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German Pages 197 [200] Year 1965
FRITZ
OSSENBÜHL
Die Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltangeakte
NEUE KÖLNER RECHTSWISSENSCHAFTLICHE ABHANDLUNGEN
HERAUSGEGEBEN
VON
DER RECHTSWISSENSCHAFTLICHEN
FAKULTÄT
D E R U N I V E R S I T Ä T ZU KÖLN
H E F T 29
Berlin 1965
WALTER DE GRUYTER & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagehandlung · J . Guttentag, Verlagebuchhandlung Georg R e i m e r · Karl J. T r ü b n e r · Veit & Comp.
Die Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte
Von
Dr. Fritz Ossenbühl W i s s e n s c h a f t l i c h e r A s s i s t e n t a n d e r U n i v e r s i t ä t zu K ö l n
Zweite, durch einen Nachtrag erweiterte Auflage
B e r l i n 1965
WALTER DE G R U Y T E R & CO. vormale G. J . Göschen'eche Verlagshandlung · J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer · Karl J . Trübner · Veit & Comp.
Archir-Nr. 27 08 65 4 Sat* and Druck : φ Saladruck, Berlin 65 Alle Rechte» eintchliefilich des Rechtee der Herstellung von Fotokopien and Mikrofilmen, vorbehalten
VORBEMERKUNG ZUR 2. AUFLAGE Daß in so kurzer Frist eine Neuauflage erforderlich wurde, beweist die Aktualität des Themas, dem die vorliegende Schrift gewidmet ist. Die Erstauflage berücksichtigt den Stand von Rechtsprechung und Lehre im wesentlichen nur bis zum Frühjahr 1962. Seitdem sind nicht nur zahlreiche einschlägige hödistrichterliche Entscheidungen ergangen, sondern auch die Rechtslehre hat sidi in mehreren Tagungen und vielen Veröffentlichungen erneut mit dem Rücknahmeproblem befaßt. Wenn auch die große Linie allenthalben beibehalten wurde, so wird doch um die Differenzierung der gefundenen Richtlinien und damit um eine Menge mehr oder weniger bedeutsamer Detailfragen gerungen. Die Einarbeitung des nach dem Frühjahr 1962 erschienenen Materials in den Text der Darstellung mußte aus kostentechnisdien Gründen verworfen werden. Um den Anschluß an den gegenwärtigen Stand der Diskussion herzustellen, blieb deshalb nur der Weg eines Nachtrags, der über die Fortentwicklung der letzten Jahre bis heute unterrichten soll und dem zur schnelleren Orientierung eine Gliederung vorangestellt worden ist. Im Sommer 1965 Fritz Ossenbühl
INHALTSVERZEICHNIS Seite V
Vorbemerkung Literaturverzeichnis
XII
Abkürzungs Verzeichnis
XXV ERSTER
TEIL
Einführung I. Praktische Bedeutung des Themas
1
II. Problemstellung und Ziel der Arbeit
2
III. Terminologie
2
1. Rücknahme
2
2. Begünstigender Verwaltungsakt
4
3. Fehlerhafter Verwaltungsakt
6
ZWEITER
TEIL
Die Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte im allgemeinen E r s t e s K a p i t e l . Stellungnahmen in Rechtsprechung und Lehre
. . .
10
A. Die Auffassung der Rechtsprechung
10
I. GeschiAtlicher Überblick
10
II. Grundsatz der freien Rücknahme III. Einschränkungen 1. Einengung der Rechtswidrigkeit
11 15 15
2. Vertrauensschutz und Intercssenabwägung
17
3. Ursprung und Standort der Fehlerquelle
19
IV. Sondermeinungen
20
1. des OVG Berlin
20
2. des V G H Baden-Württemberg
21
B. Die Ansichten des Schrifttums
21
I. Die ältere Lehre
21
II. Die neuere Lehre
22
1. Die konservative Richtung 2. Die fortschrittliche Lehre 3. Einzelansichten
22 23 24
VII Seite C. Zusammenfassender Uberblick über die herrschende Lehre und Rechtsprechung
27
D. Kritik an der herrschenden Ansicht zum Rücknahmerecht und Ansatzpunkte einer neuen Lösung
28
I. Einengung des Begriffs der Rechtswidrigkeit und generelle Beschränkung der Rechtsfolgen f ü r bestimmte Gesetzesverstöße . . II. Zur Interessenabwägung
28 30
1. Ihre Ausgestaltung in der Rechtsprechung 2. Dogmatische Bedenken a) Das Rücknahmerecht als Problem der Lückenausfüllung . . b) Methoden der Lückenausfüllung aa) Kasuistische Methode bb) Gesetzgeberische Methode cc) Vor- und Nachteile der Methoden c) Beurteilung der Rechtsprechungspraxis aa) Methodisdie Einordnung bb) Interessenabwägung als Obergangsstadium d) Aufgabe der Rechtslehre aa) Analyse des bestehenden Zustandes bb) Systematisierung und Strukturierung erprobter Problemlösungen cc) Neue Lösungsvorschläge 3. Praktische Bedenken a) Der Begriff „öffentliches Interesse" b) Unbraudibarkeit einiger Abwägungsgesiditspunkte . . . . c) Unsicherheit der Rechtsanwendung
40 41 42 42 42 44
III. Zusammenfassung der Kritik und Ansatzpunkte für eine neue Ausgestaltung des Rücknahmerechts 1. Ubersicht über die Schwächen der herrschenden Meinung . . . 2. Die Notwendigkeit eines Regel-Ausnahme-Systems
46 46 47
Z w e i t e s K a p i t e l . Versuch eines neuen Systems des Rücknahmerechts
30 30 31 31 31 31 32 36 36 38 40 40
.
47
A. Grundsatz der freien Rücknahme I. Die Natur der Sache II. Die Dynamik der Lebensverhältnisse III. Analogieschluß zur Z P O und zum FGG IV. Analogieschluß zum besonderen Verwaltungsredit V. Gewohnheitsrechtlidie Geltung VI. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung VII. Rücknahme als Ermessensentscheidung 3. Notwendigkeit der Einschränkung des Grundsatzes der freien Rücknahme I. Die Wirksamkeit fehlerhafter Verwaltungsakte II. Die Unzulänglichkeit der Amtshaftungsvorschriften als Korrektiv
48 48 49 49 50 51 53 63 65 65 66
vm III. Die Kompromißlösung von Düring und Wirth IV. Ergebnis C. Tatbestandsgruppen, die die Rücknahme ausschließen oder einschränken I. Unbeachtliche Gesetzesverstöße II. Verzicht III. Der Vertrauensschutz 1. Rechtliche Grundlage a) Die Menschenwürde b) Das Sozialstaatsprinzip c) Der Grundsatz von Treu und Glauben aa) Seine Anerkennung im öffentlichen Recht bb) Problematik der rechtlichen Erfassung cc) Treu und Glauben als Auffangtatbestand dd) Ergebnis zu c) d) Die Rechtssicherheit aa) Das Rechtsstaatsprinzip als Quelle bb) Inhaltliche Ausprägungen cc) Ergebnis zu d) e) Der Vertrauensschutz als Ausfluß der Rechtssicherheit und des Grundsatzes von Treu und Glauben f) Abwehr verfassungsrechtlicher Bedenken aa) aus Art. 20 Abs. 3 GG bb) aus Art. 3 GG 2. Die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes a) Allgemeines b) Vertrauensgrundlage c) Vertrauenszustand aa) Erwirkung durch unlautere Mittel bb) Positive Fehlerkenntnis cc) Fahrlässige Herbeiführung der Rechtswidrigkeit . . . dd) Fahrlässiges Nichterkennen des Fehlers ee) Begriff der Fahrlässigkeit ff) Sonderregelung in besonderen Rechtszweigen gg) Zwischenergebnis d) Rechtlich relevantes Vertrauensverhalten aa) Notwendigkeit dieses Erfordernisses bb) Relevanzbegriff cc) Arten des Verhaltens dd) Erfordernis der Erheblichkeit ee) Erfordernis der Endgültigkeit ff) Typische Auswertung gg) Zwischenergebnis 3. Gesamtergebnis und abschließende Stellungnahme a) Zusammenfassung b) Auszuscheidende Gesichtspunkte aa) Verschulden der Behörde bb) Zeitraum seit Erlaß des Verwaltungsaktes
Seite 68 69 69 69 70 71 71 71 73 74 74 74 75 76 76 77 77 78 78 79 79 80 80 80 80 81 81 83 83 84 85 86 87 87 87 88 88 90 90 90 90 91 91 91 91 92
IX
cc) Art der Behörde dd) Ausgestaltung des Verfahrens ee) Veränderung der Reditsansicht
Seite 92 93 93
IV. Die Verwirkung 94 1. Geltung und Voraussetzung im allgemeinen 94 a) Begriff 94 b) Entwicklung der Rechtsprechung und Geltungsbereich . . . 94 aa) Rechtsprechung des R O H G 94 bb) Aufwertungsrechtsprechung 94 cc) Ausdehnung auf das Wettbewerbs- und Arbeitsrecht . . 95 dd) Geltung im öffentlichen Recht 95 c) Rechtsgrundlage 97 aa) Ältere Auffassungen 97 bb) Heutige Lehre 97 cc) Eigene Stellungnahme 97 d) Voraussetzungen 98 aa) Zeitablauf 98 bb) „Besondere Umstände" 98 cc) Verschulden des Berechtigten 100 e) Wirkung 101 f) Abgrenzung zu ähnlichen Rechtsinstituten 102 aa) Im Privatrecht 102 bb) Im öffentlichen Recht 102 cc) Unterschiede 102 2. Anwendbarkeit des Verwirkungsgedankens im Rücknahmerecht 103 a) Bisherige Anwendung 103 aa) Nichterfüllung von Auflagen 103 bb) Beamtenrecht 103 cc) Ergebnis 104 b) Verwirkung des Rücknahmerechts durch die Behörde . . . 105 aa) Zeitablauf 105 bb) Schuldhaftes Verwirkungsverhalten 106 cc) Vertrauen und Aufwendungen des Betroffenen . . .107 c) Abgrenzung zum Vertrauensschutztatbestand 107 aa) Verwirkung als Sonderfall des Vertrauensschutzes . . 1 0 7 bb) Unterschiede 107 d) Rechtsfolgen 108 3. Gesamtergebnis 108 V. Ungerechtfertigte Unbilligkeit 108 1. Problemstellung 108 2. Verwertbare Rechtsprinzipien 110 a) Sozialstaatsklausel 110 b) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 112 3. Zusammenfassung und Ergebnis 115 D. Wirkung der Rücknahme 115 I. Die Regelung in bisherigen Kodifikationen 116 1. Art. 91 WürttEVRO 116
χ
2. §§ 144 I ThürLVO und 96 II AO 3. § 4 3 BadVO
Seite 116 116
II. Die Stellungnahme des Schrifttums 1. Fleiner, Wolff, Jerusalem 2. Die herrschende Lehre 3. Jellinek, Nebinger, Otto 4. Die individualisierende Auffassung von Hippels
117 117 117 117 118
III. Die Ansicht der Rechtsprechung 1. Gesamtbild 2. Tendenz zur Differenzierung
118 118 118
IV. Eigene Stellungnahme 118 1. Wirkung der Rücknahme als Rechtsfolgeproblem 118 a) Allgemeine Erwägungen 118 b) Wirkung als Ermessensentscheidung 119 c) Mögliche Ermessensschranken 120 2. Wirkung bei Verwaltungsakten mit einmaliger Begünstigung . 120 3. Wirkung bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung 121 a) Begriff 121 b) Grundsatz 121 c) Ausnahmen 121 aa) bei unlauterer Erwirkung 121 bb) bei einschneidender Änderung der Lebensverhältnisse . . 1 2 2 V. Ergebnis 123 DRITTER
TEIL
Sondergruppen von Verwaltungsakten E r s t e s K a p i t e l . Verwaltungsakte mit Doppelwirkung
124
A. Begriff
124
B. Besonderheit der Interessenanlage
124
I. Allgemeines II. Vor Ablauf der Rechtsmittelfrist III. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist C. Grundsatz der freien Rücknahme D. Einschränkungen I. Vertrauenssdiutz des Begünstigten II. Bedeutung des Verzichts 1. durch den Belasteten 2. durch die Behörde III. Verwirkung 1. durch den Belasteten 2. durch die Behörde
124 125 125 126 126 126 127 127 128 128 128 128
XI Seite E. Gesamtergebnis
128
Zweites
128
K a p i t e l . Rechtsgestaltende Verwaltungsakte
A. Privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte
128
I. Begriff II. Grundsatz der Unantastbarkeit III. Ausnahmen 1. Arglist 2. Dauerakte 3. Nodi ausstehende Gestaltung
128 129 129 129 130 130
B. Rechtsgestaltende Verwaltungsakte im öffentlichen Redit
130
GESAMTERGEBNIS DER ARBEIT
131
NACHTRAG Gliederung 133 I. Oberblick über den Fortgang der Diskussion zum Rücknahmeproblem seit dem Frühjahr 1962 134 1. Fortentwicklung der Rechtsprechung a) Bundesverwaltungsgericht b) Bundessozialgericht c) Bundesfinanzhof d) Europäischer Gerichtshof 2. Die Äußerungen der Rechtslehre a) 44. Deutscher Juristentag in Hannover (1962) b) 45. Deutscher Juristentag in Karlsruhe (1964) c) Fortbildungstagung in Speyer (1963) d) Monographien II. Fortbestehende Streitpunkte 1. Reditswidrigkeit und „geläuterte Reditsansdiauung" . 2. Der Grundsatz der freien Rücknahme 3. Der Vertrauensschutz a) Gegner des Vertrauensschutzes b) Rechtliche Grundlage c) Voraussetzungen
136 136 137 139 140 143 143 144 145 145 .
.
149 .149 150 151 151 153 156
III. Rücknahmeproblem und lex ferenda 1. Frage einer Kodifikation des allgemeinen Teils des Verwaltungsrechts 2. Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (EVwVerfG 1963) IV. Sondergruppen von Verwaltungsakten
161 161 162 167
LITERATURVERZEICHNIS Die nachstehende Aufstellung enthält nur die häufiger zitierten Schriften. Weitere Nachweise mit Fundstelle sind im T e x t angegeben. Alexander-Katz, Ernst
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Ungültige Verwaltungsakte, mit besonderer Berücksichtigung der Ungültigkeitsgründe, Mannheim/Berlin/Leipzig, 1927
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Die Gleichheit vor dem Gesetz nach Art. 3, Abs. 1 G G , i n : J Z 1951, 353
Bachof, O t t o
Die verwaltungsgerichtlidie Klage auf V o r n a h m e einer Amtshandlung, 1951, zitiert: Bachof, Klage
Bachof, O t t o
Der maßgebende Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung von Verwaltungsakten, i n : J Z 1954, 416
Bachof, O t t o
Urteilsanmerkung, in: J Z 1956, 35
Bachof, O t t o
Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, i n : V V D S t R L 12 (1954), 37
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Grundzüge der Rechtsphilosophie, Coing, Grundzüge
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Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, in: Festschrift für Carl Schmitt, 1959, S. 35, zitiert: Forsthoff, Umbildung
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Welche Maßnahmen empfehlen sich, um dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem Verbot sittenwidrigen Handelns auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts Geltung zu verschaffen? abgedruckt in: Sechster Deutscher Juristentag in der Tschechoslowakei, 1933, S. 135—180
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Die Rechtsnorm von Treu und Glauben im Verwaltungsrecht, Diss. Hamburg, 1933
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Das Grundgesetz, ein Kommentar f ü r Wissenschaft und Praxis
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Die Verwirkung beamtenrechtlicher Gehalts- und Versorgungsansprüche, in: RiA 1957, 177
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Haueisen, Fritz
Urteilsanmerkung zu OVG Berlin (DVBl. 1957, 503), in: DVBl. 1957, 506
Haueisen, Fritz
Urteilsanmerkung zu BVerwG (DVBl. 1957, 497), in: DVBl. 1957, 751
Haueisen, Fritz
Urteilsanmerkung zu BGH (NJW 1956, 1918), in: N J W 1957, 385
Haueisen, Fritz
Zur Frage der Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte, in: N J W 1958, 1661
Haueisen, Fritz
Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, in: N J W 1958, 1065
XVI Haueisen, Fritz
Urteilsanmerkung zu BVerwG (NJW 1958, 154), in: N J W 1958, 642
Haueisen, Fritz
Urteilsanmerkung, in: N J W 1958, 884
Haueisen, Fritz
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Der begünstigende und rechtsgestaltende Verwaltungsakt, in: N J W 1960, 1497
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Die Voraussetzungen der Rechtswidrigkeit Verwaltungsakts, in: N J W 1960, 1881
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Der Verwaltungsakt im Lichte neuerer Überlegungen, in: DÖV 1961, 121
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Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, Tübingen, 1932
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Die Interessenjurisprudenz und ihre neuen Gegner, in: AcP 142, 129
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eines
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Verwaltungs-
XXIV Wilke, H a n s Georg
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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS a. Α.
anderer Auffassung
a. a. O .
am angegebenen O r t
Abs.
Absatz
AcP
Archiv für civilistische Praxis (Band/Seite)
a. E.
am Ende
Amtl. MittBl. B A A
Amtliches
Mitteilungsblatt
des
Bundesausgleichs-
amtes (Jahrgang/Seite) ÄndG.
Änderungsgesetz
Anh.
Anhang
Anm.
Anmerkung
AO
Reichsabgabeordnung in der Fassung vom 2 2 . 5 . 1 9 3 1
Art.
Artikel
ASpG
Altsparergesetz
Aufl.
Auflage
BadVO
Landesherrliche Verordnung, das Verfahren in Verwaltungssadien betreffend, vom 31. 8. 1884 für Baden
Bad.-Württ.
Baden-Württemberg
BAG
Bundesarbeitsgericht
Bayr. V e r f G H
Bayrischer Verfassungsgerichtshof
Bayr. V G H
Bayrischer Verwaltungsgerichtshof
Bayr. VB1.
Bayrische Verwaltungsblätter (Jahrgang/Seite)
BB
D e r Betriebsberater (Jahrgang/Seite)
BBG
Bundesbeamtengesetz
Bd.
Band
BEG
Bundesentsdiädigungsgesetz
BerufsGen
Berufsgenossenschaft (Jahrgang/Seite)
BFH
Bundesfinanzhof
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
BKK
Die Betriebskrankenkasse (Jahrgang/Seite)
BSG
Bundessozialgericht
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
XXVI BVerfGE BVerwG BVerwGE DDB Diss. DÖD DÖV DV DVB1. EheG ESVGH
FG FGG GaststG GewO GG GO GVG GVB1. NW Hamb. OVG Hess. VGH InfLA insbes. i. S. JR JuS JW JZ LAG LSG LVG LZ m. a. W. m. E. MDR Nachw.
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band/Seite) Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Band/Seite) Der Deutsche Beamte (Jahrgang/Seite) Dissertation Der öffentliche Dienst (Jahrgang/Seite) Die öffentliche Verwaltung (Jahrgang/Seite) Die Verwaltung (Jahrgang/Seite) Deutsches Verwaltungsblatt (Jahrgang/Seite) Ehegesetz Entscheidungssammlung des Hessischen und Württemberg-Badischen Verwaltungsgerichtshofes (Band/ · Seite) Feststellungsgesetz Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit Gaststättengesetz Gewerbeordnung Bonner Grundgesetz Gemeindeordnung Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen, Ausgabe Β Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Hessischer Verwaltungsgerichtshof Informationen für den Lastenausgleich (Jahrgang/ Seite) insbesondere im Sinne Juristische Rundschau (Jahrgang/Seite) Juristische Schulung (Jahrgang/Seite) Juristische Wochenschrift (Jahrgang/Seite) Juristenzeitung (Jahrgang/Seite) Lastenausgleichsgesetz Landessozialgericht Landesverwaltungsgericht Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (Jahrgang/ Seite) mit anderen Worten meines Erachtens Monatsschrift für Deutsches Recht (Jahrgang/Seite) Nachweise
XXVII NJW NW OBG OLG OVG PBefG PrOVG PrVBl. PVG r. RG RGSt RGZ RiA RLA ROHG Rspr. RuPrVBl. S. s. Sachs. OVG Sgb SJZ Sp. StGB StVG ThürLVO
Neue Juristische Wochenschrift (Jahrgang/Seite) Nordrhein-Westfalen Ordnungsbehördengesetz Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Personenbeförderungsgesetz Preußisches Oberverwaltungsgericht Preußisches Verwaltungsblatt (Band/Seite) Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz rechte Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Das Recht im Amt (Jahrgang/Seite) Rundschau für den Lastenausgleich (Jahrgang/Seite) Reichsoberhandelsgericht Rechtsprechung Reichs- und Preußisches Verwaltungsblatt (Band [Jahrgang], Seite) Seite siehe Sächsisches Oberverwaltungsgericht Die Sozialgerichtsbarkeit (Jahrgang/Seite) Süddeutsche Juristenzeitung Spalte Strafgesetzbuch Straßenverkehrsgesetz Landesverwaltungsordnung für Thüringen vom 10. 6. 1926 in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. 7. 1930
u. U. VerwArch.
unter Umständen Verwaltungsarchiv (Jahrgang/Seite)
VerwRspr.
Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland, Sammlung oberstrichterlicher Entscheidungen aus dem Verfassungs- und Verwaltungsrecht (Band/Seite)
VG VGH vgl. VVDStRL
Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (Band [Jahrgang], Seite)
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
WAG
Währungsausgleichsgesetz
XXVIII WürttEVRO
E n t w u r f einer Verwaltungsrechtsordnung f ü r W ü r t temberg (1931)
ZBR
Zeitschrift f ü r Beamtenrecht (Jahrgang/Seite)
ZfS
Zeitschrift f ü r Sozialreform (Jahrgang/Seite)
Ziff.
Ziffer
ZLA
Zeitschrift f ü r den Lastenausgleich (Jahrgang/Seite)
ZMR
Zeitschrift f ü r Miet- und Raumrecht (Jahrgang/Seite)
Erster
Teil
EINFÜHRUNG I. Praktische Bedeutung
des
Themas
Das Problem der Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte ist infolge der sozialen und staatsrechtlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte sowie der jüngsten historischen Vorgänge heute in besonderem Maße aktuell geworden. Die Anfänge der Verwaltungsrechtswissenschaft in Deutschland liegen in einer Zeit, in der das öffentliche Leben polizeistaatlidien Charakter trug. Daraus erklärt sich, daß die ältere Lehre ihr Augenmerk insbesondere auf den belastenden Verwaltungsakt als das Instrument der sogenannten Eingriffsverwaltung richtete. Die Streitfragen dieses Kapitels der Lehre vom Verwaltungsakt sind deshalb weitgehend ausgetragen. In den wesentlichen Punkten herrscht insoweit Einigkeit, so daß Lehre und Praxis auf einen festen Bestand unstreitiger Erkenntnisse zurückgreifen können. Als Korrelat der Eingriffsverwaltung hat jedoch in neuerer Zeit die Leistungsverwaltung mehr und mehr an Bedeutung gewonnen. Der Grund dafür liegt nicht nur in den sozialen und staatsrechtlichen Veränderungen, die - vergröbernd gesehen - in der Wandlung vom Polizeizum Sozialstaat zum Ausdruck kommen, sondern insbesondere auch in den Kriegsfolgeaufgaben, die der Verwaltung nach 1945 zugefallen sind und die neue Zweige der Verwaltung erforderlich gemacht haben. Als Beispiele seien das Lastenausgleichswesen, der Wiederaufbau, die Wohnungswirtschaft, das Vertriebenenwesen, die Kriegsopferversorgung und Wiedergutmachung genannt. Das Instrument dieser vornehmlich gewährenden und leistenden Verwaltung ist der begünstigende Verwaltungsakt, durch den dem Bürger Art und Maß seiner Teilhabe an den Staatsleistungen zugeteilt wird. In welchem Umfange begünstigende Verwaltungsakte erlassen werden, ist kaum vorstellbar. So weiß Haueisen 1 zu berichten, daß ein Versicherungsträger in wenigen Monaten über eine Million Rentenzuteilungen, also begünstigende Verwaltungsakte, emittiert hat. Mit der Zahl der
1 DVB1. 1960, 913, siehe auch D Ö V 1961, 123; für das Gebiet des Lastenausgleidisredits vgl. die Zahlenangaben bei Schaefer in R L A 1955, 307 und für die Rentenversicherung bei Rösener a. a. O . S. 512.
ι
Ossenbühl,
Riidcnahme, 2. Aufl.
2 Verwaltungsakte wächst n a t u r g e m ä ß auch der U m f a n g der Fehler und Mängel. I m B r e n n p u n k t der Diskussion steht deshalb in neuerer Zeit der fehlerhafte begünstigende Verwaltungsakt. II. Problemstellung
und Ziel der
Arbeit
Die vorliegende Arbeit macht es sich nicht zur Aufgabe, die im besonderen Verwaltungsrecht f ü r spezielle Rechtszweige bestehenden Rücknahmeregeln zusammenzutragen und rechtsvergleichend oder kritisch darzustellen. Vielmehr soll das Rücknahmeproblem nur f ü r d e n Bereich des Rechts erörtert werden, in dem ausdrückliche gesetzliche Vorschriften über die Rücknahme entweder ganz oder teilweise fehlen. Die Darstellung unternimmt den Versuch, f ü r dieses Gebiet nicht abschließender gesetzlicher Regelung ein Rücknahmesystem herauszuarbeiten, das auf Verfassungsgrundsätzen sowie unserer Rechtsordnung immanenten ungeschriebenen Rechtssätzen beruht u n d sowohl dogmatisch begründet als auch f ü r den Rechtsanwender praktisch zu h a n d h a b e n ist. Wer die neuere Rechtsprechung zum Rücknahmerecht kennt, wird diesem Bemühen skeptisch gegenübertreten und darauf hinweisen, d a ß sich in der Praxis bereits eine weitgehend anerkannte und gefestigte A u f fassung gebildet habe, mit der tragbare und befriedigende Ergebnisse erzielt worden seien. Eine wissenschaftliche Untersuchung verliert jedoch nicht schon dann an A k t u a l i t ä t u n d Daseinsberechtigung, wenn die Rechtsprechung mit einem bestimmten Rechtsproblem auf irgendeine Weise in befriedigendem M a ß e fertig w i r d , sondern die Rechtslehre h a t vielmehr auch und insbesondere die Aufgabe, den Weg der Rechtsfindung kritisch zu überprüfen u n d - falls nötig - neue Wegweiser aufzustellen. Mit Recht bemerkt der V G H Baden-Württemberg in seinem Urteil v o m 30. O k t o b e r 1959 2 , d a ß insoweit bisher dogmatisch sicher begründete Untersuchungen fehlen. Die nachfolgenden Ausführungen greifen deshalb nicht in erster Linie die Ergebnisse der Rechtsprechung an, um sie als unbillig hinzustellen, Angriffsziel wird vielmehr vor allem die Methode der Rechtsfindung sein. Die ältere Rechtsprechung und Lehre werden dabei nur berücksichtigt, soweit das d o r t vorhandene Gedankengut auch heute noch verwertet werden k a n n . III.
Terminologie
1. Rücknahme Wer sich zu Problemen der Lehre vom Verwaltungsakt äußert, sieht sich zunächst vor die Notwendigkeit gestellt, den Inhalt der von ihm verwendeten Begriffe abzugrenzen. Eine einheitliche Begriffssprache fehlt auch heute noch. Die allgemein herrschende Sprachverwirrung erschwert insbesondere das Verständnis der Literatur. « ZBR 1960, 163 (164).
3 Dickmann 3 unterscheidet, ausgehend von den Rechtswirkungen, die Aufhebung und den Widerruf. Mit Aufhebung bezeichnet er die Vernichtung des Verwaltungsaktes mit Zukunftswirkung (ex nunc), mit Widerruf die rückwirkende Beseitigung eines Verwaltungsaktes (ex tunc). Schütz 4 dagegen versteht unter Widerruf die Beseitigung eines begünstigenden Verwaltungsaktes, während er f ü r die Beseitigung belastender Verwaltungsakte den Begriff Rücknahme verwendet. Wolff 5 bezeichnet als „Aufhebung" die Kassation eines Verwaltungsaktes in einem förmlichen Rechtsmittelverfahren mit ex tunc-Wirkung, während er den Begriff „Widerruf" für die Beseitigung eines Verwaltungsaktes durch eine Behörde außerhalb eines Rechtsmittelverfahrens mit ex nunc- oder ex tunc-Wirkung verwendet. Noch andere Begriffe benutzt Ipsen 0 . Er schlägt f ü r die Beseitigung fehlerfreier Verwaltungsakte die Bezeichnung „Widerruf" vor und will f ü r die Beseitigung fehlerhafter Verwaltungsakte die Begriffe „Anfechtung" oder „Nichtigkeitsfeststellung" reservieren. „Rücknahme" und „Aufhebung" hält er f ü r farblose Wendungen, die nicht auf den kranken (fehlerhaften) Verwaltungsakt hindeuten. Bezeichnend ist, daß das Bundesverwaltungsgericht 7 sich angesichts dieser Sprachverwirrung in einer Entscheidung veranlaßt sah, die Begriffe doppelt zu verwenden, indem es, wenn von Widerruf die Rede war, in Klammern den Begriff „Rücknahme" hinzufügte. Die herrschende Meinung verwendet als Oberbegriff das Wort „Aufhebung", das die Rücknahme und den Widerruf umfaßt. Als Widerruf wird die Aufhebung fehlerfreier Verwaltungsakte bezeichnet, während der Begriff „Rücknahme" f ü r die Aufhebung fehlerhafter Verwaltungsakte verwendet wird 8 . Ein Begriff hat in der Gesetzessprache in erster Linie die Funktion, als terminus technicus einen bestimmten Sachverhalt oder Rechtsgedanken zu kennzeichnen. Es entspricht der Zweckmäßigkeit, wenn der ge3 D Ö V 1957, 282. * D Ö D 1956, 102 und D Ö V 1958, 449; zustimmend Walter Schäfer in DVB1. 1960, 837 (839). « Lehrbuch § 53, I c. 6 Verwaltungsakte S. 12. ι N J W 1960, 692. 8 vgl. Baring in JR 1960, 241 (243); Forsthoff, Lehrbuch S. 239 Anm. 1, in der er seine frühere Terminologie aufgibt; Friesenhahn, S. 258; Haueisen in N J W 1954, 1425 und DVB1. 1957, 506; Klinger § 42 E IV 1; G. Lange in D Ö D 1956, 221 Anm. 1, Nitschke InfLA 1955, 5; Piechulek in JR 1957, 248; Ridi ter in ZLA 1955, 53; Rösener a . a . O . S. 507; Sommer in D Ö V 1954, 655 (656); Schaefer in RLA 1955, 305 Anm. 2, der darauf hinweist, daß auch der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des 4. ÄndG.-LAG im wesentlichen dieser Terminologie folgt; Weber in BKK 1960, 234, 235; Wilke S. 16; BVerwG in N J W I960, 1487; BSG in N J W 1956; 968; OVG Berlin in DVBL. 1957, 503 (504) = D Ö V 1957, 753; Bad.-Württ. V G H in ZBR 1960, 163, OVG Koblenz Urt. v. 28. 7. 1960 — zit. bei Schunck-De Clerck § 42 2.c (S. 179); Amtl. MittBl. BAA 1956, 491. l'
4 wählte Begriff in treffender Form das Typische des zu bezeichnenden Sachverhalts herausstellt. Die aufgezeigten in der Literatur geprägten Begriffe für die Beseitigung des Verwaltungsaktes sollen diesem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit entgegenkommen. So weiß jeder Begriffsschöpfer einige Argumente anzuführen, die für seine Begriffswahl sprechen. Es könnte nunmehr in eine Prüfung dieser Argumente eingetreten werden, um schließlich herauszufinden, wer die triftigeren Gründe auf seiner Seite hat. Ein solches Unternehmen erscheint jedoch wenig sinnvoll und ist wissenschaftlich unergiebig 9 , einmal deswegen, weil der praktische Ertrag einer solchen Untersuchung angesichts der nur geringen Differenzen in keinem Verhältnis zum A u f w a n d stünde, zum anderen, weil es sich nicht empfiehlt, die sich anbahnende Verfestigung der Begriffssprache zu einer allgemeinen Meinung in ihrer Entwicklung zu stören 10 . Deshalb wird den folgenden Ausführungen die Begriffssprache der herrschenden Meinung zugrundegelegt, nach der mit Rücknahme die Aufhebung fehlerhafter und mit Widerruf die Aufhebung fehlerfreier Verwaltungsakte bezeichnet wird. 2. Begünstigender Verwaltungsakt Da die vorliegende Untersuchung den begünstigenden Verwaltungsakt zum Gegenstand haben soll, bedarf nodi der Klärung, wann ein Verwaltungsakt begünstigenden Charakter hat. Begünstigend ist ein Verwaltungsakt sicher dann, wenn er dem Aktadressaten lediglich rechtliche Vorteile bringt 11 , während ein Verwaltungsakt den Adressaten belastet, wenn er ihm neue Pflichten auferlegt oder bestehende konkretisiert. D a ß ein Verwaltungsakt nur e i n e fest umrissene Pflicht oder e i η bestimmt begrenztes Recht regelt, ist die Ausnahme. In den meisten Fällen ist Regelungsgegenstand eines Verwaltungsaktes eine Rechtsposition, die sowohl Rechte als auch Pflichten umfaßt, ζ. B. die Beamtenernennung, die f ü r den Ernannten die Dienstleistungspflicht begründet, aber ihn zugleich auch mit einer Anzahl von Rechten gegen den Dienstherrn ausstattet, oder die Verleihung der 9 Zur Fruchtlosigkeit einer terminologischen Kontroverse vgl. Bachof in V V D S t R L 19 (1961), 249. 10 D a s mag auch ein Grund dafür sein, weshalb Forsthoff in der 7. A u f l . S. 239 seine Terminologie aufgibt und der herrschenden folgt. D a ß es im wesentlichen darauf ankommt, ü b e r h a u p t gemeinsame Begriffe zu finden, betont m. E. zu Recht Schaefer in R L A 1955, 305 A n m . 2 11 Schäfer bezeichnet diese Auffassung v o m begünstigenden Verwaltungsakt als die „herkömmliche" und belegt seine Feststellung durch ein Zitat aus Peters' Lehrbuch der Verwaltung, 1949, S. 155, um sodann diese Auffassung als zu eng zu verwerfen. Er übersieht, daß Peters in einem Nachsatz ausdrücklich hinzufügt: „ D a ß mit einem begünstigenden Verwaltungsakt auch Verpflichtungen verbunden sind, ändert seinen Charakter nicht." Wie Schäfer dazu kommt, diese Definition als die „herkömmliche" hinzustellen, bleibt uner sichtlich.
5 Staatsangehörigkeit, die den Schutzanspruch des verleihenden Staates begründet, aber dem Adressaten zugleich auch die Wehrpflicht auferlegt. Auch solche V e r w a l t u n g s a k t e , die dem Adressaten Rechte verleihen und ihm zugleich Pflichten auferlegen, k ö n n e n begünstigenden C h a r a k t e r haben 1 2 . Es k o m m t d a r a u f an, ob die rechtlichen Vorteile die Nachteile überwiegen, m i t a n d e r e n W o r t e n ob die Rechtsstellung des Adressaten insgesamt verbessert w o r d e n ist. N i c h t erforderlich ist, d a ß durch den V e r w a l t u n g s a k t ein subjektives öffentliches Recht b e g r ü n d e t wird 1 3 . Es genügt, „ w e n n der V e r w a l t u n g s a k t die Rechtsstellung des Adressaten in einer A r t u n d Weise k o n k r e t i siert, d a ß m a n eine Begünstigung schlechterdings nicht verneinen k a n n " 14 . Wesensbestimmend f ü r den begünstigenden V e r w a l t u n g s a k t ist nicht, d a ß er Rechte (konstitutiv) b e g r ü n d e t . Eine Begünstigung ist auch darin zu erblicken, d a ß ein bereits bestehendes Recht b z w . eine Rechtsposition (deklaratorisch) f e s t g e s t e l l t oder bestätigt wird 1 5 . Die Rechtsprechung 1 6 h a t deshalb ζ. B. Pensionsfestsetzungsbescheide oder Bescheide über die Feststellung v o n Versorgungs- oder H i n t e r b l i e b e n e n bezügen als begünstigende V e r w a l t u n g s a k t e eingeordnet u n d sie den allgemeinen Regeln über die R ü c k n a h m e solcher V e r w a l t u n g s a k t e unterw o r f e n . D a s Bundesverwaltungsgericht 1 7 h a t die Begünstigung bei feststellenden V e r w a l t u n g s a k t e n darin erblickt, d a ß die Rechtsposition des Adressaten durch Konkretisierung der gesetzlichen Bestimmungen verbessert werde. Die Begünstigung k ö n n e allein in der formellen Bedeutung des V e r w a l t u n g s a k t e s liegen. Dieser A u f f a s s u n g ist z u z u s t i m m e n , denn mit dem E r l a ß des Feststellungsbescheides w i r d f ü r den Adressaten die Durchsetzung seiner Rechte näher gerückt u n d erleichtert. Eine objektiv bestehende Rechtsposition k a n n wertlos sein, w e n n sie v o n anderen Rechtsbeteiligten mißachtet w i r d u n d nicht zu verwirklichen ist. Deshalb bedeutet jeder Schritt z u r allgemeinen A n e r k e n n u n g einer Rechtsposition
vgl. Peters, Lehrbuch S. 155; Bachof, Klage, S. 22; Koellreuter, S. 39. a. A. Strickstrock, S. 231, der zwischen echtem und uneditem begünstigenden Verwaltungsakt unterscheidet. Für den echten begünstigenden V e r w a l tungsakt sieht er als wesensbedingt die Begründung eines subjektiven öffentlichen Rechts an, während er als unechten begünstigenden Verwaltungsakt einen soldien bezeichnet, der lediglich ein bereits bestehendes subjektives öffentliches Recht feststellt oder bestätigt. 18
« Menger in VerwArch. 1959, 88. 15 vgl. Peters, Lehrbuch, S. 155; Wolff, Lehrbuch, § 47 VI b; Tietgen in DVB1. 1958, 472; Haueisen in DVB1. I960, S. 913 (916) und N J W 1958, 441 (442); Menger in VerwArch. 1959, 88; v o n Müller in Z L A 1957, 225; O t t o in D D B 1959, 157. 16 B V e r w G in N J W 1960, 258 = DVB1. 1959, 626 = B V e r w G E 8, 261; N J W I960, 692; DVB1. 1958, 653; N J W 1961, 475. "
N J W 1960, 258 =
DVB1. 1959, 626.
6 und zu ihrer Durchsetzbarkeit eine weitere Verfestigung der Rechte und damit eine Begünstigung für den Rechtsinhaber 18 . Diese Verfestigung der Rechte des Adressaten kommt auch darin zum Ausdruck, daß er durch den Erlaß des Verwaltungsaktes prozessual günstiger gestellt wird; denn mit dem Erlaß des Verwaltungsaktes ist eine Umkehr der Beweislast im Verwaltungsprozeß verbunden. Zwar gibt es im Verwaltungsprozeß auf Grund des hier herrschenden Untersuchungsgrundsatzes keine subjektive Beweislast im Sinne einer Beweisführungspflicht, jedoch hat nach allgemeiner Auffassung 1 9 derjenige, der sich auf eine ihm günstige Regelung beruft, die Folgen gegen sich gelten zu lassen, wenn es ihm nicht gelingt, eine bei Gericht bestehende Ungewißheit, ob auf ihn die Voraussetzungen für die günstige Regelung zutreffen, auszuräumen. Wenn nun die Verwaltung von Anfang an Ansprüche verneint und der Bürger dagegen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage vorgeht, trägt er die Rechtsfolgen, wenn sich das Gericht nicht von der Berechtigung seiner Ansprüche überzeugen kann. H a t die Behörde dagegen durch Verwaltungsakt zunächst die Ansprüche anerkannt und will sie später bei erkannter Fehlerhaftigkeit den Akt zurücknehmen, so geht die Ungewißheit über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nunmehr zu ihren Lasten 20 . Daraus folgt, daß der Bürger auch durch den Erlaß eines feststellenden Verwaltungsaktes begünstigt wird. Leistungen, die durch einen Verwaltungsakt zuerkannt werden, begünstigen den Adressaten auch dann, wenn er die Zuerkennung höherer Leistungen beantragt hatte. 3. Fehlerhafter Verwaltungsakt Ferner ist noch zu klären, wann ein Verwaltungsakt als fehlerhaft anzusehen ist. Fehlerhaft ist ein Verwaltungsakt dann, wenn er in einem das Recht verletzenden Verfahren zustandegekommen ist oder (und) der in ihm enthaltene Staatsausspruch mit der Rechtsordnung nicht in Einklang steht, mit anderen Worten wenn er rechtswidrig ist. Fraglich erscheint, wie der irrtümlich erlassene Verwaltungsakt zu beurteilen ist. Fest steht, daß der Irrtum nicht immer zur Rechtswidrigkeit führt und daß er allein niemals Widerrufsgrund ist 21 . Vielmehr kommt es darauf an, wie der Irrtum der Behörde beschaffen ist. Wendet die Behörde eine gesetzliche Bestimmung falsdi an oder übersieht sie ein!8 Mit Recht spricht Haueisen in DVB1. 1960, 913 (9ιό) von einem gewissen „Rechtswert" den feststellende Verwaltungsakte schon kraft ihrer Existenz haben. Diese Auffassung hat Haueisen in D Ö V 1961, 121 (124 f.) weiter untermauert; vgl. audi Piediulek in JR 1957, 247 und Fleiner, Institutionen, S. 182; ferner G. Lange in D Ö D 1956, 222. « vgl. Eyermann-Fröhler § 86, 5; Luke in JuS 1961, 44; Bayr. V G H in VerwRspr. 9, 53 (54). 20 vgl. den Fall Bayr. V G H in VerwRspr. 9, 53. 2« Ipsen, Widerruf, S. 128; Fleiner, Institutionen, S. 207; Wolff, § 53 III
(S. 296).
7 zelne Vorschriften, befindet sie sich also in einem Gesetzesirrtum, so ist der Verwaltungsakt rechtswidrig, also entweder fehlerhaft oder nichtig. Irrt die Behörde über Tatsachen, so ist zu unterscheiden, ob der Irrtum im Bereich der reinen Gesetzesanwendung (gebundene Verwaltungsakte) oder in der Sphäre des freien Ermessens (freie Verwaltungsakte) liegt. Geht die Behörde bei gebundenen Verwaltungsakten von einem falschen Sachverhalt aus, so steht der Verwaltungsakt im Widerspruch zum Gesetz und ist rechtswidrig. Irrt sie sich dagegen im Rahmen des freien Ermessens, so liegt lediglich Zweckwidrigkeit, nicht aber Gesetzwidrigkeit des Verwaltungsaktes vor 2 2 . Einer besonderen Stellungnahme bedarf es in diesem Zusammenhang zu der Frage, ob ein Verstoß gegen nachgiebiges Redit, beispielsweise gegen sogenannte Sollvorschriften, den erlassenen Verwaltungsakt rechtswidrig macht. Dieser Punkt hat in der bisherigen Rechtsprechung eine zwiespältige Beurteilung erfahren. Teils wurde Rechtswidrigkeit angenommen, teils verneint 2 3 . Die Unklarheiten liegen m. E. hier darin begründet, daß die scharfe Trennungslinie zwischen Tatbestand und Rechtsfolge nicht genügend beachtet wird. Setzt man Rechtswidrigkeit gleich Widerspruch gegen die geltende Rechtsordnung, so ergibt sich von selbst, daß auch die Verletzung sogenannter Sollvorschriften zur Rechtswidrigkeit führt. Auch eine Sollvorschrift enthält ein Gebot oder Verbot an die Rechtsunterworfenen, sich in bestimmter Weise zu verhalten. Sie sind nicht nur unverbindliche Empfehlungen des Gesetzgebers, sondern Rechtssätze, die Beachtung verdienen 2 4 . D i e Fassung einer Rechtsnorm als Sollvorschrift deutet lediglich an, daß ihre Nichtbeachtung keine R e c h t s f o l g e n auslöst 2 5 . Es besteht eine rechtlich unbeachtliche Rechtswidrigkeit. D i e Frage des Verstoßes gegen Sollvorschriften betrifft also lediglich die Fehlerfolge 2 6 . Allgemeine Ubereinstimmung herrscht darüber, daß bloße Versehen nicht zur Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes führen. H i e r z u rechnen etwa Schreibfehler, unrichtige, aber die Personenidentität nicht in Zweifel stellende Bezeichnungen, falsche Zitate über Gesetzesfundstellen usw. Derartige Versehen sind ohne weiteres zu berichtigen 2 7 . § 118 V w G O 2 2 v g l . d a z u Peters, Lehrbuch, S. 165 ( 1 6 9 ) ; Forsthoff, Lehrbuch, S. 223; v. H i p p e l S. 122 f.; Jellinek, Lehrbuch, S. 2 8 4 ; Ipsen, W i d e r r u f , S. 177 ff. (121); Baring in DVB1. 153, 426, richtig auch H a m m e r s c h m i d t S. 27, 29, 32 und Seibert, S. 19, anders K o r m a n n , S. 381. 23 vgl. d a z u u n t e n S. 15 f. 2< vgl. Jellinek, Gesetz, S. 113 f. " vgl. Wolff, § 53 I I e (S. 2 9 2 ) ; P r O V G 79, 41 (43). 28 vgl. Jellinek, Lehrbuch, S. 268 und S t a a t s a k t , S. 32, siehe ferner Andersen, S. 51 f., der ausführlich zur Unterscheidung zwischen Ungültigkeit und Rechtswidrigkeit Stellung nimmt und zu dem Ergebnis k o m m t , d a ß nicht jede „ U n r e g e l m ä ß i g k e i t " (Rechtswidrigkeit) eine Rechtsfolge zeitigt. « vgl. Wolff, § 51 V I I ; F o r s t l o f f , Lehrbuch, S. 2 0 5 ; B S G in N J W 1961, 2231.
8 ordnet an, d a ß Schreibfehler, R e c h e n f e h l e r und ähnliche offenbare U n richtigkeiten im U r t e i l j e d e r z e i t v o m Gericht zu berichtigen sind. W a s für U r t e i l e gilt, m u ß erst recht für V e r w a l t u n g s a k t e G ü l t i g k e i t h a b e n . E i n e n w e i t e r e n S t r e i t p u n k t bildet dagegen die F r a g e , o b Rechtsw i d r i g k e i t eines V e r w a l t u n g s a k t e s auch d a n n vorliegt, w e n n sich lediglich die Rechtsanschauung gewandelt h a t oder sich die B e h ö r d e später eine abweichende Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift zu eigen macht oder einen S a c h v e r h a l t später abweichend würdigt. H a u e i s e n 2 8 n i m m t auch hier R e c h t s w i d r i g k e i t an u n d macht geltend, die F r a g e , o b ein V e r w a l t u n g s a k t rechtswidrig sei, k ö n n e ü b e r h a u p t nicht v o n s u b j e k t i v e n „Anschauungen" abhängen, vielmehr sei in j e d e m F a l l zu p r ü f e n , o b o b j e k t i v das Gesetz falsch ausgelegt oder der S a c h v e r h a l t unzutreffend gewürdigt w o r d e n sei. D a s Bundessozialgericht 2 9 steht auf demselben S t a n d p u n k t . D a g e g e n h a t das Bundesverwaltungsgericht ( 4 . S e n a t ) 3 0 zunächst die Ansicht v e r t r e t e n , d a ß R e c h t s w i d r i g k e i t eines V e r w a l t u n g s aktes nicht a n z u n e h m e n sei, w e n n sich lediglich die Rechtsanschauung gew a n d e l t h a b e . I n einer neueren E n t s c h e i d u n g 3 1 f ü h r t derselbe S e n a t j e doch aus, rechtswidrig sei derjenige V e r w a l t u n g s a k t , welcher durch u n richtige A n w e n d u n g bestehender Rechtssätze zustande g e k o m m e n sei. E i n e Auslegung sei dann unrichtig, wenn sie sich nach „geläuterter Rechtsanschauung" als unrichtig erweise. D a r a u s hat H a u e i s e n 3 2 gefolgert, d a ß das Bundesverwaltungsgericht seine f r ü h e r v e r t r e t e n e Rechtsansicht offensichtlich aufgegeben habe. Diese F o l g e r u n g ist m. E . jedoch n u r bedingt richtig, denn „ g e w a n delte Rechtsanschauung" u n d „geläuterte Rechtsanschauung" sind nicht identisch. D e r rein sprachliche Unterschied zwischen diesen beiden B e griffen f ü h r t auch, was noch zu zeigen sein w i r d , zu n o t w e n d i g e n sachlichen D i f f e r e n z i e r u n g e n . W e n n m a n das Bundesverwaltungsgericht beim W o r t e n i m m t , so bedeutet „geläuterte Rechtsanschauung" so viel w i e „gereinigte 3 3 Rechtsanschauung", und z w a r gereinigt v o n I r r t ü m e r n in der Gesetzesauslegung, D e n k f e h l e r n und logischen Fehlschlüssen. D e r L ä u t e r u n g s p r o z e ß 28 N J W 1958, 642; N J W I960, 1883; N J W 1962, 335; ebenso Weber in B K K 1960, 236; Wolff § 53 III (S. 296); von Müller in Z L A 1957, 244 und für den Fall abweichender Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse EyermannF röhler, § 42 Anh. 44. 29 N J W 1959, 1607; N J W 1961, 988; ebenso O V G Rheinl.-Pfalz in MDR 1961, 354 und VG Hannover in DVB1. 1961, 169 (170). so N J W 1958, 154 = D Ö V 1957, 912; ebenso Schäfer in RLA 1955, 342; Amtl.MittBl. BAA 1956, 491. « N J W 1962, 360 (361). 32 N J W 1962, 335. 33 Das dem Partizip „geläutert" entsprechende Adjektiv „lauter" hat die Grundbedeutung „gewaschen" (lat. lautus); vgl. dazu Kluge/Götz, Etymologisches Wörterbuch, 15. Aufl., 1951 und Ernst Wasserzieher, Woher?, Ableitendes Wörterbuch der deutsdien Sprache, 11. Aufl., 1948.
9 betrifft also die Erkenntnis eines objektiv gegebenen Rechtszustandes bei unveränderten tatsächlichen Verhältnissen. Er wird vorbereitet und vollzogen durch tieferes Eindringen in die Rechtsmaterie und aufklärende Forschungsarbeit durch Lehre und Rechtsprechung. Die auf diese Weise durch „lautere Erkenntnis" bewirkte Veränderung der Rechtsanschauung kann man freilich auch als „Wandlung" bezeichnen; jedoch ist der Begriff der Wandlung umfassender. Der Läuterungsprozeß ist nämlich ein im wesentlichen rationaler Erkenntnisvorgang, der sich auf der Grundlage unveränderter ethischer und gesellschaftlicher Wertmaßstäbe vollzieht. Eine Wandlung der Rechtsanschauung geht aber auch mit der Veränderung dieser Wertmaßstäbe einher, ohne daß man in diesem Fall von einer Läuterung sprechen könnte. Konkret ausgedrückt: Was in der Nazizeit als rechtens angesehen wurde, wird heute zumeist als unrichtig verworfen oder ζ. B. Begriffe wie Freiheit und Demokratie sind nicht „lauter" erkennbar, sondern erhalten Inhalt und Färbung durch die in der Gesellschaft vorhandenen Anschauungen. Die Wandlung ist demnach der neutralere umfassendere Oberbegriff, der die Läuterung in sich schließt. Daraus folgt für das gestellte Problem, daß ein Verwaltungsakt als rechtswidrig anzusehen ist, wenn er sich nach „geläuterter Rechtsanschauung" als fehlerhaft erweist, denn auch ein allgemein verbreiteter Irrtum kann nicht die zunächst latent vorhandene Diskrepanz zwischen Sollen und Sein überbrücken. Dasselbe gilt, wenn sich die Behörde später eine abweichende Auslegung zu eigen macht oder einen Sachverhalt abweichend würdigt, denn auch hier liegen Fehler in der Rechtsanwendung, d. h. Erkenntnisfehler vor 34 . Dagegen ist ein Verwaltungsakt nicht als rechtswidrig zu bezeichnen, wenn sein Erlaß nach gewandelten Wertmaßstäben, die in der Gesellschaft vorhanden sind, mißbilligt und als mit dem Recht unvereinbar bezeichnet wird, denn das Werturteil von gestern wird nicht unrichtig, sondern hat in der Zeit, in der es gefällt wurde, volle Gültigkeit. Die oben skizzierten Unterschiede verlieren jedoch dadurch an praktischem Interesse, daß sich die Wertmaßstäbe in der Gesellschaft kaum von heute auf morgen verändern werden, sondern zumeist in einem zähen und langjährigen Wandlungsprozeß andere Gestalt annehmen. Gleicliwohl erscheint es nötig, die aufgezeigten Differenzierungen klarzulegen, wenn audi diese Ausführungen sich auf Andeutungen der vielschichtigen und schwierigen Problematik beschränken müssen.
ebenso O V G Rheinl.-Pfalz in M D R 1961, 354 und V G H a n n o v e r in DVBl. 1961, 169 (170).
Zweiter
Teil
DIE R Ü C K N A H M E FEHLERHAFTER BEGÜNSTIGENDER V E R W A L T U N G S A K T E IM A L L G E M E I N E N Der zweite Teil gliedert sich in zwei Kapitel. Im ersten Kapitel soli zunächst der Stand der Diskussion über die Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte in Lehre und Rechtsprechung dargestellt werden. Dabei wird insbesondere Wert darauf gelegt, die Grundlinien der herrschenden Meinung zum Rücknahmerecht herauszuarbeiten und systematisch zu ordnen. Um den Blick für die herrschende Auffassung freizuhalten, werden Sondermeinungen bei dieser Bestandsaufnahme nur kurz und in ihren wesentlichen Punkten erörtert und audi bereits kritisch gewürdigt. Anschließend folgt eine kritische Auseinandersetzung, in der Bedenken gegen die h e r r s c h e n d e Gerichtspraxis und Lehre zum Rücknahmerecht vorgetragen und ihre Schwächen und Mängel aufgespürt werden sollen. Die kritische Stellungnahme endet mit einem Ausblick auf Ansatzpunkte f ü r eine neue Lösung. Dieser Versuch eines neuen Systems des Rücknahmerechts wird im zweiten Kapitel unternommen. In ihm wird die Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Schrifttum in den Einzelheiten fortgesetzt, wobei nunmehr auch Einwände und Sondermeinungen, die im ersten Kapitel aus Gründen des Verständnisses und der Übersicht außer Betracht geblieben sind, erörtert werden. Erstes
Kapitel:
Stellungnahmen in Rechtsprechung und Lehre
A. D i e A u f f a s s u n g e n
der
I. Geschichtlicher
Rechtsprechung Überblick
Die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte ist erst in der Nachkriegsrechtsprechung als problematisch empfunden worden. Wenn sich auch gegenwärtig bereits feste Grundlinien auf diesem speziellen Gebiet des Rücknahmerechts abgezeichnet haben, so ist die Diskussion um die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte noch nicht zu einem endgültigen und befriedigenden Abschluß gelangt. Die in jüngster Zeit ergangenen Entscheidungen weichen in wesentlichen Fragen zum Teil noch erheblich voneinander ab, so daß ein
11 fest durchgebildetes und scharf umrissenes Rücknahmesystem audi heute noch fehlt. Die ältere Rechtsprechung hat in der Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte keine Problematik gesehen. Vor dem zweiten Weltkrieg haben die Gerichte allgemein angenommen, fehlerhafte Verwaltungsakte dürfe die Verwaltung jederzeit zurücknehmen 35 . Dabei wurde zwischen begünstigenden und belastenden Verwaltungsakten kein Unterschied gemacht. Nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 hat die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit zunächst diese Praxis fortgesetzt 30 . Widerspruch gegen die These von der freien Rücknahme ist bis heute nicht erhoben worden, soweit es b e l a s t e n d e Verwaltungsakte anlangt. Die Beseitigung belastender Verwaltungsakte wirft auch keine Probleme auf, weil sie f ü r den Bürger eine Begünstigung bedeutet. Dagegen hat sich die Auffassung in der Frage der Rücknahme rechtswidriger b e g ü n s t i g e n d e r Verwaltungsakte in grundlegender Weise gewandelt. D a ß insbesondere die Nachkriegsrechtsprechung sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen hatte, hat seinen Grund in der umfangreichen Kriegsfolgengesetzgebung. Die Vermögensumschichtungen und Entschädigungszahlungen auf Grund des Lastenausgleichsgesetzes, des Bundesentschädigungsgesetzes, des Gesetzes nach Art. 131 GG, des Gesetzes über die Versorgung von Kriegshinterbliebenen u. a. m. hat die Zahl der begünstigenden Verwaltungsakte in bisher nicht gekanntem Ausmaß anschwellen lassen. In der Frage der Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte betraten die Gerichte weithin unerforschten Boden. Es ist deshalb erklärlich, daß die zunächst ergangenen Entscheidungen vielfach vom Ergebnis her bestimmt und von der Eigenart des in Betracht stehenden Rechtszweigs des besonderen Verwaltungsrechts geprägt sind. II. Grundsatz
der freien
Rücknahme
In der Gewöhnung, nach Regel und Ausnahmen fassen sich die einschlägigen Entscheidungen zunädist rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte g r u n rückgenommen werden können, um vom Boden eines tuelle Ausnahmen zu erfassen.
zu judizieren, bemit der Frage, ob d s ä t z l i c h zuGrundsatzes even-
3 « vgl. z . B . R G Z 34, 243; Sachs. O V G in J W 1935, 2463; zur Rechtsprechung des P r O V G siehe Schoen a. a. O . und Gerber in V e r w A r d i . 1931, S. 72 ff.; zur Rechtsprechung des badisdien, bayrischen, sächsischen und w ü r t tembergischen Verwaltungsgerichtshofes b z w . Oberverwaltungsgerichtes vgl. Zinser in VerwArch. 1934 259 ff. 36 vgl. V G H München in VerwRspr. 4, 144; B V e r w G in N J W 1955, 316; B G H in N J W 1951, 359; O V G Münster in Z M R 1953, 132 und D Ö V 1956, 151; vgl. auch Weber in B K K 1960, 236, der den Umschwung der Rspr. auf das Jahr 1956 datiert, in dem das O V G Berlin sich gegen die bis dahin herrschende Rspr. w a n d t e , vgl. dazu u n t e n S. 13.
12 D i e überwiegende Rechtsprechung 3 7 steht auf dem S t a n d p u n k t , d a ß rechtswidrige begünstigende V e r w a l t u n g s a k t e frei zurückgenommen werden können. Eine nähere B e g r ü n d u n g f ü r die Gültigkeit dieses G r u n d satzes ist nur vereinzelt zu finden. Z u m Teil w i r d auf den „allgemein anerkannten R e c h t s g r u n d s a t z " B e z u g genommen 3 8 . Zuweilen wird auch auf die „überwiegende M e i n u n g " , die sich in neuerer Zeit herausgebildet habe, verwiesen 3 9 . D a s O V G L ü n e b u r g 4 0 , der bayrische V G H 4 1 , der V G H K a s s e l 4 2 und der V G H B a d e n - W ü r t t e m b e r g 4 3 leiten den G r u n d s a t z der freien Rücknahme aus dem verfassungsmäßigen G r u n d s a t z der Gesetzmäßigkeit der V e r w a l t u n g ab, der in A r t . 2 0 A b s . 3 G G seinen Ausdruck g e f u n d e n hat. D a die V e r w a l t u n g rechtsgebundene V e r w a l t u n g sei, müsse ihr g r u n d sätzlich eingeräumt werden, d a ß sie zur Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit ihres H a n d e l n s einen nicht dem G e s e t z entsprechenden Verw a l t u n g s a k t kassieren dürfe, j a müsse 4 4 . D e n n es sei Pflicht der öffentlichen G e w a l t , den dem G e s e t z entsprechenden Z u s t a n d herzustellen und aufrechtzuerhalten 4 5 . A u f der gleichen Linie liegt der H i n w e i s des V G Freiburg 4 6 , die R ü c k n a h m e fehlerhafter V e r w a l t u n g s a k t e entspreche den G r u n d s ä t z e n einer rechtsstaatlidien V e r w a l t u n g . N e b e n dem G r u n d s a t z der Gesetzmäßigkeit der V e r w a l t u n g w i r d zur B e g r ü n d u n g a u d i der G r u n d s a t z der Gleichbehandlung als A n w e n d u n g s f a l l des v e r f a s s u n g s m ä ß i g verankerten Gleichheitssatzes herangezogen. D u r d i gesetzwidrige begünstigende V e r w a l t u n g s a k t e werde a u d i der G r u n d s a t z der Gleichbehandlung des vergleichbaren Personenkreises verletzt 4 7 . A u ß e r d e m w i r d angeführt, daß das öffentliche Inter37 vgl. BVerwG in D Ö V 1957, 588 = DVBl. 1957, 497; D Ö V 1957, 911 = N J W 1958, 154 = VerwRspr. 10, 147 = BVerwGE 6, 1 ff.; DVBl. 1958, 653 = ZBR 1958, 247; N J W I960, 693; N J W 1960, 1487; DVBl. 1960, 138 = N J W 1960 692; Β G H Z 1, 223; B G H in N J W 1957, 987; BSG in N J W 1956, 968; O V G Berlin in DVBl. 1954, 129; OVG Lüneburg in MDR 1957, 397; M D R 1952, 381; M D R 1959, 67; OVG Münster in D Ö V 1956, 151; DVBl. 50, 730, Bayr. V G H in VerwRspr. 4, 144; 9, 53; OVG Rheinl.-Pfalz in MDR 1961, 352 (353); V G H Kassel in DVBl. 1958, 763; V G H Baden-Württemberg in ZBR 1960, 163 (164); VerwRspr. 10, 662 und in Praktische Sozialhilfe IV A 23 S. 1460 (Urt. ν. 2. 9. 1960); O V G Hamburg in MDR 1952, 62; L V G Hannover in N J W 1952, 910; L V G Rheinland-Pfalz in DVBl. 1952, 638; VG Freiburg in D Ö V 1950, 187; widersprüchlich B G H in D Ö V 1961, 62. 38 OVG Münster in D Ö V 1957, 324 (325). 3» OVG Berlin in DVBl. 1954, 129 (130). DVBl. 56, 24. « VerwRspr. 4, 144. « DVBl. 1958, 763. 43 ZBR 1960, 163 (164). 44 so OVG Lüneburg in DVBl. 1956, 24. « so Bayr. V G H in VerwRspr. 4, 144. « in D Ö V 1950, 187. 47 so V G H Kassel in DVBl. 1958, 763; Bayr. V G H in VerwRspi 4, 144.
13 esse berührt werde, wenn ein gesetzwidriger Verwaltungsakt nicht rücknehmbar sei 48 . Schließlich w i r d darauf hingewiesen, d a ß der G r u n d s a t z der freien Rücknahme auch in gesetzlichen Regelungen, z. B. im § 143 I N r . 2 T h ü r . L V O , § 42 I a P V G , A r t . 88 I N r . 1 W ü r t t . E V R O zum Ausdruck komme 4 9 . D e r in der herrschenden Rechtsprechung angenommene G r u n d s a t z der Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte ist nur in wenigen Entscheidungen abgelehnt worden. So hat das O V G Berlin durch Urteil v o m 14. 11. 1956 50 z u m Ausdruck gebracht: „Ein allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz, d a ß ein begünstigender Verwalcungsakt lediglich mit der Begründung, er widerspreche dem geltenden Recht, von der Behörde zurückgenommen werden kann, besteht nicht." D e r G r u n d satz der Gesetzmäßigkeit der V e r w a l t u n g stehe diem nicht entgegen. Dieser G r u n d s a t z besage lediglich, d a ß b e l a s t e n d e Verwaltungsakte nicht ohne gesetzliche Ermäditigung ergehen dürften, das bedeute aber nicht, d a ß ausschließlich begünstigende Verwaltungsakte immer eine positive Rechtsgrundlage haben m ü ß t e n . Ebenso wendet sich das O V G Berlin gegen die Rechtsanalogie aus dem besonderen Verwaltungsrecht (§ 143 I N r . 2 T h ü r . L V O ; § 42 I a P V G ) , die von der herrschenden Rechtsprechung zur Begründung des Grundsatzes der freien Rücknahme herangezogen wird. Auch das O V G H a m b u r g 5 1 bezweifelt, ob die freie Rücknahme angesichts des Wandels in den Beziehungen zwischen Staat und einzelnem wirklich einem gültigen G r u n d s a t z des allgemeinen Verwaltungsrechts entspricht. Es läßt die Frage dahingestellt. Die Auffassung des O V G Berlin hat das Bundesverwaltungsgericht im Revisionsurteil über denselben Fall 5 2 eindeutig und lakonisch zurückgewiesen, indem es a u s f ü h r t : „Grundsätzlich ist allerdings d a r a n festzuhalten, daß ein rechtswidriger Verwaltungsakt w i d e r r u f e n (zurückgenommen) werden k a n n . Auch soweit in der Rechtsprechung des B V e r w G Ausnahmen hiervon a n e r k a n n t w o r d e n sind, ist der G r u n d s a t z selbst nicht in Frage gestellt worden. Er folgt aus dem Rechtsstaatsgedanken und der Bindung der Verwaltung an Gesetze. Sofern das Berufungsgericht ( O V G Berlin) dies in Frage stellen will, k a n n ihm nicht gefolgt werden."
« so VGH Kassel in DVB1. 1958, 763. » BVerwG in DÖV 1957, 911 (912) = BVerwGE 6, 1 = VerwRspr. 10, 147 = N J W 1958, 154; BVerwG in DÖV 1957, 588, das auch in § 13 PBefG a. F. einen Anwendungsfall des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Widerruflichkeit fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte erblickt; ferner OVG Berlin in DVB1. 1954, 129 (130); OVG Münster in DÖV 1957, 324 (325) und DÖV 1957, 756; ferner OVG Hamburg in VerwRspr. 3, 579. 5 » in DVB1. 1957, 503 = DÖV 1957, 753. 5 1 DVBl. 1959, 147. 52 N J W 1960, 692. 4
14 Angesichts dieser festen Beteuerung, am Grundsatz festzuhalten, erscheint es bemerkenswert, wenn das Bundesverwaltungsgericht (diesmal allerdings der 2. Senat) etwa ein Jahr später 53 erklärt, auch ein gesetzwidriger Verwaltungsakt könne nicht jederzeit zurückgenommen werden, sondern die Rücknahme unterstehe dem Grundsatz von Treu und Glauben. In den neuesten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts 54 vollzieht sich ein stillschweigendes und fast unmerkliches Abrücken von dem noch kürzlich bekräftigten Grundsatz der freien Rücknahme. Der Grund dafür liegt in der mehr und mehr sich durchsetzenden Einzelfalljurisprudenz, die das Bundesverwaltungsgericht mit der konkreten, d. h. im Einzelfall anzustellenden Interessenabwägung betreibt. Eine Einzelfalljurisprudenz bedarf aber keines Grundsatzes mehr 55 . So ist es erklärlich, wenn das Bundesverwaltungsgericht 56 zu dem Ergebnis kommt: „Im Gegensatz zu der früher im allgemeinen Verwaltungsrecht vertretenen Rechtsansicht kann vielmehr grundsätzlich Rechtswidrigkeit allein noch nicht immer zum Widerruf berechtigen. Bei festgestellter Rechtswidrigkeit ist vielmehr noch abzuwägen, ob etwa das Vertrauen des Betroffenen, der an die Endgültigkeit des ihn begünstigenden Verwaltungsaktes glaubt, so starken Schutz verdient, daß die Aufrechterhaltung der unrichtigen Entscheidung auch gegenüber rechtsstaatlichen Erwägungen geboten erscheint." Noch deutlicher vollzieht sich die Abwendung vom Grundsatz der freien Rücknahme in einer anderen Entscheidung, in der es heißt: „Auch hier gilt der Grundsatz, daß ein gesetzwidriger Verwaltungsakt unter Beachtung des auch im öffentlichen Recht herrschenden Vertrauensschutzes nach Treu und Glauben n u r (!) 57 zurückgenommen werden darf, wenn das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung das durch den Erlaß des fehlerhaften Akts begründete Vertrauen des Begünstigten auf die Beständigkeit behördlicher Entscheidungen überwiegt 5 8 ." Neuerdings wird in den Entscheidungsgründen 59 M «
N J W 1961, 475. N J W 1961, 475; 1961, 1130. 55 vgl. dazu Hangartner a . a . O . S. 85: „Die Lösung des Interessenkonflikts im Bereich nicht abschließender gesetzlicher Regelung ist verschieden je nach Art und Stärke der sich gegenüberstehenden Interessen. Unter dieser A n n a h m e ist aber eine Regel der freien Widerruflichkeit oder U n widerruflichkeit ausgeschlossen, denn es besteht im Prinzip die gleichwertige Möglichkeit, daß auf beschränkte oder unbeschränkte Widerruflichkeit oder auf Ausschluß des Widerrufs erkannt werden muß, soll der bestehende Konflikt in Übereinstimmung mit dem Zweck der ermächtigenden N o r m gelöst werden." Vgl. auch die Ausführungen v o n Ipsen, Verwaltungsakte, S. 14 und H a m m e r schmidt, S. 80. 56 N J W 1959, 1553 (1554). 57 Hervorhebung durch den Verfasser. se B V e r w G in DVB1. 1959, 471 = M D R 1959, 685 = JZ 1959, 641 unter Berufung auf B V e r w G in D Ö V 1958, 826 = DVB1. 1958, 652 = ZBR
15 folgerichtig sofort auf die Interessenabwägung eingegangen, ohne den Grundsatz zu erwähnen. Interessant ist, daß das Bundesverwaltungsgericht 60 nunmehr die Regel der freien Rücknahme als Anhaltspunkt im Rahmen der Interessenabwägung anspricht. Diese Entwicklung zeigt, daß der Grundsatz der freien Rücknahme zugunsten einer Interessenabwägung im Einzelfall verwischt wird. Eine Entwicklung, die sich als zwangsläufig und folgerichtig erweist, weil mit der Interessenabwägung im Einzelfall das Schema eines Regel-AusnahmeSystems überflüssig wird. Festzuhalten bleibt demnach, daß die herrschende Rechtsprechung an dem Grundsatz der freien Rücknahme festhält, jedoch diesen Grundsatz aus den Augen verliert, indem sie einer Interessenabwägung im Einzelfall zuneigt. III.
Einschränkungen
Ausgehend vom Grundsatz der freien Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte hat die neuere Rechtsprechung vön Anfang an eine Reihe von Einschränkungen gebildet, die den Grundsatz der freien Rücknahme durchbrechen. 1. Einengung der Rechtswidrigkeit Die erste Einschränkung setzt ein bei dem Begriff der Rechtswidrigkeit. Rechtswidrig ist ein Verwaltungsakt dann, wenn er im Widerspruch mit dem geltenden Recht zustandegekommen ist oder besteht. Würde man diesen Begriff der Rechtswidrigkeit bei der Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte zugrundelegen, so müßte ein Verwaltungsakt, der unter Verletzung einer unerheblichen Formvorschrift zustandegekommen, aber im übrigen rechtmäßig ergangen ist, ebenso frei zurückgenommen werden können wie ein Verwaltungsakt, der an einem groben materiell-rechtlichen Mangel leidet. Dieses Ergebnis wurde allgemein f ü r praktisch unbefriedigend gehalten. Die Rechtsprechung half sich, indem sie entweder den Begriff der Rechtswidrigkeit im Rahmen des Rücknahmerechts einengte oder den Grundsatz der freien Rücknahme auf bestimmte Rechtsverstöße beschränkte. Bezeichnend ist, daß das Bundesverwaltungsgericht 61 die Rücknahme nur bei Verletzung einer zwingenden m a t e r i e l l e n Rechtsnorm zuläßt. Weitergehend ist eine frühere Entscheidung 62 , in der Sätze auftauchen 1958, 247; vgl. auch BVerwG in N J W 1959, 1553: „Im Gegensatz zu der früher im allgemeinen Verwaltungsredit vertretenen Rechtsansicht kann vielmehr grundsätzlich Rechtswidrigkeit allein noch nicht zum Widerruf berechtigen." se vgl. N J W 1961, 1130. 6 » vgl. N J W 1961, 1130. ei DVB1. 1958, 653 (654) = ZBR 1958, 247 = D Ö V 1958, 826. «2 BVerwG in D Ö V 1957, 912.
16 wie der folgende: „Für den Fall, daß ein Verwaltungsakt rechtswidrig ist, d. h. gegen eine gebietende Rechtsnorm verstößt, wird überwiegend der Widerruf . . . für zulässig erachtet. Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes, d. h. ein Verstoß gegen eine gebietende Rechtsnorm liegt nicht vor, wenn sich lediglich die Rechtsanschauung gewandelt h a t . . . " Nach Ansicht des O V G Hamburg 6 3 sind gesetzwidrig nur solche Verwaltungsakte, die gegen Rechtsnormen verstoßen, die der Behörde nicht die Möglichkeit gewähren, im Ermessensbereich Ausnahmen zuzulassen. Auf die Offenkundigkeit des Gesetzesvorstoßes, nicht auf seine Schwere, stellt das O V G Berlin 64 ab, indem es einen Verwaltungsakt dann für gesetzwidrig hält, wenn er offensichtlich gegen eine eindeutige Gesetzesbestimmung verstößt. Gesetzwidrigkeit liege jedoch noch nicht dann vor, wenn der Tatbestand, an den das Gesetz eine bestimmte Rechtsfolge knüpfe, im Einzelfall nicht so eindeutig feststehe, daß von einer Störung der Rechtsordnung gesprochen werden könne. Der Begriff der Gesetzwidrigkeit dürfe nicht so verstanden werden, daß die vom Grundgesetz gewollte Ausgewogenheit der Interessenlage zwischen den einzelnen und dem Staat gestört werde. Weil die Rechtsanwendung stets wertbezogen sein müsse, sei ein Verwaltungsakt nur dann rechtswidrig, wenn er nicht vertretbar erscheine. Diese Entscheidungen zeigen, daß um des Einzelfalles willen in bedenklicher Weise Grundbegriffe unserer Rechtsordnung angetastet werden, indem der Versuch gemacht wird, den Begriff der Rechtswidrigkeit für das Rücknahmerecht einzuengen. Zurückhaltender sind andere Gerichte, die lediglich davon sprechen, daß Verwaltungsakte nur zurückgenommen werden können, wenn sie gegen eine „gebietende Rechtsnorm" verstoßen 65 . Sie lassen den Begriff der Rechtswidrigkeit unangetastet und verlegen das Rücknahmeproblem in die Rechtsfolge, indem sie Verstöße gegen solche Rechtsnormen, die nicht gebietenden Charakter haben, für unbeachtlich erklären. Eine Begründung f ü r diese Einschränkung wird allerdings nirgends gegeben. Als „gebietend" wird eine Rechtsnorm angesehen, die strikt keine Ausnahme zulassend und kein Ermessen einräumend den Tatbestand bestimmt, der f ü r die Entstehung von Rechten und Pflichten maßgebend ist 68 . Nach anderen Entscheidungen soll es für die Frage der Rücknahme wiederum auf die Offenkundigkeit der Gesetzesverletzung ankommen. So kommt nach Ansicht des O V G Lüneburg 6 7 eine Rücknahme nur in Betracht, wenn der erlassene Verwaltungsakt im „offenbaren Wider03 M «s
VerwRspr. 3, 579. N J W 1957, 1775 (1776). Bayr. V G H in VerwRspr. 4, 144. 66 Als Schöpfer dieser Definition wird allgemein der Bayr. V G H in VerwRspr. 4, 144 angesehen. Zu Unrecht. Diese Begriffsbestimmung hat schon das P r O V G in einem Urteil v o m 7. 4. 1893, P r O V G 24, 350, aufgestellt. « DVB1. 1956, 24.
17 sprudh zum Gesetz" steht. Es müsse eine eindeutige gesetzliche Vorschrift vorhanden sein, die keine andere Auslegung für den vorliegenden Fall zulasse. Auch das O V G Hamburg 6 8 hält die Rücknahme wegen einer nicht „offen zutage liegenden unrichtigen Gesetzesanwendung" nach allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts f ü r unzulässig. Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes soll schließlich audi dann nicht vorliegen, wenn sich lediglich die Rechtsanschauung gewandelt hat oder sich die Behörde später eine abweichende Auslegung zu eigen macht oder einen Sachverhalt später abweichend w ü r d i g t " . Es ergibt sich demnach, daß die aus dem Grundsatz der freien Rücknahme folgende Rechtsfolge dadurch abgewendet wird, daß teils die Rechtswidrigkeit begrifflich ausgehöhlt wird teils ohne Angabe von Gründen bestimmte Rechtsverstöße für unbeachtlich im Rahmen des Rücknahmerechts erklärt werden. Die Entscheidungen sind uneinheitlich insofern, als teils auf die Schwere teils auf die Offenkundigkeit des Gesetzesverstoßes abgestellt wird. Die erste Einschränkung, die die Rechtsprechung gegenüber dem Grundsatz der freien Rücknahme gemacht hat, ist deshalb verschwommen und unklar. 2. Vertrauensschutz und Interessenabwägung Schärfere Konturen weist eine andere Rücknahmesdiranke auf, die unter dem Begriff des Vertrauensschutzes allgemein anerkannt ist. Danach muß das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als Grundlage f ü r den Grundsatz der freien Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte unter Umständen hinter deri Gedanken des Vertrauensschutzes zurücktreten. Der Vertrauensschutzgedanke wurde bisher allgemein aus dem Prinzip von Treu und Glauben abgeleitet, das selbst ein Bestandteil unserer Rechtsordnung ist 70 . In neueren Entscheidungen tritt jedoch die Neigung hervor, den Grundsatz von Treu und Glauben unbeachtet zu lassen und den Vertrauensschutzgedanken lediglich auf das Prinzip der Rechtssicherheit zu stützen 71 . Der Gedanke des Vertrauensschutzes beruht auf der Auffassung, daß der Bürger auf die Beständigkeit bees MDR 1959, 67; DVB1. 1959, 147 (148); dagegen neuerdings BVerwG in N J W 1962, 360. β» BVerwG in D Ö V 1957, 911 (912) = BVerwGE 6, 1 = VerwRspr. 10, 147 = N J W 1958, 154; anders jetzt BVerwG in N J W 1962, 360, vgl. dazu oben S. 8 f. mit weiteren Nachweisen. ό BVerwG in DVB1. 1958, 653 (654) = ZBR 1958, 247 = D Ö V 1958, 826; ZBR 1958, 248; DVBl. 1959, 630 (632). 71 so BVerwG in N J W 1961, 475: „Im Einzelfall ist zu prüfen, ob Rechtssicherheit und Rechtsfrieden der Gesetzmäßigkeit vorgehen"; vgl. ferner BVerwG in N J W 1961, 1130; ZBR 1959, 115 (116); N J W 1962, 361. Audi die Rechtsprechung des Schweiz.BG, die der deutschen in diesem Punkte um Jahrzehnte voraus ist, stellt nur auf die Rechtssicherheit ab, vgl. dazu Hangartner a. a. O. S. 64 ff. 2
O SS e n b u h l , Rücknahme, 2. Aufl.
18 hördlicher Entscheidungen vertrauen darf und in seinem Vertrauen geschützt werden muß 7 2 . D i e P r ü f u n g der F r a g e , ob im E i n z e l f a l l der Vertrauenssdiutz die freie R ü c k n a h m e ausschließt, h a t sich nach der Rechtsprechung durch eine Interessenabwägung zu vollziehen 7 3 . In den einschlägigen Entscheidungen kehrt ständig die stereotype F o r m e l wieder: „ E s wird vielmehr a b z u w ä g e n sein zwischen dem grundsätzlich zu bejahenden öffentlichen Interesse an der gleichmäßigen G e w ä h r l e i s t u n g eines dem Gesetz entsprechenden Zustandes . . . und den Einzelinteressen des begünstigten Bürgers, der in seinem V e r t r a u e n auf die Beständigkeit behördlicher Entscheidungen mit Recht nicht getäuscht sein w i l l 7 4 . " „ E i n gesetzwidriger V e r w a l t u n g s a k t d a r f unter Beachtung des auch im öffentlichen Recht herrschenden Vertrauensschutzes nach T r e u und G l a u b e n nur zurückgenommen werden, wenn das öffentliche Interesse an der G e s e t z mäßigkeit der V e r w a l t u n g das durch den E r l a ß des fehlerhaften Verwaltungsaktes begründete Vertrauen des Begünstigten auf die Beständigkeit behördlicher Entscheidungen ü b e r w i e g t 7 5 . " Bei der Interessenbewertung soll es d a r a u f a n k o m m e n , inwieweit der Begünstigte im Vertrauen auf die Beständigkeit des fehlerhaften V e r w a l tungsaktes seine L e b e n s f ü h r u n g eingerichtet hat u n d in welchem M a ß e die Öffentlichkeit belastet w i r d 7 8 . Bei V e r w a l t u n g s a k t e n mit D a u e r wirkung, die den l a u f e n d e n B e z u g v o n Leistungen (ζ. B . R e n t e n z a h l u n gen) z u m G e g e n s t a n d haben, w i r d angenommen, d a ß das öffentliche Interesse regelmäßig überwiege 7 7 . N u r wenn der V e r w a l t u n g s a k t ursäch« BVerwG in DVB1. 1958, 653 (654) = ZBR 1958, 247; N J W 1958, 884 (885); N J W 1955, 315; ZBR 1958, 248; DVB1. 1959, 630 (632); B G H in D Ö V 1961, 62; O V G Berlin in DVBl. 1954, 129 (130); O V G Lüneburg in DVBl. 1956, 24. ™ vgl. ζ. B. BVerwG in D Ö V 1957, 911 = BVerwGE 6, 1 = VerwRspr. 10, 147 = N J W 1958, 154; BVerwG in N J W 1960, 258 (260) = DVBl. 1959, 626; dem Gedanken der Interessenabwägung folgen auch der B G H in D Ö V 1961, 62 und das B S G 7, 51; 8, 11; 10, 72. i * BVerwG in N J W 1958, 885. " BVerwG in N J W 1960, 258 (260). Es sei darauf hingewiesen, daß der Vertrauenssdiutz und die Interessenabwägung nicht Schöpfungen der neueren Rechtsprechung sind. Vielmehr sind diese Rechtsgedanken — wenn auch nicht in so starker Ausprägung — bereits vor Jahrzehnten praktisch angewandt worden, vgl. dazu Gowa a. a. O. S. 60 ff. unter Hinweis auf Entscheidungen des Bad. V G H aus den Jahren 1905 und 1906, sowie auf das Hamb.OVG in J W 1930, 2708 Nr. 11. Allerdings sind diese Rechtsgedanken im Zusammenhang mit der Rücknahme rechtmäßiger (!) begünstigender Verwaltungsakte entwickelt worden, da in der früheren Verwaltungsrechtssprechung die freie Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte als unstreitig angesehen wurde. ™ vgl. BVerwG in N J W I960, 692 (693); N J W 1958, 885; O V G Münster in M D R 1960, 956. 77 vgl. BVerwG in DVBl. 1958, 653 = ZBR 1958, 247 = D Ö V 1958, 826; N J W 1958, 884 = D Ö V 1958, 178; DVBl. 1959, 630 (632); B S G in DVBl. 1959, 634 (635); O V G Münster in M D R 1960, 956.
19 lieh war für eine „einschneidende und dauernde Änderung" der Lebensführung des Betroffenen und eine Rücknahme seine Existenzgrundlage erschüttern würde, muß das öffentliche Interesse zurücktreten 78 . Nach Ansicht des O V G Münster 7 9 soll es f ü r die Interessenabwägung audi darauf ankommen, welcher Zeitraum seit dem Erlaß des fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes verstrichen ist. Ferner wird darauf abgestellt, in welchem Verfahren der Verwaltungsakt zustandegekommen ist 80 . Wenn dem Erlaß des Verwaltungsaktes ein „förmliches", dem gerichtlichen Prozeß weitgehend angeglichenes Verfahren voraufgegangen ist, wie etwa im Lastenausgleichsrecht, so soll der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit besonders schwer wiegen, so daß die förmliche Ausgestaltung des Verfahrens gegen eine spätere Rücknahme spricht. Schließlich wird auch für nicht unbeachtlich gehalten, ob die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes auf Grund veränderter Rechtsanschauung der Behörde geltend gemacht wird und ob die Verwaltung den Fehler „verhältnismäßig" spät erkannt hat 8 1 . 3. Ursprung und Standort der Fehlerquelle Der Grundsatz der freien Rücknahme wird nach Ansicht der Rechtsprechung schließlich auch durch Ursprung und Standort der Fehlerquelle beeinflußt, die die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes herbeigeführt hat. Die Frage danach, in wessen „Verantwortungsbereich" die Fehlerquelle liegt, wird akut, wenn der Vertrauensschutz zugunsten des Betroffenen nach dem Ergebnis der objektiven Interessenabwägung durchgreift 82 . Liegt in einem solchen Falle die Fehlerquelle im Verantwortungsbereich des Bürgers, so kann er sich auf den Vertrauensschutz nicht berufen 8 3 , vielmehr ist der Verwaltungsakt alsdann der Rücknahme aus78
so B V e r w G in N J W
1961, 1130; D V B l .
1960, 138
=
NJW
1960,
692. ™ M D R 1960, 957; ebenso jetzt auch B V e r w G in N J W 1962, 361. so B V e r w G in N J W 1958, 156; N J W 1962, 361; Haueisen in N J W 1962, 335; Pöppinghaus, S. 64; Thieme a . a . O . S. 247. « so B V e r w G in N J W 1962, 361. 82 In der Rechtsprechung findet sich diese systematische Reihenfolge nicht. Hier werden alle bisher aufgezeigten Gesichtspunkte mehr oder weniger miteinander vermengt, ohne sie in eine bestimmte Ordnung zu bringen. Idi bin der Ansicht, daß die Interessenabwägung nur objektiven Charakter haben kann und deshalb v o n subjektiven Elementen freigehalten werden muß. D i e Frage, wer die Reditswidrigkei: des Verwaltungsaktes verschuldet hat, muß v o n der Interessenabwägung gesondert behandelt werden. O b man nun zunächst die Interessenabwägung, also die objektive Seite, prüft oder die Frage des Verschuldens, also die subjektive Seite, an die Spitze der Prüfung stellt, ist m. E. keine Frage der Logik mehr, sondern allein der Zweckmäßigkeit. es B V e r w G in N J W 1960, 258 = D V B l . 1959, 626 = B V e r w G E 8, 261; BSG in N J W 1958, 1700; O V G Münster in M D R 1960, 956.
2*
20 gesetzt. Unrichtige A n g a b e n f ü r sich allein genügen nach der Rechtsprechung im allgemeinen noch nicht, um die R ü c k n a h m e zu rechtfertigen. Vielmehr m u ß der Antragsteller die Unrichtigkeit und UnVollständigkeit seiner A n g a b e n verschuldet haben. Auf den G r a d des Verschuldens soll es dabei nicht a n k o m m e n . Auch leichtes Verschulden w i r d als ausreichend angesehen 8 4 . Voraussetzung ist freilich, d a ß die Unrichtigkeit b z w . Unvollständigkeit der A n g a b e n f ü r die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kausal w a r e n . D a die schuldhafte Verursachung der Rechtswidrigkeit die B e r u f u n g auf den Vertrauensschutz v e r w e h r t , w i r d es als selbstverständlich a n gesehen, d a ß der Vertrauensschutz erst recht versagt, w e n n der Betroffene den V e r w a l t u n g s a k t erschlichen oder sonst mit unlauteren Mitteln erw i r k t hat 8 5 . IV.
Sondermeinungen 1. O V G Berlin
Gegenüber dieser A u f f a s s u n g der herrschenden Gerichtspraxis vertritt das O V G Berlin 8 6 eine Sondermeinung, die m a n als die Lehre vom überwiegenden öffentlichen Interesse bezeichnet. D a s O V G Berlin leugnet das Bestehen eines G r u n d s a t z e s der freien R ü c k n a h m e u n d f ü h r t aus, d a ß ein fehlerhafter begünstigender V e r w a l t u n g s a k t n u r beseitigt werden könne, wenn ein ü b e r w i e g e n d e s ö f f e n t l i c h e s I n t e r e s s e dies erfordere. Die Feststellung des überwiegenden öffentlichen I n t e r esses h a t sich durch einen Vergleich zwischen dem Staatsinteresse und dem Individualinteresse zu vollziehen, wobei der G e d a n k e des Vertrauensschutzes eine erhebliche Rolle spielen soll. Diese in einigen Veröffentlichungen 8 7 als revolutionär e m p f u n d e n e Entscheidung unterscheidet sich von der herrschenden Rechtsprechung nur dadurch, d a ß ein G r u n d s a t z der freien R ü c k n a h m e nicht a n e r k a n n t w i r d . I m Ergebnis und der Sache nach stimmt jedoch der v o m O V G Berlin eingeschlagene Weg der Rechtsfindung mit dem der herrschenden Gerichtspraxis überein 8 8 . H i e r wie d o r t k o m m t es letztlich auf das E r gebnis der Interessenabwägung an und nur, w e n n das öffentliche I n t e r 84 B V e r w G in D Ö V 1957, 911 = N J W 1958, 154 = VerwRspr. 10, 147 = B V e r w G E 6, 1 ff. Dabei wird darauf hingewiesen, daß dieser Gedanke der Rücknahme bei unrichtigen und unvollständigen Angaben auch im Gesetz vielfach besonders hervorgehoben wurde, ζ. B. in § 53 I G e w O , § 143 I N r . 5 Thür.LVO, § 42 I b P V G , § 12 GaststG, § 96 I N r . 2 A O , § 7 I BEG i. d. F. vom 29. 6. 1956. 85 B V e r w G in N J W 1960, 258 (260).
s» 8'
DVB1. 1957, 911 vgl. z. B. Schütz 88 vgl. auch Jesch, Einkleidung der allein D V B l . I960, 614.
(912). a. a. O. und die dortigen H i n w e i s e . S. 194 unten: „ . . . es handelt sich nur um eine maßgeblichen Interessenabwägung"; ebenso U l e in
21 esse überwiegt, kann eine Rücknahme in Betracht kommen. Die Differenz zur herrschenden Gerichtspraxis verschwindet vollends, wenn man berücksichtigt, daß es dort, wo im Einzelfall Interessen abgewogen werden, eines Grundsatzes nicht mehr bedarf, da ein solcher nur im Rahmen eines Regel-Ausnahme-Systems seinen Platz haben kann 8 9 . 2. V G H Baden-Württemberg Erwähnung verdient schließlich nodi die Entscheidung des V G H Baden-Württemberg vom 30. 10. 1959 90 . Der Gerichtshof bleibt auf der von der herrschenden Rechtsprechung vorgezeichneten Linie, erkennt aber die Gefahr des Abgleitens einer allzusehr auf den Einzelfall abgestellten Rechtsprechung in eine „Kadijurisprudenz". Um festen Boden zu gewinnen, besinnt sich das Gericht auf das im Zivilrecht relativ fest ausgebildete Institut der unzulässigen Rechtsausübung. Es legt die verschiedenen Ausprägungen dieses Instituts dar und vertritt die Ansicht, daß sich diese Rechtsgedanken ohne weiteres auf das öffentliche Recht übertragen ließen und im Rahmen des Rücknahmerechts fruchtbar gemacht werden könnten. Deshalb wird vorgeschlagen, die tragenden Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes und der Interessenabwägung unter dem gemeinsamen Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung zusammenzufassen. B. D i e
Ansichten
des
I. Die ältere
Schrifttums
Lehre
Die Entwicklung der Lehrmeinungen zum Rücknahmeproblem läuft parallel zur Entwicklung der Rechtsprechung, wie denn überhaupt die Fortbildung und Verfeinerung des Rechts durch den Prozeß gegenseitiger Befruchtung von Lehre und Rechtsprechung vor sich geht. Auch das ältere Schrifttum hat die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte nicht als problematisch angesehen. Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes wurde, gleichgültig, ob er begünstigenden oder belastenden Charakter trug, ausnahmslos als Rücknahmegrund angesehen 81 . Ipsen hat deshalb seine grundlegende Monographie von 1932 über die Aufhebung von Verwaltungsakten auf den „Widerruf gültiger 92 Verwaltungsakte" beschränkt. 89 99 91
vgl. oben S. 14. ZBR 1960, 163. vgl. z. B. Kormann S. 388; Köhler S. 194; Sdlüle in VerwArdi. 1934,
32. 92 gemeint sind die rechtmäßigen Verwaltungsakte, denn gültig sind zunächst auch die rechtswidrigen Verwaltungakte, solange sie nicht aufgehoben worden sind; vgl. Ipsen, S. 14, dort setzt der Verfasser Gültigkeit = Fehlerlosigkeit, ebenso S. 16.
22 Jedoch schon einige Jahre später finden sich in verschiedenen Dissertationen Ansätze einer Interessenabwägung, wie sie von der herrschenden Rechtsprechung praktiziert wird 93 . Hervorzuheben ist insbesondere die Arbeit von Stenglins, in der die modernen Anschauungen zum Rücknahmerecht, die mit den Stichworten „Rechtssicherheit und Gerechtigkeit" und „Vertrauensschutz" umrissen werden können, bereits ziemlich ausgeprägt vorgezeichnet sind, wenn auch den Ergebnissen im einzelnen oft nicht gefolgt werden kann 94 . Dieses in der Literatur vorhandene Gedankengut hat jedoch weder die Rechtsprechung noch die autoritative Rechtsliteratur aufgenommen und verwertet. Die Gründe dafür, daß diese wegweisenden Darstellungen brach liegen geblieben sind, lagen möglicherweise in den besonderen Rechtsverhältnissen des Dritten Reiches, in der die Position des einzelnen gegenüber dem Staat nicht hoch eingeschätzt wurde 95 . I I . Die neuere
Lehre
Die Meinungen im jüngsten Schrifttum sind geteilt. Einige Autoren vertreten audi heute noch den Standpunkt, daß fehlerhafte Verwaltungsakte ohne Einschränkung zurückgenommen werden können, während andere der neueren Entwicklung der Rechtsprechung folgen bzw. diese vorbereitet haben. 1. Die konservative Richtung Der Hauptvertreter der konservativen Richtung, die an der älteren Lehre festhält, ist Forsthoff, der insbesondere im Vorwort zur 7. Auflage seines Lehrbuchs gegen die sich wandelnde Gerichtspraxis scharf Stellung »3 vgl. die Arbeiten von G o w a , S. 6 0 ff., Disse, S. 2 4 ; Düll, S. 27 ff.; P r a u n , S. 4 6 ; v. Stenglin, S. 6 5 ff.; Weskamp, S. 38 f.; schon vorher, nämlich Í 9 3 0 , hatte Bürckner a. a. O . S. 9 4 Vertrauensschutz und Interessenabwägung im R a h m e n des fehlerhaften privatrechtsgestaltenden Verwaltungsaktes befürwortet. 94 Ebenso schildert Schüle in V e r w A r c h . 1933, 4 3 3 die mögliche Kollision zwischen Treu und Glauben und öffentlichem Interesse und hält eine Lösung nur durdi konkrete Abwägung für möglich, wobei er allerdings die Problematik der Erfassung des „unbestimmten Rechtsbegriffs des öffentlichen Interesses" nicht verkennt. Jedoch gilt der Vorschlag Schüle's nur für rechtmäßige Akte. Bei fehlerhaften Verwaltungsakten zieht nach seiner Ansicht der Satz von T r e u und Glauben wegen der P r ä p o n d e r a n z des öffentlichen Interesses nicht. 95 vgl. die für diese Zeit typischen Ausführungen von Reißler S. 1 ff. und Knieper, S. 3 2 ; Schüle in V e r w A r c h . 1933, 4 3 4 bemerkt zutreffend, daß das Abwägungsergebnis v o m Überwiegen individualistischer oder kollektivistischer Tendenzen der Staatsauffassung abhängt. Angesichts des in der Zeit nach 1 9 3 3 besonders ausgeprägten Grundsatzes „Gemeinnutz geht v o r E i g e n n u t z " ist es deshalb leicht verständlich, daß es zu einer K o n k u r r e n z zwischen öffentlichem Interesse und Individualinteresse nicht kommen konnte und damit einer Interessenabwägung von vornherein der Boden entzogen w a r .
23 nimmt. Der O r t des ganzen Problems wird in der Gleichstellung von „Gesetz und Recht" in Art. 20 Abs. 3 G G erblickt. Auf die Argumentation im einzelnen wird im Rahmen der eigenen Stellungnahme noch einzugehen sein. Scheerbarth 96 wendet sich insbesondere gegen die Methode der Rechtsfindung und macht geltend, daß die Rechtsprechung mit der Interessenabwägung das zulässige Maß an Auslegungsmöglichkeiten überschreite. Auch Schütz 97 hält die ausnahmslose Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte geradezu f ü r selbstverständlich. D a ß das Interesse des Betroffenen, an der Erhaltung einer gesetzwidrig erlangten Rechtsposition dem Interesse der Verwaltung an der Beseitigung der Gesetzwidrigkeit nicht gleichwertig sein könne, bedürfe wohl keiner Begründung. Die Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben dürfe nicht dazu führen, daß im Ergebnis durch Aufrechterhaltung des gesetzwidrigen Verwaltungskates der Gesetzgeber „berichtigt" werde 98 . Für die Beibehaltung der „alten" Grundsätze haben sich audi Dickmann 9 9 und Klinger 100 ausgesprochen. Eine vermittelnde Stellung nimmt Peters ein. Auch er erklärt z w a r : „Gesetzwidrige Verwaltungsakte sind in der Regel zwar nicht nichtig, aber stets widerruflich. Es wäre untragbar, wollte man den Vertrauensschutz im öffentlichen Recht auch auf rechtswidrige Akte ausdehnen. Da jeder das Recht kennen müßte, liegt hierin auch keine besondere Unbilligkeit 101 ." Jedoch wird diese Stellungnahme dadurch gemildert, daß Peters die Rücknahme in das Ermessen der Verwaltung stellt und mit einem vernünftigen und billigen Handeln der Behörden rechnet 102 . 2. Die fortschrittliche Lehre Einige Autoren dagegen beschreiten den Weg der dargestellten jüngsten Gerichtspraxis. Allen voran Haueisen, der durch eine große Anzahl kleinerer Beiträge als Wegbereiter der modernen Rechtsprechung auf dem Gebiet des Rücknahmerechts zu gelten hat. Der herrschenden Rechtsprechung sind auch Wolff 103 , Menger 104 , Eyermann-Fröhler 1 0 5 und Fischbach 106 gefolgt 107 . 90
DVB1. 1960, 185. D Ö V 1958, 450, 451. 98 a . a . O . S. 450, 451. 99 a. a. O. 100 § 42 E I V 1. 101 Lehrbuch, S. 169. 10 - Lehrbuch, S. 170. 10 3 Lehrbuch, § 53 III, I V mit geringen Einschränkungen. Wolff erkennt z. B. nicht die „gebietende Rechtsnorm" als Kriterium für die Rücknahme an, bejaht aber das Wesentliche der Rechtsprechung, nämlich den Vertrauensschutz und die Interessenabwägung. 97
VerwArch. 1958, 81 ff. § 42 Anh. 38.
24 Welche dieser Lehrmeinungen heute als die herrschende bezeichnet werden kann, ist schwer zu sagen. Auf beiden Seiten stehen bedeutende Vertreter der Verwaltungsrechtswissenschaft. Manche Autoren sprechen bereits jetzt von der herrschenden fortschrittlichen Lehre. 3. Einzelansichten Als Außenseiter auf dem Gebiet des Rücknahmerechts ist von Turegg zu bezeichnen. Er 108 stellt den möglichen Widerspruch zwischen den Prinzipien der Gesetzmäßigkeit und Rechtssicherheit dar und entscheidet sich für die Rechtssicherheit und den Vertrauensschutz. Dabei geht er so weit, daß er eine Rücknahme wegen Verstoßes gegen das zur Zeit des Erlasses geltende Recht nur bei infolgedessen eingetretener Nichtigkeit zulassen will, wobei einer solchen Rücknahme nur deklaratorische Bedeutung zukäme 109 . Diese Auffassung ist zu weitgehend. Sie würde dazu führen, daß der Begünstigte auch dann die Vorteile eines fehlerhaften Verwaltungsaktes ziehen könnte, wenn er Vertrauensschutz nicht verdient. Für eine so weitgehende Betonung der Rechtssicherheit besteht jedoch kein Bedürfnis. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit würde zur Attrappe, wenn die Behörde keinen fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsakt mehr kassieren könnte. Eine in ihren praktischen Auswirkungen zwar nicht so gefährliche, aber dogmatisch nicht weniger bedenkliche Lösung bildet der Versuch Ernings, das Rücknahmerecht neu zu ordnen 110 . Er wendet sich gegen die fortschrittliche Lehre, verwirft insbesondere den Grundsatz der freien Rücknahme 111 und lehnt das überwiegende öffentliche Interesse als Widerrufsgrund ab 112 , weil es schwer feststellbar sei und nicht irrtumsfrei bestimmt werden könne. Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit f a ß t er auf als Schutzprinzip zugunsten des Bürgers 113 und fordert dementsprechend für die Rücknahme einen Rechtssatz, da sich diese als belastender Verwaltungsakt und damit als Eingriff in die Rechtssphäre des Bürgers darstelle. Den Rechtssatz als Grundlage für die Rücknahme sieht er im § 812 BGB analog 114 und kommt zu dem Ergebnis, daß eine Rücknahme in R i A 1956, 289 (291). 107 Ebenso bejahen Schäfer und Pöppinghaus die individuell-konkrete Interessenabwägung, so daß sie zur herrschenden Lehre gerechnet werden können, w e n n sie auch in einigen Punkten v o n ihr abweichen. 10 ® Lehrbuch, S. 131. io» X); e insoweit erhobene Kritik Schäfers S. 35 f. ist ein Schlag ins Wasser, denn v. Turegg sagt selber, daß die Rücknahme nichtiger Verwaltungsakte natürlich keine konstitutive Wirkung zeitigt. 110 vgl. dessen Dissertation a. a. O. i« S. 26 ff. i»2 S. 52. 113 S. 47. 114 S. 58; auch Klinger § 42 E I V 1 w i l l den Gedanken der ungerechtfertigten Bereicherung zur Lösung heranziehen.
25 möglich sei, insoweit durch diese eine wider Treu und Glauben ungerechtfertigte Besserstellung des Begünstigten verhindert werden soll. Diese Lösung des Rücknahmerechts kann weder praktisch bei riedigen noch ist sie dogmatisch zu billigen. Praktisch bedeutet sie deswegen keinen Fortschritt, weil eine Unbekannte durch eine andere ersetzt und dadurch das Problem nicht ausgeräumt wird. Erning lehnt das überwiegende öffentliche Interesse als Widerrufsmaßstab ab, weil es schwer bestimmbar sei, und setzt an dessen Stelle den ebenso schlecht faßbaren Begriff von Treu und Glauben, ohne ihn f ü r das Rücknahmerecht zu konkretisieren 115 . Der entscheidende Fehler liegt aber in der Bestimmung des Rechtsstaatsprinzips und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 1 1 0 . Die Auffassung, das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung diene als Schutzvorschrift zugunsten des Bürgers, ist unbegründet. Darauf wird im einzelnen noch zurückzukommen sein 117 . Aber selbst wenn man sich dieser Ansicht Emings anschließen wollte, wäre die daraus gezogene Folgerung, die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes bedürfe eines Rechtssatzes, da sie sich als Eingriff in die Rechtssphäre des Bürgers darstelle, unrichtig. Der actus contrarius eines rechtswidrigen Aktes bedarf nicht zwingend einer gesetzlichen Ermächtigung. Das folgt aus dem Wesen des Vorbehaltes gesetzlicher Ermächtigung f ü r Eingriffe in Freiheit und Eigentum. Der Eingriffsvorbehalt beruht auf dem Gedanken einer naturrechtlich vorgegebenen Individualsphäre, die allein vom Gesetzgeber eingeschränkt werden darf, d. h. die Exekutive kann in diese Sphäre nur auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung vordringen. Diese v o r g e g e b e n e Rechtssphäre kann aber nicht dadurch eingeengt werden, daß eine Leistung zurückgenommen wird, denn dadurch wird der ursprünglich vorhandene Rechtsbereich nicht eingeschränkt 118 . Zwar kann der vorgegebene Rechtsbereich durch Rechtsverleihungen erweitert werden, die dann auch dem Eingriffsvorbehalt unterliegen, jedoch kann eine solche Erweiterung nicht angenommen werden, wenn sie gegen den Willen des Gesetzgebers erfolgt ist 119 . Durch den Entzug rechtswidrig gewährter Leistungen wird deswegen kein Eingriff vorgenommen, weil er lediglich Unrecht beseitigt, das den Schein von Recht angenommen hatte. Die A u f fassung Ernings beruht also auf einem Irrtum über das Wesen des Ge115 Verwundern muß auch, wenn Erning auf S. 65 zu dem Ergebnis kommt, daß die Rücknahme ex nunc in der Regel möglich sei, jedoch im Einzelfall Ausnahmen gemacht werden müßten, so wenn sich der Bürger auf den Verwaltungsakt eingerichtet habe. Wie der Verfasser vorher feststellt, ist eine Rücknahme nur bei einer wider Treu und Glauben (!) erlangten ungerechtfertigten Besserstellung zulässig. Nun soll der Bürger diese behalten dürfen, wenn er sich auf sie eingerichtet hat! — ein unmögliches Ergebnis! 116 117 118 119
vgl. dazu unten S. 53 ff. vgl. unten S. 63. vgl. zum Vorstehenden Jesdi, S. 193; s. audi Disse, S. 25. Jesdi, S. 194.
26 setzmäßigkeitsprinzips. Da dieser Irrtum die Voraussetzungen seines Gedankenganges unrichtig macht, konnte er nicht zu einer befriedigenden Problemlösung kommen. Die Lösung Ernings über § 812 BGB analog ist aber schon deswegen unhaltbar, weil auch die auf Grund eines fehlerhaften Verwaltungsaktes gewährte Leistung nicht „ohne rechtlichen Grund" erfolgt ist, denn Rechtsgrund ist der zwar fehlerhafte, aber wirksame (!) Verwaltungsakt 1 2 0 . Einen anderen Lösungsvorschlag hat der Schweizer Peter Saladin 121 vorgelegt. Er geht von dem Grundsatz der freien Rücknahme aus, den er aus dem Legalitätsprinzip herleitet 122 , leugnet jedoch die Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben im öffentlichen Recht 123 und versucht Härtefällen aus der „immanenten Beschränkung des Legalitätsprinzips" gerecht zu werden. Das Legalitätsprinzip trägt nach seiner Auffassung eine immanente Schranke, die in besonderen Ausnahmefällen eine Rücknahme verbietet. Dem liegt etwa folgender Gedankengang zugrunde: Rechtssetzung ist das Resultat divergierender Interessen. Bei widersprechenden Interessen entscheidet das Gesetz sich für ein Interesse. N u n kann im Einzelfall das vom Gesetz geschützte Interesse äußerst gering, das vernachlässigte dagegen außerordentlich stark sein. Bei einem solchen Mißverhältnis will Saladin die Rücknahme ausschließen. Dieser Auffassung kann schon deshalb nicht zugestimmt werden, weil das Prinzip der Gesetzmäßigkeit nicht eine Schranke in sich trägt, sondern durch andere gleichwertige Rechtsprinzipien begrenzt wird. Das soll später dargelegt werden 124 . Einen beachtlichen Versuch der Neuorientierung des Rücknahmerechts skizziert schließlich Rösener 125 . Er bekämpft die von der herrschenden Meinung befürwortete Interessenabwägung und macht geltend, bei dem Problem der Rücknahme eines fehlerhaften Verwaltungsaktes sei nur e i n öffentliches Interesse anzuerkennen, nämlich das Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Alle anderen Erwägungen hätten demgegenüber auszuscheiden. Grenzsituationen versucht er wie der V G H Baden-Württemberg 1 2 6 mit dem Gedanken der Unzulässigkeit mißbräuchlicher Rechtsausübung zu lösen, durch den jedes Recht inhaltlich begrenzt werde. Eine solche Rechtsnormbegrenzung f ü r den Grundsatz der freien Rücknahme bilde der Vertrauensschutz. Wann eine Verletzung des Vertrauensschutzes vorliege, sei jedoch nicht allgemein bestimmbar; eine allgemeine Lösung verbiete sich schon aus der N a t u r dieses Rechts12
» so BVerwG in N J W I960, 258; DVBl. 1961, 337; Haueisen in JZ 1959, 644; Neumann in N J W 1960, 659. 121 a. a. O. 122 S. 116. 12 3 S. 145 ff. 124 vgl. unten S. 79.
125 126
a. a.
o.
vgl. oben S. 21.
27 gedankens, dem als N o r m des überpositiven Rechts die Subsumtionsmethode begriffslogischen Denkens fremd sei. Es sei lediglich möglich, einzelne Anhaltspunkte aufzuweisen, die f ü r die Gewährung von Vertrauensschutz sprechen. Mit Redit wendet sich Rösener gegen die Interessenabwägung, um das Rücknahmerecht als Regel-Ausnahme-System neu zu formen. Seine Begründungen können jedoch nicht überzeugen. Ebenso wie Saladin verkennt er, daß das Problem der Rücknahme sich als Konflikt zwischen Gesetzmäßigkeit und Rechtssicherheit darstellt. Darauf wird im Rahmen der Kritik des herrschenden Rücknahmerechts noch eingehend zurückzukommen sein. Ferner führt die Ansicht Röseners praktisch auch schon deshalb nicht weiter, weil er den Vertrauensschutz nicht in scharf konturierte Grenzen verweist, sondern nur Anhaltspunkte aufzeigt, die f ü r die Gewährung von Vertrauensschutz spredien. Anders verfährt auch die herrschende Meinung nicht, so daß Röseners Auffassung sich von ihr nicht wesentlich unterscheidet. Sein Vorschlag einer Neuordnung des Rücknahmerechts bleibt im Ansatz stecken, weil er den Vertrauensschutz nicht als Tatbestand ausbaut und konkretisiert.
der
C. Z u s a m m e n f a s s e n d e r herrschenden Lehre und
Überblick Rechtsprechung
Versucht man, die Ansichten und den Weg der Rechtsfindung der herrschenden Meinung systematisch zu ordnen, so ergibt sich folgendes Bild: Den Ausganspunkt bildet der Grundsatz der freien Rücknahme. Die Wertlosigkeit dieses Grundsatzes im Rahmen einer Interessenabwägung ist bereits angedeutet worden 1 2 7 . Ein Grundsatz als Ausgangspunkt f ü r die Rechtsfindung hat nur in einem Regel-Ausnahme-System seinen Sinn, nicht aber im Rahmen einer konkret-individuellen Interessenabwägung. Hier könnte ein solcher Grundsatz allenfalls die Funktion einer Vermutungsregel übernehmen. Diese Bedeutung ist dem Grundsatz der freien Rücknahme aber bisher nicht beigelegt worden. Ist über die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes zu entscheiden, so stellt die herrschende Ansicht zunächst den G r a d der Fehlerhaftigkeit fest. Verstößt der Verwaltungsakt nicht gegen eine gebietende Rechtsnorm, so k a n n er nicht kassiert werden und die Prüfung ist beendet. Dabei wird teils angenommen, ein solcher Verwaltungsakt sei gar nicht erst rechtswidrig, teils wird davon ausgegangen, der Grundsatz der freien Rücknahme sei insoweit eingeschränkt. Vereinzelt wird nicht auf die Schwere des Gesetzesverstoßes, sondern auf dessen Offenkundigkeit abgestellt. Ist der Verwaltungsakt dagegen unter Verletzung einer gebietenden Rechtsnorm zustandegekommen, so muß weiter gefragt werden, ob der Vertrauensschutz einer Rücknahme im Wege 127
vgl. o b e n S. 14.
28 steht. Die Erörterung dieser Frage vollzieht sich in zwei Etappen. Zunächst ist nach der objektiven Seite eine Interessenabwägung anzustellen, bei der das öffentliche Interesse und das Individualinteresse gegenübergestellt werden. Wesentlich f ü r das Ergebnis dieser Abwägung ist, inwieweit der Betroffene seine Lebensweise auf Grund des Verwaltungsaktes eingerichtet und in welchem Maße er Aufwendungen gemacht hat sowie Art und Maß der Belastung der Öffentlichkeit. H ä l t der fehlerhafte Verwaltungsakt audi dieser Nachprüfung stand, indem das Individualinteresse überwiegt, so ist schließlich die Frage zu stellen, in wessen „Verantwortungsbereich" die Fehlerquelle liegt. Beruht der Erlaß des fehlerhaften Verwaltungsaktes auf einem Umstand, den der Betroffene zu vertreten hat, so genießt er keinen Vertrauensschutz und der Verwaltungsakt kann zurückgenommen werden. D. K r i t i k und
an der h e r r s c h e n d e n zum Rücknahmerecht Ansatzpunkte einer neuen
Ansicht Lösung
I. Einengung des Begriffs der Recbtswidrigkeit und generelle Beschränkung der Rechtsfolgen für bestimmte Gesetzesverstöße Den ersten Angriffspunkt der herrschenden Ansicht bietet die Einengung des Begriffs der Rechtswidrigkeit 128 . Rechtswidrigkeit bedeutet Inkongruenz zwischen Sollen und Sein, m.a.W. Unvereinbarkeit mit dem geltenden Recht. Ein Verwaltungsakt ist also dann rechtswidrig, wenn der mit ihm getroffene Staatsausspruch der geltenden Rechtsordnung zuwiderläuft oder in einem das Redit verletzenden Verfahren zustandegekommen ist. Dieser Begriff der Rechtswidrigkeit ist schlechthin unteilbar 129 . Es geht nicht an, Verletzungen bestimmter Rechtssätze f ü r rechtswidrig zu erklären, Verstöße gegen andere geltende Normen dagegen nicht. Dabei soll freilich nicht verkannt werden, daß verschiedene Rechtsverletzungen verschieden schwer wiegen können.Die Schwere des Fehlers kann aber auf die Rechtswidrigkeit keinen Einfluß haben, sondern allenfalls auf die aus der Rechtswidrigkeit zu ziehende R e c h t s f o l g e (ζ. B. Nichtigkeit, Anfechtbarkeit, Unbeachtlichkeit). Darin liegt der entscheidende Mangel, der mit dem Versuch, die Rechtswidrigkeit einzuengen, verbunden ist. Rechtstatbestand und Rechtsfolge werden in unzulässiger Weise vermengt 130 . Rechtswidrig ist auch der Verwaltungsakt, d.er nur mit einem leichten Formfehler behaftet ist, denn er ist in einem das geltende Recht verletzenden Verfah128 vgl. auch die Kritik bei Schäfer, S. 33, 34 und Haueisen in N J W 1960, 1882. 12 » vgl. Haueisen in N J W 1960, 1883. 130 vgl. oben S. 15 ff., wie die Rspr. auch Forsthoff, Lehrbuch S. 241.
29 ren zustandegekommen. Daran führt kein Weg vorbei. Die Frage kann nur sein, ob diese Rechtswidrigkeit die Rechtsfolge der Rücknahme nach sich zieht. Deshalb sind audi die Entscheidungen zu mißbilligen, die für die Frage der Rechtswidrigkeit oder der Rücknahme auf die Offenkundigkeit des Fehlers abstellen. Der Grad des Verstoßes bei der Gesetzesanwendung kann f ü r die Beurteilung der Rechtswidrigkeit nicht maßgebend sein, Rechtswidrigkeit als Inkongruenz zwischen Sollen und Sein liegt auch dann vor, wenn die Gesetzesverletzung nur schwer erkennbar ist oder kein besonderes Gewicht hat. Deshalb sind rechtswidrig auch solche Verwaltungsakte, deren Fehlerhaftigkeit sich erst nach geläuterter Rechtsanschauung erweist 131 . Der Begriff der Offensiditlichkeit bzw. Offenkundigkeit, auf den bei der Frage der Rechtswidrigkeit abgestellt werden soll, enthält ein subjektives Moment und versagt deshalb als brauchbares Unterscheidungsmerkmal 132 . Auch eine Differenzierung der R e c h t s f o l g e n fehlerhafter (nicht nichtiger) Verwaltungsakte ließe sich allenfalls nach der Schwere des Fehlers vornehmen. Das ergibt sich schon daraus, daß ein schwer erkennbarer, aber grober Gesetzesverstoß eine größere Störung der Rechtsordnung hervorruft als ein leichter, aber offenkundiger Formfehler. Für die Rechtsfolge kann Maßstab aber nur Stärke und Intensität der Störung unserer Rechtsordnung sein. Zu verwerfen sind auch die Entscheidungen, die zwar den Begriff der Rechtswidrigkeit unangetastet lassen und das Rücknahmeproblem richtigerweise als Rechtsfolgeproblem auffassen, aber eine Rücknahme nur bei Verletzung einer zwingenden m a t e r i e l l e n Rechtsnorm zulassen 133 . Für eine solche Beschränkung der Rücknahme besteht im H i n blick auf den nach der Rechtsprechung zu gewährenden Vertrauensschutz kein Bedürfnis. Die Rücknahme eines Verwaltungsaktes findet am Vertrauensschutz des Betroffenen ihre Grenze. Verdient der Begünstigte keinen Vertrauensschutz, so unterliegt der rechtswidrige Verwaltungsakt der Rücknahme, unabhängig davon, ob die Rechtswidrigkeit auf der Verletzung formeller oder materieller Normen beruht. Erklärt man die Verletzung formeller Vorschriften für unbeachtlich, so müßte ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch dann Bestand haben, wenn der Begünstigte unter Umständen keinen Vertrauensschutz verdient. Dieses Ergebnis kann mit dem Gesetzmäßigkeitsprinzip nicht in Einklang stehen 134 . Auch ein formwidriger Verwaltungsakt muß grundsätzlich zurückgenommen werden können.
131 vgl. BVerwG in N J W 1962, 360 (361) und die Ausführungen oben S. S ff. 132 P r O V G 80, 110 (112); Gerber in VerwArdi. 1931, 73; von Müller in ZI.A 1957, 244. !33 vgl. BVerwG in DVB1. 1958, 653 (654) = ZBR 1958, 247 = D Ö V 1958, 826. 134 vgl. u n t e n S. 53 ff.
30 Dagegen ist den Entscheidungen zuzustimmen, die den Grundsatz der freien Rücknahme auf Verstöße gegen „gebietende Rechtsnormen" schlechthin beschränken 135 . Das O V G Berlin 136 hält das f ü r bedenklich, weil dem Begriff der gebietenden Rechtsnorm auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts sämtliche Gesetze zugeordnet werden müßten, so daß im Ergebnis die Behörde bei jeder Gesetzwidrigkeit zur Rücknahme eines Verwaltungsaktes berechtigt wäre. Folgerichtig müßte audi jede leichte formale Gesetzwidrigkeit ebenso wie eine schwere materielle die Behörde uneingeschränkt zur Rücknahme des Verwaltungsaktes berechtigen. Diese Bedenken können nicht geteilt werden. Das O V G Berlin versucht seiner Auffassung dadurch Nachdruck zu verleihen, daß es mehrmals von der „uneingeschränkten" Rücknahme spricht. D a ß der an einem leichten Formfehler leidende Verwaltungsakt uneingeschränkt zurückgenommen werden kann, trifft eben nicht zu. Eine Schranke hat die Rechtsprechung durch den Vertrauensschutz gesetzt. Wer keinen Vertrauensschutz verdient, f ü r den kann es auch nicht unbillig sein, daß ein - wenn auch nur mit geringen Formfehlern behafteter - Verwaltungsakt zurückgenommen wird 1 3 7 . II. Zur
Interessenabwägung
1. Ihre Ausgestaltung in der Rechtsprechung Weit schwerer wiegen die Bedenken, die sich gegen die von der herrschenden Meinung geübten Interessenabwägung im Einzelfall richten. Das Bundesverwaltungsgericht hat in mehreren Entscheidungen 138 zum Ausdruck gebracht, bei der Frage, ob ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden könne, sei i m E i n z e l f a l l abzuwâgën zwischen dem öffentlichen Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem Interesse des Bürgers am Fortbestand des Verwaltungsaktes. Eine Rücknahme sei nur dann zulässig, wenn bei diesem Interessenvergleich dem öffentlichen Interesse stärkeres Gewicht zukomme. 2. Dogmatische Bedenken Der Weg der Rechtsfindung durch konkret-individuelle Interessenabwägung ist methodisch nicht zu billigen. Diese Behauptung bedarf einer sorgfältigen Begründung, insbesondere deswegen, weil - wie bereits im ersten Teil der Arbeit angedeutet - das Hauptangriffsziel gegen die Rechtsprechung die Methode der Rechtsfindung und nicht so sehr die von ihr erzielten Ergebnisse bildet. Andererseits kann es nicht Aufgabe dieser Darstellung sein, Methodenfragen bis in Einzelheiten zu durchleuchten 135 136
ebenso Amtl.MittBl.BAA 1956, 491. DVB1. 1957, 504; gegen das O V G Berlin auch Schütz in D O V 1958,
449 f. 137 vgl. dazu oben S. 17 ff. und u n t e n S. 71 ff., ferner die Bemerkungen von Peters, Lehrbuch, S. 170.
31 und zu klären. Diesen umfangreichen und vielschichtigen Problemen sind insbesondere in jüngster Zeit mehrere M o n o g r a p h i e n gewidmet w o r den 1 3 9 . D i e Schwierigkeit besteht darin, das methodische P r o b l e m g r ü n d lich und fundiert zu behandeln, ohne den R a h m e n der Arbeit zu sprengen und die Schwerpunkte der D a r s t e l l u n g falsch zu setzen. E s w i r d deshalb n o t w e n d i g sein, die M e t h o d e n f r a g e n lediglich in den G r u n d z ü g e n z u skizzieren und die V o r - und Nachteile der verschiedenen Meinungen in den H a u p t a r g u m e n t e n gegeneinander a b z u w ä g e n . Wie sich zeigen w i r d , genügt das, u m eine feste P l a t t f o r m f ü r weitere Untersuchungen z u schaffen. In speziellen F r a g e n u n d Einzelheiten m u ß sich die D a r stellung deshalb d a m i t begnügen, entweder nur die Ergebnisse der herrschenden Ansicht mitzuteilen oder auf S p e z i a l w e r k e zu verweisen. a) U m den richtigen A n s a t z p u n k t f ü r die L ö s u n g des methodischen Problems zu finden, ist zunächst hervorzuheben, d a ß das Rücknahmerecht einer gesetzlichen K o d i f i k a t i o n entbehrt. Z w a r finden sich hier und d o r t vereinzelte Vorschriften, die f ü r die R ü c k n a h m e besonderer G r u p p e n v o n V e r w a l t u n g s a k t e n positive Regelungen treffen. Jedoch soll nach dem in der Einleitung ausdrücklich abgesteckten U m f a n g der A r b e i t Gegenstand der Untersuchung lediglich die F r a g e der R ü c k n a h m e im Bereich rechtlich nicht geregelter T a t b e s t ä n d e sein. D i e P r o b l e m a t i k des Rücknahmerechts liegt demnach in der L ü c k e n a u s f ü l l u n g 1 4 0 . b) Bei der E r ö r t e r u n g dieses Problems erscheint es sinnvoll, zunächst allgemein die anerkannten M e t h o d e n der Lückenausfüllung, die k a s u istische ( a a ) und die legislatorische (bb), in ihren Wesenszügen d a r z u stellen. I m Anschluß d a r a n werden die V o r - und Nachteile beider M e thoden a b g e w o g e n (cc). Zuletzt soll d a n n die Rechtsprechungspraxis methodisch eingeordnet werden (c), um aus dieser E i n o r d n u n g die Fehler zu erkennen. D i e zahlreichen Vorschläge zur A u s f ü l l u n g v o n Gesetzeslücken lassen sich in zwei große G r u p p e n einteilen. a a ) N a c h den sog. kasuistischen Methoden der Lückenausfüllung stellt der Richter keinen Rechtssatz a u f , sondern entscheidet den E i n z e l f a l l unter Berücksichtigung seiner zahlreichen Besonderheiten 1 4 1 . E r erhebt den Rechtsstreit nicht ins Typisch-Allgemeine u n d stellt keine „generella b s t r a k t e " N o r m a u f , sondern beschränkt sich auf die Eruierung der „ k o n k r e t - i n d i v i d u e l l e n " Interessenlage. b b ) Einen grundlegend anderen Weg beschreitet der Richter bei der A n w e n d u n g der gesetzgeberischen (legislatorischen) Methode. A u f dieses « 8 vgl. zuletzt in N J W 1961, 475 und die oben S. 16 zitierten Fundstellen. 139 vgl. Esser, Grundsatz und Norm; larenz, Methodenlehre; MeierHayoz, Gesetzgeber; Reinhard, Methoden der Rechtsfindung; Bastian; Wieacker, Richterkunst; Siebert, Methode; Boehmer, Grundlagen. 14» vgl. Haueisen in DVB1. 1960, 351; Ule, Generalklausel, S.271. 141 vgl. dazu Bastian S. 88 ff.
32 Verfahren hat zuerst Aristoteles aufmerksam gemacht. In seiner Nikomachischen Ethik (Buch V, Kapitel X I V ) heißt es: „Wenn das Gesetz allgemein lautet, aber ein Fall vorkommt, der in dieses Allgemeine nicht paßt, so verfährt man richtig, wenn man da, wo der Gesetzgeber dies außer acht gelassen und durch einen allgemeinen Ausdruck gefehlt hat, die Auslassung so verbessert, wie der Gesetzgeber selbst, wenn er zugegen wäre und den Fall sähe, es sehen und gesetzlich regeln würde 1 4 2 ." Dieser Gedanke hat auch in einer modernen Kodifikation, nämlich dem berühmten Art. 1 des Schweizer Zivilgesetzbuches über die „Anwendung des Rechts" seinen Ausdruck gefunden: „Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter nach Gewohnheitsrecht, und wo auch solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde. Er folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung." Bei der Anwendung der gesetzgeberischen Methode betrachtet der Rechtsanwender nicht allein den konkreten Einzelfall in seiner speziellen Eigenart, sondern er hebt, vom gegebenen Rechtsfall ausgehend, seinen Blick auf den typisch-allgemeinen Interessenkonflikt, der in Gestalt eines Einzelfalles ihm entgegentritt, entscheidet diesen Interessenwiderstreit generell und wendet die gefundene abstrakt-generelle Entscheidung, mit anderen Worten die ermittelte Norm, auf den zu entscheidenden Fall an. Der Rechtsanwender stellt also eine abstrakt-generelle N o r m auf, mit der er den Einzelfall löst. Um eine solche N o r m zu finden, kommt er freilich nicht umhin, eine Interessenabwägung vorzunehmen. Jedoch stellt er dabei auf die generell-abstrakte Interessenlage ab und beschränkt sein Augenmerk nicht auf die konkrete Einmaligkeit des zu beurteilenden Falles 143 . Maßstab und Wegweiser für die kritische Wertung der Interessen und die Aufstellung der N o r m bildet dabei die gesamte Rechtsordnung. Der Richter ist an die bereits vorgegebenen, in anderen Gesetzen oder Rechtsgrundsätzen zum Ausdruck gekommenen Wertungen des Gesetzgebers gebunden. Die freie Rechtsfindung hat aus dem Geist der Rechtsordnung zu erfolgen. Der gefundene Rechtssatz muß sich harmonisch in das vorhandene positive Recht einfügen 144 . cc) Ob das kasuistische oder das legislatorische Verfahren vorzuziehen ist, hängt davon ab, bei welcher Methode die Grundpostulate jeder Rechtsordnung, nämlich Gerechtigkeit und Rechtssicherheit, am besten gewährleistet sind. Es wird sich zeigen, daß Gerechtigkeit und Rechtssicherheit nicht zugleich voll verwirklicht werden können. Das Streben nach vollkommener Gerechtigkeit geht immer auf Kosten der Rechtssicherheit (i. S. der Voraussehbarkeit der rechtlichen Entscheidungen), während umgekehrt die 142
i« 1 44
zitiert nach Meier-Hayoz, Richter, S. 241. Bastian, S. 113; Meier-Hayoz, S. 7.8. vgl. Meier-Hayoz, S. 81, Bastian, S. 115.
33 Betonung der Rechtssicherheit mit einer Beschneidung der Gerechtigkeit verbunden ist. „Gerechtigkeit und Rechtssicherheit verhalten sich ebenso zueinander als lägen sie in den Waagschalen: H e b t sich die eine, so sinkt die andere. Ein O p t i m u m läßt sich dann erreichen, wenn die beiden Waagschalen ausbalanciert sind 1 4 5 ." Die Auffassungen über das Verhältnis von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit sind je nach O r t und Zeit und der philosophischen Orientierung verschieden. Die Antinomie dieser Postulate zu beleuchten kann nicht A u f g a b e dieser Darstellung sein. J e doch sei vermerkt, daß es sich nach allgemeiner Ansicht in unserer Rechtsordnung bei diesem Problem nicht um ein „ E n t w e d e r - O d e r " , sondern um ein „Sowohl-als-Auch" handelt. D i e Rechtssicherheit wird nicht unter, sondern neben die Gerechtigkeit gestellt 14 ®. Die kasuistische, nur am Einzelfall orientierte Methode der Lückenausfüllung bildet eine große Gefahr für die Rechtssicherheit. Dadurch, daß der Richter nicht gezwungen ist, eine allgemeine Regel aufzustellen, verliert sich sein Blick in den Besonderheiten des Einzelfalles, ohne zu allgemeinen Wertungen zu kommen. Die Entscheidungen sind am Rechtsgefühl orientiert, wodurch die Gefahr eines unkontrollierbaren Subjektivismus heraufbeschworen wird und audi ein Minimum an Voraussehbarkeit der rechtlichen Entscheidungen nicht mehr gewährleistet ist. „Eine mögliche, wenn auch nicht notwendige Folge ist die Willkür. Fehlt die Pflicht zu grundsätzlichem Vorgehen, so besteht immer die Gefahr, in grundsatzloses Belieben abzugleiten 1 4 7 ." Weil der Richter aber keine allgemeine N o r m schafft und ein für allemal festgelegten Wertungen entsagt, ist nicht die Gewähr für die gleiche Behandlung gleich liegender Fälle gegeben. D a r i n Liegt wiederum eine Gefahr für das Gleichheitsprinzip, das ein wesentliches Gebot der Gerechtigkeit darstellt 1 4 8 . Dagegen k o m m t die gesetzgeberische Methode durch die Aufstellung abstrakt-genereller N o r m e n dem Postulat der Rechtssicherheit weitgehend entgegen. Z w a r stellt der Richter durch seine rechtsfindende Tätigkeit nach dem legislatorischen Verfahren auch nur das zu beurteilende Rechtsverhältnis rechtskräftig fest, so daß die von ihm aufgestellte Regel keinen allgemeinverbindlichen Rechtssatz, keine Rechts"5
M e i e r - H a y o z , Richter, S. 246.
° vgl. B V e r f G E 2, 3 8 0 ; 3, 225 (232); 8, 274;' 7, 196; 9, 137; N J W 1958, 97; N J W 1962, 2 9 1 ; B V e r w G in M D R 1961, 170 (171); N J W 1961, 1130; B G H in D Ö V 1957, 318; O L G F r a n k f u r t a. M. in DVB1. 1953, 599 ( 6 0 0 ) : „ D i e Rechtssicherheit gehört als ein P r i n z i p der Gerechtigkeit überhaupt zu den obersten Zielsetzungen des R e c h t s s t a a t e s " ; Peters, Rechtsstaat, S. 6 7 ; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 168, 181, 3 5 3 ; Mensch im Recht, S. 118; Thieme a . a . O . S. 2 4 5 ; Scholz, a . a . O . ; Antonioiii, S. 110; ferner Schäfer, S. 10 f. mit weiteren Nachweisen. 147 M e i e r - H a y o z , Richter S. 97. 148 M e i e r - H a y o z , Richter, S. 2 4 8 ; Bastian, S , 8 9 . 14
3
Ossenbühl,
Rüdknahme, 2. Aufl.
34 quelle darstellt, sondern nur Wirkung inter partes h a t 1 4 9 . Jedoch ist mit der Bildung einer generell-abstrakten Regel in gewissem U m f a n g eine Berechenbarkeit für spätere Fälle geschaffen. Dies um so mehr als die übrige Lehre und Rechtsprechung sich mit der aufgestellten N o r m auseinandersetzen und sie möglicherweise nachahmen werden, so daß sie sich durch eine ständige Praxis zu Gewohnheitsrecht verdichtet und damit allgemeine Verbindlichkeit erlangt. Ein solcher „Verdichtungsprozeß" wird durch die Verfahrensordnungen begünstigt, da diese die Einheitlichkeit der Rechtsprechungspraxis durch Vorlagepflichten bei unterschiedlichen Rechtsauffassungen gebieten 1 5 0 und damit von vornherein widersprüchliche Entscheidungen auf ein Minimum reduzieren. Außerdem gewährleistet die legislatorische Methode am meisten, daß gleich liegende Fälle auch gleich beurteilt werden. Andererseits ist allerdings nicht zu verkennen, daß der gesetzgeberischen Methode mit ihrer Normbildung die Tendenz zur Schematisierung der Lebenssachverhalte innewohnt, die durch die vergröbernde Betrachtungsweise die feinen Nuancierungen des Einzelfalles nicht berücksichtigt. Diese Nuancen k ö n nen bei der kasuistischen Methode freilich mit ausgewogen werden, worauf das Bundesverwaltungsgericht an einer Stelle stolz hinweist 1 5 1 , jedoch wird diese Perfektion durch den Verlust der Rechtssicherheit und eine Gefährdung des Gleichheitsprinzips erkauft 1 5 2 . Somit l ä ß t sich feststellen, daß die Gerechtigkeit bei beiden Methoden in bestimmtem U m f a n g verwirklicht wird - einerseits Gleichheitsgebot, andererseits Gerechtigkeit des Einzelfalles. Die Rechtssicherheit als gleichwertiges Postulat findet jedoch nur bei der legislatorischen Methode Berücksichtigung. Deshalb ist die gesetzgeberische Methode den kasuistischen Verfahren der Lückenausfüllung vorzuziehen. D a m i t ist zugleich Stellung bezogen zu der teleologischen Methode von Hippels 1 5 3 , die ebenfalls zu den kasuistischen Verfahren zählt und deshalb keine Billigung finden kann. V o n Hippel erfaßt das Kapitel des fehlerhaften Staatsaktes als ein methodologisches P r o b l e m 1 5 4 und wendet sich mit Entschiedenheit gegen die Aufstellung abstrakter Schemata für die Rechtsfindung, m.a.W. gegen die Ausbildung eines Regel-AusnahmeSystems 1 5 5 , wie es hier befürwortet wird 1 5 6 . E r bekämpft sowohl die sogenannte Begriffsjurisprudenz, die den Richter zur „Subsumtionsmaschine" und das Recht zu einem „sinnentleerten A p p a r a t " degradiere, 149 vgl. E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y , Bastian, S. 123.
vgl. § § 11, 12 in N J W 1961, 152 vgl. Boehraer Coing, Systemgedanke, 15
°
151
15
¡>
154 155 156
a. a. a. a. a. a. vgl.
S. 3 4 4 ; M e i e r - H a y o z ,
R i c h t e r , S. 2 5 0 ;
V w G O , § § 1 2 0 I I I , 1 3 6 , 137 G V G . 1131. I I , 1, S. 1 8 9 ; M e i e r - H a y o z , Rechtsfortbildung, S. 2 9 ; Reimer Schmidt in J Z 1 9 5 5 , 3 9 6 .
O. O . S. 5 5 . O . S. 6 6 ff., 154 ff., 180. abschließend dazu unten S. 4 6 .
S. 9 0 ;
35 als auch die Interessenjurisprudenz, die als Reditsfindungsmethode schon deshalb versagen müsse, weil sie zwar die sich gegenüberstehenden Interessen aufdecke, aber über deren Berechtigung keine Aussage machen könne 1 5 7 ; auf den Maßstab, an dem die Interessen gemessen werden können, komme es aber entscheidend an. Als den symptomatischen Fehler der Gegenwart beklagt von Hippel das Ausschalten der Rechtsidee im Verfahren der Rechtsfindung 158 . Auf der Erkenntnis dieses Fehlers baut er sein eigenes teleologisches System auf, indem er unter Hinweis auf die „Qualität des Rechtlichen", nämlich das Gute, die Gerechtigkeit und Wahrheit, das Heilige und Schöne 159 als „Organ der Rechtserkenntnis die moralische Vernunft" 160 ermittelt, die durch ihre Beziehung auf die Idee der Wahrheit den Verstand überhöhe 161 . Diese skizzenhaften Andeutungen zeigen schon, daß der Methode von Hippels abstrakte Schemata und scharf konturierte Tatbestände nicht adäquat sind. Die Kritik von Hippels an der sog. Begriffsjurisprudenz ist im Grunde berechtigt, jedoch überspitzt dargestellt und deshalb verzerrend, denn die Begriffsjurisprudenz wird erst dort verhängnisvoll, wo sie den Weg des sog. Inversionsverfahrens betritt und Lückenergänzung durch Konstruktion von Ordnungsbegriffen betreibt 162 . Die Begriffsbildung an sich ist aber niemals ernsthaft beanstandet worden. Ähnliches gilt für die Kritik von Hippels an der Interessenjurisprudenz 1 6 3 . Was entscheidend gegen die von Hippel verfochtene teleologische Methode spricht, ist schon deren Ausgangspunkt, denn von Hippel begreift als Rechtsidee (lediglich) die Gerechtigkeit 164 und klammert damit offenbar die Rechtssicherheit aus. Die Bedeutung der Rechtssicherheit in unserem Rechtssystem ist schon an früherer Stelle gewürdigt worden 1 6 5 . Hier sei nochmals hervorgehoben, daß das Bundesverfassungsgericht 166 und der Bundesgerichtshof 167 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Radbruch 168 zum Ausdruck gebracht haben, daß die Gerechtigkeit nur in äußersten Fällen höher zu werten sei als die Rechtssicherheit. Gerechtigkeit und Rechtssicherheit stehen deshalb grundsätzlich nebeneinander. Weil von Hippel aber der Rechtssicherheit keine Beachtung schenkt, führt seine Methode zur Einzelfalljurisprudenz, die in der Kasuistik ver157 158 15 16
» °
161 162 163 164 105 16
β
167
168
3'
a. a. O. S. 141. a. a. O . S. 160. a. a. O. S. 182 ff. a. a. O. S. 195. a. a. O . S. 196. vgl. dazu Heck, S. 93. vgl. die Darstellung v o n Heck, Interessenjurisprudenz. a. a. O . S. 184. vgl. o b e n S. 32. B V e r f G E 3, 225 (232); vgl. auch B V e r f G in N J W 1958, 97. D Ö V 1957, 318. vgl. dessen Ausführungen in Rechtsphilosophie S. 168, 181, 353.
36 harrt 1 6 9 . Wie alle kasuistischen Verfahren birgt die teleologische Methode die Gefahr des unkontrollierbaren Subjektivismus in sich170. Das hat von Hippel auch selber empfunden, wenn er an mehreren Stellen von den „allgemeinen Gesichtspunkten" 1 7 1 spricht, die für die konkrete Entscheidung gelten und aufweisbar sind. Im übrigen sei bemerkt, d a ß die Rechtsanwendung mit Hilfe von Schemata nicht in einer „mechanischen Subsumtion" besteht, was von Hippel kritisiert, sondern daß die Deckung zwischen Schema und Tatbestand letztlich eine starke, aber widerlegbare Vermutung für die Verwirklichung der Rechtsidee bedeutet 172 . So stehen Subsumtion und Ausrichtung auf die Rechtsidee in steter Wechselwirkung. Die Aufstellung abstrakter Schemata steht also dem Grundanliegen jeder Rechtsordnung, nämlich der Verwirklichung der Rechtsidee keineswegs entgegen. Vielmehr sind abstrakte Schemata, wenn man sie in der angegebenen Beschränkung anwendet, mehr geeignet, der Rechtsidee zum Durchbruch zu verhelfen, weil sie audi der Rechtssicherheit als ein „Element" der Rechtsidee gebührende Beachtung schenken. Unter Würdigung dieser Zusammenhänge ist einem fest ausgebildeten Regel-Ausnahme-System unbedingt der Vorzug zu geben. Im Rahmen der Lückenausfüllung bedeutet das die Anwendung der legislatorischen Methode. Die deutsche Literatur steht ebenfalls überwiegend auf dem Standpunkt, daß der Richter bei der Lückenausfüllung in Anlehnung an Art. 1 des Schweizer Zivilgesetzbuches die gesetzgeberische Methode anzuwenden hat 1 7 3 . c) Es fragt sich, wie auf dem Hintergrund dieses Widerstreits der Methoden die Rechtsprediungspraxis zu beurteilen ist. aa) Die methodische Einordnung der Rechtsprechungspraxis fällt, soweit es ihre Grundtendenz anlangt, nicht schwer, denn das Bundesverwaltungsgericht, dem die übrige Rechtsprechung im wesentlichen folgt, erklärt ausdrücklich, daß bei der Entscheidung über die Rücknahme eines 189 Darauf weist auch Forsthoff, Lehrbuch, S. 204, hin. 170 Ipsen, Widerruf, S. 2; v. Stenglin, S. 9, der bemerkt, die Auffassung von Hippels sei aus diesem Grunde ohne tieferen Einfluß auf die Praxis und die übrige Verwaltungsrechtslehre gewesen; audi Ule lehnt von Hippels Ansicht ab, vgl. Generalklausel, S. 276. 171
S. 180, 196. vgl. Coing, Grundzüge, S. 269, 274; Enneccerus-Nipperdey, S. 333; Nipperdey in N J W 1962, 321 (322); Maunz-Dürig, Art. 20, 72; Schmitt, S. 103; Wieacker, Präzisierung, S. 14. 173 vgl. Boehmer II 1, S. 189; Enneccerus-Nipperdey, S. 342; Siebert, Gesetzesauslegung, S. 15; Bastian, S. 89 mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Jellinek, Gesetz, S. 167; Badiof in VVDStRL 12 (1954), 53; 81 Leitsatz III 12 b; für das Gebiet des Rücknahmerechts spricht dies Ule, Generalklausel, S. 271, deutlich aus; vgl. in anderem Zusammenhang auch Hess. V G H in DVB1. 1951, 738 (740) r.Sp. oben. 172
37 fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes eine Interessenabwägung im E i n z e l f a l l vorzunehmen sei174. Mit dieser konkret-individuellen Interessenabwägung ist die Rechtsprechungspraxis in ihrem Grundcharakter den kasuistischen Rechtsfindungsverfahren zuzuordnen 1 7 5 . Wie diese Feststellung bereits andeutet, ist jedoch mit dieser methodischen Einordnung die Beurteilung der Rechtsprechung noch nicht erschöpft. Die oben dargelegte Bestandsaufnahme 1 7 6 hat gezeigt, daß sich die Rechtsprechung von Anfang an darum bemüht hat, für die Interessenabwägung abstrakt-generelle Maßstäbe zu finden, indem sie darauf abstellt, in wessen Verantwortungsbereich der Mangel des Verwaltungsaktes liegt, in welchem Maße die Öffentlichkeit und der Betroffene durch den Fortbestand bzw. die Rücknahme des Verwaltungsaktes belastet werden, welcher Zeitraum seit dem Erlaß des Verwaltungsaktes verstrichen ist und welche Behörde den A k t erlassen hat. Ob diese Abwägungsmaßstäbe als solche f ü r die Rücknahme brauchbar sind, soll hier dahinstehen. Auf diese Frage wird noch einzugehen sein. Für die methodische Beurteilung interessiert nur, d a ß die Rechtsprechung überhaupt nach objektiven Maßstäben gestrebt hat. Zusammenfassend läßt sich die Rechtsprechungspraxis dahin charakterisieren, daß sie - methodisch gesehen - konkret-individuelle Grundtendenz aufweist, also sich der kasuistischen Verfahrensweise bedient, jedoch durch die Aufstellung objektiver Maßstäbe f ü r die Interessenabwägung generell-abstrakte Züge trägt und damit zur legislatorischen Methode hinweist. Die Tendenz zur Generalisierung und Systematisierung ist jedoch nur in den Ansätzen vorhanden. Was der Rechtsprechung fehlt, um ihr Rechtsfindungsverfahren der allgemein anerkannten gesetzgeberischen Methode der Lückenausfüllung zuordnen zu können, ist die Aufstellung abstrakt-genereller Normen, die sich an vorgegebene Wertungen des Gesetzgebers anlehnen und sich damit harmonisch in das System unserer Rechtsordnung einfügen. Diese Kritik klingt auch bei Tietgen an 177 , der zwar der Vertrauensschutzrechtsprechung im Grundsatz zustimmt, jedoch äußert, es sei besser gewesen, wenn das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsprechung „rational strukturiert und systematisiert" hätte. Die weitere Beurteilung der von der Rechtsprechung geübten Interessenabwägung liegt nach den vorangegangenen grundsätzlichen Erörterungen über Methodenfragen auf der H a n d . Sie bedeutet eine Gefahr
174
Nachweise vgl. oben S. 30. Die kasuistische Tendenz wird vom BVerwG selber eingeräumt in JR 1962, 31. 176 S. 10 ff. 177 in DVB1. 1959, 890. 175
38 f ü r Rechtssicherheit 178 · l7B und die Verwirklichung des Gleichheitsprinzips. N u n muß zwar der Rechtsprechung das Lob gespendet werden, daß sie mit dem Rücknahmeproblem bisher in befriedigendem Maße fertig geworden ist und im wesentlichen gerechte und zu billigende Ergebnisse erzielt hat. Auch sind Fälle auffallender ungleicher Entscheidungen nicht bekannt geworden. Das hat die Rechtsprechung jedoch nicht w e g e n , sondern t r o t z der von ihr eingeschlagenen Rechtsfindungsmethode erreicht - durch ihre vorzügliche Richterschaft. Gleichwohl bleiben die Gefahren einer uferlosen Kasuistik und der Vernachlässigung von Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit - wenn auch nur zeitweilig latent - bestehen, und die Rechtslehre darf - wie bereits einleitend betont - bei soldher Lage nicht die H ä n d e in den Schoß legen, sondern muß darum bemüht bleiben, Fingerzeige für die künftige Entwicklung zu geben 180 . bb) Angesichts der offenkundigen Vor- und Nachteile zwischen der legislatorischen und der kasuistischen Methode der Lückenausfüllung ist man versucht zu fragen, warum die Rechtsprechung nicht von Anfang an den Weg des gesetzgeberischen Verfahrens eingeschlagen hat. Das hat wohl mehrere Gründe. Einer ist der, daß die Rechtsfortbildung ihren Ausgang vom Fall nimmt, der Denkanstoß wird also regelmäßig durch ein plötzlich auftretendes praktisches Bedürfnis gegeben. Deshalb wird das neu auftauchende Rechtsproblem auch vom Einzelfall her nach möglichen Problemlösungen vorsichtig und zurückhaltend abgetastet. Nach einer gewissen Prüfzeit verdichten sich die verschiedenen Varianten von Lösungsvorschlägen zu einer einheitlichen Linie, die dann zur Regel ausgeformt wird. Der Weg der Regelbildung geht also vom Fallproblem zum Prinzip, nicht umgekehrt. „Das Streben nach inhaltlicher Gerechtigkeit führt notwendig zu einer der aequitas der alten Redite entsprechenden Würdigung des Einzelfalles, die das Gesetzesschema zunächst durchbricht, mit der Zeit aber zu einer neuen, dieses verbessernden Institutionsbildung führt. Was zunächst f ü r den harten Einzelfall eine Durchbrechung oder 178 Z w a r beruft sich die Rechtsprechung bei der Gewährung des Vertrauensschutzes auch auf das Prinzip der Rechtssicherheit (vgl. o b e n S. 17), jedoch hat sie dabei offensichtlich nur die Bestandskraft v o n Verwaltungsakten im Auge, nicht aber die andere Ausprägung der Rechtssicherheit, nämlich die Voraussehbarkeit der Entscheidungen (vgl. zu den einzelnen Ausprägungen der Rechtssicherheit u n t e n S. 77). 179 vgl. insoweit audi die Kritik v o n Kretschmer in ZBR 1959, 312 und unten Anm. 208; ebenso Tietgen in DVB1. 1959, 891: „Die Rechtsprechung des B V e r w G in dieser Frage läuft Gefahr, daß die Ergebnisse . . . selbst für den Kenner nicht mehr voraussehbar sind." Beachtlich in diesem Zusammenhang auch die Kritik Forsthoffs in D Ö V 1959, 41. Gegen die Interessenabwägung ferner Ipsen, Widerruf, S. 95 und N a u m a n n , S. 52, insbes. aus dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit. 180 Zur Offenlegung der Methode vgl. insbes. Jesch, S. 36 f. mit Nachweisen.
39 Korrektur verlangt, rechtfertigt sich nicht aus dem Selbstzweck dieser einen Fallösung praeter oder contra legem durch „ A b w ä g u n g nach den Einzelumständen", sondern aus der Notwendigkeit, mit H i l f e der Kasuistik zu zweckvolleren dogmatischen Vorstellungen zu kommen. Was zunächst aequitas war, wird durch Einarbeitung der stehenden J u d i katur zu ius. Bis dahin bleiben zahlreiche Entscheidungen im Zwielicht von Billigkeitserwägungen über Zumutbarkeit oder Untragbarkeit und von ethischen Vorwürfen gegenüber rechtlich gegebenen Möglichkeiten. Diese Korrektur aus „Treu und G l a u b e n " , die v o m Fall her an das positive Recht herangetragen wird, ist eine für dessen Fortbildung unentbehrliche Zwischenstation 1 8 1 ." Dieses Zwischenstadium v o m Fall zur Regelbildung und zur Verfestigung einer Institution ist oft ein langjähriger Prozeß, aber er kommt irgendwann zum Abschluß 1 8 2 . Für die hier zu beurteilende Rechtsprechungspraxis läßt sich sagen, daß sie sich mitten in einem solchen Fortbildungsprozeß befindet. Ein zweiter G r u n d für den von der Rechtsprechung eingeschlagenen Weg der Rechtsfindung liegt in der Veränderung der Auslegungsmethode, die seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes an R a u m gewonnen hat. Diese Veränderung hat Forsthoff 1 8 3 eindringlich beschrieben. Sie liegt in dem Abrücken v o m syllogistischen Schluß und der Hinwendung zu einer „geisteswissenschaftlich-werthierarchischen Auslegung", die sich als eine am Wert orientierte A r t des Folgerns darstellt. D a ß die Rechtsanwendung kein mathematisch exakter V o r g a n g ist, sondern im letzten Grunde ein Prozeß der Wertverwirklichung, soll nicht geleugnet werden. Jedoch führt die Uberbetonung ethischer, sittlicher und sozialer Gesichtspunkte zu einer Subjektivierung der Wertgehalte, die für die Rechtsverwirklichung eher abträglidi als förderlich ist. Die geisteswissenschaftlichhierarchisciie Methode verunsichert das Recht, indem sie das Gesetz in Kasuistik auflöst 1 8 4 , und tritt damit in Gegensatz zu dem auf Rationalität hin angelegten rechtsstaatlichen Denken. D a s Gesetz und das Recht schlechthin verliert seine rechtsstaatliche Form in dem Maße, in dem es irrationale Gehalte aufnimmt, unter die nicht mehr im Wege des syllogistischen Schlusses subsumiert werden kann 1 8 5 . Auf diese hier nur andeutungsweise dargelegten Gefahren hat Forsthoff mit Recht hingewiesen. Z w a r ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Rücknahmerecht wie oben dargestellt ernsthaft darum bemüht, daß das Recht 181 Esser, Schuldrecht, S. 100. Diese A u s f ü h r u n g e n Essers zu § 242 B G B können allgemeine Gültigkeit beanspruchen. V g l . audi Wieacker, Richterkunst, S. 14; M e i e r - H a y o z , Rechtsfortbildung, S. 99; Soergel-Siebert § 242 A n m . 2. 182 vgl. Rümelin, Billigkeit, S. 61 mit praktischen Nachweisen; zur Z w i t terstellung der „ständigen Rechtsprechung" als Reditsquelle in diesem Zwischenstadium vgl. L a r e n z , Methodenlehre, S. 302 und Meier-Hayoz, Rechtsfortbildung, S. 98. 183 184 !85
U m b i l d u n g , S . 35 ff. U m b i l d u n g , S. 55. U m b i l d u n g , S. 53.
40 nicht aus den Fugen gerät, jedoch machen sich bereits vereinzelt - insbesondere in jüngeren Entscheidungen - Zersetzungserscheinungen bemerkbar 1 8 6 . Ein weiterer tiefer liegender Grund f ü r die Zurückhaltung der Rechtsprechung bei der Aufstellung allgemeiner Regeln ist wohl der, daß sich unsere Rechtswissenschaft und Praxis in einer Übergangszeit zwischen dem empirischen und systematischen Denken befindet, wobei der empirische Einschlag aus der soziologischen Jurisprudenz herrührt 1 8 7 . Allgemein wird jedodi betont 188 , daß der Systemgedanke nicht aufgegeben werden darf, nicht allein weil der menschliche Geist nach Ordnung strebt, sondern um die Einheitlichkeit unserer Rechtsordnung zu wahren. D a ß dabei System nicht als logisch geschlossenes System von Begriffen, die untereinander in einem Ableitungszusammenhang im Sinne einer formalen Logik stehen, verstanden werden darf, hat die Grundlagenforschung insbesondere der letzten Jahre deutlich hervorgehoben 189 . System will verstanden sein im Sinne eines „inneren Begründungszusammenhangs" 19°, als „Ordnungszusammenhang" der Ordnungsgesichtspunkte unseres Rechtsgefüges 191 und Institut und Rechtsbegriff sind „nicht mehr Surrogate ausgeträumter mathematisch-axiomatischer N a t u r rechtsentwürfe und daher auch nicht mehr Normenkomplexe, die der Richter ähnlich wie die gesetzlichen Normen durch Subsumption auf Einzelfälle anzuwenden hätte, sondern vielmehr ein Repertoire von Problemlösungsvorschlägen, die bei wiederholter praktischer Bewährung durch den Konsens der Fachgenossen Verbindlichkeit für die Rechtsprechung gewinnen können" 1 9 2 . d) Die Aufgabe der Rechtslehre als einer praktischen Wissenschaft ist damit umrissen. Sie hat dreierlei zu bewältigen. aa) Zunächst ist der bestehende Zustand des Rechtsfortbildungsprozesses aufzuzeichnen. Bevor die Reditslehre eigene Ideen vorträgt, muß sie sozusagen eine Inventur der bereits vorliegenden Problemlösungsvorschläge voranschicken, um auf dieser Grundlage weitere Erörterungen anzustellen. bb) Im Anschluß an diese Bestandsaufnahme ist das vorhandene Material der Rechtsfortbildung daraufhin zu überprüfen, ob sich einzelne Grundsätze herausgebildet haben, die bereits gewohnheitsrechtlich erhärtet sind. Diese Grundsätze und die noch nicht zu allgemeinverbind186
vgl. dazu insbes. unten S. 87 und Anm. 361. vgl. dazu näher Coing, Systemgedanke, S. 40 ff. 188 vgl. Coing, Systemgedanke, S. 41; Larenz, Methodenlehre, S. 134; Wieacker, Richterkunst, S. 14; Meier-Hayoz, Rechtsfortbildung, S. 99. is» vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 134; Wieacker, Richterkunst, S. 14; Meier-Hayoz, Rechtsfortbildung, S. 120. 190 Meier-Hayoz, Reditsfortbildung, S. 120. 191 Reinhardt, S. 25. 192 Wieadcer, Riditerkunst, S. 14; zustimmend Meier-Hayoz, Reditsfortbildung, S. 120. 187
41 lichem Redit ausgeformten Problemlösungsvorschläge sind auf dem Hintergrund unserer Rechtsordnung zu systematisieren, mit den unserem Recht zugrundeliegenden Grundgedanken zu vergleichen und zu erklären. cc) Bei dieser Stoffordnung darf die Rechtswissenschaft jedoch nicht stehenbleiben 1 9 3 . Vielmehr hat sie das vorhandene Material kritisch zu würdigen und Vorschläge zur Korrektur und zu neuen Lösungen zu machen. Es ist ihre Aufgabe, das System auszubauen und die Rechtsfortbildung mit zu lenken 1 9 4 . So stellt sich der Prozeß der Rechtsfortbildung als ein Zusammenspiel zwischen Theorie und Praxis dar 1 9 5 . Die A u f g a b e der Stoffordnung ist für das Rücknahmerecht zu Beginn dieses Kapitels erfüllt worden. N e u e Problemlösungsvorschläge und insbesondere Gedanken zum weiteren Ausbau des Systems werden im zweiten Kapitel vorgetragen. Darüber, welcher Weg bei der Findung neuer Problemlösungsvorschläge einzuschlagen ist, herrscht weitgehend Einigkeit. U m im Ergebnis eine N o r m zu erzielen, die sich harmonisch in das System unserer Rechtsordnung einfügt, ist auszugehen von anerkannten und feststehenden Grundprinzipien, die für das Rücknahmerecht konkret zu Ende gedacht und damit zu speziellen Rechtssätzen ausgeformt werden müssen 1 9 6 . Diese Konkretisierung ist ohne Zuhilfenahme anderer Maßstäbe freilich meist nicht zu bewältigen. Als solche Maßstäbe kommen rechtliche und außerrechtliche Wertungen, anerkannte Institutionen, Lösungsansätze in bewährter Lehre und J u d i k a t u r , Zweck und N a t u r des Rechtsverhältnisses, Praktikabilität, Zumutbarkeit, Rechtssicherheit und Verkehrssitte in Betracht, um nur einige zu nennen 1 9 7 . 193 vgl. Peters, V e r w a l t u n g s s t a a t , S. 19 und M e i e r - H a y o z , R e d i t s f o r t bildung S. 122: „ E s geht mir nur d a r u m zu betonen, daß die R o l l e der Rechtswissenschaft sich nicht darin erschöpfen kann, den . . . Rechtsstoff zu sammeln und zu ordnen. D i e D o k t r i n ist mehr als eine ancilla legislatoris oder eine ancilla iudicis, ihre Methode nicht die der h a n d w e r k m ä ß i g e n Sichtung und Etikettierung v o n a n d e r s w o fertig fabriziertem Rechtsinhalt. Gewiß hat sie in erster Linie die gesetzlichen und die richterlichen P r ä j u d i z i e n zu erforschen, aber sie darf nicht dabei stehen bleiben." 104 ιβδ
vgl. Peters, Entwicklungstendenzen, S. 244. M e i e r - H a y o z , Rechtsfortbildung, S. 100.
196 vgl. B a s t i a n S. 143; E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y S. 3 4 3 ; M e i e r - H a y o z , Rechtsfortbildung, S. 99, 119 und Richter, S. 2 5 5 ; H u b e r , „ G r u n d s ä t z e in der Auslegung der Wirtschaftsartikel", in Wirtschaft und Recht 10 (1958) S. 10: „ S o w o h l die Rechtsgrundsätze als auch die verfassungsgestaltenden G r u n d entscheidungen b e d ü r f e n nun nicht der Auslegung, sondern der Konkretisierung, der normgewinnenden, normentwickelnden Ausschöpfung. D a s hat seinen G r u n d darin, daß sie ohne diese Konkretisierung noch gar nicht „ a n w e n d u n g s bereit" sind, d. h. noch keine hinreichenden Weisungen f ü r bestimmte F r a g e n und Sachverhalte e n t h a l t e n " ; vgl. auch Siebert, S. 15; R e i n h a r d t . S. 25 ff.; Wieacker, Richterkunst, S. 17; Bachof in V V D S t R L 12 (1954), 53; 81 Leitsatz I I I 126. 197 vgl. d a z u E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y , S. 343; Siebert, Gesetzesauslegung, S. 15.
42 3. P r a k t i s c h e B e d e n k e n
Neben den aufgezeigten dogmatisch-methodischen Bedenken gegen die herrschende Meinung im Rücknahmerecht sind auch eine Reihe praktischer Einwände zu erheben, die mit den methodischen Mängeln zumeist eng verflochten sind. a) Eine praktische Schwierigkeit bereitet die Feststellung des öffentlichen Interesses, mit dem das Individualinteresse abgewogen werden soll. Das öffentliche Interesse ist ein komplexer Begriff. Ebenso wie die Gesetzmäßigkeit liegt audi die Rechtssicherheit und die Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben im öffentlichen Interesse 198 . Die Grenzen des Begriffs „öffentliches Interesse" sind verschwommen 199 . Dieser Begriff entzieht sich naturgemäß einer sicheren inhaltlichen Erfassung 200 . Über das, was im öffentlichen Interesse liegt, können im Einzelfall die verschiedensten Meinungen vertreten werden 201 . Wenn man bedenkt, daß d a s öffentliche Interesse sich als Resultante verschiedener öffentlicher Einzelinteressen erweist, zu denen auch die Rechtssicherheit gehört, wenn man andererseits berücksichtigt, daß die herrschende Meinung das Individualinteresse auf den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit abstützt, so muß man sich fragen, wo hier noch eine Diskrepanz zwischen dem öffentlichen und privaten Interesse liegt. Die Interessenabwägung ist darum nichts anderes als allein die Bestimmung dessen, was im öffentlichen Interesse schlechthin liegt 202 . Somit treten uns als Gegensatzpaar das Gesetzmäßigkeitsprinzip und der Grundsatz der Rechtssicherheit entgegen. Die Problemstellung dreht sich also um einen Konflikt grundlegender Rechts n o r m e n , der durch eine generellabstrakte Interessenabwägung gelöst werden muß, d. h. es muß generell geklärt werden, unter welchen Umständen die eine N o r m der anderen vorgeht. b) Ein weiterer Mangel der von der herrschenden Meinung vertretenen Interessenabwägung liegt darin, daß die von ihr gegebenen Maßstäbe f ü r die Bewertung der Interessen unzureichend sind. Als Wertmesser für die Intensität des öffentlichen Interesses wird in erster Linie die Belastung der Öffentlichkeit durch den rechtswidrigen « 8 Peters, Lehrbuch, S. 164; Haueisen in N J W 1958, 884; Weber in BKK 1960, 237. 199 Weber in BKK 1960, 237; „Er ist schwammig, dehnbar und einer Bestimmung durch positive Merkmale entzogen." 200 Schüle in VerwArch. 1933, 433. 201 vgl. Erning in DVB1. 1960, 193; Rösener a . a . O . S. 513; siehe auch Fleiner, Einzelinteresse, S. 3 f. 202 vgl. auch Rösener a. a. O. S. 513, der bemerkt, daß beim Problem der Rücknahme nur e i η öffentliches Interesse anzuerkennen sei, nämlich das der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Μ. E. verkennt Rösener den möglichen Konflikt zwischen Gesetzmäßigkeit und Rechtssicherheit, der u. U. zugunsten der Rechtssicherheit zu entscheiden ist. Audi die Rechtssicherheit liegt letzten Endes im öffentlichen Interesse!
43 begünstigenden Verwaltungsakt angesehen. Dieses Bewertungsmerkmal ist unbrauchbar. Das ergibt sich schon aus der Überlegung, daß die mit dem Erlaß eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes verbundene Belastung der öffentlichen H a n d im Einzelfall regelmäßig so gering ist, daß sie im Verhältnis zum Haushaltsvolumen gar nicht ins Gewicht fallen kann. So wird man mit dem Argument, das öffentliche (Vermögens-)Interesse erfordere unabweislich die Rücknahme einer rechtswidrig ergangenen Bewilligung einer Hausratsentschädigung von 800,- D M , schwerlich die Rücknahme eines Leistungsbescheides rechtfertigen können. U n d selbst wenn eine rechtswidrig zugesprochene Kriegsschadensrente in Betracht steht, die eine Dauerbelastung für die Öffentlichkeit mit sich bringt, läßt sich dieses Argument nicht halten. Nebenbei sei bemerkt, daß der Empfänger einer rechtswidrig gewährten Kriegsschadensrente nach Rücknahme des Leistungsbescheides regelmäßig auf öffentliche Fürsorge angewiesen ist, so daß letztlich wiederum die Öffentlichkeit die - allerdings anders firmierten - Lasten zu tragen hat 203 . Demgegenüber kann nicht vorgebracht werden, daß eine Verweisung auf Fürsorgeunterstützung unzumutbar sei. Mit Recht bemerkt das Bundessozialgericht 204 , die Auffassung, daß der Empfang von Fürsorgeunterstützung regelmäßig ein Verdrängen aus der gesellschaftlichen Stellung und damit einen sozialen Abstieg bedeute, entspringe einer gesellschaftlichen Denkweise, die als überholt gelten müsse. Auch der Gesichtspunkt, daß der Behörde der gesamte Organisationsapparat zur Verfügung steht, um das Zustandekommen eines fehlerhaften Verwaltungsaktes zu verhindern, und daß sie insoweit ein erhebliches Übergewicht gegenüber dem Bürger hat 205 , ist für die Interessenabwägung ungeeignet. Die Interessenstärke als objektive Größe hat mit der Frage, wer die Rechtswidrigkeit verursacht hat, nichts zu tun. Das Verschulden der Rechtswidrigkeit auf Seiten des Bürgers kann allenfalls seinen Vertrauensschutz in Frage stellen. Das ist aber ein von der objektiven Interessenabwägung zu unterscheidender Gesichtspunkt. D a gegen kann ein Verschulden der Behörde das öffentliche Interesse am gleichmäßigen Gesetzesvollzug in keiner Weise mindern. Die Interessenabwägung krankt, wie dieser Punkt deutlich zeigt, daran, daß Staat und Bürger im Verhältnis der Partnerschaft gedacht werden, die zu gegenseitiger Treue und Rücksichtnahme verpflichtet sind. Diese zivilrechtliche Vorstellung ist im öffentlichen Recht fehl am Platz und f ü h r t auch im Rücknahmerecht zu Mißdeutungen. Ebenso beruht die Neigung, dem Bürger gegenüber der allmächtigen Behörde jeglichen 203 vgl. L S G Bremen in BB 1957, 543, das zutreffend darauf hinweist, daß bei der Rücknahme eines Rentenbescheides eine nur geringe oder gar keine Einsparung öffentlicher Mittel erzielt, sondern nur eine Verlagerung des A u f w a n d e s bewirkt wird, den die Gemeinschaft für den Betroffenen zu tragen hat. "-«* 2 "5
in D Ö V 1959, 584 (585). so B V e r w G in D Ö V 1957, 911 (912).
44 Schutz angedeihen zu lassen, auf überholten Ansichten von der Stellung der Exekutive 2 0 ®. c) D i e für die Interessenabwägung aufgezeigten Wertungsmaßstäbe stehen in der Rechtsprechungspraxis unverbunden nebeneinander, ahne daß auch nur der Versuch gemacht würde aufzuzeigen, welcher Gesichtspunkt für die Abwägung schwerer wiegt und welchem geringere Bedeutung z u k o m m t 2 0 7 . So ist denn auch aus einzelnen Entscheidungen ersichtlich, mit welcher Unsicherheit der Verwaltungsrichter an die Abwägung herangeht. Mit anderen W o r t e n - die Interessenabwägung ist nicht p r a k tikabel 2 0 8 . D e r Nachweis mangelnder P r a k t i k a b i l i t ä t soll an einer Entscheidung des O V G Münster vom 9. 1 2 . 1 9 5 9 2 0 9 nachgewiesen werden. D e r E n t scheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: D i e E h e f r a u des Klägers wurde im J a h r e 1945 durch einen L k w der britischen Besatzungsmacht überfahren und getötet. D i e Besatzungsmacht erkannte ihre Haftung für die Folgen dieses Unfalles dem Grunde nach an. Durch Bescheid vom 14. 9. 1953 wurde dem K l ä g e r für die zurückliegende Zeit bis zum 31. 7. 1 9 5 5 eine laufende monatliche Entschädigung wegen entgangener Dienstleistungen zuerkannt. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten. Nach Abschluß der Zahlungen wurde festgestellt, daß in dem Feststellungsbescheid zwei fehlerhafte Rechnungsposten vorhanden waren, die eine Uberzahlung zur Folge hatten. Durch Bescheid vom 13. 9 . 1 9 5 5 wurde die Entschädigung bis zum 30. 9. 1 9 5 3 demgemäß anderweitig festgesetzt. Gleichzeitig wurde der Kläger aufgefordert, den zuviel gezahlten Betrag zurückzuzahlen. I n den Entscheidungsgründen qualifizierte das Gericht zunächst den Bescheid vom 1 4 . 9 . 1 9 5 3 als einen begünstigenden Verwaltungsakt. Nachdem es die Rechtswidrigkeit dieses Bescheides festgestellt hat, nimmt vgl. dazu u n t e n S. 5 5 ff. D a ß den einzelnen Gesichtspunkten für die A b w ä g u n g unterschiedliche Bedeutung z u k o m m t , betont auch Wolff, Lehrbuch, § 5 3 I I I (S. 2 9 5 ) . 208 Die P r a k t i k a b i l i t ä t des Redits ist auch eine F o r d e r u n g der Rechtssicherheit, vgl. d a z u R a d b r u d i , Einführung, S. 39, 4 0 ; Die mangelnde P r a k t i kabilität der herrschenden Rechtsprechung kritisiert auch Kretsdimer, S. 3 1 2 : „Die praktischen Auswirkungen der meist schwierigen a u f den Einzelfall abzustellenden und daher der Allgemeingültigkeit entbehrenden rechtlichen E r w ä gungen, die bei Anwendung der v o m Bundesverwaltungsgericht entwickelten Rechtsgrundsätze anzustellen sind, werden weittragend sein . . . Die V e r w a l tung verlangt nach einfachen praktikablen Richtlinien, wenn nicht durch ungleiche Behandlung gleicher Tatbestände eine ständige Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und damit völlige Rechtsunsicherheit eintreten s o l l " ; ebenso Tietgen in DVB1. 1 9 5 9 , 891 in einer A n m e r k u n g zu einem das Rücknahmerecht betreffenden U r t e i l des B V e r w G : „Mit Urteilen wie diesem, die einen t a t bestandlich typisdien F a l l mit Argumenten der Einzelfallgereditigkeit lösen, können die nachgeordneten Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden kaum noch etwas a n f a n g e n . " Vgl. audi W e b e r in B K K 1 9 6 0 , 2 3 7 . 206
207
20
»
M D R 1960, 956.
45 das Gericht zu der F r a g e S t e l l u n g , ob der Bescheid t r o t z der Rechtsw i d r i g k e i t z u r ü c k g e n o m m e n w e r d e n k a n n . D a b e i w i r d zunächst die oben dargestellte herrschende Gerichtspraxis zur I n t e r e s s e n a b w ä g u n g a n g e f ü h r t und b e j a h t . S o d a n n h e i ß t es i n den Entscheidungsgründen weiter: „ D e r S e n a t ist hiernach der A u f f a s s u n g , d a ß eine m i t W i r k u n g f ü r die V e r g a n g e n h e i t ausgestattete R ü c k n a h m e des Bescheides v o m 14. 9. 1 9 5 3 , soweit dadurch eine Ü b e r z a h l u n g e r f o l g t ist, unzulässig ist, weil der K l ä g e r die Ü b e r z a h l u n g nicht m i t unlauteren M i t t e l n e r w i r k t u n d nicht einmal verursacht h a t . D i e F e h l e r , die für die Ü b e r z a h l u n g ursächlich w a r e n , f a l l e n allein in den „ V e r a n t w o r t u n g s bereich" der V e r w a l t u n g s b e h ö r d e . Seit dem E r l a ß des Bescheides v o m 14. 9. 1 9 5 3 , auf den der K l ä g e r nahezu acht J a h r e w a r t e n m u ß t e , w a r e n bereits zwei J a h r e v e r g a n g e n , als der Berichtigungs- und R ü c k forderungsbescheid erging, so d a ß das V e r t r a u e n des K l ä g e r s a u f den B e s t a n d des Feststellungsbescheides besonders schutzwürdig ist. I m H i n b l i c k a u f diese besonderen U m s t ä n d e des Falles v e r d i e n t das p r i v a t e Interesse des K l ä g e r s , der als P o s t f a c h a r b e i t e r in bescheidenen V e r m ö g e n s v e r h ä l t n i s s e n lebt und durch die Verpflichtung zur R ü c k z a h l u n g des ü b e r z a h l t e n B e t r a g e s h a r t b e t r o f f e n w ü r d e , gegenüber dem öffentlichen Interesse an der teilweisen R ü c k n a h m e des insoweit fehlerhaften V e r w a l t u n g s a k t e s den V o r r a n g , z u m a l auch die B e lastung der Ö f f e n t l i c h k e i t bei Belassung kein u n v e r h ä l t n i s m ä ß i g e s Gewicht darstellt." O b der Entscheidung im. E r g e b n i s z u z u s t i m m e n ist, m a g dahinstehen. G e g e n s t a n d der B e t r a c h t u n g soll n u r sein, w i e das Gericht R e c h t gefunden hat. Zunächst stellt das Gericht fest, d a ß der K l ä g e r die R e c h t s w i d r i g k e i t des V e r w a l t u n g s a k t e s nicht verschuldet h a t . D i e s e r U m s t a n d ist f ü r die Entscheidung erheblich. Systematisch gehört diese E r w ä g u n g jedoch nicht an die S p i t z e , denn das Verschulden z e r s t ö r t den Vertrauensschutz, der seinerseits erst bei ü b e r w i e g e n d e m P r i v a t i n t e r e s s e in F r a g e k o m m t , so d a ß zunächst die Interessen a b z u w ä g e n w a r e n . Unbeachtlich ist, d a ß der K l ä g e r acht J a h r e a u f den ihn begünstigenden Bescheid g e w a r t e t h a t . Bedenklich ist, d a ß das G e r i c h t den Z e i t r a u m nach E r l a ß des V e r w a l tungsaktes als M a ß s t a b der I n t e r e s s e n b e w e r t u n g a n s i e h t 2 1 0 . D i e s e A u f f a s s u n g ist m. E . nicht zu h a l t e n , denn es k a n n nicht d a r a u f a n k o m m e n , o b der B ü r g e r bereits zwei J a h r e oder erst sechs M o n a t e rechtwidrig Z a h l u n g e n bezogen h a t . E b e n s o sind die V e r m ö g e n s v e r h ä l t 210 Wolff, Lehrbuch, § 53 I I I c (S. 295), hält zwar den Zeitraum, der seit dem Eintritt der Mangelhaftigkeit verstrichen ist, für bedeutsam und beruft sich auf B S G in N J W 1957, 397. Jedoch behandelt diese Entscheidung den Sonderfall der Verwirkung (vgl. dazu unten S. 94). Die Verwirkung ist zwar auch ein Anwendungsfall des Vertrauensschutzes, hat aber als Rücknahmeschranke selbständige Bedeutung.
46 nisse des Klägers bisher als W e r t u n g s m a ß s t a b nicht a n e r k a n n t . D a s O V G Münster v e r w e n d e t ihn aber. Dagegen enthalten die Entscheidungsgründe keine A u s f ü h r u n g e n d a r über, ob u n d inwieweit der Kläger seine Lebensweise auf G r u n d der rechtswidrigen Z a h l u n g e n eingerichtet hat. Ein Gesichtspunkt, auf den es entscheidend f ü r die Beurteilung der Interessenabwägung und d a m i t des Vertrauensschutzes a n k a m . D a s Gericht h a t sich bei seiner Urteilsfindung offensichtlich v o n Billigkeitserwägungen leiten lassen 211 , indem es auch Interessen in die Betrachtung einbezog, deren rechtliche R e l e v a n z bisher nicht a n e r k a n n t ist. D e r Fehler d a f ü r ist darin zu suchen, d a ß sich gegenüberstehende Interessen abgewogen werden, ohne zu bedenken, ob die Interessen nach der Rechtsordnung auch beachtlich sind, d. h. ob ihre Berechtigung sich in einem Rechtssatz (!) nachweisen l ä ß t . W e n n schon obere I n s t a n z e n der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit der Interessenabwägung Schwierigkeiten haben, so l ä ß t sich leicht denken, d a ß der mittlere V e r w a l t u n g s b e a m t e , der ebenfalls häufig über die Rückn a h m e zu entscheiden h a t , ü b e r f o r d e r t ist. D a r a u s ergeben sich weittragende Folgen, weil die Rechtsgrundsätze des allgemeinen V e r w a l tungsrechts u n d d a m i t auch die Rücknahmeregeln auf G r u n d ihres subsidiären C h a r a k t e r s fast auf allen Sondergebieten des Verwaltungsrechts, insbesondere auch in dem umfangreichen Sektor des Sozialrechts, oft z u r A n w e n d u n g k o m m e n u n d v o n der Beamtenschaft beherrscht w e r d e n müssen. Es ist deshalb verständlich, w e n n gerade aus den Reihen der V e r w a l t u n g s p r a k t i k e r der H i l f e r u f nach k l a r e n und p r a k t i k a b l e n Rechtsgrundsätzen kommt212. I I I . Zusammenfassung der Kritik und Ansatzpunkte Ausgestaltung des Rücknahmerechts
für eine
neue
1. Übersicht über die Schwächen der herrschenden M e i n u n g Die bisherigen E r ö r t e r u n g e n haben gezeigt, d a ß der herschendcn A n sicht sowohl dogmatische als auch praktische Mängel a n h a f t e n . D o g m a tisch bedenklich erscheint die teilweise v o r g e n o m m e n e Beschneidung des unteilbaren Begriffs der Rechtswidrigkeit. Als v e r f e h l t sind auch die Entscheidungen zu bezeichnen, die a n s t a t t auf die Schwere auf die O f f e n 211 D a v o r h a b e n M a u n z - D ü r i n g , A r t . 20, 147 nachdrücklidi g e w a r n t : „Eine Mitleidsrechtsprechung, die e t w a bei rechtswidrigen G e l d b e w i l l i g u n g s bescheiden allein auf das „ a r m e M ü t t e r c h e n " schaut, d e m m a n aus „sozialen G r ü n d e n " nicht m e h r das E r h a l t e n e e n t z i e h e n d ü r f e , w ä r e sicherlich auf d e m falschen Wege, weil — es m u ß e i n m a l gesagt w e r d e n — schließlich G e l d e r der Allgemeinheit (der a n d e r e n ) v e r g e b e n w u r d e n . " W i e sehr eine Rechtsprechung, die auf scharf umrissene T a t b e s t ä n d e verzichtet, ins S c h w i m m e n g e r ä t , beweist auch die E n t s c h e i d u n g des L S G B r e m e n in BB 1957, 543, die a n die oben zitierten W o r t e v o n M a u n z - D ü r i g e r i n n e r t u n d v o m BSG m i t Recht a u f g e h o b e n w o r d e n ist. 21
-'
vgl. W e b e r in B B K 1960, 237.
47 kundigkeit des Gesetzesverstoßes abstellen. D e r entscheidende Fehler liegt aber in der im Einzelfall geübten Interessenabwägung. Sie trägt die Tendenz zu einer uferlosen Kasuistik in sich und bedeutet eine erhebliche Gefährdung der Rechtssicherheit und des Gleichheitsprinzips. Außerdem ist die Interessenabwägung nicht praktikabel, einmal weil das öffentliche Interesse schwer abzugrenzen ist, zum anderen weil die ermittelten W e r t maßstäbe für die Interessenabwägung unzureichend sind und schließlich weil die Interessenabwägung als Rechtsfindungsmethode nicht sicher gehandhabt werden k a n n . 2. D i e Notwendigkeit eines Regel-Ausnahme-Systems Diese Schwächen haben ihren Grund darin, daß der Rechtsanwender den Bereich der N o r m e n verläßt und auf die hinter ihnen liegenden Interessen zurückgeht, um sie selbständig zu bewerten. D e r einzige Weg zu einer sauberen und klaren Rechtsfindung führt jedoch über die N o r m . Es ist daher erforderlich, das Rücknahmeproblem als Normenkonfliktsproblem in Gestalt einer generell-abstrakten Interessenabwägung ins Auge zu fassen und, ausgehend vom Legalitätsprinzip, danach zu forschen, ob diesem Prinzip andere Rechtssätze entgegenstehen und wann sie ihm vorgehen k ö n n e n 2 1 3 . D i e Voraussetzungen für den V o r r a n g eines dem Gesetzmäßigkeitsprinzip entgegenstehenden Rechtssatzes sind in F o r m eines möglichst scharf umrissenen Tatbestandes zusammenzufassen. A u f diese Weise entsteht ein Regel-Ausnahme-System, das allein eine klare Rechtsanwendung verbürgt, die Rechtssicherheit zur Geltung bringt und eine möglichst gleiche Beurteilung gleich liegender Tatbestände gewährleistet 2 1 4 . Zweites
Kapitel:
Versuch eines neuen Systems des Rücknahmeredits
D e r von der herrschenden Meinung befolgten Interessenabwägung im Einzelfall stehen sowohl dogmatische als auch praktische Bedenken entgegen. Erstrebenswert ist allein ein fest umrissenes und tatbestandlich ausgeprägtes Regel-Ausnahme-System. D e r einzuschlagende W e g - die legislatorische Methode - ist im ersten K a p i t e l skizziert worden. D i e H a u p t a u f g a b e wird darin bestehen, Verfassungsgrundsätze und anerkannte tragende Prinzipien unserer Rechtsordnung, insbesondere solche des Verwaltungsrechts, zu konkretisieren und aus ihnen praktikable Rechtssätze für das Rücknahmerecht zu f o r men. D a b e i ist in erster Linie auf Erkenntnisse „bewährter Lehre und Uberlieferung" zurückzugreifen. Durch die Konkretisierung tragender, unserem Recht innewohnender Prinzipien und die Beachtung erprobter 213 vgl. S a l a d i n , S. 131, der zu derselben F r a g e s t e l l u n g k o m m t , sie a l l e r dings anders löst, s. oben S. 3 7 . 214 so insbes. N a u m a n n , S. 5 2 .
48 Erkenntnisse von Lehre und Praxis ist die Garantie d a f ü r gegeben, daß sich die zu formenden Rechtsnormen harmonisch in das System unserer Rechtsordnung einfügen. A. D e r
Grundsatz
der
freien
Rücknahme
Mit der herrschenden Lehre 215 und Rechtsprechung 210 ist daran festzuhalten, daß rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte grundsätzlich frei zurückgenommen werden können 2 1 7 . Es sei ausdrücklich betont, daß dieser Grundsatz hier lediglich f ü r rechtswidrige Verwaltungsakte gemeint ist. Die Frage der freien Rücknahme wird im allgemeinen für Verwaltungsakte schlechthin, also einschließlich der rechtmäßigen gestellt. Ob ein Grundsatz aufgestellt werden kann dahin, daß alle Verwaltungsakte (ohne Rücksicht auf Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit) frei aufhebbar sind, kann unentschieden bleiben. Hier interessiert nur die Rücknahme r e c h t s w i d r i g e r Verwaltungsakte. Der Grundsatz der freien Rücknahme ist mit Hilfe zahlreicher Rückschlüsse und Rechtsgrundsätze untermauert und auch angefeindet worden, die im folgenden kritisch geprüft werden sollen. I. Die Natur der Sache Vereinzelt 218 ist behauptet worden, der Grundsatz der freien Rücknahme ergebe sich aus der N a t u r der Sache. Die Ansicht hat keinen Widerhall gefunden, sondern wird ift der Literatur abgelehnt 219 . Auf die N a t u r der Sadie wird regelmäßig erst dann zurückgegriffen, wenn sich für ein rechtlich erwünschtes Ergebnis keine andere fundierte Begründung geben läßt. Zwar ist die N a t u r der Sache als juristische Denkform anerkannt 2 2 0 , sie sollte jedoch als Begründungsmittel für einen Rechtsgrundsatz nur in Betracht gezogen werden, wenn, sich nicht andere sicherere rechtliche Stützen finden lassen. Der Grundsatz der freien Rücknahme kann aber, wie noch darzustellen sein wird, aus konkreten und allgemein anerkannten Rechtssätzen abgeleitet werden, so daß es vertretbar er215 vgl. Peters, Lehrbuch, S. 159, 169; Forsthoff, Lehrbuch, S. 209; v. Turegg in JR 1952, 18; Menger VerwArdi. 1960, 274; Schütz in D Ö V 1958, 449; Sommer in D Ö V 1954, 746; Dickmann a. a. O. S. 282; Fauser a. a. O.; Nitschke a . a . O . ; Saladin S. 116; Zsdiacke in N J W 1954, 1436 (1437); Pöppinghaus, S. 56 f.; Zolles S. 107; Seibert S. 53; von Müller in ZLA 1957, 241; Klinger § 42 £ IV 1; Amtl. MittBl. BAA 1956, 491 Ziff. 2; Zusammenstellung der älteren Literatur bei Naumann S. 20. 2le vgl. die Nachweise oben S. 11 f. 217
Über diese Frage der Rücknahmepflicht vgl. unten S. 63. so Gerber in VerwArch. 1931, 69. 21 » vgl. z. B. Ipsen, Widerruf, S. 61; Erning S. 27. 220 vgl. Radbruch, Die Natur der Sache als juristische Denkform, Festschrift für Laun, 1949, S. 157. 218
49 scheint, das Argument der N a t u r der Sache unbeachtet zu lassen. Auf eine Untersuchung der Berechtigung dieses Schlusses kann deshalb verzichtet werden. I I . Die Dynamik
der
Lebensverhältnisse
Ein Teil des Schrifttums 2 2 1 ist der Ansicht, der G r u n d s a t z der freien Rücknahme ergebe sich vor allem aus der Tatsache, d a ß sich die Behörde wechselnden Lagen gegenübersehe und sie imstande sein müsse, sich ihnen anzupassen. Dieses Argument der variablen Sachlagen ist mit Recht bek ä m p f t worden 2 2 2 . Die Überlegung, d a ß die Verwaltung imstande sein müsse, sich den wechselnden Verhältnissen anzupassen, ist rechtspolitischer N a t u r . Rechtspolitische Erwägungen sind jedoch grundsätzlich dem Gesetzgeber vorbehalten. Der Gesetzanwender darf erst dann auf reditspolitische Gesichtspunkte zurückgreifen, wenn logische und sinnvermittelnde Überlegungen nicht zu einer Lösung des gestellten Rechtsproblems führen 2 2 3 . Rechtspolitische Erwägungen müssen f ü r den Rechtsanwender also ultima ratio sein. Pöppinghaus 2 2 4 hält das Argument der variablen Sachlagen f ü r einen unzulässigen Schluß von den Aufgaben der V e r w a l t u n g auf ihre Befugnis. Wie weit die Verwaltung befugt sei, sich wechselnden Lagen anzupassen, bestimme allein die Rechtsordnung 2 2 5 . I I I . Analogieschluß
zur ZPO und zum
FGG
Der G r u n d s a t z der freien Rücknahme ist auch auf eine Analogie zu dem § 1 8 F G G und § 5 7 1 Z P O gestützt worden 2 2 6 . Nach § 1 8 FGG k a n n das Gericht eine von ihm erlassene V e r f ü g u n g ändern, wenn es sie nachträglich f ü r ungerechtfertigt hält. Das gilt nach § 1 8 Abs. 2 F G G nicht, sofern die Verfügung der sofortigen Beschwerde unterliegt. Die Gegner des Analogieschlusses folgern aus Abs. 2, daß eine Analogie gerade z u m Ausschluß der freien Rücknahme f ü h r e n müsse, denn ebenso wie die sofortige Beschwerde seien auch die Rechtsmittel des Verwaltungsrechts befristet 2 2 7 . Dieser E i n w a n d geht jedoch fehl, soweit es begünstigende Verwaltungsakte angeht, denn Rechtsmittel stehen dem Betroffenen nur gegen belastende Akte zu, so d a ß Rechtsmittelfristen auch nur bei belastenden Verwaltungsakten ausgelöst werden. D a aber die freie Rücknahme belastender Verwaltungsakte unproblematisch ist, 221 Forsthoff, Lehrbuch, S. 234 f.; N e b i n g e r , S. 216; 1954, 686. 222 vgl. Pöppinghaus S. 32; Erning S. 27 f. 223 vgl. dazu Saladin S. 52. 224 S. 33. 225 so auch Erning S. 28. 22 e Kormann S. 335. 227 vgl. Ipsen, Widerruf, S. 62, Pöppinghaus S. 33.
4
Ossenbiihl,
Rücknahme, 2. Aufl.
Sommer
DÖV
50 weil sie den Adressaten begünstigt, geht die auf § 1 8 Abs. 2 FGG gestützte Argumentation an der Sache vorbei. Erning 2 2 8 bringt demgegenüber vor, daß die Tatbestände des § 18 Abs. 1 FGG innerlich fast ausnahmslos verschieden seien von denen des Verwaltungsrechts. Die Begründung hierfür bleibt er allerdings schuldig. Dennoch muß man Bedenken tragen, diesem Analogieschluß rückhaltlos zuzustimmen. Zwar wird das Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch zur Verwaltung gerechnet, so daß insoweit das FGG als „Verwaltungsgesetz" anzusehen ist und seine Normen als Grundlage rechtslogischer Schlüsse dienen können. Jedoch ist zu beachten, daß der im FGG geregelte Bereich der Verwaltung gegenüber den sonstigen Wirkungsbereichen der Verwaltung rein quantitativ - abgesehen von den qualitativen Unterschieden - so gering ist, daß es bedenklich erscheinen muß, von ihm allein Rückschlüsse auf das gesamte Gebiet des Verwaltungsrechts zu ziehen. Jedenfalls ist es unbefriedigend, einen so f u n d a mentalen Rechtsgrundsatz wie den der freien Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte auf eine so schmale Gesetzesbasis zu gründen 229 . Noch weniger für eine Analogie eignet sich § 571 Z P O , da hier im wesentlichen nur die prozessuale, nicht aber die materielle Parteistellung in Betracht steht 230 . IV. Analogieschluß
zum besonderen
Verwaltungsrecht
Gewichtiger sind Stimmen, die den Grundsatz der freien Rücknahme mit einer Rechtsanalogie zum besonderen Verwaltungsrecht begründen. Dieser Schluß ist insbesondere in der Rechtsprechung angewendet worden 231 . Er gründet sich auf die Vorschriften der §§ 143 I N r . 2 Thür. LVO, 42 I a PVG, 24 I b O B G . N W , 88 I N r . 1 Württ.EVRO. In diesen Bestimmungen wird zum Ausdruck gebracht, daß ein Verwaltungsakt zurückgenommen werden kann, wenn seine Erteilung dem bestehenden Redit widerspricht. Gegen eine Analogie wird eingewendet, die Fassung sowohl des § 143 Thür.LVO („kann . . . nur zurückgenommen werden, wenn . . . " ) als auch des § 42 P V G ( „ i s t . . . nur zulässig, wenn . . . " ) lasse erkennen, daß lediglich die besonderen Voraussetzungen, unter denen begünstigende Verwaltungsakte bestimmter Art zurücknehmbar sein sollten, normiert worden seien. Die Bedeutung der Gesetzesvorschriften liege daher in erster Linie in der beschränkenden (limitativen) Aufzählung derjenigen sachlichen und rechtlichen Tatbestandsmerkmale, auf welche die Rücknahme gestützt werden könne. Weder der Wortlaut noch der Sinngehalt dieser Vorschriften könne jedoch zur Begründung der Ansicht herangezogen werden, daß die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungs228
S. 30. vgl. Ipsen, Widerruf, S. 63. 230 vgl. dazu Ipsen, Widerruf, S. 623; Pöppinghaus S. 34 Erning S. 30. 231 vgl. oben S. 13; aus dem Schrifttum ζ. B. Schütz a. a. O. S. 450. 229
51 aktes ohne weiteres gerechtfertigt sei, wenn nachträglich seine Gesetzwidrigkeit festgestellt werde 232 . Dagegen bringt Schütz 233 vor, die angegebene Fassung der Gesetzesvorschriften ( „ . . . kann nur zurückgenommen werden, wenn . . .") oder („die Zurücknahme . . . ist . . . nur zulässig, wenn . . .") sei nur verständlich aus der Tatsache, daß die Rechtswidrigkeit neben anderen Widerrufsgründen genannt sei, bei denen eine Rücknahme p f l i c h t nicht bestehe. Welcher Ansicht die größere Überzeugungskraft zukommt, ist schwer zu sagen, jedenfalls läßt sich der Analogieschluß, den die herrschende Rechtsprechung zieht, nicht mit dem Argument beiseiteschieben, das besondere Verwaltungsrecht sei spezifisch gelagert und deshalb sachlogisch über das allgemeine Verwaltungsrecht hinaus unter Berücksichtigung der Eigenart des zu regelnden Sondergebietes weiterentwickelt worden. Es würde deshalb einem circulus vitiosus gleichkommen, hernach wiederum auf das allgemeine Verwaltungsrecht Rückschlüsse zu ziehen 234 . Die Analogie als Schlußverfahren vom Besonderen auf das Allgemeine ist zwar problematisch, aber anerkannt 2 3 5 . Die Frage k a n i f n u r sein, ob dieser Schluß hier gezogen werden kann. Ohne auf die Problematik dieser Frage einzugehen, kann gesagt werden, daß sich bei diesem Verfahren nur selten annähernd zwingende Folgerungen ziehen lassen 236 . Wie nunmehr gezeigt werden soll, bedarf es des schwankenden Bodens der Analogie jedoch nicht, um den Grundsatz der freien Rücknahme sicherzustellen. V. Gewohnheitsrechtliche
Geltung
Es kann nämlich nachgewiesen werden, daß dieser Grundsatz gewohnheitsrechtlich verfestigt ist 237 und auch heute noch Geltung beanspruchen kann. Gewohnheitsrecht entsteht, wenn ein bestimmtes Verhalten von den Beteiligten in der Überzeugung rechtlicher Gebotenheit oder Gewährung lange Zeit hindurch gleichmäßig und allgemein geübt wird und sich diese Gewohnheit in einem verpflichtenden oder berechtigenden Rechtssatz formulieren läßt 2 3 8 . Drei Merkmale kennzeichnen also die Bildung von Gewohnheitsrecht: das objektive der Übung (longa consuetudo), das subjektive der Rechtsüberzeugung (opinio necessitatis) 239 sowie das formale der rechtssatz232
so OVG Berlin in DVB1.1957, 503 (505), ebenso Pöppinghaus S. 55; Erning S. 32 ff. 233 D Ö V 1958, 450, 451. 234 so Erning S. 33; nebenbei sei bemerkt, daß Erning sich, wenn es in sein System paßt, selbst soldier Rückschlüsse bedient, so auf S. 28. 235 vgl. Engisch S. 142 ff. säe dazu vgl. Saladin, S. 148, Anm. 60 Abs. 2. 237 so Sommer D Ö V 1954, 685; OVG Rheinland-Pfalz in MDR 1961, 352 (354); Sachs. OVG in JW 1935, 2463. 238 Wolff, § 25 III a. 23β vgl. Peters, Lehrbuch, S. 80. 4»
52 mäßigen F o r m u l i e r b a r k e i t der G e w o h n h e i t . Das E r f o r d e r n i s der F o r m u lierbarkeit bedarf keiner n ä h e r e n E r ö r t e r u n g . Ebenso d ü r f t e das objektive M e r k m a l der lang dauernden 2 4 0 , allgemeinen 2 4 1 , regelmäßigen 2 4 2 und ständigen 2 4 3 Übung 2 4 4 nicht zweifelhaft sein. Seit der Entscheidung des P r O V G aus dem J a h r e 18 7 7 2 4 5 ist der G r u n d s a t z der freien R ü c k n a h m e von den Gerichten ständig p r a k t i z i e r t worden 2 4 6 . D e m sind auch die V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n gefolgt. N u n reichen z w a r V e r w a l t u n g s - u n d Gerichtsbrauch f ü r sich allein z u r Bildung v o n Gewohnheitsrecht nicht aus, vielmehr m u ß die Rechtsüberzeugung audi bei den verpflichteten und berechtigten Rechtsgenossen vorherrschen 2 4 7 . Jedoch l ä ß t sich die Rechtsüberzeugung des Volkes nicht registrieren. N o r m a l e r w e i s e drückt sie sich in der Rechtsprechung und in der V e r w a l t u n g s ü b u n g aus, denn eine der Rechtsüberzeugung der Bürger z u w i d e r l a u f e n d e Rechtsprechung u n d V e r w a l t u n g s ü b u n g k a n n sich nicht J a h r z e h n t e hindurch halten. Deshalb wird der Gerichtsbrauch, der sich allgemein durchsetzt, als die Quelle des Gewohnheitsrechts angesehen 248 . Gegen eine fast 80 J a h r e w ä h r e n d e Rechtsprechung, die ständig angenommen h a t , rechtswidrige V e r w a l t u n g s a k t e k ö n n t e n jederzeit zurückgenommen w e r d e n , l ä ß t sich jedenfalls nicht vorbringen, es sei nicht erwiesen, ob die U b e r z e u g u n g v o n der Richtigkeit dieses Grundsatzes audi bei den Rechtsunterworfenen v o r h a n d e n sei. Die lang d a u e r n d e Ü b u n g ist sicher ein starkes I n d i z f ü r das Vorhandensein einer Rechtsüberzeugung. D a s P r O V G h a t deshalb in ständiger Rechtsprechung von der tatsächlichen Ü b u n g auf die Rechtsüberzeugung geschlossen 249 . 24
°
Forsthoff, Lehrbuch, S. 133. Wolff § 25 III a. 242 Peters, Lehrbuch, S. 80. ι>43 γ. Turegg, Lehrbuch, S. 98. 214 zum ganzen: eingehend H ö h n , S. 44 f. 245 P r O V G 2, 390; vgl. dazu Forsthoff, Lehrbuch, S. 242. Forsthoff hat bis zur 5. A u f l a g e angenommen, daß die Verwaltung grundsätzlich j e d e n Verwaltungsakt jederzeit beseitigen kann. Diese Auffassung hat er für die fehlerfreien begünstigenden Verwaltungsakte aufgegeben. D a hier jedoch lediglich der f e h l e r h a f t e begünstigende A k t zur Erörterung gestellt ist, besteht die hier vorgetragene Ansicht nach wie vor mit Forsthoffs Auffassung in Einklang. Bei der Herausarbeitung des Grundsatzes muß man sich überhaupt immer im klaren darüber sein, welche Gruppe v o n Verwaltungsakten angesprochen wird. D e r Grundsatz-Streit geht fast immer nur darum, ob a l l e Verwaltungsakte jederzeit beseitigt werden können. 24,1
vgl.obenS.il. Peters, Lehrbuch, S. 80; Wolff, § 25 III a. 218 vgl. Enneccerus-Nipperdey S. 267; Lehmann § 3 III; H ö h n S. 55 f. 249 PrVBl. Bd. 35 S. 110: „Für die Überzeugung v o n der rechtlichen N o t wendigkeit bedarf es keines besonderen Beweises. D a s Vorhandensein der Überzeugung ist bei Mangel entgegenstehender Umstände ohne weiteres aus der lange Zeit hindurch fortgesetzten, häufigen und gleichmäßigen Ü b u n g zu Entnehmen"; ebenso PrVBl. Bd. 24, 296 (298) s«
53 Gegen die Feststellung gewohnheitsrechtlicher Geltung vermag der Einwand von Pöppinghaus 2 5 0 nichts auszurichten, daß die Regel der freien Rücknahme deshalb nidit gewohnheitsrechtlich erhärtet sei, weil es in Literatur und Rechtsprechung stets Gegner dieses Grundsatzes gegeben habe. Zunächst sei nochmals klargestellt, daß hier lediglich die freie Rücknahme (nur) rechtswidriger Verwaltungsakte in Frage steht. Die insoweit erhobenen Gegenstimmen sind nur vereinzelt 251 . Der Fall, daß ein bestimmter ungeschriebener Rechtssatz oder eine Rechtsansicht in der juristischen Literatur keine Gegner findet, dürfte wohl utopisch sein. Allein aus der Tatsache, daß sich nur ganz vereinzelt Stimmen gegen eine sich durchsetzende Rechtsüberzeugung erheben, kann nicht der Mangel einer allgemeinen Rechtsüberzeugung hergeleitet werden 2 5 2 . „Allgemein" heißt nicht, daß alle bis auf den letzten Rechtsunterworfenen die Rechtsüberzeugung gewonnen haben müssen, sondern es genügt, wenn diese so weit vorgedrungen ist, daß nur nodi ein verschwindend geringer Prozentsatz anderer Ansicht ist 253 , daß kein „erheblicher Widerstand mehr geleistet wird" 254 . Befremdlich ist auch die Stellungnahme Ernings 255 : „Der Hinweis der herrschenden Meinung auf die gewohnheitsrechtliche Erhärtung des Grundsatzes der freien Widerruflichkeit von Verwaltungsakten ist modernem Verwaltungsrecht fremd, da es in besonderem Maße den Wandlungen und Anschauungen der Zeit unterliegt." Die Wandelbarkeit des Rechts ist schon deswegen kein Argument gegen die Bildung von Gewohnheitsrecht, weil auch dieses sich selbstverständlich ändern kann 25 ". Zwar erkennt Erning ganz richtig, daß sich das Verwaltungsrecht in den letzten Jahrzehnten durch historische und staatsrechtliche Umwälzungen mehrfach in den grundsätzlichen Bezugspunkten geändert hat, er übersieht jedoch, daß einige Grundsätze auch diese Wandlungen überdauert haben, und dazu gehört der Grundsatz der freien Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte. VI. Der Grundsatz
der Gesetzmäßigkeit
der
Verwaltung
Der Grundsatz der freien Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte, der bereits gewohnheitsrechtlich erhärtet ist, stellt sich zugleich als Ausfluß des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dar, das in 25l
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S. 33, ihm folgend Hangartner S. 82 vgl. aus der neueren Rechtsprechung OVG Berlin in DVBl. 1957, 503 252 vgl. Peters, Lehrbuch, S. 80 25 3 vgl. Höhn, S. 44 254 Enneccerus-Nipperdey, S. 268 255 S. 30 25,1 vgl. Höhn, S. 55. Daß das Gewohnheitsrecht für gewöhnlich zählebiger ist als anderes Recht, ändert an der grundsätzlich möglichen Wandelbarkeit nichts. 231
54 Art. 20 Abs. 3 G G seinen positiv-rechtlichen Niederschlag gefunden hat. Die Verwaltung ist an Gesetz und Recht gebunden. Sie hat sich bei ihrer Tätigkeit im Rahmen der Gesetze zu halten, d. h. das Recht zu verwirklichen. Ihr obliegt es deshalb, rechtswidrige Verwaltungsakte zu kassieren 257 . Gegen diese Auffassung wird angeführt, das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sei lediglich eine S c h u t z Vorschrift z u g u n s t e n des Bürgers 258 . Dieser Grundsatz besage nur, daß b e l a s t e n d e Verwaltungsakte nicht ohne gesetzliche Ermächtigung ergehen dürften; das bedeute aber nicht, daß ausschließlich begünstigende Verwaltungsakte immer eine positive Rechtsgrundlage haben müßten 2 5 9 . Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung spreche sogar g e g e n die freie Rücknahme. Denn wenn belastende Verwaltungsakte einer Rechtsgrundlage bedürften, so gelte dies auch f ü r die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes, da durdi diese Rücknahme der Begünstigte belastet werde 260 . Dieser Einwand bedarf näherer Beleuchtung. Der Auffassung von dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als Schutzvorschrift ist vornherein der Boden entzogen, wenn sich herausstellen sollte, daß das Gesetzmäßigkeitsprinzip allumfassende Bedeutung hat, d. h. nicht nur für belastende, sondern auch für begünstigende Verwaltungsakte gilt. Bedeutung und Umfang des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sind deshalb zunächst vorab zu untersuchen. Eine Lösung kann nur gefunden werden, wenn zuvor der Sinngehalt des Gesetzmäßigkeitsprinzips aufgedeckt wird. Dieser Sinngehalt ist heute mehr denn je umstritten 261 . Es geht um die Frage, ob die Verwaltung n u r auf Grund gesetzlicher Ermächtigung tätig werden kann (Totalvorbehalt) oder ob sie einer solchen Rechtsgrundlage nur zu Eingriffen in Freiheit und Eigentum des Bürgers bedarf. Bevor zu dem aufgeworfenen Problem abschließend Stellung genommen wird, soll zunächst ein kurzer Abriß der Meinungen gegeben werden. Die bisher herrschende - und auch wohl heute noch überwiegende Lehre steht auf dem Standpunkt, daß die Verwaltung einer gesetzlichen Ermächtigung nur für Eingriffe in die Rechtssphäre des Bürgers be25ì vgl. Peters, Lehrbuch, S. 169; Forsthoff, Lehrbuch, S. 241; Schütz in D Ö V 1958, 449; Sommer in D Ö V 1954, 746; Dickmann, a. a. O.; Zschacke in N J W 1954, 1436 (1437); Saladin, S. 116; Pöppinghaus, S. 56; Zolles, S. 107; Amtl. MittBI. B A A 1956, 491; a. A . Haueisen in N J W 1954, 1427; Erning, S. 33, 47; Wilke, S. 66; Hammerschmidt, S. 84 258 Schäfer, S. 32; Erning, S. 33 25» O V G Berlin in DVB1. Schäfer, S. 32; Erning, S. 47 26
1957, 505; Haueisen in N J W
1954,
1427;
» Schäfer, S. 32 f., ebenso O V G R h e i n l . - P f a l z in M D R 1961, 352 (353) 2βι vgl. einerseits Peters, Ermächtigungsgrundlage, a. a. O., andererseits Jesch a. a. O und die im Folgenden zitierten Nachweise
55 d a r f 2 0 2 . Einige Schriftsteller sind jedoch bereits in der Weimarer Zeit f ü r eine weite Auslegung des Gesetzmäßigkeitsprinzips eingetreten 2 6 3 . Insbesondere aber in jüngster Zeit mehren sich die Stimmen, die gegen eine enge Auslegung des Gesetzmäßigkeitsprinzips als Eingriffsvorbehalt ankämpfen 2 6 4 . Jesch kommt in seiner Habilitationsschrift 2 6 5 zu dem Ergebnis, daß Leistungen und Begünstigungen von der Verwaltung nur noch auf G r u n d einer parlamentarischen Ermächtigung gewährt werden dürfen 2 6 6 . Diesem Resultat liegen folgende Erwägungen zugrunde. Jesch nimmt eine f u n k tionale Abhängigkeit der Geltung, des Inhalts und des U m f a n g s des Gesetzmäßigkeitsprinzips von der jeweiligen Struktur der speziellen Verfassungsordnung an, wobei er diese Funktion als methodische H y p o these zum Ausgangspunkt seiner Erörterungen macht 2 6 7 . Sodann weist er die strukturellen Verschiedenheiten der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts und der heute bestehenden Verfassungslage auf und folgert aus dieser Verschiedenheit, daß das Gesetzmäßigkeitsprinzip heute einen anderen Inhalt haben müsse als zur Zeit seiner Entstehung im 19. Jahrhundert. Der Gedankengang stellt sich im einzelnen folgendermaßen dar. D a s Prinzip der Gesetzmäßigkeit ist in der konstitutionellen Monarchie entstanden und galt in seinen beiden Ausprägungen als V o r r a n g und V o r behalt des Gesetzes. In seiner Ausprägung als Vorbehalt des Gesetzes enthielt es eine f ü r die konstitutionelle Monarchie charakteristische Einschränkung. Der Gesetzesvorbehalt galt nur für allgemeine Gewaltverhältnisse und war hier beschränkt auf Eingriffe in Freiheit und Eigentum. Diese Einschränkung erklärt sich aus der Verfassungsstruktur der konstitutionellen Monarchie. D i e Verfassung der konstitutionellen Monarchie trägt einen dualistischen Grundzug 2 6 8 . D i e beiden unmittelbaren und primären Organe Herrscher und Volk standen einander gegenüber. D a s Volk wurde durch das Parlament repräsentiert. Höchstes O r g a n war der Monarch, zugleich H e r r der Exekutive. Seine Herrschaft fand ihre Grenze am Recht und an der Macht des Parlaments, durch welches 262 vgl. Peters, Ermächtigungsgrundlage, S. 207 f. mit Nachweisen 263 D a r m s t ä d t e r , D i e Grenzen der Wirksamkeit des Rechtsstaates (1930), 62; Bühler, Allgemeines Steuerrecht (1927), 64 ff.; Fleiner, Institutionen, S. 130; K ö t t g e n , Freiheitsschutz und Wohnungsschutz in ihrem Verhältnis zu Gesetzgebung und V e r w a l t u n g , in Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung I (1929), 348 ff. ( 3 5 5 ) ; Wittmayer, Regierung und V e r w a l t u n g , in Handbuch des Deutschen Staatsrechts I I (1932), 3 3 7 ; vgl. auch Jerusalem, Gesetzmäßigkeit, S. 106; andererseits: Peters in H u e de Grais-Peters, S. 7 264 vgl. Jesch, M a l l m a n n a. a. O . und die im Folgenden gegebenen L i t e r a turnachweise 265 a. a. O . 266 a. a. O . S. 205 a« S. 66 268 a. a. O . S. 88 if.
56 das Volk an der Gesetzgebung teilnahm. Diese Struktur stellte sich als Kompromiß dar, der die das 19. Jahrhundert bestimmende Auseinandersetzung zwischen Fürstensouveränität und Volkssouveränität beenden sollte. Auf der einen Seite die Erhaltung des „monarchischen Prinzips", auf der anderen demokratische Teilhabe an der Gesetzgebung, die die Freiheit des Volkes gegenüber dem Staat, d. h. gegen eigenmächtige Eingriffe der Exekutive in den geschützten Individualbereich, sichern sollte 209 . Der Schutz des Volkes lag in der Teilhabe am Staat, die sich in der Gesetzeskontrolle konkretisierte. Die Kontrolle der Exekutive wurde gesichert durch das Mittel des Gesetzesvorbehalts für Eingriffe in Freiheit und Eigentum. So erweist sich der Eingriffsvorbehalt als ein die Verfassungsstruktur der konstitutionellen Monarchie wesentlich bestimmendes Element, das diese Verfassungsstruktur entscheidend mitprägt und sich zugleich als Funktion dieser Struktur darstellt 270 . Die Verfassungsstruktur hat sich jedoch seitdem in grundlegender Weise gewandelt. Die Verfassungsordnung der Bundesrepublik beruht auf der Souveränität des Volkes: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG). Das im Parlament repräsentierte Volk ist in der Gesetzgebung von der Exekutive unabhängig. Die Exekutive ihrerseits ist dem Parlament untergeordnet und empfängt von ihm erst Aufgabe und Ziel. Mit dieser Wandlung im Verhältnis Parlament - Exekutive ist der für den konstitutionell-monarchischen Staat typische Gegensatz von Gesellschaft und Staat aufgehoben. Die Führungsaufgabe des Parlaments gilt auch f ü r Verwaltungsleistungen, so daß die Verwaltung nur nodi auf Grund parlamentarischer Ermächtigung Leistungen gewähren kann 2 7 1 . Das ist in knappen Sätzen der Versuch von Jesch, das Gesetzmäßigkeitsprinzip an der Verfassungsstruktur neu zu bestimmen. Dieselben Gedankengänge sind bei Menger 272 anzutreffen. Auch er folgert aus dem parlamentarischen Prinzip, daß jede Verwaltungstätigkeit nur auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung oder überhaupt einer Ermächtigung seitens des Volkes vorgenommen werden könne. D a bei verkennt er nicht die Unmöglichkeit, alle Tatbestände vorauszusehen, einzuplanen und gesetzlich zu regeln, in denen staatliche Hilfe erforderlich wird. Trotzdem will er ein eigenmächtiges Handeln der Verwaltung nur zulassen, wenn die Existenzerhaltung der Demokratie dies im Ausnahmefall erfordert. Die Ermächtigung zum selbständigen Handeln in solchen Grenzfällen sei der Verwaltung mit der Entscheidung des Volkes f ü r die Demokratie konkludent erteilt. Wie Jesch betrachtet auch Mallmann 2 7 3 die Lehre von der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung im Sinne eines Eingriffsvorbehaltes als ein 2
«e S. 108 f. "o S. 170 2" S. 205 272 in VerwArch. 1961, 196 2 " a. a. O. S. 177
57 „anachronistisches Überbleibsel aus der Zeit der deutschen konstitutionellen Monarchie" und tritt aus dem Gesichtspunkt des parlamentarischen Prinzips f ü r eine allumfassende Geltung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit ein. Dabei verkennt er jedoch nicht, daß es dem Gesetzgeber unmöglich ist, alle Tatbestände vorherzusehen und zu regeln, daß es somit eine völlig durchnormierte Verwaltung nicht geben kann. Mallmann hält es deshalb f ü r ausreichend, wenn die Tätigkeit der Verwaltung auf eine Organisations- oder Zuständigkeitsregelung als gesetzliche Grundlage zurückgeführt werden kann 2 7 4 . Einen anderen Versuch der Neubegründung des Gesetzmäßigkeitsprinzips hat der Schweizer Max Imboden 2 7 5 vorgetragen. Er orientiert den Inhalt dieses Prinzips an den Gegebenheiten des modernen Sozialstaates 270 . „Was im heutigen sozialen Wirtschaftsstaat f ü r die einen Vergünstigung und Gewährung bedeutet, erweist sich für andere direkt oder indirekt, offen oder versteckt vielfach als Last. Im Grunde geht es stets nur um ein Verteilungsprinzip, um die Frage der Abwägung von Lasten und Vergünstigungen, von Leistungen des Staates an den einzelnen 277 ." Ähnliche Erwägungen sind bei Obermayer 2 7 8 zu finden. Aus der Verknüpfung von Belastung und Begünstigung läßt sich f ü r das Problem der Inhaltsbestimmung des Gesetzmäßigkeitsprinzips jedoch nichts gewinnen. Staatliche Leistungen sind von jeher aus dem Steueraufkommen gewährt worden, ohne daß aus der genannten Koppelung die von Imboden angestrebten Folgerungen gezogen worden wären 279 . Anknüpfend an das demokratische Prinzip verlangt Spanner 280 eine weitestgehende Gesetzbindung der Verwaltung aus einem anderen Grunde, nämlich aus der Bedeutung des Hauptgrundsatzes der Demokratie, des Gleichheitssatzes heraus. Der Gleichheitssatz verlange zur Sicherung seiner Geltung die Anerkennung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auch f ü r b e g ü n s t i g e n d e Verwaltungsakte. Spanner weist darauf hin 281 , daß bei der Auffassung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als Eingriffsvorbehalt der Verwaltung ein f ü r die Verwirklichung des Gleichheitssatzes höchst gefährlicher Ermessensbereich eingeräumt werde. Er schließt seine Untersuchung mit den Worten: „Eine durchgängige Geltung des Gleichheitssatzes ist nur dann gewährleistet, wenn man erkennt, daß die Gleichheit nicht nur durch 27 < ¡"3
a. a . O . S. 187 a. a. O . 276 Ähnliche Gedankengänge finden sich bei Krüger in DVB1. 1955, 450 (451) und R u p p in DVB1. 1959, 81 ff. (84 f.), der sie gesetzliche Grundlage für staatliche Leistungen aus einem gewandelten Freiheitsbegriff ableitet; gegen diese Ansicht Jesdi, S. 204 277 Imboden, S. 42; ähnlich, aber konkreter M a u n z - D ü r i g , Art. 20, 135 278 in D Ö V 1959, 267 (268) 279 vgl. Jesch, S. 201 28 » a. a. O . S. 8 28 ' a. a. O. S. 12
58 u n m i t t e l b a r e ungleiche Belastung, sondern ebenso durch m i t t e l bare ungleiche B e l a s t u n g infolge ungleicher Begünstigung v e r l e t z t wird. E i n M i t t e l zur V e r h i n d e r u n g dieser z w e i t e n M ö g l i c h k e i t der Gleichheitsverletzung besteht aber in der B i n d u n g der V e r w a l t u n g an das dem Gleichheitssatz entsprechende Gesetz auch bei begünstigenden Verwaltungsakten282." Diese B e d e n k e n S p a n n e r s im H i n b l i c k a u f den Gleichheitssatz w e r d e n von F r i e s e n h a h n 2 8 3 , H u b e r 2 8 4 , D i c k m a n n 2 8 5 und vereinzelten Ansichten in der Rechtsprechung geteilt 2 8 6 . D i e S t i m m e n , die dem G e s e t z m ä ß i g k e i t s p r i n z i p eine umfassende B e deutung einräumen, mehren sich 2 8 7 . D a s Bundesverfassungsgericht 2 8 8 h a t den E i n g r i f f s v o r b e h a l t in F r a g e gestellt, o h n e sich abschließend dazu zu äußern. D a s Gericht b e m e r k t , die A b g r e n z u n g „ E i n g r i f f e in F r e i h e i t und E i g e n t u m " sei historisch a u f die S t a a t s a u f f a s s u n g des liberalen B ü r g e r tums zurückzuführen. S e i t h e r h a b e sich eine H i n w e n d u n g zu einer egalitär-sozialistischen D e n k w e i s e und d a m i t eine wesentliche V e r ä n d e rung der A u f f a s s u n g über die Stellung des einzelnen zu der im S t a a t verkörperten G e s a m t h e i t v o l l z o g e n . D i e s e W a n d l u n g k ö n n e auch die G r e n z e n des G e s e t z e s v o r b e h a l t s verschoben und diesen V o r b e h a l t auf neue Bereiche ausgedehnt h a b e n 2 8 0 . E i n Blick a u f benachbarte Rechtsordnungen zeigt, d a ß sich die herrschende schweizerische L e h r e 2 0 0 bereits v o n der F o r m e l „ E i n g r i f f e in Freiheit und E i g e n t u m " gelöst h a t und auch f ü r staatliche Leistungen eine gesetzliche G r u n d l a g e v e r l a n g t . Insbesondere ist auch G i a c o m e t t i 2 0 1 für einen T o t a l v o r b e h a l t des Gesetzes eingetreten. E r stützt seine Ansicht a u f das G e w a l t e n t e i l u n g s p r i n z i p . N a c h diesem G r u n d s a t z sei V e r w a l t u n g
a. a. O. S. 13 a. a. O. S. 250 28 < a. a. O. S. 77 2¡¡5 a . a . O . S. 282 see so V G H Kassel in DVB1. 1958, 763; Bayr. V G H in VerwRspr. 4, 144; Bedenken gegen die Auffassung des Gesetzmäßigkeitsprinzips erhebt audi das VG Frankfurt a. M. in DVBl. 1961, 52, ohne sich allerdings abschließend zu äußern 287 Jesch a . a . O . ; Mallmann a . a . O . ; Schütz a . a . O . ; Dickmann in DÖV 1957, 282; Spanner a . a . O . ; Stern in VerwArch. 1958, 106 ff. (139, 140); Rupp in DVBl. 1959, 81 ff. (84 f.); wohl audi Forsthoff in DVBl. 1957, 724; zweifelnd Krüger in DVBl. 1955, 450 (451) und Bachof in J Z 1956, 35 (36); nicht klar erkennbar Friesenhahn a. a. O. S. 250 288 N J W 1959, 235 280 Das BVerwG ist dieser Frage bisher ausgewichen, obwohl es bereits mehrfach Gelegenheit hatte, zu ihr Stellung zu nehmen, vgl. dazu Czermak, a. a. O. 200 Imboden a . a . O . , Höhn, S. 21, Saladin, S. 111 und insbes. Roos, S. 128, mit zahlreichen Nachweisen ä°i S. 251 282
283
59 nichts anderes als Gesetzesvollziehung 292 , so daß das Gesetz im gewaltentrennenden Staat die positive Bedingung j e g l i c h e r Verwaltung darstelle. Ein Staat, in dem nur die Eingriffsverwaltung inhaltlich durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beherrscht werde, sei ein „hinkender Rechtsstaat" 293 . Diese Auffassung hat sich neuerdings Mayer 2 9 4 zu eigen gemacht. In Frankreich wurde unter materieller Legalität stets verstanden, daß jeder Akt der Verwaltung einer gesetzlichen Grundlage bedürfe 2 9 5 . Auf demselben Standpunkt steht die österreichische Lehre 296 . Auf Grund des Art. 18 Abs. 1 der österreichischen Bundesverfassung ist nunmehr auch positiv-rechtlich festgelegt, daß die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze geführt werden darf 2 9 7 . Gegen diese in den Nachbarländern herrschende und in Deutschland aufkommende Lehre vom Prinzip der Gesetzmäßigkeit als Totalvorbehalt hat neuerdings Peters Front gemacht 298 . Er wendet sich vor allem gegen die Auffassung, daß die Verwaltung n u r dann tätig werden könne, wenn das Gesetz ihr dazu die Ermächtigung gebe, so daß das Gesetz der Verwaltung nicht nur eine Schranke setzt, sondern ihr erst Aufgaben und Ziele zuweist 299 . Peters hält dem zunächst entgegen, ein Blick in die Geschichte lehre, daß die Verwaltung niemals nur die Aufgabe der Gesetzesvollziehung gehabt habe 300 . Entscheidend scheint mir der Hinweis von Peters auf die Stellung der Verwaltung in der Verfassungsordnung und auf ihre Funktion als Ausprägung der Staatsgewalt zu sein. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung sind drei voneinander unabhängige, auf gleicher Stufe stehende Funktionen der Staatsgewalt. Regierung und Verwaltung stellen demnach eine selbständige Staatsfunktion dar. Allein aus der Tatsache, daß die Verwaltung in ihren Aktionen nicht g e g e n das Gesetz verstoßen darf, kann kein Anhaltspunkt dafür hergeleitet werden, daß sie auch n u r a u f G r u n d eines 292
S. 226, 227 S. 251 2 »4 a. a. O . 2»5 vgl. Andersen S. 303 ff.; Giacometti, S. 252 29β vgl. Merkl. S. 167; Antonioiii, S. 102 ff. 297 vgl. dazu Adamovich-Spanner, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts, 5. Aufl. 1957, S. 319; Adamovich, Handbuch des österreichischen Verwaltungsrechts, l . B d . 5. Aufl., S. 15 298 Ermächtigungsgrundlage a . a . O . , vgl. auch Maunz, S. 203; Scheuner in D Ö V 1960, 601 (606) 299 vgl. Schütz in D Ö V 1958, 450: „Diese Organe (Verwaltungsbehörden) handeln nicht aus eigenständigem Recht, sondern führen als — ihren Lebenszweck — das durch die Gemeinschaft durch ihre Gesetzgebungsorgane gesetzte Recht aus"; ebenso Dickmann in D Ö V 1957 282: „Die Durchführung der Gesetze ist ihr (der Behörde) vornehmster Lebenszweck" ; deutlich die oben angegebenen Schweizer Autoren. 293
300 Ermächtigungsgrundlage, (1954), 55
S. 210 ff.; ebenso Bachof
in V V D S t R L
12
60 Gesetzes tätig werden kann. D a s kommt in A r t . 2 0 Abs. 3 G G nicht zum Ausdruck 3 0 1 und hätte angesichts der Stellung der Verwaltung, die sie seit jeher innehatte, besonders und k l a r geregelt werden müssen 3 0 2 . Das ist der ausschlaggebende Gesichtspunkt, der auch das von der Gegenmeinung aus dem demokratischen Prinzip geschöpfte Argument ausräumt. D a s Gesetz ali Willensentscheidung des im Parlament repräsentierten Volkes ist z w a r der primäre, aber eben dodi nicht der alleinige Ordnungsfaktor des Gemeinschaftslebens 3 0 3 . D i e Staatszwecke und -aufgaben werden nicht nur durch Gesetze angestrebt und erreicht, sondern auch durch freie schöpferische Tätigkeit der V e r w a l tung 3 0 4 . D e r Fehler der Mindermeinung liegt darin, daß sie die Stellung der Verwaltung falsch einschätzt oder überhaupt gar nicht in Betracht zieht. D e r Grund dafür ist zum Teil darin zu erblicken, daß der Jurist die Verwaltung nur durch die rechtliche Brille betrachtet, wodurch wesentliche Teile der Verwaltung, nämlich gerade die eigener Intitiative erwachsenen Aufgaben, seinem Blickfeld entrückt bleiben 3 0 5 . Indes muß die behauptete Stellung der Verwaltung im Verfassungsgefüge noch untermauert werden. Hingewiesen wurde schon darauf, daß die Verwaltung nie nur die Aufgabe hatte, Gesetze zu erfüllen. Das ist, wie ein Blick in die Wirklichkeit lehrt, auch heute nicht anders. In weiten Bereichen wird die Verwaltung tätig, ohne daß eine gesetzliche G r u n d lage vorhanden ist. Insoweit sei auf die zahlreichen bei Peters 3 0 6 angeführten Beispiele hingewiesen, in denen insbesondere auf die Gebiete der Wirtschaftsverwaltung, K u l t u r - und Hochschulverwaltung aufmerksam gemacht wird. Hinzugefügt sei ein weiteres Beispiel, das zur V e r deutlichung dienen mag. Alle größeren Städte in Nordrhein-Westfalen haben zum Teil zahlreich besetzte Ä m t e r für Wirtschaftsförderung eingerichtet, die sich z. B . mit der Ansiedlung von mittleren Betrieben zur Auflockerung der durch Großindustrie geprägten Wirtschaftsstruktur befassen oder bereits ansässigen Betrieben durch Vermittlung von G r u n d 301 D a s gibt auch M a l l m a n n in V V D S t R L 19 ( 1 9 6 1 ) , 1 8 2 zu. 302 Peters, Ermächtigungsgrundlage, S. 2 1 4 und K u l t u r v e r w a l t u n g , S. 2 9 2 ; vgl. audi B V e r w G in N J W 1 9 5 8 , 1 1 5 3 ; N J W 1 9 5 9 , 1 0 9 8 303 Beachtlich ist in diesem Zusammenhang die Auffassung Bachofs in V V D S t R L 12 ( 1 9 5 4 ) , 63 und 19 ( 1 9 6 1 ) , 2 6 9 , nach der die Verwaltung ihre Ermächtigung unmittelbar aus der Verfassung, für den Bereich der Leistungsverwaltung beispielsweise aus dem Sozialstaatsprinzip bezieht 3 °4 vgl. Peters, Lehrbuch, S. 5, 7 ; B a c h o f in V V D S t R L 12 ( 1 9 5 4 ) , 5 5 ; Scheuner in D Ö V 1960, 6 0 7 ; vgl. audi Forsthoff, Lehrbuch, S. 1 4 ; Wolff, § 3 0 I I (S. 1 3 5 ) . 305 V g l . Peters, Ermächtigungsgrundlage, S. 2 1 7 ; dafür, daß die V e r w a l tung nicht nur Ausführung v o n Gesetzen ist, sondern auch im sog. gesetzfreien R a u m tätig w i r d : M a u n z , S. 2 0 3 ; Scheuner in D Ö V 1960, 6 0 1 ( 6 0 6 ) ; Ule, V e r waltungsstaat, S. 1 5 6 ; B V e r f G in N J W 1 9 6 1 , 5 4 7 ; B V e r w G in N J W 1 9 5 8 , 1153; N J W 1959, 1098.
306
Ermächtigungsgrundlage S. 2 1 8 ; vgl. auch M a u n z , S. 2 0 3 .
61 stüdíen oder - was in diesem Zusammenhang interessiert - durch finanzielle Unterstützungen (ζ. B. Steuerstundungen und Darlehen) bei der Erweiterung behilflich sind. In diesen Ämtern wird die Verwaltung ohne formal-gesetzliche Ermächtigung tätig, und noch niemand ist auf den Gedanken gekommen, die Gemeinden dürften keine Wirtschaftsförderung betreiben oder sie handelten nicht gesetzmäßig. Man wende demgegenüber nicht ein, die formal-gesetzliche Grundlage f ü r die Wirtschaftsförderung der Gemeinden sei in den §§ 1, 2 GO. N W zu erblicken. Denn bei diesen und ähnlichen Bestimmungen, auf die gelegentlich verwiesen wird, handelt es sich nicht um Ermächtigungsvorschriften, sondern um Regelungen sachlicher Zuständigkeit 3 0 7 . Die demgegenüber von Mallmann 3 0 8 vorgetragene Ansicht, „Gesetzes h e r r s c h a f t" sei nicht allzu wörtlich und intensiv zu verstehen, sondern von der Grundlage jener Auffassung aus zu begreifen, die sich letzten Endes mit einer „minimalen Orientierung der Verwaltung am Gesetz" begnüge und Organisations- und Zuständigkeitsregelungen als gesetzliche Grundlage ausreichen lasse, wirkt gekünstelt und vermag nicht zu befriedigen 309 . Ermächtigung und Zuständigkeit sind zwei ganz verschiedene Dinge, die nicht miteinander vermengt werden dürfen. Die Qualifikation einer Zuständigkeitsnorm als ausreichende Aktionsgrundlage für die Verwaltung stellt einen Kunstgriff dar, zu dem sich Mallmann offensichtlich unter dem Eindruck der Wirklichkeit genötigt sieht. Denn daß der Verwaltung neben der Gesetzesausführung auch noch ;in Bereich eigener Initiative verbleiben muß, ergibt sich audi aus einer teleologischen Erwägung 3 1 0 . Nicht jeder öffentliche Zweck läßt sich durch die Gesetzgebung allein realisieren. Abgesehen davon, daß der Gesetzgeber nicht alle Erscheinungen voraussehen und einplanen kann, treten auch Augenblicksbedürfnisse auf, die eine sofortige Abhilfe fordern, zu der aber die Gesetzgebung durch das zu beobachtende langwierige Verfahren nicht in der Lage ist 311 . Hier muß die Verwaltung aus eigener Initiative, die Staatszwecke unmittelbar vollziehend, selbsttätig in Aktion treten. Nicht zuletzt sei darauf hingewiesen, d a ß die harten Belastungsproben der Gemeinschaft in der Nachkriegszeit in erster Linie durch die Verwaltung und nicht durch die Gesetzgebung gemeistert worden sind! Das soll nur vermerkt sein, um die Bedeutung der Ver-
307 vgl. dazu Peters, Ermächtigungsgrundlage, S. 216 und in V V D S t R L 19 (1961), 275. sos a. a. O . S. 187. 3 °9 vgl. insoweit auch die Kritik von Ipsen in V V D t R L 19 (1961), 268. 310 vgl. dazu Peters, Ermächtigungsgrundlage, S. 215 und Scheuner in D Ö V 1960, 601. 311 vgl. Kniesch in N J W 1961, 2190. Das w a r auch ein H a u p t a r g u m e n t , das Mallmann auf der Staatsrechtslehrertagung im Oktober 1960 entgegengehalten worden ist, vgl. die Diskussionsbeiträge in V V D S t R L 19 (1961) von Krüger, S. 266, Bachof, S. 269.
62 waltung als unmittelbare und selbsttätige Vollzieherin des Gemeinwohls ins rechte Licht zu rücken 3 1 2 . Es ist im Grunde genommen gar keine notwendige Konsequenz des demokratischen Prinzips, daß die Verwaltung allenthalben n u r rechtsgebunden tätig werden darf, daß ihr also kein r e c h t s f r e i e r R a u m zugestanden werden kann. Letzlich geht es doch nur um die Frage, wie ein Staat - audi eine Demokratie - am besten funktioniert. Die D e m o kratie, die in der Form des Gesetzgebungsstaates ihre K r ö n u n g erblickt, kann notwendigerweise nur eine papierene Staatsform sein, aber keine Realität für sich beanspruchen. D a ß sich die tatsächlichen Verhältnisse anders entwickeln, ja entwickeln müssen, hat Peters 3 1 3 schon früher klargestellt. Der Eifer, den der Gesetzgeber aufwenden muß, um alle Lebenstatbestände zu regeln, führt zu der vielbeklagten Hypertrophie der Gesetze, die zur Oberflächlichkeit führt und gleichwohl Lücken läßt, und zur Flucht in die Generalklauseln, mit deren H i l f e die Verbindung zwischen dem Parlament und der Regelung des konkreten Einzelfalles künstlich aufrechterhalten wird 3 1 4 . D a s Parlament vernachlässigt seine eigentliche Aufgabe, die großen Richtlinien des öffentlichen Lebens zu bestimmen, und versinkt im Kleinkram technischer Regelungen 3 1 6 . Auch eine Demokratie kann ihre Aufgaben nur dann wirksam erfüllen, wenn sie die Funktion der Verwaltung als Mitvollzieherin des Gemeinwohls, als Instanz für die Erfüllung der k o n k r e t e n Staatszwecke anerkennt 3 1 6 . Diese Funktion kann jedoch nicht ohne die Möglichkeit eigener Initiative ausgefüllt werden. Deshalb muß der Verwaltung ein solcher Bereich eigener, freier, schöpferischer Tätigkeit verbleiben. Die Abneigung davor, der Verwaltung diese Funktion einzuräumen, wurzelt m. E. nicht zuletzt in den Erfahrungen der politischen Vergangenheit vor 1945 3 1 7 . Diese Erwägungen stehen audi dem Ergebnis von Jesch entgegen. Der entscheidende Fehler in der Darstellung von Jesch liegt m. E. in der Unterschätzung und falschen Orientierung der Funktionen, die der Verwaltung zukommen, von jeher zugekommen sind und zukommen müssen. Audi die Ansicht von Menger, der der Verwaltung eigenmächtiges Handeln nur zugestehen will, wenn die Existenz der Demokratie bedroht ist, und damit der Verwaltung die Funktion eines Rettungsvgl. d a z u Peters, V e r w a l t u n g s s t a a t , S. 27. Verwaltungsstaat, a . a . O . ; vgl. auch H a n g a r t n e r , S. 4 0 : „ D e m idealen Gesetzesstaat w ü r d e es entsprechen, wenn jeder T a t b e s t a n d , an den die Verwaltung a n k n ü p f e n soll, eindeutig bestimmt und jedem T a t b e s t a n d eine eindeutige Rechtsfolge zugeordnet wäre. Eine solche Lösung ist aber weder zu verwirklichen noch erwünscht." 314 vgl. Peters, Verwaltungsstaat, S. 33. 315 vgl. Peters, Verwaltungsstaat, S. 23; Scheuner in D Ö V 1960, 601; aus der älteren L i t e r a t u r : Scholz in R u P r V B l . 55 (1934), 235. 31« vgl. d a z u Kniesch in N J W 1961, 2190. 31? vgl. Kniesch in N J W 1961, 2191. 312
313
63 ankers f ü r das sinkende Staatsschiff überträgt, kann nicht gebilligt werden. Warum es in einer Demokratie erst zur Existenzbedrohung kommen soll, bevor die Verwaltung regulierend eingreifen darf, ist unverständlich. Das vermeintliche Dogma vom Totalvorbehalt ist zwar rechtslogisch gut gedacht, aber nicht realistisch 318 . Damit ergibt sich, daß die Auffassung des Gesetzmäßigkeitsprinzips als Totalvorbehalt abzulehnen ist, da der Verwaltung ein rechtsfreier Raum zur selbständigen Entfaltung verbleibt 319 . Der zu prüfende Einwand, das Gesetzmäßigkeitsprinzip stelle sich als Schutzvorschrift zugunsten des Bürgers dar und könne daher nicht als Grundlage f ü r den Grundsatz der freien Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte herangezogen werden, kann also nicht mit dem Argument beiseitegeschoben werden, daß der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung allumfassende Bedeutung habe und audi f ü r begünstigende Akte gelte. Angesichts dieser Feststellung könnte die Auffassung, die Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte verstoße gegen das Gesetzmäßigkeitsprinzip, da sie in Rechte des Bürgers eingreife, neue N a h r u n g erhalten. Das ist jedoch nicht der Fall. Auch wenn man den Totalvorbehalt ablehnt, kann man zu keinem anderen Ergebnis kommen als dem, daß die freie Rücknahme Ausfluß des Gesetzmäßigkeitsprinzips ist. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wäre mißverstanden, wollte man sie als Begründung zur Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes heranziehen. Das würde heißen, daß das Gesetzmäßigkeitsprinzip dem Schutz des Unrechts zu dienen hätte. Diese Schutzfunktion wäre freilich paradox. Sie bedeutete einen Widerspruch in sich. Aus der dem Gesetzmäßigkeitsprinzip innewohnenden Beschränkung folgt vielmehr die grundsätzliche Befugnis zur Beseitigung fehlerhafter Verwaltungsakte 3 2 0 . Mit der Rücknahme eines fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes wird dem Bürger ohnehin nur genommen, was ihm nicht gehört 321 . D a ß der Eingriffsvorbehalt dem nicht entgegensteht, ist bereits an früherer Stelle nachgewiesen worden 3 2 2 . V I I . Rücknahme
als
Ermessensentscheidung
Damit ist klargestellt, daß ein fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakt grundsätzlich frei zurückgenommen werden kann. Dies folgt aus einem gewohnheitsrechtlich verfestigten Grundsatz und dem Prinzip 318
vgl. Hangartner, S. 40. so die herrschende Meinung: Peters a . a . O . ; Forsthoff, Lehrbuch, S. 14 ff.; Wolff, § 30 II (S. 135); Kniesch in N J W 1961, 2190; Scheuner in D Ö V I960, 601 (606); Maunz, S. 203; Werner in DVB1. 1959, 527; B V e r w G in N J W 1958, 1153. 320 vgl. dazu auch Pöppinghaus, S. 57; Spaeth, S. 87. 32t vgl. Ipsen, Widerruf, S. 128; richtig auch Disse, S. 25. 322 vgl. oben S. 25. 319
64 der Gesetzmäßigkeit der V e r w a l t u n g , das in A r t . 20 Abs. 3 G G vera n k e r t ist. Zu p r ü f e n bleibt die Frage, ob der V e r w a l t u n g die Pflicht obliegt, den fehlerhaften A k t zu kassieren, oder ob die Entscheidung über die R ü c k n a h m e ihrem Ermessen anheimgestellt ist. Die Ansichten sind geteilt. Ein Teil der Stimmen in Literatur u n d Rechtsprechung n i m m t eine Rücknahmepflicht 3 2 3 an, andere stellen die Rücknahmeentscheidung in das Ermessen der Verwaltung 3 2 4 . B e g r ü n d u n gen sind n u r vereinzelt zu finden. D a s O V G R h e i n l a n d - P f a l z 3 2 5 vert r i t t die Auffassung, es habe sich ein Gewohnheitsrechtssatz d a h i n gebildet, d a ß die R ü c k n a h m e eines fehlerhaften Verwaltungsaktes, soweit keine besondere gesetzliche Regelung bestehe, im pflichtmäßigen Ermessen der Behörde stehe. Die Gegenmeinung 3 2 6 folgert dagegen die Rücknahmepflicht aus dem P r i n z i p der Gesetzmäßigkeit der V e r w a l t u n g . Diese Folgerung läßt sich m. E. nicht halten. Sinngehalt und T r a g w e i t e des Gesetzmäßigkeitsprinzips sind bereits oben erörtert w o r d e n . D a b e i w u r d e festgestellt, d a ß die V e r w a l t u n g zum E r l a ß eines begünstigenden Verwaltungsaktes nicht n o t w e n d i g einer positiven Gesetzesgrundlage b e d a r f . K a n n die V e r w a l tung aber begünstigende V e r w a l t u n g s a k t e ohne gesetzliche G r u n d l a g e erlassen, so m u ß es ihr auch möglich sein, rechtswidrige begünstigende V e r w a l t u n g s a k t e aufrechtzuerhalten. D e n n rechtswidrig ist ein V e r w a l tungsakt dann, w e n n er nicht h ä t t e ergehen dürfen, weil gesetzliche V o r schriften nicht erfüllt sind. Das bedeutet aber nichts anderes, als d a ß der V e r w a l t u n g s a k t gesetzlos ist 327 , also ohne gesetzliche Ermächtigung oder hier deutlicher: auf G r u n d vermeintlicher gesetzlicher Ermächtigung - ergangen ist. W e n n die V e r w a l t u n g aber von vornherein gesetzlose V e r w a l t u n g s a k t e erlassen k a n n , also zu ihrem E r l a ß einer gesetzlichen Ermächtigung nicht b e d a r f , so folgt daraus ohne weiteres, d a ß sie Verw a l t u n g s a k t e nicht zurückzunehmen braucht, die zunächst nach dem Willen der V e r w a l t u n g als auf einer gesetzlichen Ermächtigung b e r u h e n d erlassen w u r d e n , später aber als v o n der Ermächtigung nicht gedeckt e r k a n n t w o r d e n sind. Vielmehr unterliegt diese Entscheidung ihrem 323 vgl. Ipsen, Widerruf, S. 128; Forsthoff, Lehrbuch, S. 241; Bernhardt in Z f S 1959, 551; Schütz in D Ö V 1958, 450; Köhler, S. 194; Saladin, S. 116; Zolles, S. 108; Pöppinghaus, S. 56; Bayr. V G H in VerwRspr. 4, 144. 324 vgl. Peters, Lehrbuch, S. 170; Baring in DVB1. 1953, 427; Haueisen in N J W 1954, 1427 und DVB1. 1957, 507; O t t o in D D B 1959, 157; Scheerbarth in DVB1. 1960, 187; Rösener a . a . O . S. 513; v. Stenglin, S. 49; H o k e in D Ö V 1962, 285; aus der Rechtsprechung: O V G Münster in D Ö V 1956, 151; O V G Rheinl.-Pfalz in M D R ; 1961, 354; Hess. V G H in ES V G H 8, 219 (224); jetzt auch B V e r w G in DVB1. 1962, 562. s«
in M D R 1961, 352 (354). vgl. die oben Anm. 323 zitierten Nachweise. S->7 vgl. Schunck-De Clerck § 4 2 Anm. 2 c (S. 179); U l e in D V 1949, 369 (371); B V e r w G E 1, 67 (69). 320
65 pflichtmäßigen Ermessen, ebenso wie sie nach eigenem Ermessen auch Verwaltungsakte ohne gesetzliche Ermächtigung erlassen kann, denn zwischen dem rechtswidrigen und dem ohne gesetzliche Grundlage ergehenden begünstigenden Verwaltungsakt besteht kein Wesensunterschied, beide sind dadurch gekennzeichnet, daß sie durch eine gesetzliche Ermächtigung nicht gedeckt sind 328 . Außerdem ist anerkannt 3 2 9 , daß die Verwaltung nicht verpflichtet ist, unanfechtbar gewordene belastende Verwaltungsakte zurückzunehmen, wenn sie rechtswidrig sind. Vielmehr liegt die Rücknahme im Ermessen der Behörde. Es wäre jedodi schwer verständlich, wenn bei begünstigenden Verwaltungsakten schärfere Rücknahmeregeln gelten sollten. Das Gesetzmäßigkeitsprinzip gibt demnach f ü r die Annahme einer Rücknahme p f l i c h t nichts her. Vielmehr ist der Ansicht zu folgen, die die Rücknahmeentscheidung in das Ermessen der Verwaltung stellt 330 . Diese Auffassung steht auch besser mit dem Grundsatz der Opportunität in Einklang, der das praktische Wirken der Verwaltung beherrscht 331 . Die folgende Darstellung hat sich demnach damit zu befassen, ob dem der Verwaltung eingeräumten Ermessensbereich gewisse Grenzen gezogen sind. Es wird sich zeigen, daß diese Ermessensschranken unter Umständen so weit gehen, daß die Rücknahme ganz ausgeschlossen ist. Zunächst ist jedoch der Nachweis dafür zu führen, daß der Grundsatz der freien Rücknahme überhaupt der Einschränkung bedarf. B. N o t w e n d i g k e i t d e r E i n s c h r ä n k u n g des G r u n d s a t z e s der f r e i e n Rücknahme I. Die Wirksamkeit
des fehlerhaften
Verwaltungsaktes
Der fehlerhafte 3 3 2 Verwaltungsakt ist gültig. Für die Gültigkeit spricht die Vermutung 3 3 3 . Daraus folgt, daß der fehlerhafte Verwaltungsakt so lange als wirksam betrachtet und von jedermann beachtet werden muß, bis er durch erfolgreiche Anfechtung oder Rücknahme aus dem Rechtsverkehr gezogen wird. D a der fehlerhafte Verwaltungsakt durch seine Rechtswirksamkeit die Beachtung aller Rechtsbeteiligten fordert, ist er geeignet, das Rechtsleben mitzugestalten und die Entschlüsse und Dispositionen der durch ihn angesprochenen Rechtssubjekte zu bestimmen. 328 32
vgl. B V e r w G E 1, 67 (69).
B V e r w G in D Ö V 1961, 109; H a u e i s e n in D V B l . 1960, 914; Weber in B K K 1960, 242; Amtl. MittBl. B A A 1956, 491; anders Forsthoff, Lehrbuch, S. 241. 330 Diese Ansicht bezeichnet M.enger bei der Besprechung der Entscheidung des B V e r w G in D V B l . 1962, 562 als „jetzt gefestigte Meinung" ( V e r w Arch. 1963, 90). 331 vgl. B V e r f G in N J W 1959, 931 (932). 332 nicht dagegen der nichtige Verwaltungsakt. 333 vgl. statt aller Peters, Lehrbuch, S. 165 und Forsthoff, Lehrbuch, S. 206 mit Nachweisen. 5
«
Ossenbühl,
Rücknahme, 2. Aufl.
66 Auch der fehlerhafte Verwaltungsakt, der dem Bürger eine vorteilhafte Rechtsposition einräumt, also begünstigenden Charakter hat, löst dieselben Wirkungen aus. Der Adressat eines solchen Aktes wird regelmäßig die erworbene Rechtsstellung in seine Planungen und Zwecke einbeziehen und auf diese Weise vollendete Tatsachen schaffen. Mit der Rücknahme des fehlerhaften Verwaltungsaktes wird der dem Bürger zugewiesenen vorteilhaften Rechtsstellung der Boden entzogen. Das kann naturgemäß niciit ohne Einfluß auf seine getroffenen Planungen bleiben. Die inzwischen abgelaufene Entwicklung muß sozusagen zurückgedreht werden, soweit sie von der fehlerhaft gewährten Rechtsstellung beeinflußt worden ist. Das geht regelmäßig nicht ohne Vermögenseinbußen oder sonstige Nachteile f ü r den Bürger vor sich. Die Frage stellt sich deshalb, ob der Bürger diese Nachteile selber tragen muß oder ob er infolge der zwischenzeitlich fortgeschrittenen Rechtsentwicklung und auf Grund seines Vertrauens in den Bestand des fehlerhaften Verwaltungsaktes geschützt werden muß. Ein soldier Schutz würde bedeuten, daß der Grundsatz der freien Rücknahme zurückgedrängt bzw. durchbrochen wird. II. Die Unzulänglichkeit
der Amtshaftungsvorschriften
als
Korrektiv
Zum Teil wird vorgebracht, einer solchen Durchbrechung bedürfe es nicht, da die Möglichkeit bestehe, diesen Fall durch Schadensersatzansprüche gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 G G auszugleichen. Insbesondere Forsthoff 3 3 4 sieht in der Existenz der Amtshaftungsansprüche ein starkes Argument gegen die von der herrschenden Lehre verfochtene Beschränkung der freien Rücknahme und bemerkt, es sei auffällig, daß die von der Rechtsordnung gewährte Möglichkeit der Erlangung von Schadensersatz bei Amtspflichtverletzungen so nachdrücklich ignoriert werde, als wenn es sie überhaupt nicht gäbe. Dieser Einwand Forsthoffs hält einer näheren Nachprüfung jedoch nicht stand. Vielmehr wird sich erweisen, daß die Amtshaftungsvorschriften nicht ausreichen, um die mit der Rücknahme eines fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes möglicherweise verbundenen H ä r t e n und Unbilligkeiten auszuräumen. Mit Recht weist Haueisen 3 3 5 darauf hin, daß in Fällen, in denen der Begünstigte eine schutzwürdige Position erlangt hat, eine Rücknahme des fehlerhaften Aktes Amtshaftungsansprüche nicht auszulösen braucht. Zudem muß mit dem Erlaß eines fehlerhaften Verwaltungsaktes auch nicht notwendig die Verletzung einer Amtspflicht einhergehen 336 . Ja, man wird darüber hinaus sagen können, daß im Normalfall sogar keine Amtspflicht verletzt wird! Das bedarf näherer Erläuterung. Der Schadensersatzanspruch gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 G G setzt voraus, daß der Besä« 335 äse
Lehrbuch, S. 240; zustimmend Ule in DVB1. I960, 614. DVB1. 1959, 231; zustimmend Schäfer, S. 37. vgl. Schäfer, S. 37.
67 amte „die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht" verletzt hat. Als „Dritter" kommt nur der Begünstigte in Betracht, der den Schaden erlitten hat. In der Rücknahme des fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes kann eine Amtspflichtverletzung keinesfalls erblickt werden, denn - vorausgesetzt der Grundsatz der freien Rücknahme gilt ausnahmslos - diese war rechtmäßig 337 . Ein Beamter, der rechtmäßig handelt, kann keine Amtspflichten verletzen. Ebensowenig kann aber in dem voraufgegangenen Erlaß des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes die Verletzung einer Amtspflicht gegenüber dem Begünstigten enthalten sein. Zwar handelt der Beamte, der einen rechtswidrigen Akt erläßt, nicht pflichtgemäß. Er verletzt zweifellos seine Amtspflicht, denn er hat sich im Rahmen seiner Vorschriften zu halten. Jedoch genügt eine Amtspflichtverletzung für sich allein noch nicht, um den Schadensersatzanspruch aus § 839 B G B zu begründen, erforderlich ist vielmehr, daß die verletzte Amtspflicht g e g e n ü b e r d e m D r i t t e n , also dem Begünstigten, bestand. Davon kann aber im Regelfall wohl nicht ausgegangen werden. Denn als Prüfstein für die Frage, ob dem Beamten gegen den Dritten eine Amtspflicht auferlegt ist, kann regelmäßig das Vorhandensein von Rechtsmitteln gegen die Amtshandlung angesehen werden 338 . Gegen einen begünstigenden Verwaltungsakt sind aber mangels Beschwer keine Rechtsmittel gegeben. Abgesehen von den Bedenken hinsichtlich der Amtspflichtverletzung wird durch den Erlaß des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes kein Schaden ausgelöst 339 . Darüber hinaus läßt sich anführen, daß der Amtshaflungsansprudi für den Betroffenen in der Praxis oft dadurch illusorisch sein wird, daß entweder den Beamten kein Verschulden trifft: oder ein Verschuldensnachweis nicht geführt werden kann. Daraus folgt, daß der Bürger bei der Rücknahme eines fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes weitgehend schutzlos bliebe, wenn man ihn auf die Amtshaftungsansprüche verweisen würde. Diese Konsequenz kann auch Forsthoff nicht durchhalten. So läßt er normalerweise die Rücknahme nur ex nunc zu und konzediert damit den Vertrauensschutz 340 , den er fast an gleicher Stelle als contra legem ablehnt 3 4 1 . Der Widerspruch im Haftungssystem Forsthoffs wird aber, was Haueisen zutreffend kritisiert 342 , nodi aus einer anderen Perspektive deutlich, nämlidi aus der Gegenüberstellung der Rücknahme von rechtswidrigen belastenden und rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsvgl. Erning, S. 34. 338 vgl. Palandt-Gramm § 839 Anm. 5 unter Hinweis auf R G J W 1937, 2766 und Enneccerus-Lehmann, S. 972. 33» yg]. insoweit audi Erning, S. 34, 35. 3 *o vgl. Lehrbuch, S. 248. 3 « vgl. Lehrbuch, S. 2 4 1 ; das gleiche gilt für Schütz in D Ö V 1958, 451; auf diesen Widerspruch bei Forsthoff und Schütz weist auch Haueisen in DVBl. 1959, 228 (230) hin, ebenso Jesch, S. 195, Anm. 84. 3 « DVBl. 1959, 228 (230). 337
5»
68 akten. Bei fehlerhaften belastenden A k t e n h a t der Betroffene gegen die V e r w a l t u n g einen Folgenbeseitigungsanspruch, weil - wie Forsthoff meint 3 4 3 - dem O p f e r eines fehlerhaften Verwaltungshandelns nicht die Last der Rechtsverfolgung gegen Dritte 3 4 4 im Zivilrechtsweg a u f g e b ü r d e t werden k a n n . W e r auf den Bestand eines begünstigenden V e r w a l t u n g s aktes v e r t r a u t , soll dagegen auf Schadensersatzansprüche angewiesen sein. Aus welchen G r ü n d e n diese Unterscheidung berechtigt sein soll, ist nicht ersichtlich 345 . Die Frage, ob der Bürger bei der R ü c k n a h m e eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes Schutz verdient, ist auch kein P r o b l e m des Schadensersatzes, sondern ein Problem der K o n t i n u i e r lichkeit des Rechtslebens, d. h. der Rechtssicherheit u n d des Rechtsfriedens 346 . Die Amtshaftungsvorschriften allein reichen jedenfalls nicht aus, um die mit der R ü c k n a h m e v e r b u n d e n e n Sonderfälle zu korrigieren. I I I . Die Kompromißlösung
von Wirth
und
Diirig
Einen Mittelweg schlägt W i r t h , u n t e r s t ü t z t v o n Dürig, vor 3 4 7 . Er bejaht z w a r grundsätzlich die G e w ä h r u n g von Vertrauensschutz als G e g e n w i r k u n g z u r freien Rücknahme, l ä ß t aber die G e l t u n g des G r u n d satzes der freien R ü c k n a h m e u n b e r ü h r t und verlegt die Verteidigungslinie in die Rechtsfolge. N a c h seiner Ansicht soll sich der Vertrauensschutz nicht gegen die R ü c k n a h m e des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes richten, dessen Existenz dem Bürger regelmäßig gleichgültig sei, sondern gegen den durch die R ü c k n a h m e ausgelösten Rückforderungsanspruch der Behörde. Dieser Lösungsvorschlag begegnet aber sowohl rechtsdogmatischen als auch praktischen Bedenken u n d ist d a h e r abzulehnen. Mit Recht f ü h r t Ciasen 3 4 8 aus, d a ß R ü c k n a h m e und Erstattungsanspruch in einem inneren kausalen Z u s a m m e n h a n g stehen, eine Rechtseinheit bilden und deshalb nicht v o n e i n a n d e r losgelöst betrachtet w e r d e n k ö n n e n . D a r a u s ergibt sich, d a ß sich der Vertrauensschutz sowohl gegen die R ü c k n a h m e als den p r i m ä r e n Rechtsakt als auch gegen den Rückforderungsanspruch als den sekundären N a c h f o l g e a k t richtet. D a die R ü c k n a h m e eine Ansprudisvoraussetzung f ü r den Rückforderungsanspruch der Behörde darstellt, k a n n der v o n W i r t h vorgeschlagenen isolierten Betrachtungsweise nicht gefolgt w e r d e n . Schwerwiegender sind die praktischen E i n w ä n d e , die gegen W i r t h s A u f f a s s u n g erhoben w e r d e n müssen. Seine Lösung versagt nämlich bei 343 344 345 3 « (231). 347
Lehrbuch, S. 239. z. B. Räumungsklage bei fehlerhafter Einweisung. gegen Forsthoff auch Maunz-Dürig Art. 20, 147 (S. 63 Anm. 3). vgl. Menger, VerwArch. 1958, S. 83; Haueisen in DVB1. 1959,
228
D Ö V 1960, 173. « in D Ö V 1960, 900; gegen Wirth auch Wolff, § 53 IIIc (S. 294); H a u eisen in DVB1. 1960, 352 A n m . 26 und Zuck in D Ö V 1960, 582 Anm. 39 a. E. 3
69 solchen begünstigenden Verwaltungsakten, die .nicht auf Geldleistungen gerichtet sind und demgemäß keinen Rückforderungsanspruch der Behörde auslösen, gegen den Vertrauensschutz gewährt werden könnte 3 4 8 3 . Ebensowenig können die Fälle befriedigend gelöst werden, in denen die Begünstigung zwar bereits zuerkannt, aber von der Behörde noch nicht erbracht worden sind, und der Betroffene in Erwartung der zu erbringenden Leistung Aufwendungen gemacht hat. Audi in diesem Falle wird durch die Rücknahme kein Rückforderungsanspruch der Behörde ausgelöst, so daß ein eventuell zu gewährender Vertrauensschutz nicht realisiert werden könnte. IV. Ergebnis Die bisherigen Erörterungen haben gezeigt, daß die Amtshaftungsvorschriften zur Korrektur des Grundsatzes der freien Rücknahme nicht ausreichen, sondern daß der Vertrauensschutz früher einsetzen muß. Der Vertrauensschutz kann auch nicht in den mit der Rücknahme verbundenen Rückforderungsanspruch verlagert werden, sondern er muß bereits bei der logisch früher liegenden Rücknahme selber berücksichtigt werden 348 . Die bisherigen Ergebnisse lassen sich demnach wie folgt zusammenfassen: 1. Die geltenden Korrekturvorschriften reichen nicht aus, um die mit der freien Rücknahme verbundenen H ä r t e n und Unbilligkeiten zu vermeiden. 2. Eine weitere Korrektur ist notwendig. Sie muß bereits bei der Rücknahme selber einsetzen. C. T a t b e s t a n d s g r u p p e n , ausschließen oder
die die Rücknahme einschränken
Auf der Grundlage der im vorangehenden Abschnitt gewonnenen Erkenntnisse kann nunmehr untersucht werden, welche Grenzen dem Ermessen der Verwaltung bei der Anwendung des Grundsatzes der freien Rücknahme gesteckt sind bzw. in welchen Fällen die freie Rücknahme ganz ausgeschlossen ist. I. Unbeachtliche
Gesetzesverletzungen
An mehreren Stellen 350 wurde bereits erörtert, daß Gesetzesverletzungen unterschiedlich zu beurteilen sind, je nachdem ob gegen zwingende oder nachgiebige Rechtsvorschriften verstoßen worden ist. Während dieser Unterscheidung f ü r die Beurteilung der Rechtswidrigkeit 348a vgl. Haueisen in DVBl. 1960, 352 Anm. 26; Zudc in D Ö V 582 Anm. 39 a. E. 34
»
350
vgl. BVerwG in N J W 1960, 692 (694). vgl. oben S. 7, 28 f.
I960,
70 keine Bedeutung zukommt, ist sie für die Frage nach den Rechtsfolgen entscheidend. Verstöße gegen nachgiebiges Recht, beispielsweise Sollvorschriften, werden zwar von der Rechtsordnung mißbilligt, jedoch sind sie dadurch charakterisiert, daß das Gesetz f ü r sie keine Sanktionen vorsieht 351 . Der Mangel einer Rechtsfolge bei Sollvorschriften ist in den vorhandenen Kodifikationen 3 5 2 allgemein zu beobachten. Dieser Zusammenhang muß auch im Rücknahmerecht Beachtung finden und zum Ausschluß einer Rücknahme als mögliche Rechtsfolge führen. Mit der bereits dargestellten und an früherer Stelle kritisch gewürdigten Rechtsprechung und Lehre 353 ist deshalb davon auszugehen, daß nur solche Verwaltungsakte der freien Rücknahme ausgesetzt sind, die gegen zwingende Rechtsvorschriften verstoßen. Als zwingend ist eine N o r m dann anzusehen, wenn sie strikt keine Ausnahme zulassend und kein Ermessen einräumend den Tatbestand bestimmt, der für die Begründung von Rechten und Pflichten maßgebend ist, mit anderen Worten wenn ein von der N o r m abweichendes Verhalten ausgeschlossen ist. Die hiergegen erhobenen Bedenken, insbesondere durch das O V G Berlin, sind oben bereits erörtert und zurückgewiesen worden 3 5 4 . Mit Rücksicht auf frühere Ausführungen ist eine nähere Stellungnahme deshalb hier entbehrlich. Die Behörde hat also, wenn sie einen fehlerhaften Verwaltungsakt kassieren will, zunächst festzustellen, wie der Fehler beschaffen ist. Liegt er lediglich in einem Widerspruch zu nachgiebigen Rechtsvorschriften, so kann sie eine Rücknahme nicht aussprechen. II. Der
Verzicht
Die Rücknahme eines fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes ist auch dann ausgeschlossen, wenn die Behörde auf ihr Recht zur Rücknahme wirksam verzichtet. Der Verzicht als einseitiges Rechtsgeschäft ist dem Verwaltungsrecht bekannt 3 5 5 . Jedoch sind der Geltung des Verzichtes durch zwingende Verwaltungsrechtsnormen enge Grenzen gezogen. Als Preisgabe einer Rechtsposition setzt der Verzicht voraus, daß dem Verzichtenden Verfügungsbefugnis zusteht. Denn man kann nur auf das verzichten, was sich innerhalb der eigenen Verfügungsmacht befindet 356 . Daraus folgt, daß die Verwaltung nur auf solche Rechte verzichten kann, zu deren Ausübung sie nicht verpflichtet ist. „Wo die Verwaltungsbehörden kein 351
vgl. Wolff, § 53 II e (S. 292); H o k e in D Ö V 1962, 283. vgl. z . B . die § § 8 , 9, 10 EheG, die als Sollvorschriften keine Rechtsfolgen zeitigen. Eine unter Verletzung dieser Vorschriften zustandegekommene Ehe ist voll gültig; ebenso § 35 O B G . N W ; 34 P V G . 3o3 vgl. oben S. 28 f., vgl. auch Pöppinghaus, S. 62. 354 vgl. oben S. 30. 355 vgl. statt vieler Peters, Lehrbuch, S. 149 f.; Forsthoff, S. 261 f. 352
356 Forsthoff, Lehrbuch, S. 262.
71 freies Ermessen haben, ob sie ein Recht ausüben wollen oder nicht, dort gibt es auch keinen Verzicht 357 ." Da sich die Rücknahme eines fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes als Ermessensentscheidung der Behörde darstellt, ist aus den vorangegangenen Überlegungen ohne weiteres zu folgern, daß die Verwaltung auf das Recht zur Rücknahmo verzichten kann. Wenn die Behörde die Rücknahme nicht auszusprechen braucht, muß sie auch auf sie verzichten können 358 . Der Verzicht ist grundsätzlich an keine Form gebunden. Er kann also auch durch konkludente Handlungen erklärt werden. Jedoch muß der Verzichtswille unzweideutig hervortreten. Insoweit werden sich im Einzelfall Abgrenzungsschwierigkeiten zu dem noch zu entwickelnden Tatbestand der Verwirkung ergeben 359 . Zu beachten wird auch sein, daß ein etwaiger Verzicht durch den zuständigen Beamten erklärt werden muß. Nicht jede Erklärung eines subalternen Bediensteten der Behörde, die Rücknahme werde unterbleiben, kann als wirksamer Verzicht angesehen werden 360 . I I I . Der
Vertrauensscbutz
Grob umrissen besagt der Vertrauensschutz, daß der Bürger, der im Vertrauen auf den Bestand behördlicher Entscheidungen seine Lebensverhältnisse entsprechend geordnet hat, geschützt werden muß. 1. Rechtliche Grundlage Über die rechtliche Grundlage des Vertrauensschutzes werden verschiedene Ansichten vertreten. a) Vereinzelt 361 wird das Vertrauensschutzprinzip auf Art. 1 GG gestützt. Diese Auffassung geht von folgenden Erwägungen aus. Der Vertrauensschutz solle verhindern, daß der einzelne Objekt staatlicher Ge35"
ass
Peters, Lehrbuch, S. 150. Peters, Lehrbuch, S. 1 7 0 ; Jellinek, Lehrbuch, S. 2 8 8 ; H a n g a r t n e r , S. 1 8 5 .
vgl. u n t e n S. 9 4 , insbes. S. 9 6 fi. 300 vgl. Schüle in V e r w A r c h . 1 9 3 4 , 2 8 . 36i Zuck in D Ö V 1 9 6 0 , 5 8 2 ; ebenso L S G Bremen in DVB1. 1 9 6 1 , 3 3 8 ( 3 4 0 ) ; vgl. auch Thieme a . a . O . S. 2 4 5 f. A u f der gleichen Linie liegt der Versuch des L S G Bremen in B B 1 9 5 7 , 5 4 3 , die Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte einzuschränken. In dieser Eintscheidung hat das Gericht aus „rechts- und sozi&lstaatlichen E r w ä g u n g e n " einen zweifelsfrei fehlerhaften Rentenbescheid für nicht rücknehmbar erklärt, weil die 73jährige K l ä g e r i n sonst einer N o t l a g e ü b e r a n t w o r t e t würde, die weder mit der Achtung v o r der W ü r d e eines a l t e n (!?) Menschen ( A r t . 1 I G G ) , der sein Leben auch angesichts der Folgen der Verwundung seines E h e g a t t e n pflichtgemäß gelebt hat, noch mit der Respektierung des Grundrechts der persönlichen Entfaltungsfreiheit ( A r t . 2 I G G ) vereinbar w ä r e . D e r A k z e n t liegt also audi hier auf der Menschenwürde und dem Menschenbild des Grundgesetzes. 359
Die Entscheidung hat eine zwiespältige Beurteilung erfahren. B e r n h a r d t a . a . O . und R o h w e r - K a h l m a n n (Präsident des L S G B r e m e n ! ) in „Soziale
72 w a i t w e r d e . Es g e h e d a b e i u m d e n L e b e n s r a u m , d e n er b e r e i t s g e s t a l t e t h a b e . D i e s e G e s t a l t u n g sei v o n d e r ö f f e n t l i c h e n G e w a l t z u r e s p e k t i e r e n . D e r G r u n d f ü r d e n g e s c h u l d e t e n R e s p e k t liege in d e m V e r b o t des A r t . 1 A b s . 1 G G , d e n M e n s c h e n z u m O b j e k t z u m a c h e n . D i e s geschehe a b e r d o r t , w o ü b e r eine E n t s c h e i d u n g des e i n z e l n e n , d i e dieser in e i n e m - w i e er g l a u b t e - f ü r i h n g e s t a l t u n g s f r e i e n R a u m g e t r o f f e n h a t t e , h i n w e g gegangen werde. Diese A n s i c h t ist a b z u l e h n e n . Sie ü b e r s p a n n t d e n S i n n g e h a l t des A r t . 1 A b s . 1 G G . Z u n ä c h s t ist e i n m a l streitig, o b A r t . 1 A b s . 1 G G ü b e r h a u p t ein spezielles R e c h t v e r l e i h t . D i e M e i n u n g e n sind g e t e i l t . D i e w o h l ü b e r w i e g e n d e A n s i c h t l e u g n e t die a k t u e l l e G r u n d r e c h t s q u a l i t ä t des A r t . 1 u n d sieht erst in A b s . 3 die e n t s c h e i d e n d e A k t u a l i s i e r u n g s n o r m 3 0 2 . Sie g e h t d a v o n aus, d a ß A r t . 1 A b s . 1 G G als ideeller A u s g a n g s p u n k t d e r n a c h f o l g e n d e n G r u n d r e c h t e g e d a c h t sei 3 6 3 . N a c h W o r t l a u t u n d S y s t e m a t i k h a b e A r t . 1 A b s . 1 G G d e n C h a r a k t e r eines o b e r s t e n K o n s t i t u t i o n s p r i n z i p s a l l e n o b j e k t i v e n R e c h t s e r h a l t e n , welches d a n n schrittweise z u g u n s t e n des e i n z e l n e n R e c h t s t r ä g e r s r e a l i s i e r t w e r d e 3 0 4 . Diese A u s l e g u n g des A r t . 1 A b s . 1 G G w i r d h e r g e l e i t e t aus d e r F o r m u l i e r u n g „ d a r u m " in A b s . 2, die d i e F o l g e r u n g aus A b s . 1 ziehe, u n d aus d e m Sicherheit" 1957 S. 358 haben ihr zugestimmt. Schultz in M D R 1957, 398 (399) bezeichnet sie als „höchst verdienstvoll". Dagegen w a r n t Forsthoff in D Ö V 1959, 42 (43) unter Bezugnahme auf das genannte Urteil des LSG Bremen (Anm. 7) vor einer H i n w e n d u n g zu „unformalem Recht, dessen Irrationalität sich in der Tatsache erweist, daß es nur nach den Umständen des jeweiligen Falles so oder so praktiziert werden kann" (vgl. auch dessen Ausführungen in Carl-Schmitt-Festschrift a. a. O.). Unter ausdrücklicher Ablehnung der Ansicht von Bernhard wendet sich audi Rösener a. a. O. S. 514 f. gegen eine Uberbetonung des Sozialrechts und weist auf die G e f a h r eines Einbruchs in das auf Rationalität hin angelegte rechtsstaatliche Denken hin. Ähnliche Bedenken hat Hennig in SGb 1958, 182 (183); mit Recht bemerkt er, daß sich soziale Gesichtspunkte immer finden lassen. In der T a t bedeutet die Entscheidung des LSG Bremen eine Knochenerweichung unseres Rechtsgefüges zugunsten verschwommener sozialethischer Erwägungen. „Jedenfalls aber wird die juristische Präzision der Arbeit, wie sie sich in den Urteilsgründen ausspricht, ziemlich stark herabgesetzt werden, wenn soziologische und ökonomische oder ethische Räsonnementes an die Stelle juristischer Begriffe treten" (Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 2, 4. Aufl. 1956, S. 512). Z w a r sprechen die Anhänger des LSG Bremen immer von einer „Konkretisierung" verfassungsrechtlicher Prinzipien. H a n d f e s t e Anhaltspunkte i. S. einer Konkretisierung sind aber nirgends zu finden. Die zitierte Entscheidung des LSG Bremen ist deshalb mit Recht vom BSG in D Ö V 1959, 584 aufgehoben worden. 862 vgl. M a u n i - D ü r i g , Art. 1, 4; von Mangoldt-Klein, S. 148; Maunz 5. 95; Apelt, J Z 1951, 353 Anm. 3; Kiefersauer J R 1952, 81; Dürig J R 52, 259 (260); K r a t z e r a . a . O . S. 120; Lerche, Ordentlicher Rechtsweg und Verwaltungsrechtsweg (1953) S. 28. sea so Maunz, S. 95. 304 Maunz-Dürig, A r t . 1, 4.
73 Wort „nachfolgend" in Abs. 3, wodurch das Vorausgehende als nicht zu den bindenden Grundrechten gehörig charakterisiert werde 305 . Nipperdey 36 ® bezeichnet diese Auslegung als spitzfindigen Formalismus, der sich nicht zieme. Er f a ß t Art. 1 Abs. 1 G G als das materielle Hauptgrundrecht auf 3 8 7 und spricht an anderer Stelle 368 von einem naturrechtlichen Elementarprinzip, das vorstaatlich und überpositiv sei. Diesem Prinzip mißt er unmittelbare und aktuelle Geltung und Wirkung zu. Welche dieser Auffassungen letztlich die besseren Gründe für sich hat, mag dahinstehen. Jedenfalls steht fest, daß die „Menschenwürde" auch nach der Auffassung Nipperdeys nicht als Grundlage f ü r den Vertrauensschutz dienen kann. Die Menschenwürde wird nur verletzt, wenn der einzelne in seiner Wesenheit als Mensch, als Person, getroffen wird 3 6 9 . Die Menschenwürde wird beispielsweise „berührt" durch Diffamierung, Diskriminierung, Entrechtung, Austreibung, Verschleppung, Folterung usw. 370 . Die Rücknahme eines Verwaltungsaktes ist aber nicht geeignet, eine solche Persönlichkeitsverletzung herbeizuführen. Nipperdey 3 7 1 hat selber davor gewarnt, den Art. 1 Abs. 1 G G zu „überfordern", und empfohlen, bei der Auslegung „eine gewisse konservative Grundhaltung" einzunehmen. Eine solche „Uberforderung" des Art. 1 Abs. 1 G G muß aber darin erblickt werden, daß er als Grundlage des Vertrauensschutzes im Rahmen des Rücknahmerechts herangezogen wird. b) Ferner 372 wird die rechtliche Grundlage für die Gewährung von Vertrauensschutz in dem Sozialstaatsprinzip gesehen. Über Inhalt und Tragweite der Sozialstaatsklausel bestehen nach wie vor Meinungsverschiedenheiten 373 . Gemeinsam ist allen Äußerungen jedoch, daß dieses Prinzip alle Staatsorgane verpflichtet, eine soziale und gerechte Ordnung zu schaffen und dem einzelnen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Konkret ausgedrückt: die Gemeinschaft hat die Pflicht, notleidenden Mitgliedern der Gesellschaft zu helfen. Diese Hilfe besteht in einem fürsorgenden Eingreifen, einem Gewähren 3 7 4 , also einem positiven Tun. Die Gemeinschaftshilfe kann nun freilich auch in der Aufrechterhaltung einer einmal dem Bürger gewährten Rechtsposition bestehen, wie sie im
365
so Maunz, S. 95. a. a . O . S. 12. a . a . O. S. 11 ff.; ebenso Hamann, Art. 1, B; Low in D Ö V 1958, 516; 1, 333 (343); BVerwG in N J W 1961, 1548. a. a. O. S. 2. vgl. Nipperdey a. a. O. S. 2 und 26 ff. vgl. die zahlreichen weiteren Beispiele bei Nipperdey S. 27. S. 17. 372 Fischbach in RiA 1956, S. 289; Thieme a. a. O. S. 251 ff. (255). 373 vgl. die Darstellung bei von Mangoldt-Klein S. 607. 374 vgl. Hamann, S. 33; Forsthoff in VVDStRL 12 (1954) 25.
see 367 BVerfG ses 309 370 371
74 Rahmen des Rücknahmerechts zur Diskussion steht. Indes liegt das Wesentliche des Sozialstaatsprinzips nicht in der Bewahrung einer Rechtsstellung, sondern in der unterstützenden und gewährenden Intervention 375 . Das Sozialstaatsprinzip zur Grundlage des Vertrauensschutzes zu erklären, verbietet sich also schon deshalb, weil diesem Prinzip eine andere Funktion zukommt. Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß Vertrauensschutz nicht deshalb gewährt wird, um den Bürger vor einer N o t situation zu retten, denn mit der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes ist eine solche Notlage des Betroffenen nicht notwendig verbunden; man kann sagen, daß eine Notlage regelmäßig nicht eintreten wird, sondern lediglich eine Einbuße von Werten. Das zu verhindern, ist aber nicht der Sinn der Sozialstaatsklausel. c) Die neuere Rechtsprechung hat den Vertrauensschutz zunächst vornehmlich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitet. aa) Die Anerkennung des Treu- und Glaubenssatzes im öffentlichen Recht steht heute außer Zweifel 376 , wenn er auch teils mit Zurückhaltung angewendet wird 3 7 7 . Die Geltung dieses Rechtssatzes wird teils auf einen Analogieschluß (argumentum a minori ad maius) zum Privatrecht 3 7 8 gestützt teils mit der Theorie des allgemeinen Rechtsgedankens begründet 379 . Vereinzelt wird auch auf das Naturrecht als Ursprung des Treuund Glaubenssatzes zurückgegriffen 880 , oder seine Geltung kraft Denknotwendigkeit angenommen 381 . Über die Berechtigung dieser Ansichten zu urteilen, ist angesichts der Tatsache, daß der Grundsatz von Treu und Glauben in der Rechtsprechung bereits seit Jahrzehnten 3 8 2 praktiziert und deshalb wohl jedenfalls auch schon gewohnheitsrechtlich verfestigt ist, hier nicht der Ort. bb) Bedeutsamer und schwieriger ist es, den Satz von Treu und Glauben begrifflich zu erfassen und seine rechtliche Funktion zu erklären.
»w vgl. Ipsen in DVB1. 1956, 463; Zuck in D Ö V 1960, 582. 37 » vgl. statt aller Peters, Lehrbuch, S. 163; Forsthoff, Lehrbuch, S. 155 ff.; soweit ich sehe, wird die Geltung dieses Grundsatzes im öffentlichen Recht nur von Saladin, S. 145 ff., geleugnet. 377 vgl. Peters und Forsthoff a . a . O . ; Schüle in VerwArch. 1933, 401, der v o n der Struktur des öffentlichen Rechts her Bedenken gegen die A n w e n dung des Satzes v o n Treu und Glauben anführt, seine Geltung als Vertrauensschutzprinzip im R a h m e n der Lehre v o m fehlerhaften Verwaltungsakt jedoch anerkennt (a. a. O. S. 403 und VerwArch. 1934, 23). 378 so Hamburger in LZ 1931, 1442; H a m b . V G in J W 1927, 2948 N r . 4. 379 Zu dieser Methode der Rechtsfindung vgl. Schack a. a. O. und Schüle in VerwArch. 1933, S. 404 ff.; sie wurde v o m R G angewandt. 38 ° so Baumann, S. 24 ff. sei so G o w a , S. 29, 35. 382 D i e erste Anerkennung im öffentlichen Recht geschah in R G Z 112, 223; 113, 24; zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. Schüle in VerwArch. 1933, 410 ff.
75 Bevor insoweit keine Klarheit herrscht, ist eine -weitere Stellungnahme zur Anwendbarkeit dieses Grundsatzes im Rahmen des Vertrauensschutzes nicht möglich. Die Versuche, den Treu- und Glaubenssatz in seinem Inhalt durch eine generelle Formel zu erfassen, sind m. E. als gescheitert zu betrachten 883 . D a ß die Suche nach einer „Generalformel" von Anfang an vergeblich sein mußte, ergibt sich aus der rechtlichen Funktion dieses Rechtsgrundsatzes. cc) Diese Funktion liegt in seiner Eigenart als Korrekturvorschrift 3 8 4 . Dem liegt folgender Gedankengang zugrunde. Einmal kann der Gesetzgeber nicht alle künftigen Erscheinungen übersehen. Deshalb ist das Gesetz notwendig lückenhaft. Im Streitfalle muß aber auch im Bereich nicht geregelter Tatbestände eine Entscheidung getroffen werden. Zum anderen bringt die Schematisierung der gesetzlichen Tatbestände es mit sich, d a ß in besonderen Fällen H ä r t e n entstehen, die einen Ausgleich erheischen. Hier tritt der im Treu- und Glaubenssatz enthaltene Billigkeitsgedanke auf den Plan, der eine „Korrektur der durch die notwendige Abstraktion des Rechtssatzes entstehenden H ä r t e n " 3 8 5 herbeiführen soll. Die Billigkeit bedeutet damit „eine Verbesserung des Gesetzes", „wo dieses wegen seiner Allgemeinheit etwas versieht" 3 8 e . Der Grundsatz von Treu und Glauben dient also als Auffangtatbestand f ü r besondere Härtefälle und soll, das Gesetz ausfüllend oder korrigierend, das Billigkeitsrecht zur Geltung bringen 387 . N u n besteht die Gefahr, daß, wenn der Treu- und Glaubenssatz nicht konkretisiert wird, man sich „unsicheren Gefühlsregungen" anvertrauen muß 388 . Jellinek hat deshalb bei der Anwendung des Treu- und Glaubenssatzes stets eine „entwicklungswissenschaftliche Betrachtung" empfohlen 389 . Auch die Rechtsprechung hat die im Billigkeitsrecht liegende Gefahr f ü r die Rechtssicherheit 390 erkannt und deshalb den Grundsatz von Treu und Glauben durch Schaffung neuer Rechtsinstitute konkret
383
vgl. die Darstellung bei Schmitt, S. 40; Sdiüle in Verw.Ardh. 1933, 400.
384
vgl. Max R ü m e l i n , Billigkeit, S. 56; Praun, S. 3; Géza Kisss in Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, Jahrg. 1910, III (536); Knieper, S. 24, 26; Staudinger-Weber, § 242 A 117 ff.; Schüle in VerwArch. 1933, 401 f. 385 Rümelin, Billigkeit, S. 56; vgl. auch Enneccerus-Lehmann, S. 24; Soergel-Siebert, § 242 A n m . 4. 380 Géza Kiss a. a. O.; vgl. dazu auch G. Boehmer II 1 S. 174, 186; Esser, Schuldrecht, S. 99 f.; Giese, S. 167 ff. 387 vgl. Eichler, S. 23; H e d e m a n n , S. 57, der die Generalklauseln als Waffe und Mittel der Rechtsgestaltung bezeichnet, die „ein Stück offengelassener Gesetzgebung" (S. 58) ausfüllen sollen. 388
38« 390
Jellinek in R u P r V e r w B l . 52, 805. RuPrVerwBl. 52, 805. vgl. dazu o b e n S. 33.
76 ausgefüllt 3 9 1 . Diesem Verfahren ist das Schrifttum gefolgt 3 9 2 . Auch im öffentlichen Recht k a n n der Grundsatz v o n Treu und Glauben einer näheren „Konkretisierung" nicht entraten 3 9 3 . dd) N u n fragt sich, ob der im Treu- und Glaubenssatz zur Geltung kommende Billigkeitsgedanke auch im R a h m e n des Vertrauensschutzes angewendet w e r d e n kann 3 9 4 . Sicherlich w i r d man den Fall, daß der Bürger, der sich im Vertrauen auf den Bestand eines Verwaltungsaktes eingerichtet hat, durch die Rücknahme unter U m s t ä n d e n g e z w u n g e n ist, seine Lebensverhältnisse neu z u ordnen, oftmals als H ä r t e f a l l ansehen müssen, so d a ß es unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit gerechter erscheinen kann, ihm die gewährte Rechtsstellung zu belassen. Jedoch ist es nicht allein die Rücksicht auf den Billigkeitsgedanken, die einen Schutz des auf den Bestand eines Verwaltungsaktes vertrauenden Bürgers erheischt. Eine wesentliche R o l l e spielt hier auch die Rechtssicherheit. d) In neueren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts 3 9 5 und auch im Schrifttum 3 9 6 tritt deshalb die N e i g u n g hervor, den Vertrauensschutz nicht mehr auf den Grundsatz v o n Treu und Glauben, sondern auf die Rechtssicherheit abzustützen 3 9 7 . Auch die Mehrheit der Schweizer Schriftsteller leitet den Vertrauensschutz aus der Rechtssicherheit ab 3 9 8 . 391 vgl. dazu Schmitt, S. 36 ff., der zu dieser Rechtsprechung kritisdi Stellung nimmt. Diese Kritik ist unberechtigt. Durch die Schaffung neuer Rechtsinstitute wurde die Gefahr einer unkontrollierbaren Gefühlsjurisprudenz gebannt, aber gleichzeitig beim Auftauchen neuer, bisher unbekannter Sachverhalte der Weg zur Lösung durch Bildung neuer Rechtsinstitute offengehalten. Das war im Interesse der Rechtssicherheit die beste Lösung. Wenn die Rechtsprechung nach der Empfehlung Schmitts, S. 124, gemäß der Rechtsüberzeugung des Volkes judiziert hätte, wäre es um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und die Rechtssicherheit schlecht bestellt. 392 vgl. Esser, Schuldrecht, S. 99 f. und die einschlägigen Kommentare zum § 242 BGB, insbesondere Soergel-Siebert, § 242 Anm. 2; Staudinger-Weber, A 168. Ich sehe in dieser Rechtsprechung eine Bestätigung meiner Auffassung, daß auch im Rüdtnahmerecht zum Regel-Ausnahme-System zurückgekehrt werden muß. Wenn Schmitt diese Rechtsprechung auch als Rückfall in die konstruktiv-juristische Methode ablehnt, die jahrzehntelange reibungslose Praxis zeigt, daß die Rechtsprechung auf dem richtigen Wege ist. Wie die Entscheidungen aussehen, wenn man sich von fest umrissenen Rechtsinstituten abkehrt, ist oben S. 44 f. dargelegt worden. 3 »3 vgl. V G H Baden-Württemberg in ZBR 1960, 165, 394 Gowa, S. 60, bezeichnet den Vertrauensschutz als einen Anwendungsfall von Treu und Glauben. 394 Gowa, S. 60, bezeichnet den Vertrauensschutz als einen Anwendungsfall von Treu und Glauben. 393 vgl. oben S. 17. 39 « vgl. Haueisen in D Ö V 1961, 121 (128); Thieme a . a . O . S. 245 ff.; Bernhardt a. a. O. S. 552 f. 397 In diesem Zusammenhang sei auch die bereits früher geäußerte Ansicht von Peters, Rechtsstaat, S. 72, vermerkt: „Endlich sichert es (das Recht) die Vorausberechenbarkeit des Erfolges menschlicher Handlungen und ermög-
77 aa) Die Rechtssicherheit als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips 399 ist als tragender Grundsatz unserer Rechtsordnung bereits an früherer Stelle hervorgehoben worden 4 0 0 und bedarf hier keiner näheren Rechtfertigung mehr. bb) Um beurteilen zu können, ob das Prinzip der Rechtssicherheit im Rahmen des Vertrauensschutzes fruchtbar gemacht werden kann, ist es notwendig, seinen Inhalt zu erfassen. Das Rechtssicherheitsprinzip weist mehrere Ausprägungen auf, die sich jedoch berühren und ineinander übergehen. So setzt Radbruch 4 0 1 Rechtssicherheit gleich mit „Unverbrüchlichkeit" und „Stetigkeit" des Rechts. Die andere Seite der Rechtssicherheit liegt in der Voraussehbarkeit, Meßbarkeit und Vorausberechenbarkeit des Rechts 402 . Bezieht man diese Ausprägungen der Rechtssicherheit (lediglich) auf das G e s e t z , so gibt das Prinzip der Rechtssicherheit für den Vertrauensschutz nichts her. Denn das Ziel der Vorausberechenbarkeit wird gerade durch das Gesetzmäßigkeitsprinzip, mit dem der Vertrauensschutz in Konflikt steht, erreicht. U n d die „Stetigkeit" und „Unverbrüchlichkeit" des Rechts als Ausprägungen der Rechtssicherheit verlangen gerade den ausnahmslosen Gesetzesvollzug, dem durch Gewährung von Vertrauensschutz in gewissen Fällen entgegengewirkt werden soll. Gesetzmäßigkeit und Rechtssicherheit stehen also insoweit gleichermaßen dem Vertrauensschutz entgegen 403 . Jedoch bezieht sich die Stetigkeit der Rechtsentwicklung als Element der Rechtssicherheit nicht nur auf den gleichmäßigen G e s e t z e s Vollzug, sondern ebenso auf den Bestand der E n t s c h e i d u n g e n staatlicher Organe, denn die Gewährleistung der Rechtssicherheit verlangt nicht nur einen geregelten V e r l a u f der Rechtsfindung, sondern auch einen A b s c h l u ß , dessen Rechtsbeständigkeit gesichert ist 404 . Ebenso liegt es im Interesse der Rechtssicherheit, daß die Behörde nicht heute so und morgen anders entscheidet. Dadurch würden die stetige Rechtsentwicklung und der Rechtsfrieden mehr gestört, als wenn in besonderen Fällen die Behörde einen rechtswidrigen A k t bestehen ließe, also den Gesetzesvollzug zurückstellen würde. Insoweit stehen dann allerdings die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit und Rechtssicherheit im Widerstreit. licht im Alltagsleben w i e für die Wirtschaft erst eine Kalkulation, ein Planen auf längere Sicht. So lehren uns die eigenen Erfahrungen die wichtigsten Funktionen einer Rechtsordnung für die Rechtssicherheit zu schätzen." Auch hier tritt m. E. der Zusammenhang zwisdien Vertrauensschutz und Rechtssicherheit zutage. 398 vgl. Baumann, S. 124 mit Nachweisen. 399 Peters, Rechtsstaat, S. 66: „Rechtsstaat ist ein Mittel zur Erreichung der Rechtssicherheit." Zur Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip vgl. Thieme a. a. O . S. 245 und Bernhardt a. a. Ò. S. 553. 4!l0 vgl. o b e n S. 32 f. «i Rechtsphilosophie S. 169, A n m . 1. 40 > vgl. M a u n z - D ü r i g , Art. 20. 86. 403 ähnlich die Kritik v o n Zuck in D Ö V 1960, 580 (582). 404 B V e r f G 2, 380; vgl. auch Coing, Grundzüge, S. 24.
78 U n d insoweit kann die Rechtssicherheit f ü r den Vertrauensschutz Bedeutung gewinnen. cc) Es ist demnach ein Gebot der Rechtssicherheit, daß ein Staatsausspruch, der bestimmend in die Rechtsentwicklung eingreift, grundsätzlich Bestand haben muß, um die eingetretene Ruhelage beizubehalten und den Rechtsfrieden nicht zu stören. Diese Seite der Rechtssicherheit spricht f ü r die Gewährung von Vertrauensschutz. In diesen Zusammenhang ist jedoch noch auf einen Gedanken einzugehen, den Saladin geäußert hat 405 . Er bringt vor, daß das „Stoßende" an der Rücknahme nicht das Zurückkommen auf den A k t an sich sei, was ja nach der dargestellten Ausprägung der Rechtssicherheit vermieden werden soll. Dies gehe daraus hervor, daß der Betroffene es gewiß nicht als verletzend empfinde, wenn ein b e l a s t e n d e r Verwaltungsakt zurückgenommen oder gemildert werde. Das Gravierende sei der Eingriff, der durch die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes erfolge. Dem ist entgegenzuhalten, daß durch die Rücknahme eines b e l a s t e n d e n Verwaltungsaktes - jedenfalls aus der Perspektive des Bürgers - der Rechtsfriede eben nicht gestört, die Rechtssicherheit also gar nicht berührt wird. Als Störung kann nur der E i n g r i f f in eine Rechtsposition gesehen werden. Gleichwohl macht der Einwand Saladins deutlich, daß der Vertrauenssdiutz sich nicht aus dem Prinzip der Rechtssicherheit allein ergibt, sondern daß darüber hinaus der Gedanke mitspielt, dem Bürger die zuerkannte Rechtsposition zu lassen, weil es f ü r ihn unter Umständen eine H ä r t e bedeuten kann, wenn sie wieder zurückgenommen würde. e) Diese Zusammenhänge zeigen, daß der Vertrauensschutz sich nicht ausschließlich auf den Grundsatz von Treu und Glauben oder auf das Prinzip der Reditssicherheit zurückführen läßt. Im Spiel sind beim Vertrauensschutz sowohl der Billigkeitsgedanke als auch der Gesichtspunkt, daß es im Interesse des Rechtsfriedens bei dem einmal getroffenen Rechtszustand bleiben soll. Richtigerweise geht man deshalb davon aus, daß der Vertrauensschutz sowohl auf Elementen der Rechtssicherheit als auch auf dem Gedanken von Treu und Glauben beruht 4 0 6 . Dieses Ergebnis ist um so verständlicher, wenn man die enge Verflochtenheit zwischen Treu und Glauben und Rechtssicherheit bedenkt, die Baumann 4 0 7 aufgezeigt hat, der die Rechtssicherheit als Ausfluß des Postulates von Treu und Glauben ansieht. « s a. a. O. S. 162. °e D a s klingt sdion an bei H u f n a g l in DVB1. 1951, 623; auch W o l f f , § 53 II c stellt die Rechtssicherheit und die „Schonung der Interessen des Betroffenen" als Gesichtspunkte, die der Rücknahme entgegenstehen, nebene i n a n d e r ; auch im französischen Recht werden in der Widerrufslehre die Grundsätze der Rechtssicherheit und v o n Treu und Glauben gleichzeitig herangezogen, vgl. dazu Hangartner, S. 66. 407 a. a. O. S. 82; vgl. insoweit auch Rümelin, Reditssicherheit, S. 17. 4
79 f) Nachdem die rechtliche Grundlage für den Vertrauensschutz dargelegt worden ist, steht der Weg offen zur Prüfung der Frage, unter welchen Voraussetzungen Vertrauensschutz zu gewähren ist. Zuvor ist jedoch nodi Stellung zu nehmen zu verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen die Gewährung von Vertrauensschutz erhoben werden. aa) In seinem Vorwort zur 7. Auflage geißelt Forsthoff die neuere Rechtsprechung zum Rücknahmerecht und rügt „die Aufweichung des Rechtsstaates durch Ubersteigerung des Rechtsschutzes aus sozialstaatlichen Erwägungen". Zwar sei nach Art. 20 Abs. 3 GG die vollziehende Gewalt an „Gesetz u n d R e c h t " gebunden. Sollte es jedoch dazu kommen, daß die Rechtmäßigkeit gegen die Gesetzmäßigkeit ausgespielt werde, so würde Art. 20 Abs. 3 GG zur Einbruchsteile von Tendenzen werden, welche den Rechtsstaat im Kern auflösen. In Wahrheit gebe der Rechtsstaat sich selbst auf, wenn er nicht daran festhalte, daß die Gesetzmäßigkeit und Rechtmäßigkeit seines Handelns den Vorrang vor allen sonstigen denkbaren rechtlichen Erwägungen haben müsse und er insbesondere zugebe, daß es einen Vertrauensschutz contra legem geben könne 408 . Dieser Vorwurf Forsthoffs vermag nicht zu überzeugen 409 . Wie bereits nachgewiesen, findet der Vertrauensschutz seine rechtliche Grundlage in dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem Prinzip der Rechtssicherheit. Diese Prinzipien sind aber dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit gleichwertig410. Ihre Beachtung verlangt die Rechtsordnung deshalb gleichermaßen. Die Gewährung von Vertrauensschutz als Ausfluß der Grundsätze von Treu und Glauben und Rechtssicherheit ist deshalb selbst Gesetzesvollzug und kann sich niemals contra legem richten 411 , ja vielmehr wäre die Versagung des Vertrauensschutzes contra legem412, und - man kann hinzufügen - verfassungswidrig, denn durch seine Rückführung auf das Rechtsstaatsprinzip hat der Vertrauensschutz verfassungsmäßigen Rang 413 . Forsthoff betrachtet den Vertrauensschutz 4 °8 Lehrbuch, S. 240 f. 409 Gegen Forsthoff w e n d e n sich insbes. M a u n z - D ü r i g , Art. 20, 73 und Menger in VerwArch. 1960, S. 156 ff. 41 « Wolff, § 53 III (S. 294); Eyermann-Fröhler, § 42 Anh. 38; Menger in VerwArch. I960, 274; Jesch, S. 195; Wagner in M D R 1960, 547. 411 B V e r w G in N J W 1961, 475, (476) 1130; Wolff, § 5 3 III ( S . 2 9 4 ) ; Menger in VerwArch. 1960, 274; Wagner M D R 1960, 547; insbes. auch Jesch, S. 195; gegen Forsthoffs A u f f a s s u n g w e n d e t sich auch N i p p e r d e y in N J W 1962, 321 (322). 412 Auf die insoweit widerspruchsvolle Stellungnahme Forsthoffs ist bereits o b e n S. 67 hingewiesen w o r d e n . Vgl. ferner E y e r m a n n - F r ö h l e r , § 42 Anh. 38: „Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit schließt die Forderung ein, daß die Verwaltung der Wahrung der Rechtssicherheit besonderes Augenmerk zu w i d m e n hat; die Mißachtung der Rechtssicherheit erweist sich damit zugleich als Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung." (!) « 3 Bernhardt a . a . O . S. 553; Fisdibach in R i A 1956, 290: „ N o r m des überpositiven Rechts".
80 als einen Fremdkörper, während er doch Teil unserer Rechtsordnung ist 414 . bb) Ebensowenig kann der Einwand, die Gewährung von Vertrauensschutz widerspreche dem Gleichheitssatz, durchgreifen. Dieser Einwand geht dahin, daß mit der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes die vom Gesetz gebotene Gleichbehandlung vergleichbarer Personenkreise, bei Pensionsfestsetzungsbescheiden beispielsweise gleicher Besoldungsgruppen, verletzt werde 415 . Dabei wird jedoch außer acht gelassen, daß die Lage des Bürgers, dem Vertrauensschutz gewährt wird, von der anderer Bürger völlig verschieden ist, denn Vertrauensschutz wird nur gewährt, wenn der Begünstigte sich auf den Bestand des Verwaltungsaktes eingerichtet hat. Seine Lage wird durch die Neugestaltung seiner Lebensverhältnisse auf Grund der ihm vermeintlich zustehenden Begünstigung bestimmt. Alle anderen Bürger, die ebenso wie der rechtswidrig Begünstigte keinen Anspruch gegen den Staat haben, konnten sich darauf einrichten. Der rechtswidrig Begünstigte, dem Vertrauensschutz zu gewähren ist, ist dagegen durch den rechtswidrigen A k t zu Aufwendungen veranlaßt worden, die ihn in eine ungleiche Lage zu den übrigen Bürgern setzen 416 . 2. Die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes a) Nachdem die rechtliche Grundlage f ü r die Gewährung von Vertrauensschutz aufgezeigt worden ist, gilt es nunmehr, diesen Grundsatz auszufüllen, d. h. möglichst konkret zu bestimmen, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit der Vertrauensschutz durchgreift. Für die konkrete Ausgestaltung des Vertrauensschutzprinzips können die in der Rechtsprechung und Lehre gewonnenen Erkenntnisse weitgehend verwertet werden. Einige Gesichtspunkte, die die herrschende Meinung f ü r relevant hält, werden jedoch - wie noch zu zeigen sein wird - eliminiert werden müssen. Soweit auf die herrschende Auffassung in der folgenden Darstellung Bezug genommen wird, kann darin keine Zustimmung gesehen werden. Vielmehr ist zu beachten, daß die verwertbaren Erkenntnisse dort Abwägungsgesichtspunkte bilden, während sie hier zu Tatbestandsmerkmalen ausgeformt werden. Das mag vom Ergebnis her unbedeutend erscheinen, methodisch-systematisch liegt darin jedoch ein wesentlicher Unterschied. b) Vertrauen ist nicht denkbar ohne ein Bezugsobjekt, auf das es gerichtet ist, das ein Vertrauen erweckt. Erste Voraussetzung ist deshalb 414 vgl. B V e r w G in DVB1. 1959, 630 (632 r.Sp.); M D R 1961, 170 (171); N J W 1961, 475 f; gegen die Bedenken Forsthoffs wendet sich neuerdings ausdrücklich auch das B V e r w G in N J W 1962, 1076. 415 Wagner in M D R 1960, 546 (547) Anm. 12; vgl. auch Scheuner a. a. O., S. 254; Hess. V G H in E S V G H 8, 219 (223). •»m so B V e r w G in N J W 1960, 692 (693 f.); ebenso Schaefer in D Ö V 1960, 851 (855) A n m . 21.
81 ein Anknüpfungspunkt, ein Rechtsschein, an dem sich Vertrauen entwickeln kann (Vertrauensgrundlage). Es muß eine Sachlage (Erklärung oder sonstiges Verhalten) vorliegen, die - gemessen an der Lebenserfahrung - den Schluß auf eine bestimmte Rechtslage zuläßt 4 1 7 . Diese Vertrauensgrundlage bildet regelmäßig der erlassene rechtswidrige Verwaltungsakt, der als „Bekundung der Staatsautorität" die Vermutung der Rechtmäßigkeit für sich hat 4 1 8 und den Rechtsschein eines gültigen Staatsausspruchs erweckt. Auszuscheiden sind an dieser Stelle die nichtigen Verwaltungsakte, die den Makel der Rechtswidrigkeit „an der Stirn tragen" und deshalb keinen Rechtsschein hervorzurufen vermögen. Zweifelhaft erscheint, ob und inwieweit bereits mündliche Zusagen geeignet sind, eine Vertrauensgrundlage zu bilden. Diese Frage hängt davon ab, ob der Betroffene auf solche Zusagen vertrauen durfte 419 , und weist damit bereits hinüber in die zweite Voraussetzung: das Vertrauen des Betroffenen. Vertrauensgrundlage und Vertrauen sind so eng miteinander verknüpft, daß sie sich nicht scharf trennen lassen, daß das eine nicht erörtert werden kann, ohne das andere zu berühren. c) Das Vertrauen des Betroffenen soll in mehreren Fallgruppen untersucht werden. aa) Evident ist, daß sich kein Vertrauen bilden kann, wenn der Betroffene den Verwaltungsakt durch Täuschung, Arglist, Bestechung, Drohung oder andere unlautere Mittel erwirkt hat. Vertrauen ist ein Zustand der Arglosigkeit, der in all diesen Fällen niemals bestehen kann. Der unredlich erwirkte Verwaltungsakt unterliegt deshalb jedenfalls der Rücknahme. Dieses selbstverständlich klingende Ergebnis hat in der Literatur zu Irrtümern geführt, die aufzuklären an dieser Stelle nötig ist. So haben einige Autoren 4 2 0 die unlautere Erwirkung von Verwaltungsakten als s e l b s t ä n d i g e n Rücknahmegrund qualifiziert, so daß bei Gleichzeitigkeit von Erschleichung und Rechtswidrigkeit Rücknahmegrund die Erschleichung ist, die sich als Oberbegriff darstelle 421 . Der erschlichene Akt unterliegt nach dieser Auffassung auch dann der Rücknahme, wenn er mit der Rechtsordnung in Einklang steht 422 . Diese Ansicht ist abzu417
«8
vgl. zum Folgenden insbes. Stich, S. 38 ff., bes. S. 4 5 . Forsthoff, Lehrbuch S. 2 0 6 .
419 vgl. dazu Haueisen r e d i t " in N J W 1961, 1 9 0 1 .
„Die Bedeutung v o n Zusagen
im
Verwaltungs-
42° Keim, S. 4 6 ; von Stenglin, S. 7 0 ; Reißler, S. 3 1 ; wohl auch K ö h l e r , S. 194 und Jellinek, Staatsakt, S. 159, der annimmt, daß der A k t bei a r g listiger Beeinflussung der Verwaltungsbehörde jederzeit (!) zurückgenommen werden k a n n ; ferner O V G R h e i n l a n d - P f a l z in J Z 1955, 1 7 5 ; eine gute D a r stellung der älteren L i t e r a t u r gibt A l e x a n d e r - K a t z a. a. O . 421 so Keim, S. 4 6 ; vgl. auch die Darstellung der älteren Ansichten bei Disse, S. 43, mit Nachweisen. D o r t heißt es sogar, daß die Täuschung nadi h e r r s c h e n d e r Lehre ( ! ) als s e 1 b ständiger Zurücknahmegrund zu betrachten sei. 422
6
so von Stenglin, S. 7 0 . Ossenbühl,
Rücknahme, 2. Auf!.
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lehnen. Rücknahmegrund ist nur die Rechtswidrigkeit des Aktes, nicht die Tatsache der unlauteren Erwirkung. Deshalb ist beispielsweise die arglistige Täuschung irrelevant, wenn sie für den Erlaß des Verwaltungsaktes nicht kausal war und der Akt mit der Rechtsordnung in Einklang steht. Das soll an einigen Beispielen erläutert werden. 1. Fall: A hat gegenüber der Behörde vorsätzlich sein Alter falsch angegeben in dem irrigen Glauben, dies sei für den Erlaß des Verwaltungsaktes entscheidend. In Wirklichkeit kam es aber auf das Lebensalter nicht an. 2. Fall: Das Lastenausgleichsamt in X hat mehrere tausend Anträge auf Hausratsentschädigung zur Bearbeitung vorliegen. Die Beamten werden durch den Gemeindedirektor angewiesen, über die Anträge älterer Leute zuerst zu entscheiden, damit diese nodi in den Genuß der Gelder kommen. Der in mittleren Jahren stehende A bedroht einen Beamten und erwirkt entgegen der internen Regelung die sofortige Bearbeitung seines Antrages und den vorzeitigen Erlaß des Verwaltungsaktes, auf den er nach den gesetzlichen Vorschriften einen Anspruch hat. 3. Fall: Im Falle 2 erwirkt der A den vorzeitigen Erlaß nicht durch Drohung, sondern durch Bestechung des für ihn zuständigen Sachbearbeiters. In allen drei Fällen hat A nur das erhalten, was ihm gesetzlich zustand. Die erlassenen Akte waren rechtmäßig423. Wollte man der aufgezeigten Ansicht, die in der unlauteren Erwirkung einen selbständigen Rücknahmegrund erblickt, folgen, so unterlägen alle drei Akte der Rücknahme, mit anderen Worten der Betroffene hätte sich durch sein Verhalten ihm zustehende gesetzliche Ansprüche „verscherzt". Dieses Ergebnis ist nicht nur praktisch, sondern auch dogmatisch außerordentlich bedenklich. Es würde dazu führen, daß der RücKnahmegrund letztlich allein aus dem Sühnegedanken folgt 424 . Der Sühnegedanke hat aber im Rücknahmerecht keinen Platz. Die Sühne für das unrechte Verhalten des A hat sich allein nach dem Strafgesetzbuch zu richten, nach dem der A im Falle 1 wegen versuchten Betruges (§§ 43, 263 StGB) in der Form eines untauglichen Versuchs, im Falle 2 wegen Beamtennötigung (§ 114 StGB) und im Falle 3 wegen aktiver Bestechung (§ 333 StGB) zu bestrafen wäre. Die weitergehende Aberkennung des gesetzlichen Anspruchs durch Rücknahme des Verwaltungsaktes würde
423 D i e §§ 360 I 1 L A G und 41 FG stehen nicht entgegen, da hier nur die Täuschung über „für die Entscheidung e r h e b l i c h e Tatsachen" erfaßt wird. Auch die Ziff. 2 und 3 des § 360 L A G greifen nicht ein, weil das geschützte Rechtsgut (Sicherung des Ausgleichsfonds) nicht angetastet wird, vgl. dazu Dresbach, S. 44. 424 so deutlich v o n Stenglin; ferner Reißler, S. 31, der den Präventionsgedanken ins Feld führt, ebenso für den Fall der Täuschung: Disse, S. 43 f.
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praktisch auf eine Doppelbestrafung hinauslaufen 425 . Für eine Berücksichtigung des Sühnegedankens besteht deshalb angesichts der strafrechtlichen Sanktionen kein Bedürfnis und kein Grund 4 2 6 . Daß für die Rücknahmefrage lediglich auf die Inkongruenz zwischen Verwaltungsakt und wirklicher Sachlage abzustellen ist, wird von Forsthoff 4 2 7 mit Recht ausdrücklich hervorgehoben. Andernfalls käme man zu dem Grundsatz: niemand soll in dem Genuß der Verwaltungsrechtslage bleiben, die er mit unlauteren Mitteln erwirkt hat. Ein solcher Grundsatz ist aber dem Verwaltungsrecht fremd. Die Rücknahme hat lediglieli den Zweck, Verwaltungsfehler zu korrigieren 428 . Die Richtigkeit dieser Ansicht ergibt sich schließlich auch aus den §§ 42 I b PVG, 24 I b OBG, 96 I 2 AO, 143 Nr. 6 Thür. L V O . Danach kann eine Verfügung nur zurückgenommen werden, wenn die Erteilung auf Grund von Angaben des Antragstellers erfolgt ist, die für den Erlaß m a ß g e b e n d oder die in w e s e n t l i c h e r B e z i e h u n g unrichtig waren. Die unlautere Erwirkung ist deshalb nur erheblich unter dem Gesichtspunkt ihrer Wirkung, d. h. insoweit, als sie eine Rechtswidrigkeit des begehrten Verwaltungsaktes herbeigeführt hat 4 2 9 . Rücknahmegrund ist alsdann nicht die unlautere Erwirkung, sondern die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes. Davon bilden auch die §§ 12 B B G und 12 GaststG keine Ausnahme, da hier die persönlichen Eigenschaften den Erlaß des Verwaltungsaktes mitbestimmen, also kausal sind. bb) Ebensowenig wie der unlauter erwirkte Verwaltungsakt Vertrauensschutz auslöst, kann sich d e r Betroffene in einem Zustand des Vertrauens befinden, der die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes zwar nicht herbeigeführt hat, aber positiv kennt 430 . Vertrauen heißt Arglosigkeit, die dem Wissenden abgeht. cc) Dagegen ist es durchaus denkbar, daß der Betroffene sich im Zustand des Vertrauens befindet, wenn er nur fahrlässig unrichtige oder 425 vgl. Forsthoff, Lehrbuch, S. 222. D i e F r a g e , ob der S a t z „ne bis in i d e m " hier hineinspielt, soll unerörtert bleiben. 426 Gegen eine Überbetonung des Schuldgedankens wendet sich auch H a u eisen in N J W 1958, 642, der die Schuld als G r u n d b e g r i f f des Strafrechts, nicht aber des Verwaltungsrechts ansieht; vgl. auch Schäfer S. 45. "27 Lehrbuch S. 222; ebenso Dresbach, S. 27 ff.; ferner Disse, S. 34 f ü r den Fall der D r o h u n g , anders dagegen S. 43 f. f ü r die Täuschung; wie hier A l e x a n d e r - K a t z a. a. O . betr. den F a l l der Bestechung. 428 Forsthoff, Lehrbuch, S . 2 2 2 ; ebenso L V G R h e i n l a n d - P f a l z in D V B 1 . 1953, 78 (81): „ D e r Widerruf eines unter Täuschung zustandegekommenen Verwaltungsaktes ist keine strafrechtliche S a n k t i o n eines begangenen Vertrauensbruchs"; zustimmend Schäfer S. 45. 42» B V e r w G in D Ö V 1957, 9 1 1 ; ebenso Ipsen, W i d e r r u f , S. 128; A n d e r sen, S. 201, 2 0 3 ; Schäfer, S. 46; D r e s b a d i , S. 2 7 ; v o n Müller in Z L A 1957, 2 4 2 ; vgl. auch A m t l . M i t t B l . B A A 1956, 492 ( „ d e m z u f o l g e " ! ) ; H o k e in D Ö V 1962, 284. 430 vgl. Weber in B K K 1960, 238.
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84 unvollständige Angaben gemacht hat, die für den E r l a ß des Verwaltungsaktes kausal waren. Dieses Vertrauen verdient jedoch keinen Schutz, da der Betroffene die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes und die damit gegebene Möglichkeit der Rücknahme sich selber zuzuschreiben hat 4 3 1 . Sein Vertrauen ist deshalb irrelevant. dd) Schwieriger ist die Frage zu beurteilen, wie das Vertrauen d e s Betroffenen zu beurteilen ist, der z w a r den Fehler nicht - auch nicht (nur) fahrlässig - verursacht, aber die Rechtswidrigkeit fahrlässig nicht erkannt hat. M a n wird allgemein sagen können, daß der Adressat den ihm in F o r m eines Bescheides zugestellten Verwaltungsakt aufmerksam durchlesen und ihm erkennbare Mängel bei der Behörde reklamieren muß. W e r so wenig Interesse an seinen eigenen Angelegenheiten zeigt, daß er lediglich den im Verwaltungsakt ausgesprochenen Rechtsfolgesatz zur Kenntnis nimmt, ohne den Bescheid im ganzen durchzulesen, handelt fahrlässig und verdient keinen Vertrauensschutz, falls ihm infolge seiner Unterlassung erkennbare Mängel verborgen bleiben 4 3 2 . I m übrigen wird zu unterscheiden sein zwischen tatsächlichen und rechtlichen Fehlern. Bei tatsächlichen Fehlern ist ein strenger M a ß s t a b anzulegen. Bei ihnen spricht eine Vermutung dafür, daß sie für den Adressaten erkennbar waren, denn es ist in der Regel leicht herauszufinden, ob die Behörde den richtigen Sachverhalt zugrundegelegt hat. Dagegen ist es dem Adressaten meist unmöglich, auch die rechtliche Seite des Verwaltungsaktes zu überprüfen, sei es weil ihm die geistigen Fähigkeiten, sei es weil ihm die notwendigen Erkenntnismittel fehlen. I n der Literatur 4 3 3 wird zum Teil ausgeführt, da jeder Bürger das Recht kennen müsse, liege in der ausnahmslosen Rücknahme von rechtswidrigen Verwaltungsakten keine Unbilligkeit. Dieser E i n w a n d kann jedoch nicht überzeugen 4 3 4 . Bei der Flut der Gesetze, deren Ausführung nur durch spezialisierte Beamte bewältigt werden kann, wäre es übertrieben, vom «ι B V e r w G in D Ö V 1 9 5 7 , 9 1 1 ; B S G in N J W 1 9 5 8 , 1 7 0 0 ; A m t l . M i t t B l . B A A 1956, 4 9 2 ; H a u e i s e n in N J W 1958, 6 4 2 ; E y e r m a n n - F r ö h l e r , 1. Aufl. 1 9 6 0 , § 42 A n h . 4 0 , anders 3. Aufl. 1 9 6 2 ; W e b e r in B K K 1 9 6 0 , 2 3 8 ; Schaefer in R L A 1 9 5 5 , 3 4 2 ; R e i ß l e r , S. 3 1 ; Schüle in V e r w A r c h . 1 9 3 4 , 2 8 ; für den b e a m t e n rcchtlichen Bereich vgl. B u r m e i s t e r in Z B R 1 9 6 0 , 1 0 6 ; a. Α . : E y e r m a n n - F r ö h l e r , 3. Aufl., § 42 A n h . 4 0 und D i c k m a n n in D Ö V 1 9 5 7 , 2 8 3 , der V o r s a t z f o r d e r t unter H i n w e i s auf die „übergeordnete Rechtsstellung der V e r w a l t u n g " ( ! ? ) . 432 F ü r den beamtenrechtlichen Bereich leitet B u r m e i s t e r (in Z B R 1 9 6 0 , 1 0 7 ) eine solche Nachprüfungspflicht aus den gegenseitigen T r e u b i n d u n g e n zwischen D i e n s t h e r r und dem B e a m t e n ab, wobei er insbes. a u f § 87 Abs. 2 B B G Bezug n i m m t . M. E . gilt eine allgemeine Nachprüfungspflicht. D i e F r a g e k a n n nur sein, ob sie im B e a m t e n r e c h t w e i t e r g e h t . D a s w ä r e freilich nur ein gradueller Unterschied. vgl. S o m m e r in D Ö V 1 9 5 4 , 7 1 6 . Nicht einmal der Durchschnittsjurist, geschweige denn der D u r c h schnittsbürger, w i r d sich ein U r t e i l über spezielle R e c h t s f r a g e n a u f S p e z i a l gebieten w i e dem Lastenausgleichsrecht oder der R V O erlauben k ö n n e n . 433 434
85 Bürger Gesetzeskenntnis schlechthin zu verlangen 435 . Hinzu kommt, daß gerade in den begünstigenden Verwaltungsakten der „modernen" Leistungsverwaltung die rechtliche Abgrenzung nach formalen Merkmalen (ζ. B. Stichtagsvoraussetzungen) vorgenommen wird, die einer Überprüfung durch das Rechtsgefühl nicht zugänglich sind 436 . Gleichwohl sind Fälle denkbar, in denen der Bürger den rechtlichen Mangel erkennen kann und muß. Wenn etwa dem in Köln wohnhaften A durch das Ausgleichsamt in München ein Leistungsbescheid zugestellt wird, muß er den Mangel örtlicher Zuständigkeit erkennen. Das gleiche gilt bei wesentlichen Formfehlern, so unter Umständen bei mangelnder Schriftlichkeit des Aktes. Bei der Erkenntnis des Rechtsfehlers durch den Bürger kann es nicht so sehr darauf ankommen, daß er den Mangel als solchen klar erfaßt, sondern es muß genügen, wenn er den Verdacht eines Mangels schöpft, denn schon ein solcher Verdacht würde seine Arglosigkeit, also sein Vertrauen, ausräumen. Es ist natürlich nicht möglich, hier eine Liste von Rechtsfehlern aufzustellen, die grundsätzlich erkennbar sind. Für die Erkennbarkeit kommt es naturgemäß auf die im Einzelfall gegebenen Umstände an. Nur soviel sei vermerkt, daß der Betroffene keinen Vertrauensschutz verdient, wenn er einen Mangel fahrlässig nicht erkannt hat 4 3 7 . ee) Bisher ist der Fahrlässigkeitsbegriff verwandt worden, ohne zu erläutern, wie er im Rahmen des Rücknahmerechts aufgefaßt werden muß, ob er konkret-individuell oder abstrakt-generell auszulegen ist, d. h. ob auf die Kenntnisse und Einsichtsfähigkeit des Durchschnittsbürgers abzustellen ist 438 wie im Zivilrecht oder ob das Maß der Fahrlässigkeit für jeden Bürger gesondert untersucht werden muß. Für eine abstrakt-generelle Lösung spricht der Umstand, daß die Praktikabilität eines Tatbestandes, wie er hier herauszuarbeiten versucht wird, mehr gewährleistet ist, wenn schematisch verfahren wird. Gegen sie ist einzuwenden, daß in vielen Fällen Vertrauensschutz gewährt werden müßte, in denen der Betroffene ihn nicht verdient hätte, weil er über größere Fähigkeiten als der Durchschnittsbürger verfügt und ihm der Mangel des Verwaltungsaktes offenbar geworden ist. Dieser Nachteil würde bei konkret-individueller Auffassung vermieden. Allerdings bestehen gegen diese praktische Bedenken, denn diese Lösung würde dazu führen, daß im Streitfalle Erhebungen über den Bildungsstand und die Einsichtsfähigkeit des betroffenen Bürgers angestellt werden müßten.. 435 Schäfer, S. 36, bemerkt kritisch: „ W e n n die Behörde, die auf ihrem Fachgebiet besonders sachkundige Bedienstete hat, schon das Recht nicht kennt, kann von dem Staatsbürger, der in aller Regel geringere verwaltungsrechtlidie Fachkenntnisse hat, nicht v e r l a n g t werden, die Fehlerhaftigkeit des behördlichen Aktes zu erkennen." «β
vgl. B V e r w G in DVB1. I 9 6 0 , 138 = N J W 1 9 6 0 , 6 9 2 ( 6 9 3 ) .
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vgl. Schaefer in R L A 1 9 5 5 , 3 4 2 . so B V e r w G in N J W 1 9 5 7 , 1 5 3 4 .
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86 Die Vorteile beider Lösungsmöglidikeiten lassen sich jedoch miteinander verbinden, indem man von einem konkret-individuellen Fahrlässigkeitsbegriff ausgeht und ihm eine Vermutungsregel in der Weise anfügt, daß eine widerlegbare Vermutung dafür spricht, daß der Betroffene die Einsichtsfähigkeit des Durchschnittsbürgers besitzt. Durch eine solche Vermutungsregel würde die Möglichkeit offengehalten, in besonders krassen Fällen die etwa vorhandene überdurchschnittliche Einsichtsfähigkeit des Bürgers zu berücksichtigen und sein mangelndes Vertrauen festzustellen. Diese Lösung erscheint ebenso praktikabel, weil sie die Erhebungen über die Einsichtsfähigkeiten des Bürgers durch die Vermutungsregel auf Ausnahmefälle reduziert 4 3 9 . Abzulehnen ist der Vorschlag Schäfers 440 bei der Frage der Fahrlässigkeit auf bestimmte Berufsgruppen abzustellen, so etwa bei einem Rechtsanwalt als Adressaten von den Kenntnissen eines durchschnittlichen Rechtsanwalts auszugehen. Mit dieser Lösung wird die Zahl unpraktikabler Wertungsmaßstäbe noch erhöht, indem nun offen ist, wie weit die Differenzierung nach Berufsgruppen gehen soll und wie die Einsichtsfähigkeit eines durchschnittlichen Angehörigen dieser Berufsgruppen beschaffen ist. ff) Einzugehen ist schließlich noch auf Tendenzen, nach denen an die Sorgfaltspflicht des Adressaten in besonderen Rechtszweigen erhöhte Anforderungen gestellt werden sollen. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts 441 soll beispielsweise auf dem Gebiet des Besoldungs- und Versorgungsrechts der Gesichtspunkt der beamtenrechtlichen Treuepflicht ins Gewicht fallen. Diese könne unter Umständen den Beamten oder Versorgungsempfänger verpflichten, die H ö h e seiner Bezüge nachzuprüfen und auf Überzahlungen zu achten. D a ß den Beamten oder Versorgungsempfänger insoweit eine besondere Sorgfaltspflicht treffe, zeige auch der in anderem rechtlichen Zusammenhang beachtliche § 87 Abs. 2 Satz 2 BBG. Die Auffassung besagt an sich nichts Neues. D a ß der Adressat grundsätzlich zur Uberprüfung des Aktes verpflichtet ist, gilt allgemein und nicht nur im Rahmen des Besoldungsrechtes. Für erhöhte Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Beamten gibt § 87 Abs. 2 Satz 2 BBG m. E. nichts her. Danach wird der Beamte, der einen o f f e n s i c h t l i c h e n (!) Mangel nicht erkannt hat, so behandelt, als wenn er ihn kennen würde. Darin liegt kein Unterschied zu den dargestellten Anforderungen, die allgemein an die Sorgfaltspflicht aller Adressaten zu stellen sind. 45» D a ß auch der Gesetzgeber v o m konkret-individuellen Fahrlässigkeitsbeg'riff ausgeht, beweist § 87 Abs. 2 Satz 2 B B G : „Der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung steht es gleich, w e n n der Mangel so offensichtlich war, daß der E m p f ä g e r (!) ihn hätte erkennen können." «ι
S. 15. N J W 1960, 258 (260).
87 gg) Als Zwischenergebnis ist demnach festzuhalten, daß sich der Betroffene in einem rechtlich erheblichen Zustand des Vertrauens befindet, wenn er den fehlerhaften A k t weder durch unlautere Mittel erwirkt noch schuldhaft herbeigeführt hat und die Rechtswidrigkeit des Aktes weder positiv kennt noch fahrlässig nicht kennt. d) Der Vertrauenszustand an sich kann jedoch zum Ausschluß der Rücknahme nicht ausreichen. Hinzutreten muß vielmehr eine noch näher zu konkretisierende Aktivität des Betroffenen, die dieser auf Grund seines Vertrauens entfaltet hat (rechtlich relevantes Vertrauens verhalten). aa) Die Notwendigkeit des rechtlich relevanten Vertrauensverhaltens als zusätzliches Erfordernis f ü r die Gewährung von Vertrauensschutz rechtfertigt sich aus der Überlegung, daß beim Vertrauensschutz die Interessenwahrung des Betroffenen im Vordergrund steht. Wenn der Betroffene sich aber nodi nicht auf den Bestand des Verwaltungsaktes eingerichtet hat, kann eine Interessenverletzung nicht stattfinden. Mit dem Vertrauensschutz sollen nur Eingriffe abgewehrt werden. Durch die Rücknahme eines noch „unverbrauchten" Verwaltungsaktes wird aber kein Eingriff vorgenommen. Das bisher allgemein anerkannte und geforderte 4 4 2 Merkmal eines irgendwie gearteten Vertrauensverhaltens hat das Bundesverwaltungsgericht in einer neueren Entscheidung 443 aufgegeben und ausgeführt, auch „ohne besondere Manifestierung des Vertrauens auf den Bestand des begünstigenden Verwaltungsaktes" könne ein so starkes schutzwürdiges Interesse an dessen Aufrechterhaltung bestehen, daß ihm das öffentliche Interesse an der nachträglichen Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes weichen müsse. Verwunderlich ist, daß Haueisen 444 dieser Entscheidung bedenkenlos zugestimmt hat, obwohl er von jeher f ü r objektive Maßstäbe eingetreten ist und sich um konkrete Abwägungsgesichtspunkte bemüht hat. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist abzulehnen. Es bedeutet einen wesentlichen Rückschritt auf dem Gebiet des Vertrauensschutzes. Der tragende Gedanke des Vertrauensschutzes liegt in der Interessenwahrung des Betroffenen, der keinen Nachteil erleiden soll, wenn er sich gutgläubig auf den Fortbestand des Verwaltungsaktes eingerichtet hat. Verzichtet man auf das Merkmal der „Manifestierung des Vertrauens", so wird dieses Rechtsinstitut seiner Substanz beraubt. Alsdann wären in der T a t die aus dem Gleichheitssatz gegen die Gewährung von Vertrauensschutz erhobenen Bedenken begründet, denn dem Argument, mit dem bisher dieser verfassungsrechtliche Einwand abgewehrt worden ist, daß der Betroffene, dem Vertrauensschutz gewährt werde, sich in un4 « BVerwG in N J W 1960, 1487; DVB1. 1958, 653 (654); N J W 1959, 1553, B G H Z 24, 100 (101 f.); O V G Berlin in DVBl. 1957, 503 (506); O V G Rheinland-Pfalz in M D R 1961, 355. 443 in N J W 1962, 361. 444 in N J W 1962, 335 (336).
88 gleicher Lage gegenüber anderen Bürgern befinde, weil er sich auf den Bestand des Verwaltungsaktes eingerichtet habe, wäre der Boden entzogen 445 . Schutzwürdig ist das Vertrauen nur dann, wenn es den Betroffenen zu irgendwelchen Maßnahmen veranlaßt hat 4 4 8 . Dieses essentielle Moment des Vertrauensschutzes kommt auch beispielsweise in den bürgerlichen Gesetzesvorschriflen, die den Vertrauensschutz behandeln, klar zum Ausdrude 447 . Anstatt an dem Merkmal der Manifestierung des Vertrauens festzuhalten, stellt das Bundesverwaltungsgericht in der zitierten Entscheidung auf persönliche Verhältnisse der Betroffenen, hier das hohe Alter der Klägerin, ab. Es scheint, als ob sich das Gericht damit einer dogmatisch höchst gefährlichen „Mitleidsrechtsprechung" nähert, vor der MaunzDürig 4 4 8 schon früher gewarnt haben 4 4 9 . Mit der bisherigen Rechtsprechung ist daran festzuhalten, daß sich das Vertrauen in irgendeiner Weise manifestieren muß. bb) Ein Vertrauensverhalten ist rechtlich relevant, wenn es „kausal mit dem Erlaß des Verwaltungsaktes zusammenhängt und rechtlich bedeutsam ist 4 5 0 ". Von selbst versteht sich, daß ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muß. Näherer Erörterung bedarf dagegen die Frage, wann ein Vertrauensverhalten als „rechtlich bedeutsam" anzusehen ist. cc) Die Art des Vertrauensverhaltens ist nicht maßgeblich. Abzulehnen ist jedoch die Ansicht Hangartners 4 5 1 , schon das Vertrauen auf die Möglichkeit der „Gebrauchmachung" sei eine Art „Gebrauchmachung". Das Erfordernis eines zum Vertrauen hinzutretenden Vertrauensverhaltens würde auch zu unerwünschter überstürzter Gebrauchmachung antreiben. Diese Auffassung verkennt die psychologische Situation, in der sich der vertrauende Bürger befindet. Dieser glaubt, der erlassene Verwaltungsakt sei rechtmäßig und die ihm verliehene Rechtsposition endgültig. Er hat deshalb keine Veranlassung, seine auf den Verwaltungsakt gegründeten Planungen zu überstürzen und feste Tatsachen zu schaffen. Grund zu überstürzter Gebrauchmachung hat der nicht Arglose; er aber verdient wie festgestellt schon mangels Vertrauens keinen Schutz. Sicher ist zunächst, daß Vermögensaufwendungen hierher gehören. Jedoch beschränkt sich das Vertrauensverhalten nicht nur auf solche Aufwendungen, sondern kann auch andere Dispositionen umfassen. Auch vgl. oben S. 80. « so richtig B e r n h a r d t a . a . O . S. 5 6 1 . «« vgl. einerseits § § 9 3 2 , 891 B G B , andererseits § § 8 1 6 Abs. 1 S. 2, 8 2 2 B G B , w o der gutgläubig u n e n t g e l t l i c h E r w e r b e n d e zur H e r a u s gabe verpflichtet w i r d . 448 Art. 20, 147. 448 Haueisen bezeichnet die Entscheidung des B V e r w G zurückhaltend als „sehr w o h l w o l l e n d " ( N J W 1 9 6 2 , 3 3 6 ) . 45° Ipsen, W i d e r r u f , S. 86. S. 9 5 . 445 44
89 Rechtsprechung und Schrifttum nehmen insoweit keine Begrenzung vor. Die Formulierungen „Beginn eines Unternehmens" 452 , „besondere Anstalten und Maßnahmen" 453 , „Aufwendungen" 454 , „Verfügungen", „Aufgabe vorteilhafter Rechtsstellungen" 455 , „getroffene Dispositionen" 4 5 6 , „Erlangung einer schutzwürdigen Rechtslage" 457 , „Investierungen an Kapital oder Arbeit" 458 , verraten, daß jede Tätigkeit ausreicht, die eine rechtliche Veränderung bewirkt. Dem ist beizupflichten. Wer auf Grund einer fehlerhaften Wohnungszuweisung seinen Mietvertrag kündigt und Möbelkäufe tätigt, ist genauso schutzwürdig wie derjenige, der Geld, das ihm auf Grund eines rechtswidrigen Aktes gewährt worden ist, verwirtschaftet hat. Bei Verwaltungsakten, die noch der Ausführung bzw. Vollziehung bedürfen, wird in der Regel entscheidend sein, ob die mit dem Erlaß des Aktes zuerkannte Leistung bereits erbracht worden ist. Bei einer erst in Zukunft zu erwartenden Leistung wird regelmäßig noch kein Vertrauensverhalten vorliegen 459 . Zwingend ist dieses Kriterium jedoch nicht. Der Begünstigte kann auch bereits vor Gewährung der ihm zuerkannten Leistung Aufwendungen gemacht haben, so wenn jemand ζ. B. n a c h Zuerkennung einer Hausratentschädigung oder eines öffentlichen Baudarlehns, aber noch v o r Auszahlung des Geldes Verpflichtungen eingeht 460 . Bei den öffentlichen Baugeldern, die in Raten gezahlt werden, wird das sogar die Regel sein. Man wende demgegenüber nicht ein, daß dadurch derjenige, der überstürzt auf Grund eines Leistungsbescheides Aufwendungen macht, gegenüber dem ruhig und zurückhaltend Planenden begünstigt werde. Abzustellen ist lediglich auf die Tatsache der „Gebrauchmachung". Der Sühnegedanke und der Gesichtspunkt der Prämiierung überlegten H a n delns können angesichts der Erwägung, daß der Vertrauensschutz lediglich gewisse Eingriffe in bereits gestaltete Rechtsverhältnisse verhindern soll, nicht ins Gewicht fallen. Von einer Benachteiligung des ruhig Planenden kann schon deshalb keine Rede sein, weil er sich eben nicht in der gleichen Lage befindet wie derjenige, der bereits Aufwendungen gemacht hat. Audi das Gesetz selber stellt beispielsweise im § 818 Abs. 3 45
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Peters, Lehrbuch, S. 159. O V G Berlin in DVB1. 1957, 503 (506). 454 B G H Z 24, 100 (101 f.). « 5 B V e r w G in N J W 1959, 1553. 4ö6 B V e r w G in N J W 1960, 1487. "57 B V e r w G in DVB1. 1958, 653 (654). 45 ® Haueisen in N J W 1962, 335 (336). 45 ' vgl. Haueisen in DVB1. 1959, 233; Tietgen in DVB1. 1958, 473; Schäfer. S. 39. « o vgl. B V e r w G in N J W I960, 1486 (1488); O V G R h e i n l . - P f a l z in M D R 1961, 354 f.; Haueisen in DVB1. 1959, 233; Amtl. MittBl. B A A 1956, 491 (492) Ziff. 3; vgl. zu dieser Frage audi B V e r w G in DVB1. 1958, 652 und die Besprechung dieser Entscheidung v o n Menger in VerwArch. 1959, 86 (87).
90 BGB nicht auf die innere Einstellung des Betroffenen ab, auch hier kommt es lediglich auf die objektive Tatsache der Bereicherung an, so daß der Verschwender gegenüber dem ruhig Planenden in gewissen Fällen Vorteile hat. dd) Zu fordern ist ferner, daß das Vertrauensverhalten erheblich ist, d. h. ein gewisses Gewicht hat. Das Bundesverwaltungsgericht spricht von „besonders belastenden Verfügungen" 4 6 1 . Wertangaben können naturgemäß schon angesichts der Tatsache, daß das Vertrauen s verhalten nicht immer in Geld ausdrückbar ist, nicht gemacht werden. Die Grenze liegt in der Zumutbarkeit 4 6 2 . D. h. falls dem Betroffenen zugemutet werden kann, die mit der Rücknahme des fehlerhaften Verwaltungsaktes verbundenen Auswirkungen selber zu tragen, sind die Aufwendungen nicht als erheblich anzusehen, so daß der Vertrauensschutz einer Rücknahme nidit im Wege stünde. Dabei ist nicht so sehr auf die H ö h e der eingegangenen Verpflichtung, sondern auf die effektive Belastung des Bürgers abzuheben. Eine solche Belastung liegt beispielsweise regelmäßig nicht vor, wenn von rechtswidrig gewährten Hausratsentschädigungsgeldern Möbelgegenstände gekauft werden, die der Betroffene sich demnächst ohnehin angeschafft hätte. Ein besonders strenger Maßstab wird bei sogenannten Verwaltungsakten mit Dauerwirkung angelegt. Hier muß das Vertrauensverhalten zu einer „einschneidenden und dauernden Änderung" der Lebensführung des Betroffenen geführt haben, so daß die Rücknahme des Verwaltungsaktes mit einer „Erschütterung seiner Existenzgrundlage" verbunden wäre 463 . Diese Sondergruppe von Verwaltungsakten wird nodi besonders zu behandeln sein 464 . ee) Die Aufwendungen müssen auch endgültig oder doch nur „schwer rückgängig zu machen" sein 465 . Ist der Begünstigte im Vertrauen auf den rechtsgültigen Bestand des Verwaltungsaktes Verpflichtungen gegenüber Dritten eingegangen und hat er die Möglichkeit, sich etwa auf Grund eines Rücktrittsvorbehalts von diesen Verpflichtungen zu lösen, so muß er das tun. ff) Schließlich ist zu beachten, daß nur solche Aufwendungen in Betracht kommen, die sich als typische Auswertung des Verwaltungsaktes darstellen (Verwertungshandlungen). Das ist beispielsweise zu verneinen, wenn der rechtswidrig Begünstigte aus Freude über ein ihm gewährtes Baudarlehen ein kostspieliges Trinkgelage veranstaltet oder eine ausgedehnte Vergnügungsreise unternimmt, jedoch keine Verpflichtungen gegenüber Architekten oder Bauunternehmern eingeht. gg) Als weiteres Zwischenergebnis ist demnach festzuhalten, daß der auf den rechtsgültigen Bestand eines fehlerhaften Verwaltungsaktes Ver461
462 4«3 464
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N J W 1959, 1553. vgl. V G H Kassel in DVBl. 1958, 763; Hangartner, S. 149. BVerwG in N J W 1960, 692 und N J W 1961, 1130 (1131). vgl. unten S. 178. BVerwG in N J W 1959, 1553.
91 trauende nur dann Schutz verdient, wenn er auf G r u n d des Aktes erhebliche und nicht mehr rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hat, die sich als typische Auswertung der mit dem A k t verliehenen Rechtsposition darstellen. 465 ® 3. Gesamtergebnis und abschließende Stellungnahme a) D i e Voraussetzungen, unter denen Vertrauensschutz zu gewähren ist, lassen sich also wie folgt in einem Tatbestand zusammenfassen: D i e Rücknahme eines fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes ist ausgeschlossen, wenn der Betroffene den fehlerhaften Verwaltungsakt weder durch unlautere Mittel erwirkt nodi schuldhaft herbeigeführt hat und die Fehlerhaftigkeit weder positiv kennt noch fahrlässig nicht kennt (subjektiver Vertrauenstatbestand) und im Vertrauen auf den rechtsgültigen Bestand des Aktes erhebliche und endgültige Dispositionen getroffen hat, die sich als typische Auswertung der mit dem A k t verliehenen Rechtsposition darstellen (objektiver Vertrauenstatbestand). M a n wende demgegenüber nicht ein, dieser Tatbestand stelle allzusehr auf subjektive Momente ab und sei deshalb wenig praktikabel. D a s Gegenteil ist der Fall. Der objektive Vertrauenstatbestand steht insoweit außer Diskussion. Seine Merkmale sind durchweg objektiv bestimmbar. Aber auch die subjektive Seite wahrt weitgehend die Möglichkeit objektiver Feststellungen, indem - abgesehen von den ohnehin an äußeren Merkmalen feststellbaren Fällen der Täuschung, Bestechung usw. - von der Vermutung auszugehen ist, daß der Betroffene über den Sachverstand eines Durchschnittsbürgers verfügt. Auch dieser Sachverstand läßt sich objektiv ermitteln, ohne Einblick in die Seele und Absichten des Betroffenen tun zu müssen. b) Rechtsprechung und Schrifttum haben im Rahmen des Rücknahmerechts noch weitere Gesichtspunkte für rechtserheblich erklärt, die in dem soeben umrissenen Tatbestand keine Berücksichtigung gefunden haben. aa) Z u m Teil wird angenommen, daß auch das Verschulden der Behörde für die Frage der Rücknahme eine Rolle spiele, wobei dieser Gedanke im Zusammenhang mit der Gewährung von Vertrauensschutz verwertet wird 4 6 8 . Diese A u f f a s s u n g geht fehl. Zweck der Gewährung von Vertrauensschutz ist - wie der N a m e schon sagt - , den gutgläubigen Betroffenen in seinem Vertrauen nicht zu enttäuschen. Dieses Vertrauen wird aber durch ein Verschulden der Behörde bei Erlaß des fehlerhaften Aktes regelmäßig nicht berührt. Die Tatsache des Verschuldens entzieht sich in der Regel der Kenntnis des Antragstellers und ist deshalb für das 46óa Interessant ist, daß das B V e r w G neuerdings auch d a n n Vertrauensschutz gewährt, wenn nicht der Begünstigte, sondern ein D r i t t e r die Vermögensdispositionen getroffen hat, diese Dispositionen aber die wirtschaftliche L a g e des A k t a d r e s s a t e n unmittelbar betroffen haben. « β s o B V e r w G in D Ö V 1957, 911 = N J W 1958, 154 = B V e r w G E 6, 1 ff.; ebenso H a u e i s e n in N J W 1954, 1428 und DVB1. 1957, 5 0 8 ; zweifelnd Spaeth, S. 164.
92 in ihm erweckte Vertrauen ohne Bedeutung 467 . Deshalb muß das Verschulden der Behörde im Rahmen des Vertrauensschutzes außer Ansatz bleiben. bb) Vielfach wird als Abwägungsmaßstab im Rahmen der von der herrschenden Meinung geübten Interessenabwägung auch der Zeitraum seit Erlaß des fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes in die Waagschale geworfen 468 . Wie bereits nachgewiesen und auch anerkannt ist 469 , kann bei auf Leistung gerichteten Verwaltungsakten Vertrauensschutz schon dann zu gewähren sein, wenn die Leistung zwar zuerkannt, aber noch nicht erbracht worden ist. Daraus erhellt, daß der Vertrauensschutz schon einige Tage nach Erlaß des Verwaltungsaktes durchgreifen kann. Andererseits ist anerkannt 4 7 0 , daß die Rücknahme auch noch nach Jahren zulässig ist. Es wäre auch unbegreiflich, wenn der die Behörde täuschende Adressat Vertrauensschutz genießen sollte, wenn seine Machenschaften erst nach Jahren „auffallen". Aus diesen Möglichkeiten ergibt sich, daß der Zeitraum seit Erlaß des Verwaltungsaktes als den Vertrauensschutz b e g r ü n d e n d e s Merkmal nicht anerkannt werden kann. Die Bedeutung des Zeitablaufs seit Erlaß des fehlerhaften Verwaltungsaktes kann allenfalls darin liegen, daß er im Streitfalle als beweismäßiges Indiz für das Vorliegen eines den Vertrauensschutz begründenden Merkmals Beachtung findet, etwa bei Prüfung der Frage, ob die getroffenen Dispositionen endgültig sind. Diese möglicherweise prozeßrechtliche Bedeutung kann aber nicht dazu führen, den Zeitraum seit Erlaß des fehlerhaften Verwaltungsaktes als konstituierendes Element des Vertrauensschutzes zu qualifizieren 471 . cc) Das gleiche gilt für die Auffassung, die den Vertrauensschutz u. U. davon abhängig macht, w e l c h e Behörde den fehlerhaften Akt gesetzt hat 4 7 2 . Danach sollen die Akte höherer Behörden „vertrauenerweckender" sein. Auch hier wird m. E. nicht die scharfe Trennungslinie gezogen zwischen den Merkmalen, die den Vertrauensschutz begründen, und solchen Umständen, die für die Überzeugungsbildung vom Vorliegen 467
so richtig B V e r w G in N J W 1 9 6 0 , 1 4 8 6 ( 1 4 8 8 ) ; vgl. auch B V e r w G in
DVB1. 1961, 3 3 7 . «8 so B V e r w G in N J W 1 9 5 9 , 1 5 5 3 ; O V G Münster in M D R 1960, 9 5 6 ; Haueisen in D V B l . 1957, 5 0 8 ; N J W 1958, 8 8 4 , 1 6 6 3 ; Schäfer, S. 15. 489 vgl. oben S. 89 m i t Nachweisen. 476 V G H B a d e n - W ü r t t e m b e r g in E S V G H 6, 152 ( 1 5 5 ) ; vgl. ferner Dickmann in D Ö V 1 9 5 7 , 2 7 8 ( 2 8 0 ) . 471 E t w a s anderes meint auch wohl Haueisen in N J W 1958, 884 nicht; in N J W 1962, 3 3 5 weißt er d a r a u f hin, daß die Bedeutung des Zeitmomentes noch ungeklärt sei. Ebenso scheint die hier v o r g e t r a g e n e Ansicht mit der von P ö p pinghaus übereinzustimmen, wenn er auf S. 65 ausführt: „ F ü r die F r a g e des Vertrauensschutzes ist es ferner erheblidi, welcher Z e i t r a u m seit dem E i n t r i t t der Mangelhaftigkeit verstrichen ist, da der Betroffene sich bei einem längeren Z e i t r a u m auf den F o r t b e s t a n d des Verwaltungsaktes einzurichten pflegt." 472 vgl. B V e r w G in D V B l . 1959, 6 3 0 ( 6 3 2 ) ; N J W 1 9 5 8 , 1 5 4 ; zweifelnd Haueisen in N J W 1 9 5 8 , 1663, zurückhaltend in D V B L 1957, 5 0 6 ( 5 0 7 ) .
93 eines dieser Merkmale erheblich sein können. Wenn eine höhere Behörde gehandelt hat, so ist das sicher mitbestimmend für die zu entscheidende Frage, ob der Betroffene vertraute oder nicht, aber dieses Mitbestimmen kann nur darin liegen, daß die Art der Behörde ein Indiz sein kann f ü r die Meinungsbildung des Richters von dem Vorliegen des Vertrauenszustandes. So wird man bei höheren, mit qualifizierten Beamten besetzten Behörden eher davon ausgehen können, daß der erlassene A k t fehlerfrei ist 473 . dd) Nicht anders ist die Frage zu beurteilen, welche Bedeutung der förmlichen Ausgestaltung des Verfahrens, aus dem der Verwaltungsakt hervorgegangen ist, im Rücknahmerecht beigemessen werden muß. Anerkannt ist, daß sogar mündliche Zusagen Vertrauensschutz auslösen können 474 . Daraus ist zwingend zu folgern, daß die Verfahrensausgestaltung f ü r den Vertrauensschutz nicht die Bedeutung eines ihn begründenden Tatbestandselementes haben kann. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß die Verfahrensausgestaltung im Rahmen des Vertrauensschutzes unbeachtlich ist. Sie kann vielmehr erheblich sein für die Frage des Vertrauenszustandes des Betroffenen. So wird bei Verwaltungsakten, die in einem „rechtsförmlich" ausgestalteten Verfahren zustandegekommen sind, die Nachprüfungspflicht des Betroffenen nicht so weit gezogen werden können wie bei Verwaltungsakten, die aus einem Verfahren hervorgegangen sind, das keine Sicherungen enthält, oder gar wie bei mündlichen Zusagen. Entscheidend kommt es aber immer nur darauf an, ob sich der Betroffene in einem Zustand des Vertrauens befand; nur dieses Merkmal ist ein den Vertrauensschutz begründendes Tatbestandsstück. Das Moment der Verfahrensausgestaltung ist beachtlich dafür, ob dieser Zustand des Vertrauens vorgelegen hat. Darin erschöpft sich seine Bedeutung. Die Verfahrensausgestaltung hat deshalb nur eine beweismäßige Funktion, kann aber nicht innerhalb des Vertrauensschutz t a t b e s t a n d e s beachtlich sein. ee) Schließlich ist auch unerheblich, ob die Behörde den Verwaltungsakt deswegen zurücknehmen will, weil sie ihn f ü r rechtswidrig hält, nachdem sie ihre Rechtsansicht revidiert und verändert hat. D a ß die Veränderung der Rechtsansicht auf die Rechtswidrigkeit des Vcrwaltungsaktes keinen Einfluß hat, ist bereits dargetan worden 4 7 5 . Ein Verwaltungsakt kann grundsätzlich auch dann zurückgenommen werden, wenn er sich nach „geläuterter Rechtsanschauung" als unrichtig erweist. O b nun der den A k t erlassende Beamte aus Nachlässigkeit eine Gesetzesvorschrift übersieht oder eine von ihm angewendete Rechtsnorm falsch auslegt und später nach tieferem Eindringen in den Rechtsstofi 4 ™ ähnlich H a u e i s e n in DVB1. 1957, 507 u n d N J W 1958, 1663. Die A n sicht H a u e i s e n s scheint der hier v o r g e t r a g e n e n zu entsprechen. 474 vgl. H a u e i s e n in N J W 1961, 1901 u n t e r W ü r d i g u n g der Rechtsprechung. •47'i so o b e n S. 8 f.
94 seinen Fehler erkennt und seine Rechtsansicht ändert, ist f ü r die Rechtswidrigkeit gleichgültig und kann auch im Hinblick auf zu gewährenden Vertrauensschutz nicht unterschiedlich beurteilt werden. Ebensowenig wie durch das Verschulden der Behörde wird durch einen Rechtsirrtum ihrerseits das Vertrauen des Betroffenen berührt. IV. Die
Verwirkung
Ist das Recht zur Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes durch den Vertrauensschutztatbestand, wie er oben entwickelt worden ist, nicht eingeschränkt, so muß die Behörde den rechtswidrigen Akt zwar nicht unverzüglich nach Erkenntnis der Mangelhaftigkeit beseitigen, darf aber andererseits mit der Rücknahme auch nicht beliebig lange warten, ohne Gefahr zu laufen, ihr Rücknahmerecht zu verwirken. O b eine solche Verwirkung im Rahmen des Rücknahmerechts möglich ist und unter welchen Voraussetzungen sie gegebenenfalls eintritt, soll Gegenstand der folgenden Darstellung sein. 1. Geltung und Voraussetzungen im allgemeinen a) Der Verwirkungsgedanke läßt sich zunächst grob umreißen als „illoyal verspätete Geltendmachung" eines Rechts. D. h. wenn der Berechtigte mit der Geltendmachung seines Rechts ungewöhnlich lange wartet und bei dem Verpflichteten den Eindruck erweckt, er werde sein Recht nicht mehr ausüben, so kann dieses Verhalten des Berechtigten unter Umständen dazu führen, daß dieser sich der Ausübung seines Rechts begibt. b) Der Gedanke der „illoyalen Verspätung" tauchte in der Rechtsprechung f r ü h auf 4 7 9 . aa) Er wurde bereits im Jahre 1877 vom Reichsoberhandelsgericht 477 beim Hinausschieben des Selbsthilfeverkaufs unter besonderen Umständen verwertet. bb) Unter dem Ausdruck „Verwirkung" gewinnt die illoyale Verspätung insbesondere in der Aufwertungsrechtsprechung des Reichsgerichts Bedeutung. Die Erschütterung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse nach dem ersten Weltkrieg, die durch die enorme Geldentwertung und die sich anschließende Aufwertung verursacht worden war, brachte eine beträchtliche ökonomische Unsicherheit mit sich. Die Frage, ob ein aus der Zeit des Geldverfalls stammender Anspruch aufzuwerten sei, bedurfte im Interesse der Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse einer schnellen Erledigung. Dem Geldschuldner war nicht zuzumuten, lange auf die Geltendmachung der Aufwertungsansprüche zu warten, weil sonst seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit 470
zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. Soergel-Siebert § 242, 175; G. Boehmer II, 2 S. 113. 477 R O H G 23, 83.
95 zu sehr eingeengt gewesen wäre. Deshalb hat das Reichsgericht nodi vor der Aufwertungsgesetzgebung den Rechtsgedanken entwickelt, daß das Recht auf Aufwertung v e r w i r k t sei, wenn der Aufwertungsberechtigte den Schuldner längere Zeit durch „Verschweigen" in dem Glauben ließ, ein Aufwertungsanspruch werde nicht mehr geltend gemacht werden, so daß dieser sich entsprechend einrichtete478. cc) Gleichzeitig wurde die Idee der Verwirkung audi im Wettbewerbs- und Urheberrecht übernommen und dehnte sich von hier aus auf das Gebiet des Arbeitsrechtes aus47®. Diese Ausbreitung des Verwirkungsgedankens fand nicht ungeteilten Beifall. Zunächst wurde die Verwirkung allgemein anerkannt und unter Berufung auf die vorangegangene Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichts auch vom Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung praktiziert 480 . Entsprechend erklärte der erste Zivilsenat im Urteil vom 30. 1. 192 9 4 8 1 , „es sei von jeher anerkannt, daß unter besonderen Umständen die verspätete Geltendmachung von Ansprüchen ein Verhalten darstellen kann, das gegen Treu und Glauben verstößt, und ihnen dann die rechtliche Wirkung versagt werden muß; ein derartiges Verhalten ist in Rechtsprechung und Rechtslehre als sogenannte illoyale Verspätung bekannt und neuerdings im Aufwertungsrecht unter dem Schlagwort Verwirkung vielfach erörtert worden". Einige Jahre später wandten sich jedoch verschiedene Senate des Reichsgerichts gegen die Ausdehnung der Verwirkungsidee 482 und trafen gegenläufige Entscheidungen. Die „abtrünnigen" Senate schwenkten allerdings in der Folgezeit bei, so daß der Gedanke der Verwirkung im gesamten Privatrecht seit etwa 1937 als gesichertes Rechtsinstitut anzusehen ist. dd) Neuerdings hat sich das Rechtsinstitut der Verwirkung auch im öffentlichen Recht durchgesetzt. In der Literatur erhoben sich bereits früh Stimmen, die eine Anwendung der Verwirkung audi auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts befürworteten 483 . Auch das Reichsgericht hat, noch bevor der Kampf um die Anerkennung des Verwirkungsgedankens ausgetragen war, die Geltung der Verwirkungsidee als Ausfluß des Grundsatzes von Treu und Glauben im öffentlichen Recht anerkannt 484 , nicht ohne zu größter Vorsicht in der Anwendung zu mahnen. 478 so zuerst R G Z 110, 133; über Einzelheiten vgl. G . Boehmer, I I S. 105 f. 4™ vgl. G. Boehmer I I 2 S. 106 ff. « o vgl. R G Z 60, 348; 91, 347; 107, 348; 117, 359. 48t j w 1929, 2143. 482 vgl. im einzelnen G. Boehmer I I 2, S. 113 mit Nachweisen. « 3 Küchenhoff in R u P r V B l . 51 (1930), 2 7 5 ; H e i n e m a n n in R u P r V B l . (1930), 670; V . Jellinek in R u P r V B l . 52 (1931), 805; Scholz in R u P r V B l . (1934), 233 (237); Siebert, Verwirkung, S. 2 4 4 ; zurückhaltend H a m b u r g e r J W 1932, 2706. 484 j \ v 1931, 735 N r . 7 ; R G Z 1958, 109.
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51 55 in
96 Die Nachkriegsrechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zeigte eine gewisse Zurückhaltung. Noch 1954 vertrat das O V G Koblenz die Ansicht, daß im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens f ü r die Anwendung der dem Zivilrecht entstammenden Lehre von der Verwirkung grundsätzlich kein Raum sei 483 . In gleicher Weise äußerte sich das O V G Lüneburg 486 . In der Zeit nach 1954 tauchte der Gedanke der Verwirkung in der Rechtsprechung immer wieder auf und wurde allgemein bejaht. Insbesondere das Bundesverwaltungsgericht hat die Geltung der Verwirkungsidee auf den verschiedenen Gebieten des öffentlichen Rechts, einschließlich des Verfahrensrechts allgemein anerkannt 4 8 7 . Die Verwaltungsgerichte der Länder sind dieser Entwicklung bereits vorangegangen oder doch gefolgt 488 . Das Bundessozialgericht hat die Anwendung des Grundsatzes der Verwirkung auch f ü r das Sozialversicherungsrecht anerkannt und die Ansicht vertreten: „Dieser Grundsatz beherrscht die ganze Rechtsordnung 489 ." In gleicher Weise hat sich der Bundesfinanzhof geäußert 4 9 0 . Auch die Rechtslehre, diese Entwicklung entweder vorbereitend oder ihr folgend, nimmt zur Geltung der Verwirkungsidee denselben Standpunkt ein 491 . So entspricht es dem heutigen Stand der Lehre und Rechtsprechung, wenn das Bundesverwaltungsgericht 492 feststellt: „Es kann als eine gesicherte Erkenntnis angesehen werden, daß der ursprünglich im Privatrecht entwickelte Rechtsgedanke der Verwirkung als allgemeines Rechtsprinzip auch im materiellen öffentlichen Recht und im Prozeßrecht gilt." « 5 ohne Fundstelle zitiert bei Stich in DVBl. 1959, 234. •186 i n VerwRspr. 4, 850 (852): „Dem Prozeßrecht als einem formstrengen Recht ist der Gedanke der Verwirkung grundsätzlich f r e m d " ; diese Entscheidung ablehnend: Nipperdey in N J W 1962, 321 (322). w vgl. BVerwG in DVBl. 1956, 520 = M D R 1956, 632 = N J W 1956, 1213 (Anfechtungsrecht); BVerwGE 5, 136 (139) = D Ö V 1958, 218 (Erstattungsanspruch); BVerwG in N J W 1957, 1205 (Anliegerbeiträge); N J W 1958, 75 (Anfechtung von Personalratsbeschlüssen); N J W 1959, 740 (Anfechtungsrecht); N J W 1961, 2227; ebenso jetzt B a y r . V e r f G H in N J W 1962, 339 (Verfassungsbeschwerde) und N i p p e r d e y in N J W 1962, 321 (322). « s vgl. O V G Münster in O V G E 6, 112; DVBl. 1957; 797; VerwRspr. 9, 437; O V G Berlin in N J W 1953, 1767; O V G H a m b u r g in D Ö V 1958, 306 und DVBl. 1961, 892; O V G Koblenz in ZBR 1958, 249; Hess. V G H in ZBR 1956, 185. 480 N J W 1958, 1607. 490 N J W 1958, 688; zur Rechtsprechung des B F H ferner Friedrich in N J W 1960, 2316 Ziff. 10. « ι vgl. statt vieler Forsthoff, Lehrbuch, 157; WolfT, § 37 I I I e; H a m a n n in RiA 1957, 177 und insbes. Stich in DVBl. 1959, 234 ff. in DVBl. 1958, 619.
97 c) Rechtsgrundlage Die dogmatische Begründung für das Rechtsinstitut der Verwirkung ist nicht einheitlich. aa) Zunächst konstruierte man die Verwirkung als einen stillschweigenden Verzichtsvertrag. Dem steht jedoch entgegen, daß der noch zu behandelnde Tatbestand der Verwirkung keine rechtsgeschäftlichen Erklärungen enthält 493 und außerdem audi nicht verzichtbare Ansprüche verwirkt werden können 494 . Eine andere Auffassung sieht die Grundlage der Verwirkung in dem deutschrechtlichen Verschweigungsgedanken 495 . bb) Die heute herrschende Lehre498 und Rechtsprechung497 leitet die Verwirkung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ab und bezeichnet sie als einen typischen Fall unzulässiger Rechtsausübung bzw. als einen Unterfall des widerspruchsvollen oder gegensätzlichen Verhaltens (venire contra factum proprium). Zum Teil wird als Begründung auch § 226 BGB herangezogen4»8. cc) Die Berufung auf Treu und Glauben ist sicher richtig, wenn man bedenkt, daß § 242 BGB Ausdruck des ius aequum ist, und berücksichtigt, daß in Fällen der Verwirkung das ius strictum und ius aequum einander feindlich gegenüberstehen und das ius aequum den Sieg davonträgt. Andererseits ruht der Gedanke der Verwirrung aber nicht nur auf dem Prinzip von Treu und Glauben, sondern er fußt auch auf dem Grundsatz der Rechtssicherheit499. „Denn man muß sich darüber klar sein, daß, während sonst in dem Widerstreit zwischen abstraktem Regelrecht (ius strictum) und konkretem Billigkeitsrecht (ius aequum) die beiden großen Grundprinzipien der Rechtsordnung, die Rechtssicherheit auf der einen, die Gerechtigkeit auf der anderen Seite, um den Vorrang kämpfen, hier auch das ius aequum nicht nur im Namen der Gerechtigkeit, sondern auch in dem der Rechtssicherheit aufzutreten legitimiert ist. Der allgemeinen „objektiven" Sicherheit des abstrakten Gesetzesbuchstabens, die den Rechtsinhaber zu dem Vertrauen berechtigt, sein Recht nur dann zu verlieren, wenn es durch Ablauf der gesetzlichen Ausschlußfrist untergegangen oder durch Vollendung der Verjährung entkräftet ist, tritt die be49 3 vgl. Siebert, Verwirkung, S. 185; Staudinger-Weber, § 242 D 581; Fischbach in RiA 1956, 289 Anm. 4. 494 vgl. W.Böhmer in Bayr. VB1. 1956, 129 (130); a. A. Wolff, § 37 III e (S. 194); Hamann in RiA 1957, 177, der allerdings Verzicht und Verwirkung nicht klar auseinanderhält. 495 vgl. Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, 1930. 498 vgl. Forsthoff, Lehrbudi, S. 157; Wolff, § 37 III e; Stich in DVB1. 1956, 325 (326) und DVBl. 1959, 234 (235); Soergel-Siebert, § 242, 173; Staudinger-Weber, § 242, D 598. « 7 vgl. Anm. 487—490. « 8 BVerwG in N J W 1959, 256. 499 Auf beide Grundsätze führt auch Scholz in RuPrVBl. 55 (1934), 237 die Verwirkung zurück.
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O s s e n b ü h l , Rücknahme, 2. Aufl.
98 sondere „subjektive" Rechtssicherheit der konkreten Sachlage entgegen, die den Rechtsgegner zu dem Vertrauen berechtigt, einer Rechtsverfolgung überhoben zu sein, mit der er auf Grund des Verhaltens des anderen Teils nach Treu und Glauben nicht mehr zu rechnen brauchte 500 ." Letztlich kann jedoch nicht entscheidend sein, ob man als Grundlage für das Rechtsinstitut der Verwirkung den Satz von Treu und Glauben anführt oder § 226 BGB hinzuzieht oder sich auf den Gedanken der Rechtssicherheit beruft. Wesentlich ist die Erkenntnis, daß in dem Rechtsprinzip der Verwirkung verschiedene Grundgedanken unserer Rechtsordnung zusammenfließen und daß bald dieser bald jener stärker hervortritt, keiner aber für sich allein das Rechtsinstitut der Verwirkung trägt 501 . d) Voraussetzungen Während in den „lebenswichtigen" Fragen der Verwirkung Einigkeit besteht, ist nach wie vor umstritten, unter welchen Voraussetzungen der Verwirkungsgedanke durchgreift. aa) Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung setzt das Bestehen eines Rechts voraus, dessen Ausübung gestattet und möglich ist. Ist die Rechtsausübung durch Vereinbarung oder auf sonstige Weise gehindert, so kann eine Verwirkung nicht in Betracht kommen. Unbestritten ist als Erfordernis des Verwirkungstatbestandes, daß der Rechtsinhaber die Ausübung seines Rechts während eines längeren 502 , nicht unbedeutenden 503 Zeitraumes unterlassen hat. Wie lang die Zeitspanne sein muß, kann nicht generell festgelegt werden. Sie hängt weitgehend von der Eigenart des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses und den besonderen Umständen des Einzelfalles ab504. In außergewöhnlichen Zeiten, ζ. B. Kriegs- oder NachkriegsVerhältnissen, in denen durch äußere Umstände die Rechtsverfolgung erschwert ist, muß der Zeitablauf naturgemäß länger bemessen werden als in normalen Zeiten 505 . bb) Einigkeit besteht ferner darüber, daß der Zeitablauf allein nicht ausreicht, um eine Verwirkung herbeizuführen. In einem Falle hat das 500 G. Boehmer II 2 S. 118; diesen Gedanken hat schon Scholz in RuPrVBl. 55 (1934), 233 (237) betont; ebenso RGZ 118, 378;: „Namentlich ist es das Interesse der Rechtssicherheit, das verlangt, daß längst abgewickelte Geschäfte, auf die man sich allseitig eingestellt hatte, nicht ohne zwingende Gründe wieder ausgegraben werden"; auch der Bayr. VerfGH (NJW 1962, 339 [340]) gründet die Verwirkung auf den Gedanken der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. 5 °i vgl. Siebert, Verwirkung, S. 247; Stich in DVBl. 1956, 326 und DVBl. 1959, 235. 502 vgl. Stich in DVBl. 1956, 325 (326). 5°3 so Esser, Schuldrecht, S. 122. 504 vgl. BVerwG in DVBl. 1958, 619. sos vgl. Kleine in JZ 1951, 9.
99 Bundesverwaltungsgericht 508 allein auf Grund des Zeitablaufs Verwirkung angenommen. Diese Entscheidung ist von Stich mit Redit kritisiert und abgelehnt worden 607 . aaa) Würde man lediglich auf den Zeitablauf abstellen, so hätte die Verwirkung neben der Verjährung und den Ausschlußfristen keinen Raum. Ihre Zwecke müßten notwendig mit denen der Verjährung und Ausschlußfrist zusammenfallen. Die Verwirkung soll aber als elastisches Rechtsinstitut den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung tragen. Verwirkung ist nicht Verspätung, sondern i l l o y a l e Verspätung der Rechtsausübung. Es müssen also zu dem Zeitablauf noch „besondere Umstände" hinzutreten, die der Verwirkung als besonderes, selbständiges Rechtsinstitut ein eigenes Profil geben und dadurch von der rein zeitlichen Verjährung und Ausschlußfrist abgrenzen und unterscheiden508. bbb) In der Rechtsprechung hat sich deshalb teilweise die stereotype Formulierung eingebürgert, zu dem zeitlichen Ablauf müßten vielmehr noch „besondere Umstände" hinzutreten, die den Schluß rechtfertigen, daß die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt 500 . Diese an sich nicht zu beanstandende Ausdrucksweise ist jedoch wenig praktikabel und trägt die Gefahr einer zu großzügigen Anwendung des Verwirkungsgedankens in sich510. Im Interesse einer klaren und möglichst eindeutigen Rechtsanwendung muß diese Formel weiter konkretisiert werden. Eine solche Konkretisierung ist audi bereits in Lehre und Rechtsprechung vorgezeichnet. Die genannten „besonderen Umstände" lassen sich in vier Elemente zerlegen: Verwirkungsverhalten, Vertrauen des Betroffenen, Vertrauensverhalten des Betroffenen und Verschulden des Berechtigten. Dabei ist die Frage des Verschuldens besonders zu prüfen, da sie den größten Streitpunkt bildet. Der Rechtsinhaber muß über die bloße Untätigkeit und Nichtausübung des Rechtes hinausgegangen sein und ein bestimmtes Verhalten an den Tag gelegt haben, das den Eindruck erweckte, er werde von seinem Recht keinen Gebrauch mehr machen (Verwirkungsverhalten) 511 . Erforderlich ist also ein irgendwie geartetes positives Tun des Rechtsinhabers. Demgegenüber hält Tegtmeyer 512 audi ein Unterlassen für ausreichend, wenn sich aus dem jeweiligen Rechtsverhältnis eine konkrete Pflicht ableiten läßt, die dem Rechtsinhaber ein Handeln gebietet. 500
DVB1. 1957, 646; anders BVerwG in N J W 1958, 75. DVB1. 1957, 646, Urteilsanmerkung. 508 vgl. dazu Siebert, Verwirkung, S. 180; Stich in DVB1. 1959, 237; aus der Rechtsprechung ζ. B. BVerwG in DVB1. 1958, 619; N J W 1959, 740. 509 vgl. BVerwG in DVB1. 1958, 619; OVG Münster in DVB1. 1957, 797; OVG Hamburg in DVBl. 1961, 892. 510 vgl. die Kritik bei Stich DVBl. 1959, 236, 237. 511 vgl. dazu W. Böhmer in Bayr. VB1. 1956, 131; Stidi in DVBl. 1959, 237; Esser, Schuldrecht, S. 122. Bis AcP 142, 203 (223); vgl. auch Giese, S. 164 und Sdiüle in VerwArch. 1934, 21. 507
7·
100 Kleine 513 bezeichnet diese Auffassung als zu weitgehend und lehnt sie wegen der Unsicherheit, die mit der Feststellung einer konkreten Pflicht hineingetragen wird, ab. Für die Ansicht von Tegtmeyer spricht jedenfalls, daß ein Unterlassen bei gegebener Rechtspflicht zum Handeln in unserer Rechtsordnung, im Strafrecht gleichermaßen wie im Zivilrecht, durchgängig einem positiven Tun gleichgesetzt wird, also rechtlich in gleicher Weise relevant ist und dieselben Rechtsfolgen zeitigt. Unter diesem Gesichtspunkt wird man hier keine Ausnahme machen können. Zu einer Ausnahme besteht an sich auch keine innere Berechtigung, wenn man, was in der Handlungslehre überzeugend nachgewiesen worden ist, bedenkt, daß ein Unterlassen bei konkreter Handlungspflicht ebenso gravierend ist wie ein positives Tun. Allerdings wird zu fordern sein, daß diese Rechtspflicht offenkundig ist und vom Durchschnittsbürger erfaßt werden kann. Bei dieser Einschränkung wird auch die von Kleine befürchtete Unsicherheit weitgehend ausgeschaltet. ccc) Der Betroffene muß im Hinblick auf das Verhalten des Rechtsinhabers darauf vertraut haben, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen (Vertrauen des Betroffenen). ddd) Das Verwirkungsverhalten und das Vertrauen des Betroffenen allein reichen jedoch nicht aus, um die „besonderen Umstände" auszufüllen. Vielmehr muß der Betroffene darüber hinaus im Vertrauen auf die Nichtausübung Aufwendungen gemacht haben, wobei zwischen seinem Vertrauen und seinen getroffenen Dispositionen ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muß 514 , so daß letztlich die Dispositionen des Betroffenen durch das Verhalten des Rechtsinhabers veranlaßt worden sind 515 . Darin liegt der für die Verwirkung entscheidende und sie rechtfertigende Gesichtspunkt. Die Rechtfertigung dafür, daß die Geltendmachung eines von der Rechtsordnung gewährten Rechts als unzulässig erscheint, liegt darin, daß während der Nichtgeltendmachung eine Verschiebung der Interessenlage eingetreten ist, so daß dem Betroffenen ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde, falls das Recht jetzt noch durchgesetzt werden könnte 516 . cc) Sehr streitig ist die Frage, ob ein Verschulden des Berechtigten zu fordern ist, d. h. ob der Rechtsinhaber den äußeren Eindruck, er werde sein Recht nicht mehr geltend machen, schuldhaft herbeigeführt haben muß oder ob es genügt, wenn er objektiv einen solchen Rechtsschein veranlaßt hat. Insbesondere im Zivilrecht wird die Auffassung vertreten, es komme allein auf die objektive Sachlage an und es sei unbedeutend, ob der Berechtigte den Willen gehabt habe, sein Recht nicht mehr auszuüben; ja, es sei nicht einmal notwendig, daß er sein Recht gekannt 513
22 hin.
J Z 1951, 9; auf diese Bedenken weist auch Schüle in VerwArch. 1934,
vgl. Staudinger-Weber § 242, D 619. vgl. Tegtmeyer in AcP 142, 219. sie vgl. Tegtmeyer in AcP 142, 211; W.Böhmer in Bayr. VBl. 1956, 131; Siebert, Verwirkung, S. 251. 514
515
101 habe 517 . Esser518 betont, daß die Schuldfrage hinter die Vertrauensfrage zurücktreten müsse. Im öffentlichen Recht wird diese Ansicht von W. Böhmer 519 vertreten. Er meint, die Verwirkung erfordere nicht, daß dem Berechtigten sein Recht bekannt sei. Selbst bei völlig unverschuldeter verspäteter Geltendmachung könne Verwirkung eintreten. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden. Sie überschätzt einseitig die Interessen des Betroffenen und übergeht den Schutz des Rechtsinhabers, der diesem in gewissen Grenzen gewährt werden muß. Die Verwirkung entspringt dem Billigkeitsrecht. Bei der Ausgestaltung des Verwirkungsgedankens haben daher auch weitgehend Billigkeitserwägungen im Vordergrund zu stehen. Eine Entscheidung entspricht um so mehr der Billigkeit, je mehr sie den Interessen aller Beteiligten gerecht wird. Es würde aber der Billigkeit widerstreiten, wenn ein Rechtsinhaber sein Recht auch dann verlieren könnte, wenn er dessen Existenz nicht einmal kannte. Diese Auffassung wird auch von der neueren Rechtsprechung des Reichsgerichts vertreten 520 : „Bei alledem wird bereits vorausgesetzt, daß die Untätigkeit des Berechtigten ihren Grund nicht in seiner Unkenntnis von dem Bestehen des Anspruchs hatte, sondern daß er ihn nicht geltend machte, obwohl er äußerlich oder innerlich dazu in der Lage war." In gleicher Weise erklärt der Hess. VGH 5 2 1 : „Ein Verstoß gegen Treu und Glauben ist nur möglich, wenn der Berechtigte mit seinem Anspruch nicht hervortritt, obwohl er innerlich oder äußerlich dazu in der Lage war 522 ." Das Bundesverwaltungsgericht steht auf demselben Standpunkt 523 . Im Schrifttum wird das Erfordernis des Verschuldens von Forsthoff 524 , Hamann 525 , Bochalli526 und Stich 527 als notwendiges Merkmal der Verwirkung angesehen528. e) Wirkung Die Verwirkung ist früher teilweise als Rechtsvernichtungsgrund qualifiziert worden 529 . Richtigerweise führt die Verwirkung nicht zum 517
Siebert, Verwirkung, S. 173; Esser, Schuldrecht, S. 121; G. Boehmer, II 2, S. 117; RGZ 134, 38 (41); BGH in N J W 1957, 1358. 518 Schuldrecht, S. 121. 51 » Bayr. Vbl. 1956, 131. 520 RGZ 158, 235. 521 DVB1. 1955, 331. 522 ebenso Hess. V G H in ZBR 1956, 186. 52 » DVB1. 58, 468. 524 Lehrbuch, S. 158: „doloses Verhalten". 525 RiA 1957, 177. 526 Bundesbeamtengesetz, Kommentar, 2. Aufl., 1958, § 47, 2. 527 DVB1. 1956, 326 und DVB1. 1959, 237. 528 vgl. a u c h Dresbadi, S. 67, Kleine in JZ 1951, 10; Spaeth, S. 164 füi den Fall der Kenntnis des Widerrufsgrundes. 52» so z. B. Heinemann in RuPrVBl. 51 (1930), 670; Giese, S. 164.
102 Untergang des Rechts, sondern macht nur die von Anfang an vorhandene inhaltliche Beschränkung des Rechts sichtbar 530 . Das Recht bleibt also existent, es kann nur nicht mehr geltend gemacht werden 531 . f) Abgrenzung zu ähnlichen Rechtsinstituten Auch der Gesetzgeber verwendet in neueren Gesetzesvorschriften den Begriff der Verwirkung. Er taucht hier sowohl in Rechtsnormen des Privatrechts als auch des öffentlichen Rechts auf. aa) Nach § 1676 BGB verwirkt ein Elternteil die elterliche Gewalt, wenn er wegen eines an dem Kinde verübten Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens zu Zuchthausstrafe oder zu einer Gefängnisstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wird. Die Verwirkung tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein. Gemäß § 66 EheG verwirkt der Berechtigte den Unterhaltsanspruch, wenn er sich nach der Scheidung einer schweren Verfehlung gegen den Verpflichteten schuldig macht oder gegen dessen Willen einen ehrlosen und unsittlichen Lebenswandel führt. Eine vereinbarte Vertragsstrafe ist verwirkt, wenn der Schuldner in Verzug kommt (§ 339 BGB). Von Verwirkung spricht man ferner, ohne daß das Gesetz diesen Ausdruck verwendet, in den Fällen der §§ 545 II, 971 II, 532, 2005 I, 2006 I I I BGB. bb) Im öffentlichen Recht ist an erster Stelle Art. 18 G G zu nennen, nach dem gewisse Grundrechte verwirkt werden, wenn sie zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht werden. Als Fälle der Verwirkung werden ferner die der §§ 53 GewO, 12 GaststG, 4, 15 StVG bezeichnet 532 . cc) Uberblickt man diese Beispiele, so ergibt sich als gemeinsames Kriterium, daß der Verlust eines Rechts oder einer Rechtsstellung als Folge eines gesetz- oder pflichtwidrigen Verhaltens eintritt. Der Unterschied zu dem oben entwickelten allgemeinen Rechtsinstitut liegt in dem Fehlen des Zeitmomentes 533 . Die aufgezählten gesetzlichen Verwirkungsfälle kennen ein ähnliches zeitliches Merkmal nicht, sondern knüpfen lediglich an die Pflichtverletzung an. H i n z u kommt, daß - abgesehen von den privatrechtlichen Beispielen - die Verwirkung erst durch Verwaltungsakt, nämlich den Widerruf eintritt. Stich bezeichnet deshalb die Verwirkung infolge Pflichtverletzung als „Verwirkung kraft Widerrufs"8M. Die gesetzlichen Verwirkungsfälle heben sich also deutlich von dem aus dem Gesichtspunkt der illoyalen Verspätung entwickelten allgemeinen außergesetzlichen Rechtsinstitut der Verwirkung ab. 53
» vgl. Siebert, Verwirkung, S. 175; BVerwG in N J W 1959, 256. 531 Fischbach in RiA 1956, 289. 532 vgl. ζ. B. Forsthoff, Lehrbuch, S. 157. 533 vgl. zur Unterscheidung audi Schule in VerwArch. 1934, 33. 534 DVB1. 1956, 327.
103 2. Anwendbarkeit des Verwirkungsgedankens im Rücknahmerecht a) Der Verwirkungsgedanke hat bisher auch im Rahmen der Aufhebung von Verwaltungsakten Anwendung gefunden. Dabei ist die Möglichkeit der Verwirkung sowohl auf seiten des Bürgers als auch der Verwaltung angenommen worden. aa) So ist ζ. B. der Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes für zulässig erklärt worden, wenn der Betroffene die ihm rechtmäßig auferlegten Auflagen nicht erfüllt. Es wird davon gesprochen, daß der Bürger in diesem Falle sein Recht verwirkt habe 5 3 5 . Die Verwirkung durch Nichterfüllung einer Auflage tritt infolge einer Pflichtverletzung ein. Sie ist deshalb von der Verwirkung infolge illoyaler Verspätung zu unterscheiden 536 . Der Fall der Nichterfüllung von Auflagen kann deshalb nicht als Anwendungsfall des allgemeinen Rechtsinstituts der Verwirkung, wie er oben entwickelt worden ist, betrachtet werden. bb) Starke Bedeutung hat die Verwirkungsidee von Anfang an im Beamtenrecht gewonnen 537 . In mehreren Entscheidungen ist hier die Verwirkung gewisser Redite sowohl durch den Beamten als auch durch die Anstellungskörperschaft bejaht worden. D a lediglich die Anwendbarkeit des Verwirkungsgedankens im Rücknahmerecht untersucht werden soll, interessieren hier die Fälle der Rechtsverwirkung durch den Beamten nicht. Besonderes Augenmerk ist jedoch auf die Entscheidungen zu richten, in denen die Behörde ihre Rechte verwirkt hat. Aus ihnen können unter Umständen wertvolle Schlüsse für die allgemeine Anwendbarkeit der Verwirkung im Rücknahmerecht gezogen werden. Das thüringische Oberverwaltungsgericht 538 hat es als einen groben Verstoß gegen Treu und Glauben bezeichnet, als eine Stadt den Wegfall eines Amtes w i d e r E r w a r t e n erst volle sechs Jahre später zum Anlaß nahm, um den Beamten in den Wartestand zu versetzen. Bei so langer Verzögerung sei die Versetzung in den Wartestand verwirkt. Der V G H Baden-Württemberg 5 3 9 hat die Ausübung des Vorbehaltes einer Gehaltsrückstufung als verwirkt angesehen, nachdem fünf Jahre verflossen waren. Sehr modern klingt der Satz des P r O V G in den Entscheidungsgründen 540 : „Wenn eine Anstellungsbehörde in Kenntnis wirksamer Anfechtungsgründe (gemeint sind Rücknahmegründe) solange 535
vgl. Peters, Lehrbuch, S. 169; Forsthoff, Lehrbuch, S. 243.
vgl. dazu oben S. 102. vgl. dazu W . B ö h m e r in Bayr. VB1. 1956, 176; Stich in DVB1. 1959, 2 3 8 ; zur neueren Rechtsprechung betr. den Widerruf des Beamtenverhältnisses: Becker in Z B R 1957, 36. " β in RuPrPBl. 54 (1933), 396, 397. 539 VerwRspr. 3, 558. 510 P r O V G 92, 240 (245); gleichlautend: O V G Münster in DVBl. 1952, 605 (607); für den umgekehrten Fall der Anfechtung einer Rücktrittserklärung vom Beamtenverhältnis vgl. noch Hess. V G H in DVBl. 1951, 738 (740); heute gilt § 13 Abs. 2 B B G (Rücknahmefrist: 6 Monate). 536 537
104 hiervon keinen Gebrauch gemacht hat, daß billigerweise auf den Willen einer Fortsetzung des Dienstverhältnisses geschlossen werden kann, so hat sie ihr Anfechtungsrecht (sprich: Rücknahmerecht) v e r w i r k t . " Wie die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts 541 zeigt, ist einer Behörde ebenso mit Erfolg der Einwand der Verwirkung entgegengehalten worden, die dem Beamten zunächst mitgeteilt hatte, er sei 131er, und die Mitteilung später zurücknehmen wollte. cc) Diese Rechtsprechung macht deutlich, daß die Praxis immer wieder auf das Rechtsinstitut der Verwirkung zurückgreift, um Unbilligkeiten, die durch eine lange hinausgeschobene Rücknahme verursacht werden, zu vermeiden. Es besteht auch in der Tat ein Bedürfnis, das Rücknahmerecht zeitlich zu begrenzen. Dies um so mehr, als insoweit - abweichend vom Zivilrecht - regelmäßig weder Verjährungs- noch Ausschlußfristen eingreifen 542 . Ein soldier Versuch, die Rücknahme zeitlich zu beschränken, ist im Art. 88 Abs. 3 des Entwurfs einer Verwaltungsrechtsordnung für Württemberg von 1931 unternommen worden. Danach soll in bestimmten Fällen die Frist für die Rücknahme sechs Monate betragen. Dieser Vorschlag hat jedoch wegen seines schema tischen Charakters weder in der Rechtsprechung noch in der Lehre Gefolgschaft gefunden. Er ist auch nicht elastisch genug, um den verschiedenen praktischen Bedürfnissen gerecht zu werden. Schon die Tatsache, daß der Fristablauf von sechs Monaten mit dem E r l a ß des Verwaltungsaktes beginnen soll, ist bedenklich. Denn oft wird die Behörde den Fehler erst nach Ablauf dieser Frist entdecken, hätte aber dann nicht mehr die Möglichkeit, den fehlerhaften Akt zu kassieren. Diskutabel wäre die Frist allenfalls, wenn man als Beginn des Fristablaufs den Zeitpunkt bestimmen würde, in dem die Behörde von der Existenz des Fehlers Kenntnis erlangt 543 . Das Bedürfnis, das Rücknahmerecht zeitlich zu begrenzen, wird auch in der Lehre anerkannt und berücksichtigt. So führt Peters 544 aus: „ D a aber auch im öffentlichen Recht Treu und Glauben gilt, ist damit ein auf eine bestimmte Zeit hinausgeschobener, schikanös geltend gemachter Widerruf ausgeschlossen. Wenn eine Behörde von einem Widerrufsgrund Kenntnis erhält, wird sie innerhalb der dafür üblichen Zeitspanne nähere Aufklärung der Sach- und Rechtslage schaffen und sich dann in angemessener Frist entscheiden." Festzuhalten ist also, daß im Rahmen des Rücknahmerechts allgemein das Bedürfnis besteht, das Rücknahmerecht zeitlich einzuschränken. Eine zeitliche Grenze ist besonders deshalb erforderlich, weil weder Verjäh6«
MDR 1958, 710. Ausnahmen: §§ 24 Abs. 2 OBG. NW, 13 Abs. 2 BBG. « 3 vgl. die entsprechende Regelung der §§24 Abs. 2 OBG. NW, 13 Abs. 2 BBG. 544 Lehrbuch S. 170; zum Widerruf des Beamtenverhältnisses vgl. Becker in ZBR 1957, 36 (39). 542
105 rungs- noch Ausschlußfristen eingreifen. Abzulehnen ist die Bestimmung einer starren Ausschlußfrist, da die Vielfalt der im Verwaltungsrecht vorkommenden Sachverhalte eine elastische, die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigende zeitliche Regelung erheischt. Eine solche Beschränkung der Rücknahme wird gefordert durch den Satz von Treu und Glauben und den Gedanken der Rechtssicherheit, der Kontinuierlichkeit der Rechtsentwicklung gebietet. Der Umstand, daß sich die gegenüberstehenden Rechtsträger im Rücknahmerecht im Verhältnis der Uber- und Unterordnung befinden, steht einer solchen Beschränkung nicht im Wege, sondern kann allenfalls bei der konkreten Ausgestaltung der Einschränkung, die im Folgenden erörtert wird, bedeutsam sein 545 . b) Nachdem aufgezeigt worden ist, daß der Verwirkungsgedanke grundsätzlich auch im Rücknahmerecht Geltung beanspruchen kann, ist zu erörtern, welche rechtliche Gestalt er hier annehmen muß, d. h. unter welchen Voraussetzungen der Verwirkungseinwand durchgreift. Die rechtliche Ausgestaltung kann sich weitgehend an das bereits entwickelte allgemeine Rechtsinstitut der Verwirkung anlehnen. Gleichwohl wird zu überlegen sein, ob die einzelnen Merkmale hier einer besonderen Ausformung bedürfen. aa) Unzweifelhaft wird als erstes Erfordernis auch der Ablauf eines längeren Zeitraumes zu fordern sein. Fraglich erscheint aber schon, ob der Zeitablauf für sich allein genügt oder noch „besondere Umstände" hinzutreten müssen. Diese Frage ist insofern berechtigt, als die „besonderen Umstände" zur Ausbildung des Verwirkungstatbestandes im Zivilrecht als besonderes Merkmal hinzutreten mußten, um die Verwirkung von der Verjährung und den Ausschlußfristen abzugrenzen und ihr ein eigenes Profil zu geben 549 . Da das Rücknahmerecht zeitlich unbegrenzt ist 547 , also weder der Verjährung noch einer Ausschlußfrist unterliegt, kann es zu einer Kollision mit derartigen Rechtsinstituten nicht kommen. In der Literatur ist denn auch zum Teil die Ansicht zu finden, daß das Rücknahmerecht verwirkt sei, wenn die Rücknahme nicht innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt, ohne daß es noch „besonderer Umstände" bedürfte 548 . O b diese Ansicht vgl. BVerwG in DVB1. 1958, 468. vgl. oben S. 99. 547 vgl. Peters, Lehrbuch, S. 170; Jellinek, Lehrbuch, S. 2 8 8 ; EyermannFröhler, ξ 42 Anh. 47. ä « vgl. Nebinger, S. 90; Düll. S. 68; Nitschke, a . a . O . ; Reck a . a . O . S. 915 (er nennt 10 Jahre); Eyermann-Fröhler, § 4 2 Anh. 4 7 ; Hangartner, à. 189; Scholz in RuPrVBl. 55 (1934), 239; ebenso Jellinek, Lehrbuch, S. 288, er will solche Fälle mit Hilfe des stillschweigenden Verwaltungsaktes lösen; ähnlich Dresbach, S. 67. Dieser Vorschlag ist jedoch nicht zu billigen, weil er die Grenze zum Verzicht verwischt, vgl. insoweit auch Heinemann, a. a. O . ; Giese, S. 163 Anm. 107; Disse, S. 6 4 ; Hangartner, S. 187 mit weiteren Nachweisen; aus der Rechtsprechung: Hess. V G H in ,DVB1. 1951, 738 (740); O V G Münster in DVB1. 1952, 605 (607). 545
546
106 zu billigen ist, läßt sich nur aus dem Wesen der Verwirkung und den ihr zugrundeliegenden Rechtsgedanken entnehmen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer neuesten Entscheidung549 die Frage, ob eine reine Untätigkeit der Behörde auch dort, wo eine Verjährung nicht eingreift, zu einem Verwirken führen kann, aufgeworfen, ohne sie jedoch zu entscheiden. Das Rechtsinstitut der Verwirkung fußt auf dem Prinzip der Rechtssicherheit und dem Grundsatz von Treu und Glauben 550 . Als wesentlicher und die Verwirkung rechtfertigender Gesichtspunkt ist die Interessenverschiebung erkannt worden, die darin besteht, daß der Betroffene während des Zeitablaufs im Vertrauen darauf, der Rechtsinhaber werde sein Recht nicht mehr ausüben, Aufwendungen gemacht hat und ihm ein unzumutbarer Nachteil zugefügt würde, wenn jetzt noch - nach langer Zeit - das Recht realisiert werden könnte. Dieser Gedanke der Interessenverschiebung hat bei der Entwicklung des Rechtsinstituts der Verwirkung Pate gestanden, und ohne ihn wäre es nicht lebensfähig geworden. Deshalb gehört das Merkmal der Interessenverschiebung zum Wesen der Verwirkung. Wollte man auf dieses Kriterium verzichten, so müßte man das Rechtsinstitut der Verwirkung ganz aufgeben. Dazu besteht aber auch im Rücknahmerecht kein Anlaß. Die Verwirkung könnte auch hier ihren Schutzcharakter zugunsten des Betroffenen nicht entfalten, wenn lediglich auf den Zeitablauf abgestellt würde. Denn der Bürger, der sich auf den Bestand eines fehlerhaften Aktes nicht eingerichtet hat, kann keinen Schaden erleiden, wenn dieser Akt - auch erst nach längerer Zeit - zurückgenommen wird 551 . Demnach ergibt sich, daß auch im Rahmen des Rücknahmerechts der Zeitablauf allein nicht zur Annahme einer Verwirkung ausreicht, sondern noch weitere Voraussetzungen vorliegen müssen552. Dafür spricht audi, daß aus dem Schweigen der Behörde schon deswegen keine Folgerungen gezogen werden dürfen, weil der Verwaltung im Gegensatz zum Privaten grundsätzlich keine Erklärungspflicht obliegt553. bb) Die Behörde muß durch schuldhaftes Verhalten den äußeren Anschein erwecken, daß sie die Rücknahme nicht mehr aussprechen werde. Dazu ist erste Voraussetzung, daß sie ihr Redit zur Rücknahme kennt. 549 Bo
N J W 1961, 2227.
° dazu u n d z u m F o l g e n d e n vgl. o b e n S. 97 f. « « Mit Recht bemerkt deshalb Dickmann (in D Ö V 1957, 280), daß der Erlaß eines Beseitigungsbescheides nicht dadurch unzulässig wird, daß seit der Vollziehung des Begünstigungsaktes schon „erhebliche Zeit verstrichen ist" (so aber Haueisen in N J W 1954, 1428). 552 vgl. V G H Kassel D Ö V 1956, 123. 553 Forsthoff, Lehrbuch, S. 201; Spaeth, S. 165; vgl. insbes. audi Peters, Lehrbuch, S. 150: „Grundsätzlich ist zu betonen, daß in der Regel aus bloßem Schweigen Rechte weder erwachsen noch untergehen"; vgl. ferner die unter diesem Gesichtspunkt gegen das Institut der Verwirkung erhobenen Bedenken bei Schule in VerwArch. 1934, 37.
107 Welche Umstände den Rechtsschein des Nicht-mehr-ausiiben-Wollens hervorrufen, kann nur im Einzelfall festgestellt werden. Bei Verwaltungsakten, die auf Ratenleistungen gerichtet sind (ζ. B. Unterhaltsrente), wird in der ununterbrochenen Zahlung ohne Vorbehalt ein solches Verhalten zu erblicken sein. Ebenso darin, daß die Behörde jahrelang in Kenntnis der Fehlerhaftigkeit der Gewerbekonzession Gewerbesteuern erhebt. Bei der Beurteilung des Verwirkungsverhaltens ist jedoch darauf zu achten, ob in ihm nicht bereits ein schlüssiger Verzicht auf die Rücknahme enthalten ist. In diesem Falle würde die Verwirkung als subsidiäres Rechtsinstitut nicht zur Geltung kommen. cc) Schließlich muß der Betroffene im Vertrauen darauf, die Behörde habe endgültig von der Rücknahme Abstand genommen, Aufwendungen gemacht haben, so daß er durch eine jetzt nodi ausgesprochene Rücknahme unzumutbare Nachteile erleiden würde. Zu Einzelheiten kann insoweit auf frühere Ausführungen verwiesen werden 554 . c) Die Verwandtschaft zwischen den Tatbeständen der Verwirkung und des Vertrauensschutzes macht eine Abgrenzung zwischen beiden Rechtsinstituten erforderlich. aa) Es wurde bereits hervorgehoben, daß der Gedanke des Vertrauensschutzes auch der Verwirkung zugrundeliegt, so daß man die Verwirkung als einen Sonderfall des Vertrauensschutzes bezeichnen kann. Gleichwohl ist die Verwirkung mit dem oben entwickelten Vertrauensschutztatbestand nicht identisch. bb) Beide Tatbestände unterscheiden sich vielmehr in wesentlichen Punkten voneinander. Der erste Unterschied besteht in dem Erfordernis des Zeitablaufs, das der Verwirkung eigentümlich ist, dagegen nicht als konstituierendes Element des Vertrauensschutztatbestandes angesehen werden kann 5 5 5 . Ferner sind Vertrauensgrundlage und Rechtsschein bei beiden Tatbeständen verschieden. Beim Vertrauensschutztatbestand bildet die Vertrauensgrundlage der fehlerhafte Akt, der für den Betroffenen den Ansdiein erweckt, daß er einer Begünstigung teilhaftig sei, während bei der Verwirkung der Rechtsschein durch den Zeitablauf und das Verwirkungsverhalten der Behörde gesetzt wird und den Eindruck erweckt, ein bestehendes Recht werde nicht mehr ausgeübt 556 . Verwirkung kann mit anderen Worten auch dann eintreten, wenn der Bürger die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kennt. Schließlich muß das Verwirkungsverhalten schuldhaft begangen worden sein, während das Verschuldensmerkmal dem Vertrauensschutztatbestand fremd ist.
534 555
55β
vgl. oben S. 87. vgl. oben S. 92. vgl. zu dieser Unterscheidung auch Gowa, S. 67.
108 d) Rechtsfolgen Die Verwirkung hat zur Folge, daß das Rücknahmerecht grundsätzlich nicht mehr ausgeübt werden kann. Bei den Verwaltungsakten mit Dauerwirkung tritt unter Umständen jedoch nur eine Modifizierung des Rücknahmerechts ein. Hier kann die Verwirkung regelmäßig nur dazu führen, daß eine Rücknahme ex tunc ausgeschlossen ist, während die Beseitigung des fehlerhaften Aktes ex nunc grundsätzlich möglich bleibt. N u r in Ausnahmefällen wird man eine völlige Beschränkung des Rücknahmerechts annehmen können, nämlich dann, wenn der Betroffene schwerwiegende und nicht mehr rückgängig zu machende, dauernde Verfügungen getroffen hat. Im einzelnen sei dazu auf spätere Ausführungen verwiesen 557 . 3. Gesamtergebnis Das Recht zur Rücknahme eines fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes kann durch die Behörde verwirkt werden, so daß eine Rücknahme nicht mehr in Frage kommt. Dieser Sachverhalt läßt sich tatbestandsmäßig wie folgt fassen: Die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes ist verwirkt, wenn die Behörde während eines längeren, nicht unbedeutenden Zeitraumes durch ihr Verhalten schuldhaft den Anschein erweckt, als wolle sie ihr Recht zur Rücknahme nicht mehr ausüben, und dem Betroffenen wegen seiner im Vertrauen auf diesen Rechtsschein getroffenen Dispositionen ein unzumutbarer Nachteil zugefügt würde, wenn die Rücknahme noch erfolgen könnte. V. Ungerechtfertigte
Unbilligkeiten
1. Problemstellung Uberblickt man das bisher entwickelte System des Rücknahmerechts, so ergibt sich, daß Fälle auftauchen, die nicht in den Rahmen der dargestellten Rücknahmeausschließungstatbestände passen, in denen aber gleichwohl eine Rücknahme des an sich fehlerhaften Verwaltungsaktes dem Lebenssachverhalt gegenüber unangemessen erscheint und das Rechtsgefühl in keiner Weise befriedigen kann. Zur Verdeutlichung seien an den Anfang der Erörterungen drei Fälle gestellt. 1. Fall: Der Heimatvertriebene A, der vor seiner Flucht ein Gewerbe betrieben hat, erhält infolge fahrlässig falscher Angaben vom Lastenausgleichsamt ein Wiederaufbaudarlehen in H ö h e von 30 000 DM, mit dessen Hilfe er erneut einen mittleren Handwerksbetrieb aufgebaut hat, der sich noch in den Anfängen befindet. Ein Jahr nach Zahlung des Geldes entdeckt die Behörde den Fehler. Würde sie den Verwaltungsakt 507
vgl. u n t e n S. 121 ff., die dortigen A u s f ü h r u n g e n gelten hier entsprechend.
109 jetzt zurücknehmen und die Rückzahlung des Geldes fordern, so bedeutete das für den Betrieb des A den wirtschaftlichen Zusammenbruch und für die Existenz des A den völligen Ruin. 2. Fall: Der in Münster wohnende Rechtsstudent A, der das letzte Semester an der Universität Köln studiert hat, meldet sich beim Justizprüfungsamt Köln zur Ablegung des ersten Staatsexamens. Er wird zugelassen, fertigt die ihm aufgegebene Sechswochenarbeit an und nimmt die Klausurtermine wahr. Am Morgen des Tages der mündlichen Prüfung entdeckt der Vorsitzende beim Durchblättern der Prüfungsakten, daß A nur e i η Semester in Köln studiert hat und nach § 7 Ziff. b des Gesetzes über die juristischen Staatsprüfungen und den juristischen Vorbereitungsdienst (GVB1. N W 1962, 443) gar nicht hätte zugelassen werden dürfen. Eine Rücknahme der Zulassung würde für A bedeuten, daß er die Sechswochenarbeit erneut anfertigen, die Klausuren nochmals schreiben müßte und allenfalls ein halbes Jahr später in den Vorbereitungsdienst eintreten könnte. 3. Fall: Der Rechtsstudent A hat den Grad eines Doktors der Rechte erworben und tritt, ohne sein Staatsexamen abzulegen, eine Stellung in der Industrie an. Nach einem Jahr wird festgestellt, daß A statt der für die Promotion geforderten sechs nur fünf Semester studiert hat. Kann ihm der Doktorgrad wieder entzogen werden? In allen drei Fällen helfen die bisher entwickelten Rücknahmeausschlußtatbestände nicht weiter. Insbesondere kann der Vertrauensschutzgedanke nicht durchgreifen, weil es bereits an dem Merkmal des Vertrauens fehlt. Im ersten Fall hat A falsche Angaben gemacht, in den beiden folgenden Sachverhalten fällt den Betroffenen ebenfalls Fahrlässigkeit zur Last, denn von einem Rechtskandidaten bzw. Doktoranden kann verlangt werden, daß er die Zulassungsbedingungen des von ihm abzulegenden Examens kennt. Gleichwohl drängt sich auf, in allen drei Fällen die Rücknahme der entsprechenden fehlerhaften Verwaltungsakte zu verneinen. Der unnachsichtige Vollzug des Gesetzes erscheint grob unbillig, weil er zum wirtschaftlichen Ruin des Betroffenen führen bzw. von ihm gemachte erhebliche Anstrengungen mißachten würde, ohne daß dadurch für die Öffentlichkeit ein anderer „Vorteil" erreicht würde als eben der des ausnahmslosen Gesetzesvollzugs. Jeder Gesetzesvollzug bringt infolge der Schematisierung der Lebenstatbestände Unbilligkeiten mit sich. Diese Unbilligkeiten sind regelmäßig vom Gesetzgeber erkannt und müssen normalerweise in Kauf genommen werden. Sie sind der Tribut, der für die Rechtssicherheit gezahlt werden muß. Jedoch kann die Unbilligkeit ein so unerträgliches Maß annehmen, daß die durch das Gesetzesschema im Interesse der Rechtssicherheit zurückgedrängte Gerechtigkeit des Einzelfalles wieder durchbricht. Die Frage ist deshalb, ob und unter welchen Voraussetzungen ein solcher Durchbruch des materiellen Gerechtigkeitsprinzips anerkannt werden muß. Ferner, ob sich das Rechtsgefühl bei der Betrachtung der
110 oben dargestellten Sachverhalte täuschen läßt oder ob die Rücknahme durch andere Grundprinzipien des Verwaltungsrechts noch weiter eingeengt wird. 2. Verwertbare Rechtsprinzipien Bei der weiteren Prüfung soll so verfahren werden, daß zunächst allgemeine Rechtsprinzipien aufgesucht werden, um sie nach Geltung und Inhalt auf ihre Brauchbarkeit für die Lösung der aufgezeigten Probleme zu durchleuchten und möglicherweise aus ihnen konkrete und praktikable Rechtssätze zu formen. Zu beachten ist ganz besonders in diesem Zusammenhang, daß die Entscheidung über die Rücknahme eines fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes im Ermessen der Behörde steht. Wenn man, worauf Peters 558 mit Recht hinweist, bedenkt, daß bei Behörden stets ein vernünftiges Verhalten vorausgesetzt werden kann und sie eine Rücknahme nicht aussprechen wird, wenn diese ungerechtfertigte Unbilligkeiten zur Folge hat, so wird sich die praktische Bedeutung dieses Kapitels als äußerst gering erweisen. Jedoch ist nicht ausgeschlossen, daß die Behörde ohne Rücksicht auf die Interessen des Betroffenen von ihrem Recht zur Rücknahme Gebrauch macht, sei es weil sie aus Befangenheit einen nicht zu billigenden Standpunkt einnimmt, sei es weil sie trotz Kenntnis der unbilligen Folgen sich aus anderen Motivationen zur Rücknahme entschließt. Ein lückenloses Rücknahmesystem muß auch diese Möglichkeit aufnehmen, rechtlich würdigen und einer Lösung zuführen. Die Erwägungen in diesem Zusammenhang haben sich deshalb wie auch bisher damit zu befassen, ob dem Ermessen der Behörde weitere Schranken auferlegt sind. a) Bei der Betrachtung des oben erwähnten Darlehnsfalles bietet sich als ein solches das Ermessen begrenzendes Rechtsprinzip die Sozialstaatsklausel des Art. 2 0 G G an. D a ß das Sozialstaatsprinzip kein unverbindlicher Programmsatz ist, sondern für die gesamte Staatsgewalt eine Verpflichtung begründet, bedarf an dieser Stelle keines Nachweises 559 . Erinnert sei in diesem Zusammenhang insbesondere an die zahlreichen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, in denen dem Sozialstaatsprinzip prozeßentscheidende Bedeutung zugekommen ist. Rechtsprechung 560 und Lehre 5 6 1 stehen auf dem Standpunkt, daß die Sozialstaatsklausel audi nicht nur eine Auslegungsregel darstellt, sondern daß sie einen zugunsten des Staatsbürgers « s Lehrbuch, S. 170. ÓÓ9 V gl. dazu y. Mangoldt-Klein, Art. 20 VII 26; Maunz, S. 6 1 ; Hamann, S. 31. seo BVerfGE 1, 105; BVerwGE 1, 161; B G H Z 9, 89; B A G in N J W 1955, 78 (79). sei ForsthofT in V V D S t R L 12 (1954), 21 (23, 2 7 ) ; v. Mangoldt-Klein Art. 20 VII 2 b; Hamann S. 31; Nipperdey in V V D S t R L 12 (1954), S. 93.
Ill unmittelbar verbindlichen aktuellen Rechtssatz bildet. Sie verpflichtet die Bundes- und Landesorgane sowohl der gesetzgebenden als audi der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt, bei allen ihren Beschlüssen, Maßnahmen und Entscheidungen den Maßstab der sozialen Gerechtigkeit zu beachten, und liefert der Verwaltungsgerichtsbarkeit im besonderen einen zusätzlichen Prüfungsmaßstab bei der Wertung von Ermessensüberschreitung und -mißbrauch5®2. Der Ausdruck „sozial" enthält eine Richtlinie, die zur Aufdeckung der Gesamtlage eines konkreten Tatbestandes in einer bestimmten Richtung drängt und das Ermessen der entscheidenden Stelle bindet 583 . Daraus erhellt, daß auch die Rücknahme als Ermessensentscheidung an der Sozialstaatsklausel ihre Grenze finden kann. Ruhen somit Charakter und Geltung des Sozialstaatsprinzips auf festem Fundament, so betritt man andererseits mit der Frage nach dem Inhalt dieser Klausel schwankenden Boden. Die Schwierigkeit, die Sozialstaatsklausel in konkrete praktische Richtlinien umzugießen, ist bereits an früherer Stelle angedeutet worden 5 6 4 . Um für die zu Anfang dieses Abschnitts aufgeworfenen Probleme zu Ergebnissen zu kommen, bedarf es indes nicht einer grundlegenden Durchleuchtung der vielschichtigen Fragen, die die Ausfüllung der Sozialstaatsklausel mit sich bringt. Fest steht jedenfalls die eine Ausprägung des Sozialstaatsprinzips, daß die öffentliche Gewalt mit ihren Maßnahmen den Bürger nicht seiner Existenz berauben und ihn vor den Ruin stellen darf. D a ß hiervon beispielsweise bei der Vermögenseinziehung aus strafrechtlichen Gesichtspunkten Ausnahmen bestehen können, beeinträchtigt das Ergebnis nicht. Die Rücknahme muß also in bestimmten, noch näher zu umreißenden Fällen auch dann ausgeschlossen sein, wenn sie die Existenzgrundlage des Betroffenen vernichten würde. D a ß auch das Bundesverwaltungsgericht dieser Auffassung huldigt, beweist die Entscheidung vom 7. 12. I960 5 6 5 , in der zum Ausdruck gebracht wird, daß ein fehlerhafter Rentenbescheid auch für die Zukunft dann nicht zurückgenommen werden kann, wenn durch die Rücknahme die Existenzgrundlage des Betroffenen erschüttert würde. Das gilt selbst dann, wenn der Bescheid durch fahrlässig falsche Angaben erwirkt worden ist, nicht jedoch bei unlauterer Erwirkung. Ist demnach das Sozialstaatsprinzip aus dem Gesichtspunkt der Existenzerhaltung geeignet, den dargestellten Darlehnsfall in angemessener Weise zu lösen, so sind damit noch keine Anhaltspunkte gewonnen, um auch die mit einer Rücknahme verbundenen Unbilligkeiten in den beiden anderen Fällen auszuräumen. Der Fall der Doktorpromotion stammt von Jellinek 5 6 0 . Er äußert dazu die Ansicht, daß bei Fähigkeitsprüfungen vernünftigerweise andere 562
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