsnorm und Rechtsverhältnis erstrecken. Dabei w i r d sowohl Einflüssen der Rechtsnormen auf die Rechtsverhältnisse wie Einwirkungen der Rechtsverhältnisse auf die Rechtsnormen nachzugehen sein. 1. Die Feststellung, daß das Rechtsverhältnis ein m i t Mitteln des Rechts geregeltes Sozialverhältnis darstellt, erfordert zunächst die nähere Betrachtung der dieses gestaltenden Sozialnormen. Dabei ist davon auszugehen, daß der Rechts- und der Moralnormbereich von einem Sozialnormbereich umgeben werden 18 , der sich als solcher von Anforderungen an das gesellschaftliche Miteinander darstellt, die zugleich rechtlichen und/oder moralischen Erwartungen entsprechen können, aber — darüber hinausgehend — nicht zu brauchen. Sein und Sollen können — wie die Existenz von Sozialnormen erweist — nicht derartig voneinander abgegrenzt werden, daß das Sollen m i t dem Bestand an Rechtsund Moralnormen identifiziert und der gesamte metarechtliche und metamoralische Bereich i n das Sein verwiesen wird. Wie Rechtsnormen und Moralnormen als existierend auch dem Sein angehören, sind umgekehrt Sozialnormen Bestandteile einer übergreifenden Sollensordnung. 18

Dazu o. S. 33 f.

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Bei allem ist freilich einzuräumen, daß die Unterscheidung von Sozialnormen und „Kausalnormen" — diese von I. Kant „Imperative der Geschicklichkeit" genannt 10 — schwerer möglich ist als diejenige von Rechts- und Moralnormen einerseits sowie solchen — diese besser als Kausalvorgänge bezeichnet — andererseits. Kelsen versucht i n seiner „Allgemeinen Theorie der Normen", den Unterschied von Normativität und Kausalität auf denjenigen von Soll-Sätzen und Muß-Sätzen zurückzuführen. I n dem Satz „Wer eine metallische Kugel ausdehnen w i l l , muß sie erwärmen" drücke das „Müssen" eine kausale Notwendigkeit aus 20 . Die Beziehung zwischen M i t t e l und Zweck ist nach i h m diejenige zwischen einer Ursache und ihrer Wirkung, also eine Kausalbeziehung. „Die teleologische Notwendigkeit ist eine kausale Notwendigkeit, ein Müssen, kein S o l l e n . . . A u f die Frage ,Was soll ich tun', antwortet die Ethik, indem sie die Geltung einer bestimmten MoralNorm aussagt; auf die Frage: ,Was muß ich tun, u m einen bestimmten Zweck zu verwirklichen' antwortet die Technik, indem sie einen bestimmten Kausalzusammenhang aussagt" 21 . Kelsens Theorem kann indessen nur bedingt gefolgt werden. Nicht überzeugend ist i n i h m nämlich die Gegenüberstellung von Muß-Satz und Soll-Satz, die i m Grunde nur von semantischem Interesse ist, für die Zuordnung eines Satzes zum Bereich des Seins oder des Sollens dagegen unergiebig ist. Ob ein Satz als Soll- oder Mußvorschrift formuliert werden kann, ist hierfür unerheblich. I n beiden Fällen ist die Satzstruktur Imperativisch, so daß der Bereich des Sollens angesprochen ist. Die unterschiedliche Zuordnung läßt sich dagegen durch Anwendung des Wenn-Dann-Schemas zum Ausdruck bringen. Der Satz „wenn etwas ist, dann ist etwas" bringt das Kausalgeschehen zum Ausdruck: „Wenn ein Diebstahl begangen ist, dann greift die betreffende Strafrechtsnorm ein" — dem schon erwähnten Umstand entsprechend, daß Rechtsnormen als existierend auch der Seinssphäre angehören. Der Satz „Wenn etwas ist, dann soll etwas sein" bezieht sich dagegen auf die Sollenssphäre: „Wenn jemand einen Diebstahl begangen hat, soll er bestraft werden." Dabei bedeutet die Ist-Soll-Folge deswegen kein erlaubtes Hinüberwechseln vom Sein zum Sollen, w e i l die Gültigkeit dieses Satzes die Erfüllung einer Rahmenbedingung voraussetzt, nämlich die Existenz einer Rechtsnorm, die den Diebstahl unter Strafe stellt.

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I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2. Aufl., 1786, S. 92 f. Dazu H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 12. 20 H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 9. 21 Ebd., S. 9.

I I I . Beziehung zwischen Rechtsnorm u n d Rechtsverhältnis

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Nichts anderes gilt für die Sozialnorm. Der Satz „Wenn X schneller geht als Y, dann w i r d er ihn einholen" kann i n der Form des Müssens ausgedrückt werden — „Wenn X den Y einholen w i l l , dann muß er schneller gehen" —, nur darf dies nicht verdunkeln, daß es hierbei in Wirklichkeit um einen Soll-Satz geht, da die Sozialordnung durch eine entsprechende Sozialnorm dem X ein bestimmtes Verhalten vorschreibt, um auf ein solches des Y angemessen zu reagieren. Insofern handelt es sich nicht u m eine Aussage, sondern um einen Befehl. Kelsen selbst formuliert einprägsam: „Die Funktion der Aussage ist, einen anderen etwas wissen zu lassen, sein Wissen zu bereichern. Die Funktion der Norm ist es, einen anderen etwas wollen zu lassen, seinen W i l l e n . . . so zu bestimmen, daß sein durch sein Wollen verursachtes äußeres Verhalten der Norm entspricht 22 ." Nach allem gleichen sich Sozialnormen und Rechtsnormen darin, daß sie die Steuerung intersubjektiver Beziehungen vornehmen. Gerade deshalb ist es zur Abgrenzung der beiden Normenkategorien wichtig zu erkennen, daß es eben allein die Rechtsnormen sind, welche Sozialverhältnissen den Charakter von Rechtsverhältnissen geben und diese determinieren. 2. Der Überlegung wert erscheint weiterhin die Bedeutung des Stufenbaus der Rechtsnormen für die Rechtsverhältnisse. Sie w i r f t die Fragen auf, ob auch diese eine ähnliche Stufenfolge erkennen lassen und ob sich die eingangs genannte These von der Normenordnung als ordo ordinans et ordinata und der Relationenordnung lediglich als ordo ordinata erhärten läßt. Dazu ergibt sich i m einzelnen folgendes: Erstens: Der Stufenbau der Normenordnung vom Völkerrecht über das Verfassungsrecht — die Frage des Primats mag hier auf sich beruhen — 2 3 , das Gesetzesrecht, das Verordnungsrecht, das Verwaltungsaktsrecht, das Urteilsrecht bedeutet einen solchen nicht nur von Rechtserzeugungsstufen, sondern auch von Determinationsstufen. Beide Stufenfolgen betreffen allerdings zunächst die Normenordnung, wenn sie auch bereits die Vermutung begründen, daß die Stufen der determinierenden Normen solche der determinierten Rechtsverhältnisse nach sich ziehen. Und i n der Tat läßt sich erkennen, daß die Gesamtrechtsordnung aus einer Fülle neben-, aber auch ineinander gelagerter Teilrechtsordnungen besteht, deren jede für sich wiederum ein Beziehungsgefüge von Rechtsverhältnissen bildet. Sinnfällig ausdrücken läßt sich dies durch 22

Ebd., S. 131. Z u r Frage des Primats insb. H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 122 ff.; ders., Das Problem der Souveränität u n d die Theorie des Völkerrechts, 2. Aufl., 1928, S. 102 ff.; ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 328 ff. 23

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die Begriffe „intrasubjektive" und „intersubjektive Beziehungen". Rechtsverhältnisse zwischen zwei Staaten, wie sie i m völkerrechtlichen Vertrag zutage treten, Rechtsverhältnisse zwischen dem Staat und dem Staatsbürger, wie sie durch Gesetz oder durch Verwaltungsakt begründet werden, aber auch Rechtsverhältnisse zwischen den Staatsbürgern aufgrund privatrechtlichen Vertrags stellen intersubjektive Beziehungen dar — damit dem Begriff des Rechtsverhältnisses als einer solchen zumindest zwischen zwei Endsubjekten genügend. Zugleich sind sie in der Regel aber auch intrasubjektive Beziehungen, soweit sie nämlich innerhalb des Regelungsbereichs eines der beiden an dem Rechtsverhältnis Beteiligten oder eines anderen Rechtssubjekts bestehen. So gibt es Intraorganisations-Verhältnisse zwischen Organisation und Organisationsmitglied, Organisation und Organ, Organ und Organwalter — beispielsweise solche zwischen Staat und Staatsbürger oder zwischen Staatsbürgern —, ferner Intraorganverhältnisse zwischen Organ und Unterorgan oder Organ und Organwalter — beispielsweise solche zwischen Vorgesetztem und Beamtem. Die hierin zum Ausdruck kommende Vielfalt von neben- und ineinander lagernden Teilrechtsordnungen bewirkt eine Korrelation von Rechtsnormen und Rechtsverhältnissen dergestalt, daß bestimmte Normkategorien sich nur auf bestimmte Relationskategorien zu beziehen vermögen und umgekehrt. So kann die Verfassung eines Bundeslandes nur dessen Intraorganisations-Verhältnisse regeln, während es nicht möglich ist, i n i h r Pflichten eines anderen Bundeslandes zu begründen, so vermag die Geschäftsordnung eines Organs — beispielsweise diejenige des Parlaments — als „Innenrechtsnorm" nur die IntraorganVerhältnisse des Parlaments zu determinieren, während es beispielsweise nicht möglich ist, i n ihr die Herbeirufungsbefugnis des Parlaments gegenüber Regierungsmitgliedern zu statuieren. Gerade die K o r relation ist es i m übrigen, die jenseits des relationsbezogenen Wirkungsbereichs einer Rechtsnorm — der Normvalenz — die Erweiterung ihrer Beziehungsgeltung durch Transformation erforderlich macht. Zweitens: Der Stufenbau der Normenordnung umschließt auch die von Kelsen wie von Merkl herausgestellte Ambivalenz aller Rechtserzeugungsstufen, die sowohl Rechtsetzung als auch Rechtsanwendung bedeuten. Von ihr ausgenommen ist die hypothetische — von Kelsen nunmehr als „fingierte" bezeichnete 24 — Grundnorm, die den Normerzeu24 H. Kelsen, Die F u n k t i o n der Verfassung, i n : Verhandlungen des Zweiten österreichischen Juristentages, i n : Die Wiener rechts theoretische Schule, S. 1971 (1977); ders., Allgemeine Theorie der Normen, S. 206 f. Kritisch dazu J. Behrend, S. 79 ff.; O. Weinberger, S. 130 ff. — Z u r N a t u r der Grundnorm allein als Rechtsetzung N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 33; H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 240; A. Merkl, S. 173; ders., Prolegomena zu einer Theorie des rechtlichen Stufenbaues, i n : Gesellschaft, Staat

I I I . Beziehung zwischen Rechtsnorm und Rechtsverhältnis

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gungsprozeß in Gang setzt und selbst lediglich Rechtsetzung, dagegen nicht Rechtsanwendung darstellt — dies selbst dann nicht, wenn man m i t Kelsens letztgültiger, in der „Allgemeinen Theorie der Normen" zum Ausdruck gebrachten Ansicht davon ausgeht, daß es Moralnormen sein können, die eine Rechtsetzung bestimmten Inhalts vorzuschreiben vermögen 25 . Hat die hypothetische Grundnorm keine andere als die formale Aufgabe, den Rechtserzeugungsprozeß i n Gang zu setzen, so bedeutet die auf sie folgende, i m Stufenbau nächst tiefere Norm — die „zweite Norm" — i n formeller Hinsicht bereits Rechtsanwendung, nämlich Anwendung der Grundnorm, während sie selbst als erste inhaltserfüllt ist, m i t ihr also die materielle Rechtsetzung beginnt. Formelle und materielle Rechtsetzung sind m i t h i n phasenverschoben. Die materielle beginnt eine Stufe später als die formelle Rechtsetzung. U m diese Überlegungen sind m i t h i n Kelsens Erkenntnisse zum Normcharakter zu ergänzen. I h m ist i n vollem Umfang darin zuzustimmen, daß er die ermächtigende Norm deshalb als Blankett-Norm begreift, w e i l der bedingende Tatbestand und die bedingte Rechtsfolge i n ihr nicht materiell bestimmt sind, sondern diese nur eine Verweisung darauf enthält, daß die Bestimmung durch eine von dem ermächtigten Organ zu setzende Rechtsnorm erfolgt. Gleichwohl erkennt Kelsen i n den Rechtsnormen einen materiell-bedingenden Tatbestand und eine materiell-bedingte Rechtsfolge, wobei er diejenigen der ermächtigenden Norm gegenüber denjenigen der ermächtigten als „Leerformen" bezeichnen 26 . Man mag darüber streiten können, ob diese Bezeichnung geglückt ist — dies zumal, wenn man Tatbestand und Rechtsfolge der ermächtigten unter die der ermächtigenden Norm subsumieren können soll: Subsumtion unter eine Leere ist nicht vorstellbar. Gerneint ist aber auch etwas anderes: nämlich der höhere Abstraktionsgrad der ermächtigenden Norm, unter den die ermächtigte — als i m Konkretisierungsprozeß fortgeschrittene — subsumiert werden kann. Indessen mag dies auf sich beruhen. Hier ist nur festzustellen, daß die Grundnorm weder nach Tatbestand, noch nach Rechtsfolge materiell strukturiert ist, sondern lediglich die formelle Bedeutung der Initiierung des Rechtserzeugungsprozesses hat. Erst die infolge der jeder Rechtserzeugungsstufe zukommenden autonomen Determinante m i t Inhalt erfüllte zweite Norm besitzt einen materiell-bedingenden Tatbestand und eine materiell-bedingte Rechtsfolge und ist infolgedessen geeignet, i m Subsumtionsprozeß als Maßstabsnorm und zugleich — da materiell strukturiert — als Determinante von Rechtsverhältnissen zu dienen.

u n d Recht. Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre (Festschrift Hans K e l sen), 1931, S. 252 (269, 282). 25 H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 169. 28 Ebd., S. 210 f. 8*

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Der andere Endpunkt des Rechtserzeugungsprozesses, die „Endnorm" ist nicht „hypothetischer", sondern gleichsam „thetischer" Natur. Über sie läßt sich eine Reihe von Thesen aufstellen, die sie als eine der interessantesten Rechtserzeugungsstufen ausweisen: (1) Die Endnorm determiniert den nachfolgenden Zwangsakt unmittelbar. Sie vermittelt zugleich sämtliche vorausgehenden Determinanten und besitzt unter allen Rechtsnormen den höchsten Konkretisierungsgrad. (2) Während die Grundnorm nur Rechtsetzung, nicht aber Rechtsanwendung bedeutet, n i m m t die Endnorm an der Ambivalenz der Rechtserzeugungsstufen teil. Auch sie bedeutet Rechtsanwendung und zugleich Rechtsetzung, während der nachfolgende Zwangsakt nur noch Rechtsanwendung bildet. (3) Der Vollzug der Endnorm durch den Zwangsakt enthält keinen Befehl mehr, sondern führt nur einen solchen aus. Hieraus folgt, daß der Zwangsakt nicht mehr dem Sollen, sondern ausschließlich dem Sein zuzurechnen ist. (4) Was für den Zwangsakt als Anwendung der Endnorm gilt, t r i f f t m i t h i n aber auch für alle andere Normwendung zu: daß sie nämlich i n den Bereich des Seins gehört. Infolgedessen aber führt die A m b i valenz der Rechtserzeugung dazu, daß — wiederum außer der Grundnorm und außer dem Zwangsakt — jede Rechtserzeugungsstufe sowohl dem Sollen als auch dem Sein zuzurechnen ist. (5) M i t h i n stellen nicht nur das modal indifferente Substrat und die autonome Determinante Brücken zwischen Sein und Sollen dar — erstere eine erkenntnistheoretische, letztere eine praktische —, sondern i n jeder Rechtserzeugungsstufe ist durch die Ambivalenz von Rechtserzeugung und Rechtsanwendung zugleich diejenige von Sollen und Sein m i t angelegt. 3. Eben diese letzte These bedarf indessen noch der Vertiefung. Kelsens Lehre geht nämlich dahin, daß auch der Normadressat bei der Befolgung einer Norm sich i m Sollensbereich befindet. Die Zustimmung zu einem Befehl, der ein bestimmtes Verhalten vorschreibt, ist nach seiner Auffassung selbst ein solcher und zwar die Wiederholung des Befehls, dem zugestimmt w i r d und die von dem zustimmenden oder anerkennenden Subjekt an sich selbst gerichtet ist. M i t Kelsens eigenen Worten: „Da auch i m Falle eines an sich selbst gerichteten Befehls der Befehlsadressat dem Befehlsgeber als ein anderer, als sein alter ego, gegenüber steht, ist auch der Sinn des Willensaktes, m i t dem man an sich selbst einen Befehl richtet, das Sollen des eigenen Tuns und nicht das Tun, w i l l man, daß man das befohlene Tun soll, w i l l man nicht das Befohlene tun 2 7 ."

I I I . Beziehung zwischen Rechtsnorm u n d Rechtsverhältnis

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Der Hintergrund dieser These ist offenkundig: U m ein Hinüberwechseln des Sollens i n das Sein zu vermeiden, meint Kelsen, das Sollen i n die Person des Normadressaten gleichsam hineinverlängern zu müssen. Biologisch mag dies haltbar sein: indem nämlich der von außen kommende Befehl im menschlichen Gehirn empfangen und i n an andere Organe gerichtete Befehle umgesetzt wird. Selbst aus biologischer Sicht steht am Ende dieser Steuerungsvorgänge aber ein reiner Vollzugsakt, so daß es für das „Überwechseln" vom Sollen i n das Sein nichts ausmacht, ob die Befehlsstufen nur u m eine einzige weiter verlängert werden. I m übrigen geht es hier nicht u m biologische Abläufe, sondern um normative Steuerungen. I m juristischen Sinne aber stellt das Individuum ein Subjekt ohne Innendifferenzierung dar. Infolgedessen ist es nicht möglich, daß sich i n i h m selbst Rechtsverhältnisse entwickeln, wie sie zwischen Normgeber und Normadressatem anzutreffen sind; Imperator und Imperat — um i n Kelsens Terminologie zu sprechen 28 — fallen i n i h m vielmehr zusammen. Die Situation ist derjenigen vergleichbar, daß der Staat keine Grundrechte gegen sich selbst in A n spruch nehmen kann, w e i l sonst auf beiden Seiten des entsprechenden Rechtsverhältnisses dasselbe Endsubjekt stände 29 . Das aber widerspricht nach ganz allgemeiner Ansicht dem Wesen des Rechtsverhältnisses, dessen Endpunkte nicht identisch sein können. M i t h i n aber kann auch m i t der Konstruktion, daß der Befehlsempfänger sich selbst einen Befolgungsbefehl erteilt, das Verbleiben der Rechtsanwendung i m Sollensbereich nicht dargetan werden. 4. Die Bedeutung der Rechtsverhältnisse als Bestandteil der ordo ordinata läßt weiterhin ihre Zuordnung i m Bereich des Seins erkennen. Rechtsverhältnisse normieren nicht, sondern werden normiert. Sie werden durch Rechtsnormen geschaffen und ausgestaltet und nehmen insofern an dem gleichen Schicksal teil, das — i n Ansehung ihrer Eigenschaft als Rechtsanwendung — die jeweils nachgeordneten Rechtsnormen i m Rechtserzeugungsprozeß haben. Hieran ändert auch nichts, daß sich in Rechtsverhältnissen Rechte und Pflichten gegenüberstehen, denn auch sie werden durch Willensakte des Normgebers — sei es heteronom durch solche des Gesetzgebers, sei es autonom durch solche der Vertragspartner —, nicht aber durch die Rechtsverhältnisse als solche begründet, die ohne solche Willensakte vielmehr Sozialverhältnisse bleiben. Daß die i m Rechtsverhältnis einander gegenüberstehenden Rechte und Pflichten nicht dessen Wesensmerkmal sein können und auch nicht geeignet sind, seine Zuordnung i n den Bereich der Norm27

Ebd., S. 35. Ebd., S. 23. 29 Vgl. dazu n u r Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog / R. Scholz, Grundgesetz, 1981, A r t . 19 Abs. I I I RdNr. 31. 28

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Setzung zu bewirken, ergibt sich i m übrigen aus dem dargelegten höchst unterschiedlichen Ausmaß, i n dem solche anzutreffen sind. Steht i m asymmetrischen Rechtsverhältnis der Pflicht des einen Endsubjekts überhaupt kein Recht des anderen gegenüber — paßt auf diese Beziehung deshalb überhaupt eher der Begriff „PfliditVerhältnis" als „Rechtsverhältnis" und läßt sich die Bezeichnung „Rechtsverhältnis" i m Grunde nur insofern verwenden, als Rechte und Pflichten reziprok begriffen werden —, korrelieren demgegenüber i m symmetrischen Rechtsverhältnis Rechte und Pflichten, so ist eine Rechte-PflichtenVarianz der Rechtsverhältnisse erkennbar, die einmal mehr ihre Unabhängigkeit von der A r t und von dem Ausmaß der i n i n ihnen bestehenden Befugnisse erweist, ohne daß dadurch jedoch an ihrer Normunterworfenheit auch nur i m geringsten gerüttelt würde.

I V . Schlußbemerkung Hans Kelsens Lebenswerk war die Erforschung der Rechtsnormen. Sie hat ihn von den „Hauptproblemen der Staatsrechtslehre" — m i t dem Untertitel „entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze" — bis zur „Allgemeinen Theorie der Normen" beschäftigt und ihn, begünstigt durch die Gnade eines langen und wissenschaftlich fruchtbaren Lebens, zu Erkenntnissen geleitet, welche die Rechtstheorie und die Rechtswissenschaft unseres Jahrhunderts geprägt haben. Gleichwohl: Es erscheint anzuraten, die verbleibenden Jahre dieses Säkulums dafür zu nutzen, dem Rechtsverhältnis als dem anderen wichtigen Baustein der Rechtsordnung erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Neuere Entwicklungen in der Jurisprudenz scheinen bereits i n diese Richtung zu verlaufen 30 . I n der Tat ist die Zeit hierfür reif: Die von der modernen Gesellschaftsordnung an die Rechtsordnung gestellten Anforderungen haben den Blick dafür geschärft, daß neben die staatlichen Rechtsnormen sie ergänzende, weitere Regelungsformen treten — so etwa die zunehmende Bedeutung des Vertrags auch i m öffentlichen Recht —, welche die Komplexität der Rechtsordnung weiter vergrößern.

30 Dazu die Hinweise o. A n m . 7 u n d zusätzlich ζ. B. O. Bachof, Über einige Entwicklungstendenzen i m gegenwärtigen deutschen Verwaltungsrecht, i n : Staatsbürger u n d Staatsgewalt, 1963, Bd. I I , S. 3 (10); W. Henke, Die Rechtsformen der sozialen Sicherung u n d das Allgemeine Verwaltungsrecht, W D S t R L 28, 149 (156 ff.); ders., Die Lehre v o m Staat, Staat 12 (1973), 219 (235 f.); F. E. Schnapp, Sozialrecht u n d Verwaltungsrecht, SGb 79, 200 (202 ff.); ders., Dogmatische Überlegungen zu einer Theorie des Organisationsrechts, AöR 105 (1980), 243 (250 ff.); H.F. Zacher, Z u r Rechtsdogmatik sozialer U m verteilung, D Ö V 70, 3 (11 f.).

I V . Schlußbemerkung

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Insoweit ist der Rechtstheorie die Aufgabe gestellt, den Schritt über die Erfassung der Rechtsnorm hinaus zu t u n und sich dem Rechtsverhältnis als dem zweiten großen Baustein der Rechtsordnung zuzuwenden.

Sechster Teil

Die Bedeutung des Rechtsverhältnisses für die Grundrechtssubjektivität von Organisationen I. Vorbemerkung

Die Rechtsordnung ist eine Rechtsverhältnisordnung, die Erkenntnis von der Bedeutung der Rechtsverhältnisse — wenn nicht alles trügt — i m Steigen begriffen 1 . Die sich aus i h r ergebenden dogmatischen Perspektiven sind indessen noch nicht i m entferntesten eröffnet. Aus der Durchgestaltung der These von der Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung, ihrer Fruchtbarmachung als Deutungsschema für die verschiedensten Rechtsinstitutionen, müssen sich neuartige Einsichten für zahlreiche Probleme — das Verhältnis von Staat und Kirche, die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht, die Beziehungen zwischen Parlament und Regierung, die „ D r i t t w i r k u n g " der Grundrechte 2 , das „besondere Gewaltverhältnis" 3 , die Zulässigkeit von Insichprozessen, das Erfordernis von Inkompatibilitäten beispielsweise — gewinnen lassen. Statt der Deduktion soll in diesem Zusammenhang die Induktion versucht, die Bedeutung des Rechtsverhältnisses i n der Rechtsordnung am Beispiel der Grundrechtssubjektivität von Organi1 I n der neueren L i t e r a t u r betonten sie zunächst beispielsweise O. Bachof, Über einige Entwicklungstendenzen i m gegenwärtigen deutschen V e r w a l tungsrecht, i n : Staatsbürger u n d Staatsgewalt, Hrsg. K ü l z / Naumann, 1963, Bd. I I , S. 3 (10); ders., Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, V V D S t R L 30, 193 (231 f.), nach dem das Rechtsverhältnis i m Verwaltungsrecht jene zentrale Stellung einzunehmen verdient, die seit O. Mayer dem Verwaltungsakt zuerkannt w i r d (dazu auch noch die weit. Belege, S. 232 A n m . 172); W. Rüfner, Die Rechtsformen der sozialen Sicherung u n d das Allgemeine Verwaltungsrecht, W D S t R L 28, 187 [215 f.]). 2 Hierzu N. Achterberg, Schlußwort zu J. Schwabe, Verfassungswidrigkeit von Wettbewerbs verboten?, J Z 76, 440. 3 Dessen Fortbestand damit nicht das W o r t geredet werden soll: Spätestens seit BVerfGE 33, 1, dürfte vielmehr — zumal nach der Übertragung der dort f ü r das Strafgefangenenverhältnis vorgenommenen Deduktionen auf das Schulverhältnis (BVerfG, D Ö V 76, 50 [51]) — der Abschied v o m besonderen Gewaltverhältnis auch i n der J u d i k a t u r eingeläutet sein, nachdem die L i t e r a t u r (nur als Beispiel: W. Henke, Die Rechtsformen der sozialen Sicherung u n d das Allgemeine Verwaltungsrecht, W D S t R L 28, 149 [156 ff.], sowie insb. E.-W. Fuß, Personale Kontaktverhältnisse zwischen V e r w a l t u n g und Bürger. Z u m Abschied v o m besonderen Gewaltverhältnis, DÖV 72, 765) gegen diese I n s t i t u t i o n gleichfalls Widerstand leistet.

I I . Rechtslehre u n d Rechtsprechung

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sationen, überindividuellen Personeneinheiten m i t und ohne Rechtsfähigkeit 4 , aufgezeigt werden — eine Frage, die trotz reichhaltiger einschlägiger Literatur und Judikatur noch immer nicht als gelöst gelten kann.

I I . Die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen in Rechtslehre und Rechtsprechung 1. Historischer Bedingungsrahmen

A u f der Suche nach einer tragfähigen Grundlage für die Erörterung und Lösung eines wissenschaftlichen Problems pflegt man den Blick auf die geschichtliche Entwicklung zu lenken. Der Versuch, auch die Frage nach der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen derart anzugehen, muß indessen mißlingen. Keine deutsche Verfassung vor dem Grundgesetz kannte eine A r t . 19 Abs. 3 GG vergleichbare Vorschrift. Zwar waren schon i n verschiedenen frühkonstitutionellen Verfassungen Beschwerderechte von Korporationen vorgesehen 5, doch kann man ihnen keine Anerkennung der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen entnehmen. Deren Ableitung aus solchen Bestimmungen m i t der Hypostasierung, die Beschwerde habe sich auf Verfassungsverletzungen beziehen können, die auch Grundrechtsbeeinträchtigungen sein konnten, ist solange nicht schlüssig, wie nicht die Grundrechtssubjektivität j u r i stischer Personen materiell belegt ist — eine ausdrückliche Vorschrift hierüber enthielt jedoch keine der einschlägigen Verfassungen. A l l e i n aus der (formellen) Beschwerdebefugnis kann nicht auf den (materiellen) Anspruch geschlossen werden. Näher liegt es, das Beschwerderecht wegen Verfassungsverletzungen seinerseits als Grundrecht zu begreifen und aus seiner Einräumung für juristische Personen deren wenigstens partielle Grundrechtssubjektivität zu folgern. Sie läßt sich auch aus den Autonomierechten der Gemeinden ableiten, die diesen i m Verfassungsentwurf der Nationalversammlung als Grundrechte eingeräumt waren, wie aus der Gewährleistung des Kirchenguts i n verschiedenen Vor4 „Organisation" w i r d demnach i. S. von „rechtlicher Handlungseinheit" verstanden. Vgl. dazu H. J. Wolff /O. Bachof, Verwaltungsrecht I I , 4. Aufl., 1976, § 71 I a 3, S. 3, I I I , S. 6 ff. 5 Vgl. T i t e l V I I § 21 Abs. 1 (Bayerische) Verfassungs-Urkunde v. 26. 5.1818 (abgedr. bei E. R. Hub er, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 1961, S. 141; H.A. Zachariä, Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, 1855, S. 105); § 81 Verfassung des Großherzogthums Hessen v. 17.12. 1820 (abgedr. bei H.A. Zachariä, S. 401); A r t . 30 Verfassungsurkunde für den preußischen Staat v. 5.12.1848 (GS 375); A r t . 134 § 1 Revidirtes Staatsgrundgesetz f ü r das Großherzogthum Oldenburg v. 22.11.1852 (abgedr. bei F. Stoerk, Handbuch der Deutschen Verfassungen, 1884, S. 292) sowie § 159 Abs. 2 RVerfE 1849 (abgedr. bei E.R. Huber, S. 304). — Z u r geschichtlichen Entwicklung B K - A . v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 1 ff.

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6. Teil: Grundrechtssubjektivität v o n Organisationen

Schriften frühkonstitutioneller Verfassungen 8 . I n beiden Fällen handelte es sich u m Freiheitsrechte der Gemeinden und Kirchen. Darüber hinaus ist die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen aus den Verfassungen vor dem Grundgesetz nicht zu folgern, wenn sich auch zur Geltungszeit der Weimarer Reichsverfassung Ansätze einer wissenschaftlichen Diskussion dieser Frage dergestalt finden, daß das Petitionsrecht und das Eigentumsrecht juristischer Personen bejaht wurden, während die Geltung der übrigen Grundrechte insoweit umstritten war. Bejahte sie Ludwig Gebhard m i t der modern anmutenden Formulierung, man könne den Grundrechtsschutz juristischer Personen m i t Sitz i n Deutschland i m Zweifel nur ablehnen, wenn ein Grundrecht seinem Wesen nach allein für eine natürliche Person i n Betracht komme, so war Carl Schmitt zumindest bezüglich der Freiheit der Person, der Unverletzlichkeit der Wohnung, des Brief- und Postgeheimnisses, der Meinungsfreiheit, der Versammlungsfreiheit und der Vereinsfreiheit der Auffassung, diese ständen wegen ihres individualistischen Charakters sowie zur Verhinderung der Entwicklung zu einem Verbändestaat ausschließlich der physischen Einzelperson zu; sofern spezielle verfassungsrechtliche Gewährleistungen zugunsten bestimmter Verbände vorgenommen seien, trügen diese Privilegien-, nicht jedoch Grundrechtscharakter 7 . 6 Vgl. T i t e l I V § 9 Abs. 4 BayVerfassung v. 26.5.1818 (s. o. A n m . 5 ) ; § 20 Badische Verfassungsurkunde v. 22.8.1818 (abgedr. bei E. R. Huber, S. 157; H. A. Zachariä, S. 331) sowie W. Rüfner, Z u r Bedeutung u n d Tragweite des A r t . 19 Abs. 3 des Grundgesetzes, AöR 89 (1964), 261 (263); W.W. Schmidt, Grundrechte u n d Nationalität juristischer Personen, 1966, S. 18 f. 7 L. Gebhard, Die Verfassung des Deutschen Reichs v o m 11. August 1919, 1932, Vorbem. A r t . 109—118 A n m . 6 a (wobei er als Beispiel eines n u r einer natürlichen Person zustehenden Freiheitsrechts A r t . 114 R V 19 [Persönliche Freiheit] erwähnt); C. Schmitt, I n h a l t u n d Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung, i n : Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Hrsg. A n schütz / Thoma, 2. Bd., 1932, S. 572 (594); ders., Verfassungslehre, 1928, S. 173, nach dem der Staat als „geschlossene politische Einheit" keinen gleichberechtigten öffentlidi-rechtlichen Status anerkennen kann. Die hierbei anklingende Souveränitätsproblematik — Grundrechte als Beschränkung der Souveränität des Staats — entsteht indessen gleichermaßen bei Grundrechten natürlicher Personen, so daß sie als E i n w a n d gegen die Grundrechtssubjektivität von Organisationen ungeeignet ist. I m übrigen kann man die Selbsteinräumung von Grundrechten durch den Staat schwerlich als Souveränitätseinbuße deuten. Die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen bejahte auch F. Giese, Die Reichsverfassung v o m 11. August 1919, 7. Aufl., 1926, Vorbem. A r t . 109 A n m . I I 3 (unter Hinweis auf das Beispiel der den Gemeinden u n d Gemeindeverbänden als Grundrecht zuerkannten Selbstverwaltung, A r t . 127 R V 19 [daß die N a t u r dieser Vorschrift als Grundrechtsgewährung allerdings u m stritten war, sei dabei n u r nebenbei bemerkt: so sah beispielsweise G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs v o m 11. August 1919, 14. Aufl., 1933, A r t . 127 A n m . 1, i n i h r — freilich zu eng — überhaupt n u r eine K o n k r e tisierung des Gesetzmäßigkeitsprinzips]).

I I . Rechtslehre u n d Rechtsprechung

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Der historische Befund nötigt m i t h i n dazu, die Exegese des A r t . 19 Abs. 3 GG ohne Absicherung durch seine historische Interpretation zu unternehmen. 2. Dogmatischer Bedingungsrahmen

Nach A r t . 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Schon auf den ersten Blick löst diese Vorschrift Auslegungsprobleme aus: Sollen ausländische juristische Personen ausgeklammert sein? M i t anderen Worten: Handelt es sich um ein „beredtes" Schweigen oder u m eine durch Rechtsgewinnung ausfüllbare Gesetzeslücke, und ist bei dieser der Umkehrschluß oder die Analogie nahegelegt? Sind m i t dem Begriff „juristische Personen" solche des bürgerlichen wie des öffentlichen Rechts gleichermaßen gemeint, und wie steht es m i t sonstigen überindividuellen Personeneinheiten? Welche Grundrechte besitzen ein derartiges Wesen, daß sie auch auf juristische Personen anwendbar sind? Rechtslehre und Rechtsprechung haben immer wieder hierauf Antworten zu geben. Das Resultat jedoch ist desolat.

versucht,

a) Rechtslehre Die wissenschaftliche Diskussion um die Reichweite des A r t . 19 Abs. 3 GG ist i m wesentlichen durch die Erörterung der Frage gekennzeichnet, ob die ursprünglich personal bestimmten Grundrechte nur von juristischen Personen m i t personalem Substrat i n Anspruch genommen werden dürfen. Dieser „Durchgriffstheorie" 8 steht die Antithese gegenüber, durch Erstreckung der Grundrechte auf juristische Personen habe der Verfassunggeber zugleich die rechtliche Verselbständigung überindividueller Rechtsträger als Zuordnungssubjekte der Grundrechte zum Ausdruck gebracht 9 . I n der Tat lassen sich für beide Theoreme 10 beachtliche Argumente vortragen: 8

Insb. vertreten von G. Dürig, Die Geltung der Grundrechte für den Staatsfiskus u n d sonstige Fiskalate, BayVBl. 59, 201 (202); Th. Maurizi G. Dürig / R. Herzog / R. Scholz, Grundgesetz, 1981, A r t . 19 Abs. I I I RdNr. 1 ff. — Zur — nicht auf juristische Personen des öffentlichen Rechts beschränkten — Durchgriffslehre umfassend R. Serick, Rechtsform u n d Realität j u ristischer Personen. E i n rechtsvergleichender Beitrag zur Frage des Durchgriffs auf die Personen oder Gegenstände hinter der juristischen Person, 1955, passim, u n d zu diesem W. Müller-Freienfels, Z u r Lehre v o m sogenannten „Durchgriff" bei juristischen Personen i m Privatrecht, AcP 156, 522. K r i t i k an der Durchgriffslehre insb. bei B K - A . v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 30 ff., der die Anwendbarkeit dieser Theorie auf den F a l l des Formenmißbrauchs beschränken w i l l (RdNr. 33). 9 So etwa R. Serick, insb. S. 24, 93, 110, 213, unter ausdrücklicher Ablehnung der Durchgriffstheorie, auch B K - A . v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 18, 19. Das überindividuelle Verständnis der Grundrechtssubjektivität entspricht der

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6. Teil: Grundrechtssubjektivität von Organisationen

aa) F ü r die Durchgriffstheorie l ä ß t sich a n f ü h r e n , daß das W e r t s y s t e m d e r G r u n d r e c h t e d e m Schutz d e r p e r s o n a l e n W ü r d e u n d F r e i h e i t des I n d i v i d u u m s d i e n t . D u r c h d i e a n d e r Spitze des G r u n d r e c h t s k a t a l o g s s t e h e n d e n A r t . 1 u n d 2 G G h a t d e r Verfassunggeber a l l e r d i n g s eine G r u n d e n t s c h e i d u n g g e t r o f f e n , d i e das Individuum in den Mittelpunkt des Grundrechtssystems r ü c k t — u n d dies auch durchaus i n E i n k l a n g m i t d e r h i s t o r i s c h e n E n t w i c k l u n g d e r G r u n d r e c h t e als Menschenrechte 1 1 . D e m g e m ä ß g e h t d i e D u r c h g r i f f s t h e o r i e d a v o n aus, daß G r u n d r e c h t s t r ä g e r i m e i g e n t l i c h e n S i n n e n u r n a t ü r l i c h e Personen sein k ö n n ten, j u r i s t i s c h e i h n e n n i c h t gleichgesetzt w e r d e n d ü r f t e n . Das B u n d e s verfassungsgericht h a t sich diese A u f f a s s u n g zu eigen g e m a c h t 1 2 u n d v e r n e i n t v o n diesem A n s a t z aus die A n w e n d b a r k e i t d e r G r u n d r e c h t e a u f j u r i s t i s c h e P e r s o n e n des ö f f e n t l i c h e n Rechts, s o w e i t diese ö f f e n t l i c h e A u f g a b e n e r f ü l l e n — es sei denn, d e r b e t r e f f e n d e Rechtsträger sei ger a d e d e m u n m i t t e l b a r d u r c h e i n G r u n d r e c h t geschützten Lebensbereich zugeordnet. D i e D u r c h g r i f f s t h e o r i e b a s i e r t m i t h i n a u f der Prämisse, daß d e r sicherlich i n d i v i d u e l l e A u s g a n g s p u n k t d e r G r u n d r e c h t s g e l t u n g abschließ e n d i s t — w o m i t i h m e i n überpositiver, gleichsam n a t u r r e c h t l i c h e r verbreiteten sozialwissenschaftlichen Erkenntnis, daß kollektives Handeln nicht die Summe individuellen Handelns darstellt (wovon bemerkenswerterweise auch Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog / R. Scholz, A r t . 19 Abs. I I I RdNr. 4, ausgehen, ohne darin jedoch einen Widerspruch zur Durchgriffslehre zu erblicken). M i t Recht bemerkt i m übrigen W. Müller-Freienfels, A c P 156, 523, daß bei der hier i n Rede stehenden Frage noch weniger als sonst n u r dogmatisch gearbeitet werden darf, sondern die Probleme gleichzeitig von der Rechtstheorie, der Rechtssoziologie u n d der Rechtspolitik gestellt werden müssen. Gerade dies ist die Legitimationsbasis dafür, i n den theoretischen Bezugsrahmen auch meta juristische Ansätze aufzunehmen. 10 M i t der Durchgriffslehre nicht verwechselt werden darf die These W. Rupp-v. Brünnecks, Z u r Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, i n : Festschrift f ü r A d o l f A r n d t , 1969, S. 349 (361), die Ausdehnung des Grundrechtsschutzes hänge von der S t r u k t u r und F u n k t i o n der jeweiligen juristischen Person u n d dem „sich daraus ergebende[n] Bezug zum Freiheitsraum der natürlichen Person ab." Daß diese „Bezugslehre" sich von der Durchgriffstheorie insofern prinzipiell unterscheidet, als sie nicht auf das personale Substrat der juristischen Person abstellt, hebt die Verf., S. 358 f., 363, selbst hervor. I m Ergebnis ähnlich w i e W. Rupp-v. Brünneck auch K.-A. Bettermann, Juristische Personen des öffentlichen Rechts als Grundrechtsträger, N J W 69, 1321 (1324 zu 4). 11 Dies gilt sowohl dann, w e n n man als „ U r - G r u n d r e c h t " (M. Kriele) den Schutz vor w i l l k ü r l i c h e r Verhaftung gemäß der magna Charta l i b e r t a t u m betrachtet, als auch w e n n man i n i h m die Religionsfreiheit (i. S. der Glaubensfreiheit, w e n n auch nicht i n demjenigen der auch Religionsgesellschaften zustehenden Religionsausübungsfreiheit) sieht. Ausführlicher hierzu M. Kriele, Einführung i n die Staatslehre, 1975, § 38, S. 151 ff.; G. Oestreich, Die E n t w i c k lung der Menschenrechte u n d Grundfreiheiten, i n : Die Grundrechte, 1. Bd., 1. Halbbd., Hrsg. Bettermann / Neumann / Nipperdey, 1966, S. 1 (insb. 9 f., 18). 12 BVerfGE 21, 362 (369).

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Rang beigemessen wird 1 3 . Geschieht dies nicht, so muß aus dem positiven Normengefüge eine A n t w o r t auf die aufgeworfene Frage gesucht werden, und hier ist A r t . 19 Abs. 3 GG nun allerdings kein Anhalt für die Restriktion auf juristische Personen m i t personalem Substrat zu entnehmen. Ebenso wenig läßt sich aus i h m folgern, juristische Personen besäßen ausschließlich treuhänderische oder abgeleitete Grundrechtssubjektivität, so daß aus diesem Grunde ein personales Substrat erforderlich sei. bb) Auf der Grundlage derartiger Bedenken ist der Durchgriffslehre die These entgegengestellt worden, für die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen komme es nicht darauf an, ob diese ein personales Substrat haben; sie bestehe vielmehr nur dann nicht, wenn sie m i t dem generellen Zweck aller Grundrechte — Gewährleistung und Schutz einer abgegrenzten subjektiven Rechtssphäre gegenüber staatlichem Verhalten — sowie dem Inhalt des Schutzbereichs der jeweils in Betracht kommenden einzelnen Grundrechtsnorm unvereinbar sei; hierfür entscheidend sei eine „grundrechtstypische Gefährdungslage" 14. Es müßten nicht nur Kompetenzen, sondern subjektiv einander zugeordnete Rechtssphären zu schützen sein, wie dies i n den Rechtsverhältnissen des Außenbereichs, nicht dagegen i n denjenigen des Innenbereichs m i t lediglich organisationsrechtlichen Wahrnehmungszuständigkeiten zutreffe. I n der Tat trägt diese Konzeption den Bedenken gegen die verfassungsmäßig nicht gesicherte Restriktion des Art. 19 Abs. 3 GG auf juristische Personen m i t personalem Substrat Rechnung 15 . Die Deduktion enthält jedoch solange noch Argumentationslücken, wie nicht dargelegt ist, welche Rechtsverhältnisse — über die zu pauschale Unterteilung in Außen- und Innenrechtsverhältnisse hinaus — zu unterscheiden sind, nachgewiesen ist, daß trotz der Voraussetzung der Rechtsfähigkeit für das Eingehen von Rechtsverhältnissen umgekehrt von diesen die Grundrechtssubjektivität abzuhängen 13 Damit soll über die Möglichkeit der Existenz vorstaatlicher Grundrechte (hierzu ζ. Β . H. v. Mangoldt / F. Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. I, 1966, Vorbem. Grundrechte Β I V , S. 93 ff.) nichts ausgesagt sein. Hier k o m m t es lediglich darauf an, daß — sollte es einen Kreis solcher G r u n d rechte geben — dieser nicht erschöpfend ist — eine These, die — soweit ersichtlich — i n der Staatsrechtslehre auch nicht angezweifelt w i r d . 14 B K - A . v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 114, der sich hierfür auf F. Klein, Gleichheitssatz und föderative S t r u k t u r der Bundesrepublik Deutschland, i n Öffentliches Recht und Politik, Festschrift für Hans Ulrich Scupin, 1973, S. 165 (168); Th. Maunz / B. Schmidt-Bleibtreu / F. Klein / G. Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 1970, RdNr. 31; F.E. Schnapp, Gemeinden als Grundrechtsträger, Städtetag 69, 534 (538); H. Bethge, Nochmals: Gemeinden als Grundrechtsträger, Städtetag 70, 66 (69), beruft. 15 So t r i t t bei Kapitalgesellschaften das personale Substrat eindeutig hinter die kapitalmäßige Beteiligung zurück, wie H. v. Mangoldt schon i m Parlamentarischen Rat hervorhob, K.-B. v. Doemming / R. W. Füßlein / W. Matz, Entstehungsgeschichte der A r t i k e l des Grundgesetzes, JöR 1, 180 f.

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vermag, plausibel gemacht ist, i n welchen der verschiedenen Rechtsverhältnisse die Grundrechtssubjektivität überindividueller Personeneinheiten möglich ist 18 . Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, bleibt die Bezugnahme auf die „grundrechtstypische Gefährdungslage" eine tautologieähnliche Leerformel. cc) Nach dieser Offenlegung des dogmatischen Bezugsrahmens seien die vom Boden beider einander gegenüberstehenden Lehrmeinungen für die wichtigsten Typen der juristischen Personen (sowie anhangweise auch sonstiger überindividueller Personeneinheiten) gezogenen Konsequenzen dargelegt. (1) Juristische Personen des Privatrechts sind nach überwiegender Auffassung nur grundrechtsfähig, wenn sie ihren Sitz i m Inland haben. Diese Begrenzung entspricht der Beschränkung der Grundrechtssubjektivität verschiedener Grundrechte auf die Deutschen. Diejenige auf inländische juristische Personen begrenzt die durch das jeweilige Grundrecht eingeräumte Grundrechtssubjektivität m i t h i n nur, aber auch immer dann, wenn es sich bei dem betreffenden Grundrecht um ein „Menschenrecht" i m Sinne der Grundrechtssubjektivität 1 7 handelt 18 . Die Bezugnahme auf das Wesen des jeweiligen Grundrechts hat weiterhin zu einer Typologie der Grundrechte danach geführt, ob sie zweifelsfrei anwendbar oder zweifelsfrei nicht anwendbar oder aber zweifelhaft anwendbar sind 19 . Diese Einteilung erweist sich indessen als zu pauschal: Bei der Zuerkennung des Grundrechts auf freie Religionsausübung beispielsweise steht der Gedanke i m Vordergrund, daß 16

I m einzelnen dazu u. I I I . Z u den Begriffen Menschenrecht i. S. der Grundrechtsqualität u n d der Grundrechtssubjektivität H. v. Mangoldt / F. Klein, Vorbem. Grundrechte Β V 1, S. 97 f. 18 Die Erstreckung der Grundrechtssubjektivität auf ausländische j u r i s t i sche Personen ist insb. von Κ . M. Meessen, Ausländische juristische Personen als Träger von Grundrechten, JZ 70, 602 (bejahend n u r bezüglich A r t . 17, 19 Abs. 4, 101 ff. GG); H. Messen, Der Schutz der Grundrechte ausländischer juristischer Personen, N J W 68, 1017; E.-H. Ritter, Der Grundrechtsschutz ausländischer juristischer Personen, N J W 64, 279, diskutiert worden. Dabei steht rechtsdogmatisch zutreffend die Frage i m Vordergrund, ob das Grundgesetz insoweit eine Lücke enthält. (Unrichtig allerdings Κ . M. Meessen, J Z 70, 602, der die „ W a h l zwischen Umkehrschluß u n d Annahme einer Lücke i n der Verfassung" erörtert. Die Rechtsgewinnung durch Schlußfolgerung setzt stets eine Gesetzeslücke voraus, u n d erst dann eröffnet sich die Wahlmöglichkeit zwischen Analogie u n d Umkehrschluß. Richtig daher S. Maser, Die Geltung der Grundrechte f ü r juristische Personen u n d teilrechtsfähige Verbände, Diss. Bonn 1964, S. 178). Daß die Erstreckung des A r t . 19 Abs. 3 GG auf ausländische juristische Personen nicht i m Wege der Interpretation möglich ist (H. Niessen, N J W 68, 1018), dürfte unbestritten sein. 17

19 Vgl. dazu Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog / R. Scholz, A r t . 19 Abs. I I I RdNr. 52—54 m. A n m . 1; aber auch S. Maser, S. 34 ff.; W. Rüfner, AöR 89 (1964), 280 ff. Dazu ferner die Rechtsprechungsübersicht u. A n m . 43.

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hiervon die Religionsgesellschaften betroffen sind, die i m Schutzbereich dieses Grundrechts stehen, während es schwerlich einleuchten w i l l , daß auch eine m i t der Fabrikation von Textilerzeugnissen befaßte Aktiengesellschaft sich auf dieses Grundrecht soll berufen können. M i t h i n ist eine Verfeinerung der Typologie unumgänglich, wofür i n der Rechtslehre vorgeschlagen worden ist, außer auf das Wesen des Grundrechts auch auf dasjenige der jeweiligen juristischen Person abzustellen, die Wesenhaftigkeit m i t h i n zweifach zu prüfen 20 . Auch dies führt jedoch nicht zu einer befriedigenden Lösung: Die A n t w o r t auf die Frage, ob einer juristischen Person die Pressefreiheit zusteht, hängt nicht davon ab, ob diese die Rechtsnatur einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft m i t beschränkter Haftung hat, sondern allein davon, ab ihr A u f gabengebiet i m Pressewesen liegt. Z u einer insoweit sachgerechten Abgrenzung kommt man jedoch dann, wenn man auf die immanenten Schranken 21 der einzelnen Grundrechte abhebt: Ergibt sich die Schranke der Glaubensfreiheit aus dem Begriff des Glaubens, diejenige der Berufsfreiheit aus dem des Berufs, so ist die Berufung auf diese Grundrechte schon durch den begrifflichen Umfang der i n ihnen enthaltenen Schutzgüter begrenzt. Beruft sich eine juristische Person auf ein Grundrecht, so zeigt dies bereits an, daß es auf sie anwendbar sein kann — und mehr als diese Behauptung ist für die Zulässigkeit der individualen Verfassungsbeschwerde nach § 90 Abs. 1 BVerfGG nicht erforderlich. Alles Weitere ist der materiellen Beurteilung zu überlassen. Ob das Grundrecht der juristischen Person zusteht und verletzt ist, ergibt sich aus der Subsumtion des jeweiligen Sachverhalts unter die jeweilige Grundrechtsnorm unter Beachtung ihrer immanenten Schranken. Einer darüber hinausgehenden Prüfung des „Wesens" des Grundrechts bedarf es nicht; Art. 19 Abs. 3 GG läuft insoweit vielmehr leer. I h m kann auch nicht der Sinn beigemessen werden, daß es statt auf den Inhalt des jeweiligen Grundrechts auf die „gemeinsamen Funktionen aller Grundrechte" 22 i n dem 20 So W. Rüfner, AöR 89 [1964] 266 f., unter Bezugnahme auf C. Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 231; vgl. dazu auch noch B K - A . v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 15 m. weit. Hinweisen. W. Rüfners Argumentation steht der i m folgenden vorgenommenen nicht allzu fern: Er hebt zur Begründung der These, es sei das Wesen auch der jeweiligen juristischen Person zu berücksichtigen, auf deren mögliche Teilrechtsfähigkeit ab (dies A n m . 21 unter Bezugnahme auf O. Bachof, Teilrechtsfähige Verbände des öffentlichen Rechts, AöR 83 [1958], 208 ff., u n d F. Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, 1963, S. 82 ff., 103, 108). Unberücksichtigt bleibt dabei jedoch noch, daß der Umfang der Rechtsfähigkeit der juristischen Person nicht abstrakt beu r t e i l t werden kann, sondern — w i e i m folgenden dargelegt — eine Resultante des Rechtsverhältnisses ist, i n dem diese als Rechtssubjekt auftritt. 21 Z u m Begriff der immanenten Grundrechtsschranke u n d zu ihrer Stellung innerhalb der Schrankensystematik H. v. Mangoldt / F. Klein, Vorbem. Grundrechte Β X V 2, S. 123 ff. 22 So aber B K - A . v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 37.

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zuvor erwähnten Sinne hinweisen wolle. Die von A r t . 19 Abs. 3 GG bezweckte Differenzierung ergibt sich durch Bezugnahme auf das jeweilige einzelne Grundrecht; das „Gesamtsystem" der Grundrechte ist hierfür demgegenüber — wie noch darzulegen sein w i r d — unergiebig. Die Durchgriffstheorie und die gekennzeichnete entgegengesetzte Lehre — die i m folgenden wegen ihrer hinsichtlich der Grundrechtssubjektivität ohne Ansehung der Durchgriffsmöglichkeit vorgenommene Gleichsetzung juristischer und natürlicher Personen als „Gleichsetzungstheorie" bezeichnet sei — unterscheiden sich hinsichtlich juristischer Personen des Privatrechts insofern, als die erste nur solche m i t personalem Substrat für grundrechtsfähig hält und beispielsweise Stiftungen aus diesem Grunde von der Grundrechtssubjektivität ausnimmt. Umwege dergestalt, daß auf den Willen der Stifterpersönlichkeit, auf die Destinatäre oder auf den Stiftungsvorstand — ein Organ also — abgestellt wird, um die Personalität des Substrats zu retten, werden m i t Recht als nicht gangbar abgelehnt 23 . Demgegenüber führen beide Theorien hinsichtlich jener Grundrechte, deren Anwendbarkeit auf j u r i stische Personen als zweifelsfrei bezeichnet wird, zu keinen unterschiedlichen Ergebnissen: Ob die Anwendbarkeit der Bekenntnisfreiheit auf juristische Personen deshalb bejaht wird, w e i l auf die hinter diesen stehenden natürlichen Personen durchgegriffen werden kann, oder ob eine solche Durchgriffsmöglichkeit für unerheblich gehalten wird, macht i m Ergebnis keinen Unterschied. (2) Hinsichtlich juristischer Personen des öffentlichen Rechts w i r d üblicherweise danach untergliedert, ob diese i m hoheitlichen oder i m nichthoheitlichen (fiskalischen) Bereich tätig werden. Zwar macht der Wortlaut des A r t . 19 Abs. 3 GG weder einen Unterschied zwischen juristischen Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts noch einen solchen zwischen hoheitlicher und fiskalischer Bestätigung, doch besteht weithin Unbehagen insbesondere gegenüber der Vorstellung, daß die gegen den Hoheitsträger Staat gerichteten Grundrechte selbst Hoheitsträgern zustehen könnten (Konfusionsargument) 24. (a) Uberwiegend einig ist man sich dabei, daß der Staat selbst nicht grundrechtsfähig ist. Die Begründung hierfür nennt es eine „etatistische 23 Vgl. hierzu B K - A . v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 64, entgegen M. Oechsle, Z u r wesensmäßigen A n w e n d u n g der Grundrechte auf juristische Personen des Zivilrechts, Diss. Tübingen 1960, S. 103: Stifterpersönlichkeit; C. Meurer, Die Juristischen Personen nach Deutschem Reichsrecht, 1901, S. 22 ff.: Destinatäre; 5. Maser, S. 20 f.: Stiftungsvorstand. 24 Die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen des öffentlichen Rechts k a n n entgegen E.-W. Fuß, Grundrechtsgeltung für Hoheitsträger?, DVB1. 58, 739 (741 ff.), jedenfalls nicht allein von der Kompetenzverteilung her beurteilt werden: Grundrechtsverletzungen brauchen nicht notwendigerweise auch Kompetenzüberschreitungen zu sein.

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Ironie" 25, wolle man den Staat zugleich als Adressaten und als Subjekt der Grundrechte betrachten. Die naheliegende prozessuale Parallele des Insich-Prozesses kann deshalb nicht gezogen werden, weil es nicht u m gegeneinander gerichtete Ansprüche von staatlichen Behörden, sondern u m den Staat selbst geht. Nicht verschiedene Organe derselben Organisation, sondern die Organisation selbst stände sich als Berechtigter und Verpflichteter gegenüber. Das ist eine Situation, die der des Insich-Prozesses nicht mehr vergleichbar ist — ganz abgesehen davon, daß die überwiegende Meinung bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben auch ihn nicht für zulässig hält. Und dennoch: Die Möglichkeiten der Führung von Organstreiten, der verfassungsgerichtlichen Behandlung von Streitigkeiten aus dem Bund-Länder-Verhältnis, der Erhebung kommunaler Verfassungsbeschwerden, der Klagen von Selbstverwaltungskörperschaften gegen Aufsichtsbehörden erweisen, daß es von dem Gesetzgeber selbst abhängt, ob und inwieweit er jener „etatistischen Ironie" zu huldigen bereit ist — eine Frage, die letztlich damit zusammenhängt, welche innerstaatlichen Rechtsverhältnisse derartig ausgestaltet sind, daß i n ihnen Grundrechtssubjektivität angenommen werden kann. Hierauf w i r d zurückzukommen sein 26 . M i t der Grundrechtssubjektivität des Staats w i r d zugleich überwiegend diejenige der Staaten im Bundesstaat abgelehnt 27 . Das föderative Zuordnungsverhältnis sei ein System von Kompetenzen, nicht aber ein solches gegeneinanderwirkender Grundrechte. Das Wesen des Bundesstaats bestehe nicht i m Kampf der Gliedstaaten gegen den Zentralstaat oder umgekehrt, auch nicht i n einem solchen der Gliedstaaten untereinander, sondern i n deren Zusammenführung zu gemein25 Th. Maunz/G. Dürig / R. Herzog / R. Scholz, A r t . 19 Abs. I I I RdNr. 31; ähnlich schon G. Dürig, BayVBl. 73, 201. Die „Schneidigkeit" dieser These (die sich Dürig nach dem von i h m selbst, Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog / R. Scholz, A r t . 3 Abs. I RdNr. 506, [gegenüber J. Schwabe] i n anderem Zusammenhang erhobenen V o r w u r f entgegenhalten lassen muß) erweckt schon bei E. Forsthoff, Die öffentliche Körperschaft i m Bundesstaat, 1931, S. 107 f., Bedenken. A u f dem Boden der h. M. auch S. Maser, S. 90 ff. M i t Recht kritisch demgegenüber insb. K . - A . Bettermann, N J W 69, 1323 ( „ . . . die Konfusionslehre ist eben konfus"); H. v. Olshausen, Zur Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen des öffentlichen Rechts, Diss. M a r b u r g 1969, S. 82. s. dazu auch u. I I I 2 b. 26 Kritisch gegenüber der pauschalen Verneinung der Grundrechtssubjekt i v i t ä t juristischer Personen des öffentlichen Rechts m i t Bezugnahme auf das Konfusionsargument K . - A . Bettermann, N J W 69, 1323; R. Dreier, Z u r G r u n d rechtssubjektivität juristischer Personen des öffentlichen Rechts, i n : ö f f e n t liches Recht u n d Politik, Festschrift f ü r Hans U l r i c h Scupin, 1973, S. 81 (86 f.). 27 Dazu Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog / R. Scholz, A r t . 19 Abs. I I I RdNr. 32. M i t der These, die Grundrechte w ü r d e n „verniedlicht", w e n n sie nicht als „Kampfrechte" betrachtet würden, das „Wesen des Bundesstaats" bestehe aber nicht i m K a m p f der Gliedstaaten gegen den Gesamtstaat (unter Bezugnahme auf Th. Maunz, Grundgesetz u n d Volksbefragungsgesetze, DÖV 59, 1 [2]), ist wenig ausgerichtet; a. M. als die h. M. insb. K.-A. Bettermann, NJW 69, 1327.

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samem Handeln unter Beachtung der beiderseitig verfassungsmäßig festgelegten Bereiche. Die Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes sei hiervon keine Ausnahme, denn dieser sei nur Folge des objektiven Gerechtigkeitsprinzips, das auch i m Zuordnungsverhältnis von Bund und Ländern wie überhaupt i n jedem Rechtsverhältnis gelte. Lediglich die prozessualen Grundrechte könnten auch Staaten i n Anspruch nehmen, wenn sie gegeneinander Rechtsstreite führen. Diese Argumentation w i r k t indessen wenig überzeugend: Abgesehen von der Widersprüchlichkeit, prozessuale Grundrechte zuzugestehen, nichtprozessuale dagegen nicht, bleibt die Hypostasierung uneingeschränkter Koordination und unablässiger Kooperation der Staaten i m Bundesstaat fragwürdig. So wünschenswert sie sein mag, so läßt sich doch die i m Begriff der Bundesstaatlichkeit angesiedelte Polarität nicht übersehen 28 . Die Verpflichtung zu bundesfreundlichem Verhalten räumt inzidenter ein, daß unter den Entscheidungszentren des Bundesstaats diametrale Interessen auftreten können. Schon allein Aufsichtsmaßnahmen des Bundes gegenüber den Ländern lassen Ubergriffe i n die andere Rechtssphäre nicht ausgeschlossen erscheinen. Dann aber läßt sich die Möglichkeit der Berufung auf die Grundrechte nicht schon m i t dem „gemeinsamen Handeln" i m Bundesstaat verneinen, vielmehr bedarf es hierzu weiterer Argumente. (b) M i t dem Staat werden von der überwiegenden Meinung auch Gemeinden und Gemeindeverbände für grundrechtsunfähig erklärt, weil sie — und zwar nicht nur i n Auftrags-, sondern auch i n Selbstverwaltungsangelegenheiten — seine „verlängerten Arme" seien, ihnen daher kein Grundrechtsadressat gegenüberstehe 29 . Die hierfür gegebe28 Vgl. hierzu N. Achterberg, Antinomien verfassunggestaltender G r u n d entscheidungen, Staat 8 (1969), 159 (160 f., 164). 29 Gegen diese h. M. jedoch F. E. Schnapp, Städtetag 69, 534, der (535) hervorhebt, daß hinter der These von der „einheitlichen Staatsgewalt", die auch die Gemeinden umfasse — diese dabei als „Veranstaltung des Staats" begreifend —, letztlich der Impermeabilitätsgedanke steht. F. E. Schnapp d i f ferenziert dabei zutreffend nicht nach hoheitlicher u n d fiskalischer Tätigkeit, sondern nach E r f ü l l u n g von Selbstverwaltungs- u n d Auftragsangelegenheiten (538). Der A n t i k r i t i k von H. Bethge, Städtetag 70, 66, k a n n nicht gefolgt werden: Erstens ist es unerheblich, daß die kommunale Selbstverwaltung (anders als Universitäten u n d Rundfunkanstalten) außerhalb des „ G r u n d rechtskatalogs" behandelt w i r d , zweitens ist es unergiebig, daß die „öffentlich-rechtlichen Leistungsverwaltungsaufgaben" der Rundfunkanstalten n u r eine akzidentielle Bedeutung gegenüber der essentiellen ihrer publizistischen F u n k t i o n haben, drittens ist überhaupt nichts damit anzufangen, daß die öffentlich-rechtliche Anstaltsform des Rundfunks nicht den „Glorienschein einer Ewigkeitsgarantie" hat. M i t der Anerkennung von Grundrechten der Gemeinden ist auch nicht gesagt, daß deren hoheitsrechtliche V e r w a l tungsaufgaben „eigentumsrechtlich domiziliert" wären (dann müßte es sich bei diesen doch w o h l u m vermögensrechtliche Positionen handeln). Die öffentliche „ H a n d " k a n n sich auch keineswegs m i t der Flucht ins Privatrecht Grundrechtsschutz erkaufen, w e n n sowohl i m hoheitlichen w i e i m fiskalischen

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nen Begründungen vermögen indessen gleichfalls nicht zu überzeugen: So kommt es nicht darauf an, daß die Organisation der Gemeinden und Gemeindeverbände nicht aus eigenem Recht entsteht und besteht, sondern von „Gnaden des Staats", und dieser kraft seiner KompetenzKompetenz öffentliche Aufgaben, für die subjektiver Grundrechtsschutz behauptet wird, i n eigene Hoheitsgewalt übernehmen darf 3 0 . Sofern der Staat Aufgaben an die Gemeinden delegiert hat, ist die Möglichkeit von Grundrechtsverletzungen nicht prinzipiell ausgeschlossen. K a n n er den gemeindlichen Zuständigkeitsbereich durch Hoheitsakt des Gesetzgebers verändern, so bedeutet dies i m übrigen noch nicht, daß er durch seine Organe — insbesondere solche der Exekutive und Judikative — i n Grundrechtspositionen eingreifen darf. Immerhin gibt es darüber hinaus sogar einen unentziehbaren Selbstverwaltungsbereich der Gemeinden. Zwar kann kein Zweifel sein, daß die Gemeindeverbände keine ursprüngliche, vorstaatliche Natur besitzen — was übrigens trotz mancherlei Unterschiede auch für die Gemeinden gilt 3 1 . Solange sie aber bestehen, üben sie eigene Rechte aus, zu denen denkmöglich die Grundrechte gehören können. Relative Abhängigkeit vom Staat besitzen schließlich auch die Personenvereinigungen des privaten Rechts. Auch sie können durch staatliche Organe unter bestimmten Voraussetzungen ihrer Existenz beraubt werden — allein diese Möglichkeit hindert aber Bereich solcher besteht. Schließlich widerspricht H. Bethge sich selbst, w e n n er (69) ohne jede dogmatische Absicherung nach allem gleichwohl die Berufung der Gemeinden auf A r t . 12 u n d 14 GG f ü r möglich hält. 30 So aber Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog / R. Scholz, A r t . 19 Abs. I I I RdNr. 36, 37, sowie f ü r alle v o m Staat abgeleitete juristischen Personen des öffentlichen Rechts überhaupt S. Maser, S. 93 ff., 98 ff., insb. 101. Dabei f ü h r t die Unterscheidung eines Rechts auf Fortbestand u n d eines solchen über den Fortbestand ebensowenig weiter wie die Frage nach der KompetenzKompetenz zur Aufgabenübernahme oder die Umdeutung der Selbstverwaltung i n „mittelbare Staatsverwaltung". Gegen die Grundrechtsfähigkeit von Gemeinden u n d Gemeindeverbänden auch B K - A . v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 133 m. zahlreichen weit. Hinweisen, der RdNr. 134 i m übrigen danach differenzieren w i l l , ob die Gemeinden u n d Gemeinde verbände i m Bereich ihrer Außenbeziehungen auftreten: Auch dort bestehe sie aber nicht, w e n n die kommunale Selbstverwaltungsgarantie eingreife. Hierüber ließe sich diskutieren, doch ist nicht erkennbar, weshalb die individuale der kommunalen Verfassungsbeschwerde gegenüber subsidär sein soll. Daß sie neben dieser einen eigenständigen Anwendungsbereich beanspruchen kann, folgt schon daraus, daß die Selbstverwaltung kein Grundrecht ist (vgl. B K - K . Stern, A r t . 28 RdNr. 68; H. v. Mangoldt / F. Klein, A r t . 28 Anm. I V l a ; Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog / R. Scholz, A r t . 28 RdNr. 38). 31 So m i t Recht auch W. Henrichs, Die Rechtsprechung zur Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung i n Deutschland, DVB1. 54, 728 (734); H. P. Ipsen, Gemeindliche Personalhoheit unter Selbstverwaltungsgarantie, DÖV 55, 225 (226); H. v. Mangoldt / F. Klein, A r t . 28 A n m . I V l a ; a. Μ . Α. Süsterhenn / Η. Schäfer, Kommentar der Verfassung für RheinlandPfalz, 1δ50, A r t . 49 A n m . 2, die der Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden u n d Gemeindeverbände naturrechtlichen Charakter zusprechen, jeglichen Verifizierungsversuch hierfür aber schuldig bleiben. 9'

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ihre Grundrechtssubjektivität keineswegs. Weiterhin läßt sich das Institut der kommunalen Verfassungsbeschwerde nicht als Argument gegen die Grundrechtssubjektivität von Gemeinden und Gemeindeverbänden anführen: Es behält auch dann Bedeutung, wenn diese grundrechtsfähig sind, weil die kommunale Selbstverwaltung kein Grundrecht darstellt und deshalb besonderen prozessualen Schutzes bedarf. Umgekehrt aber bedeutet nicht jeder Grundrechtseingriff schon eine A n tastung der Selbstverwaltungsbefugnis 32 . (c) Anders w i r d demgegenüber von der überwiegenden Meinung die Grundrechtssubjektivität der Kirchen, Universitäten und Rundfunkanstalten beurteilt: A u f die Kirchen passe das B i l d als verlängerter A r m des Staats nicht, denn sie verdankten ihr (geistliches) Entstehen und Bestehen nicht dem Staat, der auch nicht die Kompetenz-Kompetenz besitze, kirchliche Aufgaben an sich zu ziehen oder staatliche Aufgaben auf die Kirchen abzuwälzen; kirchliche Angelegenheiten könnten vom Staat überhaupt nicht verwaltet werden 33 . Auch diese Argumente vermögen nicht zu überzeugen: Daß es auf die staatliche Verfügungsmacht über Entstehen und Bestehen einer juristischen Person nicht ankommen kann, wurde bereits dargelegt. Überdies darf nicht auf die geistliche, sondern es muß auf die rechtliche Seite abgestellt werden, wobei zu beachten ist, daß der Staat über die Rechtsnatur der Religionsgesellschaften entscheidet. Schließlich aber ist das Verhältnis zwischen kirchlicher und staatlicher Wahrnehmungszuständigkeit jedenfalls i m Bereich der res mixtae weitaus komplizierter, als es hiernach den Anschein hat. Daß die Problematik i m übrigen unter dem Aspekt der Koordination oder Subordination von Staat und Kirche 3 4 zu betrachten ist und hiernach unterschiedlich beurteilt werden kann, sei nur als Merkposten erwähnt. 32 Dies ist der Auffassung von H. Peters, Besprechung zu Gönnenwein, Gemeinderecht, A f K 64, 119 f.; ders., Geschichtliche E n t w i c k l u n g u n d Grundfragen der Verfassung, Bearb. Salzwedel / Erbel, 1969, S. 256 f., entgegenzuhalten, nach dem die verfassungsrechtliche Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung gegenüber den Grundrechten lex specialis ist. Ebenso F. E. Schnapp, Städtetag 69, 535; K. Stern, Die verfassungsrechtliche Position der kommunalen Gebietskörperschaften i n der Elektrizitätsversorgung, 1966, S. 51 ff. 33 Vgl. dazu B K - A . v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 121 (m. zahlreichen Nachweisen), RdNr. 132; S. Maser, S. 106 ff.; Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog / R. Scholz, A r t . 19 Abs. I I I RdNr. 39. 34 Signifikant i. S. der Koordinationsthese: R. Smend, Staat u n d Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, Z e v K R 1, 4; A. Hollerbach, Verträge zwischen Staat u n d Kirche i n der Bundesrepublik Deutschland, 1965, passim; ff. Maurer, Z u r Anfechtbarkeit kirchlicher Verwaltungsakte vor staatlichen Gerichten, D Ö V 60, 749 (752); W. Weber / H. Peters, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, V V D S t R L 11, 153, 177; der Subordinationsthese: E.-W. Fuß,

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Hinsichtlich der Universitäten w i r d die Grundrechtssubjektivität gleichfalls bejaht, und zwar m i t der Begründung, daß diese — obwohl auch sie Bestand und Fortbestand dem Staat verdanken (spätestens hier w i r d die Irrelevanz dieses Kriteriums also evident) — Aufgaben ausüben, die anders als diejenigen der Gemeinden und Gemeindeverbände m i t denen des Staats nicht vertauschbar seien; wissenschaftliche Forschung und Lehre seien als unvertretbare Leistungen staatlicher Beeinflussung entzogen 35 . Für die Rundfunkanstalten w i r d ferner vorgetragen, indem der Staat den Rundfunk öffentlich-rechtlich geordnet vorgefunden habe (Verleihung der Sendelizenzen allein durch öffentlich-rechtliche Organisationen) und gleichwohl die Rundfunkfreiheit eingeräumt habe, sei zum Ausdruck gebracht worden, daß dieses subjektive Recht den Rundfunkanstalten als juristischen Personen des öffentlichen Rechts zuerkannt werden solle 36 . Das mag sein — nur läßt sich auf diese Argumentation eine allein auf dieses Grundrecht begrenzte Grundrechtssubjektivität stützen, während eine darüber hinausgehende (beispielsweise bezüglich der Gewerbefreiheit oder des Eigentumsrechts) auf diese Weise nicht ableitbar ist. Für Religionsgesellschaften wie auch für Universitäten und Rundfunkanstalten w i r d darüber hinaus angeführt, auf sie seien jedenfalls jene Grundrechte zu erstrecken, i n deren Schutzbereich sie gerade angesiedelt seien (Art. 4 Abs. 1, Abs. 2; 5 Abs. 1 Satz 2; 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 37 . Kirche und Staat unter dem Grundgesetz, D Ö V 61, 734; H. Krüger, Verfassungsänderung u n d Verfassungsauslegung, DÖV 61, 721 (727); K . Obermayer, Staatskirchenrecht i m Wandel, D Ö V 67, 9; H. Quaritsch, Kirche u n d Staat, Staat 1 (1962), 175, 289; ders., Neues und Altes über das Verhältnis von Kirchen u n d Staat, Staat 5 (1966), 451. — Ubersicht über die neuere Entwick^ lung u n d das einschlägige Schrifttum bei B K - K . Obermayer, A r t . 140 RdNr. 85. 35 B K - Α . ν . Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 128 m. zahlreichen Nachweisen; Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog / R. Scholz, A r t . 19 Abs. I I I RdNr. 40. — Z u m Thema auch noch S. Maser, S. 123 ff. (nach dem den Hochschulen allerdings keine Grundrechte zustehen, sondern n u r eine institutionelle Garantie zukommt). 36 So Th. Maunz / G. Dürig / R. Herzog / R. Scholz, A r t . 19 Abs. I I I RdNr. 41. — Z u r Grundrechtssubjektivität von Rundfunkanstalten ausführlich auch B K A. v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 131, m. zahlreichen Nachweisen und selbst einschränkend auf Außenrechtsbeziehungen, so daß sich gegen Aufsichtsmaßnahmen n u r die i n der Rundfunkanstalt tätigen individuellen Grundrechtsträger (Intendant, Redakteure) berufen könnten. Hier ist indessen eine Differenzierung angezeigt: Soweit es u m die Rechtsaufsicht i m Außen Verhältnis geht, besteht der Grundrechtsschutz der Rundfunkanstalt als solcher; etwas anderes gilt nur, w e n n die R u n d f u n k - „ A n s t a l t " als „Staatsorgan" tätig würde. Vgl. auch noch S. Maser, S. 114 ff. 37 So i m Einklang m i t dem Bundesverfassungsgericht (s. u. 2 b cc [4—6]) W. Rupp-v. Brünneck, S. 365 f., m i t deren o. A n m . 10 erwähnter Bezugslehre dies allerdings vereinbar ist. N u r dürfte die Zuordnung einer juristischen Person zu einem von einem Grundrecht geschützten Lebensbereich nicht

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(d) Bei nichthoheitlicher, fiskalischer Tätigkeit ist die Grundrechtssubjektivität des Staats nicht anders zu beurteilen als bei hoheitlicher, sofern darauf abgestellt wird, daß die Grundrechtsausübung die Nichtidentität von Grundrechtssubjekt und Grundrechtsadressaten erfordert (Konfusionsthese). Demgemäß w i r d die Auffassung vertreten, für den Staatsfiskus als das alter ego, die wirtschaftliche Ausdrucksform des Staats, gelte insoweit nichts anderes als für den Hoheitsträger: Auch er besitze keine Grundrechtssubjektivität 38 . M i t der gleichen Argumentation i n Verbindung m i t der bereits erwähnten These, Gemeinden und Gemeinde verbände seien nur „verlängerte Arme" des Staats, muß konsequenterweise auch die Grundrechtssubjektivität kommunaler Fiskalate verneint werden. Von diesem Ausgangspunkt erscheint es inkonsequent, wenn stattdessen insoweit m i t der Durchgriffstheorie operiert und die Grundrechtssubjektivität nur dann verneint wird, wenn ein personales Substrat dieses Fiskalats nicht erkennbar ist 39 . (3) Nichtjuristische Personenvereinigungen sind i n A r t . 19 Abs. 3 GG nicht erwähnt. Das Bundesverfassungsgericht vertritt insoweit die A n sicht, daß diese Vorschrift keine abschließende Regelung trifft, ohne aber eine Rechtssatzergänzung durch Schlußfolgerung (Analogie oder argumentum e contrario) vorzunehmen 40 . Demgemäß ist aus dem konkreten Grundrecht i n Verbindung m i t der verfassungsrechtlichen Anerkennung nichtrechtsfähiger Personenvereinigungen 41 zu ermitteln, ob ein solches auch von Vereinigungen i n Anspruch genommen werden kann, die als Zuordnungssubjekt von Rechtsnormen insoweit Teilrechtsfähigkeit besitzen. Auch hier gilt jedoch, daß eine darüber hinausgehende Rechtsfähigkeit kaum anzunehmen sein w i r d — es sei denn, es wären weitere Rechte als Annexe mitgewährt: Immerhin ist erwägenswert, ob m i t der Institutionalisierung der politischen Partei zugleich deren Eigentum garantiert ist, weil sie nur existieren kann, wenn sie über Eigentum und Vermögen verfügt, so daß insoweit auch eine Grundrechtssubjektivität nach A r t . 19 Abs. 3 GG besteht. Die Vermeiausreichen, u m die Erstreckung des Grundrechtsschutzes i n allen i n Betracht kommenden Fällen zu rechtfertigen. 38 h. M., vgl. B K - A . v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 126, 127 m. weit. Nachweisen; Th. Maunz IG. Dürig I R. Herzog / R. Scholz, A r t . 19 Abs. I I I RdNr. 42—44. 39 So aber Th. Maunz IG. Dürig IR. Herzog / R. Scholz, A r t . 19 Abs. I I I RdNr. 46. 40 Vgl. dazu BVerfGE 3, 383 (391 f.); 6, 273 (277). Z u m Thema auch B K A. v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 73—76; Th. Maunz / G. Dürig I R. Herzog/ R. Scholz, A r t . 19 Abs. I I I RdNr. 55—59. 41 Art. 9 Abs. 1 GG: Nichtrechtsfähiger Verein, OHG, K G ; Art. 9 Abs. 3 GG: Gewerkschaft, Arbeitgeberverband; Art. 21 Abs. 1 GG: Politische Partei.

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dung der Rechtsgewinnung aus dieser Vorschrift bedeutet i m übrigen, daß die Einschränkung „soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind" hinsichtlich nichtrechtsfähiger Personenvereinigungen keine Bedeutung hätte. Das führte zu dem seltsamen Ergebnis, daß nichtrechtsfähige Personenvereinigungen eine unbeschränktere Grundrechtsgeltung für sich beanspruchen könnten als rechtsfähige. Diese Konsequenz w i r d indessen vermieden, wenn — wie dargelegt — diese Einschränkung ohnehin nur als Leerformel begriffen und die Grenze der Grundrechtssubjektivität aus den immanenten Schranken des jeweiligen Grundrechts hergeleitet wird. b) Rechtsprechung aa) Analysiert man die Rechtsprechung zu A r t . 19 Abs. 3 GG, so zeigt sich zunächst, daß vornehmlich die Grundrechtssubjektivität der einzelnen Organisationen Entscheidungsgegenstand ist, kaum dagegen das Problem, ob ein Grundrecht ein solches Wesen hat, daß es auf eine juristische Person anwendbar ist. Auch die Rechtsprechung geht demgemäß unausgesprochen von der zuvor entwickelten These aus, daß die i n A r t . 19 Abs. 3 GG enthaltene Begrenzung neben den immanenten Schranken des jeweiligen Grundrechts keinen weiteren Regelungsgehalt besitzt. Hinsichtlich der Organisationstypen ist erkennbar, daß zwar auch die Grundrechtsfähigkeit ausländischer juristischer Personen Entscheidungsgegenstand war, vor allem jedoch diejenige juristischer Personen des öffentlichen Rechts: Staat, Gemeindeverband, Gemeinde, Bundesbahn, Sozialversicherungsträger. Von juristischen Personen des bürgerlichen Rechts waren Aktiengesellschaft sowie — weitaus stärker (wobei das größere Vorkommen eine Rolle spielt) — Gesellschaft m i t beschränkter Haftung und Verein betroffen, während eine beachtliche Zahl der Entscheidungen sich auch m i t nichtrechtsfähigen Personenvereinigungen — nichtrechtsfähigem Verein, Kommanditgesellschaft, politischer Partei — befaßt. Aber auch Religionsgesellschaften, vereinzelt ferner Universität, Studentenschaft, Rundfunkanstalt, öffentliche Sparkasse, Deichverband und Stiftung sind angesprochen 42 . — Unter den 42 (1) Ausländische juristische Personen: BVerfGE 12, 6 (8); 18, 441 (447); 21, 207 (208); 23, 229 (236); 34, 338 (340); 36, 310 (313). — (2) Inländische juristische Personen: (a) Juristische Personen des öffentlichen Rechts: Staat (als Bundesland): BVerfGE 1, 14 (52), 117 (142). — Staat (als Fiskus): BVerfGE 6, 45 (49); BayVerfGH, V G H E 18 I I , 85 (95). — Gemeindeverband: B a d W ü r t t StGH, E S V G H 18, 1 (5); BayVerfGH, V G H E 3 I I , 129 (135); 5 I I , 1 (5); 25 I I , 83 (88). — Gemeinde: BVerfGE 23, 353 (372); 25, 198 (205); 26, 172 (185); B a y VerfGH, V G H E 10 I I , 113 (118); HessStGH, E S V G H 23, 147 (150); O V G M ü n ster, OVGE 14, 372 (374), 377 (380); 24, 22 (27). — Bundesbahn: BVerfGE 13, 132 (139). — Sozialversicherungsträger: BVerfGE 21, 362 (362 ff.); 23, 12 (30); 39, 302 (313 f.). — Religionsgesellschaf ten : BVerfGE 19, 1 (5), 129 (129); 24, 236

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6. Teil: Grundrechtssubjektivität v o n Organisationen

als v e r l e t z t g e r ü g t e n Grundrechten dominieren A r t . 2 u n d 3 GG, wobei l e t z t e r e r als „ o b j e k t i v e r Rechtssatz d e r V e r f a s s u n g s o r d n u n g " — w i e e r w ä h n t — auch j u r i s t i s c h e n Personen des ö f f e n t l i c h e n Rechts z u e r k a n n t w i r d . A b e r auch A r t . 5, 12 u n d 14 G G s o w i e d i e „ p r o z e s s u a l e n " G r u n d rechte A r t . 101 A b s . 1 S. 2 u n d 103 A b s . 1 G G s i n d i n g r ö ß e r e m M a ß e betroffen 43. bb) Signifikant

s i n d v o r a l l e m folgende

Entscheidungen:

(1) H i n s i c h t l i c h ausländischer juristischer Personen desverfassungsgericht die G r u n d r e c h t s s u b j e k t i v i t ä t

b e j a h t das B u n insofern, als die

(243); 30, 112 (116, 119); B V e r w G E 18, 14. — Universität: BVerfGE 15, 256 (262). — Studentenschaft: B V e r w G E 34, 69 (75). — Rundfunkanstalt: BVerfGE 31, 314 (321). — öffentliche Sparkasse: BVerwG, DÖV 72, 350. — Deichverband: BVerfGE 24, 367 (383). — (b) Juristische Personen des Privatrechts: A G : BVerfGE 22, 380 (383); 23, 208 (223); 29, 260 (265); O V G Saarland, AS 7, 351 (355). — G m b H : BVerfGE 3, 359 (363); 19, 206 (215); 20, 323 (336); 21, 261 (262), 271 (278); 26, 321 (325); 35, 348 (357, 360); B V e r w G E 7, 189 (195). — K G a A : BVerfGE 23, 153 (163). — Verein (eingetragener): BVerfGE 3, 383 (391); 4, 96 (102); 10, 221 (225); 24, 278 (282). — Stiftung: B V e r w G E 40, 347. — (3) Nichtjuristische Personenvereinigungen: Verein (nichtrechtsfähiger): BVerfGE 6, 273 (277); 24, 236 (243); HessStGH, VRspr. 2, 305; O V G Münster, OVGE 29, 279 (280); O V G Saarland, AS 13, 302 (303). — Handelsgesellschaften (überhaupt): BVerfGE 4, 7 (12, 16); 30, 292 (312). — K G : BVerfGE 10, 89 (99); 15, 235 (239); 20, 162 (171). — Politische Partei: BVerfGE 3, 19 (22); 7, 99 (103); O V G Lüneburg, OVGE 2, 157 (171); O V G Münster, OVGE 30, 56 (61). 43 Art. 2 Abs. 1 GG: BVerfGE 10, 89 (99), 221 (225); 15, 235 (239); 19, 206 (215); 20, 323 (336); 21, 207 (208); 23, 208 (223); 24, 236 (243); 29, 260 (265); 31, 314 (321); 34, 338 (340); 39, 302 (314); B V e r w G E 40, 347; O V G Berlin, EntschOVG B e r l i n 6, 5 (13). — Art. 3 Abs. 1 GG: BVerfGE 1, 14 (52), 117 (142); 3, 383 (390); 4, 7 (12); 6, 273 (277); 7, 99 (103); 19, 1 (5), 206 (215); 21, 207 (208), 362 (362 ff.); 23, 153 (163), 208 (223), 353 (372); 25, 198 (205); 26, 172 (185); 30, 112 (119); 31, 314 (321); 34, 338 (340); 35, 348 (357); 39, 302 (314); O V G Saarland, AS 13, 302 (303). — Art. 4 GG: BVerfGE 19, 129; 24, 236 (243); 30, 112 (119); B V e r w G E 7, 189 (195). — Art. 5 Abs. 1 GG: BVerfGE 20, 162 (171); 21, 271 (278); 24, 278 (282); 31, 314 (321); 34, 338 (340); B V e r w G E 18, 14; 34, 69 (75); OVG Münster, OVGE 30, 56 (61). — Art. 5 Abs. 3 GG: BVerfGE 15, 256 (262). — Art. 6 Abs. 1 GG: BVerfGE 26, 321 (325). — Art. 7 Abs. 4 GG: B V e r w G E 47, 347. — Art. 8 GG: O V G Münster, OVGE 29, 279 (280); OVG Rheinland-Pfalz, AS 13, 20 (24); O V G Saarland, A S 13, 302 (303). — Art. 9 Abs. 1 GG: BVerfGE 39, 302 (314); O V G Münster, OVGE 29, 279 (281). — Art. 9 Abs. 3 GG: BVerfGE 4, 96 (102); O V G Rheinland-Pfalz, A S 13, 20 (24). — Art. 12 Abs. 1 GG: BVerfGE 21, 261; 22, 380 (383); 23, 208 (223); 30, 292 (312); 34, 338 (340); B V e r w G E 3, 304 (306); 6, 145 (147); BVerwG, D Ö V 72, 350; V G H Stuttgart, i n : F. Giese / E. Schunck / K. Winkler, Die Verfassungsrechtsprechung i n der Bundesrepublik, Bd. 8, Nr. 98 zu A r t . 12 GG; O V G Koblenz, ebd., Bd. 7, Nr. 2 zu A r t . 12 GG; O V G Saarland, AS 7, 351 (355). — Art. 14 Abs. 1 GG: BVerfGE 4, 7 (16); 21, 207 (208), 362 (362 ff.); 23, 12 (30), 153 (163), 208 (223); 24, 367 (383); 35, 348 (360); BayVerfGH, V G H E 5 I I , 1 (5); 18 I I , 85 (95). — Art. 19 Abs. 4 GG: BVerfGE 39, 302 (314). — Art. 38 GG: BVerfGE 3, 12 (22). — Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG: BVerfGE 3, 359 (363); 6, 45 (49); 13, 132 (139); 18, 441 (447); 30, 112 (116); B a y VerfGH, V G H E 10 I I , 113 (118). — Art. 103 Abs. 1 GG: BVerfGE 3, 359 (363); 12, 6 (8); 13, 132 (139); 15, 256 (262); 30, 112 (116); BayVerfGH, V G H E 10 I I , 113 (118). — Art. 101, 103, 118, 141 BayV: BayVerfGH, V G H E 10 I I , 113 (118).— A r t . 1 HessV: HessStGH, E S V G H 23, 147 (150).

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Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) für zulässig gehalten wird. Die i n A r t . 19 Abs. 3 enthaltene Beschränkung gelte nur für die i m Grundrechtskatalog enthaltenen Grundrechte. Die Herausnahme einer bestimmten Gruppe möglicher Verfahrensbeteiligter (hier: ausländischer juristischer Personen) aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör verstoße gegen die Rechtsstaatlichkeit; entsprechend wurde hinsichtlich des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verfahren 44 . — Demgegenüber wurde die Möglichkeit, die Verletzung von A r t . 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 14 GG zu rügen, i n einem summarischen Verfahren dahingestellt 4 5 , in einer späteren Entscheidung dagegen ausdrücklich m i t der Begründung verneint, Wortlaut und Sinn des A r t . 19 Abs. 3 GG verböten die ausdehnende Auslegung auf ausländische juristische Personen; die Verfassungsbeschwerde wurde als unzulässig verworfen 4 6 . Das Gericht stellte dabei zutreffenderweise weder auf die inländische Anerkennung der ausländischen juristischen Person als rechtsfähig (gemäß dem inzwischen aufgehobenen A r t . 10 EGBGB) noch auf die gewerbeoder aktienrechtliche Zulassung (§§ 12 GewO, 292 Satz 1 A k t G a. F.) ab 47 . — Die unterschiedliche Beurteilung je nachdem, ob ein Grundrecht i m Grundrechtskatalog steht oder nicht, wurde i m Schrifttum k r i t i siert 48 , wobei allerdings die betonte Verankerung der prozessualen 44

BVerfGE 12, 6 (8); 18, 441 (447). BVerfGE 18, 441 (447). — Das Bundesverfassungsgericht stellt i m summarischen Verfahren nach § 24 B V e r f G G die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde m i t u n t e r dahin, w e n n sie offensichtlich unbegründet ist. Dieses Vorgehen w i r d bereits i n BVerfGE 6, 7 (11 f.), m i t dem Hinweis auf den Gesetzeszweck gerechtfertigt, das Gericht bei der Prüfung schwieriger Rechtsfragen (die auch solche der Zulässigkeit sein können) zu entlasten, w e n n aus anderen Gründen die Verwerfung des Antrags geboten ist. Kritisch demgegenüber S. Grundmann, Zulässigkeit u n d Begründetheit i m Verfahren nach § 24 BVerfGG, J Z 57, 613, unter Bezugnahme auf die von der Prozeßdogmatik vertretene Reihenfolge von Zulässigkeit u n d Begründetheit, die indessen keinen Normcharakter hat, so daß sie u m der Prozeßökonomie w i l len i m Einzelfall vertauschbar ist. 46 BVerfGE 21, 207 (208); 23, 229 (236). 47 Diese Orientierung findet sich dagegen i m Schrifttum ζ. B. bei B K - P . Dagtoglou, A r t . 17 RdNr. 55; H. v. Mangoldt / F. Klein, A r t . 19 A n m . V I 2; S. Maser, S. 13. Weit. Hinweise bei Κ . M. Meessen, JZ 70, 604, A n m . 25, E.-H. Ritter, N J W 64, 279, A n m . 5, der die Problematik gleichfalls ausführlich diskutiert. — Ablehnend ζ. Β . H. Niessen, N J W 68, 1019. 48 H. Niessen, N J W 68, 1017. B K - A . v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 3, r ä u m t ausländischen juristischen Personen auch die Grundrechte aus A r t . 17, 19 Abs. 4 GG — damit solche innerhalb des Grundrechtskatalogs — ein. Die hierbei i m Anschluß an K . M. Meessen (s. o. A n m . 18) zugrunde gelegte U n terscheidung von Grundrechten ohne oder m i t „ E i n r ä u m u n g materieller subj e k t i v e r Rechtspositionen" w i r k t i m m e r h i n überzeugender als die schematische Abstellung auf den Grundrechtskatalog, zumal über die dogmatische Relevanz der Einordnung der Grundrechte i n diesen Katalog gestritten w e r den k a n n (Begrenzung der Tragweite des A r t . 19 Abs. 3 GG auf die Grundrechte i m Grundrechtskatalog zwar auch bei Th. Maunz, Deutsches Staats45

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6. Teil: Grundrechtssubjektivität v o n Organisationen

Grundrechte i m Rechtsstaatsprinzip übersehen blieb — die Frage, inwieweit das auch für alle sonstigen Grundrechte gilt, hätte sich daran freilich anschließen müssen 49 . (2) Hinsichtlich privatrechtlicher juristischer Personen w i r d die Grundrechtssubjektivität von den Gerichten durchgehend bejaht; Probleme zeigen sich hier nur hinsichtlich der Anwendbarkeit der Grundrechte „ihrem Wesen nach". Während diejenige der Pressefreiheit für einen i n Form der Gesellschaft m i t beschränkter Haftung betriebenen Zeitungsverlag bejaht wird, ebenso der Berufsfreiheit für eine Aktiengesellschaft, da die von i h r betriebene Erwerbstätigkeit gleichermaßen von einer juristischen oder einer natürlichen Person ausgeübt werden könne 50 , w i r d die Möglichkeit einer Gesellschaft m i t beschränkter Haftung verneint, Befreiung von den Kosten des Prozesses gemäß § 114 ZPO unter Berufung auf A r t . 3 GG zu erwirken: Das Armenrecht sei die Konkretisierung eines sich aus dem Sozialstaatsprinzip ergebenden Gebots, seine Erstreckung auf juristische Personen unter Anwendung des Gleichheitssatzes ausgeschlossen, weil der auf Gleichheit i m sozialen Bereich ausgerichtete Aspekt dieser Norm nur für natürliche Personen gelte 51 . — Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof verneint die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen hinsichtlich des Grundrechts auf Naturgenuß nach A r t . 141 Abs. 3 Satz 1 BayV, weil der Genuß von Naturschönheiten und die Erholung i n der freien Natur ihrem Wesen nach nur natürlichen Personen zustehen könnten 52 . — Die Grundrechtsfähigkeit einer Stiftung bejaht das Bundesverwaltungsgericht m i t der Begründung, obwohl die Grundrechte vor allem den Staatsbürger gerecht, 23. Aufl., 1980, § 13 I I 8 c, S. 112; i m Ergebnis wie hier jedoch H. v. Mangoldt / F. Klein, A r t . 19 A n m . V I 1). 49 Nicht angesprochen wurde v o m Bundesverfassungsgericht bisher die Sonderproblematik des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Ob aus dem V e r bot der D i s k r i m i n i e r u n g auf G r u n d der Staatsangehörigkeit (Art. 7 EWGV) das Gebot gleichen Grundrechtsschutzes ausländischer juristischer Personen i m EG-Bereich abgeleitet werden muß, ist bislang unentschieden. Außer den Fragen, ob eine juristische Person überhaupt „Staatsangehörigkeit" i m Sinne dieser Vorschrift besitzt u n d — falls dies zu bejahen ist — ob das Europäische Gemeinschaftsrecht innerstaatliches Verfassungsrecht zu ändern v e r mag (vgl. zur Vorrangfrage insb. H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaf tsrecht, 1972, S. 277 ff., sowie die Übersicht über die einschlägige Rechtsprechung des E u G H bei K . Roemer, Betrachtungen zum Verhältnis Gemeinschaftsrecht — nationales Recht, 1969), spielt hierbei die sich aus dem Zweck der EG-Verträge ergebende Reichweite der Diskriminierungsverbote (vgl. dazu H. P. Ipsen, S. 590 ff.) eine Rolle. A b s t r a k t u n d generell läßt sich zur Bedeutung des A r t . 19 Abs. 3 GG aus dem B l i c k w i n k e l des Europäischen Gemeinschaftsrechts daher nichts aussagen. I m Ergebnis ähnlich w i e hier B K A. v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 52, weitergehend jedoch Η. Ν lessen, N J W

68, 1020. 50 51 52

BVerfGE 21, 271 (278); 22, 380 (383). BVerfGE 35, 348 (357). BayVGH, DVB1. 75, 666.

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genüber der Staatsgewalt schützen sollten, schlössen sie die Anwendung auf solche juristischen Personen, die nicht Vereinigungen natürlicher Personen sind, nicht aus. Gerade eine Stiftung bedürfe für ihre Betätigung i m Rahmen der ihr vom Stifter gegebenen Aufgabe des Schutzes der Grundrechte gegen unberechtigte Eingriffe des Staats. Die Berufung des Gerichts auf das Bundesverfassungsgericht ist dabei allerdings insofern fehlsam, als es i n der i n Bezug genommenen Entscheidung u m die Ausdehnung des A r t . 19 Abs. 3 GG auf nichtrechtsfähige Personenvereinigungen ging 53 . (3) Hinsichtlich juristischer Personen des öffentlichen eine Reihe bemerkenswerter Entscheidungen vor:

Rechts liegt

(a) I n einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde des Freistaats Bayern gegen einen Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts bejaht das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit der Berufung auf A r t . 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Zumindest wenn der Staat als Fiskus i n Anspruch genommen werde und wie jede andere juristische Person richterlicher Hoheitsgewalt unterworfen sei, erscheine er als „jedermann" i m Sinne § 90 Abs. 1 BVerfGG; dann aber könne er auch wie jede Partei i m gerichtlichen Verfahren die i n der Prozeßordnung vorgesehenen M i t t e l i n Anspruch nehmen. Bei dieser Begründung fällt auf, daß diese Erkenntnis nicht eindeutig auch für den Fall ausgesprochen ist, daß der Staat als Hoheitsträger auftritt, denn auch als dieser ist er „richterlicher Hoheitsgewalt unterworfen", so daß die Verletzung prozessualer Grundrechte für ihn gleichfalls bedeutsam werden kann. Konsequenterweise w i r d immerhin i n einer späteren Entscheidung auch die Möglichkeit der Deutschen Bundesbahn zur Inanspruchnahme der prozessualen Grundrechte bejaht 5 4 . — Demgegenüber verneint der Bayerische Verfassungsgerichtshof die Grundrechtsfähigkeit des Freistaats Bayern m i t der Konfusionstheorie; daran ändere auch die mögliche Ausdehnung der Grundrechte als institutioneller Garantien nichts, weil diese nicht von den Grundrechten losgelöst werden könnten und deshalb gleichfalls nicht beständen, wenn es an einem Grundrechtssubjekt fehle 55 . (b) Hinsichtlich der Gemeinden bejaht das Bundesverfassungsgericht die Anwendbarkeit des Art. 3 GG m i t der Begründung, die Vorschrift sei „selbstverständlicher, ungeschriebener Verfassungsgrundsatz i n allen Bereichen und für alle Personengemeinschaften", Element des objektiven Gerechtigkeitsprinzips und damit der Rechts Staatlichkeit; i m übri53 54 55

B V e r w G E 40, 347 (348), unter Bezugnahme auf BVerfGE 3, 383 (391). BVerfGE 6, 45 (49); 13, 132 (140). BayVerfGH, V G H E 18 I I , 85 (95).

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6. Teil: Grundrechtssubjektivität von Organisationen

gen aber könne sich eine Gemeinde als eine dem Staatsverband eingegliederte Gebietskörperschaft nicht auf Grundrechte berufen 56 . Ganz überwiegend ist die Grundrechtsfähigkeit von Gemeinden und Gemeindeverbänden indessen Gegenstand der Landesrechtsprechung: So hat das Oberverwaltungsgericht Münster sie zunächst lapidar m i t der Bemerkung bejaht, daß zu den juristischen Personen i m Sinne A r t . 19 Abs. 3 GG auch solche des öffentlichen Rechts zählten; Grundrechtsgeltung und Selbstverwaltungsgarantie werden dabei getrennt, der Grundrechtsschutz nicht als von dieser umfaßt gedacht. Diese A n sicht ist insofern zutreffend, als sich eine Beeinträchtigung von Grundrechten bis zu derjenigen der Selbstverwaltungsgarantie ausweiten kann, dies i n der Regel — beispielsweise bei Eingriffen i n das Eigent u m einer Gemeinde an einem Grundstück — jedoch nicht zutreffen wird. I n einer späteren Entscheidung schließt sich das Gericht demgegenüber den Bedenken des Bundesverfassungsgerichts gegen die Erstreckung der Grundrechtssubjektivität auf juristische Personen des öffentlichen Rechts an und führt aus, bei der Abgrenzung von schutzwürdigen Sphären müsse zwischen dem Verhältnis Bürger—Staat sowie demjenigen Gemeinde/Gemeindeverband—Staat unterschieden werden; die Betonung der Individualgrundrechte i m ersten gebe noch nicht Anlaß, sie auch i m zweiten vorzusehen 57 . A u f die Fruchtbarkeit dieser — allerdings noch zu undifferenzierten — Abstellung auf das Rechtsverhältnis w i r d zurückzukommen sein. — I n einer der tiefgründigsten Entscheidungen zu diesem Thema hat der Staatsgerichtshof des Landes Hessen die Grundrechtssubjektivität der Gemeinden untersucht. Nach seiner Auffassung geht das Wertsystem der Grundrechte i n der Hessischen Verfassung — für dasjenige i m Grundgesetz gilt nichts anderes — von Gleichheit, Freiheit und Würde des einzelnen Menschen als natürlicher Person aus, während die Gemeinde nur eine Erscheinungsform der einheitlichen Staatsgewalt darstelle, als die sie keine Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte beanspruchen könne, weil diese prinzipiell das Verhältnis des Einzelnen zum Staat beträfen. Neben diesem aus dem Rechtsverhältnis gewonnenen Ergebnis w i r d das Konfusionsargument herangezogen: Als verlängerter A r m des Staats sei die Gemeinde auch im Selbstverwaltungsbereich nicht Inhaberin von Grundrechten, da ihre Aufgaben organisations- und kompetenzrechtlich jederzeit vom Staat an sich gezogen werden könnten; hiergegen sei nur der Rechtsschutz vor den Gerichten eröffnet, woraus sich ergebe, daß der Gemeinde keine Grundrechte zuständen. N u r sofern eine juristische Person unmittelbar dem durch das Grundrecht geschützten Lebensbe56

BVerfGE 23, 353 (372); 25, 198 (205). Vgl. OVG Münster, OVGE 14, 377 (380); 24, 22 (27), unter Bezugnahme auf BVerfGE 21, 362 (369). 57

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reich zuzuordnen sei, könne anderes gelten; hinsichtlich des Gleichheitssatzes sei dies für Gemeinden jedoch nicht anzunehmen. Ob weitere Ausnahmen zu machen sind, läßt das Gericht ausdrücklich offen, w e i l die antragstellende Gemeinde als Trägerin vom Staat übertragener und verliehener Befugnis auftrat 5 8 . Die gegen diese Argumentation zu erhebenden Bedenken beziehen sich zunächst darauf, daß der Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten bei Einbruch i n den Selbstverwaltungsbereich ohne Begründung für abschließend gehalten wird. I m übrigen sagen weder Entstehung noch Untergang und — per argumentum a maiore ad minus — demgemäß auch nicht die Möglichkeit von Kompetenzbeschränkungen etwas über die Grundrechtssubjektivität der Gemeinde aus. Hindert die Selbstverwaltungsgarantie Eingemeindungen nicht, so stehen die Grundrechte allerdings auch kompetenzrechtlichen Beeinträchtigungen nicht entgegen. Umgekehrt formuliert, hindern diese aber auch die gemeindliche Grundrechtssubjektivität nicht. Solange keine ausdrückliche Kompetenzverschiebung zugunsten des Staats vorgenommen ist, bleibt den Gemeinden vielmehr der Grundrechtsschutz erhalten. — Der Bayerische Verfassungsgerichtshof schließlich hebt darauf ab, daß die Grundrechtsvorschriften zugleich als institutionelle Garantien gedeutet werden können, hinsichtlich deren es gleichgültig sei, ob sie von juristischen Personen des privaten oder öffentlichen Rechts in Anspruch genommen werden. I n einer späteren Entscheidung werden aus dem Umstand, daß die Klage nach A r t . 98 Satz 4 BayV i. V. m. dem Verfassungsgerichtshofsgesetz von „jedermann" erhoben werden kann, die Beschwerdebefugnis juristischer Personen und zugleich diejenige der Gemeinden abgeleitet 59 . Die Unzulässigkeit dieser Argumentation, m i t der von der Beschwerdebefugnis auf die Rechtssubjektivität als eine materiell-rechtliche Frage geschlossen wird, ist dabei allerdings evident. (c) Die Grundrechtssubjektivität von Sozialversicherungsträgern wird vom Bundesverfassungsgericht sowohl hinsichtlich einer Landesversicherungsanstalt m i t eingehender Begründung unter Anwendung der Durchgriffstheorie verneint als auch hinsichtlich einer Berufsgenossenschaft sowie neuerdings einer Ortskrankenkasse m i t der lapidaren Begründung, Körperschaften des öffentlichen Rechts genössen i m Bereich ihrer öffentlichen Aufgaben keinen Grundrechtsschutz 60 . 58

HessStGH, E S V G H 23, 147 (150). BayVerfGH, V G H E 5 I I , 1 (6); 10 I I , 113 (118). 60 BVerfGE 21, 362 (396); 23, 12 (30); 39, 302 (313 f.). — Zustimmend zu dieser für die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen des öffentlichen Rechts zentralen Rechtsprechung z.B. W. Rupp-v. Brünneck, S. 349 ff.; ablehnend z.B. K.-A. Bettermann, N J W 69, 1321; T. Herzog, Die Grundrechtssubjektivität überindividueller privatrechtlicher u n d öffentlichrechtlicher Funktionseinheiten, Diss. Münster 1969, S. 66 ff. 59

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6. Teil: Grundrechtssubjektivität von Organisationen

(d) Religionsgesellschaften w i r d vom Bundesverfassungsgericht eine Sonderstellung eingeräumt, w e i l sie weder vom Staat geschaffen seien noch i n ihrem Eigenbereich staatliche Aufgaben wahrnähmen, so daß sie Grundrechtsträger sein könnten; i n einer späteren Entscheidung w i r d es als „anerkannt" bezeichnet, daß sie Inhaber der Grundrechte aus A r t . 3, 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG sein könnten 6 1 . (e) Für Universitäten w i r d vom Bundesverfassungsgericht ausgeführt, zwar könnten i m allgemeinen weder der Staat noch seine Einrichtungen Grundrechte i n Anspruch nehmen, doch gelte dieses Prinzip dann nicht, wenn derartige Institutionen solche in einem Bereich verteidigten, i n dem sie vom Staat unabhängig seien. Dies treffe auf die Universitäten zu, die zwar i n der Regel vom Staat gegründet seien und auch i n anderen Selbstverwaltungsbereichen — insbesondere denjenigen und Lehre frei seien, was auch in der Belassung der akademischen Selbstverwaltung durch die Hochschulgesetze zum Ausdruck komme 6 2 . Diese Entscheidung ist i n doppelter Hinsicht allgemein bedeutsam: Zum einen geht aus ihr hervor, daß es auf die Genese der juristischen Person nicht ankommt, zum anderen muß nach der i n ihr enthaltenen Prämisse auch i n anderen Selbstverwaltungsbereichen — insbesondere denjenigen des Kommunalrechts — Grundrechtssubjektivität angenommen werden. Dabei ist nicht entscheidend, daß die Universität anders als die Gemeinde i m Grundrechtskatalog selbst „abgesichert" ist: M i t der Bezugnahme auf eine solche Verortung w i r d die Einheit der Verfassung übersehen, kraft deren aus dem mehr oder minder gesetzgebungstechnisch nahegelegten Standort der Grundrechte außerhalb des Grundrechtskatalogs keine weitreichenden Konsequenzen solcher A r t gezogen werden dürfen 63 . (f) Für Rundfunkanstalten ist eine entsprechende Erweiterung inzwischen bereits vorgenommen worden: Das Bundesverfassungsgericht macht für sie m i t derselben Begründung wie für die Universität eine Ausnahme von dem Grundsatz der Unanwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts. Gerade zur V e r w i r k lichung der Rundfunkfreiheit seien die Rundfunkanstalten als vom Staat unabhängige, sich selbst verwaltende Anstalten des öffentlichen 61

BVerfGE 19, 1 (5); 30, 112 (120). BVerfGE 15, 256 (262). 63 Dazu schon o. A n m . 48. Bemerkenswert widersprüchlich übrigens B K A. v. Mutius, A r t . 19 Abs. 3 RdNr. 128, nach dem — obwohl Vertreter der Gleichsetzungsthese — Aufsichtsmaßnahmen, die den Schutzbereich des A r t . 5 Abs. 3 GG berühren, n u r von den Mitgliedern der Hochschule abgewehrt werden können, soweit sie Inhaber dieses Grundrechts sind, u n d der damit insoweit gerade auf die L i n i e der von i h m sonst bekämpften Durchgriffslehre einschwenkt. 62

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Rechts geschaffen; ihre Organisation sei derart, daß ein beherrschender Einfluß des Staats auf die Anstalt unmöglich sei 64 . (g) Bezüglich loeiterer juristischer Personen des öffentlichen Rechts ist insbesondere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erwähnenswert, daß ein Deichverband — unbeschadet früherer Natur als privatrechtlicher Vereinigung — eine öffentliche Aufgaben erfüllende juristische Person ist, der als solcher Grundrechte nicht zuständen; auch auf Grundrechte seiner Mitglieder könne der Deichverband eine Verfassungsbeschwerde nicht stützen, w e i l die jeweiligen Grundstücke nicht ihnen gehörten, sondern i m öffentlichen Eigentum (nach hamburgischem Wasserrecht) ständen 65 — eine Erkenntnis, die — wenn auch unausgesprochen — ganz auf der Linie der Durchgriffstheorie liegt. Vom Boden der Gleichsetzungslehre aus erscheint sie nicht zwingend. Hinsichtlich öffentlich-rechtlicher Sparkassen verneint das Bundesverwaltungsgericht die Grundrechtssubjektivität unter Bezugnahme auf die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, i m Bereich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben besäßen juristische Personen des öffentlichen Rechts keine Grundrechtsfähigkeit 66 — in dieser Zuspitzung eine an die anglo-amerikanische Ultra-vires-Lehre 67 gemahnende Begrenzung. (h) Bezüglich nichtjuristischer Personenvereinigungen hat das Bundesverfassungsgericht politischen Parteien die Verfassungsbeschwerde m i t der Begründung zuerkannt, der Grundsatz der gleichen Wahl sei nicht nur zugunsten der Wähler, sondern auch der politischen Parteien aufgestellt; dieses Recht müsse eine Partei i m Verfassungsprozeß verfolgen können. Ob ihr weitere Grundrechte zustehen können, bleibt ausdrücklich dahingestellt. Nicht nur Personengruppen m i t allgemeiner Rechtsfähigkeit könnten grundrechtsfähig sein; vielmehr solle A r t . 19 64

BVerfGE 31, 314 (322). BVerfGE 24, 367 (383). 66 BVerwGE, D Ö V 72, 350. 67 Ablehnend gegenüber der A n w e n d u n g der Ultra-vires-Lehre auf j u r i s t i sche Personen des Privatrechts L. Enneccerus / ff. C. Nipperdey, Allgemeiner T e i l des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., 1. Halbbd., 1959, § 105 I m. A n m . 3, S. 624. A u f juristische Personen des öffentlichen Rechts w i r d die U l t r a - v i r e s Lehre ζ. B. von E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Bd., 10. Aufl., 1973, § 25, 1, S. 482 (bei Überschreitung des Wirkungskreises), sowie von ff. J. Wolff /O. Bachof, § 32 I I I c 1, S. 208 f.; ff. J. Wolff , Verwaltungsrecht I I , 3. Aufl., 1970, § 84 I V b 1, S. 171, übertragen. Das ist — zumal bei Deutung der Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung — gewiß diskutabel, ohne daß dabei die anglo-amerikanische Konsequenz gezogen zu werden braucht, daß die Überschreitung der „öffentlichen" Kompetenz die private Verantwortlichkeit nach sich ziehen müßte (vgl. dazu E. Klotz, Beschränkter W i r kungskreis der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, D Ö V 64, 181 [182, 185]). Die Grundrechtssubjektivität m i t einer der Ultra-vires-Lehre vergleichbaren Begründung zu verneinen, bedeutete indessen eine petitio p r i n cipii. Vgl. zum Thema auch noch E.-W. Fuß, Die Überschreitung des W i r kungskreises juristischer Personen des öffentlichen Rechts, D Ö V 56, 566 (567). 85

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6. Teil: Grundrechtssubjektivität v o n Organisationen

Abs. 3 GG lediglich klarstellen, daß nicht ausschließlich natürliche Personen grundrechtsfähig seien. Gebe der Gesetzgeber Personengruppen — wie den politischen Parteien — wegen ihrer besonderen öffentlichen Funktion die gleiche Rechtsstellung, so müßten sie unabhängig von ihrer Rechtsform und ihrer allgemeinen Rechtsfähigkeit überdies das Grundrecht auf gleiche Behandlung gemäß A r t . 3 GG haben 68 . Insoweit w i r d m i t h i n nach der A r t der jeweiligen Person differenziert, was als Beleg für die — w i e erwähnt — i n der Rechtslehre anzutreffende These dienen kann, es käme bei der Grundrechtssubjektivität nicht nur auf das Wesen des Grundrechts, sondern auch auf dasjenige der juristischen Person an. — Für Handelsgesellschaften, die keine juristischen Personen sind, n i m m t das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit der Berufung auf A r t . 2 Abs. 1 GG deshalb an, weil diese Vorschrift die allgemeine Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet gewährleiste. Diese stehe auch Handelsgesellschaften zu, w e i l solche gerade dazu geschaffen seien, einer durch wirtschaftliche Interessen verbundenen Personenmehrheit einheitliche Willensbildung und -Verwirklichung zu ermöglichen 69 . Auch hier steht m i t h i n der Gedanke i m Vordergrund, daß eine i m Schutzbereich eines bestimmten Grundrechts angesiedelte Personenvereinigung sich auf dieses soll berufen können — wobei allerdings i m Hinblick auf die weite Fassung gerade des A r t . 2 Abs. 1 GG die i n A r t . 19 Abs. 3 GG enthaltene Begrenzung glatt unterlaufen werden kann. I I I . D e r Verlustkatalog der Rechtsdogmatik

Der Uberblick über Literatur und Judikatur verifiziert die eingangs aufgestellte These vom desolaten Zustand der Exegese des A r t . 19 Abs. 3 GG. Er läßt sich i n folgende, zwölf Punkte enthaltende Verlustliste der Rechtsdogmatik zusammenfassen: 1. Die Durchgriffstheorie personalisiert die juristische Person i n Richtung auf das Erfordernis des Zusammenschlusses natürlicher Personen, ohne daß A r t . 19 Abs. 3 GG hierfür etwas ergibt. Man w i r d m i t gutem Grund den Sinn dieser Vorschrift vielmehr gerade i n der „Entpersonalisierung" der Grundrechte sehen können, denn beim Erfordernis der Durchgriffsmöglichkeit wäre diese Bestimmung überhaupt nicht notwendig, vielmehr könnte das Grundrechtssystem ohne weiteres auch auf juristische Personen m i t personalem Substrat angewandt werden. Der systemimmanenten Fortentwicklung der Grundrechtsdogmatik i n diese Richtung hätte zumindest nichts i m Wege gestanden. 68 69

Vgl. hierzu BVerfGE 3, 19 (22), 383 (391 f.). BVerfGE 10, 89 (99).

I I I . Verlustkatalog der Rechtsdogmatik

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2. Die Gleichsetzungstheorie stellt m i t der Betonung der „grundrechtstypischen Gefährdungslage" auf eine Leerformel ab. Dies w i r d auch nicht dadurch verbessert, daß dem Begriff „Wesen" der Grundrechte nicht nur individualisierender, sondern generalisierender Charakter beigemessen wird, w e i l es keinen selbständigen Zweck des Grundrechtssystems als ganzen gibt, der über den aller einzelner Grundrechte hinausreicht. Jedes Grundrecht konstituiert für sich einen Teil der objektiven Wertordnung, als die das Grundrechtssystem zu begreifen ist. 3. W i r d dem Begriff „Wesen" i n A r t . 19 Abs. 3 GG nicht generalisierende, sondern allein individualisierende Natur zuerkannt, so erscheint die Bezugnahme auf das Wesen der Grundrechte ebenfalls als Leerformel, w e i l sich dieselbe Begrenzung bereits aus den immanenten Schranken der Einzelgrundrechte ergibt. 4. Die Abhebung des Grundrechtsschutzes auf die institutionelle Seite der Grundrechte ist ein weder erforderlicher noch zulässiger Umweg. M i t einer solchen Objektivierung läßt sich die Begrenzung der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen, wie sie A r t . 19 Abs. 3 GG bezweckt, nicht umgehen. 5. Durch Abstellung auf die „öffentlichen Aufgaben" der juristischen Personen w i r d eine der Ultra-vires-Lehre ähnelnde Abgrenzung vorgenommen. Offen bleibt die Frage der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen des Privatrechts bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben (beliehener Personen). Konsequenterweise müßte von dieser Prämisse aus die Grundrechtssubjektivität i n einem solchen Fall verneint werden. 6. Der mitunter anzutreffende Verzicht auf die prinzipielle Beantwortung der Frage nach der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen durch sofortige Vermischung m i t dem jeweiligen Grundrecht öffnet die T ü r für widersprüchliche Kasuistik. Zunächst muß — wie dies für die juristischen Personen des Privatrechts auch geschieht — die prinzipielle Grundrechtssubjektivität beantwortet werden. Danach erst hat die Differenzierung nach dem jeweiligen Grundrecht zu erfolgen; anderenfalls w i r d der Funktion des Art. 19 Abs. 3 GG nicht hinreichend Rechnung getragen. 7. Die Orientierung der Grundrechtssubjektivität daran, ob eine j u r i stische Person i m Schutzbereich eines konkreten Grundrechts angesiedelt ist, erscheint i m Hinblick sowohl auf das allgemeine Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) als auch auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) bedenklich. Sie läßt i n beiden Fällen die uferlose Ausdehnung der Grundrechtssubjektivität zu. 10 Achterberg

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6. Teil: Grundrechtssubjektivität von Organisationen

8. Als unzulässig erscheint es, zur Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes auf juristische Personen des öffentlichen Rechts auf dem Umweg über das objektive Gerechtigkeitsprinzip zu kommen. Auch hierdurch besteht die Gefahr, in Verbindung m i t dieser Vorschrift sämtliche Grundrechte für anwendbar zu erachten, weil auch sie auf dem Wege über diese Vorschrift (Verletzung des objektiven Gerechtigkeitsprinzips) anwendbar sind, denn auch die Grundrechtswahrung ist Bestandteil dieses Grundsatzes. Bei einer Verletzung des objektiven Gerechtigkeitsprinzips darf nicht auf den Gleichheitssatz, sondern es muß unmittelbar auf die Rechtsstaatlichkeit abgestellt werden. Die Verfassungsbeschwerde ist dann insoweit allerdings nicht zulässig. 9. Die Anwendbarkeit der A r t . 101 Abs. 1 Satz 2, 103 Abs. 1 GG auf juristische Personen des öffentlichen Rechts damit zu begründen, daß diese Vorschriften i n der Rechtsstaatlichkeit verankert seien, ist deshalb inkonsistent, w e i l dasselbe auch für alle sonstigen Grundrechte gilt. Zur Erstreckung der prozessualen Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts kann man allenfalls durch eine systematische Interpretation des A r t . 19 Abs. 3 GG kommen, bei der abgeleitet wird, daß die i n dieser Vorschrift erwähnten Grundrechte solche des vorangestellten Grundrechtskatalogs sind. Ob aus dem Standort der Grundrechte i n der Verfassung derartig weitreichende Konsequenzen gezogen werden dürfen, bleibt gleichwohl zweifelhaft. 10. Widersprüchlich ist es, wenn hinsichtlich des Staats und sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts i m hoheitlichen Bereich die Konfusionstheorie herangezogen wird, während hinsichtlich des Staats als Fiskus und sonstiger Fiskalate dergestalt differenziert wird, daß bei diesen nicht auf die Konfundierung, sondern auf die mangelnde Durchgriffsmöglichkeit abgestellt wird. 11. Hinsichtlich der Gemeinden und Gemeindeverbände i m Selbstverwaltungsbereich haben die Zweifel, ob diese auch dort „verlängerte Arme" des Staats sind, zu einer Bezugnahme auf die Genese geführt, die bei der Universität demgegenüber keine Rolle spielen soll; für diese w i r d vielmehr außer auf die Verankerung i m Schutzbereich des A r t . 5 Abs. 3 GG auf die mangelnde Vertauschbarkeit des Aufgabenbereichs abgehoben. 12. Auch bei Religionsgesellschaften liegt wegen deren geistlichen Auftrags allerdings keine Vertauschbarkeit der Aufgaben vor, doch bleibt ihre Rechtsnatur als Körperschaft des öffentlichen Rechts unberücksichtigt, wenn hierauf abgestellt wird. Demgegenüber w i r d bei Rundfunkanstalten (außer auf die Verankerung im Schutz-

I V . Rechtsverhältnis als Deutungsschema

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bereich des A r t . 5 Abs. 1 GG) gerade auf die öffentlich-rechtliche Natur abgehoben, wenn als Argument vorgetragen wird, der Staat habe diese bei der Schaffung der Grundrechte als öffentlich geregelte vorgefunden. Von einheitlichen Kriterien für die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen kann nach allem keine Rede sein. Das legt den Verdacht nahe, daß insoweit mitunter m i t einem Vorverständnis gearbeitet wird, zu dessen Verifizierung die jeweils passende Begründung herangezogen wird. I V . Das Rechtsverhältnis als Deutungsschema

1. Theoretischer Bezugsrahmen Der dieser dogmatischen Situation gegenüberzustellende Problemlösungsvorschlag beruht auf der Ausgangsthese, daß die GrundrechtsSubjektivität vor dem Hintergrund, der konkreten Rechtsverhältnisse zu sehen ist, i n dem die Rechtssubjekte zum Staat als Grundrechtsadressaten stehen. Dabei handelt es sich u m einen Ausschnitt aus dem möglichen Deutungsschema der Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung, als eines „Beziehungsgefüges und Gefälles von Verhältnissen" 70 , das neue Einsichten auch für mancherlei andere Rechtsinstitute erwarten läßt. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen werden. Die Differenzierung der Rechtsverhältnisse für die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen nutzbar zu machen, erfordert allerdings den Nachweis, daß diese auf das konkrete Rechtsverhältnis bezogen und von i h m abhängig ist. Dem scheint zunächst entgegenzustehen, daß nicht die Rechtsfähigkeit aus dem Rechtsverhältnis erwächst, sondern vielmehr gerade erforderlich ist, um ein Rechtsverhältnis zu begründen. Indessen ist zu beachten, daß diese Beziehung allenfalls für eine „generelle" Rechtsfähigkeit gilt, von der die Grundrechtssubjektivität zu unterscheiden ist 71 . Sie stellt eine spezielle Rechtsfähigkeit dar 72 , die 70 R. Marcie, Die Reine Staatslehre: Der H i n t e r g r u n d der Kelsen-Renaissance i m deutschsprachigen Raum, i n : Law, State and International Legal Order, Essays i n Honor of Hans Kelsen, ed. Engel / Métall, 1964, S. 197 (201). 71 I m Schrifttum ist versucht worden, diesen Unterschied auch terminologisch sichtbar zu machen, indem als Rechtsfähigkeit die Fähigkeit bezeichnet wird, generell Verpflichtungs- u n d Berechtigungssubjekt zu sein, als Rechtssubjektivität diejenige, Zurechnungssubjekt mindestens einer Rechtsnorm, also Verpflichtungs- u n d Berechtigungssubjekt i m beschränkten Umfang zu sein (O. Bachof, AöR 83 [1958], 208 [260]; H.R. Förger, Teilrechtsfähigkeit rechtlich unselbständiger Anstalten des öffentlichen Rechts, BayVBl. 73, 10; F. Ossenbühl, S. 165, der den Unterschied zwischen Rechtsfähigkeit u n d Rechtssubjektivität nicht als qualitativen, sondern n u r als quantitativen begreift; zweifelnd an der Berechtigung des Unterschieds H. H. Rupp, S. 82 m. Anm. 177, sonst aber gleichfalls zustimmend, S. 87).

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6. Teil: Grundrechtssubjektivität von Organisationen

nur i n solchen Rechtsverhältnissen erwächst, an denen der Staat beteiligt ist 73 . Besonders deutlich hat Friedrich Klein herausgearbeitet, daß eine punktuelle Rechtsfähigkeit vorliegt, sobald die Rechtsordnung einem Zurechnungssubjekt auch nur eine einzige Rechtspflicht auferlegt 74 . Das aber erweist, daß nicht die Grundrechtssubjektivität gegenüber dem Rechtsverhältnis, sondern umgekehrt dieses gegenüber der Grundrechtssubjektivität logisches prius ist. (Allgemeine) Rechtsfähigkeit und Grundrechtssubjektivität verhalten sich wie zwei konzentrische, sonstige (beispielsweise Privat-)Rechtssubjektivität und Grundrechtssubjektivität wie zwei einander schneidende Kreise. Die Grundrechtssubjektivität ist i n die (allgemeine) Rechtsfähigkeit eingelagert, da die Entstehung des Rechtsverhältnisses, i n dem sie auftritt, diese voraussetzt. Demgegenüber können sonstige Rechtssubjektivität und Grundrechtssubjektivität übereinstimmen, brauchen dies aber nicht zu tun: Beispielsweise sind i m Organverhältnis auch Organe Rechtssubjekte, ohne aber Grundrechtssubjekte zu sein, umgekehrt können nichtjuristische Personen Vereinigungen Grundrechtssubjekte sein, ohne aber Rechtssubjekte i m Privatrechtsverhältnis zu sein. 2. Konsequenzen

Damit ist der theoretische Bezugsrahmen gewonnen, von dem aus die Grundrechtssubjektivität der einzelnen Organisationstypen beurteilt werden kann: 72 Theoretisch aufbereitet ist die Problematik insb. durch F. Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, 1963. I n der Tat hat die Rechtslehre sich m i t der Unterscheidung von totaler u n d partieller Rechtsfähigkeit sowie externer u n d interner Rechtssubjektivität „ e i n begriffliches Rüstzeug geschaffen", u m „den verschiedensten positiv-rechtlichen Phänomenen beizukommen", F. Ossenbühl, S. 165. N u r ist die Dichotomie extern/intern — wie dargelegt — noch zu pauschal, so daß allgemein, aber zugleich i m erforderlichen Maße differenzierend, von „rechtsverhältnisbezogener Rechts Subjektivität" gesprochen werden sollte. Vgl. zum Thema auch noch H. v. Olshausen, S. 97 f., 105; H. H. Rupp, S. 82 ff.; W. Weber, Nichtrechtsfähige öffentlich-rechtliche Verbände, i n : Festschrift f ü r Hermann Jahrreiß, 1974, S. 323; H.J. Wolff, Organschaft u n d Juristische Person, Bd. I, 1933, S. 202 f., Bd. I I , 1934, S. 249. 73 Die Problematik der D r i t t w i r k u n g mag dabei auf sich beruhen. Z u einer solchen k o m m t es jedenfalls nicht durch einfache Auswechselbarkeit des Staats gegen ein anderes Rechtssubjekt als Grundrechtsadressaten, sondern n u r unter der Voraussetzung der Transformation der Grundrechtsgeltung aus dem Rechtsverhältnis zwischen Grundrechtssubjekt u n d Staat i n ein solches zwischen Grundrechtssubjekt u n d einem anderen Grundrechtsadressaten, N. Achterberg, JZ 76, 440. 74 F. Klein, Verfassungsrechtliche Grenzen der Gemeinschaftsaufgaben, i n : Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund, Ländern u n d Gemeinden, 1961, S. 125 (126 ff.). I h m folgt H. H. Rupp, S. 83 m. A n m . 178, S. 86 m. A n m . 188, S. 87. Ä h n l i c h auch H. R. Förger, BayVBl. 73, 10 f. (dem n u r i n seiner Bezeichnung der Rechtssubjektivität als „Vorstufe von Rechtsfähigkeit" nicht gefolgt werden kann).

I V . Rechtsverhältnis als Deutungsschema

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a) Hinsichtlich ausländischer juristischer Personen kommt es auf die Unterscheidung nach solchen des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts nicht an. Beide können gleichermaßen i n einem Rechtsverhältnis zum Staat stehen und daher grundrechtsfähig sein. Ihre Ausklammerung aus dem Grundrechtsschutz ergibt sich lediglich durch die ausdrückliche Begrenzung des A r t . 19 Abs. 3 GG auf inländische juristische Personen. Hieraus resultierende Probleme sind keine solchen des Organisationstyps, sondern des Inlandbegriffs. W i r d die Reichweite dieser Norm auf die Grundrechte i m Grundrechtskatalog beschränkt, so ergibt sich hieraus ohne dogmatische Schwierigkeit die Möglichkeit, ausländischen juristischen Personen alle solche außerhalb dieses Katalogs zuzugestehen. W i r d diese Begrenzung nicht vorgenommen, so ist ausländischen juristischen Personen nach dem Wortlaut des A r t . 19 Abs. 3 GG die Inanspruchnahme aller Grundrechte versagt. Dogmatisch mögliche Wege beständen dann erstens in der Anwendung der i n den prozessualen und anderen Grundrechtsnormen enthaltenen Gewährleistungen, zweitens — falls die A u f spaltbarkeit i n subjektive und objektive Schutzwirkung der Grundrechte verneint w i r d 7 5 — i n der Bezugnahme auf das Rechtsstaatsprinzip als Grundlage beispielsweise der Garantie des gesetzlichen Richters w i e des rechtlichen Gehörs, drittens — falls deren Voraussetzungen gegeben sind — in der analogen Anwendung des A r t . 19 Abs. 3 GG und des jeweils i n Rede stehenden Grundrechts 76 — wobei sich das Erfordernis derartiger Gesamtschau aus der zuvor begründeten These ergibt, daß Art. 19 Abs. 3 GG insofern leerläuft, als es auf das „Wesen" eines Grundrechts nicht erst wegen dieser Bestimmung, sondern schon wegen der immanenten Schranken jedes Einzelgrundrechts ankommt. b) Der Staat selbst ist deshalb kein Grundrechtssubjekt, weil auf Grund der Identität von Berechtigtem und Verpflichtetem insoweit kein Rechtsverhältnis besteht. U m dies klar herauszustellen: Hier ist das Verhältnis Staat—Staat gemeint, nicht dasjenige zwischen seinen Orga75 Z u dieser Frage ausführlich B K - A . v. Mutius, Art 19 Abs. 3 RdNr. 20 m i t weiteren Hinweisen (der die Differenzierung nach subjektiver und objektiver Schutzwirkung selbst ablehnt, w i e auch W. Rupp-v. Brünneck, S. 354). Der Frage k a n n hier i m einzelnen nicht nachgegangen werden; doch spricht i m merhin einiges dafür, daß die Grundrechte als Bestandteil objektiven Rechts durch ihre B i n d u n g s w i r k u n g gegenüber allen Staatsfunktionen (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) einen über das System subjektiver Rechte (die allein Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sein können [vgl. ζ. Β . H. Lechner, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 3. Aufl., 1973, § 90 Abs. 1]) hinausgehenden eigenen Regelungsgehalt besitzen. 76 Der Sache nach w i r d eine solche Analogie hinsichtlich der „prozessualen" Grundrechte schon gegenwärtig vorgenommen, worüber die Bezugnahme auf die Rechtsstaatlichkeit nicht hinwegtäuschen darf: Sie reicht nicht für die Verfassungsbeschwerde aus, die jedoch i n den einschlägigen Entscheidungen (s. ο. I 2 b) für zulässig gehalten w i r d . Beachtliche topoi gegen die Analogie allerdings bei E.-H. Ritter, N J W 64, 281.

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6. Teil: Grundrechtssubjektivität von Organisationen

nen, das — wie erwähnt — Art. 19 Abs. 3 GG schon deshalb nicht unterfällt, weil diese Vorschrift die Grundrechtssubjektivität lediglich auf juristische Personen, nicht aber auf Organe erstreckt 77 . Ob der Staat i m hoheitlichen oder fiskalischen Bereich auftritt, ist unerheblich, so daß auch das Problem des Formenmißbrauchs nicht entsteht. I n beiden Fällen muß der Rechtsschutz vielmehr kompetenziell — durch Einsatz des selbstregulierenden Systems — gefunden werden, nicht aber über den Grundrechtsschutz. Insoweit hat die Differenzierung nach „staatsextern-rechtlichen" und „staatsintern-kompetenziellen" Beziehungen 78 ihre Berechtigung, wenn sie auch nicht verdunkeln darf, daß die Dichotomie extern — intern wegen der Pluralität prinzipiell gleichrangiger Rechtsverhältnisse i n der Rechts Verhältnisordnung sonst keinen Erkenntniswert besitzt. Differenzierend ist das Problem hinsichtlich der Staaten im Bunde sstaat zu beantworten: Sofern die Organe eines Staats für einen anderen tätig werden — wie bei der Landesverwaltung im Auftrag des Bundes die Landesbehörden für diesen — muß der Rechtsschutz ebenfalls i n Form staatsintern-kompetenzieller Selbstregulierung erfolgen; sonst aber ist auch i n den interstaatlichen Rechtsverhältnissen im Bundesstaat der Grundrechtsschutz eröffnet 79 . c) Bezüglich Selbstverwaltungskörperschaften (insbesondere Gemeinden und Gemeindeverbänden) muß ganz entsprechend danach unterschieden werden, ob diese dem Staat in einem Rechtsverhältnis gegenüberstehen oder ob ihre Organe als solche des Staats tätig werden (Organleihe). I m zweiten Fall besteht zwar auch ein — als Innenrechtsverhältnis zu qualifizierendes — Rechtsverhältnis zwischen Staat und Gemeindeorgan. Die Grundrechtssubjektivität der kommunalen Körperschaften scheitert jedoch daran, daß nicht sie i m Außenverhältnis als juristische Personen, sondern daß ihre Organe i m Innenrechtsverhältnis zum Staat auftreten, Organen aber keine Grundrechtssubjektivität zu77 Nicht gangbar infolgedessen der Weg von G. Kriegbaum, Grundrechtsschutz für den Staat i m Fiskalbereich, BayVBl. 72, 481, 517 (487), darauf abzustellen, daß die Legislative nicht nur dem Staatsbürger, sondern auch dem Staat gegenüber verfassungswidriges Recht setzen kann: Hier werden Organisation u n d Organ vermischt. 78 Bei J. Burmeister, V o m staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, 1971, S. 91 ff. 79 I m Ergebnis ebenso K.-A. Bettermann, N J W 69, 1327. — Es ist kein Z u fall, daß außerhalb der Auftragsverwaltung auch eine Haftung zwischen B u n d u n d Ländern aus § 839 BGB, A r t . 34 GG f ü r zulässig gehalten wurde, w e i l beide Staatsebenen dann eben nicht so miteinander verschränkt seien, daß ihre Natur als „ D r i t t e " zu verneinen wäre. Vgl. dazu schon RGZ 118, 94 (99); 134, 311 (321); 144, 119 (125), sowie Β GHZ 26, 232 (234); 27, 210 (214), und N. Achterberg, Die interkörperschaftliche Haftung i m Bundesstaat am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, DVB1. 70, 125 (129 f.).

IV. Rechtsverhältnis als Deutungsschema

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kommt 8 0 . Auch insoweit müssen mögliche Rechtsverletzungen kompetenziell durch Selbstregulierungsmaßnahmen beseitigt werden. Da demgegenüber Universitäten und Rundfunkanstalten i n Rechtsverhältnissen zum Staat stehen, genießen diese wie alle sonstigen j u r i stischen Personen, deren Organe nicht nur auf Grund eines Verbundsystems m i t dem Staat als seine Organe erscheinen, Grundrechtssubjektivität. A u f ihre Ansiedlung i m Schutzbereich einer speziellen Grundrechtsnorm kommt es dabei nicht an, so daß auch keine dogmatischen Schwierigkeiten wie diejenigen auftreten, einer Rundfunkanstalt außer dem Grundrechtsschutz aus A r t . 5 Abs. 1 GG beispielsweise denjenigen aus Art. 14 Abs. 1 GG zu gewähren. Ebenso ist es unerheblich, ob eine juristische Person ein personales Substrat hat, denn sie kann auch ohne ein solches Rechtsverhältnisse eingehen. d) Dasselbe gilt schließlich für juristische Personen des Privatrechts wie auch für nichtrechtsfähige Personenvereinigungen. Sobald solche als Beliehene der Erfüllung staatlicher Aufgaben dienen, w i r k t sich ihre Organstellung freilich wiederum dergestalt aus, daß kein Grundrechtsschutz anzuerkennen ist. Zwar besteht zwischen dem Beliehenen und der beleihenden Person des öffentlichen Rechts ein Rechtsverhältnis, das man als öffentlich-rechtliches Auftragsverhältnis qualifizieren kann 8 1 , doch ist der Beliehene als Organ des Staats selbst den Grundrechten unterworfen und nimmt an der Grundrechtsadressaten-, nicht aber an der Grundrechtssubjektstellung teil.

80 Das k l i n g t bereits bei H. J. Wolff, Organschaft u n d Juristische Person, Bd. I, S. 120 ff., Bd. I I , S. 254 ff., an, nach dem als Organe tätige Selbstverwaltungsträger nicht mehr Träger eigener Rechte sind, so daß eine Zäsur zwischen Tätigkeitsbereichen k r a f t eigener u n d k r a f t fremder Zuordnung zu ziehen sei. Schärfer unterschieden werden muß jedoch noch, daß nicht die Selbstverwaltungskörperschaft als Organisation, sondern n u r ihre Organe i m Organ Verhältnis zu demjenigen Rechtsträger stehen, zu dem das Organleiheverhältnis besteht (vgl. dazu H. H. Rupp, S. 101 f. [wenn auch noch nicht konsequent genug]): Erkennt man nicht der Gemeinde als solcher Organcharakter zu, so bedeutet das noch keineswegs, daß jede rechtswidrige Weisung die Gemeinde i n den i h r gesetzlich zustehenden Rechten verletzt; auch insoweit muß vielmehr die K o m p l e x i t ä t der Rechtsverhältnisse beachtet w e r den, auf G r u n d deren Weisungen i m intrakörperschaftlichen Organverhältnis von denjenigen i m interkörperschaftlichen Rechtsverhältnis des Selbstverwaltungsbereichs zu unterscheiden sind, und daß überdies durchaus eine Rechts- u n d Pflichtenstellung auch der Organe (nur eben i m Organ [ „ I n nen"]-, nicht aber i m „Außen"-Rechtsverhältnis [diese Terminologie m i t dem bereits erwähnten Vorbehalt, daß sie noch zu grobrasterig ist]) besteht. 81 H. J. Wolff, Verwaltungsrecht I I , § 104 I I I , S. 390, der aber § 104 I c, S. 388 f., m i t Recht bemerkt, daß der Beliehene gleichwohl Organ derjenigen juristischen Person des öffentlichen Rechts ist, „die i h m die transitorische Wahrnehmung bestimmter hoheitlicher Kompetenzen für sie übertragen hat."

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6. Teil: Grundrechtssubjektivität von Organisationen

V. Schlußbemerkung Nach allem ergibt sich, daß die Bedeutung des Rechtsverhältnisses als K r i t e r i u m der Grundrechtssubjektivität nicht nur rechtstheoretisch abgesichert werden kann, sondern daß sich auf diese Weise die Grundrechtssubjektivität juristischer Personen wie nichtrechtsfähiger Personenvereinigungen rechtsdogmatisch widerspruchsfreier begründen läßt, als dies m i t den bisherigen Konstruktionsversuchen der Rechtslehre möglich ist.

Namenverzeichnis Anschütz, G. 122 Aquino, T. v. 51 Aristoteles 51 Austin, J. 68 Bachof, O. 17, 32, 35, 39, 41, 69, 72, 106, 118, 120 f., 127, 143, 147 Bauer, W. 89 Becher, H. 28 Behrend, J. 44, 76, 105, 114 Beling, E. 24 Bentham, J. 68 Bernard, P. 76 Bethge, H. 125, 130 f. Bettermann, K . - A . 124, 129, 141, 150 Bierling, E. R. 19—23 Binder, J. 18 Blackstone, W. 18, 68 Bley, H. 69 Burmeister, J. 150 Calvin, J. 97 Chalfina, P. O. 109 Cicero, M. T. 90 Coke, E. 68 Cossio, C. 35 Dagtoglou, P. 137 Damiani, P. 97 Delius, H. 70 Doemming, K . - B . v. 125 Dombois, H. 26 Dreier, R. 129 Dürig, G. 97, 117, 123 f., 126, 129, 131—134 Eberhard, F. 76 Enneccerus, L. 35 f., 79, 143 Erichsen, H.-U. 17, 35, 69, 106 Essler, W. K . 68 Fabricius, F. 41, 127, 148 Fleiner-Gerster, T. 61 Follesdal, D. 68 Förger, H. R. 41, 147 f. Forsthoff, E. 69, 129, 143 Fraenkel, E. 90 Fuß, E.-W. 120, 128, 132 f., 143 Füßlein, R. W. 125

Gebhard, L. 122 Geck, L. H. A. 26 Giese, F. 122 Gray, J. C. 68 Grosser, D. 89, 102 Grundmann, S. 137 Häberle, P. 69, 72—74, 78, 91, 106 Haenel, A . 18 Hart, H. L. A . 68 Hauser, R. 51 Henke, W. 69, 72, 118, 120 Herzog, R. 97, 117, 123 f., 126, 129, 131—134 Herzog, T. 141 Hobbes, T. 68 Hoerster, N. 68, 70 Holder, E. 18 Hollerbach, A . 132 Hoppe, W. 69, 72 Huber, E. R. 121 f. Ipsen, H. P. 138 Jellinek, G. 18, 89 Jellinek, W. 62 Kant, I. 51 f., 112 Kaufmann, E. 89 Kelsen, H. 23 f., 32, 35, 44, 52, 70, 76, 83, 89—93, 95 f., 102, 104—108, 110— 118 Kiefner, H. 19 K i m m e l , H. 35 Klein, Franz 125 Klein, Friedrich 41, 97, 125—127, 131, 137 f., 148 Klotz, E. 143 Krause, P. 69, 72 Krawietz, W. 68 Kriegbaum, G. 150 Kriele, M. 98, 124 Krüger, H. 133 Kuhlen, R. 70 Kunz, K . - L . 68 Langdell, C. C. 68 Larenz, K . 98 Lechner, H. 149

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Namenverzeichnis

Lehmann, H. 82 Loening, E. 18 Loewenstein, Κ . 25, 72 f. Lübbe-Wolff, G. 68 Luhmann, N. 30 f., 54, 72, 94 Luther, M. 97 Mangoldt, H. v. 97, 125—127, 131, 137 f. Manti, W. 91 Marcie, R. 147 Martens, W. 17, 69, 106 M a r x , K . 108 f. Maser, S. 126, 128 f., 131—133, 137 Matz, W. 125 Maunz, Th. 97, 117, 123—126, 129, 131—134 Maurer, H. 69, 72 f., 78, 106, 132 Mayer, O. 17, 120 Mazurek, P. 68, 70 Meessen, Κ . M. 126, 137 Menger, C.-F. 35 Merkl, A. 44, 83, 91—93, 104 f., 114 f. Métall, R. A. 91 Meurer, C. 128 Meyer-Hesemann, W. 50 Müller, F. 98 Müller-Freienfels, W. 123 f. Mutius, A. v. 121, 123, 125, 127 f., 131—134, 137 f., 142, 149 Nawiasky, H. 24 f., 44 Neidert, R. 73 Niehues, N. 35 Niessen, H. 126, 137 f. Nipperdey, H. C. 35 f., 79, 82, 143 Obermayer, K . 133 Oechsle, M. 128 Oeing-Hanhoff, L . 70 Oestreich, G. 124 öhlinger, Th. 105 Olshausen, H. v. 41, 129, 148 Opalek, K . 93, 105 Ossenbühl, F. 39, 41, 147 f. Parsons, T. 30, 94 Pasukanis, E. 52, 56 f., 63, 83, 109 Penski, U. 35 Peters, H. 132 Quaritsch, H. 133 Quines, W. V. 68 Radbruch, G. 89 Rappoport, A. 109 Reich, N. 63

Renck, L. 62 Ritter, E.-H. 126, 137, 149 Rodingen, H. 50, 57, 59, 64, 77 Roemer, K . 138 Rüfner, W. 69, 72, 120, 122, 126 f. Rupp, H. H. 25, 32, 35, 39, 41, 72, 95, 147 f., 151 Rupp-v. Brünneck, W. 124, 133, 141, 149 Sander, F. 54 f., 58, 62, 65 Savigny, F. C. v. 19, 98 Schäfer, F. 131 Schild, W. 96, 105 Schmidt, W. W. 122 Schmidt-Bleibtreu, B. 125 Schmitt, C. 122, 127 Schmitt Glaeser, W. 91, 100 Schnabel, Ρ. E. 28 Schnapp, F. E. 41, 59, 63, 66, 69, 72, 118, 125, 130, 132 Scholz, R. 97, 117, 123 f., 126, 129, 131—134 Schwabe, J. 129 Schwarz, H. 70 Serick, R. 123 Sievers, B. 26 Simmel, G. 27, 53, 72 Smend, R. 89, 132 Steffani, W. 91, 99 Stegmüller, W. 68 Stern, K . 90, 131 f. Stoerk, F. 121 Stöhr, J. 98 Stucka, Ρ. I. 63 Süsterhenn, A. 31 Ulsamer, G. 125 Utz, A.-F. 97 Verdroß, A. 51 Viehweg, Th. 95 Vierkandt, A. 28, 53, 72 Vysinskij, A. J. 63 Walter, R. 83, 91 f., 100, 105 Weber, M. 89 Weber, W. 41, 132, 148 Weinberger, O. 85, 105, 110, 114 Weyr, F. 91 Wiese, L. v. 28 f., 53, 72 Wolff, Hans J. 31 f., 35, 41, 106, 121, 143, 148, 151 Zachariä, H. A . 121 f. Zacher, H. F. 69, 72, 118

averzeichnis Abgeordnetenverhältnis 82 absolute Rechte 35 Aktiengesellschaft 135 f., 138 Allgemeinverfügung 35, 84 Ambivalenz der Re cht serzeugung 115 f. analytische Jurisprudenz 67—88 Anspruchsverhältnis 22, 39, 43 Anstalts- u n d Benutzungsverhältnis 78 Anwartschaft 63 Äquivalenzfunktionalismus 30 Armenrecht 138 Asymmetrie s. Rechtsverhältnis, asymmetrisches Aufsichtsbehörde 81, 129 Auftragsverhältnis, öffentlich-rechtliches 151 Auftragsverwaltung 150 Autonomie 39, 121 s. auch Selbstverwaltung Außendifferenzierung 39 Außenrecht 25, 46, 74, 99, 125, 133, 150 f. Beamten Verhältnis 80—83, 101 Bedingung 65 Beliehener 145, 151 Besitzer 20 Beziehung, inter subjektive 114 — intrasubjektive 114 — zwischen Rechtsverhältnissen 78—83 Beziehungsgeltung 45, 48, 59, 85, 114 Beziehungssoziologie 26—29, 31, 53, 87 Bezugslehre 124 Bund-Länder-Streit 129, 150 Bündelverwaltungsrechtsverhältnis 74 Bundesbahn 135, 139 Bundeskanzlei (Schweiz) 61 Bundesrat (Schweiz) 61 Bundesstaat 97, 129 f., 150 Bundesversammlung (Schweiz) 61 Bürgerbeauftragter (RheinlandPfalz) 60 f. Bürgerliches Recht s. Privatrecht Bürgschaft 21 culpa in contrahendo 81 f.

Dauerverhältnis 78, 88 Deichverband 135 f., 143 Dekonzentration 71 Delegation 94, 131 Demokratie 89—103 Demokratiemodelle 89, 102 Derogation 105 Determinante, außerrechtliche 94 — autonome von Rechtserzeugungsstufen 44, 65, 73, 76, 93, 96, 100, 103, 115, 117 — autonome von Rechtsverhältnissen 43 f., 48, 64 f., 71, 76, 82, 84 f., 88, 100, 109 — heteronome 44, 48, 63, 76, 85, 88, 103, 109, 117 Determination 43 f., 47 f., 63, 65 f., 76 f., 79 f., 85 f., 88, 94, 96 f., 100— 102, 104, 108, 113, 115 — mittelbare 88 — unmittelbare 88 Disymmetrie s. Rechtsverhältnis, Asymmetrisches Dogmengeschichte 18—31 D r i t t w i r k u n g von Grundrechten 45—47, 59, 110, 120, 148 Durchgriffstheorie 123—125, 128, 134, 141, 143 f. Effizienz 99 f. Eheverhältnis 83, 101 Eigentum, öffentliches 143 Eingemeindung 141 Elternverhältnis 63, 80 f. Empirie 69 f. Endnorm 105, 116 Ermessen 94 f., 103 Europarecht 138 ex factis ius non oritur 34, 48, 55 ex iure facta non o r i u n t u r 34, 48, 55 Fallrelevanz 95 Fiskalat 134, 146 Formenmißbrauch 123, 150 Freiheit 90, 102 f. Funktionalismus 30 Funktionenverschränkung 25 Gebührensatzung 84 Gefährdungslage, grundrechtstypische 125 f.

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averzeichnis

Geltungserstreckung 45, 67, 72, 114 Gemeinde 71, 99, 121 f., 130—135, 139—141, 146, 150 f. Gemeindeverband 71, 130—135, 139, 146, 150 Gemeingeb rau eli 78 Gerechtigkeit 130, 139, 146 — ausgleichende 51 — austeilende 51 Gesamtverhältnis 22 Geschäftsordnung 114 Geschlossenheit der Rechtsordnung 96—98, 102 f. — der Rechtsverhältnisse 101—103 Gesellschaft 27—31, 71, 109 Gesellschaft m i t beschränkter Haftung 135 f., 138 Gesellschaftsordnung u n d Rechtsordnung 34, 50, 54—56, 98 f. Gesetz 35, 74, 84, 92, 113 Gewaltverhältnis, allgemeines 24 f., 46, 84 — besonderes 25, 46, 120 Gleichheit 90, 130, 138 f., 141, 146 Gleichordnung 27 Gleichsetzungstheorie 128, 145 Gott 97 f. Gottesverhältnis 26 Grenzstabilisierung 39 Grundentscheidung, verfassunggestaltende 97 Grundnorm, hypothetische 44, 94, 97, 114—116 Grundrechte 45 f., 48, 59, 110, 117, 120—152 — Gesamtsystem 128, 145 — prozessuale 130, 136, 139, 146, 149 — Schranken 127, 135 — Schutzbereich 142 f., 145—147, 151 — vorstaatliche 124 — Wesen 126 f., 138, 144 f., 149 Grundrechtsbindung 97 Grundrechtskatalog 137, 142, 146, 149 Grundrechtssubjektivität 41 f., 59, 120—152 Handelsgesellschaften 136, 144 Hauptsatzung 84 Haupt vertrag 79 Herausgabepflicht 82 Herbeirufungsbefugnis 114 Hermeneutik 70 Hinterbliebenenverhältnis 63, 80 f. Impermeabilitätstheorie 38 f., 46, 130 I n d i v i d u u m 124 I n d u k t i o n 34, 48, 55 f., 64 f., 71 I n k o m p a t i b i l i t ä t 83, 101, 120 Inkorporation 45, 66 Innen-Außen-Differenzierung 30

Innendifferenzierung 36 f., 39, 60, 67, 84 Innenrecht 17, 25, 39, 42, 46, 74, 99, 114, 125, 150 f. Insich-Prozeß 120, 129 Institutionelle Garantie 141, 145 Inter-Organ-Kontrolle 25 Inter-Organ-Verhältnis s. OrganOrgan-Verhältnis Interpretation 47—49, 70, 72, 86, 88 — normkonforme 86 — topische s. Topik — traditionelle 86, 96, 98, 103 Interrelationale Beziehungen 21 Intraorganisationsverhältnis 114 I n t r a - O r g a n - K o n t r o l l e 25, 32 Intraorganverhältnis 114 Juristische Personen 23, 37, 72, 84, 87, 110, 120—152 — ausländische 126, 135—137, 149 — inländische 126, 149 Kausalnorm 112 Kirche 122, 132 s. auch Religionsgesellschaft Kirchengut 122 Kirchenrecht 26, 47 Kommanditgesellschaft 135 f. K o m p l e x i t ä t s. Rechtsordnung, K o m plexität Komplexitätsreduktion 30 f., 54, 58 Konfliktabsorption 30, 54 Konfusionstheorie 128 f., 134, 139, 146 Konkretisierung 95, 115 Konnexität 22, 62, 75, 111 Konsens, transformierender 34, 56 Korporation, Beschwerderecht 121 K r i t i k 70 Landtag 60 f. Lebensverhältnis 20 f. Legitimation 47 Magistratsanordnung 17 magna Charta l i b e r t a t u m 124 Makroorganisation 31, 100 Marxismus s. Rechtstheorie, m a r x i stische Massenverwaltungsrechtsverhältnis 74 Menschenwürde 97 Metarecht 35, 43, 54, 93 f., 111, 124 Methodenmonismus 34 Methodenpluralismus 34 f., 96 Methodensynkretismus 34 f. Mikroorganisation 31, 100 Minderheitenrechte 95 Momentverhältnis 78, 88

Sachverzeichnis Moralnorm 33—35, 47, 55 f., 71, 87, 108, 111, 115 Moralsubjekt 34, 57, 74 Multidetermination 100 M u l t i p o l a r i t ä t 100 Muß-Satz 112 Nachverhältnis 811, 111 Natur der Sache 96 Nichtakt 57 N o r m 84 f., 108 s. auch Moralnorm, Rechtsnorm, Sozialnorm — Unabänderlichkeit 97 f. Normativität des Faktischen 96 Normstufenbau 65, 83 f., 92—94, 97, 102, 113—116 — Dehnung 92, 96, 103 — Verkürzung 92 f., 96, 103 Norm u n d W i l l e n 63—66 Normvalenz 66 f., 72, 84—88, 110, 114 Nullsummentheorie 94 Offenheit der Rechtsordnung 91—96 — der Rechtsverhältnisse 99 f., 102 f. öffentliches Recht 22 f., 39 f., 46, 120 Ontologie s. Rechtsontologie Organ 37 f., 42, 60, 84, 87, 99, 106, 110, 114, 129, 148, 150 f. Organhierarchie 99 Organ-Organ-Verhältnis 25, 32, 37 f., 42 f., 59, 61, 66, 72, 84, 99 Organ-Organwalter-Verhältnis 37 f., 47 f., 61, 114 Organisation 29, 36 f., 60, 84, 87, 110, 120—152 Organisation-Organ-Verhältnis 20, 37 f., 47 f., 72, 84, 99, 114 Organisation-Organisation-Verhältnis 37 f., 48, 66, 72, 99 Organisation-OrganisationsmitgliedVerhältnis 37 f., 42, 45, 47 f., 67, 80, 83—85, 99, 114 Organisation-Organwalter-Verhältnis 37 f., 48, 61, 84, 99 Organisation-Unterorgan-Verhältnis 37 f. Organisationslehre 29, 47 Organisationsmitglied 37 f., 84, 87,110 Organisationsmitglied-Organisationsmitglied-Verhältnis 37 f., 42, 45, 66 f., 85, 99 Organisationsordnung 71 Organleihe 150 Organordnung 72 Organstreit 129 Organträger s. Organisation Organverhältnis 25, 42, 148, 151 Organwalter 37 f., 60, 84, 114 Organwalterverhältnis 25, 42, 61

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Partei, politische 134—136, 143 f. Partizipation 91, 100 Personenvereinigung, nichtjuristische 134—136, 143 f., 151 Petitionsausschuß 60 f. Pflichtsubjekt 39 f., 58, 62, 75 Pflichtverhältnis 22, 118 Phasenverschiebung der Rechtsetzung 115 Pluralismus 25, 71, 87, 91, 93, 96, 99 Polysymmetrie s. Rechtsverhältnis, polysymmetrisches Polytomie 25 f., 36, 43, 46, 58, 60 f., 64, 99 f., 103 Polyvalenz 21 Positivismus 50 potestas absoluta 97 f. — ordinata 97 Prävisionsfähigkeit 94 Präzisionsbedürfnis 94 f. Privatrecht 22 f., 40, 46, 120 Produktionsverhältnis 109 Prozesse, soziale 29 Prozeßökonomie 137 Prozeß-Soziologie 29 Prozeßvergleich 76 Realakt 65 Recht, subjektives s. Rechtsanspruch Rechte-Pflichten-Beziehung 19, 22 f., 117 f. rechtliches Gehör 137, 149 Rechtsanspruch 19, 20, 24 Rechtsanwendung s. Ambivalenz Rechtsbegriff 40, 58 Rechtsetzung s. Ambivalenz Rechtsfähigkeit 41, 127, 147 — generelle 41 f. — punktuelle 41, 148 — spezielle 41 f. Rechtsfolge u n d Tatbestand 115 Rechtsgeschäft, beiderseitig verpflichtendes 40, 62, 108 — einseitig verpflichtendes 40, 62, 75 Rechtsinhaltlichkeit 70, 92 Rechtsnorm 19, 21, 34, 47, 50, 52, 55 f., 92—98, 102, 108—119 Rechtsontologie 67, 69, 87 Rechtsordnung, K o m p l e x i t ä t 20—23, 25 f., 107, 118, 151 Rechtsordnungsubjekt 24 Rechtspflicht 20 Rechtssubjekt 35—40, 44, 57—62, 73— 76, 79, 82 f., 87 f., 99, 101, 103, 105, 110 f., 127 Rechtssubjektivität 18, 21, 23 f., 31 f., 34, 40—43, 48, 57 Rechtsstaat 92, 95, 97, 137—139, 146, 149

158

averzeichnis

Rechtstheorie, marxistische 52, 55— 57, 63 f., 103, 108 f. Rechtsverhältnis, abgeleitetes 23, 63, 80 f., 111 — ableitendes 23, 80 f., 111 — asymmetrisches 19, 32, 39, 58, 62, 75, 88, 108, 111, 118 — Ausgestaltung 64, 77 — Beendigung 64 f. — Begriff 31 f., 54, 73, 108 — bipolares 35 f., 48, 58, 74, 87 f., 100, 110 — Dauer 78 — dingliches 20 — disymmetrisches 21, 40, 62, 75, 78 f., 88, 108, 111 — einnormiges 21 — einseitiges 21 — endgültiges 63, 78—80, 88, 111 — Entstehung 64, 77 — fortgesetztes 81, 88, 111 — fortsetzendes 81, 88, 111 — Gestaltung 43, 56, 64 — Gestaltungsermächtigung 43, 64 — inhaltsgeschlossenes 84, 88 — inhaltsoffenes 84, 88 — mehrnormiges 21 — mehrseitiges 21 — multipolares 29, 35 f., 48, 58, 61, 74, 84, 87 f., 100, 103, 110 — nachfolgendes s. Nachverhältnis — Objekt eines anderen 21 — personenbezogenes 78 — polysymmetrisches 21, 62, 70, 75 f., — — — — — —

88, 111

Rechtsnormgestaltung 33—35 subordiniertes 21, 23 subsumierbares 23 superordiniertes 21, 23 supersumierbares 23 symmetrisches 21, 40, 62, 75, 79, 88,

108, 111

— vermögensbezogenes 78 — vorausgehendes s. Vorverhältnis — vorläufiges 63, 78—80, 88, 111 — Wesensmerkmale 33—36 — zusammengesetztes 21 f. Rechtsverhältnisse, abhängige 23 — A r t e n 61—63 — aufeinanderfolgende 81 f., 88 — Beziehungen zwischen solchen 78—83 — i m interstaatlichen Bereich 38 f., 66, 150 — i m intrastaatlichen Bereich 129 — i m staatlichen Bereich 36—38 — i m suprastaatlichen Bereich 38 f. — koordinierte 23 — Strukturebenen 36—40

— vereinbare 111 — widerstreitende 82 f., 88, 101—103,

111

Rechtsverordnung 25, 39, 99 Rechtwesenhaftigkeit 70, 92 Reflex 24, 39, 75, 107 Regelkreis 93, 97, 105 Regierbarkeit 102 f. Reine Rechtslehre 35, 73, 84, 87, 89, 102—105, 107, 110 s. auch Wiener Schule Relativismus s. Wertrelativismus Religionsgesellschaft 127,133,135,142, 146 s. auch Kirche Repräsentation 71 Rheinland-Pfalz 60 f. Rhetorik 95 Richter, gesetzlicher 149 Richterspruch 92 s. auch U r t e i l Richterverhältnis 83, 101 Rundfunkanstalt 130, 133, 135 f., 142 f., 146 f., 151 Sache, besessene 20 Sachenrecht 35, 106 Satzstruktur 112 Schadensersatzrechtverhältnis 64 Schuldverhältnis 48 Schulverhältnis 63, 80 f. Schweiz 61 Sein u n d Sollen 34 f., 47 f., 55, 64 f., 71, 73, 96, 103, 111 f., 116 f. Selbstverwaltung 122, 130, 140—142, 146, 150 f. Selbstverwaltungsträger 81, 129 Semantik 112 Semiotik 57 Simplexitätsthese 106 f. Sittengesetz s. Moralnorm Sollenskategorie, Verminderung 38 Soll-Satz 112 f. Souveränität 122 Sozialhilfe 75 Sozialnorm 33—35, 47, 50, 55, 71, 87, 99, 108, 111—113 Sozialstaat 97, 138 Sozialsubjekt 34, 57, 59, 74, 99 Sozialverhältnis 20, 32, 56 f., 99,108 f.,

111

Sozialversicherungsträger 135, 141 Sparkasse 135 f., 143 Sprachphilosophie 68 f. Staat 18, 25, 36, 43, 48, 59, 71, 84, 88, 99, 106 f., 110, 114, 117, 122, 131, 134 f., 141—143, 149—151 — als Fiskus 139, 146 — als Grundrechtsträger 128—130 — u n d Kirche 120—132 Staatsangehörigkeit 20, 38

S achverzeichnis Staatsbürger 25, 36, 43, 48, 84, 88, 99, 110, 114, 150 s. auch Organisationsmitglied Staatsgebiet 20 Staatsrecht 25, 47 Staatstheorie, organische 105 f. Staatsverhältnis 23 Staatsvertrag 19 Staatsverwaltung, mittelbare 131 Steuerbescheid 78 Stiftung 135 f., 138 Studentenschaft 135 f. Stufenbau s. Normstufenbau Stufenlehre 44, 83 f., 92 Substrat, modal indifferentes 96, 116 — personales 123—125, 128, 134, 144, 151 Subsumtion 23 Symmetrie 39 f., 61—63, 75 f., 78 f., 87 f., 111 s. auch Rechtsverhältnis, asymmetrisches, disymmetrisches, polysymmetrisches, symmetrisches Synthese 70 System, selbstregulierendes 150 f. Systemtheorie 30 f., 39, 47, 54, 70, 87 Tatbestand und Rechtsfolge 115 Tätigkeit, fiskalische 134 Teildetermination 43, 47, 64—66, 77, 82 Teilrechtsfähigkeit 134 Teilrechtsordnung 25, 54, 71, 113 Teilverhältnis 22 f. Topik 57, 86, 95 f., 98, 103 Transformation 20 f., 34, 39, 45—48, 56, 66 f., 72, 85, 110, 114 Transformationsgesetz 45 Trinitätslehre 26

Uberordnung 27

Ultra-vires-Lehre 143, 145 unbestimmter Rechtsbegriff 94 f., 103 Universität 130, 133, 135 f., 142, 146, 151 Unterorgan 37 f., 42, 61, 72, 87, 99, 110, 114 Urteil, richterliches 113 s. auch Richterspruch Verband 99 Verein 135 f. — nichtrechtsfähiger 37, 42, 59 s. auch Personenvereinigung, nichtjuristische Verfassung 84, 88, 92, 94, 113 — als Sozialgestaltungsplan 94

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verfassunggestaltende Grundentscheidungen, A n t i n o m i e n 95 Verfassungsbeschwerde 127, 129, 132, 137, 139, 143, 146, 149 Verfassungsvollzug, unmittelbarer 93 Verhaltensregeln, sozialtechnische 55 Verhaltensweise 108 Verhältnis, wiederkehrendes 78 Verordnung 74, 113 s. auch Rechtsverordnung, Verwaltungsverordnung Verschwiegenheitspflicht 82 Vertrag 35, 43 f., 64, 77, 82, 114, 118 — synallagmatischer s. Rechtsgeschäft, beiderseitig verpflichtendes Vertrauensverhältnis, vertragsähnliches 82 Verwaltungsakt 73, 84, 88, 92, 111, 113 — dinglicher 20 — i n Eingriffsverwaltung 40, 62 — i n gebundener V e r w a l t u n g 43, 64 — mitwirkungsbedürftiger 44 — nichtiger 57 Verwaltungsendakt 79 Verwaltungsverordnung 25, 39, 84, 99 Verwaltungsvorakt 63, 79 Völkerrecht 25, 66, 1131 Volldetermination 43, 47, 64—66, 77 Vorauszahlungsbescheid 78 Vorverhältnis 811,111 Vorverständnis 147 Vorvertrag 63, 78 f. Wahrnehmungszuständigkeit, organisationsrechtliche 125 Wechselbeziehung 28 Wertabsolutismus s. Wertbestimmtheit Wertbestimmtheit 89, 91, 102 Wertrelativismus 89, 91, 93, 96, 102 Wesen der juristischen Person 127,144 — des Grundrechts s. Grundrechte, Wesen W i d m u n g 48, 78 Wiener Schule 34, 76, 83, 96, 100, 104 s. auch Reine Rechtslehre Wollen u n d Sollen 40, 44, 64, 85 Zitierrecht 84 Zurechnungsendsubjektivität 42, 48, 60, 65 Zurechnungssubjekt 41 Zurechnungssubjektivität 42 f., 147 Zurechnungszwischensubjektivität 42 f., 48, 60 f. Zwangsakt 116