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German Pages 850 Year 2004
Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität Von Jörg Kinzig
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
JÖRG KINZIG
Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität
STRAFRECHT UND KRIMINOLOGIE Untersuchungen und Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg im Breisgau begründet von Hans-Heinrich Jescheck · Günther Kaiser herausgegeben von Hans-Jörg Albrecht · Albin Eser · Ulrich Sieber
Band 17
Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität Von
Jörg Kinzig
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Juristischen Fakultät der Universität Freiburg gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6860 ISBN 3-428-11488-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706*
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Vorworte haben es an sich, dass sie zumeist im Zustand einer gewissen Erschöpfung geschrieben werden. Erschöpft ist fast immer der Autor, im Idealfall aber auch das Thema, das der Verfasser auf den nächsten, hier sogar hunderten von Seiten ausbreitet. Dennoch wäre es vollkommen verfehlt, auf das Vorwort nicht eine besondere Mühe zu verwenden. Dies hat seinen tieferen Grund darin, dass das Vorwort in nicht wenigen Fällen den Teil einer Arbeit darstellt, der am intensivsten gelesen wird. Warum dies so ist, kann an dieser Stelle nicht eingehend erörtert werden. Dazu nur zwei Gedanken: Häufig scheint das Vorwort gerade richtig proportioniert, während selbst der geneigte Leser im Blick auf die restliche Lektüre und damit schon vor dem eigentlichen Text einer intellektuellen Erschöpfung anheim zu fallen scheint. Zudem dürfte die Attraktivität des Vorwortes darin begründet sein, dass man aus ihm zu erfahren hofft, was denn sonst Wichtiges in den Lebensjahren des Autors passiert ist, die dieser zumeist überwiegend mit der Abfertigung seiner Schrift verbracht hat. Traditionell sind Vorworte aber auch ein Ort der Danksagung. Über „Herzlichen Dank, Herr Professor“, „Undank als Lohn der Welt?“ sowie „Dank-Kaskaden“, also den Sinn und Unsinn solcher verschriftlichter Dankbarkeit, existieren in der Fachliteratur bereits amüsante Beiträge (F.-C. Schroeder, JZ 2000, 353 sowie Sendler und Küper, JZ 2000, 614). So werde ich mich einer „Dank-Kaskade“ enthalten. Dennoch ist es mir ein Bedürfnis, die (genau: 13) Personen zu benennen, die mir bei der Entstehung dieser Arbeit in besonderer und daher (und insoweit halte ich es mit Sendler) dankenswerter Weise geholfen haben. Vier Personen haben dazu beigetragen, dass mir der Zugang zu den Verfahren organisierter Kriminalität eröffnet wurde, die ich im Verlauf der Untersuchung analysieren werde. Auf Seite der Polizei waren das vor allem Herr Erster Kriminalhauptkommissar Herbert Weigand vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg und Herr Dr. Heinz Büchler vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Mit ihnen ergab sich überdies in jeder Phase der Untersuchung eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Von Seiten der Justiz habe ich insbesondere von Herrn Oberstaatsanwalt Helmut Krombacher sowie Herrn Staatsanwalt Domenico de Falco, beide von der Zentralen Stelle Organisierte Kriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft in Stuttgart, ein hohes Maß an Unterstützung erfahren. Besonders beeindruckt hat mich, dass diese Personen die Bereitschaft besaßen, ohne Scheu ihre eigene Arbeit der kritischen externen Sicht der Wissenschaft auszusetzen.
6
Vorwort
Ein wesentliches Problem dieser Untersuchung war es, mit den in Verfahren organisierter Kriminalität produzierten Aktenbergen zurechtzukommen. Dabei haben vier weitere Personen mit hohem Einsatz geholfen. Herr Michael Würger hat zur Erfassung der bei den Staatsanwaltschaften vor Ort eingesehenen Akten nicht nur unermüdlich den Kopierer bedient, sondern war auch während der gesamten Datenverarbeitung ein immer kompetenter Ansprechpartner. Die Studierenden der Rechtswissenschaft Frau Anna Luczak sowie die Herren Malte Dembek und in einer späten Phase auch Michael Schiwek haben an der Datenaufnahme mit großem Engagement mitgewirkt. Frau Anna Luczak wiederum und Frau Dr. Monika Becker haben die Habilitationsschrift vor ihrer Einreichung Korrektur gelesen und so geholfen, manchen Fehler zu verhindern. Frau Gaby Löffler hat sich um das Layout verdient gemacht. Herr Dipl.-Psych. Harald Arnold hat dafür gesorgt, dass immer ein gewisser Kontakt zur Außenwelt erhalten blieb. Durch seine fundierte Bildung, die sich von kriminologischen Fragen bis zur Bewertung der neuesten Entwicklungen im regionalen und überregionalen Sportgeschehen erstreckt, war er ein stets anregender Gesprächspartner. Der Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Herr Prof. Dr. Hans-Jörg Albrecht, hat die Erstellung der Arbeit in allen ihren Phasen unterstützt. Herr Prof. Dr. Wolfgang Frisch von der Albert-LudwigsUniversität Freiburg hat in den ungewöhnlich heißen Sommertagen des Jahres 2003 das Zweitgutachten so sorgfältig und zügig erstellt, dass das Habilitationsverfahren noch im Juli 2003 abgeschlossen werden konnte. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Die Arbeit ist im Wesentlichen auf dem Stand April 2003. Bleibt noch eine 14. Person, der, ohne dass es weiterer Worte bedarf, zu danken ist: meiner Frau Annette! Schließlich: Ich würde mich sehr freuen, wenn sich das Interesse des Lesers an dieser Arbeit nicht in der Lektüre dieses Vorwortes erschöpft. Freiburg, im April 2004
Jörg Kinzig
Inhaltsverzeichnis Te i l 1 Organisierte Kriminalität: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren – rechtliche Rahmenbedingungen
39
Abschnitt 1 Organisierte Kriminalität: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
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Kapitel 1 Einleitung
41
A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 2 Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland – Historische Entwicklung und Herausbildung einer Definition
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A. Historische Entwicklung bis zum Beginn der Debatte über organisierte Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
B. Die Entwicklung der Definition organisierter Kriminalität: hin zu einem offenen Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Die heutige Definition organisierter Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8
Inhaltsverzeichnis Kapitel 3 Kritik – wissenschaftliche und internationale Definitionen
61
A. Kritik an der herrschenden Definition organisierter Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
B. Wissenschaftliche Definitionen organisierter Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Erste Versuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Definition organisierter Kriminalität in den deutschsprachigen Lehrbüchern
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III. Definitionen im sonstigen neueren Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Internationale Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 4 Gefahren organisierter Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland
76
A. Gefahr durch eine Bedrohung der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
B. Gefahr durch eine Werte-Erosion aufgrund der Verbindung legaler und illegaler Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Gefahr durch eine erhöhte Technologisierung, Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
D. Gefahr durch eine Bedrohung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung . . . . . . . . . . . . .
82
E. Die andere Seite: Überschätzung der Gefahren organisierter Kriminalität oder gar politische Instrumentalisierung eines fragwürdigen Begriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
Inhaltsverzeichnis
9
Abschnitt 2 Rechtliche Rahmenbedingungen für die Bekämpfung organisierter Kriminalität
87
Kapitel 5 Neue Strategien behördlicher Informationsbeschaffung als Antwort auf organisierte Kriminalität – organisierte Kriminalität als systemverändernder Faktor
87
A. Organisierte Kriminalität und die Neuausrichtung des Polizeirechts . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einzug der besonderen Ermittlungsmaßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten in die Polizeigesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
II. Die besonderen Ermittlungsmaßnahmen am Beispiel des Polizeirechts von Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Die Rasterfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Der Einsatz Verdeckter Ermittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
3. Der Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen . . . . . . . . . . . . . . .
99
4. Die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
5. Der Einsatz technischer Mittel innerhalb von Wohnungen . . . . . . . . . . . . . . . 100 6. Nicht geregelte verdeckte Erhebungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 III. Zusammenfassung und Analyse: Auswirkungen der Bekämpfung organisierter Kriminalität auf das System des Polizeirechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 B. Die Bedrohung durch organisierte Kriminalität als Grund für die Implementation besonderer Ermittlungsmaßnahmen in der StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 I. Die Entwicklung zum Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) im Jahre 1992 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 II. Die besonderen Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Die Rasterfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Der Einsatz Verdeckter Ermittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3. Der Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen . . . . . . . . . . . . . . . 109
10
Inhaltsverzeichnis 4. Die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 5. Die sukzessive Ausweitung der Telefonüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 6. Der Einsatz technischer Mittel innerhalb von Wohnungen . . . . . . . . . . . . . . . 111 7. Nicht geregelte verdeckte Ermittlungsmaßnahmen: insbesondere der Einsatz von V-Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
C. Veränderungen im Recht der Nachrichtendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 D. Die Gemeinsamen Richtlinien von Polizei und Justiz auf dem Gebiet der Verfolgung organisierter Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Beschreibung der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Bewertung der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 E. Weitere Verschränkungen zwischen Polizei- und Strafprozessrecht, insbesondere bei der Datenübermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 F. Vorläufige Bilanz: Einfluss des Topos organisierte Kriminalität auf die Entwicklung und Gestaltung des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 I. Drei Grundströmungen: Entwicklung der EDV, das Volkszählungsurteil, das Recht auf Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 II. Organisierte Kriminalität: Grund oder Vehikel für die Okkupation des Vorfeldes durch die Landespolizeigesetze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 III. Organisierte Kriminalität und die Übernahme der verdeckten Methoden in die StPO – zugleich Trend einer Verpolizeilichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 IV. Versuch einer rechtsstaatlichen Begrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 V. Desiderata für die empirische Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Kapitel 6 Organisierte Kriminalität und ihre Auswirkung auf den Zeugenschutz
144
A. Ziele des Zeugenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 B. Der strafprozessuale Zeugenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
Inhaltsverzeichnis
11
C. Polizeiliche Zeugenschutzprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 I. Entwicklung polizeilicher Zeugenschutzprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 II. Praktische Umsetzung polizeilicher Zeugenschutzprogramme . . . . . . . . . . . . . . . 154 III. Rechtliche Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 D. Statistische Angaben über Zeugenbedrohungen in Verfahren mit organisierter Kriminalität und über den polizeilichen Zeugenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 E. Zusammenfassung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Kapitel 7 Konzepte des materiellen Strafrechts zur Bekämpfung organisierter Kriminalität
163
A. Der Tatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen (§ 129 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . 164 B. Die bandenmäßige Begehungsweise als straferhöhender Umstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. Bandendelikte bis zum Inkrafttreten des OrgKG 1992: von einem historisch engen Verständnis zu einem weiten Bandenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Bandendiebstahl und Bandenraub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Bandenschmuggel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3. Bandenmäßige Betäubungsmitteldelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Die drastische Zunahme der Bandendelikte im OrgKG 1992 und im darauf folgenden Jahrzehnt – ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 III. Die Veränderung des Bandenbegriffs als Folge seiner neuen Zielrichtung zur Bekämpfung organisierter Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Beim Bandendiebstahl und Bandenraub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Beim Bandenschmuggel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Bei den bandenmäßigen Betäubungsmitteldelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
12
Inhaltsverzeichnis 4. Bei sonstigen Bandendelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5. Ansichten der Wissenschaft zur Folge der Zielsetzung der Bekämpfung organisierter Kriminalität für die Auslegung der Bandendelikte . . . . . . . . . . 200 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
C. Die gewerbsmäßige Begehungsweise als straferhöhender Umstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 D. Die Kronzeugenregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 E. Maßnahmen der Gewinnabschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 I. Die Einführung der Geldwäsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 II. Der erweiterte Verfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 III. Die Vermögensstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
Kapitel 8 Organisierte Kriminalität in der Rechtsprechung
214
A. Organisierte Kriminalität und Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 B. Organisierte Kriminalität und Strafprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 I. Organisierte Kriminalität und besondere Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . 222 II. Organisierte Kriminalität und die Gestaltung der Hauptverhandlung . . . . . . . . . 224 III. Organisierte Kriminalität und Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Organisierte Kriminalität und die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Organisierte Kriminalität und Fluchtgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3. Organisierte Kriminalität und Verdunkelungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 4. Organisierte Kriminalität und Verschärfungen der Untersuchungshaft . . . . 229 C. Organisierte Kriminalität, Strafvollstreckung und Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I. Organisierte Kriminalität und Strafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 II. Organisierte Kriminalität und Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
Inhaltsverzeichnis
13
D. Organisierte Kriminalität und ihre Auswirkung im übrigen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 I. Organisierte Kriminalität und allgemeines Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 234 II. Organisierte Kriminalität und Disziplinarrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 III. Organisierte Kriminalität und Ausländerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 IV. Organisierte Kriminalität und Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 V. Organisierte Kriminalität und sonstige Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Te i l 2 Organisierte Kriminalität: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung – zugleich eine empirische Bestandsaufnahme
241
Abschnitt 1 Vorliegende empirische Erkenntnisse
243
Kapitel 9 Stand der empirischen Forschung über organisierte Kriminalität in Deutschland
243
A. „Professionelles und organisiertes Verbrechen“ (Hans-Jürgen Kerner, 1973) . . . . . . . 243 B. „Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland“ (Erich Rebscher und Werner Vahlenkamp, 1988) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 C. „Organisierte Kriminalität als Netzstrukturkriminalität“ (Eugen Weschke und Karla Heine-Heiß, 1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 D. „Organisierte Kriminalität – wie groß ist die Gefahr?“ (Uwe Dörmann, Karl-Friedrich Koch, Hedwig Risch und Werner Vahlenkamp, 1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 E. „Logistik der Organisierten Kriminalität“ (Ulrich Sieber und Marion Bögel, 1993) . 252 F. „Strukturen und Systemanalyse der Organisierten Kriminalität in Deutschland“ (Marion Bögel, 1994) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
14
Inhaltsverzeichnis
G. Fortführung des Projekts „Logistik der Organisierten Kriminalität“ von Ulrich Sieber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 H. „Wahrnehmung, Ermittlung und Verfolgung neuerer Kriminalitätsformen in Deutschland. Analyse von Problemen des Einsatzes klassischer polizeilicher Ermittlungsmethoden, mit Blick auf die Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und V-Personen“ (Johann Podolsky, 1995) . . . . 256 J.
„Europa und die innere Sicherheit“ (Gerhard W. Wittkämper, Peter Krevert und Andreas Kohl, 1996) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
K. „Verunsichertes Vertrauen? Gastronomen in Konfrontation mit Schutzgelderpressung und Korruption“ (Thomas Ohlemacher, 1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 L. „Der OK-Komplex“ (Norbert Pütter, 1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 M. Ertrag und Kritik der bisherigen empirischen Forschung, zugleich eine Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
Kapitel 10 Aspekte organisierter Kriminalität im Spiegel von Polizei- und Justizstatistik
266
A. Der Tatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen (§ 129 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . 266 B. Statistische Aussagen zu übrigen auf die Bekämpfung organisierter Kriminalität zugeschnittenen Delikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
Kapitel 11 Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
275
A. Das Lagebild organisierte Kriminalität des Bundeskriminalamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 I. Entstehung des Lagebildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 II. Quantitative Entwicklung der OK-Komplexe, Regionalverteilung, spezielle OK-Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 III. Angaben zu Tatverdächtigen und Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
Inhaltsverzeichnis
15
IV. Verfahrensstrukturelle Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 V. Strukturanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 VI. Das Lagebild im Kontext der allgemeinen Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 VII. Kritik des Lagebildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 VIII. Politische Bedeutung des Lagebildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 B. Gemeinsame bzw. justitielle Lagebilder der Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 I. Regionale Unterschiede bei der OK-Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 II. Differenzen zwischen polizeilichen und justitiellen Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . 293 III. Erledigungsstruktur in OK-Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 IV. Sanktionspraxis in OK-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 V. Gewinnabschöpfung, Geldwäsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 VI. Einsatz besonderer Ermittlungsmaßnahmen in OK-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 302 VII. Prozessuale Probleme bei der Durchführung von OK-Verfahren . . . . . . . . . . . . . 303 VIII. Internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere auf EU-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 IX. Indikatoren organisierter Kriminalität sowie Organisationsformen . . . . . . . . . . . 307 C. Das Lagebild Organisierte Kriminalität des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 I. Entstehung des Lagebildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 II. Quantitative Entwicklung der OK-Komplexe, spezielle OK-Merkmale . . . . . . 311 III. Angaben zu Tatverdächtigen und Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 IV. Verfahrensstrukturelle Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 D. Das OK-Lagebild Justiz der Zentralstelle Organisierte Kriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
16
Inhaltsverzeichnis Abschitt 2 Eigene empirische Untersuchungen
333
Kapitel 12 Ziele, Hypothesen und Methoden der empirischen Untersuchung
333
A. Ziele der empirischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 B. Entwicklung von Arbeitshypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 C. Auswahl und Diskussion der Erhebungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 I. Die Aktenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 1. Eignung der Aktenanalyse zur Klärung der Forschungsfragen . . . . . . . . . . . 341 2. Wahl des Anknüpfungspunktes für die zu untersuchenden Akten . . . . . . . . 342 3. Aktenzugang und Modifizierung des Untersuchungsplans, zugleich eine Dokumentation der Schwierigkeiten empirischer Forschung auf dem Gebiet organisierter Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 4. Auswahl des Untersuchungsgebietes Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . 349 II. Teilnehmende Beobachtung an der Auswahl der zum Lagebild zu meldenden OK-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 III. Auswertung der von LKA und ZOK Stuttgart gelieferten OK-Raster . . . . . . . . 350 IV. Interviews mit Straftätern in Komplexen organisierter Kriminalität . . . . . . . . . . 351 V. Zusammenfassung und Überblick über die für die Untersuchung ausgewerteten Datenquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
Kapitel 13 Teilnehmende Beobachtung von Sitzungen, in denen über die Aufnahme der gemeldeten Komplexe in das OK-Lagebild Baden-Württemberg entschieden wird
352
A. Rahmenbedingungen für die gemeinsame Besprechung von ZOK und LKA Stuttgart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
Inhaltsverzeichnis
17
B. Schwerpunkte bei der Subsumtion unter die Definition organisierte Kriminalität . . . 355 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Kapitel 14 Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung, zugleich Sekundäranalyse der OK-Raster von LKA und ZOK Baden-Württemberg
360
A. Grundlage der Aktenauswahl: Die Raster des LKA Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . 360 I. Der Inhalt der OK-Raster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 II. Das Vorgehen bei der Auswahl der OK-Ermittlungskomplexe . . . . . . . . . . . . . . . 362 B. Merkmale der OK-Komplexe nach den LKA-Rastern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 I. Zentrale Verfahrensdaten, insbesondere die Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . 370 II. Zentrale Sachverhaltsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 1. Tatverdächtige und Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 2. Spezielle OK-Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 3. Sonstige in die Auswahl einbezogene Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 4. Weitere nicht in die Auswahl einbezogene Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 5. Probleme bei Ermittlungen in Sachen organisierter Kriminalität . . . . . . . . . 381 C. Die Daten der ZOK Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
Kapitel 15 Rahmenbedingungen der Aktenanalyse und Schilderungen der 52 OK-Sachverhalte in den Rastern von LKA und ZOK
386
A. Ablauf der Aktenanalyse, Überblick über die Datengesamtheit, Methodik der Auswertung und Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 I. Ablauf der Aktenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 2 Kinzig
18
Inhaltsverzeichnis II. Überblick über die Datengesamtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 III. Methodik der Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 IV. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
B. Schilderungen der 52 OK-Sachverhalte in den Rastern von LKA und ZOK . . . . . . . . . 392 I. Verfahren mit dem Schwerpunkt Betäubungsmittelkriminalität . . . . . . . . . . . . . . 393 II. Verfahren mit dem Schwerpunkt Kfz-Verschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 III. Verfahren mit dem Schwerpunkt Falschgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 IV. Verfahren mit dem Schwerpunkt Prostitution / Menschenhandel . . . . . . . . . . . . . 409 V. Verfahren mit dem Schwerpunkt Schleusen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 VI. Verfahren mit dem Schwerpunkt Schutzgelderpressung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 VII. Verfahren mit dem Schwerpunkt Wirtschafts- / Umweltdelikte . . . . . . . . . . . . . . . 416 VIII. Verfahren mit dem Schwerpunkt Tötungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 IX. Verfahren mit Deliktskombinationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 X. Verfahren mit sonstigen Delikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 C. Exkurs: Analyse der in den Sachverhalten verwendeten Mehrtäterbezeichnungen . 424
Kapitel 16 Die Ermittlungsverfahren
424
A. Eckdaten der Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 B. Die Entstehung der Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 I. Einleitung durch aktive Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 II. Einleitung durch polizeiliche Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
Inhaltsverzeichnis
19
III. Einleitung durch Anzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 IV. Einleitung durch einen anonymen Hinweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 C. Ermittlungsmaßnahmen in Fällen organisierter Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 I. Die Einsatzhäufigkeit der Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 1. Einsatzhäufigkeit verdeckter Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 2. Einsatzhäufigkeit anderer Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 II. Der Erfolg der Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 D. Strukturen besonderer Ermittlungsmaßnahmen in Verfahren organisierter Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 I. Die Telefonüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 1. Quantitative Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 2. Beschreibung der Katalogtat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 3. Die Begründung des Tatverdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 4. Das Ziel der Telefonüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 5. Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 6. Der Adressat der Maßnahme, insbesondere die Anordnung gegen Dritte
462
7. Richtervorbehalt und Eilfallkompetenz der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . 463 8. Die Verlängerung von Telefonüberwachungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 9. Vernichtung der erlangten Unterlagen und Benachrichtigung der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 II. Die Erhebung von Verbindungsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 III. Der Einsatz von Vertrauenspersonen und von Informanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 1. Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 2. Erkennbarkeit des Einsatzes einer Vertrauensperson bzw. eines Informanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 2*
20
Inhaltsverzeichnis 3. Dimensionen des VP- sowie des Informanteneinsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 a) VP als Informationsbeschaffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 b) VP als Beteiligte am kriminellen Geschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 IV. Der Einsatz Verdeckter Ermittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 1. Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 2. Erkennbarkeit des VE-Einsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 3. Die weitgehend formularmäßige Anordnungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 4. Die zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine bestimmte Straftat oder der Einsatz zur Aufklärung von Verbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 5. Der Zweck des VE-Einsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 a) Die Beteiligung an Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 b) Die reine Informationssammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 V. Der Einsatz technischer Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 1. Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen, insbesondere einer Videoüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 2. Der kleine Lauschangriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 VI. Die polizeiliche Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 VII. Das Scheingeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 VIII. Die Tatprovokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 IX. Zusammenfassung: Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen in Verfahren organisierter Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507
E. Polizeiliche Erkenntnisse zu den Tatverdächtigen und den handelnden Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 I. Die Zahl der Tatverdächtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 II. Die handelnden Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518
Inhaltsverzeichnis
21
F. Der Abschluss der Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 I. Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 1. Nichtangeklagte Hauptbeschuldigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 2. Analyse der eingestellten OK-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 II. Anklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 1. Anzahl der angeklagten Hauptbeschuldigten und OK-Definition . . . . . . . . . 523 2. Eckdaten der Anklageschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528
Kapitel 17 Die Ausgestaltung der Hauptverhandlung
529
A. Eckdaten der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 B. Folgen des Einsatzes besonderer Ermittlungsmaßnahmen in OK-Verfahren für den Ablauf der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 I. Probleme bei der Einführung der Ergebnisse der TÜ in die Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 1. Probleme faktischer Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 2. Probleme der Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 3. Probleme rechtlicher Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 II. Die Einführung der Erkenntnisse von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen in die Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 1. Die Entwicklung einer gesetzlichen Regelung für die Sperrerklärung . . . . 536 2. Die konkrete Handhabung der Sperrerklärungen in Fällen organisierter Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 a) Bemühungen der Gerichte um die Freigabe von VE und VP . . . . . . . . . 539 b) VE-Sperrerklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 c) VP-Sperrerklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
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Inhaltsverzeichnis Kapitel 18 Das Urteil
551
A. Die Eckdaten der Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 B. Die Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 C. Die Abgeurteilten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 I. Ergebnisse auf der Individualebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 II. Feststellungen zu den handelnden Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 D. Die Deliktsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 I. Der Tatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 1. Bei nichtitalienischen Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 2. Bei italienischen Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 II. Die Bandendelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 1. Komplexe ohne jegliche Diskussion des Bandenmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . 577 a) Eingestellte Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 b) Fehlende rechtliche Kategorie „Bande“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 c) Fehlendes personales Merkmal bei der Bande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 d) Fehlende zeitliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 e) Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 2. Komplexe, in denen eine bandenmäßige Begehungsweise in der Anklageschrift diskutiert, aber nicht angenommen wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 3. Komplexe mit (mindestens) einer Bandenanklage, aber ohne -verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 a) Betäubungsmittelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 b) Andere Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 4. Komplexe mit (mindestens) einer Bandenverurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 a) Betäubungsmittelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 b) Andere Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606
Inhaltsverzeichnis
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III. Die Gewerbsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 1. Gründe für das Fehlen des Merkmals der Gewerbsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . 623 2. Fälle mit gewerbsmäßigem Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 E. Sonderproblem der Erfassung arbeitsteiligen kriminellen Vorgehens . . . . . . . . . . . . . . . 626 I. Prozessuale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 1. Divergierende Sachverhaltsfeststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 2. Vor-Verurteilungen und Übernahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 II. Materielle Ebene, insbesondere für die Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 1. Weiter Täterbegriff und seine Konsequenzen für die Strafzumessung . . . . 630 2. Die vergleichende Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 a) Abstrakte Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 b) Konkrete vergleichende Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 c) Weitere Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636 F. Die verhängten Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636 G. Strafzumessung und Charakteristik von Verfahren organisierter Kriminalität . . . . . . . 641 I. Wachsende Geständnisbereitschaft und ihre Auswirkung auf die Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 II. „Organisierte Kriminalität“ und „kriminelle Organisation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 III. „Kriminelle Energie“ sowie „kriminelles Milieu“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 IV. Planung, professionelles und konspiratives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 V. Internationalität und ausländische Straftäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 VI. Staatliche Beteiligung an Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648 H. Gewinnabschöpfung und Geldwäsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 I. Gewinnabschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 1. Verfall und Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
24
Inhaltsverzeichnis a) Detailanalyse der Komplexe mit Gewinnabschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . 654 aa) Betäubungsmittelkomplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 bb) Andere Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 b) Detailanalyse der Komplexe ohne Gewinnabschöpfung . . . . . . . . . . . . . . 662 2. Die Vermögensstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 II. Geldwäsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 1. Komplexe mit eingeleiteten Geldwäscheverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 2. Komplexe mit allgemeinem Geldwäscheverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668
J.
Der Abschluss der Strafverfahren, insbesondere das Problem der Verfahrensabsprachen, der Kronzeugenregelungen und des Zeugenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 I. Analyse der Verfahrensabsprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672 II. Kronzeugenregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 1. Kronzeugenregel des § 31 BtmG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 a) Entlassung aus der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 b) Strafmilderung im eigenen Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 c) Einfluss auf die Dauer der Strafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 d) Mit der Anwendung des § 31 BtmG verbundene Probleme . . . . . . . . . . . 677 2. Die Anwendung des Kronzeugengesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678 3. Andere Regelungsmechanismen für Vergünstigungen bei Kronzeugen . . . 679 III. Fragen des Zeugenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 1. Prozessuale Zeugenschutzmaßnahmen in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . 681 2. Zeugenschutzmaßnahmen, insbesondere die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 682 a) Zeugenschutz als Baustein für den Ermittlungserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . 682 b) Missbrauch des Zeugenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 c) Sonstige Maßnahmen zum Zeugenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686
K. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686
Inhaltsverzeichnis
25
L. Bemerkungen zur Strafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688 M. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690
Kapitel 19 Die besonderen Merkmale der Definition organisierter Kriminalität im Spiegel der gerichtlichen Feststellungen
704
A. Das OK-Merkmal „unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705 B. Das OK-Merkmal „unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 C. Das OK-Merkmal „unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714
Kapitel 20 Interviews mit Straftätern, die von den Ermittlungsbehörden der organisierten Kriminalität zugerechnet werden
716
A. Methodische Vorbemerkungen zu den geführten Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716 B. Praktische Durchführung und Vorgehen bei der Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717 C. Kurzbeschreibung der Interviewpartner und der zugrunde liegenden Fallgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718 D. Ergebnisse der Interviews im Querschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 I. Einschätzung zur Organisierten Kriminalität (Fragen 1 – 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 II. Erscheinungsformen und Vorgehensweise der Organisation (Fragen 5 – 14 und 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726 III. Stellungnahme zu der Liste der „Generelle(n) Indikatoren zur Erkennung OK-relevanter Sachverhalte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734 IV. Effizienz und Organisation des Täterverhaltens (Fragen 18 – 20) . . . . . . . . . . . . 740
26
Inhaltsverzeichnis V. Effizienz der polizeilichen OK-Bekämpfung (Fragen 21 – 29) . . . . . . . . . . . . . . . 743 VI. Rahmenbedingungen bei OK-Ermittlungen (Fragen 30 – 32) . . . . . . . . . . . . . . . . 748 VII. Zeitliche Bewertung (Fragen 33 – 34) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749 VIII. Persönliche Einschätzungen (Fragen 35 – 42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750
E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755
Kapitel 21 Interviews mit im Zeugenschutzprogramm befindlichen Straftätern zu Fragen des Zeugenschutzes
760
A. Vorbemerkungen zu den geführten Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760 B. Ergebnisse der Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760 I. Allgemeine Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761 II. Fragen zum strafprozessualen Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763 III. Fragen zur Bedrohungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769
Kapitel 22 Ergebnis der Untersuchung
771
A. Organisierte Kriminalität – Strategien zur Bekämpfung (k)einer neuen Kriminalitätsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771 I. Kriminelle Gruppierungen im Hellfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771 II. Das Dilemma der Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775 III. Neuerungen des Gesetzgebers: und wie sie umgesetzt werden . . . . . . . . . . . . . . . 779 IV. Unzulänglichkeiten des materiellen Strafrechts bei der Ahndung arbeitsteiligen kriminellen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785 V. Karriere eines unbekannten Phänomens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786
Inhaltsverzeichnis
27
B. Organisierte Kriminalität: Chiffre eines neuen Strafprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787 I. Verschleifung von Polizei- und Strafprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 788 II. Kennzeichen eines neuen Ermittlungs- und Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 792 1. Die aktive Generierung des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 792 2. Informationsgewinnung und Begleitung von Straftaten mit verdeckten Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 795 3. Nadelöhr Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 799 4. Notwendigkeit und Gefahr polizeilicher Zeugenschutzprogramme . . . . . . . 801 5. Die konsensuale Erledigung als Ausweg zur ökonomischen Bewältigung des neuen Verfahrenstyps organisierter Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802
Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 840 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 844
Verzeichnis der Tabellen Tab. 1:
OK-Verfahren mit Zeugenschutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
Tab. 2:
Merkmal der Gewerbsmäßigkeit in Vorschriften des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Tab. 3:
Anwendung des Tatbestandes der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
Tab. 4:
Schäden und Gewinne in OK-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
Tab. 5:
Überblick über das Vorhandensein von justitiellen bzw. gemeinsamen Lagebildern. Organisierte Kriminalität in den einzelnen Bundesländern . . . . . . . . . . . 290
Tab. 6:
Rangfolge (Spalte 1) und Anzahl (Spalte 2) genannter Indikatoren bei OKVerfahren in verschiedenen Bundesländern: Berlin (1996 – 1999), SchleswigHolstein (1999 / 2000) und Nordrhein-Westfalen (1999 / 2000) . . . . . . . . . . . . . . . 309
Tab. 7:
Schäden und Gewinne in OK-Verfahren in Baden-Württemberg und ihr Anteil bundesweit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
Tab. 8:
Verteilung der A- und B-Komplexe auf die gebildeten Parameter . . . . . . . . . . . . 369
Tab. 9:
Zentrale Verfahrensdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
Tab. 10:
Sonstige in die Auswahl einbezogene Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
Tab. 11:
Sonstige Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
Tab. 12:
Erforderlichkeit des Großen Lauschangriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
Tab. 13:
Ermittlungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
Tab. 14:
OK-Einschätzung durch die StA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
Tab. 15:
Überblick über die erfassten OK-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
Tab. 16:
Sprachliche Analyse der von LKA und ZOK in den Rastern verwendeten Gruppierungsbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424
Tab. 17:
Polizeikosten in den OK-Ermittlungskomplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
Tab. 18:
Bedeutung der Maßnahmen für das Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
Tab. 19:
Eckdaten der Anklageschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526
Tab. 20:
Bedeutung der Beweismittel für die Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553
Tab. 21:
Bedeutung der Beweismittel für das Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554
Tab. 22:
Bezeichnungen für die Mehrtäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561
Verzeichnis der Tabellen
29
Tab. 23:
Beschreibung der Struktur der Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562
Tab. 24:
Abgeschöpfte Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651
Tab. 25:
Rechtsgrundlage der Gewinnabschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
Verzeichnis der Schaubilder Schaub. 1:
Fallentwicklung OK-trächtiger Delikte in den Jahren 1993 – 2001 . . . . . . . 268
Schaub. 2:
Polizeiliche Daten organisationsträchtiger Delikte im Jahr 2001 . . . . . . . . . 269
Schaub. 3:
Tatverdächtige und Sanktionierung bei ausgewählten OK-Delikten in den Jahren 1996 – 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
Schaub. 4:
Freiheitsstrafen bei ausgewählten OK-verdächtigen Delikten im Jahr 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
Schaub. 5:
Hohe Freiheitsstrafen (> 5 Jahre) bei ausgewählten Bandendelikten in den Jahren 1992 – 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
Schaub. 6:
Graphische Darstellung der Strafrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
Schaub. 7:
Freiheitsstrafen und Strafrahmen bei ausgewählten Bandendelikten im Jahr 2000 (I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
Schaub. 8:
Freiheitsstrafen und Strafrahmen bei ausgewählten Bandendelikten im Jahr 2000 (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
Schaub. 9:
Anzahl der OK-Komplexe (Quelle: Lagebilder des BKA 1991 – 2001) . . 277
Schaub. 10:
Regionalverteilung der OK-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
Schaub. 11:
Spezielle Merkmale der OK-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
Schaub. 12:
Anzahl der Tatverdächtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Schaub. 13:
Größe der Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
Schaub. 14:
Delikte pro OK-Komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
Schaub. 15:
Kriminalitätsbereiche in den OK-Komplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
Schaub. 16:
Art der Verfahrenseinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
Schaub. 17:
Internationalität der OK-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
Schaub. 18:
Durchschnittlich eingesetzte Beamte pro OK-Komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
Schaub. 19:
Verfahrensdauer in Monaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
Schaub. 20:
Gewinnabschöpfung, Geldwäschehandlungen, Zeugenschutz . . . . . . . . . . . . 284
Verzeichnis der Schaubilder
31
Schaub. 21:
Länderanteil an OK-Komplexen versus Länderanteil an allen bundesweiten Straftaten im Jahr 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
Schaub. 22:
Anzahl der OK-Komplexe in den Jahren 1992 – 2001 im Vergleich zur Anzahl der Straftaten nach der PKS im Bundesland Bayern . . . . . . . . . . . . . 287
Schaub. 23:
Anteil der OK-Straftaten an der Gesamtkriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Schaub. 24:
Anteil der OK-Tatverdächtigen an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen . 287
Schaub. 25:
Tatverdächtige und Hauptbeschuldigte in NRW pro OK-Komplex (Durchschnittswerte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Schaub. 26:
Einschätzung der OK-Merkmale in NRW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
Schaub. 27:
Justitielle Daten Berliner OK-Komplexe 1996 – 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Schaub. 28:
Erledigungen Berliner OK-Verfahren 1996 – 1999 im Vergleich zur allgemeinen Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Schaub. 29:
Erledigungen niedersächsischer OK-Verfahren 1998 – 1999 im Vergleich zur allgemeinen Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
Schaub. 30:
Erledigungsstruktur Brandenburg, Berlin, Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
Schaub. 31:
Erledigungen gerichtlicher Berliner OK-Verfahren zwischen 1996 und 1999 im Vergleich zur allgemeinen Kriminalität bundesweit . . . . . . . . . . . . . 297
Schaub. 32:
Höhe der Freiheitsstrafen in OK-Verfahren in NRW in den Jahren 1999 – 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
Schaub. 33:
Einsatz besonderer Ermittlungsmaßnahmen in OK-Verfahren in NRW . . . 301
Schaub. 34:
Dauer der Hauptverhandlung in OK-Verfahren in NRW 1999 – 2000 . . . . 306
Schaub. 35:
Generelle Indikatoren in Berliner OK-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
Schaub. 36:
Anzahl der OK-Komplexe (Quelle: Lagebilder des LKA Ba-Wü 1991 – 2000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
Schaub. 37:
Spezielle Merkmale der OK-Komplexe im Vergleich Ba-Wü / Bund . . . . . 312
Schaub. 38:
Tatverdächtige pro OK-Komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
Schaub. 39:
Größe der Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
Schaub. 40:
Haftbefehle und Festnahmen in OK-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
Schaub. 41:
Internationalität der OK-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
Schaub. 42:
Delikte pro OK-Komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
32
Verzeichnis der Schaubilder
Schaub. 43:
Kriminalitätsbereiche in den OK-Komplexen der Jahre 1996 – 2000 . . . . . 315
Schaub. 44:
Einleitung von OK-Verfahren 1996 – 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
Schaub. 45:
Gewinnabschöpfung, Geldwäschehandlungen und Zeugenschutzmaßnahmen in OK-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Schaub. 46:
Einsatz von VP / VE in baden-württembergischen OK-Komplexen in den Jahren 1995 – 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
Schaub. 47:
Vergleich der OK-Komplexe im polizeilichen (LKA) und justitiellen Lagebild (ZOK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
Schaub. 48:
Spezielle Merkmale der OK-Komplexe im Vergleich LKA / ZOK . . . . . . . 321
Schaub. 49:
Kriminalitätsbereiche in den OK-Komplexen der Jahre 1995 – 2000 (LKA) sowie 1995 – 2000 (ZOK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
Schaub. 50:
Zahl der (Haupt-)Beschuldigten pro OK-Komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Schaub. 51:
Verfahrensdauer 1995 – 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
Schaub. 52:
Verfahrensdauer 1998 – 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
Schaub. 53:
Verteilung der OK-Komplexe 1995 – 2000 auf die Staatsanwaltschaften (ZOK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
Schaub. 54:
Verhältnis der OK-Komplexe 1995 – 2000 zu den LG-Anklagen zu SchwG / GrStrK sowie den insgesamt erledigten Verfahren 1995 und 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
Schaub. 55:
Erledigungsstruktur OK-Verfahren Ba-Wü 1995 – 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
Schaub. 56:
Dauer der Hauptverhandlungen in Ba-Wü in OK-Verfahren (Sitzungstage) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
Schaub. 57:
Dauer der Hauptverhandlungen in Ba-Wü in LG-Verfahren 1. Instanz (Sitzungstage) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
Schaub. 58:
Dauer der Hauptverhandlung in OK-Verfahren im Vergleich NRW / Ba-Wü 1999 – 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
Schaub. 59:
Verurteilungen nach Deliktsbereichen in OK-Verfahren in Ba-Wü . . . . . . . 327
Schaub. 60:
Höhe der Freiheitsstrafen in OK-Verfahren in NRW und Ba-Wü im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
Schaub. 61:
Die Quellen der empirischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
Schaub. 62:
Jahr der ersten Rastererfassung der übermittelten 154 OK-Komplexe . . . . 362
Schaub. 63:
Theoretische Gewichtung für die Auswahl der OK-Komplexe . . . . . . . . . . . 367
Verzeichnis der Schaubilder
33
Schaub. 64:
Praktische Bedeutung für die Auswahl der OK-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . 367
Schaub. 65:
Punktwerte der 153 OK-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
Schaub. 66:
Auswahlvorgang bei der Aktenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
Schaub. 67:
Jahr der ersten Rastererfassung der ausgewählten 52 OK-Komplexe . . . . . 368
Schaub. 68:
Anzahl der Tatverdächtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
Schaub. 69:
Anzahl der Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
Schaub. 70:
Vorhandensein spezieller OK-Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
Schaub. 71:
Kategorisierte Freitextantworten bei Komplexen mit geschäftsähnlichen Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
Schaub. 72:
Kategorisierte Freitextantworten bei OK-Merkmal 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
Schaub. 73:
Bearbeitende Dienststelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
Schaub. 74:
Art der Verfahrenseinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
Schaub. 75:
Verfahrenseinleitung und Einsatz besonderer Ermittlungsmaßnahmen . . . 376
Schaub. 76:
Erfasste Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
Schaub. 77:
Häufigkeit einzelner Delikte bei OK-Komplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
Schaub. 78:
Deliktsschwerpunkte und Einleitung des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . 378
Schaub. 79:
Schwerpunkt der Nationalität der Tatverdächtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
Schaub. 80:
Bearbeitende StA: Verhältnis OK-Komplexe 1995 – 2000 / OK-Komplexe Untersuchungsstichprobe / StA-Stellenschlüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
Schaub. 81:
Zahl der Aktenzeichen in den A-Komplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
Schaub. 82:
Zahl der Aktenzeichen in den B-Komplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
Schaub. 83:
Ausschöpfung der genannten OK-Aktenzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
Schaub. 84:
Deliktsschwerpunkte der 52 OK-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
Schaub. 85:
Ermittelnde Dienststellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
Schaub. 86:
Zeit zwischen der förmlichen Einleitung des Ermittlungsverfahrens und dem polizeilichen Abschlussbericht in Monaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
Schaub. 87:
Umfang der polizeilichen Abschlussberichte in Seiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
Schaub. 88:
Ausgangsstraftaten für die Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
3 Kinzig
34
Verzeichnis der Schaubilder
Schaub. 89:
Tatzeitraum insgesamt in Monaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
Schaub. 90:
Einleitung des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429
Schaub. 91:
Verfahrenseinleitung der sonstigen Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429
Schaub. 92:
Verfahrenseinleitung der Btm-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429
Schaub. 93:
Einsatz besonderer Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
Schaub. 94:
Anzahl der eingesetzten besonderen Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . 445
Schaub. 95:
Einsatz weiterer Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
Schaub. 96:
Bedeutung der Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
Schaub. 97:
Erfolg der Ermittlungsmaßnahmen gemessen an ihrer Verwendungshäufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
Schaub. 98:
Anzahl der überwachten Anschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
Schaub. 99:
Betroffene und Dauer der überwachten Anschlüsse (nur A-Komplexe, n = 170) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
Schaub. 100:
Dauer der TÜ (A-Komplexe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
Schaub. 101:
Dauer der TÜ (B-Komplexe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
Schaub. 102:
Anzahl der Anschlüsse mit Erhebung von Verbindungsdaten . . . . . . . . . . . 467
Schaub. 103:
Gegenüberstellung von Tatverdächtigen, zentralen Beschuldigten und (angeklagten) Hauptbeschuldigten (absolute Werte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512
Schaub. 104:
Gegenüberstellung von Tatverdächtigen, zentralen Beschuldigten und (angeklagten) Hauptbeschuldigten (Durchschnittswerte) . . . . . . . . . . . . . . . 513
Schaub. 105:
Anzahl der Tatverdächtigen und später angeklagten Hauptbeschuldigten pro OK-Komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
Schaub. 106:
Verwendete Bezeichnung für die Mehrtäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515
Schaub. 107:
Entstehung der Täterverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
Schaub. 108:
Strukturmerkmale der OK-Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517
Schaub. 109:
Tätigkeitsgebiet der Tätergruppierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518
Schaub. 110:
Nicht angeklagte Hauptbeschuldigte pro OK-Komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . 520
Schaub. 111:
Gründe für das Ausscheiden aus dem Ermittlungsverfahren (n = 101 Hauptbeschuldigte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520
Verzeichnis der Schaubilder
35
Schaub. 112:
Prozentsatz der angeklagten Hauptbeschuldigten in den jeweiligen OKKomplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521
Schaub. 113:
Angeklagte Hauptbeschuldigte pro OK-Komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
Schaub. 114:
Zahl der angeklagten Hauptbeschuldigten pro einzelnem Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525
Schaub. 115:
Prozentsatz der in OK-Verfahren gemeinsam angeklagten (Haupt-) Beschuldigten im Vergleich zu LG-Verfahren in Dortmund, Frankfurt und München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525
Schaub. 116:
Anzahl der angeklagten prozessualen Straftaten pro Komplex . . . . . . . . . . 526
Schaub. 117:
Anzahl der angeklagten prozessualen Straftaten pro Hauptbeschuldigtem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
Schaub. 118:
Bei den Hauptbeschuldigten angeklagte Kriminalität (199 Hauptbeschuldigte; 2670 angeklagte Delikte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528
Schaub. 119:
Urteilendes Gericht 1. Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529
Schaub. 120:
Zeitraum der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530
Schaub. 121:
Hauptverhandlungstage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530
Schaub. 122:
Verfahrensdauer von der Einleitung bis zum Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551
Schaub. 123:
Länge des Urteils in Seiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552
Schaub. 124:
Länge der Beweiswürdigung in Seiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552
Schaub. 125:
Beweisgrundlage für das Urteil (A-Komplexe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
Schaub. 126:
Beweisgrundlage für das Urteil (B-Komplexe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
Schaub. 127:
Geschlecht der abgeurteilten OK-Hauptbeschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556
Schaub. 128:
Geburtsjahrgänge der abgeurteilten OK-Hauptbeschuldigten . . . . . . . . . . . 556
Schaub. 129:
Altersstruktur der OK-Täter und der im Jahr 1996 verurteilten Erwachsenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557
Schaub. 130:
Geburtsland und Staatsangehörigkeit der abgeurteilten OK-Hauptbeschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557
Schaub. 131:
Altersstruktur der OK-Täter, der Tatverdächtigen nach der PKS und der Wohnbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558
Schaub. 132:
Vorstrafen der abgeurteilten OK-Hauptbeschuldigten im Vergleich zu den Verurteilten 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558
3*
36
Verzeichnis der Schaubilder
Schaub. 133:
Bis zum Beginn der Hauptverhandlung in Untersuchungshaft verbrachte Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559
Schaub. 134:
Entstehung der Täterverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
Schaub. 135:
Komplexe mit Bezeichnungen für die Mehrtäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
Schaub. 136:
Struktur der Gruppierung im Komplex A 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564
Schaub. 137:
Struktur der Gruppierung im Komplex A 14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566
Schaub. 138:
Struktur der Gruppierung im Komplex A 9 / 23 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568
Schaub. 139:
Tätigkeitsgebiet bei den untersuchten OK-Komplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . 570
Schaub. 140:
Tätigkeitsgebiet der Tätergruppierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570
Schaub. 141:
OK-Komplexe und Bandendelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577
Schaub. 142:
Hauptbeschuldigte und Bandendelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577
Schaub. 143:
Gründe für fehlendes Bandenmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578
Schaub. 144:
Strafmaß bei den bandenmäßigen Betäubungsmittelstraftaten . . . . . . . . . . 596
Schaub. 145:
Strafmaß bei den übrigen bandenmäßig begangenen Straftaten . . . . . . . . . 606
Schaub. 146:
Struktur der Gruppierung im Komplex B 16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610
Schaub. 147:
Struktur der Gruppierung im Komplex A 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
Schaub. 148:
Banden- und gewerbsmäßige Delikte in den untersuchten OK-Komplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620
Schaub. 149:
OK-Komplexe und gewerbsmäßig begangene Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620
Schaub. 150:
Hauptbeschuldigte und gewerbsmäßig begangene Delikte . . . . . . . . . . . . . . 621
Schaub. 151:
Anklagen und Verurteilungen wegen gewerbsmäßig begangener Delikte 622
Schaub. 152:
Strafmaß bei den gewerbsmäßig begangenen Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . 626
Schaub. 153:
Sanktionen bei den Hauptbeschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637
Schaub. 154:
Strafen im Vergleich Btm-Komplexe und andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637
Schaub. 155:
Sanktionen bei den Nebenbeschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638
Schaub. 156:
Anzahl der verurteilten prozessualen Straftaten pro Komplex . . . . . . . . . . 638
Schaub. 157:
Anzahl der verurteilten prozessualen Straftaten pro Hauptbeschuldigtem 639
Schaub. 158:
Bei den Hauptbeschuldigten verhängte Einzelstrafen (n = 886) . . . . . . . . . 640
Verzeichnis der Schaubilder
37
Schaub. 159:
Bei den Hauptbeschuldigten verurteilte Kriminalität (190 Hauptbeschuldigte; 1419 erfasste Delikte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640
Schaub. 160:
Aussageverhalten der Angeklagten laut Anklageschrift und in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641
Schaub. 161:
Gewinnabschöpfende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651
Schaub. 162:
Geschätzte Gewinne laut LKA-Raster und tatsächlich abgeschöpfte Geldvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652
Schaub. 163:
Verdachtsmomente für Geldwäsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666
Schaub. 164:
Abgekürztes Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672
Schaub. 165:
Rechtsmittel der Verfahrensbeteiligten gegen Entscheidungen des AG . 687
Schaub. 166:
Rechtsmittel der Verfahrensbeteiligten gegen erstinstanzliche Urteile des LG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
Schaub. 167:
Rechtsmittel gegen Entscheidungen des AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
Schaub. 168:
Revision gegen erstinstanzliche Urteile des LG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
Schaub. 169:
Vorhandensein spezieller OK-Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704
Schaub. 170:
Verwendung gewerblicher / geschäftsähnlicher Strukturen . . . . . . . . . . . . . . 705
Schaub. 171:
Spezifikation des Merkmals „gewerbliche / geschäftsähnliche Struktur“
Schaub. 172:
Spezifikation des Merkmals „Anwendung von Gewalt / Einschüchterung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710
Schaub. 173:
Vorhandensein einer Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
Schaub. 174:
Spezifikation des Merkmals „Einflussnahme auf Politik etc.“ . . . . . . . . . . 713
707
Teil 1 Organisierte Kriminalität: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren – rechtliche Rahmenbedingungen
Abschnitt 1
Organisierte Kriminalität: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren Kapitel 1
Einleitung A. Problemstellung „Trab-Trainer erpresst – Polizei sucht die Knochenbrecher. Noch keine heiße Spur von den Dunkelmännern der Pferdewetten-Mafia.“1 „Organisierte Banden auf Bootsklau spezialisiert. Kriminalität auf dem Wasser angestiegen / Schwarzangeln als Vorstrafe.“2 „Dreiländereck im Griff der Mafia. Polens Polizei ermittelt bei sich selbst. Im Grenzgebiet zwischen Tschechien, Deutschland und Polen tobt sich die Organisierte Kriminalität aus.“3 „Razzia bei Beton-Mafia: Beamte von Kripo und Bundes-Kartellamt durchsuchten in Berlin und Brandenburg 14 Transport-Beton-Firmen. Die sollen illegal Preise abgestimmt haben.“4 „Berliner Liebespaar erschossen: Wieder die Russen-Mafia?“5 Dies ist lediglich eine willkürliche Auswahl von Überschriften aus Artikeln, die innerhalb von nur rund zwei Wochen zu Beginn des Monates Mai 1999 in den Online-Ausgaben verschiedener deutschsprachiger Tageszeitungen zu finden waren. Sie illustrieren sowohl die begriffliche Vielfalt als auch die sprachliche Verwirrung, die beim Generalthema „Organisierte Kriminalität“ weithin herrschen6. Und Berliner Kurier vom 1. Mai 1999. Schweriner Volkszeitung vom 17. Mai 1999. 3 Die Presse vom 18. Mai 1999. 4 Berliner Kurier vom 19. Mai 1999. 5 Berliner Kurier vom 19. Mai 1999. 6 In der Regel (Ausnahme: Zitate u.ä.) wird im Folgenden für „organisierte Kriminalität“ die Kleinschreibung verwandt, ohne dass damit eine inhaltliche Wertung, etwa der Größe des betreffenden Problems, verbunden wäre. 1 2
42
Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
das, obwohl seit mehr als einem Jahrzehnt die Beschäftigung mit organisierter Kriminalität in Deutschland von ungebrochener Aktualität ist und zu diesem Phänomen mittlerweile eine Fülle von Betrachtungen in Wissenschaft und den Medien vorliegt7. In keinem Verhältnis zur Quantität der Beiträge steht unverändert der Bestand gesicherten Wissens auf diesem Gebiet. Der Vielzahl der vorliegenden Publikationen zum Trotz scheinen die offenen Fragen eher zu- als abzunehmen. Tatsächlich ist man sogar geneigt zu konstatieren, dass es immer noch um „eine erste Bestandsaufnahme des zur Zeit in manchen Punkten noch widersprüchlichen Wissens“ geht – eine Feststellung, die schon vor 30 Jahren in einer Untersuchung von Hans-Jürgen Kerner über organisierte Kriminalität getroffen wurde8. Dieser Befund gilt gleichermaßen und unabhängig davon, an welche der mit der organisierten Kriminalität befassten Disziplinen Fragen gerichtet werden. Gesichertes Wissen ist nur rudimentär vorhanden: in der Strafrechtswissenschaft wie in der Kriminologie. Die Kriminalpolitik agiert, gezwungenermaßen oder nicht, auch ohne wissenschaftliche Fundierung. Sie hat die organisierte Kriminalität bereits seit einiger Zeit in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen und Aktivitäten gestellt. Während es inzwischen weitgehend anerkannt zu sein scheint, dass es unter den vielfältigen Erscheinungsformen delinquenten Verhaltens einen Bereich organisierter Kriminalität gibt, enden mit dieser Feststellung aber auch schon die Gemeinsamkeiten in der Einschätzung der Größe der von ihr ausgehenden Gefahr, ihres Inhalts und der notwendigen gesetzgeberischen Aktivitäten. Die unterschiedliche Wahrnehmung dieses Phänomens ist darauf zurückzuführen, dass ein hinreichend klar konturierter Begriff und eine Vorstellung davon, was organisierte Kriminalität ausmacht und worin ihre besondere Gefährlichkeit begründet liegt9, sowie differenzierte empirische Erkenntnisse hierüber nach wie vor nicht vorhanden sind.
7 Zumindest bis zum Jahr 2001 war ein ständiges Anschwellen der Publikationen zu beobachten. So wies der OPAC-Katalog der Universität Freiburg bei einer am 20. Januar 2003 unter dem Schlagwort „organisierte Kriminalität“ durchgeführten Recherche 176 Einträge auf. Diese verteilen sich nach dem Erscheinungsjahr wie folgt: 1973 bis 1989: 11; 1990 – 1993: 24; 1994 – 1997: 57; 1998 – 2001: 75; 2002: 5; ohne Datum: 4. Bei einer am gleichen Tag durchgeführten Recherche in der Datenbank Juris unter dem Titelstichwort „organisierte Kriminalität“ fanden sich allein in der Rubrik Aufsätze 160 Einträge. Bei einer Auswertung nach ihrer Provenienz war fast die Hälfte davon (71; 44,4 %) in der Zeitschrift Kriminalistik veröffentlicht. Auf den nächsten Plätzen folgten mit gebührendem Abstand die Zeitschriften Deutsche Richterzeitung (10; 6,3 %), die Zeitschrift für Rechtspolitik sowie die Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (je 7; 4,4 %). Auf 31 weitere Zeitschriften entfielen zusammen 65 (40,6%) Einträge. Dem Zeitraum zwischen 1985 und 1989 entstammen lediglich 14 der 160 Beiträge. 8 Kerner 1973, 11. Vgl. auch den Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung 2001, 236; zur Kritik: Hetzer 2001, 762 ff. 9 Die ungenaue Verwendung des Begriffes „organisiert“ wurde schon von Hagemann im Jahr 1936 (S. 900) beklagt.
Abschn. 1, Kap. 1: Einleitung
43
B. Ziel der Untersuchung Ziel der Arbeit ist es aufzuzeigen, welche Sachverhalte von Polizei und Justiz unter dem Begriff organisierte Kriminalität aufgegriffen und wie und mit welchem Ergebnis sie von der Justiz bewältigt werden. Die Untersuchung begegnet dabei der Schwierigkeit, dass es kaum Grundlagen gibt, auf denen eine empirische Studie auf diesem Gebiet aufbauen kann. Dessen ungeachtet sind drei Aspekte zu nennen, auf die das Projekt fokussiert wird. Zunächst erfolgt eine Bestandsaufnahme der Entwicklung, des Inhalts und der Bedeutung des Begriffes organisierte Kriminalität sowie der Veränderungen des Strafrechtssystems, die dadurch entstanden sind, dass der deutsche Gesetzgeber zur Bekämpfung organisierter Kriminalität eine Reihe legislativer Maßnahmen eingeführt hat. Diese betreffen im Wesentlichen einen prozessualen und einen materiell-rechtlichen Kern. Unter Berufung auf ihre Notwendigkeit zur Bekämpfung organisierter Kriminalität wurde eine Reihe strafprozessualer Maßnahmen neu geschaffen oder geregelt, über deren Einsatz und Effizienz noch keine Erkenntnisse vorliegen. Die Anwendung der besonderen Ermittlungsmaßnahmen bei der Aufklärung organisierter Kriminalität, insbesondere ihre Bedeutung zur Ermittlung und Aburteilung der Straftaten, stellt daher einen weiteren Forschungsschwerpunkt dar. Damit verbunden ist auch die Frage, inwieweit sich in der Behandlung organisierter Kriminalität die so genannte Verpolizeilichung des Strafverfahrens dokumentiert. Die Untersuchung von Strafverfahren organisierter Kriminalität zeigt, dass dabei eine besondere Komplexität durch eine Vielzahl von Beschuldigten sowie zu ermittelnden und vom System zu verarbeitenden Straftaten entsteht. Dies stellt besondere Anforderungen an einen Strafprozess, der sich traditionell mit einer Straftat eines Straftäters befasst. Die Ebene der Mehrtäterschaft bei organisierter Kriminalität und ihre Behandlung durch die Justiz bilden den dritten Schwerpunkt der Untersuchung. Materiell-rechtlich stehen hier die Teilnahmeformen von der bloßen Mittäterschaft über die Bande bis zur kriminellen Vereinigung im Vordergrund der Betrachtungen.
Am Ende der Arbeit wird erörtert, ob anhand der gewonnenen empirischen Erkenntnisse ein Spezifikum organisierter Kriminalität beschrieben werden kann und ob die Bedeutung und Funktion dieses Begriffes eher auf materiell-rechtlichem oder auf strafprozessualem Gebiet zu verorten sind.
C. Gang der Darstellung Im ersten primär rechtstheoretisch ausgerichteten Teil (Kapitel 2 – 8) wird zunächst die historische Entwicklung organisierter Kriminalität und ihrer Vorläufer-
44
Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
formen in Deutschland dargestellt. Zugleich werden die Versuche beschrieben, organisierte Kriminalität adäquat zu bestimmen, die im Jahr 1990 in eine Definition organisierter Kriminalität gemündet haben (Kapitel 2). Die Kritik an dieser Definition wird aufgezeigt. Ergänzend werden andere in der Wissenschaft verbreitete Begriffsbestimmungen erörtert (Kapitel 3). Des Weiteren sind die Gefahren zu beschreiben, die organisierter Kriminalität im politischen und wissenschaftlichen Diskurs beigemessen werden (Kapitel 4). In einem weiteren Abschnitt werden die rechtlichen Neuerungen erörtert, die in den vergangenen zehn Jahren als Antwort auf die Gefahren organisierter Kriminalität implementiert worden sind. Im Bereich behördlicher Informationsbeschaffung betreffen sie nicht nur das Strafprozessrecht, sondern gleichermaßen das Polizeirecht. Am Beispiel von Baden-Württemberg wird gezeigt, welche besonderen Ermittlungsmaßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, insbesondere der organisierten Kriminalität, Einzug in die Polizeigesetze gehalten haben. Die Bedrohung durch organisierte Kriminalität bildete daneben den Grund für die Implementation bzw. Verrechtlichung besonderer Ermittlungsmaßnahmen in der Strafprozessordnung. Dazu sind Veränderungen im Recht der Nachrichtendienste zu nennen. Ein weiteres Beispiel für die damit einhergehende Verschränkung von Polizei und Justiz auf dem Gebiet der Verfolgung organisierter Kriminalität stellen die in den letzten Jahren geschaffenen gemeinsamen Richtlinien dar. In einer vorläufigen Bilanz dieser Gesetzgebung im Polizei- wie im Strafprozessrecht wird dem Einfluss des Topos „Organisierte Kriminalität“ auf die Entwicklung und Gestaltung des Ermittlungsverfahrens nachgegangen und die Frage zu beantworten versucht, inwieweit von einer Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens gesprochen werden kann (Kapitel 5). Abgerundet wird dieser Abschnitt durch eine Betrachtung der verschiedenen Dimensionen des Themas organisierte Kriminalität und Zeugenschutz, die sich ebenso auf das Polizei- wie das Strafprozessrecht erstrecken (Kapitel 6). Daneben hat sich die „Bekämpfung organisierter Kriminalität“ prägend auf das materielle Strafrecht ausgewirkt10. In diesem Zusammenhang sind zunächst zwei Mehrtäterkonstellationen in den Blick zu nehmen: die Strafbarkeit der Bildung krimineller Vereinigungen (§ 129 StGB) sowie die im OrgKG und danach ausgeweitete Konzeption der Bandendelikte. Vorgestellt werden weiterhin die Erweiterungen im Bereich der gewerbsmäßig begangenen Delikte sowie die Maßnahmen der Gewinnabschöpfung (Kapitel 7). Schließlich wird anhand einer Rechtsprechungsanalyse untersucht, wie der Begriff der organisierten Kriminalität in der Rechtsprechung verwandt wird und welche Bedeutung er mittlerweile in der Judikative erlangt hat (Kapitel 8).
10 Zur Inflation und zur Problematik der (unangemessenen) Bezeichnung „Bekämpfungsgesetze“ zutreffend: Hettinger 1996, 2264.
Abschn. 1, Kap. 1: Einleitung
45
Nachdem die rechtlichen Grundlagen erarbeitet worden sind, beginnt der empirische Teil der Untersuchung (Kapitel 9 – 20) mit einem Überblick über die in Deutschland zum Thema organisierte Kriminalität vorliegenden rechtstatsächlichen Forschungsarbeiten, deren Ertrag zusammengefasst wird und die einer Kritik unterzogen werden (Kapitel 9). Die ergänzende Auswertung polizeilicher wie justitiell allgemein-statistischer Daten, die mit Aspekten organisierter Kriminalität in Verbindung zu bringen sind, kann mangels eines entsprechenden Tatbestandes und daher eingeschränkter Aussagekraft kurz gehalten werden (Kapitel 10). Mehr Informationen enthalten die so genannten Lagebilder Organisierte Kriminalität. Nach einer Analyse des Lagebildes Organisierte Kriminalität des Bundeskriminalamtes werden die in den letzten Jahren zunehmend angefertigten Gemeinsamen Lagebilder der Länderpolizeien bzw. der Justiz erörtert, bevor sich der Blick speziell auf die Situation in BadenWürttemberg richtet (Kapitel 11). Nach einer Diskussion der Ziele, Hypothesen und der Datenquellen der Untersuchung (Kapitel 12) beginnen die eigenen empirischen Arbeiten mit den Ergebnissen einer teilnehmenden Beobachtung anlässlich von Besprechungen zwischen Polizei und Justiz in Baden-Württemberg, in denen über die Aufnahme von Fällen als organisierte Kriminalität in das Lagebild entschieden wurde (Kapitel 13). Vor dem eigentlichen Beginn der Aktenanalyse wird die Auswahl der zu untersuchenden Strafverfahren dargelegt (Kapitel 14). Die Aktenanalyse (Kapitel 15 – 19) beleuchtet in einem Längsschnitt nach einer einleitenden Übersicht über die untersuchten Sachverhalte (Kapitel 15) den gesamten Ablauf der Ermittlungen in 52 ausgewählten OK-Komplexen von ihrer Einleitung und ihrem weiteren Verlauf bis zur Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft (Kapitel 16) über die Ausgestaltung der Hauptverhandlung (Kapitel 17) bis zum rechtskräftigen Urteil (Kapitel 18). Neben den besonderen Ermittlungsmaßnahmen auf einer prozessualen Ebene stehen die Formen arbeitsteiligen kriminellen Verhaltens auf einer materiell-rechtlichen Ebene im Mittelpunkt der Auswertung. Am Ende der Darstellung der Ergebnisse der Aktenanalyse wird aufgezeigt, in welchen der untersuchten 52 Komplexen nach den forensischen Erkenntnissen die als besondere Merkmale organisierter Kriminalität definierten Modalitäten „unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen“, „unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel“ sowie „unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft“ vorlagen. Von vornherein erschien es wünschenswert, die Ergebnisse der Aktenanalyse durch die Führung von Interviews mit Akteuren aus dem Gebiet organisierter Kriminalität anzureichern und zu validieren. Dies gelang aufgrund der durch das Landeskriminalamt Baden-Württemberg zu Beginn des Jahres 2000 vermittelten Möglichkeit, zehn Personen zu interviewen, die in Verfahren verurteilt wurden, die von
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
der Polizei als Formen organisierter Kriminalität angesehen wurden. Diese Straftäter wurden nach ihrer Einschätzung organisierter Kriminalität und den dabei geführten Ermittlungen befragt (Kapitel 20). Kapitel 21 enthält Interviews zum Zeugenschutz. Fünf der interviewten Straftäter waren in den Strafverfahren als so genannte Kronzeugen aufgetreten und wegen einer befürchteten Gefährdung in das Zeugenschutzprogramm des Bundeslandes Baden-Württemberg aufgenommen worden. Die Zeugenschutzmaßnahmen reichten dabei bis zur Annahme bzw. Verleihung eines neuen Namens. Weiterhin wurde ein Interview mit einem dem Zeugenschutzdezernat angehörigen Beamten durchgeführt. Nach der Beschreibung der in den Interviews gewonnenen Erkenntnisse wird abschließend (Kapitel 22) der Frage nachgegangen, ob sich aus der empirischen Untersuchung die Tragfähigkeit der bisherigen Definition organisierter Kriminalität ergibt bzw. weitergehend, ob sich eine Form kriminellen Verhaltens feststellen lässt, die sinnvollerweise mit dem Begriff der organisierten Kriminalität belegt werden kann. Anderenfalls ist zu erörtern, ob sich organisierte Kriminalität nicht eher als eine Bezeichnung für einen neuen Verfahrenstyp darstellt, der sich unter diesem Begriff etabliert hat und der in vielfältigen Beziehungen quer zu dem herkömmlichen Strafverfahren liegt, auf das die Strafprozessordnung bisher im Wesentlichen zugeschnitten ist.
Kapitel 2
Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland – Historische Entwicklung und Herausbildung einer Definition A. Historische Entwicklung bis zum Beginn der Debatte über organisierte Kriminalität Zwar hat die Berufung auf die mit organisierter Kriminalität verbundenen Gefahren und Ermittlungsschwierigkeiten erst am Ende des 20. Jahrhunderts zu Änderungen des materiellen Strafrechts wie des Strafprozessrechts geführt. Doch wird in zeitgenössischen Arbeiten über organisierte Kriminalität hervorgehoben, dass schon wesentlich früher kriminelle Erscheinungsformen aufgetreten seien, die als Frühformen organisierter Kriminalität interpretiert werden können1. Nicht genauer
1 So schon Exner 1949, 251: „Organisiertes Verbrecher- und Gaunertum hat es auf deutschem Boden schon vor Jahrhunderten gegeben“; in neuerer Zeit etwa Reiners 1989, 169 ff.; Sieber / Bögel 1993, 15 f.; Göppinger 1997, 549. Dezidiert anderer Ansicht allerdings Kürzinger (1996 Rdnr. 479), nach dem organisierte Kriminalität bestimmter gesellschaftlicher Strukturen bedarf, die erst in der jüngsten Zeit entstanden seien.
Abschn. 1, Kap. 2: Historische Entwicklung und Herausbildung einer Definition
47
thematisiert wird dabei in der Regel die Frage, unter welchem Aspekt bei den primär als Vorläufer bezeichneten Räuberbanden oder auch Spar- und Ringvereinen der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts Parallelen zu heutigen Formen organisierter Kriminalität bestehen. Daher gilt es in einem ersten Schritt zu untersuchen, welche Phänomene als Beispiele früher organisierter Kriminalität genannt werden und welche Komponenten zu dieser entsprechenden Interpretation beitragen. Als erste Formen organisierter Kriminalität werden in der Literatur immer wieder Räuberbanden angeführt2. Größere Einheiten von Straftätern lassen sich tatsächlich in Deutschland zumindest bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. So sollen in Einzelfällen Mordbrennerbanden einen Umfang von bis zu 400 Personen erreicht haben, wenn auch die Struktur und der Zusammenhalt dieser Banden als nicht sehr stabil beschrieben wird3. Dagegen wird bereits den Räuberbanden des 18. Jahrhunderts ein hoher Organisationsstand bescheinigt4, wobei ein Teil der Literatur allerdings darauf hinweist, dass diese Sichtweise zumindest auch einer ausgeprägten Legendenbildung zu verdanken sei5. Jedenfalls werden schon für diese Zeit Erscheinungsformen beschrieben, die man aus zwei unterschiedlichen Sichtweisen als organisierte Kriminalität klassifizieren könnte. So werden beispielsweise Überfälle einer Bande um den Laininger Seppl im Jahr 1786 geschildert, die den „Eindruck einer nüchtern-professionell abgewickelten Aktion“ gemacht hätten6. Hier führt offensichtlich der Aspekt einer gut geplanten Tatausführung im Sinne eines arbeitsteiligen, sorgfältigen Vorgehens zu einer Einordnung als „organisierte Kriminalität“ 7, wobei offensichtlich die Tätigkeit des „gut organisiert“ als „gut geplant“ den entscheidenden Grund für die entsprechende Zuordnung abgibt. Die Bezeichnung organisierte Kriminalität wird aber auch der Kriminalität von Gruppierungen im 18. Jahrhundert verliehen, indem das Augenmerk stärker auf die Struktur der Gruppierung und die Regeln der Gruppenmitglieder und damit der Organisation als Institution gelegt wird. So finden sich Beschreibungen der Bande des „Krummfingers Balthasar“ aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, denen strenge Organisationsprinzipien zu entnehmen sind, die sich in einem stark hierarchischen Aufbau sowie strikten internen Regeln mit rigiden Bestrafungen bei etwaigen Wegen ihrer mangelnden Struktur aber ausdrücklich bestritten von Schneider 1998, 570. Spicker-Beck 1995, 13, 165 ff.: Interessanterweise bildete „Gesellschaft“ den zeitgenössischen Ausdruck für Banden. 4 Küther 1987, 56 ff.; international: van Duyne 1995 / 1996, 345. 5 So die Vermutung von Lange 1994, 119; auch Blauert (1995, 60) zeichnet ein Bild von kleineren, eher losen, sich häufig neu zusammensetzenden Gruppen. 6 Küther 1984, 24. 7 Eine ausdrückliche Reflektion darüber, welche Charakteristiken die Einordnung einer historischen Erscheinungsform als Vorläufer heutiger organisierter Kriminalität erlauben, findet, wie bereits erwähnt, in den deutschsprachigen Studien im Wesentlichen nicht statt. Dagegen wertete eine niederländische Arbeit diejenige Kriminalität des 18. Jahrhunderts als organisiert, bei der aus mehr als vier Personen bestehende Gruppen auf eine organisierte professionelle Weise schwere Vermögensdelikte begingen (Egmond 1994, 17). 2 3
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Übertretungen äußerten8. Auf die Entstehung der modernen Staatlichkeit mit der Effektivierung der Strafverfolgung und der Durchsetzung der Freiheitsstrafen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird der Zerfall der bis dahin zu beobachtenden traditionellen Räuberbanden datiert9. Erst an der Schwelle zum 20. Jahrhundert kommt es wieder zu Erscheinungsformen, die heute retrospektiv mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht werden. Dabei spielte das „organisirte Verbrecherthum“ schon bei den Beratungen zur StPO von 1877 eine Rolle. So lehnte der Abgeordnete v. Puttkamer die Erstreckung des Akteneinsichtsrechts des Verteidigers auf „die polizeilichen Recherchen der Staatsanwaltschaft“ mit dem Argument ab, „sonst würde die Polizei, die in den großen Städten einem organisirten Verbrecherthum gegenüber erfahrungsgemäß nicht immer mit den lautersten Mitteln operiren müsse, lahmgelegt.“10 Als Beleg für die damalige Thematisierung organisierten Handelns kann auch die Prozessberichterstattung im Verfahren gegen den Kommissionär Dickhoff dienen, der nach immerhin zehntägiger Verhandlung vom Schwurgericht des Landgerichts Berlin I wegen „Anstiftung zum schweren Raube in zwei Fällen und der Beihilfe zum Morde in einem Falle (in realer Konkurrenz mit einem der Fälle der Anstiftung zum schweren Raube) für schuldig befunden und deshalb zweimal zu lebenslänglicher und zu zehnjähriger Zuchthausstrafe“ verurteilt wurde11. Dort heißt es, dass es durch die Gerichtsverhandlung möglich gewesen sei, „die geheimen Fäden und Beziehungen blosgelegt zu sehen, die die Verbrecher von Beruf in einer Weltstadt mit einander verbinden, ihren Lebenswandel zu verfolgen, ihre Organisation und ihre eigentümliche Sprachweise kennen zu lernen und die Entlarvung selbst der elendesten und raffiniertesten Heuchler zu beobachten.“12 Auch die Schilderung der Bedeutung der Lokale und „Schankwirtschaften“ als „zu diesem Zweck (sc. zur Verabredung von Straftaten) geschaffenen Speziallokalen“ 13 erinnert schon an das spezielle Merkmal „unter Verwendung gewerblicher und geschäftsähnlicher Strukturen“ in der heutigen Definition organisierter Kriminalität. Schließlich wurde „die Verbrecherwelt“ als „eine nicht zu unterschätzende Gefahr für öffentliche Ordnung und Sicherheit, für Leib, Leben und Eigentum der Bewohner, für den 8 Lange 1994, 120; Boehncke / Sarkowicz 1997, 141 für die große niederländische Bande des Moyses Jakob. 9 Lange 1994, 239 ff.; Göppinger 1997, 549. Nach Trutz von Trotha (1982, 48 ff.) handelt es sich dabei um den Übergang von der „Abenteuerkriminalität“ zur professionellen Kriminalität. 10 Hahn 1880, 971; dazu bereits Paeffgen 1999, 668. 11 Anonymus 1884, 415 ff; die Berliner „Diebeswelt“ wird, allerdings in antisemitischer Färbung, als „erste gewerbsmäßige Sekte im Verbrechertum“ apostrophiert, von der „alle Eigenheiten und Absonderlichkeiten, alle Organisation und Disziplin“ ausgegangen sei (Anonymus 1885, 424). 12 Anonymus 424 f.; Rogall (1987, 848) wertet diese Schilderung als „einen nie dagewesenen Einblick in das organisierte Verbrechen der Großstadt Berlin.“ 13 Anonymus 1885, 127.
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ganzen Staat“ angesehen14, zu deren Bekämpfung folglich der verstärkte und freie Einsatz von „Vigilanten“, d. h. Privatleuten empfohlen wurde, die als Zuträger gegen Bezahlung für die Polizei tätig seien15. Der Planungs- wie der Gruppenstrukturaspekt organisierter Kriminalität finden sich in der Folge in den 20er Jahren auch in Heindls umfangreichem Werk über den Berufsverbrecher unter der Kapitelüberschrift „viribus unitis“. Dort referiert er zum einen den Inhalt eines Aufsatzes über die „Organisation des Verbrechens“, nämlich dass Einbrüche großen Stils heutzutage fast stets auf Bestellung gemacht würden, die Berufsverbrecher auch „tatsächlich eine organisierte Macht“ darstellten. Zudem weist er auf Assoziationen der Berufsverbrecher unter Namen wie „Spargesellschaft Eintracht“, „Kegelklub alle Neune“ und „Sportverein“ hin16. Tatsächlich existierten in den 20er Jahren große Banden wie etwa die „Barmbeker Einbrechergesellschaft“ in Hamburg. Diese zwischen 1917 und 1921 agierende kriminelle Gruppierung soll aus rund 70 Personen mit zwei inneren Kreisen von 32 Personen bestanden haben. Die Gruppierung habe schon damals bei der Auswahl ihrer Einbruchsobjekte sehr sensibel auf sich verändernde Konjunkturen und damit Absatzmöglichkeiten der Waren reagiert und Delikte auf Bestellung von Hehlern verübt17. Allerdings werden weniger diese auch in den 20er Jahren vorhandenen Banden, sondern vielmehr die so genannten Spar- und Ringvereine häufig als Vorläufer organisierter Kriminalität bezeichnet, wobei offensichtlich der Charakter einer stabilen Organisation mit festen Regeln und Zielen, hier sogar in der traditionellen Form des Vereins, zur Zuordnung zu organisierter Kriminalität führt. So wurde im Jahr 1889 in Berlin der erste Klub von Zuhältern, der Geselligkeitsverein Königstadt gegründet18, 1898 in Berlin der Dachverband „Ring Berlin“, ein Zusammenschluss aller Berliner Ganovenvereine19. Nach den Geheimstatuten hatte sich der Verein zum Ziel gesetzt, „die Wirtschaft des Landes zu beeinflussen – durch Expansion der eigenen Geschäftsbasen wie illegale Spielclubs, Bordelle, Wettbüros und Hehlerumsatzplätze, durch den Kokain- und Morphiumhandel, Schutzgelderpressung, Mädchenhandel und Korruption“20, so dass sich der Konnex des Vereins zu kriminellen Handlungen offensichtlich nicht nur in einer spezifischen Mitgliederauswahl erschöpfte21. Auch hier findet sich mit der Einflussnahme bereits ein Element, das später Bestandteil der offiziellen Definition organisierter KrimiAnonymus 1886, 524. Anonymus 1886, 537 f. 16 Heindl 1926, 156 f. 17 Vgl. die Schilderung bei Wagner 1996, 52 ff. 18 Wagner 1996, 156. 19 Nach Freiberg / Thamm (1992, 75) soll der Name „Ringverein“ daher rühren, dass die Mitglieder das damals verächtete Ringen gepflegt haben. 20 Feraru 1995, 25, 28. 21 So aber Hoberg 1968, 283; Schneider 1998, 570. 14 15
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nalität in der Bundesrepublik werden sollte. In gleicher Weise bilden die genannten Straftaten einen Ausschnitt „moderner“ organisierter Kriminalität 22. Im Übrigen erinnert die Beschreibung der Aufnahmefeierlichkeiten mit der Ablegung eines Schweigegelübdes an diejenigen mafioser Organisationen wie auch andere Vereinsgebaren an Verhaltensweisen denken lassen, die heute mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht werden23. Allerdings scheint nach der neueren Forschung eher der kulturelle, gesellige Zweck im Vordergrund der Vorbestraften- wie der Ringvereine gestanden zu haben und weniger die konkrete Planung von Straftaten24. Im Jahr 1930 sollen allein in Berlin etwa 40 Zuhältervereine existiert haben, die in drei Ringen zusammengeschlossen waren25. Auch in anderen deutschen Großstädten entstanden entsprechende Vereine, die sich schließlich im „Deutschen Ring“ organisierten26. Die Ringvereine bestanden bis zu ihrer Auflösung durch die Nationalsozialisten zu Beginn des Jahres 193427. Die Unterscheidung von Verbrechervereinigungen in spezialisierte, arbeitsteilig arbeitende Banden einerseits sowie „ständige Gemeinschaften“ wurde nach dem 2. Weltkrieg von Exner aufgegriffen28. In den 50er Jahren kam es tatsächlich lokal zu einer Renaissance dieser Organisationen, insbesondere von Zuhältervereinen, die allerdings eher kurzlebig gewesen zu sein scheint. Bemerkenswerterweise erfolgten bei einem Prozess in Braunschweig im Jahr 1957 sogar Verurteilungen nach § 129 StGB, dem Tatbestand der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung29.
B. Die Entwicklung der Definition organisierter Kriminalität: hin zu einem offenen Begriff Organisierte Kriminalität bzw. organisiertes Verbrechen wurde zunächst nach dem Zweiten Weltkrieg in der kriminalpolizeilichen oder kriminologischen Literatur der Bundesrepublik kaum thematisiert. Eine Analyse der Zeitschrift Kriminalistik als dem Publikationsorgan für die kriminalpolizeiliche Praxis zeigt, dass über
22 Vgl. die Grafik bei Freiberg / Thamm 1992, 79 mit u. a. den Deliktsbereichen Schutzgelderpressung, Glücksspiel, Drogenhandel, organisierte Hehlerei und organisierter Diebstahl, Waffenschmuggel sowie Zuhälterei. 23 Feraru 1995, 27. Vgl. auch die bei Feraru 1995, 29 geschilderte Unterstützung eines inhaftierten Vereinsmitglieds durch seine Vereinsbrüder, die bis zur Beauftragung bestimmter Rechtsanwälte reichte; vgl. dazu bereits Hagemann 1936, 901 sowie auch Freiberg / Thamm 1992, 76 f.; Wagner 1996, 158. 24 Wagner 1996, 161; vgl. auch Langemann 1956. 25 Hagemann 1936, 902; Exner 1949, 242. Nach Wagner (1996, 156 f.) wurden im Jahr 1929 etwa 40 Ringvereine geschätzt. 26 Freiberg / Thamm 1992, 75 ff. 27 Feraru 1995, 174 ff. Vgl. auch Freiberg / Thamm 1992, 81 sowie Göppinger 1997, 550 f. 28 Exner 1949, 251 ff. 29 Landmann 1959.
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organisiertes Verbrechen in den 50er und 60er Jahren allenfalls im Zusammenhang mit Meldungen aus dem Ausland, vorwiegend aus den USA, berichtet wurde30. Bandenkriminalität wurde fast durchweg in Verbindung mit der Tätigkeit jugendlicher Gruppierungen erörtert31. Im Zusammenhang mit Berichten über Mafia, Camorra oder Cosa Nostra wurde in der Regel ausdrücklich darauf hingewiesen, dass kein Bezug zur Bundesrepublik bestünde32. Der Tenor, dass in Deutschland noch kein organisiertes Verbrechertum wie in den USA existiere, findet sich auch in einem Bericht Ende der 60er Jahre, obwohl dort über eine Gruppe „bandenmäßig organisierter Zuhälter“ referiert wurde. Zugleich wurden in diesem Artikel bereits Verbindungen dieser Kriminalitätsform zu den Folgen eines liberalisierten Grenzverkehrs sowie zu mangelnden Fahndungsmöglichkeiten der Kriminalpolizei hergestellt33, die im Folgenden die kriminalpolitische Diskussion über organisierte Kriminalität begleiteten. Noch im Jahr 1971 wurde in einem Bericht über eine IKPO-Interpoltagung zum organisierten Verbrechen nur die Lage in den Vereinigten Staaten von Amerika thematisiert34. Göppinger stellte im gleichen Jahr fest, dass mit Ausnahme der sizilianischen Mafia und der süditalienischen „ehrenwerten Gesellschaft“ in Europa syndikatsähnliche Verbrechensorganisationen, die mit den Syndikaten in den USA vergleichbar wären, in entsprechendem Ausmaß nicht bekannt seien35. Mitte der 70er Jahre rückte die organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik verstärkt in den Blickpunkt der polizeilichen Literatur. Schubkraft erhielt die Diskussion in erster Linie durch im Jahr 1974 durchgeführte Fachtagungen der Polizei. So stand die damalige Arbeitstagung des Bundeskriminalamtes unter dem Motto „Die Erscheinungsformen und die Bekämpfung organisierten Verbrechens“, wobei die Presse interessanterweise nur am Eröffnungstag zugelassen war36, und die Polizei-Führungsakademie veranstaltete ein Seminar mit dem Thema „Die organisierte Kriminalität und die Möglichkeiten ihrer Bekämpfung“37. Ebenso galt als ein Hauptanliegen einer Tagung des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, zu einer Verbesserung der Bekämpfung international organisierten Verbrechens beizutragen38.
30 So in den Berichten über die Tätigkeit amerikanischer Behörden im Kampf gegen das organisierte Verbrechen in Kriminalistik 1951, 183, 1961, 182 sowie 1966, 325; vgl. auch Schneider 1973. 31 Vgl. etwa Middendorff 1958, 213 ff.; vgl. auch v. Hentig 1959. 32 Hoeveler 1965. 33 Mätzler 1968. 34 „Das organisierte Verbrechen“ Interpol-Nachrichten, Kriminalistik 1972, 118 ff., 179 ff. Bereits im Jahre 1962 war eine Interpol-Tagung dem Phänomen des „organized crime“ gewidmet. 35 Göppinger 1971, 383. 36 Wehner 1974, 533 ff. 37 Zur Tagung siehe Heinhold 1974. 38 Gemmer 1974, 530; vgl. zur Entwicklung auch Hartmann 2000.
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Die Reihe der Versuche, organisierte Kriminalität zu definieren, eröffnete im Jahr 1974 die AG Kripo, die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt39: „Der Begriff der organisierten Kriminalität umfasst Straftaten, die von mehr als zweistufig gegliederten Verbindungen oder von mehreren Gruppen in arbeitsteiligem Zusammenwirken begangen werden, um Gewinne zu erzielen oder Einfluss im öffentlichen Leben zu nehmen“40. Drei Komponenten bestimmen diese Definition: 1. Der Akteur: Es müssen mehr als zweistufig gegliederte Verbindungen oder mehrere Gruppen handeln. 2. Die Tätigkeit: Die Straftaten müssen in arbeitsteiligem Zusammenwirken begangen werden. 3. Das Ziel: Es geht alternativ um Gewinnerzielung oder Einflussnahme auf das öffentliche Leben41. Eine Definition organisierter Kriminalität war deswegen notwendig geworden, weil im Jahr 1974 in § 4 Abs. 2 BKAG für die Fälle des international organisierten ungesetzlichen Handels mit Waffen, Munition, Sprengstoffen oder Betäubungsmitteln bzw. für die international organisierte Herstellung und Verbreitung von Falschgeld, die eine Sachaufklärung im Ausland erfordern, eine Zuständigkeit des BKA geschaffen worden war42. Die Kombination einer relativ elaborierten Organisation43 mit einem arbeitsteiligen Vorgehen stellte zur gleichen Zeit auch Kerner in den Vordergrund seiner 39 Bereits im Jahr 1971 hatte das Generalsekretariat von Interpol eine Definition organisierter Kriminalität angeregt (vgl. Schäfer 1975, 499). 40 Zitiert nach Gemmer 1974, 530 sowie Heinhold 1974, 254. Ein abweichendes, vor allem um die Komponente des nicht nur vorübergehenden Zusammenwirkens angereichertes Zitat der Definition findet sich bei Sielaff 1983, 417. Der im Dezember 1973 an die AG Kripo ergangene Auftrag bestand darin, – „eine Definition des Begriffes ,organisierte Kriminalität‘ zu erarbeiten, – Methoden und Organisationsformen wirksamer Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu beschreiben und – ein Konzept für die Kommunikation und den Informationsaustausch in diesem Bereich zu entwickeln.“ 41 Eine Legaldefinition, bei der die Einflussnahme auf Politik oder Wirtschaft eine bedeutende Rolle spielte, wurde im Jahr 1973 im Staatsvertrag zwischen der Schweiz und den USA über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen aufgenommen. Dort wurde eine organisierte Verbrechergruppe als eine Vereinigung oder Gruppe von Personen umschrieben, „die sich auf längere oder unbestimmte Zeit zusammengetan hat, um ganz oder zum Teil mit rechtswidrigen Mitteln Einkünfte oder andere Geldwerte oder wirtschaftliche Gewinne für sich oder andere zu erzielen und ihre Tätigkeit gegen strafrechtliche Verfolgung abzuschirmen, und die zur Erreichung ihrer Zwecke in methodischer und systematischer Weise wenigstens bei einem Teil ihrer Tätigkeit Gewaltakte oder andere zur Einschüchterung geeignete beidseitig strafbare Handlungen begeht oder zu begehen droht; und entweder (Ziff. 1) einen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft anstrebt, insbesondere auf politische Körperschaften oder Organisationen, öffentliche Verwaltungen, die Justiz, auf Geschäftsunternehmungen, Arbeitgebervereinigungen oder Gewerkschaften oder andere Arbeitnehmervereinigungen; oder (Ziff. 2), formell oder formlos, sich einer oder mehreren ähnlichen Vereinigungen oder Gruppen anschließt, von denen mindestens eine die in Ziffer 1 hiervor beschriebene Tätigkeit ausübt.“ (zitiert nach Caimi 1977, 228). 42 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 7 / 178; dazu auch Lersch 1998, 37 f.; Steinke 1982, 78. 43 Nach der (hier nicht geteilten) Einschätzung von Busch (1999, 27) weicht die heute geltende Definition nicht wesentlich davon ab.
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Definition, wenn er u. a. darauf abhob, dass ein wichtiger Indikator für organisierte Kriminalität sei, ob „kriminelle Gruppierungen auf Dauer angelegte personelle Organisation aufweisen, ob hierarchische Gliederungen bestehen und ob die Aktivitäten auf die verschiedenen Mitglieder nach einer zweckrationalen Ordnung so aufgeteilt sind, dass eine arbeitsteilige Rollengliederung besteht.“44 Kollmar rückte im selben Jahr bei seiner Begriffsbestimmung organisierter Kriminalität nicht die Organisation von Kriminalität, d. h. die planmäßige arbeitsteilige Begehung bestimmter Delikte, sondern das Merkmal der „Kriminellen Organisation“ in das Zentrum. Nach ihm ist die Existenz einer kriminellen Organisation kennzeichnend für organisierte Kriminalität, die wiederum „der dauerhafte Zusammenschluss einer Personenmehrheit zu einem mehrstufigen System der Über- und Unterordnung mit dem Zweck der planmäßigen Begehung von Straftaten“45 sei. Insgesamt stand zu dieser Zeit, vermutlich wegen des Einflusses der klassischen Vorbilder der italienischen mafia bzw. des amerikanischen „organized crime“ das Vorhandensein einer kriminellen Organisation und damit der institutionelle Aspekt im Vordergrund der Überlegungen, was unter organisierter Kriminalität zu verstehen sei46. Gleichwohl wurden schon damals in unterschiedlicher Weise die Notwendigkeit einer statischen, dauerhaften, vom Mitgliederwechsel unabhängigen Organisation mit eigenen Regeln einerseits und / oder einer planmäßig arbeitsteiligen Vorgehensweise im Sinne einer organisierten Tätigkeit andererseits als entscheidendes Charakteristikum für organisierte Kriminalität betont47, mitunter auch gar nicht voneinander getrennt. Vereinzelt fand sich bereits eine Akzentuierung organisierter, Marktbedürfnissen folgender Delikte48. Ebenfalls unklar blieb, welche Anforderungen die Struktur einer kriminellen Verbindung erfüllen müsse, damit von einer kriminellen Organisation überhaupt gesprochen werden könne. Beispielhaft für diese mangelnde begriffliche Differenzierung sei auf das populärwissenschaftliche Buch „Tatort Deutschland“ verwiesen, in dem einerseits die Vorteile „großer Organisationen“ für kriminelle Mitglieder beschrieben wurden, andererseits im nächsten Absatz ohne Differenzierung ein „Trend zur Bandenbildung“, zu „Hehler- und So seine Ausführungen auf der PFA-Tagung, zitiert nach Heinhold 1974, 253. Kollmar 1974, 6. Ihm verbal folgend, aber mit deutlichen Abstrichen bei den Erfordernissen eines dauerhaften Zusammenschlusses wie des Bestehens eines Über- bzw. Unterordnungsverhältnisses: Schäfer 1975, 500. 46 Vgl. auch die Merkmale einer „hochentwickelten kriminellen Organisation“ bei Berckhauer / Rada 1977, 50 f. 47 Im Jahr 1974 fügte der Generalsekretär der IKPO diesen beiden Spielarten sogar noch die eines lediglich vorbedachten Verbrechens hinzu: „Pour résumer, on peut dire que sous le vocable ,crime organisé‘, se cachent en réalité trois notions différentes que le schématiserai par trois expressions: le crime prémedité, le crime professionnel, le crime en societé parallèle.“ (Népote 1974, 233). Nach Straß (1975, 146) werden vom organisiert Kriminellen „alle kriminellen Aktivitäten kühl geplant, genau kalkuliert, bis ins letzte organisiert und realisiert.“ 48 So der Berliner Landeskriminaldirektor Boettcher, zitiert nach Freiberg / Thamm 1992, 107 f. 44 45
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Stehlergruppen“ und damit eine eher arbeitsteilige Begehungsweise als Beleg für das Vorhandensein organisierter Kriminalität angeführt wurde49. Auch im europäischen Ausland wurde zu dieser Zeit organisierte Kriminalität häufig als Form organisierter Begehung von Straftaten durch Banden gekennzeichnet50. Mitte der 70er Jahre tauchen auch bereits die Themenfelder im materiellen Strafrecht wie im Strafprozessrecht auf, die in der nächsten Zeit mit Fragen der Bekämpfung organisierter Kriminalität verbunden sind. Allerdings wurde von justitieller Seite schon früh darauf hingewiesen, dass der Begriff der organisierten Kriminalität weder im materiellen noch im prozessualen Strafrecht verankert sei51. Dennoch wurden unter diesem Stichwort ganz praktische Schwierigkeiten geschildert, die sich aus der Komplexität von (offensichtlich zahlenmäßig zunehmenden) Ermittlungsverfahren mit einer Vielzahl von Beteiligten und einer Vielzahl von Delikten ergaben52. Außerdem wurde bereits damals unter Bezugnahme auf die Herausforderung organisierter Kriminalität die bis dahin selbstverständliche Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit einer Aufgabenteilung zwischen einer Staatsanwaltschaft, die auf der Grundlage der Strafprozessordnung mit Unterstützung der Polizei die Aufklärung von Straftaten zu betreiben hat, und der präventiv-polizeilichen Aufgabe der Polizei in Frage gestellt mit der Forderung, „dass man die vorhandenen Energien der Sicherheitskräfte einigermaßen der echten Verwerflichkeit des vielfachen kriminellen Geschehens anpasst und in die Lage versetzt, zunächst schwere und schwerste Kriminalität in den Griff zu bekommen.“53 In diesem Zusammenhang wurden zentrale kriminalpolitische Petita der nächsten Jahre benannt: Regelungen für Kronzeugen und zum Zeugenschutz, Hinausschieben der Pflicht zum staatsanwaltschaftlichen Einschreiten bei begangenen Straftaten, die so genannte Vorfeldüberwachung samt der Einschaltung der Nachrichtendienste zusammen mit der Ausweitung verdeckter Ermittlungen54. In organisatorischer Hinsicht bleibt erwähnenswert, dass bereits im Jahr 1972 bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main eine Abteilung für organisierte Kriminalität eingerichtet wurde55. Nach dieser ersten Diskussionsrunde verschwand die organisierte Kriminalität in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zunächst von der kriminalpolitischen Agenda, möglicherweise weil den mit dem Erstarken terroristischer Aktivitäten, insbesondere den Anschlägen der Roten-Armee-Fraktion verbundenen Gefahren ein weHamacher 1973, 69 f. So für Schweden Simson 1974, 52 wonach charakteristisch für organisierte Kriminalität sei, „dass derartige Verbrechen von einer relativ kleinen Gruppe von Personen mit häufig schwerer krimineller Vergangenheit organisiert werden.“ Für die Niederlande: „Organisierte Verbrechen, wie solche in den Niederlanden begangen wurden, sind das Werk von Banden . . .“ (Kriminalistik 1974, 329). 51 Heinrich 1975. 52 Nehlert / Wahl 1976 schilderten einen Fall so genannter Autobumsereien. 53 Stümper 1975, 51; vgl. auch Weßlau 1997, 241. Dazu im Einzelnen Kapitel 5. 54 Stümper 1975, 51 ff. 55 Schaefer 1987, 230. 49 50
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sentlich größeres Gewicht beigemessen wurde. Zudem schien man sich in der Einschätzung des Vorhandenseins organisierter Kriminalität uneinig. So führte die unterschiedliche Interpretation des Begriffes organisierte Kriminalität dazu, dass die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein organisierte Kriminalität in den ausgehenden 70er Jahren nach eigener Einschätzung nicht zu verzeichnen hatten56. Anfang der 80er Jahre wurden unter dem Stichwort der „Waffengleichheit mit den Straftätern der organisierten Kriminalität“ die bereits Mitte der 70er Jahre benannten Forderungen wieder aufgegriffen57. Die Notwendigkeit einer vorangehenden Diskussion über eine Definition organisierter Kriminalität wurde aber gleichzeitig zunehmend mit dem Hinweis bezweifelt, dass jede Straftat unter Beteiligung mehrerer Personen ein bestimmtes Maß an Rollenverteilung und Planung erfordere, womit schon eine Organisation im Sinne der Betriebswirtschaftslehre vorläge58. In gleichem Maße verstärkten sich die Vorbehalte gegen die von der AG Kripo im Jahre 1974 aufgestellte Definition mit ihrem kumulativen Erfordernis einer eher institutionalisierten Organisation einerseits wie einer organisierten Tätigkeit andererseits. Der Versuch der AG Kripo, durch ihre Definition Abgrenzungen sowohl zum „organized crime“ in den USA als auch zur allgemeinen Banden- und Gruppenkriminalität zu gewährleisten, wurde für gescheitert erklärt59. In die Kritik geriet vor allem die Notwendigkeit einer gewissen Dauerhaftigkeit der Verbindung, unabhängig vom Mitwirken Einzelner, sowie die einer hierarchischen Gliederungsstruktur60. Steinkes Formulierung, organisierte Kriminalität sei „die kriminelle Tätigkeit von Personengruppen, die mit weit vorausgreifender Planung und arbeitsteilig dauerhaft schwerwiegende Straftaten begehen, um Gewinne zu erzielen, mit denen sie überwiegend ihren Lebensunterhalt bestreiten“, ließ erkennen, dass der Trend weg von den klassischen Vorbildern mafia und cosa nostra als stilbildendes Merkmal im Sinne einer hierarchisch gegliederten festen Organisationen gehen würde61. Zugleich konstatierte er als Resumée einer Untersuchung fünf europäischer Staaten, dass keiner dieser Staaten „eine allumfassende, hierarchisch aufgebaute Organisation nach Art der Mafia oder Cosa Nostra“ festgestellt habe62.
Steinke 1982, 78. Ermisch 1981; schon Mitte der 70er Jahre war unter der Überschrift „Waffengleichheit‘ herstellen“ eine „organisierte Ermittlergemeinschaft“ gefordert worden, die in der Lage sei, der organisierten Kriminalität wirkungsvoll Einhalt zu gebieten (Heinrich 1975, 294). Dass das Prinzip der „Waffengleichheit im Strafprozess“ (dazu: Sandermann 1975; Müller 1976) herkömmlich dazu dient, die Schwächen der strukturell unterlegenen Stellung des Beschuldigten auszugleichen, steht auf einem anderen Blatt. 58 Burghard 1982, 20. 59 Steinke 1982, 78. 60 Steinke 1982, 79. 61 Steinke 1982, 98. 62 Steinke 1984, 354. 56 57
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So traten Anfang der 80er Jahre die Erfordernisse des Vorliegens einer kriminellen Organisation wie auch einer Einflussnahme auf das öffentliche Leben weiter in den Hintergrund. Ein vom Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz eingesetzter „ad hoc-Ausschuss“ definierte die „Organisierte Kriminalität“ wie folgt: „Unter organisierter Kriminalität (OK) ist nicht nur eine mafiaähnliche Parallelgesellschaft im Sinne des ,organized crime‘ zu verstehen, sondern ein arbeitsteiliges, bewusstes und gewolltes, auf Dauer angelegtes Zusammenwirken mehrerer Personen zur Begehung strafbarer Handlungen – häufig unter Ausnutzung moderner Infrastrukturen – mit dem Ziel, möglichst schnell hohe finanzielle Gewinne zu erreichen“.63 Die inhaltliche Reduktion dieser Definition gegenüber derjenigen der AG Kripo aus dem Jahr 1974 ist unschwer zu erkennen64: 1. Die Anforderungen an den Akteur wurden verringert: Nunmehr genügte ein arbeitsteiliges, auf Dauer angelegtes Zusammenwirken mehrerer Personen. 2. Die Tätigkeit wurde nicht aufgewertet. Die Begehung strafbarer Handlungen reichte aus. 3. Beim Ziel geriet die Einflussnahme in Wegfall. Lediglich hohe finanzielle Gewinne waren als Motiv für die kriminellen Handlungen erforderlich. Mit dieser veränderten Ausrichtung ging die Klarstellung einher, dass sich der Begriff organisierte Kriminalität weder am Vorbild italienischer Mafia noch an dem des amerikanischen „organized crime“ orientiere65. Um die durch die begriffliche Reduktion schwieriger werdende, gleichwohl aber für notwendig gehaltene Abgrenzung von organisierter zu gewöhnlicher Kriminalität zu bewerkstelligen, traten stattdessen „organisationsverdächtige Kriminalitätsbereiche“ oder auch „Erscheinungsformen“ in den Vordergrund, die durch umfangreiche Indikatorenkataloge ergänzt wurden66. In der Folge wurden Erscheinungsformen organisierter Kriminalität, beispielsweise für Hamburg, ausdrücklich bejaht und später weitere spezielle polizeiliche Dienststellen zu ihrer Bekämpfung eingerichtet67. Die Ausweitung des Begriffs der organisierten Kriminalität sowie die Bildung von vom gewöhnlichen Dienstgeschäft freigestellten Spezialeinheiten mag aber auch dazu geführt haben, dass anderweitige Kriterien Einfluss auf die Klassifikation eines Falles als organisierte Kriminalität gewannen. So wurde die Zuordnung eines Falles zur organisierten
Zitiert nach Sielaff 1983, 417 ff. Nach Sielaff (1983, 417) soll diese Definition nur unwesentlich von der des Jahres 1974 abweichen. 65 Nach Sieber (1997, 47) orientierte sich die allgemeine deutsche Kriminologie in der Vergangenheit zunächst an amerikanischen Forschungen, so dass organisierte Kriminalität als eine strukturierte Form geschäftsmäßiger Deliktsbegehung durch eine nach ökonomischen Gesichtspunkten errichtete Geschäftsorganisation angesehen worden sei. 66 Sielaff 1983, 418 f.; Stümper 1985, 10 ff.; für die Schweiz: Baumgartner 1988, 686. Der Indikatorenkatalog von Stümper ging später fast unverändert in die Anlage E zur RiStBV ein. 67 Sielaff 1983, 421. 63 64
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Kriminalität als ein Zeichen dafür angesehen, dass es sich um ein bedeutsames und schwieriges Verfahren handele68.
C. Die heutige Definition organisierter Kriminalität Seit dem Mai 1990 spielen die „Gemeinsamen Richtlinien der Justizminister / -senatoren und der Innenminister / -senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität“ die herausragende Rolle bei der Definition organisierter Kriminalität in der Bundesrepublik. In ihnen wird organisierte Kriminalität wie folgt beschrieben: „Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken.“69 Abgegrenzt von organisierter Kriminalität wurden in den Richtlinien ausdrücklich Straftaten des Terrorismus70. Diese Definition bestimmt seitdem in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur die kriminalpolitische Diskussion über organisierte Kriminalität. Sie dient auch als Grundlage für die Erstellung der Lagebilder Organisierte Kriminalität des Bundeskriminalamtes. Beachtlich ist ebenfalls der internationale Einfluss dieser Bestimmung, die in der internationalen Literatur als „popularly accepted in Europe“ bezeichnet wird71. Inhaltlich ist sie zum einen dadurch gekennzeichnet, dass das Vorhandensein einer wie auch immer strukturierten Organisation weiter in den Hintergrund gedrängt wurde72. So bleibt der handelnde Akteur bei dieser Definition wenig elaboFranzheim 1987, 237. Abgedruckt als Anlage E Nr. 2.1 zu den RiStBV, Meyer-Goßner 2003. 70 Dagegen stellen in anderen europäischen Ländern Erscheinungsformen des Terrorismus, wie etwa die Straftaten der ETA in Spanien, das Hauptanwendungsfeld organisierter Kriminalität dar. 71 Levi 1998, 51. 72 Dies ist, im Gegensatz zu Zachert (1995, 284), ein bedeutsamer Unterschied, beispielsweise zur Definition durch die japanische Polizei, die unter organisierter Kriminalität „jede 68 69
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riert. Die Begehung von Straftaten durch (mindestens) drei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer genügt. Ethnische Aspekte bleiben ebenfalls ausgespart73. Die Anforderungen an die kriminelle Tätigkeit wurden gegenüber der Definition von 1981 leicht erhöht. Allerdings sind die drei Komponenten organisierter Kriminalität (man könnte sie als eine Geschäftsstruktur-, eine Gewalt- und eine Einflussnahmekomponente bezeichnen) nicht kumulativ, sondern lediglich alternativ miteinander verknüpft. Ungeklärt blieb das Verhältnis dieser drei Modalitäten zu den von der Gruppierung begangenen Straftaten. Können die gewerblichen oder geschäftsähnlichen Strukturen bereits in der Begehung des Deliktes im engeren Sinne liegen, etwa dann, wenn z. B. Autos gestohlen, ins Ausland verschoben und dort verkauft werden? Oder sind Schutzgelderpressungen schon dadurch unter den Betriff organisierte Kriminalität zu subsumieren, weil z. B. Gastwirten für den Fall der Nichtzahlung eines bestimmten Geldbetrages mit Beschädigungen der ihnen gehörenden Räumlichkeiten gedroht wird? Ähnlich ist zu fragen, ob alle durch mehrere Personen begangenen Bestechungen inzident die dritte Modalität dieser Definition erfüllen, weil jeweils eine unlautere Einflussnahme vorliegen dürfte74. Als zusätzlicher motivatorischer Faktor der Tätigkeit wird ein Gewinn- oder Machtstreben genannt. Dieses wird allerdings bei Eigentums- und Vermögensstraftaten kaum eine begrenzende Wirkung entfalten. Diese umfassend angelegte, weil vor allem verschiedene Alternativen vereinigende Definition organisierter Kriminalität75 führte dazu, dass in den 90er Jahren die Debatte um das Spezifikum organisierter Kriminalität merklich abflachte. Mehrfach wurde hervorgehoben, dass das Vorhandensein organisierter Kriminalität in Deutschland nunmehr unstreitig sei. Beklagt wurde allenfalls, dass unter organisierter Kriminalität häufig nicht jene qualifizierte Form des Verbrechens verstanden werde, die von subtilen Tattaktiken und -techniken bestimmt sei und die sich ausschließlich am zu erwartenden Profit orientiere76. Der organisierte, professionelle Straftäter zeichne sich dadurch aus, dass er mobil, nicht mehr ortsgebunden, international orientiert, mit allen Mitteln der Technik ausgerüstet und in gewerbsund geschäftsmäßigen Strukturen – auch innerhalb der „legalen“ Gesellschaft – organisiert sei77. Teilweise wurde sogar ein Konsens für existent erachtet, es gäbe Organisation, die zur kollektiven Begehung illegaler, gewaltsamer Akte neigt oder chronisch ihre organisatorische bzw. gemeinsame Macht dazu benutzt“, versteht. 73 Kritisch: Van Duyne 1997, 203; vgl. auch Kerner 1995, 42. 74 Darüber Aufschluss geben auch nicht die bei Freiberg / Thamm (1992, 113 ff.) bzw. Flormann (1995, 66 ff.) im Wesentlichen übereinstimmend wiedergegebenen amtlichen Erläuterungen zur Begriffsdefinition. 75 Der Periodische Sicherheitsbericht 2001, 249 spricht „von einem weit gespannten Orientierungsrahmen für Ermittlungen.“ 76 Lenhard 1991, 223. 77 Walter 1992, 365.
Abschn. 1, Kap. 2: Historische Entwicklung und Herausbildung einer Definition
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organisierte Kriminalität, um erst in einem zweiten Schritt zu fragen, worin denn das Spezifikum organisierter Kriminalität tatsächlich liege78.
D. Zusammenfassung Bei dem Versuch, die Eigenart organisierter Kriminalität zu beschreiben, fällt auf, dass Räuberbanden des 16. und des 18. Jahrhunderts verbreitet als Vorläuferformen organisierter Kriminalität identifiziert werden, ohne dass genau benannt wird, was zu dieser Annahme berechtigt. Bei näherer Betrachtung der in der Literatur geschilderten Gruppierungen ist festzustellen, dass es im Wesentlichen zwei Aspekte sind, die dazu führen, eine Entwicklungslinie von den Räuberbanden zur modernen organisierten Kriminalität zu ziehen: Einerseits ist es die sorgfältig geplante Tatausführung im Sinne eines gut organisierten Vorgehens, andererseits sind es Parallelen in der Struktur der jeweiligen Gruppierungen, die im Idealfall als Organisationen mit einem hierarchischen Aufbau bzw. internen Regeln bezeichnet werden können, die zur Einordnung als organisierte Kriminalität führen. Auf der Ebene der staatlichen Reaktion ist bemerkenswert, dass schon im ausgehenden 19. Jahrhundert eine Verbindung zwischen dem „organisirten Verbrecherthum“ und den zu seiner Bekämpfung notwendigen, häufig verdeckten Methoden gezogen wurde, etwa dem Einsatz so genannter „Vigilanten“. Neben den Räuberbanden werden vor allem die in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts existenten Spar- und Ringvereine als Frühformen organisierter Kriminalität bezeichnet, wobei offensichtlich der Charakter einer stabilen Organisation mit festen Regeln und Zielen, hier sogar in der traditionellen Form des Vereins, zur Einordnung als organisierte Kriminalität führt. Die in den Geheimstatuten dieser Vereine genannten (kriminellen) Betätigungsfelder wie illegale Spielclubs, Bordelle, Wettbüros und Hehlerumsatzplätze, Kokain- und Morphiumhandel, Schutzgelderpressung, Mädchenhandel und Korruption lesen sich wie ein Deliktskatalog heutiger organisierter Kriminalität. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte erst Mitte der 70er Jahre eine verstärkte Diskussion über organisierte Kriminalität ein, die primär in polizeilichen Publikationen geführt wurde. In der nun beginnenden Definitionsdebatte wurden in unterschiedlicher Weise die bereits benannten Aspekte als entscheidende Charakteristika für organisierte Kriminalität betont, nämlich die Notwendigkeit einer statischen, dauerhaften, vom Mitgliederwechsel unabhängigen Organisation mit eigenen Regeln einerseits und / oder einer planmäßig arbeitsteiligen Vorgehensweise im Sinne einer organisierten Tätigkeit andererseits. Gleichzeitig wurden die kriminalpolitischen Forderungen formuliert, die die Debatte der kommenden 20 Jahre bestimmen sollten.
78
So Möhn 1994.
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Nachdem in der zweiten Hälfte der 70er Jahre das Thema organisierte Kriminalität durch die alles beherrschende Terrorismus-Diskussion in den Hintergrund getreten war, dokumentierte sich in einem zweiten Definitionsversuch Anfang der 80er Jahre die schon zuvor vollzogene Abkehr, organisierte Kriminalität in Anlehnung an Vorstellungen der italienischen mafia oder des amerikanischen „organized crime“ definieren zu wollen. Stattdessen traten „organisationsverdächtige Kriminalitätsbereiche“ in den Vordergrund. Die heutige, aus dem Jahr 1990 stammende Definition organisierter Kriminalität, die den Terrorismus ausdrücklich ausspart, ist dadurch gekennzeichnet, dass das Erfordernis einer hierarchisch gegliederten Organisation im Sinne einer Institution zugunsten einer Geschäftsmäßigkeit des strafrechtlich inkriminierten Handelns, also einer organisierten Tätigkeit, weiter in den Hintergrund getreten ist. Insbesondere der handelnde Akteur ist kaum bestimmt. Die drei speziellen Merkmale organisierter Kriminalität (eine Geschäftsstruktur-, eine Gewalt- und eine Einflussnahmekomponente) sind nicht kumulativ, sondern lediglich alternativ miteinander verknüpft. So bildet etwa die Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft nach dieser Definition keinen notwendigen Bestandteil organisierter Kriminalität in der Bundesrepublik79. Ungeklärt blieb auch das Verhältnis dieser drei speziellen Merkmale zur Begehung der Straftaten, insbesondere ob bestimmte Delikte, wie etwa die Schutzgelderpressung, „per se“ ein spezielles Merkmal erfüllen können. Die Weite der Definition erlaubt es zugleich, verschiedenste Fallkonstellationen unter das Dach der organisierten Kriminalität zu subsumieren. Gleichzeitig konnte sich organisierte Kriminalität in Deutschland als Problem konstituieren, das es zu bekämpfen galt. Die lediglich in Form des „Kleinstrechts“ als Richtlinie ausgestaltete Definition erfüllt primär eine verfahrenstechnische und eine kriminalpolitische Funktion. Verfahrenstechnisch ist sie notwendig für die Begründung von Zuständigkeiten und als Schwelle für die Durchführung aufwendiger Ermittlungsmaßnahmen, für die Inanspruchnahme zentraler Auswertungssysteme und besonderer Informationsund Meldeaktivitäten80. Kriminalpolitisch dient sie als Grundlage für die Erstellung vor allem polizeilicher Lagebilder, die wiederum als Beweis für die Größe der durch organisierte Kriminalität verursachten Gefahr angesehen werden.
79 Vgl. aber etwa Dölling (1996, C 29): „Zu den Merkmalen der Organisierten Kriminalität gehört, dass sie versucht, durch Gewalt, Drohung und Bestechung auf Politik, Verwaltung, Justiz und Wirtschaft Einfluss zu nehmen.“ 80 Kersten 1998, 132.
Abschn. 1, Kap. 3: Kritik – wissenschaftliche und internationale Definitionen
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Kapitel 3
Kritik – wissenschaftliche und internationale Definitionen A. Kritik an der herrschenden Definition organisierter Kriminalität Als Vorteil der eben vorgestellten Definition organisierter Kriminalität wird in der Literatur hervorgehoben, dass dadurch möglichst vielfältige OK-Variationen abgedeckt werden könnten1. An anderer Stelle wird positiv vermerkt, dass in einer derartigen Formulierung, wenngleich sie noch von starker Unbestimmtheit geprägt sei, jedenfalls das Bemühen um Restriktivität zum Ausdruck komme2. Dass gerade die Weite und Unbestimmtheit der Definition3 sowie der Versuch, alle Phänomene zu erfassen, die man der organisierten Kriminalität zurechnen möchte4, andererseits auf Kritik stößt, verwundert insbesondere dann nicht, wenn man die Funktion dieser Definition weniger in einer bloßen Aufgabenzuweisungsnorm, etwa für Fälle organisierter Kriminalität an eine besonders ausgerüstete Polizeieinheit, sondern unter einem stärker grundrechtsrelevanten, weil staatliche Sanktionen oder Eingriffe legitimierenden bzw. begrenzenden Blickwinkel betrachtet. So wird es als problematisch erachtet, dass fast alle Elemente der Definition als interpretationsbedürftig anzusehen seien5. Die damit verbundene Kritik setzt unterschiedliche Schwerpunkte. So wird zum einen ein Auseinanderfallen zwischen den beschworenen Gefahren organisierter Kriminalität und einer vergleichsweise großzügigen Definition registriert, die weder den Abgrenzungsaufgaben zu hergebrachten Rechtsfiguren im materiellen Strafrecht (Stichwort: Mehrtäterschaft / Bandenkriminalität) noch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Strafprozeßrecht genügen könne, nach dem tiefe Eingriffe in Grundrechte in einer Balance zu den damit bekämpften Gefahren zu stehen haben. Auf einer kriminologisch-phänomenologischen Ebene wird zudem der Nachweis einer für einschneidende Maßnahmen erforderlichen besonderen Gefahr für nicht erbracht erachtet. Ebenso wird auch die Leistungsfähigkeit der Definition zur Abgrenzung von bekannten Phänomenen traditioneller Wirtschaftstätigkeit, die nur durch das Merkmal der Begehung von Straftaten hergestellt werde, wie auch zur Wirtschaftskriminalität als herkömmlicher kriminologischer Kategorie in Zweifel gezogen.
Wittkämper / Krevert / Kohl 1996, 49. Schoreit 1991, 536. 3 So etwa Boers 1995, 38. 4 Müller 1998, 274. 5 Pütter 1997, 16; vgl. auch Rupprecht 1993, 131: „ebenso unscharfe wie variationsreiche Definition“; v. Lampe 2001, 466 mit der Feststellung, sie sei wegen ihrer vielen Alternativen eigentlich gar keine Definition. 1 2
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Im Einzelnen wird bemängelt, dass eine vage und großzügige Definition dieser Kriminalitätsform unvereinbar sei mit der kriminologischen Einschätzung wie der sicherheitspolitischen Bedeutung organisierter Kriminalität und außerdem nicht hinreiche für die Qualität der für sie vorgesehenen Bekämpfungsmittel. Dass Verbrechen gewerbsmäßig, durch international operierende Banden, unter Benutzung moderner Kommunikationstechnologie oder unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel begangen würden, sei zudem nicht qualitativ neu, sondern nur eine quantitative Steigerung bisheriger Verbrechenspraxis6. Die Definition enthalte zwar strafrechtliche, soziologische, psychologische und ökonomische Elemente, ermögliche aber nicht die Abgrenzungen zu anderen Erscheinungsformen der Mehr-Täter-Kriminalität und kennzeichne jede komplexe und professionell durchgeführte Straftat, in der Haupttäter und Teilnehmer zu verzeichnen seien7. Sie erfasse somit ebenso Straftäterverflechtungen wie eigenständige Gruppierungen mit einer mehr oder weniger festen personellen Struktur bis hin zu großen mafiosen Organisationen8. Insbesondere im Bereich strafprozessualer Eingriffsregelungen habe der Gesetzgeber durch die Verfassung die Pflicht, Eingriffsmaßnahmen, die zur Bekämpfung organisierter Kriminalität geboten erscheinen, von hinreichend bestimmten die Eingriffe rechtfertigenden Tatbestandsvoraussetzungen abhängig zu machen. Es frage sich, ob der Gesetzgeber mit dieser Definition, auch wenn sie lediglich in einer Verwaltungsvorschrift normiert sei, seiner Aufgabe nachgekommen sei9. Auf der kriminologischen Ebene wird generell beanstandet, dass der zwischenzeitlich zum gängigen „terminus technicus“ avancierte Begriff der „OK“ durch keine nachprüfbare rechtstatsächliche Forschungsarbeit eine Konkretisierung erfahren habe und insbesondere keine kriminologische Untersuchung vorliege, die die „neue Qualität“ einer Bedrohungssituation für die Gesellschaft insgesamt belege10. Bis auf das Merkmal der Begehung von Straftaten verwiesen alle Kriterien bzw. Indikatoren, die bislang zur Kennzeichnung der organisierten Kriminalität genannt würden – Gewinnstreben, Arbeitsteiligkeit, Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, Ausnutzung moderner Infrastrukturen, Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung etc. – auf legales wirtschaftliches Handeln11. Kriminalpolitisch wird die Befürchtung geäußert, dass eine leichtfertige Hassemer 1997, 215. Nehm 1996, 515; Albrecht, P.-A. 1997, 232; Kersten 1998, 132. 8 Rupprecht 1993, 131; vgl. auch Levi 1998, 52. 9 Schwind 1995, 631. 10 Strafverteidigervereinigungen in Protokoll der 120. Sitzung des Rechtsausschusses 12. WP am 11. 40. 1994 S. 117. 11 Gössner in Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses 12. WP am 22. 1. 1992 Anhang S. 323 f. 6 7
Abschn. 1, Kap. 3: Kritik – wissenschaftliche und internationale Definitionen
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Zuschreibung organisierter Kriminalität zu einem Abnutzungseffekt führen könne und dadurch eine ungewollte Verharmlosung der realen Gefahrenlage eintrete12. Zudem sei es ja ein zentrales Wesensmerkmal funktionierender organisierter Kriminalität, dass sie sich der Erkennbarkeit entziehe, spezifische Kenntnisse über sie selten am Beginn eines Ermittlungsverfahrens, sondern des Öfteren erst am Ende vorlägen13. Die anhaltende Kritik an der in Deutschland vorherrschenden und auch die kriminalpolitische Diskussion bestimmenden Definition organisierter Kriminalität lenkt den Blick auf die Frage, welche Merkmale die kriminologische Wissenschaft als konstitutiv für organisierte Kriminalität erachtet und wie sie sich zur offiziellen Definition verhält. Nach einer Betrachtung der frühen kriminologischen Literatur wird daher überprüft, wie organisierte Kriminalität im heutigen deutschsprachigen kriminologischen Schrifttum definiert wird bzw. wie die dortigen Stellungnahmen zur halbamtlichen Definition in den Richtlinien ausfallen.
B. Wissenschaftliche Definitionen organisierter Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland I. Erste Versuche
Bisweilen zu findenden Feststellungen, dass für das deutschsprachige kriminologische Schrifttum organisierte Kriminalität bis weit in das 20. Jahrhundert kein Thema gewesen sei14, ist in dieser Pauschalität zu widersprechen. So sah Heindl bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts ein Merkmal des Berufsverbrechers im Gegensatz zum Gelegenheitsverbrecher darin, dass er sich mit Komplizen zusammenschließe, gleichsam organisiere15. Besonders augenfällig werde dies in den entsprechenden Assoziationen wie Vorbestraftenvereinen16. Auch wurde schon im Jahr 1936 im Handwörterbuch der Kriminologie die ungenaue Verwendung des Begriffes „organisiertes Verbrechertum“ beklagt. Allerdings vermied Hagemann in seinem Beitrag, eine explizite Definition aufzustellen. Negativ grenzte er organisiertes Verbrechertum gegen „illegale politische Vereinigungen und Bünde“ sowie gegen mehr oder weniger zufällige Zusammenschlüsse von Verbrechern ab. Seinen Vorstellungen von organisiertem Verbrechertum näher kamen Gruppierungen, die, wie in Deutschland das „Gaunertum“ im 16. Jahrhundert, „ganz offen als Organisation der staatlichen und bürgerlichen Organisation“ gegenübergetreten seien oder Zachert 1995, 286. Kersten 1998, 132. 14 Vest 1994, 128; Graf 1997, 46. 15 Sauer (1933, 365) führte dagegen in seiner Kriminalsoziologie lediglich aus, dass sich (Diebs-)gemeinschaften wegen der damit verbundenen Arbeitsteilung lohnten. 16 Heindl 1926, 156 ff.; ihm folgend Exner 1944, 265 ff. unter der Überschrift „Verbrechergemeinschaften“. Zum Einfluss der Studie Heindls vgl. Wagner 1996, 19 ff. 12 13
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
wie in den USA eine Monopolstellung im Wirtschaftsleben bzw. politischen Einfluss zu erzielen suchten. Für die damaligen Verhältnisse in Deutschland schien der Autor am ehesten eine festgefügte Organisationsstruktur als Kennzeichen organisierten Verbrechertums anzusehen, die er anhand längerer Ausführungen zu den Vorbestraften- wie Ringvereinen erläuterte17. Auch nach dem 2. Weltkrieg wurden Merkmale straffer Organisation unter dem Topos „Berufsverbrechertum“ diskutiert18. Mergen unterschied im Jahr 1967 Banden, die für ein bestimmtes Verbrechen zusammengestellt würden und nicht als organisiertes Verbrechertum bezeichnet werden könnten, von nach ökonomischen und wirtschaftswissenschaftlichen Gesichtspunkten errichteten Geschäfts- und Betriebsorganisationen, deren Zweck es sei, durch Begehen von Verbrechen Geld zu verdienen. Die organisierte Kriminalität befriedige zumeist illegale Bedürfnisse der Gesellschaft. Die Organisationen verfügten über ein enormes Kapital, das sie in Wertpapiere und nicht kriminelle Organisationen investierten19. Die Infiltration der Wirtschaft durch die Anlage von Gewinnen bezeichnete auch Hans von Hentig als Unterschied zwischen der kleinen kriminellen Gang einerseits und dem Syndikat andererseits, das immer versuche, sich bürgerliche Züge zu geben bzw. zu erhalten20. Selbiges entlehne die „Mimikrymethoden“ dem regulären Geschäftsverkehr und untermische das „Anfechtbare deckend mit dem Legitimen, bis beide Tätigkeiten kaum noch unterschieden werden können“21. Hoberg fasste den Begriff des organisierten Verbrechertums dagegen wesentlich weiter und unterschied vier Erscheinungsformen, die von tatbestimmten Verbindungen (Komplizenschaften), kriminösen Verbindungen und kriminellen Vereinigungen bis zu Verbindungen Krimineller ohne kriminelle Zielsetzung reichten22. Dabei sah der Autor auch in nur kurzlebigen Komplizenschaften „echte Sozialgebilde mit einer durch das Zusammenwirken bedingten Organisation“, bei der durchaus eine organisierte Gemeinschaft vorhanden sei. Unter kriminelle Vereinigungen subsumierte er nicht nur das amerikanische Berufsverbrechertum sowie die Zuhältervereine der 20er Jahre, sondern auch in Deutschland dauerhaft agierende Banden, etwa bei Kraftfahrzeugdiebstählen 23. Anfang der 70er Jahre unterschied Göppinger gegliederte delinquente Gemeinschaften, darunter Ringvereine und die Bandendelinquenz von berufsmäßig organisierter Delinquenz als besonders festgefügter und strukturierter Form verbrecheri-
Hagemann 1936, 900 ff. Seelig 1951, 46 ff.; nach der Typologie von Mezger (1951, 158) handelt es sich um einen „Zustandsverbrecher“. 19 Mergen 1967, 397 ff.; ders. 1995, 245 ff. 20 von Hentig 1959, 83. 21 von Hentig 1959, 75. 22 Hoberg 1968, 280 ff. in der zweiten Auflage des Handwörterbuches der Kriminologie. 23 Hoberg 1968, 280 ff. 17 18
Abschn. 1, Kap. 3: Kritik – wissenschaftliche und internationale Definitionen
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schen Gemeinschaftsverhaltens, das durch eine ganz bestimmte Geschäftsorganisation gekennzeichnet sei24. II. Definition organisierter Kriminalität in den deutschsprachigen Lehrbüchern
Merkmale einer festen Struktur als auch Organisation einer Gemeinschaft, die selbst als dauerhaft mit bestimmten Regeln und bisweilen auch als Gegenstaat anzusehen ist, sowie ein Einfluss auf die Gesellschaft, der vornehmlich durch Anlage von Gewinnen in im Prinzip legalen Unternehmungen bewirkt wird, bestimmen in unterschiedlichen Akzentuierungen auch die heutige Debatte über organisierte Kriminalität. Dies erhellt ein Blick auf die in den derzeit gängigen Lehrbüchern verwendeten Beschreibungen. Kaiser enthält sich in seinem Lehrbuch Kriminologie unter der Überschrift „organisiertes Verbrechen“ einer eigenen Definition dieser Kriminalitätsform. Eine solche stoße schon wegen der „Vielfalt und Besonderheit der Erscheinungsformen auf Schwierigkeiten.“ Im Übrigen lehnt er sich an die halbamtliche Bestimmung aus dem Jahr 1990 an und verweist auf die von der Polizei entwickelten Indikatorenkataloge. Gegenüber der Bande und der kriminellen Vereinigung sei organisiertes Verbrechen dadurch abzugrenzen, dass es eine „verfestigte Organisationsstruktur“ aufweise, „die einem in sich geschlossenen Gefüge oder einem Wirtschaftsunternehmen ähnelt.“ Auch Korruption und Geldwäsche kennzeichneten die Aktivitäten der organisierten Kriminalität. Bedeutung und Ausmaß organisierter Kriminalität in Deutschland werden unter Bezug auf die Lagebilder Organisierte Kriminalität des Bundeskriminalamtes (BKA) referiert25. Auch Bock beginnt seine Ausführungen zum Thema „organisierte Kriminalität“ mit dem Hinweis, dass selbige „außerordentlich schwer begrifflich“ und in ihrem tatsächlichen Ausmaß zu erfassen sei. Ebenfalls ohne eine eigene Definition vorzunehmen, sieht er in Deutschland phänomenologisch zwei Formen der organisierten Kriminalität am Werk, einerseits Straftäterverflechtungen / Netzwerke mit relativ geringem Organisationsgrad sowie vor allem aus dem Ausland nach Deutschland hineinwirkende streng hierarchisch organisierte Gruppen26. Betont er somit partiell die Qualität des handelnden Akteurs, erkennt er im Gegensatz zu Staaten wie Japan in Deutschland nur punktuelle Kontakte organisierter Kriminalität zur Verwaltung und auch keine enge Einflussnahme auf die Politik27. Beschrieben werden auch die Definition aus dem Jahr 1990 sowie zentrale Angaben aus den Lagebildern des BKA28. 24 25 26 27 28
Göppinger 1971, 376 ff. Kaiser 1996, § 38 Rdnr. 15 ff. Göppinger 1997, 553; Bock 2000 Rdnr. 1069 ff. Göppinger 1997, 554; Bock 2000 Rdnr. 1083. Bock 2000 Rdnr. 1978, 1085.
5 Kinzig
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Kerner versteht unter organisiertem Verbrechen als Organized Crime syndikatsähnliche Erscheinungsformen, die sich durch eine besondere Art gemeinschaftlicher (krimineller) Betätigung mit strenger hierarchischer Gliederung und kaufmännisch geplantem und kontrolliertem Vorgehen auszeichneten. Nach ihm gibt es in Europa nach wie vor keine ausgeprägten Formen syndikatsähnlicher Verbrechensorganisationen. Die europäische Szene sei stattdessen durch ein „grenzüberschreitendes, informelles Netzwerk gegenseitiger Bekanntschaften von so genannten Vollzeit-Kriminellen, die in Kleingruppen arbeiteten“, gekennzeichnet. Dabei habe sich ein neuer Typ eines professionellen Verbrechers herausgebildet. Verbindungen zur Korruption oder eine Einflussnahme auf die Öffentlichkeit sieht er in Europa nicht29. Während Kaiser, Bock und Kerner somit bei ihrem Verständnis organisierter Kriminalität den Aspekt einer eher institutionellen Organisation akzentuieren30, steht bei Eisenberg, wie schon die Kapitelüberschrift „organisierte Straftatbegehung“ verheißt, nicht die Organisation, sondern die Begehungsweise, die Tätigkeit des Organisierens als „strukturierte Form geschäftsmäßiger, bürokratischer Deliktsbegehung“ im Vordergrund seiner Überlegungen. Da das kriminelle Vorgehen nach Gesichtspunkten von Bedarf und Nachfrage bestimmt sei, scheine es sich in Deutschland hauptsächlich um in der Zusammensetzung wechselnde Gruppierungen zu handeln. Dabei stünden Merkmale des systematischen und arbeitsteiligen Vorgehens, weniger eine personell hierarchische Organisation im Blickpunkt. Die Korruption erwähnt Eisenberg nur am Rande als Deliktsfeld, eine Einflussnahme als Ziel oder Endprodukt der Tätigkeit gar nicht31. Schneider entwickelt in seinem Lehrbuch aus dem Jahr 1987 ebenfalls keine eigene Definition organisierter Kriminalität. Er führt stattdessen „sieben kennzeichnende Merkmale“ für organisiertes Verbrechen auf, die sowohl die kriminelle Organisation als Institution („jedes Syndikat wird straff und zentral von einer kleinen Planungsgruppe geleitet“) wie auch die Tätigkeit des Organisierens („rational und planvoll“) umfassen. Ziel sei die gewinnorientierte Bedürfnisbefriedigung der Bevölkerung nach illegalen Gütern durch eine hierarchisch strukturierte Organisation. Systematische Bestechung werde zur Neutralisierung der staatlichen Strafverfolgung eingesetzt. Einflussnahme als Endziel organisierter Kriminalität erwähnt Schneider nicht. Ebenso erfolgt keine Gewichtung der sieben genannten Faktoren32. In einem späteren Beitrag bezeichnet es Schneider als „wegen ihrer manKerner 1993, 377 ff. Vgl. dazu Voss 1997, 476: „Organisationen sind tendenziell auf Dauer angelegte soziale Einheiten mit institutionellen Regelungen, die das Verhalten der Beteiligten steuern, und mit spezifischen Zielen bzw. Aufgaben, die durch Mitglieder realisiert werden sollen.“ Weiter Fuchs-Heinritz 1994, 478, für den Organisation „als Bezeichnung der Organisationswissenschaften die Ordnung von arbeitsteilig und zielgerichtet miteinander arbeitenden Personen und Gruppen“ umfasst. 31 Eisenberg 2000, § 57 Rdnr. 67 ff. 32 Schneider 1987, 51 ff. 29 30
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gelnden Flexibilität“ nicht sehr nützlich, „eine ausformulierte nationale Definition des Organisierten Verbrechens zu erarbeiten“. Es sei erfolgversprechender, „dynamisch zusammengesetzte Kriterien des Organisierten Verbrechens zu entwickeln, die auf seine unterschiedlichen Erscheinungsformen weltumspannend anwendbar sind.“33 In der Folge benennt Schneider unter Bezugnahme auf das amerikanische Schrifttum fünf Merkmale, die die „Aktivitäten der Organisierten Kriminalität“ kennzeichneten: Die Taten zielten darauf ab, die Bedürfnisse der Bevölkerung nach illegalen Gütern und Dienstleistungen zu befriedigen (1). Sie seien dabei stark gewinnorientiert (2), zur Risikominimierung bevorzugt opferlos bzw. durch das Opfer schwer aufdeckbar (3) und sehr sorgfältig geplant (4). Die entstehenden Gewinne versuche man in legalen Unternehmungen und Geschäften anzulegen (5). Neben diesen Aspekten einer organisierten Begehungsweise betont Schneider wiederum gleichermaßen die institutionelle Komponente der Organisation. So seien die Tätergruppen ebenfalls durch fünf Merkmale zu charakterisieren. Es handele sich um Zusammenschlüsse von Berufsverbrechern (1), die auf Dauer angelegt und vom Wechsel in der Führung unabhängig seien (2). Die Mitglieder schuldeten der Organisation unbedingte Loyalität und Gehorsam (3). Mit Gewaltandrohung und -anwendung schütze die Gruppe ihr Bestehen gegen interne wie externe Bedrohungen (4). Beschützer, Berater und Förderer in Polizei, Justiz, Politik und Wirtschaft bildeten einen Puffer um die kriminelle Gruppe, ohne den das organisierte Verbrechen gar nicht existieren könne (5). Das Ausmaß organisierter Kriminalität in Deutschland wird unter Rückgriff auf polizeiliche Untersuchungen geschildert34. Schwind führt eingangs seiner Darstellung des organisierten Verbrechens aus, dass dieses Phänomen deswegen so schwer zu erfassen sei, weil seine Erscheinungsformen so vielfältig seien. Nach einer Kritik der Definition aus dem Jahr 1990 stellt er eine Indikatorenliste vor, anhand derer „O.K.“ beschrieben werde. Dazu gehörten ein auf Dauer angelegter Zusammenschluss einer kriminellen Personenmehrheit (1) wie eine Organisationsstruktur, die sich durch einen straffen Führungsstil auszeichne (2), also ebenfalls Merkmale der Organisation als solcher. Darüber hinaus benennt er zwölf weitere Kennzeichen organisierter Tätigkeit wie ein längeres planmäßiges und arbeitsteiliges (mehrstufiges) Vorgehen (3), das Betreiben von illegalen Geschäften mit Gütern oder Dienstleistungen sowie deren Verknüpfung mit legalen Geschäften (4), die Nutzung von „Connections“ (5), konspiratives Täterverhalten (6), der ständige Wechsel logistischer Mittel (7), eine flexible Verbrechenstechnologie und eine Vielfalt in der Wahl der Verbrechensmethoden, worunter auch die Korrumpierung falle (8), Geldwäschehandlungen (9), eine bewusste Ausnutzung der Infrastruktur (10) sowie Internationalität und Mobilität (11), Zeugenbeeinträchtigungen (12), die Bereitstellung bester bzw. teuerster Anwälte (13), die Beibringung (gefälschten) Entlastungsmaterials (14) sowie eine 33 34
5*
Schneider 1998, 563. Schneider 1998, 563 ff.; Schneider 2001, 316 ff.; ähnlich bereits Schneider 1993, 815 ff.
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Betreuung während der Haft (15). Trete dazu das Ziel, wirtschaftliche oder politische Machtpositionen zu erringen, spreche man generell von Mafia. Des Weiteren schildert er verschiedene in Deutschland existente Erscheinungsformen35. Kürzinger betont im Gegensatz dazu vor allem die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die für die Entstehung organisierter Kriminalität notwendig seien. Organisiertes Verbrechen könne sich nur in einem einigermaßen liberalen Staat oder aber in einem korrupten Staat herausbilden und benötige eine gewisse fortgeschrittene Infrastruktur der Gesellschaft wie einen (faktisch) wirtschaftsliberalen Staat36. Fasst man die kriminologische deutschsprachige Lehrbuchliteratur zusammen, ist zunächst eine auffällige Zurückhaltung zu konstatieren, was eine konkrete Definition organisierter Kriminalität angeht. Teilweise wird diese damit begründet, organisierte Kriminalität sei so unterschiedlich, dass sie kaum zu definieren sei. Dies begünstigt eine Tendenz, sich mit additiven Kriterien- oder Indikatorenkatalogen zu begnügen, wobei keine Gewichtung der einzelnen Merkmale vorgenommen wird. Im Übrigen akzentuieren die aufgeführten Autoren in unterschiedlichem Maße das Vorhandensein einer Organisation als handelndem Akteur (Kaiser, Bock, Kerner) bzw. die Geschäftsmäßigkeit der Deliktsbegehung als Strukturmerkmale organisierter Kriminalität (Eisenberg) oder die Notwendigkeit einer Kombination von beidem (Schneider, Schwind)37. Die Definition, auf die sich die Innen- und Justizbehörden als Arbeitsbegriff verständigt haben, wird von den meisten Autoren (Kaiser, Bock, Schwind und Kürzinger) zwar zitiert, allerdings ohne sich damit inhaltlich näher auseinanderzusetzen38. Schwind sowie Peter-Alexis Albrecht üben dagegen die bereits erwähnte Kritik, die sich im Kern auf die große Weite der Definition bezieht39. 35 Schwind 2002, § 29 Rdnr. 5; zum korruptiven Aspekt ähnlich etwa: Schaefer 1998, 19: Die gefährlichste Form organisierter Kriminalität ist „die Verflechtung von Legalität und Illegalität, Gesellschaft und Parallelgesellschaft, Staat und Gegenstaat, allgemein beschrieben auch durch den Begriff ,Mafia‘, d. h. Verfilzung von Politik und organisiertem Verbrechen, verbunden durch das Schmiermittel der Korruption.“ Orlando 1997, 208: „Die Mafia ist – durch ihr Verhältnis zu den Institutionen – nicht nur ein bewaffnetes verbrecherisches Phänomen, sondern auch ein Charakteristikum der wirtschaftlichen Macht, eine Eigenschaft der politischen und der kulturellen Macht.“ Nach Trutz von Trotha (1982, 58 ff.) ist Syndikatskriminalität u. a. durch Korruption charakterisiert, die ein zentrales Mittel der Organisation illegaler Aktivitäten wie der Absicherung gegen Eingriffe von Rechtsinstanzen darstellt. 36 Kürzinger 1996 Rdnr. 479; zur Bedeutung des Staates für die Entstehung organisierter Kriminalität auch: Kerner 1995, 41; Beste 1995, 43. 37 Von Lampe 2001, 465 ff. macht dagegen im Schrifttum „drei verschiedene Grundverständnisse vom Wesenskern Organisierter Kriminalität“ aus: – das Anbieten illegaler Güter und Dienstleistungen, – den Zusammenschluss von Kriminellen zu Organisationen und – die Verflechtung legaler und illegaler Strukturen. 38 Kaiser 1996, § 38 Rdnr. 15; Göppinger 1997, 552 f.; Kürzinger 1996 Rdnr. 480. 39 Schwind 2002, § 92a Rdnr. 4 zur Frage einer Tauglichkeit für eine strafprozessuale Ermächtigung; Albrecht, P.-A. 1999, 377 ff.
Abschn. 1, Kap. 3: Kritik – wissenschaftliche und internationale Definitionen
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Während sich bei den bisher aufgeführten Autoren bei Unterschieden in den Schwerpunkten im Wesentlichen ähnliche Merkmale finden, die das Wesen organisierter Kriminalität konstituieren sollen, ist nach Peter-Alexis Albrecht organisierte Kriminalität lediglich ein Surrogatsbegriff für als bedrohlich empfundene Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft, die politischen Zugriffen schwer zugänglich und somit die Stabilität der politischen Ordnung selbst zu destabilisieren imstande seien. Kriterien wie Gewinn- oder Machtstreben, arbeitsteiliges Vorgehen, Gewaltanwendung, Straftaten von erheblicher Bedeutung, die Bestandteile der offiziellen Definition organisierter Kriminalität bildeten, kennzeichneten jede komplexe und professionell durchgeführte Straftat, in der Haupttäter und Teilnehmer zu verzeichnen seien40.
III. Definitionen im sonstigen neueren Schrifttum
Eine unterschiedliche Betonung der Merkmale Organisation wie einer organisierten Tätigkeit als Kennzeichen organisierter Kriminalität lässt sich auch im Übrigen deutschsprachigen Schrifttum beobachten, das im Folgenden exemplarisch dargestellt wird. Vest stellt an das Vorhandensein organisierter Kriminalität im Bedürfnis einer Abgrenzung zur banden- oder gewerbsmässigen Delinquenz als „klassischem“ Berufsverbrechertum besonders enge Anforderungen, die ebenfalls in eine Kombination beider Aspekte münden. Nach ihm setzt organisierte Kriminalität die sechs Merkmale dauerhafter Zusammenschluss einer Personenmehrheit (mit hierarchischer Struktur) (1), die Verübung schwerer Straftaten (2), eine Organisation, ein Betrieb oder eine Kontrolle profitabler illegaler Geschäfte mit massenhafter Nachfrage (3), die systematische Abschirmung gegen Strafverfolgungsmassnahmen (4), einen methodischen Einsatz von Gewaltanwendung oder Einschüchterung (5) sowie eine angestrebte Beeinflussung von Staat und Wirtschaft (6) voraus41. Andererseits gibt es auch Autoren, die die weite Definition in den Gemeinsamen Richtlinien für geeignet ansehen, diejenigen Gefahren der organisierten Kriminalität für die Allgemeinheit zu verdeutlichen, welche ihre besondere Verfolgungswürdigkeit rechtfertigen42. Insgesamt überwiegen vor allem im polizeilichen Schrifttum Beschreibungen, die in unterschiedlicher Form, Eindringlichkeit wie Argumentationshintergrund den Aspekt der organisierten Tätigkeit hervorheben. So werden etwa als Kennzeichen organisierter Kriminalität eine Professionalisierung und Kommerzialisierung, 40 Albrecht, P.-A. 1999, 378 f. Ähnlich der Schweizer Kantonsrichter Oberholzer (2001, 32 ff.), der in „OK“ ein politisches Schlagwort sieht, das ein politisches Programm transportiere. 41 Vest 1994, 133. 42 Graf 1997, 57.
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Akkumulation von technischem und wirtschaftlichem Know-how, Organisierung, Arbeitsteilung und Logistik sowie Internationalität genannt. Nach Sielaff ist organisierte Kriminalität „eine hochqualifizierte Form der Verbrechensbegehung, die von verschiedenen subtilen Taktiken und Techniken auf Täterseite gekennzeichnet ist. Die Taten sind meistens präzise geplant und Teile eines Gesamtkonzeptes, wobei den Bedürfnissen des Marktes Rechnung getragen wird. Tatausführung und Beuteverwertung sind hochprofessionell und arbeitsteilig angelegt. Das Täterverhalten orientiert sich an möglichen staatlichen Strafverfolgungsstrategien. Es ist vielfach äußerst konspirativ, wobei entsprechende Gegentaktiken die Einblicke der Strafverfolgungsbehörden abwehren sollen. Belastungszeugen werden gegebenenfalls unter Druck gesetzt.“43 Für Zachert ist „OK“ schlicht die gewerbsmäßige, professionelle Verbrechensbegehung44. Diese Begriffsminimierung führt dazu, dass sogar eine lediglich gemeinschaftliche Tatbegehung, für die vor allem ein kaufmännisch planhaftes Vorgehen typisch sei, als kleinster gemeinsamer Nenner organisierter Kriminalität für ausreichend erachtet wird45. Die geringen Anforderungen an den institutionellen Organisationsbegriff zeigen sich an anderer Stelle darin, dass auch Straftäterverbindungen mit geringem Organisationsgrad bis hin zur lockeren, rein funktionalen Arbeitsteilung Gruppierungen organisierter Kriminalität darstellen könnten. Gleichzeitig wird zugestanden, dass sich dieser Bereich in weitem Umfang mit der bandenmäßigen Begehung und zum Teil auch mit der Begehung von Straftaten durch eine kriminelle Vereinigung überschneide, ohne dass das Verhältnis dieser drei Kriminalitätsformen zueinander bisher ausreichend geklärt sei46. Andererseits wird organisierte Kriminalität auch in der Struktur oberhalb der Bande und unterhalb des Syndikats angesiedelt47. Zum Teil finden sich sogar Merkmale in der Definition organisierter Kriminalität, die Voraussetzung jeder vorsätzlichen Straftat sind48. An anderer Stelle heißt es, „Wesen der Organisierten Kriminalität“ sei „die Verflechtung zahlreicher Personen mit zahlreichen Taten im In- und Ausland“49. Wegen der VielSielaff 1989, 141; vgl. auch Stümper 1992, 675. Zachert 1995, 690. 45 Kube 1996, 18, allerdings mit dem Eingeständnis, dass die Art des planhaften Zusammenwirkens zu operationalisieren und die Grenzen der OK abzustecken, offenkundig schwer falle. 46 Podolsky 1995, 33; Eiser (1993, 29) spricht auch von „bandenmäßig organisierten BtmStraftaten“. In einer neuen Schweizer Arbeit (Giannakopoulos 2001, 8 ff.) wird zwischen einem stabilen „crime organisé“ und den „réseaux criminels“ unterschieden. 47 Kettelhöhn 1991, 239; vgl. auch Kerner 1995, 42; Pieth 1996, 35. 48 So heißt es in einer juristischen Dissertation: „Mit dem Begriff der organisierten Kriminalität bezeichne ich Tätergruppen, die auf Dauer, bewusst und gewollt, arbeitsteilig strafbare Handlungen begehen – meist unter Ausnutzung moderner Infrastrukturen – mit dem Ziel, möglichst schnell hohe finanzielle Gewinne zu machen“ (Reiners 1989, 8). 49 Körner 1992, 134. Koriath (1996, 535) weist einschränkend darauf hin, dass „nach dem Wegfall der europäischen Binnengrenzen selbst die Eierdiebe internationale Rechtsbrecher geworden sind. 43 44
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gestaltigkeit organisierter Kriminalität wird der Begriff sogar für überhaupt nicht präzise definierbar gehalten50. Neben der Arbeitsteilung und der Spezialisierung wird auch auf die Bedürfnisbefriedigung illegaler Märkte abgestellt, die hohe Profite versprächen. So wird unter organisierter Kriminalität jener Teil der Wirtschaft verstanden, der sich bewusst auf kriminelle Kapitalbeschaffung, auf kriminalisierte Märkte, Waren und Dienstleistungen spezialisiert und auf Dauer den überwiegenden Teil seiner Profite durch Gesetzesbruch erzielt51. Dies geht soweit, dass darunter (nur) eine „Geschäftsstrategie“ gesehen wird52. Einschränkend wird von rechtswissenschaftlicher Seite ausgeführt, dass dadurch nur eine Umschichtung einer bisher bestehenden Kriminalität eintrete, die eine Anpassung an die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse darstelle und deren Strukturen widerspiegele53. C. Internationale Definitionen Neben vielen internationalen Gremien beschäftigen sich auch die Europäische Union bzw. das Europäische Parlament seit längerer Zeit, insbesondere seit dem Beginn der 90er Jahre, mit Maßnahmen gegen organisierte Kriminalität 54. So wurde dem Europäischen Parlament im Jahre 1992 ein erster Bericht eines Untersuchungsausschusses über die Ausbreitung des organisierten Verbrechens im Zusammenhang mit dem Drogenhandel in den Ländern der Europäischen Gemeinschaften vorgelegt55. Darin wurde festgestellt, dass die organisierte Kriminalität 50 Sieber 1998, 98. Dagegen früh und pointiert Schoreit (1991, 535 f.): „Meiner Auffassung nach kann die besondere Verfolgungswürdigkeit eines organisierten Delikts nur gegeben sein, wenn besondere Gefahren durch dasselbe begründet werden. Das muss an Hand restriktiver Kriterien geprüft werden. Man kommt keinesfalls, auch bei der Polizei nicht darum herum, sich um einengende Definitionen zu bemühen, will man nicht jede Rechtssicherheit und letztlich die Rechtsstaatlichkeit preisgeben. Trägt man alle Forderungen zusammen, entwickelt sich ein Gruselkabinett des aller gefährlichsten an den Kern rechtsstaatlichsten Selbstverständnisses rührenden Abbaus von Freiheitsgarantien für die Bürger.“ 51 See 1997, 14; vgl. Paoli 1999, 433 ff. aus internationaler Sicht. 52 Vgl. Maaßen 1997, 134: „Organisierte Kriminalität kann als eine Geschäftsstrategie bezeichnet werden, die keine gesetzlichen Schranken akzeptierend rücksichtslos alle tatsächlichen Möglichkeiten der Gewinnerzielung ausschöpft.“ 53 Welp 1994, 161. Vgl. Forstenhäusler 1996, 339, organisierte Kriminalität habe es schon immer gegeben, nicht als Gegengesellschaft, sondern als Spiegelbild der Gesellschaft in ihrer jeweiligen Entwicklungsform. 54 Nach den Boer 1999, 17 wandelte sich der Kampf gegen das zu Ende gehende kommunistische System in einen Kampf gegen den inneren Feind. Krause (1998, 12) zählte 129 internationale Gremien, die sich mit „Fragen der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität“ befassen. Zu frühen Bemühungen vgl. auch Krumsiek 1995 und neuerdings Oberloher 2001. 55 European Parliament, Report Drawn up by the Committee of Enquiry into the Spread of Organized Crime Linked to Drugs Trafficking in the Member States of the European Community, Session Documents, 23 April 1992, PE 152.380 / fin. (zit. nach Fijnaut 1997, 16).
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
viele Formen annehme, was eine eindeutige Definition erschwere. Es könne aber zwischen organisierter Kriminalität als Gattungsbegriff für alle Formen organisierter Kriminalität und dem institutionalisierten Verbrechen unterschieden werden, das die großen Verbrechersyndikate betrieben. Das institutionalisierte Verbrechen durchdringe die moderne Industriegesellschaft in einem Maße, das die einfache organisierte Kriminalität nicht erreiche. Der Bericht fährt mit der Definition organisierter Kriminalität wie folgt fort: „Verbrechen, deren Strukturen außergewöhnliche Bekämpfungsmethoden erfordern und die eine potentielle Gefahr nicht nur für einzelne Gemeinschaften, sondern für die ganze Nation darstellen. Allerdings scheint sich das organisierte Verbrechen an überlieferte Verhaltensmuster zu halten, und die einzelnen Organisationen bestehen meist aus Angehörigen derselben Volksgruppe. Das Phänomen des organisierten Verbrechens läßt sich als eine Reihe komplexer krimineller Aktivitäten beschreiben, die von Organisationen oder anderen Körperschaften (,other structured groups‘) hauptsächlich aus Gewinn- oder Machtstreben in größerem Stil betrieben werden.“56 Auch diese Definition bleibt, sowohl was die Erfordernisse an eine Organisation als solche als auch die an die Organisation der kriminellen Tätigkeit angeht, recht vage. Interessant ist, dass die Definition einfacher organisierter Kriminalität von der Reaktionsseite her erfolgt, indem auf das Erfordernis außergewöhnlicher Bekämpfungsmethoden abgestellt wird. Dem wird die organisierte Kriminalität der Syndikate gegenübergestellt. Zwei Jahre später definierte das Europäische Parlament in einer Entschließung zur Kriminalität in Europa „das organisierte Verbrechen als eine organisierte kriminelle Vereinigung, die international tätig ist und deren Aktivitäten sich von der eigentlichen Straftat bis hin zur direkten oder indirekten Kontrolle der Wirtschaftstätigkeit, der öffentlichen Konzessionen, der Lizenzen, Aufträge und Dienstleistungen erstrecken.“57 Offensichtlich beeinflusst von der halboffiziellen Definition der Bundesrepublik sind die elf Indikatoren für organisierte Kriminalität, die die Gruppe „Drogen und Organisierte Kriminalität“ der EU in ihrem Jahresbericht 1995 aufgestellt hat58. Sie umfassen: (1) den Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, von denen (2) jede ihr zugewiesene Aufgaben erfüllt, (3) auf längere oder unbegrenzte Dauer, (4) unter Anwendung bestimmter Formen von Disziplin und Kontrolle, (5) wobei die Personen unter dem Verdacht der Begehung schwerer Straftaten stehen, (6) im internaZitiert nach Podolsky 1995, 31 f.; vgl. auch Fijnaut 1997, 16. BT-Drs. 12 / 7078, S. 3 vom 10. 3. 1994 (angenommen durch das Europäische Parlament in der Sitzung vom 11. 2. 1994); vgl. auch Kohl 1998, 46. 58 EU / 12247 / 1 / 94 Rev. 1, Annex (zitiert nach Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen). Die deutsche Definition in den Richtlinien wird europaweit als „am weitesten verbreitete Definition von Wissenschaftlern und Anwälten“ (Csonka 1998, 65) bzw. als „popularly accepted (in Europe)“ (Levi 1998, 51). 56 57
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tionalen Maßstab aktiv sind, (7) Gewalt und andere Einschüchterungsmittel anwenden, (8) gewerbliche oder gewerbeähnliche Strukturen verwenden, (9) Geldwäsche betreiben, (10) Einfluss auf die Politik, die Medien, die öffentliche Verwaltung, die Justizbehörden oder die Wirtschaft nehmen und (11) durch das Streben nach Gewinn und / oder Macht motiviert sind. Dabei müssen wenigstens sechs der Kriterien, darunter die Nummern 1, 3, 5 und 11 vorliegen, damit die Einordnung als organisierte Kriminalität vorgenommen werden kann59. Mit dieser Liste will die EU aufgrund standardisierter Nationaler Berichte einen Überblick über die organisierte Kriminalität in den Mitgliedsstaaten gewinnen60. Wesentlich zurückhaltender ist dagegen der Aktionsplan zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, der am 16. / 17. Juni 1997 vom Rat angenommen wurde61. Dort wird es als noch zu leistende Aufgabe angesehen, „ ,den Feind zu erkennen‘ und sich auf Merkmale zu verständigen, die ihn einerseits gefährlich und andererseits – hoffentlich – verwundbar machen.“62 Auf einer rechtlichen Ebene wird in der Gemeinsamen Massnahme vom 21. Dezember 199863 als „kriminelle Vereinigung“ ein auf „längere Dauer angelegter organisierter Zusammenschluß von mehr als zwei Personen“ angesehen, „die in Verabredung handeln, um Straftaten zu begehen, die mit Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung im Höchstmaß von mindestens vier Jahren oder einer schwereren Strafe bedroht sind, gleichviel, ob diese Straftaten Hauptzweck oder ein Mittel sind, um geldwerte Vorteile zu erlangen und gegebenenfalls die Tätigkeit öffentlicher Stellen in unzulässiger Weise zu beeinflussen.“ Der Europarat erarbeitet seinen Überblick über die Lage der organisierten Kriminalität in den Mitgliedstaaten ebenfalls anhand eines Kriterienkataloges. Zur Einstufung eines Falles als organisierte Kriminalität gibt es vier obligatorische Erfordernisse, nämlich (1) die Zusammenarbeit von drei oder mehr Personen, (2) für eine längere oder unbestimmte Zeit, (3) die verdächtigt oder verurteilt sind, schwere Straftaten begangen zu haben, (4) mit dem Ziel, Gewinn und / oder Macht zu erlangen. Mindestens zwei von weiteren sieben Kriterien müssen dazu treten, darunter (1) eine bestimmte Aufgabe oder Rolle jedes Teilnehmers, (2) die Nutzung einer gewissen internen Disziplin und Kontrolle, (3) der Gebrauch von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel, (4) die Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Gesetzgebung, Justiz oder die Wirtschaft durch Korruption oder andere Mittel, (5) der Gebrauch geschäftsähnlicher 59 Siehe auch die (unterschiedlichen) englischen Versionen in: den Boer 1999, 16 sowie Bassiouni / Vetere 1998, XXVIII; vgl. auch Leclerc 1996, 5; Csonka 1998, 65 f. 60 Vgl. den Boer 1999, 16. Im Jahr 2001 erschien erstmals eine offene Version eines von Europol erstellten „2000 European Union organised crime report“. Zur Arbeit von Europol: Storbeck 1997. 61 ABl. Nr. C 251 v. 15. 8. 1997; vgl. auch ABl. Nr. C 124 / 01 vom 3. 5. 2000. Dazu: Niemeier 1997; zur europäischen Entwicklung: Militello 2000. 62 Zu Recht kritisch zum OK-Definitionsverzicht: Jekewitz 1999, 312 ff. 63 ABl. 41 (1998) L 351 / 1.
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
oder gewerblicher Strukturen, (6) das Betreiben von Geldwäsche und eine (7) Tätigkeit auf einem internationalen Level64. Auf der Ebene der Vereinten Nationen ist das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 15. 11. 2000 angenommene Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (UN Convention against Transnational Organized Crime) zu beachten. In seinem Definitionenteil (Artikel 2) wird eine organisierte kriminelle Gruppierung als strukturierte Gruppierung von drei oder mehr Personen beschrieben, die für eine gewisse Dauer existiert und mit dem Ziel gemeinsam handelt, eine oder mehrere im Abkommen genannte schwere Straftaten zu begehen, um einen direkten oder indirekten finanziellen oder anderen materiellen Vorteil zu erlangen65. Der Fülle der nationalen Definitionen organisierter Kriminalität kann hier nicht nachgegangen werden66. Abschließend erwähnt sei aber, dass die beiden weiteren deutschsprachigen Länder in ihren Strafgesetzbüchern die kriminelle Organisation definiert haben. Nach § 278a des österreichischen StGB ist darunter zu verstehen eine „auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Zahl von Personen . . . 1. die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, 2. die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang oder erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft anstrebt und 3. die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht.“ Wesentlich kürzer definiert Art. 260ter Nr. 1 des schweizerischen StGB diejenige Organisation als kriminell, „die ihren Aufbau und ihre personelle Zusammensetzung geheimhält und die den Zweck verfolgt, Gewaltverbrechen zu begehen oder sich mit verbrecherischen Mitteln zu bereichern.“ D. Zusammenfassung Betrachtet man die Kritik an der herrschenden, in den Gemeinsamen Richtlinien niedergelegten Definition organisierter Kriminalität, besteht weitgehend Einigkeit 64 Vgl. European Committee of Crime Problems, Report on the Organised Crime Situation in Council of Europe Member States, 1999, S. 4 f. 65 Document: A / 55 / 383. Siehe auch die anlässlich der Zeichnung im Dezember 2000 in Palermo eingerichtete Website http://www.unodc.org/adhoc/palermo/convmain.html. Zum Abkommen vgl. im Übrigen den Sammelband von Albrecht / Fijnaut, 2002. 66 Vgl. den Boer 1999, 14. Zu weiteren nationalen Definitionen organisierter Kriminalität vgl. die Landesberichte in RIDP 1997 3 – 4 sowie die bei Cesoni 1999 genannten Länder.
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darin, dass sie weit gefasst ist und unterschiedlichste Betätigungsformen als organisierte Kriminalität definiert. Dieser Befund wird allerdings unterschiedlich interpretiert. Wird vor allem aus polizeilicher Sicht die damit einhergehende Flexibilität hervorgehoben, wird es aus grundrechtlicher Perspektive als problematisch angesehen, wenn auf eine so vage Definition weitreichende staatliche Maßnahmen gestützt werden. Im Einzelnen wird kritisiert, dass die Weite der Definition nicht ihrer sicherheitspolitischen Bedeutung entspreche, sie keine Abgrenzung zu traditionellen Kriminalitätsformen wie der Wirtschaftskriminalität ermögliche, im materiellen Recht dadurch keine Unterscheidung der Gruppenstrukturen organisierter Kriminalität zu anderen Mehrtäterformen wie der Bande gelinge, die strafprozessualen Eingriffe dadurch unverhältnismäßig gerieten und durch den inflationär verwendeten Begriff organisierter Kriminalität eine Verschleierung der realen Gefahrenlage eintreten könne. Bisweilen zu findende Feststellungen, dass für das deutschsprachige kriminologische Schrifttum organisierte Kriminalität bis weit in das 20. Jahrhundert kein Thema gewesen sei, sind in dieser Pauschalität nicht korrekt. Bereits in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts wurde es als Charakteristikum des Berufsverbrechers bezeichnet, dass er sich mit Gleichgesinnten zusammenschließe, d. h. organisiere. Früh wurde auch eine inflationäre Verwendung des Begriffes des „organisierten Verbrechertums“ beklagt. Darüber hinaus finden sich schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg die heute noch vorherrschenden Konzepte organisierter Kriminalität. Fasst man die zeitgenössische deutschsprachige Lehrbuchliteratur zum Thema organisierte Kriminalität zusammen, ist zunächst eine auffällige Zurückhaltung zu konstatieren, organisierte Kriminalität konkret zu definieren. Teilweise wird diese damit begründet, organisierte Kriminalität habe so unterschiedliche Erscheinungsformen, dass sie sich einer Definition entziehe. Ersatzweise werden Kriterien- oder Indikatorenkataloge aufgestellt oder referiert, wobei allerdings eine Gewichtung der einzelnen Merkmale unterbleibt. Im Übrigen akzentuieren die Autoren in unterschiedlichem Maße die Notwendigkeit einer Organisation als handelndem Akteur bzw. die Geschäftsmäßigkeit der Deliktsbegehung als Strukturmerkmale organisierter Kriminalität. Teilweise wird auch eine Kombination von beidem für eine Definition organisierter Kriminalität befürwortet. Während sich die meisten Autoren nicht mit der in den Richtlinien enthaltenen Definition organisierter Kriminalität auseinandersetzen, sieht eine Mindermeinung in den dort enthaltenen Bestandteilen Kennzeichen jeder komplex und professionell durchgeführten Straftat mit mehreren Beteiligten. Im übrigen Schrifttum wird vor allem von polizeilicher Seite der Aspekt der organisierten Tätigkeit betont, illustriert durch Stichworte wie Professionalität, Gewerbsmäßigkeit und Arbeitsteilung. Durch die Minimierung der Anforderungen an eine Gruppenstruktur verschwimmt, wie offen eingeräumt wird, allerdings die Abgrenzung zu einer banden-
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
mäßigen, ja sogar zu einer mittäterschaftlichen Begehungsweise. Die Notwendigkeit wie Möglichkeit einer Abgrenzung entfällt völlig, wenn man organisierte Kriminalität nicht einmal für definierbar hält. Auch auf internationaler Ebene bewegen sich die Europäische Union, der Europarat wie die Vereinten Nationen bei ihren Definitionsversuchen zwischen den Polen eines Verständnisses von organisierter Kriminalität nach dem Vorbild mafiaartiger Organisationen sowie einer mehr geplanten, geschäftsmäßigen Vorgehensweise. Dabei hat die in den deutschen Richtlinien enthaltene Definition organisierter Kriminalität eine breite Gefolgschaft gefunden. Dies dürfte mutmaßlich an ihrer Weite und damit verbundenen Flexibilität liegen, die es erlaubt, die verschiedensten Phänomene in den betroffenen Ländern unter organisierte Kriminalität zu subsumieren. Für diese These spricht auch, dass die Europäische Union wie der Europarat bei den von ihnen vorgenommenen Datensammlungen über das Vorhandensein und das Ausmaß organisierter Kriminalität mit Merkmalskatalogen arbeiten. Von den Bemühungen, die Größe und Gefahr des Phänomens organisierte Kriminalität festzustellen, zu unterscheiden sind die Versuche, sich auf eine Definition des Tatbestandes der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation zu einigen.
Kapitel 4
Gefahren organisierter Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland Die divergierenden Definitionen organisierter Kriminalität sind ein Grund für die unterschiedliche Einschätzung der Gefahren, die mit der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden organisierten Kriminalität verbunden werden. Andererseits hängt die Notwendigkeit wie Verhältnismäßigkeit legislatorischer Maßnahmen entscheidend davon ab, wie groß die Gefahren sind, die durch die Verbreitung organisierter Kriminalität hervorgerufen werden1. Klar scheint, dass sich die besondere Gefährlichkeit organisierter Kriminalität nicht daraus ergibt, dass mit ihr bestimmte Straftaten umschrieben werden2. Glaubt man einerseits, eine gesellschaftsumspannende Bedrohung zu erblicken3, halten andere (Polizeibeamte) das Szenario einer Weltverschwörung bzw. einer drohenden Apokalypse für eine Schilderung „ohne Bodenhaftung“4. Tatsächlich werden Belege für eine weltweite Ausbreitung organisierter Kriminalität nicht geliefert. Insbesondere für Deutschland wird die Gefahr in der Regel dadurch begründet, 1 2 3 4
Vgl. aus internationaler Sicht Levi 1998, 50. Gusy 1995, 321. Zachert 1995, 286; in neuerer Zeit: Schneider, H.J. 2001, 327. Bruckert 1998, 67.
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dass ausländische Organisationen nach Deutschland hineinwirkten bzw. hier über Stützpunkte verfügten, während inländische kriminelle Organisationen regelmäßig nicht benannt werden5. Versucht man die spezifischen Gefahren, die durch organisierte Kriminalität hervorgerufen werden sollen, zu systematisieren, lassen sich vier verschiedene Bereiche benennen, die durch die Ausbreitung dieser Erscheinung besonders betroffen sein sollen. Demgegenüber stehen Autoren, die von einer Dramatisierung der Situation ausgehen und sogar teilweise die Berufung auf die Gefahren organisierter Kriminalität als Instrument zur Durchsetzung eines politischen Programms begreifen.
A. Gefahr durch eine Bedrohung der Demokratie Programmatisch kommt der Aspekt der Bedrohung der Demokratie durch organisierte Kriminalität in einem Buchtitel wie „Staatsfeind – Organisiertes Verbrechen“ zum Ausdruck6. Ganz generell wird zur Gefahr für die Demokratie festgestellt, dass sich das von der organisierten Kriminalität ausgehende Bedrohungspotential in zunehmend gefährlicher Weise auch auf das Rechts- und Politiksystem erstrecke und organisiert vorgehende Straftätergruppierungen damit letztlich auch zu einer Bedrohung für die Fundamente unseres demokratischen Staatswesens würden7. Stellenweise wird statt einer Bedrohung für die Demokratie auch eine solche der gesamten Gesellschaft gesehen8. Als Beleg für diese Einschätzung rekurrieren manche Autoren auf die Ergebnisse des Lagebildes Organisierte Kriminalität des Bundeskriminalamtes und folgern daraus eine ernstzunehmende Gefährdung für das Gemeinwesen insgesamt, zunehmend aber auch für den einzelnen Bürger9. Ebenso werden aus dem Wirken ausländischer krimineller Organisationen 5 Beispielhaft etwa Werthebach 1993, 60: „OK ist ein branchen- und gesellschaftsübergreifendes Phänomen. In der ganzen Welt haben sich nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden kriminelle Gruppen etabliert, die durch eine besondere Qualität ihrer Organisationsstruktur, ihres kriminellen Handelns, ihrer Zielpersonen und Zielobjekte sowie durch eine gezielte Anpassung ihrer Subkultur an bestehende Normen gekennzeichnet sind.“ Anschließend werden die südamerikanischen Drogenkartelle, die Triaden, die japanische Yakuza, die Camorra, N’drangheta, Sacra Corona Unita, die Mafia, die La Cosa Nostra und die Rote Mafia des Ostens aufgeführt, jedoch keine originär aus Deutschland stammende Organisation. 6 Keller / Böhm 1994. 7 Zachert 1990, 623; Wittkämper / Krevert / Kohl 1996, 46; vgl. auch Bruggeman 1997, 105. Lenhard (1989, 194) stellte schon 1989 fest, es sei „fünf vor zwölf.“ Saberschinsky 1997, 209, 228; Schott 1999. 8 In einer Antwort der (früheren) Bundesregierung aus dem Jahr 1996 auf eine parlamentarische Anfrage, in der nach der Entwicklungstendenz der organisierten Kriminalität gefragt wurde, ging diese „auch bei zurückhaltender Einschätzung der Gesamtumstände davon aus“ . . . , dass die Organisierte Kriminalität eine Bedrohung für die gesamte Gesellschaft darstellt und die Gefahr einer „Institutionalisierung des organisierten Verbrechens“ droht (BT-Drs. 13 / 4942, S. 4); vgl. auch Gauf 1997, 80. 9 Neusel 1993, 12.
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Gefahren für unsere verfassungsmäßige Ordnung und die Werte unseres Gemeinwesens abgeleitet10. Teilweise wird auch angenommen, dass international kooperierende Verbrecherbanden zunehmend dazu übergingen, ihre überstaatlichen Beziehungen zu nutzen, um legale politische Systeme anzugreifen, den globalen Finanz- und Wirtschaftsmarkt zu unterwandern und sich in die internationale politische Machtausübung einzumischen11. So entwickelten sich auch in Deutschland mafiose Strukturen, die bestrebt seien, das Funktionieren staatlicher Einrichtungen zu beeinträchtigen und Verfassungsgrundsätze wie die Rechtsbindung der Verwaltung und das Willkürverbot mittels Durchdringen von Wirtschaftsbranchen und Korrumpieren staatlicher Stellen außer Kraft zu setzen, um auf diesem Weg politische Macht zu erobern12. Organisierte Kriminalität wolle auch das rechtsstaatliche Funktionieren von Staat und Gesellschaft durch die Schaffung rechtsfreier Räume beschädigen. So entstehe neben der Welt des Rechts eine parallele Struktur, die die Basis der Organisierten Kriminalität verbreitere und verstärke13. Dabei wird die bloße Existenz stabiler krimineller Organisationen – im Gegensatz zu einer Straftat, die von einem Individuum oder durch eine sonstige, eher zufällig entstandene Straftätergruppierung begangen wird – für eine hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten verantwortlich gemacht und damit als besondere Gefahrenquelle für das Gemeinwesen verortet14. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach dem „Neuen Strategischen Konzept 1999 der Nato“ Sicherheitsinteressen des Bündnisses nicht nur von einem bewaffneten Angriff, sondern auch von anderen Risiken umfassenderer Natur berührt werden können, unter die neben Akten des Terrorismus solche der Sabotage und des organisierten Verbrechens fallen können15. Dem stehen allerdings Ansichten entgegen, dass es gerade das Ziel organisierter Kriminalität sei, vom Staat, insbesondere den Polizei- und Justizorganen, unbehelligt zu bleiben, eine Einflussnahme also allenfalls ausgeübt werde, um einen Rechtsbruch zu verschleiern.
10 Ziegenaus 1993, 22; vgl. auch Sielaff 1989, 141: „Die ungestörte Ausbreitung krimineller Macht bewirkt – dauerhaft – politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Gefährdungen (vgl. z. B. Italien, USA).“ In diesem Zusammenhang wird auch geschlossen, dass der Bundesnachrichtendienst angesichts der hohen Gefährlichkeit organisierter Kriminalität für die Innere Sicherheit in Deutschland im Ausland Informationen über Organisationen sammeln darf, wenn anzunehmen oder jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass ihre kriminellen Aktivitäten nach Deutschland hineinwirken (Rupprecht 1993, 134). 11 Schneider 1998, 562; ähnlich Werthebach (1993, 59): „OK in Deutschland zielt auch auf eine Beseitigung / Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit des Bundes und der Länder“. 12 Mehler 1993, 54. 13 Kanther 1997, 41; Schelter 1997, 9. 14 Savona 1997, 258. 15 Vgl. dazu BVerfGE 104, 151.
Abschn. 1, Kap. 4: Gefahren organisierter Kriminalität in der BRD
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Der eher allgemeine Aspekt der Demokratie- bzw. Gesellschaftsbedrohung wird vor allem in zweierlei Hinsicht konkretisiert. So wird befürchtet, dass die „Alternativstrukturen“ der organisierten Kriminalität insgesamt die Monopolstellung des Staates bzw. der legalen Wirtschaft für die Ordnung des Gemeinwesens und die Versorgung der Bürger in Frage stellen könnten16. Durch ihre gigantische Finanzmacht gewönne „die OK“, insbesondere die Syndikate, heimlich zunehmend an Einfluss auf unser Wirtschaftsleben, die Gesellschaftsordnung und in Folge auf die öffentliche Verwaltung, Justiz wie auf die Politik und könne schließlich deren Normen und Werte bestimmen. Dies führe zu einem Staat, der von der OK unterwandert, ja gesteuert sei. Diese Entwicklung münde schließlich in einer „Institutionalisierung des organisierten Verbrechens“, so dass letztlich eine wertlose Hülle „demokratischer Rechtsstaat“ übrig bleibe17. Neben der enormen Finanzkraft und der dadurch entstehenden wirtschaftlichen Macht sowie dem potentiellen Einfluss auf Entscheidungen des Staates wird auch die von der OK ausgehende Korruption und das damit verbundene Unterlaufen des Gewaltmonopols als besondere Gefahrenquelle organisierter Kriminalität benannt18. Durch die Gefahr der Unterwanderung und Korrumpierung staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen (Bestechung und Einschüchterung) werde mit zunehmender Bedeutung der OK gewissermaßen die Axt an die Wurzeln der rechtsstaatlichen Verfassungsordnung gelegt19. Insbesondere die Verbindung von Politik und organisiertem Verbrechen mit Hilfe der Korruption sei die gefährlichste Form organisierter Kriminalität 20. Die Einflussnahme auf die Entscheidungsgremien eines Gemeinwesens sei geeignet, in tiefgreifender Weise das notwendige Vertrauen der Bürger in die Funktionsfähigkeit und Gerechtigkeit des demokratischen Rechtsstaats zu untergraben21. Mit dem Übergriff der organisierten Kriminalität auf staatliche und gesellschaftliche Ordnungsinstanzen könnten sich die einen Rechtsstaat konstituierenden Grenzen von Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung verwischen22. Durch den Filz von Beziehungen organisierter Kriminalität zu Wirtschaft und Politik würden Rechtsstaat und Demokratie – sei es mit den Mitteln der Gewalt oder der Korruption in einem weiten Sinne – zur bloß formalen Hülle gemacht23. Zugleich wird der Kampf gegen die organisierte Kriminalität als ein Göppinger 1997, 549. Werthebach 1993, 63; Schweer / Strasser 1995, 135; Klein 2001, 162; demgegenüber sieht Gropp (1996, 257) den Rechtsstaat in Gefahr, wenn bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität „der Effektivität der Strafverfolgung gegenüber Justiz- und Verfassungsförmigkeit Vorrang eingeräumt wird“. 18 Koch / Poerting / Störzer 1997, 8 in einem Bericht über Diskussionsmeinungen auf einer Arbeitstagung des BKA über organisierte Kriminalität; vgl. auch Lenhard 1991, 225 f.; Vahlenkamp 1991 und 1996. 19 Krey 1995, 596. 20 Schaefer 1997, 111. 21 Werthebach / Droste-Lehnen 1994, 59 f.; Graf 1997, 44. 22 Graf 1997, 44. 23 Pieth 1996, 35. 16 17
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Kampf für die Werteordnung des Grundgesetzes, des demokratischen, wehrhaften Staates in Deutschland angesehen, bei welchem der Staat die Zähne zeigen müsse24. Die Benennung organisierter Kriminalität als Hauptfeind eines freiheitlich-demokratischen Staatswesens hätte dabei zu einem deutlichen Widerhall in den Massenmedien geführt25.
B. Gefahr durch eine Werte-Erosion aufgrund der Verbindung legaler und illegaler Welt Eine besondere Gefährlichkeit wird der organisierten Kriminalität auch dadurch beigemessen, dass die entstehenden Gewinne in die legale Wirtschaft reinvestiert würden. In dem dadurch entstehenden scheinbar übergangslosen Bereich von Legalität zur Illegalität liege eines der wesentlichen Problemfelder für die hohe Sozialschädlichkeit organisierter Kriminalität, gleichsam ein schleichender Erosionsprozess, bei dem die Grenzen sozial tolerierten Verhaltens ständig infrage gestellt und verschoben würden. In einer auf Gewinnorientierung ausgerichteten Wirtschaftsstruktur seien die Betätigungsfelder für organisierte Kriminalität schnell gefunden. Alles, was dem Grundsatz „Geld ist Macht“ diene, stehe in Gefahr, mehr oder weniger stark von organisierter Kriminalität betroffen zu werden26. Auch sei zu befürchten, dass die Hemmschwelle zur Kriminalitätsbegehung kontinuierlich heruntergesetzt werde mit der Folge, dass das Unrechtsbewusstsein in der Gesellschaft insgesamt immer mehr schwinde27. So bestehe für organisierte Straftätergruppierungen schon zum Zwecke der Geldwäsche die Notwendigkeit, die durch illegale Geschäfte erlangten Profite in legale Unternehmungen zu investieren. Durch die Investition der Verbrechensgewinne könne eine mit legalen Mitteln nicht zu erreichende Sonderstellung im marktwirtschaftlichen Wettbewerb entstehen, die es organisierten Straftätern ermögliche, in bestimmten Bereichen der Wirtschaft die legale Konkurrenz auszuschalten und führende Marktpositionen zu erlangen28. Gegenüber legalen Unternehmen verfüge die Organisierte Kriminalität über verschiedene Wettbewerbsvorteile. Das Gewaltpotential könne zur Ausschaltung missliebiger Konkurrenz eingesetzt werden, die Lohnkosten seien durch das illegale Verhalten deutlich niedriger, durch die illegalen Einkünfte sei man nicht auf die Inanspruchnahme offizieller Kredite angewiesen und Kontakte zu korrupten Staatsdienern führten zu weiteren Vorteilen29.
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Kanther 1997, 42, 45. Mischkowitz 1997, 12. Schuster 1990, 25; vgl. auch Zachert 1997, 188 f. Vahlenkamp 1993, 119. Graf 1997, 77 f.; Vahlenkamp 1993, 121 f.; Schelter 1997, 9. Schweer / Strasser 1995, 156; vgl. auch Lenhard 1991, 506.
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Kritisch wird dazu allerdings angemerkt, dass eine solche Sichtweise voraussetze, dass das erwirtschaftete Kapital nach Abzug der Unkosten eine gewisse Größe erreiche und nicht lediglich für Konsumgüter ausgegeben werde. Zudem könne diese Hypothese nur richtig sein, wenn die Reinvestition tatsächlich in Sektoren erfolge, die eine gewisse ökonomische Bedeutung hätten und nicht, wie etwa das Rotlichtmilieu, von vornherein im Verdacht stünden, überwiegend eine illegale Grundlage zu besitzen30.
C. Gefahr durch eine erhöhte Technologisierung, Arbeitsteilung Das spezifisch Gefährliche organisierter Kriminalität zu begründen, fällt schwerer, wenn dessen Wesen (nur) in einer Ausnutzung moderner Techniken, Infrastruktur oder einer planvollen Arbeitsteilung gesehen wird31. Dies gilt auch, wenn unter Bezug auf die traditionellen Spar- und Ringvereine und ihre kriminellen Unternehmungen lediglich eine zunehmende Kommerzialisierung und Professionalisierung im Bereich der Organisierten Kriminalität festgestellt wird32. Relativ wenige Aussagen gibt es darüber, welche Art das planvolle bzw. arbeitsteilige Zusammenwirken aufweisen muss, damit von „organisierter“ Kriminalität gesprochen werden kann, die über die Gefährlichkeit einer bloßen bandenmäßigen Verbindung hinausgeht33. Im Allgemeinen scheint die Vorstellung zu herrschen, dass bei organisierter Kriminalität die einzelnen Ausführenden in der Regel und damit im Gegensatz zur Bande ohne weiteres zu ersetzen sind. Dann könnte es sich bei diesen Personen aber wiederum nicht um Spezialisten ihres Faches handeln, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein unbegrenztes Reservoir entsprechender Personen zur Verfügung steht. Auch wird die arbeitsteilige Begehungsweise als Voraussetzung für eine mögliche Abschottung der einzelnen Organisationseinheiten angesehen34. Dadurch könnten auch Deliktshäufigkeit wie Schadenshöhe ansteigen35. Andererseits wird es als selbstverständlich betrachtet, dass sich die zunehmende Komplexität gesellschaftlicher wie organisatorischer Strukturen auch in der Organisation von Verbrechen widerspiegelt36. So hätten eine immer perfektere Infrastruktur, ein modernes Geld- und Bankenwesen, ein zunehmend liberaleres Rechtssystem, die Grenzöffnung nach Osten und die Öffnung des europäischen BinnenVgl. van Duyne 1995 / 1996; van Duyne 1997. Vgl. die Bemühungen von Reiners 1989, 238 ff. unter der Überschrift „Was also ist das ,Neue‘ am organisierten Verbrechen?“ 32 Schaefer 1997, 111; vgl. auch Gusy 1995, 322. 33 Gusy 1995, 321; Göppinger 1997, 552. 34 Zachert 1990, 623. 35 Gusy 1995, 321. 36 Savona 1997, 224. 30 31
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marktes dazu geführt, dass die Organisierte Kriminalität zwar keine neue Form gefährlicher Kriminalität darstelle, gleichwohl aber als virulenter und sehr viel bedrohlicher empfunden werde37.
D. Gefahr durch eine Bedrohung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung Zudem wird die These vertreten, dass sich viele Delikte organisierter Kriminalität einer Aufklärung und strafrechtlichen Sanktionierung entzögen und durch die offenkundige Folgenlosigkeit für die Täter ein allmählicher Vertrauensverlust in die staatliche Integrität stattfinde. Zweifel an der Wirksamkeit staatlicher Schutzzusagen nagten an der Substanz des Rechtsstaats generell. Der Verlust des Grundvertrauens der Bürger zu Regierung, Parlament, Verwaltung und Recht würde eine verhängnisvolle Atmosphäre von Staatsverdrossenheit, sozialer Unsicherheit und Angst schaffen38. Insbesondere das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung werde durch die Organisierte Kriminalität massiv und kollektiv beeinträchtigt 39. Allerdings erscheint es zweifelhaft, ob organisierte Kriminalität tatsächlich im Zentrum der Gefahrenwahrnehmung der bundesrepublikanischen Gesellschaft steht40. Dagegen spricht zum einen, dass es sich bei den meisten der mit organisierter Kriminalität verbundenen Straftaten um so genannte opferlose Delikte handelt. Dazu gehören vor allem die Straftaten, bei denen Teilen der Bevölkerung illegale Güter und Dienstleistungen oder, wie etwa bei der Hehlerei oder dem Zigarettenschmuggel, grundsätzlich legale Güter zu deutlich günstigeren Preisen bereitgestellt werden. So scheint die Furcht eher auf Seiten der staatlichen Organe als in der Bevölkerung selbst angesiedelt zu sein41. Diese Zweifel werden dadurch bestärkt, wenn Teilen der Gesellschaft vorgehalten wird, sie sei „insgesamt noch nicht auf die Ächtung der organisierten Kriminalität eingestimmt“42 bzw. nehme sie noch nicht mit der angemessenen Aufmerksamkeit wahr43. Dabei wird die Nichtsichtbarkeit organisierter Kriminalität damit begründet, dass diese in Deutschland ein „eigenes, höchst spezifisches Gepräge, eine vielgestaltige, facettenreiche und weitverzweigte Struktur“ besitze und sich Bruckert 1998, 67. Zachert 1990, 623; Zachert 1995, 297 f.; Stümper 1991, 697; Stümper 1992, 676 f. 39 Rupprecht 1993, 135. 40 Graf 1997, 59. 41 Vgl. Kühne 1998, 94, der von einer gewissen Hysterie spricht, die sich rational nicht erklären lasse. 42 Dörmann / Koch / Risch / Vahlenkamp 1990, 3. 43 Gehm / Link 1992, 491. Dies führt bei einigen Autoren dazu, der Polizei „dringend die Entwicklung und möglichst rasche Umsetzung eines solchen PR-Konzepts Euro-OK anzuraten“ (Krevert 1998, 26). 37 38
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deshalb erfolgreich allen Versuchen entziehen könne, ans Licht der Öffentlichkeit gebracht zu werden44.
E. Die andere Seite: Überschätzung der Gefahren organisierter Kriminalität oder gar politische Instrumentalisierung eines fragwürdigen Begriffes Auf der anderen Seite wird auch die Ansicht vertreten, die Gefahren organisierter Kriminalität würden überschätzt, ja der Begriff organisierte Kriminalität würde politisch instrumentalisiert45. Dabei ist der Ausgangspunkt der verschiedenen Positionen durchaus identisch. So wird weitgehend übereinstimmend betont, es gäbe in Deutschland keine organisierte Kriminalität nach amerikanischem Muster46. Auch finde die in Italien real existierende Parallelgesellschaft der Mafia mit ihrer Verzahnung und Verbindung zur Politik und der damit fast ungebremst gegebenen Einflussnahme auf Staat, Parteien und Gesellschaft in Deutschland keine Entsprechung47. Das gesellschaftliche politische Leben in der Bundesrepublik werde nicht von mafiaähnlichen Gruppierungen beherrscht, sondern die hier angenommenen Strukturen seien hauptsächlich Straftäterverflechtungen, die allerdings nach Quantität wie Qualität zunähmen48. In diesem Zusammenhang wird problematisiert, dass ein Teil unserer organisierten Kriminalität einer weiten Begriffsbildung zu verdanken sei, weil er teilweise „als keiner festen Definition unterworfen“ behandelt würde. Trage man daher Meinungsäußerungen über etwas zusammen, was man nicht definieren könne, bleibe offen, worüber man spricht49. Dazu würden öfters spektakuläre Fälle herkömmlicher Delinquenz mit der Begriffshülse „organisierte Kriminalität“ geschmückt. Das betreffe z. B. Straftaten, die allein wegen ihres großen Schadens und hohen Gewinns, besonders skrupellosen oder cleveren Vorgehens, der Verwendung modernster Technologie oder grenzüberschreitender Aktivitäten zu organisierter Kriminalität aufgewertet würden50. Der Mangel an empirischen Nachweisen für die Gefährlichkeit organisierter Kriminalität werde durch drei Argumente kaschiert: So werde auf den hohen Organisationsgrad der Täter verwiesen, dem die Polizei wegen ihrer ungenügenden Mittel Zachert 1990, 622. Pütter (1998, 9 ff.) spricht von einem Streit einer (die Kriminalitätswirklichkeit getreu darstellenden) Abbild- mit einer Instrumentalisierungsthese. 46 Früh Steinke 1982, 98; Sielaff 1983, 417; zu späteren empirischen Untersuchungen und Schlussfolgerungen siehe Kapitel 9. 47 Schaefer 1996, 159. 48 Ostendorf 1991, 510 f. 49 Schoreit 1991, 535; Hassemer 1995, 487; ders. 1996, 159. 50 Vest 1994, 147. 44 45
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machtlos gegenüberstehe. Daneben werde vorgetragen, dass die Etablierung der gefährlichsten Spielarten organisierter Kriminalität nach dem Vorbild der USA in Westeuropa unmittelbar bevorstünde. Schließlich könnten sich vor allem ausländische Straftäter dem Zugriff deutscher Strafverfolgungsbehörden dadurch entziehen, indem sie aus dem Ausland nach Deutschland hineinwirken bzw. mit Konspiration und Korruption auf die Bekämpfungsstrategien der Polizei reagieren51. Für die überzogene Wahrnehmung organisierter Kriminalität wird dabei einerseits der zwischenzeitliche Niedergang des Kampfes gegen den Terrorismus verantwortlich gemacht, andererseits dass mit dem Ende der Ost-West-Konfrontation ein neues Feindbild gefunden werden musste52. Im Sinne des labeling approach wird argumentiert, als organisierte Kriminelle würden diejenigen Leute definiert, die die Polizei und andere staatliche Behörden als gefährlich oder staatsgefährdend ansehen wollen53. Von da ist der Schritt nicht mehr weit, organisierte Kriminalität als „massenmedial konstruiertes Phänomen“54, als „abstrakte Bedrohungsvokabel und kriminalpolitisches Modewort“ mit dem „Charakter einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ anzusehen55. Die möglichen Gefahren organisierter Kriminalität würden „politisch dramatisiert und für eine Art Sicherheitskampagne instrumentalisiert. Die nur vage definierte OK wird zunehmend als politischer Kampfbegriff verwendet, mit dessen Hilfe liberale Kräfte in diesem Land unter politischen Druck gesetzt werden.“56 Der Begriff der organisierten Kriminalität erhalte „seine Legitimation durch die machtpolitischen Interessen derer, die ihn verwenden und rezipieren.“57 Organisierte Kriminalität sei als politisches Programm zu bezeichnen. Auf einer rechtlichen Ebene würden damit beweisrechtliche Anforderungen an den Nachweis von Kriminalität reduziert. Damit einher ginge ein „polizeiliches Ermittlungsverfahren“, das nicht mehr der Abklärung eines bestimmten Tatverdachts diene, sondern sich „von einem Bestandteil rechtsstaatlichen Strafverfahrens zu einem Instrument der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ wandle58. In der Folge dieser Diskussion wird in neuerer Zeit vor allem im polizeilichen Schrifttum vor einer überzogenen Darstellung, vor einem „Mythos der organisierten Kriminalität“ gewarnt59. In der aktuellen politischen Diskussion bleibe weitBusch 1999, 31. van Duyne 1995 / 1996, 341; Pütter 1998, 9. 53 Levi 1998, 52. 54 Beste 1995, 43. 55 Albrecht, P.-A. 1997, 231 f. 56 Gössner, Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses am 22. 1. 1992, 12. Wahlperiode 1990, 6. Ausschuss, Anhang S. 328. 57 Albrecht, P.-A. 1997, 236 f. 58 Siehe vor allem die Thesen 5 und 6 von Oberholzer 2001. 51 52
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gehend offen, was Organisierte Kriminalität auszeichnet und wie Organisierte Kriminalität sich von der gewöhnlichen Bandenkriminalität abhebt, was vor allem auf einem Mangel an einschlägigen kriminologischen Erhebungen beruhe60. Inzwischen sei es zu einer „inflationär anmutenden Verwendung des Begriffs OK in der Öffentlichkeit“ gekommen, deren problematische Folge sei, dass oft nur noch das als gefährlich gelte, was sich „mit dem Rubrum OK“ bezeichnen lasse61. Opfer einer Blickverzerrung werde, „wer alle die Öffentlichkeit beunruhigenden Kriminalitätsphänomene, bei denen mehrere Straftäter zusammenwirken, zu OK hochstilisiert.“62 Die allenthalben zu beobachtende Etikettierung „OK“ lasse den Terminus zur Begriffshülse verkommen63. F. Zusammenfassung Aus den nach wie vor unterschiedlichen Vorstellungen und Definitionen von organisierter Kriminalität resultiert eine unterschiedliche Einschätzung der Größe und der Gefahren dieses Phänomens in der Bundesrepublik Deutschland64. Gehörte Kriminalität traditionell zur inneren Sicherheit, wird teilweise durch organisierte Kriminalität nunmehr eine Gefährdung der Gesellschaft und der Demokratie insgesamt angenommen, die folgerichtig auch im Bereich der äußeren Sicherheit verortet wird. Erklärt wird diese gewandelte Perzeption dadurch, dass mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems ein Vakuum eingetreten sei, das durch die einsetzende Bedrohung durch die international organisierte Kriminalität partiell gefüllt werden konnte65. 59 Schon beginnend bei Rebscher / Vahlenkamp 1988, 147. In der im Jahr 1988 durchgeführten Befragung von OK-Ermittlungsbeamten hatten „die Probanden große Schwierigkeiten, direkte Gefährdungsmomente für den Bürger speziell und für die Gesellschaft generell aufzuzeigen, außer dass in fast jedem Interview auf die hohe Sozialschädlichkeit der OK hingewiesen wurde“ (Rebscher / Vahlenkamp 1988, 148). 60 Sieber 1995, 759. 61 Falk 1997, 17. 62 Falk 1997, 20. 63 Koch / Poerting / Störzer 1997, 7. 64 Stellenweise werden auch aus dem Bestehen krimineller Organisationen im Ausland erkennbare Gefahren den Formen organisierter Kriminalität in Deutschland zugeordnet. So führt z. B. Lenhard (1991) den von ihm nicht geteilten Befund, in der Bundesrepublik gebe es keine bzw. keine besorgniserregende organisierte Kriminalität zutreffend auf ein Verständnis organisierter Kriminalität zurück, das darunter nicht jene qualifizierte Form des Verbrechens fasse, die von subtilen Tattaktiken und -techniken bestimmt sei und die sich ausschließlich am zu erwartenden Profit orientiere. Im Folgenden stellt er allerdings die Gefahren für den Staat vornehmlich anhand der vor allem im Ausland tätigen kriminellen Organisationen (Cosa Nostra, Mafia) dar, um bei einer Betrachtung der deutschen Szene wieder stärker auf die organisierte Tatbegehung abzustellen. 65 Dazu in internationaler Perspektive: Anderson / den Boer / Cullen u. a. 1995, 156 ff. Geradezu folgerichtig ordnet das Bundesverfassungsgericht die Bekämpfung der organisierten Kriminalität in der G 10 Entscheidung dem Feld auswärtiger Angelegenheiten zu.
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Neben der enormen Finanzkraft und der dadurch entstehenden wirtschaftlichen Macht sowie dem potentiellen Einfluss auf Entscheidungen des Staates wird auch die von organisierter Kriminalität ausgehende Korruption und das damit verbundene Unterlaufen des Gewaltmonopols als besondere Gefahrenquelle organisierter Kriminalität benannt. Daneben führe die Reinvestition der illegalen Gewinne in die legale Wirtschaft zu einem Erosionsprozess für die Grenzen tolerierten Verhaltens, das Unrechtsbewusstsein der Bevölkerung sinke. Aufgrund der Wettbewerbsvorteile der organisierten Kriminalität sei eine funktionierende Marktwirtschaft nicht mehr möglich. Das spezifisch Gefährliche organisierter Kriminalität zu begründen, fällt schwerer, wenn dessen Wesen (nur) in einer Ausnutzung moderner Techniken, Infrastruktur oder einer planvollen Arbeitsteilung gesehen wird. Möglicherweise könnten, so wird argumentiert, durch eine Abschottung einzelner Organisationseinheiten Deliktshäufigkeit wie Schadenshöhe ansteigen. Vielleicht würde organisierte Kriminalität aber auch nur als sehr viel bedrohlicher empfunden. Zudem wird die These vertreten, dass sich viele Delikte organisierter Kriminalität einer Aufklärung und strafrechtlichen Sanktionierung entzögen und durch die offenkundige Folgenlosigkeit für die Täter ein allmählicher Vertrauensverlust der Bevölkerung in die staatliche Integrität stattfinde und somit das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung in besonderer Weise beeinträchtigt werde. Dem kann aber entgegengehalten werden, dass es sich bei vielen Kriminalitätsbereichen, die, wie z. B. Betäubungsmittelstraftaten oder Zigarettenschmuggel, als solche organisierter Kriminalität angesehen werden, um so genannte opferlose Delikte bzw. sogar um solche handelt, von denen Teile der Bevölkerung zu profitieren glauben. Dem wiederum entspricht auch eine weit verbreitete Klage, die Gefahren organisierter Kriminalität würden in der Bevölkerung (noch) gar nicht richtig erkannt. Demgegenüber stehen Ansichten, die Gefahren organisierter Kriminalität würden überschätzt, ja der Begriff organisierte Kriminalität sogar politisch instrumentalisiert. Dazu trage einerseits die weite Definition organisierter Kriminalität bei, andererseits sei inzwischen auch eine inflationäre Verwendung dieser Bezeichnung zu beobachten. Weitergehender wird organisierte Kriminalität als politisches Programm, ja sogar als politischer Kampfbegriff angesehen. Insoweit habe organisierte Kriminalität die (zwischenzeitlich verschwundene) Bedrohung durch den Terrorismus bzw. den Kommunismus als Feindbild abgelöst. Somit könne der Staat als organisierte Kriminelle diejenigen definieren, die er als gefährlich oder staatsgefährdend ansehen wolle. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die der Kampf gegen organisierte Kriminalität für das Strafrechtssystem mit sich bringe, das sich zu einem Instrument der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ wandele. In der Folge dieser Diskussion wird in jüngster Zeit auch im polizeilichen Schrifttum vor einer überzogenen Darstellung, vor einem „Mythos der organisierten Kriminalität“, gewarnt.
Abschnitt 2
Rechtliche Rahmenbedingungen für die Bekämpfung organisierter Kriminalität Der folgende Teil der Arbeit liefert die Folie für die empirische Untersuchung, insbesondere die Aktenanalyse, indem er die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte darstellt, soweit normative Neuerungen speziell als Antwort auf das Phänomen der organisierten Kriminalität entwickelt und implementiert wurden. Sie betreffen vor allem das Recht der so genannten besonderen Ermittlungsmaßnahmen1 in der StPO, aber auch in den Polizeigesetzen. Daher ist hier ein Schwerpunkt zu setzen, zumal damit die Diskussion um die so genannte Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens verbunden ist (Kapitel 5). Zudem sind im prozessualen Bereich die seit dem Jahr 1992 verstärkten Vorkehrungen zum Zeugenschutz relevant (Kapitel 6). Im materiellen Teil des Strafrechts ist die Strategie der Ausweitung der Bandendelikte und der gewerbsmäßigen Begehungsweise auf ihre Eignung zur Bekämpfung organisierter Kriminalität zu untersuchen. Zum Gesamtkonzept des Gesetzgebers gehören auch die intensivierten Regelungen im Bereich der Gewinnabschöpfung (Kapitel 7). Im abschließenden achten Kapitel wird aufgezeigt, welche Bedeutung der Begriff der organisierten Kriminalität, obwohl bisher weder in der StPO noch im StGB geregelt, in der Rechtsprechung erlangt hat.
Kapitel 5
Neue Strategien behördlicher Informationsbeschaffung als Antwort auf organisierte Kriminalität – organisierte Kriminalität als systemverändernder Faktor Am Ende des vorangegangenen Kapitels wurde die These geschildert, dass durch die unter Bezugnahme auf die Bedrohungen organisierter Kriminalität ein1 So die Terminologie bei KK / Wache 1999, § 163 Rdnr. 18. Die Begründung des OrgKG (BT-Drs. 12 / 989, S. 39) verwendet auch die Formulierung „eingriffsintensive Maßnahmen“.
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
geführten Maßnahmen und Strategien das (Strafprozess-)Rechtssystem insgesamt tief greifende Veränderungen erfahren habe. Eine Überprüfung dieser Behauptung kann nicht lediglich aus einer einseitig strafverfahrensrechtlichen und damit die staatliche Reaktion verkürzenden Sicht erfolgen. Denn bei einer historischen Gesamtschau wird deutlich, dass mit der anfangs vor allem polizeilicherseits einsetzenden Thematisierung organisierter Kriminalität vorrangig eine neue strategische Vorgehensweise bei der Ermittlungstätigkeit eingefordert wurde, die ihre Auswirkung zunächst im Polizeirecht zeitigte. Die Tatsache, dass dadurch wiederum das Strafprozessrecht erheblichen Einflüssen und einem enormen Veränderungsdruck ausgesetzt war, macht es erforderlich, mit der Darstellung derjenigen Entwicklungen des Polizeirechts zu beginnen, die mit der Diskussion um organisierte Kriminalität verzahnt sind (5.A). Danach wird der Blick auf das Strafprozessrecht gelenkt, bei dem, zeitlich versetzt, ebenfalls die gesetzliche Implementation besonderer Ermittlungsmaßnahmen zu beobachten ist (5.B). Mittlerweile sind auch die Nachrichtendienste in die Bekämpfung organisierter Kriminalität eingebunden, ein Umstand, der ebenfalls einer kurzen Erörterung bedarf (5.C). Nach einem Überblick über die mutmaßlich auch durch die schwierige Abgrenzung der Zuständigkeiten von Polizei und Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung organisierter Kriminalität entstandenen Gemeinsamen Richtlinien von Polizei und Justiz (5.D) werden weitere Verschränkungen zwischen Polizei- und Strafprozessrecht, insbesondere bei der Datenübermittlung, behandelt (5.E). In einer vorläufigen Bilanz wird abschließend der Einfluss des Topos organisierte Kriminalität auf die Entwicklung und Gestaltung des Ermittlungsverfahrens erörtert, eine Debatte, die unter dem Schlagwort „Verpolizeilichung“ des Strafverfahrens geführt wird. Sie erlaubt die Formulierung von Desiderata für die sich anschließende empirische Forschung (5.F).
A. Organisierte Kriminalität und die Neuausrichtung des Polizeirechts Die organisierter Kriminalität zugeschriebenen Gefahren wurden zunächst vorrangig zur Begründung von Reformen auf dem Gebiet des Polizeirechts herangezogen. Dabei war die Diskussion um die organisierte Kriminalität von Beginn an mit der Propagierung einer neuen „Art polizeilichen Tätigwerdens“ verknüpft, einer proaktiven Kriminalitätsbekämpfung, die nach Ansicht von Polizeipraktikern „Grundstrukturen unseres Rechtsverständnisses und unserer Rechtsordnung“ betreffen sollte2.
2 Stümper 1975, 50, 53. Zur Verknüpfung zwischen der Annahme einer Existenz organisierter Kriminalität und einer neuen Art polizeilicher Ermittlungstätigkeit schon früh Weßlau 1989, 49 ff.
Abschn. 2, Kap. 5: Neue Strategien als Antwort auf organisierte Kriminalität
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I. Einzug der besonderen Ermittlungsmaßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten in die Polizeigesetze
Mit Alfred Stümper3 stellte ein einflussreicher Vertreter der Polizei parallel zur in der Mitte der 70er Jahre auf Tagungen und in der (polizeilichen) Literatur einsetzenden Thematisierung von organisierter Kriminalität4 in einem programmatischen Aufsatz unter Berufung auf die Notwendigkeit einer erfolgreichen Bekämpfung „moderner Kriminalität“ die Unterscheidung zwischen präventivem Polizeiund repressivem Strafprozessrecht in Frage, indem er für eine „Harmonisierung, unter Umständen sogar teilweise Zusammenführung von Polizeigesetzen und Strafprozessordnung“ warb5. Ausgangspunkt für seine Forderung war die These, dass man es insbesondere im „Bereich der modernen Banden und organisierten Kriminalität“ mit Rechtsbrechern zu tun habe, die permanent gegen die Rechtsordnung verstießen6. Das polizeiliche Einschreiten beinhalte daher zugleich retrospektiv ein ermittelndes, repressives wie prospektiv ein verhinderndes, präventives Element und sei sonach wesensmäßig weder repressiv noch präventiv, sondern „im Grunde operativ“. Das operative Ziel bestehe nicht darin, eine oder einige bestimmte Taten festzustellen und abzuurteilen oder weitere Straftaten zu verhindern, sondern darin, „eine solche kriminelle Organisation oder Bande umfassend in ihrer Aktivität zum Erlöschen“ zu bringen7. Seine Analyse verband Stümper mit der Forderung nach Änderungen der Strafprozessordnung bzw. nach Implementation neuer Maßnahmen wie die Einführung einer Kronzeugenregelung, ein verbesserter Zeugenschutz, die Einschränkung bei Rechten der Verteidigung, eine Einschränkung der Übersendungspflicht der entstandenen Ermittlungsvorgänge (§ 163 Abs. 2 StPO), gelockerte Belehrungspflichten bei Beschuldigten8 sowie „eine eigene und 3 Stümper war damals Ministerialdirigent und wurde später Landespolizeipräsident von Baden-Württemberg. 4 Siehe oben Kapitel 2, B. 5 Stümper 1975, 49, 53. Gegen Stümpers Verschleifung präventiver und repressiver Tätigkeit frühzeitig und explizit Walder 1983, 870: „Doch da so etwas leicht dazu führen könnte, die rechtsstaatlich wichtige Grenze des Anfangsverdachts gering zu achten, wäre es richtig, vorausgehende Maßnahmen der Polizei, die einer wirksamen Repression dienen sollen, von der Prävention getrennt durch Gesetz festzulegen.“ 6 Stümper 1975, 49. Ähnlich die Charakterisierung Denningers (2001, E 192), „die OK“ stelle „den präventiven und den repressiven Handlungsauftrag der Polizei gleichzeitig auf Dauer“. Albers 2001, 205 bezeichnet diesen Aspekt als „Straftatenproduktion“. 7 Stümper 1975, 50; so jetzt auch Schneider, H.J 2001, 335. Allerdings wird weder bei Stümper oder Schneider noch, soweit ersichtlich, im sonstigen Schrifttum näher ausgeführt, mit welchen anderen Mitteln als denen der Strafverfolgung das operative Ziel, die Zerschlagung organisierter Kriminalität, erreicht werden soll. Vgl. auch Weßlau 1989, 75. Schuster 1990, 27 verwendet den Begriff „operative Maßnahmen“. Rachor 2001, F 20 versucht, Kennzeichen einer „operativen Vorgehens-“ oder „Arbeitsweise“ zu beschreiben und bezieht diese vor allem auf die Informationsgewinnung; so auch Weßlau 1989, 27, 35; zur schweren Fassbarkeit des Begriffs auch Albers 2001, 110 f.
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
hinreichend rechtlich ausgestattete Zuständigkeit der Polizei“ für „verdeckte Vorermittlungen aus Gründen der operativen Bekämpfung“9. Damit waren die beiden wichtigsten polizeilichen Anliegen der nächsten Jahre auf der politischen Agenda: die Notwendigkeit vor allem verdeckter Maßnahmen für die Bekämpfung organisierter Kriminalität sowie der Standort und die Sachleitung für diese Befugnisse, die, zumindest nach Ansicht polizeilicher Autoren, sinnvollerweise bereits vor Entstehung von Gefahr oder Tatverdacht zu ergreifen und daher dem Polizeirecht zuzuordnen waren. Diesen weitreichenden Erwägungen vorangegangen war im Jahr 1974 ein von der Ständigen Konferenz der Innenminister / -senatoren beschlossenes „Programm für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“, das „den gesamten Bereich der Verbrechensbekämpfung, also die Verbrechensverhütung und die Strafverfolgung“, einem übergeordneten „Sicherheitsauftrag der Polizei“ zuwies10. Auch der neue Präsident des Bundeskriminalamts hatte unter Berufung auf das Heraufkommen neuartiger Kriminalitätsformen für die Polizei „eine entschlossene Abkehr von der Beschränkung auf ihre traditionellen Funktionen“ gefordert11. Fast gleichzeitig fand der Begriff der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ als polizeiliche Aufgabe Eingang in § 5 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (BKAG 1973)12. In der Folge wurde auch im Zusammenhang mit der Verabschiedung eines „Musterentwurf(es) eines einheitlichen Polizeigesetzes“ (ME PolG) im Jahre 1976 diskutiert, ob der Polizei Kompetenzen – und gegebenenfalls welche – im Rahmen der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ zukommen sollten13. Der ME PolG gebrauchte in § 10 Abs. 1 Nr. 2 (erkennungs8 „Auch die Pflichten zur Belehrung des Beschuldigten . . . müssten dahingehend durchdacht werden, ob sie in dieser Form auch auf Beschuldigte Anwendung finden müssen, die bekanntermaßen Mitglieder organisierter oder bandenmäßiger Kriminalität sind. Möglicherweise muss man sich davon lösen, Privilegien für Erst- und ,Wenig-Täter‘ zwingend und ausnahmslos auch bei bekannten Schwerkriminellen anzuwenden . . .“ (so Stümper 1975, 52). Diese Formulierung Stümpers erinnert an das später von Jakobs ((1985), ders. 2000, 51 ff.) so genannte „Feindstrafrecht“ (ins Verfahrensrecht übertragen von Dencker 1988). Seinen Gedanken griff Stümper später (1984, 129) erneut auf, indem er den Umstand, dass das „Rechtssystem seinen Schutz weitgehend gerade den Großen“ zukommen lasse, als „unsoziale Kriminalitätsbekämpfung“ bezeichnete. 9 Stümper 1975, 51 f. 10 Zitiert nach Görgen 1976, 59 (Punkt 2.1.1). 11 Herold 1972, 134. Er postulierte die Wende zu einer – später vielzitierten – „gesellschaftssanitären“ Polizei. 12 Zur historischen Belastung des Begriffes „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“: Merten / Merten 1991, 218. In der ersten Erläuterung zum BKAG (Hessel 1979) erfuhr der Begriff allerdings keine besondere Kommentierung. Er wurde in der Neufassung des BKAG nicht wieder verwandt. 13 Skeptisch in der Hinsicht, diesen Auftrag ohne weiteres der Gefahrenabwehr zuzuschlagen, vor allem Vertreter der Justiz: neben Görgen 1976 („Selbstentmachtung der Justiz“) etwa Sydow 1977, 123 ff.
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dienstliche Maßnahmen) erstmals die Formulierung „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“ und rubrizierte diese als Unterfall der Gefahrenabwehr, ohne allerdings verdeckte Ermittlungsmaßnahmen oder die Datensammeltätigkeit der Polizei zu regeln14. Nach Verabschiedung des ME PolG setzten Bund und Länder eine Arbeitsgruppe mit der Aufgabe ein, diesen mit der Strafprozessordnung zu harmonisieren. Die Arbeitsgruppe schlug zwar vor, die „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“ als Aufgabe der Polizei in den ME PolG aufzunehmen, letztlich nahm die Innenministerkonferenz davon aber Abstand15. Die Frage der Ausweitung polizeilicher Tätigkeit auf das Vorfeld von Gefahr und Tatverdacht bzw. deren Legalisierung sowie die Regelung besonderer Ermittlungsmaßnahmen, beide als Notwendigkeit aufgrund der Bedrohung durch organisierte Kriminalität diskutiert, blieben dennoch weiter aktuell16. Im Jahre 1981 setzte der Arbeitskreis II (AK II) der Innenministerkonferenz bei der Behandlung des Themas „Bekämpfung besonderer Formen der Kriminalität“ einen Ausschuss mit dem Auftrag ein, zu prüfen, welche neuen Methoden der Verbrechensbekämpfung erforderlich seien, speziell ob und gegebenenfalls welche gesetzlichen Änderungen oder Ergänzungen für die Praktizierung verdeckter Ermittlungen notwendig seien17. Die Schwerpunktsetzung auf den Problemkreis verdeckter Ermittlungen war durchaus konsequent, hatte doch der Ausschussvorsitzende Charakteristika einer „bandenmäßig organisierten Kriminalität“ in einer weithin konspirativen Arbeitsweise, arbeitsteiligem und intern weithin abgeschottetem sowie brutalem Vorgehen gesehen18. So war es nicht verwunderlich, dass das im Januar 1983 vom AK II gebilligte Papier „zur Bekämpfung neuer Formen der durch konspiratives Vorgehen der Täter gekennzeichneten Schwerkriminalität, insbesondere der organisierten Kriminalität“, „umfassende Maßnahmen unter Einbeziehung verdeckter Ermittlungen“ als notwendig bezeichnete 19. Konkret wurde unter Zugrundelegung einer inhaltlich reduzierten Definition organisierter Kriminalität20 und nach Schilderung „konspirativer Regeln“ der kriminellen Akteure ein umfangreiches Maßnahmenpaket verabschiedet. Im verdeckten Bereich wurde die Notwendigkeit des Einsatzes von Informanten, V-Leuten, aber auch Verdeckten Ermittlern betont, um Informationen „über die Strukturen krimineller Organisationen“ zu gewinnen. Auf der organisatorischen Ebene beschloss man, zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität SpeVgl. Heise 1976, 47. Zu den Gründen vgl. Riegel 1978, 19. 16 Zum Begriff der Vorfeldtätigkeit: Albers 2001, 111 f. 17 Neue Methoden der Verbrechensbekämpfung, Bericht des vom Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz eingesetzten Ad-hoc-Ausschusses, abgedruckt in Bürgerrechte&Polizei / CILIP Nr. 17, 1 / 1984, 77 – 86 sowie in StV 1984, 350 ff. 18 Stümper 1982, 229 f. 19 Bericht, StV 1984, 350. 20 Dazu siehe Kapitel 2, B. 14 15
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zialdienststellen beim BKA, bei den LKÄ sowie in Großstädten einzurichten. Diese sollten personenbezogen und deliktsübergreifend ermitteln und u. a. mit der Informationsbeschaffung, -sammlung, -auswertung und -steuerung sowie mit den verdeckten Ermittlungen betraut werden. Außerdem wurde die Einrichtung von Schwerpunktdienststellen bei den Staatsanwaltschaften sowie ein Informationssystem OK für notwendig erachtet21. Als einzelne verdeckte Maßnahmen wurden in dem Bericht der Einsatz von V-Leuten22, der (grundsätzlich strafbare) Erwerb von Hehlerware, Waffen, Rauschgift (so genannter Vertrauenskauf), die Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, die Beschaffung konspirativer Wohnungen, die Gründung von Scheinfirmen, das Betreten von Wohnungen unter einem Vorwand sowie die Teilnahme an der Verletzung gemeinschaftsbezogener Rechtsgüter auch ohne die Existenz spezieller Ermächtigungsgrundlagen „de lege lata“ als zulässig angesehen. Das Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes hielt man außerhalb von Wohnungen als von der polizeilichen Generalklausel gedeckt. Für die Durchführung dieser Maßnahme innerhalb von Wohnungen wurde die Schaffung einer speziellen Ermächtigungsnorm empfohlen, ebenso zur Gestattung der so genannten Keuschheitsprobe, also der Begehung von Straftaten durch Polizeibeamte zur Aufrechterhaltung ihrer Tarnung. Bei der Überwachung des Fernmeldeverkehrs erachtete man die strafprozessuale Kompetenz für ausreichend23. Des Weiteren wurde im Ermittlungsbereich ein weiter kriminaltaktischer Spielraum der Polizei reklamiert, dabei allerdings auf die Gefahr einer möglichen Kollision mit der Strafverfolgungspflicht hingewiesen24. Damit waren zentrale, die Diskussion der nächsten Jahre bestimmende Petita der Polizei im Bereich der besonderen Ermittlungsmaßnahmen benannt. Ließ der Bericht weitgehend die Zielrichtung der einzusetzenden verdeckten Maßnahmen offen, wurde zeitgleich die Notwendigkeit der systematischen Beschaffung von Informationen bereits im Vorfeld der Tat, eine frühe Verdachtschöpfung, hervorgehoben25. Nachdem zwischenzeitlich auch das Bundesverfassungsgericht betont hatte, dass die Strafverfolgungsorgane „zur Bekämpfung besonders gefährlicher Kriminalität, wie etwa der Bandenkriminalität und des Rauschgifthandels“, ohne den Bericht, StV 1984, 351. Eine genaue Rechtsgrundlage lässt sich dem Bericht allerdings nicht entnehmen. 23 Erst im Jahr 2002 tauchte die Forderung, auch auf der Grundlage des Polizeirechts eine Überwachung der Telekommunikation zu gestatten, wieder in der öffentlichen Diskussion auf. Der Entwurf eines Thüringer Gesetzes zur Änderung des Polizei- und Sicherheitsrechts (LT-Drs. 3 / 2128) begründete die Einführung einer präventiven „Datenerhebung durch Telekommunikationsüberwachung“ in § 34a damit (S. 34), es bestehe ein Bedarf „bei noch nicht verifizierbarem Anfangsverdacht auf dem Gebiet der OK-Bekämpfung“. Der Entwurf wurde mit Änderungen am 27. 6. 2002 verkündet (Gesetz- und Verordnungsblatt 3 / 7 27. 06. 2002, S. 247 ff.). Kritisch: Kutscha 2002. 24 Bericht, StV 1984, 352 ff. 25 Sielaff 1983, 419. 21 22
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Einsatz so genannter V-Leute nicht auskommen können26, konzentrierte sich die Diskussion zunächst speziell auf diese Maßnahme und insbesondere auf die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage der Einsatz zu erfolgen habe. Damit verbunden war das Problem, ob bzw. ab wann die Staatsanwaltschaft in diesem Fall die Sachleitungsbefugnis habe. Polizeilicherseits sah man eine Legitimation der V-Mann-Arbeit mit Eingriffscharakter von der „Generalbefugnis des Polizeirechts“ gedeckt, während eine solche Befugnis in der Strafprozessordnung fehle27. Parallel dazu gab es Bemühungen, einen „Ermächtigungsraum“ für verdeckte Ermittlungen generell zu schaffen, der u. a. eine Vorschrift enthalten sollte, die entsprechenden Polizeibeamten von der Strafverfolgungspflicht nach der StPO freizustellen28. Vertreter der Justiz, insbesondere der Staatsanwaltschaft, beklagten hingegen, dass ihnen die Einsicht in die verdeckte Ermittlungsarbeit verwehrt werde. Deshalb könne die Staatsanwaltschaft ihrer Grundverantwortung für die Richtigkeit sowie Beschaffung des Beweismaterials nicht mehr gerecht werden und sich bei der Polizei ein Freiraum bilden, der die rechtliche Qualität des Ermittlungsverfahrens ändere29. Daher ordnete die justitielle Seite – entgegen der unausgesprochenen Ansicht der erwähnten Beschlüsse des AK II – den V-Mann-Einsatz nach seiner Zielsetzung dem Bereich der repressiven, in der StPO geregelten bzw. näher zu regelnden Kriminalitätsbekämpfung zu30. An Brisanz gewann die Problematik durch den Anstieg verdeckter Ermittlungen im Rahmen der Rauschgiftwelle Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre – Polizei und Presse sprachen von einer „Art Wunderwaffe zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität“ –, aber auch durch mit diesen Einsätzen sich häufenden Meldungen von Missständen polizeilicher Arbeit beim Einsatz von Vertrauensleuten31. Forciert und generalisiert wurde die Diskussion um die Legitimation sowie die Implementation verdeckter Ermittlungen durch das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 198332: Danach bedürfen Beschränkungen des „Rechts auf informationelle Selbstbestimmung“ einer gesetzlichen Grundlage, „aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit“ entsprechen müssen33. 26 BVerfGE 57, 250 (284); vgl. auch den Beschluss des Großen Senates des BGH, BGHSt 32, 115 ff., kurze Zeit später. 27 Auf die Reklamation polizeilicher Eigenständigkeit weist etwa der Titel des Aufsatzes „Verfassungsrechtliche Grundlagen polizeilicher V-Mann-Arbeit“ von Krüger (1982, 857) hin. 28 Bux 1980, 200. 29 So etwa der Generalstaatsanwalt des OLG Bamberg Geißer (1983, 394). 30 So die Stellungnahme des Justizministers von Nordrhein-Westfalen vom 9. 4. 1984 zum Bericht des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz, StV 1984, 354 – 359 (355). 31 Dazu etwa Körner 1983. 32 BVerfGE 65, 1. 33 BVerfGE 65, 1, 43 f.
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Auch als Reaktion darauf wurde im Februar 1985 von der Innenministerkonferenz ein erster Vorentwurf zur Änderung des ME PolG verabschiedet. In der Begründung wurde betont, dass wegen der vielfältigen Nahtstellenprobleme bei der repressiven und präventiven Aufgabenerfüllung der Polizei eine „Harmonisierung beider Rechtsbereiche auch für die Datenerhebung und -verarbeitung durch die Polizei notwendig“ sei. Eine gesetzliche Neuregelung des Polizeirechts sei daher nur sinnvoll, wenn gleichzeitig entsprechende Vorschriften in die Strafprozessordnung aufgenommen würden34. Tatsächlich hatte mittlerweile auch das Bundesministerium der Justiz Vorarbeiten für eine gesetzliche Regelung besonderer Ermittlungsmethoden aufgenommen und Ende Mai 1985 Regelungsvorschläge in einem Problempapier anderen Sicherheitsbehörden unterbreitet35. In die im März 1986 überarbeitete Fassung des Vorentwurfes des ME PolG36 wurde in § 1 Abs. 1 Satz 1 als Polizeiaufgabe nunmehr auch die „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“ aufgenommen und als übergreifender Terminus für die Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten sowie die Verhütung von Straftaten definiert. In diesem Zusammenhang wurde reklamiert, dass es sich dabei lediglich um eine „deklaratorische Klarstellung“ handele37. In § 8c Abs. 2 ME PolG wurden als besondere Mittel polizeilicher Tätigkeit „die längerfristige Observation“ (Nr. 1), „der verdeckte Einsatz technischer Mittel, insbesondere zur Anfertigung von Bildaufnahmen oder -aufzeichnungen sowie zum Abhören oder Aufzeichnen des gesprochenen Wortes auf Tonträger“ (Nr. 2), „der Einsatz von Polizeivollzugsbeamten unter einer Legende (Verdeckte Ermittler) (Nr. 3) und der Einsatz sonstiger Personen, deren Zusammenarbeit mit der Polizei sonstigen Personen nicht bekannt ist“ (Nr. 4), geregelt. Nach § 8c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ME PolG war der Einsatz dieser Mittel u. a. zulässig „zur vorbeugenden Bekämpfung“ einer Vielzahl von Katalogstraftaten, „wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass eine dieser Straftaten begangen werden soll“, oder „anderer Straftaten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass die Straftat gewerbsmäßig, gewohnheitsmäßig oder von Banden begangen werden soll.“ Des Weiteren wurde in § 8c Abs. 3 ME PolG die Erhebung personenbezogener Daten in oder aus Wohnungen normiert sowie in § 8d ME PolG die polizeiliche Beobachtung. Der Stärkung der Polizei entsprachen die vorgesehenen Regelungen im Bereich der Datenspeicherung, -veränderung und -nutzung, die eine Vorherrschaft der Polizei konstituierten38. Auch wenn der ME PolG das Wort „organisierte Kriminalität“ oder „organisiert“ nicht benutzte, diente der Polizeiseite die durch diese Kriminalitätsform verursach34 2.3.3 der Begründung zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes, zitiert nach CILIP 21 Bürgerrechte&Polizei Nr. 2 / 1985, S. 49. 35 Hilgendorf-Schmidt 1989, 208. Vgl. unten. 36 Abgedruckt in CILIP 24 Bürgerrechte&Polizei Nr. 2 / 1986, 75 ff. 37 So Kniesel / Vahle 1987, 955. 38 Vgl. Wolter 1988, 55.
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ten Gefahren als Begründung für die Notwendigkeit der neuen Regelungen der Datenerhebung. Insbesondere bei der organisierten Kriminalität, so hieß es, könne ein „bloß reaktives Handeln mit den althergebrachten Mitteln einer in Ehren ergrauten StPO langfristig keinen Erfolg zeitigen“. Die Polizei sei vielmehr darauf angewiesen, „unterhalb der Schwelle des konkreten Tatverdachts gegen eine bestimmte Person, erkannte kriminelle ,Szenen‘, in denen sich potentielle Straftäter tummeln, zu beobachten, um eine sich einnistende Kriminalität in ihren Strukturen zu erkennen, übergreifende Zusammenhänge zu erfassen und durch schrittweises Sammeln von Informationen in die Lage versetzt zu werden, einen Tatverdacht zu konkretisieren.“39 Dagegen würde das System der StPO gesprengt, wollte man ein Vorfeld des konkreten Anfangsverdachts bejahen40. Die vor allem von justitieller Seite erhobenen Bedenken gegen die Okkupation des Feldes der „vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten“ durch die Polizei erwiesen sich in der weiteren Entwicklung als politisch nicht durchschlagkräftig, verdienen aber dennoch Erwähnung41. Insbesondere der Deutsche Richterbund machte dezidierte Vorbehalte gegen die Entstehung unkontrollierter polizeilicher Datensammlungen bei Fehlen eines staatsanwaltschaftlichen Informationssystems, die Verwischung der Kompetenzen zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei sowie gegen die weitreichenden Befugnisse bei der polizeilichen Datenerhebung geltend42. Namentlich Schoreit wandte sich in einer Serie von Aufsätzen gegen die damalige Entwicklung. Er bezeichnete u. a. bereits den Begriff der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung als irreführend, da die Straftaten, die bekämpft werden sollen, „noch gar nicht vorhanden“ seien. Auch er monierte eine schwere Störung des Verhältnisses von Polizei und Staatsanwaltschaft und gab zu bedenken, dass Kniesel / Vahle 1987, 955. Die Befürworter einer Vorfeldkompetenz nach Polizeirecht kamen überwiegend aus den Reihen der Polizei, s. vor allem die Beiträge von Kniesel 1987, 113; gleichlautend ders. 1987, 380. Möglicherweise lässt sich dies auf „unterschiedliche Erkenntnisperspektiven und Explorationsinteressen bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität“ zwischen Polizei und Justiz zurückführen, ein Umstand, den Zachert (1995, 300) noch 1995 betonte. Für eine landesrechtliche Kompetenz zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, insbesondere bei der Vorsorge für die Verfolgung zukünftiger Straftaten, aus rechtswissenschaftlicher Sicht früh aber auch Paeffgen 1991, 441 ff.; dagegen wiederum Wolter 1989, 365 f. 41 Vgl. aber auch die Einwände des Polizeipraktikers Lisken 1990 sowie 1998, 76, Initiativ- bzw. Strukturermittlungen seien „verfassungswidrige Ausforschungen im kriminogenen Milieu“ sowie die scharf geführte Kontroverse Kniesel 1989 gegen Schoreit 1991, 320 ff. Ders., 1992, 1013 beklagte sogar Schwierigkeiten, mit „überzeugten Polizeitaktikern überhaupt ins Gespräch zu kommen“. 42 Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zu den „Sicherheitsgesetzen“, DRiZ 1986, 110. Weitergehend Wolf 1990, 130, es handele sich nicht um Straftatenverhütung, sondern um antizipierte Strafverfolgung durch Einbeziehung der Erkenntnisse aus den Vorfeldermittlungen, wobei die Polizei selbst in der Form des Verdeckten Ermittlers oder mit Hilfe einer Gewährsperson die Entwicklung und Verwirklichung von Straftaten über lange Zeit beobachtend begleite, Straftaten oftmals provoziere und der Staat an ihnen sogar fördernd teilnehme. 39 40
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die Staatsanwaltschaft die „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“ durch die Polizei weder kontrollieren noch überhaupt zur Kenntnis nehmen könne43. Andere beschränkten sich auf den Hinweis, dass jedenfalls für den Bereich der Strafverfolgung, etwa für verdeckt ermittelnde Polizeibeamte, eine ausreichende Rechtsgrundlage in der StPO gegeben sei, ohne die Frage aufzuwerfen, wie ein Einsatz im Vorfeld des Verdachts einer konkreten Straftat beurteilt werden müsse44. Diese kompetentielle, verfassungsrechtliche Kritik hinderte aber nicht daran, die Aufgabe der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und damit einhergehend auch umfangreicher verdeckter Maßnahmen in eine ganze Reihe der neueren Länderpolizeigesetze mit Beginn der zweiten Hälfte der 80er Jahre aufzunehmen. Den Anfang machte im Jahre 1986 Rheinland-Pfalz45, es folgten Hessen und das Saarland46, im Jahre 1990 Nordrhein-Westfalen47. Die Einfügung des Begriffes „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“ geschah allerdings in unterschiedlicher Form. Die Palette reicht von einer starken Anlehnung an § 1 VE ME PolG, in dem die Verhütung von Straftaten und die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten als vorbeugende Bekämpfung von Straftaten begriffen wird, bis zu einer Erwähnung lediglich in speziellen Tatbeständen der Datenerhebung48.
II. Die besonderen Ermittlungsmaßnahmen am Beispiel des Polizeirechts von Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg, das im Mittelpunkt der späteren Aktenanalyse steht und dessen Polizeigesetz daher hier exemplarisch behandelt wird, sah der Landesgesetzgeber bei der Novelle des Polizeigesetzes im Jahre 1991 davon ab, die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten in die Aufgabenzuweisung nach § 1 Abs. 1 PolG zu integrieren, da man dieses Feld schon bisher von der Zuständigkeit der Polizei zur Abwehr von Gefahren umfasst sah49. Die vorbeugende Bekämpfung Schoreit 1986, 54 f. Rebmann 1985, 3; dagegen Strate 1986. 45 Zur Entwicklung in Rheinland-Pfalz: Roos 1995, vor § 25a-g Rdnr. 12. Zu frühen Novellierungsversuchen von Hamburg und Hessen: Weßlau 1986. 46 Zur Entwicklung: Riegel 1990, 652; Heise / Tegtmeyer 1990, Einführung, 1.3.2, S. 20 f.; Würz 1993 Rdnr. 8. 47 Dazu Kniesel / Vahle 1990; Riegel 1990. Merten / Merten 1990, 216 sprechen von einer kompetentiellen Vorreiterrolle des Landes für die vorbeugende Verbrechensbekämpfung. Vgl. auch Alberts / Merten 1998, 28 mit dem Hinweis, dass sich das HambPolDVG an dem entsprechenden NRW-Gesetzentwurf orientierte. 48 Dazu vertiefend in neuerer Zeit: Hoppe 1999, 26 sowie Albers 2001, 118 ff. 49 Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung eines Gesetzes zur Änderung des Polizeigesetzes, LT-Drs. 10 / 5230, S. 38; Wolf / Stephan 1999, § 1 Rdnr. 4; Würz 1993 Rdnr. 46; kritischer Belz / Mußmann 2001, § 1 Rdnr. 46; für eine entsprechende landesrechtliche Kompetenz bereits VGH Baden-Württemberg, NJW 1987, 3022 zur Anlage und Führung kriminalpolizeilicher personenbezogener Akten. 43 44
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von Straftaten wurde allerdings zum einen als Voraussetzung für die Erhebung personenbezogener Daten über bestimmte Personen in die allgemeine Vorschrift des § 20 Abs. 3 PolG (§ 19a Abs. 3 des Entwurfs), zum anderen u. a. in § 22 Abs. 3 PolG (§ 19c Abs. 3 des Entwurfs) als Voraussetzung für die Anwendung besonderer Mittel der Datenerhebung wie die längerfristige Observation (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 PolG), den verdeckten Einsatz technischer Mittel (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 PolG) sowie den Einsatz Verdeckter Ermittler (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 PolG) implementiert, wobei im zweiten Fall die vorbeugende Bekämpfung auf Straftaten mit erheblicher Bedeutung zielen muss. Bedenken gegen eine zu großzügig bemessene Kompetenz der Polizei im Vorfeld von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung wurden im Gesetzgebungsverfahren zurückgewiesen50. In der allgemeinen Begründung des Gesetzes wurden die parallel verlaufenden Arbeiten an einem (strafprozessualen) OrgKG erwähnt, ansonsten aber nicht direkt auf die organisierte Kriminalität rekurriert. Dieser Rekurs erfolgte aber bei den besonderen Ermittlungsmaßnahmen, die im Folgenden vorgestellt werden. 1. Die Rasterfahndung Die Rasterfahndung, der Datenabgleich mit anderen Dateien, ist in Baden-Württemberg präventivpolizeilich nach § 40 PolG (§ 31c des Entwurfs) ebenfalls zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung zulässig51. Der Definition der Straftaten mit erheblicher Bedeutung kommt somit eine Schlüsselstellung für eine ganze Reihe eingriffsintensiver Maßnahmen zu. Während die StPO den Begriff „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ nicht definiert52, geschieht dies in Baden-Württemberg durch § 22 Abs. 5 PolG. Dort werden darunter neben Verbrechen generell (Nr. 1) eine Reihe von generalklauselartig erwähnter Vergehen (Nr. 2a und 2b) sowie nach Nr. 2c zusätzlich solche Vergehen subsumiert, die „gewerbs-, gewohnheits-, serien-, bandenmäßig oder sonst organisiert begangen werden.“ Darüber hinaus müssen die genannten Vergehen dadurch qualifiziert sein, dass sie im Einzelfall nach Art und Schwere geeignet sind, den Rechtsfrieden besonders zu stören. Nach der Gesetzesbegründung sollten damit diejenigen Kriminalitätsbereiche und Begehungsformen erfasst werden, „die für die Organisierte Kriminalität von Bedeutung sind, zu deren präventiver Bekämpfung die besonderen Mittel der verdeckten Datenerhebung vornehmlich erforderlich LT-Drs. 10 / 5230, S. 34. Zur Regelung in anderen Bundesländern: Benfer 2001 Rdnr. 513 ff.; Wolf / Stephan 1999, § 40 Rdnr. 5 und 6 weisen darauf hin, dass der Begriff der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ungeeignet sei, eine begrenzende Funktion zu entfalten. Darüber hinaus bestehe das Problem, dass die Rasterfahndung, da § 40 Abs. 1 die Gefahrenabwehr als Tatbestandsmerkmal nicht erwähnt, dann unzulässig werde, sobald der Bereich der Gefahr erreicht sei. Auch Würtenberger / Heckmann / Riggert 2002 Rdnr. 671 und Reichert / Ruder / Fröhler 1997 Rdnr. 497 betonen die „enormen Risiken“. 52 S. unten Kapitel 5, B., II. 50 51
7 Kinzig
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sind.“53 Für den Begriff der organisierten Begehungsweise wurde auf die gemeinsame, zwischenzeitlich in den RiStBV verankerte Definition der organisierten Kriminalität Bezug genommen54. Gleichzeitig wurde darauf aufmerksam gemacht, dass dadurch kein „eigenständiges polizeiliches Ermittlungsverfahren neben der Strafprozeßordnung“ entstehen solle55. Für die Anordnung der Rasterfahndung besteht nach § 40 Abs. 3 PolG zur Stärkung der Verfahrenskontrolle ein Behördenleitervorbehalt mit Zustimmung des Innenministeriums56, ein typisches Strukturmerkmal bei Anordnung eingriffsintensiver Maßnahmen im Polizeigesetz. Der enge Zusammenhang der präventiven Rasterfahndung zur Strafverfolgung zeigt sich auch in § 40 Abs. 4 PolG, der für die angefallenen Daten eine Löschungs- und Vernichtungspflicht vorsieht, „soweit sie nicht zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sind.“
2. Der Einsatz Verdeckter Ermittler Aufgabe der Verdeckten Ermittler (VE) ist es, an den „Drahtzieher“ im Bereich der Organisierten Kriminalität heranzukommen57. § 22 Abs. 1 Nr. 3 PolG definiert den Verdeckten Ermittler, inhaltlich mit der StPO übereinstimmend58, aber sprachlich kürzer, als „Einsatz von Polizeibeamten unter Geheimhaltung ihrer wahren Identität“. In § 22 Abs. 3 PolG sind die Einsatzvoraussetzungen des VE festgelegt, der Einsatz also u. a. wiederum möglich zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung, wenn andernfalls die Wahrnehmung seiner Aufgaben gefährdet oder erheblich erschwert würde. Auch diese Maßnahme steht nach § 22 Abs. 6 PolG unter einem Behördenleitervorbehalt. Außerdem enthält § 22 Abs. 8 PolG eine Regelung über die nachträgliche Unterrichtung des Betroffenen, wobei selbige unterbleibt, „wenn hierdurch ein Verdeckter Ermittler oder seine weitere Verwendung für Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 3 gefährdet würde.“ § 24 PolG regelt die Rechte eines VE, die an denjenigen in der StPO (§§ 110a Abs. 3, 110c StPO) orientiert sind. 53 Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung eines Gesetzes zur Änderung des Polizeigesetzes, LT-Drs. 10 / 5230, S. 41. Vgl. etwa auch Würz 1993 Rdnr. 47 ff., 242 ff. Auch Würtenberger / Heckmann / Riggert 2002 Rdnr. 597 berufen sich für verdeckte Maßnahmen auf die expandierende organisierte Kriminalität, allerdings ohne einen entsprechenden empirischen Nachweis zu liefern. 54 Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung eines Gesetzes zur Änderung des Polizeigesetzes, LT-Drs. 10 / 5230, S. 41. 55 LT-Drs. 10 / 5230, S. 40; vgl. Würz 1993 Rdnr. 222. 56 LT-Drs. 10 / 5230, S. 35. 57 So Benfer 2001 Rdnr. 1177, 1183 ff.; Würz 1993 Rdnr. 278 ff.; monographisch: Schröder 2000. 58 Wolf / Stephan 1999, § 22 Rdnr. 11 sowie Belz / Mußmann 2001, § 22 Rdnr. 9. Die Definition lehnt sich ausweislich der Begründung in LT-Drs. 10 / 5230, S. 40 an § 163l Abs. 1 StPO in der Fassung des Entwurfs des StVÄG 1989 an.
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3. Der Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen Als weiteres besonderes Mittel der Datenerhebung wird in Baden-Württemberg in § 22 Abs. 1 Nr. 2 PolG „der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes auf Tonträger“ bezeichnet. Nach § 22 Abs. 2 PolG ist die als weniger einschneidend gewertete optische Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung aller Straftaten erlaubt, wenn andernfalls die Wahrnehmung der Aufgaben des Polizeivollzugsdienstes gefährdet oder erheblich erschwert würde. Erfasst werden dabei durch den Verweis auf § 20 Abs. 3 PolG u. a. Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass sie künftig Straftaten begehen (Nr. 1), sowie ihre Kontakt- und Begleitpersonen (Nr. 2). Strengeren Voraussetzungen unterliegt nach § 22 Abs. 3 PolG der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur selbsttätigen Bildaufzeichnung sowie das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes auf Tonträger außerhalb von Wohnungen (so genannter kleiner Lauschangriff)59. Sie können wiederum nur zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung angeordnet werden. Der Einsatz technischer Mittel steht nach § 22 Abs. 6 PolG nicht unter einem Behördenleitervorbehalt60. Nach § 22 Abs. 8 PolG ist der Betroffene auch von einer Maßnahme nach § 22 Abs. 3 PolG zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme geschehen kann. Die Unterrichtung unterbleibt allerdings nach § 22 Abs. 8 S. 2 PolG wiederum, wenn sich an den die Maßnahme auslösenden Sachverhalt ein Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anschließt.
4. Die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung Die polizeiliche Beobachtung soll dazu dienen, Zusammenhänge und Querverbindungen zwischen dem Beobachteten und anderen Personen aufdecken zu können und damit ein gezieltes Vorgehen gegen die organisierte Kriminalität ermöglichen61. Nach § 25 Abs. 1 PolG kann der Polizeivollzugsdienst eine Person und 59 In der Literatur – der BGH spricht in der so genannten Blockhütten-Entscheidung in NStZ 1996, 601 vom Lauscheingriff – hat sich mittlerweile die Bezeichnung „Großer Lauschangriff“ für das Abhören innerhalb von Wohnungen, „kleiner Lauschangriff“ für das außerhalb von Wohnungen eingebürgert, vgl. etwa Volk 2002 § 10 Rdnr. 50 f.; Kühne 1999 Rdnr. 529 f; Beulke 2002 Rdnr. 265 f.; Nachweise einer abweichenden Terminologie bei Mozek 2001, 5. Wenn daher im Folgenden der Begriff Lauschangriff verwendet wird, geschieht das aus Vereinfachungsgründen und wertneutral. Zur nachrichtendienstlichen Herkunft des Begriffs: Kutscha 1994, 85. Zum Vorwurf einer diffamierenden Verwendungsabsicht dieses Begriffes: Zachert 1992. Zu den polizeirechtlichen Regelungen: Benfer 2001 Rdnr. 1243 ff. 60 Vgl. die Kritik bei Wolf / Stephan 1999, § 22 Rdnr. 28 sowie bei Belz / Mußmann 2001, § 22 Rdnr. 10. 61 Vgl. Benfer 2001 Rdnr. 1215 ff.
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Kennzeichen der auf den Namen der Person zugelassenen, von ihr benutzten oder von ihr eingesetzten Kraftfahrzeuge zum Zwecke der Mitteilung über das Antreffen ausschreiben, wenn (Nr. 1) die Gesamtwürdigung der Person und ihrer bisher begangenen Straftaten erwarten lassen oder (Nr. 2) Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person künftig Straftaten mit erheblicher Bedeutung (§ 22 Abs. 5 PolG) begehen wird, und die Mitteilung über das Antreffen zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten erforderlich ist62. Dabei besteht wiederum gemäß § 25 Abs. 2 PolG ein Behördenleitervorbehalt. 5. Der Einsatz technischer Mittel innerhalb von Wohnungen § 23 PolG unterwirft den Einsatz technischer Mittel zur Datenerhebung in oder aus Wohnungen besonderen Voraussetzungen. § 23 Abs. 1 PolG setzt voraus, dass der Eingriff zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person erforderlich ist. Zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, insbesondere der organisierten Kriminalität, ist der große Lauschangriff in Baden-Württemberg daher nicht erlaubt63. 6. Nicht geregelte verdeckte Erhebungsmethoden Im Gegensatz zu anderen Bundesländern (vgl. § 19 Abs. 1 PolG NW oder § 11 HambPolDVG)64 hielt es der baden-württembergische Gesetzgeber nicht für erforderlich, den Einsatz so genannter Vertrauenspersonen (V-Personen) speziell zu regeln. Polizeirechtlich seien sie, so die Begründung des Gesetzentwurfes, gewöhnliche Hinweisgeber und Auskunftspersonen nach § 20 Abs. 3 Nr. 5 PolG65. III. Zusammenfassung und Analyse: Auswirkungen der Bekämpfung organisierter Kriminalität auf das System des Polizeirechts
Nachdem bereits Mitte der 70er Jahre eine neue „operative“ Tätigkeit der Polizei jenseits hergebrachter präventiver wie repressiver Zuständigkeiten gefordert worDie Maßnahme wird anschaulich geschildert bei Wolf / Stephan 1999, § 25 Rdnr. 1. Wolf / Stephan 1999, § 23 Rdnr. 6; Würz 1993 Rdnr. 259. Nach Änderung des Art. 13 GG ist problematisch, ob der große Lauschangriff zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, wie etwa in Art. 34 Abs. 1 Nr. 2 bayPAG vorgesehen, den Anforderungen des Art. 13 Abs. 4 GG entspricht, ablehnend z. B. Bäumler 2001, J 642; Zimmermann 2001, 246 f.; Pinkenburg 2000, 209 ff.; Koch 1999, 142 f.; a.A. wohl Honnacker / Beinhofer 1999, Art. 34 Rdnr. 2. Zur neuen Regelung in Thüringen: Kutscha 2002, 66 ff. 64 Vgl. Benfer 2001 Rdnr. 1179 ff. 65 LT-Drs. 10 / 5230, S. 40; Belz / Mußmann 2001, § 20 Rdnr. 37; für die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage: Würz 1993 Rdnr. 115. 62 63
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den war, mehrten sich Anfang der 80er Jahre die Stimmen, die unter Berufung auf die Herausforderungen organisierten Verbrechens neue Ermittlungsmethoden propagierten66. Unter Erweiterung des Begriffes organisierter Kriminalität wurde „mehr Pragmatismus“, vor allem aber eine neue Art der Informationsbeschaffung verlangt, die wegen der subtilen Strukturen organisierter Kriminalität bereits im Vorfeld beginnen müsse67. Mittels einer Reklamation der Zuständigkeit für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten und forciert durch die Grundsätze des Volkszählungsurteiles des Bundesverfassungsgerichts fand ab der zweiten Hälfte der 80er Jahre eine Vielzahl eingriffsintensiver Ermittlungsmethoden Eingang in die Polizeigesetze der Länder: Die Observation, auch mit technischen Mitteln zur Bildaufzeichnung, der Einsatz von V-Personen und Verdeckten Ermittlern, die Polizeiliche Beobachtung sowie der präventive Lauschangriff innerhalb und außerhalb von Wohnungen. Lediglich eine präventive Überwachung des Fernmeldeverkehrs wurde damals nicht implementiert68. Typischerweise sind diese Vorfeldermittlungen auf die vorbeugende Bekämpfung von „Straftaten von / mit erheblicher Bedeutung“ bezogen, wodurch inzident ein Verweis auf die organisierte Kriminalität erfolgt. Besonders augenscheinlich wird diese Kombination im Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei in Hamburg. § 1 Abs. 4 Nr. 3 HbgGDVP subsumiert unter die „erheblichen Straftaten“ zunächst u. a. einen Katalog von Straftaten, wenn sie „gewerbs- oder bandenmäßig“ begangen wurden. Darüber hinaus definiert § 1 Abs. 7 HbgGDVP die organisierte Kriminalität unter Verwendung der Festlegung in den Gemeinsamen Richtlinien als eine besondere Form erheblicher Straftaten im Sinne des § 1 Abs. 4 Hbg GDVP69. Im Allgemeinen findet eine solche Abschichtung und weitere Qualifizierung aber nicht statt. In jedem Fall bleibt die Begrenzungsleistung des Begriffes der Straftaten von / mit erheblicher Bedeutung gering70. Gleichzeitig mit der gesetzlichen Anerkennung der Vorverlagerung der polizeilichen Tätigkeit erfolgte eine Ausweitung des Adressatenkreises polizeilicher Maßnahmen, da ohne das Vorhandensein einer personellen oder situativen Gefahr und bei Fehlen eines strafprozessualen Anfangsverdachts weder ein Störer noch ein Beschuldigter vorhanden ist, dem man Gefahr oder Tatverdacht zurechnen könnte. Daher wurden die Eingriffe auf „Jedermann“ an einer Kontrollstelle oder an einem „gefährdeten Ort“ oder auf „Kontakt- und Begleitpersonen“ von Personen, bei denen „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Personen eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wollen“, erstreckt71.
66 67 68 69 70 71
Etwa Steinke 1982, 98. Sielaff 1983, 418 f. Benfer 2001 Rdnr. 1271 f. Zum neuen Thüringer Polizeigesetz, s. oben Kapitel 5, A., I. Dazu Alberts / Merten 1995, 69 ff. Instruktiv die Darstellung bei Gusy 2000 Rdnr. 187. Denninger 2001, E 194.
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Inhaltlich begründet wurde die Implementierung dieser neuen Ermittlungsmaßnahmen damit, es sei unabdingbar, „auch im Vorfeld der konkreten Gefahr und des konkretisierten Tatverdachts einschreiten zu können, um logistische Basen der organisierten Kriminalität aufzudecken, ,Handelswege‘ zu zerschlagen oder personelle und sachliche Vernetzungen zu durchdringen.“72 Einhellig werden die damit einhergehenden Änderungen des Polizeirechts als gravierend bezeichnet. So lösten sich diese Vorfeldbefugnisse „von ehernen Schwellen des überkommenen, rechtsstaatlich geprägten Polizeirechts, nämlich von der konkreten Gefahr und dem Störerprinzip, und eröffnen tendenziell Eingriffsmöglichkeiten gegen ,jedermann‘.“73 Mehr und mehr stehe die Konkretisierung des Gefahrenverdachts am Ende, nicht am Anfang der jeweiligen informationellen Maßnahme. Die Differenzierung Störer-Nichtstörer sei weitgehend obsolet74. Wegen der damit zwangsläufig gegebenen „Überlappungen“ wurde die „Notwendigkeit harmonisierter Parallelvorschriften in der StPO“ angemahnt75. Tatsächlich ließ diese Gesetzgebung nicht lange auf sich warten.
B. Die Bedrohung durch organisierte Kriminalität als Grund für die Implementation besonderer Ermittlungsmaßnahmen in der StPO In das Strafprozessrecht wurden Besondere Ermittlungsmaßnahmen als Antwort auf die Gefahren organisierter Kriminalität erstmals im Jahr 1992 durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) integriert76.
I. Die Entwicklung zum Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) im Jahre 1992
Die Vorgeschichte des OrgKG reicht, was den verfahrensrechtlichen Teil angeht, bis ins Jahr 1985 zurück. Über ein „Problempapier“ des Bundesministeriums der Justiz aus dem Jahr 1985 mit Regelungen zur Rasterfahndung und zur Polizeilichen Beobachtung77, einen Arbeitsentwurf im Jahr 198678 mit Änderungen im Beispielhaft Kniesel / Vahle 1990, 648; vgl. auch Rachor 2001, F 119 f. Kniesel / Vahle 1990, 648. 74 Riegel 1990, 656. 75 Kniesel / Vahle 1990, 647; vgl. auch Riegel 1990, 656. 76 Vgl. auch den Überblick bei Albrecht, H.-J. 1999, 292 ff. 77 „Problempapier“ des Bundesministeriums der Justiz von 1985 zur Anpassung der Strafprozessordnung an den neuen „Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz“ der IMK 72 73
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Jahr 198779 – sie enthielten u. a. zusätzlich Regelungen zur langfristigen Observation, auch unter Einsatz technischer Mittel – und nach Einsatz einer Bund / Länder-Kommission kam es im Jahr 1988 zum Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes (StVÄG 1988)80. Während nach offizieller Verlautbarung dieser Vorläufer-Teil des OrgKG durch die Vorgaben des Volkszählungsurteils motiviert war81, wurde in der Wissenschaft sogleich auch ein Zusammenhang mit der Bekämpfung organisierter Kriminalität hergestellt82. Der Entwurf des StVÄG 1988 enthielt u. a. im verdeckten Ermittlungsbereich Regelungen zur Rasterfahndung, zur Polizeilichen Beobachtung, zur längerfristigen Observation, zum Einsatz technischer Mittel und zum Einsatz Verdeckter Ermittler. Zu beobachten war dabei, dass die verschiedenen Vorschläge im Vergleich zu früheren Entwürfen mit einem Ausbau der Rechte der Strafverfolgungsbehörden und einem Abbau von grundrechtsschützenden Vorkehrungen einhergingen. So wurde u. a. bei der Rasterfahndung der Straftatenkatalog, bei der diese Maßnahme zulässig sein sollte, weiter gefasst (§ 98a Arbeitsentwurf 1986 zu § 98a StVÄG 1988), der Straftatenkatalog bei der polizeilichen Beobachtung (§ 163e Abs. 1 Arbeitsentwurf 1986) durch den flexiblen Begriff der „Straftat mit erheblicher Bedeutung“ ersetzt (§ 163e Abs. 1 StVÄG 1988), Subsidiaritätsklauseln gelockert (§ 98a Abs. 1 Satz 2 Arbeitsentwurf 1986 („Aufklärung . . . auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert“) gegenüber § 98a Abs. 1 Satz 2 StVÄG 1988 („erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert“)) sowie die Verdachtsschranke bei der polizeilichen Beobachtung abgesenkt (§ 163e Abs. 1 Arbeitsentwurf 1986 „bestimmte Tatsachen“ gegenüber § 163h Abs. 1 StVÄG 1988 „tatsächliche Anhaltspunkte“)83. Aufgenommen wurden in § 163g Abs. 2 StVÄG 1988 das Abhören des in einer Wohnung nichtöffentlich im Beisein eines nicht offen ermittelnden Beamten gesprochenen Wortes sowie in § 163k StVÄG 1988 Regelungen über den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers. Bewertet wurde dies als Angleichung des Strafprozessrechts an das Polizeirecht oder auch als Wende von der Repression zur Prävention84.
vom Februar 1985, auszugsweise abgedruckt in Bürgerrechte&Polizei / Cilip 23 (1 / 1986), 118 – 123. 78 Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Regelung der rechtlichen Grundlagen für Fahndungsmaßnahmen, Fahndungshilfsmittel und für die Akteneinsicht im Strafverfahren, abgedruckt in Bull 1987, 235 ff. 79 Ergänzung des Arbeitsentwurfs vom 31. 7. 1986 durch „Allgemeine Bestimmungen, über die Speicherung, Verwendung und Übermittlung personenbezogener Daten durch die Strafverfolgungsbehörden“, abgedruckt mit Begründung in Bürgerrechte&Polizei / Cilip 29 (1 / 1988), 68 – 90 und kritischer Stellungnahme 90 – 106. 80 Abgedruckt in StV 1989, 172 – 178. Zu dessen Vorgeschichte auch Wolter 1989; Hilgendorf-Schmidt 1989. 81 So die Begründung in StV 1989, 172. 82 Krauß 1989, 323 unter Berufung auf Wolter 1988, 50. 83 Vgl. Wolter 1989, 359.
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Neben diesem als daten(schutz)rechtlich zu bezeichnenden Strang wurde das OrgKG durch vornehmlich das materielle Strafrecht betreffende Entwürfe auf einem anderen Gebiet, dem des Betäubungsmittelrechts, geprägt, die sich dann mit strafprozessualen Maßnahmen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität insgesamt verbanden85. Ein expliziter Konnex zwischen dem Phänomen der organisierten Kriminalität und der Implementation verdeckter Ermittlungen in der StPO wurde erstmals durch den Gesetzesantrag des Freistaates Bayern vom 30. 1. 1990, noch unter dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels“ hergestellt86. Als Motiv für diesen Gesetzentwurf wurden neben einer gestiegenen Rauschgiftkriminalität auch das verstärkte in Erscheinung Treten krimineller Organisationen genannt. Deren Aktivitäten seien so angelegt, dass die Hauptpersonen nach Möglichkeit nach außen nicht hervortreten müssten. Mit herkömmlichen Ermittlungsmethoden, so der Gesetzentwurf, ließen sich meist nur die Straftaten von Randfiguren aufklären, die keinen Einblick in Aufbau und Zusammensetzung der Gesamtorganisationen hätten87. In verfahrensrechtlicher Hinsicht sei es daher den Strafverfolgungsorganen zu ermöglichen, über die Peripherie der kriminellen Organisationen hinaus in den Kernbereich einzudringen, ihre Strukturen zu erkennen und zu zerschlagen und die hauptverantwortlichen Straftäter, die Organisatoren, Finanziers und im Hintergrund agierenden Drahtzieher zu überführen. Herkömmliche Ermittlungsmethoden müssten hier versagen88. Konkret wurden u. a. Regelungen zur Rasterfahndung (§ 97a StPO), eine Ausweitung der Telefonüberwachung (TÜ) auf Bandendiebstahl und gewerbsmäßige Hehlerei, der Einsatz akustischer und optischer Überwachungsgeräte (§§ 100c, d StPO), der Große Lauschangriff (§ 100e, f StPO), der Einsatz Verdeckter Ermittler (§§ 110a ff. StPO) und die polizeiliche Beobachtung (§ 163e StPO) vorgeschlagen. Dabei handelte es sich bis auf die Erweiterung der TÜ um Maßnahmen, die mittlerweile schon in den meisten Landespolizeigesetzen geregelt worden waren. Die Eingriffsvoraussetzungen wurden in diesem Entwurf gegenüber dem StVÄG 1988 erneut herabgesetzt. So wurde auf die Deliktskataloge bei der Rasterfahndung wie beim Einsatz eines Verdeckten Ermittlers gänzlich verzichtet und nur noch, wie weitgehend im Polizeirecht, eine „Straftat mit erheblicher Bedeutung“ vorausgesetzt. Das Verhältnis zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft sollte dadurch harmonisiert werden, dass über Art. 3 des Entwurfs in das EGStPO die §§ 6a und 6b eingeführt werden und damit u. a. die Aufhellung eines vermuteten Dunkelfeldes der Regelung der Länderpolizeigesetze überantwortet werden sollten. Am 15. März 1990 fand vor dem Rechtsausschuss des Bundestages eine Anhörung von Sachver84 Wolter 1989, 359; Kniesel 1996, 230: „präventive Wende“; weniger kritisch aus genereller Perspektive Schick 1996, 105 ff.; das Gegenbild des sich zurückhaltenden liberalen Rechtsstaates findet sich etwa bei Fuchs 1996, 195. 85 Zu dieser Entwicklungslinie Körner 1993, 234. 86 BR-Drs. 74 / 90. 87 BR-Drs. 74 / 90, S. 28. 88 BR-Drs. 74 / 90, S. 29.
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ständigen, u. a. auch zu dem bayerischen Gesetzentwurf statt89. Am 10. 8. 1990 wurde vom Bundesrat der Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) eingebracht90, der – unter teilweise strengeren Bedingungen – dieselben verdeckten Ermittlungsmethoden wie der bayerische Entwurf vorsah, den so genannten großen Lauschangriff (§ 100c Abs. 2 StPO) aber nur „im Beisein eines nicht offen ermittelnden Beamten“ erlaubte. Zur Kennzeichnung organisierter Kriminalität wurde in der Entwurfsbegründung auf die Definition in den Gemeinsamen Richtlinien zurückgegriffen, die die Justiz- bzw. Innenminister der Länder bei ihren Konferenzen im Mai bzw. Juni 1990 beschlossen hatten91. Die Bundesregierung sprach sich in ihrer Gegenäußerung für strengere Voraussetzungen bei den besonderen Ermittlungsmaßnahmen aus92, so dass die strittigen Punkte vor Ablauf der Legislaturperiode nicht mehr geklärt werden konnten, der Gesetzentwurf daher der Diskontinuität verfiel. Nach dem Beitritt der neuen Länder und weiteren Abstimmungen93 beschloss der Bundesrat am 26. 4. 1991 erneut einen modifizierten Entwurf eines OrgKG. Wie der OrgKG 1990 betonte auch dieser Entwurf, dass er zwar partiell dieselbe Regelungsmaterie wie im Entwurf eines StVÄG 1989 beträfe, die Verbesserung der Verfolgung der Organisierten Kriminalität aber so dringlich erscheine, dass eine vorgezogene Regelung verschiedener besonderer Ermittlungsmaßnahmen gerechtfertigt sei94. Im Bereich der besonderen Ermittlungsmaßnahmen wurden wiederum Regelungen für die Rasterfahndung (§ 98a StPO), die Ausweitung der Telefonüberwachung (§ 100a StPO), der Einsatz technischer Mittel (Bild- und Tonaufzeichnungen, einschließlich des heimlichen Abhörens des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in § 100c StPO), der Einsatz Verdeckter Ermittler (§ 110a StPO) sowie die Ausschreibung zur Beobachtung (§ 163e StPO) vorgesehen. Am 22. 1. 1992 fand eine ausführliche Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages statt, die durch eine doppelte Frontstellung gekennzeichnet war. Die Sitzung war so aufgebaut, dass vormittags Angehörige der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des Zollkriminalamts ihre Ermittlungsschwierigkeiten „anhand geeigneter Fälle“ 89 Protokoll der 75. Sitzung des Rechtsausschusses, 11. Wahlperiode 1987, 6. Ausschuss. 90 BT-Drs. 11 / 7663. In diesem Entwurf findet sich übrigens bei der Rasterfahndung wie beim Einsatz eines Verdeckten Ermittlers als Konkretisierung für eine Straftat von erheblicher Bedeutung die Formulierung, dass sie „von einem Bandenmitglied oder in anderer Weise organisiert“ begangen sein muss. Zwischenzeitlich hatte Baden-Württemberg am 2. 2. 1990 den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (BR-Drs. 83 / 90) vorgelegt, der mit Schwerpunktsetzung im materiellen Strafrecht für verschiedene Delikte eine Strafschärfung bei einer „organisierten Begehung“ vorsah. 91 BT-Drs. 11 / 7663, S. 23. 92 BT-Drs. 11 / 7663, S. 49 ff. 93 Zu den Schwierigkeiten bei der Abstimmung der Bundesländer, die auch Bundes- und Justizminister innerhalb der einzelnen Länder betrafen: Caesar 1991. 94 BT-Drs. 12 / 989, S. 33, so schon BT-Drs. 11 / 7663, S. 32.
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schilderten, alle anderen Personen dagegen erst später zu Wort kamen. Damit insinuierte bereits der Ablauf der Veranstaltung einen Gegensatz zwischen Praxis und Theorie, der durch einige Äußerungen noch verstärkt wurde95. Dazu standen Ermittlern mit einem „ganzen Koffer voll spektakulärer, von ihm (ihnen) nicht aufgeklärter Probleme“96 Wissenschaftler und Verbandsvertreter gegenüber, die die rechtsstaatlichen Grenzen der gewünschten Ermittlungsmethoden auszuloten versuchten. Dabei lassen sich die Pole mit der Forderung Zacherts „Wir müssen uns an die Methodik des Gegners anpassen“ und der Warnung Hassemers, es müsse „absolut gesicherte Privatsphären des Bürgers geben“ bzw. der Überlegung „Der totale Polizeistaat kann mit Sicherheit Straftaten aller Art verhindern und aufklären. Aber wollen wir das?“97 charakterisieren. Die weitere parlamentarische Diskussion brachte noch einige Änderungen bei den besonderen Ermittlungsmaßnahmen mit sich; insbesondere wurde auf eine Regelung des Abhörens in Wohnungen, den so genannten Großen Lauschangriff, verzichtet98. Begründet wurde die Notwendigkeit des Gesetzes „nicht nur durch einen alarmierenden Anstieg der Straftaten im Bereich des Rauschgifthandels, sondern auch durch eine qualitative Veränderung dieser und anderer Kriminalitätserscheinungen . . . : die organisierte Begehungsweise.“99 Mit herkömmlichen Ermittlungsmethoden ließen sich meist nur die Straftaten von Randfiguren aufklären, die keinen Einblick in Aufbau und Zusammensetzung der Gesamtorganisation hätten. Daher müsse es den Strafverfolgungsbehörden ermöglicht werden, über die Peripherie der kriminellen Organisationen hinaus in deren Kernbereich einzudringen, ihre Strukturen zu erkennen und zu zerschlagen und die hauptverantwortlichen Straftäter, die Organisatoren, Finanziers und im Hintergrund agierende Drahtzieher zu überführen100. Im Verständnis organisierter Kriminalität wurde an die Definition 95 So beendete der damalige Präsident des Bundeskriminalamts Zachert seine Darstellung der Wesensmerkmale organisierter Kriminalität mit der Bemerkung, dass „wir nachher aus professoraler Sicht möglicherweise die eine oder andere Darstellung bekommen werden, die ein Missverständnis offenbart, weil die Einsichten in die Tatsächlichkeiten dort vielleicht nicht so vorliegen“ (Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses am 22. 1. 1992, 12. Wahlperiode 1990, 6. Ausschuss, S. 60). Dies führte dazu, dass sich eine Vielzahl der geladenen Wissenschaftler (Eser, Krey, Kreuzer) bemüßigt fühlten, sich gegen den Vorwurf der Praxisfremdheit zu verwahren. 96 Hassemer in Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses am 22. 1. 1992, 12. WP 1990, 6. Ausschuss, S. 125 f. 97 Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses am 22. 1. 1992, 12. WP 1990, 6. Ausschuss, S. 61 (Zachert), S. 127 (Hassemer), S. 181 (der Vertreters des Deutschen Richterbundes Weber. Zur impliziten Forderung Zacherts nach „Waffengleichheit“: Stock / Kreuzer 1996, 295 speziell zur Legitimation des Einsatzes von VE und VP. Gegen diese Forderung: Paeffgen 1995, 44; Weßlau 1997. 98 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss), BT-Drs. 12 / 2720. 99 BT-Drs. 12 / 989, S. 20.
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in den Gemeinsamen Richtlinien angeknüpft. Im Übrigen seien die Konturen der organisierten Begehungsweise zwar für ein Tatbestandsmerkmal eines Strafgesetzes noch nicht ausreichend gefestigt, aber als Anknüpfungspunkt für verfahrensrechtliche Vorschriften geeignet101.
II. Die besonderen Ermittlungsmaßnahmen
Im Folgenden werden zunächst die durch das OrgKG eingefügten verfahrensrechtlichen Vorschriften vorgestellt, bevor auf die Entwicklung nach dem Jahr 1992 in Zusammenhang mit den seitdem vorgenommenen Änderungen eingegangen wird.
1. Die Rasterfahndung In den §§ 98a-c StPO wurde die Rasterfahndung eingefügt. Diese kann erfolgen, wenn „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“102 für Straftaten „von erheblicher Bedeutung“ vorliegen, wobei der generalisierende Katalog in Nr. 5 eine gewerbsoder gewohnheitsmäßige Begehungsweise und in Nr. 6 die Begehungsweise durch ein Bandenmitglied „oder in anderer Weise organisiert“ vorsieht. Damit sollten (auch) Straftaten erfasst werden, die für die Organisierte Kriminalität typisch sind103. Darüber hinaus war es schon erklärtes Ziel der Gesetzgebungstechnik des StVÄG 1988, mit der Anknüpfung an die „Straftat von erheblicher Bedeutung“ „Entwicklungen der Kriminalität“ zu erfassen, „die sich gerade im besonders gefährlichen, das Gemeinwesen besonders belastenden Bereich der so genannten ,Organisierten Kriminalität‘ ständig vollziehen.“104 In § 98a Abs. 1 Satz 2 StPO wurde zum Schutz des von der Maßnahme Betroffenen eine Subsidiaritätsklausel statuiert, die weniger eng als bei der Telefonüberwachung in § 100a StPO ausgestaltet wurde. § 98b Abs. 1 StPO regelt, dass die Anordnung grundsätzlich durch den Richter erfolgt, daneben eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft besteht. Sie hat nach § 98b Abs. 1 S. 4 StPO schriftlich zu ergehen, muss nach Satz 5 den zur Übermittlung Verpflichteten bezeichnen und ist auf die Daten und Prüfungsmerkmale zu beschränken, die für den Einzelfall benötigt werden.
100 BT-Drs. 12 / 989, S. 21 nahm die Begründung des Gesetzentwurfes BR-Drs. 74 / 90, S. 28 auf. 101 BT-Drs. 12 / 989, S. 24. 102 Der Verdachtsmaßstab wurde gegenüber dem Gesetzentwurf in der parlamentarischen Beratung abgesenkt. 103 BT-Drs. 12 / 989, S. 36. 104 So die Mitarbeiterin des BMJ Hilgendorf-Schmidt 1989, 210.
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2. Der Einsatz Verdeckter Ermittler §§ 110a-e StPO regeln den Einsatz Verdeckter Ermittler. § 110a Abs. 2 Satz 1 StPO definiert Verdeckte Ermittler als Beamte des Polizeidienstes, die unter einer ihnen verliehenen, auf Dauer angelegten, veränderten Identität (Legende) ermitteln105. In der Begründung des Gesetzentwurfs wurde geäußert, dass diese Ermittlungsmethode erlaube, „in das Innere der kriminellen Organisationen einzudringen.“106 Das Einsatzgebiet ist in § 110a Abs. 1 Satz 1 StPO wiederum durch einen generalisierenden Katalog geregelt, der enger als bei der Rasterfahndung ist, aber auch hier die Delikte enthält, die als typisch für die organisierte Kriminalität angesehen werden. Zudem muss es sich um eine Straftat mit erheblicher Bedeutung handeln. Der Verdachtsgrad („zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“) entspricht dem der Rasterfahndung. Darüber hinaus besteht nach § 110a Abs. 1 Satz 2 und 4 StPO eine Einsatzmöglichkeit zur Aufklärung von Verbrechen bei Vorliegen einer Wiederholungsgefahr (Satz 2) als auch, wenn die besondere Bedeutung der Tat den Einsatz gebietet und andere Maßnahmen aussichtslos wären (Satz 4). § 110a Abs. 1 Satz 3 enthält für Maßnahmen nach § 110a Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO eine strenge Subsidiaritätsklausel wie bei der Überwachung der Telekommunikation in § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO. Ziel der gegenüber dem Entwurf deutlichen Erweiterung des Einsatzbereiches Verdeckter Ermittler war es, eine Harmonisierung mit den Vorschriften des Polizeirechts zu erreichen107. Voraussetzung für einen Einsatz ist nach § 110b Abs. 1 Satz 1 StPO die Zustimmung der Staatsanwaltschaft bei zusätzlicher Eilkompetenz der Polizei nach § 110b Abs. 1 Satz 2 StPO108. Nach § 110b Abs. 2 Satz 1 StPO bedürfen allerdings Einsätze, die sich gegen einen bestimmten Beschuldigten richten (Nr. 1) oder bei denen der Verdeckte Ermittler eine Wohnung betritt, die nicht allgemein zugänglich ist (Nr. 2), der Zustimmung des Richters bei gleichzeitiger Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft (§ 110b Abs. 2 Satz 2 StPO). Gesonderte Regelungen über die Begründung der Zustimmung wurden nicht getroffen. § 110b Abs. 3 StPO trifft Bestimmungen über die Geheimhaltung der Identität im Strafverfahren, die sich nach § 96 StPO richtet. § 110c StPO regelt die Befugnisse des Verdeckten Ermittlers und gibt ihm insbesondere ein Wohnungsbetretungsrecht. § 110d Abs. 1 StPO sieht ein Benachrichtigungsrecht für den betroffe105 Eine instruktive Beschreibung der Varianten tatsächlicher Tätigkeit findet sich für den Rauschgiftbereich bei Stock / Kreuzer 1996, 297 ff. 106 BT-Drs. 12 / 989, S. 41; vgl. auch Hilgendorf-Schmidt 1989, 211 für die entsprechende Begründung zur Regelung im StVÄG 1988. Im Polizeirecht wird etwa in § 12 HambDVPolG ein direkter Zusammenhang hergestellt, da ein Verdeckter Ermittler nur zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten in der Form organisierter Kriminalität eingesetzt werden darf. 107 Vgl. die Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 12 / 989, S. 59. 108 Das Gesetz spricht von Zustimmung und nicht von Anordnung, weil nicht die Justiz über das dazu notwendige Personal der Polizei verfügen kann (vgl. Hilger 1992, 524).
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nen Wohnungsinhaber vor, § 110e StPO trifft eine Verwendungsregelung für andere Strafverfahren, die sich an der zur Telefonüberwachung orientiert.
3. Der Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen In den §§ 100c bis 101 StPO wurde der Einsatz technischer Mittel geregelt. § 100c Abs. 1 Nr. 1a StPO sieht die Herstellung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen vor, § 100c Abs. 1 Nr. 1b StPO die Verwendung sonstiger besonderer für Observationszwecke bestimmter technischer Mittel (genannt wurden Peilsender, Alarmkoffer, Bewegungsmelder, Nachtsichtgeräte) zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters109, wenn Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist. Mit der Anknüpfung an eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ versuchte man auch hier, einerseits eine gewisse Flexibilität zu erreichen, andererseits wurde die Bestimmung mit dem Polizeirecht harmonisiert. Auf Vorschlag der Bundesregierung wurde in § 100c Abs. 1 2. Hs StPO für die Maßnahmen nach Nr. 1 eine (niederschwellige) Subsidiaritätsklausel vorgesehen. § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO sieht das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen vor. Angeknüpft wurde dabei an den Deliktskatalog bei der Telefonüberwachung. Zudem wurde ein höherer Verdachtsgrad („bestimmte Tatsachen“) sowie eine der Telefonüberwachung vergleichbare höherschwellige Subsidiaritätsklausel eingefügt. Eine Rangordnung zwischen der Telefonüberwachung und der Maßnahme nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO wurde vom Gesetzgeber nicht festgelegt110. Nach § 100c Abs. 2 Satz 1 StPO richten sich die Maßnahmen im Regelfall gegen den Beschuldigten. § 100c Abs. 2 Satz 2 und 3 StPO sehen aber auch unter bestimmten erschwerten Kautelen eine Erstreckung der Maßnahmen auf Dritte, in der Regel Kontaktpersonen, vor. § 100d StPO trifft für die Maßnahme nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO Verfahrensregelungen. Sie darf grundsätzlich nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten angeordnet werden. Für weitere Verfahrensmodalitäten, insbesondere die Begründung, wurde in § 100d Abs. 1 Satz 2 StPO auf die Anordnung der Telefonüberwachung Bezug genommen. Insbesondere muss die Anordnung Art, Umfang und Dauer der Maßnahme bestimmen. Sie ist auf höchstens drei Monate zu befristen. § 100d Abs. 2 StPO a.F. (§ 100d Abs. 5 StPO n.F.) regelt die Verwendung von Zufallsfunden. § 101 StPO enthält eine Benachrichtigungspflicht.
109 Zur problematischen Bezeichnung des Beschuldigten als Täter in verschiedenen Vorschriften des OrgKG: Bernsmann / Jansen 1998, 217. 110 Vgl. auch die Bedenken bei Hilger 1992, 462.
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4. Die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung Schließlich ist unter den neuen durch das OrgKG im Jahre 1992 eingeführten besonderen Ermittlungsmaßnahmen noch die polizeiliche Beobachtung in § 163e StPO zu erwähnen, die auf die Erstellung eines Bewegungsbildes eines Verdächtigen zielt. Nach § 163e Abs. 1 Satz 1 StPO setzt sie nur zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat von erheblicher Bedeutung voraus. § 163e Abs. 1 Satz 2 StPO enthält eine Subsidiaritätsklausel. Nach § 163e Abs. 1 Satz 3 StPO ist sie unter besonderen, § 100c Abs. 2 StPO entsprechenden Voraussetzungen nicht nur gegenüber dem Beschuldigten, sondern auch gegenüber Kontaktpersonen möglich. § 163e Abs. 2 1. Hs StPO erlaubt auch, das Kennzeichen eines Kraftfahrzeugs, das auf eine nach Absatz 1 ausgeschriebene Person zugelassen ist, auszuschreiben. Daneben ist eine Ausschreibung des Kennzeichens nach § 163e Abs. 2 2. Hs StPO zulässig, wenn das Kraftfahrzeug von einer ausgeschriebenen Person benutzt wird oder von einer bisher namentlich nicht bekannten Person, die einer Straftat mit erheblicher Bedeutung verdächtig ist. § 163e Abs. 3 StPO enthält Regelungen über die Erfassung von Daten weiterer Personen im Falle eines Antreffens. Nach § 163e Abs. 4 Satz 1 StPO erfolgt die Ausschreibung durch den Richter mit einer Eilfallkompetenz der Staatsanwaltschaft (Satz 2). Die Anordnung ist nach § 163e Abs. 4 Satz 5 StPO auf zunächst ein Jahr zu befristen.
5. Die sukzessive Ausweitung der Telefonüberwachung Nach der Begründung des Entwurfs des OrgKG kommt aber nicht nur den neuen Ermittlungsmethoden, sondern auch der Telefonüberwachung „bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität große Bedeutung zu.“111 Deshalb wurde die Telefonüberwachung auf Delikte ausgedehnt, die gemeinhin mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht werden, so auf den Verdacht des Vorliegens eines Bandendiebstahls (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F.), eines schweren Bandendiebstahls (§ 244a StGB a.F.), einer gewerbsmäßigen Hehlerei wie einer Bandenhehlerei (§ 260 StGB a.F.) sowie einer gewerbsmäßigen Bandenhehlerei (§ 260a StGB). Der den Betäubungsmittelbereich betreffende Deliktskatalog (§ 100a Satz 1 Nr. 4 StPO) wurde den Änderungen im materiellen Recht (BtmG) angepasst. Im Jahre 1994 wurde durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz § 100a Abs. 1 Nr. 5 StPO eingefügt. Damit wurde die Telefonüberwachung auch beim bandenbzw. gewerbsmäßigen Einschleusen von Ausländern (§ 92a Abs. 2 bzw. 92b 111 BT-Drs. 12 / 989, S. 38. Demgegenüber war allerdings von Praktikern in der Anhörung des Rechtsausschusses geäußert worden, die Effizienz der herkömmlichen Ermittlungsinstrumente wie Telefonüberwachungen sei fragwürdig, weil die Täter sich darauf einstellten (vgl. etwa den Hamburger OStA Köhnke, Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses am 22. 1. 1992, 12. Wahlperiode 1990, 6. Ausschuss, S. 5).
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AuslG) und bei der banden- bzw. gewerbsmäßigen Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung (§§ 84 Abs. 3 bzw. 84a AsylVerfG) ermöglicht. Auch damit sollte ein Feld abgedeckt werden, „das sich nicht zuletzt durch einen hohen Organisationsgrad auszeichnet.“112 Durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität wurde der Katalog der Telefonüberwachung im Jahr 1998 erneut ausgeweitet auf die Geldwäsche sowie eine Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte nach § 261 Abs. 1, 2 oder 4 StGB (§ 100a S 1 Nr. 2 StPO). Dies sei erforderlich, „um komplexe internationale Geldwäschestrukturen aufzudecken und insbesondere die Verbindung zwischen dem Vortäter und dem Geldwäscher zu belegen.“113
6. Der Einsatz technischer Mittel innerhalb von Wohnungen Nachdem aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken114 der so genannte große Lauschangriff nicht im OrgKG realisiert worden war, aber auch aufgrund anderer nach Ansicht von Polizeipraktikern zu restriktiver Regelungen, war das OrgKG sogleich heftiger Kritik ausgesetzt. So wurde dem Gesetz eine „für den Kriminalisten beklemmende Praxisferne“ attestiert. Der Einsatz der elektronischen Beweissicherung in Wohnungen müsse möglich sein, wolle man der OK ernsthaft Paroli bieten115. Die Regelungen zum Verdeckten Ermittler seien ein einziges Ärgernis und die Spielräume der Ermittler durch Engstirnigkeit, Kleinlichkeit und Lebensfremdheit immer mehr eingeengt116. Das Gesetz sei für Kriminalisten eine einzige Enttäuschung117. Daher war es nicht verwunderlich, dass der Präsident des Bundeskriminalamtes noch vor Inkrafttreten des OrgKG forderte, es müsse gestattet werden, auch das nicht öffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln in der Wohnung abzuhören118. Ein von der Fraktion der SPD im Februar 1994 eingebrachter Gesetzentwurf119 umfasste den Großen Lauschangriff, wurde aber von den Koalitionsfraktionen abgelehnt, da durch die Ausgestaltung des Verfahrens – der Entwurf sah die Einschal-
Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12 / 6953, S. 32. BT-Drs. 13 / 8651, S. 13. 114 Vgl. die Stellungnahme der Bundesregierung in BT-Drs. 12 / 989, S. 58; daneben vgl. nur Weil 1992; Krey / Haubrich 1992, 313. 115 Gehm / Link 1992, 495 f. 116 Burghard 1992, 595. 117 Krüger 1992, 594; Stümper 1994, 191. 118 Zachert 1992, 355 gegen Hassemer 1992, 357. 119 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (2. OrgKG), BT-Drs. 12 / 6784. 112 113
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tung einer G 10-Kommission vor – so hohe Hürden aufgebaut seien, dass diese Mittel im Ergebnis gar nicht eingesetzt werden könnten120. Nach dem Rücktritt der Bundesministerin der Justiz Leutheusser-Schnarrenberger als erklärter Gegnerin des Großen Lauschangriffs infolge einer Abstimmung der Mitglieder der FDP, die sich für diese Maßnahme aussprachen, war der politische Weg frei zu der notwendigen Änderung des Grundgesetzes. Die Begründung für die Einführung des Großen Lauschangriffs in dem im Oktober 1997 eingebrachten Gesetzentwurf ähnelte in Bezug auf die Gefahren organisierter Kriminalität deutlich der bei den anderen verdeckten Maßnahmen im ersten OrgKG fünf Jahre zuvor. So hieß es in dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 13 GG) der Fraktionen der CDU / CSU, SPD und F.D.P., das Organisierte Verbrechen habe in der Bundesrepublik Deutschland in der letzten Zeit erheblich zugenommen. Für eine wirksame Strafverfolgung in diesem Bereich sei es notwendig, das gesprochene Wort in Wohnungen abhören und aufzeichnen zu können. Herkömmliche Ermittlungsmethoden, einschließlich der Telefonüberwachung, reichten in der Regel nicht aus, um bei organisiert vorgehenden Banden, die sich fast völlig nach außen abschotteten, die Ermittlungen in den Kernbereich der Organisierten Kriminalität hineinzutragen. Auch der Einsatz verdeckt ermittelnder Personen könne Abhörmaßnahmen nicht ersetzen, da auf Grund der straffen Organisation eine Einschleusung Dritter nur selten möglich sei und darüber hinaus bei Einsätzen im Bereich der Organisierten Kriminalität wegen der Gewaltbereitschaft der Täter regelmäßig erhebliche Gefahren für Leib und Leben der verdeckt arbeitenden Personen zu befürchten seien121. Nachdem sich die Koalitionsfraktionen und die SPD auf die Grundgesetzänderung verständigt hatten, ging es in der im November 1997 vor dem Rechtsausschuss durchgeführten Anhörung im Wesentlichen nur noch um die Regelung von Detailfragen. Wiederum ergaben sich unter den Anhörungspersonen zwei Lager. Wissenschaftler, Datenschützer sowie Vertreter der Anwaltsverbände122 äußerten ihre Skepsis gegenüber der Einführung des Großen Lauschangriffs. Bezweifelt wurden u. a. die kriminalpolitische Notwendigkeit angesichts des noch unerforschten Phänomens der organisierten Kriminalität sowie eine fehlende Evaluation der bereits eingeführten verdeckten Maßnahmen. In Frage gestellt wurde auch die Effektivität der beabsichtigen Maßnahme. Hingewiesen wurde auch darauf, dass es keine Strafverfolgung um jeden Preis geben dürfe, die möglicherweise gegen die Wesensgehaltsgarantie des Grundgesetzes verstoße. Schließlich wurden Bedenken 120 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 12 / 8588, S. 10. Ebensowenig hatte eine Initiative Baden-Württembergs für ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes Erfolg (BR-Drs. 694 / 95 sowie 695 / 95). 121 BT-Drs. 13 / 8650, S. 4; in der Begründung ähnlich der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU / CSU, SPD und F.D.P. zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, BT-Drs. 13 / 8651; kritisch: Krause 1999, 223 ff. 122 Asbrock, Bull, Frister, Gössner, Herdegen, Kempf, Lisken, Scheffler.
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gegen den Umfang des Straftatenkatalogs geäußert sowie gegen die Wirksamkeit des beabsichtigten Richtervorbehalts. Die Vertreter der Justiz und insbesondere der Staatsanwaltschaft123 begrüßten dagegen die geplante Einführung, die überfällig sei. Ihre Stellungnahmen waren geprägt von einem Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Richtervorbehalts. Des Weiteren erfolgten Anregungen zur Ausweitung der Katalogtaten sowie eine Zurückhaltung gegenüber Abhörverboten bei Zeugnisverweigerungsrechten. Angedeutet wurde auch, dass die Einführung einer optischen Wohnraumüberwachung wünschenswert sei. Nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO ist das Abhören und Aufzeichnen des in einer Wohnung nichtöffentlich gesprochenen Wortes mit technischen Mitteln nunmehr möglich, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine der Straftaten aus dem umfangreichen Katalog von § 100c Abs. 1 Nr. 3a-f StPO begangen hat124. Teilweise wird bestritten, ob mit diesem Katalog den Anforderungen des Art. 13 Abs. 3 GG („besonders schwere Straftat“) Genüge getan wurde125. Eingefügt wurde in § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO eine besonders strenge Subsidiaritätsklausel. Grundsätzlich wird der Lauschangriff in der Wohnung des Beschuldigten durchgeführt (§ 100c Abs. 2 Satz 4 StPO), ausnahmsweise auch in der Wohnung anderer Personen (§ 100c Abs. 2 Satz 5 StPO). Nach § 100d Abs. 2 StPO entscheidet über die Maßnahme eine Staatsschutzkammer, regelmäßig mit drei Berufsrichtern. § 100d Abs. 3 StPO statuiert besondere Abhörverbote für Zeugnisverweigerungsberechtigte. § 100d Abs. 4 Satz 1 StPO sieht eine Befristung der Maßnahme auf vier Wochen vor. § 100e StPO enthält Berichtspflichten, in Absatz 2 eine jährliche Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung126.
7. Nicht geregelte verdeckte Ermittlungsmaßnahmen: insbesondere der Einsatz von V-Personen Schon das StVÄG 1988 verzichtete auf die Regelung des Einsatzes von V-Leuten und Informanten. Als Begründung wurde angeführt, hierfür bestehe kein Bedürfnis, denn es handele sich um Personen, die nicht einer Strafverfolgungsbehörde angehörten, also keine strafprozessualen Ermittlungsbefugnisse hätten. Für sie gälten demnach die normalen Regelungen über Zeugen127. An dieser Ansicht wur123 GenStA Froschauer, BGH-Präsident Geiß, OStA Krombacher, OStA Röding sowie PräsLG Weber. 124 Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4. 5. 1998, BGBl I, 845. 125 Vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner 2003, § 100c Rdnr. 11. 126 Monographisch zum Lauschangriff in jüngster Zeit: Mozek 2001, Zimmermann 2001. Da der Große Lauschangriff zu dem Zeitraum, den die Aktenerhebung umfasst, noch nicht in Kraft war, kann auf eine eingehendere Erörterung verzichtet werden. 127 So Hilgendorf-Schmidt 1989, 212 für das StVÄG 1988.
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de in der Begründung des OrgKG festgehalten. Gleichzeitig wurde klargestellt, dass aus der Regelung des Einsatzes Verdeckter Ermittler nicht auf die Unzulässigkeit der Heranziehung von V-Personen geschlossen werden dürfe128. Auch wolle sich der Gesetzgeber das (fehlerhafte) Verhalten von V-Leuten nicht als staatliches Handeln zurechnen lassen, so dass man daher auch nicht von einem Einsatz sprechen könne. Befürchtet wurden im Fall einer Regelung auch rechtspolitische Forderungen, V-Leute mit bestimmten Befugnissen auszustatten129. Durch das StVÄG 1999130 wurde § 161 Abs. 1 StPO zu einer Ermittlungsgeneralklausel umgestaltet. Teilweise wird daraus gefolgert, dass die Vorschrift jetzt auch die Rechtsgrundlage für mit einem Grundrechtseingriff verbundene Ermittlungshandlungen, „die weniger intensiv eingreifen“, darunter auch den Einsatz von V-Leuten liefere131. Andere sehen durch §§ 161, 163 StPO jedenfalls für einen Teilbereich der VP-Aktivitäten eine gesetzliche Grundlage gegeben132. Richtigerweise dürfte aber wegen der Grundrechtsintensität des gezielten V-Mann-Einsatzes unter Zugrundelegung des Volkszählungsurteils nach wie vor jedenfalls für diesen Bereich eine spezielle Ermächtigungsgrundlage erforderlich sein133. Dabei ist zu beachten, dass der Einsatz von Vertrauenspersonen in der Praxis eine erhebliche Bedeutung hat134. C. Veränderungen im Recht der Nachrichtendienste Kaum war das OrgKG verabschiedet, setzte auch schon eine Diskussion darüber ein, ob die Nachrichtendienste eine Zuständigkeit zur Beobachtung organisierter Kriminalität bereits hätten oder zumindest erhalten sollten135. Diese Überlegung lag schon deswegen nicht fern, hatte doch die Polizei Vorfeldbefugnisse und Aufklärungsinstrumente erhalten, die zuvor primär eine Domäne der Nachrichtendienste waren136. Den Ausgangspunkt für eine Zuständigkeit der Geheimdienste BT-Drs. 12 / 989, S. 41; Hilger 1992, 523. Hilger 1999, 212 f. Vgl. aber die Gemeinsamen Richtlinien, die durchaus von einem Einsatz von V-Personen sprechen. So auch Rogall Anm. NStZ 2000, 490 (492). 130 StVÄG vom 2. 8. 2000, BGBl I, 1253. 131 So Meyer-Goßner 2003, § 161 Rdnr. 1. 132 Rogall, NStZ 2000, 490 (492) in einer Besprechung des insoweit unklaren SedlmayrBeschlusses des BVerfG NStZ 2000, 489; vgl. auch Hilger 2000, 564; ders. 2002, 182. 133 So in neuerer Zeit Wolter 2000, 966; Krehl in HK-StPO 2001, § 161 Rdnr. 1; Hetzer 2001, 690 ff.; a.A. Hilger 1999, 212 ff. 134 Nicht zutreffend Rogall 1987, 848, der meint, der VE-Einsatz stelle „einen Schwerpunkt der verdeckten Strafverfolgungstätigkeit der Polizei“ dar. 135 Vgl. die Nachweise bei Rupprecht 1993, 133 ff.; Werthebach / Droste-Lehnen 1994, 57 Fn. 2. In Deutschland gibt es drei Nachrichtendienste: Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst und Verfassungschutz (BfV und die Landesbehörden). 136 Vgl. Gusy 1994, 245, 249 f. 128 129
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bildete die These, dass die organisierte Kriminalität in ihrer konkreten Massierung und Sozialschädlichkeit einen Angriff gegen den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat führe, der sich von dem extremistisch-terroristischer Bestrebungen nicht grundsätzlich unterscheide137. So dürfe der Bundesnachrichtendienst (BND) angesichts der hohen Gefährlichkeit organisierter Kriminalität für die Innere Sicherheit in Deutschland im Ausland Informationen über Organisationen sammeln, wenn anzunehmen oder jedenfalls nicht auszuschließen sei, dass ihre kriminellen Aktivitäten nach Deutschland hineinwirkten138. Für den Verfassungsschutz wurde eine Zuständigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz de lege lata teilweise ebenfalls bereits für gegeben erachtet139, teilweise eine entsprechende Aufgabenerweiterung im BVerfschG gefordert140. Diese sei vorteilhaft, da dem Verfassungsschutz eine vom täglichen Ermittlungs- und Erfolgsdruck sowie Legalitätsprinzip befreite, organisations- und damit nicht täterbezogene Ermittlung möglich sei. Zusätzlich unterliege man keiner Leitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft oder gar einem Richtervorbehalt141. Dem wurde entgegengehalten, dass die Bedrohungsqualität der organisierten Kriminalität nicht derjenigen des politischen Extremismus entspreche142. OK sei auf Gewinnmaximierung aus, wolle aber nicht die verfassungsmäßigen politischen Grundstrukturen beseitigen143. Auch lasse sich die These von der besseren Aufklärungsfähigkeit des Verfassungsschutzes nicht halten144, da die für diesen vorgesehenen Aufgaben von der Polizei im Rahmen der Initiativermittlungen ohnehin schon wahrgenommen werden könnten145. Außerdem sei am Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten festzuhalten146. Siehe oben Kapitel 4, A. So Rupprecht 1993, 134. 139 So Werthebach / Droste-Lehnen 1994, 62 ff. 140 So Rupprecht 1993, 134, da es außer bei der Mafia an der politischen Bestimmung verfassungsfeindlicher Bestrebungen fehle. 141 Werthebach / Droste-Lehnen 1994, 60 f.; Remmele 1998, 318 f. 142 Paeffgen 1995, 26 sprach von einer „Kinder-Reaktion“ des „Das will ich auch“. 143 Denninger 1994; Jachmann 1994, 254; Ferse 1994; Hoppe 1999, 178 ff.; vgl. auch die interessante Entwicklung bei Hetzer 1998, 494: „Die Bekämpfung der OK ist Sache der Polizei. Ihr stehen dafür auch genügend ,nachrichtendienstliche‘ Instrumente zur Verfügung.“, ders. 1999, 18: „Zwingende Argumente für eine Einbeziehung der Geheimdienste in den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität sind nicht zu erkennen. Diese Aufgabe ist bei der Polizei in praktisch angemessenen und rechtlich ausreichenden Händen.“ Vgl. aber ders. 2000, 259, nachdem er Referatsleiter für die „Nachrichtendienstliche Informationsverwertung: Internationale Organisierte Kriminalität“ im Kanzleramt geworden war: „Gelingt es in absehbarer Zeit nicht, auch die Ressourcen und die Erfahrung des BND in koordinierter und intelligenter Weise zu nutzen, wird die Organisierte Kriminalität im nationalen und internationalen Rahmen weiter gestärkt. Ein ,Alleinvertretungsanspruch‘ der Polizei ist nicht nur unbegründet, sondern auch kontraproduktiv.“ 144 Gusy 1995, 325. 145 Schaefer 1999, 2572 f. 146 Denninger 1994, 237 ff.; Gusy 1994; Lisken 1994, 266; Albert 1995; Gusy 1999. 137 138
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Dennoch wurden in der Folge sowohl der Bundesnachrichtendienst sowie auf Länderebene zunächst der bayerische Verfassungsschutz in die Bekämpfung der organisierten Kriminalität einbezogen147. Die Länder Saarland, Hessen und Thüringen folgten einige Jahre später dem Vorbild Bayerns148. Durch das am 1. 12. 1994 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze (Verbrechensbekämpfungsgesetz – VerbrbekG) wurde § 3 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10) novelliert und dem BND die Möglichkeit eingeräumt, nicht leitungsgebundene internationale Fernmeldeverkehrsbeziehungen in einem größeren Umfang zu überwachen. Dadurch sollte Auswüchsen international organisierter Kriminalität besser begegnet werden149. Dazu wurden neue Überwachungstatbestände in § 3 Nr. 3 – 6 G 10 aufgenommen, d. h. zur Erkenntnis der Gefahr der internationalen Verbreitung von Kriegswaffen (Nr. 3), der Gefahr der unbefugten Verbringung von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge aus dem Ausland in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (Nr. 4), im Ausland begangener Geldfälschungen (Nr. 5) sowie der Geldwäsche im Zusammenhang mit den in den Nummern 3 bis 5 genannten Handlungen (Nr. 6)150. Außerdem wurden Verwendungsregelungen, Kontroll- und Sicherungsmaßnahmen festgelegt151. Nachdem das Bundesverfassungsgericht einen Teil der Änderungen des G 10 durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz im Jahre 1999 für verfassungswidrig erklärt hatte152, nahm der Gesetzgeber im Jahr 2001 die durch diese Entscheidung erforderlichen Änderungen vor153.
Zur Aufgabe des Bayerischen Verfassungsschutzes sogleich. Im Saarland durch das Gesetz Nr. 1480 zur Änderung des Saarländischen Verfassungsschutzgesetzes (SVerfSchG) vom 26. September 2001, Amtsblatt Saarland 2001, S. 2076. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 SVerfSchG beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz „Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland.“ Die Organisierte Kriminalität ist in § 5 Abs. 1 Nr. 4 SVerfSchG im Sinne der Begriffsbestimmung in den Gemeinsamen Richtlinien definiert. Vergleichbar die Regelungen in Hessen durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Landesamt für Verfassungsschutz vom 30. April 2002, GVBl. Hessen Teil I 2002, 82 ff. sowie in Thüringen durch das Thüringer Gesetz zur Änderung des Polizei- und Sicherheitsrechts vom 20. Juni 2002, GVBl. Thüringen 2002, 247 ff. 149 Arndt 1995, 170. 150 Allerdings fand dieses Ziel in der Gesetzesbegründung zur Änderung des G 10 nicht explizit Erwähnung: vgl. BT-Drs. 12 / 6853. 151 Zur Kritik der dadurch verordneten Zusammenarbeit zwischen Bundesnachrichtendienst und Polizei: Krüger 1995, 44. 152 BVerfGE 100, 313 ff. Zu der Sichtweise von organisierter Kriminalität durch das BVerfG in dieser Entscheidung vgl. Kapitel 8, A. Wegen des geringen Ertrags waren die Überwachungen im Bereich des internationalen Drogenhandels im Frühjahr 1998 eingestellt worden (BVerfGE 100, 313 [324]). 153 Am 29. 6. 2001 ist das Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnises vom 26. 6. 2001 in Kraft getreten. Dazu Kapitel 8, A. 147 148
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Fast gleichzeitig mit dem VerbrbekG novellierte Bayern sein Verfassungsschutzgesetz154. Seitdem bestimmt Art. 1 Abs. 1 Satz 2 BayVSG, dass das Landesamt für Verfassungsschutz auch dem Schutz vor Organisierter Kriminalität dient155. Daher erstreckt sich der Beobachtungsauftrag nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BayVSG auch auf „Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität im Geltungsbereich des Grundgesetzes.“ Die Organisierte Kriminalität wird in Art. 1 Abs. 3 BayVSG übereinstimmend mit der Gemeinsamen Richtlinie definiert. Insbesondere wurde in Art. 6 Abs. 4 BayVSG bei einem umfangreichen Katalog von Straftaten, die im Allgemeinen mit organisierter Kriminalität in Zusammenhang gebracht werden, der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel zur Informationsgewinnung in Wohnungen vorgesehen156. Art. 14 Abs. 1 BayVSG statuiert eine Übermittlungsbefugnis an die Strafverfolgungsbehörden. Dabei bleibt der Informationsfluss vom Verfassungsschutz zur Polizei der Öffentlichkeit in der Regel verborgen, da im Gerichtsverfahren Informationen des Verfassungsschutzes nicht mehr als solche identifizierbar sind157.
D. Die Gemeinsamen Richtlinien von Polizei und Justiz auf dem Gebiet der Verfolgung organisierter Kriminalität Zum maßgeblichen rechtlichen Rahmen für die Verfolgung organisierter Kriminalität gehören auch die in diesem Bereich existierenden Gemeinsamen Richtlinien der Justizminister / -senatoren und der Innenminister / -senatoren der Länder. War in den 80er Jahren der Einsatz von Verdeckten Ermittlern bzw. V-Personen noch nicht gesetzlich geregelt, billigten die Justizminister / -senatoren und Innenminister / -senatoren der Länder im Jahr 1985 gleichwohl Thesen, die eine gemeinsam eingesetzte Kommission zu diesem Thema erarbeitet hatte158. Daraufhin erfolgte die Umsetzung in den Bundesländern159. Gesetz zur Änderung des BayVSG v. 8. 7. 1994, GVBL 1994, 451. Beispiele für die Tätigkeit des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität finden sich im Verfassungsschutzbericht 2001 auf S. 231 ff. (abrufbar über die Homepage des Innenministeriums); vgl. auch Remmele 1998. 156 Koch 1995, 24 ff. sieht in dieser Regelung einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsprinzip sowie einen Verstoß gegen Art. 13 Abs. 3 GG. Gegen eine Erweiterung des Aufgabenkatalogs der Verfassungsschutzämter um die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität: Schafranek 2000, 223 ff. 157 Remmele 1998, 320. 158 Gemeinsame Richtlinien der Justizminister / -senatoren und der Innenminister / -senatoren der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) sowie Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung, vgl. Piller / Hermann: RiStBV Anhang IV oder auch Meyer-Goßner 2003, RiStBV Anlage D. 159 In Baden-Württemberg in Kraft gesetzt durch Gemeinsame VV vom 4. 3. 1986 (Die Justiz 1986, 80 f.). 154 155
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren I. Beschreibung der Richtlinien
Dabei beziehen sich die Richtlinien zur Inanspruchnahme von Informanten und zum Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) bzw. zum Einsatz Verdeckter Ermittler und sonstiger nicht offen ermittelnder Polizeibeamter ihrem Titel nach auf den „Rahmen der Strafverfolgung“, also das Ermittlungsverfahren, regeln daher nicht das Stadium des Vorfeldes. Zunächst werden in den Richtlinien die Begriffe Informant (Teil I 2.1) und V-Person (2.2) definiert. Ein besonderer Konnex der Richtlinien zur Verfolgung organisierter Kriminalität besteht dadurch, dass in Nr. 3.1 a) festgehalten ist, die Zusicherung der Vertraulichkeit gegenüber dem Informant bzw. der Geheimhaltung der Identität gegenüber der V-Person komme (u. a.) im Bereich der organisierten Kriminalität in Betracht. Dabei dürfen nach Nr. 3.2 Informanten nur in Anspruch genommen, V-Personen nur eingesetzt werden, wenn die Aufklärung sonst aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Es besteht also eine Subsidiaritätsklausel wie beim Einsatz Verdeckter Ermittler nach § 110a Abs. 1 Satz 3 StPO. Obwohl sich die Richtlinien dem Titel nach nur auf die Strafverfolgung beziehen, trifft Nr. 5.1 für die Abgabe der Zusicherung der Vertraulichkeit / Geheimhaltung nicht nur Zuständigkeitsregelungen im Bereich der Staatsanwaltschaft, sondern auch bei der Polizei. Nr. 5.2 bestimmt, dass vor der Zusicherung der Vertraulichkeit gegenüber einem Informanten grundsätzlich die Einwilligung der Staatsanwaltschaft erforderlich ist. Nach Nr. 5.3 ist zur Bestätigung der zugesicherten Geheimhaltung die Einwilligung der Staatsanwaltschaft herbeizuführen, wenn eine V-Person in einem Ermittlungsverfahren gezielt eingesetzt wird. Ein noch stärkerer Konnex zur Verfolgung organisierter Kriminalität ist in Teil II der Richtlinien über den Einsatz Verdeckter Ermittler und sonstiger nicht offen ermittelnder Polizeibeamter gegeben. Hier wird schon in Nr. 1.1 unter „Grundsätzliches“ hervorgehoben, dass „die qualitative Veränderung der Erscheinungsformen der Kriminalität, insbesondere der organisierten Kriminalität,“ dieser Entwicklung angepasste Methoden der Verbrechensbekämpfung erfordere, darunter den operativen Einsatz Verdeckter Ermittler und sonstiger nicht offen ermittelnder Polizeibeamter. Darüber hinaus wird festgehalten, dass VE keine Straftaten begehen dürfen (Nr. 2.2)160. Nr. 2.4 trifft wiederum Zuständigkeitsregelungen. Zwar wird daran erinnert, dass der VE nicht von der Strafverfolgungspflicht nach § 163 StPO befreit ist (Nr. 2.6), doch wird gestattet, dass aus kriminaltaktischen Erwägungen Ermittlungsmaßnahmen, die in den Auftrag des Verdeckten Ermittlers fallen, zurückgestellt werden können (Nr. 2.6.1). Die schwierigen Kompetenzabgrenzungen zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft im Bereich vor Entstehung einer Gefahr bzw. vor dem Vorliegen eines Tatverdachts führten im Jahr 1990 auch zu den „Gemeinsame(n) Richtlinien der Justizminister / -senatoren und der Innenminister / -senatoren der Länder über die 160
Nicht abgedruckt bei Meyer-Goßner 2003.
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Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität“ 161. Hier signalisiert schon der Begriff „Verfolgung“ statt „Strafverfolgung“, dass auch das Vorfeld von Straftatverdacht wie polizeilicher Gefahr von der Richtlinie erfasst werden soll. In Nr. 2.1 findet sich die bereits mehrfach erwähnte Definition organisierter Kriminalität. Zusätzlich zu dieser weiten Definition wird in Nr. 2.2 darauf hingewiesen, dass die Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vielgestaltig seien. Neben „strukturierten, hierarchisch aufgebauten Organisationsformen“ gäbe es auch „Straftäterverflechtungen mit unterschiedlichem Bindungsgrad der Personen“ (Nr. 2.2). Nr. 2.3 enthält eine umfangreiche, dennoch nicht abschließende („vorwiegend“) Liste der Kriminalitätsbereiche organisierter Kriminalität. Ferner wird auf die umfangreiche Indikatorenliste in der Anlage hingewiesen, „die einzeln oder in unterschiedlicher Verknüpfung Anlaß geben können, einen Sachverhalt der Organisierten Kriminalität zuzurechnen“ (Nr. 2.4). Nr. 3 fordert eine „aufeinander abgestimmte Organisation der Strafverfolgungsbehörden“ (3.1) und regelt organisatorische Vorkehrungen im Bereich der Staatsanwaltschaft wie der Polizei162. In Nr. 4.1 wird das Ziel der Ermittlungen definiert, nämlich „in den Kernbereich der kriminellen Organisationen einzudringen und die im Hintergrund agierenden hauptverantwortlichen Straftäter zu erkennen, zu überführen und zur Aburteilung zu bringen.“ Nr. 4.2 mahnt eine enge Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei bei den Ermittlungen an, verweist andererseits aber auch auf die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft. Aus Nr. 4.2.1 ergibt sich, dass für das Ermittlungsziel auch längerdauernde Ermittlungen in Kauf genommen werden können, wobei die Beschränkungsmöglichkeiten der §§ 153 ff. StPO frühzeitig zu nutzen sind (Nr. 4.2.2). Nach Nr. 4.2.3 ist es ähnlich wie beim Einsatz eines VE möglich, einzelne Ermittlungsmaßnahmen vorläufig zurückzustellen163. Verfahren gegen Randtäter oder Nebenbeteiligte können zugunsten der Ermittlungen gegen die Haupttäter ebenfalls zurückgestellt werden (Nr. 4.2.4). Nr. 5 trifft Maßnahmen zur verfahrensübergreifenden Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei, insbesondere auch zur Verständigung über die örtliche und zeitliche Steuerung der Ermittlungskapazitäten. Nr. 6 regelt die so genannten Initiativermittlungen. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass organisierte Kriminalität nur selten sichtbar ist. Staatsanwaltschaft und Polizei müssten daher „von sich aus im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse 161 Vgl. Piller / Hermann: RiStBV Anhang IV oder auch Meyer-Goßner 2003, RiStBV Anlage E. In Baden-Württemberg gilt die unveröffentlichte Gemeinsame Verwaltungsvorschrift vom 15. 1. 1991; zu den Richtlinien auch Pütter 1998, 223 ff. 162 Zur inhaltlichen Ausfüllung bei der Polizei Pütter 1998, 159 ff., bei der Staatsanwaltschaft: Nehm 1996. In Hamburg wurde bereits 1982 eine Dienststelle OK bei der Polizei eingerichtet, vgl. Sielaff 1983, 421 und Kapitel 2. 163 Vgl. Pütter 1998, 69 zur Praxis des Aufschiebens von Rauschgiftbeschlagnahmen, um über die Verteilerwege die Händlerorganisation offenzulegen.
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Informationen gewinnen oder bereits erhobene Informationen zusammenführen, um Ansätze zu weiteren Ermittlungen zu erhalten (Initiativermittlungen).“164 Nr. 6.2 statuiert eine Befugnis der Strafverfolgungsbehörden, Ansätzen für weitere Nachforschungen nachzugehen, nachdem die vorliegenden Anhaltspunkte geprüft worden sind und unklar geblieben ist, ob ein Anfangsverdacht besteht. Ob dies geschieht, bestimmt sich nach Verhältnismäßigkeitserwägungen, wobei bei Anhaltspunkten für Straftaten Organisierter Kriminalität Aufklärungsmöglichkeiten in der Regel auszuschöpfen seien. Demgegenüber weist Nr. 6.3 darauf hin, dass sich die Befugnisse der Polizei zu Initiativermittlungen im Rahmen der Gefahrenabwehr nach den Polizeigesetzen richten. In Nr. 6.4 wird festgehalten, dass bei Initiativermittlungen häufig eine Gemengelage zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr vorliege und dem Staatsanwalt in Fällen der Gefahrenabwehr eine Leitungsbefugnis nicht zustehe. Nr. 7 trifft Vorkehrungen über die Zusammenarbeit mit den Justizvollzugsanstalten. So sind nach Nr. 7.1 die von der Organisierten Kriminalität ausgehenden Gefahren auch bei Vollzugsentscheidungen zu berücksichtigen. Daher sind nach Nr. 7.2 die Justizvollzugsanstalten über Verbindungen eines Untersuchungs- oder Strafgefangenen zur Organisierten Kriminalität sowie Erscheinungsformen und Entwicklung der Organisierten Kriminalität zu informieren. Nr. 8 regelt die Zusammenarbeit mit anderen Behörden, insbesondere der Zoll- sowie der Steuerfahndung, Nr. 9 Vorkehrungen für den Schutz der Ermittlungen. In der Anlage finden sich Generelle Indikatoren zur Erkennung OK-relevanter Sachverhalte165.
II. Bewertung der Richtlinien
Die Richtlinien, insbesondere diejenigen zur gemeinsamen Verfolgung der organisierten Kriminalität, werden in der strafprozessualen wie polizeirechtlichen Literatur kaum thematisiert. Unter definitorischen Gesichtspunkten ist bemerkenswert, dass über den weiten Begriff der organisierten Kriminalität hinaus an zwei weiteren Stellen ersichtlich ist, dass ein eher umfassendes Konzept organisierter Kriminalität Verwendung finden soll. So heben die Richtlinien ausdrücklich hervor, es könne schon bei bloßen Straftäterverflechtungen organisierte Kriminalität vorliegen. Zudem erlaubt der weite Indikatorenkatalog eine flexible Zuordnung verschiedener Erscheinungsformen als organisierte Kriminalität.
164 Zur Definition der Initiativermittlungen auch Albers 2001, 112, allerdings ohne Bezugnahme auf die Gemeinsamen Richtlinien. 165 Diese Indikatoren sind überwiegend bereits seit den 70er Jahren geläufig, vgl. Steinke 1982, 80; Sielaff 1983, 418 f.; Wittkämper / Krevert / Kohl 1996, 51 ff.; zur Kritik an ihrer mangelnden Abgrenzungsleistung zu anderen Kriminalitätsbereichen: Nehm 1996, 515.
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Andererseits wird in den Richtlinien aber auch das Bild von veritablen kriminellen Organisationen transportiert, etwa wenn es in den Ermittlungen darum gehen soll, in deren Kernbereich vorzustoßen. Daneben erscheint organisierte Kriminalität als feststehende Größe, so wenn die Justizvollzugsanstalten über die Verbindungen eines Gefangenen „zur Organisierten Kriminalität“ zu informieren sind. Die Richtlinien reflektieren demnach eine sehr heterogene oder, anders formuliert, variable Vorstellung von organisierter Kriminalität. Unklar bleibt außerdem die Regelung über die Initiativermittlungen in Nr. 6, insbesondere im Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei, was zu einer höchst unterschiedlichen Interpretation dieser Vorschriften führt. So werden Ermittlungen zur Findung eines Anfangsverdachtes und damit eine Herabsetzung der Schwelle zur Einleitung eines staatlichen Ermittlungsverfahrens als problematisch, ja sogar generell als unzulässig angesehen, selbst bei einer offenbar in den Richtlinien beabsichtigten Beteiligung der Staatsanwaltschaft166. Vor allem das polizeiliche Schrifttum interpretiert diesen Teil der Richtlinien allerdings anders. So wird zwar hervorgehoben, die Richtlinien seien von dem Bemühen getragen, der Staatsanwaltschaft im Vorfeld des Tatverdachts Kompetenzen bei der Verfolgung organisierter Kriminalität einzuräumen, dabei aber darauf hingewiesen, dass der Staatsanwaltschaft für die Ermittlungen gar kein Instrumentarium zur Verfügung stehe, so dass dafür allein die Polizei zuständig und ausgerüstet sei167. Ähnlich heißt es in einem polizeilichen Handbuch, dass, wenn „die wahrgenommenen Kriminalindikatoren“ noch nicht eindeutig genug seien, sie „durch so genannte Initiativermittlungen der Polizei (!) auf deren eigene Veranlassung hin noch überprüft werden“ müssten168. Solche Initiativermittlungen, so weiter, könnten Maßnahmen von informatorischer Befragung bis hin zu verdeckten Ermittlungen sein169. Die ungeklärten Kompetenzfragen werden dadurch komplettiert, dass Nr. 6.4 der Richtlinien für Initiativermittlungen häufig eine Gemengelage der „Elemente der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr“ attestiert, aber keine Vorkehrungen zur Auflösung dieser Gemengelage trifft, insbesondere keine Klärung der Frage vornimmt, wem die Sachleitungsbefugnis in diesem Fall zusteht.
166 So Schaefer 1999, 196; rigoros ablehnend: Wolter 1995, 824: „Diese Vorermittlungen sind jenseits der eingriffsfreien Anfangsverdachts- oder Gefahrenerforschung unzulässig. Sie führen zu einem Datenverbund der Sicherheitsbehörden im Vorfeld. Dieses Vorfeld ist allein den Verfassungsschutzbehörden zugewiesen.“ 167 Jäger 1995, 189 ff.; vgl. auch Ratzel / Brisach / Soiné 2001, 533. 168 Ausrufezeichen durch den Verfasser. 169 Möllers 2001, 1724. Vgl. Nr. 6.2 der Richtlinien: „Strafprozessuale Zwangs- und Eingriffsbefugnisse stehen den Strafverfolgungsbehörden in diesem Stadium nicht zu.“
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E. Weitere Verschränkungen zwischen Polizei- und Strafprozessrecht, insbesondere bei der Datenübermittlung Durch die weitgehende Doppelung der Eingriffsmaßnahmen in den Polizeigesetzen und der Strafprozessordnung und den daneben bestehenden Überlappungsbereichen der Zuständigkeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung organisierter Kriminalität gewinnt für diesen Bereich noch die Rechtsprechung an Bedeutung, die sich mit der Verwertung der durch präventiv-polizeiliche Ermittlungsmaßnahmen erlangten Daten im Strafverfahren beschäftigt170. Dazu entschied der BGH erstmals im Jahre 1991, eine Videoüberwachung nach Polizeirecht – die Ermittlungsbehörden hatten den späteren Angeklagten mit der Entstehung verschiedener Gebäudebrände in Zusammenhang gebracht und daraufhin dessen Wohnungstür fünf Monate lang per Videoaufzeichnung überwacht – könne auch im Strafverfahren verwertet werden171. Bedenken könnten insoweit nur bestehen, wenn zur Zeit der Ermittlungen ein wirklicher Anlass für präventivpolizeiliches Handeln nicht bestanden hätte172 – dieses also auch nicht rechtmäßig gewesen wäre –, weil (etwa) der polizeiliche Weg nur beschritten worden wäre, um nicht bestehende strafprozessuale Bestimmungen zu ersetzen. Diesem Urteil ist entgegengehalten worden, dass dadurch, dass die Polizei zunehmend in jeder Strafverfolgung auch gefahrenabwehrende Aspekte erblicke, der Bereich der doppelfunktionellen Maßnahmen zunehme und der BGH in diesem Zusammenhang zu einer „Rosinentheorie“ neige, d. h. der Polizei gestatte, sich auf das für sie günstigste Gesetz, im vorliegenden Fall: Gefahrenabwehr, zu stützen173. Somit bestehe die Gefahr, dass die strengen Befugnisgrenzen des Strafprozessrechts auf breiter Front durch weiterreichende Befugnisse des Polizeirechts überspielt würden174. Auch wurde der Eindruck formuliert, im vorliegenden Fall sei Strafverfolgung im Vorfeld der zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte in einer diffusen, dem Anfangsverdacht vorgelagerten Grauzone praktiziert worden. Für diese operative Methode der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung sei aber weder eine strafprozessuale noch polizeirechtliche Grundlage vorhanden175. Einen „Informationsverbund Sicherheitspolizei“, bestehend aus Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft, gebe es nicht176. Dazu monographisch: Walden 1996, insbesondere 293 ff. BGH StV 1991, 403 m. krit. Anm. Rogall NStZ 1992, 45 – 48; Hassemer JuS 1992, 161 – 162. 172 Insoweit hielt der BGH Art. 2 Abs. 1 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) für einschlägig, der jedenfalls für eine Übergangszeit nach dem Volkszählungsurteil ausreichend sei. 173 Gusy, Anm. StV 1991, 499; Schoreit 1992, 1014 f. 174 Amelung / Kerckhoff 1993, 198. 175 Merten 1992, 355. Wolter (1992) meint, dass es sich hier um strafprozessuale Initiativermittlungen mit dem Ziel der Bestrafung gehandelt habe, für die aber keine gesetzliche Grundlage vorhanden gewesen sei. 170 171
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Demgegenüber sprachen andere von einer „für die polizeiliche Praxis begrüßenswerten Entscheidung“ und warnten vor einem zu großen „Gesetzesperfektionismus“177. Nach einer dritten Auffassung sei die Maßnahme entgegen der Ansicht des BGH als strafprozessual zu qualifizieren, wofür mit § 163 StPO auch eine ausreichende Grundlage vorhanden gewesen sei178. Im Jahre 1996 hatte der BGH über die Verwertbarkeit von Erkenntnissen zu entscheiden, die durch einen präventivpolizeilichen großen Lauschangriff auf zwei Blockhütten entstanden waren. Dabei wurde dem Beschuldigten zur Last gelegt, sich mitgliedschaftlich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt zu haben, die für die Herausgabe und Verbreitung einer unregelmäßig erscheinenden linksextremistischen / linksterroristischen Untergrunddruckschrift verantwortlich war. Der BGH war der Auffassung, die Weitergabe der durch die Lauschangriffe gewonnenen Erkenntnisse an den Generalbundesanwalt und deren Verwertung im Ermittlungsverfahren hätten sich im Rahmen der Verwendungsbeschränkung des § 25c POG Rh.-Pf. gehalten. Danach dürfe die Polizei personenbezogene Informationen, die gemäß § 25b POG erhoben worden sind, zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung der in § 25b Abs. 1 Nr. 2 POG genannten Straftaten, also auch solcher nach den §§ 129, 129a StGB, außer an Polizeibehörden u. a. an andere öffentliche Stellen übermitteln. Der Senat ließ die Frage offen, ob diese landesgesetzliche Zweckbindung der Daten eine Weitergabe zu ausschließlich repressiven Zwecken verbiete, und bejahendenfalls, ob die Weitergabe entgegen einem solchen Verbot zu einer strafprozessualen Unverwertbarkeit der Erkenntnisse führe. Denn die Weitergabe der erhobenen Informationen sei das allein Erfolg versprechende Mittel gewesen, mit dem das Landeskriminalamt im Rahmen der ihm obliegenden vorbeugenden Verbrechensbekämpfung die Fortsetzung der Betätigung der Beschuldigten in der kriminellen Vereinigung hatte wirksam unterbinden können179. Die Entscheidung ist auf große Kritik gestoßen. So wurde beanstandet, dass der BGH die Rechtmäßigkeit der polizeirechtlich erlassenen Anordnung nicht näher überprüft hat, weil sie „jedenfalls wirksam und nicht fehlerhaft“ gewesen sei. Auch hier sei zweifelhaft, ob es sich nicht tatsächlich um eine strafprozessuale Maßnahme gehandelt habe. Die Eingriffsnorm des § 25b POG Rh-Pf. sei mit der Vermischung präventiver und repressiver Überwachungsvollmachten zudem bedenklich. Für die Verwertung der Erkenntnisse sei § 25c Abs. 1 POG Rh-Pf keine hinreichende Grundlage, da sich diese nur aus Bundesrecht ergeben könne180. Im 176 Wolter 1992. In diesem Zusammenhang wären auch die seit der Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes vom 23. 1. 1992 ebenfalls bestehenden Vorfeldkompetenzen des Zollkriminalamtes zu erwähnen, die aber hier nicht behandelt werden können, vgl. etwa Kniesel 1996, 232. 177 Schön, Anm. NStZ 1992, 504. 178 Kramer 1992; v. Hippel / Weiß 1992. 179 BGH NStZ 1996, 601. 180 Welp, Anm. NStZ 1995, 602 – 604; ähnlich Bockemühl 1996.
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Übrigen seien die Strafverfolgungsbehörden keine über § 25c POG Rh-Pf berechtigten Nutzer181. Scharf wurde die Aufhebung der bestehenden strafprozessualen Schranken durch den Spurwechsel zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung beklagt182, wodurch ein „Strafpolizeiprozessrecht“ entstehe183. Mittlerweile wurde durch das StVÄG 1999 in § 161 Abs. 1 Satz 1 StPO ein Auskunftsanspruch der Staatsanwaltschaft gegenüber anderen Behörden, auch der Polizei, eingeführt. Noch ungeklärt ist aber die Frage, ob auch alle von diesen erhobenen Daten zu Beweiszwecken verwertet werden dürfen. Die Unsicherheiten rühren daher, dass ein noch im Regierungsentwurf vorgeschlagener neuer § 161 II StPO auf Grund des Vermittlungsverfahrens gestrichen wurde. Dieser hatte vorgesehen, dass personenbezogene Informationen aus präventiv-polizeilichen Rasterfahndungen, Abhörmaßnahmen „außerhalb von Wohnungen“ oder Einsätzen von VE zu Beweiszwecken in Strafverfahren nur verwendet werden dürfen, wenn die Auswertungserkenntnisse zur Aufklärung einer entsprechenden strafprozessualen Katalogtat benötigt würden. Hintergrund war die Überlegung, es sei der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln, die Verwendung von Daten zu erschweren, „die polizeirechtlich rechtmäßig erhoben sind.“184 Die Erkenntnisse sollen nach dem Willen des Gesetzgebers über § 161 Abs. 1 StPO in vollem Umfang frei, also auch für „Nicht-Katalogtaten“ zu Beweiszwecken, verwertbar sein185. Darüber hinaus wird die Auffassung vertreten, es komme nach dem Wortlaut des § 161 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht einmal darauf an, dass die Daten rechtmäßig erhoben wurden186. Zu Recht wird aber bezweifelt, ob diese beinahe unbeschränkte Verwertungsregelung verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht187. In jedem Fall muss ein allgemeines Umgehungsverbot Beachtung finden, ohne dass jede strafprozessuale Regelung oder Nichtregelung landesrechtlich unterschiedlich überspielt werden könnte188. Da zudem die §§ 98b Abs. 3 Satz 3, 100d Abs. 5 Satz 1 und 110e StPO bei Grundrechtseingriffen Begrenzungen für die Verwertung strafprozessual erhobener Beweise für andere Strafverfahren statuieren, muss dies erst recht für die Verwertung polizeirechtlich erhobener Daten gelten. Im Sinne einer verfassungskonformen Begrenzung ist also im Sinne eines hypothetischen ErsatzeingrifStaechelin 1996, 431; Roggan 1998, 350 f. Köhler, Anm. StV 1996, 186 – 187. 183 Roggan 1998. Zur Entwicklung der BGH-Rechtsprechung vgl. auch Schnarr 1998, 218 f. und Wolter 2000, 990 ff. 184 BR-Drs. 64 / 00, S. 6 f.; vgl. Wollweber 2000. 185 Hilger 2000, 564. 186 Brodersen 2000, 2538 f.; dagegen überzeugend: Wollweber 2000, 3623; differenzierend: Schnarr 1998, 223. 187 Hilger 2000, 564; auch Meyer-Goßner 2003, § 161 Rdnr. 19 spricht von einem systematischen Bruch. 188 So schon BGH NStZ 1992, 44; zum Gedanken der Gesetzesumgehung auch BGHSt 42, 139 (144); vgl. Schnarr 1998, 219. 181 182
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fes zu prüfen, ob die Strafverfolgungsorgane bei rechtmäßigem Vorgehen dasselbe Beweisergebnis erlangt hätten189.
F. Vorläufige Bilanz: Einfluss des Topos organisierte Kriminalität auf die Entwicklung und Gestaltung des Ermittlungsverfahrens Nach diesem Überblick soll vorläufig bilanziert werden, welchen Einfluss der Topos organisierte Kriminalität auf die Entwicklung und Gestaltung des Ermittlungsverfahrens gehabt hat. Damit rückt zugleich die Diskussion um die so genannte Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens190 in den Blick, die neuerdings eine Entsprechung in der Vernachrichtendienstlichung des Polizeirechts findet191.
I. Drei Grundströmungen: Entwicklung der EDV, das Volkszählungsurteil, das Recht auf Sicherheit
Das Verhältnis zwischen organisierter Kriminalität und der Entwicklung und Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens ist von drei Grundströmungen beeinflusst worden: So fiel der Beginn der Diskussion über die Existenz organisierter Kriminalität in der Bundesrepublik zeitlich mit der Einrichtung von elektronischen Informations- und Datenverarbeitungssystemen bei der Polizei zusammen. Bereits im Jahr 1970 wurde anlässlich einer Arbeitstagung für leitende Beamte der Kriminalpolizei darauf hingewiesen, dass kriminalstrategischen Erwägungen durch die nahezu unbegrenzten Datenauswertungsmöglichkeiten zukünftig qualitativ hochwertiges Grundlagenmaterial zur Verfügung gestellt werden könne192. Ab
189 Krehl in HK-StPO 2001, § 161 Rdnr. 10; Schnarr 1998, 223 spricht sich für die Prüfung des hypothetischen Ersatzeingriffs im Rahmen eines Beweisverwertungsverbotes aus. 190 Der Begriff der „Verpolizeilichung“ findet sich schon bei Backes (1986, 341) im Sinne eines Zuwachses an polizeilichem Steuerungspotential, allgemein für gesellschaftliche Lebensbereiche. Im Übrigen ist dessen genauer Inhalt nicht geklärt. Auf das Ermittlungsverfahren ist er bezogen im Titel eines Aufsatzes von Schoreit (1989), allerdings ohne nähere Erläuterung des Terminus. Paeffgen (1995, 13) versteht darunter eine „als zu weitgehend oder zu wenig weitgehend empfundene Annäherung der strafprozessrechtlichen an die polizeirechtlichen Befugnisse“, Schünemann (1999, 78), dass die Polizei insbesondere bei Ermittlungen in organisierter Kriminalität „eindeutig die Führung übernommen hat“. Albers (2001, 211) spricht unter Bezug auf Rachor von einer „Vereinnahmung des Strafverfahrensrechts durch die Polizei“; zur Verpolizeilichung in historischer Perspektive: König 1992. 191 Paeffgen 1995, 19. 192 Kaleth 1970, 61 f.
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dem Jahr 1972 ermöglichte die Einrichtung und der Ausbau des polizeilichen Informationssystems Inpol193, „in die vielfältigen Wirkungen, Wechselwirkungen und Kausalitätsbeziehungen zwischen den verschiedenen Verbrechensursachen tiefer ein(zu)dringen“, sie zu bewerten und in ihrer effektiven Bedeutung zu analysieren194. Zugleich sah man, dass ein „gut funktionierendes System der Kommunikation“ besonders für eine wirksame Bekämpfung von organisierter Kriminalität nutzbar gemacht werden könne195. Es gelte, Erkenntnisse über kriminelle Organisationen, Banden u. a. nicht nur rein zufällig zu erhalten, sondern diesen Zufall zu „organisieren“ und die Beschaffung von Informationen planmäßig zu betreiben, wobei die Palette verdeckter Methoden wie die Infiltration von Polizeibeamten und Kontaktpersonen, der Einsatz von „agents provocateurs“, die Observation, aber auch Vorfeldermittlungen im Polizeirecht ohne Tatverdacht schon damals benannt wurde196. Die notwendigen Voraussetzungen für die Realisierung des operativen Zieles197, die „Bekämpfung der Organisierten Kriminalität“, waren also durch Fortschritte bei der Datenverarbeitung geschaffen worden. In dieser Zeit wurde auch das Bundeskriminalamt in seiner Funktion als Zentralstelle gestärkt und mit der Aufgabe einer Nachrichtensammel- und -auswertungsstelle zur „polizeilichen Verbrechensbekämpfung“ betraut (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 BKAG 1973)198. Da die Staatsanwaltschaften nicht in den Informationsverbund Inpol integriert waren199, waren sie schon aus technischen Gründen nicht in der Lage, sich der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung anzunehmen. Demgegenüber bestand für die Polizei die Möglichkeit, die Kriminalitätsbekämpfung proaktiv oder initiativ anzugehen. Zwangsläufig verstärkte die nunmehr realisierbare Datenverarbeitung großen Stils den Wunsch nach Beschaffung ausreichenden Datenmaterials200. Ab dem Jahr 1986 wurde beim Bundeskriminalamt die „Arbeitsdatei PIOS“201 eingerichtet, die der Verdachtsgewinnung dient und unbewertete, d. h. auf ihre kriminalistische Relevanz nicht bewertete Daten aus dem Bereich 193 Elektronisches Informations- und Auskunftssystem für die Polizei. Zum Einfluss der Technisierung und Vergesetzlichung im Bereich der Informations- und Datenverarbeitung auf die polizeilichen Aufgaben und Befugnisse: Albers 2001, 104 ff.; vgl. auch Weßlau 1989, 49 ff. 194 Herold 1974, 392. 195 Polizeiführungsakademie 1975, 8. 196 Polizeiführungsakademie 1975, 24 ff.; vgl. auch Gemmer 1974, 532: „Mit herkömmlichen Erfahrungen und Ermittlungsmethoden jedenfalls ist dieser Kriminalität nicht mehr zu begegnen.“ 197 Zum operativen Ziel siehe oben Kapitel 5, A., I. 198 Zu den eigenen Ermittlungszuständigkeiten des BKA bei international organisierter Kriminalität, früh Straß 1975. 199 Vgl. Ringwald 1984; Wolter 1988, 55 ff.; Schaefer 1999, 196 f.; Albers 2001, 70. 200 Vgl. Krauß 1989, 318. 201 Die Abkürzung PIOS bedeutet Personen, Institutionen, Objekte, Sachen.
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organisierter Kriminalität enthält202. Durch die EDV war damit ein Hilfsmittel entstanden, das die bei der informationellen Vorfeldaufklärung erlangten Erkenntnisse qualitativ anders und besser nutzbar machte203. Mitten in die EDV-unterstützte Entwicklung zu einer proaktiven Kriminalitätsbekämpfung platzte im Jahre 1983 das Volkszählungsurteil. Damit stellte sich die Frage, ob die bisherige Praxis der polizeilichen Kriminalitätsbekämpfung durch entsprechende gesetzliche Regelungen formalisiert und ausgebaut oder eingeschränkt werden sollte204. Dabei war die von der Polizei inzwischen verfolgte täterorientierte präventive Kriminalitätsbekämpfung darauf angewiesen, entsprechende personenbezogene Daten erheben, speichern und verwenden zu dürfen205. Der Wunsch nach Erhaltung der bisher üblichen Befugnisse war daher groß. Im Gegensatz zum aufkommenden Datenschutz gab es auf der Makroebene aber auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, die einen Ausbau oder zumindest eine einschränkungslose Verrechtlichung der bestehenden polizeilichen Befugnisse begünstigten. So begann in den 80er Jahren, offensichtlich als Folge des Vordringens präventiver Staatsaufgaben insgesamt206 sowie der Etablierung des Begriffes der Inneren Sicherheit, die Diskussion um eine Staatsaufgabe der Gewährleistung von oder gar ein Grundrecht auf Sicherheit207. Die auf den Feldern des Technik-, des Umwelt- und des Atomrechts einsetzende Entwicklung beförderte die Vorstellung, auch menschliche Gefahrenquellen frühzeitig eindämmen zu müssen208. Dies führte für den Bereich der Ermittlungsmaßnahmen gar zu der Schlussfolgerung, dass die Entscheidung für den Rechtsstaat, dessen grundrechtsdogmatische Konsequenz die Schutzpflicht sei, die Entscheidung für die Prävention, mithin auch für operative Informationserhebung, in sich trage209. 202 Pütter 1998, 43 ff. Zum 31. 12. 1999 wies der Bestand dieser bundesweiten Arbeitsdatei insgesamt 383.670 Datensätze auf (vgl. Lagebild Organisierte Kriminalität in Bayern 2001, S. 104). 203 Weßlau 1989, 56. 204 Dietel 1987, 64; akzentuiert Alberts / Merten 1998, 32: Es ging der Polizei „um die uneingeschränkte Absicherung polizeilicher Besitzstände“; zuletzt: Hamm 2001, 82. 205 Dietel 1987, 67; dass in Fällen organisierter Kriminalität täterorientiert zu ermitteln sei, wurde schon früh betont: vgl. Straß 1975, 145; Schäfer 1975, 506; Rebscher / Vahlenkamp 1988, 153 präferieren stattdessen ein flächendeckendes Nebeneinander von täterorientiert und von fallbezogen ermittelnden OK-Dienststellen. 206 Dazu nur Grimm 1986. 207 Beginnend bei Isensee 1983; zuletzt monographisch: Möstl 2002; in neuerer Zeit im Zusammenhang mit der Gefahren- und Informationsvorsorge auch Aulehner 1998, 428 ff. Skeptisch gegenüber einem solchen Grundrecht etwa: Kniesel 1991, 186; Gusy 1996; vgl. auch Albers 2001, 93; aus strafprozessualer Sicht Wolter SK StPO 1994, vor § 151 Rdnr. 36, 56c; Kritiker (vgl. Krauß 1989, 315) sahen in dieser Zeit einen Wandel der Staatsfunktionen hin zu einem Sicherheitsstaat. 208 Vgl. Paeffgen 1995, 16 f. sowie Kniesel 1996, 229: Es entsteht der zugleich geschützte und überwachte Bürger. 209 Lorenz 1992, 1002; ähnlich Schick 1996, 95 aus österreichischer Sicht.
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Parallel dazu wurde in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vermehrt die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege als wichtiges Abwägungskriterium betont210. Verstärkend wirkte eine massenmedial mitverursachte wachsende Kriminalitätsfurcht 211.
II. Organisierte Kriminalität: Grund oder Vehikel für die Okkupation des Vorfeldes durch die Landespolizeigesetze?
Vor diesem Hintergrund ist zu konstatieren, dass die rechtliche Verankerung bzw. der Ausbau polizeilicher Befugnisse sowie strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen zeitlich mit der (Wieder-)Entdeckung des Phänomens organisierter Kriminalität einhergeht212. Nachdem bis Anfang der 80er Jahre die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein jährlich dem BKA noch gemeldet hatten, es gäbe bei ihnen keine organisierte Kriminalität, wurde die aus dem Jahr 1973 stammende Definition der AG Kripo für gescheitert erklärt213 und die definitorischen Anforderungen an das Vorhandensein organisierter Kriminalität gelockert. Statt der Betonung einer Organisation als konstitutives Merkmal rückte man das konspirative bzw. planmäßige Vorgehen in den Vordergrund und erklärte es zu einem der wesentlichen Merkmale einer bandenmäßig organisierten Kriminalität214, womit die Notwendigkeit eingriffsintensiver Maßnahmen begründet werden konnte215. Da sich organisierte Kriminalität vornehmlich in Deliktsbereichen ohne anzeigebereite Opfer vollziehe, sei sie schwer aufzudecken und je nach Kriminalitätsfeld auch nur mit erheblichem Ermittlungsund Informationsaufwand von legalem Verhalten zu unterscheiden216. Daher müsse die Informationsbeschaffung in den Vordergrund treten, wobei es darauf ankomme, die organisationsverdächtigen Kriminalitätsbereiche systematisch nach dem Vorhandensein organisierter Kriminalität abzuklopfen. In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung einer qualifizierten und proaktiven Informationsbeschaffung sowie Auswertung, auch „intelligence“ oder „intelliDazu Rieß 2000. Paeffgen 1995, 27; Mozek 2001, 71 behauptet, der Gesetzgeber habe die Furcht in der Bevölkerung vor dem Phänomen der Organisierten Kriminalität genutzt, um die Notwendigkeit des Abhörens plausibel zu machen. 212 Gleichzeitig verlor die Bedrohung durch den Terrorismus an Bedeutung, auf den als Antwort ein Teil der Maßnahmen wie die Rasterfahndung entwickelt worden war, vgl. Albers 2001, 100, 181. 213 Siehe Steinke 1982. 214 Stümper 1982. 215 Sielaff 1983, 418 f.; ders. 1996, 151: „Organisierte Kriminalität zu bekämpfen heißt zu allererst, sie zu erkennen.“ 216 Albers 2001, 102. 210 211
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gence“-Arbeit genannt, bis heute betont217. OK-Ermittlungsverfahren seien von den Strafverfolgungsorganen selbstbestimmt – also aktiv und nach eigener Entscheidung – einzuleiten. Sie richteten sich nicht gegen einzelne deliktische Taten, sondern gegen Personen und Organisationen im Sinne krimineller Unternehmen und seien so lange wie möglich verdeckt zu führen. Sie überschritten regionale und nationale Grenzen und setzten eine umfassende aktive Auswertung voraus218. Dazu wird, unter Bezug auf US-amerikanische Strategien, nach einer allgemeinen Auswertung eine zielgerichtete, etwa ein Jahr andauernde Erhebung von Informationen empfohlen, an die sich erst nach weiterführender Planung und Genehmigung gegebenenfalls die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens anschließe219. Das Volkszählungsurteil beschleunigte, wie erwähnt, in der Folgezeit die gesetzgeberischen Bemühungen. Als ein Markstein ist der Vorentwurf zur Änderung des Musterentwurfes eines einheitlichen Polizeigesetzes aus dem Jahr 1985 anzusehen: Er ordnete die „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“ der präventivpolizeilichen Aufgabe zu. Trotz einer bis in die Gegenwart andauernden Diskussion um den richtigen Regelungsstandort220 und obwohl gerade im Bereich der Ermittlungen in Sachen organisierter Kriminalität die Informationserhebung primär der Ausleuchtung krimineller Szenen, der Verdachtsschöpfung und -verdichtung, der Initiierung eines Ermittlungsverfahrens und damit primär repressiven Zwecken dient221, setzte sich weder diese Sichtweise durch, noch wurde ein drittes Feld polizeilicher Tätigkeit neben Prävention und Repression mit eigenen (noch zu schaffenden) Regelungen anerkannt222. 217 Vgl. Mischkowitz 1997, 15. In dieses Begriffsfeld gehören Schlagworte und Strategien wie täterorientierte Ermittlungen, „network-detection“, aktive Informationsbeschaffung, operative Polizeiarbeit, vgl. Pütter 1998, 12 ff.; Albers 2001, 114. 218 Brisach / Ullmann / Sasse u. a. 2001, 233. 219 Brisach / Ullmann / Sasse u. a. 2001, 237 ff. Einen Einblick, wie ein solches Vorgehen in der Praxis aussehen kann, bietet das Projekt Italienische Organisierte Kriminalität, das Mitte der 90er Jahre vom Bundeskriminalamt durchgeführt wurde; vgl. Gehm 1997, 53, 62 ff.; siehe auch Pütter 1998, 51 ff. mit der Feststellung, dass die meisten Projekte in Sachen Organisierte Kriminalität bisher über bestimmte Deliktsbereiche oder ausgesuchte ethnische Personengruppen definiert worden seien. 220 Zuletzt monographisch Albers 2001. 221 So etwa Artzt 2000, 98 ff., der diesen Aspekt polizeilicher Tätigkeit bei der Verhütung von Straftaten als Teil der vorbeugenden Bekämpfung ansiedelt und daher die StPO für den richtigen Regelungsstandort für entsprechende Maßnahmen hält. Lange 1999, 24 ordnet dagegen – wenig differenziert – die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten pauschal als präventives, Vorermittlungen dagegen als repressives Vorgehen ein. 222 Im Sinne eines dritten Feldes etwa Weßlau 1989, 159, jedoch mit Bedenken gegen die Legalisierbarkeit operativer Maßnahmen; vgl. auch Albers 2001, 254 mit der Auffassung, bei der Verhütung von Straftaten und der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten handele es sich um eigenständige neue Aufgaben der Polizei; für die Zuordnung zum Polizeirecht bezüglich der Vorfeldermittlung zur Verhütung von Straftaten: Hoppe 1999, 155 ff. Zusammenfassend zum angesichts der faktischen Entwicklung und dauerhaften Etablierung in den Polizeigesetzen mittlerweile eher akademisch anmutenden Streit über den richtigen Standort
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Im Ergebnis dieser Entwicklung wurde die traditionelle, nach der ursprünglichen Konzeption von Polizei- und Strafprozessrecht scharfe Abgrenzung zwischen repressiver, unter der Leitung der Staatsanwaltschaft stehender sowie präventiver Polizeiarbeit aufgehoben. Solches war von Polizeipraktikern schon Mitte der 70er Jahre gefordert worden. Kritisch wurde dies als Emanzipation der Polizei „von der ihr lästig gewordenen Rolle eines Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft“ interpretiert. Letztere regrediere damit zu einer Behörde, die die Polizei nicht mehr – wie im herkömmlichen Strafprozessrecht – kontrolliere, die aber letztlich doch für deren Ermittlungen verantwortlich sei223. Gegen eine Verselbständigung der Strafverfolgungstätigkeit der Polizei durch Beanspruchung einer eigenen, aus einem umfassenden Sicherheitsauftrag abgeleiteten Kompetenz bestehe unverändert die Notwendigkeit der Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft, um die „Übermächtigkeit des institutionell-immanenten Macht- und Zweckmäßigkeitsstrebens der Polizei einzudämmen.“224 Unstreitig entstand bei der Polizei durch die Vorverlagerung ihrer Tätigkeit in den Bereich vor Gefahrentstehung und Tatverdacht eine erhebliche Definitionsmacht, da sie grundsätzlich ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft kriminal- bzw. sicherheitspolitische Schwerpunkte setzen kann225. Das alte reaktive und deliktsbezogene Handlungsmuster, nach dem die Anzeige oder Entdeckung einer Straftat die Strafverfolgungspflicht der Polizei unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft auslöste, gilt seitdem nur noch eingeschränkt226. Stattdessen soll der „kriminalistische Bekämpfungsansatz“ „proaktiv, deliktübergreifend, personen- bzw. organisationsbezogen sein.“227 Die Polizei wurde in den Stand versetzt, schon im Vorfeld von noch nicht begangenen Delikten Daten heimlich zu erheben und zu speichern, um die Auffindung potentieller Straftäter aus dem Kreis der möglichen Delinquenten und die Aufklärung von Straftaten zu erleichtern228. Auch entfiel durch die Legalisierung der operativen Polizeiarbeit die Selektions- und Steuerungsfunktion, die der konkrete Tatverdacht im strafprozessualen Regelungssystem für die polizeiliche Ermittlungsarbeit übernimmt und die den polizeilichen Zugriff auf personenbezogene Daten von Bürgern berechenbar macht229. Dabei ist nicht zu verkennen, der Regelung der „vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten“: Warschko 1995, 127 ff.; Alberts / Merten 1998, 39 ff.; Hoppe 1999, 35 ff., 136 ff. Zur Frage, ob ein neues Vorermittlungsverfahren in der StPO geregelt werden sollte: Wolter 1999; zur neueren kriminalpolitischen Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz im Vorfeld von Gefahr und Tatverdacht: Ratzel / Brisach / Soiné 2001, 537. 223 Strate Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses am 22. 1. 1992, 12. Wahlperiode 1990, 6. Ausschuss, S. 191. 224 Ahlers 1998, 36. 225 Weßlau 1989, 108; einen Eindruck, wie das geschehen kann, vermittelt Kniesel 1996, 234 ff. 226 Vgl. Pütter 1998, 15. 227 Sielaff 1989, 142. 228 Wolter 1988, 52. 229 Weßlau 1997, 244.
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dass Art und Umfang der Vorfeldermittlungen durch die Polizei über Richtung und Intensität der späteren Strafverfolgung entscheiden und je nach der gewählten Kriminalstrategie bestimmte Dunkelfelder aufgehellt, andere Kriminalitätsbereiche aber wegen begrenzter Ressourcen vernachlässigt werden. Wegen der Abkoppelung der Vorfeldermittlungen von der Tatorientierung wurde sogar die Befürchtung geäußert, selbige könnten sich selektiv allein nach der Lebensbiographie, d. h. den Vorstrafen, und anderen Umständen wie einem aufwendigen Lebensstil ohne erkennbare legale Einkünfte richten, wodurch eine Verdachtsgesellschaft entstehe230. Ungeklärt bleibt, wie die Staatsanwaltschaft außerhalb konkreter Ermittlungsverfahren Einfluss auf Verfolgungskonzepte und Ermittlungsstrategien nehmen kann231. Die Selektionsmacht der Polizei erstreckt sich dabei auch auf die Frage, welche Verfahren als OK-trächtig aufgegriffen und der OK-Staatsanwaltschaft angedient werden232. Für den Bereich der besonderen Ermittlungsmaßnahmen, konkret den Einsatz Verdeckter Ermittler, aber auch von Vertrauenspersonen, ist zu vermuten, dass es in aller Regel die Polizei ist, die aufgrund ihres Beurteilungsspielraumes festlegt, wann die Schwelle zum Anfangsverdacht überschritten ist und die Sache mithin der Herrschaft der Staatsanwaltschaft unterfällt233. In der Literatur entwickelte Kompensationsstrategien für den Machtverlust der Staatsanwaltschaft, wie etwa eine in § 160 StPO anzusiedelnde Übermittlungspflicht der Polizei an die Staatsanwaltschaft von Beobachtungen und Vorfeldermittlungen nach den Polizeigesetzen, „sobald Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat vorliegen“234, wurden nicht Gesetz. Ersatzweise wurde empfohlen, die Polizei solle im Bereich der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung engen Kontakt mit der Staatsanwaltschaft halten235. Auf eine enge Kooperation zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft zielen auch die Richtlinien zur Zusammenarbeit bei der Verfolgung organisierter Kriminalität. Dabei kann allerdings eine starke Einbindung der Staatsanwaltschaft auch zu einer Schwächung der wünschenswerten Kontrolle polizeilicher Tätigkeit führen236. Während der Befund eines Machtzuwachses der Polizei zulasten der Staatsanwaltschaft wohl nicht zu bestreiten ist, sind die Kausalitäten für diese Entwicklung nicht restlos zu klären. Wurde zunächst etwas wie organisierte Kriminalität entdeckt und dann die Notwendigkeit von Strategien zu ihrer Bekämpfung im VorOstendorf 1991, 512 f. Keller / Griesbaum 1990, 420. Gegen die These eines Machtverlusts der Staatsanwaltschaft aber Rogall 1995, 103 ff., allerdings ohne Diskussion der Konstellation der Vorfeldermittlungen. 232 Vgl. Pütter 1998, 231 ff. 233 Roggan 1998, 347. 234 So die Idee von Keller / Griesbaum 1990, 420. 235 Würz 1993 Rdnr. 106. 236 So die Befürchtung von Pütter 1998, 158, 271 f. 230 231
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
feld erkannt?237 Oder, und das scheint nach den bisherigen Ausführungen näher zu liegen, war durch die Entwicklung der EDV eine Möglichkeit entstanden, sich einer bisher weitgehend verborgenen, da nicht angezeigten, Kriminalität zuzuwenden, für die der Ausdruck organisierte Kriminalität fruchtbar gemacht werden konnte, wobei der Normierungsdruck des Volkszählungsurteils als Katalysator wirkte? Für diese These spricht, dass auch in der polizeilichen Literatur eine Entwicklungslinie vom Begriff der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten über das mit ihm verbundene Konzept einer Datenerhebung im Vorfeld zur operativen Arbeit gezogen wird, die wiederum als Chiffre für das Vorgehen gegen organisierte Kriminalität steht238. Mag die Frage nach den Kausalitäten für die Verlagerung allgemeiner polizeilicher Tätigkeit ins Vorfeld nur schwer zu beantworten sein, wurde jedenfalls speziell für die Legitimierung der Normierung schon bisher praktizierter verdeckter Maßnahmen239 ausdrücklich auf die Gefahren organisierter Kriminalität rekurriert. Angesichts fehlender empirischer Belege, die schon aus dem ungeklärten Phänomen resultieren240, ergibt sich die Frage, ob der Begriff der organisierten Kriminalität für eine Implementation eingriffintensiver Maßnahmen instrumentalisiert wurde241. Zwei Ansichten stehen sich hier gegenüber: So wird vorgetragen, der von der Polizei behauptete Anstieg der organisierten Kriminalität sei weniger Auslöser als Verkaufsstrategie für polizeiliche Fahndungsmethoden242. Die organisierte Kriminalität fungiere so als Vehikel für Bestätigungsgesetze, die, ursprünglich „zur Eindämmung des Wildwuchses im technischen und taktischen Bereich“ gefordert, zum eigentlichen Motor der Entwicklung geworden seien243. Oder ist die Gegenansicht richtig, dass die Polizei ein real existentes „Phänomen OK“ deswegen entdecken konnte, weil gerade sie „gleichsam seismographisch Veränderungen der Kriminalitätsentwicklung erfährt.“244 So etwa die Darstellung bei Hoppe 1999, 153 ff. Denninger 2001, E 192; Rachor 2001, F 168. 239 Waren verdeckte Ermittlungen auch kein neues Phänomen, hatten sich unzweifelhaft Umfang und Organisation der verdeckten Ermittlungstätigkeit sowie die Technik der dabei zur Anwendung kommenden Methoden verändert, vgl. Rogall 1987, 848. 240 Siehe dazu Kapitel 9. 241 Weßlau 1989, 55 f.: Die Annahme von der Existenz einer organisierten Kriminalität – bzw. von „Ansätzen und Anfängen“ derselben – beflügelte die Idee, die Methode der Infiltration, die bisher vornehmlich von der politischen Polizei und Geheimdiensten gegenüber verdächtigen politischen Organisationen praktiziert worden ist, auf andere Deliktsbereiche systematisch zu erweitern. 242 Kunze 1985, 208. 243 Krauß 1989, 319. 244 Schuster 1990, 26. Vgl. auch Rogall 1987, 847 mit der These, die starke Zunahme und Verbreitung des international etablierten organisierten Verbrechens habe dieser Entwicklung angepasste Methoden der Verbrechensbekämpfung notwendig gemacht. 237 238
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Bei Betrachtung der konkurrierenden Ansichten ist daran zu erinnern, dass in der Definitionendebatte der 70er und 80er Jahre in Deutschland eine Ablösung der Vorstellung organisierter Kriminalität von mafiaartigen Verhältnissen stattfindet. Stattdessen treten einzelne Aspekte wie Geschäftsmäßigkeit, Konspiration und Arbeitsteiligkeit in den Vordergrund. Daneben lässt sich von Beginn an eine Diskrepanz zwischen der Zielvorstellung der verdeckten Maßnahmen, die Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu gewährleisten, und entsprechenden weitergehenden, eben nicht (nur) an die Bekämpfung organisierter Kriminalität anknüpfenden Regelungen in den Polizeigesetzen feststellen. Dies stützt die Vermutung, der Polizei und dem Gesetzgeber ging es im Streit mit einer in Fragen der Datenerhebung und -verarbeitung sensibilisierten Öffentlichkeit zumindest auch darum, die schon bisher genutzten Methoden auf eine für die Arbeit der Polizei praktikable Weise im Polizeigesetz und der Strafprozessordnung zu verankern. Auch mangelt es in den ab der zweiten Hälfte der 80er Jahre entstehenden Polizeigesetzen an einer Definition organisierter Kriminalität. Existiert eine solche, wie etwa in Hamburg, entspricht sie der überaus weiten Begriffsbestimmung in den Gemeinsamen Richtlinien. In den übrigen Ländern wurden die eingriffsintensiven Maßnahmen vornehmlich an „Straftaten von / mit erheblicher Bedeutung“ geknüpft. Diese sind wiederum sehr breit definiert. Kennzeichnend für diese Struktur ist die entsprechende Definition in § 22 Abs. 5 PolG Ba-Wü, wo der konkrete Bezug auf eine organisierte Vorgehensweise nur in der Alternative des Abs. 5 Nr. 2c stattfindet. Zuvor werden in Nr. 1 schon alle Verbrechen, in Nr. 2a und 2b Vergehen gegen fast alle durch das StGB geschützten Rechtsgüter, daneben auch flächendeckend Straftaten nach dem Waffen- wie dem Betäubungsmittelgesetz erfasst. Das organisierte Vorgehen erscheint dagegen nur als Auffangkategorie im Anschluss an gewerbs-, gewohnheits-, serien- oder bandenmäßige Verhaltensweisen.
III. Organisierte Kriminalität und die Übernahme der verdeckten Methoden in die StPO – zugleich Trend einer Verpolizeilichung
Zeitlich versetzt, und trotz der unterschiedlichen Rechtsmaterien inhaltlich in weiten Bereichen deckungsgleich245, wurden die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen auch in das Strafprozessrecht implementiert246. Allerdings waren entsprechende Regelungen auf justitieller Seite schon länger geplant gewesen, sollte damit eine Verzahnung mit dem Polizeirecht nach Vorliegen eines Anfangverdachtes hergestellt werden. Insoweit hat es seine Berechtigung, wenn dem polizeirechtlichen Musterentwurf prägende Kraft auch für das Strafprozessrecht zugesprochen wird247. Vgl. Wolter 1988, 50; Paeffgen 1995, 14. Die Entwicklung in Österreich verläuft ähnlich, wurden doch zunächst Befugnisse für verdeckte Ermittlungen im Sicherheitspolizeigesetz eingeführt, darauf in der StPO (vgl. etwa für die Frühphase: Dearing 1995). 245 246
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Die Gründe für die Notwendigkeit der Einführung besonderer Ermittlungsmaßnahmen und ihr Bezug zur organisierten Kriminalität wurden im Gesetzentwurf des OrgKG deutlich gemacht. Wie bereits erwähnt, sollte nach offizieller Lesart den Strafverfolgungsbehörden ermöglicht werden, über die Peripherie der kriminellen Organisationen hinaus in deren Kernbereich einzudringen, ihre Strukturen zu erkennen und zu zerschlagen und die hauptverantwortlichen Straftäter, die Organisatoren, Finanziers und im Hintergrund agierende Drahtzieher zu überführen248. Dass die Maßnahmen speziell auf die Verfolgung krimineller Organisationen abzielten, wurde zu dieser Zeit auch im strafprozessualen Schrifttum akzentuiert. Z. B. wurde für den Lockspitzeleinsatz betont, er solle „nur zur Verfolgung der kriminellen Organisation, nicht jedoch zur Verfolgung der provozierten Tat“ zulässig sein249. Im Gegensatz zu dieser Absichtserklärung stellte die im Jahr 1990 verabschiedete Definition der organisierten Kriminalität gerade nicht auf diesen Organisationscharakter ab. Bezeichnenderweise bat auch ein Teil der auf der Anhörung des Rechtsausschusses zum OrgKG vertretenen Praktiker darum, sich bei der Schwelle der Anwendung bestimmter Maßnahmen nicht nur auf Mafia-Strukturen zu fixieren, „sondern unter dem Gesichtspunkt der Verhütung von Biotopen auch der Bekämpfung der mittleren Kriminalität effizient Rechnung zu tragen.“250 Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass eine begrifflich scharfe Umgrenzung des Phänomens organisierter Kriminalität keine große Rolle spiele, da die Polizei eine Verbesserung der Information (generell) brauche251. Augen und Ohren, Observation und Telefonüberwachung seien nicht mehr ausreichend, Kriminalität generell wahrzunehmen252. Dies lässt die Vermutung als berechtigt erscheinen, im OrgKG werde nicht nur die Organisierte Kriminalität, sondern (in Wahrheit) die Kriminalität insgesamt behandelt253. So ist auch plausibel, dass als Wesensmerkmale organisierter Kriminalität keine besonders strukturierten Mehrpersonenkonstellationen genannt wurden, sondern Umstände wie Konspiration, Professionalität, Internatio247 Wagner 1987, Einl. B Rdnr. 46; ihm folgend Paeffgen 1995, 19; vgl. auch Pütter 1998, 17; Albers 2001, 201 ff. 248 BT-Drs. 12 / 989, S. 21. 249 Rogall 1987, 852. 250 Wöbking, Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses am 22. 1. 1992, 12. Wahlperiode 1990, 6. Ausschuss, S. 20. Vgl. auch die Argumentation des OStA Köhler (a. a. O. S. 23) zur Notwendigkeit des Lauschangriffs bei bereits bestehender Möglichkeit von Wohnungsdurchsuchung und Telefonüberwachung: „Aus der Sicht des Praktikers sage ich: Wenn man schon so weit gegangen ist, sollte auch diese notwendige Hürde genommen werden.“ 251 Tröndle, Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses am 22. 1. 1992, 12. Wahlperiode 1990, 6. Ausschuss, S. 136. Auch Saberschinsky, ebenda, S. 80, betonte, der Schlüssel für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität insgesamt liege in der Gewinnung der zutreffenden Informationen. 252 Körner, ebenda, S. 146. 253 Weber, ebenda, S. 179.
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nalität, Korruption, Brutalität und Intimidation254. An diese Methodik des Gegners, so eine Devise, müsse man sich anpassen255. Mit empirischen Angaben unterstützt wurde das Bemühen um die Implementation der verdeckten Methoden auch auf dem Gebiet der StPO durch das Bundeskriminalamt, das erstmals im Jahr 1991 und damit in der Diskussion um das OrgKG auf der Grundlage der erweiterten Definition amtliches Material zur Entwicklung organisierter Kriminalität lieferte. Selbiges griff die Praxis sogleich argumentativ auf256. Eine Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens, verstanden als Einwanderung des Polizeirechts in das Strafverfahrensrecht257, fand unter Berufung auf die Gefahren organisierter Kriminalität also zunächst dadurch statt, dass die bereits weitgehend in den Polizeigesetzen der Länder normierten verdeckten Maßnahmen ab 1992 harmonisierend in der Strafprozessordnung eingeführt wurden258. Für diese Harmonisierung musste auch in den Regelungen der Strafprozessordnung auf eine Definition der und eine Anknüpfung an die organisierte(n) Kriminalität verzichtet werden. Dies hatte und hat zur Folge, dass traditionell geheimdienstliche Ermittlungsmethoden in der Strafprozessordnung für weite Bereiche kriminellen Verhaltens zur Verfügung gestellt wurden, wobei lediglich die zudem noch alternativen Auffangmerkmale einer gewerbs-, gewohnheits-, bandenmäßigen oder sonst organisierten Begehungsweise an den ursprünglichen Gesetzgebungsgrund der Bekämpfung organisierter Kriminalität erinnern259. Im dadurch hergestellten Gesamtverbund von Polizei- und Strafverfahrensrecht muss weder der Eintritt einer Gefahr noch das Vorliegen eines Tatverdachts abgewartet werden: Die Identifizierung als Risikoperson genügt, um die entsprechenden polizeilichen Maßnahmen auszulösen260. Durch die Frontstellung und Datenherr254 Zachert, ebenda, S. 60 f. Diese Merkmale finden sich wiederum nur teilweise in der Definition organisierter Kriminalität. Andererseits kann durch konspirative, korruptive und intimidierende Elemente ein Bezug zur so genannten opferlosen Kriminalität hergestellt werden. Selbige könnte, auch ohne organisiert zu sein, ebenfalls verdeckte Ermittlungen oder Maßnahmen legitimieren. 255 Zachert, ebenda, S. 60 f. 256 OStA Wöbking, ebenda, S. 17: „Verkürzend verweise ich auf den hervorragenden Lagebericht des BKA vom Oktober 1991.“ 257 Hassemer 1988, 267; Albrecht, P.-A. (2000, 277 f.) sieht darin – systemkritisch – eine „staatsmachtorientierte Kriminal- und Innenpolitik“ am Werk, wobei Zweck- und Prinzipienbindung keine wesentlichen Bestandteile operativer Polizeikonzeptionen seien; vgl. auch ders. 1997, 236. 258 Lorenz 1992, 1001 spricht insoweit von einem präventiven strafprozessualen Instrumentarium. Natürlich wurde ein Teil der Maßnahmen bereits längere Zeit praktiziert. Dabei dürfte mangels Sensibilität offen geblieben sein, ob man sich auf polizeirechtlichen oder strafprozessualen Grund bewegte; vgl. aber Paeffgen 1995, 23 f. 259 Vgl. Schünemann 1999, 151 mit der Forderung, die Maßnahmen auf den Bereich hochorganisierter und hochgefährlicher Kriminalität zu begrenzen; ähnlich etwa Hoppe 1999, 178 ff. für den polizeirechtlichen Bereich. 260 Vgl. Hassemer 1988, 267.
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schaft der Polizei übernimmt selbige zumindest anfangs die führende Rolle bei den Ermittlungen. Parallel zu der partiellen Abkoppelung der Eingriffsvoraussetzungen vom Begriff des Störers im Polizeirecht 261 erfassen die strafprozessualen Instrumente in zunehmendem Maße nicht mehr allein den Verdächtigen, sondern auch Nichtverdächtige wie bei der Rasterfahndung, „andere Personen“ wie bei der Herstellung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen in §§ 100c Abs. 1 Nr. 1a, 100c Abs. 2 Satz 2 StPO, mit dem Verdächtigen „in Verbindung stehen“de Personen wie etwa beim kleinen Lauschangriff in §§ 100c Abs. 1 Nr. 2, 100c Abs. 2 Satz 3 StPO oder bei der polizeilichen Beobachtung nach § 163e Abs. 1 Satz 3 StPO (vgl. aber auch § 163e Abs. 3 StPO) sowie unverdächtige Wohnungsinhaber beim großen Lauschangriff nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO262. Dabei knüpfen die durch das OrgKG und danach geschaffenen Maßnahmen nach der Fassung der Eingriffsnorm nicht mehr an einen personenbezogenen263, sondern nur noch an einen abstrakt-generellen Verdacht an264. Auch sind die neuen Ermittlungsmaßnahmen durch den Einsatz von Heimlichkeit, zuweilen auch List und Täuschung belastet gegenüber der Tradition eines dem Beschuldigten offen gegenübertretenden Staates265. Damit wurden der Polizei Maßnahmen zugänglich gemacht, derer sich herkömmlich die Nachrichtendienste bedienten. Insoweit kann auch von einer Vernachrichtendienstlichung des Ermittlungsverfahrens gesprochen werden266. Diese bedingt zudem Verkürzungen beim Individualrechtsschutz. Daraus resultiert die Gefahr, dass sich der Beschuldigte nach Ende des verdeckten Teils der Ermittlungen zur Kompensation um eine verstärkte Beteiligung im verbleibenden Teil des Strafverfahrens bemühen und selbiges dadurch übermäßig belastet wird. Die Verschleifung von Polizeirecht und Strafprozessrecht wurde auch durch die Rechtsprechung des BGH zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren unterstützt267. Dadurch entstand ein Datenverbund zwischen Kriminal-, Präventivpolizei sowie den Nachrichtendiensten268.
Vgl. oben Kapitel 5, A. Vgl. Hassemer 1988, 267; Wolter 1995, 815, 825; Wolter SK StPO 1996 vor § 151 Rdnr. 56e. 263 Man vergleiche im Gegensatz dazu traditionelle Vorschriften wie §§ 100a, 102 StPO: „als Täter oder Teilnehmer einer Straftat verdächtig“. 264 König 1992, 132. 265 Zu den Gefahren für die Schweigerechte des Beschuldigten: Wolter 1995, 794; vgl. auch Bernsmann / Jansen 1998, 217. 266 Vgl. Paeffgen 1995, 19; Paeffgen / Görditz 2000, 66; aus anderer Sicht: Kniesel 1996, 231. 267 Siehe oben Kapitel 5, E., vgl. auch Albrecht, P.-A. 2000, 278. 261 262
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Der Einsatz verdeckter Maßnahmen birgt auch die Gefahr eines Informationsgefälles zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den übrigen Prozessbeteiligten. Durch die Implementation des § 110b Abs. 3 Satz 3 StPO, der die Geheimhaltung der Identität eines Verdeckten Ermittlers nach Maßgabe des § 96 StPO auch dann zulässt, wenn die Offenbarung „die Möglichkeit der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers gefährden würde“, wurden den Ermittlungsbehörden weitgehende Sperrmöglichkeiten eröffnet269. Aber auch innerhalb der verdeckten Maßnahmen fand eine Einwanderung polizeirechtlicher Begrifflichkeiten statt. Bei der Rasterfahndung (§ 98a StPO) sowie dem Einsatz Verdeckter Ermittler (§ 110a Abs. 1 StPO) wurde, nachdem Praktiker in der Anhörung des Rechtsausschusses die allzu sehr begrenzenden Kataloge im Gesetzentwurf gerügt hatten, stattdessen eine flexiblere „Generalklausel mit katalogartigen Grenzen“ eingeführt. Aus dem Polizeirecht übernahm man die Formulierung „Straftat von erheblicher Bedeutung“270. Insgesamt wurde mit dem OrgKG eine Entwicklung eingeleitet, die StPO zu einem „Operativ-Gesetz der Strafverfolgungsbehörden“ umzugestalten271. IV. Versuch einer rechtsstaatlichen Begrenzung
Allerdings hat der Gesetzgeber versucht, die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen mittels verschiedener Kategorien zu begrenzen: durch den Grad des notwendigen Tatverdachts, Straftatenkataloge, Anordnungskompetenzen, Informationspflichten, Subsidiaritätsklauseln, Verwendungsbeschränkungen und Berichtspflichten272. Eine besondere Rolle spielt dabei der so genannte Richtervorbehalt. So bedürfen die verdeckten Maßnahmen, nämlich die Rasterfahndung nach § 98b Abs. 1 Satz 1, die Telefonüberwachung nach § 100b Abs. 1 Satz 1, der kleine Lauschangriff nach § 100d Abs. 1 Satz 1 sowie die Polizeiliche Beobachtung nach § 163e Abs. 4 Satz 1 268 Wolter SK StPO 1994, vor § 151 Rdnr. 81. Albrecht, P.-A. 2000, 279 meint, im G 10 gar einen „gesetzlich organisierten Umsturz zentraler verfassungsrechtlicher Grundsätze“ zu erblicken. 269 Die entsprechende Anwendbarkeit auf die Sperrung einer Vertrauensperson ist streitig, vgl. einerseits Meyer-Goßner 2003, § 96 Rdnr. 13 andererseits KK / Nack 1999, § 96 Rdnr. 21; s. auch Wolter SK StPO 1994, vor § 151 Rdnr. 81. Zu den Gefahren einer „exekutivisch gesteuerten Informationsweitergabe“ für die Wahrheitserforschung und die Rechte der Verteidigung: Weßlau 1997, 246 f. 270 Vgl. OStA Wöbking, Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses am 22. 1. 1992, 12. Wahlperiode 1990, 6. Ausschuss, S. 14: „Im bayerischen Landesrecht, nämlich im Polizeiaufgabengesetz, gibt es eine entsprechende Regelung mit der Definition des Begriffes ,erhebliche Bedeutung‘. Ähnlich könnte man in befriedigender Weise verfahren.“ Zu den neuartigen Elementen und Strukturen in der StPO auch Albers 2001, 194 ff. 271 Hilger, 1992, 526; ihm folgend Albers 2001, 201 f. 272 Vgl. instruktiv Bernsmann / Jansen 1998; Hilgendorf-Schmidt 1989, 211 betont für das StVÄG 1988 zudem das Schriftformerfordernis sowie ein Gebot, die Maßnahme nach Art, Raum und Zeit festzulegen.
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
StPO im Grundsatz der vorherigen Anordnung durch den Richter. Qualifizierte Einsätze eines Verdeckten Ermittlers nach § 110b Abs. 2 Satz 1 StPO setzen eine richterliche Zustimmung voraus, der Große Lauschangriff nach § 100d Abs. 2 Satz 1 StPO sogar die Anordnung durch eine besondere Strafkammer. Ungeklärt ist bisher, ob die praktische Umsetzung der Richtervorbehalte den Anforderungen Genüge trägt, wie sie zuletzt vom Bundesverfassungsgericht für den Richtervorbehalt bei der Durchsuchungsanordnung formuliert worden sind, der Richter also die beabsichtigte Maßnahme eigenverantwortlich prüft und dafür sorgt, dass die sich aus der Verfassung und dem einfachen Recht ergebenden Voraussetzungen für die Maßnahme genau beachtet werden. Dabei trifft ihn nach dem Bundesverfassungsgericht als Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden die Pflicht, durch eine geeignete Formulierung der Maßnahme im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt. Der Beschluss muss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist273. Insbesondere für Verfahren im Bereich der organisierten Kriminalität wird befürchtet, der Ermittlungsrichter sei mit dieser Aufgabe überfordert274. Dabei müsse dem Machtzuwachs der Polizei eine strengere, durchaus auch mit neuartigen Sanktionen verknüpfte Kontrolle entsprechen275. Die Kompetenz eines Ermittlungsrichters reiche nicht aus, um den von Gesichtspunkten polizeilicher Zweckmäßigkeit diktierten, in zeitlicher und tatsächlicher Hinsicht notwendig unbestimmten Einsatz eines ausforschenden Ermittlers rechtlich zu kontrollieren276. Empirische Befunde deuteten daraufhin, dass es sich nur um ein Beispiel symbolischer Gesetzgebung handele, das Rechtsstaatlichkeit lediglich vorspiegelt277. Wegen der Verzahnung zwischen präventiver und repressiver Tätigkeit sei es insbesondere problematisch, wenn ein ursprünglich nach Polizeirecht eingesetzter Verdeckter Ermittler plötzlich auf die StPO-Ebene umschwenke. In diesem Fall sei ja die Genehmigung schon qua Polizeirecht eingeholt, die Erlaubnis eines Staatsanwalts oder Richters verkomme zu einer leeren Floskel278. 273 BVerfGE 103, 142 (151) mit Anm. Gusy JZ 2001, 1031 – 1036, Park Stra.F.o 2001, 159 – 161 (Entscheidung sei einer der „Meilensteine der Rechtsstaatlichkeit“) sowie Rabe von Kühlewein Stra.F.o 2001, 193 – 196 mit Schwerpunkt auf den organisatorischen Anforderungen zur Gewährleistung eines funktionierenden Richtervorbehalts. Zur Frage, ob sich die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Grundsätze auf alle Maßnahmen mit Richtervorbehalt übertragen lassen: Amelung 2001. Zur Kritik am Richtervorbehalt und seiner Leistungsfähigkeit zuletzt monographisch Rabe von Kühlewein 2001, insbes. 422 ff., sowie Aschmann 1999. 274 Für den Richtervorbehalt im Rahmen des OrgKG speziell: Weßlau 1997, 243; Asbrock 1997; daneben Paeffgen 1995, 45. 275 Schünemann 1999, 151. 276 Krauß 1989, 324. 277 So Stock / Kreuzer 1996, 254 ff.
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Auch angesichts der Tatsache, dass sich der BGH bei der Überprüfung der Entscheidung des Ermittlungsrichters auf eine Willkürkontrolle beschränkt, wird vermutet, allein der Erstanwender entscheide über die Maßnahme279. Diese Befürchtungen werden genährt, wenn polizeilicherseits Zustimmungserfordernisse der Staatsanwaltschaft bzw. der Gerichte, wie sie beim Einsatz eines Verdeckten Ermittlers bestehen, für überflüssig gehalten werden280. Wie beim Richtervorbehalt ist auch bei den verschiedenen bei verdeckten Maßnahmen vorgesehenen Benachrichtigungspflichten (vgl. §§ 101, 110d sowie 98b Abs. 4 Satz 1 StPO) fraglich, ob sie ihr Ziel einer rechtsstaatlichen Kontrolle erreichen können. Akzeptiert man nämlich die Prämisse, bei organisierter Kriminalität handele es sich um ein geschäftsmäßiges, auf Dauer angelegtes kriminelles Verhalten, kann es schon denklogisch kaum die Möglichkeit einer nachträglichen Benachrichtigung geben281.
V. Desiderata für die empirische Forschung
Die dargestellten weitreichenden Änderungen im Polizei- bzw. Strafprozessrecht wurden zwar mit den Gefahren organisierter Kriminalität begründet, doch bleiben, wie noch zu zeigen sein wird, die dafür vorgelegten empirischen Nachweise spärlich. Dies betrifft sowohl Art und Ausmaß organisierter Kriminalität in Deutschland als auch die spezifische Wirksamkeit der eingeführten verdeckten Maßnahmen282. Aus juristischer Perspektive führt das Fehlen einer allgemein anerkannten Vorstellung von organisierter Kriminalität bzw. eines feststellbaren empirischen Substrats derselben zu enormen Schwierigkeiten, die Verhältnismäßigkeit der neuen verdeckten, als Antwort auf die Herausforderungen organisierter Kriminalität eingeführten Ermittlungsmethoden beurteilen zu können. Dieses Dilemma zeigt ein Blick auf verschiedene monographische Arbeiten der letzten Jahre. So konstatiert Lammer in seiner Untersuchung über verdeckte Ermittlungen zunächst, dass es Organisierte Kriminalität in Deutschland gebe, möglicherweise aber „keine rein deutschen Organisationen“. Obwohl in seiner Definition organisierter Kriminalität nicht enthalten, betont er das „Gesetz des Schweigens“ als Charakteristikum und 278 Weber, Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses am 22. 1. 1992, 12. Wahlperiode 1990, 6. Ausschuss, S. 183. Aus diesem Grund forderte der Deutsche Richterbund in den Beratungen des OrgKG eine Zustimmung oder eine Beteiligung des Staatsanwalts im Vorfeld. 279 Bernsmann / Jansen 1998, 223; Weßlau 1997, 244 f. 280 Zachert, Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses am 22. 1. 1992, 12. Wahlperiode 1990, 6. Ausschuss, S. 67. 281 Vgl. Krauß 1989, 325. Ausführlich zu den Benachrichtigungspflichten: Hölscher 2001, 214 ff. 282 Siehe Kapitel 9.
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die damit verbundene starke Abschottung, erklärt die „althergebrachten Mittel“ daher für untauglich und verdeckte Ermittlungsmethoden als notwendig283. Dass sich die „Organisierte Kriminalität deutlich von der althergebrachten Bandenkriminalität“ unterscheidet, hindert den Autor nicht, als Eingriffsvoraussetzung eine Anknüpfung an „bandenmäßig oder in anderer Weise organisiert(e)“ Katalogstraftaten zuzulassen284. Schmitz kommt bei ihrer Arbeit über den Einsatz Verdeckter Ermittler im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf die organisierte Kriminalität zu sprechen. Dabei gelangt sie zu dem Ergebnis, dass „das Fehlen der empirischen Grundlagen und Erkenntnisse über Art und Umfang der kriminellen Organisationen“ zur Folge habe, dass über die Geeignetheit eines VE-Einsatzes letztlich nur Vermutungen angestellt werden könnten. Da jedoch nicht erkennbar sei, dass die Maßnahme grundsätzlich ungeeignet sei, verletze sie auch nicht die Verhältnismäßigkeit285. In einer weiteren Monographie über verdeckte Informationsgewinnung mit technischen Hilfsmitteln schreibt der Verfasser zunächst, dass „derzeit keine fundierten Erkenntnisse bezüglich der Dimensionen Organisierter Kriminalität“ vorlägen, um aber wenige Seiten später zu behaupten, aufgrund ihrer mittlerweile etablierten Formen habe die Organisierte Kriminalität „ein hohes qualitatives Niveau erreicht“286. Ganz ähnlich wird in einer anderen Arbeit über verdeckte Ermittlungen zunächst bemerkt, dass es „kaum gesicherte Aussagen über Arbeitsweise und Umfang der O.K.“ gebe. Dies hindert den Autor aber nicht an folgender Feststellung: „Ist das erschreckende Ausmaß der Organisierten Kriminalität somit erkannt und auch die zwingende Notwendigkeit von deren rechtsstaatlicher Bekämpfung, so muss nun der zweiten Frage nachgegangen werden, ob der Einsatz von verdeckten Ermittlungen ein grundsätzlich geeignetes Mittel zur Bekämpfung darstellt.“287 Die somit zu beobachtende Verselbständigung der mit dem Phänomen organisierter Kriminalität evozierten Gefahren lässt die Befürchtung berechtigt erscheinen, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip überflüssig wird, „weil die Sicherheit der Gesellschaft und das Sicherheitsbedürfnis der Menschen bei der Bekämpfung gravie-
Lammer 1992, 20 ff. teilweise unter Berufung auf den Kriminologen Schwind. Lammer 1992, 21, 42 ff. Die von Lammer vorgenommene Kombination von Deliktskatalog und bandenmäßiger bzw. organisierter Begehungsweise fällt allerdings deutlich restriktiver als im OrgKG aus. 285 Schmitz 1996, 124 f. Lorenz 1992, 1003 löst das Problem des Nichtwissens um Art und Ausmaß organisierter Kriminalität so, dass derjenige, der „in tatsächlicher kriminaltechnischer Hinsicht (?) anderer Auffassung“ sei, jenes Maß der Bedrohung im Rahmen der weiteren rechtlichen Untersuchung als Arbeitshypothese unterstellen solle. 286 Rohe 1998, 4, 16. 287 Makrutzki 2000, 22, 30. Ähnlich Klein 2001, 157: „Trotz der Probleme, den Begriff der Organisierten Kriminalität zu definieren, kann die reale Existenz dieser Form deliktischen Verhaltens nicht geleugnet werden.“ 283 284
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render organisierter Kriminalität eine solche Durchschlagskraft besitzen, dass die Grundrechte zwangsläufig leichter wiegen.“288 Angesichts der Unmöglichkeit, rechtliche Maßnahmen an einem bis heute unklaren Phänomen zu messen, kann es nicht überraschen, dass im Schrifttum von Beginn an Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Befugnisse geäußert wurden, die als Antwort auf die organisierte Kriminalität eingeführt wurden. So wird kritisiert, dass die Polizei von der begrifflich-normativen Umschreibung organisierter Kriminalität weitgehend im Dunkeln tappe. Dieser Zustand sei nicht dazu angetan, Forderungen nach Handlungsfreiräumen überzeugend zu begründen. Überhaupt sei fraglich, ob es rechtlicher Sonderregelungen für den Bereich der OK bedürfe289. Die Polizei habe einen juristisch unpräzisen, mehr kriminologisch oder phänomenologisch determinierten Begriff von Organisierter Kriminalität vor Augen, der eindeutig auch in das Vorfeld einer Straftat reiche, somit präventive und repressive Betrachtungsweisen zugrundelege. Diese mehr phänomenologische, ganzheitliche Betrachtung von Organisierter Kriminalität durch die Polizei verwische die klassischen Grenzen von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung mit den im Anschluss daran entwickelten Verantwortlichkeiten und erweitere den Spielraum der Polizei auf Kosten der Justiz erheblich290. Demzufolge wird vermutet, die Polizei verfolge mit ihrer Argumentation für ein besseres Maßnahmenarsenal gegen die Organisierte Kriminalität auch strategische Ziele, es gehe ihr auch um eine Verbesserung ihres tatsächlichen und rechtlichen Instrumentariums291. Weiter wird beanstandet, dass die Polizei den Mangel an empirischen Nachweisen zu einem Charakterzug des Phänomens selbst umdefiniere. Dadurch immunisiere sich die Polizei gegen jede empirische Überprüfung, die Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion werde zunehmend bedeutungsloser292. Kurz: Es handele sich um „abstrakte, empirisch unsubstantiierte Bedrohungsszenarien“.293 Von da ist es nicht mehr weit, „eine Instrumentalisierung des Strafverfahrens für polizeiliche Aufgaben“ zu beklagen294, an dessen Ende man vor „den Trümmern eines rechtsstaatlichen Strafprozesses“ stehe295.
Wolter 1995, 814. Schoreit 1991, 536. 290 Schaefer 1996, 163; ders. 1997, 25. 291 Schaefer 1997, 25 mit der zusätzlichen Frage, ob die Justiz auf die personelle und sachliche Überlegenheit der Polizei überhaupt angemessen reagieren könne. Vgl. auch Alberts / Merten 1998, 66: „Damit eignet der Begriff sich vorzüglich, dem tendenziellen Drängen der Praxis nach zusätzlichen Eingriffsbefugnissen Raum zu geben.“ 292 Busch 1999, 31. 293 Albrecht, P.-A. 2000, 281. 294 Bandisch, Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses am 22. 1. 1992, 12. Wahlperiode 1990, 6. Ausschuss, S. 157. 295 Wächtler, ebenda, S. 155. 288 289
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Aber auch polizeilicherseits wird mittlerweile kritisiert, dass sich die öffentliche Debatte zur OK nur auf Informationen aus der Polizei stütze, diese daher die Definitionsmacht besitze. Angesichts der (sc. fragwürdigen) Qualität der (polizeilichen) Erkenntnisquellen überrasche der Konsens in den Sicherheitsbehörden über die Existenz von OK in Deutschland und die Notwendigkeit, diese effektiver zu bekämpfen. Dass sich die polizeiliche Definition als Grundlage habe durchsetzen können, beruhe „auch auf deren additiver und interpretationsoffener Eigenart, die einen immensen Spielraum in ihrer Anwendung läßt.“296 Im Übrigen beschränkt man sich zur Einschätzung des Gefährdungsgrades durch organisierte Kriminalität auf Plausibilitätserwägungen 297. Den beschriebenen fundamentalen Änderungen des Polizei- sowie des Strafprozessrechts, die mit der Ausweitung zum Teil erheblicher Eingriffsmöglichkeiten in Grundrechte einhergehen und die zur Bekämpfung organisierter Kriminalität eingeführt worden sind298, steht ein Zielobjekt organisierter Kriminalität gegenüber, dessen Inhalt und dessen Ausmaß bisher kaum geklärt sind. Daraus lassen sich, angelehnt an den Ablauf des Strafverfahrens, Desiderata für die durchzuführende empirische Forschung formulieren. Zunächst: Wie entstehen die Ermittlungsverfahren, die von den Strafverfolgungsbehörden als organisierte Kriminalität geführt werden? Was wird aktiv initiiert, und inwieweit handelt es sich um Kriminalität, die, wie herkömmlich, aufgrund von Anzeigen erfasst wird?299 Welche Bedeutung und welche Wirksamkeit haben die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen? 300 Lässt sich feststellen, dass mit ihnen tatsächlich in den „Kernbereich der kriminellen Organisationen“ eingedrungen wird? Anders gewendet: Sind solche „kriminellen Organisationen“ im Hellfeld überhaupt erkennbar? Oder handelt es sich stattdessen eher um „gut organisierte“ Straftaten? Wie funktionieren die rechtsstaatlichen Begrenzungsmuster, etwa der Richtervorbehalt, die angesichts der Eingriffstiefe verdeckter Ermittlungsmaßnahmen vorgesehen sind?
Brisach / Ullmann / Sasse u. a. 2001, 209. Vgl. etwa Eisenberg 1993, 1035: „So ist . . . nicht von der Hand zu weisen, dass in Zusammenhang mit erhöhter (und gleichsam grenzenloser) Mobilität, allgemeiner Internationalisierung und Technisierung sowie globaler wirtschaftlicher Verflechtung ein Staat wie die Bundesrepublik Deutschland schon wegen seiner geographischen Lage, seinem wirtschaftlichen Potential und seiner hochentwickelten technischen und sozialen Infrastruktur für „Organisiertes Verbrechen“ besonders anfällig bzw. durch dieses gefährdet sein mag. 298 Schneider, H. 2001 konstatiert insoweit einen Kampf der Pazifisten gegen die Bellizisten im Strafprozessrecht. 299 Vgl. die Vermutung Wolters 1988, 51: „Anders als bei den herkömmlichen Straftaten, die zu rund 90 % aufgrund von Anzeigen der Bürger verfolgt werden, ist die Polizei auf verdeckte und computergestützte Ermittlungsmethoden angewiesen.“ 300 Paeffgen 1995, 29 spricht von einer Pflicht des Staates darzulegen, zu welchen Erfolgen die bisherigen Erweiterungen geführt und inwieweit sie versagt haben; vgl. auch Thommes 1997, 657. 296 297
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Was ist von der These zu halten, dass sich „echte OK-Kriminelle“ wirksam abschirmen können und daher vermutlich nur die ohnehin bekannten Kriminellen in das Fadenkreuz der Ermittlungsbehörden gelangen?301 Und: Ermitteln Verdeckte Ermittler, Vertrauenspersonen nicht immer wieder im Milieu? Das wiederum könnte bedeuten, dass „es sich bei diesen Erscheinungsformen von Kriminalität um nichts Neues, spektakulär Bedenkliches, sondern allenfalls, wegen reduzierter oder fortgefallener Grenzkontrollen und gewisser neuer technischer Möglichkeiten, um eine quantitativ in gewissem Umfang intensivierte traditionelle Bandenkriminalität“ handelt302. Darüber hinaus: Gibt es Spezifika der Bekämpfung organisierter Kriminalität, die dazu führen, dass in diesem Bereich ein neuer Strafprozess auf der Basis eines „modernen Sicherheitsstrafprozessrechts“ entstanden ist303, der quer zu Traditionen eines herkömmlichen Strafverfahrens liegt und für den die StPO keine adäquate Grundlage mehr bietet? Wie kommt das Strafrecht überhaupt mit der „kopernikanischen Wende“ zurecht, dass entgegen bisheriger Vorstellungen der unmittelbar die Tat Ausführende möglicherweise nicht der Haupttäter und die anderen Beteiligten die Nebenfiguren sind, sondern gerade umgekehrt?304 Dabei gerät das Strafprozessystem bei der Behandlung von Fällen organisierter Kriminalität aus verschiedenen Richtungen unter Druck. So wird auf der einen Seite beklagt, die strukturelle Veränderung der polizeilichen Ermittlungstätigkeit führe dazu, dass die in der StPO vorhandenen Verteidigungsrechte nicht mehr greifen, auch weil die Konsequenzen „rechtswidriger“ heimlicher Ermittlungen in der StPO gerade nicht geregelt seien. Die Geltendmachung eines Verwertungsverbotes stelle insoweit in der Regel die einzige Verteidigungsmöglichkeit dar, würde aber wegen der von der Rechtsprechung entwickelten „Widerspruchslösung“ als „Störung“ des Strafprozesses begriffen. Davon abgesehen, sei die Geltendmachung von Verwertungsverboten oftmals nicht möglich, weil die Akten so aufbereitet würden, dass der tatsächliche Verlauf der Ermittlungen nicht erkennbar sei305. Auf der anderen Seite beklagen sich Staatsanwälte über ein „exzessives Wahrnehmen von Rechten“ durch die Verteidigung, wodurch die Prozesse nicht mehr führbar seien. Man habe zum Teil eine „Verteidigerszene, die sehr eng mit den Beschuldigten zusammenarbeite.“ 306 Generell wird vorgebracht, die aus dem 19. Jahrhundert stammende StPO sei in weiten Bereichen nur geeignet, ein geordnetes Strafverfahren gegen „schlicht strukturierte, örtlich gebundene Unterschichtkrimi-
Krauß 1989, 324; Weßlau 1997, 247. Paeffgen 1995, 34. 303 Wolter 1995, 813 unter Betonung der „Gefahren für die freiheitlichen und prozessualen Grundfesten“. 304 So Stümper 1992, 675 f. 305 Klawitter 1997, 249 f. 306 Zitat eines Staatsanwaltes nach Pütter 1998, 265 ff. 301 302
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nelle“ zu ermöglichen. Daher könne niemandem an langwierigen Strukturermittlungen und Projektbearbeitung des konkreten Einzelverfahrens gelegen sein307. Andererseits: Wenn klare und beschränkende rechtliche Normen, wie Deliktskataloge, Verdachtsgrade, das Legalitätsprinzip, als hinderlich für die polizeiliche Auseinandersetzung mit OK empfunden werden: Ist vielleicht jetzt schon, womöglich auch „extra legem“, ein flexibles und anwenderfreundliches rechtliches Gerüst für die OK-Bekämpfung entstanden, das jedoch mit der Gefahr einer Selbstentmachtung des Rechts verbunden ist?308
Kapitel 6
Organisierte Kriminalität und ihre Auswirkung auf den Zeugenschutz Neben den Bestrebungen zur Ausweitung der besonderen Ermittlungsmaßnahmen sind seit Mitte der 80er Jahre auch Bemühungen zu beobachten, den Zeugenschutz in Verfahren mit organisierter Kriminalität auszubauen. Den Hintergrund für diese Aktivität bildet die These, Belastungszeugen im Umfeld organisierter Kriminalität seien besonders gefährdet1. Andererseits werden Aussagen Tatbeteiligter, vor allem so genannter Aussteiger, als besonders vielversprechend angesehen, um relevante Informationen über die jeweilige kriminelle Gruppierung zu bekommen und damit organisierte Kriminalität effektiv verfolgen zu können. Dabei erweisen sich in der Praxis zwei Personengruppen aus unterschiedlichen Gründen als schutzbedürftig2. Zum einen bedienen sich die Strafverfolgungsbehörden in Verfahren gegen organisierte Kriminalität häufig der Hilfe von Verdeckten Ermittlern bzw. so genannten V-Leuten oder Informanten. Der Auftritt dieser Personen als Zeugen in der Hauptverhandlung kann für den Staat aus zweierlei Gründen problematisch sein. Einerseits kann eine öffentliche Aussage dieser Zeugen, die man auch als aus beruflichen Gründen gefährdete Zeugen bezeichnen kann, mit Gefahren für deren körperliche Unversehrtheit oder zumindest Bedrohungen verbunden sein. Damit ist die klassische Dimension des Zeugenschutzes angesprochen. Andererseits wird im Falle eines Erscheinens vor Gericht befürchtet, 307 Bruckert 1998. Eine Definition und ein Beispiel für Strukturermittlungen findet sich bei Ratzel / Brisach / Soiné 2001, 534. 308 In diese Richtung Pütter 1998, 158. 1 Beispielhaft Sielaff 1986, 58: „Überall dort, wo es Beschuldigungen oder Anklagen im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität gibt, sind Belastungszeugen besonders gefährdet.“ In neuerer Zeit Buggisch 2001, 39 ff. 2 Schneider, H.J. 2001, 336 geht noch darüber hinaus und hält auch Richter sowie Staatsanwälte für schutzbedürftig. Für sie und ihre Familien seien „geschützte Zufluchtsstätten“ zu errichten.
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dass diese Zeugen vom Beschuldigten oder anderen Angehörigen des kriminellen Milieus erkannt bzw. enttarnt und daher für einen weiteren Einsatz wertlos werden. Unter diesem Aspekt erfolgt der Zeugenschutz, um auch künftig eine funktionierende Strafverfolgung zu gewährleisten. Streiten diese beiden Ziele dafür, die Anonymität dieser Personen zu garantieren und ihnen den Auftritt in einer öffentlichen Hauptverhandlung zu ersparen, lässt sich andererseits eine erhöhte Gefahrtragungspflicht dieser Zeugen damit begründen, dass sie als Teil der staatlichen Strafverfolgungsorgane anzusehen sind3. Wie eine Balance zwischen den Interessen der Strafverfolgungsbehörden und des Zeugen sowie der Pflicht zur Wahrheitsfindung und den Rechten des Beschuldigten hergestellt werden kann, beschäftigt Rechtsprechung und Wissenschaft schon seit langem4. Im Ergebnis wird der entsprechende Zeuge häufig für die Hauptverhandlung gesperrt und sein Wissen nur über einen Zeugen vom Hörensagen eingeführt5. In den von den Innenbehörden vorgelegten Sperrerklärungen scheint allerdings oft nicht differenziert zu werden, welche Überlegungen letztlich dazu geführt haben, den entsprechenden Zeugen nicht vor Gericht zu präsentieren6. Nur die klassische Dimension des Zeugenschutzes steht bei den Zeugen im Vordergrund, die dadurch gefährdet sind, dass sie, ohne mit der Polizei bzw. der Staatsanwaltschaft in einem früheren Stadium des Verfahrens zusammengearbeitet zu haben, aufgrund ihrer Aussagebereitschaft in oder auch außerhalb der Hauptverhandlung Gefährdungen ausgesetzt sind. Für sie wurden seit Mitte der 80er Jahre7 in Deutschland spezielle polizeiliche Zeugenschutzprogramme entwickelt, die un3 Rebmann / Schnarr (1989, 1186) sprechen davon, dass das Problem für diese Gruppe von Berufszeugen durch ihre besondere Pflichtenstellung, die Möglichkeit der Sperrung sowie vielfältige Schutzmaßnahmen zu einem gewissen Grade relativiert sei. Eine ähnliche Differenzierung zwischen beiden Zeugengruppen findet sich bei Weigend 1998, C 28, ohne auf eine erhöhte Gefahrtragungspflicht einzugehen. 4 Bereits im Jahr 1882 billigte das Reichsgericht (RGSt 7, 74 ff.), dass das erkennende Gericht aufgrund einer beschränkten Aussagegenehmigung einen Zeugen als nicht verpflichtet ansah, den Namen eines Anzeigeerstatters zu nennen. 5 Zum Zeugen vom Hörensagen zuletzt Detter 2003. 6 Die zumeist vorhandene Gemengelage aus Schutz des Zeugen einerseits und dem Wunsch weiterer Verwendung andererseits, mit der eine Sperrung des Zeugen verfügt wird, illustriert die Wiedergabe der Begründung im Verfahren BGHSt 31, 290 (291 f.). Dort heißt es: „Der Angeklagte habe die beiden Vertrauenspersonen letztmals vor nahezu zwei Jahren gesehen. Bei ihrer Vernehmung in Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers sei ,die Möglichkeit, dass sich jetzt Angeklagter wie Verteidiger ein neues, detailliertes Bild vom Aussehen der VP machen können, und eine Weitergabe der detaillierten Personenbeschreibungen an andere Personenkreise nicht auszuschließen‘. Eine Enttarnung würde zu einer erheblichen Gefährdung der Informanten führen, zumal diese auch jetzt noch für die Polizei tätig seien; ihr weiterer Einsatz sei dann nicht mehr möglich.“ Zur Einführung der Erkenntnisse von VE und VP in die Hauptverhandlung, siehe im Übrigen Kapitel 17, B., II. 7 Fälle der klassischen Zeugenbedrohung gab es selbstverständlich auch schon früher. So wurde im Fall BGHSt 3, 344 die Öffentlichkeit ausgeschlossen, weil der Belastungszeuge Angst um sein Leben hatte.
10 Kinzig
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ter anderem explizit darauf abzielen, dass diese Personen in der Hauptverhandlung gegen Mittäter oder andere in das kriminelle Geschehen verwickelte Personen zur Verfügung stehen. A. Ziele des Zeugenschutzes Bei den zuletzt genannten Aussteigern aus dem (organisiert-)kriminellen Milieu umfasst der Zeugenschutz im Zusammenhang mit Verfahren organisierter Kriminalität eine vierfache Zielsetzung. In erster Linie und allgemein ist das Ziel des Schutzes gefährdeter Zeugen, die entsprechenden Personen vor den Gefahren zu bewahren, denen sie anlässlich ihrer Aussage in einem (eigenen oder gegen einen anderen gerichteten) Strafverfahren, in der Hauptverhandlung selbst oder in einem späteren Stadium, ausgesetzt sind. Daneben soll der Zeugenschutz der Verfahrenssicherung dienen, d. h. die – wie auch immer geartete – Einführung ihres Wissens in das Strafverfahren, und zwar in der Regel gegen andere Personen wie etwa Mittäter, ermöglichen und zu deren Verurteilung beitragen8. Zusätzlich wird von polizeilicher Seite „die Abschreckung und Verunsicherung potentieller Täter bzw. Tätergruppen“ als Ziel des Zeugenschutzes genannt, daneben die Ermutigung anderer zum Ausstieg aus der kriminellen Szene9. Bei der Gruppe der Aussteiger, die auch regelmäßig potentielle Kandidaten eines polizeilichen Zeugenschutzprogrammes sind, dürfte es das vorrangige der genannten vier Ziele darstellen, selbige als Zeugen in der oder mehreren Hauptverhandlung(en) zu präsentieren10. Anders gelagert ist das Ziel des Zeugenschutzes in der Gruppe der mit den Strafverfolgungsbeamten zusammenarbeitenden oder ihnen gar angehörenden Informanten, V-Personen bzw. Verdeckten Ermittlern. Ihre Namen werden von den Innenbehörden zumindest auch deswegen geschützt, um gerade nicht in einem Strafverfahren aussagen zu müssen und dadurch Gefahr zu laufen, für die weitere polizeiliche Arbeit „verbrannt“ zu werden11. Kennzeichen der jedenfalls partiell gegenläufigen Zielsetzungen des Schutzes von Aussteigern bzw. von V-Leuten, Informanten und Verdeckten Ermittlern ist auch der Umstand, dass sich eine Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm und eine Tätigkeit als V-Mann ausschließen. Zudem ist Inhalt der Vertraulichkeitszusage bei Informanten und V-Personen gerade das Versprechen, ihre Identität geheim zu halten12. 8 Ähnlich Sielaff 1986, 62: „Es gibt zwei Grobziele: den Zeugenschutz und die Verfahrenssicherung.“ Sowie Buggisch 2001, 147 ff. 9 Soiné 1997, 178; Zacharias 1997, 160. 10 Dezidiert Griesbaum 1998, 437: „Der Schutz durch Sperrung eines Zeugen kann aber nicht das Ziel des strafprozessualen Zeugenschutzes sein, der gerade die Aufgabe hat, den Zeugen in der Hauptverhandlung zu präsentieren.“ 11 Dass der eigentliche Beweiswert dieser Zeugen, wie Griesbaum (1998, 437) meint, vor allem außerhalb der Hauptverhandlung liegt, kann aber aufgrund zahlreicher einschlägiger Gerichtsentscheidungen, die sich mit der Berechtigung von Sperrerklärungen für die Hauptverhandlung beschäftigen, bezweifelt werden.
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B. Der strafprozessuale Zeugenschutz Zeugenschutz im gerichtlichen Verfahren war bis Mitte der 80er Jahre durch das Problem dominiert, ob und wie das Wissen von V-Leuten und anderen mit der Polizei zusammenarbeitenden Personen in den Strafprozess eingebracht und dabei gleichzeitig deren Anonymität gewahrt werden kann13. Im Übrigen wurde das Thema Zeugenschutz eher sporadisch behandelt14. Nachdem der BGH im Jahre 1962 die Vorgehensweise gebilligt hatte, den Gewährsmann für die Hauptverhandlung zu sperren und das Wissen über einen Zeugen vom Hörensagen bei allerdings zu relativierendem Beweiswert einzuführen15, beschäftigte die Gerichte zunächst die Frage, unter welchen anderen Schutzvorkehrungen doch eine Aussage oder zumindest eine Verlesung derselben erreicht werden könne. In diesem Zusammenhang wurde vor allem diskutiert, ob dem Angeklagten bzw. seinem Verteidiger die Wohnanschrift eines jeden Zeugen, also auch bei einer damit mutmaßlich verbundenen Gefährdung, mitzuteilen sei. § 68 StPO sah zunächst ausnahmslos vor, dass der Zeuge über seinen Namen, sein Alter und seinen Wohnort zu befragen sei. So hatte der BGH im Jahre 1970 einen Fall zu entscheiden, in dem das LKA Hessen einen „Gewährsmann“ eingesetzt hatte, der als in so hohem Maße als gefährdet angesehen wurde – er hatte Morddrohungen erhalten –, dass ihn die Strafkammer zwar in der Hauptverhandlung, dort aber nicht zur Person vernahm. Hier führte der BGH aus, die §§ 68, 222 StPO geböten „als selbstverständlich“, dass die Personalien eines in der Hauptverhandlung zu vernehmenden Zeugen auch dem Angeklagten und seinem Verteidiger bekanntzugeben sind16. Eine erste Norm zum Zeugenschutz wurde im Jahr 1979 durch das Strafverfahrensänderungsgesetz (StVÄG)17 in Satz 2 des § 68 StPO eingeführt. Dadurch wurde dem Zeugen bei Gefährdung 12 Vgl. die Gemeinsamen Richtlinien der Justizminister / -senatoren und der Innenminister / -senatoren der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung, Teil I 1.2, 2.1 und 2.2. 13 Ähnlich Schnarr 1990, 293. 14 Eine erste Dissertation, die zugleich eine Übersicht über die Rechtslage vor dem OrgKG liefert, legte Gommolla im Jahr 1986 vor, ohne aber zwischen den verschiedenen Zeugengruppen scharf zu trennen; im Kommentar von Meyer-Goßner wurde „Zeugenschutz“ als eigenes Stichwort etwa erst in der 43. Auflage aufgenommen; vgl. auch Hammes 1986, 57. 15 BGHSt 17, 382, wobei aber nicht erkennbar ist, ob die Sperrung wegen einer Gefährdung des Zeugen oder einer eventuell entfallenden weiteren Verwendung erfolgte. Allerdings sprach E. Schmidt in seiner Anmerkung (JZ 1962, 761) davon, dass diesen Gewährsmännern Bloßstellung und Rache drohen könnte, andererseits das Arbeiten dieser Gewährsmänner unmöglich würde, wenn deren Namen nicht geheimgehalten würden. Beide Aspekte (Schutz der V-Leute vor Repressalien, Erschwerung der Fortführung ihrer Tätigkeit bei Bekanntwerden des Namens usw.) erwähnt auch Tiedemann (1965, 15). Zur teilweise heftigen Kritik der Literatur vgl. Peters 1966, 108, 138. 16 BGHSt 23, 244. 17 Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5. 10. 1978 (BGBl. I, 1645).
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gestattet, in der Hauptverhandlung seinen Wohnort nicht anzugeben18. Anerkannt blieb zunächst weiterhin „das berechtigte Anliegen des Angeklagten, . . . Erkundigungen über die Glaubwürdigkeit eines Zeugen einzuziehen.“19 In den folgenden Jahren wurde darüber debattiert, welche Rechte der Verteidigung bzw. dem Angeklagten zuzubilligen seien, wenn Aussagen gesperrter Zeugen per Verlesung in den Prozess eingeführt werden. Hierzu beschloss der Große Senat für Strafsachen im Jahr 1983 – ebenfalls im Falle eines V-Mannes, der wegen der „Gefahr der Enttarnung“ für die Hauptverhandlung gesperrt war –, dass § 68 StPO auch für die kommissarische Zeugenvernehmung gelte, so dass der gesperrte Zeuge, vom Ausnahmefall der Identitätsänderung abgesehen20, auch auf diesem Weg nicht von der Verpflichtung zur Angabe seines Namens freigestellt werden könne21. Diese Rechtsprechung führte dazu, dass noch häufiger Zeugen, insbesondere V-Personen, gänzlich gesperrt und den Gerichten nur die Angaben der jeweiligen Verhörspersonen bzw. schriftlich abgegebene Erklärungen zur Verfügung gestellt wurden22. Die Sperrerklärungen erfolgten auch deswegen, weil der Große Senat mit seiner Entscheidung einer „Beweisaufnahme unter optischer oder akustischer Abschirmung eines Zeugen“ den Boden entzogen hatte23. Demgegenüber hatte noch kurz zuvor der 2. Senat in mehreren Entscheidungen die Vernehmung unter einer optischen Abschirmung der V-Leute als für die Verteidigung weniger erschwerende Maßnahme bezeichnet, die in jedem Fall zu prüfen sei24. Später erstreckte der BGH seine Ansicht, § 68 StPO sei unbedingt zu beachten, auch auf die kommissarische Vernehmung von in- wie ausländischen Polizeibeamten25. Anderes gelte allerdings im Falle einer polizeilichen Vernehmung. Insoweit begründe das Fehlen der in § 68 StPO genannten Personalangaben in einer polizeilichen Vernehmungsniederschrift eines V-Mannes nicht schon für sich allein die 18
Von Böttcher (1993, 545) als erster „winziger Schritt“ eines Zeugenschutzes bezeich-
net. 19 BT-Drs. 8 / 976, S. 37. Damit setzte sich die Auffassung der Bundesregierung gegen die Meinung des Bundesrates durch, der dem gefährdeten Zeugen generell ermöglichen wollte, seine Anschrift zu verschweigen (vgl. BT-Drs. 8 / 976, S. 93 f.). 20 In einem Urteil aus dem Jahr 1979 (BGHSt 29, 109 (113)) hatte der 3. Strafsenat darauf hingewiesen, dass „gegebenenfalls“ bei einer Identitätsänderung auf die Angabe des neuen Namens verzichtet werden könne. § 68 StPO stehe dem nicht entgegen, wenn nur so eine Vernehmung des Zeugen ermöglicht werden könne. 21 BGHSt 32, 115 (128); vgl. auch BGH StV 1984, 231 im Falle einer anderen kommissarischen Vernehmung eines V-Mannes, bei der dessen Identität nicht aufgedeckt wurde. Zum Konnex dieser Entscheidung zur Diskussion um organisierte Kriminalität, vgl. Kapitel 8, B. 22 Diese Befürchtung äußerte Miebach (1984, 83) bereits kurz nach der Entscheidung des Großen Senats; vgl. auch Böttcher 1993, 546. 23 BGHSt 32, 115 (124 f.). 24 BGH NStZ 1982, 42 (Möglichkeit einer Maskierung); BGHSt 31, 148 (156); BGHSt 31, 290 (293). 25 BGH NStZ 1984, 178 ohne Mitteilung des Grundes der Sperrerklärung.
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Unverwertbarkeit einer solchen Niederschrift für das gerichtliche Verfahren. Dies folge unter anderem daraus, dass in § 163a Abs. 5 StPO, der die polizeiliche Zeugenvernehmung regele, § 68 StPO bei der Aufzählung der entsprechend anzuwendenden Vorschriften der Strafprozessordnung nicht aufgeführt sei26. Im Übrigen könne eine verfahrensfehlerhafte kommissarische Vernehmung einer Vertrauensperson der Polizei in einem anderen Verfahren mit einem anderen Angeklagten verwertet werden27. Für § 222 StPO, die Namhaftmachung der geladenen Zeugen, wurde entschieden, dass die ersatzweise Mitteilung einer sonstigen ladungsfähigen Anschrift, etwa der Dienststelle eines beamteten Zeugen, auch dann nicht genüge, wenn Anlass zu der in § 68 Satz 2 StPO umschriebenen Besorgnis einer Gefährdung des Zeugen bestehe. Dies gelte jedenfalls in Fällen, in denen die Verteidigung – ohne dass ihr dies als bloßer Vorwand für die Verfolgung anderer Zwecke diene – ein Interesse daran geltend mache, Erkundigungen über den Zeugen einzuholen, und sie hierzu der Angabe des Wohnorts des Zeugen bedürfe. Dieser, vom Gesetzeswortlaut gedeckte gesetzgeberische Wille sei den Materialien des StVÄG 1979 eindeutig zu entnehmen28. Ein Anlass zur Aussetzung des Verfahrens nach § 246 Abs. 2 StPO bestehe aber nur dann, wenn Anhaltspunkte für die Annahme vorlägen, „die Kenntnis des Wohnorts sei für die Verteidigung von wesentlicher Bedeutung, etwa weil Zweifel an der Zuverlässigkeit der Beweisperson aufgetreten sind, die Nachforschungen an ihrem Wohnort nahelegen.“29 In Extremfällen – Morddrohungen und Bombenanschläge gegen eine im Rauschgiftmilieu tätige Gewährsperson – sah der BGH das erkennende Gericht aufgrund der staatlichen Fürsorgepflicht aber nicht als verpflichtet an, gegen einen die Aussage verweigernden Zeugen mit prozessualen Zwangsmitteln vorzugehen30. Im Schrifttum wurde daraufhin ein weitergehender Schutz für gefährdete Zeugen gefordert. Angehörigen der Strafverfolgungsorgane solle es grundsätzlich gestattet werden, statt ihrem Wohn- nur den Dienstort anzugeben. § 68 StPO solle so erweitert werden, dass der Wohnort auch vor dem Angeklagten geheimgehalten werden könne. Schwerer gefährdeten Zeugen solle sogar erlaubt werden, weder Namen noch Alter anzugeben31. Anderenorts wurde vorgeschlagen, die Überprüfung des Leumundes zu einer öffentlichen Aufgabe zu erklären32. Verstärkt wurden 26 BGHSt 33, 83 m. abl. Anm. Arloth NStZ 1985, 280 u. m. abl. Anm. Fezer JZ 1985, 496. Auch in diesem Fall blieb offen, ob die Sperrwirkung nicht primär wegen der „negativen Auswirkungen, die eine Enttarnung für den künftigen Einsatz dieser Vertrauensperson sowie ein Vertrauensbruch für die Gewinnung anderer Gewährsleute haben würde“ (91), erfolgte. 27 BGH NJW 1986, 1999. 28 BGH StV 1990, 197 m. Anm. Odenthal = JuS 1990, 671 m. Anm. Hassemer. Die Entscheidung enthält keinen Hinweis auf den Grund für die Nichtangabe des Wohnortes. 29 BGHSt 37, 1. In diesem Fall ging es um die Mitteilung der Anschriften von drei geladenen Polizeibeamten. 30 BGH NStZ 1984, 31. 31 Schnarr 1990, 295; vgl. auch Steinke 1991, 457. 32 Steinke 1993, 254.
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diese Forderungen durch den immer wieder geäußerten Vorwurf, dass Verteidiger eine etwa erlangte Kenntnis von der Identität oder der Anschrift des Opfers an ihre Mandanten weitergeben und somit zu einer Gefährdung der Zeugen beitragen würden33. Während diese Vorschläge primär den Schutz im staatlichen Auftrag eingesetzter Personen zum Hintergrund hatten, wurde für einen Zeugenschutz primär von Aussteigern angeregt, die Identitätsänderung sowie die Anfertigung und Verwendung von Tarnpapieren in der StPO zu regeln34. Den Forderungen nach einem derart erweiterten Zeugenschutz ist der Gesetzgeber im OrgKG in weitem Umfang nachgekommen. Zur Begründung wurde angeführt, der Schutz gefährdeter Zeugen sei „im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität eine der wichtigsten Aufgaben.“35 Zudem zielten die Änderungen im Zeugenschutz wie die Regelung bzw. Schaffung der besonderen Ermittlungsmaßnahmen darauf ab, „die Drogenkriminalität und andere Erscheinungsformen des organisierten Verbrechens wirksamer als bisher zu bekämpfen.“36 Seitdem können Zeugen, die Wahrnehmungen in amtlicher Eigenschaft gemacht haben, grundsätzlich statt des Wohnortes den Dienstort angeben (§ 68 Abs. 1 Satz 2 StPO). § 68 Abs. 2 Satz 1 StPO ermöglicht generell dem gefährdeten Zeugen, statt des Wohnortes seinen Geschäfts- oder Dienstort oder eine andere ladungsfähige Anschrift zu nennen. In der Hauptverhandlung kann der Vorsitzende dem gefährdeten Zeugen darüber hinaus gestatten, jede diesbezügliche Angabe zu verweigern (§ 68 Abs. 2 Satz 2 StPO). § 68 Abs. 3 Satz 1 StPO sieht bei stärker gefährdeten Zeugen sogar die Möglichkeit vor, Angaben zur Person nicht oder nur über eine frühere Identität zu machen. Entsprechende Regelungen beinhalten die § 200 Abs. 1 Satz 3 und 4 StPO sowie § 222 Abs. 1 S. 3 StPO37. Die Geheimhaltung der Identität eines Verdeckten Ermittlers erklärt § 110b Abs. 3 Satz 3 StPO nach Maßgabe des § 96 insbesondere dann für zulässig, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die Offenbarung Leben, Leib oder Freiheit des Verdeckten Ermittlers oder einer anderen Person oder aber auch die Möglichkeit der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers gefährden würde. Damit differenziert das Gesetz jetzt selbst zwischen den beiden erwähnten Geheimhaltungsinteressen. Diese explizite Regelung für den VE hat zu Zweifeln in der Literatur Anlass gegeben, ob die Identität von V-Leuten und Informanten ebenfalls weiterhin mit der Begründung geheimgehalten werden darf, sie könnten ansonsten enttarnt werden38. In einer neueren Entscheidung nach Inkrafttreten des OrgKG So etwa bei Stratmann 1992, 787 ff. Soiné / Soukup 1994. 35 BT-Drs. 12 / 989, S. 33. 36 BT-Drs. 12 / 989, S. 33. 37 Zur Neuregelung: Hilger 1992, 458 ff.; kritisch aus verschiedenen Richtungen Böttcher 1993, 548 ff. und Eisenberg 1993, 1036; lebhaft begrüßt von Krey / Haubrich 1993, 310 ff. 38 Zweifelnd KK / Nack 1999, § 96 Rdnr. 21, § 110b Rdnr. 17; verneinend Lesch 1995, 546; bejahend: Meyer-Goßner 2003, § 96 Rdnr. 13. 33 34
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hat der BGH betont, dass für die Anerkennung eines Aussageverweigerungsrechts eines in Betäubungsmittelkriminalität verwickelten Zeugen wegen ihm deshalb drohender Gefahren strenge Maßstäbe anzulegen seien. Solchen Zeugen könne entgegengehalten werden, „dass sie für die Risiken, in die sie sich durch ihre Beteiligung an der Betäubungsmittelkriminalität eingelassen haben, auch – in gewissen Grenzen – einstehen müssen.“39 Seitdem ist die Diskussion in der Rechtsprechung weitgehend zum Erliegen gekommen. Insbesondere scheint es nicht zu einer Verringerung der Zahl der Sperrerklärungen gekommen sein40. Ob der durch das Zeugenschutzgesetz41 neu geschaffene § 247a StPO dazu führen wird, dass die Aussage von gefährdeten Personen per audiovisueller Zeugenvernehmung erfolgen wird, bleibt abzuwarten42. Auffällig ist, dass die zitierten Entscheidungen fast allesamt den Schutz von Informanten, V-Leuten oder Verdeckten Ermittlern betreffen, wobei zumeist nicht danach differenziert wurde, ob die Einschränkungen der jeweiligen Vernehmung zum Schutz der betreffenden Person oder deswegen erfolgten, um ihren weiteren Einsatz nicht zu gefährden. Aussteiger aus der kriminellen Szene bzw. Zeugen in polizeilichen Zeugenschutzprogrammen scheinen die Gerichte dagegen nicht vor besondere Probleme zu stellen. Dies mag zum einen damit zusammenhängen, dass diese Zeugen vor Gericht vollumfänglich aussagen, zum anderen sich die Zeugenschutzdienststellen ansonsten damit behelfen, die Zeugen nach dem Verpflichtungsgesetz zur Verschwiegenheit zu verpflichten und so den Umfang der Aussagegenehmigung nach Bedarf zu steuern43. Andererseits stärkt dieser Umstand im Umkehrschluss die Vermutung, dass Einschränkungen in der Vernehmung bei den mit den Strafverfolgungsorganen zusammenarbeitenden Personen in der Regel erfolgen, um eine Enttarnung zu verhindern.
C. Polizeiliche Zeugenschutzprogramme I. Entwicklung polizeilicher Zeugenschutzprogramme
Die Einrichtung von polizeilichen Zeugenschutzprogrammen, mit denen Zeugen vor Bedrohungen und Repressalien aus den Reihen organisierter Kriminalität BGH StV 1993, 233 f. m. krit. Anm. Eisenberg StV 1993, 624 – 627. Diese Hoffnung hatte noch Lesch 1995. 41 Zeugenschutzgesetz vom 30. 4. 1998, BGBl I, 820. 42 Zum Diskussionsstand: Meyer-Goßner 2003, § 247a Rdnr. 1a. Zum Anfragebeschluss des 1. Strafsenates NJW 2003, 74. Dort wird die audiovisuelle Vernehmung der Gewährsperson in Verbindung mit deren optischer und akustischer Verfremdung als besseres Beweismittel und gangbare Alternative zur völligen Sperrung des Zeugen angesehen. 43 Griesbaum 1998, 436. Allerdings sehen die Gemeinsamen Richtlinien der Innenminister / -senatoren und der Justizminister / -senatoren der Länder zum Schutz gefährdeter Zeugen in Nr. 7.7 nur eine Verpflichtung der Personen vor, die bei Zeugenschutzmaßnahmen für die Polizei tätig werden. Auch das neue ZSHG (dazu sogleich) enthält keine solche Bestimmung. 39 40
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geschützt werden sollen, wurde in der Bundesrepublik ebenfalls ab Mitte der 80er Jahre thematisiert44. Wurde schon die Beschäftigung mit organisierter Kriminalität durch die Entwicklung des „organized crime“ in den USA beeinflusst, verwies man auch als Vorbild für die Etablierung von Zeugenschutzprogrammen auf die in den USA gemachten Erfahrungen. Dort hatte man bereits im Jahre 1970 ein Zeugenschutzprogramm eingerichtet45. Vom Assistant Attorney General aufgrund eines umfangreichen Berichts, der neben anderen Informationen eine Gefährdungslage enthält, ausgewählt, übernimmt der „U.S. Marshal’s Service“ als Kontaktstelle die notwendigen Vorkehrungen für den Zeugenschutz46. Bis zum Jahr 1982 sollen fast 4000 aktive Teilnehmer in das Programm aufgenommen worden sein, wobei die Kosten für den Zeugenschutz einer Familie mit 36.000 US-Dollar angegeben werden47. In einem späteren Bericht aus dem Jahr 1988 ist davon die Rede, dass seit dem Jahr 1970 mittlerweile 5500 Zeugen geschützt worden seien und die Kosten pro Zeugen jetzt 50.000 Dollar betragen würden48. Nach neueren Angaben sollen bis zum Jahr 1996 4400 Zeugen und 8000 Familienmitglieder das Programm durchlaufen haben, wobei die jährlichen Kosten 25 Millionen US-Dollar überstiegen49. Dabei sollen die Aussagen geschützter Zeugen in erheblichem Maße zur Verurteilung von Straftätern aus dem Bereich organisierter Kriminalität beitragen50. Die Bedeutung des Zeugenschutzes in den USA zeigt sich auch daran, dass das Justizministerium der USA inzwischen ein Handbuch zum Zeugenschutz herausgegeben hat51. Obwohl in Deutschland zunächst darauf verwiesen wurde, dass die Gefährdung von Zeugen in Verfahren organisierter Kriminalität vor allem in Italien und den 44 Zeuge im Sinne eines polizeilichen Schutzprogrammes kann auch der aussagebereite Mitbeschuldigte sein, der erst in anderen Verfahren zum Zeugen wird (vgl. Zacharias 1997, 35). 45 Durch das „Witness Protection Program“ im „Organized Crime Control Act“. Zu der Entwicklung in den USA und zu Untersuchungen über das Ausmaß der Zeugenbedrohung ausführlich Buggisch 2001, 11 ff, 214 ff. 46 Graham 1985, 85 ff.; Finn / Healey 1996, 33; vgl. auch Zacharias 1997, 157 ff. 47 Graham 1985, 88. 48 Internationale Richtervereinigung 1988, 474. Insoweit nicht nachvollziehbar sind die Angaben von Ahrens (1986, 355), der – allerdings ohne Beleg – angibt, dass in den USA durch 300 eingesetzte Marshalls jährlich (!) 14.000 Zeugen mit einem Kostenfaktor von 100.000 Dollar pro Zeugenfamilie geschützt würden. Vgl. zu weiteren sich teilweise widersprechenden Zahlenangaben Zacharias 1997, 158 Fn. 9. 49 Albanese 1996, 193. 50 Vgl. Lyman / Potter 2000, 491: „In eight of every ten cases where a protected witness has testified, ten defendants are convicted and receive substantial prison sentences“. Zudem habe eine Evaluation ergeben, dass von den Köpfen der kriminellen Gruppierungen, gegen die geschützte Zeugen ausgesagt hätten, 88 Prozent zu einer durchschnittlichen Gefängnisstrafe von 11,2 Jahren verurteilt worden seien (Albanese 1996, 194); vgl. auch Buggisch 2001, 241 ff. 51 Finn / Healey 1996; zum Zeugenschutz in den USA vgl. auch Walther 1992 und insbesondere Buggisch 2001.
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Vereinigten Staaten virulent sei52, wurde gleichzeitig beklagt, weder das juristische noch das kriminalistische Schrifttum hätten sich diesem Problem bisher in hinreichender Weise angenommen53. Eine Mitte der 80er Jahre in Hamburg durchgeführte Analyse der Polizei ergab, dass in einem Großverfahren 36 Zeugen Pressionen von Täterseite ausgesetzt gewesen seien54. Im Herbst 1984 starteten in Hamburg daher die ersten bundesdeutschen Zeugenschutzprogramme anlässlich eines Verfahrens im St. Pauli-Milieu (Rockergruppe „Hell’s Angels“), das auch die Bildung einer kriminellen Vereinigung zum Gegenstand hatte55. Von den über 320 Zeugen wurden 80 als gefährdet, davon 27 als erheblich gefährdet eingestuft56. Dies ließ das Bedürfnis nach der Institutionalisierung eines solchen Programms laut werden57. Das Hamburger Modell, im Jahre 1986 als Dienststelle Zeugenschutz eingerichtet, wurde zum Vorbild für die Bundesrepublik58. Im November 1985 fand zudem an der Polizeiführungsakademie Münster ein Seminar unter dem Titel „Gefährdete Zeugen – rechtliche und kriminalistische Aspekte“ statt59. Dieses mündete in die Forderung, bei den Polizeien des Bundes und der Länder Zeugenschutzdienststellen einzurichten. In einer Arbeitsgruppe wurde ein polizeilicher Maßnahmenkatalog zum Zeugenschutz erarbeitet60. Auch die justitielle Seite nahm sich in der Folge der Frage des Zeugenschutzes an. Allerdings stellte die Internationale Richtervereinigung noch anlässlich einer Tagung im Jahre 1988 fest, dass „zur Zeit kein akuter Bedarf zu grundlegenden Änderungen des jeweiligen nationalen Rechts“ bestehe61. Die AG Kripo, die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der LKÄ mit dem BKA, initiierte im Jahre 1988 eine Konzeption „Zeugenschutz“, der der AK II (Arbeitskreis öffentliche Sicherheit und Ordnung der Innenminister / -senatoren) im gleichen Jahr zustimmte62. Im Jahre 1990 wurden die „Gemeinsamen Richtlinien der Innen- und Justizminister / -senatoren des Bundes und der Länder zum Schutz gefährdeter Zeugen“ erlassen63. Diese Gemeinsamen Richtlinien bildeten in den nächsten Jahren die Grundlagen für den Zeugenschutz. Eine gesetzliche Regelung ist in rudimentärer Form darüber hinaus 52 Zur italienischen Entwicklung vgl. Maiwald 1996, Jarvers / Kinzig 2001 sowie Buggisch 2001, 249 ff. 53 Sielaff 1986, 58; Hammes 1986, 57: „stiefmütterliche Behandlung“. 54 Sielaff 1986, 59. 55 Sielaff 1986, 60; Zacharias 1997, 159. 56 Hammes 1986, 57. 57 Sielaff 1986, 60. 58 Sielaff 1992, 294; Weigand 1992, 143; Soiné 1997, 179. 59 Sielaff 1986, 62. 60 Ahrens 1986, 356. 61 Internationale Richtervereinigung 1988, 474. 62 Weigand 1992, 144. 63 Vgl. Soukup 1993, 30; Zur Entwicklung auch ausführlich Zacharias 1997, 159; veröffentlicht in SMBl. NW 2053 vom 16. 5. 1997, im Folgenden RiliZ genannt; abgedruckt auch bei Buggisch 2001 Anhang 6.
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in § 6 BKAG für den Bereich des BKA vorhanden. Danach obliegt diesem in seinem Zuständigkeitsbereich „der Schutz von Personen, deren Aussagen zur Erforschung der Wahrheit von Bedeutung ist oder war“, sowie der ihrer Angehörigen oder sonstiger ihr nahestehenden Personen64. Im Jahre 1998 brachte das Bundesland Rheinland-Pfalz einen Antrag für ein Gesetz zur Regelung des Schutzes gefährdeter Zeugen ein65. Nach langwierigen Beratungen trat das Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen (ZSHG) am 31. 12. 2001 in Kraft66. Auch wenn der Anwendungsbereich des ZSHG im Gegensatz zum Entwurf nicht mehr auf „Organisierte Kriminalität“ und „Terrorismus“ beschränkt ist, dürfte hier selbstverständlich der Schwerpunkt liegen. Art. 1 § 1 ZSHG regelt die Aufnahme in das und die Beendigung des Zeugenschutzprogramm(es), § 2 Abs. 2 enthält eine Generalklausel der Aufgaben und Befugnisse der Zeugenschutzdienststelle, § 3 Vorkehrungen zur Geheimhaltung von Zeugenschutzmaßnahmen, § 5 die Ausgabe von Tarndokumenten und § 8 Zuwendungen der Zeugenschutzdienststelle. Die Einführung einer bundeseinheitlichen Regelung zum Zeugenschutz ließ deswegen so lange auf sich warten, weil das Problem des Zeugenschutzes – wie andere Probleme im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität auch – an einer Schnittstelle zwischen Strafprozess- und Polizeirecht angesiedelt ist. So erscheint eine sachliche Trennung zwischen polizeilichem und prozessualem Zeugenschutz kaum möglich67. Dazu treten die Schwierigkeiten, die durch die föderale Struktur Deutschlands mit einer Vereinheitlichung der Polizeiarbeit der Länder und des Bundes ohnehin verbunden sind68. II. Praktische Umsetzung polizeilicher Zeugenschutzprogramme
In der Regel sind die ermittlungsführenden Dienststellen gehalten, die dem Einzelfall zugrundeliegenden Gefährdungsbeurteilungen dem LKA zu übermitteln69, teilweise (Bayern, Hessen, Niedersachsen sowie Nordrhein-Westfalen) ist der Zeugenschutz aber auch dezentral organisiert70. In Baden-Württemberg wird die AufDazu Schreiber 1997, 2144 ff. Brat-Drs. 458 / 98. Kritisch zu verschiedenen Regelungen Griesbaum 1998, 440 f. 66 BGBl. I, 3510. Zur Entstehung und zum Inhalt des Gesetzes Soiné / Engelke 2002; zu einer vergleichenden Betrachtung des Zeugenschutzes in Italien und Deutschland: Jarvers / Kinzig 2001. 67 Griesbaum 1998, 434. Soiné / Engelke 2002, 470: „Querschnittsmaterie zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr“. 68 So auch Krehl 1991, 85. 69 Weigand 1992, 144 für Baden-Württemberg. 70 Vgl. auch Soukup 1993, 31 mit einem Plädoyer für eine zentrale Struktur, im Übrigen Buggisch 2001, 272 ff. 64 65
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gabe des Zeugenschutzes seit 1990 von einem eigens hierfür im LKA eingerichteten Dezernat wahrgenommen. Vor der Entscheidung über die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm erfolgt eine Gefährdungseinschätzung anhand verschiedener Kriterien, darunter Art und Schwere der Straftat, Gefährlichkeit der Täter und deren Umfeld, Bedeutung der Zeugenaussage, persönliche Umstände des Zeugen, Stand des Verfahrens sowie der Kenntnis von angedrohten oder tatsächlichen Repressalien71. Wird Zeugenschutz von der zuständigen Polizeibehörde angeordnet – die Entscheidung über die Aufnahme eines Zeugen in das Zeugenschutzprogramm ergeht im Einverständnis mit der Staatsanwaltschaft72 – erfolgt analog PDV 100, Ziffer 2.5.2.3 (Personenschutz) eine Einteilung in drei Gefährdungsstufen, die von „Angriff nicht auszuschließen“ über „Angriff auf Leib oder Leben ist nicht auszuschließen“ zu „erheblich gefährdet“, d. h. „mit einem Angriff auf Leib oder Leben ist zu rechnen“, reicht73. Zentrale Voraussetzung für eine Aufnahme in die nur begrenzt zur Verfügung stehende Ressource des Zeugenschutzprogramms ist, dass eine schwere Kriminalitätsform vorliegt und die Aussage des Zeugen für das Strafverfahren von entscheidender Bedeutung ist74. Der Zeuge muss mit der Aufnahme in das Programm und den dabei getroffenen Maßnahmen einverstanden sein75. Eine weitere oder der Beginn einer V-Mann-Tätigkeit ist bei Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm ausgeschlossen76. Während das ZSHG an zu treffenden Maßnahmen nur die Verleihung einer vorübergehenden Tarnidentität (§ 5) sowie ganz allgemein Zuwendungen der Zeugenschutzdienststelle (§ 7) regelt, werden in Nr. 7.2 der RiliZ immerhin die Beratung, die Abdeckung der persönlichen Verhältnisse, die Sicherung der Wohnung oder sonstiger Aufenthaltsorte, der unmittelbare Schutz, eine Veränderung im persönlichen Bereich, Hilfen im neuen Lebensbereich, eine taktische Öffentlichkeitsarbeit sowie Maßnahmen operativer Art gegen potentielle Täter / Tätergruppen genannt. Konkreter formuliert, umfasst die Angebotspalette einen Polizeischutz für die anstehenden Gerichtsverfahren, die Vornahme eines dauerhaften Ortswechsels gegebenenfalls unter Einschluss der Familienangehörigen und damit verbundene Hilfestellungen etwa bei Behördengängen oder der Arbeitsplatzsuche bzw. im Falle der Inhaftierung die Unterbringung gefährdeter Zeugen in besonderen Gefängnistrakten, darüber hinausgehend eine Namensänderung 71 Jetzt rudimentär geregelt in § 2 Abs. 2 Satz 2 ZSHG, ausführlicher Nr. 5 der RiliZ; dazu Sielaff 1986, 60 f.; Zacharias 1997, 168 ff. 72 Soukup 1993, 31; das ZSHG trifft dazu keine Regelung; die RiliZ sehen in Nr. 7 nur vor, dass diejenigen Maßnahmen mit den zuständigen Justizbehörden abzustimmen sind, die sich auf die Durchführung des Strafverfahrens oder des Freiheitsentzuges auswirken können; vgl. auch Zacharias 1997, 171. 73 Zacharias 1997, 168. 74 Soukup 1993, 32. Vgl. jetzt § 1 Abs. 1 ZSHG. 75 Das regelt jetzt ausdrücklich § 1 Abs. 1 ZSHG, zuvor Nr. 7.3 RiliZ; vgl. auch Sielaff 1986, 62. 76 Soukup 1993, 32.
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oder die Aushändigung von Tarnpapieren77. Nach § 7 ZSHG ist nunmehr eine (früher schon seltene) Identitätsänderung nicht mehr möglich. Weiterhin kann als wichtige Maßnahme bei Ausländern ein Ausweisungsschutz und die Ausgabe eines Fremdenpasses erwirkt werden78. Die Aufgaben der Zeugenschutzdienststelle sind insgesamt recht vielfältig und reichen von den notwendigen Abstimmungen mit den ermittelnden Dienststellen und der Staatsanwaltschaft, über eine Beratung der Zeugen und ihrer Angehörigen, Kontakte zu anderen Behörden bis zu einer unter Umständen intensiven Betreuung der entsprechenden Personen, die auch Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche und natürlich die erforderliche Prozessbegleitung umfassen kann79. Beabsichtigt wird dadurch auch eine psychische Stabilisierung der Zeugen80. Die in der Praxis am häufigsten zu schützenden Zeugen kommen selbst aus der kriminellen Szene, nach Angaben aus Baden-Württemberg waren etwa 2 / 3 tatbeteiligte Zeugen. Als häufigste Einzelmaßnahme wurde der Wohnungswechsel innerhalb sowie über die Grenzen eines Bundeslandes genannt, daneben Maßnahmen zur Arbeitsplatzbeschaffung sowie die Prozessbegleitung. Auslandskontakte laufen über das BKA, während die praktischen Maßnahmen durch das LKA in bilateralen Absprachen mit den ausländischen Dienststellen durchgeführt werden81.
III. Rechtliche Probleme
Streitig war, ob die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm gegen §§ 69 Abs. 3 i.V.m. 136a Abs. 1 Satz 3 StPO verstößt, die das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils auch für Zeugen verbieten82. Besonders prekär war die Beantwortung dieser Frage in den Fällen, in denen Zeugen oder ihren Angehörigen finanzielle Zuwendungen gewährt wurden83, wie auch bei anderen Maßnahmen, die eine Besserstellung bewirkten und über eine bloße Schutzgewährung hinausgingen84. Das ZSHG hat sich nunmehr in § 8 für eine sehr restriktive 77 Internationale Richtervereinigung 1988, 474; Krehl 1991, 85; umfassende Darstellung bei Zacharias 1997, 161 ff.; zu den Maßnahmen in Italien Maiwald 1996, 89 f. 78 Ahrens 1986, 355 für einen Zeugenschutzfall in Niedersachsen. 79 Weigand 1992, 144 für Baden-Württemberg. 80 Sielaff 1986, 59; Soukup 1993, 31. 81 Weigand 1992, 144 ff. 82 So dezidiert Zacharias (1997, 182 ff.) für die Aufnahme von Aussteigern; vgl. auch die Aufzählung problematischer Vorteile bei Eisenberg Anm. StV 1993, 624 (627); dagegen Rebmann / Schnarr 1989, 1191 ohne Begründung; ausführlich Buggisch 2001, 290 ff. 83 Eine finanzielle Unterstützung ist in Italien häufig, vgl. Maiwald 1996, 88 sowie Jarvers / Kinzig 2001. 84 Deswegen traten Griesbaum 1998, 435, Jung (1998, 326), Zacharias (1997, 192) sowie Rebmann / Schnarr 1989, 1191 für eine gesetzliche Regelung ein (vgl. auch Eisenberg Anm. StV 1993, 624 (627)).
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Lösung entschieden, da danach Zuwendungen nur in dem Umfang gewährt werden dürfen, „als dies für den Zeugenschutz erforderlich ist.“85 In diesem Zusammenhang wurde bereits früh polizeilicherseits die Notwendigkeit beschrieben, dass der Zeugenschutz durch mit dem Verfahren nicht betraute Polizeibeamte wahrzunehmen sei, damit von vornherein einem Vorwurf der Zeugenbeeinflussung die Spitze genommen werde86. Es scheint allerdings fraglich, ob dieser Grundsatz immer eingehalten wird, vor allem dann, wenn der Zeugenschutz auch der psychischen Stabilisierung dienen soll87. Eine weitere Gefahr liegt in der Logik des Programms selbst. Um in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, muss einerseits eine erhebliche Gefährdung vorliegen, andererseits die Aussage von erheblicher Bedeutung sein. Will ein Aussteiger einen entsprechenden Schutz erreichen, könnte er dazu neigen, in beiden Bereichen übertriebene Aussagen zu machen. Bei diesen müsste er auch im weiteren Verlauf des Verfahrens bleiben, um nicht seines Schutzes verlustig zu gehen88. Eine Anschauung darüber, wie sehr eine (Wieder-)Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm gewünscht werden kann, vermittelt die (abgewiesene) Klage eines türkischen Staatsangehörigen aus dem Rauschgiftmilieu auf Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen89. Schließlich erweckt auch Bedenken, wenn das Gericht nicht über die von der Zeugenschutzdienststelle getroffenen Maßnahmen unterrichtet wird, so dass es deren Einfluss auf eine etwaige Aussage nicht einmal ansatzweise abschätzen kann90. Jetzt sieht § 2 Abs. 3 Satz 1 ZSHG vor, dass die im Zusammenhang mit dem Zeugenschutz getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen aktenkundig zu machen sind. Besondere – auch rechtliche – Schwierigkeiten bereiten eine Identitätsänderung, eine Namensänderung sowie die Anfertigung und Verwendung von Tarnpapieren91. Eine vom Bundesrat intendierte, im Entwurf des OrgKG vorgesehene Änderung des Personenstandsgesetzes, mit der eine gesetzliche Grundlage für eine Identitätsänderung geschaffen werden sollte, wurde weder dort noch im ZSHG Dazu Soiné / Engelke 2002, 475. Sielaff 1986, 60; Krehl 1991, 85; Zacharias 1997, 170 f.; so auch die Gemeinsamen Richtlinien Zeugenschutz. Eisenberg (Anm. StV 1993, 624 [627]) sieht diesen Grundsatz dadurch als gefährdet an, dass die Gefahrenanalyse des Zeugen durch die ermittlungsführende Dienststelle erstellt wird. 87 Zweifelnd auch Zacharias 1997, 170. 88 Ähnlich Eisenberg Anm. StV 1993, 624 (627); vgl. Zacharias 1997, 167, 185 f. Ein vergleichbares Problem gibt es im Bereich der Kronzeugenregelungen, vor allem bei § 31 BtMG. 89 VG Gelsenkirchen, NJW 1999, 3730; dazu Soiné 1999 mit Kritik an der vom VG Gelsenkirchen herangezogenen polizeilichen Generalklausel als allgemeiner gesetzlicher Grundlage. 90 Daher spricht sich Zacharias (1997, 187 f.) für eine zwingende Unterrichtung des Gerichts „de lege ferenda“ aus. 91 Zusammenfassend: Zacharias 1997, 174 ff. 85 86
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Gesetz92. So ist keine gesetzliche Grundlage vorhanden, auf die sich eine solche Identitätsänderung stützen kann93. Dennoch schienen bisher nicht nur verschiedene Gerichtsentscheidungen von dieser Möglichkeit auszugehen94. Auch § 68 Abs. 3 StPO spricht davon, dass einem Zeugen gestattet werden kann, Angaben nur über „eine frühere Identität“ zu machen. Dabei erläutern die strafprozessualen Kommentare nicht, auf welche Weise und auf welcher rechtlichen Grundlage die Identitätsänderung vorgenommen werden kann95. Anders verhält es sich bei der Vornahme einer bloßen Namensänderung. Hier können nach §§ 3 und 11 des Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (Namensänderungsgesetz) aus wichtigem Grund Änderungen des Vorund Nachnamens deutscher Staatsangehöriger gestattet werden. Doch wird befürchtet, dass es kriminellen Organisationen gleichwohl gelingen könne, den gesuchten Zeugen aufgrund anderer Kriterien ausfindig zu machen96. Außerdem ist diese Regelung für ausländische Staatsangehörige nicht anwendbar, die aber im Jahr 1999 immerhin über die Hälfte (51,0 %) der im Zeugenschutzprogramm befindlichen Personen ausmachten97. Offensichtlich ebenfalls praktiziert wird die Möglichkeit, jemanden mit Dokumenten, so genannten „Tarnpapieren“ auszustatten. D. Statistische Angaben über Zeugenbedrohungen in Verfahren mit organisierter Kriminalität und über den polizeilichen Zeugenschutz Empirische Angaben über Quantität und Qualität der Bedrohung von Zeugen sind schon generell rar. Noch weniger statistisches Material steht über die Bedro92 Der Gesetzentwurf eines OrgKG des Bundesrates (BT-Drs. 12 / 989) sah die Einführung eines § 27a Personenstandsgesetz mit der Möglichkeit vor, bei erheblich gefährdeten Zeugen „den Geburtsort, das Geburtsdatum, die Abstammung oder einzelne Bestandteile des Personenstands sowie Vor- und Familienname“ neu zu bestimmen. Im Gesetzgebungsverfahren setzten sich die Bedenken der Bundesregierung durch (BT-Drs. 12 / 989, S. 60 f.), die vor allem darin bestanden, dass auch aus diesen Einträgen immer die frühere Identität ersichtlich wäre. Vgl. Soiné / Soukup 1994, 465 ff.; Meyer 1995, 110. Die gleichen Überlegungen haben auch dazu geführt, die Identitätsänderung nicht in § 5 ZSHG vorzusehen (vgl. Soiné / Engelke 2002, 474). 93 Soiné / Soukup 1994, 468; Weigend 1998, C 31; Griesbaum 1998, 438 f. mit einem konkreten Regelungsvorschlag; für die Einführung der Möglichkeit einer Identitätsänderung „de lege ferenda“ Buggisch 2001, 350 ff. 94 Beginnend mit BGHSt 29, 109 (113): „Dabei könnte gegebenenfalls zugesichert werden, dass auf die Mitteilung der Anschrift des Zeugen ebenso verzichtet wird wie – im Falle einer Identitätsänderung – auf die Angabe seines jetzigen Namens.“ Vgl. auch BVerfGE 57, 250 (286) sowie BGHSt 32, 115 (128). 95 Vgl. LR / Dahs 1999, § 68 Rdnr. 14; Meyer-Goßner 2003, § 68 Rdnr. 15; KK / Senge 1999, § 68 Rdnr. 8. 96 Soiné / Soukup 1994, 467. 97 Bundeskriminalamt: 8. Lagebild Zeugenschutz Bundesrepublik Deutschland 1999 (eigene Berechnung).
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hungssituation speziell im Bereich organisierter Kriminalität zur Verfügung. Allerdings hat Buggisch in einer neueren Arbeit versucht, Erkenntnisse über den Umfang der Zeugenbedrohung in Deutschland und dabei auch im Bereich organisierter Kriminalität zu gewinnen98. Grundlage der Untersuchung war eine schriftliche Befragung von 143 Staatsanwälten aus Bayern, Sachsen, Hessen und BadenWürttemberg. 64 davon (45 %) konnten über Fälle von Zeugenbedrohung berichten und führten insgesamt 150 Sachverhalte auf. Als Überraschung wertete der Autor, dass sich lediglich 41 % der berichteten Fälle von Zeugenbedrohung in den OK-typischen Deliktsbereichen Betäubungsmittelkriminalität, Rotlichtkriminalität, Schlepperkriminalität, Waffenhandel und Schutzgelderpressung ereigneten. Die Befragten selbst gaben in einem Drittel der von ihnen geschilderten Fälle an, es sei „ein Bezug zur organisierten Kriminalität“ vorhanden gewesen99. Die Repressionen, denen die Zeugen ausgesetzt waren, beinhalteten regelmäßig Drohungen; zu Gewaltanwendungen gegen Sachen oder gar gegen Personen kam es nur sehr selten. Aussagekräftiger erscheint, dass die Staatsanwälte Zeugenbedrohungen vor allem im Bereich der Rotlichtkriminalität (70,0 %; allerdings nicht gedeckt durch die tatsächlich geschilderten Fälle) und der Betäubungsmittelkriminalität (60,8 %), allerdings nur in 16,9 % im Bereich der Schutzgelderpressung vermuten. 9 % der Staatsanwälte gaben an, die Bedrohung von Zeugen komme im Bereich der OK sehr oft vor, 43 % erklärten, sie komme häufig vor, 13 % meinten, sie komme zumindest gelegentlich vor, und nur 3 % gaben an, die Bedrohung von Zeugen ereigne sich im Bereich der OK eher selten100. OK-Staatsanwälte halten die Zeugenbedrohung tendenziell für ein größeres Problem als ihre Kollegen aus anderen Abteilungen101. Die Einwirkung auf aussagebereite Aussteiger bzw. andere Zeugen in Verfahren organisierter Kriminalität wird im Übrigen allgemein als hoch eingeschätzt102. Allerdings werden für das Lagebild Organisierte Kriminalität keine Angaben erhoben, in welchen Fällen Zeugen Repressalien ausgesetzt sind103. Doch finden sich Buggisch 2001, vgl. auch die Zusammenfassung in Buggisch 2000. Buggisch 2000, 145 Fn. 2 sowie ders. 2001, 49 ff. Die Untersuchungsergebnisse unterliegen aber methodischen Bedenken. So wird nicht angegeben, in welchen Bereichen die (immerhin 55 %) der Staatsanwälte arbeiten, die über keine Vorfälle zu berichten wussten. Wenig aussagekräftig ist auch eine prozentuale Angabe der Deliktsfelder mit Zeugenbedrohung an allen genannten Bedrohungsfällen. Die Angabe eines Falles als solcher „mit OKBezug“ wurde von den Befragten getroffen, ohne dass eine Definition von „OK“ vorgegeben war. 100 Buggisch 2001, 70: 33 % machten dazu keine Angaben. 101 Buggisch 2001, 71; Buggisch 2000, 152 f. 102 Vgl. Zacharias 1997, 97: „Die Einwirkung auf Zeugen kann damit als ein Wesensmerkmal der organisierten Kriminalität bezeichnet werden.“ 103 Offensichtlich einem Missverständnis unterliegt Zacharias (1997, 96 f. u. Fn. 356). Die bei ihm aufgeführten Angaben betreffen allesamt Fälle mit Gewalt oder sonstiger Einschüchterung, ohne dass danach differenziert wurde, ob diese speziell der Einschüchterung von Zeugen dient. 98 99
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
in der Literatur gravierende Einzelfälle dokumentiert104. Keine Belege gibt es allerdings für die Bemerkung, dass die Tötung von Zeugen als „ein typisches Erscheinungsbild der organisierten Kriminalität angesehen werden“ kann105. Die Zahl der OK-Verfahren, in denen Zeugenschutzmaßnahmen getroffen wurden, ist nach Angaben des BKA seit dem Jahr 1994 zunächst kontinuierlich von 103 auf 59 Verfahren im Jahr 1999 zurückgegangen, bis zum Jahr 2001 wieder leicht auf 68 angestiegen. Von 414 im Jahr 1999 bearbeiteten Zeugenschutzfällen entfielen 293 (70,8 %) auf organisierte Kriminalität, darunter wiederum 126 (43,0 %) auf den Rauschgiftbereich106. Tabelle 1 OK-Verfahren mit Zeugenschutzmaßnahmen107 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 OK-Verfahren mit Zeugenschutzmaßn. Geschützte Pers.
k.A.
84
103
78
73
75
65
59
61
68
96
160
187
128
120
126
116
k.A.
k.A.
k.A.
Der Anteil der inhaftierten Zeugen im Zeugenschutzprogramm betrug in den letzten fünf Jahren jeweils rund 20 %108. Ähnlich hoch ist der Anteil der Personen, denen die Kronzeugenregelungen des KronzeugenG bzw. überwiegend die des § 31 BtmG zugute kamen109. Von den im Jahr 1999 abgeschlossenen 150 Zeugenschutzfällen dauerten 66 (44,0 %) bis zu einem Jahr, weitere 44 (29,3 %) bis zu drei Jahren, 25 (16,7 %) bis fünf Jahre und 15 (10 %) über fünf Jahre. Auf einen zu schützenden Zeugen kommt rund eine weitere in das Programm einzubeziehende Person (1999: 414 Zeugen, 430 weiter einzubeziehende Personen). Laut Angaben des BKA wurde ein wichtiges Ziel des Zeugenschutzes erreicht, indem im Berichtsjahr 1999 bei 301 Gerichtsverfahren 284 geschützte Personen aussagten und nur 17 Zeugen (6 %) die Aussage verweigerten. In 156 Fällen (37,7 %) wurde eine Umsiedlung vorgenommen, davon in 51 Fällen (32,7 %) im eigenen Bundesland, Vgl. Podolsky 1995, 79 ff.; Zacharias 1997, 98 ff. So aber Zacharias 1997, 98. 106 8. Lagebild Zeugenschutz Bundesrepublik Deutschland 1999. Die Differenz in den Angaben im Lagebild OK und im Lagebild Zeugenschutz kommt offensichtlich dadurch zustande, dass im Lagebild nur Verfahren mit neuen Sachverhaltsdaten aufgenommen werden. Weitere Angaben für die Jahre 1992 – 1996 bei Buggisch 2001, 301. Seit dem Jahr 1998 wird der Deliktsbereich „Rauschgift“ unter dem Oberbegriff „Organisierte Kriminalität“ erfasst. 107 Quelle: Bundeskriminalamt: Kurzfassung der Lagebilder Organisierte Kriminalität 1992 – 2001 (Die Zahl der geschützten Personen wird seit dem Jahr 1999 nicht mehr ausgewiesen). 108 1995: 18,1 %; 1996: 16,4 %; 1997: 25,5 %; 1998: 16,7 %; 1999: 20,0 %. 109 1996: 19,5 %; 1997: 20,2 %; 1998: 20,1 %; 1999: 20,3 %. 104 105
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in 76 Fällen (48,7 %) in ein anderes Bundesland und in 5 Fällen (3,2 %) ins Ausland110. In 25 Fällen erfolgte eine Ausstattung mit Tarnpapieren bzw. eine Namensänderung. Von den 150 im Jahr 1999 ausgelaufenen Fällen wurden 57 (38,0 %) nach Wegfall der Gefährdung, 54 aufgrund eines absprachewidrigen Verhaltens (36,0 %) und 39 (26,0 %) wegen mangelnder Freiwilligkeit des zu schützenden Zeugen beendet111. Generell besteht ein Problem darin, dass eine erhebliche Anzahl von zu schützenden Zeugen ihr ganzes Leben kriminell gewesen ist und sich an einen bestimmten luxuriösen Lebensstandard gewöhnt hat, der ihnen jetzt nicht mehr garantiert werden kann112. Für diese Personen dürfte eine eher kurze Verweildauer im Zeugenschutzprogramm unterstellt werden.
E. Zusammenfassung und Kritik Während beim strafprozessualen Zeugenschutz in Verfahren organisierter Kriminalität im Wesentlichen der Schutz von mit dem Staat zusammenarbeitenden Personen, wie Verdeckten Ermittlern, V-Personen sowie Informanten im Vordergrund steht und häufig dazu führt, dass die Genannten von den Innenbehörden gesperrt werden und daher nicht in der Hauptverhandlung erscheinen, ist es ein erklärtes Anliegen polizeilicher Zeugenschutzprogramme, so genannte „Aussteiger“ in einer (bzw. in der Regel mehreren) Hauptverhandlung(en) präsentieren zu können. Gerade den Aussagen dieses Personenkreises wird eine hohe Bedeutung in der Bekämpfung organisierter Kriminalität beigemessen. Allerdings widerspricht die dabei zugrunde liegende These, dass „Zeugen oftmals die einzigen persönlichen Beweismittel (sc. sind), die im Strafprozeß aufgrund ihrer Nähe zu Tatplanung und Tatausführung Angaben über Organisations- und Täterstrukturen sowie deren Hintermänner machen können“113, der ebenfalls der organisierten Kriminalität zugeschriebenen Strategie, das Prinzip der Abschottung nach innen wie nach außen lückenlos durchzuführen. Gelänge es organisierter Kriminalität tatsächlich, Aufgaben sowie Identitäten einzelner Gruppenmitglieder untereinander geheim zu halten, wäre der Aufklärungserfolg, der mit aussagebereiten Aussteigern erzielt werden kann, nicht besonders hoch zu veranschlagen. Dass ein Schutz aussagebereiter Zeugen nach übereinstimmenden polizeilichen Angaben möglich ist und selbige, fühlen sie sich einmal sicher, regelmäßig in einer Hauptverhandlung aussagen, lässt es andererseits als zweifelhaft erscheinen, dass bei den mit dem Staat zusammenarbeitenden Personen der Aspekt der körperlichen Gefährdung dafür ausschlaggebend ist, deren Identität geheimzuhalten. Plausibler ist es im Gegensatz dazu, dass der entscheidende Grund für die Abgabe einer Sperr110 111 112 113
24 vom BKA bzw. ZKA betreute Fälle ohne Angaben. Die Angaben für die Jahre 1994 und 1996 fallen ähnlich aus, vgl. Buggisch 2001, 302. Für die USA geschildert bei Abadinsky 1994, 488 ff. sowie Albanese 1996, 195. Vgl. nur Soiné / Soukup 1994, 466; Rebmann / Schnarr 1989, 1186; Zacharias 1997, 45.
11 Kinzig
162
Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
erklärung ist, dass diese Personen weitere Informationen aus der kriminellen Szene liefern sollen. Anderenfalls wäre zu begründen, warum die aus dem kriminellen Milieu drohende Gefahr für mit dem Staat zusammenarbeitende Zeugen größer ist als für Aussteiger aus der Szene. Darüber hinaus erscheint es fraglich, ob eine objektive Gefahr, tatsächlich geschädigt zu werden, für Aussteiger wie für staatliche Zeugen überhaupt in einem so hohen Maße besteht. Dabei ist nicht zu verkennen, dass im Einzelfall durchaus gravierende Vorgänge geschildert werden114. Für eine relativ geringe reale Gefährdung spricht zunächst, dass die im Lagebild Zeugenschutz 1999 als „Aktionen der Gegenseite“ geschilderten 2 Strafanzeigen / Beschwerden, 33 Ausspähungen sowie 37 Bedrohungen / Angriffe bei 414 Zeugen und 430 einbezogenen Personen als relativ marginal erscheinen. Auch könnte der Umstand, dass durch Zeugenschutzprogramme in Baden-Württemberg bisher ein wirksamer Zeugenschutz gewährleistet werden konnte115, nicht nur auf die Effizienz dieses Schutzes hindeuten, sondern auch darauf hinweisen, die reale Dimension der Gefährdung nicht zu hoch anzusiedeln. Dies stünde zudem mit der Überlegung im Einklang, dass, stellt man ein rationales Handeln organisierter Krimineller in Rechnung, eine Zeugenbedrohung oder gar Gewaltanwendung in vielen Fällen kontraproduktiv sein dürfte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die entsprechenden Personen bereits den Behörden offenbart haben, da ein massives Vorgehen nur den Fahndungsdruck erhöhen würde116. Auch könnte damit nicht mehr verhindert werden, dass die entsprechenden Aussagen Eingang in das Strafverfahren finden. Besonders stark dürfte das Engagement der Strafverfolger werden, wenn mit den Behörden von vornherein zusammenarbeitende Personen geschädigt würden. Rational wären solche Bedrohungen und insbesondere deren Realisierung nur dann, wenn sie Aussagen verhindern könnten oder der Disziplinierung anderer Gruppenmitglieder dienten, die Geltung eines internen Sanktionenkatalogs unterstrichen und damit präventiv wirkten. Letzteres würde wiederum die Existenz einer solchen Gruppenstruktur voraussetzen, bei der ein derartiges Handeln als Signal wahrgenommen und dementsprechend eingeordnet würde. Ein sinnvolles Täterverhalten scheint am ehesten in der Erzeugung von Angst zu liegen, ohne dazu Straftaten begehen zu müssen. Eine solche Strategie dürfte auch – soweit ersichtlich – vorherrschend sein117. Daher spricht alles dafür, dass bei Personen, die aufgrund der Brisanz ihrer Aussagen in polizeiliche Zeugenschutzprogramme eingebunden werden, dem Aspekt Podolsky 1995, 79 ff. Nach Informationen des LKA Baden-Württemberg kam es in den zehn Jahren Zeugenschutz bisher nicht zu gravierenden Vorfällen. Auch aus den USA wird berichtet, dass von 4000 bis zum Jahre 1982 in Zeugenschutzprogramme aufgenommener Personen niemand in Folge einer Enttarnung getötet wurde (Graham 1985, 88). 116 Ähnlich Zacharias 1997, 89. 117 Zacharias 1997, 89. 114 115
Abschn. 2, Kap. 7: Konzepte des materiellen Strafrechts
163
der Verfahrenssicherung, d. h. der Erhaltung der Aussagebereitschaft, die entscheidende Bedeutung für den gewährten staatlichen Schutz zukommt. Sind diese Personen, wie häufig, zugleich Beschuldigte, dürfte für sie neben der Minderung eines sicherlich häufig vorhandenen subjektiven Gefährdungsgefühls die Hoffnung auf Strafmilderung eine maßgebliche Rolle bei ihrer Entscheidung für eine Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden spielen118. Bei den strafprozessualen Rahmenbedingungen, die den Schutz vor Gefahren infolge von Aussagen im Strafverfahren, insbesondere solcher in der Hauptverhandlung, beabsichtigen, fällt auf, dass die dazu vorliegende Rechtsprechung ganz überwiegend Fälle von Verdeckten Ermittlern, V-Personen und Informanten betrifft. Dabei wird aber nur selten danach differenziert, ob die Zeugen primär wegen Gefahren, die ihnen konkret drohen, oder eher deswegen geschützt werden, d. h. ihre Identität geheimgehalten wird, weil sie weiterhin im Rahmen der Strafverfolgung bzw. Informationsgewinnung tätig sein sollen. Die Aspekte des Zeugenschutzes können mit anderen Zielen des Strafprozesses in Konflikt geraten, insbesondere mit denen der Erforschung der materiellen Wahrheit als Gebot des Rechtsstaates wie mit der Wahrnehmung der legitimen Verteidigungsinteressen des Beschuldigten.
Kapitel 7
Konzepte des materiellen Strafrechts zur Bekämpfung organisierter Kriminalität In diesem Kapitel werden wichtige Vorschriften des materiellen Strafrechts beleuchtet, die auf die Ahndung organisierter Kriminalität abzielen. Dazu gehört der Tatbestand der „Bildung krimineller Vereinigungen“ in § 129 StGB (A.) wie das Konzept der bandenmäßigen Begehungsweise (B.), die bei einer Reihe von Straftatbeständen, die als besonders organisationsverdächtig gelten, strafschärfend wirkt. Gestreift wird auch die Gewerbsmäßigkeit als weiterer straferhöhender Umstand (C.), der ebenfalls bei einer Anzahl von Tatbeständen in Ansatz gebracht wird. In einem vierten Abschnitt wird auf andere materiellrechtliche Schritte zur Bekämpfung organisierter Kriminalität, insbesondere auf die auf das illegal erworbene Vermögen abzielenden Maßnahmen wie die Einführung des Geldwäschetatbestandes, des erweiterten Verfalles wie auch der Vermögensstrafe eingegangen (D.).
118
2., a). 11*
Zu den daraus entstehenden Gefahren für die Wahrheitsfindung vgl. Kapitel 18, J., III.,
164
Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
A. Der Tatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen (§ 129 StGB) Gesamteuropäisch wird die Pönalisierung der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als wichtiger Beitrag zur Bekämpfung organisierter Kriminalität angesehen1. Im deutschen Recht ist die Vorschrift, die die Bildung krimineller Vereinigungen unter Strafe stellt, in § 129 StGB geregelt. Absatz 1 dieser Vorschrift bestimmt in der Fassung des 34. StÄG2: „Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt oder sie unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Nach § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist Absatz 1 allerdings nicht anzuwenden, „wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist.“ Die Wirkungsweise des Tatbestandes der Bildung krimineller Vereinigungen in Deutschland ist nur im historischen Kontext zu verstehen. § 129 StGB geht inhaltlich zurück auf § 2 des preußischen Edikts „wegen Verhütung und Bestrafung geheimer Verbindungen, welche der allgemeinen Sicherheit nachteilig werden könnten“ von 1798. Diese Vorschrift stellte ein „ad-hoc-Gesetz“ dar und richtete sich speziell gegen eine Verbindung, die sich im Zuge der französischen Revolution gebildet hatte. Strafbar waren in der Folge im 19. Jahrhundert vor allem Mitglieder und Teilnehmer an Verbindungen, die sich über Veränderungen in der Verfassung oder in der Verwaltung des Staates Gedanken machten und dabei eine praktische Tendenz aufwiesen3. Der Grundgedanke dieser Gesetzgebung war vor allem, eine Gefährdung staatlicher und sozialer Interessen zu verhindern4. Eine politische Stoßrichtung enthielt auch § 129 des Reichsstrafgesetzbuches aus dem Jahre 1871, der die „Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken oder Beschäftigungen es gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften“, unter Strafe stellte5. Zwei Aspekte kennzeichneten den Begriff der in § 129 RStGB ent1 Siehe dazu die „Gemeinsame Maßnahme . . . betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ (ABl. C 351 vom 29. 12. 1998, S. 1), die der Rat der Europäischen Union am 21. 12. 1998 beschlossen hat. Vgl. auch den Generalbericht von Weigend zur Vorbereitung des XVI. Internationalen Strafrechtskongresses (1999, 204 ff.). 2 34. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22. 8. 2002, BGBl I, 3390. 3 Zur historischen Entwicklung im 19. Jahrhundert vor allem Carstens 1909; Berner 1857, 446 ff. 4 Carstens 1909, 82. 5 Betroffen waren zunächst vor allem Anhänger der Sozialdemokratischen Partei, die die Vollziehung des Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 2. Oktober 1878 zu verhindern suchten (vgl. RGSt 6, 215; RGSt 11, 350; RGSt 17, 193; RGSt 24, 328).
Abschn. 2, Kap. 7: Konzepte des materiellen Strafrechts
165
haltenen Verbindung: Es musste eine Unterordnung des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit erfolgen, also eine gewisse Organisation vorhanden sein. Zudem hatte diese Verbindung im Gegensatz zur bloßen Versammlung auf längere Dauer angelegt zu sein6. Auch nach dem 2. Weltkrieg behielt der durch das 1. Strafrechtsänderungsgesetz7 umgestaltete § 129 StGB seine (politische) Aufgabe, „den organisierten Staatsfeind zu treffen“8. Der Tatbestand der „politischen Massenkriminalität“ 9 erfuhr vor allem drei Veränderungen: Der Zweck bzw. die Tätigkeit der Organisation sollte jetzt im Begehen von Straftaten liegen. Der Begriff der Verbindung wurde durch den der Vereinigung ersetzt. Zudem wurde auch die Unterstützung einer solchen Vereinigung unter Strafe gestellt. Obwohl die Vorschrift damit dem Wortlaut nach entpolitisiert war10, wurde sowohl vom historischen Gesetzgeber11 als auch in der Kommentarliteratur weiterhin ein starker Zusammenhang zu den Staatsschutzdelikten hergestellt12. Dies zeigte sich auch in der nachfolgenden Anwendungspraxis. So hatte § 129 StGB in den 50er Jahren vor allem in Verfahren gegen kommunistische Organisationen Bedeutung. Dabei knüpfte der Bundesgerichtshof in der (politischen) Zielrichtung der Vorschrift an die Rechtsprechung des Reichsgerichts an13. Auch bei der Änderung des § 129 StGB durch das Vereinsgesetz im Jahre 1964 wurde „vor allem an die Betätigung von und für Vereinigungen politischen Charakters gedacht.“14 Unter Bezugnahme auf Art. 9 Abs. 2 GG stellte der BGH fest, dass die Vereinigung im Geltungsbereich des Grundgesetzes bestehen müsse15. Durch diese einschränkende Interpretation war § 129 StGB bis zum 34. StÄG im Jahre 2002 nur auf solche Vereinigungen anwendbar, die wenigstens eine Teilorganisation im Geltungsbereich des Grundgesetzes besaßen16. Diese ReVgl. etwa RGSt 13, 273 (277); Oppenhoff 1901, §§ 128 f., S. 329 f. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. 8. 1951, BGBl I, 739. 8 So Dehler, zitiert nach Fürst 1989, 27. 9 Von Weber 1951, 646. 10 Lange 1952, § 129, S. 36 sprach von einem unbemerkten Sinneswandel der Vorschrift und hielt sie nun auch auf Verbrecher- („Ringvereine“) für anwendbar. 11 § 129 StGB war in ein Gesetz eingebettet, das sich die Aufgabe setzte, „zum Staatsschutz einen die moderne Taktik der Staatsfeinde berücksichtigenden Beitrag auf strafrechtlichem Gebiet zu leisten“ (Schafheutle 1951, 609 f.). 12 Vgl. Schönke 1952, § 129 II.3., der auf § 90a (verfassungsverräterische Vereinigungen) verwies; auch Schafheutle 1951, 619 sah die Novelle in Verbindung mit der Verfolgung „staatsfeindlicher Verbindungen“. Im Übrigen Hohmann 1992, 85 f. 13 Vgl. etwa BGHSt 10, 16 (die KPD betreffend); BGHSt 15, 136 (die SDA betreffend); die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts (in BVerfGE 17, 155 (165)), § 129 StGB treffe heute vor allem Verbrechervereine, scheint nicht von der Anwendungsrealität gedeckt gewesen zu sein. 14 BGH NJW 1975, 985. 15 BGH NJW 1966, 310 (312). 16 BGHSt 30, 328; noch bestätigt in BGH CR 2002, 378; vgl. aber den durch das OrgKG eingeführten § 30b BtmG. 6 7
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duktion der Strafnorm auf Inlandsorganisationen ergab sich dann, wenn man im Meinungsstreit, welches Rechtsgut § 129 StGB zugrunde liegt, der herrschenden Ansicht folgte. Nach dieser schützt § 129 StGB die öffentliche Sicherheit und die staatliche Ordnung17. Die von Rudolphi begründete Gegenmeinung sieht in den §§ 129 und 129a StGB eine über § 30 StGB (Versuch der Beteiligung; Verbrechensverabredung) hinausgehende Vorverlagerung des Strafschutzes in das Vorbereitungsstadium. Schutzgut der §§ 129 und 129a StGB seien demzufolge die im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches geschützten Rechtsgüter18. Rechtsvergleichend ist interessant, dass Arzt bei der Schweizer Parallelvorschrift des Art. 260ter schwStGB19 insoweit eine Verbindung der in Deutschland diskutierten Ansichten vornimmt, als er davon spricht, Art. 260ter schwStGB schütze einerseits „die durch Gewalt- und Bereicherungsverbrechen bedrohten Rechtsgüter“, andererseits auch „die öffentliche Sicherheit“20. In Österreich werden als Schutzgüter des Tatbestandes der Kriminellen Organisation in § 278a öStGB der öffentliche Friede, aber auch die Rechtsgüter der von der Organisation in Aussicht genommenen Tatbestände angegeben21. Auch Mitte der 70er Jahre in den so genannten Hausbesetzerfällen wurde der Zusammenhang des § 129 StGB mit den Staatsschutzdelikten und damit der politische Anwendungscharakter der Vorschrift deutlich22. So wurden die Hausbesetzer als eine Vereinigung charakterisiert, die den Zweck verfolge, „das Haus in ihre Gewalt zu bringen und auf diese Weise gegen Fehlentwicklungen im Wohnungsbau, gegen die Höhe der Mieten und die Wohnungsknappheit sowie gegen das weitgehende Fehlen von Kontaktmöglichkeiten in Neubauvierteln und die darauf 17 So Tröndle / Fischer 2003, § 129 Rdnr. 2; Lackner / Kühl 2001, § 129 Rdnr. 1; LK / v. Bubnoff 1995, § 129 Rdnr. 1: „innere öffentliche Sicherheit“; Sch / Sch / Lenckner 2001, § 129 Rdnr. 1: schützt den „zugleich die öffentliche Sicherheit mitumfassenden öffentlichen Frieden“; Arzt / Weber 2000, § 44 Rdnr. 11; vgl. auch Arnold 2000, 124. 18 Rudolphi 1978, 317 f.; ders. SK StGB 1998, § 129 Rdnr. 2; AKStGB / Ostendorf 1986, § 129 Rdnr. 5 „unmittelbar geschützten Rechtsgüter“; NK-StGB-Ostendorf 2002, § 129 Rdnr. 5; Langer-Stein 1987, 150 ff.; Fürst 1989, 68; Scheiff 1997, 25 ff.; Hohmann 1992, 86. 19 Art. 260ter schwStGB lautet: „Wer sich an einer Organisation beteiligt, die ihren Aufbau und ihre personelle Zusammensetzung geheimhält und die den Zweck verfolgt, Gewaltverbrechen zu begehen oder sich mit verbrecherischen Mitteln zu bereichern, wer eine solche Organisation in ihrer verbrecherischen Tätigkeit unterstützt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft.“ 20 Arzt 1998, § 4 Kriminelle Organisation Rdnr. 110. 21 Triffterer in Triffterer-Komm 1997, § 278a Rdnr. 8; offen WK / Steininger 2000, § 278a Rdnr. 1; ausführlich zu rechtsvergleichenden Aspekten: Arnold 2000, 139 ff. 22 Vgl. auch BGHSt 28, 147. Dort wurde festgestellt, dass zwei Personen keine Vereinigung im Sinne des § 129 StGB bilden könnten. In der Begründung wurde ebenfalls ein Konnex zwischen § 129 StGB und dem Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung sowie dem Gedanken der Völkerverständigung hergestellt.
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beruhende Vereinsamung des Einzelnen zu demonstrieren.“23 Zur gleichen Zeit häuften sich Urteile, in denen § 129 StGB Anwendung gegen linksradikale bzw. linksterroristische Kreise fand24. In den 90er Jahren standen dann Entscheidungen gegen rechtsextremistische Organisationen im Vordergrund der Rechtsprechung des BGH zu § 129 StGB. Darin wurde wiederum betont, dass die im Rahmen des Tatbestandes begangenen bzw. geplanten Straftaten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen müssten25. Mittlerweile dürfte sich nach den Anschlägen des 11. September 2001 das Schwergewicht auf die Anwendung auf islamistisch-fundamentalistische Organisationen verlagert haben26. Die Anwendbarkeit des § 129 StGB auf unpolitische kriminelle Organisationen „entdeckten“ die Strafverfolgungsorgane offensichtlich nach der Einführung der Möglichkeit zur Telefonüberwachung (§ 100a StPO) im Jahre 196827. Die Liste der Straftaten, bei denen eine solche Ermittlungsmaßnahme zulässig war, enthielt anfangs nur Delikte des Staatsschutzes und der Hochkriminalität, darunter auch § 129 StGB28. Nach der Rechtsprechung hinderte es die Verwertbarkeit der abgehörten Tatsache nicht, wenn der Tatverdacht einer angenommenen Katalogtat letztendlich nicht für eine Verurteilung ausreichte29. Auch war und ist es möglich, alle im Rahmen einer Überwachung nach § 100a StPO gewonnenen Erkenntnisse zu verwerten, soweit sie mit dem Verdacht einer Katalogtat im Sinne dieser Bestimmungen im Zusammenhang stehen30. Somit konnten „Erkenntnisse, die bei einer wegen des Verdachts eines Vergehens nach § 129 StGB angeordneten Telefonüberwachung gewonnen worden sind, auch zum Nachweis der Taten verwendet werden, 23 BGH NJW 1975, 985; vgl. aber BGHSt 31, 239. Dort wurde die Qualifikation einer Gruppe von Hausbesetzern als Organisation im Sinne des § 129 StGB abgelehnt. Ebenso BGH EzSt StGB § 129 Nr. 3; vgl. auch LG Berlin wistra 1985, 241. 24 BGHSt 27, 325 (Gruppe, deren Bestreben darauf gerichtet war, „auf der Grundlage linksradikal-anarchistischer Anschauungen, die Gefängnisse überhaupt zu beseitigen und die bestehende Gesellschaftsordnung umzustürzen“); BGHSt 28, 26 („Rote Armee Fraktion“); BVerfGE 56, 22 („Rote Armee Fraktion“). 25 BGHR StGB § 129 Gruppenwille 2 („Wehrsportgemeinschaft 1. Werwolf-Jagdeinheit Se.“); OLG Düsseldorf NStZ 1994, 86 („Nationale Offensive“); BGHSt 41, 47. Diese Entscheidung, in der es darum ging, ob Sprühaktionen rechtsextremistischer Parolen für die Anwendung des § 129 StGB ausreichen, hat durchweg Kritik erfahren: vgl. Schittenhelm, NStZ 1995, 343 f.; Ostendorf, JZ 1996, 55 f.; Krehl, JR 1996, 208 – 210. 26 Vgl. etwa BGHR StGB § 129 Straftaten 2 aus dem Jahr 2001 im Falle eines Funktionärs im PKK-“Heimatbüro“. 27 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 13. 8. 1968, BGBl I, 741. Dazu in jüngster Zeit etwa Walischewski 2000; Arnold 2000, 132 ff. 28 So etwa LR / Dünnebier 1971, § 100a Rdnr. 5. Die Liste der Katalogtaten ist in den vergangenen drei Jahrzehnten erheblich ausgeweitet worden. 29 BGH U. v. 5. 3. 1974 – 1 StR 365 / 73 (Verdacht nach § 129 StGB bei späterer Verurteilung wegen eines Rauschgiftdelikts); vgl. BGHSt 26, 298 (301). 30 BGHSt 26, 298 (302).
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von welchen bei der Anordnung der Maßnahme angenommen wurde, sie seien im Rahmen der kriminellen Vereinigung begangen worden, und zwar unabhängig davon, ob ein Vergehen nach § 129 StGB nachgewiesen werden kann.“31 Anfang der 80er Jahre lassen sich vermehrt Entscheidungen beobachten, in denen der Bundesgerichtshof eine Verurteilung unpolitischer Vereinigungen nach dieser Vorschrift ablehnte. So hielt er § 129 StGB nicht für einschlägig in Fällen, „in denen drei Täter nichts weiter verbindet als der Wille, vorübergehend gemeinsam Diebstähle zu begehen“, und verwies stattdessen auf die Bandendelikte32. In einer Leitentscheidung aus dem Jahr 1983 stellte der BGH fest, dass unter einer Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB „der auf Dauer angelegte organisatorische Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu verstehen (sc. sei), die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen.“33 Gegenüber der Bande verlange die kriminelle Vereinigung ein gewisses Mindestmaß an fester Organisation. So stelle auch ein ausschließlich zum Zwecke der illegalen Arbeitskräftevermittlung gegründetes oder betriebenes Wirtschaftsunternehmen in der Regel keine kriminelle Vereinigung dar34. Ebenso wurde die Anwendbarkeit des § 129 StGB in einem Fall verneint, in dem Eltern einzelne Diebesfahrten verschiedener Kinder organisierten, darüber hinaus aber kein organisatorischer Zusammenschluss der Beteiligten bestand35. In einem anderen Fall betrieb ein Angeklagter eine Organisation, die, überwiegend in der Bundesrepublik, acht Spielkasinos unterhielt, in denen illegale Glücksspiele veranstaltet wurden. Auch hier wurde eine Strafbarkeit wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verneint, da sich die einzelnen Personen nur dem Willen der Leitungsperson unterworfen hatten, der tatbestandlich erforderliche Gruppenwille aber nie gebildet wurde36. Im Falle eines weiteren Betreibens eines Spielclubs wurden zwar die formalen Voraussetzungen einer Vereinigung i. S. des § 129 StGB als erfüllt angesehen, jedoch müsse eine solche eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder den öffentlichen Frieden mit sich bringen37. Kürzlich wurde auch bei einer Bande gewerbsmäßiger Zigarettenschmuggler (Höhe des Steuerschadens mehr als 20 Millionen DM) die Nichtverurteilung nach § 129 StGB gebilligt. Im Gegensatz zu den Bandendelikten verlange § 129 StGB die Unterordnung des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit. Diese Unterordnung liege nicht vor, wenn sich – wie bei streng hierar31 BGHSt 28, 122 (127) (Im konkreten Fall erfolgte die Verurteilung der Angeklagten wegen Vermögensdelikten, ohne dass eine Anklage nach § 129 StGB erhoben wurde). 32 Bereits in BGH bei Holtz MDR 1977, 282; BGH NStZ 1982, 68 bei intensiver Zusammenarbeit bei Urkundenfälschungen und Betrugshandlungen. 33 BGHSt 31, 202 (204 f.). 34 Leitsatz in BGHSt, a. a. O. 35 OLG Köln NStE Nr. 2 zu § 129 StGB. 36 BGH StV 1991, 14. 37 BayObLG StV 1998, 265.
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chisch organisierten Gruppierungen – der Einzelne nur dem Willen eines anderen Individuums unterordne oder die Unterordnung unter einen Gruppenwillen unterbleibe38. Verneint wurde § 129 StGB auch im Falle von Straftaten innerhalb eines Umweltunternehmens, da es auch hier an der Voraussetzung eines für alle Beteiligten verbindlichen übergeordneten Gruppenwillens fehlte39. Lediglich zwei Entscheidungen sind veröffentlicht, in denen der BGH bei einer Organisation, die mit der Durchführung von Heroingeschäften befasst war, die Anwendbarkeit des § 129 StGB bejaht hat40. Im Ergebnis brachten beide Verurteilungen dem Angeklagten allerdings paradoxerweise Vorteile, da sich aufgrund geänderter Konkurrenzverhältnisse die Zahl der abgeurteilten Straftaten verringerte. Die historisch bedingte Indienstnahme des § 129 StGB für politische Gruppierungen und die damit verbundene enge Auslegung durch die Rechtsprechung lässt für die Anwendung auf Gruppierungen organisierter Kriminalität also wenig Raum41. Auch mit dem durch das OrgKG neu geschaffenen § 30b BtMG ist es offenbar nicht gelungen, eine häufigere Verurteilung nach § 129 StGB zu erreichen. § 30b BtMG erlaubt es, § 129 StGB bei Rauschgiftorganisationen auch dann anzuwenden, wenn nicht einmal eine Teilorganisation in der Bundesrepublik besteht42. Während somit die Bedeutung des Tatbestandes der kriminellen Vereinigung im Bereich des materiellen Strafrechts bei Deliktsfeldern, die landläufig der organisierten Kriminalität zugerechnet werden, gegen Null tendiert, dient er, wie bereits angedeutet, partiell dazu, die Anwendung besonderer Ermittlungsmaßnahmen zu ermöglichen43. So verweisen die Straftatenkataloge bei der Rasterfahndung (§ 98a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO), bei der Telefonüberwachung (§ 100a Satz 1 Nr. 1c StPO), beim Abhören außerhalb von Wohnungen (§ 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO), beim Abhören innerhalb von Wohnungen (§ 100c Abs. 1 Nr. 3e StPO) sowie beim Einsatz Verdeckter Ermittler (§ 110a Abs. 1 Nr. 2 StPO) auch auf den Tatbestand der kriminellen Vereinigung und machen so den Einsatz dieser besonderen Ermittlungsmaßnahmen möglich. Auch die Ausweitung der Anwendung des § 129 StGB auf dem Rauschgiftsektor in § 30b BtMG kann in diesem Zusammenhang gesehen werden44. Von 3868 von den Bundesländern und dem Generalbundesanwalt für das Jahr 2001 (2000: 3353) gemeldeten Telefonüberwachungen ergingen 110 (2000: 72) nach § 100a Nr. 1c StPO bzw. 2111 (2000: 1994) nach § 100a Satz 1 BGH StV 1999, 424. BGHR StGB § 129 Gruppenwille 3. 40 BGH bei Holtz MDR 1980, 988 sowie BGH NStZ 1981, 303. 41 Zur Anwendungshäufigkeit von § 129 StGB vgl. Kapitel 10, A. Grässle-Münscher 1991, 167 spricht – etwas übertrieben – von einer „rein politischen Anwendungspraxis.“ 42 Skeptisch von vornherein Körner 1993, 236. 43 LK / v. Bubnoff 1995, vor § 129 Rdnr. 2; Tröndle / Fischer 2003, § 129 Rdnr. 4; für § 129a StGB vgl. Albrecht, P.-A. 1992, 82. 44 Weber 1999, § 30b Rdnr. 3. 38 39
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Nr. 4 StPO45, die jeweils auch auf die Katalogtat der Bildung einer kriminellen Vereinigung verweisen. Wird § 129 StGB so auch als „Ermittlungsparagraph“ bzw. als „Generalschlüssel“46 zur Anordnung besonderer Ermittlungsmaßnahmen bezeichnet, dürfte diese Bedeutung durch die sukzessive Ausweitung der Katalogtaten, vor allem bei der Telefonüberwachung, seit dem Jahr 1992 abgenommen haben47. Vor dem Hintergrund dieser Analyse verwundert die Kritik, die gegen die Ausgestaltung und Handhabung des § 129 StGB vorgebracht wird, nicht. Der Forderung, wie bereits im Rauschgiftbereich, die Anwendbarkeit des § 129 StGB auf ausländische Organisationen auszudehnen48, ist der Gesetzgeber durch die Einfügung von § 129b StGB nachgekommen49. Eine solche Ausdehnung war schon vor den terroristischen Anschlägen vom September 2001 geplant, forderte Artikel 4 I der erwähnten Gemeinsamen Maßnahme der EU Inlandstaten „unabhängig von dem Ort im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten, an dem die Vereinigung ihre Operationsbasis hat oder ihre strafbare Tätigkeiten ausübt“, zu erfassen. Ein weiterer gewichtiger Kritikpunkt liegt in dem Vorhalt, dass § 129 StGB nach gängiger Rechtsprechung gerade auf die im Bereich der organisierten Kriminalität zunehmend auftretenden hierarchisch geführten Tätergruppen keine Anwendung findet50. Auch verhindere das vielen kriminellen Organisationen eigene Prinzip der Abschottung, dass der von der Rechtsprechung geforderte gemeinsame Wille gebildet werde51. Geprüft werden solle, ob und wie die Konzeption des § 129 StGB in rechtsstaatlicher Weise ausgebaut und auf solche Fälle organisierter Kriminalität erstreckt werden könne52. Ein anderer Vorschlag geht schließlich bereits seit langem dahin, die Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung im Urteilsspruch sichtbar zu machen. Gedacht wird dabei an die Einführung einer Strafschärfungsvorschrift53. Andererseits wird sogar davor gewarnt, dass nicht selten das Bild einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB von der Polizei künstlich erzeugt werde,
BT-Drs. 14 / 7521, S. 7 f. und 14 / 10001, S. 4 f. Rebscher / Vahlenkamp 1988, 170; vgl. auch Schaefer, H.C. 1998, 15. 47 So auch Pütter 1998, 184. 48 Bereits Sieber / Bögel 1993, 360; LK / v. Bubnoff 1995, vor § 129 Rdnr. 7 f. Wie oben dargestellt, hielt eine Mindermeinung § 129 StGB wegen des anderen Schutzgutes bereits „de lege lata“ auch auf ausländische Organisationen für anwendbar (vgl. Rudolphi SK StGB 1998, § 129 Rdnr. 13; Langer-Stein 1987, 222 f.; Scheiff 1997, 55 ff.; Fürst 1989, 59 ff. 49 34. Strafrechtsänderungsgetz v. 22. 8. 2003, BGBl I, 3390, vgl. Rauschenberger 2001 sowie Altvater 2003. 50 Sieber / Bögel 1993, 358 f.; Tröndle / Fischer 2003, § 129 Rdnr. 4. 51 Vgl. Forthauser 1992, 20 ff. 52 LK / v. Bubnoff 1995, vor § 129 Rdnr. 4. 53 Schaefer, H.C. 1987; ders. 1997, 26; LK / v. Bubnoff 1995, vor § 129 Rdnr. 4. 45 46
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nur um das Vorhandensein organisierter Kriminalität begründen zu können. Dies berge die Gefahr einer Konstruktion krimineller Vereinigungen in sich, die von der Realität in der Bundesrepublik nicht gedeckt sei54. Mit Blick auf den derzeit in § 129 Abs. 1 StGB vorgesehenen Strafrahmen, der (nur) eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren umfasst, sowie auf die historisch gewachsene, von der Rechtsprechung unterstützte Anwendungspraxis im politischen Strafrecht ist derzeit nicht zu erwarten, dass der Tatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen in absehbarer Zeit eine Konjunktur im deutschen Strafrecht erleben wird.
B. Die bandenmäßige Begehungsweise als straferhöhender Umstand Die in Kapitel 2 aufgezeigten Entwicklungslinien von historischen Erscheinungsformen der Bande zu heutigen Vorstellungen von organisierter Kriminalität finden eine Parallele in der strafrechtlichen Definition und Diskussion um den Begriff und das Konzept der Bande. Beginnend mit dem OrgKG im Jahr 1992 hat der Gesetzgeber die Strategie ergriffen, organisierte Kriminalität dadurch stärker zu ahnden, dass er die bandenmäßige Begehungsweise in eine Vielzahl von Straftatbeständen als straferhöhenden Umstand eingeführt oder stärker unter Strafe gestellt hat.
I. Bandendelikte bis zum Inkrafttreten des OrgKG 1992: von einem historisch engen Verständnis zu einem weiten Bandenbegriff
Bis zum Jahr 1990, d. h. kurz vor dem Inkrafttreten des OrgKG, existierten lediglich vier Tatbestände, bei denen die bandenmäßige Begehungsweise als Qualifikation strafschärfend ausgestaltet war. Dabei handelte es sich um den bandenmäßigen Diebstahl (§ 244 I Nr. 2 StGB), den bandenmäßigen Raub (§ 250 I Nr. 2 StGB), den bandenmäßigen Schmuggel (§ 373 II Nr. 3 AO) sowie in § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG um bandenmäßige Betäubungsmitteldelikte 55. In den ersten drei Fällen wird im Tatbestand verlangt, dass der Täter das jeweilige Delikt als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von näher bestimmten Straftaten verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds ausführt. Dagegen weist die bandenmäßige Begehungsweise im Betäubungsmittelbereich die Besonderheit auf, dass der Gesetzgeber auf das Erfordernis einer Mitwirkung eines zweiten Bandenmitglieds bei der Tatausführung verzichtete56. Rebscher / Vahlenkamp 1988, 30, 170. Während die drei erstgenannten Qualifikationen eine lange Tradition aufweisen, wurde die Bande in das Betäubungsmittelgesetz erstmals im Jahr 1972 (durch das Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln vom 22. 12. 1971, BGBl I, 2092, Bekanntmachung am 10. 1. 1972, BGBl I, 1) aufgenommen. 54 55
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Zu erwähnen sind daneben verschiedene Vorschriften des Nebenstrafrechts. So existieren seit dem Jahr 1978 im Waffenrecht in § 52a Abs. 2 Satz 2 WaffG bzw. § 22a Abs. 2 Satz 2 KWKG Vorschriften, bei der die bandenmäßige Begehungsweise „unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitgliedes“ als Regelbeispiel ausgestaltet ist57. Dazu wurde im Jahr 1990 in § 19 Abs. 2 Nr. 1 KWKG für den strafbaren Umgang mit Atomwaffen bei bandenmäßiger Begehungsweise eine echte Qualifikation eingeführt58. Seit dem Jahr 1990 besteht auch in § 34 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 AWG ein entsprechendes Regelbeispiel59.
1. Bandendiebstahl und Bandenraub Rechtshistorisch60 ist der Bandenbegriff einerseits mit Assoziationen an eine körperschaftliche Struktur der betreffenden Gruppierung, andererseits aber auch an eine geschäfts-, berufs- bzw. gewerbsmäßige Begehungsweise verknüpft, Vorstellungen, die sich im heutigen Verständnis organisierter Kriminalität wiederfinden. So war ein gewerbsmäßiges Element schon § 1209 des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten aus dem Jahre 1794 eigen. Dieser lautete: „Haben Mehrere sich verbunden, den Diebstahl als ein gemeinschaftliches Gewerbe zu betreiben: so hat der Rädelsführer zehnjährige bis lebenswierige, die andern Mitverbundenen aber eine sechs- bis zehnjährige Zuchthaus- oder Festungsstrafe . . . verwirkt.“61 Eine Definition der Bande wurde damals wohl deswegen nicht für nötig erachtet, weil solche Erscheinungen den Zeitgenossen noch plastisch vor Augen standen. So habe das Bild, das die Vorstellungen der Redaktoren des ALR von einer Bande prägte, aus „Rotten zusammengelaufenen Gesindels“ bestanden, „wel56 Zu den Gründen: Körner 2001, § 30 Rdnr. 25. Die Formulierung im BtMG wurde wiederum Vorbild für die Fassung der Bandendelikte im Zuge des OrgKG und danach. 57 Gesetz zur Änderung des Waffenrechts vom 31. 5. 1978, BGBl I, 641; vgl. Steindorf 1999, § 52a Rdnr. 9. Nach dem am 1. 4. 2003 in Kraft tretenden Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechts vom 11. 10. 2002 (BGBl I, 3970) nunmehr in § 52 Abs. 5 Satz 2 WaffG. 58 Durch das Gesetz zur Verbesserung der Überwachung des Außenwirtschaftsverkehrs und zum Verbot von Atomwaffen, biologischen und chemischen Waffen vom 5. 11. 1990, BGBl I, 2428. 59 Durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes vom 20. Juli 1990, BGBl I, 1457 (damaliger § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AWG). Durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes vom 28. 2. 1992, BGBl I, 372 wurde die Strafrahmenuntergrenze auf zwei Jahre angehoben, vgl. dazu Lübbig 1996, 147 ff. 60 Zur so genannten Gefolgschaft im germanischen Strafrecht: Wilda 1842, 612 ff.; vgl. auch den historischen Überblick bei Scherer 1966, 9 ff. 61 Zit. nach Mannkopff 1838. Ähnlich auch die spätere Fassung des Art. 60 des Strafgesetzbuches für das Königreich Sachsen vom 1. 10. 1868: „Haben Personen sich im Allgemeinen zu gewerbsmäßigem Stehlen, zu Brandstiftungen, Räubereien oder anderen Gewaltthaten verbunden, so trifft die Anstifter der Verbindung und die Anführer Zuchthausstrafe bis zu sechszehn Jahren, jeden anderen Theilnehmer an derselben Arbeitshaus- oder Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren.“
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che, ausgetreten und ausgestoßen aus der bürgerlichen Gesellschaft, in Schlupfwinkel zurückgezogen, nur von Raub und Diebstahl lebten, und diese Verbrechen mit desto größeren Grausamkeiten verübten, jemehr sie von Sicherheits- und Rechtspflege verfolgt wurden.“62 Die erhöhte Strafe für den Rädelsführer kann ebenfalls als Ausdruck einer Vorstellung von einer großen, hierarchisch strukturierten Organisation angesehen werden63. Da § 1209 ALR von diesem Vorverständnis beeinflusst war, war es nicht erforderlich war, die Bande gesetzlich zu definieren. Der wachsende Abstand zum Auftreten dieses gesellschaftlichen Phänomens führte allerdings im Laufe der Zeit zusammen mit der Formulierung der Vorschrift, die „das eigentliche Wesen“ der Bande gerade nicht enthielt, dazu, dass man „aus dieser Beschreibung der Bande . . . nun freilich alles machen“ konnte64. Erschwerend für die Tradierung eines engeren Verständnisses der Bande kam hinzu, dass „man lange von einer, die öffentliche Sicherheit gefährdenden, eigentlichen Bande nichts gehört“65 hatte. Die dadurch entstehende Diskrepanz zwischen dem Phänomen, das einst zur Einführung der Bandenqualifikation geführt hatte, und der späteren Auslegung dieses Begriffes wurde wie folgt beschrieben: „Sollte trotz unserer polizeilichen Anstalten wieder eine (sc. Bande) vorkommen, so wird der Richter, um die Anwendung der Strafen zu begründen, nicht fragen: Ob zwei oder drei Menschen zum Begriff der Bande erforderlich seyen, ob sie einen Vertrag zu stehlen auf bestimmte oder unbestimmte Zeit eingegangen seyen, ob sie wirklich den Diebstahl hübsch wie ein bürgerliches Handwerk betrieben hätten? Er wird nur fragen, ob wirklich eine aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgetretene zusammengerottete Diebsgesellschaft existire, die durch Stehlen in großer Masse der öffentlichen Sicherheit auf ungewöhnliche Weise gefährlich geworden sey.“66 Geradezu modern erscheint in diesem Zitat die Anknüpfung an die Eignung der Gruppierung, die öffentliche Sicherheit zu gefährden. Jedoch wurde die Bande noch Mitte des 19. Jahrhunderts in einem Lehrbuch als ein besonderer Körper im allgemeinen Staatskörper charakterisiert, die einen möglichst in sich abgeschlossenen Organismus im Staatsorganismus zu erzeugen suche. „Die Concentration und selbständige Constituirung einer solchen Bande bringt es bisweilen dem Staate gegenüber und innerhalb des Staates zu einem wahrhaften Analogon des Staates. Wir finden in der Bande bisweilen eine förmliche Organisation der Arbeit, wie im Staate.“67 Später wurde die Bande dann „in Temme 1997 (Nachdruck 1840 / 1841), 383. Auch Bar 1859, 97 sprach von Statuten der Bandenmitglieder. 64 Temme 1997 (Nachdruck 1840 / 1841), 384; Kritik aus anderer Richtung findet sich bei Berner 1847, 514, wonach der Staatsminister von Arnim im Jahr 1803 erklärt haben soll, dass nach dieser Definition der betreffende Tatbestand praktisch nicht erfüllt werden könne, weil die Verbindung zu einem gemeinschaftlichen Gewerbe nicht nachweisbar sei. 65 Temme 1997 (Nachdruck 1840 / 1841), 386. 66 Temme 1997 (Nachdruck 1840 / 1841), 386. 67 Berner 1847, 490. 62 63
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Verbindung mit dem gewohnheits- und gewerbsmäßigen Verbrechen“ diskutiert und der Grund der erhöhten Strafbarkeit darin gesehen, „dass die Vereinigung zur Bande, zur fortdauernden Verübung von Verbrechen, die verbrecherische Thätigkeit selbst als eine berufsmäßige erscheinen läßt.“68 Beide Facetten heutigen Verständnisses organisierter Kriminalität, eine körperschaftliche Struktur wie eine arbeitsteilige, geschäfts- bzw. gewerbsmäßige Begehungsweise, ja sogar der Aspekt der Gefährdung der inneren Sicherheit, wurden also zur Ausfüllung des Bandenbegriffs im 19. Jahrhunderts herangezogen. Ins preußische Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1851, um eine besonders wichtige Kodifikation dieser Zeit zu nennen, wurde in der Folge aber eine entleerte Form des Bandenbegriffes aufgenommen69. Nach § 218 Nr. 8 prStGB wurde auf Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren erkannt, „wenn zu dem Diebstahle zwei oder mehrere Personen als Urheber oder Theilnehmer mitwirken, welche sich zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl verbunden haben.“70 An der Fassung dieser Vorschrift wurde daher kritisiert, dass dadurch der eigentliche Charakter des Bandenbegriffes „nicht blos verwischt, sondern völlig vernichtet“ sei71. Ähnliche Begriffsbestimmungen, die auf Feuerbachs Unterscheidung zwischen Komplott und Bande zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurückgingen72, fanden sich auch in den Bestimmungen anderer Einzelstaaten. Das deutsche Strafgesetzbuch nahm dann, dem preußischen folgend, die bandenmäßige Begehungsweise nicht als allgemeine Vorschrift, sondern nur beim Diebstahl und Raub in die §§ 243 Nr. 6 und 249 Nr. 2 RStGB auf. Die Strafe für die jeweiligen Grunddelikte wurde verschärft, wenn „zu dem Diebstahle (bzw. Raube) Mehrere mitwirken, welche sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden haben.“73 Das Reichsgericht füllte den Bandenbegriff in zwei für die weitere Entwicklung maßgeblichen Entscheidungen der Jahre 1883 / 1884 aus, ohne den historischen Formen der Bande einen bestimmenden Einfluss auf seine Auslegung beizumessen. So stellte es fest, dass es zwar richtig sei, „dass rechtsgeschichtlich der Begriff der ,Bande‘ von Erscheinungen ausgegangen ist, in welchen verbrecherische Verbindungen mit fester genossenschaftlicher Organisation und gewerbsmäßigem Verbrechensbetrieb ohne Beschränkung auf Zeit oder gewisse Oertlichkeiten erkennbar waren.“ Ebenso gewiss sei es aber, „dass die neuere Strafgesetzgebung sich Hälschner 1881, 555 ff. Zu den gesetzlichen Bestimmungen in den Einzelstaaten vgl. Firnhaber 1914, 28 ff.; Alexander 1920, 72 ff.; Rottmann 1926, 11 ff.; Loeber 1936, 13 ff. 70 Analog dazu qualifizierte § 232 Nr. 2 des Preussischen Strafgesetzbuches den Raub. 71 So Temme 1997 (Nachdruck 1853), 279; zur Entstehungsgeschichte auch: Goltdammer 1991 (Nachdruck 1852), 486 f. 72 Feuerbach 1808, § 46b S. 49: „Das Complott heißt Bande, wenn der Zweck dieser Vereinigung nicht ein bestimmtes einzelnes Verbrechen, sondern eine ganze Gattung, mithin eine unbestimmte Menge einzelner Verbrechen, ist.“ 73 Dazu Hälschner 1881, 557; Hälschner 1884, 329 ff. 68 69
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von dieser historischen Erscheinungsform der ,Bande‘ losgelöst hat; übrig geblieben ist lediglich diejenige Begriffsbestimmung, welche die §§ 243 Nr. 6 und 250 Nr. 2 als qualifizierendes Moment eines von mehreren ausgeführten Diebstahles oder Raubes dahin geben, dass ,sich mehrere zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden haben‘.Das Gesetz erfordert also auf der einen Seite mehr, als eine komplottmäßige Verabredung zur Ausführung einer gewissen Zahl individuell bestimmter Diebstähle bzw. Räubereien; die Verbindung soll unbestimmt und unbegrenzt durch einzelne, vorher geplante, konkrete Delikte ganz allgemein auf den Gattungsbegriff von Raub oder Diebstahl und deren künftige Begehung abzielen. Trifft diese Voraussetzung aber zu, dann sieht das Gesetz schlechthin davon ab, ob die Verbrechensverbindung auf dem Stehlen und Rauben als gemeinsamem und ausschließlichem Lebenserwerbe ruht, ob die innere Organisation eine losere oder festere ist, ob sie mehr oder weniger Gewähr dauernden Bestandes darbietet.“ 74 Wenig später wurde als Grund für die erhöhte Strafbarkeit des Bandendiebstahls genannt, dem Eigentum drohe dadurch eine höhere Gefahr, „dass mehrere Personen sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbinden und, meist nach Vertheilung der Rollen, unter gemeinschaftlichem Zusammenwirken die jeweils aufstoßende oder ausgesuchte Gelegenheit zu Diebstählen benützen.“ Unter dieser Voraussetzung genüge jede Art von Mitwirkung75. In beiden entschiedenen Fällen hatten sich jeweils vier Angeklagte zu Taschendiebstählen auf Jahr- bzw. Wochenmärkten zusammengetan. Damit hatte sich die Auslegung des Bandenbegriffes weit von den Vorstellungen des beginnenden 19. Jahrhunderts entfernt. Die Definition der Bande näherte sich vielmehr der bloßen Mittäterschaft an. Auch eine gewerbsmäßige Ausübung war nicht erforderlich. Nach der Rechtsprechung begann die Mitwirkung mehrerer schon beim Handeln von zwei Personen76. Einschränkend wurde lediglich diskutiert, wie unkonkret die nach Art und Zahl in Aussicht genommenen Diebstähle zu sein hätten, um die Anwendbarkeit der Qualifikation zu gewährleisten77. Auch eine stillschweigende Verbindung genügte schon für die erforderliche Bandenabrede78.
RGSt 9, 296 f. RG Rspr. 6 Nr. 251 S. 644 (646 f.). 76 RGSt 16, 173 (174 f.) 77 So wurde Bandendiebstahl in einem Fall abgelehnt, in dem zwei Mittäter vereinbart hatten, Diebstähle an Mehl und Kleie zum Nachteil eines Mühlenbesitzers zu begehen (RGSt 25, 421 (423)). Andererseits hielt das Reichsgericht eine Beschränkung auf die Begehung von Fahrraddiebstählen nicht für ausreichend, Bandendiebstahl auszuschließen, weil alle näheren Begleitumstände, insbesondere die Personen der Geschädigten, die einzelnen Gegenstände der Wegnahme, die Zeit der Ausführung und selbst die Örtlichkeiten offen geblieben waren (RGSt 47, 340 (341)). Nach RGSt 52, 209 (211) war Bandendiebstahl zumindest dann auch gegen denselben Eigentümer möglich, wenn es sich dabei um den Staat handele. 78 RGSt 56, 90; bestätigt in: BGH bei Dallinger MDR 1967, 369. 74 75
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Die geringen Anforderungen an den Bandenbegriff führten schon bald zu der Verlegenheit, dennoch eine Abgrenzung zur bloßen Mittäterschaft gewährleisten zu müssen. Dafür machte das Reichsgericht das Merkmal des „Mitwirken Mehrerer beim Diebstahl“ in § 243 Nr. 6 RStGB fruchtbar. Dieses wurde dahingehend konkretisiert, dass ein irgendwie geartetes zeitliches und örtliches Zusammenwirken mehrerer Mitglieder der Bande bei der Ausführung der einzelnen Diebstähle erforderlich sei. Zwar wurde als Grund für die Strafschärfung verbal noch die in dem „willensmäßigen Zusammenschluss für die Dauer liegende Gefahr“, also die Bandenabrede, in den Vordergrund gerückt. Da man aber insoweit auf die Benennung einschränkender Erfordernisse verzichtet hatte, war es unerlässlich, auch beim Diebstahl, „freilich in geringerem Maße als beim Bannbruch und der Zollhinterziehung“, ein örtliches und zeitliches Zusammenwirken Mehrerer zu verlangen und darin einen weiteren gefahrerhöhenden Umstand zu sehen. Daher seien nur diejenigen Bandenmitglieder mit der Strafe des Bandendiebstahles zu belegen, die bei der Ausführung zugegen und irgendwie mittätig seien79. Wer zur Bande gehöre, aber nicht an einem einzelnen Diebstahl mitgewirkt hätte, könne als Teilnehmer nur nach § 242 StGB strafbar sein80. Diese Rechtsprechung des RG schränkte der BGH dahingehend ein, dass das nichtmitwirkende Bandenmitglied zwar nicht wegen Täterschaft, aber doch wegen Beteiligung am Bandendiebstahl bestraft werden könne. Grund für diese Kehrtwendung war die Überlegung, dass zwar außerhalb der Bande stehende Nichtmitglieder als Anstifter oder Gehilfe des Bandendiebstahls bestraft werden könnten, dies aber bei einem Bandenmitglied, das örtlich nicht tätig geworden sei, nicht möglich sein solle, obwohl es eine höhere Mitschuld an der Tat treffe als ein Nichtmitglied, weil es am Fortbestehen der gefährlichen Verbrechensverabredung der Bande noch immer teilhabe. Wiederum wurde betont, dass der Grund der Strafschärfung nicht nur in der allgemeinen Verbrechensverabredung, sondern auch in der besonderen Gefährlichkeit örtlich gemeinsamer Tatbegehung liege81. Die Aufnahme des Wortes „Bande“ durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts im Jahre 196982 im neuen § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB führte nicht zu einer veränderten Auslegung. Der BGH sah sich nicht veranlasst, von seiner Ansicht, bereits zwei Personen könnten eine Bande bilden, abzuweichen, zumal der Grund für die Gefährlichkeit „vor allem in der engeren Bindung, die die Mitglieder für die Zukunft eingehen und die einen ständigen Anreiz zur Fortsetzung bildet“, liege83. Auch wurde noch einmal bekräftigt, die Annahme einer „Bande“ hänge 79 RGSt 66, 236: Hier ging es um zwei Personen, die jeweils nur von einem allein gestohlene Fahrräder gemeinschaftlich absetzten. 80 RGSt 73, 322. 81 BGHSt 8, 205 (208 f.); dazu Dünnebier JR 1956, 148; BGHSt 25, 18; BGHSt 33, 50 (52); BGH bei Holtz MDR 1994, 763; BGH StV 1995, 586; BGH NStZ 1996, 493. 82 1. StrRG vom 25. 6. 1969, BGBl I, 645; zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. auch Müller 2002, 322 f.
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nicht davon ab, dass eine feste Organisation vereinbart sei, in der die einzelnen Mitgliedern ganz bestimmte Rollen übernähmen84. Einschränkend wurde lediglich ausgeführt, die Verbindung zu einer, wenn auch fortgesetzten Tat, sei für Bandenraub nicht ausreichend85, und die besondere Gefährlichkeit des bandenmäßigen Zusammenschlusses sei nur dann gegeben, wenn die zur Aburteilung stehende Tat im Rahmen der Absichten liege, welche die Täter mit der Bildung der Bande verfolgten86. Dagegen sei es ausreichend, wenn sich die Bandenmitglieder für einen überschaubaren Zeitraum von nur wenigen Tagen zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hätten, wobei hierfür genüge, dass die Beteiligten beabsichtigten, die bandenmäßige Verbindung für eine gewisse Dauer aufrechtzuerhalten87.
2. Bandenschmuggel Bereits im Jahr 1869 waren in das Vereinszollgesetz (VZG) Bestimmungen aufgenommen worden, die den Bandenschmuggel besonders unter Strafe stellten. Nach § 146 Abs. 1 VZG wirkte in Form einer Zusatzstrafe strafschärfend, „wenn drei oder mehrere Personen zur gemeinschaftlichen Ausübung einer Kontrebande oder Defraudation sich verbunden haben“. Wurde „eine derartige Verbindung für die Dauer eingegangen“, war die Strafe nach § 146 Abs. 3 VZG noch einmal zu verschärfen. § 146 Abs. 2 VZG enthielt eine Beweiserleichterung für die Anwendung des § 146 Abs. 1 VZG, wenn drei oder mehrere Personen zusammen in Ausübung eines Vergehens betroffen wurden88. In diesem Fall brauchte eine vorausgegangene Verabredung nicht nachgewiesen zu werden89. Der Grund für die erhöhte Strafe des bandenmäßigen Schmuggels lag wesentlich darin, „dass das örtlich und zeitlich verbundene Auftreten einer Mehrzahl bewusst zusammenwirkender Genossen die Bekämpfung des Schmuggels den Zollbeamten erschwert, die Konflikte verschärft und so die Gefährlichkeit des verbrecherischen Treibens erhöht.“ Vorausgesetzt wurde also, dass drei oder mehr Personen an Ort und Stelle 83 BGHSt 23, 239 (240) = JR 1970, 388 m. zust. Anm. Schröder; vgl. auch BGH bei Dallinger MDR 1970, 560; eine Ehegattenbande lag schon in BGH bei Dallinger MDR 1967, 369 vor. 84 BGH bei Dallinger MDR 1973, 555; BGH GA 1974, 308: „Beide Merkmale (sc. Bande und Verbindung) setzen weder eine gegenseitige Verpflichtung der Mitglieder zur Begehung solcher Delikte noch die Bildung einer ,festgefügten Organisation‘ voraus.“ 85 BGH bei Dallinger MDR 1972, 752. 86 BGH bei Dallinger MDR 1972, 925. 87 BGHR StGB § 244 Abs. 1 Nr 3 Bande 1. 88 Zur frühen Rechtsprechung des Reichsgerichts: Löbe 1890 und 1912; zur Gesetzgebungsgeschichte auch Schild 1982, 60 ff. 89 RGSt 18, 174 (177); vgl. auch RGSt 54, 246: Einer vorausgegangenen Verabredung bedarf es dazu nicht, es genügt das Einverständnis bei der Ausführung der Tat, das nicht ausdrücklich zu sein braucht, sondern auch stillschweigend erklärt werden kann.
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persönlich als Mittäter oder Gehilfen zusammenwirkten90, und zwar in Form einer aktiven, tätigen Mitwirkung an der bandenmäßigen, komplottmäßigen Ausführung des Vergehens91. Eine entscheidende Rolle spielte dabei die Beweiserleichterung des § 146 Abs. 2 VZG, die lediglich auf das äußere Erscheinungsbild der Tat abstellte. Getroffen werden sollte also nur der, der durch sein persönliches Mitwirken bei der Verübung des Vergehens zu dessen größerer Gefährlichkeit beigetragen habe92. Die Strafen aus § 146 VZG wurden gegen jeden der unmittelbar zusammenwirkenden Teilnehmer rechtlich in gleicher Weise angedroht, war die Teilnahme als Beihilfe oder als Mittäterschaft zu beurteilen93. Im Jahr 1939 wurden die §§ 146, 148 VZG im Wesentlichen unverändert in § 401b RAO überführt, der in Absatz 2 Nr. 1 die Modalität, „wer sich mit zwei oder mehr Personen zu gemeinsamer Ausübung der Zollhinterziehung oder des Bannbruchs verbindet und das Vergehen gemeinschaftlich mit ihnen ausführt“, vorsah94. Auch nach dieser Gesetzesänderung blieb das zeitlich und örtlich verbundene Auftreten einer Mehrzahl von Schmugglern als entscheidendes Kriterium erhalten, so dass der BGH sich dagegen wandte, auch eine „vergeistigtere“ Form zu erfassen95. Die Schwerpunktsetzung auf der Tatbegehung veranlasste den BGH auch dazu, die Bandenmäßigkeit nicht als besonderes persönliches Merkmal anzusehen96, so dass Beihilfe zum Bandenschmuggel auch ein Außenstehender leisten könne, der nicht Mitglied der Bande sei97. Spätere Entscheidungen betrafen vor allem die Art und Weise des erfor90 RGSt 18, 174 (177); vgl. auch RGSt 60, 344 (346); RGSt 71, 49 (50). Freilich durfte von den drei Mittätern auch einer ein strafunmündiges elfjähriges Kind sein (RGSt 19, 192). 91 RGSt 23, 330; RGSt 69, 105 (106): Kein § 146 VZG, wenn sich ein vereinzelter für sich und lediglich für eigene Rechnung tätiger Schmuggler der Willfährigkeit mehrerer mit der Zollaufsicht betrauter Grenzbeamter versichert hat und diese die strafbare Handlung jenes Täters durch Nichteingreifen, Nichtanzeige oder sonstige Unterlassungshandlungen unterstützen. Ebenso BGH bei Herlan GA 1955, 366: „Das Merkmal der Bandenmäßigkeit erfordert, dass sich die Verbindung gerade gegen die Zollbeamten richtet. Daher liegt kein Bandenschmuggel vor, wenn zwei Schmuggler mit Zollbeamten zur Begehung von Schmuggel zusammenwirken.“ 92 RGSt 39, 53 (54). 93 RGSt 47, 377 (379); zu RAbgO § 401b Abs. 2 Nr. 1: BGH NJW 1952, 945 m. zust. Anm. Hartung; BGHSt 4, 32: „Der an einem Bandenschmuggel durch körperliches, örtliches und zeitliches Zusammenwirken mit den anderen Bandenmitgliedern Beteiligte ist dann, wenn er das Schmuggelunternehmen nur fördern will, nicht Täter, sondern nur Gehilfe des Schmuggelunternehmens. Er ist demgemäß der bandenmäßig begangenen Beihilfe zum Schmuggel schuldig.“ 94 Gesetz zur Änderung der Reichsabgabenordnung vom 4. 7. 1939 (RGBl I, 1181). Durch das zweite Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze (2. StrafOÄndG) vom 12. 8. 1968 erhielt der bisherige § 401b die Paragraphennummer 397. 95 BGHSt 3, 40 (42): In diesem Fall waren bei der konkreten Tatausführung des ins „Werk gesetzten Großschmuggelunternehmens“ immer nur zwei Täter zugegen. 96 BGHSt 6, 260 (261 f.). 97 BGHSt 8, 70 (72).
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derlichen Zusammenwirkens98. Der Große Senat bekräftigte, dass auch beim Bandenschmuggel zwischen Täterschaft und Teilnahme zu unterscheiden sei. Die bandenmäßige Teilnahme an der Zollhinterziehung und am Bannbruch sei ein persönlicher Strafschärfungsgrund99. Im Jahre 1977 wurde der Bandenschmuggel erneut umgestaltet. Der neue § 373 AO wurde an die Vorschriften über den Bandendiebstahl in § 244 Abs. 1 StGB angepasst. § 373 Abs. 2 Nr. 3 AO sieht nunmehr die Strafschärfung für denjenigen vor, der die Tat „als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung der Hinterziehung von Eingangsabgaben oder des Bannbruchs verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds“ ausführt100. Die über 100 Jahre geltende Einschränkung, dass mindestens drei Personen für eine Bande erforderlich seien, wurde damit aufgegeben101.
3. Bandenmäßige Betäubungsmitteldelikte In das Betäubungsmittelrecht wurde der Bandenbegriff im Jahre 1972 in § 11 Abs. 4 S. 3 Nr. 4 BtmG aufgenommen. Verschiedene Tatbestandshandlungen wurden als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles ausgestaltet, „wenn der Täter als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Straftaten verbunden hat.“ Auf das Merkmal „unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds“ wurde verzichtet. Auch hier lässt sich historisch eine Diskrepanz zwischen dem Ziel der gesetzgeberischen Aktion und dem dann implementierten weiten Bandenbegriff erkennen102. Laut der Begründung des Gesetzentwurfs kam es jedenfalls der Bundesregierung darauf an, den Zusammenschluss zu Banden zu treffen, „die wie Spionagedienste organisiert sind.“ Auch weitere Formulierungen wie „auf der untersten Stufe des Bandennetzes“ sowie „Bandenführung“ belegen103, dass dem Gesetzgeber zumindest auch eine hierarchische Struktur vor Augen schwebte104. Im Jahre 1982 wurden in § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtmG verschiedene Grundtatbestände als Verbrechen qualifiziert, wenn der Täter „dabei als Mitglied einer Bande hanBGHSt 7, 33; BGHSt 7, 291; BGHSt 8, 70; BGHSt 10, 217. BGHSt 12, 220. 100 § 373 AO 1977 v. 16. 3. 1976 (BGBl I, 613). 101 Vgl. nur Voss in Gast-de Haan / Joecks / Voss 2001, § 373 AO Rdnr. 33; Senge in Erbs / Kohlhaas § 373 AO Rdnr. 22; Kohlmann § 373 AO 1977 Rdnr. 32. 102 Zutreffend: BGH StV 2000, 315 (317). 103 BT-Drs. VI / 1877, S. 5. Allerdings heißt es auf Seite 10 lapidar: „Der Zusammenschluss von zwei Personen zur fortgesetzten Begehung von Straftaten erfüllt bereits das Merkmal einer Bande.“ 104 Der 1. Strafsenat bezeichnete dies in BGHSt 38, 26 (30) als „kriminologischen Hintergrund“, dem für die Auslegung des Bandenmerkmals keine Bedeutung beizumessen sei. 98 99
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delt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.“105 In seiner Leitentscheidung zu § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG a.F. betonte der 1. Strafsenat im Jahre 1991, dass bei teleologischer Betrachtung die besondere Gefährlichkeit bandenmäßiger Begehungsweise auch im Betäubungsmittelstrafrecht nicht in der Vielzahl der Beteiligten allein, sondern in der engen Bindung, die die Mitglieder für die Zukunft eingingen und die einen ständigen Anreiz zur Fortsetzung bilde, liege106. Dem Umstand, dass das Gesetz auf das so genannte Moment der „Aktionsgefahr“, das heißt, bei der Tatausführung müssten mindestens zwei Bandenmitglieder örtlich und zeitlich zusammenwirken107, verzichtet habe, bedeute nicht, dass diesem Minus durch eine Annäherung an den Begriff der kriminellen Vereinigung in § 129 StGB Rechnung zu tragen sei. Durch die „Besonderheiten des organisierten Rauschgifthandels“ mindere sich weder die Gefährlichkeit der Bandenverbindung noch die der Bandentat. Auch bei Ausführung der einzelnen Tatbestandshandlung durch nur ein Bandenmitglied könne sich die besondere Gefährlichkeit der Bandentat realisieren, die bedingt sei durch „sorgfältige Planung und Vorbereitung, zweckmäßige Arbeitsteilung, umfassende Absicherung, durch gegenseitige Kontrolle, aber auch durch gegenseitigen Schutz.“ Zwei Personen hätten zur Konstituierung einer Bande zu genügen, auch wenn der Gesetzgeber in erster Linie an Organisationen gedacht haben möge108. Als Umstände für das Vorliegen einer Bandenabrede wurden im konkreten Fall „über die gemeinsame Lebensführung der Beteiligten hinaus insbesondere die genaue Buchführung, die geschäftsmäßige Auftragsverwaltung sowie die arbeitsteilige Abwicklung von Akquisition, Vermittlungstätigkeit und Forderungseinzug, wobei jedem der Beteiligten die Rolle eines gleichberechtigten Partners“ zugekommen sei, gewertet. Im Übrigen hänge eine Bande nicht davon ab, dass man eine feste Organisation vereinbart habe, in der den einzelnen Mitgliedern ganz bestimmte Rollen zugewiesen seien109.
Betäubungsmittelgesetz vom 28. Juli 1981, BGBl I, 681. BGHSt 38, 26; vgl. auch BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 1 Bandenmitglied 1; BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 1 Bande 1. 107 So etwa BGH StV 1993, 132: „Die Anwendung des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass bei der Verwirklichung des Diebstahlstatbestandes (mindestens) zwei Mitglieder der Bande zugegen und irgendwie mittätig sind, bei der Ausführung des Diebstahls zeitlich und räumlich zusammenwirken“ im Anschluss an RGSt 66, 236, 242; vgl. BGHSt 25, 18. Vgl. auch BGHR StGB § 244 Abs. 1 Nr. 3 Bande 2; BGH MDR 1994, 763; BGH StV 1995, 586: „Das bedeutet, dass jedenfalls zwei Bandenmitglieder sich am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe befinden müssen.“; BGH StV 1996, 545 = StV 1997, 247; BGH NStZ 1996, 493; BGHR StGB § 244 Abs. 1 Nr 3 Bande 4; vgl. auch für den Bandenraub: BGH StV 1999, 423. Soweit ersichtlich stammt der Ausdruck „Aktionsgefahr“ von Volk Anm. JR 1979, 426 (428). 108 Der BGH nahm insoweit Bezug auf einen vorangegangenen Gesetzentwurf der CDU / CSU-Fraktion (BT-Drs. 8 / 3291, S. 5). Dort hatte es geheißen, der Rauschgifthandel werde überörtlich immer mehr „von straff organisierten und raffinierten Banden“ übernommen, die zum großen Teil international verzweigt und gesteuert seien. 109 BGHSt 38, 26 (28 ff.). 105 106
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4. Zwischenergebnis Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Merkmal der Bande waren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des OrgKG also dadurch geprägt, dass der Bandenbegriff in Abkehr von der ursprünglichen historischen Tradition eine sehr extensive Auslegung erfahren hatte110. Andererseits hatte die Rechtsprechung bei der Auslegung des Bandenbegriffes im BtmG eine Verbindung zum „organisierten Rauschgifthandel“ und damit zu Erscheinungsformen organisierter Kriminalität hergestellt. Auch wenn sie dabei einer Annäherung der Bande an den Begriff der kriminellen Vereinigung in § 129 StGB eine Absage erteilte, führte sie für das Vorliegen einer Bandenabrede verschiedene Indizien ein, die eine Geschäftsmäßigkeit des strafbaren Verhaltens betonten. II. Die drastische Zunahme der Bandendelikte im OrgKG 1992 und im darauf folgenden Jahrzehnt – ein Überblick
Zielsetzung der materiellen Bestimmungen des OrgKG war es, „durch schärfere Strafen die Abschreckungswirkung zu erhöhen und durch Schaffung neuer Vorschriften das Abschöpfen von Geldern aus der Organisierten Kriminalität zu erleichtern.“111 Der Bereich der Organisierten Kriminalität, so die Meinung des Entwurfs, überschneide sich in weitem Umfang mit der bandenmäßigen Begehung und zum Teil auch mit der Begehung von Straftaten durch eine kriminelle Vereinigung, ohne dass das Verhältnis dieser drei Kriminalitätsformen zueinander bisher ausreichend geklärt sei. Die Konturen der organisierten Begehungsweise, insbesondere ihre Abgrenzung zu anderen Kriminalitätsformen, erschienen danach für ein Tatbestandsmerkmal eines Strafgesetzes noch nicht ausreichend gefestigt112. Diese Überschneidungen „in weitem Umfang“ genügten dem Gesetzgeber als Rechtfertigung dafür, im OrgKG zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität an verschiedenen Stellen Strafschärfungen für eine bandenmäßige Begehungsweise einzuführen113. So wurde ein schwerer Bandendiebstahl eingefügt (§ 244a 110 Allerdings trugen Friktionen zwischen dem weiten Bandenbegriff und der Absicht, auf organisierte Kriminalität in besonderer Weise reagieren zu wollen, zur Aufgabe der Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhanges durch den Großen Senat für Strafsachen bei. Dabei argumentierte der BGH, es sei widersprüchlich, wenn für eine bandenmäßige Begehungsweise die Verbindung zur Verübung einer einzigen, sei es auch fortgesetzten Tat, nicht genüge, das fortgesetzte Delikt aber unter Umständen nach Kriterien der „institutionalisierten“ und „organisierten“ Tatbegehung bestimmt werde, mithin nach Deliktsstrukturen, die regelmäßig Ausdruck erhöhter Gefährlichkeit und gesteigerter krimineller Energie seien; BGHSt 40, 138 (148 ff.). 111 Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12 / 989, S. 21. 112 BT-Drs. 12 / 989, S. 24. 113 Kritisch zum Verzicht auf die Anknüpfung an die im Gesetzentwurf genannte Definition organisierter Kriminalität etwa Schoreit 1991, 538; für eine veränderte Interpretation des
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StGB)114 sowie Tatbestände der Bandenhehlerei (§ 260 Abs. 1 Nr. 2 StGB), der gewerbsmäßigen Bandenhehlerei (§ 260a StGB)115, der bandenmäßigen Geldwäsche (§ 261 Abs. 4 Satz 2 StGB) und des bandenmäßigen unerlaubten Glücksspiels (§ 284 Abs. 3 Nr. 2 StGB) geschaffen. Der bandenmäßige Anbau, die bandenmäßige Herstellung sowie das bandenmäßige Handeltreiben mit Betäubungsmitteln wurden zum Verbrechen mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren heraufgestuft (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 BtmG). Beziehen sich diese bandenmäßigen Begehungsweisen (hinzu kommt noch die Ein- sowie die Ausfuhr) auf nicht geringe Mengen von Betäubungsmitteln, liegt nach § 30a Abs. 1 Nr. 1 BtMG die Mindestfreiheitsstrafe sogar nicht unter fünf Jahren. Die 90er Jahre brachten die Einführung einer Vielzahl weiterer Vorschriften, in denen eine bandenmäßige Begehungsweise unter eine höhere Strafe gestellt wurde. Dabei wurde bei allen weiteren Novellierungen nach dem Vorbild des Betäubungsmittelrechts auf das beim Diebstahl und beim Raub vorhandene Erfordernis, dass die Tat „unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds“ begangen werden müsse, verzichtet. Mittlerweile befinden sich allein im Strafgesetzbuch, d. h. ohne die Vorschriften des Nebenstrafrechts, 24 Tatbestände, in denen eine bandenmäßige Begehungsweise straferschwerend wirkt. Zunächst wurde schon kurz nach Inkrafttreten des OrgKG die bandenmäßige Verbreitung pornographischer Schriften in § 184 Abs. 4 StGB mit der Begründung verschärft unter Strafe gestellt, dass damit der besonderen Gefährlichkeit einer organisierten und meist entsprechend konspirativen Begehungsweise Rechnung getragen werde116. Auch im so genannten Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994117 wurden verschiedene Tatbestände, bei denen man eine häufige organisierte Begehungsweise vermutete, mit höheren Strafdrohungen ausgestaltet. So wurde in § 253 Abs. 4 Satz 2 StGB die bandenmäßige Erpressung als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles normiert. Ziel war es insoweit, die Erpressung von Schutzgeldern als „typische Erscheinungsform der Organisierten Kriminalität zu erfassen.“118 Gegen die so genannte Schlepperkriminalität als Teilbereich organisierter Kriminalität richteten sich zudem die Schaffung von qualifizierenden Tatbeständen im Ausländer- und Asylverfahrensgesetz (§§ 92a Abs. 2 Nr. 2, 92b Abs. 1 AuslG; §§ 84 Abs. 3 Nr. 2, 84a Abs. 1 AsylVerfG)119. Bandenbegriffs in Anknüpfung an die Erscheinungsformen organisierter Kriminalität: Erb 1998. 114 Zu dessen Entstehungsgeschichte und zu ersten Auslegungsfragen: Zopfs 1995. 115 Insbesondere dazu Erb 1998. 116 27. Strafrechtsänderungsgesetz vom 23. 7. 1993, BGBl I, 1346; Begründung der Bundesregierung, BT-Drs. 12 / 3001, S. 5. 117 Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung und anderer Gesetze vom 28. 10. 1994, BGBl I, 3186. 118 Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drs. 12 / 6853, S. 27. 119 Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drs. 12 / 5683.
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Im Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13. 8. 1997 wurde bandenmäßiges Handeln in § 300 Satz 2 Nr. 2 StGB (besonders schwerer Fall der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr) sowie in § 335 Abs. 2 Nr. 3 StGB (besonders schwerer Fall der Bestechlichkeit und Bestechung) als Regelbeispiele des besonders schweren Falles ausgestaltet120. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Bekämpfung organisierter Kriminalität erfolgte im Regierungsentwurf allerdings nicht121. Im Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. 1. 1998 wurde in weiteren zehn Tatbeständen eine Strafbarkeit für bandenmäßiges Handeln eingeführt bzw. zumeist verschärft: Es handelt sich dabei um die Geldfälschung (§ 146 Abs. 2 StGB), die Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks (§ 152a Abs. 2 StGB), den Kinderhandel (§ 236 Abs. 4 Nr. 1 StGB), den Betrug (§§ 263 Abs. 3 Nr. 1 und 263 Abs. 5 StGB), den gewerbsmäßigen Subventionsbetrug (§§ 264 Abs. 3, 263 Abs. 5 StGB), die Untreue (§§ 266 Abs. 2, 263 Abs. 3 StGB), die (gewerbsmäßige) Urkundenfälschung (§§ 267 Abs. 3 Nr. 1 und 267 Abs. 4 StGB), die (gewerbsmäßige) Fälschung technischer Aufzeichnungen (§§ 268 Abs. 5, 267 Abs. 3 sowie §§ 268 Abs. 5, 267 Abs. 4 StGB), die Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen (§ 275 Abs. 2 StGB) sowie das Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen (§ 276 Abs. 2 StGB)122. Bei § 152a Abs. 2 StGB123, § 236 Abs. 4 Nr. 1 StGB124, §§ 263 Abs. 3 Nr. 1 und 263 Abs. 5 StGB125, §§ 264 Abs. 3, 263 Abs. 5 StGB126, § 267 Abs. 4 StGB127, §§ 268 Abs. 5, 267 Abs. 4 StGB128, §§ 275 Abs. 2 und 276 Abs. 2 StGB129 erfolgte die Strafschärfung unter ausdrücklichem Hinweis auf Fälle organisierter Kriminalität. Schließlich wurden durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz in § 26c UStG sowie in § 370a AO Qualifikationen einer bandenmäßigen Begehungsweise eingeführt130. Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13. 8. 1997, BGBl I, 2038. BR-Drs. 553 / 96. 122 Sechstes Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. 1. 1998 (BGBl I, 1346). 123 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13 / 9064, S. 10. 124 Begründung der Bundesregierung, BT-Drs. 13 / 8587, S. 40 f. 125 Begründung der Bundesregierung, BT-Drs. 13 / 8587, S. 42. 126 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13 / 9064, S. 19. 127 Begründung der Bundesregierung, BT-Drs. 13 / 8587, S. 42. 128 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13 / 9064, S. 20. 129 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13 / 9064, S. 20. 130 Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuergesetze (Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz – StVBG) vom 19. 12. 2001; BGBl I, 3922; dazu Burger 2002; Joecks 2002; Wegner 2002. Nach heftigen Protesten wurde wenige Monate später durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes (StBAG) und zur Änderung von Steuergesetzen vom 23. 07. 120 121
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Rechtstechnisch existieren drei Modalitäten des Banden-Konzepts. Einerseits wird bandenmäßiges Handeln als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles eines Tatbestandes angeführt. Ist das Beispiel gegeben, so besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass der Fall insgesamt als besonders schwer anzusehen ist; doch kann die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels durch andere Strafzumessungsfaktoren, die die Regelwirkung entkräften, kompensiert werden. Im Übrigen führt die bandenmäßige Begehungsweise ohne weitere Wertung zu einem erhöhten Strafrahmen, zum Teil auch zur Qualifikation als Verbrechen statt Vergehen. Außerdem hat der Gesetzgeber in verschiedenen Fällen gewerbsmäßiges mit bandenmäßigem Handeln kombiniert und mit höheren Strafandrohungen versehen.
III. Die Veränderung des Bandenbegriffs als Folge seiner neuen Zielrichtung zur Bekämpfung organisierter Kriminalität
Die Strategie des Gesetzgebers, organisierter Kriminalität durch eine Vielzahl neuer Bandendelikte mit teilweise deutlich angehobenen Strafrahmenuntergrenzen begegnen zu wollen, konnte nicht ohne Rückwirkungen auf die Auslegung des Bandenbegriffes bleiben. Bei der nun folgenden Darstellung dieser Veränderung wird zugleich versucht, aufzuzeigen, wie die Rechtsprechung mit dem Begriff organisierte Kriminalität oder auch kriminelle Organisation verfährt.
1. Beim Bandendiebstahl und Bandenraub Nach der Einführung bzw. strafschärfenden Behandlung weiterer Bandendelikte zur Bekämpfung organisierter Kriminalität setzte Mitte der 90er Jahre eine Tendenz ein, an den Bandenbegriff, insbesondere an eine Bandenabrede, wieder höhere Anforderungen zu stellen131. So seien zusätzliche Indizien erforderlich, um den Bandenzweck und die Bandenabrede zu konkretisieren. Dabei sei die Eigenart der jeweiligen Tätergruppe in Betracht zu ziehen. Je stärker die Gefährlichkeit einer Tätergruppe durch die Zahl ihrer Mitglieder, durch deren Präsenz bei der Tatausführung oder durch organisatorische Stabilität hervortrete, desto geringer seien die Beweisanforderungen hinsichtlich des Bandenzweckes und der Bandenabrede132. 2002, BGBl I, 2715) § 370a AO erneut geändert und in § 370a AO Satz 2 die Möglichkeit eines minder schweren Falles eröffnet. 131 So lehnte es der BGH ab, „allein mit einer ,professionellen Begehungsweise‘ und ,wiederholten Einbruchsversuchen‘ (unbekannt gebliebener Personen) ,nach gleichem Muster‘“ eine Bandenmitgliedschaft zu begründen (BGH StV 1997, 247). 132 BGH StV 1998, 421 m. Anm. Baier JA 1999, 184 und m. Anm. Erb NStZ 1999, 187, der sich für „ein Minimum von 3 Personen und das Vorhandensein einer Organisationsstruktur oder die planmäßige Einflussnahme auf Dritte zur Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen der Taten“ als restriktive Elemente einer Bande aussprach. In diesem Fall hatten zwei befreundete Krankenschwestern in 95 Fällen gemeinsam sakrale Gegenstände aus Kirchen
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Ein Bandendiebstahl setze ein abgesprochenes Handeln der Täter im übergeordneten Bandeninteresse und mit gefestigtem Bandenwillen voraus, bei dem es sich gegenüber der Mittäterschaft um eine gesteigerte Form deliktischer Zusammenarbeit handele133. Diese erhöhten Anforderungen an den Bandenbegriff erlaubten der Rechtsprechung andererseits, das Tatbestandsmerkmal „unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds“ in seiner bisherigen Bedeutung in Frage zu stellen. So sprach sich zunächst der 3. Strafsenat in einem Anfragebeschluss dafür aus, künftig auch denjenigen als Täter eines Bandendiebstahls zu bestrafen, der zwar nicht am Tatort an der Ausführung des Diebstahls unmittelbar beteiligt ist, aber auf eine andere als täterschaftlicher Tatbeitrag zu wertende Weise daran mitwirkt, wenn der Diebstahl von mindestens zwei weiteren Bandenmitgliedern in zeitlichem und örtlichem Zusammenwirken begangen wird134. Gegen die Auslegung, dass jedes mittäterschaftlich an einem konkreten Diebstahl beteiligte Bandenmitglied seinen Tatbeitrag am Ort der Tatausführung leisten müsse, um als Täter des Bandendiebstahls behandelt zu werden, sprächen, so der 3. Strafsenat, kriminalpolitische Aspekte, die es insbesondere nicht einleuchten ließen, dass der im Hintergrund agierende „Bandenchef“, der das Geschehen dirigiere und alle Fäden in der Hand halte, zwar als Täter am Grunddelikt des § 242 StGB „mitwirken“ könne, nicht aber an der Qualifikation der §§ 244 Abs. 1 Nr. 2, 244a Abs. 1 StGB. Mit der neuen Auslegung wäre zum einen das Erfordernis des örtlichen und zeitlichen Zusammenwirkens von mindestens zwei Bandenmitgliedern am Tatort wie auch eine erhöhte Gefährlichkeit der Tatausführung oder gesteigerte Effizienz der Wegnahmehandlung gegeben. Zum anderen würde der besonderen Gefährlichkeit der Verbrechensverabredung und damit dem kriminellen Motor der Bandenmitgliedschaft ebenfalls hinreichend Rechnung getragen. Auch dasjenige Bandenmitglied könne dann entsprechend dem Gewicht seines Tatbeitrages bestraft werden, dem aufgrund seiner „Einbindung in die bandenmäßige Organisation und Ausführung der Tat“ gerade kein Platz bei der und Kapellen entwendet und an Antiquitätenhändler verkauft. Auch Glandien befürwortete in einer Anmerkung zu einem Urteil des LG Koblenz (NStZ 1998, 197) eine einschränkende Auslegung des § 244a StGB. Vgl. auch OLG Düsseldorf StV 1999, 154. 133 BGH StV 2000, 669. Jedoch wendete der BGH § 244a StGB auch auf Jugendbanden an, vgl. BGH StV 2000, 670. 134 Im zugrunde liegenden Fall hatte sich der Angeklagte einer Bande angeschlossen, deren Ziel es war, den Kfz-Markt in Polen mit Ersatzteilen zu beliefern. Dazu fuhren jeweils mindestens drei Täter, jedoch niemals der Angeklagte, mit Fahrzeugen des Angeklagten los, um geeignete Diebstahlsobjekte zu suchen, die Fahrzeuge aufzubrechen und zu entwenden und dann in ein Waldstück zu verbringen, wo sie ausgeschlachtet wurden. Die ausgebauten Autoteile wurden mit einem der Fahrzeuge des Angeklagten an die polnische Grenze oder direkt nach Polen verbracht, wo sie verkauft wurden. Der Angeklagte hatte die Aufgabe, Örtlichkeiten zur Durchführung der Demontage der gestohlenen Fahrzeuge auszukundschaften, sodann seine Komplicen zu der von ihm ausgesuchten Stelle zu lotsen und die anderen Täter nach Durchführung der Tat wieder abzuholen und nach Hause zu fahren sowie außerdem der Bande mit deutschen Kennzeichen versehene Autos zur Verfügung zu stellen, um sie in die Lage zu versetzen, unauffälliger agieren zu können.
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unmittelbaren Tatbegehung, sondern dem eine andere wesentliche Rolle im Hintergrund zugeteilt worden sei. Auch habe sich das kriminologische Phänomen der Bande im Laufe der Jahre zu neuen kriminellen Erscheinungsformen fortentwickelt, „die im auch international organisiertem Zusammenwirken mehrerer Personen an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten arbeitsteilig agieren.“ Entscheidend für die Gefährlichkeit überregional operierender krimineller Banden sei die bandenmäßige Begehung im Sinne der in der Bandenverbindung geplanten Arbeitsteilung. Die horizontale Teilung der Ausführung sei letztlich ebenso gefährlich wie die vertikale Arbeitsteilung von der Planung der Tat bis zur Verwertung der Beute135. Der 1. Strafsenat schloss sich dieser Auslegung mit dem Argument an, es werde dadurch möglich, „den Einsatz moderner Methoden bei gemeinschaftlicher Begehung eines Diebstahls – bei dem die Beteiligten vielfach Kraftfahrzeuge sowie Mobiltelefone benutzen – und die maßgebliche Rolle des im Hintergrund agierenden Bandenchefs schon bei der rechtlichen Einordnung des Verhaltens eines Bandenmitglieds angemessen zu berücksichtigen.“136 Der 2. und 5. Strafsenat teilten gemäß § 132 Abs. 3 GVG mit, dass sie diesem Rechtssatz unter Aufgabe eigener entgegenstehender Rechtsprechung zustimmen bzw. der beabsichtigten Entscheidung nicht entgegentreten137. Auch der 4. Strafsenat stimmte dieser Rechtsauffassung zu, hielt aber in einem eigenen Anfragebeschluss eine weitere Änderung der Rechtsprechung für erforderlich. So führte er aus, der Grund für die Bandenqualifikation liege nunmehr darin, „dass das Bandenmitglied im Hinblick auf den Diebstahl in die bandenmäßige Organisation täterschaftlich ,eingebunden‘ ist.“ Dabei charakterisiert die Wortwahl „bandenmäßige Organisation“ die Ansicht des 4. Strafsenates, die „klassische“ Bande sei neuen kriminellen Erscheinungsformen gewichen. „Typisch“ für das Bandendelikt sei nicht die „Aktionsgefahr“ am Tatort, sondern die auf Dauer angelegte Verbrechensverabredung. Diese bewirke in der Praxis eine sorgfältige Planung und Vorbereitung der Taten, wodurch die Anwesenheit eines weiteren Bandenmitglieds am Tatort neben dem die Tat unmittelbar Ausführenden überflüssig sei. Nach bisheriger Ansicht könne selbst „das Mitglied einer Verbrecher-Großorganisation mit „Mafia“-Strukturen“ nicht wegen Bandendiebstahls oder Bandenraubes bestraft werden, wenn es den bandenmäßig organisierten Diebstahl (oder Raub) auftragsgemäß „vor Ort“ allein durchführe. Das sei, so der 4. Strafsenat, weder vom Gesetz gefordert noch kriminalpolitisch hinnehmbar. Allerdings mache es die Abgrenzung (bloßer) Mittäterschaft von der Bande erforderlich, dass bei der Bande mindestens drei Mitglieder ein kriminelles Gemeinschaftsinteresse verfolgten138. Der wesentliche Grund für die die erhöhte Strafdrohung rechtfertigende be135 BGH NStZ 2000, 255 m. überwiegend zustimmender Anm. Hohmann und m. kritischer Anm. Otto StrafV 2000, 310; nach der Anfrage entschieden durch BGHSt 46, 120; vgl. auch BGH NStZ 2000, 473 zur Wahlfeststellung, wenn nur eine Person am Tatort ist. 136 BGH StV 2000, 315. 137 Vgl. BGHSt 46, 120 (127 f.). 138 BGH StV 2000, 315 (316).
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sondere Gefährlichkeit liege in der engen Bindung, die die Mitglieder für die Zukunft eingingen und die einen ständigen Anreiz zur Fortsetzung bilde, die aber in einer Zweiergruppe gerade nicht bestehe139. Die Kriterien, die der 3. Strafsenat im Hinblick auf die Mitgliederzahl einer kriminellen Vereinigung aufgezeigt habe, gälten in gleicher Weise für die Bande. „Eine Diebesbande ist bei einem Mindestmaß an Organisation der Prototyp einer kriminellen Vereinigung. Aus diesem Grunde sollten beide Begriffe im Hinblick auf die Mindestzahl der Beteiligten einheitlich definiert werden.“140 Der 5. Strafsenat trat in zwei Entscheidungen der Auslegung durch den 4. Strafsenat nicht entgegen141. Er betonte, in erster Linie erscheine eine einheitliche Auslegung aller Bandenvorschriften des Strafrechts einschließlich des Nebenstrafrechts erstrebenswert. Die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals „unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds“ dürfte sich darin erschöpfen, diejenigen Fälle auszuscheiden, in denen ein Bandenmitglied allein oder einzig unter Mitwirkung von Bandenfremden handele. Andernfalls müsste „im Interesse effektiver Bekämpfung moderner Kriminalitätsstrukturen“ eine andere Auslegung des Mitwirkungsbegriffs gefunden werden. Dagegen sprach sich der 1. Strafsenat in einer umfangreichen Antwort auf die Anfrage des 4. Senats dafür aus, an der herkömmlichen Rechtsprechung festzuhalten. Bei der Argumentation, dass zwei Personen für die Bildung einer Bande ausreichten, habe er sich „am Wortsinn des Begriffs der Bande, an einer Abgrenzung zur kriminellen Vereinigung und vornehmlich an den Materialien zu Gesetzesvorhaben orientiert, die belegen, dass der Gesetzgeber bei Novellierungen in den letzten Jahren von einer gefestigten Rechtsprechung zum Bandenbegriff ausgegangen ist.“142 Nachdem durch die Beantwortung des Anfragebeschlusses des 3. Senates feststand, dass es für eine Verurteilung wegen Bandendiebstahls jedenfalls ausreicht, wenn ein am Tatort an der Ausführung nicht unmittelbar beteiligtes Bandenmitglied auf eine andere als täterschaftlicher Tatbeitrag zu wertende Weise an dem Diebstahl mitwirkt und dieser von mindestens zwei weiteren Bandenmitgliedern in BGH StV 2000, 315 (317). BGH StV 2000, 315 (318) = JZ 2000, 627 m. teilweise zustimmender, teilweise ablehnender Anmerkung von Engländer (JZ 2000, 630), der ebenfalls für eine Bande mindestens drei Personen fordert, aber gleichzeitig auf ein örtliches und zeitliches Zusammenwirken zweier Bandenmitglieder nicht verzichten will. 141 BGH NStZ-RR 2000, 301 zum Anfragebeschluss des 3. Strafsenates sowie BGH 5 ARs 20 / 00 v. 4. 4. 2000 (unveröffentlicht) auf die Anfrage des 4. Senates. 142 BGH StV 2000, 670 (671); vgl. auch BGH B v. 24. 8. 2000 – 1 StR 349 / 00 (unveröffentlicht); dem 1. Senat folgend der 2. Senat, B v. 21. 6. 2000 – 2 ARs 76 / 00 (unveröffentlicht). Der dritte Senat (StV 2000, 677) führte aus, dazu zu neigen, weiterhin zwei Personen für eine Bande als ausreichend zu erachten, andererseits nicht mehr zu fordern, dass mindestens zwei Bandenmitglieder die Tat in zeitlichem und örtlichem Zusammenwirken begehen. 139 140
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zeitlichem und örtlichem Zusammenwirken begangen wird143, erstreckte der BGH diese Rechtsprechung zunächst auf den gleichermaßen strukturierten Bandenraub144. Hier hatte sich der Angeklagte, später auch als „Initiator, Bandenchef und Organisator der Taten“ bezeichnet, mit vier anderen Personen zusammengeschlossen, um Raubüberfälle auf italienische Lokale und Geschäfte zu begehen. Dabei habe er „die Führungsposition“ eingenommen: „Er plante und organisierte die Überfälle, wählte ihm bekannte Lokalitäten als Objekte aus, beschrieb den anderen die Örtlichkeiten und gab Anweisungen zur Durchführung der Taten. Für den Fall der Verhaftung einer der Beteiligten sagte er zu, deren Wohnungen zu finanzieren und sich um geeignete Rechtsanwälte zu kümmern. Bei der Ausführung der Taten war er jeweils nicht am Tatort.“145 In der Folge bestätigten zunächst verschiedene Senate des BGH vor allem für so genannte Zweierbanden ihre Rechtsprechung, dass der für eine bandenmäßige Begehungsweise erforderliche „gefestigte Bandenwille“ voraussetze, dass sich der Täter in einem übergeordneten Interesse der bandenmäßigen Verbindung betätige146. Erneut wurde darauf hingewiesen, dass insbesondere „das Eingebundensein des Täters in einer bandenmäßigen Organisation, eine ,geschäftsmäßige Auftragsverwaltung‘, eine genaue gemeinsame Buchführung, die arbeitsteilige und gleichberechtigte Abwicklung von Akquisition, Vermittlungstätigkeit und Forderungseinziehung, gegenseitige Kontrolle und gegenseitiger Schutz, das Vorliegen einer gemeinsamen Kasse oder die Beteiligung an den gemeinsam erwirtschafteten Gewinnen und Verlusten“ Indikatoren für bandenmäßiges Handeln sein könnten147. Der daraufhin auf Vorlage des 4. Strafsenates148 angerufene Große Senat149 entschied, dass nunmehr der Begriff der Bande „den Zusammenschluss von mindestens BGHSt 46, 120. BGHSt 46, 138 m. Anm. Baier, H. JA 2001, 368 – 371. 145 Vgl. auch BGH U v. 12. 7. 2000 – 3 StR 70 / 00 (unveröffentlicht): Hier wurden von dem Angeklagten und einer weiteren Person Edelstahlprodukte in einer Gesamtmenge von über 4.000 Tonnen entwendet, auf das Betriebsgelände des Mitangeklagten verbracht und von diesem für über 14 Millionen DM verkauft. Vgl. auch die Entscheidung im selben Tatkomplex BGH B v. 21. 7. 2000 – 3 StR 71 / 00 (unveröffentlicht). Dort hatte die Kammer festgestellt, der Angeklagte habe den Gang der Dinge „so gut organisiert“, dass die übrigen Tatbeteiligten auch ohne sein unmittelbares Eingreifen einen Diebstahl ausführen konnten. 146 BGH B v. 23. 11. 2000 – 3 StR 313 / 00 (unveröffentlicht); BGH Stra.F.o 2000, 375; BGH B v. 5. 10. 2000 – 4 StR 361 / 00; BGH B v. 28. 11. 2000 – 4 StR 474 / 00 (beide unveröffentlicht). 147 BGH NStZ 2001, 32; BGH B. v. 19. 10. 2000 – 4 StR 346 / 00 (unveröffentlicht). 148 BGH NStZ 2001, 35 mit den Vorlegungsfragen: 1. Setzt der Begriff der Bande eine Verbindung von mehr als zwei Personen voraus? 2. Erfordert der Tatbestand des Bandendiebstahls das zeitliche und örtliche Zusammenwirken von (mindestens) zwei Bandenmitgliedern? Beide Fragen verneinend: Sya 2001; Engländer Anm. JR 2001, 78 f. argumentiert, „die Strukturen der Organisierten Kriminalität“ lägen bei „Zwei-Personen-Verhältnissen“ regelmäßig nicht vor. 149 BGHSt 46, 321 m. Anm. Vahle Kriminalistik 2001, 401, Martin JuS 2001, 925 f.; Vgl. auch Joerden 2002; zustimmend Ellbogen 2002; Erb 2001, 561 f. zustimmend zur Erhöhung 143 144
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drei Personen voraus(setzt), die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstyps zu begehen. Ein „gefestigter Bandenwille“ oder ein „Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse“ sei nicht erforderlich. Dagegen erfordere der Tatbestand des Bandendiebstahls nicht, dass wenigstens zwei Bandenmitglieder örtlich und zeitlich den Diebstahl zusammen begehen. Es reiche aus, wenn ein Bandenmitglied als Täter und ein anderes Bandenmitglied beim Diebstahl in irgendeiner Weise zusammenwirken. Die Wegnahmehandlung selbst könne auch durch einen bandenfremden Täter ausgeführt werden150. Der Große Senat führte zunächst aus, dass sich die Einwände gegen den tradierten Bandenbegriff nach dem Inkrafttreten des OrgKG verstärkt hätten. Haupteinwand sei, dass eine Willensbildung als gruppendynamischer Prozess erst innerhalb einer größeren Gruppe entstehe und die Gefährlichkeit einer Bande erst bei mehr als zwei Mitgliedern unabhängig vom Aus- oder Hinzutreten einzelner Mitglieder gegeben sei. Durch die bisherigen problematischen Erfordernisse eines „gefestigten Bandenwillens“ wie eines „übergeordneten Bandeninteresses“ sei die Bandentat in die Nähe des Organisationsdelikts der kriminellen Vereinigung des § 129 StGB gerückt worden, obwohl die Bandendelikte keine Organisationsdelikte seien. Zwischenzeitlich seien Bandendelikte „zu Delikten der modernen Massenkriminalität abgewandelt worden“. Angesichts der fehlgeschlagenen Bemühungen der Rechtsprechung, den Bandenbegriff durch zusätzliche Kriterien inhaltlich näher zu bestimmen, sei es sinnvoll und geboten, für eine Bande den Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu kriminellem Tun vorauszusetzen. Zugleich sei diese Erhöhung der Mindestmitgliederzahl „ein einfaches und erfolgversprechendes Mittel, um die Abgrenzung der wiederholten gemeinschaftlichen Tatbegehung durch Personen, die nur Mittäter sind, von derjenigen der bandenmäßigen Begehung zu vereinfachen.“ Entstehungsgeschichte und Gesetzesmaterialien des OrgKG sowie der nachfolgenden Reformgesetze böten keinen Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber die Bande als eine kriminelle Erscheinungsform mit einem Mindestmaß konkreter Organisation oder festgelegter Strukturen verstanden habe. Er habe die Bande lediglich „als mögliche Keimzelle der Organisierten Kriminalität“ gesehen und „als Anknüpfungsmerkmal für erhöhte Strafdrohungen gewählt, indem er die schon im Strafgesetzbuch vorhandenen Merkmale der ,gewerbsmäßigen‘ und ,bandenmäßigen‘ Tatbegehung als besonders ,organisationsverdächtig‘ aufgegriffen“ habe151. auf drei Personen, aber mit Kritik an der Argumentation Altenhain 2001, 113 (140 ff.) sowie ders. 2001, 836 (839) fordert darüber hinaus für die Bande dieselben Voraussetzungen wie für die kriminelle Vereinigung, also „dass sich mehrere Personen auf Dauer zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks zusammenschließen, einer gemeinsamen Willensbindung unterwerfen und zu arbeitsteiligem Zusammenwirken verpflichten“. Nach Sowada (2002, 388) musste das Festhalten an der Zweierbande als fraglich erscheinen, zielten „die neueren Bandendelikte auf die Bekämpfung der ,Organisierten Kriminalität‘“ ab. 150 So die beiden Leitsätze der Entscheidung. 151 Wenn das KG Berlin (5. Strafsenat v. 12. 11. 2001, Juris Dok Nr. KORE448082001) daraus folgert, dass es sich bei einer „zum Zwecke des Diebstahls, des Abtransports, der
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Die Bande unterscheide sich von der Mittäterschaft durch das Element der auf eine gewisse Dauer angelegten Verbindung mehrerer Personen zu zukünftiger gemeinsamer Deliktsbegehung, von der kriminellen Vereinigung dadurch, dass sie keine Organisationsstruktur aufweisen müsse und für sie kein verbindlicher Gesamtwille ihrer Mitglieder erforderlich sei. Die restriktive Auslegung, dass der Begriff der Bande den Zusammenschluss von wenigstens drei Personen zu kriminellem Tun voraussetze, ermögliche es, die Auslegung des Mitwirkungserfordernisses im Tatbestand des Bandendiebstahls von der herkömmlichen Betrachtungsweise der Rechtsprechung zu lösen und die von ihr vorgenommene enge Anbindung an die unmittelbare Tatausführung aufzugeben. Die besondere Gefährlichkeit des Bandendiebstahls und damit der Grund für seine höhere Strafwürdigkeit läge zum einen in der abstrakten Gefährlichkeit der Bandenabrede, zum anderen aber auch in der konkreten Gefährlichkeit der bandenmäßigen Tatbegehung für das geschützte Rechtsgut. Der Aktionsgefahr komme beim Bandendiebstahl aber nur sekundäre Bedeutung zu. Zudem könne sie nicht nur durch gemeinschaftliches Handeln am Ort der Wegnahme, sondern ebenso durch jedes arbeitsteilige Zusammenwirken wenigstens zweier Bandenmitglieder bei der Planung und Vorbereitung der Tat oder bei tatbegleitenden Maßnahmen gesteigert werden. „Eine derartige Arbeitsteilung, die vor allem für organisierte und spezialisierte Diebesbanden typisch“ sei, sei zumindest genauso gefährlich wie die Arbeitsteilung am Ort der Wegnahme selbst. Das Merkmal der Mitwirkung beim Bandendiebstahl setze ferner nicht voraus, dass jedes der zusammenwirkenden Bandenmitglieder Täter ist. So genüge für den Tatbestand auch, wenn ein Bandenmitglied mit einem anderen Bandenmitglied in irgendeiner Weise, etwa als Gehilfe, zusammenwirke152. Trotz der Beteiligung von drei Personen hob der 3. Strafsenat aber wegen fehlender tatrichterlicher Feststellungen eine Verurteilung wegen Bandendiebstahls auf, in der die Kammer ausgeführt hatte, „alle“ Mittäter stammen aus dem gleichen Ort in Rumänien und seien illegal in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, „um hier . . . Diebstähle in großem Stil zu organisieren und durchzuführen.“153 Zur Frage der Beteiligung an einem Bandendiebstahl bekräftigte der BGH im Anschluss an die Entscheidung des Großen Senats seine Ansicht, die Mitgliedschaft in einer Bande als besonderes persönliches Merkmal und die bandenmäßige Begehung als tatbezogenes Mitwirkungserfordernis seien streng zu trennen. Deswegen spreche nichts dafür, „an die Mitgliedschaft selbst in Bezug auf die bei den Beschaffung der Transportfahrzeuge und der kaufmännischen Verwertung der Baumaschinen arbeitsteilig in unterschiedlichen Verantwortungsebenen zusammenwirkenden Vielzahl von Tätern um den Regelfall der Bande, der für die organisierte Kriminalität geradezu typisch ist“, handele, erscheint dieser Schluss durch die BGH-Entscheidung nicht gedeckt. 152 BGH B v. 12. 6. 2001 – 4 StR 80 / 01 (unveröffentlicht) erstreckte die Grundsätze der Entscheidung auf den Bandenraub. 153 BGH B v. 29. 3. 2001 – 3 StR 72 / 01 (unveröffentlicht).
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Bandentaten in Aussicht genommene Beteiligungsform erhöhte Anforderungen zu stellen und diejenigen Personen von der Qualifizierung ,als Mitglied‘ auszunehmen, die zwar auf Dauer in die deliktische Gruppierung eingebunden“ seien, deren Beitrag sich aber in wertender Betrachtung nur als Gehilfentätigkeit darstelle. Auch zeichne sich die Bande „typischerweise durch eine hierarchische Struktur aus, in der ganz im Sinne der Arbeitsteilung neben dem das Geschehen beherrschenden ,Bandenchef‘ andere Mitglieder ihre jeweiligen Tatbeiträge erbringen, die deshalb aber in gleicher Weise zum Zusammenhalt der Bande und zur Verwirklichung des Bandenzwecks beitragen . . . Auch bestünde sonst die Gefahr, dass die Beteiligung derjenigen innerhalb der kriminellen Gruppe, die bei der eigentlichen Tatausführung im Hintergrund bleiben (sollen), in ihrem Unrechtsgehalt nur unzureichend erfasst würde.“154 Dass es der Rechtsprechung schwer fällt, gerade in hochgradiger Arbeitsteilung agierende Gruppierungen zu erfassen, zeigte eine weitere Entscheidung. Nach den Feststellungen des erkennenden Gerichts waren die beiden Angeklagten „Mitglieder einer straff organisierten und hierarchisch strukturierten größeren Bande, die Pkws der Ober- und der gehobenen Mittelklasse entwendete und diese anschließend in Russland und anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion gewinnbringend verkaufte.“ Der „Kopf“ der Bande habe die Tätigkeiten der Bandenmitglieder organisiert und koordiniert. „Bei den einzelnen Taten wirkten stets mehrere, zum Teil ,hoch spezialisierte‘ Mitglieder der Bande arbeitsteilig zusammen.“ Im Rahmen dieser Bandenstruktur war ein Angeklagter, „der seit dem Herbst 2000 Mitglied der Bande war, für die Bande als ,Verbindungsmann‘ tätig. Seine Aufgabe war es, „die Spezialisten, die die entwendeten Fahrzeuge ,aufbereiteten‘, zu den Hallen oder Scheunen zu bringen, in denen diese Fahrzeuge quasi zwischengelagert waren, diese Spezialisten logistisch zu unterstützen und zu überprüfen, ob die von ihnen montierten Kraftfahrzeugkennzeichen und die von ihnen verfälschten Fahrzeugidentitätsund Motornummern mit den Angaben in den für die ,Ausfuhr‘ beschafften Kraftfahrzeugpapieren übereinstimmten‘. Außerdem hatte er dafür Sorge zu tragen, dass die ,aufbereiteten‘ Fahrzeuge an die Kuriere übergeben wurden. Für jedes von ihm ,betreute‘ Fahrzeug sollte er 1.000 DM und Spesen erhalten.“ Die Aufgabe des Mitangeklagten war es, gestohlene Pkws „aufzubereiten“. Der BGH lehnte bei beiden Angeklagten eine Verurteilung wegen Bandendiebstahls ab, da sie nach der Bandenabrede mit den Diebstählen selbst nichts zu tun gehabt hätten. „Der ,Organisationsplan‘ der Bande sah vielmehr vor, dass die Angeklagten nur mit dem Absatz der durch die ,Erlangungstäter‘ beschafften Fahrzeuge befasst sein sollten.“ Ein Tätigwerden im Interesse der Bande ohne konkreten Bezug zu einer Straftat genüge nicht, eine Strafbarkeit als Bandentat zu begründen155. 154 BGHSt 47, 214 mit zust. Anm. Erb JR 2002, 338 ff. und krit. Anm. Toepel StV 2002, 540 ff. Inzwischen konzentrieren sich die Bemühungen der Literatur auf die Frage, welche Bedeutung dem Mitwirkungserfordernis bei den klassischen Bandendelikten beizumessen ist: vgl. etwa Müller 2002. 155 BGH NStZ 2003, 32.
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2. Beim Bandenschmuggel Auch beim Bandenschmuggel wurde nach Inkrafttreten des OrgKG zunächst weiterhin betont, dass ein zeitliches und örtliches Zusammenwirken der Bandenmitglieder während des Schmuggels im engeren Sinne erforderlich sei156. Aus diesem Grund hielt der BGH in einem Fall, in dem der Angeklagte zusammen mit weiteren Mittätern den Schmuggel von unverzollten und unversteuerten Zigaretten „organisiert“, diese in Deutschland auf dem Schwarzmarkt abgesetzt und so Eingangsabgaben von mehr als 20 Millionen DM verkürzt hatte, § 373 Abs. 2 Nr. 3 AO nicht für anwendbar. Ein am Tatort nicht selbst mitwirkendes Bandenmitglied könne selbst dann nicht als Täter eines Bandendelikts bestraft werden, wenn es nach allgemeinen Grundsätzen aufgrund seines Täterwillens und seines Tatbeitrages als Mittäter angesehen werde. Da nur ein Bandenmitglied vor Ort in Deutschland weilte, als die unverzollten und unversteuerten Zigaretten dem Zollgutversandverfahren entnommen wurden und ansonsten nur Mitglieder anderer Gruppen mitwirkten, schied ein Bandenschmuggel insoweit aus. Auch eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der bloße Wille mehrerer Personen, gemeinsam Straftaten zu begehen, verbinde diese, weil der Wille des Einzelnen maßgeblich bleibe und die Unterordnung unter einen Gruppenwillen unterbleibe, noch nicht zu einer kriminellen Vereinigung, und zwar auch dann nicht, wenn eine Person als Anführer eingesetzt werde, nach dem sich die anderen richten157. Eine Abkehr von dieser Rechtsprechung deutete sich kurz darauf an. Dabei rügte der BGH den Freispruch des Instanzgerichts, „obwohl sich nach den Feststellungen ein arbeitsteiliger, von Hintermännern in der Tschechischen Republik gesteuerter organisierter Zigarettenschmuggel“ aufgedrängt habe, „bei dem zur Verschleierung der Tat eine Mehrzahl von Personen eingesetzt wurde, welche jeweils ausschließlich bei einzelnen Tatabschnitten in das Geschehen eingriffen.“ Bei einem „solchen organisierten Zusammenwirken mehrerer Personen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten zur Erreichung eines gemeinsamen Taterfolges“ hätte das Landgericht in einer Gesamtwürdigung alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen „unter Bedacht auf die Besonderheiten des organisierten Zigarettenschmuggels einbeziehen müssen.“158 Mittlerweile ist der 5. Strafsenat, wie bereits ausgeführt, der Auffassung, dass auch bei § 373 AO nicht mehr das Zusammenwirken mehrerer Bandenmitglieder am Tatort erforderlich sei, dafür aber drei Personen für die Annahme einer Bande notwendig seien.
BGH wistra 1998, 348; BGH NStZ 1999, 154. BGH StV 1999, 424. Allerdings hatte der 5. Senat in einer unveröffentlichten Entscheidung zum Bandenraub nach § 250 StGB Bedenken geäußert, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten sei (BGH B v. 19. 3. 1997 – 5 StR 18 / 97). 158 BGH NStZ 1999, 609 m. Anm. Krack, JR 1999, 424 f. 156 157
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3. Bei den bandenmäßigen Betäubungsmitteldelikten Insbesondere beim Bandenhandel mit Betäubungsmitteln stellt sich angesichts hoher Mindeststrafandrohungen von zwei Jahren bei § 30 Abs. 1 Nr. 1 und fünf Jahren bei § 30a Abs. 1 BtMG seit dem OrgKG die Frage, wie eine Bandenbildung festzustellen ist bzw. ob eine Bande nicht doch bestimmte Struktur- bzw. Organisationsmerkmale aufweisen muss. Dass Gruppierungen im Rauschgiftbereich existent sind, die von der Rechtsprechung sogar als Organisationen bezeichnet werden, der Bandenbegriff daher eine Vielzahl unterschiedlicher Erscheinungsformen abdeckt, zeigt ein Urteil des 1. Strafsenates aus dem Jahr 1992159. Dort hatte sich der Angeklagte, ein britischer Staatsangehöriger, in Hongkong einer „Organisation von Hongkong-Chinesen“ angeschlossen, „die sich zusammengetan hatte, um in großem Umfang Heroin von Asien nach Europa zu transportieren und es dort gewinnbringend zu verkaufen. Der Transport geschah dabei in der Weise, dass von Hongkong aus Kuriere nach Genf oder Zürich flogen und dort Gepäckstücke in Empfang nahmen, die in Bangkok an Bord gebracht worden waren. Diese Gepäckstücke, in denen sich jeweils mehrere Kilogramm Heroin befanden, wurden sodann dem Angeklagten übergeben. Dieser hatte die Aufgabe, weitere Kurierfahrten innerhalb Europas zu organisieren und zu begleiten sowie das Rauschgift zu verkaufen und den Erlös nach Hongkong zu transferieren. Er ließ die Koffer an den jeweiligen Zielort außerhalb der Schweiz bringen. Dort ließ er sich das Heroin wieder aushändigen und verkaufte es an unbekannt gebliebene Abnehmer. Anschließend überwies er den Erlös (insgesamt über 1,4 Millionen Schweizer Franken und über eine Million holländische Gulden) auf verschiedene Konten der Organisation in Hongkong.“ Das erkennende Gericht bezeichnete die Tätigkeit des Angeklagten als Leitung des Bereichs „Auslieferung und Verkauf in Europa“ nach Weisung des in Hongkong lebenden Chefs der Organisation, belegte es also mit Prädikaten aus dem (legalen) Unternehmenssektor. Da in den seltensten Fällen (der veröffentlichten Rechtsprechung) solche kriminellen Organisationen zu verzeichnen sind, kennzeichneten die Entscheidungen nach Inkrafttreten des OrgKG das Bemühen, einschränkende Kriterien für den Bandenbegriff zu entwickeln, ohne diesen zu sehr an den der kriminellen Vereinigung anzunähern. In einem ersten Urteil zu § 30a Abs. 1 BtMG verneinte der 1. Strafsenat das Vorliegen einer Bande mit der Begründung, es sei nicht ersichtlich, „dass der Angeklagte bei seinem Tun in die bandenmäßige Organisation miteingebunden war, indem ihm die Rolle eines gleichberechtigten Partners zukam.“160 Entgegen dem Anschein dieser Entscheidung und der eigentlichen Zielsetzung des OrgKG stellte der Senat wenig später klar, das Bandenmerkmal des § 30a BtMG sei nicht restriktiv im Sinne eines Erfordernisses des Vorhandenseins einer wie auch 159 BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr 1 Bande 3; vgl. auch BGHSt 39, 216 (217) zur Arbeitsteilung bei einem Fall, in dem Haschisch im Tonnenbereich geschmuggelt wurde. 160 BGH StV 1995, 624.
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immer gearteten Organisation auszulegen. Hatte das Landgericht die besondere Gefährlichkeit einer gemeinschaftlich begangenen Bandentat nach Merkmalen einer sorgfältigen Planung und Vorbereitung, zweckmäßigen Arbeitsbeteiligung, umfassenden Sicherung durch gegenseitige Kontrolle und durch gegenseitigen Schutz beurteilt, wies der BGH darauf hin, die gesetzliche Regelung enthalte derartige „Voraussetzungen“ nicht161. Daher sei auch der Zusammenschluss von zwei Personen zur mehrfachen Begehung von Straftaten als Bande erfasst162. Im Folgenden präzisierte der 1. Senat seine Rechtsprechung dahingehend, die Verbindung zur mehrfachen Tatbegehung müsse auf einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Abrede beruhen163. Allerdings betonte das Gericht wiederum, es sei nicht erforderlich, dass eine feste Organisation vereinbart worden sei, in der den einzelnen Mitgliedern ganz bestimmte Rollen zukämen164. Offensichtlich im Bestreben, dennoch eine plausible Differenzierung der Bande zur bloßen Mittäterschaft zu erreichen, kreierte der BGH einen „auf eine gewisse Dauer angelegten und verbindlichen Gesamtwillen“, der der gemeinschaftlichen Tat zugrunde liegen müsse. Für ihn sei kennzeichnend, dass sich ein Bandentäter „im übergeordneten Interesse der bandenmäßigen Verbindung“ betätige. Merkmale wie „sorgfältige Planung und Vorbereitung, zweckmäßige Arbeitsteilung, genaue Buchführung, gemeinsame Kasse, umfassende Absicherung, gegenseitige Kontrolle und gegenseitiger Schutz sowie ständiger Anreiz zur Fortsetzung des strafbaren Tuns“ kämen zwar als Indizien für bandenmäßiges Handeln in Betracht, stellten aber keine Voraussetzungen für die Anwendung des Strafgesetzes dar165. Auch der 5. Strafsenat trat den Bestrebungen der Instanzgerichte entgegen, das Merkmal der Bande im Hinblick auf die hohe Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe für den Regelfall des § 30a Abs. 1 BtMG restriktiv auszulegen. Er kritisierte, dass die Auffassung eines Landgerichts, das für eine Bande eine Organisationsstruktur mit „mafiaähnlichem Charakter“ verlangt hatte, sich zu stark an Zielrichtungen des OrgKG orientiere166. Aus den Motiven des Gesetzgebers lasse sich 161 Jedoch hatte in BGHSt 38, 26 (30) derselbe Senat diese Merkmale noch als Bedingungen der besonderen Gefährlichkeit einer Bandentat bezeichnet. 162 BGH StV 1995, 642; auch in BGH StV 1996, 214 wurde betont, der Annahme einer Bande stünde „eine enge persönliche Beziehung“ nicht notwendigerweise entgegen. Doch genüge allein der Umstand, dass die Gewinne aus den Rauschgiftgeschäften „in die gemeinsame Kasse“ fließen, für eine Bandenbildung nicht, wenn die Beteiligten einen gemeinsamen Hausstand führen. 163 BGH StV 1996, 99. Daraus ergibt sich nach Ansicht des 3. Strafsenates (BGH NStZ 1997, 90), dass es weder einer „gewissen Regelmäßigkeit“ noch der Absprache einer „zeitlichen Dauer“ der zu begehenden Straftaten bedürfe. Allerdings verneinte der 1. Strafsenat (BGH StV 1997, 594) das Merkmal der Dauer beim Handeln eines Urlaubsvertreters für einen Drogenhändler. 164 Schon in BGH NStZ 1996, 442 war die Wertung des Landgerichts als bedenklich bezeichnet worden, es fehle an der notwendigen inneren Organisation der beteiligten Personen. 165 BGH StV 1996, 99; dazu Schöch 1996, 166 ff.
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eine Einengung des Tatbestandes „nicht unmittelbar“ herleiten. Es sei nicht das Bestreben des Gesetzgebers des OrgKG gewesen, den Begriff der „Bande“ ungeachtet seiner unveränderten Übernahme nunmehr insgesamt anders und eingeschränkt zu interpretieren. Die Abgrenzung zur Mittäterschaft werde dadurch gewahrt, dass über die mittäterschaftliche Arbeitsteilung im jeweiligen Individualinteresse hinaus ein gefestigter „Bandenwillen“ zu verlangen sei. Eine weitergehend restriktive Auslegung des Tatbestandes ließe demgegenüber die Abgrenzung zur kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) vermissen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bleibe gewahrt, weil in § 30a Abs. 2 BtMG a.F167. ein beträchtlich milderer Ausnahmestrafrahmen zur Verfügung stehe. Naheliegen werde die Anwendung des § 30a Abs. 2 BtMG a.F. in Fällen, die nicht dem Bild solcher Kriminalität entsprächen, deren Bekämpfung mit der Schaffung des OrgKG erstrebt worden sei168. Gegen das Merkmal einer „gleichberechtigten Partnerschaft“ als Voraussetzung für eine Bande wandte sich der 3. Strafsenat. Dabei werde außer Acht gelassen, dass die Beteiligung an einer Bande ebenso wie die Mittäterschaft durchaus materielle Abstufungen nach dem Grad des Tatinteresses und des Tateinflusses zulasse und solche Unterschiede in der Rangordnung der Bandenmitglieder nach kriminologischer Erfahrung nicht selten seien. Sei eine engere oder losere Organisation bei der Vorbereitung oder Begehung der von der Bandenabrede erfassten Straftaten keine notwendige Voraussetzung, reiche die Eingliederung in eine solche organisatorische Struktur andererseits für die Annahme einer Bande auch nicht aus. Entscheidend sei, dass das Handeln des Angeklagten im „übergeordneten Interesse einer bandenmäßigen Verbindung“ erfolge169. Aus der bandenmäßigen Begehung als einer gegenüber der Mittäterschaft intensivierten Form gemeinsamen deliktischen Vorgehens folge, dass das auf Dauer angelegte Zusammenwirken mehrerer selbständiger, eigene – unter Umständen auch gegensätzliche – Interessen verfolgender Geschäftspartner beim Betäubungsmittelhandel auch dann noch keine Bande im Sinne des § 30a Abs. 1 BtMG begründe, wenn es aufgrund entsprechender über das einzelne Geschäft hinausreichender Abreden zu einem eingespielten Bezugs- und Absatzsystem und damit letztlich zu einer organisatorischen Struktur führe. Freilich könne ein solches System von der Herstellung über den Transport bis zum Absatz der Betäubungsmittel auch von einer Bande betrieben werden. 166 In anderem Zusammenhang argumentiert die Rechtsprechung durchaus mit der Zielsetzung der Bekämpfung von „Organisationen“. So begründete der 3. Strafsenat das Festhalten am Grenzwert für die nicht geringe Menge von Cannabis damit, dass „den kriminellen Organisationen in ihrem gemeinschädlichen Wirken mit den Mitteln des Strafrechts zu begegnen“ sei wie auch im besonderen Maße „dem – nicht selten in den Händen des international organisierten Verbrechens liegenden – Bandenhandel mit Cannabisprodukten in ,nicht geringen Mengen‘“, vgl. BGHSt 42, 1 (8 f.) 167 Nach Änderung durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz jetzt § 30a Abs. 3 BtmG. 168 BGH NStZ 1996, 339. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte im Jahr 1997 die Verfassungsmäßigkeit von § 30a Abs. 1 BtmG (BVerfG NJW 1997, 1910). 169 Hier nahm der 3. Senat die Rechtsprechung des 1. Senates auf.
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Dies setze aber voraus, dass sich die daran Beteiligten nicht als selbständige „Geschäftspartner“ gegenüberstünden, sondern ein gemeinsames übergeordnetes (Banden-)Interesse verfolgten, gleichsam auf derselben Seite stünden („am selben Strang ziehen“)170. Ein solches Tätigwerden im übergeordneten Interesse der bandenmäßigen Verbindung wurde in einer weiteren Entscheidung bereits in teils gemeinsamer, teils arbeitsteiliger Begehungsweise und darin gesehen, dass der Angeklagte schon bei früherer Gelegenheit zu erkennen gegeben hatte, er werde Rauschgiftgeschäfte nicht ohne die Unterstützung seines mitangeklagten Bruders durchführen171. Auch der 4. Strafsenat schloss sich der Auffassung an, das Vorliegen einer „bandenmäßigen Organisation“, in der den einzelnen Mitgliedern bestimmte Rollen zugewiesen sind, sei keine notwendige Voraussetzung für eine Bande. Stattdessen sei die Verfolgung eines gemeinsamen übergeordneten Bandeninteresses erforderlich. Als „gewichtige Indikatoren“ nannte der Senat: das Eingebundensein in eine bandenmäßige Organisation, eine „geschäftsmäßige Auftragsverwaltung“, eine genaue gemeinsame Buchführung, die arbeitsteilige und gleichberechtigte Abwicklung von Akquisition, Vermittlungstätigkeit und Forderungseinziehung, gegenseitige Kontrolle und Schutz, das Vorliegen einer gemeinsamen Kasse oder die Beteiligung an den gemeinsam erwirtschafteten Gewinnen und Verlusten172. In einer Grundsatzentscheidung zur Abgrenzung zwischen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und Geldwäsche wies wiederum der 1. Strafsenat darauf hin, der Annahme einer Bande stehe nicht entgegen, wenn verschiedene Täter innerhalb eines international tätigen Drogenkartells unterschiedliche Tatbeiträge leisteten und jedes einzelne Bandenmitglied keine konkrete Kenntnis von den Aktivitäten anderer oder gar aller Beteiligter habe sowie möglicherweise nur einen Vordermann in der Organisation kenne173. In einem weiteren Fall hob der 1. Strafsenat die Verurteilung eines Angeklagten wegen bandenmäßiger Einfuhr in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 1 BtMG auf. Dort hatte die Lebensgefährtin des Angeklagten unentgeltlich als Kurierin Drogen im Ausland bei einem Lieferanten besorgt. Ein Handeln im übergeordneten Bandeninteresse wurde hier trotz einer durch die Lebensgemeinschaft gekennzeichneten gemeinsamen Interessenlage verneint174. Auch der 2. Strafsenat widersprach der Auffassung eines Instanzgerichts, § 30a BtMG „diene nur der Bekämpfung organisierter Kriminalität, wie sie durch internationale Rauschgiftschmuggelbanden bestehe.“ Das Landgericht hatte zudem beBGHSt 42, 255; dazu Schreiber 1997. BGH NStZ-RR 1997, 121. 172 BGH StV 1997, 592: Im konkreten Fall wurde die Bandeneigenschaft verneint. 173 BGHSt 43, 158 = JR 1999, 76 m. Anm. Arzt. 174 BGH NStZ 1998, 255 m. Anm. Körner. Auch der 4. Senat (StV 1999, 434) betonte, ein übergeordnetes Bandeninteresse liege beim Zusammenschluss von (zwei) Mittätern, die in erster Linie zur Befriedigung ihrer Sucht handeln, eher fern. 170 171
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tont, bei der geradezu dilettantischen Vorgehensweise der Angeklagten könne nicht davon gesprochen werden, dass „deren Tatausführung und die Tatsicherung in sorgfältiger, vorsichtiger, aufwendiger oder ruhiger Weise vorgenommen worden ist“, was der Gesetzgeber beim Bandenbegriff „im Auge gehabt“ habe. Dem hielt der BGH entgegen, nicht erforderlich sei das Vorliegen einer bandenmäßigen Organisation, in der den einzelnen Mitgliedern bestimmte Rollen zugewiesen seien. Auch sei die Vorschrift nicht auf internationale Rauschgiftschmuggelbanden oder auf eine profimäßige Begehungsweise beschränkt175. In weiteren Entscheidungen wiederholten der 4. Strafsenat und ihm folgend der 2. Senat die bereits genannten gewichtigen Indikatoren für ein Handeln mit gefestigtem Bandenwillen im übergeordneten (Banden-)Interesse176. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in allen Fällen, in denen die Bedeutung der Indikatoren für die bandenmäßige Begehungsweise betont wurde, die Verurteilung wegen bandenmäßigen Handeltreibens aufgehoben wurde177. Dass diese Faktoren flexibel gehandhabt werden können, zeigt eine weitere Entscheidung des 4. Strafsenates. Der Entschluss des Angeklagten und seines Mittäters, „zukünftig in einer eigenen Gruppe gemeinsam Drogengeschäfte mit Kokain auf längere Sicht zu betreiben, um aus den Geschäften laufende Geldeinnahmen zu erzielen“, konnte die Annahme eines übergeordneten (Banden-)Interesses ebensowenig rechtfertigen wie ihr arbeitsteiliges Vorgehen bei der Ausführung der Drogengeschäfte. Das Interesse der Angeklagten an einer „bessere(n) Organisation und Abwicklung ihrer gemeinsamen Drogengeschäfte“ kennzeichne jedes nicht nur kurzfristige mittäterschaftliche Zusammenwirken. Bei einer Verbindung von nur zwei Personen sei an das Gewicht von Indizien für die Annahme einer über bloße Mittäterschaft hinausgehenden kriminellen Zusammenarbeit, wie dem Führen einer gemeinsamen Kasse, erhöhte Anforderungen zu stellen178. In einer weiteren Entscheidung hob der 1. Strafsenat eine Verurteilung nach § 30a Abs. 1 BtmG auf, obwohl das Landgericht festgestellt hatte, der Angeklagte sei für eine „Drogenhandelsorganisation“ tätig gewesen. Erwiesen sei aber nicht, so der BGH, dass das vom Angeklagten erworbene Kfz im Rahmen eines angebahnten oder laufenden Betäubungsmittelgeschäfts angekauft und ins Ausland überführt worden sei. „Anders als bei dem Organisationsdelikt des § 129 StGB“ genüge eine Handlung im Interesse einer Bande ohne konkreten Bezug zu einer 175 BGHR BtMG § 30a Bande 8, wobei als gewichtige Indikatoren für eine bandenmäßige Begehungsweise das Vorliegen einer gemeinsamen Kasse und die gemeinsame Anmietung eines Transportfahrzeuges bezeichnet wurden; dazu auch BGH StV 1999, 435. 176 BGH StV 1998, 599; BGH NStZ-RR 1999, 152; BGH NStZ-RR 2000, 92; BGH NStZ 2000, 48. 177 1. Senat: BGH StV 1999, 435; 2. Senat: BGH StV 1999, 435; BGH NStZ-RR 2000, 92; 4. Senat: BGH StV 1997, 592; BGH StV 1998, 599; BGH NStZ-RR 1999, 152. 178 BGH StV 2000, 621.
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Straftat nicht, eine Straftat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu begründen179. Nachdem der Grundsatz der Entscheidung des Großen Senats, drei Mitglieder seien jetzt für die Bildung einer Bande erforderlich, auf den Bandenbegriff nach dem BtmG übertragen wurde180, liegt erst eine veröffentlichte Entscheidung vor. In dieser wurde das Erfordernis eines „gefestigten Bandenwillens“ bzw. eines „Tätigwerdens in einem übergeordneten Bandeninteresse“ verabschiedet. Die Bande unterscheide sich von der Mittäterschaft „durch das Element der auf eine gewisse Dauer angelegten Verbindung mehrerer Personen zu zukünftiger gemeinsamer Deliktsbegehung.“ Mitglied einer Bande könne auch sein, „wem nach der – stillschweigend möglichen – Bandenabrede nur Aufgaben zufallen, die sich bei wertender Betrachtung als Gehilfentätigkeiten darstellten181. 4. Bei sonstigen Bandendelikten Nach Inkrafttreten des OrgKG mussten auch die Anforderungen an die neuen Bandendelikte erarbeitet werden. So wurde für die Bandenhehlerei (§ 260 Abs. 1 Nr. 2, § 260a Abs. 1 StGB) festgehalten, es genüge, wenn sich lediglich zwei Personen zur mehrfachen Tatbegehung verbunden hätten. Auf die Mitwirkung mehrerer Bandenmitglieder am Tatort komme es hierbei nicht an182. In einer weiteren Entscheidung, der eine Kettenhehlerei zugrunde lag, wies der BGH darauf hin, dass „die Kenntnis mehrerer oder gar sämtlicher Mitglieder einer bandenmäßig organisierten Gruppe“ nicht erforderlich sei, wenn der Täter nur mit einem anderen eine Bandenabrede getroffen habe183. Ebenfalls wurde betont, für eine Hehlerbande sei weder eine „gegenseitige Verpflichtung der Mitglieder zur Begehung von Delikten der in § 260 Abs. 1 Nr. 2 StGB aufgeführten Art noch die Bildung einer festgefügten Organisation rechtlich erforderlich“. Je stärker „die Gefährlichkeit einer Tätergruppe durch die Zahl ihrer Mitglieder, durch deren Präsenz bei der Tatausführung oder durch organisatorische Stabilität“ hervortrete, desto geringer seien die Beweisanforderungen hinsichtlich des Bandenzwecks und der Bandenabrede184. Typische Indizien für eine Bandenabrede könnten sich „aus näheren Umständen der Planung und Vorbereitung, aber auch aus der Ausübung einer weiteren KonBGH NJW 2001, 1289. BGH StV 2001, 407. 181 BGH NStZ 2002, 375. 182 BGH NStZ 1995, 85, wobei der BGH ausführte, es habe sich bei der angeklagten Verschiebung gestohlener Fahrzeuge um „organisierte Kriminalität internationalen Charakters“ gehandelt. Auch lässt der Tatbestand der Bandenhehlerei die gemischte, aus Dieb und Hehler bestehende Bande zu: BGH NJW 2000, 2034. 183 BGH NStZ 1996, 495 m. Anm. Miehe StV 1997, 247 ff. 184 BGH NStZ-RR 1999, 208. 179 180
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trolle über die Hehlereihandlungen und eine Rechenschaftslegung des Hehlers ergeben.“ Diese Voraussetzungen sah der BGH in einem Fall nicht als erfüllt an, in dem der Angeklagte mit einer polnischen Tätergruppierung in Kontakt gekommen war, die gestohlene Fahrzeuge als Dubletten von preisgünstig aufgekauften Unfallfahrzeugen herrichtete und ins Ausland verbrachte. Die in Polen lebenden Anführer der Tätergruppierung hätten „innerhalb des hierarchischen Aufbaus der Gruppierung die Aufträge“ erteilt und dergestalt Druck auf die Mitglieder ausgeübt, dass sie ihnen für den Fall des Ausstiegs Gefahren für Leib und Leben androhten. Der Angeklagte habe die Aufgabe gehabt, einzelne gestohlene Pkws zu übernehmen und diese „eigenverantwortlich“ im Ausland abzusetzen185. Ob die Voraussetzungen bandenmäßigen Handelns erfüllt sind, sei stets aufgrund aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Sind die Beteiligten ohnehin aus persönlichen Gründen – etwa aufgrund ehelicher Lebensgemeinschaft oder enger verwandtschaftlicher Beziehung – in rechtlich anerkannter Weise miteinander verbunden und komme es erst im weiteren Verlauf zur gemeinsamen Begehung von Straftaten oder zur wechselseitigen Beteiligung an solchen, so seien für die Annahme einer bandenmäßigen kriminellen Zusammenarbeit bei Hehlereihandlungen gewichtigere Indizien zu verlangen, als das sonst der Fall sei186. Kürzlich wurde auch für die Bandenhehlerei festgestellt, dass eine Verbindung von drei Bandenmitgliedern erforderlich sei187. Gehäuft haben sich in jüngster Zeit die Entscheidungen zum Bandenbetrug. In einer zum Bandenbetrug nach § 263 Abs. 3 StGB a.F. bzw. § 263 Abs. 5 StGB n.F. ergangenen Entscheidung188 bemängelte der 3. Strafsenat, dass eine „über mittäterschaftliches Handeln im Individualinteresse hinausgehende Unterordnung der Beteiligten unter ein übergeordnetes Interesse der bandenmäßigen Verbindung“ nicht belegt sei. Kurze Zeit darauf wurde auch für den Bandenbetrug festgestellt, der Begriff der Bande setze den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus189. Nach § 92a Abs. 2 Nr. 2 AuslG wird das Einschleusen von Ausländern verschärft für denjenigen unter Strafe gestellt, der „als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.“ § 92b Abs. 1 AuslG qualifiziert die Tat für denjenigen sogar zum Verbrechen, der in den Fällen des § 92a Abs. 1 „als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, gewerbsmäßig handelt.“ Auch hier konnte bandenmäßiges Handeln nach herkömmlicher Rechtsprechung schon dann vorliegen, BGH StV 2000, 259. BGH NJW 2000, 2034. 187 BGH wistra 2002, 57. 188 BGH NStZ-RR 2001, 268. 189 BGH wistra 2002, 21; zur Frage der Mittäterschaft beim gewerbsmäßigen Bandenbetrug durch bloße Absatzzusage für betrügerisch erlangte Kraftfahrzeuge: BGH NStZ 2002, 200. 185 186
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wenn sich zwei Personen zur mehrfachen Tatbegehung verbunden hatten190. In einem anderen Fall wurde beanstandet, es fehle an jeglichen Feststellungen zur Vorgeschichte der Schleusung, insbesondere über die Zusammenarbeit und Arbeitsteilung der Beteiligten, zu etwaigen Abreden, zu den Motiven der Angeklagten und dazu, auf welche Weise die Ausländer jeweils Kontakt zu ihren Schleusern bekamen; ohne solche Feststellungen sei eine Beurteilung nicht möglich, ob banden- oder gewerbsmäßiges Handeln vorgelegen habe191. Im Sommer 2001 erfolgte die Übertragung der Rechtsprechung des Großen Senats auf die Schleusungsdelikte192. 5. Ansichten der Wissenschaft zur Folge der Zielsetzung der Bekämpfung organisierter Kriminalität für die Auslegung der Bandendelikte Schon Anfang der 80er Jahre und damit vor der Invasion der Bandendelikte wurde zu bedenken gegeben, dass die vom BGH als ein Grund für die erhöhte Strafbarkeit der Bandendelikte angesehene Dauergefahr, die die „enge Bindung, die die Mitglieder für die Zukunft eingehen und die einen ständigen Anreiz zur Fortsetzung“ der Straftaten bilde193, am ehesten „bei rational organisierten Gruppen vornehmlich der Erwachsenen“ vorhanden sei. Daher sei zu überlegen, ob man nicht „auch für die Bandenverbindung eine Organisation verlangen solle“194. Dieser Gesichtspunkt wurde in der weiteren Diskussion bis in die Zeit nach Inkrafttreten des OrgKG nicht mehr aufgegriffen. Erst nachdem einige Entscheidungen zum bandenmäßig begangenen Handeltreiben veröffentlicht waren, beschäftigte sich auch die Wissenschaft wieder stärker mit der Auslegung des Bandenbegriffes. So wurde die Auffassung vertreten, es sei bei der hohen Strafandrohung in § 30a Abs. 1 BtmG nunmehr zweifelhaft, „eine ,Zweierbande‘ mit geringem Organisationsgrad und kurzfristigen Beschaffungsaktionen noch in den Straftatbestand des bandenmäßigen Drogenhandels einzubeziehen“. Auch stehe die bandenmäßige Begehung im Rauschgiftbereich inzwischen in einem Kontext, der für eine einschränkende Auslegung der einschlägigen Tatbestandsmerkmale im Bereich der Grenzfälle spreche. Als „zusätzliche Indizien“, mit denen Bandenzweck und Bandenabrede zu konkretisieren seien, wurden „typische Kriterien für organisierte Kriminalität“ genannt, die dem OrgKG zugrundelagen. Hinzu treten sollten „weitere Kriterien aus der kriminologischen Literatur, die im Zusammenhang mit bandenmäßig organisierter Kriminalität herausgearbeitet“ worden seien195. 190 191 192 193 194 195
BGH NStZ 1998, 305. BGH wistra 1999, 425. BGH wistra 2001, 431. BGHSt 23, 239 (240). Schild 1982, 72, 84. Schöch 1996, 169 f.
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In der Folge wurde vereinzelt schon vor der Entscheidung des Großen Senats in der Literatur eine Neuausrichtung des Bandenbegriffes angemahnt. So beklagte man eine Diskrepanz zwischen der Definition organisierter Kriminalität in den RiStBV und der herkömmlichen Auslegung des Bandenmerkmals. Diese berge die Gefahr, dass die neuen Qualifikationstatbestände kein gezieltes Instrument gegen eine besonders gefährliche Kriminalitätsform seien, sondern eher zu einer allgemeinen Verschärfung des Strafrechts führten. Sei eine an sich erforderliche Gesetzesänderung nicht zu erreichen, solle der Gesetzgeber beim Wort genommen werden und der Bandenbegriff einer engen, speziell auf die Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität zugeschnittenen Interpretation zugeführt werden. Neben der Einführung organisatorischer Mindestanforderungen sei dafür auch die Zahl der notwendigen Mitglieder zu erhöhen196. Die Bandeneigenschaft sei objektiv anhand der Mitgliederzahl und der Organisationsstruktur sowie subjektiv anhand der von der Bande verfolgten Zwecke und die zu ihrer Durchsetzung getroffenen Absprachen zu definieren197. Anhand der „Indikatoren zur Erkennung OK-relevanter Sachverhalte“, so eine weitere Ansicht, sei vor allem bei Zwei-Personen-Verbindungen zu prüfen, ob eine dadurch eintretende „objektive Gefahrsteigerung“ die in dieser Konstellation fehlende Dauergefahr kompensieren könne198. Auch wurde gefordert, an die Bande dieselben Anforderungen zu stellen wie an eine kriminelle Vereinigung, da § 129 StGB die Funktion des Grundtatbestandes der Bandendelikte aufweise199. Kritisiert wurde des Weiteren, dass durch die weite Rechtsprechung die Gefahr einer sinnlosen Überkriminalisierung entstanden und damit zugleich der ohnehin nicht unproblematische Begriff der OK fast gänzlich entleert worden sei200. Speziell für das Betäubungsmittelstrafrecht wurden als Kennzeichen der Bande „das Zusammengehörigkeitsgefühl, das Verfolgen eines Gemeinschaftsinteresses und die regelmäßigen Treffen und Besprechungen der Bandenmitglieder“ genannt, andererseits aber an den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien festgehalten201. Im Übrigen hatte die Motivation für die Ausweitung der Bandendelikte, die Bekämpfung organisierter Kriminalität, zunächst keinen Einfluss auf die Bemühungen um die Definition des Bandenbegriffs202.
Erb 1998. Endriß 1999, 450. 198 Krings 2000, 132. 199 Altenhain 2001, 140 ff. 200 Tröndle / Fischer 2003, § 244 Rdnr. 17b, im Anschluss an Erb 2001, 562. 201 Körner 2001, § 30 Rdnr. 17 ff. 202 Vgl. etwa Sch / Sch / Eser 2001, § 244 Rdnr. 23 ff.; Sch / Sch / Stree 2001, § 260 Rdnr. 2a; LK / Ruß 1994, § 244 Rdnr. 11 ff.; LK / Ruß 1994, § 260 Rdnr. 3 ff. Dezidiert Weber 1999, § 30 Rdnr. 14: „Auch mit Blick auf die Zielrichtung des OrgKG bedarf dieser traditionelle Begriff der Bande keiner weiteren Einengung durch kriminologische Kriterien, insbesondere aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität.“ 196 197
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Die Ausweitung der Minimalzahl der Bandenmitglieder durch den BGH ist im Schrifttum zwar mehrheitlich begrüßt worden203, dennoch haben diejenigen Autoren ihre Kritik erneuert, die den Bandenbegriff stärker an seinem Zweck, Erscheinungsformen organisierter Kriminalität erfassen zu wollen, orientiert sehen möchten204. Jedenfalls liegt es nahe, dass auch nach der Entscheidung des Großen Senats den Bandentatbeständen Sachverhaltskonstellationen unterfallen, die mit Organisierter Kriminalität nichts zu tun haben205.
IV. Zwischenergebnis
Die Analyse der Genese der Bandendelikte sowie der zu diesen veröffentlichten Rechtsprechung ergibt vor dem Hintergrund der Erscheinungsformen organisierter Kriminalität folgendes Bild: Rechtshistorisch ist der Bandenbegriff einerseits mit Assoziationen an eine körperschaftliche Struktur der betreffenden Gruppierung, andererseits aber auch an eine geschäfts-, berufs- bzw. gewerbsmäßige Begehungsweise geknüpft. Diese beiden Facetten des heutigen Verständnisses organisierter Kriminalität, ja sogar der Aspekt der Gefährdung der inneren Sicherheit, wurden schon zur Ausfüllung des Bandenbegriffs im 19. Jahrhunderts herangezogen. Dennoch gelangte zunächst in das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 und danach auch in das RStGB im Jahre 1871 für die Delikte des Diebstahls und des Raubes eine Formulierung einer bandenmäßigen Begehungsweise, die im Wesentlichen lediglich auf eine Verbindung zur künftigen Begehung solcher Straftaten abstellte. Die reichsgerichtliche Rechtsprechung verzichtete ausdrücklich auf eine restriktive Auslegung des Bandenbegriffs. Daher geriet sie bald in die Verlegenheit, eine Abgrenzung zur bloßen Mittäterschaft gewährleisten zu müssen. Da das Merkmal des „Verbundenhabens“ quasi zur Substanzlosigkeit entleert worden war, wurde das Merkmal des „Mitwirkens Mehrerer“ für die Abgrenzung zur Mittäterschaft fruchtbar gemacht und ein „örtliches und zeitliches Zusammenwirken“ der betreffenden Personen verlangt. Die explizite Aufnahme des Wortes „Bande“ in den neuen § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB im Jahre 1969 führte nicht zu einer veränderten Auslegung des Bandenbegriffes. Drei Jahre später fand die bandenmäßige Begehungsweise, zunächst in 203 Joecks 2003, § 244 Rdnr. 22; Ellbogen 2002, 8 ff.; Maurach / Schroeder / Maiwald 2003, § 33 Rdnr. 124; Joerden 2002, 331; Rengier 2002, § 4 Rdnr. 45; Krey / Hellmann 2002 Rdnr. 137a; Kindhäuser 2003, § 4 Rdnr. 31; grundsätzlich von Endriß / Kinzig 2001, 3220; Erb 2001, 561; Altenhain 2001, 836; Sowada 2002, 387 ff.; kritisch aber Wessels / Hillenkamp 2002 Rdnr. 271a. 204 Erb 2001, 562: Neuausrichtung der Bandendelikte erforderlich; Altenhain 2001, 839: Bande wie kriminelle Vereinigung zu definieren; Endriß / Kinzig 2001, 3220: Mindestvoraussetzungen an eine Organisationsstruktur; ähnlich Sowada 2002, 391; Rengier 2002, § 4 Rdnr. 44: Kriterium der Organisationsgefahr. 205 Tröndle / Fischer 2003, § 244 Rdnr. 22a.
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der Form eines Regelbeispiels, auch Eingang in das Betäubungsmittelstrafrecht. Diese Norm brachte ein Novum, als man auf das Merkmal „unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds“ gänzlich verzichtete. Ähnlich wie schon bei der Einführung der bandenmäßigen Begehungsweise im ALR offenbarte sich auch in der im BtmG gewählten Formulierung eine Diskrepanz zwischen den Zielen des Gesetzgebers, eher gut strukturierten Gruppierungen mit erhöhten Strafen begegnen zu wollen, und der Verwendung eines weiten Bandenbegriffes. Im Jahre 1977 wurde schließlich der vorher abweichend strukturierte Bandenbegriff der Abgabenordnung an die Formulierung des allgemeinen Strafrechts angepasst, so dass auch hier jetzt zwei Personen für die Bejahung einer bandenmäßigen Begehungsweise genügten. Im Jahre 1982 wurde der Bandenhandel auch im BtMG als echte Qualifikation ausgestaltet. Eine weitere Zäsur bildete die Einführung des OrgKG im Jahre 1992. Es und in der Folge eine Reihe weiterer Gesetze brachten nicht nur erhöhte Strafdrohungen für ein bandenmäßiges Tätigwerden, sondern auch eine Vielzahl neuer Tatbestände mit einer bandenmäßigen Qualifikation. Diese neuen Vorschriften sind dadurch gekennzeichnet, dass bei ihnen auf das Mitwirkungsmerkmal, dessen Grund die durch die Bande verursachte Aktionsgefahr sein soll, gänzlich verzichtet und teilweise auch der Katalog der Straftaten, auf die sich die Bandenabsprache beziehen kann, ausgeweitet wurde. Dabei ließ der Gesetzgeber, zum dritten Mal, eine zielgenaue Umsetzung seiner Intention, Formen schwerer, hier: organisierter Kriminalität, zu ahnden, in eine entsprechende Begrifflichkeit vermissen und begnügte sich damit, Straftaten zu treffen, die irgendwo zwischen Bande, organisierter Kriminalität und krimineller Vereinigung angesiedelt sind. Im Zuge der abnehmenden gesetzlichen Bedeutung der so genannten Aktionsgefahr und den damit verbundenen vermehrten Abgrenzungsschwierigkeiten zur bloßen Mittäterschaft sah sich die Rechtsprechung, auch durch die nunmehr bestehenden teilweise erheblichen Strafandrohungen, denen auch nicht in jedem Fall durch das Ausweichen auf so genannte minder schwere Fälle zu begegnen war, gezwungen, dem bisher weit ausgelegten Merkmal der Bandenbildung eine restriktivere Bedeutung beizumessen. Allerdings geschah dies (wiederum) nicht dadurch, dass dem Bandenbegriff eine stärkere organisatorische oder strukturelle Komponente beigelegt worden wäre. Vielmehr wurde, beginnend im Betäubungsmittelstrafrecht, verlangt, dass sich der Bandentäter „im übergeordneten Bandeninteresse und mit gefestigtem Bandenwillen“ betätigen müsse. Vor allem dort entwickelte die Rechtsprechung eine Anzahl von Indikatoren für eine Bandendbildung und ermöglichte dadurch eine flexible Einzelfallentscheidung. Unter diesen einzelnen Indikatoren finden sich vor allem solche, die eine Vorstellung von organisiertem Handeln im Sinne eines arbeitsteiligen, geschäftsmäßigen Vorgehens transportieren. Zu nennen ist hier der Indikator der arbeitsteiligen und gleichberechtigten Abwicklung von Akquisition, Vermittlungstätigkeit und Forderungseinziehung beim bandenmäßigen Betäubungsmittelhandel, darüber hinaus eine „geschäftsmäßige Auftragsverwaltung“, eine genaue gemeinsame Buchführung, das Vorliegen einer
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
gemeinsamen Kasse und die Beteiligung an den gemeinsam erwirtschafteten Gewinnen und Verlusten. Eine Bezugnahme auf die Indikatoren, die die RiStBV als solche organisierter Kriminalität aufführt, erfolgte nicht. Aus dem betriebswirtschaftlichen Rahmen der Indikatoren fällt der Aspekt einer gegenseitigen Kontrolle und eines gegenseitigen Schutzes. Ein theoretisches Konzept als Grundlage für die vom BGH genannten Indikatoren ist nicht ersichtlich, zumal offen blieb, wie viele der Indikatoren gegeben sein müssen, um die Bandenqualifikation zu erfüllen. Im Übrigen erfolgt kein Rekurs auf die kriminologische Diskussion mit den dort genannten Kennzeichen organisierter Kriminalität. Im Gegenteil: Wiederholten Versuchen der Instanzgerichte, ein wie auch immer geartetes Konzept organisierter Kriminalität für den Bandenbegriff fruchtbar zu machen, widersetzt sich der BGH ausdrücklich. So diskutierte die Rechtsprechung den Bandenbegriff zwar vor der Folie organisierter Kriminalität und verwendete auch verschiedene Versatzstücke der damit verbundenen Begrifflichkeit, sperrt sich aber bisher dagegen, sich auf eine theoretisch-kriminologische Sichtweise einzulassen. Das stärkere Abstellen auf die Bandenabrede erlaubte der Rechtsprechung, bei den klassischen Bandendelikten das Tatbestandsmerkmal „unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds“ in seiner bisherigen Bedeutung in Frage zu stellen und der damit bisher verbundenen „Aktionsgefahr“ eine geringere Bedeutung beizumessen. Stattdessen wurde die notwendige Zahl der Mitglieder einer Bande auf drei Personen erhöht. Näherte sich der Bandenbegriff in dieser Hinsicht dem der kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) an, wurde im Übrigen Versuchen der Instanzgerichte, die Bande von der Mittäterschaft durch Mindestvoraussetzungen an eine Organisationsstruktur abzugrenzen und damit der Zielrichtung des Gesetzgebers Geltung zu verschaffen, durch den BGH eine Absage erteilt. Dennoch erscheint es überaus fraglich, ob allein durch das Kriterium der Zahl der Mitglieder, zusammen mit der wenig konturierten Bandenabrede, eine sinnvolle Differenzierung zwischen Mittäterschaft, Bande und krimineller Vereinigung erzielt werden kann. Dazu kommt, dass es andererseits bereits jetzt außerhalb des Betäubungsmittelstrafrechts schwierig ist206, mit dem Bandenbegriff höchstgradig spezialisierte kriminelle Gruppierungen adäquat zu erfassen. Phänomenologisch weisen die Sachverhalte, die vom BGH in gleicher Weise als bandenmäßig begangen subsumiert werden, ein weites Spektrum auf. Zweierbanden, teilweise sogar in Lebensgemeinschaft verbunden, stehen straff organisierte, hierarchisch gegliederte Gruppierungen gegenüber. Seit Inkrafttreten des OrgKG bedienen sich die Instanzgerichte wie der BGH auch vermehrt Ausdrücken aus der Begriffswelt organisierter Kriminalität, ohne Rechenschaft über deren Definition abzulegen. Dabei wird mit Begriffen wie Einbindung in eine bandenmäßige Organisation, kriminelle Organisation oder Verbrecher-Großorganisation mit „Mafia“-Strukturen teilweise eine eher körperschaftliche Struktur benannt, teilweise wird mit Ausdrücken wie organisatorische Stabilität, international organisiertes 206
Dort „hilft“ die weite Auslegung des Begriffs des Handeltreibens.
Abschn. 2, Kap. 7: Konzepte des materiellen Strafrechts
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Zusammenwirken mehrerer Personen, organisierter Rauschgifthandel oder Zigarettenschmuggel sowie organisatorische Struktur auf eine eher arbeitsteilige Begehungsweise verwiesen.
C. Die gewerbsmäßige Begehungsweise als straferhöhender Umstand Parallel zur bandenmäßigen Begehungsweise hat der Gesetzgeber, wiederum beginnend mit dem OrgKG im Jahre 1992, auch den Begriff des gewerbsmäßigen Handelns, zum Teil gekoppelt mit der Bandenqualifikation, als Anknüpfungspunkt für eine Vielzahl von Strafschärfungen als Antwort auf die Bedrohung durch organisierte Kriminalität gewählt. Bis zum Jahre 1992 hatten im Kernstrafrecht lediglich die qualifizierten Tatbestände der gewerbsmäßigen Hehlerei (§ 260 StGB a.F.) sowie der gewerbsmäßigen Jagd- (§ 292 Abs. 3 StGB a.F.) und der Fischwilderei (§ 293 Abs. 3 StGB a.F.) existiert. In der Form der Technik der Regelbeispiele gab es den gewerbsmäßigen Diebstahl (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) wie auch den gewerbsmäßigen Wucher (§ 302a Abs. 2 Nr. 2 StGB a.F.). Außerdem hatte gewerbsmäßiges Handeln eine tatbestandliche Funktion bei einigen dem so genannten Rotlichtmilieu zuzuordnenden Delikten (§§ 180a Abs. 1, 180a Abs. 2 Nr. 1, 181 Abs. 1 Nr. 3, 181a Abs. 2 StGB). Im Nebenstrafrecht hatten vor allem das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtmG wie der gewerbsmäßige Schmuggel in § 373 Abs. 1 AO Bedeutung. Wie schon mit der banden- sollte auch mit der gewerbsmäßigen Begehung ein besonders „organisationsverdächtiges“ Merkmal herausgegriffen und damit ein großer Bereich der organisierten Kriminalität erfasst werden207. Dabei wurden im OrgKG zunächst der Banden- und der gewerbsmäßige Diebstahl zum schweren Bandendiebstahl in § 244a Abs. 1 StGB sowie in § 260a Abs. 1 StGB die (neue) Banden- sowie die gewerbsmäßige Hehlerei zur gewerbsmäßigen Bandenhehlerei verknüpft. Zudem wurde in § 261 Abs. 4 Satz 2 StGB das Regelbeispiel der gewerbsmäßigen Geldwäsche sowie in § 284 Abs. 3 Nr. 1 StGB die gewerbsmäßige unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels mit einer höheren Strafdrohung versehen. Kurz nach Inkrafttreten des OrgKG wurde durch das 27. Strafrechtsänderungsgesetz vom 23. 7. 1993 die gewerbsmäßige Verbreitung pornographischer Schriften in § 184 Abs. 4 StGB verschärft unter Strafe gestellt. Im Jahre 1994 folgten dann im Verbrechensbekämpfungsgesetz das Regelbeispiel der gewerbsmäßigen Erpressung in § 253 Abs. 4 Satz 2 StGB, in § 92a Abs. 2 Nr. 1 AuslG „zur Bekämpfung des Schlepperunwesens“ das gewerbsmäßige Einschleusen von Ausländern sowie in § 84 Abs. 3 Nr. 1 AsylverfG die gewerbsmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung. Die Gewerbsmäßigkeit wurde mit der Bandenmäßigkeit wiederum in § 92b AuslG zum ge207
BT-Drs. 12 / 989, S. 24.
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
werbs- und bandenmäßigen Einschleusen von Ausländern sowie in § 84a AsylverfG zur gewerbs- und bandenmäßigen Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung kombiniert. Im Korruptionsbekämpfungsgesetz wurde gewerbsmäßiges Handeln in § 300 Satz 2 Nr. 2 StGB (besonders schwerer Fall der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr) sowie in § 335 Abs. 2 Nr. 3 StGB (besonders schwerer Fall der Bestechlichkeit und Bestechung) als Regelbeispiel des besonders schweren Falles ausgestaltet. Im Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts wurde für fünf Tatbestände eine Strafbarkeit für gewerbsmäßiges Handeln in der Form eines Regelbeispiels eingeführt: beim gewerbsmäßigen Betrug (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB), dem gewerbsmäßigen Computerbetrug (§§ 263a Abs. 2, 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB), der gewerbsmäßigen Untreue (§§ 266 Abs. 2, 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB), der gewerbsmäßigen Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB) sowie der gewerbsmäßigen Fälschung technischer Aufzeichnungen (§§ 268 Abs. 5, 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB). Als echte Qualifikationen wurden die gewerbsmäßige Geldfälschung (§ 146 Abs. 2 StGB), die gewerbsmäßige Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks (§ 152a Abs. 2 StGB), der gewerbsmäßige Kinderhandel (§ 236 Abs. 4 Nr. 1 StGB), die gewerbsmäßige Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen (§ 275 Abs. 2 StGB) sowie das gewerbsmäßige Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen (§ 276 Abs. 2 StGB) ausgestaltet. Banden- und gewerbsmäßiges Handeln in Kombination wurden bei den Grunddelikten des Betruges (§ 263 Abs. 5 StGB), des Computerbetruges (§§ 263a Abs. 2, 263 Abs. 5 StGB), des Subventionsbetruges (§§ 264 Abs. 3, 263 Abs. 5 StGB), der Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 4 StGB) sowie der Fälschung technischer Aufzeichnungen (§§ 268 Abs. 5, 267 Abs. 4 StGB) erfasst. Schließlich wurden durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz in § 26c UStG sowie in § 370a AO Qualifikationen einer gewerbsmäßigen Begehungsweise eingeführt208. Typischerweise ist die Qualifikation bzw. das Regelbeispiel so gewählt, dass die Strafschärfung eintritt, wenn „der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung bestimmter Straftaten verbunden hat.“ Nach der Rechtsprechung handelt gewerbsmäßig, wer sich aus wiederholter Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang verschaffen möchte, ohne dass er daraus ein „kriminelles Gewerbe“ zu machen braucht209. Begründet wurde diese weite Auslegung durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts um das Jahr 1920210. Eine gewerbsmäßige Straftat sei dann gege-
208 209
Zu den Gesetzen und ihren jeweiligen Motiven siehe oben Kapitel 7, B., II. Tröndle / Fischer 2003, vor § 52 Rdnr. 37; BGH NStZ 1995, 85.
Abschn. 2, Kap. 7: Konzepte des materiellen Strafrechts
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ben, „wenn eine strafbare Handlung mit dem Willen begangen wird, die Handlung zu wiederholen und sich aus der wiederholten Begehung eine Einnahmequelle zu verschaffen.“211 Tabelle 2 Merkmal der Gewerbsmäßigkeit in Vorschriften des StGB im Tatbestand
als Regelbeispiel
als Qualifikation
§ 180a I
§ 243 I 2 Nr. 3
§ 146 II
m. Bande kombiniert § 244a I
§ 180a II Nr. 1
§ 253 IV 2
§ 152a II
§ 260a I
§ 181 I Nr. 3
§ 261 IV 2
§ 184 IV
§ 263 V
§ 181a II
§ 263 III 2 Nr. 1
§ 236 IV Nr. 1
§§ 263a II, 263 V
§§ 263a II, 263 III 2 Nr. 1
§ 260 I Nr. 1
§§ 264 III, 263 V
§§ 266 II, 263 III 2 Nr. 1
§ 275 II
§ 267 IV
§ 267 III 2 Nr. 1
§ 276 II
§§ 268 V, 267 IV
§§ 268 V, 267 III 2 Nr. 1
§ 284 III Nr. 1
§ 291 II 2 Nr. 2 § 292 II 2 Nr. 1 § 300 S 2 Nr. § 335 II Nr. 3
Mit dieser weiten Auslegung verzichtete die Rechtsprechung darauf, der Gewerbsmäßigkeit schärfere Konturen zu verleihen. Selbiges hatte noch im Jahr 1900 Franz von Liszt gefordert. Er bezeichnete als charakteristische Eigentümlichkeiten des gewerbsmäßigen Verbrechens eine „berufsmäßig ausgebildete Technik“, die „planmäßige Verwertung der modernsten Entdeckungen und Erfindungen“, einen „internationale Betrieb des Gewerbes“ mit „weit verzweigten, in das Ausland hinübergreifenden Verbindungen“.212 Nachdem sich der BGH der Auslegung des Reichsgerichts im Jahre 1951 angeschlossen hatte213, bereitete das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit in der Praxis 210 RGSt 51, 97 (100) im Sinne einer „fortdauernd, auf Erzielung von Gewinn gerichteten Tätigkeit“; RGSt 53, 59 (60) bei „Absicht der Wiederholung und der Schaffung einer Einnahmequelle“. 211 RGSt 58, 19 (20). 212 V. Liszt 1901, 129 f.; dazu Stratenwerth 1977, 94 ff. Im Übrigen wurde die bandenmäßige Begehung zu Beginn des 20. Jahrhunderts als ein Sonderfall der gewerbsmäßigen Begehung angesehen, vgl. Schaub 1905, 68 f. Teilweise wurde die Geschäftsmäßigkeit als ein Unterfall der Gewerbsmäßigkeit angesehen, teilweise beide Begriffe als synonym gedeutet, vgl. Schaub 1905, 64 ff., Mayer 1934, 19 ff. 213 BGHSt 1, 383 für die Hehlerei: „Hiernach genügt die Absicht des Täters, sich durch wiederholte Begehung von Hehlerei eine fortlaufende Einnahmequelle mindestens von einiger Dauer zu verschaffen.“
208
Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
kaum Schwierigkeiten, so dass höchstrichterliche Entscheidungen kaum mehr vorhanden sind214. Aufgrund der weiten Auslegung dürfte allerdings der Zusammenhang zu gemeinhin als organisierte Kriminalität begriffenen Phänomenen noch seltener gegeben sein als bei der Bandenmäßigkeit.
D. Die Kronzeugenregelung Seit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz aus dem Jahr 1994 bestand nach Artikel 5 des Kronzeugengesetzes (KronzG)215 bei Täter oder Teilnehmer einer Straftat nach § 129 StGB oder einer mit dieser Tat zusammenhängenden, mit zeitiger Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedrohten Tat, wenn die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung von Straftaten gerichtet waren, bei denen der erweiterte Verfall angeordnet werden konnte, die Möglichkeit, von der Strafverfolgung abzusehen bzw. eine wesentlich niedrigere als die an sich durch das Gesetz vorgesehene Strafe zu verhängen. Die Regelung wurde eingeführt, „um Angehörigen krimineller Organisationen einen Anreiz zu geben, sich aus ihrem kriminellen Umfeld zu lösen und Organisationsstrukturen aufzudecken.“216 Durch die Verknüpfung mit § 129 StGB und dessen enger, im Wesentlichen auf politische Organisationen abzielenden Auslegung war Art. 5 KronzG allerdings von Beginn mit einem Geburtsfehler behaftet, der eine mangelnde Praktikabilität absehbar erscheinen ließ. Die Vorschrift wurde in der Tat kaum angewandt217. Die bis zum 31. 12. 1999 befristete Regelung wurde nicht verlängert218. Weitere Gesetzentwürfe des Freistaates Bayern219 bzw. der Opposition von CDU / CSU220, in denen nach dem Vorbild von § 31 BtmG für einzelne Vorschriften jeweils bereichsspezifische kleine Kronzeugenregelungen vorgeschlagen wurden, wurden nicht Gesetz. Demgegenüber äußerte die Bundesregierung, sie prüfe die Schaffung einer Strafzumessungsvorschrift im allgemeinen Strafrecht221.
Vgl. die Nachweise bei Tröndle / Fischer 2003, vor § 52 Rdnr. 37. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9. Juni 1989, BGBl I, 1059. 216 BT-Drs. 12 / 6853, S. 20, 39. 217 Nach einer empirischen Erhebung ist sie dreimal zur Anwendung gekommen (vgl. Mühlhoff / Mehrens 1999, 20; Mehrens 2001, 127 ff.). 218 Die Opposition von CDU / CSU hatte eine Verlängerung um drei Jahre vorgeschlagen, BT-Drs. 14 / 1107. 219 Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung der Kronzeugenregelungen, BR-Drs. 395 / 00; vgl. auch die allgemeine Erklärung des Bundesrates BR-Drs. 513 / 02. 220 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung von Straftaten der Organisierten Kriminalität und des Terrorismus, BT-Drs. 14 / 6834. 221 BT-Drs. 14 / 5121, S. 2 und 14 / 6828, S. 9 f.; dazu Peglau 2001 sowie den Bericht in DRiZ 2001, 253, 255, 296. 214 215
Abschn. 2, Kap. 7: Konzepte des materiellen Strafrechts
209
Das Schrifttum lehnt die Wiederauflage einer Kronzeugenregelung teilweise ab222, teilweise wird aufgrund Forderungen der Praxis223 eine Wiedereinführung, allerdings unter deutlich veränderten Bedingungen gefordert224.
E. Maßnahmen der Gewinnabschöpfung Das OrgKG bildete auch den Ausgangspunkt für die Schaffung neuer Vorschriften, mit denen das Abschöpfen von Gewinnen der Organisierten Kriminalität erleichtert werden sollte225. Dieser Ansatz, der sich mittlerweile zu einem Rechtsgebiet eigener Art entwickelt hat („Gewinnabschöpfung“) und daher hier nur in den Grundzügen erläutert werden kann, umfasste drei Neuerungen.
I. Die Einführung der Geldwäsche
So wurde in § 261 StGB der Tatbestand der Geldwäsche eingeführt226. Zugleich wollte der Gesetzgeber mit dieser Neuerung internationalen Verpflichtungen nachkommen. Die Pönalisierung der Geldwäsche wurde als tauglicher Ansatz angesehen, „in die Strukturen organisierter Kriminalität einzudringen“ und „mit der Entziehung finanzieller Grundlagen den Nerv der Organisierten Kriminalität zu treffen.“227 Als Tathandlungen werden in § 261 StGB Verhaltensweisen umschrieben, die darauf abzielen, die inkriminierten Gegenstände unter Verdeckung ihrer Herkunft in den Finanz- und Wirtschaftskreislauf einzuschleusen228. Als geschütztes Rechtsgut sieht der Gesetzgeber und ihm folgend die herrschende Meinung in Absatz 1 (er enthält primär das Verbergen eines aus einer katalogmäßig aufgeführten Straftat stammenden Gegenstandes bzw. das Verschleiern seiner Herkunft) die staatliche Rechtspflege und das Ermittlungsinteresse der Strafverfolgungsbehörden, in Absatz 2 (er erfasst u. a. das Sichverschaffen, Verwahren und Verwenden dieser Gegenstände) zusätzlich auch das durch die Vortat verletzte Rechts222 Dezidiert Schaefer 2000 und der Deutsche Anwaltverein, vgl. den Bericht DRiZ 2001, 296; allgemein: Kempf 1999. Nach Schlüchter (1997, 69) erscheint eine Kronzeugenregelung „als bloße Notstandsmaßnahme zur Bewahrung des Rechtsstaats im Kampf gegen den Terrorismus und die Organisierte Kriminalität gerechtfertigt.“ 223 D.h. von Polizeibeamten und Staatsanwälten, aber auch Richtern, nicht aber von Strafverteidigern und Wissenschaftlern, vgl. Mühlhoff / Mehrens 1999, 83 ff.; Mehrens 2001, 127 ff. 224 Allgemein: Hamacher 1999; Mühlhoff / Pfeiffer 2000; Peglau 2001. 225 So die Zielsetzung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 12 / 989, S. 21. 226 Ein Überblick über die inzwischen fast unüberschaubare Literatur findet sich bei Tröndle / Fischer 2003, § 261 Rdnr. 1a; zuletzt monographisch dogmatisch: Leip 1999; rechtsvergleichend: Gentzik 2002; kriminologisch: Suendorf 2001. 227 BT-Drs. 12 / 989, S. 26. 228 Tröndle / Fischer 2003, § 261 Rdnr. 19 ff.
14 Kinzig
210
Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
gut229 an. Teilweise werden davon abweichend, zum Teil auch zusätzlich, überindividuelle Rechtsgüter als Schutzgut der Geldwäsche genannt, die im legalen Wirtschafts- und Finanzkreislauf230, in der inneren Sicherheit231 oder in einer eher prozessualen Natur232 bestehen sollen. Im Grundtatbestand ist eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren vorgesehen, in besonders schweren Fällen nach § 261 Abs. 4 StGB von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Trotz seiner kurzen Existenz ist § 261 StGB schon mehrfach geändert worden, zuerst im Verbrechensbekämpfungsgesetz. Alle Änderungen enthielten eine Ausweitung des in § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB normierten Kataloges der Vortaten. Eine weitere umfangreiche Aufstockung des Vortatenkataloges wurde durch das im Mai 1998 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität233 vorgenommen. Eine andere wichtige Neuerung in diesem Gesetz bildete die Ausdehnung der Strafbarkeit des § 261 StGB auf den Vortäter der Katalogtat. Zudem erfolgte eine Erhöhung der Strafrahmen im Grundtatbestand der § 261 Abs. 1 und 2 StGB auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz wurde der Vortatenkatalog erneut erweitert (§ 261 Abs. 1 Satz 3) und kurz darauf neu gefasst234. Die Einführung des Tatbestandes der Geldwäsche wurde flankiert von der Schaffung des Gesetzes über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (so genanntes Geldwäschegesetz) vom 25. 10. 1993235, das vor allem Finanzinstitute bei Bargeschäften ab 15.000 Euro zur Identifikation des Auftraggebers und bei geldwäscheverdächtigen Transaktionen zur Anzeige verpflichtet (§§ 2 ff., 11 GwG)236. Trotz dieser Bemühungen und der Tatsache, dass die erfassten Vortaten weit aus dem Bereich organisierter Kriminalität herausführen, ist die Anzahl der Verurteilungen wegen § 261 StGB bisher bescheiden geblieben237. Auch aus diesem Grund 229 Begründung in BT-Drs. 12 / 989, S. 27; ihr folgend: LK / Ruß 1994, § 261 Rdnr. 4; Lackner / Kühl 2001, § 261 Rdnr. 1; Rengier 2002, § 23 Rdnr. 4; Krey / Hellmann 2002, § 18 Rdnr. 605b; Wessels / Hillenkamp 2002 Rdnr. 894; Kindhäuser 2003, § 48 Rdnr. 1; nach Sch / Sch / Stree 2001, § 261 Rdnr. 1 umfassen Absatz 1 und 2 identische Schutzrichtungen; kritisch: Arzt / Weber 2000, § 29 Rdnr. 5 ff.; Schittenhelm 1998. 230 Lampe 1994, 125; ähnlich Bottke 1995, 124, der für § 261 Abs. 2 StGB „die Essentialia der sozialen Marktwirtschaft“ als Rechtsgut ansieht. 231 So Barton 1993, 160, der insoweit eine Parallele zum Tatbestand der kriminellen Vereinigung in § 129 StGB zieht. 232 Tröndle / Fischer 2003, § 261 Rdnr. 3a. 233 Vom 4. 5. 1998, BGBl I, 845; ausführlich Kreß 1998; Hetzer 1999, 141 ff. 234 Siehe oben Kapitel 7, B., II. 235 BGBl I, 1770. 236 Bis zum Jahr 1998 galt die Identifizierungspflicht schon ab einem Wert von 20.000 DM, vgl. Kreß 1998, 129. 237 Zu ersten empirischen Erfahrungen vgl. Oswald 1997; Gradowski / Ziegler 1997; vgl. auch Kapitel 10. Möglicherweise trägt auch die weite Auslegung des Merkmals Handel-
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211
wird die mit § 261 StGB verfolgte Strategie zunehmend bezweifelt238. Derzeit konzentriert sich die juristische Diskussion um die Strafbarkeit von Strafverteidigern bei Annahme eines Honorars aus einer Katalogtat239.
II. Der erweiterte Verfall
Des Weiteren wurde durch das OrgKG die bereits bestehende Institution des Verfalls erweitert. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB unterliegt alles, was der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, dem Verfall. Während nach früherem Recht die vom Täter aufgewendeten Unkosten abzuziehen waren, hatte der Gesetzgeber schon kurz vor Erlass des OrgKG dieses so genannte Nettoprinzip aufgegeben und war zum Bruttoprinzip übergegangen240. Ein expliziter Zusammenhang mit organisierter Kriminalität wurde in der Neufassung nicht hergestellt241. Zum anderen wurde in § 73d StGB der erweiterte Verfall eingeführt. Danach hat das Gericht bei bestimmten, gemeinhin mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebrachten Straftaten242 den Verfall von Gegenständen bereits dann anzuordtreiben im Betäubungsmittelstrafrecht zu einer zurückhaltenden Anwendung des Geldwäschetatbestandes bei. So hat der Bundesgerichtshof im Jahre 1997 entschieden, dass Handlungen zur Förderung des Geldkreislaufs, einschließlich der Geldwäsche, „im Rahmen der Betätigung von Drogengroßhändlern in einem organisierten Absatzsystem auf jeder Stufe“ als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln anzusehen und daher nicht als Geldwäsche zu bestrafen sind, BGHSt 43, 158 mit Anm. Arzt JR 1999, 79 – 81. 238 Eindrucksvoll Tröndle / Fischer 2003, § 261 Rdnr. 4b ff.; vgl. auch Becker-Toussaint 1997. Zur „Beseitigung der festgestellten Mängel in der Geldwäschebekämpfung“ immer wieder die Beiträge von Hetzer (z. B. 1997; ders. 1999, 126 ff.; ders. 1999, 141 ff.; ders. 1999, 489 ff.; ders. 2001, 154 ff.; ders. 2001, 489 ff.; Meyer / Hetzer 1997, 31 ff.; dies. 1997, 694 ff.; dies. 1998, 1017 ff.). 239 BGHSt 47, 68 mit der Erwägung, dass die Unabhängigkeit der Anwaltschaft „durch ihre wirtschaftliche Abhängigkeit vom organisierten Verbrechen“ gefährdet wäre, hinge die wirtschaftliche Existenz der Strafverteidiger weitgehend davon ab, auch inkriminierte Honorargelder anzunehmen. Vgl. auch OLG Hamburg NJW 2000, 673. 240 Durch das Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze vom 28. 2. 1992, BGBl I, 372. 241 Nach einer neuen Entscheidung des BGH gilt das Bruttoprinzip auch bei der Anordnung des Verfalls gegen den Drittbegünstigten in § 73 Abs. 3 StGB. Unter Berufung auf LK / Schmidt (2000, § 73 Rdnr. 50) führt das Gericht aus, dass ohne diese Regelung eine Gewinnabschöpfung „gerade in Bereichen wie z. B. der Wirtschafts- oder Verbandskriminalität sowie des organisierten Verbrechens, in denen die Vermögensvorteile aus Straftaten bei Unternehmen anfallen oder auf Scheinfirmen übertragen werden“, kaum möglich sei. Dies solle auch bewirken, dass „namentlich ein hierarchisch organisiertes Unternehmen Kontrollmechanismen zur Verhinderung solcher Straftaten errichtet und auf deren Einhaltung achtet.“ (BGH NJW 2002, 3339 (3341)). 242 In der Regel stellen banden- oder gewerbsmäßig begangene Delikte solche Tatbestände dar, bei denen der erweiterte Verfall für anwendbar erklärt wird. 14*
212
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nen, wenn „nur Umstände die Annahme rechtfertigen, dass diese Gegenstände für rechtswidrige Taten oder aus ihnen erlangt worden sind.“ Nach der Gesetzesbegründung ist die Anordnung des erweiterten Verfalls dann gerechtfertigt, wenn sich die rechtswidrige Herkunftsmöglichkeit „von allen in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten als die ganz überwiegend wahrscheinlichste darstellt.“243 Gegen diese dem deutschen Strafrecht an sich fremde Beweiserleichterung244 sind vielfache, auch verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht worden245. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs – eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht noch aus – ist diesen Einwänden nicht gefolgt, hat aber den erweiterten Verfall in verfassungskonformer Auslegung auf die Fälle beschränkt, in denen das Gericht die „uneingeschränkte tatrichterliche Überzeugung von der deliktischen Herkunft“ der betreffenden Gegenstände gewonnen hat246. Demgegenüber hat der 1. Strafsenat in zwei unveröffentlichten Entscheidungen hervorgehoben, dass auch „eine ganz hohe Wahrscheinlichkeit“ für die Anordnung des erweiterten Verfalles genüge247. Offen bleibt, worin, folgt man der Interpretation des 4. Strafsenates, noch ein zusätzlicher Anwendungsbereich des erweiterten Verfalls gegenüber dem gewöhnlichen Verfall liegen kann248.
III. Die Vermögensstrafe
Außerdem wurde durch das OrgKG in § 43a die Vermögensstrafe in das Strafgesetzbuch eingeführt. Nach § 43a Abs. 1 Satz 1 StGB konnte das Gericht bei bestimmten, z. B. bandenmäßig begangenen Straftaten neben einer lebenslangen oder einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren auf Zahlung eines Geldbetrages erkennen, dessen Höhe durch den Wert des Vermögens des Täters begrenzt war. Die Wirkung der Vorschrift war von Beginn an zum einen dadurch eingeschränkt, dass es sich nicht um eine zwingende Anordnung handelte, zum anderen dadurch, dass der (erweiterte) Verfall Vorrang vor der Anwendung der Vermögensstrafe besaß249. Auch in diesem Fall hatte der Bundesgerichtshof die gegen die neue Sanktion vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht geBT-Drs. 11 / 6623, S. 7. Insbesondere die polizeiliche Praxis hatte allerdings sogar eine Beweislastumkehr gefordert, vgl. Weber 1999, § 33 Rdnr. 102. 245 Vgl. Tröndle / Fischer 2003, § 73d Rdnr. 4. 246 BGHSt 40, 371 mit kritischer Anmerkung Katholnigg JR 1995, 297 – 299; bekräftigt hat der 4. Senat seine Rechtsprechung in BGH NStZ-RR 1998, 297; so auch der 3. Senat: BGH NStZ 2001, 531: Überzeugung des Tatrichters erforderlich. 247 BGH 1 StR 482 / 95 vom 29. 8. 1995 und 1 StR 619 / 95 vom 28. 11. 1995 (beide unveröffentlicht). 248 Tröndle / Fischer 2003, § 73d Rdnr. 6 sieht einen solchen aufgrund der einer Wahlfeststellung ähnlichen Charakter des § 73d StGB. 249 BGHR § 43a Konkurrenzen 1 und 2; BGH StV 1995, 633; BGHSt 41, 278; BGH NStZ-RR 1997, 302. 243 244
Abschn. 2, Kap. 7: Konzepte des materiellen Strafrechts
213
teilt250. Die Vermögensstrafe sei ein zusätzliches staatliches Reaktionsmittel, das in den Fällen der organisierten Kriminalität die Strafzwecke deswegen besser erfüllen könne, weil eine Sanktion, die aus einer Freiheits- und einer Geldsummenstrafe zusammengesetzt sei, dem mit Freiheitsentzug belegten Täter zugleich das Vermögen ganz oder teilweise nehme, das ihm die Begehung weiterer schwerer Straftaten ermögliche oder erleichtere251. Dagegen könne die Vermögensstrafe nicht dazu dienen, die außerordentlichen Profite abzuschöpfen, die durch organisierte Kriminalität erzielt werden252. Nach Informationen aus der Praxis wurden bzw. werden der erweiterte Verfall wie auch die Vermögensstrafe nur sehr selten angewendet253. Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich die Vermögensstrafe wegen Verstoßes gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Bestimmtheitsgebot für nichtig erklärt254. Dabei stellte die die Entscheidung tragende Mehrheitsauffassung fest, dass man „angesichts der Weichheit des Begriffs der ,Organisierten Kriminalität‘, den der Gesetzgeber nicht mit einer Definition konturieren wollte“, auch aus der Tatsache, dass die Vermögensstrafe durch das OrgKG in das Strafgesetzbuch eingefügt worden ist, keinen Hinweis für die Auslegung des § 43a StGB entnehmen könne255. In größerem Umfang auf den Begriff der organisierten Kriminalität rekurrierte das abweichende Votum der Minderheitsmeinung. Die Tatbestandstypen, auf die der Gesetzgeber für die Anwendung von § 43a StGB verwiesen habe, seien „Indikatoren für organisierte Kriminalität, die typischerweise mit hohen Gewinnen verbunden ist.“ Ob eine Vermögensstrafe verhängt wird, könne deshalb „im Einklang mit der gesetzgeberischen Vorstellung auch daran orientiert werden, ob die abzuurteilende Tat der organisierten, gewinnorientierten Kriminalität zugeordnet werden“ könne. Dass die Vermögensstrafe nur durch den Wert des Vermögens begrenzt sei, hätte die positive Wirkung, dass „die Täter im Bereich der organisierten Kriminalität“ gleich behandelt würden, weil jeder Täter mit dem Verlust seines gesamten Vermögens rechnen müsse. Weite Sanktionsrahmen könnten zudem mit Blick auf rasche Veränderungen der kriminologischen, gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse erforderlich sein, um flexible Reaktionsmöglichkeiten hinsichtlich neuer Phänomene zu eröffnen. „Veränderungen krimineller Erscheinungen, etwa bei der organisierten Kriminalität“, müsse der Gesetzgeber nicht stets mit einer durch das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG bedingten zeitlichen Verzögerung 250 BGHSt 41, 20 (24) im Anschluss an BGH StV 1995, 16 und 17 mit Anm. Barton StV 1995, 17; BGH NStZ 1994, 429. 251 BGHSt 41, 278 (280) mit kritischer Anmerkung Park JR 1996, 380 – 382. 252 BGHSt 41, 20 mit kritischer Anmerkung Park JR 1995, 343 – 346. 253 Vgl. Kilchling 2002; Kaiser 1999; von einer zunehmenden Bedeutung des erweiterten Verfalles im Bereich der so genannten Rotlichtkriminalität spricht Bangert 2001, 657. 254 BVerfG NJW 2002, 1779; dazu Park 2002. 255 BVerfG NJW 2002, 1779 (1782).
214
Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
nachfolgen. Ohne die Vermögensstrafe würde dem freiheitlichen Verfassungsstaat „eine Waffe aus der Hand genommen“, die nach Einschätzung des parlamentarischen Gesetzgebers erforderlich sei, um neuartigen Bedrohungslagen für hochrangige Rechtsgüter zu begegnen. „Organisierte Kriminalität ist ein Grundübel moderner Gesellschaften. Sie gefährdet mit ihren massiven Finanzmitteln individuelle Rechtsgüter, zersetzt in einem schleichenden Prozess die öffentliche Ordnung und mindert das Vertrauen der Bürger in die freiheitliche Verfassung.“256
Kapitel 8
Organisierte Kriminalität in der Rechtsprechung Das vorangegangene Kapitel hat bei der Erörterung der unter Berufung auf die Bekämpfung organisierter Kriminalität eingeführten Neuerungen gezeigt, dass die Begriffe „organisierte Kriminalität“ wie auch „organisiertes Verbrechen“ ungeachtet ihrer fehlenden Definition im Strafgesetzbuch, ihrer „Weichheit“, wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert hat, verbreitet Eingang in höchstrichterliche Entscheidungen zum materiellen Strafrecht gefunden haben. Da daher zu vermuten war, dass der Topos organisierte Kriminalität auch auf anderen Rechtsgebieten Bedeutung hat, wurden anhand einer Datenbankanalyse Ende des Jahres 2001 und ergänzend zu Beginn des Jahres 2003 die Entscheidungen ermittelt, in denen die Ausdrücke „organisierte Kriminalität“, „organisiertes Verbrechen“ oder „kriminelle Organisation“ zu verzeichnen waren1.
A. Organisierte Kriminalität und Verfassungsrecht Mittlerweile haben mehrere Landesverfassungsgerichte sowie das Bundesverfassungsgericht in ihren Entscheidungen auf das Phänomen organisierte Kriminalität Bezug genommen. Inhaltlich ging es dabei um die Frage, inwieweit die in Kapitel 5 geschilderte veränderte Aufgabenstellung der Polizei wie des Bundesnachrichtendienstes, die zumindest auch mit der Notwendigkeit der Bekämpfung von Formen organisierter Kriminalität im Vorfeld begründet wurde und die zur Normierung verschiedener eingriffsintensiver Maßnahmen führte, zulässig ist. Die Phase der verfassungsgerichtlichen Überprüfung dieser neueren Polizeigesetzgebung leitete der Bayerische Verfassungsgerichtshof ein, der im Jahr 1994 verschiedene Regelungen im bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG), die die Datenerhebung und -verarbeitung durch die Polizei zum Inhalt haben, zu unterBVerfG NJW 2002, 1779 (1785 ff.) Genutzt wurde die Datenbank „Juris“.
256 1
Abschn. 2, Kap. 8: Organisierte Kriminalität in der Rechtsprechung
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suchen hatte2. Den Gegenstand der Entscheidung bildete vor allem die Überprüfung von Art. 31 Abs. 1 Nr. 1 PAG, wonach die Polizei personenbezogene Daten erheben kann, „wenn dies erforderlich ist, zur Gefahrenabwehr, insbesondere zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten (Art. 2 Abs. 1).“ Dabei vertrat der Bayerische Verfassungsgerichtshof die Ansicht, die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten sei als Fall der Gefahrenabwehr anzusehen und werde „durch deren Präzisierung bestimmt und nach außen abgegrenzt.“3 Dass der bayerische Gesetzgeber bei der längerfristigen Observation von Personen, dem verdeckten Einsatz technischer Mittel und dem Einsatz Verdeckter Ermittler (Art. 33 Abs. 1 PAG) nicht vorgesehen habe, den Betroffenen von der Maßnahme zu unterrichten, sobald dies möglich sei, verstoße nicht gegen die Verfassung. Denn eine Unterrichtungspflicht im Bereich der verdeckten Datenerhebung würde „z. B. bei der organisierten Kriminalität Einblicke in die Ermittlungsarbeit der Polizei geben, die die Aufgabe der Polizei erheblich erschweren oder unmöglich machen könnten.“ Die Verpflichtung des Staates zum Schutz seiner Bürger, die auch den Schutz der Bürger vor künftigen Straftaten erfasse, legitimiere verfassungsrechtlich diese grundsätzliche Geheimhaltung. Datenschutz dürfe nicht zum Täterschutz werden4. Eine inhaltliche Bestimmung des Begriffes der organisierten Kriminalität nahm das Gericht nicht vor. Ebenso wenig erörterte es die Frage, warum eine nachträgliche Benachrichtigungspflicht „bei der organisierten Kriminalität“ für die Ermittlungsarbeit der Polizei so ungleich nachteiligere Konsequenzen haben könnte als bei sonstiger Kriminalität. Auch der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen5 billigte dem Landesgesetzgeber das Recht zu, im Interesse der inneren Sicherheit des Staates und der zu gewährleistenden Sicherheit der Menschen den Zweck zu verfolgen, „die Effektivität der Gefahrenabwehr und der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung durch die Polizei, insbesondere auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität, zu steigern.“ Dabei komme dem sächsischen Gesetzgeber angesichts des großen Spektrums drohender Gefahren, zu denen auch die organisierte Kriminalität gehöre, ein breiter Beurteilungsspielraum zu, welche Befugnisse er dem Polizeivollzugsdienst zur effizienten Aufgabenerfüllung einräumen wolle6.
2 BayVerfGH JZ 1995, 299 m. kritischer Anm. Schrader / Werner JZ 1995, 305 f. Zu überprüfen war die Verfassungsmäßigkeit der Art. 30 bis 49 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz –PAG–) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. 9. 1990 (GVBl S. 397, BayRS 2012 –1-1-I). Vgl. auch die Kommentierung von Honnacker / Beinhofer 1999. 3 BayVerfGH JZ 1995, 299 (301). 4 BayVerfGH JZ 1995, 299 (304). 5 SächsVerfGH LVerfGE 4, 303 = JZ 1996, 957 (auszugsweise); das Urteil begrüßend: Knemeyer 1996; kritisch: Schenke 1996. Zum Urteil vgl. die Dokumentation von Paeffgen / Schumer 1997. 6 SächsVerfGH JZ 1996, 957 (959).
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Im Folgenden widmete sich der Sächsische Verfassungsgerichtshof ausführlich den aus seiner Sicht mit organisierter Kriminalität verbundenen Bedrohungen und den dadurch erforderlichen polizeilichen Reaktionen. So seien so genannte Vorfeldbefugnisse der Polizei nach neueren kriminalistischen Erkenntnissen „in der Auseinandersetzung mit moderner Kriminalität“ unverzichtbar. Die Existenz schwerer, auch organisierter Kriminalität sei eine Erscheinung im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben. „Weltweit haben sich kriminelle Gruppen eingerichtet, die durch eine besondere Qualität der Organisation ihres kriminellen Handelns sowie durch eine schnelle Anpassung ihrer Strukturen an bestehende Normen gekennzeichnet sind. Es handelt sich dabei um äußerst vielgestaltige, in steter Entwicklung begriffene Erscheinungsformen des Verbrechens, deren Bekämpfung situationsgerechtes flexibles Handeln verlangt.“ Die Polizei müsse „als Widerpart des organisierten Verbrechens“ ihre Fahndungs- und Beobachtungsmethoden der Langfristigkeit und Weiträumigkeit der gegnerischen Strategien anpassen. In diesem Kriminalitätsbereich reichten die herkömmlichen Mittel des Polizeirechts häufig nicht aus. Für eine wirksame Bekämpfung der organisierten Kriminalität mit dem Ziel der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung sei eine frühzeitige Informationsbeschaffung und Auswertung entscheidend, die „durch operatives Vorgehen in kriminalstrategischer Zielsetzung“ erfolge. Dazu gehöre auch, dass die Sicherheitsbehörden in die Organisationen eindringen und bereits die frühe Entstehungsphase von Straftaten, die Zusammenhänge, die Arbeitsweisen mafioser Gebilde und die sie steuernden Personen ergründeten. Kriminalitätsbekämpfung durch Vorfeldaktivitäten bestehe „im Durchleuchten des kriminellen Umfeldes, im Erkennen von verbrechensbegünstigenden Strukturen und in der Feststellung sich einnistender Verbrechenslogistik sowie im operativen Vorgehen gegen solche Gebilde, wie etwa der Beseitigung von Tatgelegenheiten und der Auflösung von Organisationen und Szenen.“7 Der Einsatz der besonderen Mittel der Datenerhebung sei grundsätzlich geeignet und erforderlich. Dies werde auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass noch nicht absehbar sei, ob hierdurch dauerhaft die Effektivität der Polizeiarbeit bei der vorbeugenden Bekämpfung des organisierten Verbrechens gesteigert werde. Im konkreten Falle verstoße jedoch die Datenerhebung mit besonderen Mitteln im Vorfeld konkreter Gefahren (§ 39 Abs. 1 Nr. 2) gegen das Übermaßverbot, soweit der Einsatz zur Verhinderung und vorbeugenden Bekämpfung von Vergehen erfolge, die sich zwar gegen bedeutende fremde Sach- oder Vermögenswerte richteten, die aber nicht gewerbs-, gewohnheits-, serien-, bandenmäßig oder sonst organisiert begangen würden8. Grundsätzlich ergäben sich die besondere Gefährlichkeit und Präventionsbedürftigkeit dieser Taten weniger aus dem Gewicht der durch die Einzeltaten betroffenen Rechtsgüter als vielmehr aus der Planmäßigkeit der Beeinträchtigung der Rechtsordnung durch organisiertes Vorgehen. Vor allem hieraus legitimiere 7 8
SächsVerfGH JZ 1996, 957 (959). SächsVerfGH JZ 1996, 957 (960).
Abschn. 2, Kap. 8: Organisierte Kriminalität in der Rechtsprechung
217
sich das öffentliche Interesse daran, diese Kriminalität schon vorbeugend zu bekämpfen9. Dabei sei die Übernahme von Rechtsbegriffen aus dem Strafrecht in das Polizeirecht nicht zu beanstanden, weil diese Begriffe durch ihre ständige Anwendung hinreichende rechtsstaatliche Konturen erhalten hätten. Auch der Auffangtatbestand, dass Vergehen „sonst organisiert“ begangen werden, genüge den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen10. Diese Ausführungen des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes wurden in der Literatur teilweise skeptisch aufgenommen. So wurde bemängelt, das Gericht übernähme ohne erkennbares näheres Hinterfragen gängige Aussagen über organisierte Kriminalität11. Ein anderer Autor rügte im Zusammenhang mit dem Verdikt der Regelung zum Großen Lauschangriff, dass sich die Argumentation des Gerichts „in Spekulationen über Schattierungen der Vorgehensweise organisierter Kriminalität“ verloren hätte12. Im Übrigen wurde das Gericht dahingehend interpretiert, dass die Maßnahmen nur „gegenüber wirklich OK-Verdächtigen“ getroffen werden dürften13. Jedenfalls ließ auch der Sächsische Verfassungsgerichtshof nicht konkret erkennen, welches spezifische Merkmale organisierter Kriminalität sind. Die Aussagen lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass einerseits auf „kriminelle Gruppen“ mit einer besonderen „Qualität der Organisation“, auf „Organisationen“ wie auf „mafiose Gebilde“, also besondere Formen einer Mehrtäterstruktur abgestellt wurde. Andererseits hob das Gericht aber in Anknüpfung an die konkreten Vorschriften des sächsischen Polizeigesetzes eine organisierte Vorgehensweise, konkret die „Planmäßigkeit“ oder die „Ausnutzung geschäftsähnlicher Beziehungen“ hervor. Empirische Belege für seine Sichtweise des Ausmaßes und des Gefahrenpotentials organisierter Kriminalität lieferte das Gericht nicht. Auch das Verfassungsgericht Brandenburg, das ebenfalls über die Verfassungsmäßigkeit verschiedener verdeckter Mittel zur Datenerhebung zu entscheiden hatte, bejahte die Regelungszuständigkeit des Landesgesetzgebers für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten14. Der in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BbgPolG15 normierte Einsatz technischer Mittel gegen potentielle Straftäter außerhalb von Wohnungen „durfte dem Gesetzgeber nach Lage der Dinge, zumal angesichts der Entwicklung der – zunehmend organisiert in Erscheinung tretenden und sich ihrerseits moderner nachrichtentechnischer Mittel bedienender – Kriminalität erforderSächsVerfGH JZ 1996, 957 (961). SächsVerfGH JZ 1996, 957 (962). 11 Bäumler 1996, 765; kritisch auch Paeffgen 1996, 458, insbesondere Fn. 67 zur Berufung auf das „ominöse Stichwort ,Organisierte Kriminalität‘“. 12 Götz Anm. JZ 1996, 969 (970). 13 Habermehl 1996, 204. 14 BbgVerfG LKV 1999, 450; vgl. Kutscha 2000. 15 Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei im Land Brandenburg vom 19. 3. 1996 (Brandenburgisches Polizeigesetz – BbgPolG – GVBl I, 74). 9
10
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
lich erscheinen.“ Es gäbe Situationen, in denen die Polizei eine Straftat nicht anders verhindern könne, als den potentiellen Straftäter ohne sein Wissen unter Einsatz technischer Mittel zu beobachten. Dies gälte namentlich dann, „wenn Straftaten – typischerweise unter Abschottung gegenüber Dritten – in organisierter Form begangen werden sollen“, und eine offene Annäherung an den potentiellen Täterkreis zur Gewinnung weiterer Informationen aus praktischen Gründen nicht in Betracht komme. Zu berücksichtigen sei auch, „dass die Kriminalität, nicht zuletzt die Organisierte Kriminalität“, ihrerseits vor unzulässigen verdeckten Datenerhebungen nicht zurückschrecke16. Die Regelung über den Großen Lauschangriff sei nicht unverhältnismäßig, weil die Vorschrift den staatlichen Zugriff nur ermögliche, „wenn Tatsachen auf die künftige Begehung einer der dort aufgeführten schweren Straftaten, und zwar in organisierter Begehungsform, hindeuten.“17 Wie schon die anderen Landesverfassungsgerichte verzichtete auch das Brandenburgische Verfassungsgericht fast völlig auf Aussagen darüber, welches die Kennzeichen organisierter Kriminalität oder von organisiert begangenen Straftaten seien. Organisierte Kriminalität, so die einzige gerichtliche Stellungnahme, sei zumindest auch dadurch charakterisiert, dass offene Ermittlungsmaßnahmen nicht erfolgversprechend seien. Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern18 schließlich hatte über die Landesverfassungsmäßigkeit von § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 des SOG Mecklenburg-Vorpommern zu entscheiden, in dem u. a. die Identitätsfeststellung zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km sowie auf Durchgangsstraßen ermöglicht worden war (so genannte Schleierfahndung). Dabei sei, so auch dieses Landesverfassungsgericht, „die vorbeugende Bekämpfung der organisierten Kriminalität geeignet“, eine Befugnis zu einem auf Informationsgewinnung gerichteten Eingriff, wie ihn die Identitätsfeststellung darstelle, zu legitimieren. Delikte wie „Menschenhandel, Rauschgifthandel, Schleusung von Ausländern („Schlepperunwesen“), Autoschieberei und Raubzüge auf Geldinstitute und Tankstellen“ seien vielfach dadurch gekennzeichnet, „dass sie in auf längere Zeit angelegten Strukturen, innerhalb einer Organisation, begangen würden.“ Sie seien entweder schon für sich gewichtig oder gewönnen ihr Bedrohungspotential gerade daraus, dass sie organisiert und arbeitsteilig – oft von langer Hand – geplant und ausgeführt würden. Wegen des rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernisses müsse ein Katalog derjenigen Straftaten, die durch Identitätsfeststellung vorbeugend bekämpft werden dürfen, aber spezifisch – nach
BbgVerfG, LKV 1999, 450 (453). BbgVerfG LKV 1999, 450 (464). 18 LVerfG M-V DVBl. 2000, 262; dazu Anm. Vahle Kriminalistik 2000, 26 mit Bedenken gegen die Praxistauglichkeit eines nach den gerichtlichen Vorgaben geänderten Gesetzes; kritisch auch: Kutscha 2000; Engelken, Anm. DVBl. 2000, 269 ff.; positiv zum Urteil Roggan 2000; Lisken 2000. 16 17
Abschn. 2, Kap. 8: Organisierte Kriminalität in der Rechtsprechung
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Straftatbeständen und Begehungsformen – „auf die organisierte Kriminalität zugeschnitten sein“. Maßgeblich sei auf die organisierte Begehungsform abzustellen. Die Eignung der Identitätsfeststellung zur Verbrechensbekämpfung könne dabei nicht in Frage gestellt werden, da es durchaus möglich sei, dass durch die Identitätsfeststellung Erkenntnisse über die Struktur krimineller Organisationen und über geplante Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität gewonnen würden19. Demnach erklärte das Gericht § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M.-V. insoweit für verfassungswidrig, als auf Durchgangsstraßen außerhalb des Grenzgebietes jedermann ohne weiteres einer Identitätsfeststellung unterzogen werden durfte. Hatten diese Urteile von Landesverfassungsgerichten jeweils Fragen der Kompetenz der Polizei zu Maßnahmen im Vorfeld einer Gefahr zum Gegenstand, hatte das Bundesverfassungsgericht über die Grundgesetzkonformität von Regelungen des G 10 Gesetzes zu entscheiden, die durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz eingeführt worden waren20. Die Verfassungsbeschwerden betrafen die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes zur Überwachung, Aufzeichnung und Auswertung des Telekommunikationsverkehrs sowie zur Übermittlung der daraus erlangten Daten an andere Behörden und weitere Regelungen. Das Bundesverfassungsgericht entschied, die angegriffenen Vorschriften stünden im Wesentlichen mit Art. 10 GG in Einklang. Unvereinbar mit diesem Grundrecht sei jedoch die Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 G 10, nach der die Maßnahmen auch zur Sammlung von Nachrichten über Sachverhalte zulässig seien, deren Kenntnis notwendig sei, um die Gefahr im Ausland begangener Geldfälschungen rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr zu begegnen. In formeller Hinsicht ergebe sich die Zuständigkeit des Bundes aus Art. 73 Nr. 1 GG, der ihm die ausschließliche Gesetzgebung über die auswärtigen Angelegenheiten sowie über die Verteidigung einräume21. Den einzelnen Gefahrenlagen in den Nummern 2 bis 6 von § 3 Abs. 1 Satz 2 G 10 fehle der erforderliche Bezug zu außen- und sicherheitspolitischen Belangen nicht. Bei den strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen der Proliferation, des Rüstungshandels, des internationalen Terrorismus, des Drogenexports und auch der damit zusammenhängenden Geldwäsche handele es sich nicht nur um internationale Kriminalität. Vielmehr seien diese Aktivitäten dadurch gekennzeichnet, dass sie häufig von ausländischen Staaten oder von ausländischen Organisationen, die mit staatlicher Unterstützung oder Duldung operierten, ausgingen, jedenfalls aber Dimensionen annähmen, die internationale Gegenmaßnahmen erforderten. Für den Gefahrentatbestand der im Ausland begangenen Geldfälschungen (Nr. 5) stelle sich der von Art. 73 Nr. 1 GG geforderte Bezug jedenfalls dann her, wenn die Geldfälschung unter Beteiligung ausländischer Staaten geschehe oder aufgrund ausländischer Aktivitäten ein AusLVerfG M-V DVBl. 2000, 262 (266 f.). BVerfGE 100, 313; Das Urteil begrüßend Krüßmann 2000; Müller-Terpitz 2000; aus datenschutzrechtlicher Sicht: Gusy 2000, 52 ff. 21 BVerfGE 100, 313 (368). 19 20
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
maß annehme, das die Geldwertstabilität in der Bundesrepublik bedrohe, so dass sie mit den Mitteln der inländischen Strafverfolgung nicht ausreichend bekämpft werden könne, sondern außenpolitische Reaktionen erforderlich mache22. Die Maßnahme sei auch geeignet, selbst wenn es in einigen der aufgezählten Gefahrenbereichen naheliegend sei, dass sich gerade die Zielpersonen oder -organisationen aufgrund ihres hohen Organisationsgrads und der Nutzung moderner Infrastrukturen der Fernmeldeüberwachung zu entziehen vermöchten, während Unbeteiligte, die die Verschlüsselungstechniken – wie Journalisten angesichts ihrer Arbeitsbedingungen – nicht nutzen könnten, von ihr getroffen würden23. Die Beschränkungen des Telekommunikationsverkehrs seien im Wesentlichen auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Lediglich die Beschränkung zum Zweck der Erkennung im Ausland begangener Geldfälschungen (Nr. 5) werde diesem Erfordernis nicht gerecht24. Dabei falle ins Gewicht, dass die Grundrechtsbeschränkungen dem Schutz hochrangiger Gemeinschaftsgüter dienten. In den neuen Überwachungsfeldern hätten sich gesteigerte Gefahren wegen der Zunahme international organisierter Kriminalität, insbesondere im Bereich des illegalen Handels mit Kriegswaffen und Rauschgift oder der Geldwäsche, entwickelt. Auch wenn diese Aktivitäten einem bewaffneten Angriff an Gewicht nicht völlig gleichzustellen seien, würden die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik dadurch jedenfalls in erheblichem Maß berührt25. Bezüglich der in Nummer 5 der Vorschrift genannten Gefahr der im Ausland begangenen Geldfälschung sei die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn allerdings nicht gewahrt. Bei der Geldfälschung handele es sich weder um eine Gefahr, die in ihrer Schwere einem bewaffneten Angriff nahekomme oder derart gewichtige Rechtsgüter betreffe wie die übrigen durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz eingefügten Gefahrentatbestände, noch hafte ihr in allen Begehungsformen dasjenige Gefahrenpotential an, das den übrigen Tatbeständen eigne26. Das Urteil ist in dem hier zu untersuchenden Bezug zum Phänomen organisierter Kriminalität teils begrüßt, teils kritisiert worden. Befürworter der Entscheidung teilten die Ansicht des Gerichts, auf dem Felde der Kriminalität, namentlich der organisierten und internationalen Kriminalität, lägen vermehrt sehr komplexe Strukturen vor, die nach bereits im Vorfeld von Gefahr und Tatverdacht ansetzendem, „operativem“, vorsorgendem Tätigwerden verlangten27. Bei dem Vorgehen gegen organisierte Kriminalität verschwömmen daher Aspekte der allgemeinen Verbrechensbekämpfung und des spezifischen Ver22 23 24 25 26 27
BVerfGE 100, 313 (371 f.). BVerfGE 100, 313 (374). BVerfGE 100, 313 (375). BVerfGE 100, 313 (381 f.). BVerfGE 100, 313 (384). Möstl 1999, 1394.
Abschn. 2, Kap. 8: Organisierte Kriminalität in der Rechtsprechung
221
fassungs- und Staatsschutzes. Damit werde zu Recht die Frage aufgeworfen, inwieweit die Beobachtung der organisierten Kriminalität auch eine Aufgabe des Verfassungsschutzes sein könne28. Sofern die Erfüllung der staatlichen Sicherheitsaufgabe es erfordere – und gerade in Bezug auf die Bekämpfung der internationalen, organisierten Kriminalität sei dies der Fall –, läge hierin eine Legitimation für bereits im Vorfeld bloß reagierender Gefahrenabwehr ansetzende Informationsvorsorge29. Da organisierte Kriminalität die Funktionsfähigkeit des Staates beeinträchtige und jedenfalls in Teilbereichen auch unter die „politisch bestimmten“ Verhaltensweisen nach § 4 Abs. 1 BverfSchG subsumiert werden könne, sei ein hinreichender Bezug zum Schutzgut der Verfassungsschutzämter gegeben30. Dem wurde entgegengehalten, dass mit dem Handel von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 G 10 und der Geldwäsche (Nr. 6) zwar sehr bedeutende, jedoch keinesfalls die Sicherheit des Staates als solche beeinträchtigende Kriminalitätsformen zum Anlass genommen würden, in erheblichem Umfang verdachtsunabhängig in den Fernmeldeverkehr einzugreifen. Letztlich handele es sich hier nicht einmal um Straftaten, die einzeln genommen von herausragender Schädlichkeit seien. Vielmehr, so wird vermutet, hätten zwei Faktoren die Einbeziehung beeinflusst: Bei dem Betäubungsmittelhandel gehe es um ein massenhaft auftretendes Delikt, das in seiner Gesamtheit einen erheblichen sozialen Schaden bewirke. Während dabei vor allem die Begehungshäufigkeit und die Schwierigkeit offener Grenzen die Bekämpfung erschwere, sei es bei der Geldwäsche die Professionalität der Täter. Dazu trete die Hoffnung, mit der Abschöpfung von Gewinnen die Achillesferse der OK zu treffen, der man ansonsten nicht Herr werde. Mithin seien es „nicht die immense Bedrohung, sondern die Ermittlungs-Schwierigkeiten“, die zu diesen Maßnahmen führten. Insgesamt stünden diese Modalitäten in der Bedrohungs-Intensität den anderen in keiner Weise gleich31. Selbst wenn es einer journalistisch-martialischen Sprache beliebe, „von einem ,Krieg‘ des Staates gegen die Drogenhändler / die Organisierte Kriminalität (OK) / ,das Verbrechen‘ zu sprechen“, läge hierin eine sprachliche Übertreibung32. Die unter Bezug auf Art. 73 Nr. 1 GG („auswärtige Angelegenheiten“) angenommene Kompetenz des BND für Drogenexport, Geldfälschung und -wäsche zu bejahen, werde auch nicht durch den Hinweis einleuchtender, dass derlei Aktivitäten häufig von ausländischen Staaten oder von ausländischen Organisationen, die mit staatlicher Unterstützung oder Duldung operierten, ausgingen, jedenfalls aber Dimensionen annähmen, die internationale Gegenmaßnahmen erforderten. Denn damit ließe sich ohne weiteres auch die Bekämpfung der übrigen grenzüberschreitenden orgaMöstl 1999, 1395. Möstl 1999, 1399. 30 Möstl 1999, 1400 Fn. 69; ähnlich Arndt 2000, 48. 31 Paeffgen 1999, 675. Auf S. 668 auch kritisch zum Bedrohungs-Szenario der organisierten Kriminalität. 32 Paeffgen / Görditz 2000, 68. 28 29
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
nisierten Kriminalität durch den BND über Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG rechtfertigen33. „Abstrakte, empirisch unsubstantiierte Bedrohungsszenarien – Gefahr bewaffneter Angriffe, Zunahme internationaler Organisierter Kriminalität –“ seien für das Bundesverfassungsgericht, so wurde kritisiert, eine ausreichende Legitimationsgrundlage, den Grundrechtseingriff als verhältnismäßig im engeren Sinne anzusehen34. Der Gesetzgeber hat mittlerweile auf das Urteil reagiert. Am 29. 6. 2001 ist das Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnises vom 26. 6. 2001 in Kraft getreten35. Insbesondere sind jetzt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes Beschränkungen für internationale Telekommunikationsbeziehungen, soweit eine gebündelte Übertragung erfolgt36, vorgesehen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 G 10 muß dafür die Kenntnis notwendig sein, um die Gefahr „der unbefugten Verbringung von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in die Bundesrepublik Deutschland (Nr. 4), der Beeinträchtigung der Geldwertstabilität im Euro-Währungsraum durch im Ausland begangene Geldfälschungen (Nr. 5), der international organisierten Geldwäsche in Fällen von erheblicher Bedeutung (Nr. 6)“ rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr begegnen37.
B. Organisierte Kriminalität und Strafprozessrecht Im Bereich des Strafprozessrechts war der Begriff der organisierten Kriminalität bei Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Besonderen Ermittlungsmaßnahmen, die Ausgestaltung der Hauptverhandlung sowie die Untersuchungshaft relevant.
I. Organisierte Kriminalität und besondere Ermittlungsmaßnahmen
Veröffentlichte Entscheidungen zu besonderen Ermittlungsmaßnahmen, in denen ein Bezug zur Bekämpfung organisierter Kriminalität hergestellt wird, finden sich allerdings vergleichsweise selten.
Huber 2000, 394. Albrecht, P.-A. 2000, 281 mit der Ansicht, das G 10 enthalte „einen gesetzlich organisierten Umsturz zentraler verfassungsrechtlicher Grundsätze“; dagegen wiederum polemisch Hetzer 2001, 347 ff. 35 BGBl I, 1254; Berichtigung vom 03. 09. 2001 BGBl I, 2298; Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 26. 3. 2001, BT-Drs. 14 / 5655 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BT-Drs. 14 / 5981. 36 Zu dieser technischen Anpassung, BT-Drs. 14 / 5655, S. 17 ff. 37 Zu den Gründen, warum die Anwendungsbereich auf die „international organisierte Geldwäsche“ generell ausgeweitet wurde: BT-Drs. 14 / 5655, S. 19. Kritisch zum Entwurf: Wollweber 2001; vgl. auch Hetzer 2001, 347 ff. 33 34
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Jedoch bediente sich der 2. Strafsenat des BGH schon recht früh, nämlich bereits in den 80er Jahren, des Begriffes organisierte Kriminalität. Dieser fand Eingang in einen Vorlagebeschluss mit der Frage, ob sich aus einer Einflussnahme eines verdeckt eingesetzten Polizeibeamten oder eines V-Mannes, wenn die Grenzen des rechtsstaatlich Zulässigen überschritten seien, ein Verfahrenshindernis ergeben könne38. In dieser Entscheidung wurden der Einsatz von V-Leuten und die durch sie provozierten Straftaten dadurch gerechtfertigt, dass er sich gegen „Organisierte Kriminalität“ richte, „jedenfalls gegen solche Straftaten, die regelmäßig im Zusammenwirken mehrerer begangen werden.“ Zweck dieses Einsatzes sei es, in die kriminelle Szene einzudringen, verübte und in Gang befindliche Straftaten zu ermitteln sowie die damit in Beziehung stehenden Gegenstände sicherzustellen. Dies gelte besonders für den Bereich der Rauschgiftkriminalität. Diese Formulierung wurde auch in einer Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen, in der die Rechtsprechung des BGH zu dieser Frage im Wesentlichen gebilligt wurde39. Des Weiteren argumentierte der Ermittlungsrichter am BGH bei einer Entscheidung, die Zulässigkeit der Überwachung von Mailboxen nach den §§ 100a ff StPO, also den Vorschriften über die Telefonüberwachung, zu bestimmen, mit der Überlegung, „im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung von Mailbox-Systemen insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität“ seien offene Ermittlungsmaßnahmen in dieser Richtung, etwa die Durchsuchung einer Wohnung oder eines Büroraumes zur Sicherstellung eines Computers nur von begrenztem Wert40. In einer weiteren Entscheidung zur Frage der Zulässigkeit des Einsatzes des satellitengestützten Navigationssystems „Global Positioning System“ („GPS“) nahm der 3. Strafsenat des BGH ebenfalls Bezug auf das Phänomen der organisierten Kriminalität41. Dabei hielt der BGH die Gewinnung von Beweisen unter Verwendung des „Global Positioning System“ gemäß § 100 c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StPO für zulässig. Angesichts des erheblichen, verfassungsrechtlich anerkannten Interesses an der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten handele es sich um eine vom Gesetzesvorbehalt gedeckte und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragende Grundrechtsbeschränkung. Gerade bei den schwerwiegenden Straftaten im Bereich des Terrorismus und der organisierten Kriminalität, die häufig unter Benutzung neuester technischer Hilfsmittel konspirativ vorbereitet und durchgeführt werden, sei eine effektive Strafverfolgung ohne den Einsatz moderner technischer Observierungsmittel wie des „GPS“ oft nicht mehr möglich42. BGH StV 1985, 309. BVerfG 2. Senat 3. Kammer NJW 1987, 1874. 40 BGH NJW 1997, 1934; ablehnend: Bär, Anm. CR 1996, 490 f.; Palm / Roy 1997; im Ergebnis zustimmend: Kudlich 1998. 41 BGHSt 46, 266 mit abl. Anm. Kühne JZ 2001, 1148 und abl. Anm. Bernsmann StV 2001, 382 ff.; zum Sonderproblem der Kumulierung besonderer Ermittlungsmaßnahmen: Steinmetz 2001. 42 BGHSt 46, 266 (273). 38 39
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren II. Organisierte Kriminalität und die Gestaltung der Hauptverhandlung
Ein Bild organisierter Kriminalität als das von kriminellen Organisationen vermittelte eine Entscheidung aus dem Jahr 1983, in der der Große Senat darüber zu befinden hatte, ob ein im Übrigen gesperrter V-Mann in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers kommissarisch vernommen werden darf43. Dabei betonte der Große Senat einleitend, dass die Entwicklung der Kriminalität in den vergangenen Jahren eine qualitative Veränderung dadurch erfahren habe, „als in verstärktem Maße kriminelle Organisationen in Erscheinung treten, durch die die Verbrechensaufklärung erheblich erschwert wird.“ Die Vorgehensweise der Täter im Rahmen dieses „organisierten Verbrechens“ – der BGH nannte verschiedene Deliktsbereiche herkömmlicher Art wie den Rauschgifthandel und die Kfz-Verschiebung44 – sei darauf angelegt, die Hauptpersonen nicht nach außen in Erscheinung treten zu lassen. Da man meist nur Randfiguren habhaft werden könne, diese aber austauschbar seien, würden „die kriminellen Aktivitäten der Organisation“ durch die Strafverfolgung im Kern nicht gestört, „zumal die Randtäter in der Regel keinen Einblick in Aufbau und Zusammensetzung der Gesamtorganisation haben. Unvermeidbare Mitwisser werden im Übrigen mittels Schweigegeldern oder durch Drohung und Einschüchterung davon abgehalten, ihre Wahrnehmungen weiterzugeben. Wird ein Einzeltäter gefasst und in Haft genommen, gewährt die Organisation den bedürftigen Familienangehörigen häufig materielle Unterstützung und übernimmt die Verteidigerkosten, um auf diese Weise Gefügigkeit zu erreichen und der Offenbarung von Wissen, das die Organisation betrifft, vorzubeugen. Der Erfolg der Verbrechensbekämpfung hängt daher letztlich davon ab, inwieweit die hauptverantwortlichen Straftäter, die Organisatoren, Finanziers und im Hintergrund agierenden Drahtzieher der Begehung von Straftaten überführt werden können.“ Um diesem Ziel näher zu kommen, seien die Ermittlungsbehörden dazu übergegangen, „verdeckt operierende Polizeibeamte in die Organisationen einzuschleusen und V-Leute einzusetzen.“45 Bei der damals geäußerten Auffassung, eine Beweisaufnahme unter optischer oder akustischer Abschirmung eines Zeugen BGHSt 32, 115. Eine in BGH NStZ 1985, 466 (467) wiedergegebene Sperrerklärung des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen wertete Delikte wie Erpressung (von Schutzgeldern), Zuhälterei, Eigentums- und Falschgelddelikte, unerlaubtes Glücksspiel, unerlaubten Waffenbesitz und Tötungsdelikte als „Indikatoren, die auf organisierte Kriminalität hinweisen. Eine der besonderen Erscheinungsformen dieser Kriminalität besteht darin, dass Personen, die der Polizei zum Zwecke der Bekämpfung Informationen aus dem Täterkreis liefern, Angriffe auf ihr Leben und ihre Gesundheit befürchten müssen.“ 45 BGHSt 32, 115 (120 f.); ähnlich auch VG Darmstadt NVwZ 1996, 92 mit der Überlegung, dass „ohne den Einsatz von verdeckt ermittelnden Personen . . . die Strafverfolgungsorgane im Bereich der besonders gefährlichen Kriminalität, wie etwa der Bandenkriminalität und des Rauschgifthandels, ihrem Auftrag der rechtsstaatlich gebotenen Verfolgung nicht gerecht werden (sc. könnten), denn den neuzeitlichen Formen der organisierten Kriminalität ist nicht beizukommen, wenn nur die Randfiguren gefaßt und nicht auch in die Leitungsschicht eingedrungen und diese der Beteiligung an konkreten Straftaten überführt werden kann.“ 43 44
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sei nicht zulässig, deutet sich aber jetzt eine Rechtsprechungsänderung an. Insoweit hatte der 1. Senat unter Berufung auf den durch das OrgKG eingeführten § 68 Abs. 3 StPO beabsichtigt zu entscheiden, die audiovisuelle Vernehmung von Vertrauenspersonen der Polizei oder Verdeckten Ermittlern gemäß § 247a StPO könne mit einer die Identifizierung des Vernommenen verhindernden technischen Veränderung der Bild- und Tonübertragung stattfinden, wenn der Vernehmung sonst eine Sperrerklärung der zuständigen Stelle entgegenstünde46. Kürzlich befasste sich auch das OVG Lüneburg mit dem Themenkomplex Rechtmäßigkeit einer Sperrerklärung47. Hierbei war der Antragsteller wegen gewerbsmäßigen illegalen Handelns mit Betäubungsmitteln angeklagt. Er wurde beschuldigt, an eine von der Kriminalpolizeiinspektion Organisierte Kriminalität eingesetzte Vertrauensperson Kokain verkauft und später weitere Mengen zum Verkauf angeboten zu haben. Auch hier hatte es der Antragsgegner unter Berufung auf § 96 StPO abgelehnt, der Strafkammer die ladungsfähige Anschrift der Vertrauensperson mitzuteilen und ihr die Aussage in der Hauptverhandlung zu gestatten. Im Unterschied zum Verwaltungsgericht hielt es der Senat für möglich, dass mit der Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift der Vertrauensperson und ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung des Strafgerichts die Aufdeckung ihrer (bisher geheim gehaltenen) Identität verbunden sei. Für diese Befürchtung sprächen mehrere Gründe: Würde die wahre Identität der VP offenbart, wäre angesichts der glaubhaft beschriebenen Gewalttätigkeit der betreffenden Rauschgifthändlergruppen ihre persönliche Sicherheit erheblich gefährdet. Darüber hinaus würde die Aufgabe der Anonymität der Vertrauensperson die Möglichkeit ihrer weiteren Verwendung in der Rauschgiftszene erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen. Es sei auch nachvollziehbar, dass die Gewinnung neuer Vertrauenspersonen bei einem sich abschottenden ausländischen Täterkreis außerordentlich schwierig sein dürfte. Angesichts dieser vorrangigen öffentlichen Interessen müßten die Belange des Antragstellers trotz der Schwere der ihm vorgeworfenen Straftaten zurücktreten. In einer weiteren Entscheidung zur Frage einer Zeugeneinvernahme billigte das OLG Koblenz die Nichtangabe des Wohnorts eines als Zeugen aussagenden Polizeibeamten nach § 68 Abs. 2 StPO a.F. mit der Begründung, dass der „Angeklagte Verbindung zur organisierten Drogen-Kriminalität hatte“ und der Polizeibeamte wesentlichen Anteil an der Verhaftung des Angeklagten besessen habe48.
46 BGH NJW 2003, 74 (Anfragebeschluss). Das Anfrageverfahren ist durch Revisionsrücknahme gegenstandslos geworden (StV 2003, 5). 47 OVG Lüneburg NJW 2001, 1665. 48 OLG Koblenz NStZ 1992, 95 m. Anm. Hund.
15 Kinzig
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren III. Organisierte Kriminalität und Untersuchungshaft
Recht zahlreich sind Entscheidungen, in denen der Begriff der organisierten Kriminalität in einen Zusammenhang mit der Fortdauer der Untersuchungshaft gebracht wird.
1. Organisierte Kriminalität und die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen In einer durch eine Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung hatte das OLG Bremen die Fortdauer einer Untersuchungshaft damit begründet, die Ermittlungen dauerten deswegen so lange, weil „im vorliegenden Fall einer berufsmäßig organisierten Kriminalität mit Verschleierungs- und Tarnmaßnahmen operiert werde, um die Aufdeckung zu erschweren.“ Dieses Argument reichte dem Bundesverfassungsgericht für eine weitere Untersuchungshaft allerdings nicht, da ausweislich der Ermittlungsakten eine erhebliche Verzögerung durch Personalmaßnahmen im Bereich der zuständigen Kriminalpolizei eingetreten sei49. Immer wieder auf den Begriff „organisierte Kriminalität“ rekurriert das Kammergericht Berlin. So erkannte es in einer Entscheidung als wichtigen Grund nach § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über 6 Monate hinaus an, „dass im Vorfeld der Anklageerhebung die sich aus den verschiedenen Ermittlungen ergebenden Zusammenhänge im Bereich international organisierter Kriminalität abgeklärt werden mußten.“50 Derselbe Strafsenat des KG Berlin begründete in einem weiteren Fall die Fortdauer der Untersuchungshaft nach § 121 Abs. 1 StPO mit der Erwägung, dass bei einem u. a. wegen gewerbsmäßigen Schmuggels und Hinterziehung von Branntweinsteuer im besonders schweren Fall geführten Ermittlungsverfahren gegen Täter, „die in ein weit verzweigtes System international organisierter Kriminalität mit dem Ziel des Warenschmuggels zwecks Steuerhinterziehung eingebunden waren,“ die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus gerechtfertigt sei, „wenn angesichts hoher Straferwartung und ungeklärter sozialer und familiärer Verhältnisse Fluchtgefahr besteht und die teilweise im Ausland zu führenden Ermittlungen angesichts des erheblichen Umfangs des schwierigen Indizienverfahrens mit der gebotenen Beschleunigung geführt wurden.“51
BVerfG StV 1992, 121. KG Berlin 4. Strafsenat v. 7. 1. 1997, Juris-Dok. Nr. KORE410559700. 51 KG Berlin 4. Strafsenat v. 30. 8. 2000, Juris-Dok. Nr. KORE404122000; vgl. zum Beschleunigungsgebot in Verfahren organisierter Kriminalität auch Kraushaar 1996. 49 50
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2. Organisierte Kriminalität und Fluchtgefahr In einer ganzen Reihe von Entscheidungen stellte das Kammergericht Berlin auch einen Zusammenhang zwischen der Einbindung in organisierte Kriminalität und einer Fluchtgefahr her. So war in einem Verfahren wegen Einschleusung von Ausländern in zwei Fällen die Beschwerdeführerin in erster Instanz zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden, wogegen sie Berufung eingelegt hatte. Zwischenzeitlich fast acht Monate in Untersuchungshaft sitzend, beantragte sie ihre Freilassung, zumal sie nicht vorbestraft sei. Der 5. Strafsenat des KG Berlin verweigerte selbige mit der Überlegung, dass bei der zu treffenden Prognoseentscheidung über die mutmaßliche Entlassung aus der Haft nach § 57 StGB „die Einbindung der Beschwerdeführerin in die organisierte Kriminalität zu berücksichtigen sei.“ Die dem Senat vorliegenden Akten ließen erkennen, dass die Straftaten „ihren Ursprung in den Beziehungen der Beschwerdeführerin zu organisiert tätigen Schleuserbanden hatten.“52 Ganz ähnlich hielt das KG Berlin in einer weiteren Entscheidung Fluchtgefahr auch deswegen für gegeben, weil bei der Strafzumessung „zu Lasten des Angeklagten dessen Einbindung in den Bereich organisierter internationaler Kriminalität zu berücksichtigen sein wird.“ Zudem bestehe die Gefahr, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren durch Flucht in seine Heimat (nach Litauen) oder durch Untertauchen in Deutschland entziehen werde, „zumal er in Verbindung mit international organisierter Kriminalität steht, die im Falle seiner Freilassung eine erfolgversprechende Flucht mit großer Wahrscheinlichkeit erleichtern würde.“53 In einem anderen Fall bejahte das KG Berlin Fluchtgefahr mit dem Argument, alle Beschuldigten stünden in dem Verdacht, „Mitglieder einer dem Bereich der organisierten Kriminalität zuzurechnenden, äußerst gewalttätigen Bande zu sein, die ihnen ein Untertauchen in Deutschland oder eine Flucht ins Ausland erleichtern würde.“54 In einem weiteren Verfahren, in dem dem Untersuchungshäftling Betrug sowie Urkundenfälschung in bandenmäßiger, gewerbsmäßiger Form zur Last gelegt wurde, sah das Gericht, ohne eine inhaltliche Begründung vorzunehmen, in der Zurechnung des Angeklagten zum Bereich der organisierten Kriminalität ein Argument für die Fluchtgefahr55. Fluchtgefahr wurde u. a. auch damit begründet, dass „die Berliner Rockergruppe, deren ,Präsident‘ der Beschuldigte“ gewesen sei, „höchstwahrscheinlich eine kriminelle, bandenmäßige Organisation“ darstelle, „die auch über Beziehungen ins Ausland, insbesondere in die Niederlande und KG Berlin 5. Strafsenat v. 8. 7. 1997, Juris-Dok. Nr. KORE402099700. KG Berlin 4. Strafsenat vom 7. 1. 1997, Juris-Dok. Nr. KORE410559700. 54 KG Berlin 4. Strafsenat v. 29. 1. 1997, Juris-Dok. Nr. KORE435579700. 55 KG Berlin 4. Strafsenat v. 19. 5. 1999, Juris-Dok. Nr. KORE402799900; nach einem Beschluss des 5. Strafsenates des KG Berlin v. 9. 6. 1997 (Juris-Dok. Nr. KORE415579700) war für die Prognose der Fluchtgefahr im Rahmen der Straferwartung erschwerend zu berücksichtigen, „dass die jugendlichen und heranwachsenden Angeklagten nach den Angaben des Angeklagten Sz. einer ,Kiez-Mafia‘ angehören.“ 52 53
15*
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
nach Kanada verfügt und dem Bereich der organisierten Kriminalität zuzurechnen ist.“ Bezüglich des „Präsidenten“ bejahte das KG auch Verdunkelungsgefahr, weil zur Arbeitsweise solcher Gruppen erfahrungsgemäß auch die Verschleierung ihres Tuns und ihrer Organisierung sowohl vor als auch nach der Tatbegehung gehöre56. Nach einer Entscheidung des 3. Strafsenates des KG Berlin spricht es für eine Fluchtgefahr, wenn der Angeklagte „nach den Ermittlungen im Bereich der organisierten Kriminalität tätig war und über Auslandskontakte verfügen soll, die ihm nach seiner Freilassung das Untertauchen erleichtern würden.“57
3. Organisierte Kriminalität und Verdunkelungsgefahr Auch zwischen Verdunkelungsgefahr und organisierter Kriminalität werden Zusammenhänge hergestellt. So bejahte das KG Berlin in einem Verfahren gegen vietnamesische Zigarettenhändler Verdunkelungsgefahr u. a. deswegen, weil zur Arbeitsweise solcher Banden – im konkreten Fall handelte es sich um eine vietnamesische Bande, die sich das Ziel gesetzt hatte, Standgelder von mit unversteuerten Zigaretten Handel treibenden Vietnamesen zu erpressen – „erfahrungsgemäß die Verschleierung ihres Tuns und ihrer Organisation sowohl vor als auch nach der Tatbegehung“ gehöre58. Das OLG Köln entschied, dass „bestimmte Tatvorwürfe, die ihrem Wesen nach auf eine Verdunkelung angelegt sind, . . . typischerweise für eine systematische Verheimlichung und Täuschung gegenüber den Ermittlungsbehörden sprechen (sc. können). Auch haben bestimmte Berufs- und Bandenverbrecher ihre gesamte Lebensführung derart auf systematische Verheimlichung, Täuschung, Drohung und Gewaltanwendung ausgerichtet, dass eine Verdunkelungsgefahr auf der Hand liegt.“59 Demgegenüber verneinte das LG Bremen Verdunkelungsgefahr in einem Fall, in dem einem kurdischen Beschuldigten im Haftbefehl des AG Bremen vorgeworfen worden war, von einem Landsmann die Zahlung regelmäßiger Geldbeträge zum Zwecke der Unterstützung der PKK verlangt zu haben. Zwar seien die dem Beschuldigten vorgeworfenen Delikte „überwiegend durch Drohung und Gewaltanwendung gekennzeichnet und wären möglicherweise dem Bereich der Organisierten Kriminalität zuzurechnen.“ Doch könnten daraus alleine keine unmittelKG Berlin 4. Strafsenat v. 16. 5. 1997, Juris-Dok. Nr. KORE412229700. KG Berlin 3. Strafsenat v. 28. 3. 2001, Juris-Dok. Nr. KORE409782001. 58 KG Berlin 4. Strafsenat vom 29. 1. 1997, Juris-Dok. Nr. KORE435579700. Ähnlich bejahte dasselbe Gericht in einem Ermittlungsverfahren wegen Anstiftung zum schweren Bandendiebstahl bzw. gewerbsmäßiger Bandenhehlerei, jeweils in mehreren Fällen, das Vorliegen von Verdunkelungsgefahr, wobei es allerdings diesmal die Bezeichnung „organisierte Bandenkriminalität“ verwandte (KG Berlin 4. Strafsenat vom 1. 7. 1998, Juris-Dok. Nr. KORE422129800). 59 OLG Köln StV 1999, 37. 56 57
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baren Folgerungen für die Annahme einer Verdunkelungsgefahr gezogen werden. „Durch eine solche, nur deliktsabhängige Generalisierung des Haftgrundes würde dieser sich von der gesetzlich verlangten konkreten Zurechnung zu dem Verhalten des Beschuldigten lösen, das auf eine Erschwerung der Wahrheitsermittlung gerichtet sein muß.“60
4. Organisierte Kriminalität und Verschärfungen der Untersuchunghaft Organisierte Kriminalität wird auch als rechtfertigendes Element für verschärfende Anordnungen während der Untersuchungshaft gebraucht. So hielt das Landgericht Mainz eine Entscheidung, einem Untersuchungsgefangenen ein Telefongespräch mit seiner schwer erkrankten Ehefrau zu versagen, trotz eines berechtigten Interesses deswegen für gerechtfertigt, da eine erforderliche vollständige Überwachung dieses Gesprächs in der betreffenden Justizvollzugsanstalt technisch nicht möglich und die bloße Hinzuziehung eines Dolmetschers wegen des beim Untersuchungsgefangenen vorliegenden „Verdachts von organisierter Kriminalität“ nicht ausreichend sei61. Des Weiteren billigte der 4. Strafsenat des KG Berlin eine Entscheidung, in der besondere Sicherungsmaßnahmen gegen einen Untersuchungsgefangenen angeordnet worden waren, dem Diebstahl im besonders schweren Fall sowie Urkundenfälschung vorgeworfen wurden. Die Annahme der Verdunkelungsgefahr bestünde zu Recht, so das KG, da es sich bei dem Angeklagten „nach dem gesamten Ermittlungsergebnis und nach Art der Durchführung der ihm zur Last gelegten Straftaten um einen dem Bereich der organisierten Kriminalität zuzurechnenden Straftäter“ handele. „Dass zur Arbeitsweise solcher Gruppen erfahrungsgemäß auch die Verschleierung ihres Tuns und ihrer Organisierung sowohl vor als auch nach der Tatbegehung“ gehöre, habe der Senat bereits mehrfach entschieden. Zudem habe es in der Vergangenheit mehrere dem Beschwerdeführer zuzurechnende Versuche der Einwirkung auf das Verhalten von Zeugen gegeben62. Ebenfalls vor dem KG Berlin wandte sich ein Untersuchungsgefangener, gegen den wegen Betäubungsmittelhandels in nicht geringer Menge ermittelt wurde, ge-
LG Bremen StV 1998, 272. LG Mainz wistra 1995, 77: Der Untersuchungsgefangene war durch nicht rechtskräftiges Urteil wegen gemeinschaftlicher Geldfälschung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren zehn Monaten verurteilt worden. 62 KG Berlin 4. Strafsenat v. 15. 8. 1997, Juris-Dok. Nr. KORE 422089700; vgl. auch den Beschluss des 5. Strafsenates des KG Berlin v. 13. 6. 1997 (Juris-Dok. Nr. KORE436689700) im Falle von Mitgliedern einer Bande, die dringend verdächtig seien, sich die Erpressung von Schutzgeldern als fortlaufende Einnahmequelle zum Ziel gesetzt zu haben. Zur Arbeitsweise solcher Banden gehörten erfahrungsgemäß die Verschleierung ihres Tuns und ihrer Organisation sowohl vor als auch nach der Tatbegehung. 60 61
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gen eine inhaltliche Gesprächsüberwachung mit einem so genannten „Berührungsverbot“, das verfügt war, um Verdunkelungshandlungen durch Übergabe von schriftlichen Nachrichten zu verhindern. In seiner Entscheidung führte das KG aus, es handele sich in diesem Verfahren um einen der umfangreichsten Rauschmittelprozesse in Berlin, „bei denen die Beteiligten im Verdacht stehen, an einem weit verzweigten Netz international organisierten Drogenhandels großen Stils beteiligt gewesen zu sein.“ Beim Beschwerdeführer selbst handele es sich nach vorläufiger Bewertung „um einen dem Bereich der organisierten Kriminalität zuzurechnenden Straftäter.“ Seine Familie stehe im Verdacht, in die mit dem Rauschgifthandel verbundenen finanziellen Transaktionen eingebunden gewesen zu sein63. Der 4. Strafsenat des KG Berlin verwehrte mit ähnlicher Begründung im gleichen Verfahrenskomplex einem ausländischen Untersuchungsgefangenen, dem ebenfalls unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgeworfen wurde, die Teilnahme an einem Deutschkurs. Auch in diesem Beschluss machte das KG darauf aufmerksam, dass es sich hinsichtlich der Anzahl der Mitangeklagten und der Vielzahl und Schwere der ihnen gemachten Vorwürfe der Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz um ein besonders umfangreiches Strafverfahren handele. So stünden der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten im Verdacht, „mit den ihnen vorgeworfenen Taten an einem weit verzweigten Netz international organisierten Drogenhandels großen Stils beteiligt gewesen zu sein.“ Zu den bereits geschilderten Beeinflussungsversuchen komme hinzu, „dass es sich bei dem Beschwerdeführer nach dem bisherigen Erkenntnisstand um einen dem Bereich der organisierten Kriminalität zuzurechnenden Straftäter handelt.“64 In einem weiteren Verfahren gegen einen Untersuchungsgefangenen wegen Vergewaltigung in 16 Fällen und schweren Menschenhandels in Tateinheit mit Zuhälterei war eine umfangreiche Sicherungsverfügung erlassen worden. Auch hier konstatierte der Senat, „bei dem Angeklagten handelt es sich um einen dem Bereich der organisierten Kriminalität zuzurechnenden Straftäter“, der dem Schlepper-, Menschenhändler- und Zuhältermilieu zuzuordnen sei65. Dagegen beanstandete der 4. Strafsenat des KG Berlin die Fortdauer der inhaltlichen (akustischen) Überwachung der Gespräche eines bereits wegen Betäubungsmittelhandels in nicht geringer Menge verurteilten Angeklagten mit seiner Ehefrau und seinen Kindern und eines Berührungsverbots sowie die Versagung der Genehmigung einer zusätzlichen einstündigen Sprecherlaubnis, da konkrete Anhaltspunkte dafür, der Angeklagte werde die Ehefrau und seine Kinder für Verdunkelungshandlungen mißbrauchen, nicht ersichtlich seien. Dabei wies der Senat darauf hin, er brauche nicht zu entscheiden, „ob die Einbindung eines Gefangenen in die organisierte Kriminalität für sich allein die Beschränkung des Besuchsrechts mit engsten Familienangehörigen durch akustische Überwachung rechtfertigt.“ Das 63 64 65
KG Berlin 4. Strafsenat v. 17. 9. 1999, Juris-Dok. Nr. KORE418349900. KG Berlin 4. Strafsenat v. 20. 9. 1999, Juris-Dok. Nr. KORE429369900. KG Berlin 4. Strafsenat v. 27. 10. 1999, Juris-Dok. Nr. KORE429519900.
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Urteil des Landgerichts habe jedenfalls ein für organisierte Kriminalität sprechendes bandenmäßiges Handeln mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 1 BtMG) nicht festgestellt66.
C. Organisierte Kriminalität, Strafvollstreckung und Strafvollzug Obwohl gesetzlich nicht verankert, hat der Begriff der organisierten Kriminalität auch Einzug in das Recht der Strafvollstreckung und des Strafvollzugs gehalten. In der Rechtsprechung führend ist auch hier, soweit ersichtlich, das Kammergericht Berlin.
I. Organisierte Kriminalität und Strafvollstreckung
So verwarf der 5. Strafsenat des KG Berlin eine mit dem Ziel geführte Beschwerde eines wegen Einschleusung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilten Erstverbüßers, ihn gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB bereits nach der Hälfte der zu verbüßenden Freiheitsstrafe zur Bewährung zu entlassen. Eine frühzeitige Entlassung könne insbesondere wegen der Schwere der Schuld nicht gewährt werden, die durch die Festsetzung des Strafmaßes im Urteil noch nicht verbraucht sei. So sei der Beschwerdeführer „der Beteiligung an organisierter Einschleusung von Ausländern schuldig, die von dem Tatrichter als überdurchschnittlich gewichtig angesehen wurde, weil es sich um insgesamt 14 Personen handelte.“ Außerdem habe das Tatgericht festgestellt, „dass die Tat professionell geplant und arbeitsteilig durchgeführt war und Merkmale der organisierten Kriminalität aufwies.“67 In einer weiteren Entscheidung lehnte das KG die Entlassung eines Erstverbüßers zum 2 /3-Zeitpunkt u. a. mit der besonderen Gefährlichkeit des Gefangenen ab, „der sich aus Gewinnstreben in Strukturen der Organisierten Kriminalität an der Verschiebung hochwertiger Kraftfahrzeuge beteiligt hat.“68 In einer weiteren Entscheidung bekräftigte das KG seine Ansicht, auch bei einem Erstverbüßer könne die Strafrestaussetzung nach § 57 Abs. 1 S. 2 StGB mangels einer günstigen Prognose abgelehnt werden, „wenn die Tatsache, dass der Verurteilte sich aus reinem Gewinnstreben einer gut organisierten Gruppe angeschlossen hatte, die in großem Stil Straftaten mit Millionenschäden begangen hatte, auf KG Berlin 4. Strafsenat v. 12. 2. 2001, Juris-Dok. Nr. KORE408982001 KG Berlin 5. Strafsenat v. 9. 7. 1997, Juris-Dok. Nr. KORE431079700. 68 KG Berlin 5. Strafsenat v. 6. 1. 1999, Juris-Dok. Nr. KORE416939900. Nach KG Berlin 5. Strafsenat v. 4. 10. 2001, Juris-Dok. Nr. KORE435532001 ist eine besondere Gefährlichkeit auch für solche Täterkreise anerkannt, die sich „im sog. Rotlichtmilieu, in Bereichen der organisierten Kriminalität bewegt und bestimmte milieutypische Straftaten aus reinem Gewinnstreben begangen haben.“ 66 67
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
die besondere Gefährlichkeit sowie Charaktermängel des Verurteilten hinweist, die die Gefahr in sich bergen, dass er auch künftig Anreizen zur Verbesserung seiner schwierigen finanziellen Situation nachgeben wird.“69 Auch billigte das KG Berlin eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, bei einem wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilten und rechtskräftig ausgewiesenen Strafgefangenen nicht nach § 456a StPO bereits nach der Halbstrafe von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe abzusehen. Zur Begründung hatte sich das Landgericht auf die Ermessensrichtlinien der Senatsverwaltung für Justiz in der Allgemeinen Verfügung über die Anwendung des § 456a StPO vom 17. Januar 1997 (ABl. S. 467) berufen. Nach § 2 Abs. 5 Satz 2 Ziff. 2 und 3 dieser Verfügung ist die Vollstreckung über den Halbstrafenzeitpunkt hinaus insbesondere geboten bei Verurteilungen nach dem Betäubungsmittelgesetz zu Freiheitsstrafen ab zwei Jahren oder, wenn unabhängig vom Gegenstand der Verurteilung Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit des Verurteilten zum Bereich der organisierten Kriminalität oder der schweren Betäubungsmittelkriminalität bestehen. Nach den Urteilsfeststellungen, so das KG Berlin, sei nicht zu bezweifeln, dass der Antragsteller dem Bereich international organisierter Rauschgiftkriminalität zuzurechnen sei70.
II. Organisierte Kriminalität und Strafvollzug
Dass der Begriff der organisierten Kriminalität auch auf dem Gebiet des Strafvollzuges bereits Eingang in die Rechtsprechung gefunden hat, ist zum einen darauf zurückzuführen, dass Nr. 7.2 der bereits mehrfach erwähnten Gemeinsamen Richtlinien über die Verfolgung der Organisierten Kriminalität vorschreibt, dass die Justizvollzugsanstalten über „Verbindungen eines Untersuchungs- oder Strafgefangenen zur Organisierten Kriminalität“ sowie „Erscheinungsformen und Entwicklung der Organisierten Kriminalität“ zu informieren sind, „soweit es für Vollzugsentscheidungen erheblich sein kann und Belange der Strafverfolgung nicht entgegenstehen.“ Für den Strafvollzug sehen die VV Nr. 7 Abs. 4 Satz 2 zu § 11 StvollzG, VV Nr. 4 Abs. 4 Satz 2 zu § 13 StvollzG sowie Nr. 6 Abs. 15 Satz 2 VVJug bei Anträgen auf Vollzugslockerungen einen besonderen Versagungsgrund der „Verwicklung“ in bzw. Zurechnung zu „Organisierter Kriminalität“ vor71. Dazu hatte sich der 5. Strafsenat des KG Berlin auf eine Rechtsbeschwerde eines Gefangenen, der u. a. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und versuch69 KG Berlin 5. Strafsenat v. 11. 7. 2000, Juris-Dok. Nr. KORE440522000; vgl. auch KG Berlin 5. Strafsenat v. 28. 3. 2001, Juris-Dok. Nr. KORE439512001 mit der Erwägung, der Beschwerdeführer sei „im Rahmen eines organisierten Verbundes tätig geworden“, wobei es dahinstehen könne, „ob dieser als Bande oder kriminelle Vereinigung im Sinne der organisierten Kriminalität (hier der ,Nigeria-Connection‘) gehandelt habe.“ 70 KG Berlin 4. Strafsenat v. 7. 7. 1999, Juris-Dok. Nr. KORE417929900. 71 Kritisch dazu Eisenberg 2000, § 57 RdNr. 78; anders Schott 2000.
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ten Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden war, mit der Frage auseinanderzusetzen, ob dieser so genannte, auf Nr. 7.2 der gemeinsamen Richtlinien gestützte OK-Stempel in den Gefangenenpersonalakten einen Regelungscharakter aufweise und damit anfechtbar sei. Im Gegensatz zur Strafvollstreckungskammer bejahte der Senat dies, weil der Gefangene dadurch für besonders fluchtverdächtig gehalten werde oder seine Befreiung befürchtet werden könne. Dadurch werde dem Gefangenen mit mehr Vorsicht und Mißtrauen begegnet. Auch wenn sich ein solcher Verdacht grundsätzlich aus einer Mitteilung der StA ergeben könne, sei diese in Beziehung zu setzen zu dem Verhalten des Gefangenen in der Haft, zu den Urteilsgründen und zu allen anderen Umständen, die für die Zuordnung zur Organisierten Kriminalität von Belang sein könnten72. Das KG Berlin hatte zudem über einen Antrag eines wegen Rauschgifthandels und -schmuggels verurteilten Strafgefangenen zu entscheiden, den Vermerk „organisierte Kriminalität“ aus seiner Personal- und Vollstreckungsakte zu entfernen. Dabei billigte das Gericht die vorgenommene „Zuordnung des Verurteilten zum Bereich der organisierten Kriminalität“ und bezog sich dabei auf die in den Richtlinien enthaltene Definition organisierter Kriminalität mit den dort genannten Indikatoren. Dass die „Zuordnung zum Bereich der organisierten Kriminalität“ keinem Zweifel unterläge, zeigten die Urteilsfeststellungen, wonach „der Antragsteller über einen erheblichen Tatzeitraum in großem Stil mit Rauschgift Handel getrieben hat, dabei große Rauschmittelmengen regelmäßig aus den Niederlanden bezog und andererseits durch von ihm beauftragte verschiedene Drogenkuriere, denen er zum Teil ,Einweiser‘ als Begleitpersonen sowie von ihm präparierte verschiedene Transportfahrzeuge zur Verfügung stellte, nach Kopenhagen ausführte, der Antragsteller in einem von ihm genutzten Tresor nicht nur große Rauschmittelmengen, sondern auch Bargeld in Höhe von über 150.000 DM sowie eine scharfe Schußwaffe aufbewahrte, ferner im Urteil ausdrücklich festgestellt wird, dass der Antragsteller im Rahmen einer professionellen Tätergruppe tätig war.“73
D. Organisierte Kriminalität und ihre Auswirkung im übrigen Recht Schließlich spielt der Begriff der organisierten Kriminalität noch in weiteren, ganz unterschiedlichen Rechtsbereichen eine Rolle, die zum Abschluss der Rechtsprechungsanalyse kurz dargestellt werden.
72 73
KG Berlin StV 1998, 208. KG Berlin 4. Strafsenat v. 11. 4. 1997, Juris-Dok. Nr. KORE 411919700.
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren I. Organisierte Kriminalität und allgemeines Verwaltungsrecht
Um die Reichweite der vorbeugenden Verbrechungsbekämpfung ging es in einer Entscheidung des OVG Saarlouis. Das Gericht wies eine Klage eines wegen Untreue verurteilten früheren Rechtsanwaltes ab, das beklagte Amt zu verpflichten, die über ihn aufbewahrten und gespeicherten Informationen in kriminalpolizeilichen Sammlungen und Dateien zu vernichten. Dabei betonte das OVG, dass die in § 30 II SPolG normierten Speicherungsvoraussetzungen – Art, Ausführung, Schwere der Tat, Persönlichkeit des Betroffenen, aus denen die Gefahr einer Wiederholung begangener Straftaten hergeleitet werden kann –, „im überwiegenden Allgemeininteresse an der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, insbesondere derjenigen der Bekämpfung des Extremismus und der organisierten Kriminalität“, lägen74. In einem anderen Fall, den das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden hatte, wollte der Kläger Faustfeuerwaffen zum Zwecke der Durchführung eines Personenlehrganges erwerben. Das Oberverwaltungsgericht hatte die Erteilung einer Waffenbesitzkarte abgelehnt, da das dafür erforderliche waffenrechtliche Bedürfnis nicht bestehe. Zudem ergebe sich die Gefahr, dass Lehrgangsteilnehmer von Personen angeworben würden, deren Schutzbedürfnis aus der Illegalität ihres Tuns resultiere. Das Bundesverwaltungsgericht hob die Entscheidung des OVG u. a. mit dem Argument auf, dass „die Möglichkeit, dass Teilnehmer möglicherweise in die Organisierte Kriminalität abgeworben werden“, nicht dem Veranstalter angelastet werden dürfe75. Der Hessische VGH konnte im Übrigen bei einer Entscheidung über die Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung nach § 33e Abs. 1 S 2 GewO für die Durchführung eines Geschicklichkeitsspiels offen lassen, ob die „Bekämpfung der Glücksspielkriminalität wegen ihrer Nähe zur organisierten Kriminalität auch die Freiheit der Berufswahl von Spielhallenbetreibern und Spielunternehmern einschränken dürfte.“76
II. Organisierte Kriminalität und Disziplinarrecht
In einem weiteren Fall, über den das Bundesverwaltungsgericht zu urteilen hatte, war ein Bundesbahnbeamter im vorangegangenen Strafverfahren wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (er hatte unverzollte und unversteuerte Zigaretten erworben, weiterverkauft, Einfuhrabgaben in Höhe von rund 120.000 DM verkürzt und einen Gewinn von rund 20.000 DM erzielt) in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Die Berufung gegen das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, in dem lediglich der Dienstgrad
74 75 76
OVG Saarlouis v. 18. 12. 1996 = Juris-Dok. Nr. MWRE113529700. BVerwG NVwZ-RR 1993, 619. Hess. VGH DÖV 1995, 782.
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des Beamten herabgesetzt worden war, begründete der Bundesdisziplinaranwalt damit, die Vorgehensweise des Beamten sei „zumindest dem Randbereich der organisierten Kriminalität zuzuordnen“. Das Bundesverwaltungsgericht verfügte die Entfernung des Beamten aus dem Dienst u. a. mit dem Argument, dass der Beamte eine wichtige Funktion innerhalb einer „kriminellen Absatzorganisation“ wahrgenommen habe77. Auch der VGH Mannheim bestätigte eine Dienstentfernung eines Polizeibeamten, der in Kenntnis laufender kriminalpolizeilicher Ermittlungen gegen eine der Bildung einer kriminellen Vereinigung verdächtige Gruppe italienischer Staatsangehöriger Gruppenmitglieder über die Tatsache der Ermittlungen unterrichtet hatte. Die Verletzung zur Amtsverschwiegenheit sei „gerade im Zusammenhang mit polizeilichen Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen“ ein so gravierender und endgültiger Vertrauensbruch gegenüber dem Dienstherren, dass ein weiteres Belassen des Beamten im Dienst nicht mehr vertretbar erscheine78.
III. Organisierte Kriminalität und Ausländerrecht
Das Bayrische Oberste Landesgericht erklärte in einem Fall die Anordnung von Abschiebungshaft bei einem nigerianischen Staatsangehörigen, der wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden war, für rechtmäßig. Die Verurteilung rechtfertige die Befürchtung, der Ausländer werde sich einer geplanten Abschiebung widersetzen. Zudem eröffne der Rauschgifthandel „Beziehungen zur organisierten Kriminalität . . . , welche über den Behörden nicht bekannte Unterkünfte und über große Geldbeträge verfügt, mit denen sie ihren Mittätern und Gehilfen besonders leicht macht, sich zu verbergen und einem Zugriff der Behörden zu entziehen.“79 Vor dem VGH Baden-Württemberg ging es um die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung eines Italieners, der vom Landgericht Hechingen wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei in vierzehn Fällen sowie versuchter gewerbsmäßiger Bandenhehlerei in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren drei Monaten verurteilt worden war. Obwohl der Italiener mit seiner Ehefrau zusammen lebte und dadurch einen besonderen Ausweisungsschutz genoss, bejahte der VGH schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die auch in diesem Fall zu einer Ausweisung führen können. Diese schwerwiegenden Gründe erblickte der VGH darin, dass der Kläger durch seine Betätigung „im Bereich der international agierenden organisierten Kriminalität – hier: als sog. Autoschieber – eine erhebliche kriminelle Energie entfaltet“ habe. Nach den Feststellungen des 77 BVerwGE 113, 166; vgl. auch den Parallelfall BVerwG v. 25. 6. 1998, Juris-Dok. Nr. WBRE410004865. 78 VGH Baden-Württemberg, Juris-Dok Nr. MWRE115629700. 79 BayObLG NVwZ 1994, 94.
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
Landgerichts habe der Kläger als Bandenmitglied entscheidend zum Absatz von 19 in Italien gestohlenen und unterschlagenen – überwiegend hochwertigen – Personenkraftwagen in Deutschland beigetragen, wobei er in professioneller Weise sowohl durch die Lieferung gefälschter italienischer Papiere und fingierter Kaufverträge als auch durch die Überführung der – von einer in Italien agierenden Verbrecherbande unrechtmäßig beschafften – Fahrzeuge tätig wurde. Da der Kläger bereits vorbestraft war, habe er sich seine Bestrafung nicht zur Warnung dienen lassen und deshalb habe die Gefahr bestanden, dass er sich weiter „in diesem Bereich der international organisierten Kriminalität“ betätige80. Dagegen wird in Fällen, in denen über die Gewährung von Asyl zu entscheiden ist, die Bedrohung durch organisierte Kriminalität nicht als Asylgrund anerkannt. So hat etwa das VG Düsseldorf ausgeführt, dass sich zwar in Weißrußland mafiaähnliche Organisationen betätigten, ein absoluter Schutz gegen die organisierte Kriminalität aber auch in den westeuropäischen Staaten nicht zu erlangen sei81. Für Georgien stellte das VG Sigmaringen für die Jahre 1992 und 1993 eine starke innenpolitische Destabilisierung und das Aufblühen der organisierten Kriminalität und des Bandentums fest, was aber nicht zu einer staatlichen Verfolgung führe82. Für Kasachstan bestätigte das VG Düsseldorf, dass sich dort mafiaähnliche Organisationen betätigten und die kasachische Regierung nicht in der Lage sei, durchgreifende Maßnahmen gegen die inzwischen fest etablierte Mafia zu realisieren. Trotz der Zusammenarbeit von einzelnen Behördenmitgliedern mit der lokalen Mafia sei dies allein aber noch kein Asylgrund83. Das OVG Weimar judizierte, dass das Abschiebungshindernis nach Art. 3 EMRK i. Vbdg. mit § 53 Abs. 4 AuslG nicht uneingeschränkt auch Kriegs- und Bürgerkriegsgefahren sowie Rechtsverletzungen durch private Dritte, zum Beispiel durch Drogenkartelle, umfasse. Anderenfalls könnten auch Gefahren durch organisierte Kriminalität wie auch Bedrohungen durch einzelne Kriminelle beachtlich sein und der Schutzberich von Art. 3 EMRK ließe sich nicht mehr sinnvoll begrenzen84.
VGHBw-Ls 1997, Beilage 3, B 3. VG Düsseldorf v. 19. 1. 1994, Juris-Dok. Nr. MWRE108279400 82 VG Sigmaringen v. 4. 5. 1995, Juris-Dok. Nr. MWRE106409500; vgl. auch VG Neustadt v. 21. 1. 1998, Juris-Dok. Nr. MWRE180109800. 83 VG Düsseldorf v. 11. 10. 1996, Juris-Dok. Nr. MWRE104039700; vgl. auch HessVGH v. 13. 12. 1999, NVwZ 2000, Beilage Nr 9, 102 – 107, Juris-Dok. Nr. MWRE101820000 mit der Bemerkung, dass es sich bei der PKK „um eine stalinistische Organisation“ handele, „die blutigen Terror für ein legitimes Mittel hält“. Um die Verbreitung von organisierter Kriminalität und Korruption in der Ukraine ging es in einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts des Saarlandes 12. Kammer v. 30. 10. 2001, Juris-Dok. Nr. MWRE107730200. 84 Thüringer Oberverwaltungsgericht v. 6. 8. 1997, Juris-Dok. Nr. MWRE100589800; vgl. auch VGH Mannheim VGHBW-Ls 2000, Beilage 2, B 5 – 6 zum Regime der Taliban in Afghanistan. 80 81
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Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz entschied, dass Tamilen, die aus der Bundesrepublik Deutschland nach Sri Lanka zurückkehren, im Großraum Colombo vor politischer Verfolgung hinreichend sicher seien, und verneinte eine asylerhebliche Rückkehrgefährdung. Eine Strafvorschrift zur Verhinderung illegaler Ausreise gelte für alle srilankischen Staatsangehörigen und stelle die Verfolgung kriminellen Unrechts dar. In diesem Zusammenhang berichtete das Auswärtige Amt, die äußerst lukrative Schleppung srilankischer Auswanderer werde größtenteils von mafiaähnlich strukturierten Banden beherrscht. Die Art der aufgedeckten Fälschungen und die Verfahrensweisen zur illegalen Überwindung der Personenkontrollen seien in der Vergangenheit immer weiter entwickelt worden, wobei das Ausmaß der organisierten Kriminalität in diesem Bereich gerade in den vergangenen Jahren beunruhigende Formen angenommen habe85. IV. Organisierte Kriminalität und Sozialrecht
Das Bundessozialgericht versagte einem ehemaligen Rauschgifthändler Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG)86. Dem Kläger war, nachdem er ein Geständnis abgelegt und seine Abnehmer benannt hatte, bei einem Racheakt Schwefelsäure ins Gesicht geschüttet worden. Dadurch erlitt er schwere Augenverletzungen und ist seither praktisch erblindet. In der zwischenzeitlich erfolgten Distanzierung des Opfers von der kriminellen Szene sah das BSG keinen Grund, Entschädigung für Taten zu leisten, die unter ehemaligen Beteiligten von Straftaten wegen dieser Straftaten geschähen. Denn sonst bestehe die Gefahr, dass das Gewaltopferentschädigungsrecht zu einer Art Unfallversicherung für ehemalige Teilnehmer der organisierten Kriminalität würde87. In einer weiteren Entscheidung konkretisierte das Bundessozialgericht, wann ein Entschädigungsanspruch wegen Unbilligkeit nach § 2 Abs. 1 OEG ausgeschlossen ist. Im vorliegenden Fall, der Kläger war im Strafvollzug verletzt worden, zog das Gericht in Betracht, dass sich das Opfer durch die vorangegangene Begehung von Straftaten bewußt außerhalb der staatlichen Rechtsordnung gestellt und die damit verbundene Gefahr sich in Schädigungsfolgen durch eine Gewalttat realisiert habe. Dies gelte „insbesondere bei Taten im Bereich der organisierten Kriminalität.“ Die Voraussetzungen dieser Fallgruppe sah das BSG insoweit für gegeben an, „als der Kläger in strafbarer Weise mit Betäubungsmitteln gehandelt“ habe88. OVG Rh.-Pf. NVwZ-RR 2001, 341 – 342. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 sind Leistungen nach dem OEG zu versagen, wenn der Geschädigte oder Antragsteller „in die organisierte Kriminalität verwickelt ist oder war oder einer Organisation, die Gewalttaten begeht, angehört oder angehört hat, es sei denn, er weist nach, dass die Schädigung hiermit nicht in Zusammenhang steht.“ Dazu kritisch Eisenberg 2000, § 57 RdNr. 78. 87 BSGE 72, 136 = NJW 1993, 2957. 85 86
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren V. Organisierte Kriminalität und sonstige Rechtsgebiete
Selbst in einer Entscheidung des Bundesfinanzhofes war der Begriff organisierte Kriminalität von Bedeutung. Dort ließ die Klägerin als Hauptverpflichtete im Jahre 1992 mehrere externe gemeinschaftliche Versandverfahren für den Versand von Zigaretten bzw. Spirituosen nach Polen eröffnen, die nicht abgeschlossen wurden. Das beklagte Hauptzollamt nahm die Klägerin daraufhin für Zoll, Einfuhrumsatzsteuer und Tabak- bzw. Branntweinsteuer in Anspruch. Es hielt es für erwiesen, dass die im gemeinschaftlichen Versandverfahren beförderten Waren nicht ordnungsgemäß gestellt wurden. Einen besonderen Umstand – die Klägerin sah einen solchen deswegen als gegeben an, weil die Waren durch organisierte Kriminalität abhanden gekommen sein müssten – im Sinne der Zollvorschriften erachtete der BFH für nicht vorliegend. Allein das Vorhandensein organisierter Kriminalität, so der BFH, die sich auch des Versandverfahrens für ihre Zwecke bediene, sei kein besonderer Umstand, der als solcher schon ein mögliches Handeln des Beteiligten in betrügerischer Absicht oder eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten ausschließe. Auch wäre ein Eingriff der organisierten Kriminalität in die Versandverfahren nicht als höhere Gewalt zu bewerten, sondern stelle unter den gegebenen Verhältnissen nur ein allgemeines Risiko dar. Die Zollbehörden treffe gegenüber dem Hauptverpflichteten keine besondere Verpflichtung, den Eingriff der organisierten Kriminalität in das Versandverfahren zu verhindern. Es sei vielmehr eine allgemeine Aufgabe des Staates auf dem Gebiet der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, den Zugriff organisierter Kriminalität zu verhindern, ohne dass dieser Umstand aber einen Einfluss auf die Erhebung von Abgaben haben könne, die im Zusammenhang mit dem widerrechtlichen Zugriff auf die zum gemeinschaftlichen Versandverfahren abgefertigte Ware entstanden sein mögen89. Schließlich ging es in einer zivilrechtlichen Entscheidung darum, ob grob fahrlässig handelt und dadurch den Versicherungsschutz verliert, wer den Kraftfahrzeugschein im Handschuhfach deponiert. Das OLG Bamberg verneinte grobe Fahrlässigkeit mit der Überlegung, dass heutzutage „die Mitglieder einer Bande oder, noch weitergehend, der so genannten organisierten Kriminalität“ nicht mehr interessiere, ob sie den Kraftfahrzeugschein irgendwie erlangten90. Beleidigungen dergestalt, dass ein Unternehmen dem organisierten Verbrechen zuzurechnen sei, 88 BSGE 88, 103. Auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (HV-INFO 1987, 1951) versagte Unfallversicherungsschutz nach § 550 Abs. 1 RVO in einem Fall, bei dem der Überfallene einem Racheakt erlag, „dessen Hintergründe im Bereich des organisierten Verbrechens in Süditalien zu suchen sind.“ 89 BFH NVwZ 2001, 355; vgl. auch BFH v. 18. 1. 2000, Juris-Dok. Nr. STRE200050081: Dort hat die Klägerin die Frage aufgeworfen, „ob, bei dem besonderen Sachverhalt einer Anzeige der Klägerin bei den Zollbehörden und eines dadurch erst ermöglichten Aufgriffs einer Schmuggler-Bande der organisierten Kriminalität durch die Zollfahndung mit teilweise gefassten, geständigen Tätern, noch von einem Verschwinden von Waren im Freihafen i.S. der zollrechtlichen Bestimmungen die Rede sein“ könne. 90 OLG Bamberg VersR 1996, 969.
Abschn. 2, Kap. 8: Organisierte Kriminalität in der Rechtsprechung
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waren zwischenzeitlich auch schon Gegenstand von Mietrechtsprozessen91. Im Übrigen sieht die aufgrund § 58a BbesG geschaffene Auslandsverwendungszuschlagsverordnung (AuslVZV) vor, dass als Belastungen und Erschwernisse, die mit einem Auslandsverwendungszuschlag abgegolten werden, nach § 2 Nr. 2.3 AuslVZV Gefahren durch „Terrorakte, organisierte Kriminalität und hohe Gewaltkriminalität“ angesehen werden92.
E. Zusammenfassung Im Rahmen einer Rechtsprechungsanalyse konnte gezeigt werden, dass die Begriffe „organisierte Kriminalität“, „organisiertes Verbrechen“ oder „kriminelle Organisation“, obwohl gesetzlich nicht bzw. nur in Form einer Richtlinie definiert, nicht nur Entscheidungen zu Fragen des materiellen Strafrechts beeinflussen, sondern darüber hinaus auch Bedeutung für die Judikatur zum Verfassungsrecht, Strafprozessrecht, Strafvollstreckungs- und Strafvollzugsrecht und zu weiteren Rechtsgebieten besitzen. In verfassungsgerichtlichen Entscheidungen über die neuere Polizeigesetzgebung der Länder wurde die Bedrohung durch organisierte Kriminalität als Legitimation dafür angesehen, den Landespolizeibehörden erweiterte Kompetenzen bei der Verbrechensbekämpfung einzuräumen. Ohne empirische Belege zu liefern und sich mit den Befunden empirischer Forschung auseinanderzusetzen, argumentierten insbesondere der Sächsische Verfassungsgerichtshof, aber auch das Verfassungsgericht von Mecklenburg-Vorpommern, mit ganz verschiedenen Facetten dessen, was unter dem Stichwort organisierte Kriminalität diskutiert wird. Wurde einerseits die weltweite Existenz krimineller Organisationen und mafioser Gebilde beschworen, leitete der Sächsische Verfassungsgerichtshof andererseits „die besondere Gefährlichkeit und Präventionsbedürftigkeit“ organisierter Kriminalität aus „der Planmäßigkeit der Beeinträchtigung der Rechtsordnung durch organisiertes Vorgehen“ ab. Im Übrigen wurde die Notwendigkeit des Einsatzes verdeckter Maßnahmen auch durch den Aspekt der Waffengleichheit und damit begründet, dass solche Straftaten nicht anders zu verhindern seien. Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewichtet die Gefahren organisierter Kriminalität uneinheitlich. Während der Erste Senat in der G 10-Entscheidung die Proliferation, den Rüstungshandel, den internationalen Terrorismus, aber auch den Drogenexport und die damit zusammenhängende Geldwäsche als Aktivitäten ansah, die häufig von ausländischen Staaten oder von ausländischen Organisationen ausgingen und internationale Gegenmaßnahmen erfor-
91 92
AG Stuttgart-Bad Cannstatt sowie LG Stuttgart, beide WuM 1997, 492. Vgl. etwa BAG NZA-RR 2000, 90.
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Teil 1: Historische Entwicklung, Definition und Gefahren
derten, sah sich die Mehrheitsmeinung des Zweiten Senates in der Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit der Vermögensstrafe angesichts der fehlenden Kontur des Begriffes organisierte Kriminalität nicht in der Lage, daraus Anhaltspunkte für den Anwendungsbereich der Vermögensstrafe zu gewinnen. Auf dem Gebiet des Strafprozessrechts argumentierte der BGH mehrfach damit, verschiedene verdeckte Ermittlungsmaßnahmen seien für eine effektive Strafverfolgung, insbesondere zur Bekämpfung organisierter Kriminalität, erforderlich. Im Übrigen zeichnete der Große Senat des BGH schon im Jahre 1983 in einer Entscheidung zur kommissarischen Vernehmung für die Einvernahme in der Hauptverhandlung gesperrter V-Leute ein Bild von organisierter Kriminalität als Existenz streng abgeschotteter hierarchischer Organisationen. Vor allem das Kammergericht Berlin knüpft an eine Zugehörigkeit zu organisierter Kriminalität (die Standardformulierung lautet, es handele sich „um einen dem Bereich der organisierten Kriminalität zuzurechnenden Straftäter“) weitreichende Wirkungen bezüglich der Untersuchungshaft. Ein Tatverdacht im Bereich organisierter Kriminalität kann einerseits längere Ermittlungen rechtfertigen, andererseits eine erhöhte Flucht- oder Verdunkelungsgefahr begründen und zudem Verschärfungen beim Vollzug der Untersuchungshaft legitimieren. Des Weiteren wurde die Verstrickung in organisierte Kriminalität auch als Grund angesehen, wegen erhöhter Tatschuld, einer größeren Gefährlichkeit und besonderer Rückfallgefahr eine Strafrestaussetzung oder eine vorzeitige Auslandsabschiebung abzulehnen. Sogar per Verwaltungsvorschrift ausdrücklich vorgesehen ist es, die Zurechnung eines Gefangenen zu organisierter Kriminalität bei Lockerungsentscheidungen zu berücksichtigen. Im Bereich des Verwaltungsrechts wird die Beteiligung an organisierter Kriminalität zur Begründung von Disziplinar- sowie ausländerrechtlichen Maßnahmen herangezogen. Andererseits bilden durch organisierte Kriminalität im Ausland drohende Gefahren keinen Asylgrund oder Abschiebungsschutz. Das Opferentschädigungsgesetz sieht sogar einen gesetzlichen Ausschlussgrund für Fälle vor, in denen der Geschädigte „in die organisierte Kriminalität verwickelt ist.“ Darüber hinaus spielte die Berufung auf organisierte Kriminalität auch schon in steuer- oder zivilrechtlichen Entscheidungen eine Rolle.
Teil 2 Organisierte Kriminalität: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung – zugleich eine empirische Bestandsaufnahme
16 Kinzig
Abschnitt 1
Vorliegende empirische Erkenntnisse Kapitel 9
Stand der empirischen Forschung über organisierte Kriminalität in Deutschland In diesem Kapitel wird ein Überblick über die Ergebnisse der Forschungsarbeiten gegeben, die sich mit empirischen Methoden schwerpunktmäßig dem Thema Organisierte Kriminalität gewidmet haben1. A. „Professionelles und organisiertes Verbrechen“ (Hans-Jürgen Kerner, 1973) Den Anlass für die erste empirische Arbeit auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität in Deutschland „bildeten u. a. Eindrücke aus Mitgliedstaaten des Europarates, dass von Jahr zu Jahr ein massiveres Auftreten von Gruppen gut geschulter Straftäter festzustellen sei“, über die man kein verlässliches Bild besitze. Daher beschloss der europäische Ausschuss für Strafrechtsfragen beim Europarat in Straßburg im Jahr 1968, „eine Erhebung über Aspekte des organisierten und professionellen Verbrechens im gegenwärtigen Europa durchführen zu lassen.“2 Ziel des Berichts des deutschen Mitarbeiters Kerner war es, einen Beitrag zu leisten „zur kriminologischen Erfassung des gegenwärtigen Zustands und der Entwicklungstendenzen des professionellen und organisierten Verbrechens neuer Art in einigen westeuropäischen Staaten, vor allem in der Bundesrepublik Deutschland und in den Niederlanden.“3 In dieser „explorativen Erhebung“ wurde „das organisierte Verbrechen“ in einer Ausgangsbeschreibung in Anlehnung an Vorstellungen in den USA definiert. Organisiertes Verbrechen beinhalte „vor allem die Verfügung über verbotene Güter und Dienstleistungen“, „kombiniert mit reichhaltigen Formen von Ausbeutung, Erpressung und aufgezwungenem ,Schutz‘“. Allerdings, so wurde bereits eingangs der Arbeit festgestellt, sei das organisierte Verbrechen in Europa bisher weit weniger 1 2 3
16*
Vgl. dazu auch die Darstellung im Periodischen Sicherheitsbericht 2001, 242 ff. Kerner 1973, 15. Kerner 1973, 11.
244
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
ausgedehnt und vergleichsweise unwirksam in seinem Einfluss auf Regierung, Verwaltung und privates Geschäftsleben4. Befragt wurden in der Studie 82 Personen aus dem Bereich der Kriminalpolizei, der Justiz, des Gefängniswesens sowie der Wissenschaft5. Obwohl zu Beginn der Studie vom „organisierten“ das „professionelle Verbrechen“ unterschieden wurde – die Behandlung des letzteren nimmt die ersten zwei Drittel der Arbeit in Anspruch –, lassen sich schon bei dessen Beschreibung viele Gesichtspunkte finden, die aus der heutigen Diskussion über organisierte Kriminalität vertraut sind. So benutzten die „erfolgreicheren Professionellen“ nach den Erfahrungen der Polizei „einen angeseheneren legalen Beruf nicht bloß als Vorwand oder zur Verschleierung, um vor der Polizei den Schein einer gesicherten Existenz aufrechtzuerhalten, sondern setzen die durch ihn eröffneten Möglichkeiten gezielt zur Intensivierung des kriminellen Verhaltens ein.“6 Wesentlich sei eine „langfristige Gesamtplanung“, eine Orientierung am „neuesten Entwicklungsstand“ sowie die „Schnelligkeit und Mobilität bei der Deliktsverwirklichung“.7 Der Kontakt zu den Strafverfolgungsbehörden wurde als „nüchtern“ beschrieben, auch wenn das „Aushandeln“ in Bezug auf Ermittlungsumfang, Anklage und Strafe noch als dem bundesrepublikanischen Prozessrechtssystem fremd angesehen wird8. Jedoch gebe es erste vereinzelte Hinweise auf Ansätze zu systematischer interner Gewalttätigkeit9. Im Hintergrund des kriminellen Geschehens seien einige wenige unerkannte Personen vorhanden, die in großem Maßstab geschäftliche Transaktionen vorplanen, deren Durchführung dritten Personen überlassen und dann für die Rückschleusung der Güter auf den legalen Markt sorgen10. Auch über Hemmnisse der Strafverfolgung berichtete Kerner. So sei „die Gewinnung stichhaltiger Beweise“ mit einem hohen Aufwand verbunden, wozu der Umfang der Tatkomplexe, die Verteilung der Aktivitäten über ein großes Gebiet mit mehreren polizeilichen Zuständigkeiten, die spurenarme Arbeit, die schnelle Verwertung der Beute infolge vorheriger Absprache, die Flexibilität im Vorgehen und die Vernichtung bzw. das sofortige Beiseiteschaffen potentiell belastender Beweismittel und die Arbeitsteilung beitrage, die es zudem erlaube, ein System abgestufter Geheimhaltung zu entwickeln11. Kerner 1973, 21. Kerner 1973, 22. 6 Kerner 1973, 95. Dies erinnert an das OK-Merkmal der „Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen.“ 7 Kerner 1973, 96, 100 f. Zu den heutigen „OK-Indikatoren“ gehören eine „präzise Planung“, die „Verwendung modernster technischer Mittel zur Umgehung polizeilicher Überwachungsmaßnahmen“ sowie eine „präzise und qualifizierte Tatdurchführung“. 8 Kerner 1973, 107, 110. 9 Kerner 1973, 113. 10 Kerner 1973, 123. 11 Kerner 1973, 124. „Arbeitsteiliges Zusammenwirken“ sowie der Überbegriff „Konspiratives Täterverhalten“ gehören wiederum zu den OK-Indikatoren. 4 5
Abschn. 1, Kap. 9: Stand der empirischen Forschung
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Nach einer Betrachtung verschiedener Deliktsbereiche wandte sich Kerner, noch immer unter der Gesamtüberschrift „System, Ausmaß und besondere Aktivitäten des gegenwärtigen professionellen Verbrechens . . . der Frage der Existenz eines europäischen organisierten Verbrechens“ zu, insbesondere „ob und inwieweit die professionelle Kriminalität bereits beeinflusst ist von Ausläufern dieser organisierten Kriminalität sizilianischer und amerikanischer Provenienz.“12 Dabei konstatierte er, dass „derzeit in Westeuropa noch kein voll ausgebautes System eines organisierten Verbrechens im Sinn der Syndikate in den Vereinigten Staaten von Amerika“ bestehe13. Die gegenwärtige europäische Situation werde gekennzeichnet durch den Aufbau der ersten Stufen einer spezifischen „Verbrechensindustrie; . . . damit ist ein noch vorwiegend durch informelle Strukturen getragenes System von professionellen Verbrechergruppen gemeint, für die der gemeinsame europäische Markt bereits Wirklichkeit geworden ist.“14 Vorherrschend seien Eigentumsdelikte. „Zur Etablierung festerer Strukturen professionell organisierter Kriminalität“ bedürfe es in diesem Bereich (nur) noch „einer verbindlichen Absprache zwischen den einzelnen Planern der verschiedenen Deliktsgruppen, einer genau abgegrenzten regionalen Aufteilung des Marktes und einer verstärkten Kontrolle über die Helfer auf den unteren Ebenen sowie ggf. einer Kette regulärer Wiederverkaufsstellen, die juristisch selbständig sind und auf einen anderen Namen als den der Täter laufen.“ Unterhalb der Ebene der im Hintergrund agierenden Auftraggeber betätige sich eine größere Zahl professioneller Tätergruppen, deren „Arbeit“ durch den liberalisierten Grenzverkehr innerhalb der europäischen Staaten erheblich erleichtert worden sei, die jedoch keine eng zusammenhaltenden, fest strukturierten Banden seien, sondern sich „ad hoc“ aus einem Reservoir zusammenfänden15. Aus diesen durch ein informelles Netzwerk persönlicher Beziehungen und Bekanntschaften untereinander eng verbundenen Gruppierungen könnten Vorformen organisierter Kriminalität entstehen16. Daher habe sich, so resümierte Kerner, ein „System“ einer allgemein-europäischen, professionell organisierten Kriminalität entwickelt, das allmählich zu festeren Strukturen der internationalen Zusammenarbeit tendiere. Eine strenge Unterscheidung nach professionellem Verbrechen einerseits und organisiertem Verbrechen andererseits als ausgeprägt eigenständigen Phänomenen innerhalb der gesamten Verbrechenswirklichkeit lasse sich nicht durchführen. Der europäischen Situation dürften die Begriffe „professionell organisiertes Verbrechen“ und „Verbrechensindustrie“ gerecht werden, und zwar als Kurzformel zur Charakterisierung einer geschäftsmäßig und im großen Maßstab betriebenen Bereicherungskriminalität, deren Aktionen zwar neue Größenordnungen erreicht und deren Akteure in Europa neue Arbeitsmethoden entwickelt hätten, die aber trotzdem nach wie vor im 12 13 14 15 16
Kerner 1973, 219. Kerner 1973, 234. Kerner 1973, 235. Kerner 1973, 236. Kerner 1973, 238.
246
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Rahmen der geläufigen Kategorien der Kriminalität beschrieben und verstanden werden könnte. Die Schwelle zu einer besonderen neuen Erscheinungsform sei erst überschritten, wenn es den Straftätern gelänge, über die wirkungsvolle Organisation des Verbrechens hinaus unmittelbaren Einfluss auf den Lebensbereich der „normalen“ Gesellschaft zu gewinnen sowie in Politik und Verwaltung, Industrie und Handel, Arbeitgeberorganisationen, Gewerkschaften u. a.m. einzudringen17. Gemäß der These der Nicht-Unterscheidbarkeit von „professionellem“ und „organisiertem Verbrechen“ endete Kerner mit der Definition einer „professionell organisierten Kriminalität“, unter der „die Summe der in allen Einzelheiten planmäßig vorbereiteten, auf Dauer und Wiederholung angelegten, an Gewinnmaximierung orientierten Bereicherungsverbrechen im Zusammenhang mit kaufmännisch organisierter Beuteverwertung im Großmaßstab und auf internationaler Ebene zu verstehen“ sei. Sie sei „aufgebaut auf einem ,System‘ vorwiegend informeller gegenseitiger Kontakte und Abmachungen . . . Feste Befehls- und Machtstrukturen, gegliederte Hierarchien sowie Abhängigkeitsverhältnisse mit einem eigenständigen Apparat organisierter Vollstreckung und Herrschaftsgewährleistung im Hintergrund existieren allenfalls in Ansätzen.“18
B. „Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland“ (Erich Rebscher und Werner Vahlenkamp, 1988) Erst 15 Jahre später wurde in der Forschungsreihe des BKA die nächste Untersuchung über organisierte Kriminalität vorgelegt. Ziel dieser Studie war es, „eine bundesweite Bestandsaufnahme der Erscheinungsbilder der organisierten Kriminalität vorzunehmen und vom bisherigen Täterbild abweichende Deliktsumstände näher darzustellen und ggf. zu erklären“, wobei bewusst auf die Zugrundelegung einer Definition organisierter Kriminalität verzichtet wurde19. Bei dem Versuch, zunächst eine Sammlung von Urteilen, Anklageschriften und Schlussberichten in Verfahren organisierter Kriminalität nach täterbezogenen Zusammenhängen oder OK-Merkmalen auszuwerten, stellten die Autoren fest, dass „OK-Zusammenhänge“ in der Anklageschrift bzw. im Urteil „fast ausnahmslos“ fehlten20. Daraus zogen sie jedoch nicht den Schluss, dass „organisierte Kriminalität“ möglicherweise nicht vorhanden sei bzw. keine sinnvolle Kategorie bilde. Vielmehr folgerten die Verfasser, entsprechende Informationen seien nur über eine Expertenbefragung zu erlangen. Eine solche führten sie bundesweit von November 1985 bis Juni 1986 mit 66 OK-Ermittlungsbeamten durch21. 17 18 19 20 21
Kerner 1973, 294. Kerner 1973, 296. Rebscher / Vahlenkamp 1988, 4 f. Rebscher / Vahlenkamp 1988, 7. Rebscher / Vahlenkamp 1988, 10.
Abschn. 1, Kap. 9: Stand der empirischen Forschung
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Drei Viertel der von den Befragten gelieferten Beschreibungen der Grundstrukturen organisierter Kriminalität deuteten dabei auf „Verflechtungssysteme“ oder „Straftäterverflechtungen“ hin22, das restliche Viertel auf „mehr oder weniger dauerhafte ,eigenständige Gruppierungen‘“,23 wobei bei letzteren ausländische Tätergruppen vorherrschend seien. Allerdings werde, so wurde von den Interviewpersonen selbstkritisch eingeräumt, „nicht selten das Bild einer ,kriminellen Vereinigung‘ (im Sinne des § 129 StGB) von der Polizei ,künstlich erzeugt‘, nur um das Vorhandensein organisierter Kriminalität begründen zu können.“24 Straftäterverflechtungen bestünden „aus einem beständigen Beziehungsgeflecht von einzelnen Personen, in dem vielfältige personelle Schwerpunkte gebildet werden können.“25 Die Interessen lägen ausschließlich darin, einen hohen Gewinn zu erzielen26. Zu einer Über- und Unterordnung komme es im Wesentlichen nur bei ausländischen Gruppen27. Auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Deutschen und Ausländern unter den OK-Führungspositionen seien die Antworten, so die Verfasser, sehr unterschiedlich ausgefallen28. Die „Abschottung“ bilde in der Praxis nicht den Regelfall und werde in der bisherigen Diskussion offenbar überbewertet29. Das Element „Organisation“ trete nach Ansicht der Befragten in einer spezifischen Aufgabenverteilung und -wahrnehmung besonders deutlich hervor30. Zur Frage des Zusammenhalts und der Loyalität wurde festgestellt, die Mitwirkung geschehe im Großen und Ganzen freiwillig31. Finanzielle Gewinne würden in Immobilien im In- und Ausland angelegt, in legale Wirtschaftsbetriebe (vorwiegend im Bereich des Nachtlebens), in Wertpapiere oder Sachwerte bzw. in illegale Folgegeschäfte investiert32. Allerdings diene ein nicht unwesentlicher Teil der Gewinne einer „häufig äußerst aufwendigen Lebensführung.“33 Die Delikte seien bevorzugt „opferlose“,34 wobei allerdings nicht diskutiert wurde, ob nicht die Schwierigkeit, gerade solche Straftaten aufklären zu können, zu ihrer Einordnung als organisierte Kriminalität führt. Auch versuchten die Täter, in vielfältiger Weise auf Behörden wie auf die Polizei Einfluss zu nehmen35. Nach Ansicht der Mehrheit 22 Die Formulierung erinnert an Kerners Ausdruck „durch ein informelles Netzwerk persönlicher Beziehungen und Bekanntschaften untereinander eng verbundene Gruppierungen“. 23 Rebscher / Vahlenkamp 1988, 22. 24 Rebscher / Vahlenkamp 1988, 30. 25 Rebscher / Vahlenkamp 1988, 32. 26 Rebscher / Vahlenkamp 1988, 35. 27 Rebscher / Vahlenkamp 1988, 41 ff. 28 Rebscher / Vahlenkamp 1988, 57 f. 29 Rebscher / Vahlenkamp 1988, 67. 30 Rebscher / Vahlenkamp 1988, 78. 31 Rebscher / Vahlenkamp 1988, 92. 32 Rebscher / Vahlenkamp 1988, 109 ff. 33 Rebscher / Vahlenkamp 1988, 115. 34 Rebscher / Vahlenkamp 1988, 124. 35 Rebscher / Vahlenkamp 1988, 125 ff.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
der Experten könne von einer durch die „OK hervorgerufenen erheblichen Gesamtbeeinträchtigung der Inneren Sicherheit“ trotz bereits bestehender besorgniserregender Probleme (noch) nicht gesprochen werden36, auch wenn sich in Deutschland eine „organisierte Kriminalität eigenen Zuschnitts“ herausbilde37. Zu den erforderlichen Bekämpfungsstrategien gehöre unter anderem, polizeilichen „Vorfeldaktivitäten“ künftig eine größere Bedeutung einzuräumen38, wobei Forderungen auf eine „Herstellung der Waffengleichheit“ abzielten39. Neben dem Ausbau und der rechtlichen Absicherung verdeckter Ermittlungen, Regelungen zur besseren Gewinnabschöpfung und einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Gefahren der OK wurde vor allem eine Verbesserung der staatsanwaltschaftlichen wie gerichtlichen Arbeit in diesem Bereich gefordert40.
C. „Organisierte Kriminalität als Netzstrukturkriminalität“ (Eugen Weschke und Karla Heine-Heiß, 1990) Bereits 1983 wurde dieses durch den Polizeipräsidenten in Berlin geförderte Projekt der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege begonnen. Ziel dieser Studie war es, organisierte Kriminalität in ihren Entwicklungsprozessen und Erscheinungsformen zu erforschen, um sie in ihrer gegenwärtigen Struktur beschreiben zu können41. Dabei wurde der Arbeitsbegriff „Straftätergruppierungen“ als geeignet angesehen, die Beschreibung eines realen Lagebildes der „Organisierten Kriminalität“ zu ermöglichen42. Befragt wurden mittels eines halbstandardisierten Interviews 53 Berliner Kriminalbeamte 43. Wichtigstes Ergebnis der Untersuchung, welches zusammenfassend zu Beginn der Studie beschrieben wurde, war, dass sich Straftätergruppierungen in Kleingruppen (2 – 5 Straftäter), Kerngruppen mit Umfeld (5 bis 10 Straftäter, die sich weiterer Personen zur Begehung von Straftaten bedienten) und Großgruppen (20 – 50 Straftäter) unterscheiden ließen. Während die Kleingruppen „als relativ lockere Zusammenschlüsse Gleichgesinnter ohne Hierarchieausbildung“ charakterisiert wurden, könne bei der Kerngruppe mit Umfeld von einer „Zweistufigkeit“ gesprochen werden, mit Planungs- und Ausführungsebenen. Auch komme es zu einer Abschottung zwischen Kern und Umfeld. Wie für Kleingruppen sei auch für die Kerngruppen mit Umfeld die Arbeitsteilung ein entscheidendes Strukturelement. 36 37 38 39 40 41 42 43
Rebscher / Vahlenkamp 1988, 148. Rebscher / Vahlenkamp 1988, 151. Rebscher / Vahlenkamp 1988, 163. Rebscher / Vahlenkamp 1988, 166. Rebscher / Vahlenkamp 1988, 165 ff. Weschke / Heine-Heiß 1990, 12, 18 f. Weschke / Heine-Heiß 1990, 18 ff. Weschke / Heine-Heiß 1990, 21 ff.
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Am stärksten organisatorisch ausgeprägt seien die Großgruppen. Sie seien zwar „keine großen, hierarchisch in sich geschlossenen Systeme“ und hätten „keine mafiaähnlichen Strukturen“, seien aber „stark auf Bosse bzw. Führungsspitzen ausgerichtet“. Der Aufbau sei mehrstufig, und es komme zu Anweisungen zwischen den Arbeitsebenen44. Diese drei Gruppierungsarten seien in ein großes Netzwerk eingebunden, in dem sie sich in gegenseitiger Verknüpfung und Verbindung informierten oder auch gelegentlich arbeitsteilig zusammenwirkten, ohne dabei die Eigenständigkeit zu verlieren. Diese Form des „Zusammenwirkens“ stelle sich als eine Netzstrukturkriminalität dar. Entscheidendes Ergebnis dieser Untersuchung sei, „dass sich eine oder auch mehrere, deliktsspezifische oder deliktsübergreifende Organisation bzw. Organisationen – die als ein großes in sich geschlossenes System auszumachen sind – nicht für den Untersuchungsraum feststellen ließen.“45 Netzstrukturkriminalität als spezifische Form der Organisierten Kriminalität in Deutschland beschreibe demnach „kein nach Organisationsgrundsätzen zu identifizierendes geschlossenes, hierarchisches System von Straftätern, sondern das Zusammenwirken einer großen Anzahl von Straftätergruppierungen unterschiedlicher Struktur und auch mit Einzeltätern.“46 Nach der Aufbereitung der Einzelergebnisse zum allgemeinen Thema „Straftätergruppierungen“ schilderte die Studie die Antworten, die konkret auf Fragen nach organisierter Kriminalität gegeben wurden. Als gemeinsame Kriterien hätten sich ein „Zusammenschluss von Intensivtätern in Gruppen zur ,Gewinnmaximierung‘ durch Straftaten“, eine „Arbeitsteilung“ und „eine gewisse Struktur“, die aber unterschiedlich beschrieben worden sei, sowie eine „Abschottung“ herauskristallisiert47. Die Arbeitsteilung, die Unüberschaubarkeit der Zusammenhänge sowie eine mangelnde Aussagebereitschaft machten einen wichtigen Teil der Ermittlungsschwierigkeiten aus48. Außerdem würde zu wenig „täter- oder tätergruppenbezogen“ ermittelt. Auch mangele es an Ermittlungsgruppen und einem ausreichenden Einsatz EDV-gestützter Systeme49. Abschließend wurde als rechtliche Empfehlung eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Verdeckten Ermittlern gefordert, ein Ausbau gewinnabschöpfender Maßnahmen sowie eine Erweiterung der Anwendung von § 129 StGB50.
44 45 46 47 48 49 50
Weschke / Heine-Heiß 1990, 29 ff. Weschke / Heine-Heiß 1990, 43. Weschke / Heine-Heiß 1990, 44. Weschke / Heine-Heiß 1990, 175 ff. (182). Weschke / Heine-Heiß 1990, 186 ff. Weschke / Heine-Heiß 1990, 188 ff. Weschke / Heine-Heiß 1990, 201 ff.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
D. „Organisierte Kriminalität – wie groß ist die Gefahr?“ (Uwe Dörmann, Karl-Friedrich Koch, Hedwig Risch und Werner Vahlenkamp, 1990) Ebenfalls in der BKA-Forschungsreihe wurden im Jahr 1990 die Ergebnisse einer weiteren Expertenbefragung veröffentlicht. Interessanterweise wurde auch in diesem Band einleitend darauf aufmerksam gemacht, „dass Teile der Bevölkerung und der Politik überempfindlich auf die verdeckte Polizeiarbeit reagieren, und dass unsere Gesellschaft insgesamt nicht auf die Ächtung der Organisierten Kriminalität eingestimmt ist.“51 Da eine Definition organisierter Kriminalität schwierig zu entwickeln sei, laute die Richtschnur der OK-Ermittler: „Ich weiß, was es ist, kann es aber nicht erklären!“52 Die bereits vorliegenden Forschungsergebnisse belegten nach Ansicht der Autoren, „dass sich das organisierte Verbrechen bereits weitgehend in unserem Lande etabliert und zum tonangebenden Kolorit auf der breiten Palette der Kriminalitätserwägungen entwickelt hat.“53 Ziel der Untersuchung sei es, anhand einer Expertenbefragung die „bis zum Jahr 2000 zu erwartende Entwicklung der Organisierten Kriminalität mitsamt ihren Folgen aufzuzeigen und zu bewerten.“54 Befragt wurden anhand eines „modifizierten, zweistufigen Delphi-Verfahrens“ 26 Experten aus Wissenschaft, Medien, Justiz, Polizei und weiteren Bereichen55. Auch nach dieser Studie dominiert in Deutschland „die Strukturform der Straftäterverflechtungen“56. Allerdings seien „detaillierte und vom Gehalt her nachvollziehbare Aussagen zur Quantität der OK“ in Deutschland nicht möglich. Dennoch sei eine Datenbasis zur Sensibilisierung von Politik und Öffentlichkeit für die Probleme und Bedürfnisse der Strafverfolgungsbehörden wünschenswert57. Der derzeitige Anteil der OK an der Gesamtkriminalität werde sich nach Auffassung der Experten bis zum Jahr 2000 auf 40 % aller Straftaten verdoppeln, wobei damit auch eine Steigerung der Qualität einhergehe58. Zu erwarten sei eine fortschreitende Europäisierung und Internationalisierung des organisierten Verbrechens59. Dabei verschafften eine im Vergleich zu anderen 51 Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 3. Ähnlich beklagten Rebscher / Vahlenkamp (1988, 165), dass „dem berechtigten polizeilichen Interesse“ an den verdeckten Ermittlungen „ein teilweise politisch begründeter und mediengesteuerter überzogener Sensibilisierungsprozess“ gegenüberstehe, „in dem die verdeckte polizeiliche Arbeit nicht selten mit Begriffen wie ,Geheimpolizei‘ oder ,Datenschutzverstoß‘ apostrophiert wird.“ 52 Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 4. 53 Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 8, wobei die genannten Forschungsarbeiten wesentlich differenziertere Ergebnisse erbracht hatten. 54 Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 9. 55 Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 10 ff. 56 Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 18. 57 Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 21. 58 Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 24 ff. 59 Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 29 ff.
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Staaten relativ liberale Gesetzgebung sowie Rechtsprechungs- und Sanktionspraxis zusammen mit einem verhältnismäßig geringen Strafverfolgungsdruck dem international agierenden Straftäter optimale Arbeitsbedingungen60. Nach einer Betrachtung der regionalen Schwerpunkte schilderten die Verfasser Aussagen zur Gefährdung durch Organisierte Kriminalität. Dabei wurde das öffentliche Bewusstsein von der Bedrohung durch das organisierte Verbrechen als unterentwickelt eingeschätzt, weil das Bedrohungspotential einer „weltweit operierenden OK“ kaum erkannt werde61. Für das Jahr 2000 sei damit zu rechnen, dass sich OK-Einflüsse auf größere Bereiche unseres Gesellschafts- und Wirtschaftslebens ausweiten, verfestigen und deren Normen verändern62. Allerdings dürfte es der OK in absehbarer Zeit kaum gelingen, die Grundsäulen von Demokratie und Rechtsstaat in der Bundesrepublik entscheidend zu unterminieren63. Aber schon heute stelle die Einflussnahme der Organisierten Kriminalität auf die Politik einen zumindest qualitativ erheblichen Bedrohungsfaktor dar64. Die Einflussnahme der OK auf die öffentliche Verwaltung werde in Zukunft ebenfalls stark zunehmen, ebenso die auf die Wirtschaft65. Der von der Organisierten Kriminalität verursachte Schaden dürfte derart gravierend sein, dass von einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesellschaft und der Wirtschaft auszugehen sei, die eines Tages dazu führen könne, dass Sozialstaat und Prosperität langsam ausbluteten66. In der ferneren Zukunft sei eine Verschmelzung von Illegalität und Legalität mit der Folge zu befürchten, dass das organisierte Verbrechen zu einer der dominierenden Schubkräfte in unserer Wirtschaft werden könne67. Bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen wurde kritisiert, dass „dem fast unbegrenzten Handlungsspielraum der Straftäter ein durch rechtsstaatliche Vorgaben zu sehr eingeengter Freiraum der Polizei“ gegenüberstehe, „der den eigentlich erzielbaren Wirkungsgrad polizeilichen Handelns entscheidend heruntersetzt.“68 Daneben wurde ein Ausbau verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie eine internationale Rechtsangleichung gefordert69. In organisatorischer Hinsicht bestehe „ein unübersehbares Erfordernis nach gezielten täter- oder tätergruppenorientierten Ermittlungen“, wobei so genannten „Initiativermittlungen“ ein Schwergewicht zukommen solle70. Flankierend seien Maßnahmen der Verbesserung der EDV zu 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70
Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 43. Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 55. Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 61. Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 64. Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 70. Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 77 ff., 86 ff. Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 95. Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 100. Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 106. Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 107 ff., 109 f. Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 113, 115.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
ergreifen sowie eine Stärkung der internationalen Zusammenarbeit sowie der Kooperation Polizei-Justiz anzustreben71. Erforderlich sei ein „gesamtstrategisches Konzept der Strafverfolgungsorgane“.72 Hauptziel müsse sein, „die fortschreitende Integration der OK in die Gesellschaft zu verhindern.“73 „Eine öffentliche Mobilmachung sollte ins Bewusstsein heben, dass OK eine tödliche Gefahr für den liberalen Rechtsstaat und die Demokratie ist.“74 Zusammenfassend hätten viele Experten die Befürchtung geäußert, „dass sich bis zum Jahre 2000 mafiaähnliche Strukturen zumindest in Teilbereichen auch in Deutschland herausbilden, wenn es nicht gelingt, der OK wirksam entgegenzutreten.“75 Als Eckpunkte für eine wirksame Bekämpfung schlugen die Autoren abschließend vor: eine Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, ein Ausbau schlagkräftiger OK-Ermittlungseinheiten, eine Verlagerung der polizeilichen Bemühungen in die Vorfeldarbeit, ein Auf- und Ausbau eines internationalen Informationsnetzes, großangelegte OK-Aufklärungsprogramme und eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem OK-Phänomen76.
E. „Logistik der Organisierten Kriminalität“ (Ulrich Sieber und Marion Bögel, 1993) Diese ebenfalls in der BKA-Forschungsreihe veröffentlichte Untersuchung hatte sich zum Ziel gesetzt, „zur Klärung von Struktur und Verbreitung der Organisierten Kriminalität“ beizutragen77. Nach der Konzipierung einer „Logistik der Organisierten Kriminalität“ überprüften die Autoren selbige anhand zweier Deliktsbereiche, der „organisierten KfzVerschiebung“ sowie der Kriminalität „im Bereich des Nachtlebens.“ Gearbeitet wurde auch hier mit der Methode teilstandardisierter Interviews, und zwar von insgesamt 49 Personen, darunter 21 Polizeibeamte und 13 Staatsanwälte. In diesem Rahmen beschrieben die Verfasser die Logistik der organisierten Kfz-Verschiebung, der organisierten Ausbreitung von Prostitution, des Menschenhandels sowie des illegalen Glücksspiels78. Dabei kamen Sieber und Bögel zu dem Ergebnis, dass in allen untersuchten Deliktsbereichen „komplexe Tätergruppen mit Hilfe einer ausgefeilten Logistik Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 115 ff. Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 118. 73 Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 122. 74 Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 125. 75 Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 130. 76 Dörmann / Koch / Risch u. a. 1990, 137 f. 77 Sieber / Bögel 1993, 3. 78 Sieber / Bögel 1993, 67 ff., 131 ff., 200 ff., 234 ff.; vgl. auch Sieber 1995, 761 ff., Sieber 1996 sowie Sieber 1997, 54 ff. 71 72
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geschäftsähnlich agieren und dadurch erhebliche Finanz- und Machtpositionen erreichen.“ Neben „streng hierarchisch strukturierten Organisationen“ existierten „lockere Straftäterverflechtungen.“ Die „Organisations- und Personalstruktur“ sei dadurch gekennzeichnet, „dass die einzelnen Mitglieder der Gruppe streng abgeschottet und – für den Fall ihrer Festnahme – leicht zu ersetzen sind.“ Den Tätern sei es gelungen, „mit Hilfe der Korruption in einzelne Bereiche der Verwaltung“ einzudringen. „Verwaltung und Justiz funktionieren in Deutschland jedoch im Wesentlichen noch korrekt.“ Allerdings bestehe die Gefahr einer „zweiten Stufe“ der Organisierten Kriminalität, „bei der organisierte Straftätergruppen mit Hilfe ihrer großen Finanzmittel, ihrer guten politischen Beziehungen und ihrer hohen Gewaltbereitschaft zunehmend Verwaltung, Polizei, Politik und Justiz beeinflussen.“79 Aus dem Umstand, dass selbst bei Zerschlagung einer ganzen Tätergruppe deren Marktanteile und häufig auch Logistikstrukturen sofort von einer anderen Tätergruppe des oligopolistischen Marktes übernommen würden und sich dadurch langfristig die besser abgeschotteten und organisierten Tätergruppen durchsetzten, folgerten die Autoren, dass neben der Strafverfolgung eine „Zerstörung von Logistikund Marktstrukturen der Organisierten Kriminalität“ erforderlich sei. Diese könne aber nur deliktsspezifisch erfolgen80. Im Bereich der „Allgemeinen Verbesserung der Strafverfolgung“ schlugen die Verfasser eine Optimierung des Personaleinsatzes und der Ausstattung, organisatorische Maßnahmen, eine bessere Informationsgewinnung, materielle Strafrechtsänderungen, Änderungen des Beweisantragsrechts, Maßnahmen im Strafvollzug, Antikorruptionsmaßnahmen in Verwaltung, Polizei und Justiz, eine Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit, die Wahrnehmung einer Vorbildfunktion durch die Politik sowie eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit vor81. Ein Schwerpunkt wurde auch hier bei den Methoden der Informationsgewinnung gesetzt. Polizei und Staatsanwaltschaft seien „in zunehmendem Maße darauf angewiesen, bereits im Planungsstadium der Tat Informationen zu gewinnen.“82 Im Bereich der verdeckten Ermittlungen sei dem VE eine höhere Bedeutung als der VP zuzubilligen. Auch wurde angedeutet, den VE außerhalb schwerer Straftaten bei der Begehung von Delikten straffrei stellen zu wollen83. Des Weiteren solle eine spezielle Kronzeugenregelung entwickelt sowie ein Wiederaufnahmegrund im Falle einer Falschbelastung und Zeugenschutzprogramme eingeführt werden84. Außerdem Sieber / Bögel 1993, 5 ff., 287 ff.; vgl. auch Sieber 1997, 75 ff. Sieber / Bögel 1993, 7 ff., 288 ff.; für die organisierte Kfz-Verschiebung 292 ff., für die Ausbeutung der Prostitution 306 ff., für den Menschenhandel 314 ff. sowie für das illegale Glücksspiel 322 ff.; vgl. auch Sieber 1995, 766 f. 81 Sieber / Bögel 1993, 328 ff. 82 Sieber / Bögel 1993, 340. 83 Sieber / Bögel 1993, 341 ff. 84 Sieber / Bögel 1993, 344 ff. 79 80
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sprachen sich die Autoren für die Einführung des großen Lauschangriffs aus85. Ebenso befürworteten sie „Vorfeld- oder Initiativermittlungen unter bestimmten Bedingungen sowohl nach den Landespolizeigesetzen als auch nach der Strafprozessordnung.“86 Zu forcieren seien ebenfalls Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche87. Im Bereich des materiellen Strafrechts sei zu prüfen, „ob für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität das Konzept des § 129 StGB in rechtsstaatlicher Weise ausgebaut werden kann oder ob die strafprozessualen Eingriffsermächtigungen in der Zukunft nicht an diese Vorschrift, sondern an andere Anknüpfungspunkte (z. B. die bandenmäßige Begehung von bestimmten Katalogstraftaten) anknüpfen sollten.“88 § 129 StGB sei zudem auf ausländische kriminelle Vereinigungen zu erweitern89. Für die zukünftige Kriminalpolitik sei festzuhalten, „dass an der Existenz von planmäßig, arbeitsteilig und überregional operierenden, über ausgefeilte Logistiksysteme verfügende und mit qualifizierten Techniken der Einschüchterung und Einflussnahme arbeitenden – d. h. besonders gefährlichen – Straftätergruppen aufgrund der vorliegenden Untersuchung in den hier analysierten Deliktsbereichen keine Zweifel bestehen.“90
F. „Strukturen und Systemanalyse der Organisierten Kriminalität in Deutschland“ (Marion Bögel, 1994) Anhand desselben Datenmaterials wie die zuvor beschriebene Studie91 überprüfte Bögel, „inwieweit wirtschaftswissenschaftliche Überlegungen auf kriminelle Organisationen und Umweltbeziehungen übertragen werden können.“92 Dabei ging Bögel nicht wie zuvor mit Sieber deliktisch vor, sondern analysierte die Bereiche „Tatvorbereitung: Führung, Personalwirtschaft und Logistik“, „Tatausführung: Beschaffung und Herstellung“ sowie „Beuteverwertung: Absatz, Finanzierung und Geldanlage“93. In einem zweiten Schritt erfolgte eine Untersuchung der „Außenbeziehungen krimineller Organisationen“, insbesondere des illegalen Marktes94. Aus der Illega85 86 87 88 89 90 91 92 93 94
Sieber / Bögel 1993, 347 ff. Sieber / Bögel 1993, 351 ff. Sieber / Bögel 1993, 356 ff. Sieber / Bögel 1993, 358 f. Sieber / Bögel 1993, 360 f. Sieber / Bögel 1993, 374. Wobei Bögel (1994, 78) allerdings nur 48 statt 49 Interviews ausweist. Bögel 1994, 77. Bögel 1994, 88 ff., 91 ff., 110 ff., 121 ff. Bögel 1994, 150 ff.
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lität der Güter folge, dass sich die am Markt teilnehmenden Organisationen abschotten müssten95. Auf dem Beschaffungsmarkt bestehe in kriminellen Organisationen die Tendenz, möglichst viele Aufgaben extern erledigen zu lassen, wozu es eines effektiven Informationsnetzes bedürfe, wer welche Dienste oder Waren anbiete96. Am Personalmarkt gelte für Straftäterzusammenschlüsse, auf Mittäter angewiesen zu sein, die geeignet und persönlich zuverlässig seien. Daher suche man vor allem unter Personen, zu denen persönliche Kontakte bestünden97. Monopole seien auch am illegalen Markt – ökonomisch – erstrebenswert, weil dadurch die Kosten pro Wareneinheit niedriger würden. Möglicherweise überschritten in Deutschland aber kriminelle Organisationen nicht eine gewisse Größe, da ansonsten der Strafverfolgungsdruck auf die einzelne Organisation zu stark würde98. Dabei sei das Problem organisierter Kriminalität weder durch höhere Strafsanktionen noch durch einen stärkeren Strafverfolgungsdruck allein zu lösen99. Im Ergebnis befürwortete die Autorin die Einführung einer materiellrechtlichen Straftatbestimmung entsprechend dem US-amerikanischen RICO100.
G. Fortführung des Projekts „Logistik der Organisierten Kriminalität“ von Ulrich Sieber In weiteren Schritten wurde die unter E. geschilderte Studie „LOOK I“ auf die Bereiche des organisierten Subventionsbetruges und der organisierten Abgabenhinterziehung zum Nachteil der EG (LOOK II von 1994 bis 1996) und auf die Geldwäsche organisierter Straftätergruppen (LOOK III ab 1996) erweitert101. Besondere Charakteristika des Projekts „LOOK“ sah der Autor in dem „Vorhandensein eines (auf wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden) theoretischen Forschungskonzepts“, in der „Durchführung einer kriminologisch exakten Datenerhebung“ sowie der „konsequenten Ausrichtung des Gesamtprojektes an der Zielvorgabe einer Entwicklung verbesserter Präventionsstrategien“102. Im Rahmen von LOOK II wurden weitere 36 Experten befragt, daneben noch Sachverständige in Griechenland wie in den Niederlanden. Zusätzlich seien in Deutschland Aktenanalysen erfolgt103. Weitere 64 Experten wurden im Rahmen von LOOK III interviewt. In allen drei Teiluntersuchungen hätten die Ergebnisse der ExpertenbefraBögel 1994, 151 f. Bögel 1994, 153 ff. 97 Bögel 1994, 159 ff. 98 Bögel 1994, 164 ff. 99 Bögel 1994, 177 ff. 100 Sieber / Bögel 1994, 191 ff. 101 Geschildert bei Sieber 1997. 102 Sieber 1997, 48. 103 Nicht referiert wurden allerdings bei Sieber (1997, 52) Zahl und Ertrag dieser Aktenanalysen. 95 96
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
gung und der ergänzenden Aktenuntersuchungen die Forschungshypothese bestätigt, „dass die Arbeitsweise organisierter Straftätergruppen grundsätzlich der von legal arbeitenden Wirtschaftsunternehmen entspricht, allerdings durch einige Besonderheiten des illegalen Marktes gekennzeichnet ist.“104 Für LOOK II kam Sieber zum Ergebnis, dass sich die Subventionskriminalität zum Nachteil der EG durch die stärkere Einbindung der Täter in legale Unternehmen von vielen Bereichen der klassischen Organisierten Kriminalität unterscheide105. Dabei seien auch auf diesem Gebiet „sowohl locker miteinander verflochtene Gesellschaften“ als auch „hierarchisch organisierte Straftätergruppierungen“ anzutreffen106. Bei der Untersuchung der Geldwäsche bzw. der Anlage illegaler Gewinne seien ebenfalls größere Tätergruppen mit einer starken Zentralisierung und einer klaren Aufbauorganisation festzustellen107. Die Abschottung der Organisation erfolge vor allem durch eine strenge Trennung der finanziellen von den zugrunde liegenden illegalen Aktivitäten108. Bei der Gewinnanlage könnten die Phasen der Plazierung, der Verschleierung sowie der Integration unterschieden werden109.
H. „Wahrnehmung, Ermittlung und Verfolgung neuerer Kriminalitätsformen in Deutschland. Analyse von Problemen des Einsatzes klassischer polizeilicher Ermittlungsmethoden, mit Blick auf die Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und V-Personen“ (Johann Podolsky, 1995) Podolsky, ein Beamter des LKA Baden-Württemberg, schilderte im Anhang seiner Dissertation 15 Fälle, die von den Ermittlungsbehörden als organisierte Kriminalität eingeordnet worden waren. Anhand dieser von ihm als „exemplarisch repräsentative Fallkonstellationen“ bezeichneten Sachverhalte110 kam auch er zu dem Ergebnis, dass es „mit den Syndikaten in den USA oder Italien vergleichbare Strukturen“ bis heute in Deutschland nicht gebe. Zwar existierten „Gruppenstrukturen mit festen Mitgliedern“, abgesehen von vereinzelten Rockergruppen, aber Sieber 1997, 53. Sieber 1997, 64. 106 Sieber 1997, 65. 107 Sieber 1997, 70 ff.; zur Geldwäsche auch Suendorf 2001. 108 Sieber 1997, 71. 109 Sieber 1997, 72. 110 Podolsky 1995, 56. Allerdings legt der Verfasser nicht dar, inwieweit eine statistische Repräsentativität gegeben ist. Diese dürfte gerade nicht vorliegen, stellt der Autor diejenigen Phänomene in den Vordergrund, „die den Einsatz von VE / VP speziell aus polizeilicher Sicht erforderlich erscheinen lassen.“ 104 105
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gerade „keine feste Ordnung mit Strafkodex oder Befehlsstruktur“111. Organisierte Kriminalität finde sich aber in nahezu allen Deliktsbereichen, die erhebliche Profite garantierten112. Unter den an organisierter Kriminalität beteiligten Nationalitäten erschwerten vor allem homogene ausländische Gruppen die Ermittlungsarbeit erheblich113. Bis auf einen Fall seien in dem untersuchten Material jeweils vertikal hierarchische Gruppenstrukturen mit einem zwei- oder dreistufigen Aufbau festzustellen gewesen114. Auch Podolsky sieht in „Straftäterverflechtungen“ ein besonderes Kennzeichen der Organisierten Kriminalität, wobei „in Teilbereichen sowohl die internationale Straftatenbegehung von Gruppierungen als auch die internationale Zusammenarbeit von Organisationen und / oder internationalen professionellen Straftätern über Staatsgrenzen hinweg bekannt sei.“115 Daneben seien Straftaten durch ausländische Gruppierungen zu beobachten, die zur Straftatenbegehung in die Bundesrepublik Deutschland einreisten. Im Übrigen komme Deutschland auch als „Ruheraum“ ausländischer Straftätergruppierungen in Betracht116. Die Taten seien „präzise geplant, Tatausführung und Beuteverwertung hochprofessionalisiert und arbeitsteilig.“ 117 Durch Einflussnahme auf Justiz und Verwaltung gelinge es einzelnen Täterorganisationen oder einzelnen Führungsmitgliedern, sich gewisse Freiräume zu verschaffen und illegale Geschäfte oder Straftatbestände durch geschicktes Taktieren als ordnungsgemäßes, legales Handeln darzustellen118. Die „Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen zur Verwirklichung krimineller Ziele“ sei bei „modernen Täterorganisationen heute die Regel.“119 Organisiert handelnde Täter seien bestrebt, „Strukturen und interne Zusammenhänge verborgen zu halten und Einblicke Außenstehender abzuwehren“. Dem Versuch, unauffällig zu agieren, stünden Gewalthandlungen im Grundsatz entgegen. Gewalt könne allerdings „zur Erhaltung einer Vormachtstellung, zur internen Sanktion, zur Verhinderung polizeilicher Aufklärung und für das weitere Funktionieren der Organisation“ als erforderlich erscheinen120. Die Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz und Wirtschaft gehöre zu den Charakteristika der Organisierten Kriminalität121. Kriminelle Organisationen sicherten ihren Bestand durch Abschottung, Konspiration und andere GegenmaßnahPodolsky 1995, 56 f. Podolsky 1995, 57 f. 113 Podolsky 1995, 58. 114 Podolsky 1995, 59 ff. Allerdings ist diese Feststellung nur schwer mit der früheren vereinbar, die Gruppierungen hätten „keine feste Ordnung mit Strafkodex oder Befehlsstruktur“. 115 Podolsky 1995, 61 f., 63 f. 116 Podolsky 1995, 65 f. 117 Podolsky 1995, 66. 118 Podolsky 1995, 69 f. 119 Podolsky 1995, 73. 120 Podolsky 1995, 79. 121 Podolsky 1995, 81 ff. 111 112
17 Kinzig
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
men, Zeugenbeeinflussung sei dabei die Regel122. Im Übrigen gehöre auch das Stellen von Anwälten für inhaftierte Mitglieder sowie die Betreuung etwaiger Familienangehöriger zu den Grundvoraussetzungen einer optimal funktionierenden Organisation123. J. „Europa und die innere Sicherheit“ (Gerhard W. Wittkämper, Peter Krevert und Andreas Kohl, 1996) In einer weiteren Studie der BKA-Forschungsreihe über „Auswirkungen des EG-Binnenmarktes auf die Kriminalitätsentwicklung und Schlussfolgerungen für die polizeiliche Kriminalitätsbekämpfung“ behandelten die drei Autoren auch den Aspekt der organisierten Kriminalität. Dazu werteten sie im empirischen Teil 152 Fragebögen einer schriftlichen Erhebung aus, von denen rund 3/4 aus den Reihen der Polizei stammten124. Einleitend wurde die inzwischen verabschiedete Definition der OK in den Richtlinien von 86,8 % der Befragten als zutreffend erachtet. In Deutschland, so die interviewten Personen, sei der „Netzstruktur-Typus“ dominierend, während unter den ausländischen Tätern in der Mehrheit der „Mafia-Typus“ vorherrschend sei. Allerdings wurde für das Jahr 2000 ein Anstieg des „Mafia-Typus“ auch bei Deutschen erwartet125. Unter den OK-Indikatoren seien von den Befragten „überregionale, nationale und internationale Täterverbindungen und Tatkomplexe“, eine „professionelle und arbeitsteilige Tatausführung“ sowie eine „präzise ökonomische Tatausführung“ als wichtig erachtet worden126. Im Gegensatz zur Prognose des prozentualen Anteils der OK an der Gesamtkriminalität in der Untersuchung von Dörmann / Koch / Risch u. a., der dort für das Jahr 2000 auf 40 % geschätzt worden war, prophezeiten die hier Befragten nur einen Anteil von 13,9 %127. Außerdem wurde für das Jahr 2000 ein Anstieg ausländischer OK-Täter vorhergesagt128. Die höchsten Korruptions- und Infiltrationsanteile durch OK schätzten die Experten für die Wirtschaft, die Politik sowie die öffentliche Verwaltung, wobei auch hier bis zum Jahr 2000 ein Anstieg zu erwarten sei129. Insgesamt gingen die Befragten von einer mittleren Gefahr der Entstehung eines OK-Staates im Staat im Jahr 2000 aus130. Auf dem Feld der OK-Bekämpfung sprachen sich die Interviewten vor allem für Vorfeldermittlungen im Bereich der Länderpolizeien sowie der Polizei allgemein 122 123 124 125 126 127 128 129 130
Podolsky 1995 84 ff.; 89 ff. Podolsky 1995, 90. Wittkämper / Krevert / Kohl 1996, 159 ff. Wittkämper / Krevert / Kohl 1996, 165 ff. Wittkämper / Krevert / Kohl 1996, 172 ff. Wittkämper / Krevert / Kohl 1996, 192. Wittkämper / Krevert / Kohl 1996, 195 f. Wittkämper / Krevert / Kohl 1996, 196. Wittkämper / Krevert / Kohl 1996, 200.
Abschn. 1, Kap. 9: Stand der empirischen Forschung
259
aus131. Als weitere gesetzliche Maßnahmen wurden eine Beweislastumkehr bei der Gewinnabschöpfung sowie die Verbesserung des Zeugenschutzes befürwortet, etwas weniger gewichtig aber auch die Einführung des Großen Lauschangriffs, die Nutzung abgeschöpfter Verbrechensgewinne zur Kriminalitätsbekämpfung, eine Lockerung des Steuergeheimnisses sowie die Einführung einer Kronzeugenregelung132. K. „Verunsichertes Vertrauen? Gastronomen in Konfrontation mit Schutzgelderpressung und Korruption“ (Thomas Ohlemacher, 1998) Dieser Bericht, entstanden im Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, beschäftigt sich mit zwei Deliktsbereichen, der Schutzgelderpressung und der Korruption, die gemeinhin als wichtige Aktivitätsfelder organisierter Kriminalität verortet werden. Ziel des empirischen Projektteils war es, mit Schutzgeld und Korruption konfrontierte Geschäftsleute zu ihren Erfahrungen, Einstellungen und Handlungen zu befragen133. Der bereinigte Datensatz einer telefonischen Befragung betrug 4393 Datensätze, einer postalischen Befragung 3489. Die Studie litt allerdings unter einem „absolut gesehen unbefriedigenden Rücklauf“, so dass die Ergebnisse nicht als repräsentativ angesehen werden können134. Unter diesen Einschränkungen kam der Autor zu dem Ergebnis, dass „für die Bundesrepublik Mitte der neunziger Jahre nicht von einem massenhaft verbreiteten Phänomen der Schutzgelderpressung bei deutschen und ausländischen Gastronomen gesprochen“ werden könne. Für beide Delikte lagen die Schätzungen der Betroffenheitsraten durch die Befragten selbst zwischen ca. 10 % und 20 %. Für die direkte Betroffenheit durch Korruption wurden als Werte sogar nur zwischen 5 % und 10 % ermittelt, für Erpressung im weiteren Sinne zwischen 4 – 13 %135. Daher resümierte der Verfasser, dass sich die Erfahrungen und Einschätzungen der Befragten als weniger dramatisch darstellten, „als es das zuvor identifizierte, massenmedial dominante Deutungsmuster vermittelt.“ 136 L. „Der OK-Komplex“ (Norbert Pütter, 1998) Ebenfalls von einem unabhängigen Wissenschaftler stammt die Studie „Der OKKomplex“. Ziel dieser als „Polizeiforschung“ einzuordnenden Arbeit war erstens, 131 132 133 134 135 136
17*
Wittkämper / Krevert / Kohl 1996, 289 ff. Wittkämper / Krevert / Kohl 1996, 296. f Ohlemacher 1998, 42 ff.; vgl. auch Ohlemacher / Pfeiffer 1997. Ohlemacher 1998, 48 ff. Ohlemacher 1998, 73. Ohlemacher 1998, 75.
260
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
„das Verhältnis zwischen den polizeilichen Strategien und Handlungen und dem polizeilichen ,Gegenüber‘“ zu klären (etwa: Welche Phänomene werden aus welchen Gründen von der Polizei unter OK rubriziert?), zweitens, wie „die institutionellen Rahmenbedingungen“ der OK-Bekämpfung aussehen, und drittens „die Bedeutung, die OK und OK-Bekämpfung in der öffentlichen Diskussion erlangt haben.“137 Auch hier wurden Interviews als empirische Methode gewählt; insgesamt erfolgten 71 Gespräche mit Polizisten und Staatsanwälten aus sechs Bundesländern138. „Ergänzend-kontrollierende Methoden wie Interviews mit anderen an der OK-Bekämpfung Beteiligten (z. B. Strafverteidigern)“ sowie eine geplante Aktenanalyse konnten „aus arbeitsökonomischen Gründen“ nicht durchgeführt werden139. Ähnlich wie in der Arbeit von Sieber / Bögel wurden die Interviews nicht quantitativ ausgewertet, sondern es wurde viel mit illustrierenden Zitaten gearbeitet. In einem ersten Teil behandelte der Autor die „Ermittlungen wegen Organisierter Kriminalität“. Dabei ging er zunächst der Phase der „Verdachtschöpfung“ nach. Diese erscheine traditionell orientiert, da bezogen „auf polizeibekannte Einzelpersonen, randständige, durch ihre ethnische Herkunft definierte Gruppen und auf das Umfeld der Rotlichtkriminalität.“ 140 Prinzipiell stehe „der polizeilichen Verdachtschöpfung jedoch die gesamte Gesellschaft als potentielles OK-Zielobjekt offen.“ Bei der Untersuchung der Art und Weise der OK-Ermittlungen kam der Verfasser zum Ergebnis, dass polizeiliche Kriterien darüber entschieden, ob herkömmlich, d. h. offen, oder im „OK-Modus“, d. h. verdeckt, gearbeitet werde141. Ähnlich wie vor ihm Sieber und Bögel äußerte auch Pütter die Auffassung, dass die Polizei allein durch die Bestrafung der verantwortlichen Individuen das Bedürfnis nach Drogen oder illegalen Spielen, die rechtlose Situation Prostituierter, die Nachfrage nach Kriegswaffen, das Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West und die weltweiten Migrationsströme nicht beeinflussen könne142. Für die organisatorischen Rahmenbedingungen konstatierte der Autor, die OKPolizeien stellten „hochspezialisierte und in vielerlei Hinsicht privilegierte Dienststellen dar.“ Diese Sonderstellung führe zu Reibereien innerhalb der Polizei, die dadurch verstärkt würden, dass die OK-Polizei gegenüber anderen Dienststellen abgeschottet agiere und auch mit Ermittlungen gegen Kollegen betraut sei143. Die rechtlichen Vorschriften könne man als „ein flexibles Modell der OK-Bekämp137 138 139 140 141 142 143
Pütter 1998, 19. Pütter 1998, 23. Pütter 1998, 25. Pütter 1998, 57. Pütter 1998, 154. Pütter 1998, 157. Pütter 1998, 178 ff.
Abschn. 1, Kap. 9: Stand der empirischen Forschung
261
fung“ begreifen. Sie seien dabei „Ausdruck der gewachsenen neuen Definitionsmacht der Polizei.“ Die Eingriffsbefugnisse seien „in technischer und taktischer Hinsicht entwicklungsoffen“. Die weiten Straftatenkataloge korrespondierten mit der Ansicht, dass hinter jedem Phänomen OK stecken könne. Noch weiter als die StPO sei das Polizeirecht geraten. Die Harmonisierung der Eingriffsbefugnisse und die gegenseitige Austausch- und Verwertbarkeit der gewonnen Daten erhöhten die informationellen Ressourcen der Polizei. Noch existente rechtliche Grenzen würden als Hindernisse für eine effektive OK-Bekämpfung angesehen mit dem Ziel der Beseitigung144. Bezüglich der Sichtweise der Staatsanwaltschaft von OK stellte Pütter fest, dass sich das Bild, das Polizisten und Staatsanwälte von OK zeichneten, nicht unterscheide. Das Ziel der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit, das Zerschlagen krimineller Organisationen, führe dazu, dass das staatsanwaltschaftliche Handlungsrepertoire ausgeschöpft werde, inkl. des Außerkraftsetzens des Legalitätsprinzips. Dabei zöge das verwendete OK-Konzept die Präferierung verdeckter Methoden nach sich. Polizei wie Staatsanwaltschaft seien sich zudem in ihrer Skepsis gegenüber den Verteidigern und ihrer Kritik an der Strafprozessordnung einig. Im Verhältnis von Polizei und Staatsanwaltschaft sei die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft als bloße „Beteiligung an polizeilichen OK-Ermittlungen“ zu bezeichnen. Vor allem würden die Initial- oder Richtungsentscheidungen für Vorfeldermittlungen im Wesentlichen von der Polizei getroffen. Verstärkend wirke das informationelle Ungleichgewicht. Sind (vor allem OK-)Staatsanwaltschaften stärker in die polizeiliche Tätigkeit eingebunden, sieht Pütter das Problem, dass sich dadurch die bereits vorhandene polizeiliche Selektivität noch vergrößere und durch die „optimale Zusammenarbeit“ mit der Polizei die staatsanwaltschaftliche Kontrolle der Ermittlungen eher verringere145. Am polizeilichen OK-Lagebild kritisierte der Autor, dass die darin versammelten Sachverhalte nicht zu erkennen seien, dagegen durch die summierenden Bilanzen der Eindruck eines kompakten Phänomens Organisierte Kriminalität verstärkt werde. OK fungiere einerseits innerpolizeilich als Arbeitsbegriff, entfalte aber auch politische Wirkungen als Kampfbegriff146. Abschließend resümierte Pütter einige Hauptelemente der „polizeilichen Konstruktion“ der OK. So sei OK ein Gegenstand, der sich dauernd entziehe, da immer weitere Hintermänner vermutet werden könnten. Dabei kennzeichne die Verallgemeinerung des Verdachts ins Feld der Normalität hinein die Polizei- und insgesamt die Polizeirechtsentwicklung seit Anfang der 70er Jahre. Zur professionellen Verdachtschöpfung seien daher Verdeckte Ermittler notwendig147. Zwar sei es 144 145 146 147
Pütter 1998, 209 ff. Pütter 1998, 261 ff. Pütter 1998, 298 f. Pütter 1998, 300 ff.
262
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
„geradezu blind, sich verändernde Formen und Inhalte möglicher Verbrechen zu leugnen.“ Doch sei es erforderlich, „bereichs- und deliktspezifisch“ zu verfahren. Zu verändern seien die institutionellen Bedingungen und Prozeduren, die die neuen Kriminalitätsformen produzierten. Eine Güterabwägung zwischen Verbrechensbekämpfung und Schutz der Bürgerrechte sei nicht möglich, wenn der Erfolg bei der Verbrechensbekämpfung gar nicht beurteilt werden könne148. Demgegenüber seien negative Nebenfolgen der OK-Bekämpfung zu konstatieren. Sie führe zur Entwicklung einer „Sonderpolizei mit Sonderrechten und Sonderinstrumenten.“ Durch die Art und Weise der OK-Ermittlungen verliere die Staatsanwaltschaft ihre kontrollierende Funktion. Bürokratische Berechenbarkeit wie bürgerliche Rechtssicherheit gingen im Kampf gegen OK zugrunde. Durch die „vorausgreifende, in Sachen OK nur pauschal benannte Verbrechensbekämpfung“ würden Menschen- und Bürgerrechte für unbestimmt lange Zeiten suspendiert149. Als indirekter Effekt arbeite man einer allgemeinen Verbrechensbekämpfungspolitik zu, die „Bürgerrechte klein mache.“ Am Ende der aufwendigen Verfahren komme es dennoch zu den „üblichen Beschuldigten“: „Gruppen von Ausländern, die seit längerem in Drogen-, Geldwäsche- und anderen zwielichtigen Geschäften auf den ersten Rängen des Verdachts und der aktiven Verdachtschöpfung stehen.“ Ingesamt ordne sich die OK-Bekämpfung in eine Politik der inneren Sicherheit ein, die den Verdacht ausweite, sich der prinzipiell präventiven Verbrechensbekämpfung zuwende, das Legalitäts- durch das Opportunitätsprinzip ablöse, mit unbestimmten Rechtsbegriffen und mit einem Zweck- statt einem Konditionalprogramm arbeite150.
M. Ertrag und Kritik der bisherigen empirischen Forschung, zugleich eine Zusammenfassung Resümiert man die in Deutschland in rund 30 Jahren zusammengetragenen empirischen Erkenntnisse zum Thema organisierte Kriminalität151, ist zunächst festzuhalten, dass Kerners bereits im Jahr 1973 gemachten Beobachtungen noch heute weitgehend Gültigkeit beanspruchen können. Dabei wird die in Deutschland feststellbare organisierte Kriminalität vom amerikanischen „organized crime“ wie von der italienischen „criminalità organizzata“ mit ihren syndikatsähnlichen Strukturen abgegrenzt. So überwiegt die Ansicht, dass „in Westeuropa noch kein voll ausgebautes System eines organisierten Verbrechens“ (Kerner) bestehe, dass nur in 148 149 150 151
Pütter 1998, 302 ff. Pütter 1998, 304 ff. Pütter 1998, 308 ff. Zu den in den verschiedenen Lagebildern enthaltenen Informationen siehe Kapitel 11.
Abschn. 1, Kap. 9: Stand der empirischen Forschung
263
einem geringen Umfang „mehr oder weniger dauerhafte ,eigenständige Gruppierungen‘“ (Rebscher / Vahlenkamp) sowie „keine großen, hierarchisch in sich geschlossenen Systeme“ (Weschke / Heine-Heiß) existierten und „mit den Syndikaten in den USA oder Italien vergleichbare Strukturen“ bis heute in Deutschland nicht vorhanden seien (Podolsky). Zur Beschreibung der organisierten Kriminalität in Deutschland dienen vielmehr, ebenfalls schon beginnend bei Kerner, Begriffe wie „durch ein informelles Netzwerk persönlicher Beziehungen und Bekanntschaften untereinander eng verbundene Gruppierungen“ (Kerner), „Verflechtungssysteme“ oder „Straftäterverflechtungen“ (Rebscher / Vahlenkamp, Dörmann / Koch / Risch u. a. sowie Podolsky), „Netzstrukturkriminalität“ (Weschke / Heine-Heiß) sowie „Netzstruktur-Typus“ (Wittkämper / Krevert / Kohl). Dabei ist bemerkenswert, dass Kerner in den 70er Jahren noch der Auffassung war, dass sich aus der von ihm gegebenen Beschreibung als „informelles Netzwerk . . . Vorformen organisierter Kriminalität entwickeln“ könnten, während Jahrzehnte später – obwohl inhaltlich mit der früheren Beschreibung weitgehend identisch – der „Netzstruktur-Typus“ zu einem der beiden „OK-Strukturtypen“ (Wittkämper / Krevert / Kohl) avanciert. Schwierig wird es, wenn man nach Befunden sucht, die die besondere Qualität dieser „Straftäterverflechtungen“ oder der „Netzstruktur“ beschreiben. Kerner war denn auch noch der Ansicht, dass diese Art der Kriminalität „nach wie vor im Rahmen der geläufigen Kategorien der Kriminalität beschrieben und verstanden werden könne“ und eine neue Stufe der Kriminalität erst dann erreicht sei, wenn sie einen unmittelbaren Einfluss auf die Gesellschaft bekomme. Im Übrigen wurden und werden als einzelne Aspekte zum Beleg einer besonderen Qualität immer wieder „Gewinnerzielung“, „Arbeitsteilung“, „Internationalität“ sowie „Abschottung“ genannt, letztes Merkmal in der Gewichtung aber schon deutlich zurückhaltender. Daneben wird reklamiert, dass – in zahlenmäßig geringerem Umfang – eigenständige Gruppierungen agierten, die der organisierten Kriminalität zuzurechnen seien, wobei aber Rebscher / Vahlenkamp die Einschränkung einer „mehr oder weniger“ vorhandenen Dauerhaftigkeit machen. Bei den eigenständigen Gruppierungen seien Ausländer vorherrschend152. Nicht diskutiert wird die Frage, ob das geschilderte Übergewicht ausländischer Tätergruppen möglicherweise aus einer unterschiedlichen Wahrnehmung der Behörden resultiert. „Streng hierarchisch strukturierte Organisationen“ stellten vor allem Sieber und Bögel aufgrund der von ihnen geführten Interviews fest153.
152 Dem entspricht es, wenn die bei Wittkämper / Krevert / Kohl befragten Personen den „Mafia-Typus“ vor allem unter Ausländern eine Relevanz beimessen. Cramer / Schuster 2002, Kap. N Rdnr. 111 listen in einem neueren Überblick gar „signifikante Unterschiede“ auf, die „zwischen den deutschen und ausländischen Gruppierungen“ bestünden, um in einer sich anschließenden Aufzählung von „Organisationsstrukturen“ (Rdnr. 138 ff.) nur noch ausländische Gruppierungen zu behandeln.
264
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Die Gefährdungslage durch die organisierte Kriminalität in Deutschland wird in den genannten Publikationen – wiederum seit 30 Jahren – fast durchweg so beurteilt, dass das Gemeinwesen aktuell noch nicht gefährdet sei, ohne geeignete Gegenmaßnahmen eine solche Gefährdung aber rasch eintreten könne. Die bei Rebscher / Vahlenkamp befragten Experten waren der Auffassung, dass „von einer durch die OK hervorgerufenen erheblichen Gesamtbeeinträchtigung der Inneren Sicherheit“ trotz bereits bestehender besorgniserregender Probleme (noch) nicht gesprochen werden könne. Bei Dörmann / Koch / Risch u. a. wurde der Befürchtung Ausdruck verliehen, dass sich „bis zum Jahre 2000 mafiaähnliche Strukturen zumindest in Teilbereichen auch in Deutschland herausbilden“ könnten, wenn es nicht gelinge, der OK wirksam entgegenzutreten. Ähnlich sahen Sieber und Bögel die Gefahr einer „zweiten Stufe‘ der Organisierten Kriminalität“, bei der eine Beeinflussung von Verwaltung, Polizei, Politik und Justiz stattfinde. Wegen dieses Bedrohungsszenarios wird die Thematik organisierte Kriminalität mit der Forderung nach präventiven Maßnahmen zu ihrer Eindämmung verknüpft, die zu einem großen Teil strafprozessualer Natur sind. Demgegenüber legte noch Kerner einen Schwerpunkt auf eine Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit (ebenfalls ein immer wiederkehrender häufig genannter Reformpunkt) sowie auf organisatorische Maßnahmen. In den meisten anderen Arbeiten findet sich in der Folge eine stärkere Konzentration auf verdeckte Maßnahmen, deren Notwendigkeit betont wird, auch mit dem Ziel der Steigerung ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz. Daneben wurden immer wieder mehr „täter- oder tätergruppenbezogene“ Ermittlungen sowie „Vorfeld- oder Initiativermittlungen“ angemahnt154. Weiterhin ist bemerkenswert, dass die Mehrzahl der Untersuchungen durch Mitarbeiter der Polizei und / oder im Auftrag des BKA angefertigt worden ist155. Dabei ist die Dominanz polizeilicher Forschungsarbeit einerseits darauf zurückzuführen, dass empirische Untersuchungen im Bereich der organisierten Kriminalität als besonders schwierig und langwierig gelten156, andererseits die polizeiexterne OK153 Allerdings mit der Einschränkung (Sieber / Bögel 1993, 73 Fußnote 9), dass „die geringe Zahl der Interviews“ statistische Aussagen „nur bedingt tragen“ könne. Außerdem (Sieber / Bögel 1993, 78 Fußnote 17) falle „die Klärung der Innenverhältnisse von Täterstrukturen“ sehr schwer, „da gefasste Straftäter selten diesbezüglich Aussagen machen.“ Die von Sieber / Bögel (1993, 77 f.) beschriebene ausgefeilte Logistik im Bereich der „organisierten Kfz-Verschiebung“ findet sich allerdings in der Intensität nicht in dem von Flormann (1995) über „Internationale Kraftfahrzeugverschiebung“ herausgegebenen Sammelband. 154 Nach Cramer / Schuster 2002, Kap. N Rdnr. 6 zählen „zu den Besonderheiten im Bereich Organisierter Kriminalität . . . vor allem die zur Überwindung der bestehenden ermittlerischen Schwierigkeiten eingeführten besonderen Eingriffsbefugnisse.“ Später (Rdnr. 60) führen die Autoren aus, für die OK-Definition sei der „praktische Nutzen“ entscheidend, der „im Aufzeigen der Gefahren und in der Verdeutlichung dringend notwendiger Eingriffsbefugnisse und Ermächtigungen zur Bekämpfung (Kontrolle) der OK“ liege. 155 Vgl. die früh bei Eisenberg / Ohder 1990, 576 ff. formulierten Einwände; mit scharfer Kritik: Besozzi 1997, 49. 156 So schon Eisenberg / Ohder 1990, 574; vgl. auch Graf 1997, 52; Besozzi 1997, 45.
Abschn. 1, Kap. 9: Stand der empirischen Forschung
265
Forschung bis in die zweite Hälfte der 90er Jahre vor Zugangs- und Quellenproblemen stand157. Erst in letzter Zeit scheint bei den Polizeibehörden die Einsicht gewachsen zu sein, auch sie könnten von den Erkenntnissen unabhängiger Forschung profitieren, selbst wenn diese mit dem Zugang zu bisher nicht offen gelegten Informationsquellen verbunden ist158. Methodisch wurde bisher ausschließlich auf Befragungen gesetzt, in der Mehrheit auf so genannte Expertenbefragungen. Dabei wurden zumeist die Ansichten von Kriminalbeamten und Polizisten über ihre aufgrund ihrer Ermittlungstätigkeit gewonnenen Vorstellungen über organisierte Kriminalität erkundet. Eine Kontrastierung mit der anschließenden forensischen Überprüfung dieser Vermutungen fand sich in keinem Fall. Eine systematische Untersuchung einzelner als organisierte Kriminalität erfaßter Sachverhalte vom Zeitpunkt des Erkennens durch die Polizei bis zur Aburteilung durch die Gerichte fehlt ebenfalls. Vollkommen unbeleuchtet blieben bisher das Feld der justitiellen Verarbeitung organisierter Kriminalität und die Wirkung der bereits eingeführten gesetzlichen Maßnahmen. Quer zu den übrigen Arbeiten liegen die Studien von Ohlemacher und Pütter. Ersterer hat den – wenn auch wegen der schlechten Rücklaufquoten nicht völlig befriedigenden – Versuch unternommen, über eine Opferbefragung Einblick in zwei häufig genannte Kriminalitätsfelder organisierter Kriminalität zu bekommen. Dabei gewann er Anzeichen für eine Dramatisierung der durch organisierte Kriminalität verursachten Straftaten. Diese Einschätzung wird dadurch gestützt, dass sich retrospektiv die in den Expertenbefragungen für das Jahr 2000 geschätzten Anteile der Organisierten an der Gesamtkriminalität als weit überhöht dargestellt haben159. Pütter behandelte in seiner Studie weniger die Frage, ob es organisierte Kriminalität gibt und wie sie gegebenenfalls beschrieben werden kann, sondern mehr die polizeilichen bzw. politischen Strategien der OK-Bekämpfung. Dabei kritisierte er zu Recht, dass es bisher nicht gelungen sei, eine besondere Qualität der für Deutschland beschriebenen organisierten Kriminalität deutlich zu machen, unter Berufung auf eine solche aber weitgehende Veränderungen des Strafverfolgungssystems festzustellen seien. Wenn er allerdings am Schluss seiner Überlegungen organisierte Kriminalität vollends als polizeiliche Konstruktion zu entlarven sucht, bleibt er für diese weitreichende Annahme überzeugende Belege schuldig160.
157 158 159 160
Vgl. Pütter 1998, 23. Vgl. auch Rupprecht 1997. Vgl. unten Kapitel 11, A., VI. Vgl. auch Besozzi 1997, 23 f.
266
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Kapitel 10
Aspekte organisierter Kriminalität im Spiegel von Polizei- und Justizstatistik Neben empirischen Untersuchungen können amtliche Statistiken Auskunft über das Vorhandensein organisierter Kriminalität in Deutschland geben. Da „organisierte Kriminalität“ aber weder einen eigenen Straftatbestand darstellt noch die Qualifikation eines anderen Delikts begründet, muss sich die Analyse der Polizeilichen Kriminal- wie auch der Strafverfolgungsstatistik auf diejenigen Straftatbestände beschränken, die gemeinhin mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht werden bzw. explizit zu deren Bekämpfung eingeführt wurden. Dazu gehören vor allem der Straftatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen und die Bandendelikte, deren Anwendungspraxis in diesem Kapitel untersucht wird.
A. Der Tatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen (§ 129 StGB) Die historisch bedingte Indienstnahme des § 129 StGB für politische Gruppierungen und die damit verbundene enge Auslegung des Tatbestandes durch die Rechtsprechung, die für die Anwendung auf Gruppierungen organisierter Kriminalität, unabhängig von ihrer realen Existenz, wenig Raum lässt1, verdeutlichen die Anwendungszahlen, die sich der Strafverfolgungsstatistik für § 129 StGB entnehmen lassen. So ergaben sich zwischen 1981 und 1991 folgende Verurteilungszahlen wegen der Bildung krimineller Vereinigungen nach § 129 StGB: 1981: 4; 1982: 9; 1983: 18; 1984: 3; 1985: 0; 1986: 1; 1987: 4; 1988: 4; 1989: 0; 1990: 3; 1991: 8 Personen2. Ein entsprechendes Bild zeigt sich auch für den Anwendungszeitraum in den Jahren 1992 bis 2000. Interessanterweise enthält auch die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) keine wesentlich höheren Zahlen für die bekannt gewordenen Fälle3. Demzufolge spielt § 129 StGB schon nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen kaum eine Rolle mehr4. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist die teilweise hohe Differenz zwischen den Abgeurteilten und den Verurteilten nach dieser
1 Grässle-Münscher 1991, 167 spricht – etwas übertrieben – von einer „rein politischen Anwendungspraxis.“ 2 Quelle: Strafverfolgungsstatistik 1981 – 1991. 3 Bis zum Jahr 2000 wurden Fälle des § 129 StGB in der Rubrik „Staatsschutzdelikte“ erfasst. 4 Die PKS (PKS 2001, 8) enthält eine „Ausgangsstatistik“, d. h. die bekannt gewordenen Straftaten werden erst nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen vor Aktenabgabe an Staatsanwaltschaft oder Gericht erfasst.
Abschn. 1, Kap. 10: Kriminalität im Spiegel von Polizei- und Justizstatistik
267
Vorschrift (zuletzt im Jahr 2000: 6 Verurteilte bei 17 Abgeurteilten), die ebenfalls die Nachweisschwierigkeiten bei Anwendung dieses Tatbestandes spiegelt. Tabelle 3 Anwendung des Tatbestandes der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB)5
Fälle PKS
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
0
13
7
9
35
10
13
5
19
Abgeurteilte
4
4
2
15
9
10
17
11
17
Verurteilte
2
3
0
10
8
9
15
5
6
Auch mit dem durch das OrgKG neu geschaffenen § 30b BtMG ist es offenbar nicht gelungen, eine häufigere Verurteilung nach § 129 StGB zu erreichen. § 30b BtMG erlaubt es, § 129 StGB bei Rauschgiftorganisationen auch dann anzuwenden, wenn nicht einmal eine Teilorganisation in der Bundesrepublik besteht6.
B. Statistische Aussagen zu übrigen auf die Bekämpfung organisierter Kriminalität zugeschnittenen Delikten Von den speziell zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität eingeführten bzw. modifizierten Delikten werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) gesondert ausgewiesen die gewerbs- oder bandenmäßige Verbreitung pornographischer Schriften nach § 184 Abs. 4 StGB, die gewerbsmäßige Hehlerei nach § 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB, die bandenmäßige Hehlerei nach § 260 Abs. 1 Nr. 2 StGB, die gewerbsmäßige Bandenhehlerei nach § 260a StGB, die Geldwäsche nach § 261 StGB, das gewerbs- und bandenmäßige Einschleusen von Ausländern nach § 92b AuslG sowie die bandenmäßigen Betäubungsmitteldelikte nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 sowie § 30a Abs. 1 BtmG, wobei die letzten beiden Tatbestände in der PKS gemeinsam erfasst werden. Keine Auskunft gibt die PKS über die Fallzahlen der gewerbs- bzw. bandenmäßig begangenen Diebstahlsdelikte. Unter den ausgewiesenen Delikten zahlenmäßig die größte Bedeutung kommt der gewerbsmäßigen Hehlerei vor dem gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusen von Ausländern zu (Schaubild 1)7.
5 Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 1992 – 2000 (zuletzt 2000, S. 250) und Strafverfolgungsstatistik 1992 – 2000 (zuletzt 2000, S. 18 f.). 6 Skeptisch von vornherein Körner 1993, 236. 7 Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 1993 – 2001, jeweils Tabelle 1; ausgewertet wurden die Fälle der Straftatenschlüssel 1432, 6311+6321, 6312+6322, 6313+6323, 6330, 7254 und 7342.
268
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
3000 2500
§ 184 IV § 260 I Nr. 1
2000
§ 260 I Nr. 2 § 260a
1500
§ 261 § 92b AuslG
1000
§§ 30(a) BtmG 500 0 1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Schaubild 1: Fallentwicklung OK-trächtiger Delikte in den Jahren 1993 – 2001
Fälle mit Geldwäsche haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Im Gegensatz dazu steht die Abnahme der gewerbsmäßigen Bandenhehlerei. Eine nur geringe Bedeutung besitzen die einfache Bandenhehlerei (sie dürfte in der Regel in der „lex specialis“ des § 260a StGB aufgehen) sowie die gewerbs- oder bandenmäßige Verbreitung pornographischer Schriften nach § 184 Abs. 4 StGB. Betrachtet man Fälle und aufgeklärte Fälle für diese sieben Delikte im Jahr 2001 (Schaubild 2), zeigt sich, dass die Zahl der aufgeklärten Fälle zumeist nur unwesentlich unter der Zahl der bekannt gewordenen Fälle liegt. Dies ist ein Zeichen so genannter Holkriminalität, die wiederum als typisch für organisierte Kriminalität angesehen wird. Im Vergleich dazu wurden im Jahr 2001 nur 53,1 % aller in der PKS erfassten Fälle aufgeklärt8. Dass bei der gewerbsmäßigen Hehlerei die Zahl der aufgeklärten Fälle deutlich über der der Tatverdächtigen liegt, deutet darauf hin, dass selbige Personen bei diesem Delikt typischerweise mit mehreren Straftaten erfasst werden9, während sich bei der Bandenhehlerei und den bandenmäßigen Betäubungsmitteldelikten die höhere Zahl der Tatverdächtigen dadurch erklären lässt, dass hier schon strukturell wegen des Bandenmerkmals mehrere Personen an einem Delikt beteiligt gewesen sein müssen10. Demzufolge überrascht es nicht, dass der Anteil der allein handelnden Tatverdächtigen nach der PKS bei der gewerbsmäßigen Hehlerei im Jahr 2001 mit 49,1 %, aber auch bei der Geldwäsche mit 48,2 %, relativ hoch ausfiel, während er bei den Bandendelikten mit 4,7 % bei der Bandenhehlerei, 4,3 % bei der gewerbsmäßigen Bandenhehlerei, 16,0 % bei § 92b AuslG sowie 33,9 % bei §§ 30 Abs. 1 8 PKS 2001, S. 30 ff. sowie Grundtabelle 1 Spalten „erfasste Fälle“, „Aufklärung Fälle“ sowie „Gesamtzahl der ermittelten Tatverdächtigen“. 9 Die PKS zählt einen Tatverdächtigen, für den im Berichtszeitraum mehrere Fälle der gleichen Straftat festgestellt wurden, in demselben Bundesland nur einmal. 10 Unklar bleibt dagegen, warum auch bei der Geldwäsche die Anzahl der Tatverdächtigen die der aufgeklärten Fälle übersteigt.
Abschn. 1, Kap. 10: Kriminalität im Spiegel von Polizei- und Justizstatistik
269
Nr. 1 bzw. 30a Abs. 1 BtmG erwartungsgemäß deutlich niedriger lag. Der Wert von 53,6 % allein handelnder Tatverdächtigen bei § 184 Abs. 4 StGB spricht dafür, dass hier vor allem die gewerbsmäßige Alternative des Tatbestandes Anwendung findet11. 2500 2000 Fälle
1500
aufgeklärte Fälle 1000
Tatverdächtige
500 0 § 184 IV
§ 260 I Nr. 1 § 260 I Nr. 2
§ 260a
§ 261
§ 92b AuslG
§§ 30 (a) BtmG
Schaubild 2: Polizeiliche Daten organisationsträchtiger Delikte im Jahr 2001
Aus der Strafverfolgungsstatistik 2000, die die Delikte teilweise anders gruppiert, ist zu ersehen, dass bei verschiedenen OK-trächtigen Delikten durchaus nicht nur Erwachsene verurteilt werden. So waren immerhin im Jahr 2000 über ein Drittel (35,0 %) der wegen Bandendiebstahls (§ 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB) Verurteilten Jugendliche bzw. Heranwachsende. Der entsprechende Anteil liegt beim schweren Bandendiebstahl nach § 244a StGB bei einem Drittel (33,3 %) sowie bei den bandenmäßigen Betäubungsmitteldelikten (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 30a Abs. 1 BtmG) immerhin noch bei 19,1 %12. Es ist zu bezweifeln, ob diese Jugendlichen bzw. Heranwachsenden Strukturen organisierter Kriminalität zugerechnet werden können13. Instruktiv ist auch eine Gegenüberstellung der absoluten Zahlen von Tatverdächtigen, verurteilten Erwachsenen sowie Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jahren, kumuliert über die Jahre 1996 – 2000 (Schaubild 3)14. So ist, auch wenn die zeitliche Verschiebung zwischen der Erfassung der Tatverdächtigen und den Verurteilungen nur eine bedingte Vergleichbarkeit zulässt, der große Schwund zwischen Tatverdächtigen und verurteilten Erwachsenen bei der bandenmäßigen Hehlerei (§ 260 I Nr. 2 StGB), der gewerbsmäßigen Bandenhehlerei (§ 260a StGB), der Geldwäsche (§ 261 StGB) sowie bei § 92b AuslG zu beachten, während er bei der gewerbsmäßigen Hehlerei (§ 260 I Nr. 1 StGB), aber auch bei den bandenmäßigen Betäubungsmitteldelikten, prozentual gesehen, deutlich geringer ausfällt. Bei den verhängten Freiheitsstrafen von mehr als zwei PKS 2001, Tabellen 1 und 22 (teilweise eigene Berechnung). Strafverfolgungsstatistik 2000 Tabelle 2.1 (eigene Berechnung). 13 So bereits Schoreit 1991, 539 für Diebesbanden. 14 Quellen: PKS 1996 – 2000, Tabelle 1, jeweils „Gesamtzahl der ermittelten Tatverdächtigen“, Strafverfolgungsstatistik 1996 – 2000, Tabellen 2.1 und 3.1. 11 12
270
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Jahren nehmen die gewerbsmäßige Hehlerei, vor allem aber die bandenmäßigen Betäubungsmitteldelikte Spitzenpositionen ein. 7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000 0 § 260 I Nr.1
§ 260 I Nr. 2
TV
§ 260a
§ 261
Verurteilte Erwachsene
§ 92b AuslG
§§ 30 (a) BtmG
FS > 2 J.
Schaubild 3: Tatverdächtige und Sanktionierungen bei ausgewählten OK-Delikten in den Jahren 1996 – 2000
Zuletzt (im Jahr 2000) wurden die meisten Freiheitsstrafen für den schweren Bandendiebstahl (262) verhängt, gefolgt von der gewerbsmäßigen Hehlerei (247) sowie dem Bandendiebstahl (195). Bei den Freiheitsstrafen zwischen zwei und fünf Jahren dominiert ebenfalls der schwere Bandendiebstahl. Die meisten Freiheitsstrafen über 5 Jahre (58) wurden wegen einer Straftat nach § 30a Abs. 1 BtmG angeordnet (Schaubild 4)15. 250 200 150 100 50 0 § 184 IV
§ 244 I Nr. 2
§ 244a
§ 260 I Nr. 1 FS < 2 J.
§ 260 I Nr. 2
§ 260a
2 J. < FS < 5 J.
§ 261
§ 30a I BtmG
FS > 5 J.
Schaubild 4: Freiheitsstrafen bei ausgewählten OK-verdächtigen Delikten im Jahr 2000 15
Strafverfolgungsstatistik 2000, Tabelle 3.1.
§ 30 I Nr. 1 BtmG
§ 92b AuslG
Abschn. 1, Kap. 10: Kriminalität im Spiegel von Polizei- und Justizstatistik
271
Die Dominanz der bandenmäßigen Betäubungsmitteldelikte in nicht geringen Mengen vor dem schweren Bandendiebstahl im Bereich der hohen Freiheitsstrafen zeigt sich auch eindrucksvoll bei einer Darstellung der in den 90er Jahren verhängten Freiheitsstrafen über 5 Jahre. Alle anderen Bandendelikte führen nur sehr selten zu Verurteilungen über fünf Jahren Dauer (Schaubild 5)16. 70 60 § 244 I Nr. 2 50
§ 244a
40
§ 260 I Nr. 2 § 260a
30
§ 30a I BtmG
20
§ 30 I Nr. 1 BtmG
10 0 1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
Schaubild 5: Hohe Freiheitsstrafen (> 5 Jahre) bei ausgewählten Bandendelikten in den Jahren 1992 – 2000
Der hohe Anteil von Freiheitsstrafen von über 5 Jahren ist dem Strafrahmen des § 30a Abs. 1 BtmG zu verdanken, der zwischen 5 und 15 Jahren liegt, während für den minder schweren Fall eine Strafe zwischen 6 Monaten und 5 Jahren vorgesehen ist. Eine Mittelstellung bei der Strafrahmengestaltung nimmt § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtmG mit einem Normalstrafrahmen zwischen zwei und 15 Jahren und einem minder schweren Fall zwischen 3 Monaten und 5 Jahren ein. Die anderen Bandendelikte, der schwere Bandendiebstahl nach § 244a StGB, die gewerbsmäßige Bandenhehlerei nach § 260a StGB sowie das gewerbs- und bandenmäßige Einschleusen nach § 92b AuslG weisen identische Strafrahmen auf. Der Normalstrafrahmen erstreckte sich jeweils zwischen einem und zehn Jahren, für minder schwere Fälle sind zwischen 6 Monaten und 5 Jahren vorgesehen17.
Schaubild 6: Graphische Darstellung der Strafrahmen Strafverfolgungsstatistik 2000, Tabelle 3.1. Nach Schäfer, G. 2001 Rdnr. 574 zeigt das Gesetz bei der Bestimmung des Sonderstrafrahmens wenig Systematik. 16 17
272
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Analysiert man die ausgeworfenen Strafen vor dem Hintergrund der Strafrahmen für das Jahr 2000, zeigt sich, dass sich bei §§ 244a, 260a StGB sowie 92b AuslG aufgrund der breiten Überlappung der Strafrahmen für den Normal- und den minder schweren Fall über 80 % der ausgeworfenen Strafen im Rahmen des minder schweren Falles befanden. 100% 80%
bis Untergrenze Normalstrafrahmen
60%
im Rahmen des minder schweren Falles
40%
über dem Rahmen des minder schweren Falles
20% 0% § 244a
§ 260a
§92b AuslG
§ 30 I Nr. 1 § 30a I BtmG BtmG
Schaubild 7: Freiheitsstrafen und Strafrahmen bei ausgewählten Bandendelikten im Jahr 2000 (I)
Allerdings verblieb zugleich fast die Hälfte der für § 92b AuslG ausgeworfenen Strafen unterhalb des Normalstrafrahmens. Auch bei den bandenmäßig begangenen Betäubungsmitteldelikten empfinden offensichtlich die Gerichte die hohen Mindeststrafen von zwei bzw. fünf Jahren für den Normalfall häufig als nicht angemessen. Daher verhängten sie in 42,6 % (§ 30a Abs. 1 BtmG) bzw. sogar in 73,9 % (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 BtmG) Strafen, die nur vom minder schweren Fall erfasst wurden18. Das gefundene Ergebnis wird durch das nächste Schaubild bestätigt19. Bei den Delikten §§ 244a sowie 260a StGB lagen im Jahr 2000 rund 90 % der verhängten Strafen in einem Rahmen von einem Jahr und 5 Jahren, dem Schnittbereich des minder schweren und des Normalfalls, bei § 92b AuslG dagegen trotz identischer Strafrahmen nur 57,8 %, bei § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtmG sogar nur 20,3 %. Dies zeigt wiederum das bei einigen Bandendelikten bestehende Bedürfnis, den hohen Mindeststrafen des Normalstrafrahmens auszuweichen. Bei § 30a Abs. 1 BtmG bewegen sich sogar mehr als die Hälfte der Fälle im für den minder schweren Fall reservierten Strafrahmen. Unterstellt man ein größeres Sanktionsbedürfnis in Verfahren organisierter Kriminalität, legt dieses Ergebnis die Vermutung nahe, dass hier in weiten Bereichen Fallgestaltungen erfasst werden, die selbiger nicht zugerechnet werden können.
18 19
Berechnungen nach Strafverfolgungsstatistik 2000, Tabelle 3.1. Berechnungen nach Strafverfolgungsstatistik 2000, Tabelle 3.1.
Abschn. 1, Kap. 10: Kriminalität im Spiegel von Polizei- und Justizstatistik 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
273
< Normalstrafrahmen im Schnittbereich > minder schwerer Fall § 244a
§ 260a
§ 92b AuslG
§ 30 I Nr. 1 BtmG
§ 30a Abs. 1 BtmG
Schaubild 8: Freiheitsstrafen und Strafrahmen bei ausgewählten Bandendelikten im Jahr 2000 (II)
C. Zusammenfassung Wegen des Fehlens entsprechend konturierter Tatbestände lassen sich weder aus der Polizeilichen Kriminal- noch aus der Strafverfolgungsstatistik spezifische Zahlen über die Existenz organisierter Kriminalität gewinnen. Hilfsweise kann aber die Verbreitung der Tatbestände analysiert werden, die jedenfalls auch zur Ahndung organisierter Kriminalität geschaffen wurden bzw. gemeinhin mit dieser verbunden werden. Dabei schlägt sich die dezidiert politische Stoßrichtung des Tatbestandes der Bildung krimineller Vereinigungen, § 129 StGB, in einer äußerst geringen Anwendung in den letzten Jahrzehnten nieder. Ausweislich der Polizeilichen Kriminalstatistik spielt § 129 StGB bereits zum Ende des Ermittlungsverfahrens keine Rolle mehr. Zudem verdeutlichen die Unterschiede zwischen den Aburteilungs- und den Verurteilungszahlen die Anwendungs- bzw. Nachweisschwierigkeiten beim Einsatz dieses Straftatbestandes. Auch die Erweiterung des Anwendungsbereiches des § 129 StGB durch § 30b BtmG auf ausländische Organisationen der Btm-Kriminalität ab dem Jahr 1992 hat daran nichts geändert. Im Übrigen sind zum Thema organisierte Kriminalität am ehesten die Ergebnisse zur Anwendung qualifizierter Tatbestände im Form der gewerbs-, vor allem aber der bandenmäßigen Begehungsweise aussagekräftig. Da in der PKS weder gewerbs- noch bandenmäßig begangene Diebstahlsdelikte ausgewiesen sind, dominiert dort die gewerbsmäßig begangene Hehlerei nach § 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB seit Jahren deutlich. Diese Dominanz besteht auch bei Betrachtung der aufgeklärten Fälle, verringert sich aber bei der Zahl der Tatverdächtigen, da bei der gewerbsmäßigen Hehlerei häufig Einzelpersonen agieren, die zugleich durch mehrere Straftaten belastet sind. Dass bei diesen Delikten beinahe alle erfassten Fälle zugleich als aufgeklärt registriert werden, spricht für die Einordnung dieser Delikte und damit auch der organisierten Kriminalität als so genannte Holkriminalität. Andererseits zeigen erhebliche Anteile von Jugendlichen und Heranwachsenden bei den verurteilten Tätern von Bandendelikten, dass selbige ein weites Spektrum an 18 Kinzig
274
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Straftaten abdecken, unter denen organisierte Kriminalität nur einen kleinen Teil ausmachen dürfte. Trotz einer wegen der zeitlichen Verschiebung nur eingeschränkten Vergleichbarkeit zwischen der Angabe der Zahl der Tatverdächtigen und den später auch Verurteilten fallen erhebliche, andererseits bei verschiedenen Delikten auch unterschiedliche Schwundraten ins Auge. So beträgt die Quote der im Zeitraum von 1996 bis 2000 wegen § 260 Abs. 1 Nr. 2 StGB verurteilten Personen nur 3,4 % der im gleichen Zeitraum erfassten Tatverdächtigen. Bei der gewerbsmäßigen Hehlerei waren es dagegen 20,4 % Verurteilungen, bei den bandenmäßigen Betäubungsmitteldelikten sogar 27,3 %. Die Dominanz der Betäubungsmitteldelikte steigert sich bei Betrachtung der nicht aussetzungsfähigen Freiheitsstrafen über 2 Jahre. Annähernd zwei Drittel der Verurteilungen nach §§ 30 Abs. 1 Nr. 1, 30a BtmG führten zu solchen Strafen. Aus der Strafverfolgungsstatistik lässt sich auch ein bis Ende der 90er Jahre andauernder stetiger Anstieg der Freiheitsstrafen von über 5 Jahren Dauer bei den bandenmäßig begangenen Betäubungsmitteldelikten mit nicht geringen Mengen ersehen. Ansonsten besitzt in diesem Bereich nur noch der schwere Bandendiebstahl nach § 244a StGB eine zahlenmäßig größere Relevanz. Die in Folge der Bekämpfung organisierter Kriminalität neu geschaffenen Strafrahmen bei den banden- und gewerbsmäßigen Delikten werden von den Gerichten unterschiedlich genutzt. Bei den strafrahmenmäßig gleich strukturierten Tatbeständen von §§ 244a sowie 260a StGB bewegte sich im Jahr 2000 die weit überwiegende Zahl der ausgeworfenen Freiheitsstrafen im Strafrahmen für den minder schweren Fall bzw. im Überlappungsbereich der Strafrahmen zwischen minder schwerem und Normalfall. Anders ist die Situation bei den Betäubungsmitteldelikten, teilweise auch bei § 92b AuslG. Wegen der hohen Mindeststrafen von 2 Jahren bei § 30 Abs. 1 Nr. 1 bzw. von 5 Jahren bei § 30a Abs. 1 BtmG besteht hier ein großes Bedürfnis der Praxis, auf die so genannten minder schweren Fälle auszuweichen. Dies führt dazu, dass bei § 30a Abs. 1 BtmG der minder schwere Fall zum Regelfall wird. Auch bei § 92b AuslG wurden im Jahr 2000 in annähernd der Hälfte der Fälle Strafen verhängt, die nicht einmal die Untergrenze des Regelstrafrahmens erreichten. Dies kann man als Indiz dafür werten, dass hier in einem großen Umfang Fälle erfasst werden, die nicht zur organisierten Kriminalität zu zählen sind. Diese Argumentation gewinnt an Gewicht, wenn man berücksichtigt, dass die Strafverfolgungsstatistik bei der Aburteilung mehrerer Straftaten nicht die Einzelstrafen, sondern nur die Gesamtstrafe erfasst.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
275
Kapitel 11
Die Lagebilder Organisierte Kriminalität Die Diskussion über das Ausmaß organisierter Kriminalität in Deutschland wird stark durch die Lagebilder organisierte Kriminalität beeinflusst, deren wichtigste Aussagen im Folgenden vorgestellt werden. A. Das Lagebild organisierte Kriminalität des Bundeskriminalamts Ein Lagebild Organisierte Kriminalität wurde für die Bundesrepublik Deutschland zum ersten Mal für das Jahr 1991 erstellt1. Vorausgegangen war ein Auftrag an die Kommission Organisierte Kriminalität durch die AG Kripo, einen „Gesamtlagebericht OK für die Bundesrepublik Deutschland“ anzufertigen2. Kriminalpolitisches Ziel war es, die Existenz Organisierter Kriminalität anhand nachprüfbarer Fakten zu belegen3. I. Entstehung des Lagebildes
Das Lagebild kommt wie folgt zustande: Auf der Grundlage der Definition der Organisierten Kriminalität in den Richtlinien erheben die lokalen Polizeibehörden sowie das Bundeskriminalamt (BKA), seit dem Jahr 1993 auch der Bundesgrenzschutz (BGS) und ab 1996 der Zollfahndungsdienst, anhand eines so genannten Erhebungsrasters, das bundesweit im Wesentlichen einheitlich ist, grundlegende Daten der im Erhebungszeitraum anhängigen OK-Komplexe. Die Bestimmung, ob ein Ermittlungskomplex die Definition organisierte Kriminalität erfüllt und damit Aufnahme in das Lagebild findet, erfolgt zunächst bei den einzelnen Polizeibehörden vor Ort, teilweise, wie etwa in Baden-Württemberg, unter Einbeziehung der örtlichen Staatsanwaltschaft. Den Landeskriminalämtern ist die endgültige Einordnung eines Sachverhalts als OK vorbehalten, wobei diese teilweise, wie wiederum in Baden-Württemberg, unter Absprache mit der jeweils zuständigen Zentralen Stelle Organisierte Kriminalität bei der (General-)Staatsanwaltschaft vorgenommen wird4. Die in den jeweiligen Landeskriminalämtern erstellten Lagebilder werden dann vom Bundeskriminalamt zum bundesweiten Lagebild OK aufbereitet. Das BKA Im Folgenden zitiert als „Lagebild Bund“. Gehm / Link 1992, 492; vgl. auch Meywirth 1999. Die Kurzfassung der Lagebilder kann im Internet unter der Homepage des BKA http://www.bka.de abgerufen werden. 3 Meywirth 1999, 448. 4 Vgl. auch die Darstellung bei Pütter 1998, 287 ff. 1 2
18*
276
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
nimmt grundsätzlich keine inhaltliche Prüfung der von den Ländern und den anderen Behörden gelieferten Daten vor. Die erhobenen Informationen unterteilen sich in Verfahrens- und Sachverhaltsdaten. Bei der Auswertung der Sachverhaltsdaten werden zur Vermeidung von Mehrfachzählungen neben den jährlichen Erstmeldungen nur Fortschreibungen mit neuen Angaben zur jeweiligen Auswertungskategorie, etwa die Ermittlung weiterer Straftaten, berücksichtigt. Die Aussagen zu den verschiedenen Sachverhaltsdaten enthalten somit ausschließlich Informationen, die im Berichtszeitraum neu ermittelt oder bekannt wurden. Ausnahmen hiervon betreffen lediglich die Angaben zur Zuordnung zu den OK-relevanten Kriminalitätsbereichen anhand der Hauptziele der Tätergruppierungen, zur Tatbegehung und zur Gruppenstruktur. Hierfür werden alle Daten seit Erstmeldung des Komplexes berücksichtigt5. Das Lagebild war in den vergangenen 10 Jahren gewissen Änderungen unterworfen. Bis zum Jahr 1994 wurde es dreigeteilt aufbereitet, in einen Lageüberblick, eine Bewertung sowie eine Prognose. Im Jahr 1995 erfolgte die Aufnahme eines einleitenden Teils („Vorbemerkungen“), der vor allem Erläuterungen zum Zustandekommen des Lagebildes gibt. Seit dem Jahr 1997 ist kein eigenständiger Abschnitt „Prognose“ mehr ausgewiesen. Im Jahr 1998 wurde zusätzlich zu den Vorbemerkungen eine neue Dreiteilung nach „Tätigkeitsbericht der deutschen OK-Bekämpfung“, „Strukturen der OK in Deutschland“ sowie „OK-Relevanz“ vorgenommen, die sich, leicht abgewandelt, auch noch im Jahr 2001 findet („Tätigkeitsbericht“, „Strukturanalyse“, „OK-Relevanz“). Das Lagebild wird jährlich in einer als vertraulich eingestuften umfassenden Form erstellt, daneben wird eine Kurzfassung veröffentlicht. Sie erhebt den Anspruch, „gesicherte quantitative Angaben im Zusammenhang mit qualitativen Aussagen zu Gruppenstrukturen und Kriminalitätsbereichen“ zu liefern sowie „nachvollziehbare Grundlagen für strategische Planungen“ zu schaffen6. II. Quantitative Entwicklung der OK-Komplexe, Regionalverteilung, spezielle OK-Merkmale
Die Übersicht über die quantitative Entwicklung zeigt, dass die Zahl der OKKomplexe über die vergangenen Jahre erstaunlich stabil verläuft7. Jährlich werden bundesweit zwischen 400 und 500 neue OK-Komplexe (zuletzt 2001 nur 389) gemeldet. Insgesamt bewegte sich die Zahl der bearbeiteten OK-Komplexe (Erstmeldungen und Fortschreibungen) seit dem Jahr 1996 zwischen rund 800 und 900 jährlich, um im Jahr 2001 auf 787 Ermittlungskomplexe zurückzugehen. Lagebild Bund 1997, S. 4. Lagebild Bund 2000, S. 3. 7 Zwar spricht das Lagebild von OK-Ermittlungsverfahren, doch ist der hier gewählte Ausdruck OK-Komplex geeigneter, enthält doch ein OK-Ermittlungsverfahren in der Diktion des BKA-Lagebildes in der Regel mehrere justitielle Ermittlungsverfahren im Sinne der Vergabe eines Js-Aktenzeichens. 5 6
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
277
900 800 700 600 Anzahl der OKKomplexe insgesamt
500 400
Anzahl der Erstmeldungen
300 200 100 0 1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Schaubild 9: Anzahl der OK-Komplexe (Quelle: Lagebilder des BKA 1991 – 2001)
Interessant ist ein Blick über die Regionalverteilung der von den Ländern gemeldeten OK-Komplexe.
160 Baden-Württemberg
140
Bayern Berlin
120
Bremen Hamburg
100
Hessen Niedersachsen
80
Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz
60
Saarland Schleswig-Holstein
40
Neue Bundesländer gesamt
20 0 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001
Schaubild 10: Regionalverteilung der OK-Komplexe
Nach einer Orientierungsphase in den Jahren 1991 bis 1993 (z. B. meldeten Berlin und Hamburg im Jahr 1991 nur 3 BKA-geführte Komplexe, im darauf folgenden Jahr allein 83 bzw. 71 landeseigene) verlief die Entwicklung in einem großen Teil der Bundesländer (Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen, das Saarland sowie in den neuen Bundesländern) sowie im Bund insgesamt weitgehend stabil. Allerdings sind auch eine Reihe regionaler Sonderentwicklungen zu beobachten. So stammen seit dem Jahr 2000 die meisten OK-Komplexe aus dem Bundesland Berlin, wobei dort zwischen den Jah-
278
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
ren 1999 und 2000 ein Anstieg um 45 Komplexe festzustellen war, der die in diesem Jahr zu konstatierende bundesweite Zunahme um 38 Komplexe vollständig erklärt. Bemerkenswert ist daneben der fast kontinuierliche Anstieg der OK-Komplexe in den Bundesländern Bayern (von 38 im Jahr 1992 auf 110 im Jahr 2000) und Niedersachsen (von 40 im Jahr 1991 auf 82 im Jahr 2001). Dagegen ist in Hessen die Zahl der gemeldeten OK-Komplexe deutlich zurückgegangen, von noch 139 im Jahr 1996 auf 80 im Jahr 2001.
100% 90% 80% 70% gewerbliche oder geschäftsähnliche Struktur
60%
Anwendung von Gewalt oder anderer Mittel
50%
Einflußnahme auf Politik, Medien...
40% 30% 20% 10% 0%
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Schaubild 11: Spezielle Merkmale der OK-Komplexe
In rund 80 % der Komplexe erkennt man das spezielle OK-Merkmal einer Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, wobei der Anteil dieses Merkmals in den letzten beiden Jahren mehr als 85 % erreichte (86,3 % im Jahr 2001)8. In etwa der Hälfte der Fälle (2001: 48,2 %) wird die Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel bejaht. Das Merkmal der Einflussnahme in verschiedene Bereiche des Staates sowie der Wirtschaft enthalten regelmäßig unter 20 % der Verfahren (2001: 18,6 %). Die Zahlen der jeweiligen Jahrgänge lassen sich wegen der Zulassung von Mehrfachnennungen auf über 100 % addieren.
III. Angaben zu Tatverdächtigen und Straftaten
Die Anzahl der erfassten Tatverdächtigen bewegt sich in der Regel um die 8000, mit gewissen Schwankungen bei einzelnen Jahrgängen. 8 In den folgenden Graphiken werden wegen der anlaufbedingten Schwankungen überwiegend nur die Zahlen ab dem Jahr 1993 ausgewiesen.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
279
10000 9500 9000 8500 8000 7500 1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Schaubild 12: Anzahl der Tatverdächtigen
Daraus lassen sich rund vierzehn Tatverdächtige pro gemeldetem OK-Komplex mit Sachverhaltsdaten errechnen9. Die Zahl hat aber nur eine begrenzte Aussagekraft, da als Tatverdächtige auch Personen erfasst werden (können), die, wie etwa geschleuste Ausländer oder unrechtmäßig in die Bundesrepublik gelangte und später zur Prostitution gezwungene Frauen, zwar selbst Straftaten begangen haben (z. B. Verstöße gegen das AuslG), aber gleichermaßen als Opfer angesehen werden können. Aussagekräftiger ist demgegenüber die Angabe, dass gegen durchschnittlich etwas mehr als ein Viertel dieser Tatverdächtigen Haftbefehle ergehen (2001: 2131 Personen, 27,2 %) und rund ein Drittel (2001: 2629 Personen, 33,5 %) festgenommen wird10. In knapp der Hälfte der OK-Komplexe (2001: 47,6 %) erkennt man Gruppierungen mit weniger als 10 Tatverdächtigen, in mehr als 40 % (2001: 45,6 %) solche mit zwischen 10 und 50 Tatverdächtigen. Gruppierungen mit mehr als 50 Tatverdächtigen sind sehr selten (2001 in insgesamt 37 Komplexen). Allerdings ist auch die Aussagekraft dieser Variablen dadurch eingeschränkt, dass die Größe der Gruppierung aus der Zahl der Tatverdächtigen abgeleitet wird (Schaubild 13). Bei diesen OK-Ermittlungsverfahren werden jährlich rund 40.000 Delikte registriert (2000: 42.693; keine Angabe für 2001). Die durchschnittliche Anzahl der Delikte pro Komplex sank zwischen 1994 und 1998 auf 53, um in den letzten Jahren wieder anzusteigen (2001: 88; Schaubild 14)11. 9 1993: 16,6; 1994: 15,0; 1995: 13,2; 1996: 13,2; 1997: 13,2; 1998: 13,8; 1999: 13,0; 2000: 14,2; 2001: 14,4 (eigene Berechnung; dividiert wurde die Zahl der jährlich neu gemeldeten Tatverdächtigen durch die Zahl der jährlichen Fälle mit Sachverhaltsdaten). 10 Nach dem Lagebild Bund 2001, S. 9 werden dabei alle vorläufigen Festnahmen (gem. § 127 StPO) erfasst sowie solche, die auf Grund eines bestehenden Haftbefehls erfolgten, und alle vollstreckten Haftbefehle wie auch diejenigen, die gegen flüchtige Tatverdächtige bestehen. Eine Aussage zur Anzahl der gegen die Festgenommenen erwirkten Haftbefehle kann deshalb nicht getroffen werden. 11 Die Berechnung erfolgt nach der Zahl der jährlich erfassten Delikte durch die Zahl der Komplexe mit neuen Sachverhaltsdaten.
280
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
60% 50%
< 10 TV
40%
> 10 TV und < 50 TV > 50 TV und < 100 TV > 100 TV
30% 20% 10% 0% 1997
1998
1999
2000
2001
Schaubild 13: Größe der Gruppierungen
180 160 140 120 100 80 60 40 1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Schaubild 14: Delikte pro OK-Komplex
Des weiteren wird seit dem Jahr 1994 anhand von Vorgaben der Kommission „Organisierte Kriminalität“ eine Liste der „Brennpunkte der kriminellen Aktivitäten der kriminellen Gruppierungen“ erstellt12. Im Mittelpunkt steht dabei seit Jah12 Die Liste umfasst folgende Kriminalitätsbereiche: 10 Rauschgifthandel und -schmuggel 20 Waffenhandel und -schmuggel 30 Kriminalität im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben, darunter, 31 Betrug 32 Beteiligungs- und Kapitalanlagebetrug 33 Geldkreditbetrug 34 Betrug z.N. von Versicherungen 35 Delikte in Verbindung mit illegaler Arbeitnehmerüberlassung 40 Fälschungskriminalität, insbesondere, 41 Herstellen von Falschgeld 42 Inverkehrbringen von Falschgeld 43 Fälschung von unbaren Zahlungsmitteln 44 Urkundenfälschung 50 Eigentumskriminalität, insbesondere 51 Diebstahl in / aus Wohn- oder Geschäftsraum mit zentraler Beuteverwertung Diebstahl / Unterschlagung / Hehlerei von
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
281
ren der Rauschgifthandel und -schmuggel, mit deutlich steigender Tendenz13. Einigermaßen stabil verläuft im Übrigen nur die Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben. Alle anderen Kriminalitätsbereiche sind rückläufig, besonders eklatant die Gewalt-, Eigentums- und Fälschungskriminalität sowie der Waffenhandel und -schmuggel. Eine auffallend geringe Bedeutung besitzt schon immer die Umweltkriminalität (Schaubild 15). Wurden in den Jahren 1993 bis 1999 zwischen etwa 50 und 62 % der Tatverdächtigen als „deliktsübergreifend“ agierend eingestuft, waren es im Jahr 2000 nur noch 34,2 %, im Jahr 2001 34,7 %14. Der verursachte Schaden bewegt sich in der Regel zwischen 1 und 2 Milliarden DM (bei einer hervorstechenden Ausnahme im Jahr 2000 durch das so genannte Flowtex-Verfahren, für das allein eine Schadenssumme von 4,6 Milliarden DM angegeben wurde). Die erzielten Gewinne lagen bis 1998 bei rund einer Milliarde DM, im Jahr 1999 bei knapp zwei Milliarden DM und in den Jahren 2000 und 2001 bei rund 1,5 Milliarden DM (Tabelle 4). 52 Kraftfahrzeugen 53 unbaren Zahlungsmitteln 54 amtlichen Ausweisen u. a., 55 Antiquitäten / Kunstgegenständen 56 Ladungen (Lkw-, Schiffs-, Containerladungen) 60 Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben, insbesondere 61 Förderung der Prostitution / Zuhälterei 62 Menschenhandel 63 illegales Glücks- und Falschspiel 70 Gewaltkriminalität, insbesondere 71 Straftaten gegen die persönliche Freiheit 72 Erpressung 73 Schutzgelderpressung 74 Raub 75 Straftaten gegen das Leben 80 Schleuserkriminalität, insbesondere 81 Einschleppen und Einschleusen gem. § 92 AuslG 82 Straftaten gegen das AsylverfG 90 Umweltkriminalität, insbesondere 91 illegale Entsorgung von Abfall 92 unerlaubter Umgang mit Kernbrennstoffen 100 Sonstige – teilweise nicht festgelegte – Kriminalitätsbereiche 101 Geldwäsche 102 Korruption 103 sonstiges. 13 Die Erfassungsmodalitäten sind allerdings unklar. Bis einschließlich 1998 überstieg die Summe der genannten Kriminalitätsbereiche wegen Zulässigkeit von Mehrfachnennungen die Zahl der insgesamt gemeldeten OK-Komplexe. Seit dem Jahr 1999 entspricht die Summe der Kriminalitätsbereiche genau der Zahl der gemeldeten OK-Komplexe. Daher wurde von einer Prozentuierung abgesehen. 14 Das Lagebild Bund 2000, S. 9 nannte als Grund für den deutlichen Rückgang „eine Modifizierung der Bewertungskriterien“.
282
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
300 Rauschgifthandel/-schmuggel
250
Gewaltkriminalität Eigentumskriminalität
200
Schleuserkriminalität 150
Waffenhandel/-schmuggel Wirtschaftskriminalität
100
Kriminalität i.Z.m.d. Nachtleben Fälschungskriminalität
50
Umweltkriminalität Sonstige Kriminalität
0 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001
Schaubild 15: Kriminalitätsbereiche in den OK-Komplexen
Tabelle 4 Schäden und Gewinne in OK-Verfahren 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 Verursachter Schaden (in Mio. DM) Erzielte Gewinne (in Mio. DM)
1.872 3.449 767
1.231
673
2.727 1.586 1.801 1.427 7.286 2.281
718
1.252
734
1.054 1.984 1.531 1.489
IV. Verfahrensstrukturelle Merkmale
Ausweislich des OK-Lagebildes lässt sich seit dem Jahr 1996 eine sehr ähnliche Struktur der Entstehung der OK-Verfahren beobachten. Rund 40 % der Komplexe kommen aufgrund „polizeilicher Erkenntnisse“, d. h. nach Auswertung laufender Ermittlungsverfahren sowie aufgrund von Mitteilungen ausländischer Polizeibehörden, zustande (Schaubild 16). In rund 30 % bilden Anzeigen den Ausgangspunkt der Ermittlungen. Etwas mehr als ein Viertel der Verfahren entsteht aufgrund „aktiver Informationsbeschaffung“, d. h. nach Informationen von Vertrauenspersonen und Informanten, so genannten Vorfeldermittlungen bzw. einer Vorgangs- und Verfahrensauswertung. Bei knapp 5 % der Verfahren führt schließlich ein anonymer Hinweis zum Ermittlungsbeginn. Damit ist es der Polizei zum Teil gelungen, das von ihr als erstrebenswert angesehene Ziel zu erreichen, den Anteil der Verfahren zu erhöhen, den sie selbst generiert, einerseits aufgrund polizeilicher Erkenntnisse, andererseits durch aktive Informationsbeschaffung („proaktives Vorgehen“).
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
283
60%
50% Polizeiliche Erkenntnisse Anzeige
40%
30%
Aktive Informationsbeschaffung Anonyme Hinweise
20%
10%
0% 1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Schaubild 16: Art der Verfahrenseinleitung
Mit dem hohen Anteil Nichtdeutscher bei den Tatverdächtigen (2001: 52,1 %) korrespondiert, dass in den letzten fünf Jahren der Anteil der Komplexe mit internationaler Tatbegehung15 auf zwischen 75 und 80 % (2001: 79,2 %) beziffert wurde.
85% 80% 75% 70% 65%
Internationale Tatbegehung
60%
Ausl. Tatverdächtige
55% 50% 45% 40% 1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Schaubild 17: Internationalität der OK-Komplexe
Die größte nationale Gruppe stellen seit Jahren, allerdings mit abnehmender Tendenz, die Türken (2001: 8,7 %). Daneben sind Staatsangehörige von Ex-Jugoslawien (2001: 5,6 %), solche der GUS (2001: 5,3 %) sowie von Italien (2001: 4,0 %) von vermehrter Bedeutung. Die Zahl der durchschnittlich pro OK-Komplex eingesetzten Beamten ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen, bis auf 3,7 im Jahr 2001 (Schaubild 18). Dennoch hat sich auch die durchschnittliche Bearbeitungsdauer der Komplexe erhöht, von anfangs elf auf mittlerweile knapp sechzehn Monate (Schaubild 19).
15
D.h. zumindest ein Tatort lag jeweils im Ausland.
284
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Schaubild 18: Durchschnittlich eingesetzte Beamte pro OK-Komplex
20 15 10 5 0 1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Schaubild 19: Verfahrensdauer in Monaten
Die Konzentration der Polizeibehörden auf Maßnahmen zur Gewinnabschöpfung hat dazu geführt, dass die Zahl der „Verfahren mit vermögenssichernden Maßnahmen“ seit dem Jahr 1993 fast kontinuierlich angestiegen ist, auf zuletzt 242 Komplexe im Jahr 2001. Mittlerweile erfolgen also in knapp einem Drittel der OK-Komplexe (2001: in 30,7 % der Fälle mit einem Gesamtwert von rund 200 Millionen DM) Maßnahmen der Gewinnabschöpfung, wobei allerdings offen bleibt, welche Maßnahmen sich im gerichtlichen Verfahren letztendlich realisieren lassen. Auch die Komplexe, bei denen die Behörden Geldwäschehandlungen zu erkennen glauben (Verfahren mit „Hinweisen auf Geldwäschedelikte gemäß § 261 StGB“), nahmen von 1993 bis zum Jahr 2000 stetig zu. Im Jahr 2001 war erstmals ein Rückgang auf jetzt 139 OK-Komplexe zu verzeichnen. 280 240
Gewinnabschöpfung
200
Geldwäschehandlungen
160 120
Zeugenschutzmaßnahmen
80 40 0 1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Schaubild 20: Gewinnabschöpfung, Geldwäschehandlungen, Zeugenschutz
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
285
Die Zahl der Komplexe, in denen Zeugenschutzmaßnahmen ergriffen wurden, blieb dagegen über die Jahre ziemlich konstant. Zuletzt waren es im Jahr 2001 68 Komplexe.
V. Strukturanalyse
Eine vom Bundeskriminalamt in den Jahren 1998 bis 2000 durchgeführte Strukturanalyse16 ergab, dass die Mehrzahl der Gruppierungen (1998: 61,9 %; 1999: 61,2 %; 2000: 60,3 %) ein mittleres OK-Potential aufweist, d. h. „bereits über gefestigte Gruppenstrukturen und professionelle Arbeitsweisen“ verfügt. Als eher „bandenähnlich strukturiert“ werden rund 30 % der Gruppierungen eingestuft (1998: 29,3 %; 1999: 30,3 %; 2000: 30,4 %). Ein hohes OK-Potential weisen rund 10 % der Gruppierungen auf (1998: 8,8 %; 1999: 8,6 %; 2000: 9,3 %). Im Rahmen der Strukturanalyse wurden im Jahr 1998 die „Strukturen ethnisch geprägter Phänomene“ untersucht, d. h. die OK durch deutsche, türkische, jugoslawische (kosovo-albanische), polnische, italienische und russische Staatsangehörige. Ein hohes OK-Potential erreichten italienische, kosovo-albanische und türkische Straftätergruppierungen, während für russische Gruppierungen „ein deutliches Mißverhältnis zwischen den Vermutungen, die zu diesem Phänomen geäußert werden, und deren Verifizierung“ festgestellt wurde. Ausschließlich wurden „zweioder dreistufige Hierarchiestufen“ erkannt. Für die meisten der im Jahr 1998 näher untersuchten 41 OK-Komplexe wurde „ein eher einfacher Organisationsaufbau beschrieben“, eine „ethnische Abschottung wurde überwiegend nur auf Leitungsebene festgestellt.“17 Die Einschätzung, dass überwiegend zwei- oder drei Hierarchiestufen vorhanden seien, wurde auch in den Folgejahren getroffen. In den Jahren 1999 und 2000 wurden kosovo-albanische Gruppierungen als das „qualitativ bedeutendste OK-Phänomen“ benannt, im Jahr 2001 „deutsch, jugoslawisch, türkisch und italienisch dominierte Gruppierungen.“ Für russische Gruppierungen wurde im Jahr 2001 ein knapp durchschnittliches OK-Potential ermittelt, was als „Konsolidierung hinsichtlich der Professionalisierung und Etablierung“ gewertet wurde18. In den Jahren 1999 bis 2001 erfolgte zudem eine gesonderte Betrachtung der einzelnen Kriminalitätsbereiche. Dabei wurde für die Bereiche Rauschgifthandel und -schmuggel sowie für die Gewaltkriminalität durchgehend ein überdurchschnittliches OK-Potential ermittelt. Im Jahr 2001 wurde allerdings das höchste OK-Potential für Gruppierungen im Bereich der Steuer- und Zolldelikte errechnet, Kriminalitätsbereiche, die in diesem Jahr zum ersten Mal gesondert ausgewiesen wurden. 16 17 18
Zur Methodik: Meywirth 1999, 449. Lagebild Bund 1998, S. 37. Lagebild Bund 2001, S. 28.
286
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung VI. Das Lagebild im Kontext der allgemeinen Kriminalität
Da die Polizeiliche Kriminalstatistik nur wenige der für das Lagebild OK erhobenen Daten enthält, können die Ergebnisse des Lagebildes nur in begrenztem Umfang zu den allgemeinen Kriminalitätsdaten in Beziehung gesetzt werden.
25%
20%
15%
OK-Anteil Gesamt-Anteil
10%
5%
B ad en -W ür tte m
be rg B ay er n B B e ra nd rlin en bu rg B re M m ec e H kl am n en bu bu rg rg -V He ss or en po N m i N or ede me dr rn r he sa ch in -W se n R he est fa in le la n nd -P f S a alz ar la Sa nd Sa ch S c chs se e hl es n-A n w i g nha -H l ol t s Th tei n ür in ge n
0%
Schaubild 21: Länderanteil an OK-Komplexen versus Länderanteil an allen bundesweiten Straftaten im Jahr 2001
Ein Vergleich der Anteile der Bundesländer an der allgemeinen Kriminalität mit denjenigen an den OK-Komplexen zeigt, dass Berlin (6,2 Prozentpunkte Differenz), Hessen (3,8), Schleswig-Holstein (2,8), Hamburg (2,1) sowie Bayern (1,9) vergleichsweise hohe regionale OK-Anteile aufweisen19. Andererseits meldete Nordrhein-Westfalen annähernd nur halb so viele OKKomplexe, wie es seinem Anteil an den gesamten Straftaten entspricht. Daneben sind alle neuen Bundesländer beim OK-Aufkommen unterrepräsentiert. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Entwicklung im Bundesland Bayern. Während die Anzahl der registrierten Straftaten in den Jahren 1992 bis 2001 weitgehend konstant geblieben ist, hat sich die Zahl der OK-Ermittlungsverfahren in dieser Zeit fast verdreifacht (38 auf 110 im Jahr 2000 bzw. 102 im Jahr 2001)20. Dies deutet, wie auch der Anstieg in Berlin, darauf hin, dass er19 Polizeiliche Kriminalstatistik 2001, S. 48; Lagebild Bund 2001, S. 6 (eigene Berechnung). 20 Der Anstieg in Bayern zwischen 1999 und 2000 wird „auf ein verstärktes Meldeaufkommen außerhalb der OK-Dienststellen in Bayern sowie beim Zoll und BGS“ zurückgeführt, woraus „sich eine Verschärfung der OK-Situation in Bayern nicht zwingend ableiten“ lasse. (Lagebild Bayern 2000, S. 7).
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
287
hebliche Definitionsunterschiede bei der Meldung der OK-Komplexe eine Rolle spielen. 120 110 100 90 80 70 OK-Verfahren
60
Straftaten (:10.000)
50 40 30 20 10 0 1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Schaubild 22: Anzahl der OK-Komplexe in den Jahren 1992 – 2001 im Vergleich zur Anzahl der Straftaten nach PKS im Bundesland Bayern an der Gesamtkriminalität
an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen
0,7 %
0,4 %
Schaubild 23 (links): Anteil der OK-Straftaten an der Gesamtkriminalität Schaubild 24 (rechts): Anteil der OK-Tatverdächtigen an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen
Setzt man die im Jahr 2000 in den OK-Verfahren registrierten rund 43.000 Straftaten in Beziehung zu den insgesamt über 6 Millionen, ergibt sich ein Anteil der OK-Straftaten von 0,7 % an der Gesamtkriminalität. Bei den Tatverdächtigen standen im Jahr 2000 rund 9400 Tatverdächtige in OK-Verfahren 2.300.000 insgesamt gegenüber, was einen Anteil von 0,4 % ausmacht. Gemessen am gesamten Kriminalitätsaufkommen ist der Anteil der OK-Delikte also gering. Der relativ noch geringere Anteil der Tatverdächtigen im OK-Bereich deutet darauf hin, dass Täter in OK-Verfahren durchschnittlich eher in stärkerem Umfang mit Straftaten belastet sind. Was den Umfang der organisierten Kriminalität in der Bundesrepublik angeht, ergibt sich aus diesen Zahlen jedenfalls kein dramatisches Bild.
288
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Deutlich ist die überproportionale Registrierung ausländischer Tatverdächtiger. Während im Jahr 2001 24,9 % der von der Polizei ermittelten Tatverdächtigen nach der PKS nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, waren es im Bereich der OK-Ermittlungsverfahren mit 52,1 % mehr als doppelt so viel. Bei der Art der ermittelten Straftaten steht einem Anteil im Bereich Rauschgifthandel / -schmuggel von über einem Drittel bei der organisierten Kriminalität ein Anteil dieser Deliktsgruppe von nur 3,9 % nach der PKS 2001 an allen Taten gegenüber. Der Anteil der im Jahre 2001 für die OK-Komplexe gemeldeten Schadenshöhe ist mit 10,7 % an dem durch Kriminalität insgesamt verursachten Schaden vergleichsweise hoch21.
VII. Kritik des Lagebildes
Die Lagebilder trifft zunächst dieselbe methodische Kritik wie die Polizeiliche Kriminalstatistik generell. Wichtig ist dabei, dass das Dunkelfeld organisierter Kriminalität selbstverständlich nicht erfasst wird22. Zu beachten ist auch, dass es sich um polizeiliche Ermittlungsergebnisse handelt, die noch keiner juristischen Bewertung zugeführt worden sind23. Zu diesen beiden grundlegenden Einschränkungen in der Aussagekraft tritt beim Bundeslagebild Organisierte Kriminalität der Umstand hinzu, dass die Aufnahme eines Falles aufgrund eines weiten, großen Interpretationsspielräumen ausgesetzten Begriffes organisierter Kriminalität erfolgt. Auch von Seiten des Bundeskriminalamts wird auf die Schwierigkeiten bei der Anwendung der Definition organisierter Kriminalität hingewiesen, die sich dadurch vervielfältigen, dass in den Ländern und im BKA eine große Zahl an Personen solche Zuordnungen vornimmt. Die Gefahr unterschiedlicher und fehlerhafter Subsumtionen sei also erheblich24. Im Kontrast dazu erwecke der Umgang mit den Zahlen des OK-Lagebildes gelegentlich den Eindruck, hier sei „die Organisierte Kriminalität“ schlechthin amtlich gemessen worden25. Diese Schwierigkeiten dürften auch der Grund dafür sein, dass das BKA seit dem Jahr 1998 einen Teil der präsentierten Zahlen als „Tätigkeitsbericht“ ausweist. Parallel dazu erfolgte der Versuch, die qualitative strukturelle Analyse der Fälle organisierter Kriminalität stärker zu betonen26.
Quellen: Lagebild Bund 2001, S. 12, PKS 2001 Tabelle 7 (eigene Berechnung). Zu Möglichkeiten einer Dunkelfeldforschung im Bereich organisierter Kriminalität: Bruns, M. 1996. 23 Die scharfe Kritik von Albrecht, P.-A. 1997, 232 trifft jegliche Polizeiliche Kriminalstatistik und ist kein Spezifikum des Lagebildes Organisierte Kriminalität. 24 Falk 1997, 135. 25 Falk 1997, 139; vgl. nur die Darstellung bei Werthebach / Droste-Lehnen 1994. 26 Dadurch verbesserte sich jedenfalls nach polizeiinterner Einschätzung die Bewertung des Lagebildes. Es erfülle seit 1998 weitgehend die von Kritikern zuvor geäußerten Wünsche und Vorstellungen (Ratzel / Brisach / Soiné 2001, 532). 21 22
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
289
Zur Verbesserung des Lagebildes wurde und wird weiterhin gefordert, unter Mitwirkung von Staatsanwaltschaften und Gerichten auch die Fall- und Verfahrensdaten der Justiz der Auswertung zugänglich zu machen. Ferner sei die universitäre kriminologische Forschung stärker als bisher einzubeziehen, denn der Großteil der bislang vorgelegten Arbeiten sei entweder von polizeilichen Forschungsinstituten oder in deren Auftrag durchgeführt worden27. In der Folge wurde auf Bundesebene die Gemeinsame Arbeitsgruppe Justiz / Polizei „Länderübergreifende Zusammenarbeit im Bereich der Organisierten Kriminalität“ des Strafrechtsausschusses der Justizministerkonferenz und des Arbeitskreises der Innenministerkonferenz mit der Erarbeitung eines Verfahrens zur Erstellung eines gemeinsamen Lagebildes Organisierte Kriminalität durch Polizei und Staatsanwaltschaften befaßt. Ziel ist es, das gegenwärtige Raster des polizeilichen Lagebildes unter Ergänzung staatsanwaltschaftlicher Erkenntnisse zu überarbeiten28. Bundesweite Ergebnisse liegen dazu aber noch nicht vor.
VIII. Politische Bedeutung des Lagebildes
Das vom BKA veröffentlichte Lagebild ist von großer politischer Bedeutung. Traditionell wird es vom Bundesinnenminister auf einer eigenen Pressekonferenz vorgestellt und zum Anlass genommen, die gute Arbeit der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere die der Polizei, herauszustellen. So betonte zuletzt der Bundesminister des Inneren, Otto Schily, die Strafverfolgungsbehörden hätten im vergangenen Jahr „bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität deutliche Erfolge erzielt.“ „Die Bundesregierung habe in den letzten Jahren eine ganze Reihe entscheidender Verbesserungen für eine effektive Kriminalitätsbekämpfung auf den Weg gebracht.“ Vor allem die Geldwäsche werde auch in Zukunft konsequent bekämpft. Als Beleg dafür wurden insbesondere quantitative Angaben genannt wie die Zahl der bearbeiteten OK-Komplexe und der Tatverdächtigen, die Schadenshöhe sowie sichergestellte und beschlagnahmte Vermögenswerte29. Gleiches geschieht auf der Ebene der einzelnen Bundesländer. So führte der baden-württembergische Innenminister Thomas Schäuble bei der Vorstellung der Bilanz „Organisierte Kriminalität“ des Jahres 2001 am 8. April 2002 in Stuttgart aus, dass „die Organisierte Kriminalität wie ein gefährlicher Virus“ sei, „dessen Verbreitung gestoppt werden muss.“30
Falk 1997, 146; vgl. auch Kapitel 9. BT-Drs. 13 / 4942, S. 5. 29 Bundesinnenminister Otto Schily auf einer Pressekonferenz in Berlin am 17. Juli 2002. Vgl. die Pressemitteilung unter: http://www.bmi.bund.de/frame/liste/Presse/Pressemitteilungenix3735presse.htm. 30 Pressemitteilung abrufbar unter http://www.im.baden-wuerttemberg.de. 27 28
19 Kinzig
290
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
B. Gemeinsame bzw. justitielle Lagebilder der Bundesländer In der zweiten Hälfte der 90er Jahre begannen einzelne Bundesländer (zunächst Baden-Württemberg für 1995 / 1996 sowie Rheinland-Pfalz und Brandenburg für 1996) mit der Erstellung justitieller, später auch gemeinsamer (d. h. polizeilicher und justitieller) Lagebilder organisierter Kriminalität. Anfang des Jahres 1999 äußerte die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder und der Justizministerinnen und -minister in einem Beschluss, sie verfolge „mit Interesse, dass in einigen Ländern schrittweise ein Gemeinsames Lagebild ,Organisierte Kriminalität‘ von Polizei und Staatsanwaltschaft eingerichtet werden soll.“31 Eine im August 2001 in den einzelnen Bundesländern gestartete Anfrage zum Vorhandensein solcher justitieller oder gemeinsamer Lagebilder brachte folgendes Ergebnis. Tabelle 5 Überblick über das Vorhandensein von justitiellen bzw. gemeinsamen Lagebildern Organisierte Kriminalität in den einzelnen Bundesländern Länder ohne justitielles Lagebild OK
Länder mit justitiellem Lagebild OK
Länder mit gemeinsamen Lagebild OK
Bremen Hessen Saarland Sachsen
Baden-Württemberg 1995 – 2000 Mecklenb.-Vorpommern 1998 – 2000 Rheinland-Pfalz 1996 – 2000 Thüringen 2000
Bayern 1999 – 2000 Berlin 2000 (1996 – 1999 JL) Brandenburg 2000 (1996 – 1999 JL) Hamburg 1999 – 2000 Niedersachsen 2000 (1998 – 1999 JL) Nordrhein-Westfalen 1998 – 2000 Sachsen-Anhalt 1999 – 2000 Schleswig-Holstein 1999 – 2000
In vier Bundesländern (Bremen, Hessen, Saarland und Sachsen) existieren laut Auskunft der Justizministerien bis jetzt weder justitielle noch gemeinsame Lagebilder Organisierte Kriminalität. Hessen hat ein gemeinsames Lagebild für das Jahr 2002 angekündigt. Seitens des Saarlandes wurde darauf hingewiesen, dass die Gemeinsame Arbeitsgruppe Justiz / Polizei (GAG), welche vom Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz und vom Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz eingerichtet worden ist, unter anderem einen Arbeitsauftrag „Gemeinsames Lagebild OK“ erhalten habe. Die GAG habe eine kleine Arbeitsgruppe auf Abteilungs-
31
Lagebild Bayern 1999, Anlage 1.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
291
leiterebene gebildet, welche bis Endes des Jahres 2001 bzw. Anfang des Jahres 2002 den Entwurf eines Papieres „Gemeinsames Lagebild OK“ erarbeiten soll. Rein justitielle Lagebilder liegen in den Bundesländern Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Thüringen vor32. Polizei und Justiz fertigen gemeinsame Lagebilder in Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein an33. Der Umgang mit den Lagebildern wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Während in Nordrhein-Westfalen ein ausführliches Gemeinsames Lagebild sogar im Internet eingestellt ist, sind die Lagebilder anderer Länder, ohne wesentlich andere Daten zu enthalten, teilweise als Verschlusssache eingestuft. Auch inhaltlich weichen die Lagebilder deutlich voneinander ab. Schon nach ihrem Umfang differieren sie zwischen rund zehn Seiten (Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Thüringen) und mehr als 100 Seiten (Bayern, Niedersachsen). Soweit gemeinsame Lagebilder erstellt werden, enthalten sie überwiegend voneinander getrennte polizeiliche und justitielle Teile (Bayern, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein). Bisweilen wird im justitiellen Teil auf die Darstellung quantitativer Daten völlig verzichtet (Bayern, Schleswig-Holstein), was mit Schwierigkeiten zusammenhängen dürfte, eine polizeilich und staatsanwaltschaftlich gleichlaufende Einordnung der Verfahrenskomplexe als Organisierte Kriminalität zu erzielen sowie polizeiliche OK-Komplexe 32 Generalstaatsanwalt in Stuttgart, Zentrale Stelle „Organisierte Kriminalität“: OK-Lagebild Justiz (künftig: Lagebild Ba-Wü); Der Generalstaatsanwalt: Justitielles Lagebild Organisierte Kriminalität in Mecklenburg-Vorpommern (künftig: Lagebild MVP) Organisierte Kriminalität in Rheinland-Pfalz – Lagebild Justiz – (künftig: Lagebild Rh.-Pf.); Thüringer Generalstaatsanwaltschaft: Justizielles Lagebild Organisierte Kriminalität (künftig: Lagebild Thüringen). 33 Bayerisches Landeskriminalamt: Organisierte Kriminalität in Bayern (künftig: Lagebild Bayern); Landeskriminalamt / Staatsanwaltschaft Berlin: Lagebild Organisierte Kriminalität Justiz-Polizei Berlin 2000, zuvor: Senatsverwaltung für Justiz: Lagebild über die Organisierte Kriminalität (Künftig: Lagebild Berlin); Gemeinsames Lagebild Justiz / Polizei des Landes Brandenburg (künftig: Lagebild BB); Staatsanwaltschaft Hamburg / Landeskriminalamt Hamburg: Gemeinsames Lagebild Organisierte Kriminalität Justiz / Polizei Hamburg (künftig: Lagebild HH); Gemeinsames Lagebild Justiz / Polizei: Organisierte Kriminalität in Niedersachsen 2000, zuvor: Generalstaatsanwaltschaft Celle: Organisierte Kriminalität in Niedersachsen (künftig: Lagebild Nds); Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf / Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen: Gemeinsames Lagebild Organisierte Kriminalität Justiz / Polizei NRW (künftig: Lagebild NRW); Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt: Lagebild Organisierte Kriminalität Polizei / Zoll / BGS / Justiz Sachsen-Anhalt 2000 (künftig: Lagebild ST) Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein / Landeskriminalamt: Organisierte Kriminalität Schleswig-Holstein, Gemeinsames Lagebild Justiz und Polizei (künftig: Lagebild Schl.-Ho.)
19*
292
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
und daraus entstehende justitielle Ermittlungsverfahren zur Deckung zu bringen. Diese Probleme sind mutmaßlich auch für den Anstieg der Verfahren im ersten Gemeinsamen Lagebild 2000 von Berlin um über 50 % verantwortlich34. Schwierigkeiten bei der Synchronisierung polizeilicher und justitieller Daten dürften ebenfalls der Grund dafür sein, dass in den Bundesländern Berlin und Niedersachsen noch in den justitiellen Lagebildern bis zum Jahr 1999 vorhandene aggregierte Daten nicht mehr vom justitiellen zum Gemeinsamen Lagebild übernommen wurden. In Nordrhein-Westfalen treffen die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf und das Landeskriminalamt eine abschließende gemeinsame Entscheidung darüber, welche Komplexe in das Lagebild aufzunehmen sind35. Damit ist in diesem Bundesland eine gewisse Vergleichbarkeit der polizeilich und justitiell erhobenen Daten gewährleistet.
I. Regionale Unterschiede bei der OK-Zuordnung
Dafür, dass, wie bereits angedeutet, die Einordnung eines Komplexes als Organisierte Kriminalität regional unterschiedlich gehandhabt wird, lassen sich auch aus dem justitiellen Zahlenmaterial Indizien finden. So sprechen hohe Anteile von kleinen Gruppierungen mit bis zu 10 Tatverdächtigen (2000: 72 %), eine geringe Anzahl an Haftbefehlen (2000: 18 %), eine kürzere Verfahrensdauer (2000: Dauer der abgeschlossenen Verfahren 7,6, der offenen Verfahren 11,5 Monate) sowie durchschnittlich weniger eingesetzte Ermittlungsbeamte (2000: 2,4 Beamte) dafür, dass z. B. in Schleswig-Holstein die OK-Verfahren weniger komplex sind, die OK-Definition daher eher weit ausgelegt wird36. Ganz ähnlich hat der in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zur allgemeinen Kriminalität niedrige Anteil von OK-Komplexen eine Entsprechung in hohen Durchschnittswerten von Tatverdächtigen pro Ermittlungskomplex (NRW 2001: 26,9), einer längeren Ermittlungsdauer (NRW 2001: 16,1 Monate) sowie einem höheren durchschnittlichen Personaleinsatz (NRW 2001: 5,0 Beamte)37. Demgegenüber lässt sich das Datenmaterial aus Berlin trotz des schon aufgezeigten hohen OK-Anteils im Ländervergleich nicht einheitlich dahingehend interpretieren, dass im Jahr 2000 die Definition Organisierter Kriminalität extensiv gehandhabt wurde. Zwar kann für die These einer weiten Interpretation ins Feld geführt werden, dass der Anteil der Komplexe mit (nur) bis zu 10 Tatverdächtigen 34 Das Lagebild Berlin 2000 führt dazu aus, es sei versucht worden, „die polizeilichen und justitiellen Lagedaten weitestgehend zur Deckung zu bringen.“ (S. 1) Im Übrigen begründet es den Anstieg mit „dem gemeinsam mit der StA verfeinerten und verbesserten Informationsund Meldesystem“ (S. 2). 35 Lagebild NRW 2001, S. 3. 36 Lagebild Schl.-Ho. 1999, S. 5 f.; 2000, S. 4 f., Anlage 4. 37 Lagebild NRW 2001, S. 9, 23, 27 f., 37.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
293
in Berlin im Jahr 2000 mit 64,5 % deutlich höher als im Bundesdurchschnitt lag bei gleichzeitig geringem Personalaufwand (Berlin 2000: 2,6 Ermittlungsbeamte). Jedoch finden sich in Berlin zugleich überdurchschnittlich hohe Anteile an festgenommenen Tatverdächtigen (42,0 %) sowie an ergangenen Haftbefehlen (35,7 %)38.
II. Differenzen zwischen polizeilichen und justitiellen Angaben
Ein Vergleich der polizeilichen und justitiellen Lagebilder Organisierte Kriminalität zeigt, dass die Polizei den Begriff des OK-Tatverdächtigen eher umfassend, die Justiz eher einschränkend verwendet. Ähnlich ist die Vorgehensweise bei der Subsumtion unter die besonderen Merkmale der Definition organisierter Kriminalität. So wird im Lagebild Nordrhein-Westfalen der Unterschied zwischen den Tatverdächtigen nach Lesart der Polizei und den Hauptbeschuldigten nach justitieller Einordnung hervorgehoben. Als Hauptbeschuldigte werden von der Justiz die Personen eingeordnet, die „wesentlichen Anteil an der Begehung der verfolgten OKStraftaten haben und daher auch nach dem Umfang des gezogenen Nutzens dem inneren Täterkreis zuzurechnen sind.“39 Schaubild 25: Tatverdächtige und Hauptbeschuldigte in NRW pro OK-Komplex (Durchschnittswerte) 30 25
OK-Tatverdächtige
20 15
OK-Hauptbeschuldigte
10 5 0 1998
1999
2000
2001
Schaubild 25: Tatverdächtige und Hauptbeschuldigte in NRW pro OK-Komplex (Durchschnittswerte)
So sind nach der Einordnung der Justiz in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich sechs bis acht Personen pro Verfahrenskomplex dem inneren Täterkreis zuzurechnen, während der Durchschnittswert der polizeilichen OK-Tatverdächtigen deutlich darüber liegt40. Etwas geringere Werte für die Hauptbeschuldigten pro OKLagebild Berlin 2000, S. 4. Lagebild NRW 1999, S. 6. 40 Lagebild NRW 1998, S. 2: Polizei: 110 Ermittlungsverfahren mit 1726 Tatverdächtigen; S. 8: Justiz: 124 OK-Komplexe mit 727 Hauptbeschuldigten; Lagebild NRW 1999, S. 3, 5: Polizei: 88 Ermittlungsverfahren mit 1013 Tatverdächtigen; S. 5: Justiz: 113 OK-Komplexe mit 791 Hauptbeschuldigten; Lagebild NRW 2000, S. 3, 5: Polizei: 83 Ermittlungsverfahren mit 1299 Tatverdächtigen; S. 5: Justiz: 121 OK-Komplexe mit 783 Hauptbeschuldigten; 38 39
294
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Komplex melden Sachsen-Anhalt und Thüringen41, Brandenburg einen etwas höheren42. Der beträchtliche Unterschied zwischen den polizeilichen und justitiellen Angaben rührt, wie bereits erwähnt, daher, dass die Polizei z. B. in Schleusungsfällen eingeschleuste Frauen als Beschuldigte zählt43 und sich damit die Zahl der OK-Tatverdächtigen erhöht. Schaubild 26: Einschätzung der OK-Merkmale in NRW 100% 80% 60%
OK-Alt. 1
40%
OK-Alt. 2
20%
OK-Alt. 3
0% 1999 LKA
1999 Justiz
2000 LKA
2000 Justiz
2001 LKA
2001 Justiz
Schaubild 26: Einschätzung der OK-Merkmale in NRW
Vorstehende Graphik zeigt, dass die Justiz in Nordrhein-Westfalen auch mit der Annahme der besonderen OK-Merkmale Gewaltanwendung oder Drohung (OKAlt. 2) sowie Einflussnahme (OK-Alt. 3) deutlich zurückhaltender als die Polizei ist44. Auffallend ist im Übrigen der Rückgang des durch die Polizei bei der Einschätzung der verschiedenen OK-Merkmale angegebenen prozentualen Anteils zwischen 2000 und 2001, dessen Ursache im Lagebild nicht erklärt wird und der ebenfalls ein Indiz für die Variabilität der OK-Definition liefert.
III. Erledigungsstruktur in OK-Ermittlungsverfahren
Aus einigen Bundesländern ergeben sich Aufschlüsse über die Erledigungsstruktur der Staatsanwaltschaften in OK-Ermittlungsverfahren. In Berlin entfielen in den Jahren 1996 – 1999 auf einen OK-Komplex durchschnittlich 4 bis 6 justitielle Ermittlungsverfahren (z. B. im Jahr 1999: 88 OKKomplexe bei 507 Ermittlungsverfahren). In Sachsen-Anhalt wurden für das Jahr 2000 „mehr als 170 Einzelverfahren“ für 26 OK-Komplexe genannt45, in BrandenLagebild NRW 2001, S. 37: Polizei: 59 Ermittlungsverfahren mit 1589 Tatverdächtigen; S. 9: Justiz: 124 OK-Komplexe mit 942 Hauptbeschuldigten. 41 Lagebild ST 2000, S. 37: 26 OK-Komplexe mit 104 Hauptbeschuldigten; Lagebild Thüringen 2000, S. 7: 15 OK-Verfahren mit 69 Haupttätern (harter Kern). 42 Lagebild BB 2000, S. 47: 15 OK-Komplexe mit 140 Hauptbeschuldigten. 43 So ausdrücklich Lagebild Schl.-Ho. 2000, S. 20. 44 Lagebilder NRW 1999, S. 5, 13, 29; 2000, S. 5, 15, 40 f.; 2001, S. 5, 15 f.; für die Gewaltanwendung gilt dies auch für Sachsen-Anhalt (Lagebild ST 2000, S. 36). 45 Lagebild ST 2000, S. 35; Lagebild Justiz ST 1999, S. 4: 26 OK-Komplexe mit „mehr als 150 Einzelverfahren“.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
295
1000 800
OK-Komplexe
600
OK-Ermittlungsverf. Ges
400
neue OK-Ermittlungsverf. Neue OK-Tatverdächtige
200
OK-Verurteilte
0 1996
1997
1998
1999
Schaubild 27: Justitielle Daten Berliner OK-Komplexe 1996 – 1999
burg wurde bei 15 OK-Komplexen sogar von „mehreren hundert Einzelverfahren“ gesprochen46. Ein OK-Komplex aus Sicht der Polizei vervielfältigt sich also auf der Ebene der Staatsanwaltschaft in erheblichem Umfang. Die neu eingeleiteten justitiellen Ermittlungsverfahren werden in Berlin durchschnittlich gegen drei Beschuldigte geführt (z. B. im Jahr 1999: 230 neue OK-Verfahren mit 636 OK-Tatverdächtigen). Bei Vernachlässigung der zeitlichen Verschiebung wird von den neuen Tatverdächtigen wiederum knapp die Hälfte verurteilt47.
350 300 Anklage/Strafbefehl
250
§ 170 Abs. 2 StPO
200
§§ 153 ff StPO
150
§ 205 StPO
100
sonstige
50 0 OK 1996
OK 1997
OK 1998
OK 1999
1999 allgemein
Schaubild 28: Erledigungen Berliner OK-Verfahren 1996 – 1999 im Vergleich zur allgemeinen Kriminalität
Häufigste staatsanwaltschaftliche Erledigungsform in OK-Ermittlungsverfahren in Berlin bildete in den vergangenen Jahren die Erhebung einer Anklage bzw. eines Strafbefehls (z. B. 1999: 210 Erledigungen dieser Art; 32,5 %), gefolgt von einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO (1999: 180; 27,9 %). Vergleicht man dies mit der allgemeinen Berliner Erledigungspraxis im Jahr 199948, ist die Unterrepräsentierung der Einstellungen in OK-Verfahren zu erkennen. Dies ist nicht verwunderLagebild BB 2000, S. 42, 44: „2 Komplexe mit jeweils über 100 Einzelverfahren.“ Lagebilder Berlin 1996, S. 5, 10 f.; 1997, S. 6, 13 f.; 1998, S. 4, 11 f.; 1999, S. 4, 10 ff. Nach dem Lagebild NRW (1998, S. 8) entfielen dort auf 124 OK-Komplexe sogar 2439 Ermittlungs- und Strafverfahren (Durchschnitt von annähernd 20 Verfahren pro Komplex). 48 Eigene Berechnungen nach Statistik Rechtspflege, Reihe 2, 1999, S. 138 f. (Angaben pro 400 Fälle). 46 47
296
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
lich, dürften OK-Verfahren im Gegensatz zur allgemeinen Kriminalität in der Regel schwere nicht der Einstellung zugängliche Straftaten beinhalten und die Täter häufig bekannt sein. In Niedersachsen ist die Erledigungsstruktur der OK-Verfahren ähnlich der in Berlin. Im Jahr 1999 wurde gegen 224 Beschuldigte (34,5 %) Anklage erhoben (bzw. ein Strafbefehl erlassen), die Zahl der Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO im Vergleich zur allgemeinen Kriminalität 300 250
Anklagen/Strafbefehl
200
§ 170 Abs. 2 StPO
150
§§ 153 ff StPO § 205 StPO
100
sonstige
50 0 OK 1998
OK 1999
1999 allgemein
Schaubild 29: Erledigungen niedersächsischer OK-Verfahren 1998 – 1999 im Vergleich zur allgemeinen Kriminalität
liegt mit 227 (35,0 %) noch etwas höher49. Bei der Erledigung der allgemeinen Kriminalität fallen die Einstellungsraten nach den §§ 153 ff. StPO dagegen in Niedersachsen wesentlich höher aus. Berlin
19%
19%
23%
31%
32% Anklagen § 170 II §§ 153 ff Sonstige
4%
12%
16% 42%
9%
65% 28%
Schaubild 30: Erledigungsstruktur Brandenburg, Berlin, Hamburg
Ganz anders als die Erledigungsstruktur der OK-Ermittlungsverfahren in Berlin und in Niedersachsen (jeweils 1999) ist die im benachbarten Brandenburg (1999). Sie ähnelt viel stärker derjenigen der allgemeinen Kriminalität, enthält also deutlich mehr Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO wie auch nach den §§ 153 ff. StPO. Dies dürfte wiederum auf einen weiten Tatverdächtigenbegriff zurückzuführen sein50. In Hamburg wurden dagegen rund 65 % der Beschuldigten im Jahr 2000
49 Lagebilder Nds 1998, S. 19; 1999, S. 18; im Übrigen eigene Berechnungen nach Statistik Rechtspflege, Reihe 2, 1999, S. 138 f. (Angaben pro 400 Fälle).
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
297
angeklagt. Dort richteten sich die im Jahr 2000 ausgewerteten 81 OK-Ermittlungsverfahren gegen 395 Beschuldigte, also im Durchschnitt knapp 5 Beschuldigte pro Verfahren51.
IV. Sanktionspraxis in OK-Verfahren
Bei den ausgewiesenen gerichtlichen Erledigungen von OK-Verfahren in Berlin lässt sich erkennen, dass am häufigsten eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren Dauer verhängt wird, danach eine höhere Freiheitsstrafe. Ein Vergleich mit den bundesweiten Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht ohne Straßenverkehr52 zeigt die deutlich schärfere Sanktionierungspraxis in OK-Verfahren. Allerdings erfolgen dort auch vergleichsweise viele Freisprüche. 200 180 160 140
Freisprüche
120
Einstellungen
100
Geldstrafe
80
FS < 2 J.
60
FS > 2 J.
40 20 0 OK 1996
OK 1997
OK 1998
OK 1999
1999 allgemein
Schaubild 31: Erledigungen gerichtlicher Berliner OK-Verfahren zwischen 1996 und 1999 im Vergleich zur allgemeinen Kriminalität bundesweit
Der Befund einer Überrepräsentation von Freiheitsstrafen gilt auch für andere Bundesländer. So enthielten im Jahr 1999 in Brandenburg 90,7 % der Erledigungen eine Freiheitsstrafe, in Hamburg im Jahr 2000 sogar 92,0 %53. Die folgende Graphik belegt, dass die restriktive Auswahl der OK-Verfahren in Nordrhein-Westfalen auch zu hohen Freiheitsstrafen führt54. Im Gegensatz zu Berlin (40,8 %) lagen im Jahr 1999 74,5 %, im Jahr 2000 71,9 % und im Jahr 2001 50 Lagebild BB 1999, S. 7 (Angaben auf Basis der Beschuldigten). Bei den Deliktsbereichen sind dort (S. 5) im „Ausländerrecht“ allein 298 (angebliche) portugiesische Tatverdächtige vermerkt. Im ersten gemeinsamen Lagebild BB 2000, S. 48 wurden die Verfahrenseinstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO nicht mehr gesondert ausgewiesen. 51 Lagebild HH 2000, S. 38 f. 52 Berechnungen nach der Strafverfolgungsstatistik 1999, S. 42 f., 120 f. (Angaben bei der allgemeinen Kriminalität pro 2000). 53 Lagebild BB 1999, S. 7; Lagebild HH 2000, S. 39. 54 Lagebild NRW 2000, S. 84; 2001, S. 105.
298
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
69,6 % der ausgeworfenen Freiheitsstrafen über zwei Jahren, was aber auch darauf zurückzuführen ist, dass in Nordrhein-Westfalen nur die Hauptbeschuldigten erfasst werden55. 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
FS < 1 J. 1 J. < FS < 2 J. 2 J. < FS < 5 J. 5 J. < FS < 10 J. FS > 10 J. 1999
2000
2001
Schaubild 32: Höhe der Freiheitsstrafen in OK-Verfahren in NRW in den Jahren 1999 – 2001
In Sachsen-Anhalt verurteilten die Schöffen- bzw. Landgerichte, die OK-Verfahren verhandelten, in 23 von 41 Fällen (56,1 %) zu Freiheitsstrafen von zwei bis fünf Jahren, in 12 Fällen (29,3 %) zu Freiheitsstrafen zwischen einem und zwei Jahren56, in Brandenburg in 11 von 25 Fällen (44,0 %) zu Freiheitsstrafen von zwei bis fünf Jahren und in 7 Fällen (28,0 %) zu solchen von einem bis zwei Jahren57. Über die angeklagten bzw. abgeurteilten Delikte enthalten die Lageberichte nur vereinzelt Aussagen58. Generell kann man sagen, dass auch nach der staatsanwaltschaftlichen Einschätzung bzw. ausweislich der Verurteilungen in den westlichen bzw. südlichen Bundesländern die Betäubungsmittelkriminalität als Hauptdeliktsfeld organisierter Kriminalität anzusehen ist. Belege dafür gibt es aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen sowie Rheinland-Pfalz59. Auch in Sachsen-Anhalt erfolgten in 8 von 15 OK-Verfahren Verurteilungen wegen Rauschgifthandels60. In 55 Eine ähnliche Verteilung meldet Brandenburg (Lagebild BB 2000, S. 49) für die dort ausgewiesenen 25 Freiheitsstrafen. 56 Lagebild ST 2000, S. 40 ff. 57 Lagebild BB 2000, S. 49. 58 In Bayern, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen liegen keine verwertbaren justitiellen Informationen vor. 59 Lagebild Nds 1999, S. 9: 30,7 % (634) der von den Staatsanwaltschaften berichteten 2066 Straftaten entfielen auf Rauschgifthandel und -schmuggel, auf Eigentumskriminalität 28,8 %, auf Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben 18,3 % und auf Schleuserkriminalität 14,1 %. Lagebild NRW 2001, S. 79 f.: In 63 von 124 von der Staatsanwaltschaft angegebenen Verfahrenskomplexen (50,8 %) spielten die Einfuhr sowie der Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Rolle. Danach folgten mit weitem Abstand Menschenhandel (14), Kriminalität in Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben (13), Diebstahl, Unterschlagung und Hehlerei von Kfz (11), Betrug sowie Geldwäsche (je 10). Nach dem Lagebild Rh.-Pf. (2000, S. 11) verteilen sich die Verurteilungen in OK-Verfahren auf die Kriminalitätsbereiche Betäubungsmittel (24 von 43; 55,8 %), gefolgt von Eigentum (4). 60 Lagebild ST 2000, S. 40 ff.; 1999 waren es 7 von 13 Verfahren.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
299
Berlin haben dagegen nach wie vor Verschiebungen von Kraftfahrzeugen eine große Bedeutung, in Hamburg neben der Betäubungsmittelkriminalität auch die Wirtschaftskriminalität (hier überwiegend Kapitalanlagebetrug und Zigarettenschmuggel) sowie Delikte im Zusammenhang mit der Prostitution61, in Brandenburg die Gewaltkriminalität 62. Häufig finden sich in den justitiellen Teilen der Lagebilder Ausführungen zur Nationalität der Tatverdächtigen. Im Lagebild Hamburg wird aber davor gewarnt, „dieser Aufschlüsselung nach Herkunftsländern der Straftäter eine allzu große Bedeutung beizumessen oder sie gar als dauerhaft repräsentativ anzusehen; sie spiegelt vielmehr lediglich die Momentaufnahme für den Berichtszeitraum wider. Bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität geraten nämlich jedes Jahr – bedingt durch aktuell sich ergebende Ermittlungsansätze – einzelne Gruppierungen unterschiedlicher Nationalität ins Visier der Strafverfolgungsbehörden.“63 In Nordrhein-Westfalen wird konstatiert, der Anteil ethnisch homogener Verbindungen im engeren Zirkel der Hauptbeschuldigten sei deutlich größer, als dies für die Summe der insgesamt festgestellten Tatverdächtigen gelte. Die auf Dauer angelegten Verbindungen innerhalb der Führungsgruppen von OK-Gruppierungen seien stärker von einer landsmannschaftlichen Geschlossenheit geprägt, als dies innerhalb der Ausführungsebenen festzustellen sei64. Ein hierarchischer Organisationsaufbau sei vor allem bei Straftätergruppierungen mit türkischen und deutschen Mitgliedern mitgeteilt worden. Bei italienischen und jugoslawischen Banden spiele das Merkmal eine eher untergeordnete Rolle65. Auch das Lagebild Schleswig-Holstein sieht eine in der Regel vorhandene ethnische Homogenität der Tätergruppen66. Gemäß dem niedrigeren Anteil an der Wohnbevölkerung liegt auch der Ausländeranteil unter den OK-Hauptbeschuldigten in den neuen Bundesländern niedriger. So waren in Sachsen-Anhalt im Jahr 2000 von 104 Hauptbeschuldigten immerhin 71 Deutsche67.
61 Lagebild Berlin 1999, S. 10: 42 von 118 Freiheitsstrafen von über einem Jahr (35,6 %) wegen Kfz-Verschiebungen, 17 wegen Menschenhandels- sowie 13 wegen Rauschgiftdelikten. Lagebild HH 2000, S. 41: Kriminelles Betätigungsfeld von 44 von 136 angeklagten Personen Wirtschaftskriminalität, bei 31 Personen Delikte im Zusammenhang mit der Prostitution, bei 30 „organisierter Betäubungsmittelhandel.“ 62 Lagebild BB 2000, S. 44: 9 von 15 Komplexen. 63 Lagebild HH 2000, S. 47. 64 Lagebild NRW 2000, S. 10 und 2001, S. 13. 65 Lagebild NRW 2000, S. 76 und 2001, S. 96. 66 Lagebild Schl.-Ho. 2000, S. 46. 67 Lagebild ST 2000, S. 37; im Jahr 1999: 61 von 105.
300
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung V. Gewinnabschöpfung, Geldwäsche
In den letzten Jahren wird verstärkt versucht, Maßnahmen der Gewinnabschöpfung und zur Aufdeckung von Geldwäscheaktivitäten zu ergreifen. Dennoch sind in den Lageberichten Aussagen darüber, welches Schicksal die in OK-Verfahren vorläufig sichergestellten Vermögenswerte sowie die Ermittlungen nach Hinweisen auf Geldwäsche im Laufe des staatsanwaltschaftlichen bzw. gerichtlichen Verfahrens nehmen, eher selten. Außerdem wird eine Übersicht dadurch erschwert, dass teilweise in den OK-Lagebildern ein Kapitel „Finanzermittlungen“ ausgewiesen wird, dessen Datenbasis sich aber nicht auf OK-Verfahren beschränkt68. Zur Gewinnabschöpfung liegen lediglich aus zwei Bundesländern genaue Zahlen über die Höhe der Vermögenswerte vor, die der Staatskasse zugeflossen sind. So konnte in Hamburg im Jahr 2000 etwas mehr als 1 Million DM endgültig vereinnahmt werden69. Dem Land Niedersachsen flossen im gleichen Zeitraum insgesamt 5,7 Millionen DM zu, daneben ein Grundstück im geschätzten Wert von 100.000 DM70. Aus Schleswig-Holstein verlautet pauschal, dass mehrere Millionen DM gesichert und endgültig abgeschöpft werden konnten71. In Sachsen-Anhalt ordneten die Gerichte im Jahr 2000 den Verfall oder erweiterten Verfall von Vermögenswerten oder Wertersatz in Höhe von rund 350.000 DM und die Einziehung eines „hochwertigen Pkw“ an. Darüber hinaus sei in zwei Verfahren Bargeld in Höhe von rund 52.000 DM außergerichtlich abgeschöpft worden72. Die Justiz Niedersachsen weist in diesem Zusammenhang auf die Problematik hin, die mit der Angabe der Gesamtsumme sichergestellter Vermögenswerte durch die Polizei verbunden ist. So sei dieser Wert bereits während der laufenden Ermittlungen aufgrund neuer Erkenntnisse vielfach „nach unten“ zu korrigieren. Sodann sei eine weitere Herabsetzung aufgrund der Ergebnisse der Hauptverhandlung im Falle einer gerichtlichen Entscheidung eher die Regel als die Ausnahme. Schließlich lasse sich nicht einmal aufgrund rechtskräftig ergangener Verfallsentscheidungen die Summe der endgültig abgeschöpften Vermögenswerte sicher bestimmen, da eine Verfallsanordnung wegen des geltenden Bruttoprinzips nicht bedeute, dass tatsächlich in gleichem Umfang Vermögenswerte gesichert worden sind. Außerdem führe die Verwertung vorläufig gesicherter Vermögenswerte häufig nicht zu den prognostizierten Ergebnissen73. Im Übrigen ist die statistische Erfassung der
So im Lagebild Bayern 2000, S. 85 – 98. Lagebild HH 2000, S. 49: 1.006.244,14 DM. 70 Lagebild Nds 2000, S. 18. Maßnahmen der Steuer- und Zollverwaltung sowie an Opfer von Straftaten ausgekehrte Rückgewinnungshilfe sind in diesem Betrag nicht berücksichtigt. 71 Lagebild Schl.-Ho. 2000, S. 47. 72 Lagebild ST 2000, S. 40. 73 Lagebild Nds 2000, S. 18. 68 69
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
301
entsprechenden gerichtlichen Gewinnabschöpfungsmaßnahmen auch deswegen schwierig, weil häufig Verzichtserklärungen erfolgen74. Nordrhein-Westfalen erklärt die Tatsache, dass in rund der Hälfte (63 von 121) der OK-Komplexe im Jahr 2000 (noch) keine vermögensabschöpfenden Schritte unternommen worden seien, auch mit dem Umstand, dass nicht in jedem Fall beschlagnahmefähige Vermögenswerte vorhanden seien. Im Übrigen weist auch dieses Bundesland darauf hin, dass die Beschlagnahme- und Arrestanordnungen sowie die gerichtlichen Verfallsanordnungen in vielen Fällen deutlich über dem Wert der Vermögensgegenstände lägen, die gesichert werden konnten75. Dagegen hätten die im Zuge der Ermittlungsverfahren ergriffenen Abschöpfungsmaßnahmen weitgehend Bestand behalten, auch wenn sie, nicht zuletzt wegen der so genannten Härteklausel gemäß § 73c StGB, teilweise reduziert worden seien76. Aus Schleswig-Holstein wurde die Beobachtung vermeldet, Gewinnabschöpfungsmaßnahmen könnten die Aussagebereitschaft Beschuldigter erhöhen77. Erkenntnisse zu Geldwäscheverfahren finden sich in den justitiellen Lagebildern zur organisierten Kriminalität nur ganz vereinzelt. Aus Bayern wird berichtet, in drei Fällen sei bei Kontrollen am Münchener Flughafen Bargeld in verschiedenen Währungen im Wert von rund 200.000, 75.000 und 165.000 DM aufgefunden und die entsprechenden Besitzer jeweils wegen leichtfertiger Geldwäsche zu Freiheitsstrafen von zweimal einem Jahr bzw. 14 Monaten verurteilt worden. Nicht ersichtlich ist allerdings, ob in diesen Fällen ein Zusammenhang zu Verfahren wegen organisierter Kriminalität bestand78. Dagegen taucht die Geldwäsche in den umfangreichen Lageberichten aus Nordrhein-Westfalen praktisch nicht auf.
100% 80% 60% 40% 20% 0%
TÜ VP/Inform. Observ. techn. Mittel VE 1999
2000
2001
Scheink.
Schaubild 33: Einsatz besonderer Ermittlungsmaßnahmen in OK-Verfahren in NRW
Nach dem Lagebild Nds 2000, S. 86 dort „ausnahmslos“. Lagebild NRW 2000, S. 78. 76 Lagebild NRW 2000, S. 84 f. Im Jahr 2001 (Lagebild NRW 2001, S. 98 f.) konnte die Anzahl der OK-Komplexe „mit vermögensabschöpfenden Schritten“ auf 60,5 % gesteigert werden. 77 Lagebild Schl.-Ho. 2000, S. 47. 78 Lagebild Bayern 2000, S. 93 f. Wenige Fallschilderungen finden sich auch im Lagebild Berlin 2000, S. 16 f. allerdings ohne Hinweis auf den Verfahrensausgang. 74 75
302
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung VI. Einsatz besonderer Ermittlungsmaßnahmen in OK-Verfahren
Vorstehende Graphik zeigt, dass die Telefonüberwachung in Nordrhein-Westfalen als Standard-Ermittlungsmaßnahme in OK-Komplexen zu betrachten ist (2001: Anwendung in 95,3 % der Verfahren). Der polizeiliche Teil des Lageberichts weist in diesem Zusammenhang aus, dass auf eine Verfahrens-TÜ durchschnittlich rund zehn Maßnahmen entfallen. Häufig ist auch der Einsatz von VP / Informanten und die Durchführung von Observationen; von geringerer Bedeutung ist der anderer technischer Mittel wie der kleine und große Lauschangriff79. Dieses Bild über den Gebrauch Besonderer Ermittlungsmaßnahmen wird durch die in Niedersachsen aus den Jahren 1998 und 1999 vorliegenden absoluten Zahlen bestätigt. In beiden Jahren war die Anordnung von Telefonüberwachungen (1998: 242, 1999: 531) die bei weitem am häufigsten genutzte Maßnahme. Darauf folgt die „Inanspruchnahme von Vertrauenspersonen“ (1998: 28, 1999: 50 Fälle). Während der so genannte große Lauschangriff in beiden Jahren nur je einmal eingesetzt wurde, wurde der kleine Lauschangriff im Jahr 1999 immerhin 46mal (1998: 13mal) genutzt. Selten erfolgte ein „Einsatz von Agent provocateur“ (je vier Mal), nicht offen ermittelnden Polizeibeamten (1998: 6; 1999: 10) sowie von Verdeckten Ermittlern (1998: 8; 1999: 9)80. In Brandenburg kam bei der Auswertung von 15 OK-Komplexen eine Telefonüberwachung im Jahr 2000 33mal zur Anwendung. (Längere) Observationen erfolgten neun Mal, der Einsatz von Vertrauenspersonen bei vier Komplexen, der kleine Lauschangriff ebenso wie der Einsatz Verdeckter Ermittler drei Mal, der große Lauschangriff in einem Fall81. Ähnlich sind die Angaben eines weiteren östlichen Bundeslandes. In Sachsen-Anhalt haben im Jahr 1999 in 24 von 26 ausgewerteten Komplexen Telefonüberwachungen stattgefunden. Daneben waren längere Observationen (13), der Einsatz einer Vertrauensperson (6), die Abgabe einer Vertraulichkeitszusage (6) sowie der Einsatz von Scheinaufkäufern (3) von einer gewissen Bedeutung82. Auch in Hamburg wird den Telefonüberwachungsmaßnahmen „eine herausragende Bedeutung“ als Beweismittel für die Hauptverhandlung beigemessen. Dabei habe die zunehmende Benutzung von Mobiltelefonen, auch von mehreren durch eine Person, zu einem Anstieg der überwachten Telefone geführt83. Weiterhin wird berichtet, erste brauchbare Ermittlungsansätze gegen OK-Gruppierungen würden „häufig durch Hinweise von Informanten und Vertrauenspersonen sowie 79 Lagebilder NRW 1999, S. 59; 2000, S. 48 f., 76 f.; 2001, S. 97 bezogen auf 93 (1999), 102 (2000) sowie 106 (2001) justitielle Verfahrenskomplexe. 80 Lagebilder Nds 1998 und 1999, jeweils S. 20 bei 915 (1998) bzw. 1070 (1999) anhängigen einzelnen Ermittlungsverfahren. 81 Lagebild BB 2000, S. 47. 82 Lagebild Justiz ST 1999, S. 6. 83 Lagebilder HH 1999, S. 31 und 2000, S. 49 f.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
303
durch gezielte Einsätze derartiger Vertrauenspersonen“ gewonnen. Diese Personen spielten aber für den gerichtlichen Tatnachweis nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dem Einsatz Verdeckter Ermittler wird ein erheblicher Stellenwert beigemessen, vor allem im Betäubungsmittelbereich. Wesentlich weniger eingesetzt würden der kleine und große Lauschangriff, die aber ebenfalls als „von hohem Wert“ bzw. „außerordentlich gut bewährt“ eingestuft werden84. Schließlich wird auch in Schleswig-Holstein darauf hingewiesen, dass Telefonüberwachungen durch die neue Telekommunikationstechnik, „etwa die Verbreitung von Mobilfunktelefonen mit bereits bezahlten Karten, die ohne weiteres weitergegeben werden können“, schwieriger würden85. Dennoch sei die TÜ weiterhin die häufigste und wichtigste verdeckte Maßnahme auf dem Gebiet der Organisierten Kriminalität. Der große Lauschangriff habe, anders als der kleine Lauschangriff, im Jahr 2000 in Schleswig-Holstein kaum eine Rolle gespielt. Verdeckte Ermittlungen, so wird resümiert, seien weiterhin unverzichtbar, wenn das Ziel erreicht werden solle, in den Kernbereich krimineller Organisationen einzudringen und die im Hintergrund agierenden hauptverantwortlichen Straftäter zu erkennen, zu überführen und zur Aburteilung zu bringen. Da die Maßnahmen in der Regel mit einem großen Arbeitsaufwand für Polizei und Staatsanwaltschaft, später auch mit einer aufwändigen Hauptverhandlung verbunden seien, würden sie nur dort eingesetzt, wo auf anderem Wege die Wahrheit nicht gefunden werden könne86.
VII. Prozessuale Probleme bei der Durchführung von OK-Verfahren
Aus Bayern werden Probleme im Zusammenhang mit Versuchen beschrieben, die Akten so zu führen, dass die Identitäten von Vertrauenspersonen oder Informanten geheim gehalten werden. Dies könne einerseits besondere Tatnachweisschwierigkeiten bedingen, andererseits bei der Mitteilung konkreterer Angaben in den Akten zum Ergebnis haben, dass die jeweiligen Personen enttarnt werden können87. Aus den Lagebildern einer ganzen Reihe von Bundesländern lässt sich ersehen, dass die Justiz durch den Umfang der Ermittlungen vor erhebliche Probleme gestellt ist. Beispielhaft meldet Bayern ein Verfahren wegen Betäubungsmittelhandels, in dem bereits 40.000 Telefonate abgehört worden seien und die Auswertung des Faxverkehrs wegen des Umfangs und der Fülle übermittelter Daten praktisch
Lagebilder HH 1999, S. 30 ff. und 2000, S. 49 f. Auch aus Bayern heißt es (Lagebild 2000, S. 32 f.), dass die moderne Telekommunikation die Zahl der tatsächlich angeordneten Überwachungsmaßnahmen in – für den Sachunkundigen – kaum noch verständliche Höhen treibe. 86 Lagebild Schl.-Ho. 2000, S. 46 ff. 87 Lagebild Bayern 1999, S. 22, 26. 84 85
304
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
nicht mehr zu bewältigen sei88. In einem anderen Fall von Schleusungen seien ca. 50 Leitzordner mit schriftlichen Unterlagen beschlagnahmt und unter Mithilfe eines Dolmetschers für die russische Sprache ausgewertet worden89. In einem Wirtschaftsstrafverfahren habe sich der Umfang der auszuwertenden Akten auf mehr als 5000 Leitzordner erhöht, wobei ca. 6000 geschädigte Anleger im Wege einer Fragebogenaktion gehört worden seien. In einer weiteren Anklage wegen Betrugs in 1.242.811 bzw. 346.285 rechtlich zusammentreffenden Fällen seien 520 Zeugen benannt worden. Insbesondere in OK-Wirtschaftsstrafverfahren seien für die technische Ausstattung der Ermittlungsgruppen hohe Investitionskosten angefallen und die Ermittlungen hätten nur unter laufendem Einsatz erheblicher finanzieller Mittel erfolgreich geführt werden können90. Auch in Nordrhein-Westfalen wird betont, OK-Ermittlungen gestalteten sich langwierig und besonders arbeits- und kostenintensiv wie etwa bei Telefonüberwachungsmaßnahmen und den sie begleitenden Dolmetschergebühren. Dadurch würde in erheblichem Umfang Personal bei Gerichten, Staatsanwaltschaften und der Polizei gebunden. Auch eine massiv verbesserte Ausrüstung mit Informationstechnik könne nicht verhindern, dass Richter und Staatsanwälte in Einzelfällen 5000 Aktenseiten (und mehr), gegebenenfalls mehrmals, lesen und sich darüber Gedanken machen müssten, wie zum Beispiel weitere Ermittlungsmaßnahmen zu strukturieren und durchzuführen seien91. In Rheinland-Pfalz wird seit dem Jahr 1997 darauf aufmerksam gemacht, die Inanspruchnahme der Ressourcen der Justiz und die Länge der Hauptverhandlungen stellten ein wesentliches Problem dar92. Brandenburg berichtet von einem Ermittlungsverfahren mit einem Kostenaufwand für Telefonüberwachungen von ca. 150 Tausend DM93. In Sachsen-Anhalt vermeldet die Justiz lapidar, „alle OK-Ermittlungen und häufig auch die Hauptverhandlungen“ erforderten „einen hohen Arbeits- und Zeitaufwand“94. Die Probleme, den umfangreichen Ermittlungsstoff zu bewältigen, fördern eine Verfahrensbeendigung durch einvernehmliche Absprachen. So äußert das bayerische Lagebild die „Sorge“, dass große Wirtschaftsstrafverfahren mehr und mehr durch Vereinbarungen (Deal) beendet werden müssen95. Auch im Lagebild Niedersachsen wird auf die große Bedeutung der Verständigungen über das Strafmaß hingewiesen. Diese Vorgehensweise wird mit der zunehmenden Arbeitsbelastung der Strafkammern in Verbindung gebracht; sie sei aus Gründen der Prozessökonomie im Einzelfall geboten und inzwischen unbestritten. Allerdings seien im Rahmen 88 89 90 91 92 93 94 95
Lagebild Bayern 2000, S. 32. Lagebild Bayern 2000, S. 46. Lagebild Bayern 2000, S. 61 f. Lagebild NRW 1998, S. 16 f. Lagebild Rh.-Pf. 1997, S. 13; zuletzt 2000, S. 14. Lagebild BB 2000, S. 43. Lagebild ST 2000, S. 43; auch Lagebild Justiz ST 1999, S. 11. Lagebild Bayern 1999, S. 23.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
305
entsprechender Verständigungen auch schon Strafmaßobergrenzen festgesetzt worden, „die sich nur unter Zurückstellung größter Bedenken als noch tat- und schuldangemessen bezeichnen ließen.“96 Schleswig-Holstein vermeldet, dass in Einzelfällen Hauptverhandlungen, bei denen eine Verhandlungsdauer von mehreren Monaten zu erwarten gewesen sei, schon nach wenigen Verhandlungstagen rechtskräftig beendet werden konnten97. Konfliktverteidigung über das Maß dessen, wozu Verteidigung etwa eines bestreitenden oder schweigenden Angeklagten durchaus berechtigt sei („Verfahrenssabotage“), habe es dort im Rahmen von OK-Verfahren im Jahre 2000 nicht nennenswert gegeben98. Auch im Rahmen der Auswertung der Verfahrenskomplexe in Brandenburg wurde das Verteidigerverhalten „überwiegend als sachlich, verfahrensangemessen und z.T. sogar kooperativ bezeichnet.“99 Während in den eben genannten Bundesländern der Umfang des zu bewältigenden Verfahrensstoffes bzw. die Arbeitsüberlastung der zur Entscheidung berufenen Gerichte als Grund für die Zunahme der Verfahrensabsprachen genannt wird, wird in Hamburg hervorgehoben, speziell in Verfahren, die sich gegen führende Mitglieder der organisierten Kriminalität richteten, finde häufig eine Konfliktverteidigung statt, die eine Praxis der Verfahrensabsprachen begünstige. Dabei werde mitunter auch von Seiten der Gerichte wie der Staatsanwaltschaft „intensiv auf einvernehmliche Verfahrenserledigungen hingewirkt“100. Auch in den Lagebildern Nordrhein-Westfalen findet das Problemfeld „Konfliktverteidigung“ Erwähnung. So sei im Jahr 1998 über 14, 1999 über zehn, 2000 über elf und im Jahr 2001 über sechs Fälle der Konfliktverteidigung berichtet worden, in denen es unter anderem zur häufigen Stellung von Befangenheitsanträgen gegen Richter und Sachverständige, zu Beweisanträgen zu eher unwesentlichen Themen, aggressivem und teilweise beleidigendem Befragen von Belastungszeugen, Polizeibeamten und Dolmetschern, zum grundlosen Verlassen des Sitzungssaals während laufender Hauptverhandlung gekommen sei, bis hin zu Versuchen, die Hauptverhandlung „platzen“ zu lassen, 101. Allerdings wurden in den Jahren 1999 und 2000 knapp zwei Drittel der OKKomplexe in Nordrhein-Westfalen in einer Hauptverhandlungsdauer von bis zu fünf Tagen entschieden, was angesichts der ausgeworfenen hohen Strafen durchaus Lagebild Nds 2000, S. 84. Lagebild Schl.-Ho. 1999, S. 28. 98 Lagebild Schl.-Ho. 2000, S. 48. 99 Lagebild BB 2000, S. 49. 100 Lagebild HH 1999, S. 33 f. und 2000, S. 51 f. Im Lagebericht Nds 2000, S. 90 heißt es einerseits, es komme oft zu verfahrensverzögernden Konfliktverteidigungen in der Hauptverhandlung, andererseits betrug bei fünf ausgewerteten Verfahrenskomplexen die Dauer der Hauptverhandlung jeweils nur zwei Tage (S. 84). 101 Lagebild NRW 1998, S. 12; 1999, S. 63; 2000, S. 79; 2001, S. 101. 96 97
20 Kinzig
306
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
als kurz bezeichnet werden kann102. Das andere Drittel verteilte sich recht gleichmäßig auf Hauptverhandlungsdauern von bis zu zehn, bis zu 20 und über 20 Tagen Länge. Im Jahr 2001 hat die Dauer zugenommen, ohne dass ein Grund dafür erkennbar ist. 80% HV < 5 Tage
60%
5 < HV < 10
40%
10 < HV < 20
20%
HV > 20 Tage
0% 1999
2000
2001
Schaubild 34: Dauer der Hauptverhandlung in OK-Verfahren in NRW 1999 – 2000
Auch in Sachsen-Anhalt wird das Verteidigerverhalten in der ganz überwiegenden Zahl der Verfahren als „sachlich und verfahrensangemessen“ bezeichnet, obwohl sich dort immerhin acht der 15 berichteten OK-Verfahren über mehr als zehn Tage erstreckten. Dies wird damit in Zusammenhang gebracht, dass die Angeklagten „nicht zuletzt aufgrund vollstreckungssichernder Maßnahmen nach §§ 111b ff StPO“ in der Regel hohe Verteidigerhonorare nicht hätten aufbringen können103. Über das Problemfeld „Zeugenschutzmaßnahmen“ sind den justitiellen Lagebildern kaum Erkenntnisse zu entnehmen, sieht man von quantitativen Angaben über die Zahl der Verfahren ab, in denen Zeugenschutzmaßnahmen durchgeführt wurden. Im Lagebild Hamburg werden Zeugenschutzmaßnahmen eingeschätzt als „von außerordentlich hoher Bedeutung für die erfolgreiche Bekämpfung der Organisierten Kriminalität.“104 Im Detail scheint es mitunter Schwierigkeiten zu geben, den Schutz gefährdeter, inhaftierter Zeugen innerhalb von Vollzugsanstalten zu gewährleisten, wie auch bei der Abstimmung mit den Verwaltungsbehörden bei einer drohenden Ausweisung105. Über die Entstehung der Ermittlungsverfahren schweigen sich die justitiellen Lagebilder aus. Lediglich in Bayern findet sich die Forderung, die Staatsanwaltschaft frühzeitig an polizeilichen Lageeinschätzungen zu beteiligen, da die aufgrund der Lageeinschätzung erfolgende Deliktsfelderselektion (Priorisierung der Bekämpfung) das Legalitätsprinzip berühre106.
Lagebild NRW 2000, S. 82 bei 87 Fällen im Jahr 2000 und 76 im Jahr 1999. Lagebild ST 2000, S. 39. Im Lagebild Justiz ST 1999, S. 8 wurde noch von fünf Verfahren mit „Konfliktverteidigung“ berichtet. 104 Lagebild HH 2000, S. 50; ähnlich Lagebild NRW 2000, S. 13 und 2001, S. 22 („hoher Stellenwert“). 105 Lagebild Bayern 1999, S. 30 und 2000, S. 31. 106 Lagebild Bayern 1999, S. 19. 102 103
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
307
VIII. Internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere auf EU-Ebene
Der Ausbau der internationalen Kontakte der Justizbehörden zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität wird in den Lagebildern von Bayern, Brandenburg und Niedersachsen hervorgehoben. Dazu gehören insbesondere die Einrichtung des Europäischen Justitiellen Netzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der international organisierten Kriminalität und sonstiger Formen schwerer Kriminalität (EJN)107 sowie von Eurojust, das eine sachgerechte Koordinierung der nationalen Staatsanwaltschaften erleichtern und die strafrechtlichen Ermittlungen in Fällen mit OK-Bezug unterstützen sowie mit dem EJN eng zusammenarbeiten soll, vor allem um die Erledigung von Rechtshilfeersuchen zu vereinfachen108. In Brandenburg wird auf die Tätigkeit einer im Jahr 1996 von der Generalstaatsanwaltschaft und der Appellationsstaatsanwaltschaft Poznan initiierten überregionalen deutsch-polnischen Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, der auch Staatsanwälte und Polizeibeamte aus den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Berlin angehören, hingewiesen109. Ziel dieser Maßnahmen ist es vor allem, zu einer Effizienzsteigerung bei der internationalen Rechtshilfe beizutragen110. Allerdings werden nach wie vor Probleme bei der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere der internationalen Rechtshilfe, auch mit Schengen-Staaten, benannt111. IX. Indikatoren organisierter Kriminalität sowie Organisationsformen
In den Bundesländern Berlin, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen wird von den Strafverfolgungsbehörden angegeben, welche der so genannten OK-Indikatoren in den einzelnen Ermittlungsverfahren vorliegen. Untere Graphik zeigt die Entwicklung der in den Jahren 1996 – 1999 in Berlin für jedes neu eingeleitete Ermittlungsverfahren am häufigsten genannten acht (von insgesamt 45) abgefragten OK-Indikatoren112. Insgesamt verläuft die Angabe der 107 Eingerichtet durch die Gemeinsame Maßnahme vom 29. Juni 1998, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft vom 7. Juli 1998, L 191 / 4. 108 Schlussfolgerungen des Vorsitzes Europäischer Rat (Tampere) vom 16. Oktober 1999. Vgl. insbesondere die Darstellung in den Lagebildern Bayern 1999, S. 32 ff. und 2000, S. 69 ff. 109 Lagebild BB 2000, S. 50. 110 Lagebild Nds 2000, S. 79 f. 111 Lagebild Bayern 1999, S. 22, 31 f. und 2000, S. 54 f.; Lagebild BB 2000, S. 50; Lagebild Schl.-Ho. 1999, S. 30: „Ganz generell ist jedoch festzustellen, dass sich die internationale Rechtshilfe teilweise nach wie vor kompliziert und schwierig gestaltet und Verzögerungen mit sich bringt, die häufig erforderliche Sofortmaßnahmen oftmals ausschließen.“ 112 Lagebild Berlin 1996, S. 5 ff.: 257 eingeleitete OK-Ermittlungsverfahren; 1997, S. 7 ff.: 210 eingeleitete Ermittlungsverfahren; 1998, S. 4 ff.: 244 eingeleitete OK-Ermittlungsverfahren; 1999, S. 4 ff.: 230 eingeleitete OK-Ermittlungsverfahren.
20*
308
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Indikatoren über die Jahre recht gleichmäßig. Mit den Indikatoren „arbeitsteiliges Zusammenwirken“, „professionelle, präzise und qualifizierte Tatdurchführung“, „präzise Planung“ sowie „starke Profitorientierung“ sind allerdings solche Indikatoren führend, die auf viele gut geplante Straftaten (z. B. einen Bankraub oder auch einen Einbruchsdiebstahl) bei Zusammenwirken mehrerer zutreffen. Lediglich die „internationale Tatbegehung“ fällt aus diesem Rahmen. Dem entspricht, dass die unter den Rubriken „Hilfe für Gruppenmitglieder“, „Korrumpierung“ und „Monopolisierungsbestrebungen“ genannten Indikatoren nur vereinzelt genannt wurden.
arbeitsteiliges Zusammenwirken internationale Tatbegehung
250 200
Professionelle ... Tat
150
Präzise Planung
100
stark profitorientiert Abschottung
50 0 1996
1997
1998
1999
Abhängigkeits- u. Autoritätsverhalten Arbeit auf Bestellung
Schaubild 35: Generelle Indikatoren in Berliner OK-Verfahren
Dieses Berliner Ergebnis wird durch die Erhebung von Indikatoren in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Thüringen bestätigt (Tabelle 6). Die am häufigsten genannten Indikatoren sind in Berlin, Nordrhein-Westfalen sowie Schleswig-Holstein dieselben, und zwar „arbeitsteiliges Zusammenwirken“, „internationale Tatbegehung“, „professionelle, präzise und qualifizierte Tatdurchführung“ sowie „präzise Planung“113.
113 Lagebilder NRW 1999, S. 52 ff. sowie 2000, S. 72 ff. (Kumulierte Angaben der Staatsanwaltschaften zu jeweils 33 der aufgeführten Sachverhalte, in denen offensichtlich zum Teil mehrere Ermittlungsverfahren erfasst sind); Lagebilder Schl.-Ho. 1999, Anlage 5 sowie 2000, Anlage 7, kumulierte Angaben von 34 (1999) bzw. 43 (2000) Verfahren, beruhend auf der polizeilichen Auswertung. In Brandenburg (Lagebild BB 2000, S. 46) wurden nur 15 OK-Komplexe ausgewertet: Dort weist der Indikator „arbeitsteiliges Zusammenwirken“ 13 Nennungen auf, 11 der „hierarchische Aufbau“, zehn „Abschottung“ sowie je neun „präzise und qualifizierte Tatdurchführung“ sowie „überregionale und internationale Täterverbindungen / Tatzusammenhänge.“ In Thüringen (Lagebild Thüringen 2000, S. 7 ff.) wurden ebenfalls nur 15 OK-Verfahren ausgewertet: Dort weisen die Indikatoren „arbeitsteiliges Zusammenwirken“, „Abschottung“ und „überregionale Tatbegehung“ je 15 Nennungen auf vor der „präzisen Planung“ sowie „präzise und qualifizierte Tatbegehung“ (je 14).
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
309
Tabelle 6 Rangfolge (Spalte 1) und Anzahl (Spalte 2) genannter Indikatoren bei OK-Verfahren in verschiedenen Bundesländern: Berlin (1996 – 1999), Schleswig-Holstein (1999 / 2000) und Nordrhein-Westfalen (1999 / 2000) Berlin
Schl.-Ho.
NRW
Arbeitsteiliges Zusammenwirken
1
794
2
75
1
107
Internationale Tatbegehung
2
764
4
65
2
102
Professionelle, präzise und qualifizierte Tatdurchführung
3
584
3
70
4
61
Präzise Planung
4
573
1
76
3
89
stark profitorientiert
5
419
5
60
Abschottung
6
383
–
28
6
59
Abhängigkeits- und Autoritätsverhalten
7
337
–
27
–
14
Arbeit auf Bestellung
8
328
7
54
7
52
Überregional
–
44
5
64
–
19
–
43
6
57
–
6
8
44
–
42
National Einsatz von polizeilich „unbelasteten“ Personen Hierarchischer Aufbau
nicht erhoben –
61
nicht erhoben
nicht erhoben 8
30
Wird das Vorhandensein der so genannten OK-Indikatoren in den Bundesländern weitgehend übereinstimmend beurteilt, fällt die Charakterisierung der organisierten Kriminalität unterschiedlich aus. Generell ist dazu festzustellen, dass die Bezeichnung für die Täterzusammenschlüsse in den Lagebildern vielfältig ist und von Tätergruppierungen und Banden bis hin zu Organisationen oder organisiert begangenen Delikten changiert, wobei diese Begriffe synonym verwendet zu werden scheinen. In zwei Bundesländern (Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein) wird betont, die dort erfasste organisierte Kriminalität könne man strukturell als „Straftäterverflechtungen“ bezeichnen. Nach den Lagebildern Rheinland-Pfalz bedinge die Dominanz der Betäubungsmittelkriminalität, dass überwiegend ausländische Organisationen erfasst würden. Wenn keine organisatorische Verbindung zum Ausland erkennbar sei, handele es sich in der Regel um Straftätergeflechte, die nicht den hohen Organisationsgrad erreichten, der die besondere Gefährlichkeit von Mafia, Camora, Yakuza etc. begründe114. Auch aus Schleswig-Holstein wird mitgeteilt, dass es „aufgrund seiner Randlage – anders als etwa in Berlin oder Frankfurt – 114
Lagebild Rh.-Pf. 2000, S. 14.
310
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
nicht Sitz strukturierter, hierarchisch aufgebauter Organisationsformen der Organisierten Kriminalität ist, solche vielmehr von einem Zentrum außerhalb des Landes nach Schleswig-Holstein hineinwirken.“ Innerhalb des Landes ansässig und zum Teil mit Organisationen im erstgenannten Sinne verbunden seien Straftäterverflechtungen vielfältiger Art115.
C. Das Lagebild Organisierte Kriminalität des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg Da sich die empirische Erhebung auf das Bundesland Baden-Württemberg konzentrieren wird116, ist es notwendig, auf wesentliche Ergebnisse des dortigen polizeilichen Lagebildes OK einzugehen, um die dortige Situation in Beziehung zu den bundesweiten Erkenntnissen zu setzen.
I. Entstehung des Lagebildes
In Baden-Württemberg wird ein polizeiliches Lagebild Organisierte Kriminalität unter Einbeziehung der örtlichen Dienststellen seit dem Jahr 1990 erstellt117. Während bis zum Jahr 1994 allein die Polizei über die Einordnung eines Komplexes als organisierte Kriminalität entschied, obliegt seit dem Jahr 1995 die Einschätzung der OK-Relevanz, basierend auf der Definition „Organisierte Kriminalität“ in den Richtlinien, gleichermaßen den Staatsanwaltschaften und der Polizei und erfolgt zunächst auf der örtlichen Ebene. Die abschließende Bewertung wird durch das Landeskriminalamt in Kooperation mit der „Zentralstelle Organisierte Kriminalität“ (ZOK) bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart vorgenommen118. Diese gemeinsame Prüfung hat zur Folge, dass jedes Jahr ein Teil der von den Dienststellen gemeldeten OK-Komplexe als nicht die OK-Definition erfüllend nicht in das Lagebild aufgenommen wird. Polizeilicherseits wurden und werden diese Verfahren als „Bandenkriminalität unterhalb der Schwelle der OK“ bewertet119. In den Anfangsjahren der gemeinsamen Bewertung wurde von Abstimmungsschwierigkeiten zwi115 Lagebild Schl.-Ho. 2000, S. 48. Niedersachsen (Lagebild Nds 2000, S. 87) will die Anstrengungen verstärken, „Aufklärung in die Tiefe der kriminellen Organisationsstrukturen zu betreiben, damit insbesondere die zentral Verantwortlichen einer Verurteilung zugeführt werden können“. 116 Zu den Gründen vgl. Kapitel 12, C., I., 4. 117 In den Jahren 1988 und 1989 wurden nur die vom LKA geführten OK-Komplexe in das Lagebild aufgenommen; dazu und zu den Jahresberichten 1988 – 1993 Podolsky 1995, 51 ff. 118 Pol. Lagebild Ba-Wü 2000, S. 1 f. 119 Dies betraf im Jahr 1995 27, 1996 28, 1997 21, 1998 20, 1999 18 sowie 2000 15 von baden-württembergischen Dienststellen per OK-Raster gemeldete Verfahren. Siehe zuletzt Pol. Lagebild Ba-Wü 2000, S. 8.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
311
schen Polizei und Staatsanwaltschaft berichtet. Diese resultierten aus einer unterschiedlichen Einschätzung der OK-Relevanz, die laut Polizei auf eine jeweils andersartige Perspektive („Verurteilungswahrscheinlichkeit bzw. Beweisbarkeit“ bei der StA; „Ermittlungsziel- bzw. Täterorientierung“ bei der Polizei) der beteiligten Behörden zurückzuführen war120. Die Lagedarstellung umfasst seit dem Jahr 1995 auch Verfahrensdaten von in Baden-Württemberg geführten Ermittlungsverfahren des Bundeskriminalamtes, seit 1996 auch Ermittlungsverfahren von Dienststellen des Zolls und des Bundesgrenzschutzes, sofern diese aufgrund ihres Ermittlungsschwerpunktes bei einer Staatsanwaltschaft in Baden-Württemberg angebunden sind.
II. Quantitative Entwicklung der OK-Komplexe, spezielle OK-Merkmale
100 90 80 70
OK-Komplexe insgesamt
60 Erstmeldungen
50 40
Erstmeldungen Dienststellen aus Ba-Wü
30 20 10 0 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000
Schaubild 36: Anzahl der OK-Komplexe (Quelle: Lagebilder des LKA Ba-Wü 1991 – 2000)
In Baden-Württemberg hat sich die Anzahl der OK-Komplexe in den letzten Jahren ähnlich derjenigen auf Bundesebene entwickelt. Während sich die Zahl der OK-Komplexe insgesamt (Erstmeldungen und Fortschreibungen) zumeist in einer Bandbreite von 70 bis 80 Fällen bewegt, ist die Anzahl der Erstmeldungen seit dem Jahr 1993 tendenziell rückläufig. Bemerkenswert ist der Rückgang der Erstmeldungen baden-württembergischer Dienststellen von 49 Erstmeldungen im Jahr 1994 auf nur noch 18 im Jahr 2000. Im Vergleich zum Bund wurden in Baden-Württemberg die im jeweiligen Komplex vorliegenden speziellen OK-Merkmale etwas häufiger bejaht. So lag der Anteil der Fälle, bei denen das Merkmal „Verwendung gewerblicher oder 120
Pol. Lagebild Ba-Wü 1995, S. 138.
312
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
100% 80% 60% 40% 20% 0%
OK-Alt. 1 OK-Alt. 2 OK-Alt. 3
Ba-Wü 98
Bund 98
Ba-Wü 99
Bund 99
Ba-Wü 00
Bund 00
Schaubild 37: Spezielle Merkmale der OK-Komplexe im Vergleich Ba-Wü / Bund
geschäftsähnlicher Strukturen“ (OK-Alt. 1) angenommen wurde, in den Jahren 1998 und 1999, der Anteil der Fälle mit Gewaltanwendung bzw. Einschüchterung (OK-Alt. 2) in den Jahren 1999 und 2000 sowie der Anteil der Fälle mit „Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft“ (OKAlt. 3) in allen drei Jahren über dem Bundesdurchschnitt.
III. Angaben zu Tatverdächtigen und Straftaten
15,0 13,0 11,0 9,0 7,0 5,0
Bund Ba-Wü
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
Schaubild 38: Tatverdächtige pro OK-Komplex
Die Anzahl der Tatverdächtigen pro OK-Komplex121 verlief bundesweit und in Baden-Württemberg von 1993 bis 1996 auf gleichem Niveau bei absteigender Tendenz. Dass in den Jahren 1997 – 2000 Baden-Württemberg weniger Tatverdächtige pro OK-Komplex als der Bund auswies, mag darauf zurückzuführen sein, dass in Baden-Württemberg der Anteil der Erstmeldungen an den OK-Verfahren stärker als im Bund zurückging122 und vor allem die Erstmeldungen hohe Tatverdächtigenzahlen enthalten. Dementsprechend lagen in den letzten Jahren die Anteile der (kleineren) Gruppierungen bis zu 50 Tatverdächtigen in Baden-Württemberg immer etwas über
121 Hier berechnet in Form der Teilung der Tatverdächtigen durch die Zahl aller gemeldeten OK-Komplexe. 122 Im Vergleich der Jahre 1993 – 1996 sowie 1997 – 1999 sank in Baden-Württemberg die Zahl der Erstmeldungen um 17,7 %, im Bund dagegen nur um 8,4 %.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
313
dem Bundesdurchschnitt, der Anteil der großen Gruppierungen mit über 50 Tatverdächtigen folglich darunter.
80% < 10 TV
60%
> 10 TV u. < 50 TV
40%
> 50 TV 20% 0%
1997 Bund
1997 BaWü
1998 Bund
1998 BaWü
1999 Bund
1999 BaWü
2000 Bund
2000 BaWü
Schaubild 39: Größe der Gruppierungen
Dieser Unterschied zwischen Baden-Württemberg und dem Bund lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass der Begriff des OK-Tatverdächtigen in Baden-Württemberg strenger als im Bundesdurchschnitt ausgelegt wird.
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
Festnahmen Ba-Wü Haftbefehle Ba-Wü Festnahmen Bund Haftbefehle Bund
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
Schaubild 40: Haftbefehle und Festnahmen in OK-Verfahren
Für diese These spricht, dass in Baden-Württemberg sowohl der Anteil der festgenommenen Tatverdächtigen als auch der Anteil derjenigen, gegen die ein Haftbefehl erlassen wurde, größer ist als im Bundesdurchschnitt.
100% 90% Intern. Tatbegehung Ba-Wü
80%
Intern. Tatbegehung Bund 70%
Ausl. TV Ba-Wü
60%
Ausl. TV Bund
50% 40% 1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
Schaubild 41: Internationalität der OK-Komplexe
314
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Vorstehende Graphik zeigt, dass die baden-württembergischen OK-Verfahren einen stärkeren internationalen Bezug aufweisen, als dies im Bund der Fall ist. Mit einer häufigeren internationalen Tatbegehung als im Bund korrespondiert ein höherer Anteil ausländischer Tatverdächtiger in Baden-Württemberg. In den letzten fünf Jahren (1996 – 2000) bildeten in Baden-Württemberg Italiener mit 14,5 % (457), Angehörige des ehemaligen Jugoslawien (überwiegend aus dem Kosovo) mit 10,5 % (329) sowie Türken mit 9,4 % (296) die am stärksten vertretenen ausländischen Nationalitäten unter den 3146 Tatverdächtigen. Dementsprechend dominieren bei den ausländischen Täterorganisationen, zu denen Verbindungen aufgedeckt wurden, die italienischen. So wurden in den Jahren 1996 – 2000 15 Verbindungen zur ’Ndrangheta, 13 zur Cosa Nostra sowie zehn zur Camorra festgestellt, die vor allem den Bereich der Rauschgiftkriminalität betrafen123. Der vergleichsweise hohe Anteil italienischer Tatverdächtiger ist dadurch begründet, dass allein in Baden-Württemberg rund 31 % (185.000) der im Bundesgebiet befindlichen Italiener leben124. In den letzten beiden Jahren besaßen rund 80 % der ausländischen Tatverdächtigen einen legalen Aufenthaltsstatus, darunter war die Mehrheit „in Deutschland wohnhafte Arbeitnehmer, Selbständige bzw. sonstige legal aufhältige Personen.“125 Im Gegensatz zum Lagebild des Bundes wird in Baden-Württemberg auch über „Einwirkungen im Bereich der Justizvollzugsanstalten“ berichtet126. Dabei wurde zumeist eine „Betreuung der Inhaftierten durch Tätergruppen von außen“ erwähnt127. Ziele dieser Betreuung seien in der Regel „die Erhaltung des Zugehörigkeitsgefühls zur Organisation“, der Nachrichtenaustausch unter den Straftätern hinsichtlich anstehender Verfahren, eine Einwirkung auf aussagebereite Inhaftierte sowie die Übernahme der Kosten für die Verteidigung128.
140 120 100
Delikte pro Komplex Bund
80
Delikte pro Komplex Ba-Wü
60 40 20 0 1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
Schaubild 42: Delikte pro OK-Komplex 123 124 125 126 127 128
Mehrfachnennungen pro Verfahren möglich. Pol. Lagebild Ba-Wü 1999, S. 47; 2000, S. 64. Pol. Lagebild Ba-Wü 1998, S. 25; 1999, S. 22; 2000, S. 23. 1996: 8; 1997: 8; 1998: 11; 1999: 11; 2000: 11 Vorkommnisse. 1996: 8; 1997: 5; 1998: 7; 1999: 10; 2000: 9 Mal. Pol. Lagebild Ba-Wü 1996, S. 22.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
315
Während in den 90er Jahren die Anzahl der Delikte pro OK-Komplex auf Bundesebene in der Regel höher lag als in Baden-Württemberg, hat sich dieses Ergebnis im Jahr 2000 verändert. Diesen Umstand zu interpretieren, ist allerdings schwierig, zumal das Ergebnis häufig durch wenige OK-Komplexe mit einer Vielzahl von Straftaten beeinflusst wird129. Die beiden am häufigsten gezählten Kriminalitätsbereiche innerhalb der OKKomplexe sind in Baden-Württemberg und im Bund identisch (Betäubungsmittelhandel und -schmuggel sowie Eigentumskriminalität)130. Allerdings ist in BadenWürttemberg die Rauschgiftkriminalität mit 50 % noch etwas stärker vertreten als im Bund, zu lasten der an zweiter Stelle liegenden Eigentumskriminalität (Ba-Wü: 16,8 %; Bund: 20,7 %). Bundesweit ebenfalls ausgeprägter ist die Kriminalität in Zusammenhang mit dem Nachtleben mit 15,3 % (Ba-Wü: 10,5 %). Im Übrigen unterscheiden sich die Anteile um maximal 3,3 Prozentpunkte und damit nur geringfügig.
50% 45% 40% 35% 30% Bund (n=3041)
25% 20%
Ba-Wü (n=382)
15% 10% 5%
W ik ri N ac ht le be n Fä ls ch un g U m w el t so ns tig e
ng su eu
W af fe n
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0%
Schaubild 43: Kriminalitätsbereiche in den OK-Komplexen der Jahre 1996 – 2000
Die Höhe der verursachten Schäden sowie der erzielten Gewinne unterscheidet sich in Baden-Württemberg bisweilen beträchtlich. Die hohe Schadenssumme im Jahr 1996 lässt sich durch Steuerausfälle aufgrund der illegalen Einfuhr verschiedener Güter (allein 650 Millionen DM), der hohe Gewinn im selben Jahr durch verschiedene Betäubungsmittel-Verfahren des Zolls mit Gewinnen von 93,5 Mil-
129 So waren im Jahr 2000 in Baden-Württemberg allein in einem Komplex 799 Fälle von Kreditbetrug zu verzeichnen. 1149 Fälle eines sonstigen Betruges rühren überwiegend aus einem einzigen weiteren Ermittlungskomplex her. 130 Prozentuiert wurde auf die Anzahl der jährlichen Erstmeldungen sowie der Fortschreibungen mit neuen Sachverhaltsdaten zu Straftaten; Mehrfachnennungen waren möglich.
316
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
lionen DM erklären131. Im Jahr 1999 wurde allein für ein Verfahren der Rauschgiftkriminalität des LKA Baden-Württemberg der Gewinn mit 100 Millionen DM beziffert132. Der exorbitante Schaden im Jahr 2000 ist, wie bereits erwähnt, auf das Flowtex-Verfahren zurückzuführen. Tabelle 7 Schäden und Gewinne in OK-Verfahren in Baden-Württemberg und ihr Anteil bundesweit 1997
1998
1999
2000
Verursachter Schaden (Mio. DM)
1995
81,8 690,6 12,2 % 25,3 %
1996
37,4 2,4 %
36,0 2,0 %
42,8 3,0 %
4.808 66,0 %
Erzielte Gewinne (Mio. DM)
86,5 153,3 12,0 % 12,2 %
30,1 4,1 %
38,7 3,7 %
360,4 18,2 %
68,1 4,4 %
IV. Verfahrensstrukturelle Merkmale
In Baden-Württemberg lag in den Jahren 1996 – 2000 der Einleitung der OKVerfahren etwas stärker als bundesweit eine aktive Tätigkeit der Polizei zugrunde. Über diese fünf Jahre resultierten zusammengerechnet 74,3 % der baden-württembergischen Ermittlungskomplexe aus aktiver Informationsbeschaffung oder polizeilichen Erkenntnissen (gegenüber 67,2 % bundesweit). Als Beispiele für eine aktive Informationsbeschaffung führt das Lagebild Baden-Württemberg ein Abschöpfen von Informanten und Vertrauenspersonen, den Einsatz Verdeckter Ermittler sowie die Einleitung von Strukturermittlungen aufgrund operativer Auswertungen (Auffälligkeiten bestimmter Personen wie Habitus, Vermögen im Widerspruch zu Einkünften etc.) an133. 50% 40% 30%
Bund Ba-Wü
20% 10% 0% akt. Info
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anonym
pol. Erk.
Schaubild 44: Einleitung von OK-Verfahren 1996 – 2000 131 132 133
Pol. Lagebild Ba-Wü 1996, S. 15 f. Pol. Lagebild Ba-Wü 1999, S. 13. Pol. Lagebild Ba-Wü 1996, S. 9; 1999, S. 10.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
317
Die Zahl der durchschnittlich pro OK-Komplex eingesetzten Beamten ist bundesweit und in Baden-Württemberg sehr ähnlich und liegt in der Regel bei etwas mehr als drei Beamten (Bund 2000: 3,5 Beamte; Ba-Wü 2000: 3,1 Beamte). Baden-Württemberg wies dagegen im Jahr 2000 eine etwas höhere Verfahrensdauer auf (17,6 Monate gegenüber 15,3 Monaten im Bund). Das Lagebild Baden-Württemberg enthält auch die Polizeikosten, die in den Jahren 1996 bis 1999 von rund 20.000 DM auf über 50.000 DM angestiegen sind134. Dabei entfallen über 90 % auf Ausgaben für Telefonüberwachungen mit entsprechenden Übersetzungsgebühren für Dolmetscher. Im Jahre 2000 wurden dagegen nur Kosten von 27.500 DM pro Ermittlungskomplex registriert, was mit dem Rückgang der Verfahrenserstmeldungen begründet wird, „in denen erfahrungsgemäß zur Aufhellung der Täterstrukturen kostenintensivere strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen notwendig werden.“135 In den Jahren 1997 und 1998 stiegen in Baden-Württemberg die Anteile der OK-Komplexe mit Geldwäschehandlungen sowie Gewinnabschöpfung stark an. Sie liegen seitdem über dem Bundesdurchschnitt. Dieser Umstand ist auf das Ende 1996 begonnene Pilotprojekt „Intensivierung der Finanzermittlungen mit dem Ziel der Vermögensabschöpfung“ des Landes Baden-Württemberg zurückzuführen136. Bei den Geldwäschehandlungen stehen wiederum Verfahren der Rauschgiftkriminalität im Vordergrund. Der Anteil der Verfahren mit Zeugenschutzmaßnahmen lag in den Jahren 1996 sowie 1997 in Baden-Württemberg vergleichsweise hoch, hat sich jetzt aber wieder an die Zahlen des Bundes angeglichen.
50% Gewinnabschöpfung Bund
40%
Gewinnabschöpfung Ba-Wü Geldwäsche Bund
30%
Geldwäsche Ba-Wü Zeugenschutz Bund
20%
Zeugenschutz Ba-Wü 10% 0% 1995
1996
1997
1998
1999
2000
Schaubild 45: Gewinnabschöpfung, Geldwäschehandlungen und Zeugenschutzmaßnahmen in OK-Verfahren
Im Gegensatz zum (veröffentlichten) polizeilichen OK-Lagebild des Bundes enthält das Lagebild in Baden-Württemberg auch Angaben über die eingesetzten 134 135 136
1996: 20.000 DM; 1997: 21.000 DM; 1998: 62.500 DM; 1999: 51.500 DM. Pol. Lagebild Ba-Wü 2000, S. 15. Pol. Lagebild Ba-Wü 1997, S. 35.
318
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Ermittlungsmaßnahmen. Als traditionelle Standardmaßnahme hat zunächst die Durchsuchung eine wichtige Bedeutung. So wurden in den Jahren 1996 – 2000 allein in den OK-Komplexen baden-württembergischer Dienststellen 565, 322, 505, 427 sowie 345 Durchsuchungsmaßnahmen durchgeführt. Dies ergibt für das Jahr 1996 einen Durchschnitt von 15,5, für 2000 einen Durchschnitt von 11,2 Durchsuchungen pro OK-Komplex137. Bei den Telefonüberwachungsmaßnahmen entspricht die Zahl der in BadenWürttemberg erstmals gemeldeten OK-Verfahren in etwa der Zahl der Verfahren, in denen im entsprechenden Berichtszeitraum TÜ-Maßnahmen durchgeführt wurden138. Dabei stieg die Zahl der TÜ-Maßnahmen pro gemeldetem OK-Komplex mit TÜ von durchschnittlich 5,4 (1996) auf 8,7 (1999). Diese Steigerung geht allerdings nicht mit einer Verkürzung der Länge der einzelnen Maßnahme einher. Während im Jahr 1996 66,6 % der geschalteten Maßnahmen eine Dauer von bis zu drei Monaten aufwiesen, waren es 1999 nur 61,5 %. Das Lagebild 1999 wertet die höhere Zahl längerfristiger TÜ-Maßnahmen als Beleg für die „hohe Bedeutung dieser Maßnahmen in OK-Ermittlungen“139. Ein etwas anderes Ergebnis liefert das Jahr 2000, was vermutlich auf die geringe Zahl der Erstmeldungen zurückzuführen ist. In diesem Jahr sank die Zahl der TÜ-Maßnahmen pro gemeldetem OK-Komplex mit TÜ wieder auf 6,5, wobei 83,3 % nicht länger als drei Monate dauerten140. Die Zahl der TÜ-Maßnahmen insgesamt stieg zwischen 1997 (125) und 1998 (261) um mehr als das Doppelte, um im Jahr 2000 wieder auf 203 zurückzugehen. Ganz überwiegend erfolgten die Telefonüberwachungsmaßnahmen in Komplexen mit Betäubungsmittelstraftaten 141. In Baden-Württemberg hat das Landeskriminalamt bereits im Jahr 1994 zur Effektivierung des Einsatzes von Vertrauenspersonen ein eigenes Dezernat 724 mit dem Titel „Zentrale VP-Aufgaben“ eingerichtet. Ziel dieser organisatorischen Maßnahme war u. a. die landesweite Erfassung und Registrierung der polizeilich geführten Vertrauenspersonen, deren Vermittlung an die einzelnen Dienststellen sowie die Registrierung von Warnmeldungen bei etwaiger Unzuverlässigkeit142. Außerdem wurden in diesem Jahr beim Landeskriminalamt zwei Operative Ermitt137 Zur Berechnung wurde die Zahl der insgesamt gemeldeten Durchsuchungen durch die Zahl der von baden-württembergischen Dienststellen geführten OK-Verfahren geteilt, vgl. Pol. Lagebild Ba-Wü 1996, S. 45 sowie 2000, S. 38. 138 1996: 32 Erstmeldungen baden-württembergischer Dienststellen bei 27 Verfahren mit TÜ-Anordnungen; 1997: 28 Erstmeldungen bei 30 Verfahren mit TÜ-Anordnungen; 1998: 40 Erstmeldungen bei 36 Verfahren mit TÜ-Anordnungen; 1999: 24 Erstmeldungen bei 25 Verfahren mit TÜ-Anordnungen: 2000: 18 Erstmeldungen bei 31 Verfahren mit TÜ-Anordnungen. Der genaue prozentuale Anteil von OK-Komplexen mit TÜ ist wegen der Fortschreibungen nicht zu ermitteln. 139 Pol. Lagebild Ba-Wü 1999, S. 35. 140 Pol. Lagebild Ba-Wü 2000, S. 41. 141 Pol. Lagebild Ba-Wü 1994, S. 102; 1995, S. 47. 142 Pol. Lagebild Ba-Wü 1994, S. 97.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
319
lungsgruppen (OEG) zum Einsatz Verdeckter Ermittler im Bereich der Organisierten Kriminalität gebildet143. In den Jahren 1995 bis 1998 wurde in mehr als der Hälfte der OK-Verfahren baden-württembergischer Dienststellen eine Vertrauensperson und / oder ein Verdeckter Ermittler eingesetzt. 100% Verfahren insgesamt mit Einsatz von VE und/oder VP
90% 80%
Verfahren mit VE- und VPEinsatz
70% 60%
Verfahren mit Einsatz nur von VP
50% 40%
Verfahren mit Einsatz nur von VE
30% 20% 10% 0% 1995
1996
1997
1998
1999
2000
Schaubild 46: Einsatz von VP/VE in baden-württembergischen OK-Komplexen in den Jahren 1995 – 2000
Bei der Interpretation des prozentualen Anteils ist zu beachten, dass die Prozentuierung auf Erstmeldungen und Fortschreibungen erfolgte, bei Fortschreibungen häufig aber VE- und VP-Einsatz bereits vor dem Berichtszeitraum abgeschlossen gewesen sein dürften144. Im Übrigen wurde der vorübergehende Rückgang in den Jahren 1998 und 1999 durch „die deutlich angestiegene Internationalisierung von Organisierter Kriminalität und die damit verbundenen tatsächlichen und rechtlichen Probleme zum Einsatz von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen im Ausland“ erklärt145. In den Verfahren, in denen in den Jahren 1998, 1999 und 2000 Verdeckte Ermittler eingesetzt wurden, waren es zum geringen Teil mehrere VE. Dagegen wurden im Jahr 1999 bei 20 Verfahren mit Vertrauenspersonen immerhin 45 VP eingesetzt, im Jahr 2000 bei 16 Verfahren 31 VP. Auch der Einsatz dieser beiden Instrumente betrifft ganz überwiegend Straftaten nach dem BtmG sowie zum geringeren Teil solche der Falschgeldkriminalität 146. Maßnahmen nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO (kleiner Lauschangriff) sind in den Lagebildern nicht ausgewiesen, dafür aber für die Jahre 1999 sowie 2000 je ein großer Lauschangriff nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO147. 143 144 145 146 147
Pol. Lagebild Ba-Wü 1994, S. 98. Vgl. Pol. Lagebild Ba-Wü 1999, S. 35. Pol. Lagebild Ba-Wü 1999, S. 35. Pol. Lagebild Ba-Wü 1996, S. 45; 1997, S. 33; 1998, S. 49. Pol. Lagebild Ba-Wü 1999, S. 35; 2000, S. 41.
320
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
D. Das OK-Lagebild Justiz der Zentralstelle Organisierte Kriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart Das „OK-Lagebild Justiz“ wird in Baden-Württemberg seit dem Jahr 1995 von der „Zentralen Stelle Organisierte Kriminalität“ (ZOK), die seit dem 1. 5. 1995 bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart eingerichtet ist, herausgegeben. Als Aufgaben der ZOK wurden bei ihrer Installierung u. a. die zentrale Erfassung aller OK-Verfahren in Baden-Württemberg sowie die Erstellung eines aktuellen OK-Lagebilds Justiz benannt. Dieses soll neben einem Lageüberblick eine Bewertung und Prognose der Entwicklung der OK in Baden-Württemberg enthalten148. Den Grund für die Aufgabenzuweisung bildete die Tatsache, dass in den Jahren 1990 bis 1994 vom LKA bzw. den einzelnen Staatsanwaltschaften höchst unterschiedliche OK-Zahlen genannt worden waren. So hatte die Justiz für das Jahr 1994 insgesamt 630 OK-Verfahren berichtet, während das LKA nur OK-Komplexe gemeldet hatte. 100 90 80 70 ZOK alle
60
LKA alle
50
ZOK Erstm.
40
LKA Erstm.
30 20 10 0 1995
1996
1997
1998
1999
2000
Schaubild 47: Vergleich der OK-Komplexe im polizeilichen (LKA) und justitiellen Lagebild (ZOK)
Seit dem Jahr 1995 stimmt die Anzahl der OK-Fälle zwischen Polizei und Justiz weitgehend, wenn auch nicht völlig überein. Die Ursache dafür liegt darin, dass in den Justizdaten z. B. in einzelnen Jahren Fortschreibungen von Komplexen berücksichtigt sind, die polizeilicherseits bereits abgeschlossen wurden. Andererseits enthält die polizeiliche Statistik in geringem Umfang Verfahren gegen Randtäter, die noch fortdauern, auf der justitiellen Ebene aber nicht mehr erfasst werden. Obiges Schaubild zeigt die geringen Differenzen zwischen der Erfassung im polizeilichen und justitiellen Lagebild, darüber hinaus aber, dass die Entwicklung aufgrund der weitgehenden Übereinstimmung parallel verläuft.
148
AV vom 25. 04. 1995 – 4701-III / 105.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
321
Bemerkenswert ist, dass von der ZOK Stuttgart gemeinsam mit der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe unter Einbindung verschiedener weiterer Staatsanwaltschaften (einschränkende) Definitionshilfen erarbeitet wurden, welche Komplexe als Organisierte Kriminalität zu erfassen sind. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, „dass die OK-Definition in den Gemeinsamen Richtlinien derart umfassend ist, dass praktisch jede von mehr als zwei Tätern begangene Tat der OK zugeordnet werden könnte.“149 In dieser Definitionshilfe wurde festgehalten, dass „grundsätzlich eine regelmäßig auf Dauer angelegte, i.d.R. mehrstufige Organisationsstruktur“ erforderlich sei. Daher genüge eine „bandenmäßige Begehung allein“ nicht für die Zuordnung zur OK, wenn nicht Anhaltspunkte für das Vorliegen eines der so genannten besonderen Merkmale gegeben seien. Schwierigkeiten bereite vor allem das Merkmal „unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen“. Dazu wurde betont, dass das Tatbestandsmerkmal der „Gewerbsmäßigkeit“ allein ebenso wenig die spezielle Alternative „gewerbliche Struktur“ begründe wie eine bandenmäßige Begehung das Merkmal der geschäftsähnlichen Struktur. Die Begriffe seien vielmehr von einem strukturellen Sinne her zu verstehen, d. h. beim Bandendiebstahl sei z. B. der Verdacht der zentralen Bestellung oder Beuteverwertung, im Betäubungsmittelbereich eine zentrale Steuerung mit festen Lieferanten, Transportwegen, Depots, Kurieren und Verteilernetzen erforderlich. Bei der Benutzung eines Gewerbes für die Begehung einer Straftat müsse der Tarnzweck im Vordergrund stehen, hier genüge es nicht, wenn die Straftaten bei Gelegenheit des legalen Betriebes erfolgten. Das spezielle Merkmal der Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel (OK-Alt. 2) verlange ebenso ein über das jeweilige Tatbestandsmerkmal hinausgehendes Ziel150. Eine bandenmäßige Begehung von Raubtaten könne deshalb ohne zusätzliche Merkmale nicht der OK zugerechnet werden. 100% 80% 60% 40% 20% 0%
OK-Alt. 1 OK-Alt. 2 OK-Alt. 3
LKA 98
ZOK 98
LKA 99
ZOK 99
LKA 00
ZOK 00
Schaubild 48: Spezielle Merkmale der OK-Komplexe im Vergleich LKA / ZOK
Unter dieser Prämisse zeigt die vorstehende Graphik, dass die Staatsanwaltschaften (ZOK) insbesondere bei der Bejahung der speziellen Merkmale 2 und 3, 149 150
Vermerk ZOK vom 30. 11. 1998, S. 3. Z. B. das Statuieren eines Exempels durch die Ermordung eines „pentito“.
21 Kinzig
322
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
d. h. der „Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel“ bzw. der „Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft“, zurückhaltender als die Polizei verfahren. Dieses Ergebnis deckt sich mit den aus Nordrhein-Westfalen vorliegenden Ergebnissen. Im Gegensatz zum polizeilichen Lagebild lässt das justitielle Lagebild in BadenWürttemberg für jeden OK-Komplex nur die Nennung eines Deliktsbereiches zu. Sind mehrere Deliktsbereiche betroffen, muss der jeweilige Deliktsschwerpunkt herangezogen werden. Der Ausschluss von Mehrfachnennungen führt dazu, dass sich die Anteile aller Deliktsbereiche im justitiellen Lagebild im Vergleich zum polizeilichen verringern. Dabei zeigt sich, dass die Dominanz der Betäubungsmittelkriminalität als wichtigstes Deliktsfeld noch zunimmt. Ist sie im Lagebild der ZOK in annähernd der Hälfte der Komplexe (45,5 %) der zentrale Deliktsbereich, erreicht allein die Eigentumskriminalität noch einen Wert von über 10 % (12,0 %). Deutlich geht aus dem Schaubild auch hervor, dass Waffen- bzw. Fälschungsdelikte fast ausschließlich als Begleitdelikte zu anderen Straftaten vorkommen. Auch dieser Befund weist eine hohe Übereinstimmung mit den gemeinsamen bzw. justitiellen Lagebildern aus Nordrhein-Westfalen wie Rheinland-Pfalz auf.
50% 45% 40% 35% 30% ZOK
25% 20%
LKA
15% 10% 5%
ig e so ns t
w el t U m
W ik ri N ac ht le be n Fä ls ch un g
su eu hl
W af fe n
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G ew
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0%
Schaubild 49: Kriminalitätsbereiche in den OK-Komplexen der Jahre 1995 – 2000 (LKA) sowie 1995 – 2000 (ZOK)
Ebenfalls bestätigt sich die Erkenntnis, dass der Kreis der so genannten Hauptbeschuldigten wesentlich enger ist als der der von der Polizei insgesamt erfassten Tatverdächtigen151. So bewegt sich die Anzahl der Hauptbeschuldigten zwischen 1995 und 2000 im Bereich zwischen 4,0 und 5,7 pro Komplex (Schaubild 50). Auch dieses Ergebnis stimmt weitgehend mit den Daten aus Nordrhein-Westfalen sowie anderer Bundesländer überein. 151 Eine Definition des Hauptbeschuldigten ergibt sich allerdings aus dem justitiellen Lagebild Ba-Wü nicht.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
323
12 10 8 6 4 2 0 1995
1996
1997
Tatverdächtige (LKA)
1998
1999
2000
Hauptbeschuldigte (ZOK)
Schaubild 50: Zahl der (Haupt-)Beschuldigten pro OK-Komplex
Untersucht man die Nationalitäten der Hauptbeschuldigten in den Jahren 1995 – 2000 und setzt sie in Beziehung zu den polizeilichen Tatverdächtigen, ergibt sich, dass die Nationalitäten Türkei und „ehemaliges Jugoslawien“ unter den Hauptbeschuldigten etwas stärker repräsentiert sind152. In diesem Zusammenhang führt das Lagebild der ZOK aus, dass sich die eigentlichen Haupttäter bei Ermittlungen gegen ausländische Straftätergruppierungen oft in ihren Heimatländern befänden, nicht identifiziert werden könnten und daher nicht als Hauptbeschuldigte erfasst würden153. Wie die Ermittlungen der Polizei hat auch die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsdauer in den OK-Komplexen, gerechnet bis zum vollständigen Abschluss (Zeitpunkt der letzten Abschlussverfügung) der Ermittlungen, im Vergleich der Jahre 1995 – 1997 und 1998 – 2000 zugenommen. In diesem Dreijahresvergleich hat der Anteil der kurzen Verfahren von unter sechs Monaten von 29 % auf 10 % abgenommen zugunsten der langen Verfahren von über 24 Monaten, die jetzt einen Anteil von 31 % aufweisen. Die lange Ermittlungsdauer der OK-Komplexe ergibt sich auch aus einem Vergleich mit den sonstigen erledigten Ermittlungsverfahren. So erledigten die baden-württembergischen Staatsanwaltschaften im Jahr 1998 93,5 % der Ermittlungsverfahren in einem Zeitraum von bis zu sechs Monaten, und nur 0,6 % dauerten länger als 18 Monate154 (Schaubilder 51 und 52). Wie zu erwarten, werden die OK-Komplexe überwiegend von den großstädtischen Staatsanwaltschaften geführt. Nach den Angaben der ZOK waren in den Jahren 1995 – 2000 für mehr als zwei Drittel aller landesweiten 501 OK-Komplexe die Staatsanwaltschaften Stuttgart (140), Mannheim (93), Karlsruhe (59) sowie Heilbronn (50) federführend (Schaubild 53).
152 Türken: 14,5 % (Hauptbeschuldigte) zu 11,3 % (Tatverdächtige); Jugoslawen: 16,3 % (Hauptbeschuldigte) zu 13,8 % (Tatverdächtige). 153 Lagebild Ba-Wü 1995 / 1996, S. 17 f. 154 Rechtspflege Reihe 2, Gerichte und Staatsanwaltschaften, 1999, S. 138 f.
21*
324
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung 16%
10% 29%
31% 29%
28%
27%
< 6 M. 6-12 M. 12-24 M. > 24 M.
30%
Schaubild 51 (links): Verfahrensdauer 1995 – 1997 Schaubild 52 (rechts): Verfahrensdauer 1998 – 2000
140 120 100 80 60 40 20 0 Stuttgart
Mannheim
Karlsruhe
Konstanz
Ellwangen
Sonstige
Heilbronn
Freiburg
Heidelberg
Ulm
Schaubild 53: Verteilung der OK-Komplexe 1995 – 2000 auf die Staatsanwaltschaften (ZOK)
Im Folgenden wurden für die einzelnen Staatsanwaltschaften jeweils die prozentualen Anteile an der Bearbeitung der insgesamt 501 OK-Komplexe ermittelt. Dem wurden als Vergleichsgrößen gegenübergestellt die prozentualen Anteile der jeweiligen Staatsanwaltschaften an Anklagen vor dem Schwurgericht und der großen Strafkammer in den Jahren 1995 und 1996 (insgesamt 2004) sowie an insgesamt durch die Staatsanwaltschaften in diesen beiden Jahren erledigten Verfahren (insgesamt 873.112)155. Nicht unerwartet weisen die beiden großstädtischen Staatsanwaltschaften Stuttgart und Mannheim vergleichsweise hohe OK-Anteile, die sonstigen ländlichen Staatsanwaltschaften Baden-Baden, Mosbach, Offenburg, Waldshut-Tiengen, Hechingen, Ravensburg, Rottweil und Tübingen dagegen niedrige auf. Gleichwohl fällt der hohe OK-Anteil in Mannheim, in abgeschwächter Form auch der von Heilbronn auf, während der OK-Anteil im Landgerichtsbezirk Freiburg unterdurchschnittlich ist (Schaubild 54). Die weit überwiegende Zahl der Hauptbeschuldigten wird erwartungsgemäß angeklagt bzw. vereinzelt ergehen auch Strafbefehle. Daneben haben Verfahrens155 Berechnung nach Statistik von Baden-Württemberg Band 528, Das Rechtswesen 1996, S. 30 f.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
325
abschlüsse durch Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO oder wegen Abwesenheit des Beschuldigten analog § 205 StPO eine gewisse Bedeutung. 30% 25% 20% 15% 10% 5%
LG-Anklagen
ig e so ns t
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erled. Verf.
Schaubild 54: Verhältnis der OK-Komplexe 1995 – 2000 zu den LG-Anklagen zu SchwG/GrStrK sowie den insgesamt erledigten Verfahren 1995 und 1996
10,5%
2,8%
1,3% Anklagen/Strafbefehl
12,6%
§ 170 Abs. 2 StPO §§ 153 ff StPO 72,8%
§ 205 StPO sonstige
Schaubild 55: Erledigungsstruktur OK-Verfahren Ba-Wü 1995 – 2000
Insgesamt erging im Sechs-Jahres-Zeitraum gegen knapp drei Viertel der 1107 Hauptbeschuldigten (72,8 %) eine Anklage, bei 12,6 % wurde das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, bei 10,5 % nach § 205 StPO. Die im Vergleich mit den Bundesländern Brandenburg, Berlin und Hamburg überaus hohe Anklagequote dürfte darauf zurückzuführen sein, dass durch die Begrenzung der Datenerhebung auf Hauptbeschuldigte bereits eine gewisse Vorauswahl stattfindet. Interessant ist ein Blick auf die Dauer der OK-Verfahren vor den baden-württembergischen Gerichten. So konnten im Jahr 2000 immerhin 86,8 % der OK-Verfahren (überwiegend am Landgericht) in einem Zeitraum von bis zu fünf Haupt-
326
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 1995 1996 1997 1998 1999 2000
bis zu 5 Tage bis zu 10 Tage bis zu 20 Tage über 20 Tage
1995 1996 1997 1998 1999 2000
Schaubild 56 (links): Dauer der Hauptverhandlungen in Ba-Wü in OK-Verfahren (Sitzungstage) Schaubild 57 (rechts): Dauer der Hauptverhandlungen in Ba-Wü in LG-Verfahren 1. Instanz (Sitzungstage)
verhandlungstagen abgeschlossen werden. Damit nähert sich die Entwicklung dem Ergebnis der vor den baden-württembergischen Landgerichten in erster Instanz mit Hauptverhandlung erledigten Verfahren156. Der Vergleich zwischen Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen der Jahre 1999 und 2000 zeigt, dass die OK-Verfahren in Baden-Württemberg zügig erledigt werden (Schaubild 58). Entsprechend und im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen wird im baden-württembergischen OK-Lagebild Justiz auch nicht das Thema „Konfliktverteidigung“ erörtert.
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
HV < 5 Tage 5 < HV < 10 10 < HV < 20 HV > 20 Tage
1999 NRW
1999 Ba-Wü
2000 NRW
2000 Ba-Wü
Schaubild 58: Dauer der Hauptverhandlung in OK-Verfahren im Vergleich NRW / Ba-Wü 1999 – 2000
Die Aufteilung der Verurteilungen nach Deliktsbereichen zeigt wiederum hohe Anteile des Rauschgifthandels und -schmuggels. Von den anderen Deliktsbereichen erreicht nur die Eigentumskriminalität im Jahr 1997 einen Anteil von mehr 156
Berechnungen nach Arbeitsunterlage Strafgerichte 1995 – 2000, jeweils Tabelle 4.4.
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
327
als 20 %. Bemerkenswert ist der in den letzten Jahren ansteigende Anteil der Schleusungskriminalität, der sich darauf zurückführen lässt, dass seit dem Jahr 1997 die Bemühungen um Strukturermittlungen der Polizeidienststellen des Landes (Einrichtung der Sonderkommission „Schleuser“ beim LKA Baden-Württemberg) unter Einbindung des Bundesgrenzschutzes verstärkt wurden. 70% 60% Rauschgifthandel und -schmuggel
50%
Eigentumskriminalität 40%
Schleuserkriminalität
30%
Wirtschaftskriminalität Nachtleben
20%
sonstige 10% 0% 1995
1996
1997
1998
1999
2000
Schaubild 59: Verurteilungen nach Deliktsbereichen in OK-Verfahren in Ba-Wü
In OK-Verfahren in Baden-Württemberg sind in den letzten Jahren hohe Freiheitsstrafen verhängt worden. So lag der Anteil von Freiheitsstrafen von über fünf Jahren an allen Freiheitsstrafen 1999 und 2000 jeweils über 30 %, in NordrheinWestfalen darunter.
80% 60% 40% 20% 0%
FS < 5 J. FS > 5 J. NRW 1999
Ba-Wü 1999
NRW 2000
Ba-Wü 2000
Schaubild 60: Höhe der Freiheitsstrafen in OK-Verfahren in NRW und Ba-Wü im Vergleich
Nach vollständigem Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen beurteilt die Staatsanwaltschaft (noch einmal), ob im Nachhinein die „OK-Relevanz“ eines Verfahrens auszuschließen ist. Während dies in den Jahren 1995 (bei 4 von 40 vollständig abgeschlossenen OK-Komplexen) und 1996 (bei 4 von 39) noch gelegentlich vorkam, ist diese Bewertung in den letzten Jahren sehr selten geworden (1997: 1 von 26; 1998: 0 von 30; 1999: 0 von 32; 2000: 1 von 32).
328
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
E. Zusammenfassung Das Lagebild Organisierte Kriminalität wurde durch das Bundeskriminalamt erstmals im Jahr 1991 mit dem Ziel erstellt, die Existenz Organisierter Kriminalität anhand nachprüfbarer Fakten zu belegen. Heute erhebt es den Anspruch, „gesicherte quantitative Angaben im Zusammenhang mit qualitativen Aussagen zu Gruppenstrukturen und Kriminalitätsbereichen“ zu liefern sowie „nachvollziehbare Grundlagen für strategische Planungen“ zu schaffen. Nach Anlaufschwierigkeiten verläuft die Zahl der bundesweit ausgewiesenen OK-Komplexe seit dem Jahr 1993 mit jährlich rund 800 – 900 weitgehend stabil, während bei den Erstmeldungen tendenziell (Ausnahme: 2000) ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist. Regional sind allerdings unterschiedliche Entwicklungen zu beobachten. Teilweise starken Anstiegen, wie im Jahr 2000 in Berlin, aber auch in den gesamten 90er Jahren in Bayern, stehen kontinuierliche Rückgänge gegenüber, so etwa seit 1996 in Hessen. Diese Differenzen zwischen einzelnen Bundesländern bestätigten sich bei einem Vergleich der Anteile an der gemeldeten organisierten mit denen an der allgemeinen Kriminalität. So stammten im Jahr 2001 15,2 % aller berichteten OK-Komplexe aus dem Bundesland Berlin, aber nur 9 % der gesamten in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Kriminalität. Demgegenüber ist das Bundesland Nordrhein-Westfalen mit einem OK-Anteil von 11,3 % belastet, aber mit einer Rate von 21,6 % an der allgemeinen Kriminalität. Der Grund dafür dürfte in einem unterschiedlichen Meldeverhalten zu sehen sein, das durch den weiten Begriff der organisierten Kriminalität begünstigt wird. Bei den speziellen Merkmalen organisierter Kriminalität dominiert die „Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen“ mit einem Anteil von zuletzt annähernd 90 %. Die Alternativen der Gewaltanwendung bzw. Einschüchterung sowie die Einflussnahme treten dahinter zurück. Zur großen Rate des (flexiblen) Merkmals der Geschäfts- oder Gewerbsmäßigkeit passt, dass unter den Deliktsbereichen dem Rauschgifthandel und -schmuggel überragende Bedeutung zukommt, die in den letzten Jahren sogar noch gewachsen ist. Daneben steht aber auch bei der nachgeordnet relevanten Eigentumskriminalität sowie der Kriminalität im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben die Erzielung von Profit motivational im Vordergrund. Wegen eines weiten Tatverdächtigenbegriffs haben die Angaben der Tatverdächtigen wie auch zur Größe der Gruppierung nur eine sehr begrenzte Aussagekraft. Bedeutsamer ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Zahl der jährlich festgenommenen Tatverdächtigen zwischen 2500 und 3000 bewegt, die der Tatverdächtigen mit Haftbefehlen zwischen 2000 und 2500. Die gemeldeten Schäden und Gewinne schwanken stark, da sie häufig von einzelnen schadens- bzw. gewinnträchtigen Wirtschaftsstrafverfahren beeinflusst werden. Ab Mitte der 90er Jahre ist es der Polizei gelungen, den Anteil der Komplexe, die aktiv, d. h. nach polizeilichen Erkenntnissen oder aufgrund aktiver Informa-
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
329
tionsbeschaffung zustande kommen, auf etwa zwei Drittel zu erhöhen. Außerdem sind die Komplexe organisierter Kriminalität durch ein hohes Maß an internationalen Bezügen (d. h. mindestens ein Tatort im Ausland; seit 1996 konstant über 75 %) sowie dadurch gekennzeichnet, dass es sich bei rund 60 % der Tatverdächtigen um Ausländer handelt. Trotz seit Jahren steigenden Personaleinsatzes hat sich die Ermittlungsdauer verlängert. Seit dem Jahr 1995 werden mehr Verfahren mit Maßnahmen der Gewinnabschöpfung wie auch mit Geldwäschehandlungen gemeldet. Neuerdings reichert das BKA diese quantitativen Angaben mittels so genannter Strukturanalysen an. Dabei wurde eine hohes OK-Potential für rund 10 % der Gruppierungen ermittelt. Weiter wird versucht, Aussagen über die OK entlang der Parameter „Nationalität“ wie „Deliktsbereich“ zu treffen. Bei einer Betrachtung der Organisationsform wurden allerdings ausschließlich „zwei- oder dreistufige Hierarchiestufen“ erkannt und für die meisten näher untersuchten OK-Komplexe ein eher einfacher Organisationsaufbau beschrieben. Setzt man die zu organisierter Kriminalität vorliegenden quantitativen Ergebnisse in Beziehung zur Gesamtkriminalität kann jedenfalls im Hellfeld nicht von einem dramatischen OK-Aufkommen gesprochen werden. Beim Vergleich der OKDaten mit der Polizeilichen Kriminalstatistik fallen vor allem die hohen Anteile ausländischer Tatverdächtiger sowie der Betäubungsmittelkriminalität ins Auge. Das Lagebild Organisierte Kriminalität hat dabei die gleiche eingeschränkte Aussagekraft wie jegliche Polizeiliche Kriminalstatistik. Einerseits ist das Dunkelfeld nicht erfasst, andererseits sind die polizeilichen Erkenntnisse noch keiner juristischen Bewertung zugeführt. Zusätzlich ist das Lagebild Organisierte Kriminalität mit der Problematik des weiten Begriffes organisierte Kriminalität belastet, der die Einordnung unterschiedlichster Phänomene unter der Bezeichnung organisierte Kriminalität ermöglicht. Dessen ungeachtet sind die Ergebnisse des Lagebildes, insbesondere auch der quantitative Teil, von großer politischer Bedeutung, was sich in der jährlichen Vorstellung der ermittelten Zahlen durch die jeweiligen Innenminister dokumentiert. Seit Mitte der 90er Jahre wurden, beginnend in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, Versuche unternommen, die polizeilichen Lagebilder durch justitielle Erkenntnisse zu ergänzen. Mittlerweile verfügen 12 der 16 Bundesländer über gemeinsame Lagebilder Polizei / Justiz oder solche der Justiz. Schwierigkeiten bereitet dabei häufig, polizeiliche und justitielle Daten kompatibel zu gestalten. Es verschieben sich nicht nur die Erfassungszeiträume, sondern ein OK-Komplex der Polizei vervielfältigt sich in der Regel auf der justitiellen Ebene, indem er zu mehreren Ermittlungsverfahren führt. Diese Schwierigkeiten sowie eine in den Bundesländern unterschiedliche Zählweise nach Komplexen oder justitiellen Ermittlungsverfahren lassen daher nur eingeschränkt einen Vergleich der Resultate zwischen den Ländern zu. Dennoch lassen sich in den gemeinsamen Lagebildern in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen weitere Belege für eine unterschied-
330
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
liche Interpretation des OK-Begriffs finden. Insgesamt führt die justitielle Sichtweise zu einer Reduktion der von der Polizei angegebenen Daten. So werden in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich sechs bis acht Personen pro OK-Komplex als dem inneren Täterkreis zuzurechnende Hauptbeschuldigte angesehen und auch die speziellen OK-Merkmale Gewaltanwendung bzw. Einflussnahme zurückhaltender bejaht. Gemeinsam ist der staatsanwaltschaftlichen Erledigungspraxis in OKStrafverfahren in den Ländern, dass die Anklageraten höher als bei der allgemeinen Kriminalität ausfallen. Andererseits divergiert die Anklagerate zwischen den Bundesländern erheblich, wie 64,2 % in Hamburg gegenüber 18,9 % in Brandenburg belegen. Wie zu erwarten, werden die einzelnen Ermittlungsverfahren in der Regel gegen mehrere Beschuldigte geführt. Einerseits augenfällig, andererseits aber auch leicht erklärlich ist der Umstand, dass die OK-Verfahren häufig zu Freiheitsstrafen führen. In Nordrhein-Westfalen scheint die restriktive Auswahl der OK-Verfahren zusammen mit der Begrenzung der Erhebung auf Hauptbeschuldigte hohe Anteile längerer Freiheitsstrafen zu bedingen. Deliktisch dominiert auch bei den Verurteilungen die Betäubungsmittelkriminalität mit regionalen Abweichungen wie etwa dem Sonderfall der Kfz-Verschiebungen in Berlin. Aus justitieller Sicht wird hervorgehoben, dass unter den Führungsgruppen der OK eine stärkere landsmannschaftliche Geschlossenheit zu verzeichnen sei. Vermehrte polizeiliche Bemühungen bei der Verfolgung von Geldwäschehandlungen wie auch bei der Gewinnabschöpfung spiegeln sich nur in stark eingeschränktem Umfang in den justitiellen Lagebildern. So gelangt aus vielfältigen Gründen nur ein Bruchteil der beschlagnahmten Vermögenswerte letztendlich an den Staat. Eindeutig ist die führende Stellung der Telefonüberwachung bei den besonderen Ermittlungsmaßnahmen. Sie kann als Standardmaßnahme in OK-Verfahren bezeichnet werden. Zu unterscheiden ist dabei die Zahl der TÜ-Anordnungen (Beschlüsse) und die Zahl der darin aufgeführten abzuhörenden Anschlüsse. Steigerungsraten werden auf ein verändertes Kommunikationsverhalten der Tatverdächtigen, insbesondere den Gebrauch von Mobiltelefonen, zurückgeführt. Daneben ist, vornehmlich zu Beginn des Ermittlungsverfahrens, auch der Einsatz von Vertrauenspersonen / Informanten bzw. in abgeschwächter Form auch derjenige Verdeckter Ermittler von Bedeutung. Deutlich seltener werden dagegen der kleine und der große Lauschangriff angewendet. Ein hohes Maß an Telefonüberwachungen vornehmlich ausländischer Täter ist nicht nur mit großen Kosten verbunden, sondern birgt gleichzeitig das Problem der adäquaten Einführung der überwachten Gespräche in die Hauptverhandlung. Bereits für die ermittelnden Staatsanwälte bestehen Probleme, das gelieferte Material sichten und verarbeiten zu können. Gleiches gilt wegen des Mündlichkeitsprinzips selbstverständlich auch für das erkennende Gericht. Die Schwierigkeiten, den umfangreichen Ermittlungsstoff zu bewältigen, fördern eine Verfahrensbeendigung durch einvernehmliche Absprachen. Als weiterer Grund für die Zunahme der „Deals“ wird in einigen Bundesländern, etwa Nordrhein-Westfalen, die Strategie der Konfliktverteidigung angeführt, die in OKVerfahren zu beobachten sei. Allerdings gelingt es auch in Nordrhein-Westfalen,
Abschn. 1, Kap. 11: Die Lagebilder Organisierte Kriminalität
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knapp zwei Drittel der Verfahren in weniger als fünf Tagen Hauptverhandlung zum Abschluss zu bringen. Abzuwarten bleibt, ob die Zunahme der Hauptverhandlungsdauer im Jahr 2001 eine Ausnahme darstellt. Über das Entstehen von OKVerfahren äußert sich nur das Gemeinsame Lagebild Bayerns, das eine stärkere verfahrensleitende Stellung der Staatsanwaltschaft anmahnt. Auswertungen über das Vorliegen so genannter OK-Indikatoren ergaben in verschiedenen Bundesländern ganz ähnliche Ergebnisse. Im Ergebnis dominiert ein gut geplantes, profitorientiertes Zusammenwirken mehrerer, allerdings im internationalen Rahmen. Äußerungen zur Organisationsform der agierenden Täter lassen sich den justitiellen Berichten nur selten entnehmen. Für die Gruppierungen wird eine breite Palette von Bezeichnungen verwandt, ohne dass damit eine bestimmte Vorstellung verbunden zu sein scheint. In den Lagebildern von Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein wird allerdings darauf hingewiesen, dass in Deutschland eher Straftäterverflechtungen am Werk seien und Organisationen allenfalls aus dem Ausland in die Bundesrepublik hineinwirkten. In einigen Bundesländern wird die wachsende Bedeutung der internationalen, insbesondere europäischen Zusammenarbeit bei der Verfolgung organisierter Kriminalität betont und die Nutzung der dazu geschaffenen Instrumente angemahnt. Gleichzeitig werden aber immer noch teilweise massive Probleme in der internationalen Zusammenarbeit, etwa bei der Durchführung von Rechtshilfeersuchen, selbst im Schengen-Raum, beklagt. Untersucht man die polizeilichen OK-Daten aus Baden-Württemberg, dem Bundesland, auf das sich die weiteren empirischen Erhebungen konzentrieren werden, lässt sich eine zahlenmäßig ähnliche Entwicklung wie im Bund ausmachen: eine gleichbleibende Zahl an OK-Komplexen bei eher rückläufiger Zahl der Erstmeldungen. Verschiedene als Spezifika organisierter Kriminalität eingeschätzte Variablen sind in Baden-Württemberg stärker als im Bundesdurchschnitt ausgeprägt: So werden die speziellen OK-Merkmale häufiger bejaht, es erfolgten vergleichsweise viele Festnahmen und Haftbefehle, es liegt häufiger eine internationale Tatbegehung vor sowie ein höherer Ausländeranteil, insbesondere von Italienern. Die in den OK-Komplexen erfassten Deliktsbereiche ähneln in Baden-Württemberg denen im Bund bei noch stärkerer Dominanz der Betäubungsmitteldelikte. Auch werden in Baden-Württemberg die Verfahren noch häufiger aktiv eingeleitet. Gleichzeitig dauern sie etwas länger, bei steigenden Polizeikosten. Mit hohen Werten schlagen sich auch die in Baden-Württemberg forcierten Versuche der Gewinnabschöpfung wie der Aufdeckung von Geldwäschehandlungen nieder. Wie im Bund besitzt in Baden-Württemberg die Telefonüberwachung unter den besonderen Ermittlungsmaßnahmen eine überragende Bedeutung. Der aktiveren Verfahrenseinleitung entsprechen in Baden-Württemberg vergleichsweise häufige Einsätze von VP wie VE neben der traditionellen Standardmaßnahme der Durchsuchung, die in der Regel beim Übergang von den verdeckten in die offenen Ermittlungen erfolgt.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Als bundesweit führend in der Erfassung der Fälle organisierter Kriminalität erweist sich Baden-Württemberg dadurch, dass in diesem Bundesland bereits im Jahr 1995 durch die Einrichtung der Zentralen Stelle Organisierte Kriminalität Konsequenzen aus der Divergenz zwischen polizeilichen und justitiellen OK-Zahlen gezogen wurden. Seit diesem Jahr beurteilen Polizei und Justiz auf einer gemeinsamen Sitzung, welche OK-Komplexe die OK-Definition erfüllen und damit in das polizeiliche wie auch das justitielle Lagebild eingestellt werden. Besondere Bedeutung hat dabei der Umstand, dass man seitens der Staatsanwaltschaft von Anfang an um eine einschränkende Interpretation des OK-Begriffes bemüht war und dafür eine Interpretationshilfe erstellt hat. Wie in Nordrhein-Westfalen führt die justitielle Sicht zu einer geringeren Bejahung der speziellen OK-Merkmale Gewaltanwendung sowie Einflussnahme. Im deliktischen Bereich kommt es aus der Perspektive der Staatsanwaltschaft zu einer noch dominanteren Stellung der Rauschgiftkriminalität. Einen Anteil von über 10 % erreicht daneben nur noch die Eigentumskriminalität. Wie in NordrheinWestfalen ist der Kreis der Hauptbeschuldigten wesentlich enger als der der polizeilichen Tatverdächtigen und umfaßt nur rund vier bis fünf Personen pro Komplex, wobei unter den Ausländern Italiener, Türken und Jugoslawen noch stärker hervortreten. Die Verfahrensdauer hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Regional sind die großstädtischen Landgerichtsbezirke wie Stuttgart und in besonderem Maße Mannheim vermehrt mit OK-Verfahren belastet. Auffällig ist der sehr hohe Anteil an Anklagen (im Zeitraum von sechs Jahren 72,8 %) unter den Verfahrensabschlüssen, der auf die engere Auswahl der Hauptbeschuldigten zurückzuführen sein dürfte. Interessant ist, dass in den letzten Jahren Verfahren häufiger zu einem schnellen Abschluss kommen, d. h. eine kurze Hauptverhandlungsdauer aufweisen. Dazu paßt, dass im OK-Lagebild Justiz in Baden-Württemberg der Begriff der Konfliktverteidigung nicht auftaucht. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man den hohen Anteil an langen Freiheitsstrafen berücksichtigt, der wesentlich auf die Verurteilungen wegen Betäubungsmitteldelikten zurückzuführen sein dürfte.
Abschnitt 2
Eigene empirische Untersuchungen Kapitel 12
Ziele, Hypothesen und Methoden der empirischen Untersuchung A. Ziele der empirischen Untersuchung Wie bereits gesehen, liefert die empirische Forschung, die sich mit dem Phänomen organisierter Kriminalität in Deutschland auseinandersetzt, ganz überwiegend eine auf Befragungen basierende Beschreibung polizeilicher Sichtweisen von organisierter Kriminalität, teilweise auch von Aktions- und Reaktionsmustern dieser an der Strafverfolgung beteiligten Behörde. „Terra incognita“ ist dagegen, wie organisierte Kriminalität und Strafjustiz miteinander verknüpft sind. Dabei kann diese Verknüpfung von zwei Seiten betrachtet werden: Einerseits ist ungeklärt, wie Fälle organisierter Kriminalität ganz konkret aufgegriffen und bewältigt werden. Andererseits stellt sich die Frage, ob nicht die zur „Bekämpfung organisierter Kriminalität“ eingeführten Maßnahmen die Strafjustiz verändert haben bzw. noch verändern oder, anders formuliert, ob das herkömmliche Straf(prozess-)rechtssystem überhaupt in der Lage ist, auf Erscheinungsformen organisierter Kriminalität angemessen zu reagieren. Die Tatsache, dass empirische Forschung in diesem Bereich Neuland betritt und kaum auf vorangegangenen Arbeiten aufbauen kann, macht genauere Überlegungen dazu erforderlich, worauf das wissenschaftliche Programm einer solchen Untersuchung zu konzentrieren ist. Soll eine der vielen Fragen der Wechselwirkung zwischen dem Vorgehen gegen organisierte Kriminalität und den Folgen für die Strafjustiz ausschließlich und damit mit der Möglichkeit besonderer Intensität angegangen werden oder ist ein eher breitflächiger Untersuchungsansatz vorzuziehen, auch wenn dieser Gefahr laufen mag, nicht jede Detailfrage „in extenso“ zu behandeln? Da die Beschreibung der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die Rechtsprechungsanalyse gezeigt haben, dass das Vorgehen gegen organisierte Kriminalität auf den unterschiedlichsten Gebieten Auswirkungen zeitigt, schien es besonders attraktiv, das Forschungsinteresse primär auf die angesprochene übergreifende Frage auszurichten und den gesamten Prozess der Verarbeitung dieser Kriminalitätsform in den Blick zu nehmen, vom Entstehen des Ermittlungsverfahrens bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss. Wie die vorangegangenen Erörterungen gezeigt
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
haben, ist sogar ein Blick auf vorgelagerte Aktivitäten unter der Ägide des Polizeirechts erforderlich, will man die Reaktion auf Erscheinungsformen organisierter Kriminalität angemessen beschreiben. Die Behandlung lediglich einzelner Problembereiche hätte die Gefahr einer Blickverengung mit sich gebracht und vor allem die Möglichkeit abgeschnitten, Interdependenzen aufzuzeigen, die sich durch Änderungen in einem Teil des straf(prozess)rechtlichen Ablaufs für einen anderen ergeben können. Daher ist es ein erstes Ziel der folgenden empirischen Untersuchung, einen Überblick über die Verarbeitung der als organisierte Kriminalität definierten Fälle durch die strafrechtlichen Instanzen herzustellen. Dazu gehört die Ermittlung von Eckdaten der Ergebnisse des polizeilichen Ermittlungsberichts, der Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft, der Ausgestaltung der Hauptverhandlung und des gerichtlichen Urteils. Dadurch soll zugleich herausgefunden werden, was an justitiellem Ertrag von den Verfahren übrig bleibt, die in Sachen organisierter Kriminalität geführt werden. Über diesen grundlegenden Überblick hinaus wird die empirische Untersuchung auf drei Teilaspekte fokussiert: 1. Beschreibung der als organisierte Kriminalität aufgegriffenen Sachverhalte sowie der handelnden Tätergruppierungen Die bisher erstellten empirischen Studien geben keinen systematischen Überblick darüber, welche Sachverhalte konkret von den Strafverfolgungsorganen unter dem Begriff organisierte Kriminalität aufgegriffen werden. Das Lagebild des Bundeskriminalamtes umfasst primär aggregierte Daten sowie in neuerer Zeit Analysen anhand weniger Parameter wie Kriminalitätsbereiche oder Zugehörigkeit zu einer Nationalität. Die polizeilichen und justitiellen Lagebilder der Länder schildern teilweise einzelne, zum Teil spektakuläre Ermittlungsverfahren, ohne aber eine breitere Bestandsaufnahme über die bearbeiteten Fallkonstellationen zu liefern. Diese Lücke soll dadurch geschlossen werden, dass eine relevante Anzahl von OKKomplexen erfasst, kategorisiert und beschrieben wird. Wie gesehen, wurden verschiedene prozessuale wie auch materiellrechtliche Neuerungen mit der Gefährlichkeit organisierter Kriminalität begründet. Dies lenkt den Blick auf die Frage, ob in den Ermittlungs- und Strafverfahren Merkmale auszumachen sind, die auf eine besondere Gefährlichkeit dieser Kriminalitätsform schließen lassen. In diesem Zusammenhang ist danach zu fragen, welche Struktur die ermittelten Tätergruppierungen aufweisen. Handelt es sich nach wie vor eher um Straftäterverflechtungen oder sind Tätermehrheiten erkennbar, die man als kriminelle Organisationen bezeichnen könnte, die also z. B. einen selbständigen Charakter aufweisen, sich reproduzieren und daher als gegen strafrechtliche Verfolgung immun erweisen?
Abschn. 2, Kap. 12: Hypothesen und Methoden der empirischen Untersuchung
335
2. Organisierte Kriminalität und ihre Auswirkung auf den Strafprozess Wie schon gezeigt, versucht die Polizei, bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität proaktiv, initiativ vorzugehen. Damit werden Ermittlungsverfahren auf eine neue Art und Weise generiert, eine Entwicklung, die möglicherweise als (Teil) eine(r) Verpolizeilichung des Strafverfahrens beschrieben werden kann. Untersucht werden soll, ob und welche Anzeichen dieser Verpolizeilichung sich in Verfahren dokumentieren lassen, die unter dem Stichwort organisierte Kriminalität aufgegriffen werden. Eine neue Qualität könnte das Strafverfahren auch durch die Anwendung der besonderen Ermittlungsmaßnahmen gewinnen. Wie bereits gesehen, haben die vermuteten Bedrohungen durch die organisierte Kriminalität zur Einführung bzw. Regelung verschiedener eingriffsintensiver Instrumente nicht nur auf dem Gebiet des Strafprozessrechts geführt. Über die Anwendung dieser Maßnahmen wie über ihre Eignung in Verfahren der Verfolgung organisierter Kriminalität ist aber bisher wenig bekannt. Wie werden sie eingesetzt, wer wird davon betroffen, und welchen Beitrag leisten sie zur Aufklärung der entsprechenden Straftaten? Welche Veränderungen erfährt das gesamte Strafverfahren, insbesondere die Gestaltung der Hauptverhandlung, durch die Ausweitung dieser techniklastigen Maßnahmen? Welche verfahrensökonomischen Strategien werden zur Bewältigung des Verhandlungsstoffes angewandt? 3. Die Anwendung und die Leistungsfähigkeit der zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität entwickelten materiell-rechtlichen Instrumente Übereinstimmung dürfte dahingehend bestehen, dass bei Strafverfahren auf dem Gebiet organisierter Kriminalität jedenfalls eine Vielzahl von Beschuldigten sowie zu ermittelnden und vom Strafrechtssystem zu verarbeitenden Straftaten betroffen ist. Dies stellt besondere Anforderungen an einen Strafprozess, der sich traditionell mit einer Straftat eines Straftäters befasst. Materiell-rechtlich hat der Gesetzgeber auf die Gefahren organisierter Kriminalität erstmals vor zehn Jahren dadurch zu antworten versucht, dass er eine Reihe von bandenmäßigen Verhaltensweisen verschärft unter Strafe gestellt hat. Vollkommen ungeklärt ist bis jetzt die Frage, ob diese neuen Bestimmungen in Fällen organisierter Kriminalität überhaupt zur Anwendung kommen bzw. welche Schwierigkeiten mit ihrer Implementierung verbunden sind. Insbesondere: Sind die im Strafrecht entwickelten Kategorien von Täterschaft und Teilnahme, Bandenmitgliedschaft bis hin zur Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ausreichend, um adäquat auf die möglicherweise neuartigen Mehrtäterkonstellationen antworten zu können? Daneben stellt sich die Frage, welche Bedeutung die ebenfalls in den letzten Jahren bei einer Vielzahl von Tatbeständen eingeführte Rechtsfigur der gewerbsmäßigen Begehungsweise für die Strafbarkeit von Straftätern besitzt, die der orga-
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
nisierten Kriminalität zugerechnet werden. Nur kursorisch zu behandeln sind die Aktivitäten auf dem Gebiet der Gewinnabschöpfung und des Vorgehens gegen Geldwäsche, da zu diesen beiden Problemkreisen schon mehrere empirische Untersuchungen vorliegen. Implizit soll eine Antwort auf die Frage gefunden werden, ob der derzeitige Begriff organisierter Kriminalität eine sinnvolle juristische Kategorie darstellt bzw. welche Folgerungen aus dem untersuchten Datenmaterial für eine juristische Begriffsbildung gewonnen werden können. Oder geht es bei der Einordnung von Ermittlungsverfahren unter dem Begriff organisierte Kriminalität nicht um ein Vorgehen gegen eine bestimmte Kriminalitätsform, sondern lässt sich eine andere Funktion bestimmen, die damit verbunden ist?
B. Entwicklung von Arbeitshypothesen Vor dem Hintergrund der generellen Forschungsfrage „Wie erfolgt die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität?“ sind für den empirischen Teil Arbeitshypothesen zu bilden, die sich auf die genannten drei Ziele der Untersuchung beziehen. Aus der bisherigen empirischen Forschung und aus einzelnen Lagebildern der Bundesländer ergeben sich Hinweise darauf, dass die im Hellfeld erkennbaren Tätergruppierungen nach wie vor als Verflechtungen von Straftätern, d. h. eher als punktuell zusammenarbeitende Personen denn als dauerhaft angelegte Organisationen beschrieben werden können, deren Mitglieder austauschbar sind. Diese Erkenntnis führt zur ersten Arbeitshypothese: 1. Die Tätergruppierungen, gegen die Ermittlungsverfahren in Sachen organisierter Kriminalität geführt werden, lassen sich eher als lockere Zusammenschlüsse von Straftätern denn als kriminelle Organisationen beschreiben. Für eine überwiegend gering ausgeprägte Struktur dieser Gruppierungen spricht die Überlegung, dass durch die Illegalität des verabredeten Verhaltens bedingt die stabilisierende Wirkung des Rechts für die interpersonalen Beziehungen entfällt. Dazu kommt, dass auch das Ziel eines persönlichen maximalen Gewinns zu gegenläufigen Interessen der kriminellen Akteure führt. Dauerhafte Beziehungen sind demnach nur da zu erwarten, wo andere Faktoren vorhanden sind, die die jeweiligen Straftäter aneinander binden. Daraus lässt sich die nächste Arbeitshypothese ableiten. 2. Stabile Tätergruppierungen mit einem gewissen Maß an Dauerhaftigkeit wie einem festen Bündnis der beteiligten Personen sind nur da zu erkennen, wo die Teilnehmer besondere Gemeinsamkeiten wie Verwandtschaft, Herkunft etc. aufweisen.
Abschn. 2, Kap. 12: Hypothesen und Methoden der empirischen Untersuchung
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Insgesamt ist die halbamtliche Definition organisierter Kriminalität sehr umfassend geraten. Insbesondere die speziellen Merkmale lassen sich vielfältig interpretieren. Bemerkenswert ist dabei ihre Nähe zu allgemeinen Straftatbeständen bzw. deren Modalitäten. So besteht eine Verwandtschaft des Merkmals „unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen“ zur Qualifikation bzw. dem Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit, der Alternative „unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel“ zu allen Vorschriften, die eine Gewalt- oder Drohungskomponente beinhalten, sowie der Alternative „unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft“ zu den Bestechungstatbeständen. Dies wirft die Frage auf, ob die speziellen Merkmale der Definition organisierter Kriminalität einen über die Erfüllung der entsprechenden Straftatbestände hinausgehenden Bedeutungsgehalt aufweisen. Die dritte Hypothese kann daher wie folgt formuliert werden: 3. Die so genannten speziellen Merkmale organisierter Kriminalität erschöpfen sich in der Regel darin, dass im Sachverhalt Verhaltensweisen identifiziert werden können, die Teil eines Straftatbestands sind oder eine strafschärfende Modalität ausmachen. Eine darüber hinausgehende Qualität kommt ihnen nicht zu. Wenn aber die aufgegriffene organisierte Kriminalität weder durch besondere Mehrtäterstrukturen noch durch eine in höherem Maße organisierte, d. h. geplante, arbeitsteilige Kriminalität hervorgehoben ist, müssen es andere Gründe sein, die zu ihrer Subsumtion unter den Begriff der organisierten Kriminalität führen. Nach den bisher gefundenen Ergebnissen dürfte es sich in der Regel um opferlose Delikte bzw. Straftaten handeln, die nicht angezeigt werden. Dann sind Verfahren organisierter Kriminalität möglicherweise eher durch ein neues Ermittlungskonzept charakterisiert, das bei einer auffälligen Person ansetzt, über die es zunächst Informationen zu sammeln gilt, insbesondere im Wege besonderer Ermittlungsmaßnahmen. Die nächste Arbeitshypothese lautet daher: 4. Gemeinsames Merkmal der unter der Bezeichnung organisierte Kriminalität geführten Ermittlungsverfahren ist, dass so genannte opferlose Kriminalität bearbeitet wird, d. h. Delikte, die nicht angezeigt werden und daher gemeinhin im Dunkelfeld verbleiben. Organisierte Kriminalität ist deswegen eher als eine neue Ermittlungsform der Strafverfolgungsbehörden zu charakterisieren, u. a. unter Gebrauch besonderer Ermittlungsmaßnahmen. Wenn die von den Strafverfolgungsorganen aufgegriffenen Fälle organisierter Kriminalität aber nicht durch das Tätigwerden einer kriminellen Organisation gekennzeichnet sind, kann dem Tatbestand des § 129 StGB keine Bedeutung zukommen, zumal er historisch auf das politische Strafrecht zugeschnitten ist. Arbeitshypothese 5 ist daher wie folgt zu formulieren: 5. Verurteilungen nach § 129 StGB finden sich bei den Fällen organisierter Kriminalität nicht. § 129 StGB spielt allenfalls im Ermittlungsstadium zur Ermöglichung besonderer Ermittlungsmaßnahmen eine Rolle. 22 Kinzig
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Da die Definition organisierter Kriminalität jedoch eine auf längere oder unbestimmte Dauer angelegte Beteiligung von mindestens drei Personen voraussetzt, müsste in den Fällen organisierter Kriminalität, bei denen Delikte mit einer bandenmäßigen Qualifikation abgeurteilt werden, diese Strafschärfungsvorschrift auch angewandt werden. Da eine solche Ahndung andererseits regelmäßig, insbesondere bei § 30a Abs. 1 BtmG, dem bandenmäßigen Betäubungsmittelhandel in nicht geringen Mengen, zu einer erheblichen Anhebung des Strafrahmens führt, wird es das Ziel der Verteidigung sein, den Vorwurf der Bandenmitgliedschaft zu entkräften. Daraus ergibt sich folgende Arbeitshypothese: 6. Sieht in Fällen organisierter Kriminalität der Straftatbestand eine Alternative des bandenmäßigen Verhaltens vor, wird auch nach dieser verurteilt. Dagegen richtet sich allerdings die Strategie der Verteidigung. Vergleichbares gilt für die bei einigen Delikten vorgesehene gewerbsmäßige Begehungsweise mit dem Unterschied, dass sie häufig als Regelbeispiel ausgestaltet ist und vor allem im Betäubungsmittelstrafrecht nicht zu einer solch eklatanten Anhebung der Strafrahmenuntergrenze führt. Arbeitshypothese 7 muss daher lauten: 7. Sieht in Fällen organisierter Kriminalität der Straftatbestand eine Alternative des gewerbsmäßigen Verhaltens vor, wird auch nach dieser verurteilt. Da die Konsequenzen für die Strafzumessung aber geringer als die bei der Bandenmitgliedschaft ausfallen, ist sie auch weniger umstritten. Organisierte Kriminalität wird häufig dadurch charakterisiert, dass in die Erfüllung eines Straftatbestandes verschiedene Personen involviert sind, von dem im Hintergrund agierenden Boss bis zu seinen ausführenden Helfern. Stimmt dieses Bild, ist zu erwarten, dass die Aburteilung der kriminellen Aktivitäten Probleme der Zurechnung für die jeweils beteiligten Straftäter aufwirft. Die nächste Arbeitshypothese ist daher folgendermaßen zu formulieren: 8. Verfahren in Sachen organisierter Kriminalität werfen häufig Probleme auf, die verwirklichten Straftaten den beteiligten Personen zurechnen zu können. Wie gezeigt, hat die Polizei mittlerweile in allen Bundesländern die Kompetenz, zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung im Wege des Polizeirechts eine Reihe von Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen. Lediglich die Möglichkeit der Telefonüberwachung stand ihr bis vor kurzem nur nach dem Strafprozessrecht zu. Will die Polizei eine Telefonüberwachung erreichen, ist also vorher ein strafprozessuales Ermittlungsverfahren einzuleiten. Dies führt zur nächsten Hypothese. 9. In Fällen organisierter Kriminalität beginnt das Ermittlungsverfahren in der Regel mit dem Antrag auf Durchführung einer Telefonüberwachung. In diesen Fällen liegt der Polizei aber zumeist bereits eine Reihe von Informationen vor, die sie im Wege des Polizeirechts erhoben hat. Wenn es sich bei der organisierten Kriminalität primär um schwer aufklärbare opferlose Straftaten handelt, die in der Gegenwart andauern, ist es plausibel, dass
Abschn. 2, Kap. 12: Hypothesen und Methoden der empirischen Untersuchung
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die besonderen Ermittlungsmaßnahmen nicht das Ziel verfolgen, begangene Straftaten aufzuklären, sondern ein vermutetes kriminelles Geschehen zu begleiten. Dies kann aber zu Problemen bei der Begründung strafprozessualer Maßnahmen führen, da der Gesetzestext darauf zugeschnitten ist, dass sich die durchzuführende Maßnahme auf die Feststellung eines kriminellen Geschehens in der Vergangenheit richtet. Die nächste Hypothese heißt wie folgt: 10. Die besonderen Ermittlungsmaßnahmen sind in Fällen organisierter Kriminalität nicht auf die Aufklärung eines strafbaren Verhaltens in der Vergangenheit gerichtet, sondern dienen der Begleitung eines vermuteten kriminellen Geschehens. Die abgeurteilten Straftaten liegen daher typischerweise zeitlich nach Beginn des Ermittlungsverfahrens. Die Anwendung besonderer Ermittlungsmaßnahmen führt häufig zu einer besonderen Komplexität des Verfahrens. Beispielsweise kann die Anordnung einer Telefonüberwachung die Aufzeichnung einer Vielzahl von Gesprächen mit sich bringen, die unter Heranziehung eines oder mehrerer Dolmetscher in die deutsche Sprache übersetzt werden müssen. Wegen des Mündlichkeitsprinzips und dem Drohungspotential der Verteidigung, die gesamten Vorgänge in die Hauptverhandlung einzuführen, begünstigt diese Komplexität in hohem Maße die Beendigung eines Verfahrens durch eine Absprache. These 11 lautet daher: 11. Die Anwendung besonderer Ermittlungsmaßnahmen macht die Strafverfahren in einem hohen Maße komplex. Dies begünstigt die Verfahrenserledigung per Absprache. Wegen des Umfanges und der angesprochenen Komplexität der Verfahren ist es dem Ermittlungsrichter, bisweilen sogar der Staatsanwaltschaft, in erheblichem Maße erschwert, die Berechtigung und Durchführung einer von der Polizei angeregten Anordnung einer besonderen Ermittlungsmaßnahme zu kontrollieren. Daher ist anzunehmen, dass im Wesentlichen die Polizei darüber bestimmt, welche Ermittlungsmaßnahmen zu erfolgen haben. Der Richtervorbehalt erscheint nur noch als Formalie. These 12 ist damit so zu formulieren: 12. Die Begründung für die besonderen Ermittlungsmaßnahmen nehmen wegen der Komplexität der Ermittlungen und fehlender Ressourcen der Justiz in hohem Maße die ermittlungsführenden Polizeibehörden vor. Eine eigenständige Prüfung der Maßnahme durch den Ermittlungsrichter lässt sich oftmals nicht erkennen. Wenn organisierte Kriminalität tatsächlich primär opferlose Kriminalität ist, dürften mangels anderweitigen Beweismaterials die besonderen Ermittlungsmaßnahmen in der Regel einen entscheidenden Beitrag zur Verurteilung von Straftätern in Verfahren organisierter Kriminalität leisten. Daher lautet die nächste These: 13. Die besonderen Ermittlungsmaßnahmen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Ermittlung der Straftaten in Verfahren organisierter Kriminalität. Komplexität entsteht in Verfahren organisierter Kriminalität aber nicht nur durch die aus der Anwendung der besonderen Ermittlungsmaßnahmen resultierenden 22*
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Schwierigkeiten, sondern auch dadurch, dass das System viele Straftaten vieler verschiedener Straftäter verarbeiten muss. Vor allem bei mehreren Angeklagten dürfte schnell eine Grenze erreicht sein, jenseits der keine Hauptverhandlung mehr stattfindet. 14. Ermittlungsverfahren in organisierter Kriminalität stehen vor dem Problem, dass ab einer bestimmten Zahl von Angeklagten die Durchführung einer gemeinsamen Hauptverhandlung nicht mehr praktikabel ist. Wenn aber über einen Sachverhalt, an dem mehrere Personen beteiligt sind, nacheinander in verschiedenen Verfahren verhandelt und geurteilt wird, erwächst für die später entscheidenden Gerichte das vorangegangene Urteil zwar nicht in Rechtskraft, übt aber gleichwohl eine gewisse präjudizielle Wirkung aus. Daneben besteht für das später entscheidende Gericht auch aus Gründen der Gleichbehandlung das Bedürfnis, auszuwerfende Strafen mit vorangegangenen denselben Sachverhalt betreffenden Sanktionen in Beziehung zu setzen. Diese Überlegung führt zur nächsten Arbeitshypothese: 15. Wird über einen Sachverhalt, an dem mehrere Personen beteiligt sind, nacheinander geurteilt, entfaltet die zeitlich zuerst ergangene Entscheidung eine präjudizielle Wirkung. Im Bereich der Strafzumessung versucht das später erkennende Gericht, seine Strafe zum vorangegangenen Urteil in Beziehung zu setzen. Organisierte Kriminalität ist ein Begriff, der für die strafrechtliche Ahndung eines Verhaltens vom normativen Programm her keine Bedeutung hat. Daraus resultiert die Vermutung, dass sich Hinweise darauf, dass eine Straftat durch eine kriminelle Organisation oder organisiert begangen wurde, weder der Anklageschrift noch dem Urteil entnehmen lassen. Allerdings ist es möglich, dass sich dennoch Begriffe, die mit organisierter Kriminalität assoziiert werden, im Urteil finden, und zwar vorrangig bei der Strafzumessung. Die letzte Arbeitshypothese lautet daher: 16. Die explizite Charakterisierung eines Verhaltens als organisierte Kriminalität findet sich weder in der Anklageschrift noch im Urteil. Doch enthalten das Urteil und insbesondere die Erwägungen zur Strafzumessung Begriffe, die gemeinhin mit organisierter Kriminalität assoziiert werden.
C. Auswahl und Diskussion der Erhebungsmethoden Nach der Skizzierung des Forschungsprogrammes und der Formulierung von Arbeitshypothesen sind die zur Beantwortung der Fragestellungen geeigneten empirischen Methoden zu klären.
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I. Die Aktenanalyse
1. Eignung der Aktenanalyse zur Klärung der Forschungsfragen Da es ein zentrales Anliegen der empirischen Untersuchung ist herauszufinden, welche Sachverhalte die Strafverfolgungsorgane als organisierte Kriminalität aufgreifen und wie und mit welchem Ergebnis selbige die strafrechtlichen Instanzen durchlaufen, war insoweit die Inhaltsanalyse in der Form der Dokumentenoder Aktenanalyse die zu favorisierende Erhebungsmethode. Für sie sprach auch, dass sie sich mit einem gegenständlichen, vorgefundenen Objekt befasst, das durch die Analyse selbst nicht verändert werden kann, sie demnach ein non-reaktives Verfahren darstellt1. Während für die ältere kriminologische Forschung ein Teil der Faszination von Aktenanalysen noch darin bestand, die Akten – unkritisch – als wirklichkeitsgetreues Abbild der Realität zu begreifen, hat sich seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts die Einsicht durchgesetzt, dass Strafakten nicht ohne Einbeziehung der Entstehungsbedingungen untersucht werden können2. So besteht heute Konsens darüber, dass die Produktion von Strafakten vor allem der Legitimation justitiellen Handelns dient3. Akten enthalten „die zum Zwecke der Rechtfertigung von Entscheidungen und ihrer rechtlichen Absicherung produzierte Version eines Entscheidungsablaufs.“4 Dabei kann eine verfahrens- und entscheidungsgerechte Konstruktion von Wirklichkeit entstehen, die mit der Realität nicht immer übereinzustimmen braucht5. So besteht vor allem die Gefahr, dass der Bereich der „brauchbaren Illegalität“6 verschwiegen und damit nur ein Teil der wirklich maßgeblichen Entscheidungskriterien wiedergegeben wird7. Der Einwand, der gegen die Dokumentenanalyse mitunter erhoben wird, sie sei zwar in der Lage, feststehende Fakten und Ereignisse festzustellen, Einstellungen der hinter den Dokumenten stehenden Untersuchungspersonen Vgl. Petermann / Noack 1995, 449 ff. Bick / Müller 1984, 141. 3 Weitere in der Literatur genannte Funktionen wie die Registrierung von Informationen, das Festhalten und die Kontrolle von Entscheidungen lassen sich auf die Legitimationsfunktion zurückführen. 4 So Blankenburg 1975, 195. 5 Vgl. den Begriff von der „Realität eigener Art“, der zum ersten Mal bei Blankenburg 1975, 195 auftaucht; zu einer Quellenkritik Karstedt-Henke 1982; für den Bereich der Strafzumessung gibt es das Bonmot von den drei Strafzumessungsgründen: den mündlich verkündeten, den schriftlich niedergelegten und den wirklich gemeinten: vgl. Heinz, W. 1992, 113. Speziell zu den Bedenken gegen die Akten- und Dokumentenanalyse im Bereich organisierter Kriminalität: Besozzi 1997, 50 ff., 81 ff., allerdings mit dem Ergebnis (83), es gebe keinen Anlass auf die Auswertung von Strafakten zu verzichten. 6 Dieser klassische Begriff stammt von Luhmann 1972, 304 ff. 7 Zu möglichen Differenzen zwischen der Darstellung und der Herstellung richterlicher Sanktionsentscheidungen vgl. Hassemer, R. 1983; Dölling 1984, 272; Hermann 1988, 864; demgegenüber weist Albrecht, H.-J. (1994, 206, 408 ff.) auf eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Herstellung und Darstellung der Strafzumessungsentscheidung hin. 1 2
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
könnten jedoch nicht ermittelt werden8, mag zwar begründet sein, trifft die vorliegende Untersuchung aber wegen ihres anderen Erkenntnisinteresses weniger. 2. Wahl des Anknüpfungspunktes für die zu untersuchenden Akten Entscheidet man sich für eine Aktenanalyse, ist die Frage zu beantworten, welcher Anknüpfungspunkt für die Auswahl der zu erhebenden Akten gewählt werden soll. Als wichtigste Datensammlung sind dabei die Verfahren anzusehen, aus denen das Bundeskriminalamt das Lagebild OK erstellt. Zugleich enthalten sie diejenigen Ermittlungskomplexe, die nach Ansicht der Strafverfolgungsbehörden die Kriterien organisierter Kriminalität erfüllen. Zur Vorgehensweise, die für die Aktenuntersuchung zu gewinnenden Fälle aus den zum Lagebild Organisierte Kriminalität gemeldeten Komplexen zu entnehmen und damit an die halbamtliche Definition organisierter Kriminalität anzuknüpfen, gibt es keine Alternative. Zunächst hätte eine andere Auswahl einer eigenen Bestimmung des Begriffes organisierter Kriminalität bedurft. Dabei einzelne Deliktsfelder oder die Erfüllung bestimmter Tatbestände zu (eine)m Kriterium für organisierte Kriminalität zu machen und die Aktenzeichen z. B. mit Hilfe des Bundeszentralregisters zu gewinnen, wäre von vornherein mit der Gefahr verbunden gewesen, dass der Blick auf die Vielfalt der unter dem Stichwort organisierte Kriminalität erfassten Phänomene verstellt wird. Zudem hätte es kein geeignetes Auswahlkriterium gegeben, da etwa die Verurteilung wegen eines banden- oder gewerbsmäßigen Verhaltens nicht geeignet ist, einen hinreichenden Bezug zu organisierter Kriminalität herzustellen. Bei einem Vorgehen über das Bundeszentralregister wäre zugleich die Möglichkeit versperrt gewesen, Verfahren zu untersuchen, die in Einstellungen münden. Neben den bereits erörterten Einschränkungen, die mit der Erhebungsmethode Aktenanalyse generell verbunden sind, ist an dieser Stelle auf spezifische Besonderheiten hinzuweisen, die sich aus dem für das Untersuchungsthema gewählten Zugang ergeben. Sie betreffen vor allem das erste Teilziel der Studie „Beschreibung der als organisierte Kriminalität aufgegriffenen Sachverhalte sowie der handelnden Tätergruppierungen“. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass die Aktenanalyse selbstverständlich nur solche Fälle organisierter Kriminalität erfassen kann, die sich im Hellfeld befinden, d. h. von der Polizei in einem Ermittlungsverfahren aufgegriffen und als organisierte Kriminalität dem LKA und später dem BKA gemeldet wurden. Jedoch gibt es für den Bereich organisierter Kriminalität Vermutungen, dass Mitglieder von Organisationen sich gerade dadurch ausweisen, dass sie sich vor dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden schützen können9. Daher kann die Untersuchung nicht die Frage beantworten, ob es so etwas wie organisierte Kriminalität tatsächlich gibt. Dies stellt aber andererseits kein besonderes 8 9
Vgl. Lamnek 1995, 193. Besozzi 1997, 82.
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Problem dar, steht doch die rechtliche Verarbeitung eines als organisierte Kriminalität erkannten Geschehens im Mittelpunkt der Studie. Im Übrigen erscheint das Dunkelfeldproblem nicht gravierender als bei jeder anderen Untersuchung, die sich mit registrierter Kriminalität oder registrierten Straftätern auseinandersetzt. Zudem ist über den Zugang über die OK-Ermittlungskomplexe gewährleistet, dass auch eingestellte Verfahren, also solche, bei denen Personen zwar strafrechtlichen Ermittlungen ausgesetzt waren, es aber nicht zu einer Verurteilung kam, ausgewertet werden. Diese könnten Personen enthalten, die sich, obwohl kriminell, möglicherweise besonders geschickt verhalten haben. Auch relativiert sich der Dunkelfeld-Einwand dadurch, dass ebenfalls und geradezu entgegengesetzt vermutet wird, im Bereich der organisierten Kriminalität, speziell der Schutzgelderpressung, kämen nur die schwerwiegenden Fälle zur Anzeige10. 3. Aktenzugang und Modifizierung des Untersuchungsplans, zugleich eine Dokumentation der Schwierigkeiten empirischer Forschung auf dem Gebiet organisierter Kriminalität In Vorbereitung des Datenzugangs wurde im Sommer 1997 eine erste Projektskizze erstellt11 und auf dieser Grundlage Gespräche mit Vertretern des Bundeskriminalamtes, des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg und der Zentralen Stelle Organisierte Kriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart geführt. Dabei wurde klar, dass über das Bundeskriminalamt nicht die Aktenzeichen der von den Landeskriminalämtern gemeldeten OK-Komplexe in Erfahrung zu bringen waren. Daher wurde im November 1997 eine Anfrage an das Bundeskriminalamt, an das Zollkriminalamt sowie an alle Landeskriminalämter mit dem Ziel gerichtet, herauszufinden, ob diese Dienststellen über die justitiellen Aktenzeichen der von ihnen gemeldeten OK-Komplexe bzw. OK-Verfahren verfügen und damit eine entsprechende Akteneinsicht bei den Justizbehörden beantragt werden könnte, ob sie Informationen über die jeweiligen Verfahrensausgänge (z. B. Zahl der Einstellungen, Anklagen, Verurteilungen, Strafhöhe) besitzen und ob sich bei Komplexen mit vielen Tatverdächtigen Hauptbeschuldigte ausmachen lassen. Den Hintergrund dieses Vorgehens bildete die Absicht, aus der Vielzahl der einen OK-Komplex ausmachenden Ermittlungsverfahren jedenfalls die wichtigsten Verfahren gegen die Hauptbeschuldigten herauszufiltern. Der Eingang der Antworten zog sich bis ins Frühjahr 1998 hin, wobei deren Inhalt sehr unterschiedlich ausfiel12. Übereinstimmend berichteten die LandeskriBesozzi 1997, 51. Zum Stand Februar 1998 vgl. Kinzig 1999. 12 Auch wenn ein Landeskriminalamt die zeitliche Verzögerung bei der Beantwortung damit begründete, dass „zunächst eine bundesweite Abstimmung zu den Modalitäten der Beantwortung“ erfolgt sei, war von dieser, wie im Folgenden zu sehen sein wird, nicht viel zu bemerken. 10 11
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
minalämter jedoch, dass sie keine systematischen Informationen über den Verfahrensausgang sowie die jeweiligen Hauptbeschuldigten besäßen13. Polizeilicherseits wurden diese Mitteilungen teilweise mit Kritik an der Staatsanwaltschaft verbunden. So hob eine Polizeidienststelle hervor, dass „trotz vielfältiger Bemühungen bisher hierzu keine nennenswerten Erkenntnisse vorliegen.“ Ein anderes Landeskriminalamt äußerte sich wie folgt: „Der Informationsaustausch mit den Staatsanwaltschaften ist grundsätzlich verbesserungswürdig. Mitteilungen zum Verfahrensausgang erfolgen eher sporadisch. Zu den hier in Rede stehenden Ermittlungsverfahren lassen sich deshalb nur teilweise Aussagen zum Verfahrensausgang machen, zumal derartige Informationen nicht gesondert dokumentiert werden.“ Auch wurde deutlich, dass die Landeskriminalämter nicht einmal über eine vollständige Auflistung der Aktenzeichen der justitiellen Ermittlungsverfahren verfügen. So habe man nur das „Führungs-Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft“, „gegebenenfalls später erfolgende Abtrennungen, Zuordnungen zu anderen Az. seitens der StA“ seien nicht bekannt. Wenn teilweise Aktenzeichen genannt werden konnten, erfolgte dies mit dem Hinweis: „Die Anzahl der angegebenen OK-Verfahren . . . ist nicht identisch mit der Anzahl der staatsanwaltschaftlichen Aktenzeichen, da bei der StA Ermittlungsverfahren der Polizei zusammengeführt werden können (und somit nur 1 Aktenzeichen der StA erhalten) oder ein Ermittlungskomplex der Polizei bei der StA in mehrere Vorgänge aufgesplittet wird (und somit mehrere Aktenzeichen erhält).“ Diese Aufsplittung zog die Kritik eines Landeskriminalamtes an der Verfahrensweise der Justiz auf sich: „Einschränkend muss gesagt werden, dass in einigen Fällen zu einem sachlich zusammenhängenden Komplex mehrere staatsanwaltschaftliche Aktenzeichen existieren, die hier nicht ohne weiteres eruiert werden können. Ursächlich dürfte das Bestreben auf Seiten der jeweiligen Staatsanwaltschaft sein, schon im Verlauf des Ermittlungsverfahrens komplexe Sachverhalte ,hauptverhandlungsgerecht‘ aufzuarbeiten, wobei unter Umständen der Sachzusammenhang verlorengeht.“ Auch ein weiteres Landeskriminalamt berichtete über die „immer wieder festzustellenden Aufsplittungen in Einzelverfahren durch Staatsanwaltschaften.“ Im Übrigen wurde die Intention des Forschungsprojekts von den Landeskriminalämtern überwiegend begrüßt14. Teilweise wurde aber auch Kritik angebracht. 13 Entsprechende Formulierungen lauteten: „Informationen über den jeweiligen Verfahrensausgang der in diesem Zeitraum anhängigen OK-Verfahren liegen . . . grundsätzlich nicht vor.“ Oder: „Zu den Verfahrensausgängen bzw. weiteren Abläufen nach Abschluß der kriminalpolizeilichen Ermittlungen liegen bei der Auswertedienststelle nur sehr vereinzelt, je nach Erkenntnisstand des Sachbearbeiters bei Meldung, oder ,zufällig‘ durch Presseveröffentlichungen, Besprechungen etc. Informationen vor.“ 14 Entsprechende Formulierungen lauteten: „hinsichtlich der Unterstützung . . . keine Hinderungsgründe“; „Ich bin gern bereit, Sie in Ihrem Forschungsvorhaben zu unterstützen, da eine derartige Untersuchung sich mit einer wichtigen Schnittstelle im Verfahrensablauf
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So äußerte ein Landeskriminalamt Bedenken dagegen, die Rastermitteilungen an die LKÄ bzw. das Bundeskriminalamt zum Ausgangspunkt der Erhebung zu machen: „Letztlich kann die Erhebung lediglich Tendenzen und Präferenzen eines Ausschnitts und auch nur im Hellfeld des Spektrums der der OK zuzuordnenden Delikte und Tätergruppen aufzeigen – mit all ihrer Fehlerhaftigkeit, die direkt abhängig ist vom Verständnis, der Interpretation, der Akzeptanz etc. und somit dem Meldeverhalten der anliefernden (sachbearbeitenden) Dienststellen und – nicht zu vergessen – auch von den Erfahrungswerten und der Nacharbeit (z. B. Plausibilitätsprüfung) bei der auswertenden Dienststelle.“ Vorbehalte gegen die Anlage des Projekts, aber auch gegen die Arbeit der Staatsanwaltschaft und der Justiz wurden in zwei östlichen Bundesländern formuliert. Ein dortiges Landeskriminalamt äußerte sich wie folgt: „Die Staatsanwaltschaft und auch die Strafjustiz sind aber traditionell und von Gesetzes wegen auf den konkreten Einzelfall fixiert. Fallübergreifende Aspekte, die Einbindung des Einzelfalls in ein komplexes, internationales, mehrdimensionales, von einem Beziehungsgeflecht organisiert vorgehender Täter überlagertes Gesamtgeschehen, das oft schon lange andauert und sich weiter fortsetzt, bleiben im Sinne einer wirksamen justitiellen Intervention allzuoft unberücksichtigt.“ Auch in einem anderen Bundesland war man der Ansicht, „dass (auch) die uns von Ihnen übersandte Projektskizze einem generell von der Polizei nicht präferierten Weg folgt, der zu sehr auf den Einzelfall fixiert ist. Möglicherweise sind aus justitieller Sicht die schlechthin als ,OK-Hintergrund‘ bezeichneten Umstände weniger von Interesse. Gerade hier liegen jedoch (unsere) stärksten Interessen bei der wissenschaftlichen Untersuchung / Beleuchtung des Phänomens ,OK‘. Und das nicht nur, weil gerade die Beschaffung verlässlicher Informationen hier äußerst schwierig, materiell aufwendig und rechtlich diffizil war, ist und wohl auch bleiben wird, sondern wohl eher aufgrund der Tatsache, dass sich aus einer möglichst fundierten Kenntnis des Dunkelfeldes strategische und taktische Bekämpfungsansätze für die polizeiliche Arbeit ableiten lassen.“ Mit der kritischen Sicht der vorgelegten Forschungsskizze kontrastierte in diesem Bundesland die überaus positive Bewertung des Lagebildes OK des BKA. Dazu hieß es in der Stellungnahme: „Bezieht man jedoch einen pragmatischen Standpunkt, so ist zweifelsfrei feststellbar, dass das auf dieser Definition basierende OK-Lagebild, das seit 1991 in der Bundesrepublik erstellt wird, unbeschadet aller denkbaren Präzisierungsmöglichkeiten, weltweit seinesgleichen sucht.“ Weil damit abzusehen war, dass der Zugang zu den justitiellen Aktenzeichen über die Landeskriminalämter schwierig werden bzw. unmöglich sein würde, wurde im Herbst 1997 auf dem Weg über die im Allgemeinen bei den Generalstaatsanwaltschaften der Länder angesiedelten OK-Beauftragten eruiert, ob eine beschäftigt und etwaige Möglichkeiten der Verbesserung der Zusammenarbeit aufzeigen könnte.“ „Das Forschungsprojekt . . . ist in seiner Bedeutung von besonderer Aktualität“; „bin ich gerne bereit, Ihr Projekt zu unterstützen.“
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
systematische Erfassung der einzelnen OK-Ermittlungsverfahren in den jeweiligen Bundesländern auf der Ebene der Staatsanwaltschaften erfolgt. Hierbei ergab sich, dass zum damaligen Zeitpunkt in den meisten Bundesländern auch die Staatsanwaltschaften kein Verzeichnis über das justitielle Schicksal der von den LKÄ an das BKA gemeldeten OK-Komplexe führten, sondern teilweise selbständig, aber erst seit sehr kurzer Zeit, über die Zuordnung von Verfahren als organisierte Kriminalität bestimmten. Für die zu den zum Lagebild gemeldeten OKKomplexen gehörigen Aktenzeichen wurde wiederum an die Landeskriminalämter verwiesen. So teilte beispielsweise die Generalstaatsanwaltschaft eines Landes mit, es sei nicht bekannt, ob die in ihrem justitiellen OK-Lagebericht erfassten Verfahren mit denen identisch seien, die das LKA dem BKA für dessen OK-Lagebericht melde. Eine weitere Generalstaatsanwaltschaft wies darauf hin, die bei den Staatsanwaltschaften des Landes registrierten OK-Verfahren seien zahlenmäßig nicht mit den vom LKA an das BKA gemeldeten OK-Fällen identisch. „Eine diesbezügliche Abstimmung bzw. ein Abgleich der Daten findet jedenfalls nicht statt.“ Ein östliches Bundesland berichtete, die Anzahl der von den Staatsanwaltschaften dem Generalstaatsanwalt im Bereich der OK gemeldeten Verfahren übersteige „die der von dem Landeskriminalamt . . . an das Bundeskriminalamt für die Lageberichte OK gemeldeten Verfahren allerdings um ein vielfaches“. Ein weiteres Bundesland vermeldete, die Vergangenheit habe aufgezeigt, „dass die Mehrzahl der hier geführten Verfahren in den OK-Dezernaten vom LKA . . . nicht an das BKA für den zu erstellenden Lagebericht OK weitergemeldet wurden.“ Ein nördliches Bundesland berichtete, bei den Staatsanwaltschaften würden OKrelevante Verfahren in besonderen Abteilungen geführt, wozu zunächst einmal alle Verfahren aus dem Bereich der Betäubungsmittelkriminalität gehörten. Darunter seien „auch gravierende Verfahren mit OK-Charakter“. „Die Abgrenzung jedoch, wann ein Btm-Verfahren OK-Charakter hat oder nicht, ist sehr schwierig, bedarf hier aber aus organisatorischen Gründen keiner Entscheidung.“ Im Übrigen wisse man nicht, „welche Verfahren das Landeskriminalamt dem Bundeskriminalamt mitgeteilt hat.“ In diesem Tenor äußerten sich weitere Bundesländer. Aus der Mitteilung einer Generalstaatsanwaltschaft ließ sich Kritik an den im Lagebild erfassten Verfahren entnehmen: „Eine grobe und teilweise nicht unbedingt aussagekräftige Auflistung von Verfahren mit nach Ansicht der Polizei vorliegendem OK-Hintergrund ist unter Zugrundelegung des OK-Lageberichts 1996 des . . . LKA hier erstellt worden.“ Eine Generalstaatsanwaltschaft berichtete, es werde seit dem 1. 1. 1997 ein Verzeichnis mit den justitiellen Aktenzeichen der Ermittlungsverfahren im Bereich der Organisierten Kriminalität geführt, ohne dass aber der Ausgang der Verfahren dokumentiert sei. Zwei kleinere Bundesländer bejahten ebenfalls das Führen solcher Statistiken, allerdings ohne eine vollständige Identität mit den LKA-Daten zu erreichen bzw. über Angaben der Hauptbeschuldigten zu verfügen.
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Eine Generalstaatsanwaltschaft hatte Einwendungen gegen eine Akteneinsicht „im Hinblick auf die Besonderheit der Ermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität, die ja nicht tat- sondern täterbezogen geführt werden müssen, aus Gründen der unverzichtbaren ,Abschottung‘ dieser Vorgänge.“ Nach einer Gegenvorstellung wurden zudem Bedenken dahingehend geäußert, es sei fraglich, „ob ein Bedürfnis zur Veröffentlichung der durch regionale und überregionale Besonderheiten geprägten Verfahrensstrategien besteht. Zum anderen ist eine nicht auszuschließende Gefährdung verdeckter Ermittler und V-Personen nicht vertretbar.“15 Nachdem die Anfragen erbracht hatten, dass immerhin in zwei großen Flächenstaaten über die Landeskriminalämter die dazugehörigen justitiellen Aktenzeichen in Erfahrung zu bringen waren, wurden die jeweiligen Justizministerien um Unterstützung der Untersuchung gebeten. Während eines dem Vorhaben positiv gegenüberstand, wurden aus dem anderen Bundesland Bedenken angemeldet. Diese betrafen zunächst wiederum die besonderen Ermittlungsmaßnahmen. So decke die Untersuchung „zwangsläufig polizeiliche Einsatz- und Schutzkonzepte im Rahmen von Zeugenschutzmaßnahmen auf“, sie lasse „Rückschlüsse auf Strategie und Taktik der Strafverfolgungsmaßnahmen zu“ und erleichtere damit „Gegenmaßnahmen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität.“ „Ferner sei zu befürchten, dass Verdeckte Ermittler und V-Personen von der Gegenseite sehr leicht enttarnt und damit gefährdet werden könnten.“ In einem weiteren Schreiben dieses Justizministeriums wurde im September 1998 geäußert, dass es aus Sicht der Praxis „für ein derartiges Forschungsvorhaben derzeit zu früh sei, da bisher nicht genügend Fälle rechtskräftig abgeschlossen sind und somit die Basis für eine rechtstatsächliche Untersuchung noch zu schmal sein dürfte.“ Dennoch stimme dieses Ministerium der Durchführung der Untersuchung „unter Vorbehalt“ zu. So seien u. a. „alle VSVorgänge, die Handakten der Staatsanwaltschaften sowie Unterlagen, die z. B. im Rahmen von Maßnahmen gemäß §§ 100a und 100c StPO angefallen“ seien, generell ausgeschlossen. Ergänzend sei „eine Befragung von mit der OK-Bekämpfung befassten Vertretern von Justiz und Polizei vorzunehmen und die Ergebnisse in den Forschungsbericht einfließen zu lassen.“ Angeregt wurde zudem „einen Projektbeirat unter Beteiligung von Vertretern der Justiz einzurichten.“ „Darüber hinaus müsste vor Veröffentlichung des Forschungsberichts eine Beteiligung in der Weise sichergestellt sein, dass es uns (sc. dem Ministerium) ermöglicht wird, ggfs. noch auf eventuelle Bedenken hinzuweisen.“ In dieser schwierigen Situation erhielt das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht eine gemeinsame Anfrage des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg und des Bundeskriminalamtes, ob es zu einer Kooperation bei einer Untersuchung über „Ermittlungs- und Sanktionserfolg der OK-Ermittlungen in Baden-Württemberg“ bereit sei, die federführend durch das LKA Stuttgart durchgeführt und bei der die bei den Polizeidienststellen vorhandenen Akten von 15 Der Forschungsplan hatte allerdings zu keinem Zeitpunkt den Inhalt, polizeiliche Verfahrensstrategien publik zu machen.
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100 OK-Komplexen aus den Jahren 1994 – 1998 ausgewertet werden sollten. In der Hoffnung, dadurch die Zugangsprobleme minimieren zu können, wurde eine Zusammenarbeit dergestalt vereinbart, dass zwar beide Forschungsprojekte getrennt laufen sollten und zu verantworten seien, aber eine gegenseitige logistische und teilweise auch wissenschaftliche Hilfestellung stattfinde. Gleichzeitig äußerten die Zentrale Stelle Organisierte Kriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart sowie das Justizministerium Baden-Württemberg ihre Bereitschaft, das Forschungsvorhaben zu unterstützen. Damit war die Entscheidung gefallen, die Untersuchung zunächst auf das Bundesland Baden-Württemberg zu erstrecken16. Im April 1998 wählte das LKA Stuttgart sieben OK-Komplexe aus, um für ihre eigene Untersuchung einen Pretest durchzuführen. Dazu sammelte es die bei den einzelnen polizeilichen Dienststellen vorhandenen Unterlagen zentral in mehreren Räumen der Bereitschaftspolizei Lahr. Parallel versuchten wir, über die uns vom LKA genannten Aktenzeichen bei den betreffenden Staatsanwaltschaften die Gerichtsakten der führenden Ermittlungsverfahren dieser sieben OK-Komplexe zu erlangen. Dieser Versuch schlug teilweise fehl, da, entgegen der Erwartung, die von der Polizei genannten Aktenzeichen nur teilweise mit den tatsächlich bei der Justiz führenden in diesen Komplexen identisch waren. Bei der von uns im Juni 1998 in Lahr vorgenommenen Einsicht in die polizeilichen Unterlagen dieser Komplexe wurde gleichzeitig offenbar, dass außer dem Problem des Zuganges eine weitere Schwierigkeit in der Bewältigung des Umfanges der gesammelten Unterlagen liegen würde. So umfassten die sieben in Lahr angelieferten OK-Komplexe insgesamt 258 Aktenordner, in einer Spannbreite von zwei bis 112 Aktenordnern pro Komplex. Nachdem sich im Folgenden herausstellte, dass nur die ZOK Stuttgart über valide Aktenzeichen der OK-Komplexe verfügt, bot diese an, ein bei ihr vorhandenes Register zu nutzen, in dem für jeden OK-Komplex die Hauptbeschuldigten sowie die von den einzelnen Staatsanwaltschaften zu diesen Komplexen gemeldeten Aktenzeichen aufgeführt waren. Außerdem enthielten diese OK-Raster der ZOK weitere Informationen wie eine kurze Beschreibung des Sachverhaltes, Angaben zu den Verfahrensabschlüssen gegen die Hauptbeschuldigten u.ä. Diese Datensammlung mit 156 ZOK-Rastern, dabei handelte es sich um alle bei der ZOK auf Datenträger erfasste abgeschlossene wie auch noch laufende Verfahren, wurde Ende September 1998 übermittelt. Im Oktober 1998 erklärte sich das LKA Baden-Württemberg seinerseits bereit, die polizeilichen Raster von 92 der 100 OK-Komplexe zur Verfügung zu stellen (alle der vom LKA ausgewählten Komplexe der Jahre 1994 – 1997), die im Rahmen der eigenen Untersuchung des LKA analysiert werden sollten. Diese 92 polizeilichen Raster wurden daraufhin mit den 156 justitiellen Rastern zusammengeführt, wobei 76 Komplexe übereinstimmend zugeordnet werden 16
Die Ergebnisse dieser Untersuchung liegen mittlerweile vor: Weigand / Büchler 2002.
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konnten. Da Einflüsse bei der „Ziehung“ der Ermittlungskomplexe für unsere Aktenanalyse und damit eine polizeiliche Vorauswahl gänzlich ausgeschlossen werden sollten und nach Überlegungen zur Auswahl der zu untersuchenden Komplexe wurde das LKA um die Übersendung der Raster zu den restlichen 80 von der ZOK genannten Komplexe gebeten. Im August 1999 erfolgte die Übermittlung von weiteren 62 der angeforderten 80 polizeilichen Raster. Für acht von der ZOK genannten Komplexe war laut Auskunft des LKA kein Raster vorhanden, da diese vom Zollkriminalamt geführt worden waren. Trotz mehrerer mündlicher wie schriftlicher Anfragen beim Zollkriminalamt und gleichzeitiger Unterstützung durch das LKA gelang es nicht, diese vom ZKA erstellten Raster zu erhalten. Gründe dafür wurden seitens des ZKA nicht mitgeteilt. Weitere zehn Aktenzeichen konnte das LKA bei einem Abgleich mit den bei ihm vorliegenden Rastern keinem Ermittlungskomplex zuordnen. Nach einer erneuten Zusammenführung der Dateien mit den OK-Rastern von LKA und ZOK Baden-Württemberg konnte dann anhand von 154 polizeilichen OK-Rastern zunächst eine Auswahl der zu untersuchenden Komplexe und mittels der Aktenzeichen der ZOK eine konkrete Aktenanforderung vorgenommen werden17.
4. Auswahl des Untersuchungsgebietes Baden-Württemberg Ursprünglich sollte die Aktenanalyse nicht auf in Baden-Württemberg geführte Verfahren beschränkt bleiben, sondern weitere Bundesländer wie Bayern, Nordrhein-Westfalen, unter Umständen auch Hessen und Berlin einbezogen werden. Dies scheiterte an dem immensen Aufwand, den allein die Anforderung, Einsichtnahme und Auswertung des in Baden-Württemberg gesammelten Datenmaterials mit sich brachte. Insoweit ist die Frage zu stellen, inwieweit die in Baden-Württemberg gefundenen Ergebnisse als repräsentativ für die Situation in Deutschland generell gelten können. Dazu ist zunächst auf die Auswertung der polizeilichen und justitiellen Lagebilder Baden-Württembergs hinzuweisen und deren Einordnung in das gesamte zur organisierten Kriminalität in der Bundesrepublik gelieferte Zahlenmaterial. Wie gezeigt, erfolgt in Baden-Württemberg als einzigem Bundesland bereits seit dem Jahr 1995 eine Abstimmung zwischen LKA und ZOK darüber, welche Verfahren als organisierte Kriminalität zum Bundeslagebild OK zu melden sind. Zudem liegen in Baden-Württemberg für die Einstufung eines Komplexes als organisierte Kriminalität spezifizierend einengende Handreichungen vor. So ergab ein Vergleich des polizeilichen Lagebildes mit dem Lagebild des Bundes sowie ein Vergleich des OK-Lagebildes Justiz mit denen anderer Bundesländer, dass die Zahl der in Baden-Württemberg gemeldeten OK-Komplexe durchschnittlich ist. Das Deliktsbild ist ebenfalls dem Bundeslagebild ähnlich. Andere Ermittlungsparame17
Zum weiteren Vorgehen vgl. Kapitel 14.
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ter deuten darauf hin, dass die Ermittlungen in Baden-Württemberg eher intensiver geführt werden. Zudem sind die Anklagequoten bei den Hauptbeschuldigten hoch, ebenso die verhängten Freiheitsstrafen. Dies spricht dafür, dass in den in Baden-Württemberg gemeldeten OK-Komplexen sowie speziell in den gegen die Hauptbeschuldigten geführten Ermittlungsverfahren eher als in anderen Bundesländern solche enthalten sind, die einer strengen Subsumtion unter die Definition organisierter Kriminalität standhalten. Auch sind sie in großer Zahl gegen Straftäter gerichtet, gegen die in erheblichem Umfang Freiheitsstrafen verhängt werden. Daraus ist zu folgern, dass die aus der Analyse der Strafakten in Baden-Württemberg zu erwartenden Ergebnisse nicht nur Auskunft über den Stand der OK-Bekämpfung in einem Bundesland geben, sondern vielmehr als beispielhaft für die Situation in der gesamten Bundesrepublik gelten können. II. Teilnehmende Beobachtung an der Auswahl der zum Lagebild zu meldenden OK-Komplexe
Zur Vermeidung einer einseitigen lediglich aus der Aktenanalyse gespeisten Sichtweise des Forschungsgegenstandes wurden zusätzliche Quellen für die Untersuchung erschlossen. So erschien es vielversprechend, Näheres über den Prozess zu erfahren, der letztendlich zur Einstellung eines Komplexes in das Lagebild OK führt. Hintergrund dafür war die Überlegung, dass, aufgrund der weiten Definition organisierter Kriminalität, möglicherweise über die Definition hinaus bisher unbekannte Kriterien die Subsumtion eines Ermittlungsverfahrens unter den Begriff der organisierten Kriminalität bedingen. Nach mehreren Anfragen war es möglich, zu den Jahreswechseln 1999 / 2000 sowie 2000 / 2001 jeweils an den beiden Sitzungen teilzunehmen, auf denen Vertreter des LKA und der ZOK Stuttgart über die Aufnahme der Komplexe, die zuvor von den Polizeibehörden als unter die Definition organisierter Kriminalität fallend gemeldet worden waren, in das Lagebild OK entschieden. Methodisch enthält dieser Untersuchungsteil eine teilnehmende Beobachtung. Sie wird definiert als „die geplante Wahrnehmung des Verhaltens von Personen in ihrer natürlichen Umgebung durch einen Beobachter, der an den Interaktionen teilnimmt und von den anderen Personen als Teil ihres Handlungsfeldes angesehen wird.“18 III. Auswertung der von LKA und ZOK Stuttgart gelieferten OK-Raster
Nachdem aufgrund der innerhalb eines OK-Komplexes zu erwartenden Fülle an Datenmaterial frühzeitig klar war, dass nicht die Akten aller 154 vom LKA be18
Friedrichs 1990, 288.
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nannten OK-Komplexe erhoben werden konnten, sondern eine Auswahl getroffen werden musste, wurde dennoch Wert darauf gelegt, im Rahmen einer Sekundäranalyse alle 154 vom LKA gelieferten OK-Raster einer Auswertung zu unterziehen. Dabei war zu beachten, dass sich ein großer Teil der Bearbeitung der Komplexe über mehrere Jahre erstreckte, d. h. Neumeldungen und Fortschreibungen zu verzeichnen waren.
IV. Interviews mit Straftätern in Komplexen organisierter Kriminalität
Um nicht vollständig auf Hellfelderkenntnisse beschränkt zu sein und die Ergebnisse der Analyse der Akten, die ja mit dem Ziel der justizmäßigen Dokumentation hergestellt worden waren, zumindest partiell validieren zu können, erwies es sich als glücklicher Umstand, dass auf Vermittlung des LKA Baden-Württemberg die Möglichkeit entstand, zehn Personen interviewen zu können, die in neun verschiedenen OK-Komplexen verurteilt worden waren19. Dabei hatten alle zehn Personen Fragen zum Thema organisierte Kriminalität allgemein zu beantworten. Darüber hinaus waren fünf der interviewten Straftäter in den Strafverfahren als so genannte Kronzeugen aufgetreten und wegen einer befürchteten Gefährdung in das Zeugenschutzprogramm des Bundeslandes BadenWürttemberg aufgenommen worden. Bei diesen Personen wurde die Möglichkeit genutzt, zusätzlich Fragen zum Thema Zeugenschutz zu stellen.
V. Zusammenfassung und Überblick über die für die Untersuchung ausgewerteten Datenquellen
Zusammenfassend lassen sich die für die Untersuchung ausgewerteten Datenquellen wie folgt darstellen (Schaubild 61). Am Anfang der Untersuchung stand eine Analyse des bundesweiten OK-Lagebildes des BKA (1). Daneben wurden auch die in einzelnen Bundesländern erstellten justitiellen bzw. gemeinsamen Lagebilder OK ausgewertet, die über die Innenbzw. Justizministerien beschafft wurden (2). Hier ließen sich bei einem Vergleich der Lagebilder untereinander regionale Besonderheiten bei den OK-Ermittlungen aufzeigen. Eine gesonderte Betrachtung der Situation in Baden-Württemberg führte zu dem Ergebnis, dass die dort vorliegenden Daten als repräsentativ für die Bundesrepublik Deutschland angesehen werden können. Eine weitere Quelle (3) bildete die Teilnahme an den Sitzungen von LKA und ZOK Baden-Württemberg, bei denen über die Aufnahme der Komplexe in das Lagebild entschieden wird. Zudem wurden die vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg überlassenen Raster von 154 OK-Komplexen, die aus den Jahren 1994 bis 1998 stammen, ausgewertet (4). 19
Siehe im Einzelnen Kapitel 21.
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Des weiteren wurde die Datensammlung der ZOK mit den darin enthaltenen justitiellen Angaben genutzt (5). Kernstück der Untersuchung ist eine Analyse von Strafakten aus Baden-Württemberg (6). Zur Ergänzung haben wir zehn Personen interviewt, die in Verfahren verurteilt wurden, die von der Polizei als Formen organisierter Kriminalität angesehen wurden (7). Eine weitere Quelle (8) bildeten Interviews zum Zeugenschutz.
Bundesweites OKLagebild
Interviews zum Zeugenschutz
Interviews von OK-Tätern
Justitielle/Gemeinsame Lagebilder der Länder
OK-Abstimmung LKA/ZOK Ba-Wü
Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität
Analyse von Strafakten
LKA Ba-Wü OK-Raster
ZOK Ba-Wü OK-Raster
Schaubild 61: Die Quellen der empirischen Untersuchung
Kapitel 13
Teilnehmende Beobachtung von Sitzungen, in denen über die Aufnahme der gemeldeten Komplexe in das OK-Lagebild Baden-Württemberg entschieden wird In Baden-Württemberg entscheiden die Zentrale Stelle Organisierte Kriminalität und das Landeskriminalamt darüber, welche OK-Komplexe in das Lagebild aufgenommen werden. Das Herzstück dieses Abstimmungsprozesses, der im Mittelpunkt dieses Kapitels steht, ist eine gemeinsame Sitzung von Vertretern dieser Behörden. A. Rahmenbedingungen für die gemeinsame Besprechung von ZOK und LKA Stuttgart Nachdem es das Landeskriminalamt Baden-Württemberg trotz der bestehenden Kooperation mit dem MPI Ende des Jahres 1998 noch abgelehnt hatte, dass wir
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uns selbst durch eine Teilnahme an den Sitzungen zwischen ZOK und LKA Stuttgart ein Bild über den Prozess machen können, in dem über die Aufnahme der örtlich als OK gemeldeten Komplexe in das landesweite Lagebild entschieden wird, wurde nach weiteren Anfragen doch noch die Teilnahme an den Besprechungen zu den Jahreswechseln 1999 / 2000 sowie 2000 / 2001 genehmigt. Inhaltliches Ziel dieses Untersuchungsteils war es, herauszufinden, wie der Entscheidungsvorgang über die Aufnahme der gemeldeten OK-Komplexe in das Lagebild abläuft und welche Rolle dabei die Definition organisierter Kriminalität sowie darüber hinaus möglicherweise noch andere Faktoren spielen. Um diese Fragen zu klären, erschien die Beobachtung dieses Abstimmungsverfahrens als die gegenüber einer Befragung der beteiligten Akteure zu präferierende Methode. Denn bei letzterer hätte die Gefahr bestanden, dass das Rechtfertigungsinteresse der interviewten Personen deren Antwortverhalten beeinflusst1. Methodisch liegt dieses Vorgehen auf der Grenze zwischen einer teilnehmenden und einer nicht-teilnehmenden Beobachtung2. Um einen authentischen Eindruck des Abstimmungsverfahrens zu erhalten, enthielten wir uns, soweit irgend möglich und mit den Regeln der Höflichkeit vereinbar, jeder Äußerung. Im Übrigen erschöpfte sich unsere Teilnahme darin, in dem Besprechungsraum mit am Tisch zu sitzen, wobei wir bewusst einen gewissen räumlichen Abstand einnahmen, und das Geschehen zu protokollieren. Allerdings wurden wir am Ende der letzten der vier Sitzungen um unsere Einschätzung des Abstimmungsprozesses gebeten. Dennoch ergibt sich bei jeder teilnehmenden Beobachtung die Schwierigkeit, dass ein so genannter „Beobachtungseffekt“ auftreten kann. Darunter versteht man die Tatsache, dass Untersuchungspersonen dazu neigen, ihr Verhalten zu verändern, wenn sie bemerken bzw. wissen, dass sie sich in einer Beobachtungssituation befinden. Ein solcher Effekt kann für unsere Beobachtung nicht ausgeschlossen werden, erscheint aber unwahrscheinlich. So spricht für eine geringe Beeinflussung der Besprechungen, dass die Ergebnisse der Lagebilder 1999 und 2000 nicht entscheidend von denen der Vorjahre differieren. Auch versicherten uns die Sitzungsteilnehmer, Ablauf und Inhalt der Sitzung hätten sich grundsätzlich nicht von dem der Vorjahre unterschieden. Die Besprechungen fanden für die Aufnahme in das Lagebild 1999 am 16. 12. 1999 sowie am 18. 1. 2000 statt, für die Aufnahme in das Lagebild 2000 am 21. 12. 2000 sowie am 18. 01. 2001. Sie dauerten für das Lagebild 1999 4 sowie 3 Stunden, für das Lagebild 2000 5 sowie 3 Stunden. Teilnehmer waren jeweils zwei Staatsanwälte der ZOK, drei, teilweise auch vier Vertreter des LKA Baden-Württemberg sowie zwei Personen des MPI. Ablauf und Inhalt der Besprechung wurden 1 Zum entsprechenden Verzerrungseffekt bei der teilnehmenden Beobachtung siehe sogleich. 2 Nach Huber 1993, 133 interagieren bei der teilnehmenden Beobachtung der Beobachter und die beobachteten Versuchspersonen während des Beobachtungszeitraumes, bei der nichtteilnehmenden Beobachtung findet keine derartige Interaktion statt.
23 Kinzig
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von beiden Vertretern des MPI unabhängig voneinander auf Protokollbögen notiert. Da über Ablauf und Inhalt der Sitzung im Vorfeld nichts bekannt war, erfolgte die Beobachtung wenig strukturiert. Dennoch wurde versucht, alle Aussagen zu protokollieren, die Aufschluss über das Vorgehen und die Probleme bei der Einstufung eines Sachverhaltes als organisierte Kriminalität geben. Nach Ende der Sitzungen wurden beide gefertigten Protokolle miteinander verglichen, zusammengeführt und ausgewertet. Bevor ein OK-Komplex auf der gemeinsamen Sitzung zwischen ZOK und LKA diskutiert wird, hat er in Baden-Württemberg bereits mehrere Vorprüfungen durchlaufen. Wird ein Fall von der örtlichen Polizei bzw. der Staatsanwaltschaft als OK gemeldet, füllen die Polizei das OK-Raster bzw. die Staatsanwaltschaft das Erhebungsformular der ZOK prinzipiell eigenständig aus. Da die Besprechung zwischen ZOK und LKA auf der Grundlage der jeweiligen Raster erfolgt, war aber in Einzelfällen festzustellen, dass die Staatsanwaltschaft den von der Polizei geschilderten Sachverhalt übernommen hatte und so durch sie keine eigene Darstellung des Geschehens bzw. eigenständige Subsumtion unter den Begriff der OK erfolgt war. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass seit dem Jahr 1999 in den polizeilichen Rastern ein Vermerk des Inhalts existiert, die Meldung des Komplexes als Organisierte Kriminalität sei mit der Staatsanwaltschaft abgestimmt worden. Daher sollte es an sich in Baden-Württemberg nicht passieren, dass nur eine der beiden Behörden einen Fall als organisierte Kriminalität meldet. Dass (wenige) Komplexe nur von Seiten der Polizei gemeldet wurden, konnte jedoch der Vermerk nicht verhindern. Häufiger kam es zu Differenzen bei der Zahl der gemeldeten Tatverdächtigen wie derjenigen der Hauptbeschuldigten. Die von der örtlichen Polizeidienststelle gemeldeten Verfahren passieren einen weiteren Filter bei der jeweiligen Landespolizeidirektion, die ihrerseits die von ihr anerkannten Verfahren bzw. Raster an das LKA meldet. Der Ablauf der Sitzungen zwischen ZOK und LKA gestaltet sich so, dass ganz überwiegend die Vertreter des LKA die einzelnen Fälle anhand des von der Polizei übermittelten Sachverhalts vorstellen und dann mehr oder weniger ausführlich über die Erfüllung der OK-Definition diskutiert wird. Dabei war zu beobachten, dass die Vertreter der Polizei, die ja schon intern die vorgestellten Komplexe als solche organisierter Kriminalität definiert hatten, für die Aufnahme der Komplexe in das Lagebild warben, die Staatsanwaltschaft dagegen eher eine überprüfende kontrollierende Rolle einnahm. Zu erwähnen ist, dass die Zuerkennung des Prädikates organisierte Kriminalität keinerlei Auswirkung auf die weitere Verfahrensgestaltung hat. Polizeilicherseits werden in Baden-Württemberg die meisten OK-Verfahren bei so genannten B(anden) / OK-Dezernaten geführt, die allem Augenschein nach in der Bearbeitung keinen Unterschied machen, ob ein Verfahren als organisierte oder Bandenkriminalität eingeordnet wird. Insoweit dient die Abstimmung lediglich der Aufnahme der Verfahren in die OK-Lage und damit primär politischen Zwecken.
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Die beiden Besprechungen für das Jahr 1999 führten zur Ablehnung bzw. Zurückstellung von insgesamt 18 gemeldeten OK-Komplexen, im Jahr 2000 sogar von 24. Ablehnung bedeutet, dass ein Verfahren nach Ansicht von LKA und ZOK nicht die Kriterien der Definition „organisierter Kriminalität“ erfüllt. Bei einer Zurückstellung wird das Verfahren im Erhebungsjahr, zum Teil wegen nicht ausreichender Sachverhaltsermittlung, (noch) nicht als organisierte Kriminalität anerkannt, wobei eine erneute Meldung im Folgejahr unbenommen bleibt. Eine Rückstellung erfolgt bisweilen auch dann, wenn sich ZOK und LKA nicht über eine Bewertung eines Verfahrens als organisierte Kriminalität einig sind. Zu ergänzen ist, dass das LKA nicht über Raster in den Verfahren verfügt, in denen das Zollkriminalamt (ZKA) die Federführung übernommen hat. Die Abstimmung über die Aufnahme dieser Komplexe erfolgte zwischen ZOK und ZKA auf dem Schriftweg.
B. Schwerpunkte bei der Subsumtion unter die Definition organisierte Kriminalität Einleitend ist das einmütige Bestreben der Akteure hervorzuheben, die Einordnung der vorgetragenen Fallkomplexe anhand der Definition organisierter Kriminalität vorzunehmen. Dabei spielten die verschiedenen Merkmale dieser Definition eine sehr unterschiedliche Rolle. Im Folgenden werden typische Subsumtionsprobleme anhand der einzelnen Bestandteile des Begriffes organisierter Kriminalität dargestellt. „Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind“
Der Eingangsteil der Definition organisierter Kriminalität „Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind“ spielte bei der Diskussion über die Frage, ob ein Sachverhalt dieser Definition genügt, keinerlei Rolle. „wenn mehr als zwei Beteiligte“
Deutlich wichtiger war dagegen das Erfordernis der Beteiligung von mindestens drei Personen. Typischerweise kommt es dabei zu Schwierigkeiten, wenn bei einem kriminellen Geschäft auf der Seite, gegen die sich die Ermittlungen hauptsächlich richten, eine oder nur zwei Personen beteiligt sind. So wurde z. B. die Aufnahme eines Komplexes abgelehnt, weil nur zwei Mittäter Abnehmer von Falschgeld suchten. Problematisch ist die Einordnung auch, wenn das Verfahren in Baden-Württemberg nur gegen ein bis zwei Personen geführt wird, gegen weitere Verdächtige aber 23*
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
in anderen Bundesländern bzw. im Ausland von anderen (ausländischen) Dienststellen ermittelt wird. In dieser Konstellation lehnte die Staatsanwaltschaft ebenso eine Aufnahme der Komplexe in das Lagebild ab wie in den Fällen, in denen als Abnehmer bzw. Lieferant illegaler Güter, wie etwa Betäubungsmittel, Waffen, gestohlene Autos etc., eine kriminelle Organisation im Ausland vermutet wurde, gegen die aber keine Ermittlungen im Inland erfolgten. Wird gegen eine Person ermittelt, die als Mitglied einer legalen oder illegalen Vereinigung (Beispiel Rockerclub, Mafia) angesehen wird, stellt sich zudem die Frage, ob die entsprechenden Straftaten quasi privat vorgenommen wurden oder für die Vereinigung. In diesem Zusammenhang wird es als bedeutsam für die Bejahung organisierter Kriminalität erachtet, wenn im Wege des § 129 StGB auch gegen die Vereinigung als solche vorgegangen wird. Bejahendenfalls wird das Kriterium der Mindestzahl von drei Personen als erfüllt angesehen. „auf längere oder unbestimmte Dauer“
Das Definitionsmerkmal „auf längere oder unbestimmte Dauer“ war nur in einem einzigen Fall Gegenstand der Erwägungen. In diesem Komplex wurde das Vorliegen organisierter Kriminalität auch deswegen abgelehnt, weil gleich beim ersten Falschgeldgeschäft die Festnahme des Täters erfolgte. „arbeitsteilig“
Auch dem Merkmal „arbeitsteilig“ kommt nur eine ganz geringe Abgrenzungsleistung zu. Allerdings wird das Wort routinemäßig von der Polizei in der Beschreibung des Sachverhalts in den Rastern erwähnt. Spezielle Merkmale
Probleme warfen verschiedene Raster auf, wenn bei der geforderten Subsumtion unter die speziellen Merkmale organisierter Kriminalität lediglich der bereits zuvor geschilderte Sachverhalt wiederholt wurde. Dies führte zu der Frage, ob in den betreffenden Fällen überhaupt solche besonderen Strukturmerkmale vorhanden sind. „unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen“
Wie schon aus der Auswertung der polizeilichen und justitiellen Lagebilder zu ersehen, hat das spezielle Merkmal „unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen“ eine ganz zentrale Bedeutung für die Einordnung von Fällen als organisierte Kriminalität. Dieses Merkmal dient zunächst dazu, eine Abgrenzung zwischen einer, wie die beteiligten Personen formulierten, „schlichten Bande“, „klassischen Bande“ oder „reinen Bandendelikten“ und organisierter Kriminalität vorzunehmen. Als Kriterium stellten die Sitzungsteilnehmer immer wieder darauf ab, ob die Bande eine wie auch immer geartete „Struktur“ aufweise. Eine solche und damit die Zugehörigkeit zur organisierten Kriminalität wurde z. B. dann bejaht, wenn die Beteiligten ihre Beute zentral verwerten, nicht aber, wenn das Geld nur unter den Teilnehmern auf-
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geteilt wird. Dabei wurde gesehen, dass eine zentrale Beuteverwertung bei Raubüberfällen, die der Beschaffung von Geld dienen, nur schwer zu bejahen ist. Im Bereich des Betäubungsmittelhandels wurde eine solche Struktur verneint, wenn der Erwerb, der Import und der Verkauf von denselben Personen bewerkstelligt wurden. Die Vertreter der Polizei versuchten mehrfach als Argumentation für das Vorhandensein einer Struktur den OK-Indikator „hierarchischer Aufbau“ nutzbar zu machen. Die Neigung, eine solche Struktur zu bejahen, stieg, wenn die Beschuldigten mit einer namentlich bekannten Organisation in Verbindung gebracht werden konnten, etwa der Camorra. Ähnliches war bei Beziehungen zur „Russenmafia“ zu beobachten, auch wenn hervorgehoben wurde, „Russenmafia“ sei eher „als Synonym für skrupellose Straftäter“ zu verstehen. Daneben wurde mehrfach betont, das Bestehen eines Netzwerkes, einer Netzstruktur reiche für das Bejahen organisierter Kriminalität aus. Zwei Deliktsbereiche scheinen als Indiz für das Vorhandensein organisierter Kriminalität gewertet zu werden. So bereitete die Bejahung geschäftsähnlicher Strukturen im Bereich der Verschiebung von Kraftfahrzeugen kein Problem, da dort typischerweise eine Kfz-Werkstätte oder eine ähnliche Einrichtung beteiligt ist. Erst bei dieser Art von Delikten (Einsatz von Spezialisten bei der Besorgung der Kfz, Fälschung von Papieren, Verschub der Kfz ins Ausland) und unter diesem speziellen Merkmal wurde die dabei fast immer notwendige Arbeitsteilung betont. Für Schleusungen wurde von der Polizei die Ansicht vertreten, sie seien in der Regel organisiert, „sonst funktioniert es nicht.“ Auch die Staatsanwaltschaft war der Auffassung, Schleusungen über eine weitere Entfernung seien „prinzipiell OKrelevant“. Auch kostspielige Auslandsreisen wurden als Beleg für eine geschäftsähnliche Struktur angeführt, ebenso der „durchstrukturierte Transport“ von Rauschgift aus dem Ausland oder ein „Beziehungsgeflecht mit Arbeitsteilung“. Als Gegenargument gegen eine geschäftsähnliche Struktur wurde gewertet, wenn der Verwertungsmarkt eines illegalen Gutes nicht von vornherein bestand. Eine dezidierte Trennung zwischen den Merkmalen geschäftsähnlicher oder gewerblicher Struktur war nicht zu erkennen. Im Rahmen der Diskussion über das Vorliegen einer gewerblichen Struktur tauchte häufiger die Frage auf, ob schon im Führen einer Gaststätte eine solche gesehen werden könne. Als gewerbliche Strukturen führte die Polizei ähnlich dem strafrechtlichen Merkmal der Gewerbsmäßigkeit auch an, wenn die kriminelle Tätigkeit zur Bestreitung des Lebensunterhaltes diente oder es sich um eine „fortlaufende Einnahmequelle“ handelte. Andererseits wurde die Frage diskutiert, ob es auch „gewerblich“ sei, wenn die Tat nur anläßlich der Ausübung eines Gewerbebetriebs erfolgte. Als gewerblich wurde auch eine „gefestigte Vertriebsstruktur“ wie die Reinvestition von kriminell erworbenen Geldern angesehen.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
„unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel“
Nur sehr selten spielte das Merkmal „unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel“ eine Rolle. Hier wurde allein die Frage diskutiert, ob dieses Merkmal auch dann vorliegt, wenn die Gewaltanwendung bzw. -drohung unter Mittätern bzw. Tatbeteiligten erfolgt. „unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft“
Gelegentlich wurde von der Polizei im Raster vorgetragen, die Tat sei „unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft“ geschehen, etwa unter Einflussnahme auf einen Beamten der Stadtverwaltung oder unter Bestechung von Grenzbeamten. Allerdings wurde auf dieses Merkmal bei der Diskussion unter den Beteiligten, ob ein Komplex als organisierte Kriminalität einzuordnen ist, kaum abgestellt. Weitere Schwierigkeiten bei der Entscheidung über die Aufnahme eines Komplexes in das Lagebild: Besondere Zuordnungsprobleme entstehen dann, wenn die baden-württembergische Polizei ein Verfahren bearbeitet, dass von einer Staatsanwaltschaft außerhalb der Grenzen des Bundeslandes geführt wird. Auch bildet es eine Schwierigkeit, Verfahren einzuordnen, in denen erst seit kurzem ermittelt wird, etwa im Rahmen eines Strukturermittlungsverfahrens. Interessanterweise gab es auch Fälle, in denen die Polizei einen Komplex meldete, obwohl bei der Staatsanwaltschaft noch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet war. Dabei handelte es sich in einem Fall um ein polizeiliches Strukturermittlungsverfahren unter Einsatz von VE und VP. Bekräftigt wurde auch, eine Einordnung als organisierte Kriminalität könne nicht allein deswegen erfolgen, weil der Fall Aufsehen erregt habe. Auch gab es Fälle der Einordnung als organisierte Kriminalität, bei denen die handelnden Personen den Sitzungsbeteiligten bekannt schienen und deswegen ohne weitere Diskussion eine Bejahung der Definition organisierter Kriminalität erfolgte. Bei Ermittlungen wegen Geldwäsche wurde hervorgehoben, dieser Umstand werde immer öfter von den Staatsanwaltschaften als Grund für die Einordnung als OK angegeben. Jedoch wurde einem Komplex die Aufnahme in das Lagebild verweigert, in dem „nur eine Firma mit zu großen und daher verdächtigen Umsätzen“ vorhanden war. Probleme kann es auch dann geben, wenn ein neu zu prüfender Komplex personell oder sachlich mit einem bereits früher gemeldeten verwoben ist und daher nicht klar ist, ob es sich um einen eigenständigen Fall organisierter Kriminalität handelt. Sachfremde Erwägungen hatten ganz selten Bedeutung. So baten die Vertreter der Polizei einmal darum, „die lange Vorlaufzeit“ eines Ermittlungsverfahrens von
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zwei Jahren bei der Entscheidung über die Aufnahme eines OK-Komplexes zu berücksichtigen. Auch fanden in den Sachverhaltsschilderungen häufig die durchgeführten besonderen Ermittlungsmaßnahmen Erwähnung, offensichtlich um dem betriebenen Aufwand Nachdruck zu verleihen. In wenigen Fällen schienen sich die Vertreter von ZOK und LKA darüber einig, dass es sich um die „Spitze der OK“ handele. Diese betrafen überwiegend Konstellationen, in denen hohe Summen involviert waren.
C. Zusammenfassung Nach anfänglichen Schwierigkeiten und Ausräumung von Vorbehalten vor allem seitens der Polizei konnte der Prozess, in dem jährlich über die Aufnahme eines Komplexes in das Lagebild OK in Baden-Württemberg entschieden wird, durch die Teilnahme an der OK-Abstimmung zwischen Vertretern der ZOK und des LKA Stuttgart beobachtet werden. Der Ablauf dieser Sitzungen gestaltet sich so, dass die Vertreter der Polizei eher für die Aufnahme des jeweiligen vorgetragenen Komplexes in das Lagebild OK werben, die Staatsanwaltschaft dagegen eine zurückhaltende kontrollierende Funktion übernimmt. Die Diskussion über die Einordnung eines Komplexes als organisierte Kriminalität konzentriert sich im Wesentlichen auf wenige Merkmale. Wichtig ist zunächst das Erfordernis der Beteiligung von mindestens zwei Personen. Typischerweise entsteht dabei das Problem, ob und wenn ja, welche Personen bei kriminellen Austauschgeschäften einer Gruppierung oder gar Organisation zugerechnet werden können bzw. ob sich diese Personen nicht, auch bei einer längeren Geschäftsbeziehung, eher mit gegenläufigen Interessen gegenüberstehen. Daneben bestehen Abgrenzungsprobleme, wenn sich Beteiligte im Ausland oder in einem benachbarten Bundesland befinden und von baden-württembergischen Behörden gar nicht gegen sie ermittelt wird. Als zentrales besonderes Merkmal ist die „Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen“ von Bedeutung. Dabei war während des Abstimmungsprozesses das Bemühen erkennbar, zwischen einem rein bandenmäßigen Verhalten und organisierter Kriminalität zu differenzieren. Dabei wurde weniger Wert gelegt auf eine Unterscheidung zwischen einer gewerblichen oder geschäftsähnlichen Begehungsweise, sondern mehr auf das Vorhandensein einer wie auch immer gearteten „Struktur“. Als Kennzeichen einer solchen Struktur wurden polizeilicherseits etwa eine vorhandene Hierarchie ins Felde geführt wie auch das Vorhandensein von Kontakten zu namentlich bekannten Organisation wie etwa die Camorra oder die Russenmafia. Mit Schleusungen wie Kfz-Verschiebungen wurden auch zwei Deliktsbereiche genannt, bei denen nach Ansicht der an der Abstimmung beteiligten Personen von einer Indizwirkung für das Vorhandensein einer organisierten Begehungsweise gesprochen werden kann.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Das Vorhandensein der beiden anderen speziellen Merkmale organisierter Kriminalität wurde zwar in den polizeilichen Rastern erwähnt, beide waren aber nicht von entscheidender Bedeutung für die Frage der Aufnahme in das OK-Lagebild. Bei dem Merkmal der „Anwendung von Gewalt“ stellt sich häufiger das Problem, ob darunter auch die Gewaltanwendung bzw. Drohung gegenüber Mittätern fällt. Interessanterweise wurden polizeilicherseits zwei Komplexe gemeldet, die bei der Staatsanwaltschaft noch nicht als Ermittlungsverfahren mit einem Aktenzeichen eingetragen worden waren. Sachfremde Erwägungen dazu, ob ein Verfahren in die OK-Lage aufgenommen werden soll, waren nur ganz selten zu beobachten. Daneben existierten einige wenige Fälle, bei denen sich die Beteiligten einig zu sein schienen, dass es sich um „richtige OK“ handelt.
Kapitel 14
Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung, zugleich Sekundäranalyse der OK-Raster von LKA und ZOK Baden-Württemberg Nachdem in Kapitel 12 die Entscheidung für die Durchführung einer Aktenanalyse begründet und als Basis für die Auswahl der näher zu analysierenden OKKomplexe die in 154 OK-Rastern des LKA Baden-Württemberg enthaltenen Informationen benannt wurden, wird in diesem Kapitel zunächst der konkrete Auswahlvorgang dargelegt (14.1). Danach werden zentrale Daten der ausgewählten Komplexe in Beziehung zu den Ergebnissen aller 154 OK-Raster gesetzt (14.2) sowie ergänzende Informationen aus den Rastern der ZOK geschildert (14.3).
A. Grundlage der Aktenauswahl: Die Raster des LKA Baden-Württemberg I. Der Inhalt der OK-Raster
Die Grundlage für die Auswahl der zu untersuchenden OK-Komplexe bildeten die „Raster für die Auswertung von OK-Verfahren zur Erstellung eines Lagebildes OK“. Dabei handelt es sich um ein 10seitiges Formular, das von den Polizeidienststellen des Landes Baden-Württemberg, wie auch von denen aller anderen Bundesländer, für jeden OK-Komplex am Jahresende ausgefüllt und aufgrund eines im Jahr 1992 (bundesweit) eingeführten Meldeverfahrens den jeweiligen Landeskriminalämtern übersandt wird. Aus den Angaben in diesen Rastern konstituieren sich einerseits die von den jeweiligen Landeskriminalämtern jährlich herausgegebenen „Lagebilder OK“ als auch das vom Bundeskriminalamt erstellte „Lagebild Organisierte Kriminalität Bundesrepublik Deutschland“. Die Raster enthalten eine Sammlung von Informationen über den jeweiligen OK-Komplex und bestehen aus
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einem standardisierten Erhebungsbogen, der von den Bearbeitern des jeweiligen Falles ausgefüllt und – je nach Dauer der Ermittlungen – bisweilen über Jahre hinweg fortgeschrieben wird. Das Raster gliedert sich in „Verfahrensdaten“, „Sachverhaltsdaten“ sowie „ergänzende Informationen“. Die „Verfahrensdaten“ beinhalten u. a. folgende Angaben: – eine Bezeichnung des OK-Verfahrens, – eine kurze Sachverhaltsschilderung, – die beteiligten Dienststellen (Polizei, StA), – den Grund der Verfahrenseinleitung, – die Dauer des Verfahrens, – die Anzahl der eingesetzten Beamten, – die (besonderen) Ermittlungsmaßnahmen (Durchsuchung, VE, VP, TÜ) sowie – wenige Angaben zum Ausgang des Verfahrens. Die Sachverhaltsdaten setzen sich u. a. zusammen aus: – einer Auflistung der Straftaten, – der Anzahl und Nationalität der Tatverdächtigen, – den erfolgten Festnahmen und ausgesprochenen Haftbefehlen, – nationalen oder internationalen Täterverbindungen / Verflechtungen, – Schäden und geschätzten Gewinnen; – der Höhe der Polizeikosten, – der Summe der Sicherstellungen / Beschlagnahmen. Außerdem erfolgen Angaben zu den speziellen Merkmalen organisierter Kriminalität. Zur Darstellung weiterer Problembereiche des Komplexes dienen Angaben: – zur Geldwäsche, – zur Gewinnabschöpfung, – zu den Zeugenschutzmaßnahmen, – zur Einwirkung auf bzw. Unterstützung von in Haft befindliche(n) Täter(n), – zur Verwendung von Logistik, Technik oder besonderem „know how“ durch die Täterseite, – zu Verbindungen zu ausländischen Organisationen sowie – (bis 1997) zur Erforderlichkeit des Einsatzes technischer Mittel in Wohnungen. Die „ergänzenden Informationen“ beschreiben (seit dem Jahr 1997) Defizite bzw. Probleme der polizeilichen Ermittlungsarbeit: – eine „OK-spezifische Ermittlungsproblematik (z. B. TÜ, Dolmetschereinsatz, Sprache, VE- / VP-Einsatz, Zusicherung der Vertraulichkeit)“ sowie „Bekämpfungsdefizite / Probleme“ – bei der „Logistik (z. B. Mängel in sachlicher oder personeller Ausstattung, Organisationsdefizite, fehlende technische Möglichkeiten)“, – bei der „Taktik / Strategie“ (z. B. Abschottung, polizeiliche Kooperation), – im „Recht (z. B. fehlende oder nicht ausreichende Eingriffsbefugnisse, Datenschutzerfordernisse)“ sowie – bei der „Zusammenarbeit mit externen Stellen (z. B. Justiz, Behörden, Institutionen oder privaten Stellen)“. Der öffentlich zugängliche Teil der in den Rastern enthaltenen Informationen wurde bereits bei der Erörterung der polizeilichen Lagebilder Organisierte Kriminalität in Baden-Württemberg dargestellt1. Die Einsichtnahme in die Raster ermöglichte den Einblick in alle übrigen Angaben.
1
Siehe oben Kapitel 11, C.
362
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung II. Das Vorgehen bei der Auswahl der OK-Ermittlungskomplexe
Wie geschildert2, erfolgte die Auswahl der näher zu untersuchenden Fälle organisierter Kriminalität auf der Basis der polizeilichen Raster von 154 OK-Komplexen. Wie nach dem Untersuchungsplan zu erwarten, lag der Zeitpunkt der Erstmeldung dieser 154 OK-Komplexe schwerpunktmäßig in den Jahren 1994 – 1997. Damit waren die Raster von 38 von 49 (77,6 %) aller baden-württembergischen Erstmeldungen aus dem Jahr 1994, von 43 von 47 (91,5 %) aus dem Jahr 1995, von 36 von 44 (81,8 %) aus dem Jahr 1996 sowie aller 29 (100 %) aus dem Jahr 1997 erfasst. Einige Raster aus den Jahren 1992 sowie 1993 waren deswegen übermittelt worden, weil die Komplexe zumindest bis ins Jahr 1994 fortgeschrieben worden waren. Ein Raster aus dem Jahr 1997 musste von der weiteren Auswahl der Komplexe ausgeschlossen werden, weil es nicht vollständig war, so dass Grundlage der weiteren Auswertungen die Angaben in 153 OK-Rastern bildeten. g Komplexe 43
50 38
36
40
29
30 20 10
7
1
0 1992
1993
1994
1995
1996
1997
Schaubild 62: Jahr der ersten Rastererfassung der übermittelten 154 OK-Komplexe
Für die Auswahl der näher zu analysierenden Komplexe wurden die Inhalte der Raster datentechnisch aufbereitet. Dabei gestaltete sich vor allem die Erfassung der qualitativen Angaben (Freitextantworten) als nicht ganz unproblematisch. Hier mussten bereits zum Zeitpunkt der Dateneingabe kleinere Veränderungen des Rasterformulars über die Jahre sowie die Streubreite der Antworten bei einigen weniger präzisen Fragestellungen eine besondere Berücksichtigung finden. Aufgrund der von der ZOK zusätzlich erhobenen und von ihr übermittelten Angaben war bekannt, dass die OK-Komplexe in der Regel aus einer Vielzahl justitieller Ermittlungsverfahren bestehen. Dies machte es angesichts begrenzter Forschungsressourcen notwendig, aus den 153 Komplexen eine sinnvolle Auswahl zu treffen. Als leistbar wurde die intensive Analyse der Ermittlungs- bzw. Strafverfahren von rund 50 OK-Komplexen angesehen. Alternativ wäre es unter Umständen möglich gewesen, jeweils nur das führende Ermittlungsverfahren der 153 OKKomplexe zu untersuchen. Diese Variante verwarfen wir aufgrund der Überlegung, 2
Siehe oben Kapitel 12, C.
Abschn. 2, Kap. 14: Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung
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dass wir dann mit der Einschätzung des jeweils führenden Verfahrens von den Angaben der Staatsanwaltschaft abhängig gewesen wären. Außerdem hätte die Frage unbeantwortet bleiben müssen, wie sich ein gesamter Ermittlungskomplex nach der vollständigen Bearbeitung durch die Justiz darstellt. Die Auswahl von ungefähr 50 Komplexen setzte die Bildung sinnvoller Kriterien voraus. Ausgangspunkt war die Tatsache, dass alle 153 Komplexe von den Strafverfolgungsbehörden als solche organisierter Kriminalität eingestuft worden waren. Bemerkenswerterweise machen aber in den Rastern Angaben zur „OK-Relevanz“, d. h. zur Subsumtion unter die Definition organisierter Kriminalität, nur einen kleinen Teil des OK-Rasters aus. Insoweit werden nur Daten zu den speziellen Merkmalen organisierter Kriminalität erhoben. Daneben werden vor allem solche Informationen abgefragt, die einerseits die Komplexität der Ermittlungen betreffen, andererseits zentrale Sachverhaltsdaten, die auf den Umfang des zu verarbeitenden kriminellen Geschehens hinweisen. Diese Beobachtung ließ es angeraten erscheinen, die Auswahl der Komplexe nicht allein am Vorliegen der speziellen Merkmale organisierter Kriminalität auszurichten. Ausgehend von der Hypothese, dass sich im Raster die Variablenbereiche abbilden, die als typisch für Verfahren in Sachen organisierter Kriminalität angesehen werden, wurden neben den Angaben zu den speziellen Merkmalen organisierter Kriminalität nicht nur weitere wichtige Informationen zum Sachverhalt, sondern auch Verfahrensdaten berücksichtigt, aus denen sich die Intensität der durchgeführten Ermittlungen ersehen lässt. Unter dieser Prämisse wurde für die Auswahl ein Schema entwickelt, das es erlaubte, Sachverhalts- wie Verfahrensdaten nach Punkten zu bewerten. Ziel war die Bildung einer Summenvariablen aus der Addition der Punktwerte pro Komplex, welche die Auswahl der Komplexe bestimmen sollte. Die Validität der im Folgenden beschriebenen Vorgehensweise wurde durch Pre-Tests geprüft und durch eigene Bewertungen der Vorgänge kontrolliert. Die Summenvariable setzt sich aus dem „Summenscore I“ (Verfahrensdaten, insbesondere Ermittlungsmaßnahmen) und dem „Summenscore II“ (Sachverhaltsdaten) zusammen. Für die Bildung des „Summenscore I“ wurden die einbezogenen quantitativen Merkmale zur Standardisierung in Kategorien zusammengefasst und entsprechende numerische Werte (0 – 5) vergeben. So wurden beispielsweise die Angaben zur Anzahl von TÜ-Maßnahmen unterschieden zwischen „keine TÜ-Maßnahme“ (Wert 0) sowie eine (1) bis maximal fünf oder mehr (5). Die Ermittlungsdauer wurde entsprechend des innerhalb der 153 OK-Komplexe vorhandenen Spektrums von zwei bis 48 Monaten in fünf Gruppen von 20 %-Intervallen untergliedert, von Komplexen mit einer kurzen (1) bis hin zu lang andauernden Ermittlungen (5). Binären Fragestellungen, z. B. ob ein VE- bzw. VP-Einsatz erfolgte oder nicht, wurde der Wert 0 (trifft nicht zu) bzw. 5 (trifft zu) zugewiesen. Dabei schien bejahendenfalls die Vergabe der höchsten quantitativen Ausprägung (5) geboten, um die Bedeutung dieser Maßnahmen hinreichend zu gewichten.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Der „Summenscore I“ setzte sich somit aus folgenden acht Variablen zusammen, die zugleich den Ermittlungsaufwand der Polizei widerspiegeln: Zahl der Durchsuchungen (keine Personendurchsuchungen) Wertspektrum: min: 1; max: 5 (20 %-Intervalle) Zahl der durchgeführten Telefonüberwachungen Wertspektrum: min: 0; max: 5 und mehr (Anzahl) Einsatz von VE Wertspektrum: min: 0; max: 5 (trifft nicht zu / trifft zu) Einsatz von VP Wertspektrum: min: 0; max: 5 (trifft nicht zu / trifft zu) Zeugenschutzmaßnahmen Wertspektrum: min: 0; max: 5 (trifft nicht zu / trifft zu) Dauer des Verfahrens Wertspektrum: min: 1; max: 5 (20 %-Intervalle) Zahl der ermittelnden Beamten Wertspektrum: min: 1; max: 5 und mehr (Anzahl) Höhe der Polizeikosten Wertspektrum: min: 1; max: 5 (20 %-Intervalle)
Die im „Summenscore II“ enthaltenen Sachverhaltsmerkmale unterlagen im Unterschied zu den in nahezu allen Fällen bekannten „harten“ numerischen Daten polizeilicher Ermittlungstätigkeit teilweise größeren Interpretationsspielräumen. Zudem war bei fehlenden Angaben in den Rastern nicht immer eindeutig, ob dieses Merkmal tatsächlich nicht vorlag oder darüber lediglich keine Erkenntnisse vorhanden waren. Eine besondere Aufmerksamkeit wurde den als Begründung für die speziellen OK-Merkmale gelieferten Freitextantworten zuteil. Dabei erschien es gerechtfertigt, diese Merkmale stärker zu gewichten, da allein in ihnen sich die Definition organisierter Kriminalität widerspiegelt. Für die häufiger vorkommenden OKMerkmale 1 (in der Variante „unter Verwendung geschäftsähnlicher Strukturen“) und 2 („unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel“) wurden aufgrund der in den jeweiligen Freitexten gemachten Angaben inhaltliche Zusammenfassungen gebildet. Das OK-Merkmal 1 wurde in neun Kategorien (maximale Punktzahl: 45), das Merkmal 2 in sieben Kategorien (maximale Punktzahl: 33) unterteilt. Für Merkmal 3 wurden für jede Institution, auf die potentiell eine Einflussnahme ausgeübt werden kann, ebenfalls 5 Punkte vorgesehen. Die „Verwendung gewerblicher Strukturen“ wurde aufgrund geringer Aussagekraft (hier hätte allenfalls nach Branchen unterschieden werden können) nicht kategorisiert. Die neun Kategorien für die „Verwendung geschäftsähnlicher Strukturen“ wurden folgendermaßen gebildet: In der Kategorie 1 (Struktur) wurden feste wie hie-
Abschn. 2, Kap. 14: Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung
365
rarchische Strukturen der Tätergruppe, eine Weisungsgebundenheit oder interne Abschottung erfasst. Die Kategorie 2 (Arbeitsteilung) enthält die Angabe einer Teilung von Aufgaben oder Kompetenzen, ein arbeitsteiliges Zusammenwirken oder auch organisierte Abläufe. Die Kategorie 3 (sonstige Organisation) umfasst Angaben wie „organisierter Finanzverkehr“ oder internationale Kontakte, etwa zu ausländischen Organisationen. Die Nutzung spezieller Techniken, wie etwa zur Erleichterung der Kommunikation (z. B. Einsatz von „Handys“), und anderer technischer Mittel bildet die Kategorie 4 (spezielle Technik). Kategorie 5 (Spezialistentum) wurden Angaben über den Einsatz von Spezialisten oder von besonders ausgebildeten Tätern zugeordnet. Da Angaben zu korruptiven Praktiken nicht nur beim OK-Merkmal 3 erfolgten, wurde auch eine Kategorie 6 (Bestechung) gebildet, die neben der Bestechung im herkömmlichen Sinne auch ein Einwirken auf Beteiligte umfasst. In Kategorie 7 (Verwendung legaler Firmen / Wege) findet sich z. B. die Nutzung eines Gewerbebetriebes zur Erlangung von Aufenthaltserlaubnissen, aber auch die Nutzung legaler Firmen oder Wege wie z. B. in einem Verfahren im Rotlichtmilieu die Suche nach Frauen durch Zeitungsinserate. Kategorie 8 (illegale Wege) wurde dann angenommen, wenn etwa eine Einschleusung, illegale Beschäftigung oder die Betätigung in einem nicht angemeldeten Gewerbe geschildert wurde. Kategorie 9 (Zentralisierung) wurde dann bejaht, wenn eine zentrale Steuerung, die Verwendung von Kurieren, das Bestehen eines Verteiler- / Abnehmernetzes oder eine zentrale Anlaufstelle, etwa in Lokalen oder Privatwohnungen, sowie das Vorhandensein einer Kommunikationszentrale erwähnt wurden. Bei der OK-Alternative 2 („unter Anwendung von Gewalt“) erfolgte eine Kategorisierung nach dem Schweregrad der Gewaltanwendung. Bejahendenfalls konnten in jeder Kategorie 5 Punkte erzielt werden. Die gleichmäßige Gewichtung der verschiedenen Intensitäten der ausgeübten Gewalt erschien dadurch gerechtfertigt, dass in der Literatur neben brutalen auch sehr subtile Formen von Gewalt als Kennzeichen organisierter Kriminalität geschildert werden. Kategorie 1 (subjektive Gewalt) liegt insbesondere dann vor, wenn die Bejahung dieses OK-Merkmals lediglich auf der subjektiven Einschätzung der Opfer beruhte, diese also einen Tatverdächtigen für gewaltbereit oder unberechenbar hielten. In Kategorie 2 (leichte Gewaltanwendung) wurden einfache Sachbeschädigungen oder Diebstähle ebenso wie Freiheitsberaubungen einer niedrigen Intensität eingestuft. Der Kategorie 3 (mittlere Gewaltanwendung) wurden die Anwendung von psychischer oder physischer Gewalt, Freiheitsberaubungen oder Nötigungen zugeschlagen, insbesondere wenn diese nicht durch nähere Angaben qualifiziert waren. In Kategorie 4 (schwere Gewaltanwendung) wurde die Verwendung von Waffen ebenso wie Raubstraftaten, Entführungen, Sexualdelikte oder Brandstiftungen aufgenommen. Kategorie 5 (Kapitalverbrechen) umfasst alle Tötungsdelikte. Das Merkmal der „Anwendung anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel“ wurde lediglich zweigeteilt nach Kategorie 1 (einfache Erpressung oder Bedrohung; Punktwert 3) sowie Kategorie 2 (schwere Erpressung oder Bedrohung; Punktwert 5), so dass insoweit maximal 8 Punkte zu erreichen waren.
366
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Beim dritten speziellen Merkmal, der „Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft“, wurden nach der Zielrichtung der Einflussnahme sechs Kategorien gebildet. Neben den fünf genannten Institutionen wurde eine Einflussnahme auf Polizei- bzw. Grenzschutzbeamte als weitere Kategorie hinzugenommen. Unter den acht übrigen Sachverhaltsmerkmalen des „Summenscore II“ wurden die Variablen „Anzahl Tatverdächtiger“ sowie „Anzahl der Straftaten“ stärker gewichtet. Auch hier wurden, ausgehend vom Spektrum der Gesamtstichprobe von 153 Komplexen, 20 %-Intervalle gebildet und einem Wertbereich von 1 bis 5 zugeordnet. Da es sich hier, neben den Angaben zur OK-Relevanz, um zentrale Aussagen zur Bedeutung und Komplexität eines Verfahrens handelt, erfolgte eine stärkere Gewichtung durch eine Multiplikation der ermittelten Werte mit dem Faktor 5. Der „Summenscore II“ setzt sich somit aus folgenden 30 Merkmalen zusammen: Anzahl verübter Straftaten Wertspektrum: min: 5; max: 25 (20 % Intervalle) Anzahl der Tatverdächtigen Wertspektrum: min: 5; max: 25 (20 % Intervalle) OK-Alternative „Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen“ Neun inhaltliche Kategorien (s. o.) Wertspektrum jeweils: min: 0; max: 5 (trifft nicht zu, trifft zu) OK-Alternative „Anwendung von Gewalt“ Fünf inhaltliche Kategorien (s. o.) Wertspektrum jeweils: min: 0; max: 5 (trifft nicht zu, k.A. / trifft zu) OK-Alternative „Anwendung anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel“ Zwei inhaltliche Kategorien (s. o.) Wertspektrum: min: 0; max: 3 bzw. 5 (trifft nicht zu, k.A. / trifft zu). OK-Alternative „Einflussnahme“ Sechs Kategorien (s. o.) Wertspektrum jeweils: min: 0; max: 5 (trifft nicht zu, k.A. / trifft zu) Tatbegehung international Wertspektrum: min: 0; max: 5 (trifft nicht zu, k.A. / trifft zu) Verbindungen zu ausländischen Organisationen Wertspektrum: min: 0; max: 5 (trifft nicht zu, k.A. / trifft zu) Erzielte Gewinne durch Straftaten (DM 500.000 und mehr) Wertspektrum: min: 0; max: 5 (trifft nicht zu, k.A. / trifft zu) Geldwäsche Wertspektrum: min: 0; max: 5 (trifft nicht zu, k.A. / trifft zu)
Abschn. 2, Kap. 14: Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung
367
Unterstützung in Haft befindlicher Täter Wertspektrum: min: 0; max: 5 (trifft nicht zu, k.A. / trifft zu) Verwendung von Logistik, Technik oder besonderem „know how“ auf Täterseite Wertspektrum: min: 0; max: 5 (Anzahl der Angaben) 24%
18%
13%
26%
Summenscore 1 Tatverd./Straftaten OK-Merkmale Rest
22%
47%
23%
27%
Schaubilder 63 (links): Theoretische Gewichtung für die Auswahl der OK-Komplexe Schaubild 64 (rechts): Praktische Bedeutung für die Auswahl der OK-Komplexe
Obige Graphik zeigt, dass theoretisch für die OK-Merkmale knapp die Hälfte (47 %) aller Punkte des „Gesamt-Summenscore“ hätten erzielt werden können, darauf folgen die Anzahl der Tatverdächtigen wie der Straftaten (22 %) sowie der „Summenscore I“ (insbesondere die getroffenen Ermittlungsmaßnahmen (18 %)). Tatsächlich gingen alle vier Variablenbereiche mit einem Anteil von etwa einem Viertel in die Auswahl der Komplexe ein. Die addierten Punktwerte aller ausgewerteten 153 OK-Komplexe ergaben ein Spektrum zwischen dem Minimalwert 26 und dem Maximalwert 155. Mittelwert und Median dieses Gesamt-Summenscores zeigen mit den Werten 71,7 und 69,0 ähnliche Ausprägungen – ein Hinweis auf eine Normalverteilung und damit auch die Qualität des entwickelten Zuordnungsverfahrens. Die statistische Einteilung der Komplexe stimmte mit einer aufgrund der Lektüre der OK-Raster vorgenommenen persönlichen Einschätzung der Verfahren nahezu überein. 30 25 20 15 10 5 0
5 15 614
5 14 613
5 13 612
5 12 611
5 11 610
05 -1 96
5 -9 86
5 -8 76
5 -7 66
5 -6 56
5 -5 46
5 -4 36
5 -3 26
Schaubild 65: Punktwerte der 153 OK-Komplexe
368
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Ziel dieses methodischen Vorgehens war, wie bereits oben beschrieben, aus der Gesamtzahl der 153 Komplexe eine Anzahl von rund 50 Vorgängen zur vertiefenden Bearbeitung herauszufiltern. Um alle denkbaren OK-Varianten zu erfassen und möglicherweise Spezifika von organisierter Kriminalität ermitteln zu können, erschien es sinnvoll, solche Komplexe auszusuchen, die die in den Rastern aufgeführten Kriterien in besonders hohem wie in besonders geringem Maße erfüllen. Unter statistischen und ökonomischen Aspekten wurden daher die 26 am höchsten (Punktwerte 97 bis 155; im Folgenden auch „A-Komplexe“ genannt) und die 26 am niedrigsten (Punktwerte 26 bis 47; „B-Komplexe“) bewerteten Komplexe zur weiteren Analyse ausgewählt (jeweils 17,0 % der Gesamtanzahl). Eine höhere bzw. niedrigere „Grenzziehung“ hätte die Zahl zu berücksichtigender Vorgänge wesentlich erhöht und damit auch zu Unschärfen in der Bewertung geführt. Somit ergibt sich eine Bruttostichprobe von n = 52 (34,0 %) aller Verfahrenskomplexe. Pool 153 Komplexe
Auswahl 52 Komplexe
26 Komplexe mit hoher OK-Relevanz
26 Komplexe mit niedriger OK-Relevanz
Schaubild 66: Auswahlvorgang bei der Aktenanalyse
Zu kontrollieren war, ob die Auswahl von der Entstehungszeit der OK-Komplexe beeinflusst wurde. Nachstehendes Schaubild widerlegt diese These und zeigt, dass immerhin acht der B-Komplexe im letzten erfassten Jahr 1997 ihren Ausgang nahmen gegenüber nur sechs der A-Komplexe. 12 10
8
A-Komplexe
6
B-Komplexe
4
2 0
1993
1994
1995
1996
1997
Schaubild 67: Jahr der ersten Rastererfassung der ausgewählten 52 OK-Komplexe
Abschn. 2, Kap. 14: Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung
369
In einem weiteren Schritt wurde überprüft, ob der „Verfahrensstand“ (offen / abgeschlossen) zum Zeitpunkt der Rastererstellung eine Auswirkung auf die Stichprobenbildung hatte. Angaben zu dieser Variablen lagen für 151 Komplexe vor, von denen 29,1 % (44) als offen, 70,9 % (107) als abgeschlossen, also an die Staatsanwaltschaft abgegeben, gemeldet worden waren. Fast identisch waren zehn der 26 A- sowie neun der 26 B-Komplexe als noch „offen“ erfasst. Daneben wurde auch überprüft, ob die offenen bzw. abgeschlossenen Fälle bei anderen Variablen wie der „Anzahl der tatverdächtigen Personen“, der Festnahmen sowie der erlassenen Haftbefehle gravierende Unterschiede aufweisen. Dies war aber nicht der Fall. So wurden für die offenen Komplexe durchschnittlich 14,8 Tatverdächtige angegeben, bei den abgeschlossenen 15,1. Ähnlich ausgewogen ist das Verhältnis bei den Festnahmen (8,5: 8,7) sowie bei den Haftbefehlen (8,2: 8,4). Dass der Verfahrensstand offensichtlich nur eine geringe Auswirkung auf zentrale Sachverhaltsdaten in den Rastern hat, könnte zum einen daran liegen, dass wesentliche Merkmale eines Komplexes in einem relativ frühen Ermittlungsstadium bekannt sind. Zum anderen wird, wie die teilnehmende Beobachtung zeigte, manche Meldung als OK-Verfahren bis zu einer gewissen Ermittlungsreife des Komplexes zurückgestellt. Obwohl die Auswahl der Komplexe nach Addition von „Summenscore I und II“ vorgenommen wurde, erscheint es dennoch bemerkenswert, dass die A-Komplexe nicht nur im kumulierten Wert, sondern auch bei den darin enthaltenen Teilwerten für die speziellen OK-Merkmale wie bei der Anzahl der Tatverdächtigen und der Straftaten, jeweils durchgängig hoch, die B-Komplexe zugleich durchgängig niedrig liegen. Nachstehende Tabelle zeigt, dass sich jeweils über die Hälfte der ausgewählten A- wie B-Komplexe unter den 17 % am höchsten bzw. niedrigsten Punktwerten der „Summenscore I und II“ sowie den darin enthaltenen Teilscore „Spezielle OK-Merkmale“ wie „Anzahl Tatverdächtiger und Straftaten“ befinden. Auch hätte sich die Kategorisierung für rund 3/4 der A- und B-Komplexe nicht geändert, wenn man auf die Einstellung der speziellen OK-Merkmale in die Summenvariable verzichtet hätte. Tabelle 8 Verteilung der A- und B-Komplexe auf die gebildeten Parameter
Summenscore I (A) Summenscore I (B) Summenscore II (A) Summenscore II (B) Spezielle OK-Merkmale (A) Spezielle OK-Merkmale (B) Tatverdächtige u. Straftaten (A) Tatverdächtige u. Straftaten (B) Score ohne OK-Merkmale (A) Score ohne OK-Merkmale (B) 24 Kinzig
17 % niedrig
Mitte
17 % hoch
1 (3,8 %) 14 (53,8 %) 0 15 (57,7 %) 1 (3,8 %) 15 (57,7 %) 0 15 (57,7 %) 0 20 (76,9 %)
10 (38,5 %) 12 (46,2 %) 10 (38,5 %) 11 (42,3 %) 11 (42,3 %) 11 (42,3 %) 9 (34,6 %) 10 (38,5 %) 7 (26,9 %) 6 (23,1 %)
15 (57,7 %) 0 16 (61,5 %) 0 14 (53,8 %) 0 17 (65,4 %) 1 (3,8 %) 19 (73,1 %) 0
370
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
B. Merkmale der OK-Komplexe nach den LKA-Rastern Im Folgenden sollen die Ergebnisse wichtiger Merkmale der ausgewählten 52 OK-Komplexe vorgestellt und in Beziehung zu den Ergebnissen aller 153 OK-Raster gesetzt werden. I. Zentrale Verfahrensdaten, insbesondere die Ermittlungsmaßnahmen Tabelle 9 Zentrale Verfahrensdaten
Anzahl Durchsuchungen TÜ-Maßnahmen Anzahl der TÜ-Maßnahmen Einsatz von VE Einsatz von VP Einsatz von VE und VP Zeugenschutzmaßnahmen Dauer des Verfahrens Zahl der ermittelnden Beamten Höhe der Polizeikosten (in DM)
153 OK-Komplexe 16,0 (123) 65,3 % (153) 5,4 (100) 32,6 % (135) 44,4 % (142) 26,5 % (132) 20,9 % (153) 13,1 M. (153) 3,2 (152) 43.519 (138)
A-Komplexe 20,2 (22) 88,5 % (26) 8,6 (23) 52,2 % (23) 76,0 % (25) 52,2 % (23) 46,2 % (26) 17,5 M. (26) 4,0 (26) 84.841 (24)
B-Komplexe 7,0 (17) 38,5 % (26) 2,7 (10) 13,6 % (22) 12,5 % (24) 13,6 % (22) 7,7 % (26) 10,7 M. (26) 2,4 (25) 19.875 (20)
Durchschnittlich fanden in denjenigen 123 von 153 OK-Komplexen, in denen Durchsuchungen durchgeführt wurden, 16 solcher Maßnahmen statt. In Einzelfällen wurden sehr hohe Zahlen (bis zu 235) angegeben. Die Telefonüberwachung, die in knapp zwei Drittel aller 153 Komplexe erfolgte, kann bei OK-Ermittlungen als Standardmaßnahme bezeichnet werden. Wenn eine TÜ geschaltet wurde, fand im Durchschnitt pro Komplex eine Überwachung von mehr als fünf Anschlüssen statt. Maximal wurden in einem Komplex 29 Anschlüsse abgehört. Die Dauer der telefonischen Überwachung betrug überwiegend bis zu drei Monaten. Der Einsatz von Vertrauenspersonen (VP) war, wie zu erwarten, häufiger als der Verdeckter Ermittler (VE). In rund einem Viertel der OK-Komplexe fand ein kombinierter Einsatz von VE und VP statt. Zeugenschutzmaßnahmen wurden in rund einem Fünftel der Fälle getroffen. In den OK-Komplexen, egal, ob sie abgeschlossen oder noch offen waren, wurde durchschnittlich etwas mehr als ein Jahr (13,1 Monate) ermittelt, in einem Fall sogar vier Jahre lang. Die Anzahl der eingesetzten Ermittlungsbeamten, die nur die unmittelbar mit der Bearbeitung des Falles betrauten Polizisten umfasst, temporäre Einsatz- bzw. Observationskräfte dagegen nicht, betrug im Durchschnitt rund drei Beamte pro OK-Komplex. Die durch Ermittlungstätigkeiten entstandenen Kosten (vor allem Dolmetscher- wie TÜ-Kosten) sind ebenfalls in den Rastern beziffert, wobei allerdings Personalkosten für die ermittelnden Beamten und Einsatzkosten in der Aufstellung nicht enthalten sind. Sie beliefen sich auf durchschnittlich ca. DM 43.000.
Abschn. 2, Kap. 14: Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung
371
Wiederum fällt auf, dass alle Werte der 26 A-Komplexe über dem jeweiligen Durchschnittswert für die 153 Komplexe liegen, letzterer wiederum durchgehend über dem der B-Komplexe. So wird bei den A-Komplexen wesentlich häufiger durchsucht. Besondere Ermittlungsmethoden wie der Einsatz der Telefonüberwachung, aber auch der von Vertrauenspersonen und sogar von Verdeckten Ermittlern, sind die Regel. Oft erfolgen in den A-Komplexen auch Maßnahmen des Zeugenschutzes. Eine Ermittlungsdauer von rund eineinhalb Jahren, der durchschnittliche Einsatz von vier Beamten sowie die Polizeikosten von über 80.000 DM verdeutlichen anschaulich die Ermittlungsintensität bei diesen umfangreichen A-Komplexen mit organisierter Kriminalität.
II. Zentrale Sachverhaltsdaten
1. Tatverdächtige und Straftaten Zu allen 153 OK-Komplexen liegen Angaben bezüglich der Anzahl der Tatverdächtigen vor. Auffallend ist hierbei das breite Spektrum der Ergebnisse (min = 1; max = 100 Tatverdächtige), wobei Durchschnittswert (14,9) und Median (10,0) nicht allzuweit auseinanderfallen.
50 40 Gesamt
30
A-Komplexe 20
B-Komplexe
10 0 1 bis 3
4 bis 6
7 bis 9
10 bis 20
21-50
über 50
Schaubild 68: Anzahl der Tatverdächtigen
Evident ist auch in diesem Fall der Unterschied zwischen den A- und B-Komplexen. Während erstere minimal neun Tatverdächtige aufweisen und den Maximalwert 100 aller Fälle enthalten, erscheinen bei den B-Komplexen nur Werte zwischen zwei und 14 Tatverdächtigen. Im Mittelwert wurden 34,4 (A) bzw. 5,2 (B) Tatverdächtige angegeben. Für die Anzahl der Straftaten existieren Angaben zu allen 153 OK-Komplexen in einer Bandbreite zwischen einer und 498 Straftaten mit einem Durchschnitt von 42,0 Straftaten (Median: 16,0). Auch hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen den A- und B-Komplexen. Für die A-Komplexe wurden durchschnittlich 77,4 (Median: 58,0), für die B-Komplexe nur 12,5 Delikte (Median: 4,0) gemeldet. 24*
372
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Während bei 14 der 26 B-Komplexe (53,8 %) polizeilicherseits maximal fünf Straftaten registriert wurden, waren es bei 15 der 26 A-Komplexe (57,7 %) 51 oder mehr Straftaten. 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
Gesamt A-Komplexe B-Komplexe
1 bis 5
6 bis 10
11 bis 15
16 bis 25
26 bis 50
51 bis 100
>100
Schaubild 69: Anzahl der Straftaten
2. Spezielle OK-Merkmale Auch bei einer einfachen Abfrage nach den erfüllten speziellen OK-Merkmalen3 zeigt sich, dass alle drei speziellen Merkmale bei den A-Komplexen in höherem Maße vorliegen als bei allen 153 Komplexen, letztere wiederum höhere Werte als der Durchschnitt der B-Komplexe aufweisen. In immerhin zehn der 26 A-Komplexe (38,5 %) bejahten die polizeilichen Sachbearbeiter alle drei speziellen OKMerkmale. 100%
80%
Gesamt (n=153)
60% A-Komplexe
40%
B-Komplexe
20% 0% OK-Alt. 1
OK-Alt. 2
OK-Alt. 3
1 OK-
2 OK-
3 OK-
Alt.
Alt.
Alt.
Schaubild 70: Vorhandensein spezieller OK-Merkmale
Für 59 und damit 38,6 % aller 153 Fälle (in 106 Fällen lagen „gewerbliche Strukturen“ vor) enthielten die Raster unter dem Stichpunkt „unter Verwendung geschäftsähnlicher Strukturen“ nähere Angaben (Schaubild 71). Insgesamt, wie auch bei den A-Komplexen, finden sich Schwerpunkte bei den Kategorien „Arbeitsteilung“ (57 Nennungen), „Zentralisierung“ (49) sowie „Struktur“ (25)4. Auch hier bestehen zwischen A- und B-Komplexen erhebliche Unterschiede. 3 Wie erwähnt, erfolgte die Einbeziehung in die Auswahl mittels Auswertung der Freitextantworten. 4 Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang, dass der am häufigsten genannte Punkt „Arbeitsteilung“ auch die in anderen Bundesländern vorgenommene Auswertung der Indikatoren organisierter Kriminalität (Kapitel 11, B., IX.) anführt. Dies ist umso bemerkenswerter, erfolgte die Codierung der Freitextantworten unabhängig von der Liste der OK-Indikatoren.
Abschn. 2, Kap. 14: Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung
373
In über der Hälfte aller 153 Komplexe (54,2 %) wiesen die Raster Gewalt- bzw. Einschüchterungshandlungen auf. Bezogen auf diese 83 Fälle wurden ausschließlich eine Gewaltanwendung zu 59,0 % (49) bejaht, ausschließlich Einschüchterungshandlungen zu 79,5 % (66). Den Einsatz von Gewalt- und Einschüchterungshandlungen enthielten 32 (38,0 %) Komplexe. 60 50 40 30 20 10 0
ng ru ie lis e ra nt eg Ze /W en rm Fi e al e eg eg ill /W en rm Fi le ga le g un ch te es B um nt te lis ia ez Sp ik hn ec .T ez sp
. an rg
ng lu ei
O t. ns so
t ts ei rb A
ur kt ru St
Gesamt (n=59)
A-Komplexe (n=16)
B-Komplexe (n=3)
Schaubild 71: Kategorisierte Freitextantworten bei Komplexen mit geschäftsähnlichen Strukturen
Angaben zu Gewaltanwendungen (für n = 49) beziehen sich vor allem auf die Kategorien mittlere Gewalt sowie schwere Gewalt. Wurde Gewalt angewendet, war diese also eher ernster Natur. Den überwiegenden Teil der Einschüchterungen scheinen dagegen mittlere Erpressungs- bzw. Bedrohungshandlungen darzustellen. 60 50 40
Gesamt
30
A-Komplexe
20
B-Komplexe
10 0
e er ./ pr Er r. ed B
r. ed B r./ Ep l. itt
te lik
t al ew G
e ld ita
hw sc
m
ap K
e er
t al ew G l. itt
hw sc
m
t al
t al ew G
ew G
e ht ic le
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Schaubild 72: Kategorisierte Freitextantworten bei OK-Merkmal 2
Angaben zu Einflussnahmehandlungen finden sich in 28,1 % der 153 Verfahren. Die weitere Analyse dieser 43 Fälle zeigt, dass die Einflussnahmehandlungen primär auf die „öffentliche Verwaltung“ (26), „Polizei / BGS“ (zwölf) sowie „Justiz“ (zehn) abzielen. Bei elf der 26 A-Komplexe waren solche Einflussnahmehandlungen vermerkt, dagegen nur bei zwei B-Komplexen.
374
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
3. Sonstige in die Auswahl einbezogene Merkmale In über 3/4 aller Komplexe wurden die Straftaten (auch) international begangen. In knapp 40 % der Fälle lagen Verbindungen zu ausländischen Organisationen vor5. Bei 48 Komplexen (31,4 %) wurde über Gewinne von mehr als 500.000 DM berichtet, bei 38 (24,8 %) über Geldwäschehandlungen. Verdachtsanzeigen nach dem Geldwäschegesetz wurden allerdings nur in neun Komplexen erstattet. Eine „Einwirkung im Bereich JVA“, vor allem in der Form der „Betreuung durch Tätergruppen / -organisationen“, fand in 35 Fällen statt. Die „Verwendung von Logistik, Technik oder besonderem „know how“ durch die Täterseite“ wurde 90mal (58,8 %) bejaht6. Tabelle 10 Sonstige in die Auswahl einbezogene Merkmale
Tatbegehung international Verbindungen zu ausl. Organisationen Erzielter Gewinn > 500.000 DM Geldwäsche Unterstützung inhaftierter Täter Verwendung von Logistik etc.
153 OK-Komplexe 77,5 % (151)
A-Komplexe 92,3 % (26)
B-Komplexe 57,7 % (26)
38,6 % (153) 31,4 % (153) 24,8 % (153) 22,9 % (153) 58,8 % (153)
57,7 % (26) 53,8 % (26) 65,4 % (26) 38,5 % (26) 84,6 % (26)
30,8 % (26) 7,7 % (26) 7,7 % (26) 3,8 % (26) 26,9 % (26)
Wiederum unterscheiden sich A- und B-Komplexe bei allen einzelnen Merkmalen deutlich. Besonders eklatant ist, dass in immerhin 14 A-Komplexen ein Gewinn von über 500.000 DM und sogar in 17 Geldwäschehandlungen festgestellt wurden, während dies jeweils nur bei zwei (hoher Gewinn bzw. Geldwäsche) B-Komplexen der Fall war.
4. Weitere nicht in die Auswahl einbezogene Merkmale Neben den Merkmalen, die für die Einteilung der OK-Komplexe berücksichtigt wurden, liegen zusätzliche Informationen zum Verfahren und zum Sachverhalt vor, die weiteren Aufschluss über die Charakteristika der OK-Ermittlungen generell sowie über Unterschiede zwischen den A- und B-Komplexen geben. 5 Wertet man die für diese 59 Komplexe vorliegenden 75 Freiantworten aus, finden sich in 33 Fällen Kontakte zu italienischen Organisationen (Mafia, Camorra, ’Ndrangheta, Cosa Nostra), in zehn zu türkischen (vorwiegend PKK) sowie in 18 Fällen zu solchen ost- bzw. südosteuropäischer Herkunft (Russen, Polen, Litauen, Balkan). 6 Bei einer Einordnung in zehn Kategorien dominiert die „Telekommunikation“ (66) deutlich vor dem Merkmal „besondere Personenkontakte bzw. –Verbindungen“ (25), der Verwendung von Kfz (25) sowie Besonderheiten im Bereich von Identitäten und Dokumenten (23).
Abschn. 2, Kap. 14: Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung
375
Knapp die Hälfte der OK-Fälle bearbeiteten so genannte B / OK-Dezernate. Dazu ist zu bemerken, dass Baden-Württemberg im Jahr 1988 mit der Freisetzung zusätzlicher Ermittlungskapazitäten durch eine landesweite Einrichtung von Dezernaten „Bandendelikte / Organisierte Kriminalität (B / OK)“ begonnen hatte. Im Mai 1993 bestanden bei allen fünf Landespolizeidirektionen (Stuttgart I, Stuttgart II, Karlsruhe, Freiburg und Tübingen), den Polizeipräsidien Karlsruhe und Mannheim sowie den Polizeidirektionen Esslingen, Freiburg, Heidelberg, Heilbronn, Konstanz und Ulm Dezernate B / OK. Weitere Dezernate B / OK wurden im Jahr 1993 bei den Polizeidirektionen Ludwigsburg und 1994 in Böblingen eingerichtet7. Für ein handlungsfähiges Dezernat B / OK wurde eine Mindeststärke von zehn Personen für erforderlich erachtet8. Neben den B / OK-Dezernaten waren vor allem bei den A-Komplexen spezialisierte (Zentral-)Dienststellen wie GER, LKA und BKA federführend. 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
Gesamt (153) A-Komplexe (26) B-Komplexe (26)
allg. Dezernat
GER
B/OK
LKA
BKA
Schaubild 73: Bearbeitende Dienststelle
Die Spezialisierung der beteiligten Dienststellen setzt sich bei der Staatsanwaltschaft fort. 70,6 % aller Komplexe bearbeiteten OK-Dezernenten der Staatsanwaltschaft, bei den A-Komplexen sogar 84,6 %, bei den B-Komplexen dagegen nur 61,5 %. 70 60 50
Gesamt
40
A-Komplexe
30
B-Komplexe
20 10 0 po
8
Stellungnahme des Innenministeriums, LT-Drs. 11 / 1468, S. 6. Pol. Lagebild Ba-Wü 1994, S. 109.
k. Er
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e
b.
7
l.
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Schaubild 74: Art der Verfahrenseinleitung
376
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
In jeweils etwas mehr als einem Drittel der 153 Komplexe9 wurden als Auslöser für den Beginn der Ermittlungen eine „aktive Informationsbeschaffung“ (58) seitens der Polizei bzw. andere „polizeiliche Erkenntnisse“ (61) genannt10. Ein zielorientiertes, aktives und offensives Handeln steht somit in mehr als zwei Drittel der untersuchten Fälle am Beginn des Ermittlungsverfahrens. Diese Ausrichtung ist bei den A-Komplexen noch deutlicher, während die B-Komplexe stärker auf Anzeigen und damit traditionell ermittlungsauslösende Momente zurückgehen. 100% 80%
TÜ
60%
VE
40%
VP
20% 0% Aktive Infob.
Anzeige
Anonym
Pol. Erkenntnisse
Schaubild 75: Verfahrenseinleitung und Einsatz besonderer Ermittlungsmaßnahmen
Den Zusammenhang zwischen „aktiver Informationsbeschaffung“ und dem Einsatz Besonderer Ermittlungsmaßnahmen verdeutlicht obenstehende Graphik. Während bei den 58 Komplexen mit „aktiver Informationsbeschaffung“ in knapp 80 % der Fälle eine TÜ stattfand, bei fast 40 % ein VE sowie bei mehr als 60 % eine VP eingesetzt wurde, gingen die 42 Komplexe, die ihren Ausgang mit einer Anzeige nahmen, mit konventionelleren Ermittlungsmethoden einher (TÜ: 47,6 %; VE: 11,9 %; VP: 21,4 %). 40%
30% OK-Komplexe ges. (n=6430)
20%
A-Komplexe (n=2013) B-Komplexe (n=325)
10%
0%
t bs ie
fG af
es tig ns ng so hu sc äl df el G . el bd au R l. de al xu . tc Se ie re le eh l. H de gs ru et l. B de ds un rk . el .d U
D
W
lG l. us A de g. ch
s au R
Schaubild 76: Erfasste Straftaten
9 Obwohl im Raster nicht vorgesehen, gab es 15 Mehrfachnennungen, so dass 169 Angaben registriert wurden. 10 Hellebrand 1999 Rdnr. 203 spricht im Bereich der Staatsanwaltschaft von verfahrensunabhängigen und verfahrensabhängigen Initiativermittlungen.
Abschn. 2, Kap. 14: Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung
377
Insgesamt wurden in den 153 OK-Rastern 6.430 Straftaten nach der PKS erfasst. Bei einer deliktischen Zusammenfassung erreichen die Rauschgiftstraftaten (26,3 %), Hehlereistraftaten inkl. Geldwäsche (14,7 %), Straftaten nach dem AuslG sowie AsylverfG (11,6 %) sowie Diebstahlstraftaten (10,5 %) Werte über 10 %. Bei den A-Komplexen sind vor allem die Straftaten nach dem BtmG (31,2 %), nach dem AuslG sowie dem AsylverfG (22,2 %) sowie die dabei häufig als Begleitdelikte auftretenden Urkundenstraftaten (11,3 %) überproportional vertreten, bei den B-Komplexen dagegen Diebstahls- (26,2 %) sowie Geldfälschungsdelikte mit 18,5 %. Knapp die Hälfte aller 153 OK-Komplexe (49,0 %) wurden im Raster als deliktsübergreifend charakterisiert, von den 26 B-Komplexen allerdings nur sieben, von den A-Komplexen dagegen 16. Bei der Übersicht über alle erfassten Straftaten ist allerdings zu beachten, dass die prozentuale Verteilung durch wenige Komplexe mit einer Vielzahl gleicher Delikte beeinflusst werden kann. Daher wurden die Komplexe auch danach untersucht, welche Straftaten überhaupt bei ihnen auftreten, ohne die jeweiligen Häufigkeiten zu berücksichtigen. Am häufigsten fand sich dabei (mindestens) eine Straftat nach dem Waffengesetz (PKS-Schlüssel 7262), und zwar in knapp 30 % der 153 OK-Komplexe. Quantitativ nachrangig folgen die Urkundenfälschung (5400) sowie der illegale Handel mit und Schmuggel von Kokain nach § 29 BtmG (7322) mit je 26,1 %, der illegale Handel mit und Schmuggel von Heroin nach § 29 BtmG (7321) mit 25,5 %, der / die Betäubungsmittelanbau, -herstellung und -handel als Mitglied einer Bande nach §§ 30 Abs. 1 Nr. 1, 30a BtmG (7342) mit 16,3 %, der sonstige Betrug (5170) mit 12,4 %, der Diebstahl unter erschwerenden Umständen von Kraftwagen (4001) mit 11,1 % sowie die Geld- und Wertzeichenfälschung einschl. Vorbereitungshandlungen (5510) mit 10,5 %.
50% 40% Gesamt
30%
A-Komplexe
20%
B-Komplexe
10% 0% 7262
5400
7322
7321
7342
5170
4001
5510
Schaubild 77: Häufigkeit einzelner Delikte bei OK-Komplexen
Die sechs erstgenannten Straftaten sind unter den 26 A-Komplexen durchweg noch häufiger vertreten, wobei die hohen Werte für den illegalen Handel mit und Schmuggel von Kokain sowie Heroin nach § 29 BtmG mit je 46,2 %, für Straftaten gegen das Waffengesetz (42,3 %), aber auch für den bandenmäßigen Betäubungsmittelhandel mit 30,8 % besonders bemerkenswert sind. Die Werte der B-Komplexe liegen bei diesen Delikten deutlich niedriger, ein erhöhter Anteil ist lediglich bei der Geld- und Wertzeichenfälschung mit 15,4 % zu beobachten.
378
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
100% 80% 60% Akt. Info/pol. Erk. 40%
Anzeige
20%
anonym
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Schaubild 78: Deliktsschwerpunkte und Einleitung des Ermittlungsverfahrens
Im Folgenden wurde für die 153 Komplexe eine individuelle deliktische Schwerpunktbildung vorgenommen und diese in Beziehung zu der Art und Weise der Verfahrenseinleitung gesetzt. So kamen 98,4 % der 63 Komplexe mit Schwerpunkt Rauschgiftdelikte aufgrund aktiver Informationsbeschaffung bzw. polizeilichen Erkenntnissen zustande, daneben 91,7 % der 12 Komplexe mit Schwerpunkt Schleusungskriminalität, 83,3 % der sechs Fälle mit Schwerpunkt im Rotlichtmilieu sowie 81,3 % der 16 Fälle mit Schwerpunkt Kfz-Verschiebungen11. Dagegen lösten bei den je zehn Komplexen mit Schutzgelderpressungen bzw. mit Delikten der Wirtschaftskriminalität, aber auch bei den acht Einbruchskomplexen vor allem Anzeigen die Ermittlungen aus. 35 30 25 20
Gesamt
15
A-Komplexe
10
B-Komplexe
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Schaubild 79: Schwerpunkt der Nationalität der Tatverdächtigen
In den 153 untersuchten Komplexen sind Tatverdächtige aus ca. 70 Nationen vertreten. Für die einzelnen Komplexe wurde der Schwerpunkt der Nationalität der Tatverdächtigen ermittelt. Lediglich in 19 Komplexen (12,4 %) waren ausschließlich Deutsche beteiligt, in 32 (20,9 %) haben deutsche und ausländische Tatver11 Im geringen Umfang gingen Mehrfachnennungen ein, wobei auf die Zahl der Komplexe prozentuiert wurde, so dass die Summe mehr als 100 % beträgt.
Abschn. 2, Kap. 14: Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung
379
dächtige zusammengewirkt, ohne dass ein Überwiegen einer Nationalität festgestellt werden konnte. Bei den ausländischen Nationalitäten dominieren Italiener (24; 15,7 %), Türken / Kurden (22; 14,4 %) sowie Angehörige der auf dem Balkan vertretenen Nationalitäten (ehem. Jugoslawien, Albaner, Serben: 23; 15,0 %). Tatverdächtige afrikanischer oder südamerikanischer Herkunft sind kaum erfasst. Im Vergleich der Untergruppen (A, B) zeigt sich tendenziell, dass Komplexe mit maßgeblicher Beteiligung deutscher Tatverdächtiger vermehrt unter den B-Komplexen zu finden sind. Die A-Komplexe zeichnen sich durch einen Schwerpunkt auf südosteuropäischen Tatverdächtigen (Balkanstaaten) aus. In 81,7 % (125) der Komplexe erfolgten Festnahmen, Haftbefehle wurden in 80,4 % (123) der Fälle erlassen. Bezogen auf diese Angaben wurden durchschnittlich 8,6 Festnahmen bzw. 8,0 Haftbefehle pro Komplex berichtet. Diese Werte liegen somit deutlich unter der Zahl der Tatverdächtigen. Für die A-Komplexe wurden jeweils rund 15 Festnahmen bzw. Haftbefehle pro Komplex ermittelt, die Werte für die B-Komplexe liegen wiederum deutlich darunter. Tabelle 11 Sonstige Merkmale
Komplexe mit Festnahmen Komplexe mit Haftbefehlen Festnahmen pro Komplex Haftbefehle pro Komplex Komplexe mit Waffenträgern Anzahl der Waffenträger Sicherstellung / Beschlagnahme Wert der Sicherstellungen Gewinn Höhe der Gewinne (in DM) Schaden Höhe der Schäden (in DM) Gewinnabschöpfung
153 OK-Komplexe 81,7 % (153) 80,4 % (153) 8,6 (125) 8,0 (123) 35,9 % (153) 2,4 (55) 71,9 % (153) 696.443 DM 56,9 % (153) 2.922.587 DM 33,3 % (153) 6.099142 (51) 17,6 % (153)
A-Komplexe 96,2 % (26) 92,3 % (26) 15,2 (25) 15,2 (24) 57,7 % (26) 2,5 (15) 88,5 % (26) 497.789 DM 80,8 % (26) 5.286.676 DM 19,2 % (26) 3.092.400 (5) 38,5 % (26)
B-Komplexe 65,4 % (26) 53,8 % (26) 3,3 (17) 4,0 (14) 15,4 % (26) 1,5 (4) 50,0 % (26) 214.471 DM 38,5 % (26) 599.100 DM 26,9 % (26) 3.624.486 (7) 11,5 % (26)
Die Variable „Waffenträger“ wurde in rund einem Drittel aller Komplexe (55) bejaht, wobei durchschnittlich 2,4 waffentragende Personen verzeichnet wurden. Eine Sicherstellung bzw. Beschlagnahme von Gegenständen etc. im Verlaufe des Ermittlungsverfahrens wurde für 110 Komplexe (71,9 %) berichtet12. Angaben zum Wert der Sicherstellungen / Beschlagnahmen weisen 82 der 153 Komplexe 12 Überwiegend wurden Betäubungsmittel (76), Bargeld bzw. Vermögen (71), Kraftfahrzeuge (43) sowie Waffen (30) sichergestellt oder beschlagnahmt.
380
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
auf. Die genannten Summen differieren von wenigen Tausend bis über zehn Millionen DM. Der sehr hohe letztgenannte Betrag ergab sich durch Sicherstellung bzw. Beschlagnahme von Diebesgut (in diesem Falle Computerchips), Bargeld und Vermögen. Durchschnittlich beträgt der Wert der Sicherstellungen / Beschlagnahmen knapp 700.000 DM pro Komplex, allerdings relativiert durch einen Median von 117.000 DM. Für die A-Komplexe liegt der Mittelwert der sichergestellten / beschlagnahmten Gegenstände bei knapp 500.000 DM, bei den B-Komplexen bei etwas mehr als 200.000 DM. Die Höhe entstandener, vorwiegend geschätzter Gewinne wird primär in Komplexen ohne direkte Geschädigte, z. B. bei Betäubungsmittelstraftaten, erfasst, Angaben über Schäden finden sich dagegen vor allem bei Diebstahls-, Betrugs- und Wirtschaftsdelikten. Die Gewinnsummen, die für 87 Komplexe angegeben wurden, differieren zwischen 1000 DM und 50 Millionen DM, bei einem Durchschnitt von knapp drei Millionen DM und einem Median von 500.000 DM. Der Höchstwert von 50 Millionen DM wurde in einem A-Komplex mit Betäubungsmittelstraftaten, Waffen- und Falschgeldgeschäften sowie Kfz-Verschiebungen aufgeführt. Ähnlich breit ist die Varianz bei dem entstandenen Schaden, der zwischen 1.000 DM und 177 Millionen DM (Durchschnitt: sechs Millionen DM, Median: 750.000 DM) differiert, wobei für den Fall mit der höchsten Schadenssumme ein Kapitalanlagebetrugkomplex verantwortlich zeichnet. Während A- und B-Komplexe bei den Schadenssummen ein ähnliches Bild zeigen, entstanden bei den A-Komplexen deutlich häufiger und auch höhere Gewinne. In 27 Komplexen erfolgten Maßnahmen der Gewinnabschöpfung (B: 3; A: 10), wobei sich der Wert des (vorläufig) sichergestellten Vermögens zwischen etwa 2.000 und 10 Millionen DM bewegte. Bis zur Einführung des großen Lauschangriffs enthielt das OK-Raster eine zusätzliche Variable des Inhalts, ob ein „Einsatz technischer Mittel in Wohnungen (visuell und / oder akustisch)“ erforderlich gewesen wäre. In rund einem Drittel aller Komplexe wurde dies sowohl zur „Aufklärung der / weiterer Straftaten“, zur „Ermittlung der / weiterer Beschuldigten(r)“ als auch zur „Aufdeckung von Organisationsstrukturen und strafrechtlichen Verantwortlichkeiten“ bejaht. Bei den ohnehin schon eingriffintensiveren A-Komplexen wurde die Anwendung dieser Maßnahme als noch dringlicher erachtet.
Tabelle 12 Erforderlichkeit des Großen Lauschangriffs Großer Lauschangriff erforderlich zur Aufklärung der / weiterer Straftaten Ermittlung d. / weiterer Beschuldigten(r) Aufdeckung v. Organisat.strukturen etc. Sonstiges erfolgte / erfolgt i. S. d. § 23 PolG Ba-Wü
153 OK-Komplexe 37,3 % (153) 32,0 % (153) 35,3 % (153) 3,3 % (153) 3,3 % (153)
A-Komplexe 53,8 % (26) 46,2 % (26) 57,7 % (26) 11,5 % (26) 3,8 % (26)
B-Komplexe 23,1 % (26) 15,4 % (26) 19,2 % (26) 0 % (26) 0 % (26)
Abschn. 2, Kap. 14: Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung
381
5. Probleme bei Ermittlungen in Sachen organisierter Kriminalität Des Weiteren boten die OK-Raster die Möglichkeit zur Eintragung von „ergänzenden Informationen“, wobei vornehmlich Probleme bei den Ermittlungen in Sachen organisierter Kriminalität abgefragt wurden. Die am häufigsten genannte Rubrik (60,1 %; 92 Komplexe) betraf dabei „Bekämpfungsdefizite / Probleme“ im Bereich „Logistik“. Die meisten Eintragungen fanden sich hier in der Subkategorie „zeitliche Probleme“ (82), in der Schwierigkeiten wegen nicht zeitnaher Übersetzungen von TÜ-Protokollen, wegen des allgemeinen Zeitaufwands bei den Ermittlungen sowie langer Auskunftsfristen bei externen Stellen beklagt wurden. Als Probleme sachlicher Art (77) können eine mangelnde Flexibilität bei der Handhabung von Zuständigkeiten sowie der „Verwaltungsaufwand“ zusammengefasst werden. Schwierigkeiten in technischer Hinsicht (73) ergaben sich bei nicht ausreichenden Kapazitäten an technischen Geräten, vom PC bis zum Pkw. Im personellen Bereich (50) wurden der hohe Arbeitsaufwand, fehlendes Personal bei besonderen Vorhaben wie Langzeitobservationen sowie fehlende Ansprechpartner im Ausland moniert. Tabelle 13 Ermittlungsprobleme Ermittlungsprobleme Probleme: „Logistik“ OK-spezifische Ermittlungsproblematik Zusammenarbeit mit externen Stellen Probleme „Recht“ Probleme: „Taktik / Strategie“
153 OK-Komplexe 60,1 % 57,5 % 54,2 % 24,8 % 19,0 %
A-Komplexe 80,8 % 76,9 % 61,5 % 38,5 % 30,8 %
B-Komplexe 46,2 % 38,5 % 50,0 % 26,9 % 11,5 %
Aufschlussreich ist auch ein Überblick über die Nennungen in den 88 Fällen (57,5 %), in denen Ausführungen über eine „OK-spezifische Ermittlungsproblematik“ erfolgten. Die meisten Schwierigkeiten (62) traten durch die ausländische Herkunft der Tatverdächtigen auf; sie reichen von den Schwierigkeiten, geeignete Dolmetscher zu finden, bis zur Unmöglichkeit, zu ethnisch homogenen Gruppierungen – etwa mittels VE oder auch VP – Zugang zu finden. Häufig (45) wurden auch Probleme im Zusammenhang mit der Telefonüberwachung genannt. Darunter fallen nicht nur fehlende Abhörmöglichkeiten, sondern auch der Umstand, dass über konkrete kriminelle Handlungen häufig nicht am Telefon gesprochen wird, die TÜ daher bisweilen wenig erfolgreich war. Immerhin in 32 Fällen wurden polizeiinterne Ermittlungsprobleme genannt, die auch daraus resultierten, dass von der Verwicklung einzelner Polizisten in kriminelle Sachverhalte ausgegangen werden musste. In weiteren 27 Fällen gab es Probleme mit Tätern oder Opfern, etwa eine erhöhte Bedrohung einzelner Verfahrensbeteiligter, eine fehlende Bereitschaft,
382
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Aussagen zu machen oder mit Behörden zu kooperieren, wie die Notwendigkeit eines verstärkten Zeugenschutzes. Die „Zusammenarbeit mit externen Stellen“ wurde 83mal (54,2 %) hervorgehoben. Selbige wurde in 39 Fällen mit ausländischen Dienststellen als negativ beurteilt (16mal positiv), die Zusammenarbeit mit deutschen Behörden fand dagegen 10mal negative Erwähnung (18mal positiv). In 38 Fällen (24,8 %) wurde auf rechtliche Probleme hingewiesen. Am häufigsten (20) wurden dabei fehlende strafprozessuale Möglichkeiten genannt. Darunter wurden das Fehlen einer sinnvollen Kronzeugenregelung sowie der (damals noch) nicht geltende große Lauschangriff beklagt, außerdem Beweiserleichterungen eingefordert. Überdies wurden 10mal ungenügende Rechtshilfevorschriften kritisiert. Im Bereich „Taktik / Strategie“, der als defizitär in 29 Komplexen (19 %) benannt wurde, beklagten die Ermittlungsbehörden vor allem Schwierigkeiten, Zugang zu den Tätern zu erhalten, welcher etwa durch das Begehren nach Vorkasse bei Austauschgeschäften sowie durch den Einsatz von Waffen noch erschwert würde (14). Außerdem wurden Probleme bei der Zusammenarbeit und Einbindung „fremder“ Organisationseinheiten und Dienststellen sowie eine fehlende „Abschottung“ nach außen beklagt (12). Die A-Komplexe zeichneten sich dadurch aus, dass die genannten Schwierigkeiten bei ihnen in einem stärkeren Maße als bei den B-Komplexen auftraten.
C. Die Daten der ZOK Baden-Württemberg Die herausgehobene Stellung der A-Komplexe bestätigte sich bei Auswertung der Variablen „OK-Zuordnung“ der ZOK. Mit dieser beurteilen die Staatsanwaltschaften am Ende des Ermittlungsverfahrens, ob ein Komplex tatsächlich als „organisierte Kriminalität“ einzustufen war. Dabei erachtete die Staatsanwaltschaft zehn A-Komplexe als „OK bewiesen“, daneben nur vier B-Komplexe. Dennoch waren alle 52 A- und B-Komplexe als Fälle organisierter Kriminalität in das Lagebild aufgenommen worden. Zwei B-Komplexe sahen die Staatsanwaltschaft zuletzt nicht mehr als solche organisierter Kriminalität an. Tabelle 14 OK-Einschätzung durch die StA
A-Komplexe B-Komplexe
OK bewiesen 45,4 % (10) 17,4 % (4)
OK wahrscheinlich 54,5 % (12) 73,9 % (17)
OK auszuschließen 0 % (0) 8,7 % (2)
Schließlich wurden die Staatsanwaltschaften aufgelistet, die in Baden-Württemberg in den Jahren 1995 – 2000 für die Bearbeitung der Komplexe organisierter
Abschn. 2, Kap. 14: Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung
383
Kriminalität zuständig waren, und mit den bei ihnen vorhandenen Stellen verglichen13. Dabei stellte sich heraus, dass die drei größten städtischen Staatsanwaltschaften Stuttgart, Mannheim und Karlsruhe inkl. Zweigstelle Pforzheim überdurchschnittlich viele Fälle organisierter Kriminalität zu bearbeiten hatten. Als Erklärung für diesen Befund liegt nahe, dass organisierte Kriminalität eher ein Phänomen der Ballungsräume ist. Dafür würde auch der geringe OK-Anteil bei den ländlichen Staatsanwaltschaften sprechen. Möglicherweise kann aber auch ein unterschiedliches Meldeverhalten einzelner Personen eine Rolle spielen. Diese könnte auch das vergleichsweise hohe Fallaufkommen organisierter Kriminalität im Bezirk der Staatsanwaltschaft Heilbronn erklären. 30%
20%
10%
OK gesamt
OK Stichprobe
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Stellenschlüssel
Schaubild 80: Bearbeitende StA: Verhältnis OK-Komplexe 1995 – 2000 / OK-Komplexe Untersuchungsstichprobe / StA-Stellenschlüssel
Bei den für die Untersuchung ausgewählten Komplexen sind vor allem Karlsruhe und Heilbronn deutlich stärker vertreten, als es dem allgemeinen OK-Aufkommen über die Jahre entspricht.
D. Zusammenfassung Die Grundlage für die Auswahl der mittels einer Aktenanalyse näher zu untersuchenden OK-Komplexe bildeten die Angaben in 153 vom LKA Baden-Württemberg übermittelten „Raster für die Auswertung von OK-Verfahren zur Erstellung eines Lagebildes OK“, überwiegend mit einem Ermittlungsbeginn in den Jahren 1994 – 1997. Sie enthalten eine Sammlung von Informationen zu dem jeweiligen Fall, die von den zuständigen Polizeibehörden erstellt wird. Ausgehend von der Hypothese, dass sich in diesen Rastern die Variablenbereiche abbilden, die für Ver13
Berechnung nach dem Handbuch der Justiz 2000, hrsg. v. Deutschen Richterbund.
384
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
fahren organisierter Kriminalität als typisch angesehen werden, wurden für die Auswahl der zu analysierenden Fälle neben den Angaben zu den speziellen Merkmalen organisierter Kriminalität nicht nur weitere wichtige Informationen zum Sachverhalt, sondern auch Verfahrensdaten berücksichtigt, aus denen sich die Intensität der durchgeführten Ermittlungen ableiten lässt. Mittels einer Summenvariablen, an der nach der Auswertung zu rund je einem Viertel der Umfang der Ermittlungen, die Anzahl von Tatverdächtigen und Straftaten, die speziellen OK-Merkmale sowie weitere Angaben in den Rastern Anteil hatten, wurden für die Aktenuntersuchung diejenigen 26 OK-Komplexe ausgewählt, die die höchsten (A-Komplexe) wie die niedrigsten Punktwerte (B-Komplexe) aufwiesen. Diese Auswahl war von der Überlegung geleitet, möglichst vielfältige OK-Varianten zu erfassen und eventuell dadurch Spezifika organisierter Kriminalität ermitteln zu können. Bei Kontrollberechnungen zeigte sich, dass die Auswahl der Komplexe weder durch die Entstehungszeit der Fälle noch durch den Umstand beeinflusst worden war, ob es sich um ein abgeschlossenes oder ein noch offenes Verfahren handelte. Auch wenn sich A- und B-Komplexe selbstverständlich in den Variablenbereichen unterschieden, die für die Auswahl bestimmend waren, ist dennoch bemerkenswert, dass die A-Komplexe durchgängig bei allen 30 Variablen höhere Werte als die B-Komplexe aufwiesen, also, um ein Beispiel herauszugreifen, nicht eine vermehrte Anwendung moderner Ermittlungsmaßnahmen bei den A-Komplexen mit derjenigen eher traditioneller bei den B-Komplexen kontrastiert. Die Sekundäranalyse der 153 OK-Raster bestätigte den Befund der Lagebilder des Bundes und der Länder, dass die OK-Ermittlungen durch einen hohen Aufwand sowie eine Vielzahl von Straftaten und Tatbeteiligten gekennzeichnet sind, was bei den A-Komplexen in einer besonderen Weise deutlich wird. Daneben wurde für die A-Komplexe aber auch in einem überdurchschnittlichen Maße das Vorliegen der speziellen Merkmale organisierter Kriminalität bejaht, obwohl diese Variablen z. B. von der Intensität der Ermittlungen, der Zahl der Tatverdächtigen sowie der Straftaten unabhängig sind. Bei Auswertung der zu dem Merkmal „geschäftsähnliche Strukturen“ gemachten Freiantworten zeigte sich, dass mit „Arbeitsteilung“, „Zentralisierung“ wie „Struktur“ solche Kategorien dominieren, die auch in polizeieigenen Lagebildern verschiedener Bundesländer als Indikatoren organisierter Kriminalität angesehen werden. Darüber hinaus unterschieden sich A- und B-Komplexe u. a. auch dadurch, dass erstere deutlich stärker international sind, höhere Gewinne wie auch Geldwäschehandlungen aufweisen. A- und B-Komplexe differieren allerdings nicht nur bei den Variablen, die für die Auswahl der Fälle herangezogen wurden. Mit dem hohen Ermittlungsaufwand und der hohen Komplexität der A-Fälle korrespondiert, dass sie auch häufiger von spezialisierten Dienststellen bearbeitet und bei ihnen stärker proaktiv vorgegangen wurde, d. h. die Einleitung der Ermittlungsverfahren auf eine so genannte aktive Informationsbeschaffung sowie anderweitige polizeiliche Erkenntnisse zurück-
Abschn. 2, Kap. 14: Auswahl der OK-Komplexe für die Aktenuntersuchung
385
ging. Mittel einer aktiven Informationsbeschaffung sind zumeist besondere Ermittlungsmaßnahmen wie die TÜ und der Einsatz von VE und VP. Sowohl bei einer Auszählung aller für die 153 OK-Komplexe erfassten Straftaten als auch bei der Berechnung des Auftretens einzelner Delikte pro Komplex unabhängig von ihrer Häufigkeit zeigte sich die Vormachtstellung der Rauschgiftdelikte. Auch korrelieren Komplexe, die Rauschgiftdelikte zum Schwerpunkt haben, mit einer aktiven Einleitung durch die Strafverfolgungsbehörden. In geringerem Maße gilt dies auch bei Schleusungsdelikten, Rotlichtkriminalität sowie KfzVerschiebungen. Offensichtlich konventionell werden dagegen Verfahren auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalität in Gang gesetzt. Auch bei weiteren Variablen wie den Sicherstellungen / Beschlagnahmen sowie ihrem Wert, dem erzielten Gewinn sowie den Maßnahmen der Gewinnabschöpfung waren bei den A-Komplexen besonders hohe Anteile zu verzeichnen. Mit den 26 näher zu untersuchenden A-Komplexen werden also tatsächlich diejenigen Fälle analysiert, die bei einer Vielzahl von Variablen, die mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht werden, weit überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt haben. Die bei den OK-Komplexen genannten Ermittlungsprobleme sind zum einen dadurch gekennzeichnet, dass durch den Umfang des zu bewältigenden Verfahrensstoffes erhebliche Schwierigkeiten auftreten, die von einer zeitnahen Auswertung der durch aufwendige technische Mittel erlangten Informationen bis hin zu fehlendem Personal reichen. Dazu kommt, dass die Verfahren überwiegend gegen ausländische Tatverdächtige geführt werden, was vor allem verdeckte Ermittlungen erschwert. Außerdem sind die inländischen Behörden häufig auf die Kooperationen anderer, ausländischer Dienststellen angewiesen. Demgegenüber treten Forderungen nach Ausweitung des rechtlichen Instrumentariums deutlich in den Hintergrund, zumal nach Einführung des großen Lauschangriffs. Die Validität der aufgrund der polizeilichen Raster vorgenommenen Auswahl der 52 OK-Komplexe bestätigte sich dadurch, dass die beteiligten Staatsanwaltschaften die ausgesuchten A-Komplexe nach Abschluss der Ermittlungen als deutlich OK-trächtiger als die B-Komplexe einschätzten. Was die Klassifizierung eines Falles als organisierte Kriminalität angeht, ließ sich darüber hinaus bei den Staatsanwaltschaften eine deutlich skeptischere Grundhaltung beobachten.
25 Kinzig
386
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Kapitel 15
Rahmenbedingungen der Aktenanalyse und Schilderungen der 52 OK-Sachverhalte in den Rastern von LKA und ZOK A. Ablauf der Aktenanalyse, Überblick über die Datengesamtheit, Methodik der Auswertung und Gang der Darstellung I. Ablauf der Aktenanalyse
Die Aktenanforderung bei den einzelnen Staatsanwaltschaften des Bundeslandes Baden-Württemberg erfolgte im Juni 2000. Da sich die meisten Behörden aufgrund des umfänglichen Materials außerstande sahen, die Akten an das MPI zu versenden, musste der größte Teil der Verfahren vor Ort gesichtet werden. Dabei war es wegen der Fülle der zu verarbeitenden Informationen weder möglich noch sinnvoll, die Akten gänzlich vor Ort zu erfassen. Daher wurde in der Regel zunächst nur eine erste Durchsicht der Verfahren vorgenommen, die relevanten Aktenbestandteile kopiert und diese in der Folge in Freiburg ausgewertet. Bei dieser Vorgehensweise wurde darauf geachtet, dass als minimale Erhebungsgrundlage der polizeiliche Ermittlungsbericht, die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft (Anklage bzw. Einstellungsverfügung) und das ergangene Urteil inkl. des Rechtsmittelverfahrens vervielfältigt wurden. Des Weiteren wurden, soweit in den Akten vorhanden, alle wesentlichen Beschlüsse, wie etwa die Anordnung besonderer Ermittlungsmaßnahmen, kopiert. Außerdem wurde darauf geachtet, alle prozessualen und materiellen Besonderheiten zu erfassen, bei denen ein Zusammenhang mit dem Thema organisierte Kriminalität bzw. mit den rechtlichen Maßnahmen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität hergestellt werden konnte. Auf wesentliche Aktenbestandteile während der gesamten Phase der Datenauswertung zugreifen zu können, erwies sich als überaus nützlich, war somit noch im weiteren Verlauf der Untersuchung die Klärung von Detailfragen möglich. Besondere Zugangsprobleme gab es im Bereich der StA Karlsruhe, die zunächst eine persönliche Akteneinsicht verwehrte und ohne Angabe von Gründen darauf bestand, die entsprechenden Aktenteile, d. h. nur den polizeilichen Ermittlungsbericht, Anklagen bzw. Einstellungen und das Urteil, selbst zu kopieren. Dieses Vorgehen führte zu vielfältigen Verzögerungen. Nach Intervention der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe gelang es im Februar 2002, d. h. mehr als eineinhalb Jahre nach der ersten Beantragung der Akteneinsicht, die zu diesem Zeitpunkt noch ausstehenden Verfahren der StA Karlsruhe einzusehen. Allerdings blieb in Teile eines noch laufenden OK-Komplexes (A 20) eine vollständige Akteneinsicht versagt. Bereits im Jahre 1998 war mit der Erstellung eines schriftlichen Erhebungsinstrumentes begonnen worden. Dieses wurde im Verlauf der Vorbereitung der Ak-
Abschn. 2, Kap. 15: Rahmenbedingungen der Aktenanalyse
387
tenanalyse, auch aufgrund der fortgeschrittenen theoretischen Beschäftigung mit Fragen organisierter Kriminalität, mehrfach überarbeitet und im März 2000 endgültig fertiggestellt. Die relevanten Daten wurden zunächst schriftlich fixiert und erst in einem zweiten Schritt edv-mäßig erfasst. Die Auswertung erfolgte mit dem Statistikprogramm SPSS. Wegen der hohen Komplexität der Materie, die zudem vertiefte strafprozessuale Kenntnisse erforderlich machte, wurden die Akten von nur zwei Studierenden der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg ausgewertet, die zuvor sorgfältig ausgewählt und intensiv geschult worden waren. Darüber hinaus wurde das gesamte kopierte Aktenmaterial, das gegen Ende der Untersuchung einen Umfang von 46 großen Din-A4-Aktenordnern aufwies, vom Projektleiter gelesen. Dieser erstellte über die von den Studierenden ausgefüllten Erhebungsbögen hinaus eine Word-Datei, in der für alle 52 Komplexe der wesentliche Ablauf der Ermittlungs- wie der Strafverfahren einschließlich prozessualer und materieller Besonderheiten, in weitem Umfang auch anhand wörtlicher Aktenauszüge, dokumentiert wurde und die zum Schluss rund 600 unformatierte Seiten aufwies. Am Ende eines jeden Komplexes wurde zudem eine Zusammenfassung nach verschiedenen Themenkreisen angefertigt. Dadurch gelang es, Besonderheiten aufzunehmen, an die zu Beginn der Untersuchung bei Anfertigung des Erhebungsinstrumentes noch nicht gedacht worden war. Zugleich war durch diese Datei eine schnelle Orientierung mittels der Eingabe von Suchbegriffen möglich. Mit dieser doppelten Erhebung des Aktenbestandes war darüber hinaus eine ausreichende Kontrolle der von den Hilfskräften erhobenen Angaben gewährleistet. Die Validität der in den Erhebungsbögen getätigten Eintragungen wurde zudem durch eine Interkodierreliabilitätsprüfung sichergestellt.
II. Überblick über die Datengesamtheit
Von 26 ausgewählten A-Komplexen konnten 25 erfasst werden. Wie sich erst nach der Aktenanforderung herausstellte, existierten für einen OK-Komplex zwei identische LKA-Raster unter unterschiedlicher Nummer. Dies hatte zur Folge, dass dieser Fall zweimal (als A 9 und A 23) in die Stichprobe geriet. In die Untersuchung wurde er aber selbstverständlich nur einmal (mit der Bezeichnung A 9 / 23) aufgenommen. Dieses Missgeschick machte es möglich, die Validität des Auswahlmechanismus zu überprüfen. Erfreulicherweise wiesen die Auswertungen beider Raster eine identische Punktzahl auf. Beim Komplex A 24 wurde dem LKA-Raster ein falscher Datensatz der ZOK zugeordnet, was u. a. darauf zurückzuführen war, dass es sich jeweils um einen Fall im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität durch ausländische Täter, geführt von der Polizeidirektion Konstanz, handelte. Um eine weitere Verzögerung der Datenaufnahme und -auswertung zu vermeiden, wurde beschlossen, hier statt des ursprünglich ausgewählten den tatsächlich angeforderten Komplex in die Unter25*
388
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
suchung aufzunehmen. Dieser wies allerdings laut Auswertung des dazugehörigen LKA-Rasters nur einen mittleren, jedoch über dem Durchschnitt liegenden Punktwert auf. Daher wurde dieser Fall den A-Komplexen zugeschlagen. Auch bei den B-Komplexen fand im Bereich der Staatsanwaltschaft Mannheim bei einem gegen italienische Staatsangehörige gerichteten Fall eine fehlerhafte Zuordnung statt. Da hier aber noch ausreichend Zeit vorhanden war, das tatsächlich ausgewählte Verfahren anzufordern, wurden beide Komplexe (als B 1a und B 1b) aufgenommen. Somit beruht die Aktenuntersuchung auf der Auswertung von 25 A- und 27-B-Komplexen. Tabelle 15 Überblick über die erfassten OK-Komplexe
ausgewählt erfasst
A- Komplexe 26 25
B-Komplexe 26 27
Gesamt 52 52
Ermittlungskomplexe organisierter Kriminalität zu erfassen, ist mit vielfältigen Schwierigkeiten verbunden1. So entsprechen Fälle organisierter Kriminalität nicht dem herkömmlichen Muster „ein Aktenzeichen – ein Ermittlungs- / Strafverfahren – ein Beschuldigter“, da sie sich schon definitionsgemäß gegen mehrere Beschuldigte richten müssen. Dabei unterscheidet die Justiz in Baden-Württemberg wie in anderen Bundesländern zwischen so genannten Haupt- und sonstigen Beschuldigten2. In der Regel enthält ein OK-Komplex mehrere justitielle Aktenzeichen sowie Ermittlungsverfahren. Ermittlungsverfahren werden wiederum häufig getrennt, aber auch verbunden3. Diese Umstände erschweren die Übersichtlichkeit. Ein Blick auf die A-Komplexe zeigt, wie viele einzelne Ermittlungsverfahren sich in einem OK-Komplex verbergen können. So wurden für immerhin zusammen 14 A-Komplexe von der ZOK Baden-Württemberg sechs oder mehr dazugehörige Aktenzeichen genannt. Berücksichtigt man nur die Aktenzeichen, die sich auf die Hauptbeschuldigten beziehen, sind es immerhin noch 12 A-Komplexe mit mindestens vier Aktenzeichen. Den Maximalwert erreichte der Komplex A 4. Zu diesem Fall hatte die ermittlungsführende Staatsanwaltschaft allein 99 Aktenzeichen angegeben. 12 von ihnen bezogen sich auf insgesamt 16 Hauptbeschuldigte.
1 Die Geheimhaltungsbedürfnisse der beteiligten Behörden fanden schon in Kapitel 12 C., I., 3. Erwähnung. 2 Die von der ZOK übermittelten Angaben enthielt auch die Namen der jeweiligen Hauptbeschuldigten, die die einzelnen Staatsanwaltschaften festgelegt hatten. 3 Daher ist die Zahl der genannten Aktenzeichen nicht immer mit derjenigen der tatsächlich durchgeführten Ermittlungs- bzw. Strafverfahren identisch.
Abschn. 2, Kap. 15: Rahmenbedingungen der Aktenanalyse
389
12 10 8
alle Beschuldigte
6
nur Hauptbeschuldigte
4 2 0 1
2 und 3
4 und 5
6 bis 10
11 bis 20
mehr als 20
Schaubild 81: Zahl der Aktenzeichen in den A-Komplexen
16 14 12 10 8
alle Beschuldigte
6
nur Hauptbeschuldigte
4 2 0 1
2 und 3
4 und 5
6 bis 10
11 bis 20
mehr als 20
Schaubild 82: Zahl der Aktenzeichen in den B-Komplexen
Nicht so stark ausgeprägt ist das Phänomen der Verzweigung eines OK-Komplexes in mehrere Aktenzeichen bzw. Ermittlungsverfahren bei den B-Fällen. Hier registrierte die ZOK immerhin für 15 Komplexe nur ein Aktenzeichen, das dann naturgemäß das Verfahren gegen alle Hauptbeschuldigten enthält. Den Maximalwert lieferte hier der Komplex B 16 mit 16 Aktenzeichen. Berücksichtigt man nur diejenigen Aktenzeichen, in denen Verfahren gegen Hauptbeschuldigte enthalten sind, nehmen die Werte in geringem Umfang ab. Gründe für die häufige Aufteilung eines Komplexes in mehrere Aktenzeichen bzw. Ermittlungsverfahren, die teilweise nach unterschiedlichen Tatbeiträgen teilweise auch nach taktischen Erwägungen erfolgt, ließen sich den Akten nicht direkt entnehmen. Vornehmlich scheinen drei Ursachen dafür verantwortlich zu sein, Verfahren trotz eines vielfach vorhandenen sachlichen Zusammenhanges nach § 3 StPO getrennt zu bearbeiten. Teilweise dürfte der Versuch einer Verfahrensbeschleunigung das Motiv sein, einen solchen Zusammenhang zu vernachlässigen und Verfahren nicht zu verbinden4. Dieses Vorgehen soll dazu beitragen, „Mons4 Nach Nr. 114 RiStBV Satz 2 kann davon abgesehen werden, zusammenhängende Strafsachen (§§ 2,3 StPO) in einer Anklage zusammenzufassen, „wenn die Erhebung der öffentlichen Klage wegen einer Tat durch die Aufklärung der anderen Tat erheblich verzögert würde und wenn gewichtige Interessen der Allgemeinheit oder des Beschuldigten nicht entgegenstehen.“
390
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
terprozesse“ zu vermeiden5. Daneben sind Verbindungen dadurch wenig attraktiv, dass getrennte Verfahren den Arbeitsnachweis des einzelnen Staatsanwaltes erhöhen. Drittens sind bisweilen bei überörtlicher krimineller Tätigkeit unterschiedliche Staatsanwaltschaften zuständig. Dies führt zur Verfahrenstrennung, weil die Möglichkeit von Sammelverfahren nur wenig genutzt wird6. Dass Gerichte zusammenhängende Strafsachen in einem späteren Verfahrensstadium nach § 13 Abs. 2 StPO verbinden, war nicht zu beobachten. Im Komplex A 17 lehnte z. B. ein Landgericht eine Verbindung zweier Verfahren ab, da eine Verknüpfung mit dem bei der Kammer bereits anhängigen Verfahren nur in einem von sieben Anklagepunkten bestehe. Ein seltenes gegenteiliges Beispiel der Verbindung zusammenhängender Strafsachen ist im Komplex A 12 dokumentiert. Dort verband die StA zwei Verfahren mit der Begründung, beide Beschuldigte hätten „sehr eng zusammengearbeitet, weswegen es von der Sachaufklärung geboten ist, gegen beide Beschuldigte das Gerichtsverfahren gemeinsam durchzuführen, um den Tatbeitrag jedes einzelnen genau feststellen zu können. Außerdem wird durch die Verbindung vermieden, in zwei Verfahren umfangreich bei Gericht Beweis erheben zu müssen.“ Auch im Komplex A 24 erfolgte eine Verfahrensverbindung mit dem Ziel, drei Personen gemeinsam wegen bandenmäßigen Handeltreibens anzuklagen.
A-Komplexe Az Hauptbeschuldigte B-Komplexe Az Hauptbeschuldigte angegeben erfasst A-Komplexe alle Az
B-Komplexe alle Az
0
50
100
150
200
250
300
350
Schaubild 83: Ausschöpfung der genannten OK-Aktenzeichen
Trotz der Aufsplittung in einzelne Verfahren konnten die ausgewählten OKKomplexe weitgehend vollständig erfasst werden. Diese Aussage gilt vor allem für die Aktenzeichen, die die Hauptbeschuldigten betrafen. Bei den A-Komplexen wurden die Akten(zeichen) der Verfahren gegen 120 von 132 Hauptbeschuldigten 5 Vgl. KK / Pfeiffer 1999, § 2 Rdnr. 6. Siehe aber Kapitel 18, E. zu den Problemen der faktischen Rechtskraft für die später abzuurteilenden Verfahren. 6 Zu Sammelverfahren vgl. Nr. 2 ff. RiStBV.
Abschn. 2, Kap. 15: Rahmenbedingungen der Aktenanalyse
391
aufgenommen und ausgewertet (90,9%). Noch höher war mit 95,1% (58 von 61) die Ausschöpfungsquote bei den Hauptbeschuldigten der B-Komplexe. Aus ökonomischen Gründen wurde in den A-Komplexen darauf verzichtet, die Akten aller Nebenbeschuldigten anzufordern, was zu einer geringeren Ausschöpfungsquote bei allen Beschuldigten führte (193 von 304; 63,5%). Dagegen überstieg bei den B-Komplexen die Zahl der erfassten Aktenzeichen die der von der ZOK gelieferten, weil ergänzend einige wenige von der ZOK nicht aufgeführte Verfahren ausgewertet werden konnten. Insgesamt stützt sich die Auswertung auf 263 Aktenzeichen von Ermittlungsverfahren organisierter Kriminalität.
III. Methodik der Auswertung
Im Rahmen der Auswertung wird mit quantitativen und qualitativen Methoden gearbeitet. Insofern geht es nur um unterschiedliche Akzentsetzungen: Qualitative Analysen versuchen, den Prozess des Verstehens bzw. der hermeneutischen Analyse und der Explikation von Sinn möglichst umfassend nachzuvollziehen, während quantitative Analysen darauf abzielen, die erfassten Sinngehalte in Form von Häufigkeiten bzw. Assoziationsmustern auszuwerten, um so zu (unter Umständen statistisch analysierbaren) Vergleichen, Trendmustern etc. zu kommen7. Zur Verdeutlichung konkreter Argumentationen werden, soweit angebracht, wörtliche, in den Akten vorgefundene Formulierungen wiedergegeben. Bei der quantitativen Auswertung ist darauf zu achten, dass die verschiedenen Rechengrößen variieren. Angaben zu den Ermittlungsverfahren werden in der Regel nur auf den jeweiligen Gesamtkomplex (Beispiel: In diesem Ermittlungskomplex erfolgte eine TÜ) bezogen. Davon zu unterscheiden ist die Ebene der (Haupt-)beschuldigten (Beispiel: Von den Hauptbeschuldigten der A-Komplexe wurde die Hälfte angeklagt). Daneben gibt es noch die Ebene der einzelnen Ermittlungsverfahren, etwa bei Angaben zur jeweiligen Hauptverhandlung (Beispiel: 50% der Verfahren konnte mit einer Verhandlungsdauer von einem Tag abgeschlossen werden).
IV. Gang der Darstellung
Die Darstellung der Ergebnisse der Aktenanalyse folgt dem Ablauf des Strafverfahrens bzw. der Gliederung des Erhebungsinstruments. Beleuchtet werden nacheinander das Ermittlungsverfahren (Kapitel 16), die Ausgestaltung der Hauptverhandlung (17) sowie das Urteil (18). Danach (19) wird eine Einschätzung der be7 Vgl. ILMES – Internet-Lexikon der Methoden der empirischen Sozialforschung Inhaltsanalyse, http: // www.lrz-muenchen.de / ~wlm / ein_voll.htm; ähnlich Früh 2001, 67 ff.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
sonderen Merkmale der Definition organisierter Kriminalität gegeben. Aus Gründen des Datenschutzes wurden alle Namen der beteiligten Personen sowie von Örtlichkeiten entfernt.
V. Zusammenfassung
Die Erhebung der Akten der 52 OK-Komplexe begann im Juni 2000. Aufgrund der Fülle des zu analysierenden Materials wurde bei den einzelnen Staatsanwaltschaften nur eine erste Durchsicht vorgenommen und daraufhin wesentliche Aktenbestandteile kopiert. Die endgültige Erfassung erfolgte im MPI in Freiburg. Die Verfahren wurden einerseits durch zwei sorgfältig geschulte Studierende ausgewertet, andererseits durch den Verfasser, der in einer rund 600 Seiten umfassenden Datei alle wesentlichen Ergebnisse der einzelnen Verfahren festhielt. Ausgewertet wurden 25 A- und 27 B-Komplexe. Zu beachten ist dabei, dass 34 der insgesamt 52 OK-Komplexe auf der justitiellen Ebene in zwei oder mehr Ermittlungsverfahren aufgesplittet waren. Allein 12 A-Komplexe wiesen sogar vier oder mehr Ermittlungsverfahren auf, die sich nur auf die so genannten Hauptbeschuldigten bezogen. Gründe für diese Aufteilung dürften darin liegen, eine Verfahrensbeschleunigung zu erreichen bzw. „Monsterprozesse“ zu vermeiden, aber auch, die Arbeitsnachweise der jeweiligen verfahrensbearbeitenden Personen zu erhöhen. Darüber hinaus sind bei überörtlicher krimineller Tätigkeit oft unterschiedliche Staatsanwaltschaften tätig, ohne dass von der Möglichkeit einer Verbindung bzw. der Führung von Sammelverfahren Gebrauch gemacht würde. Von den übermittelten Aktenzeichen, die die Hauptbeschuldigten der A-Komplexe betrafen, konnten 120 von 132 (90,9%) ausgewertet werden, bei den Hauptbeschuldigten der B-Komplexe sogar 58 von 61 (90,9%). Inklusive der Nebenbeschuldigten wurden 263 von 371 Aktenzeichen (70,9%) erfasst. Die Darstellung der Ergebnisse der Aktenanalyse folgt dem Gang des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens.
B. Schilderungen der 52 OK-Sachverhalte in den Rastern von LKA und ZOK Von den ausgewerteten 52 OK-Komplexen wiesen 20 (38,5%) einen Schwerpunkt mit Betäubungsmitteldelikten auf, davon allein 15 A-Komplexe. Im Übrigen ist ein breites Deliktsspektrum vertreten (Schaubild 84). Im Folgenden werden die Sachverhalte, geordnet nach Deliktsfeldern, kurz beschrieben8. Dabei wird die Schilderung im Raster des LKA derjenigen im Raster 8 Die Zitate wurden nur um offensichtliche Rechtschreib- bzw. Zeichensetzungsfehler korrigiert.
Abschn. 2, Kap. 15: Rahmenbedingungen der Aktenanalyse
393
der ZOK gegenübergestellt. Um einen ersten Eindruck von der rechtlichen Verarbeitung der Fälle zu erhalten, wird angefügt, wie die höchste Sanktion in dem betreffenden Komplex lautete und wegen welcher Delikte sie erging. Schaubild 84: Deliktsschwerpunkte der 52 OK-Komplexe
Btm-Delikte Kfz-Verschiebung
20
Falschgeld 15
Menschenhandel Schleusungsdel.
10
Schutzgelderpr.
5
Wirtschafts-/Umweltdel. Tötungsdelikte
0 A-Komplexe
B-Komplexe
Gesamt
Mischdelikte sonstige Delikte
Schaubild 84: Deliktsschwerpunkte der 52 OK-Komplexe
I. Verfahren mit dem Schwerpunkt Betäubungsmittelkriminalität
A 1. LKA-Raster 1994: kurze Sachverhaltsschilderung: „Die türkisch / kurdische Heroinhändlerbande versorgte die Xer Szene von Anfang 1994 bis zum 09. 12. 1994 täglich mit 1 – 2 Kilogramm Heroin. Als Zentrale und auch Verkaufsstelle für kleinere Mengen Heroin diente das Lokal Y. Der Tagesbedarf (1 – 2 Kilogramm Heroin) wurde aus Bunkerwohnungen im Bereich der Xer Innenstadt täglich in das Lokal transportiert und dort in einem Zimmer erneut versteckt. Im Zeitraum ab Oktober 1994 konnten einige Bandenmitglieder der zweiten und dritten Ebene festgenommen und ca. 1,1 Kilogramm Heroin sichergestellt werden. Am 09. 12. 1994 konnten die Bunkerwohnung festgestellt und 5,9 Kilogramm Heroin sichergestellt werden. Daran anschließend erfolgten weitere Sicherstellungen von 340g Heroin und ca. 21.000 DM Dealergeld und Festnahmen von Bandenmitgliedern der 1., 2. und 3. Ebene.“ Sachverhalt ZOK: wie im Raster des LKA. Ausgang: Die höchste Freiheitsstrafe von acht Jahren wurde wegen mittäterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in einer nicht geringen Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG) verhängt. A 3. LKA-Raster 1994: kurze Sachverhaltsschilderung: „Das hiesige Dezernat ermittelt seit Juli 1993 gegen eine überwiegend aus Kurden bestehende Heroinhändlergruppe, die Heroin im Kilogrammbereich im Raum A handeln bzw. das Rauschgift an Kleindealer und Endverbraucher weiterveräußern . . . Durch zwei Aussagen der inhaftierten Personen konnte die von hier ermittelte Struktur des internationalen Heroinhändlerringes vollständig bestätigt werden. Den bisherigen Ermittlungen zufolge sind mindestens etwa 50 Personen, größtenteils türkischer Staatsangehörigkeit existent, die für den in A ansässigen Kopf der internationalen
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Heroinhändlergruppe und seinen im südlichen X-Kreis wohnhaften Hauptverteiler Heroin an Endverbraucher und süchtige Kleindealer verkaufen. Bezüglich der Ermittlungen gegen den Kopf der Heroinhändlerorganisation blieben bisherige Ermittlungsmethoden ergebnislos. Aufgrund einer beim Kopf der Organisation betriebenen TÜ wurden bei relevanten Anlässen Observationen durch das MEK der LPD Y durchgeführt . . . Zusammenfassend steht fest, dass die internationale Heroinhändlerorganisation streng hierarchisch gegliedert ist und der Haupttäter selbst nie irgendwelches Rauschgift in die Hand nimmt. Nach bisher nicht mehr bestätigten Informationen sollen die erwirtschafteten Drogengelder bei einer türkischen Bank in Z eingezahlt, von dort aus in die Türkei transferiert und größtenteils der kurdischen Arbeiterpartei zufließen . . .“ Sachverhalt ZOK: „Seit Mitte 1993 verdichten sich Hinweise, dass eine vornehmlich aus türkischen, aber auch aus deutschen Staatsangehörigen bestehende, straff organisierte und hierarchisch geordnete Tätergruppe vornehmlich im X-Raum gewerbsmäßig mit Heroin handelt, welches sie teils aus der Türkei, teils aus den Niederlanden bezieht und über Unterverteiler vornehmlich im X-Kreis gewerbsmäßig verkauft. Dabei sind einzelne Mitglieder der Organisation für bestimmte Teile des X-Raumes zuständig.“ Ausgang: Die höchste Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren wurde wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG) in fünf Fällen verhängt. A 5. LKA-Raster 1994: kurze Sachverhaltsschilderung: „Im Zuge verdeckt geführter Ermittlungen wurde im September 1993 der KP A bekannt, dass X, der ein führendes Mitglied der Rockergruppe Y ist, größere Mengen Kokain zum Kauf anbieten soll. Im Dezember 1993 wandte sich schließlich der Zeuge B an die Polizei und erklärte sich bereit, umfangreiche Angaben zur Person des X und anderen Angehörigen der Rockergruppe Y zu machen. Im Rahmen der Vernehmung beschrieb B dann eine Vielzahl von Straftaten der Y-Mitglieder . . . auf dem Gebiet des Betäubungsmittelhandels, der Falschgeldverbreitung, der Förderung der Prostitution und des Waffen- und Menschenhandels . . . Aufgrund der besonderen Gefährdungslage wurde er in das Zeugenschutzprogramm des Landes BadenWürttemberg aufgenommen . . . Im Laufe der Ermittlungen wurde allerdings deutlich, dass der Btm-Handel in weit geringerem Umfang betrieben worden sein dürfte, als es vom Zeugen dargestellt wurde. Auch dürften Y nicht über die straffe Organisation und die Verbindungen zur Prostitution, Menschen- und Waffenhandel verfügen, wie es vom Zeugen beschrieben wurde. Am 21. 07. 1994 gelang es schließlich, den Hauptverdächtigen X und seine Lebensgefährtin Z in Haft zu bringen . . . Gegen 14 weitere Tatverdächtige aus dem Kreis der Rockergruppe wurde Strafanzeige wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, das Waffengesetz und wegen Falschgeldverbreitung vorgelegt . . . Während der Dauer der Ermittlungen wurden insgesamt acht Telefonüberwachungsmaßnahmen . . . betrieben. Darüber hinaus wurde eine Abhörmaßnahme nach § 100c StPO durchgeführt . . .“
Abschn. 2, Kap. 15: Rahmenbedingungen der Aktenanalyse
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Sachverhalt ZOK: „Verdacht des Handels mit Btm – insbesondere Kokain – in nicht geringen Mengen innerhalb einer bundesweit verbreiteten Rockergruppe; zudem Hinweise auf weitere typische Deliktsgruppen.“ Ausgang: Die höchste (Gesamt-)freiheitsstrafe von 3 Jahren 3 Monaten wurde im Wesentlichen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG; Einsatzstrafe: 3 Jahre) verhängt. A 6. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Eine kurdische Gruppierung betreibt in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern Heroinhandel. Die Lieferungen erfolgen in zweistelligem Kilogrammbereich, vermutlich mittels LKW über Rumänien. Die vermeintlichen Lieferanten / Organisatoren in der Türkei sind in den vergangenen Jahren u. a. im Zusammenhang mit einer Sicherstellung von 217 kg Heroin in der Türkei aufgefallen. Es bestehen verschiedene Hierarchie-Ebenen in mehreren europäischen Staaten. Der konkrete Nachweis einer bestimmten Straftat erfolgte bislang zu drei Tatverdächtigen. Strukturermittlungen richten sich gegen einen Personenkreis von bislang ca. 140 Personen, die z.T. wegen einschlägiger Delikte zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind.“ LKA-Raster 1996: „Durch umfangreiche Maßnahmen gem. § 100a StPO konnte der Gruppierung der Einfuhrschmuggel von Heroin in großem Umfang nachgewiesen werden. Die Gruppierung bediente sich einer umfassenden Logistik. Es wurden norwegische, weißrussische, niederländische, türkische und deutsche Mobiltelefonkarten verwendet und regelmäßig untereinander ausgetauscht, um so ein Abhören durch die Polizei zu erschweren. Die Gruppierung benutzte gefälschte Ausweispapiere. Gelder aus den Heroingeschäften wurden über Repräsentanzbanken in die Türkei überwiesen. Von Schuldnern wurden Grundstücke in der Türkei auf Angehörige der Beschuldigten überschrieben.“ Sachverhalt ZOK: „Eine kurdische Tätergruppierung betreibt in BW und anderen Bundesländern Heroinhandel im zweistelligen Kilobereich. Die Einfuhr erfolgt mit LKW über Rumänien, der Hintermann sitzt in der Türkei.“ Ausgang: Die höchste Freiheitsstrafe von 11 Jahren wurde wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG) verhängt. A 7. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Eine im Raum X fest etablierte kosovo-albanische Gruppierung steht in dringendem Verdacht, mit einem deutschen Reisebus Heroin im Kilogrammbereich vom Kosovo über die Balkanroute nach Deutschland einzuschmuggeln und die Heroinverteilung auf Depots im In- und Ausland zu steuern. Ferner wurden in der Vergangenheit mehrfach Kosovo-Albaner mit demselben Reisebus illegal in die BRD eingeschleust . . .“ LKA-Raster 1996: „Ausgehend von VP-Angaben ermittelt das LKA BW . . . seit Oktober 1995 gegen eine kosovo-albanische Rauschgifthändler / -schmugglerorganisation aus dem Großraum X bzw. Y. Den vertraulichen Informationen zufolge
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
soll eine Busfahrergruppierung um A und B sowie das Umfeld dieser Personen für den Heroinhandel / -schmuggel mittels Reisebussen vom Kosovo nach Deutschland verantwortlich sein. Drahtzieher der ganzen Rauschgiftgeschäfte sei der Bruder des A, der C . . . Innerhalb dieser Organisation soll D die Funktion eines Depothalters / Vermittlers inne haben . . . Im Verlauf mehrerer Telefonüberwachungen, u. a. Mobil-Netz-Überwachungen . . . , Observationen u.ä., . . . konnten die vorliegenden Verdachtsmomente des Rauschgifthandels / -schmuggels bislang nicht belegt werden.“ Sachverhalt ZOK: „Kosovo-Albaner sollen auf der Balkanroute BtM in großen Mengen nach Deutschland einschmuggeln und insbesondere im Raum Y verteilen.“ Ausgang: Das einzige Ermittlungsverfahren endete mit einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO. A 8. LKA-Raster 1996: kurze Sachverhaltsschilderung: „Ende April / Anfang Mai 1995 schloss sich eine 13-köpfige Tätergruppierung bestehend aus Deutschen, Türken und Kurden auf unbestimmte Dauer zu einer Bande mit dem Ziel zusammen, Heroin und Kokain in erheblichen Mengen arbeitsteilig und damit auch effektiv sowie finanziell lukrativer zu verkaufen. Der im Kreis X ansässige Haupttäter (Türke) hatte seit seiner Heirat über die Familie seiner Ehefrau Kontakte zu höchsten Drogenkreisen in der Türkei und in den Niederlanden. Nachdem er zunächst von verschiedenen Großhändlern aus den Niederlanden Heroin im Kilobereich gekauft hatte, vereinbarte er mit einem ebenfalls in den Niederlanden wohnhaften Heroinhändler (Kurde) den grenzüberschreitenden Heroin- u. Kokainhandel, um so, unter Einsatz weiterer Personen, im Großraum X zukünftig im großen Umfang Drogen gewinnbringend zu verkaufen. Zur Umsetzung dieses Vorhabens vereinbarten die beiden Haupttäter, mit weiteren Bandenmitgliedern künftig auf unbestimmte Dauer arbeitsteilig zusammenzuarbeiten . . .“ Sachverhalt ZOK: „Türkischer Rauschgifthändler aus dem Raum X bezieht aus den Niederlanden und der Türkei Heroin im Kilogrammbereich, welches er hier verkauft über das von ihm hier aufgebaute Netz von Unterhändlern und Kurieren.“ Ausgang: Im führenden Ermittlungsverfahren wurden fünf der sieben Angeklagten u. a. wegen mehrfachen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtmG) zu Gesamtfreiheitsstrafen von 12 Jahren 6 Monaten, 11 Jahren, 9 Jahren 6 Monaten, 7 Jahren sowie 6 Jahren 6 Monaten verurteilt. A 9 / 23. LKA-Raster 1996: kurze Sachverhaltsschilderung: „Seit Sommer 1993 ermittelte hiesiges Dezernat fortwährend gegen Heroinhändler aus dem Kosovo und aus Albanien. In diesem Zusammenhang wurde im April 1994 bekannt, dass ein in X lebender Kosovo-Albaner für den Heroinhandel in X und Y verantwortlich ist. Diese Person konnte allerdings erst im Januar 1995 identifiziert werden . . . Aufgrund mühsamer Informationsgewinnung, insbesondere durch Vernehmung von Heroin-Endabnehmern sowie der Vernehmung von vertraulichen Zeu-
Abschn. 2, Kap. 15: Rahmenbedingungen der Aktenanalyse
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gen, kristallisierte sich heraus, dass der Heroinhandel durch eine Bande von Kosovo-Albanern und Albanern in X und Y abgewickelt wird. In der Zwischenzeit wurden immer wieder für Mitglieder dieser Bande Haftbefehle über die StA X beim AG X erwirkt. Keiner der Festgenommenen machte allerdings Angaben zur Sache. Neben hiesigem Dezernat ermittelte auch ab Frühjahr 1995 die KP Y gegen den gleichen Personenkreis. Nachdem von der KP Y von Mai 1995 bis Ende August 1995 insgesamt 6 Telefonüberwachungsmaßnahmen durchgeführt worden sind, ermittelte hiesiges Dezernat weiterhin auf konventioneller Basis (Vernehmung von Beschuldigten, Vernehmung von Zeugen, Durchführung von Razzien zur Gewinnung der personellen Zusammensetzung der Bande, Observationen von Heroinverkaufsgeschäften mit anschließenden Personenkontrollen etc.). Über die Informationsgewinnung wurde bekannt, dass die Heroinhändlerbande ihr Heroin aus der tschechischen Republik bezieht. Die Verbringungswege nach X waren dabei unterschiedlich. Entweder wurden von X aus Beschaffungsfahrten in die Schweiz gemacht, wo sich Landsleute der Tätergruppe aufhielten, die das Heroin zuvor über die tschechische Republik geliefert bekommen haben, oder aber es wurden Heroinbeschaffungsfahrten in die tschechische Republik selbst gemacht, bzw. Heroinkuriere brachten das Heroin nach X. Bei den Kurieren dürfte es sich zum Großteil um tschechische Bürger gehandelt haben. Von einer Deutschen, die mit einem in die betreffende Tätergruppe eingebundenen Kosovo-Albaner verheiratet ist, wurde der bis dahin bekannte Täterkreis im Juli 1995 bestätigt. Außerdem wurde hierbei der Aufbau der Organisationsstruktur der Heroinhändlerbande bekannt. Ende August 1995 wurden dann fast zeitgleich an der deutsch-tschechischen Grenze und in X Personen aus dieser Bande mit Heroin festgenommen. Bei der Person, die an der deutsch-tschechischen Grenze auf deutschem Gebiet festgenommen worden ist, handelt es sich um einen in X lebenden Kosovo-Albaner, der mit einem halben Kilogramm Heroin, das er in der tschechischen Republik erhalten hatte, festgestellt werden konnte. In X konnte schließlich auch der Haupttäter, der „Kopf“ der Bande, bei der Lieferung von einem Kilogramm Heroin festgenommen werden . . . Der Kurierlohn von 6500 DM wurde sichergestellt. Noch am gleichen Tag erfolgten weitere Festnahmen sowohl in einem vom „Kopf“ der Bande gepachteten Lokal (Treffpunkt der Heroinhändlerbande) sowie in verschiedenen privaten Wohnungen sowie in mehreren Zimmern eines Asylbewerberheimes. Bei dieser Gelegenheit konnten weitere 640 g Heroin sowie über 40.000 DM aufgefunden und sichergestellt werden. In der Folgezeit konnten durch die Vernehmung von zahlreichen Zeugen weitere Informationen betreffend die Heroinhändlerbande gewonnen werden. Für eine Person war es sogar erforderlich, Zeugenschutzmaßnahmen aufgrund konkreter Drohungen durchzuführen . . . Im Übrigen handelte es sich bei den Haupttätern um mehrere Mitglieder einer Familie.“ Sachverhalt ZOK: „Der Beschuldigte steht im Verdacht, er habe als Kopf einer Heroinbeschaffungs- und Verteilerorganisation seit spätestens März 1995 Heroin im kg-Bereich aus der Tschechischen Republik eingeführt und im Z-Raum, vorwiegend in X und Y verkauft.“
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Ausgang: Zwei der Täter wurden wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtmG) in 12 bzw. 13 Fällen zu je 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. A 10. LKA-Raster 1996: kurze Sachverhaltsschilderung: „Kolumbianische Kokainhändler schmuggelten 37 kg Kokain als Luftfrachtsendung getarnt über den Flughafen X in das Bundesgebiet ein und verbrachten dieses Kokain in ein Depot. Zuvor wurde ein Vermittler entsandt, der dieses Kokain an Abnehmer in Italien und Spanien übergeben sollte. Im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass insbesondere der Schmuggel von Kolumbien über Deutschland nach Italien jahrelang Bestand hatte. Der Erlös (Bargeld) dieser Geschäfte wurde größtenteils in Deutschland umgetauscht und in die USA und nach Kolumbien verbracht. Durch Informationsaustausch mit den italienischen Ermittlungsbehörden wurden diese Strukturen (insbesondere das italienische Abnehmernetz) aufgedeckt.“ Sachverhalt ZOK: „Kolumbianische Kokainhändler schmuggelten 37 kg Kokain als Luftfracht über X nach Deutschland. Anschließend entsandten sie einen weisungsgebundenen Repräsentanten, der vor Ort den Absatz an italienische und spanische Täter überwachen sollte. Am 19. 06. 1996 wurden bei der Übergabe von 33 kg Kokain an italienische Abnehmer insgesamt 7 Beschuldigte festgenommen. Es hat sich herausgestellt, dass die kolumbianische Gruppe über bewährte Kontakte nach Deutschland, Italien und Spanien verfügt.“ Ausgang: Im führenden Ermittlungsverfahren wurden fünf von acht Hauptbeschuldigten wegen in Mittäterschaft begangenen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG) zu (Gesamt-)Freiheitsstrafen von 9 Jahren 9 Monaten, 6 Jahren 9 Monaten, 6 Jahren 6 Monaten, 6 Jahren 3 Monaten sowie 4 Jahren verurteilt. A 13. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „Anfang 1996 erhärtete sich durch VP-Erkenntnisse und laufende Verfahren der Verdacht, dass ein Großteil des Heroin- und Kokainhandels im Raum X durch Albaner und so genannte „Kosovo-Albaner“ dominiert wird. Gleichzeitig wurde ein erheblicher Preisverfall im Straßenhandel festgestellt. Weitere verdeckte Ermittlungen (§ 100a Maßnahmen etc.) bestätigten den Tatverdacht und führten Anfang 1997 zu Zugriffsmaßnahmen . . . Den Haupttätern werden mehrere Taten des Einfuhrschmuggels mit Mengen zwischen jeweils 2 bis 5 kg Heroin und Kokain vorgeworfen. Die Btm wurden direkt aus Albanien über nicht näher bekannte Routen eingeschmuggelt. In einigen Fällen reisten Kuriere über Tschechien ein, in anderen über Italien. Die Haupttäter organisierten nicht nur Einkauf und Ausfuhr / Einfuhr der Btm, sondern auch den örtlichen Verteilerring der Zwischen- und Straßenhändler (Landsleute), den sie kontrollierten und überwachten.“ Sachverhalt ZOK: „Bei der Staatsanwaltschaft X werden Ermittlungsverfahren gegen etwa 35 Straftäter meist albanischer oder kosovoalbanischer Herkunft wegen Verdachts der Beteiligung an mehreren Verkaufsringen in X von Heroin und Kokain in großen Mengen geführt. Insbesondere den Haupttätern werden die Einfuhr
Abschn. 2, Kap. 15: Rahmenbedingungen der Aktenanalyse
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und der bandenmäßige Handel mit Heroin und Kokain im Kilogrammbereich zur Last gelegt. Nach aufwendigen verdeckten Ermittlungen der Polizei im Jahre 1996 gelang es Anfang Januar dieses Jahres, Strukturen in den Tätergruppen zu erkennen, wobei aufgrund des sehr konspirativen Tatverhaltens der Verdächtigen die Identität einzelner Personen erst nach deren Festnahme geklärt werden konnte. Zwischen dem 22. und 28. Januar 1997 wurden beim Amtsgericht X 20 Haftbefehle gegen Täter dieser Gruppierungen beantragt und erlassen, die in 18 Fällen – zwei Täter sind flüchtig – am 27. / 28.01. vollstreckt werden konnten.“ . . . Ausgang: Die drei Hauptbeschuldigten wurden u. a. wegen unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtmG) jeweils zu Gesamtfreiheitsstrafen von 7 Jahren 6 Monaten verurteilt. A 14. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „Das LKA BW . . . ermittelt seit Februar / März 1997 gegen in X u. Y ansässige kosovo-albanische Tätergruppierungen, welche gewerbsmäßig Handel mit Heroin / Kokain treiben. Das Heroin wird von ebenfalls kosovo-albanischen Hintermännern aus der slowakischen und tschechischen Republik unter Einsatz tschechischer Kuriere / Kurierpärchen zumeist in angemieteten Pkw der Marke Skoda nach Deutschland verbracht. In diesem Zusammenhang etablieren sich im Bereich X zunehmend Albaner-Lokalitäten, die vorwiegend (teilweise ausschließlich) von Landsleuten frequentiert werden und wo entsprechende Absprachen bzw. Treffs vereinbart werden. Von Täterseite angedachte (TÜ-Erkenntnisse) Überweisung / Transferierung des aus den RGGeschäften erlangten Erlöses in den Kosovo (mittels Einschaltung von im Großraum X ansässigen Reisebüros) wurde verworfen, da dabei 3 – 5% des zu überweisenden Betrages als Provision zu zahlen sind. Organisation bedient sich dazu spezieller Geldkuriere, die z.T. ausschließlich zum Zwecke des Geldtransportes in der Schweiz / BRD aufhältig waren . . .“ Sachverhalt ZOK: „Eine kosovo-albanische Tätergruppierung betreibt gewerbsmäßig Heroin- / Kokainhandel. Das BtM wird über ebenfalls kosovo-albanische Hinterleute aus Tschechien und der Slowakei unter Einsatz tschechischer Kuriere nach Deutschland verbracht. Das Geld wird wieder über Kuriere ins Ausland verbracht. Es wurden mehrere Kg sichergestellt.“ Ausgang: Gegen einen der Haupttäter wurden wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG), in einem Fall in Tateinheit mit Bestimmen einer Person unter 18 Jahren zur Förderung des Betäubungsmittelhandels (§ 30a Abs. 2 Nr. 1 BtmG), eine Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren verhängt. A 15. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Seit Sommer 1994 ermittelt hiesige Dienststelle gegen eine deutsch-italienische Tätergruppierung, die den nord- und südbadischen Raum mit Kokain und Waffen beliefern . . .“ LKA-Raster 1996: „Die seit Juli 1994 andauernden Ermittlungen führten Anfang 1996 zur Festnahme von 12 Tätern, von denen sich derzeit sieben in Unter-
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suchungshaft befinden. Dem Haupttäter, Betreiber von zwei Pizzerien, wird Handeltreiben mit ca. 20 kg Kokain vorgeworfen. Über Landsleute wurde die RG-Szene in X und Y versorgt. Das Kokain stammt von einem Bulgaren und nicht identifizierten Italienern. Ferner handelte der Haupttäter mit Waffen aller Art (z. B. Maschinenpistolen) . . .“ Sachverhalt ZOK: „Italienische Gruppierung führt Kokain in großen Mengen aus Italien über die Schweiz oder Frankreich ein. Bandenmäßige Verteilung über Pizzerien in A, B, C, D, E, F, G, H, I, J. Zudem Verdacht auf Waffenhandel, Geldwäsche, Zuhälterei.“ Ausgang: Gegen einen der Haupttäter wurde u. a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 20 Fällen (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG) eine Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren 6 Monaten verhängt. A 17. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Gegen die deutschen Haupttäter wurde bereits seit mehreren Jahren von verschiedenen Dienststellen im Bundesgebiet ermittelt, wobei der Schwerpunkt jeweils beim Schmuggel und Handel von / mit Btm lag. Einer der Haupttäter ist im Milieu des X-Gebietes eine feste Größe mit internationalen Verbindungen in das westeuropäische Ausland und auch nach Südamerika. Um dem drohenden Zugriff zu entgehen, setzten sich zwei der Haupttäter in die Niederlande ab und organisierten von dort den illegalen Handel und die illegale Einfuhr von Kokain über Spanien, die Niederlande oder andere Länder nach Deutschland . . .“ Sachverhalt ZOK: „Es handelt sich um eine überwiegend deutsche Tätergruppierung, die von Kolumbien aus Kokain in größeren Mengen (jeweils im Kilogrammbereich) seit ca. einem Jahr nach Deutschland einführen lässt, wo es zum Großteil weiterverkauft wird. Ein Teil dieses Kokains geht auch weiter nach Holland, wo es ebenfalls vertrieben wird. Bislang dürften auf diese Art und Weise nach den hiesigen Erkenntnissen ca. 20 – 30 Kilogramm Kokain eingeführt und in Umlauf gebracht worden sein. Sichergestellt werden konnten bislang 1,7 Kilogramm Kokain“. Ausgang: Zwei der Haupttäter wurden u. a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG) zu (Gesamt)freiheitsstrafen von je 6 Jahren verurteilt. A 20. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „– Schmuggel von Heroin / Kokain durch rumänische, deutsche, österreichische Kuriere; – Übernahme in Rumänien. Transport mit präparierten Fahrzeugen durch Ungarn, Österreich; – Übergabe an Abnehmer (Türken) in Deutschland.“ LKA-Raster 1998: „Laut Angaben eines der maßgeblichen türkischen RG-Lieferanten in RO wurden zwei weitere türkische Staatsangehörige belastet, die von Rumänien aus RG-Kuriere beliefern und zu europaweitem Schmuggel seit 1995 einsetzen; Größenordnung je RG-Transport ca. 15 – 20 kg Heroin.“
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Sachverhalt ZOK: „Im Wege des polizeilichen Informationsaustauschs wurde im Herbst letzten Jahres bekannt, dass Heroin in großen Mengen über Österreich nach Deutschland transportiert wird. Bisher konnten bei einem Rauschgifttransport in der Bundesrepublik 5,3 kg Heroin sichergestellt und zwei Tatverdächtige festgenommen werden. Einlassungen von in Österreich verhafteten Mitgliedern der Organisation haben bisher zu einer weiteren Festnahme im hiesigen Verfahren wegen Handeltreibens mit 38 kg Heroin geführt.“ Ausgang: Einer der Haupttäter wurde wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt. A 21. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Der Kriminalpolizei X wurde im Juni 1995 bekannt, dass eine Tätergruppierung aus dem Y-Kreis Kokain, Amphetamin und Haschisch in großen Mengen aus Holland nach Deutschland einführt und hauptsächlich im Y-Kreis absetzt. Operative Maßnahmen bestätigten den bisher bekannten Sachverhalt. Nach einem Scheingeschäft im Oktober 1995 konnten zwei Mitglieder der Gruppe bei der Übergabe von 1,1 Kilo Kokain festgenommen werden . . . Innerhalb der Gruppe bestand ein hierarchischer Aufbau. Während zwei der Täter enge Kontakte zu einem Residenten in Holland unterhielten, und als Finanziers der Rauschgiftgeschäfte im Hintergrund standen, hatten weitere Täter der Kerngruppe die Aufgabe, als Hauptverteiler die bisher bekannten 14 Kleindealer im Y-Kreis zu beliefern. Innerhalb der Gruppe wurde der Gewinn je nach Beteiligung aufgeteilt . . .“ Sachverhalt ZOK: „Im Juni 1995 ergab sich der Verdacht, dass eine Tätergruppe aus dem hiesigen Raum im großen Stil Rauschgift, insbesondere Kokain, Amphetamin und Haschisch aus den Niederlanden in die Bundesrepublik einschmuggelte und hier absetzte. Anlässlich eines Scheingeschäftes konnten im Oktober 1995 zwei der mutmaßlichen Haupttäter bei der Übergabe von ca. 1 kg nahezu reinen Kokains festgenommen werden. Im Anschluss hieran konnten Struktur und Arbeitsweise der Gruppierung aufgedeckt und 22 weitere Mitwirkende in der Bundesrepublik und den Niederlanden identifiziert und teilweise inhaftiert werden. Nach den bisherigen Ermittlungen wurden durch die genannte Organisation im Zeitraum von Juni bis Oktober 1995 ca. 4 kg Kokain, 5 kg Amphetamin und 5 kg Haschisch eingeführt und abgesetzt.“ Ausgang: Einer der Angeklagten wurde wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in siebzehn Fällen (§ 30a Abs. 1 BtmG) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren neun Monaten verurteilt. A 24. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Die GER A führt seit 28. 03. 1995 ein Ermittlungsverfahren gegen Kosovo Albaner, die sich hauptsächlich im Raum X mit dem Heroinhandel befassen. Durch weiterführende Ermittlungen wurde festgestellt, dass die zentrale Figur in diesem Personenkreis von Y aus enge Kontakte zu seinen in Z wohnhaften Brüdern unterhält. Der Hauptbeschuldig26 Kinzig
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te hat enge Kontakte in die Schweiz und nach Tschechien, von wo er aus vermutlich Heroin geliefert bekommt. In der Schweiz besteht gegen den Hauptbeschuldigten ein nationaler Haftbefehl. Am 18. 09. 1995 wurden im Rahmen eines Scheingeschäfts in Z zwei Personen mit 100 Gramm Heroin festgenommen. Weitere Ermittlungen gegen den Hauptbeschuldigten dauern noch an.“ Sachverhalt ZOK: „Einfuhr und Handel mit Heroin durch albanische StA.“ Ausgang: Hier wurde in einem Fall eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verhängt, u. a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem gewerbsmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen (§§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 29 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BtmG). B 3. LKA-Raster 1994: kurze Sachverhaltsschilderung: „Seit 1990 werden Ermittlungen gegen türkische Asylbewerber, kurdischer Volkszugehörigkeit, wegen Handels mit Heroin geführt. Zwischenzeitlich wurden ca. 25 Asylbewerber, welche in X wohnhaft waren, im gesamten Bundesgebiet festgenommen und mehrere kg Heroin sichergestellt . . . Durch die permanenten Ermittlungen im Asylantenheim X sind nun nur noch die Unterverteiler bzw. Verteiler an Endabnehmer untergebracht, die Lieferanten kommen nun z.T. aus Y und Z angereist. Zwischenzeitlich wurde auch festgestellt, dass von den ,Höherrangigen‘ falsche Personalien verwendet werden.“ Sachverhalt ZOK: nicht vorhanden. Ausgang: Die gravierendste Sanktion betrug 2 Jahre 4 Monate Gesamtfreiheitsstrafe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG) in zwei Fällen. B 5. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Über eine VP wurde bekannt, dass sich in X mehrere jug. StA etabliert hätten, welche Heroin und Kokain in großem Umfang verkaufen würden. Diese bezogen ihr Btm aus Y und hielten sich in X in versch. Gaststätten auf, die ihnen als Anlaufstelle für ihre Kundschaft dienten. Der Haupttäter wohnte in mehreren Hotels und wechselte alle 4 Wochen das Hotel, wobei er die Übernachtung täglich bezahlte. Dieser hielt sich seit Juli 94 in X auf und hatte auch regen Kontakt zu hier wohnhaften jug. Landsleuten, welchen jedoch keine Beteiligung an den RG-Geschäften nachgewiesen werden konnte. Am 24. 10. 94 erfolgte nach einem Scheingeschäft über 104 g Heroin und 115 g Kokain für 18.000 DM die Festnahme des Haupttäters. Seine beiden Mittäter hatten das Btm zuvor aus dem Bereich Y nach X verbracht und abgebunkert. Während des Deals betrieben diese gezielt Gegenobservation. Laut Vernehmungserkenntnissen hatte der Haupttäter mittlerweile einen festen Kundenstamm. Das Btm wurde durch seine beiden Mittäter angeliefert . . . Der Haupttäter hatte nach bisherigem Ermittlungsstand keinerlei Vorbeziehungen in den Bereich X und gab gegenüber seinen Landsleuten an, zu Besuch in X zu sein. Seitens hiesiger Dienststelle besteht jedoch der Verdacht, dass der Haupttäter gezielt im hiesigen
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Bereich eingesetzt wurde, um einen neuen Markt für den Handel mit Btm zu erschließen. Das Btm bezog er über seine beiden Mittäter, welche des öfteren in einer Gaststätte in X gesehen wurden und von ihm als seine Brüder vorgestellt wurden. Offenbar war es dem Täterkreis auch möglich, größere Mengen Btm zu liefern, da dem VE ein konkretes Angebot über 1 Kilogramm Kokain für 80.000 DM und 1 kg Heroin für 50.000 DM in Aussicht gestellt wurde.“ Sachverhalt ZOK: „Eine Tätergruppe von mindestens drei Beschuldigten aus Ex-Jugoslawien versorgte aus dem Raum Y im Raum X die dortige Drogenszene mit Heroin.“ Ausgang: Der Haupttäter wurde wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in einer nicht geringen Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG) zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 10 Monaten verurteilt. B 8. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: . . . „Hiesiges Verfahren betrifft die im Raum X ansässigen Zwischenhändler / Mittäter des italienischen Haupttäters, der der ,Nuova Camorra Organizatti‘ im Raum Y (Italien) angehört.“ Sachverhalt ZOK: „Die Beschuldigten stehen im Verdacht, im Jahre 1994 und in unbestimmter Zeit zuvor mit Kokain gewerbsmäßig Handel getrieben zu haben. Ein Hauptbeschuldigter ist Geschäftsführer einer im Rotlichtmilieu in X angesiedelten Bar, von der aus er die Prostituierten mit Rauschgift, insbesondere Kokain versorgen soll. Auch ein anderer Beschuldigter soll in großem Stil mit Kokain handeln. Beide beziehen das Rauschgift offensichtlich über einen der Camorra angehörenden Tatverdächtigen, gegen den seitens der StA Z ermittelt wird. Um die Nachvollziehbarkeit der Lieferwege zu verwischen, werden Rauschgift und Gelder bei weiteren Tätern zwischengelagert.“ Ausgang: Der Haupttäter wurde u. a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. B 9. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Es besteht der Verdacht, dass eine auf dem Großmarkt A ansässige Firma unter Verwendung der Firmenlogistik große Mengen Heroin aus der Türkei nach Deutschland verbringt.“ Sachverhalt ZOK: „Verdacht der Einfuhr und des Weiterverkaufs von Heroin durch türkische Obst- und Gemüsegroßhändler auf dem Aer Großmarkt.“ Ausgang: Gegen alle vier Hauptbeschuldigten erfolgte eine Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO. B 13. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „Eine aus Türken, Syrern und Rumäniendeutschen bestehende Gruppierung führt fortgesetzt Heroinmengen im zweistelligen Kilobereich von der Türkei über Rumänien nach Deutschland und anderen europäischen Staaten ein, wobei die Rumänendeutschen vorwiegend als Kurier arbeiten. Aufgrund Aussage eines TV konnten im März 26*
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1997 auf diesem Weg eingeführte 15 kg Heroin in X sichergestellt werden. Ein bislang hier ansässiger Kurier ist seit Monaten unbekannten Aufenthalts.“ Sachverhalt ZOK: „RG-Händlerbande mit Beziehungen in türkische Regierungskreise. Monatlich 100 kg Heroin über nach X. Weiterlieferung in europ. Staaten. Kurierfahrer sind Rumäniendeutsche. Gegen diese richtet sich das Verfahren. 1 Hauptbesch. in frz. U-Haft (23 kg Heroingemisch). In NRW Ermittlungen gegen Politiker auf höchster Landesebene.“ Ausgang: Gegen einen der beiden Beschuldigten wurde das Verfahren nach § 205 StPO eingestellt, ein zweiter wurde von einem französischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren verurteilt.
II. Verfahren mit dem Schwerpunkt Kfz-Verschiebung
B 2. LKA-Raster 1994: kurze Sachverhaltsschilderung: „In den Bereichen A, B und C (Tschechien) hat sich eine Bande gebildet, welche vorwiegend in Deutschland Fahrzeuge (Pkw, Wohnmobile und Anhänger) entwendete, zum Teil mit falschen Papieren versah und in Tschechien weiterveräußerte. Der Bande gehörten mindestens 17 Personen an. Ihr konnte der Diebstahl von insgesamt 57 Fahrzeugen im Wert von über 1.000.000 DM nachgewiesen werden. Insgesamt konnten noch 17 Fahrzeuge im Wert von ca. 270.000 DM sichergestellt werden.“ Sachverhalt ZOK: nicht vorhanden. Ausgang: Einer der Beschuldigten wurde u. a. wegen Diebstahls in 36 Fällen, gewerbsmäßiger Hehlerei in 6 Fällen, wegen Betruges und Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 3 Monaten verurteilt. B 6. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „In X (Polen) ansässige Polen stehen in Verbindung zu Personen aus dem Raum Y, die aus Polen stammen und Bestellungen für hochwertige Pkw, meist der Marke Daimler-Benz, entgegennehmen. Die Vermittler gehen entsprechende Fahrzeughalter an und bieten Verschiebung nach Polen an mit anschließender Anzeigenerstattung wegen Diebstahls, um zusätzlich die Versicherungsleistung zu kassieren. Nach Einverständnis reisen Kuriere aus Polen an, die die Pkw samt Originalschlüssel und Papieren abholen und nach Polen zu zwei Werkstätten von Tatbeteiligten bringen. Dort werden Nachschlüssel angefertigt und Pkw teilweise umgerüstet, ehe sie nach Russland weiterverschoben werden. Einige Tage später wird dem Fahrzeughalter der Originalschlüssel und der Fahrzeugschein zurückgebracht und der Halter erstattet Anzeige und Schadensmeldung bei der Versicherung, um diese zu betrügen. Der Gruppierung konnten bislang acht weitere Kfz-Verschiebungen in dieser Art und Weise zugeordnet werden. Die Tatorte sind auf das Bundesgebiet verteilt. Durch einen persönlichen Informationsaustausch mit polnischen Polizeibeamten in X wurde bekannt, dass zwei der Beschuldigten der ,polnischen Mafia‘ angehören sollen, die wiederum Verbindungen zu Personen haben, die der ,russischen Mafia‘
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angehören. Bei Durchsuchungen aufgefundene Telefonnummern deuten darauf hin, dass die Kfz nach Russland verschoben wurden.“ Sachverhalt ZOK: „Verschiebung hochwertiger Kfz über Polen nach Weißrussland.“ Ausgang: Sieben von neun Hauptbeschuldigten wurden überwiegend wegen Unterschlagung, Betrugs, Diebstahls und Vortäuschens einer Straftat zu Gesamtfreiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr neun Monaten verurteilt. B 15. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „. . . Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse stehen die Beschuldigten im Verdacht, eine Vielzahl von gestohlenen Kraftfahrzeugen von Deutschland nach Rumänien verbracht zu haben, wobei die Kraftfahrzeuge mit Fahrzeugbriefen von Exportfahrzeugen versehen worden sind, um deren wahre Identität zu verschleiern.“ Sachverhalt ZOK: wie LKA Ausgang: Gegen einen der beiden Hauptbeschuldigten wurde das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, der andere wurde u. a. wegen Diebstahls in 12 und Urkundenfälschung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. B 16. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „Im Zeitraum von Oktober 1994 bis August 1996 erlangte eine italienische Tätergruppe bei mehreren Autohäusern im X-Kreis, Y-Kreis und Kreis Z sowie im Saarland durch Leasinggeschäfte 40 Kraftfahrzeuge, überwiegend Neufahrzeuge, verschiedener Marken. Die Fahrzeuge wurden ins Ausland gebracht, dort zunächst deponiert oder auch gleich verkauft. Gegen Verantwortliche von Autohäusern richtet sich der Verdacht, dass sie im Zusammenwirken mit der italienischen Tätergruppe Fahrzeuge widerrechtlich beschafften, um sie den Leasingnehmern zu übergeben, damit diese sie ins Ausland verschieben konnten. Über sie als Händler oder Verkäufer wurden . . . diese Fahrzeuge von Personen der besagten Personengruppe geleast, wobei von Anfang an geplant war, keine Leasingraten an die Leasinggesellschaften zu bezahlen . . .“ Sachverhalt ZOK: „Von Oktober 1994 bis Juli 1997 erlangte eine vorwiegend aus italienischen StA bestehende Tätergruppierung bei mehreren Autohäusern im süddeutschen Raum durch betrügerische Leasingverträge mindestens 40 hochwertige Kfz unterschiedlicher Marken und verschob sie ins Ausland. Zu diesem Zweck wurde u. a. auch eine Autofirma gegründet. Schaden mindestens 4 Millionen DM.“ Ausgang: In einem Fall erging eine Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren, u. a. wegen Betruges in 23 Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung. B 19. LKA-Raster 1994: kurze Sachverhaltsschilderung: „Ermittlungsverfahren gegen polnische Tätergruppe wegen Verschiebung von Kfz nach Polen. Ein deutscher Staatsangehöriger polnischer Abstammung (X) erwarb als Mitglied einer auf Kfz-Verschiebung spezialisierten Gruppe gegen Zahlung von DM 20.000 Personaldokumente und zwei Kreditkarten eines Deutschen, die dieser später als gestohlen
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meldete. Nach Bildtausch in den Personaldokumenten mietete (X) im ganzen Bundesgebiet hochwertige PKW, Wohnmobile und Transporter bei Autovermietungen an in der Absicht, diese nach Polen zu verschieben und dort zu verkaufen. So wurden durch (X) im Zeitraum 13.1.-15. 1. 94 7 Kfz im Wert von ca. 355.000 DM angemietet, die durch eingereiste Polen und in Deutschland ansässige Polen über eine Route Frankreich-Schweiz-Österreich-Tschechien nach Polen verbracht werden sollten . . . Gegen vier Personen erging Haftbefehl. Einer der Täter konnte aus dem Polizeiarrest in Österreich entkommen . . . Nach Übernahme eines Sammelverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Y wurden die Inhaftierten nach Deutschland ausgeliefert. Aus den Vernehmungen ergab sich, dass die Gruppe in der Größe von fünf bis acht Personen aus Polen anreiste und zuvor mindestens 39 weitere Kfz im Wert von ca. 1,3 Millionen DM verschoben hatte. Der Absatz der Fahrzeuge in Polen erfolgte über eine Autogarage namens „Z“ in A / Polen. Abnehmer sollen zumindest teilweise Russen gewesen sein.“ Sachverhalt ZOK: „Ermittlungsverfahren gegen polnische Tätergruppierung wegen Verschiebung von Kfz nach Polen. Konkret ging es um die Anmietung von sieben hochwertigen Pkw in der Zeit vom 13.01.-15. 01. 1994 (Wert ca. 355.000 DM), die über Frankreich-Schweiz-Österreich-Tschechien nach Polen verbracht werden sollten. Vier Personen wurden am 17. 01. 1994 an der Grenze Österreich / Tschechien festgenommen, sechs Pkws sichergestellt. Ein Festgenommener konnte in Österreich fliehen, die restlichen drei wurden ausgeliefert. Die Gruppe soll zuvor schon mindestens 39 weitere Pkw verschoben haben. Der Absatz der Kfz in Polen erfolgte über die Autogarage ,Z‘ in A / Polen“ (Angabe: 08 / 1995). Ausgang: Drei von sieben Hauptbeschuldigten wurden wegen gemeinschaftlichen Betruges in sechs Fällen zu 2 Jahren 11 Monaten bzw. zu je 2 Jahren 10 Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.
III. Verfahren mit dem Schwerpunkt Falschgeld
B 12. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „Im Frühjahr 1997 erlangte VP hies. Dez. Kontakt zu einer jug. Tätergruppe, die im ges. Bundesgeb., insbes. auch in den südd. Raum, Falschgeld unterschiedlicher Währungen absetzt. Dazu bedient man sich zumindest eines Autohandels, über den zum einen Kontakt geknüpft, zum anderen durchgeführte Falschgeldgeschäfte getarnt wurden. Trotz eines Probekaufs von 100 DM und 1000 DM-Falsif. im Nennwert v. 30.000 DM gelang es bislang nicht, die Hinterleute zu identifizieren. Dies soll aber durch ein geplantes größeres Scheingeschäft ermöglicht werden. Der Gruppe konnten nach bisherigen Erkenntnissen mindestens vier Personen aus dem exjugoslawischen Raum zugeordnet werden.“ LKA-Raster 1998: „Trotz erfolgten Probekaufs und fortgesetztem Kontakt des eingesetzten VE zur Hauptzielperson in X kam es zu keiner weiteren Geldüber-
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gabe. Entsprechenden Erkenntnissen zufolge fassten die Hintermänner der . . . Zielperson kein Vertrauen zu den von hier aus avisierten Abnehmern. Aufgrund dieser Situation wurde im Einvernehmen mit hiesiger Staatsanwaltschaft und der KP X der Vorgang nach X abgegeben und von dort aus die Ermittlungen weitergeführt. In der Folge wurde von dort aus ein weiteres Verfahren wegen Bandenhehlerei gegen die Hauptzielperson und dessen Sohn eröffnet. Die Ermittlungen bezüglich des Falschgeldgeschäfts sind noch nicht abgeschlossen.“ Sachverhalt ZOK: „Eine Gruppierung von mindestens vier Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien setzt im gesamten Bundesgebiet, vor allem aber im süddeutschen Raum, Falschgeld unterschiedlicher Währungen in großem Stil ab. Dazu bedient sich die Gruppierung eines Autohandelsgeschäfts, über das die Geschäfte angebahnt und getarnt werden. Die Ermittlungen gestalten sich schwierig trotz aufwendiger verdeckter Maßnahmen, weshalb bislang nur einer der Täter identifiziert werden konnte.“ Ausgang: Einer der Hauptbeschuldigten erschien nicht zur Hauptverhandlung, so dass das Verfahren nach § 205 StPO eingestellt wurde, bei dem anderen erfolgte eine Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung von 1500 DM. B 20. LKA-Raster 1994: kurze Sachverhaltsschilderung: . . . „Am 07. 10. 1994 konnte in einer Aer Gaststätte eine Gruppe festgenommen werden, die dort 100 DM Falsifikate verbreitete. Die Durchsuchungen brachten weitere Falsifikate zutage. Im Zuge der weiteren Ermittlungen konnten der in X / Italien wohnhafte Y festgenommen werden. Er war an einer . . . Schmuckvertriebsfirma beteiligt und verkehrte regelmäßig zwischen Italien und Deutschland. Als Schmuckhändler war er zudem regelmäßig im gesamten Süddeutschen Raum unterwegs. Die bisherigen Ermittlungen ergaben, dass Y als ,Falschgeldkurier‘ zwischen Italien und Deutschland fungierte. Der Schmuckhandel war hierbei eine geeignete Tarnung. Bei einem Teilhaber der Schmuckfirma konnte auch ein 200 DM Falsifikat aufgefunden werden. Nach Aussage des BKA wurden bezüglich der 100 DM Falsifikate (DF 4) bislang ca. 29.000 Anhaltungen registriert. Die Druckerei (in Italien) der 100 DM Falsifikate und der 200 DM Falsifikate soll identisch sein. Y ist zwischenzeitlich teilweise geständig. Er will die Falsifikate in Z (Italien) erhalten haben. Die Ermittlungen dauern noch an.“ LKA-Raster 1995: „Der Hauptbeschuldigte räumte zwischenzeitlich ein, in Z / Italien 50 Falsifikate (a 100 DM) erworben zu haben. Hiervon wurden mind. 21 Falsifikate im Bereich der PD A weitergegeben / veräußert. Die Ermittlungen zu weiteren Veräußerungen dauern noch an.“ Sachverhalt ZOK: „Vertrieb von falschen 100 (DF 4) und 200 DM Scheinen (DF 3)“ Ausgang: M. wurde wegen Geldfälschung nach § 146 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten verurteilt.
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B 24. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Mitglied einer 6-köpfigen Tätergruppe erwirbt und eröffnet eine Galerie für Kunstdrucke. Hintergrund der Geschäftsgründung war die verdachtsfreie Beschaffung eines Farbkopierers zur späteren Falschgeldherstellung. Innerhalb von 5 Monaten stellten die TV 100-DM-Scheine im Nennwert von mind. 350.000 DM sowie eine unbekannte Menge ungarischer Forint her. Die ung. Forint gingen an einen bislang unbekannten Abnehmer, während von den 100-DM-Scheinen ca. 150.000 DM von der Gruppe selbst verausgabt worden sind. Die auf Dauer angelegte und bezügl. der Verteilung des Falschgeldes arbeitsteilig agierende Tätergruppe konnte durch den zufälligen Fund einer größeren Menge qualitativ schlechter u. deshalb nicht für die Verausgabung bestimmter 100-DM-Falsifikate im Keller einer ehem. Wohnung eines TV ermittelt werden. Da die Festnahmen nicht gleichzeitig erfolgten, gelang es einem Tatverdächtigen die Kunstgalerie in Brand zu setzen und die Spuren der Falschgeldherstellung teilweise zu verwischen.“ Sachverhalt ZOK: nicht vorhanden. Ausgang: Die höchste Gesamtfreiheitsstrafe betrug vier Jahre neun Monate und wurde wegen zweifacher mittäterschaftlicher Geldfälschung (§ 146 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB) verhängt. B 25. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „Im August 1997 bekam eine in anderer Sache eingesetzte VP Kontakt zu einem Türken aramäischer Abstammung aus X. Dieser bot der VP falsche 1000 DM-Scheine im Wert von 1 Million DM an. In der Folge bekam die VP auch Kontakt zu den Hinterleuten des Anbieters. Dabei handelte es sich um Türken aramäischer Abstammung, die im Bereich X seit Jahren mit . . . handeln. Durch die Ermittlungen wurde festgestellt, dass die . . .handelsgeschäfte zu einem Großteil der Tarnung illegaler Geschäfte dienen. Insbesondere wohl zur Abgabe und Einbringung von Falschgeld in den Wirtschaftskreislauf. Über die angemeldeten Gewerbe wurden internationale Kontakte geknüpft und gepflegt. Naheliegend ist, dass die Falsifikate von den TV aus den ehemaligen GUS-Staaten eingeführt werden. Seitens TV bestehen derzeit gegenüber der VP Vertrauensvorbehalte, so dass eine avisierte Geldübergabe bislang nicht stattfand.“ LKA-Raster 1998: „Im Verlauf der Verhandlungen zwischen VP und den mutmaßlichen Drahtziehern des avisierten Falschgeldgeschäftes verstärkten sich die Vertrauensvorbehalte seitens der Anbieter in einem für die Fortführung des Verfahrens unvertretbaren Maße, so dass die VP zurückgezogen werden musste. In Absprache mit der zuständigen StA wurden weitere Ermittlungen zurückgestellt und das Verfahren vorläufig abgeschlossen.“ Sachverhalt ZOK: „Türkische Staatsangehörige aramäischer Abstammung betreiben in X . . .handelsgeschäfte, wobei diese Firmen nach dem derzeitigen Erkenntnisstand der Tarnung umfangreicher illegaler, betriebener Geschäfte dienen, vor allem der Verbreitung von Falschgeld. Dort wurde einer VP Falschgeld im Nennwert von 1 Million DM angeboten, das Geschäft allerdings wegen Vorbehal-
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ten der Beschuldigten gegenüber der VP bislang noch nicht durchgeführt; die verdeckten Ermittlungen gestalten sich aufgrund einer erheblich konspirativen Verhaltensweise schwierig.“ Ausgang: Das Verfahren wurde gegen alle Beschuldigten nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. IV. Verfahren mit dem Schwerpunkt Prostitution / Menschenhandel
A 4. LKA-Raster 1994: kurze Sachverhaltsschilderung: „Von einem rumänischen Täterkreis wurde in Rumänien eine Vielzahl von Mädchen zur Durchführung einer Tätigkeit als Bedienung / Küchenhilfe angeworben, hierher geschleust und verschiedenen Prostitutionsbetrieben zugewiesen. Mit Drohung von Gewalt, Ausnutzung der Hilflosigkeit in einem fremden Land, Wegnahme des Reisepasses, Geltendmachung von finanziellen Forderungen usw. wurden die Opfer dazu gebracht, hier der Prostitution nachzugehen. Durch Bestechung eines Mitarbeiters des Ausländeramtes X konnten die Täter gewährleisten, dass ihre Opfer durch die illegale Verlängerung ihrer Touristenvisa länger hierbleiben und ausgenutzt werden konnten.“ Sachverhalt ZOK: „Junge Rumäninnen wurden in Rumänien für eine Arbeit als Bedienung in Deutschland angeworben. Die Täter schleusten sie zur Ausübung der Prostitution nach Deutschland ein. Hier wurden sie in verschiedenen Bars im X-Raum eingesetzt und systematisch ausgebeutet.“ Ausgang: Gegen eine der Beschuldigten wurde u. a. wegen schweren Menschenhandels in fünf Fällen jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zur Förderung der Prostitution und Zuhälterei eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verhängt. A 25. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „Die spätestens seit 1992 in Litauen bestehende mafiöse ,X-bande‘ schleuste in den zurückliegenden Jahren in umfangreichem Maße gewerbs- und bandenmäßig litauische Frauen nach Süddeutschland und ins benachbarte Ausland. Die Frauen wurden sowohl an die Gastronomie als auch an Bordelle weitervermittelt bzw. weiterverkauft. Zuvor wurden die Frauen in Litauen durch Ausnutzung der bandeneigenen Gewerbebetriebe, wie Reisebüros, Au-Pair-Vermittlungen, Speditionen usw. angeworben und mit illegalen Schengenvisen ausgestattet. Die Organisation kassierte durch hier ansässige Mitglieder (A und B) zuvor festgelegte Geldbeträge für z. B. illegale Visa (300 – 500 DM), für die Vermittlung an die Gastronomie (400 – 500 DM / mtl.), für Vermittlung an Bordelle (3000 – 5000 DM oder 25% des Dirnenlohnes), für gefälschte Pässe (ca. 2000 DM), für Schengenjahresvisen (ca. 2000 DM). Nach Abzug von Spesen wurden die Gelder in bar nach Litauen transferiert. Im Bundesgebiet selbst arbeitete die Organisation mit gefälschten Stempeln und Siegeln bundesdeutscher Ausländerämter. Ein Teil der Frauen wurde hier zur Prostitution gezwungen, bzw. wurde mit ihnen Menschenhandel betrieben. Zum größten Teil in Litauen wurden Schutzgelderpressungen, Sprengstoff- u. Brandanschläge und
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sonstige Abstrafungen begangen. Verschiedene Bandenmitglieder wurden in Litauen – vermutlich wegen Unregelmäßigkeiten – ermordet. Mitglieder der ,X-bande‘ haben in Litauen Beziehungen zu hohen Polizei- und Justizkreisen und zur deutschen Botschaft.“ Sachverhalt ZOK: „Den Beschuldigten wird vorgeworfen, gemeinsam mit in Litauen wohnhaften Personen litauische Frauen nach Deutschland gebracht zu haben, um diese Frauen dann als Bedienungen an Gaststätten oder als Prostituierte in Bordelle zu vermitteln. Die Beschuldigten haben es auch übernommen, von den Frauen in Deutschland Geldbeträge einzukassieren und dieses Geld teilweise nach Litauen weiterzuleiten. Darüber hinaus verfügten sie zeitweise über einen Stempel der Stadt Y, der dazu benutzt wurde, die Visa der litauischen Frauen unerlaubt zu verlängern.“ Ausgang: Gegen zwei Personen ergingen Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils 16 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, u. a. wegen 10facher gemeinschaftlicher Urkundenfälschung in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Vergehen gegen das Ausländergesetz. B 14. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „Am 30. 05. 1997 wurde am Flughafen X eine Russin festgenommen, die mit falschen Papieren ausreisen wollte. Sie erklärte, in einem Lokal in Y zur Prostitution gezwungen worden zu sein. Sie sei vergewaltigt und geschlagen worden. Aufgrund ihrer Aussagen wurden noch zwei weitere Russinnen ermittelt, die dort zur Prostitution gezwungen worden waren. Am 12. 06. 1997 wurden insgesamt vier Tatverdächtige russischer Herkunft festgenommen. U-Haftbefehle wurden erlassen.“ Sachverhalt ZOK: „Deutsche russischer Abstammung betrieben in Y Bordell. Frauen aus GUS werden teilweise nach D gelockt (Putzstelle, Touristinnen). Nach Ankunft Ausweispapiere abgenommen. Zwang zum GV mit Freiern. Verdienst vollständig abzuliefern (nur Kost und Logis frei). Gegen zwei der Hauptbeschuldigten besteht Verdacht des Mordes an einem unbotmäßigen Gastwirt, der keine Schutzgelder zahlen wollte.“ Ausgang: Einer der fünf Hauptbeschuldigten wurde wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe bei Vorliegen besonderer Schuldschwere verurteilt. In einem weiteren vorangegangenen Verfahren waren er und ein weiterer Haupttäter u. a. wegen mehrfachen schweren Menschenhandels (§ 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zu Gesamtfreiheitsstrafen von 10 sowie 5 Jahren 6 Monaten verurteilt worden.
V. Verfahren mit dem Schwerpunkt Schleusen
A 2. LKA-Raster 1994: kurze Sachverhaltsschilderung: „Die Tätergruppe umfasst bislang 13 Mitglieder, wovon vier als Haupttäter angesehen werden können. In wechselseitiger Zusammenarbeit begehen sie unterschiedliche Straftaten, wobei Haupteinnahmequelle die Einschleusung von Ausländern ist. Dazu werden Trupps
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von ausreisewilligen Aramäern und Kurden in der Türkei zusammengestellt und mit zuvor bei Einbrüchen in Ausländerämter in Deutschland gestohlenen Fremdenpässen und Aufenthaltserlaubnissen ausgestattet. Danach erfolgt eine Verbringung der Personen, insbesondere nach Deutschland, wo sie sich im gesamten Bundesgebiet aramäischen und kurdischen Gemeinden anschließen. Pro Person und Schleusung sind 4 – 5000 DM zu bezahlen. Entsprechenden bisherigen Erkenntnissen kann von 4 – 6000 Schleusungen in den letzten 5 – 7 Jahren ausgegangen werden. Als weitere Straftaten können der Tätergruppe bisher mindestens ein Bankraub, eine Brandstiftung / Versicherungsbetrug sowie seit kurzer Zeit Aktivitäten im Btm-Handel nachgewiesen werden.“ Sachverhalt ZOK: „Dieses Verfahren richtet sich gegen eine Gruppe aus der Türkei stammender Aramäer, die ihren Lebensunterhalt und ihren verschwenderischen Lebenswandel seit etwa 1990 bis zur Verhaftung dreier von vier Hauptbeschuldigten im Januar 1995 dadurch bestritten haben, dass sie Blanko-Ausweisdokumente und Werkzeuge zur Dokumentenherstellung . . . stahlen oder stehlen ließen oder die entsprechenden Gegenstände ankauften und anschließend Ausweispapiere türkischer Staatsangehöriger christlichen Glaubens (Aramäer) oder kurdischer Nationalität verfälschten oder herstellten. Unter Verwendung dieser Papiere wurden diese Personen sodann illegal in das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gegen Zahlung von durchschnittlich etwa 4 – 5000 DM eingeschleust. Insgesamt dürfte es sich hierbei um mehrere tausend Personen gehandelt haben, ohne dass dies in einer zur Verurteilung genügenden Weise festgestellt hätte werden können. Einer der Beschuldigten hatte sich überdies als Rauschgifthändler bezügl. je eines halben Kilogramms Heroin und Kokain betätigt; ein inzwischen wieder in der Türkei aufhältlicher Beschuldigter ist darüber hinaus der Brandstiftung / der Beihilfe zum versuchten Versicherungsbetrug verdächtig, wobei die Schadenssumme ca. 1 Mio. DM beträgt.“ Ausgang: Drei der fünf Hauptbeschuldigten wurden u. a. wegen (teilweise mehrfacher) gewerbsmäßiger Bandenhehlerei zu Gesamtfreiheitsstrafen von 4 Jahren, 3 Jahren 3 Monaten sowie 2 Jahren 4 Monaten verurteilt. A 18. LKA-Raster 1993: kurze Sachverhaltsschilderung: „Ein im August 1993 wegen Beteiligung an einer Reihe von Einbruchsdiebstählen inhaftierter albanischer Staatsangehöriger sagte als Zeuge aus, über Informationen betreffend einer weiblichen Person . . . zu verfügen, wonach diese für die Einschleusung, vorrangig von albanischen Staatsangehörigen, verantwortlich zeichne. Der Zeuge berichtete über mehrere Einzeldelikte der Einschleusung, war jedoch nicht zur Benennung von weiteren Mittätern / Zeugen bereit; er begründete sein Verhalten mit Angst vor möglichen Repressalien aus ,jugoslawischen‘ Kreisen. Die in den folgenden Wochen vorgenommenen Observationsmaßnahmen führten nicht zur Verifizierung der ursprünglichen Verdachtslage, bis i.d.N.z. 14. 11. 93 die Tatverdächtige zusammen mit einem ,bosnischen‘ Mittäter, wohnhaft in X, in der Nähe von Y / Sachsen festgenommen wurde, als beide im Begriff waren, fünf per Fußschleusung aus Restjugoslawien illegal in das Bundesgebiet eingereiste Personen aufzunehmen . . . Der-
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zeit werden . . . Zeugen / Geschleuste vernommen, um die große Zahl der erfolgten Einschleusungen konkret nachzuvollziehen, wobei wir in aller Regel lediglich auf partielle Aussagebereitschaft treffen, speziell was die Preisgabe der Schleuseridentität betrifft. Augenblicklich können den Tatverdächtigen sechs Mittäter zugeordnet werden, wobei sich Indikatoren auf OK-Relevanz primär durch Auswertung beschlagnahmten Adressenmaterials und Identifizierung einer engen Freundin (Slowakin) der erwähnten weiblichen Täterin ergeben haben . . . nach bisherigem Erkenntnisstand sind die beiden erwähnten weiblichen Beschuldigten in diese Gruppierung involviert. Die Slowakin betreibt in Z eine Art Kommunikationszentrale, in der Aufträge an Transporteure und Fußschleuser weitergegeben werden. Ihre im Kreis X wohnhafte Freundin pendelt zwischen hier und Z, sie wird als Mitorganisatorin der Flüchtlingstransporte eingestuft. Als modus operandi der Gesamtorganisation (aufgeteilt in verschiedene Gruppen) ist ermittelt worden: Anwerbung der Flüchtlinge . . . , Bustransfer bis Z, dort Unterbringung der Flüchtlinge in durch die Organisation angemieteten Hotels . . . , anschließend Zusammenstellung von Gruppen zum Weitertransport nach Deutschland, Grenzübertritt per Fußschleuser, Aufnahme der illegalen Einwanderer auf deutschem Gebiet mittels „Pkw-Transporteure“ bis an die Zielorte (i.d.R. Aufnahmestellen für Asylbewerber); pro Person Bruttoeinnahme der Schleuser von ca. 1200 DM, Gruppe besteht meist aus zehn bis 15 Personen, . . . hierarchischer Aufbau der Organisation mit strikter Abschottung . . . Kopf der komplexen Schleuserorganisation in Z ist B, der verantwortlich für die . . . Import / Exportfirma zeichnet. Dieses Unternehmen dient der Realisierung der Geldwäsche. Zum Teil unabhängig von der Gesamtorganisation, so die Verdachtslage, kommen einzelne Gruppen für weitere Delikte (Raubüberfälle u. a.) in Betracht. Die im Landkreis X wohnhafte und derzeit in Y / Sachsen inhaftierte Tatverdächtige gehört einer dieser Untergruppen an, ihr Status innerhalb der Organisationshierarchie ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Ihre bereits in Deutschland ermittelten und hier lebenden Mittäter dürften vom Strukturgefälle her gesehen unter ihr anzusiedeln sein . . .“ Sachverhalt ZOK: „Gewerbsmäßiges Einschleusen von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien über die tschechisch-bayerische Grenze nach Deutschland.“ Ausgang: Die Hauptbeschuldigte wurde durch Strafbefehl wegen zwei Vergehen der gewerbsmäßigen Beihilfe zur illegalen Einreise (§§ 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 i.V.m. 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG a.F.) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. A 26. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „Seit 07 / 97 andauernde Ermittlungen gegen eine chinesische Gruppierung, deren Tätigkeit darin besteht, in einer bisher unbestimmten Anzahl von Fällen gegen Entgelt für chin. Staatsangehörige die Einreise nach Deutschland über die sog. ,Grüne Grenze‘ zwischen den osteuropäischen Anrainerstaaten und Deutschland zu organisieren. Die Aufgabe der hier beschuldigten Personen besteht nach den jetzigen Erkenntnissen darin, gegen sog. ,Extrazahlungen‘ die Aufträge für die weitere Betreuung der Ge-
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schleusten nach dem Grenzübertritt zu vergeben und bis zur Asylantragstellung für ihre Unterkunft zu sorgen oder sie nach Holland und England weiterzuschleusen. Aus TÜ-Erkenntnissen ergibt sich der Verdacht der Betätigung für eine kriminelle Vereinigung als Mitglied durch bislang einen Beschuldigten. Demnach ist davon auszugehen, dass dessen Aktivitäten und die weiterer Mitglieder der Vereinigung durch eine Gruppe, die als ,Zentrale der Gesellschaft‘ bezeichnet wird, gesteuert werden. Nach bisherigem Erkenntnisstand ist anzunehmen, dass einer der Hauptzwecke dieser Vereinigung der ist, die illegale Einreise und den Aufenthalt chin. Staatsangehöriger zu organisieren, ihnen ,Schwarz‘-Arbeitsstellen in chin. Restaurants zu verschaffen und gefälschte Urkunden zu beschaffen, um Eheschließungen zu ermöglichen sowie durch gefälschte Urkunden Asylverfahren zu verschleppen, um Ausweisungen oder Abschiebungen so weit wie möglich hinauszuzögern. In diese Aktivitäten ist offensichtlich auch Personal der Pass- und Visaabteilung der chinesischen Botschaft in A eingebunden, das gegen Schmiergeldzahlungen Urkunden erstellt, die das Bleiberecht erhalten . . .“ Sachverhalt ZOK: „Bandenmäßige Einschleusung chinesischer Staatsangehöriger. Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung mit Sitz im Raum X. Für die Schleusung werden je nach Reiseroute falsche Papiere (bei Einreise mit Zug) oder Kurierfahrer (bei Einreise ,Grüne Grenze‘) benutzt. Bisher unbestätigte Hinweise auf Beschaffung sog. ,Schengen-Visa‘ durch Mitarbeiter der chin. Botschaft. Das Ermittlungsverfahren entstand aus Zufallserkenntnissen aus dem Ermittlungsverfahren gegen Y. Z gehört offenbar einer Gruppierung an, die Schleusungen chinesischer Staatsangehöriger auf verschiedenen Wegen organisiert. Z wird selbst nur in seltenen Fällen aktiv. Er verteilt vielmehr die Aufträge an ,Vasallen‘ in Deutschland. Es bestehen konkrete Hinweise darauf, dass sich eine hierarchisch organisierte Personengruppe gebildet hat, die das Verhalten der an den Schleusungen Beteiligten überwacht. Sitz der Gruppe könnte X sein. Dort kam es jedenfalls zu einem Treffen rivalisierender Schleusergruppen, das mit einer Vereinbarung endete, deren näherer Inhalt noch nicht bekannt ist . . . Es ergaben sich auch Hinweise auf einen Mitarbeiter der chinesischen Botschaft . . . , der Papiere (mit sog. ,Schengenvisum‘) beschaffen kann. Die Person ist jedoch nicht identifiziert. Näheres noch nicht bekannt. In Deutschland selbst werden Papiere nicht mitgeführt (Gefahr der Abschiebung). Es werden von fast allen Beteiligten mehrfach Aliaspersonalien verwendet. Als Nebenprodukt des Verfahrens Hinweise auf Dolmetscher, der an der Herstellung falscher Urkunden für die missbräuchliche Asylantragstellung mitwirkt.“ Ausgang: Die Verfahren gegen die sechs Hauptbeschuldigten wurden am Ende teilweise eingestellt, teilweise ergingen Strafbefehle wegen Verstößen gegen das AuslG bzw. wegen mittelbarer Falschbeurkundung (§ 271 Abs. 3 StGB). B 22. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Im Zeitraum 1992 bis April 1995 wurden durch den Inhaber eines Stukkateurbetriebs und zwei ungarische Staatsbürger, die zusammen mit dem deutschen Geschäftsmann eine „Scheinfirma“ in Ungarn gründeten, insgesamt 35 ungarische Arbeitnehmer illegal in
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Deutschland eingeschleust. Diese Arbeitnehmer wurden zu Niedrigstlöhnen auf über 30 Baustellen eingesetzt. Durch diese Arbeitnehmer waren die Haupttäter in der Lage, bei Angeboten jeweils eine sehr günstige Preiskalkulation abgeben zu können. Somit konnten Angebote und Bauaufträge erlangt werden, die dann von den Ungarn zu Billiglöhnen ausgeführt wurden. Da weder Steuern noch Sozialabgaben für die ungarischen Arbeitnehmer abgeführt wurden, konnten im genannten Zeitraum allein durch Lohnkosteneinsparungen Gewinne von ca. 3.000.000 DM erzielt werden. Um die Arbeitnehmer zu legalisieren, wurden durch unrichtige Angaben beim Landesarbeitsamt Hessen Werkverträge erlangt. Diese Werkverträge wurden jeweils zwischen dem Stukkateurbetrieb und der ungarischen Scheinfirma geschlossen.“ Sachverhalt ZOK: „Im Zeitraum von 1992 bis April 1995 wurden durch den Inhaber eines Stukkateurbetriebs aus dem hiesigen Raum sowie zwei ungarische Staatsbürger, die gemeinsam eine Scheinfirma in Ungarn gegründet hatten, insgesamt 35 ungarische Arbeitnehmer illegal nach Deutschland eingeschleust, indem ihnen unter Vorlage fingierter Werkverträge Aufenthaltsbewilligungen und Arbeitserlaubnisse verschafft wurden. Tatsächlich war beabsichtigt, diese Arbeitnehmer zu Niedriglöhnen auf verschiedenen Baustellen einzusetzen. Hierdurch wurden die Haupttäter in die Lage versetzt, äußerst günstige Angebote abzugeben, was zur Erteilung von über 30 Bauaufträgen führte, die von den ungarischen Arbeitern zu Billiglöhnen ausgeführt wurden. Da weder Steuern noch Sozialabgaben für die Arbeitnehmer abgeführt wurden, konnten im genannten Zeitraum von den Haupttätern allein durch Lohnkosteneinsparungen Gewinne von ca. 3.000.000 DM erzielt werden.“ Ausgang: Gegen zwei der Hauptbeschuldigten wurde das Verfahren nach § 205 StPO eingestellt, der dritte erhielt wegen eines Vergehens nach §§ 92 Abs. 2 Nr. 2, 92a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 AuslG per Strafbefehl eine Freiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung.
VI. Verfahren mit dem Schwerpunkt Schutzgelderpressung
A 16. LKA-Raster 1994: kurze Sachverhaltsschilderung: „Mitglieder einer im Raum X ansässigen Italienerfamilie stehen im Verdacht, einem Camorraclan aus dem Gebiet A (Italien) anzugehören und im Raum X zusammen mit anderen italienischen Staatsangehörigen Straftaten auszuüben. Insbesondere besteht der Verdacht der Schutzgelderpressung, des BtM-Handels sowie des Waffenhandels. Seitens der italienischen Behörden stehen zwei Familienmitglieder im Verdacht, Angehörige des Killerkommandos des betreffenden Camorraclans zu sein.“ LKA-Raster 1995: „Mitglieder einer . . . nach X verzogenen Italienerfamilie, die einem Camorraclan aus dem Raum A angehörte, haben eine eigene kriminelle Vereinigung nach Art der Mafia aufgebaut und stehen im Verdacht der Ausübung von
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Straftaten insbesondere der Schutzgelderpressung, des organisierten Scheckbetruges, Herstellung und Verbreitung von Falschgeld.“ Sachverhalt ZOK: „Italienische Familie aus A mit Camorrahintergrund begeht Schutzgelderpressungen, Betrügereien u. a.“ Ausgang: Der Haupttäter erhielt u. a. wegen schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren. B 11. LKA-Raster 1996: kurze Sachverhaltsschilderung: „Die TV sind Mitglieder der sog. vietnamesischen Zigarettenmafia. Nach Verbüßung von Haftstrafen im Bereich X wurden sie im Rahmen ihrer Asylverfahren nach Y umgesetzt. Durch Telefonanrufe mit bedrohendem Inhalt wurde zunächst versucht, den Geschädigten zu verängstigen, um ihn sodann anlässlich eines persönlichen Besuchs zur Herausgabe von Geld zu veranlassen. Auf das Zögern des Geschädigten reagierten die TV mit massiver Gewalt und verletzten diesen erheblich, ebenso einen zuhilfe eilenden Angestellten. Von den mit zwei Pkw zum Tatort gefahrenen TV konnte ein Fahrzeug im Zuge der Fahndung gestellt und drei TV festgenommen werden. Im Rahmen der weiteren Ermittlungen konnten die drei weiteren TV identifiziert und festgenommen werden. Angaben zur Sache machten die Beschuldigten nicht. Den Ermittlungen entsprechend muss aber davon ausgegangen werden, dass von den TV versucht worden ist, im Bereich asiatischer Gaststättenbetreiber ein Klima der Angst zu schaffen und dieses für dauerhafte Schutzgeldzahlungen zu nutzen.“ Sachverhalt ZOK: nicht vorhanden. Ausgang: Gegen fünf der sechs Hauptbeschuldigten ergingen Urteile wegen u. a. gemeinschaftlicher Nötigung bzw. Beihilfe hierzu von sechs Monaten bis einem Jahr sechs Monaten, einer wurde freigesprochen. B 17. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „Ein in X ansässiger Betreiber eines China-Lokals wurde seit Anfang des Jahres 1996 durch chinesische Staatsangehörige (Asylanten) erpresst. Im Falle der Nichtbezahlung geforderter Geldsummen drohten diese damit, das Lokal anzuzünden bzw. gegen Familienmitglieder des Geschäftsinhabers vorzugehen. Durch den Lokalbetreiber mussten monatliche Geldsummen bezahlt werden. Aufgrund der ernstzunehmenden Drohungen zahlte der Geschäftsbetreiber. Im März 1997 offenbarte sich dieser jedoch der Polizei. Die TV konnten bei einer fingierten Geldübergabe festgenommen werden. Seit Anfang 1996 bis März 1997 haben die Täter mindestens ca. 51.000 DM von dem Geschädigten aus X und ca. weitere 80.000 DM von anderen Restaurantbesitzern (chinesische Lokale) erpresst.“ Sachverhalt ZOK: „Den Tatverdächtigen wird vorgeworfen, im Zeitraum von Mai 1995 bis 16. 03. 1997 gemeinschaftlich von dem Inhaber des China Restaurants Y in X mit der Drohung, das Lokal werde angezündet und die Familie des Geschädigten ruiniert, regelmäßig Zahlungen in Höhe von insgesamt ca. 51.000 DM erpresst zu haben. Die Beschuldigten, alle Asylbewerber, waren während der Tathandlungen im betreffenden Lokal als Aushilfskräfte beschäftigt. Sie
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bestreiten die Erpressung von Schutzgeld und machen geltend, sie hätten bei der Festnahme, vor welcher der Geschädigte 6800 DM an sie zahlte, lediglich rückständigen Lohn von ihm verlangt. Aus dem Umstand, dass die Beschuldigten im Tatzeitraum monatlich mehrere Tausend DM, insgesamt 127.000 DM über Hongkong nach China überwiesen, besteht der Verdacht, dass sie einer Organisation angehören, welche weitere Schutzgelderpressungen beging. Hierfür sprechen auch Erkenntnisse über Anrufe aus der beim Geschädigten nach der Festnahme der Beschuldigten geführten Telefonüberwachung und Äußerungen aus dem Kreis der Beschuldigten gegenüber weiteren Beschäftigten im genannten China-Restaurant. Auffällig ist, dass die Beschuldigten nach Aussage des Geschädigten und weiteren Zeugen zunächst unauffällig in dem Restaurant arbeiteten und erst später erpresserisch vorgingen. Eine Liste mit Telefonnummern weiterer China-Restaurants in Baden-Württemberg wurde sichergestellt, welche im Hinblick auf die Tätergruppe überprüft wurden. In einigen davon waren die Beschuldigten bekannt. Hinweise auf weitere Schutzgelderpressungen fehlen ebenso, wie greifbare Anhaltspunkte für die hinter den Beschuldigten stehende Organisation in Deutschland.“ Ausgang: Alle drei Hauptbeschuldigten wurden vom Schöffengericht freigesprochen.
VII. Verfahren mit dem Schwerpunkt Wirtschafts- / Umweltdelikte
B 4. LKA-Raster 1995; kurze Sachverhaltsschilderung: „Bereits seit 1990 führt die Staatsanwaltschaft X ein umfangreiches Ermittlungsverfahren gegen acht Firmen mit erheblichem Aufwand durch. Ausfluss aus diesem Verfahren sind Erkenntnisse, wonach eine im hiesigen Zuständigkeitsbereich ansässige Firma illegale Abfallbeseitigung, unerlaubtes Betreiben von Anlagen und anderes unter Zuhilfenahme ihrer Firmenverflechtung begeht.“ Sachverhalt ZOK: „Illegale Entsorgung von Autoshredderabfall ins Ausland. Eine Shredderwerkfirma, ein Unternehmen in einem Firmenverbund von 22 Firmen inklusive einer Bank, steht im Verdacht, seit Jahren im Zusammenwirken mindestens mit einer weiteren, gleichartigen Firma in X und einer dritten in Y in großem Umfang PCB-haltigen und sonst gefährlichen Autoshredderabfall, welcher nach bundesweitem Aufkauf in ihrem Werk produziert wurde, nicht ordnungsgemäß entsorgt, sondern als ,Wirtschaftsgut‘ getarnt illegal im In- und Ausland beseitigt zu haben, wobei im Zusammenwirken mit anderen Firmen zum Schein ausländische Firmen (in der Tschechei und Italien) gegründet und als Abnehmer bezeichnet wurden.“ Ausgang: Obwohl bereits am 10. 3. 1999 Anklage gegen zwei Hauptbeschuldigte wegen gemeinschaftlicher umweltgefährdender Abfallbeseitigung erging (§ 326 Abs. 1 Nr. 3 StGB), ist die Hauptverhandlung bis zum Jahresende 2001 nicht durchgeführt worden.
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B 18. LKA-Raster 1994: kurze Sachverhaltsschilderung: „Laut VP-Hinweisen sollen die Zielpersonen unterschiedlichste Straftaten, wie Waffen- und Menschenhandel, Geldwäsche im großen Stil, Urkundenfälschung u. a. betreiben. Diese Hinweise werden von dritter Seite, einem Rechtshilfeersuchen aus der Ukraine u. Angaben einer Zielperson gegenüber zwei VE bestätigt. Derzeit ist die Beweisbarkeit der einzelnen Straftaten noch offen.“ LKA-Raster 1995: „Verfahren nahezu abgeschlossen. Derzeit Anklagen gegen zwei Täter wegen Untreue . . . Beweisbarkeit der weiteren Straftaten fraglich.“ Sachverhalt ZOK: „Die Beschuldigten sind insbesondere der Geldwäsche, der Urkundenfälschung, des Betrugs und des Waffenhandels verdächtig, wobei Vortaten der Geldwäsche (Raub, Erpressung, Betrug) in Russland und der Ukraine begangen wurden, von wo der Hauptbeschuldigte ca. 10 Mio Dollar in die BRD überweisen ließ.“ Ausgang: Einer der Hauptbeschuldigten wurde u. a. wegen Untreue (§ 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten verurteilt. B 26. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „Die Beschuldigten A, B und C haben dem Geschädigten D in bewusstem und gewollten Zusammenwirken vorgespiegelt, A sei offizieller Bevollmächtigter der Volksrepublik China und er und C hätten beste Beziehungen zu chinesischen Regierungskreisen, um dem Geschädigten Großaufträge der chinesischen Regierung zukommen zu lassen. Im Vertrauen auf diese Angaben stellte der Geschädigte 6 Mio. US-Dollar zum Zwecke der ,Anlauffinanzierung‘ zur Verfügung. Der Fall steht in einer Reihe gleichgelagerter Fälle. Die Beschuldigten gehen geschäftsmäßig strukturiert vor und benutzen Tarnfirmen ohne erkennbaren wirtschaftlichen Zweck.“ LKA-Raster 1998: „Die Täter veranlassten einen Unternehmer, für die Vermittlung von Geschäftsverbindungen / Investitionsmöglichkeiten in der VR China Vorauszahlungen in der Höhe von ca. 10 Millionen DM zu leisten, und hielten die vertraglich vereinbarten Rückzahlungstermine nicht ein.“ Sachverhalt ZOK: Sachverhalt wie LKA-Raster 1997. Ausgang: Das Verfahren wurde gegen alle Hauptbeschuldigten, teilweise nach § 170 Abs. 2, teilweise nach § 205 StPO eingestellt.
VIII. Verfahren mit dem Schwerpunkt Tötungsdelikte
B 1b. kein LKA-Raster vorhanden. Sachverhalt ZOK: „Am 3. 2. 1996 wurde in einem Wald bei A die Leiche eines zuvor misshandelten und danach mit einem Kopfschuss getöteten italienischen Pizzeriabesitzers aus B aufgefunden. Die Ermittlungen gegen die bisher nicht identifizierten Täter ergaben, dass das Opfer nach Schließung seiner Pizzeria in C gegen 27 Kinzig
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23.30 Uhr auf der Straße von vier bis fünf südl. aussehenden, mit Schusswaffen und Schlagwerkzeug ausgerüsteten und teilweise maskierten Männern überwältigt, in das Fahrzeug des Opfers gedrängt und mit diesem zu dem Waldstück gefahren wurde. Nach der Ermordung wurde das Fahrzeug in C verbrannt. Es besteht der Verdacht, dass das Mordopfer guten Kontakt zu einer Mafiagruppierung im Raum C, D, E unterhalten hat, die sich mit Schutzgelderpressungen und Einfuhrschmuggel größerer Mengen Rauschgift aus Italien befasst und von denen zwei Mitglieder aufgrund ital. Auslieferungsersuchen schon nach Italien ausgeliefert wurden. Nach Hinweisen soll das Mordopfer Schutzgelder möglicherweise einkassiert und transportiert haben und in der Vergangenheit auch einmal im Rahmen einer Schutzgelderpressung zum Nachteil eines Freundes mit dem namentlich bekannten Chef der Gruppierung eine heftige Auseinandersetzung gehabt haben. Die Ermordung soll in Zusammenhang mit den Verbindungen des Mordopfers zu dieser Mafiagruppierung stehen.“ Ausgang: Das Verfahren gegen einen Hauptbeschuldigten wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. B 21. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Das Opfer, Schwager eines italienischen Kronzeugen, widersetzt sich dem Familienbeschluss, den Kronzeugen durch einen Familienangehörigen zu töten. Dieser Familienbeschluss wurde auf Druck der Mafia-Organisation ,Stidde‘ (welcher der Kronzeuge angehörte) gefasst, damit die Familie seitens der ,Stidde‘ keine weiteren Repressalien befürchten muss. Aufgrund seines Widerstandes wird der Schwager durch einen Bruder des Kronzeugen erschossen.“ Sachverhalt ZOK: „Bruder eines mafia-pentito erschießt auf Druck von nicht ermittelten Angehörigen der sizilianischen mafia (wahrscheinlich der Region X) seinen Schwager, weil dieser sich dem gleichfalls auf Druck der mafia gefassten Beschluss der Familie des pentito zur Tötung des zum ,Verräter‘ gewordenen Bruders und Sohnes widersetzt hatte.“ Ausgang: Der Hauptbeschuldigte wurde wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. B 23. LKA-Raster 1994: kurze Sachverhaltsschilderung: „Ein im Betrugsbereich hinreichend bekannter Geschäftsmann erfährt von der erfolgversprechenden Entwicklung einer Spezialzange für das Baugewerbe. Er schließt sich mit dem Erfinder der Zange zusammen und gründet eine gemeinsame Firma zur Vermarktung des Zangenpatentes. Von Beginn an hatte er Kontakt zu weiteren dubiosen Geschäftsleuten aufgenommen, und es war geplant, das Zangenpatent mehrfach zu verkaufen bzw. durch Billigproduktion spätere Kaufinteressenten zu schädigen. Verschiedene Personen aus dem gesamten Bundesgebiet wurden in dieses Vorhaben mit einbezogen. Nachdem von Seiten des Entwicklers der Zange diese Pläne teilweise erkannt u. blockiert worden waren, bemühte sich dieser Kompagnon um eine anderweitige Lösung dieses Problems, die er in der Ermordung des Geschäftspartners sah. Dazu nahm er Kontakte zu einem ihm bekannten Deutschen auf, der
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in X ein Body-Building-Studio betrieb und selbst wiederum Kontakte zum Xer Rotlicht-Milieu hatte. Aus diesem Bereich wurden konkret 2 Aserbeidschaner angeheuert, die mit dem Deutschen den Auftrag ausführen sollten. Bei verschiedenen Treffen in Y wurde man sich einig und nachdem man sich eingehend über die persönlichen Verhältnisse des Geschäftspartners kundig gemacht hatte, wurde dieser am 27. 4. 94 zusammen mit seiner Ehefrau in seiner Wohnung niedergeschossen. Die Ehefrau erlitt tödliche Verletzungen, der Geschäftspartner wurde durch einen Kopfschuss schwer verletzt, überlebte aber. Persönlich beteiligt an der Tat waren der Xer Studio-Betreiber sowie die beiden Aserbeidschaner. Von Seiten des Geschäftsmannes war ihnen eine lebenslange finanzielle Beteiligung an der Vermarktung des Zangenpatentes versprochen worden.“ Sachverhalt ZOK: „Ein Yer ,Geschäftsmann‘ mit nicht unerheblichem kriminellen Hintergrund wollte seinen Geschäftspartner, der ein Spezialwerkzeug entwickelt hatte, von gedungenen Personen – einem Bodybuilding-Studiobesitzer aus X und zwei Aserbeidschanern – ermorden lassen, um anschließend das Patent (betrügerisch) ungestört vermarkten zu können. Den Mordanschlag überlebte der Geschäftspartner schwerverletzt; seine Ehefrau, deren Tötung von vornherein einkalkuliert war, verstarb.“ Ausgang: Alle drei Hauptbeschuldigten wurden wegen Mordes in Tateinheit mit versuchten Mordes jeweils zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt, wobei bei einem Angeklagten eine besonders schwere Schuld festgestellt wurde.
IX. Verfahren mit Deliktskombinationen
A 11. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „Eine im Raum X ansässige bzw. aufhältliche Gruppierung von Personen verschiedener Nationalität bestritt ihren Lebensunterhalt durch kriminelle Machenschaften nahezu jeglicher krimineller Couleur, nämlich mit ,Abzockereien‘ (= Betrügereien, Bandendiebstähle bzw. -räubereien), Hehlergeschäften in großem Stile, Waffen- bzw. Kriegswaffenhandel, Rauschgiftgeschäften und versuchter Geldwäscherei. Im Verlauf des Ermittlungsverfahrens konnten Hehlerware im Wert von mehreren hunderttausend DM, zahlreiche ,scharfe Waffen‘, darunter vier Maschinenpistolen und mehrere Handgranaten, sowie Schalldämpfer und zahlreiche verbotene Gegenstände nach dem Waffengesetz und Rauschgift sichergestellt werden. Zehn Tatverdächtige sind derzeit inhaftiert. Ein Haupttäter ist derzeit noch auf freiem Fuß.“ Sachverhalt ZOK: „Eine im Raum X ansässige Gruppierung von Personen verschiedener Nationalitäten bestritt ihren Lebensunterhalt durch kriminelle Machenschaften aller Art: Betrügereien, Diebstahl, Hehlerei, Waffen- und Kriegswaffenhandel, RG-Geschäfte, Geldwäsche. Sicherstellungen: mehrere hunderttausend Mark, scharfe Waffen (4 MP, Handgranaten, RG). 10 Verdächtige in Haft.“
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Ausgang: Die höchste Strafe gegen einen der Hauptbeschuldigten wurde mit fünf Jahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in nicht geringer Menge, verhängt. A 19. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Ein hochrangiges Mitglied der Camorra und Mafia hat Ende der 80er Jahre seinen Lebensmittelpunkt in den Raum Baden-Württemberg verlegt und ist der Kopf beider Organisationen im südwestdeutschen Raum. Nach Zeugenaussagen stehen ca. 75% der in Deutschland aufenthältigen Camorra- und Mafiamitglieder unter seinem Befehl. Die Gruppe soll ca. 100 kg Kokain monatlich, große Mengen von Waffen und Falschgeld importieren. Darüber hinaus werden hochwertige Kfz verschoben und Schutzgelder erpresst. Der Kopf der Organisation ist lediglich den in Italien befindlichen Chefs der Camorra sowie der Mafia verantwortlich. Die Organisation in Deutschland ist streng hierarchisch gegliedert und zwischen den einzelnen Organisationsebenen abgeschottet. Der Kontakt zum Kopf der Organisation ist nur über eine einzige ausgewählte Person aus der 2. Hierarchieebene möglich.“ LKA-Raster 1998: „Vorermittlungen und Zeugenvernehmungen ergaben, dass der Hauptbeschuldigte seit über 30 Jahren Mitglied der Camorra und der Mafia ist und sich seit Anfang der 80er Jahre im X Raum aufhält. Die Gruppe um den Hauptbeschuldigten soll im großen Stil mit Rauschgift, Waffen und Falschgeld handeln sowie hochwertige Kraftfahrzeuge verschieben und Schutzgeld erpressen.“ LKA-Raster 1999: „Laut Aussagen von Zeugen in Deutschland und in Italien handelte der Hauptbeschuldigte seit Mitte der 80er Jahre von Deutschland aus mit bis zu 100 Kilo Kokain mtl. Des Weiteren ist er lt. Aussagen von Zeugen und eigenen Einlassungen zufolge seit den 60er Jahren Mitglied der Camorra und seit den 70er Jahren Mitglied der Cosa Nostra in Kampanien.“ . . . Sachverhalt ZOK: „Nach in Italien vorliegenden Erkenntnissen der dortigen Behörden organisiert der Beschuldigte den Rauschgifthandel für eine italienische Täterorganisation; auch soll er im Bereich der Reinvestition inkriminierten Geldes verstrickt sein“. Ausgang: Der Hauptbeschuldigte wurde wegen zweier Straftaten nach dem Waffengesetz unter Freispruch im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. A 22. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Am 1. Februar 1995 wandte sich ein griechischer Staatsangehöriger an die KP X und erstattete gegen eine mehrköpfige russische Aussiedlergruppe Anzeige wegen Erpressung. Die Folgeermittlungen ergaben, dass der Anzeigeerstatter und eine illegal aufhältliche ukrainische Prostituierte von der Gruppierung zur Zahlung von 45.000 DM bzw. 10.000 DM erpresst wurden. Die Täter drohten dem Griechen mit Repressalien gegen dessen Familie sowie der Entführung des in der Ukraine lebenden Kindes der Prostituierten. Das Kind sollte dann als Organspender verwendet werden.
Abschn. 2, Kap. 15: Rahmenbedingungen der Aktenanalyse
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Durch Geschädigten- und Zeugenaussagen sowie nach zweimonatiger TÜ-Auswertung konnte man der vorgenannten Tätergruppierung außer den beiden angezeigten Straftaten noch folgende Delikte zur Last legen: – Handel mit Kriegswaffen, – Förderung der Prostitution, – Schwerer Menschenhandel, – Handel mit Btm in nicht geringen Mengen, – Verbrechensverabredung / verbrecherischer Menschenraub (geplante Entführung).“ Sachverhalt ZOK: „Das o.g. Verfahren richtet sich gegen insgesamt neun Beschuldigte, die sämtlich aus der ehemaligen Sowjetunion stammen, sieben Beschuldigte haben inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Beschuldigten sind dringend verdächtig, sich im Raum A / B / C als Zuhälter, Waffenschieber, Menschen- und Rauschgifthändler sowie als Erpresser betätigt zu haben. So wurden weibliche russische Staatsangehörige unter einem Vorwand in das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gelockt und anschließend unter massivsten Drohungen zur Prostitution gezwungen. Außerdem wurden Kriegswaffen (Maschinenpistolen und Handgranaten) und sonstige Waffen verkauft. Die Gruppierung hatte überdies im Auftrag einer Pornofilmproduzentin / Zuhälterin bereits bis ins Detail eine Entführung verabredet, wobei beabsichtigt war, den zu Entführenden, einen ,Geschäftspartner‘ der Auftraggeberin, um mehrere hunderttausend Mark zu erpressen, die er seiner ,Geschäftspartnerin‘ schulden soll. Die Gruppierung hätte als Entlohnung die Hälfte der hierdurch erlangten Gelder erhalten sollen. Die Entführung gelangte nur deshalb nicht zur Ausführung, weil die Beschuldigten in der Zwischenzeit anlässlich der gemeinschaftlichen schweren räuberischen Erpressung eines vermeintlichen Konkurrenten und einer Prostituierten um insgesamt nahezu 70.000 DM, wovon ein Teil bereits bezahlt worden war, festgenommen und in Untersuchungshaft genommen wurden.“ Ausgang: Einer der Hauptbeschuldigten erhielt eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren u. a. wegen Zuhälterei, wegen schwerer räuberischer Erpressung, wegen Versuchs der Beteiligung an einer Geiselnahme und wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen. B 1a. LKA-Raster 1994: kurze Sachverhaltsschilderung: „Eine Tätergruppierung aus dem Raum X (Italien) begeht verschiedene Raubstraftaten, um den angestrebten Btm-Handel finanzieren zu können. Darüber hinaus betätigt sich die Gruppe im Falschgeldhandel. Über einen in Y ansässigen Barbesitzer und dessen Bruder wird der Kontakt zu einem in Z ansässigen Russen hergestellt, dem eine größere Menge Kokain (100 kg) in Aussicht gestellt wird. Hierfür soll dieser eine unbekannte Anzahl Waffen liefern. Im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens halten sich Beamte der Squadra Mobile von X in Y auf; in gegenseitiger Absprache werden taktische Maßnahmen festgelegt. Diese Absprachen können von italienischer Seite nicht eingehalten werden, da ein Zugriff im Rahmen eines BTM-Geschäftes erfolgt. Die Haupttäter werden in Italien verhaftet. Von der StA Y wird das hier anhängige Verfahren formell vorläufig eingestellt. Verfahren wird von hier verdeckt weitergeführt.“
422
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
ZOK-Raster: nicht vorhanden. Ausgang: Gegen alle Beschuldigten wurde das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
X. Verfahren mit sonstigen Delikten
A 12. LKA-Raster 1997: kurze Sachverhaltsschilderung: „Eine fest strukturierte Tätergruppe, die sich mit dem Absatz von auf dem Postversandweg entwendeten Verrechnungsschecks und Kreditkarten befasst, rekrutiert ,Scheckeinlöser‘, die sich in den jeweils örtlichen kriminellen Milieus finden. Die Gruppe besteht aus ,Scheckentwendern‘, die Schecks / Kreditkarten im ,internationalen Postverteilungszentrum‘ am X Flughafen entwenden. Über feste Hehlerstrukturen gelangen die Schecks / Kreditkarten an örtliche Verteiler, die sie letztendlich an die ,Scheckeinlöser‘ abgeben. Die Einlöser werden angewiesen, Scheinfirmen anzumelden, Firmenkonten zu eröffnen und die Schecks auf diese Konten einzureichen. Der Gewinn wird in der Regel 60 zu 40% aufgeteilt. Die erlangten Schecks / Kreditkarten werden aber auch durch Kuriere in die Türkei gebracht, wo dann ebenfalls Einlösungen bzw. betr. Umsätze erfolgen. Zum Teil wurden Schecks auch in Belgien / Luxemburg durch dort ansässige ,Einlöser‘ umgesetzt.“ Sachverhalt ZOK: „Die Tätergruppe besteht aus vorwiegend türkischen und italienischen Staatsangehörigen. Es besteht der Verdacht, dass gezielt, wahrscheinlich an einer zentralen Postverteilungsstelle der Deutschen Post AG, Briefsendungen entwendet werden, die Verrechnungsschecks enthalten. Insoweit sollen Täter türkischer Nationalität tätig sein. Die Schecks werden sodann, vermutlich auch zentral gelenkt, mit Indossamenten verfälscht und auf Bankkonten bestehender Firmen oder extra zu diesem Zweck gegründeter Scheinfirmen eingelöst und die Kontobeträge sodann bar abgehoben. Dies geschieht bundesweit, vorwiegend aber im Raum X, Y, Z und Umgebung. Die Firmengründungen erfolgen meist durch italienische Staatsangehörige, die zu diesem Zweck kurzfristig – ein halbes bis ein Jahr – nach Deutschland einreisen und nach Durchführung der Straftaten wieder verschwinden. Insoweit besteht der Verdacht, dass dies von einem Hauptbeschuldigten, der in X ansässig war, aber zur Zeit flüchtig ist, gelenkt wurde. Diesem wurden schon in früheren Ermittlungsverfahren, auch italienischer Strafverfolgungsbehörden, gute Verbindungen zur italienischen Mafia und Camorra nachgewiesen, wobei jedoch die Verfahren mangels ausreichender verwertbarer Beweismittel bisher immer nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werden mussten.“ Ausgang: Einer der Hauptbeschuldigten wurde u.a wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren 3 Monaten verurteilt. B 7. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Ein türkischer Geschäftsmann, er ist Besitzer einer Firma . . . betreibt seit mindestens 1994 zusam-
Abschn. 2, Kap. 15: Rahmenbedingungen der Aktenanalyse
423
men mit einem türkischen Gastwirt illegalen Waffenhandel, indem sie Pistolen . . . in Einzelverkäufen bzw. in Kleinmengen von zwei bis drei Waffen absetzen. Hierbei nutzen sie die logistischen Möglichkeiten der o.a. Firma in der Art, dass sie die Waffen mit Firmenfahrzeugen an Besitzer von Kebabstuben . . . lieferten. Aufgrund der in der Firma vorhandenen Präzisionswerkzeuge und Maschinen ist ihr Besitzer auch in der Lage, Waffenteile herzustellen bzw. zu verändern. Pro Waffe dürften die Täter einen Gewinn von 300 – 500 DM erzielt haben. Im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass deren Hintermann, ebenfalls ein Türke, im Bereich X ansässig ist und dort eine Kfz-Werkstatt betreibt. Dessen Lieferanten wiederum sollen Russen bzw. Polen sein. Entsprechende Ermittlungen werden derzeit von der OK-Dienststelle in X geführt. Um diese nicht zu gefährden, wurden die von hier aus erforderlichen offenen Maßnahmen (Festnahme, Durchsuchungen) bis auf weiteres ausgesetzt.“ Sachverhalt ZOK: „Die Ermittlungsverfahren richten sich gegen zwei türkische Staatsangehörige, die unter anderem des gewerbsmäßigen unerlaubten Handels mit Schusswaffen verdächtig sind, sowie gegen drei deutsche Staatsangehörige, die sich unter anderem an diesen Geschäften beteiligen oder beteiligt haben sollen und weiterhin des Menschenhandels bzw. der Zuhälterei, zahlreicher Zollvergehen und der Hehlerei verdächtig sind. Bei zweien dieser Personen handelt es sich um Polizeibeamte, von denen eine Person zur Zeit beurlaubt ist.“ Ausgang: Lediglich einer der Hauptbeschuldigten wurde wegen zweier Waffendelikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. B 10. LKA-Raster 1995: kurze Sachverhaltsschilderung: „Die o.g. Personen stehen im Verdacht als Mitglied / Unterstützer einer kriminellen Vereinigung mit mafiösen Strukturen im Raum X unter dem Deckmantel von Im- und Exportgeschäften wie auch Textilhandel, illegal erworbene Gelder gewinnbringend in den legalen Kreislauf zu schleusen. Es ist zu vermuten, dass hierzu auch strafbare Handlungen im Bereich der Geldfälschung / Inverkehrbringen, organisiert betrieben wird.“ Sachverhalt ZOK: „Den bislang 5 Beschuldigten italienischer Staatsangehörigkeit liegt die Bildung einer kriminellen Vereinigung mit mafiösen Strukturen zur Last. Unter dem Deckmantel von Im- und Exportgeschäften, wie auch dem Textilhandel, sollen inkriminierte Gelder in den legalen Wirtschaftskreislauf eingeschleust werden . . .“ Ausgang: Gegen sämtliche Beschuldigten wurde das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
424
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
C. Exkurs: Analyse der in den Sachverhalten verwendeten Mehrtäterbezeichnungen Untersucht man die Raster von LKA und ZOK nach den in den geschilderten Sachverhalten verwendeten Gruppierungsbezeichnungen, sind bei einer reinen Häufigkeitsauszählung am stärksten Ausdrücke wie „Gruppe, Gruppierung, Kreis“ vertreten. Im Vergleich zwischen den Angaben von LKA und ZOK fällt auf, dass die ZOK bzw. die Staatsanwaltschaften mit der Vergabe von Gruppierungsbezeichnungen wesentlich zurückhaltender als die Polizei verfahren9. In immerhin zehn der 26 B-Komplexe wurde die Mehrtäterstruktur in den Sachverhaltsdarstellungen nicht sprachlich kenntlich gemacht, weder bei ZOK noch bei LKA10. Bei sieben davon tauchen in den Sachverhalten stattdessen in irgendeiner gearteten Form Firmen auf11. Tabelle 16 Sprachliche Analyse der von LKA und ZOK in den Rastern verwendeten Gruppierungsbezeichnungen
Gruppe, Gruppierung, Kreis Organisation, organisiert Bande u.ä. Mafia, Camorra kriminelle Vereinigung Keine
A-Komplexe LKA ZOK 18 14 12 6 7 3 2 2 3 1 2 6
B-Komplexe LKA ZOK 10 6 2 1 3 1 5 4 1 1 12 12
Kapitel 16
Die Ermittlungsverfahren A. Eckdaten der Ermittlungsverfahren Bevor die konkrete Entstehung der Ermittlungsverfahren betrachtet wird (16.2), dienen einige wenige Eckdaten dazu, einen Überblick über die organisatorische Struktur von OK-Ermittlungskomplexen zu vermitteln. Die Sonderstellung der OK-Verfahren wird daran deutlich, dass in 29 der 52 OK-Fälle (darunter allein 17 A-Komplexe) von Beginn an eine Zentral- oder spezialisierte Dienststelle (BKA, Allerdings besaßen fünf B-Komplexe keine ZOK-Raster (B 1a, 2, 3, 11 und 24). B 4, 7, 9, 14, 15, 18, 22, 23, 25 und 26. 11 B 4, 7, 9, 22, 23, 25 und 26. 9
10
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
425
LKA, GER, B / OK-Dezernat) tätig war1. In 16 Fällen blieb von Anfang bis zum Ende der Ermittlungen eine allgemeine Dienststelle zuständig, die dabei Fälle in unterschiedlichen Deliktsbereichen zu lösen hatte. Hinweise darauf, dass die allgemeinen Dienststellen im Bereich der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen grundlegend anders gearbeitet haben, gab es nicht2. In insgesamt sieben Fällen erfolgte im Verlauf der Ermittlungen eine Übernahme durch eine Spezialdienststelle. GER/BKA/LKA/B/OK von Beginn B-Komplexe
Übernahme durch Spezialdienststellen
A-Komplexe
Allgemeine Dezernate 0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
Schaubild 85: Ermittelnde Dienststellen
Von der förmlichen Einleitung des Ermittlungsverfahrens bis zum polizeilichen Abschlussbericht vergingen in den A-Komplexen durchschnittlich 15,2 Monate (median: 13,2 Monate), bei den B-Komplexen 13,7 Monate (median: 10,1 Monate). Die längste Ermittlungsdauer wies der Komplex A 19, ein Verfahren gegen italienische Staatsbürger, mit 57 Monaten auf. Die Werte bewegen sich damit im Rahmen derjenigen, die in den LKA-Rastern Baden-Württembergs für die Jahre 1994 bis 1997 ausgewiesen sind3. 12 10 8 6 4 2 0
A-Komplexe (n=24) B-Komplexe (n=25)
bis 6
6 bis 12
12 bis 18
18 bis 24
mehr als 24
Schaubild 86: Zeit zwischen der förmlichen Einleitung des Ermittlungsverfahrens und dem polizeilichen Abschlussbericht in Monaten
Neben der Dauer vermittelt auch der Umfang der polizeilichen Abschlussberichte in Seiten4 einen Eindruck von der Intensität der Ermittlungen. Durchschnittlich umfasste der Abschlussbericht bei den A-Komplexen 48,3 Seiten (median: 37), bei 1 Zur Organisation der OK-Polizeien bundesweit Pütter 1998, 159 ff.; für Baden-Württemberg zuletzt Pol. Lagebild Ba-Wü 2000, S. 18 ff.; vgl. auch die Ergebnisse in Kapitel 14, B., II., 4. 2 So wurde beispielsweise in den von allgemeinen Dezernaten bearbeiteten Komplexen A 11, 17 sowie 23 eine Vielzahl verdeckter Ermittlungsmethoden eingesetzt. 3 Vgl. Kapitel 14, B., I. mit leicht abweichenden Angaben der LKA-Raster. 4 Bei Abschlussberichten in mehreren Ermittlungsverfahren eines Komplexes wurde die höchste Seitenzahl ermittelt.
426
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
den B-Komplexen 32,9 (median: 17). Maximal waren 163 (A) bzw. 142 Seiten (B) zu verzeichnen. 10 8 6
A-Komplexe (n=23)
4
B-Komplexe (n=23)
2 0 0 bis 10
11 bis 20
21 bis 30
31 bis 40
41 bis 50
51 bis 100
über 100
Schaubild 87: Umfang der polizeilichen Abschlussberichte in Seiten
Ein Blick auf die Polizeikosten zeigt, dass die OK-Verfahren, wie zu erwarten, kostenintensiv sind. Einzelne Ermittlungskomplexe erreichen Kosten von mehreren 100.000 DM. Zu Buche schlagen vor allem die Ausgaben für die TÜ sowie für Dolmetscher. Tabelle 17 Polizeikosten in den OK-Ermittlungskomplexen
A-Komplexe mean B-Komplexe mean A-Komplexe Median B-Komplexe Median A-Komplexe Minimum B-Komplexe Minimum A-Komplexe Maximum B-Komplexe Maximum n (A / B)
Polizeikosten 82.128 DM 24.095 DM 57.593 DM 9.626 DM 1.717 DM 523 DM 341.420 DM 178.352 DM (22 / 20)
davon TÜ davon Dolmet. davon sonstige 26.151 DM 59.128 DM 9.504 DM 18.012 DM 12.778 DM 938 DM 17.476 DM 28.343 DM 4.279 DM 6.249 DM 5.881 DM 938 DM 3.611 DM 500 DM 537 DM 130 DM 401 DM 56 DM 101.500 DM 332.790 DM 73.701 DM 126.536 DM 51.816 DM 20.000 DM (16 / 11) (18 / 18) (14 / 10)
Ein Überblick über die Ausgangsstraftaten, die zur Einleitung des jeweiligen OK-Ermittlungskomplexes führten (Mehrfachnennungen möglich), zeigt, dass besonders bei den A-Fällen der Schwerpunkt schon zu Verfahrensbeginn häufig auf den Betäubungsmittelstraftaten lag (Schaubild 88). Von 42 bei den A-Komplexen erfassten Ausgangsstraftaten waren immerhin 23 Rauschgiftdelikte, bei den B-Komplexen waren es von 41 nur neun. Im Übrigen ist kaum ein deliktischer Schwerpunkt auszumachen. Die OK-Definition enthält das Merkmal der kriminellen Zusammenarbeit „auf längere oder unbestimmte Dauer“. Dazu ergab die Auswertung das bemerkenswerte Ergebnis, dass selbst bei Zugrundelegung der polizeilichen Erkenntnisse in immerhin 27 von 43 OK-Komplexen, bei denen Angaben vorlagen, der festgestellte Tatzeitraum weniger als ein Jahr betrug.
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
427
25 20 15
A-Komplexe (n=25)
10
B-Komplexe (n=26)
5 0 es tig ns ng so hu sc äl df el G . el bd au R l. de al xu . Se tc ie re le eh . H el
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Schaubild 88: Ausgangsstraftaten für die Ermittlungen
Bei den B-Komplexen dauerte das polizeilich ermittelte kriminelle Geschehen sogar in 16 von 22 Fällen nicht länger als ein Jahr, bei den Tötungsdelikten B 1b, 21 sowie 23 umfasste es im Kern sogar nur einen Tag. 15 10
A-Komplexe (n=21)
5
B-Komplexe (n=22)
0 bis 1
1 bis 6
6 bis 12
12 bis 18
18 bis 24
mehr als 24
Schaubild 89: Tatzeitraum insgesamt in Monaten
B. Die Entstehung der Ermittlungsverfahren Die Analyse der Lagebilder organisierte Kriminalität der Bundesrepublik wie auch von Baden-Württemberg hat gezeigt, dass rund zwei Drittel der Ermittlungsverfahren im Bereich organisierter Kriminalität auf ein aktives Handeln der Polizei zurückzuführen sind, in den Rastern beschrieben als Verfahrenseinleitung durch „aktive Informationsbeschaffung“ oder „polizeiliche Erkenntnisse“. Die Auswertung der für Baden-Württemberg vorliegenden Raster hat außerdem ergeben, dass die so generierten Verfahren stark mit dem Gebrauch verdeckter Ermittlungsmaßnahmen wie dem Einsatz von TÜ, VE sowie VP einhergehen. Damit ist eine neuartige Form einer auf aktiv planender Kriminalitätsfindung basierenden Kriminalitätsbekämpfung charakterisiert, die in der kriminologischen Literatur bisher wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Hier steht als Beispiel für eine proaktive Ermittlungstätigkeit der Polizei noch die Streifenfahrt des Polizeibeamten im Vordergrund5. 5 Vgl. etwa Kürzinger 1996 Rdnr. 163 ff.; Albrecht, P.-A. 1999, 162; Kaiser 1996, § 37 Rdnr. 3. Eisenberg 2000, § 27 Rdnr. 34 ff. diskutiert unter diesem Stichwort vor allem die im operativen Bereich angewandten Ermittlungsmethoden.
428
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Hinweise, wie eine solche neuartige proaktive Vorgehensweise konkret aussehen kann, sind dem polizeiwissenschaftlichen Schrifttum zu entnehmen. Danach geht der förmlichen Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Sinne des § 152 StPO im Rahmen der Bekämpfung organisierter Kriminalität häufig eine umfangreiche Phase der Verdachtsgewinnung voraus, etwa unterteilt nach „Infogewinnung“, „Infoverdichtung“ und „Verifizierung“, „Strukturermittlungen“ sowie „Analyse“ und „Bewertung“6. Gleichzeitig verändert sich die Ermittlungsrichtung von einer ehedem tatorientierten zu eine täterorientierten Vorgehensweise. Der proaktive und täterorientierte Ansatz lässt sich anhand der „Arbeitsgruppe Italienische Gruppierungen“ beschreiben, die in den Jahren 1993 / 94 beim Bundeskriminalamt eingerichtet war. Diese Arbeitsgruppe ermittelte nach Erstellung eines Rahmenkonzepts einen Bestand von rund 39.000 personenbezogenen Datensätzen, „die die Vermutung eines Zusammenhanges mit einer Organisation mafioser Struktur zuließen.“ Ein Abgleich dieses Datenbestandes mit dem der „Direzione Investigativa Antimafia“ erbrachte 528 Personen, „bei denen eine Zugehörigkeit zu einer mafiosen Organisation als gesichert angesehen werden konnte“. Durch weitere „informationsverdichtende Maßnahmen“ wurde der Bestand auf 106 Personen reduziert, 61 davon aus Baden-Württemberg, von denen 14 dort aktuell aufhältig waren. Im weiteren Verlauf wurden insgesamt zehn Strukturermittlungsverfahren initiiert, davon drei in Baden-Württemberg7. Ein weiteres Projekt zur systematischen Gewinnung und Verdichtung von Informationen hinsichtlich bestehender italienischer OK-Strukturen, das auf unbestimmte Zeit fortgeführt werden soll, wurde vom LKA Baden-Württemberg im Jahre 1999 initiiert8. Ein ähnliches Projekt hat die OK-relevanten Aktivitäten großer Rockergruppen zum Gegenstand9. Vor diesem Hintergrund bietet das Fallmaterial die Gelegenheit, die Entstehung der Ermittlungsverfahren im Bereich organisierter Kriminalität bzw. die Strategie der proaktiven Ermittlungstätigkeit einer detaillierten Betrachtung zu unterziehen. Dabei sind vor allem drei Fragen von Interesse: 1. Gibt es einen Zusammenhang zwischen proaktiven Ermittlungen und bestimmten Kriminalitätsbereichen? 2. Wie gestalten sich diese proaktiven Ermittlungen konkret? 3. Was lässt sich über das Verhältnis von Polizei und Staatsanwaltschaft in dieser ersten Phase eines (späteren) Ermittlungsverfahrens sagen?
6 So die Einteilung bei Forstenhäusler 2002. Pütter (1998, 62) unterscheidet ähnlich die OK-Ermittlungsphasen Verdachtsschöpfung, Initiativermittlungen, Ermittlungsverfahren bzw. Informationssammlung, verdeckte Ermittlungen und offene Ermittlungen. 7 Pol. Lagebild Ba-Wü 1994, S. 74 ff. 8 Pol. Lagebild Ba-Wü 1999, S. 48. 9 Pol. Lagebild Ba-Wü 2000, S. 64 ff.
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
429
14 12 10 A-Komplexe
8
B-Komplexe
6 4 2 0 Po
.
. H er
e
k. Er l.
g ei
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nz A
I t. ak
Schaubild 90: Einleitung des Ermittlungsverfahrens
Obiges Schaubild ruft in Erinnerung, dass die A-Komplexe stärker auf eine polizeiliche Initiative zurückzuführen sind, d. h. ganz überwiegend auf eine „aktive Informationsbeschaffung“ oder auf „polizeiliche Erkenntnisse“ zurückgehen. Lediglich in drei Fällen stand (allein)10 eine Anzeigenerstattung am Beginn der Ermittlungen, bei den B-Komplexen dagegen immerhin in zehn. Eine Differenzierung der Verfahrenseinleitung zwischen Komplexen mit dem Schwerpunkt Betäubungsmittelstraftaten (n = 20) und anderen (n = 32) zeigt, dass offensichtlich bei der aktiven Verfahrenseinleitung eine strategische Konzentration der Ermittlungsbehörden auf Komplexe mit dem Schwerpunkt Betäubungsmittelstraftaten erfolgt. Während auf die 20 Btm-Komplexe insgesamt 23 Nennungen einer aktiven Verfahrenseinleitung entfielen, waren es bei den anderen 32 Komplexen nur 21. Akt. Infob.
8 13
14 12
1
anonymer H.
9
Anzeige Pol. Erk.
2 1
Schaubild 91 (links): Verfahrenseinleitung der sonstigen Komplexe Schaubild 92 (rechts): Verfahrenseinleitung der Btm-Komplexe I. Einleitung durch aktive Informationsbeschaffung
Anders formuliert, hatten allein 11 der 14 A-Komplexe, denen laut OK-Raster (auch) eine aktive Informationsbeschaffung voranging, Betäubungsmittelstraftaten zum Schwerpunkt des (vermuteten) kriminellen Geschehens11. 10
A 12, 18 und 22; in geringem Maße existierten Mehrfachnennungen.
430
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Die Entstehung dieser elf Ermittlungskomplexe, die im Folgenden beschrieben werden, verlief ähnlich. Der Eintragung als (unter der Leitung der Staatsanwaltschaft) stehendes Ermittlungsverfahren war fast immer eine längere, teilweise mehrmonatige Phase vorgeschaltet, in der zumeist mit Hilfe verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, d. h. von Informanten und V-Personen, Informationen gesammelt wurden. Mit dem Antrag auf Schaltung einer in Baden-Württemberg bisher im Polizeirecht nicht vorgesehenen Telefonüberwachung wurde das Verfahren dann in der Regel als Js-Verfahren im Register der Staatsanwaltschaft eingetragen. Zugleich wurde dadurch die erste Mitwirkungshandlung der Staatsanwaltschaft dokumentiert. Diese länger dauernde polizeiliche Vorphase der Ermittlungen ist besonders gut anhand des Komplexes A 7 nachvollziehbar. Bei Einleitung dieses Verfahrens im Oktober 1995 durch die Staatsanwaltschaft war bereits ein 12seitiger Bericht des Landeskriminalamtes über vorangegangene Ermittlungsaktivitäten vorhanden. Darin wurde beschrieben, „im Rahmen einer . . . aktiven Informationsbeschaffung und Auswertung in Baden-Württemberg und benachbarten Ländern gegen serbische Staatsangehörige aus dem Bereich Kosovo mit albanischer Abstammung“ sei festgestellt worden, „dass dieser Personenkreis vorrangig im Bereich des Heroin- und Kokainhandels / -schmuggels in Westeuropa, sowie im Bereich der illegalen Einschleusung von Landsleuten in die Bundesrepublik Deutschland, eine maßgebliche Rolle spielt.“ Dabei habe sich abgezeichnet, „dass diese Gruppierungen und Clans straff organisiert sind und sich zu einem starren Personenkreis mit engen verwandtschaftlichen Beziehungen zusammengeschlossen haben, welche europaweit agieren und größtenteils aus demselben Geburtsort im Kosovo stammen.“ „Bei Besprechungen und Auswertungen der durch das Polizeipräsidium X . . . geschaffenen Ermittlungs- und VP-Akten“ sei bekannt geworden, „dass ein . . . Busfahrer . . . regelmäßig wöchentlich Linienbusfahrten mit einem Reisebus von Baden-Württemberg in den Kosovo und zurück durchführt . . . Nach VP-Angaben soll der Busfahrer . . . in regelmäßigen Abständen bei seinen Reisen in den Kosovo Herointransporte in der Größenordnung von 8 – 20 kg Heroin . . . durchführen.“ Daraufhin wurde der Busfahrer bei Abklärungen auf der Ausländerbehörde und dem Einwohnermeldeamt identifiziert, seine Arbeitsstelle ermittelt sowie „durch weitere kriminaltaktische Maßnahmen“ die Nummern zweier verwendeter Mobiltelefone. Nach der Durchführung von Observationen erfolgte die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, kurz darauf Telefonüberwachungen. Eine Rechtsgrundlage, auf der die Informationssammlung der Polizei fußte, ließ sich dem Bericht des LKA nicht entnehmen. Diese Vorphase polizeilicher Ermittlungen findet sich auch im Verfahren A 1, das die Staatsanwaltschaft Ende September 1994 einleitete. Hier lagen laut Ankla11 Eine aktive Informationsbeschaffung leitete die Komplexe A 1 (auch anonymer Hinweis), 2 (auch polizeiliche Erkenntnisse), 3 (auch polizeiliche Erkenntnisse), 5 (auch polizeiliche Erkenntnisse), 7, 9 / 23, 10, 13, 15 (auch polizeiliche Erkenntnisse), 16, 17, 21, 24 und 25 sowie B 3 (auch polizeiliche Erkenntnisse), 5, 12, 13, 15 (auch anonymer Hinweis), 18, 22 und 25 (auch polizeiliche Erkenntnisse) ein.
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
431
geschrift dem Rauschgiftdezernat der LPD „schon vor Jahresmitte 1994 konkrete Hinweise dafür vor“, dass in X „schwerpunktmäßig türkische Heroinhändler kurdischer Volkszugehörigkeit agierten.“ Einer ersten vertraulichen Mitteilung in Form eines „Aktenvermerks“ Ende Mai 1994 ließ sich entnehmen, kurdische Rauschgifthändler verkauften seit einiger Zeit in X Heroin, wobei namentlich zwei Personen sowie eine Gaststätte als Anlaufadresse genannt wurden. Knapp zwei Monate später, im Juli 1994, wurde ein weiterer Hinweis einer Person, welcher Vertraulichkeit zugesichert worden war, auf zwei mit Heroin handelnde Personen und die genannte Gaststätte aufgenommen. Mitte August 1994 erstellte die Polizei einen neuen Aktenvermerk („wurde . . . dienstlich bekannt“) unter namentlicher Nennung des Wirtes des Lokales und mit der Vermutung, dort werde mit Rauschgift gehandelt. Anfang September erklärte ausweislich eines weiteren Vermerks „eine VP“, sie habe gehört, dass der Y über 3 kg Heroin verfügt haben solle. Eine am 20. 09. 1994 festgenommene Person sagte in der Folge aus, sie habe Rauschgift aus der besagten Gaststätte bezogen. Des Weiteren meldete sich auch bei einem auswärtigen LKA eine Person mit einem Hinweis auf die Gaststätte. Bei deren Observation am 26. 09. 1994 erfolgte die Festnahme von drei Käufern und der Fund von 50 g Heroin. Drei Tage später beantragte die zuständige LPD bei der StA die Überwachung von zwei Telefonanschlüssen der Gaststätte, worauf diese die mehrmonatige Vorphase mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens abschloss. Das typische Muster des staatsanwaltschaftlichen Verfahrensbeginns mit einem Antrag auf Schaltung einer Telefonüberwachung nach vorangegangener Informationssammlung ist auch im Komplex A 5 zu sehen. Hier enthielt der Vermerk der PD über die Entstehung des Verfahrens wenige Tage vor dem TÜ-Beschluss allerdings nur den Hinweis, „im Zuge verdeckt geführter Ermittlungen“ sei bekannt geworden, „dass im Raum X durch zunächst unbekannte Anbieter eine größere Menge Kokain verkauft werden soll.“ Eine nähere Auskunft über Dauer, Art, Umfang und Rechtsgrundlage dieser verdeckt geführten Ermittlungen ließ sich der Akte dagegen nicht entnehmen. Immerhin sieben Monate währende Ermittlungen eines LKA und der türkischen Polizei gingen der Einleitung von Komplex A 3 voraus, der im Juli 1993 mit dem Antrag auf Schaltung einer TÜ begann. Dem Hauptbeschuldigten wurde vorgeworfen, nach Deutschland importiertes Heroin abzunehmen und auf Kommissionsbasis zu verkaufen, ein Umstand, der sich bei der Telefonüberwachung in einem Verfahren gegen die teilweise in der Türkei ansässigen Exporteure herausgestellt hatte. Ebenfalls mit dem Antrag auf Durchführung einer TÜ nach einer längeren Phase verdeckter Ermittlungen begann im November 1996 der Fall A 13. Hier enthielt bereits im Mai 1996 ein erster „Aktenvermerk“ einen Hinweis, eine VP 1, „der in dieser Sache im Eilverfahren Vertraulichkeit zugesichert wurde“, habe berichtet, Kontakt zu einer Person X „mit intensiven Kontakten zu albanischen Heroinhändlern“, darunter Y, erhalten zu haben. Ende Mai gelang es VP 1, besagten X zu identifizieren. Mitte Juni 1996 wurde laut einem weiteren „Aktenvermerk“ einer
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
VP 2 durch Y die Lieferung von Heroin in Aussicht gestellt sowie die Telefonnummer einer Gaststätte genannt, unter der Y erreichbar sei. Wenige Tage später übergab Y der VP 2 eine 5g-Probe. „Nachdem der Kontakt aus ermittlungstaktischen Gründen mit Y zunächst abgebrochen“ worden war, meldete sich Y Ende September erneut bei VP 2. Diese traf sich im Oktober nochmals mit Y, der wiederum die Lieferung von Heroin und Kokain offerierte, was VP 2 aber „absprachegemäß ablehnte“. Daraufhin verabredete sich VP 1 mit Y, erhielt von diesem seine HandyNummer und erwarb 15 g Heroin für 1500 DM. Mitte November 1996 fertigte die ermittelnde Polizeibehörde „eine zusammenhängende, chronologische Darstellung bezüglich der verdeckten Ermittlungen“ an. In der Folgezeit fanden zwischen VP 1 und Y Verhandlungen über die Abnahme von 1 kg Heroin zum Preis von 60.000 DM statt. Förmlich eingeleitet wurde das Ermittlungsverfahren aber erst am 21. 11. 1996 mit dem Antrag auf Schaltung mehrere TÜ durch die Polizei. Nach Aktenlage kürzer fiel die Vorphase des Ermittlungsverfahrens im Komplex A 17 aus, das Anfang November 1994 eingeleitet wurde. Doch hatten auch hier nach der Anklageschrift zwei Hauptbeschuldigte bereits Mitte Oktober 1994 „nach vorheriger Geschäftsanbahnung“ einer VP „als Probe 5 Gramm Kokain für DM 500 verkauft und übergeben“. Einige Tage später hätten die beiden Hauptbeschuldigten und zwei weitere Personen einem über die VP „an die Gruppierung herangeführten Verdeckten Ermittler“ 1 kg Kokain für 80.000 DM angeboten. Da die vier aber nicht in der Lage gewesen seien, das Kokain zu beschaffen, hätten diese vereinbart, zu versuchen, auch ohne die Lieferung des Kokains an die 80.000 DM heranzukommen. Jedoch erfuhr die Polizei davon, so dass die vier zunächst festgenommen, später wieder freigelassen wurden. Nachdem sich bei der Vernehmung einer der vier offenbart hatte, wurde das Ermittlungsverfahren mit einem Antrag auf Schaltung einer TÜ eingeleitet. Die Tätigkeit einer VP stand auch am Anfang des Komplexes A 15. Diese kam Mitte Juli 1994 in Kontakt mit einem Beschuldigten, der ihr anbot, Kokaintransporte von Italien nach Deutschland in einer Größenordnung von 3 – 5 kg durchzuführen. Anfang August 1994 begann das Ermittlungsverfahren, 14 Tage danach regte die Polizeidienststelle eine TÜ beim Beschuldigten an. Eine Vorphase von zwei Monaten Länge findet sich im Komplex A 21. Hier teilte eine VP 1 zunächst Anfang April 1995 mit, ein X nehme unter einer bestimmten Telefonnummer Bestellungen für Rauschgift entgegen. In einem weiteren Aktenvermerk wurde Anfang Juni festgehalten, „eine zuverlässige VP“ 2 habe mitgeteilt, X und Y, beide vorbestraft, seien „wieder ,gut’ im Btm-Geschäft“. Nachdem somit „durch zwei getrennt geführte Vertrauenspersonen“ bekannt geworden sei, dass die Beschuldigten mit Betäubungsmittel Handel trieben, wurde das Verfahren Anfang Juni 1995 eingeleitet und kurz darauf die Durchführung einer TÜ angeordnet. Das Verfahren A 9 / 23 wurde Ende November 1995 aus einem anderen Bundesland nach Baden-Württemberg übernommen. Bereits im Mai 1995 hatte die dortige
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Polizeibehörde den Einsatz eines VE wie die Durchführung eines kleinen Lauschangriffs beantragt. Den Grund bildeten auch hier „VP-Angaben“, X sei „Auftraggeber und Initiator für die illegale Einfuhr von Heroin in nicht geringen Mengen“ sowie „Kopf eines . . . Rauschgifthändlerringes“. Parallel dazu und unabhängig davon ermittelte die Polizei in Baden-Württemberg schon seit Sommer 1993 fortwährend gegen Heroinhändler aus dem Kosovo und aus Albanien. In diesem Zusammenhang wurde im April 1994 bekannt, ein in Y lebender Kosovo-Albaner sei für den Heroinhandel in Y und Z verantwortlich. „Diese Person konnte allerdings erst im Januar 1995 identifiziert werden.“ Während die Polizei in Z von Mai 1995 bis August 1995 6 TÜ durchführte, ermittelte die Polizei in Y weiter auf konventioneller Basis. Im Verlauf des Jahres 1995 erfolgten dann Festnahmen sowie Aussagen von Zeugen. Ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen Kosovo-Albaner, denen Handel mit Heroin vorgeworfen wurde (A 24), übernahm eine GER Ende März 1995 von einer KP, nachdem ein vorangegangenes Ermittlungsverfahren im Dezember 1994 vorläufig eingestellt worden war. Ausweislich des Schlussberichts wurden von April bis September 1995 „diverse Vorermittlungen, Vernehmungen etc.“ durchgeführt, bis das Verfahren am 13. 9. 1995 nach Stellung eines Antrags auf Schaltung einer TÜ von der StA eingetragen wurde. Im Gegensatz zu den eben beschriebenen Fällen war die genaue Verfahrensentstehung jedoch nicht immer zu eruieren. Im Komplex A 10, bei dem allerdings nicht die kompletten Ermittlungsakten eingesehen werden konnten, wurde das Verfahren im Mai 1996 eingeleitet. Hierüber enthielt die Anklageschrift unter dem Stichwort „Ermittlungsverlauf“ einen Vermerk: „Anfang Mai 1996 wurde der GER X bekannt, dass kolumbianische Kokainhändler die Einfuhr von 50 bis 100 kg Kokain nach Deutschland vorbereiteten.“ Wie sich später herausstellte, ermittelten zu diesem Zeitpunkt gegen dieselbe Tätergruppierung aber schon sowohl ein auswärtiges LKA als auch italienische Dienststellen. Eine aktive Informationsbeschaffung stand auch am Beginn von drei (weniger komplexen) B-Fällen mit Schwerpunkt Betäubungsmittelstraftaten. Dem Verfahren B 3, das Ende 1993 begann, gingen bereits seit 1990 Ermittlungen gegen türkische Asylbewerber kurdischer Volkszugehörigkeit voraus, denen Heroinhandel aus einem Asylbewerberheim heraus vorgeworfen wurde. Demgegenüber hatte das Verfahren B 5 ausweislich der Akte nur eine Vorlaufzeit von knapp 14 Tagen. Nachdem hier über eine VP bekannt geworden war, in X verkauften bisher nicht näher identifizierte jugoslawische Staatsangehörige Heroin und Kokain, gelang es kurz darauf, einen VE heranzuspielen und bei einem Scheinkauf drei jugoslawische Staatsangehörige festzunehmen. Eine solche kürzere Vorphase ging auch dem Komplex B 13 voran. Dort wurde Anfang Februar 1997 der in Deutschland wohnhafte X an der spanisch / französischen Grenze mit ca. 23 kg Heroin festgenommen. Etwa zeitgleich machte in diesem Zusammenhang eine Person, der Vertraulichkeit zugesichert wurde, Angaben zu Y, der in engem Zusammenhang zu X stand. Daraufhin regte die Polizei an, gegen Y eine Reihe verdeckter Ermittlungs28 Kinzig
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
maßnahmen durchzuführen. Bis auf den beantragten kleinen Lauschangriff wurden die Maßnahmen mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens Ende Februar genehmigt, letzterer dann Mitte März 1997. Nur acht Komplexe, darunter drei A-Fälle, beruhten auf einer aktiven Informationsbeschaffung, ohne dass sie schwerpunktmäßig Betäubungsmittelstraftaten zum Gegenstand hatten. Im Fall A 2 verlief die Verfahrensentstehung auch insoweit atypisch, als eine Festnahme von zwei Personen anlässlich einer Grenzkontrolle am Anfang der Ermittlungen stand. Nachdem der Festgenommene Angaben zur Herkunft seiner mit sich geführten gefälschten Dokumente gemacht und konkrete Personen benannt hatte, wurde der Fall vom LKA übernommen. Wenige Wochen später wurden TÜMaßnahmen beschlossen. Wiederum verdeckte Ermittlungsmethoden standen am Beginn des Ermittlungsverfahrens A 16 im September 1994. Dort hatte eine VP angegeben, „dass X und seine Söhne in großem Umfang in Schutzgelderpressungen sowie Betäubungsmittel- und Waffenhandel verstrickt sind.“ Zu diesem Zeitpunkt waren schon über mehrere Jahre gesammelte Informationen, auch verdeckter Art, vorhanden, so dass es den Ermittlungsbehörden möglich war, die Reise- und Umzugsbewegungen der Familienmitglieder sowie deren Beschäftigungen seit ihrer Einreise nach Deutschland im Jahr 1991 nahezu lückenlos zu rekonstruieren. Nachdem ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war, wurden in der Folge weitere Erkenntnisse über die Familie X erhoben. Mitte Oktober 1994 wurde das Ermittlungsverfahren auf den Verdacht des § 129 StGB erweitert. Daraufhin beschloss das AG eine erste TÜ „wegen §§ 30a, 30b BtmG, § 129 StGB“. Eine Vorlaufphase von mindestens einem halben Jahr zwischen dem Beginn polizeilicher Ermittlungen und dem Eintrag als staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren ergibt sich auch aus dem Komplex A 25. Hier ermittelte eine Arbeitsgruppe seit Jahresbeginn 1997 gegen „eine mafiöse litauische Schleuserbande“, die gewerbs- und bandenmäßig litauische Frauen sowohl an Gastronomiebetriebe als auch an Bordelle bzw. bordellartige Betriebe vermittelte. Im April 1997 beschloss das AG in einem Ermittlungsverfahren gegen einen anderen Beschuldigten, zwei Anschlüsse der Hauptbeschuldigten überwachen zu lassen, allerdings ohne gegen diese ein eigenes Ermittlungsverfahren zu eröffnen. Erst Mitte Juni 1997 wurde das Ermittlungsverfahren auf die beiden Hauptbeschuldigten erweitert. Schließlich beruhten nach polizeilichen Angaben noch fünf B-Komplexe auf einer „aktiven Informationsbeschaffung“, darunter zwei wegen Falschgelddelikten. Im Fall B 12, dem ebenfalls eine mehrmonatige Phase verdeckter Ermittlungen voranging, lagen bei einer KP bereits Anfang 1997 Hinweise vor, wonach ein Jugoslawe Kontakte zu einem Falschgeldanbieter habe. Daraufhin wurden im März 1997 verdeckte Ermittlungen mit dem Ziel geführt, einen VE an den Anbieter heranzuspielen und diesen zu einem Scheingeschäft zu veranlassen. Einer VP gelang es noch im März 1997, zu dem Jugoslawen Verbindung aufzunehmen. Nachdem
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bei einer ersten Fahrt zum Anbieter zwei Falsifikate sichergestellt werden konnten, wurde das Ermittlungsverfahren Mitte April 1997 förmlich eingeleitet, da jetzt das Falschgeldgeschäft mit dem VE erfolgen sollte. Den Ausgangspunkt eines weiteren Falschgeldverfahrens, B 25, bildete der Umstand, dass „eine in anderer Sache eingesetzte VP“ Kontakt zu zwei Beschuldigten bekam, die der VP 500.000 DM Falschgeld anboten. Kurz darauf beantragte die Polizei bei der StA zusammen mit der Schaltung zweier TÜ die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Der Einsatz eines VE war auch der Ausgangspunkt für das Ermittlungsverfahren B 18, das Mitte Januar 1994 eingeleitet wurde. Vorausgegangen waren Ende 1993 Hinweise, dass „X mit Hilfe seiner Firmen illegale Geschäfte in der Ukraine und der Bundesrepublik Deutschland durchführt, wobei insbesondere von Geldwäsche für die ukrainische Mafia, Betrugsgeschäften im Waren- und Finanzhandel, Waffengeschäften u. a. die Rede war.“ Diese Hinweise wurden durch die Beantwortung eines Rechtshilfeersuchens durch die ukrainischen Behörden im November 1993 untermauert. Im Komplex B 15 wurde bereits seit dem Jahr 1994 gegen eine ca. 30-köpfige Diebes- und Hehlerbande ermittelt. Nachdem Anfang des Jahres 1997 durch rumänische Behörden aktuelle Erkenntnisse geliefert worden waren und sich der Verdacht gegen eine Person konkretisiert hatte, wurde gegen diese im März 1997 ein neues Ermittlungsverfahren wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei eingeleitet und Anträge auf zwei TÜ gestellt. Nur ein einziger Ermittlungskomplex (B 22) ist mit „aktiver Informationsbeschaffung“ zu verzeichnen, bei dem keine besonderen Ermittlungsmaßnahmen eingesetzt wurden. Diesem Verfahren, das im April 1995 eingeleitet wurde, ging allerdings ebenfalls eine längere Phase von knapp einem halben Jahr polizeilicher Tätigkeit voraus. Hier waren die Behörden auf nicht gemeldete ungarische Staatsangehörige aufmerksam geworden. Durch weitere „Vorermittlungen“ konnte dann eine Baustelle ermittelt werden, auf der die Ungarn illegal beschäftigt waren.
II. Einleitung durch polizeiliche Erkenntnisse
Auch der Entstehung eines Ermittlungsverfahrens aufgrund „polizeilicher Erkenntnisse“12 kann eine lange Phase von Vorermittlungen vorangehen. Ein Beispiel dafür bildet der Fall A 19. Offiziell begann das Ermittlungsverfahren Anfang März 1995, indem u. a. beim Beschuldigten mehrere TÜ geschaltet wurden. Ein Bericht des Bundeskriminalamtes wies aber darauf hin, „das Strukturermittlungsverfahren“ resultiere „aus langjährigen Vorermittlungen mehrerer Länderpolizeidienststellen, 12 Diese waren Anlass für die Komplexe A 2 (auch aktive Informationsbeschaffung), 3 (auch aktive Informationsbeschaffung), 4, 5 (auch aktive Informationsbeschaffung), 6, 8, 11, 14, 15 (auch aktive Informationsbeschaffung), 19, 20 (auch Anzeige) und 26 sowie B 1a, 2, 3 (auch aktive Informationsbeschaffung), 4, 7, 8, 10, 14, 19 und 25 (auch aktive Informationsbeschaffung).
28*
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des Bundeskriminalamtes und der DIA“, die ergeben hätten, dass der Hauptbeschuldigte, der italienische Staatsangehörige X, seit über 30 Jahren Mitglied der Camorra und der Mafia sei und sich seit Anfang der 80er Jahre vorwiegend im südbadischen Raum aufhalte. Typisch für die Entstehung von Ermittlungsverfahren aufgrund polizeilicher Erkenntnisse ist, dass Informationen aus anderen Verfahren zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens genutzt werden, ohne dass die Verwertbarkeit der erlangten Informationen thematisiert wird. Ein eindrucksvolles Beispiel liefert das Verfahren A 6, das seitens der StA Anfang Juli 1995 eröffnet wurde. Ursprung dieses Verfahrens war ein anderes Ermittlungsverfahren gegen Kurden im Umfeld einer Gaststätte wegen Handels mit Heroin in größerem Umfang, in dessen Verlauf im Dezember 1994 der Schwager eines der späteren Hauptbeschuldigten festgenommen worden war. Nachdem die sachbearbeitende Dienststelle festgestellt hatte, dass der spätere Hauptbeschuldigte die Funktion des Festgenommenen übernommen hatte, übernahm das LKA nach intensiver Auswertung der im vorangegangenen Verfahren gewonnenen Ergebnisse den Fall in Form von „Strukturermittlungen“ gegen rund 140 Personen. Im Fall A 14, einem weiteren Komplex der Drogenkriminalität, hatte ebenfalls zunächst eine PD in einem anderen Verfahren ermittelt, in dem einem VE 2 kg Heroin angeboten worden waren. Dabei erbrachte die Überwachung der Kontaktaufnahme Mitte Februar 1997, dass der Anbieter vor Übergabe einer Probe telefoniert hatte, woraufhin der betreffende Anschluss abgehört wurde. Das LKA, das die Folgeermittlungen übernahm, regte daraufhin an, gegen einen der Hintermänner ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und dessen Anschlüsse überwachen zu lassen. Mit diesem Antrag zur Durchführung einer TÜ begann im März 1997 das eigentliche OK-Ermittlungsverfahren. Auch Erkenntnisse ausländischer Behörden können zu einer Verfahrensentstehung führen. So gingen dem Fall A 20 eine Information österreichischer Behörden voraus, dort sei ein Verfahren gegen „eine international tätige RG-Händlergruppierung“ anhängig. Da bei durchgeführten TÜ-Maßnahmen Verbindungen dieser Gruppierung nach Deutschland festgestellt worden waren, wurde kurz darauf auch in Deutschland ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und eine TÜ angeordnet. An einem weiteren Komplex auf dem Gebiet der Betäubungsmittelkriminalität zeigt sich, dass eine Differenzierung zwischen der Einleitung durch „aktive Informationsbeschaffung“ und aufgrund „polizeilicher Erkenntnisse“ schwierig sein kann, zumal in beiden Varianten in der Regel eine Phase verdeckter Ermittlungen vorgeschaltet ist. So erging im Fall A 8 im Mai 1995 ein Hinweis einer Person auf die Telefonnummer eines türkischen Dealers, der Rauschgift verkaufe. Nach Feststellung des Anschlussinhabers erfolgte Ende Mai ein weiterer Hinweis der Schwester des Anschlussinhabers, dieser und eine weitere Person hätte gerade Rauschgift aus den Niederlanden importiert. Die Überprüfungen am Wohnort verliefen aber zunächst erfolglos. Im August wurde dann mitgeteilt, beide Personen
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hätten 12 kg Heroin importiert, und dieses befinde sich jetzt in der Wohnung des einen. Mit der Zusicherung der Vertraulichkeit des Hinweisgebers wurde dann im August 1995 das Ermittlungsverfahren eingeleitet. Auch drei weiteren A-Komplexen, die nicht Betäubungsmittelstraftaten als zentralen Gegenstand hatten, gingen „polizeiliche Erkenntnisse“ voraus. Zwei von ihnen beruhten allerdings nicht auf verdeckten Ermittlungsmethoden. So begann der Fall A 4 im Januar 1994 mit einer Kontrolle in einem Barbetrieb. Dort wurden zwei Rumäninnen aufgegriffen, von denen eine angab, sich prostituieren zu müssen. Darauf erfolgte die Durchsuchung dieser und einer zweiten Bar sowie die systematische Auswertung der dort gefundenen Unterlagen etc. Außerdem brachten mehrere intensive Vernehmungen neue Erkenntnisse. Der Komplex A 11 nahm dadurch seinen Ausgang, dass Informationen, die anlässlich dreier Betrügereien an verschiedenen Orten in der Zeit von Mai bis Anfang Juli 1997 erhoben worden waren, zusammengeführt wurden. Sie deuteten daraufhin, dass eine Person an allen drei Vorgängen beteiligt gewesen war. Mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erging ein Antrag auf Einsatz eines VE, der ein Scheingeschäft durchführen sollte. Auch der Entstehung des Komplexes A 26 gingen Ermittlungen verschiedener Behörden voraus. So zeigte im April 1997 eine Frau der Polizei an, drei Chinesen würden von ihr Schutzgeld erpressen. Bei der Durchsuchung der Wohnungen der drei Tatverdächtigen ergaben sich Hinweise, dass einer von ihnen an illegalen Einschleusungen chinesischer Staatsangehöriger beteiligt sei. Ebenfalls im Frühjahr 1997 führte eine andere Dienststelle ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen eine „chinesische Schleuserorganisation“. Im Rahmen dieses Verfahrens wurden auf einem Handy, das auf den Namen des besagten Chinesen angemeldet war, verdächtige Gespräche festgestellt. Daraufhin wurde im Juni 1997 das Ermittlungsverfahren mit Anträgen auf Vornahme einer Videoaufzeichnung sowie von Beschlüssen nach § 12 FAG eingeleitet. Verdeckt ermittelte Informationen aus anderen Ermittlungsverfahren standen auch am Beginn von zwei B-Komplexen mit Betäubungsmittelstraftaten. Fall B 7 resultierte aus seit Januar 1994 andauernden Ermittlungen eines auswärtigen LKA gegen türkische Staatsangehörige wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, die mit erstem Wohnsitz in Baden-Württemberg gemeldet waren. Im Laufe dieser Ermittlungen wurde bekannt, dass diese Kontakt zu einem ebenfalls in Baden-Württemberg wohnhaften türkischen Staatsbürger unterhielten. Nachdem aus „strafprozessualen Maßnahmen“ in Erfahrung gebracht worden war, dieser treibe Waffenhandel, wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und Ende August 1994 an die in Baden-Württemberg zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben. Im Komplex B 8 hatten eine baden-württembergische Dienststelle, aber auch italienische Behörden seit Frühjahr 1994 unter Anwendung von TÜ-Maßnahmen ein Verfahren wegen illegalen Kokainhandels gegen einen Pizzeria-Besitzer geführt. „Gegen die in ihrem Zuständigkeitsbereich bekannt gewordenen Angehörigen dieser Rausch-
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gifthändlerbande“ übernahm eine andere Dienststelle Anfang November 1994 das Verfahren unter Nutzung der bis dahin vorliegenden polizeilichen Erkenntnisse. Erkenntnisse ausländischer Behörden standen auch am Beginn der Verfahren B 1a sowie B 19. Das Ermittlungsverfahren B 1a, das ebenfalls Straftaten nach dem BtmG betraf, begann mit einem Antrag auf Einleitung einer TÜ im April 1994, nachdem zuvor im März 1994 im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens Erkenntnisse italienischer Behörden übermittelt worden waren. Im Komplex B 19 wurden im Januar 1994 an der österreichisch / tschechischen Grenze vier Personen festgenommen und sechs betrügerisch angemietete Pkw sichergestellt. Da die Fahrzeuge an verschiedenen Örtlichkeiten in der Bundesrepublik angemietet worden waren, entwickelte sich zunächst ein Zuständigkeitsproblem, bis am 28. 02. 1994 das Verfahren durch eine baden-württembergische Staatsanwaltschaft als Sammelverfahren übernommen wurde. Im Komplex B 10 begann das Ermittlungsverfahren offiziell Ende September 1995 mit einer Anregung an die StA, gegen fünf Italiener ein Ermittlungsverfahren nach § 129 StGB einzuleiten. Allerdings hatte dieser Antrag einen 16seitigen Bericht zur Grundlage. Nach den somit schon vorliegenden umfangreichen Erkenntnissen gab es „im Rahmen eines im Jahr 1994 / 95 beim LKA BW geführten Ermittlungsverfahrens“ „Kontakte zu einem . . . italienischen Staatsangehörigen“ X, der wiederum bei einem Italiener Y arbeitete, gegen den verschiedene bis Anfang der 80er Jahre zurückliegende kriminalpolizeiliche Erkenntnisse vorlagen. Außerdem wurde eine gegen X in Italien bestehende Fahndungsnotierung bekannt. Nach umfangreichen Abklärungen der Kontaktpersonen des X kamen die Ermittlungsbehörden zu dem Ergebnis, beim derzeitigen Stand der Ermittlungen sei davon auszugehen, „dass es sich bei der im Raum Z agierenden italienischen Gruppe um eine kriminelle Vereinigung mit mafiösen Strukturen handelt, die es sich zum Ziel gesetzt haben dürfte, unter dem Deckmantel von Im- und Exportgeschäften, wie auch im Textilhandel, illegal erworbene Gelder gewinnbringend in den legalen Geldkreislauf zu schleusen.“ Drei weiteren Ermittlungsverfahren waren keine verdeckten Maßnahmen vorangegangen. Im Komplex B 4 hatte zunächst die Staatsanwaltschaft eines anderen Bundeslandes gegen Verantwortliche einer Firma wegen umweltgefährdender Abfallbeseitigung ermittelt. Nachdem diese StA früh erkannt hatte, dass ähnliche Vorwürfe auf eine Vielzahl weiterer Unternehmen im gesamten Bundesgebiet zutreffen könnten, geriet auch eine Firma in Baden-Württemberg in Verdacht. Das Verfahren gegen diese Firma wurde nach einer Besprechung ausgegliedert und an die zuständige StA abgegeben. Auf herkömmlichen Ermittlungsmethoden, und zwar Vernehmungen, beruhten zwei weitere B-Komplexe. Im Fall B 2 wurde der Hauptbeschuldigte im Jahr 1993 beim Diebstahl eines Pkw festgenommen. Er gab bereits in einer ersten Vernehmung zu, für tschechische Staatsbürger Unfallfahrzeuge auf Bestellung zu beschaffen. Aufgrund seiner Angaben konnten neun Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Der Komplex B 14 wegen Menschenhandels u. a. kam dadurch in Gang, dass im Mai 1997 am Flughafen eine Russin festgenommen
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wurde, die mit falschen Papieren ausreisen wollte. Sie erklärte in ihrer Vernehmung, in einem Lokal zur Prostitution gezwungen, vergewaltigt und geschlagen worden zu sein. Daraufhin konnten 2 weitere Russinnen ermittelt werden, die dort zur Prostitution gezwungen worden waren.
III. Einleitung durch Anzeige
Bei 13 Ermittlungskomplexen, darunter 10 B-Fällen, standen Anzeigen am Beginn der Ermittlungen13. Im Komplex A 12 war der Versuch, gestohlene Schecks einzureichen, bei zwei Banken aufgeflogen und Anzeige erstattet worden. Im Fall A 18 belastete ein Zeuge die Hauptbeschuldigte, wöchentlich ein- bis zweimal Schleusungen durchzuführen. Daraufhin folgende Observationsmaßnahmen führten aber nicht zu einer Bestätigung des Verdachts, bis die Tatverdächtige anlässlich einer Schleusung festgenommen werden konnte. Dem Komplex A 22 gingen Bedrohungen eines Griechen, der von Zuhältern für nicht gezahlte Abgaben von drei Prostituierten verantwortlich gemacht wurde, voran. Offiziell wurde das Ermittlungsverfahren im Februar 1995 durch einen Antrag der Polizei an die Staatsanwaltschaft auf Schaltung verschiedener TÜ eingeleitet. Von den zehn B-Komplexen, an deren Beginn ebenfalls Anzeigen standen, hatten zwei Kfz-Verschiebungen, zwei Schutzgelderpressungen, zwei Falschgeld- und drei Tötungsdelikte zum Gegenstand. Im Komplex B 6 wurde im August 1994 wegen Diebstahls eines Pkw Anzeige erstattet. Ein drei Monate später bei der Ausreise aus Deutschland festgenommener Fahrer eines gestohlenen Pkw belastete bei seiner Vernehmung den Anzeigeerstatter und dessen Freundin schwer. Nach weiteren Ermittlungen begann im Dezember 1994 das Ermittlungsverfahren mit einem Antrag auf Schaltung einer TÜ. Auch in einem anderen Verfahren wegen Kfz-Verschiebung (B 16), das ebenfalls durch eine Anzeige ausgelöst wurde, mussten zunächst diverse polizeiliche Erkenntnisse zusammengeführt werden. Das Verfahren war zuerst in Berlin anhängig, da von einer dortigen Bank Anzeige wegen nicht gezahlter Leasingraten eines Autokaufs erstattet worden war. In der Folge konnten weitere nach dem gleichen Muster abgelaufene Straftaten ermittelt werden. Einen ganz ähnlichen Anfang nahmen die Komplexe B 11 sowie B 17, beide Strafverfahren wegen vermuteter Schutzgelderpressungen. In beiden Fällen behaupteten Gaststättenbesitzer, sie würden von chinesischen Staatsangehörigen bedroht und erpresst. Die Benachrichtigung der Polizei, in einer Gaststätte bezahlten mehrere Personen mit Falschgeld, löste das Verfahren B 20 aus. In einem weiteren Falschgeld-
13 Dabei handelte es sich um die Komplexe A 12, 18, 22 sowie B 1b, 6, 11, 16, 17, 20, 21, 23, 24 und 26.
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fall (B 24) kam das Verfahren dadurch ins Rollen, dass von einem Nachmieter bei Räumung der Wohnung einer Vormieterin Falschgeld gefunden wurde. Erwartungsgemäß gehen auch die Komplexe mit Tötungsdelikten (B 1b, 21 und 23) auf Anzeigen zurück. Im Komplex B 26 schließlich erstattete im April 1996 der Rechtsanwalt eines Geschädigten Anzeige wegen Betruges gegen die drei Hauptbeschuldigten. Anfang Juli 1996 erfolgte dann die Übernahme des Verfahrens durch das LKA, vermutlich wegen dessen Internationalität.
IV. Einleitung durch einen anonymen Hinweis
Lediglich der Komplex B 9 resultierte nach den Angaben im Raster aus einem anonymen Hinweis. Dort wurde Ende Oktober 1994 mit dem Antrag auf TÜ ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, nachdem Mitte September 1994 eine über ein anderes LKA geführte VP in Erfahrung gebracht hatte, es sei geplant, aus der Türkei 100 kg Heroin nach Deutschland zu verbringen. Insofern kann auch hier nur in bedingtem Umfang von einem anonymen Hinweis gesprochen werden.
V. Zusammenfassung
Die Ermittlungsverfahren im Bereich organisierter Kriminalität zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Mehrheit aktiv betrieben werden, d. h. im Gegensatz zum traditionellen Tätigwerden der Kriminalpolizei insbesondere nicht auf eine Anzeigenerstattung zurückgehen. Die „aktive Informationsbeschaffung“ realisiert sich vor allem in der Nutzung verdeckter Ermittlungsmethoden, d. h. der Arbeit von Informanten sowie von Vertrauenspersonen. Obwohl in der Praxis von erheblicher Bedeutung, ist vollkommen ungeklärt, auf welche rechtliche Grundlage sich der Einsatz von Informanten bzw. VP bei der Generierung des Ermittlungsverfahrens bzw. der Findung des Tatverdachts stützen kann. In die Ermittlungsakte findet diese Tätigkeit zumeist mit formelhaften Wendungen wie „polizeilicherseits wurde bekannt“ oder „vertrauliche Hinweise ergaben“ Eingang. Insoweit bestätigte sich schon aufgrund der fehlenden Transparenz die Vermutung, bei der Tätigkeit der VP sei die Grenzlinie zwischen „Vorfeld“ und Tatverdacht nur schwer oder überhaupt nicht zu ziehen. Hier scheint die Praxis der Vorstellung zu folgen, eine VP bewege sich im Hinblick auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Szenen, Milieus oder Organisationen, in denen laufend Straftaten begangen werden14. In Baden-Württemberg, wie in anderen Bundesländern, findet dabei eine deutliche Schwerpunktsetzung im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität statt. Auf diesem Gebiet werden Komplexe organisierter Kriminalität fast ausschließlich ak14 Rachor 2001, F 188. Weiler (2001, 63) spricht von einem Eigenleben der Polizeitätigkeit bei der Vorfeldarbeit.
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tiv betrieben, während eine solche Kriminalitätsplanung in anderen Bereichen erheblich seltener zu sein scheint. Dies gilt auch für Deliktsbereiche, die, wie etwa die Schleusungskriminalität, Schutzgelderpressung oder der Menschenhandel, ebenfalls entweder zu den so genannten opferlosen Straftaten gezählt werden können oder regelmäßig mangels Anzeigeerstatter ohne polizeiliche Tätigkeit im Dunkelfeld verbleiben. Die Entscheidung, welche Kriminalitätsbereiche aktiv planend ins Visier genommen werden, scheint allein der Polizei vorbehalten zu sein15. Im polizeilichen Schrifttum wird dies dahingehend formuliert, dass die Staatsanwaltschaften nicht in der Lage seien, „Vorschläge einer gezielten Verdachtsgewinnung in den gemeinsamen Aufgabenbereich – Bekämpfung der Organisierten Kriminalität – einzubringen.“16 Von staatsanwaltschaftlicher Seite wird zwar „eine zu starke Abnabelung der Initiativermittlungen aus dem strafprozessualen Bereich“ für bedenklich gehalten, da diese nämlich weitgehend bestimmten, „wie das Erscheinungsbild der registrierten Kriminalität im OK-Bereich aussieht.“17 Doch belegt den Machtverlust der Staatsanwaltschaft die polizeiliche Einschätzung, bei OK-Ermittlungen setze erst in einer späten Phase das „justizielle Ermittlungsverfahren“ ein18. Dem entsprechen Befunde, die Staatsanwaltschaft sei in einer Vielzahl von Fällen, insbesondere beim Einsatz von VE und VP, faktisch nicht in der Lage, „ihre Leitungsfunktion auszuüben und eine justizförmige Durchführung des Ermittlungsverfahrens zu gewährleisten.“19 Aus strafprozessualer Sicht entsteht ein zunächst der alleinigen Herrschaft der Polizei unterliegendes Vor-Ermittlungsverfahren, das allerdings von Anfang an mit dem Ziel geführt wird, daraus ein späteres den Regelungen der StPO gehorchendes Ermittlungsverfahren zu kreieren. Aufgrund der in den 80er und 90er Jahren fast vollständig hergestellten Doppelung der verdeckten Ermittlungsmethoden im Polizeirecht wie in der Strafprozessordnung ist die Polizei nicht genötigt, nach der Grundlage ihrer Tätigkeit zu fragen20. Auch die strafprozessuale Verwertbarkeit präventivpolizeilich erlangter Informationen wird nicht diskutiert: Sie werden verwertet. So ist ein Ineinanderwachsen ehedem getrennter staatlicher Sicherheitsbereiche zu konstatieren21. Die fehlende Differenzierung wird auch durch unklare 15 Diese läuft ihrerseits Gefahr, von VP oder Informanten fremdbestimmt zu werden, vgl. Kreuzer / Stock 1998, § 13 Rdnr. 607. 16 Forstenhäusler 2002, 34 f. 17 Hellebrand 1999 Rdnr. 205. 18 Forstenhäusler 2002, 37 Phase 5. 19 Stock / Kreuzer 1996, 346. 20 Insoweit ist Pütter (1998, 65) zuzustimmen, dass dem Polizeirecht keine große Bedeutung für die OK-Bekämpfung zugemessen wird. Ebenso Stock / Kreuzer 1996, 380 für den „Alltag der polizeilichen Drogenbekämpfung“. Laut den pol. Lagebildern OK Ba-Wü 1994 / 1995 (1994, 98 ff.; 1995, 128) erfolgten aber fast alle VE-Einsätze auf Grundlage der StPO und ganz überwiegend im Bereich der Rauschgiftkriminalität. 21 Vgl. Paeffgen 1995, 20, der darin ein verfassungsrechtliches wie ein staatspolitisches Problem erster Ordnung sieht.
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Formulierungen in den RiStBV begünstigt, die von der Zulässigkeit von „Initiativermittlungen“ sowohl auf polizeirechtlicher wie strafprozessualer Grundlage ausgeht. In das unter der Leitung der Staatsanwaltschaft stehende Ermittlungsverfahren muss die polizeiliche Informationssammlung erst überführt werden, wenn die Telekommunikationsüberwachung als weitere Informationsquelle genutzt werden soll. Sie war bis vor kurzem bundesweit die einzige verbliebene Ermittlungsmethode, deren Anordnung nur nach der Strafprozessordnung möglich war. Sie wirkte daher kanalisierend22. Damit einher geht die Verschiebung von einer tatorientierten zu einer täterorientierten Ausrichtung der Ermittlungsarbeit. Wenn, wie im Rauschgiftbereich, der Normbruch weitgehend unsichtbar bleibt, liegt es nahe, eine Strategie zu wählen, die sich an den mutmaßlich daran beteiligten kriminellen Akteuren orientiert und in diesem Sinne vom Täter zur Tat fortzuschreiten sucht. Anschauliche Beispiele wurden mit der „Arbeitsgruppe Italienische Gruppierungen“ wie mit dem Projekt zu den OK-relevanten Aktivitäten großer Rockergruppen genannt. Als Anknüpfungspunkt der aktiven täterorientierten Informationsbeschaffung im Betäubungsmittelbereich dient häufig die Nationalität23. Die Anfangsinformationen kommen meist von Informanten, denen Vertraulichkeit zugesichert wird oder auch von Vertrauenspersonen24. Mit der Telefonüberwachung wird zumeist die Phase des Überganges von der Vermutung zur konkreten Tatfindung eingeleitet25, die umso wichtiger ist, als auf die Informationen der Informanten wie der VP in der Regel keine Verurteilung gestützt werden kann. Das Dunkelfeld der Findung des Tatverdachts bietet zugleich eine offene Flanke für Nachfragen der Verteidigung nach der Beteiligung der Informanten wie der VP am kriminellen Geschehen. In geringem Maße bietet auch der Einsatz eines VE Anlass dazu, die Staatsanwaltschaft förmlich an der Führung des Ermittlungsverfahrens zu beteiligen. Im Bereich der aktiven Informationsbeschaffung war nur ein Verfahren zu verzeichnen, in dem keine verdeckten Ermittlungsmethoden eingesetzt wurden.
22 Das pol. Lagebild Ba-Wü 1994, 102 sieht die Telefonüberwachung allerdings als unverzichtbaren Teil „der operativen Ermittlungsphase“. 23 Die Nationalität könnte dann ein Anknüpfungspunkt sein, wenn die These stimmt, dass die Erscheinungsformen organisierter Kriminalität immer bürgerlicher, zivilisierter werden, sich Gangster als Biedermänner tarnen und von ordentlichen Geschäftsleuten kaum noch unterscheidbar sind (vgl. Bäumler 1992, 76), weil dann andere Gesichtspunkte entfallen. Der ethnische bzw. Nationalitätenaspekt findet im OK-Lagebild Ba-Wü 2000, 1 eine starke Betonung, wenn dort unter dem Begriff Organisierte Kriminalität „vielfältige komplexe Ausprägungen krimineller Aktivitäten unterschiedlichster Ethnien und Nationalitäten“ subsumiert werden. 24 Nach v.d.Heijden (1997, 150) haben Ermittler in OK-Fällen oft keine andere Wahl, als Gerüchten aus dem kriminellen Milieu zu vertrauen und ihre Maßnahmen (Einsatz von Informanten, Telefonüberwachung, Observation) darauf aufzubauen. 25 Pütter (1998, 68) sieht darin ein Suchen der Polizei nach Entstehungsgründen und Kontexten von Taten, um sie ihr bekannten Personen nachzuweisen.
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Der Entstehung eines Ermittlungsverfahrens aufgrund „polizeilicher Erkenntnisse“ kann ebenfalls eine lange Phase von Vorermittlungen vorangehen. Typisch für diese Form der Verfahrensgenerierung ist, dass Informationen aus anderen Verfahren zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens genutzt werden, die aus dem In-, aber auch dem Ausland stammen können26. Häufig fallen diese Informationen im Rahmen von Telefonüberwachungsmaßnahmen an, so dass sich quasi schneeballartig aus einem Verfahren weitere gegen Hintermänner, Lieferanten, Abnehmer, etc. entwickeln können27. Dabei macht der Transport der Beweismittel von einem in das andere Verfahren, selbst über Landesgrenzen hinweg, in der Regel keine Probleme. Davon zu unterscheiden sind drei weitere Verfahrenstypen, die „polizeiliche Erkenntnisse“ zum Ausgangspunkt haben können. Einerseits geht es dabei um die Zusammenführung von Informationen zu den selben Tatbeteiligten, die aufgrund verschiedener nationaler wie internationaler Zuständigkeiten bei unterschiedlichen Behörden anfallen, in Kombination aber auf bestimmte kriminelle Verhaltensmuster hinweisen. Zweitens gibt in Ausnahmefällen ein Ermittlungsverfahren, das auf eine besonders kriminogene Konstellation verweist, zur Vermutung Anlass, ein solches strafrechtlich zu ahndende Verhalten könne sich in dieser Art und Weise auch an anderer Stelle abspielen. Schließlich können auch „polizeiliche Erkenntnisse“ am Anfang eines OK-Ermittlungsverfahrens stehen, die durch ganz traditionelle Ermittlungsmethoden wie Durchsuchungen oder Vernehmungen erlangt worden sind. Wie zu erwarten, wurden die Verfahren, denen eine Anzeige vorausgegangen war, überwiegend durch die Opfer eingeleitet. Bemerkenswerterweise waren darunter auch zwei Komplexe mit (vermeintlichen) Schutzgelderpressungen, obwohl bei diesem Delikt in der Regel davon ausgegangen wird, dass einer Anzeige das Drohungs- bzw. Gewaltpotential der agierenden Täter entgegensteht.
C. Ermittlungsmaßnahmen in Fällen organisierter Kriminalität In diesem Abschnitt wird der Gebrauch der Ermittlungsmaßnahmen bei den untersuchten Fällen organisierter Kriminalität aufgezeigt. Dabei wird über eine quantitative Darstellung hinaus (16, C., I.) der Versuch unternommen, den Erfolg der verwendeten Ermittlungsmaßnahmen zu bestimmen (16, C., II.).
In der Regel als Abgleich polizeiinterner Dateien, vgl. Pütter 1998, 64. Auch das pol. Lagebild Ba-Wü 1994, 102 sieht einen Wert der Telefonüberwachung darin, dass so „über Kommunikationspartner Täterverbindungen und -strukturen“ erkannt werden können. 26 27
444
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung I. Die Einsatzhäufigkeit der Ermittlungsmaßnahmen
1. Einsatzhäufigkeit verdeckter Maßnahmen Wie die folgende Graphik zeigt, geht die Bearbeitung von als organisierte Kriminalität eingeordneten Sachverhalten mit einem häufigen Gebrauch der besonderen, verdeckten Ermittlungsmaßnahmen einher. So kamen in jeweils mehr als der Hälfte der 25 A-Fälle die Ermittlungsmethoden TÜ, VP / IP, VE und die Erhebung von Verbindungsdaten nach § 12 FAG / § 100a StPO zur Anwendung. Demgegenüber war bei den 27 B-Komplexen die TÜ die einzige Maßnahme, die in mehr als jedem zweiten Komplex eingesetzt wurde. Die hier ermittelte Anwendungshäufigkeit liegt für die Maßnahmen TÜ, VP / IP sowie VE etwas über dem Ergebnis, das sich aus den LKA-Rastern ergibt28. 25 20 15
A-Komplexe (n=25)
10
B-Komplexe (n=27)
5
PB
VP /IP
VE Sc he in ge sc K hä le ft in er La us ch an gr iff
Ve
rb
in
du n
gs
da te n
TÜ
0
Schaubild 93: Einsatz besonderer Ermittlungsmaßnahmen
Kumuliert man die verdeckten Maßnahmen (Schaubild 94), ergibt sich, dass in immerhin sieben B-Komplexen29 ganz konventionell ermittelt wurde, während andererseits in vier A-Fällen30 mit sechs Maßnahmen fast das ganze Arsenal verdeckter Ermittlungsmethoden, im Fall A 6 sogar alle eingesetzt wurden. Bemerkenswert ist, dass sich der massive Einsatz der (verdeckten) Methoden auf die Betäubungsmittelkriminalität konzentriert31, während sich andererseits unter den sieben konventionell ermittelten Komplexen nur ein Fall (B 3) mit einem derartigen deliktischen Schwerpunkt befindet. 28 Vgl. die Auswertung in Kapitel 14, B., I. Die (geringen) Unterschiede lassen sich zum einen dadurch erklären, dass nicht ausnahmslos alle Raster aller Jahre im Längsschnitt vorhanden waren. Zum anderen existierten Fälle, in denen eine Maßnahme in einem OK-Komplex verwertet wurde, sie aber polizeilicherseits einem anderen Ermittlungskomplex zugerechnet wurde und daher nicht in das Raster einging. 29 B 2, 3, 4, 11, 19, 22 und 24. 30 A 5, 14, 15 und 16. 31 A 5, 6, 14 und 15.
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
445
8 6
A-Komplexe (n=25)
4
B-Komplexe (n=27)
2 0 Keine
Eine
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Schaubild 94: Anzahl der eingesetzten besonderen Ermittlungsmaßnahmen
2. Einsatzhäufigkeit anderer Maßnahmen Unter den konventionellen Ermittlungsmaßnahmen waren vor allem die Durchsuchung, die Sicherstellung für Verfall, Einziehung und Gewinnabschöpfung (§ 111b StPO) sowie die Sicherstellung / Beschlagnahme nach den §§ 94 ff. StPO von Bedeutung. Nicht überraschend wird in den OK-Fällen routinemäßig nach dem Übergang in die offenen Ermittlungen auch durchsucht. Bei den A-Komplexen wurde lediglich im Fall A 7 davon abgesehen32. Wenn in einem OK-Komplex nicht durchsucht wurde, hatte dies zumeist33 damit zu tun, dass die gesamten Ermittlungen bis zur Einstellung des Verfahrens verdeckt geführt wurden und die vermeintlichen Täter nicht durch den Übergang in offene Ermittlungen gewarnt werden sollten. Dabei wurden fast immer mehrere, teilweise eine Vielzahl (von) Objekte(n) durchsucht34. 25 A-Komplexe B-Komplexe
20 15 10 5 0 Durchsuchung
Sicherstellung (§ 111b StPO)
Sicherstellung/Beschlagnahme
Schaubild 95: Einsatz weiterer Ermittlungsmaßnahmen
In immerhin 18 A- sowie 5 B-Komplexen war den analysierten Fällen eine Sicherstellung für Verfall, Einziehung und Gewinnabschöpfung zu entnehmen35. Dieser im Vergleich zum Ergebnis der LKA-Raster (10 bei den A-, 3 bei den 32 Im Komplex A 10 konnte wegen der nur partiellen Erlaubnis zur Akteneinsicht keine sichere Aussage gemacht werden, ob eine Durchsuchung erfolgte. 33 A 7, B 1a, 13 und 25. 34 Vgl. Kapitel 14, B., I. 35 Zu Verfall und Einziehung in den Urteilen, vgl. Kapitel 18, H., I., 1.
446
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
B-Komplexen) höhere Wert ist darauf zurückzuführen, dass die Differenzierung zwischen der Sicherstellung von Gegenständen zu Beweiszwecken nach den §§ 94 ff. StPO und derjenigen zur Gewinnabschöpfung nach § 111b StPO im Einzelfall schwierig ist36. Dass die LKA-Rasterangaben andererseits etwas höhere Werte bei der Sicherstellung / Beschlagnahme zu Beweiszwecken aufweisen (23 Aund 13 B-Komplexe), hat umgekehrt seinen Grund darin, dass hier Maßnahmen vermerkt wurden, die eher der Gewinnabschöpfung dienten. Im Übrigen lässt sich an zwei Beispielen demonstrieren, wie vorsichtig manche Rasterangaben interpretiert werden müssen. So vermerkte im Fall A 7 das LKARaster unter „Sicherstellung / Beschlagnahme“, „10 kg Heroin in Zürich“, und zwar „unter zweifelsfreier Vermittlung eines Beschuldigten“ des Komplexes. Die Aufnahme dieses Heroinfundes in das Raster ist nicht nur deswegen als problematisch anzusehen, weil die Verbindung des Beschuldigten zu dem sichergestellten Heroin forensisch nicht nachgewiesen werden konnte – der Komplex wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt –, sondern überdies die Sicherstellung nicht in einem in Deutschland geführten OK-Komplex erfolgte. Eine ähnliche Konstellation lag im Fall A 11 vor. Dort wies das Raster die „Sicherstellung / Beschlagnahme“ von Diebesgut im Wert von 250.000 DM aus. Tatsächlich war die Beute, im Kern Badezimmereinrichtungen im Wert von 200.000 DM, in keinem der im OK-Komplex zusammengefassten Verfahren sichergestellt, sondern lediglich von einem der Hauptbeschuldigten anderen Personen angeboten worden. Bemerkenswert ist des Weiteren, dass keine der folgenden Maßnahmen durchgeführt wurde: eine Rasterfahndung nach §§ 98a und b StPO, eine Schleppnetzfahndung nach § 163d StPO sowie die Einrichtung einer Kontrollstelle nach § 111 StPO. Auch fand sich kein maschineller Datenabgleich nach § 98c StPO, wobei dafür weder ein Richtervorbehalt noch die Notwendigkeit einer schriftlichen Anordnung existiert37. Gleiches gilt für die einfache Observation. Die jetzt in § 163 f. StPO normierte längerfristige Observation wurde erst zu einem späteren Zeitpunkt in die StPO eingefügt.
II. Der Erfolg der Ermittlungsmaßnahmen
Obwohl der Erfolg der Ermittlungsmaßnahmen schwer zu bemessen ist, wurde versucht, selbigen mittels der Frage „Welche der genannten Maßnahmen brachte die Ermittlungen voran?“ zu erfassen. Die genannten Maßnahmen waren dabei nach dem Rang ihrer Bedeutung anzugeben38. Vgl. die Ausführungen bei Meyer-Goßner 2003, § 94 Rdnr. 2. Daher kann hier aus dem Schweigen der Akten nicht sicher darauf geschlossen werden, die Maßnahme sei nicht erfolgt. 38 In diesem Zusammenhang ist noch einmal daran zu erinnern, dass alle Ergebnisse zu den Ermittlungsmaßnahmen einheitlich auf den gesamten OK-Komplex zu beziehen sind. 36 37
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
447
Die Tabelle 18 weist die überragende Bedeutung der Telefonüberwachung bei den Ermittlungen organisierter Kriminalität aus. Bei 38 OK-Komplexen mit Nennungen39 wurde der TÜ immerhin in fast der Hälfte der Fälle (18mal) Rang 1 zugewiesen. In je sieben Komplexen wurde der Einsatz von VP / IP bzw. die Vornahme von Durchsuchungen als wichtigste Maßnahmen angesehen. Tabelle 18 Bedeutung der Maßnahmen für das Ermittlungsverfahren Ermittlungsmaßnahme TÜ Verbindungsdaten VP / IP VE Durchsuchung Scheingeschäft Observation Andere
Rang 1 18 0 7 3 7 0 1 2
Rang 2 4 6 4 2 4 2 3 4
Rang 3 2 0 4 2 6 3 0 5
Rang 4 2 0 0 1 3 0 3 2
Rang 5 0 1 0 0 2 1 1 2
Zur Kontrolle dieses Ergebnisses wurden in einem zweiten Schritt den insgesamt 107 genannten Maßnahmen für jede Nennung Punkte zugewiesen (Rang 1: 5 Punkte, Rang 2: 4 Punkte . . . bis Rang 5: 1 Punkt). Alle Punkte wurden für die einzelnen Maßnahmen addiert und der jeweils prozentuale Anteil an allen vergebenen Punkten errechnet. andere 12% TÜ 29%
Scheingeschäft 4% Observation 6% VD 6% VE 8%
Durchsuchung 19% VP/IP 16%
Schaubild 96: Bedeutung der Ermittlungsmaßnahmen 39 Die fehlenden Nennungen sind vor allem darauf zurückzuführen, dass Komplexe ganz oder überwiegend eingestellt oder Angeklagte freigesprochen wurden. In diesen Fällen wäre es problematisch davon zu sprechen, eine der Maßnahmen habe die Ermittlungen vorangebracht.
448
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Das somit ermittelte Ergebnis bestätigt den Befund aus der vorangegangenen Tabelle. Auch hier dominiert die TÜ mit einem Anteil von 29 % (bei Einbeziehung der Erhebung der Verbindungsdaten sind es sogar 35 %) vor der Durchsuchung mit 19 % sowie dem Einsatz von VP / IP mit 16 %. Eine deutlich geringere Bedeutung hat der VE-Einsatz (8 %). Alle weiteren Maßnahmen sind für das Ermittlungsergebnis allenfalls flankierend relevant. Ein ähnliches Ergebnis ergibt der Versuch, in die Effizienzbewertung auch die Häufigkeit der angewandten Ermittlungsmaßnahme einzubeziehen. Dazu wurde die einfache Anzahl der für den Ermittlungserfolg genannten Maßnahmen ohne Berücksichtigung der Wertigkeit durch die Anzahl der in den Komplexen eingesetzten Maßnahmen insgesamt dividiert40. Die folgende Graphik weist aus, dass die TÜ in mehr als zwei Drittel der Komplexe, in der sie eingesetzt wurde, auch zum Erfolg beitrug. Die Werte für die VP / IP sowie die Durchsuchung liegen knapp über 50 %, die Werte für das Scheingeschäft, den VE-Einsatz wie auch die Erhebung von Verbindungsdaten fallen im Vergleich deutlich zurück.
TÜ VP/IP Durchsuchung Scheingeschäft VE VD 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
Schaubild 97: Erfolg der Ermittlungsmaßnahmen gemessen an ihrer Verwendungshäufigkeit
III. Zusammenfassung
Besonders in den A-Komplexen zeigte sich ein massiver Einsatz verdeckter Ermittlungsmethoden, wobei TÜ, VP / IP, VE sowie die Erhebung von Verbindungsdaten zahlenmäßig am häufigsten auftraten. Unter den Fällen, in denen mit besonders vielen verdeckten Maßnahmen gearbeitet wurde, befanden sich wiederum vor allem solche, die Betäubungsmittelkriminalität zum Gegenstand hatten. Von den konventionellen Ermittlungsmethoden hatte die Durchsuchung die quantitativ größte Bedeutung. Mit selbiger erfolgt in der Regel der Übergang von den ver40 Allerdings gilt auch hier, dass pro Ermittlungskomplex eine Maßnahme nur einmal Berücksichtigung fand, auch wenn sie mehrmals angewandt wurde.
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
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deckten in die offenen Ermittlungen. Anhand von zwei Beispielen konnte belegt werden, dass die in den Rastern unter „Sicherstellung / Beschlagnahme“ gemachten Eintragungen sehr vorsichtig interpretiert werden müssen. Des Weiteren wurde versucht, den Erfolg der einzelnen Ermittlungsmaßnahmen für den jeweiligen Komplex zu bestimmen. Verschiedene Berechnungen zeigten eine überaus große Bedeutung der TÜ. Daneben trugen auch der Einsatz von VP / IP sowie die Vornahme von Durchsuchungen zur Aufklärung des Geschehens bei, in schon geringerem Maße auch der VE. Alle anderen Maßnahmen hatten dagegen kaum einen Einfluss auf die Ermittlung des Sachverhalts.
D. Strukturen besonderer Ermittlungsmaßnahmen in Verfahren organisierter Kriminalität In diesem Abschnitt erfolgt eine Konzentration auf die in Verfahren organisierter Kriminalität als besonders wichtig erachteten und vom Gesetzgeber deswegen teilweise speziell normierten besonderen Ermittlungsmaßnahmen. Dabei wird versucht, typische Anwendungsstrukturen der einzelnen Instrumente herauszuarbeiten und diese in Beziehung zum vorhandenen Normprogramm zu setzen. Wie gezeigt, ist bei Ermittlungen in Bereichen, die der organisierten Kriminalität zugerechnet werden, nur ausnahmsweise eine Anzeige Ausgangspunkt polizeilicher Tätigkeit. Überwiegend gehen die Strafverfolgungsbehörden proaktiv und täterorientiert vor, indem sie entweder nach Hinweisen von Informanten bzw. von Vertrauenspersonen oder aufgrund eigener Recherchen Verdachtslagen bei bestimmten Personen aufgreifen. Dabei geraten die ermittelnden Stellen häufig in ein (kriminelles) Geschehen, das Straftaten der Zielperson(en) sowohl in der Vergangenheit vermuten als auch für die Zukunft erwarten lässt, ohne dass die Hinweise auf die begangenen Straftaten, vor allem wenn es sich um so genannte opferlose Delikte handelt, eine besondere Konkretisierung erfahren haben. Eine solche Tätigkeit an der Schnittstelle zwischen repressiver Verfolgung eines nur undeutlich umrissenen Sachverhalts und der Prognose künftiger Straftaten wirft für ein Vorgehen auf strafprozessualer Grundlage eine Fülle von Problemen auf. Andererseits kann die Tätigkeit der Polizei auch nicht der Prävention, verstanden als Verhütung von Straftaten, zugeordnet werden. Denn primäres Ziel der Polizeiarbeit ist hier nicht das Verhindern, sondern das Beobachten, Begleiten, in Einzelfällen sogar Fördern von Straftaten, die, beweiskräftig dokumentiert, im Folgenden zur Aburteilung kommen sollen. I. Die Telefonüberwachung
Die Überwachung der Telekommunikation, die nicht nur in Baden-Württemberg die häufigste verdeckte Ermittlungsmaßnahme in Verfahren organisierter Kriminalität darstellt, setzt nach dem Gesetzestext in § 100a Satz 1 StPO zunächst voraus, 29 Kinzig
450
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
dass „bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer“ eine Katalogtat „begangen oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht oder durch eine Straftat vorbereitet hat“. Erforderlich sind demnach die Beschreibung einer Katalogtat und die Begründung eines entsprechenden Tatverdachts. Nach ihrem gesetzlichen Programm ist die Telefonüberwachung (TÜ) also auf Strafverfolgung, d. h. die Aufklärung einer begangenen Straftat ausgerichtet. Eine präventive Strategie dergestalt, dass durch die TÜ Beweise gegen eine Person gesammelt werden sollen, deren „kriminelle Dispositionen Wiederholungstaten erwarten lassen“41 oder, anders formuliert, von der man annimmt, sie werde künftig Straftaten begehen, kann dagegen nie alleiniger Grund für eine TÜ-Anordnung sein, sondern allenfalls eine erwünschte Nebenwirkung42. Ihrem repressiven Wesen gemäß soll die TÜ der „Erforschung des Sachverhalts“ oder der „Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten“ dienen. Darüber hinaus statuiert § 100a Satz 1 StPO ihre Subsidiarität. Außerdem unterliegt sie, wie jeder belastende staatliche Eingriff, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz43. Regelmäßig richtet sich die TÜ gegen den Beschuldigten, unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen Dritte. Die Anordnung trifft nach § 100b Abs. 1 StPO der Richter, bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft. Die TÜ kann nach § 100b Abs. 2 Satz 5 StPO um jeweils maximal drei Monate verlängert werden. Außerdem existieren Vorschriften über die Vernichtung der entstandenen Unterlagen (§ 100b Abs. 6 StPO) sowie die Benachrichtigung der Beteiligten (§ 101 StPO).
1. Quantitative Angaben Wie bereits erwähnt, wurde in 23 A- sowie 15 B-Komplexen mindestens ein Telefonanschluss abgehört44. Bei den 23 A-Komplexen waren es insgesamt 199 Anschlüsse, im Durchschnitt also 8,7 bei einem Maximalwert von 23 im Komplex A 16. Bei 14 B-Komplexen mit Angaben waren es dagegen durchschnittlich nur 4,6 bei einem Maximalwert von 15 überwachten Anschlüssen in den Komplexen B 7 sowie B 14. Ein Grund für die Vielzahl der überwachten Telefone ist darin zu Welp 1974, 55; ihm folgend Lehmann 1978, 80 f. Welp 1974, 55. Diese retrospektive Anknüpfung und das Verbot einer rein präventiven Ausrichtung der TÜ wird mit Ausnahme von Welp im Spezialschrifttum wenig behandelt, vgl. die kurzen Ausführungen von Krückels (1974, 7 ff.). Bei Schumacher (1976, 35) findet sich immerhin, die TÜ ziele in Abgrenzung zur Arbeit des Verfassungsschutzes darauf ab, „gerichtsverwertbare Erkenntnisse und Beweismittel nach Begehung einer Straftat zu gewinnen.“ In der Kommentarliteratur wird die Frage, soweit zu sehen, lediglich von Rudolphi SK StPO 1994, § 100a Rdnr. 2 und 3 erörtert und im Sinne einer strengen Unterscheidung zwischen strafprozessualen und präventiven nachrichtendienstlichen Überwachungsmaßnahmen beantwortet. 43 Deutlich betont von KK / Nack 1999, § 100a Rdnr. 26. 44 Nämlich: A 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9 / 23, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 19, 20, 21, 22, 24, 25 und 26 sowie B 1a, 1b, 6, 7, 8, 9, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 21, 23 und 25. 41 42
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
451
sehen, dass verschiedene Tatverdächtige über mehrere Anschlüsse, auch sukzessive, verfügten45. 14 12 10 8 6 4 2 0
A-Komplexe (n=23) B-Komplexe (n=14)
1 bis 5
6 bis 10
11 bis 15
über 15
Schaubild 98: Anzahl der überwachten Anschlüsse
Primär Betroffene der TÜ waren, wie zu erwarten, Beschuldigte46. Andererseits waren den länger andauernden Maßnahmen über drei Monate fast so viele Dritte wie Beschuldigte unterworfen. Unter den „Dritten“ befanden sich in einer Reihe von Komplexen (auch) Anschlüsse von Gaststätten47. Daneben waren einige Komplexe zu verzeichnen, bei denen öffentliche Fernsprecher überwacht wurden48. 50 40 30 20 10 0
Beschuldigte Dritte
bis 1 Monat
1-3 Monate
über 3 Monate
Schaubild 99: Betroffene und Dauer der überwachten Anschlüsse (nur A-Komplexe, n = 170)
Die tatsächliche Dauer der geschalteten TÜ-Maßnahmen fiel in den A- und B-Komplexen annähernd identisch aus (Schaubilder 100 und 101). Knapp die Hälfte der Überwachungen wurde binnen eines Monats abgeschaltet. Ein gutes Drittel dauerte zwischen einem und drei Monaten. Langzeitüberwachungen, bei denen die Verlängerung der TÜ-Maßnahme angeordnet wurde, weisen immerhin noch einen Anteil von rund 20 % auf.
Vgl. auch Hamacher 2001. Die Untersuchung von Backes / Gusy / Begemann u. a. (2002, Diagramm 15) weist einen etwas höheren Anteil (59,2 %) von Dritten aus. 47 Etwa A 1, 7, 8, 13, 14, 15, 16 sowie 26. 48 A 10, 14, 15, 21 sowie B 14. 45 46
29*
452
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung 19%
21%
43% bis 1 Monat
43%
1 bis 3 M. mehr als 3 M.
36%
38%
Schaubild 100 (links): Dauer der TÜ (A-Komplexe) Schaubild 101 (rechts): Dauer der TÜ (B-Komplexe)
2. Beschreibung der Katalogtat Der Umfang der Begründungslast des anordnenden Gerichts bzw. der Staatsanwaltschaft ergibt sich aus § 100b Abs. 2 Satz 1 – 3 StPO. Die TÜ-Anordnung muss schriftlich ergehen, Namen und Anschrift des Betroffenen und seine Rufnummer enthalten sowie Art, Umfang und Dauer der Maßnahmen festlegen. Darüber hinaus wird gefordert, dass die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat, der Grund der Überwachung (Erforschung des Sachverhalts oder Aufenthaltsermittlung) und ihre Unentbehrlichkeit dargelegt werden49. Teilweise wird weitergehend eine (knappe) Darlegung der Beweislage, aus der sich der Verdacht der Katalogtat ergibt, sowie der bestimmten Tatsachen, die diesen Verdacht begründen, verlangt50. Nach neuester Rechtsprechung ist „zumindest eine knappe Darlegung der den Tatverdacht begründenden Tatsachen und der Beweislage“ erforderlich51. Entgegen dieser Auffassung wurde in den untersuchten TÜ-Anordnungen oft nicht hinreichend spezifiziert, welcher Sachverhalt welcher Katalogtat durch die geplante TÜ konkret erforscht werden sollte. Dieser Praxis, welche sowohl die Katalogtat als auch den zugrundeliegenden Sachverhalt nicht deutlich benennt, die TÜ-Anordnung also auf eine eher diffuse Verdachtslage stützt, wurde auch durch die Verwendung formularmäßiger TÜ-Beschlüsse Vorschub geleistet. Allerdings war diese Übung nur bei TÜ-Anordnungen von Gerichten außerhalb BadenWürttembergs anzutreffen. Hierfür sei beispielhaft der Beschluss eines rheinlandpfälzischen Amtsgerichts erwähnt (Komplex A 14). Ausweislich des Rubrums erfolgte die TÜ-Anordnung „wegen Verstoßes gegen das BtmG“, wobei als Katalogtat die „§§ 1, 3, 29 Abs. 3 Nr. 1 BtmG“ genannt wurden. Im Übrigen umfasste die 49 KK / Nack 1999, § 100b Rdnr. 2; ihm folgend: Meyer-Goßner 2003, § 100b Rdnr. 3; Rudolphi SK StPO 1994, § 100b Rdnr. 3. 50 LR / Schäfer 1986, § 100b Rdnr. 5. Für eine strenge Prüfung im Grundsatz auch BGHSt 41, 30. 51 BGH wistra 2003, 67 (68).
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
453
Begründung nur die folgenden drei Sätze, wobei der zweite Halbsatz des ersten Satzes handschriftlich ergänzt worden war: „Aufgrund der polizeilichen Ermittlungen ergibt sich der begründete Verdacht, dass der Beschuldigte mit Drogen Handel treibt. Dabei besteht weiterhin der Verdacht, dass er seine Drogengeschäfte konspirativ fast ausschließlich fernmündlich über seinen Telefonanschluss abwickelt. Die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wäre ohne die erlassene Maßnahme zumindest wesentlich erschwert.“ Selbst wenn man dieses krasse Beispiel einer unzureichenden bzw. fehlerhaften Begründung außer Acht lässt52, zeichnete sich bei den OK-Ermittlungen vor allem der Bereich der Betäubungsmitteldelikte durch einen geringen Konkretisierungsgrad der Katalogtaten aus. Hier beschränkte sich die Tatschilderung oft auf einen allgemeinen Vorwurf eines Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in größerem Umfang, ohne Ort und Zeit eines konkreten Rauschgiftgeschäfts zu nennen oder nennen zu können. Auch wenn im Stadium des Ermittlungsverfahrens noch keine Anforderungen gestellt werden können, wie sie etwa § 200 StPO für die Anklageschrift verlangt, erscheint diese Praxis als ungenügend. Typisch ist insoweit der TÜ-Beschluss eines Amtsgerichts (A 17), in dem sich die Beschreibung von Katalogtat und Tatverdacht in einem Satz erschöpfte: „Aufgrund der Ermittlungen der Kriminalpolizei X ist der Beschuldigte Y verdächtig, illegal mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu handeln.“ Diese häufig fehlende Präzisierung der Katalogtat in TÜ-Beschlüssen in Verfahren organisierter Kriminalität zeigt sich exemplarisch auch an einem Beschluss eines AG im Komplex A 14, in dem ebenfalls weder Ort oder Zeit der Straftat genannt wurden noch eine genauere Bestimmung der kriminellen Beteiligung des Tatverdächtigen erfolgte: „Aufgrund der Ermittlungen der PD X besteht der Verdacht, dass über den genannten Telefonanschluss Rauschgiftgeschäfte im Kilobereich unter maßgeblicher Beteiligung des Beschuldigten abgewickelt werden.“ Bisweilen schien dabei die Zurechnung des Beschuldigten zu einer Bande oder gar kriminellen Vereinigung und die dadurch vermutete Einbindung des Beschuldigten in ein Straftaten produzierendes Netzwerk den tatsächlichen, wenn auch nicht gesetzlich vorgesehenen Grund für die Durchführung der Maßnahme zu liefern. Beispielsweise wurde im Komplex B 1a weder im Rubrum noch in den Gründen eines TÜ-Beschlusses eine Katalogtat spezifiziert. Stattdessen hieß es, aufgrund der Ermittlungen der Bereitschaftspolizei X in Italien sei der Beschuldigte verdächtig, „im Rahmen einer kriminellen Vereinigung von der Art der Mafia in großem Umfang mit illegalen Betäubungsmitteln, insbesondere Kokain, mit Falschgeld . . . sowie mit gestohlenen Fahrzeugen zu handeln, wobei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Kontakte zu polnischen und russischen Lieferanten bzw. Abnehmern über den Beschuldigten und andere Personen in Deutschland hergestellt werden.“ Undiskutiert blieb die Frage, ob diese von italienischen Behörden über Art. 416 bis des italienischen StGB getroffenen Feststellungen für eine TÜ-Anord52
Zu den revisionsrechtlichen Konsequenzen, s. Kapitel 17, C.
454
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
nung nach deutschem Recht ausreichen. Ähnlich wurde im Fall A 5 die Überwachung des Clubheims einer Rockergruppe mit der Begründung angeordnet, „dass verschiedene Clubmitglieder des MC X unter Leitung des Beschuldigten Y der straff organisierten Verteilung von Betäubungsmitteln und hier insbesondere Kokain im 100 g-Bereich nachgehen“, woraus sich der „dringende Tatverdacht des bandenmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln gemäß §§ 29a, 30 Abs. 1 Nr. 1 BtmG“ ergebe. Einzelne Geschäfte, auf deren Aufklärung die TÜ hätte abzielen können, waren auch hier nicht erkennbar. Doch nicht nur bei Anordnungen aufgrund von (vermuteten) Betäubungsmitteldelikten, sondern auch bei anderen ebenfalls als opferlos einzustufenden Straftaten blieben die Umschreibung der Katalogtat und des ihr zugrunde liegenden Sachverhaltes mitunter wenig konkret. So hieß es in einem TÜ-Beschluss in einem Verfahren „wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Waffengesetz und des Menschenhandels“ (A 25) zunächst: „Gegen den Beschuldigten besteht der Verdacht, dass er mit russischen Waffen Handel treibt. Darüber hinaus hat sich aus der bereits gegen den Beschuldigten geschalteten Telefonüberwachung sowie der weiteren polizeilichen Ermittlungen (Zeugenaussagen) ergeben, dass der Beschuldigte russische Prostituierte einschleust.“ Präzisiert wurden diese Tatvorwürfe – § 100a Satz 1 Nr. 2 StPO setzt einen „schweren Menschenhandel“ voraus, Nr. 3 konkretisiert die Straftaten nach dem WaffG – jedoch nicht. Im Verlauf dieses Komplexes wurde eine weitere TÜ wegen des „Verdachts der Schleusertätigkeit“ geschaltet, ebenfalls ohne Beachtung, dass auch der Katalog des § 100a Satz 1 Nr. 5 StPO eine nähere Präzisierung verlangt hätte. Als Begründung wurde hier lediglich angeführt, die Ermittlungen hätten ergeben, „dass die Beschuldigten . . . als Anlaufstelle für insbesondere Spätaussiedler in ganz Deutschland gelten, um Frauen aus den osteuropäischen Ländern nach Deutschland einzuschleusen, damit diese in Deutschland als Bedienung arbeiten oder aber der Prostitution nachgehen.“ Schwierigkeiten dergestalt, dass Straftaten, zu deren Aufklärung abgehört werden sollte, nicht dem in § 100a Satz 1 StPO statuierten Katalog unterfielen, waren in den untersuchten Komplexen nach der sukzessiven Ausweitung der Delikte, die zur TÜ berechtigen, nur noch ausnahmsweise, insbesondere bei Vermögensstraftaten, zu erkennen. So wurde im Komplex B 16 eine TÜ mit der Begründung angeordnet, der Beschuldigte sei verdächtig, „Straftaten gem. § 263 StGB begangen zu haben, um Taten der gewerbsmäßigen Hehlerei, Bandenhehlerei (§ 260 StGB) oder der gewerbsmäßigen Bandenhehlerei (§ 260a StGB) vorbereitet zu haben.“ Insoweit war dem Beschuldigten vorgeworfen worden, vier Kraftfahrzeuge betrügerisch angemietet zu haben. Dabei bestand, so der TÜ-Beschluss, „der dringende Verdacht, dass eine international tätige Bande die durch rechtswidrige Taten erlangten Personenkraftwagen ins Ausland verschafft hat, um diese dort gewinnbringend zu nutzen bzw. weiter zu veräußern.“ Eindeutig ist in diesem Fall, dass eine TÜ-Anordnung wegen Verdachts eines bandenmäßigen Betruges (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB n.F.) nicht hätte ergehen können, da dieser keine Katalogtat ist. Andererseits bestand gegen den Beschuldigten kein Verdacht, an einer Bandenheh-
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
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lerei im Sinne der Katalogtat des § 260 StGB beteiligt gewesen zu sein. Um dennoch abhören zu können, wählten die Staatsanwaltschaft bzw. das Amtsgericht eine fragwürdige Konstruktion. Zwar ist nach h.M. der Verdacht irgendeiner Straftat zur Vorbereitung einer Katalogtat für die TÜ-Anordnung ausreichend53. Laut den Gründen der TÜ waren die Kraftfahrzeuge aber bereits ins Ausland geschafft worden, d. h. zumindest bezüglich dieser Kfz konnte auch keine Bandenhehlerei mehr vorbereitet werden54. Andererseits war auch nicht zu begründen, dass durch die Leasingverträge des Beschuldigten, die zum Zeitpunkt der Anordnung der TÜ bereits eineinhalb Jahre zurücklagen, weitere noch in der Zukunft liegende Bandenhehlereien vorbereitet werden sollten. Ähnliche Schwierigkeiten gab es im Komplex A 11. Dort hatte die Kriminalpolizei die drei Sachverhalte, die später der Anordnung der TÜ zugrunde gelegt wurden, als vollendete bzw. versuchte Betrugshandlungen gewertet. Dabei hatten die Beschuldigten potentielle Käufer von Handys dazu gebracht, ihnen mitgebrachtes Bargeld auszuhändigen und waren damit ohne Gegenleistung verschwunden. Im Gegensatz zur Polizei qualifizierte die Staatsanwaltschaft diesen auf der Nahtstelle zwischen Betrug und Diebstahl liegenden Sachverhalt als Bandendiebstahl, offensichtlich um so zu einer Katalogtat (vgl. § 100a Satz 1 Nr. 2 StPO) zu gelangen. Daher umschrieb sie und ihr folgend das Amtsgericht das strafbare Tun als „an sich bringen“ des Geldes, ohne auf das Vorhandensein einer Katalogtat bzw. die rechtliche Qualifikation des Sachverhalts einzugehen. Wie fragwürdig diese Subsumtion war, zeigte sich daran, dass das erkennende Gericht letztendlich nur in einem der drei als „Bandendiebstahl“ eingeordneten Sachverhalte verurteilte, und zwar wegen Betruges.
3. Die Begründung des Tatverdachts § 100a Satz 1 StPO verlangt des Weiteren, dass „bestimmte Tatsachen“ den Verdacht einer Katalogtat begründen. Der Verdacht müsse durch schlüssiges Tatsachenmaterial bereits ein gewisses Maß an Konkretisierung erreicht haben und von erheblicher Stärke sein, wobei sich solche Tatsachen auch aus substantiierten Angaben eines Verdeckten Ermittlers oder einer VP ergeben können55. Wie gesehen, steht am Anfang von Verfahren im Bereich organisierter Kriminalität häufig eine „aktive Informationsbeschaffung“, nicht selten mittels vertraulicher Angaben von Informanten oder nicht überprüfbarer Vertrauenspersonen. Da53 So etwa Meyer-Goßner 2003, § 100a Rdnr. 5; KK / Nack 1999, § 100a Rdnr. 23. Welp 1974, Fußn. 41 rügt zu Recht die mißglückte Gesetzesfassung des § 100a StPO, so auch Rudolphi SK StPO 1994, § 100a Rdnr. 10. 54 Die Frage, ob die Befugnis, eine TÜ wegen einer Vorbereitungstat zu einer Katalogtat anzuordnen, mit der Durchführung der Tat erlischt, wurde in der Literatur, soweit ersichtlich, bisher noch nicht diskutiert. 55 KK / Nack 1999, § 100a Rdnr. 24.
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bei widerstreiten der von den Ermittlungsbehörden beabsichtigte Quellenschutz und das Erfordernis, in den Gründen des TÜ-Beschlusses eine Substantiierung des Tatverdachts vorzunehmen. Dazu kommt, dass die meisten TÜ in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens geschaltet werden. Dies hat zur Folge, dass die Ermittlungsrichter ihre Entscheidung häufig aufgrund einer schmalen, für sie nicht überprüfbaren Tatsachenbasis treffen (müssen). So führte eine Polizeidirektion (A 5) in ihrem „Antrag“ an die Staatsanwaltschaft, beim zuständigen Amtsgericht eine TÜ zu erwirken, zur Begründung des Tatverdachts lediglich aus, „im Zuge verdeckt geführter Ermittlungen“ sei bekannt geworden, dass im Raum X durch zunächst unbekannte Anbieter eine größere Menge Kokain verkauft werden solle. Dieser Verdacht wurde im folgenden TÜ-Beschluss nicht weiter konkretisiert, sondern die Formulierung der Polizei fast wortgleich übernommen. Auch in einem weiteren Fall (A 15) erschöpften sich die „bestimmte(n) Tatsachen“ sowohl nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft als auch dem amtsrichterlichen Beschluss darin, der Beschuldigte sei „aufgrund der Angaben einer Person, der die Staatsanwaltschaft X Vertraulichkeit zugesichert hat“, dringend verdächtig, „bereits in der Vergangenheit mehrfach Kokain in Mengen von 3 – 5 Kilogramm regelmäßig aus Italien in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt zu haben.“ Ähnlich hieß es in einem anderen Beschluss (A 16), „aufgrund vertraulicher Informationen ist davon auszugehen, dass zumindest X und Y zusammen mit Z . . . mit Betäubungsmitteln und Waffen in großem Umfang Handel treiben, zudem bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie von italienischen Geschäftsleuten sog. Schutzgelder eintreiben.“56
4. Das Ziel der Telefonüberwachung Als Ziel der TÜ gibt § 100a Satz 1 StPO „die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten“ vor. Ausweislich der Gründe der TÜ-Beschlüsse bildete die Ermittlung des Aufenthaltsortes nur selten den Anlass für die Maßnahme. Eine Ausnahme bildete ein Beschluss im Komplex A 21. Darin formulierte das AG die Zielrichtung seiner ausführlich begründeten TÜ-Anordnung folgendermaßen: „Die Überwachung des Anschlusses der gesondert verfolgten Y, bei der es sich um die Lebensgefährtin des Beschuldigten handelt, und die Aufzeichnung der über diesen Anschluss geführten Gespräche mit dem Beschuldigten ist erforderlich, da die Ermittlung des Aufenthalts des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos ist.“ Regelmäßig erfolgte die TÜ also zur „Erforschung des Sachverhalts“. Was unter dieser Variante genau zu verstehen ist, wird im Schrifttum kaum erörtert. Einigkeit 56 In der Untersuchung von Backes / Gusy / Begemann u. a. (2002, Diagramm 1) war nur ein Viertel der richterlichen TÜ-Beschlüsse vollständig.
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scheint aber darin zu bestehen, dass die „Erforschung des Sachverhalts“ der Aufklärung einer Straftat dienen soll57. Als exemplarisch für diese traditionelle Funktion der TÜ kann ein im Komplex B 23 ergangener Beschluss angesehen werden, in dem angenommen wurde, ein des Mordes Verdächtiger werde sich mit noch nicht ermittelten Personen in Verbindung setzen. Vor allem in solchen Ermittlungsverfahren organisierter Kriminalität, in denen die Strafverfolgungsbehörden ein andauerndes kriminelles Geschehen vermuten, werden allerdings ausweislich einer Vielzahl von TÜ-Beschlüssen neben der Verfolgung begangener Straftaten noch andere Zwecke als Grund für die Durchführung einer TÜ genannt, überwiegend stehen diese sogar im Vordergrund. So soll die TÜ einerseits der Aufdeckung krimineller Strukturen, andererseits auch der Verfolgung künftiger Straftaten dienen. In beiden Fällen erhält die TÜ einen ihrer gesetzlichen Grundlage nicht mehr entsprechenden Charakter, indem durch sie entweder weitere Beteiligte des laufenden kriminellen Geschehen ermittelt werden sollen oder zukünftige Straftaten zuerst beobachtend abgewartet und daraufhin geahndet werden sollen. Diese neuartige Zielrichtung, die die TÜ in Verfahren organisierter Kriminalität häufig aufweist, lässt sich an einem Beschluss im Komplex A 16 demonstrieren. Dort knüpfte die Begründung der TÜ zunächst retrospektiv an die Aufklärung einer Schutzgelderpressung an, nicht ohne bereits präventive Aspekte durchscheinen zu lassen: „Im Hinblick darauf, dass die Beschuldigten aber in regelmäßigem Kontakt zu anderen Personen stehen, die ebenfalls mafiosen Strukturen zuzurechnen sind, ist davon auszugehen, dass durch die weitere Überwachung konkrete Ermittlungsansätze zur Erlangung des hinreichenden Tatverdachts erkannt werden können.“ Zusätzlich wurden explizit so genannte Strukturermittlungen als weiterer Grund für die TÜ genannt: „Zur weiteren Aufklärung der Struktur der Organisation und der gegenseitigen Verbindung, aber auch zur Speicherung tatrelevanter Gespräche ist die Überwachung des Fernmeldeverkehrs deshalb unabdingbar.“ Noch deutlicher zeigte sich die beschriebene Konstellation – die TÜ wird zwar formal auf eine begangene Katalogtat gestützt, dient tatsächlich aber der Aufklärung künftiger Straftaten – im Komplex A 2. Nach der Schilderung zweier Diebstahlsdelikte und des Verkaufs der dabei erzielten Beute hieß es in den Gründen: „Es ist davon auszugehen, dass die Beschuldigten zur Durchführung der Tat, insbesondere zur Anbahnung und Planung der Einbruchsdiebstähle und der Übergabe der gestohlenen Ware, die oben genannten Telefonanschlüsse . . . benutzen.“ Der Zweck, eine allgemeine Verdachtslage zu klären bzw. ein Rauschgiftgeschäft zu dokumentieren, dürfte auch der ausschlaggebende Grund für eine TÜ im Komplex A 6 gewesen sein. Hier enthielt der Beschluss zuerst die (sehr all57 LR / Schäfer 1986, § 100a Rdnr. 13; KK / Nack 1999, § 100a Rdnr. 25; Lemke in HKStPO 2001, § 100a Rdnr. 8; Rudolphi SK StPO 1994, 100a Rdnr. 13; deutlicher Welp 1974, 64 ff., das Gewicht der strafprozessualen Aufklärungsinteressen werde von der Schwere der begangenen Tat bestimmt. Vgl. Schumacher 1976, 35; Lehmann 1978, 79.
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gemeine) Aussage, „die Beschuldigten stehen im Verdacht, mit größeren Mengen Handel zu treiben.“ Als Anhaltspunkt dafür wurde angeführt, „bei Verhandlungen mit zwei Vertrauenspersonen“ einer Landespolizeidirektion „sowie einem Verdeckten Ermittler des LKA“ sei „mit den Beschuldigten die Lieferung von 5 bis 6 Kilogramm Heroin besprochen und auch bereits eine Probe von ca. 2 Gramm übergeben“ worden. Da aber gleichzeitig konstatiert wurde, „der Kontakt zu den Beschuldigten“ sei seit sechs Wochen abgebrochen, konnte die beantragte TÜ kaum auf die Aufklärung des genannten Scheingeschäfts abzielen. Die Schaltung einer TÜ zur Aufhellung vermeintlicher Strukturen fand sich explizit in einer Reihe weiterer Verfahren. So hieß es in einem TÜ-Beschluss im Komplex A 5 „wegen Verbrechens gegen das BtmG“: „Ein Eindringen in diese Struktur (sc. die Organisationsstruktur eines Motorradclubs) ist mit den üblichen polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen nicht möglich. Zur Feststellung von konkreten Verabredungen oder gar Übergaben bleibt daher nur die Überwachung des Telefonverkehrs in jeder Form. Nur so können das Beziehungs-Geflecht aufgehellt und mögliche Abnehmer individuell identifiziert werden.“58 Ganz ähnlich formulierte ein TÜ-Antrag im Komplex A 15: „Das Geflecht dieser Beziehungen ist ohne die Telefonüberwachung nicht zu entwirren.“ Auch im Komplex A 13 nannte ein Ermittlungsbericht Strukturermittlungen als Grund für die TÜ: „Um einen Einblick in den Aufbau der Organisation sowie einen Überblick über deren Struktur zu erhalten, wurden . . . verschiedene Telefonüberwachungsmaßnahmen geschaltet.“ Ähnlich hieß es in einem TÜ-Beschluss im Fall A 16: „Zur weiteren Aufklärung der Struktur der Organisation und der gegenseitigen Verbindung ist die Fortsetzung der Überwachung des Fernmeldeverkehrs unabdingbar.“ Im Komplex A 2 war es Ziel der TÜ, „weitere noch nicht identifizierte Bandenmitglieder (zu) ermitteln sowie deren Einbindung (Art und Umfang) in die Bande feststellen zu können.“ Auch wurde die Verlängerung einer TÜ (A 5) damit begründet, „die in dieser Sache bisher durchgeführten Telefonüberwachungsmaßnahmen“ hätten „wertvolle Hinweise auf die Verflechtungen innerhalb der Gruppierung“ geliefert. Der präventive auf die Zerschlagung der Gruppierung gerichtete Zweck, der mit einer TÜ verfolgt werden kann, lässt sich zudem an Formulierungen polizeilicher Dienststellen erkennen, die auch sprachlich an die vorbeugende Verbrechensbekämpfung der Polizeigesetze erinnern. So beantragte ein Polizeipräsidium außerhalb Baden-Württembergs bei der Staatsanwaltschaft ein Bündel verdeckter Maßnahmen mit der Begründung: „Die vorgenannte Dienststelle benötigt Erkenntnisse zur Bekämpfung von Straftaten gemäß §§ 1, 2, 3, 29 ff. BtmG.“ Dass die Schaltung einer TÜ gerade in Strafverfahren wegen Betäubungsmitteldelikten häufig der Überwachung künftiger Straftaten dient, zeigt sich in einem 58 Allerdings konstatierte später die Anklageschrift im Fall A 5, „die umfangreichen Überwachungsmaßnahmen und Observationen“ hätten zwar die „offensichtlich festgefügte und reglementierte Organisationsstruktur des Clubs“ aufhellen können, „eine konkrete Zuordnung von Straftaten“ sei jedoch nicht möglich gewesen.
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Beschluss im Fall A 8: „Nur durch die Überwachung der Telefonanschlüsse ist es möglich, von zukünftigen Heroinlieferungen Kenntnis zu erlangen und auf diese Weise den Umfang des Handels mit Heroin durch die Beschuldigten hinreichend sicher nachzuweisen und ggf. die Lieferanten zu überführen.“ Auch an anderer Stelle (A 5) ist vermerkt, dass „die Abwicklung der Betäubungsmittelgeschäfte“ . . . „nur durch die Überwachung des Fernmeldeverkehrs erforscht und gegebenenfalls aufgedeckt werden“ könne. Im Komplex A 1 wurde einer VP von einem Beschuldigten mitgeteilt, er erwarte in nächster Zeit Heroin: „Zur weiteren beweiskräftigen Aufklärung des Sachverhaltes ist die Fernmeldeüberwachung erforderlich.“ Ziel dieser TÜ sei auch eine „Herausnahme des Heroins aus dem illegalen Rauschgiftmarkt“. Im Komplex A 15 wurde die Überwachung des Anschlusses einer Telefonzelle damit begründet, dies sei „die einzige Möglichkeit, den Sachverhalt zu erforschen, insbesondere beteiligte Personen sowie Umfang und Zeitpunkt eines geplanten Rauschgifttransportes zu ergründen.“ Im Komplex B 12 kam es zur Sondersituation, dass zunächst unter Beteiligung eines VE ein Falschgeldgeschäft eingeleitet wurde, das es dann mittels TÜ zu überwachen galt, u. a. mit der Begründung, etwaige Hintermänner seien zu ermitteln. Nachdem dieses Geschäft nicht zustande kam, wurde eine weitere TÜ-Anordnung auf ein neues geplantes Scheingeschäft gestützt, der Sachverhalt der zugrunde liegenden Katalogtat also ausgewechselt59. Daneben gibt es Konstellationen, in denen Straftaten in der Vergangenheit als Aufhänger verwandt werden, um eine Telefonüberwachung eines Ortes bzw. die Identifizierung von Beteiligten zu erreichen. So wurde im Komplex A 1 beschlossen, das Telefon einer Gaststätte abzuhören. Den Grund bildete zunächst die Tatsache, dass einem Polizeidezernat bereits seit geraumer Zeit bekannt sei, „dass die Gaststätte X als Anlauf- und Treffpunkt für türkische / kurdische Rauschgifthändler aus dem Y-Bereich dient. Dieser bisher noch nicht genau bestimmbare Personenkreis ist über die Telefonanschlüsse der Gaststätte erreichbar und organisiert darüber hinaus über die Telefonanschlüsse Rauschgiftgeschäfte.“ Denn „eine genaue Bestimmung und Identifizierung sämtlicher Personen, die an den Rauschgiftgeschäften beteiligt sind und wie die Modalitäten und genauen Abläufe der Rauschgiftgeschäfte sind, konnte durch andere polizeiliche Maßnahmen bisher nicht festgestellt werden.“ Zudem würde durch diese Überwachung ermöglicht, so heißt es weiter, „detaillierte Erkenntnisse über die erwartete Großlieferung Heroin zu erlangen.“ 5. Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Die Telefonüberwachung ist nur zulässig, wenn sie unentbehrlich ist, weil andernfalls die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des 59 Ähnlich wurde im Komplex A 7 eine TÜ, nachdem solche Maßnahmen schon mehrere Monate liefen, damit begründet, dass ein Rauschgiftkurier eintreffen solle.
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Beschuldigten aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre (§ 100a Satz 1 StPO). Eine konkrete Erörterung oder Abwägung, welche Maßnahmen anstelle einer TÜ zur Aufklärung des Sachverhaltes eingesetzt werden könnten, fand in der Regel nicht statt. Typisch dafür ist ein formelhafter TÜ-Beschluss im Fall A 25: „Es ist den Ermittlungsbehörden nicht möglich, auf andere Art Erkenntnisse über die weitere Vorgehensweise der Beschuldigten zu erlangen. Insofern bleibt als einzige und daher verhältnismäßige Möglichkeit die Überwachung des Telefonanschlusses.“ Nur ausnahmsweise wurden andere, in diesem Fall (A 2) verdeckte Ermittlungsmaßnahmen angesprochen: „Die Gruppierung ist abgeschottet, der Einsatz von Vertrauenspersonen und / oder der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers scheidet schon daher von vornherein aus.“ Eine etwas ausführlichere Abwägung zwischen den Maßnahmen TÜ und dem Einsatz eines VE erfolgte im Fall B 13. Dort hieß es in den Gründen: „Die Ermittlung der Lieferanten und der Abnehmer erscheint ohne die Durchführung einer Telefonüberwachungsmaßnahme nahezu aussichtslos, insbesondere da es sich im vorliegenden Fall um ein geschlossenes Bezugs- und Absatzsystem von Rauschgift handelt, zu dem etwa ein verdeckt ermittelnder Polizeibeamter keinen Zugang hätte.“ Darüber hinaus diente in einigen Fällen der Topos der organisierten Kriminalität als Begründungsversatzstück dafür, den Sachverhalt nicht mit anderen polizeilichen Methoden ermitteln zu können. So begründete das LKA im Komplex A 14 seinen TÜ-Antrag mit der Erwägung, „offene Ermittlungen (dürften) aufgrund der bisherigen Erfahrungen bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität beim jetzigen Kenntnisstand nicht angebracht sein“. In mehreren TÜ-Beschlüssen im Komplex A 12 hieß es: „Die Ermittlungen des Sachverhalts auf andere Weise ist . . . wesentlich erschwert oder aussichtslos, da sich die Beschuldigten, wie im Bereich der organisierten Bandenkriminalität üblich, wegen der hohen Straferwartung abschotten und von den weiteren Beteiligten wegen der eigenen Tatbeteiligung und der zu erwartenden Repressalien nur selten und kaum wahrheitsgemäße Angaben zu erwarten sind. Andere erfolgversprechende Ermittlungsmöglichkeiten sind derzeit nicht ersichtlich.“ Die Formelhaftigkeit dieser Erwägung war allerdings daran erkennbar, dass bei einem der in diesem nicht dem Bereich der Rauschgiftkriminalität zuzuordnenden Bereich gefassten TÜ-Beschlüsse vergessen wurde, die Passage „wie im Rauschgiftbereich üblich“ durch „wie im Bereich der organisierten Bandenkriminalität üblich“ zu ersetzen. Auch ein anderes Amtsgericht verwendete mehrfach und in verschiedenen Komplexen sowie zur Begründung unterschiedlicher verdeckter Maßnahmen einen Textbaustein (A 11, B 13 und 25), der wie folgt lautete: „Tätergruppen dieser Art pflegen – wie allgemein bekannt – nicht nur konspirativ, sondern auch äußerst rigoros und skrupellos vorzugehen60. Die weitere Aufklärung des Sachverhalts 60 In den Fällen B 13 und B 25 hieß es leicht abgewandelt: „Da Geschäfte dieser Art – wie allgemein bekannt – nicht nur konspirativ, sondern auch äußerst rigoros und skrupellos abgewickelt zu werden pflegen . . .“
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müsste daher ohne Telefonüberwachung mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben, auf jeden Fall wäre sie erschwert. Im Hinblick auf die Verbrechensvorwürfe mit den (beabsichtigten) erheblichen Schadenshöhen ist auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt.“ Allgemeiner wurde die Subsidiarität von einem anderen Amtsgericht im Komplex A 24 formuliert: „Angesichts der üblichen konspirativen Vorgehensweise der Täter im Bereich der Rauschgiftkriminalität sind andere Ermittlungsansätze derzeit nicht ersichtlich.“ Zusätzliche Verhältnismäßigkeitserwägungen wurden kaum vorgenommen. Typisch ist insoweit die Formulierung eines Beschlusses im Komplex A 2: „Im Hinblick auf den Tatvorwurf ist die Verhältnismäßigkeit gewahrt.“61 Unter dem Blickwinkel des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wurden auch weder der gleichzeitige Einsatz verschiedener verdeckter Maßnahmen noch die Schaltung mehrerer Telefonüberwachungen problematisiert. So beschloss ein Amtsgericht im Fall B 12 den Einsatz „von bis zu 3 Verdeckten Ermittlern“ mit der Formulierung, „andere Maßnahmen sind erfahrungsgemäß zur Aufklärung des Sachverhalts nicht geeignet.“ Sechs Tage später erließ derselbe Amtsrichter eine TÜ-Anordnung, diesmal mit der Begründung: „Andere erfolgversprechende Möglichkeiten stehen nicht zur Verfügung, zumal über den Hintermann oder die Hinterleute des Beschuldigten nichts bekannt ist.“ Auch im Komplex A 16 wurden zu zwei Zeitpunkten jeweils ein kleiner Lauschangriff sowie drei Telefonüberwachungen für insgesamt acht Anschlüsse angeordnet, ohne dass diese Kumulation verdeckter Maßnahmen erörtert worden wäre. Dazu hat der BGH mittlerweile festgestellt, dass von dem nach der Strafprozessordnung Anordnungsbefugten bei der Anordnung jeder einzelnen Maßnahme zu prüfen ist, ob ihre Durchführung unter Berücksichtigung bereits angeordneter Überwachungsmethoden insgesamt noch verhältnismäßig ist62. Beim Abhören öffentlicher Telefonzellen wurde teilweise versucht, die Verhältnismäßigkeit durch besondere Vorkehrungen zu wahren. So wurde in einem Beschluss im Komplex A 14 verfügt: „Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist durch die Ausscheidung von Telefonaten unbeteiligter Dritter aus den Bandaufzeichnungen Rechnung zu tragen.“ In einem anderen Verfahren desselben Komplexes wurde die Auskunftserteilung über die Verbindungsdaten von sechs öffentlichen Telefonzellen nach § 12 FAG mit der Einschränkung verbunden, „dass nur über Daten von Telefonaten mit einem Anschluss in die tschechische Republik Auskunft zu erteilen“ sei. Im Komplex A 21 sah die TÜ einer Telefonzelle vor, die Überwachung „ausschließlich auf wenige Minuten nach festgestellten Anrufen des flüchtigen X bei der Zeugin Y“ zu beschränken. In einem weiteren TÜ-Beschluss, der mit einer Videoüberwachung besagter Telefonzelle kombiniert wurde, ordnete das Amtsgericht an, die Aufzeichnung von Telefonaten, „die nicht in Zeiten der 61 Allerdings stößt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung in dem Maße auf Schwierigkeiten, in dem die genannte Katalogtat nur vage erkennbar ist. 62 BGHSt 46, 266 (277). Zur Kumulierung von Ermittlungsmaßnahmen: Steinmetz 2001.
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Anwesenheit des Beschuldigten oder von Kontaktpersonen in der Telefonzelle geführt wurden“, dürften nicht abgehört werden und seien „am jeweils darauffolgenden Arbeitstag zu löschen“63. Gänzlich ohne diese Vorkehrungen und sogar für einen Zeitraum von drei Monaten wurde andererseits im Komplex A 15 die Überwachung einer Telefonzelle angeordnet, und zwar nur mit dem Hinweis, „im Hinblick auf die Schwere des Tatvorwurfes“ sei die Maßnahme verhältnismäßig. § 100b Abs. 4 Satz 1 StPO sieht als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor, TÜ-Maßnahmen „unverzüglich zu beenden“, wenn die Voraussetzungen des § 100a StPO nicht mehr vorliegen. Dessen ungeachtet wurde in einem Einstellungsbeschluss (B 1a) nach § 170 Abs. 2 StPO verfügt: „Die ergriffenen strafprozessualen Maßnahmen (polizeiliche Beobachtung und TÜ) bleiben aufrechterhalten (evtl. weitere Ermittlungsansätze) und sollen nach Ablauf der Frist ablaufen.“
6. Der Adressat der Maßnahme, insbesondere die Anordnung gegen Dritte Nach § 100a Satz 2 StPO richtet sich die TÜ in der Regel gegen den Beschuldigten. Es können aber auch Anschlüsse von Personen betroffen sein, „von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss benutzt.“ Auch hier ist eine sehr unterschiedliche Praxis zu verzeichnen, ob und gegebenenfalls wie intensiv die Überwachung des Anschlusses eines Dritten begründet wird. So wurde z. B. in einem Ermittlungsverfahren im Komplex A 24 der auf die Ehefrau des Beschuldigten laufende Anschluss abgehört, ohne dass die Anforderungen des § 100a Satz 2 StPO in irgendeiner Weise Erwähnung gefunden hätten. In anderen Fällen (A 14) konnte immerhin aus der Formulierung gefolgert werden („besteht der Verdacht, dass über den genannten Telefonanschluss Rauschgiftgeschäfte im Kilobereich unter maßgeblicher Beteiligung des Beschuldigten abgewickelt werden“), dass die Alternative „dass der Beschuldigte ihren Anschluss benutzt“ betroffen war. Teilweise wurde auch der Gesetzeswortlaut angeführt, wie etwa im Fall B 25: „Die Beschuldigten benutzen zur Abwicklung der Falschgeldgeschäfte, insbesondere zur Anbahnung der Geschäfte und zur Absprache der Übergabetermine, die o.a. Telefonanschlüsse.“ Die vom Gesetz geforderten „bestimmten Tatsachen“ fanden nur ganz selten Erwähnung. Eine gemeinschaftliche Wohnung schien per se die Gefahr der Anschlussbenutzung zu begründen64. 63 Ähnlich bestimmte ein AG bei einer Überwachung eines öffentlich zugänglichen Faxgerätes, dass die Aufzeichnungen von nicht die Beschuldigten betreffenden Daten sofort der Staatsanwaltschaft vorzulegen und nach Prüfung ohne jegliche Protokollierung zu löschen seien.
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Im Bereich eines Amtsgerichts (A 2, B 7) war eine Praxis zu verzeichnen, mittels eines weiteren Beschlusses unter Aufrechterhaltung der bisherigen Begründung zu überwachende Anschlüsse auszuwechseln. Auch kam es zu „Berichtigungen“ der genannten Anschlüsse.
7. Richtervorbehalt und Eilfallkompetenz der Staatsanwaltschaft § 100b Abs. 1 Satz 1 StPO statuiert für die TÜ einen Richtervorbehalt. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Mitwirkung der Ermittlungsrichter ausweislich vieler TÜ-Beschlüsse darauf beschränkte, den von der Staatsanwaltschaft vorformulierten Beschluss auszufertigen65. Eine eigenständige Begründung wurde dabei nicht vorgenommen. So beantragte eine Staatsanwaltschaft (B 7) explizit, „den als Entwurf beigefügten TÜ-Beschluss zu erlassen“. Auch fand sich kein einziger Fall dokumentiert, in dem ein Amtsgericht eine beantragte TÜ ablehnte. Das dem Beschluss vorgeschaltete Procedere gestaltete sich fast immer so, dass eine entsprechende TÜ-Anregung bzw. ein Antrag seitens der Polizei erging66, die Staatsanwaltschaft daraufhin einen entsprechenden Beschlussentwurf verfasste, der vom Ermittlungsrichter nur noch mit einer Unterschrift und einem Stempel versehen wurde. Bei der Interaktion zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft war nur ein Fall (B 9) zu verzeichnen, in dem sich ein Vermerk der Staatsanwaltschaft fand, dass „nach Prüfung des TÜ-Antrages . . . derzeitig die Verdachtslage für die Beantragung einer TÜ nicht für ausreichend“ anzusehen sei. Nach § 100b Abs. 1 Satz 2 StPO kann die TÜ-Anordnung bei Gefahr im Verzug auch von der Staatsanwaltschaft getroffen werden. In 5 A-Komplexen67 machte die Staatsanwaltschaft von ihrer Eilkompetenz Gebrauch. Auch hier war der Begründungsaufwand unterschiedlich. Teilweise ergab sich aus dem Sachverhalt, dass die Ermittlungsbehörden erst kurzfristig von einem unmittelbar bevorstehenden kriminellen Geschäft erfahren hatten, ohne dass die Staatsanwaltschaft den Umstand der „Gefahr im Verzug“ begründete (A 7, 11). In einem Fall (A 12) war die Dringlichkeit der Maßnahme auch nicht aus dem sonstigen Aktenmaterial ersichtlich. Vergleichsweise ausführlich, wenn auch gleichlautend, begründete die Staatsanwaltschaft mehrere TÜ-Beschlüsse in verschiedenen Ermittlungsverfahren im Komplex A 14: „Die Maßnahme war wegen Gefahr im Verzug durch die Staatsanwaltschaft anzu64 So etwa im Fall A 16: „Der Anschluss Nr. 2 läuft auf die Freundin des Beschuldigten X, befindet sich aber in der gemeinschaftlichen Wohnung. Es ist deshalb davon auszugehen, dass er vom Beschuldigten selbst benutzt wird.“ Oder im Komplex A 17: „Der Beschuldigte lebt mit der Anschlussinhaberin X zusammen, weswegen der Verdacht besteht, dass die illegalen Rauschgiftgeschäfte auch über den Telefonanschluss der X abgewickelt werden.“ 65 Ähnlich die TÜ-Untersuchung von Backes / Gusy / Begemann u. a. (2002, Diagramme 2 und 4). 66 Z. B. im Fall B 8: „Die Staatsanwaltschaft X wird ersucht, beim zuständigen Amtsgericht die Überwachung der Fernmeldeanschlüsse . . . zu beantragen.“ 67 A 7, 11, 12, 14 und 16.
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ordnen. Eine rechtzeitige richterliche Entscheidung kann nicht herbeigeführt werden. Mit beweisrelevanten Telefonaten muß jederzeit gerechnet werden.“
8. Die Verlängerung von Telefonüberwachungen Nach § 100b Abs. 2 Satz 4 StPO ist die Anordnung einer TÜ auf höchstens drei Monate zu befristen. Nach Satz 5 ist eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als drei Monate zulässig, „soweit die in § 100a bezeichneten Voraussetzungen fortbestehen.“ Regelmäßig ordnete das Amtsgericht eine TÜ für drei Monate an. In wenigen Fällen (z. B. A 14) verkürzte die Staatsanwaltschaft in ihrem Antrag eine von der Polizei angeregte Drei-Monats-Frist. Wie bei anderen staatlichen Eingriffen in Grundrechte nimmt auch bei der TÜ an sich mit wachsender zeitlicher Länge die Begründungslast für die entsprechende Maßnahme zu68. Demgegenüber arbeitet die Praxis vielfach mit einer pauschalen Bezugnahme auf vorangegangene Beschlüsse. Dieser Usus wird von der missglückten Fassung des § 100b Abs. 2 Satz 5 StPO („Voraussetzungen fortbestehen“) begünstigt. So bestand ein Beschluss (A 2), mit dem eine TÜ zum vierten Mal verlängert wurde, nur aus folgenden drei Sätzen: „Zunächst wird auf die Gründe der Beschlüsse vom 8.4., 15.7., 19.9. und 13. 10. 1994 verwiesen. Die bisherige Überwachung hat den den oben genannten Überwachungsbeschlüssen zugrunde liegenden Tatverdacht erhärtet. Ohne weitere Durchführung der Telefonüberwachung würde die Ermittlung des Umfanges der im Beschluss vom 13. 10. 1994 beschriebenen kriminellen Tätigkeiten des Beschuldigten wesentlich erschwert.“ Eine weitgehende Reduktion der TÜ-Begründung auf eine Bezugnahme auf bereits vorliegende Beschlüsse erfolgte auch im Komplex A 16. Nach einer Nennung der Daten aller vorangegangenen TÜ-Anordnungen hieß es in diesem Beschluss nur noch: „Zwischenzeitlich wurde bekannt, dass der Beschuldigte X über das nunmehr ebenfalls zu überwachende Funktelefon verfügt und mit diesem mit seinen Mittätern Kontakt aufnimmt.“ Noch kürzer fiel der Verlängerungsbeschluss eines Amtsgerichts im Komplex A 17 aus, der sich in dem Halbsatz „da die Voraussetzungen des § 100a StPO weiterhin fortbestehen“, erschöpfte. Auch waren Fälle zu verzeichnen, in denen über Wochen (A 12) oder sogar Monate (B 14) mehrere TÜ nacheinander mit identischer Begründung angeordnet wurden, ohne dass diskutiert worden wäre, ob die Erkenntnisse aus den bisher geschalteten TÜ eine weitere Überwachung rechtfertigten. Zum Selbstläufer wurde ausweislich eines Beschlusses eines rheinland-pfälzischen Amtsgerichts eine TÜ im Komplex A 9 / 23: „Zur Begründung ist darauf hinzuweisen, dass in diesem Ermittlungsverfahren schon zahlreiche Telefonüberwachungen für Anschlüsse des Beschuldigten oder von ihm benutzte Anschlüsse angeordnet worden sind.“ Ähnlich selbstreferentiell geriet die Begründung einer 68
Für die TÜ vgl. Schumacher 1976, 241 sowie Lehmann 1978, 180.
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TÜ im Komplex B 14: „Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die in dieser Sache bereits ergangenen richterlichen Entscheidungen verwiesen.“ 9. Vernichtung der erlangten Unterlagen und Benachrichtigung der Beteiligten § 100b Abs. 6 StPO sieht vor, die durch die TÜ erlangten Unterlagen „unverzüglich unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft zu vernichten“, wenn sie „zur Strafverfolgung nicht mehr erforderlich“ sind. In diesem Zusammenhang war zu beobachten, dass trotz Einstellung eines Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO TÜ-Unterlagen für eine mögliche weitere Strafverfolgung aufgehoben wurden. Dies mag mit der Übung zusammenhängen, Ermittlungsverfahren im Bereich organisierter Kriminalität aufgrund „polizeilicher Erkenntnisse“, d. h. in anderen Strafverfahren angefallener Informationen zu generieren. So verfügte die Staatsanwaltschaft im Komplex A 7 trotz gleichzeitiger Einstellung des Ermittlungsverfahrens, „die angefallenen und in den Handakten befindlichen TÜ-Unterlagen (Gesprächsprotokolle) . . . im Hinblick auf spätere Ermittlungsansätze und eine verbesserte Beweissituation derzeit nicht“ zu vernichten. Im Komplex A 3 hieß es in der Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 StPO explizit: „Eine Löschung der im Rahmen der TÜ-Maßnahmen entstandenen Unterlagen kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in Frage kommen, weil nicht abzusehen ist, ob diese noch für weitere Ermittlungen benötigt werden.“ Im Komplex B 1a erfolgte die Vernichtung der TÜ-Bänder erst nach der beantragten Akteneinsicht, d. h. mehr als sechs Jahre nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens, im Komplex B 9 mehr als zweieinhalb Jahre danach. Am Komplex B 9 lässt sich auch zeigen, wie eine spätere Verwertung nicht gelöschter TÜ-Erkenntnisse aussehen kann. Dort wurde ein Antrag auf eine TÜ im Oktober 1994 u. a. mit Erkenntnissen aus einer in einem anderen Ermittlungsverfahren im Februar 1994 geschalteten TÜ begründet, ohne dass deutlich geworden wäre, gegen wen und mit welchem Ausgang das damalige Verfahren geführt worden war. Auch im Komplex A 2 wurde ein TÜ-Antrag mit Ergebnissen einer 1 Jahre zuvor durchgeführten TÜ belegt, ohne dass diskutiert worden wäre, ob die späte Verwertung § 100b Abs. 5 StPO entspricht. Im Komplex A 16, in dem das Ermittlungsverfahren im September 1994 eingeleitet wurde, enthielt ein Ermittlungsbericht des LKA Baden-Württemberg Erkenntnisse aus Telefonüberwachungen, die bis ins Jahr 1991 zurückreichten. Rechtmäßig ist eine solche Bevorratung von TÜ-Erkenntnissen nicht69. Veröffentlichte Rechtsprechung ist allerdings zur Handhabung der Vernichtungsrege69 So Schnarr (1987, 3): „Wird das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, sind die beweiserheblichen Unterlagen i.S. von § 100b Abs. 5 Satz 1 StPO, was sich von selbst versteht, grundsätzlich nicht mehr zur Strafverfolgung erforderlich.“ Instruktiv die Schilderung der Vernichtungspraxis aus datenschutzrechtlicher Sicht: Thommes StV 1997, 659.
30 Kinzig
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lung kaum vorhanden. Lediglich das OLG Koblenz hat in einer Entscheidung betont, durch eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO stehe fest, „dass die durch die Telefonüberwachung erlangten Unterlagen nicht mehr zur Strafverfolgung erforderlich sind.“70 In diesem Zusammenhang ist die Benachrichtigungspflicht des § 101 Abs. 1 Satz 1 StPO von Bedeutung. Danach sind die Beteiligten von der TÜ zu informieren, „sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, der öffentlichen Sicherheit, von Leib oder Leben einer Person sowie der Möglichkeit der weiteren Verwendung eines eingesetzten nicht offen ermittelnden Beamten geschehen kann.“71 Dabei sind nach ganz h.M. nicht nur der überwachte Beschuldigte sowie der Inhaber des betroffenen Anschlusses, sondern alle Personen zu unterrichten, „mit denen der Beschuldigte den überwachten Fernmeldeverkehr unterhalten hat“.72 Wenn, zum Teil entgegen § 100b Abs. 6 StPO, von der Vernichtung der TÜ-Unterlagen abgesehen wurde, bestand bisweilen auch ein Bedürfnis, den oder die Beschuldigten bzw. Anschlussinhaber nicht von der TÜ zu benachrichtigen. So wurde im Komplex A 7 mit ausdrücklicher Verfügung der Staatsanwaltschaft auf die „Benachrichtigung von den Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen nach § 101 StPO“ verzichtet. Im Komplex A 3 hieß es in der Einstellungsverfügung fehlerhaft: „Eine Unterrichtung des Beschuldigten verbietet sich bereits deshalb, weil dadurch der Ermittlungszweck gefährdet werden könnte.“ Auch im Komplex A 24 erfolgte trotz Einstellung nach §§ 154 bzw. 154a Abs. 1 Satz 1 StPO keine Benachrichtigung „wegen Gefährdung anderer Verfahren.“ Im Komplex B 1a wurde ebenfalls trotz Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO von der Mitteilung abgesehen. Zur Begründung wurde ausgeführt, „der Verdacht, dass X in führender Funktion in der organisierten Kriminalität tätig ist“, sei nicht ausgeräumt. Es sei daher „bis auf weiteres“ von der Benachrichtigung abzusehen, „da weiterhin eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, des Leib und Lebens von Personen, vorliegt und mögliche zukünftige Ermittlungen gegen den Beschuldigten vereitelt würden.“ Im Komplex B 25 traf die Staatsanwaltschaft in ihrer Einstellung eine Wiedervorlageverfügung mit dem Hinweis, die TÜ sei mitzuteilen, „wenn keine Gefährdung der VP mehr zu befürchten ist.“ In mehreren im Komplex B 9 geführten Ermittlungsverfahren regte schon die GER in ihrem Schlussbericht an, „im Falle einer Einstellung des Verfahrens von einer Benachrichtigung der Beschuldigten über die durchgeführten TÜMaßnahmen abzusehen.“ Dass weitere Fernsprechteilnehmer von der durchgeführten TÜ unterrichtet wurden, war nur selten einer Ermittlungsakte zu entnehmen, so etwa im Komplex OLG Koblenz StV 1994, 284 (285) m. Anm. Globig. Ausführlich: Hölscher 2001, 244 ff. 72 Meyer-Goßner 2003, § 101 StPO Rdnr.2; LR / Schäfer 1986, § 101 Rdnr. 3; KK / Nack 1999, § 101 Rdnr. 3; Lemke in HK-StPO 2001, § 101 Rdnr. 2; Rudolphi / Wolter SK StPO 2001, § 101 Rdnr. 2; Hölscher 2001, 222; a.A. lediglich KMR / Müller § 101 Rdnr. 4: nur Inhaber des Anschlusses. 70 71
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467
B 16, in dem ca. 120 Gesprächspartner nach Abschluss des Verfahrens über den Abhörvorgang informiert wurden. Im Übrigen scheint es wegen des großen Verwaltungsaufwandes gängige Praxis, die Benachrichtigungspflicht nach § 100b Abs. 1 StPO zu ignorieren73.
II. Die Erhebung von Verbindungsdaten
Zusätzlich wurden in 13 A- und 8 B-Komplexen Verbindungsdaten erhoben, zumeist auf Grundlage des bis zum 31. 12. 2001 geltenden § 12 Fernmeldeanlagengesetz (FAG)74. § 12 FAG regelte die Auskunft über Verbindungsdaten im Strafverfahren wie folgt: „In strafgerichtlichen Untersuchungen kann der Richter und bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft Auskunft über die Telekommunikation verlangen, wenn die Mitteilungen an den Beschuldigten gerichtet waren oder wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Mitteilungen von dem Beschuldigten herrührten oder für ihn bestimmt waren und dass die Auskunft für die Untersuchung Bedeutung hat. Das Grundrecht des Artikels 10 des Grundgesetzes wird insoweit eingeschränkt.“ In 12 und damit mehr als der Hälfte der 21 Komplexe, in denen Verbindungsdaten erhoben wurden, beschränkte sich diese Maßnahme auf die Auswertung der Daten eines oder zweier Anschlüsse. Von dieser Maßnahme wurde also zurückhaltender Gebrauch gemacht als von der TÜ. 6 5 4 3 2 1 0
A-Komplexe (n=13) B-Komplexe (n=8)
1
2
3
4
5
über 5
Schaubild 102: Anzahl der Anschlüsse mit Erhebung von Verbindungsdaten
Wie die TÜ wurde auch die Erhebung der Verbindungsdaten ganz überwiegend vom Amtsgericht angeordnet. In der Regel erging dabei ein sowohl auf § 12 FAG als auch § 100a StPO gestützter Beschluss, der sowohl auf die rückwirkende Übermittlung der Verbindungsdaten als auch auf die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs in der Zukunft zielte. Auf die selbe Rechtsgrundlage stützten sich zumeist auch Beschlüsse, die sich nur auf die Verbindungsdaten erstreckten, sei es auf bereits 73 Ähnlich die Ergebnis der TÜ-Untersuchung von Backes / Gusy / Begemann u. a. (2002, Diagramm 13: 2,3 % Benachrichtigungen). 74 A 5, 6, 7, 8, 10, 11, 12, 14, 15, 16, 20, 24 und 26 sowie B 1a, 6, 7, 9, 12, 14, 16 und 26.
30*
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
entstandene oder erst zukünftig entstehende (z. B. im Fall A 6). Dass zukünftig entstehende Verbindungsdaten nach § 100a StPO und nicht nach § 12 FAG zu erheben sind, vertritt zu Recht die ganz h.M. in Rechtsprechung und Literatur75. Demgegenüber waren aber auch Beschlüsse zu verzeichnen, mit denen auf Grundlage des § 12 FAG zukünftige Verbindungsdaten erhoben wurden (B 12, B 16). Da § 12 FAG keinen Straftatenkatalog enthielt, wurden entsprechende Beschlüsse auch bei Tatverdacht „wegen Betruges und Unterschlagung“ (B 16) oder „wegen dreifachen Betruges“ (B 26), also bei nicht dem Katalog des § 100a StPO unterfallenden Straftaten, gefaßt. Inhaltlich zielen Beschlüsse nach § 12 FAG häufig auf die Feststellung von Kontakten (A 14) oder auf die „Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten“ (B 26). Teilweise hatte der im Vergleich zu den §§ 100a ff StPO weniger präzise Wortlaut des § 12 FAG eine geringere Begründungsdichte zurfolge76. So wurden mehrere § 12 FAG-Beschlüsse im Komplex A 12 äußerst kurz begründet: „Die genannten Daten und Abrechnungsunterlagen sind für das vorliegende Ermittlungsverfahren als Beweismittel von Bedeutung.“ Das FAG ist zum 31. 12. 2001 außer Kraft getreten und mit Wirkung vom 1. 1. 2002 durch die §§ 100g und 100h StPO ersetzt worden, die wiederum bis zum 31. 12. 2004 befristet sind77. Durch die neuen §§ 100g und h StPO wurde der Auskunftsanspruch mit den Regelungen nach §§ 100a, b StPO harmonisiert78. Voraussetzung des Auskunftsanspruchs ist nach § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO jetzt, dass es sich um „eine Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere eine der in § 100a Satz 1 genannten Straftaten“ handelt. Nach § 100g Abs. 1 Satz 3 StPO darf die Auskunft auch über zukünftige Telekommunikationsverbindungen angeordnet werden. § 100g Abs. 2 StPO schreibt vor, dass die Erteilung der Auskunft nur angeordnet werden darf, „wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.“ Die Art und Weise der Anordnung regelt § 100h StPO. Die Anordnung der Auskunft über zukünftige Telekommunikationsverbindungen ist nach
75 OLG Celle StV 2000, 70 und OLG Hamm B. v. 29. Juli 1999 – 3 Ws 368 / 99 sowie früher bereits OLG Köln, NJW 1970, 1856 (1857) gegen LG München NStZ-RR 1999, 85; allgemein zu § 12 FAG: BGH NStZ 1998, 92. Dafür, dass sich § 12 FAG nur auf bereits angefallene Verbindungsdaten bezieht: Kleinknecht / Meyer-Goßner 2001, § 100a Rdnr. 3; Lampe in Erbs / Kohlhaas, § 12 FAG Rdnr. 12, KK / Nack 1999, § 100a Rdnr. 17, Rudolphi SK StPO 1994, § 99 Rdnr. 20; LR / Schäfer 1986, § 99 Rdnr. 44; Welp 1974, 123. 76 Durch verfassungsrechtliche Bedenken unter dem Blickwinkel des Bestimmtheitserfordernisses wurde auch die Einfügung der §§ 100g, h in die StPO motiviert, vgl. BT-Drs. 14 / 7008, S. 1. 77 Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung v. 20. 12. 2001, BGBl. I, 3879; vorangegangen Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 1. 10. 2001, BT-Drs. 14 / 7008; dazu Bizer 2002. 78 So die Zielrichtung des Entwurfs, vgl. BT-Drs. 14 / 7008, S. 1.
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§§ 100h Abs. 1 Satz 3, 100b Abs. 2 Satz 4 und 5 StPO auf drei Monate mit Verlängerungsmöglichkeit zu befristen.
III. Der Einsatz von Vertrauenspersonen und von Informanten
Neben der TÜ hat in Ermittlungsverfahren organisierter Kriminalität der Einsatz so genannter Vertrauenspersonen (VP) und von Informanten eine überaus große Bedeutung79, und zwar deutlich mehr als der Verdeckter Ermittler (VE)80. Zur Begründung wird angeführt, speziell bei der abgeschottet agierenden organisierten Kriminalität seien VP-Informationen unverzichtbar, um überhaupt an den richtigen Stellen und bei den richtigen Personen ansetzen zu können81. Dass vor allem verdeckt gearbeitet wird, gehöre geradezu zum Selbstverständnis von OKDienststellen82. Wer mittels einer Aktenuntersuchung Näheres über die Art und Weise sowie die Probleme eines VP- oder Informanten-Einsatzes im Bereich organisierter Kriminalität erfahren will, trifft auf die Schwierigkeit, dass der Schutz dieser strafprozessual als Zeugen anzusehenden Personen die Ermittlungsbehörden dazu verleiten kann, auf einen Nachweis der entsprechenden Tätigkeit in den dem Gericht vorzulegenden Ermittlungsakten teilweise oder sogar völlig zu verzichten. In einem solchen Fall besteht auch für den empirisch arbeitenden Wissenschaftler die Gefahr, den zu analysierenden Sachverhalt nur unvollständig zu erfassen. Dabei schweigt die Strafprozessordnung zu der Frage, ob der Einsatz von VP oder Informanten zu Einschränkungen des Grundsatzes der Aktenwahrheit bzw. -vollständigkeit führen kann. Nr. 5.6 der „Gemeinsame(n) Richtlinien . . . über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung“ (Anlage D der RiStBV) bestimmt dazu, dass die Staatsanwaltschaft über das Gespräch mit der Polizei über die Mitwirkung des Informanten / der V-Person und über die getroffene Entscheidung ohne Nennung des Namens einen Vermerk zu den Generalakten 4110 fertigt, der somit nicht Bestandteil der Ermittlungsakten 79 Dies zeigten schon die verschiedenen Lagebilder, vgl. Kapitel 11, B., VI. sowie 11, C., IV. Im Bereich der mit den Strafverfolgungsbehörden bei der Kriminalitätsbekämpfung zusammenarbeitenden Privatpersonen ist die Terminologie nach wie vor sehr unübersichtlich, vgl. etwa Körner 2001, § 31 Rdnr. 102 ff. 80 Vgl. auch die Einsatzübersicht bei Köhler (2001, 121) für die Sonderabteilung Organisierte Betäubungsmittelkriminalität bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt / M. Zu den finanziellen wie kriminaltaktischen Vorteilen des VP-Einsatzes gegenüber der VE-Tätigkeit: Kreuzer / Stock 1998, § 13 Rdnr. 602 ff. 81 Geißdörfer 1993, 679 f.; weitere Gründe für die Wertschätzung des VP-Einsatzes innerhalb der Polizei finden sich bei Pütter 1998, 80 f. Kritisch zum Zirkelschluss, aus der Notwendigkeit des VP-Einsatzes dessen Zulässigkeit wie auch umgekehrt zu folgern: Makrutzki 2000, 38 f. 82 Pütter 1998, 71.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
wird83. Ebenso werden nach herrschender Praxis „bloße vertrauliche Hinweise“, die nur als Ermittlungsansatz dienen, nicht in den Akten niedergelegt. Nicht anders soll es sich mit einem gescheiterten VP-Einsatz verhalten, da ihm keine beweiserhebliche Bedeutung zukomme84. Darüber hinausgehende polizeiliche „Tarnmaßnahmen“ haben seit jeher zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei, Justiz und Verteidigung geführt85. So werden aus der Praxis Fälle berichtet, in denen die Ermittlungsakte zum Schutz der VP keinerlei Hinweise über deren Tätigkeit enthielt, obwohl diese in hohem Maße beweiserheblich war86. Dieses Vorgehen mündet in den Vorwurf, der Strafprozess werde zu einem „Geheimprozess“, da die Akten nicht vollständig, sondern in ihren wichtigsten Bestandteilen geheim seien. Die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, unter denen die Ermittlungstätigkeit begonnen habe, würden weitestmöglich vorenthalten und verschleiert87. Die vorliegende Untersuchung besitzt den Vorzug, nicht ausschließlich auf eine Analyse der Ermittlungsakten beschränkt zu sein, sondern die von der Polizei zu den Komplexen erstellten Raster einbeziehen zu können. Darin ist der „VP-Einsatz“ bzw. „VE-Einsatz“ unabhängig von seinem Eingang in die Ermittlungsakten vermerkt. Nach einem kurzen Überblick über die rechtlichen Grundlagen der verdeckten Ermittlungsmethoden Vertrauensperson sowie Informant (16.4.3.1) wird daher zunächst aufgezeigt, inwieweit diese Einsätze aus den Strafverfahrensakten überhaupt erkennbar sind (16.4.3.2). Danach werden die Dimensionen des VP- sowie des Informanten-Einsatzes in Verfahren organisierter Kriminalität beschrieben (16.4.3.3). Probleme im Zusammenhang mit der Einführung des V-Mann-Wissens und seiner Verwertung in der Hauptverhandlung werden später erörtert.
1. Rechtliche Grundlagen Nach wie vor ist weder für den Einsatz von Vertrauenspersonen noch für den von Informanten eine spezielle gesetzliche Grundlage in der Strafprozessordnung vorhanden88. Auch das baden-württembergische Polizeirecht enthält für den präventiven Bereich eine solche nicht89. 83 Kritisch LR / Rieß 1988, § 163 Rdnr. 59; zum Inhalt einer polizeiinternen VP-Akte: Pfeil 2001, 113 f.; zu den internen Dienstanweisungen: Körner 2001, § 31 Rdnr. 119. 84 Schmidt-Sommerfeld 2001, 484; dagegen etwa: Haas 1986, 166 ff. 85 Kreuzer / Stock 1998, § 13 Rdnr. 612. 86 Vgl. die Schilderung bei Wesemann 1997, 603; vgl. auch Kreuzer / Stock 1998, § 13 Rdnr. 612. 87 Klawitter 1997, 249. 88 Daran hat auch das „obiter dictum“ des Bundesverfassungsgerichts im Sedlmayr-Beschluss, BVerfG NStZ 2000, 489 (490) nichts geändert, nach dem sich ein „den Ermittlungsbehörden im Rahmen des erteilten Auftrags zuzurechnende(s) Vorgehen der Vertrauensleute“ als eine heimliche Befragung einer Aussageperson durch V-Personen und damit als eine
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Die VP wird jedoch in Abschnitt I 2.2 der bereits erwähnten Gemeinsamen Richtlinien folgendermaßen definiert: „V-Person ist eine Person, die, ohne einer Strafverfolgungsbehörde anzugehören, bereit ist, diese bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit vertraulich zu unterstützen, und deren Identität grundsätzlich geheimgehalten wird.“ Im Gegensatz dazu wird nach 2.1 als Informant bezeichnet, wer „im Einzelfall bereit ist, gegen Zusicherung der Vertraulichkeit der Strafverfolgungsbehörde Informationen zu geben.“90 Nach dieser Definition sind für die Arbeit einer Vertrauensperson vier Elemente konstitutiv. Sie unterstützt die Strafverfolgungsbehörden bei der „Aufklärung von Straftaten“, also im Bereich der Strafverfolgung (1). Im Gegensatz zum Informanten geschieht dies „auf längere Zeit“ (2). Ihre Identität wird im Strafverfahren im Unterschied zum gewöhnlichen Zeugen grundsätzlich geheimgehalten (3). Und schließlich gehört sie, anders als der VE, nicht organisatorisch der Strafverfolgungsbehörde an, ist also kein Polizeibeamter, sondern in erster Linie Privatperson (4)91. Weitere Voraussetzungen für den Einsatz von Vertrauenspersonen wie Informanten trifft Nr. 3 der Richtlinien. Nach Nr. 3.2 dürfen Informanten nur in Anspruch genommen, V-Personen nur eingesetzt werden, wenn die Aufklärung sonst aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Ziel der weiteren Ermittlungen ist das Beschaffen von Beweismitteln, die den strafprozessualen Erfordernissen der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme entsprechen und einen Rückgriff auf diese Personen erübrigen. Nach Nr. 3.1 a) kommt die Zusicherung der Vertraulichkeit / Geheimhaltung vor allem im Bereich der Schwerkriminalität, organisierten Kriminalität, des illegalen Betäubungsmittel- und Waffenhandels, der Falschgeldkriminalität und der Staatsschutzdelikte in Betracht92. Im Gegensatz zur ausführlichen Diskussion über das Erfordernis bzw. Vorhandensein einer Rechtsgrundlage für die VP- bzw. Informantentätigkeit werden konkrete Einsatzvoraussetzungen nur selten benannt. Überwiegend lehnt man sich an Maßnahme darstellen kann, „die jedenfalls ohne spezielle gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig“ ist. Auch das StVÄG 1999 hat keine Regelung gebracht, vgl. Hetzer 2001, 690 ff. Zusammenfassender Überblick über den Streitstand bei Körner 2001, § 31 Rdnr. 113 ff.; vgl. auch Kapitel 5, B., II., 7. 89 So Belz / Mußmann 2001, § 20 Rdnr. 37; anders die Vorschriften einiger anderer Bundesländer, vgl. Benfer 2001 Rdnr. 1179 ff. sowie Kreuzer / Hund 1998, § 12 Rdnr. 531, die VP als Person definieren, deren Zusammenarbeit mit Dritten der Polizei nicht bekannt ist. 90 Gegen die Sinnhaftigkeit dieser Unterscheidung: Weiler 2001, 8. 91 Gleichwohl werden VP häufig nach dem Verpflichtungsgesetz (Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz) vom 2. 3. 1974, BGBl. I, 547, geändert durch das Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 15. 8. 1974, BGBl. I, 1942) auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Obliegenheiten verpflichtet. Zur kriminaltaktischen Bedeutung dieser Verpflichtung: Kreuzer / Kasecker 1998, § 13 Rdnr. 342. 92 Vgl. auch Körner 2001, § 31 Rdnr. 121 sowie oben Kapitel 5, D.
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die Regelung in den Gemeinsamen Richtlinien an93. Nach KK / Senge94 ist eine Straftat von erheblicher Bedeutung erforderlich, und der Einsatz anderer Ermittlungsmethoden muss erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert sein. 2. Erkennbarkeit des Einsatzes einer Vertrauensperson bzw. eines Informanten In scharfem Gegensatz zur rudimentären rechtlichen Ausgestaltung steht die hohe Bedeutung des Einsatzes von Vertrauenspersonen bzw. von Informanten in Verfahren organisierter Kriminalität, die sich auch bei einer detaillierten Analyse unseres Aktenmaterials zeigt. Nach den Angaben der polizeilichen Raster war die Mitwirkung einer oder gar mehrerer VP bzw. Informanten in 21 A- und immerhin in acht B-Komplexen zu verzeichnen95. Bei Durchsicht der einzelnen Fälle waren zunächst zwei Dinge erkennbar: Einerseits wurde in den Rastern, aber auch in den Ermittlungsakten nicht immer hinreichend zwischen der Stellung als VP oder Informant differenziert, d. h. in einigen Fällen die Tätigkeit eines Informanten, dem für seine Angabe Vertraulichkeit zugesichert wurde, als VP-Tätigkeit erfasst96. Andererseits fanden sich auch Komplexe ohne Raster-Vermerk eines VP-Einsatzes, in denen Informanten eingesetzt waren97. Im Übrigen ging in immerhin sechs Komplexen der Einsatz von VP nur aus den Rastern von Polizei oder Justiz hervor, nicht aber aus den eingesehenen Strafverfahrensakten. So verzeichnete das polizeiliche Raster im Komplex A 25 den Einsatz von immerhin 6 VP, um unter dem Punkt „OK-spezifische Ermittlungsproblematik“ allerdings auch zu vermerken, dass die „Gewinnung von VP kaum möglich“ gewesen sei. Aus den Ermittlungsakten waren jedenfalls weder die Tatsache dieses Einsatzes noch Art oder Umfang der jeweiligen VP-Tätigkeit ersichtlich. 93 So etwa LR / Rieß 1988, § 163 Rdnr. 59; Kreuzer / Hund 1998, § 12 Rdnr. 529 ff.; Körner 2001, § 31 Rdnr. 121. 94 KK / Senge 1999, vor § 48 Rdnr. 55 unter Berufung auf die Rechtsprechung des BGH, BGHSt 42, 139. 95 A 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 / 23, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 19, 21, 24 und 25 sowie B 1b, 5, 9, 12, 13, 16, 18 und 25. In zwei Fällen fanden sich Vermerke, warum kein VP-Einsatz vorgenommen werden konnte. In einem Komplex (B 8) seien die Zielpersonen, so das Raster, „polizeierfahren“, in einem anderen Fall (A 26) sprachliche und ethnische Barrieren ein Hinderungsgrund gewesen. 96 Das mag auch auf das Raster zurückzuführen sein, mit dem an sich nur der „VP-Einsatz“, nicht aber die Informantentätigkeit erfaßt wird. In der polizeilichen Praxis (Schomburg 1992, 679) findet sich zur Erklärung, die Abgrenzung sei im Anwendungsfall nicht immer einfach. 97 So z. B. im Fall A 18 (Ähnliches gilt für A 21) ein Protokoll über die „Vernehmung eines Zeugen anonym“, dem von der Staatsanwaltschaft Vertraulichkeit zugesichert worden war.
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Dem Raster im Komplex A 12 war sowohl ein VE-Einsatz nach „StPO“ als auch ein VP-Einsatz nach „PolG“ zu entnehmen98, ebenfalls ohne dass sich aus den sonstigen Ermittlungsakten irgendein Hinweis auf die Tätigkeit dieser Personen ergeben hätte. Dass in den Polizeikosten ein Anteil von 8000 DM an „Belohnung“ ausgewiesen wurde,99 zeigt allerdings, dass ein solcher Einsatz real stattfand. Ganz ähnlich gestaltete sich die Sachlage im Komplex A 4. Laut polizeilichem Raster wurde eine VP – auf Grundlage einer „VwV“ – eingesetzt, ohne dass den Akten darüber weitere Informationen hätten entnommen werden können. Im Übrigen wies nur die Belohnung in Höhe von 2500 DM auf den VP-Einsatz hin. Im Komplex A 5 wurde § 163 StPO als Rechtsgrundlage für die Tätigkeit der VP genannt. Gleichzeitig wurde in der Rubrik „OK-spezifische Ermittlungsproblematik“ vermerkt, dass sich der VE / VP-Einsatz äußerst schwierig gestaltet habe. Auch hier blieb die Tätigkeit der VP im Verfahren unklar. Möglicherweise handelte es sich um einen „Hinweisgeber“, durch den das Verfahren ins Rollen gebracht und dem Vertraulichkeit zugesichert worden war. Auch der Ermittlungsbericht im Komplex A 8 enthielt mehrere Hinweise einer Person, der Vertraulichkeit zugesichert worden war. Das Raster wies einen VP-Einsatz auf der Grundlage „Gem VwV IM / JuMI“ aus, über den der restlichen Ermittlungsakte aber keine weiteren Informationen zu entnehmen waren. Zuletzt war auch im Komplex A 3 der Einsatz eines VE, aber auch einer VP aufgrund „VP-RL“ vermerkt, ohne dass die Ermittlungsakte näheren Aufschluss gegeben hätte. Lediglich in der Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 StPO gegen einen der Beschuldigten fand sich eine Formulierung, dass „während der nunmehr über 1 Jahre andauernden Ermittlungen“ mehrfach erfolglos versucht worden sei, „V-Leute bzw. Verdeckte Ermittler an den Beschuldigten heranzuführen“.
3. Dimensionen des VP- sowie des Informanteneinsatzes Bessere Erkenntnisse über die Dimensionen des VP- sowie des Informanteneinsatzes liefert eine Analyse derjenigen 23 OK-Komplexe, bei denen die Ermittlungsakte die VP- sowie Informantentätigkeit genauer dokumentierte. Allerdings gilt auch dafür einschränkend, dass in der Regel weder die in Nr. 5.1 der Gemeinsamen Richtlinien vorgesehene Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Zusicherung der Vertraulichkeit / Geheimhaltung noch die „Bestätigung der zugesicherten Geheimhaltung“ bei einem gezielten Einsatz einer VP nach Nr. 5.3 oder gar Informationen über einen entsprechenden VP-Auftrag in den Unterlagen enthalten waren.
Wie erwähnt, enthält das baden-württembergische Polizeirecht dafür keine Grundlage. Dass eine Belohnung gezahlt wurde, ist den Akten meist nicht zu entnehmen, vgl. Haas 1986, 271; Weiler 2001, 1. 98 99
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Im Übrigen war auch hier eine starke Konzentration besagter Ermittlungsmethoden auf den Bereich der (organisierten) Rauschgiftkriminalität zu erkennen. Von den 23 Komplexen waren allein 14 dem Rauschgiftmilieu zuzurechnen100. Die hohe Drogendeliktslastigkeit bei der VP-Tätigkeit im OK-Bereich mag daher rühren, dass die OK-Dienststellen, obwohl sie an sich deliktsübergreifend arbeiten, die zunächst bei der Rauschgiftkriminalität entwickelten Bekämpfungsstrategien fortsetzen101. Die übrigen neun Komplexe waren deliktisch sehr gemischt102.
a) VP als Informationsbeschaffer In vier Komplexen103 erschöpfte sich die Rolle der VP bzw. des Informanten, soweit ersichtlich, in der Beschaffung von Informationen, ohne dass den Ermittlungsakten spezifischere Angaben oder gar ein Auftrag zu entnehmen gewesen wäre. So waren im Komplex B 13 die Hinweise eines Informanten, dem Vertraulichkeit zugesichert wurde, auf eine verdächtige Person ein auslösendes Moment des Verfahrens104. Im Komplex A 16 erfolgte ausweislich des Rasters und der Anklageschrift der Einsatz mehrerer VP sowie von weiteren Informanten. Dabei gaben auch hier die Angaben einer VP den Anstoß für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens. Außerdem wurde laut Anklageschrift auf die Angaben verschiedener VP der Vorwurf gegen die Hauptbeschuldigten gestützt, eine kriminelle Vereinigung (§ 129 StGB) gegründet zu haben. Allerdings waren aus den eingesehenen Akten keine näheren Informationen darüber ersichtlich, auf welchem Weg die VP ihre Erkenntnisse gewonnen hatten. Der Vorwurf, die Zielpersonen betrieben „unterschiedlichste Straftaten, wie Waffen- und Menschenhandel, Geldwäsche im großen Stil, Urkundenfälschung u. a.“, beruhte ausweislich des polizeilichen Rasters im Komplex B 18 ebenfalls auf VP-Hinweisen. In einem Ermittlungsbericht fand sich zudem die Angabe einer VP, einer der Hauptbeschuldigten hätte behauptet, Uran besorgen zu können. Die Enttarnung der VP führte zum Versiegen dieser Informationsquelle. „Aussagen eines Informanten“ über einen Hauptbeschuldigten fanden sich schließlich im Komplex A 19 sowohl im Ermittlungsbericht des BKA wie auch in der folgenden Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft. A 1, 6, 7, 9 / 23, 10, 13, 14, 15, 17, 21 und 24 sowie B 5, 9 und 13. Pütter 1998, 112. 102 A 2: Schleusung; A 11 und 19: Mischdelikte; A 16: Schutzgeld; B 1b: Tötungsdelikt; B 12 und 25: Falschgeld; B 16: Kfz; B 18: Wirtschaftsdelikte. 103 A 16 und 19 sowie B 13 und 18. 104 Die bereits angesprochenen Unsicherheiten bei der strafprozessualen Einordnung als VP oder Informant zeigte hier der polizeiliche Ermittlungsbericht, der den mutmaßlichen Informanten widersprüchlich zur Definition in den Gemeinsamen Richtlinien teilweise als Person, der Vertraulichkeit zugesichert worden sei (im Sinne der Richtlinien also ein Informant), teils als „Vertrauensperson“ oder „VP“ klassifizierte. 100 101
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In fünf Komplexen liegen über das vertrauliche Unterstützen im Sinne der Lieferung von Informationen hinaus Angaben über die Art und Weise des VP-Einsatzes vor105. So waren Hinweise einer VP auf einen Busfahrer, dieser importiere regelmäßig Heroin aus dem Kosovo, einer der Ausgangspunkte des Verfahrens A 7. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen bat das LKA die StA um die „Zusicherung der Vertraulichkeit und der Geheimhaltung“ einer weiteren bereits als VP geführten Person, da beabsichtigt sei, diese „gegen die kosovo-albanische Tätergruppierung einzusetzen.“ „Wie sich im Zuge der Struktur- und Initiativermittlungen als auch anderweitiger verdeckter Maßnahmen bereits herausgestellt hat,“ so das LKA, „ist die Aufklärung dieses illegalen Btm-Handels als auch offensichtlich anderer krimineller Aktivitäten dieser kosovo-albanischen Tätergruppierung nur durch die Beschaffung von Informationen durch den Einsatz einer VP möglich.“ Ein über die „Beschaffung von Informationen“ hinausgehendes konkretes Einsatzziel nannte das LKA nicht. Auch wurde nicht diskutiert, dass parallel bereits TÜ-Maßnahmen geschaltet worden waren. Die StA willigte ohne Begründung in den Einsatz ein106. In einem weiteren „Antrag auf Zusicherung / Vertraulichkeit einer VP“ begründete das LKA den Einsatz einer zusätzlichen VP damit, der „Informant“ sei bereit, die Strafverfolgungsbehörden „bei der Aufklärung im Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Organisierten Kriminalität durch eine kosovo-albanische Tätergruppe auf längere Zeit“ zu unterstützen. Gerade in diesem Bereich der Kriminalität sei die Aufklärung von Straftaten ohne den Einsatz einer VP aussichtslos oder wesentlich erschwert. Auch hier erfolgte eine begründungslose „Bestätigung der zugesicherten Geheimhaltung“ durch die StA, ohne dass aus dem polizeilichen Antrag ein genaues Einsatzziel zu erkennen gewesen wäre. Im Komplex A 2, einem Verfahren der Schleusungskriminalität, deutet eine Formulierung der Polizeidirektion in einem ersten TÜ-Antrag („Polizeilicherseits wurde hier ab Februar 1994 bekannt“) darauf hin, dass es auch hier bereits in einem frühen Ermittlungsstadium zu einem allerdings nicht näher spezifizierten VP-Einsatz kam. Zusätzlich beschuldigte eine Person, der die StA Vertraulichkeit zugesichert hatte, einen der Hauptbeschuldigten als Täter eines Banküberfalls. Auf Betreiben der StA wurde dieser TÜ-Antrag eine Woche später durch neue „vertraulich gewonnene Erkenntnisse“ sowie weitere Angaben des besagten Informanten angereichert107. Schwierigkeiten bei der Einordnung als VP oder Informant offenbarte ein einige Monate später zwischen Polizei und StA geführter Schriftwechsel. Darin 105 A 2, 7, 9 / 23 sowie B 1b und 9. Kreuzer / Hund 1998, § 12 Rdnr. 545 ff. unterscheidet zwischen VP, die bloß Informationen weitergeben, und solchen, die gezielt zur Informationsbeschaffung eingesetzt werden, darüber hinaus die Tatprovokation. 106 Ausnahmsweise lagen in diesem Fall der Antrag auf „Zusicherung der Vertraulichkeit und der Geheimhaltung für die VP“ und die „Bestätigung der zugesicherten Geheimhaltung“ durch die StA vor. 107 Wenn die Zusammenarbeit allerdings, was dem Bericht nicht eindeutig zu entnehmen ist, „auf längere Zeit“ angelegt war, handelte es sich tatsächlich um eine VP.
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bat die ermittelnde Polizeidirektion die StA um eine „Vertraulichkeitszusicherung“ für eine bereits geführte VP108, die in Kontakt zu einem Beschuldigten stehe und „Erkenntnisse über die kriminellen Machenschaften“ erhalten habe. Als Zweck dieser „Vertraulichkeitszusicherung“ wurde formuliert: „Unter der Voraussetzung, dass der VP für diese Informationen Vertraulichkeit zugesichert wird, ist die VP bereit, mit der Polizei zusammenzuarbeiten und X sowie ggfs. weitere Tatgenossen den Strafverfolgungsbehörden zuzuführen.“ Auf diesen Antrag hin gewährte die StA eine formularmäßige begründungslose „Einwilligung zur Zusicherung von Vertraulichkeit / Geheimhaltung“ allerdings gegenüber, wie sie es formulierte, dem „Informanten“ X. Als in der Sache problematisch erwies sich eine weitere Vertraulichkeitszusicherung in diesem Komplex, bei der sich herausstellte, dass sich die geschützte Person im Folgenden an den kriminellen Handlungen selbst beteiligte und darüber hinaus in Verdacht geriet, weitere Straftaten verübt zu haben. Aus diesem Grund konnte die ihr zugesicherte Vertraulichkeit nicht mehr aufrechterhalten werden. Trotz dieses starken VP- bzw. Informanteneinsatzes spielten deren Angaben weder in der Anklageschrift noch im Urteil gegen die drei Hauptbeschuldigten eine Rolle, mit Ausnahme der Aussage des beteiligten Zeugen, dessen Vertraulichkeitszusage zurückgezogen worden war. Auch im Komplex A 9 / 23 standen Hinweise einer VP am Anfang des Verfahrens. Sie gab an, einer der Hauptbeschuldigten sei „Auftraggeber und Initiator für die illegale Einfuhr von Heroin in nicht geringen Mengen“. Des Weiteren berichtete sie über Einzelgeschäfte des Hauptbeschuldigten. Weitere Erkenntnisse über die Struktur der Gruppierung lieferte eine „Informantenperson (IP)“. Eine ganze Reihe der in diesem Komplex erhobenen Anklagen stützte sich im Folgenden auf die Angaben von (teilweise mehreren) VP, ohne dass erkennbar gewesen wäre, eine dieser VP hätte sich an den Rauschgiftgeschäften beteiligt. Einen Eindruck davon, wie eingeschränkt die Leitungsbefugnis der StA bei Führung einer VP „de facto“ ausfallen kann, vermittelt der Komplex B 1b. In dieser Mordsache erging der Hinweis eines „Informanten“ auf die Beteiligung eines X an dem Tötungsdelikt und eine Adresse, unter der dieser wohnen sollte, ohne dass die Polizei „die Wertigkeit der Aussage“ einschätzen konnte. Daraufhin wurden zwei Telefonanschlüsse unter der besagten Adresse (erfolglos) abgehört. Den Wunsch eines Staatsanwalts mit der VP direkt Kontakt aufzunehmen, verweigerte die führende Kriminalbeamtin, da sie befürchtete, „dass das bestehende Vertrauensverhältnis der Informantin zur Polizei in Y hierdurch gestört würde.“ Dies erscheint mit der Kontrollpflicht der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens kaum vereinbar109. Wenige Tage später war die Informantin wegen eines gegen sie bestehenden Haftbefehls abgetaucht.
108 Die Gemeinsamen Richtlinien sprechen von einer Zusicherung der Vertraulichkeit bei Informanten. 109 Körner 2001, § 31 Rdnr. 185.
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Auch der Komplex B 9 hatte einen Ausgangspunkt in einem VP-Hinweis auf die Verteilung von Heroin durch eine türkische Obst- und Gemüsefirma. Einige Monate später erfolgte durch eine weitere VP die Mitteilung, eine Lieferung von 100 kg Heroin aus der Türkei an einen namentlich bezeichneten Abnehmer stehe bevor. Probleme mit der Zuverlässigkeit der VP gab es jedoch auch hier, da die VP untertauchte und „in der Folgezeit zu einer weiteren Zusammenarbeit nicht mehr bereit“ war. Auch der Einsatz einer weiteren (?) VP musste in diesem Komplex abgebrochen werden, „nachdem kurz vor Einsatzbeginn festgestellt wurde, dass die VP in Deutschland zur Festnahme ausgeschrieben ist und noch ca. 3 Jahre Freiheitsstrafe zu verbüßen hat.“ In der Folge wurde gegen einen anderen Hauptbeschuldigten X der Einsatz von zwei weiteren VP „zur Gewinnung von diesbezüglichen Informationen über X und dessen Hinterleute / Mittäter“ angeregt. Der entsprechende Antrag des LKA auf „Zusage der Vertraulichkeit / Geheimhaltung“ für diese zwei VP erfolgte mit der Begründung, „bei Bekanntwerden ihrer Tätigkeit für die Ermittlungsbehörden“ müsse „mit massiven Racheakten aus dem Bereich des organisierten Heroinhandels gerechnet werden“. Die Verfahren in diesem Komplex wurden eingestellt.
b) VP als Beteiligte am kriminellen Geschehen Über die (gezielte) Beschaffung von Informationen hinaus waren VP in immerhin 14 Komplexen unmittelbar am kriminellen Geschehen beteiligt110, darunter allein in 10 Btm-Fällen, daneben zwei mit Falschgelddelikten (B 12 und 25), einer mit Kfz-Verschiebungen (B 16) sowie einer mit Mischdelikten (A 11)111. Nachdem der Komplex A 1 durch verschiedene „vertrauliche Hinweise“ in Gang gekommen war, ergingen seitens der ermittlungsführenden StA zunächst weitere formularmäßige Vertraulichkeitszusagen. Begründet wurden die vorausgehenden polizeilichen Anträge damit, die „Gewährsperson“ sei auch weiterhin bereit, „Informationen zur Identifizierung und Überführung der kurdischen Rauschgifthändler und zur Sicherstellung von Btm an die Polizei weiterzugeben“ (VP 1) bzw. damit, eine Person habe sich bereit erklärt, „mit dieser Tätergruppe Kontakt aufzunehmen“ und „der Polizei Informationen zu liefern“ (VP 2). Darin erschöpften sich die VP-Tätigkeiten jedoch nicht. So beruhten zwei wesentliche Anklagepunkte auf dem Mitwirken von VP. Dabei handelte es sich um eine Lieferung von 500 g Heroin nach vorangegangener Bestellung durch zwei VP sowie den Verkauf von je 100 g Heroin und Streckmittel unter Beteiligung eines VE A 1, 6, 10, 11, 13, 14, 15, 17, 21, 24 sowie B 5, 12, 16, 25. Deutlich geringer dagegen die Quote in der Untersuchung von Haas (1986, 273), der bei 72 Verfahren mit Beteiligung von „V-Leuten“ 5 zählte, in denen diese oder „uca“ (sc. entspricht dem heutigen VE) „direkt an Straftaten beteiligt“ waren. Auf eine weitere Differenzierung, wie sie etwa Stock (Kreuzer / Stock 1998, § 13 Rdnr. 598 ff.) im Rauschgiftbereich zwischen dem Lockspitzel und dem Scheinaufkäufer vornimmt, wurde hier verzichtet. 110 111
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sowie einer VP. Die genaue personelle Konstellation dieser im staatlichen Auftrag handelnden Personen ergab sich allerdings erst auf die Anfrage des erkennenden Gerichts, für welche der in der Anklageschrift genannten VP bzw. VE und bei welchen Behörden Sperrerklärungen einzuholen seien. Trotz des vergleichsweise hohen Ermittlungsaufwandes wertete die StA den VP-Einsatz in einer abschließenden Stellungnahme nicht als durchschlagenden Erfolg. Denn „abgesehen von ihrem allgemein eingeschränkten Beweiswert“ sei „mit ihnen nur das Eindringen in Randbereiche und nachrangige Verkäuferhierarchien der Organisation“ gelungen. Zusätzlich schwierig sei der „Spagat zwischen der Einhaltung des Legalitätsprinzips einerseits und weiterer Sachverhaltsaufklärung zur Ermittlung der Strukturen und der Hinterleute andererseits.“112 VP- und VE-Einsatz spielten auch in mehreren Phasen des Falles A 6 eine wichtige Rolle. Während im polizeilichen Schlussbericht ohne Spezifizierung der Einsatz mehrerer VP vermerkt war, erfolgte ausweislich des Urteils im führenden Verfahren durch eine VP 1 ein erster Hinweis auf eine mit Rauschgift handelnde kurdische Gruppierung. Einer VP 2 gelang es dann, Kontakt zu einem der Hauptbeschuldigten zu knüpfen und einen VE an die Gruppierung heranzuführen, der wiederum ein Rauschgiftgeschäft initiierte. Eine VP in Kolumbien spielte eine wichtige Rolle im Komplex A 10 bei der Einfädelung einer von Beginn an polizeilicherseits überwachten Einfuhr von 37 kg Kokain. Ausweislich des Urteils hatte die VP einem der Hauptbeschuldigten angeboten, „ihn in die Szene in Kolumbien einzuführen und bei der Abwicklung von Kokainlieferungen nach Deutschland mitzuwirken.“ Dieser ließ sich nach anfänglichem Zögern „überreden, für die kolumbianischen Kokainhändler tätig zu werden.“ Auch der Komplex A 13 nahm seinen Ausgang mit Berichten einer VP, Albaner beabsichtigten, Heroin in größerem Umfang abzusetzen. Zur Anklage kamen in der Folge auch zwei Geschäfte, bei denen einer VP u. a. 1 kg Heroin für 60.000 DM angeboten bzw. Proben übergeben worden waren. Nachdem die VP für die Hauptverhandlung gesperrt worden war, lehnte allerdings die Kammer die Eröffnung in diesem Punkt der Anklage unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH ab. „Da die seitens der Vertrauensperson angegebenen größeren Mengen an Heroin später tatsächlich nicht umgesetzt wurden“, so das Gericht, „fehlt es vorliegend an anderen wichtigen Beweisanzeichen, insbesondere der Sicherstellung einer entsprechenden Heroinmenge.“ Prozessuale Probleme verschiedener Art entstanden auch im Komplex A 14 durch den Einsatz von insgesamt 6 Vertrauenspersonen. Die Ermittlungen in diesem Komplex begannen mit dem Auftrag an eine VP, Kontakt zu einer Person X zu suchen, um abzuklären, ob diese „nach wie vor zu größeren Rauschgiftgeschäften 112 Zum Problem, das Legalitätsproblem bei Scheingeschäften einzuhalten: Kreuzer / Stock 1998, § 13 Rdnr. 617.
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bereit sei.“ „Ziel der Ermittlungsbemühungen war“, so das spätere Urteil, „gegebenenfalls im Rahmen eines Scheingeschäftes Heroin und Kokain in größerer Menge sicherzustellen und nach Möglichkeit auch an die Lieferanten und die eventuellen Hintermänner heranzukommen. Bis zu dieser Zeit lagen über X keine weiteren, näher konkretisierbaren Erkenntnisse über eine Verwicklung in Rauschgiftgeschäfte vor.“ In der Folge bot X der VP „2 kg Heroingemisch für zusammen 100.000 DM sowie ein halbes Kilogramm Kokain zum Kauf an“. Im Hintergrund der VP agierte ein VE, der 100.000 DM Vorzeigegeld präsentierte. Geliefert werden konnte nur eine Teilmenge, wobei X und seine Partnerin festgenommen wurden. Im Urteil wurde strafmildernd berücksichtigt, dass diese Tat „unter Mitwirkung der Ermittlungsbehörden“ geschah. Die Annahme einer unzulässigen Tatprovokation wurde abgelehnt, da X Zugang zu Händlerkreisen gehabt habe, bevor die VP an ihn herangetreten sei. Deren Interesse hätte ausgereicht, ihn zur Beschaffung und späteren Lieferung des Rauschgiftes durch seine Hintermänner zu veranlassen. Strafmildernd wurde auch gewertet, dass das Auftreten der VP und des VE darauf angelegt gewesen sei, ein Geschäft über eine möglichst große Menge zustandezubringen. Dass der Verurteilte „zu Angeboten in entsprechenden Größenordnungen durch die VP herausgefordert“ worden sei, wurde auch in einem anderen Ermittlungsverfahren dieses Komplexes strafmildernd berücksichtigt. In einem weiteren Ermittlungsverfahren des Falles A 14 traten die Zielpersonen an die VP heran, um von dieser ein Fahrzeug für eine Einfuhr von Betäubungsmitteln auszuleihen. Mittels eines Vermerks versuchte die StA klarzustellen, dass sich die VP dabei nicht wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr strafbar mache, da es sich um eine kontrollierte Einfuhr handele. In dem gleichen Ermittlungsverfahren ergab sich auch erneut das Problem des minderen Beweiswertes des Zeugen vom Hörensagen. Nach verschiedenen Bemühungen von VE und mehrerer VP wurde zwischen einer Zielperson und einer VP ein Geschäft über 500 g Heroin zum Preis von 22.000 DM vereinbart, allerdings ohne dass das Geschäft durchgeführt wurde. Dies reichte der Staatsanwaltschaft nicht zur Anklageerhebung, u. a. mit der Begründung, „die dem Gericht durch die Vernehmung des Vernehmungsbeamten als Zeuge vom Hörensagen vermittelten Angaben eines anonymen Gewährsmannes“ seien regelmäßig nur dann ausreichend, wenn diese Angaben durch andere wichtige Beweisanzeichen bestätigt worden sind.“ Komplex A 15 begann damit, dass einer der Hauptbeschuldigten einer VP anbot, sie könne für ihn Kokain nach Deutschland importieren. Durch den Einsatz einer weiteren VP gelang es laut Ermittlungsbericht „in relativ kurzer Zeit, Einblick in das um X und Y aufgebaute Organisationsgefüge zu erhalten.“ Der Komplex A 17 weist die Besonderheit auf, dass er gänzlich unter Beteiligung einer VP bzw. Überwachung mittels TÜ stattfand. Hier war eine VP mit dem Wunsch an die beiden Angeklagten herangetreten, eine größere Menge Kokain zu kaufen. Schließlich wurde für einen VE der Kauf eines Kilogramm Kokain zum Preis von 80.000 DM verabredet. Nachdem aber weder die beiden Zielpersonen noch zwei weitere Hauptbeschuldigte in der Lage waren, eine so große Men-
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ge Kokain zu besorgen, reifte der Plan, auch ohne die Lieferung der Drogen an das Geld des VE zu kommen. Jedoch konnte die Polizei dies verhindern und die Angeklagten vor dem beabsichtigten Überfall festnehmen. Kurz darauf wurden sie wieder freigelassen. Zuvor hatte sich einer von ihnen bereit erklärt, seinerseits als VP mit den Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten. Er half im Folgenden, weitere Hintermänner zu überführen. Der Komplex A 21 hatte ebenfalls Hinweise durch „zwei getrennt geführte Vertrauenspersonen“ auf den Betäubungsmittelhandel mehrerer Personen zum Ausgang. In der Folge gelang es, zunächst eine VP, dann einen VE an einen Hauptbeschuldigten heranzuführen und einen Vertrauenskauf über 50 g Kokain zu inszenieren. Anlässlich eines weiteren überwachten Geschäftes über 1 kg Kokain zum Preis von 80.000 DM, bei dem besagte Rauschgiftmenge sichergestellt werden konnte, erfolgte die Festnahme mehrerer Personen. Die höchsten Einzelstrafen ergingen jeweils für dieses Geschäft mit VE und VP, wobei seitens der Beschuldigten eingewandt wurde, die VP habe sie ständig angerufen und bedrängt. Dieser Umstand wurde aber im Urteil, das offenbar auf einer Absprache beruhte, nicht mehr thematisiert. Gleich mehrere Scheingeschäfte unter Beteiligung von VP sowie VE bildeten den Ausgangspunkt des Komplexes A 24. Zunächst vereinbarten VP und VE mit einem der Hauptbeschuldigten ein (Schein)geschäft über 3 kg Heroin zum Preis von 135.000 DM, das aber dann seitens der Zielperson X abgebrochen wurde. Auch ein geplanter Kauf über 4 kg Heroin zum Preis von 180.000 DM zwischen einem im Beisein der VP handelnden VE mit einer weiteren Zielperson Y, zu der X den Kontakt vermittelt hatte, kam letztendlich nicht zustande. Dennoch reichte die Beweislage – es handelte sich um einen der ganz seltenen Fälle, in denen der VE in der Hauptverhandlung auftrat –, um Y zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren zu verurteilen, darunter zur (höchsten) Einzelstrafe von 4 Jahren 6 Monaten für das nicht zustande gekommene 4 kg-Geschäft. Dabei wurde zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, „dass das Heroin nicht in den Handel und damit nicht an den Endverbraucher gelangt ist und somit die Gefährlichkeit des Rauschgifts nicht zum Tragen kam“, daneben, „dass die Initiative zu diesem Geschäft auch mit von dem Verdeckten Ermittler ausgegangen ist.“ In einem weiteren Ermittlungsverfahren dieses Komplexes führte die Mitwirkung einer VP dazu, dass das angerufene Landgericht das Verfahren vor dem Schöffengericht mit der Begründung eröffnete, ein Großteil der angeklagten Menge sei „ausschließlich an eine Vertrauensperson der Polizei gelangt.“ Im anschließenden Urteil wurde „eine gewisse Tatprovokation durch die Vertrauensperson der Polizei“ berücksichtigt. Auch der Komplex B 5 hatte seinen Ausgang in Hinweisen einer VP. Bemerkenswerterweise enthielten aber weder der polizeiliche Ermittlungsbericht noch die Anklage oder das Urteil den Umstand, dass der Kontakt zwischen der Zielperson und dem VE durch eine VP, die immerhin eine Belohnung von 800 DM erhielt, vermittelt worden war. Der Ermittlungsbericht vermerkte insoweit nur allgemein, es sei „im Verlaufe operativer Maßnahmen“ gelungen, „einen Verdeckten Ermittler
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an die zunächst unbekannte Zielperson . . . heranzuführen.“ Anklage und Urteil, in dem die drei Angeklagten nur wegen dieses Scheingeschäftes verurteilt wurden, erwähnten die Art und Weise der Geschäftsanbahnung gar nicht. Stattdessen hieß es im Urteil über die Zielperson, einen von drei Angeklagten, diese habe „seit einiger Zeit Verbindungen zur Drogenszene, deren nähere Ausgestaltung indessen unbekannt geblieben ist.“ Auch in zwei Falschgeldfällen waren VP entscheidend an der Durchführung der kriminellen Geschäfte beteiligt. So wurden im Komplex B 12 laut Raster 3 VP eingesetzt, ohne dass deren Tätigkeit aus der Ermittlungsakte zu erkennen war. Den Ausgangspunkt des Falles bildete der Kontakt einer VP zu einer jugoslawischen Tätergruppe, die im gesamten Bundesgebiet Falschgeld absetzte. Nach der Übergabe von Musternoten kam zwischen der VP und X ein Falschgeldgeschäft über 20.100 DM unter Übergabe der Scheine zustande. Nach späterem Vorzeigen einer (möglicherweise) gefälschten 100 US-Dollar Note durch Y wurden weitere Geschäfte besprochen, aber nicht durchgeführt. Im Ergebnis wurde das Verfahren gegen X, der untergetaucht war, nach § 205 StPO eingestellt, gegen Y nach § 153a Abs. 2 StPO unter Zahlung einer Geldbuße, auch weil Zweifel aufgetreten waren, ob die Dollar-Note nicht doch echt war. Trotz Einsatz einer VP kam es auch im Komplex B 25 nicht zu einer Verurteilung eines von drei Hauptbeschuldigten. Dort hatte eine in anderer Sache eingesetzte VP Kontakt zu einem Türken bekommen. Dieser bot der VP falsche 1000 DM-Scheine im Wert von 1 Million DM an. Auch dieses Geschäft kam aber nicht zustande. Der polizeiliche Ermittlungsbericht stellte dazu fest, die VP habe Termine mit einem der Tatverdächtigen nicht eingehalten und diesen dadurch äußerst verärgert. Zudem sei bei der begleitenden TÜ der Eindruck entstanden, „dass die VP – entgegen ihren eigenen Angaben – bei den Tatverdächtigen kein Vertrauen genoß. Insgesamt kann gesagt werden, dass durch die Maßnahme die von der VP gemachten Angaben nicht verifiziert werden konnten.“ Im Komplex B 16 ist im polizeilichen Raster die Mitwirkung zweier VP sowie eines VE vermerkt, wobei sich der Ermittlungsakte nur Angaben über die Tätigkeit einer VP entnehmen ließen. Diese, zugleich ein Hauptbeschuldigter, arbeitete erst nach seiner vorübergehenden Festnahme mit der Polizei zusammen, indem er dabei half, an den Haupttäter einen VE heranzuspielen. Auch im Komplex A 11 wurde der Kontakt zu einem VE durch eine VP hergestellt, allerdings ohne dass dies im Ermittlungsbericht oder in der späteren Anklage vermerkt worden wäre. Im Folgenden übernahm bei der Abwicklung weiterer Geschäfte der VE die Regie.
IV. Der Einsatz Verdeckter Ermittler
Auch beim Einsatz Verdeckter Ermittler (VE) besteht das Problem, dass eine solche Maßnahme nicht in jedem Fall Eingang in die Ermittlungsakten findet. 31 Kinzig
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Nach § 110d Abs. 2 Satz 1 StPO sind Entscheidungen und sonstige Unterlagen über den Einsatz eines VE bei der Staatsanwaltschaft zu verwahren. Daneben bestimmt Nr. II.2.7 der Gemeinsamen Richtlinien, dass die Staatsanwaltschaft über die Gespräche mit der Polizei, über die Mitwirkung der Verdeckten Ermittler und über die getroffenen Entscheidungen Vermerke fertigt, die gesondert zu verwahren sind. Vertrauliche Behandlung ist sicherzustellen. Nach §§ 110d Abs. 2 Satz 2, 110d Abs. 1 StPO sind die Unterlagen über den VE-Einsatz erst zu den Ermittlungsakten zu nehmen, wenn dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, der öffentlichen Sicherheit, von Leib oder Leben einer Person sowie der Möglichkeit der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers geschehen kann. Während zu diesem Fragenkreis bisher, soweit ersichtlich, keine Rechtsprechung vorliegt, ist in der Literatur zu Recht auf die Problematik dieser Regelung hingewiesen worden. Es wird gefordert, die Sonderakten seien jedenfalls dann zu den Ermittlungsakten zu nehmen, wenn der Ermittlungsrichter zu der geplanten Maßnahme nach § 100b Abs. 2 Satz 1 StPO seine Zustimmung erklären muss. Gleiches habe dann zu gelten, wenn durch die Erkenntnisse des VE eine andere strafprozessuale Zwangsmaßnahme begründet werden solle113. Bei der ungeklärten aktenmäßigen Behandlung des VE-Einsatzes erwies sich wiederum als vorteilhaft, dass die Analyse der Ermittlungsakten durch die Auswertung der polizeilichen OK-Raster ergänzt werden konnte. Dabei ergab sich, dass ein oder gar mehrere VE in 15 A- sowie sechs B-Komplexen eingesetzt wurden114. Auffällig ist, dass sich darunter nur ein Fall (B 10) befand, in dem ein VE tätig war, ohne dass zugleich eine VP verwendet wurde115. Wie bei der VP lag das deliktische Einsatzfeld des VE primär auf dem Gebiet der Betäubungsmittelkriminalität 116. Im Übrigen war er in unterschiedlichen Deliktsbereichen tätig117.
113 KK / Nack 1999, § 110d Rdnr. 7 ff.; vgl. auch KMR / Bockemühl 2000, § 110d Rdnr. 7 ff. mit der Forderung, die in den Sonderakten verwahrten Informationen „zum schnellstmöglichen Zeitpunkt zur Verfahrensakte zu geben.“ 114 A 1, 3, 5, 6, 9 / 23, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 21 und 24 sowie B 5, 9, 10, 12, 16 und 18. 115 Hierzu ist anzumerken, dass der Komplex B 10 teilweise gleichzeitig vom BKA als auch LKA Baden-Württemberg bearbeitet wurde, das Raster des BKA aber nicht den Einsatz von VE bzw. VP ausweist. Daher ist nicht auszuschließen, dass in diesem Komplex auch VP eingesetzt wurden. So gehen in einen Ermittlungsbericht Erkenntnisse „eines beim BKA geführten Zeugen“ ein. Dabei könnte es sich aber auch um einen Zeugen im Zeugenschutzprogramm handeln. 116 Bei 12 A- und 2 B-Komplexen: A 1, 3, 5, 6, 9 / 23, 10, 13, 14, 15, 17, 21 und 24 sowie B 5 und 9. 117 A 11: Mischdelikt; A 12 sowie B 10: sonstige Delikte; A 16: Schutzgeld; B 12: Falschgeld; B 16: Kfz; B 18: Wirtschaftsdelikte.
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1. Rechtliche Grundlagen Die rechtlichen Grundlagen für den VE-Einsatz wurden bereits vorgestellt118. Für den konkreten Einsatz ist zu ergänzen, dass bis auf die Statuierung der Schriftform in § 110b Abs. 1 Satz 3 StPO gesonderte Regelungen über die Begründung der Zustimmung der Staatsanwaltschaft bzw. des Richters zum VE-Einsatz nicht getroffen worden sind. Die für die Rechtspraxis entscheidende Konkretisierung hat der Erste Senat des BGH in einem Beschluss im Jahre 1996 herbeigeführt119. In diesem Fall aus Baden-Württemberg hatte die Staatsanwaltschaft in ihrem Antrag auf Zustimmung zum VE-Einsatz „auf den beigefügten Bericht“ der GER Freiburg verwiesen. Der Amtsrichter stimmte diesem Antrag ohne eigenständige Begründung allein mit seiner Unterschrift auf einem weiteren mit dem Antrag und dem Bericht verbundenen Vordruck zu. In dem Bericht der GER war als Ziel des VE-Einsatzes die Durchführung eines Scheingeschäftes genannt. In dem dem Richter vorliegenden Formular war angekreuzt: „Es besteht somit Tatverdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung nach StPO § 110 a I Nr. 4.“ Die Notwendigkeit des Einsatzes war durch Unterstreichung begründet mit: „Aufklärung aussichtslos / wesentlich erschwert“. Eingangs seiner Ausführungen billigte der BGH die grundsätzliche Bezugnahme auf andere Dokumente, die als solche aber erkennbar sein müsse. Inhaltlich müsse die schriftliche Begründung sämtliche materiellen und prozessualen Voraussetzungen der §§ 110a und 110b StPO einschließlich der in Bezug genommenen Vorschriften abdecken, wobei sie sich nicht auf die Wiedergabe der Eingriffsnormen beschränken dürfe und einzelfallbezogen mit Tatsachen zu belegen sei. „Sie muß gleichsam korrigierend gewährleisten, dass mögliche Interessen der aus der Natur der Sache heraus notwendigerweise nicht vorher gehörten Betroffenen (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) beachtet werden“. Ungeachtet dieser scheinbar hohen Hürden hatte der Erste Senat aber keine generellen Bedenken gegen die Verwendung von Formularen, wenn deutlich werde, „dass ein richterlicher Abwägungsprozess, eine Einzelfallprüfung auf der Grundlage sämtlicher für den Eingriff relevanter Erkenntnisse stattgefunden hat.“ Dabei betrachtete das Gericht es allerdings als unschädlich, dass in dem Gesamtdokument als Begründung die falsche Alternative des § 110a Abs. 1 Satz 1 StPO herangezogen worden war, da genüge, dass überhaupt eine Alternative dieser Vorschrift erfüllt sei. Jedenfalls, so der BGH, habe keine „willkürliche oder unvertretbare Entscheidung“ vorgelegen. Den Grundsätzen dieser Entscheidung hat sich inzwischen die h.M. in der Kommentarliteratur angeschlossen120. Darüber hinaus wird gefordert, darzulegen, welche Erfolgschancen der VE-Einsatz habe und warum die Aufklärung auf andere Vgl. oben Kapitel 5, B., II., 2. BGHSt 42, 103 mit abl. Anm. Weßlau StV 1996, 578 sowie Bernsmann NStZ 1997, 250. 120 Meyer-Goßner 2003, § 110b Rdnr. 6; KK / Nack 1999, § 110b Rdnr. 4 ff.; Lemke in HK-StPO 2001, § 110b Rdnr. 3; KMR / Bockemühl 2000, § 110b Rdnr. 16. 118 119
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Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert sei121. Zudem sei die Frist (vgl. § 110b Abs. 1 Satz 3 StPO) für den Einsatz anzugeben.
2. Erkennbarkeit des VE-Einsatzes Ähnlich wie beim Einsatz einer VP oder eines Informanten waren auch beim VE Fälle zu verzeichnen, in denen die Anwendung dieser Ermittlungsmethode zwar im Raster dokumentiert wurde, darüber allerdings keinerlei Hinweis aus den Verfahrensunterlagen erkennbar war122. Der Hintergrund für die Nichtnennung dürfte die Erfolglosigkeit der Maßnahme gewesen sein123. Darauf weist etwa ein Vermerk im Raster des Komplexes A 16 dergestalt hin, der Zugang zur ethnisch homogenen Gruppierung habe sich schwierig gestaltet. Im Komplex A 3 enthielt lediglich ein Einstellungsbeschluss nach § 170 Abs. 2 StPO die Bemerkung, mehrfach sei erfolglos versucht worden, VE „an den Beschuldigten heranzuführen.“ Wird die Tatsache des VE-Einsatzes offengelegt, scheint es eine unterschiedliche Praxis zu geben, welche Unterlagen den Gerichtsakten beizugeben sind. So fand sich, was durchaus typisch ist, in der Anklage gegen die Hauptbeschuldigten im Komplex A 1 kein Hinweis auf den richterlichen Beschluss, mit dem der VEEinsatz genehmigt wurde. Thematisiert wurde daher auch nicht, dass dieser in einem anderen Verfahren (und gegen andere Beschuldigte) ergangen war124 als in demjenigen, in dem die Erkenntnisse (auch) verwertet wurden. Insoweit wäre nach der Rechtsprechung des BGH an sich zu prüfen gewesen, ob gegen den anderen Beschuldigten unter dem Gesichtspunkt eines „hypothetischen Ersatzeingriffs“ die Voraussetzungen für eine richterliche Zustimmung nach § 110b Abs. 2 StPO vorlagen125. Selbst die erkennenden Gerichte legten bisweilen eine Skepsis in Bezug auf die Frage an den Tag, ob ihnen die Staatsanwaltschaft die Beteiligung der Behörden am zu entscheidenden Sachverhalt vollständig offenbart hatte. So bat im selben Komplex A 1 die Kammer die Staatsanwaltschaft um Abgabe von Sperrerklärungen mit dem vorsichtigen Hinweis, es ergebe sich aus den Akten, „dass zumindest bei Ermittlung des Sachverhalts, der den Anklagepunkten 1 und 14 zugrundeliegt, Rudolphi SK StPO 1994, § 110b Rdnr. 12. So wurden laut Raster VE in den Fällen A 12 und 16 (2 VE) sowie B 10 eingesetzt, ohne dass dies den Ermittlungsakten entnommen werden konnte. 123 Dies sieht Schmidt-Sommerfeld 2001, 484 als legitimiert an. 124 Der Beschluss wurde übrigens auch nicht in der Anklageschrift dieses Ursprungsverfahrens genannt. 125 BGH NStZ 1997, 294 (295) unter Berufung auf Jähnke 1996, 433, der allerdings nur die Verwertung präventivpolizeilicher Erkenntnisse behandelt. Vgl. auch Burhoff 1999, Rdnr. 854 sowie KK / Nack 1999, § 110e Rdnr. 4, letzterer für eine Verwertung bei anderen Katalogtaten unter Ablehnung der Figur des „hypothetischen Ersatzeingriffs“. Vgl. auch von Stetten 1999, 244 ff. 121 122
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verdeckte Ermittler bzw. Vertrauenspersonen des LKA Baden-Württemberg beteiligt waren.“ Divergenzen gibt es auch bei dem oben beschriebenen Problem, ob in Anträgen auf Anordnung einer TÜ bzw. im nachfolgenden Beschluss angegeben werden kann oder muss, wenn die entsprechenden tatsächlichen Grundlagen auf Erkenntnissen eines VE beruhen. So begründete ein Amtsgericht im Komplex A 5 den Verdacht einer Katalogtat nach § 100a StPO wahrheitsgemäß damit, der Beschuldigte habe „bei einem Probekauf inzwischen Kokain an einen verdeckten Ermittler übergeben.“ Anders verhielten sich die Behörden dagegen im Komplex B 12: Dort änderte das Gericht auf Intervention der Staatsanwaltschaft den TÜ-Beschluss „aus Geheimhaltungsgründen zum Schutz des Verdeckten Ermittlers“ ab. Lautete die Begründung zunächst, der Beschuldigte sei verdächtig, sich Falschgeldnoten besorgt zu haben, „um jene mit erheblichen Gewinnaufschlag an einen Verdeckten Ermittler des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, den er für einen Angehörigen eines Falschgeldverteilerrings hält, weiterzugeben“, wurde dieser VE-Einsatz aus dem TÜ-Beschluss vollständig entfernt126.
3. Die weitgehend formularmäßige Anordnungspraxis Die Analyse der Zustimmungsverfahren zu den VE-Einsätzen erbrachte das bemerkenswerte Ergebnis, dass fast alle Beschlüsse, jedenfalls soweit sie eingesehen werden konnten127, durch Ermittlungsrichter formularmäßig ergingen, unabhängig davon, ob sie zeitlich vor oder nach der Leitentscheidung des Ersten Senates erfolgten. Dabei fanden unterschiedliche Vordrucke Verwendung, die in zwei Kategorien eingeteilt werden können. In einem weniger detailliert ausgestalteten Formular128 wurde überwiegend eingangs zwischen den Rubriken „Strafverfolgung“ und „Gefahrenabwehr“ unterschieden. Danach waren die drei Zeilen „Verdeckte Ermittlungen gegen“, „wegen“ sowie der „Einsatzort“ auszufüllen. Auf einer halben Seite konnte dann die antragstellende Polizeibehörde in einem Freitextfeld Angaben zu „Sachverhalt und Einsatzziel“ machen. Auf der nächsten Seite hatte die Polizei zwischen zwei Alternativen für die „Erforderlichkeit“ (– Straftat von erheblicher Bedeutung oder – Aufklärung von Verbrechen) zu wählen. Daraufhin war der Grund für die „Zustimmung gem. § 110b StPO“ anzugeben. Auf einer dritten Seite des Vordrucks war für die Staatsanwaltschaft als auch das Amtsgericht nur noch die Möglichkeit vorgesehen, per Unterschrift ihre Zustimmung zu erklären und die Maßnahme zu befristen. Tatsächlich wurde jeweils auf Vorschlag der Polizeibehörden eine Dauer von drei 126 Die entsprechende Formulierung lautete nur noch, „um jene mit erheblichem Gewinnaufschlag weiterzugeben.“ 127 In den Komplexen A 6, 9 / 23, 11, 13, 21 sowie B 5, 9 und 12. 128 Etwa verwendet in den Komplexen B 5 sowie B 9.
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Monaten gewählt. In einer noch schlichteren Version wurde lediglich zwischen dem Freitextfeld „Anlaß / ggf. Beschuldigter“ und anzukreuzenden Alternativen für das „Ziel“ und die „Zustimmung gem. § 110b StPO“ unterschieden. In einem zweiten etwas differenzierter ausgestalteten Formular129 war der Entscheidungsvorgang so ausgestaltet, dass die beantragende Polizeibehörde zwischen abstrakten Alternativen für den „Tatverdacht“ („Straftat von erheblicher Bedeutung“ bzw. „Verbrechen mit Wiederholungsgefahr“ / „Verbrechen von besonderer Bedeutung“) und die „Notwendigkeit des Einsatzes“ (Wortlaut des § 110a Abs. 1 Sätze 3 und 4 StPO) wählen sowie die Zuständigkeit des Amtsgerichts (§ 162 Abs. 1 Satz 2 StPO) begründen konnte. Des Weiteren war der Grund für die Notwendigkeit der Zustimmung der StA (§ 110b Abs. 1 StPO) bzw. des Richters (§ 110b Abs. 2 StPO) sowie eine etwaige Gefahr im Verzug anzukreuzen. Darüber hinaus war ein Freitextfeld für „Anlaß / Tatverdächtige“ vorhanden, in dem der Antrag und die angekreuzten Alternativen begründet werden konnten. Die StA leitete dieses Formular an das Amtsgericht mit einem Antrag auf Zustimmung und mit einem Befristungsvorschlag weiter. Auf diesem Antragsblatt hatte zugleich das Gericht seine Zustimmung zu vermerken und zu befristen. Dabei war das Formular so gestaltet, dass es – jedenfalls auf diesem Blatt – weder Raum für eine eigenständige Begründung der Staatsanwaltschaft noch des Gerichts ließ130. Bis auf einen einzigen Fall wurden das Formular wie auch das Freitextfeld immer von der antragstellenden Polizeibehörde ausgefüllt131. Die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft und des Ermittlungsrichters beschränkte sich jeweils darauf, das Formular zu unterzeichnen und der von der Polizei beantragten Frist zuzustimmen. In einem einzigen Zustimmungsverfahren für den VE-Einsatz fanden keine Formulare Verwendung. Das mag daher rühren, dass im Komplex A 9 / 23 für die Zustimmung das Amtsgericht eines anderen Bundeslandes zuständig war. Allerdings erschöpfte sich die Begründung des Amtsrichters, der sowohl den „Einsatz technischer Mittel“ anordnete als auch die Zustimmung zum „Einsatz eines verdeckten Ermittlers“ für die Dauer von drei Monaten erklärte, in einem einzigen Satz: „Aufgrund vertraulicher Hinweise und Zeugenaussagen bestehen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung auf dem Gebiet des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs gewerbs- oder gewohnheitsmäßig begangen worden ist.“ Auch die Staatsanwaltschaft hatte zuvor ihren Antrag an das Amtsgericht nicht besonders begründet, nur lapidar darauf verwiesen, das A 6, 13 und 21 sowie B 12. Nicht vergleichbar mit der zum Untersuchungszeitpunkt herrschenden Praxis in Baden-Württemberg ist das bei Messer / Siebenbürger in Vordermayer / v. Heintschel-Heinegg 2000, 61 ff. dargestellte Formular, das eigenständige Begründungen der justitiellen Behörden suggeriert. Allerdings wird auch dort warnend ausgeführt, man solle sich „der mehr als realen Gefahr einer Fremdsteuerung der Justiz und Selbstermächtigung durch die Polizei bewußt sein“. 131 Für die Bearbeitung von Betäubungsmittelstrafsachen wurde schon früher festgestellt, dass die StA „als Absegnungsbehörde der Polizei“ erscheine (Stock / Kreuzer 1996, 254). 129 130
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zuständige Polizeipräsidium plane, einen VE einzusetzen. Die Polizei wiederum hatte zur Notwendigkeit beider verdeckter Maßnahmen ausgeführt, sie benötige „Erkenntnisse zur Bekämpfung von Straftaten gemäß §§ 1, 2, 3, 29 ff. BtMG“, wobei es sich „um eine Katalogstraftat im Sinne des § 100a StPO“ (!) handele. Durch taktische Maßnahmen sei geplant, einen VE an Y, den Kopf eines Rauschgifthändlerrings, heranzuführen, „um so in die Struktur des Täterringes einzudringen.“ Die Tätigkeit dieses (mutmaßlich erfolglosen) VE spielte allerdings im weiteren Verfahren keine Rolle mehr. Lediglich im Komplex A 13 war eine mit eigenständigen Gründen versehene Entscheidung eines AG dokumentiert, die nicht nur eine Ausfertigung des Formulars von Polizei und Staatsanwaltschaft darstellte. Diese unterschied sich von der gängigen Praxis auch darin, dass dort konkrete Tatbestände als aufzuklärende Straftat genannt wurden. Diese wurden dadurch konkretisiert, dass den Beschuldigten vorgehalten wurde, sie hätten vor einigen Tagen „aus dem Ausland 10 kg Heroin erhalten . . . die nunmehr abgesetzt werden“. „Angesichts des höchstkonspirativen Verhaltens der Genannten“ werde „der wahre Umfang ihrer Taten ohne den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers nicht aufzuklären sein.“ Nach einem Aktenvermerk wurde der VE allerdings nie tatsächlich tätig.
4. Die zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine bestimmte Straftat oder der Einsatz zur Aufklärung von Verbrechen Der täterorientierte Ansatz der Ermittlungen, der in Fällen organisierter Kriminalität seine Richtung von den ins Visier der Strafverfolgungsbehörden geratenen allgemein verdächtigen Personen auf das Finden und Begleiten, mitunter auch Produzieren von Straftaten nimmt, führt dazu, dass in den polizeilichen Antragsschriften kaum eine Konkretisierung des an sich nach dem gesetzlichen Programm geforderten Tatverdacht erfolgt. Dafür liefert der Komplex B 9 ein eindrucksvolles Beispiel. Hier wurde im Antragsformular für den VE-Einsatz als aufzuklärende Straftat lediglich allgemein ein „Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz“ festgestellt. Auch im Freitextfeld „Sachverhalt und Einsatzziel“ erfolgte keine besondere Konkretisierung von Straftat und Tatverdacht. Dort wurde lediglich ausgeführt, dass der Beschuldigte X „als Abnehmer und Verteiler von größeren Mengen Heroin in Betracht kommt und enge Beziehungen zu Y hat.“ Y sei knapp fünf Jahre zuvor (!) „bei einem Scheingeschäft über 1,6 kg Heroin festgenommen worden . . . und hat offensichtlich Kontakt zu führenden Personen des organisierten Btm-Handels in Deutschland, Holland und Belgien.“ Daher sei geplant, einen VE einzusetzen. Eine inhaltliche Begründung, die den Erfordernissen des § 110a Abs. 1 StPO entspricht, erfolgte demnach nicht. Insbesondere wurden weder die aufzuklärende Straftat (handelte es sich überhaupt um eine in der Vergangenheit liegende Straftat?) noch die Art der Beteiligung der Person, gegen die der VE eingesetzt wer-
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den sollte, konkretisiert. Erwägungen zur Erheblichkeit der Straftat oder zur Subsidiarität fanden ebenfalls nicht statt. In einem anderen Ermittlungsverfahren im selben Komplex „wegen BtmG“ beschrieb die Polizei den Sachverhalt in ihrem Antrag dahingehend, über eine Vertrauensperson sei bekannt geworden, „dass der Vorgenannte, der . . . einen Obst- und Gemüsehandel betreibt, im Rahmen seiner Warenimporte per Lkw aus der Türkei den Einfuhrschmuggel und die anschließende Verteilung von erheblichen Heroinmengen über sein Geschäft organisiert.“ Nach drei Monaten wurde der VE-Einsatz erstmals verlängert, obwohl sich zwischenzeitlich keine Anhaltspunkte ergeben hatten, dass in einem der wöchentlich ankommenden Lkw Heroin gewesen war. Der bisherige Fahndungsmißerfolg wurde auf das „äußerst konspirativ(e) und auf Abschottung gerichtete(s) Verhalten“ des Beschuldigten zurückgeführt. Dennoch wurde eine weitere Verlängerung des Antrages erwirkt, weil es bisher noch nicht gelungen sei, den Beschuldigten „des Heroinhandels in großem Stil zu überführen“. Letztendlich wurden alle Ermittlungsverfahren dieses Komplexes nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Das Raster vermerkte zur Erklärung, „aufgrund der offensichtlich festgefügten Struktur“ sei ein VE / VP-Einsatz nicht möglich gewesen. Nur einen allgemeinen Straftatverdacht ohne Angabe von Tatsachen enthielt auch die Begründung im Komplex A 21. Dort wurde lediglich ausgeführt, gegen zwei Beschuldigte werde seit einiger Zeit „wegen gewerbsmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln“ ermittelt. Ähnlich vage hieß es im Komplex A 11, es lägen „konkrete Verdachtsmomente“ vor132, dass zwei Beschuldigte „in Waffen- und Btm-Geschäfte verwickelt“ seien. Im Komplex A 6 vermerkte die Polizei in ihrem Antrag, das LKA ermittele „gegen eine kurdische Heroinhändlerorganisation, die im Verdacht steht, mit Heroin im zweistelligen Kilogrammbereich in Baden-Württemberg Handel zu treiben.“ Im Übrigen wurden drei „Haupttatverdächtige“ namentlich benannt, allerdings ohne die Art und Weise ihrer Beteiligung an der „Organisation“ zu beschreiben. Nachdem der VE-Einsatz zweimal verlängert worden war, wurde im dritten Verlängerungsantrag erstmals eine konkrete Straftat geschildert133. Dies ist insoweit für OK-Betäubungsmittelverfahren typisch, als sich die später abzuurteilende Straftat häufig erst nach Beginn des Ermittlungsverfahrens entwickelt. Als vorteilhaft erwies sich bei einem Nicht-Betäubungsmitteldelikt der im Vergleich zur TÜ-Anordnung nach § 100a StPO flexible, weil generalisierte Straftatenkatalog des § 110a StPO. So wurde im Komplex A 11 der Einsatz eines VE angeordnet, weil der Beschuldigte in Verdacht stand, „als Angehöriger einer überregional agierenden Tätergruppe . . . in- und ausländische Großhändler der Mobiltelefonbranche durch Großposten von Mobiltelefonen geködert zu haben, um in Ausgeführt wurden diese aber nicht. Zwischenzeitlich seien 51 kg Heroin nach Deutschland geliefert worden und stünden nun zur Verteilung an. 132 133
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der Folge das von ihnen mitgeführte Bargeld an sich zu bringen . . . Von einer banden- und gewerbsmäßigen Begehungsweise ist auszugehen.“ Offen blieb, ob der VE-Einsatz konkret auf § 110a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO („gewerbs- oder gewohnheitsmäßig“) oder Nr. 4 („von einem Bandenmitglied oder in anderer Weise organisiert“) gestützt werden sollte. Auch verzichteten die Beteiligten darauf, die Straftat konkret zu benennen. Im selben Komplex stimmte das AG pauschal dem „Einsatz mehrerer VE“ zu. Tatsächlich wird damit eine Art Generalermächtigung zu einem VE-Einsatz erteilt, die von den §§ 110a ff StPO nicht gedeckt sein dürfte. Auch im Fall B 12 erfolgte mehrfach eine richterliche Zustimmung zum „Einsatz von bis zu 3 Verdeckten Ermittler(n)“.
5. Der Zweck des VE-Einsatzes a) Die Beteiligung an Straftaten § 110a Abs. 1 StPO knüpft den Einsatz eines VE gemäß der repressiven Ausrichtung der StPO an die Aufklärung begangener Straftaten. Eine Analyse des VEEinsatzes in unseren Fällen organisierter Kriminalität zeigt allerdings, dass der VE häufig entgegen dem gesetzlichen Programm nicht die retrospektive „Aufklärung von Straftaten“ betreibt (betreiben kann). Vielmehr überwiegen deutlich die Fälle, in denen die Tätigkeit des VE darauf angelegt ist, insbesondere durch das Aufkaufen illegaler Güter Kriminalität erst zu erzeugen und damit die Verurteilung der Zielperson zu ermöglichen. Dafür finden sich vielfältige Belege. So diente der VE-Einsatz im Komplex A 1, wie in den meisten anderen Fällen, der Durchführung eines Scheingeschäfts. Dies führte zur Festnahme zweier Beschuldigter, von denen der VE Heroin gekauft hatte. Dennoch stellte das Urteil gegen die Hauptbeschuldigten fest, es sei der Polizei nicht gelungen, VE bzw. VP in die Gaststätte einzuschleusen, die als Ausgangspunkt des Drogenhandels angesehen worden war. „Über die inneren Zusammenhänge konnten keine Erkenntnisse gewonnen werden.“ Die beiden Beschuldigten, mit denen das Scheingeschäft vorgenommen wurde, erhielten u. a. wegen dieser Straftat (Einzel-)Freiheitsstrafen von 12 bzw. 21 Monaten bei Gesamtfreiheitsstrafen von 1 bzw. 3 Jahren, d. h. das Scheingeschäft machte den Kern des strafrechtlichen Vorwurfs aus. Bei der Strafzumessung wurde mildernd berücksichtigt, dass „Besteller des Heroins ein verdeckter Ermittler des Landeskriminalamtes war und die Gesamtmenge sichergestellt werden konnte.“ Im Komplex A 21 gab die Polizei in ihrem Antrag auf Einsatz eines VE konkret an, es sei geplant, „das Scheingeschäft unter Einsatz eines VE des LKA BW durchzuführen.“ Obwohl ein erstes Geschäft über 50 g Kokain observiert wurde, erfolgte zunächst keine Festnahme des Verkäufers. Nach weiteren Verkaufsverhandlungen wurden mehr als einen Monat danach drei Hauptbeschuldigte bei der Übergabe
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von 1 kg Kokain zum Preis von 80.000 DM, gleichzeitig das umfangreichste in diesem Komplex abgeurteilte Geschäft, festgenommen. Der Verkäufer musste dabei dem Importeur 10.000 DM Vorkasse zahlen, da dieser die betreffende Menge nicht vorfinanzieren konnte. Für dieses Geschäft mit dem VE erhielt der Verkäufer eine Einzelfreiheitsstrafe von 3 Jahren, bei einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren wiederum der Schwerpunkt des strafrechtlichen Geschehens. Dass auch im Komplex A 24 die höchste Einzelstrafe von 4 Jahren 6 Monaten bei Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren auf ein Geschäft unter Beteiligung eines VE entfiel, wurde bereits erwähnt134. Im Komplex A 15 gelang es, einen VE an zwei Beschuldigte X und Y heranzuführen, die als Kokainabnehmer eines weiteren Hauptverdächtigen, eines Pizzeriainhabers, angesehen wurden. Ziel dieser Maßnahme war nach dem polizeilichen Schlussbericht primär die „Überführung der Tatverdächtigen“, daneben aber auch, „weitere Hinweise über die Organisationsstruktur des von der Pizzeria . . . ausgehenden Verteilerringes zu erlangen.“ In der Folge gelang es dem VE zunächst, im Abstand von vier Tagen 3,5 g Kokain sowie 50 g Kokain aufzukaufen. Wiederum erfolgte unter Zurückstellung des Legalitätsprinzips bei diesen Scheingeschäften keine Festnahme. Nach einer Vielzahl weiterer observierter RG-Geschäfte erfolgte mehr als zwei Monate später ein weiteres Geschäft mit dem VE, wobei diesem allerdings Waschmittel statt Kokain angedreht und sein Einsatz danach „aus Eigenschutzgründen“ abgebrochen wurde. Der Ermittlungsbericht wertete die Erkenntnisse des VE als Beleg, dass eine bandenmäßige Begehungsweise vorgelegen habe. In der Anklageschrift wurde die Bereitschaft von X und Y, unmittelbar nach dem Kennenlernen des VE mit diesem sofort größere Geschäfte abzuschließen, als Indiz dafür angesehen, dass beide Angeschuldigte massiv in den illegalen BtmHandel eingebunden gewesen seien. Gegen X wurde eine Jugendstrafe von 4 Jahren 6 Monaten, gegen Y eine Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren 4 Monaten verhängt, dabei Einzelstrafen von 1 Jahr 6 Monaten und 9 Monaten für die Geschäfte mit dem VE. Eine bandenmäßige Begehungsweise wurde nicht festgestellt. Bei der Strafzumessung wurde mildernd berücksichtigt, „dass der ,Aufkäufer’ bemüht war, eine möglichst große Menge zu kaufen“. Auch im Komplex A 5 diente der VE-Einsatz dem Ziel, über den Aufkauf von Rauschgift an den Hintermann des Lieferanten heranzukommen. Hier hatte ein VE zunächst 50 g Kokain, rund drei Monate später 70 g gekauft, wiederum ohne dass einer der Beteiligten dabei festgenommen worden war. Ein weiteres Geschäft über 100 g Kokain eine Woche später scheiterte. Daraufhin wurden drei Personen verhaftet und ein Teil des aus dem früheren Verkauf stammenden und markierten Kaufgeldes beim Hintermann vorgefunden. Dieser wurde wegen § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG und eines Teilabverkaufs an den VE aus einer Gesamtmenge von 300 g Kokain zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren innerhalb einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 3 Monaten verurteilt, wobei ihm aber wegen 134
Siehe Kapitel 16, D., III., 3., b).
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seines Drogenkonsums verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB zugebilligt wurde135. Der Komplex B 5 weist deswegen Parallelen zum zuvor geschilderten Fall auf, weil hier wie dort der gerichtlich festgestellte Sachverhalt (fast) ausschließlich von der Kriminalität bestimmt war, die unter Mitwirkung des VE erfolgte. Auch im Fall B 5 wurde die Durchführung eines Scheingeschäfts im polizeilichen Antrag ausdrücklich als Ziel der Ermittlungsmaßnahme benannt. Wiederum wurde der VE also nicht repressiv „zur Aufklärung von (begangenen) Straftaten“ eingesetzt, sondern um ihn an der Durchführung einer Straftat zu beteiligen. In der Folge wurden dem VE zunächst von einem der Hauptbeschuldigten 64 g Kokain und 100 g Heroin zum Kauf angeboten und eine Probe von 2 g Heroin für 100 DM übergeben. Nachdem wenige Tage später dem VE erneut Ein-Gramm-Proben Heroin und Kokain ausgehändigt worden waren, wurde ihm nach nicht in die Anklageschrift aufgenommenen Polizeiangaben ein Geschäft über je 1 kg Heroin für 60.000 DM und Kokain für 100.000 DM offeriert. Konkret wurden Abmachungen über die Lieferung von je 100 g für insgesamt 18.000 DM getroffen. Bei der Durchführung dieses Geschäfts wurden wenig später drei Personen festgenommen. Nachdem die drei Hauptbeschuldigten in der Hauptverhandlung geständig waren, wurden sie in einem abgesprochenen Urteil wegen § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG bzw. wegen gemeinschaftlicher Beihilfe dazu zu Freiheitsstrafen von 2 Jahren 10 Monaten bzw. je 1 Jahr 9 Monaten, letztere zur Bewährung ausgesetzt, verurteilt. Nicht geklärt werden konnte, wie die Beschuldigten in den Besitz des Rauschgifts gekommen waren. Zuvor hatte ein Verteidiger gerügt, dass die Informationen zum VE (Antrag auf Einsatz, Genehmigung etc.) auch nach Vorlage der Anklage nicht in der Ermittlungsakte enthalten gewesen seien. Dass auch im Komplex A 17 die Tätigkeit eines VE (und einer VP) für die Aburteilung der Hauptbeschuldigten eine erhebliche Rolle spielte, wurde bereits erwähnt136. Drei Hauptbeschuldigte wurden hier deswegen verurteilt, weil sie, nachdem sie die mit dem VE vereinbarte Menge Kokain nicht liefern konnten, stattdessen versuchten, die das Geschäft vermittelnde VP „abzuzocken“137. Bei einem der Urteile wurde strafmildernd berücksichtigt, dass „es sich bei dem zugrunde liegenden angebahnten Kokaingeschäft mit dem angeblichen Aufkäufer um ein Heranführen der Mittäter an einen verdeckten Ermittler handelte.“ Auch im Komplex A 10 waren VE in einem erheblichen Maß an den später abgeurteilten Straftaten beteiligt. Den Ausgangspunkt bildete die Tätigkeit einer 135 Im Übrigen wurde auch in diesem Fall der amtsrichterliche Beschluss für den VE-Einsatz weder in der Anklage noch im Urteil angeführt oder diskutiert. Die Ergebnisse dieses VE-Einsatzes wurden damit ebenfalls in einem anderen Verfahren verwertet als in dem, für das der Beschluss ergangen war. 136 Vgl. Kapitel 16, B., I. 137 Ein weiterer Hauptbeschuldigter erhielt wegen acht zeitlich später liegender, auch aufgrund einer zwischenzeitlich geschalteten TÜ nachgewiesener Straftaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren.
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VP in Kolumbien, einem laut Urteil „ehemaligen Anti-Drogen-Polizisten“, der den Angeklagten X überredete, für kolumbianische Kokainhändler zu arbeiten. X sollte nach Deutschland fliegen, „um dort als Kontaktmann zwischen den Schmugglern und den Abnehmern des Kokains zu fungieren.“ „Die Verdeckten Ermittler wurden unter der Legende eingesetzt, ein Flugtransportunternehmen zu besitzen, Waren ohne Zollkontrolle aus dem . . . Flughafen herausbringen und sicher aufbewahren zu können sowie die Ware an von den Kokainversendern bestimmte Abnehmer herauszugeben, sofern sie 120.000 USD für ihre Arbeit erhalten würden.“ Nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens gelangte das Kokain (37 kg) nach Deutschland und wurde zunächst sichergestellt. „Es wurde jedoch von der GER Karlsruhe umgehend wieder unter deren Aufsicht ,in den Verkehr’ gebracht, um die dafür vorgesehenen Verteiler und Aufkäufer dingfest machen zu können. Zwei VE traten als „vermeintliche Schmuggelgehilfen“ in Aktion. 2 kg dieses Kokains stellte X für eine gesondert verfolgte Abnehmergruppe in Deutschland bereit, die bei der Übergabe verhaftet wurde.“ Zur Auslösung der restlichen 35 kg begaben sich auch Y und Z nach Deutschland. Von einer italienischen Abnehmergruppe waren zudem O und P nach Deutschland gekommen, um 10.000 US-Dollar auf den von den VE genannten Kaufpreis anzuzahlen. Nachdem man sich nach Aushändigung der Anzahlung auf einen Übergabeort geeinigt hatte, wurden dort X, Y und Z sowie O und P festgenommen, als nach Zahlung von 106.000 US-Dollar durch O und P das Kokain gerade verladen wurde. Das Gericht verhängte gegen die 5 Angeklagten in diesem Punkt Freiheitsstrafen zwischen 4 und 6 Jahren 9 Monaten und berücksichtigte dabei strafmildernd, dass die „ganze Aktion unter ständiger polizeilicher Aufsicht ablief“. Im Ergebnis wurden hier also 37 kg Kokain von Kolumbien nach Deutschland verbracht und gegen Zahlung von 110.000 US-Dollar ausgelöst, allerdings unter tätiger Mitwirkung zweier VE am Flughafen als Depothalter und Helfer bei der Einfuhr sowie einer VP in Kolumbien. Die Tatsache, dass sich die Gruppierung in Deutschland VE als externer Personen bediente, spricht eher dagegen, dass sie mit einer umfassenden Logistik ausgestattet war138. Auch im Komplex A 14 war ein VE, wie bereits erwähnt, in erheblichem Maße an der Tatbegehung beteiligt. Dabei löste die Anfrage der VP und des im Hintergrund agierenden VE an X, Heroin und Kokain zu liefern, einen Schneeballeffekt aus, weil sich dieser an Y wandte, diese wiederum an A, B, C und D. Obwohl es letztendlich keiner dieser Personen gelang, rechtzeitig die verabredete Menge zu liefern, weil diese offensichtlich die Liefer- und Finanzierungskapazitäten aller überstieg, wurde Y wegen seiner (vergeblichen) Vermittlungstätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 4 Monaten verurteilt, zu weiteren Freiheitsstrafen auch A, B, C und D139.
138 Im Übrigen fand der Beschluss über den VE-Einsatz weder in der Anklageschrift noch im Urteil Erwähnung. 139 Ein VE-Einsatz in einem weiteren Ermittlungsverfahren dieses Komplexes verlief erfolglos.
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Dass ein VE-Einsatz mit dem Ziel, ein Scheingeschäft durchzuführen, mit dem Problem behaftet sein kann, dass sich die Maßnahme quasi verselbständigt, zeigt auch der Komplex A 11. Hier war der VE zunächst auf die Durchführung eines Btm-Geschäfts mit drei namentlich benannten Personen angesetzt. Dabei vereinbarten einer der Beschuldigten und der VE die Lieferung von 4 kg Kokain, das der Beschuldigte aus einem anderen Bundesland beziehen wollte. Nach der Festnahme dieses Beschuldigten – das Geschäft war bis dahin nicht zustande gekommen – wurde der VE-Einsatz auf zwei weitere Beschuldigte erweitert, von denen angenommen wurde, sie würden das Geschäft jetzt ohne Beteiligung des Festgenommenen durchführen. Tatsächlich überstieg das Geschäft aber die Möglichkeiten der in Aussicht genommenen Lieferanten „bei weitem“. Diesen gelang es nämlich trotz großer Bemühungen nicht, „Kokain in der gewünschten Menge aufzutreiben, da ihnen allen“, so das Urteil, „sowohl die geeigneten Connections als auch das notwendige Kapital fehlten.“ Im Strafprozess gegen die in Aussicht genommenen Lieferanten wurde daher strafmildernd berücksichtigt, „dass es sich um ein Scheingeschäft handelte, das nicht auf Initiative der Angeklagten erfolgte, vielmehr von einem Verdeckten Ermittler angeschoben wurde. Dieser war seinerseits zudem gar nicht unmittelbar an den Angeklagten interessiert, sondern auf Veranlassung der baden-württembergischen Ermittlungsbehörden auf den Zeugen X und dessen Komplizen angesetzt worden. Zugunsten der Angeklagten ist somit davon auszugehen, dass diese ohne den von außen erfolgten Anstoß von sich aus gar nicht in ein derartiges Drogengeschäft einbezogen worden wären, zumal dieses offensichtlich eine allen Angeklagten fremde und zu große Dimension besaß.“ Dass die Tätigkeit des VE auch auf ein Scheingeschäft außerhalb des Drogensektors angelegt sein kann, zeigte sich ebenfalls im Komplex A 11. Dort hatte die Polizei erfahren, dass ein späterer Hauptbeschuldigter Personen, die „heiße Ware“ zu erwerben suchten, in drei Fällen um ihr Bargeld gebracht hatte. Sie beauftragte daher einen VE, ein Scheingeschäft durchzuführen. Unter Ermittlungsgesichtspunkten war hier eine Parallele zu den Ermittlungen bei Drogengeschäften zu beobachten. Da sich die geschädigten Aufkäufer, ähnlich wie Drogenkonsumenten, selbst in der kriminellen Szene bewegten und daher nicht ohne weiteres zu Angaben bereit waren, sollte ein Scheingeschäft zur Überführung beitragen. Unbeantwortet blieb auch hier die Frage, ob nicht das vorliegende Material auch ohne den VE-Einsatz zu einer Verurteilung ausgereicht hätte. Im Verlaufe der Unterredungen zwischen VE und Hauptbeschuldigten kam die Sprache dann auch auf Betäubungsmittelgeschäfte. Im Ergebnis erhielt der Haupttäter seine höchsten Freiheitsstrafen von 2x je 2 Jahren für Verhandlungen über Kokainlieferungen. Strafmildernd berücksichtigte das Gericht, „dass die von ihm angebahnten Drogengeschäfte unter wirksamer Kontrolle der Polizei standen“. Verurteilungen wegen ähnlicher Geschäfte erfolgten im Übrigen nicht. Auch im Falschgeldkomplex B 12 wurde als Grund für einen VE-Einsatz genannt, es sei geplant, „über die VPen Verdeckte Ermittler an den Falschgeldanbieter heranzuführen, um im Rahmen eines Scheingeschäfts das Falschgeld und das
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Herstellungsgerät sicherzustellen sowie Anbieter und Hersteller festzunehmen.“ Auch in diesem Komplex kam es zu einer Veränderung der dem VE-Einsatz ursprünglich zugrunde liegenden Straftat. So wurde noch im ersten VE-Beschluss ein Zusammenhang zwischen von den Beschuldigten an VPen übergebenen Falsifikaten mit gleichartigen seit vier Jahren in Deutschland auftretenden gefälschten Geldscheinen hergestellt. Der erste Verlängerungsbeschluss führte dagegen als aufzuklärende Straftat an, zwischenzeitlich sei dem VE Falschgeld in Höhe von 20.100 DM übergeben worden und der Beschuldigte habe nunmehr die Beschaffung von Dollar-Falsifikaten avisiert. Beabsichtigt sei daher die „Durchführung eines (sc. neuen) Scheingeschäfts mit dem Ziele der Festnahme der Beschuldigten.“ Obwohl der VE-Einsatz mit der Intention, dieses Scheingeschäft durchzuführen, ein weiteres Mal verlängert wurde, kam das Geschäft letztendlich nicht zustande. Der VE im Komplex B 16 wurde laut einem Aktenvermerk (der VE-Beschluss lag nicht vor) „zur Aufdeckung der Straftaten und der Bandenstruktur“ eingesetzt. Tatsächlich kamen der Hauptbeschuldigte und der VE schon bei ihrem zweiten Treffen (aus dem Urteil: „berichtete er schon beim 2. Treffen . . . vollmundig von seinen vielfältigen betrügerischen Aktivitäten“) auf die Lieferung unterschlagener Pkw sowie von Falschgeld zu sprechen. Beide Geschäfte kamen aber zunächst nicht zustande. Bei einem weiteren Zusammenkommen bot der Hauptbeschuldigte dem VE 16 neuwertige unterschlagene PKW an. Bei der Übergabe der ersten Autos erfolgte die Festnahme. Zwei weitere Personen waren vom Hauptbeschuldigten in die Beschaffung dieser Pkw verwickelt worden.
b) Die reine Informationssammlung Während in den untersuchten OK-Fällen demnach das Scheingeschäft ganz im Vordergrund der VE-Bemühungen stand, diente sein Einsatz in geringerem Umfang primär einer Informationssammlung. Konkret wurde in einem der Ermittlungsverfahren des Komplexes B 9 als Ziel des VE-Einsatzes genannt, Informationen über den Beschuldigten bzw. seine Hinterleute zu gewinnen. Was darunter genau zu verstehen ist, machte der zweite Verlängerungsbeschluss dieses VE-Einsatzes deutlich. Dort hieß es, es sei mittlerweile gelungen, „Kontaktpersonen des Beschuldigten zu identifizieren, Kontaktlokale festzustellen sowie dessen Lebensgewohnheiten zu erforschen.“ Im Komplex A 6 wurde der VE-Einsatz als geboten bezeichnet, „um weitergehende Erkenntnisse über die Gruppierung um X zu erhalten und insbesondere seinen Aufenthaltsort zu ermitteln.“ Drei Monate danach wurde die Verlängerung der Maßnahme damit begründet, es sei für geplante Observationsmaßnahmen dringend notwendig, „weitere Erkenntnisse über die Täter und deren Kontaktadressen sowie weitere Kontaktpersonen zu gewinnen.“ Im zweiten VE-Verlängerungsantrag wurde dann berichtet, „aus dem Umfeld der Gruppe“ seien einem weiteren VE von einer bekannten Person mehrere Kilogramm Heroin angeboten worden, das
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Scheingeschäft sei aber wegen „Lieferschwierigkeiten“ noch nicht zustande gekommen. Schließlich wurde die erneute Verlängerung des VE-Einsatzes beantragt, „um weitere Kontaktpersonen, Anlaufstellen und weitere Erkenntnisse über die Gruppe X. zu erlangen.“ Letztendlich mündete auch diese VE-Tätigkeit in die Vereinbarung eines Scheingeschäfts über 2 kg Heroingemisch zum Preis von 70.000 DM, ohne dass das Heroin tatsächlich geliefert wurde. Im Ergebnis wurden in diesem Komplex nur Straftaten abgeurteilt, die zeitlich deutlich nach Beginn des VE-Einsatzes lagen. Der Komplex B 18 zeigt eine weitere Problematik, die bei einem VE-Einsatz auftreten kann. Hier musste der Einsatz abgebrochen werden, weil möglicherweise einer der Hauptbeschuldigten über polizeiinterne Quellen davon erfahren hatte. Sein Kontakt zur Polizei war zustande gekommen, weil er sich einige Zeit zuvor dem LKA als Legendengeber zur Verfügung gestellt hatte. Zu einem früheren Zeitpunkt der Ermittlungen war mit einer Aussage des Hauptbeschuldigten gegenüber einem VE, er könne „Waren aller Art – auch solche Sachen, die sonst nicht gehandelt würden, außer Heroin – beschaffen“, versucht worden, die Bildung einer kriminellen Vereinigung zu begründen140. Am Ende konnte aber nicht festgestellt werden, ob der Hauptbeschuldigte gegenüber dem VE reale Angaben machte oder nicht. So stellte die Staatsanwaltschaft in einer Teileinstellungsverfügung fest, der Hauptbeschuldigte habe „zwar gegenüber einem eingesetzten Verdeckten Ermittler den Eindruck erweckt, er könne im Rahmen seiner Verbindungen in die Ukraine Waffen und sogar Raketen beschaffen. Dass er dazu tatsächlich willens und in der Lage war, kann jedoch nicht bewiesen werden. Seine Einlassung, eine entsprechende Bereitschaft nur vorgespiegelt zu haben, um seinen Verhandlungspartner zu testen, ist nicht zu widerlegen.“
V. Der Einsatz technischer Mittel
In zehn A-, aber nur in einem B-Komplex waren eine oder mehrere Maßnahmen nach § 100c StPO zu verzeichnen141.
1. Anfertigung von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen, insbesondere einer Videoüberwachung Nach § 100c Abs. 1 StPO dürfen ohne Wissen des Betroffenen Lichtbilder und Bildaufzeichnungen hergestellt werden (Nr. 1a) sowie sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel zur Erforschung des Sachverhalts 140 Diese Äußerung wurde dahingehend interpretiert, „dass diese Organisation geeignet ist, dem einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern und bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen“. 141 A 1, 5, 6, 14, 15, 16, 19, 22, 9 / 23 und 26 sowie B 13.
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oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters verwendet werden, wenn Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist (Nr. 1b), und – für Nr. 1a und Nr. 1b geltend – wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre. Nach h.M. können diese Maßnahmen auch von der Polizei angeordnet werden142. In der Praxis häufig dürfte die Anfertigung von Lichtbildern von Tatverdächtigen zu Observationszwecken sein. Dies scheint die Polizei in Inanspruchnahme einer eigenen Zuständigkeit formlos zu erledigen. Jedenfalls fanden sich in den Akten keine Verfügungen der Staatsanwaltschaft, mit denen die Aufnahme solcher Fotos angeordnet worden wäre. Allein im Komplex B 13 war ein Antrag der Polizei an die Staatsanwaltschaft dokumentiert, Lichtbilder und Bildaufzeichnungen des Beschuldigten herzustellen. Der Grund, dass in diesem Fall ein schriftlicher Antrag an die StA gestellt wurde, lag vermutlich darin, dass die Polizei zeitgleich beantragte, zwei Telefonanschlüsse überwachen zu lassen und in zwei auf einen Beschuldigten zugelassenen Kfz, die mutmaßlich dem Import von Betäubungsmitteln dienten, eine Abhörmaßnahme nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO vorzunehmen143. In ihrer Verfügung führte die StA aus, die TÜ allein werde unter Umständen nicht zum Beleg der Übergabe von Rauschgift dienen und der Sachverhalt nur in Verbindung mit einer erfolgreichen Observation restlos aufgeklärt werden können. Eine inhaltliche Bestimmung der Maßnahme erfolgte in der Verfügung nicht. Vor Inkrafttreten des § 163 f. StPO durch das StVÄG 1999 im Jahr 2000 war nach der Rechtsprechung sogar eine langfristige Videoüberwachung des Wohnungseingangsbereichs eines Beschuldigten von § 100c Abs. 1 Nr. 1a StPO gedeckt144. Eine solche langfristige Videoüberwachung konnte in drei OK-Komplexen (A 1, 19 und 26) festgestellt werden. Im Komplex A 1 wurden die Gaststätte, die als Umschlagplatz von Drogen angesehen wurde, sowie ein Gebäude, in der eine Bunkerwohnung vermutet wurde, auf Grundlage von § 100c Abs. 1 Nr. 1a StPO videoüberwacht. Die dabei angefertigten Videobänder führte die Anklageschrift zwar als Beweismittel gegen die Hauptbeschuldigten auf, sie spielten aber weder für das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen noch im Urteil eine Rolle. Eine Verfügung zur Durchführung dieser 142 Zuletzt etwa Rudolphi / Wolter SK StPO 2001, § 100d Rdnr. 5; einschränkend MeyerGoßner 2003, § 100d Rdnr. 1: nur durch Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft. 143 Die Begründung lautete, der Beschuldigte sei verdächtig, „als ,Kurier’“ in Diensten einer Organisation . . . monatlich weit über 100 kg Heroingemisch von Bukarest / Prag aus in die Bundesrepublik Deutschland . . . zu transportieren.“ 144 BGHSt 44, 13; dem BGH zustimmend: Gehrlein / Schübel 1999, 104; Amelung Anm. NStZ 1998, 631; ablehnend: Asbrock Anm. NStZ 1998, 632; Rogall Anm. JZ 1998, 796 mit Bedenken, in § 100c Abs. 1 Nr. 1a StPO eine Ermächtigungsgrundlage für eine längerfristige Observation zu sehen. vgl. auch KK / Nack 1999, § 100c Rdnr. 9 sowie Rudolphi / Wolter SK StPO 2000, § 100c Rdnr. 4a mit einschränkender Auslegung.
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Maßnahme konnte den Akten ebenso wenig entnommen werden wie Informationen über die Dauer der Observation. Mehr als ein Jahr wurde im Komplex A 19 das vom Hauptbeschuldigten geführte Ladengeschäft mittels einer Videokamera überwacht, um, wie der Abschlussbericht des BKA formulierte, „die Kontakte des Beschuldigten über die Telefonüberwachungen und die Zeugenaussagen hinaus belegen bzw. objektivieren zu können.“ Die Lichtbilder der Videoüberwachung wurden in der späteren Anklageschrift als Augenscheinobjekte aufgeführt. Das Ermittlungsergebnis nannte Erkenntnisse der Videoüberwachung als Indiz für die Richtigkeit der Angaben eines zentralen Belastungszeugen über ein Treffen des Beschuldigten mit einer weiteren Person. Auch das Gericht betrachtete die Videoaufnahmen als Beleg dafür, der Angeklagte sei in seinem Geschäft von einer bestimmten Person aufgesucht worden, konnte aber naturgemäß damit keine Feststellungen über den Inhalt des möglichen Gesprächs treffen. Darauf, dass die Feststellung von Kontaktpersonen ein wesentliches Ziel einer langfristigen Videoüberwachung ist, deutet auch Komplex A 26 hin. Hier ordnete die Polizei „zur Erforschung des Sachverhalts, insbesondere zur Feststellung von Mittätern, Schleusungen und zur Erstellung eines Bewegungsbildes“ eine verdeckte Videoaufzeichnung des Eingangs des Wohngebäudes eines der Tatverdächtigen an. Die Staatsanwaltschaft stimmte dieser Maßnahme mit Schreiben vom gleichen Tage zu. Die Aufzeichnung erfolgte über mehr als ein halbes Jahr und führte laut polizeilichem Abschlussbericht „u. a. zur Identifizierung von Mittätern. Außerdem war sie ein unverzichtbares Mittel bei der Vorbereitung anderer Maßnahmen, wie zum Beispiel für die durchgeführten Observationen.“ Einige Monate später wurde die verdeckte Aufzeichnung eines weiteren Hauseinganges angeordnet, weil vermutet wurde, eine Wohnung diene „als Anlaufstelle für Geschleuste“. Nachdem sich „keine beweiserheblichen Bewegungen“ ergeben hatten, wurde die Aufzeichnung knapp zwei Monate danach eingestellt. Die Videoaufzeichnungen hatten für die weiteren Verfahren keine Bedeutung mehr, zumal diese überwiegend eingestellt wurden. Schließlich ordnete die Staatsanwaltschaft im Komplex A 14 die Videoüberwachung einer öffentlichen Telefonzelle an. Ziel war es, die TÜ auf die Zeiten zu beschränken, in denen der Beschuldigte die Zelle betritt. Daneben sollten die Kontaktaufnahmen des Beschuldigten beweiskräftig dokumentiert werden. Im Komplex B 26 wurde zudem das Anbringen eines GPS-Peilsenders (§ 100b Abs. 1 Nr. 1b StPO) an dem Auto einer Kontaktperson diskutiert, diese Maßnahme allerdings nicht durchgeführt.
2. Der kleine Lauschangriff Deutlich wichtiger als die Herstellung von Fotos oder Videos erscheint für OKErmittlungen der so genannte kleine Lauschangriff nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO. 32 Kinzig
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Danach darf das nicht öffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine in § 100a bezeichnete Straftat begangen hat, und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Streitig ist, ob § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO auch die versuchte Beteiligung oder die Vorbereitung einer Katalogtat erfasst145. Dagegen spricht der andersartige Wortlaut146. Nach § 100d Abs. 1 Satz 1 StPO darf der kleine Lauschangriff nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten angeordnet werden. Nach §§ 100d Abs. 1 Satz 2, 100b Abs. 2 Satz 3 StPO muss die Anordnung Art, Umfang und Dauer der Maßnahme enthalten, wozu nach herrschender Meinung der Ort der Maßnahme, gegebenenfalls auch die Gesprächspartner, Gesprächsthemen und die Tageszeiten gehören147. Die Anordnung einer Maßnahme nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO war in immerhin acht Komplexen ersichtlich148. Die zugrunde liegenden Beschlüsse waren dabei sehr unterschiedlich ausgestaltet. Im Komplex A 5 stellte die Polizei einen Antrag, das nichtöffentlich gesprochene Wort in einer öffentlich zugänglichen Waldhütte und in unmittelbarer Nähe hiervon abzuhören und aufzuzeichnen. Dort würden die Beschuldigten „Unterredungen über Btm-Geschäfte und andere strafrechtlich relevante Aktivitäten führen.“ Die Polizei ging davon aus, dass „durch diese Maßnahme die Tatbeiträge der einzelnen Beschuldigten und der Tatbeteiligten (Btm-Lieferant, Btm-Abnehmer) festgestellt sowie die Täter überführt werden können.“ Das Gericht konkretisierte in seinem Beschluss die Abhörmaßnahme auf Gespräche des Hauptbeschuldigten sowie weiterer Clubangehöriger in der besagten Waldhütte. Zum Tatverdacht führte es lediglich aus, es sei davon auszugehen, „dass die Gruppierung im Rahmen einer bandenmäßigen Organisation im gesamten süddeutschen Raum Handel mit Betäubungsmitteln im Kilogramm-Bereich treibt. Es handelt sich somit um die Verbrechenstatbestände der §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 1 BtmG.“ Die bisherigen verdeckten Ermittlungen hätten ergeben, dass man sich an der zu überwachenden Stelle versammle, „um entsprechende Absprachen über Betäubungsmittelgeschäfte oder anderes zu treffen.“ Wie schon für eine Reihe anderer ver145 Dafür KK / Nack 1999, § 100c Rdnr. 39; Pfeiffer 2002, § 100c Rdnr. 4; dagegen Rudolphi / Wolter SK StPO 2001, § 100c Rdnr. 11. 146 § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO („dass jemand eine in § 100a bezeichnete Straftat begangen hat“) im Gegensatz zu § 100a S. 1 StPO („begangen oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht oder durch eine Straftat vorbereitet hat“). 147 Fast inhaltsgleich KK / Nack 1999, § 100d Rdnr. 14; Lemke in HK-StPO 2001, § 100d Rdnr. 3; Pfeiffer 2002, § 100d Rdnr. 2; Meyer-Goßner 2003, § 100d Rdnr. 4; Rudolphi / Wolter SK StPO 2001, § 100d Rdnr. 18. 148 A 5, 6, 9 / 23, 14, 15, 16 und 22 sowie B 13. Im Komplex A 15 konnte „aufgrund technischer Schwierigkeiten“ laut polizeilichem Bericht eine vom AG angeordnete „§ 100c-Maßnahme“ nicht durchgeführt werden.“
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deckter Maßnahmen in Ermittlungsverfahren organisierter Kriminalität herausgearbeitet, zielte demnach auch dieser Lauschangriff strukturell nicht auf die Aufklärung begangener konkreter Straftaten, sondern darauf, von laufenden Betäubungsmittelgeschäften zu erfahren, diese zu dokumentieren und unter Umständen zu begleiten. Trotz dieser prospektiven Anlage führte der vergleichsweise ausführlich formulierte Beschluss aus, die konkretere Erforschung des Tatvorwurfes und der Organisationsstruktur sei nur durch den Einsatz entsprechender technischer Abhörmittel möglich. Hatte die Polizei für die Dauer des Abhörens die zulässige Höchstfrist von drei Monaten vorgeschlagen, vergaß das Gericht offensichtlich, die Maßnahme zu befristen. Da in der Folgezeit keine Treffen mehr an besagter Stelle durchgeführt wurden, kam der Lauschangriff nicht zur Anwendung. Die Anordnung zweier weiterer kleiner Lauschangriffe im Btm-Komplex A 6 durch das Amtsgericht hatte verfahrensmäßig insoweit eine andere Struktur, als die Begründung bereits im Antrag der Staatsanwaltschaft vorgegeben war und die Beschlüsse nur noch vom Gericht durch einen Stempel ausgefertigt wurden. Die erste Abhörmaßnahme wurde auf rund 11/2 Monate befristet und als Straftat § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG angegeben. Auch hier wurde ein allgemeiner Tatverdacht ohne Nennung konkreter einzelner Taten formuliert. Der Beschuldigte stehe im Verdacht, „einer Gruppierung kurdischer Rauschgifthändler anzugehören, die Heroin im zweistelligen Kilogrammbereich vertreibt. Erkenntnissen des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg zufolge nimmt er hierbei in erster Linie die Funktion des Koordinators und Nachrichtenübermittlers wahr“. „Bestimmte Tatsachen“ für den Verdacht nannte der Beschluss nicht. Zur Frage der Subsidiarität führte er aus, angesichts des „äußerst konspirativen Vorgehens“ verspräche „nur das Abhören und Aufzeichnen seines nicht öffentlich gesprochenen Wortes Erfolg“. Konkrete Alternativen zu dieser Maßnahme wurden nicht diskutiert. Ein Hinweis auf die konkrete Abhörmaßnahme war nur einem Satz der Begründung zu entnehmen: Insbesondere „eine in seinen Pkw eingebaute (sc. einzubauende?) Abhöreinrichtung“ verspreche beweiskräftige Ergebnisse149. Allerdings konnte die Maßnahme bis zum Fristablauf zunächst nicht vollzogen werden. In einem weiteren Beschluss verlängerte das Amtsgericht den kleinen Lauschangriff daraufhin um 21/2 Monate. An dieser Entscheidung lassen sich erneut verschiedene Problemkonstellationen im Bereich verdeckter Ermittlungsmaßnahmen aufzeigen, auf die teilweise schon aufmerksam gemacht wurde. Zunächst war wie schon bei der Verlängerung von TÜ-Anordnungen zu erkennen, dass auch hier die Begründungsdichte mit der Dauer der Maßnahme abnahm. Insoweit formulierte der Beschluss, es habe sich an der 149 Nach BGHSt 46, 266 (GPS-Entscheidung) gestattet § 100c Abs. 1 Nr. 1b StPO den Strafverfolgungsbehörden im Wege der Annexkompetenz unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch die Vornahme der für den Einsatz des technischen Mittels notwendigen Begleitmaßnahmen. Hierzu könne auch die kurzzeitige Verbringung des Fahrzeugs in eine Werkstatt gehören; anders dagegen BGH Ermittlungsrichter NJW 1997, 2189 für die (fast identische) Frage, ob § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO auch zum Verbringen des Kfz in eine Werkstatt zum Einbau der Abhöranlage berechtige.
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bereits zuvor beschriebenen Verdachtslage nichts geändert. Nach wie vor gingen der Beschuldigte wie auch seine Mittäter überaus konspirativ vor. Insoweit verspräche nur eine Maßnahme nach § 100c StPO Erfolg. Die Begründung fiel somit nicht nur kürzer aus als im Wochen zuvor ergangenen ersten § 100c-Beschluss, sondern glich immer noch weitgehend derjenigen, mit der bereits ein halbes Jahr zuvor eine Polizeiliche Beobachtung angeordnet worden war. Ungeklärt erscheint somit nicht nur die Frage, welche Anforderungen an länger andauernde Ermittlungsmaßnahmen zu stellen sind, sondern auch, wie unterschieden werden kann, ob fehlende Erkenntnisse auf ein besonders konspiratives Verhalten von Straftätern oder schlicht darauf zurückzuführen sind, dass die in Aussicht genommenen Tatverdächtigen unschuldig sind. Darüber hinaus liefert Komplex A 6 ein weiteres Beispiel für das Problem der Kumulation verdeckter Ermittlungsmaßnahmen: Hier wurden die verdeckten Maßnahmen VE, VP, TÜ, Feststellung von Verbindungsdaten, Polizeiliche Beobachtung sowie kleiner Lauschangriff angeordnet, ohne dass (eine gesetzliche) Klarheit über das Rangverhältnis dieser Maßnahmen besteht. Im Ergebnis blieb der Eingriff nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO ohne Bedeutung für das weitere Strafverfahren. Im Komplex A 16 erging zunächst eine auf drei Tage befristete Eilverfügung der Staatsanwaltschaft über „das Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes des Beschuldigten und seiner Gesprächspartner mit technischen Mitteln sowie die Aufzeichnung und Speicherung der Gespräche auf Datenträger“. Die zugrunde liegende Straftat wurde lediglich mit „versuchter räuberischer Erpressung“ angegeben. Im Übrigen wurden weder die Tat geschildert noch bestimmte Tatsachen für den Tatverdacht genannt. Lediglich aus dem Kontext der Begründung ließ sich entnehmen, dass eine geplante Schutzgelderpressung abgehört werden sollte, da man damit rechnete, das Opfer sei in der Hauptverhandlung nicht in der Lage, auch aufgrund potentieller Drohungen das Gespräch mit dem Erpresser korrekt wiederzugeben. Drei Tage später bestätigte das Amtsgericht die Eilentscheidung und verlängerte sie um zwei Monate. Da die StA den Beschluss bereits vorformuliert hatte, war die richterliche Begründung mit der vorangegangenen Eilentscheidung der StA identisch, lediglich erweitert um den Tatvorwurf, der Beschuldigte sei verdächtig, „zusammen mit anderen unbekannten Tätern wenigstens drei Betreiber von Eiscafés . . . unter Drohung von sonst erfolgenden gewalttätigen Angriffen auf die Lokale und deren Betreiber selbst zur Zahlung von jeweils 50.000 DM zwingen zu wollen.“ 11/2 Wochen später erließ das Amtsgericht eine weitere Abhörmaßnahme gegen einen neuen namentlich nicht bekannten Beschuldigten, der sich „als voraussichtlicher Übernehmer der zu zahlenden Geldbeträge den Geschädigten zu erkennen gegeben“ habe. Weder aus der Anklage noch aus dem Urteil war zu erkennen, dass die Maßnahme einen wesentlichen Beitrag zur Überführung der Täter leistete. Im selben Komplex erging auch ein Beschluss nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO gegen sieben namentlich aufgeführte Beschuldigte „wegen §§ 129, 253, 146 StGB“ für die Dauer von 21/2 Monaten. In der Begründung erfolgte zunächst ein
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Bezug auf verschiedene seit einem 3/4 Jahr in diesem Komplex erlassene Beschlüsse über verdeckte Maßnahmen. Als Tatverdacht wurde angegeben, aufgrund einer TÜ sei bekannt, dass einer der Beschuldigten vermutlich in Italien Falschgeld im Nennwert von 80 Millionen DM bestellt habe. Außerdem seien Schutzgelderpressungen zu erwarten. Ergänzend wurde darauf hingewiesen, auch TÜen seien angeordnet, derzeit aber technisch nicht machbar. Zum Ort der Maßnahme ergab sich aus der Begründung nur, sie solle „insbesondere in dem von den Beschuldigten benutzten Pkw“ erfolgen. 21/2 Monate später wurde der kleine Lauschangriff für weitere drei Monate verlängert. Wiederum wurde zunächst auf die Gründe des Ausgangsbeschlusses rekurriert. Die Verdachtsmomente hätten sich verstärkt. Die weitere Begründung in diesem Beschluss lautete wie folgt: „Ein Zugriff auf die Beschuldigten kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht erfolgen, weil die derzeit möglichen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Da nach einer Festnahme erfahrungsgemäß aufgrund der zu erwartenden Einlassungen eine Vielzahl weiterer Ermittlungen vorzunehmen sein werden, würde es dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen widersprechen, wenn der Verfahrensabschluss dadurch verzögert würde, weil bereits vorher mögliche Ermittlungen noch durchzuführen wären. Zudem würden durch einen jetzigen Zugriff die Ermittlungen der italienischen Behörden gefährdet. Die Aufzeichnung der Gespräche insbesondere in von den Beschuldigten benutzten Pkw ist weiterhin erforderlich, da, wie sich gezeigt hat, trotz der Überwachung einiger Telefonanschlüsse, nicht alle tatrelevanten Gespräche aufgezeichnet werden konnten, weil von den Beschuldigten laufend die Telefone gewechselt werden. Die deshalb entstehende Ermittlungslücke kann auf andere Weise nicht geschlossen werden.“ Auch diese Maßnahmen nach § 100c StPO hatten nach Aktenlage für den Fortgang des Verfahrens keine Bedeutung. Bei den im Fall A 16 erlassenen Beschlüssen wurde also nicht genau bestimmt, was genau abgehört werden sollte. Art, Zahl oder der Ort der Maßnahme wurden nicht genannt. Durch die lediglich personenbezogene Einschränkung150 verlieh der Ermittlungsrichter der Polizei eine Art Generalermächtigung zum Abhören, von der lediglich Wohnungen ausgenommen waren. Die Maßnahme geht damit in ihrer Eingriffsintensität sowohl über die TÜ, die sich ja immer nur auf einzelne Anschlüsse erstreckt, als auch über den großen Lauschangriff nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO, der auf eine Wohnung beschränkt ist, hinaus. Lediglich aus der Begründung war zu vermuten, dass Ort einer Abhöraktion „insbesondere“ ein Eiscafé, im anderen Fall „insbesondere“ ein Pkw gewesen sein könnte151. Problematisch ist auch, die Maßnahme nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO mit Erwägungen zum Beschleunigungsgebot in Haftsachen sowie mit den Ermittlungen anderer Behörden zu be150 Z. B. das Abhören aller Gespräche des X außerhalb von Wohnungen, auch durch verschiedene technische Mittel. 151 Bei Messer / Siebenbürger in Vordermayer / v. Heintschel-Heinegg 2000, 54 f. findet sich für die Anordnung eines kleinen Lauschangriffs ein vergleichsweise detailliertes Formular. Allerdings ist auch dort keine Angabe über den Ort und die Art der Maßnahme vorgesehen.
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gründen. Eine Würdigung der Eingriffsintensität aller verdeckten Maßnahmen – zeitgleich mit den beiden Anordnungen des letzten kleinen Lauschangriffs wurden drei TÜ für insgesamt acht Anschlüsse angeordnet – erfolgte nicht. Zugleich waren die Begründungen aller vier Beschlüsse fast identisch. Sehr mangelhaft begründete ein Amtsgericht außerhalb Baden-Württembergs im Komplex A 9 / 23 die gleichzeitige Anordnung eines kleinen Lauschangriffs sowie eines VE-Einsatzes. Die Begründung für beide Maßnahmen erschöpfte sich in einem Satz: „Aufgrund vertraulicher Hinweise und Zeugenaussagen bestehen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung auf dem Gebiet des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs gewerbsoder gewohnheitsmäßig begangen worden ist.“ Im Komplex A 14, in dem die Staatsanwaltschaft einen kleinen Lauschangriff wegen Gefahr im Verzug selbst anordnete, erfolgte dagegen eine Konkretisierung der Maßnahme. Abzuhören sei das von einem Tatverdächtigen anläßlich seines Aufenthaltes in einer Telefonzelle gesprochene Wort152. Der Tatverdacht bezog sich auch hier auf eine laufende Straftat, „dass sich derzeit ein Kurier im Auftrag des X in Y befindet, der dem Beschuldigten Betäubungsmittel übergeben soll.“ Zur Subsidiarität wurde ausgeführt, die Observation des Beschuldigten stelle keinen hinreichend sicheren alternativen Ermittlungsansatz dar, weil einerseits zu befürchten sei, der Beschuldigte werde sich ihr entziehen, andererseits das Treffen mit dem Kurier nicht selbst wahrnehmen. Auch diese Maßnahme erbrachte keine Ergebnisse für das weitere Verfahren. Eine konkretere Bezeichnung der aufzunehmenden Gespräche erfolgte auch in einem AG-Beschluss im Komplex A 22. Selbige betrafen die Unterredungen zwischen sechs namentlich bezeichneten Personen und einer Zeugin. Als Tatverdacht wurde formuliert, die Beschuldigten versuchten, die Zeugin um 1400 DM zu erpressen, indem sie drohten, bei Nichtzahlung das sich in Russland in der Gewalt der Tatverdächtigen befindliche Kind der Zeugin als „Organspender“ zu verkaufen. Allerdings nahm das AG keine Befristung der Maßnahme vor. „Die Erforschung des Sachverhalts, insbesondere Art und Umfang der Drohungen, sowie der Verbleib der Tochter der Zeugin, wäre ohne die genannten Maßnahmen . . . wesentlich erschwert, insbesondere auch, was die Tatbeteiligung der einzelnen Beschuldigten anbelangt.“ Obwohl erst vier Tage zuvor auch eine TÜ acht verschiedener Anschlüsse angeordnet worden war, wurden auch hier die Maßnahmen nicht zueinander in Beziehung gesetzt. Wenige Tage danach wurde ein erstes Treffen zwischen der Zeugin und Tatverdächtigen „mit einer verdeckt angebrachten Videokamera dokumentiert und die Unterhaltung der beteiligten Personen auf Tonträger aufgenommen.“ Eine Woche später wiederholte das AG seinen Beschluss nach § 100c StPO, diesmal unter Befristung für zwei Tage. In keinem der beiden Beschlüsse, die eigenständig vom Ermittlungsrichter begründet waren, wurde der Ort der Maßnahme genannt. Auch wurde nicht darauf hingewiesen, dass das Abhören nicht 152
Unklar blieb, warum nicht stattdessen eine TÜ geschaltet wurde.
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unter Verletzung von Art. 13 GG geschehen dürfe. Bei einem zweiten auf die beschriebene Weise überwachten Treffen war die Aufnahme allerdings nicht verwertbar. Eineinhalb Monate später erging ein dritter, diesmal wiederum unbefristeter Beschluss auf Abhören und Aufzeichnen der Gespräche zwischen zwei mutmaßlichen Erpressungsopfern und den Beschuldigten. Darin wurde der Tatverdacht relativ detailliert geschildert. Mit der Maßnahme sollte die für den nächsten Tag auf einem „Bahnhofsplatz“ geplante Geldübergabe belauscht werden. „Die Erforschung des Sachverhalts, insbesondere die Aufklärung der einzelnen Tatbeiträge der Beschuldigten, wäre ohne die oben genannten Maßnahmen, die im Rahmen der Geldübergabe angewandt werden sollen, wesentlich erschwert.“ Auch dieses dritte Treffen, das tatsächlich in einer Bahnhofsgaststätte stattfand, wurde videound tonüberwacht. In der Anklageschrift wurden sowohl Lichtbildmappen als auch Wortprotokolle der beiden Treffen aufgeführt. Im Urteil wurde vor allem der Wortlaut von Gesprächsteilen bei dem letzten überwachten Gespräch als Beleg für den Tatvorwurf herangezogen. Zudem wurden die „von diesen Treffen gefertigten Videoaufzeichnungen . . . auszugsweise in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen.“ Im Komplex B 13 schließlich wurde für die Dauer von drei Monaten ein kleiner Lauschangriff auf die beiden Kfz des Beschuldigten beschlossen. Als Begründung wurde, wie schon rund zwei Wochen zuvor bei der Anordnung einer TÜ genannt, der Beschuldigte sei verdächtig, „als ,Kurier’ in Diensten einer Organisation“ monatlich mindestens zweimal Rauschgift zu importieren und hier zu verteilen. Das Abhören sei zwingend erforderlich „zur Erforschung des genauen Ablaufs der Heroinlieferungen und der Ermittlung der Abnehmer, des Verstecks sowie der Ausliefer- / Lageradresse . . . , da andere Maßnahmen, ausschließlich vorgenommen, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zu entsprechenden Erkenntnissen führen.“ Drei Monate später beantragte die Polizei, die Maßnahme nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO zu verlängern und auf zwei weitere Kfz auszudehnen. Im weiteren Verlauf erfolgte die vorläufige Einstellung des Verfahrens nach § 205 StPO. Keinerlei Hinweise oder Vermerke ergaben sich aus den Akten, ob und wann eine Vernichtung der angefallenen Unterlagen gemäß §§ 100d Abs. 1 Satz 2, 100b Abs. 6 StPO stattfand. Keine Anhaltspunkte fanden sich dafür, dass die Benachrichtigungspflichten des § 101 Abs. 1 StPO beachtet wurden.
VI. Die polizeiliche Beobachtung
Die polizeiliche Beobachtung (PB) kann nach § 163e Abs. 1 Satz 1 StPO angeordnet werden, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen wurde. Nach Satz 2 darf sich die Anordnung nur gegen den Beschuldigten richten und nur dann getroffen werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder we-
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sentlich erschwert wäre. Gegen andere Personen ist die Maßnahme zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit dem Täter in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird, dass die Maßnahme zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters führen wird und dies auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre (Satz 3). Nach § 163e Abs. 2 StPO kann das Kennzeichen eines Kraftfahrzeugs ausgeschrieben werden, wenn das Fahrzeug für eine nach § 163e Abs. 1 StPO ausgeschriebene Person zugelassen ist oder von ihr oder einer bisher namentlich nicht bekannten Person benutzt wird, die einer Straftat mit erheblicher Bedeutung verdächtig ist. Die Ausschreibung zur PB hat nach § 163e Abs. 4 Satz 1 StPO grundsätzlich durch den Richter zu erfolgen. Nach herrschender Meinung muss die Anordnung das Verfahren, in dem sie ergeht, und den Verfahrensgegenstand, also das historische Geschehen, das den Verdacht der Katalogtat begründet, bezeichnen153. Die PB erfolgte in insgesamt zehn Fällen, die sich im Gegensatz zu den anderen verdeckten Maßnahmen gleichmäßig auf die A- sowie B-Komplexe verteilten154. In sieben Fällen wurde sowohl eine PB der Person als auch eines Kfz angeordnet. Im Schleuserverfahren A 2 stellte die Polizei einen Antrag auf eine PB der drei Beschuldigten und fünf auf sie zugelassener Kfz. In der gerichtlichen Begründung hieß es lediglich, der Tatverdacht, der in einem TÜ-Beschluss ein Monat zuvor beschrieben worden sei, bestehe fort. Die in § 163e Abs. 4 Satz 5 StPO vorgesehene Befristung (Höchstfrist ein Jahr) erfolgte nicht. „Ohne die Ausschreibung der oben aufgeführten Kraftfahrzeuge“, so der zweite Begründungssatz des Gerichts, „kann der Aufenthalt der Beschuldigten, insbesondere bei grenzüberschreitenden Fahrten, nicht festgestellt werden.“ Es ist nicht ersichtlich, dass die Ergebnisse der PB im weiteren Verlauf des Verfahrens von Bedeutung waren. Im Komplex A 6 wurde der Beschluss über die PB genauso wie andere verdeckte Maßnahmen von der StA vorformuliert und vom Ermittlungsrichter lediglich mit einem Stempel und einer Unterschrift versehen. Dabei wurde zunächst die PB von drei Beschuldigten sowie eines auf einen von ihnen zugelassenen Kfz für sieben Monate angeordnet. Als Begründung wurde angeführt, die Beschuldigten stünden im Verdacht, „Mitglieder einer Rauschgifthändlergruppierung zu sein, die unter anderem in Baden-Württemberg Heroin in zweistelligem Kilogrammbereich vertreibt.“ Dabei ersetzte offensichtlich die Kennzeichnung als „Mitglieder einer Rauschgifthändlergruppierung“ die Schilderung der konkreten Verdachtslage einer erheblichen Straftat mit Beschreibung der den einzelnen zuzurechnenden Anteile. Da die gesuchten Personen unbekannten Aufenthaltes seien, sei die Ausschreibung erforderlich, „um Anlaufpunkte, Reisebewegungen und eventuelle Aufenthaltsorte der Tatverdächtigen feststellen zu können.“ Ausführungen zur Subsidiarität unter153 154
LR / Rieß 1987, § 163d Rdnr. 52 für die Netzfahndung. A 2, 6, 7, 16 und 17 sowie B 1a, 1b, 13, 15 und 26.
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blieben. Die Maßnahme wurde für drei weitere Monate verlängert, ohne dass ersichtlich ist, dass sie für die Verhaftung oder zur späteren Beweisführung eine Bedeutung hatte. Im Komplex A 7 fertigte das AG einen Antrag der StA aus, für ein Jahr sieben Personen zur PB auszuschreiben, die „bei Observationen als Kontaktpersonen der Beschuldigten festgestellt“ worden waren. Eine Begründung, warum der bloße Kontakt diese Maßnahme rechtfertige, erging nicht155. Daneben erfolgte die Ausschreibung von vier Kfz, wobei anzunehmen ist (dies ging aus der Begründung nicht hervor), dass diese auf die Kontaktpersonen zugelassen waren. Der Verdacht – wiederum eine Gemengelage zwischen begangenen und zukünftigen Straftaten – wurde mit dem auf eine VP zurückgehenden Hinweis begründet, „ein Busfahrer . . . sei Mitglied einer Organisation, die aus dem Balkan Heroin in Mengen von jeweils 8 bis 20 kg nach Süddeutschland . . . geschmuggelt habe . . . Es besteht deshalb der Verdacht, dass unter Beteiligung der Beschuldigten weiterhin Heroin nach Deutschland geschmuggelt wird.“ Die Erheblichkeit der Straftat wurde nicht gesondert festgestellt. Bei der Subsidiarität wurde alternativ eine Durchsuchungsmöglichkeit diskutiert. Zeitgleich erging auch ein Beschluss über die Erhebung von Verbindungsdaten, der aber nicht zur PB in Beziehung gesetzt wurde156. Als Ziel der Maßnahme wurde genannt, es könne erwartet werden, „dass durch die Maßnahme weitere Kontaktpersonen und insbesondere aufgesuchte Örtlichkeiten festgestellt und dadurch Kuriere, Depothalter und Abnehmer ermittelt werden können.“ Knapp einen Monat später erging die Anordnung der PB zweier weiterer Kfz für ein knappes Jahr; eines davon war auf einen Beschuldigten zugelassen. In der Begründung wurde fast ausschließlich auf die Gründe der vorangegangen PB Bezug genommen. Die Verfahren wurden nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt157. Auch in der gerichtlichen Begründung einer sechsmonatigen PB des Beschuldigten sowie von insgesamt vier auf ihn zugelassenen Fahrzeugen wurde für den Tatverdacht auf die Gründe eines Beschlusses verwiesen, mit dem rund eineinhalb Monate zuvor ein kleiner Lauschangriff angeordnet worden war. Die Maßnahme sei zwingend geboten, „da der Aufenthaltsort des Beschuldigten aus der gegen ihn angeordneten Telefonüberwachungsmaßnahme bislang nicht ermittelt werden konnte.“ Das Verfahren wurde nach § 205 StPO eingestellt. Ergebnislos blieb die PB von fünf Personen sowie eines auf einen Hauptbeschuldigten zugelassenen Kfz auch im Komplex B 15, der teilweise mit einer Einstel155 Nach KK / Schoreit 1999, § 163e Rdnr. 17 soll z. B. zufälliges Zusammentreffen nicht genügen. Dagegen wurden im Komplex B 26, in dem die Verlobte des Hauptbeschuldigten und ihr Kfz für sechs Monate zur PB ausgeschrieben wurden, immerhin Indizien angegeben, die auf ein bevorstehendes Treffen mit dem Hauptbeschuldigten hindeuteten. 156 Nach KK / Schoreit (1999, §§ 163e Rdnr. 15 f.) ist dies bei Maßnahmen mit unterschiedlicher Zielsetzung ohnehin problematisch. 157 Auch im Komplex A 16 – dort erfolgte die PB von fünf Beschuldigten sowie sieben auf diese zugelassenen Kfz – war nicht ersichtlich, dass die Maßnahme eine Bedeutung für das weitere Ermittlungsverfahren gehabt hat.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
lung nach § 170 Abs. 2 StPO, teilweise mit einem Strafbefehl endete. Eine genaue Begründung der Art und Weise der Beteiligung der genannten Personen erfolgte in dem Antrag der Polizei nicht. Es wurde lediglich ausgeführt, dass „die Genannten in der zurückliegenden Zeit eine Vielzahl von Kfz unter Verschleierung der tatsächlichen Eigentumsverhältnisse von der BRD aus nach Rumänien“ eingeführt hätten und nach Information von rumänischen Behörden die Personen „der gleichen Tätergruppe / Organisation angehören“ dürften. In Rumänien sei man der Auffassung, „dass dieser Personenkreis mit weiteren Mittätern aus Deutschland bzw. Westeuropa gestohlene Fahrzeuge, versehen mit echten Papieren, nach Rumänien einführt.“ Soweit ersichtlich wurde der Antrag vom Gericht ohne eigene Begründung ausgefertigt158. Im Komplex A 17 genügten zwei Sätze für die Anordnung der PB von vier Beschuldigten für ein Jahr: „Aufgrund der Ermittlungen der Kriminalpolizei . . . besteht der Verdacht, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen wurde. Die polizeiliche Beobachtung ist zur Erforschung des Sachverhalts erforderlich, da die Ermittlungen auf andere Weise schwer möglich sind.“ Die zugrunde liegende Straftat wurde in diesem Beschluss also nicht einmal bezeichnet, geschweige denn konkretisiert. Eine Bedeutung der PB für das weitere Verfahren war nicht ersichtlich. Auch im Komplex B 1b wurde die Ausschreibung des Hauptbeschuldigten zur PB für ein Jahr nur damit begründet, es bestehe der Verdacht, diese Person sei an einem Mord beteiligt gewesen. „Die polizeiliche Beobachtung ist zur Erforschung des Sachverhalts erforderlich, da die Ermittlungen auf andere Weise schwer möglich sind.“ Auch dieses Ermittlungsverfahren wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Im Komplex B 1a blieb trotz der Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO die PB des Hauptbeschuldigten aufrechterhalten. Wie schon beim kleinen Lauschangriff enthielten die Akten auch bei der PB keine Hinweise, dass eine Löschung der Daten erfolgte oder eine Benachrichtigung der von der PB betroffenen Personen stattfand159.
VII. Das Scheingeschäft
Die Bedeutung des Scheingeschäfts im Rahmen der Ermittlungsverfahren im Bereich der organisierten Kriminalität wurde bereits bei der Erörterung des VPwie des VE-Einsatzes erörtert. Unter einem Scheingeschäft versteht man, dass eine VP oder ein VE, allein oder in wechselseitiger Zusammenarbeit, mit einer vorgetäuschten Kaufabsicht an einen mutmaßlichen Händler illegaler Waren herantreten, um einerseits die Sicherstellung dieser Waren und andererseits die Festnahme Mit vollständiger Sicherheit war das aus den Akten aber nicht zu ersehen. § 163d StPO trifft insoweit keine speziellen Vorschriften. Nach Wolter SK StPO 1997, § 163e Rdnr. 29 erfolgt die Benachrichtigung des Betroffenen in Anlehnung an § 101 Abs. 1, nach Krehl in HK-StPO 2001, § 163e Rdnr. 10 entsprechend § 163d Abs. 5 StPO. 158 159
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der Verkäufer zu ermöglichen160. Primär wird diese gesetzlich nicht geregelte Ermittlungsmaßnahme im Bereich der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität angewandt. Viel spricht dafür, dass speziell für Ermittlungen im Bereich organisierte Betäubungsmittelkriminalität gilt, dass ein Scheingeschäft die „Krone des Beweises“ darstellt161. So kam es in immerhin 12 von 20 OK-Betäubungsmittelfällen zur Durchführung eines Scheingeschäfts, davon in 11 der 12 A-Komplexe. Daneben besaß das Scheingeschäft eine Bedeutung im Bereich der Falschgeldkriminalität (B 12 und 16). Im Komplex B 16 hatte ein VE zudem den Auftrag, unterschlagene Kfz zu erwerben.
VIII. Die Tatprovokation
Quantitative Angaben über den Umfang erlaubter oder unerlaubter staatlicher Tatprovokation in Verfahren organisierter Kriminalität zu machen, ist seriöserweise nicht möglich. Dies scheitert schon daran, dass die beteiligten VP oder VE im Regelfall nicht in der Hauptverhandlung erscheinen und zu diesem Aspekt daher allenfalls mittelbar befragt werden können. Die unter dem Aspekt der Beteiligung von VE und VP am kriminellen Geschehen bereits geschilderten Komplexe A 10, 11 und 14 zeigen jedoch, dass in einer nicht unerheblichen Größenordnung der Staat via VP sowie VE Einfluss auf den Umfang der kriminellen Tätigkeit der Zielpersonen nehmen dürfte. Ein Antrag einer Staatsanwaltschaft auf Verlängerung einer TÜ-Anordnung im Komplex A 5 illustriert die bewusste oder auch unbewusste Steuerung krimineller Tätigkeit durch die Ermittlungsbehörden bzw. der für sie tätigen Personen. Er wurde damit begründet, nach einem Probekauf und Übergabe von Kokain an einen VE sei nun „ein größeres Nachfolge-Geschäft . . . in Vorbereitung“.
IX. Zusammenfassung: Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen in Verfahren organisierter Kriminalität
Bei ihrem die Ermittlungen in Verfahren organisierter Kriminalität kennzeichnenden proaktiven und täterorientierten Vorgehen geraten die Strafverfolgungsbehörden häufig in ein (kriminelles) Geschehen, das Straftaten der Zielperson(en) sowohl in der Vergangenheit vermuten als auch für die Zukunft erwarten lässt. Charakteristisch ist dabei, dass die Hinweise auf die begangenen Straftaten, vor allem wenn es sich um so genannte opferlose Delikte handelt, nur sehr vage und daher schwer verfolgbar sind. Daher steht bei der Polizei in der Regel nicht die retrospektive Aufklärung dieser Straftaten im Vordergrund, sondern zumeist das Ziel, ein andauerndes kriminelles Geschehen, wie den Vertrieb von BetäubungsVgl. die Definitionen bei Körner 2001, § 31 Rdnr. 107 sowie Stock / Kreuzer 1996, 292. So die Formulierung eines Ermittlers in Stock / Kreuzer 1996, 316 für die Betäubungsmittelkriminalität. 160 161
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
mitteln, zu beobachten, zu begleiten, ja bisweilen sogar zu fördern. Demgegenüber ist das gesetzliche Programm der besonderen Ermittlungsmaßnahmen in der StPO auf deren klassische Funktion zugeschnitten, indem es Voraussetzungen formuliert, nach denen eine Maßnahme zur Aufklärung einer begangenen Straftat eingesetzt werden kann. Die Divergenz zwischen dem tatsächlichen Ziel der eingesetzten Maßnahme, der Dokumentation einer regelmäßig noch in der Zukunft liegenden Straftat und den vom Gesetzgeber formulierten Voraussetzungen führt dazu, dass schon aus diesem Grund eine Vielzahl der gewöhnlich vom Ermittlungsrichter getroffenen Beschlüsse angreifbar erscheint. Bei der TÜ, der häufigsten verdeckten Ermittlungsmaßnahme, wurden rein quantitativ bei den ermittlungsintensiven A-Komplexen mit 8,7 fast doppelt so viele Anschlüsse überwacht wie bei den B-Komplexen (4,6). Immerhin rund 20 % der geschalteten TÜ dauerten länger als drei Monate. Die beschriebenen Eigenheiten der OK-Ermittlungen führten dazu, dass in den untersuchten TÜ-Beschlüssen nur selten eine präzise Nennung der Katalogtat zu finden war. Bisweilen lieferte die bloße Zurechnung des Beschuldigten zu einer Bande oder gar kriminellen Vereinigung den allerdings gesetzlich nicht vorgesehenen Grund für die Durchführung der TÜ. Schwierigkeiten dergestalt, dass Straftaten, zu deren Aufklärung abgehört werden sollte, nicht dem in § 100a Satz 1 StPO statuierten Katalog unterfielen, waren nach der sukzessiven Ausweitung der Delikte, die zur TÜ berechtigen, nur noch ausnahmsweise, insbesondere bei Vermögensstraftaten, zu erkennen. Der Umstand, dass die meisten TÜ in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens geschaltet werden und zudem der Verdacht in einem erheblichen Umfang auf Informationen von VP bzw. IP beruht, die aus Quellenschutzgründen nicht detailliert offen gelegt werden, hat zur Folge, dass die Ermittlungsrichter ihre Entscheidung häufig aufgrund einer schmalen, für sie nicht überprüfbaren Tatsachenbasis treffen. Dementsprechend mager fällt die Begründung des Tatverdachts aus. Einschränkend ist allerdings zu bemerken, dass das Fehlen „bestimmter Tatsachen“ in einem gewissen Maß bereits im gesetzlichen Programm angelegt ist, wenn einerseits zwar bestimmte Tatsachen verlangt werden, andererseits aber auch, dass andere Maßnahmen nicht zum Ziel führen oder zum Ziel geführt haben. Entgegen der Vorstellung des Gesetzgebers dienten die untersuchten TÜ nur selten der Erforschung einer konkreten Straftat bzw. der Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten. Vielmehr hatten sie die Funktion, vermeintliche kriminelle Strukturen aufzuhellen oder künftige Straftaten, vor allem Betäubungsmitteldelikte, zu überwachen. Dies zeigte sich u. a. daran, dass teilweise bei zeitlich aufeinanderfolgenden TÜ, wenn sich die in der Zukunft zu erwartende Tat änderte, der zugrunde liegende Sachverhalt ausgewechselt wurde. Eine konkrete Erörterung oder Abwägung, welche Maßnahmen anstelle einer TÜ zur Aufklärung des Sachverhaltes eingesetzt werden könnten, fand in der Regel nicht statt, wobei in einigen Fällen der Topos der organisierten Kriminalität als Begründungsversatzstück dafür diente, den Sachverhalt nicht mit anderen polizeilichen Methoden ermitteln zu können. Weder der gleichzeitige Einsatz verschiedener verdeckter
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Maßnahmen noch die Schaltung mehrerer TÜ führten dazu, diese Kumulation eingriffsintensiver Maßnahmen aus dem Blickwinkel des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu thematisieren. Üblicherweise ordneten Ermittlungsrichter die TÜ an. Selbige begnügten sich oft damit, den von der Staatsanwaltschaft vorformulierten Beschluss auszufertigen. Bei Verlängerungen von TÜ arbeitete die Praxis vielfach mit einer pauschalen Bezugnahme auf vorangegangene Beschlüsse, was der zeitlich intensiver werdenden Grundrechtsbeeinträchtigung nicht gerecht wird. Dass entgegen § 100b Abs. 6 StPO trotz Einstellung eines Ermittlungsverfahrens TÜUnterlagen aufgehoben wurden, mag mit der Übung zusammenhängen, Ermittlungsverfahren im Bereich organisierter Kriminalität aufgrund „polizeilicher Erkenntnisse“, d. h. in anderen Strafverfahren angefallener Informationen zu generieren. Der in § 101 StPO vorgesehenen Benachrichtigungspflicht kam die Staatsanwaltschaft nur ausnahmsweise nach. Die Erhebung von Verbindungsdaten wurde im Allgemeinen sowohl auf § 12 FAG als auch § 100a StPO gestützt. Zahlenmäßig bedeutsam ist in Verfahren organisierter Kriminalität auch der Einsatz von Vertrauenspersonen und Informanten. Der Einsatz beider Instrumente läuft in einem weitgehend rechtsfreien, da ungeregelten Raum ab. So enthält die Strafprozessordnung nach wie vor keine spezielle Eingriffsgrundlage für die VPbzw. Informantentätigkeit. Auch die Bestimmungen in den Gemeinsamen Richtlinien wirken wenig formalisierend. Da nicht nur die Voraussetzungen solcher Einsätze ungeklärt sind, sondern auch, ob und wie sie zu dokumentieren sind, können sich Gericht wie Strafverteidigung, möglicherweise sogar die Staatsanwaltschaft, nie sicher sein, dass diese Einsätze in jedem Fall Eingang in die Ermittlungsakte finden162. So besitzt die Polizei ein Entscheidungsmonopol in der Frage, ob sie den Einsatz einer VP als beweiserheblich einstuft und daher den Ermittlungsakten zugänglich macht163. Der Vergleich der LKA-Raster mit den Ermittlungsakten ergab, dass in immerhin 6 Komplexen ein VP-Einsatz zwar aus dem Raster, nicht aber aus der Ermittlungsakte hervorging. Den Akten vorenthalten bleiben des Weiteren nicht nur Angaben über die Identität von VP und Informant164, sondern auch die Einsatzentscheidung der Staatsanwaltschaft, ganz zu schweigen von der Fixierung eines Zieles der geplanten Maßnahme165. In keinem Ermittlungskomplex war erkennbar, dass, wie vor allem in jüngerer Zeit gefordert wird, vor dem VP-Einsatz 162 Zu Geheimhaltungsbestrebungen der Polizei vor der Staatsanwaltschaft: Erfurth 1997, 149 f.; Kreuzer / Hellebrand (1998, § 14 Rdnr. 96) spricht davon, dass durch die Zwischenschaltung des VP-Führers die Leitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft als auch ihr Informationsstand leiden kann; zum VP-Führer: Pfeil 2001. Nach einer neuen Entscheidung des BVerwG (NVwZ 2002, 1249) ist allerdings die Verweigerung der Vorlage der „Dienstanweisung des Bundeskriminalamtes zur Inanspruchnahme von Informanten und zum Einsatz von V-Personen im Rahmen der Strafverfolgung“ (VP-Richtlinien) nicht gerechtfertigt. 163 Teilweise (Weiler 2001, 85) wird dies mit der Einordnung dieser Vorfeldmaßnahmen in den präventivpolizeilichen Bereich begründet. 164 Sehr weitgehend die Forderungen von LR / Lüderssen 2001, § 147 Rdnr. 55; allgemein zur Bedeutung der Aktenvollständigkeit: Velten 1995, 205 ff. und 1996, 192 ff. 165 So auch Weiler 2001, 16; Pfeil 2001, 107.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
ein konkreter Auftrag erging und dieser festgehalten, die VP also an der „kurzen Leine“ geführt wurde166. Diese im Bereich der VP und der Informanten seit jeher fehlende Formalisierung führt auch zu einer Preisgabe jeglicher Differenzierung zwischen beiden zumindest theoretisch unterscheidbaren und in den Gemeinsamen Richtlinien auch unterschiedenen Rechtsinstituten, so dass Polizeibehörden wie auch Staatsanwaltschaft beide Begriffe uneinheitlich verwenden167. VP und Informanten dienen dabei nicht nur als Lieferanten von Informationen, um ein Verfahren in Gang zu bringen168. Über die (gezielte) Beschaffung von Informationen hinaus waren VP in immerhin 14 Komplexen unmittelbar am kriminellen Geschehen beteiligt, darunter allein in 10 Btm-Fällen. Dabei führte die VP in der Regel in Zusammenarbeit mit einem VE ein Scheingeschäft durch169, hatte also kriminelles Verhalten zu erzeugen und damit zur Überführung der Zielperson beizutragen. Da die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über einen VP- oder auch InformantenEinsatz formularmäßig und begründungslos ergeht170, findet keine Einbindung dieser in das System anderer Ermittlungsmaßnahmen statt. In den Gemeinsamen Richtlinien formulierte Verhältnismäßigkeitserwägungen bleiben dadurch bedeutungslos und laufen ins Leere171. Rechtlich weist der VP-Einsatz vor allem zwei Probleme auf. So sind keine Kriterien vorhanden, wie lange das Legalitätsprinzip zur Durchführung eines Scheingeschäfts, das zumeist mehrere Phasen durchläuft, zurückgestellt werden kann. Zudem ist die konkrete Beteiligung der VP zumeist nur schwer aufklärbar, da selbige nicht persönlich in der Hauptverhandlung auftritt. In tatsächlicher Hinsicht war bemerkenswert, dass in einigen Komplexen das mit VP bzw. VE durchgeführte Scheingeschäft den weitaus gravierendsten strafrechtlichen Vorwurf darstellte. Auch beim Einsatz Verdeckter Ermittler (VE) besteht das Problem, dass eine solche Maßnahme nicht in jedem Fall Eingang in die Ermittlungsakten findet. Wird die Tatsache des VE-Einsatzes offengelegt, scheint es eine unterschiedliche Praxis zu geben, welche Unterlagen den Gerichtsakten beizugeben sind. In tatsächlicher Hinsicht war der VE ganz überwiegend in Zusammenarbeit mit einer VP auf dem Gebiet der Betäubungsmittelkriminalität tätig. Die Analyse der Zustimmungsverfahren zu den VE-Einsätzen erbrachte das bemerkenswerte Ergebnis, dass fast 166 So die Forderung von Nack 1999, 171 (174 f.); zur jedenfalls nicht den Ermittlungsakten zu entnehmenden Praxis aus polizeilicher Sicht: Kreuzer / Kasecker 1998, § 13 Rdnr. 344. 167 Kreuzer / Kasecker (1998, § 13 Rdnr. 330) spricht kennzeichnenderweise aus Sicht der Praxis von Diskussionsansätzen „rechtstheoretischer Natur“. 168 Zum „in Gang bringen“ bereits Haas 1986, 266 f.; vgl. auch Pütter 1998, 84 f. 169 Vgl. auch Kreuzer / Stock 1998, § 13 Rdnr. 611. 170 Ein ausführlich gestaltetes Formular findet sich bei Messer / Siebenbürger in Vordermayer / v. Heintschel-Heinegg 2000, 66 f., ohne dass ein solches oder ähnliches in den untersuchten Verfahren Verwendung fand. 171 Dies erklärt auch die Beobachtung von Kreuzer / Stock 1998, § 13 Rdnr. 605, der Einsatz verdeckt agierender Personen sei eine „Standardmaßnahme auf der gesamten Palette der qualitativ höchst unterschiedlichen Verstöße gegen das BtMG.“
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alle Beschlüsse, jedenfalls soweit sie eingesehen werden konnten, durch Ermittlungsrichter formularmäßig ergingen. Auch in den polizeilichen Antragsschriften erfolgte kaum eine Konkretisierung des an sich nach dem gesetzlichen Programm geforderten Tatverdachts. Wie bei der VP überwiegen auch beim VE-Einsatz deutlich die Fälle, in denen seine Tätigkeit darauf angelegt ist, insbesondere durch das Aufkaufen illegaler Güter Kriminalität zu erzeugen und damit die Verurteilung der Zielperson zu ermöglichen. Fälle, in denen der VE dazu beitrug, wie es das OrgKG intendierte, in die Struktur der kriminellen Organisation einzudringen, waren nicht zu verzeichnen. Dagegen waren Konstellationen vorhanden, in denen sich der VEund VP-Einsatz verselbständigte, weil die Dimension des anvisierten Geschäfts die Leistungsfähigkeit des / der Verdächtigen überstieg. Von den anderen verdeckten Maßnahmen wurden solche nach § 100c in elf Komplexen eingesetzt. Sie blieben aber weitgehend erfolglos. In drei Fällen wurde eine langfristige Videoüberwachung vorgenommen. Sie dient in der Regel der Feststellung von Kontaktpersonen. Der kleine Lauschangriff wurde achtmal angeordnet, wobei auch dies teilweise formularmäßig geschah. Aus der Anordnung war überdies nicht immer der genaue Gegenstand bzw. die Art des kleinen Lauschangriffs erkennbar, so dass mitunter eine Art Generalermächtigung zum Abhören einer Person erteilt zu sein schien. Dass eine Vernichtung der Unterlagen stattfand oder die betroffenen Personen unterrichtet wurden, war den Akten ebenfalls nicht zu entnehmen. Eine Polizeiliche Beobachtung (PB) erfolgte in zehn Fällen, darunter in sieben sowohl einer Person als auch eines Kfz. Auch hier waren Fälle einer bloßen Ausfertigung eines vorformulierten Beschlusses durch den Ermittlungsrichter festzustellen. Teilweise unterblieb eine Befristung, teilweise wurde die PB von Kontaktpersonen nicht näher begründet, teilweise nahm die Begründung nur auf vorangegangene Beschlüsse Bezug. Auch waren keine Hinweise vorhanden, dass eine Löschung der Daten erfolgte oder eine Benachrichtigung der von der PB betroffenen Personen stattfand. Dass die Initiierung von Scheingeschäften eine ganz wesentliche Strategie im Bereich der Bekämpfung organisierter (Betäubungsmittel-)kriminalität darstellt, wurde bereits herausgearbeitet. Die ausgewerteten Verfahren deuten darauf hin, dass in einem nicht unerheblichen Umfang Fälle staatlicher Tatprovokation zum Gelingen dieser Geschäfte beitragen.
E. Polizeiliche Erkenntnisse zu den Tatverdächtigen und den handelnden Gruppierungen In diesem Abschnitt erfolgt ein Überblick darüber, wie sich nach den polizeilichen Erkenntnissen die Zahl der Tatverdächtigen und die handelnden Gruppierungen darstellen.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung I. Die Zahl der Tatverdächtigen
Eine Gegenüberstellung der Anzahl der in den LKA-Rastern genannten Tatverdächtigen, der wichtigsten Beschuldigten nach dem Ergebnis des polizeilichen Ermittlungsberichts172, der von der ZOK aufgeführten Hauptbeschuldigten und der letztendlich angeklagten ZOK-Hauptbeschuldigten zeigt vor allem bei den A-Komplexen eine erhebliche Differenz. So führten die LKA-Raster der A-Fälle (n = 25) insgesamt 834 Tatverdächtige auf. Die Auswertung der polizeilichen Ermittlungsberichte (n = 22) ergab dagegen nur 144 zentrale Beschuldigte. Die ZOK stufte bei den A-Komplexen 178 Personen als Hauptbeschuldigte ein (n = 25), wovon 138 angeklagt wurden, was einer Quote von 77,5 % entspricht (B-Komplexe: 67 von 128 Hauptbeschuldigten angeklagt; 52,3 %). 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0
A-Komplexe B-Komplexe
TV nach LKA-Raster zentrale Beschuldigte nach Polizei
Hauptbeschuldigte nach ZOK
angeklagte Hauptbeschuldigte
Schaubild 103: Gegenüberstellung von Tatverdächtigen, zentralen Beschuldigten und (angeklagten) Hauptbeschuldigten (absolute Werte)
Die hohe Differenz zwischen der Anzahl der in den OK-Rastern genannten Tatverdächtigen und den Hauptbeschuldigten lässt sich exemplarisch anhand der Fälle A 4 sowie A 19 erklären. Im Komplex A 4 wurden vorwiegend Rumäninnen zur Ausübung der Prostitution nach Deutschland verbracht. Diese hatten sich mutmaßlich wegen eines Verstoßes gegen das AuslG strafbar gemacht und wurden daher von der Polizei in ihrem OK-Raster als Tatverdächtige erfasst, waren aber eher Opfer als Hauptbeschuldigte. Im Komplex A 19 wurde ganz zu Beginn des Verfahrens gegen eine Vielzahl italienischer Staatsangehöriger wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB ermittelt, selbige deswegen als OK-Tatverdächtige in das Raster aufgenommen. Recht schnell konzentrierte sich das Verfahren allerdings auf eine einzige Person. Eine Korrektur des Rasters findet in diesen Fällen aber nicht statt. Im Übrigen resultiert die hohe Zahl Tatverdächtiger in den OK-Rastern auch daher, dass bei den Komplexen, denen Rauschgiftdelikte zugrunde lagen, häufig Kleinabnehmer bzw. Konsumenten als Tatverdächtige in den LKA-Rastern erfasst wurden173. 172 Teilweise wurden die wichtigsten Beschuldigten im polizeilichen Ermittlungsbericht explizit genannt, teilweise mussten sie aus diesem erschlossen werden. 173 Vgl. auch Kapitel 11, A., III.
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
513
Den Schwund zwischen den Tatverdächtigen und den angeklagten Hauptbeschuldigten verdeutlicht auch eine Berechnung der jeweiligen Durchschnittswerte pro OK-Komplex. Entfielen ausweislich der LKA-Raster auf jeden A-Komplex 33,4 Tatverdächtige, betrug der Wert bei den tatsächlich angeklagten Hauptbeschuldigten der ZOK nur noch 5,5. 40 35 30 25
A-Komplexe
20
B-Komplexe
15 10 5 0 TV nach LKA-Raster zentrale Beschuldigte nach Polizei
Hauptbeschuldigte nach ZOK
angeklagte Hauptbeschuldigte
Schaubild 104: Gegenüberstellung von Tatverdächtigen, zentralen Beschuldigten und (angeklagten) Hauptbeschuldigten (Durchschnittswerte)
Bei den B-Komplexen fällt der Unterschied nicht ganz so drastisch aus. Allerdings verringert sich auch hier der Durchschnittswert der im LKA-Raster erfassten Tatverdächtigen (5,4) im Vergleich zu den angeklagten ZOK-Hauptbeschuldigten (2,5) um mehr als die Hälfte.
20 18 16 14
TV nach LKA-Raster (A)
12
angeklagte ZOK-HS (A)
10
TV nach LKA-Raster (B)
8
angeklagte ZOK-HS (B)
6 4 2 0 0 und 1
2 und 3
4 und 5
6 bis 10
11 bis 20
über 20
Personen
Schaubild 105: Anzahl der Tatverdächtigen und später angeklagten Hauptbeschuldigten pro OK-Komplex
Instruktiv ist auch ein Überblick darüber, wie sich die Tatverdächtigen bzw. die später angeklagten Hauptbeschuldigten auf die einzelnen Fälle verteilen. Wiesen nach den Rastern 18 von 25 A-Komplexen mehr als 20 Tatverdächtige auf, endeten die Ermittlungsverfahren damit, dass in zusammen 15 A-Komplexen gegen nicht mehr als 5 Hauptbeschuldigte Anklage erhoben wurde. Bemerkenswerterweise en33 Kinzig
514
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
deten sogar 10 B-Fälle damit, dass nur ein oder sogar gar kein Hauptbeschuldigter angeklagt wurde. Diese Ergebnisse liefern einen ersten Beleg dafür, dass größere kriminelle Gruppierungen in den untersuchten Komplexen nur selten zu finden waren. Dieser Befund gewinnt dadurch an Bedeutung, dass in die Untersuchung mit den A-Fällen in erhöhtem Maße komplexe Verfahren mit vielen Beschuldigten Eingang fanden.
II. Die handelnden Gruppierungen
Eine Reihe von Variablen hatte Struktur und spezifische Eigenarten der handelnden Gruppierungen zum Gegenstand. Die Hypothese, die Eigenständigkeit einer OK-Gruppierung könnte sich dadurch ausdrücken, dass die Polizei diese mit einem eigenen Namen, einer Art Firma, belegt, bestätigte sich in der Mehrheit der untersuchten Fälle nicht. Lediglich in sechs der 52 OK-Komplexe fand sich eine solche namentliche Kennzeichnung. Davon betrafen allein vier Fälle, die sich gegen italienische Staatsangehörige richteten und bei denen die Beschuldigten als Angehörige der Mafia o.ä. bezeichnet wurden. So wurde im Komplex A 16 das zentrale Verfahren gegen eine italienische Familie X geführt, die laut Ermittlungsbericht über eine „camorristische Tradition“ verfügte. Seit „über 30 Jahren Mitglied der Camorra und der Mafia“ zu sein, wurde dem Hauptbeschuldigten und weiteren Personen im Fall A 19 vorgeworfen. Im Komplex B 1a, der später nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, wurden zwei Beschuldigte verdächtigt, einer „Mafiosi-Vereinigung“, konkret der „Stidda“174, anzugehören. Das Mordverfahren B 21 hatte zum Hintergrund, dass sich das spätere Opfer „dem auf Druck der sizilianischen Mafia gefaßten Entschluss der Mehrheit der X-Sippe, aus Sühne und zur Vermeidung von Racheakten der Mafia gegen Angehörige der X-Sippe, das Familienmitglied Y zu töten, widersetzt habe.“ Darüber hinaus richtete sich im Komplex A 5 das Verfahren gegen einen konkret benannten Motorradclub. Mitglieder der „X-Bande“ aus Litauen waren laut polizeilichem Schlussvermerk die Hauptbeschuldigten im Fall A 25. Treten die Gruppierungen also regelmäßig nicht unter einer Firma in Erscheinung, erschien es dennoch plausibel, dass sich die in Verfahren organisierter Kriminalität definitionsgemäß erforderliche Mehrpersonenstruktur in der Verwendung von speziellen Ausdrücken für die Mehrtäterschaft niederschlägt. Die Auswertung der Ermittlungsberichte bestätigte dabei weitgehend das Ergebnis, das bereits anhand der Sachverhaltsdarstellung in den LKA-Rastern ermittelt wurde175.
174 „Stidda“, deutsch der Stern, ist eine der jüngsten kriminellen Organisationen in Italien und wird als Ableger der „Cosa Nostra“ angesehen. 175 Siehe Kapitel 15, C.
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
515
Kriminelle Vereinigung Gruppe/Gruppierung Organisation
B-Komplexe
Bande
A-Komplexe
Mafia/Camorra Keine
0
5
10
15
20
25
Schaubild 106: Verwendete Bezeichnung für die Mehrtäterschaft
So fanden sich bei 11 B-Komplexen in den polizeilichen Berichten weder die Ausdrücke „Gruppe / Gruppierung“ oder „Organisation“ noch vergleichbare Bezeichnungen176. Wie bereits erwähnt, wurde in diesen Fällen überwiegend die mangelnde personelle Komponente oder Strukturierung dadurch kompensiert, dass im Sachverhalt in irgendeiner Weise eine Firma oder ein Handelsgeschäft bzw. Gewerbe eine Rolle spielte und dadurch der Zusammenhang mit organisierter Kriminalität hergestellt wurde. Die Verquickung der Firma bzw. des Geschäfts oder Gewerbes mit dem kriminellen Geschehen fiel dabei sehr unterschiedlich aus. Dezidiert gegen Führungspersonen einer Firma, „gegen Firmenverantwortliche wegen Verdachts der umweltgefährdenden Abfallbeseitigung“, wurde im Komplex B 4 ermittelt. In den übrigen Fällen war der Zusammenhang zwischen einer Firmentätigkeit, einem Handelsgeschäft bzw. einem Gewerbe und der Begehung von Straftaten eher locker. Teilweise war über allgemeine Wendungen wie „Nutzung der Firmenlogistik“ nicht konkret feststellbar, dass bzw. wie die Firmen oder Geschäfte zur Begehung von Straftaten dienten177. Im Komplex B 23 bestand der Firmenhintergrund lediglich darin, dass das Tötungsdelikt aus geschäftlichen Interessen erfolgte. In drei weiteren Komplexen, bemerkenswerterweise alles Sachverhalte mit Falschgelddelikten 178, enthielt lediglich das Raster das Wort „Tätergruppe“, ohne dass in den Ermittlungsberichten von den Verdächtigen als Gruppierung gesprochen wurde. Im Übrigen verwendete die Polizei in ihren Berichten am häufigsten die Begriffe „Gruppe“ oder „Gruppierung“ (32) sowie „Organisation“ (31), allerdings ohne dass diesen wie auch anderen Bezeichnungen ein klarer oder unterschiedlicher Sinngehalt beigemessen worden wäre. Zurückhaltender gebrauchte die Polizei die Begriffe „Bande“ als auch „kriminelle Vereinigung“, vermutlich weil sie sich des juristischen Bedeutungsgehalts dieser „termini technici“ bewusst war. Allerdings wurden häufig verschiedene Ausdrücke synonym verwendet. Ein Beispiel dafür Dies gilt u. a. für die Fälle B 4, 7, 9, 22, 23, 25 sowie 26. So in den Komplexen B 7 (Einrichtungsfirma), B 9 (Lebensmittelgroßhandel) sowie B 25 (Autohandelsgeschäfte). 178 B 12, 20 und 24. 176 177
33*
516
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
findet sich im Komplex A 21, in dem Drogen aus den Niederlanden in die Bundesrepublik importiert wurden. Hier berichtete das Raster des LKA von einer „Tätergruppe“, für die ein „Resident“ in Amsterdam den „Ankauf bei holländischen Hintermännern“ vorbereitet habe. In einem Zwischenbericht benutzte die Polizei einerseits den Ausdruck „Bande“, andererseits bezeichnete sie einen der Beschuldigten auch als „Kopf der Organisation“. Aus Binnensicht wiederum sprach einer der Hauptbeschuldigten in einer umfassenden Aussage von Strukturen „innerhalb der Gruppe“ mitsamt einer „Aufgabenverteilung“, allerdings auch vom Aufbau einer bloßen „Connection“. Die Anklage ging schließlich von einer Bande zwischen zwei Personen aus, wobei der eine Beschuldigte der „Statthalter“ des anderen in der Bundesrepublik gewesen sei. Allein diese beiden Personen wurden schließlich wegen bandenmäßigen Handeltreibens nach § 30a Abs. 1 BtmG verurteilt. Dazu stellte das Urteil fest, beide hätten sich zu einer „Einkaufsgemeinschaft“ zusammengeschlossen. Über die Frage, wie eine „Täterverbindung“ im Bereich organisierter Kriminalität entsteht, gibt das Lagebild OK ebenso wenig Auskunft wie die bisher erschienene empirische Literatur. Die Erfassung des Entstehungsgrundes179 zeigt, dass für die Herausbildung einer bzw. Identifikation als Gruppierung ganz überwiegend zwei Umstände verantwortlich sind. So kannten sich in zusammen 31 von 51 Komplexen (60,8 %)180 die Personen, gegen die ermittelt wurde, aufgrund einer gleichen Nationalität oder einer gemeinsamen Ethnie. Daneben wurde in größerem Umfang nur noch „Verwandtschaft / Freundschaft“ (15), dies häufig ergänzend, als Entstehungsgrund für die Täterverbindung genannt.
durch gleiche Nationalität/Ethnie durch Verwandtschaft, Freundschaft B-Komplexe
durch JVA-Bekanntschaft
A-Komplexe
sonstiges nicht ersichtlich 0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
Schaubild 107: Entstehung der Täterverbindung
In diesem Zusammenhang gab es Indizien dafür, dass der Eindruck einer veritablen Organisation bzw. Gruppierung primär auf einem verwandtschaftlichen Zusammenhalt in fremder Umgebung beruhen kann. So hieß es in einem ErmittlungsMehrfachnennungen waren möglich. Im Fall B 1a gab es nicht so konkret tatverdächtige Personen, dass es Sinn gemacht hätte, von einer „Täterverbindung“ zu sprechen. 179 180
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
517
bericht des LKA im Komplex A 7 generell über Kosovo-Albaner, „dass diese Gruppierungen und Clans straff organisiert sind und sich zu einem starren Personenkreis mit engen verwandtschaftlichen Beziehungen zusammengeschlossen haben, welche europaweit agieren und größtenteils aus demselben Geburtsort im Kosovo stammen.“ Zweifellos liegt die Kausalität so, dass zunächst die verwandtschaftlichen Beziehungen bzw. die gleiche örtliche Herkunft bestanden, die vermutlich dann dazu beigetragen haben, sich zu einer kriminellen Tätigkeit im Ausland zusammenzuschließen, ein Verhalten, das dann als straffe Organisation gedeutet wurde. Eine besondere Gruppenstruktur (insbesondere Hierarchieebenen) war nach den polizeilichen Angaben181 in 22, Formen der Arbeitsteilung in 36 von 52 OKKomplexen zu erkennen. Kennzeichnend war hier, dass bei 13 von 14 A-Komplexen mit Schwerpunkt Betäubungsmittelstraftaten sowohl eine Arbeitsteilung als auch eine besondere Struktur (Hierarchieebenen) bejaht wurden. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass das Vorliegen einer hierarchischen Struktur zwar häufig behauptet wurde, Belege dafür, die über die lapidare Feststellung eines „Kopfes“, „Chefs“ oder „Bosses“ hinausgingen, nur selten zu finden waren. Charakteristisch dafür ist, dass etwa im LKA-Raster des Komplexes A 21 von einer Arbeitsteilung ohne weiteren Nachweis auf die Existenz von Hierarchieebenen geschlossen wurde182. 25 20 15
A-Komplexe
10
B-Komplexe
5 0 besondere Struktur (Hierarchieebenen)
Arbeitsteilung
Schaubild 108: Strukturmerkmale der OK-Gruppierungen
Die detaillierteste hierarchische Struktur wurde im Komplex A 22 geschildert: Hier differenzierte der Ermittlungsbericht zwischen einem „Kopf der Bande“, einer „nächsten“ sowie einer „unteren Ebene“. Die kriminelle Tätigkeit der Gruppierungen ist deutlich international ausgerichtet. In 17 der 25 A-Komplexe konnte sie nach den polizeilichen Angaben sogar als 181 Zur Frage, inwieweit sich die gerichtlichen mit den polizeilichen Feststellungen decken, vgl. Kapitel 18, C., II. 182 Insoweit wurde ausgeführt: „Innerhalb der Gruppe bestand ein hierarchischer Aufbau. Während zwei der Täter enge Kontakte zu einem Residenten in Holland unterhielten und als Finanziers der Rauschgiftgeschäfte im Hintergrund standen, hatten weitere Täter der Kerngruppe die Aufgabe, als Hauptverteiler die bisher bekannten 14 Kleindealer im X-Kreis zu beliefern“.
518
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
multinational bezeichnet werden. Andererseits blieb das Tätigkeitsgebiet in neun der erfassten 51 OK-Komplexe auf Baden-Württemberg beschränkt.
multinational binational
B-Komplexe A-Komplexe
national Baden-Württemberg 0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
Schaubild 109: Tätigkeitsgebiet der Tätergruppierung
Polizeiliche Erkenntnisse zur Hilfe für Gruppenmitglieder waren in sechs Komplexen vorhanden, die aber durch die Akten kaum zu verifizieren waren183. Da es sich bei den in Deutschland unter dem Begriff „organisierte Kriminalität“ erfassten Delikten überwiegend um Straftaten handelt, bei denen keine anzeigebereiten Opfer vorhanden sind, ist es nicht verwunderlich, dass bei den A- wie B-Komplexen nur jeweils 5 Fälle festgestellt wurden, bei denen von bestimmten Opfermerkmalen gesprochen werden kann. Dabei erfüllen die Verfahren mit dem Deliktsschwerpunkt Prostitution / Menschenhandel sowie Schutzgelderpressung schon fast definitionsgemäß dieses Kriterium.
III. Zusammenfassung
Bei der Zahl der Tatverdächtigen ließ sich vor allem bei den A-Komplexen eine erhebliche Differenz zwischen den Angaben in den OK-Rastern und den Hauptbeschuldigten nach der ZOK feststellen. Die Gründe hierfür liegen einerseits darin, dass die Rastereinträge aufgrund einer Momentaufnahme des polizeilichen Kenntnisstandes erfolgen, andererseits, dass teilweise jedwede Tatbeteiligte, wie z. B. Endabnehmer von Rauschgift oder geschleuste Personen, als OK-Tatverdächtige registriert werden. Die Tatsache, dass selbst bei den A-Komplexen kein Fall existierte, in dem mehr als 20 Hauptbeschuldigte angeklagt wurden, liefert ein erstes Indiz dafür, dass größere kriminelle Gruppierungen eher selten zu finden waren. Für die handelnde Personenkonstellation verwendete die Polizei am ehesten die Ausdrücke „Gruppe / Gruppierung“ oder „Organisation“, allerdings ohne diesen einen spezifischen Sinngehalt beizumessen. In 11 B-Komplexen stellte sich die Tätigkeit der Tatverdächtigen allenfalls als arbeitsteiliges Handeln dar. In diesen Fällen dürfte ein, wenn auch zumeist wenig konkreter Zusammenhang des kriminellen 183 A 16: Einwirkung im Vorfeld der HV, Einschüchterung eines Zeugen, A 17, 19, 24 und 25 sowie B 18.
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
519
Verhaltens mit einer kaufmännischen Tätigkeit dazu beigetragen haben, den Fall als Erscheinungsform organisierter Kriminalität zu subsumieren. Die festgestellten Täterverbindungen kamen ganz überwiegend dadurch zustande, dass Angehörige einer Nationalität oder einer Ethnie handelten, die zu großen Teilen auch noch miteinander verwandt oder befreundet waren. Formen von Arbeitsteilung wurden in den polizeilichen Berichten eher beschrieben als hierarchische Strukturen. Letztere wurden am ehesten in Fällen von Betäubungsmittelkriminalität geschildert, wobei eine konkrete Darstellung dieser hierarchischen Strukturen nur in Ausnahmefällen erfolgte. Kennzeichnend für die untersuchten Fälle organisierter Kriminalität ist ihre internationale Ausrichtung, so dass das Tätigkeitsgebiet der Gruppierung bei 17 von 25 A-Komplexen als multinational bezeichnet werden konnte. Gemeinsame Opfermerkmale waren selten, am ehesten in Fällen von Prostitution / Menschenhandel sowie Schutzgelderpressung zu verzeichnen. Dies ist allerdings nicht verwunderlich, wird die Opferlosigkeit bisweilen als ein Charakteristikum von Delikten organisierter Kriminalität angesehen.
F. Der Abschluss der Ermittlungsverfahren Die staatsanwaltschaftliche Abschlussverfügung stellt einen ersten Filter dar, ob den Beschuldigten die Straftaten, die zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens führten, nachgewiesen werden können. Wird das Verfahren eingestellt, kann selbstverständlich auch nicht von einem Fall organisierter Kriminalität gesprochen werden. I. Einstellungen
Den Gründen für die Einstellungen der Staatsanwaltschaft kann auf einer Individual- wie auf einer Verfahrensebene nachgegangen werden.
1. Nichtangeklagte Hauptbeschuldigte Insgesamt wurden 205 der 306 von der ZOK erfassten Hauptbeschuldigten angeklagt, was fast genau zwei Dritteln (67,0 %) entspricht184. In 11 der 25 A-Komplexe wurden alle Hauptbeschuldigten angeklagt, dagegen in nur 7 der 27 B-Komplexe. Andererseits wurden in 3 A- sowie 3 B-Komplexen 5 oder gar mehr Hauptbeschuldigte nicht angeklagt185 (Schaubild 110). Im Vergleich zur allgemeinen 184 185
Zu den Quoten für die A- und B-Komplexe vgl. Kapitel 15, A. A 7, 12, 9 / 23; B 1a, 10 sowie 16.
520
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Kriminalität ist diese Anklagequote erwartungsgemäß hoch186. Dabei ist neben der Einschätzung, es handele sich bei den Fällen um organisierte Kriminalität, zu berücksichtigen, dass mit den Hauptbeschuldigten eine Auswahl auf deliktisch stark belastete Personen vorgenommen wurde. Die Erledigungsstruktur in den hier analysierten Fällen ähnelt im Übrigen derjenigen, wie sie in Verfahren organisierter Kriminalität aus Hamburg berichtet wird187. 12 10 8 6 4 2 0
A-Komplexe B-Komplexe
Keiner
Einer
Zwei
Drei
Vier
Fünf und mehr
Schaubild 110: Nicht angeklagte Hauptbeschuldigte pro OK-Komplex
Bei mehr als der Hälfte (57) der nicht angeklagten 101 Hauptbeschuldigten wurde das Verfahren wegen nicht hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Bei etwas mehr als einem weiteren Viertel (26 Beschuldigte) kam es zu einer Verfahrenseinstellung analog § 205 StPO, weil der Beschuldigte unbekannten Aufenthaltes war188. andere (9) offen (6)
§ 170 Abs. 2 StPO (57)
§ 205 StPO (26)
§ 153 ff StPO (5)
Schaubild 111: Gründe für das Ausscheiden aus dem Ermittlungsverfahren (n = 101 Hauptbeschuldigte) 186 Z. B. mündeten im Jahr 1998 von rund 4,5 Millionen bei den Staatsanwaltschaften erledigten Verfahren nur ca. 540.000 (12 %) in eine Anklage (vgl. Statistik Rechtspflege Reihe 2 Gerichte und Staatsanwaltschaften 1999, S. 138). 187 Siehe Kapitel 11, B., III. 188 Es lagen zwei Mehrfachnennungen vor.
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
521
2. Analyse der eingestellten OK-Komplexe Die nächste Graphik weist für die Verfahrensebene aus, dass sieben der 52 Komplexe durchweg mit Einstellungen endeten189. Ins Auge fallende Gemeinsamkeiten waren bei diesen Komplexen nicht auszumachen. 12 10 8 A-Komplexe
6
B-Komplexe
4 2 0 0%
bis unter 25%
25 bis unter 50%
50 bis unter 75%
75 bis unter 100%
100%
Schaubild 112: Prozentsatz der angeklagten Hauptbeschuldigten in den jeweiligen OK-Komplexen
Analysiert man die total eingestellten Komplexe, fällt der Komplex B 1b insoweit aus dem Rahmen, als es sich um einen der seltenen OK-Fälle handelt, in denen erst nach Bekanntwerden eines konkreten Delikts, der Tötung eines italienischen Pizzeriabesitzers, und nur retrospektiv ermittelt wurde. Bis zum Untersuchungszeitpunkt gelang es den Behörden nicht, das Tötungsdelikt aus dem Jahr 1993 aufzuklären. Dieser Fall hätte ganz unabhängig vom Verfahrensausgang schon deswegen nicht als solcher organisierter Kriminalität eingeordnet werden dürfen, weil sich das Ermittlungsverfahren bis zur vorläufigen Einstellung im Jahre 1996 als Ujs-Verfahren gegen Unbekannt richtete, d. h. nie „mehr als zwei Beteiligte“ in einen konkreten Tatverdacht gerieten. Die Aufnahme in das Lagebild OK erfolgte wohl dennoch, weil Nationalität und Beruf des Tatopfers wie die Umstände der Tötung (aufgesetzter Kopfschuss) einen Mord im Mafia-Milieu nahelegten. Bis heute blieb die Motivlage jedoch völlig ungeklärt. In ihrer Einstellungsverfügung erörterte die Staatsanwaltschaft als potentielle Mordmotive alle Phänomene, die landläufig mit der Tätigkeit der italienischen Mafia in Verbindung gebracht werden: Sie reichen vom Einsammeln und Transport von Schutzgeldern über Verbindungen zu Kokainhändlergruppierungen bis zu Konkurrenzkämpfen unter Pizzeriawirten. Aber auch ganz andere Ursachen wie eine Eifersuchtstat wurden in Erwägung gezogen. Folglich schrieb die Staatsanwaltschaft den Umstand, dass die Ermittlungen, insbesondere wegen fehlender Zeugenaussagen, nicht vorankamen, dem „Gesetz des Schweigens“ zu. Komplett eingestellt wurden auch drei Komplexe mit dem Schwerpunkt Betäubungsmittelstraftaten 190. Obwohl im Fall A 7, der „im Rahmen einer aktiven 189 A 7; B 1b, 9, 10, 13, 25 sowie 26. Dazu könnte man auch den Komplex B 1a zählen. Allerdings wurden in diesem Fall die Hauptbeschuldigten in Italien verhaftet und dort vor Gericht gestellt. 190 A 7, B 9 sowie B 13.
522
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Informationsbeschaffung“ entstanden war, über längere Zeit mit einem erheblichen Aufwand (mehrere TÜ, polizeiliche Beobachtung, Observationen etc.) ermittelt worden war, konnten „die vorliegenden Verdachtsmomente des Rauschgifthandels / -schmuggels ermittlungsmäßig bislang nicht belegt werden.“ Allerdings erhärtete sich der Tatverdacht gegen eine weitere in einem anderen Bundesland ansässige Person. Aus diesem Grund wertete die Polizei das Verfahren als erfolgreich abgeschlossen, da „die Strukturen der international agierenden . . .-Gruppierung und die zumeist nachweisbare Vermittlungs- / Depothaltertätigkeit aufgehellt“ worden seien. Die StA führte in ihrer Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 StPO gegen 13 Beschuldigte, darunter 5 der 6 Hauptbeschuldigten, aus, die auf den Angaben einer VP beruhenden Verdachtsmomente hätten sich zwar durch die Ermittlungen bestätigt, eine konkrete Rauschgiftschmuggelfahrt habe aber nicht nachgewiesen werden können. Das Ermittlungsverfahren gegen den sechsten Hauptbeschuldigten wurde an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben. Auch die Ermittlungen im Komplex B 9 wurden mit einem erheblichen Aufwand unter Einsatz von VE, VP sowie TÜ betrieben. Ausgangspunkt war die Sicherstellung einer erheblichen Menge Heroin in einem Versteck eines Firmenfahrzeugs an der rumänisch-ungarischen Grenze. Daher kam der Verdacht auf, Verantwortliche dieser Firma könnten unter Verwendung der Firmenlogistik Heroin importiert haben bzw. dies fortlaufend tun. Dennoch mussten die Verfahren gegen alle vier Hauptbeschuldigten nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werden. Polizeilicher Schlussbericht wie auch die Einstellungsverfügung begründeten dies damit, eine strafbare Beteiligung an dem sichergestellten Herointransport habe nicht nachgewiesen werden können. Allerdings sei damit der Verdacht der „Beteiligung der Beschuldigten am organisierten Rauschgifthandel“ nicht ausgeräumt. Der Komplex wurde übrigens zu einem Zeitpunkt zum Lagebild gemeldet, zu dem die Ermittlungsverfahren bereits alle eingestellt worden waren. Der Komplex B 13 hätte, streng genommen, ebenfalls nicht ins OK-Lagebild aufgenommen werden dürfen, da sich die Ermittlungen nur gegen zwei Hauptbeschuldigte richteten. Anlass war auch hier die Festnahme einer Person beim Transport von Betäubungsmitteln, diesmal mit 23 kg Heroin an der spanischfranzösischen Grenze. Ihr und einem weiteren Hauptbeschuldigten wurde eine Kuriertätigkeit vorgeworfen. Nachdem der festgenommene Transporteur von einem französischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren verurteilt worden war, wurde das Verfahren gegen ihn wegen des in Art. 54 SDÜ verankerten Verbots der Doppelbestrafung eingestellt. Auch durch eine Reihe verdeckter Maßnahmen (VP, TÜ, PB, kl. Lauschangriff) gelang es nicht, den zweiten Hauptbeschuldigten ausfindig zu machen bzw. Näheres über seine vermutete kriminelle Tätigkeit zu erfahren. Daher erfolgte eine Verfahrenseinstellung analog § 205 StPO. Beim Komplex B 26 handelte es sich im Wesentlichen um ein Verfahren des Kapitalanlagebetruges. Treibende Kraft war eine wegen Betruges vielfach vor-
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
523
bestrafte Person, gegen die das Verfahren nach § 205 StPO eingestellt wurde, weil sie derzeit in den USA eine längere Freiheitsstrafe verbüßt. Fahndungsmaßnahmen wurden gegen einen weiteren Tatverdächtigen ergriffen. Gegen den dritten Hauptbeschuldigten, einen ehemaligen Rechtsanwalt, dem vorgeworfen wurde, bei den Betrugsstraftaten unterstützend tätig gewesen zu sein, wurde das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da ihm „letztlich nicht mit der für eine Anklage erforderlichen Sicherheit die Begehung konkreter Straftaten nachgewiesen werden“ konnte. Im Komplex B 10, der in einem sachlichen Zusammenhang zum Komplex A 19 zu sehen ist, bestand gegen 5 italienische Hauptbeschuldigte „der Verdacht der umfangreichen Geldwäsche“. Das Verfahren wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, nachdem es nicht gelungen war, den Anfangsverdacht zu einem hinreichenden Tatverdacht zu verdichten. Des Weiteren wurden aufgrund von Verdachtsanzeigen nach dem GwG vier Verfahren eingeleitet, die aber ebenfalls nach § 170 Abs. 2 StPO ohne nähere Begründung eingestellt wurden. Schließlich ließ sich auch im Komplex B 25, in dem aufgrund der Angaben einer VP vermutet wurde, die drei Hauptbeschuldigten handelten unter dem Deckmantel einer Firma mit Falschgeld, durch verdeckte Maßnahmen (u. a. TÜ) dieser Tatverdacht nicht erhärten. „Auch entstand bei der Telefonüberwachung der Eindruck, dass die VP – entgegen ihren eigenen Angaben – bei den Tatverdächtigen kein Vertrauen genoss.“ Dennoch gewannen die Ermittlungsbehörden die Erkenntnis, die Beschuldigten seien „in umfangreiche illegale Machenschaften verstrickt“. Da diese aber nicht konkretisiert werden konnten, wurde das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
II. Anklagen
1. Anzahl der angeklagten Hauptbeschuldigten und OK-Definition Interpretiert man das personale Erfordernis, „mehr als zwei Beteiligte“ müssen kriminell tätig sein, um die OK-Definition zu erfüllen, dahingehend, dass ein Fall, bei dem nicht mindestens drei Hauptbeschuldigte angeklagt sind, aus der Definition organisierter Kriminalität herausfällt, können im Stadium des Abschlusses des Ermittlungsverfahrens bereits 15 der 27 B-Komplexe, aber auch 6 der 25 A-Komplexe nicht mehr unter den Begriff der organisierten Kriminalität subsumiert werden, da bei ihnen nur zwei, ein oder gar kein Hauptbeschuldigte(r) angeklagt wurde(n).
524
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
16 14 12 10
A-Komplexe
8
B-Komplexe
6 4 2 0 Keiner
Einer
Zwei
Drei
Vier
Fünf und mehr
Schaubild 113: Angeklagte Hauptbeschuldigte pro OK-Komplex
Ist somit zu konstatieren, dass sich die mit organisierter Kriminalität definitorisch und auch nach allgemeiner Ansicht verbundene Mehrpersonenstruktur bei immerhin 40 % der untersuchten Komplexe schon nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens weitgehend auflöste191, ergibt sich ein ähnlicher Befund auf der Ebene der einzelnen OK-Ermittlungsverfahren. Dazu wurde untersucht, wieviele Hauptbeschuldigte jeweils zusammen von den Staatsanwaltschaften angeklagt wurden (Schaubild 114). Über die Hälfte (60 von 110, 54,5 %) der gegen die Hauptbeschuldigten erhobenen Anklagen richteten sich jeweils nur gegen eine einzige Person. In 20 % (22 Verfahren) waren es zwei Angeklagte, in knapp 13 % (14 Verfahren) drei. Sieben gemeinsam angeklagte Personen, gleichzeitig der Maximalwert, waren in drei Verfahren zu finden192. Der Umstand, dass in keinem einzigen OK-Ermittlungsverfahren mehr als sieben Personen zusammen angeklagt wurden, kann verschieden interpretiert werden. Aus strafprozessualer Sicht deutet viel darauf hin, dass die deutsche Justiz bei dieser Größenordnung das Ende ihrer Verarbeitungskapazität erreicht hat193. Andererseits könnte es auch rein tatsächlich so sein, dass bei den erfassten Fällen organisierter Kriminalität die den Beschuldigten vorgeworfenen Straftaten nicht so strukturiert sind, dass eine Zusammenfassung in einer Anklage sinnvoll erscheint194. Dennoch ist bei den untersuchten OK-Verfahren, insofern erwartungsgemäß, häufiger mehr als eine Person angeklagt (45,5 %), als dies in der bereits erwähnten empirischen Untersuchung über die Dauer von Strafverfahren vor den Landgerichten der Fall war (24,7 %195; Schaubild 115).
191 Einschränkend ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Grundgesamtheit nur 52 Komplexe beträgt. 192 In den Komplexen A 8, 22 sowie B 6. 193 Allerdings begann im März 2003 vor dem Landgericht Mainz ein Verfahren, in dem 11 Beschuldigte des Motorradclubs „Hells Angels“ gemeinsam angeklagt wurden. 194 Zu den darüber hinaus vorhandenen taktischen Gründen der Staatsanwaltschaft, Beschuldigte nacheinander in verschiedenen Verfahren anzuklagen, s. u. Kapitel 18, E., I., 2. 195 Dölling / Feltes / Dittmann u. a. 2000, 114.
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
525
Ermittlungsverfahren
70 60 50 40
Zahl der Verfahren (n=110)
30 20 10 0 1
2
3
4
5
angeklagte Hauptbeschuldigte
6
7
Schaubild 114: Zahl der angeklagten Hauptbeschuldigten pro einzelnem Ermittlungsverfahren
80% 60%
OK-Verfahren (n=110)
40%
LG allg. (n=737)
20% 0% Ein Angekl.
Zwei Angekl.
Drei Angekl.
> Drei Angekl.
Schaubild 115: Prozentsatz der in OK-Verfahren gemeinsam angeklagten (Haupt-)Beschuldigten im Vergleich zu LG-Verfahren in Dortmund, Frankfurt und München
Andererseits liegt die Zahl von durchschnittlich 2,0 angeklagten Hauptbeschuldigten pro einzelnem OK-Verfahren nur wenig unter der von 2,2, die bei einer Analyse von strafrechtlichen Großverfahren, definiert durch eine Zahl von mindestens 10 Tagen Hauptverhandlung, durchgeführt in den Jahren von 1992 bis 1994 am Hamburger Landgericht, gefunden wurde196.
2. Eckdaten der Anklageschriften Die folgenden Daten geben einen Eindruck von der Komplexität der gegen die Hauptbeschuldigten verfassten Anklageschriften. Durchschnittlich enthielten die A-Komplexe 3,6 Anklageschriften, die B-Komplexe nur 1,6. Die summierte Seitenzahl aller Anklagen belief sich bei den A-Fällen auf durchschnittlich 67 Seiten pro Komplex, d. h. jede einzelne Anklageschrift umfasste im arithmetischen Mittel 18,5 Seiten. Bei den B-Fällen betrug die Seitenzahl pro Komplex zwar nur 35 Seiten, damit aber die Seitenzahl pro Anklageschrift sogar 21,9 Seiten und damit mehr als in den A-Komplexen. Dieser Umstand ist auf den Fall B 16 zurückzuführen, in dem allein die Anklageschrift gegen den Haupttäter 84 Seiten umfasste. Eindrucksvoll sind auch die durchschnittlichen Werte für die in den Anklageschriften eines Kom196 Ter Veen 1998, 44 ff., 189 ff. Für die Errechnung der Durchschnittszahl wurden einige mitangeklagte Nebenbeschuldigte einberechnet, so dass auf die 110 genannten Verfahren 217 Angeklagte entfielen.
526
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
plexes genannten Beweismittelordner (16 bzw. 7,4), die TÜ-Ordner (9,6 bzw. 5,5)197 sowie die benannten Zeugen (61 bzw. 40). Bezogen auf alle insgesamt erfassten 119 Anklageschriften betrug die durchschnittliche Seitenzahl 19, die Anzahl der aufgeführten Beweismittelordner 4,4 sowie die Zahl der benannten Zeugen 19. Tabelle 19 Eckdaten der Anklageschriften
1 Zahl der Anklageschriften / Komplex Seitenzahlen Anklagen / Komplex Gen. Beweismittelordner / Komplex TÜ-Ordner / Komplex Zeugen / Komplex
A-Komplexe Min. Max.
1
B-Komplexe Min. Max.
3,6 (24)
1
11
1,6 (20)
1
6
67 (24)
3
270
35 (20)
2
168
16 (24) 9,6 (15) 61 (24)
1 1 4
53 54 310
7,4 (19) 5,5 ( 2) 40 (20)
1 4 3
38 7 275
Der zu bearbeitende Umfang der meisten Verfahren kann auch durch einen Blick auf die pro Komplex angeklagten prozessualen Straftaten nachvollzogen werden. Immerhin sechs A-Komplexe (n = 24; 1 = 53; min = 2; max = 138) wiesen zwischen 100 und 150 angeklagte prozessuale Straftaten auf, während bei 6 B-Komplexen (n = 20; 1 = 21,7; min = 1; max = 93) nur zwischen einer und vier Taten zu verhandeln waren. Die meisten prozessualen Straftaten wurden mit 138 im Betäubungsmittelkomplex A 8 angeklagt. Der B-Komplex mit den meisten prozessualen Straftaten war mit 93 der Autoverschiebungsfall B 3. 7
6
6
6
5
5
5 4
4
4
4
A-Komplexe (n=24)
3
3
B-Komplexe (n=20)
3 2
2
2 1
0 0 1 bis 4
5 bis 9
10 bis 19
20 bis 49
50 bis 99
100 bis 150
Schaubild 116: Anzahl der angeklagten prozessualen Straftaten pro Komplex 197 Dass bei den B-Komplexen nur zwei Fälle aufgeführt sind, hängt damit zusammen, dass dort bisweilen in der Anklageschrift nur Seitenzahlen einzelner TÜ-Protokolle angegeben wurden, während bei den A-Komplexen in der Regel alle vorhandenen TÜ-Ordner aufgeführt wurden.
Abschn. 2, Kap. 16: Die Ermittlungsverfahren
527
g
Von den 199 Hauptbeschuldigten, bei denen die Anklageschriften vorlagen, wurde zusammen etwas mehr als ein Viertel (51) wegen nur einer prozessualen Straftat angeklagt, rund einem weiteren Viertel (49) wurden zwei oder drei prozessuale Straftaten vorgeworfen. Ein weiteres Viertel (50) hatte sich wegen vier bis 10 Straftaten zu verantworten. Das restliche Viertel (49) kann mit mehr als zehn Straftaten als Vielfachtäter bezeichnet werden.
60 50 40
p
30 20 10 0 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11 bis 15
16 21 bis bis 20 25
26 bis 30
31 41 bis bis 40 50
51 bis 60
61 bis 70
Anzahl prozessuale Straftaten A-Komplexe
B-Komplexe
Gesamt
Schaubild 117: Anzahl der angeklagten prozessualen Straftaten pro Hauptbeschuldigtem
Durchschnittlich entfielen auf die 132 Hauptbeschuldigten in den A-Komplexen 9,6 prozessuale Straftaten, auf die 67 in den B-Komplexen 6,5, insgesamt waren es durchschnittlich 8,6. Am meisten belastet war ein Rauschgifttäter im Komplex A 24 mit 66 angeklagten Straftaten sowie ein Autoschieber im Komplex B 3 mit 63 Straftaten. Bei diesen insgesamt 1704 prozessualen Straftaten waren bei 694 (40,7 %) in der Anklageschrift eine mittäterschaftliche Begehungsweise, bei 43 (2,5 %) eine Beihilfehandlung sowie bei 15 (0,9 %) eine Anstiftungshandlung als Begehungsform vermerkt. Überwiegend enthielten die Anklageschriften also Taten von Einzeltätern198, was sich wiederum in das Bild fügt, dass es aus justitieller Sicht in den wenigsten Fällen darum ging, die Taten von Gruppierungen zur Aburteilung zu bringen. Des Weiteren wurden die angeklagten Delikte ausgewertet, wobei Qualifikationen zusammengefasst wurden. Dabei ergibt sich, dass fast die Hälfte (48,5 %) der angeklagten Delikte aus Betäubungsmittelkriminalität bestand. Alle anderen Deliktskategorien erreichen keine 10 %.
198 Allerdings gab es auch Fälle, bei denen entgegen § 200 StPO (dazu Meyer-Goßner 2003, § 200 Rdnr. 11) die Angabe der Beteiligungsform fehlerhaft unterblieb.
528
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Hehlerei 3,3%
Körperverl.delikte 1,2%
Sonstige 7,7%
Waffendelikte 3,3% Diebst. - u. Raubdelikte 5,1% Btm -Delikte 48,5%
Delikte nach dem AuslG 6,0%
Betrugsdelikte 7,6%
Sexualstraftaten 7,8%
Urkundenfälschungen 9,6%
Schaubild 118: Bei den Hauptbeschuldigten angeklagte Kriminalität (199 Hauptbeschuldigte; 2670 angeklagte Delikte)
III. Zusammenfassung
Dass die Anklagequote bei den untersuchten Fällen organisierter Kriminalität deutlich höher als bei allgemeiner Kriminalität liegen würde – tatsächlich wurden mit 205 fast genau zwei Drittel der 306 Hauptbeschuldigten angeklagt –, war schon wegen der Konzentration auf die stärker kriminell belasteten Hauptbeschuldigten zu erwarten gewesen. Bei mehr als der Hälfte (57) der übrigen nicht angeklagten 101 Hauptbeschuldigten wurde das Verfahren wegen nicht hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Sieben von 52 OK-Komplexen endeten durchweg mit Einstellungen, ohne dass Gemeinsamkeiten auszumachen gewesen wären. Teilweise hätten diese Fälle gar nicht in das Lagebild aufgenommen werden dürfen, weil sie sich nie gegen drei Hauptbeschuldigte richteten bzw. zum Zeitpunkt ihrer Meldung schon durch Einstellungen abgeschlossen waren. Bei immerhin 40 % der untersuchten OK-Komplexe wurden nicht einmal drei Hauptbeschuldigte angeklagt, so dass sich bei ihnen die mit organisierter Kriminalität definitorisch und auch nach allgemeiner Ansicht verbundene Mehrpersonenstruktur schon nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens weitgehend auflöste. Andererseits richteten sich über die Hälfte (60 von 110, 54,5 %) der gegen die Hauptbeschuldigten erhobenen Anklagen jeweils nur gegen eine einzige Person. Dieser Befund wurde in zwei Richtungen interpretiert. Zum einen dürfte im Gegensatz zu den italienischen Maxi-Prozessen, die teilweise gegen mehrere hundert Angeklagte
Abschn. 2, Kap. 17: Die Ausgestaltung der Hauptverhandlung
529
geführt wurden, die deutsche Justiz bei rund zehn gemeinsam angeklagten Personen ihre Verarbeitungskapazität erreicht haben. Andererseits spricht einiges dafür, dass bei den erfassten Fällen organisierter Kriminalität die den Beschuldigten vorgeworfenen Straftaten nicht so strukturiert sind, dass eine Zusammenfassung in einer Anklage sinnvoll erscheint. Eckdaten der gegen die Hauptbeschuldigten vorliegenden Anklageschriften wiesen diese bei Seitenzahlen, aufgeführten Beweismittel- und TÜ-Ordnern sowie genannten Zeugen als komplex aus. In den 24 A-Komplexen wurden durchschnittlich 53, bei den 20 B-Komplexen 21,7 prozessuale Straftaten angeklagt. Während einem Viertel der Hauptbeschuldigten nur eine prozessuale Straftat vorgeworfen wurde, kann ein anderes Viertel mit mehr als 10 prozessualen Straftaten als Intensivtäter bezeichnet werden. Dass bei über der Hälfte der prozessualen Straftaten keine mittäterschaftliche oder andere Beteiligungsform vermerkt war, stützt den Befund, dass es nur in einer Minderheit der Fälle darum ging, die Taten von Gruppierungen zur Aburteilung zu bringen. Betrachtet man die angeklagten Delikte, erreicht der Anteil der Betäubungsmittelkriminalität annähernd 50 %, d. h. die ohnehin schon starke Konzentration der Ermittlungsbehörden auf diesen Kriminalitätsbereich verstärkt sich bei der justitiellen Bearbeitung der OK-Komplexe noch.
Kapitel 17
Die Ausgestaltung der Hauptverhandlung A. Eckdaten der Hauptverhandlung 76 von 108 gegen die Hauptbeschuldigten geführte Verfahren wurden vor Landgerichten verhandelt1. Wenn dagegen für die Mehrheit (17 von 31) der erfassten Verfahren gegen Nebenbeschuldigte das Schöffengericht zuständig war, spricht das dafür, dass mit den Hauptbeschuldigten im Wesentlichen die Personen bezeichnet wurden, gegen die die gravierendsten strafrechtlichen Vorwürfe bestanden. 80 60 40 20 0
Verfahren gegen HS (n=108) Verfahren gegen NS (n=31)
LG
AG Schöffengericht
AG Strafrichter
Schaubild 119: Urteilendes Gericht 1. Instanz
1
Strafbefehlsverfahren wurden an dieser Stelle nicht berücksichtigt.
34 Kinzig
530
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
Bezogen auf den Zeitraum der Hauptverhandlung, berechnet vom ersten bis zum letzten Verhandlungstag erster Instanz, konnten insgesamt 70 von 117 (59,8 %) Verfahren gegen die Hauptbeschuldigten innerhalb einer Woche abgeschlossen werden. Durchschnittlich dauerten die 117 Verfahren 26,2 Tage, die 86 Verfahren der A-Komplexe mit 27,6 Tagen länger als die der B-Komplexe mit 22,2 Tagen2. 40 30
A-Komplexe (n=86)
20
B-Komplexe (n=31)
10 0 Keine
1 Tag
2-7 Tage
8-30 Tage
31-180 Tage
über 180 Tage
Schaubild 120: Zeitraum der Hauptverhandlung
Betrachtet man nur die tatsächlich durchgeführten Verhandlungstage, erfolgte bei zusammen 74 Verfahren (63,2 %) der Abschluss binnen einer Frist von maximal drei Verhandlungstagen. Im Durchschnitt dauerten die 117 Verfahren 5,3 Tage, die Verfahren in den A-Komplexen mit 5,9 Tagen wiederum länger als die der B-Komplexe mit 3,6 Tagen. Die beiden längsten Verfahren währten 46 bzw. 36 Verhandlungstage und gehörten beide zum Betäubungsmittelkomplex A 15. 40 30
A-Komplexe (n=86)
20
B-Komplexe (n=31) 10 0 Keine
1 Tag
2-3 Tage 4-5 Tage 6-10 Tage
11-20 Tage
über 20 Tage
Schaubild 121: Hauptverhandlungstage
Vergleicht man die Dauer der Hauptverhandlung wie die Zahl der Verhandlungstage mit einer Untersuchung über die Dauer von Strafverfahren vor Landgerichten Mitte der 90er Jahre, sind die OK-Verfahren als eher lang zu bezeichnen. Dort wurde für die Ballungsgebiete Dortmund, Frankfurt und München eine gesamte Verfahrensdauer von 35 Tagen, für das Landgericht Karlsruhe aber nur von 6,2 Tagen errechnet, während die Anzahl der Hauptverhandlungstage in den Ballungs2 Der Durchschnittswert wird also von wenigen lang andauernden Verfahren beeinflusst. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das längste Verfahren der B-Komplexe (B 12) insoweit atypisch ist, als der erste Prozess abgebrochen werden musste. Strafbefehlsverfahren wurden einbezogen.
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gebieten nur 3,3 Tage, in Karlsruhe gar nur 2,0 Tage betrug3. Bei diesem Vergleich ist zu berücksichtigen, dass von den 117 OK-Verfahren gegen Hauptbeschuldigte immerhin 41 mit einem Strafbefehl endeten oder nur vor dem Amtsgericht durchgeführt wurden. Die relativ lange Hauptverhandlungsdauer der OK-Verfahren scheint dem Umfang der angeklagten Delikte, der Vielzahl der beteiligten Personen sowie der Komplexität der angewandten Ermittlungsmethoden geschuldet, nicht aber einem obstruierenden Verteidigerverhalten. In keinem der 19 Verfahren, die 11 oder mehr Tage dauerten, war zu beobachten, dass die Verteidiger versucht hätten, das Verfahren zu verschleppen.
B. Folgen des Einsatzes besonderer Ermittlungsmaßnahmen in OK-Verfahren für den Ablauf der Hauptverhandlung Der häufige, teilweise auch länger andauernde Einsatz besonderer Ermittlungsmaßnahmen in OK-Verfahren kann zu spezifischen Problemen für den Ablauf der Hauptverhandlung führen, von denen die wichtigsten im Folgenden beleuchtet werden. I. Probleme bei der Einführung der Ergebnisse der TÜ in die Hauptverhandlung
So treten bei der Einführung der Ergebnisse der TÜ, der häufigsten verdeckten Maßnahme in OK-Verfahren, in die Hauptverhandlung verschiedene Schwierigkeiten auf, die man unter solche faktischer Art, solche der Übersetzung sowie solche rechtlicher Art subsumieren kann.
1. Probleme faktischer Art Ganz praktisch wirft die Fülle der auflaufenden Gespräche bisweilen besondere Probleme auf. Einen Einblick über den Umfang des teilweise zu bewältigenden Materials gibt der Komplex A 15, in dem über 40.000 Gespräche abgehört wurden, darunter allein in den beiden Pizzerien des Hauptbeschuldigten in einem Zeitraum von 14 Monaten bzw. 5 Wochen über 35.000 Telefonate. Diese umfangreichen Telefonüberwachungen stellen die Behörden, insbesondere die Polizei, häufig schon im Ermittlungsstadium vor Schwierigkeiten, die sich dann in die Hauptverhandlung hinein verlängern können. So schätzte die Staatsanwaltschaft in einer abschließenden Bewertung die im Ermittlungsverfahren A 1 durchgeführte TÜ einer als Umschlagplatz von Rauschgift angesehenen Gaststätte, die mit immensem personellen und sachlichen Aufwand betrieben worden war, im nachhinein „als wenig nutzbringend“ ein. Die Masse der auflaufenden Gespräche in und aus der Gaststät3
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Dölling / Feltes / Dittmann u. a. 2000, 107.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
te sowie die Verwendung und der stete Austausch neuer Deck- und Arbeitsnamen hätten eine Daten- und Informationsfülle erbracht, die mit den zur Verfügung stehenden polizeilichen Kräften kaum geordnet und zeitnah ausgewertet werden konnte. Die mit der Anklageschrift vorgelegten TÜ-Protokolle hätten allein 10 Ordner umfasst. Dies habe nach Ansicht der StA zur Folge gehabt, dass die Strafkammer bemüht gewesen sei, „einen tieferen Einstieg in die Fernmeldeüberwachung zu vermeiden, da sie – wahrscheinlich zu Recht – befürchtete, das Erstrecken der Beweisaufnahme auf die Überwachung zwinge womöglich dazu, insbesondere nach zu erwartenden Beweisanträgen der Verteidiger, monatelang türkische bzw. kurdische Gespräche mit Dolmetschern durch Augenscheinsbeweis, also durch Abhören der Bänder, in die Hauptverhandlung einzuführen.“ Bei solchen umfangreichen Ermittlungsverfahren ist die Staatsanwaltschaft auf eine adäquate Aufbereitung des Materials durch die Polizei angewiesen. In diesem Zusammenhang ist der Dank eines Staatsanwalts an die Polizei für die Erstellung eines ausführlichen Ermittlungsberichts (132 Seiten) zu sehen, der aus einem Vermerk im Komplex A 22 hervorging: „Gerade in derart komplexen und umfangreichen Ermittlungsverfahren gegen mehrere Beschuldigte mit einer Vielzahl von Straftaten unter wechselnder Beteiligung ist es zwingend geboten, seitens der Polizei die Akten in der geschehenen Weise aufzubereiten; bereits angesichts der etwa 1300 aufgezeichneten Telefongespräche, weitgehend in russischer Sprache gehalten, bestand ein ungeheurer Ermittlungsaufwand, der seitens der Kriminalpolizei des Einsatzes mehrerer Beamter für einen erheblichen Zeitraum bedurfte. Allein die Überprüfung der Telefongespräche bzw. der entsprechenden Protokolle hat meine Arbeitskraft länger als eine Woche ausschließlich in Anspruch genommen. Hätte im vorliegenden Fall kein derart umfangreicher und ausführlicher Ermittlungsbericht vorgelegen, hätte es – schätzungsweise – allein zur Darstellung der Zusammenhänge, der Bandenstrukturen und der für die jeweiligen Straftaten wesentlichen Beweismittel, insbesondere der TÜ-Gespräche mit entsprechenden Zitaten, mindestens weiterer vier Wochen bedurft.“ Die auch daraus resultierende „grundsätzlich schwierige Beweisführung durch TÜ“ veranlasste im Übrigen einen anderen Staatsanwalt im Komplex A 13 in seinem in der Akte enthaltenen Strafvorschlag zu der Bemerkung, derzeit könne über den Verfahrensausgang nichts Abschließendes gesagt werden.
2. Probleme der Übersetzung Die beschriebenen Probleme faktischer Art potenzieren sich häufig noch dadurch, dass in Verfahren organisierter Kriminalität in der Regel fremdsprachige Telefonate abgehört werden, die der Übersetzung ins Deutsche bedürfen. In diesem Zusammenhang beschrieb das erkennende Gericht im Komplex A 13 sehr sorgfältig, worauf zu achten ist, wenn sich die Überzeugungsbildung fast ausschließlich auf die Ergebnisse einer (fremdsprachigen) TÜ stützt. So stellte die
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Kammer in ihrer Beweiswürdigung zunächst die Wirksamkeit der TÜ-Anordnungen fest. Daran schloss sie eine ausführliche Begründung an, dass die von dem Dolmetscher gefertigten Wortprotokolle auf dem Abhören der Tonbänder beruhten, wobei die Arbeitsbedingungen des Dolmetschers und der Ablauf von der Tonbandaufnahme bis zum Vorliegen des Protokolls geschildert wurden. Das unverfälschte Vorliegen der Tonbänder sei durch das Abhören von zehn Gesprächen in der Hauptverhandlung geprüft worden. Im Anschluss traf das Gericht Feststellungen zur Qualifikation des Dolmetschers. Diese sei zusätzlich durch eine Neuübersetzung verschiedener Gespräche durch einen anderen Dolmetscher kontrolliert worden. Ein besonderes Augenmerk sei auf die Art und Weise der Identifizierung der jeweiligen Gesprächspartner gelegt worden. Dass hier im Einzelfall die reale Gefahr einer Identitätsverwechslung bestehen kann, zeigte ein anderes Verfahren dieses Komplexes, in dem ein Beschuldigter 14 Tage in Untersuchungshaft verbrachte, bis ein Stimmenvergleich ergab, dass zwei Telefonteilnehmer unter einem Namen telefoniert hatten. Eine solche Identitätsverwechslung war auch noch bei einem anderen Beschuldigten dieses Komplexes zu verzeichnen. Probleme mit einer vorliegenden Übersetzung veranlassten ein Gericht in einem Verfahren des Komplexes A 14, die abgehörten Telefonate kurz vor der Hauptverhandlung vollständig neu übersetzen zu lassen, zusätzlich ein vergleichendes Stimmgutachten über die Identität des Angeklagten mit dem Anrufer in Auftrag zu geben sowie die Dolmetscher darüber als sachverständige Zeugen zu vernehmen. Die im Komplex A 13 geschilderte richterliche Vorgehensweise war jedoch nicht in jedem Fall zu finden. So machte das Urteil im führenden Verfahren des Falles A 6 zu allen diesen Gesichtspunkten keinerlei Ausführungen, obwohl sich auch hier die Verurteilung der Angeklagten im Wesentlichen auf das Ergebnis der TÜ stützte. Im Übrigen lehnte die Kammer einen Beweisantrag der Verteidigung betreffend der Fähigkeit und Möglichkeit der Dolmetscher zur Identifizierung verschiedener Stimmen ab, indem sie nach § 244 Abs. 3 StPO als wahr unterstellte, dass die Dolmetscher im Wiedererkennen oder Zuordnen abgehörter Stimmen nicht ausgebildet und die abgehörten Stimmen auch keiner vergleichenden Analyse unterzogen worden seien. Ein Streit über die Identität eines der Gesprächsteilnehmer entbrannte auch in einem Verfahren des Komplexes A 15. Hier lehnte die Kammer einen Antrag auf Inaugenscheinnahme der Tonbänder und auf Einholung eines stimmvergleichenden Gutachtens als bedeutungslos (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) ab, da sie bei Nichtidentität des Anrufers mit dem Angeklagten davon ausgehe, der Anrufer habe im Auftrag des Angeklagten gehandelt. Kernpunkt der Beanstandung der Verteidigung war der Umstand, dass, wenn lediglich eine aus der italienischen Sprache angefertigte Übersetzung in die Hauptverhandlung eingeführt werde, die Frage einer Stimmenidentifikation nicht geklärt werden könne. Auch im Komplex A 22 äußerte die Verteidigung Zweifel an der Richtigkeit der von Dolmetschern gefertigten Übersetzung der abgehörten Telefonate. Der Antrag
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auf eine erneute Übersetzung wurde jedoch von der Kammer genauso zurückgewiesen wie der auf Einholung eines linguistischen Gutachtens. Eine längere Kontroverse über die Einführung der TÜ-Ergebnisse entwickelte sich auch im Komplex B 16. Hier stellte die Verteidigung zur Vorbereitung der Hauptverhandlung den Antrag, „sämtliche 133 Beweisbänder auf Kosten der Staatskasse zu kopieren und die gefertigten Bandkopien der Verteidigung zugänglich zu machen.“ Da die TÜ zum größten Teil aus Gesprächen bestehe, die in italienischer Sprache geführt worden seien, sei es dem Verteidiger mangels ausreichender italienischer Sprachkenntnisse nicht möglich, sich die Beweisbänder bei der Polizei anzuhören. Darüber hinaus sei zu beachten, dass ein solches Anhören mehrere Wochen dauern könne. Auf eine entsprechende Nachfrage des Gerichts führte die StA dazu aus, es handele sich um Tonbänder zu je 90 Minuten, „so dass die Gesamtspieldauer 11.970 Minuten oder rund 200 Stunden dauert.“ Daraufhin bat die Kammer die Verteidigung „erneut, das Problem Anhörung wichtiger Tonbandaufnahmen einer pragmatischen Lösung zuzuführen.“ Eine Einführung dieser Tonbänder in die Hauptverhandlung sei bislang nicht beabsichtigt. Nachdem es zu keiner Einigung kam, folgte ein Antrag der Verteidigung auf Aussetzung der Hauptverhandlung, der aber abgelehnt wurde. „Das Recht des Verteidigers auf Besichtigung der Beweisstücke“, so die Kammer, „ist nicht verletzt.“ Die mit der Anhörung auf der Dienststelle verbundenen Unbequemlichkeiten rechtfertigten keine andere Beurteilung, zumal die Verteidigung nicht dargelegt habe, „bei welchen Telefongesprächen besondere Relevanz vorläge.“ Die Kammer werde jedoch „die von der Verteidigung vorgetragenen und teilweise auch nachvollziehbaren Umstände . . . in Ausübung ihrer prozessualen Fürsorgepflicht weiterhin im Auge behalten.“ Die u. a. mit der Weigerung der Herstellung der Kopien begründete Revision wurde vom BGH verworfen. Der Generalbundesanwalt hatte zuvor ausgeführt, der Beschwerdeführer habe nicht substantiiert dargelegt, warum nicht ein „Vorspielen“ der Bänder auf der Geschäftsstelle zur Informationsvermittlung ausgereicht habe4. Im Komplex B 7 wollte das Schöffengericht offensichtlich eine umfangreichere Beweisaufnahme mit dem Einführen von TÜ-Protokollen gänzlich vermeiden. Es lehnte einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft ab, die Tonbänder der TÜ abzuspielen und übersetzen zu lassen. Als Begründung diente hier, dass „der Inhalt dieser Übersetzungen für die Entscheidung jedoch ohne Bedeutung ist.“ 4 Nach einer neuen Entscheidung des OLG Frankfurt / M. (StV 2001, 611) erfolgt die Besichtigung von Tonaufzeichnungen in der Weise, „dass der Verteidiger sie sich – gegebenenfalls auch mehrfach – auf der Geschäftsstelle oder dem Ort ihrer Verwahrung vorspielen lässt. Ist dies zu Informationszwecken nicht ausreichend, hat er einen Anspruch auf Herstellung einer amtlich gefertigten Kopie . . . Sind die Kopien ohne Erklärung des Angekl. oder eines Dolmetschers unverständlich, so ist deren Anwesenheit beim Abhören zu gestatten . . . Wenn die Ermittlungsbehörden mithilfe technischer Einrichtungen Beweismittel schaffen und verwerten, ist auch sicherzustellen, dass diese von den Verfahrensbeteiligten – soweit deren Rechte reichen – eingesehen werden können.“
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3. Probleme rechtlicher Art Gegenüber diesen aus dem Umfang wie der Übersetzung der aufgelaufenen Gespräche resultierenden Fragen wurden eher rechtliche Probleme der Verwertbarkeit von TÜ-Erkenntnissen nur selten diskutiert. Dies gilt sowohl für die Folgen fehlerhafter TÜ-Anordnungen als auch für die Verwertungsbeschränkungen in Verfahren gegen Dritte. Äußerungen zum letztgenannten Problem erfolgten allerdings in zwei Verfahren im Komplex A 13. In einem Fall bejahte die StA die Verwertbarkeit der Erkenntnisse aus einer gegenüber einer anderen Person angeordneten TÜ gegenüber dem Beschuldigten, da auch gegen diesen zum Zeitpunkt der TÜ-Anordnung bereits der Verdacht einer Katalogstraftat bestanden habe. Dagegen wurde das Verfahren gegen einen anderen Beschuldigten in diesem Komplex nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da diesem kein gewerbsmäßiges Handeln und damit keine Katalogtat nachzuweisen war, so dass die gegen einen anderen angeordnete TÜ nicht verwertet werden konnte. Des Weiteren führte die StA in einem Verfahren des Komplexes A 11 Erkenntnisse aus TÜ-Protokollen aus einem gegen andere Beschuldigte geführten Verfahren auf. Dabei äußerte sie die Ansicht, diese könnten wegen „Fehlens einer ,Katalogtat’ im Sinne des § 100a StPO zwar nicht dem Angeklagten, jedoch dem Zeugen X vorgehalten werden, um dessen Glaubwürdigkeit zu überprüfen.“5 Fehlerhafte TÜ-Beschlüsse wurden ebenfalls kaum zur Sprache gebracht. Lediglich bei einer TÜ-Anordnung in einem Verfahren des Komplexes A 6, die sowohl ein fehlerhaftes Datum (11.10. statt 11.6., der Zeitpunkt, zu dem die Überwachung tatsächlich begann) als auch eine falsche Telefonnummer des zu überwachenden Anschlusses enthielt, stellte das Gericht nach „Freibeweisregeln“ fest, dass es sich bei dem eingetragenen Datum wie der falschen Telefonnummer um ein Versehen handeln müsse. Ohne weitere rechtliche Erörterung wurde auch der Inhalt von Telefongesprächen verwertet, bei denen Anschlüsse im Ausland abgehört wurden. Ganz ohne Begründung verwertete etwa das Gericht im Komplex A 14 die durch das Abhören mehrerer Telefonzellen in Tschechien erlangten Erkenntnisse. Im Komplex B 8 wurde im Urteil immerhin festgestellt, die Überwachung des betreffenden Telefonanschlusses sei durch einen italienischen Ermittlungsrichter bzw. Staatsanwalt angeordnet worden. Andererseits leisteten deutsche Behörden italienischen im Ermittlungskomplex B 1a durch eine TÜ Rechtshilfe.
5 Ob diese Ansicht richtig ist, scheint aber wegen BGHSt 26, 298 (303) nicht zweifelsfrei, vgl. etwa Eisenberg 2002 Rdnr. 2421.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung II. Die Einführung der Erkenntnisse von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen in die Hauptverhandlung
Der häufige Einsatz von Verdeckten Ermittlern sowie von Vertrauenspersonen bzw. Informanten in Fällen organisierter Kriminalität wirft die Frage auf, wie die durch diese Personen gewonnenen Erkenntnisse in die Hauptverhandlung einzuführen sind, insbesondere unter welchen Umständen diese potentiellen Zeugen von der jeweiligen obersten Dienstbehörde für die Hauptverhandlung gesperrt werden können.
1. Die Entwicklung einer gesetzlichen Regelung für die Sperrerklärung Dazu hat das OrgKG für den VE in § 110b Abs. 3 Satz 3 StPO im Jahre 1992 eine Regelung getroffen6. Danach ist in einem Strafverfahren die Geheimhaltung der Identität des VE nach Maßgabe des § 96 zulässig, insbesondere dann, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die Offenbarung Leben, Leib oder Freiheit des Verdeckten Ermittlers oder einer anderen Person oder die Möglichkeit seiner weiteren Verwendung gefährden würde. Die Geheimhaltung der Identität des VE auch zur Gewährleistung seiner weiteren Verwendung vorzusehen, war durchaus keine Selbstverständlichkeit, wenn man die vorangegangene Entwicklung der Rechtsprechung betrachtet. In einer Leitentscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1981 die Praxis der obersten Behörden gebilligt, in entsprechender Anwendung des § 96 StPO die Auskunft über eine V-Person zu verweigern und damit deren Ladung in die Hauptverhandlung zu verhindern, wenn sie erklären, die betreffende Auskunft werde „dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten“7. Dabei nannte das Gericht als Maßstab für die zu treffende Abwägung zwischen den berechtigten Geheimhaltungsinteressen einerseits und der Beeinträchtigung der Beweiserhebung andererseits „die Schwere der Straftat, das Ausmaß der dem Beschuldigten drohenden Nachteile und das Gewicht der einer bestmöglichen Aufklärung entgegenstehenden Umstände“. Zunächst, so das Bundesverfassungsgericht, sei aber „alles Zumutbare und der Bedeutung der Sache Angemessene zu tun, um die der Heranziehung dieses Beweismittels entgegenstehenden Gründe auszuräumen und zu der Beweisquelle in der unter Wahrung entgegenstehender Belange bestmöglichen Form Zugang zu gewähren.“8 Dabei habe die Behörde auch zu erwägen, ob nicht bereits bestimmte verfahrensrechtliche Vorkehrungen 6 Demgegenüber spielte die Versagung der Aussagegenehmigung zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit in § 54 StPO i.V.m. §§ 61, 62 BBG und § 39 BRRG bei den analysierten Akten keine Rolle, dazu vgl. Körner 2001, § 31 Rdnr. 182. 7 BVerfGE 57, 250 (282). 8 BVerfGE 57, 250 (285); vgl. KMR / Bockemühl 2000, § 110b Rdnr. 30 ff.
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zur Wahrung ihrer Belange ausreichten wie etwa der Ausschluss der Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung, der Schutz des Zeugen vor, in und nach der Hauptverhandlung sowie die Nichtangabe eines geänderten Namens. Vor der Verwertung einer Niederschrift über eine nichtrichterliche Vernehmung oder einer Urkunde, die von der Beweisperson stammende schriftliche Äußerungen enthalte, dränge es sich zudem auf, „den Zeugen zunächst unter besonderen Vorkehrungen durch einen beauftragten oder ersuchten Richter vernehmen zu lassen.“9 Die Einschränkung der gerichtlichen Sachaufklärung sei rechtsstaatlich nämlich nur hinnehmbar, „wenn auf seiten der Behörde alle Voraussetzungen geschaffen sind, dass die ihr obliegende Abwägung in möglichst sachgerechter Form vorgenommen wird.“10 Die Entscheidung müsse durch die oberste Aufsichtsbehörde erfolgen11. Ein Informant dürfe solange nicht als unerreichbares Beweismittel angesehen werden, als nicht eine Sperrerklärung der obersten Dienstbehörde vorliege, die Zusicherung der Vertraulichkeit binde nur Staatsanwaltschaft und Polizei12. Bei Abgabe einer Sperrerklärung stelle die nur begrenzte Zuverlässigkeit des Zeugnisses vom Hörensagen besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung. Der Grundsatz der Prozessfairness stehe einer Verwertung des sachferneren anstelle des sachnäheren Beweismittels zuungunsten des Angeklagten entgegen, „wenn die Behörde den gestellten Anforderungen nicht genügt, insbesondere wenn sie das bessere Beweismittel dem Gericht willkürlich, offensichtlich rechtsfehlerhaft oder ohne Angabe von Gründen vorenthält.“13 Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und auch des Bundesgerichtshofs erstreckte sich zunächst nur auf VP und Informanten, bei denen eine Beeinträchtigung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu befürchten war14, um später auf Verdeckte Ermittler übertragen zu werden15. Eine bloße Enttarnungsgefahr bzw. die Unmöglichkeit einer weiteren Verwendung wa9 BVerfGE 57, 250 (286); allerdings nach BGHSt 35, 115 nicht gegen den Willen des Verteidigers in dessen Abwesenheit. 10 BVerfGE 57, 250 (288 f.). 11 BVerfGE 57, 250 (289 f.); nach BGHSt 41, 36 sowie BGHSt 42, 175 hat die Sperrerklärung sowohl für den VE als auch für Informanten und Vertrauenspersonen durch den Innenminister zu erfolgen. BGHSt 41, 36 (39) stellt dabei auf die Erwägung ab, der VE werde typischerweise in einem Bereich tätig, „in dem sich polizeilich-präventive und strafrechtlich-repressive Zielsetzungen untrennbar vermengen.“ vgl. Körner 2001, § 31 Rdnr. 183. 12 BGH StV 2001, 214. 13 BVerfGE 57, 250 (290). In einer späteren Kammerentscheidung (BVerfG NJW 1992, 168) wurden die Anforderungen an die Beweiswürdigung bei Abgabe einer Sperrerklärung weiter präzisiert. 14 BVerfGE 57, 250 (284). In BGHSt 30, 34 (36) wurde allerdings eine solche Gefährdung des Zeugen nicht angenommen, weil sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befand. In BGHSt 31, 148 (156) wurde die Befürchtung des Innenministeriums, die Anwesenheit der Angeklagten und ihrer Verteidiger könne den weiteren Einsatz einer V-Frau gefährden, nicht als berechtigt angesehen. 15 Vgl. etwa BGHSt 33, 178.
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ren dagegen nicht als Sperrungsgrund anerkannt16. VP wurden sogar darauf hingewiesen, sie müssten damit rechnen, „in erster Linie im Zusammenhang mit der Geschäftsanbahnung und -abwicklung sowie auf Grund ihrer Verschonung vor Verfolgungsmaßnahmen bei den Tätern in Verdacht zu geraten, und diese größere Enttarnungsgefahr in Kauf“ nehmen17. Beanstandet wurde auch eine Sperrerklärung, die sich „in der Art eines Formularbescheides lediglich auf allgemeine Erwägungen“ stützte, „ohne im vorliegenden Fall verständlich zu machen, dass die als Zeugen benannten Personen gefährdet sein könnten, wenn sie bei der Beachtung der im Strafprozess zulässigen Sicherheitsmaßnahmen in der Hauptverhandlung gehört würden18. Flankiert wurden diese strengen Maßstäbe durch ein Beweiserhebungsund -verwertungsverbot für den Zeugen vom Hörensagen im Falle einer fehlerhaften Sperrerklärung19. Die Trendwende zu einem großzügigeren Rückgriff auf sachfernere Beweismittel begann im Jahre 1989, in dem der zweite Strafsenat seine bisherige Auffassung änderte und das Beweiserhebungs- bzw. -verwertungsverbot auf die Fälle einer willkürlichen oder offensichtlich rechtsfehlerhaften Sperrerklärung begrenzte20. Im Übrigen sah das OLG Stuttgart eine Sperrerklärung eines VE jetzt auch aufgrund des staatlichen Interesses „an der weiteren Anonymität des verdeckten Ermittlers, um diesen auch künftig in der Drogenfahndung einsetzen zu können“, als gerechtfertigt an21. War bis zum Erlass des OrgKG nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung also durchaus unentschieden, ob sich die Sperrerklärung alleine darauf stützen könne, die Offenbarung der Gewährsperson gefährde die Möglichkeit ihrer weiteren Verwendung, nahm der Gesetzgeber diesen Grund in die Regelung des § 110b Abs. 3 Satz 3 StPO für den VE auf. In der Folge wurde ein Hinweis in den Gesetzesmaterialien 22 dahingehend interpretiert, dieser Sperrungsgrund solle auch für 16 Der bei Körner 2001, § 31 Rdnr. 187 zitierten Rechtsprechung kann keine andere Auffassung entnommen werden. 17 BGHSt 31, 290 (294), noch deutlicher in BGHSt 33, 83 (90 ff.); a.A. in einer anderen Fallgestaltung BGH NJW 1985, 1478: „Sowohl bei zu besorgender Enttarnung als auch bei Gefährdung des Zeugen hat derselbe Grund, der die Abwesenheit des Angeklagten bei der Vernehmung im engeren Sinne bedingt, notwendigerweise auch dessen Ausschluss beim Vereidigungsvorgang zur Folge.“ Zum Stand der Rechtsprechung Mitte der 80er Jahre: LR / Schäfer 1986, § 96 Rdnr. 32. 18 BGH StV 1989, 284. 19 BGHSt 31, 148 (154 ff.); BGHSt 31, 290 (295); BGHSt 33, 83 (92). 20 BGHSt 36, 160 (162 f.) 21 OLG Stuttgart NJW 1991, 1071 (1073); offen lassend dagegen noch: VGH BadenWürttemberg NJW 1991, 2097. 22 BT-Drs. 12 / 989, S. 42: „Mit dieser Klarstellung wird für den Teilbereich der Gefährdung der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers – dasselbe gilt für die Verwendungsfähigkeit anderer Auskunftspersonen, die mit der Polizei regelmäßig zusammenarbeiten, insbesondere von V-Personen – eine bessere Abstimmung zwischen § 54 (in Verbindung
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VP und Informanten gelten23. Dass in diesem Bereich die Gleichstellung von VP und Informanten mit dem VE quasi diskussionslos erfolgte, überrascht insofern, als in der Rechtsprechung im Übrigen viel Wert darauf gelegt wird, klarzustellen, die Regelungen über den VE fänden gerade nicht auf VP Anwendung24.
2. Die konkrete Handhabung der Sperrerklärungen in Fällen organisierter Kriminalität In immerhin 11 der 52 untersuchten Komplexe25 kam es zur Sperrung der VP / IP und / oder des VE für die Hauptverhandlung. Lediglich in einem einzigen Verfahren im Komplex A 24 trat ein VE in der Hauptverhandlung auf und wurde zum Tathergang vernommen. Im Wortlaut lagen Sperrerklärungen in neun OK-Komplexen vor. Davon bezogen sich zehn auf die Vernehmung einer VP sowie sechs auf die eines VE26. 14 dieser insgesamt 16 Erklärungen wurden durch das Innenministerium Baden-Württemberg abgegeben, eine durch das Innenministerium RheinlandPfalz, eine weitere durch das Bundesministerium der Finanzen. Die VP-Sperrerklärungen decken einen Zeitraum von Juli 1995 bis März 1999 ab, die VE-Sperrerklärungen von Juli 1995 bis August 1999. Sowohl die für einen VE als auch eine VP abgegebenen Sperrerklärungen beruhen in erheblichem Umfang auf Textbausteinen. In keinem Fall wurde auf die Nachfrage des Gerichts ein VE oder eine VP für die Hauptverhandlung freigegeben27.
a) Bemühungen der Gerichte um die Freigabe von VE und VP Diese restriktive Freigabepraxis hat dazu geführt, dass die entscheidenden Kammern in der Regel schon gar nicht damit rechnen, ein VE oder eine VP trete in der Hauptverhandlung in Erscheinung. Ein Indiz für diese Haltung ist die Bitte eines Landgerichts im Komplex A 1 an die Staatsanwaltschaft, „ladungsfähige Anschriften der verdeckten Ermittler bzw. der eingesetzten Vertrauenspersonen mitzuteilen.“ Diese wurde nämlich, wie auch sonst üblich, mit folgender Einschränkung versehen: „Sollte dies nicht möglich sein, da den genannten Personen Vertraulich-
mit den Beamtengesetzen) und § 96 erreicht und die Spannung im sachlichen Regelungsgefüge beseitigt.“ 23 VG Darmstadt NVwZ 1996, 92 (94); OVG Lüneburg NJW 2001, 1665; Meyer-Goßner 2003, § 96 Rdnr. 13; zweifelnd: KK / Nack 1999, § 96 Rdnr. 21; a.A. Lesch 1995. 24 Zuerst in BGHSt 41, 42. 25 A 1, 6, 13, 15, 17, 9 / 23 und 24 sowie B 5, 12, 16 und 21. 26 VP: A 1, A 6 (2x), A 9 / 23 (4x), A 13, A 15 sowie A 24; VE: A 1, A 6 (2x), A 17, B 12 sowie B 16. 27 Die Gründe dafür, warum der im Komplex A 24 beteiligte VE in der Hauptverhandlung auftrat, sind nicht ersichtlich.
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keit zugesichert worden ist, wird darum gebeten, eine Entscheidung des vermutlich zuständigen Landeskriminalamtes Baden-Württemberg bzw. des Innenministeriums als oberste Dienstbehörde über die Preisgabe der im vorliegenden Fall eingesetzten Verdeckten Ermittler und Vertrauenspersonen herbeizuführen.“28 Diese Anfrage wurde bezeichnenderweise mit der Gegenfrage beantwortet, ob, da in einem Parallelverfahren bereits eine Sperrerklärung vorliege, bei dem „völlig gleichen Sachverhalt“ eine neue Sperrerklärung überhaupt notwendig sei. Eine solche resignative Haltung des erkennenden Gerichts war auch im Komplex A 21 erkennbar, in dem ein Richter an die Verfahrensbeteiligten schrieb: „Es wird nach Aktenlage davon ausgegangen, dass Vertrauenspersonen und verdeckte Ermittler, die bei den Ermittlungen eine Rolle gespielt haben, seitens der zuständigen Behörde nicht benannt werden und ihre Vernehmung auch nicht erforderlich sein wird. Seitens des Gerichts werden daher keine Bemühungen unternommen, diese Personen namhaft zu machen. Um schnellstmögliche Mitteilung wird gebeten, falls es aus jetziger Sicht erforderlich sein sollte, diese Personen in der Hauptverhandlung zu vernehmen und sich nicht mit der Vernehmung derjenigen Polizeibeamten zu begnügen, die Wahrnehmungen von Vertrauenspersonen bzw. verdeckten Ermittlern als Zeugen vom Hörensagen wiedergeben können.“ Im Komplex B 5 beantragte die Staatsanwaltschaft schon in der Anklageschrift, die Sperrerklärung des Innenministeriums einzuholen: „Weil es in der Hauptverhandlung entscheidend auf die Angaben des verdeckten Ermittlers ankommen wird, erfahrungsgemäß aber davon ausgegangen werden muss, dass dieser für die Hauptverhandlung als Zeuge gesperrt werden wird, wird angeregt, beim Innenministerium Baden-Württemberg eine Sperrerklärung gem. § 96 StPO einzuholen.“ Dass die Sperrung von VE zu weitreichenden prozessualen Konsequenzen führen kann29, zeigte ein Ermittlungsverfahren im Komplex A 14, das mit folgender Erwägung nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde: „Aufgrund der Feststellungen der vermeintlichen Kaufinteressenten, die erfahrungsgemäß nicht als Zeugen für eine Hauptverhandlung zur Verfügung stehen, alleine kann der Beschuldigte nicht überführt werden. Denn eine Verurteilung kann auf die dem Gericht durch die Vernehmung des Vernehmungsbeamten als Zeuge vom Hörensagen vermittelten Angaben eines anonymen Gewährsmannes regelmäßig nur gestützt werden, wenn diese Angaben durch andere wichtige Beweisanzeichen bestätigt worden sind.“ Auch im Fall B 12 hatte die nicht direkte Einvernahme eines VE Folgen für das Verfahren. Nachdem dieser nicht vernommen werden und auch in einer schriftlichen Mitteilung nicht sagen konnte, ob eine vom Angeklagten früher vorgelegte Dollarnote echt oder unecht war, wurde das Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt. 28 Ähnlich die Frage der Kammer im Komplex A 9 / 23. Nicht unproblematisch ist, dass das Landgericht allein auf die Vertraulichkeitszusicherung abzustellen scheint. 29 Zu den prozessualen Konsequenzen bei Sperrung der VP, sogleich unten Kapitel 17, B., II., 2., c).
Abschn. 2, Kap. 17: Die Ausgestaltung der Hauptverhandlung
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Eine intensivere (allerdings erfolglose) Bemühung des Gerichts war dem Komplex A 13 zu entnehmen. Hier bat der Vorsitzende „um eine ausführliche und von Seiten des Gerichtes nachvollziehbare Begründung“ sowie „um Mitteilung, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen eine Vernehmung dieser Personen unter besonderen Sicherungsmaßnahmen in Betracht kommt.“ Doch blieb hier die Sperrerklärung des IM genauso bestehen wie im Komplex B 16, bei letzterem trotz Gegenvorstellung der Kammer unter Hinweis „auf die bisher geäußerte Straferwartung der StA“ und der daraus resultierenden Notwendigkeit, die Beweiserhebung müsse „mit bestmöglicher Gründlichkeit erfolgen“.
b) VE-Sperrerklärungen Analysiert man die vorhandenen VE-Sperrerklärungen, ist zunächst festzuhalten, dass in allen Fällen, wie von der Rechtsprechung gefordert, die Sperrerklärung von der obersten Dienstbehörde, d. h. in der Regel vom IM BadenWürttemberg, abgegeben wurde. Einleitend erklärt das IM in seiner ablehnenden Entscheidung bei einem VE routinemäßig, das LKA – dabei handelt es sich in Baden-Württemberg um die zentrale Landesbehörde für die Führung von VE – habe zu dem Ersuchen „unter Vorlage von Akten Stellung genommen“ und dieses abgelehnt. Dabei äußert sich das LKA auch dann und sozusagen in eigener Sache, wenn es selbst die Ermittlungen geführt hat. Danach erklärt das IM „nach Prüfung der Sach- und Rechtslage als oberste Dienstbehörde in entsprechender Anwendung des § 96 StPO, dass es dem Wohle des Landes Nachteile bereiten würde, wenn der betreffende Verdeckte Ermittler . . . gegenüber dem Landgericht benannt werden würde.“ Die dann folgende Begründung ist im Falle einer VE-Sperrerklärung in vier Punkte untergliedert, die sich bausteinartig und weitgehend wörtlich in jeder der Sperrerklärungen fanden. Zunächst wird einleitend ausgeführt, der VE sei bereits bisher eingesetzt worden und solle auch weiter „zur verdeckten Bekämpfung schwerer Kriminalität“ eingesetzt werden: „Der Verdeckte Ermittler, dessen Personalien und ladungsfähige Anschrift offenbart werden sollen, ist Beamter des Landes Baden-Württemberg, der bereits bisher . . . zur Bekämpfung der in Nr. 3.1 der Gemeinsamen Verwaltungsvorschrift . . . genannten Kriminalitätsbereiche eingesetzt wurde und auch weiterhin . . . zur verdeckten Bekämpfung schwerer Kriminalität eingesetzt werden soll.“30 Darauf folgt die Angabe des gerichtlichen Beschlusses, der dem Einsatz zustimmte. Sodann wird ausgeführt: „Künftige Einsätze des Verdeckten Ermittlers sind nur bei voller Aufrechterhaltung seiner Anonymität möglich. Zu Recht weist das OLG Stuttgart (NJW 1991, 1071) darauf hin, dass solche Beamte nicht ohne weiteres ersetzbar sind, weil sie eine besondere Ausbil30 Die folgende Analyse betrifft die Sperrerklärungen in den Komplexen A 1, 6 und 17 sowie B 12 und 16.
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
dung genossen haben und besondere fachliche und charakterliche Anforderungen erfüllen müssen.“ Daran schließt sich ein Hinweis auf § 110b Abs. 3 StPO an: „Die Geheimhaltung der Identität des eingesetzten Verdeckten Ermittlers wäre jedoch nicht gewährleistet, wenn dieser in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen würde. Dies gilt auch angesichts der derzeit bestehenden strafprozessualen Möglichkeiten zum Zeugenschutz.“ Der zweite Begründungsteil beschäftigt sich mit der Gefährdungslage und wird mit folgender Bemerkung eingeleitet: „Ein weiterer Nachteil ist darin zu sehen, dass der Verdeckte Ermittler bei Bekanntwerden seiner Identität erheblichen Gefährdungen für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Auch dieser Gesichtspunkt ist in § 110b Abs. 3 StPO als zureichender Grund für die Sperrung eines Verdeckten Ermittlers anerkannt. Von einer derartigen Gefährdung des Verdeckten Ermittlers für den Fall, dass dieser als Zeuge in der Hauptverhandlung auftreten müsste, ist auch im vorliegenden Fall auszugehen. Straftäter, auch und gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität und der Organisierten Kriminalität, versuchen immer wieder, Verdeckte Ermittler bei einem fingierten Geschäft zu enttarnen, um sie – ggf. auch nachträglich – zu ,bestrafen’. Solche ,Racheakte’ gehen nicht notwendigerweise von den Angeklagten selbst, sondern auch von früheren Angeklagten bzw. vom Umfeld der aktuell Angeklagten aus.“31 Dann folgt eine individuelle, gleichwohl schematische Subsumtion, warum dem VE konkret eine solche Gefahr droht. Dabei werden die Angeklagten zunächst als Mitglieder einer Gruppierung oder zumindest mit Kontakten zu einer solchen verortet: so etwa als „Mitglieder einer pyramidenförmig strukturierten Gruppierung“ (A 1), als „Angehörige einer international agierenden, aus Personen überwiegend kurdischer Abstammung bestehenden Tätergruppierung“ (A 6 (2x)), mit Kontakten „zu Mitgliedern eines international agierenden, auf den illegalen Schmuggel von Kokain aus Kolumbien nach Deutschland spezialisierten Rauschgifthändlerringes“ (A 17), mit Kontakten „zu derzeit noch nicht näher identifizierten Hinterleuten . . . , über die es ihnen möglich ist, Falschgeld deutscher und möglicherweise auch ausländischer Währung (US-Dollar) zu beschaffen und in Verkehr zu bringen“ (B 12), oder mit Kontakten „zu zahlreichen ,Hinterleuten‘, insbesondere auch zu italienischen Gruppierungen . . . , mit deren Hilfe er seine illegalen Geschäfte abwickelt“ (B 16). In drei der sechs Komplexe wurden konkrete Indizien für eine Gefährdung des VE genannt: im Komplex A 1 Ermittlungen wegen Körperverletzung gegen der Gruppierung zuzurechnende Angehörige, der Fund einer scharfen Waffe bei der „Durchsuchung einer von Angehörigen der Gruppierung benutzten Wohnung“ (A 6) sowie einer Schrotflinte in Zusammenhang mit Drohungen gegen eine gleichfalls eingesetzte VP (A 17). Im Falle A 16 wurde ersatzweise die „Professionalität“ des Vorgehens des Angeklagten betont.
31 Die Erklärungen in den Komplexen A 6 (2x), A 17, B 12 sowie B 16 führten statt „Betäubungsmittelkriminalität“ und „Organisierte Kriminalität“ „Schwerkriminalität“ auf.
Abschn. 2, Kap. 17: Die Ausgestaltung der Hauptverhandlung
543
Die weitere Begründung dieses Abschnitts war wiederum in allen sechs Komplexen identisch. Die Schlussfolgerung lautete mit minimalen Abweichungen in der Formulierung: „Vor diesem Hintergrund und insbesondere im Hinblick darauf, dass weitere Tatbeteiligte und Hinterleute der Angeklagten noch nicht identifiziert werden konnten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Personen aus dem Umfeld der Angeklagten die bevorstehende Gerichtsverhandlung zum Ansatz für Leib und Leben des Verdeckten Ermittlers gefährdende Vergeltungsaktionen nutzen oder andere Personen dazu bestimmen, wenn die Identität des Verdeckten Ermittlers bekannt würde.“ Wiederum in allen Fällen übereinstimmend wurde dann die Ebene der konkreten Gefährdung verlassen: „Unabhängig hiervon kann es nicht darauf ankommen, ob Gefährdungen eines Verdeckten Ermittlers auch im laufenden Verfahren konkret zu erwarten sind. Beim Umfang der hier einschlägigen Kriminalität und nach den Erfahrungen des Innenministeriums ist eine solche Gefährdung generell jedenfalls nicht fernliegend. So hat auch das OLG Stuttgart mit Beschluss vom 05. 05. 1994 . . . festgestellt, dass es des Nachweises einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit eines Verdeckten Ermittlers nicht bedürfe. Vielmehr genüge es, „dass dem Zeugen allgemein eine Gefahr droht“. Der dritte Abschnitt widmete sich in allen Fällen der Frage, warum anstelle des Mittels der Sperrerklärung keine praktikablen Alternativen vorhanden seien: „Die genannten Nachteile bestünden auch dann, wenn der Verdeckte Ermittler gemäß § 68 Abs. 3 StPO bei der Zeugenvernehmung seine Identität nicht offenbaren müsste. Er hätte nämlich jedenfalls aufzudecken, dass er seine Erkenntnisse als Verdeckter Ermittler gewonnen hat. Damit würde sowohl sein derzeitiges Aussehen wie auch seine Eigenschaft, Verdeckter Ermittler zu sein, öffentlich, mit der Folge, dass er zukünftig nicht mehr verdeckt eingesetzt werden könnte, weil er sonst der Gefahr von Racheakten ausgesetzt wäre. Entsprechendes gilt auch für eine etwaige Vernehmung gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 1a GVG bzw. § 247 Satz 1 StPO. Zudem ist der Verdeckte Ermittler in seiner Eigenschaft als Polizeibeamter bereits früher als Zeuge vor Gericht aufgetreten. Auch deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass er von Verfahrensbeteiligten oder Zuhörern nicht nur erkannt, sondern auch identifiziert wird. Hierdurch wäre darüber hinaus auch die Kriminalitätsbekämpfung erheblich behindert.“ Im Komplex B 16 wurde in der Sperrerklärung zudem konkretisiert, warum ein Ausschluss der Öffentlichkeit nicht ausreiche: „Zwar sind Rechtsanwälte unbestritten unabhängige Organe der Rechtspflege und genießen einen normativen Vertrauensstatus. Sie nehmen im Rahmen ihres Mandatsverhältnisses aber naturgemäß auch die Interessen ihres Mandanten wahr, und es ist ihnen nicht verwehrt, sich mit ihren Mandanten über den eingesetzten Verdeckten Ermittler auszutauschen. Es kann dabei aber nicht ausgeschlossen werden, dass Angaben, die der Verteidiger im Vertrauen auf ihre Unverfänglichkeit an seinen Mandanten weitergibt, zu einer Kumulation von Erinnerungsfragmenten beim Angeklagten führen und damit ein Verdeckter Ermittler enttarnt werden kann32. Selbst Informationen, die einem Außenstehenden
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
belanglos erscheinen, könnten auf diese Weise aus der Sicht der Angeklagten ein Bild ergeben, das letztlich zur Aufdeckung der Identität der Vertrauenspersonen führen würde.“ Die Sperrerklärungen schließen mit der Erwägung, anderenfalls würde sich kein VE mehr finden lassen: „Die derzeit vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg eingesetzten Verdeckten Ermittler haben einhellig zu verstehen gegeben, dass sie bei einem Auftreten als Zeugen – auch bei kommissarischen Vernehmungen – ihre bisherige Einsatztätigkeit nicht weiter fortführen würden.“ Als „Ergebnis“ hielt das IM jeweils fest: „Wägt man entsprechend den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 57, 250, 285) die geschilderten Nachteile mit den Belangen der gerichtlichen Wahrheitsfindung ab, die grundsätzlich die Verwertung des sachnäheren Beweismittels verlangt, kommt bei der hier gegebenen Sachlage der Verpflichtung des Staates zum Schutz von Leib und Leben besonders gefährdeter Zeugen sowie der Gewährleistung einer effektiven Strafverfolgung höheres Gewicht zu.“ Die Erklärungen schlossen jeweils mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, einen Beamten als Zeugen vom Hörensagen zu vernehmen. Trotz dieser schematischen Vorgehensweise der Innenbehörden scheinen die Sperrerklärungen für den VE mit der Folge der mittelbaren Beweiserhebung in der Hauptverhandlung bei den Verfahrensbeteiligten auf wenig Widerstand zu stoßen. Dies mag zum einen damit zusammenhängen, dass sich die Strafverteidigung in der Regel mit dieser Verfahrensweise arrangieren kann, da sie nicht unbedingt am Auftreten des direkten Tatzeugen interessiert ist. Zum anderen dürfte dem VE aufgrund seiner Beamteneigenschaft auch bei einer Einführung über einen Zeugen vom Hörensagen ein höherer Vertrauensvorschuss als der oft zwielichtigen VP zugebilligt werden. c) VP-Sperrerklärungen Die acht ausgewerteten VP-Sperrerklärungen des IM Baden-Württemberg ließen ebenfalls ein formularmäßig bausteinartiges Vorgehen erkennen. Wie beim VE nimmt das IM nach Einholung der Auffassung der die VP führenden Stelle, etwa eines Polizeipräsidiums oder einer Landespolizeidirektion, zur gerichtlichen Anfrage Stellung und begründet seine ablehnende Haltung damit, eine Benennung werde „dem Wohle des Landes Nachteile bereiten.“ Im Übrigen besteht die Begründung der Sperrerklärung bei einer VP aus fünf Abschnitten. Nach einer Einleitung mit dem Hinweis, die VP sei im Sinne der Gemeinsamen Verwaltungsvorschrift eingesetzt und die von der Polizei zugesicherte Vertraulichkeit von der StA bestätigt worden, wird zunächst die Bedeutung der VP für die Kriminalitätsbekämpfung betont: „Die Vertrauenspersonen sollen auch weiterhin 32 Diese Argumentation geht auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt NStZ 1983, 231 (232) zurück.
Abschn. 2, Kap. 17: Die Ausgestaltung der Hauptverhandlung
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bei der Bekämpfung schwerer Straftaten eingesetzt werden. Dies ist für die polizeiliche Verbrechensbekämpfung von größter Bedeutung: Der Polizei fällt es immer schwerer, Zugang in das Milieu ausländischer Tätergruppen im Bereich der schweren und Organisierten Kriminalität, insbesondere der Rauschgiftkriminalität zu finden und diese der Strafverfolgung zuzuführen. Sie ist daher besonders auf diese Vertrauenspersonen angewiesen, die aus diesem Kriminalitätsbereich Informationen liefern und Hintergründe erhellen können.“ Und weiter: „Durch die Präsentation der in diesem Verfahren eingesetzten Vertrauenspersonen bestünde die Gefahr, dass das Bekanntwerden ihrer Zusammenarbeit mit der Polizei dazu führt, dass keine anderen VP mehr bereit wären, mit der Polizei zusammenzuarbeiten oder der Polizei Hinweise zu geben. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Zusammenarbeit der Vertrauensperson mit der Polizei – wie hier – wesentlich auf den Bestand einer Vertraulichkeitszusage gegründet war. Dass sich solche Gefahren aus der Offenbarung der Identität einer Vertrauensperson ergeben, hat das Oberlandesgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 2. 4. 86 (MDR 1986, S. 690) festgestellt und in seinem Beschluss vom 31. 1. 95 ( . . . ) ausdrücklich bestätigt . . . Dabei führt das OLG Stuttgart . . . aus, dass die Bereitschaft von Vertrauenspersonen, sich der Polizei als Informationslieferanten zur Verfügung zu stellen, sinken würde, wenn diese trotz einer Vertraulichkeitszusage in späteren Verfahren offenbart würden. Dies könne ,entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes nicht hingenommen‘ werden.“ Dient wie beim VE der erste Abschnitt der VP-Sperrerklärung der Beschreibung der Notwendigkeit dieser Ermittlungsmaßnahme sowie der Folgen einer etwaigen stärkeren Präsentation der VP in der Hauptverhandlung für die Ermittlungsarbeit, widmet sich der zweite Abschnitt der konkreten Gefahrensituation. Er begann in allen Fällen folgendermaßen: „Ein weiterer Nachteil im Sinne dieser Vorschrift läge darin, dass die Vertrauensperson(en) mit erheblicher Wahrscheinlichkeit an Leib und Leben gefährdet wäre(n), wenn sie ihre Identität oder auch nur ihr äußeres Erscheinungsbild in der Hauptverhandlung offenbaren müsste(n).“33 Wie bei der Sperrerklärung für den VE erfolgt dann eine konkretere Begründung für die mit einer Vernehmung in einer Hauptverhandlung verbundene Gefahr. Im Komplex A 1 lautete diese dahingehend, „dass den Beamten der Landespolizeidirektion . . . bekannt wurde, dass in dem Verfahren bereits mehrfach andere Zeugen bedroht wurden.“ Im Übrigen wurde(n) auch hier der / die jeweilige(n) Angeklagte(n) zunächst einer Gruppierung zugeordnet, etwa sie seien „Angehörige eines Heroinhändlerrings mit einer entsprechenden Zuliefererorganisation“ (A 6, 2x) oder „Angehöriger einer Bande“, die „über einen längeren Zeitraum hinweg Heroin, jeweils im kg-Bereich, aus der Türkei eingeführt“ hat (A 9 / 23), „die vornehmlich in Y im Zeitraum von mindestens Anfang 1994 bis mindestens Sommer 1995 Heroin in 33 Die Formulierung „im Sinne dieser Vorschrift“ ist deswegen seltsam, weil im vorangegangenen Text gar keine Vorschrift genannt wurde. Sie resultiert daher, dass es sich um einen Baustein aus einem VE-Beschluss handelt, der wiederum an § 110b StPO anknüpft.
35 Kinzig
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
nicht geringen Mengen verkauft hat“ (A 9 / 23), sie seien „einer international agierenden Tätergruppierung zuzurechnen . . . , die das Rauschgift über die Balkanländer aus der Türkei eingeführt und über eine personell bislang im Einzelnen noch unvollständig aufgeklärte Verteilerorganisation weitergegeben hat“ (A 9 / 23), sie seien „einer über internationale Bezüge . . . verfügenden Rauschgifthändler und -verteilerorganisation zuzurechnen . . . , der mehr als 30 Personen überwiegend albanischer Herkunft angehören“ (A 13), bzw. der Angeklagte sei „ein Mitglied einer vielköpfigen Gruppierung kosovo-albanischer Rauschgifthändler, die Heroin im zweistelligen kg-Bereich aus Prag in die Bundesrepublik geschleust und hier verkauft hat“ (A 24). Daraufhin folgt, soweit vorhanden, die Schilderung konkreter Erkenntnisse, dass „in Tschechien ein Mitglied der Gruppierung von anderen Bandenmitgliedern wegen finanzieller Streitigkeiten ermordet wurde“ und die Tätergruppe der ermittelnden Polizeidienststelle „durch ihr skrupelloses Vorgehen bekannt“ sei (in drei Sperrerklärungen im Komplex A 9 / 23), dass „insbesondere der Angeklagte Z . . . mehrfach seine Waffe und Munition gezeigt und darauf hingewiesen (sc. habe), dass es sich um eine scharfe Waffe handle, die er immer bei sich trage“ (A 13), dass der Polizei konkrete Informationen vorlägen, „wonach Personen aus dem Umfeld des Angeklagten, darunter auch Familienangehörige, eine intensive Suche nach der Vertrauensperson begonnen haben“ und „dass die für die Festnahme des Angeklagten verantwortlich gemachte Vertrauensperson getötet werden soll, sollte man ihrer habhaft werden“ (A 24). Die Verknüpfung der Komponenten „Gruppierung“ und „Gewalttätigkeit“ zur Mitgliedschaft in einer gewalttätigen Gruppierung führt dann zur Folgerung, dass, weil „weitere evtl. Tatbeteiligte und Hinterleute bislang noch nicht identifiziert werden konnten“, „Personen aus diesem Umfeld zu gewalttätigen Racheaktionen gegen die aktiv bei der Überführung von Teilen der Organisation durch die Polizei mitwirkenden Vertrauenspersonen schreiten oder andere Personen dazu bestimmen“ (A 6), dass für noch auf freiem Fuß befindliche Gruppenmitglieder eine erhebliche Motivation bestehe, „sich an der Vertrauensperson für die Festnahme des Angeklagten und den damit verbundenen Verlust einer lukrativen Einnahmequelle durch Anschläge auf Leib oder Leben der Vertrauensperson oder ihrer Angehörigen zu rächen (A 9 / 23), „dass Personen aus dem Umfeld der Angeklagten die bevorstehende Hauptverhandlung zum Ansatz für gewalttätige Aktionen gegen Leib oder Leben der Vertrauenspersonen nutzen oder andere Personen dazu bestimmen, wenn die Identität der Vertrauenspersonen offenbar würde“ (A 13). Der dritte und die weiteren Begründungsteile sind wiederum identisch: „Unabhängig hiervon kann es nicht darauf ankommen, ob Gefährdungen einer Vertrauensperson auch im laufenden Verfahren konkret zu erwarten sind. Beim Umfang der hier einschlägigen Kriminalität und den Erfahrungen des Innenministeriums ist eine solche Gefährdung generell jedenfalls nicht fernliegend. So hat das OLG Stuttgart in einem vergleichbaren Fall . . . festgestellt, dass es des Nachweises einer
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konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit eines Verdeckten Ermittlers nicht bedürfe. Vielmehr genüge es, ,dass dem Zeugen allgemein eine Gefahr droht.‘“ Diese Grundsätze müssten auch für eine Vertrauensperson gelten. Der vierte Begründungspunkt enthält die schon im dritten Punkt der VE-Sperrerklärung geäußerten Erwägungen: „Die oben genannten Nachteile bestünden auch dann, wenn die Vertrauensperson gemäß § 68 Abs. 3 StPO bei der Zeugenvernehmung ihre Identität nicht offenbaren müsste. Sie hätte nämlich jedenfalls die Tatsache aufzudecken, dass sie ihre Erkenntnisse als Vertrauensperson gewonnen hat, so dass sie in der Folge nicht mehr als Vertrauensperson eingesetzt werden könnte, weil ihr derzeitiges äußeres Erscheinungsbild somit auch den Angeklagten oder etwaigen „Prozessbeobachtern“ bekannt würde. Letzteres würde auch dazu führen, dass die Vertrauensperson schließlich identifiziert würde und damit den oben genannten Gefährdungen ausgesetzt wäre. Entsprechendes gilt nicht zuletzt wegen des Anwesenheitsrechts des Verteidigers auch für eine Vernehmung gemäß § 172 Nr. 1a GVG bzw. § 247 Satz 2 StPO.“34 Als fünfter Begründungspunkt folgt der Hinweis auf eine Tötung einer VP im Jahre 1991: „Schließlich wird darauf hingewiesen, dass dem Innenministerium in den vergangenen Jahren immer wieder Fälle bekannt geworden sind, in denen Vertrauenspersonen Opfer von Repressalien wurden. So wurde beispielsweise im Oktober 1991 eine Vertrauensperson des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg und des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz in Luxemburg mit fünf Schusswunden und Schädelverletzungen ermordet aufgefunden. Die näheren Tatumstände weisen darauf hin, dass die Vertrauensperson regelrecht hingerichtet wurde.“35 Die Ausführungen enden wie bei der VE-Sperrerklärung mit dem wortwörtlich identischen „Ergebnis“, dem Schutz der Zeugen sowie der „Gewährleistung einer effektiven Strafverfolgung“ komme ein höheres Gewicht als den „Belangen der gerichtlichen Wahrheitsfindung“ zu. Ersatzweise stehe ein Zeugen vom Hörensagen zu Verfügung. Die im Komplex A 9 / 23 zusätzlich vorliegende Sperrerklärung des Innenministeriums von Rheinland-Pfalz enthielt weitgehend gleiche Erwägungen: Die Preisgabe der Identität der VP würde deren weitere Verwendung unmöglich machen, andere VP würden verunsichert, es müsse damit gerechnet werden, dass der Angeklagte über Mittäter oder Hinterleute Rache nähme, eine Vernehmung unter einschränkenden Bedingungen sei nicht geeignet, die geschilderte Gefahrenlage nachhaltig zu reduzieren, der Beschuldigte sei „Mitglied einer international operieren34 Im Komplex A 13 erfolgte wegen einer intensiveren Nachfrage der Kammer nach Alternativen zusätzlich die bereits aus der VE-Sperrerklärung im Fall B 16 bekannte Argumentation, anderweitige Schutzvorkehrungen kämen wegen der jeweiligen Anwesenheit des Verteidigers nicht in Frage. 35 Allerdings bleibt die Frage offen, ob dieses Tötungsdelikt auf die Einvernahme der VP in der Hauptverhandlung oder nicht auf andere Umstände zurückzuführen war.
35*
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
den Tätergruppe“, weshalb damit zu rechnen sei, „dass dieser Kreis bemüht sein wird, die Identität der VP festzustellen.“ Das Bundesministerium der Finanzen führte im Komplex A 15 als konkrete Erwägung für seine Sperrerklärung an, die VP habe „durch ihre Informationen und Angaben wesentlichen Aufschluss über die Tatbeteiligung der Beschuldigten“ geliefert. Dabei hätten sich „Hinweise auf mafiose Verbindungen“ ergeben. Und weiter: „Es ist hinlänglich bekannt, dass in Mafiakreisen üblicherweise ,Verräter’ mit erheblichen Strafaktionen zu rechnen haben, wobei erfahrungsgemäß durchaus mit Exekutionen zu rechnen ist. Bei Bekanntgabe der Identität der Vertrauensperson wäre deshalb mit größter Gefahr für Leib und Leben der VP, aber auch deren Familie zu rechnen.“ Jedoch hatten nicht nur VE-, sondern auch VP-Sperrerklärungen Auswirkungen auf das Verfahrensergebnis. So lehnte die Kammer im Komplex A 13 die Eröffnung des Verfahrens hinsichtlich eines Teils der angeklagten Straftaten mit der Erwägung ab, es stünde nur ein Zeuge vom Hörensagen zur Verfügung. Ein weiteres Verfahren in diesem Komplex stellte schon die Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 StPO mit der Begründung ein, der Verdacht stütze sich allein auf die Angaben eines namentlich nicht bekannten Zeugen, dessen Glaubwürdigkeit nicht überprüft werden könne. Im Komplex A 21 teilte die Verhörsperson laut Sitzungsprotokoll in einer Verhandlungspause telefonisch mit, die Vertrauensperson sei wegen Verstoßes gegen das BtmG vorbestraft. Im Komplex A 24 kam es zu einem Teilfreispruch wegen Zweifels an der Glaubwürdigkeit einer VP, zumal der Vernehmungsbeamte die VP nicht näher kannte. Insofern verwundert es nicht, dass es bei Sperrerklärungen für VP häufiger als bei solchen für VE zu Bemühungen der Verteidigung kam, die VP laden zu lassen bzw. dazu, der Vernehmung des VP-Führers zu widersprechen. Im Komplex A 9 / 23 wurde allerdings ein Antrag auf Gegenvorstellung gegen die Sperrerklärung von der Kammer mit dem Hinweis abgelehnt, sie habe Belege, „dass im gesamten Verfahrenskomplex um den gesondert verfolgten X Zeugen massiven Bedrohungen ausgesetzt waren“, insbesondere eine Zeugin „ernstzunehmenden Todesdrohungen ausgesetzt“ gewesen sei. In einem Verfahren des Komplexes A 24 erging ein (erfolgloser) Antrag auf Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens, da neben der VP keine weiteren Indizien oder Beweise vorgebracht worden seien, die zu einer Überführung des Angeschuldigten beitragen könnten. Ein weiterer Antrag auf richterliche Vernehmung einer VP wurde in diesem Fall ebenfalls abgelehnt. Im Komplex B 21 schilderte die Kammer ihre Probleme bei der Beweiswürdigung eines Zeugens vom Hörensagen. Die Sperrerklärungen hatten jeweils zur Folge, dass die Erkenntnisse von VE wie VP durch einen Vernehmungsbeamten als „Zeugen vom Hörensagen“ in das Verfahren eingeführt wurden. Auch Urteile machten dabei von der Verwendung von Textbausteinen Gebrauch. So wurde im Komplex A 9 / 23 in zwei immerhin um neun Monate auseinanderliegenden Urteilen derselben Kammer die Aussage
Abschn. 2, Kap. 17: Die Ausgestaltung der Hauptverhandlung
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der Verhörsperson in der Beweiswürdigung mit genau identischem Inhalt wiedergegeben.
C. Zusammenfassung Rund 70 % der Verfahren gegen die Hauptbeschuldigten wurden vor dem Landgericht verhandelt. Mehr als 60 % benötigten maximal drei Verhandlungstage bzw. rund 60 % konnten binnen Wochenfrist abgeschlossen werden. Die beiden längsten Verfahren währten 46 bzw. 36 Verhandlungstage. Vergleicht man die Dauer der Hauptverhandlung wie die Zahl der durchgeführten Verhandlungstage mit einer Untersuchung über die Dauer von Strafverfahren vor Landgerichten Mitte der 90er Jahre, sind die OK-Verfahren als eher lang zu bezeichnen, was dem Umfang der angeklagten Delikte, der Vielzahl der beteiligten Personen sowie der Komplexität der angewandten Ermittlungsmethoden, nicht aber einem obstruierenden Verteidigerverhalten geschuldet sein dürfte. Der häufige Gebrauch verdeckter Ermittlungsmaßnahmen in OK-Verfahren (TÜ, VE-, VP-Einsatz) führt in einem nicht unerheblichen Maß zu Problemen bei der Einführung der Ergebnisse dieser Methoden. Die bei der TÜ auftretenden Schwierigkeiten können in solche faktischer Art, solche der Übersetzung sowie solche rechtlicher Art unterteilt werden. Ganz tatsächlich kann der Umfang der auflaufenden Gespräche besondere Probleme aufwerfen. So wurden allein im Komplex A 15 über 40.000 Gespräche abgehört. Eine solche Materialfülle fördert naturgemäß eine Verfahrenserledigung per Absprache36. Die beschriebenen Probleme faktischer Art potenzieren sich häufig noch dadurch, dass in Verfahren organisierter Kriminalität in der Regel fremdsprachige Telefonate abgehört werden, die der Übersetzung ins Deutsche bedürfen. Eher rechtliche Probleme der Verwertung fehlerhafter TÜ-Anordnungen wurden dagegen trotz der bereits festgestellten vielfältigen Unzulänglichkeiten bei den TÜ-Beschlüssen kaum diskutiert. Hintergrund dafür dürfte die bisher äußerst zurückhaltende revisionsgerichtliche Rechtsprechung sein, nach der sich die Anordnung einer TÜ nur dann als rechtsstaatswidrig mit der Folge eines Verwertungsverbotes darstellt, wenn die Entscheidung den dem Ermittlungsrichter oder Staatsanwalt zustehenden Beurteilungsspielraum überschreitet und daher nicht mehr vertretbar ist37. Neben der Einführung der TÜ bereitet auch die Beweisführung mittels VE und VP bzw. IP Probleme. Seit Ende der 80er Jahre und infolge der Einführung des § 110b Abs. 3 Satz 3 StPO durch das OrgKG sind die Möglichkeiten für die obersDazu unter Kapitel 18, J., I. BGH wistra 2003, 67 (68). Ob die in der gleichen Entscheidung enthaltenen erhöhten Begründungspflichten eine Änderung der Rechtsprechung herbeiführen werden, bleibt abzuwarten. 36 37
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
ten Dienstbehörden, VE sowie VP bzw. Informanten für die Vernehmung in der Hauptverhandlung zu sperren, erweitert worden. Dabei hat die Rechtsprechung die nur für den VE vorgesehene Regelung, auf seinen Auftritt in der Hauptverhandlung auch zugunsten seiner weiteren Verwendung verzichten zu können, auf VP ausgeweitet. Zusammen mit der Entscheidung, im Falle rechtswidriger Sperrerklärungen wie bei fehlerhaften TÜ-Anordnungen weder Beweiserhebungs- noch -verwertungsverbote für die Vernehmung von Verhörspersonen bis zur Grenze der Willkürlich- oder offensichtlichen Fehlerhaftigkeit zu statuieren, hat dies offensichtlich dazu geführt, dass in Fällen organisierter Kriminalität weder VE noch VP vor Gericht erscheinen. Dass die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Abwägung zwischen den Interessen an einer Vernehmung des unmittelbaren Zeugen und denjenigen an seinem Schutz oder an seiner weiteren Verwendung zu einer Freigabe des Zeugen durch die oberste Dienstbehörde führen könnte, scheint mittlerweile kaum denkbar. Dies gilt umso mehr, als im Falle des VE die die Ermittlungen als auch den VE führende Behörde in Gestalt des LKA häufig zusammenfallen. Alternativen wie eine Vernehmung unter Ausschluss der Öffentlichkeit scheinen nicht ernsthaft erwogen zu werden. Die überwiegend vom Innenministerium Baden-Württemberg abgegebenen Sperrerklärungen stützen sich dabei sowohl auf den Wunsch einer weiteren Verwendung als auch auf das Vorliegen einer konkreten bzw. abstrakten Gefahr. VEwie VP-Sperrerklärungen unterscheiden sich kaum und bestehen ganz überwiegend aus identischen Textbausteinen. Differenzen sind jeweils nur bei dem Versuch zu beobachten, eine konkrete Gefahr für den potentiellen Zeugen zu begründen. Argumentiert wird regelmäßig so, dass der Angeklagte als Mitglied einer Gruppierung verortet wird, deren Angehörige noch nicht vollständig identifiziert seien. Soweit vorhanden, werden auch Bedrohungen oder Gewalttätigkeiten genannt, die dieser Gruppierung zugerechnet werden. Daraufhin erfolgt der Schluss, damit seien auch Gewalttätigkeiten im Falle einer Aussage des VE, der VP oder IP vor Gericht möglich oder gar wahrscheinlich. Dass ein solches Verhalten den Strafverfolgungsdruck erhöhen und daher im Bereich organisierter Kriminalität, der eine eher strategische Kriminalitätsplanung zugeschrieben wird, wenig rational sein dürfte, wird in den Sperrerklärungen nicht erörtert. Hinsichtlich der Vernehmung von VE scheinen sich die Verfahrensbeteiligten mit der Praxis der Sperrerklärungen und der daraus resultierenden indirekten Beweiserhebung weitgehend abgefunden zu haben. Als problematischer wird diese Vorgehensweise beim Einsatz von VP empfunden. Hier war ein höheres Interesse der Verteidigung erkennbar, die betreffende Person im Strafprozess direkt befragen zu können. Dennoch halten die obersten Landesbehörden ihre restriktive Linie konsequent durch, mag dies auch zu prozessualen Konsequenzen dergestalt führen, dass im Einzelfall ein Verfahren eingestellt, eine Anklage nicht zugelassen oder eine Person mangels weiterer Beweismittel freigesprochen wird. Ob es wegen der Sperrung der tatnächsten Zeugen andererseits auch zu ungerechtfertigten Verurteilungen kommt, kann aufgrund der Aktenanalyse selbstverständlich nicht beurteilt werden.
Abschn. 2, Kap. 18: Das Urteil
551
Kapitel 18
Das Urteil Nach einer Übersicht über die Eckdaten der in den OK-Fällen ergangenen Urteile (18, A.), der Schilderung der wichtigsten Beweismittel (18, B.) sowie der Analyse der Feststellungen, die die Gerichte zu den Abgeurteilten auf Individualebene wie den handelnden Gruppierungen getroffen haben (18 C.), beschäftigt sich dieses Kapitel in einem Schwerpunkt mit der Deliktsstruktur in den untersuchten OKKomplexen (18, D.), insbesondere der Anwendung des Tatbestands der Bildung krimineller Vereinigungen (18, D., I.), der Bandendelikte (18, D., II.) sowie der Gewerbsmäßigkeit (18, D., III.). Außerdem werden Probleme behandelt, die durch die Erfassung arbeitsteiligen kriminellen Verhaltens auf einer prozessualen (18, E., I.) wie auf einer materiellen Ebene (18, E., II.) aufgeworfen werden. An die Darstellung der verhängten Sanktionen im engeren Sinne (18, F.) schließen sich Bemerkungen zum Einfluss der Charakteristik von Verfahren organisierter Kriminalität auf die Strafzumessung an (18, G.). Da die Gewinnabschöpfung und die Sanktionierung der Geldwäsche wichtige Strategien im Vorgehen gegen organisierte Kriminalität darstellen, ist auch ihnen ein eigener Abschnitt gewidmet (18, H.). Eher prozessuale Besonderheiten werden mit dem Problem der Verfahrensabsprachen, den damit verbundenen Kronzeugenregelungen und den Vorkehrungen zum Zeugenschutz (18, J.) aufgezeigt, bevor abschließend die eingelegten Rechtsmittel dargestellt werden (18, K.) und Bemerkungen zur Strafvollstreckung erfolgen (18, L.). A. Die Eckdaten der Urteile Von der Einleitung des Ermittlungskomplexes bis zur jeweiligen erstinstanzlichen Entscheidung vergingen durchschnittlich knapp zwei Jahre (23,4 Monate). 40 30 A-Komplexe (n=86)
20
B-Komplexe (n=31)
10 0 bis 12 Monate 13-24 Monate 25-36 Monate 37-48 Monate über 4 Jahre
Schaubild 122: Verfahrensdauer von der Einleitung bis zum Urteil
Dass die B-Komplexe (25,2 Monate) länger als die A-Verfahren (22,8 Monate) dauerten, ist auf den Fall B 16 zurückzuführen, in dem die sieben durchgeführten Verfahren jeweils knapp 3 Jahre beanspruchten. Mit knapp zwei Jahren ist die Ver-
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Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
fahrensdauer deutlich länger, als sie mit fast 18 Monaten für Landgerichtsverfahren Mitte der 90er Jahre in Dortmund, Frankfurt, München und Karlsruhe berechnet wurde1. Bei insgesamt 75 der 117 Verfahren (64,1 %) wies der Urteilstext nicht mehr als 20 Seiten auf. Die durchschnittliche Seitenzahl betrug 25,4, wobei sich A- (25,2) sowie B-Komplexe (26) kaum voneinander unterschieden. 30 25 20
A-Komplexe (n=86)
15 10
B-Komplexe (n=31)
5
üb er 10 0
10 0 bi s
50 51
31
bi s
30 21
11
bi s
20 bi s
10 bi s 1
St ra fb ef eh lo .ä .
0
Schaubild 123: Länge des Urteils in Seiten
B. Die Beweiswürdigung Ein erstes Indiz dafür, dass die A-Verfahren trotz oder wegen ihrer Komplexität eher einvernehmlich als die B-Fälle zu einem Abschluss gebracht wurden, ergibt sich daraus, dass bei ersteren im Durchschnitt nur 9,6 Seiten des Urteilstextes für die Beweiswürdigung verwendet wurden, während es bei den B-Verfahren 19,7 Seiten waren. 40 30 A-Komplexe (n=82)
20
B-Komplexe (n=24)
10 0 0
1 bis 9
10 bis 19 20 bis 29 30 bis 39 40 bis 49
50 und mehr
Schaubild 124: Länge der Beweiswürdigung in Seiten
Dem entspricht, dass 38 Urteile (46,3 %) in den A-Komplexen überhaupt keine Beweiswürdigung aufwiesen (zumeist handelte es sich um so genannte abgekürzte Urteile), dagegen aber nur 7 Urteile in den B-Fällen (29,2 %). Jeweils bei drei Urteilen in den A- und B-Komplexen nahm die Beweiswürdigung 50 oder mehr Seiten in Anspruch. 1
Dölling / Feltes / Dittmann u. a. 2000, 103 f.
Abschn. 2, Kap. 18: Das Urteil
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Mit weiteren Variablen wurde versucht, die Bedeutung der vorgebrachten Beweismittel für das gerichtliche Verfahren zu erfassen. Dabei wurden, getrennt nach Anklage und Urteil, die aufgeführten Beweise nach ihrer Relevanz für die Beweisführung beurteilt. Dies geschah in der Weise, dass für das wichtigste Beweismittel (Rang 1) 6 Punkte, für das zweitwichtigste (Rang 2) 5 Punkte usw. bis zum sechstwichtigsten bzw. allen weniger wichtigen Beweismitteln (andere Ränge) je 1 Punkt vergeben wurden. Nachfolgende Tabelle zeigt, dass schon im Stadium der Anklage das Geständnis des (Mit-)Angeklagten das wichtigste Beweismittel darstellt. Daneben haben vor allem weitere Personalbeweise wie die Aussagen unbeteiligter Zeugen, die Angaben weiterer Tatbeteiligter (darunter fallen z. B. Abnehmer von Drogen oder geschleuste Personen) sowie Geständnisse anderer, in diesem Verfahren nicht angeklagter Gruppenmitglieder eine größere Relevanz. Darüber hinaus sind nur noch die Ergebnisse von durchgeführten TÜ von einer hohen Bedeutsamkeit. Der VE spielt dagegen als Beweismittel im Stadium der Anklage praktisch keine Rolle. Die ebenfalls niedrigen Werte für die Angaben von VP unterstreichen, dass diese besondere Ermittlungsmaßnahme vor allem zu Beginn der Ermittlungsverfahren benötigt wird, im weiteren Verlauf des Verfahrens aber an Wert verliert. Tabelle 20 Bedeutung der Beweismittel für die Anklage Ermittlungsmaßnahme
Rang 1
Rang 2
Rang 3
Rang 4
Rang and. Punkte 5 Ränge
Geständnis (Mit-)Angeklagter
33
9
4
3
0
1
269
Andere Zeugenaussagen
23
16
11
1
1
2
269
Ergebnis TÜ
13
15
15
3
0
1
223
Angabe weiterer Tatbeteiligter
17
14
1
3
0
1
186
Geständnis and. Gruppenmitglieder
13
9
2
4
0
1
144
Aussage Polizeibeamter
4
7
6
4
2
1
100
Aussage VP
5
5
2
3
0
2
74
Aussage VE
2
5
3
0
1
0
51
Sonstige Beweismittel
7
13
10
4
2
3
166
117
93
54
25
6
12
1482
Gesamt
Zwischen Anklage und Urteil veränderte sich die Bedeutung der Beweismittel noch einmal. In fast 2/3 aller Verfahren stützte sich das Urteil in erster Linie auf das Geständnis des / eines (Mit-)Angeklagten. Die landläufige Meinung, in Verfahren organisierter Kriminalität stießen die Ermittlungsbehörden auf eine Mauer des Schweigens, fand damit keine Bestätigung. Daneben können im Vergleich zwi-
554
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung
schen den Stadien der Anklage und des Urteils nur noch die Aussagen von Polizeibeamten an Bedeutung zulegen. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Gerichte bei einem geständigen Angeklagten häufig noch den ermittlungsführenden Beamten hören wollen2. Im Übrigen behalten die anderen Zeugenaussagen wie die Angaben weiterer Tatbeteiligter noch eine gewisse Bedeutung. Stark an Relevanz verlieren die Ergebnisse der TÜ. Allerdings sind sie bei knapp 10 % der Verfahren (9 von 104) nach wie vor das wichtigste Beweismittel für die Überführung des Angeklagten. Tabelle 21 Bedeutung der Beweismittel für das Urteil Ermittlungsmaßnahme
Rang 1
Rang 2
Rang 3
Rang 4
Rang and. Punkte 5 Ränge
Geständnis (Mit-)Angeklagter
68
6
0
4
2
0
454
Andere Zeugenaussagen
14
9
6
5
1
0
170
Ergebnis TÜ
9
2
3
0
0
0
76
Angabe weiterer Tatbeteiligter
6
7
4
1
0
1
91
Geständnis and. Gruppenmitglieder
0
6
0
0
0
3
33
Aussage Polizeibeamter
3
13
13
5
3
1
157
Aussage VP
3
3
3
1
1
0
50
Aussage VE
0
0
3
1
1
0
17
1
9
10
9
6
0
130
104
55
42
26
14
5
1178
Sonstige Beweismittel Gesamt
Dabei unterscheiden sich die Urteilsgrundlagen der A- und B-Komplexe kaum (Schaubilder 125 und 126). Das Geständnis der / eines (Mit-)Angeklagten erreicht jeweils einen Wert von knapp 40 %3. Auch bei den übrigen Beweismitteln differieren die Ergebnisse zwischen beiden Gruppen nur unwesentlich.
2 Vgl. aber die neuere Rechtsprechung zur Beweiswürdigung bei einem Geständnis im Rahmen einer Urteilsabsprache, die nur geringe Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung stellt: BGH NJW 1999, 370; vgl. auch Julius in HK-StPO 2001, § 261 Rdnr. 23. 3 Berechnet nach der Division der Punktwerte (343 für die A-Komplexe, 111 für die B-Komplexe) durch die für die Beweismittel insgesamt vergebenen Punkte (891 für die A-Komplexe bzw. 287 für die B-Komplexe).
Abschn. 2, Kap. 18: Das Urteil
2%
555
9%
17% 0%
5% 39%
38%
1%
13%
13%
3%
2%
8%
7% 7%
14%
6%
16%
Geständnis (Mit-)Angeklagter
Geständnis (Mit-)Angeklagter
Zeugenaussagen
Zeugenaussagen
TÜ
TÜ
Angaben weiterer Tatbeteiligter
Angaben weiterer Tatbeteiligter
Geständnis anderer Gruppenmitglieder
Geständnis anderer Gruppenmitglieder
Aussage Polizeibeamter
Aussage Polizeibeamter
VP
VP
VE
VE
andere Beweismittel
andere Beweismittel
Schaubild 125 (links): Beweisgrundlage für das Urteil (A-Komplexe) Schaubild 126 (rechts): Beweisgrundlage für das Urteil (B-Komplexe)
C. Die Abgeurteilten Für die abgeurteilten Personen werden zunächst zentrale Daten auf einer individuellen Ebene (18, C., I.) dargestellt, bevor versucht wird, gegebenenfalls geschilderte Gruppenstrukturen zu erfassen (18, C., II.). I. Ergebnisse auf der Individualebene
Von den 202 abgeurteilten OK-Hauptbeschuldigten waren 187 Personen (92,6 %) Männer. Der etwas höhere Frauenanteil unter den OK-Hauptbeschuldigten der A-Komplexe mit 8,8 % ist darauf zurückzuführen, dass am Komplex A 4 aus dem Rotlichtmilieu allein 5 Frauen beteiligt waren. Würde man diesen Fall bei der Berechnung außer Acht lassen, käme der Anteil der Frauen mit 5,4 % ganz in die Nähe desjenigen der weiblichen Strafgefangenen, der am 31. März 2001 4,2 % betrug4. 4 Vgl. Strafvollzugsstatistik, im Internet unter http: / / www.destatis.de abrufbar. Aus der Studie von Dölling / Feltes / Dittmann u. a. (2000, 193) ergibt sich ein Anteil von 5,1 % Frauen unter den Hauptangeklagten.
556
Teil 2: Ermittlungsansätze und rechtliche Verarbeitung 15 7,4%
Männer Frauen 187 92,6%
Schaubild 127: Geschlecht der abgeurteilten OK-Hauptbeschuldigten 80 70 60 50 40 30 20 10 0
n=202
1936-40 19411945
19461950
19511955
19561960
19611965
19661970
19711975
19761980
Schaubild 128: Geburtsjahrgänge der abgeurteilten OK-Hauptbeschuldigten
Bei einer Aufgliederung nach dem Alter sind die Geburtsjahrgänge 1966 – 70, die 34,2 % der abgeurteilten OK-Hauptbeschuldigten stellen, am stärksten vertreten, vor den Jahrgängen 1961 – 65 mit einem Anteil von 19,8 %. Nimmt man das Jahr 1996 als mittleres Tatbegehungsjahr, stellten demnach die 26- bis 35-Jährigen mehr als die Hälfte der OK-Hauptbeschuldigten. Ein Vergleich mit dem Alter der im Jahr 1996 verurteilten Erwachsenen5 zeigt, dass die OK-Abgeurteilten häufiger aus den mittleren Jahrgängen kommen, während die jungen Täter von 21 – 25 und die älteren ab 40 Jahren unterrepräsentiert sind6 (Schaubild 129). Eine Erklärung für die hohen Werte der Altersgruppe zwischen 25 und 40 Jahren – diese widersprechen zudem der These, bei OK-Tätern handele es sich um (auch an Lebensjahren) besonders erfahrene Kriminelle –, könnte in dem hohen Ausländeranteil unter den OK-Hauptbeschuldigten liegen. Dieser erhöht sich im Vergleich 5 Berechnet nach der Strafverfolgungsstatistik 1996 ohne Straftaten im Straßenverkehr; einbezogen wurden die Erwachsenen von 21 Jahren an. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Strafverfolgungsstatistik das Alter zur Tatzeit ausweist, während bei den OK-Hauptbeschuldigten das Alter auf den mittleren Verurteilungsjahrgang 1996 bezogen wurde. 6 Ein ähnliches Ergebnis ergibt auch ein Vergleich mit der Studie über die Dauer der Landgerichtsverfahren (Dölling / Feltes / Dittmann u. a. 2000, 194), die bei 844 Hauptangeklagten zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung für die 21- bis 30-Jährigen einen Anteil von 39,5 %, für die 31- bis 40-Jährigen von 31,8 %, für die 41- bis 50-Jährigen von 16,5 % und für die über 50-Jährigen von 12,3 % errechnete.
Abschn. 2, Kap. 18: Das Urteil
557
zum OK-Lagebild des LKA sowie zum Lagebild der ZOK7 bei den abgeurteilten Hauptbeschuldigten noch einmal geringfügig auf 73,8 %. Der Anteil der im Ausland geborenen Personen liegt sogar bei 82,7 %. Interessant ist dabei, dass von den 136 in den ermittlungsintensiven A-Komplexen abgeurteilten Hauptbeschuldigten sogar 88,2 % im Ausland geboren waren und immerhin noch 80,1 % eine ausländische Staatsangehörigkeit hatten8. 40% 35% 30% 25% 20%
Verurteilte Erwachsene OK-Täter
15% 10% 5% 0% 21-