Die Psalmen 3161466640, 9783161466649, 3161466179, 9783161604645


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German Pages 556 Year 1996

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Table of contents :
Titel
Vorwort
Inhalt
Teil I Einleitung
1. Der Text
2. Der Psalter und seine Teile
Der erste David-Psalter (Ps 2–41)
Der Qorach-Psalter (Ps 42–49; 84–85; 87–88)
Der zweite David-Psalter (Ps 51–72)
Der elohistische Psalter (Ps 42–83)
Der Asaph-Psalter (Ps 50; 73–83)
Die Psalmen 90–118
Der dritte David-Psalter (Ps 101–103; 108–110)
Das Ägyptische Hallel (Ps 113–118)
Die Wallfahrtspsalmen (Ps 120–134)
Das Große Hallel (Ps 135; 136)
Der vierte David-Psalter (Ps 138–145)
Das Kleine Hallel (Ps 146–150)
3. Zur poetischen Struktur der Texte
4. Zur Überlieferungsgeschichte der Psalmen
5. Allgemeine Literatur zu den Psalmen
Einführungen
Kommentare
Sonstige neuere Literatur
6. Abkürzungen
Teil II Auslegung
Ps 1–150 in fortlaufender Reihenfolge
Exkurse:
Sela [xxx]
Die Formel: [xxx]
Der Lobruf: Halleluja
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Die Psalmen
 3161466640, 9783161466649, 3161466179, 9783161604645

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Handbuch zum Alten Testament Herausgegeben von Matthias Köckert und Rudolf Smend

1/15 Klaus Seybold

Die Psalmen

J.C.B. Mohr (Paul Siebeck)Tübingen

Die Deutsche Bibliothek- ClP-Einheitsaufnahme Handbuch zum Alten Testament I hrsg. von Matthias Köckert und Rudolf Smend. -Tübingen Mohr. Früher hrsg. von Hartmut Gese und Rudolf Smend. - Früher hrsg. von Otto Eissfeldt Reihe 1. NE: Köckert, Matthias (Hrsg.); Gese, Hartmut (Hrsg.); Eissfeldt, Otto [Hrsg.) 15. Seybold, Klaus: Die Psalmen. - 1996 Seybold, Klaus: Die Psalmen/ Klaus Seybold. -Tübingen : Mohr, 1996 (Handbuch zum AltenTestament : Reihe l ; 15) ISBN 3-16-146664-0 kart. ISBN 3-16-146617-9 Gewebe

eISBN 978-3-16-160464-5 unveränderte eBook-Ausgabe 2022

© 1996 J. C. 8. Mohr (Paul Siebeck)Tübingen. Das Werk einschließlich aller seinerTeile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck inTübingen aus derTimes-Antiqua gesetzt, auf alterungsbeständiges Papier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden.

Gewidmet dem Evangelischen Stift Tübingen zum 460. Jahr seines Bestehens in Dankbarkeit

Vorwort Hans Schmidts Kommentar zu den Psalmen in dieser Reihe erschien im Jahre 1934. Die Herausgeber hielten es für an der Zeit, ihn nach über 60 Jahren durch einen neuen Kommentar zu ersetzen, der dem Stand der Forschung Rechnung tragen, zugleich aber den Richtlinien des Handbuchs entsprechend von gedrängter Kürze sein sollte. Der vorliegende Band sucht diesen Anforderungen so gut wie möglich gerecht zu werden. Wie sein Vorgänger geht er von der Individualität der einzelnen Texte aus. Er legt besonderen Wert auf den Zusammenhang von sprachlicher Form und theologischer Aussage. Es ist sein Bestreben, das je eigene literarische Profil der Einzeltexte, aber auch das der Serien und Sammlungen herauszuarbeiten, um auf diesem Wege den Textsinn zu erschließen. Die Übersetzungen dienen dem gleichen Zweck. Es sind wörtliche Übertragungen mit dem Ziel, das zumeist poetische Textgefüge der einzelnen Psalmen sichtbar zu machen. Der Verfasser sah sich aus Raumgründen genötigt, auf wissenschaftliche Diskussionen weitgehend zu verzichten. Er verweist darum auf anderweitige Arbeiten, die unter Umständen Ersatz dafür bieten können, so etwa auf die „Einführung" in die Psalmen (1986, 2. A. 1991), auf die Beiträge zur Forschungsgeschichte in der Theologischen Rundschau (ThR 46, 1980; 60, 1995; 61, 1996) und der Theologischen Zeitschrift (ThZ36,1980; 40,1984; 48,1992), auf das Sammelwerk: Neue Wege der Psalmenforschung. FS Walter Beyerlin, hrsg. von E.Zenger und dem Verfasser (Herders Theologische Studien 1, 1994; 2. A. 1995) und auf zusammenfassende Artikel im Evangelischen Kirchenlexikon (EKL 3. A. 1986, 1992) und in der Theologischen Realenzyklopädie (TRE 1997) zu den Psalmen. Der vorliegende Kommentar wäre ohne vielfältige Anregung und Unterstützung nicht zustande gekommen. Ich danke in erster Linie den Herausgebern des „Handbuchs", den Herrn Kollegen Prof. Dr. Rudolf Smend, Göttingen, Prof.Dr. Hartmut Gese, Tübingen, und Prof. Dr. Matthias Köckert, Berlin, für ihr Vertrauen und ihre Geduld. Sodann danke ich dem Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen für die gute Zusammenarbeit bei der Drucklegung. Eigens zu danken habe ich dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Bern) für die großzügige Unterstützung des Projektes: „Sprach- und literaturwissenschaftliche Untersuchung der biblischen Psalmen und Erstellung eines Kommentars". Es war mir dadurch möglich, Herrn Dr. Beat Weber als Mitarbeiter zu gewinnen. Er hat sich maßgeblich an dem Projekt beteiligt, hat mit seiner Dissertation über: „Psalm 77 und sein Umfeld. Eine poetologische Studie" (Bonner Biblische Beiträge 103, 1995) die Methodendiskussion gefördert und hat mit großer Präzision eine druckfähige Textvorlage hergestellt. Ihm gilt mein ganz besonderer Dank. Dem Mitarbeiterteam, das sich mit mir die Arbeit an den Korrekturen geteilt hat, möchte ich ebenfalls herzlich danken: Herrn Dr.des. Beat Huwyler, Herrn Dr. Martin Keller, Herrn stud. theol. Tilmann Kleinjung, Herrn stud. theol. Jürg Thomas Luchsinger, Frau stud. theol. Julia Müller-Clemm, Herrn lic. theol.

V

Vorwort Leszek Ruszkowski, Frau stud. theol. Esther Wannenmacher-Sprenger, H e r r n D r . med. Hagen von Winterfeld. Sie alle haben sich in verschiedener Weise um diesen K o m m e n t a r verdient gemacht. Ich widme das Buch dem Evangelischen Stift Tübingen, das mir in den Anfängen meiner Studienzeit entscheidende theologische und exegetische Impulse vermittelt hat. Basel 1996

VI

Klaus Seybold

Inhalt Vorwort

V Teil I Einleitung

1. Der Text

1

2. Der Psalter und seine Teile

2

Der erste David-Psalter (Ps 2-41)

4

Der Qorach-Psalter (Ps 42—49;84—85 ;87—88)

5

Der zweite David-Psalter (Ps 51-72)

6

Der elohistische Psalter (Ps 42-83)

8

Der Asaph-Psalter (Ps 50;73—83)

8

Die Psalmen 90-118

9

Der dritte David-Psalter (Ps 101-103; 108-110)

10

Das Ägyptische Hallel (Ps 113 -118)

10

Die Wallfahrtspsalmen (Ps 120-134)

11

Das Große Hallel (Ps 135; 136)

12

Der vierte David-Psalter (Ps 138-145)

12

Das Kleine Hallel (Ps 146-150)

12

3. Zur poetischen Struktur der Texte

13

4. Zur Überlieferungsgeschichte der Psalmen

18

5. Allgemeine Literatur zu den Psalmen

22

Einführungen

22

Kommentare

23

Sonstige neuere Literatur

23

6. Abkürzungen

24

VII

Inhalt

Teil II Auslegung Ps 1-150 in fortlaufender Reihenfolge Exkurse: Sela n"?0 Die Formel: nxw1? Der Lobruf: Halleluja

VIII

27 35 38 411

Teil I

Einleitung 1. Der Text Literatur: A. RAHLFS, Psalmi cum Odis, Göttingen 3 1979. - J. A. SANDERS, The Psalms Scroll of Qumran Cave 11, DJD IV, Oxford 1965. - J. A. SANDERS, The Dead Sea Psalms Scroll, Ithaca 1967. - P . W . SKEHAN, D B Suppl. 9, 814-816. - G . H . WILSON, The Editing of the Hebrew Psalter, SBL. DS 76, Chico 1985. - G.-W. NEBE, Die Masada-Psalmen-Handschrift M1039-160 nach einem jüngst veröffentlichten Photo mit Text von Psalm 81,2-85,6, RdQ 14 (1989) 8 9 - 9 7 . - J.A. FITZMYER, The Dead Sea Scrolls. Major Publications and Tools for Study, SBLRBS 20, Atlanta 1990. - W. RICHTER, Biblia Hebraica transcripta BH'. 11. Psalmen, ATSAT 33.11 (1993). - J.C. VANDERKAM, The Dead Sea Scrolls Today, Grand Rapids 1994. - E. Tov, Textual Criticism of the Hebrew Bible, Maastricht 1992 (dt.: Der Text der Hebräischen Bibel. Handbuch der Textkritik, Stuttgart 1996). - Vgl. Z A H (1994) 109.118.277.281. - P.W. FLINT, The Dead Sea Scrolls and the Book of Psalms, StTDJ 17, Leiden 1996. -

Ausgangspunkt eines Kommentars ist die Frage nach der Textbasis. Dabei gelten für die Psalmen als einem Teil der kanonischen Überlieferung der hebräischen Bibel die gleichen Voraussetzungen wie für die anderen biblischen Bücher: Man wird sich in praxi dafür entscheiden, den Text zur Grundlage zu nehmen, der dem kanonisch gewordenen Buch am nächsten kommt, den masoretischen Text (M), wie er den Textausgaben BHK/ BHS zugrunde liegt. Sofern es die Überlieferung erlaubt, wird angestrebt, den protomasoretischen Text etwa um die Zeitenwende als Textbasis zu rekonstruieren, weil er wohl die Vorlage für die Kanonisierung bildete. Grundsätzlich ist also M auszulegen - in seiner überlieferten Form und mit seiner noch erreichbaren Vorgeschichte. Die Beiziehung aller andern Textformen (Q, Vrs) dient allein diesem Ziel. Die Übersetzungen der Psalmtexte gehen von M aus. Die durch die Textfunde in der Wüste Juda - vor allem in den Höhlen 4 und 11 bei Qumran - erheblich verbesserte Textsituation macht es möglich, einige Besonderheiten der Textgeschichte der Psalmen und des Psalters zu erkennen und auszuwerten. Die Aufarbeitung der Textfunde ist noch im Gang, so können z. Zt. nur einige vorläufige Versuche der Auswertung gemacht werden. Zuerst wurden alle zugänglichen und ereichbaren Textzeugnisse aus Q (über BHS hinaus) herangezogen. Das gilt in erster Linie für llQPs 3 , MasPs und diverse Fragmente 4QPs a ff. Die bis jetzt gezählten fast 40 Psalterhandschriften von Qumran (36 aus Qumran, dazu 1 von Nahal Hever und 2 von Masada [Flint]) repräsentieren in etwa die angestrebte protomasoretische Textform der kanonischen Zeit. Dann spielen die Psalmensammlungen mit z.T. anderen, nichtkanonischen Texten und abweichender Reihenfolge wie l l Q P s a b , 4QPs f , 4Q380, 4Q381, MasPs u.a. auch im Blick auf die Textgeschichte eine wichtige Rolle (Schreib1

Teil I: Einleitung techniken, Rollenform, Überschriften etc.). Schließlich bedarf das besondere Akzentsystem der poetischen Bücher (Ps, Prv, Hi) in M der Beachtung, obwohl die bisherige Auswertung nicht sehr ertragreich war. Die Textbasis der Psalmen ist objektiv von der Textgeschichte geprägt, subjektiv bedingt durch bislang gegebene Möglichkeiten der Rekonstruktion der Textformen, die bis zur fixierten Fassung von M vorhanden waren.

2. Der Psalter und seine Teile Literatur: W.G. B R A U D E , The Midrash on Psalms, New Häven 1954. - C. WESTERMANN, Zur Sammlung des Psalters (1962), in: Forschung am Alten Testament, ThB 24 (1964) 336—343. M.H. G O S H E N - G O T T S T E I N , The Psalms Scroll (llQPs a ): A Problem of Canon and Text, Textus 5 (1966) 22-33. - J. STARCKY, Psaumes apocryphes de la grotte 4 de Qumrän (4QPsf V I I - X ) , RB 73 (1966) 353—371 (XVIII). - J. VAN DER P L O E G , Un petit rouleau de psaumes apocryphes (llQPsAp a ), in: Tradition und Glaube, FS K.G. Kuhn, Göttingen 1971, 128-139. - H. GESE, Die Entstehung der Büchereinteilung des Psalters, in: Wort, Lied und Gottesspruch, FS J. Ziegler, fzb 2 (1972) 57-64 (= ders., Vom Sinai zum Zion, München 1964, 159-167). - W. ZIMMERLI, Zwillingspsalmen, in: Wort, Lied und Gottesspruch, FS J. Ziegler, fzb 2 (1972) 105-113 (= ders., Studien zur alttestamentlichen Theologie und Prophetie, ThB 51 [1974] 261—271). - M. BAILLET, Qumrän Grotte 4, III (4Q482-4Q520), DJD VII (1982). - E. J E N N I , Z U den doxologischen Schlußformeln des Psalters, ThZ 40 (1984) 114-120. - C . B A R T H , Concatenatio im ersten Buch des Psalters, in: Wort und Wirklichkeit, FS E.L. Rapp, Meisenheim am Glan 1976, 30—40. - E.M. SCHULLER, Non-Canonical Psalms from Qumrän. A Pseudepigraphic Collection, HSS 28 (1986). S. T A L M O N , Between the Bible and the Mishna: Qumrän from Within, in: Ders. (Hg.), Jewish Civilization in the Hellenistic-Roman Period, JSP. S 10 (1991) 214-257. - J. C. M C C A N N (Ed.), The Shape and Shaping of the Psalter, JSOT. S 159 (1993) (Lit.). - D.M. H O W A R D , Editorial Activity in the Psalter: A State-of-Field Survey, in: J.C. McCann (Ed.), ebda. 52-70. - G.H. W I L S O N , Shaping the Psalter. A Consideration of Editorial Linkage in the Book of Psalms, ebda. 72—80. E.S. GERSTENBERGER, Der Psalter als Buch und als Sammlung, in: Neue Wege der Psalmenforschung, FS W. Beyerlin, HBS 1 (1994) 3-13. - K. KOCH, Der Psalter und seine Redaktionsgeschichte, ebda. 243 —277. - M . M I L L A R D , Die Komposition des Psalters. Ein formgeschichtlicher Ansatz, FAT9 (1994). - R. G. K R A T Z , Die Tora Davids. Psalm 1 und die doxologische Fünfteilung des Psalters, ZThK 93 (1996) 1 - 3 4 . In einem Fragment der sog. Kriegsrolle aus Qumrän (4QM a 491, D J D III [1982] 41) begegnet als bisher ältester Beleg die Bezeichnung D^nrin ISO („Buch der Loblieder"). Sie bezieht sich wohl wie die etwa ein Jahrhundert späteren Belege aus dem NT: ßißXo? i|iaX|A(I>v (Lc 20,42; Act 1,20) auf eine Buchrolle mit Psalmen in der Art der bruchstückhaft gefundenen Handschriften (vor allem der vierten Höhle von Qumrän 4QPs) aus vormasoretischer Zeit. M überliefert keine Überschrift für das „Buch". Später sind die Bezeichnungen D'Vnn (zum pl vgl. l l Q P s a X X V I I 4 ) bzw. („Lieder zum Saitenspiel", hebr. sg HDTö), ^aAT^stov (Saiteninstrument, gewöhnlich: „Harfe") (G) üblich geworden. M bietet 150 Einzeltexte nach traditioneller Zählung, G 151. Der QumranPsalter l l Q P s enthielt (mit G 151) noch zusätzliche Texte bei anderer Reihenfolge, wohl zum internen Gebrauch der Gemeinde (DJD IV). Die Bezeichnung m m^sn („die Gebete Davids") (Ps 72,20) bezieht sich auf die Psalmen 1 (2/51) bis 72. Die Einteilung der 150 masoretisch überlieferten Einzeltexte in fünf Bücher ist wohl erst nachkanonisch erfolgt (Gese). Sie richtet sich nach den vier in 41,14; 72,18f.; 89,53; 2

2. Der Psalter und seine Teile

106,48 bezeugten doxologischen Schlußformeln, wobei 150 als Doxologie das Ende des fünften Buches wie des Gesamtpsalters bildet (vgl. Midrasch zu Ps 1). Die dadurch wohl in Analogie zum Pentateuch - abgegrenzten „Bücher" sind nicht gleichen Umfangs (Buch III und IV sind nur halb so groß wie I, II und V). Ihr Profil ist durch die Teilpsalter bestimmt. Das erste Buch Ps 1—41 basiert auf der schon vorgegebenen Sammlung des DPs I, bezieht aber den Vorpsalm 1 mit ein in das Buch und schließt es mit der Doxologie in 41,14. Seinem Charakter nach ist es also identisch mit DPs I. Seinen besonderen Akzent erhält es durch Ps 1, der - wie es scheint - den ganzen Psalter und eben auch das erste Buch unter das Vorzeichen eines Lesetextes stellt, der - nimmt man die Schlußdoxologie wörtlich - vor der Gemeinde gelesen und liturgisch abgeschlossen worden ist („Amen und Amen"), aber auch - bei übertragener Bedeutung der Schlußverse - in meditativer Lektüre - wie die Tora (1,2) - studiert werden soll. Bei den Überschriften dominiert nnTB ,Lied (mit Begleitung)': 3 - 5 ; 8; 9/10; 12; 13; 15; 19-24; 29-31; 38-41, gefolgt von n^a 1 ? ,für den Chorleiter' (vgl. aber zu 4,1): 4 - 6 ; 8; 9 - 1 4 ; 18-22; 31; 36; 39-41. Zusätzliche musikalische Angaben finden sich in 4—6; 8; 9; 12; 22; 39. Andere Bezeichnungen begegnen in 7 (1TW); 16 (OTTO); 17 (n^DH), 32(41?) ("TD^a). Biographische Hinweise zu David bieten 3; 7; 18; 34. Das zweite Buch Ps 42 — 72 des Psalters ist ebenfalls keine selbständige Sammlung. Es umfaßt die Texte zwischen den Doxologien 41,14 und 72,18f. und besteht aus dem Hauptteil der Qorach-Psalmen (42—49), dem isolierten Asaph-Psalm 50 und dem zweiten Davidpsalter (51—72). Es spaltet den elohistischen Psalter (42—83) und trennt den Anhang der Qorach-Psalmen 84f.; 87f. sowie die Asaph-Gruppe (73-83) vollends ab. Die Schlußnotiz 72,20 wird von ihrer Bezugsgruppe der gesammelten David-Psalmen (2—72) abgehoben und auf den David-Psalter II (51 —72) beschränkt. Die so entstandene Zusammenstellung von dreißig Texten (42/43 als ein Psalm gezählt) bietet in der ersten Hälfte mehrheitlich Kollektivpsalmen, in der zweiten Individualpsalmen. Durch die Überschriften werden folgende Serien zusammengeordnet: mp 42-49 (HON1? 50); 111'? 51-65; 68-70 (G: 67-71) ( n a ^ 72); nsi»1? 42-47; 49; 51-62; 64-70; musikalische Angaben u.ä. 45-46; 53-62 (vgl. 57-59); 67; 69-70; Tiara 47-51; 62-68; T® 45-46; 48; 65 - 6 8 ; ^'DWa 42-45; 52-55; Dnrsa 56-60; r m » 60; biographische Angaben zu David 51-52; 54; 56-57; 59-60; 63. Das dritte Buch Ps 73—89 ist geprägt von der Gruppe der Asaph-Psalmen sowie den Anhängen zum Qorach-Psalter (84;85;87;88, Ausnahmen: 86 Davidpsalm, 89 Ethanpsalm). Mehrheitlich enthält es Kollektivpsalmen, zumeist nordisraelitisch gefärbt. 80,14 soll von M die Mitte des Psalters nach Konsonantenzahl angezeigt sein (V suspensum in TSTa). 78 und 89 sind nach 119 die umfangreichsten Texte. Die Komposition 89 setzt eine deutliche Zäsur. Das vierte Buch Ps 90—106 enthält wie das dritte Buch 17 Einzelstücke, bietet aber nur bei sechs Psalmen (G: 8) explizite Überschriften. Es handelt sich überwiegend um liturgische Texte (93-100; 103ff.), auch Formulare (101; 102). Einen Rahmen bilden die theologischen Basistexte (90-92 und 103-106). Doch scheint die Abgrenzung in 106 zufällig zu sein. Ab 104 tritt die Lobformel n1 f ^ n als zäsursetzendes Zeichen vermehrt in Erscheinung. Das fünfte Buch Ps 107—150 ist eine Sammlung diverser Texte und Textgruppen in lockerer Bindung, die wohl ein organisches Wachstum widerspiegelt. Bei den liturgi3

Teil I: Einleitung

sehen Hallel-Psalmen (111 — 118; 135 — 136; 146—150) begegnen keine Überschriften wie bei den Einzelkompositionen (107; 119; 137), wohl aber bei den Kleingruppen: DavidPsalter (108-110; 138-145); Wallfahrtspsalter (120-134). Die hymnische Sammlung 146—150 bildet einen volltönenden Schluß. Ein großer Teil der Psalmen trägt eine Überschrift (zu den Überschriften im einzelnen vgl. die Auslegung). Diese kann verschiedene Funktionen haben: (1.) als Einleitung zu einem Einzeltext eine Zäsur setzen; (2.) durch Zuschreibung Texte einer Person oder Gruppe zuordnen und auf solche Weise Serien und Sammlungen zusammenstellen; (3.) durch Gattungsbezeichnungen einen Text charakterisieren; (4.) durch Angaben seine tatsächliche oder vorgesehene Verwendung anzeigen. In diesem Zusammenhang ist die gliedernde Funktion von Bedeutung, die es ermöglicht, Psalmgruppen und Sammlungen zu erkennen, aus welchen sich der Gesamtpsalter zusammensetzt. Es sind dies die vier David-Psalter, der Qorach-Psalter und der Asaph-Psalter, der Mose-Psalter, der Wallfahrtspsalter, die Hallel-Sammlungen sowie als Rest einige Einzeltexte wie 119 und 137.

Der erste David-Psalter

(Ps 2—41)

Literatur: F.-L. H O S S F E L D / E . ZENGER, „Selig, wer auf die Armen achtet" (Ps 41,2). Beobachtungen zur Gottesvolk-Theologie des ersten Davidpsalters, JBTh 7 (1992) 2 1 - 5 0 . - F.-L. H O S S F E L D / E . ZENGER, „Wer darf hinaufziehn zum Berge JHWHs?" Zur Redaktionsgeschichte und Theologie der Psalmengruppe 15—24, in: Biblische Theologie und gesellschaftlicher Wandel, FS N. Lohfink, Freiburg 1 9 9 3 , 1 6 6 - 1 8 2 . - P . D . MILLER, Kingship,Torah Obedience, andPrayer. TheTheology of Psalms 1 5 - 2 4 , in: Neue Wege der Psalmenforschung, FS W. Beyerlin, HBS 1 (1994) 127-142. - T . LESCOW, Textübergreifende Exegese - Zur Lesung von Ps 24—26 auf redaktioneller Sinnebene, ZAW107 (1995) 65 - 7 9 . -

Bis auf Ps 2 und 33 (vgl. aber G) werden in M alle Texte von Ps 2—41 David zugeschrieben. Als kleinster gemeinsamer Nenner aller Überschriften deutet diese Angabe darauf hin, daß die so bezeichneten Einzelpsalmen nach Herkunft und Art zusammengehören. Die Zusammenstellung zu einer Sammlung mit fester Reihenfolge beläßt den einzelnen Texten ihre Überschrift und zeigt damit an, daß sie die individuelle Eigenart der Einzelstücke respektiert. Gleichwohl werden sie durch die „Davidisierung" und andere Zuweisungen zu einer Gruppe zusammengefaßt, deren Funktion für den Ausleger jedoch im dunkeln bleibt. Was zu erkennen ist, sind einige Prinzipien, von denen sich Sammler und Bearbeiter offenbar leiten ließen, sowie Beobachtungen zur Eigenart der ausgewählten Texte. Was die Eckpunkte angeht, könnte in Ps 2 der Anfangstext gesehen werden. Königspsalmen dienten offenbar wie die alten Hymnen als altehrwürdige Stücke aus der vorexilischen Zeit vornehmlich zur Strukturierung der Sammlungen (Westermann 1964). Doch könnte 2 auch erst bei der Gruppierung der Teilpsalter zusammen mit 72 oder 89 seine Position am Eingang erhalten haben. Für die erste Lösung scheint die enge Verbindung zu sprechen, die jetzt durch 2,11b zu den folgenden HOn-Psalmen (3ff.) gegeben ist. Für die letztere spricht die strukturelle Symmetrie zu den genannten Eckpsalmen 72 (vgl. 72,20) und 89. Durch den Beginn der Qorach-Psalmen 42ff. wird 41 zum Schlußtext der Sammlung. Doch bleibt erwägenswert, ob nicht der den DPs II eröffnende Text 51 aus thematischen Gründen (eher ein Krankheits- denn ein Feind- und 4

2. D e r Psalter und seine Teile

Asyl-Psalm) ursprünglich den Abschluß gebildet hat, was durch die Umstellungen im Bereich von 49—51 (50 Asaph-Psalm) verdeckt wurde. Mit wenigen Ausnahmen (z.B. 29; 33) handelt es sich im DPs I um Ich-Psalmen, d.h. um Texte, die von einem individuellen Ich gesprochen und niedergeschrieben oder für ein solches Ich verfaßt und bearbeitet worden sind, was nicht immer klar zu unterscheiden ist. Jedenfalls gehen die allermeisten der überlieferten Texte auf persönliche Zeugnisse von Menschen zurück, welche ihre Heilserfahrungen auf Schriftrollen (40,8) niedergelegt und diese als Votivgaben dem Tempelheiligtum überlassen haben (sog. Klageund Danklieder des einzelnen). Häufigste Überschrift sind n a t ö (21mal) und nxia1? (19mal). Die Gruppierung der Texte lehnt sich denn auch an die Haupttypen persönlicher Not, Verfolgung und Krankheit und den Möglichkeiten kultisch-liturgisch vermittelten oder manifest gewordenen Heils an. Man findet in 3—17 sog. Feindpsalmen, Gebetstexte von Verfolgten und Angeklagten, die ihr Heil bei ihrem Gott, d.h. vielfach im Tempelasyl oder Tempelgericht suchten und fanden. Es folgen in 18—22 einige zu Kompositionen verarbeitete, z.T. ältere (Königs-)Texte, wobei in 18 und 22 das Moment der lobpreisenden Danksagung (min) dominiert. 23—29 haben - bis auf 25 - als gemeinsames Merkmal den - auch für die meisten andern Texte der Sammlung vorauszusetzenden - implizit erwähnten Bezug zum Jerusalemer Tempel (Tisch 23; Tore 24; Altar 26; Tempelhaus 27; Allerheiligstes 28; 29 ^DTl). In 30-41(51?) sind Texte versammelt, die aus dem Umkreis von Krankheit und Heilung stammen oder für solche Fälle angeboten werden. Zentriert sind auf diese Weise wohl alle Texte primär oder sekundär auf den Jerusalemer Tempel und seine Anlässe für Gebet und Gesang, was auch für externe Klagegebete (wie 38; 39 u.a.) gilt, die wohl als „erhörte Gebete" und Votivgaben ans Heiligtum gekommen sind. Gemeindegebete und -lieder fehlen fast ganz (vgl. aber 12; 29; 33). Auf Liturgien weisen 15; 24. Alphabetische Texte sind 9/10; 25; 34; 37. Durch Zusammenordnung von Texten mit gleicher Thematik oder gleichen Motiven entstehen Paare („Zwillingspsalmen") oder Serien. Zum Beispiel bilden 3 und 4 (Morgen/Abend), 20 und 21 (Königspsalmen), 38 und 39 (Anfechtung bei Krankheit) Paare; Serien finden sich in 3ff. (non-Motiv); 18ff. (Kompositionen), 23ff. (Motiv: Weg), 25ff. (nur TTT^-Überschriften) etc. (vgl. Hossfeld/Zenger). Ob ein theologisches Gesamtkonzept sich abzeichnet, ist eine offene Frage. Einige Anzeichen deuten darauf hin, daß die Sammler sehr bedacht und gezielt gearbeitet haben. Ob die Sammlung DPs I je selbständig im Gebrauch war oder einen Übergang im Prozeß der Psalterentstehung darstellt, ist schwer zu entscheiden (vgl. Miliard 124ff.). Sicher scheint, daß sie als Auswahl aus dem am zweiten Tempel (noch) vorhandenen Material entstanden und überliefert worden ist.

Der Qorach-Psalter

(Ps 42 -49; 84-85;

87-88)

Literatur: J. M. B u s s , The Psalms of Asaph and Korah, JBL 82 (1963) 3 8 2 - 3 9 2 . - G. WANKE, D i e Zionstheologie der Korachiten in ihrem traditionsgeschichtlichen Zusammenhang, B Z A W 97 (1966). - J.M. MILLER, The Korahites of Southern Judah, C B Q 32 (1970) 5 8 - 6 8 . - M . D . GOULDER, The Psalms of the Sons of Korah, JSOT. S 20 (1982). - E. ZENGER, Zur redaktionsgeschichtlichen Bedeutung der Korachpsalmen, in: N e u e Wege der Psalmenforschung, FS W. Beyerlin, H B S 1 (1994) 1 7 5 - 1 9 8 . -

5

Teil I: Einleitung

Die Psalmgruppe mit der gemeinsamen Einzelüberschrift m p ^n 1 ? „Von den Qorachiten" bildet zwei Blöcke, die durch die beiden G r u p p e n des David-Psalters II ( 5 1 - 7 2 ) und des Asaph-Psalters (50.73—83) getrennt sind. 86 als David-Ps und 89 als Etan-Ps sind hinzugefügt. Sie zeigen an, daß 84ff. als eine Art Anhang aufzufassen sind. 88 wird zudem H e m a n zugewiesen. Diese Zuweisungen erklären sich am besten durch die A n n a h m e verschiedener Psalterien, die im Kreise der Sängergilden in nachexilischer Zeit gesammelt wurden. Es ist wahrscheinlich, daß die Einzeltexte gemeinsame H e r k u n f t und gemeinsame Vorgeschichte zumindest partiell verbinden. Für die Qorach-Psalmen haben Buss (1963) und Goulder (1982) für nordisraelitische, letzterer sogar für die H e r k u n f t aus der alten Tempelstadt Dan (Teil el-Qädi) plädiert, wofür einiges zu sprechen scheint. Gemeinsame Motive finden sich in der gattungstypisch sehr uneinheitlichen G r u p p e (vgl. z . B . 48 und 49, oder 87 und 88), etwa in den T h e m e n Wallfahrt (42f.; 48; 84) und Tempel mit „Wohnungen Gottes" (42f.; 46; 84; 87), überhaupt in dem Konzept der „Gottesstadt" mit seinen Implikationen wie Burg, Türme, Waffen (Spieckermann 1992), dann in den Gottesbezeichnungen: Gott Jakobs, lebendiger Gott, Großkönig etc. Auffallend ist die deutlich sekundäre Bezugnahme auf den Zion (48,3; 84,8; 87,2, nicht genannt 42f.; 45!; 46), was für spätere U m d e u t u n g spricht. Damit werden Phasen einer Geschichte erkennbar. Alte Erbstücke (z.B. 45; 47) finden Eingang in die Sammlung und werden für den Gebrauch präpariert (auffälligstes Beispiel 87). Bei den Typenüberschriften dominiert "IIHia (7mal); es folgen Ttt? (5mal) und 'TDWÜ (4mal).

Der z weite David-Psalter

(Ps 51 — 72)

Literatur: J. L. MAYS, The David of the Psalms, Interp. 40 (1986) 143-155. - M. D. Prayers of David (Psalms 5 1 - 7 2 ) , JSOT. S 102 (1990). -

GOULDER,

The

Die Reihe der mit wenigen Ausnahmen (66; 67; 71; 72) „David" zugeschriebenen Psalmen, die nach den Qorach-Psalmen und dem Asaph-Psalm 50 mit 51 beginnt und mit dem Kolophon 72,20 („Zu E n d e sind die G e b e t e Davids, Sohn Isais") schließt, wird üblicherweise David-Psalter II genannt. Es ist auch wahrscheinlich, daß die Textreihe auf eine vom ersten David-Psalter unabhängige Sammlung zurückgeht. D a f ü r sprechen die Duplikate 53/14 und 70/40,14-18 (vgl. 57; 60 und 108), der eigenständige Charakter der Einzeltexte und die Bearbeitung der elohistischen Redaktion. Auf der anderen Seite wird der DPs II über 42—50 hinweg (mit 51 s. u.) und durch 72,20 an den DPs I angefügt. Auch hat er eine, mit DPs III (108-110) und DPs IV (138-145) vergleichbare thematische Struktur, so daß eine Beeinflußung anzunehmen ist. D e r gemeinsame Horizont des Zionheiligtums macht diese Affinitäten verständlich. Mit ganz wenigen A u s n a h m e n (wie 58; 67; 68) besteht die Reihe aus individuellen Psalmen, d . h . aus Ich-Psalmen, die aus einem konkreten Anlaß von dem Beter oder Sänger verfaßt worden sind und wohl als Votivgaben in den Besitz des Tempelarchivs gekommen sind. Darin unterscheiden sich diese Texte nicht vom DPs I. Auffällig indes sind zwei Eigentümlichkeiten. Einmal sind die Texte 51—72 fast alle von der Feindthematik bestimmt (nicht explizit 65; 67), und zum andern beherrscht sie die Vorstellung

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2. Der Psalter und seine Teile

vom Asylschutz und dem besonderen Heil, das mit dem Heiligtum verbunden ist. Dabei treten die von der Topik des Gottesgerichts geprägten Texte gegenüber dem DPs I zurück und die eigentlichen Asyl-Psalmen stehen im Vordergrund. Die Ich-Psalmen (die individuellen Klage- und Dankpsalmen) werden begleitet von ausgeprägten Dichtungen, unter denen 58; 68 - als Torso eines akrostichischen Gedichts - und 72 hervorzuheben sind. Aus der Reihe der eigentlichen Feindpsalmen fallen vor allem der erste (51) und der letzte (72) Text heraus. Der erste, weil er als Krankheits- und Bußpsalm nicht gut zu der Serie der in 51 ff. zusammengestellten Feindpsalmen paßt und eher in den Schlußteilen der DPs zu erwarten wäre (vgl. 30ff.; 69ff.). Es ist zu fragen, ob 51 nicht ursprünglich zur Krankenpsalmserie des DPs I, d.i. zu 41 gehört hat, ehe er bei der Einfügung der Qorach-Gruppe (42—49) und dem versuchten Anschluß der Asaph-Gruppe (50, möglicherweise vertauscht mit 73, der auf 49 gefolgt ist) dann abgetrennt wurde. Jetzt steht er für die sakralen Instruktionen des Zionheiligtums. 72, als Königspsalm, schließt die Reihe der Psalmgebete ab. Er bildet mit 2 eine Inklusion. In der Schlußposition (DPs I + II) markiert er die durch das königliche Zionheiligtum geschaffene Institution, welche das in den einzelnen Gebeten zur Sprache gebrachte Heil garantiert (vgl. 72,12ff.). Kleine Serien werden durch die Überschriften angezeigt (s.o.): V'DtVft (52—55), Droa (56-60), TW (65 - 6 8 ) , intn (50-51; 62-68), Angaben zur Aufführung (53-62; 67; 69-70; nntrn VN: 57-59; vgl. 75) und Angaben zur Situation im Leben Davids (51-52; 54; 56-57; 59-60; 63). Letztere nimmt Goulder (1990) zum Anlaß, den ganzen DPs II historisch aus der Zeit Davids und chronologisch aus der Biographie Davids (nach 2S 12—1R 2), von Davids „Sünde" (51) bis Salomos Thronbesteigung (72), zu erklären: „they were composed by a courtpoet, a priest, probably oneofDavid'ssons, ,for David'" (24). Diese Vorstellung mag für Redaktoren und Editoren wichtig gewesen sein, die den Anachronismus nicht zu fürchten hatten. Über ihre Entstehung sprechen die Einzelzeugnisse anders als die Vermerke der Überschriften. Jedoch lassen auch diese noch erkennen, daß Situationen der Anfeindung, Verfolgung, Flucht, Schutzsuche, des Heiligtumasyls, der Zufluchtgewährung im Hintergrund stehen (vgl. besonders Delekat 1967, 270ff.). Dabei ist ein deutliches Gefälle erkennbar. Die Reihe 51 ff. spricht vorwiegend die Sprache der „Klage" (rptt>) der um Schutz bittenden Flüchtlinge (rf?Dri), 61 ff. bezeugen in Dank und Lob, solchen Schutz erfahren zu haben (min). Der ein altes Königsorakel präsentierende Ps 60 steht zwischen den Typen. Es fehlen aber auch nicht die Krankenklagen. Wie bei den andern DPs stehen sie am Schluß (69—71, letzterer beschäftigt mit den Beschwerden des Alters). Sie werden abgetrennt durch die Textruine Ps 68 einem möglicherweise unvollendet gebliebenen, großangelegten Gedicht (in der Funktion Ps 29 vergleichbar). Die Begrenzung der Textauswahl auf Feind- und Krankenklage-Psalmen und wenige hymnische Dichtungen erlaubt Einblicke in das Konzept der Sammler und Herausgeber. Offenbar haben sie aus den Tempelarchiven nach authentischen persönlichen Zeugnissen gesucht, welche als Bekenntnisse der individuellen Frömmigkeit und des Glaubens in Notsituationen Belehrung und Erbauung gewähren konnten. Dabei ist der Hinweis auf die zentrale Institution des Heiligtums als Schutzort und Stätte des Segens und des Heils unüberhörbar. Zur Aufführung sollten und konnten diese Texte mit Musik gelangen, ob auch zur Wiederverwendung als Gebetsvorlagen, muß bei einigen Texten (vgl. aber 71) fraglich bleiben. Die dichterische Verarbeitung und Verwertung des Materials wie im

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Teil I: Einleitung

Hiob-Buch scheint den Intentionen der Editoren mehr zu entsprechen, wenngleich auch eine selektive Verwendung in der Art von 108 ( = 57,8—12 + 60,7—14) offensichtlich möglich war. Vermutlich ist der DPs II im 5. bis 4. Jh. entstanden.

Der elohistische Psalter (Ps 42 —83) Literatur: L. DELEKAT, Elohim im 2. und 3. Psalmenbuch, in: Asylie und Schutzorakel am Zionheiligtum, Leiden 1967, 343-380. - M. MILLARD, Der elohistische Psalter als Vorstufe, in: Die Komposition des Psalters, FAT9 (1994) 169-188 (Lit.). -

Die Psalmen 42—83 vereint eine besondere Verwendung der Gottesbezeichnungen. Das Verhältnis im Gebrauch der Bezeichnungen mn 1 und DTI^K ist erheblich anders als im übrigen Psalter, wobei DTlVs stark in den Vordergrund rückt. Der Vergleich der Dubletten 14/53; 40,14-18/70 - aber auch 108 (bestehend aus 57,8-12 und 60,7-14) - mit dem Umfeld zeigt, daß diese Abweichung auf eine Sonderbehandlung der Reihe 42—83 zurückgeführt werden muß. Die Forschung sprach darum bisher eher von einer Redaktion als von einer Teilausgabe des Psalters. Die Umstände dieser Bearbeitung sind aber unklar. Moderne Erklärungen versuchen es mit der Annahme, ein allen Psalmen zugrundeliegendes Vsn sei zum Teil durch DTl^N und mn', zum Teil fast durchweg nur durch m n ' ersetzt worden (Delekat), oder mit der Vermutung, das vieldeutige D'H^N („ambiguous term") sei zunehmend verdrängt worden - weniger im elohistischen, mehr im jahwistischen Teil des Psalters (Wilson 1985, 196f.). Nach Goulder (1990) erklärt sich der Unterschied aus Sprache und Stil der Herkunftszeit, insbesondere beim DPs II (zur Statistik vgl. 21 f.). Millard (1994) erkennt in dem elohistischen Psalter die erste greifbare und beschreibbare Vorstufe des Psalters. Als „Klagekomposition", die sich aus drei Psalmengruppen (Qorach-, David-, Asaph-Gruppe) zusammensetzt - wobei die AsaphGruppe prägend gewesen ist - , mit einem offenen Schluß eignet sie sich für Gebetsgottesdienste in einer Zeit, da der Tempel zerstört war. Dies verweist in exilische Zeit, setzt jedoch vorexilische Vorformen voraus. Ob die aufgenommenen Psalmgruppen ihrerseits ein so hohes Alter aufweisen, bleibt fraglich.

Der Asaph-Psalter

(Ps50;

73-83)

Literatur: J. M. Buss, The Psalms of Asaph and Korah, JBL 82 (1963) 382-392. - K. J. ILLMANN, Thema und Tradition in den Asaf-Palmen, Abo 1976. - P. SCHELLING, D e Asafspsalmen hun samenhang en achtergrond, Kampen 1985. - H.P. NASUTI, Tradition History and the Psalms of Asaph, SBL. DS 88 (1988). - K. SEYBOLD, Das „Wir" in den Asaph-Psalmen. Spezifische Probleme einer Psalmgruppe, in: Neue Wege der Psalmenforschung, FS W. Beyerlin, HBS 1 (1994) 143—155. - B. WEBER, Psalm 77 und sein Umfeld. Eine poetologische Studie, BBB 103 (1995). -

Die Gruppe der durch gemeinsame Zuschreibung an Asaph (HOS1?) gekennzeichneten zwölf Psalmtexte - 50 ist durch den zweiten David-Psalter sekundär abgetrennt worden vereinigt darüber hinaus eine beträchtliche Zahl von Gemeinsamkeiten. In der Mehrzahl 8

2. Der Psalter und seine Teile

handelt es sich um kollektive Psalmen mit „Wir" als sprechendem Subjekt (Ausnahmen: 73; 77?). Sie zeigen ein nordisraelitisches („ephraimitisches", Nasuti) Motivrepertoire und entsprechende geographische Anbindung (vgl. 76; 80; 83). Unter den gemeinsamen theologischen Motiven wie dem Jakob/Joseph-Eponym, dem Hirte-Herde-Topos, der Vorstellung vom Gericht, dem Problem des Monotheismus u.a. (Buss, Illman) ragt das Exodus-Motiv heraus, das dann in 78 breit entfaltet wird. Auffällig ist weiter der in mehreren Texten dominierende Traditionsbezug, sei es, daß überkommene Texte zitiert werden (z.B. 74,12—17; 76,5 — 11; 77,17—20), oder daß Überlieferungen paraphrasiert (78) oder bloß aufgeführt werden (z.B. 80,2ff.; 83,10ff.). Dabei spielt die Wiedergabe von Gottesreden eine wichtige Rolle (vgl. 50,16ff.; 75,3ff.; 81,7ff.; 82,2ff.). Diese Traditionsbezogenheit deutet gleichwie die aktuelle Klage über den Untergang Jerusalems und des Tempels (74; 76; 79) - letzteres wohl wieder aus nördlicher Perspektive, aber mit der Betroffenheit der „Nachbarn" (76,12) - insgesamt auf Entstehung in exilischer Zeit, was durch eine gewisse Nähe zu den Threni bestätigt wird. Als Ort ist an den Umkreis der mittelpalästinischen Heiligtümer Bethel und Silo (78,60; 80,2f.) zu denken, sofern sie in der Zeit des Exils noch gottesdienstliche und traditionserhaltende wie -bildende Funktionen ausüben konnten. Daß eine individualisierende Bearbeitung und Wiederverwendung stattgefunden hat, zeigt an verschiedenen Stellen die literarische Schichtung (z.B. 78; 80, auch 50; 81). Inwiefern die Entstehung des Kleinpsalters oder seine kultische Verwendung mit der Sängergilde Asaph oder der Asaphiten HON) (Neh 12,46; ICh 25,1 ff. u.ö.) verbunden ist, bleibt eine offene Frage (vgl. zuletzt Weber).

Die Psalmen

90-118

Literatur: D . M . HOWARD,The Structure of Psalms93—100, Diss. Univ. of Michigan 1966. - D . M . HOWARD, A Contextual Reading of Psalms 9 0 - 9 4 , in: The Shape and Shaping of the Psalter, JSOT. S 159 (1993) 108-123. - E. ZENGER, Das Weltenkönigtum des Gottes Israels (Ps 9 0 - 1 0 6 ) , in: N. Lohfink/E. Zenger, Der Gott Israels und die Völker, S B S 154 (1994) 151-178. - K . K O E N E N , Jahwe wird kommen, zu herrschen über die Erde. Ps 90—110 als Komposition, BBB 101 (1995). -

Der Psalterteil 90-118 hat - später aufgespalten in das Buch IV (90-106) und V (107—150) sein eigenes Gepräge (nach 90,1 gelegentlich Mose-Psalter genannt). Der Psalterteil setzt sich zusammen aus kleinen Kerngruppen, etwa 93—100 (mit 94): JHWH-Königs-Texte; 108-110: David-Psalter (mit 101 und 103?); 113-118: das Hallel, dazu kommen Zwillingspsalmen: 90/91 (Theologie der Zeit und des Raumes); 96/98 („neue Lieder"); 101/102 (liturgische Formulare); 103/104 (Erwählung und Schöpfung); 105/106 (Geschichtspsalmen); 111/112 (Weisheitspsalmen). Als Einzelstücke bleiben 92; 107. Die Gruppierung läßt eine theologisch motivierte Strategie erkennen. Die Psalmen 90—118 bieten weniger Überschriften (lOmal, in G vermehrt). Hinzu kommen liturgische Rahmenformeln wie rp iV^n (ab 104,35), ITin u.a. Eine Tendenz zur Komplexbildung ist erkennbar. Es herrschen liturgische und hymnische Texte vor, z. T. mit fester kultischer Bindung. Zu vermuten ist, daß es sich weithin um Erbstücke aus den Beständen des vorexilischen Tempels handelt, die für neue Zwecke aufbereitet worden sind: z. B. die JHWH-Königs9

Teil I: Einleitung

Hymnen; 101; 110 als ehemalige Königspsalmen (vgl. die Wiederaufnahmen in 108; 114; 115); Spruchsammlungen in 116; 118. Die kultische Neuverwendung läßt an den Gemeinde-Gottesdienst am zweiten Tempel denken (vgl. 100; 116; 118 u.a.). ICh 16 verwendet liturgisch Ps 105; 96; 106 aus dieser Gruppe. Der Formularcharakter vieler Texte fällt auf (explizit bezeugt 92,1: Sabbat; 100,1: Toda; 102,1: Einzelklage). Sie sind zum Gebrauch für einzelne Beter (vgl. 103,1; 104,1.31 ff. [als Subskriptionen]) oder für Gemeinden bestimmt (vgl. 95ff.; 105ff:, lllff.). Die theologischen Themen ergeben zusammen einen Kreis mit weitem Radius. Sie scheinen alle zentriert zu sein auf die Liturgie des zweiten Jerusalemer Tempels. Da sich erkennbar ätiologische Intentionen zeigen, auch Ansätze zur Lösung grundsätzlicher Probleme (90; 91; 99: Heiligkeit; 95 ff. Öffnung der Gemeinde für die Völker) - auf den rezeptiven Charakter der meisten Texte wurde bereits verwiesen - , ist es nicht unmöglich, daß die Sammlung 90 ff. als eine Art Agende für die sich konstituierende Tempelgemeinde gedacht war. Ihre sukzessive Erweiterung könnte sich in den Gruppenbildungen 101 ff.; 107ff.; l l l f f . etc. andeuten (vgl. 117). Für den Beginn dieser Psalmensammlung ergäbe sich dann ein Datum im Zusammenhang mit dem Bau des zweiten Tempels (520—515). Es könnte sein, daß die Anfügung von 119 (und 1) diesen Prozeß unterbrochen oder vorläufig abgeschlossen hat.

Der dritte David-Psalter

(Ps 101-103;

108-110)

Ob diese „David" zugeschriebenen Texte (mit 100 und 102?) eine eigenständige Gruppe gebildet haben, ist fraglich. Jedenfalls basieren diese Psalmen auf älteren individuellen Texten, z.T. Königspsalmen (101; 108; 110) und Klage- bzw. Dankgebeten einzelner (103; 108; 109, zu 100 vgl. n a t a ) , die offenbar zu liturgischen Formularen umgearbeitet und daraufhin der mit 90 beginnenden Sammlung von kultischen Gebrauchstexten einverleibt wurden. Interessant ist, daß je ein Krankheits- und Gerichtspsalm (102; 109) aufgenommen wurden. Die Umarbeitung der Königstexte zu Kultliturgien weist in die Zeit des zweiten Tempels (vgl. 100,4; 102,14ff. mit 110,lf.).

Das Ägyptische Hallel (Ps

113-118)

Die Psalmgruppe, die traditionell die Bezeichnung „Ägyptisches Hallel" erhalten hat, gehörte nach jüdischer wie christlicher Tradition (mPes 4,7; 9,3; tPes 3[4],11 und Mt 26,30; Mc 14,26) im 1. Jh. n.Chr. zur Liturgie des Passafestes. Ihr Hauptmotiv ist die Exodustradition (114). Hymnische Texte (113—115), jeweils ein- und ausgeleitet durch den Lobruf n 1 l ^ n , bilden den ersten Teil, dem jetzt die weisheitlichen Zwillingspsalmen 111 und 112 vorangestellt sind (ebenfalls mit dem Lobruf eingeleitet). Den zweiten Teil bilden Texte aus dem Bereich der Dankliturgie (116; 118). 117 ist eine Doxologie, die man eher am Ende der Gruppe (vor 119) erwarten würde.

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2. Der Psalter und seine Teile

Die Wallfahrts-Psalmen

(Ps

120-134)

Literatur: K. SEYBOLD, Die Wallfahrtspsalmen. Studien zur Entstehungsgeschichte von Psalm 120-134, BThS 3 (1978) (Lit.). - K. SEYBOLD, Die Redaktion der Wallfahrtspsalmen, ZAW 91 (1979) 247-268. - K. D E U R L O O , Gedächtnis des Exils (Psalm 120-134), Texte und Kontexte 15 (1992) 2 8 - 3 4 . - H. VIVIERS, The Coherence of the macalöt Psalms (Pss 120-134), ZAW 106 (1994) 275-289.-

Die Gruppe der Psalmen 120—134 verbindet eine ziemlich einheitliche Überschrift sowie die deutliche Abgrenzung durch 119 und durch die hymnischen Texte 135 f. Sie ist geprägt durch gemeinsame Züge, darunter als auffälligstes Merkmal der knappe Umfang, der im allgemeinen wenige Zeilen nicht überschreitet (Ausnahme: 132), was ihr den Charakter einer Sammlung von Miniaturtexten verleiht (vgl. besonders 131; 133; 134). Dem entspricht ein häufig anzutreffender aphoristischer Stil (vgl. 123; 127 u.a.). Die rhythmischen Strukturen entziehen sich öfters der metrischen Erfassung. Besondere Strukturmuster lassen 130 (Stufenschema); 126 und 132 (Strophenbau) erkennen. Das mit der Überschrift („Stufenlieder") in Verbindung gebrachte Stufenmuster ist mehrmals Ergebnis redaktioneller Weiterungen (z.B. 121,3f.; 124,lf.; 128,5f.; 129,lf.) und gehört nicht zum Primärtext. Gemeinsam ist den Texten die Herkunft aus individueller Abfassung. Konkrete Personen und Schicksale stehen zumindest hinter einigen Psalmen wie 120 (Auslandsaufenthalt); 129 (Unterdrückung); 130 (Not in Todestiefen); 131 (Frau und Mutter) etc. Bei den andern ist es anzunehmen. Lehrhafte (127; 133) und poetische (126; 132) Texte lassen keine konkrete Situation erkennen. Die Bildwelt weist auf ländliches Milieu, die Schlichtheit des Stils und der aramäische Dialekteinschlag auf Laienkreise, so daß die Psalmen als Volkskunst anzusehen sind, die als Votivgaben ihren Weg zum Zionheiligtum fanden. Der zeitliche Horizont ist - mit 126 - als nachexilisch (wohl auch 132 als Königspsalm) zu bestimmen. Gemeinsam ist ihnen eine redaktionelle Überarbeitung, welche Spuren der nachexilischen Zionstheologie zeigt (z.B. 128,5; 132,13ff.; 133,2b.3b; 134,3, dazu Seybold 1978; 1979). Besonders zu beachten ist die Beziehung zum Priestersegen Nu 6,24—27. Durch die Bearbeitung werden die Votivtexte weiter verwendbar (vgl. 124,1; 129,1): Sie gab gewiß den Anstoß zur Sammlung der Texte, um eine Art Vademecum für Pilger zu schaffen. Die Abfolge der Texte macht sichtbar, daß die Sammlung an der Wallfahrt orientiert ist: Aufbruch (120), Reisesegen (121), Ankunft in Jerusalem (122) etc. bis hin zum Abschiedssegen (134). Sinnvoll sind Zusammenstellungen wie 131 und 132 (Demut); 132, 133 und 134 (Zionsegen). Paare bilden 127 und 128 (Familiensegen), 125 und 126 (Zionbezug), 129 und 139 (erhörte Klagen) etc. Terminus ad quem ist 2Ch 6,41 f., wo 132,8ff. zitiert wird. Im 4. Jh. war wohl diese bunte Sammlung von Kleinpsalmen verfügbar.

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Teil I: Einleitung

Das Große Hallel (Ps 135; 136) Die häufig als „Großes Hallel" bezeichneten hymnischen Liturgien 135 und 136 bilden wohl keine eigene Gruppe, sind vielmehr (mit 137?) als Anhänge zum Wallfahrts-Psalter im Anschluß an 134 zu betrachten.

Der vierte David-Psalter (Ps 138-145) Literatur: N . LOHFINK, Lobgesänge der Armen. Studien zum Magnifikat, den Hodajot von Qumran und einigen späten Psalmen, SBS 143 (1990). - R . G . K R A T Z , „Die Gnade des täglichen Brots". Späte Psalmen auf dem Weg zum Vaterunser, ZThK 89 (1992) 1 - 4 0 . -

Der vierte David-Psalter 138—145 besteht aus einer Sammlung von acht Psalmtexten. Seinen Grundbestand bilden 138—145, wo sechs Gebete und Lieder schutzsuchender Verfolgter zusammengestellt sind. 143—145 sind liturgische oder literarische Kompositionen. 144,1—8 ist abhängig von 18 (und 8). 145 ist ein alphabetisches Summarium. Der Anschluß der Gruppe an den ein Ende des hymnischen Lobs markierenden Ps 137 ist sinnreich wie der Abschluß des Psalters durch hymnische Texte in 146 ff. Die Texte sind nach Lohfink vom Motiv der „Armenfrömmigkeit" geprägt. Die Gruppe bindet eine Reihe von gemeinsamen Topoi zusammen. Viele stammen aus dem Vorstellungskreis von Verfolgung und Flucht, z.B. das Jagdmotiv, Netz und Falle (140,6.12; 141,9; 142,4ff.; 144,6); die Feindbezeichnungen (139,19; 140,2ff.; 143,3.9.12; 145,20), die Zufluchtstopoi (138,3; 140,8; 141,8; 142,6; 143,8; 144,10), das Namensmotiv (138,2; 140,14; 142,8; 143,11; 145,2.21). Dazu kommen Entsprechungen wie 142,4a - 143,4; 141,7—144,12ff., durchgängige Abhängigkeiten von der Psalmenüberlieferung insgesamt, wie 144 von 8; 18 und die Anthologie 145. Auffällig und für das Arrangement aufschlußreich ist die Reihe der Leitideen, die bei den Rahmentexten 138 und 145 in dem Begriff Dt? „Name", in 139 in „Herz und Nieren", 140 in „Zunge", 141 in „Mund", 142 in „Stimme", 143 in „Seele" und 144 im „neuen Lied" zu sehen sind, Motive also, die diese Texte als Bekenntnisse und Selbstzeugnisse charakterisieren. Zugleich sind sie Anrufungen, Gebete, die gegen falsche Anklagen und Anwürfe um Beistand bitten. 145, als Sammlung von Gebets-Sätzen meditativer Art, gibt dem Psalter die theologische Markierung. Trotz einzelner konkreter Hinweise auf Lebensumstände ist eine Gesamtdatierung nicht möglich. Doch deuten literarische Abhängigkeit, aramäischer Spracheinschlag (139 z.B.), stilistische Prägung, Beziehungen zu apokryphen Texten (in HQPs a ) sowie die Position im Psalter eher auf späte, im Sinne der Kanonisierung auf sehr späte Entstehung.

Das Kleine Hallel (Ps 146-150) Eine Serie von hymnischen Psalmen (146-150) schließt den Gesamtpsalter ab. Wie das Ägyptische Hallel 113—118 und das Große Hallel 135f. hat auch das sog. Kleine Hallel 146—150 die Funktion, zum Lobpreis aufzufordern und in den Lobpreis einzustimmen. 12

3. Zur poetischen Struktur der Texte

Dort wie hier ist das bestimmende Element der Lobruf rP iV^n, der die einzelnen Texte rahmt. Diese bilden selbst Vorlagen und Vorschläge zur Durchführung und Aufführung. Entsprechend ist ihre sprachliche Gestalt von kompositorischen Motiven und musikalischen Elementen bestimmt. Die Rhythmen, Klangformen, aber auch die Textstrukturen sind von der Musik, von Lied und Tanz, von Chorgesang und Instrumentalbegleitung her geprägt, am deutlichsten sichtbar an 148,149 (Tanz?), 150. Das Arrangement der Texte ist planvoll. Es beginnt mit dem Lobgesang eines einzelnen Ichs (146). Dann folgt der Aufruf an Jerusalem und Zion (147, vgl. 12). Die himmlischen und die irdischen Chöre werden einbezogen (148). Die Gemeinde der Frommen singt ihr eigenes Lied (149). Die Gesänge münden ein in den Lobpreis der ganzen Welt, aller Geschöpfe, die Odem und Stimme haben (150). So gesehen ist der mit 146—150 abgeschlossene Psalter nur die Ouvertüre zu dem weltweiten und allstimmigen Lobpreis, zu dem die ganze Schöpfung aufgerufen ist. Diese Textgruppen, Teilpsalter und Psalmserien bildeten wohl ursprünglich - wie die separate Großdichtung 119 - mehr oder weniger selbständige Textsammlungen eigener Herkunft und Geschichte. Sie sind direkt vergleichbar mit entsprechenden Psalterien, welche in der Gemeinde von Qumran neben den Großpsaltern (M und llQPs) und den Hodajot (1QH) in Gebrach waren: 4QPsf; 4Q380; 4Q381; HQPs a ; HQPsAp 3 u. a. (vgl. Schuller 5 ff.). Nur, daß die biblischen Psalterien wohl älter sind und beginnend mit der Zeit des Exils vor allem in der persisch-hellenistischen Zeit entstanden sind. Für den Prozeß der Entstehung und des Zusammenwachsens der Teilpsalter sind in den letzten Jahren verschiedene Erklärungsmodelle entworfen worden (vgl. Seybold, Miliard, Hossfeld/Zenger, Koch). Nach wie vor bleibt aber vieles im dunkeln.

3. Zur poetischen Struktur der Texte Literatur:

H . MÖLLER, S t r o p h e n b a u d e r P s a l m e n , Z A W 5 0 ( 1 9 3 2 ) 2 4 0 - 2 5 6 . - F . HORST, D i e

Kennzeichen der hebräischen Poesie, ThR 21 (1953) 97—121. - S. MOWINCKEL, Real and Apparent Tricola in Hebrew Psalm Poetry, Oslo 1957. - M. WEISS, Wege der neuen Dichtungswissenschaft in ihrer Anwendung auf die Psalmenforschung, JBL 42 (1961) 2 5 5 - 3 0 2 . - R.C. CULLEY, Oral Formulaic Language in the Biblical Psalms, Toronto 1967. - E. BEAUCAMP, Structure strophique des Psaumes, RSR 56 (1968) 199—224. - F. CRÜSEMANN, Studien zur Formgeschichte von Hymnus und Danklied in Israel, WMANT 32 (1969). - S.E. LOEWENSTAMM, The Expanded Colon in Ugaritic and Biblical Verse, JSSt 14 (1969) 176-196. - J. MUILENBURG, Form Criticism and Beyond, JBL 88 (1969) 1 - 1 8 ( = P.R. House [Ed.], Beyond Form Criticism, Winona Lake 1992, 4 9 - 4 9 ) . - D . GREENWOOD, R h e t o r i c a l C r i t i c i s m a n d F o r m g e s c h i c h t e , J B L 8 9 ( 1 9 7 0 ) 4 1 8 - 4 2 6 . - L .

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Die Tatsache, daß es sich bei den Psalmen um poetische Texte handelt, zwingt zur Erörterung der methodischen Frage, welche Art von Poesie vorliegt und mit welchen Mitteln sie zu fassen ist. Dies gilt besonders für eine Auslegung, die das Ziel verfolgt, die sprachlich-poetischen Ausdrucksformen als konstitutive Komponenten der Aussageabsichten zu begreifen. Die Auslegung hat die poetische Struktur der Psalmen wohl immer beachtet oder zumindest vorausgesetzt, doch ist sie - wie es scheint - in den letzten Jahrzehnten (seit Gunkel) hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben. Die Textfunde von Qumran haben gezeigt, daß die ältesten Handschriften in einem merkwürdig unausgeglichenen Verhältnis zur Auslegungsmethode im Blick auf dicta probantia (etwa im NT) sehr wohl auf poetische Textdarstellung Wert legten. Sie haben die Psalmen zum Teil stichisch mit Parallelismen (z.B. 4QPs b ; MasPs) geschrieben, um damit die poetische Struktur sichtbar zu machen. Bei einem Sammelwerk wie dem Psalter, das aus sehr unterschiedlichen, nach je eigenen Gesetzen gestalteten Textstücken besteht, bedarf es vor allem der methodischen Klärung. Die folgenden Überlegungen sollen dazu dienen, die methodischen Möglichkeiten zu benennen, ihre differenzierte Anwendung zu beschreiben und damit die Einordnung der im Kommentar notierten Beobachtungen zu erleichtern (vgl. Art. Poesie, TRE 26). 1. Als erster Gesichtspunkt ist zu bedenken, daß die Mehrzahl der überlieferten Psalmen, die Gebete, Lieder, Sprüche u. a. als lautliche Gebilde in mündlich vorgetragener Form entstanden sind und als solche gehört und aufgenommen wurden. Ganz gleich ob Aufzeichnungen vorausgingen oder folgten, der mündliche Vortrag ist die primäre Existenzform vieler Psalmen, auf die hin sie gestaltet waren. Diese Vorträge und Sprechakte sind vergangen, aber ihre Spuren sind in den verschrifteten Sekundär- und Tertiärformen der Überlieferung noch da und dort erkennbar. Jedenfalls ist es der Auslegung aufgegeben, nach Spuren zu suchen und die Lautgestalt zu beachten, wenngleich der Weg zurück, über die masoretische Festlegung hinaus, sehr schwierig ist. Gebete wurden gerufen (Klp) oder geschrieen (pl?X). Leisere Formen fielen auf (IS l,12ff.). Die Erwähnung von Hin ,murmeln', ,meditieren', ,rezitieren' (u.a.) bezieht 14

3. Zur poetischen Struktur der Texte sich vorwiegend auf sekundäre Verwendung von Psalmen. Der Wille zur Artikulation und die Bemühungen um Aufmerksamkeit ließen Sprachformen entstehen, die geeignet waren, Gehör zu verschaffen. Die überaus vielfältigen Formen der Reimbildung, der Assonanz und Alliteration bis hin zur Litanei dienten wohl diesem Ziel. Anzunehmen ist, daß Artikulation und Deklamation zu einer Art Sprechgesang führten, welcher Sprache und Stil der Gebete bestimmte. Lieder und Gesänge leben von Ton und Melos. Klangbild und Rhythmus treten in den Vordergrund. Vers und Strophe bestimmen die Diktion. Der Übergang vom Sprechgesang zur Liedmelodie ist wohl fließend. Die begleitende Instrumentalmusik tritt hinzu. Entgegen verbreiteter Meinung ist über die Musik des Psalmenvortrags der Primärphase sehr wenig bekannt. Nach vereinzelten Zeugnissen ist zu schließen, daß Saiteninstrumente (11J3 ,Leier', ,Harfe') den Gesang rhythmisch begleiten konnten, daß Blasinstrumente (V^n ,Flöte', 3Ä1S7 .Doppelflöte') als Meldodieträger verwendet wurden, während Trommeln (Hin) und Klatschen (ypn) dem Reigentanz zugeordnet waren. Von dieser Primärphase ist die Aufführungspraxis zu unterscheiden, welche die Psalmüberschriften und Externbelege (l/2Ch) erkennen lassen. Den Kontrast macht beispielhaft der aus Klagegebet, Danklied und Hymnus bestehende, dreiteilige Ps 22 deutlich, den die Überschrift - als Anweisung an den fraglichen „Chorleiter" (nxia1?, vgl. zu 4,1) - als nach einer bestimmten Melodie („Die Hindin der Morgenröte") vorzutragenden Sologesang zum Instrument (TlQTH) ausweist. Nach musikalischen Gesichtspunkten komponiert scheinen weniger die „Kantaten" (z.B. 18; 89) als vor allem die Psalmen des Hallels 146-150, für die jedoch eine späte Entstehungszeit anzunehmen ist. Die Erkenntnisse zur Phonologie der Psalmen sind fragmentarisch, um nicht zu sagen: dürftig. Doch wirft dann und wann eine Beobachtung dieser Art ein Licht auf die primäre Daseinsform dieser Gedichte. 2. Die Psalmdichtung ist ganz überwiegend Verspoesie, d.h. sie besteht fast durchweg aus rhythmischen Versen. „Vers" nennen wir die - in ältesten Handschriften auch graphisch wiedergegebene - Zeile, den „Stichos", zumeist - nach dem ParallelismusGesetz - bestehend aus zwei Teilen, „Kola" (darum Bikolon, auch Trikolon), Reihen, Hemistichen o.ä. Prosatexte mit Prosazeilen sind selten. Die Psalmisten bemühen sich zumindest um rhythmisch gehaltenen Prosastil (vgl. etwa 125; 131 u.a.). Insofern wird die Analyse praktisch so vorzugehen haben, daß sie zuerst auf den parallelismus membrorum achtet und die parallel gesetzten Glieder (meist Reihen von drei, maximal fünf Wörtern) herausarbeitet und auf solche Weise die Versstruktur feststellt. Zeichnet sich eine solche ab, kann mithilfe der Metrik der Versrhythmus ermittelt werden und in Zahlen wiedergegeben werden. Wir verwenden dabei das Modell des akzentuierenden Systems, das unter den diskutierten metrischen Verfahren sich seiner Elastizität wegen am meisten bewährt hat. Gezählt werden die Akzente - meist ein, seltener zwei Akzente pro Wort (bei mehrsilbigen Ausdrücken) - im Halbvers, Kolon, Versglied, um das rhythmische Grundgerüst einer Zeile, Doppelzeile, Strophe etc. zu finden. Die Formeln z.B. 3+3, 3+2, 5 u.a. sind Abbreviaturen. Mathematische Genauigkeit kann ihnen nicht zugeschrieben oder von ihnen abgeleitet werden. Der Lautwert und sprachliche Rhythmus des masoretisch überlieferten Verses kann nicht mehr - falls das nicht für alle Poesie gilt - präziser erfaßt werden. Verfeinerte Methoden wie Silbenzählung (syllabisches Verfahren), Konsonantenzählung (stichometrisches Verfahren) haben zwar mathematisch präzisere Zahlen, aber keine größere Einsicht in die poetischen Gesetze erbracht. 15

Teil I: Einleitung

Zu bedenken ist, daß die erhaltenen Psalmen als geschriebene Texte nicht nur das mündlich Vorgetragene oder Vorzutragende wiedergeben, sondern bei der Niederschrift wohl in nicht mehr zu bestimmendem Ausmaß von den Regeln der graphischen Gestaltung beeinflußt sind. Nur diese Wiedergabe ist es, die der Analytiker bestenfalls erreichen kann (z.B. mit oder ohne das reihende 1 „und" in der Mitte der Zeile). Zu bedenken ist weiter, daß die Abschreiber und Verwender der zum Gebrauch aufliegenden Texte eigene rhythmische Vorstellungen hatten. Auf solche ist wohl die öfters auftretende Tendenz zum Normalvers des Maschal-Rhythmus (3+3) zurückzuführen (z.B. 29) - oder die Dehnung zum 4+4-Metrum (z.B. 74) - , während Kompositionen wie 77; 89; 99 den Rhythmuswechsel bewußt als Stilmittel einsetzen. Zu bedenken ist schließlich, daß die lange Tradition der Wiederverwendung zu Beschädigungen der poetischen Struktur geführt hat, die zum Teil in Textverlusten (am Zeilenende, bei Halbzeilen etc.), zum Teil in Zufügungen meist prosaischer Erklärungen bestehen, so daß der - möglicherweise ursprünglich angestrebte - Strukturplan selten ganz rein erhalten geblieben ist. Aller dieser Einschränkungen zum Trotz ist es überraschend zu sehen, wie viele Einblicke in die rhythmische Struktur der Gebete und Lieder noch möglich sind oder zu sein scheinen. Der Vergleich mit der griechischen Klassik oder moderner Lyrik ist dennoch (noch?) nicht angebracht. Zum Problem vgl. besonders Alonso Schökel und Watson. 3. Neben der Metrik hat die Strophik in der poetischen Analyse der Psalmtexte vermehrtes Gewicht gewonnen. Ausgehend von den Texten mit Kehrversen (Refrains) wie z. B. 42/43; 46; 56; 80 u. a. wurde immer schon auch bei andern Dichtungen Strophengliederung vermutet. Tatsächlich scheinen die Psalmtexte sehr viel häufiger - fast möchte man sagen: grundsätzlich - in Strophen gegliedert zu sein als bisher angenommen wurde. Wir verwenden für die erkennbar ähnlichen oder gleichen, jedenfalls aufeinander bezogenen Psalmteile den traditionellen Begriff „Strophe", was anderweitig auch „Stanza" genannt wird (dort bezeichnet „Strophe" die Teile der Stanza, z.B. bei Watson). Bei Liedtexten ist die Einteilung häufig kein Problem (vgl. z.B. 104, ein Hymnus in sieben Strophen; 78; 105; 106 etc.). Bei Gebetstexten, oft zusammengesetzter Art, ist es schwieriger, die beabsichtigte Gliederung wiederzufinden. Die Frage ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Der Kommentar sucht differenzierte Lösungen: Strophen, Teile, Abschnitte, Folgen etc. In diesen Zusammenhang gehören zwei Probleme. Zu beiden gibt es bisher nur Vorschläge, aber keine überzeugenden Lösungen (vgl. z.B. HAL). Zuerst die Frage nach der Funktion des Wortes nVo. Nach verschiedenen Beobachtungen scheint nVo eher ein Funktionswort für literarische (graphische) Gliederung als ein musikalisches Signal (G: oi6. ~

Ketib lateinisch (vgl. auch V) lectio = Lesart Literatur Lehnwort masoretische Textüberlieferung Maskulinum masoretisch Psalmenfragmente von Masada metri causa (metrisch bedingt) mittelhebräisch (hebräische/s) Manuskript(e) Nebenform Niphal Neues Testament Numerus Person parallel, Parallelen Parallelismus membrorum Passiv pauci = wenige Perfekt (qtl) phönizisch Piel Pilpel Plural Polel Präposition propositum = Vorschlag Partizip Qere Bezeichnung der Manuskripte aus Qumran (mit Höhlenangabe) Qal syrische Textüberlieferung (Peschitta) scilicet = nämlich Singular Suffix syrohexaplarischer Text (aus der Rezension des Origenes) aramäische Textüberlieferung (Targum) terminus technicus = Fachausdruck ugaritisch lateinische Textüberlieferung (Vulgata) Verbum vor Christus vergleiche Version(en) Zeile Theodotion Symmachus abgeleitet von gleich von . . . zu . . . ungefähr

25

Teil I: Einleitung // + * [

26

parallel zu und rekonstruierte Grundform Textabbruch in der (hebräischen) Vorlage

Teil II

Auslegung Psalm 1 1

2 3

4

5 6

Wohl dem", der nicht geht in die Versammlung der Gottlosen, der den Weg der Sünder nicht betritt und am Ort der Spötter nicht sitzt; Sondern der Gefallen hat am Gesetz9 JHWHs und über seinem Gesetz sinnt Tag und Nacht. Und er ist wie ein Baum, gepflanzt an Wassergräben8, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und dessen Laub nicht welkt; und alles, was er tut, gelingtb. Nicht so die Gottlosen, sondern sie sind wie die Spreu, die der Wind wegweht". Darum können die Gottlosen nicht bestehen im Gericht und die Sünder in der Gemeinde9 der Gerechten. Ja, es kennt JHWH den Weg der Gerechten, aber der Weg der Gottlosen vergeht.

1* n w x von ntPk/nt?? .Glück', ,Wohl' (HAL). 2" Ein zu vermutendes nXTO „an der Furcht 3" l'jB (akkpalgu), wohl Lw. für Bewässerungsanlagen. (JHWHs)" ist textlich nicht belegbar. b Wendung wie Jos 1,8. 4" G ergänzt: „weg von der Erdfläche" und deutet 5 eschatologisch. 5" G wie 1: ev ßouXfi „im Rat". Literatur: J. A. SOGGIN, Zum ersten Psalm, ThZ 23 (1967) 84-89. - W.H. BROWNLEE, Psalms 1 - 2 as a Coronation Liturgy, Bibl 52 (1971) 321-336. - H . BARDTKE, Erwägungen zu Psalm 1 und 2, in: Symbolae Biblicae et Mesopotamicae, FS F.M.T. de Liagre Böhl, Leiden 1973, 1—18. - R. LACK, Le Psaume 1 - une analyse structurale, Bibl 57 (1976) 154—167. - P. AUFFRET, Essai sur la structure littéraire du psaume 1, BZ 22 (1978) 26—45. - R. P. MERENDINO, Sprachkunst in Psalm I, VT29 (1979) 45-60. - J.T. WILLIS, Psalm 1: An Entity, ZAW91 (1979) 281-401. - B. J. DIEBNER, Psalm 1 als „Motto" der Sammlung des kanonischen Psalters, DBAT23 (1986) 7 - 4 5 . - E. HAAG, Psalm 1. Lebensgestaltung nach dem alttestamentlichen Menschenbild, in: Der Weg zum Menschen, FS A. Deissler, Freiburg 1990,153-172. -

27

Psl

Teil II: Auslegung

Buchi

Mit Ps 1 wird die Sammlung des Psalters eröffnet. Ohne Überschrift - jedenfalls in der hebr Überlieferung; in der griech und lat finden sich z. T. einige konventionelle Angaben (vgl. Rahlfs 81) - steht er eigentlich außerhalb der Sammlung, insbesondere des ersten David-Psalters, der mit 2 beginnt (2—41). Sollte 1 auf 119 zu beziehen sein, repräsentieren beide Weisheitsgedichte ein Wachstumsstadium, das die Psalmensammlung im Sinne von 1,2 und 119,97ff. als Tora-ähnliches „Buch" versteht, das zum Meditieren, weniger zum Musizieren, geeignet ist. Insofern bildet 1 einen Vorspruch, ein Proömium oder Motto für die Sammlung, das den Leser am Eingang begrüßt und den Wunsch äußert, er möge den rechten Weg, die angemessene Methode des Lesens und die richtige Einstellung dem Folgenden gegenüber beherzigen (Diebner). Der Text beruht auf weisheitlichem Typendenken (der/die Gerechte/n; die Gottlosen) und arbeitet sehr schematisch mit Position und Negation ("0,13 - K1? [6mal]). Er hat eine symmetrische und konzentrische Grundstruktur. Diese bezieht die beiden Teile 1—3 und 4—5 auf die theologische Achse in 6 (ein Diptychon, Girard). Indes kann nicht verborgen bleiben, daß die Teile von unterschiedlicher Art und unterschiedlichem Gewicht sind, daß sich im Stil Prosa und Poesie merkwürdig mischen, und daß pluralische und singularische Aussagen unausgeglichen nebeneinander stehen. So ist die Annahme nicht unbegründet, daß der literarische Kern in einem poetisch gestalteten Glückwunsch (laa.2a.3* - ohne die prosaischen Elemente) besteht - analog etwa 112,1—3; Jer 17,7f.; Jes 3,10. Dieser Makarismus des Gerechten (p1TS) ist zu einem „Weisheitspsalm" im Sinne der Darlegung der Unterscheidungsmerkmale von Gerechten (der Gemeinde) und Gottlosen ausgebaut worden. Denkbar ist eine Beziehung dieser Entstehungsphasen zu den Stadien der Psalterüberlieferung. Die Beziehung zu 2 ist sekundär. Sie ist geeignet, das Bild des Gerechten und Gottlosen zu verdeutlichen. Die antagonistische Konstellation der Typen führt am ehesten in die spätnachexilische, hellenistische Zeit, in der der Zugang zu den Torarollen gegeben war und die private Bibellesung beginnt. Der Lehrpsalm empfängt den Leser mit der ernsten Warnung vor dem Abweg, der durch ununterbrochenes Schriftstudium (2) zu vermeiden ist. 1,1 ist in 4QFlor bezeugt. 1—3: Glückwunsch (laa.2a.3*). Im Untergrund wohl ein 3+3-Metrum, an der Oberfläche gehobene Prosa in parallelistischer Manier (laß || lb; 2a || 2b). Die mit der Grußund Segensformel verwandte Gratulationsformel 'HPK (vgl. Jer 17,7:1113) ist verbreitet im weisheitlichen Milieu der nachexilischen Zeit und scheint einen profaneren Klang gehabt zu haben als die alten Segensworte (1R 10,8; Ps 127,5; 137,8f.). Von dort ist sie auch in die Psalmdichtung eingedrungen (32,lf.; 40,5; 41,2, vgl. auch 84,5f.l3). Der Glückwunsch gilt in 1,1 nicht dem begnadeten oder hervorragenden Mitmenschen, sondern dem Gerechten oder Gläubigen, der sich nicht auf Abwege begibt, in der Weisung oder Furcht JHWHs bleibt und darum mit dem Baum am Wassergraben vergleichbar ist, der Frucht bringt. Er entspricht dem ethischen Typus des Gerechten. Sein Merkmal ist die „Freude am Gesetz", an der Weisung JHWHs, die er kennt und aus der er schöpft. Seine Versuchung ist der „Rat der Gottlosen", ein Weg, der offenbar viel Verlockendes bietet, vor dem aber gewarnt werden muß. Zu denken ist wohl an „westliche" Einflüsse, hellenistische Kultur und Lebensweise, modern aufgeklärte Ideologie oder an theokratisch-ideologisch geprägte Priesterkreise am Zentralheiligtum (vgl. 4QFlor zu 1,1), welche nach Auffassung des Psalmisten von dem rechten Weg des Jahwetreuen wegführt, m i n hat in 2a nicht unbedingt den gleichen Sinn wie in dem 28

Eröffnung

Psl

offensichtlich nachgereichten 2b (Suffix). An ein mögliches ursprüngliches HNT zu denken erübrigt sich fast, wenn m i n in 2a die allgemeine, nichttechnische Bedeutung der „Weisung" im Sinne des geoffenbarten Willens JHWHs zuerkannt wird. Sie zielt auf ein Leben, das in allem gelingt - wie es die typisch weisheitliche Wendung verspricht (lf?X hi). Dieser Glückwunsch entspricht 112,1—3. Als Makarismus richtet er sich an den, der P'TX sein will. Als Motto ist er geeignet, den Benutzern der Psalmensammlung eingangs an die für Beter und Sänger würdige Haltung zu erinnern, mit der man die folgenden Gebete und Lieder entgegennimmt. 4—6: Lehre. Die in dem Makarismus enthaltene Mahnung war nun wohl der Anlaß, den Text auszugestalten und Kriterien zu nennen, nach denen die Gerechten (pl) und die Gottlosen grundsätzlich zu unterscheiden sind. Daß dabei die offenbar poetische Form prosaisch eingeebnet wurde, zeigen die jetzt eingeführten „Bindewörter" ("HPK, rpm, "757 p ) . Die angestrebte Symmetrie schafft Parallelismen, denen eine poetische Prägung nicht zugesprochen werden kann (z.B. 2.5.6) („bescheidenes Kunstwerk", Gunkel). Umso stringenter sind die abgrenzenden Negationen ausgefallen. In den „Rat der Gottlosen" geht der Gerechte nicht, steht nicht auf dem „Weg der Sünder" und bleibt nicht am „Sitz der Spötter". Die Abgrenzungen entspringen dem ethischen Systemdenken: gehen - stehen - sitzen (schon Ibn Ezra). Die Typen der „Sünder" und „Spötter" sind, sofern der Verfasser an bestimmte Gruppierungen dachte (wie 4QFlor in der Auslegung von 1,1: „die Söhne Zadoqs", Z. 17), nicht deutlich erkennbar (Hellenisten? Wanderlehrer? Theaterbesucher? etc.). Er versucht bei seiner Abgrenzung keine Differenzierungen mehr. Deutlicher vor Augen stellt er den Gerechten, den er im Anschluß an 2a als Toraleser kennzeichnet. Tag und Nacht „murmelt" (run ,brummen',,knurren', ,gurren'; V übersetzt zu Recht: meditari - im Unterschied zu rPtt> ,flüstern' etc.) er lesend in den Tora-Rollen, die ihm offenbar zugänglich sind. Dies ist das eindeutigste Kennzeichen des Gerechten: das Lesen der Schrift. Ob der Verfasser 3 nach Jer 17,7f. und Jos 1,8 - selbst bibellesend - aufgefüllt hat (^inw? ^ D ? etc.), ist schwer zu sagen. Jedenfalls hat er daraus Prosa gemacht und das Gegenbild hinzugefügt. 4—6 führen den Gedankengang gegenläufig zu 1—3 weiter. Das Bild von der Spreu (4b), die beim Worfeln verweht wird, charakterisiert die Haltlosigkeit und Vergänglichkeit der Gottlosen (vgl. 35,5). 5 ist - wegen der Parallelaussage - nicht auf das Endgericht zu beziehen (so G), sondern auf die Gerichtsbarkeit, die in der Gerichtsversammlung (im Tor oder im Gerichtshaus) ihren Sitz hat. Die Gottlosen können dort - wohl wegen der ihnen zugeschriebenen Amoralität („Frevler", vgl. 14) - nicht bestehen, so wenig wie die (mit ihnen wohl identischen) Sünder in der Glaubensgemeinde ( m s ) , die sie mit Ausschluß bedroht und bestraft. 6, die theologische Achse von Ps 1, bringt die Aussage auf einen Nenner: Es gibt zwei diametral entgegengesetzte Wege. Sie sind charakterisiert durch die, die darauf gehen, Gerechte oder Gottlose. Der Psalmist stellt die Behauptung auf CO), JHWH sei der Weg der Gerechten bekannt - sein Urteil über sie werde gerecht sein. Der Weg der Gottlosen würde sich ohnehin von allein verlieren (wörtlich: untergehen, zum Untergang führen), wie es im Wesen des Frevlers liegt, ein Frevlerschicksal zu erleiden. Dieser Schluß basiert auf dem Gedanken des Tun-Ergehen-Zusammenhangs, der ethischen Voraussetzung der Weisheit. Der Psalmist hebt somit auf das „Ende" ab (vgl. 73,17). Das Ziel steht noch aus, aber die Wege sind vorgezeichnet.

29

Ps 2

Teil II: Auslegung

Buchi

Psalm 2 1 2

3 4 5 6 7

8

9 10 11 12

Warum erregen sich die Völker und die Nationen sinnen Leeres? Erheben sich die Könige der Erde und die Machthaber tun sich zusammen?8 Wider JHWH und wider seinen Gesalbten!1* Wir wollen ihre Bande" zerreißen und von uns werfen ihre Stricke! Der im Himmel thront, lacht, der Allherr spottet über sie. Der einst sprach zu ihnen im Zorn und sie mit der Glut seines Grimms erschreckte: Ich habe doch selbst meinen König gesalbt9, auf Zion, dem Berg meines Heiligtums! Ich will verkünden von der Satzung JHWHs: Er sprach zu mir: Mein Sohn bist du, heute habe ich dich geboren! Erbitte von mir, und ich mache die Völker zu deinem Erbe und zu deinem Besitz die Ränder der Erde! Du sollst sie zerschmettern8 mit eiserner Keule, sie zerschlagen wie ein Töpfergefäß! Und nun, ihr Könige, seid vernünftig! Laßt euch warnen, ihr Regenten der Erde! Dient JHWH in Furcht, und jubelt mit Zittern! Küßt den Sohn!8 Damit er nicht zürnt und ihr nicht den Wegb verfehlt! Denn ein Weniges und sein Zorn entbrennt! Wohl allen, die auf ihn vertrauen!

2" 710 ni. - b G ergänzt: i i i ^ a / j m ( = rf?0). 3" l l Q P s c : ( I S ^ m D „(ihre) Ordnungen", wohl verschrieben. 6" G übersetzt 3.P. 9" S i n II ( = TS"0 zerschmettern'. 12" Wohl durch Umstellung V m "Q zu V ^ n a „küßt seine Füße" zu korrigieren. - b " p i wohl aus 1,6 eingedrungen, vgl. die Interpretation der Vrs (G, S). Literatur: M. GÖRG, Die „Wiedergeburt" des Königs (Ps 2,7b), ThGl 60 (1970) 4 1 3 - 4 2 6 . - H. W. Psalms 1—2 as a Coronation Liturgy, Bibl 52 (1971) 321—336. - W. T H I E L , Der Weltherrschaftsanspruch des judäischen Königs nach Psalm 2, in: Theologische Versuche III, Berlin 1971, 53 — 63. - A . A . M A C I N T O S H , A consideration of the problems presented by Psalm ii. 11 and 12, JThS 27 (1976) 1 - 1 4 . - G. W I L H E L M I , Der Hirt mit dem eisernen Szepter. Überlegungen zu BROWNLEE,

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David-Psalter I

Ps2

Ps II 9, VT 27 (1977) 196-204. - J. A . EMERTON, The Translation of the Verbs in the Imperfect in Psalm 11,9, JThS 29 (1978) 4 9 9 - 5 0 3 . - A. DEISSLER, Zum Problem des messianischen Charakters von Psalm 2, in: Mélanges bibliques et orientaux, FS H. Cazelles, AOAT, Kevelaer 1981,283—292. - E. ZENGER, „Wozu tosen die Völker . . . ? " Beobachtungen zur Entstehung und Theologie des 2. Psalms, in: Freude an der Weisung des Herrn, FS H. Groß, SBB 13 (1986) 4 9 5 - 5 1 1 (Lit.). - A . LEMAIRE, „Avec un Sceptre D e Fer". Ps. 11,9 et l'archéologie, B N 32 (1986) 2 5 - 3 0 . - A . DEISSLER, Die Stellung von Ps 2 im Psalter. Folgen für die Auslegung, in: Beiträge zur Psalmenforschung. Psalm 2 und 22, fzb 60, Würzburg 1988, 7 3 - 8 3 . - F. DIEDRICH, Psalm 2 - Überlegungen zur Endgestalt des Psalms, ebda. 27—71. - O. LORETZ, Eine kolometrische Analyse von Psalm 2, ebda. 9—26. - P . MAIBERGER, Das Verständnis von Psalm 2 in der Septuaginta, imTargum, in Qumran, im frühen Judentum und im Neuen Testament, ebda. 85—151. - J.T. WILLIS, A Cry of Defiance Psalm 2, JSOT 47 (1990) 3 3 - 5 0 . - B. Becking, „Wie Töpfe Sollst Du Sie Zerschmeißen". Mesopotamische Parallelen zu Psalm 2,9b, Z A W 1 0 2 (1990) 5 9 - 7 9 . - J.W. WATTS, Psalm 2 in the Context of BiblicalTheology, HBTh 12 (1990) 7 3 - 9 1 . -

Der Psalm trägt keine Überschrift. Er gilt darum als Kopfstück des DPs I (1-41), der zusammen mit DPs II (51—72) eine Sammlung von David zugeschriebenen, meist individuellen Psalmen bildet, die 72,20 als „Gebete Davids" ("TTT m^sn) zusammengefaßt werden. 2 wird nach Act 4,25 f. explizit auf David zurückgeführt. Eine entsprechende Überschrift scheint durch Ps 1 verdrängt worden zu sein. Eine Vereinigung mit Ps 1 nach Act 13,33 (Mss) häufig vermutet und gelegentlich durchgeführt (Willis u.a.) scheitert an den fundamentalen Stilunterschieden. Sie wird erst durch die Inklusio 1,1—2,12 redaktionell angezeigt. Die sehr ebenmäßige Struktur (vier Strophen zu je drei Stichen mit vorherrschendem 3+3-Metrum), die sich aus vielfach alliterierenden, strengen Parallelismen ergibt, ist an einigen Stellen sekundär durch Interpretamente gestört. So bildet 2b einen prosaischen Zusatz, wie wohl auch 7aa und 8aa, während 12b nach Art und Herkunft einen Nachsatz darstellt, der die „relecture" des Textes als individuellen Meditationspsalm anzeigt. Sitz im Leben der Zitate aus dem „Königsprotokoll" (7—9, von Rad) ist das Jerusalemer Königsritual (vgl. 6); die des Königspsalms (1 —IIa) aber wohl eine kritische Situation in der Geschichte des judäisch-jerusalemischen Staates (1 ff.). Der vorexilische Königstext wurde zum Glaubensdokument für den frommen Beter, der das Vorbild des (anders als Jes 7) gläubigen Königs preist (12b). Als erster David-Psalm bezeugt er die Urform glaubenden Redens und Handelns. Seine Diktion, die durch vereinzelte aramäische Vokabeln (WJH, 575?"1,13), archaische Formen (Endung 18- 3.P. pl Suffix) charakterisiert wird, entspricht wohl dem judäischen Hofstil (wie Ps 110). Seine idealtypische Funktion verbindet ihn mit 1, der ihn als Proömium des Psalters ersetzt. Der nur in l l f . lädierte Text findet in HQPs c (1-9) und 3QPs (6-7) Unterstützung. Die messianische Eschatologisierung hat im Text keine Spuren hinterlassen, wird aber durch 4QFlor 118 und Act 4,25f. für spätere Zeiten belegt. 1—3: Erste Strophe: Frage nach der Unruhe in der Völkerwelt (3+3). 1 sucht nach den eigentlichen Motiven des feindlichen Aufruhrs der Völker. Die Sorge über die kritische Situation, wie auch die Information über Absichten der Staaten, ist am ehesten in der Rede eines Königs denkbar, des davidischen Königs, des „Gesalbten" (rPti>Q im erklärenden Zusatz 2b). Die reale Bedrohung durch „Staaten" (D'il) und „Nationen" (D'ÖX1?) und ihre „Könige" und „Machthaber" wird wohl politisch auf das Interessengebiet des judäisch-jerusalemischen Staats beschränkt gewesen sein, wird hier jedoch als Verletzung der Oberhoheit des davidischen Königtums hingestellt. Die Königsideologie (8) 31

Ps2

Teil II: Auslegung

Buchi

bestimmt so den Horizont des Begriffes (2), der auch im engeren Sinne auf das Territorium des Südreichs bezogen werden könnte. Die Unruhe in der Völkerwelt wird unter drei Gesichtspunkten beschrieben: 1 verweist auf die Zeichen eines beginnenden Aufstands - unruhige Bewegung der Massen (tWl, aram Lw.), Raunen in der Volksmenge (run); 2 erkennt die zunehmende (impf it) Strukturierung der Bewegung, die politische und militärische Organisation („tun sich zusammen", „treten an"), und 3 nennt im Zitat die Ziele der Aufständischen: Beseitigung der Vorherrschaft und Unterdrückung, im stereotypen Bild ägyptischer Herkunft („Fesseln an den Armen" und „Seile um den Hals") formuliert (der Anklang an aram bzw. phön Suffixformen scheint Stilform zu sein). Die theologische Glosse 2b - G {öia.ak\i.a) sieht die Lücke, die der Zusatz aufreißt - paßt weniger in die politische Analyse des Königs, gibt aber sein Glaubensurteil (vgl. 4ff.) korrekt wieder. 4—6: Zweite Strophe: Theologische Einschätzung (3+3; V. 5: 4+2?). Der König bezieht in seine Lageanalyse theologische Aspekte ein und spricht von der Reaktion JHWHs, die er sich drastisch vorstellt. Er erwartet, daß der im Himmel thronende Allherr angesichts jenes Aufruhrs mit souveränem Spott reagiert. Die seltene, aber in alten Traditionen wurzelnde Vorstellung (vgl. aber den Namen [VK-]prw) führt zu der des göttlichen Zorns weiter (5). Die Erwartung (impf) basiert auf der Einsetzung und Bestimmung des davidischen Königtums in Jerusalem, die auch für die Zukunft gültig bleiben sollen (6). Die Bildhaftigkeit der Aussage („ausgießen") unterstreicht die ursprünglich performative Formulierung der Einsetzungsworte. Betontes Subjekt des damaligen wie zukünftigen Handelns ist das göttliche Ich, das den Davididen zu seinem König gemacht hat auf dem „Berg des Heiligtums", aber auch des Palastes, dem Zion. Hinter diesen Aussagen steht die davidische Königstheologie, wie sie sich in Jerusalem im Lauf der Königszeit herausgebildet hat - initiiert wohl durch die sog. Nathanweissagung nach 2S 7 und ausformuliert im judäischen Königsritual seit den Tagen Salomos. 2,4—6 leitet daraus die Folgerung ab, daß es JHWH nicht gleichgültig sein könne, wenn der Status des Gesalbten berührt wird (vgl. Jes 7). Der Rückbezug auf die Inthronisation und die Legitimität seiner Ansprüche prägt 4—6 und wird in 7—9 expliziert. 7—9: Dritte Strophe: Zitation der Einsetzungsworte (Grundmetrum 3+3). Die prosaische Einführung 7aa, die wohl wie 2b, 8aa auf die nachträgliche theologische Kommentierung zurückzuführen ist, nennt die folgenden Worte des Königs eine Proklamation (HDD pi) „bezüglich der Setzung JHWHs" und meint damit wahrscheinlich jenes Dokument, das als „Königsprotokoll" aus dem ägyptischen Königsritual bekannt ist, und das in Juda-Jerusalem eine analoge Bedeutung gehabt zu haben scheint. Auf ihm waren die Königsrechte verzeichnet (von Rad). 7ff. zitiert jedenfalls Sätze, welche die besondere Beziehung des Königs zu seinem Gott als „Sohn" und das Privileg nennt, welches dem „Sohn des Allherrn" ex officio zukommt, nämlich: Weltherrschaft. Die besondere Beziehung wird durch eine Art Adoptionsformel („mein Sohn bist du") ausgedrückt, welche im parallelen Glied alsbald als uneigentliche Aussage und Metapher gekennzeichnet und vor metaphysischen Mißverständnissen geschützt wird. Das „Heute" ist der Tag der Thronbesteigung. Er wird als Geburtstag des Königs gefeiert (vgl. Jes 9,1—6): „Ich habe dich heute ,geboren' (oder ,gezeugt'; hi)". Der Sinnbruch signalisiert die Inadäquatheit der Aussage: Sohnschaft in einem bestimmten Sinne, wie es das Protokoll und die Titulatur (Jes 9,5) festhalten und wie es im Rahmen des JHWH-Glaubens möglich ist (s. ntt>Q). Das Privileg der Bitte stammt wohl aus 1R 3,5. 8aa ist metrisch wie 32

David-Psalter I

Ps 2

sachlich überflüssig. Die Einsetzung als Herrscher der Welt („bis zu den Rändern der Erde") ergibt sich aus der Sohnschaft von selbst. Die Bitte hat nur Sinn, wenn sich die Realisierung - wie zu Zeiten des hier redenden Königs - zu verzögern scheint, nicht aber bei der Inthronisation selbst. Die Begriffe „Erbe" und „Landbesitz" machen den König zum Eigentümer und Herrn der bewohnten Welt, den Erdkreis bis zum Randmeer (vgl. 72). In der Pose des ägyptischen Pharao wird er die feindlichen Völker „wie Töpfergeschirr" zerschlagen. Wie im magisch-symbolischen Ritual der „Ächtung fremder Völker und Feinde" hat er im Auftrag JHWHs die Unterwerfung der Völkerwelt (vgl. Nu 24,15ff.; Ps 110) zu vollziehen. 10-12a: Vierte Strophe: Ultimatum an die Völker (3+3 als Basis). Diesen seinen Auftrag beginnt der König auszuführen, indem er einen Appell an die aufständischen Regenten richtet, seine Vorzugsstellung zu respektieren und von dem Aufruhr zu lassen. „Könige" und „Regenten" werden aufgefordert, „klug zu sein". Es sind wohl wiederum realiter lokale Könige und Machthaber im Umfeld des judäischen Staatsgebiets, die von 8 her zu Repräsentanten der Weltmächte werden. In der Perspektive des Gesalbten wird das „Land" zur „Erde", lokale Größen zu Großmächten. Ihre Vertreter werden zur Unterwerfung unter JHWH(!) aufgefordert; die Textstörung ist wohl ebenso von dem Gefühl des allzu krassen Bildes („küsset seine Füße") wie von dem Wunsch der Unterwerfung unter den Sohn („küsset den Sohn", "13, vgl. aber 7: p ) beeinflußt. Furcht und Zittern, nicht „Gottesfurcht" und „Jubel" wird verlangt - wie das Bildwort eindeutig sagt - und das im eigenen Interesse der Staaten, damit sie dem Zorn Gottes entgehen. 12a erwartet die Reaktion Gottes (4—6) in Bälde. Mit dieser zu rechnen, ist auch für feindliche Mächte „klug". 12b: Nachwort: Glückwunsch für den Beter. 12b, ein Makarismus, ist vom Korpus des Königspsalms abzusetzen. Er wendet sich an den Beter oder Leser des Texts. Der Satz ist im Munde des Königs so wenig vorstellbar - er würde sich selbst zum Vorbild machen wie die Annahme, der Glückwunsch richte sich an die zur Proskynese aufgeforderten Völkerregenten. Für sie kann ein „Vertrauensbekenntnis" - non meint im Psalmenbereich immer eine „Grundentscheidung" und „Grundhaltung" des Glaubenden und Frommen (Gamberoni, ThWAT III 71 ff.) - (noch) nicht in Frage kommen. Bleibt als Vorbild solchen Glaubens der im Psalm zu Wort kommende König. Seine Haltung in kritischer Situation wird allen („jedermann") empfohlen. Der Glückwunsch bezeugt die Aktualisierung des vorexilischen Königspsalms für die Beter des Psalms und - unter der Prämisse eines Davidpsalms - für die Leser des Davidpsalters. Das Verhalten des Königs im Blick auf die politische Analyse (1—3), theologische Einschätzung (4—6), Berufung auf die Verheißung (7—9), Initative als Glaubenshandlung (10—12a) wird zum Vorbild des Glaubens, der sich in analogen Verhaltensweisen bewähren kann.

33

Ps 3

Teil II: Auslegung

Buchi

Psalm 3 1

E i n P s a l m v o n D a v i d , als er v o r A b s a l o m , s e i n e m S o h n e ,

2

J H W H , w i e zahlreich sind m e i n e V e r f o l g e r !

floh.

V i e l e sind, die sich g e g e n mich e r h e b e n . 3

V i e l e sind, die zu mir s a g e n : E s gibt k e i n e H i l f e 8 für ihn b e i G o t t !

Sela.

D o c h d u , J H W H , bist d e r Schild 9 u m m i c h ,

4

bist m e i n e E h r e u n d der, der m e i n H a u p t erhebt 1 *! 5

Laut rief" ich zu J H W H , u n d er a n t w o r t e t e mir v o n s e i n e m heiligen B e r g e her.

Sela.

Ich, j a ich l e g t e m i c h u n d schlief 0 u n d bin erwacht!

6

J a , m i c h stützt J H W H ! 7

Ich fürchte nicht die V o l k s m a s s e n a ,

8

E r h e b e dich, J H W H ! Hilf mir, m e i n Gott!"

die sich ringsum g e g e n mich aufgestellt h a b e n . J a , d u hast alle m e i n e F e i n d e auf die K i n n l a d e b g e s c h l a g e n ! D i e Z ä h n e der Frevler hast du z e r b r o c h e n ! 9

J H W H s ist die H i l f e ! D e i n S e g e n k o m m e über dein V o l k !

Sela.

3" Ungewöhnliche (aram) Langform, wohl umgangssprachlich. 4" pa ,Setzschild', ,Tartsche', vgl. 7,11; 5,13. G hat den Rechtsterminus: „Beistand". - b So M. Ein ursprüngliches 1S?31D „mein Helm" könnte vermutet werden sowie ein entsprechender Ausdruck für den Kopf- oder Nackenschutz (,Kopfstütze', ,Visier' o. ä. [äg wir]) in 'tUNI ana. 5a Iterativ. 6° Langform GK §49 e. T Eigentlich: „Zehntausende Volks". T denkt an a n pl („Konflikte" o.ä.). Die maßlose Übertreibung und die singulare Reflexivfunktion von n'tP läßt annehmen, es sei ursprünglich von nnt£>,weben' (BDB) abzuleiten, dessen Objekt in 7a m3"lB (statt m331) gelautet habe: von 3"IS II,Gewebe',,Schuß' (BDB; HAL) pl, im Sinne von ,Gespinst',,Anschlag', der „angezettelt" wurde. Vgl. Lv 13,48, zum Bild 139,13; Jes 19,10; 38,12. 8a Ereignispause, den Tempora nach b zu urteilen. - G: ¡j-a-rai'ax; „umsonst". Literatur: P . AUFFRET, Note sur la structure littéraire du Ps 3, Z A W 9 1 (1979) 9 3 - 1 0 6 . - R . C .

CULLEY, Psalm 3: Content, Context and Coherence, in: Text, Methode und Grammatik, FS W. Richter, St. Ottilien 1991, 29-39. - N.M. SARNA, Legal Terminology in Psalm 3:8, in: Shacarei Talmon. Studies in the Bible, FS S. Talmon, Winona Lake 1992,175-181. D e r als Klagelied eingestufte Psalm ist ein G e b e t mit Motiven der Klage, des Vertrauensbekenntnisses, des Dankes und des Segenswunsches. Seine durch die Grundhaltung des Vertrauens auf J H W H s alleinige Hilfeleistung getragene Diktion verdankt ihre Einheit der Situation. D e r Beter sieht sich einer Anklage gegenübergestellt. Diese, vorgebracht durch „Bedränger" und „Feinde", hat ihn trotz gegenteiliger Ratschläge (3b) das Heiligtum auf dem Zion aufsuchen lassen, um dort Asylschutz und Rechtshilfe zu finden. 34

David-Psalter I

Ps3

Letzteres scheint ihm zuteil geworden zu sein. Der Hintergrund bzw. der Ablauf eines Sakralverfahrens bestimmt die Einzelelemente des Psalms, wobei auf bereits Erfahrenes zurückgeblickt werden kann (4—6 und 8aß.b, vgl. Beyerlin 1970, s. 1.4), und zwar auf die unbehelligte Übernachtung im heiligen Bezirk sowie auf ein offenbar bereits ergangenes Urteil. Insofern ist nach 8aa eine Zäsur anzunehmen, die durch die Entscheidung bedingt ist. Das Gebet 2—8aa ist wohl expost durch die Nachsätze 8aß.b ergänzt worden. Umstellungen empfehlen sich nicht. Der schlichte Stil läßt an ein Laiengebet denken, das wohl aus den Votivbeständen des zweiten Tempels stammt. Wegen des Grundzugs des Vertrauens (und auch als „Morgengebet" 6ff.) ist es wohl an die Spitze einer Reihe von Vertrauenspsalmen gestellt worden, welche auf den idealtypischen 2. Psalm folgen. Die Zuordnung zur Idealbiographie Davids (1) liegt auf derselben Linie. 1: Überschrift, l b sucht die idealtypische Situation im Leben Davids: Flucht und Zuflucht (nach 2S 15ff.). Zum ersten Mal begegnet hier im Psalter die Angabe einer biographischen Situation (vgl. 7,1; 18,1; 34,1; 51,2; 52,2; 54,2; 56,1; 57,1; 59,1; 60,1 f.; 63,1; 142,1, dazu 102,1). Auffällig ist die Häufung im DPs II (acht Belege von insgesamt dreizehn). Die knappen Hinweise setzen bei Verfassern wie Benutzern Schriftkenntnisse (1/2S) voraus. Sie verstehen den TTT^-Vermerk jedenfalls als Autorangabe. Sie entstanden vermutlich aus dem Versuch, die individuellen Psalmen durch biographische Situierung zu ordnen. 2—3: Anrufung und Klage. Lockere Parallelismen mit Dreiern in schlichtem Gebetsstil (Grundton a in 2, i in 3). Nach der Namenanrufung weist der Beter auf die für ihn schwer faßliche Lage hin, im Mittelpunkt des Interesses „vieler" zu sein, unter denen er sehr viele „Bedränger" ausmacht, die sich gegen ihn erhoben oder aufgemacht haben. Offenbar war er Zielscheibe eines Anschlags in Form einer Anklage, vor der er sich nur „bei Gott" retten zu können meint, obgleich auch viele ihm persönlich davon abgeraten haben, dort das Heil zu suchen. Zu denken ist an die Anklage eines Kapitalverbrechens, angesichts derer er sich nicht anders zu helfen weiß, als das letztinstanzliche Gottesgericht anzurufen (zum institutionellen Hintergrund vgl. Beyerlin). Man gibt ihm wie dem Beter von 11,1 wenig Chancen. 3b ist umgangssprachlich. In 3.5.9 begegnet zum ersten Mal im Psalter n^D. Die Bedeutung und Funktion des Wortes Tlbü entzieht sich immer noch genauer Bestimmung (vgl. HAL Lit.). Möglich erscheint 1. die Ableitung von V?01 .aufschütten',,erheben' als musikalischer Terminus für Erhebung der Stimme oder Musikeinsatz (G, zahlreicher verwendet als M: Stav}>aXfjia,Zwischenspiel') oder als Nomen segolatum im Sinne von ,Damm',,Rampe' (im Text); 2. die Ableitung von n^O/X^O, etwa: begleichen', .bezahlen' (rfto ,wegwerfen' o.ä., vgl. HAL) im Sinne eines Hinweises auf Zeilenausgleich oder Leerstelle; 3. die Ableitung als ein Notarikon H-^-O, d.h. Abkürzung für nicht mehr näher bestimmbare Leseanweisungen. Der Terminus begegnet außerhalb des Psalters in Hab 3 (3mal), auch in 4Q381 und in PsSal (17,31; 18,10). Die Annahme, daß die Funktion des wohl ursprünglich am Rand vermerkten n"?0 in seiner Zuordnung zum Versgefüge des Textes liegt und der Strophen(?)-Gliederung gilt, scheint am wahrscheinlichsten zu sein.

n*7D hat hier eine psalmbegleitende Funktion, sei es, daß auf ein Zwischenspiel (G: Stai^aX[Aa, nur 3 und 5) oder eine Vortragspause hingewiesen werden soll. In jedem Fall markiert es Textabschnitte. Statt am Ende von 9 (M) wäre es darum eher nach 8aa zu erwarten. 35

Ps3

Teil II: Auslegung

Buchi

4—5: Vertrauensbekenntnis (Versstil wie 2f.). Entgegen der allgemeinen Meinung hält der Psalmist an seiner Überzeugung fest, daß JHWH sein „Schild" ist, ein Schutz, der ihn - was kein Setzschild allein vermag - von allen Seiten umgibt (vgl. 139,5, man beachte dazu die Konjektur ,Helm',,Nackenschutz'), und daß er - so M - seine „Ehre" ist, d.i. seine Ehre wiederherstellt und sein Haupt - als Geste der Freisprechung und Ermutigung - erhebt. Der Psalmist erklärt sich und anderen, weshalb er am Bekenntnis jetzt um so mehr festhalten will: Er fand Eingang und Asylschutz am Heiligtum, was ihm zunächst Luft schaffte (5). Er rief laut und wiederholt zu JHWH und erhielt Antwort. 6—7: Feststellung erfahrenen Heils und Erklärung der Zuversicht (wie 2 ff.). Narrativ wie konstatierende Perfekta zeigen, daß diese Erfahrung zurückliegt und Tatsache geworden ist. Die prononcierten Aussagen sind Zeichen der Emotion (vgl. die Dominanz der s-Laute in 6). Sie fügen sich zum Erlebnisbild: Einlaß und Aufnahme im Heiligtum (5), unbehelligter Schlaf im Asylbereich, Erwachen am Morgen. Dies ist Beweis dafür, daß JHWH ihn stützt und stützen wird, denn die Bedrohung ist nach wie vor gegeben. Die Lesung DJ? (M) scheint ein ursprüngliches DJTDiy „Gewebe", „Gespinste" verdrängt zu haben, wie 7b nahelegt. Das mutmaßliche Bild ist von der Weberei entliehen und entspricht den Anschlägen (2f.), von denen er sich „umgarnt" fühlt. 8aa: Hilferuf. Der immer noch bedrängte Beter ruft seinen Gott um Hilfe an. In der traditionellen Formulierung (Hölp) bittet er um eine Intervention, um Befreiung und Rettung (»BT, wie 3 und 9). 8aß.b: Bestätigung erfahrener Hilfe. Ein betonter Nachsatz läßt erkennen, daß zuvor eine Pause eingetreten ist, in der etwas Entscheidendes passiert sein muß. 8aß.b spricht vom Schlagen auf die Backen, was wohl bildlich vom Ritus der Erniedrigung und Beschämung (Mt 5,39) zu verstehen ist, und fügt das Bild vom Zerschlagen der Zähne hinzu (alliterative Zischlaute!), als ob es sich um giftige Schlangen oder wilde Bestien handeln würde. Die „Bedränger" sind „Feinde" - stellt sich heraus - und „Schuldige" (D'tfBn). Man erkannte offensichtlich auf Freispruch für den Angeklagten, während die vielen Gegner schuldig gesprochen und unschädlich gemacht, d. h. wohl bestraft werden. 8aß.b scheint wie 9 erst sukzessive zu dem Psalmkorpus hinzugefügt worden zu sein. Als JHWHs Tat wird die Befreiung mit Staunen registriert. 9: Bekenntnis und Segenswunsch. Was nach 3 von den Vielen nicht für möglich gehalten, ja geleugnet und nach 8 hilfesuchend erbeten wird, das wird nach 9 als Realität bekannt und proklamiert. Solche Hilfe kommt von JHWH, ist sein Heil. Der Segenswunsch gilt der Gemeinde. Der Ausdruck „Segen" benennt die Ausstrahlung, welche Gottes Hilfe und Zuwendung zur Folge hat. Der Segenswunsch rundet das Gebet ab, das nach der Überschrift und den Zwischenangaben (Sela 3.5.9) zu einem Gesangstext mit neuer Einteilung und neuer Akzentsetzung geworden ist.

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David-Psalter I

Ps4

Psalm 4 1

Für den Chorleiter: Mit Saitenspiel9. Ein Psalm von David.

2

Wenn ich rufe, erhöre mich, Gott meiner Gerechtigkeit! Gegen den Bedränger hast du mir Raum verschafft! Sei mir gnädig und höre mein Gebet! 3

3

Ihr Herren, wie lange wird meine Ehre8 geschändet? Ihr liebt leere Worte, sucht die Lüge. Sela. Erkennt, daß JHWH an seinem Frommen Großes getan hat3: JHWH hört, wenn ich zu ihm rufe! Erregt euch8, doch verfehlt euch nicht! Bedenkt es im Herzen, auf eurem Lager, doch schweigt! Haltet rechte Mahlopfer und vertraut auf JHWH!

4 5 6 7 8 9

Sela.

Viele sagen: Wer läßt uns noch Gutes sehen? Hebe doch3 auf uns das Licht deines Angesichts1*, JHWHC! In mein Herz hast du Freude gegeben, mehr als zur Zeit, da sie Korn und Most3 in Fülle haben. 6 Wohlbehalten kann ich mich legen und schlafen, denn du, JHWH, bist es ganz allein3, der mich in Sicherheit bleiben läßt.

1° Von IM (vgl. IS 16,16 u.a., Ps33,3; 68,26) pi (q) ,ein Saiteninstrument spielen', d.h. rhythmisch schlagen (vgl. llQPs a XXVII 9f.). 2a Tempora und Anredestruktur sind in 2 nach M zu belassen, anders G. 3" G las offenbar 3*7 ,-T3D „harten (schweren) Herzens". 4" Nebenform zu S^S. Möglich wäre auch: „den Frommen sich zur Seite genommen hat". 5" Möglicherweise Vertauschung der Zeilenanfänge: „Bedenkt es im Herzen" par. zu: „Erregt euch auf eurem Lager". 7® M: noi, Nf. zu ,heben' (HAL), besser abzuleiten von DU .weichen', ,fliehen'; dann ist zu korrigieren uViö „von uns". - b Möglicherweise mit S (1)'3S; M könnte eine Anpassung an Nu 6 sein. - c JHWH zu V. 8? 8" Nach Q(?), G, S zu ergänzen D i n r i „und ihr (Frisch-)Öl". b Wörtlich: „mehr als zur Zeit ihres ..., (wenn) sie viel sind". 9" M: TTD1? ,allein',,einsam' statt des zu erwartenden "173"7 ,nur du', ,du allein'. Literatur: F. ASENSIO, Salmo 4: Mentira o Idolatria? Greg61 (1980) 653-676. - E. ZENGER, „Gib mir Antwort, Gott meiner Gerechtigkeit" (Ps 4,2). Zur Theologie des 4. Psalms, in: Die alttestamentliche Botschaft als Wegweisung, FS H. Reinelt, Stuttgart 1990, 377-403. Der Psalm ist in verschiedener Hinsicht mit 3 und 5 verwandt. Sowohl, was die Sprache, als auch, was die Situation angeht, ergeben sich Berührungen (vgl. 4,2 mit 3,4; 4,7mit 3,3 und 5,10ff.; vor allem 4,9 mit 3,6 und 5,4). Seine Textstruktur - die Gebetsanrede 4,2.7—9 kollidiert mit den Worten an die „Herren" 4,3—6 und setzt zeitliche Zäsuren läßt an eine Geschehensfolge denken, die der Text dialogisch begleitet. Der aus individuellen Lebensverhältnissen herausgewachsene Psalm bietet einen Ausschnitt einer per-

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Ps4

Teil II: Auslegung

Buchi

sönlichen Heilserfahrung. Insofern ist er als „Vertrauenspsalm" (Gunkel) einzuordnen, der dezidiert zum „Vertrauen" aufruft (6). Die Situation des Psalmisten scheint die des Asylanten zu sein, der in den Heiligtumsschutz aufgenommen (2aß.4a), einer endgültigen Entscheidung seines Falls (2aa.b.4b.6.8—9) entgegensieht. Der von G an einigen Stellen schlecht verstandene Text (2.3) ist etwas spröde und umständlich (4.5.8.9), scheint aber gut erhalten zu sein (mit ganz unbefriedigender Präsentation in BHS, vgl. Zeilenbrüche; besser noch BHK). In 5 ist eine Umstellung erfolgt, und 7b ist offenbar von Nu 6,26 beeinflußt und verändert worden. Sein Ort zwischen 3 und 5 erklärt sich aus den engen Beziehungen zu beiden (4: „Abendpsalm", 5: „Morgenpsalm" u.ä.). Eine präzise Datierung ist nicht möglich. Zu denken ist an das spätnachexilische Jerusalem wie bei 3 und 5. 1: Vermerk für die Aufführung mit Chor und Orchester der Saiteninstrumente (vgl. 2Ch 29,25ff.; l l Q P s a XXVII 9f.) wie bei Ps 6; 54; 55; 61; 67; 76; Hab 3,19; Jes 38,20; Ps 77,7 - sowie Vermerk über die Zugehörigkeit zum David-Psalter (wohl primär). 55mal begegnet der Ausdruck nSJÖ1? in den Überschriften des Psalters, dazu Hab 3,19 - außer 88,1 und Hab 3,19 immer nur in Spitzenstellung. Das hat zu der seit langem diskutierten, von Waltke 1991 (1.2) neu begründeten These geführt, der Ausdruck gehöre samt der folgenden Präpositionalkonstruktion zu einem Aufführungsvermerk - allerdings des vorhergehenden Psalms. Hauptargumente sind dabei die Position in Hab 3,19 und Ps 88,1, sowie die klare Trennung zwischen Angaben der Komposition (Überschrift) und Angaben zur Aufführung (Unterschrift). 4,1a würde sich demnach auf 3 beziehen, wo die Angabe bezeichnenderweise fehlt; und die Überschrift von 4 wäre schlicht: Tll1? "TIHTÖ („ein Psalm von David") und seine Unterschrift entsprechend 5,1a: riSJaVzum Flötenspiel" etc. Das Problem kann nicht endgültig gelöst werden. Die Ableitung von nx:pi (pt) im Sinne von .Chorleiter', .Dirigent' (vgl. Esr3,8f.; ICh 15,21; 23,4 u. a.) hat sich trotz der abweichenden Deutung der Vrs (G: tiz ~o teXo? „bis ans Ende", wohl nach riXJ I .Dauer'; A: tö> vixotokI> „dem Sieger"; T: K m u ^ „zum Lobpreis") durchgesetzt (vgl. HAL).

2: Anruf und Bitte. Der Beter spricht im Blick auf ein zukünftiges Rufen (S"lp, vgl. 4b) im Gebet (n'jan 2b) die Bitte aus, er möge Gehör (27HW) und Antwort (H337) finden. Die Zuversicht, ja Gewißheit der Erhörung (4b) gründet in dem Glauben, den er in der Anrede zum Ausdruck bringt, daß der Angerufene als „Gott meines Rechts und Heils", d.i. „meine Gerechtigkeit" ("'pfS), die für ihn zuständige, höchste Instanz ist (die Anrede JHWH folgt erst 8.9). Sie baut auf die Erfahrung, aus der unmittelbaren Bedrängnis schon befreit worden zu sein, dadurch, daß ihm fürs erste wohl Schutz gewährt worden ist (pf). n"?Dn ,Gebet' ist wohl nicht auf Ps 4, vielmehr auf die entscheidende Bitte um Gnade (•pn) zu beziehen, welche dem Beter vor der Entscheidung seines Falls noch gewährt wird (4b). Aus solcher Zuversicht gewinnt er den Mut zu einer Attacke gegen die Bedränger, die ihm offenbar bis ins Heiligtum gefolgt sind. 3—6: Scheit- und Mahnworte an die Gegner. Die Anrede (wörtlich: „Herrensöhne") läßt zusammen mit den Andeutungen in 8b vermuten, daß es sich um vermögende Herren („Reiche", vgl. 49,3) handelt, welche den nicht (oder nicht mehr) begüterten Beter verfolgen, in dem sie Ehre, Würde, Recht und Rang (1133) anzutasten und ihn in Schimpf und Schande zu bringen suchen. Die Motive solchen Handelns liegen, nach 3b und 5 zu schließen, für den Psalmisten in Ärger und Haß (oder Neid), die sie blindwütend und unehrlich reagieren, d.i. „Leeres lieben" und „Lüge suchen" läßt. In seinen Augen handelt es sich um eine verleumderische Anklage. Darum macht er sie - nicht ohne 38

David-Psalter I

Ps 4/5

Ironie - darauf aufmerksam, daß sie die Vorentscheidung der Asylaufnahme als Zeichen für JHWHs Eintreten für den Verfolgten zu beachten haben (er gilt ihm als Ton 4) und daß sie sich in ihrer Erregung vor „Verfehlung" (KÜD) vorzusehen haben. Denn auf falsche Anklage steht immerhin Gegenklage und Strafe ex aequo (5), auch die Möglichkeit, daß sie im Prozeßverlauf zum abschließenden Schlachtopfermahl geladen werden, welches als sakrales Begängnis Deo praesente einer eigenen inneren Ordnung (p7X) unterliegt (6). In diesem Kontext gerät die Mahnung, sich auf JHWH in dieser Sache zu verlassen (n03), zur Warnung vor dem Risiko, das sie einzugehen im Begriff sind: Wirkliches Vertrauen auf JHWH schließt Vertrauen in seine Gerechtigkeit und Gemeinschaftstreue (2) ein. 7—9: Vertrauensbekenntnis. Der Psalmist vermutet bei seinen Verfolgern aus ihrem Verhalten heraus Indifferenz oder Unglauben. Sie schätzen ihr eigenes Risiko gering ein, weil sie nicht an eine Aufklärung des Falles glauben. Sie werden insofern vom Psalmisten mit jenen „Vielen" gleichgesetzt, die - nicht identisch mit den Verfolgern, eher Sympathisanten des Verfolgten oder gar selbst Verfolgte - in 7 zu Worte kommen. Das erste, skeptisch klingende Zitat äußert sich hinsichtlich des Ausgangs ihrer Anliegen resigniert. Das zweite wird wohl ursprünglich ähnlich düster geklungen haben. Es ist nunmehr aber zur Bitte oder Klage geworden. Der Logik der Aussage entspricht es eher, daß der Beter sich mit der Anrede von solchen hoffnungslosen Äußerungen distanzieren will, indem er seinerseits von der Freude spricht, die er empfindet und die ihn seine Lage und die Bedränger oder die Skeptiker fast vergessen läßt. So spricht er auch voll Zuversicht von dem, was unmittelbar vor ihm liegt: die Nacht vor der Entscheidung. Er hat vorläufig seinen äußeren und inneren Frieden gefunden.

Psalm 5 1

Für den Chorleiter: Zum Flötenspiel. Ein Psalm von David.

2 3 4

Meine Worte vernimm, J H W H , versteh mein Seufzen! Achte auf mein lautes Geschrei, mein König und mein Gott! Wenn ich zu dir bete, J H W H , am Morgen 8 , höre meine Stimme! A m Morgen werde ich es dir zurichten und dann warten b .

5

Nein, ein Gott, dem Unrecht gefällt, bist du nicht: Kein Böser kann mit dir streiten®! Heuchler 3 können vor deinen Augen nicht auftreten! D u hassest alle Übeltäter! D u wirst die Lügner vernichten! Mörder und Betrüger verabscheut J H W H .

6 7 8

9

Ich aber werde nach deiner großen Güte in dein Haus kommen, ich werde mich vor deinem heiligen Tempel niederwerfen, in Furcht vor dir. J H W H , leite mich nach deiner Gerechtigkeit um derer willen, die mich verleumden 3 ! 39

Ps 5

Teil II: Auslegung

Buchi

Ebne b vor mir deinen Weg c !

11

Nein, in seinem 3 Mund ist nichts Wahres: Ihr Inneres ist Verderben1*. Ein offenes Grab ist ihr Rachen. Doch mit glatter Zunge reden sie c . Laß sie es büßen, Gott! Sie sollen fallen wegen ihrer Anschläge. Nach der Größe ihrer Vergehen verstoße sie! Denn sie haben sich gegen dich gerichtet.

12

Dann werden sich alle freuen, die auf dich vertrauen, allezeit werden sie

10

jubeln. Und a du schützest sie b , und es werden jauchzen über dich, die deinen Namen lieben. Ja, du segnest den Gerechten, J H W H , bist wie ein Schild, du krönst ihn 9 mit Huld.

13

4" Wohl aus 4b eingedrungen. Die Versteilung zieht 3b zu 2f.; doch gehört 3b zu 4a. - b Nach Delekat, Beyerlin u.a.: „auftischen" von HSX II pi (,mit Überzug versehen'); wegen des trennenden statt bindenden "f? eher von HSSI,spähen',,Ausschau halten' abzuleiten. 5® Nicht von intransitivem "Iii I bzw. III, vielmehr von "III II ( = m i ) .anfeinden', ,reizen', herausfordern', .streiten', vgl. 56,7; 59,4; 140,3; Jes 54,15 (akk garü II). 6" V?n I/III .blenden', ,heucheln', vgl. 73,3.10; 75,5, parallel zu D'TOl 9® Wohl von TU? (nicht IUP) pi .verleumden' (aram), vgl. 8,3 (TIS); gewöhnlich übersetzt mit „Feinde". - b K: hi; Q : "WH: „ist gerade ...?" - c Vrs z.T. mit Suffixtausch, M lect diff. 10® Mit Kontext und Vrs 3.P. pl. - b mn II (pl) .Verderben', .Abgründe', oder I (ug hwt) ,Fluch', ,Zauber', vgl. 38,13; 52,4. - c p^n I hi ,glätten', .schmeicheln'. 12" Erhebliche Verbesserung durch Umstellung zu 13b. - b in- (3.P. pl) für V (3.P. sg) wegen der Einpassung in 11 (jetzt bezogen auf die Glaubenden). 13" M q; vielleicht besser pi zu lesen und mit G: „uns" (l.P. pl; S: l.P. sg). Literatur:

J . W . MCKAY, PSALMS OF VIGIL, Z A W 9 1 ( 1 9 7 9 ) 2 2 9 - 2 4 7 .

-

Der Psalm hat viel Ähnlichkeit mit 3; 4; 7. Er ist das Gebet eines zu Unrecht Angeklagten, der die Lösung seines Falls im Gottesgericht erwartet. Der am Morgen anstehenden Entscheidung sieht er in 2—8 entgegen. Möglicherweise spiegelt 9—11 das dann vorzubringende Plädoyer. 12f. geben Schlußwünsche wieder. Der ganz als Gebet konzipierte Text ist im Parallelismus gehalten. Nach Anordnung des Textes in BHK und BHS drängt sich eine unsymmetrische Versstruktur, etwa im 3+2 (Klage-)Rhythmus, auf (gut erkennbar in 2.3a.6a.8a etc.). Dabei bilden je zwei parallele Fünfer ein Distichon, zwei Distichen eine Strophe, so daß sich fünf Strophen ergeben: 12—4; II 5—7; III 8—9 (mit Lücke); IV 10—11; V 12—13 (mit Umstellungen). Gedankengang und Stil verraten weisheitliche Bildung. Kunstvoll gesetzte Aussagen lassen feine Ziselierung erkennen, vgl. vor allem die Gebetsrede (2—4), die Worte zur Psychologie des falschen Zeugen (10), Ausdruckssteigerung der Freude (12). Der Text ist gut erhalten. Zu 8—13 vgl. 4QPs s , zu 9—13 4QPs a . In 4; 5 sind Spuren von Überarbeitung zu erkennen, in 12f. eine versehentliche Umstellung. Ps 5 stammt wohl aus der Zeit des zweiten Tempels (8). 1: Überschrift. Ein Vermerk wie 4,1. Der Ausdruck ni^'nan wurde schon von den alten Übersetzungen nicht mehr verstanden (z.T. von nVn] ,Erbbesitz' abgeleitet) und 40

David-Psalter I

Ps 5

ist ungeklärt. Vorgeschlagen wird die Herleitung von V^n ,Flöte', etwa „zu Flötentönen" o.ä. Die Angabe hat, wie in 4,6, die Zueignungsformel an die zweite Stelle verdrängt (vgl. 7). 2—4: Erste Strophe: Bitte um Erhörung (Basismetrum 3+2). Der Beter appelliert an JHWH, seinen König und seinen Gott, er möge ihn erhören, wenn er „am Morgen" seine Stimme zum Gebet erhebt. Er bittet darum, daß sein leises Gemurmel (Hin) und sein Aufschrei (J71W) wie die im grellen i artikulierten Worte seines Gebets aufgenommen und verstanden werden mögen und er Antwort erhalten möge auf seine Anrufung. Diese Anrufung steht wohl im Zusammenhang mit einer Opferzurüstung am Morgen, welche zum sakralen Verfahren gehören wird. Der Morgen gilt auch ihm als Zeitpunkt der Entscheidung. In dem Hinweis auf sein Ausspähen wie der Wächter (vgl. 130,6) auf eine reactio Dei drückt sich die Erwartung aus, daß sein Gott und König dem Rechtsuchenden im Gericht beistehen wird. 5—7: Zweite Strophe: Appell an Gottes Gerechtigkeit (Metrum wie 2ff.). Der Beter erinnert seinen Gott („Du") und sich daran, daß in seiner heiligen Nähe nur der Gerechte bestehen kann, daß also in seinem Fall die Entscheidung eigentlich klar sei. Unrecht (STEH) kann er nicht zulassen; „Heuchler" können nicht bestehen vor seinen Augen; Übeltäter sind ihm seit eh und je verhaßt (pf); „Lügenredner" (= falsche Zeugen) verfallen seinem Gericht, und d.h. dem Untergang ("TDK pi). Diese letztere Aussage (7a, vgl. 9—11) bringt Licht in den Fall. Es handelt sich offensichtlich um einen zu Unrecht (von falschen Zeugen) Angeklagten, der sein Heil im Gottesurteil sucht, um sich seiner Bedränger und Verfolger zu erwehren. 7b ist eine sakralrechtliche Formulierung. Sie bezieht sich auf notorische Mörder und Betrüger. Ihre sentenzähnliche Diktion (JHWH 3.P.) und Sachferne läßt ein Zitat vermuten. 8—9: Dritte Strophe: Bitte um Zulassung zum Heiligtum (Metrum 3+2). Sich selbst weiß der Psalmist frei von Schuld (im Sinne der Anklage). Er kann darum guten Gewissens und in Ehrfurcht am Morgen das „Gotteshaus" betreten und zum Tempelgebäude hin sein Gebet verrichten. Gemeint ist wohl der innere Vorhof des (Zion-) Heiligtums, wo die Entscheidung fällt. Er bittet um gerechte Behandlung, um Begleitung auf dem von seinem Gott geebneten „Weg" (9). Die Metapher bezieht sich wohl auf den geordneten Gang des Verfahrens. Am Ende von 9 ist eine Lücke anzunehmen. 10—11: Vierte Strophe: Gegenklage (Metrum 3+2). Nach wiederaufgenommener Anrufung (9) beginnt der Beter mit '3 seine Gegenklage (10). Es ist nicht unmöglich, daß diese zu der Prozedur „am Morgen" gehört, daß somit in 9—11 ein Teil des 2ff. angesagten Gebets vorliegt oder anklingt. Dazu paßt die allgemeine Eröffnung mit der Berufung auf die theologische Mitte des Falls: Es geht um die Durchsetzung von Gottes Gerechtigkeit gegen die „Verleumder" und die Lösung in einem gangbaren Weg, den nur JHWH hier und jetzt eröffnen kann. Es folgt die Anklage gegen die „Verleumder". Die Falschheit ihrer Worte und ihres Wesens wird festgestellt: im Inneren Abgründe(?), ihr Rachen ein offenes Grab, im Mund kein wahres Wort, mit der Zunge machen sie alles glatt und glänzend - Lügner (7), Verleumder (9), Heuchler (6). Dann folgt die Bitte um ein gerechtes Urteil im Sinne der Bestrafung der falschen Zeugen. Nach dem Rechtssatz der Reziprozität, welcher bei Falschaussage gültig wird, mögen die Gegner nach ihren Anschlägen bestraft werden, wobei zu berücksichtigen wäre, daß sie sich selbst an Gott vergangen haben. Eine „Verstoßung" sieht der Beter als richtig an. 12—13: Wünsche (nach Umstellung wohl Fünfer, 3+2). Der Psalmist wünscht sich im 41

Ps 5/6

Teil II: Auslegung

Buchi

Blick auf alle Gläubigen (vgl. 2,12) - die JHWHs Namen lieben - , sie möchten sich über den Ausgang seines Konflikts freuen, allezeit jubeln und jauchzen (Steigerung!), und hofft zuversichtlich, daß JHWH in Zukunft mit dem Gerechten (p'IX) handeln möge (wie mit ihm), indem er ihn segnet, ihn von allen Seiten beschützt (vgl. 3,4) und ihn schmückt mit dem Kranz seines Wohlgefallens (11X1, vgl. 8,6). Auffallend sind die s-Laute in diesen letzten Zeilen - ein Klangmotiv, das wohl mit pXT und dem dadurch veranlaßten Jubel zu tun hat.

Psalm 6 1

Für den Chorleiter: Mit Saitenspiel auf der achten. Ein Psalm von David.

2

JHWH, strafe mich nicht in deinem Zorn, und züchtige mich nicht in deinem Grimm! Sei mir gnädig, JHWH, denn ich bin verwelkt 9 ! Heile mich, JHWH, denn meine Glieder sind erstarrtb! Und meine Seele ist tief erschrocken. Und du, JHWH, wie lange noch?

3 4 5 6 7

8 9 10 11

Kehre wieder, JHWH! Hole meine Seele heraus! Hilf mir um deiner Gnade willen! Denn im Tode gedenkt man dein nicht! In der Unterwelt, wer kann dich da preisen? Ich habe mich mit Seufzen abgemüht. Ich schwemmte die ganze Nacht mein Bett, mit Tränen weichte ich mein Lager. Es eitert 8 mein Auge vor Kummer, ist geschwollen 11 wegen all meinen Bedränger. Geht von mir, ihr Übeltäter alle, denn JHWH hat mein lautes Weinen gehört! Gehört hat JHWH mein Flehen, JHWH nimmt mein Gebet an! Sie müssen sich schämen 9 und sollen tief erschrecken, alle meine Feinde! Kommen sie wieder b , müssen sie sich schämen aufs Mal.

3* I,welken' (vgl. "73X II) oder II .fieberheiß sein' (HAL). - b Wegen des par ist eine sekundäre Angleichung an "7rn 4.11 zu vermuten; besser wäre ,schwinden', .vergehen'. 8° nW57 von »37 II,Eiter' (vgl. Hos 5,12; Ps 31,11); zu WS? vgl. HAL. - b pn» ,vorbeigehen',,altern', bzw. adj. ,vorlaut',,frech' (Ps 31,19; IS 2,3 u. a.) oder HpS .Augapfel' (HAL) zu lesen. 11" Möglicherweise Erweiterung nach IIb. - b Asyndetisches impf in Folge - wohl konsekutiv aufzulösen. -

42

David-Psalter I

Ps 6

Literatur: H.C. KNUTH, Zur Auslegungsgeschichte von Psalm 6, BGBE 11 (1971). - H.W.M. VAN GROL, Literair-Stilistische Analyse van Psalm 6, Bijdr. 40 (1979) 2 4 5 - 2 6 4 . - N. LOHFINK,

Psalm 6 - Beobachtungen beim Versuch, ihn »kanonisch« auszulegen, ThQ 167 (1987) 277—288. N. LOHFINK, Was wird anders bei kanonischer Schriftauslegung? Beobachtungen am Beispiel von P s a l m 6, J B T h 3 ( 1 9 8 8 ) 2 9 - 5 3 . -

Ps 6 ist das Klagegebet eines Schwerkranken, insofern ein echter „Bußpsalm" im ao Sinn. Es erhält seine Spannung aus den wiederholten, lauten Anrufungen des vermeintlich entrückten Gottes und dem Prekativstil der Appelle, Bitten, Wünsche, Fragen. Anzunehmen ist eine Gliederung in vier Strophen mit je drei Zeilen, wobei nach 6 (und 7aa) ein Textverlust eingetreten sein könnte (I 2—4; II 5—6; III 7—8; IV 9—11). Die Klageelemente der Elendsschilderung stilisieren den Beter als Büßer, der trotz der Behinderungen durch Krankheit die Pflichten der rituellen Buße auf sich nimmt. Diese Absicht erklärt den expressiven Stil des Gebets, das in strengen, wiederholenden Parallelismen (2.3.5.6.7.10) mehr unterstreicht, einhämmert, als variierend weiterführt, und verschiedene Klangfiguren als Obertöne verwendet (Assonanzen, z. B. -eni 2.3, vgl. 7f.; Alliteration fast in jeder Zeile, z.B. 3.7.11; Silbenvariation, z.B. 4b.IIb). Diese Expressivität, die einer gewissen Formelhaftigkeit der Wendungen entgegensteht (Culley), trägt den Klageton des Gebets, das sich am Ende zur „Gewißheit der Erhörung" aufschwingt und in eine Abwehrgebärde gegen Übeltäter (9—10) und einen Schlußwunsch (11) übergeht. Zwischen 8 und 9 ist ein Anredewechsel, d.h. eine Pause anzunehmen, in welcher der Umschwung einsetzt. Ziel des Bittgebets ist die Heilung von Krankheit mit allen Folgen. Es scheint zuerst auf dem Krankenlager ausgerufen worden zu sein, und zwar auf dem Hintergrund ritueller Buße. Eine Verwandtschaft besteht zu 38; 41 u.a. Wegen des Anklagemotivs (9—11) kann der Psalm wohl in die Reihe der Feindpsalmen gestellt werden (3ff.). Eine genaue Datierung ist nicht möglich. Der Text ist recht gut erhalten. Zu 1 vgl. 4QPs s , zu 1 - 4 4QPs a . 1: Überschriftsvermerk; „auf der achten" ist offensichtlich ein Terminus der Musikpraxis, dessen genaue Bedeutung nicht bekannt ist (vgl. 12,1; ICh 15,21, dazu HAL). 2—4: Erste Anrufung (Grundmetrum 3+3). Das Gebet beginnt mit der Namensanrede, die, noch 3mal wiederkehrend, den beiden streng parallel verlaufenden appellierenden Zeilen und den beiden Klageäußerungen am Ende - Gefühlsausdruck und verzweifelte Frage - Richtung und Akzent gibt. Der Klageton der lautmalerischen Sequenzen und alliterierenden Fügungen wird unterstützt durch die Wiederholungen der synonymen Parallelismen (2.3) und die spürbare Steigerung von Tonhöhe und Lautstärke in 4 (THB), bis der Klageschrei nach wiederholtem lautem Ruf at/d (117, TNÖ, NNX, ^ T K , T I N ) verstummt. Die beiden „negativen Bitten" in 2 appellieren an JHWH, nicht aus übermächtiger Emotion mit dem Beter kurzen Prozeß zu machen. Zorn und Erregung sieht er sich gegenüber, bittet aber darum, daß die Strafe (Rechtsterminus) und die Züchtigung (pädagogischer Terminus) nicht dadurch jedes Maß verlieren. Als Kranker weiß er sich von Gott gestraft und gezüchtigt. Er fürchtet, dem Zorn Gottes zum Opfer zu fallen und bittet um Mäßigung. Da er aus Gründen eigener Schwachheit an die Gerechtigkeit Gottes nicht appellieren kann, beruft er sich in 3 auf Gottes Gnade und Erbarmen und sucht durch eindrucksvolle Elendsschilderungen („welk" - wie ein Blatt; „verschlissen [?]" - wie alte Lumpen, mit Assoziationen an das Bußritual des Kranken) Gottes Mitgefühl zu entfachen (zwei 'D-Sätze) und - in seiner Todesangst - durch laute klagende 43

Ps 6

Teil II: Auslegung

Buchi

und fragende Äußerungen Gott zu einer Reaktion zu bewegen. Dabei setzt der Beter voraus, daß Begnadigung und Heilung allein in Gottes Willen ihren Grund haben können, wie er andererseits nicht Gott für seine desolate Lage verantwortlich macht, obwohl er nahe daran rührt, indem er im Blick auf seine Person den Zorn Gottes für unangemessen hält. 5—8: Zweite Anrufung (Grundmetrum 3+3). Diese zweite Klageerhebung geht davon aus, daß Gott dem Beter den Rücken gekehrt und ihm ferngerückt ist, und sie sammelt Argumente und Gründe, welche Gott zu einer Umkehr und erneuten Zuwendung bewegen könnten. Er greift hierzu zu dem offenbar bewährten Paradigma ritueller Buße, von welcher er annimmt, daß sie Gottes Wohlgefallen finden könnte. Da er auf das Krankenlager geworfen ist, kann er die zum Bußritual gehörenden Vollzüge nicht allesamt übernehmen. Er behilft sich, indem er sich als Büßer präsentiert und auf die ihm möglichen notae der Buße verweist. Nach Wiederaufnahme der Bitte um Zuwendung und Rettung, Hilfe und Gnade in 5 (3), trägt er in 6 zuerst das Bedenken vor, daß im Falle seines Todes JHWH einen Anbeter und Bekenner verliere (derselbe Topos 30,10; 88,llff; 116,17; Jes 38,18): möglicherweise ist "|"DT pt zu lesen (vgl. G). Es hat den Anschein, daß die gedankliche Lücke nach 6 durch einen Textverlust verursacht ist, der auch 7 noch betrifft und die Struktur des Mittelteils beeinträchtigt hat. Nicht ganz deutlich ist der Hinweis in 7 (Anfang) auf eine Anstrengung des Seufzens (-íí-Reim). Wahrscheinlich ist an das rituell bedingte Klagegestöhn oder andere „Selbstminderungsriten" (Kutsch) gedacht (vgl. 31,11; 38,10; 102,6). Ein weiterer Hinweis gilt dem rituellen Weinen, jener Ausdruckshandlung, welche der kranke Büßer sehr intensiv vollzogen zu haben (impf it) bekennt (7), wozu das nächtliche Wachen gehört. 8 lenkt die Aufmerksamkeit auf einen Kummer, der sein Auge in Mitleidenschaft gezogen hat, der nach dem überlieferten Text im Wirken „all meiner Bedränger" seine Ursache hat. Der Hinweis auf zusätzliche Bedrängnis des Leidenden durch „Übeltäter" (9) soll vor allem die unglückliche Entwicklung der Gottesstrafe zur Menschenbedrängnis deutlich machen, um sie als einen Grund mehr für Gottes Intervention vorzubringen. 9—11: Scheit- und Bekenntnisworte (Metrum 4+4?). Nach einer weiteren Pause erfolgt in 9 ein Appell an offenbar Anwesende, die als Übeltäter beschimpft werden, zu gehen. Die Kraft zu solcher Abwehr gewinnt er offenbar aus der Gewißheit, daß sein „lautes Weinen" und „seine flehentlichen Bitten" Gehör fanden. Wie der Beter zu dieser Gewißheit kam, ist unklar. Zu denken ist etwa (1) an ein ihm überbrachtes Heilsorakel (zwischen 8 und 9) mit Erhörungszusage; (2) an einen inneren „Stimmungsumschwung" während des Gebets; (3) an die Gewißheit, die sich ihm aufgrund der vollzogenen Buße einstellt; (4) an Erfahrungen mit früheren Erhörungen. Jedenfalls kommt er zu dem zuversichtlichen Schluß, daß sein Gebet (wohl 2—8) alsbald angenommen werden wird. Da das seine Genesung bedeuten wird, kann er den in 11 überlieferten Schlußwunsch wagen, jene seine Feinde möchten bei ihrer zu erwartenden Rückkehr durch den Anblick des Genesenen beschämt werden, ja in Schrecken und Angst versetzt werden, weil sie offenbar in Gedanken und Worten schon mit dem Ende des Psalmisten gerechnet hatten. Doch ihr Geschick wird nicht weiter verfolgt. Im abschließenden Wunsch äußert sich wohl mit befreitem Atem Genugtuung in expressiven Sequenzen (3-Alliteration, Lautmalerei IIb).

44

David-Psalter I

Ps 7

Psalm 7 1

Ein Klagelied 3 von David, das er JHWH sang wegen Kusch b , des Benjaminiten.

2

JHWH, mein Gott, auf dich vertraue ich! Hilf mir vor allen meinen Verfolgern und rette mich! Daß er mich nicht zerfleische wie ein Löwe, reiße 8 , und kein Retter ist. JHWH, mein Gott, wenn ich das getan hätte, wenn Frevel wäre an meinen Händen; Wenn ich meinem Freunde 3 Böses getan, ausgeraubt hätte b grundlos meinen Bedränger, Dann jage der Feind mir nach, ereile mich und trete zu Boden mein Leben, und lege meine Ehre in den Staub. Sela.

3 4 5 6

7

8 9 10

11 12 13 14 15 16 17

Erhebe dich, JHWH, in deinem Zorn, steh auf bei den Ausbrüchen meiner Bedränger! Und erwache für mich 9 ! Ein Urteil hast du befohlen 0 . Und die Gemeinschaft der Nationen 3 umringe dich! Und über ihr zur Höhe kehre zurück! JHWH richtet die Völker. Schaffe mir Recht, JHWH, nach meiner Gerechtigkeit und der Unschuld, die bei mir ist! Es höre doch auf der Frevel der Frevler, den Gerechten aber richte auf, als der auf Herzen und Nieren prüft, gerechter Gott! Mein Schild, er ist über 3 Gott, der hilft denen, die aufrechten Herzens sind. Gott ist ein gerechter Richter und ein Fluchgott 3 an jedem Tage. Wenn er 3 nicht umkehrt, sein Schwert hämmert, seinen Bogen spannt und ihn anlegt Auf sich selbst hat er gerichtet die tödlichen Waffen; die Pfeile für sich, die macht er glühend 3 . Sieh, er empfängt Frevel und ist schwanger mit Unheil und gebiert Tücke! Eine Grube hat er gegraben und ausgeschaufelt; er fiel in das Grab, das er gemacht. Das Unheil kehrt auf sein Haupt zurück, und auf seinen Scheitel fällt das Unrecht herab. 45

Ps 7 18

Teil II: Auslegung

Buchi

Ich will JHWH preisen nach seiner Gerechtigkeit und besingen den Namen JHWHs, des Höchsten.

I a IVltP, hierund Hab 3,1, ist ungeklärt. Eventuell abzuleiten von akk sigü ,Klageruf' oder von hebr 7121® ,taumeln' (V: pro ignoratione David). - b M: ©13, Vrs: 'ttTD ,Nubier', .Neger', T: „Saul, Sohn Kischs"; andere: „Schimi, Sohn Kischs", vgl. 2S 16,5ff.; 18,21ff. (bes. 31ff.). 3" pns .wegreißen', .trennen' (vgl. 136,24); G setzt p j (l'X) dazu. 5 a G pl, vgl. 55,21. - b M: f^n pi .ausplündern', auch: .retten' (6,5; 18,20). G las wohl fn1? ,bedrängen', .quälen'. 7" G: „Herr, mein Gott" (^N). - b G umschreibt: „nach der Anordnung, zu der du Auftrag gegeben". 8° So gewöhnlich für D'ÖKV Belegt ist auch die Bedeutung .Leute', vgl. Prv 24,24; 11,26 (sg); Gen 25,3 (?). 11" Besser vielleicht: '^V „über mir". 12° M: D»T "78 (G: (ir¡) ist schwierig. Vielleicht für M ein geprägter Ausdruck, vgl. Nah 1,6; Hab 3,12; Ps 38,4; 69,25; 78,49; 102,11, auch Prv 24,24. 13 a G pl. 14° „zu Brandpfeilen", B'p1?! (HAL), vgl. Ob 18. Literatur: J. H . TIGAY, Psalm 7,5 and Ancient Near Eastern Treaties, JBL 89 (1970) 178-186. Bemerkungen zu Ps 7 , 4 - 6 , Z A W 91 (1979) 127-129. - R . L. H U B B A R D , Dynamistic and Legal Processes in Psalm 7, Z A W 94 (1982) 2 6 7 - 2 7 9 . - A . A . MACINTOSH, A Consideration of Psalm vii 12f., JThS 33 (1982) 4 8 1 - 4 9 0 . - N. LOHFINK, Ps 7 , 2 - 6 - vom Löwen gejagt, in: Die Freude an Gott - unsere Kraft, FS O. B. Knoch, Stuttgart 1991, 6 0 - 6 7 . C . MACHOLZ,

Ps 7, das Bittgebet eines Verfolgten und Angeklagten, weist eine strophische Struktur mit drei gleichmäßigen Teilen auf, die wohl ursprünglich aus je sechs, im 3+2-Metrum gehaltenen Zeilen bestanden. Diese Stilisierung läßt auf eine Niederschrift im Nachhinein schließen, die von der Tradition, offenbar im Zuge der Wiederverwendung, eingeebnet worden ist (3+3-Maße). Dabei sind auch einige Konkretionen im Bereich von 5 und 7f. abgeschliffen worden („Feind", sg oder pl). Seinen primären Ort hatte das Gebet im Rahmen sakraler Rechtshilfeinstitutionen, wohl im Zusammenhang mit der Einleitung eines Gerichtsverfahrens. Sowohl das Hilfebegehren und Unschuldsbekenntnis (2—6) wie der Gerichtsappell (7—11) gehören in diese Situation als auch die Reflexionen über die Chancen des noch ausstehenden Urteils (12—17) und das Gelöbnis der Anerkennung (18). Der mit 11 und 26 eng verwandte Text gelangte in die Reihe der Feindpsalmen des ersten David-Psalters. Datierung wie 3ff. Die Situierung im Leben Davids (1) ist nicht ganz nachvollziehbar. Sie erkennt in dem Psalm ein „Klagelied". HQMelch bezeugt 8f., 5/6HevPs 14 ff. 1: Überschrift, zweiteilig, mit einer angehängten Situationsbeschreibung aus dem Leben Davids, die analog zu 2S 16 (21) vorzustellen ist. David singt ein „Klagelied", ein Begriff, der zu 2ff. nur wenig paßt (vgl. auch Hab 3,1). 2—6: Erster Teil - Bitte um Hilfe und Unschuldsbekenntnis; ursprünglich wohl sechs 3+2 Zeilen, nachträglich zu 3+3 gedehnt. Bitte und Bekenntnis setzen die Situation eines Verfolgten und Beschuldigten voraus, der von einer Gruppe, vor allem von einem einzelnen Feind (vgl. 2 und 5f.; 10 und 13ff.), hart bedrängt wird und darum den Schutz und die Hilfe seines Gottes sucht. Zwei Mal (2.4) beteuert er seine Zugehörigkeit zu seinem Gott. Das erste Mal, um sein Vertrauen in die Rettung vor der akuten Lebensgefahr durch wilde Brutalität der Verfolger auszudrücken, die ihn zu zerfleischen drohen. Eine andere Rettung gibt es nicht mehr als das Asyl, doch wohl des Heiligtums (2f.); das zweite Mal, um in einer Art Reinigungseid - Schwurformulierungen in 4f. - die Beschuldigungen von sich zu weisen (vgl. Hi 31). Offenbar war solches für die Zulassung zum

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David-Psalter I

Ps 7

Asylschutz notwendig. Obwohl der Beter auf sehr konkrete Anklagen zu verweisen scheint (DNT), die ihm vorgeworfen wurden, geht nicht ganz klar hervor, um was für Beschuldigungen es sich handelt. 4b nennt „Frevel", der an seinen Händen kleben soll (vgl. 26,6); 5a spricht von bösen Taten an einem alten „Freund", 5b von „Ausplünderung" des jetzigen Verfolgers (G schwächt ins Allgemeine ab: nur ein Bedrängen). Jedenfalls muß es sich um etwas Schwerwiegendes gehandelt haben, das die Verfolger in Rage (7a) brachte und zur Rache trieb. Der Schwur war ursprünglich wohl mit einer Selbstverfluchung bekräftigt worden. Diese erscheint jetzt als anerkannte Sanktionsfolge für den Fall, daß die Anklagen begründet wären (6). Daraus ist zu entnehmen, daß es um ein todeswürdiges Verbrechen geht. Der Beschuldigte würde zu Recht von dem Feind verfolgt und seines Lebens beraubt, zumindest aber seiner „Ehre", was dem Tode gleichkommt. Er sucht dies abzuwenden - offenbar indem er sich auf ein Gerichtsverfahren einläßt. Dies verleiht ihm vorläufig Schutz vor dem Zugriff der Rächer. n^O markiert eine textliche wie zeitliche Zäsur (es fehlt nach 11). 7—11: Zweiter Teil - Appell an den göttlichen Richter; ohne 10 sechs Zeilen 3+2, mehrheitlich zu 3+3 ausbalanciert. Das Gebet richtet sich in neuer Anrede mit einem Appell an Gott den „gerechten Richter" (12, vgl. 10), in diesem Fall tätig zu werden und Recht zu schaffen „gemäß der Unschuld", die der Beter „bei sich" ('^S?) weiß. Wenn der Appell sich an den wendet, der „Völker richtet" (9) und von der „Gemeinde der Nationen" (besser wohl: Leute, Menschen) umringt ist, geht er davon aus, daß der göttliche Richter sich über die Verleumdungen der Verfolger des Beters entrüstet und erzürnt (7). Ja, es kann davon die Rede sein, daß ein Rechtsentscheid (üSWO 7) vom Richter in Auftrag gegeben ist (mx), der offenbar den Fall entscheiden soll. Es legt sich nahe, an ein Gottesgerichtsverfahren zu denken, wie es in 3ff., auch 26 zugrunde liegt (Beyerlin). Die Rechtsvorstellungen sind für eine metaphorische Deutung zu konkret. Der Konflikt der Parteien bedarf zwingend einer Lösung. Diese steht für 7,7ff. noch bevor, scheint aber eingeleitet zu sein. Unklar bleiben die Aussagen von 7b.8. Sollte nach 35,23f. etwa zu lesen sein: „Biete (hi) für mich das Gericht auf! Beauftrage 0?) die ,Versammlung der Leute', daß sie dich umgebe! Und übernimm über sie den Vorsitz (na® statt nai®)!", Wäre manches klarer. Dann wäre die angesprochene Instanz eine ms? als „Rechtsgemeinde" (vgl. Prv 5,14; Ps 111,1 und vor allem Sir 4,7; 7,7; 42,11). M dachte wohl mehr an das Völkergericht (9a). Doch auch die folgenden Wendungen beziehen sich auf den Einzelfall. Die Bitte um gerechtes Gericht entspringt der Sorge, die „Gerechtigkeit" und „Unschuld" lasse sich in dieser Angelegenheit nicht anders beweisen als durch „Prüfung von Herzen und Nieren" (vgl. Jer 11,20; 20,12, auch Ps 75,8ff.), was immer sich auch dahinter verbirgt (10b). 10a liest sich wie ein Zusatz, der über die göttliche Gerechtigkeit im allgemeinen nachdenkt (vgl. 104,35) und auf diese Weise den Fall in größere Zusammenhänge stellt. Das Anliegen des Beters formuliert noch einmal 11: Er braucht göttlichen Schutz, und zwar den Rechtsschutz des Anwalts derer, die „geraden Herzens" sind (vgl. 11,2; 36,11; Hab 2,4 u. a.). 12—17: Dritter Teil - Überlegungen zum Ausgang des Verfahrens; wieder sechs Zeilen im (sekundären?) 3+3-Metrum. Am Anfang steht das Bekenntnis zu „Gott, dem gerechten Richter" (12a). Aus ihm ergeben sich die Hoffnungen, die der auf das Urteil wartende Psalmist hegt (12bff.). Unverständlich ist 12b. Eine Parallelaussage zu 12a wäre zu erwarten (vgl. G). Aus dem Rechtsprinzip der Vergeltung bei falschem Zeugnis leiten 13f. ab, daß der Ankläger keine Chance hat - falls er die Klage nicht zurückzieht.

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Ps 7/8

Teil II: Auslegung

Buchi

Denn dann fällt er durch seine eigenen Waffen. Der falsche Vorwurf trifft ihn selbst. Die heimtückischen Brandpfeile werden zu tödlichen Geschossen. Noch einmal wird deutlich, was auf dem Spiele steht. Einen anderen Aspekt bedenkt 15: Das Böse vererbt sich. Die böse Idee zeugt die böse Tat und diese ein böses Geschick ("705?), ein schicksalwirkender Fluch, eine synthetische Verkettung, die auch in diesem Falle Tun und Ergehen verbindet. "iptP "T*?1 ist wohl Zusatz. Er führt in eine andere Richtung (Ergänzung zur 3+2Zeile?): die Ätiologie der Lüge. 16 benützt ein Sprichwort (vgl. Prv 26,27; Ps 9,16), um sich weiter Mut zu machen: immer ist es so gewesen. Daß gleichwohl Sorge den Psalmisten beschleicht, zeigen die immer neuen Beispiele, so auch zuletzt 17. Das Gesetz gilt, die Untat kehrt wie ein Bumerang zum Kopf als ihrem Ausgangspunkt zurück; der hochgeworfene Stein trifft den eigenen Schädel - in der Regel. Jedenfalls lehrt so die Weisheit (vgl. Sir 27,25—29, bes. 25). Der Psalmist möchte sich darauf verlassen. 18: Lobversprechen; 3+3. Behält die Zuversicht die Oberhand? Macht er sich selber Mut? Er denkt jedenfalls bereits an den Ausgang und will in jedem Falle JHWHs Gerechtigkeit anerkennen (18a) und seinen Namen besingen (18b). Er unterwirft sich der höchsten Instanz. II'1? 57, im Psalter ein Gottesepitheton mit einer langen Vorgeschichte (vgl. Dt 32,8; Ps 18,13ff, dazu Zobel ThWAT), begegnet hier zum ersten Mal (vgl. 9,3). Es ist nicht sicher, ob seine Verwendung hier seine Bedeutungsgeschichte voraussetzt (vgl. 82,6). Doch hat sein Erklingen in Jerusalem seine besondere Bewandtnis (Gn 14,18ff.;Ps 97,9).

Psalm 8 1

Für den Chorleiter: Auf der Gititischen". Ein Psalm von David.

2

J H W H , unser Herr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde! Gib doch a von deiner Hoheit über dem H i m m e l . . .

3

4 5 6 7

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Aus dem Mund der Säuglinge 3 und Kinder b hast du eine Zuflucht geschaffen, um deiner Widersacher 0 willen, fernzuhalten Feind und Rächer. Ja, ich darf deinen Himmel sehen, das Werk deiner Hände: den Mond und die Sterne, die du befestigt hast! Was ist ein Mensch, daß du an ihn denkst, und ein Einzelner, daß du auf ihn eingehst? D u hast ihn nur ganz wenig geringer gemacht als Götter 8 und mit Ehre und Würde ihn gekrönt. b D u hast ihn über das Werk deiner Hände gesetzt, alles hast du unter seine Füße gelegt:

David-Psalter I

8 9 10

Ps 8

Schafe, Ziegen und Rinder zumal, und auch die wilden Tiere. Die Vögel des Himmels und Fische des Meers, und was seine Bahnen in den Meeren zieht. JHWH, unser Herr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!

l a Wohl ein Musikinstrument (aus „Gath"?). 2 a Alte crux, s. Vrs. Von 1D3 oder rnn II pi „besungen werden". Besser K3 HTtt'N „ich will singen". 3 a So traditionell nach M. Doch ist D'Vn» wohl nicht von Vlff II,säugen' („Säuglinge"), sondern von *7"ll? I pi,unrecht handeln', bzw. V?» II mhe .tätig sein' (HAL) abzuleiten, vgl. Dt 22,14.17; Ps 141,4 (= n,171» bzw. a,1?1?U7» „Missetäter"). - b Entsprechend ist Dyj',Säuglinge' als durch das Mißverständnis ("71S7 II) entstandene Anpassung anzusehen, wohl aus D T (N = 'D?) schwer nachvollziehbar. Die Ableitung von TW (bzw. von rnn II) ist akzeptabel. Der hymnische Preis in Form der Anbetung - die Anrufung vom Rahmenvers wird übernommen - gilt Gottes Majestät und Hoheit (der Sonne?) „über den Himmeln" (oder: sie ist größer „als die Himmel"): eine Prädikation, vergleichbar 104,1 f.; 19,2a. Vorstellbar wäre hier ein Anschluß an die Aussage: „du hast 50

David-Psalter I

Ps 8

eine Macht oder Festung geschaffen" (par 3), und vielleicht hatte der rezipierte Hymnus so gelautet. Der Gedanke an die geschaffene „Festung" gegen das Chaos läßt den Beter an ein anderes Bollwerk (T57) denken, zu dem für ihn sein Gott - und konkret die von ihm geschaffene Institution eines Horts für Verfolgte und Angeklagte - geworden war (Hab 1,12). Die Erwähnung von Verfolgern und Bedrängern (Hier I.P., M: 2.P.) - als Verfolger des Beters sind sie auch die seines Gottes - und von „Feind und Rächer" und deren Vernichtung (D3tT hi) ist eindeutig (vgl. 44,17 u. a.). Die vieldiskutierte Restaussage betrifft ebenfalls jene Gegner, bezeichnet als „Übeltäter" und „Schinder" (korr.), vor deren „Mund" = Wort und Rede der Beter sich in Schutz gebracht sah. Die Anzeichen deuten auf den Fall eines Angeklagten, dessen Gebet zum größten Teil aus einem Hymnus besteht, in den er seine Worte eingeflochten hat. In solchem Kontext liest sich 4 nicht als Auftakt zu dem großen Staunen über den Menschen - „der gestirnte Himmel über mir", „wenn ich deinen Himmel schaue..." - , sondern als Bekenntnis dessen, der die in 3 nur angedeutete Krise wider Erwarten - und im Unterschied zu den falschen Zeugen und „Rächern" - überlebt: „Ja, deinen Himmel darf ich (weiterhin) schauen..." Der nächtliche Himmel entspricht dem vorgegebenen Hymnus oder der Situation vor dem Urteil am Morgen. Zu 4 vgl. 19,2f.; Gn l,14ff. 5—9: Anbetung des Schöpfers, 4+4 (Grundmaß). Ab 5 fehlen Ich-Aussagen: Der Beter überläßt sich ab 6 dem vorgezeichneten Hymnus. Dieser führt ihn dann auf den Höhepunkt theologischer Aussagen über „den Menschen", nota bene den Einzelmenschen als Individuum. Die staunende Frage 5 (wie ein Seufzer, vgl. 2.10), wohl immer noch auf das selbst Erlebte bezogen, gilt der Erfahrung, daß der Schöpfer des Himmels und der Erde sich um den einzelnen Menschen (W1JX; DIN p ) kümmert, daß er an ihn denkt ("DT) und ihn (be-)sucht (TpD) - „heim-sucht" in gutem Sinne daß er die Beziehung zu ihm aufrecht erhält und erneuert. 5 legt aus, was andere Aussagen mit "TOn und nöK bezeichnen. Getragen von eigener Wirklichkeitserfahrung findet er einen einzigartigen Ausdruck des Glaubens über Wesen und Würde des Menschen: hominem iustificari Deo (Luther), vgl. Hab 2,4. 6—9 bieten in hymnischer Diktion in Wiedergabe eines vorverfaßten Textes eine theologische Bestimmung „des Menschen", die der imago-Dei-Aussage von Gn 1,26ff. entspricht. Beziehungen zwischen beiden Texten sind anzunehmen. Sie verlaufen wahrscheinlich über die priesterliche Offizialtheologie mit Sitz am Jerusalemer Heiligtum, die in Hymnen ihren Niederschlag fand (hymnischer Hintergrund bei Gn 1 P). Der Mensch (Gn 1,26 DIN) ist neben „Gott" gestellt. Ihm mangelt wenig, zu sein wie Gott (oder wie Götter), denn er vertritt ihn als sein Bild (Abbild, Ebenbild, Ikone), vgl. Gn l,26f. Daß wie Gn 1 vor allem die Bild-Funktion, d.h. die Repräsentation Gottes auf Erden, gemeint ist, zeigt 6b, wo dem Menschen die Insignien und Privilegien eines Königs zugewiesen werden: Krönung mit Würde (1133) und Hoheit (TTn, vgl. Tin 2b, dort Gottesprädikat). Als solcher vertritt er den himmlischen König, ausgestattet mit dessen Hoheit und belehnt mit dessen Autorität. Königsprädikate werden zu Grundbegriffen der Anthropologie - Zeichen der theologischen Würdigung und Hochschätzung „des Menschen". 7faßt diese Würdestellung in zwei parallele Sätze: Er ist eingesetzt als Herrscher über die Schöpfung (7a), wobei der Ausdruck: „Werk deiner Hände" auf die persönliche Verantwortung hinweist, in der der Herrscher der Welt steht 07WÖ hi betont das Subjekt der Einsetzung). Sodann: Alles ist ihm Untertan (7b), alles, die ganze Schöpfung, „das Universum", soweit es „unter seine Füße" gebracht werden kann - Universum im Sinne der Antike), also: Herr über 51

Ps 8/9

Teil II: Auslegung

Buchi

alles, dominus terrae omnis. Was dies für den Hymnus bedeutet, explizieren 8f.: Es ist vor allem die belebte Welt, die Tierwelt, welche dem Menschen unterstellt wird (wie Gn 1). Die Aufzählung nennt zahme (8a) und wilde Tiere (8b), Vögel und Fische (9a) und zuletzt die unbekannten Ungeheuer in den Meeren (9b) - die Reihe schreitet von der nahen und vertrauten Wohn-Welt zu ferneren Bereichen des Ur-Walds und Ur-Lands, der Luft, des Meeres und des Ur-Ozeans: Das Reich des Menschen ist noch Auftrag und Ziel, und es entspricht jenem himmlischen Bollwerk gegen das Chaos, das der hymnische Anfang in 2b preist.

Psalm 9/10 9,1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

52

Für den Chorleiter: Jugend für den Sohna. Ein Psalm von David. (K) Ich will danken, JHWH, von ganzem Herzen! Ich will erzählen alle deine Wunder! Ich will mich freuen und jubeln über dich! Ich will deinen Namen besingen, du Höchster! (3) Denn meine Feinde weichen zurück; ins Straucheln gebracht kommen sie um vor dir. Ja, du hast mir verschafft Recht und Gericht, hast auf den Stuhl dich gesetzt, ein gerechter Richter. (J) Hast Völkern® gedroht, vernichtet den Frevler, ihre Namen gelöscht für immer und ewig: Der Feind8 - sie sind erledigt, Trümmerb allezeit hast Städte ausgerissen0, ihr Andenken ist zunichte. (n) Jene 3 ..., doch JHWH bleibt in Ewigkeit; aufgestellt hat er seinen Stuhl zum Gericht. Er wird den Erdkreis richten nach dem Recht, den Nationen sprechen ein gerechtes Urteil. (1) JHWH wird eine Burg sein dem Bedrückten, eine Burg für die Zeiten in Not. Auf dich vertrauen, die deinen Namen kennen, denn nicht verläßt du, die dich suchen, JHWH. (T) Singt JHWH, der auf Zion wohnt, kündet unter den Völkern seine Taten! Denn er ahndet Blutschuld, denkt an sie", vergißt nicht das Schreien der Elenden0! (n) Sei mir gnädig8, JHWH, sieh mein Elend - es ist von meinen Hassern - , der du mich hochhebst von den Toren des Todes!

David-Psalter I

15 16 (ü) 17 18 (') 19 (3) 20 21 10,1 CO 2 3 4 5

(a?) (3?)

(D?)

6 7

(S?)

8 (5?)

10 (2?) 11 12 (j?)

Ps 9/10

Damit ich erzähle von all deinem Ruhm, in den Toren der Tochter Zion jauchze über deine Hilfe! Völker 8 versanken in der Grube, die sie gemacht, im Netz, das sie verborgen, fing sich ihr Fuß. Bekannt sei, daß JHWH Gericht hielt: Im Tun seiner Hände verfängt3 sich der Frevler! Pause. Sela Zurück zur Unterwelt sollen die Frevler, alle Völker®, die Gott vergessen! Gewiß nicht für immer sei der Arme vergessen, die Hoffnung der Demütigen3 gehe niemals verloren! Erhebe dich JHWH, daß Menschen nicht zu mächtig werden, daß Völker 3 gerichtet werden vor deinem Angesicht! Setze sie, JHWH, in Schrecken 3 ! Die Völker b sollen erkennen, daß sie Menschen sind! Sela. Warum, JHWH, stehst du fern, verschließt dich für die Zeiten in Not? Mit Hochmut verfolgt der Frevler den Elenden. Sie 3 sollen gefaßt werden nach Plänen, die sie erdacht. 3 J a , der Frevler rühmt gegen den Wunsch seines Herzens b , und Gewinn machend0 preist er. JHWH verwirft er d . Der Frevler mit Hochnäsigkeit: Er ahndet nicht! Es gibt keinen Gott! - Sein ganzes Sinnen! 3 Sie lassen erbeben seine Wege3 zu jeder Zeit. Zu hoch b erscheinen ihm deine Urteile von fern; gegen alle seine Gegner läßt er Zeugen auftreten 0 . Er spricht in seinem Herzen: Ich wanke nicht! Für alle Zeiten - nie 3 mehr im Unglück! Ein Fluch 3 ! Sein Mund ist voll Tücken und Gewalt. Unter seiner Zunge ist Unheil und Unrecht. Er liegt auf der Lauer in Höfen, aus den Verstecken tötet er den Unschuldigen. Seine Augen verbergen3 den Unglücklichen. Er lauert im Versteck wie ein Löwe im Busch. Er lauert, den Elenden zu fangen. Er fangt den Elenden und zieht ihn ins Netz. 3 Niedergetreten b sinkt er zusammen und fällt durch seine Besieger 0 - Unglückliche0. Im Herzen spricht er: Vergessen hats Gott, hat sein Gesicht verborgen, nicht gesehen, für immer! Steht auf, JHWH, Gott, hebe die Hand! Vergiß nicht die Elenden 3 ! 53

Ps 9/10

Teil II: Auslegung

Buchi

13

Weshalb darf der Frevler lästern, Gott? Im Herzen sprechen, dua ahndest es nicht? 14 (1) Du - ja du - siehst doch Leid und Kummer, du schaust - zu legen in deine Hand, Dir stellt es anheim der Arme, die Waise - du bist doch der Helfer!3 15 Zerbrich den Arm des Frevlers und Bösen 9 ! Ahnde seinen Frevel, daß du nichts mehr findestb. 16 JHWH ist König immer und ewig! Die Völker9 sind verschwunden6 aus seinem Land! 17 (n) Den Wunsch der Demütigen9 hast du gehört, JHWH! Du festigstb ihre Herzen, dein Ohr merkt auf. 18 Recht zu schaffen Waisen und Bedrückten, daß er nicht länger mehr vertreibe9 Menschen aus dem Lande. 9,1° Wörtliche Wiedergabe des unklaren Ausdrucks. Die Vrs versuchen es mit a*7i? I,verbergen' (G) oder ü^ff III ,stark sein' (A, 0 u.a.) oder mit Umschrift als Name. 6" M: CHI (wie 9,16.18.20.21; 10,16) für ein wahrscheinlich zugrundeliegendes Clä ( = CK1) .Hochmütige' (Rosenbaum). 7" Textschaden durch Verlust der I-Doppelzeile. Möglicherweise wurde die zweite 1Zeile von Resten der 7-Zeilen verdrängt. - b G übersetzt: „Schwerter" (von 3"in). - c So M; einige Mss ntf 03 („du hast niedergerissen"). 8" Abtrennung gegen M wegen der n-Zeile und gegen G, die |AET' r^ovc, (nan) „lärmend" liest und auf den „Feind" bezieht. 13° Oder nrili? „ihr Wunsch", vgl. 10,17. - b Es ist nicht sicher, ob M einen Unterschied zwischen CHS ,Demütige' (9,13Q; 9,19K; 10,12Q; 10,17) und C'3» ,Elende' (9,13K; 9,19Q; 10,12K; 10,17Mss, Vrs) intendiert. 14" Ursprünglich pf wie einige Vrs, vgl. 4,2. 16" S. zu 9,6: CSU. 17" M: pt qal (HAL); die Vrs lasen pf ni. 18" S. zu 9,6. 19" So K; Q: „Elende" wie 10,12. 20* S. zu 9,6. 21" N-N» = KU»; G las wy-otizurp „Lehrer", „Gesetzgeber". - b S. zu 9,6. 10,2" M pl. 3" a-Zeile fehlt. Statt V j m a : V7na(?); Vrs pass. - b Besser: „er rühmt Unrecht nach Herzenslust". - c Statt pt SS3 .Gewinn'. - d Mit fXJ könnte die J-Zeile beginnen. Dann wäre die zweite 8-Zeile verloren gegangen (vgl. 9,7). 4" Der Ausdruck steht isoliert. Er könnte mit 5aa den größten Teil der zweiten J-Zeile gebildet haben. 5" K sg. Wohl auf '357 (2) zu beziehen. - b Beginn der D-Zeile mit 110: „sie sind gewichen", G: ävTavatpsiTai „aufgehoben sind". - c rPB1 von ms I,blasen' oder II,aussagen',,bezeugen' (HAL), vgl. Prv 6,19; 14,5.25 u. a. 6* HPK fraglich (='3?). 7" Randglosse zu 7? 8" M. Besser T S S ' „ s p ä h e n nach..." 1 0 " S-Zeile. Ist ein p'TS ausgefallen? - b Q qal (besser ni). - C M . prp: vnssnaa „durch seine Anschläge". - d Q CJO ^ n „Heer der Verzagten". S3"7n* (akk Lehnwort? HAL) ,dunkel', ,elend', zu unterscheiden von HD^n in 8.14? 12" Q wie 9,13: C1J», vgl. 17. 13" Vrs z.T. 3.P. 14" Gestörte Wortfolge im 1Doppelvers: „Du siehst doch Leid und Kummer, ja du schaust auf den Armen und die Waise. | Dir stellt man es anheim, legt es in deine Hand - du bist doch der Helfer!" 1 5 " prp: T P I N H S H „und zerschlage ihn und a h n d e . . . " - b Vrs pass. 16" S. zu 9,6. - b G imp: „vernichtet!" 17" Mss, Vrs: C337; vgl. 9,13. —b T'Dfl; G übersetzt nominal: TYJV cToi[AN 'ans „Feuerkohlen" (so 2 ) zu ändern. - b HAL: „Wirbelsturm". Vgl. aber 119,53; Cant 5,10. T M sg. - b M: lö'lS ungewöhnliche Form für V3D, vgl. la'SD Hi 27,23 u. a. Literatur:

M . MANNATI, L e P s a u m e X I , V T 29 ( 1 9 7 9 ) 2 2 2 - 2 2 8 . - P. AUFFRET, Essai sur la

structure littéraire du psaume 11, ZAW 93 (1981) 401 -418. - O. LORETZ, Gottes Thron in Tempel und Himmel nach Psalm 11. Von der orientalischen zur biblischen Tempeltheologie, UF 26 (1994) 245-270.-

Ps 11 ist das persönliche Zeugnis eines Verfolgten, der sich für den Rechtsweg entschieden hat, am Tempel um Asyl nachsucht und ein Strafverfahren beantragt. Der Text hat die Funktion eines förmlichen Gesuchs, ist aber dennoch persönlich geprägt - bis hin zu ungewöhnlichen (dialektähnlichen?) Sprachformen (vgl. 3.7). Die Diktion ist kurzatmig und gepreßt, mit rhythmischen Steigerungen hin zu den Höhepunkten in 4 und 7, und offenbart so die Spannung eines schweren Entschlusses. Die Argumentation ist getragen vom Bekenntnis des Vertrauens in den, der „gerecht ist und Gerechtigkeit(en) liebt" (7) und führt zu dem einzig möglichen Ausweg der Konfliktlösung (1). Der Psalm schließt sich an 7 und die mit 3 beginnende Reihe der Gerichtspsalmen an - 8 und 9/10 gehören auch dazu - und führt hin zu den mit 12 beginnenden Feindklagen. Verwandt ist die Gruppe 61—64. Der Text hat gelitten, vor allem offenbar durch Mißverständnisse von M (vgl. 1.2.6), die die griechische Überlieferung nicht aufweist. 1—4 ist in 5/6HevPs belegt. Die Frage der Verortung und Datierung ist nur im Zusammenhang der Reihen zu lösen. Es kommt wohl nur eine (spät)nachexilische Entstehung in Frage. laa: Überschrift, mit nur zwei Angaben, wie 14,1; 15,1. Vgl, 3,1; 4,1. 1—3: Vertrauensbekenntnis mit Absage. Der erste Teil dieses persönlichen Zeugnisses eines Verfolgten läßt in seinen sich steigernden Satzrhythmen (1: 2+3+4[3]; 2: 2 + 3 + 4 + 5 ; 3: 3+3 [=6]) noch etwas spüren von der Atemlosigkeit, in der diese Worte gesprochen worden sein müssen. Die innere Entscheidung ist bereits gefallen; der Psalmist setzt allein auf die Zuflucht, die er „bei JHWH" zu finden hofft (1), und stellt sich damit in eine Reihe mit den Psalmisten von 5,12; 7,2; 16,1; 61,5 u.a. Doch anders als sie spricht er explizit von der Anfechtung, die der vielleicht wohlmeinende Rat seiner Umgebung („ihr!") - oder ist es der tückische Plan der Verfolger? - , ins Gebirge zu fliehen „wie ein Vogel", für ihn bedeutet hat. Die Situation war offenbar kritisch. Über die Ursache und Entstehung erfahren wir nichts Konkretes. Das Diktum in 3b läßt erahnen, daß man ihm irgendwelche Taten C?S7D) vorwirft, was allerdings in der Konsequenz existenzgefährdend ist. Er weist den Vorschlag einer Flucht in die „vogelfreie Existenz" mit Nachdruck zurück (la). Die Gründe dafür nennen schlagwortartig 2 und 3 ('D). Einmal haben die Verfolger - er nennt sie D'^tin „Schuldige" bzw. „Frevler" - ihn bereits im Visier und ihre Pfeile auf ihn angelegt, und sie warten auf die Gelegenheit zum Schuß - am besten „bei Dunkelheit". Das vorgeschlagene „wie auf Vögel" entspricht dem Sinn, wiederholt aber lb. Das Bild von der Vogeljagd (vgl. DTID 6 [M]) ist in diesem Zusammenhang geläufig, vgl. 7,13f.; 55,7; 64,4; 124,7 u.a. Die Selbsteinschätzung "W 31? entspricht 7,11; 36,11; 64,11 u.a., vgl. 7. Die Dunkelheit im Gebirge läßt die Verfolger ungestraft töten. Zum andern gibt der Flüchtling sich und sein Haus endgültig preis. Er hört schon - so ist 3 am besten zu verstehen - die Rufe der Gegner: Hinab bis aufs Fundament (vgl. 137,7)! Völlige Vernichtung - auch der Familie (vgl. 109,9ff.)! Zum dritten macht sich ein Fliehender selbst verdächtig und bestätigt so den Vorwurf der

60

David-Psalter I

Ps 11/12

Ankläger. Das ironische Diktum: „Der Gerechte, was hat er getan?" bringt ihn ins Gerede und stellt die Frage nach der Schuld. Der Psalmist sucht keine Ausflucht; er flieht zu seinem Gott. Das kann nur heißen: Er bittet im Tempel „bei JHWH" um Zuflucht und Asyl (4.7). 4—7: Antrag mit Vertrauenserklärung. Der zweite Teil ist formal ein Antrag auf Gewährung von Rechtshilfe in dem anstehenden Konflikt. Das zeigen die imperfektischen Jussivformen in 3.Person (5mal), meist mit göttlichem Subjekt (Ausnahme 7: die Folge). In diesem Teil herrscht eine ähnliche rhythmische Steigerung wie im ersten (4a: 1+2+1+2; 4b: 2+2+2; 5: 4+4; 6: 4+2+4; 7: 3+2+3), die dem Gedankengefälle zur Lösung hin entspricht. Es dominieren die Zweier. Gelegentlich begegnen Alliterismen (z.B: in 4). Es kann nach der Entscheidung für den Weg der Zuflucht beim Heiligtum nicht nur um Asylaufnahme gehen, weil sie den Konflikt zwar entschärft, aber nicht löst. Der Psalmist beantragt darum förmlich eine Untersuchung und Lösung des Falls im Rahmen des Gottesgerichtsverfahrens. Dem dienen die Erklärungen in 4—7 im einzelnen. Es beginnt mit der Berufung auf die höchste Instanz - den Richterstuhl des im Tempel gegenwärtigen Gottes „im Himmel" (4a). Es folgt die Bitte um Prüfung der „Leute" (4b); im Gerichtsverfahren werden beide Parteien, Ankläger und Angeklagte, überprüft und beurteilt. Hinter der theologischen Aussage stehen konkrete Abläufe, die nicht im einzelnen im Gesuch genannt werden. Das gilt auch für 5, der ein Urteil beantragt (p'TS- 37BH, vgl. Hab 2,4) und zugleich vorbringt, daß über Dan ,Unrecht' zu entscheiden ist. Hier dringt die Überzeugung durch, selbst im Recht zu sein und in diesem Recht von JHWH selbst anerkannt zu werden. Daran schließt sich der Wunsch nach Bestrafung an (6). Ob aus den genannten Strafarten nach dem Talionsrecht auf die (falsche?) Anklage oder das „Unrecht" der Verfolger geschlossen werden kann, ist fraglich. Es geht wohl um Vorstellungen vom Strafvollzug: „glühende Kohlen" (vgl. 140,11), „Feuer und Schwefel" (vgl. Hi 18,15) über das Haus; Rausch- und Gifttrank als „Becheranteil" (vgl. 16,5; 23,5 und 75,8f.). Nach dem Strafantrag beschließt eine Vertrauenserklärung in 7 das Gesuch. Ähnlich wie 5 hebt sie auf die Gerechtigkeit JHWHs ab, der - so die Hoffnung - nicht anders kann, als „Gerechtigkeiten" bei Menschen zu „lieben" und diese zu der höchsten Gnade zuzulassen, nämlich „sein Angesicht zu schauen". Auch diese Heilsgabe wird kultisch vermittelt. Sie bildet Ziel und Höhepunkt des Verfahrens (vgl. 17,15; 27,4.8f.; 63,3; 140,14).

Psalm 12 1

Für den Chorleiter: Auf der achten. Ein Psalm von David.

2

Hilf JHWH, denn der Fromme ist am Ende, denn die Treuen sind verschwunden3 unter den Menschen. Nichtiges reden sie, einer mit dem andern; mit glatter Lippe3 reden sie, jeder in seinem Herzenb.

3

61

Ps 12

Teil II: Auslegung

Buchi

4

Austilgen m ö g e J H W H alle glatten Lippen, die Zunge, die Großes redet.

s

Sie sagen: Mit unserer Zunge siegen wir! Unsere Lippen für uns a ! Wer ist Herr über uns? Wegen der Bedrückung der Rechtlosen und des Seufzens der Armen stehe ich auf - so spreche J H W H ich setze in Freiheit, ich bin ihm ein Zeuge 8 ! -

6

7 8 9

D i e Worte J H W H s sind rein, Silber, geläutert im Tiegel zur Erde", siebenmal ausgeseiht. D u , J H W H , mögest sie" bewahren; du mögest ihn behüten vor diesem Geschlecht allezeit! Ringsum die Gottlosen, sie gehen umher; wenn sich Gemeinheit erhebt 8 gegen die Menschen.

2" 10S, von OOS akkpasäsu ,auswischen' (hpleg), Bedeutung aus dem Parallelismus erschlossen, mit pl Subjekt; denkbar wäre auch ein Abstraktplural ,Treue', was in 2a zu Konjekturen führen würde. 3" Wörtlich: „des Glatten" bzw. „der Glattheiten". - b Meist übersetzt: „aus zwiefältigem Herzen" o.ä. n a T 3b ist überzählig. 5 a Oder besser: „ist unser Karst", nach n s III ,Pflugschar', ,Waffe'(?). 6" rTS' nach ug jp(j)h .Zeuge' (vgl. 27,12, so Miller 495ff.). T V7573 fraglich, T: ,Schmelzofen'. Wohl ein technisches Gerät (Filter[?]). 8" Wohl auf ,Worte' zu beziehen (Suffix 3.P. f pl, sonst nicht belegt, vgl. GK § 58). 9" So M. Ursprünglich vielleicht rii'?T(n)(n)ai3 „wie Gewürm, das du verachtest" (vgl. Vrs) oder n"7TD 133 „verborgen oder: bekannt sind die Sternbilder den Menschen"(?). Literatur: W . E . MACH, A Note on the Text of Psalm XII 9, VT 21 (1971) 610-612. - P . D . MILLER, yapiah in Psalm X I I 6 , V T 2 9 (1979) 495-501. - E. S. GERSTENBERGER, Psalm 12: Gott hilft dem Unterdrückten, in: Anfänge der Christologie, FS F. Hahn, Gießen 1983, 83—104. -

Zwischen 11 und 13 stehend gehört Ps 12 in weiterem Sinn zu den Feindpsalmen und Klagegebeten. Er bildet ein sehr ebenmäßig gebautes Gedicht mit drei Strophen (2—4; 5—6; 7—9), deren mittlere offenbar verkürzt ist (6). Es dominieren die parallelen und halbierten Vierer, die einen wiegenden Rhythmus erzeugen. Nach dem Rahmen zu urteilen, ist er ein Fürbittegebet (2ff.8f., anders G) mit einer Situationsschilderung (2—5.9) und einem Gotteswortzitat (6) samt Doxologie (7). Es handelt sich wohl um eine Art liturgisches Gebet, dessen konkreter Anlaß in der Verleumdung eines Frommen (2ff.) anzunehmen ist, vor der ein befreiendes JHWH-Wort Hilfe bringen soll („kultprophetische Klageliturgie"). Der weisheitlich beeinflußte Text gewinnt seine Spannung durch die Konfrontation von menschlichen und göttlichen Absichtserklärungen 5 und 6. Ein realer Hintergrund ist schwer greifbar. Für eine Datierung gibt es kaum Anhaltspunkte. Der knappe, aber durchsichtige Originaltext mit Höhepunkt im dreifachen Vierer (6) wurde wahrscheinlich sekundär erweitert in 3 (letztes Wort), 7 (technische Glosse ay) und geglättet (G). Seltene Wörter und Formen erschweren das Verständnis. 5 - 9 ist in llQPs 0 , 6 - 9 in 5/6HevPs bezeugt. 1: Vgl. 6,1.1 verweist auf sekundären liturgischen Gebrauch. 2 - 4 : Hilferuf für den Bedrängten. Sechs Vierer. Im Blick des Psalmisten steht (nach 62

David-Psalter I

Ps 12/13

M) ein TOn, ein frommes Glied aus der offenbar schwindenden Zahl der Gemeinde der „Getreuen", die ihrerseits von den „Gottlosen" heftig mit Worten in die Enge getrieben werden. Offenbar ist daran gedacht, daß sie durch Ausstreuen von Gerüchten und Verleumdungen („Lippe der glatten [Worte]") eine allgemeine Stimmung und ein gefährliches Klima der Vorurteile zu erzeugen vermögen (3), dem der ohnehin rechtsschwache oder gar rechtlose TOn und seine Anhänger nicht mehr gewachsen sind (5). 4 formuliert den allgemeinen Wunsch, JHWH möge alle seine Feinde ausrotten (vgl. 104,35). 5—6: Feindzitat und JHWH-Wort. Wohl fünf Vierer. Die dicta signalisieren erfolgreiche Taktik des Rufmords, vielleicht im Vorfeld eines Gerichtsverfahrens. Eher als die Zitation eines ergangenen Gotteswortes ist die Erwartung eines zukünftigen gemeint ("tDX'' nicht ION, 8 wäre danach deplaziert), d. h. 6 ist ein direkter Appell an JHWH, so zu denken und so zu reden, und „jetzt" auf den Plan zu treten und für den Ton - wie für die rechtlosen Armen - einzutreten, und zwar als „Zeuge" (rrs'), der den Prozeß verhindert oder entscheidet. Es ist möglich, daß an ein sakrales Gerichtsverfahren (wie 11) gedacht ist. 7—9: Bekenntnis und Bitte um Bewahrung. Sechs Vierer. 7 preist JHWH-Worte - das zitierte oder ähnlich konkrete Heilsansagen - als lauter und bewährt durch den Vergleich mit geläutertem Silber (technische Terminologie für die Silbergewinnung aus Bleiglanz, BRL 2 42ff.; 219ff.; vgl. Jer 6,27ff.). Die Bitte geht gegen „dieses Geschlecht", das die Treuen umkreist und beengt, wie - falls T es richtig verstanden hat - das „verächtliche Gewürm", das eine Bedrohung des menschlichen Lebens überhaupt ist.

Psalm 13 1

Für den Chorleiter: Ein Psalm von David.

2

Wie lange noch, J H W H ? Wirst du mich für immer vergessen? Wie lange noch verbirgst du dein Antlitz vor mir? Wie lange noch lege ich Sorgen 0 auf meine Seele? b Ist Kummer in meinem Herzen tagelang 0 ? Wie lange noch erhebt sich mein Feind über mich? Schau her, antworte mir, J H W H , mein Gott! Mach hell meine Augen, daß ich nicht zum Tode entschlafe! Damit nicht mein Feind spricht: Ich habe ihn erledigt! Und meine Widersacher jubeln, weil ich wanke. Ich aber vertraue auf deine Gnade; mein Herz freue sich deiner Hilfe. Ich will J H W H singen, denn er hat mir Gutes getan. 9

3

4 5 6

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Ps 13

Teil II: Auslegung

Buchi

3" Zu lesen möglicherweise n(1)3Si II,Schmerz' für illX!? (HS371 in Sir 30,21 par dwn .Kummer'). - b Ausgefallen wohl ein: „Wie lange noch?". - c Wörtlich: „am Tage". Nach G A , S h legt sich 0V •V 6" G erweitert mit 7,18: „und will spielen dem Namen JHWHs, des „Tag für Tag" nahe. Höchsten". Literatur: A. LAUHA, „Dominus Benefecit". Die Wortwurzel 'JBI und die Psalmenfrömmigkeit, in: FS G. Gerleman, ASTI 11 (1978) 57—62. - O . H . STECK, Beobachtungen zur Beziehung von Klage und Bitte in Ps 13, BN 13 (1980) 5 7 - 6 2 . - H. IRSIGLER, Psalm-Rede als Handlungs-, Wirkund Aussageprozeß. Sprechaktanalyse und Psalminterpretation am Beispiel von Psalm 13, in: Neue Wege der Psalmenforschung, FS W. Beyerlin, HBS 1 (1994) 6 3 - 1 0 4 . -

Ps 13 gilt als Prototyp der Gattung „Klagelied des Einzelnen" (Gunkel), seiner klagenden Töne wegen, aber auch wegen seines klaren Aufbaus: Klage (2—3), Bitte (4—5), Bekenntnis und Gelübde (6). Bemerkenswert ist die Stufenstruktur des Textes. Es folgen aufeinander: fünf Fünfer, vier Vierer, zwei Dreier, zwei Zweier - mit kleineren Ausfällen (3.5). Der kranke und angefeindete Beter steigt Stufe um Stufe empor, über Klagen und Vorwürfe, zu Bitten und Sorgen, zu Vertrauensaussagen und endlich zum Dankgelübde. Es markiert die Spitze oder die Plattform, von der aus der Psalmist seinem Gott zu singen gedenkt (6). Der Text wird z.T. von HevPs (1—3) und llQPs c (2—5) bezeugt. 1: Überschrift, vgl. 4,1. 2—3: Klage. Fünf fünfhebige Zeilen (die vierte ergänzt). Fünf gleichgebaute Zeilen bilden die Basis des gestuften Psalms. Sie beginnen mit dem Klageruf: Wie lange noch, an den sich jeweils eine Frage anhängt, die dadurch zum Vorwurf wird, unterstützt durch klagende Töne und Laute (Alliteration, ö, 3). 2 wirft, nach eingeschobener Epiklese, JHWH vermeintliches Vergessen vor („auf immer"?), was auf längere Leidenszeit schließen läßt. Vergessen steht gegen Gedenken (8,5). Es meint Vernachlässigung einer Beziehung (vgl. 74,19 und 50,22). Es folgt der Vorwurf der Abwendung. Abkehr, Verbergen des Gesichts bedeutet Entzug der Gemeinschaft (vgl. 27,9; 51,13, dazu Nu 6,25f.: Gottes Angesicht im Kult). Nach diesen persönlich gehaltenen Vorwürfen werden die Fragen direkter und konkreter in 3. „Sorgen" bzw. „Schmerzen" und „Kummer" sind dem Beter „auf die Seele" und „in das Herz" gelegt. Er hat Befürchtungen, die in 4 näher erläutert werden. Sie halten an, Tag und Nacht, und haben mit einem Feind zu tun (3b). Ob der Beter erkrankt oder angefeindet und verfolgt ist, oder ob beides zutrifft, ist nicht zu entscheiden. Die lange Leidenszeit aber spricht eher für letzteres. Die Situation ist jedenfalls belastet vor allem durch Feind (sg) und Gegner (pl)(5), vgl. 27,6. 4—5: Bitte. Vier vierhebige Zeilen (die dritte kürzer). Vier als Vierer gebaute Zeilen bilden das Stockwerk der Bitten. Möglicherweise begannen sie alle mit akrostichischem n (in 5 Frage-H ersetzt?). Die Epiklese, durch ein persönliches „mein Gott" erweitert, ist wieder eingeschoben (4). Der Teil beginnt mit Imperativen, die zur Reaktion auffordern. Der Beter wünscht Zuwendung und Antwort. Er wünscht, daß seines Gottes Blick ihn treffe und seine Augen erleuchte, an deren Dunkelwerden er die Nähe des Todes („zum Tode entschlafen") erkennt. Dies deutet eben auf schwere Krankheit (vgl. 6,8; 38,11); für sie ist allein sein Gott zuständig. 5 indes nimmt die „Feinde" in den Blick, die die Situation offenbar für ihn erschweren. Einer ist aktiv daran beteiligt (41,10, vgl. 3b). Er möchte sagen können: Ich habe ihn überwältigt. Ist auf wirtschaftliche Folgen

64

David-Psalter I

Ps 13/14

angespielt, aus denen er Nutzen zu ziehen gedenkt? Erbschleicherei o. ä.? Oder ist er ein Fanatiker, der gegen Verdächtige zu Felde zieht? Schnüffelei und Verleumdung? Die anderen Gegner warten eher ab bis zum Entscheid, passiv, aber nach des Beters Meinung in Vorfreude auf seinen „Fall" (vgl. 38,17). Zitate im Bittgebet dienen der Klage und Anklage. 6aaß: Vertrauensbekenntnis. Zwei dreihebige Halbzeilen (sollte 6b die dritte gewesen sein?). Der Beter erinnert daran, daß er selbst immer schon (pf) und auch jetzt (Koinzidenz) auf JHWHs Gnade gesetzt hat. nü3 bezeichnet die Pflege und Aufrechterhaltung einer persönlichen Beziehung, getragen durch Gegenseitigkeit. Für den Beter ist sie gestützt auf JHWHs Zuwendung ("TOn). Diese Beziehung begründet seine Hoffnung auf Hilfe. Er ist sich sicher, sich bald über die Hilfe als einer Heilserfahrung freuen zu können. 6ay.b: Gelübde. Zwei zweihebige Halbzeilen (ohne 6b?). Der Beter gelobt, JHWHzu singen, d. i. Dank und Lob abzustatten (vgl. die Ergänzung von G). 6b entspricht 142,8. Gemeint ist die conditio - „wenn er mir Gutes getan hat" - oder causa - „denn er hat mir (immer) Gutes getan". Möglich ist auch, in 6ay.b den Beginn des Danklieds zu sehen (vgl. 116,12). Es wäre die letzte Stufe, die der Beter erklommen hat.

Psalm 14 1

2 3 4 5 6 7

Für den Chorleiter: Von David. 8 Der Tor spricht bei sich: Gott ist nicht da! Sie handeln verderblich, ihr Tun ist abscheulich. Keiner ist, der Gutes tut. J H W H blickt vom Himmel herab auf die Menschen, um zu sehen, ob es Kluge gibt, die Gott suchen. Keiner, der abfällt - allesamt sind sie verderbt 3 - , ist, der Gutes tut. Es ist auch nicht einer. Wissen sie nicht, die Übles tun die mein Volk fressen (wie) a man Brot ißt, aber J H W H nicht anrufen b ? Sie erschrecken sehr - daß Gott beim Geschlecht des Gerechten ist? Die Gemeinde des Demütigen macht ihr zunichte! Denn J H W H ist seine Zuflucht. 9 Daß doch von Zion die Rettung Israels käme! Wenn J H W H sein Volk wiederherstellen wird, dann jubelt Jakob, freut sich Israel!

1" G ergänzt: 3 a n^S nach arab Äquivalenten: ,säuern'(?). 4 a Korrektur: D „wie"; M: „sie essen Brot". - b M. Vorgeschlagen wird stattdessen: „(seinen) Namen" (DtP). 6" Wörtlich, aber unverständlich; vgl. 53,6: „denn Gott hat sie verworfen". -

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Ps 14

Teil II: Auslegung

Buchi

Literatur: P. AUFFRET, «Qui donnera depuis Sion le Salut d'Israël?» Étude structurelle des Psaumes 14 et 53, B Z 35 (1991) 2 1 7 - 2 3 0 . -

Ps 14 und Ps 53 sind sicher auf einen gemeinsamen Urtext zurückzuführen, haben aber je eine eigene Überlieferungsgeschichte, so daß es erforderlich ist, sie getrennt nach ihrer Jetztgestalt auszulegen. Die Struktur des Urtextes läßt erkennen, daß auch diese abgesehen von Über- und Unterschrift (in 1 und 7) - Ergebnis eines Reflexions- und Interpretationsprozesses ist, dergestalt, daß sich an die beiden tragenden Sentenzen la und 3a thetische Aussagen ankristallisiert haben (lb.2 und 3b.4.5.6), die zur weisheitlichen Diskussion des „Syllogismus" beitragen wollen. Dabei ist 4—6 in Unordnung geraten (vgl. 53), was bei einem solchen Sentenzenkommentar und seiner Schreibweise nicht verwundert. Offenbar gehören 4aa.5b; 4b.5a.6b* (= 53,6b.ß) (unklar 6a, zu 4aß?) zusammen, die durch eine Zeilenverschiebung getrennt worden zu sein scheinen. Die Überschrift macht aus der Diskussionsvorlage ein individuelles Psalmlied. Die Unterschrift fügt den Wunsch nach Erneuerung der durch den Unglauben gefährdeten Ziongemeinde an, verbunden mit der Ankündigung jubelnder Freude am Tage solchen Heils. 1—6 wird teilweise von llQPs c bezeugt. Der Ps hat in Rm 3 den Höhepunkt seiner Wirkungsgeschichte. laa: Überschrift. Der Vergleich mit 53 zeigt, welchen anderen Weg 14 gegangen ist (Davidpsalter I): „Lied" statt „Lehrgedicht". Letzteres trifft den Charakter des Textes besser. la*: Erste These und Sentenz in poetischem Stil, 3+2(3), mit Alliteration und Silbenspiel "73, a y Das Dictum: Es ist Gott nicht, als eine These ohne Unterscheidung der Aspekte (Es gibt keinen Gott! und: Gott ist nicht da!), macht den Sprecher und Denker zum „Toren", beschränkt an Erkenntnis und Weisheit. Zugleich gilt die These auch umgekehrt: Ein Tor kann nur atheistisch denken; Glaube ist Weisheit. Der Zirkelschluß gibt der Sentenz ihre Balance. Wie ein Pendel schlägt sie aus von der Torheit zur Behauptung des Nicht-Daseins Gottes und von der Weisheit des Glaubens an das Sein Gottes zurück zur Definition des Toren. Sie behauptet ihrerseits die Verkettung von Glaube und Erkenntnis, von Bewußtsein und Wesen des Menschen, die von der zweiten Sentenz (3) ins Ethische weitergeführt wird. Die Sentenz zeigt einen Zusammenhang auf, den der Atheist leugnet: Nur der an Gottes reale Existenz Glaubende ist frei für Erkenntnis in Gedanke, Wort und Tat. Wer diese Grundvoraussetzung nicht teilt, ist befangen, gefangen im Kerker seines Unglaubens und seiner Unvernunft, seiner vermeintlich Gott-freien Welt. Der Glaube an Gott aber setzt die Vernunft frei. lb.2: Diskussionsbeiträge in Prosa, lb denkt beim Stichwort „Ungläubige" offenbar an die Heiden, die zu seiner Zeit an den Gläubigen verderblich und schädlich handeln, ohne das Subjekt (pl) solchen Handelns zu nennen. 4a macht dazu Andeutungen im Bild, die uns unverständlich bleiben. Der Vorwurf, keiner sei, der Gutes tue, stammt aus der dritten Sentenz. Hier wird er zur pauschalen Verurteilung aller Ungläubigen und Heiden. 2 wehrt sich gegen den Vorwurf, Gott sei nicht anwesend, indem er auf die Vorstellung von JHWH als himmlischer König und Richter verweist (vgl. 33,13; 102,20), der die „Menschenkinder", d. h. alle Menschen unsichtbar beobachtet, um die Seinen zu erkennen. Kriterium solchen Erkennens ist wiederum das „Suchen Gottes", d.i. - wie die formelhafte Wendung anzeigt - das Aufsuchen Gottes im Gottesdienst. Die Besu66

David-Psalter I

Ps 14/15

eher der Gottesdienste werden als klug und einsichtig beurteilt. Wieweit die heidnische Umwelt hier mitgemeint ist und in welchem Sinne, ist nicht auszumachen. Die weltweite Perspektive könnte sogar ein heidnisches „Gottsuchen" einschließen. Sie hat ihren Orientierungspunkt an dem Theologumenon vom himmlischen König JHWH (vgl. Hi Ii.; 42). 3: Zweite These und Sentenz, 2+3, mit Zusätzen. Die 53,4 etwas anders überlieferte These, die ihrer Logik nach so wiederzugeben ist: In der Gesamtheit derer, die (vom Glauben) abfallen, gibt es keinen, der Gutes tut, führt die erste Sentenz ethisch weiter, indem sie einen Zusammenhang zwischen Gottesglauben und ethischem Handeln aufzeigt. Die Formulierung hält sich im Negativen: Der Apostat wird zum Übeltäter; wer den Glauben aufgibt, gibt die Moral auf. Zu vergleichen wäre die Sentenz Prv 14,14. Auch hinter dieser Sentenz mögen Erfahrungen stehen. Ihre Diktion ist indes thetisch. Sie läßt keine Ausnahmen zu - der Zusatz 3b erhärtet dies - , sie gilt prinzipiell und absolut. Der Zusatz im ersten Teil bringt wieder die Heiden ins Spiel. Diese sind - so behauptet er - apriori „durchsäuert" (Bedeutung fraglich), d. i. von Natur als Ungläubige verderbt und so prinzipiell ohne Moral. 4—6: Ergänzende Thesen in Prosa. Die vermutlich durch Zeilenverschiebung durcheinandergeratenen Zusätze zur zweiten These haben unter sich nur den Zusammenhalt des Rahmenthemas. Sie bestehen (1) aus einer rhetorischen Frage, die behauptet, daß eigentlich auch die Übeltäter wissen müßten, daß Gott bei der „Generation" des Gerechten sei (4aa.5b); (2) aus einem Hinweis auf das ganze Verhalten der Feinde des „Volkes" des Psalmschreibers: Sie „fressen" es auf (4aß, dazu 6a*: die Gemeinde des Armen?); (3) aus der Behauptung, daß alle, die JHWHs „Namen" nicht anrufen, dereinst furchtbar erschrecken werden, wenn sie merken, daß JHWH sie auch verlassen, ja „verworfen" hat (4b.5a.6b corr.). 7: Nachtrag, bestehend aus dem Wunsch, Israels Rettung möge vom Zion her kommen, d.h. das Heil der Gegenwart Gottes auf dem Tempelberg möge alle, die sich zu „Israel" zählen, retten, und der Ansage, daß bei der Wiederherstellung des JHWHVolkes (Rechtsterminologie: restitutio in integrum) Jakob und Israel sich jubelnd freuen werden - Hinweis auf die kultischen Feste, welche alsdann das wiederhergestellte und wiedervereinte Volk zu feiern gedenkt. Dieser Nachtrag bezieht sich auf das Problem der durch Unglauben gefährdeten Integrität der Gemeinde (Israel, Jakob) und hofft auf das Wunder einer Erneuerung.

Psalm 15 1

Ein Psalm von David. JHWH, wer darf weilen in deinem Zelt, wer darf bleiben auf dem Berg deines Heiligtums?

2

Wer fehllos wandelt und recht tut und der Wahrheit treu ist im Herzen; 67

Ps 15 3

4

5

Buchi

Teil II: Auslegung

Der keine Verleumdung auf der Zunge trägt", nichts Arges tut seinem Nächsten und keine Schmach bringt über seinen Nachbarn; In dessen Augen der Ausgestoßene" verhaßt ist und der die JHWH-Gläubigen ehrt, der Wort hält, auch wenn er sich zum Schadenb geschworen; Der sein Geld nicht auf Wucher gibt und Bestechung gegen Schuldlose nicht annimmt. Wer das tut, wird niemals wanken!

3 a "?jn .verleumden'. statt SSI. -

4" G: „der Bösartige", S: „der Störer". -

b

G (S): „Nächster", von nsn

Literatur: P. D. MILLER, Poetic Ambiguity and Balance in Psalm XV, VT29 (1979) 416-424. - P. AUFFRET, Essai sur la structure littéraire du Psaume XV, VT 31 (1981) 385-399. - L . M . BARRÉ, Recovering the Literary Structure of Psalm XV, VT 34 (1984) 207-210. - W. BEYERLIN, Weisheitlich-kultische Heilsordnung. Studien zum 15. Psalm, BThSt 9 (1985)(Lit.). - F.-L. HOSSFELD, Nachlese zu neueren Studien der Einzugsliturgie von Ps 15, in: Die alttestamentliche Botschaft als Wegweisung, FS H. Reinelt, Stuttgart 1990,135-156 (Lit.). -

Ps 15 gehört in den Umkreis der Tempeleinlaßliturgie (Koch), der Einzugs-Tora (Mowinckel), des Pfortengesprächs, mit welchem der Zugang zum heiligen Ort geregelt wurde. Seine atl. Parallelen sind 24,3—6 und Jes 33,14—16. Analogien zu den Zulassungsbedingungen bilden entsprechende Tempelinschriften, die vor allem aus dem ägyptischen Raum belegt sind. Die dialogische Form von Pilgerfrage und Priesterantwort, der Bezug zum heiligen Zionberg und der, größtenteils negativ formulierte, Katalog der Gründe für den Ausschluß lassen annehmen, daß 15 seine primäre Funktion in diesem Zusammenhang hatte. Dies trifft auf den Grundbestand des Textes zu, der wohl in einer dreigliedrigen Profilbeschreibung (2 ohne und in drei Stichen sechs Negativformulierungen (3aa||3b; 3aß||4b; 5aa||5aß, ohne 4a und 5b*) als eine Art Fragekatalog dem Besucher vorgesagt oder vorgelegt wurde. Bemerkenswert ist die immanente Norm sozialen Verhaltens. Der Text wurde wahrscheinlich sekundär durch positiv formulierte Anforderungen (4a) und eine Verheißung (5b*) zu einer Art „Beichtspiegel" (Galling) für den Gerechten zur Selbstprüfung erweitert. Die Beziehung zum Dekalog ist nicht klar. Der Text ist in gutem Zustand. 1—5 ist in 5/6 HevPs teilweise bezeugt. 1*: Überschrift, vgl. 3,1. 1*: Anfrage (3+3). Die Epiklese eröffnet ein Gebet. Dieses besteht aus zwei Fragen, die Berechtigung zum Aufenthalt auf dem heiligen Berg betreffend. Insofern bilden sie die Einlaßfragen, die am Eingang, der Torliturgie entsprechend, vom Pilger geäußert werden mußten. Als Sitz im Leben ist das Einlaßritual anzunehmen - jedenfalls für die Primärform von 15. Es geht um „verweilen" und „wohnen" im Sinne des Gastrechts, daher der bildhafte Terminus „Zelt" - vielleicht zugleich eine vage Erinnerung an 2S 7,2 - , der mit der Bezeichnung „Berg deines Heiligtums" parallelisiert wird. Gemeint ist der Tempelberg Zion. Konkret kommen für die Pilger und Besucher nur die Vorhöfe in Frage. Dort ist auch der kontrollierte Eingang („Tor der Gerechtigkeit", 118,19f.) zu suchen.

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David-Psalter I

Ps 15

2—5: Auskunft (ursprünglich wohl Dreier). Der als Tora-Liturgie viel diskutierte Text (Koch; Steingrimsson; Beyerlin), der die offizielle Antwort auf die Anfrage enthält, besteht aus drei Teilen: (1.) einer dreigliedrigen Charakterisierung des zuzulassenden Gerechten (2); (2.) einem Negativkatalog von ausschließenden Handlungen (3—5aß; positiv erweitert in 4a) und (3.) einer über den Anlaß hinausweisenden, möglicherweise sekundären Verheißung für den, der diesen Anforderungen genügt (5b*). Wiederverwendung des Textes scheint zu Ergänzungen geführt zu haben, die das geistliche Profil des Gläubigen verdeutlichen sollten. (1.) Die dreigliedrige Formel beschreibt das Profil des Gerechten mit formal-ethischen Begriffen nach Wandel, Tun und Reden, wobei der Aspekt der Integrität ohne Einschränkung - durch Einrede oder Widerspruch der Mitbesucher kenntlich gemacht - vorherrscht: fehl- und makellos („vollkommen") der Wandel, ordnungsgemäß („in Rechtheit") die Taten, verläßlich und ehrlich („fest und wahr") die Rede - gemeint ist wohl mit "im (qal) zunächst die öffentliche Rede (Zeugenaussage z. B.) - , später auf das private und innerliche Reden „im Sinn" (1D3V3), d. h. auf die Gesinnung hin erweitert, das der Gewissensprüfung, nicht der Einlaßuntersuchung, standhalten muß. (2.) Die dem „Beichtspiegel" verwandten Negativ-Bekenntnisse waren wohl primär katalogartig abgefragt worden. Es scheint, daß sie paarweise einander zugeordnet waren nach dem Schema: Vs + V + O/P || O/P + "7S + V. Dann gehörten 3aa||3b; 3aß||4b; 5aa||5aß sachlich zusammen, nunmehr durch die Erweiterung in 4 anders geordnet. Die erste Absage (3aa) gilt der Verleumdung 0?2n) durch eine lose Zunge. Sie gilt als Gefährdung des Zusammenlebens und hat hier höchste Priorität. Der Gerechte muß dem abschwören. An zweiter Stelle steht jetzt (3aß) die Störung und Zerstörung der Beziehung zum Mitmenschen („des Nächsten") durch böse Taten (Wortspiel Hin insn1?, vgl. 4b [G]), wobei wahrscheinlich nicht Verbrechen und Vergehen, sondern andere, subtilere Machenschaften gemeint sind, die rechtlich nicht faßbar waren: z.B. Schmach und Schande über seinen Nachbarn bringen (3b), was etwa durch Verhöhnung und Verleumdung (3aa parallel zu 3b) geschehen konnte. 4a scheint eine Erweiterung des Negativkatalogs zu sein. Er fügt zwei notae des Gerechten hinzu: Der Verurteilte, Verstoßene, Ausgesetzte - durch Gerichtsbeschluß oder Unreinerklärung der Kultinstanzen - muß ihm „verhaßt" sein, d. h. er muß solche Entscheide auch gegen menschliche Rücksichten anerkennen; und: Er muß die Gott-Gläubigen ehren (oder gar „unterstützen" wie im Elterngebot Ex 20,12 par), eine Anforderung, welche über die allgemeinen Sozialpflichten dieses Katalogs hinausgeht. Die nächste Absage folgt in 4b. Sie gilt dem Nichthalten eines durch Schwur bestätigten Versprechens. Zusagen müssen verläßlich sein, sonst bricht das soziale System zusammen, und berechenbar, auch bei eigenem Nachteil, sonst bricht die Wirtschaft zusammen. Zuletzt kommen die Absagen an Wucher und Bestechung (5a). Der Gerechte muß auch gegenüber diesen Versuchungen apodiktisch und kategorisch Nein sagen. Geld auf Zins zu leihen, was bei üblichen 30-50% Wucher bedeutet, war in Israel verboten (Ex 22,24; Lv 25,36f.; Dt 23,20) und verpönt. Gleiches gilt von dem Krebsübel der Bestechung, vor allem für Richter und Beamte (Ex 23,8). Beides gab es in vielen Spielarten. Der Gerechte hat sich in diesen Hinsichten beim Heiligtumsbesuch zu erklären. (3.) 5b, die Verheißung, gehört möglicherweise auf die Sekundärebene des Psalms (zu 2bß; 4a). Sie gilt weniger dem Einlaß begehrenden Pilger als dem diesen Text meditierenden Beter. Ihm wird zugesagt, dem Gerechten, daß er so nicht wanken und fallen wird, wie es 13,5 befürchtet. Er hat Zukunft. 5b scheint aus weisheitlichem Denken zu stammen, vgl. 112,6; 21,8.

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Ps 16

Teil II: Auslegung

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Psalm 16 1 2 3 4

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Eine Votivinschrift. Von David. Schütze mich, Gott, denn ich vertraue auf dich. Ich" habe zu JHWH gesagt: Mein Herrb bist du. Mein Lebensglück kommt nicht gegen dich0, von" den Heiligen, die es im Lande auch gibt, und den Mächtigen, die mein Gefallen nichtb haben. Zahlreich sind ihre Götzenbilder 9 ... Nicht gieße ich ihre Blutspuren aus, und nicht nehme ich ihre Namen auf meine Lippen. JHWH ist Anteil (mein Teil)8 am Becher. Du bist es, der mein Los hältb. Die Lose sind mir gefallen auf Erfreuliches; ja, mein8 Besitzteil gefällt mir sehr. Ich will JHWH preisen, der mich belehrt hat; ja, in den Nächten haben mich meine Nieren gemahnt. Ich stelle8 JHWH ständig vor mich, denn, ist er mir zur Rechten, wanke ich nicht. Darum freut sich mein Herz, es jubelte mein ganzes Wesen8; ja, mein Leib bleibt wohlbehalten. Denn du überläßt meine Seele nicht der Unterwelt, nicht gibst du zu, daß dein Getreuer die Grube schaut. Du zeigst mir den Weg des Lebens: die Fülle der Freuden vor deinem Angesicht, die Wonnen zu deiner Rechten allezeit.

2" M wohl aramaisierend (l.P. sg). - b Mit G ' H S „mein Herr". Erwägenswert wäre wegen der unterschiedlichen Gottesbezeichnungen eine Korrektur: OJN mrp1? „zu J H W H halte ich". - c Wörtlich; klarer wäre •piy'ja'ja nach 2 , Hier, T „nicht ohne dich"; weitergehend ist der Vorschlag: D'tmi? "73 ^ B ^ a , etwa: „des Teufels sind alle ,Heiligen'". 3" V parallel zu mir"? (2). - b M: „all 0?3) mein Gefallen haben (hatten) sie" ist unklar (vgl. G). Verbesserungsvorschlag *73 (Mowinckel). 4° 4aa ist nur teilweise verständlich. Übersetzbar wäre auch: „zahlreich werden (oder machen sie) ihre Schmerzen (3X57 II) oder Götzenbilder (3X57 I)". n n a HIN „die einen andern (fremden Gott) eingetauscht haben" (GesB 26) von "ins ,(Brautpreis) bezahlen', ,kaufen'? Oder: „hinterher eilten sie" (pi)? 5" y ^ n Dublette oder Interpretament („Teil meines Anteils"). - b T a i n pt (oder THil „immer"). 6® Suffix mit Vrs; wohl aram Spracheinfluß. 8" Unklare Bedeutung; wohl von HUP II pi ,hinlegen' (HAL), vgl. 21,6; 89,20. 9" Schwieriger Tempuswechsel; 9a möglicherweise sekundär aufgefüllt. M: 'TQa „meine Ehre", G: „meine Zunge". Erwägenswert ist die Lesung: H33 „meine Leber" ( = „Seele"), vgl. 7,6. Literatur: W. QUINTENS, Le chemin de la vie dans psaume X V I , EThL 5 5 ( 1 9 7 8 ) 2 3 3 — 2 4 2 . W. A . M . BEUREN, Psalm 16: The Path to Life, Bijdr. 4 1 ( 1 9 8 0 ) 3 6 8 - 3 8 5 . - F . D . HUBMANN, Textgraphik und Psalm X V I 2 - 3 , V T 3 3 ( 1 9 8 3 ) 1 0 1 - 1 0 6 . - K . SEYBOLD, Der Weg des Lebens. Eine

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David-Psalter I

Ps 16

Studie zu Psalm 16, ThZ 40 (1984) 121 - 1 2 9 (Lit.). - J. A. MINDLING, Hope for a Felicitous Afterlife in Psalms 16, 49, and 73, Laur 32 (1991) 305-369. -

Ps 16 wird herkömmlich zu den „individuellen Vertrauensliedern" („Schutzpsalm", vgl. Birkeland, Mowinckel) gezählt, wobei zunehmend auf seinen Bekenntnischarakter hingewiesen wird (Eißfeldt, Dahood, Lindblom), während die Beziehung zur Institution des Heiligtumasyls (Pidoux, Delekat) in den Hintergrund tritt. Zur besonderen Eigenart des stark persönlich geprägtenTexts (Selbstzitate 2ff., Aussagen zum eigenen Befinden 9f.) gehört die Verbindung von Gebets- und Bekenntnisstil. Auffällig ist der Gebrauch der apodiktischen Partikel *73 (4mal) und f]K (3mal), die auf konfessorische und emphatische Rede hinweisen. J H W H allein ist sein Gott; alles hat er auf ihn gesetzt, ist die Grundaussage des Psalms, für den man einen kultischen Sitz annehmen muß. D e r nicht näher datierbare Text hat in den ersten Zeilen gelitten. So bleiben in 2—4aa manche Unklarheiten und Unsicherheiten. Zu 1 vgl. 5/6 HevPs, zu 7—9 4QPs c . 8—11 wird in Act 2,25-28.31 (zu 10 vgl. Act 13,35) zitiert. l a : DrDÖ mutmaßlich ,Sühne- oder Weihinschrift' (von akk katämu .bedecken', .sühnen'), G - die Aussage, die das wiederholte Geben (nnrn) guter Gaben betonen will. Ein n"7D erwartet man eher bei 7 (oder 8); bei 3 ist es nicht erklärbar. Den Gedanken wiederholter Zuwendungen an den König führt 4 weiter, indem er - man könnte im Kontext von 3 und 5 an impf it denken (anders allerdings als 7) - an „Segensgaben des Glücks bzw. des Guten" erinnert, mit welchen JHWH seinem Gesalbten entgegentritt, zu denen vor allem die goldene Krone gehört: m o s („Kranz", „Krone") - wieder mit auffälliger n/B-Alliteration in 4. Der Gedanke an ein Krönungsfest legt sich nahe. Das Diadem ist Symbol der vor allem in 6 angesprochenen Königswürde. Zu den Gaben gehört nach 5 - immer noch mit t-Akzenten, übergehend in gutturale Alliteration - ein langes Leben, um das der König gebeten hat (^StT). Es ist wohl an feierliche Zusagen 92

David-Psalter I

Ps 21

gedacht, wie die Ewigkeitsformel in 5b zeigt, welche in solchen Zusammenhängen geläufig zu sein scheinen (vgl. 45,7; 72,5.17; 110,4 u.a.). Pracht und Glanz zeigen die „Herrlichkeit" (1133) an, die dem König durch JHWHs Hilfe (vgl. 2) in hohem Maße zukommt. Sie bilden gleichsam den Ornat, der dem König von Gott umgelegt wird (zu n m "Tin vgl. 96,6; 104,1 u. 45,4). In 7 geht die Erinnerung an die Königsgaben in den Wunsch über, es möge dem König solches auch in Zukunft geschenkt werden (wieder dominieren die n/"T-Akzente). Insbesondere soll unter den Gaben die Freude, die vom Angesicht JHWHs ausgeht, d.i. die Freude an Gott und an seiner Hilfe, den König beleben - ein von 9 ff. bestätigter Hinweis auf eine wenig erfreuliche Situation des Königreichs. 8: Wie 10 (z. T.) und 14 Kommentar des Psalmbeters (-lesers und/oder - benutzers) zu dem aufgegriffenen Königspsalm 2ff. im 3+3-Metrum, der die Einsicht festhält, daß der König, wenn er das ihm in dem Gebet 2ff. nahegelegte Vertrauen auf JHWH persönlich aufbringt, nicht wanken und fallen kann. Die Erwägung, die zusätzlich das Theologumenon „die Gunst des Höchsten" (vgl. 91,1.9; 92,2 - das Epitheton ist häufiger in den nicht davidischen Psalterien belegt: 46,5; 50,14; 73,11 u. a.) verwendet, erinnert an Jes 7,lff., an Ps 2,11b, aber auch an ein Leitmotiv des Gebets des einzelnen, z.B. 13,6; 52,10 bzw. 4,6; 22,5f. u.a. 9—13: Wünsche, Grundmetrum wohl 3+3, z. T. an 4+4 angenähert. In diesem Psalmteil ist offensichtlich der in 2ff. erwähnte König selbst angeredet. Jedenfalls erscheint dies im Zusammenhang von 21 sinnvoller als eine neue Anrufung im Gebet. Der König wird im höflichen Jussiv-Stil aufgefordert, kraft der ihm übertragenen Vollmacht gegen seine Feinde vorzugehen (vgl. 20,7ff.). Offenbar ist an eine militärische Aktion gedacht (T), doch fehlen konkrete Hinweise (vgl. aber 60 z. B.). Die Feinde sind zugleich die, die den judäischen König hassen (9). 10 ist überladen. Er scheint ursprünglich etwa so gelautet zu haben: „Wie ein Feuerofen sei dein Gesicht, im Zorn mögest du sie verzehren." Die Aussage wurde uminterpretiert und auf JHWHs Angesicht bezogen. Dazu bedurfte es der erklärenden Beifügungen: „zur Zeit deines Angesichts, JHWH"; „du mögest sie machen wie"; „in seinem Zorn möge er sie verschlingen", wobei an eine Epiphanie gedacht ist, vgl. 18,8ff. 11 wünscht die totale Vernichtung wie beim Kriegsbann, d. h. Ausrottung mitsamt Frauen und Kindern aus dem Menschengeschlecht (N/57Alliteration). 12 deutet perfektisch an, daß bestimmte politische Pläne der Feinde vorliegen, welche eine Reaktion erforderlich machen (vgl. 2,1 ff.). Indes werden sie von vorneherein keinen Erfolg haben. Denn, so weiß 13 vorauszusagen, die Feinde werden in Panik fliehen, sobald der König Ernst macht und den Pfeil auf die Sehne ("irra) legt. Dieses Motiv entspricht der Vorstellung von der Intervention JHWHs im Krieg, die die Feinde durch seine Präsenz in die Flucht schlägt, vgl. 18,15.32ff., bes. 38ff. (41). Die tAkzente in 13 (10) haben wohl eine andere Funktion als in 3ff. Oder sollen sie die Emphase andeuten, mit der die Worte dem König eingeschärft werden? Die Vollmacht fordert Taten. 14: Gebetsbitte der Psalmsänger, die für ihre Zeit um JHWHs machtvolle Intervention bitten. Sie erhoffen für sich, was sie im alten Königstext lesen, und versprechen, dann ähnliche Lieder über neue Machttaten zu singen und zu spielen, wie sie es jetzt mit dem „alten" Lied Ps 21 tun (vgl. 1). Sie erwarten einen neuen Auftritt JHWHs ("|T3?3); über 93

Ps 21/22

Teil II: Auslegung

Buchi

dessen Art und Weise sprechen sie nicht, auch nicht über eine Wiederholung der Vorgänge hinter 2 ff. 9 ff.

Psalm 22 1

Für den Chorleiter: Nach: „Die Hindin8 der Morgenröte". Ein Psalm von David.

2

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?8 Fern von Hilfe für mich - die Worte meines Schreiens1*. Mein Gotta, ich rufe am Tag, aber du antwortest nicht, und bei Nacht gebe ich keine Ruhe.

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Du bist doch der Heilige, der über den Hymnen9 Israels thront. Auf dich haben unsere Väter vertraut, haben vertraut, und du hast sie errettet. Zu dir haben sie gerufen und wurden gerettet; auf dich haben sie vertraut und wurden nicht zuschanden. Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch mehr, der Spott der Leute und verachtet vom Volk. Alle, die mich sehen, verhöhnen mich, öffnen die Lippe, schütteln den Kopf: Wälze" es auf JHWH! Er mag ihn retten, mag ihn herausreißen. Er hat ja Gefallen an ihm! Ja, du bists, der mich aus dem Mutterschoß zog, der mich den Brüsten der Mutter anvertraut". Auf dich bin ich geworfen von Mutterleib an. Von Mutterschoß an bist du mein Gott. Entferne dich nicht von mir! Denn die Not ist nah, denn es gibt keinen Helfer." Umstellt haben mich viele Stiere, die Starken Basans haben mich umringt. Sie haben ihr Maul gegen mich aufgesperrt: ein reißender und brüllender Löwe. Wie Wasser bin ich hingeschüttet, und alle meine Gebeine haben sich gelöst.

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Ps 22

Mein Herz ist geworden wie das Wachs, zerflossen in meinem Innern. Trocken wie eine Scherbe ist meine Kraft 9 , und meine Zunge klebt an meinem Kiefer. Und in den Todesstaub legst du mich. Ja, Hunde" umringen mich, eine Gruppe von Übeltätern hat mich umzingelt. Wie ein Löwe b - meine Hände und Füße. Ich a kann alle meine Knochen zählen; sie sollen zuschauen, herabsehen auf mich. Sie teilen meine Kleider unter sich, und über mein Gewand werfen sie das Los. D u aber, J H W H , sei nicht f e m ! Meine ganze Stärke 3 , eile mir doch zu Hilfe! Rette mein Leben vor dem Schwert, aus der Gewalt der Hunde mein Letztes 8 ! Hilf mir vor dem Rachen des Löwen und vor den Hörnern der Büffel 3 ! D u hast mich erhört . b Ich will deinen Namen meinen Brüdern verkünden, inmitten der Gemeinde will ich dich preisen. Die ihr J H W H fürchtet, preist ihn! Alle Nachkommen Jakobs, ehrt ihn und fürchtet euch a vor ihm, alle Nachkommen Israels! Denn er hat nicht geringgeschätzt und nicht mißachtet das Elend 9 des Elenden; Und hat sein Angesicht nicht verborgen vor ihm b , und hat ihn b gehört, als er b zu ihm schrie. Von dir kommt mein Lobpreis in der großen Versammlung; meine Gelübde löse ich ein vor seinen Verehrern. Arme sollen essen und satt werden. Preisen sollen J H W H alle, die ihn suchen. Es lebe euer Herz 9 für immer! Es sollen daran denken und zu J H W H umkehren alle Enden der Erde; Und es sollen sich vor dir 9 niederwerfen alle Geschlechter der Völker: Denn J H W H s ist das Reich, und er ist Herrscher über die Völker. 95

Ps 22

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Teil II: Auslegung

Buchi

Sie aßen8 und beteten an alle Gelabten1* der Erde. Vor ihm sollen sich beugen alle, die in den Staub absteigen: Und seine Seele hat er noch nicht lebendig gemacht0. Der Same, der ihm dient0 erzählt soll werden vom Herrn dem Geschlecht. Sie sollen kommen9 und von seiner Heilstat künden dem Volk, das noch geboren wird: Denn erb hat es getan.

1" G: U7tsp ty), vgl. 11 Dan), die den Kranken „grundlos" hassen. Sie werden als verschworene Bande erfahren und erkannt, als die schon immer den Stillen im Lande den Friedensgruß verweigert haben (113 DI1?®, vgl. 28,3; 85,9). Ihr Raubtierverhalten wird wiederum beschrieben (vgl. 15.17b.25b), ihr triumphierender Freudengesang (nun nun, vgl. Ez 25,2 u.a., dann Ps 40,16; Hi 39,25) wiederholt. Das Diktum in 21führt zurück zur „falschen" Zeugenaussage (11) und rundet den Klageteil des Psalmgebets wirksam ab: Gibt es gegen diese Anklage der Augenzeugen Rechtsmittel? 22-24: Appell (3+3). Mit sechsfacher Anrufung (2mal m n \ 2mal 'HS, 2mal Tl^N) fordert der Beter seinen Gott zur Intervention auf. Zunächst mit der Begründung, er sei doch auch Augenzeuge und kenne die Wahrheit. Als solcher könne er nicht schweigend zusehen oder sich entfernen (22), müsse vielmehr tatkräftig intervenieren (1 ff.). Worin die Intervention besteht, sagt 23f. im Klartext: ein gerechtes Gerichtsurteil. Die Begriffe 02W0 und meinen den Prozeß, doch wohl den von den „falschen Zeugen" angestrengten Sakralprozeß. Daß ein Ordal veranstaltet wird, ist anzunehmen. Wahrscheinlich war die Zeugenlage unklar. Jedenfalls liest sich 24 als Bitte um konkrete Rechtshilfe aufgrund der JHWH bekannten wahren Lage: Richte mich nach deiner Gerechtigkeit! Doch dazu bedarf es der Präsenz Gottes beim Gerichtstermin am Morgen, um die 23 inständig bittet. Weniger wahrscheinlich ist, daß Gott das anstehende Urteil in seinem Sinne moderieren solle (vgl. 'JÜDtP). Jedenfalls geht es in 24bff. um die realen Folgen. 25—28: Wunsch (fast durchgehend 3+2). Der zu 4ff. parallele und wohl ebenfalls von 40,14ff. beeinflußte Wunschteil im Gebet beginnt zunächst mit negativen Formulierungen (3mal Vx) im Blick auf Folgen, die verhindert werden müssen. Verhindert soll werden, daß die Widersacher und Falschzeugen weiterhin ihre Ziele verfolgen können. „Ha, unsere Leiche" scheint ein derber Ausdruck zu sein, der - weil nicht mehr geläufig oder tragbar - in 25b durch einen anderen ersetzt werden soll. Dieser bleibt im Bild der wilden Tiere (wie 17.21). Die positiv formulierten Wünsche zielen wie 4ff. auf Erniedrigung und Ächtung, vielleicht auch Bestrafung der Schadenfrohen (26). Schande und Scham dominieren die Aussage des zweiten Parallelpaars. Sie zielen weiter auf die Freude der verbliebenen Freunde, die an seiner Rechtfertigung gefallen haben (VTS 'XSn). pTX bedeutet hier das dem fälschlich Beschuldigten zukommende Recht (vgl. 7,9). Es ist begründet - in dieses Bekenntnis sollen sie einstimmen - in der Größe JHWHs, die darin besteht, daß er das Wohl (DlVc) jedes seiner Knechte sucht (vgl. das 10 zitierte Bekenntnis; 40,17 f.). Offensichtlich wären 9f. hier einzufügen. 28 schließt sich (an 10 gut) an, das Lobgelübde, bestehend im Reden (,flüstern', ,lesen') von JHWHs Gerechtigkeit und Recht (pTS wie 24; 4,2 u.a., vgl. 27) zu seinem durch diesen Konfliktfall vermehrten Ruhm (inVnn).

148

David-Psalter I

Ps36

Psalm 36 1

Für den Chorleiter: Von dem Knecht JHWHs, von David.

2

Spruch3 des Frevels für den Gottlosen, mitten imb Herzen: Es gibt keinen Gottesschrecken, soweit man sieht. Ja, er schmeichelt ihm ins Gesicht, er könne seine Schuld finden, um zu hassen3. Die Worte seines Mundes sind Unheil und Trug; er hat aufgehört, klug zu sein, Gutes zu tun. Unheil plant er auf seinem Lager, stellt sich auf einen Weg, der nicht gut ist; das Böse verabscheut er nicht.

3 4 5

6 7

8 9 10 11 12 13

JHWH, an3 den Himmel reicht deine Huld und deine Treue bis zu den Wolken. Deine Gerechtigkeit ist wie die Gottesberge, dein Recht3 - die große Urflutb. Mensch und Vieh rettest du, JHWH. Wie kostbar ist deine Huld, Gott, und Menschen bergen sich im Schatten deiner Flügel. Sie laben sich vom Fett deines Hauses; mit dem Strom deiner Wonnen sättigst du sie. Denn bei dir ist die Quelle des Lebens; in deinem Licht sehen wir Licht. Greife zur Huld für die, die dich kennen, und zu deiner Gerechtigkeit für alle, die aufrechten Sinnes! Nicht möge mich lenken3 der Fuß des Hochmuts, und die Hand der Gottlosen mich nicht verjagen! Dort sind gestürzt die Übeltäter, sie wurden niedergestoßen, können nicht wieder aufstehen!

2" G: „Es sagt der Frevler (der Frevel) zum Gottlosen (zur Gottlosigkeit) in seinem Herzen." M hat wahrscheinlich einen beschädigten Text. Korrekturvorschlag: CPVl,lieblich',,angenehm' statt DS3: „Genehm ist Frevel dem Gottlosen". - b Besser ist die von den Vrs unterstützte Lesung: „in seinem Herzen". 3° Statt X]®1? 1315? „seine Verfehlung zu hassen" ist vorgeschlagen: W 1 ? py „Verfehlung seiner Zunge". 6" Wohl besser: „wie der Himmel..." (3 statt 3), mit Mss. 7" PI nach Mss, G. - b Nach S zu ergänzen: 3 „wie". 12° Besser: 'JOian „möge mich niedertreten" statt: 'JXian „möge mich lenken". Literatur: R. J. T O U R N A Y , Le Psaume XXXVI: Structure et doctrine, RB 90 (1983) 5 - 2 2 . - N. Das Böse im Herzen und Gottes Gerechtigkeit in der weiten Welt. Gedanken zu Ps 36, in: Gottes Nähe, FS J. Sudbrack, Würzburg 1990, 327-341. - R.J. T O U R N A Y , Le texte altéré du Psaume 3 6 , 6 - 8 , RB 100 (1993) 161-164. LOHFINK,

149

Ps36

Teil II: Auslegung

Buchi

Ps 36 ist als Einheit verstehbar und muß nicht aufgeteilt werden. Der Text war das Psalmgebet eines Angeklagten, der in die Offensive ging (2—5) und ein JHWH-Urteil gegen seine Bedränger anrief (6—13). Die Hinweise auf prozessuale Abläufe schließen die Teile (vgl. 2 und 13) zum Ganzen zusammen, das offenbar eine feste Struktur aufwies (5mal 3+2; 5mal 3+3; 3mal 3+3, mit Abzug sekundärer Zusätze in 3 und 8). Schäden am Text (Anfang) führten zu Retuschen (2 f.; 6 ff. s. u.), welche das Gebet seiner Ursprungssituation entfremdeten. Ohne situative Referenz wurde es zum Zeugnis der Erfahrung einer „geistlichen Trunkenheit" („ivresse spirituelle dont parlent les mystiques", Tournay 22): Stimmen des Bösen im eigenen Innern (2f.) widersetzen sich der ubiquitären Gnadenordnung, der doch selbst Götter unterworfen sind (6ff., vgl. 8). 1—9 ist in 4QPs a , 13 in llQPs 0 bezeugt. Paulus verwendet 2b als Beleg Rm 3,18. 1: Überschrift, dreiteilig. Zu „David" als „Knecht JHWHs" vgl. 18,1. 2—5: Porträt des Gottlosen; Gegenklage. Der Text ist am Anfang geringfügig beschädigt worden. Innertextliche Verbesserungsversuche haben dann zu dem vorliegenden schlechten Gesamtzustand geführt (s. wörtliche Wiedergabe). Dabei ist das Thema aber klar vorgegeben: Es geht um das Charakterbild des 57BH. Die lesbaren Elemente tragen dazu bei. Ein restaurierter Text könnte folgenden Wortlaut haben: ,Genehm' ist das Verbrechen dem Gottlosen in ,seinem' Herzen; Keine Furcht vor Gott gibt es in seinen Augen (...) . . . seine Schuld . . . ,die Zunge' (?), die Worte seines Mundes sind ( . . . ) Lug und Trug. Unheil plant er auf seinem Lager, hört auf, besonnen zu sein (Gutes zu tun). Er stellt sich auf unguten Weg, Böses verabscheut er nicht. Dieses fünfzeilige Gedicht (3+2) zeichnet mit einigen wenigen Strichen das Bild des Gottlosen, dem ein Verbrechen (57WD) vorgeworfen wird. Dieses Verbrechen setzt den Verlust der Moral und des Gewissens voraus, ja auch jeglicher Besonnenheit O^tP), die ihn an seinem Vorhaben hindern könnte. Dieses ist offenbar wohl kalkuliert und schon auf den Weg gebracht. Es besteht in „Worten des Mundes", in trügerischer Rede („Zungensünde" [korrigiert]), wahrscheinlich in einer Beschuldigung und Anklage, die der Psalmist für falsch hält und mit anklagenden Sätzen erwidert. Der überlieferte Text macht wohl durch Verkennung eines Schriftzeichens (N statt 37) daraus ein Dictum des Frevels („Spruch des Frevels"), das - wie immer man die Worte fügt - rätselhaft ist. Auch schon die Personifizierung des Frevels (G: Frevler) - sonst nur im Gesicht (Sach 5,8, vgl. Gn 4,7) - und die seltene Verbindung einer nicht-göttlichen Person mit dem mantischen Begriff DK3 stellen diese Textform in Zweifel. Der „Spruch" selbst spricht sehr allgemein davon, daß es gar keine „Gottesfurcht gibt", d.h. - so interpretiert es 3 - er suggeriert („schmeichelt") ihm, dem Gottlosen, er könne ungehemmt - so der nicht eindeutige Text - „eine Schuld (des Psalmisten?) im Haß (er)finden". Diese Verständnisbrücken dienen offensichtlich dazu, die schwer deutbaren Elemente von 2a und 3b in einen Sinnzusammenhang zu bringen, weichen aber nicht weit vom vermuteten Grundsinn ab, indem sie von einer gefundenen oder erfundenen Schuld reden. Indes übermalt die 150

David-Psalter I

Ps 36

Vorstellung von dem einflüsternden Frevel den offenbar abgeblichenen Psalmanfang mit einer theologisch-psychologischen Aussage zum Ursprung des Bösen „inmitten des ,Herzens'". Das Folgende ist besser erhalten. 6—10: Preis der Gnade. Vertrauensbekenntnis (6mal 3+3). Der Kontrast in der Tonlage zu 2—5 ist deutlich (vgl. den Rhythmuswechsel). Mit 6 beginnt ein Gebet, das ein hymnisches Lob der Güte JHWHs zum Inhalt hat. 6—7a werden vier Eigenschaften gepriesen, indem sie mit den größten und höchsten Maßen des Weltraums gemessen werden, was einem Superlativ gleichkommt. Zuerst wird "TOn ,Güte', ,Huld' - eigentlich wie die anderen ein Beziehungsbegriff - mit der Höhe und Weite der(des) Himmel(s) verglichen (M gleicht an 6b an), wird so als unermeßlich groß und weit beschrieben, mit „Normen" also, die nur der Gottheit angemessen sind (vgl. 1R 8,12; Jes 6,1). Die rUIHN ,Festigkeit', die zweite „Tugend", wird im Parallelglied als „bis an die Wolken" reichend gepriesen, eine Höhe, die dem Himmel gleichkommt. Luthers „soweit die Wolken gehen" denkt in horizontaler Richtung. Die fehlende Vergleichspartikel 6b läßt offen, ob es sich nur um eine Beschreibung der Größenordnung oder auch um eine Aussage über die weltfüllende Präsenz der göttlichen „Wahrheit" handelt, vergleichbar etwa mit Jes 6,3. HpTX als,Gerechtigkeit' im Sinne von Gleichbehandlung, Ordnungsliebe verstehbar, wird mit dem Ur-Gebirge am Erdrand verglichen, das das Himmelsgewölbe trägt (vgl. z.B. 104,5f.). Sie ist unmeßbar groß wie die höchsten Berge, die „Gottesberge". CDttfö (auch der Plural ist bezeugt) ,Rechtsurteil', ,Rechtssetzung', ,Recht', im Rahmen der Eigenschaften als Rechtsliebe, Rechtssinn aufzufassen, wird - wiewohl ohne Partikel mit der großen Flut (Dinn) des Urozeans über dem Himmelsgewölbe verglichen. Auch hier dienen die Dimensionen aus der mythischen Schöpfungsvorstellung zur Beschreibung der Größe und Fülle des göttlichen Rechtsdenkens und -handelns. Die Reihe der vier Tugenden führt von innen nach außen, von dem Preis auf JHWHs innerstes Handlungsmotiv (Güte, Liebe), der unwandelbaren Festigkeit seines Willens, zum Sinn für Ordnung und Gerechtigkeit und zuletzt zur Sorge um die Durchsetzung von Recht. Der Psalmist preist diese göttliche Zuwendung. Ihm liegt an der Rechtshilfe JHWHs, denn er weiß sich in schwerer Bedrängnis (2—5). 7b-8 erinnern an Beispiele solcher Hilfeleistung an Mensch und Tier, ja „Götter und Menschen" - so M, die hyperbolische Linie fortsetzend, welche der Psalmist beginnt. Ob er an die Ur-Geschichte denkt (Sintflut) oder andere unbekannte Erfahrungen, jedenfalls ist es beachtenswert, daß er die Tiere (nann) in die Fürsorge einbezieht, die JHWH den Geschöpfen angedeihen läßt. Der Zwischenruf (sekundär?) ist angebracht: Solche Güte und Fürsorge ist „kostbar" zu nennen. Daß sie auch „Göttern" gilt, mag aus der Anrufung „Gott" im Zwischenruf entwickelt sein. 8b präzisiert, wo solche Hilfe möglich und zugänglich wird: „im Schatten deiner Flügel". Dieser Topos - letztlich gebunden an die Jerusalemer Tempelikonographie der Cheruben im Allerheiligsten - steht für die Realpräsenz Gottes im heiligen Bezirk, angereichert durch Vorstellungen von Asylschutz (non). Alle Motive deuten auf eine enge Beziehung des Psalms zum sakralen Tempelschutz, der dem Zufluchtsuchenden gewährt wurde. 9—10 konkretisieren solche Aussagen durch das Bekenntnis zur Heilserfahrung, die im „Hause JHWHs" gemacht werden kann (impf-Formen 7b-10). Wie wörtlich die Aussagen in 9 zu nehmen sind, ist schwer zu sagen. Anzunehmen ist, daß die materielle Versorgung am Tempelzentrum besser war, als es die kargen Verhältnisse auf dem Land zuließen. „Fette" Speisen und köstliche Getränke werden indes zu Symbolen einer üppigen Gastlichkeit, die der schutzsuchende Beter in JHWHs Haus 151

Ps 36/37

Teil II: Auslegung

Buchi

erlebt (vgl. 16; 23; 63 u.a.) und ihn zu dem Bekenntnis in 10 veranlaßt, daß das Leben selbst, das Lebenslicht, dort in der Nähe JHWHs seine eigentliche Quelle habe. Jedenfalls für ihn, den vom Todesdunkel Bedrohten. Ihm wird die Hoffnung durch JHWHs Licht-Erscheinung im Heiligtum und die deo praesente vermittelte Rechtshilfe zum Inbegriff des Lebens. Das Licht dieser Sonne ermöglicht es zu sehen, d. i. das Licht des Tages zu erleben und d. h. zu leben. Dieses „Sonnenprinzip" erhält das Leben in jedem Sinn. So ist es ein bedingtes, jederzeit abhängiges Leben. Die Metapher bietet weiten Spielraum für Reflexionen. Dem Psalmisten gelang eine Sentenz von großer Tragweite. 11—13: Bitte um Hilfe. Schlußworte (3mal 3+3). Der Psalmist bittet um gnädige Zuwendung und gerechte Behandlung. Er stellt sich in die Gemeinschaft derer, die JHWH kennen und vertrauen und zugleich ehrlich und aufrichtig sind, was wiederum JHWH wissen muß. "IWÖ „ziehe!", wohl nicht: „in die Länge", vielmehr „greife aus deinen Möglichkeiten ion und np"IX heraus für sie (und mich)" und nicht für jene, welche den Untergang des Beters betreiben. Sie dürfen nicht triumphieren. Sie sollen nicht den Fuß auf den Verurteilten setzen und ihn zur Aburteilung wegweisen dürfen - Anspielungen auf den Strafvollzug im sakralen Prozeß. 13, im überlieferten Sinne verstanden, könnte auf den Ort(?) der Exekution weisen. Dort - man weiß nicht wo - fielen nur Übeltäter. Der Angeklagte bittet zum Schluß, der Ankläger möge zu denen gerechnet werden, die in die Tiefe gestoßen werden (zu n m vgl. 35,5; 56,14; 116,8; 118,13; 140,5; Jer 23,12).

Psalm 37 1

Von David. (X)

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Erhitze dich nicht über die Gewaltmenschen, ereifere dich nicht über die Schandtäter, Denn wie das Gras verdorren sie schnell, und wie das grüne Kraut welken sie! 3 (3) Vertraue auf JHWH und tue Gutes, wohne im Lande und halte die Treue ! a Und habe Freude an JHWH, a er wird die Wünsche deines Herzens erfüllen!1* (a) Wälze auf JHWH deinen Weg, 3 und vertraue auf ihn, er wird es schon machen! Und wie das Licht läßt er deine Unschuld aufgehen und das Urteil über dich wie den hellen Mittag. (-7) Warte ruhig auf JHWH und gedulde dich! 3 Erhitze dich nicht über den, dem sein Weg gelingt, über den, der Anschläge durchführt! (D) Laß ab vom Zorn und gib auf den Grimm, erhitze dich ja nicht, auch wenn Böses geschieht!

David-Psalter I

Ps37

9

Denn die Gewaltmenschen werden ausgetilgt, und die auf JHWH hoffen, sie" werden das Land besitzen. 10 (1) Und noch ein wenig und kein Frevler ist da, suchst du nach seinem Ort, dann ist er nicht mehr. 3 11 Die Armen9 aber werden das Land besitzen und ihre Lust haben an der Fülle des Friedens. 12 (T) Anschläge plant der Frevler gegen den Gerechten und fletscht gegen ihn die Zähne. 13 Der Herr spottet über ihn, denn er sieht, daß sein Tag kommt. 14 (n) Das Schwert haben die Frevler gezückt und ihren Bogen gespannt, den Armen und Elenden zu Fall zu bringen, die Aufrechten umzubringen. 15 Ihr Schwert dringt in das eigene Herz, und ihre Bogen werden zerbrochen. 16 (0) Besser das Wenige für den Gerechten als der Reichtum der vielen3 Frevler. 17 Denn die Arme der Frevler werden gebrochen, aber JHWH stützt die Gerechten. 18 0 ) JHWH kennt die Tage der Frommen, und ihr Besitztum wird auf Dauer sein. 19 Nicht werden sie zuschanden in schlechter Zeit, und in Tagen des Hungers werden sie satt. 20 (3) Ja, die Frevler gehen zugrunde.3 Und die Feinde JHWHs sind wie kostbare Auen b , die aufgehen, in Rauch aufgehen. 21 (*?) Der Frevler leiht und kann nicht zurückzahlen, aber der Gerechte kann schenken und geben. 22 Ja, die von ihm Gesegneten werden das Land besitzen, die von ihm Verfluchten werden ausgetilgt. 23 (a) Von JHWH her werden die Schritte des Mannes gesichert, und sein Weg findet Gefallen.3 24 Wenn er fällt, stürzt er nicht ab, denn JHWH stützt seinen Arm. 3 25 (1) Ich bin jung gewesen und alt geworden, aber ich sah keinen Gerechten, der verlassen war, und dessen Kinder Brot betteln. 26 Alle Tage kann er freigebig leihen, und seine Nachkommen werden zum Segen. 3 153

Ps37

Teil II: Auslegung

Buchi

27 (D) Meide das Böse und tue Gutes und bleibe wohnen allezeit!3 28 Denn JHWH liebt das Recht, und seine Frommen verläßt er nicht, a (y) Auf immer werden sie bewahrt, aber die Nachkommen der Frevler werden ausgetilgt. 29 Die Gerechten werden das Land besitzen und werden immer darauf wohnen. 30 (S) Der Mund der Gerechten gibt Weisheit von sich, und seine Zunge spricht Recht. 31 Das Gesetz seines Gottes ist in seinem Herzen, seine Schritte wanken nicht. 32 (X) Der Frevler lauert" auf den Gerechten und sucht ihn zu töten. 33 JHWH gibt ihn nicht in seine Gewalt und läßt ihn nicht verurteilt werden3 im Gericht. 34 ([?) Harre auf JHWH und halte fest an seinem Weg! Und er wird dich erhöhen, Land zu besitzen. Die Austilgung der Frevler wirst du sehen. 9 35 (~l) Ich sah den Frevler gewalttätig, der sich spreizte3 wie ein grüner Landbürgerb. 36 Als er3 wieder vorbeikam, da war er nicht mehr. Ich suchte ihn, fand ihn aber nicht. 37 (tP) Achte auf den Frommen, sieh auf den Gerechten,3 denn die Zukunft für diesen ist Friede! 38 Doch die Abtrünnigen3 werden allesamt vernichtet, die Zukunft der Frevler ist getilgt. 39 (n) Und 3 die Rettung der Gerechten kommt von JHWH, ihre Zukunft in schlimmer Zeit. 40 JHWH half ihnen und rettete sie; er wird sie retten vor den Frevlern und ihnen helfen. 3 Denn sie vertrauen auf ihn. 2" Zum Bild vgl. 20; Hi 14,2. 3 a Vgl.27. 4 a Vgl.Hi 27,10.-"Vgl. 20,6; 21,3. 5"Unklares Bild, vgl. Prv 16,3; Ps 55,23. 7° Ein Kolon fehlt. Es könnte zu 14 (ay|b) geraten sein. 9° Überzählig, gibt aber 9b einen besonderen Akzent. 10° Vgl. Hi 8,18; 20,9; Hab 3,13ff. 11° CPliy im Sinne von n^JS (vgl. 14) „Besitzlose" (oder abzuleiten von m : „Gebeugte" = Demütige, vgl. HAL). 16° Vrs: „der große Reichtum". 20° Ein Kolon fehlt, zu ergänzen aus 25b. - b 4QpPs 37 bezeugt: Dni3 l i p o „wie der Brand der Schmelzöfen" (DJD V). 23° Vgl. Prv 20,24. 24° Vgl. 145,14. 25a 25b gehört wohl zu 20a. 26° Vgl. 21,7. 27° Vgl. 34,15a. 28° Ergänze D'ViSi und korrigiere mit G „(die Schandtäter) werden vernichtet" oder noch besser: D'US? (vgl. 11). 32° HSS vgl. Sir 51,3. 33° »an hi in forensischer Bedeutung „verurteilen". 34° Ein Kolon fehlt. 35" M. Mit G wohl zu korrigieren: „der sich aufrichtete

154

David-Psalter I

Ps 37

wie eine grüne Zeder (des Libanon)": p i n nX3 n^sna. - b m m ist der einheimische Landbürger. 36® Vrs: 1. P. sg. 37" Die Vrs machen eine Paränese daraus. 38" 571TS eigtl.,brechen mit', pt ,Abtrünnige'; insofern eine Qualifizierung der Übeltäter als (vom Glauben) Abgefallene. 39" 1 ignoriert Ii-Zeile. 40" Mit Anpassungen in 34 verwertbar. Literatur: P. AUFFRET, „Aie confiance en lui, et lui, il agira." Étude structurelle du Psaume 37, SJOT2 (1990) 1 3 - 4 3 . - W. BRUEGGEMANN, Psalm 37: Conflict of Interpretation, in: Of Prophets' Vision and the Wisdom of Sages, FS R . N . Whybray, JSOT. S 162 (1993) 229-256. - T. MAIRE, Dieu n'échappe pas à la réalité, ETR 69 (1994) 173-183. -

Ps 37, ein aus 22 Distichen bestehender akrostichischer Text, bietet in seiner didaktischen Ausrichtung mit seinen mahnenden, belehrenden, ermutigenden Sentenzen so etwas wie ein Manifest für die Armen und Besitzlosen. Den „Gebeugten", den Frommen und JHWH-Treuen, einer Gruppe, die offenbar vor der Entscheidung war, „hitzig" aufzubegehren oder resigniert auszuwandern, gilt die 8mal vorgebrachte Landbesitzverheißung (3.9.11.18.22.27.29.34), die sich als roter Faden durch die Spruchserien zieht. Der Verfasser, zweimal als Ich aus der Anonymität hervortretend (25.35), sucht indes Vertrauen und Hoffnung in JHWHs Verheißung zu stärken und zur Geduld zu mahnen (1 ff.). Seine Belehrungen, thematisch gegliedert nach Art der Redeeinheiten im Hiobbuch - je zwölf bzw. zehn Verse bilden stilistisch wie inhaltlich eine Spruchserie - , appellieren an die Einsicht der Gläubigen und argumentieren mit weisheitlichen Kategorien. Im Zentrum stehen die beiden Serien über den Frevler (San) und den Gerechten (p'TS) 12—20.21-31, umrahmt von den aktuelleren, d.i. wohl situationsbezogenen paränetischen Teilen 1 — 11.32-40. Als Hintergrundsituation zeichnet sich die Bedrohung der frommen Armen durch die offenbar glaubensfernen Mächtigen ab, die, im Besitz des Landes, die Ansprüche der „Gerechten" durch Einsatz aller Machtmittel blockieren. Der Psalm ruft zur Gewaltlosigkeit auf und sucht den Frommen Verhaltensregeln zu vermitteln, die aus dem Glauben kommen (30f.): Weisheit, Recht und das „Gebot Gottes" (min). Der Text ist wohl spätnachexilisch (hellenistisch?) entstanden. Die Einordnung zwischen 36 und 38, d.i. unter die Krankheitstexte, ist vielleicht assoziativ erfolgt (36,12|37,17; 37,39|38,23), vielleicht aber auch, um dem Krankenpsalm von 38 das Kontrastbild des „Gesunden" (DD 37) gegenüberzustellen, dessen „Schritte nicht wanken" (31, vgl. 36,12). Der Psalm, der geringe Beschädigungen durch Umstellungen erfuhr (vgl. 7 und 14, 22 und 26, 34 und 40), fand in der Gemeinschaft von Qumran engagierte Aufnahme, indem das Manifest auf die „Gemeinde der Armen" des „Priesters" und „rechten Lehrers" ausgelegt wurde (4QpPs 37 11,10.19, vgl. DJD V, 4Q171). 1 - 4 ist in llQPs 0 und llQPs e , 7-26.28-40 in 4QpPs a , 18-19 in 4QPs c textlich belegt. Formulierungen des Psalms scheinen vor allem die Seligpreisungen der Bergpredigt Mt 5,3ff. beeinflußt zu haben (vgl. 9.11.22.29 mit Mt 5,5, auch 3f. mit Mt 6,33 u.a.). 5 könnte in 1P 5,7,12 in Act 7,54 nachgewirkt haben. 1*: Überschrift, einteilig (vgl. 25-28; 35). 1*-11: Ermahnungen. Sechs Distichen im Grundmaß 3+3 (7b ist vielleicht aus 14ay|b zu ergänzen). Der Eingangsteil ist gekennzeichnet durch Imperative (14mal), die einen persönlichen Appell an die durch das ABC des Psalms zu belehrenden Adressaten richten. Aus den hier noch nicht so stark typisierten Aussagen - yon/p^X begegnen erst ab 10 ff. - und aus den wiederholten (insgesamt 8mal) Hinweisen auf das Thema „Land155

Ps 37

Teil II: Auslegung

Buchi

besitz" darf man schließen, daß es sich um eine Gruppe (Gemeinde, Schicht, Stand o. ä.) von landbesitzlosen Gläubigen (D'Utf 11) handelt, die von nicht deutlich profilierten Gewalttätern (vgl. 38), offenbar im Besitz des Landes und der Macht, drangsaliert oder jedenfalls um ihre Besitzansprüche gebracht wurden und werden. Der Psalmist möchte die Betroffenen von hitzigen Reaktionen zurückhalten ( m n hitp 1.7.8) und auf den Weg des Glaubens hinweisen, der auf JHWH vertraut (3.5) und auf seinen Eingriff geduldig wartet (7.8). Geht es doch auch um die Glaubwürdigkeit des JHWH-Treuen, seine Integrität (fTS) und sein Recht (OS WO, 6). „Bleibe im Lande und halte Treue" (3b), heißt die Devise, „JHWH wird es recht machen" (5b). Die Distichen sind so angelegt, daß der einleitende Imperativ in der zweiten Zeile durch die Angabe der Folge des Handelns weitergeführt und begründet wird: Kurzlebigkeit der Gewalt (2), Wunscherfüllung durch JHWH (4), Integrität des Handelns (6), Vermeidung von Neidmotiven (7), Festhalten an der Hoffnung (9b), an der Landverheißung (11). Das sechste Distichon (10f., 1) expliziert das fünfte und seine ins allgemeine geweitete Verheißung. Mithilfe des alten Weisheitsmotivs vom „hitzigen" Handeln (vgl. Prv 24,19f.; 2,1 ff. in anderem Zusammenhang) wird dem JHWH-Gläubigen eine Ethik des kühlen Kopfes, d.i. des ruhigen Abwartens empfohlen, freilich im Warten auf Gott und seine Landverheißungen (9b.11), deren Herkunft und Gültigkeit vorausgesetzt wird (vgl. Prv 10,30; 2,21f.; Jes 57,13; 60,21; 65,9; Mt 5,5). Das letzte Distichon (lOf.) verwendet den plakativen Begriff ytin für die feindlichen Bedränger, um auf diese Weise eine grundsätzliche theologische Kategorie einzubringen und zugleich daraus den Schluß zu ziehen, den diese Bewertung abnötigt: „nur noch ein wenig" (10). Die Landbesitzverheißung für die „Besitzlosen" ist Teil der Friedensverheißung im Sinne der Verheißung der „Fülle des Heils" (72,7, hier als Königsheil). 12-20: Belehrung über den JWi. Fünf Distichen 3+3 (zu 14 vgl. 7; zu 20a gehört 25b; die Abgrenzung vom Folgenden ist nicht eindeutig). Die mit 12 beginnenden Belehrungen in konstatierendem Sentenzenstil gelten zunächst dem Schwerpunktthema 37tiH, dem „Frevler", mit welchem Begriff die Mächtigen seit 10 belegt sind. So geht es mehr um die Merkmale und Eigenschaften, Handlungsweisen und Schicksale dieses Menschentyps als um beklagenswerte konkrete Aktionen (vgl. aber 14). Dem VtiH eignet kriminelle Aggressivität, gerade gegenüber dem p'TX, sowohl der Gesinnung im Haß (12, vgl. 35,16; 112,10) wie im Handeln mit tödlicher Bedrohung (14). Es gehört zu den Grundüberzeugungen des Lehrers, daß diese Aggressivität ihr Ende in der Intervention JHWHs findet, der ihrer spottet (13a, vgl. 2,4) und ihren „Tag" (vgl. Hi 18,20) kennt und die Anschläge auf die Urheber zurückfallen läßt (15). Ein solches Talionsprinzip läßt befürchten oder hoffen, daß dem Aggressor die Glieder gebrochen werden (17), weshalb das arme Leben des Gerechten seine Vorteile bietet (16). JHWH ist es, der nach diesen Kriterien handelt und für die Seinen Partei ergreift. Ihr „Grundbesitz" bleibt, und die Hungersnot stehen sie durch (18.19, vgl. 33,19). Anders und umgekehrt die Frevler (20): Sie gehen unter ihre Kinder müssen betteln gehen (25b zu 20aa) - , und wie alle „Feinde JHWHs" gehen sie zugrunde wie „prachtvolle Gärten", die „in Rauch aufgehen", oder - nach Q und mit G - wie der „Feuerbrand im Schmelzofen", der „im Rauch endet" (zum Bild vgl. 102,4). 21—31: Belehrungen über den pHX. Sechs Distichen auf der Basis 3+3 (22 und 26 sind zu tauschen; 25b gehört zu 20; 28 [S?-Zeile] ist unvollständig). Der Textteil behandelt schwerpunktmäßig das Thema „der Gerechte" vor dem Kontrasthintergrund des vorigen Teils über den „Frevler". Auffallend ist der Kontraststil: adversative Fügungen und 156

David-Psalter I

Ps 37/38

Negationen (K1? 5mal, 32 f. 2mal). Fünf Punkte werden behandelt, die als notae des Gerechten gelten sollen: 1. Freigebigkeit aus dem ihm gewährten Segen, im Unterschied zum unbeständigen Frevler (21.22; das Stichwort "pa scheint den Tausch von 22 und 26 veranlaßt zu haben); 2. Festigkeit und Orientierung auf Grund seines Halts bei JHWH (23f.); 3. Nicht-Verlassensein von Gott und den Menschen, weil er der Solidarität gewiß sein kann - formuliert als Satz eigener Erfahrung im Leben (25, vgl. 35) gültig für alle Frommen (25f.27f.). Im Kontext von 25 ist besonderes Gewicht auf den Familienerhalt gelegt: Die Kinder müssen nicht weg zum Betteln (25b), denn Geld ist genug da zum Ausleihen, und die Kinder werden anderen zum Segen, nicht zur Last (26); 4. Bewahrung im Land für das Land - der Text nach M rekonstruiert - wie 22.27 u. ö. (28f.); 5. weisheitliche, d.h. aufgeklärte Frömmigkeit (30f.), eine Qualität, die dem Lehrer besonders am Herzen liegt: Weisheit im Sinn, Recht im Munde, das „Gesetz seines Gottes" „im Herzen", min ist im Kontext wohl ein Rahmenbegriff für Gotteswille, Offenbarung, Weisung und nicht ein terminus technicus für Teile der „Bibel", die „Gesetze" enthalten (vgl. Jes 51,7). „Weisheit" bestimmt das Denken („flüstern" = mit sich selbst sprechen, vgl. 1,2) in Ordnung und Wertung. „Recht", „das JHWH liebt" (28), schafft die wahre und klare Rede im Konflikt. 30f. bildet den Höhepunkt des Abschnitts und des Psalms als Definition der Frömmigkeit, auch in negativer Abgrenzung. Zu den drei Seiten seiner Existenz: „Mund", „Zunge", „Herz" kommt zuletzt die zeitliche Erstreckung, sozusagen die „eschatologische" Dimension in 31b: die Schrittte seiner Füße - ihnen gilt JHWHs besondere Aufmerksamkeit (23f.). Sie haben Verheißung (vgl. 15,5; 18,37; 26,1; 73,2 u. a.). 32—40: Erwartungen. Fünf Distichen, nach 3+3 (möglich ist eine Auffüllung von 34 aus 40). Der letzte Psalmteil beschäftigt sich vor allem mit der Zukunft (rPinx 37f.). Er kommt wieder auf die im ersten Teil skizzierte aktuelle Situation zu sprechen. Die Distichen jedoch nennen je eigene Gesichtspunkte. 32f., noch im Adversativstil des vorigen Teils gehalten, knüpfen an 12ff. an und erinnern an das lebensbedrohende „Auflauern" mit rechtlichen Folgen, wohl einer Anklage vor Gericht. 34 spricht von der Hoffnung darauf, daß JHWH „dich", den Gerechten, wieder in den Stand versetzen („erhöhen") wird, Land zu besitzen - der achte und letzte Hinweis auf die „Landverheißung". 35 f. gibt das Paradigma des W ) - w o h l im Bild des gefällten Baumes (G). 37f. ist ein Spruch über die doppelte Zukunft: „Frieden" oder „Vernichtung", vor welcher der „Vollkommene" und „Aufrechte" und die „Abgefallenen" (57WB) jeweils stehen. 39f. formuliert das Vertrauensbekenntnis der Gerechten zu JHWH.

Psalm 38 1

Ein Psalm. Von David. Zum Gedenkopfer a .

2

JHWH, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deiner Wut! Ja, deine Pfeile sind in mich gedrungen, und deine Hand fuhr auf mich herab 3 .

3

157

Ps 38

4

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14 15 16 17 18 19 20 21

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Teil II: Auslegung

Buchi

Kein heiler Fleck ist an meinem Leib wegen deines Grimms. Kein Heila ist in meinem Gebein wegen meiner Sündeb. Ja, meine Verschuldungen haben meinen Kopf überstiegen. Wie eine schwere Last werden sie mir zu schwer. Es stinken3, eitern meine Wunden wegen meiner Torheit. Ich bin gekrümmt, tief gebeugt; den ganzen Tag gehe ich trauernd einher. Ja, meine Lenden sind voll Brand3, und kein heiler Fleck ist an meinem Leib. Ich bin erkaltet und ganz zerschlagen, ich brülle wegen des Gestöhns meines Herzens3. Herr, vor dir liegt mein ganzes Sehnen, und mein Seufzen ist vor dir nicht verborgen. Mein Herz pocht3, meine Kraft verläßt mich, und mein Augenlicht - auch dieseb - ist nicht mehr da. Meine Freunde und Gefährten bleiben stehen vor meiner Plage3, und meine Nächsten stehen in der Ferne. Schlingen legten, die mir nach dem Leben trachten, und die mein Unglück suchen, sprechen Worte des Verderbens3 und sinnen auf Trugb den ganzen Tag. Ich aber bin wie ein Tauber, höre nicht hin, und wie ein Stummer, der den Mund nicht öffnet. Und ich wurde wie einer, der nicht hören kann und in dessen Mund keine Vorwürfe sind. Ja, auf dich, JHWH, hoffe ich; du wirst mir antworten, Herr, mein Gott. Ja, ich sagte: Daß sie3 sich nur nicht über mich freuen, sich über mich erheben, wenn mein Fuß wankt. Ja, ich bin zum Sturz bereit, und mein Leiden ist mir ständig vor Augen. Ja, meine Schuld bringe ich vor, gräme mich über meine Sünde. Und meine Feinde sind als Lebende3 mächtig, und zahlreich sind, die mich hassen mitTrugb. Und die mit Bösem bezahlen statt mit Gutem, beschuldigen mich für mein Gutestuna.b

David-Psalter I

22 23

Ps 38

Verlaß mich nicht, JHWH, mein Gott, geh nicht weg von mir! Eile mir zu Hilfe, Herr, du mein Heil!

1" G: ei? äva|Avr] I hitpo ,sich beugen'; IVtP I hitpa ,sich aufgelöst zeigen', .aufgelöst sein', vgl. 44,26. - b M: Vcons, n» fehlt hier (vgl. 12; 43,5). - c M pl (Vrs sg); 1 von VJB von einigen c Mss und Vrs zu 'rfjXl gezogen. T M zu 7, anders 12; 43,5. - b M pl, S sg. M: -|J?XS; 2 Mss "I37T8, eigentlich: ,kleine Menge', ,wenig'. 8" "lUX, nur noch 2S 5,8, nach mhe I und den Vrs z. St. ,Rinne', ,Rohr', .Wasserstrahl' > „Sturzbäche", „Wasserfälle" (HAL). 9* K: „ein Lied". 43,1° Einige Mss bezeugen eine neue Überschrift in 1 ?, G, 6 tö> Aavt8. Doch 5 bindet 43 an 42, so auch die meisten Mss. 2 a Die Vrs lasen offenbar 'TS DTftX: „ . . . G o t t (JHWH), bist mein Schutz" (G, T, Hier). 3" nax GB zitieren Perles Ableitung von akk amätu ,Wort', .Spruch' wie 25,3; 2Chr 32,1, s. u. 4 a M: „El der Freude meines Jubels", ohne Verszäsur. Mit Verszäsur wohl: „El meiner Freude. | Mein Jubel...", letzteres zu n'rix „ich will jubeln" zu korrigieren. Anders G. - b G: xupie ( = JHWH). Literatur: L.

ALONSO-SCHÖKELU.

A.,The PoeticStructure of Psalm 4 2 - 4 3 ,

JSOT1

(1976) 4 - 2 1 . -

Ps 42/43 wird in der hebr Überlieferung zu Recht als ein einziger Psalm angesehen und behandelt (anders G und 0). Er besteht aus drei jeweils durch einen Refrain 42,6.12; 43,5 abgeschlossenen, gleich großen Strophen, die ursprünglich wohl je sieben fünfhebige Verszeilen enthielten. Überzählige Textpartien sind als Interpretamente erkennbar, welche das lokal und individuell gebundene Gedicht zum allgemeinen Gebrauch als Gebet freigeben sollten (42,2b.4b[=llb]7a.8b.l0b[=43,2]; 43,1b z.T.). Entstanden ist der Text aus der Notlage eines wohl verunglückten und aus diesem Grunde verhöhnten Menschen (42,11), dem der Gang zum lebenspendenden Heiligtum verwehrt ist. Er spricht über den Durst seiner Seele (I), klagt mit den Wasserfällen (II) und betet das Klagegebet des einzelnen (II). Seine Gedanken gehen beweglich die Wege zum Gotteshaus (42,5; 42,7ff.; 43,3ff.) und eilen in alledem seiner „Seele", d.h. seiner leiblichen Existenz (W23), voraus. Insofern können sie ihr ein Trost- und Heilswort zusprechen (Refrain 42,6.12; 43,5). In der Doppelstruktur liegt das Geheimnis dieses Gedichts. Auch der Glaube ist anthropologisch dimensioniert; Gedanken und Worte sind freier und beweglicher als leidende Körper. Die theologischen Höhenlinien sind bemerkenswert. Sie ziehen ihre Kreise um den persönlichen Anteil am kultischen Heil (vgl. ,,Hilfe[n] meines Angesichts und mein Gott"). Sie spiegeln eine Glaubenstradition von großer Lebendigkeit (vgl. „El, der Lebendige" 42,3, dazu 42,9; 43,4). Die recht präzisen geographischen Angaben (42,7f.) legen es nahe, an den Umkreis des Heiligtums von Dan an den Jordanquellen zu denken (Goulder). Zu bewundern ist die Sprachkunst des Dichters. Neben den alliterativen Reimformen z. B. in 2.5; 43,4 (S/5?), in 7b.8a (B-fl-p Begleittöne), in IIa (deutliche "l- bzw. X-Geräuschkulisse in der Situationsschilderung), 174

Qorach-Psalter

Ps 42/43

fällt die den ganzen Text bestimmende Dominanz des sonoren auf. Sie bildet den aus dem Leitwort ^Ip (vgl. 5.8) abgeleiteten Grundton des Gedichts. Zu den Lautformen treten die Stilzüge wie die bewußt eingesetzte hendiadys (z.B. 42,5; 43,3). Weiterhin faszinieren die Bildmotive (2 f.; 7 f.) landschaftlicher Prägung, die zum Ausdruck innerer Befindlichkeit werden (Wasser - Durst - Sehnsucht). Vor allem aber ist die gebrochene Dialog-Struktur beachtenswert, wobei das Selbstgespräch das verhinderte Gebet ersetzt (Alonso-Schökel). Erst sekundär wurde das Gedicht zum Gebet umgeformt. Über die Qorach-Sammlung kam es wohl später nach Jerusalem und in die dortigen Psalterarchive. Der Text ist an einigen Stellen lädiert, an anderen schwer verständlich. Zu 42,5 vgl. 4QPs c , zu 43,1—3 HQPs c d . Der Anfang des Kehrverses spielt in der GethsemanePerikope eine Rolle (vgl. Mc 14,34; Mt 26,38). Enge Beziehungen zu 84 lassen an gemeinsame Verfasserschaft denken. 1: Überschrift, dreiteilig. Dem Musikleiter wird signalisiert, es handle sich hier um ein „weisheitliches Gedicht" (VDtP I) bzw. um einen als „Wechselgesang" (^Dttf II) verwendbaren Text. Es wird mit der levitischen Tempelsängergilde der „Qorachiten" in Beziehung gebracht (vgl. 2Ch 20,19), zu deren Liedgut 42-49; 84; 85; 87; 88 gezählt werden. 2—5: Erste Strophe: Der Durst der Seele. Neun, ursprünglich wohl sieben fünfhebige (3+2 und 2+3) Zeilen, ohne 2b (par. zu 3a*) und 4b ( = l l b ) . 2 beginnt mit einem Bildvergleich, der die dürstende „Seele" (WSJ) des Dichters mit dem Hirsch vergleicht, der über den leeren Rinnen des ausgetrockneten Wadis nach Wasser lechzt (ans Jo 1,20 und hier) und/oder schreit (mhe, danach Luther). V'S, gewöhnlich ,Damhirsch', ist hier des Vergleichs wegen f) als Femininum gebraucht bzw. aus ansn (n)17,N assimiliert. Es leitet eine 37/N-Alliteration ein. Den Vergleich expliziert 2b durch wiederholende Anknüpfung an a"U7n, verfällt aber gegen die Diktion der Strophe in die Gebetsanrede und untergräbt zudem 3a, so daß an einen erklärenden Zusatz zu denken ist. S vermutet zu Recht ein zugrunde liegendes JHWH, das der elohistischen Redaktion in 42/43 (42—83) - nicht in G - zum Opfer fiel. 3a führt den Bildvergleich weiter: „dürstet meine Seele". Legt der Zwischensatz 2b bei ans? den Akzent auf,schreien nach/zu' - wie dies die Verbindung mit nahelegt - , spricht 3a vom ,Durst haben nach', vom Zustand (Durst, pf) mehr als vom Akt (Schrei, impf). Der Durst der Seele richtet sich auf JHWH, der hier den Titel „El, der Lebendige" (G: „El meines Lebens") trägt. Die nächsten Belege 84,3; Hos 2,1; Jos 3,10, vor allem die abgewandelte Form p "pnVx Tl in Am 8,14 weisen in den Norden, speziell nach Dan. Sollte der Titel dort beheimatet gewesen sein? Leben, lebendig sein wird mit der Gottheit assoziiert. Symbol dafür ist das Wasser der Quelle, das den Durst löscht. Der Durst ist offenbar durch Gottferne verursacht, die das eigentliche Problem bildet: „Wann (wieder) . . . (3b*). ,Hineingehen', ,das Angesicht Gottes sehen' - so die vormas Lesung - sind Ausdrucksformen für den kultischen Besuch des Heiligtums (vgl. 43,3f.). Er ist dem Psalmisten zur Zeit verwehrt (vgl. 10f.; dazu 84,2ff.). Die Tränen als „Speise" (4a) entsprechen dem Durstmotiv (2), vgl. 80,6. Es geht wohl um das zur Bußklage gehörige rituelle Weinen. Insofern stellt sich der Psalmist auch als Büßer dar (vgl. 5b; 43,2b). Die Entfaltung des Tränenmotivs wird in 4b unterbrochen durch den in I I b wörtlich wiederkehrenden Hinweis auf ein Diktum der hier nicht näher beschriebenen Umgebung. Es ist die spöttische Frage nach dem Nutzen des Glaubens in der Not, die Gottesverlassenheit signalisiert. Zur kollektiv verwendeten Frage vgl. 79,10; 115,2; Jo 2,17, s. zu 11. 5 verspricht - wieder wie 2 in stockender 175

Ps 42/43

Teil II: Auslegung

Buch II

laryngaler Alliteration (X/V) - , der Tränen (oder der Spötter?) zu gedenken und sein Inneres auszuschütten (wie ein Gefäß) mit Worten des Lobpreises (vgl. 5c), sobald eine Wallfahrt für ihn wieder möglich sein wird (5b). Diese Wallfahrt nennt er ein „Hinübergehen, Dahinwandern bis zum Hause Gottes". "|0, entweder ^0* ,Gedränge'(?) oder ?|b* ,Dach',,Hütte', ,Zelt'. Dort am Ziel wünscht er sich den Vortrag eines Dankpsalms, der die Rettung voraussetzt, in der festlich lärmenden Menge (vgl. 84,6ff.). 6: Kehrvers wie 12; 43,5, 3+2(3)|2+2|2(3): Trostwort. Der Psalmist spricht sich selbst Trost zu, indem er „seine Seele" wie eine andere Person behandelt. Sie beugt sich bis in den Staub (hitp, vgl. 44,26); sie stöhnt; sie muß ausharren. Der Sprecher fragt sie, appelliert an sie und teilt ihr seine Hoffnung mit. Da es niemand sonst tut, tut er es selbst und sucht sich durch ein Heilsorakel Mut zu machen. Der Sprechende erwartet, noch einmal JHWH preisen zu können. Er denkt an frühere „Hilfen seines Angesichts" (M). Die ältere Fassung sprach wohl von „der Hilfe meines Angesichts", d.h. von dem persönlich erlebten, ganz individuellen Heil und von „meinem Gott" - Ausdruck engster persönlicher Bindung, die sich bewährt (vgl. 84,4). Das Selbstgespräch tritt an die Stelle des Gebets, der Selbstzuspruch an die Stelle des Heilsorakels (Alonso-Schökel). 7—11: Zweite Strophe: Die Klage im Chor der tosenden Wasser. Zehn, ursprünglich wohl ebenfalls sieben fünfhebige Zeilen, ohne 7a* ( < 6), 8b ( = Jon 2,4b), 10b* (= 43,2). 7a ist ein Übergangsvers. Er resümiert 6a und stellt fest, daß die Trauer der Seele ein Gedenken „aus dem Jordanland" (nach mas Abtrennung) zur Folge hat. Er gibt vor, der Beter, den er wie 2b im Gebetsstil sprechen läßt, befinde sich dort und klage von dort dem fernen Gott. Seine Zusammensetzung aus Teilen von 5 und 6 sowie seine Stilisierung zum Gebet (vgl. 7aa.8 mit 9.10) läßt an eine Überarbeitung denken. 7b*.8a haben hymnische Diktion (Litanei-Stil, pt). Die geographischen Angaben weisen auf das Jordanquellgebiet, die Gegend um Dan (vgl. 84). Nur dort stoßen „Jordan" und „Hermon" zusammen. Die großen Quellbäche des Jordan entspringen am Südfuße des Hermon, Nahr el-Leddän bei Teil el-Qädi und Nahr Bänyäs bei Paneas/Caesarea Philippi. Die beiden ersten Angaben sind allgemein: „Jordan-Land" - nur hier und Hi 40,23 „Jordan" ohne Artikel - als terminus loci, „Hermon-Gebirge" - wohl Plural der räumlichen Ausdehnung. Die dritte spricht von „Berg der Kleinheit", „Kleiner Berg" - wohl im Unterschied zum Hermon-Massiv. Vieles spricht dafür, daß es sich hierbei um eine Bezeichnung für den Stadthügel von Dan handelt, einer natürlichen Anhöhe, die durch die Überbauung im Laufe der Zeit stark anwuchs. Diese Angabe ist die präziseste. Sie markiert Dan als Stadt am Fuße des Hermon, bei den Jordanquellen, und meint wahrscheinlich den Ort des dortigen Tempelheiligtums in Quellnähe. Denn 8a spricht von den Wasserfluten aus dem Erdinnern - Dinn im Sinne von ,Quelltopf',,Quellstrom', ,Quellflut' (vgl. Dt 8,7). Die stark flutenden Quellen bei Dan (Leddän) bilden Wasserfälle, die mit Getöse niedergehen. D'TIJX meint offenbar jene Wassergüsse (wie in oder aus einem „Rohr" oder einer „Rinne"). Sind die Angaben auf die Wasserfälle von Dan zu deuten, ist durch 8a gesagt, daß der Dichter im Getöse dieser Urfluten den immergleichen Ruf der Tiefe hört, jener ursprünglich gottfeindlichen, doch hier zur Anbetung gezwungenen Urmächte: ein „Chorgesang" der Wasserfälle. Der mit den geographischen Verhältnissen von Dan nicht mehr vertraute Bearbeiter scheint mit 7a und 8b die Aussagen nur mythisch-poetisch aufzufassen. Er setzt den Passus 8b aus Jon 2,4b hierher, der dort motiviert ist, hier aber das Bild verfremdet. Er gibt der Grenzsituation des Beters durch das Ertrinken-Motiv plastischen Ausdruck. Dies geschieht offenbar in der Absicht, den 176

Qorach-Psalter

Ps 42/43

Psalm aus seiner Verwurzelung zu lösen. So verlegt er den Klagenden in die Urfluten. Der Dichter ließ die Wasser „singen" (8). 9 sagt etwas zum Inhalt dieses elementaren Gesangs: Er hält Tag und Nacht an. Am Tage „entbietet JHWH seine Gnade". 9aa spricht dann unvermittelt von Erhörung, während 9aß.b von Lied und Gebet (Hymnus) redet. Sollte das nur hier begegnende: JHWH aus nifT (aram. mn) verschrieben worden sein: „verkündet seine Gnade" (vgl. 19,3 in ähnlichem Kontext) und dann ersetzt durch m r ? Der Fünfer wäre mit dem folgenden: „und bei Nacht (sein) ein Lied" vollständig. Subjekt - wenn nicht JHWH - wäre dann Dinn „die Flut" (m u. f) bzw. ^Ip „das Getöse", das der Dichter als Heroldsruf (N"lp) und Hymnengesang (~PB>) deutet. M indes interpretiert die Aussage von 43,3 her. Die nächste Zeile 'OV bis "fl hat nur vier Hebungen. Der Vorschlag, ein haplographiertes rrPttW bzw. nrPtt>X ( > rPU>) anzunehmen, hat etwas für sich: „Ich singe bei mir (bzw. flüstere bei mir) ein Gebet (Loblied) für den El meines Lebens". Der Gedanke wäre der, daß der Dichter sein (geflüstertes?) Gebet an den Wasserhymnus und die Sturzbäche anschließen möchte. Er ist nicht dort (3f.). Die Wasser sollen ihn dort vertreten. Beides gilt „El dem Lebendigen" (3) oder wie es hier abgewandelt formuliert wird: dem „El seines Lebens". 10 und 11 formulieren das Klagegebet. Es besteht aus einer Anrufung „mein Fels", einer Warum-Frage (10a*) und einer Situationsschilderung (IIa) samt Feind-Zitat (IIb) - außer einer Bitte sind es alle konstitutiven Elemente der Gattung. Die Anrufung enthält ein Vertrauensmotiv: Fels sonst meist IIS, hier S/Vo, die Lageschilderung ist zugleich Anklage gegen „Bedränger". Die Notlage scheint nach I I a ausgelöst durch einen „Bruch in den Gliedern" ( < n s i ) . Man könnte dies wörtlich verstehen: der Beter ist gehunfähig (2ff.). Die Misere wird verschärft durch hämische Worte persönlicher Feinde, welche die Situation zu ihren Gunsten ausnützen wollen. Den Beter schmerzt besonders die Frage nach seinem Glauben. Die Bearbeitung empfand darin im Blick auf 41 ein Hauptmotiv und setzte den Passus bereits in 4b ein. Desgleichen zog die Warum-Frage 10a eine zweite aus 43,2b an, wodurch es zu einer dreifachen Feindbeschreibung in lOf. kommt. Der Verunglückte leidet als Büßer unter dem Spott, vor allem auch unter dem Gefühl der Vergessenheit durch den „El seines Lebens". Darum sucht er sich in Erinnerung zu bringen (5.10f.; 43,lff.). Wie tief die Enttäuschung geht, zeigt wieder der Kehrvers. Die „Seele" resigniert schon in Klagen und Riten. Doch der Dichter hat noch ein Trostwort bereit. 12: Kehrvers. 3 + 3 | 2 + 2 | 2 + l . Vgl. 6; 43,5.6 zeigt die nach Gott dürstende Seele, 12 die klagende und betende Seele. Beide sind verzagt. Doch erhalten sie den Trost aus dem Gedanken an die Wallfahrt (5) und an den kultischen Hymnus, der das Gebet des Unglücklichen mitnimmt (8 ff.). 43,l — 4: Dritte Strophe: Die Bitte um Heimkehr. Acht, ursprünglich wohl sieben fünfhebige Zeilen, lb (par. la) ist Interpretament. Die in Strophe 1 und 2fehlende Bitte folgt in der 3. Strophe. Sie besteht ganz aus Gebetsbitten und Wünschen. Mit ein Grund offenbar, 43 von 42 trennen zu wollen. Der Gebetsstil, vorher nur in Erweiterungen (2b.7a.8b) erkennbar, tritt jetzt hervor, la: Richten heißt Schlichten. Es geht um den Konflikt, den die anderen, die Bedränger (11) über den unglücklichen Beter gebracht haben. Anlaß ist ein Unglück, die Folge war Spott und Streit. Der Beter sieht es als Glaubensproblem. Darum gelten die Widersacher ihm als „unfromme Leute". Die Hiob-Situation mag die Szenerie illustrieren, wenngleich die Gegner hier den dort vorhandenen Konsens von Anfang an verlassen haben (11). l b sucht in einer chiastischen Ergänzung, das Profil der Gegner mit moralischen Begriffen schärfer zu fassen. Von 177

Ps 43/44

Teil II: Auslegung

Buch II

„Betrug" und „Bosheit" ist die Rede, ohne daß Indizien für solche Anklagen genannt wären, lb - ohnehin nicht in Verslänge - mag einer Nachzeichnung des Bildes entstammen. Als Grund für die Bitte zum Eingreifen nennt 2a den Widerspruch zwischen dem Bekenntnis zum „Gott der festen Burg" (46,2.8.12; 48,4ff., möglicherweise ein danitisches Theologumenon; die Versionen lasen: „du bist, Gott, mein Schutz") und der Tatsache der Verstoßung ins Unglück. Der Widerspruch erzeugt die Warum-Frage (vgl. auch 10a). Der Kontrast zwischen freier Bewegung und dem doppelten Zwang der Bedrängnis der Feinde und der Bürde der Bußtrauer schmerzt den Beter mehr als das körperliche Leiden (2b). „Schwarz" bzw. „schmutzig einhergehen" bezieht sich auf die Trauerbräuche des Anlegens des schwarzbraunen Sackgewands und des Streuens von Asche auf den Kopf (vgl. 35,14; 38,7; Hi 30,28). Hilfe erhofft sich der Beter und Dichter von der Zusendung von „Licht und Wahrheit Gottes" (3a). Es ist nicht klar zu sehen, ob er an etwas Konkretes, an Symbole oder Zeichen, übersandt vom Heiligtum, oder personifizierend an zwei göttliche „Begleiter" denkt (91,11), als die er das „Licht Gottes" und die „Treue/Wahrheit Gottes" - nach alter Vermutung „Wort Gottes" (hebr nax < akk amätu) - erfahren möchte. Die Hilfe jedenfalls, symbolisch oder mythologisch realisiert, muß vom Gott des Lebens kommen. Die Bitte um Hilfe wird zum Wunsch nach Rückkehr in Gottes Nähe (4), zu den „Wohnungen" Gottes (46,5; 84,2), dem Altar (42,3.9). Zu denken ist an den Tempel mit seinen Gebäuden. Welche Zugänge dem Besucher offen standen, ist unklar. Der Beter möchte jedenfalls bis ins Innerste zum „Gott seiner Freude" vordringen, um ihm - wie es auch in Dan der Brauch - den Dankpsalm von der Leier begleitet zu singen (4b). Der Wunsch ist ein Gelübde (5). 5: Kehrvers. 3+3|2+2|2+l. Vgl. 42,6.12. Er führt zur Ausgangslage zurück: 42,2ff.ll; 43,1 ff. Der Wunsch eilt den Ereignissen voraus. Aber das Lied, Klage, Bitte, das „Ausgießen der Seele" (5), das Gebet (9), haben die Situation verändert. In 5 klingt das „Harre auf Gott" anders als 42,6.12. Und das Gelübde: „noch werde ich ihn preisen" hat konkrete Struktur. Denn das Bekenntnis zum persönlichen Gott - „mein Gott", „dein Gott", dominiert den ganzen Psalm - , der „ins Angesicht" hilft. In 43,5 hat die Freude die Trauer vollends verdrängt.

Psalm 44 1

Für den Chorleiter: Von den Qorachiten. Ein Lehrgedicht9.

2

Gott, mit eigenen Ohren haben wir gehört, was unsere Väter uns erzählt; Daß du ein Werk vollbrachtest in ihren Tagen, in den Tagen der Vorzeit - du, deine Hand:9 Völker hast du enteignet und sie angepflanzt, zerschlugst0 Nationen und schicktest sie weg. Denn nicht mit ihrem Schwert eroberten sie Land, und nicht ihr Arm brachte das zustande für sie;

3

4

178

Ps 44

Qorach-Psalter

Sondern deine Rechte und dein Arm" und das Licht deines Angesichts, denn du hattest Gefallen an ihnen b . 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Du selbst, mein König und Gott", verfüge die Heilstaten Jakobs. Mit dir stoßen wir nieder unsere Feinde, in deinem Namen zertreten wir unsere Gegner. Ja, ich vertraue nicht auf meinen Bogen, und mein Schwert hilft mir nicht. Ja, du hast uns geholfen vor unseren Bedrängern und, die uns hassen, zuschanden gemacht. Gott 3 haben wir gepriesen jeden Tag; und deinen Namen bekennen wir alle Zeit.

Sela b .

Doch du hast uns verstoßen und mit Schmach bedeckt und ziehst nicht aus mit unsren Scharen. Du läßt uns die Flucht ergreifen vor dem Feind, und, die uns hassen, haben uns geplündert. Du gibst uns dahin wie Schlachtschafe und hast uns unter die Völker zerstreut. Du verkaufst dein Volk für nichts und hast wenig Gewinn aus dem Preis für sie. Du machst 3 uns zur Schmach bei unseren Nachbarn, Spott und Hohn bei denen, die um uns wohnen. Du machst uns zum Spottvers der Völker, zum Kopfschütteln bei den Nationen. Den ganzen Tag ist meine Schmach vor mir, und Schande bedeckt mein Gesicht. Vor dem Lärm der Spötter und Lästerer, vor dem Feind und vor dem Rächer. Das alles hat uns getroffen, obwohl wir dich nicht vergessen und deinen Bund nicht verleugnet haben. Nicht fiel ab unser Herz, und unsere Schritte wichen nicht von deinem Pfad. Denn du hast uns zerschlagen 9 am Ort der Schakale1*, und du decktest uns zu mit Todesfinsternis. Wenn wir den Namen unseres Gottes vergessen hätten und unsere Hände einem fremden Gott zugestreckt Hätte Gott dies nicht erforscht? Er kennt doch die Geheimnisse des Herzens! 179

Ps 44

Teil II: Auslegung

23

Ja, deinetwegen wurden wir jeden Tag getötet, wurden geachtet wie Schlachtschafe.

24

Erwache! warum schläfst du, Herr? Wach auf, verwirf nicht auf ewig! Warum verbirgst du dein Antlitz, vergißt unser Elend und unsere Not? Denn in den Staub ist unsere Seele gesunken 3 , es klebt am Boden unser Leib. Steh auf zur Hilfe für uns und befreie uns um deiner Gnade willen!

25 26 27

Buch II

1° S. 32,1; 42,1. 3" Abtrennung M gegen die rhythmische Struktur. - b 3hn zu lesen statt j n n „du behandelst schlecht" (SSM hi). - c Der Vorschlag, D^rHPm zu lesen ( < ^IW ,pflanzen'), hat einiges für sich. 4" Knappes Kolon; statt i s n i („dein Arm") "|T57 J7TIT („dein starker Arm")? - b DIVXI („du hast Gefallen an ihnen") könnte aus DmXT („du hast sie zerbrochen") verlesen sein. 5" Ersetzt M ein ursprüngliches mrr "l^ö „König JHWH"? Die Vrs scheinen das Schluß-D von dIti^X als partizipiales ö zu mx gezogen zu haben (G, S z . B . ) . 9° M mit 3, das bei "|ÖU> fehlt. G umschreibt passivisch: „wurden gepriesen" und beachtet die Zeitenfolge. - b Fehlt bei S. 14" Anpassung an 15; 79,4 ir'H. 20" Prp: n m .verstoßen', statt H3T .zerschlagen'. - b G las „Unterdrückung" ( < n r ? ) . 26" < mtr ,sinken', nicht rrir .vergehen'. Vgl. 42,6.7.12; 43.5. Literatur: E. V O G T , Psalmus 44 et tragoedia Ezechiae, V D 45 (1967) 193-200. - H. G R O B , Geschichtserfahrung in den Psalmen 44 und 77, TThZ 80 (1971) 2 0 7 - 2 2 1 . - W. B E Y E R L I N , Innerbiblische Aktualisierungsversuche. Schichten im 44. Psalm, ZThK 73 (1976) 446—460. H . M . PARKER, Artaxerxes III Ochus and Psalm 44, JQR (1977/78) 152-168. - J.-F. B A U D O Z , «Elohim, de nos oreilles nous l'avons e n t e n d u . . . » . Etüde des versets 2 - 9 du Psaume 44, NRT113 (1991) 2 5 - 4 6 . - L . D. CROW, The Rhetoric of Psalm 44, Z A W 1 0 4 (1992) 3 9 4 - 4 0 1 . -

Ps 44 ist ein Gemeindegebet, das sich in fünf Strophen über die Erinnerung an die Landgabe, die Vergewisserung des Glaubensbekenntnisses, über eine Gottesanklage und Unschuldsbeteuerung zu einem dringenden Appell um Hilfe erhebt. Die Strophen sind im gemessenen Schritt des Dreierrhythmus ebenmäßig gebaut. Nimmt man aufgrund einiger deplazierter Einzelverse wie 16.17.20 nachträgliche Umstellungen und Neubildungen an (z. B. 16 statt 8; 20 statt 12; 17 zu 27; 14 Zitat aus 79,4), ergeben sich gleichgebaute fünfzeilige Strophen. Ein Konzept ist in der Bearbeitung nicht zu erkennen. Die Sprache ist deutlich und direkt, die theologischen Vorstellungen sind konventionell (Einzelbekenntnisse 5[?]7.16). m a „Bund" (18) ist ein zentraler Begriff, auch: „Heilstaten Jakobs" (5) im Blick auf die Heilsgeschichte, sowie: Gehen auf dem „Pfade JHWHs" (19). Das Leitwort ist naw .vergessen' (18.21.25). Die Kühnheit der Anklagen, die ein Unschuldsbekenntnis (18ff.), aber kein Schuldgeständnis zuläßt, gipfelt in 23, wo für die Notlage allein Gott verantwortlich gemacht wird. Mangels präziser Angaben ist eine Datierung nicht möglich. Doch kann gesagt werden, daß 44 im Kontext der QorachPsalmen in die Exilszeit paßt, daß seine Lagehinweise und Theologie in den danitischen Umkreis weisen. Es ist denkbar, daß der Psalm als Gebet der danitischen DiasporaGemeinde - Dan war ununterbrochen besiedelt, das Heiligtum benützt (vgl. 9) - , vielleicht in der Zeit nach 721 oder nach 586 entstanden ist, um die unerträglich geworde180

Qorach-Psalter

Ps 44

ne Bedrängnis der Gemeinde unter Nachbarn und Feinden (17) vor Gott zu bringen. Die Überarbeitung hat die Konturen der Situation zusätzlich verwischt (8.12.14.16f.), doch den Impetus dieses Aufschreis der Empörung nicht verändert. 3—9.23—25 sind fragmentarisch in lQPs c bezeugt. „24a... wurde während der Makkabäerkämpfe bis auf Johannes Hyrkanus 135 — 104 von einem Leviten täglich öffentlich gesungen" (Nötscher 88). Paulus zitiert den Spitzenvers 23 Rm 8,36 als Grundsatz der Existenz der Gemeinde. 1: Überschrift. 2—4: Erste Strophe: Erinnerung. Fünf Zeilen 3+3. In einer Gebetsanrufung - im elohistischen Psalter ist ein ursprüngliches JHWH anzunehmen - erinnert die Gemeinde, die als redendes Wir auftritt, an die Heilstaten der Vergangenheit. Gemeint ist die Zeit der Landnahme, die als göttliche Landgabe erscheint. Vor ihr haben die Väter ihrer Pflicht entsprechend „erzählt" (vgl. 78,3, dazu Dt 6,20ff. u.ö.), und die Überlieferung blieb lebendig. Die Gemeinde bezeugt es (2a, vgl. vierfacher Reim auf -nu). Es war die grundlegende Heilstat in der Geschichte, ein eigenhändiges Werk ihres Gottes. Sie wurde zur Geschichte, die in das biblische Zeugnis eingegangen ist. Sollte es sich um die Gemeinde von und um Dan handeln, was bei den Qorach-Ps zu vermuten ist, wäre die Erzählung etwa in Jdc 18f. aufbewahrt, allerdings in einer Form, welche hier der theologischen Deutung unterzogen wird. Denn nach 3f. war es allein JHWHs Plan und Werk, Völker zu enteignen und zu vertreiben, gar zu zerschlagen (37in = f S I , möglicherweise Urtext auch in 4d: DDIXI „du hast sie [die Völker] zerschlagen" statt DIVX") „du bist ihnen [den Vätern] geneigt"). Das prononcierte Bekenntnis zur alleinigen Tat JHWHs, verbunden mit einer dezidierten Absage an alle synergistischen Vorstellungen in 4, könnte gerade die Absicht verfolgen, alle (von Jdc 18f. her) naheliegenden Gedanken an gewaltsame Eroberungen mit dem Schwert zurückzudrängen. Es war Gottes Wille und Tat seiner Rechten, die Väter hier (in Lajisch/Dan) „anzupflanzen". Sie und ihre Nachkommen wohnen da göttlich legitimiert. Das Licht seiner persönlichen Gegenwart sanktioniert dieses Recht, an das die Gemeinde des Psalms erinnern will. Zum Topos ,Licht'vgl. 42f.; 76 u. a. 5—9: Zweite Strophe: Vergewisserung. Fünf Zeilen 3+3. Die zweite Strophe drückt die Erwartung aus, daß das Heilshandeln Gottes heute wie damals wirksame Hilfe für die Gemeinde sein sollte. An der Art solchen Handelns sollte sich nichts geändert haben. 5 ruft Gott/JHWH als „König" an - M sogar als „mein König", als ob es sich um ein individuelles Bekenntnis handelt (wie 7, vgl. 5,3) - , von dem man Maßnahmen zur Rettung Jakobs erbittet. „Heilstaten Jakobs" erscheint als Deutebegriff für die Heilsgeschichte (2ff.), „Jakob" vertritt die Ganzheit des Gottesvolkes. 6 bringt zum Ausdruck, wie man sich die Hilfe vorstellt, und wirft zugleich Licht zurück auf 3f. Denn es geht um Kampf und Gewalt gegen „Feinde" und „Gegner". Das Bild des Wildstiers (DX~i), der sein Opfer mit den Hörnern niederstößt und dann zertritt, macht dies deutlich. Doch es soll „im Namen" JHWHs geschehen und entspricht insofern den Vorstellungen vom JHWH-Krieg in 3f. 7 gibt ein Einzelbekenntnis, aus diesem Ideenbereich zitierend, wieder, in ähnlichen Worten wie 4. „Vertrauen" ist die Parole, nicht auf Waffen, sondern auf den Feld-Herrn und „König", wenngleich Waffen im Spiel sind. 8 bleibt im gleichen Vorstellungsbereich und spricht wiederum zitierend (13) von Jahwe K riegs-Erfahrungen der Vergangenheit. Er könnte aus dem Kontext formuliert sein und einen aussagekräftigeren Vers - etwa 16 in der überfüllten 3. Strophe - verdrängt haben. Dann hätte neben 181

Ps 44

Teil II: Auslegung

Buch II

dem Ich-Bekenntnis des in 7 Zitierten kontrastierend eine Ich-Klage gestanden, welche das Dilemma des Sprechers beschreibt: Schmach und Schande kennzeichen die Situation, „vor ihm" und „auf ihm". Dann hätte 9 seine Resonanz als trotziges „Dennoch": Lob und Preis Gottes gehen jeden Tag und alle Zeit weiter, auch in der gegebenen Situation - vielleicht ein Hinweis auf die nicht erkennbar unterbrochene Heiligtumsfunktion in Dan: festlicher Jubel und Anrufung im Gebet. Sela markiert den Einschnitt nach der 2. Strophe. 10—17: Dritte Strophe: Bezichtigung. Acht Zeilen 3+3 (nicht 12, der möglicherweise 20 an dieser Stelle verdrängt hat; 14 ist Zitat aus 79,4; 16 gehört zu 8, 17 zu 27; bleiben fünf Zeilen). Diese Strophe führt den Gedankengang gezielt weiter. Abgestützt auf Erinnerung und Vergewisserung ist die Gemeinde in der Lage, offensiv zu werden und zu harten Vorwürfen zu greifen. Dies ist die Konsequenz aus dem Bekenntnis zum Deus solus. Ihm wird auch die alleinige Verantwortung für die Misere zuerkannt. Die geballte Anklage besteht mit 14 aus 6 Anwürfen, deren impf wohl als iterativa („du hast wiederholt ...") zu verstehen sind, was den Ton zudem verschärft (11 — 15 beginnen jeweils mit dem harten t, vgl. auch 10). 10: HX, hier adversativ „doch", stellt die Vorwürfe in Relation zum Verhalten der Gemeinde (vgl. auch 18ff.): Es fand keine Entsprechung, im Gegenteil. Darauf folgen, Schlag auf Schlag, Anklagen. Verwerfen und mit Schande bedecken (10a) erweckt Assoziationen an die Verstoßung der Frau und Entweihung durch Wegwerfen (vgl. 24; 43,2; 74,1; 77,8; 88,15 u.a.); das Nicht-mit-den-Heeren-Ausziehen (10b) ist ein Topos der Verweigerung aus dem sog. heiligen Krieg (vgl. IS 4,3ff.); Niederlage, Flucht und Plünderung (11) gehören ebenfalls in den Kriegszusammenhang, wobei die Vorstellung vorausgesetzt wird, die Gottheit entscheide über den Sieg (IIa). 12 ist zu kurz, führt nicht weiter und nimmt 23 vorweg, scheint also aus dem Kontext ergänzt. Seine Klage lautet auf Behandlung wie Schlachtschafe („Speiseschafe") und Zerstreuung unter die Völker - letzteres ist nicht das Problem des Wir-Psalms und deutet 13 vom Exil her. Besser würde hierher der im Kontext isolierte 20 passen. Wurde er versetzt? Er zeichnet jedenfalls drastisch anklagend die Situation der Besiegten als Ort der Wüste und der Todesschatten. Die Anklagen in 13 stammen aus dem Handel, genauer dem Sklavenmarkt: Gott habe sein Volk verkauft und dabei nicht einmal Gewinn gemacht, vielmehr es sozusagen verschleudert. Im Blick auf die Selbsteinschätzung der Gemeinde ist das besonders bitter, weil es von Mißachtung zeugt. 14 ist fast identisch mit 79,4, wo der Stichos besser verwurzelt ist. Hier nimmt er 15 vorweg. Es geht um den Vorwurf des Identitätsverlusts, der sich in der Reaktion der Umgebung spiegelt. 14 spricht dies im Klartext aus, nennt Nachbarn und Umwohnende, die in Hohn und Spott ausbrechen. 15 zeichnet dem Kontext entsprechend bildlich und klagt darüber, daß „wir" zum „Spottvers" C?tPQ) unter den Völkern gemacht worden sind, zum „Kopfschütteln", d. i. Anlaß zum Spott unter den Nationen geworden sind (22,8; Jer 18,16). 16 dient der Zusammenfassung in Ich-Klage-Form, paßt natürlich zu 15, aber besser noch zu 7 (s. dort). Hier ist er von der Gemeinde bildlich gemeint. Sie hat ihre Schmach täglich vor Augen. Schande bedeckt sie wie ein Trauertuch - vor dem Geschrei der Spötter und dem Blick der Widersacher. 17 hängt an 16, wiederholt aber nur 14f. Der deutlich profilierte Stichos (a-Alliteration, Klangwiederholung) gehört eher in die expressive Schlußstrophe (nach 27) als in die (zur Klagebeschreibung erweiterte) Bezichtigung, wo sie überzählig ist. Dann hätte die mittlere Strophe auch nur fünf Zeilen gehabt. 18—23: Vierte Strophe: Beteuerung. Sechs Zeilen 3+3 (ohne 20 fünf Zeilen). Die 182

Qorach-Psalter

Ps44

Schuldfrage, schon in 10ff. thematisiert, wird nun von Seiten der Gemeinde abgewehrt. Sie hat sich selbst nichts vorzuwerfen und beteuert ihre Unschuld. Es gibt keinen Grund, ihr Ergehen als verschuldet anzusehen. Die Strophe beginnt mit kräftigen Verneinungen. Es gab kein „Vergessen" - man könnte auf 9 verweisen (18a). Der Bund wurde nicht gebrochen (TpU? pi), etwa durch Täuschung bzw. Heuchelei (vgl. 89,34). Der Psalm setzt das Bestehen eines Bundesverhältnisses voraus, das auf gegenseitigem Vertrauen basiert. Vertrauensbruch ist Bundesbruch. Der Bund geht auf Initiative JHWHs zurück („dein Bund", 18b). Eine „Abwendung des Herzens" (19a), eine willentliche Aufkündigung der Gefolgschaft und inneren Gemeinschaft, trat nicht ein, sowenig wie eine sichtbare Abkehr vom „Pfad" des im Bund geforderten Verhaltens (19b). Zu beachten ist das Lautspiel: 'hr-'rh, das die Abkehr symbolisiert. Die negativen Formulierungen erinnern an Beichtaussagen (15; 24). Hier werden sie von einer Gemeinde vorgebracht. Zu 20 s.o. bei 12. Der Vers steht hier sachlich ganz isoliert. Er beklagt, daß Gott die Gemeinde „an dem Ort der Schakale zerschlagen" hat (M ist zu korrigieren). Die Wüste als Ort des Todes, die Finsternis als Ära des Chaos und Nichts, bezeichnen die Situation der verworfenen Gemeinde. Sie ist dem Tode ausgeliefert. 21 f. kehren zum möglichen Vorwurf des „Vergessens" zurück (18a). Vergessen hieße: den (Gebrauch des) Namens unseres Gottes vergessen; die Hände (im Gebet) zu einem fremden El ausbreiten (21), d.i. ein offenes Aufgeben des Gottesdienstes. Es wird in Abrede gestellt. Man kann 21 auch als Schwursatz lesen. Und selbst wenn es da und dort im geheimen geschehen wäre, müßte es Gott selber am besten wissen. Denn er kennt „die Geheimnisse des Herzens", letzteres ist ein weisheitlicher Begriff, vgl. Hi 11,6; 28,11. Seine Forschungen brachten aber nichts Einklagbares zutage, sonst hätte er dies vorbringen können (22). So ist der kühne Schluß unausweichlich: Alles geschieht um seinetwillen, „deinetwegen" ("pVy, 23). In ihm allein liegt die Ursache der Notlage. Die Gemeinde leidet um Gottes willen. Insofern gleicht sie dem Schlachtvieh, über das verfügt wird. Jeden Tag wird es getötet, weil tägliche Opfer (in Dan?) notwendig sind, aus kultischen Gründen. So sieht sich die Gemeinde täglich der Gottheit geopfert. Die Anklage erreicht in 23 ihren Höhepunkt. Die Kühnheit dieser Argumentation ist bemerkenswert. 24— 27: Fünfte Strophe: Aufforderung. Vier Zeilen 3+3 (mit 17 nach 27fünf Zeilen). Auf dem Gipfel der Anklage wird das Gebet zum dringenden Appell. Die kühne Aussage vom schlafenden Gott (1R 18,27; vgl. 121) entspricht der Härte der Vorwürfe. 24 versteht sich als Weckruf, zur Besinnung zu kommen und einzusehen, daß ein Eingreifen zwingend ist. Die Anrede „Herr" erinnert an den „König" in 5. Vgl. die Wortassonanz znh nsh 24b. Die Fragen in 25 nehmen Topoi von 18ff. wieder auf, diesmal auf Gott angewendet: verbergen des Gesichts (vgl. 16b), vergessen (18.21). Es gibt keinen Grund, außer in Gott selbst. 26 stellt die Beter als Bittsteller dar, die sich zur Proskynese niedergeworfen haben. Hat IPB3 hier und in 42 (Kehrvers) eine speziellere Bedeutung neben H3D ,Leib', etwa ,Hals'? Sie beten an im Staub der Erde und erheben wieder ganz bei sich nach den Ausbrüchen 24 ff. - die schlichte Bitte um Hilfe und Rettung, nun eben um der Gnade willen, aus Gnade und Huld (27), Rettung - es scheint, hier hätte 17 seinen angestammten Platz gehabt - vor den Spöttern und Feinden. Beides ist unerträglich: das geifernde Geschrei der Lästerer (lautmalerisch imitiert 17a) und der Blick des rachsüchtigen Feindes (vgl. 8,3), und sie verheißen nichts Gutes.

183

Ps 45

Teil II: Auslegung

Psalm 45 1

Für den Chorleiter: Nach „Lotusblüten"3. Von den Qorachiten. Ein Lehrgedichtb. Ein Liebesliedc.

2

Mein Herz fließt über von guten Worten; ich trage vor meine Werke3 dem König; meine Zunge ein Griffel, ein flinker Schreiber.

3

Schön, schöner bist du als alle Menschen; Anmut, gegossen auf deine Lippen; darum hat dich Gott gesegnet für alle Zeit.

4

Gürte dein Schwert an die Seite, Held, deine Pracht und deine Herrlichkeit3. Und deine Herrlichkeit! Glück zu!3 Reite nach treuer Artb und Demut0, Gerechtigkeit!

5

6 7

Und lehren soll dichd Furchtbares deine Rechte. Deine Pfeile gespitzt3, Völker fallen dir unter die Füße, im Herzen die Feinde des Königs.

8

Dein Thron, Gott, für immer und ewig; ein Richtmaß3 ist dein Königsstab. Du liebtest Ordnung, haßtest Verbrechen.

9

Darum hat dich Gott gesalbt, dein Gott mit dem Öl der Freude vor deinen Gefährten. Von Myrrhe und Aloe, Kassia3, alle deine Kleider.

10 11 12 13 14 15

184

Aus Elfenbeinpalästen erfreut dich Saitenspielb. Die Königstöchter3 in deinem Prachtgefolge. Dir zur Rechten steht die Gemahlin in Ophir-Gold. Höre, Tochter, und sieh, und neige das Ohr, und vergiß dein Volk und das Haus deines Vaters! Begehrt der König deine Schönheit, denn er ist dein Herr, unterwirf dich ihm! "Tochter (von) Tyros, mit Gaben werden erheitern dein Antlitz die Reichen des Volkesb. Alle Habe, Königstochter, drinnen3, Goldwirkereien, Gewänder3, buntb.

Buch II

Qorach-Psalter

16 17 18

Ps45

Sie wird zum König gebracht. D i e Jungfrauen hinter ihr, die Gefährtinnen, hineingeführt zu dir c . Sie werden gebracht mit Freude und Jubel, sie gehen in den Palast des Königs. A n die Stelle der Väter treten deine Söhne; du machst sie zu Fürsten auf der ganzen Erde. Ich will deines Namens gedenken über alle Zeit, darum werden Völker dich preisen immer und ewig.

l a G : „über die, die verändert/umgestimmt werden" < - b Vgl. 32,1; 42,1 u.a. - c Die Vrsu. einige Mss lasen sg n n ' T „Liebe", A: 7ipoo-). Nicht alle können den Thron besteigen. Sie gelten dem Ruhm unter den Völkern, dem internationalen Ansehen des Königs (18b). Schließlich wünscht und verpflichtet sich der Dichter selbst, des Namens des Königs eingedenk zu bleiben und durch sein Werk den Namen in Erinnerung zu halten (18a). Leider nennt er ihn nicht.

Psalm 46 1

Für den Chorleiter: Von den Qorachiten. Nach Mädchen weise3. Ein Lied.

2

Gott ist für uns Zuflucht und Schutz, Hilfe in Nöten, sehr bewährt. Darum fürchten wir nichts, wenn die Erde schwankt3 und Berge stürzen in dieTiefe b der Meere. Es branden, es schäumen seine9 Wasser, es beben die Berge bei seiner Hoheit b . Sela.

3 4 5 6 7 8 9 10

188

Der Strom, seine Bäche erfreuen die Stadt Gottes, die heiligste9 der Wohnungen1* des Höchsten. Gott ist in ihrer Mitte, sie wankt nicht, Gott hilft ihr, wenn der Morgen anbricht. Völker brausen auf, Königreiche wanken, erhebt er die Stimme, schwankt die Erde. JHWH der Heere ist mit uns, eine Burg ist für uns der Gott Jakobs.

Sela9.

Geht und schaut die Wunder JHWHs, der Entsetzliches im Lande getan hat, der die Kriegswaffen vernichtet bis zum Rand der Erde; Der Bogen zerbricht und Spieße zerschlägt, Wagen9 im Feuer verbrennt.

Ps 46

Qorach-Psalter

11 12

Laßt ab und erkennt, daß ich Gott bin, ich erhebe mich über Völker, über die Erde. JHWH der Heere ist mit uns, eine Burg für uns ist der Gott Jakobs.

Sela

l a Schon die Vrs hatten Mühe (vgl. 9,1), leiten m a b s von D^Si I .verborgen sein' (Mss: m0*757, G) oder von D^IS ,Dauer', ,Ewigkeit' (S) ab oder transkribieren 0 (Orig). 3 a Von 118 II (als ni) .schwanken' hergeleitet; denkbar auch n a II (akk maräru .weggehen'), oder Korrektur in n a n (ni) .wanken' u. ä. - b M: „Herz". 4" Fehlender Bezug, DTI „das Meer"? - b Vorschlag: i m m n „bei seinem Schelten". 5" M: „die heiligste der Wohnungen" ist nicht sinnvoll, eher ist zu lesen: Wip .Heiligtum' (Orig: x o S v g l . 2 ) ; G las ein Verbum. - b G, S sg. 8" Fehlt S. 10" Statt M: ni1?!? ,Lastwagen' besser mit G: nfrlff ,Rundschilde' zu lesen. 12" Fehlt in G und S. Literatur: P.L. KRINETZKI, Der anthologische Stil des 46. Psalms und seine Bedeutung für die Datierungsfrage, MThZ 12 (1961) 52—71. - M. WEISS, Wege der neuen Dichtungswissenschaft in ihrer Anwendung auf die Psalmenforschung. Methodologische Bemerkungen, dargelegt am Beispiel von Ps XLVI, Bibl 42 (1961) 2 5 5 - 3 0 2 . - H. JUNKER, Der Strom, dessen Arme die Stadt Gottes erfreuen (Ps. 46,5), Bibl 43 (1962) 197-201. - D . T . TSUMURA, The Literary Structure of Psalm 4 6 , 2 - 8 , A J B I 6 (1980) 2 9 - 5 5 . - N. LOHFINK, „Der den Kriegen einen Sabbat bereitet". Psalm 4 6 ein Beispiel alttestamentlicher Friedenslyrik, BiKi 44 (1989) 148-153. - H. SPIECKERMANN, Stadtgott und Gottesstadt. Beobachtungen im Alten Orient und im Alten Testament, Bibl 73 (1992) 1-31.

-

Das nach sehr klarem Plan gebaute hymnische Gedicht bestand aus drei dreizeiligen Strophen im Metrum 4+4, die jeweils ein im Dreiermetrum abgefaßter Kehrvers (nach 478.12) abschloß. Das dreifache Sela deutet diese Gliederung an. Auf der Bruchlinie zwischen 4 und 5 ist der Text offensichtlich (am Kolumnenende?) beschädigt worden. Die Irritationen in 4.5, auch der Ausfall des abschließenden Kehrverses, sind wohl so zu erklären. 9b bildet eine prosaische Ergänzung. Der strophisch wie rhythmisch klar strukturierte Text eignet sich gut zum gemeinsamen (Sprech-)Gesang (Ttt>). Darauf deuten auffällige Klangsequenzen in 2 (a-e\a-u\o\\e-a\a-u, gespiegelt, mit Variationen), 11 (a-u, 4mal), dann - außer den Alliterationen, z.B. 6 (b), 4.7 (m) - die Klangfiguren in 3 (i-a\\a-i; b-im, 2mal), 4.7 (-||»n: ,murren', .brausen' und ü|lö), 10 (na und f j ^ p ) u.ä. Thema des Psalms ist die Frage nach Schutz und Sicherheit für die Stadt und ihre Gemeinde, die sich im „Wir" mit dem Psalmisten zusammenschließt. Das Sicherheitsproblem wird nach der Stropheneinteilung unter den Aspekten: Naturkatastrophen, politische Katastrophen, Krieg behandelt. Der latenten Angst und offenen Furcht (3) stellt der Psalm das in 2 vorgebrachte, in den Kehrversen aufgenommene, in den Einzelstrophen explizierte Bekenntnis entgegen, daß Gott „für uns" „Zuflucht und Schutz" ist. Die Metapher von der „festen Burg" dominiert. Im Zuge der Entfaltung greift der Psalmist auf traditionelle Glaubensvorstellungen zurück, so das ChaoskampfMotiv (4.7). die Vorstellung von der „Gottesstadt" (5f.), die Idee von der allgemeinen Abrüstung (9f.), das Theologumenon vom Tl^y dem höchsten Gott (5.11), die auch in den Titeln des Refrains (8.12) Aufnahme finden. Spezifischer ist das leider etwas retuschierte Motiv vom ,,heiligen(?) Strom und seinen Kanälen", welche die Gottesstadt mit Wasser versorgen und „erfreuen". Es liegt näher, primär an die alte Tempelstadt Dan und nicht an Jerusalem, das hier nicht genannt ist, zu denken und in den Jordanquellen beim danitischen Heiligtum das Vorbild für 5 zu sehen: Die Gottesstadt lebt schon 189

Ps46

Teil II: Auslegung

Buch II

immer vom heiligen Wasser. Die von Goulder 1982 ausgearbeitete These von der danitischen Herkunft der Qorach-Psalmen ist für 46 bedenkenswert. Sie setzt aber nicht zwingend die Abfassung in der Zeit des Nordreichs (bis 722) voraus. Denn das in 46 thematisierte Sicherheitsproblem stellte sich akuter und bedrängender in Zeiten der Fremdherrschaft unter assyrischer, babylonischer oder persischer Provinzialverwaltung. Bisher keine Q-Belege. 1: Überschrift, ähnlich wie 42/43 ff., mit Angaben für die Aufführung. Möglicherweise bezeichnet „nach Mädchenweise" (Sopran?) eine Vortragsform. TtP weist auf gottesdienstlichen Gesang. 2—4: Erste Strophe: Schutz vor Naturkatastrophen. 2mal 4+4 (4 beschädigt?, 3+3). Der Psalmist bekennt sich mit seiner Gemeinde, seinem Volk und der „Gottesstadt" zu dem Schutz (TS?), den Gott (JHWH) bietet. Zuflucht (nono), im Vertrauen auf gewährten Beistand und erwiesene Hilfe findet sich in den Notzeiten (2). Die Metapher „Zuflucht" (vgl. „Burg", 8.12) wie die Begriffe „Schutz", „Hilfe" zeigen an, daß hinter dem Bekenntnissatz vielfache konkrete Erfahrungen stehen, worauf ja explizit verwiesen wird. Auf der Basis dieser Erfahrungen kann es keine Furcht geben (3 f.), auch nicht vor oder bei Naturkatastrophen, welche den ganzen Kosmos und seine Ordnung bedrohen. Das p'^S? „darum" zieht die Konsequenz aus dem credimus. Vertrauen schließt Furcht aus. Der Schutz, auf den sie bauen kann, gibt ihr Mut und Gelassenheit auch für den größten anzunehmenden Unfall einer Weltkatastrophe: Der Erdboden wankt, das Weltrandgebirge stürzt in die Ozeane, d. h. das Weltgebäude bricht zusammen (3). Die kosmische Katastrophe wird mit mythologischen Farben beschrieben (4). M, bei dem wohl ein an zweiter Position stehendes DTI „das Meer" verloren gegangen ist, deutet den Unfall als Aufruhr der Chaosmächte des Meeres. Es brandet und braust „in seinem Hochmut", rebelliert, so daß auch die Berge beben. Dem Kontext gemäßer wäre die (korrigierte) Aussage, daß jene Unruhe in der Natur durch Gottes „Schelten" im Gewitter veranlaßt ist, so daß zu übersetzen wäre: „es branden..., es beben bei seinem Schelten". Die souveräne Macht Gottes läßt die Weltmächte (nur) schäumen und zittern. Der Textschaden am Ende von 4* und in 5 hat offenbar den Verlust des hier zu erwartenden Kehrverses (8.12) bewirkt. Das Sela markiert den Einschnitt (vgl. 8.12). 5—8: Zweite Strophe: Schutz vor politischen Katastrophen. 6—7: 2mal 4+4, Kehrvers 3+3 (5?). Die Strophe bezieht das Thema: Schutz und Sicherheit auf das politische Gebiet. Die Rede ist von der „Gottesstadt", von den Völkern und Staaten. 5 macht textliche und sachliche Schwierigkeiten. Das vorangestellte i m „Strom" ist syntaktisch isoliert, 5b als Apposition plerophorisch, das Versmetrum (zu erwarten 4+4) unkenntlich. Eine Umstellung von 5b zu "iru würde viel verbessern: „Der heilige Strom" oder: „Der Strom des Heiligtums, mit den Wohnungen des Höchsten, seine Bäche erfreuen die Gottesstadt." Auch die inhaltlichen Schwierigkeiten wären behoben, sofern man nicht zuerst an Jerusalem, vielmehr an Dan zu denken hätte, auf das die Beschreibung Strom, Wasserarme, Heiligtum - genau zutreffen würde. Ist der ursprüngliche Text an dieser Stelle (5) bewußt korrigiert und allegorisiert worden, um die danitischen Spuren bei der Übertragung auf Jerusalem zu verwischen? Teil el-Qädi, an den Jordan-Quellen gelegen, für das Nordreich bis 722 eine wichtige Stadt mit einem Staatstempel wie Bethel, insofern: „Gottes-Stadt", „Wohnung(en) des Höchsten", ausgestattet mit imponierenden Befestigungsanlagen, versehen mit üppigen Wasserquellen beim Heiligtum, 190

Qorach-Psalter

Ps 46

könnte gut der Heimatort dieses Psalms sein, jedenfalls Bezugsort der zweiten Strophe 5 ff. Ihm gilt dann das Bekenntnis, daß Gott (JHWH) in seiner Mitte „wohnt" und „sein" Quellwasser die Stadt versorgt und erhält, weshalb sie als fest und gesichert gelten muß. Die Präsenz Gottes garantiert Schutz und die „Hilfe am Morgen" (6). Der letztere Topos könnte auf die kultische Bedeutung des Sonnenaufgangs, auf die in der Frühe erwartete Rechtshilfe, o.ä. anspielen. Jedenfalls ist es ein Akt der Unterstützung, den die Stadt erwartet. Sie weiß sich als ruhige Insel in der Brandung der Welt (7). Im Auf und Ab der Völker und Staaten, in politischer Bedrohung durch feindliche Mächte, kann sie auf den vertrauen, dessen Stimme im Donner und Wetter alle Welt erzittern läßt. Sie liegt im Schutz und Schatten „des Höchsten". Motive aus 29,Ii. klingen an, offenbar gemeinsame (Nord-)Traditionen von der Epiphanie JHWHs. 7 ist strukturparallel zu 4. Der in 8 folgende Refrain faßt das Strophenthema in einen Glaubenssatz. Symmetrisch sind einander gegenüber gestellt die beiden altisraelitischen Gottestitel: „JHWH der Heere" - mit Wurzel im Heiligtum zu Silo (24; 80 u.a.) - und „Gott Jakobs" - aus Bethel, Sichern vielleicht (75; 76; 81 u.a.). Sie stammen wohl eher aus nördlichen Traditionen mit den Elementen aus der Stämmezeit: Kampf und Geleit. Es entsprechen sich auch die Prädikate: Mit-sein und Schutz-sein, ersteres aus der Weg- und Kampfgemeinschaft gewonnen, letzteres aus Erfahrung mit Abwehranlagen - Burg und Mauerwerk. Beide Motive wurden zu gültigen Glaubenssymbolen: Gott ist uns Hilfe und Schutz (vgl. Jes 7,14; 2Ch 15,2; 20,17; 32,8). 3MPÖ, die Mitte des Kehrverses, ist das Leitwort des Psalms. 9-12: Dritte Strophe: Schutz vor Krieg. Grundmaß 4+4, Refrain 3+3; 9b Zusatz. Die Strophe besteht aus einem Aufruf des Psalmisten, die Taten JHWHs in aller Welt zu schauen (9—10), und aus einem Aufruf JHWHs, seine Gottheit anzuerkennen in aller Welt (11): Teil der weltweiten Befriedung, die der „Höchste" zugunsten seiner Stadt, seines Volkes, aber auch der Völker einleitet. piX, verstanden als „Welt", ist ein Hauptwort des Psalms. „Taten JHWHs" blieb trotz elohistischer Redaktion als Terminus unversehrt. Die Frage, an welche sichtbaren Taten der Psalm denkt, die man draußen in der Welt sehen könne, beantwortet ein prosaischer Zusatz in 9b mit dem Hinweis auf „Schauderhaftes", „Entsetzliches", das JHWH auf Erden (oder hier: im Lande?) „gesetzt" haben soll. Der Topos begegnet häufig in der jeremianischen Überlieferung und könnte aus der Prophetie stammen. Der Psalm verweist seinerseits auf die Vernichtung der Waffenarsenale in der ganzen Welt. maif?a pl wohl „Kriegsgerät" im umfassenden Sinn. Die einzelnen „Gattungen", Angriffs- und Verteidigungswaffen, werden pars pro toto erwähnt: „Bogen", „Speer" - beide mit zerbrechbaren Holzteilen; dann sind wohl nicht die „Ochsenkarren" gemeint, vielmehr die großen „Rundschilde" (HAL) aus Holz. Es sind nur Waffen der Ausrüstung für Einzelsoldaten genannt, nicht Kriegsmaschinen und Truppenkontingente, ein Zeichen dafür, daß es sich wie in Jes 9,4; 2,4; Ps 76,4ff. um bildhaft-symbolische Aussagen handelt, bezogen auf Aktionen, welche erst noch in der Zukunft liegen (vgl. die Verbformen in 10). An alle Kriegführenden ergeht in 11 der göttliche Aufruf, aufzuhören mit dem Kampf und den Höchsten als oberste Instanz der ganzen Welt anzuerkennen (vgl. 50,7; 81,11). Der durch den Kehrvers in 12 betonte Sinn auch dieser Strophe ist, daß die Staaten und Völker aufgefordert werden, sich ebenfalls in den Schutz des Höchsten zu begeben, was Krieg und Waffen, Streit um die Herrschaft, um die Weltherrschaft, überflüssig macht. Für die Gemeinde des Psalmisten heißt dies, sich in allen Fällen im Schutze JHWHs zu bergen und ihm als einer „festen Burg" zu vertrauen. 191

Ps 47

Teil II: Auslegung

Buch II

Psalm 47 1

Für den Chorleiter: Von den Qorachiten. Ein Psalm.

2

Ihr Volksgruppen alle, klatscht in die Hände, jubelt Gott3 zu mit lautem Ruf! Denn: JHWH, der Höchste, ist zu fürchten, ein großer König über die ganze Erde". Völker wird er uns unterwerfen9, und Nationen liegen unter unsern Füßen. Er wählt für uns unsern3 Landbesitz, den Stolz Jakobs, den er liebt. Selab. Gott ist hinaufgezogen im Jubel, JHWH beim Schall des Horns! Singt Gott und spielt3! Spielt unserm König und singt! Denn: Er ist der König der ganzen Erde. Singt Gott ein schönes Lied! Gott regiert über die Heidenvölker, Gott3 sitzt auf dem Thron seines Heiligtums. Die Edelsten der Völker haben sich versammelt, das Volk3 des Gottes Abrahams. Denn Gott gehören die Waffenschildeb der Erde. Sehr erhaben (ist erc).

3 4 5 6 7 8 9 10

1" Fehlt in Mss (m es). 3° „Über alle Götter" - einige Mss nach 95,3. 4" i m I hi, vgl. 18,48. 5 a G, S: „seinen Besitz". - b Fehlt in S. 7* S: „mit Glanz". 9" Fehlt in Mss (m es). 10" G, S: Dff = ,mit'; am besten wäre zu lesen: D57 DS „mit dem V o l k . . . " (hpgr). - b G: „die Mächtigen", S: „die Reiche"; prp: 'IJJ „Vertreter", oder '310 „Statthalter". - c G: „sie". Literatur: J.J.M. ROBERTS, The Religio-Political Setting of Psalm 47, BASOR 221 (1976) 1 2 9 - 1 3 2 . - W . A . M . BEUREN, P s a l m X L V I I : Structure a n d D r a m a , O T S 2 1 (1981) 3 8 - 5 4 . - E .

ZENGER, Der Gott Abrahams und die Völker. Beobachtungen zu Psalm 47, in: Die Väter Israels, FS J. Scharbert, Stuttgart 1989, 413-430. - J. SCHAPER, Psalm 47 und sein »Sitz im Leben«, Z A W 106 ( 1 9 9 4 ) 2 6 2 - 2 7 5 . -

Psalm 47 ist ein liturgischer Text, der in zwei parallel gebauten, ursprünglich vierzeiligen Strophen zum Lobpreis des epiphanen Gottes aufruft. Beide Strophen teilt genau in der Mitte eine Proklamation (6), daß Gott - inzwischen - „hinaufgestiegen" sei, womit auf eine Prozession, geleitet von Hornsignalen, begleitet vom lauten Jubel der Öffentlichkeit, hingewiesen zu sein scheint. Belegt der Psalm zwei Akte eines Zeremoniells, der Präsentation oder Begrüßung des Kommenden in aller Öffentlichkeit (2—5) und der Inthronisation im Sinne der Eröffnung der lokalen Regierungsgeschäfte des königlichen Besuchers im Heiligtum (7—10), wäre an eine Art von „Thronbesteigungsfest JHWHs" (Mowinckel) zu denken, das dann allerdings im Kontext der Qorach-Psalmen wahr-

192

Qorach-Psalter

Ps 47

scheinlich nach Dan (sekundär nach Jerusalem?) gehört. Eine zeitliche Ansetzung ist nicht möglich. Die Absenz eines israelitischen Königs und die universale Perspektive läßt eher ein relativ spätes Datum vermuten. Aus 4f. und 10 lassen sich keine konkreten Schlüsse auf die politische Situation ziehen (a'lJ par. TJJ?). 8 scheint ein Zusatz zu sein; 10 ist textlich beschädigt. 2 ist in 4QPs a bezeugt. 1: Überschrift, vgl. 44,1; 48,1; 49,1. 2—5: Erste Strophe: Aufruf zum Jubeln, vier Zeilen (3+3). Die erste Strophe beginnt mit einem Aufruf an die „Völker" zum jubelnden Empfang des „großen Königs" (2). Applaudierendes Händeklatschen (lautmalerisch k - q ) gehört dazu wie der laute Jubelruf der versammelten Menge (n Jmn ursprünglich ,Kriegsgeschrei'). Aufgerufen ist wohl nicht eine fiktive Versammlung der Völker der Erde als vielmehr eine aus verschiedenen Volksgruppen zusammengesetzte, bunte Menge von Festbesuchern (vgl. 49,2), die sich am Heiligtum zusammenfand. Nach 42f.; 46; 48 u. a. wäre an Dan zu denken. Es folgt eine mit "O eingeleitete Begründung des Aufrufs, bestehend offenbar aus einem Zitat aus dem liturgischen Credo oder einer traditionellen Prädikation, welche die ehrfurchtgebietende Hoheit „des Höchsten" und die Majestät des „Königs der Erde" proklamiert (3). Ähnliche Passagen bieten andere liturgische Hymnen (z. B. 93ff.). Angekündigt ist eine Epiphanie des höchsten Gottes, der die Menge der Festpilger beiwohnen möchte. Zu XTI3 vgl. 76,5.8.12; zu 'JIU -f?» z.B. 95,3. Den zweiten Strophenteil füllt eine doppelte Explikation der Erwartungen, welche sich an die Epiphanie heften, und zwar „für uns", für die feiernde Festgemeinde. 4 blickt dabei auf militärisch-politische Konsequenzen (zurück?, impf), die Unterwerfung der fremden Völker unter das Volk des großen Königs der Welt, also eine innere Umbildung der Machtverhältnisse im Königreich Gottes zugunsten seiner Verehrer. 5 nennt das eigentliche Anliegen der Feiernden, nämlich die Erneuerung des Landbesitzes oder die erneute Vergabe („Erwählung") von Wohnsitzen, was nach 5b den „Stolz Jakobs" ausmacht. „Jakob" steht für ganz Israel (114,1; 46,8.12 u. a.). So kann auch nur „das Land" in seiner Ganzheit gemeint sein, wie es der Ganzheit Jakobs entspricht. Subjekt und Objekt des „Liebens" sind in der Schwebe gelassen. Am ehesten ist doch wohl an die Liebe Gottes zu Jakob zu denken, denn die Liebe zum Land („Stolz") würde ein Wir-Bekenntnis erwarten lassen. Sela steht an der Zäsur. 6: Proklamation (3+3). Eine konstatierende Aussage unterbricht die Aufrufe der beiden Strophen und kündet, daß die Epiphanie in Form eines „Hinaufzugs" stattgefunden hat. Zu denken ist an eine Prozession zum Heiligtum, hinauf zum Berg des Heiligtums - bei den Qorach-Psalmen: die Feststraße in Dan hinauf bis zum Tempel. Wie die Präsenz Gottes kultisch repräsentiert ist, entzieht sich der Kenntnis (Stiersymbol, Fahne, JHWH-Name o. ä.). Der Zug war begleitet vom lauten Jubel der Beteiligten und den Signaltönen der Hörner - beides primär kriegerische Elemente, eventuell den Zeremonien einer Siegesfeier entlehnt (vgl. 3ff.). Offenbar bildet die Prozession den Übergang vom öffentlichen, allgemeinen (2ff.) zum speziellen, kultischen Teil (7ff.) der Feier mit einem Thronbesteigungsakt im Mittelpunkt (7). 7—10: Zweite Strophe: Aufruf zum Singen, fünf Zeilen (3+3); eventuell ist 8 eine Erweiterung, dann wären es ursprünglich vier Zeilen gewesen. Die zweite Strophe entspricht in ihrer Anlage genau der ersten: 7 (2) enthält Imperative; 8 bzw. 9 gibt eine zitathafte Begründung (3); 10 und 11 explizieren die Bedeutung für die Gemeinde (4f.). 193

Ps 47/48

Teil II: Auslegung

Buch II

Der Aufruf 7 meint nunmehr artikulierten Jubel in Gestalt musikalisch dargebotener Texte (173T 7 4mal; 8 lmal), in 8 ,Kunstlied', .Gedicht' bzw. ,Wechselgesang' genannt. Aufgefordert ist die gottesdienstliche Gemeinde („das Volk des Gottes Abrahams", 10). Sie soll den Einziehenden besonders ehren, ist er doch „unser König" (7). Einen irdischen König scheint es nicht mehr zu geben, so kann dieses Prädikat liturgisch frei verwendet werden. 8 erläutert - 3b wiederholend - den Königstitel und gibt Anweis u n g - 7 wiederholend-, es müsse ein^St^a gesungen werden (vgl. 42,1; 44,1; 45,1 u. a.). Erst 9 benennt den Grund für die hymnische Ehrung: JHWH hat die Königsherrschaft über die Völker angetreten (nach dem Aufstieg, 6) und sitzt auf dem Thron seines Heiligtums. Vermutlich wird die „Thronbesteigung JHWHs" gefeiert. Die Vorstellung folgt aber eher dem Vorbild von Königsbesuch und Eröffnung der Regierungsgeschäfte, als einer „Inthronisation" als Inauguration. IQ scheint unter einer Haplographie D27 (Di •S?) gelitten zu haben. M stellt die versammelten Würdenträger der Völker als das „Volk des Gottes Abrahams" vor und erklärt, daß alle Schilde, die als Tribut oder Geschenke vor dem Heiligtum symbolisch niedergelegt wurden(?), Gott gehören, dem „Erhabenen". Gemeint ist, daß alle Macht der Mächtigen (G) Gott zu Füßen gelegt ist, während drinnen die Entmachteten vor dem Höchsten huldigen. Sie sind die (neue) Volksgemeinde des Gottes Abrahams. Besser wäre schon, durch die Einführung eines D57 beide Gruppen nebeneinander zu stellen, die Gruppe der Edlen und die Gemeinde. Wahrscheinlich ist die Struktur der Zeilen durcheinander geraten. Sie haben ursprünglich etwa gelautet: „Die Edlen der Völker sind versammelt | mit (D37) den ,Vertretern' oder: .Mächtigen' (G) des Landes (der Erde). Denn Gottes sind die Völker der Erde oder: des Landes (JHN 'ÖV statt: "Tita Dtf) | erhaben ist der Gott Abrahams." Wie dem sei, „Abraham" entspricht „Jakob" in 5. Der „Gott Abrahams" ist identisch mit dem „Gott Jakobs" und dem „Gott der Völker". Seine Gemeinde weitet sich zur Völkergemeinschaft. Die kultische Feier aber macht das Königtum JHWHs über die ganze Welt manifest.

Psalm 48 1

Ein Lied. Ein Psalm von den Qorachiten.

2

4

Groß ist J H W H und sehr zu preisen, in der Stadt unseres Gottes - der Berg seines Heiligtums; Schön in seiner Höhe a , die Wonne des ganzen Landes, der Berg Zion, im äußersten1* Norden, die Stadt eines großen Königs; Gott ist in ihren Palästen als Zuflucht bekannt.

5 6 7 8

Ja, sieh, die Könige 3 trafen zusammen, kamen herüber; Sie schauten, sie erstarrten, erschraken und stoben davon 3 . Ein Zittern hatte sie dort 8 ergriffen, ein Beben wie eine Gebärende. Im Ostwind 3 zerbrichst du sie (wie) Tharsis-Schiffe.

3

194

Qorach-Psalter

9

10 11

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13 14

15

Ps 48

Wie wir es gehört, so haben wir es gesehen in der Stadt JHWHs der Heere, in der Stadt unseres Gottes. Gott möge sie festigen alle Zeit. Sela. Wir bedenken, Gott, deine Gnade mitten in deinem Palast. Wie dein Name", Gott, so ist dein Ruhm, iiber b den Rändern der Erde. Voll der Ordnung ist deine Rechte. Es freue sich der Berg Zion, es sollen jubeln die Töchter Judas, deiner Rechtssprüche wegen. Geht und umwandert Zion, zählt seine Türme! Richtet euren Sinn auf sein Mauerwerk 3 , ,besichtigt'(?) b seine Paläste; Damit ihr späteren Geschlechtern erzählen könnt. Ja, dieser Gott ist unser Gott immer und ewig! Er wird uns leiten. 8

3° 113, abzuleiten von 113 III ,Höhe', .Gipfel' (vgl. ug np ,Höhe'), hier als gen Näherbestimmung (vgl. Gn 39,6) gebraucht (HAL). - b Von "|T ,Hinterseite', ,Hinterteil'. 5 a G (z.T.) „des Landes" oder : „der Erde". 6 a TSPI ,davonhasten', Mss: TPlö ,schäumen', ,überwallen'. 7" Fehlt bei E, S. 8" Mss: „wie der Ostwind zerbricht...". G ( S , T ) : „im gewaltigen Wind". 11" Vielleicht zu lesen TQUO „wie dein Himmel". - b Einige Mss, S, Hier u. a. lesen Ttf „bis". 14" Besser zu lesen ^'n (mit Suffix). - b 103 mit unsicherer Bedeutung, mhe (pi) ,teilen', ,spalten', .schneiden', vgl. HAL. Prp "TpS ,besuchen', etc.? 15" M: m a ^ S (Mss: ms1?») wird von den Vrs verschieden gelesen. G: „in Ewigkeit(en)"; S, Hier: in mortem („bis zum Tod"). Möglicherweise gehört es zur Überschrift von 49, analog 46,1: „nach Mädchenweise (zu singen)". Literatur: L. K R I N E T Z K I , Zur Poetik und Exegese von Ps 48, BZ 4 (1960) 70-97. - A. R O B I N S O N , Zion and Säphön in Psalm XLVIII 3, VT 24 (1974) 118-123. - J. SCHARBERT, Das historische Umfeld von Psalm 48, in: Ein Gott - eine Offenbarung, FS N. Füglister, Würzburg 1991, 291—306(Lit.). - H. SPIECKERMANN, Stadtgott und Gottesstadt. Beobachtungen im Alten Orient und im Alten Testament, Bibl 73 (1992) 1 - 3 1 . -

Seiner literarischen Struktur nach ist Ps 48 ein vierstrophiges Gedicht. Zwei Strophen (2—4.5—8) sind deutlich im Rhythmus 2+2 gehalten. Je vier Zeilen faßt eine strophische Einheit. Dieses in der zweiten Strophe klarer als in der ersten hervortretende Muster ist durch offensichtliche Zusätze in 2 (JHWH, -3, „heiliger Berg") und 3 („Berg Zion") nur leicht verwischt (auch in 5: „denn siehe", 8: „zerbricht"). Nach einem prosaischen Zwischenpassus in 9folgen zwei weitere Strophen (9—12.13—15) mit ursprünglich wohl ebenfalls vier Zeilen im Grundmuster 2+2, welche sich jetzt eindeutig auf den „Berg Zion" beziehen. Es sind bekenntnishafte und appellierende Zeilen, während die Anfangsstrophen hymnischen Charakter haben. Die These, das Psalmgedicht sei ursprünglich auf die Gottesstadt Dan „im äußersten Norden" (3) bezogen gewesen und erst 195

Ps 48

Teil II: Auslegung

Buch II

sekundär durch Glossierung und Erweiterung an den Zion gekommen, hat einiges für sich. Sie erklärt auch die Zweiteiligkeit des Gedichts, sowie die Betonung des „Zion". Verbindendes Thema beider Teile ist „die Gottesstadt" mit seinen traditionellen Implikationen: Königssitz, Machtpräsenz, Ordnungssystem, Bollwerk. So ergänzen sich beide Teile, der hymnische und der pädagogische. Der Ort des Hymnus mag Dan gewesen sein (vgl. zu 42f.; 46); der Ort des kanonischen Psalms ist Jerusalem, mit Blick auf seine ansehnliche Größe und Gestalt (13ff.). Die Wir-Gruppe lOff. kann als TempelstadtPilger (12.13ff.) angesprochen werden. Die Idee einer Stadtbesichtigung (13ff.) ist bemerkenswert (vgl. aber 84). Der elohistisch redigierte Psalm ist ganz gut erhalten. Hapax legomena (z.B. in 14 102) erschweren das Gesamtverständnis nicht. 12 wird in 97,8 zitiert bzw. verwendet (15b gehört wohl zu 49,1). Zu 1—7 vgl. 4QPs j . Der Ausdruck „Stadt des großen Königs" begegnet Mt 5,35 im Wort vom Schwören, auf Jerusalem bezogen. 1: Überschrift, dreiteilig, vgl. dazu 42f. 2—4: Preis der Gottesstadt und des Gottesbergs, vier vierhebige Zeilen als Basisstruktur. Der auf JHWH bezogene Lobpreis (2) gilt mittelbar auch Stadt und Berg seiner Residenz, dem heiligen Berg (2f.) und Königsort (3b.4). Die merkwürdig gewundenen Formulierungen in 2 und die augenscheinliche Präzisierung des heiligen Ortes als „Berg Zion" in 3 zeigen an, daß die eigentlich ebenmäßig nach dem Muster 4mal 2+2 gebaute Strophe ursprünglich nur die Gottesstadt zum Thema hatte: „Groß und sehr zu preisen ist die Stadt unseres Gottes". Einiges spricht dafür, daß der Ort „im äußersten Norden" nicht den mythischen Götterberg, vielmehr die alte Tempelstadt Dan im Nordreich, die Stadt mit den „Wohnungen des Höchsten" (46,5), meint. Sie galt als „groß" und „schön an Höhe", am Fuße des Hermon gelegen, die „Freude und Wonne des ganzen Landes" oder: „der ganzen Welt" - je nach Horizont. Auf sie paßt wörtlich, daß sie seit jeher als nördlichster Punkt Israels? - in jeder Gestalt - angesehen wurde (vgl. die alte Grenzformel: „von Dan bis Beerseba" (Jdc 20,1; IS 3,20). Ob der Titel „Königsstadt" (3b) immer schon theologisch verstanden wurde - die Beifügung „groß" könnte daran erinnern - , bleibt eine offene Frage. Als Residenz des „Höchsten", dem dort die Prädikation „Zuflucht", „Burg" zukommt, ist Dan jedenfalls nach 46,2.8.12 anerkannt und gepriesen. Der überlieferte Text hat sich von Dan gelöst und wurde auf den Berg Zion bezogen. Auf diese Weise wurde er zugleich theologisch gestrafft und zentriert, verlor aber an literarischer Konsistenz (2f.). Gleichwohl ist jetzt an Jerusalem zu denken, speziell an „seinen heiligen Berg". Alle Aussagen passen in den neuen Rahmen, nur die Geographie will nicht stimmen: der Zion ist nicht ein Berg „im äußersten Norden". Zum Verständnis hilft nur die Mythologie, die den Topos: „der Götterberg im Norden" (z. B. von Ugarit aus gesehen) kennt. Doch weshalb ein Mythologumenon, wenn die ZionTheologie alles präziser fassen könnte? Jerusalem ist in der Tat die „Stadt des großen Königs JHWH" (vgl. 99,lff.; 95,2ff. u.a.), s.u. lOff.; 13ff. Dieses Privileg ist seinen Mitbewohnern in den Stadthäusern bekannt. Sie vertrauen auf diese ihre Zuflucht. 5—8: Preis der Übermacht JHWHs. Vier vierhebige (2+2) Zeilen. Die gleichgebaute zweite Strophe spricht von der Abschreckung der feindlichen Könige angesichts der Gottesstadt. Daß ursprünglich Dan gemeint ist, könnte wieder 46,5ff.9ff. belegen, wenngleich direkte Hinweise fehlen. Ostwind und phönizische Tharsis-Schiffe reichen dafür nicht. Beschrieben wird ein Feldzug der Könige (des Landes?). Vereint ziehen sie 196

Qorach-Psalter

Ps 48

vor die Stadt. Doch der bloße Anblick (nx~l) der Gottesstadt(?) stürzt sie in Panik, sie erstarren, erschrecken, fliehen davon. Es hat sie ein Zittern überkommen vor der Übermacht des dort residierenden Gottes. Sie winden sich „wie eine Gebärende". Der Anblick hat sie betroffen gemacht. Sie erleiden ihren Schiffbruch im Gottessturm. Tharsis-Schiffe sind Schiffe, die in der Lage sind, nach Spanien zu fahren. Dies setzt eine bestimmte Größe und Ausstattung voraus. Zum Begriff vgl. BRL 2 . Das Motiv vom Scheitern der Macht und der Waffengewalt angesichts der göttlichen Größe ist der ZionTradition vertraut (vgl. 46; 76; 97; 99 u. a.). 9—12: Bekenntnis zur Gottesgegenwart. Grundmuster 4mal 2+2. 9 ist Prosa. Er unterbricht das Psalmgedicht mit dem Bekenntnis einer Wir-Gruppe, das zum Ausdruck bringt, daß man das Gehörte mit eigenen Augen bestätigt gefunden hat. Offenbar sprechen Pilger, die die Gottesstadt zum ersten Mal besuchen. Daß sich das Gehörte auf 2—8 bezieht, ist wohl weniger wahrscheinlich. Zu „sehen" waren allenfalls Berg und Stadt von 2—4 (vgl. 13ff.), nicht - trotz des Hinweises in 5 - die Niederlage der Könige. Die Stadt wird doppelt determiniert, als Stadt „JHWHs der Heere" und Stadt „unseres Gottes". Der erste der beiden Termini knüpft an ältere Traditionen an (vgl. 24,7ff.), ist aber im Kontext sekundär. Als ob mit 9 ein Schluß erreicht wäre, endet der Passus mit guten Wünschen für die Stadt. Gott möge sie festigen und sichern für alle Zeit. Das Sela markiert den Einschnitt. Im überlieferten Text folgen zwei wohl ins Fünfermetrum gesetzte Strophen über den Zion nach. Primär aber war 9* der Auftakt zur dritten Strophe, welche ohne das Zitat (12) aus 97,8 ebenfalls vier Zeilen enthielt - entsprechend also 13—15. Einfügungen (vor allem „Zion" 13) machen 3+2 Zeilen daraus. Diese bauen auf die älteren Strophen auf und setzen die Bearbeitung im Sinne Zions fort. In der Erstfassung bekennt sich die Wir-Gruppe von 9 dazu, die Bezeichnung „Gottesstadt" ernst zu nehmen. Sie will darüber „nachdenken" ( n m pi vergleichen'), was heißt, daß Gottes Gnade inmitten der Paläste der Stadt im Tempel präsent ist. Sie will den Satz bedenken, daß Gottes Ruhm und Ehre, d.i. seine Verehrung, weltweit verbreitet ist oder sich verbreiten möge: soweit „der Himmel" reicht (36,6), bis zu den Rändern der Erdfläche. Die Vorstellung entspricht dem Theologumenon vom Weltenkönig im Palast (10). M dachte an Zion und an den Ruhm, dem der „Name" oder Titel eines „großen Königs" (3) entspricht, und bleibt im gleichen gedanklichen Rahmen. Bei der Abgrenzung der Zeilen zeigt er indes Unsicherheit: I I b gehört nicht mehr zu IIa, sondern zum folgenden (12aa). Gegenstand theologischer Überlegung ist auch der Begriff p"TS im Zusammenhang mit Gottes Handeln („Rechte"). Er verweist hier auf die Ordnung, welche als Königsaufgabe auch diesem „Großkönig" zufällt. Am Königssitz (Zion) freut man sich darüber, weil man von dieser Ordnung profitiert (12aa). Und dies gilt in gleichem Maße von den judäischen Landstädten („Töchter Judas"), für die jene Gruppe (10ff.; 9?) zu sprechen scheint. Die Metropole und der Kreis der Städte hoffen, an dem Ordnungssystem und den Maßnahmen zu seiner Aufrechterhaltung („Rechtsentscheide", „Erlasse" u.ä.) teilhaben zu können, und haben darum Grund zum Jubeln (12). 12 ist Zitat in 97,8, dort finden sich in ähnlichem Zusammenhang (vgl. 97,9) Jerusalemer Vorstellungen. Er überdeckt die alten Dan-Aussagen. 13—15: Aufruf zur Besichtigung. 4mal 2+2 (zu 15b s.o.). Die Pilger (aus den Landstädten und Dörfern?) werden aufgefordert, nach der theologischen Besinnung den Königssitz (Dan und Zion) konkret in Augenschein zu nehmen, damit der visuelle Eindruck den Glauben an den „Großkönig", „unseren Gott auf immer und ewig", stärke 197

Ps 48/49

Teil II: Auslegung

Buch II

und zur verkündigenden Weitergabe an die nächste Generation befähige. D e r pädagogische Aspekt herrscht hier vor und läßt B e d e n k e n über eine Vermischung von Turmwehr und Gottesschutz nicht aufkommen. D e r spürbare Stolz auf die Stadt, den Mauerkranz, die Stadttürme, das Vorwerk und die W o h n b l ö c k e setzt ein intaktes Weichbild voraus (vgl. für Jerusalem etwa 76; 122 u. a.). Man m ö g e die Stadt umwandern, „umkreisen" im ganzen, Türme zählen, über die Bastei staunen, die Villen ,,besichtigen"(?). D i e s gibt Stoff für Erzählung und Unterweisung in dem Sinn, daß es diese Stadt ist, in der „unser Gott" wohnt. D o x o l o g i e und Segenswunsch beschließen die Aufforderung. Zur Abschiedssituation paßt der Wunsch: J H W H , unser Gott, m ö g e uns immer leiten (15b). In der relecture verschwimmt die Silhouette D a n s zum Stadtbild Jerusalems.

Psalm 49 1

Für den Chorleiter3: Von den Qorachiten. Ein Lied.

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Hört dies, ihr Volksgruppen alle, merkt auf, ihr Bewohner dieser Welt! Auch ihr, all ihr Leute und ihr Herren, zusammen reich und arm! Mein Mund redet Weisheiten; was mein Herz sinnt3, das sind Einsichten. Ich neige 3 dem Spruch mein Ohr, zur Leier löse ich mein Rätsel.

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Warum sollte ich mich fürchten vor bösen Tagen3, wenn die Schuld meiner Fußspurenb mich umgibt? Die auf ihr Vermögen vertrauen und sich der Größe ihres Reichtums rühmen. Auch den Bruder3 kann ein Mann nicht freikaufen. Man kann Gott kein Lösegeld geben! Und zu teuer wäre ein Loskauf ihrer3 Seelen; so wird er für immer aufhören. Und soll er weiter leben für alle Zeit, wird er die Grube nicht schauen müssen?3 Denn man sieht3, daß selbst Kluge sterben, zusammen mit Toren und Narren gehen sie unter, und lassen anderen ihr Vermögen.b (In) ihrer Mitte3 sind ihre Häuser für immer, ihre Behausungen für und für. Nennen sie Grund und Boden ihr eigen b . . . Aber der Mensch ist von Wert, doch er bleibt nicht3; er gleicht dem Vieh, das abgetan wirdb.

Qorach-Psalter

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Ps49

Das ist der Weg derer, denen Torheit zu eigen, und hinter ihnen gehen9, die an ihrem Munde Gefallen1* haben. Sela. Wie Schafe, für die Unterwelt bestimmt8, weidet sie der Tod. Und es traten auf sie.. . b um ihre Gestalt0 zu verlieren. Die Unterwelt ist fern seiner Wohnungd. Gott wird jedoch meine Seele freikaufen aus der Gewalt der Unterwelt. Ja, er wird mich holen. Sela. 9 Fürchte nicht, wenn ein Mann reich wird, wenn der Glanz seines Hauses sich vermehrt. Denn bei seinem Tode kann er das alles nicht mitnehmen, sein Glanz folgt ihm nicht nach. Wenn er9 seine Seele zu Lebzeiten segnet, und man preist dich, daß es dir gut geht; 9 Du gehst ein zum Geschlecht seiner Väter, auf immer sehen sieb kein Licht. Der Mensch ist von Wert, aber bedenkt es nicht; er gleicht dem Vieh, das abgetan wird.9

1" Der Schluß von 48,15 könnte zu 1 gehört haben. M: „über das Sterben", bzw. nach 46,1: flin'js „(nach) Mädchen(weise)". 4" Orig ouaytö m m ; 5" Zu erwarten wäre: Itjn (statt HOS) „neiget...". 6" 5H zu (a) 3H TIHD „vor bösen Leuten", oder (b) 371 'man „vor bösem Tod". - b , 3 p y 115? (a)M: „Schuld meiner Fersen" (G sg), (b) alsptpl: „.. .meiner Betrüger", bzw. "Dp'SIS „Grabesängste" (vgl. Jes 19,14)? 8 a Mss: "]K .gewiß', jedoch' statt rix. „Jedoch kann m a n . . . " . M.Görg vermutet ein äg Lw. nx II (= Ba) ,Seele' (BN 63, 1992, 19-25). 9" G: „seiner Seele". 10"Nur sinnvoll als Fragesatz. 11" HST Dublette aus 10? - b IIb zu 12. 12"Nach den Vrs (G, S, T) Schreibfehler, zu lesen m a p „Gräber" für D3ip. - b Dazu IIb. 13" Eigtl. „übernachtet nicht" (•p"?''). Besser mit G, S nach 21 (73,22) v a ' „bedenkt es (nicht)". - b n » l II(III), nicht I .gleichen'; von G, Hier verwechselt. 14" M. - b A, Orig, Hier IST „sie laufen". 15" b 11HP von JVty. - „.. .die Aufrichtigen gegen Morgen" (M). Bei leichter Korrektur (BHWaa statt D,"1W Da) nach dem Konsonantentext zu übersetzen: „und sie steigen geradewegs (oder zu Recht) ins Grab". - c T S IV ,Gestalt', ,Figur'. - d M: "7310, besser: ^aia ("731 II) „(ist ihm) Wohnung". 17" Oder von nN"l: „schau nicht..." 19" G, Hier 3.P. f pu: „gesegnet wird". Vielleicht 2. P. m vgl. 19b. 20" Besser 3 . P . - b G, S sg. 21" Vgl. 1 3 . Literatur: L. G. PERDUE, The Riddles of Psalm 49, JBL 93 (1974) 533-542. - P. CASETTI, Gibt es ein Leben vor dem Tod? Eine Auslegung von Psalm 49, OBO 44 (1982). - M.S. SMITH, The Invocation of Deceased Ancestors in Psalm 49:12c, JBL 112 (1993) 105-107. Ps 49 ist das Lied eines Einzelnen (5), der seine aufgrund eigener Erfahrung gewonnenen Einsichten über den Wert des Lebens und den Tod einem größeren Kreis (2ff.) mitteilen will. Seine Erfahrungen basieren offenbar auf einer durchlebten Auseinandersetzung mit einer Gruppe von Mächtigen und Reichen ( 6 f f . l 6 f f . ) , aus der er „erlöst" und befreit worden ist. Es ging um Leben und Tod. Der Psalm setzt eine Danklied-Situation voraus. Er besteht aus einer Eröffnung (2—5) und zwei durch Kehrverse 13.21 gegliederte

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Ps 49

Teil II: Auslegung

Buch II

Strophen, welchen jeweils ein Zitat aus der Gebetsklage zugrunde gelegt ist (6.16; IchStil). Erkennbare Strukturen bilden 6ff.l6ff - je sechs Zeilen(?), während der Text zwischen den Strophen in 9.11.12b bzw. 14.15 erweitert zu sein scheint. Sie stellen freilich keinen „Grundpsalm" (Casetti) dar, sondern sekundäre Erklärungen zum Strophentext. Auch ist der Psalm wohl mehr von einem Fall her zu verstehen, denn als weisheitlicher Diskurs über die Todesproblematik. Die Vorstellung einer „Entrükkung", eines Lebens nach dem Tode (16), ist ihm fern. Vgl. 73. Der Text hat wohl einige (nicht viele) Schäden bzw. Korrekturen erlitten, ist aber im großen ganzen lesbar und verständlich. Zur Herkunft kann so gut wie nichts gesagt werden (als Qorach-Ps aus Dan?, 1). 1-17ist z.T. in 4QPs c , 6.9ff. 15ff. in 4QPs j bezeugt. 1: Überschrift, vgl. 42,1. 2—5: Eröffnung, Grundmaß 3+3. Der Aufmerksamkeitsruf (2) macht deutlich, daß der Psalmist seinen Text öffentlich vorzutragen gedenkt und gewillt ist, sich an der dafür vorgesehenen Form zu orientieren. Aufgerufen ist eine weite Öffentlichkeit, die konkret nur so vorstellbar ist, daß gewisse anwesende Gruppen von weither und die zahlreichen Zuhörer insgesamt als Vertreter der „Völker" oder Volksgruppen und der lebenden Generation überhaupt (T^n, vgl. Jes 38,11) angesprochen werden. Ein Wallfahrtsfest, etwa am Diaspora-Heiligtum der Qorach-Ps, böte dazu den Anlaß und Hintergrund. Die perspektivisch offene Anrede („alle Völker", „alle Erdbewohner") ist von dem Anliegen bestimmt, über ein allgemein-menschliches Thema zu sprechen, eben „über den Tod" (48,15bß), der Arme und Reiche, Menschen mit oder ohne Namen (3) erfaßt (vgl. 6ff.l6ff.). DTK 'Ja und '3a WX sind sicher zu unterscheiden (vgl. 4,3): Leute, Menschen, Angehörige des Menschengeschlechts und: Herrensöhne, Angehörige einer bestimmten Familie. D.h. neben „reich und arm": hoch und niedrig. Denn das Thema geht alle in gleicher Weise an. Der Psalmist kommt auf seine Rede selbst zu sprechen (4). Er hat die Absicht, „Weises" zu sagen, „Weisheiten" also im Sinne der Schulweisheit, die dennoch im eigenen „Herzen" bedacht und reflektiert, und d.h. aus eigener Erfahrung als „Einsichten" bewährt sind. Die Erfahrung des eigenen Ich ist konstitutiv für die Erörterungen des Psalms, wie die Ich-Aussagen in 6 und 16 an exponierter Stelle zeigen, n ^ u n - das (im Selbstgespräch) murmelnde oder stille Nachdenken und Überlegen, das nun das Ohr der Öffentlichkeit sucht (5). Ob der Psalmist sagen will, er neige sein Ohr dem inneren oder fremden - „Spruch", was eine Offenbarungssituation voraussetzen würde, ist doch wohl angesichts des Parallelismus fraglich, zumindest befremdlich. Ist der Wortlaut in diesem Sinne verändert worden? „Neigt euer Ohr meinem Spruch?" 'JWÖ bezeichnet jedenfalls den geformten Spruch, Sprichwort, Kunstspruch, Sentenz, der als solcher oder zu Serien vereint oder zum Gedicht erweitert zum Lehrmittel des Weisheitslehrers gehört. Der Psalmist wählt also diese Form der Belehrung, wobei er zugleich bemüht ist, den Worten durch Melodie und vor allem Rhythmus Schwung zu verleihen. „Rätselwort", „mein Rätsel" nennt er sein Gedicht, weil es Lebensrätsel lösen will. Öffnen will er sein Rätsel und das Geheimnis seiner Auflösung für alle. So tritt er im Sprechgesang an und greift zum Instrument des Liedvortrags, zur Leier. Das Spruchgedicht 6—21 wird mit Musik dargeboten. 6—13: Erste Strophe: Todesangst? Acht Zeilen für sechs im Maschal-Metrum 3 + 3 gehaltene Parallelismen (mit Zusätzen 7?9?11; 12b zu IIb). 6 ist, wie 16 zu Beginn der zweiten Strophe, als vorangestellte These zu verstehen, bzw. als Erfahrungssatz, viel200

Qorach-Psalter

Ps 49

leicht sogar - im Blick auf die sog. Dankpsalmen - als Zitat aus einem, nicht mehr erhaltenen Klagegebet. Die darin ausgesprochene Frage (6) bzw. Hoffnung (16) wird Thema der je folgenden Strophe, welche ein nicht ganz wortgleich überlieferter Kehrvers (13.21) abschließt. Auf diese Weise macht der Psalmist seinen Fall zum Gegenstand eines Diskurses, in welchem er seine Einsichten mitteilen will. Ein Kommentar in 7(?)9.1l| 14.15 unterbricht den strengen Strophenbau diesseits und jenseits der Mitte. Die Warum-Frage zeigt, daß Furcht nahe ist, der Psalmist sie aber als unbegründet von sich weist. Furcht wovor? Der Text ist im ersten Kolon sehr blaß, im zweiten sehr dunkel. „Böse Tage" bzw. „Tage des Bösen/der Bosheit" sagt nicht viel. Im folgenden erfährt man, daß es um Leben und Tod geht. Ist absichtlich gemildert worden, vom Psalmisten selbst oder vom Tradenten? Daß er den „bösen Tod" ( i n Tlia, vgl. 18), d.h. den unzeitgemäßen und gewaltsamen Tod meint, zeigt der Kontext. Es geht offenbar um eine drohende Verurteilung und Hinrichtung, wohl nicht um tödliche Krankheit o. ä. Es geht - falls M zu belassen ist - um die Zeit der Hinrichtung oder um die Zeit, da darüber entschieden wird. 6b fügt hinzu, es sei die Zeit, da „die Schuld der Betrüger (?)", doch wohl die von den Betrügern vorgebrachte Beschuldigung (1157,Schuld' und ,Strafe'), den Psalmisten erfaßt, „umfaßt", also ereilt. Ein alle Psalmteile erklärendes Verständnis ist nur zu erreichen, wenn die Situation des Angeklagten - entgegen vieler Erklärungsversuche - in Anschlag gebracht wird. Ihr entnimmt er die Erfahrung der Überwindung der Angst. Seine Gegner sind mächtig und reich. Da ao Strafprozesse immer auch (wegen des Zeugenrechts) so etwas wie Zweikämpfe zwischen Kläger und Angeklagtem mit meist tödlichem Ausgang waren, wäre nichts natürlicher als Angst vor der Entscheidung (vgl. 11,1). Doch der Psalmist sieht dafür keinen Grund. Was gibt ihm diese Zuversicht? 7 liest sich wie eine Erläuterung des schwierigen Begriffs CDpy (,Fersen', besser „Schleicher", „Betrüger"). Es s i n d - e r kann das aus 8f. 12b. 11c, vor allem aber 17 ff. schließen Reiche, die, so versteht er sie, auf ihren Reichtum bauen und sich rühmen, die hier vorgegebene Situation ließe sich in jedem Fall durch „Lösegeld" regeln (8). So richtig dies sein mag, so wenig sicher ist, ob dem Psalmisten schon hier (vgl. 16ff.), wenn überhaupt, an einer solchen Charakterisierung gelegen ist. Erst in 8 führt er ein Argument ins Feld, weshalb eine solche Sorge und Angst unbegründet ist: Das Leben eines schuldig gewordenen Menschen ist durch Geld nicht „auszulösen" (ms). Der hier betont verwendete Begriff bezieht sich auf das altisraelitische Rechtsinstitut des Freikaufs, der Auslösung. Diese mit der ViU-Auslösung verwandte Möglichkeit eines Rückkaufs bedeutet eine Freistellung durch den Gegenwert eines Lösegeldes (133) - vgl. Ex 21,30.8; Lv 19,20, dazu die kultischen Bestimmungen zur Erstgeburt Ex 34,19f. u. a. (J. J. Stamm THAT). Mag die Gruppe der reichen Gegner darauf spekulieren, daß mit Geld eine Lösung immer noch möglich ist - es geht wohl um die eventuelle Verurteilung wegen falscher Zeugenaussage - , dadurch, daß der traditionelle Rechtsweg der Auslösung eingeschlagen wird. Ob z.Zt. von Ps 49 dieser, wenn überhaupt, noch gangbar war oder nicht - der offensichtlichen Korrektur "IS ,doch' zu nK ,Bruder' liegt noch die Vorstellung der Verwandten-Auslösung (VlU) zugrunde der Psalmist hält ihn für einen Irrweg. Nach seiner Überzeugung kann dies im Sakralprozeß nicht gelten, weil man sonst „Gott" zum Empfänger von Lösegeld, d.h. zum Komplizen einer Bestechung machen würde. Die Idee der Gegner entlarvt ihre religiöse Einstellung und zeigt zugleich, daß sie sich selbst schuldig wissen (vgl. den Ausdruck „Schleicher", 6). Diese Einsicht ist tröstlich. 9 ist wohl eine an 8 angehängte grundsätzliche Erwägung zur „Auslösung des Lebens" der 201

Ps49

Teil II: Auslegung

Buch II

Art, daß ihre Anwendung in solchen Fällen zu teuer käme, d.h. als Ausnahmeregelung im Blick auf eine allgemeine Anwendung zu kostbar wäre und zudem das ganze Rechtswesen zerstören würde. Sie müßte „für immer" außer Kraft gesetzt werden (Vin). 10 kehrt zum Gedankengang in 8 zurück und stellt die Pläne der Gegner in Frage, indem er sie für sich ad absurdum führt. Gesetzt, es wäre möglich, sich im Gottesgericht freizukaufen, würde dies bedeuten, daß Gott immer mit sich handeln ließe, auch wenn es um Tod und Leben geht. Die Frage ist auch angesichts der bereits eingestandenen Schuld (1137 heißt im Urteilsspruch ,Strafe')(vgl. 8) klar zu beantworten: der Ankläger wird nicht so billig davonkommen. Es geht, das sei betont, hier wie 16 um das irdische Leben, über das ein Urteil ausstand. Der Übergang zu 11 ist schwierig, denn jetzt ist die Rede vom allgemeinen und für den Weisen und den Toren unentrinnbaren Schicksal des Todes (nicht mehr von der Todesstrafe!). Die rhetorische Frage nach einer Möglichkeit, die Grube nicht schauen zu müssen (bezogen auf den Gegner), wird zur theoretischen Frage nach dem Tode überhaupt - vgl. die Wiederaufnahme von HNT 10.11. Die Antwort fällt entsprechend allgemein aus: Es gibt keine Ausnahme. Die Begriffe bezeichnen Typen der weisheitlichen Einschätzung: gebildet, kultiviert - ungebildet, töricht; „viehisch dumm". Vor dem Tod ist das gleichgültig. 12b.IIb bilden einen versprengten Vers mit dem Paradigma der Begüterten (vgl. 18), deren Namen besitzergreifend über Grundstücke (anderer) ausgerufen wurden (vgl. 2S 12,28 z.B.), die aber dennoch beim Tode den Besitz wieder andern überlassen müssen. Weshalb der Vers umgestellt wurde, ist unerfindlich. 12a - M ist sicher verschrieben - bildet ein Glied der ursprünglichen Gedankenkette, d.h. bezieht sich auf jene konkreten Gegner des Psalmisten von 6 f., welche ihm offenbar durch falsche Anklage nach dem Leben trachten. Er indes sieht sie man vgl. die Wehe-Worte der Propheten - bereits im Grab. Ihre Häuser sind schon jetzt „Gräber". Sie werden es bleiben für immer. Offenbar denkt der Psalmist an eine mit jeder Verurteilung verbundene Ausrottung (oder Diskriminierung) des ganzen Clans (vgl. z.B. Hab 3,13ff.). In der Überzeugung, im Recht zu sein, und im Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit wagt 12 dieses Unheilswort. Für ihn ist es indes ein weiterer Grund, die Gottesentscheidung nicht zu fürchten (6). Den Kehrvers 13.21 bildet eine Sentenz über den Wert „des Menschen" (DIN). Ihr eignet der Charakter eines Rätsels (5), denn sie besteht aus gekürzten Sätzen in einem beweglichen Sinngefüge. Folgende Elemente gehören zur Konstellation: (a) Nominalsatz mit 3 pretii: „der Mensch (ist) von hohem Wert/höchstem Wert" - These; (B) negativ formulierter Verbalsatz: „er bleibt nicht (über Nacht)?"/„er sieht es nicht ein" (21) - Einschränkung; (c) gekürzte Periode: „wird er verglichen, (ist er) wie die Tiere, (die) abgetan (sind)". Vielleicht liegt des Rätsels Lösung in den bewußt weggelassenen Vorzeichen, daß Kolon l(a; b) sich auf den lebenden, 2(c) aber auf den toten Menschen bezieht. Dafür spricht das aktive Nichteinsehen, Nicht-wissen(-wollen), auch das Nicht-bleiben als Lebender (13), weiter die passive Einschätzung (ni), die an dem Toten vorgenommen wird und der Vergleich mit den stummen (nö"T II) oder vernichteten (HDl III) Tieren. Zwei Aspekte, zwei Werte. Der Tod mindert den Wert massiv. 14—21: Zweite Strophe. Lebenshoffnung! Neun Zeilen für sechs Verse, 3+3 (Zusätze 14.15). 14.15 zeichnen sich durch Bezugnahmen und Wiederholungen aus, sind in das Strophengefüge schwer einzupassen und wurden durch doppeltes Sela möglicherweise als eigenständiger Passus markiert. Sie sind am besten als Glossen aufzufassen, die das Vorangehende kommentieren. So 14, der in dem Gesagten den typischen Weg derer 202

Ps49

Qorach-Psalter

Asaph-Psalm

Ps 50

sieht, d i e . . . Hier ist der Text kaum verständlich, falls man nicht einfach „Silber" und „Gold" einsetzen und einen Satz gegen die Reichen lesen will. M charakterisiert die Gemeinten als „Toren", die „Worte im Munde" führen. Will 14 die These 11 doch einschränken? Oder will er sagen, die Toren würden gefällige Worte hinterlassen? 15 interpretiert das Gleichnis von 13b, indem er den Weg zur Unterwelt beschreibt: Der Tod führt sie wie eine Herde und sie steigen ins Grab hinab (mit textlichen Variationen), um dort ihre menschliche Gestalt zu verlieren, fern von ihren jetzigen Wohnsitzen (*7nT) o.ä. 15 scheint die geläufigen Vorstellungen vom Gang zur Unterwelt wiederzugeben. Er, wie 14, verstehen 13b im oben vertretenen Sinne vom Sterbenden. 16 mit einer IchAussage bildet als Vertrauensbekenntnis den Ausgangsvers und die thematische Basis der zweiten Strophe. Zentrale Bedeutung hat dabei wieder das Verbum m s (vgl. 8), doch diesmal in theologischem Sinne mit Gott als Subjekt gebraucht. Diese Erlösungsaussage ist eine typische Wendung (z.B. 55,19; 26,11; 69,19, auch 44,27; 78,42), vornehmlich des Klage- und Danklieds, und bezieht sich „weithin auf konkrete und innerweltliche Nöte" (Stamm), auch in 16. Denn es geht um die Rettung „aus der Macht der Scheol", d.h. vor dem Tod (nicht aus dem Tod), welche der Psalmist erhofft und offensichtlich erfahren hat (2 ff.). Diese seine Hoffnung wurde in den im folgenden (17—20) angedeuteten Ereignissen nicht zuschanden, vielmehr Realität. npV muß nicht (wie Gn 5,24; 2R 2,9f.) „Entrückung" bedeuten, ist vielmehr ein allgemeiner Ausdruck für,ergreifen',,herausholen',,annehmen' u.ä., was auf Handlungen im Zusammenhang der Auslösung und Freisprechung zu deuten ist. Die 2. Person in 17ff. weist darauf, daß der Psalmist seine Einsichten zu lehren beginnt. Für den Fall, daß du in eine ähnliche Situation kommst und mit Reichen konfrontiert wirst, gilt als Rat 17, als Erkenntnis 18: „im Tode" bleibt alles zurück. 19: Der Reiche mag sich beglückwünschen. Doch gilt das nur, solange er lebt, was nach 6ff. ja zu Ende ist. Wer gut und recht handelt, den preist man - er überlebt; auch 19 ist nur auf den Fall bezogen sinnvoll. 20 verweist mit langen o-Vokalen auf das beklagenswerte Schicksal, nicht des belehrten Adressaten oder jedes Menschen (so wohl M), vielmehr auf das des Gegners des Psalmisten aus der Gruppe von 6ff., der zum Tode verurteilt worden ist. Das Licht sieht er nun nicht mehr. Das düstere Ende leitet wie 12 zum Schlußvers 21 weiter, welcher hier in dem gleichen Sinn wie 13 angefügt wurde. Textliche Varianten differenzieren das erste Kolon: die mangelnde Einsicht in den kostbaren Wert des Menschseins wird apostrophiert - im Zuge der lehrhaften Tendenz, die in 16ff. gesteigert erscheint. Mit dem grellen Kontrastbild des lebenden und toten Menschen endet das Lied.

Psalm 50 1

Ein Psalm. Von Asaph.

2

Der Gott der Götter, JHWH, hat geredet, und er rief: Erde, vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang! Von Zion, der Krone der Schönheit, strahlte Gott auf. 203

Ps 50 3

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8 9 10 11 12 13 14 15 16

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Teil II: Auslegung

Buch II

Unser Gott3 komme und schweige nicht! Vor ihm her verzehrendes Feuer, und rings um ihn stürmt es gewaltig. Er ruft zum Himmel von oben9 und zur Erde, sein Volk zu verklagen: Sammelt mir meine9 Frommen, die meinenb Bund schlössen beim Opfermahl! Die Himmel verkündeten9 seine Gerechtigkeit: Ja, Gott selbst ist Richter. Sela. Höre, mein Volk, denn ich will sprechen; Israel, ich will gegen dich klagen! 3 Gott , dein Gott bin ich. Nicht wegen deiner Opfermahlfeiern tadle ich dich und wegen deiner Brandopfer, die ständig mir vor Augen sind. Auch nehme ich den Stier aus deinem Haus nicht weg, aus deinen Hürden die Böcke. Denn mein sind alle wilden Tiere, das Vieh auf Bergen zu Tausend9. Vertraut sind mir alle Vögel der Berge, und die Grille9 des Feldes lebt bei mir. Litte ich Hunger, hätte ich es dir nicht gesagt? Ja, mir gehört die Welt und was sie füllt. Soll ich Fleisch essen von Rindern und das Blut der Böcke trinken? Opfere Gott Mahlopfer, und erfülle dem Höchsten deine Gelübde! Und: rufe mich am Tage der Not, dann rette ich dich, und du wirst mich ehren!9 Und zum Frevler hat Gott gesagt: Wie kommst du dazu, meine Satzungen zu verkünden? Du führtest meinen Bund im Munde. Aber du haßtest die Mahnung und warfst meine Worte hinter dich. Hast du einen Dieb gesehen, liefst3 du mit ihm, und mit Ehebrechern war dein Teil. Deinen Mund hast du ausgesandt mit Bösem 9 , und deine Zunge spinnt ihre Ränke. Lügen9 gegen deinen Bruder redest du, über den Sohn deiner Mutter bringst du Schande.

Asaph-Psalm

21

Dies hast du getan, und ich sollte schweigen? Du denkst, ich seia ganz wie du? Ich werde dich anklagen und es dir vor Augen legen.

22

Sehet dies doch ein, ihr Gottvergessenen, damit ich nicht zerreiße unrettbar. Wer Dankopfer feiert, der ehrt mich, und wer den Weg (dorthin) macht3, den lasse ich schauen auf das Heil Gottes.

23

Ps 50

3 a Mss: „Gott". 4" "7J7Ö für ^ BÖS noch zweimal in charakteristischen Kontexten (Segenssprüche Gn 27,39; 49,25). 5aG,S3.P.-bWiea. 6 a Vrs lasen], 7" Ursprünglich JHWH. 10° Wohl Schreibfehler; H^N ,Rind' (so G, S) oder .tausend' für: "78 'TO: „Gottesberge". 11" Akk zizänu ,Heuschrecke', arab ziz ,Grille', lautmalerische Bezeichnung für die zirpenden Insekten (vgl. 80,14). G las VT = 2. Monat ~ Mai (,Blüte', ,Reife'). 15" G, Hier setzen n"?0 ein. 18" M: „hattest du Gefallen", Vokalisation mit Vrs. 19a Wohl zu lesen JTO „gegen (den) Freund" (BHK). 20a Statt unsinnigem 32TI „du setzest dich" ist zu lesen: 3 tPfl (dttg), B>n wie akk tussu ,Lüge' (wohl ein Fremdwort). 21" Ursprünglich wohl ein inf abs: n/vn (doppelt glossiert) oder inf cstr 'nvn (mit Suffix) zu lesen. 23" Entweder ,dort' (G, S) oder an ,vollkommen' zu lesen. Literatur: N . H . RIDDERBOS, Die Theophanie in Psalm L 1 - 6 , OTS 15 (1969) 213-226. - M. Le Psaume 50 est-il un ribl Sem 23 (1973) 27—50. - M. M A N N A T I , Les accusations de Psaume L 18-20, VT25 (1975) 6 5 9 - 669. - H. GESE, Psalm 50 und das alttestamentliche Gesetzesverständnis, in: Rechtfertigung, FS E . Käsemann, Tübingen 1976, 57—77. - B. SCHWARTZ, Psalm 50, its Subject, Form, and Place, Shnaton 3 (1978/9) 77-106. - J.W.H. Bos, „Oh, When the Saints": A Consideration of the Meaning of Psalm 50, JSOT24 (1982) 65-77. MANNATI,

Ps 50, laut Überschrift zu den Asaph-Psalmen gehörig, ist von der Gruppe getrennt worden und in die Lücke zwischen Qorach- und David-Psalter II geraten, wahrscheinlich wegen thematischer Verwandtschaft mit Ps 51 (Opferfrage). An seine ursprüngliche Stelle trat 73. Ps 50 läßt in dem eröffnenden Theophanie-Teil Turbulenzen erkennen. Zusammen mit der doppelt eingeführten Gottesrede (7 und 16) lassen sie auf Bearbeitung schließen. Offensichtlich ist aus einem liturgisch nach der Rib-Rede strukturierten „Gerichtspsalm" ein von „Todafrömmigkeit" (Gese) getragener Individualpsalm geworden. Der unterlegte Rib-Text umfaßt la.2|3aß.3b|4a.3a|4b.la*.lb|5a.5b|6a.6b|7aa.ß| 7b.21b|16aß.b—21a|22, zeigt dtr Einflüsse (Schema Israel, 7; Dekalog, 16ff.), wendet sich an ganz Israel, ruft das Gottesvolk ins Gericht und schließt mit einer Warnung (22). Anzeichen sprechen für die Zeit des Exils, vgl. 81. Der erweiterte Toda-Psalm relativiert das Offizialopfer zugunsten des Opfermahls (8—13.14f.23), richtet sich an den Frommen, nur z. T. an den „Gottlosen" (16), den das Gesetzeswort trifft. Die erste Hälfte des 4. Jh. (nach Gese) ist wahrscheinlich die Zeit dieser Neubearbeitung. Besondere Stilfiguren finden sich in 2.11. Die Alliterationen auf N/27 sind häufig (vgl. 13: abwehrende Funktion). Der theologische Stil dominiert. Zu 14—23 vgl. 4QPs c . laa: Überschrift. Das Etikett bindet 50 an 47—51 einerseits und an 73—83 andererseits. Besondere Beziehungen bestehen zu 51 (51,18f., vgl. 50,10ff.23). laß-6: Introitus. Unterlegtes Metrum 3+3 (vgl. 3ff.). Der eine Theophanie JHWHs 205

Ps50

Teil II: Auslegung

Buch II

als richtender El schildernde Eingang ist nachträglich aus seinem hymnischen Gefüge gebracht worden, um für 1 eine lehrhafte Überschrift („hat geredet") zu gewinnen. Dadurch wurde 4b lädiert, was Umstellungen (in 1—3) zeitigte. Der Eingangsteil beschreibt, wie der göttliche Richter die Himmel und die Erde aufbietet, das Gerichtsverfahren gegen sein Volk vorzubereiten, indem die Himmel zur Ausrufung der Rechtsordnung (p7X), die Erde wohl zur Sammlung der Beklagten aus aller Welt aufgefordert werden (4b.Ib.5 in Kombination). Dem überlieferten Endtext geht es vor allem um die „theologische" Rede zum Thema „Opferkult" und um die Verurteilung des „Gottlosen" (37t2H) durch das Gesetz. Die seltene Kombination von Gottesbezeichnungen in 1 - nur Jos 22,22 bietet eine exakte Parallele (vgl. Dt 10,17; Ps 136,2f.) - feiert hymnisch den höchsten Gott und Richter, dem der Würdetitel El C?X) mit der Konnotation „Allerhöchster" (im Superlativ) zukommt. Er hat geredet, wie, den Ps vorwegnehmend, gesagt wird: zum Kosmos (4ff.), zu Israel (7ff.), zum Gottlosen (16ff.). 1 greift den Aufruf an die Erde heraus, der in 2 spätestens unterbrochen wird, l b scheint Parallelglied zu „Erde" zu sein. Es beschreibt „polar" die ganze Erdfläche mit Hilfe der Sonnenbahn. 2 beginnt mit der Schilderung der Theophanie und gehört mit l a und 3aß.b zusammen. Das Verbum ,aufstrahlen' (JPSin) hat seinen Ort in den Theophaniehymnen Dt 33,2; Ps 80,2; 94,1 und meint die strahlende Lichterscheinung Gottes („wie die Sonne"). Der damit lautlich harmonierende Ausdruck „vollkommene Schönheit" (vgl. den Akkord opi) gehört darum - obgleich in Thr 2,15 auf den Zion bezogen - hier zur Gotteserscheinung (vgl. zum Begriff Ez 27,3; 28,12; 16,14). Die Aussage, daß Gott „von Zion her" aufstrahlt, deutet auf einen Standort außerhalb des Zion hin (vgl. zu 8f.), zu dem hin die Epiphanie sich ereignet. Nicht unmöglich ist die Ersetzung eines ursprünglichen „von Seir" o. ä. 3aa kommentiert das Geschehen aus der Sicht der Gemeinde („wir"), die hier unvermittelt auftritt, weshalb der Halbvers besser als die „Kunde der Himmel" aufgefaßt werden sollte, wozu diese ja nach 4a aufgerufen werden. Ohnehin liegt das Ereignis für die Menschen noch in der Zukunft (impf im Vergleich zu 2). Vom nicht mehr möglichen Schweigen Gottes handelt explizit dann 21. 3a[i.b fährt in der Beschreibung der Theophanie fort. Die beiden genannten Elemente „Feuer" und „Sturm" erinnern an das Grundmotiv: Gewitter, Wetter, an das sich auch diese Beschreibung hält (vgl. 29; 1R 19 etc.): Sie sind Vorboten und Begleiter. 4a teilt mit, Gott habe wiederholt (impf iterativum) die Himmel „von oben" angerufen. Die „Himmel" scheinen sich hier unterhalb des Gottesortes zu befinden und personal vorgestellt zu sein. 4b wiederholt (nach l a ) den Anruf an die Erde, mit dem expliziten Auftrag, das Volk „zum Gericht zu rufen" - so ist •pY? wohl zu verstehen (HAL). An wen die Aufforderung in 5 geht, das Bundesvolk zu versammeln, bleibt im jetzigen Text offen: Plural wie Kontext sprechen für beide, Himmel und Erde, die Aufgabenteilung für die Erde (nach 6 und lb). Es geht jedenfalls um eine Vollversammlung des in alle Welt zerstreuten Volkes. „Meine Frommen" ( ' T o n ) werden sie genannt und als die bezeichnet, die „über dem Opfermahl meinen Bund schlössen", offenbar Anlehnung an Ex 24,3—8. Die erste Bestimmung ist eine Selbstbezeichnung der Frommen in der späteren Psalmenliteratur und könnte hier ein älteres Wort ersetzen. Die zweite ist eine theologische Definition, welche nach Art und Weise der dtr rezipierten Sinaiüberlieferung das zeitgenössische exilische Gottesvolk als „Bundesvolk" identifiziert. 6 (M) berichtet, daß die Himmel als Gerichtszeugen und -diener der Anweisung des Gerichtsherrn nachgekommen sind und den göttlichen p"TX (wohl etwa: ,Rechtsordnung',,Verfahrensordnung') bekanntgemacht und zugleich (6b)

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Asaph-Psalm

Ps 50

JHWH (= Gott) als Richter in dieser Sache ausgerufen haben. Der Psalm bleibt auf der Linie theologisch-rechtlichen Denkens. Zur Funktion von rf?0 vgl. z. B. 76. 7—9: Anklage (Eröffnung), 3+3. 21b bildet den Parallelismus zu 7b und ist wohl sekundär umgestellt worden. Die Verse geben die Einleitung der Rede Gottes an das „zum Gericht" versammelte Bundesvolk wieder. Sie beginnt mit einer Variation des „Schema Israel" (Dt 6,4 u.a.) feierlich und offiziell, unter Verwendung der üblichen Rechtstermini ("Q"T pi,plädieren', 115? hi,klagen', ro 1 hi .verklagen', "py ,dar/vorlegen') und mit Nennung der Rechtsbasis und der Legitimation des Klägers 7b: „JHWH, dein Gott, bin ich" (Formel der Selbstvorstellung, vgl. 81,9). 8f. kommt zunächst auf den Opferkult zu sprechen, der offenbar ein Problem für das Gottesvolk war, was damit deutlich exilische Verhältnisse voraussetzt: kein legitimes Opferheiligtum, der Tempel auf dem Zion zerstört und entweiht, Mangel an Opfertieren für den ständigen Kult ( v a n Opfer 8) u.a. Überraschend wird diese offensichtliche Schwäche als Thema der Klage ausgeklammert: Es geht jetzt nicht um dieses Defizit hinsichtlich der rQT-Kultmahle oder der offiziellen n*7157-Brandopfer. 9 bestätigt die Ausklammerung dieses Themas durch die klare Bekundung, keine Stiere oder Ziegenböcke den ohnehin wirtschaftlich schwer geschädigten „Häusern" und „Hürden" wegnehmen zu wollen, nur um den normalen Opferkult in Gang zu halten. 10—13: Gegenargumente. Zur Begründung dieser Haltung, die eine am Tempelkult orientierte Gemeinde überraschen muß, treten einige Argumente hinzu. Da 9 schon den sozialen Grund genannt hat, erscheinen die dann folgenden theologischen Argumente wie hinzugesetzt. Sie könnten z.T. aus späteren Diskussionen zur Opferthematik stammen. Diese theologischen Gegenargumente beruhen auf dem Satz, daß Gott „der Erdkreis und, was ihn füllt, gehört" (12b) und folglich alle (theoretisch) als Opfer in Frage kommenden Geschöpfe ohnehin Gottes Eigentum sind. Der Blick geht vom wilden Waldtier zum zahmen Haustier (auf den „Gottes-Bergen", vielleicht die tempeleigenen Weiden, vgl. M) in 10, von den großen Bergvögeln bis zur kleinen Grille. Sie beruhen weiter auf der fiktiven Annahme, daß Gott - hätte er das Bedürfnis nach Opfern als Nahrung gehabt - diesen seinen Wunsch mitgeteilt hätte. Sie beruhen zuletzt auf der als zu anthropomorph gefaßten Vorstellung, Gott könne Rindfleisch essen und Tierblut trinken. 10—13 geben eine theologische Diskussion wieder, die 8 wohl aus aktuellem Anlaß gerade nicht führen oder provozieren wollte. Sie ist nur denkbar als relecture in einer Zeit, als der Gedanke der Tieropfer mit der Gottesvorstellung kollidierte. Im übrigen stört die „Debatte" 8 ff. den ganzen Duktus der Klagerede und verlagert abschweifend das Problem. 14—15: Weisung zum Dankopfer. Die Unterbrechung des Redezusammenhangs durch Einschübe wird greifbar an diesen weder nach Stil noch nach Inhalt zum Kontext passenden Zwischenversen. Sie geben nach der Negation 8ff. und Ablehnung der Opfer überhaupt dem ratlosen Gemeindeglied die praktische Weisung, das Laien- und Dankopfermahl im Unterschied zum Offizialkult in jedem Fall beizubehalten. Insofern führen 14.15 die Opferdiskussion fort. Die Formulierung (Gott als 3. P. in 14) macht 14 zur Tora an den einzelnen und 15 zum Zitat eines Gottesworts an den Beter (wie 23). Beides macht den Psalm zu einem Text der „Torafrömmigkeit" (Gese) später, kultfernerer Zeiten. Gemeint ist wohl nicht eine metaphorische Aussage mit rein spirituellem Sinn („opfere Gott Dank"), vielmehr der direkte Aufruf an den verunsicherten Laien, wie bisher seine private Dankopfermahlzeit kultisch zu feiern - unter Einschluß des m i n 207

Ps 50

Teil II: Auslegung

Buch II

genannten Lobpreisbekenntnisses (= „Dankpsalm") - , als Erfüllung eines mit dem Gebet in der Not verbundenen obligaten Gelübdes. Diesen Zusammenhang von „Klage" und „Dankpsalm" meint 15 (und 23). Das Wunder der Erhörung und Rettung liegt dazwischen. Zu dem in G und bei Hier bezeugten n^O s.o. Sollte durch die beiden Setzungen bei 6 und bei 15 der Komplex 7—15* (oder 16aa) eingeklammert werden? 16aa: Neue Adressierung. Den sich verlierenden Faden der Gottesrede schneidet 16aa vollends ab, indem er eine neue Rede Gottes an den Frevler einführt (löaßff.) und damit die angefangene Gerichtsrede von 7ff. zu einem theologischen Votum zur Opferfrage, an den Gläubigen (von) gerichtet, umdeutet. Der $7an, eine Adversativbezeichnung der späten Psalmenfrömmigkeit für den Ungläubigen und Unfrommen (= Gottlosen), der kaum zur Gemeinde gezählt wurde, wird hier zum Adressaten der Gottesanklage gemacht, in grellem Gegensatz zu 1—9, wo die ganze Bundesgemeinde ins Gericht gerufen ist. Die spätere Bearbeitung relativiert die Anklage und lenkt sie auf den „Gottlosen" ab. 16aß—21: Anklage (Hauptteil), 3+3. Der Faden von 7ff. wird hier wieder aufgenommen. Nach den Negationen von 8f., das Thema der Anklage betreffend, kommen diese Verse zur Sache. Es ergehen massive Vorwürfe an das Gottesvolk und zwar als ganzes. Das „Du" der Anrede in 16ff. entspricht dem Du in 7f., nicht dem Du in 14f., geschweige denn dem des Gottlosen von 16. Dieses Du, Gottesvolk und versammelte Gemeinde (der Frommen 5), wird als zwiespältig gekennzeichnet. Es verkündet die Gebote Gottes, beruft sich auf den Bund, läßt sich aber selbst nicht an dessen Normen messen, sondern „haßt" diese Pflichten und wirft die Worte „hinter sich", d. i. weg und auf andere (16aa!). Erkennbar wird eine Gemeinde, welche Gottes Bund und Gebot durchaus kennt und predigt, aber nicht lebt und verwirklicht, jedenfalls nicht im fordernden Teil, der Disziplin und Verpflichtung (IDia) verlangt. Konkret ist mit „Satzungen", „Worte" im Zusammenhang von Bund und Gesetz - wie 18ff. zeigen - der Dekalog o. ä. Gebotsreihen gemeint. Die Gemeinde scheint der dtr Frömmigkeit und Theologie nahe zu stehen. Sie wird in 18—21 der Mißachtung der Gebote Gottes angeklagt, und zwar als Gemeinde, welche für die Einhaltung der zehn Gebote bei ihren einzelnen Gliedern verantwortlich ist. Sie wird als ganze schuldig, wenn die Gebote von einzelnen oder vielen (allen scheint kaum denkbar) übertreten werden, und als ganze von Gott schuldig gesprochen, jedenfalls mit dem Schuldspruch warnend konfrontiert (22). Als Maßstab legt 18—21 dann den Dekalog zugrunde (Gebote: Diebstahl, Ehebruch, Betrug, falsches Zeugnis). Mit ihm mißt die Anklage offenbar Vorkommnisse und Zustände jener exilischen Gesamtgemeinde. Diese liegen im sozialen Bereich. Beklagt wird eine völlige Zerrüttung des familiären Sozialgefüges (Eigentum, Ehe, Geschwisterbeziehung), wie sie als Folge der exilischen Katastrophe und ihren Wirren leicht vorstellbar ist. Die Anklagen sind differenziert. 18a spricht von Hehlerei bei (Menschen-?) Diebstahl oder (Grundstücks-?) Aneignung; 18b von Familien- und Ehezerwürfnissen, wohl infolge von Verschleppungen und Entwurzelungen; 19 von Machenschaften und Unternehmungen aus Lug und Trug, zur Bereicherung aus den verlassenen und beschädigten Gütern etc.; 20 von der Zerstörung der Familiensolidarität und „Brüderlichkeit", unter Verwendung zweier seltener, aber drastischer Ausdrücke: wohl:,bösartige Rede' und 'DT ,Schimpf' (vgl. Mt5,22). 21 faßt die Anklage zusammen. Das Du ist die ganze Gemeinde, welche für die Taten ihrer Mitglieder haftet. Die Vorhaltungen gipfeln in der Erklärung, weshalb es zu dieser Anklageerhebung gekommen ist. Ein Schweigen hätte bedeutet, daß die Gemeinde sich der Illusion hingegeben hätte, Gott wäre wie sie selbst, d.h. zwiespältig, groß208

Ps 50

Asaph-Psalm

David-Psalter II

Ps 51

sprecherisch, undiszipliniert, eben allzu menschlich, eine Projektion eigener Wünsche und Vorstellungen. Mit einem „Richter" hatte sie - obgleich fromm und eifrig - nicht gerechnet. Die Anklage muß sie darum um so härter treffen. 22: Anklage (Schluß): Warnung, 4+4. Der anders geformte und adressierte Schlußteil, den 21b vom vorhergehenden bewußt abtrennt, mündet nicht in Urteil und Strafbestimmung, wie dies aus 16—21 als logische Folge zu erwarten wäre, vielmehr in eine ernste Mahnung bzw. Warnung an die Gemeindeglieder im einzelnen (pl). Wohl werden sie als „Gottvergessende" angesprochen und - trotz ihres Gottesbewußtseins (16f.) beurteilt; auch wird in bildlicher Rede ein endgültiges Zerreißen (des Opfers durch den Löwen) angedroht - trotz der schon eingetretenen Strafe der Exilskatastrophe (lb.5f.). Doch es bleibt zunächst noch bei der Drohung, die Raum läßt für „Einsicht" und Besserung. Daran müssen alle für sich arbeiten, weil es die Einsicht eines jeden voraussetzt - als ein Anfang zur Bewußtwerdung und Erinnerung. 23: Schlußzusage (Prosa, erweitert). 23 schließt sich an 14f. an und verkündet als Weg zum individuellen Anteil am „Heil Gottes" das Dankopfermahl, weil es eine wirkliche „Ehrung" Gottes bedeutet, der die Verheißung gilt, daß Gott selbst sein Heil schauen lassen wird. Der letzte Satz, und damit der Psalm in Letztfassung, gilt dem aktiven Besucher des Gottesdienstes.

Psalm 51 1.2

Für den Chorleiter: Ein Psalm Davids, als zu ihm der Prophet Nathan kam, da er zu Bathseba gegangen war.

3

Sei mir gnädig, Gott, nach deiner Güte, nach deiner großen Barmherzigkeit tilge meine Verfehlungen! 3 Groß i s t . . . 3 wasche mich von meiner Schuld, und von meiner Sünde reinige mich! Ja, meine Verfehlungen kenne ich wohl, und meine Sünde steht allezeit vor mir. A n dir, an dir allein habe ich gesündigt und getan, was in deinen Augen schlecht ist, So daß du gerecht bist in deinem Spruch 3 , lauter bist b in deinem Urteil.

4 5 6

7 8 9

Sieh, in Schuld bin ich geboren 3 , und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen1*! Sieh, an Wahrheit hast du Gefallen im Innern 3 , und im Verborgenen1* soll Weisheit mich leiten! Entsündige mich mit Ysop, daß ich rein werde; wasche mich, daß ich weißer werde als Schnee! 209

Ps SI 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

20 21

Teil II: Auslegung

Buch II

Laß mich hören8 Jubel und Freude, meine Glieder sollen jauchzen, die du zerschlagen! Verbirg dein Angesicht vor meinen Sünden, und tilge alle meine Verfehlungen! Ein reines Herz schaffe mir, Gott 3 , und einen festen1* Geist mache in mir neu! Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen3 Geist nicht von mir! Bringe mir die Freude an deinem Heil zurück, und ein williger3 Geist trage mich! Ich will die Abtrünnigen deine Wege lehren, und die Sünder werden umkehren zu dir. Rette mich vor Blutschuld, Gott, Gott3 meines Heils! Meine Zunge wird deine Gerechtigkeit bejubeln. Herr, öffne mir die Lippen, und mein Mund wird deinen Ruhm verkünden! Denn 3 du hast keinen Gefallen am Mahlopfer - ich würde es geben. Ein Brandopfer willst du nicht. Gottes Mahlopfer ist ein gebrochener Geist.3 Ein gebrochenes und zerstoßenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten. Tue Gutes an Zion nach deinem Willen, baue die Mauern Jerusalems auf! Dann wirst du Gefallen haben an richtigen Mahlopfern, an Brandopfern und Ganzopfern. Dann wird man Stiere auf deinen Altar tragen.

3 a G sg. 4" K; Q imp: „wasche mich reichlich". 6" G pl. - b H3T „(moralisch) rein dastehen" (HAL), par ¡TIS Hi 15,14; 25,4. G: VIXRICREI)? Nein, heißt die Antwort. Die Obrigkeit hat nur „Freveltaten" im Sinn und mit handfester „Gewalt" hantieren sie mit der Waage (des Rechts, vgl. Hi 31,6) „auf Erden" (oder: „im Lande"). Die Unschärfe rührt von der Ambivalenz der Adressa232

David-Psalter II

Ps 58/59

ten her: „Götter" (wie 29,1; 82,1) oder „Menschen" (vgl. 4.11 u.a.). Die Vorlage der göttlichen Gerichtsszene schimmert noch durch. 4: Eindeutig qualifiziert werden die „Regenten" als „böse von Jugend auf" (Gn 8,21), ohne daß ihre Identität deutlicher würde. Richtet sich ihre Lügenrede gegen den Beter? 5—6: Sie werden mit Schlangen verglichen wegen ihres Giftes (5a) und wegen ihrer „Taubheit" (5b.6). Auf die Götter bezogen - eine tiefsinnige Metapher: Die leblosen Götter vergiften die Welt; auf die Regenten bezogen - eine grundsätzliche Kritik am Unrechtsregiment. Das Vergleichsbild stammt von der angeblich gehörlosen Hornviper bzw. ägyptischen Kobra. 6, eine textinterne Glosse zu 5, gibt eine fachkundige Erklärung zur Kunst der Beschwörung der Kobra (vgl. Jer 8,17; Qoh 10,11). 7—10: Angelehnt an die Fluchformen der altorientalischen (babylonischen) Gebetsbeschwörung fordert der Beter Gott/JHWH auf, diese Bestien unschädlich zu machen (7). Ursprünglich wohl Gottesflüche über die „Götter" werden 8—10 zu bösen Wünschen mit grellen Farben gegen die Gottlosen. Der Text ist nicht überall gesichert und klar. Sie werden verglichen mit zerrinnendem Wasser, mit Pfeilen (oder zertretenem Gras?) (8), mit der Schnecke, die - so wohl die Vorstellung - sich in ihrem Schleim auflöst, mit dem Embryo (und dem angeblich blinden Maulwurf?) (10): Bilder des Untergangs und der Vernichtung (vgl. 82,7). 11: „Rache" bzw. Vergeltung ist Sache Gottes (vgl. 94,1). Der Triumph des „Gerechten" findet hier einen blutigen Ausdruck (vgl. 59,11; 68,24, auch Jes 63,1 ff.). 12: Die Quintessenz der göttlichen Gerichtsrede wie der Klage des Gerechten: Die Erkenntnis soll sich durchsetzen, daß es einen Gott gibt, der Gerechtigkeit schafft, und der Gerechte seinen Lohn findet (vgl. Hi 19,29). Der Glaube an die Theodizee wird wiederhergestellt.

Psalm 59 1

Für den Chorleiter: „Vertilge nicht!" Von David. Eine Aufzeichnung, als Saul sandte und man das Haus beobachtete, ihn zu töten.

2

Rette mich vor meinen Feinden, mein Gott! Vor meinen Widersachern schütze mich! Rette mich vor den Übeltätern, und vor den Blutmenschen hilf mir! Denn sieh, sie lauern mir auf, Mächtige greifen mich an! Keine Verfehlung von mir und keine Sünde, J H W H ; ohne meine Schuld rennen sie an und stellen sich auf. Brich doch auf, mir entgegen, und schau!

3 4

5 6

Und du, J H W H , Gott der Heerscharen, Gott Israels, wach auf, alle Völker zu strafen! Schone keinen der frevlerischen Treulosen! Sela. 233

Ps59 7 8

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Sie kehren am Abend wieder, kläffen wie Hunde und durchstreifen die Stadt. Sie, sie geifern mit dem Mund, Schwerter9 an ihren Lippen! Denn wer hört es? Aber du, JHWH, lachst über sie, spottest über alle Völker! Seine Macht - auf dich will ich achten3. Denn Gott ist meine Schutzburg. Mein gnädiger Gott 3 , komme mir entgegen! Gott, laß mich niedersehen auf meine Feinde! Töte sie nicht, damit sie mein Volk nicht vergessen! Schlag sie mit deinem Heer in die Flucht und laß sie hinabsteigen. Unser Schild ist der Herr! Die Sünde3 ihres Mundes, das Wort ihrer Lippe, sie sollen sich verstricken in ihrem Hochmut, Und wegen des Fluchs und der Lüge, die sie reden, vernichte sie im Zorn, vernichte sie, daß sie nicht mehr sind! Daß sie erkennen, daß ein Gott regiert in Jakob bis an die Enden der Erde. Sela. Und sie kehren am Abend wieder, kläffen wie Hunde und durchstreifen die Stadt. Diese laufen, um zu fressen; wenn sie nicht satt werden, bleiben sie über Nacht3. Ich aber werde deine Macht besingen und am Morgen deine Gnade bejubeln. Denn du bist mir zur Schutzburg geworden und zur Zuflucht am Tage der Not. Meine Macht, dir will ich singen! Denn Gott ist meine Schutzburg, mein gnädiger Gott.

8 a M: m m n , wohl besser zu lesen: m s i n „Schmähungen". 10" Mss, Vrs wie 18: 'TS „meine Macht". 11" K: „seine Gnade"; Mss, G: „mein Gott"; nach Q (wie 18): „Gott meiner Gnade". 13" Besser mit 3: „Durch die S ü n d e . . . " , vgl. Vrs. 16® Vrs lasen z.T. IP^ 1 ! „knurren 1 sie" (T) ? I ) . Literatur: J. TROPPER, „Sie knurrten wie Hunde." Psalm 59,16, Kilamuwa: 10 und die Semantik der Wurzel lun, Z A W 1 0 6 (1994) 8 7 - 9 5 . -

Ps 59 ist in seiner überlieferten Form eine Textruine, die notdürftig repariert, mit Eingang und Ausgang versehen, aber ansonsten in Trümmern belassen wurde. Diese zeigen noch das Bauprinzip eines Strophengedichts mit zwei Kehrversen (7 = 15; 10 = 234

David-Psalter II

Ps 59

18) an. Eine Restauration aus dem vorhandenen Material könnte zu folgendem Resultat führen: 1. Strophe: 5b.8b|2a.2b| 3a.3b|4a.5aß[10] (3+3|3+3|3+3|2+2+2|2+2); 2. Strophe: 6aß*.6b|8aa.8aß|4b.5aa|7a.7b[10] (gleiches Metrum); 3. Strophe: l l a . l l b | 1 3 a a . 13aß|13b.l4aa|15a.l5b[18] (gleiches Metrum); Schluß: 17aa.l7aß|17ay.l7b (3+3|3+3). Ein Psalmgedicht, nicht unähnlich 42/43 oder 56. Ursache der Zerstörung war offensichtlich das Bestreben, aus dem individuellen Feindklagelied eine Klage Israels gegen die Völker zu machen, dies durch Einbringung der Versteile: 6aa.9. 12.Maß.b und die Umstellungen in der Reihenfolge der Verse. Möglicherweise hat das zweifach gesetzte n*?0 in 6.14 noch etwas damit zu tun. Der so entstandene anthologische Psalmtext muß auf diesem Hintergrund ausgelegt werden. Sein Leitwort ist die Metapher von Gott als Burg (2.10.17f., vgl. 12b). Der Psalm gehört zu den (bearbeiteten) Feindpsalmen im DPs II. 5 - 8 ist in HQPs c bezeugt. 1: Überschrift. Die mehrteilige Überschrift weist 59 den Serien DPs II, 16; 59—60 (Dron), 57-59; 75 (nntPD *7N) zu. Die Verankerung in der Biographie Davids (lb) erinnert an IS 19,llf. 2—5: Gebet um Rettung vor Feinden. Die beiden ersten Zeilen geben den dringenden Hilferuf wieder, den der Beter an „seinen Gott" richtet. Den vier Appellen in Eckpositionen mit dem klingenen eni (mit Wiederaufnahme des Beginns) entsprechen die vier Appellative, mit denen die Feinde mit Steigerung bezeichnet werden. Sie lassen an persönliche Feinde eines Individuums denken, die aber als gefährliche Widersacher (2b), Freveltäter und potentielle Mörder („Blutmenschen", vgl. 5,7; 26,9; 55,24) qualifiziert werden. Vor ihnen sucht der Beter Schutz (Leitwort: 3W, vgl. TS?). Die Ausweitung auf Israels Feinde (mittels der Königsvorstellung, z.B. David) ist möglich, projiziert aber das Feindbild nach außen (vgl. 9.12). 4aa formuliert eine persönliche Lebensgefahr ('tPDi); auch die Aussage vom bewaffneten Angriff in 4aß ist eher individuell zu verstehen (TU II, vgl. 56,7, aber auch Jes 54,14). Das Unschuldsbekenntnis gegenüber JHWH in 4b.5a - ein wenig deplaziert zwischen den Kampfaussagen - erinnert an 25,7; Hi 13,24, auch Ps 26,6; 32,1 f.: Es gibt eigentlich für JHWH keinen Grund zur Bestrafung. Umso unbegründeter ist der Angriff der Feinde (5aa, vgl. Hi 15,26; 16,14). Ein Weckruf (5b) soll Gottes Aufmerksamkeit auf die Situation lenken (vgl. 7,7; 57,9, auch 44,24). 6—11: Gebet um Besiegung der Feinde. Mit einer neuen, erweiterten Anrufung und der Wiederaufnahme des Weckrufs beginnt dieser Teil des Psalms. Wieder ist das Feindbild ein doppeltes. Genannt sind „Übeltäter" (6b, vgl. 3) und persönliche Feinde (n-nw 11, vgl. 5,9; 27,11; 54,7; 56,3), zu deren Charakterisierung die kehrversartige Zeile 7 (= 15) mit ihrem 2+2+2-Metrum und dem drastischen Vergleich mit den streunenden Stadthunden gehört (vgl. auch 16) wie auch die Zeile 8 mit ihrer Anklage, gefährliche Lügen zu verbreiten (vgl. 13; zum Bild 55,22, auch 52,4; 57,5; 64,4). Daneben aber sind erwähnt: „alle Völker" (6.11), über die der „Gott Israels" (6a) lacht und spottet (9). Die formelhafte Ausdrucksweise (vgl. 2,4) läßt auf redaktionelle Arbeit schließen. Das in 10 (= 18) verborgene Vertrauensbekenntnis bildet als zweiter Refrain den Rückhalt des Beters: Sein Gott ist ihm eine „feste Burg" ( ' n w a ,Fliehburg', ,Schutzburg', ,Hochburg', vgl. Jer 48,1; Jes 25,12; zur Metapher Ps 9,10; 18,3; 46,8.12; 48,4; 62,3.7; 94,22; 144,2). 12—16: Gebet um Vernichtung der Feinde. Der schwer verständliche, der Redaktion zugehörige 12, der Rücksichtnahme auf „mein (d.h. des Beters?) Volk" fordert, wider235

Ps 59/60

Teil II: Auslegung

Buch II

spricht mit der Bitte um Schonung(?) der Bitte um völlige Vernichtung der Feinde (6.11.14aa). Konjekturen zu 12 suchen den Riß zu kitten. Doch dieser geht durch den ganzen Text (vgl. 14: wer „ist nicht mehr" und wer soll „erkennen"?). 13.14an) führen nicht weiter (vgl. 77,6ff.). Sie bringen die Qual eines ungelösten Problems für das Denken. Es folgt nun wohl die Leidklage 21. Der Vers ist jetzt zur Entlastung von 22 verwendet, ist jedoch in 18—22 fehl am Platz. Er klagt über Schmerzen, die der innere Konflikt auslöst: Herz und Nieren, Sitz des Willens und des Gewissens, sind tangiert und steigern das Dilemma des ungelösten Problems. 14 beschreibt den Höhepunkt des Konflikts. Er fühlte sich wie ein „Geschlagener" (S12U), d.h. mit Leiden geschlagen und bestraft. Doch es kam zum Durchbruch, der ihm die erlösende Einsicht vermittelte (17). Offenbar gelang er anläßlich eines Heiligtumbesuchs. Er begann auf „ihr Ende" zu achten. Ob sich diese Feststellung auf die Heiligtümer (pl) bezieht, ist angesichts von 18 denkbar. Es müßte sich um „Heiligtümer Eis" der •'Vrin (3) handeln, die in Trümmer gefallen sind (vgl. 74,7.2ff.). Im allgemeinen wird 17b aber auf die Gottlosen und ihr Ende ausgelegt. Die neu gewonnene Einsicht wäre die, daß beim Urteil über die menschlichen Dinge das Ende, der Ausgang, d.h. das Ganze im Zusammenhang zu betrachten ist und aus partiellen oder punktuellen Wahrnehmungen keine endgültigen Schlüsse zu ziehen sind. Konkretes über dieses Evidenzerlebnis ist nicht gesagt. Anlässe wie Theophaniefeiern, Gottesgerichtsverfahren, Strafvollzüge u.a. sind denkbar. Da die Lösung im theoretischen Bereich liegt, ist im Verfasser ein Denker bzw. Weisheitslehrer zu sehen. 18—22: Fünfte Strophe: Erkenntnisgewinn, vier Zeilen (ohne 21). Formuliert wird im Gebetsstil die Einsicht in das Endgeschick der Gottlosen in zwei Vergleichen: erstens mit dem auf Bachkiesel brüchig gebauten, zu Schutt zerfallenen Haus - im Gottesschrecken (18f.); zweitens mit dem beim Erwachen verschwindenden Traum (20). Beide nötigen den Dichter zu dem beschämenden Eingeständnis, nicht mehr Verstand als ein Tier gehabt zu haben, im Vergleich zu dem Horizont, den die Gegenwart Gottes erschließt (22). Zuletzt, nun beim Bedenken der Realität Gottes und ihrer Wirkungen, erhebt sich in 22 das Gedicht zum Gebet („vor dir") und bekennt in dreifachem 1Q37 die neue Gewißheit, die in der Krise Halt bietet (aufgenommen in 28, dann 1). 23—26: Sechste Strophe: Bekenntnis zur Gottesgemeinschaft. Vier Zeilen in doppeltem Parallelismus (3+3) - 26 scheint überfüllt - , mit alliterativen Zügen (N: 23; D: 24; 26). Luthers „Dennoch" gehört zu 1; 23ff. ist ein Vertrauensbekenntnis. Es betont im Gebet, daß die mit D57 gemeinte persönliche Bindung der Angelpunkt des Lebens ist, der die eigene rp ~inx, die Zukunft, garantiert (24) - möglicherweise über Welt und Zeit hinaus (25f.). Das synthetische Denken des Ganzen geht von der linearen Ich-DuBeziehung aus und vermag letztlich über die irdischen Grenzen hinaus zu denken. 23b.24 284

Asaph-Psalter

Ps 73/74

entfalten das Mitsein mit Gott durch die Metapher von der „Einführung", einem altorientalisch verbreiteten Motiv der Ehrung, des Geleits, der Hinführung und ehrenvollen Aufnahme (vgl. 23,5f.). Letzteres kann auch bildhaft auf das Danach, das Geschick nach dem Lebensende, bezogen werden, wie 26 zeigt. 25 läßt Himmel und Erde versinken in der erfüllten Gegenwart („mit dir"), während 26 von diesem Punkt die Linie weiterzieht: Auch im Vergehen von Leib und Leben bleibt er allezeit der, mit dem Gott war, sein Teil (p^n .Anteil',,Besitzteil'). Die zugefügte Metapher „Fels meines Herzens" sucht diesem Gedanken Ausdruck zu geben. 27.28: Konsequenz. Die Schlußsätze (z.T. wohl auch Zusätze) ziehen die Konsequenz: 27 im Blick auf die Fernstehenden und Apostaten („weghuren"), 28a im Blick auf den Dichter selbst (auffallend das überschüssige '3X1, wie 2), indem er die Nähe JHWHs als seine Zuflucht (wie 17) und als Ausweg aus der Anfechtung preist, 28b (G), indem er nachträglich auf die wichtige Bedeutung hinweist, die das „Erzählen der Werke Gottes" im Tempelgottesdienst („in deinen Toren, Tochter Zion") für den Gläubigen hat: ein Zeugnis eigenen Ringens um Einsicht.

Psalm 74 1

2

3 4 5 6 7 8 9 10

Ein Lehrgedicht von Asaph. Warum, Gott, hast du verstoßen für immer, raucht dein Zorn über die Schafe deiner Weide? Denke an deine Gemeinde, die du erworben seit alters, die du als Stamm erkauft, als dein Erbteil - der Berg Zion hier - , um dort zu wohnen! Lenke deine Schritte3 zu den ewigen Trümmernb: Alles hat der Feind verheert im Heiligtum. Es schrien deine Gegner inmitten deines Festplatzes3, sie setzten ihre Zeichen als Zeichen1*, man vernahm3 etwas wie das Eindringen1* (nach oben)0 von Äxten d im Holzgestrüpp. Und nun, ihre Schnitzwerke3 allesamt wurden mit Beil und Hackeb zerschlagen. Sie warfen Feuer in dein Heiligtum; bis auf den Grund entweihten sie die Wohnung deines Namens. Sie sprachen in ihrem Herzen: Ihre Nachkommen3 allesamt! Sie verbrannten alle Gottesplätze im Lande. Zeichen für uns sehen wir nicht, Propheten gibt es nicht mehr, bei uns ist keiner, der wüßte: wie lange. Bis wann, Gott, darf schmähen der Feind, darf lästern der Gegner deinen Namen für immer? 285

Ps 74 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

Teil II: Auslegung

Buch III

Warum ziehst du deine Hand ab? Und deine Rechte, halte sie zurück9 vom Bausch des Gewands! Und Gott, meina König seit alters, der Heilstaten vollbringt mitten auf der Erde. Du selbst hast gespalten das Meer mit deiner Kraft; hast zerbrochen die Häupter8 der Drachen über dem Wasser. Du selbst hast abgeschlagen die Häupter Leviathans; hast ihn gemacht zur Speise der Dämonen 8 . Du selbst hast aufgerissen Wasserloch und Bachtal; du hast austrocknen lassen die immerfließenden Ströme9. Dir gehört der Tag wie die Nacht; du hast eingerichtet Leuchte9 und Sonne. Du selbst hast gesetzt alle Kontinente der Erde; Sommer und Winter, du hast sie geschaffen. Denke daran, der Feind hat geschmäht, JHWH, und törichtes Volk deinen Namen verhöhnt! Gib nicht den Wildtieren preis9 das Leben deiner Taubeb, das Leben deiner Getreuen vergiß nicht auf immer! Schau auf den Bund9, denn gefüllt sind die Verliese des Landes, die Stätten der Gewalt. Nicht kehre um9 der Arme geschändet, Elende und Geringe sollen deinen Namen preisen! Erhebe dich, o Gott, führe deinen Streit, gedenke der Schmach, die von den Toren ausgeht alle Tage! Vergiß nicht das Geschrei deiner Gegner, den Lärm deiner Widersacher, der ständig aufsteigt!

3 a G: „deine Hände", S: „deine Knechte". - b M: „Täuschungen" < X1T3 hi; besser von N1B> b abzuleiten ( n s U P Ö sg .Verderben'). 4 * Mss pl. Möglicherweise verlesen aus D T i n s ( n s b ,Haue', ,Karst', ,Pflugschar', vgl. 5). 5 " Vorschlag: l s n r „sie hauten". - M: „wie der (Aus-) Holende", vgl. Vrs. - c Wohl ein Notarikon zum Text (evtl. ganz 5a). - d Ä g Lehnwort qardina ,Axt', ,Dächsei'; Erklärung zu 4b? 6" Von riflS II,schnitzen', ,meißeln',,gravieren'. - b Aram bzw. akk Lehnwort: ,Beil' bzw. .Brechstange' (akk kalappu). 8" Wohl ursprünglich D313 von n r .unterdrücken* abzuleiten. 11" Oder als Frage zu lesen n^Dfl: „hältst du zurück"? Wohl von rfta II ( = I) .zurückhalten'. 12" So M; G: „unser König"; T, S ohne Suffix. 13° Wohl nach 14 eingefügt. 1 4 " D"S 1 7 Di 1 ? von * f 1 7 a s ,Hai', zusammengezogen aus n , , X , 7 D ^ nach einer alten Konjektur. 15"GK§128w. 16" Wohl „Mond" (und „Sterne"?). 19" Statt rrn (vgl. b) zu lesen mn .Verderben'. - b Statt "Inn („deine Taube") besser: tPS3 "]7iri „die Seele, die dich preist", mit G, S. 2 0 " Andere n n a 1 ? „an die Geschöpfe" ( t m ) . 2 1 " M zu lesen 3 B T „er sitze". Literatur: S.A. EMERTON, Spring andTorrent in Psalm L X X I V 1 5 , SVT15 (1966) 122-133. - H. DONNER, Argumente zur Datierung des 74. Psalms, in: Wort, Lied und Gottesspruch, FS J. Ziegler, fzb 2, Würzburg 1972, 41 - 5 0 . - J. J. M. ROBERTS, Of Signs, Prophets, and Time Limits: A Note on

286

Asaph-Psalter

Ps 74

Ps. 74:9, CBQ 39 (1977) 474-481. - G . SHARROCK, Psalm 74: A Literary - Structural Analysis, AUSS 21 (1983) 211-223. - P. A U F F R E T , Essai sur la structure littéraire du Psaume LXXIV, VT33 (1983) 129-148. - A. G E L S T O N , A Note on Psalm lxxiv 8, VT 34 (1984) 8 2 - 8 6 . - O. L O R E T Z , Leberschau in Ps 74, UBL 3, Altenberge 1985. - C.T. BEGG, The Covenantal Dove in Psalm lxxiv 19-20, VT37 (1987) 7 8 - 8 1 . -

Der als Volksklagelied bzw. Gemeindegebet einzustufende Psalm beginnt mit der Warumfrage (1), die den appellativen Teil des Textes einleitet (2—3.10—11.18—23). Dieser umschließt rahmend einen mehr berichtenden Teil und macht ihn zur Klage (4—9 „Tempelklage") sowie einen hymnischen Teil (12—17), der als Gebet die Heilstaten der Urzeit in Erinnerung ruft. Der hymnische Teil (12—17) scheint zitathaft aus einem (älteren) Text entnommen und der Gebetsklage mit ihren elegischen 4+4-Metren angepaßt worden zu sein (v.a. durch das siebenfache nnx „du", ursprünglich wohl 3+3). Der Rest scheint im ganzen homogen zu sein. Die Klagebeschreibung setzt eine schon lange andauernde (vgl. nX31.3.10.19) Zerstörung des Tempels doch wohl von Jerusalem und der Heiligtümer im Land und eine Unterdrückung der Gemeinde und ihrer Glieder durch „Feinde" voraus. Dies deutet auf eine Situation zur Zeit des Exils und wohl nicht auf das 2. Jh. (168—165: Tempelschändung, aber keine Zerstörung). Dafür spricht der dtr Stil, sprechen auch die Parallelen 79; 81; 89 u. a. Ob die entweihte Trümmerstätte auf dem Berg Zion als ursprünglicher Ort dieses Klagegebets in Frage kommt, ist gerade wegen des Zusatzcharakters von 2ba („der Berg Zion ist dies bzw. hier") fraglich. Denkbar ist eher eine Klagefeier in Mizpa oder Bethel. Anzunehmen ist wie bei vielen Asaph-Texten eine letzte Bearbeitung im Sinne individueller Verwendung als Klagegebet. Dafür kommen 19—22 in Frage, welche den einzelnen Frommen in den Mittelpunkt stellen. Als komplexes Gebilde zeigt der Text différente Stilformen. Als ganzem ist ihm die rhythmische Struktur der 4+4-Zeilen übergeworfen. Im einzelnen bieten sich je nach Partie kunstvolle Prägungen, z.B. die expressiven Klangvariationen in 1 (znh - nsh; sn-sn), 8 (sr-'r) und 10 (wie 1), 5-Dominanz in 7.17 (s), besondere gutturale Emphase auf dem Höhepunkt der Klage in 9. Der hymnische Teil (13—17) ist durch litaneiartige Wiederholungen charakterisiert. Besonders auffällig sind die zahlreichen Akkorde auf a. Im Schlußteil fällt das dreifache *7N am Versanfang ins Auge. Der Text ist an einigen Stellen beschädigt (besonders 5.19f.) und ergänzt (2.4f.6.20f.). 4QPs a bezeugt 74,1-14. l a a : Überschrift. Vgl. dazu 32. Gewöhnlich als term tech verstanden: „Kultlied" oder „Lehrstück", besser „Wechselgesang" (vgl. auch 78). Wohl späte Etikettierung, die didaktische oder liturgische Verwendung anzeigt. laß.b—2: Anrufung, 4+4 (2 erweitert). Die Warumfrage (vgl. 11) zeigt Irritation und Unverständnis an. Sie sucht einsichtige Gründe für eine undurchsichtige Situation. Sie setzt voraus, daß es solche gibt, und erwartet ihre Mitteilung als Antwort auf dieses Gebet. Subjekt der Anrufung ist ein „Wir" (9) oder „Ich" (12 M), das sich zu Gottes Gemeinde bekennt und wohl eine betende Gemeinde der exilischen Zeit repräsentiert. Angerufen wird „Gott" (1.10.12.22), nach 18 JHWH als „Du" (M: 7mal HflX; ca. 50mal 2.P. m). Das Gebet sucht nach dem verlorenen Kontakt. Grund der Anrufung ist die drohende Erkenntnis, „für immer verstoßen" zu sein, welche die Gemeindesituation offenbar nahelegt. Mit dem Appell an die persönlichen Bindungen Gottes an seine Gemeinde sucht sich der Psalm gegen die Anfechtung zu wehren, rut ,verstoßen' ist der theologische Terminus, der die exilische Diskussion beherrscht (44,10.24; 287

Ps 74

Teil II: Auslegung

Buch III

60,3.12=108,12; 77,8; 89,39; Thr 2,7; 3,17.31). Er verbindet sich mit der Vorstellung vom Zorn (^S) Gottes, die in lb in bewußter Stilisierung als „Rauch" konkretisiert wird. Ihr gegenüber stellt die betende Gemeinde sich als „Herde seiner Weide" dar, was die totale Zugehörigkeit zum königlichen Besitzer der Herde sowie die völlige Wehrlosigkeit (INS) hervorhebt. Ersteres wird in 2, letzteres in 3ff. entfaltet. 2 bestimmt die Identität der „Gemeinde" Gottes, m s , vorpriesterschriftlich wohl Bezeichnung für die Versammlung der „Volks-, Rechts- und Kultgemeinde" (HAL), gilt hier als GottesGemeinde, die er seit alters (DTp ,Vorzeit', ,Frühzeit') sich geschaffen, d.h. erworben hat, oder - wie es der Parallelismus ausdrückt - wie ein Verwandter „ausgelöst" hat (aus anderweitigen Bindungen), und zwar als „seinen Stamm" (03tP), um - so ist zu beziehen dort zu wohnen. Daß „Stamm" im übertragenen Sinne auf das ganze Volk und seinen Landbesitz zu beziehen ist, erklärt eine weitere Ergänzung, die den Kontrast zum folgenden verschärft. 3—9: Vorhaltung, 3.8.9: 4+4; 4f.6f.8 zu unregelmäßigen Rhythmen erweitert oder gekürzt. 3 setzt im mahnenden Imperativ insofern einen neuen Akzent, als er zu einer Besichtigung der Zustände auf dem Tempelberg feierlich auffordert, um die beklagenswerte Situation der Gemeinde in Augenschein zu nehmen und darstellen zu können. Diese Darstellung ist weithin in berichtendem Perfekt gehalten. Die Einladung setzt voraus, daß der Angerufene dort nicht (mehr) als präsent gedacht wird. Die Darstellung beginnt mit dem Hinweis auf die „ewigen Trümmer" und läßt an den schon geraume Zeit zerstörten Tempelbezirk denken: 586 oder gar 721 ist „eine Ewigkeit" her (3a). Er wird ergänzt durch die lapidare Feststellung, daß der Feind „alles" „im Heiligtum" zerstört hat (3b). Diese Totalaussage wird in 4—9 im einzelnen belegt, indem der Hergang geschildert wird. Die „Zerstörung" des heiligen Ortes hatte damit begonnen, daß die Gegner (apostrophiert als Gegner Gottes) inmitten der Feststätte „brüllten" (4a). Das gern auf Tiere bezogene Wort bezeichnet hier wohl die Siegesfeiern der Feinde nach der Einnahme von Stadt und Heiligtum. Diese „Versammlung" pervertiert den Sinn und die Sakralität des göttlichen Ortes. Weiter hatten sie dort ihre Feld- und Kultzeichen aufgepflanzt. So 4b, falls er nicht mit 5b zusammengehört: „Sie gingen mit Hauen (Äxten) an das Baumdickicht". In jedem Fall ist die Rede vom dichten Baumbestand (auf dem Tempelberg?), dem heiligen Hain, der offenbar abgeholzt worden war. 5a ist entweder an b anzupassen oder als textliches Notarikon („aufgefaßt als: Eingang nach oben") zu „Zeichen" oder zu einem anderen Wort des Kontextes (b) anzusehen, das als „Eingang" aufgefaßt „nach oben" zu versetzen sei. In der Tat paßt 6 weder syntaktisch (3. P. f ; impf) noch inhaltlich in den Zusammenhang (Wessen Schutzbilder? Weshalb mit „Beil" [aram] und „Brecheisen" [akk]? Was soll ein Wunsch im Bericht [vgl. 8]?). 7 setzt die Darstellung der Verheerung fort. Sie hatten Feuer geworfen in Gottes Heiligtum (Wortlücke in a), den „Wohnort des Gottesnamens" bis zum Fußboden „entweiht", d.i. durch Betreten geschändet (vgl. 89,32.35.40). Der Begriff „Wohnort des Namens" (vgl. 18.21) verrät dtr Theologie. 8 berichtet von der Absicht der Feinde, „sie alle zusammen zu unterjochen" und alle Gotteshäuser im Lande niederzubrennen (wohl ursprünglich Absichtserklärung auch in b, jetzt Bericht: „sie hatten niedergebrannt"). Offenbar kam es nicht zur Ausführung (vgl. z.B. Bethel, Mizpa). Gotteshäuser, wörtlich „Versammlungsstätten Eis" (vgl. 4), heißen offenbar die Landheiligtümer, die es trotz und nach der josianischen Reform nach 586 noch gab. 9 verweist auf das Resultat jener gewaltsamen Eingriffe, eben der beklagenswerten Situation der exilischen Gemeinde, welche mit dem 288

Asaph-Psalter

Ps 74

Heiligtum und seinem Kultwesen auch die religiöse Orientierung verloren hat. Vor allem fehlen die Zeichen der Zukunftsdeutung, auf die Verlaß wäre (vgl. Thr 2,9). Die Prognose der Mantik versagt; Mantiker ,Prophet', im Sinne von Jer 23,9ff.) gibt es nicht mehr. Ebenso vermißt man Charismatiker mit prognostischem Wissen in der Gemeinde. Die Orientierungslosigkeit steigert sich zur Hoffnungslosigkeit (vgl. Stichwort nXJ 1.3.10.19). 10—11: Erkundigung nach den Absichten, 4+4.3+4. Die nicht mehr mögliche mantische Befragung führt dazu, den direkten Weg der Erkundigung im Gebet zu wählen. Zwei Fragen werden gestellt. Die erste, mit neuer Anrufung, aus der Mantik entnommene (9b), betrifft das anhaltende „Schmähen" und „Lästern" des „Feindes" (10), doch wohl der babylonischen Besatzungsmacht und ihrer Helfer. Der Ton liegt auf der Gott betreffenden Wirkung ihres Tuns. Sein Name und Ruf leidet Schaden, wenn das so bleibt. So müßte es in Gottes eigenem Interesse sein,... 18 nimmt den Gedanken wieder auf. Die zweite Frage, eine Warumfrage, grenzt an einen Vorwurf, vgl. dazu schon lb. Sie bringt zum Ausdruck, daß sie nicht versteht, weshalb Gottes Hand untätig bleibt angesichts der geschilderten Situation. Die schon ausgestreckte Hand zurückziehen (vgl. Jos 8,26; Thr 2,3) steht parallel zu: die Rechte vom Ruhen im Gewandbausch (pTl) abhalten (KV3) - i n IIa fehlt wohl die Anrufung. Ersteres meint ein Zögern, letzteres: die gänzliche Untätigkeit zu überwinden. 12—17: Vergegenwärtigung, ursprünglich wohl 3+3, jetzt, dem Kontext angepaßt, 4+4. Sub voce „ausgestreckte Hand" ruft der Psalmist die Vergangenheit in Erinnerung, und zwar - wohl typisch für die exilische Situation (Vosberg 1975) - nicht die heilsgeschichtliche (Exodus), sondern die urgeschichtliche Epoche. Er bedient sich dabei eines ihm vorgegebenen hymnischen Stückes, das durch 7faches nnx in Anredeform und vor allem auf den Langversstil gebracht wird (auch andere Füllsel in den Zweithälften). Thema des hymnischen Exkurses sind die kosmischen Aktivitäten des Schöpfers gegen das Chaos, das zum Thema der Zeit einen grellen Kontrast bildet. Mit erneuter Anrufung setzt 12 ein, dem offenbar noch Reste seiner Herkunft anhängen: Dreier, l.P. sg „mein König". Aufgerufen wird die Tradition vom Schöpfer- und Königsgott „von uran" (DTj? ,Vorzeit', vgl. 2, hier ,Urzeit'). Das Fragment deutet seine Verwandtschaft zu den JHWH-Königs-Hymnen und den Schöpfungshymnen an. Gemeint sind die „Heilstaten" der Urzeit, die sich „auf der Erde" zutrugen (12b). Diese werden aufgezählt, 5mal 2=10 (13 — 17). 13a beginnt mit der Spaltung des Urmeeres, was wohl auf die Bildung der Himmelsglocke zwischen dem oberen und dem unteren Urmeer zielt (Gn 1,6—8), nicht auf den Durchzug durch das Schilfmeer (nach P Ex 14,15ff.), wegen des Kontexts. 13b erinnert an die Vernichtung der Chaosungeheuer („Köpfe" aus 14a übernommen) als den Manifestationen und Repräsentanten der Chaosmächte (pl) über dem Wasser (vgl. Hi 9,13; Ps 89,11; 29,10). Angespielt wird auf den Mythos vom Chaoskampf, welcher der Schöpfung vorausgeht (89,10f.; 77,17ff.; Jes 51,9—11 mit ug und bab Parallelen, vgl. Day 1985). 14a spricht vom Entscheidungskampf mit dem siebenköpfigen Urdrachen (vgl. OdSal 22,5; Apc 12,3; 13,1; 17,3, ug Parallelen), genannt Leviathan (Jes 27,1; Ps 104,26; Hi 3,8; 40,25). Er wird nach 14b den „Haien" zum Fraß vorgeworfen (Konjektur des sinnlosen „Wüstentiere" bzw. „Dämonen"?). Das in 15a genannte Werk betrifft das Aufbrechen von Quellspalten und Bachtälern zum Zwecke des Ableitens (Emerton) der Restwasser des Urmeers. 15b stellt parallel dazu die Austrocknung der ständig fließenden Urströme, was offenbar demselben Zwecke diente. 16 leitet zum kreativen Werk der 289

Ps 74/75

Teil II: Auslegung

Buch III

Urzeit über. Wie Gn 1,3 ff. wird der Erschaffung und darum der Gottzugehörigkeit von Tag und vor allem der (Chaos-)Nacht gedacht gleichwie der Einrichtung der „Leuchte" und der Sonne (vgl. Gn l,14ff.). 17 schließlich verweist auf die Festlegung der Kontinental- bzw. Landschaftsgrenzen der Erde sowie der Jahreszeiten Sommer und Winter (vgl. Gn 8,22). Das Verbum ,bilden' faßt nochmals die 12—17 geschilderten Taten als HandWerke Gottes zusammen. 18—23: Aufforderung, Basismetrum 4+4. Der von Imperativen, Jussiven, Adhortativen geprägte Schlußteil möchte JHWH (18) zum Handeln bewegen. 18 greift nach dem Exkurs auf 9 zurück. An das Genannte erinnernd weist er auf die analog durch Feinde bedrohte Lage hin. Wieder sind es JHWHs Feinde. Gemeint ist das „törichte Volk" der Babylonier. 19 ruft das gefährdete Leben der „Elenden" ins Gedächtnis und denkt wohl eher an den einzelnen (tPDJ) Bekenner und seine Bedrohung (durch „Verderben"). 20 fordert dazu auf, an den „Bund" zu denken (oder an seine „Geschöpfe"?), weil die „Verliese des Landes", „die Wohnstätten" „voll von Gewalttat" seien. Auch 21 erinnert an den „Unterdrückten", der nicht zu Schanden werden soll, ohne daß die konkrete Bedeutung klar ersichtlich ist. Auch der positive Wunsch in 21b, der Elende und Arme möge JHWHs Namen preisen, ist zwar klar formuliert, bleibt aber dennoch im Kontext 1 — 18 ohne Funktion. 19ff. ist als sekundäre Bearbeitung einzuschätzen. Mit einer letzten Anrufung schließt der individuelle Teil in 22: Gott wird aufgefordert, sein eigenes Recht zu wahren und sich vor Schande zu schützen. Eine Intervention wäre dringend geboten und ganz im eigenen Interesse JHWHs (zur Vorstellung vom Rechtsstreit vgl. 50; 81; 82). Und 23 verweist auf 18 zurück, auf die „Stimme der Bedränger" und den „Lärm der Gegner", welche dem Opferrauch gleich aufsteigen und eine göttliche Antwort verlangen (1).

Psalm 75 1

Für den Chorleiter: „Vertilge nicht!" Ein Psalm von Asaph. Ein Lied.

2

Wir bekennen uns zu dir, Gott, wir bekennen - und nahe ist dein Name; man erzählt deine Wunder! 8 Auch wenn ich eine Frist nehme, ich richte ordnungsgemäß. Wanken die Erde und ihre Bewohner, ich selbst habe doch ihre Säulen gesetzt. Sela. Ich habe zu den Strahlenden 8 gesagt: Strahlt nicht mehr! Und zu den Frevlern: Erhebt nicht das Horn! Richtet euer Horn nicht gegen die Höhe! Redet nicht Vermessenes gegen den Felsen 8 . Denn nicht 8 von Anfang und von b Abend und nicht 8 von Steppe und b G e b i r g e . . .

3 4 5 6 7

290

Asaph-Psalter

8 9

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Ps 75

Ja, Gott ist Richter, den einen erniedrigt, den andern erhöht er. Ja, der Becher ist in der Hand JHWHs und Wein, Mischtrank voll Gewürz. Er schenkte von diesem 8 , eben b seine Hefe müssen sie schlürfen. Trinken müssen alle Frevler des Landes. Ich aber werde verkünden 8 allezeit und will singen dem Gott Jakobs. Und alle Hörner der Frevler schlage ich 3 ab, die Hörner des Gerechten werden erhöht.

2" Nach den Vrs wäre anders zu trennen und zu lesen: „die deinen Namen ausrufen, erzählen deine T Wunder" (infabs). 5" Zu Vw I H A L . 6"M: "1K1X ,Hals'. Zu lesen "Iis ,Fels' (vgl. G). Statt "7S besser ,17 ,mir' bzw. I1? ,ihm' (mit Akzent, was bei der Negation nicht gegeben ist). - b Wohl zu ändern: „bis..." (50,1). 9" Nach G, S zu ergänzen: „und an jenen". Möglich ist, wie 8 ein doppeltes HTS: „aus dem einen, aus dem andern" zu lesen. - b Zu lesen: HS ,sogar'. 10° Besser: V i s „ich werde jubeln", mit G. 11" Man erwartet 3.P. m. Literatur: M . DIJKSTRA, He Pours the Sweet Wine off, only the Dregs Are for the Wicked. An Epigraphic Note on mizzceh in Psalm 75,9, ZAW107 (1995) 296-300. -

Der schwer verständliche Text wird durchsichtig, wenn man annimmt, daß (1.) die ursprüngliche Reihenfolge der Verse der Gottesrede anders war (5—7.4.3); (2.) 8f. eine sekundäre Erläuterung ('S) der im Gotteswort gebotenen Vorstellung von Gott als Richter darstellt; (3.) 10 und 11 Voten einzelner sind („ich"), die auf ihre Weise auf das Bekenntnis des Psalms (2) reagieren. Zu der Umstellung kam es, weil dadurch ein relativ einheitliches Bild von Gott als Richter der Frevler zu erreichen war, freilich auf Kosten der kosmischen Aussage des Zitats. Bewußte Korrekturen lassen sich auch in Zusätzen (5b.6b.9b*) sowie noch im Wortlaut (6b.7) erkennen. Der Schlüssel zum Verständnis liegt in der Deutung des Begriffs (5). Er muß wohl aus der Wurzel V?n I (eigtl. 17,17, 1 vgl. n'v ?,Nacht') und parallel zu dem Nomen ^T!,Morgenstern',,Venus' als „Strahlende, Leuchtende" übersetzt und als ,Gestirngötter' gedeutet werden. Damit rückt 75 in die Nähe von 82 (vgl. auch 73,3.10). Er kündet von einer himmlischen Auseinandersetzung „Gottes" (2) mit den (assyrisch-babylonischen) Astralgottheiten - Hintergrund eines theologischen Konflikts der Exilszeit. Die später unverständlich gewordene Konfrontation wird „entgöttlicht" und auf das O'tfttn-Problem übertragen. Dazu dient das aus dem Ordal entnommene Bild des den (Gift-?)Becher reichenden göttlichen Richters. Die Umdeutung setzt die nachexilischen Gruppenprobleme voraus. Eine mindestens zweiphasige Entstehung des Psalms ist anzunehmen. nVo in der älteren Zäsur vor 5 (zwischen 2/5) scheint dies noch anzudeuten. Auffallend sind die akrostichischen Elemente in 5f. (N), in 7—9 ('D) und in 9—11 (-1), die eine Reihenbildung signalisieren. Kunstfiguren finden sich vor allem in 9. Als Leitwort des Psalms ist das im Gerichtskontext besonders bedeutsame Dil anzusehen.

291

Ps75

Teil II: Auslegung

Buch III

1: Überschrift, bestehend aus drei Elementen: der Angabe der Singweise (wie bei 57; 58; 59), der Typenangabe, der Verfasser- bzw. Serienbezeichnung und dem Hinweis auf Verwendung als Kultlied (TW). Die Häufung der Angaben ist unklar. 2: Anrufung als Bekenntnis. 2+2|2+2. Eine Gemeinschaft („wir") bekennt sich ausdrücklich, andere Möglichkeiten dezidiert ausschließend, zu dem Gott, dessen Name - erst in 9 überliefert, aber wohl schon in 2 anzunehmen - mn1' ist und der in 3ff. als redendes Ich rezitiert wird. Die wiederholte Performativaussage: „wir bekennen uns hiermit" (I.P.!) bekommt durch die richtunggebende Partikel ihren konfessorischen Sinn. Diesem entspricht in der Parallelhälfte die G-Lesung mit zwei absoluten Infinitiven („indem wir . . . anrufen, erzählen...") besser als die überlieferte hebräische Fassung, welche die „Nähe des Namens" voraussetzt und das (folgende) Erzählen der göttlichen Wundertaten feststellt (mit neutrischem Subjekt: „man"). Zu erwarten ist danach ein berichtender Text von grundlegender Bedeutung für den nach 2 vollzogenen Bekenntnisakt. Der folgende Passus indes ist sehr knapp gehalten. 3—7: Hymnisches Zitat, Gotteswort. Grundlage 3+3. Vermutlich hatte die hymnische Rezitation einmal mit einer Gottesworteinleitung, d. h. mit 5 („Ich sagte z u . . . " ) begonnen, der dann 6—7.4.3folgten. Dann wäre ursprünglich von einem Gotteswort an die D,17,7'in die Rede gewesen, welche als ,,Frevler"(?) entlarvt, ihrer Funktion enthoben und dem gerechten Gericht anheimgegeben wurden, weil sie ihre Kompetenz gegen die „Höhe" (= höchste Instanz) überschritten, ja sogar das kosmische Gleichgewicht (4) ins Wanken gebracht hatten. Dies ist in Analogie zu 82 anzunehmen, aber auch aus genauerer Einsicht in die Bedeutung des Wortes •'V^in ,Strahlende', ,Leuchtende', was nach Jes 14,12 (vgl. Jes 13,10) als „Gestirne" zu übersetzen ist und zugleich dem Wort l")p ,Horn", ,Strahl' eine präzisere Bedeutung verleiht. Offenbar handelt es sich um einen Hymnentext, der sich zu dem Thema der assyrisch-babylonischen Astralreligion äußert, welche auch für JHWH-Gläubige eine, sei es aufgezwungene, sei es faszinierende Möglichkeit von Schicksalsglauben war (vgl. 2R 23,5f., sowie die Verehrung der „Himmelskönigin" Ischtar mit dem Venusstern, die babylonische Mondverehrung: „Hörner" = Sichelspitzen?). Der von den Gestirnsgöttern angemaßten Herrschaft über die Welt und ihren Lauf wird in höchster Instanz widersprochen: der Schöpfer nimmt seine usurpierten Rechte wieder wahr (7.4) und zieht die Aufrührer zur Rechenschaft (3). Der überlieferte Text läßt das Wort vom gerechten Gericht (3) an eine Gemeinde gesagt sein, welche offenbar unter dem Problem der Frevler (D'ytzn 5.9.11) mehr litt als unter den Anfechtungen astraler Gottheiten. Er beginnt mit der unvermittelten Eröffnung JHWHs, er werde einen zukünftigen Versammlungstermin „annehmen" und selber Richterfunktion ausüben und dann eben „gerecht" richten, was offenbar im Kontrast zu anderweitigen Formen der Rechtsprechung steht. Darüber sagt 8f. mehr. Es handelt sich dabei um Vorstellungen sakraler Rechtsprechung, d.h. um das Ordal, weil - wenn man dies so verstehen darf - mit den üblichen Rechtsmitteln des 3?UH-Problems nicht Herr zu werden ist. 4 möchte in diesem Zusammenhang besagen, daß der bisherigen ungerechten Rechtsprechung zufolge die Welt aus den Fugen gerät. Die Aussage hat dann entgegen der ursprünglichen Intention metaphorischen Sinn. Die ganze Erdfläche auf ihren Säulen kommt ins Wanken, wohl nicht wegen der Ankunft des Richters - dem würde die Schöpfungsaussage 4b widersprechen - , sondern als Folge der Tätigkeit gottloser Mächte, von denen 5 f. die Rede ist. Gottes Wort erinnert daran, daß er einst Verbote (Vetitive) an diese aufrührerischen Mächte der •,1?17'in und D'BBH erlassen hat, welche sie 292

Asaph-Psalter

Ps 75

daran hindern sollten, sich weiterhin gegen die „Höhe" zu betätigen, das „Horn" zu erheben, gegen den „Felsen" anmaßend zu reden. Die vierfache Form des Verbots läßt an Erweiterung denken. 5b entspricht 6a; 6b erläutert 5a. Sie deutet die Mächte als gottlose, ja gottfeindliche und gottleugnende Kräfte, doch wohl Menschen („alle Gottlosen des Landes"[?], 9), wenngleich ihnen der numinose Charakter und die kosmische Bedeutung nicht abgesprochen wird. Qll717in wäre dann (wie in 73) von V?n III im Sinne von „Toren", „Rasende" (bzw. „seid nicht töricht bzw. rasend") verstanden worden. 7 ist wohl nicht zufällig beschädigt. Er paßt zwar in das Bild der astralen Richter und Regenten und ihrer Anmaßung, nicht aber ins Bild der Gottlosen, deren angebliche Gelüste nach Weltherrschaft im kosmischen Sinn nicht leicht verständlich sind. So blieb nur ein mehrdeutiges Rudiment im masoretischen Text erhalten. In Verbindung mit 4 aber hatte 7 durchaus Sinn: den destruktiven Gestirngöttern wird die Herrschaft über die Erde als Gottes Schöpfung entzogen, und zwar „global": von Sonnenaufgang (bis) -Untergang, von der Wüste bis zu den Bergen - letzteres müssen auch globale Angaben sein, die sich nicht auf Palästina, sondern auf die Erdscheibe im ganzen beziehen (vermutlich: von den Zentralsteppen [bis] zum Weltrandgebirge). Faßt man OHH als Infinitv auf, ergibt sich eine - am Lauf der Sonne orientierte - rhetorische Frage: „Denn, kommt nicht vom Anfang... Erhebung?" Doch fehlt ihr jeder Sinnbezug. Im „Urtext" könnte 4 und 3 auf 7 gefolgt sein, 4 als Kontrastbild der veruntreuten Erde, 3 als Konsequenzaussage: das gerechte Gericht kommt - auch über die kosmischen Mächte. 8—9: Bekenntnis zu Gott, dem Richter. Unklare Metrik, wohl an 3+3 orientiert. Das einleitende 'D, die Änderung der Rederichtung (Gott in 3.P., anders als 2 und 3ff.), das andere Profil des Richterbildes lassen annehmen, daß 8f. zu den erläuternden Weiterungen gehört, welche den wohl älteren Gestirngötter-Text (2—7) kommentieren. Dabei korrigiert der jüngere Text die Gerichtsvorstellung der Vorlage (5 ff. wird zur Schilderung des kosmischen Gerichts, das 3 erst für die Zukunft ankündet) und ergänzt sie durch ein neues Paradigma. Die Herkunft des neuen Richterparadigmas ist wahrscheinlich im nachexilischen Ordalverfahren zu sehen. Vergleichbar ist Nu 5. Doch handelt es sich hier wohl nicht um Schuldfeststellung durch Trinken, sondern um Strafzumessung oder gar um Strafvollzug. 8 bekennt Gott als Richter mit absoluter Kompetenz. Er entscheidet (Grundbedeutung von ÜS1T) und er scheidet zwischen schuldig und nicht schuldig „erniedrigen" und „erhöhen" sind die Begriffe für die entsprechenden Symbolhandlungen der Urteilsverkündung. Deutlich ist, daß die Vorstellung aus dem sakralen Individualprozeß stammt. 9 vergegenwärtigt den entscheidenden Moment der Strafzumessung. Ein „Becher" ist in der Hand des Richters, er ist dabei, ihn zu füllen, entweder mit Wein (1") oder mit gewürztem Gärtrank (~ian). Beides ist zu unterscheiden, sonst ist 9 nicht verständlich: „er schenkt (M erzählend, vgl. 5ff) aus diesem" („oder jenem" - G bezieht es auf den Becher oder den unvermischten Wein). D.h. er schenkt entweder reinen Wein ein dem Freigesprochenen (vgl. 23,5; 116,13) oder mit (Gift-?)Zusatz gemischten Gärtrank (Essig?) dem Verurteilten, dem im ursprünglichen Sinne. Er hat „gerade/nur" (IN) oder „auch und vor allem" (IX) „die Hefen", d. i. den (giftigen?) Gewürzzusatz zu trinken, was nach 9b auf alle Frevler/Gottlose des Landes/der Erde ausgedehnt wird. Dieser letztere Passus denkt offenbar mehr an ein Endgericht, das möglicherweise auch in 3ff. schon anklingt, während die Bildvorstellung dem Paradigma des sakralen Ordalprozesses entlehnt zu sein scheint (vgl. Am 5,7; 6,12; Hab 2,15 und die Vorstellung vom 293

Ps 75/76

Teil II: Auslegung

Buch III

„Taumelbecher" Jer 25,15ff. u.ö.). Beachtenswert sind die Lautfiguren in 9, u.a. die alliterative Paarbildung (k, j, m) und die das Schlürfen begleitenden s-Laute. 10: Erstes Nachwort, 3+3. Als Gelübde eines Lesers oder Beters dieses Textes (2—9) ist 10 aufzufassen. Ein einzelner bekennt sich dazu, alle Zeit Gott als Richter zu verkünden (G: zuzujubeln) und dem Gott Jakobs - er verwendet die traditionelle Prädikation aus dem Norden - zu singen und zu spielen (Alliteration mit Gutturalen). 11: Zweites Nachwort, 3+3. Als Votum, Wunsch und/oder Versprechen (je nachdem, ob 1. oder 3.P. zu lesen ist) ist 11 zu verstehen, der sich nochmals des Problems der D'Vttn annimmt, wobei die unterschiedlichen Formulierungen zu beachten sind: Gruppen- bzw. Massenplural bei „alle (abzuschlagenden) Hörner der Frevler"; Einzelplural: „die Hörner des Gerechten (pl f)". Der aufrechte Gerechte ist das Idealbild des rigoristischen Votanten.

Psalm 76 1

Für den Chorleiter: Mit Saitenspiel. Ein Psalm von Asaph. Ein Lied."

2

Bekannt ist Gott9 in Juda, in Israel ist groß sein Name. Es war in Salem seine Hütte und seine Wohnstatt auf Zion. Dort war es, daß er Bogenblitze9 zerbrach, Schild und Schwert und Krieg. Sela.

3 4 s 6 7 8 9 10 11

294

Erleuchtet8 bist du, gewaltiger als die Raub-Bergeb. Es werden zur Beute 9 tapfere Kämpfer, fielen in Schlaf, und es fanden alle Kriegsleute ihre Hände nicht mehr. Vor deinem Schelten, Gott Jakobs, wurde betäubt9 so Gespann wie Pferdb. Du, furchtbar bist du, und wer kann bestehen vor dir? Dein Zorn ist seit jeher 9 . Vom Himmel hast du das Urteil verkündet, die Erde geriet in Furcht und verstummte, Als sich zum Gericht erhob Gott, zu helfen allen Armen des Landes9. Sela. Ja, der Zorn der Menschen preist dich, mit dem Rest der Zorngluten gürtest du dich.9

Asaph-Psalter

12

13

Ps 76

Gelobt und erfüllt die Gelübde für JHWH, euren Gott, all ihr Umwohnenden8! Bringt Geschenke für den Mortui Den Mut" der Regenten wird er läuternb. Gefürchtet0 ist er bei den Königen der Erde.

1" G ergänzt: „gegen den Assyrer". 2" Ursprünglich mn 1 . 4" Statt nti>p 'Sttn (eigentlich „Bogenfunken" = Brandpfeile?) ist besser zu lesen: nwpl nstPN „Köcher und Bogen". 5" So M: 11K1. Doch ist wohl mit Vrs (0, T) und 8.13 m x u „furchtbar" zu lesen. - b M: n~lO m n n könnte irrtümlich aus 7» m n » „Berge der Ewigkeit" (7S I .Ewigkeit', ,Urzeit'; 75/ II .Beute', ,Schmuck'[?]) entstanden sein. Denkbar ist auch die Lesung 110 1")XB „wie ein reißender Löwe" . 6 a 6aa ist wahrscheinlich eine Glosse, welche die Bezeichnung „Raub-Berge" (5) erklären will (V7W hitpol). 7"M sg. - b G, S lasen 01D '331 „Fahrer bzw. Reiter". 8" G las nxa „vor". Statt TS» wäre T57H „vor der Gewalt" eine bessere Lesung. 10" TIS, vgl. 9b. G las z. T. TY; xapSia „(arm) im Herzen". 11° So etwa M. Der Text ist unverständlich und wohl beschädigt. Vorgeschlagen wurde, statt DIN: D1K „Aram" und nan als „Hamat" zu lesen (Eißfeldt); oder "lim von 137 bzw. "|n (,zerschlagen', q oder ho) abzuleiten und l i n als ,binden', ,zurückbinden' zu verstehen („Surely thou dost crush the wrath of man:| Thou dost restrain the remnant of wrath" [Emerton]). Möglich wäre auch: „Ja, die Glut des Rubins (DTTX) ziert dich (TTfffi); mit dem Panzer (JTHtP statt n n s i r ) gegen Brandpfeile (nan, 4QPs e : maTl; vgl. dazu 4a: nipp 'San) umgürtest du dich." G las eopräaei M)". Subjekt sind die Eroberer oder „Vorbeiziehenden" von 13. Die Verse 16a. 17b bieten eine Reminis319

Ps 80/81

Teil II: Auslegung

Buch III

zenz an die Untaten der assyrischen Heere. Im Kontext klingt der Passus mehr als Bitte um Festigung (]13), Aufrichtung des beschädigten Weinstocks. Denn 15aß steht voran, eine dringliche Aufforderung, „diesen Weinstock heimzusuchen". Die Bitte aber gehört thematisch zur letzten Strophe. Die falsche Plazierung von 15 brachte dies durcheinander. Zum Wildschaden als Bild für Kriegsschäden, vgl. Jer 12,8ff.; Jes 56,9. 16*—20: Fünfte Strophe: Bitte und Versprechen (die 3+3-Struktur ist lädiert; 16b entspricht 18b ziemlich genau; 19a ist hinter 19b einzuordnen). Der Text läßt noch erkennen, daß eine Bitte vorliegt, die Gott um Intervention angeht (15) für seinen Weinstock (16a) und „einen Sohn" (16b; „eines Menschen Sohn" nach 18b), gegen die Verwüster, die untergehen sollen (17): seine Hand möge „den Mann seiner Rechten" (den König?) schützen (18), dann verspricht die Gemeinde, Treue zu halten und Lob zu singen (19). Ein Rätsel bleibt der „Menschensohn" in 16b.18b. Durch die vorgeschlagenen Umstellungen gewinnt man einen aussagestärkeren Text in drei Zeilen. 15aß|l7b: „Blicke vom Himmel (und sieh) und suche heim (diesen Weinstock),| vom Schelten deines Mundes (TD, statt "P3S „deines Angesichts") werden sie zugrunde gehen." Vgl. Jes 63,15; Ps 14,2, dann das Motiv „Schelten" 18,16; 76,7; 104,7, gegen Feinde Jes 51,20; 66,15 u. a. 18a|b: „Deine Hand sei gegen die Männer (,deiner Rechten' aus 16, neben T irritierend),| gegen (den Sohn der) Menschen, die du hast stark werden lassen." Es ist primär ein Wort „gegen" ("757) Feinde. Zum „Menschensohn-Wort" wurde es erst durch das Verständnis von TQN pi im Sinne von „groß ziehen" und die Einfügung von p . Gott wird vorgeworfen - wie 13a - , er habe die Feinde erst durch Duldung und Erziehung groß und stark werden lassen, um sie gegen seinen Weinberg einzusetzen. Erst die Einfügung macht aus 18 ein kryptisch-messianisches Wort (Anklang an 110; 18). Im Kontext von 2f. schwer zu integrieren. 19b| 19a: „Mach uns wieder lebendig, so werden wir deinen Namen anrufen| und werden von dir nicht weichen." Ein Lobpreis- und Treuegelübde der Gemeinde für den Fall der Erneuerung des Lebens, ein Gebetsmotiv, das mit dem Interesse am Lobpreis rechnet, das darüber hinaus das schier Unmögliche verspricht, nämlich Treue. Der Kehrvers nimmt den Gedanken der Wiederherstellung auf. Es ist nicht unmöglich, daß er aus 19 entstanden ist und sekundär zwischen die Strophen geschoben wurde, als man das nordisraelitische Klagegebet zur exilischen Gebetsliturgie und zum nachexilischen Kulttext umgestaltete - das Schicksal der Asaph-Psalmen.

Psalm 81 1

Für den Chorleiter: Auf der Gititischena. Von Asaph.

2

Laßt jubeln für Gott, unsere Stärke3, feiert für Jakobs Gott! Hebt an mit Saitenklang und Paukenschlag, mit lieblicher Laute samt Harfe! Stoßt ins Horn am Neumond, am Vollmond 3 , für den Tag unsres Festes!

3 4

320

Asaph-Psalter

s

J a , Satzung für Israel ist das, Recht für den Gott a Jakobs.

6

Ein Gesetz, niedergelegt in Joseph bei seinem Auszug gegen3 das Land Ägypten. Eine Sprache, die ich nicht kenne, höre ich: Ich habe von der Last seine8 Schulter befreit, seine Hände sind dem Tragkorb entkommen. In der Not, wenn du rufst, rette ich dich, antworte dir, verborgen im Donner. Ich will dich prüfen am Haderwassera. Sela. Höre, mein Volk, denn ich will dich verklagen, Israel, wenn du auf mich hörst. Nicht soll bei dir sein ein fremder Gott, und nicht sollst du anbeten einen ausländischen Gott! Ich bin JHWH, dein Gott, der dich aus dem Lande Ägypten heraufgeführt. Öffne deinen Mund, dann will ich ihn füllen! Aber mein Volk hat nicht auf meine Stimme gehört, und Israel war nicht meines Willens. Da gab ich es a hin in die Härte b ihrer Herzen, sie sollen wandeln nach eigenem Rat. Wenn mein Volk auf mich hören würde, wenn Israel auf meinen Wegen gehen würde9! Wie leicht würde ich ihre Feinde niederwerfen und gegen ihre Bedränger die Hand wenden! Die JHWH hassen, schmeicheln3 ihm, und ihre Zeit b wäre für immer. Und er a speiste es von Fett (und) Korn b , und aus dem Felsen0 habe ich dichd mit Honig gesättigt.

7 8

9 10 11

12 13 14 15 16 17

Ps 81

l a S. zu 1. 2" M: TS I oder: TS II .Schutz'. 4 a Lw. im Hbr, vgl. Prv 7,20 (HAL). 5" Wahrscheinlich ersetzt Tl^x'? ein ursprüngliches '^HN1? „für die Zelte Jakobs". 6 a M: "757, G, V mit Ex 20,2 p „aus". T Ursprünglich wohl Rede Israels ( I . P . ) : „meine Schulter", „meine Hände". 8 a M: n a n a 'S "?». 13 a G, 2 : „sie" (angepaßt). - b MasPs: n i m ® statt des selteneren r i n n « ; (M). 14 a PI („sie"). 16" Oder I ^ D 1 „sie straucheln". - b Besser Dnns?a „ihr Schrecken". 17" Wohl ursprünglich 1. P. - b Copula. - e n x n für ursprüngliches Hixa „aus Waben"? Vgl. Dt 32,13. - d Die Anrede zeigt, daß 17b zu I I a gehört. Literatur: B . Z . LURIA, DnSKÖ D'^nn niBTB (Ephraimite Psalms), BethM 73 (1978) 1 5 1 - 1 6 1 . P. AUFFRET, Note sur la structure littéraire du Psaume L X X X I , VT 29 (1979) 3 8 5 - 4 0 2 . - T. Boou, The Background of the Oracle in Psalm 81, Bibl 65 (1984) 465 - 475. - N . LOHFINK, Noch einmal hôq umispät (zu Ps 81,5f), Bibl 73 (1992) 2 5 3 - 2 5 4 . -

321

Ps 81

Teil II: Auslegung

Buch III

Ps 81 ist in seinem überlieferten Zustand ein stark lädierter, um nicht zu sagen ruinierter Text. Zwei Textbrüche fallen ins Auge; sie belegen das denkwürdige Geschick des Psalms. Zuerst fällt auf, daß der Anfang 2—5 zu der Fortsetzung 6ff. nur schwer paßt, daß in 6 ff. eine theologische Interpretation einer Existenzkrise Israels anhand des ersten Dekaloggebots vorliegt, in 2ff. aber eine Belehrung über die Grunddaten der JHWHVerehrung in einer Diaspora(?)-Gemeinde. Wahrscheinlich liegt wie bei 50 die Bearbeitung eines exilischen Grundtextes vor. Zweitens deuten Ungereimtheiten wie die Stellung von 6b.7.8.11b.l6a.l7b sowie die unnatürliche Reihenfolge 2—4 daraufhin, daß der bearbeitete Text durchaus eine poetische Struktur hatte, die aber durch Umstellungen (vor allem bei 5 und 6ff.) verloren ging. Eine Restauration könnte folgendes Aussehen haben: Fünf Strophen zu vier (I) bzw. drei Zeilen ( I I - V ) : 4.3.2(5)| 9.6a.lla+10b| 8 a . l l b + 17b. 12|8b+6b.7.13| 14.15.17a+ 16b. Sekundäre Glosse scheint 16a = 66,3 zu sein. Der Text ist sonst recht gut erhalten: 2 - 3 sind in 4QPs e , 2 - 9 in llQPs c , 4 - 1 0 in llQPs d , 2—17 in MasPs (in Halbstichenschreibung) bezeugt. Die Umstellungen sind demnach bewußt geschehen (wie bei 50) und keine Textschäden oder Abschreibeversehen. Die Phasen der Geschichte sind: 1. exilisches Gotteswort, prophetische rffr-Rede (9.6ff.), wohl mit dtr Hintergrund (Rib-Gattung, Dekalog, Hauptgebot); 2. Belehrung in kultischen (Kalender-) Fragen für eine randständige, tempelkultferne DiasporaGemeinde (mit Mondkalender, ohne Sabbatwoche?) (2ff.); die Rib-Rede wird zum Geschichtsparadigma: So war es am Anfang beim Exodus. Kann es wieder so werden? 3. Der Text wird als Asaph-Psalm tradiert und - „durchgeschüttelt" - für liturgische Verwendung (1) freigegeben. Die Bearbeitungen haben seine Sinnaussage eher verdunkelt als erhellt. 1: Überschrift, aus zwei Teilen bestehend (G drei, zusätzlich tpot.X¡xó3) unterstreicht diese Absicht. Nach den horizontalen Bewegungen und Begegnungen in 11 folgt die vertikale in 12. ,Treue' und .Gerechtigkeit' (besser ,Huld', vgl. 14) nähern sich, erstere aufsteigend von der Erde (wie eine Pflanze), letztere vom Himmel her aufgehend (wie die Morgenröte, Cant 6,10, oder die Sonne), menschliche wie göttliche Verhaltensweisen darstellend. Auch diese gehen aufeinander zu (Alliteration m, Lautspiele 'm m ; m s - ns u. a.). 13 versteht die Metaphorik des Heils von 12 sehr real und legt sie auf den Erntesegen „unseres Landes" hin aus. Ihn gibt JHWH; der Boden gibt (dann) seinen 336

Ps 85

Qorach-Psalmen

David-Psalm

Ps 86

Ertrag, vgl. die Verkettung Hos 2,21f.; 65,10f. 14 bringt die Heilsgrößen direkt mit Gottes Erscheinen in Verbindung (/-Alliteration). ,Gerechtigkeit' geht vor ihm her, ,Frieden' folgt der Richtung seiner Schritte. Wo er ist, treten sie auf, Folgeerscheinungen seiner Epiphanie, die am heiligen Ort erfahrbar wird (M betont bei irrtümlicher Lesung die Wegspur, die seine Schritte setzen). Die Antwort auf die Fragen 6—8 gibt die Feier, von der 9f. sprechen und zu der wohl der ganze Psalm liturgisch gehört.

Psalm 86 1

2

3 4 5 6 7 8 9

lü 11 12 13

Ein Gebet von David. Neige, JHWH, dein Ohr und erhöre mich, denn elend und arm bin ich! Beschütze meine Seele, denn ich bin fromm! Hilf deinem Knecht - du bist mein Gott der auf dich vertraut! Sei mir gnädig, Herr, denn zu dir rufe ich den ganzen Tag! Mache die Seele deines Knechtes fröhlich, denn zu dir, Herr, trage ich meine Seele! Ja du, Herr, bist gut und nachsichtig und groß an Güte für alle, die dich anrufen. Vernimm doch, JHWH, mein Gebet und achte auf die Stimme meiner Appelle 9 ! Am Tage der Not will ich dich rufen, denn du erhörst mich. Es gibt keinen wie dich unter den Göttern, Herr, nichts ist deinem Werk gleich! Alle Völker, die du gemacht hast, werden kommen, und sie werden anbeten vor dir, Herr, und deinen Namen ehren, Ja, groß bist du und tust Wunder, du allein bist Gott. Lehre mich, JHWH, deinen Weg, daß ich wandle in deiner Treue! Sammle3 mein Herz, deinen Namen zu fürchten! Ich will dich, Herr, mein Gott, von ganzem Herzen preisen und deinen Namen ehren allezeit. Ja, deine Güte ist größer als ich, und du wirst meine Seele retten aus der Tiefe der Unterwelt. 337

Ps 86 14

15 16

17

Buch III

Teil II: Auslegung

Gott, Vermessene haben sich erhoben gegen mich, und eine Gruppe von Gewalttätigen trachtet nach meiner Seele. Aber sie haben dich nicht vor Augen! Und du, Herr, bist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und groß an Güte und Treue! Wende dich mir zu und sei mir gnädig ! Gib deinen Schutz deinem Knecht und hilf dem Sohn deiner Magd! Tue an mir ein Zeichen zum Guten, damit es sehen, die mich hassen, und sich schämen, daß du, JHWH, mir geholfen und mich getröstet hast!

6" PI f nur hier: „einzelne laute Gnadenrufe" (Einzelplural).

11° i r p pi nur hier. -

Literatur: G. GIAVINI, La struttura letteraria del Salmo 86, RBibJt 14 (1966) 4 5 5 - 4 5 8 . - P. AUFFRET, Essai sur la structure littéraire du Psaume L X X X V I , V T 2 9 (1979) 3 8 5 - 4 0 2 . -

Der Text bildet ein lockeres Gefüge von vorgeprägten Versen und Wendungen, das an die Benützung eines Repertoires von hymnisch-liturgischem Gebetsgut denken läßt. Das in konventioneller Sprache gehaltene Korpus zeigt eine doppelte Ordnungsstruktur, welche auf die Entstehungsgeschichte zurückschließen läßt. Die Oberflächenstruktur gliedert den Text durch Einführung einer Doxologie in 5.10.15, die ihrerseits aus dem Schriftzitat Ex 34,6 lebt, in vier fast gleich große Strophen und gibt dem Text eine „konzentrische" Anlage, die in 10 ihre Mitte hat, während lff. und 16f. sich entsprechen. Auch scheint sie den Versrhythmus durch Einfügung zahlreicher Anrufungen auf ein 4+4-Maß zu erhöhen. Entstanden ist dadurch eine strophische, fast ausschließlich aus einzelnen Anrufungen bestehende, litaneiartige Liturgie. Die innere Struktur aber bildet ein konventionelles Bittgebet in der Abfolge: Bitten - Lobpreis - Lobgelübde Klage - Bitte, zusammengesetzt aus formelhaftem Gut, wohl als Gebetsvorlage, jedoch ohne die Fülle der Anrufungen, gehalten im 3+3-Metrum. 86 ist verwandt mit 25, den allerdings ein akrostichisches Muster zusammenhält. Die Thematik ist dieser Entstehung zufolge von genereller Typik (Gebet), von hohem theologischem Anspruch und von Schriftgelehrsamkeit geprägt. Textfüllungen sind in 2.9.14, -Verluste in 16f. zu vermuten .Jeder einzelne Vers zeigt alliterative und assonantische Gestaltung - oft in paarweise gefügten Wörtern (z.B. 1.4.12.17) - , wie es bei liturgischen Texten üblich ist. Aus unbekannten Gründen geriet der Text in den Anhang des Qorach-Psalters (vgl. 85,11 mit 86,15; 86,9 mit 87). 5 - 8 sind in lQPs a , lOf. in 4QPs e , 11-14 in llQPs c und 16f. in 4Q381,15 bezeugt. 9 wird teilweise in Apc 3,9; 15,4 zitiert. l a a : Überschrift wie 17,1, vgl. 90; 102; 142; 72,20; Hab 3,1. Der David-Ps unter den Qorach-Ps 84ff. zeigt redaktionelle Durchmischung an. laß—4: Imperativische Bitten, teils im Dreier-, teils im Vierer-Metrum. 86 beginnt mit einer Reihe von Gebetsbitten, die eigentlich bis 7 reicht (dann wieder 11.16f.), unterbrochen in 5 durch eine kehrversartige, in 10.15 variierte, Lobpreisung. Dieser Kehrvers gliedert den Text in 4 ungefähr gleich große Strophen, deren erste 1—4.5 umfaßt. Es 338

David-Psalm

Ps 86

beginnt mit der Bitte um Gehör, die mit der beklagenswerten Lage des Beters begründet wird (1 mit klagenden Lautfiguren und Alliteration). Die Wendungen gehören zum Repertoire der Individualgebete. Es finden sich zahlreiche Parallelen, z.B. 17,6; 88,3; 102,3 und 40,18, also vor allem auch in Krankenpsalmen. Dies entspricht der Selbstdarstellung des Beters als rechtlos ('JS?) und mittellos (VT3K), als ins; JHWHs (2.4.16), der sich anbetend und bittend seinem Herrn ('HK 7mal: 3.4.5.8.9.12.15) nähert. So bittet er um „Zuneigung" (1) und um Bewahrung und Hilfe (2). 2, erweitert wohl aus 3a und anderswoher (vgl. 25,20), gibt eine mehrfache Begründung: der Status als v o n (vgl. 16,10; 79,2) verlangt Beistand; das Bekenntnis des Frommen: „Du bist mein Gott" (wohl aus 3a) erinnert an die fundamentale gegenseitige Beziehung; das Vertrauensverhältnis des Knechtes (nü3) ist ungebrochen und darf nicht enttäuscht werden. 3formuliert den Gnadenappell, das letzte Recht des Verlierers und Verlorenen, auf das der Beter pocht (3b, vgl. 6,3; 9,14; 25,16 und häufig). 4 enthält die Bitte um Wiederherstellung der „Lebensfreude" in der Seele, die zu diesem Zweck im Bilde emporgehoben wird (vgl. 25,1; 143,8). Ähnliche Bitten: 51,14; 90,15. 5: Lobpreisung (4+4/3). 5 unterbricht die Folge der Bitten. In der Funktion der Doxologie versucht sie die besonderen Eigenschaften des Gepriesenen hervorzuheben und ihm und sich selbst in Erinnerung zu rufen. Der Satz, mit Affirmativpartikel und doppelter Anrede versehen, entspricht den Nominalsätzen in den Begründungen der Bitten lff. einerseits und den hymnischen Prädikationen der Nominalsätze in (8)10.15 andererseits. Er beruht wie die Variationen in 10.15 auf Ex 20,6; 34,6; Nu 14,18 und scheint das Ergebnis schriftgelehrter theologischer Arbeit zu sein, die mit dem Thema des Namens JHWHs befaßt war (9.11.12), vgl. 25,11; 103,8. Gepriesen wird die Güte und Nachsicht und Fülle der Gnade, die „der Herr" allen zu erweisen bereit ist, die ihn anrufen. Der Beter zählt sich zu ihnen. 6—9: Bitten und Lobwünsche (gleiches Mischmetrum wie 1 ff.6f.) setzen das Bittgebet fort. Die Erhörungsbitte von 1 wird wieder aufgenommen. 6 nennt die Reihe der Bittsätze eine n^sn und: mit lauter Stimme vorgebrachte Gnadenappelle (pl 28,2.6; 31,23; 116,1; 130,2; 140,7). Zu beachten sind die Lautfolgen mit n und n. 7 deutet eine Notlage an, ohne sie zu konkretisieren (vgl. 17,6; 20,2 u. a.). Der Vers scheint verkürzt. 7f. erheben sich aus dem Bittgebet zu hymnischer Anbetung. JHWHs Unvergleichbarkeit unter den Göttern wird gepriesen (vgl. 82; 95,3; 96,4f.), d.i. seine Einzigartigkeit und die seiner Werke - ergänzt aus 9a - , wohl in Schöpfung und Geschichte, durch die alle Völker zur Anbetung und Verehrung JHWHs genötigt werden, vgl. 22,28f.; 66,4 und besonders 87. Auch 8f. klingen formelhaft und konventionell, geschöpft aus dem Repertoire hymnischer Überlieferung (vgl. Ex 15,10f.; Dt 3,24). 10: Lobpreisung (wie 5). 10 bildet in jeder Hinsicht den Höhepunkt. Nach den hymnischen Ansätzen in 8f. faßt er in einem Spitzensatz theologisch zusammen, was zum JHWH-Namen-Bekenntnis gehört. In der Art von 5.15, unter Verwendung hymnischer Wendungen wie 72,18; 77,14f.; 83,19, vor allem des Begriffs mK^s: nw» „der Wunder tut", angelehnt an das dt Grundbekenntnis zu dem einen und einzigen Gott (Dt 6,4), bietet er eine superlativische Aussage zum Wesen JHWHs. Im Kontext der Vorstellungen von der Elativität („groß bist du") und Singularität hat mx^DJ seinen Stellenwert als die Bezeichnung für die diesem Wesen entsprechenden Handlungen. 11—14: Bitten, Lobversprechen, Klage (wie lff.). Was sekundär durch 10 und 15 zur Strophe zusammengefaßt wird, ist primär Teil des Gebets. In 11 ergeht die Bitte um 339

Ps 86/87

Teil II: Auslegung

Buch III

Belehrung über den „Weg JHWHs", d.h. wohl über seinen Willen im Blick auf den Beter. 11 knüpft insofern an 7 an, als er eine Auskunft wünscht über das, was er konkret zu tun hat ( ' J n n , vgl. m i n ) . Im Rückblick erscheinen 8ff. als Doxologie sub voce Weg und Willen JHWHs, die als einzigartig und einmalig und darum für den Beter als wegweisend gepriesen werden. Ähnliche Wendungen wie 11: 25,5; 27,11; 143,8.10. 12 enthält das Lobgelübde, formuliert wie 9,2; 52,11 u.a. Für den Fall - und es ist gewiß, daß er eintreten wird, denn die Gnade JHWHs ist größer als er selbst (13a) daß er vor der Unterwelt gerettet wird, verspricht er Lobpreis und Ehrung (12b). In 13f. klingt an, daß er sich vom Tode bedroht sieht. Bereits ist die Seele in der Tiefe der unteren Welten, wo der Tod regiert. Zu den Tiefenvorstellungen der Unterwelt 56,14; 88,7; 116,8; 130,1 und Ez 32,23. Nach 14 ist an eine Feindbedrohung gedacht: Ganze Gruppen von Gewalttätern und „Vermessenen" trachten ihm nach dem Leben. Der Vers ist mit 54,5 nahezu identisch (zumindest 14b folgt dem Zitatzwang; hier ist es überzählig). Doch sind es dort nach M: fremde, d.h. ausländische Gewalttäter. Die formelhafte Wendung läßt keine Konkretion zu (vgl. 1.7.13). 15: Lobpreisung (wie 5.10). 15 liegt näher bei Ex 34,6 als 5 und ist - zumindest in der Überlänge d e s M - a l s Schriftzitat zu bezeichnen wie 103,8; 145,8, vgl. Neh 9,17; Jon 4,2; Jo 2,13. Es ist die zum Credo gewordene Definition des Namens JHWHs. Dominant sind im Vergleich zu 5 und 10 hier die Aussagen zur Barmherzigkeit (Olm), Gunst (T^n), Langmut und in Treue bewährte Güte (riötO 10n). Es sind umfassendste Wesensaussagen und höchstmögliche Glaubenssätze, nur im Lobpreisbekenntnis zu wagen (und durch die Schrift legitimiert, denn Ex 34,6 ist längst kanonisiert). 16-17: Imperativische Bitten (näher bei 3+3 als zuvor). Das Gebet kehrt zum Anfang zurück, so daß sich eine konzentrische Struktur abzeichnet (Auffret). Die Anfangsbitten um Zuwendung, Begnadigung und Beistand werden wiederholt (16). Der Beter bezeichnet sich wieder als Knecht, ja als „Sohn deiner Magd", in weitergehender Selbsterniedrigung (116,16) als in lff. Neu ist die Bitte um ein „Zeichen zum Heil", welches denen, die ihn hassen, zur Schande, ihm selbst aber zu Hilfe und Trost gereichen soll (17). So zum Paradigma geworden wäre sein Fall ein überzeugendes Thema für den versprochenen Lobpreis (12) und geeignet zur Demonstration der Wahrheit der in 5.10.15 ausgesprochenen Glaubenssätze.

Psalm 87 1 2 3 4

340

Von den Qorachiten. Ein Psalm. Ein Lied. Seine Gründung3 geschah auf heiligen Bergenb. JHWH liebt die Tore Zions mehr als alle Wohnungen Jakobs. Ehrenvolles wird von dir geredet3, du Stadt Gottes. Sela. Rahab und Babel zähle ich zu meinen Bekannten; sieh Philistäa und Tyros samt3 Kusch dieser ist dort geboren -

Qorach-Psalmen

Ps 87

aber zu Zion wird gesagt 3 : Mann für Mann ist darin geboren; und er wird es festigen, der Höchste. J H W H möge schreiben ins Verzeichnis 3 der Völker: dieser ist dort geboren. Sela. Und Sänger 3 wie Tänzer, alle meine Quellen b sind in dir.

5

6 7

3" M pu, pi? 4 a G las DS. 5 a G: [xr^rfi Hicov. spei av0pco7:oc; kumuliert, l a Vrs pl. - b S sg. a bezeugt aber ein in M fehlendes DN ,Mutter'. 6 Die Vrs bezeugen 31133 (G: ev ypatpf;). T Mss und Vrs lasen: Dniin (asy/jvTEc;)- - b TS?», besser TVQ „Wohnung" mit G (xaToixia) prp ^COSD von rusr IV .besingen'. Literatur: E. Z E N G E R , Psalm 87,6 und die Tafeln vom Sinai, in: Wort, Lied und Gottesspruch. FS J. Ziegler, fzb 2, Würzburg 1972, 97-103. - T . Boou, Some Observations on Psalm lxxxvii, VT37 (1987) 16-25. - M. S. SMITH, The Structure of Psalm lxxxvii, VT38 (1988) 357-358. - E. Z E N G E R , Zion als Mutter der Völker in Psalm 87, in: N. Lohfink/E. Zenger, Der Gott Israels und die Völker, SBS 154(1994) 117-150.-

Ps 87 gilt als Zionspsalm. Doch ist der Text in merkwürdiger Unordnung überliefert, so daß an Umstellungen zu denken ist. Zwei Themen überkreuzen sich: der Preis der Heiligen Stadt und die Gratulation für einen, der von dort stammt. „Dieser ist dort geboren" bildet eine Art Refrain (4b.Saß.6b) und zeigt die mögliche Wiederverwendung eines hymnischen Textes an. Diese könnte durch Umdisposition in 2.Ib.5b.7.3.4 gesehen werden, während 6 zu dem „Geburtstagsgruß" gehört. Es ist nicht unmöglich, daß der Hymnus auf die Gottesstadt im ursprünglichen Kontext der Qorach-Psalmen nicht Zion, sondern Dan galt. Die Indizien im Text („Wohnungen", Jakob in 2, vgl. 46,5; „Quellen" in 7, vgl. 84,7) indes sind undeutlich, zumindest undeutlich geworden. Der Text hat sichtlich gelitten, wie G beweist, die z.T. den klareren Text bezeugt (DK in 5a, vgl. 6.7). Dies ist eine Folge der mehrfachen Verwendung, die nur eine relative Datierung zuläßt. Die jüngste Verwendung ist wohl die individuelle. la: Dreiteilige Überschrift, doppelte Verwendung anzeigend, Kunstlied und Kultlied (TW).

lb.5b: Gründung. 3+3. Ursprünglich nicht der Anfang wie der unklare Suffixbezug zeigt: eine Gründung JHWHs. Gemeint ist ein heiliger Ort, der nach mythischer Vorstellung auf den Ur-Bergen gegründet ist und selbst „heiliger Berg" ist (vgl. 48,2f.; Jes 2,2ff.). Die Parallelaussage findet sich in 5b. Dort ist Subjekt „Er" bzw. der Höchste und Objekt „Zion - Jerusalem" (f). Heiligtümer sind im alten Orient göttliche Gründungen. 2: Erwählung. 3+3.3+3. Offenbar der eigentliche Anfangsvers; er besingt in hymnischem Stil die Vorliebe JHWHs für die „Tore Zions", d. i. die Stadt Jerusalem unter allen „Wohnstätten Jakobs". Letzteres ist eine traditionelle Bezeichnung für die „Zeltwohnungen", hier wohl zunächst Israels (wie 78,28; vgl. 46,5; 43,3; 132,5.7). Oder ist ein „El" ausgefallen: des Gottes Jakobs? 3: Rühmung. 3+2(?). 3 - wohl am falschen Ort - redet unvermittelt Jerusalem selbst an, genannt „die Stadt Gottes" (wie 46,5; 48,9), und weist daraufhin, daß „Ehrenvolles" von ihr geredet wird. Wer Subjekt der rühmenden Rede ist, ist dem Passiv zu entnehmen. Sela kündigt vielleicht das folgende Zitat an. 341

Ps 87/88

Teil II: Auslegung

Buch III

4a.5a: Auszeichnung. Indizien für 3+3. Im Ich-Stil persönlichen Bekennens wird Zion-Jerusalem gepriesen. Nach 3 wäre es Gotteswort, nach 5bff. eher Sängerwort. Verglichen wird Jerusalem mit Rahab-Symbol Ägyptens (Jes 30,7; 51,9) - , mit Babel, Philistäa, Tyros und Äthiopien (UHD). Ob diese Konstellation für eine Epoche und ihre Perspektive typisch ist, ist im Blick auf mögliche Ergänzungen fraglich. Über jene Länder und Städte wird gesagt, er zähle sie zu seinen Bekannten. „Zu Zion" hingegen sage man: ,Mutter' (G rettet den Sinn). Jedenfalls sagt es der, „der geboren ist da", d.h. in Jerusalem. Hier wird etwas vom Sinn des Psalms deutlich. Offenbar wird „der Mann" gerühmt und beglückwünscht, der in Jerusalem geboren ist. Das zeigt der betonte (dreifache 4b.5a.6b) Verweis auf „diesen (hier), der da geboren". Es geht um den gebürtigen und geborenen Jerusalemer, den Sohn der heiligen Stadt. Auf ihn geht dieser Glanz über, den lb—3 beschreiben. 6: Folgerung. 3+3(?). JHWH möge die „natürliche" Gnade des Jerusalemers festschreiben „im Buch der Völker". Dies wünscht 6, damit das Privileg erhalten bleibt. Offenbar ist an eine Art Bürgerliste gedacht, ein „Grundbuch", das die besonderen Rechte des Jerusalemers verzeichnet (vgl. Jes 4,3). Oder, es soll in das Völkerverzeichnis, das JHWH zu führen scheint, der Vermerk eingetragen werden: „Dieser ist dort d. h. in Jerusalem - geboren". 6 klingt wie ein Schlußsatz. Das Sela ist nicht eindeutig. 7: Textlich wie sachlich unklar, scheint 7 Rest eines aus dem Korpus verdrängten Verses zu sein. Am ehesten vorstellbar wäre sein Platz im Zusammenhang mit 3 als irdisch-festliches Pendant zu der Ruhmrede JHWHs über Jerusalem. Sie wird singend und tanzend bestätigt. Nicht ganz abwegig ist die Annahme, daß 7 einst den, vielleicht nach jedem Halbvers gesungenen, Refrain 4b.5aß.6b einleiten sollte. Oder sollte auf die „Wohnungen" (G) wie 46,5 oder ursprünglich gar auf „Quellen" wie 84,7 Bezug genommen sein? Der Text bleibt rätselhaft.

Psalm 88 1

Ein Lied. Psalm von den Qorachiten. Für den Chorleiter: Nach „Krankheit" zu singen8. Ein Lehrgedicht von Heman, dem Esrachiterb.

2

JHWH, Gott meines Heils, bei Tag schrie ich, des Nachts (bin ich) vor dir.a Vor dich komme mein Gebet! Neige dein Ohr meinem Schrei3!

3 4 5

342

Denn gesättigt von Leiden ist meine Seele, und mein Leben hat die Unterwelt erreicht. Gezählt zu denen, die in die Grube steigen, bin ich geworden wie ein ohnmächtiger3 Mann.

Qorach-Psalmen

6

Bei den Toten ist mein Lager®, gleich den Erschlagenen6, die im Grabe liegen. An sie denkst du nicht mehr, und sie sind deiner Hand entzogen.

7

Du hast mich in die unterste Grube versetzt, in Finsternisse, in Meerestiefen8. Auf mich hat sich dein Grimm gelegt, und du hast mich mit all deinen Wellen niedergedrückt9. Du hast meine Bekannten von mir entfernt, hast mich ihnen zum Abscheu3 gemacht. Gefangen kann ich nicht heraus. Mein Auge schmachtet vor Elend.

8 9

10

11 12 13 14 15 16 17 18 19

Ps 88

Sela.

Ich rufe dich, JHWH, an jedem Tag, habe meine Hände ausgebreitet zu dir. Tust du Wunder an den Toten? Oder stehen Schatten3 auf und preisen dich? Sela.b Erzählt man im Grab von deiner Huld, von deiner Treue im Totenreich? Wird in der Finsternis dein Wunder3 erkannt und deine Gerechtigkeit im Land des Yergessens? Ich aber schreie zu dir, JHWH, und am Morgen kommt mein Gebet vor dich. Warum, JHWH, verstößt du meine Seele, verbirgst dein Antlitz vor mir? Elend bin ich und sterbend3 von Jugend an, habe deine Schrecken getragen, ich.. . b Über mich sind deine Gluten hinweggegangen, deine Schrecknisse haben mich zum Schweigen gebracht3. Sie umfluten mich wie Wasser den ganzen Tag, dringen auf mich ein von allen Seiten. Du hast entfernt von mir Freund und Genosse, meine Bekannten - finstere Stelle3.

1" m : ^ mit unsicherer Bedeutung, evtl. von r m IV .singen'. - b G, A: „des Israeliten". 2" So M extra metrum. Verbesserungen BH(S). 3" ,gellender Schrei', ,Jubel', .Klage'. 5" aramLw. hpleg:,Kraft'. 6" Ableitung von tPSn ,Stoff' (Nötscher nach Ez 27,20), evtl. akkLw., nicht von , trsn .Freigelassener' etc. - b G* zusätzlich: „Hingeworfene". T G: „Todesschatten". 8° r m II pi, oder H3K pi: .widerfahren lassen' (vgl. G, S). 9" M pl, pc Mss, G, S 16" sg. l l a G : iaxpoi (von SSI ,Arzt'). Vgl. HAL. - b Fehlt G, S. 13" Pc Mss, G, T pl. SU ,umkommen', ,sterben'. - b rUISX ist unklar. G übersetzt: „war ich ratlos" (¿^r]Topr)0r]v), vgl.

343

Ps88

Teil II: Auslegung

Buch III

Hier. Meist korrigiert zu ruiSX von J1B ,erkalten', ,erschlaffen'. 4QPs s bezeugt offenbar: rniDN, abzuleiten von "HB I hi ,brechen' oder besser noch von "HS II q ,sich wälzen', so daß etwa zu übersetzen wäre: „ich wälze mich". IT ' j n m a x redupliziert. 19" -|B/na, pl 143,3; 74,20; Thr 3,6 („Grabhöhlen"), möglicherweise textkritisches Notat. Korrekturvorschlag: 'JriDtP „haben mich vergessen". -

Literatur: H. D. P R E U S S , Psalm 88 als Beispiel alttestamentlichen Redens vom Tod, in: Der Tod ungelöstes Rätsel oder überwundener Feind, hg. v. A. Strobel, Stuttgart 1974, 63—79. - E . HAAG, Psalm 88, in: Freude an der Weisung des Herrn, FS H. Groß, SBB 13 (1986) 149-170. - K.-J. ILLMAN, Psalm 88 - A Lamentation without Answer, SJOT5/1 (1991) 112-120. - W.S. PRINSLOO, Psalm 88: The Gloomiest Psalm?, OTEs 5 (1992) 3 3 2 - 3 4 5 . Ps 88 ist das Klagegebet eines Todkranken mit stark reflexivem Einschlag (Haag). Es hat eine ebenmäßige Form mit 3+3-Stichen. Die überlieferte Textanordnung überdeckt möglicherweise ein ursprüngliches Strophenschema von fünf-mal-vier-Zeilen (4—6.7— lOaa.lOaß—13.14—17.18—19), das durch die Anrufungen in 2.3 am Anfang und durch das abrupte Ende in 19 (nur eine zweizeilige Strophe 18—19) seine Akzente erhält. Unklar ist die Funktion von Sela in 9 und 11. Das Gebet ist als Hilfeschrei stilisiert und trägt Züge bewußter Lautgestaltung (viele ¿-Lautfiguren, Alliterismen u. a.). E s hat ein gedankliches Gefälle, kreist aber in allen Teilen um das Thema Tod. Seine Verwurzelung in persönlicher Erfahrung ist nicht zu bezweifeln. Sein Ort ist die Profanität des Krankenlagers (s. zu 6). Ü b e r Zeit und Herkunft ist wenig Bestimmtes zu sagen. Die Überschrift weist den Text der Qorach-Gruppe (und Heman!) zu. E r steht am Ende der Reihe. Offenbar fand er erst spät zu der Gruppe. Mehr als „wohl nachexilisch" ist zur Datierung nicht zu sagen. Der Text ist an einigen Stellen (Ende 16.19) nicht oder nur schwer verständlich. 1—5 sind in 4QPs e , 15 — 17 in 4QPs s bezeugt. 1: Überschrift, mehrteilig, wohl Ergebnis einer Kumulation, welche eine Unsicherheit bei den Redaktoren verrät: „Kultlied" (TtP) sowie „Kunstlied" ("11010) sowie „Lehrgedicht" oder „Wechselgesang" (VDWa), Verfasserschaft der Qorachiten sowie Hemans, des Esrachiters, - neben Etan ein Weiser ( 1 R 5,11), mit Etan ein Sohn Zerachs ( I C h 2,6; 89,1) bzw. neben Etan und Asaph ein levitischer Sänger ( I C h 6,16ff.). Die Zuschreibung ist unklar wie die Melodieangaben nach einem Lied, das mit n^na, hier wohl „Krankheit", beginnt (vgl. 53,1). Sie deutet eine Nachtragsposition an wie 89,1 (vgl. 8 6 - 8 9 ) . 2—6: Anrufung aus der Abgeschiedenheit; Grundmaß 3 + 3 ; ohne deutlichen Abschluß in oder nach 6. Ein erster strophenartiger Teil des Gebets beginnt mit der Anrufung (2). Sie gilt nach M dem „Gott des Heils", worin sich ein persönliches Bekenntnis des offensichtlich schwer geschädigten Beters ausspricht (vgl. 3,3.9; 13,6; 35,3.9; 6 2 , 2 f . 7 ; 69,30 u . a . ) . Der Lage entsprechend erfolgt die Anrufung als ständiges Schreien, d.i. unliturgisch. Insofern besteht die Sorge, sie möge als laut geschrienes Gebet Gottes Ohr erreichen, t als auffallend bevorzugter Konsonant im Psalm wie die mit l gebildeten Silben (-illätÜ-innäti), speziell in 3, zeigen das gellende Schreien an. Grund des Klageschreis ist die in 4ff. geschilderte Todesnot. D e r todgeweihte, doch wohl todkranke Beter, fühlt sich in die Scheol versetzt. Schwere Krankheit ist ein Leben zum Tode und im Tode (C. Barth). Das Leben hat die Todesgrenze berührt (5713 hi, 4). So wird es auch von der Umwelt beurteilt (vgl. Jes 38,18; Ps 28,1; 30,4; 143,7): er gilt als tot bzw. ohn-mächtig C7,N"|,X hpleg), ein „Schatten" seiner selbst (5). E r liegt auch schon „bei den T o t e n " , wie die Erschlagenen im Grabe (die Ableitung des 'WDn als ,meine 344

Qorach-Psalmen

Ps 88

Stoffdecke', ,mein Lager' erleichtert das Verständnis von 6), vielleicht ganz real, jedenfalls in einer Zone der völligen Abgeschiedenheit vom Leben, vom Wirkungskreis JHWHs, außerhalb seines „Gedenkens" und seines Handelns (vgl. Jes 38,10ff.). Doch hört der Beter nicht auf zu gedenken und zu schreien. 7—10aa: Beschwerde gegen grausame Behandlung (3+3). Mit diesen Versen einer zweiten Strophe geht der Beter zur Anklage über. Die emphatischen /-Laute deuten es an. Er beklagt sich bei seinem Gott, daß er ihm dieses Geschick beschieden hat. Er zweifelt mit anderen Psalmisten (und Hiob) nicht an der Urheberschaft JHWHs. Er beschwert sich aber über die grausamen Bedingungen seines Ergehens. Er ist in die untersten Bezirke der Totenwelt versetzt, in die größten Finsternisse und Abgründe. Er erfährt das Geschick der Verurteilten und „Erschlagenen" (vgl. 6), denen ein minderes Leben in der Scheol bestimmt ist (vgl. Ez31,17f. u.a., 7). Rückschlüsse auf den Zustand des Beters sind möglich (vgl. 16). Er beschwert sich, daß Gottes Grimm und Schläge ihn besonders hart - wie ein Opfertier am Nacken - getroffen und niedergestreckt haben. Vgl. 8a: Opferterminologie; 8b: sind „Brecher" Wasserwogen oder nicht vielmehr (Knochen-)Brecher Dazu paßt H33? pi. Sela ist in 8 (wie 11) deplaziert. Oder zeigt es ein Zitat an? Er beschwert sich, daß er durch Krankheit isoliert wurde in seiner sozialen Umwelt und in geradezu verabscheuenswürdigem Zustand ist (zum Motiv vgl. Hi 19,13ff.). 9a nimmt 19 z.T. wörtlich vorweg. Er könnte eine Dublette sein. 9b.l0aa skizzieren den Zustand als doppelt belastet und schwer geschädigt: todkrank, kann er nicht gehen, obwohl er sollte; das Auge schmachtend, kann nicht weinen, obwohl es sollte. Nicht einmal die Bußhaltung einzunehmen ist ihm vergönnt. lOaß—13: Zweifel an Sinn und Ziel, 3+3. Die Wiederholung der Anrufung in 10 (vgl. 2f.l4) setzt eine Zäsur. Der dritte Teil des Gebets beginnt. Zum Gebetsgestus vgl. Jes 1,15; 143,6. Das Gebet ist seine letzte Möglichkeit, die er trotz der Abgeschiedenheit wahrnimmt. Erbenützt es, um Fragen zu stellen (11 — 13). Die drei Doppelfragen greifen den Topos auf, daß Gott auf einen Verehrer verzichten muß, wenn er in der Scheol ist (6,6; 30,10; 115,17 und bes. Jes 38,18). Ihn abzuschieben bringt demnach keinen Gewinn, ist ohne Sinn. Sachlich bleibt der Beter der hergebrachten Überzeugung, daß der Bezirk der Totenwelt außerhalb des Wirkungsfeldes JHWHs ist (6), obwohl er sie in Frage stellt (vgl. Am 9,lff.; 139,7ff.). Die Welt der Toten wird verschieden bezeichnet: als Ort der „Schatten" (D'KBI, vgl. Jes 14,9; 26,14; Hi 26,5 u. a.), Ort des „Untergangs" O n a s , vgl. Hi 26,6; 28,22; 31,12 u.a.), Ort der Finsternis, als „Grab" (nap) und als „Land des Vergessens" (vgl. Qoh 9,5f.; Hi 10,21). Gotteshandeln und Gottesdienst findet dort nicht statt: kein Wunder (N^D) als Form des Heilsgeschehens, kein Lobpreis, weil die Schatten nicht reden und singen (11); kein Verkündigen und Erzählen von Gnade und Treue Gottes (12); kein Erkennen und Wahrnehmen des wunderbaren und gerechten Handelns Gottes (13). Die Fragen orientieren sich im einzelnen offensichtlich an den Dankerweisen, die der Kranke nach seiner Heilung erbringt, und erwähnen die Vorgänge um das Danklied. Sie betonen, daß JHWH auf diese verzichten müsse, der Tod darum keinen Sinn mache, und werden zum Appell, an die eigenen Interessen zu denken. 14—19: Die Warumfrage, 3+3. Der Appell geht mit einer erneuten Anrufung und dem Hinweis auf den Morgen, an dem das Gebet behandelt werden soll - Gebetszeit als Audienzzeit - , über zu der dann vorzubringenden direkten Frage nach dem Warum dieses Leidens (15). Der Beter deutet das Leiden theologisch als Verstoßung (mr) 345

Ps 88/89

Teil II: Auslegung

Buch III

durch JHWH, als Verbergen des Antlitzes, d.h. als absichtsvolle Handlungen, und möchte den Grund dafür wissen. Zum Vergleich z.B. 43,2; 77,8 bzw. 13,2; 30,8; 69,18; 102,3; 143,7 im Gebet des einzelnen. Er greift nach den Topoi der Elendsschilderung, um sich und seine Lage in Erinnerung zu bringen (16ff.). Denn eigentlich hat er JHWHs Aufmerksamkeit lange schon gefunden. Er ist 'IS; das Recht des Schutzlosen steht ihm zu (vgl. 86,1). Er ist ein „Sterbender von Jugend an"; es ist anzunehmen, daß er schon sehr lange leidend ist - Genaueres sagt er nicht. 16b ist textlich unklar, entspricht aber offenbar 17f., wo der Topos des Ertrinkens aufgenommen wird (vgl. 69,2ff. z.B.). Die Wellen, die über den Ertrinkenden weggehen, sind die „Schrecken" und „Zorngluten" Gottes. Er kämpft gegen feindliche Wasser, die ihn von allen Seiten umgeben (vgl. 18,5f.). Die Schilderung, vielmehr die Hilfeschreie von 14ff., sind wieder durch den pointiert gesetzten /-Laut (17b) gekennzeichnet, aber auch durch gutturale Alliterationen (16f.) - wie letzte Signale des Verstoßenen. Nach dem Schlußvers, der 9 wiederholt, verfällt der Beter abrupt ins Schweigen, wobei das letzte Wort bezeichnenderweise unverständlich ist (HPnH). Die Verlassenheit ist es, die ihn am härtesten bedrängt und die er durch seine Gebetsschreie zu durchbrechen sucht.

Psalm 89 1

Lehrgedicht3. Von Etan, dem Esrachiter.

2

Die Gnadentaten9 JHWHs will ich allzeit besingen; von Geschlecht zu Geschlecht verkündige ich deine Treue mit meinem Mund. Ja, ich sprach9: Auf ewig ist die Gnade gebaut. Die Himmelb - du festigst0 deine Treue and ihnen. Ich habe einen Bund geschlossen mit meinem Erwählten9, habe geschworen David, meinem Knecht: Für alle Zeit werde ich deine Nachkommenschaft sichern und deinen Thron bauen von Geschlecht zu Geschlecht.

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Und die Himmel preisen dein Wunder3, JHWH, auch deine Treue in der Versammlung der Heiligen. Denn wer in der Höhe 9 gleicht JHWH, ist ähnlich wie JHWH unter den Söhnen der Götter? Ein Gott, gefürchtet im hehren9 Kreis der Heiligen und furchtbar über alle, die ihn umgeben! JHWH, Gott der Heerscharen, wer ist wie du? Stark bist du9, JH, und deine Treue umgibt dich. Du herrschst über den Hochmut des Meeres, über das Ungestüm9 seiner Wellen, die du besänftigst.

Sela.

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Ps 89

D u hast niedergetreten Rahab wie eine Leiche 3 , mit deinem starken Arm deine Feinde zerstreut. Dir gehört der Himmel, dir auch die Erde; den Weltkreis und was ihn füllt, hast du gegründet. Den Norden und Süden 3 hast du geschaffen; Tahor und Hermon jubeln über deinen Namen. Dir eignet ein Arm voll Kraft, deine Hand ist stark, deine Rechte erhebt sich. Ordnung und Recht sind Fundament deines Throns, Gnade und Treue stehen vor dir". Wohl dem Volk, das den Königsjubel kennt! J H W H , im Lichte deines Angesichts können sie wandeln. Über deinen Namen können sie jubeln den ganzen Tag und über deine Gerechtigkeit sich erheben 3 . Ja, der Stolz ihrer Macht bist du, und nach deinem Willen erhebt sich 3 unser Horn. Ja, JHWHs ist unser Schild und des Heiligen Israels unser König 3 ! Damals sprachst du im Gesicht zu deinen Frommen und sagtest: Ich habe Hilfe 3 gelegt auf den Helden, habe den Jüngling über das Volk erhöht. Ich habe David, meinen Knecht, gefunden, mit meinem heiligen Öl habe ich ihn gesalbt. 3 Ja , meine Hand hält fest zu ihm b , auch stärkt ihn mein Arm. Nicht überlisten wird ihn der Feind und der Frevler ihn nicht bezwingen. Und ich werde seine Feinde vor ihm zertrümmern und, die ihn hassen, niederstoßen. Aber meine Treue und Gnade bleibt bei ihm, und in meinem Namen erhebt sich sein Horn. Und auf das Meer lege ich seine Hand und auf die Ströme seine Rechte. 3 Er wird mich rufen: D u , mein Vater, mein Gott und der Fels meines Heils! Und ich mache ihn zum Erstgeborenen, zum höchsten der Könige der Erde. 347

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Auf immer erhalte ich ihm meine Gnade, und mein Bund ist für ihn fest, Und lege seine Nachkommen für alle Zeit fest und seinen Thron wie die Tage des Himmels. Wenn seine Söhne meine Weisung verlassen und nicht nach meinen Gesetzen wandeln; Wenn sie meine Satzungen entweihen und meine Gebote nicht bewahren, Werde ich ihren Treubruch ahnden mit der Keule und mit Schlägen ihre Schuld. Aber meine Gnade werde ich nicht nehmen3 von ihm und werde meine Treue nicht brechen. Ich werde meinen Bund nicht entweihen und meine Aussagen nicht ändern. Das Eine habe ich geschworen bei meiner Heiligkeit: Ich werde David nicht täuschen! Seine Nachkommen sollen allezeit dasein und sein Thron - wie die Sonne vor mir. Wie der Mond wird er ewig bestehen, und der Zeuge in der Höhe 3 steht fest. Sela. Doch du hast verstoßen und verworfen, bist wütend über deinen Gesalbten. Du hast den Bund mit deinem Knecht mißachtet, hast am Boden entweiht seine Krone. Du hast alle seine Mauern niedergerissen hast seine Festungen in Trümmer gelegt. Ausgeplündert haben ihn, die des Weges zogen. Er ist zum Spott seiner Nachbarn geworden. Du hast die Rechte seiner Gegner erhöht, triumphieren lassen alle seine Feinde. Ja, du hast die Schneide3 seines Schwerts gewendet und ihn nicht aufkommen lassen im Kampf. Du hast seinem Glanz3 ein Ende gemacht und seinen Thron zu Boden gestürzt. Du hast verkürzt die Tage seiner Jugend, hast ihn mit Beschämung3 umhüllt. Sela. Wie lange, JHWH, verbirgst du dich für immer, brennt wie Feuer dein Grimm?

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Ps 89

Gedenke - ich® ! Was ist das Leben"? Auf was für ein Nichts0 hast du alle Menschen geschaffen. Wer ist der Mann, der lebt und den Tod nicht sieht? Der seine Seele retten kann aus der Unterwelt? Sela. Wo sind deine früheren Gnadentaten, Herr? Die du geschworen David bei deiner Treue? Gedenke, Herr, der Schmach deiner Knechte, daß ich im Busen trage alle die vielen3 Völker! Ja, es haben geschmäht deine Feinde, JHWH, ja, sie haben geschmäht3 die Fußspuren deines Gesalbten. Gepriesen sei JHWH allezeit! Amen und Amen.

1" Anders Koenen, ZAW 103 (1991) 109ff.: Wechselgesang. 2° G, 6 lesen suff der 2.P. wie in 2b (vgl. 3 a ). 3" G, 0 2.P. als Zitateinleitung zu 3a.4f. - b G, 2: èv TOÏ; oupavot«. - c Zu lesen mit G, 2 möglicherweise ni: „wird befestigt. - d Fehlt in G, 2 , S. 4" G liest pl. 6® Vrs belegen mit Mss pl. 7° pmr, abzuleiten von pnttf II ,hoch sein', belegt vor allem in der samaritanischen Sprachtradition (HAL), vgl. Hi 37,18; Ps 68,35 sowie 89,38. 8" M: m , wohl mit den Vrs auf 710 zu beziehen. 9° "pon, von p n .stark sein', offenbar ein aram. Lw. (HAL). Syntaktisch wäre eine Korrektur zu pon sinnvoller: „deine Macht, JH, und deine Treue sind um dich". 10" M: 81», wohl inf von X»:, vgl. Hi 20,6. 11° V7n .durchbohrt', .erschlagen'. 13° G las D^a]' (6aXâaaaç bzw. SdtXaaa-av) statt l'a': „Meere/das Meer". Zum möglicherweise zugrundeliegenden p s / n v g l . H A L , GB 18 , Dahoodu.a. 15° Eigentlich: „treten vor dein Angesicht". Zur Wendung vgl. 95,2 und 17,13. 17" Verkürztes Kolon. Möglicherweise ist zu lesen nVlp l a ' T „erheben sie ihre Stimme". 18° So Q; K hi: „erhebst du". 19" Das doppelte b ist nach 18a (und 16ff.) befremdlich und könnte der Redaktion der Gesamtkomposition zuzurechnen sein. 20" M: HB; doch ist eine Verschreibung aus II] ,Kranz', ,Stirnreif' (vgl. 40) anzunehmen. Andere denken an ug. gzr .Held',,Soldat'. Unklar 4QPs 89: ]15? (pt?). 22" HPK = 'D. - b Der paraphrasierende Text von 4QPs 89 bietet offenbar C033[n] ' T : „meine Hand hält fest an euch" (vgl. 20). 26° In 4QPs 34° M: HS8, hi von HD .brechen', 89folgt 26 auf 22 (in kürzerer Fassung): m m n V D'3 Tia[. ,vereiteln'. Mss und einige Vrs lesen TOS (hi von 110 .entfernen') wie 2S 7,15. 38° 7Ï1 kann gelesen werden nach (1.) "TS .Zeuge' (M); (2.) TS ,Dauer'; (3.) TS* .Vertrag', .Versprechen' (akk Lw.); (4.) 737* .Thronsaal', .Thronraum' (ug Lw.); (5.) 757(3) .solange' (HAL). Die Lesarten sind mit i?na>2 „in der Höhe" mehr oder weniger gut vereinbar. Zu ¡?ntl> vgl. 7. 44° I i i , nicht HS I .Fels', vielmehr "IS .Kiesel', ,Steinkante', ,Schneide'. 45° Tinoa, wohl: „seine Reinheit", von m u a * ,Königsglanz' (HAL) oder IHO (iriB*),Klarheit'. 46° nsro, vgl. Ob 10; Mi 7,10. 48° Zu lesen mit Ms statt '38 besser: 83 ,doch'. - b M: 7"?n .Lebensdauer'. Vorgeschlagen wird, "77n vergänglich' zu lesen (vgl. 39,5). - c 81» na "75? ist schwierig. Eine Verbesserung wäre die Lesung: 0*71» „ . . . das Leben, ewig?" und: 8W(n): „Hast du nicht als Nichts geschaffen..." 51° Statt D13"i ist wohl besser na*7D „Hohn (der Völker)" zu lesen (vgl. Vrs). 52° Statt des zweiten 1DH7 wäre ein IST) „sie haben verfolgt" vorzuschlagen. Literatur: G. W. AHLSTRÖM, Psalm 89. Eine Liturgie aus dem Ritual des leidenden Königs, Lund 1959. - J.M. WARD, The Literary Form and Liturgical Background of Psalm LXXXIX, VT 11 (1961) 3 2 1 - 3 3 9 . - J . T . MILIK, Fragment d ' u n e source de Psautier (4QPs 89), R B 73 (1966) 9 4 - 1 0 6 . - E . LIPINSKI, Le p o è m e royal du P s a u m e L X X X I X 1 - 5 . 2 0 - 3 8 , C R B 6 (1967). - J.-B. DUMORTIER, U n rituel d'intronisation: le Ps. L X X X I X 2 - 3 8 , V T 2 2 (1972) 1 7 6 - 1 9 6 . - R . J. TOURNAY, N o t e sur

le Psaume LXXXIX, 51-52, RB 83 (1976) 380-389. - R. J. CLIFFORD, Psalm 89: A Lament over the Davidic Ruler's Continued Failure, HThR 73 (1980) 35-47. - V. RAVANELLI, Aspetti litterari

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Ps 89

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del Salmo 89, SBFLA 30 (1980) 7 - 4 5 . - J. P. M. VAN DER PLOEG, Le sens et un problème textuel du Ps LXXXIX, in: Mélanges bibliques et orientaux, FS H. Cazelles, A O A T (1981) 471-481. - T. VEIJOLA, Verheißung in der Krise. Studien zur Literatur und Theologie der Exilszeit anhand des 89. Psalms, A A S F B 220, Helsinki 1982. - E.T. M Ü L L E N , The Divine Witness and the Davidic Royal Grant: Ps 89 3 7 _ 3 8 , JBL 102 (1983) 207-218. - T. VEIJOLA, Davidverheißung und Staatsvertrag. Beobachtungen zum Einfluß altorientalischer Staatsverträge auf die biblische Sprache am Beispiel von Psalm 89, ZAW 95 (1983) 9 - 3 1 . - P. G. M O S C A , Once Again the Heavenly Witness of Psalm 89:38, JBL 105 (1986) 2 7 - 3 7 . - T. VEIJOLA, The Witness of the Clouds: Ps 89,38, JBL 107 (1988) 413-417 ( = Ders., David. Gesammelte Studien, SFEG 52, Helsinki/Göttingen 1990,154-159). M.H. F L O Y D , Psalm LXXXIX: A Prophétie Complaint about the Fulfillment of an Oracle, V T 4 2 (1992) 442—457. - U . GLESSMER, Das Textwachstum von Ps 89 und ein Qumranfragment, BN 65 (1992) 5 5 - 7 3 . - A. CAQUOT, Observations sur le Psaume 89, Sem. 4 1 - 4 2 (1993) 133-158. -

Ps 89 ist eine liturgische Komposition, ähnlich wie Ps 18 eine Kantate (2), die aus einem JHWH-Königshymnus (6—19), einem Königsklagepsalm (4—5.20—46.50.52) und einem rahmenden Klagegebet (2—3.47—49.51) besteht. Das Klagegebet bestimmt die Tonlage. Thema der Komposition ist der Lobpreis der göttlichen Treue (nJWK als Leitwort), die zugleich hymnisch besungen und mahnend, ja fordernd eingeklagt wird (vgl. 50). Die Einzelstücke sind nach Herkunft und Charakter verschieden. Der Theophanie-Hymnus scheint eher aus nördlichen Regionen zu stammen (vgl. Ps 29). Er könnte das älteste Teilstück sein. Der Königspsalm setzt eine Katastrophe des davidischen Königtums voraus. Er ist wohl in der frühen Exilszeit anzusetzen. Seine poetischen Stilmittel sind grell und drastisch gesetzt. Er bietet ein kaum überbietbar kühnes Plädoyer für den Gesalbten, das ganz auf das göttliche Wort setzt und die Einhaltung der Zusagen anmahnt. Die Rahmenklage begnügt sich mit einem allgemeineren Appell an die Vergänglichkeit und Todverfallenheit des menschlichen Lebens. Die Gesamtkomposition der Klageliturgie stammt sehr wahrscheinlich aus der Exilszeit (Veijola). Der Kontext der Asaph- und Qorach-Psalmen im dritten Psalmbuch (73—89) könnte auf mittel- oder nordpalästinische Entstehung deuten. Als Anlaß kommt eine Klagefeier in der Exilszeit in Frage. 4QPs e bezeugt Teile aus 89,44-47.50-53,4QPs 89 (= 4Q236) sehr fragmentarisch 89,20-22.26.23.27-28.31, sowie 4Q381,15 Teile aus 89,7-18. Elemente des Psalms werden im NT aufgenommen (89,21 in Act 13,22; 89,28 in Apc 1,5; 3,14; 89,51f. in Hbr 11,26). 1: Überschrift. Zur Bedeutung von 'VDWö ,Lehrgedicht' oder ,Wechselgesang' vgl. 32,1, auch 88,1. Die Verfasserangabe bezieht sich sehr wahrscheinlich auf 1R 5,11, wo ein sagenhafter Weiser THTKn in 1 » „Etan, der Esrachiter" erwähnt wird. In ICh 2,6.8 begegnet ein in'N als Sohn des m t und wie die 1R 5,11 mitgenannten Weisen (VinQ '33), hier: seine Brüder, als Judäer. Gleichen Namens ist ein Vorfahr Asaphs (ICh 6,27) und ein levitischer Sänger der Davidszeit (ICh 15,17) - ohne den Zunamen. Die Namensgleichheit scheint zufällig zu sein, könnte aber wie bei 88,1 Assoziationen ausgelöst und die Position von Ps 89 beeinflußt haben. 2—5: Einführung. 2f. tendieren zu 4+4, 4f. zu 3+3 und sind entsprechend dem Rahmenwerk (2—3.47—52) bzw. dem Königsklagelied (4—5.20—46) zuzuordnen. Der sich in der 1. Person als Sänger einführende Psalmist ist wohl der Verfasser der Gesamtkomposition, zumindest der Königspsalmklage (ohne 6—19). Die Überschrift identifiziert ihn mit einem großen Weisen. Er kündigt an, die mn' '"TOn besingen und deren Zuverlässigkeit (H31ÖK) darlegen zu wollen. Der Ausdruck mrp '"TDll bezeichnet die 350

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Gnaden- und Treueerweise JHWHs, die Jes 63,7 mit n"?nn ,Ruhmestaten' und Thr 3,22 (vgl. Ps 25,6) mit D ' a m ,Erweise des Erbarmens' parallelisiert und die Jes 55,3 (und 2Ch 6,42) in speziellem Sinn D'JöiO i n HOn „die durch David vermittelten bleibenden Gnadengaben" genannt werden. Die Ankündigung betont, daß der Gesang dies für alle Zeit leisten soll. Die Zeit- bzw. Unendlichkeitsangaben sind mit den Versionen auf den Gesang und nicht auf die „Gnadenerweise" und „Treue" zu beziehen, die in Ps 18 ja gerade auf dem Spiele stehen. Mit den Begriffen C i o n und ruiöN, die in G, 0 einheitlicher als in M präsentiert werden, deutet der Verfasser an, daß er zu beiden besondere Liedstücke beibringen will, aus denen er sowohl in 3 wie in 4f. zitiert und damit ihr Thema anschlägt. 3 bezieht sich auf den Hymnus 6—19,4f. auf die Königsklage 20ff. In 3 erinnert der Psalmist an seine Bekenntnisaussage, daß die Gnade ("TOn) und Treue (rninN) Gottes „ewig" bleiben werden „im (oder: wie der) Himmel", weil sie den Werken der Schöpfung gleich sind. In 4f. zitiert er ein Gotteswort, in dem J H W H selbst an seine Zusage erinnert. Die Formulierung des Themas träte noch schärfer hervor in dem Fall, daß in 3 mit G ebenfalls ein Gotteswort zitiert („Denn du hast doch gesagt,. ..") und J H W H so im Gebet mit seinen eigenen Aussagen zwei Mal konfrontiert würde. M beläßt es bei der Eigenaussage, sei es, weil 6ff. (oder die Schöpfungstradtion) solche Gottesworte nicht bezeugen oder aus anderen Gründen. Die Folge ist ein harter Übergang zum Gotteswortzitat in 4f., das die Kernaussagen der Dynastiezusage der Davidüberlieferung wiedergibt: Erwählung, Bundesschluß, Nachkommenverheißung und Throngarantie (vgl. IS 16,1-13; 2S 7,11.16; 23,5; Jes 55,3, auch Ps 2; 110; 132 u. a.). Sie werden in 20ff. expliziert. n^O scheint die Eröffnung und Einführung abzuschließen. 6—19: Hymnischer Lobpreis. Grundmetrum 4 + 4 , ab 17 eher 3 + 3 . Der Text war ursprünglich wohl in drei Strophen zu je vier Versen gegliedert, wobei 9 die Überschrift gewesen sein könnte. 14 gehört zu 22; 15 war wohl die letzte Zeile der ersten Strophe. Seiner Gattung nach ist der eigenständige Psalmtext ein JHWH-Königs-Hymnus und 93ff. verwandt. Einige Elemente wie die geographischen Angaben (13) deuten auf nördliche Herkunft und altkanaanäisch-phönizische Abstammung (vgl. Ps 29, auch C T A 30; KAI 27 u. a.). Im Rahmen der Gesamtkomposition dient der Text dazu, J H W H an seine als Schöpfer und König der Welt erwiesene rmQN zu erinnern (vgl. 6.9). Die erste Strophe (6—9.15) beginnt mit dem Lobpreis der Einzigartigkeit J H W H s unter den „Göttersöhnen" (D'^N '33, vgl. 29,1; Hi 1,6; 2,1) und „Heiligen" (trttnp, vgl. Hi 5,1; Sach 14,5; Sir 42,17; Dan 8,24). Er wird dargebracht von den „Himmeln" (6), in der „Versammlung" 0?np 6), im Kreis (HD 8) der heiligen Wesen, und zwar in der „Höhe" (pntP), dem Ort der Götter. Gepriesen wird seine Macht, Wunder zu tun (X^S) und seine Festigkeit im Blick auf sein Werk. Seine Erscheinung ist schreckenauslösend und furchtgebietend im göttlichen Rat (8); sein Thron auf die Ordnung gegründet, die wie die ägyptische maat p"TX) seine Weltherrschaft trägt, und seine Trabanten, Gnade und Treue (nüNI "TOn), gehen von ihm aus (für den Fall, daß 15 hierher gehört). 9 nimmt den Lobpreis auf und gipfelt in der superlativischen Unvergleichlichkeitsaussage: „Wer ist wie du?" Der Vers scheint durch traditionelle Titel (mX3X m r r , rp) erweitert und im letzten Teil an den Kontext angepaßt zu sein (ehemals Überschrift?). Das zweite Kolon entspricht 15b. Nur sind die dienenden Wesen in 9 ,,Macht"(?) und „Treue" (ersetzt ruiöN ein ursprüngliches Hö'K ,Schrecken'?), vgl. 43,3. Die zweite Strophe (10—13, ohne 14f.) beschreibt hymnisch die Urtaten des Schöpfers: die Unterwerfung der Urmacht des Meeres (lOf.) und der Erschaffung der Weltberge (12f.). Das sog. Chaos351

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kampfmotiv ist altorientalisch wie alttestamentlich verbreitet (vgl. z.B. CTA 4 IVA'; Jes 51,9f.; Hi 26,12f.; Ps 74,13f.; 77,17f.; 93,3f. u.a., dazu J. Day, God's conflict with the dragon and the sea, U C O P 35,1985). Hier ist es, anders als in Jes 27,1; Ps 74,14; 104,26; Hi 3,8, wo der Name des Chaosungeheuers Leviatan (Lotan) ist, an den Meerdrachen „Rahab" (eigentlich ,Ungestüm', HAL) gebunden, der mit seinen Helfern, den Feinden (11), die widergöttliche Macht bildet (vgl. Jes 51,9; Hi 9,13; 26,12, anders Jes 30,7; Ps 87,4). Der Sieg führt zur Königsherrschaft JHWHs und zur Erschaffung der Welt (12f.). Zu 12 vgl. 24,1 f.; 104,2ff. 13 ist jetzt Explikation von 12 und erklärt den Ausdruck „der Weltkreis und was ihn füllt". Doch ist es wegen der ungewöhnlichen Zusammenstellung von „Nord und Süd", „Tabor und Hermon", wahrscheinlich, daß sich dahinter die (vier) mythischen Weltberge verbergen: 113X, der Götterberg im Norden (ug. spn), öebel elAqra, vgl. Jes 14,13; Ps 48,3; Hi 26,7; l ' a ' , wohl identisch mit JIMS II, dem Gebirge Amana (ass Ammana u.ä.), Teil des Antilibanon, oder - geographisch näherliegend mit löX/n (ug. 'amnl), dem Amanus-Gebirge (nördlich des Orontes, dem Zaphon gegenüberliegend); Tabor, doch wohl Gebel et-Tör, nach Dt 33,18f.; Hos 5,1 ein heiliger Berg; Hermon („Baumberg"), öebel es-Seh vgl. Ps 42,7; 133,3; ICh 5,23. Eine ähnliche Vierergruppe von Bergen findet sich Cant 4,8 (vgl. Ps 29,5f.; Nah 1,4). Die Gruppe der geschaffenen (K"0) und personengleich anbetenden heiligen Berge stellt wohl die himmeltragenden Urberge an den äußersten Rändern der Welt dar. Die in 12f. noch durchscheinende Weltkarte weist aufnordpalästinisch-syrische Herkunft (vgl. Karte 1, BHHW IV). M hat die mythologische Weltgeographie adaptiert und formalisiert („Nord und Süd"). Das in 14 begegnende Motiv von JHWHs starker Hand gehört primär zur Exodustradition (vgl. Ex 15,16; Ps 77,16 u. a., dann 11.43). Doch 14 ist zu 22 zu stellen. 15 entspricht 97,2b. Sachlich gehört er zur ersten Strophe (Szenerie der Höhe). Zum ägyptischen maat-Motiv vgl. Jes 9,6. Die dritte Strophe (16—19) nähert sich dem 3+3Rhythmus. Doch schon die beiden ersten enthalten viele Füllwörter (nnx, "f? u. ä.). Das könnte für spätere Angleichung sprechen. Die Szene wechselt von der Höhe (I) und Urzeit (II) zur kultischen Gegenwart des Tempels (III), wo die Anbetung des Weltkönigs, des „Heiligen Israels" (19), stattfinden soll. Subjekt der Huldigung ist „das Volk", das Wir des hymnischen Beters von 6ff. Ihm gebührt der „Königsjubel" (n37Tin, vgl. Nu 23,21; Ps 47,6; Hi 33,26) und das Recht, in seiner Gegenwart zu sein (16) und den gottesdienstlichen Lobpreis darzubringen (17) mit Bekenntnisaussagen wie: „Stolz ihrer Macht" und „unser Horn ist hoch" (18 Q ) - z u m Hornmotiv vgl. 25; 132,17 u.a. - u n d - i n 3.P. gehalten - „JHWHs ist unser Schild und des Heiligen Israels unser König" (19). Letzteres ist jetzt wohl im Parallelismus auf den irdischen König zu beziehen. Doch könnte primär dem „Heiligen Israels" der Titel „unser König" zugedacht gewesen sein. Im ersteren Fall wäre dem Hymnus 6—19 Herkunft aus der Königszeit zuzuerkennen. Der Titel ist besonders im Buch Jes geläufig, vgl. aber auch 71,22; 78,41; Sir 50,17. 20—46: Königsklage. Der ursprünglich selbständige Psalmtext, der jetzt den zweiten Teil von Ps 89füllt, bestand wohl aus acht vierzeiligen Strophen im Metrum 3+3, deren erste möglicherweise aus 4f.50.52 bestand. Das episch breit angelegte Gedicht rezitiert in den Strophen I bis VI (4f.20—38) eine Gottesrede über David und das davidische Königtum, während die Strophen VII bis VIII (39—46.50.52) vorwurfsvolle Klage über die gegenwärtige Misere des Königtums führen, die so sehr mit den verheißenden Worten kontrastiert. Entsprechend sind die Klangfarben - anders als im Hymnus 6ff. grell gesetzt. In Ibis VI dominiert das helle l (aus 'fl- l.P. suff), besonders auffällig schon 352

Etan-Psalm

Ps 89

in 4f., in VII bis VIII das dunklere a ([n]ri- 2.P. suff). Reimbildungen charakterisieren die Verse. Dieser Teil erinnert an 78; 132. Er macht 89 zum Königspsalm. Der Anfang der zweiten Strophe in 20 könnte redaktionell sein (vielleicht gehören Reste aus 2.3 hierher). Er führt die folgende Gottesrede als visionär-prophetische Offenbarung ein, gerichtet an „die Frommen". Es könnte an Nathan und 2S 7 gedacht sein und/oder an verschiedene Offenbarungsmittler im Blick auf Königsorakel (vgl. 110; 132, auch 60 u.a.). Die weit ausgreifende Rede setzt ein bei der Erwählung (20), Salbung (21) und Ausrüstung (22) Davids und bezieht sich im weitesten Sinn auf Überlieferungen wie IS 16 (vgl. Ps 151, l l Q P s 3 Kol. XXVIII). Subjekt der Salbung „mit heiligem Öl" ist JHWH (21: B-Alliteration, vgl. 2S 7,8; Ps 78,70). 22 ist verwandt mit 14 und 26; letzterer folgt in 4QPs 89 auf 22. Die dritte Strophe spricht folgerichtig von den Auswirkungen der göttlichen Ermächtigung im Kampf (23—26). Die drastische Hilfeleistung gegen die Feindmächte bleibt nicht aus (23f.; 24 mit lautmalerischen t- und ^-Schlägen, dazu Reimbildung auf -äw). In 25 wird das Zentralmotiv des Psalms angeschlagen (ruiüN ,Treue', vgl. 29.34 und 2.3.6.9.50). Zu 25 vgl. 18. Nach 26 wird David die Weltherrschaft übertragen: das Meer und die Weltströme, vgl. 2,8; 72,8—12, dazu 80,12 (in 25 sind Reime auf ö zu beachten). Von der engen Gottesbeziehung handelt die vierte Strophe (27—30). Es ist ein Vater-Sohn-Verhältnis (vgl. 2,7). Ja, David gilt als Erstgeborener mit besonderen Rechten und ist demzufolge „der höchste (TP1?*?) der Könige der Erde" (28). Zum Motiv „Fels meines Heils" vgl. 2S 22,47; Ps 18,47; 95,1; 94,22; Dt 32,15. In 27f. dominiert Alliteration auf N und V. In 29 f. wird die Verheißung von der ewigen Dynastie wiederholt (vgl. 4f.34ff.). Sie bildet Mitte und Höhepunkt des Strophengedichts. Auch begegnet der Schlüsselbegriff im Ausdruck DüüiU rPia „festbleibender Bund" (29). Der Vergleich mit den „Tagen des Himmels" (ötP - im Silbenreim) klingt auch in 3.37 an, vgl. 72,5.7.17. Die fünfte Strophe (31—34) thematisiert das Problem der Verfehlung der Davididen gegenüber der „Weisung" (min) und den „Gesetzen" (D'niXö) JHWHs (vgl. 2S 7,14f.), setzt also in dtr Sinne bereits Normen voraus, an denen die Könige gemessen werden (vgl. Dt 17,18ff., auch Ps 101), sieht aber als Konsequenz einer Verfehlung nur „Stockschläge" (2S 7: „allgemeinmenschliche Schläge") vor (33), welche die Zuwendung der göttlichen Huld ("T0n) und die göttliche Treue (ruiQN) nicht grundsätzlich in Frage stellen sollten (34). Implizit ergeht der Vorwurf übermäßiger Bestrafung. Die theologische Rechtsterminologie der Strophe hindert nicht Reimbildungen innerhalb der Zeilen. Die sechste Strophe (35—38), mit der die Gottesrede endet, beteuert zum wiederholten Male das unbedingte Festhalten JHWHs an seiner Verheißung, seinem Bund und seiner Zusage (35). Sie ist durch einen Eid „bei seiner Heiligkeit" höchstinstanzlich und durch den Widerspruch mit seinem wahrhaftigen Wesen (3T3 ,lügen') absolut gesichert (oder sollte es sein) (36) und wird endlich noch einmal durch Wiederholung des gegebenen Wortes der Dynastieverheißung bestätigt (37f.). Letztere klingt an 72,5.7.17 an (vgl. 30). Die wieder wohl strukturierten und mit Reimen ausgestatteten Verse (z.B. Hin 36,6 in 37) lenken zum Anfang der Rede in 4f. zurück. Das letzte Kolon stellt die Frage, wer mit dem „Zeugen der Höhe" gemeint ist (Müllen, Mosca, Veijola u.a.). Verschiedene Antworten sind möglich: JHWH, der Mond, der Regenbogen. Der Parallelismus spricht eigentlich für die Annahme eines ursprünglichen Vergleichs mit der „Himmelshöhe" (pnttfD wie nTD), der in M vielsagend im Sinne von Hi 16,19 (vgl. Ps 89,7) umgeschrieben wurde. Andere Deutungen nuancieren den Gesamtsinn von 37f. auf je eigene Weise. Sela setzt hier wie in 5.46.49 eine Zäsur. Die Strophen sieben (39—42) und acht (43—46) 353

Ps89

Teil II: Auslegung

Buch III

gehen zur Klage, ja Anklage über. Der Ton ändert sich (fn]n-Dominanz). Die Aussagen sind drastisch und gipfeln in dem Vorwurf des eklatanten Wortbruchs. Die vorauszusetzende Situation ist wohl die exilische. Die Mauern der Städte (und der Hauptstadt) sind niedergerissen, die Festungen geschleift (41); Plünderungen finden statt, die Nachbarn ziehen Vorteil aus dem Schaden (42): Die Krone des gesalbten Königs ist entweiht (40). Die Schilderungen gleichen denen der Threni, vgl. z.B. Thr 4 (20ff.); 5. Sie sind Anlaß zu schwersten Vorwürfen: Verstoßung, Verwerfung, Verwüstung, Zerstörung des eigenen Werks aus Wut über den Gesalbten - gegen alle Zusagen und Abmachungen (39). Die Wut sieht die letzte Strophe gesteigert in der feindlichen Verfolgung des Königs bis zur Vernichtung seines jungen Lebens (46). An welchen „Gesalbten" gedacht ist, ist ungewiß. Doch läßt das Umstürzen des Throns (45) und das schmähliche Ende des Königs doch wohl an die Katastrophe denken, die dem judäischen Königtum ein Ende setzte und damit auch alle so fest begründeten Erwartungen, wie sie dieses Gebet formuliert, zunichte machte. Die Klage ist Ausdruck dafür, daß der Beter trotz allem dennoch an den Verheißungen festhält, ja diese einzuklagen versucht und aus seinen Enttäuschungen kein Hehl macht. 47—52: Schlußteil: Klage, bestehend aus vier Zeilen eines Klagegebets (47—49.51), angepaßt an den 4+4-Rhythmus der Einführung (2f.), sowie zwei Zeilen (50.52), welche sich an den Königspsalm 4f.20ff. (ursprünglich wohl 3+3) anschließen und mit 4f. zusammen eine Rahmen-, Eingangs- oder Schlußstrophe gebildet haben. Das Klagegebet beginnt mit der Frage: Wie lange noch (47, vgl. 13,2; 79,5), auf die der Hinweis auf die allgemeine Hinfälligkeit des Menschenlebens folgt (48). Nach M ist 48 an den Ich-Stil des Sängers (2.51) angeglichen. Das Motiv der Vergänglichkeit des geschaffenen Lebens wird in 49 ergänzt durch den Gedanken an die Todverfallenheit aller Menschen, die der Gesalbte nach 46 erfahren mußte und die als Grund für milde Behandlung angeführt wird (vgl. 90,10ff.; 144,3f.). Zur Frage 49 gehört wohl wie 48 der Hinweis auf die durch viele Völker zugefügte Schmach der Knechte JHWHs (51), die den Herrn zum Einlenken bewegen müßte, weil es auch ihn selbst in seiner Ehre tangiert. 51 ist jetzt mit 50 verbunden und auf die den Psalm im ganzen durchziehenden Frage nach den „früheren Gnadentaten" bezogen (vgl. 2 und 50). Auch hat der Text denselben Ich-Bezug wie 48 erhalten mit der Beschwerde, dieselbe Schmach im eigenen Busen tragen zu müssen, die 52 - zu 50 ursprünglich gehörig - als Schmähung des Gesalbten durch die triumphierenden Feinde beschreibt (zum Motiv vgl. 74,10f.; 79,12; 102,9). Gedacht ist wohl an Verfolgung (vgl. 2R 25,4ff. und Parallelen). 53: Schlußdoxologie, die das dritte Psalmbuch (73—89) abschließt. Am nächsten kommt ihr 41,14.

354

Buch IV

Mose-Psalm

Ps 90

Psalm 90 1 2

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Ein Gebet von Mose, dem Mann Gottes. Herr, eine Bleibe3 bist du uns geworden1*, von Geschlecht zu Geschlecht! Ehe die Berge geboren wurden und als die Erde kreißte8 und der Weltkreis, [und] von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du, Gott b . Du führst den Menschen zum Staub zurück, und du sprachst8: Kehrt wieder, Menschenkinder! Ja, tausend Jahre sind in deinen Augen wie der gestrige Tag, denn er vergeht®, und eineb Nachtwache. Hast du ihnen ein Ende gemacht, werden sie zum Schlaf.3 Am Morgen sprießt es wie Gras. Am Morgen blüht es und wächst3, gegen Abend wird es gemäht und verdorrt. Ja, wir sind zunichte geworden durch deinen Zorn, und durch deine Zornesglut sind wir am Ende. Du hast unsere Schuld vor dich gestellt und unser Verborgenes ins Licht3 deines Angesichts. Ja, alle3 unsere Tage neigen sich durch deinen Grimm, wir beenden unsere Jahre wie einen Seufzerb. Unsere Lebenszeit3 währt siebzig Jahre, und, wenn wir bei Kräften, achtzig Jahre. Ihr Stolz(?)b ist Arbeit und Unglück, denn rasch sind sie vorüberc, und wir flogen davon.d Wer kennt die Macht deines Zorns, und ist dein Grimm wie befürchtet3? Unsere Tage zu zählen, so lehre [uns], damit wir zu einem weisen Herzen kommen 3 . Kehre wieder, JHWH! Wie lange noch? Und erbarme dich über deine Knechte3. Sättige uns am Morgen mit deiner Gnade, und wir wollen jubeln und uns freuen an allen unseren Tagen3. Mache uns fröhlich die Tage, die du uns bedrückt, so viel Jahre, wie wir Unheil schauten. Es werde sichtbar deinen Knechten dein Werk3 und deine Pracht über ihren Kindern. 355

Ps 90 17

Teil II: Auslegung

Buch IV

Esa sei die Huld des Herrn, unseres Gottes, über uns; und das Werk unserer Hände mache fest über unsb, und das Werk unserer Hände - sichere es!

1" Pc Mss, G lasen Tis» .Zuflucht', lectio facilior. HAL: liiö I ,Hilfe' (hpleg), II ,Lager', ,Wohnung'. Vgl. 91,9. - b Der Vers ist überfüllt. M es und im Blick auf das Thema ist zu erwägen, ob nicht (a) irt nvnN Vi?» „Quelle des Zukünftigen für uns..." (nnx wie Jes 41,23; 44,7; 45,11, vgl. lQJes") zu lesen und (b) der Passus zu 17b zu stellen ist. 2° M liest act: „die Erde kreißte u n d . . . " 0?'n pol), alle Vrs pass. - bl 7X, vgl. 17 (O'nVx). G las^i?,nicht', in Verbindung mit 3. 3a] cons wie 10 (2?), möglicherweise erst sekundäre Fixierung. 4° Gewöhnlich als impf it aufgefaßt. - b Die Vrs setzen die Vergleichspartikel. 5a M ist kaum verständlich: CHT I HAL: „hemmen", andere: DU II „gießen" (Tsevat: akk rehü). Der durch die Vrs angeregte Verbesserungsvorschlag: n:tr nnsnt „du hast sie Jahr für Jahr (njtf ,Jahr' statt n w ,Schlaf') gesät", mit Streichung des ersten: „am Morgen" (vgl. 6), ist hilfreich. 6" l^n .nachwachsen' wie Hi 14,7; 29,20 (vgl. Nu 17,23) u. a. 8" Wörtlich: ,Lichtwort', ,Lichtkreis'. 9" Wohl Füllsel. - b rnn (von Hin .murmeln', ,knurren', .gurren', ,brummein') .Seufzer'. G spricht von „Spinnennetz" (ebe; apä-/_v/;[v| cov), las vermutlich TUU (vgl. S) o.ä. ruina „mit Kummer", I^S „zu Ende gegangen sind" u.a. Vorschläge bedürfen einer Textänderung. 10° M: „die Tage unserer Jahre", fügt darum DH3 als Bezugswort ein. - b D 3 r n von *3Hh hpleg (a) .Stolz', (b) .Ungestühm' u.ä., beides unpassend; prp nach Vrs Q3T (G tO 7tAeiov) „das Meiste daran". - c IJ von TU ,vorübergehen',,vergehen' (Nah 1,12), B^n adv von tPin I,eilen'. - d Zu 1 cons s. o. 3. 11" Wohl zu korrigieren in: „Wer fürchtet sich v o r . . . " 12° Mit Vrs X33] (statt hi). 13" Einige Zeugen lesen sg. 14" Zu erwägen wäre aus sachlichen Gründen eine sg Formulierung: „den ganzen Tag", par zu „Morgen". 16° G pl. 17° Stilwechsel, wohl durch Bearbeitung ausgelöst. - b Dupl oder dttg. - c Vgl. zu 1 . Literatur: C . WESTERMANN, Der 9 0 . Psalm, ThB 2 4 ( 1 9 6 4 ) 3 4 4 - 3 5 0 . - G. VON R A D , Der 9 0 . Psalm, in: Gottes Wirken in Israel, Neukirchen-Vluyn 1 9 7 4 , 2 6 8 — 2 8 3 . - S . SCHREINER, Erwägungen zur Struktur des 9 0 . Psalms, Bibl 5 9 ( 1 9 7 8 ) 8 0 - 9 0 . - H.-P. MÜLLER, Der 9 0 . Psalm. Ein Paradigma exegetischer Aufgaben, ZThK 8 1 ( 1 9 8 4 ) 2 6 5 - 2 8 5 (Lit.). - M. TSEVAT, Psalm X C 5 - 6 , VT 3 5 ( 1 9 8 5 ) 1 1 5 - 1 1 7 . - T. Boou, Psalm 9 0 , 5 - 6 : Junction of Two Traditional Motifs, Bibl 6 8 ( 1 9 8 7 ) 3 9 3 - 3 9 6 . - N. GREINACHER, Psalm 9 0 , in: Die Freude an Gott - unsere Kraft, FS O.B. Knoch, Stuttgart 1 9 9 1 , 3 6 6 — 3 7 7 . - W.H. SCHMIDT, „Der Du die Menschen lässest sterben". Exegetische Anmerkungen zu Ps 90, in: Was ist der Mensch?, FS H.W. Wolff, München 1992, 1 1 5 - 1 3 0 . - T . KRÜGER, Psalm 9 0 und die Vergänglichkeit des Menschen, Bibl 75 ( 1 9 9 4 ) 1 9 1 — 2 1 9 . H.-M. WAHL, Psalm 9 0 , 1 2 : Text, Tradition und Interpretation, Z A W 1 0 6 ( 1 9 9 4 ) 1 1 6 - 1 2 3 . Ps 90 stellt sich als ein Gebet in Form eines Gedichts mit festen strophischen Strukturen dar, die allerdings durch redaktionelle Umstellungen während des Gebrauchs erheblich beeinträchtigt worden zu sein scheinen. Der ursprünglich in sechs Strophen mit je drei 3+3-Versen konzipierte Psalmtext hat das Grundmuster des Klagepsalms der Gemeinde zugunsten einer individuellen Darstellung verlassen (von Rad). Sein Thema ist ein weisheitlich-philosophisches: Er sinniert über die Aspekte der Zeit. Beginnend bei der „Zeit Gottes", der Ewigkeit, schreitet er fort zur Zeit der Menschen, zur Zeit des Einzellebens, zur gefährdeten und verwirkten Zeit, um - in seiner Gegenwart angekommen (13) - von den Möglichkeiten zukünftiger Zeiten zu sprechen. Anlaß zu solchem Nachdenken, das Ansätze eines temporalen Ordnungssystems mit Zahlen und Maßen, aber auch begrifflichen Kategorien (Verbalformen) erkennen läßt, ist wohl eine akute Notzeit oder die Erfahrung des Zeit- und Lebensverlusts. Die Gedankengänge sind z.T. ungewöhnlich und neu. Sie finden - auch im Blick auf die, jedoch keineswegs vollständi356

Mose-Psalm

Ps 90

ge (16f.) Zurückdrängung der Heilsgeschichte - ihre nächste Parallele in Qoh 1 und 3. Dem Abstraktionsgrad der weisheitlich-hymnischen Dichtung - man zählt über zwanzig Zeitbegriffe - entsprechen die in fast allen Versen noch erkennbaren Formelemente, welche die geschliffene Diktion dieses Texts aufzeigen. Vor allem alliterative Klangfolgen auf Silben- oder Lautbasis heben die Sinnakzente heraus und lenken den Gedankengang. Zu verweisen ist beispielsweise auf die N- und V-Alliteration in 1 f., die Silbenklangspiele mit rm/rjm und tll/tbl in 2, die kunstvolle Lautreduplikation in 3 (dd, bb) und 6 (ss, II), auf die onomatopoetische Zeile 10b, zu der eine W- bzw. Guttural-Alliteration hinführt, auf die Reimbildungen mit -nu in 9.14.15.17 und andere ähnliche Erscheinungen in 7.13.15.16. Der relativ spät anzusetzende Text - die Mose-Verfasserschaft ist theologisch zu deuten - ist als Einzelstück nach seiner Erstverwendung als gottesdienstliches Gebet der Sammlung 90—100 und 91 und 92 - ebenfalls theologische Lehrgedichte aus persönlichem Anlaß - vorangestellt worden. Die Überarbeitungen haben seine Strukturen beschädigt. Der Text ist porös und an einigen Stellen schwer lesbar. 4 wird in 2P 3,8 im Zusammenhang der eschatologischen Erwartungen zitiert und verwertet. In der Tat liegt die Bedeutung dieses Texts in der Analyse der Dimensionalität der Zeit. la: Überschrift. Der einzige Psalm, der auf Mose zurückgeführt wird, doch vgl. Ex 15,1; Dt 31,22; 33,1. Wie Dt 33,1, neben anderen Berührungen mit Dt 33, und Jos 14,6 erhält Mose die Bezeichnung „Mann Gottes", n^sn in Psalmenüberschriften sonst nur in D-Ps (17; 86; 102; 142, dazu 72,20) und Hab 3,1. lb.2(4): Erste Strophe: Vorzeit als Gottes Zeit. Eine metrische Struktur (wohl ursprünglich 3+3) ist nur noch rudimentär zu erkennen. Dies liegt an den sekundären Auffüllungen in l b (eventuell aus der Schlußzeile 17b, s. zu 1) und in 2b (Ergänzung der Ewigkeitsformel: „ v o n . . . , z u . . . " ) . Der sachlich zugehörige 4 wurde möglicherweise dadurch abgedrängt. Das Gebet beginnt mit der Anrufung des ewigen Gottes. Man beachte die alliterativen Formen, vor allem mit X und V. Die Beter nennen sich „Wir", eine nicht näher bekannte Gemeinde, die erst in 13ff. auf ihr Anliegen zu sprechen kommt und dabei die Selbstbezeichnung „deine (JHWHs) Knechte" gebraucht. Es folgt ein Vertrauensbekenntnis, das Gott als Schutz und Zuflucht - eigtl. ,Wohnort', .Bleibe' - f ü r die Gemeinde preist „von Geschlecht zu Geschlecht" (vgl. 28,7; 8,3 u.ö.). Freilich führt 2 zu einem anderen Thema, so daß die Frage entsteht, ob der Passus: „zur Bleibe bist du uns geworden" - oder in korrigierter Form: „für uns die Quelle der Zukunft" (s.o.) - nicht mit dem ursprünglichen: „Herr von Geschlecht zu Geschlecht" kombiniert worden ist. Diese Anrufung eröffnet jedenfalls die Ewigkeitsaussagen, während der Zwischentext eine Vertrauensaussage oder eine Aussage über die Zukunft (Thema von 16f.) einbringt. „Quelle der Zukunft" bzw. „der Zeit" wäre eine den ganzen Psalm zusammenfassende Begriffsbildung. Nur die Ewigkeitsaussage wird in 2 weitergeführt. Die Rede ist von der Zeit Gottes, der Ewigkeit. Sie wird begriffen als Vor-Zeit (D*)Ü3), als Zeit vor der Schöpfung, als mythisch zu beschreibende Zeit. Gott ist von Ewigkeit her (2b), d.h. er war vor der Welt und der Weltzeit. Nach mythischer Tradition (Gn 1,2; 2,4ff., vgl. die a.o. Schöpfungsmythen) wird die Zeit „davor" als Zeit Gottes deklariert über Gn 1; 2 hinausgehend. Als erstes zeitliches Fixdatum erscheint in den Augen des Verfassers die Schöpfung. Sie wird mythisch-metaphorisch als Geburtsvorgang beschrieben: die Ur-Berge, das Randgebirge der Welt, wird „geboren" (pf als Tempus der Vorzeitigkeit), als tragfähiges Gerüst des Weltgebäudes (vgl. Dt 33,15; Hab 3,6; Ps 357

Ps 90

Teil II: Auslegung

Buch IV

36,7). Die Ur-Erde „kreißte" (M), besser: „wurde hervorgebracht" (impf es als Vergangenheitsform) mit dem Weltkreis, der Leben ermöglichenden Erdscheibe, eine Insel im Ur-Meer (vgl. dazu 24,1; 9 8 , I L , auch Hi 38,8f.). Gott, der Schöpfer, "7N, JHWH, war schon vorher. Der Ewige darf mit Du angeredet werden. D^iva (D^iy'TJ?) faßt den unbegreiflichen Sachverhalt in die Formel, zu deren Entstehung Überlegungen wie 2a geführt haben. 4 gehört sachlich zu 2. Der Vers sucht eine Vorstellung davon zu erwecken, daß die Zeitsysteme der Gottes- und Menschenzeit verschiedenen Dimensionen zugehören und eine Umrechnung eigentlich wegen der „astronomischen Proportionen" nicht möglich oder doch sinnlos ist. Der in menschlichen Augen unvorstellbaren Zeit von tausend Jahren entspricht „in Gottes Augen" ein Tag (oder eine Nachtwache = vier Stunden). Die Maßsysteme sind verschieden. Die Ewigkeit bleibt unmeßbar. Der Stellenwert der menschlichen Zeit reduziert sich für Gottes Auge auf den Minimalbereich einer Bruchzahl. Der Passus „wenn er vergangen" könnte auch (bei Korrektur) auf die tausendjährige Periode bezogen werden, weil der gestrige Tag ohnehin vorbei ist. Staunend jedenfalls sucht der Verfasser, sich die unfaßbaren Zeitmaße der Ewigkeit klarzumachen. Seine Maße sind Jahr, Tag, Nachtwache - die Uhr- und Kalenderdaten aus der Alltagserfahrung (vgl. Gen l,14ff.) und die Extremzahlen 1 und 1000 (= unendlich). Trotzdem geht seine Rechnung nicht auf (vgl. 12). Gottes Zeit ist Ewigkeit. 3.5—6: Zweite Strophe. Umkehr und Wiederkehr - die Zeit der Menschen (3+3). Zu den Beschädigungen in 5a (wegen der Umstellung von 4?) s.o. Die Gegenüberstellung Gott - Mensch bzw. - c h ^ / c n i n a hat Tradition (vgl. Jes 31,3; Ez 28,9; Hos 11,9; Hi 25,4; 32,13) und entspricht wohl dem schöpfungstheologischen Denken. Auf die „Zeiten" bezogen, geht der Psalm eigene Wege. 3a ist von Gn 3,19; Ps 104,29 her verständlich: Der aus „zerstoßenem" Material (vgl. die //¡¿-Lautung) gebaute Körper wird wieder zu Staub. Im Tode, der Rückkehr zum Anfang, vergeht der Mensch. Durch Geburt kommt ein neuer Mensch zur Welt (zurück). Gott führt hin und zurück und ruft die Generationen ab und auf (vgl. die Lautwiederholungen). Es ist das persönliche Werk des Schöpfers im Rhythmus des Pendels, hin und her, dem Grundrhythmus menschlicher Existenz. Zum Prinzip des Zyklischen vgl. Qoh l,4ff. Auf diese Weise wird die Zeit der Menschen als ein für die Betroffenen einmaliges Hin und Zurück beschrieben, das sich durch des Schöpfers Eingriff aber stetig wiederholt (impf it). Der Pendelschlag beginnt in 3 mit dem Zurück zum Tode - wohl aus aktuellem Anlaß (13). Anders Gottes Zeit: Sie hat keinen Ausgangs- und Endpunkt. Sie kehrt nicht um. Dies betont 4 im jetzigen Zusammenhang. Das Grundgesetz menschlichen Lebens wird in 5 und 6 mit zwei Zeitabläufen oder -bögen verglichen: (1.) dem Jahreszyklus Säen - Ernten (5, im Wortlaut unsicher, prp „Jahr für Jahr"), exemplifiziert am Gras ( T i n ) und seinem Wachstum und (2.) dem Tagesbogen der Blume (}"X), die am Morgen aufblüht und am Abend geschnitten wird und verwelkt (markiert durch ss und //), vgl. Jes 40,6f.; Ps 103,15f.; Hi 14,lf. 7—9: Dritte Strophe: Zeitentzug als Strafe (3+3). Nach der konzeptuellen Disposition kommt diese Strophe zu früh. Sie wäre erst nach der Erörterung der normalen Lebenszeit (10—12) zu erwarten, spricht sie doch von den Einschränkungen der Norm. Vermutlich liegt eine Umstellung vor, die die Ersetzung und Vertauschung von 11 durch 7 verursacht hat. 13 jedenfalls schließt an 9 besser an als an 12. Die Macht der Schuld und Sünde - Konkretes verlautet nicht, bleibt vielmehr „verborgen" (vgl. 8) - löst Gottes Unwillen und Zorn aus und läßt eine Verkürzung der Lebenszeit befürchten - zu Recht, 358

Mose-Psalm

Ps 90

wie 8 feststellt, wenn nach strengen Maßstäben gemessen wird (vgl. /«//m-Silbenspiel; der Effekt ist unklar). Gott wird als Richter vorgestellt, der verborgene Verfehlungen ans Licht zieht, beurteilt und demnach Zeit-Strafen verhängt, wobei sich die betende Gemeinde offenbar in einer solchen wähnt (13). Zu dieser Vorstellung vgl. 19,13; 39,14; 51,11; 69,6 in individuellen Gebeten. 9 versucht diesen Sachverhalt theologisch (a) und empirisch (b) zu erfassen. Dabei scheint die theologische Argumentation die zu sein, daß sich in Gottes Zorn die Tage neigen (H3D, eigtl.,wenden',,abwenden', wohl die nach der Norm eigentlich zukommenden Lebenstage [zur Wendung „Neigen des Tages" vgl. Jer 6 , 4 ] ) ' ^ am Anfang von 9 wäre dann eine mißverständliche Zufügung. Nicht klar verständlich ist hingegen Teil b, der von der selbstreduzierten Zahl der Lebensjahre redet. Der Vergleich „wie ein Seufzer" (run'löD) kann auf verschiedene Aspekte der Vollendung der Jahre (n'JD pi, faktitiv: ,beenden') hinweisen: (1) „wie ein Geschwätz" (Luther) - doch Hin meint leises Reden für sich, auch Lesen (Ps 1), Seufzen; (2) „wie ein Seufzer", d. i. mit einem letzten Seufzer, dann folgt Totenstille - doch dann nähern sich Bild und Sache so sehr, daß der Vergleich sinnlos wird; (3) „verklingen wie ein Laut" fordert als Subjekt „Lebensjahre" und führt zu Emendationen. Aber es liegt vielleicht am nächsten, nach der ersten Vershälfte so zu lesen: „Wir sind" oder: „Unsere Lebensjahre sind schon vergangen (verklungen) wie ein (kaum hörbarer und nicht mehr existenter) Seufzer." Tertium comparationis wäre das echolose und unhörbare Verklingen eines geflüsterten Lauts. Die Beter fühlen, daß ihr Leben bereits abgeschlossen hinter ihnen liegt. Zum Bild bei G s. o. 10—12: Vierte Strophe: Lebenszeiten (Basis 3+3). 11 ist wohl von 7 verdrängt worden. Überhaupt wäre der natürliche Ort der vierten vor der dritten Strophe. Thema ist das genormte Menschenleben, die condition humaine im normalen Fall. 10a gibt - einige Weiterungen dehnen den Vers - die Maße für das Lebensalter vor: siebzig, bestenfalls („bei Gesundheit") achtzig Jahre. Das ist gewiß nicht zuerst ein Erfahrungswert durchschnittlicher Lebenserwartung (Köhler), vielmehr eine gerade Höchstzahl: Für Mesopotamier galten siebzig (ümü arkütu) als „langes Leben" bzw. achtzig (sibütu) als „Greisenalter"; für die Griechen galten siebzig, für die Ägypter offenbar sechzig+ (hundert?) Jahre als Höchstalter (Malamat, AfO B19 [1982] 215ff.). Gefüllt ist diese Lebenszeit (im Idealfall auch!) mit Mühen (nicht nur Arbeit) und Unglück (1JK) - lOaß bietet textliche Probleme (vgl. G). Auch ist es natürlich, daß die Jahre „wie im Fluge" vergehen. 10b intoniert den zischenden, dann schwebenden Laut des Davonfliegens eines Vogels oder Pfeils, um die hohe Geschwindigkeit zu veranschaulichen (1-cons in M ist Deutung). 11 gehört zur Thematik des bedrohten Lebens, also zu 7ff.: Quid pondus peccati? Zur Realität der reduzierten Lebenszeit ist der Zorn und Unwille Gottes zu bedenken; das erklärt manches, obwohl jene selten wahrgenommen werden. 12, ein weisheitlich geprägter Satz, ein memento mori des Analytikers der Zeit, bittet um die Einsicht, die Tage zu zählen, und um die Haltung des carpe diem als der uns zugemessenen Gabe. Wer sich so zu seiner Lebenszeit verhält, hat ein „weises Herz" - das Ideal des Weisheits-Lehrers gewonnen (unklarer Ausdruck). 13—15: Fünfte Strophe: Leidenszeit und Gegenwart (3+3). Nur diese Strophe gibt zu erkennen, daß hinter dem weitausholenden Gebetstext ein aktuelles Anliegen steht (betonte -««-Reime in 14.15, vgl. 9). Jedoch lassen die Formelelemente des „Klagepsalms des Volkes" Konkretes nicht erkennen. 13 bezieht sich mit seiner Bitte (imp als „Zeitformen" der Gegenwart) um Rückkehr auf 3, mit seinem Gnadenappell auf 7 ff. Er 359

Ps 90/91

Teil II: Auslegung

Buch IV

spricht für die „Knechte JHWHs", die offenbar dessen bedürfen (6,4f.). Auch bei der Bitte um Begnadigung denkt der Psalmist in Zeitkategorien: Tag, Tage (Einzelplural), Jahre (14f.). Am nächsten liegt die unmittelbare Gnadengabe „am Morgen" (14a). Sie gibt Speise für den „ganzen Tag" (ein Frühgottesdienst?). Dabei ist 14b doch wohl ursprünglich als sg gedacht gewesen (nicht: „an allen unseren Tagen", vielmehr „den ganzen Tag"): die Freude an der Gabe hält den ganzen mühseligen Tag an. 15 macht eine erstaunliche Rechnung auf: Er plädiert für einen Ausgleich der bösen und guten Zeiten, „der Tage der Bedrängnis" und „der Tage der Freude". Offenbar hält er den Vorschlag für angemessen, weil die Ausgewogenheit ein bescheidener und fairer Wunsch zu sein scheint. Doch beruht er auf rein formalen Regeln der Rechnungsbilanz. Da 13ff. die Wende von der Vergangenheit der Schuld und des Leidens (7ff.) zur Zukunft der befristeten Gnadenzeit vollzieht, ist in rechnerischem Sinne die Gegenwart die Symmetrie-Achse. Die Strophe bittet um eine Gnadenfrist an Lebenszeit. 16—17: Sechste Strophe: Garantierte Zeit der Zukunft (Dreier, aufgelöst und unvollständig). Gut vorstellbar wäre, jedoch ohne Beleg, daß Teile aus 1 zu 17b gehört haben und bei späterem Gebrauch die Quintessenz am Schluß zur Überschrift geworden ist wenn man denn emendieren darf: 13*7 niTlN 'pyo „Quelle des Zukünftigen für uns" (man beachte die gleiche N-, 37-Alliteration in 17 wie 1). Denn dies ist das Thema von 16 f. Der Psalmist bittet darum, daß Gott, der Herr, die Zukunft seiner Knechte garantieren möchte (2mal juss, 2mal imp). Dies soll so geschehen, daß Gottes Werk und Glanz ihnen und ihren Kindern - die nächste Generation kommt schon in Blick (vgl. 1.3) - offenbar und sichtbar werden möchte, so daß sie sich auf die Gnade einstellen und mit ihr leben können (wie 14)(16). Weiter soll „die Huld Gottes" über ihnen bleiben (17aa). QVi Freundlichkeit', ,Schönheit' (vgl. 27,4) des Angesichtes Gottes hat mit dem Segen zu tun, den Gottes Präsenz vermittelt und hinterläßt. Schließlich bittet der Psalmist zweimal darum, Gott das „Werk unserer Hände festigen", d. i. fördern und sichern und auf diese Weise Zukunft schaffen. Es liegt nahe, an den neugebauten Tempel zu denken und an das Heil, das er wieder vermitteln kann. So wird die gesegnete Zeit zur Zukunft der Gemeinde, die, anders als die bedrohte Zeit der Vergangenheit, vom ewigen Gott (lff.) gesichert ist. Und so wird Gott zur Quelle der Zukunft.

Psalm 91 1 2 3 4

360

a

Wer im Schutze des Höchsten weilt b , darf nächtigen im Schatten des Allmächtigen. Ich 3 spreche zu J H W H : meine Zuflucht und meine Burg, mein Gott, auf den ich vertraue b !

Denn er rettet dich 3 vor der Falle des Voglers, vor dem tödlichen Stachel b . Mit der Schwinge schützt er dich, und unter seinen Flügeln findest du Zuflucht 3 . Schild b und Dach c ist seine Treue. d

Einzelpsalm

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16

Ps91

Nicht fürchtest du dich vor dem Schrecken der Nacht, vor dem Pfeil, der am Tage fliegt; vor der Pest, die im Finstern kommt, vor der Seuche, die am Mittag verheert®. Fallen tausend an deiner Seite und unzählige9 zu deiner Rechten: An dich kommt es nicht heran. Du siehst nur zu mit eigenen Augen und schaust die Vergeltung an den Frevlern. Wenn du...: JHWH ist meine Zuflucht!3 Den Höchsten gemacht hast zu deiner Heimstatt1*, Wird dir kein Übel begegnen, und der Schlag berührt dein Zelt nicht. Denn seinen Boten befiehlt er, dich zu beschützen auf allen deinen Wegen. Auf ihren Händen sollen sie dich tragen, daß dein Fuß nicht an einen Stein stoße. Über Löwea und Kobra schreitest du, zertrittst den Leu und den Drachen. Weil er an mir hängt, rette ich ihn; schütze ihn, weil er meinen Namen kennt. Ruft er mich, antworte ich ihm. Ich bin bei ihm in der Not, ich hole ihn heraus und bringe ihn zu Ehren. Lange Tage mache ich ihn satt und lasse ihn schauen3 mein Heil. b

l a G fügt Alvo; ¿>Srfi To) AauiS hinzu wie 95(94). - b Pt oder besser als impf (3®') zu lesen. 2a llQPsAp a : -I»1*a, G: 3.P. m. - b UQPsAp a : flnea» „meine Zuversicht". 3 a G: „mich". - b M: 1311 ,Pest' (wie 6), oder 131 II,Stachel', ,Dorn' (HAL). G u. a. /.¿yoc (137) ,Wort',,Sache'. 4" llQPsAp": TOurn „wohnst du". - b DH ,Schirmdach', Wandschild'. - c m n o hpleg (von i n o ) ,Mauer', ,Umfassung' (HAL), oder „Amulett" (Macintosh). - d 4b zu 7b. 6 a H Q P s A p 3 bietet TlUH „und Verwüstung (am Mittag"), vgl. dazu TW (akk sedu) ,Mittagsdämon'. HQPsAp a hat die Kola-Folge 6b.6a. 7" Eigtl. „zehntausende". 9" Verkürzte Redeweise. - b HQPsAp a : "pnnn „zu deinem Begehr"; G: „Burg" ("1T37H). Möglicherweise ist "pi5?S (M) von 1157 II abzuleiten: „deine Hilfe" (HAL). 13" M, 4QPs b : ,Löwe'; 1 lQPsAp a las offenbar mit G (oktti £;): HSDN oder »SS ,Natter', vgl. Lk 10,19. Sinnvoll wäre eine Rekonstruktion: insi bm .Schleiche und Natter'; »SS •p3m ,Viper und Drache'. 16" Man könnte nach dem Parallelismus membrorum ein i n n s i „und ich labe ihn" (¡in hi) vermuten. - b l l Q P s a bezeugt nur 14a.16b, stilisiert sie als Anrede (wie 3ff.) und schließt: „Und sie sollen antworten: Amen], Sela." -

361

Ps 91

Teil II: Auslegung

Buch IV

Literatur: J. VAN DER PLOEG, Le Psaume XCI dans une recension de Qumran, RB 72 (1965) 210—217. - P. HUGGER, Jahwe meine Zuflucht. Gestalt und Theologie des 91. Psalms, Münsterschwarzacher Studien 13 (1971) (Lit.). - A. A. MACINTOSH, Psalm XCI 4 and the root ino, VT 23 (1973) 5 6 - 6 2 .

-

Ps 91 wurde traditionell aufgefaßt als „weisheitliches Lehrgedicht" oder als Bekenntnispsalm, bezogen auf eine Konversion (Eißfeldt) oder auf die Asylie (Delekat), wird aber zutreffender mit Hugger als „Nachklang einer alten kultischen Belehrung" aus einer Segenszeremonie mit Schutz- und Weiheriten zu charakterisieren sein. Das lehrhafte Moment kommt strukturell dadurch zum Ausdruck, daß eine Eingangsthese mit der Bekenntnisformel: „JHWH ist meine Zuflucht" (1—2, vgl. 9) durch eine Reihe sentenzenartiger Voten entfaltet und illustriert wird (3 —16). Diese sind mit einer Deixis - mit 'O (3.9.11.15), auch X1? (5) - eingeleitet und thematisieren je einen Aspekt oder ein Motiv. Die belehrende Anrede ist im Schlußabschnitt (14—16) zugunsten einer göttlichen Zusage im Ich-Stil verlassen (anders llQPsAp 3 ). Die theologische Belehrung über den Schutz, den der JHWH-Glaube gewährt und das Gotteswort garantiert, grenzt andere Schutzmaßnahmen aus. In der Abfolge der Argumente kommt eine werbende, ja beschwörende Diktion zum Tragen (vgl. die impf, viermal mit X1? für „gewisse Zukunft"). Eine Fülle von Bildern, gewonnen aus dem rituellen Umkreis der Segensweihe, soll dazu dienen, die Zukunft zu „bannen". Der wohl erst nachexilisch nach älteren Stoffen und Mustern konzipierte Text hat später durch Umstellung (4b gehört zu 7b; 13 ist isoliert) und Mißverständnisse (in 9.13.16) gelitten. Die Q-Lesarten - für 6-8.12-15 4QPs b mit Halbstichenschreibung, für 1 — 16 llQPsAp® mit Neufassung des Schlußteils - , die Zitierungen im NT ( l l f . in Mt 4,6 par Lk 4,10f., 13 in Lk 10,19) sowie die vielfach bezeugte Verwendung auf Amuletten u.ä. sind Zeichen für die ungewöhnliche Wirkungsgeschichte dieses Psalms (Hugger 282ff.). Überschrift in G wie bei 93 ff. (92 ff.). 1—2: Sentenz nach Art einer Einzugstora; ursprünglich wohl 3+3. Die syntaktisch schwer durchschaubare Satzperiode wird durch llQPsAp 3 als Konditionalgefüge bestimmt. Dort ist "1ÖS mit "IQINn als pt und damit als Subjekt der beiden Verse bestimmt, weshalb 1 als betont vorweggenommener Nachsatz angesehen werden muß, der die Schlußfolgerung enthält: Im Schutze des IV^J? und im Schatten des '"TW wird sein, wer sich mit der Parole „JHWH meine Zuflucht" zu JHWH bekennt. Diese Formel, die in der Institution des Heiligtumsasyls verwurzelt ist (vgl. 16 u. a.), gilt, wie der Parallelismus in 2b zeigt, als Bekenntnis zum persönlichen Gott und bringt ein umfassendes Vertrauensverhältnis zum Ausdruck. Dieses beruht auf der Erfahrung, daß sich JHWH als Ort und Hort der Geborgenheit, als „feste Burg" erwiesen hat. Aus dem Vertrauensbekenntnis (2) ergibt sich die emphatisch formulierte Folgerung, daß dem Bekennenden der Schutz der Gegenwart dieses Gottes zuteil wird (1). Die beiden dafür gewählten Metaphern („Versteck" und „Schatten") wie die altehrwürdigen Epitheta aus altjerusalemischer (TP "757) und vorjahwistischer ('"TW) Zeit haften am Jerusalemer Zionheiligtum und umschreiben den sakralen Raum und heiligen Bezirk, in dem zu weilen dem Gläubigen als höchstes Heil gilt. Im übertragenen Sinne aber will diese Sentenz besagen, daß der Gläubige im Temenos seines Schutzgottes weile, wo immer er sich befinde. Es scheint, als ob der Psalmist die Form des Priesterbescheids der Einzugsliturgie wählt, um seiner neuen Aussage das Gewicht zu verleihen, das einer solchen Tora und Belehrung zu362

Einzelpsalm

Ps 91

kommt (vgl. 15; 24). In M sind die Satzlogik und das Metrum aufgelöst. Alliterative Elemente geben der doppelzeiligen Sentenz ihren Glanz (03/S3 in 1; N in 2). 3—4: Erster Zuspruch; 3+3 (nach 4a), 4b gehört wohl zu 7b. In einem ersten Zuspruch wird die Eröffnungsthese entfaltet. Dazu dienen zwei Bildvorstellungen, beide aus der Vogelwelt. Zuerst ist die Rede von der Jagd (3). Der verfolgte Vogel wird vor der gefährlichen „Falle" und der tödlichen „Spitze" - offenbar des Pfeils oder Stachels, mit dem man den gefangenen Vogel tötet, - wunderbarerweise gerettet ("7X3 hi). Dann spricht 4a vom Schutz ("po hi), der dem bedrohten Jungvogel durch Schwingen und Gefieder der Alten zuteil wird - die Lautgebung in 4a läßt an ein bedrohliches Fauchen (zweimal -nn) denken. Die Verben und "po vermitteln den Übergang zur menschlichen Welt und deuten das göttliche Schutzhandeln an. 4b gehört zur Bildszene „Kampf" (7f.). 5—6: Zweiter Zuspruch; 3+3. Nach den Gefahren durch Jäger und Räuber beschreiben 5f. die Bedrohung durch unsichtbare Krankheiten. Im Stil des Heilsorakels ergeht ein Zuspruch, der die Furcht vor Unfall, Pest und Seuche verbietet. Konkret ist die Rede von nächtlichen Gefahren (5a.6a) und von Gefahren am Tag (5b.6b). Dunkelheit und Hitze gelten als besondere Gefahrenherde. Möglicherweise liegt in 6b eine Anspielung auf den Mittagsdämon vor (vgl. Zeph 2,4). 7—8: Dritter Zuspruch; 3+3 (nach 8). Vermutlich ist 8 ein Zusatz, der in die durch Ausfall von 4b (nach 7b) entstandene Lücke geriet. Es fehlt diesem Zuspruch die explizite Deixis. Ersatz bietet das konditionale Gefüge in 7a und die nachgeholte Anrede in 7b. Es geht um die Lebensgefahr im Krieg, um den grassierenden Tod auf dem Schlachtfeld. Er - verborgenes Subjekt in 7b - darf sich dem nicht nahen, der in JHWHs Schutz steht. Die Schutzwaffen Standschild („Tartsche") und Schilddach - mit schrägem Kopfschutz (vgl. Ez 4,3) - aus 4b werden zu Metaphern für JHWHs Festigkeit und Treue (nöK), man vgl. Jer 1,18; 15,11 f. und das Motiv: Schutzpanzer des Propheten. Sie schützen vor allen Angriffen. 8 verspricht, daß der so beschützte Gerechte zusehen kann, wie den Gottlosen Vergeltung widerfährt - ein Motiv aus der späten weisheitlichen Ethik (vgl. 92,12). 9—10: Vierter Zuspruch; 3+3. Das Verspaar, das nach M auch als Gebetswort übersetzt werden könnte: „Ja, du JHWH, bist meine Zuflucht! Höchster, du hast gemacht deine Wohnstatt (bzw. Hilfe)!...", ist im Kontext besser als Zuspruch zu verstehen, der in Wiederaufnahme von l f . inhaltlich 5 ff. wiederholt. Möglicherweise ist 9f. wie 8 sekundär entstanden. 9b ist folgernder Nachsatz (vgl. 1): „dann hast du den Höchsten zu deiner Wohnstatt (Hilfe) gemacht". Das Bekenntnis (9a) schafft den geschützten Raum, an den kein Unglück, auch nicht der böse „Schlag", d.i. Krankheit (vgl. 1R 8,37f.; Ps39,11 u. a.), herankommt. 11—13: Fünfter Zuspruch; 3+3, um eine Zeile ergänzt (13). Der Schutz wird vom Wohnort auf die „Wege" ausgeweitet. Es geht um den göttlichen Schutz auf Reisen. Er wird garantiert durch die Boten JHWHs (DPS'ja), die beauftragt sind, den Glaubenden zu behüten (11). Auf ungangbaren Felsenwegen soll er vor dem Biß der Schlangen bewahrt werden (13). Die Löwenbezeichnungen sind irrtümliche Übermalungen der selteneren Schlangennamen (ein ähnlicher Vorgang wie Jer 12,8): *7nx (-Vnw) eigtl. „Schleiche" und VDS (-TSS) „Zischer", ' n n „Drache" weitet die Szene ins Mythische. 14-16: Gottesspruch; 3+3|3+3+3(2)|3+3(2), mit monotoner X-Alliteration und WReimbildung. Der Spruch bietet die Quintessenz der theologischen Reflexionen und 363

Ps 91/92

Teil II: Auslegung

Buch IV

Entfaltungen der Eingangssentenz. Er macht wegen seiner wohlproportionierten und durch das siebenfache Suffix („ihn") akzentuierten Form eher den Eindruck theologischer Meditation als eines ergangenen Gottesworts („eine Summe der alttestamentlichen Religion", Hugger 257ff.). Er führt in die Überlegungen Gottes über sein Verhältnis zu seinem Anhänger ein. Er begründet damit die Schutzgarantie, unter der derjenige steht, der seinen Namen kennt (vgl. 1). Die erste Kennzeichnung: j?tPn ,hangen an', ,lieben' (vgl. Gn 34,8; Dt 21,11 u.a.), sonst in diesem Sinne nicht bezeugt, betont die affektive Zuneigung und Bindung (vgl. X-Alliteration). Die zweite betont die bewußte Entscheidung und Parteinahme im Sinne des Bekenntnisses zu JHWH allein (1.9). Solcher Zuwendung will sich JHWH seinerseits nicht versagen und darauf hinwirken (vier pi- und zwei hi-Formen), daß dem Glaubenden alles Heil widerfährt: Rettung (0*73), Bewahrung (na®), Erhörung (na»), Befreiung fl^n), Ehrung (133) und Heiligung (16). Die theologische wie strukturelle Mitte der Rede bildet die Zusage, daß er selbst in der Not bei ihm (18») sein wird (15aß). Es scheint, daß die Reihe der Heilserweise sich am kultischen Klageschema und Leidensparadigma orientiert (vgl. 103,1 ff.). Der in l f f . thematisierte Schutz vor Gefahren ist in 14 ff. umfassend dargestellt und als Teil des Heilshandelns JHWHs verstanden. Der Psalm klingt in 16 aus mit der Zusage lebenslanger „Sättigung" und „Labung" (txt em), veranlaßt und vermittelt durch jene Zuwendung JHWHs, die zusammenfassend und abschließend mit dem Begriff „Heil" ( n » W ) bezeichnet wird.

Psalm 92 1

Ein Psalm. Ein Lied für den Sabbattag.

2

Schön ist es, J H W H zu loben und deinen Namen zu besingen, Höchster! Deine Gnade am Morgen zu verkünden und deine Treue in den Nächten! Über der Zehnsaitigen und über a der Harfe, über dem Klang der Leier!

3 4 s 6 7 8

9 364

Denn du hast mich fröhlich gemacht, J H W H , durch dein Tun, über die Werke 3 deiner Hände will ich jubeln. Wie groß sind deine Werke, J H W H , deine Pläne reichen sehr tief! Der Unvernünftige® weiß es nicht, der Tor versteht davon nichts. Auch wenn die Frevler gedeihen wie Wildkraut, alle Übeltäter blühten a u f nur, um auf immer vernichtet zu werden - , bleibst du doch erhaben 3 allezeit, J H W H !

Einzelpsalm

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Ps 92

Ja, sieh, deine Feinde, J H W H , ja, sieh deine Feinde gehen unter, es zerstreuen sich alle Übeltäter! D u hast mir das Horn erhöht gleich dem Wildstier, hast mich Übergossen 3 mit frischem Öl. D u ließest mich blicken auf meine Widersacher 3 , von denen, die gegen mich aufstanden, die Bösewichte, höre ich mit eigenen Ohren b . Der Gerechte gedeiht wie die Palme, er wächst wie die Zeder vom Libanon. Gepflanzt im Hause JHWHs, in den Vorhöfen unseres Gottes, gedeihen sie 3 . Noch im Alter 3 tragen sie Frucht b frisch und grün werden sie c U m zu verkünden, daß J H W H gerecht ist, mein Fels, und an ihm nichts Unrechtes 3 ist.

4° M mit drei, G und S nur mit zwei Instrumenten, wie 33,2; 144,9. Auch das 3+3-Metrum verlangt dies. 5 a 4 Q P s b u . a . Msslesensg. 7 a Eigtl. „der dem Tier ähnliche Mann" ("lyn - ^ 1 «). 4QPs b 1 8" M: Vcons (ursprünglich?). 9" G: ifywTOÇ. 11" Mit den Vrs (T, S) zu K ?! wie 73,22. lesen 'in^D < V73 ,anfeuchten',,mischen' u.ä. Loewenstamm liest mit G: „my old âge is like a fresh oil tree"; Booij emendiert: „I shine with fresh oil" ( < Tll^a). 12" 'HUP entspricht wohl ,"mu> (vgl. 5,9;27,11;59,11 u.a.) „persönlicheFeinde".- b 4QPs b :ns?air undGsg. 14°4QPs b defektiv b b b ims'. 15" 4QPs „in gutem Alter" (und miB). - 4QPs defektiv p a r . - c M: vrr, 4QPs b : v m „und sie sind (dazu) da, u m . . . " (16). 16" In 4QPs b fehlt Vi» (vgl. Dt 32,4). Literatur: N. M. S A R N A , The Psalm for the Sabbath Day (Ps. 92), J B L 81 (1962) 155-168. - S. E. Ballotib'sämän raanän, U F 1 0 (1978) 111-113. - M . W E I N F E L D , Sabbath, Temple and the Enthronement of the Lord, in : Mélanges bibliques et orientaux, FS H. Cazelles, A O A T 212 (1981) 501-512. - T . BOOIJ, The Hebrew text of Psalm xcii 11, VT 38 (1988) 210-213. -

LOEWENSTAMM,

Ps 92 ist wahrscheinlich aus einem individuellen Danklied herausgewachsen. Dieses ist in drei Strophen angelegt: I 2—5 Zueignung, II 6—8.10 Anbetung, III 11 —13.16 Verkündigung, für den gottesdienstlichen Vortrag konzipiert und mit Instrumentalbegleitung ( n a t a ) vorgetragen worden (2—5). Anlaß war die Erfahrung einer Heilstat, die im Zusammenhang mit Bedrängnissen durch persönliche Feinde steht (5.10.12). Daraus erwuchs dem Beter die Einsicht in die Gerechtigkeit seines Gottes, Gnade und Treue (16.3), aber auch in die Gerechtigkeit, die ihm selbst zukommt, weil sich sein Gott zu ihm bekannt hat (11 ff.). Der Sänger verkündet beides. Das deutlich und klar gegliederte Lied ist durch theologische Zutaten in 8b.9(10aa) und 14.15 zu einer Neufassung in fünf Strophen zu je drei Zeilen gekommen. Die Erweiterung, Neueinteilung und Verallgemeinerung machen aus dem Danklied ein Bekenntnis zur Tempelmusik und zum Tempeldienst, vorstellbar im Munde der festangestellten (14) Musiker. Die Überschrift weist es dem Sabbat zu. Dies wird von der Mischna aufgenommen (Tarn 7,4). Der schlichte, mit 36 nah verwandte Psalm ist neben 90 und 91 gestellt worden, mit denen ihn manches 365

Ps 92

Teil II: Auslegung

Buch IV

verbindet (Bilder aus der Natur; die Weite des Gotteshandelns; fP^S; Herkunft aus der Liturgie etc.). Er ist textlich gut erhalten (kleine Probleme in 4a.IIb.16b) - bestätigt durch Fragmente 4QPs b (vgl. besonders 15) mit hemistichischer Schreibung und lQPs a (IQ 10) mit leichten Abweichungen. Die dazugehörige Musik (4) ging leider verloren. 1: Überschrift, zweiteilig. Der Psalm wird nach 4f. mit Grund als das Lied eines einzelnen mit Musikbegleitung bezeichnet ( n a t a ) . Zugleich wird seine (spätere?) gottesdienstliche Verwendung (TU?,Kultgesang') für den Sabbattag vermerkt - eine im hebr Psalter singulare Angabe (G verbindet 24; 48; 92; 93; 94 mit dem Sabbat; nach Tarn 7,4 auch 81; 82; vgl. Sarna). Spezielle Beziehungen zum Sabbat sind im Text nicht zu erkennen (anders Weinfeld). 2—4: Erste Strophe: Bekenntnis zur Kultmusik, dreizeilig, Metrum 3+3, mit alliterativen Merkmalen (2f.: '?). Die Strophe führte ursprünglich ein Danklied ein, das der offenbar musikalisch ausgebildete Psalmist für eine erfahrene Heilstat (5.11 ff.) vortragen möchte. Diese mrr1? n n m genannte Handlung (2a) - die feste Formel verursacht wohl den harten Übergang zur Anrufung (2b) - wird in 2—5 beschrieben und in 6—16 (mit 2—5) vollzogen. Der Sänger findet den Brauch des bekennenden Danklieds „gut" und „schön" und kündigt an, den Namen „des Höchsten" zu besingen: „Name" im Sinne von Klang, Ruhm, ,Image' des Namens unter den Zuhörern. Der alte kanaanäische Gottestitel IVVS (vgl. Gn 14,18—20) findet vor allem in der Gruppe der Asaph-Psalmen Verwendung (vgl. etwa 50,14; 73,11, dazu 87,15), aber auch in der mit 90 beginnenden Psalmgruppe (91,1.9; 97,9; 107,11, dazu 47,3). Die nächste Parallele bildet jedoch 7,18 im Lobgelübde des Bedrängten, wie es auch für 92 vorauszusetzen ist. Der Lobpreis, sicher in öffentlicher, d.h. kultischer, Form, kann nach 3 am frühen Morgen oder in den Nächten, das bedeutet außerhalb der Tagesarbeit, dargebracht werden. Der Inhalt solcher Danksagungen ist mit den Themenbegriffen „Gnade" und „Treue" umrissen. Der Sänger will nach 4 die Form musikalischer Darbietungen als naTa wählen. Dazu bedarf er der Rhythmus-Instrumente der zehnsaitigen Harfe ("733) - und (oder?) der Handleier (1133). Da er selbst zum Gesang nur ein Instrument spielen kann, wird an musikalische Begleiter gedacht sein, welche für den ITAH (von HÄH .summen', brummen', ,tönen' etc., vgl. zu 90,9), den rhythmischen „sound", sorgen, „auf dem" er sein Lied vortragen kann. Zu denken ist also an eine kleine Gruppe: Gesang, Harfe, Leier. Der Sänger freut sich auf den Vortrag bzw. auf seine Tätigkeit als Tempelmusiker, hat ihn doch JHWH selbst dazu animiert. 5—7: Zweite Strophe: Bekenntnis zur Einsicht in die Heilspläne; dreizeilig, 3+3 mit 73Alliteration. Hymnischer Stil und weisheitliche Motive kennzeichnen diese dem Lobpreis gewidmete Liedstrophe. Sie spricht zuerst von den dem Sänger neu offenbar gewordenen Dimensionen des Heilswerkes und der Heilspläne des Höchsten. Die rhetorische Frage umschreibt den Superlativ (m-Dominanz): hoch und tief über menschliches Begreifen (6); für engstirnige Wesen mit animalischem Horizont und kleine Geister und Toren schon gar nicht faßbar (7). Äußert sich darin weisheitliches oder theologisches Elitebewußtsein? 8—10: Dritte Strophe: Bekenntnis zur Hoffnung auf Feindbesiegung; dreizeilig, in 9 und 10 ist der Rhythmus wegen Einfügungen verlassen; Silbenassonanzen in lOaß.b. Die Weite der Pläne Gottes macht zur Gewißheit, daß der kurzzeitige Triumph „der gottlosen Frevler" nur Episode ist (8.10aß.b). Sie gedeihen und blühen zwar - doch ist das 366

Ps 92

JHWH-Königs-Psalmen

Ps 93

vorübergehend. Zum Bild vgl. 37,35f.; 49,19-21, auch 90,5f. Alsbald werden die Feinde JHWHs untergehen und alle Übeltäter sich zerstreuen. Sie haben im Heilsplan keine Zukunft. 8b.9 vertreten die These, daß die Blütezeit der Frevler ihre endgültige Vernichtung einleitet und anzeigt, mit der Begründung, daß die Erhabenheit (üTlö, G: /~ix - S") TT), das indes in den königlichen Gemächern in ein höfliches leises Summen (lürp) übergeht. 31—38: Fünfte Strophe: Israel in Ägypten - die Plagen (Fortsetzung); acht Zeilen, 38 vielleicht sekundär. Vier Anfänge mit 1-cons, zwei mit "IDN, zwei mit " p gleichlautend. Inhaltlich wird die Schilderung fortgesetzt. Die in Ex 7ff. gegebene Reihenfolge wird nicht eingehalten (vierte und fünfe Plage fehlen ganz). Die Zeichen werden wieder betont auf JHWHs Befehlswort zurückgeführt (31.34), aber die Aussage vom direkten Eingriff herrscht vor. Alle Zeilen der Strophen IV und V beginnen mit Verben. Sie begnügen sich aber meist mit kurzer Rekapitulation. Es folgen die Plagen „Bremsen", „Stechmücken", „Hagel und Blitz", „Heuschrecken", zuletzt - ohne besondere Betonung - „Erstgeburt" (36). Betonter (als siebte Zeile?), aber ohne Anschaulichkeit, spricht 37 (und 38) vom Auszug „mit Silber und Gold" und „ohne Straucheln" - ein versteckter Hinweis auf die exilische Gegenwart? Der Rückweg beginnt. Die Ägypter freuen sich, denn der Schrecken hatte sie befallen (vgl. Ex 15,16). 37 sieht Israel bereits nach „Stämmen" gegliedert. Das Volk ist zahlreich und stark genug für die Landnahme (12.24.37). 39—45: Sechste Strophe: Wüstenzug und Landgabe; sieben Zeilen. Der Wüstenzug wird durch drei Wunder gekennzeichnet: Wolken- und Feuersäule (wie Ex 13,21 f.), Wachteln und Manna (vgl. Ex 16; Nu 11), Wasser in der Wüste (Ex 17,6; Nu 20,7ff.) (39-41). Zu V7W ,Wachtel' HAL; BHHW. 42 setzt den entscheidenden theologischen Akzent und schlägt die Brücke zurück zu 6 (und 8ff.). Ittflp "IDT (vgl. zu 3) wird die Bundeszusage genannt (8ff.). Sie ist erfüllt mit dem Einzug in die „Länder der Völker" (44) und der Inbesitznahme dessen, was „die Mühe der Völker errungen" (Nötscher): der Kultur Kanaans (vgl. 11). Der Verfasser ist sich bewußt, daß Land und Kultur Gabe und Erbe sind. Darum geschah der beschwerliche Exodus auch letztlich „in Freude und Jubel" (43). Darum bleibt die Verpflichtung bestehen - der Hymnus endet abrupt mit einer Mahnung (45) - , im Land der Völker und in der Kultur Kanaans JHWHs Gesetze 417

Ps 105/106

Teil II: Auslegung

Buch IV

(Vpn - vgl. lOf.) und Weisungen ( v r m n - vgl. 7) zu achten und zu halten, wie er es selbst tat und tut. Der Lobruf schließt den Hymnus liturgisch ab, vgl. dazu 104,35.

Psalm 106 1

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Lobt JH! Preist JHWH, denn er ist gütig; denn seine Gnade währt alle Zeit! Wer kann die Taten JHWHs in Worte fassen, verkünden seinen ganzen Ruhm"? Wohl denen, die das Recht bewahren, Gerechtigkeit üben8 jederzeit! Denke an mich, JHWH, mit der Liebe zu deinem Volk, suche mich auf mit deiner Hilfe, Auch zu schauen das Glück deiner Erwählten, mich auch zu freuen an der Freude deines Volkes 3 , zu rühmen zusammen mit deinem Erbe! Wir haben gesündigt mit unsren Vätern, sind schuldig geworden, haben gefrevelt! Unsere Väter - in Ägypten - , sie haben deine Wunder nicht verstanden. Sie haben nicht an die Menge deiner Heilstaten gedacht, empörten sich über dem Meer 9 (am Schilfmeer) b . Er rettete sie um seines Namens willen, kundzumachen seine Stärke. Er schalt das Schilfmeer, und es vertrocknete; er führte sie in Wassertiefen wie in der Wüste. Er rettete sie aus der Hand des, der sie haßte, und erlöste sie aus der Hand des Feindes. Wasser bedeckten ihre Bedränger; keiner von ihnen blieb übrig. Und sie glaubten an seine Worte und sangen9 sein Lob. Schnell haben sie seine Taten vergessen, warteten seinen Ratschluß nicht ab. Sie wurden voll Begierden in der Steppe und versuchten Gott in der Wüste. Und er erfüllte ihnen ihren Wunsch, und er sandte die Schwindsucht9 in ihr Inneres.

Liturgische Dichtungen

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Ps 106

Sie eiferten" mit Mose im Lager, mit Aaron, dem Heiligen JHWHs. Die Erde öffnet 8 sich und verschlang Datan und bedeckte die Rotte Abirams. Und Feuer entbrannte gegen ihre Schar, die Flamme, sie vertilgt die Frevler. Sie machen ein Kalb am Horeb, und sie beugten sich vor dem Gußbild. Sie vertauschten ihren Hort8 für das Bild eines grasfressenden Stiers. Sie hatten Gott, ihren Retter, vergessen, der Großes getan in Ägypten, Wunderbares im Lande Hams, Furchterregendes am Schilfmeer. Und er gedachte, sie zu vertilgen. Wäre nicht Mose gewesen, sein Erwählter: Der trat in die Bresche vor ihm, den Zorn zu wenden, sie zu verderben. Sie verschmähten das liebliche Land, sie glaubten nicht seinem Wort. Und sie verleumdeten es8 in ihren Zelten, hörten nicht auf die Stimme JHWHs. Er hob seine Hand gegen sie, sie niederzuwerfen in der Wüste, Und ihre Nachkommen in die Völker zu werfen8, und sie zu zersprengen in den Ländern. Und sie unterjochten sich dem Baal Peor und aßen die Opfer der Toten. Sie reizten ihn durch ihre Taten, und eine Plage brach herein. Pinhas trat auf und schaffte Sühne, da wurde die Plage gezügelt. Und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet, von Geschlecht zu Geschlecht für alle Zeit. Und sie erzürnten ihn am Wasser Meriba; Mose erging es schlecht um ihretwillen. Denn sie trotzten8 seinem Geist, und er brachte zuvielb über die Lippen.

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Ps 106 34 35 36 37 38

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Teil II: Auslegung

Sie haben die Völker nicht ausgerottet, wie JHWH es ihnen gesagt hatte. Und sie vermengten sich unter die Völker und lernten deren Taten. Sie dienten ihren Götzen, und sie wurden ihnen zum Fallstrick. Sie opferten ihre Söhne und ihre Töchter den Dämonen. Sie vergossen unschuldiges Blut, das Blut ihrer Söhne und Töchter, das sie den Götzen Kanaans opferten, und das Land wurde durch Blut entweiht. Sie verunreinigten sich durch ihre Taten und gaben sich preis durch ihre Werke. Da entbrannte der Zorn JHWHs über sein Volk, und er verabscheute sein Eigentum. Und er gab sie in die Hand der Völker, und es herrschten über sie, die sie haßten. Ihre Feinde bedrängten sie, und sie beugten sich unter ihre Hand. Viele Male rettete er sie; aber sie trotzten ihm3 mit ihrem Ratschluß, und sie versanken in ihrer Schuld. Und er sah an die Not, die sie hatten, wenn er ihre Klage hörte. Er gedachte für sie seines Bundes und ließ es sich gereuen nach der Größe seiner Gnade". Er ließ sie Erbarmen finden bei allen, die sie gefangen hielten.

47

Hilf uns, JHWH, unser Gott, a und sammle unsb aus den Völkern, deinen heiligen Namen zu preisen und uns zu rühmen deines Lobpreises.

48

Gelobt sei JHWH, der Gott Israels, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Und das ganze Volk soll sprechen: Amen. Lobt J H ! a

420

Buch IV

Liturgische Dichtungen

Ps 106

2" Vrs pl. 3 a Mit Mss, Vrs 'BW statt HOT. 5 a T U (fehlt in S), ein ungewöhnlicher Begriff, öfters im Munde der Heiden, Ez 35,10; 36,13ff.; Dt 4,6 u.a., vgl. aber Ex 33,13; Zeph 2,9 („hinaufsteigend") zu lesen. Die Reimwirkung von u.a. 7® D,"1737 ist wohl mit G als ein Wort 1 1 "in D hat zur Lesung in M geführt. - b Die ursprüngliche Ortsangabe wurde in M zur Glosse. 12° Impf it oder mit Mss, G, S, Hier zu lesen mit -1 cons. 15° yin, wohl verschrieben aus pia ,Speise'. 16" G las kausativ: „erzürnten". 17" M ohne -1. 20" So M. Tiq soph „seine bzw. meine Ehre". 1133 vgl. HAL. 25® 13.1 ni ,schimpfen', ,verleumden'. 27" 17,Dn17(l) wie 1 26, wohl verschrieben aus psn ? „zu zerstreuen" (so auch Ez 20,23). 33" M m a hi; besser hi .verbittern', vgl. Vrs. - b S03 .schwatzen'. 43® Mit Vrs. 45" K sg (G, Hier), Q pl (S, T). 47" ICh 16,35: „Gott unseres Heils". - b ICh 16,35: „und rette uns". 48° Nach G zu 107 (fehlt S ) . Literatur: W. 105.-

BEYERLIN,

Der nervus rerum in Ps 106, ZAW86 (1974) 5 0 - 6 4 . - G. J.

BROOKE

s. Ps

Ps 106 besteht aufs Ganze gesehen in der Substanz aus einer Darstellung der Geschichte des Gottesvolkes vom Exodus bis zum Exil (7—46), welche in ähnlicher Weise wie 78; 105 auf vorgegebenes Wissen in der Art der pentateuchischen Überlieferung rekurriert und ausgewählte Ereignisse rekapituliert und kommentiert. Die Geschichte erscheint als stufenweiser Abstieg, ja als Fall aus der Höhe, der in 12 markierten Exodusgemeinschaft, verschuldet durch Vergessen, Abfall, Aufstand, Selbstaufgabe. Der Tiefpunkt ist das Exil: Das Volk versank in eigener Schuld (43). Die Stufen des Falls werden in lockeren Folgen (möglicherweise ursprünglich sechszeiligen Strophen) erzählt und gedeutet, wobei 28—31 ein Einschub und 41—46 eine aktuelle Fortschreibung zu sein scheinen. Diese Geschichtsdarstellung ist in 6.47 liturgisch gerahmt und damit in das Gebet einer wohl exilischen Diasporagemeinde eingebracht worden (mit Anpassungen, vor allem am Anfang und Ende). Vor der Komposition steht eine Reihe von Einzelsprüchen (1—5), welche man eher als Unterschriften zu 105 denn als Einleitung zu 106 verstehen kann. Der Lobruf rahmt (M) den Psalm, dem in 48 eine auch ICh 16,36 bezeugte Schlußdoxologie hinzugefügt wurde (48, möglicherweise in 4QPs d , dort vor 147). Kunstformen finden sich, sieht man von der „Stufenfolge" des Niedergangs Israels ab, wie in solchen Darstellungen üblich, besonders in der Gestaltung von Einzelversen (z.B. 19ff.). Als Datum kommt die späte Exilszeit infrage - jedenfalls für das Bußgebet 6-47. In ICh 16 werden - neben 105; 96 - Verse aus 106 (1.47.48) zitiert. Offenbar war die Schlußdoxologie bereits Teil des Psalms. 106 bildet den Schluß des vierten Psalmbuchs, das charakteristischer Weise vorwiegend aus liturgischen oder liturgisch verarbeiteten Textstücken besteht (90-106, vgl. 93ff; 100ff.; 105f.). Zitate aus 106 (2.4f.) begegnen in 4Q380,1. Verse aus 106 sind im Lobgesang des Zacharias Lc 1,71 ff. verarbeitet (10.45), auch in Rm 1,23ff. Die Schlußdoxologie (48) klingt in Lc 1,68 und Apc 19,4 an. 1: Lobruf, vgl. zu 104,35. 1—5: Spruchreihe. Die vier Einzelsprüche, mit denen 106 beginnt, erinnern an die Unterschriften von 104,31—35. Von daher gesehen ist es erwägenswert, ob nicht mit dem Lobruf die Spruchreihe als Anhang zu 105 zu ziehen ist, auch weil es schwer vorstellbar ist, daß ein Gemeindelied mit Äußerungen dieser Art beginnt. 1 ist identisch mit 107,1; 118,1; 136,1; ICh 16,34. Er gehört zum liturgischen Repertoire (vgl. 118,1 ff.; 136). Er fordert zum hymnischen Bekenntnis auf und gibt dafür eine doppelte Begründung in 421

Ps 106

Teil II: Auslegung

Buch IV

zwei Nominalsätzen, wovon der erste die Güte JHWHs bekennt, der zweite, dazu parallel, die ewige Dauer „seiner Gnade" rühmt. Er tut selbst, was er verlangt, und eröffnet eine unendliche Reihe (vgl. 136). 2, eine Frage, die als Antwort: eigentlich niemand! erwartet - obwohl 106 wie 105 u. a. es dennoch versuchen - , hält es angesichts der Größe und Zahl der Taten JHWHs nicht für menschenmöglich, diese zu verbalisieren, d.h. in Worte zu fassen (V?B aram Lw., pi). Sie sind unzureichend, den „ganzen" Ruhm JHWHs zur Sprache zu bringen. 3 ist ein Glückwunsch an alle, denen es gelingt, das Recht einzuhalten und gerecht zu handeln und das: zu jeder Zeit. Auf letzterem liegt der Ton. (3fehlt im Zitat in 4Q380,1.7ff.). 4 ist das Gebet eines einzelnen, der sich offenbar nicht zur Gemeinde, dem Gottesvolk, den Erwählten, dem „Erbe" zählen kann, es möchte seiner in gleicher Weise gedacht werden, Heil zuteil werden, damit er das Glück erfährt und Freude hat wie die Erwählten und zusammen mit ihnen lobpreisen kann. Es ist doch wohl nicht nur an einen Laien, vielmehr an einen Nicht-Israeliten zu denken, der hier seinen Wunsch verewigt hat. Hier festigt sich der Eindruck, daß es sich in der Tat um Zusätze von Psalmlesern und -betern handelt. 6: Liturgische Einleitung, 2(3)+2(3). Das Korpus beginnt mit einem dreifachen Bußruf, mit dem die Gemeinde bekennt, zusammen mit den Väter schuldig geworden zu sein. Mit expressiven Klageformen (gutturale Alliteration, langgezogene Endreime: -änü, -enü, -inü, -ä'nü) wird der Ton angegeben, nach dem das Folgende aufzunehmen ist. Denn die Geschichte ist beklagenswert und sie führte schuldhaft in die Tiefe (7—46. Dort gibt es nur noch das Schuldbekenntnis (6) und den Hilferuf (47). Beide bilden den liturgischen Rahmen des Psalms. 7—12: Erste Folge - der Auszug (3+3-Grundmetrum). Die Verse bilden den ersten Teil einer der liturgischen Komposition 6—47 zugrunde gelegten Dichtung, welche die Geschichte Israels partiell rekapituliert (ähnlich wie 78; 105). Sie setzt ein der Pentateuch-Überlieferung entsprechendes Wissen voraus, das sie in einzelnen Versfolgen bündelt und z.T. kunstvoll stilisiert wiedergibt. Die erste Folge scheint durch einen Zusatzvers (7ay.b) an den vorgegebenen Rahmen der Schuld der Väter angepaßt worden zu sein. Denn eigentlich wollte sie mit 12 die Generation des Exodus als Vorbild des Glaubens rühmen. So aber ist nun 7aa zu verstehen als Hinweis darauf, daß die Väter auf die Wundertaten JHWHs nicht achthatten, in dem Sinne, daß sie der „Fülle" der göttlichen Gnade nicht gedachten und sich beim Auszug am Schilfmeer als widerspenstig erwiesen (vgl. Ex 14,11 f.). Wie alle Namen von Orten und Personen wird das „Schilfmeer" als bekannt vorausgesetzt. Trotz dieser Haltung kommt die Geschichte des Heils in Gang (Narrativketten ab 7b). Die Rettung am Schilfmeer geschah aus „theologischen" Gründen (8). Das Wunder, in einer Zeile (9) erwähnt, beruhte auf einem urzeitlichen „Schelten" JHWHs (104,7): Das vertriebene Meer erlaubte den Durchzug wie durch die trockene Wüste (Gleichklang -möt/mid-), vgl. dazu Jes 63,12ff. Eine Befreiung fand statt, eine „Auslösung" 0?iU), die eine besondere verwandtschaftliche Beziehung voraussetzt (10). Die Feinde ertranken allesamt (11). Das Verhältnis zu JHWH war damals völlig intakt: Die Väter vertrauten auf ihres Gottes Wort (1ÖX hi wie Ex 14,31) und sangen sein Lob (vgl. Ex 15). 12 steht der in Ex 14f. niedergelegten Tradition sehr nahe. 13—18: Zweite Folge - Aufstände (gleiches Metrum). Eine leichte Zäsur unterbricht die Narrativkette, so daß eine Strophengliederung möglich wird. Der Abfall vom Idealzustand beginnt; Unruhe und Aufruhr entstehen. Ursache dafür sind das „Vergessen" und die „Ungeduld" (13). Das Urvertrauen (12) wird aufgegeben; Ansprüche werden 422

Liturgische Dichtungen

Ps 106

gestellt. Zuerst der Anspruch auf Befriedigung der Bedürfnisse (14—15, parallel Ex 16,1 ff.; Nu ll,4ff., vgl. Ps 78,29ff.): Man „testete" die Zusagen (¡103 pi), bekam, was man verlangte, aber auch (so M) die Schwindsucht. In das Gottesverhältnis trat Spannung. Dann der Anspruch auf Selbstbestimmung (16—18, parallel Nu 16), welche einige Gruppen (Qorach bleibt ungenannt) gegen Mose und Aaron erheben. Beide gelten als unanfechtbare Autoritäten für den Dichter. Aaron trägt den Titel „der Heilige JHWHs" (vgl. Ex 39,30). Beide verkörpern die JHWH-Ordnung. Doch wurde sie „im Lager" angezweifelt. Dies war Aufruhr gegen JHWH. Die Gruppen werden vernichtet und ausgerottet, das Lager von „Frevlern" gesäubert (17f.). Doch der alte Zustand war nicht wieder herstellbar. Die Gemeinde trug fortan ein Brandmal. 19—23: Dritte Folge - das Gottesbild. Diese, wie die vorige, sechszeilige Folge thematisiert die Geschichte vom goldenen Kalb als Paradigma tiefster Gottvergessenheit (vgl. Ex 32; Dt 9,11 ff.). Der Dichter findet für seine Erregung prononzierte, ja geradezu sarkastische Töne: z. B. in der gutturalen Alliteration in 19, im Ausdruck „Kalb" und der Aussage: „Stier, der Gras frißt" (20); in 21 ff. verfällt er sichtlich ins Erzählen, zuletzt ohne Rücksicht auf die parallelistische Versstruktur (23). Ob der auch anderswo feststellbare Ausfall des 1 cons Zeichen der Erregung sein soll, ist unklar. Der Dichter sagt Horeb (wie E, Dt), nennt das Kalb ein Gußbild und denkt wohl an einen Überzug von Goldblech um einen Kern aus Ton(?). Es stellt einen Stier dar, als Symbol der Kraft und Fruchtbarkeit. Ein Gottesname ist nicht genannt. Es könnte sich um ein JHWH-Bild handeln. Aber eben ein solches verletzt die „Ehre" (1133) JHWHs, weil es eine Vertauschung und Ersetzung des personhaft handelnden Gottes durch das verfügbare Bild bedeutet (zur Anklage der Vertauschung vgl. Hos 4,7; Jer 2,11). Zum „Vergessen" (21) vgl. 13; zum „Land Hams" (22) vgl. 105,23.27. Mose konnte die Katastrophe abwehren. Er gilt als „der Erwählte" (vgl. 5) im besonderen Sinn. Er trat in die Bresche durch seine Fürbitte (vgl. Ex 32,10ff.; Nu 14,19) und verhinderte so das Schlimmste (23). Der Fall aber aus der vertrauten Gemeinschaft (12) hatte sich fortgesetzt: nun war das ganze Volk dem Tode geweiht gewesen. Was 18 Teile traf, hätte - ohne Mose - das Ganze treffen können. 24—27: Vierte Folge - Aufgabe des Landes. Die Folge findet nach einem Einschub in 28—31 in 32f. ihr Ziel: das verheißene Land wird aufgegeben; selbst Mose erreicht es nicht mehr. Thematisch wird Nu 13f.; Dt l,9ff. (Ps 78,33) behandelt. Man gab den Glauben auf, resignierte im Blick auf das gelobte Land und ging zum heimlichen Lästern „in den Zelten" über (24f.). Auf JHWHs Stimme gab man nichts mehr (vgl. Dt 1,21). Aber sie lebten von nun an unter der erhobenen Hand und Faust ihres Gottes, gewillt sie in der Wüste niederzustrecken (26) oder sie in alle Winde zu zerstreuen (27). Noch war es nur eine Drohung. 28—31: Fünfte Folge - Zwischenspiel: Es hat den Anschein, als ob es sich um einen sekundären Einschub handelt, der die Ereignisse von Nu 25; 31 nachtragen will. Er verzeichnet eine noch tiefere Stufe des Falls als 23, insofern das Volk vom Bilderdienst zur Fremdgötterverehrung überging. Man unterjochte sich (TÖS ni) freiwillig dem Baal Peor, dem in Peor verehrten Baal, indem man an den Opfern teilnahm, die hier als „Totenopfer" (Totenkult oder Verehrung „toter" Götter) bezeichnet werden (28). Eine „Plage" ist die Folge. Die Tat des Pinehas, Priester und Enkel Aarons, der ein Exempel statuiert, schafft Sühne und beendet die Plage (Nu 25,8). Dies wurde der Priesterfamilie wie einst Abraham (Gn 15,6) „zur Gerechtigkeit gerechnet" und für alle Zeiten hono423

Ps 106

Teil II: Auslegung

Buch IV

riert (vgl. Nu 25,11 ff.). Ein Interesse des Priesterhauses an dem Einschub ist zu vermuten. 32-33: Schluß der vierten (oder fünften?) Folge, Strafe für Mose, vgl. Nu 20,2ff.; Ex 17,1 ff. Zurück nach Rephidim, Meriba, d.i. Qadesch, wo Mose, gereizt durch Forderungen und Verleumdungen (25), sich hinreißen ließ, zu viel zu reden, offenbar seinerseits resigniert über den Mißerfolg des Unternehmens. Die Strafe traf auch ihn: Es erging ihm böse; auch er darf das gelobte Land nicht betreten (Nu 20,10ff.; Dt 1,37). Ihm galt das gleiche Schicksal wie der Wüstengeneration (26f.). 34—40: Sechste Folge - Selbstaufgabe. Diese achtzeilige Folge bei zwei sekundären Verszeilen (38) kommt auf die Zeit der Landnahme zu sprechen. Sie stellt fest, daß die Väter dem Gebot der Ausrottung der kanaanäischen Völker, wie es in privilegrechtlichen Texten überliefert ist (Ex 23,32f.; 34,llff.; Dt 7,16), nicht gehorcht (34) und sich damit selbst aufgegeben hat - eine neue Stufe des Abstiegs. Vermischung mit den Heiden, Öffnung der Religion zum Synkretismus hatten den Identitätsverlsut zur Konsequenz (35f.). Das Fallstrick-Motiv stammt aus der genannten Überlieferung (Ex 34,12; Dt 7,16, vgl. Ps 69,23). Kinderopfer gehören zur phönizischen Religion des Molochs und Tophets (z.B. Jer 7,31; 19,5 etc.). Mit dem Begriff "TW sucht der Dichter jene numinosen Mächte zu begreifen, welchen die Opfer der eigenen Kinder galten (vgl. 28). Es ist dies die brutalste Form der Selbstaufgabe; der Zusatz 38 sucht es zu verdeutlichen: Blut floß und verunreinigte das Land (Nu 35,33). In litaneiartig gereimten Sätzen kommen 39f. zum Fazit, daß das enge Verhältnis zu der Gottheit (durch „Hurerei", H3T) entweiht und zerstört war und auf Seiten JHWHs eigentlich nur aus Zorn und Abscheu seinem Eigentum gegenüber bestehen konnte. 41—46: Siebte Folge - Preisgabe durch JHWH? 3+3, wie zuvor, ausgenommen der erweiterte 43, der - ein Fazit ziehend - ursprünglich der Schlußvers gewesen sein könnte. Die Folge befaßt sich mit der jüngsten Vergangenheit bis zum Exil (46), was einen Anhalt für die Datierung bietet. Ihr Thema ist die Frage, ob denn JHWH sein Volk wirklich und endgültig aufgegeben hat, so wie es sich selbst aufgegeben hat (34ff.). Die Antwort ist ein „Nein, aber...!" Fremdherrschaft (41 f.) kennzeichnet die Geschichte seit der Richterzeit. JHWH wollte es so. Er hat sein Volk aber auch immer wieder gerettet - „viele Male" - vor der Bestrafung durch ihn selbst (43). Aber es brachte keine Änderung: Sie widersetzten sich (impf it) ihm in ihren Entscheidungen (vgl. 13): „Sie versanken in ihrer Schuld" war die düstere Bilanz. Durch die Umstellung von 43 wird diese Aussage auf die Vergangenheit bezogen, welche durch eine neue Entwicklung bereits überholt ist (44ff.). Im Stil eines Dankpsalms wird berichtet, daß JHWH die Not seines Volkes angesehen und sein Flehen gehört hat (44); daß er seines Bundes gedachte (45, vgl. 105,8; 111,5.9), in seiner großen Güte Nachsicht übte (vgl. 7) und das Los der Gefangenen im Exil erleichterte. Dies muß sich auf aktuelle Ereignisse beziehen. Die Formulierungen von 46 erinnern an 1R 8,46ff., auch Neh 1,11. 47: Liturgischer Schluß (3+2). Wie in 6 spricht das Wir der Gemeinde für sich ein Gebet. Es ist eine Bitte um Hilfe. Sie möchte aus der „Zerstreuung" wieder zur Einheit versammelt werden, die durch das gemeinsame Bekenntnis zum heiligen Namen „JHWH" und die gemeinsame Freude am Lobpreis realisiert würde. Die verschlüsselten Worte beziehen sich wohl schlicht auf die Wiederherstellung des zentralen Tempelgottesdienstes. Die Gemeinde befindet sich im Exil, d. h. in der Diaspora.

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Buch IV/V

Liturgische Dichtungen

Ps 106/107

48: Schlußdoxologie zum vierten Buch (90—106), bestehend (1.) aus der Gruß- und Segensformel, (2.) der Anrufung, (3.) der die Vergangenheit mitumfassenden Ewigkeitsformel, (4.) der liturgischen Anweisung zum Respondieren mit (5.) der einfachen (vgl. G) Bestätigung durch Amen. Der Lobruf (6.) gehört zum Psalmkorpus, sei es zu 106 oder 107 (G). Die Doxologie stammt wohl aus liturgischer Verwendung einzelner Stücke (vgl. ICh 16: 105; 96; 106) oder des Buchs im ganzen.

Psalm 107 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Dankt JHWH, denn er ist gütig, denn alle Zeit währt seine Gnade! So sollen die Erlösten JHWHs sprechen, die er aus der Gewalt der Not a erlöst hat und aus ihren Ländern gesammelt hat, vom Aufgang und vom Untergang, von Norden und vom Meer a . Die irrten in Steppe und Wüste, den Weg" zur bewohnten Stadt nicht fanden, Hungernd und dürstend, deren Seele in ihnen verschmachtete: Sie schrien zu JHWH in ihrer Not, und aus ihren Bedrängnissen rettete er sie. Und führte sie den geraden Weg, hin zu einer bewohnten Stadt. Sie sollen JHWH danken für seine Gnade 9 und seine Wundertaten an den Menschen! Denn er hat ihre lechzende Seele gesättigt und ihre hungrige Seele mit Gutem gefüllt. Die in Dunkel saßen und Finsternis, gefangen in Elend" und Eisen, Denn sie hatten sich den Worten Gottes widersetzt und den Rat des Höchsten verworfen, Und er beugte3 durch Leid ihren Sinn, sie stürzten und keiner half: Sie riefen zu JHWH in ihrer Not, und aus ihren Bedrängnissen half er ihnen, Führte sie aus Dunkel und Finsternis, und ihre Fesseln zerriß er. Sie sollen JHWH danken für seine Gnade 8 und seine Wundertaten an den Menschen! 425

Ps 107

Teil II: Auslegung

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Denn er hat die eisernen Tore zerbrochen und die ehernen Riegel zerschlagen.

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Die Torena, die wegen ihres schuldhaften Wandels und ihren Sünden sich demütigten Alle Speise verabscheuten sie, und sie schlugen an die Tore des Todes: Sie riefen zu JHWH in ihrer Not, und aus ihren Bedrängnissen half er ihnen, Sandte sein Wort und heilte sie und rettete sie" aus ihren Grubenb. a Sie sollen JHWH danken für seine Gnadeb und seine Wundertaten an den Menschen! Sie sollen Dankopfer feiern und von seinen Werken jubelnd erzählen!

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Die das Meer befahren mit Schiffen, die Handel betrieben auf großen Wassern Sie schauten die Werke JHWHs und seine Wundertaten in der Tiefe: Er sprach und ließ einen Sturmwind entstehen3, und der hob seine Wogenb hoch0 Sie stiegen zum Himmel, sanken in Urtiefen, ihre Seele schwankte im Unglück; Sie tanzten und wankten wie Trunkene, all ihre Weisheit schien verwirrt: Sie schrien zu JHWH in ihrer Not, und aus ihren Bedrängnissen führte er sie. Er brachte den Sturm zum Schweigen, und ihrea Wogen ruhten. Sie freuten sich, daß sie sich legten3. Er führte sie zu dem ersehnten Hafenb: Sie sollen JHWH danken für seine Gnade und seine Wundertaten an den Menschen! Und sollen ihn rühmen in der Versammlung des Volks und im Kreise der Ältesten ihn preisen! Ströme macht er zur Wüste und Wasserquellen zum Durstgebiet; Fruchtland zur salzigen Fläche wegen der Bosheit seiner Einwohner.

Buch V

Liturgische Dichtungen

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Ps 107

Wüste macht er zum Wasserteich und dürres Land zum Quellgebiet. Und er ließ dort Bedürftige wohnen, und sie gründeten eine wohnliche Stadt. Und besäten Felder und pflanzten Weingärten und schafften von Früchten Ertrag. Und er segnete sie, und sie wurden sehr zahlreich, und er ließ es nicht fehlen an Vieh. Und sie nahmen ab und beugten sich unter dem Druck von Unglück und Leid. a Er schüttet Verachtung auf die Vornehmen und ließ sie irren in wegloser Wildnis.b Und er hob den Armen aus seinem Elend und machte die Sippen zahlreich wie eine Herde. Die Aufrichtigen sehen es und freuen sich, alle Bosheit aber hat das Maul verschlossen.3 Wer ist so weise, daß er dies wahrnehme? Und sie verstehen® die Gnadenerweise JHWHs.

2" IS TS, wörtlich: „aus der Gewalt des Feindes", vgl. aber 6.13.19.28. 3" Wohl Verschreibung für Vö'HI „und von Süden", vgl. T. 4a Nach M zu 4a. 8a Vrs pl: „Gnadengaben"; S: „ihr Frommen", vgl. 15.21.35 und 43. 10" '357 hat hier wahrscheinlich wie Hi 36,8 die technische Bedeutung „Beugung" („Beuge" [im „Block"]) im Sinne der Fesselung in gekrümmter Haltung, 12a G vgl. dazu v.a. 105,18, dann auch 116,10 (q); 35,13 (pi), auch Jes 53,7; 58,10; Hi 30,11 u. a. a las pass. 1 5 a Vgl. 8 . 1 7 a G(S) las: „Er half ihnen v o m . . . " (D1T57); prp D ' ^ m „Kranb ke". 2 0 a Suff mit G, S. - o n w ' n w a nach 103,4 besser zu lesen: B A T I r i n w a „vor der Grube ihr Leben". 21a Vor 21—26 steht im ganzen 6mal ein Nun inversum, vgl. dazu BL § 6 r ff. S.u. 40. Soll signalisiert werden, daß auch der Seefahrer-Abschnitt (23—32) ursprünglich eine sechszeilige Strophe war? - b Vgl. 8 a . 25a G las qal, vgl. 33,9. - b M: r1? J (vgl. 29); wohl zu lesen: 0T1 „die c Wogen des Meeres". - Vrs lasen pass. 29a Vgl. 25. 30" Tina akk Lw., hpleg. - b pntP aram Lw., vgl. Jon 1,11 f. 40a Nun inversum vor 40 zeigt vielleicht an, daß die Verse 39—41 in verkehrter Reihenfolge stehen. - b Zitate aus Hi 12,21a und 12,24b. 42a Zitate aus Hi 22,19 und 5,16. 43a M pl, besser sg (mit Vrs): „und verstehe". Literatur: W. B E Y E R L I N , Werden und Wesen des 107. Psalms, BZAW 153 (1979) (Lit.). - O. Baal-Jahwe als Beschützer der Kaufleute in Ps 107, I J F 1 2 (1982) 417-419. -

LORETZ,

Ps 107 ist ein komplexer Psalmtext, dessen Anlage durch die liturgischen Erfordernisse einer Toda-Feier bestimmt ist. Er beginnt mit der Lobformel (1). Darauf folgt, eingeführt durch eine Aufforderung an die „Erlösten aus aller Welt" (2f.), eine Reihe von Aufrufen an Gruppierungen der Gemeinde, JHWH für erfahrene Hilfe zu danken (4—32). Die Aufrufe bilden vier gleich strukturierte strophische Einheiten (4—9.10— 16.17—22.23—32), deren letzte erheblich erweitert zu sein scheint (24f.27.30, vgl. auch 11). Die Erweiterungen passen sachlich zu der hymnischen Dichtung (33—41), die sich offensichtlich mit Hi 12,11 ff. berührt und in weisheitlicher Manier über das Schicksal der

427

Ps 107

Teil II: Auslegung

Buch V

Menschen reflektiert. Die Hiob-Zitate und die interne Abhängigkeit von 107,4ff. lassen an schriftgelehrte Arbeit denken, wofür auch der Schlußsatz des Psalms (43) spricht. Die liturgische Grundform des Psalms hatte ihre Aufgabe in der Dankopferfeier der Gemeinde. Die weisheitlich redigierte Endform diente wohl der theologischen Lehre über das Gesetz göttlichen Handelns, wobei die Einzelfälle als Paradigmen und Beweise dienten. Die Anbindung der Geschichten einzelner an die Geschichte Israels, also 107 an 106, versucht 2f., der den Ort des Psalms in der Rückkehr aus dem Exil erkennt. Das Thema der Komposition sind in typischen Fällen erkennbare „Gnadenerweise" ( , T0n mrr 43, vgl. 8.15.21.31), die es zu verstehen gilt. Der auch in seiner Versstruktur expressiv gestaltete Text - man vgl. z.B. 4.6.9 oder 33.38 - ist durch die Abhängigkeit vom Hiobbuch als spätnachexilisch anzusehen, obwohl Teilstücke der Toda-Liturgie älter sein können. Als bearbeiteter liturgischer Text paßt er in die Sammlung 90ff.(101ff.), speziell zu den Paradigma-Psalmen 105; 106. Jetzt bildet er eine Art Anhang. Er wurde durch die Bucheinteilung (106,48) abgetrennt. Ein großer Teil des Textes wird durch 4QPs f bezeugt. Die Funktion des Nun inversum bei 21—26.40 (M) ist unbekannt. 1: Lobformel. Am Anfang der Komposition steht die liturgische „Dankformel", die für ein derToda-Feier eigenes Responsorium steht, vgl. 118,1—4; 136; ICh 16,34.41 u. a. Sie wäre dementsprechend nach den Aufrufen 8f.15f.21f.31f. als Antiphon einzufügen. Denkbar ist aber auch, daß durch die Formel 107 an die Gruppe 90(100)-106 angebunden werden soll (vgl. 100,5; 106,1). Möglicherweise war 107,1 der von 106,48 verdrängte ursprüngliche Abschluß von 106. 2—3: Liturgische Einführung. Die in Prosa gehaltene Aufforderung an die „aus Feindesland" Befreiten C?*U), die aus allen Himmelsrichtungen nach Jerusalem gekommen sind, läßt für sich genommen an Rückkehrer aus dem Exil denken (vgl. 106,47; Jes 62,12). Sie macht 107 zur unmittelbaren Fortsetzung von 106. Dies geht auf Kosten der in 4ff. beginnenden Aufrufe an ganz andere Gruppen. So gesehen scheint 2f. redaktionell eingefügt worden zu sein. Zu^iO vgl. 74,2; 77,16; 78,35; 106,10 u.a. 4—9: Erste Strophe - Aufruf an die „Verirrten". Die im Basismetrum 3+3 gehaltene Strophe mit sechs Zeilen (wie die dritte, 17—22), wovon neben der Adressierung in Zeile eins die dritte und fünfte Zeile als Refrain gebunden, die restlichen drei frei formuliert sind, bildet offenbar den Anfang einer liturgischen Komposition. Diese bezieht sich auf eine gottesdienstliche Feier, in der Dank- und Lobgelübde eingelöst werden, und zwar nach Gruppen geordnet. Grundlage solcher Gruppierung bilden verschiedene Notsituationen, aus denen gerettet worden zu sein einzelne Gemeindeglieder bekennen sollen. Auffällig ist die Dominanz der Rettungen „in der Ferne" - was ja auch für die Kranken am Tor der Unterwelt gelten könnte (18). Dabei mag ein theologisches Konzept, sei es des Liturgen 4ff., sei es des Bearbeiters von 2f., von Einfluß gewesen sein. Merkwürdigerweise fehlt die Gruppe der Freigesprochenen (109; 116; 118 etc.). Die Strophe zeigt den expressiven Stil, der den ganzen Psalm auszeichnet, vor allem in alliterativen Bildungen (z. B. mit Q in 4.5, [p]X in 6, .s-Lauten in 9), wobei die Übergänge von Wort zu Wort bzw. Laut zu Laut eine besondere Rolle zu spielen scheinen (gleicher Laut z. B. in 9 W - W). Im Blick des Liturgen sind die vom Wege abgekommenen Wanderer, Pilger, Reisenden. Ein für den Fremden undurchsichtiges Wegesystem - fernab von den bevölkerten Überlandstraßen - in Steppe und Wüste machte jede Reise zum gefährlichen

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Liturgische Dichtungen

Ps 107

Wagnis, auch wenn ein festes Ziel vorgegeben war („eine bewohnte Stadt"). Die Orientierung war mangels Wegzeichen oft schwierig. Der Fall des Verirrens wird als typisch herausgegriffen. Er scheint in jener Gemeinde häufiger gewesen zu sein (4). Es drohte die Gefahr des Verschmachtens (5, vgl. Reim). Als Notruf blieb das Gebet; es wurde erhört (6): Der Reisende fand den „geraden Weg" (7). Dafür soll er jetzt danken, d. h. sein Lobgelübde erfüllen (8). Denn er hat allen Grund, die persönlich erfahrene Wundertat zu bekennen, zum Zeugnis dafür, daß sich JHWH um den einzelnen Menschen und sein Schicksal (DTK p ) kümmert. Der Liturg, mit Neigung zur Lehre und Belehrung, faßt das „Wunder" in einen theologischen Satz, der in seiner Metaphorik allgemeine Bedeutung erhält (9). Die klangvolle Sentenz (s-Laute für das Löschen des Durstes) preist den fürsorgerlichen Geber aller guten Gabe (vgl. 104,28; 145,16). 10—16: Zweite Strophe - Aufruf an die „Gefangenen". Sieben Zeilen, aber vermutlich ist 11 eine kommentierende Erweiterung; 10.13.15(16) analog zur ersten Strophe. Das Bild der Gefangenen wird in 10.14.16 gezeichnet: lichtloser Kerker, gefesselt im Block, eherne Türen, eiserne Riegel (als Illustration kann Jer 37,15f.; 38,6 dienen, vgl. aber auch Jes 9,1). Gedeutet wird diese Folter, die eine Kerkerhaft bedeutet (vgl. 2Ch 16,10), nach 11 als Strafe für Unbotmäßigkeit gegenüber „Gott" C?X) und seinen Worten. Der expressiv gestaltete Vers (Gutturale; ~IE-Silbenspiel) beruht theologisch auf dem TunErgehen-Zusammenhang und speist sich aus Versen wie 106,7.43 (vgl. 78,17.40.56). Er beeinflußt die hi-Lesung in 12 (M). Die Gebetserhörung brachte die Wende (13—15). Wieder formuliert eine Sentenz den theologischen Ertrag und feiert JHWH als den Befreier der Gefangenen (16) - mit lautmalerischen Worten (n/1, "13 3mal, als Laute des Zerbrechens). Vgl. dazu Jes 45,2; 58,6ff. 17—22: Dritte Strophe - Aufruf an die „Kranken". Sechs Zeilen im gleichen Stil (vgl. 17: a/ö, 357-Silbenreim; 18 "73 etc.). Die „Kranken" werden moralisierend „Toren" (D'^IS) genannt (vgl. 11), denn ihr Leiden gilt als Strafe für Verfehlung und Sünde. Sie beugen sich - vor Schmerz und in Buße - , so wie sie - fastend - auch keinen Appetit haben (17b.18a). Krankheit führt in die Nähe des Todes (18b, vgl. Jes 38,10; Ps 30,4; 88,5ff. u. a.). Einziger Ausweg bleibt das Gebet (19). Die Heilung geschieht mittels des „Wortes" (vgl. 130,5; 147,15) - offenbar das Wort der Vergebung (vgl. 103,3, auch 32ff.). Der Lobpreis schließt nach 22 ein Toda-Opfer ein, d. i. ein Opfermahl im Kreise der Familie, das nicht identisch ist mit der Gemeindefeier 107,4ff. und vor allem aus dem „berichtenden Lobpreis" eines Danklieds besteht (vgl. 30). 23—32: Vierte Strophe - Aufruf an die Seefahrer. Die zehn Zeilen sind durch Zufügungen von 24.25.27.30 zustandegekommen. Das Bauprinzip ist das gleiche wie bisher, nur daß die freien Zeilen vermehrt sind. Die Stilzüge entsprechen den andern Strophen (z.B. 23: iD; 26: n; 32: Doppelungen und Endreimformen). Es geht um die an sich schon gefährdeten Seefahrer - sie „steigen" in die „Tiefen" hinab (23.24), um dort im Urmeer (vgl. 29,3) ihre Geschäfte zu betreiben. Es sind Abenteurer (vgl. Sir 43,24 f.). A b e r - s a g t der Bearbeiter - sie sehen viel: die Werke JHWHs und die Wunder der Schöpfung (24). Sie erleben den Sturm auf dem Meer - Beispiel der Urgewalt des Schöpfers (25). Doch der Liturg dachte an die Gefahren durch Wind und Wellen (26): Auf und nieder gehen die Wogen; die Seele verzagt (vgl. Jon 1). Dies illustriert ergänzend 27 - vielleicht aus eigener Erfahrung - mit dem Vergleich des Seemannsgangs mit dem Schwanken des Betrunkenen („Tanzen") und der Beschreibung der Seekrankheit, die keinen vernünfti-

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gen Gedanken zuläßt. Bleibt allein das Gebet (28), das die Zähmung der Gewalten zur Folge hat (29). Der Chaoskampf findet eine Wiederholung. Der Sturm schweigt (vgl. 1R 19,12). 30 beschreibt noch die Freude über die ruhige See und die sichere Ankunft im Hafen. Aufgabe der Geretteten ist es, in der Gemeindeversammlung (vgl. 22,26; 40,10f.) und in den Sitzungen der Ältesten (vgl. Hi 29,7) davon rühmend zu erzählen (vgl. Jon 2). 33—42: Hymnische Dichtung. Der auf die liturgischen Aufrufe ohne Anbindung folgende Text ist ein fragmentarischer Hymnus. Die Darbietung des hymnischen Lobpreises entspricht der Toda-Situation (32) und ist insofern hier nicht deplaziert. Doch schließt sich das Fragment inhaltlich an die als sekundär eingeschätzten Passagen des Haupttextes an (11.17), so daß - auch im Blick auf die vier Zitate aus Hi in 40.42 - eher an eine schriftgelehrte literarische Fortschreibung zu denken ist und nicht an ein hymnisches Stück aus der Toda-Liturgie. Dafür spricht auch der doppelte Schluß der Dichtung in 42 und 43, der sich - zumindest gilt das für 43 - an ein allgemeines Publikum wendet, das die Gnadentaten JHWHs zu verstehen sucht. Um Ergründen und Verstehen geht es dem Verfasser des Hymnus, und zwar der vielfältigen, in 4ff. nur exemplarisch aufgeführten, Schicksale der Menschen und das darin erkennbare Prinzip göttlichen Handelns. Anders aber als sein Vorbild in Hi 12,11—25 glaubt der Verfasser dies darin zu erkennen - und hier verrät sich der die Liturgie bearbeitende Theologe - , daß menschliche Bosheit (nsn 34.39) und ihre Folgen das Geschick bestimmen. Insofern gibt er sich und nicht nur durch die Zitate aus den Eliphas-Reden (Hi 5,16; 22,19) - als einer der Freunde Hiobs zu erkennen. Wie bei diesen ist seine Haltung weisheitlich-belehrend. Er redet im theologischen Aussagestil des Hymnus und paßt sich im übrigen an die vergebenen Redestrukturen an (Alliterationen, Wörterkoppelung, Lautsequenzen, Metrum). Er beginnt mit der Feststellung, daß er, JHWH, ein blühendes Land zur Salzwüste gemacht hat „wegen der Bosheit seiner Bewohner" (33f.) und spielt dabei sicher auf das Geschick Sodoms und Gomorras an (Gn 19, vgl. Jes 1,9; Zeph 2,9). Das diesem Topos inhärente Verbum "|0n ,umdrehen', ,umstürzen' ersetzt 33 durch ein feines Silbenspiel: X - X - a wird zu X - a - X. Daraus ist die Lehre zu ziehen, daß die Intervention Gottes Umsturz und Perversion bewirkt. Das gegenteilige Beispiel nennt 35, ohne daß der konkrete Bezug deutlich wird. Gab es eine 35f. entsprechende Stadtgründungslegende oder ist das Beispiel konstruiert? Die Wüste wird zum Schilfteich (DIN), eine Oase entsteht. Dort werden „Hungrige" angesiedelt - nach 4f. sind es Verirrte, nach 41 Arme. Sie gründen die in 7 genannte „bewohnbare Stadt" (Jericho beim Toten Meer?). Ihr Unternehmen gelingt. Sie besäen Felder und pflanzen Weingärten und leben vom Ertrag der Früchte (37). Sie erhalten den Segen von Gn 1, werden zahlreich - Menschen und Vieh (38, vgl. Ex 1). An 38 ist 41.40.39 anzuschließen. Der „Arme" genießt besondere Zuwendungen Gottes, wenn er ins Elend gerät (41, vgl. den dreifachen Reim auf ]i). Anders die „Adligen" (Dlnl13): Ihnen blüht, was Hi 12,21a und 12,24b zu lesen ist: Verachtung und Verirrung „in wegloser Öde". Daraus zieht 39 den Schluß, daß ihr Verschwinden Folge des Drucks von Unheil (Hin) und Sorge ist, wobei Unheil und Bosheit eine innere Beziehung haben. Mit Zitaten aus Hi 5,16 und 22,19 besiegelt der Verfasser diese Einsicht. Die „Aufrichtigen" dürfen sich über den Gang der Geschichte, dieser Geschichte, freuen, während „die Bosheit" (nVlS?) ihr Maul verschließen muß. 43: Schlußfrage. Nicht so optimistisch klingt die Frage, die den Abschluß des Psalms, der Psalmgruppe (105 — 107) und des Anhangs zum Psalmbuch (90—106.107) bildet. Sie 430

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Liturgische Dichtungen

David-Psalter III

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ist offenbar, wie die Analogie in Hos 14,10, an Leser gerichtet, welche diese Texte studieren und zu verstehen suchen. Dazu gehört Weisheit, denn die „Gnadenerweise" (mrr Hon, vgl. 25,6; 89,2.50; Jes 63,7; Thr 3,22.32) geraten gerne in Vergessenheit (106,7.45).

Psalm 108 Literatur:

C . R . NORTH, P s a . L X 8; P s a . C V I I I 8 , V T 17 ( 1 9 6 7 ) 2 4 2 - 2 4 3 . - R . J . TOURNAY,

Psaumes 57, 60 et 108: Analyse et interprétation, RB 96 (1989) 5 - 2 6 . -

Ps 108 besteht textlich aus 57,8—12 und 60,7—14. Die Abweichungen von den Paralleltexten sind minimal. Die Überschrift: „Gesang, Lied von David" - wenige Handschriften lesen nach 83,1 statt David: Asaph - hat ihre nächste Sachparallele in 65,1 und 68,1 (zusätzlich: „Für den Chorleiter", Endstellung von Ttt>) und Strukturparallele in 48,1; 83,1; 88,1 (andere Verfasserangaben). Sie weist den Text aus dem DPs II dem DPs III (101 — 110) zu. Ansonsten scheint der Text in 2b.7.10.11 besser bewahrt (zu 8f. vgl. 4QPs a ), in 2a (Ausfall) und 5 („vom Himmel herab" statt „bis zum Himmel") verändert worden zu sein. Die neue Zusammenstellung bringt indes Veränderungen des Sinngefüges mit sich. Anders als 60 wird der alte Königstext 7—14 (schon in der Fassung von 60) mit dem Lobgesang eines einzelnen präludiert. Der hymnische Stufenaufstieg, der diesen Gesang strukturiert, endet mit dem Preis des Hin' 1133, der Herrlichkeit Gottes, die Himmel und Erde erfüllt, und mündet ein in die Rezitation der heiligen Worte der Gottesrede, in der sich Gott als siegreicher Kriegsmann selbst offenbart und als Beistand der Seinen vom Himmel herab (5) erscheint. Ihm gelten auch die in 6f. 13 geäußerten konkreten Bitten um tatkräftige Hilfe. Zitierend beschwört der Sänger das altehrwürdige, in 8—10 aktualisierte Bild vom göttlichen Krieger. Doch wird es in 108 mehr verehrt als angerufen. Es steht auf hohem Podest. Der Psalm erweckt den Eindruck, durch seinen Stufengesang erst zu dem Denkmal des rezitierten Textes aufsteigen zu müssen. 108 setzt 60 oder eine analoge Komposition voraus. Er scheint erst nachexilisch zusammengestellt und redigiert worden zu sein, wofür auch 57, das Bittgebet eines Verfolgten, das denselben Lobgesang wie 108,2—6 verwendet, zu sprechen scheint.

Psalm 109 1 2

Für den Chorleiter: Von David. Ein Psalm. Gott meines Lobpreises, schweige nicht! Denn der Mund des Frevlers9 und der Mund des Trugs haben sich gegen mich aufgetanb. Sie redeten mit mir mit lügnerischer Zunge, 431

Ps 109 3 4 s 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

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und mit Worten3 des Hasses umgaben sie mich, und sie bekämpften mich grundlos. Für meine Liebe beschuldigen sie mich; ich aber bin ganz Gebet 8 , Und sie setzten gegen mich Böses für Gutes und Haß für meine Liebe. Bestelle gegen ihn einen Frevler8, und ein Ankläger stehe zu seiner Rechten! Im Gericht gehe er schuldig hervor, und sein Gebet8 werde zur Sünde! Seiner Tage seien wenige, sein Amt übernehme ein anderer! Seine Kinder sollen zu Waisen werden, und seine Frau zur Witwe! Umherirren sollen seine Kinder und betteln und sollen absuchen8 ihre Trümmer! Der Wucherer erschleiche8 alles, was ihm gehört, und Fremde sollen plündern seinen Erwerb! Es sei keiner, der Gunst ihm bewahrt, keiner, der Erbarmen hätte mit seinen Waisen! Seine Nachkommenschaft werde vernichtet, im nächsten8 Geschlecht werde gelöscht ihrb Name! Seiner Väter Schuld werde gedacht bei JHWH 8 , und die Sünde seiner Mutter werde nicht gelöscht! Sie seien ständig JHWH vor Augen, und der tilge8 ihr Gedächtnis aus dem Land! Darum, weil er nicht daran dachte, Erbarmen zu üben! Und er verfolgte den elenden und armen Mann und den, dessen Herz zum Tod8 erschrocken1*. Er liebte den Fluch, und der kam über ihn8! Und hatte keinen Gefallen am Segen, und der bliebb ihm fern! Er zog8 den Fluch an wie ein Gewand, und er drang8 wie Wasser in ihn und wie Öl in sein Gebein! Er sei ihm wie ein Kleid, das ihn einhüllt, und ein Gürtel, den er immer trägt! Dies ist das Strafurteil meiner Ankläger, von JHWH, und derer, die Schlechtes über mich vorbringen.

David-Psalter III

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Ps 109

Du aber, JHWH, Herr3, handle an mirb um deines Namens willen! Denn gut ist deine Gnade0. Rette mich! Denn ich bin elend und arm und mein Herz bebt9 im Innern. Wie der Schatten, der lang wird, schwinde ich; abgeschüttelt wie eine Heuschrecke. Meine Knie straucheln vom Fasten, und mein Leib ist mager ohne Fett. Ich aber bin ihnen geworden zum Hohn, die mich sehen, schütteln den Kopf. Hilf mir, JHWH, mein Gott! Rette mich in deiner Huld! Daß sie erkennen, daß dies deine Hand ist, daß du selbst, JHWH, das getan hast! Sie sollen fluchen, aber du mögest segnen. Die sich erhoben, mußten sich schämen3, aber dein Knecht wird sich freuen! Anziehen sollen meine Ankläger die Schmach, und wie ein Mantel umhülle sie ihre Schande! Ich will JHWH preisen aus vollem Mund, inmitten vieler9 will ich ihn rühmen! Denn er steht9 zur Rechten des Armen, zu helfen vor den Richtern seiner Seele b .

2" Wegen des pl Subjekts in 3 wohl zu lesen V2h ,Frevler'. - b Nach G, S, Hier sg pass (mriD); pl in M ist wohl durch Erweiterung und Anpassung an 2b.3 bewirkt worden. 3" Besser mit T und nach 20ptzulesen: „Sprecher". 4"Mund Vrs: nVsn ,Gebet'; oder ist zu lesen: „Gespei"? 6"SttH, in 7 im Sinne von ,schuldig', ,verurteilt', würde hier allgemeiner als „Frevler" zu übersetzen oder nach par m in Stria „Kläger", „Schuldzeuge" zu korrigieren sein. 7® Wegen der forensischen Situation ist vielleicht inV?Bl: „und sein Schiedsspruch laute auf Schuld" zu lesen. 10" G las w o h h t n r „sie sollen vertrieben werden". 11" G: „forsche nach.. 13 a M:"inx,G: (j-tcx (inx) - die nächste Generation. - b Oder: „sein Name", vgl. 15. 14" Wohl Glosse, vgl. 15. 15" M: hi, möglich auch ni. 16° M: fima1? pol „umzubringen", oder zu lesen ma1? „zum Tode". - b 71X331 von S33 ,peitschen',,schlagen', adj f ntp? .zerschlagen', oder besser n s o r impf ni „es wird geschlagen", oder von H83 ni .erschrocken sein' (HSD?).!^ spricht für das letztere. 178 b Mischform, besser als Jussiv zu lesen, vgl. 17b.18. - Wohl ursprünglich Jussiv. 18" Besser Jussiv, statt Narrativ, vgl. 19. 21° Hier wohl primär 'JIM „mein Herr" zu lesen. - b G ergänzt: iXeoQ .Erbarmen'. - 'Vorschlag: 31B3 „nach der Güte". 22"V7n, zu lesen VjnCjTlI pol) .beben' (vgl. 55,5). 28" Besser impf ohne 1. 30" T: „der Weisen". 31" llQPs a D(?) und G, S b lesen pf. - G: „Verfolger meiner Seele". Literatur: M.J. W A R D , Psalm 109: David's Psalm of Vengeance, AUSS 18 (1980) 163-168. D. P. WRIGHT, Ritual Analogy in Psalm 109, JBL 113 (1994) 385-404. -

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P s 109

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Ps 109 ist das G e b e t eines A n g e k l a g t e n , dessen Klageteil d u r c h ein a u s g e d e h n t e s „ F e i n d z i t a t " (6—19) e r w e i t e r t ist. D a s a n s c h l i e ß e n d e B i t t g e b e t (21—29) mit L o b g e l ü b d e (30f.) bleibt im R a h m e n d e r G a t t u n g ( H . S c h m i d t ) , auch was die p o e t i s c h e G e s t a l t u n g a n g e h t ( 4 + 4 ; 3 + 3 ; alliterative B i l d u n g e n ) . D e u t l i c h e r als sonst tritt die f o r e n s i s c h e Situation h e r v o r (vgl. 6 f f . 16ff.). D i e A n k l a g e ist in d e n A u g e n des B e t e r s m a n i p u l i e r t . Sie n i m m t ein b e s t i m m t e s V e r h a l t e n g e g e n ü b e r r e c h t l o s e n M e n s c h e n z u m A n l a ß u n d V o r w a n d , die g a n z e F a m i l i e d e s Psalmisten a u s z u r o t t e n . E r bittet in seiner N o t u m eine göttliche I n t e r v e n t i o n zu seinen G u n s t e n ( 2 1 f f . ) , die ihn vor d e n „ R i c h t e r n seiner S e e l e " (31) r e t t e n soll. I n w i e f e r n d e r Text e i n e F u n k t i o n im P r o z e ß v e r f a h r e n erfüllt, ist u n b e k a n n t . Seine Parallelen h a t e r z . B . in 27; 35; 141. Z u d e n k e n ist an nachexilische Z e i t (vgl. die Parallelen zu N e h 13,23ff.). A b e r d e r Psalm ist n u r wenig b e a r b e i t e t w o r d e n ( 2 . 4 f . l 6 . 2 0 ) . E r k a m wohl w e g e n des Motivs „ J H W H zur R e c h t e n " (31, vgl. 6) zu 110 (5, vgl. 1) u n d bildet mit 108 (wohl auch 107) e i n e kleine G r u p p e v o n F e i n d p s a l m e n mit „ D i a l o g c h a r a k t e r " im Sinne von z i t a t h a f t e n W i e d e r g a b e n v o n R e d e n . D i e d e m P s a l m a n g e h ä n g t e n Fluch- bzw. R a c h e a b s i c h t e n b e r u h e n auf e i n e m M i ß v e r s t ä n d n i s d e r k o n k r e t e n Situation. 1.8.13 sind in 4 Q P s e , 4 - 6 in 4 Q P s f (vor A p Z i o n ) u n d 2 1 - 3 1 in l l Q P s 3 D b e l e g t . 8 wird in A c t 1,20 als W e i s u n g f ü r die A p o s t e l zitiert. 1: Ü b e r s c h r i f t , vgl. 3,1; 5,1; 13,1; 110,1. 1—5: K l a g e g e b e t . B a s i s m e t r u m 4 + 4 , d o c h m e h r f a c h d u r c h Z u s ä t z e a u f g e b r o c h e n (in 2 a . 4 . 5 b ) . 1—5 b i l d e n das K o p f s t ü c k d e s P s a l m s , b e g i n n e n d mit e i n e r e h e r u n g e w ö h n l i c h e n A n r u f u n g a n d e n „ G o t t des L o b p r e i s e s " . Klargestellt ist d a m i t von A n f a n g a n das Verhältnis des B e t e r s zu J H W H (vgl. 71,6; J e r 17,14), auf d a s er a m E n d e z u r ü c k k o m m t (30): E r b e k e n n t sich zu d e r l o b p r e i s e n d e n G e m e i n d e (vgl. 22,26). E s folgt u n m i t t e l b a r die „ n e g a t i v e B i t t e " , die seine ganze S o r g e z u m A u s d r u c k bringt, d a ß sein G o t t schweigen k ö n n t e (vgl. 35,22, auch 50,3; 83,2). E r b e d a r f d r i n g e n d e i n e r A n t w o r t in F o r m e i n e r I n t e r v e n t i o n ( 2 6 f f . ) . Mit "O eingeleitet folgt in 2 f f . d e r weit a u s h o l e n d e Klageteil, zu d e m auch 6—20 g e h ö r t , d e r z u n ä c h s t in a l l g e m e i n e n W e n d u n g e n v o n e i n e m K o n f l i k t spricht, in d e n d e r B e t e r d u r c h lügnerische (2), h a ß e r f ü l l t e (3a), aggressive (3b), rücksichtslose ( 4 f . ) M e n s c h e n g e r a t e n ist. D i e s e G e g n e r , die trotz d e r singularischen F o r m u l i e r u n g in 2 - das o f f e n e M a u l d e s Frevels ( p r p ) ist w o h l b i l d h a f t g e m e i n t - e i n e G r u p p e b i l d e n (pl), b e r e i t e n o f f e n b a r e i n e A n k l a g e (lüttf 4, vgl. 6) v o r , die d e r B e t e r f ü r „ g r u n d l o s " ( S i n ) u n d falsch e r k l ä r t , die ihn a b e r in g r o ß e G e f a h r versetzt, weil er sich d a g e g e n nicht w e h r e n k a n n . D i e E r r e g u n g klingt in einigen e m p h a t i s c h e n L a u t f o l g e n ( n , X z. B . in 1, vgl. auch 21) u n d R e i m b i l d u n g e n (Sibilantenfolgen in 2 6 f f . ; -üni in 3 f . ) a n . D i e Z u s ä t z e - o d e r E i n w ü r f e - v e r d e u t l i c h e n die L a g e : „ H a ß statt L i e b e " ( b e i d e B e g r i f f e Prv 10,12; 15,17; Q o h 9,1.6). „Ich a b e r - G e b e t " k ö n n t e a u c h a n d e u t e n , d a ß d e r B e t e r d e n A n k l a g e n nichts als ein G e b e t e n t g e g e n h a l t e n k a n n ( s . o . ) . 6—20: W i e d e r g a b e d e r A u s s a g e n d e r A n k l a g e . B a s i s m e t r u m 3 + 3 . E s k a n n nicht z w e i f e l h a f t sein, d a ß es sich - wie 20 es z u s a m m e n f a ß t - in 6 f f . nicht u m eine „Fluchlitan e i " des P s a l m i s t e n , s o n d e r n u m die Z i t a t i o n d e r „ H a ß w o r t e " (3, M ) h a n d e l t , die als B e l e g f ü r die f a l s c h e n A n k l a g e n d e r G e g n e r u n d zur Illustration d e r M i s e r e v o r g e b r a c h t w e r d e n . O b sie Teil d e r V e r t e i d i g u n g s r e d e vor G e r i c h t w a r e n o d e r sein sollten, ist nicht zu e n t s c h e i d e n . D e n n es f e h l e n , mit A u s n a h m e v o n 20, k o n k r e t e H i n w e i s e . I m K o n t e x t des K l a g e g e b e t s g e h ö r e n sie zur „ E l e n d s s c h i l d e r u n g " , die allerdings g e g e n ü b e r a n d e r e n F e i n d z i t a t i o n e n (vgl. z. B . 35,21 ff.) wesentlich u m f a n g r e i c h e r ausgefallen ist. D e r g a n z e 434

David-Psalter I I I

Ps 109

Abschnitt ist im Imperativ bzw. Jussiv gehalten. Die w-Imperfekta in 17ff. sind z . T . als sekundär anzusehen. Es geht um Wünsche und Pläne der Strafverfolger. Insgesamt entsteht das Bild einer bevorstehenden gerichtlichen Auseinandersetzung, wegen des Vorwurfs sozialer und vor allem sakraler Vergehen (16ff.), wohl vor dem Tempelgericht (vgl. 141 u.a.). Der Psalmist erkennt in der Anklage bewußte Manipulation. Das Verfahren ist ein Teil der Strategie der Gegner, ihr Ziel ist die legale Vernichtung des Beklagten. Als Zeuge und Kläger soll ein SBH oder ein voreingenommener Vttnn bestellt werden - also ein falscher Zeuge (vgl. 27,12; 35,11). Zu seiner Rechten, eigentlich die Seite des Beistands, Anwalts oder Entlastungszeugen (31), soll ein lütP, also ebenfall ein Zeuge der Anklage, postiert werden (zu lüttf vgl. Sach 3,1; Hi l , 6 f f . ) . Zwei Zeugen genügen zur Verurteilung als BttH („schuldig") (7). Dagegen kommt (so M) nach Meinung der Gegner auch ein „Gebet", im Sinne des Appells an das Gottesgericht, nicht auf (7b). Die Folgen einer Verurteilung sind grausam. Sie werden als die eigentlichen Ziele der Gegner aufgeführt (8—15). 8 macht deutlich, daß sie mit der Todesstrafe rechnen. Den Posten - mpD in der Bedeutung von „Auftrag", „Amt" (vgl. Nu 3,36; 4,16; ICh 23,11; 24,19 etc.) - , den der Verurteilte bekleidet hat, übernimmt ein anderer. Die Familie wird rechtlos (9). Die Kinder gehen betteln und sammeln (10). Der Gläubiger und „Wucherer" bringt das Hab und Gut an sich und „Fremde" rauben den Feldertrag und Lohnerwerb (11). Die soziale Solidarität wird dem Verurteilten und seinen Kindern entzogen (12). Auf sie wartet gleicherweise der Untergang, so daß der Name des „Verbrechers" erlischt - mit allen Folgen für das Nachleben in der Scheol (13). Selbst die vorhergehende Generation wird in Mitleidenschaft gezogen. Sie kommen in ein schiefes Licht: ihrer „Schuld" und „Sünde" wird gedacht (14). Dies könnte heißen, daß sie wegen eines solchen „verbrecherischen" Sohnes in ihrem Ruf für immer geschädigt sind, was immer die Aufbewahrung der Schuld „vor den Augen J H W H s " bedeuten mag (15, vgl. 90,8). Die Familie jedenfalls - so das angebliche Ziel der Gegner - soll vollständig ausgerottet werden. Zu 8 - 1 5 vgl. den Ps bei Hab 3,13bff.; Hi 20,1 ff.; Ps 37 u. a. 1 6 - 1 9 verstehen sich am besten als Wiedergabe der konkreten Anklagepunkte, welche den Psalmisten in seine so bedrohliche Lage gebracht haben. Er habe (1.) keine Solidarität geübt und einen Mann, einen Armen und Rechtlosen (1V3S1 'Jtf) - die gleiche Selbstbezeichnung in 22 sowie die merkwürdige Apposition (WN) lassen diesen Ausdruck hier als Zusatz erscheinen - , verfolgt; er habe (2.) doch wohl denselben „tief verzagten" Mann umgebracht - so M, vermutlich aber hat H1031 wie an der einzigen verbalen Parallele Hi 30,8 den konkreten Sinn von „hinausgepeitscht werden" (ni) - ohne D31?; er habe (3.) „den Fluch geliebt", nicht den Segen. Will man sich darauf einen Reim machen, hilft die Vorstellung eines pflichtbewußten und gesetzesstrengen, aber übereifrigen „Beamten" (vgl. 8) weiter, der aus irgendeinem Grund einen Menschen „verflucht" und „geschlagen" hat (wie Nehemia, 13,23ff.), der dadurch zu Tode kam. Dies wäre dem Psalmisten als schwere Schuld angelastet worden. Zu Wp als Vergehen z . B . Lv 19,14; 20,9; Prv 20,20; 30,10f.; Qoh 7,22; 10,20, dazu 1R 21,10.13; es könnte umstritten gewesen sein, ob Gleiches auch gegenüber Rechtsschwachen gilt. In 16ff. wird ein juristischer Konflikt sichtbar. Der Wunsch der Sprecher geht dahin, der „Fluch" möge auf den Beschuldigten selbst zurückfallen und ihn ins Verderben führen (17—19, bes. 19), eine Logik, die dem Tun-Ergehen-Zusammenhang entspricht. 20faßt das Plädoyer zusammen. n^VS wird in forensischem Kontext mit „Strafe" als Lohn für eine Tat, "Q7 q (5,7; 15,2, vgl. 109,3) mit „vorbringen", „darlegen einer Sache" zu übersetzen sein. Der Zusatz „von J H W H "

435

Ps 109/110

Teil II: Auslegung

Buch V

dreht den Spieß um und erkennt in den Wünschen der Gegner deren eigenes Schicksal falls denn JHWH sich dem Urteil des Beters anschließen kann. 21—29: Bittgebet. Basismetrum 3+3; 21 und 28 sind überfüllt. Die Verse sind in der Regel alliterativ gebunden (z.B. 21.22.25.26 durch Gutturale, 23 durch 3 und 3, etc.), ohne daß deren Bestimmung immer klar erkennbar ist. Der Beter bittet um Gnade und Hilfe. Da er von der eigenen Unschuld überzeugt ist (28f.), geht es darum, JHWH, seinen „Herrn", zum Eingreifen zu bewegen (21). Dabei argumentiert er theologisch: JHWH möge „um seines Namens willen" (vgl. 23,3; 31,4; 143,11 u. a. Stichworte: „denn er ist gütig", in seiner „Gnade") mit ihm handeln (21,26), so daß seine „Hand" für alle sichtbar für ihn tätig wird (27). Er argumentiert mit seiner desolaten Situation (wie 6—20) und appelliert an Gottes Erbarmen mit ihm (22—25). Dazu benützt er die „Elendsformel" (22, vgl. 16; dazu 35,10; 37,14; 40,18 u.a.), sprechende Bildvergleiche (zu dem Heuschreckenmotiv vgl. Ex 10,19) sowie Hinweise auf seine gesundheitliche (22), religiöse (24) und soziale (25) Situation, die dem Muster der Krankengebete entsprechen (vgl. z.B. 69,llff.; 102,2ff.). Er argumentiert schließlich juristisch, indem er die Vorwürfe zurückgibt (28) und die Hoffnung ausspricht, die falschen Zeugen und Kläger möchte die ihnen zugedachte Strafe treffen (29). Es ist naheliegend anzunehmen, daß er erwartet, daß sich dies realiter im Prozeß (6f.31) vollzieht: Der „Fluch der bösen Tat" fällt auf die Ankläger zurück (zu 29 vgl. 17ff.). 30—31: Lobgelübde. Der Konvention zufolge schließt der Beter mit dem Lobgelübde. Es verspricht Lobrede und Lobgesang in der Öffentlichkeit der Gemeinde (vgl. 22,23; 107,8.15), bestehend in der bleibenden Erkenntnis, daß JHWH der Anwalt des Rechtlosen ist und an seiner rechten Seite steht (6, vgl. dazu 110,5; 121,5), um ihn vor seinen „Richtern" zu retten - jedenfalls solchen, wie sie 6ff. geschildert sind (vgl. 141,6).

Psalm 110 1

2

3

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Von David. Ein Psalm. Spruch J H W H s für meinen Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde mache zum Schemel für deine Füße! D e n Stab deiner Macht sende J H W H von Zion: Herrsche 3 inmitten deiner Feinde! Dein Volk® - ganz freiwillig b am Tag deines Heeres. In heiligem Schmuck c , aus dem Schöße der Morgenröte*1 ist Tau für dich e deine Jugend f .

David-Psalter III 4

5 6

7

Ps 110

Geschworen hat J H W H und läßt sich nicht umstimmen: D u bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedek. Der Herr dir zur Rechten zerschlug Könige am Tag seines Zorns. Er richtet über die Völker; von Leichen voll 8 Er zerschlug das Haupt gegen ein großes Land. Aus dem Kanal am Wege trinkt man, darum erhebt man das Haupt.

a

n n entweder analog zu 771 ,stampfen', ,treten' oder zu n n I ,zähmen', ,führen' (HAL). 3a b c M: ISS, G: ¡JISTA H ( = KtP8/XiS>H III, vgl. H A L ) und wie XBTI bzw. n p der Name eines nordarabischen Stammes (vgl. Gn 10,23.30; 25,13ff.; ICh l , 2 9 f . ) . 6" Mss, Vrs z. T. pl. T Vrs ohne cop. - b "DIN abzuleiten von 137 II,reden', vgl. 127,5, wohl nicht von -1311 pi ,den Rücken kehren' (vgl. Cant 5,6; Ps 18,48; 47,4). - c G las statt nnn: n:n „grundlos". Literatur: A . CODY, Psalm 120(119),7, in: Ein Gott - eine Offenbarung, FS N. Füglister, Würzburg 1 9 9 1 , 5 1 - 6 4 . -

Ps 120, der erste in der Reihe der „Lieder der Wallfahrten", ist das persönliche Zeugnis einer Gebetserhörung. Er enthält ein Erhörungsbekenntnis (1) sowie das Klagegebet in Form eines Gedichts (2—7). Die individuellen Züge deuten konkrete Umstände an, die nicht mehr ganz durchsichtig sind. Indes handelt es sich um einen Psalmisten, der wegen seines Aufenthalts in der Fremde in Not geriet. Sein Schicksal hat ihn zu den Beduinen der syrisch-arabischen Wüste verschlagen. Seine Sprache zeigt Dialektspuren (1.5.6). Der Psalm scheint als Votivgabe niedergeschrieben und überliefert worden zu sein. Ps 120 ist in HQPs a nicht erhalten. 120,6 ist z. T. in 4QPs e bezeugt. laa: Überschrift, wie 122-134 (vgl. 121,1). Die Vrs übersetzen: „Stufenlied" (G, V), „Lied der Hinaufzüge" (G, ähnlich A, anders T), wobei die Beziehung zur Wallfahrt anklingt, die für eine Zuordnung am nächsten liegt vgl. Esr 7,9). laß.b: Erhörungsbitte. Symmetrisch um das zentrale angelegt (Lautbezüge: -rät-, Sinnbezüge: JHWH - er erhörte mich). Die erste Zeile führt die in 2—7 rezitierte Klage als ein erhörtes Gebet ein. Als persönliches Zeugnis gehört sie in den Zusammenhang der Danksagung und Belehrung während der Todafeier (vgl. 107; 116; 118, bes. 22,22ff.). Der Psalmist dokumentiert eine Heilserfahrung „in der Not, die ihm war" (wohl umgangssprachlich, vgl. 6), durch die Wiedergabe seines damals laut ausgerufenen Gebets. 2—7: Klagegebet. Nach der Anrufung folgt ein sechszeiliges Gebet, jede Zeile (außer 3) mit sechs Akzenten, die in der ersten und letzten in Trikola aufgeteilt sind (2+2+2, sonst 3+3). Auf die Namenanrufung folgt unmittelbar ein Hilferuf des Beters, der sich in seinem Leben bedroht fühlt. Ausgangspunkt der Bedrohung ist eine mit der Schimpfbezeichnung „Lügenlippe" und „Trugzunge" belegte Person, die - offenbar mit der in 6 (sg) erwähnten nicht identisch - dem Psalmisten mit falschen Aussagen wegen seines Aus476

Wallfahrts-Psalter

Ps 120/121

landaufenthalts zusetzt (alliterativer Parallelismus) und ihn verklagt. Offenbar hatte er sich bei den in 5 genannten nomadischen Wüstenstämmen „Meschek" (Masch, Mescha o. ä.) und „Kedar" aufgehalten, die sich als Kamelreiter und Pfeilschützen im Kriege und bei Razzien einen Namen gemacht haben (vgl. Jes 21,16f.; Jer 49,28ff., dazu Abbildungen auf assyrischen Reliefs, z. B. BA 56 [1993] 180ff.). Dazu paßt 4 (vgl. 7,14): Ginsterkohlen dienen zum Schmieden und Härten von Pfeilspitzen (vgl. die spitzen ¿-Laute in 4f.). Der Konflikt hat wahrscheinlich damit zu tun. Möglicherweise wurde der Psalmist der Kollaboration angeklagt (6). Er beteuert seine friedliche Gesinnnung (dVjw) in kriegerischer Umgebung (7). Er beklagt, zu lange dort gelebt zu haben (5f.). Es drängt ihn dennoch zu der in 3f. zitierten Anwünschung: Brandpfeile gegen Wortpfeile. Zur geprägten Wendung beim Schwur vgl. z.B. 1R 19,2; Ru 1,17. Sein Hilferuf fand Erhörung.

Psalm 121 1

2 3 4 5 6 7 8

Lied für Wallfahrten 3 . Ich hebe meine A u g e n zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt von J H W H , der Himmel und Erde gemacht hat! Nicht lasse er wanken 9 deinen Fuß; nicht b schlafe, der dich bewacht! Siehe, nicht schläft noch schlummert der Wächter Israels! J H W H a ist dein Wächter", JHWH C dein Schutz*1 zu deiner rechten Hand. A m Tage trifft dich die Sonne nicht, noch der Mond des Nachts. J H W H behüte dich vor allem Ü b e l , er behüte deine Seele! J H W H 3 behüte dein G e h e n und dein K o m m e n b von nun an und alle Zeit!

l a llQPs 3 liest mit Mss -an wie 120,1 etc. 3" Zu lesen: ü l ^ . - b llQPs a mit cop. 5a l l Q P s 3 bezeugt am Versanfang n17,173 („in der Nacht"). - b Vrs lasen verbal wie in 7a: "pBB>\ - c 11 QPs a hat vor na'jS statt mrp eine Lücke, die für ein althebräisch geschriebenes Tetragramm zu knapp ausfiel. Ist eines der beiden mn1 ursprünglich aus rPH' („es soll sein") entstanden? — d hier in der Bedeutung .Schutz' (vgl. akk sillu, dazu HAL). 8 a Fehlt in llQPs a . - b G in umgekehrter Reihenfolge. Literatur: H. W. M. van G r o l , De exegeet als restaurateur en interpreet. Een verhandeling over de bijbelse poetica met Ps. 1 2 1 als exempel, Bijdr. 4 4 ( 1 9 8 3 ) 2 3 4 — 2 6 1 . - M . Weippert, „Ecce non

477

Ps 121/122

Teil II: Auslegung

Buch V

dormitabit neque dormiet, qui custodit Israel". Zur Klärung von Psalm 121,4, in: Lesezeichen, FS A. Findeis, D B A T 1984, 7 5 - 8 7 . - A . R . CERESKO, Psalm 121: A Prayer of a Warrior?, Bibl 70 (1989) 4 9 6 - 5 1 0 . - J.T. WILLIS, A n Attempt to Decipher Psalm 121:1b, CBQ 52 (1990) 2 4 1 - 2 5 1 . -

Ps 121, entstanden wohl als individuelles Glaubenszeugnis eines Verunglückten, das persönliche Erfahrung festhält, wurde sekundär zur Segensliturgie umstilisiert, und zwar durch Ergänzung von 4 und 7 (oder 8). Es gibt ursprünglich Überlegungen aus der Notsituation (Selbstgespräch l f . ) und rezitierte Segenswünsche wieder, die dem Psalmisten hilfreich waren ( 3 - 8 ) . Der klangvoll und kunstreich verfaßte Text (van Grol) mit seinen vielfachen Alliterismen ist in l l Q P s a fast vollständig erhalten und fortlaufend geschrieben. 121,6 klingt in Apc 7,16 an. l a a : Überschrift, nur hier als Zweckangabe formuliert (anders l l Q P s a ) . Vgl. 120,1. l a ß - 2 : Selbstgespräch, 3 + 3 , mit akrokolischer Alliteration der Gutturale (X; 57). In Frage und Antwort bezeugt ein individuelles Ich seine Hoffnung auf Hilfe von J H W H (vgl. 20,3 und 124,8). Als Anlaß des Psalms kann wie bei Ps 42f. ein Unfall im Gebirge angenommen werden. 1 bezieht sich primär wohl nicht auf „heilige Berge", sondern auf den Ort der Not (vgl. Ceresko). Die Ausschau nach Hilfe führt zum Bekenntnis zum Schöpfergott (vgl. 115,15; 124,8; 134,3), das er sich selbst in Erinnerung ruft (I.P.). 3—8: Segensworte, Basis 3 + 3 , mit dominanter Akrostichie a u f , und ^-Endreimbildung sowie verschiedenen anderen versbezogenen Reimbildungen (z.B: 5: s, ;'; 6: Doppelungen; 8: ff-Alliteration). Sekundär sind wohl 4 und 7 (oder 8?) hinzugekommen. Ursprünglich scheint der Psalmist ihm mitgegebene oder geläufige Segensworte für Reisende (3.8) zu rezitieren, aus denen er offenbar die in 2formulierte Zuversicht gewinnt. Die Segensworte beziehen sich auf Fuß (3), Hand (5), Kopf (6?), Leib und Leben (7), Weg (8) und sind insofern sinnvoll gereiht. Sonne und Mond stehen wohl für Tageshitze (,Hitzschlag') und Nachtkälte (6). Leitwort ist "IB1P ,hüten', das als Kernaussage des Segens variiert wird (nominal 3. [4.]5, verbal 7.8): „ J H W H ist dein Hüter" (5), „er behüte dein Leben" (7). 4 fällt als Behauptung aus dem Segenszuspruch und scheint eine theologische Ergänzung zu sein - nach dem Theologumenon „der Hirte Israels" (80,2 u. a.) gebildet. Liturgisch klingen oder sind verwendbar 7 und 8. Sie machen das individuelle Glaubenszeugnis zur Segensliturgie, wodurch die konkreten Hinweise einen allgemeinen Sinn bekommen.

Psalm 122 1

2 3

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Wallfahrtslied. Von David8. Gefreut hatte ich mich, als man zu mir sagte: Wir wollen zum Hause JHWHs gehen. Mit eigenen Füßen standen wir9 in deinen Toren, Jerusalem. Das aufgebaute Jerusalem, wie eine Stadt, die in sich fest zusammengefügt ist9.

Wallfahrts-Psalter

4 5 6 7 8 9

Ps 122

Denn dorthin 9 zogen die Stämme, die Stämme JHs Pflicht15 ist's für Israel, den Namen J H W H s zu preisen! Denn dort setzte man sich an Stühlen 8 zum Gericht, die Stühle b vom Hause David. Grüßt Jerusalem mit dem Friedensgruß: Wohl ergehe es denen, die dich lieben 8 ! Friede sei in deinen Wällen 8 , Ruhe in deinen Palästen! U m meiner Brüder und Freunde willen will ich doch 8 Friede sagen zu dir. U m des Hauses JHWHs, unseres Gottes, willen will ich dein Bestes 8 suchen.

2" llQPs a wie S: ^ l l „meine Füße"; G: 1 "Von einzelnen Mss nicht belegt, doch von llQPs a . „in deinen Hallen". 3" Schwierige Stelle, wörtlich übersetzt: „gefügt für sie zusammen" ( = „fest zusammengefügt"). "GH II pu ist als bautechnischer Ausdruck zu verstehen oder mit G auf die menschliche Gemeinschaft ([j.eTo-/_r, ~ [n]"Qn) zu beziehen. llQPs a hat I1? statt n n 1 TÖ „für ihn". 4" llQPs a natT. - b llQPs 3 und £ bezeugen ^¡Oti»1 m » „die Gemeinde Israel". 5 a Zu erwarten wäre "757 „auf". aiP' meist mit persönlichem Subjekt. - b 1 lQPs a sg „der Thron". 6" 1 Ms "p^TIX „deine Zelte", mit M, llQPs 3 (T2m[). 7® Eigentlich sg „Vorwerk". HQPs a mit folgender Copula. 8° Fehlt in llQPs 3 . 9" HQPs a naiB. Literatur: L. ALONSO-SCHÖKEL-A. STRUS, Salmo 122: Canto al nombre de Jerusalem, Bibl 61 (1980) 234-250. - H. DONNER, Psalm 122, in: Text and Context, FS F.C. Fensham, JSOT. S 48 (1988)81-91.-

Ps 122 ist das Erinnerungsstück eines Jerusalem-Pilgers, verfaßt in der Situation des Abschieds von der Stadt, das an Erlebtes und Geschehenes erinnert und zum Friedensgruß anhebt, nicht ohne Zögern. Der in leicht strukturierter (möglicherweise 3+2Rhythmus), gehobener Prosa späterer Prägung (vgl. 2; -V in 3.4 etc.) gehaltene persönliche Text spielt durchgehend mit als Klangmotiv in verschiedenen Verbindungen (besonders auffällig in 4.6) und kombiniert auf diese Weise D^TTN"1 mit DV?W. Später scheint er in 4aß.b.9 auch theologisch in diesem Sinne aufgearbeitet und stilisiert worden zu sein. Leider bleibt seine Jerusalem-Schilderung an entscheidender Stelle undeutlich (3). In llQPs" steht er im gleichen Kontext (Kol. III); vgl. auch die Fragmente von 4QPs 122.

l a a : Überschrift, s. zu 120. 1—5: Erinnerungen. Der Psalm versteht sich am besten als gesprochen in einer Abschiedssituation beim Aufbruch zur Heimkehr von der Pilgerfahrt nach Jerusalem. Ein einzelnes Ich, Teil einer Wallfahrergruppe, erinnert sich (1—5) und äußert Wünsche beim Abschied von Jerusalem (6—9). Der Psalmist erinnert sich wehmütig der Freude, die er empfand, als man ihn zur Wallfahrt nach Jerusalem, zum Besuch „des Hauses JHWHs" einlud (1). Das liegt zurück wie auch das Erlebnis, tatsächlich (zum ersten Mal?) in den Toren der Stadt gestanden zu sein, das Ziel offenbar einer beschwerlichen Reise, das ihm noch vor Augen steht (2). Er beschreibt sodann diese Stadt als „wieder aufgebaut" (3) - war sie zerstört oder verfallen, oder war sie ihm so geschildert worden? 479

Ps 122

Teil II: Auslegung

Buch V

Ist 3b dazu parallel, spricht er von dem Eindruck einer kompakten Stadt, welche in sich geschlossen - „fest gefügt" - zusammenhält, sei es, daß der bauliche Aspekt (term techn pu), oder daß der gesellschaftliche Aspekt (G) betont ist. Erschien ihm die Großstadt abweisend, verschlossen, oder will er die einigende Funktion des offenen Wallfahrtsortes rühmen? Letzteres könnte der folgende Vers andeuten, der Jerusalems Geschichte als Zentralort der Stämme erwähnt (4), der Stämme JHs wie er sagt, ohne das historische Problem Jerusalem und die israelitischen Stämme zu berühren. Zugleich motiviert er die eigene Wallfahrt und ordnet sie in die Geschichte ein. Gibt es die Stämme noch? Er vergegenwärtigt sich im Blick auf die „hochgebaute" und menschenvolle Stadt die Geschichte der Heilssuche. 4aß.b mag eine dogmatische Reminiszenz oder ein erklärender Zusatz sein. Er spricht von der gesetzlichen Pflicht ( m l » schriftliches Zeugnis', vgl. die llQPs a -Variante) zur kultischen Anrufung des Gottesnamens, d.h. praktisch zur Wallfahrt, zum Bekenntnis. Eine weitere Vergegenwärtigung kommt (in 5) hinzu. Sie motiviert Wallfahrten anders, nämlich wie 4aa - weshalb 4aß.b ein Ingrediens sein wird damit, daß „dort" an Richterstühlen Gericht gehalten und Recht gesprochen wird. Mag solches zum Angebot eines Wallfahrtsortes gehören, der Stadt etwa; es kann auch das Angebot des Gottesurteils am Heiligtum meinen, dessen sich viele Psalmisten („Angeklagte") bedient haben. Die Erinnerung wird überlagert durch den Gedanken an die königlichen Richterstühle, doch wohl der davidischen Monarchie der vorexilischen Zeit (5b) und in der Q-Version noch einmal durch den Gedanken an den Königsthron der Davididen, an dem seit alters so viele Verheißungen haften (sg 803). 6—9: Wünsche. Der letzte Gedanke mag den Psalmisten zur Äußerung von Wünschen für die Zukunft Jerusalems bewegt haben. Er ruft seine Reisegenossen auf, Jerusalem zum Abschluß den klangvollen Segensgruß ( D ^ I T 01*70 zuzurufen (6a) und formuliert selbst einen dreifachen Gruß (6b.7a.b): an alle Besucher („die dich lieben" oder: „deine Zelte" - für die Pilger?), an alle Bewohner innerhalb des Mauerwalls (Vri) und an alle „Bürger" in den Wohnhäusern oder Palästen. Die Schlußverse bringen einen merkwürdigen Vorbehalt zum Ausdruck, der auf ein distanziertes Verhältnis zur Stadt schließen läßt (vgl. 3b). Trotz Bedenken oder schlechter Erfahrung (?) will er „der Brüder und Freunde wegen" den Friedensgruß sprechen (8). Was hält ihn zurück? Die fremde Großstadt, die sich im großen wenig um Pilger und ihre Vorstellungen kümmert? Doch es gibt auch enge Beziehungen, Brüder, Genossen. Der Schluß klingt wie ein Nachhall, der jenes Bedenken übertönt. Natürlich, „das Haus JHWHs, unseres Gottes", das zeichnet Jerusalem aus (9). Theologisch der richtige Grund, der Stadt das Beste zu wünschen. Bessert der Psalmist nach oder ein rechtgläubiger Theologe, der 8 so nicht am Ende stehen lassen kann?

480

Wallfahrts-Psalter

Ps 123

Psalm 123 1

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Wallfahrtslied 3 . Zu dir hebe ich meine Augen auf, der du im Himmel thronst1*! Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hand ihrer Herren, wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Herrin, so sind unsere Augen auf JHWH, unseren Gott, gerichtet, bis daß er sich unser erbarmt. Erbarme dich unser, JHWH, erbarme dich unser, denn wir haben reichlich satt den Hohn! Reichlich satt hat unsere Seele den Spott der Sorglosen 9 , den Hohn der Stolzen b .

1" Unsichere Lesart in llQPs a : m^ya1? T1[ ( T U oder TW?), ähnlich wie 121,1 (M) bzw. 122,1 (M). - b llQPs 3 : ]aira awvn. 4 a Zu lesen O'rntr1? wie im Parallelausdruck; G übersetzt in bonam partem: toi? eiSrjwjaw „gegen die Gesegneten". - b So K, Vrs. Q: D^V 'Kl1? „der Hochmütigen der Unterdrücker". Literatur: H. GOEKE, Gott, Mensch und Gemeinde in Ps 123, BuL 13 (1972) 124-128. -

Ps 123 ist ein aus Klage- und Vertrauensmotiven gestalteter Text, der als Ich-Gebet beginnt (1) und sogleich in eine Wir-Klage übergeht (2 ff.). Kernmotiv ist das Doppelgleichnis vom Harren der Knechte auf den Wink des Herrn, der Magd auf die Herrin, das angespanntes Erwarten in Bedrängnis anzeigt. Verstärkt wird diese durch Hohn und Spott der Mitmenschen - wohl der eigentliche Anlaß der Klage. Möglicherweise ist eine ursprüngliche Klage zum Gebet umgearbeitet worden (1.3). Der Psalm steht 120; 124; 129 (und 131) nahe. 123,1-2 ist z.T. in HQPs a (abweichend) bezeugt. laa: Überschrift, vgl. 120,1. laß.b: Anrufung. Lautverkettung durch Alliteration (X - V) und Repetition (nx; 3 mit ''-compaginis). Der Vers erinnert an 121,1. Eine einzelne Person ist dabei, die Augen (nach der Proskynese) zur Anrede des Gottes im Himmel zu erheben (zur Prädikation vgl. 2,4; 11,4; 115,3). Sie sucht ihren Gott offenbar nicht an einem heiligen Ort, sondern im überweltlichen „Himmel" („der Himmel und Erde gemacht hat", 121,2). Das Gebet findet erst in 3 eine Fortsetzung. Es ist denkbar, daß der Text erst sekundär durch 1 und 3 zur Gebetsanrede stilisiert wurde. 2: Selbstdarstellung. Stufenstruktur (3mal dann IV) und Intonation auf e (llmal nach M) kennzeichnen die Selbstbeschreibung einer Wir-Gruppe, welche sich in einem Doppelgleichnis als eine des Winks gewärtige Dienstgemeinschaft versteht. Ihr Blick ist gespannt auf JHWH, ihren Gott, gerichtet, wie der Blick der Knechte auf die Hand der Herren, wie der Blick der Magd auf die Hand der Herrin. (Spricht in lff. eine Frau oder ist der zweite Vergleich nur rhetorisch gemeint?). Der konzentrierte Blick sucht ein Zeichen der Zuwendung (pn 2b). Die Darstellung drückt indirekt den dringlichen 481

Ps 123/124

Teil II: Auslegung

Buch V

Wunsch aus, es möge bald etwas geschehen. Zur Formel vgl. den im ehr Werk häufigen Personennamen T S i n ^ N (o.ä.) „auf JHW sind meien Augen gerichtet" (Tournay 1991,156 f.); dazu 25,15. 3: Bittruf. Reimspiel auf 13, vgl. e-Intonation. Der Bittruf mit Namenanrufung faßt die „stumme" Gebärde in Worte: Man wartet auf ein gnädiges Handeln JHWHs, weil man den „Hohn" satt hat. Dieser „Hohn", unter dem auch andere Psalmisten leiden (vgl. 31,19; 107,40; 119,22), ist offenbar eine Geringschätzung, die die Leidenden oder Armen erfahren müssen (sekundär aus 4 gewonnen?). 4: Klage. Prononcierte Wiederholungen (vgl. 14mal a) lassen Emotionen erkennen im Blick auf die erlittene „Geringschätzung", die 3 nur sehr allgemein benennt. Eine Gruppe der „Sicheren", „Sorglosen", „Zufriedenen" (D'ÜNW) wird erkennbar, welche die Leidenden (vgl. Hi 12,5.21; 31,34) durch Schuldzuweisungen oder andere Unterstellungen brüskiert. Sie sind weiter bezeichnet als die „Hochmütigen", „Stolzen", die bedenkenlos spotten (A571?, vgl. 44,14; 79,4). Es können heidnische Nachbarn gemeint sein (so Q), aber auch mißgünstige Nachbarn der Gemeinde im eigenen Volk. Die Betroffenen äußern ihren Ärger deutlich. Ein Schlußwunsch fehlt.

Psalm 124 1

2 3 4 5 6 7 8

Wallfahrtslied. Von David". Wäre nicht J H W H für uns gewesen, so spreche nun Israel, Wäre nicht J H W H für uns gewesen, als Menschen sich wider uns erhoben, 3 Dann hätten sie uns lebend verschlungen in ihrem glühenden Zorn auf uns! Dann hätten die Wasser uns überschwemmt, der Bachsturz wäre über uns hinweggegangen! Dann wären über uns hinwegegangen die hochbrandenden 3 Wasser! Gepriesen sei J H W H , der uns nicht gegeben ihren Zähnen zum Raub! Unser Leben kam davon wie ein Vogel aus der Falle der Fänger. Die Falle zerbrach, und wir kamen davon. Unsere Hilfe 3 liegt im Namen JHWHs, der Himmel und Erde gemacht hat.

1 "Fehlt in Mss und G. 3" 'TS 3mal (3ff.), aram. Spracheinfluß (vgl. rfrnj, 4). von TT: „kochend", „wallend". 8 a l l Q P s a liest m n » (pt „unser Beistand"?). -

482

5" yiTT adj.

Wallfahrts-Psalter

Ps 124

Ps 124 lebt wie sein Zwillingstext 129 aus der Tradition der Dankpsalmen, die Zeugnis von erfahrenem Heil ablegen. Das Zeugnis von einer wunderbaren Rettung aus Feindbedrängnis legte offenbar eine Wir-Gruppe ab (vgl. 107,10ff. u.a.), das sich „Israel" jetzt zu eigen machen soll (1, vgl. 118,2.4; 129,1). Erkennbar wird der Rezeptionsvorgang solcher Textzeugnisse mittels erweiternder Bearbeitung (1.5.8). Dem klar strukturierten Primärtext (Zeilenstufung) mit seiner expressiven Lautgestalt (Leittöne: 13 von 13fUN, S3 von tPS3), dem noch ein befreites Aufatmen abzuspüren ist, wurde das akrostichische Schriftbild wohl erst sekundär aufgeprägt (1—5, nicht 6ff.). Der späte (aramäische) Spracheinfluß spricht für nachexilische Ansetzung. Teile von 124,7f. sind in l l Q P s 3 belegt. laa: Überschrift, vgl. 120,1. Die nicht einhellig bezeugte Angabe "ITT1? (vgl. 122,1; 123,1: l l Q P s 3 ; 131,1; 1 3 3 , 1 ) b l e i b t e i n R ä t s e l .

laß—5: Zeugnis. Langzeilen mit fünf bis sieben Wörtern (leicht abnehmend), parallel strukturiert, im Schriftbild akrostichisch konstruiert (^l 1 ? 2mal, 'TN 3mal), ausgestattet mit verschiedenen Reimfiguren (Assonanz auf - im ganzen Psalm 12mal; Alliteration a u f i n 2, 3/S in 3,37 in 4). Angepaßt sind die vermutlich ergänzten Zeilen laß.b (an 2) und 5 (an 3.4). Der Psalm gibt sich nach 1 als ein von ganz „Israel" zu sprechendes Bekenntnis, das zum Ausdruck bringt, daß es seine Existenz wieder einmal einzig und allein der Intervention JHWHs verdankt. Wie in 118,2.4; 129,1 ist es die Gesamtgemeinde „Israel", die sich solche Einsichten in Erinnerung ruft, auch wenn die reale Erfahrung von einer Teilgruppe („wir", 2ff.) gemacht wurde. Die Gemeinde spricht das Zeugnis der geretteten Gruppe nach (vgl. auch 107). Dieses liegt in 2—7(9) vor. Sie erkennt, mit knapper Not ihrem Schicksal entronnen zu sein (vgl. 94,17; 119,92, dazu 27,13). Ein Überfall (2b) brachte sie offenbar in die Gewalt von „Menschen" (Motiv „Falle", 7). Die Bildmetaphern (wilde Tiere 3a.6; Überschwemmung 4.5; Vogelfalle 7) bekunden Todesgefahr (5 harmonisiert „Feuer" und „Wasser" zu „kochendem", „wallendem Wasser" und allegorisiert die Vergleiche). Ein bestimmtes Ereignis ist nicht auszumachen. 5—7: Danksagung. Zeilen abnehmender Länge: 6—5—4—3+3 (8), getragen vom Leitklang 13; auffallend viele D/3-Laute sind festzustellen (schon in 3ff.). Aufatmend kann die Gruppe mit Dank ihre Rettung bezeugen. Konkretes ist den meist passiven Aussagen nicht zu entnehmen, doch das Gefühl der Befreiung ist spürbar. Durch ein Wunder bleiben die Bedrohten am Leben. Die Klappfalle (ns, vgl. Am 3,5 u . a . ) wurde zerbrochen. Die Rettung war da. 8: Bekenntnis. Die Teilgruppe und die Gemeinde bekennt sich zu der Hilfe, die durch die Anrufung des JHWH-Namens gewährt wurde und die sie für sich in Zukunft erhofft. Sie bekennt sich in hymnischem Lobpreis zum allmächtigen Schöpfer, der helfen und segnen kann (vgl. 115,15; 121,2; 134,3).

483

Ps 125

Teil II: Auslegung

Buch V

Psalm 125 1

2

3

4 5

Wallfahrtslied. Die auf J H W H vertrauen sind wie der Berg Zion: Er wankt nicht 3 , bleibt allezeit b . Jerusalem hat Berge ringsumher 8 : Und so ist J H W H ringsum sein Volk, von nun an allezeit. Fürwahr, es soll nicht ruhen 3 das Szepter der Bosheit b auf dem Los c der Gerechten, damit die Gerechten zum Frevel ihre Hand nicht ausstrecken! Tue Gutes, J H W H , den Guten und denen, die aufrecht in ihrem Herzen 9 ! Aber die sich wenden zu ihren krummen Wegen 3 möge J H W H hinwegführen samt den b Übeltätern. Friede über Israel!

1" M: X1?, l l Q P s a : S ^ t P . - b G las pt: „der Bewohner Jerusalems". l l Q P s a bezeugt nur 3tP[, jedoch in 2 statt n1? (M) I1?. 2 a Vgl. Ib. 3" G las hi. - b Nebenlesart W i n : „des Frevlers". - c " n u steht in 4Q381,76—77 7 parallel zu m s mit der Bedeutung: Gemeinschaft', .Gemeinde'. 4" a ' n sg: 4QPs e . 5" l l Q P s a : ohne Suffix; 4QPs e : mpl ohne Suffix. - b H Q P s a : V d rix „samt allen". Literatur: W. BEYERLIN, Weisheitliche Vergewisserung mit Bezug auf den Zionskult. Studien zum 125. Psalm, O B O 68 (1985). -

Ps 125 ist ein weisheitliches Votum, d.h. die Niederschrift einiger Gedanken über die Reinheit der Gemeinde, bestehend aus „Gläubigen" und „Gerechten", ohne fremde Einflüsse. Ihm scheint ein spontaner Einfall beim Anblick Jerusalems zugrunde zu liegen (2), der sekundär theologisch in 1 und 4 angereichert und so zur „Vergewisserungsrede" (Beyerlin) ausgearbeitet wurde. Einzelheiten bleiben dunkel. Sprache und Stil entsprechen den Kontextpsalmen. Mit (sehr) später Ansetzung ist zu rechnen. 1—5 ist in llQPs 3 , 2 - 5 in 4QPs e bezeugt. Der Gruß in 5b (vgl. 128,6) kehrt in Gal 6,16 abgewandelt wieder. l a a : Überschrift, vgl. 120,1. l a ß - 5 : Votum; keine einheitliche Versstruktur ( z . B . l : 4 + 4 ; 2 a : 3 + 3 ; 4 : 3 + 2 ) . Der Psalm beginnt mit einer lehrhaften Sentenz, welche die Gläubigen mit dem „Berg Zion" vergleicht. Tertium comparationis ist die unerschütterliche Festigkeit, welche die Tradition diesem von JHWH selbst gegründeten (Jes 14,32; 28,16) und erwählten Ort (Ps 68,17; 132,13ff.) zuerkennt. Er vermittelt diese Festigkeit an die glaubenden Pilger (vgl. 15,5; 24,1 ff; Jes 2,lff.). Ihr Vertrauen läßt sie fest werden (vgl. Jes 7,9). Die theologische, aus der Zionstradition stammende Sentenz (1) konkurriert mit dem Glaubenssatz, daß JHWH - den umliegenden „Bergen" gleich - Jerusalem umschließe und bewache. Dieses ungewöhnliche Gleichnis (vgl. Sach 2,9) scheint aus der Sicht des Pilgers gewon484

Wallfahrts-Psalter

Ps 125/126

nen zu sein. Es war wohl die Leitidee des Psalms in seiner ersten Fassung (ohne 1 und 4, aber mit den Formeln 2b und 5b), ein spontaner Gedanke, der in der Topographie nur wenig Anhalt findet und ja auch durch 1 verdrängt wurde. Immerhin führt er in 3ff. zu der Überzeugung, daß die Tatsache der Gottespräsenz „rund um sein Volk" die Einrichtung des „Szepters des Frevels" im „Los der Gerechten" mitsamt den Folgen (3b) unmöglich mache, vielmehr die Reinigung der Gemeinde von allen Abweichlern, die „auf krumme Wege abbiegen", gleichwie von allen „Übeltätern" und Verbrechern (5) bewirken werde. Den Hinweisen und Anspielungen ist keine Konkretion, wohl aber die Vorstellung abzugewinnen, daß es sich um die Folgen einer fremdbestimmten Neuerung handeln muß, welche zur Versuchung vieler geworden war (vgl. Ps 1; Dan 8,12f.; 11,31; Sir 35[32],22ff. u.a.). Der Einwurf einer Fürbitte für die im Herzen „Guten" und „Aufrechten" (4) unterstreicht (sekundär?) die Erkenntnis, daß die Herstellung einer reinen Gemeinde der Gläubigen und Gerechten J H W H vorbehalten sein muß, weil er allein über die Herzen urteilen kann. Anders ist es bei den Übeltätern (5). Der Schlußgruß ist identisch mit 128,6b.

Psalm 126 1

Wallfahrtslied. Als J H W H wandte Zions Geschick 3 , waren wir wie TVäumende b .

2

Damals füllte L a c h e n unseren Mund und unsere Zunge der J u b e l . Damals sagte m a n bei den Völkern: Großes hat J H W H an diesen getan!

3

Großes hat J H W H an uns getan; wir waren darüber froh.

4

W e n d e doch, J H W H , unser Geschick 3

5

Die mit Tränen säen,

wie die B ä c h e im Südland! mögen ernten mit J u b e l . 6

Weinend geht dahin, der den Saatbeutel trägt 3 . Mit J u b e l k o m m t zurück, der seine Garben t r ä g t 3 .

I a So nach H A L . m ' W entspricht rTQtt> 4 (vgl. K und Q, dazu 14,7 = 53,7; 85,2 sowie Sef III 24). Die Ableitung von rOtP .gefangen sein' (G: ar/jj-aXtu^ria ,Gefangenschaft') ist möglich, doch ist die von 3 W ,zurückkehren' (transitiv: ,wenden', vgl. 85,5) vorzuziehen. - b So M. l l Q P s 3 : D'ai^nD, das als pt pass von D^n ,stark, gesund sein' abgeleitet werden kann: „wie Genesene" (vgl. Jes 38,16; Sir

485

Ps 126

Teil II: Auslegung

Buch V

15,20; 49,10, dazu HAL). G: ¿k r.y.pay.zxAr¡ij.évoi „wie Getröstete", T: K'SHB "[TI „wie Kran-

ke".

4"K:13ma®,Q:13n'3».

6a llQPs a , Gpl. -

Literatur: W. BEYERLIN, „Wir sind wie Träumende". Studien zum 126. Psalm, SBS 89 (1978)(Lit.). - S. BEN-CHORIN, Das Volkslied der Juden, in: Liturgie und Dichtung I, St. Ottilien 1983, 4 7 - 5 4 . - S. MANFREDI, Salmo 126(125): il canto della speranza, H o Theológos 1 (1983) 193—206. - R. Mosis, „Mit Jauchzen werden sie ernten". Beobachtungen zu Psalm 126, in: Die alttestamentliche Botschaft als Wegweisung, FS H. Reinelt, Stuttgart 1990,181-201. -

Ps 126 gilt als einer der schönsten Psalmen im Psalter, als „Volkslied" (Ben-Chorin), das seinen Glanz der Sprache der Freude und des Jubels und seiner Bildwelt („wie Träumende", „wie Wasserbäche") verdankt. Die Rhythmik der beiden Teile (1—3.4—6) ist durch stichometrische Zählung aufweisbar. Sie war wohl ursprünglich (ohne DK bzw. andere Füllungen) noch deutlicher als überliefert unterschieden, um der Stimmung der beiden Strophen zu entsprechen. Bezieht sich die Aussage von 1 auf die Exilswende und den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem, wäre für die Datierung ein terminus a quo gegeben und der Psalm könnte der frühnachexilischen Zeit zugewiesen werden (und mit ihm andere Wallfahrtspsalmen wie 122; 129, vgl. Neh 5,lff.). 126,1-6 bezeugt llQPs 3 , 126,1-5 4QPs e , 126,6 lQPs b . l a a : Überschrift, vgl. 120,1. laß—3: Erste Strophe: Erinnerung. Vier Langzeilen von je 4+2 Wörtern, mit Inklusion (lb.3b), Intonation auf helles i und alliterierenden Klangbildungen (z.B. la. Ib.2b.3a.3b). Die Tempusfrage ist von lb.3her im Sinne des Perfekts der Vergangenheit zu entscheiden (anders, lb als Parenthese verstanden, Beyerlin). Der Blick ist auf die eingetretene Heilswende des Zion gerichtet. Dies gilt auch, wenn man mit G 1 auf die Erlösung aus „Gefangenschaft" bezieht. Gemeint ist doch wohl die Exilswende und die Wiederherstellung des Ziontempels. (o. ä.) ist als Rechtsterminus aufzufassen, der die Wiederherstellung des status quo ante bezeichnet (restitutio in integrum, vgl. HAL). Die Erfahrung der Restitution Zions versetzte in Euphorie und Jubel (2a). Das „Träumen", für llQPs a , G, T die „Genesung" von Krankheit, wird als vergleichbar hingestellt zu jenem Heilserlebnis, das selbst die „Völker" nicht unbeeindruckt läßt: Sie müssen die Schicksalswende als Tat JHWHs anerkennen (2ay.b). Auch die Wir-Gemeinde anerkennt in erinnerndem Rückblick das ihr durch Zions Erneuerung widerfahrene Heil und schließt sich damit der Aussage der Völker an (3a). Doch deutet die Betonung der Zeitlage (in 3b) an, daß es sich um Ereignisse der Vergangenheit handelt, denen eine nicht adäquate Gegenwart entgegen steht. 4—6: Zweite Strophe: Hoffnung. Vier Verszeilen von je 3(2)+2(3) Wörtern, insofern kürzer als in der ersten Strophe, aber mit ähnlicher Lautgestaltung (a-w/o-Klangfolge, 3Alliteration 6ay). Die an 1 angelehnte Bitte von 4 gilt dem eigenen Status und seiner Restitution (vgl. 85,2ff.; Jer 30,3.18; 31,23, auch Hi 42,10). l i n n i i (4) ist nicht identisch mit fPX rn'tP (1) und darum Anlaß zur Klage und Bitte. Die Wadis im Negeb sind trocken und warten auf den Beginn des Winterregens (4b, vgl. Hi 6,15ff.). Auch wenn hinter 5 oder/und 6 ein Sprichwort von Saat und Ernte stehen mag, könnte doch darin ein Hinweis auf die klägliche Existenz zu sehen sein. Die Erntevorräte sind verbraucht. Der letzte Rest muß als Saatgut verwendet werden. Not und Hunger sind zu erwarten. Klagend sät der Bauer aus, den Samen im Saatbeutel ("|WQ) tragend. Jubel stellt sich erst 486

Wallfahrts-Psalter

Ps 126/127

wieder ein, wenn das G e t r e i d e geschnitten und in G a r b e n zur T e n n e gebracht wird (6). Diesen Jubel (vgl. 2) m u ß die G e m e i n d e o f f e n b a r zur Zeit i m m e r noch e n t b e h r e n . D i e Bitte (4) wird indes m e h r meinen als nur eine gute E r n t e im S o m m e r .

Psalm 127 1

Wallfahrtslied. V o n S a l o m o " . W e n n J H W H d a s H a u s nicht b a u t , a r b e i t e n u m s o n s t , d i e daran b a u e n . W e n n J H W H d i e Stadt nicht b e w a c h t , wacht der Wächter umsonst.

2

E s ist u m s o n s t , w e n n ihr früh a u f s t e h t , e u c h spät n i e d e r l e g t und eßt das Brot der Trauer8! E s ist s o : S e i n e m Freunde 1 * gibt er E r f o l g c .

3

S i e h e , d a s E r b e J H W H s sind K i n d e r ,

4

W i e P f e i l e in d e r H a n d d e s K r i e g e r s ,

d e r L o h n ist d i e Frucht d e s L e i b e s . s o sind S ö h n e in ihrer J u g e n d 8 . 5

Wohl d e m M a n n , der seinen Köcher8 mit ihnen gefüllt hat! Sie w e r d e n nicht z u s c h a n d e n , w e n n s i e verhandeln 1 * m i t d e n Feinden im Tor.

1" Fehlt in einigen Mss von G, aber nicht in llQPs". 2" Abzuleiten von 3SB II,trauern', vgl. Prv 10,22; Neh 8,10f. - b Einige Vrs pl. - c (Mss: bildet ein ungelöstes Problem. Es ist entweder von ,Schlaf' (l^ 1 ) abzuleiten: „gibt er Schlaf" (Vrs) bzw. „im Schlaf" (acc) oder von KW(= nJtP III),leuchten', ,hoch sein' o. ä. (Emerton), oder es ist als Konjektur eine Form von D'W ,zwei' anzunehmen, z.B.: 1XW = TW (aram. T'jn) „zweiter" im Sinne von ,doppelt' (so z.B. Nötscher; vgl. das Wortspiel mit in''). Zum Problem vgl. HAL. 4a G: twv EXTETivayij.evtov „der Ausgestoßenen" (von 1S3 II ,schütteln'). 5" Anders G: E7ti0u|j.taM „Lust". - b II pi, vgl. 120,7. Literatur: J. A. EMERTON, The meaning of sena in Ps CXXVII 2, VT 24 (1974) 15-31. - P . D . Psalm 127 - The House that Yahweh Builds, JSOT 22 (1982) 119-132. - H. IRSIGLER, „Umsonst ist es, daß ihr früh aufsteht..." Psalm 127 und die Kritik der Arbeit in Israels Weisheitsliteratur, BN 37 (1987) 48-72 (Lit.). - H. STRAUSS, „Siehe, Jahwes Erbbesitz sind Söhne". Psalm 127 als ein Lied der Ermutigung in nachexilischer Zeit, in: Altes Testament und christliche Verkündigung, FS A . H . J. Gunneweg, Stuttgart 1987, 399-411. - D. J. ESTES, Like Arrows in the Hand of a Warrior (Psalm cxxvii), VT 41 (1991) 304-311. - O. KEEL, Psalm 127: Ein Lobpreis auf Den, der Schlaf und Kinder gibt, in: Ein Gott - eine Offenbarung, FS N. Füglister, Würzburg 1991, 155-163. MILLER,

Ps 127 besteht aus einer R e i h e weisheitlicher Sentenzen, die aphoristisch u n t e r d e m T h e m a : Erfolg, Segen zusammengestellt w o r d e n sind. D i e Sentenzen in 1 u n d 2 verbin487

Ps 127

Teil II: Auslegung

Buch V

det das Stichwort N1W (,leer',,umsonst'); die Sentenzen in 3 und 4f. beziehen sich auf rP3 (,Familie', vgl. 1). Sie schlagen mit der Segensvorstellung zugleich die Brücke zu Ps 128, dem Zwillingspsalm. Nur in 2 und im eingefügten Glückwunsch in 5 wird eine indirekte Anrede erkennbar. Ps 127 lehrt Glaubensweisheiten anhand von Fallbeispielen aus dem Alltag des Lebens (Luther: psalmus politicus et oeconomicus). Weisheitlich ist seine stärker am Schriftbild orientierte Darstellung. Im Rahmen der Wallfahrtspsalmen ist an (einen) Weisheitslehrer als Verfasser zu denken. Der vor allem in 2b schwierige Text wird durch llQPs 3 (1), lQPs b (1-5), 4QpPsb (2-3.5) teilweise bezeugt. laa: Überschrift, vgl. 120,1. Die Zuschreibung an Salomo (nur noch 72,1) hängt wohl damit zusammen, daß laß.b auf den Tempelbau bezogen wurde. Außerdem bekam Salomo nach 2S 12,25 den „Zunamen" Jedidja (vgl. 2b). Die damit vollzogene Zuordnung zur Sparte „Weisheitsschriften" entspricht dem Charakter des Texts als eine Serie von Sentenzen. laß.b: Erster Spruch. Die Doppelsentenz wird vor allem durch das Schriftbild strukturiert: Anfangsgleichheit, parallele Konstruktion bei beiden Vershälften, die zweite Hälfte mit Alliteration (D bzw. Sie benennt zwei Fallbeispiele aus dem Alltagsleben: Hausbau und Stadtbewachung. Beides sind gut geplante und zielbestimmte gemeinschaftliche Unternehmungen, welche Anstrengung („sich mühen") und Aufmerksamkeit verlangen. Thema der Doppelsentenz ist die Frage des Erfolgs der Unternehmung, modern gesprochen das Risiko. Gelingt das Vorhaben? Wird der Zweck erreicht? Der Psalm vertritt die These, daß sich Erfolg nur einstellt, wenn JHWH sich beteiligt, mitmacht, mithilft. Er ist der Meinung, daß JHWH sich dazu bereithält. Andernfalls ist mit Mißerfolg zu rechnen (K1C ,wertlos', ,leer',,erfolglos', .umsonst' = frustra). JHWHs Beteiligung ist conditio sine qua non für den Erfolg aller menschlichen Aktionen. 2: Zweiter Spruch. Die wieder auch durch das Schriftbild (N1W - X3IP) wie durch die Lautgestalt (U?-Alliteration; Lautsilbe en 3mal in 2b) gebundene Sentenz hat wie 1 die Frage des Arbeitserfolgs, des Lohns der Mühe zum Thema. Sie stellt als extreme Alternative Kitt? und IOW gegenüber. Da letzteres traditionell durch das sprichwörtliche „im Schlaf" (Luther) belastet ist - obwohl eine Zeitbestimmung weniger wahrscheinlich ist als ein Objekt - , ist auf die Alternative „erarbeiten" - „schenken" (irn) zu achten, welche den Gegensatz markiert. Es ist der Gegensatz, der theologisch auch mit den Begriffen „Werk" - „Gabe" aufgenommen werden kann. Die These ist, daß härteste Arbeit und Disziplin („Brot der Trauer" meint sparsame Fastenspeise, vgl. Neh 8,10f.) nicht zum Erfolg führen, dieser vielmehr „geschenkt wird" - dem „Freunde" des Gebers (vgl. die These Prv 10,22). Da der Erfolg der Arbeit nicht wohl im „Schlaf" als solchem zu sehen ist (sonst immer HW von HP'), muß KW etwas anderes meinen. Geht man davon aus, daß die Sentenz mit p in 2b ein Sprichwort einführt („so, wie gesagt wird"; „es ist so"), das die Alternative zum Lohn der Arbeit zum Ausdruck bringen soll, ist als Gabe eher ein „Freundschaftslohn" anzunehmen, der in einer Ehrung (nattf III) oder in einer Lohnerhöhung (INJtP .zweifach', .doppelt'; die Bedeutung ist nicht ganz sicher, HAL) besteht. Wie dem auch sei, der Ton liegt auf den Begriffen „Geben" und „sein Freund", wobei TT1 eine sehr enge, ja intime Beziehung voraussetzt (vgl. Jes 5,1; 2S12,35; Ps 45,1, dazu Dt 33,12; Ps 60,7 u. a.). 3: Dritter Spruch. Die Sentenz ist locker angehängt an 3 und führt das angeschlagene Thema Erfolg, Lohn, „Risiko" weiter mit der These, daß leibliche Kinder die eigentliche 488

Wallfahrts-Psalter

Ps 127/128

Segensgabe Gottes im Leben sind. Sie benützt dazu explizit die Begriffe "DW .Arbeitslohn' und !f?ru ,Erbbesitz', ,Vermögen', welche reale Eigentumsansprüche und -werte bezeichnen (zu vgl. Gn 30,32f., zu rfpru vgl. 1R 21,3f.), und überträgt diese auf die jedem Menschen von J H W H selbst gewährte Gabe. Sie relativiert dadurch die damit bezeichneten Realwerte. Richtet sie sich an Menschen ohne Lohnarbeit und Eigenvermögen? Jedenfalls erklärt sie Kindersegen zum eigentlichen gottgegebenen Vermögenswert (vgl. 128,3 ff.). 4—5: Vierter Spruch, unterbrochen durch einen Glückwunsch in 5aaß. Die Sentenz befaßt sich mit dem besonderen Vorteil, der dem zukommt, der „jugendliche" Söhne (nach 5a in großer Anzahl) hat. D1_ny] ist doch wohl nicht auf das Alter des Vaters, vielmehr auf den Status der noch unverheirateten und also noch im Hause (vgl. „Köcher" 5a) lebenden, noch nicht erwachsenen Söhne (zu D,~nV3 vgl. Thr 3,27f. u.a.; mißverstanden von G) zu beziehen. Die These behauptet, daß die jugendlichen Söhne im Familienverband (vgl. „gebündelte Pfeile") schon eine bedeutsame, quasi vollrechtliche Rolle „im Tor" spielen können, offenbar, weil sie für den angegriffenen Familienvater Rückhalt und Zukunftssicherung bedeuten (das Gegenteil Hi 5,4). Sie sind schon als „Pfeile" einsetzbar, wenngleich sie genau genommen noch kein Rederecht im Tor haben (vgl. Ru 4,lf.). Die Rechtsposition des „Vaters" ist gestärkt.

Psalm 128 1

2 3

4 5

6

Wallfahrtslied. Wohl j e d e m , der J H W H fürchtet, der auf seinen Wegen wandelt! D a ß du den Ertrag deiner Hand genießen mögest! Wohl dir und Glück für dich! Deine Frau sei wie ein fruchttragender Weinstock 3 im Innern deines Hauses! D e i n e Kinder seien wie die Schößlinge von Ölbäumen rund um deinen Tisch! Sieh, so wird gesegnet der Mann, der J H W H fürchtet! Es segne dich J H W H a vom Zion her und schaue auf Jerusalems Glück alle Tage deines Lebens! U n d schaue Kinder deiner Kinder! Friede über Israel!

3" lQPsb mit Artikel.

5a HQPsa: 'JTTN. -

489

Ps 128/129

Teil II: Auslegung

Buch V

Literatur: E. BEAUCAMP, D e vrouw en de zegen van de God van het verbond. Psalm 128, Communio 7 (1982) 2 4 1 - 2 5 1 . -

Ps 128 ist 127 sehr ähnlich. Das Familienbild in 2ff. läßt an einen Hochzeitssegen denken, der nachträglich liturgisch gerahmt (in 1 und 5) und zu einem Segenszuspruch für alle gottesfürchtigen Jerusalembesucher erweitert wurde. In lQPs b sind Teile von 3, in llQPs a von 4 - 6 erhalten. laa: Überschrift, wie 120,1 etc. laß—6: Segensgruß; Einzelverse an 3+3 angenähert. Im Kern scheint der Psalm ein Hochzeitsgruß gewesen zu sein (2—4.5aa.b.6). Er ist an den Mann ("Gl 4) gerichtet, der sich anschickt, selbständig zu werden (2) und eine eigene Familie zu gründen (3.6). Das Ideal ist die durch den Ertrag der Arbeit ernährte, kinderreiche Familie mit eigenem Haus. Der „hinterste, innerste Teil" des Hauses gehört der Frau. Die Kinder versammeln sich um die Tischmatte wie die Wurzelschößlinge des Olivenbaums (vgl. Sir 50,12). Der Segenswunsch schließt Enkelkinder ein (5aa.b.6a). Der letzte Gedanke gilt Israels Wohl (vgl. 125,5). Der Segensgruß ist wahrscheinlich sekundär liturgisch gerahmt worden (laß.b.5aß, vielleicht auch 4), wodurch er einen belehrenden und offiziellen Charakter erhält. Die Rede ist von dem „gottesfürchtigen" und glaubenstreuen Pilger, der auf Gottes „Wegen" wandelt (vgl. 112,1) und Anteil am Zionssegen - erkennbar an Jerusalems Wohlstand (5a) - erhält (vgl. 24,5; 134,3).

Psalm 129 1

2 3 4 5 6 7 8

490

Wallfahrtslied. Viel haben sie mich bedrängt von Jugend auf - so spreche jetzt Israel - ; Viel 9 haben sie mich bedrängt von Jugend auf, doch sie haben mich nicht überwältigt1*. Auf meinem Rücken haben Pflüger 9 gepflügt, haben ihre Furchen b langgezogen. JHWH a ist gerecht, zerhauen hat er die Stricke der Übeltäter. Zuschanden sollen und rückwärts weichen alle, die Zion hassen! Sie sollen werden wie das Gras auf den Dächern 3 , das welkt, bevor man es ausreißt; Das die Hand des Schnitters nicht füllt noch den Bausch des Binders. Und wer vorübergeht, sagt nicht 8 : Der Segen JHWHs für euch"! Wir segnen euch im Namen JHWHs.

Wallfahrts-Psalter

Ps 129

2° llQPs a : m m pl. - b llQPs a : iVirr plene. 3" l l Q P s a liest wie G D'tftzn „Übeltäter" (wie 4). - b Von G (und S) mißverstanden: ávofj-íav ( = DnuiJ?). 4" llQPs 3 : THX „der Herr". 6" Mss: m » „(in den) Gärten". 8 a llQPs a : Kl^iT wie 7. - b l l Q P s a liest: D3,17J; D^m1?! „eures Gottes über euch", DS^S auch 4QpPs b (mit Mss). Literatur:

VAN D E R W A L , The structure of Psalm cxxix, VT 38 (1988) 364—367. - P. est juste: étude structurelle du Ps 129, S E L V O A 7 (1990) 8 7 - 9 6 . -

A.J.C.

AUFFRET, Y H W H

Ps 129 ist das nur wenige Zeilen umfassende Zeugnis eines lebenslang geschundenen Menschen, der JHWH seine Befreiung aus dem Sklavendasein verdankt. Die Gemeinde („Israel") eignet sich das Zeugnis als für ihre Existenz auf Zion typisch an (1, vgl. 124,1), weil auch sie auf Befreiung hofft (5). Lebendige Bilder ländlicher Szenen (Pflügen, Ernten, Grüßen) werden zu Metaphern des Lebens und Leidens, das der Gerechtigkeit JHWHs anvertraut wird (4a). 1 - 8 ist in HQPs a , 7 - 8 in 4QpPs b und 8 in 4QPs e fragmentarisch bezeugt. l a a : Überschrift, vgl. 120,1. laß.b: Rezitation. Wie 124,1 wird ein individuelles Heilszeugnis durch Nachsprechen zum Glaubensbekenntnis der Gemeinde „Israel" (vgl. 118,2.4). Die Aufforderung hält sich dabei an den vorformulierten Text (2a) und hebt dadurch dessen Lautprofil hervor (4mal 1). Zugleich macht er ein Menschenschicksal zum Gleichnis für die Geschichte Israels und gibt damit der Vorlage eine allegorische Deutung. 2—8a: Zeugnis. Klare rhythmische Strukturen sind nicht erkennbar, wohl aber eine Vielzahl von expressiven Lautbildungen: Alliteration T in 2a (IX als Assoziation), *7 in 2b (von X1?); gutturale Klänge (Schürfgeräusche) und kurze a-Silben (Pflugschargeklapper) in 3; Silbensymmetrie in 4 (p - X | f p ) ; Alliteration in 6b, Assonanzen in 7 (o; lo). Vermutlich sind 5 (Übertragung auf „Zion") und 8a (Verweigerung des Segensgrußes) als sekundär anzusehen (Seybold). Hinter der lautstarken und bilderreichen Rede, mit aramäischen Vokabeln im umgangssprachlichen Stil gehalten (vgl. besonders 6ff.), wird das persönliche Geschick eines Menschen erkennbar, der „von Jugend an" unterdrückt und gequält wurde. Die Bildwelt läßt an Sklavenarbeit in der Landwirtschaft denken (3.4b.7). Besondere Graumsamkeiten deutet 3 (bildlich?) an. Seine Befreiung verdankt er JHWH, den er als „gerecht" rühmt (4a, vgl. 11,7; 116,5; 119,137; 145,17 u. a.), weil er die „Stricke" der Unterjochung selbst zerrissen hat. Die Unterdrücker werden als „Übeltäter" bezeichnet (4). 5 macht aus ihnen Feinde „Zions" und wünscht, daß diese insgesamt zurückgedrängt und zuschanden werden sollen. Er wird auf die bedrängte Situation der Zion-Gemeinde aufmerksam machen wollen (vgl. 125). Für den befreiten Gefangenen sind sie Menschenschinder, welchen eine Bestrafung anzuwünschen ist (6ff.). Sind es reiche Haus- und Landbesitzer? Die an Ru 2 erinnernde Erntezeremonie in 6ff. läßt dies vermuten: Getreide schneiden mit der Sichel und zu Garben binden. Doch sie sollen werden wie das Gras auf dem Lehmdach (ihrer Häuser), wie die vertrockneten Ähren (ihrer Felder) (zum Motiv vgl. 37,2; 2R 19,26). Es soll ihnen - so deutet es 8a - der „Segen JHWHs" verweigert werden. Die Grußszene scheint zumindest teilweise sekundär ausgemalt zu sein, vgl. Ru 2,4. 8b: Segensgruß. 8b ist entweder Teil der Grußszene 8 (verweigerter Erntegruß) oder der Gruß des Psalmisten mit seiner Gruppe an die Gemeinde oder der Gruß der Gemeinde an die Pilgergruppe (vgl. 124,8; 134,3 u. a.). 491

Ps 130

Teil II: Auslegung

Buch V

Psalm 130 1 2 3 4 5 6

7 8

Wallfahrtslied. a

Aus H e f e n rufe ich, J H W H , Herr, höre auf meine Stimme! Laß deine Ohren aufmerken b auf mein lautes c Flehen! Wenn du Sünden beachtest, JH, Herr, wer kann bestehen? Aber dir steht Vergebung zu, daß man dich fürchte 3 . Ich hoffe, J H W H , meine Seele hofft! "Auf dein Wort warte ich. "Meine Seele auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen, die Wächter auf den Morgen. b Harre, Israel, auf J H W H , denn bei J H W H ist die Gnade und 3 viel Erlösung bei ihm, und 3 er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.

2" llQPs 3 stellt ' a n s an den Anfang. - b llQPs a : ^ n a w p j m i x X: Tin: sg. - c Für ein zweites Vi? läßt llQPs" keinen Raum in der Zeile. 4" G, 0 lasen m i n (statt ¡nin): „wegen deines Gesetzes" und fügen es an 5 an. 5 a llQPs a wie G (S) ohne Copula. 6° l l Q P s a fügt ein: b ' ^ m n „harre". - G rätselt über den Sinn der „Morgenwache". T Fehlt bei llQPs 3 . 8" Fehlt l l Q P s a . Literatur: W. H. SCHMIDT, Gott und Mensch in Ps 130,ThZ22 (1966) 241-253. - R. R. M A R R S , A Cry from the Depths (Ps 130), ZAW 100 (1988) 8 1 - 9 0 (Lit.). - J. TROMP, The text of Psalm cxxx 5 - 6 , VT 39 (1989) 100-102. - J . JEREMIAS, „ A U S tiefer Not schrei ich zu dir." Psalm 130 und Luthers Psalmlied, in: Von Wittenberg bis Memphis, FS R. Schwarz, Göttingen 1989, 120-136. F. SEDLMEIER, „Bei dir, da ist die Vergebung, damit du gefürchtet werdest". Überlegungen zu Psalm 130, Bibl 73 (1992) 473-495. - G. V A N O N I , Wie Gott Gesellschaft wandelt. Der theologische Grund der YHWH-Furcht nach Psalm 130,4, in: Biblische Theologie und gesellschaftlicher Wandel, FS N. Lohfink, Freiburg 1993, 330-344. -

Ps 130, De profundis, ist eine kurze und schlichte Bitte um Gnade vor Recht eines tief gefallenen Psalmisten. Das Gebet ist in Stufen angelegt, so daß die Verszeilen wie bei 13 immer kürzer werden bis mit 6a offenbar der Höhepunkt erreicht ist. Wie immer man mißt, nach Worteinheiten (s.u.), nach Akzenten oder nach stichometrischer Zählung der Konsonanten (Reihe: 3 0 - 2 6 - 2 3 - 1 9 - 1 7 - 1 2 - 9 | 1 0 + 9 ) , die Stufenstruktur ist deutlich (auch im Druckbild BH; nur 5b ist nicht richtig angeordnet) und suggeriert den Aufstieg durch das Gebet bis zur Höhe, da „die Seele" dem „Herrn" am nächsten kommt (6a). Das ansonsten auch klanglich expressiv gestaltete Gebet (vgl. 1) fand in 7f. eine spätere, theologisch-paränetische Ergänzung in Prosa, die den Text eines individuellen Beters zum Vorbild der Hoffnung für Israel macht. Reminiszenzen im NT (Tit 2,4; Apc 1,5) beziehen sich auf diesen Teil (8). Der Text ist nur leicht touchiert - wie llQPs a Kol. V und 4QPs e (1—6) zeigen. Die Wirkungsgeschichte des Psalms wurde durch seine Bestimmung zum sechsten der sieben Bußpsalmen und durch die ihm zugesprochene „paulinische" Theologie sehr gefördert. 492

Wallfahrts-Psalter

Ps 130

la: Überschrift, s. 120. lb—2: Anrufung (6/5 Einheiten). Mit dem Leitwort D'payaa gibt das Gebet nicht nur den Ton an - B-Alliteration (1 f .3 f.) und p-Akzente (1 f .5) - , sondern bezeichnet vielmehr auch den Ort, an dem sich der Beter befindet und den er in Stufen aufsteigend wie 13 zu verlassen sich anschickt. „Aus Tiefen" kommt sein Gebet, ein Ort, dem der seltene Ausdruck eine mythologische Qualität verleiht (vgl. 69,3.15; Jes 51,10; Ez 27,34 mit ,Wasser' oder ,Meer'): die untersten Regionen der Welt und des Lebens, nahe der „Unterwelt", irgendwo tief, in jedem Sinne „unten". Die Erfahrung der untersten Tiefe prägt das Gebet, ist es doch ein vielleicht letztes Mittel, von der Tiefe aus die Höhe zu erreichen, die Hilfe bedeuten könnte (121,1 f.). Der Psalm trägt alle Zeichen spontanen Betens an sich. Im performativen Perfekt 1.5 vollzieht er, was er sagt, und ruft - ein Hilferuf aus der Tiefe in sonorem, lang hingezogenem Klage ton (5mal 2D nach M). Adressat des Rufens ist J H W H (2mal), wechselweise mit „Herr" (3mal) und der Kurzform J H (lmal) angesprochen (ohne 7f.), der persönliche Gott des Beters. Die fünf oder sechs Anrufungen (vgl. 5) auf engem Raum deuten zusammen mit den Proformen der 2.P., sozusagen auf allen Stufen den Kontakt mit der Höhe an, der mit 6a erreicht ist. Der laute Gebetsschrei (2mal *71p) dient dazu, das Ohr ( s . o . ) seines Gottes zu erreichen. Die etwas gravitätisch klingende Formulierung in 2aß soll wohl höflichen Respekt ausdrükken. Sie trägt aber auch zur Verslänge und zu der inkludierenden Fügung (n - n) bei. Der ansonsten konventionell gehaltene Vers (vgl. 86,6) betont, daß es sich um einen Flehruf handelt ( , 3'Unn), um einen Gnadenappell, und also um einen letzten Hilferuf (vgl. z . B . 28,2.6; 31,23). 3—4: Vorhaltung (5/4 Einheiten). Der Beter bewegt sich - wie angedeutet - im Vorstellungsrahmen des Rechts. Seine Not in den Tiefen begreift er wie viele Leidende des Psalters als Symptom eines Konflikts mit seinem Gott. Konflikte aber werden in der Regel durch Rechtsmittel behandelt und bewältigt. Der Beter möchte allerdings in seinem Falle davon absehen - anders Hiob 9f., der nächsten Parallele zu 130 (vgl. Hölscher, Horst). Eine förmliche Untersuchung bzw. „Überwachung" (pV "lötP, vgl. Hi 10,14.6) seiner Person durch seinen Gott - die jene Kerkersituation in der Tiefe ihm anzeigt - würde für ihn mit Sicherheit nicht günstig ausgehen. Solche Inquisitionen würden - J H W H ist sein Kontrahent - für ihn wie für jeden nur negativ ausgehen können. Auf juristische Weise ist sein Konflikt mit Gott nicht lösbar: Er könnte nicht bestehen (vgl. Hi 9,11 ff.). Ihm bleibt nur der außergerichtliche Gnadenweg, der Appell an die Nachsicht und Vergebung des Rechtsgegners (vgl. Hi 9,15; Mt 5,25f.). Doch diese liegt in der Freiheit seines Willens, steht ihm zu, ist darum nur zu erhoffen, bleibt ein Risiko, „daß man dich fürchte". Gottes Willensfreiheit ist unantastbar; ihr ist mit „Furcht", Angst und Respekt zu begegnen. Gnadenappelle können auch ungehört verhallen (vgl. 28,1; 39,13 u.a.). Die Lesarten mit m i n (s.o.) denken offenbar an kultisch gebundene Vergebungsformen (vgl. 103,3; 86,5; 25,11 und die ni-Formen von rV?0 b e i P i n L v , Nu). 5—6: Beteuerung (4/2/2+ Einheiten). Der Beter findet zu seiner Haltung zurück und betont, vor seinem Gott und sich selbst, daß er alles auf diesen Gnadenappell gesetzt hat. Er ist seine Hoffnung, wohl seine einzige Hoffnung (beteuernde Wiederholung 5a). E r erläutert im nächstfolgenden Vers - 5b ohne Copula wie l l Q P s 3 , G u.a. - , daß seine Erwartung konkret auf ein Wort JHWHs gerichtet ist. Es ist unklar, ob er ein liturgisch vermitteltes Wort der Lossprechung oder eine wie immer gestaltete freie Antwort meint

493

Ps 130/131

Teil II: Auslegung

Buch V

(vgl. 19,8ff.). Er erklärt, daß er auf dieses Wort der Gnade warten will. Mit 6a ist der kürzeste Vers und die oberste Stufe erreicht. Es ist ein persönliches Bekenntnis, daß seine Seele für den Herrn dasein, nach 5 auf den Herrn warten will. 6b klingt wie ein Echo, das das Bekenntnis zur Hoffnung nachklingen läßt und zugleich illustriert: Wächter, die sehnsüchtig auf den Morgen warten. Die Versionen können offenbar mit dem schönen Bild wenig anfangen. G versucht es mit der Übersetzung von der „Morgenwache", was sie dann zu der Ergänzung „bis in die Nacht" nötigt, wodurch 6b zur Umschreibung für „den ganzen Tag" wird. 7—8: Mahnung, Prosa. Der Psalmschluß, der seinem nüchternen theologisch-paränetischen Stil und seiner Hinwendung zu „Israel" nach als kommentierende Ergänzung des Gebets anzusehen ist, bestand möglicherweise zuerst nur aus 7aß-8, da 7aa mit 131,3a identisch ist, d.h. aus einem theologischen Satz, der den Appell an die Gnade JHWHs gutheißt mit der Begründung, daß „bei ihm" die Gnade ist. Nach 4 bedeutet dies, daß ihm (allein) die Gnade zusteht, daß man sie aber auch in Form von Befreiungsaktionen reichlich erwarten darf. DHE < m s ,freikaufen', ,auslösen' meint den ,Loskauf', die ,Befreiung' und ,Auslösung', im weitesten Sinne „Erlösung" (vgl. 111,9; Jes 50,2, im individuellen Sinne etwa 26,11; 31,6; 49,16 u.a.). Bezogen auf „Israel" als Gemeinde oder Volk hat m s traditionell eine Assoziation an den Exodus (z. B. Dt 7,8; 13,6 u. a., vgl. auch Ps 44,27; 78,42). Die Verheißung des Loskaufs und der Auslösung aus den Sünden (nJ157) ist ein Schluß, der von 3 her beeinflußt ist und an Dtjes 40,2; 50,2 erinnert. 7aa stellt dann diese Bekenntnissätze unter ein paränetisches Vorzeichen: Harre, Israel, halte aus - wie es der Beter getan hat.

Psalm 131 1

2

3

Wallfahrtslied. Von David. J H W H , nicht hoch hinaus will mein Herz, und nicht erhoben sind meine Augen. Und ich gehe nicht mit großen Dingen um und mit solchen, die zu wunderbar sind für mich. Vielmehr habe ich geglättet und beruhigt 8 meine Seele. Wie ein Kind auf seiner Mutter b , wie das Kind auf mir, ist meine Seele 0 . Harre, Israel, auf J H W H von jetzt an und alle Zeit!

2" G: u^coca „ich habe erhöht" las wohl TlBBn (statt Tiaan), was einige Mss bezeugen. - b M zieht

den ersten Vergleich zum ersten Versteil (zu 'tPSa). - c Mißverstanden u. a. von G: WQ ¿vT zu dem Satz zu ergänzen: „du hast deinen Namen groß gemacht über alle Namen" (oder: „über deinen Himmel hinaus"). 3" So M: impf cons, anders T, Hier (wie 3b). - b Impf. - G, T lasen nach H3T ,viel sein'; A, Hier nach urn ,weit sein' wie auch l l Q P s a gelesen werden kann. Ableitungen von Dm (vgl. a n i ,Stolz' o.ä.) führen nicht weiter. 4 a Die Impf richten die

511

Psl38

Teil II: Auslegung

Buch V

Aussagen in die Zukunft, vgl. die Verbformen in 2 f., bes. die Jussivformen in 7 f. T "f?N DK stört das Versgefüge in 7f. - b HQPs a sinngleich "pro. - c "IS mögl. versetzte Partikel („auch")8" Unklare Wendung, mögl. militärischer Terminus vgl. 3,4; 139,11, auch 7,10; 57,3: „der Ring (?) schließe sich um mich" o. ä. Literatur: H. BARDTKE, Die hebräische Präposition ncegCEd. in den Psalmen, in: Wort, Lied und Gottesspruch, FS J. Ziegler, fzb 2, Würzburg 1972,17-27. -

Ps 138 ist vermutlich ein aus dem Gelübdeteil des Klagepsalms heraus gestaltetes Bittgebet eines Verfolgten, das zum Dankpsalm umstilisiert wurde (M, G). Das dreiteilige, wohl ursprünglich strophisch gegliederte (1 —3.4—6.7—8) Gebet ist in einem gehobenen Stil gehalten, nicht ohne Kunst, wie die Verwendung der Doppeldreier, die Alliteration (N in 1,3 in 4, N in 7) und die N - D-Inclusio zeigen. Leitworte prägen die Strophen: DB? - a n u.ä. - V; hymnische Wendungen treten im mittleren Teil hervor (Hymnenzitate); die Vorstellung von Größe, Höhe, Weite bestimmt die Gedanken. Die konkreten Umstände der Abfassung sind nicht ganz durchsichtig. Der Beter befindet (oder befand) sich offenbar im Ausland und in Not (7). Zu denken ist an eine Diaspora-Situation (lf.). Aus der Anrufung aus Not (llQPs 3 8 bzw. 7, M 5mal mrp) wurde durch Zusätze in 2 und 7 (G in 1) ein Dankpsalm und das in 1 angekündigte Lied ist dieser Psalm. Der nach 137 plazierte Psalm bildet einen Kontrast zu 137,4. Ein neuer Hymnus bricht das Schweigen. Ja, er verbreitet sich über die Erde und schwillt an zum Lied der Könige (5), im Angesicht der Götter (vgl. 146ff.). llQPs a präsentiert 138 (ganz erhalten!) nach 137, aber vor Sir 51,13 ff., ApZion und 93, möglicherweise in einer älteren Textform als M. 1: Überschrift (s. 3,1; 25,1), die den letzten David-Psalter anzeigt (138—145), eine im Kern aus Gebeten Verfolgter und Angeklagter bestehende Sammlung, geprägt von einer besonderen „Armenfrömmigkeit" (Lohfink). 1—3: Versprechen. Das Gefüge aus Doppeldreiern, wohl ursprünglich 3mal 3+3, ist in 2 durch Beifügungen (nach "pon) gestört. Der Beter verspricht ein Lobpreisbekenntnis als instrumental begleitetes Lied, sogar auf fremdem Boden, fern vom Tempel, im Angesicht der Götter (vgl. Ex 20,3). Er hat schon (so G 1, M 3) - oder er hofft es JHWHs Güte in der Erhörung seines Gebets und im Gefühl wachsender innerer Kraft (3) erfahren und ist bereit, aus vollem Herzen den anzubeten (Qibla nach 1R 8,48), dessen Name über alle Namen ist. Die superlativische Aussage - sie kennzeichnet alle Teile des Psalms (vgl. *7S7 und die Wendungen für Größe 2.5.8) - ist in 2 beschädigt. Der überlieferte Text spricht davon, daß das aktuell erfahrene Wort, das im Namen Geoffenbarte noch übertrifft und über alle Erwartung von der Güte und Treue Gottes hinausgeht und zudem im Innern deutlich spürbar wirkt. 4—6: Erwartung. Grundgefüge 3mal 3+3 (erweitert). Als Wirkung des ergangenen Gottesworts (4b), das - so wohl der Gedankengang - durch des Beters Lobgesang sich überall Gehör verschafft, beginnen die Könige der Erde, JHWH Hymnen zu singen (4a.5). Sie werden dem Vorbild des Psalmisten folgen. Daß er selbst König war, ist unwahrscheinlich. Inhalt ihrer Lieder sind „die Wege JHWHs", sein Gang durch die Weltgeschichte und die daran erkennbaren Linien seiner Weltpolitik. Die zitathaft (mit •O) eingeführten hymnischen Sätze aus den Königsliedern 5b.6a.6b enthalten das Bekenntnis zur Größe JHWHs als dem Höchsten und Erhabenen (König über die Götter, 512

David-Psalter IV

Ps 138/139

vgl. 95,3), die sich paradoxerweise darin äußert, daß er den Geringen gnädig ansieht und den Mächtigen durchschaut (vgl. IS 16,7). 7—8: Bitte. Eingeebnetes Versgefüge, das - ohne "f7X OX - als 3mal 3+3 (mit chiastischen Beziehungen) wiederherstellbar ist. Leitwort ist V ,Hand'. Der Psalmist kehrt zu den persönlichen Anliegen zurück und spricht von Bedrängnis und Anfeindung. Er bittet, am Leben bleiben zu dürften (rpn pi), befreit und beschützt zu werden durch JHWHs rechte Hand, die - so die Logik in 8 - ihr eigenes Geschöpf nicht aufgeben kann. Als Dankgebet aufgefaßt (M, G) wird 7f. zur prophylaktischen Aussage: Wenn ich denn in Not geraten sollte... Die Schlußdoxologie 8aß steht wohl auch aus Stilgründen (Chiasmus, D-Schluß) nicht an letzter Stelle. Die Schlußbitte aber macht den Psalm zum Bittgebet.

Psalm 139 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Für den Chorleiter: Von David. Ein Psalm. JHWH, du hast mich erforscht und erkannt. Du weißt, wann ich mich lege und aufstehe, du kennst meinen Willen 3 von ferne. Meinen Weg und Halt hast du vermessen, und alle meine Schritte sind dir vertraut3. Ja, kein Wort ist mir auf der Zunge! Sieh, JHWH, du kennst ein jedes. Von hinten und vorn hast du mich eingekreist und deine Hand auf mich gelegt. Zu wunderbar ist dies Wissen 3 für mich, zu hoch, es zu begreifen. Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, wohin fliehen vor deinem Angesicht? Wenn ich zum Himmel steige, bist du dort, lagere ich in der Unterwelt, auch da bist du. Trage ich die Flügel der Morgenröte, wohne jenseits des Meeres, Auch dort wird mich deine Hand leiten 3 und deine Rechte mich fassen. b Ich sprach:3 Finsternis erdrücke mich b , und die Nacht sei Licht um mich her c . Doch die Finsternis wäre nicht finster für dich, und die Nacht wäre hell wie der Tag Finsternis ist dir gleichwie Licht. 3 513

Ps 139 13 14

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Teil II: Auslegung

Buch V

Denn du hast meine Nieren erschaffen, mich gewoben im Leib meiner Mutter. Ich preise dich, darum daß ich zum Erschrecken9 wunderbar gemacht bin b ; wunderbar sind deine Werke. Und meine Seele weiss es genauc. Nicht verborgen ist dir mein Gebein 8 , denn im Verborgenen wurde ich gemacht, gewirktb in den Hefen der Erde. Als Embryo 3 sahen mich deine Augen; in dein Buch b wurden sie alle geschrieben, die Tage 0 , die geschaffen werden, und nicht einer ist unter ihnen.. . d Und für mich - wie kostbar sind deine Gedanken 3 , Gott, wieb groß ist ihre Summe c . Würde ich sie zählen: es wären mehr als Sand. Ich erwachte3 und war noch bei dir. Wenn du doch, Gott, zu Tode brächtest die Frevler; und: Ihr Blutmenschen weicht von mir 3 ! Denn sie widersetzen3 sich dir mit List, (erheben)1* zum Unheil sich (gegen dich)0. Sollte ich nicht hassen, JHWH, die dich hassen, und deine Gegner 3 nicht verabscheuen? Mit größtem Haß hasse ich sie, die mir zu Feinden geworden. Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, prüfe und erkenne meine Gedanken. Und sieh, ob auf peinvollem Weg3 ich bin, und führe mich auf ewigem Wege.

2" M: 'S"1, ableitbar eventuell von HS") I ,Weideplatz' oder eben von aram. Hin II ( = n s i ) ,wünschen', ,wollen'. 3" p o hi unsichere Bedeutung, vgl. H A L . 6° G: „dein Wissen". 10° Vrs lasen „holen" ('inpri). - b 10b zu knapp (D® aus 10a?). 11° So M. Besser mit HQPs a maiKI: „spräche ich" (1). - b prp '331®' (-ptr) „bedecke mich". - c l l Q P s a : '7373. 12° Wohl Glosse, s.u. 14° l l Q P s a : nns XH3 „furchterregend du" (statt: 111X113). - b l l Q P s 3 : 2.P. wie Vrs: „wunderbar bist du". - c Prp „kennst du seit jeher" (TN»). 15° l l Q P s 3 : '3X5? von 3XV I ,Götze' oder II ,Pein, Mühsal'. - b Anders G. 16° So M ( t f » ) , prp „meine Taten". - b l l Q P s a pl. - c Prp D t o a ' » ' : „bevor". - d llQPs": nana nX3 'Vi. „und zu mir kommt er von dort" (?). 17® M: T i n ; prp TS?an „deine Augenblicke". - b l l Q P s a fügt ein: "?». - c w n ,Zahl'? 18° f p H ,aufwachen' oder denom. von fp (pxp II) ,zu Ende kommen'. 19° l l Q P s " sg (HO): ,weiche'; Mss, Vrs: „mögen weichen". 20° M: - p a n \ korr. I I B ' . - b l l Q P s 3 , Vrs: 1Ktt?3 (pl.),M: X t P 3 . - c M: „deine Städte"? Besser: l' 1 ?». 21° Lücke in l l Q P s 3 . 24° Möglicherweise verschrieben aus 3X1T 137: „ob eine Götzen-Sache" (vgl. l l Q P s 3 zu 15) an mir ist". Vgl. Vrs. -

514

David-Psalter IV

Ps 139

Literatur: E. W Ü R T H W E I N , Erwägungen zu Psalm 139, VT 7 (1957) 165-182. - H.-P. M Ü L L E R , Die Gattung des 139. Psalms, ZDMG-Suppl.l (1969) 345-355. - R. K I L I A N , In Gott geborgen. Eine Auslegung des Psalms 139, BiKi 4 (1971) 9 7 - 1 0 2 . - J . H O L M A N , The Structure of Psalm CXXXIX, VT21 (1971) 298-310. - J . KRASOVEC, Die polare Ausdrucksweise im Psalm 139, BZ 18 (1974) 224-248. - S. W A G N E R , Zur Theologie des Psalms CXXXIX, SVT29 (1978) 357-376. - G. R I C E , Psalm 139: A Diary of an Inward Journey, JRT37 (1980/81) 6 3 - 6 7 . - W . G R O S S , Von Y H W H belagert, in: Glauben ermöglichen, FS G. Stachel, Mainz 1987,149-157. -

Ps 139 bildet eine Einheit. Entgegen Versuchen, 19—24 literarisch und sachlich abzutrennen, ist daran festzuhalten, daß alle Teile sich zum Ganzen fügen, weil die Sprechsituation des Psalmisten die gleiche bleibt. 139 ist das Gebet eines Angeklagten vor der offiziellen Untersuchung und Prüfung seines Falls zum Ordal (Würthwein). Er scheint der Idolatrie beschuldigt (Holman). Seine konkrete Lage ergibt sich aus lb. 18b. 19-22.23f.: Anklage durch blutgierige Feinde auf TtV (sc. "Q7) i m (24), vgl. 141 u. a. Insofern dienen die Teile 1 — 12 und 13—18 nicht der philosophischen Betrachtung, vielmehr der im Gebet dargelegten Apologie. Der Beter ruft JHWH zum Zeugen auf, denn er weiß über sein Leben genauestens Bescheid (1 ff.). Er plädiert für Beistand, denn JHWH kennt sein Geschöpf und ist ihm verpflichtet (13ff.). Er appelliert an JHWHs Gerechtigkeit, das Todesurteil im Sinne des Zeugenrechts für falsche Anklage zu verhängen (19ff.). Er bittet, das Verfahren einzuleiten (23f.). 139 ist das Gebet vor der Entscheidung über Leben und Tod. Tiefe und Weite der Gedanken und theologischen Erkenntnis sind durch den Ernst der Situation bedingt. Das Thema: JHWH als Sonne der Gerechtigkeit hat sich dem Beter aufgedrängt. Doch er findet zu einzigartigen Einsichten in die Präsenz Gottes im persönlichen Leben: Gottes „Geist" und „Angesicht". Formgebung ist erkennbar im Aufbau: Rahmen lb.4a || 23.24 mit den beiden Leitwörtern "Ipn ,erforschen' und VT .erkennen', dazwischen 2mal 10 Zeilen (ohne 4b.16b.21) in 3+3-Fassung, wahrscheinlich ursprünglich 4 Strophen zu je 6 Zeilen; aber auch in Lautfiguren und -spielen (9.11f.l9—22: in Akrostichismen (13mal N in 24 Zeilen) und Alliterismen. Auffällig ist ein starker aramäischer Einschlag. Man denkt darum an späte Entstehung. Der überarbeitete, durch Umstellungen in 4.13f. und Zusätze 12b.21 für die Allgemeinheit geöffnete Gebetstext hat erheblich gelitten, besonders in 14—18, auch 19ff. llQPs 3 weicht an einigen Stellen von M ab (mit den Vrs); erhalten ist 8 - 2 4 . Auf 139 folgen dort 137 und 138. la: Überschrift, vgl. 4,1; 5,1 u.a. lb (4a): Plädoyer, erster Teil: Anrufung. Die knappe Anrufung des göttlichen Richters enthält vorweg die Ausgangsthese des Angeklagten, der sich unschuldig weiß. JHWH müßte es wissen, sofern er - was der Beter voraussetzt - Nachforschungen angestellt hat. Er muß diesen Fall seines Anbeters und Mandanten bereits für sich untersucht haben ("Ipn vgl. Prv 18,17; 28,11; 29,16, pf). Dann aber muß das Ergebnis der Untersuchung schon vorliegen - in Form einer „Erkenntnis", die sich eingestellt hat (sn 1 impf cons). l b stellt das eingetretene Faktum als Folge der Untersuchung fest, nicht jedoch das Ergebnis selbst. Für den überlieferten Text muß man annehmen, daß die folgenden Ausführungen in 2ff. die Erkenntnis inhaltlich beschreiben sollen. Auf diese Weise wird eine Ausweitung des Falls ins Allgemein-Menschliche erreicht: jeder ist von Gott durchschaut und erkannt. Doch der konkrete Fall des Beters wird dabei verdrängt (18b.l9ff.). Die Annahme, daß 4a als zweites Kolon zu lb zu ziehen ist, hat viel für sich. 515

Ps 139

Teil II: Auslegung

Buch V

Dann wäre in der ursprünglichen Fassung als Ergebnis der Untersuchung die Erkenntnis formuliert, „daß kein (falsches) Wort auf meiner Zunge war". In Verbindung mit 23f. wäre zu schließen, daß die Beschuldigung ein „falsches Wort" (n^Q) im Dienste eines „Götzen" (3XJ? I Jes 48,5; vgl 115,4; 135,15; 106,36.38, s. Würthwein) betraf. 4b denkt abstrakt an jedes je gesprochene Wort und ist wohl bei der Umstellung eingefügt worden. 2 - 6 : Plädoyer, zweiter Teil: Aufruf: Du bist selbst Zeuge! 5(6) Zeilen, 3+3 (vgl. akrost. X). Mangel an menschlichen Entlastungszeugen läßt den Beter an JHWH appellieren, selbst für ihn Zeuge zu sein und seine Unschuld zu erklären. Der Appell führt die Gedanken in theologische Weiten und Tiefen und zur Erkenntnis der Allgegenwart und Allwissenheit Gottes. 2—6 sprechen von der praesentia Dei im Alltag eines einzelnen Menschen. Im Sinne von 8,5ff. und 144,3ff. stellt der Beter erstaunt fest, daß er als Individuum im Blick Gottes ist, wo er geht und steht. Niederlegen und Aufstehen werden registriert; die täglichen Wünsche und Pläne (HSH II) von Ferne erkannt (2). Möglicherweise liegt 2f. das Bild des Hirten zugrunde, der von Weide zu Weide zieht (nsn I). Dann wären 2 und 3 Parallelen, wobei 3 das spezielle Interesse an genauen Daten („mit der Spanne messen") und an allen Informationen über den Betroffenen betont. Alliteration 7/n (2) und 1 (3) sowie i - Assonanz (3). Zu 4 s. bei 1. Im Kontext ist 4a vom Fall des Psalmisten gelöst und bezieht sich auf jedes gesprochene Wort, das JHWH mithört. 5: Das Bild entstammt der Jagd, die JHWH auf den Beter macht, ohne daß er es direkt wahrnimmt. Doch er weiß es (6). Dieses „Wissen" aber ist ihm kaum begreiflich, ist zu wunderbar und übersteigt seinen Horizont. Weshalb sollte JHWH sein Leben derart interessieren? Doch bekennt sich der Psalmist zur Gegenwart JHWHs und seines Angesichts, das auf ihn gerichtet ist. Gott schaut nach ihm. Alliteration b in 6 (Ausgangswort K*73). 7—12: Plädoyer, dritter Teil: Reflexionen. 7—12 erörtern mögliche Fluchtwege vor der allseitigen praesentia Dei, bilden sozusagen den Gegenbeweis zu 2 ff.: Es gibt keinen Ausweg und keinen Ort außerhalb. 7 - wieder ist die X-Alliteration auffällig - stellt die Frage nach dem Ort außerhalb. Für die göttliche Präsenz gebraucht er die Begriffe: n n ,Geist', ,Geistesgegenwart', in jenem späten Sinne persönlichen Daseins und Wirkens (vgl. Jes 34,16; Hi 32,8; 33,4; Ps 51,13; 104,30; 143,10; Neh 9,20) und parallel dazu QMS, Extension der Vorstellung von der kultischen Gegenwart zum Gesichtskreis im weitesten Sinne. Ab 8 folgen Beispiele, man vergleiche Am 9,2ff.: Himmel und „Hölle" C71Nty, vgl. allit. N und tP) in 8; „die Hinterseite des Meeres", d.h. wohl: wo die himmeltragenden Weltberge sind, der Ort des Sonnenauf(-unter-)gangs (vgl. Holman) in 9f. - auch dorthin reicht JHWHs Macht (K und n-Alliteration); 11 f. erörtern die hypothetische (oder auch praktische?) Möglichkeit des Verbergens in der „Finsternis". Man hat an Selbstverfluchung o. ä. zu denken (vgl. das Sprechen in 11). Doch auch da ist kein Entkommen. Es gibt keinen Ort außerhalb des göttlichen Gesichtsfeldes. Denn für JHWH ist - wie eine Glosse die theologische Quintessenz zusammenfaßt (12b) - Finsternis wie Licht, d.h. es gibt für ihn keinen Unterschied. 11 f. scheinen überfüllt und beschädigt (zu lesen 1-impf; TUT ist fraglich). Alliteration X bzw. V in 11. Ziel des Plädoyers in 2—12 ist es, JHWH vorzuhalten, daß er am besten selbst wisse, wie es um den Beter und die Anklage steht, und ihn um eine Zeugenaussage zu bitten, sowie, sich selbst klar zu machen, daß es nichts gibt, nicht einmal im gedanklichen Spiel, das vor JHWH verborgen bleiben könnte und nicht ans Licht kommen würde. 13—18: Plädoyer, vierter Teil: Erinnerung: Du bist mein Schöpfer! 6(7) Zeilen, 3+3 516

David-Psalter IV

Ps 139

(4mal akrost. N). 13 und 14 wurden aus unbekannten Gründen umgestellt. Der neue Gedankengang beginnt mit neuem Einsatz: ein Lobpreisbekenntnis folgt. Der Beter bekennt sich zu seinem Geschöpfsein und verpflichtet zugleich damit den Schöpfer zur Intervention. 14 - zu verbessern nach 11 QPs a und den Versionen - preist im Anschluß an 6 die als furchtbar und wunderbar (tremendum et fascinosum) erfahrene Gottheit. Zu XTU vgl. 76, zu nVs bzw. X^D vgl. 77. Zu beiden Formen in gleicher Umgebung vgl. besonders auch Ex 15,11c. Beide Termini entstammen dem Hymnus. 14a bezieht sich auf die Schöpfung (136,4; 89,6 u. a.) im allgemeinen, 13 ff. auf die Erschaffung des Beters. Er bekennt sich zu dem, „der mich geschaffen hat samt allen Kreaturen"(138,8), und verweist auf die Erschaffung der „Nieren". Die Nieren, durch Opferpraxis besser bekannt als andere innere Körperteile, gelten als das „Innerste und Geheimste des Menschen" (HAL), oft parallel zu 3*7 (73,21; 7,10; 26,2; Jer 11,20; 12,2 u.a.), darum Gegenstand der Untersuchung und Prüfung, analog zu dem Gewissen. Als Personkern ist er von Gott geschaffen, darum auch von ihm zu überprüfen. Mangels physiologischer Kenntnisse bleibt der Beter im Bildhaften: sein Leib ist „geflochten", bzw. „gewoben" im Mutterleib (13b, vgl. 71,6; 119,73; Hi 10,11), d.h. hergestellt in „Handarbeit". Insofern weiß JHWH, mit wem er es zu tun hat: auch „die Seele" ist sein Werk wie „das Gebein" (14b.15a). tPDJ steht wohl für die Lebensfunktionen, DXS7 für die leibliche Gestalt. 15a.b ist dunkel. Offenbar spricht er davon, daß die Herstellung im Verborgenen geschah - wieder handwerkliche Vorstellungen: „machen", „wirken". Vermutlich deutet er das verborgene Werden des Kindes im Mutterleib an. Der Ausdruck „Tiefen der Erde" scheint verschrieben nach 63,10; Jes 44,23; Ez 26,20 u. a. und kein kosmisches Geheimnis zu bergen. Gemeint sind offenbar „die Tiefen des Bauches" (iiH3* statt fHN, Hörfehler?), also der Mutterleib. 16—18 sind textlich erheblich beschädigt und darum nur z.T. verständlich. Die Rede ist doch wohl von den Lebenstagen des Menschengeschöpfs und ihrer Zahl. Hineingeschrieben scheint das späthebr. D1?} „Embryo" in 16 zu sein; es erklärt 15. Gesagt wird, daß die Tage des Lebens für den Beter von JHWH vorhergesehen und vorherbestimmt worden sind, ehe sie gebildet, d.h. Realität wurden. Auch wurde ihre Zahl („sie alle") im Buch JHWHs vermerkt. Zur Vorstellung vom Buch des Lebens 69,29 (vgl. Ex 32,32f.). Der Rest ist unverständlich. Vielleicht sprach er davon, daß kein einziger Tag davon fehlen darf (16b). Nicht nur die Tage, auch die D,3?"l sind kostbar, abgezählt und mehr als Sand, unzählbar (17.18a). Was sind CS?")? I ,Getöse', II,Genossen', III,Gedanken' (von HSD = DSI,,wollen' etc.)? "py~i scheint von 2 beeinflußt zu sein. Vermutlich ist zu lesen "pyjn „deine Augenblicke", d.h. der Moment als kleinstes Zeitmaß (vgl. Sekunde) neben Tage bzw. Lebenszeit (vgl. 30,6). Dies würde zum Kontext passen: unendlich viele Lebensmomente, eine unvorstellbar große ,Masse', ,Zahl', ,Summe' (ITST pl.), kostbar in ihrer Kürze als Herzschlag des Lebens. Dies würde auch 18b beleuchten: der Moment des Erwachens macht dem Beter bewußt, daß er noch bei Gott, d.h. am Leben ist. 13 —18 möchte JHWH daran erinnern, daß er selbst dieses Leben geschaffen hat, das nunmehr bedroht ist, und daß er sich deshalb für dieses Leben einsetzen soll - mit Blick in das Lebensbuch, das die Summe der Tage und Momente festhält. Der Beter geht davon aus, daß diese Zahl noch nicht erreicht sein kann, und ist dankbar dafür, daß er jetzt (beim Aufwachen) zum Zeitpunkt des Gebets noch am Leben ist. 19—24: Plädoyer, fünfter Teil: Appell: Strafe für die Schuldigen! 6 Zeilen, 3+3 (2mal akrostichisches X). Die in lff. vorausgesetzte Situation beleuchtet dieses Teilstück. 517

Ps 139/140

Teil II: Auslegung

Buch V

„Frevler", „Blutmenschen" bedrängen den Beter (19, vgl. 5,7; 26,9; Sir 34(31),26f.) mit tückischen Plänen und Ränken „zum Unheil" (20), wahrscheinlich falschen Anklagen über Götzendienst (24) - Anlaß für den Prozeß, in dem der Beter sich befindet. Nach 23 steht er vor der Untersuchung und Prüfung seines Falles. Er plädiert auf Todesstrafe 0?üp) für die potentiellen Mörder nach der Talioregel. Also drohte ihm der Tod (19, vgl. 16ff.24; N - Alliteration). Er stellt fest, daß jene Verbrecher sich ja J H W H s bedienen wollen, indem sie Anklage auf Todesstrafe erheben und mit Ignoranz rechnen, insofern sich selbst an J H W H vergehen (20, textliche Unklarheiten). Er erklärt, daß sein äußerster Haß die Ankläger nur trifft, weil sie in dieser Sache ihm zu Feinden geworden, solche zuvor nicht gewesen sind (22). 21 ist eine theologische Beifügung, welche den Haß des Psalmisten - er schien schon früh Anstoß zu erregen - damit begründet, daß er Leute haßt, die ihrerseits J H W H hassen. Die rhetorische Frage hält das für berechtigt, ja für geboten. In 23—24 folgt der Schlußwunsch: 2 Zeilen, 3 + 3 (Symmetrien). Die Aufforderung gilt dem Fortgang des Verfahrens: Untersuchung, Prüfung, Entscheidung. J H W H möge kraft seines Zeugenwissens (1 ff.) und gemäß seiner Verpflichtung dem Geschöpf gegenüber (13ff.) gerecht urteilen. 23 bezieht sich wie 26,2 - anders als lbff. - auf das aktuelle Verfahren. Die Gesinnung, Wille und Gedanken (D'DSntP ,Ideen'), mögen offengelegt werden durch J H W H s Intervention. Er möge selbst sehen, ob eine „Götzensache" an ihm hängt (das Wort „Weg" stammt aus 24b) - er weiß es besser als jeder andere ( l f f . ) . Vgl. zum Ganzen Ps 141, zu 24b 143,8.10.

Psalm 140 1

Für den Chorleiter: Ein Psalm von David.

2

Rette mich, JHWH, vor den schlechten Menschen, vor den gewalttätigen Leuten bewahre mich! Welche Böses im Sinne haben, allezeit Streitigkeiten anfangen3; Die Zunge schärfen wie die Schlange, Otternagift haben sie hinter den Lippen. Sela.

3 4 5

6

7 8

518

Schütze mich, JHWH, vor den Frevlern, vor den gewalttätigen Leuten bewahre mich! Welche darauf sannen, mich zu Fall zu bringen. Übermütige versteckten ein Klappnetz für mich, Und Schlingen, breiteten ein Netz am Wegrand3, stellten Fallen auf für mich. Sela. Ich sprach zu JHWH: Mein Gott bist du! Höre, JHWH, mein lautes Flehen! JHWH, mein Herr, mein Hort und meine Hilfe, schütze mein Haupt am Tage des Kampfes!

David-Psalter IV

9

Erfülle nicht, J H W H , die Wünsche des Frevlers, seinen Plan laß nicht gelingen 9 .

10

H e b e n 8 - Sela b - das Haupt c , die um mich stehen, die Pein von ihren Lippen treffe sie selbst, D a ß sie wanken. Feurige Kohlen (sollen fallen) 8 auf sie. Man stürze sie in Gruben1*, daß sie nicht mehr aufstehen! D e r Zungenheld habe keinen Beistand im Lande, den Gewaltmenschen jage das Böse a Stoß auf Stoß b !

11 12 13 14

Ps 140

Ich weiß®, daß J H W H das Verfahren des Elenden führt, den Prozeß der A r m e n . Ja, die Gerechten werden deinen N a m e n preisen, die Aufrechten bleiben vor deinem Angesicht.

3° Entweder < TU II ,nachstellen', ,angreifen' oder < HU pi ,Streit anfangen' (akk garü). 4a 6° Eigtl. „neben der Wagenspur". 9® PID II 1 lQPs a liest WM»,Spinne', statt 3HP337, Viper'. hi. 10" G: ¡j.r)7toTs ("7X). - b n"70 gehört in die Zäsur nach psn. - c Manche denken an tPXI II ,Gift'. 11"Prp„regnen" (statt „wanken"), Atnach versetzt.- b Vgl. Sir 12,16. 12" Atnachzu versetzen. - b Neuer Vorschlag: „in Fangzäune hetzen" ( n s m a ) . 13" K: „Du weißt".

Ps 140 ist das strophisch gestaltete Gebet wohl eines Verfolgten, der in einem Prozeßverfahren ("pi 13) Recht erhielt. Jedenfalls lebt es aus dem Vorstellungskreis des JHWHGerichts. Es steht 3 bzw. 11 nahe. Die vier Strophen werden durch das Sela-Zeichen (vgl. zu 9) getrennt. Sie sind in kunstreichen, z.T. doppelten Parallelismen gehalten und zeigen ein planvolles Gesamtgefüge, wobei sich die Strophen 1 und 2 sowie 3 und 4 entsprechen und die letzte die Motive der beiden ersten aufgreift und verknüpft. Die Verszeilen - 3 je Strophe - sind klanglich beziehungsreich und expressiv. Man beachte die Assonanzen und Alliterationen etwa in 4 (Zischlaute - Schlangenmotiv, auch in 6) oder in 7 (Gutturale) und in 11 (ö-Dominanz, mit drohendem Unterton?). Sie waren vermutlich primär nach dem 3+3-Metrum geformt und wurden nachträglich in ein 4+4Schema eingepaßt. 13 und 14 sind Schlußworte bzw. Nachträge zum Gebet. Der Text ist recht gut erhalten - kleinere Störungen gibt es in 9. l l Q P s 3 bezeugt 1—5 in Kol. XXVII. Paulus zitiert 4 in Rm 3,13. 1: Überschrift, vgl. 3ff., bes. 13. 2—4: Erste Strophe, Bitte um Rettung, primär wohl 3+3, sekundär 4+4. Der Beter bittet mit klaren Worten JHWH, ihn aus seiner Bedrängnis „herauszuholen". Die Bedrängnis ist verursacht durch „schlechte" und „gewalttätige Menschen" (2), welche von langer Hand geplant Streit suchten (3) und den Psalmisten durch das Gift ihrer Zunge (4) vor Gericht brachten (TH 13). Die Metaphorik - Kampf (3), Schlangengift (HQPs a „Spinnengift", 4) - sucht das Urteil über die Feinde zu provozieren, das in 2 vorweggenommen ist (Oön). Vgl. 58. 5—6: Zweite Strophe, Bitte um Bewahrung, gleiches Metrum. Die strukturparallele Strophe wiederholt, z. T. wörtlich, Bitte und Klage, nur daß als Feindbild die Fallensteller erscheinen. Sie spannen im Verborgenen Klappnetze (ns als Vogelfalle, 6aoc), über 519

Ps 140

Teil II: Auslegung

Buch V

oder neben der Fahrspur Fangnetze (nun), wohl über Gruben (6aß), und stellen anderen Schlingen (D^nn) und Fallen (D'Wpö) auf (Umstellung in 6b). Der Beter soll zu Fall gebracht werden (zu n m vgl. 118,13, auch 35,5; 36,13). Zur Jagdmetaphorik in diesen Gebeten vgl. 9,16; 64,6; 141,9f. u. a. 7 - 9 * : Dritte Strophe, Bitte um Intervention, 4+4(?). Der Anfang von 7 (vgl. 13) zeigt, daß der Text eine Aufzeichnung ex post sein muß, in der der Psalmist seine früheren Gebetsworte wiedergibt. Er sprach damals zur Bitte und Klage („Elendsschilderung") ein Vertrauensbekenntnis, in dem er explizit JHWH als seinen Vs anerkannte (7a), als seinen „Herrn" ('HS) und als „Hort seines Heils" (8a). Liegt darin die Abwehr einer Verdächtigung oder Anklage (vgl. 141)? War gerade dies von den Bösen, Gewalttätigen, Hochmütigen, den Frevlern (57ttH 9) angezweifelt und beklagt worden? 7f. bestreitet die Vorwürfe und weist sie zurück. Der Beter bekennt sich zum wahren Glauben und setzt zum Beweis seine Hoffnung ganz auf diesen „Hort des Heils" (8a). Aus dem Bekenntnis entsteht die Bitte, auch JHWH möge sich zu ihm bekennen (7b), ihn beschirmen im Gefecht („als sein Helm", 8b) und - er kehrt zum Klartext zurück Wunsch und Plan der Frevler nicht ans Ziel gelangen lassen (9). 10*—12: Vierte Strophe, Bitte um Bestrafung, 4+4(?). Die durch Umstellung verursachte Störung am Ende von 9 ließ die Negativpartikel ausfallen (vgl. G). Die Kontrahenten (D'DOa) sollen „den Kopf nicht erheben", d.h. frei und unbestraft davonkommen. Der Psalmist wünscht ihre Bestrafung nach dem Grundsatz der Talio (9,16). Es handelt sich hier nicht um Verwünschungen oder Verfluchungen. Die durch ihre Reden ausgelöste „Pein" und „Qual" 07SV) möge auf sie selbst zurückfallen (10b). Offensichtlich waren es schwere Bedrohungen, in die sie den Beter stellten. Er wünscht nun - ganz legal - ihre Verurteilung zum Tod. Der Strafvollzug wird in 11 f. doch wohl bildlich - indem die Metaphorik von 3 f. und 6 aufgenommen wird - als „Regnen feuriger Kohlen" (vgl. 11,6; auch 120,4) und „Hinabstürzen in Gruben" („Regenlöcher"?) beschrieben. Gedacht ist an die drakonische Bestrafung „falscher Zeugen". Denn - 12 begründet die grausamen Worte - der „Zungenmensch" dieser giftigen Art darf „im Lande" nicht leben, der „Gewaltmensch" muß vielmehr verjagt und verstoßen werden. Der Beter beruft sich zu Recht auf das Gesetz für falsche Zeugen (z. B. Ex 20,16; 23,1; Dt 19,16.18; vgl. Ps 35,llf.). 13.14: Schlußworte (mit Entflechtung 3+3). 13 spricht als Quintessenz der persönlichen Erfahrung des Psalmisten aus (M: 2. P. als Lehre), daß JHWH den Elenden (Unglücklichen und Demütigen, '3V) und Armen nicht im Stich läßt, sondern dessen Prozeß führt und dessen Recht vertritt. Gedacht ist konkret an ein Gerichtsverfahren, das die Anklagen der Kontrahenten als falsch erwiesen hat. Bestätigt hat sich das Bekenntnis zu JHWH als „Hort des Heils" (8) und Vertreter der Armen und Gerechten. 14 spricht von der Reaktion der Gemeinde: Sie preist den Namen des Gerechten, der (nur) die Aufrichtigen in seiner Nähe duldet (vgl. die Assonanz der Silben in 14b).

520

David-Psalter I V

Ps 141

Psalm 141 1

2 3 4

5

6 7

8 9 10

Ein Psalm von David. JHWH, dich rufe ich, eile doch" zu mir! Achte auf meine Stimme19, wenn ich rufe! Dargebracht werde mein Gebet als Rauchopfer vor dir, mein Heben der Hände als Abendgabe. Stelle, JHWH, eine Wache3 für meinen Mund, einen Posten vor dieTürb meiner Lippen! Leite meinen Sinn nicht zum bösen Wort8, begangen zu haben Taten im Frevel! . . . mit Männern, Übeltätern0; und ich koste nicht von ihren Speisen. Mich schlage der Gerechte mit Gnade3 und weise zurecht. Kopfölb schmücke0 mein Haupt nicht! Denn noch gilt: auch mein Gebet steht gegen ihre Bosheiten*1. Hinabgestürzt (Felsen3) sind sie durch die Hand ihrer Richter; und sie sollen meine Worte hören, denn sie sind gutb. Wie einer der pflügt3 und spaltetb - auf die Erde wurden ihre Gebeinec gestreut vor den Rachen der Unterwelt*1. Ja, auf dich, JHWH, Herr, richten sich meine Augen. Auf dich vertraue ich, gieße meine Seele nicht aus! Bewahre mich vor3 dem Klappnetz, das sie mir aufgestellt1* und den Fallen der Übeltäter! Die Frevler mögen fallen in die eigenen Fangnetze, miteinander - bis daß ich vorüber bin.

1" G : „erhöre mich" ( < ttnn I I ,sich sorgen'?). - b G : „meines Flehens" wie 140,7. 3° M : „bewahre bzw. bewache doch". Zu lesen mit G wohl rni8tt> bzw. HTIXJ ,Wachposten'(?) oder ,Zaun' ( 2 ) . - b I ? T * phön ,Tür' ( = rfn hebr.), anders 2 . 4" G S lasen pl: „ W o r t e des/der Bösen". - b Der fehlende Parallelismus zeigt eine Beschädigung an. Zu ergänzen: m i x "73 „ich esse nicht...". 5° M : Ton, wohl zu lesen: T o n „der F r o m m e " . - b G , S lasen W i statt » a n „des Frevlers". - c < H83 pi ,schmücken' (oder < K1J hi ,wehren'?). - d So M . Zu lesen: „habe ich Widerwillen ('nVpn < 7-21,speien';,Speichel', statt ^ r Q n ) an ihren Speisen (C ¡1" n i —) statt an ihren Übeltaten ( a n ' m s n a ) " . 6" '-pn schwierig, s.u. - b Man erwartet eher 1JQN3 „wahr" (statt l a w ) . l l Q P s a schreibt ia 5?: (mit Platz f ü r ' z . B . ) . 7® G , S lesen n*7S ,Mühlstein'. 2 ystüpyö