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German Pages [283]
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Bernd Janowski (Tübingen) • Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)
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ARTIBUS
Corinna Körting
Zion in den Psalmen
Mohr Siebeck
CORINNA KÖRTING; geb. 1967; Studium der evangelischen Theologie in Hamburg; 1999 Promotion; 2005 Habilitation; Privatdozentin an der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen.
ISBN 3-16-148880-6 ISBN-13 978-3-16-148880-1 ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament)
978-3-16-157785-7 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2006 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Times New Roman gesetzt, von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Die vorliegende Monographie wurde im Sommersemester 2005 von der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Habilitationsschrift angenommen. Für die Veröffentlichung habe ich lediglich die Einleitung leicht überarbeitet sowie die Zwischenüberschriften einzelner Kapitel ins Inhaltsverzeichnis übernommen. Unter den vielen, die mich während der Zeit der Arbeit an der Habilitationsschrift begleitet haben und für Gespräche und Diskussionen zur Verfugung standen, möchte ich einzelnen an dieser Stelle meinen besonderen Dank aussprechen. Zuerst sei Herr Prof. Dr. Dr. h.c. H. Spieckermann genannt, mein Doktorvater aus Hamburger Zeiten, mit dem ich auch während der Beschäftigung mit „Zion in den Psalmen" einen regen Meinungsaustausch führen konnte. Mein Dank gilt zudem Herrn Prof. Dr. R.G. Kratz, Herrn Bischof Dr. E. Aurelius, Frau PD Dr. K. Schöpflin und den Mitgliedern des Göttinger Doktorandenkolloquiums, die mir Raum zum Vortrag und zur Diskussion gegeben haben. Schließlich möchte ich meinen Ehemann Oliver Körting nennen, der mich stets ermutigt und mir den Rücken gestärkt hat. Einige Namen derer, die sich um die vorliegende Arbeit verdient gemacht haben, sind mehrfach zu nennen. So gilt mein Dank den Gutachtern der Habilitationsschrift, den Herren Prof. Dr. Dr. h.c. H. Spieckermann, Prof. Dr. R.G. Kratz und Prof. Dr. B. Janowski. Sie haben nicht nur die Mühe des Gutachtenschreibens übernommen, sondern dies auch so zügig getan, daß das Habilitationsverfahren innerhalb eines Semesters abgeschlossen werden konnte. Den Herausgebern von „Forschungen zum Alten Testament", Herrn Prof. Dr. B. Janowski, Herrn Prof. Dr. M. S. Smith und Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. H. Spieckermann danke ich für die Aufnahme von „Zion in den Psalmen" in diese Reihe. Ohne die fleißigen Leserinnen, die die Arbeit auf Druckfehler hin durchgesehen haben, wäre das jedoch kaum möglich gewesen. Mein Dank gilt Frau stud. theol. Heidrun Gunkel, Frau stud. phil. Judith Krawelitzki und Frau stud. theol. Angelika Maske. Wunstorf, im Dezember 2005
Corinna Körting
Inhaltsverzeichnis Vorwort Abkürzungsverzeichnis Einleitung
A. Zion und Jerusalem
V XI 1
11
I. Zion, Mutterstadt der Völker - Jerusalem, Friedenshort des Volkes 1. „ Herrliches wird gesagt von dir " - Psalm 87 2.,, Um meiner Brüder und Freunde willen " - Psalm 122
12 13 22
II. Stadt, Berg und Beter 1. Die Verbindung des Schicksals von Beter und Stadt - Psalm 102 2. Verbindungslinien: „Denn Jhwh baut Zion" - Die Psalmen 51; 69 und 102 Zion in Psalm 51 Zion in Psalm 69 „Denn Jhwh baut Zion" Die Psalmen 51; 69 und 102 im Kontext des zweiten und vierten Psalmenbuches 3. „ Wie der Berg Zion " - Psalm 125 4. „ Siehe, die Schönheit Jerusalems " - Psalm 128 5. „ Vergäße ich dich, Jerusalem " - Psalm 137
31 32
III. Zusammenfassung
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion I. „Bis sie schauen DTfwbx" 1. Der Zion als Heimat des Beters - Psalm 84 2. Der Zion als Ort der Sühne - Psalm 65
48 48 52 55 56 61 68 73 84
87 87 88 97
VIII
Inhaltsverzeichnis
II. Jhwh erwählt Zion 1. Davidverheißung und Zionserwählung - Psalm 132 2. Verbindungslinien: Psalm 132 im Kontext der Wallfahrtslieder
106 106 . 119
I I I E s segne dich Jhwh von Zion her" 1. und D'QBD in den Psalmen 14 und 53 2. Die Wallfahrtslieder - Die Psalmen 120-134 Segen geht aus von Zion Jhwhs Handeln an Zion Zion als Paradigma des Vertrauens
120 121 132 135 142 144
IV. Der eine Berg und die Berge 1. Zion und Sinai - Psalm 68 2. Zion und Hermon - Psalm 133
146 146 155
V. Zusammenfassung
C. Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen Utopie I. Die Gottesstadt 1. ,,Der Berg Zion, äußerster Norden " — Psalm 48 2. Verbindungslinien: Von Psalm 48 zu Psalm 87 3. „Ein Schutz ist uns der Gott Jakobs " - Psalm 46 II. Königtum auf dem Zion 1. Das Königtum Gottes - Psalm 99 2. Verbindungslinien: Der Thronsitz des Königs - Zion und die Psalmen 93-99* 3.,,Du bist mein Sohn" - Psalm 2 4. Der Priesterkönig-Psalm 110 5. Verbindungslinien: Psalm 110 zwischen Psalm 2 und Psalm 132 III. Zusammenfassung
D. Ausblick Zion im Wechselspiel von relativer Offenheit und Konkretion Der einzelne, der Kult und das Königtum Ein Magnet theologischer Konzeptionen Verbindungslinien im Psalter Das Zentrum fortschreitender Theologiebildung
160
163 164 165 177 179 186 187 194 196 206 215 217
221 221 223 225 226 227
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis Stellenregister Sachregister
IX
231 253 265
A bkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen richten sich nach S.M. Schwertner, Theologische Realenzyklopädie (TRE), Abkürzungsverzeichnis, Berlin/New York 2 1994. Weitere bzw. abweichende Abkürzungen: AncB.D
Anchor Bible Dictionary, 6 Bde, hrsg. von D.N. Freedman, New York u. a. 1992 BZAR Beihefte zur Zeitschrift für altorientalische Rechtsgeschichte, hrsg. von E. Otto, Wiesbaden 2000 ff. HThK. AT Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament, hrsg. von E. Zenger, Freiburg u.a. 1999ff. WBC Word Biblical Commentary, D.A. Hubbard u.a., Waco/Texas u.a. 1914ff.
Einleitung „An den Flüssen Babels, dort saßen wir, auch weinten wir als wir dachten an Zion " (Ps 137,1)
Die Trennung von Zion löst bei den Exulanten unermeßlichen Schmerz aus. Freude und Gesang sind fern von Zion ausgeschlossen. Doch wonach sehnt sich die Exilsgemeinde? Sind es die Vorhöfe des Tempels (Ps 84,3)? Ist es die Gottesstadt, in der Jhwh als König gegenwärtig ist? Haben die Exulanten gar den Zion als den nicht wankenden Berg vor Augen, der eine Stabilität vermittelt, die ihnen in ihrem Schicksal fehlt? Damit ist nur ein kleiner Teil der Aussagen genannt, die die Psalmen über Zion machen. Sie verteilen sich über den gesamten Psalter, treten allerdings in den Korachpsalmen und den Wallfahrtsliedern konzentriert auf. Einen entscheidenden Beitrag zu der Frage, welche Motive für die Zionstradition in den Psalmen konstitutiv sind, hat die Gattungszuweisung der Texte geleistet. Gunkel betrachtet unter dem Gesichtspunkt Gattung die Ps 46; 48; 76; 84; 87; 122 (132) als Zionslieder. Er bezeichnet sie als den Hymnen ähnliche Lieder, die mit dem Lobpreis Jhwhs und des Zion sogleich einsetzen. 1 Ps 122 ist für ihn ein eigenartiges und persönlich gehaltenes Zionslied. Daß Zion in Ps 46 gar nicht genannt wird und in Ps 122 von Jerusalem die Rede ist, hat für seine Gattungszuweisung keine Relevanz. Bis in die jüngere Forschung hinein wird in den Darstellungen der Zionstradition der Psalmen und der sich daraus erschließenden Zionstheologie in erster Linie auf die bereits von Gunkel als Zionspsalmen bestimmten Texte und ihre Zionsvorstellungen zurückgegriffen. 2
1
Vgl. GUNKEL, Einleitung, 42F.80F. Zu Ps 132 schreibt GUNKEL, daß Ps 132 „zwar keine hymnischen Formen enthält, aber doch den „Zionliedern" zu vergleichen ist" (ebd., 81). Vgl. dazu insbesondere STECK, der die Zionspsalmen auf die Ps 46; 48 und 76 begrenzt (Friedensvorstellungen, 9). FOHRER grenzt im Gegensatz zu GUNKEL die Ausrichtung der Zionslieder darauf ein, daß „Lob und Preis der heiligen Stätte im Mittelpunkt stehen" (Zion-Jerusalem, 217). Ps 122 und 132 benennt auch er nicht als Zionslieder (ebd.). 2 Vgl. dazu SPERLING (Jhwh-Überlegenheitslied, u. a. 346), der sich mit diesem Phänomen kritisch auseinandersetzt. Er versucht zu einer Gattungsbestimmung für die sog. Zionslieder zu kommen, die kohärenter erscheint, als die der inhaltlichen Orientierung.
2
Einleitung
Die entscheidende Konturierung der Zionstradition geht auf die Arbeit von Rohland 3 zurück, dessen Ergebnisse von Roberts 4 aufgenommen und detailliert ausgearbeitet wurden. Rohland benennt aufgrund einer Analyse der Ps 46; 48 und 76 folgende Merkmale einer Zionstradition: „ 1) 2) 3) 4)
der Zion ist der Gipfel des Zaphon, d. h. der höchste Berg (48,3 f.). Von ihm geht der Paradies-Strom aus (46,5). Gott hat dort den Ansturm der Chaos-Wasser besiegt (46,3). Gott hat dort die Könige und ihre Völker besiegt (46,7; 4 8 , 5 - 7 ; 76,4.6 f.).
Als besonders charakteristisch galt dabei für diesen Sieg: a) er erfolgte durch einen Gottesschrecken, sei es als Theophanie (48,6), sei es durch das Schelten Gottes (46,7; 76,7). b) Er erfolgte vor Morgengrauen (46,6). c) Gott zerbrach dabei die Waffen und machte j e n e m großen Krieg ein definitives Ende (76,4)." 5
Rohland kommt zu diesem Ergebnis unter der Voraussetzung, daß Texte wie Ps 132 oder 78 zu jung seien, d.h. in die späte Königszeit bzw. in die nachexilische Zeit gehörten, um über die Zionstradition Auskunft geben zu können. Ps 2 hält er für einen „zweifellos frühen Beleg" 6 , doch sei in diesem Text die Zionstradition bereits mit der Erwählung des Königshauses verbunden. Da nach 3
Vgl. ROHLAND, Die Bedeutung der Erwählungstraditionen Israels für die Eschatologie der Alttestamentlichen Propheten, Diss, masch., Heidelberg 1956. 4 ROBERTS arbeitet fünf Motive bzw. Motivkomplexe der Zionstradition heraus, die er im Kern in die Regierungszeit Davids datiert: „The devine mountain", „The river of paradise", „The conquest of chaos", „The defeat of the nations", „The pilgrimage of the nations" (Zion Tradition, 985 f.). Im Anschluß daran entwickelt er schließlich seine Gedanken zur Zionstheologie mit zwei Hauptaspekten: I. „Yahweh is the great king." II. „He chose Jerusalem for his dwelling place." Den zweiten Punkt deutet er noch weiter aus: „A. Yahweh's choice has implications for Zions's topography. 1. It is on a high mountain. 2. It is watered by the river of paradise. B. Yahweh's choice has implications for Zion's security. 1. Yahweh protects it from his enemies: a. The unruly powers of Chaos, and b. The enemy kings. 2. At Yahweh's rebuke: a. The enemy is undone, b. War is brought to an end, c. And plunder is taken. 3. The nations acknowledge Yahwehs's suzerainty. C. Yahweh's choice has implications for Zion's inhabitants. 1. They share in the blessings of God's presence. 2. But they must be fit to live in his presence." (Zion in the Theology, 94). 5 6
V g l . ROHLAND, B e d e u t u n g , 142. ROHLAND, B e d e u t u n g , 122.
Einleitung
3
Rohlands Ansicht die Erwählung Zions der des Königtums vorausgeht, ist auch Ps 2 nicht in dem Maße aussagekräftig wie die von ihm bearbeiteten Ps 46; 48 und 76. 7 Wenn neuere Zusammenfassungen zur Zionstradition oder zur Zionstheologie in der Regel auch differenzierter ausfallen, so zeigen sie doch deutlich Bezüge zu den Arbeiten von Rohland und Roberts oder weisen einen ähnlichen Ansatz auf. 8 Dies gilt auch f ü r die 1987 veröffentlichte Arbeit von Ollenburger „Zion - The City of the Great King. A Theological Symbol of the Jerusalem Cult". Ollenburgers Ziel ist es, Zion als theologisches Symbol auf dem Hintergrund von Einzelmotiven, die der Zionstradtion zugehören, zu untersuchen. Er greift auf die Arbeit von Rohland zurück und systematisiert die Motive folgendermaßen: „If w e limit ourselves to the motifs identified by Rohland and most other scholars, the Zion tradition consists of four principal motifs that express Yahweh's choice of Zion as his city, and the consequent security of the city against the threat of natural and super-natural forces." 9 Auch wenn Ollenburger wenige Abschnitte später formuliert: „Like any other symbol Zion was capable of being placed in designes of m o r e than one configuration, and was capable of evoking more than one response" 1 0 , bleibt Ollenburger in seiner Analyse doch der Vorgabe von Rohland verhaftet. Er arbeitet heraus, w a s Zion als Zentralsymbol seiner Ansicht nach im Kern evoziert, nämlich das Königtum Gottes. 1 1 Darüber lassen sich nach Ollenburger alle anderen Motive der Zionstheologie miteinander verbinden, denn Schöpfertätigkeit und Chaosbewältigung sind Aspekte des Königtums Gottes; des Gottes, der auch Zion gegründet hat und ihn bewahrt und seinen Bewohnern Sicherheit bietet. Eine weitere wichtige theoretische Voraussetzung f ü r die Arbeit Ollenburgers bietet der Ansatz Stecks, der die Jerusalemer Kulttradition als eine „weltumfassende, reflektiertgeschlossene, theologische Konzeption" 1 2 verstanden hat. „Zentrum dieser Konzeption ist nicht die Relation Jahwe-Israel, sondern die Verbundenheit Jahwes mit einem Berg und einer Stadt - Zion." 1 3
7
V g l . ROHLAND, B e d e u t u n g , 119 ff.
8
Vgl. u.a. HAYES, Tradition, 419ff.; PORTEOUS, Jerusalem-Zion, 253ff.; KRAUS, Gottesdienst in Israel, 234ff.; ders., Theologie, 94ff.; LUTZ, Jahwe, 157 ff.; MÜLLER, Funktion, 271 ff.; OTTO, El, 317 ff.; LEVENSON, Art. Zion Traditions, 1098 ff. „A sense of those traditions can be gained from Psalm 48 (JPSV), a representative song of Zion" (ebd., 1099). Vgl. RENZ, Use, 79 ff. SPERLINGS Arbeit zu den Ps 46; 48; 76 und 87 bzw. 84 und 122 hat die Zielsetzung, die Texte gattungskritisch neu zu bestimmen (Jahwe-Überlegenheitslied, 15). 9 OLLENBURGER, Zion, 16. Dabei zählt er die von WILDBERGER angeführte Völkerwallfahrt ausdrücklich nicht dazu (ebd., 15 f.). 10
"
OLLENBURGER, Z i o n , 18. V g l . OLLENBURGER, Z i o n , 146.
12 Vgl. Friedensvorsteliungen, 9. Vgl. dazu auch HARTENSTEIN, der eine sinnvolle und pragmatische Eingrenzung dessen vorschlägt, was STECK unter „Jerusalemer Kulttradition" versteht und berechtigte Kritik übt (Unzugänglichkeit, 8 f.). Er selbst schlägt folgendes vor: „Die »Jerusalemer Kulttradition« war also der durch den Tempelkult in vorexilischer Zeit gegebene Überlieferungszusammenhang für die Texte und Riten des Jerusalemer Heiligtums und die damit verbundenen Bedeutungen " (ebd., 9). 13
STECK, F r i e d e n s v o r s t e l l u n g e n , 14.
4
Einleitung
Innerhalb dieser Rahmenbedingungen greift Ollenburger einzelne Erwähnungen Zions in den alttestamentlichen Texten auf, ohne auf die Verankerung Zions in einzelnen Texten oder Textgruppen näher einzugehen und gegebenenfalls auch den Rahmen der „Jerusalemer Kulttradition" sprengende Aspekte einzubeziehen. 1 4 Die relative Freiheit von derartigen Voraussetzungen, die ihm der Symbolbegriff hätte bieten können, nutzt er nicht.
Aus dem präsentierten Zugang zum Thema „Zion" ergibt sich jedoch das Problem, daß man den Schwerpunkt dessen, was Zionstradition und Zionstheologie ausmacht, bei einigen wenigen Psalmen sucht. Nimmt man andere Belege des Psalters für Zion hinzu, erweisen sich die spezifischen Vorstellungsgehalte zum Teil jedoch als spannungsreich, zuweilen sogar widersprüchlich. Zion kann zum Inbegriff zerstörter (Ps 102) und beheimateter Existenz (Ps 84) werden. Völkerkampf am Zion und Proklamation Zions als Heimat der Völker werden gleichsam thematisiert. Die Darstellungen von Rohland und Roberts fassen diese Aspekte nicht. 15 Zenger unterscheidet in einem solchen Fall eine vorexilische von einer nachexilischen Zionstheologie. 16 Doch ist auch diese Differenzierung noch nicht ausreichend hilfreich, wenn man bedenkt, daß die meisten der Belege der Psalmen von Zion nachexilischer Zeit entstammen - wohl auch der stets für die „klassische" Zionstheologie herangezogene Ps 46. Diente diese Reduktion allein der Frage nach den Ursprüngen der Zionstradition, so wäre sie vielleicht gerechtfertigt. In den Darstellungen werden jedoch in der Regel die auf geringer Textbasis gewonnenen Aussagen theologisch systematisiert und für die jüngeren Zionsbelege als Vorstellungssyndrom vorausgesetzt. So versperrt man mit einer auf wenigen Texten basierenden Zionstheologie die Sicht für das Spezifische der Zionsaussagen der Einzeltexte. Eingangs wurde aus Ps 137,1 zitiert. Die dort gestellten Fragen - was Zion dem Beter dieses Textes bedeutet und wofür Zion in diesem Text steht - lassen sich an alle Zionstexte richten. Die Antworten fallen jedoch sehr unterschiedlich aus. Der Beter von Ps 125,1, dem zugesagt wird, daß derjenige, der auf Jhwh vertraut, nicht wanken wird, wie der Zionsberg nicht wankt, hat ein anderes Bild von Zion vor Augen als der Beter von Ps 51,20 f., der für sich selbst und für Zion um Befreiung aus der Not bittet. Es ist weder sinnvoll noch berechtigt, hinter der Erwähnung des Topos 17 Zion im Psalter in jedem einzelnen Text die gesamte mit Zion verbundene Vorstellungswelt erkennen zu wollen. 18 14 Eine informative und sachlich treffende Kritik der Arbeit von OLLENBURGER hat OTTO verfaßt (ThLZ 113, 734ff.). 15 Ps 87 wird allerdings von beiden, und hier liegt auch das Problem des Ansatzes, in die Fragestellung nicht miteinbezogen. 16 Vgl. ZENGER, Nacht, 277F.281; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 555. Vgl. dazu auch OTTO (Art. "VX, 1023 ff.), der die nachexilische Weiterentwicklung vorexilischer Zionsmotivik nachzeichnet. 17 „Zion" wird in dieser Untersuchung häufig als Topos bezeichnet. Damit soll neben der geographischen Größe „Zion", dem Berg, und der geschichtlichen Größe „Zion", der Stadt,
Einleitung
5
Wer etwas über Zion sagen will, darf nicht mit einer auf geringer Textbasis gewonnenen Vorstellung von Zionstheologie beginnen und sie auf andere Texte applizieren, sondern er muß bei den Texten anfangen, und zwar bei allen. Dann erweist sich, wie wenig es berechtigt ist, Zionstheologie als ein geschlossenes System 19 zu betrachten, in dem alle mit Zion verbundenen Aspekte ihren Platz finden. Es sind immer wieder Stimmen laut geworden, die sich dagegen aussprechen, von der Zionstheologie als einem geschlossenen System zu sprechen. Das Alter der Texte 20 spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Nichtbeachtung des auch dem Bedeutungsspektrum Zions auf literarischer Ebene Ausdruck verliehen werden. „Topos" wird hier verstanden als eine „schematisierte, wenn nicht klischeehafte, Denk-, Vorstellungs- und Ausdrucksform oder -formel literarischer Produktion. Er kann eine geprägte Phrase, ein Name, ein Zitat, Bild, Emblem, Motiv oder eine andere technische Darbietungsweise sein" (BAEUMER, Dialektik, 300; er greift damit auf den von CURTIUS [Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, Bern 6 1967] erarbeiteten modernen Toposbegriff auf). Von Bedeutung ist für diesen Zusammenhang zudem, daß Topoi keine starren, unveränderlichen Schemata sind, und ihre Bedeutung und Tragweite mit ihrer historischen Umwelt wechselt (vgl. CURTIUS, Historische Topik, 17). 18 In ihrem Psalmenkommentar der Neuen Echter Bibel präsentieren HOSSFELD und ZENGER zu Ps 46 eine Zusammenstellung von fünf prägenden Vorstellungen, die diesem Text zugrundeliegen (Psalmen I NEB, 287 f.; vgl. auch ZENGER [Korachpsalmen, 179] zur Zionstheologie). Sie weisen große Übereinstimmung auf mit den Aspekten, die bereits Rohland als maßgeblich für die Zionstheologie erachtet hat. Obwohl Ps 46 selbst in großem Umfang die Stichworte für eine solche Zusammenstellung liefert, äußert JANOWSKI berechtigterweise Kritik an der Vorformung exegetischer Analysen durch diese zu einem geschlossenen System zusammengestellten Traditionen (Wohnung, 48). 19 Wegweisend für die Rede von der Jerusalemer Kulttradition waren Arbeiten von H. SCHMID (Jahwe und die Kulttraditionen von Jerusalem, 1955), STOLZ (Strukturen und Figuren im Kult von Jerusalem, 1970) und STECK (Friedensvorstellungen im alten Jerusalem, 1972). H. SCHMID postulierte, daß die Vorstellungen von Jhwh als König auf einen vorisraelitischen Mythos in Jerusalem zurückgingen (Kulttraditionen, 174). Er ging davon aus, daß es eine vorisraelitische Kulttradition in Jerusalem gab. Die Elemente einer solchen Tradition hat STOLZ auf dem Hintergrund kanaanäischer Religion genauer zu beschreiben versucht. Seine Leitfrage: „Wie hat die kanaanäische Religion, die in Jerusalem zur Bildung der israelitischen Religion beitrug, ausgesehen?" (Strukturen, 2). Die Existenz einer vorisraelitischen Kulttradition in Jerusalem hinterfragt er nicht. Während STOLZ einzelne Elemente der Tradition einzuordnen und zu beschreiben versucht, systematisiert STECK diesen Ansatz und gibt eine Definition dessen, was Jerusalemer Kulttheologie ist. Die wesentlichen Aspekte sind oben bereits genannt worden, so daß hier vor allem noch einmal hervorzuheben ist, daß „der Schlüssel zum Gefuge der Jerusalemer Kulttradition ... in der grundlegenden Auffassung (liegt), daß der Zion der Gottesberg ist, der Weltberg, da irdischer und himmlischer Bereich ineinander übergehen" (Friedensvorstellungen, 14). Jerusalemer Kulttheologie ist ihrem Wesen nach Zionstheologie. 20 WILLI nennt den zeitlichen Rahmen einen wichtigen Faktor: Es „muß eine solche Theologie einerseits kultisch an Jerusalem als der Stadt des Heiligtums orientiert, andererseits kulturell, religiös und national abgestützt sein." „In Betracht kommt also frühestens die persische Zeit der Geschichte Israels" (Zion, 153 f.). Die massivste Kritik stellt jedoch wohl die Arbeit WANKES dar. Seine Betrachtung der Zionstheologie der Korachiten führt ihn schließlich zu dem Ergebnis: „Das Alter der Motive und ihre späte Übernahme in das israelitische Denken und Vorstellen sowie die Tatsache, daß das Völkerkampfmotiv sehr jung ist, widersprechen der Hypothese von einer vorisraelitischen Jerusalemer Kulttradition" (Zionstheologie, 112). Positiv formuliert heißt das für WANKE: „Die korachitischen Zionspsalmen repräsentieren als die
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Einleitung
Kontextes einzelner Aussagen. 21 Willi kommt zu dem Schluß, „daß sich zwar eine Reihe von Elementen finden, die sich als zionsbezogen verstehen lassen, daß aber nicht die Rede von einem geschlossenen, kompakten Begriffs- oder Gefiihlssystem sein kann, das den Namen „Zionstheologie" verdienen würde - j e d e n f a l l s nicht vor II Makk 1-2, einem in dieser Hinsicht bemerkenswerten Dokument aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert." 22 Die Faszination, die offensichtlich von Zion in den Psalmen ausgeht, ist gerade darin dokumentiert, daß er unterschiedliche Motive und Traditionen anzuziehen vermag, die nicht in jedem Fall miteinander in Einklang zu bringen sind und sich allein als Elemente einer systematisch organisierten Theologie verstehen lassen. Das heißt, daß die Rede vom Königtum Gottes auf dem Zion ebenso zu Zion gehört wie die ursprünglich mit dem Sinai verbundene Gesetzgebung. Zion kann zudem Mutter 23 und Tochter 24 , Gottesstadt und Fußschemel Gottes sein. Ziel dieser Untersuchung ist nicht die erneute Frage nach einem traditionsgeschichtlichen Kern der Zionstheologie. Es geht im Gegenteil darum, die mit Zion verbundenen Vörstellungsgehalte, Bilder und Stimmungen auf der Ebene der Einzeltexte aufzuspüren und nachzuvollziehen, wie diese die Lesart der Einzeltexte und ganzer Textsammlungen beeinflussen. Das literarische Wachstum der Psalmen und Psalmengruppen kann dabei nicht außer Acht gelassen werden; jedoch nicht, um eine lineare Entwicklung eines traditionellen Motivs aufzuzeigen, sondern um der Vielfalt der mit Zion verbundenen Ausdrucksmöglichkeiten gerecht zu werden. Schließlich erweist sich, daß Zion, einem magnetischen Kräftefeld gleich, Motive und Traditionen Israels anzieht, um sie zu ordnen und auf diese Weise immer wieder neu und anders zu schaffen: Zion ist das oszillierende Zentrum fortschreitender Theologiebildung in Psalmen und Psalter.
Lieder dieser Sängergruppe nicht eine schon aus vorisraelitischer Zeit stammende Kulttradition, sondern vertreten eine an den in exilisch-nachexilischer Zeit um die Gottesstadt entstandenen Vorstellungen orientierte Zionstheologie" (ebd., 113). 21 „Das umfassende Bild, das F. Stolz von der Jerusalemer Tradition zeichnet, beruht auf nicht immer genügender Differenzierung der alttestamentlichen Aussagen. Weder ihr literarischer noch ihr historischer Zusammenhang, d. h. weder ihre Abwandlung im Kontext noch ihre Veränderung im Laufe der Geschichte, wird ausreichend bedacht; vielmehr werden aus verschiedenartigsten Belegen zu einheitliche »Strukturen« entworfen" (W.H. SCHMIDT, Glaube, 295). 22 WILLI, Zion, 153. In ähnlicher Weise hat sich bereits WANKE geäußert: „in jedem Fall muß man aber von übernommenen Einzelelementen sprechen und kann nicht von vorn herein die Summe dieser Elemente oder gar ein einzelnes (...) als eine »Tradition« bezeichnen" (Zionstheologie, 109). 23 Vgl. LXX Ps 86,5. 24 Von jrü r a ist innerhalb des Psalters nur in Ps 9,15 die Rede.
Einleitung
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Zur Methode: Um sich Zion in den Psalmen zu nähern, sind zunächst die Aussagen der Einzeltexte unter der Fragestellung zu betrachten: Welche Funktion hat die Erwähnung Zions für diesen Text, auch im Hinblick auf dessen Redaktionsgeschichte? Daß die Texte des Psalters in ein komplexes System eingebunden sind und Bezüge zu ihren näheren und weiteren Kontexten, d. h. zu den sich unmittelbar anschließenden Einzelpsalmen sowie zu Psalmengruppen und Teilsammlungen, haben, darf nicht außer Acht gelassen werden. Die Zionsaussagen der Einzeltexte stehen in größeren Zusammenhängen, die es auszuwerten gilt. Viele der 38 Belege 25 von Zion, verteilt auf 31 Psalmen, sollen in Einzelexegesen betrachtet werden. Wo inhaltliche und formale Bezüge zu anderen Texten es empfehlen, werden zuweilen nur die Zionspassagen der betreffenden Psalmen betrachtet und einem ausführlich behandelten Text zugeordnet. Das gilt auch fiir die Ps 51 und 69, deren Zionspassagen (Ps 51,20 f.; 69,35 ff.) in direkter Beziehung zu Ps 102 stehen. Die zahlreichen Belege von Zion in den Wallfahrtsliedern (Ps 120-134), die den Charakter der Sammlung entscheidend prägen, legen es nahe, die betreffenden Texte gemeinsam zu behandeln. Dennoch sind einzelne Psalmen dieser Gruppe unter weiteren Gesichtspunkten in gesonderten Analysen zu betrachten. Es kommen zwei Psalmen hinzu, die Zion nicht nennen, deren Bezugnahme auf Zion jedoch zweifelsfrei gegeben ist, die Ps 46 und 68. Die Texte werden unter inhaltlichen bzw. formal grammatischen Gesichtspunkten zusammengestellt. Es gilt zunächst festzustellen, ob sich Zion und Jerusalem voneinander abgrenzen lassen. Aus diesem Grunde wird das Augenmerk auf die Psalmen gerichtet, die beide gemeinsam nennen. Inwiefern sind Zion und Jerusalem bedeutungsgleich, oder haben einen voneinander abweichenden Sinngehalt? Inwiefern beeinflussen oder bereichern sie sich in ihrem Bedeutungsspektrum gegenseitig? Eingeleitet wird der Abschnitt allerdings durch die Exegese der Ps 87 und 122, die als einzige Texte des Psalters ausschließlich Zion bzw. Jerusalem zum Thema haben. Sie geben Perspektiven vor, die sich als maßgeblich auch für die parallelen Nennungen Zions und Jerusalems erweisen. Den Texten des zweiten Hauptteils ist gemeinsam, daß sie Zion durch den Gebrauch der Präpositionen 3 und p sowie der Lokaladverbien DD und na zum Zentrum einer sakralen Topographie machen. Zion erweist sich darin als Orientierung vermittelnder, ruhender Pol. Zudem verfugt er über höchste Strahlkraft und Dynamik, die nach außen wirkt und das Land und seine Bewohner erfaßt. Die Zusammenstellung von Psalmen unter grammatischen Gesichtspunkten eröffnet die räumliche Dimension des Topos Zion. Im dritten Hauptteil wird die Positionierung Zions auf der temporalen Achse zum Leitfaden und erschließt 25 Ps 2,6; 9,12.15; 14,7; 20,3; 48,3.12.13; 50,2; 51,20; 53,7; 65,2; 69,36; 74,2; 76,3; 78,68; 84,8; 87,2.5; 97,8; 99,2; 102,14.17.22; 110,2; 125,1; 126,1; 128,5; 129,5; 132,13; 133,3; 134,3; 135,21; 137,1.3; 146,10; 147,12; 149,2.
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Einleitung
zwei Themenbereiche: die mythische Dimension des Berges Gottes und der Gottesstadt, sowie die königliche Herrschaft auf dem Zion als Herrschaft Jhwhs und als zukünftige Hoffnung einer Regentschaft des von ihm eingesetzten Königs. Die Auswahl der Texte und die unter den genannten Gesichtspunkten erfolgte Zusammenstellung entzieht sich mit Absicht der durch die Forschungsgeschichte vorgegebenen Schwerpunktsetzung, d. h. einer an der Gattungszugehörigkeit, am Alter der Psalmen oder an den als einschlägig erachteten Motiven orientierten Betrachtungsweise von Zion. Die Vielfalt der Möglichkeiten der Rede von Zion in den Psalmen zeigt sich auch an einem weiteren nicht durch die Gliederung offengelegten grammatischen Phänomen. Zion wird teils als Femininum 26 , teils als Maskulinum 27 behandelt. Einige Belege geben darüber nicht direkt Auskunft. In der Regel erklärt sich die Zuordnung des grammatischen Geschlechts daher, daß von Zion als Berg oder als Stadt gesprochen wird. Hervorzuheben sind indessen die Ps 48 und 132. In Ps 48 wechselt das grammatische Geschlecht, wobei Zion in v 3 Züge des Berges und der Stadt trägt. In Ps 132 ist Zion Femininum. Hier werden jedoch Motive mit Zion verbunden, die in anderen Texten auf den Berg und eine entsprechende Redeweise bezogen werden. Auf diese Phänomene wird näher einzugehen sein. Es ergibt sich daraus allerdings eine formale Schwierigkeit, die letztlich nicht zufriedenstellend zu lösen ist. Da die Texte selbst häufig indifferent sind, was das grammatische Geschlecht betrifft und zudem eine vorschnelle Identifizierung Zions als Berg oder Stadt nicht wünschenswert ist, ist eine möglichst neutrale Redeweise von und über Zion unter Umgehung einer Zuordnung vorzuziehen, will man den Sinngehalt dieses Topos nicht von vornherein eingrenzen. Dies ist sprachlich allerdings nur in sehr begrenztem Maße möglich. Schließlich ist die Maskulinform zugrunde gelegt worden, da sie ein größeres Bedeutungsspektrum mit sich führt, die eindeutigen Femininvarianten bekommen demgegenüber eine Kennzeichnung. Nun hat Zion nicht nur für die Theologiebildung der Psalmen, sondern auch für die der Prophetie hohe Relevanz. Daß diese Untersuchung sich dennoch auf die Psalmen beschränkt, hat vor allem zwei Gründe. Um den Topos Zion lagern sich in der Prophetie zum Teil andere thematische Schwerpunkte an. Einer davon ist geknüpft an den Ausdruck jv^ m . In den Psalmen ist m nur in Ps 9,15 belegt, in der Prophetie (einschließlich der Klagelieder) jedoch 28 mal. Dabei geht es nicht nur um rein statistische Werte, sondern um eine in ihnen zum Ausdruck kommende und von der Sprache der Psalmen abweichende, teilweise personifizierende 28 Redeweise von Zion - als Braut Jhwhs, als kinderreiche Mutter, 26 27 28
Ps 9,15; 48,13; 87,2.5; 97,8; 102,14.22; 132,13; 147,12. Ps 2,6; 48,3.12; 50,2; 74,2; 78,68; 125,1; 133,3. Personifikation wird hier verstanden als Silmittel, „A figure of speech in which h u m a n
Einleitung
9
kinderlose Witwe, Ehebrecherin oder Königin.29 Diese Redeweise unterscheidet sich sehr von den zu Zion gehörenden topographischen und theologisch-mythisierenden Vorstellungen.30 Sie hat die prophetischen Texte und auch die Klagelieder stark geprägt, jedoch kaum Einfluß auf die Psalmen gehabt.31 Der gravierende Unterschied zwischen Psalmensprache und prophetischer Sprache hängt mit dem Gebetscharakter der Psalmen zusammen - der zweite Grund, weshalb prophetische Texte und Psalmen zunächst gesondert Beachtung finden müssen. Zion in den Psalmen geriert sich als ideale Größe, die dem Beter Identifikationsmotiv ist oder Gottesnähe verheißt. Die personifizierte Stadt als Gefangene oder Ehebrecherin gehört nicht in das Zionsbild der Psalmen. Hierin erweist sich der Psalter als ausgesprochen kohärente Sammlung von Texten.32 Eine flächige Betrachtung der Belege von Zion in Psalmen und Propheten wird folglich eher Konturen verwischen als hervorarbeiten. So gilt das Augenmerk dieser Untersuchung Zion in den Psalmen, einem komplexen Gebilde sprachlicher, motivischer und theologischer Art, das den Betrachter direkt ins Zentrum theologischen Nachdenkens in Jerusalem fuhrt.
characteristics are attributed to an abstract quality, animal or inanimate object" (New Encyclopaedia Britannica 9, Chicago u.a. I 5 1989, 312). 29 In der prophetischen Überlieferung wird Zion als Gestalt in Beziehungen dargestellt, im Blick auf ihre Kinder als Mutter, im Blick auf die Feinde als Gefangene, im Blick auf Jhwh als Königin. Vgl. STECK (Zion, 134f.), der weitere Relationsbegriffe auffuhrt. 30 Vgl. WISCHNOWSKI, Tochter Zion, 2; s.a. STECK, Zion, 143. 31 WISCHNOWSKI stellt fest, daß ]RS r a in Ps 9,15 eher als poetische Variation zu Jerusalem zu verstehen ist, und die Ps 87; 102 und 137 zwar Personifizierungen voraussetzen, diese den jeweiligen Text jedoch nicht inhaltlich prägen (ebd., 3 f.). Für Ps 87 heißt das z. B., daß Zion zwar direkt in der 2.f.sg. angesprochen, die Mutterrolle jedoch nicht weiter ausgeführt wird. Zion wird in der LXX, nicht aber im M T als Mutter bezeichnet, und die Nationen werden in der Stadt ( m ) , aber nicht von ihr geboren. Sie sind nicht ihre Kinder. 32 STECK macht noch einen weiteren Vorschlag: „Es hat den Anschein, daß der Antrieb zur Heilsgestaltung der Figur der Frau Zion damit in Zusammenhang steht - die Stadt tritt als empfangende, handelnde Person auf Erden in die Stellung, die einst der Person des davidischen Königs in Jerusalem zugekommen w a r " (Zion, 144).
A. Zion und Jerusalem In der Exegese werden Zion und Jerusalem häufig synonym verwendet. Ob Zion genannt wird oder Jerusalem, scheint für die Fachdiskussion eher eine stilistische denn eine von der Semantik her begründete Wahl zu sein. Nun ist auffallig, daß Zion bzw. Jerusalem nicht gleichermaßen häufig in den alttestamentlichen Schriften anzutreffen sind. Jerusalem findet weitaus stärkere Verwendung als Zion. 1 Im Psalter zeigt sich allerdings ein gegenteiliges Bild. Tsevat begründet diese statistischen Werte mit der Gattung der Texte. Während in der Prosa eher von Jerusalem die Rede ist, gehören Zion-Belege fast ausschließlich der Dichtung an. Als einen Nachweis für den synonymen Gebrauch der beiden Namen versteht er die Verwendung im synonymen Parallelismus. So kommt Tsevat zu dem Urteil: Der Name Zion hat sich von seiner ausschließlichen Bindung an den südlich vom Tempelplatz gelegenen älteren Stadtteil gelöst und ist weitgehend zu einem Synonym für Jerusalem geworden." 2 Ein theologisch begründeter Unterschied läßt sich seiner Ansicht nach nicht erkennen. Doch so einfach ist der Sachverhalt nicht. Die häufigere Rede von Jerusalem in den Büchern Samuel, Könige und Chronik 3 ist tatsächlich aus der Gattung der Texte heraus zu verstehen. Jerusalem erscheint dort als politisch-geographische Größe. Für die prophetischen Schriften zeigt die Konkordanz schon ein anderes Bild. 4 Dies kann hier nicht im einzelnen erörtert werden, wenn auch die prophetischen Texte als Referenztexte einzelner Psalmen oder Psalmenabschnitte immer wieder heranzuziehen sind. Die ungleiche Verwendung der Namen Jerusalem und Zion in den Psalmen 5 bedarf jedoch einer genaueren Untersuchung, da der Kontext der Belegstellen in bezug auf Inhalt und Gattung wie auch die 1 c*?orr ist 669 mal belegt, Zion hingegen 159 mal (die Zahlen sind auch für die folgenden Angaben der Computerkonkordanz ACCORDANCE entnommen). Vgl. zur Streuung der Belege auch FOHRER, Zion-Jerusalem, 204 f. 2 TSEVAT, Art. C'TBIT, 931 f. Auch FITZGERALD kann Zion als „poetic Substitute" für Jerusalem bezeichnen (BTWLT, 170). Ein solches Urteil drückt sich auch darin aus, daß selbst große theologische Werke wie die TRE „Zion" nicht als eigenes Stichwort, sondern unter „Jerusalem" verhandeln. 3 II Sam (30); I—II Reg (92); I—II Chr (151). 4 Vgl. z. B. die Belege in Jesaja (Jerusalem - 49; Zion - 49); Joel (Jerusalem - 6; Zion - 7) Sach (Jerusalem - 4 1 ; Zion - 8). Sie sind aufgrund der theologischen Schwerpunktsetzung ihrer Verkündigung für diesen Zusammenhang von Bedeutung. Ein anderes Bild zeigt Jeremia (Jerusalem - 107; Zion - 18). 5 Jerusalem - 17; Zion - 38. Hinzu kommt die Bezeichnung Salem in Ps 76,3.
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A. Zion und Jerusalem
Verteilung der beiden Namen auf einzelne Psalmengruppen 6 einen variierenden Bedeutungsgehalt nahelegen. Nun gibt es Texte, in denen Zion und Jerusalem innerhalb eines Parallelismus gebraucht werden und bedeutungsgleich zu sein scheinen. 7 Welcher Sinngehalt in einer solchen Konstellation vorliegt, angesichts des Bedeutungsspektrums, das Zion und Jerusalem tragen können, und wie sich dieser von Einzelbelegen unterscheidet, soll im folgenden herausgearbeitet werden.
I. Zion, Mutterstadt der Völker - Jerusalem, Friedenshort des Volkes Um der Bedeutungsvarianz von Zion und Jerusalem auf die Spur zu kommen, ist es sinnvoll, mit Texten zu beginnen, die sich ausschließlich Zion oder Jerusalem widmen. Im Psalter finden sich zwei Texte, die dieses Profil aufweisen, die Ps 87 und 122. Während besonders Zion in anderen Texten in der Regel der Explikation eines übergeordneten Motivs dient, ist Ps 87 ganz auf den Lobpreis Zions ausgerichtet. Wanke schreibt über Ps 87: „Psalm 87 kann wohl als das reinste Zionslied des Psalters und damit des Alten Testaments bezeichnet werden." 8 Die bekannteren „Zionslieder" Ps 46 und 48 haben ein anderes Profil als Ps 87. 9 In Ps 46 wird Zion nicht einmal genannt, und beiden Texten ist gemeinsam, daß sie zuerst das Gotteslob singen: „Gott ist uns Zuflucht und Stärke" (Ps 46,2), „ Groß ist Jhwh und sehr zu loben " (Ps 48,2). Dies ist schließlich verwoben mit dem Lob der Gottesstadt. In Ps 87 verhält es sich anders. Der Psalmist stellt die mio* Jhwhs gleich an den Beginn des Liedes, und auch in den folgenden Versen geht es um nichts anderes. Ähnlich verhält es sich mit Jerusalem in Ps 122, der ebenfalls häufig als „Zionslied" bezeichnet wird. Dieses Urteil gleichermaßen einschränkend und die Andersartigkeit erkennend nennt Gunkel den Text aber ein „höchst eigentümliches, persönlich gehaltenes Zionlied" 10 . Auch Ps 122, der den Charakter eines Wallfahrtsliedes trägt, ist am Lobpreis der Stadt ausgerichtet. Er vermittelt, weshalb es den Beter dorthin zieht. Aufgrund dieser Beobachtungen soll der Abschnitt zu Zion und Jerusalem mit der Exegese der „reinen" Lieder eröffnet werden.
6
So findet sich die Mehrzahl der Jerusalem-Belege in den Wallfahrtspsalmen und Ps 137 (9 von 17), Zion wird schwerpunktmäßig im elohistischen Psalter und in den Jhwh-KönigPsalmen genannt. In den Wallfahrtspsalmen und Ps 137 ist Zion 11 mal (von 38) genannt. 7 Ps 51,20; 7 6 , 3 ( ^ 0 und irs); 102,22; 128,5; 135,21; 147,12. 8
WANKE, Z i o n s t h e o l o g i e , 2 2 .
9
Zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Ps 46.48 und Ps 87 s. Kap. C.I.2. GUNKEL, Einleitung, 42; vgl. auch KRAUS, Psalmen II, 1016.
10
I. Zion, Mutterstadt der Völker - Jerusalem, Friedenshort
des Volkes
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1. „ Herrliches wird gesagt von dir" Psalm 87 Ps 87 hat den Exegeten immer wieder große Schwierigkeiten bereitet. Eröffnung und Schluß sind ungewöhnlich, fast unverständlich, der Inhalt wird unvermittelt und sehr knapp präsentiert, das Metrum ist unregelmäßig. Die immer wiederkehrenden Umstellungsversuche 11 zeigen das Bemühen, dem Text seinen Sinn zu entlocken und ihm - wohl das entscheidende Movens - einen Sitz im Leben zuzuweisen. 12 Eine logische und überraschend klare Gliederung des Textes ergibt sich aus der Wahl der Verbformen. Während die vv2.3.7 durch Partizipien eingeleitet werden, gebraucht der Psalmist nur in den v v 4 - 6 finite Verbformen. 13 Die Maßgabe eines einheitlichen Gebrauchs der grammatischen Person für eine sinnvolle Gliederung fuhrt in diesem Fall hingegen nicht zum Ziel. 14 Der durch den spezifischen Gebrauch des Verbes gegliederte Text kann für die vv2.3.7 mit der Überschrift „Lobpreis Zions" und die v v 4 - 5 mit „Zion als Mutterstadt der Völker" versehen werden. Psalm 87 1 Den Söhnen Korachs ein Psalm, ein Lied Seine Gründung 1 5 auf heiligen Bergen 1 6 :
11 Eine umfangreiche Auflistung verschiedener Rekonstruktionsversuche und einen Kommentar dazu bietet BOOIJ, Observations, 16 f. 12 Vgl. WEISER, Psalmen II, 395: „Ich glaube, den Mangel an sichtbarem Gedankenzusammenhang und die stilistische Eigenart des Liedes aus der besonderen Situation heraus erklären zu müssen, der vermutlich der Psalm seine Entstehung verdankt." Kritik an einer strengen Zuweisung zu Gattungen übt auch ZENGER, Zion als Mutter, 124. 13 Drei der finiten Verbformen sind aktiv und haben Jhwh zum Subjekt, einmal in der 1 .c.sg. und zweimal in der 3.m.sg. Sind die verschiedenen Völker oder auch Zion das Subjekt, so wird passivisch formuliert. 14 Während in v l b und v 2 von Zion in der 3.f.sg. gesprochen wird, wird er in v 3 und weiterführend in v 7 direkt angeredet. Entsprechend sieht das Bild in den v v 4 - 6 aus: Jhwh erscheint in der 1 .c.sg. und in der 3.m.sg. 15 Die LXX übersetzt hier einen Plural, sicherlich eine Angleichung an snp nn. Die Eindeutigkeit der Bezugnahme auf den Zion, wie sie im MT vorliegt, ist damit aber nicht mehr gegeben. Vgl. auch Ps 133,3, wo ebenfalls "in pl. für Berge Zions gebraucht ist. 16 Die syrische Variante reduziert nicht nur die Berge auf den einen Berg und ergänzt durch ein Suffix zu seinem heiligen Berg, sondern sie fügt auch den Teilvers 5b an. Damit wird der „Mangel" eines nicht explizit genannten Akteurs in v 1 aufgehoben, i r t a ist es, der seine m i c auf seinem heiligen Berg gegründet hat. SCHREINER (Sion, 290) bezieht die Wendung auf den nach Salomo erweiterten Zion, der in „doppelter Erhebung" daliegt. S. a. TÄTE, Psalms, 391. Einen gänzlich abweichenden Vorschlag macht ROBINSON (Meaning, 503), der mit „God's foundation stands on the mountain of the river of holiness" übersetzt und hier Bezüge zum „cosmic river" erkennt. Vgl. Ps 133,3.
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A. Zion und Jerusalem
2 Es liebt Jhwh die Tore Zions mehr als alle Wohnungen Jakobs. 3 Herrliches wird gesagt 17 von dir (f.sg.) 18 , Stadt Gottes. Sela. 4 Ich halte in Erinnerung Rahab 19 und Babel, die mich kennen 20 , siehe Philistäa und Tyrus mit Kusch; dieser ist dort geboren. 5 Und Zion wird mitgeteilt: ein jeder ist in ihm (f.sg.) geboren; und er hat ihn (f.sg.) gegründet, der Höchste 21 . 6 Jhwh zeichnet auf mit Schreiben Völker; dieser ist dort geboren. Sela. 7 Und Singende 22 wie Tanzende; alle meine Quellen sind in dir (f.sg.).
Nach der allgemeinen Überschrift folgt eine weitere, bereits zum eigentlichen Psalm gehörende Überschrift. Schlagwortartig benennt sie das Thema, das den ganzen Text bewegt: „seine Gründung auf heiligen Bergen ". Eine nähere Erklärung benötigen Hörer und Leser nicht.23 Es ist eindeutig, wer mit der Gründung 17
Der MT gebraucht hier ~m Part. Pu. Die Pi.-Form würde der Konstruktion von v2 näher liegen, und beide Male wäre in Jhwh das entsprechende Subjekt zu finden. Da jedoch in diesem Text die grammatische Person häufiger wechselt, kann eine Angleichung dieser Form, um Einheitlichkeit zu erreichen, nicht gerechtfertigt werden. 18 Zion wird in Ps 87 durchgängig als feminin aufgefaßt. Da dies nicht überall im Psalter der Fall ist, wurden auch hier die verwendeten Femininformen maskulin übersetzt. An einzelnen Stellen sind die Formulierungen dementsprechend auffallig. Da die Mehrdimensionalität des Topos Zion sich aber auch darin zeigt, daß beiderlei grammatisches Geschlecht verwendet werden kann, wird auf die tatsächlich im MT gebrauchte Form immer wieder hingewiesen. Mehr zu dieser Frage s. Einleitung. 19 Rahab taucht als Name für Ägypten neben dieser Stelle auch in Jes 30,5 und 51,9 auf, als Meeresungeheuer jedoch in Ps 89,11; Hi 9,13; 26,12. Vgl. auch DAY, God's Conflict, 90. 20 Diese Konstruktion, Part. m.pl. mit Präp. b, ist unterschiedlich gelesen und übersetzt worden. Im Sinne von „aus einer Menge heraus" gibt SEYBOLD (Psalmen, 340) den Text mit „zähle ich zu meinen Bekannten" wieder; s.a. WEISER, Psalmen II, 394. Mit JENNI ist die Präposition hier als Lamed revaluationis, das einen Bezug zwischen zwei personalen Größen herstellt, verstanden worden (vgl. Präposition Lamed, 31.41). Wörtlich müßte man „als die mich Kennenden" formulieren. 21 Die LXX übersetzt den Terminus ]vu konsequent mit iipioxog. 22 Verschiedene Handschriften, wie auch die LXX gehen an dieser Stelle von CID aus. Es handelte sich dann um Könige oder Fürsten, die tanzen. Die Annahme, daß es sich hier entsprechend der vv2.3 um ein Partizip handelt, hat aber einiges für sich, und man sollte von CID ausgehen. 23 Häufiger wird v 2aa direkt im Anschluß an v 1 gelesen, um, im Sinne einer Casus-pendensKonstruktion, nachträglich das Objektsuffix von MTC" zu definieren. So u. a. ZENGER, Zion als Mutter, 125 Anm. 19. Der Text ist damit, zumindest in diesem Abschnitt, flüssiger zu lesen. Der thematischen Vorgabe der Liebe Jhwhs zu Zion kommt somit aber verstärkt Bedeutung zu. Es ist zu fragen, ob die sich daraus ergebende Einengung dem Text gerecht wird, da auch anderes zur Sprache kommt, was nicht zwingend aus dieser Liebe erwachsen ist. Im Hinblick auf v3
I. Zion, Mutierstadt der Völker - Jerusalem, Friedenshort des Volkes
15
gemeint ist und wessen Gründung es ist. Allein diese beiden Aspekte sind von übergeordneter Bedeutung. Die vv2 und 3 formulieren das Rahmenthema. Zum einen ist es die Hervorhebung Zions gegenüber allen Wohnungen Jakobs24 durch die besondere Liebe Jhwhs. Diese Aussage ist, wie viele weitere des Psalms, einzigartig im Psalter; es stellen sich die Fragen, was unter den Wohnungen Jakobs, den Dpa" rrrotin, konkret zu verstehen ist und was Zion von ihnen unterscheidet. Zum anderen ist es der Lobpreis Zions, der aber an dieser Stelle nicht weiter konkretisiert wird.25 Die vv4-6 bilden einen eigenen Abschnitt mit konzentrischer Struktur.26 Die vv4 und 6 sind parallel aufgebaut, in v 5 sind die tragenden Elemente des Verses in veränderter Reihenfolge angeordnet: v4
(A) Ich halte in Erinnerung
(B) Rahab ... und Kusch;
(C) dieser ist dort geboren.
v5
(B) Zion
(C) ein jeder ist in ihm (f.sg.) geboren
(A) der Höchste, er hat ihn (f.sg.) gegründet.
v6
(A) Jhwh zeichnet auf mit Schreiben
(B) Völker
(C) dieser ist dort geboren.
Durch die Umstellung der einzelnen Elemente (A) Jhwh, (B) Ort, (C) geboren dort/in wird Zion in eine prominente Stellung gebracht. Wo in den vv4.6 von Jhwh die Rede ist, ist in v5 Zion genannt. Das Verhältnis Jhwhs zu Zion erweist sich, durch die Versstruktur verstärkt, als ein grundlegend anderes als das zu den Völkern. Und nur von Zion wird ausgesagt, daß Jhwh ihn gegründet hat. Wenn Gott auch darüber die anderen nicht vergißt, so zeigt der Ursprung Zions in Jhwh doch die hervorragende Qualität dieser Verbindung. Aber auch das Verhältnis Zion - Völker wird unter einem konkreten Aspekt differenziert betrachtet, nämlich in der Zuordnung „ dieser ist dort" bzw. „jeder ist in ihm (f.sg.) geboren ". kann angemerkt werden, daß die vv2 und 3, folgt man der masoretischen Satzanordnung, stilistisch gleichförmig je mit einem Partizip beginnen. 24 Die Wohnungen Jakobs werden innerhalb des Psalters, wie auch des gesamten Alten Testaments, nur an dieser Stelle genannt. Geläufiger ist es, von der Wohnung / den Wohnungen Jhwhs zu sprechen (Ps 43,3; 46,5 (pl.); 74,7; 78,28.60; 84,2 (pl.); 132,5.7). Der Eigenname Jakob wird in den Asaphpsalmen häufiger verwendet, Israel als Eigenname jedoch nie (vgl. ZENGER, Korachpsalmen, 178). 25 Die Konkretion von "mn in v3a sucht BOOIJ in den vv4f. „which deal with the glory of Zion as it is declared by God and men" (Observations, 18). Die Struktur der vv4-6, wie sie oben aufgezeigt ist, spricht jedoch meines Erachtens dagegen. BOOIJ sucht nun einen Zusammenhang zwischen den vv6 und 7. Für ihn ergibt er sich aus dem Aufschreiben, das er im Himmel lokalisiert (v6), und dem Singen und Tanzen, das er dem irdischen Geschehen zuordnet. Doch v6 bleibt in seiner Aussage ganz im Rahmen der vv4f. und damit bei den Völkern, während v 7 schließlich Israel und die Völker im Lobpreis und Ruhm der Mutterstadt zusammenkommen läßt. 26 Vgl. ZENGER, Zion als Mutter, 124 f.; ders., Bedeutung, 180.
16
A. Zion und Jerusalem
Die vv2.3 wie auch 4 - 6 nehmen somit auf unterschiedliche Weise die Hoheit Zions als Stadt und Nabel der Welt und als Heimat der Völker wahr. V 7 greift den Partizipialstil der vv2.3 wieder auf und lehnt sich mit der direkten Anrede Zions (2.f.sg.) an v 3 an. 27 „Wie ein irdisches Echo auf das Wort von den herrlichen Dingen', das der Dichter aus Gottes Mund vernommen, klingt ihm nun das Lied, das aus dem festlichen Reigen der Tempelgemeinde ihm entgegen hallt: ,Alle meine Quellen in dir!'" 2 8 Von v 3 aus gelesen erscheint der Vers nicht mehr unverständlich und unvollständig. Er formuliert in den Worten eines einzelnen, was Herrliches über Zion geredet wird. Ps 87 präsentiert sich folglich nicht als Torso eines Textes, sondern als ein sinnvoll aufgebautes Lied, das weder der Umstellung einzelner Verse bedarf noch Zeichen redaktioneller Tätigkeit aufweist. Die erste oben bereits aufgeworfene Frage bezieht sich auf die Wohnungen Jakobs. Wer oder was sind sie? Für nps" rmDttin bieten sich verschiedene Optionen: Israels Wohnorte in Juda, außerhalb Judas und diese möglicherweise erweitert auf die Wohnungen der Proselyten. 29 Stadelmann zieht, mit Rückgriff auf die von ihm herausgearbeiteten tragenden Motive des Textes, apir niüDön aus v 2 mit v 4 in seiner Auslegung zusammen, wobei das Gewicht auf ntzri'r liegt. Daraus ergibt sich für ihn, daß Ägypten bis Kusch nur insofern für den Psalmdichter von Interesse sind, als sich dort Wohnsitze Jakobs befinden - Israel in der Diaspora. Ihnen wird mit dem folgenden v 5 zugesagt: ihr seid Doppelbürger, eure Geburt als Jhwhbekenner ist in Jerusalem verzeichnet. 30 Die Vertreter der These, daß es sich bei denjenigen, die sich als in Zion geboren betrachten und von Jhwh als solche betrachtet werden, um
27 Zur Parallelität der vv3 und 7 in der Gesamtstruktur des Textes vgl. SMITH, Structure, 357 f. Er macht in diesem Zusammenhang auch auf die zentrale Stellung von v5 aufmerksam. Eine generelle Abhebung des v 3 von v 2 ist damit meiner Ansicht nach aber nicht gegeben. 28
WEISER, P s a l m e n II, 3 9 7 f.
29
rmoön ist nur an dieser Stelle im Psalter belegt. Jakob wird in der Regel als Synonym für Israel gebraucht und diesem in der Konstruktion eines Parallelismus gegenübergestellt. Vgl. Ps 14,7/53,7; 114,1; 135,4; 147,9. Jakob ist die Gemeinde Jhwhs (mehr dazu ZOBEL, Art. npu\ 774). WANKE (Zionstheologie, 57) konkretisiert dahingehend, daß unter diesem Ausdruck die „Wohnungen der Jahwegläubigen" außerhalb Jerusalems zu verstehen sind. Inwiefern hier ein Unterschied zu rnirr "UJ (Ps 69,36) oder min' rran (Ps 48,12; 97,8) vorliegt, ist schwer zu sagen. Auffällig ist, daß die npir nratön in einen Gegensatz zu Zion gestellt werden, während die Städte Judas als Zeugen des Handelns Gottes oder als Ziel seiner heilvollen Zuwendung parallel zu Zion gebraucht werden. In Ps 87 liegt gegenüber den anderen Belegstellen eine gegenläufige Richtung vor, und diese wird über die variierenden Begriffe noch stärker herausgestellt. Ps 87 konzentriert die Ausrichtung der Gemeinde Israel/Jakob auf Zion, während u. a. Ps 48 die Städte Judas wie Zion selbst an dem vom Zion ausgehenden Heil partizipieren läßt. 30
STADELMANN, P s a l m 87 (86), 350. Vgl. DUHM, P s a l m e n , 2 1 8 ; WANKE, Z i o n s t h e o l o g i e ,
38; auch KRAUS, Psalmen II, 768 f. Es kulminiert gemäß KRAUS in v 5 in der Aussage, daß Zion die Mutter aller zerstreut lebenden Israeliten sei (768).
I. Zion, Mutterstadt der Völker - Jerusalem, Friedenshort des Volkes
17
Proselyten handelt 31 , fassen zwar den Adressatenkreis etwas größer, doch greift auch diese Erklärung zu kurz. 32 Der Text gibt eine andere Leserichtung vor. Es werden in den v v 4 - 6 zuerst Aussagen über Ägypten bis Kusch und über Zion getroffen und erst in zweiter Hinsicht auch über die „dort" bzw. „in ihm (f.sgj" Geborenen. Die vv4b und 6b sowie 5aß dienen der Differenzierung. Über Ägypten und Babel bis Kusch, d. h. über die Völker läßt sich sagen: Dieser einzelne ist dort geboren. Für Zion jedoch gilt: Jeder ist in ihm (f.sg.) geboren. Zion verkörpert eine andere Ebene. Er ist nicht nur das Zentrum einer Nationalität, er ist, so ist es im Gründungsakt Jhwhs bereits verankert, die Heimat der Völker. Gegen die These Stadelmanns spricht meines Erachtens folgendes: Der Aufbau des Textes widerstrebt dem Versuch, die Wohnsitze Jakobs zunächst als Diasporagemeinden im Ausland zu suchen, um sie dann mit den in v 4 genannten Nationen gleichzusetzen. 33 Die vv2.3.7 bilden den Rahmen, in den die Aussagen der v v 4 - 6 gestellt werden. Es wird hier ein Kontrast zwischen Zion und den Wohnungen Jakobs aufgebaut, ein qualitativer Unterschied gezeigt, denn Jhwh liebt Zion mehr als die Wohnsitze Jakobs. Dieser Unterschied wird in den v v 4 - 6 durch das Thema „Doppelbürger" nicht wieder relativiert. Im Gegenteil, Zions Hoheit wird durch den Gegensatz „einer/jeder" noch einmal auf andere Weise stark gemacht. Ist es in v 2 der Unterschied zwischen Zion und den Wohnungen Jakobs, also eine nach innen gewandte Blickrichtung, geht der Blick in den v v 4 - 6 auf die Völker. Zion wird in seiner Einzigartigkeit den Nationen gegenübergestellt. Diese Verhältnisbestimmung geschieht dann über das Geburtsrecht. Lassen sich die Wohnungen Jakobs aber nicht von den vv 4 -6 her einordnen, dann ergibt sich daraus, daß sie am ehesten zu lokalisieren sind, wenn man den qualitativen Unterschied zu Zion berücksichtigt. Er ist zusammengefaßt in der Liebe Jhwhs. Die Stichworte und nnx mit Jhwh als Subjekt fuhren zu einem anderen korachitischen Text, nämlich Ps 47. Allein Ps 47,5 kommt den Vorstellungen von Ps 87 nahe. „Er hat uns erwählt unseren Erbteil, den Stolz Jakobs, den er liebt." Das hier mit „Stolz Jakobs" bezeichnete Erbe ist das Land Israels. 34 Setzt man die Aussagen von Ps 47,5 und Ps 87,2 zueinander ins Verhältnis, ergibt sich Erstaunliches. Zion wird noch über das Land mit seinen
31
V g l . GUNKEL, P s a l m e n , 3 7 9 ; DEISSLER, P s a l m e n II, 172.
32
Eine Sonderposition nimmt BEAUCAMP ein. Seiner Ansicht nach hat erst der Kreuzestod Jesu die Universalität des Heils gebracht. Israel selbst hätte nicht die Wahl, auf sein Privileg als das Volk zu verzichten. So versteht er Ps 87 denn auch als eine Verkündigung an das Volk Gottes, dem die Völkerhuldigung seines Gottes im Sinne von Deuterojesaja zugesagt wird. Ein Anerkennen Jhwhs als Gott der Völker sei darunter nicht zu verstehen (Psautier II, 76). 33 SCHREINER formuliert treffend: Es „würde Jahwes Wort kaum mehr als eine interessante Feststellung sein: Wie weit ist mein Volk zerstreut!" (Sion, 291). 34
S . a . J e s 5 8 , 1 4 ; v g l . G U N K E L , P s a l m e n , 2 0 2 ; K R A U S , P s a l m e n I, 5 0 5 .
18
A. Zion und Jerusalem
Städten, das Gott seinem Volk zugesprochen hat, hinausgehoben und die Aussage von Ps 47 relativiert. Es ist die Liebe Jhwhs (s. a. Ps 78,68), die Zion aus der Menge hervorhebt. Diese Liebe besteht und ist nicht weiter hinterfragbar. Sie liegt in Jhwh selbst und seiner Entscheidung begründet und bedarf keiner Bestätigung von außen. Dennoch ist der Adressat dieser Liebe etwas konkreter zu fassen. Es heißt: „Es liebt Jhwh die Tore Zions mehr als alle Wohnungen Jakobs",35 Mit dem Bild des Tores, des Stadt- oder auch des Tempeltores, gelangt der Aspekt der Gerechtigkeit und der Rechtsprechung in den Vergleich hinein. Dem kommt um so mehr Bedeutung zu, als im Psalter ans mit Jhwh als Subjekt, außer an dieser Stelle, ausdrücklich die Gerechtigkeit bzw. den Gerechten zum Objekt hat.36 Die in den Toren Zions verkündete göttliche Rechtsordnung bestimmt zugleich das Wesen Zions und zeichnet Zion gegenüber den Wohnungen Jakobs aus. Die Ausrichtung des in den Toren Zions gesprochenen Rechts und dessen Auswirkungen hat der Psalmdichter nun unter einem besonderen Aspekt im Blick. Es ist das Verhältnis „Zion und die Völker", wie es in den vv4-6 beschrieben wird. „Wer in ihren Toren wohnen und bleiben darf, hat Bürger- und Gastrecht."37 Mit dem Hinweis auf die Tore Zions ist vorweggenommen, was v 5 heraushebt: ,Jiin jeder ist in ihm (f.sg.) geboren'''. In v3 belegt der Dichter Zion mit einem Prädikat, das keinem anderen Ort zukommt. Er ist Stadt Gottes.38 Und Einzigartiges, m-Q3: (f.sg. Part. Nif.), d. h. Ruhmvolles, Herrliches, Verehrendes wird über39 ihn geredet wird. Gemäß der Strukturanalyse von Booij bezieht sich der Inhalt des Gesagten auf die vv4-5. Da v4 aber zunächst einmal gar nicht von Zion spricht, ist es fiir die Exegese Booijs notwendig, einen Bezugspunkt zu finden. Der ist seiner Ansicht nach mit DÖ (dort) in v4b gegeben.40 „...dort geboren" bezieht sich seiner Ansicht nach auf Zion, nt (dieser) auf die zu Beginn des Verses genannten 35 Nach WALLIS verbindet sich die Liebe zu den Toren Zions mit der Liebe Jhwhs zum Heiligtum. Sie erfahrt damit eine Vergegenständlichung (Art. nnx, 126 f.). 36 Daß Jhwh seine Stadt liebt, sogar mehr noch als die Wohnungen Jakobs, denen doch stets seine Fürsorge gehört, ist ein ungewöhnliches Motiv (vgl. Ps 47,5; 78,68). Nur an vier weiteren Stellen innerhalb des Psalters wird von Jhwh ausgesagt, daß er liebe, und zwar Gerechtigkeit (Ps 11,7; 33,5; 37,28) und die Gerechten (Ps 146,8). Darin zeichnet sich deutlich das Besondere der Zuwendung Jhwhs zu Zion aus. 37 Vgl. SCHREINER, Sion, 292; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 556. „Der freie Ein- und Austritt aus dem Tor definiert das Bürgerrecht" (OTTO, Funktionen, 190). 38 Im Psalter wird das Prädikat crf:s(n)n'i) bzw. mn—rs mit einer Ausnahme nur in den korachitischen Psalmen verwendet (Ps 46,5; 48,2.9; 87,3). Wie in Ps 87 so ist auch in Ps 48 Zion auf diese Weise betitelt. In Ps 46 wird Zion selbst zwar nicht genannt, doch gilt hier das gleiche. Bei der Ausnahme handelt es sich um Ps 101,8. Der Kontext ermöglicht keine Bedeutungseingrenzung auf Zion oder Jerusalem. Beachtenswert ist auch, daß in Ps 102, auf den Ps 101 überleitet (vgl. S. 58ff.), von Zion wie von Jerusalem gleichermaßen die Rede ist. Somit wird dieses Prädikat für Jerusalem nicht selbständig verwendet. 39 Vgl. zum Gebrauch von n an dieser Stelle auch JENNI, Präposition Beth, 264. 40 Vgl. Boou, Observations, 19.
I. Zion, Mutterstadt der Völker - Jerusalem, Friedenshort des Volkes
19
Nationen. Booij liest den Vers von v 4 b zu v4a. Ergebnis dieser Leserichtung ist die Proklamation der Geburt der genannten Völker in Zion, denn sie kennen Jhwh. 41 Damit wäre wahrhaft Großartiges über Zion gesagt. Israels ehemaligen Feinden wird das Geburtsrecht in Zion zugesprochen. Booij kommt mit seiner Deutung der Aussage des Textes sicherlich sehr nahe. Dennoch erscheint es problematisch, DD aus v 4 b tatsächlich auf Zion zu beziehen. Die Nennung der verschiedenen Länder in v4a stört den direkten Bezug, und wenn an anderer Stelle in Ps 87 auf Zion verwiesen wird, dann über eine Präposition mit Suffix der 2. oder 3.f.sg. Die wunderbare Rede über Zion findet ihren Ausdruck, wie schon angedeutet, in v7, der sich sprachlich und grammatisch an v 3 anlehnt. „Alle meine Quellen sind in dir" (v7b). Daß die Rede über Zion auch den gesamten Abschnitt der v v 4 - 6 umfaßt, zeigt wiederum die Struktur des Textes. Die Rede folgt auf die Ankündigung in v 3 und sie trägt zum Verständnis des kleinen Satzes v7b bei. Die v v 4 - 6 bilden einen gleichmäßig gestalteten Abschnitt. V 5 steht dabei nicht nur formal, sondern auch inhaltlich im Zentrum. Die v v 4 und 6 setzen mit einer Aussage über Jhwh und die Völker ein. Jhwh ist es, der handelt, die Nationen in Erinnerung hält, sie aufzeichnet und ihre Namen schriftlich fixiert. Die Aufzählung Rahab/Ägypten, Babel, Philistäa, Tyrus und Kusch ist singulär. Weiser versteht sie als eine Zusammenstellung der klassischen Feinde Israels 42 , Gunkel als die Länder, in denen Juden und Proselyten „die Fülle" haben 43 . Danach können mit (die mich kennen) nur einzelne aus diesen Ländern gemeint sein, Jhwhgläubige. Ein Blick auf die Landkarte ergibt aber noch eine weitere Möglichkeit: Es sind die bekannten großen Nationen, die alten Feinde, verteilt auf die vier Himmelsrichtungen als Ausdruck für die ganze Welt. 44 Diese zählt Jhwh zu denen, die ihn kennen. V 6 unterstützt diese Lesart. Kürzer als in v 4 wird hier nur noch von den D'DU (Völkern) gesprochen. 45 Die vv4a und 6a sprechen von der Zuwendung Jhwhs zu den Nationen. Diese stehen als diejenigen, die ihn kennen und von ihm wissen, vor ihm. Um das Spezifische des Verhältnisses zwischen Jhwh und den Nationen auszudrücken, greift der Psalmist auf eine grammatische Form zurück, die zwar nicht selten ist, für diesen Zusammenhang dennoch äußerst interessant. Jenni schreibt zur Verwendung des Lamed revaluationis (v4 '-'Tb): „In den meisten Fällen wird so durch b + Prädikativ eine Rollenänderung, eine Reklassifikation angezeigt, aber nicht als rein objektive Zustandsänderung, sondern immer mit dem subjektiven 41
42
V g l . BOOIJ, O b s e r v a t i o n s , 24.
Vgl. WEISER, Psalmen II, 396f. Vgl. GUNKEL, Psalmen, 379; vgl. auch KRAUS, Psalmen II, 769. 44 Ägypten - Westen, Babel - Osten, Philistäa und Tyrus - Norden, Kusch - Süden. Vgl. auch DEISSLER, Psalmen II, 171 f.; TÄTE, Psalms, 389; ZENGER, Zion als Mutter, 126f. 45 ZENGER verweist, um diese Annahme zu stützen, auf Ps 83, der in der Zielaussage kulminiert „JHWH möge den Völkern durch seine Theophanie zeigen, daß er allein »der Höchste« ist" (Zion als Mutter, 139). 43
20
A. Zion und Jerusalem
Nebenton des vom Betrachter (oder von der ihm vertretenen Allgemeinheit) eingenommenen Standpunktes. Die Betonung liegt dabei... auf der subjektiven Neueinschätzung des von jetzt an geltenden Verhältnisses zwischen Rollenträger und Rolle."46 Den Nationen kommt Jhwh gegenüber eine neue „Rolle" zu, sie sind Wissende um Jhwh, und so bleibt ihr Gedächtnis, bleiben sie selbst erhalten.47 Die jeweils zweite Vershälfte der vv 4 und 6 läßt sich nur im Kontext der Gesamtkonzeption der vv4-6 verstehen. „Dieser ist dort geboren" steht „ein jeder ist dort geboren" gegenüber. Der einzelne Jhwh^ekenner 48 ist Ägypter oder Kuschiter. Seine Herkunft ist durch die Aussage in v5 nicht aufgehoben, jedoch in eine andere Dimension gestellt. Denn ein jeder, der Jhwh kennt, hat seine Heimat auch in Zion, ob Ägypter oder Kuschiter.49 Zion als Ort der Geburt verspricht jedem einzelnen den Schutz der Stadt, ihre Fürsorge, die Teilhabe an ihrem Ruhm. Zion als Geburtsort50 macht Zion zur Mutter für die Völker. Die 46 JENNI, Präposition Lamed, 27. Diese Sichtweise erhält Unterstützung durch das Argument: „It is surely improbable that Jews ... be referred to by the name of the defeated sea monster Rahab and much more natural to suppose that actual Agyptians are in mind" (DAY, God's Conflict, 91). 47 Vgl. auch Sir 45,11. Aaron trägt einen Gürtel mit den Namen der Stämme Israels, um sie (bei Gott) in Erinnerung zu bringen. Ps 87 geht weit darüber hinaus, wenn Jhwh selbst sich der Völker erinnern will. Nicht nur einzelne, sondern ganze Nationen werden von Gott verzeichnet. Aus dem Buch getilgt zu werden, bedeutet den Tod; s.a. Ex 32,3 f. (vgl. HAAG, Art. 3HD, 394f.; s.a. CONRAD, Art. "sc, 913). Nach ZENGER handelt es sich bei Ps 87,6 um „Lebenstafeln" auf dem Zion analog zu den Tafeln auf dem Sinai. In Ex 32 habe das Zerbrechen der Tafeln eine erzähltechnische Funktion, die den Kultfrevel des Volkes theologisch qualifiziere und zunächst nicht im Zusammenhang mit dem Gesetz stehe (Tafeln, 101). 48 Wäre an dieser Stelle von Israel und nicht von den Völkern die Rede, bedürfte es vermutlich keiner weiteren Nachfrage, ob sie Jhwh kennen oder ihn bekennen. Gott zu kennen, ist kein rein kognitiver Akt, „sondern das willentliche Sich-Bemühen und Kümmern um Jahwe" (BOTTERWECK, Gott erkennen, 55 [ZENGER formuliert sogar, „sie alle vereint ein Glaube an einen Gott"; Zion als Mutter, 119]). Gott zu erkennen heißt, ihn zu verehren, ihn zu suchen und zu fürchten. Doch gilt dies auch für die Völker? Wissen sie vielleicht um den Gott Israels, ohne ihm zu dienen? Der Text beantwortet diese Frage nur indirekt. Von Jhwh verzeichnet zu sein, bedingt mehr, als das Wissen um ihn. Es ist damit verbunden, seine Wege zu gehen. Eine Freistellung von diesem Anspruch ist nicht denkbar. Außerhalb von Ps 87 wird die Frage deutlicher beantwortet: Die Völker kommen, um Jhwh zu dienen (vgl. u. a. Ps 68,30; Ps 102,23). Daß diese Beobachtungen jedoch nicht zurückfuhren auf die Frage des Proselytismus, ergibt sich aus der Offenheit des Begriffes DT und der Alternative, die zur Verfügung gestanden hätte in einem so jungen Text wie Ps 87. Mit m"? II (s. a. Ps 83,9) ist es möglich, einen solchen Rechtszustand zu formulieren. So ist auch in diesem Zusammenhang festzuhalten, daß die Ausrichtung des Textes dahin geht, die Heimat der Völker in Zion zu beschreiben, ohne daß er näher definiert, welchen Status die Völker darüberhinaus Israel gegenüber einnehmen. 49 Zion wird zum Nabel der Welt, zum Zentrum des Universums (vgl. WEINFELD, Zion, 106 ff.; er zieht zudem Parallelen aus dem mesopotamischen Raum heran). 50 ZENGER betont, daß es sich hier jedoch nicht um den Vorgang der „natürlichen Geburt", sondern um Erwählung handelt (Zion als Mutter, 127). „The Zion-status of the Gentiles is the result of the performative declaration of Yahweh. The psalm suggests, at any rate by the absence of any requirements of the Gentiles, a massive act of devine grace" (TÄTE, Psalms II, 390).
I. Zion, Mutterstadt
der Völker - Jerusalem,
Friedenshort
des Volkes
21
Septuaginta greift diesen Gedanken des Textes auf.51 Sie formuliert: (XT|TT|Q ZICDV 52 EQEI (ivOoüCToq. Zion ist Mutterstadt. In v5b wird in umgekehrter Reihenfolge zu den vv4 und 6 und damit um so stärker betont, das Handeln des Höchsten an Zion formuliert. Er hat sie gegründet, gibt ihr Bestand.53 An dieser Stelle ergibt sich der stärkste Bezug zur Überschrift. Hier zeigt sich auf variierte Weise wiederum, weshalb Zion, die Stadt Gottes, sich von Städten und Nationen unterscheidet. Der Höchste54 selbst hat sie gegründet, und so kann sie Mutter für die Völker sein. In ihrem Ursprung ist diese Möglichkeit angelegt. Die Mehrdimensionalität des Topos Zion wird hier sehr schön deutlich. Als Gründung Jhwhs ist er Stadt, er gibt Schutz durch die Mauern55, in Zion herrscht die gerechte Ordnung Jhwhs. Als Mutter für die Völker erschließt sich der personale Aspekt Zions, der zugleich in die Weite geführt wird, denn von Zion heißt es, „ ein jeder ist in ihm (f.sg.) geboren ". V7 schließlich scheint, in Anbetracht der vorhergehenden Verse, einem anderen Text anzugehören. Beginnend mit zwei Partizipien, die einen Festreigen beschreiben könnten56, und ohne ausdrücklich genanntes Subjekt, ist das Verständnis des Verses vollständig vom Kontext abhängig. Auf die Nähe zu v3 wurde schon mehrfach hingewiesen. Zunächst aber zu v7a: „Singende und Tanzende''. Die Septuaginta liest, allein durch Verschieben des diakritischen Punktes: - Fürsten. Damit erhält der Satz ein Subjekt; es wird der Bezug zu den Völkern hergestellt. Dieser Bezug ist, nach den vv4- 6, sicher nicht von der Hand zu weisen. Dennoch stellt sich die Frage, ob eine einzelne Gruppe, nämlich die Fürsten, die auch als Repräsentanten ihres Volkes verstanden werden können, herausgenommen werden soll, wo doch zuvor von ö-si ö-x die Rede war. Meines Erachtens sollte man es bei der Lesart des Masoretischen Textes belassen. Die Unbestimmtheit in der Zuordnung des Subjekts hält den Kreis derjenigen, die ihren Geburtsort in Zion haben, weit offen. Diese sind nun Singende und 51 Die griechische Übersetzung löst die Konstruktion tf'KI D-K, ZU übersetzen mit „ein jeder", auf und ordnet xcd äv0Q(«jtog; den Prädikaten von zwei Satzteilen zu. Vgl. auch SCHMITT, Motherhood, insbes. 564. 52 Vgl. II Sam 20,19. Die Mutterrolle Zions ist häufiger belegt: Vgl. Jes 49,19-26; 54,1;
6 2 , 4 F . ; 6 6 , 7 f. V g l . d a z u S C H Ü N G E L - S T R A U M A N N , M u t t e r Z i o n , 2 4 f f . ; HERMISSON, F r a u Z i o n , 29
ff. 53
Mit der Wahl der Wurzel "0" ist dem Moment der Gründung stärkeres Gewicht gegeben,
a l s d e m d e r B e w a h r u n g . V g l . G E S E N I U S I, 3 0 4 . 54 Vgl. Ps 46,5. WANKE (Zionstheologie, 46) verweist darauf, daß diese Gottesbezeichnung hauptsächlich in der Kultpoesie und damit am Tempel zu finden ist. In den Psalmen finden sich 22 Belege. Mehr zu jr'pa vgl. ZOBEL, Art. yrtj), 131 ff.; NIEHR, Höchster Gott. 55 Vgl. dazu auch SCHÜNGEL-STRAUMANN, Mutter Zion, 23 f. 56 Gern wird der Text gerade aufgrund des v 7 einem Sitz im Leben zugewiesen, der einem aktuellen Festgeschehen entspricht. Vgl. WEISER, Psalmen II, 397 f. Vorsichtiger ist TÄTE, denn er spricht von einer Vision fröhlichen Singens und Tanzens, die die Worte heraufbeschwören (Psalms, 392).
22
A. Zion und Jerusalem
Tanzende, mit ihrer ganzen Person, denn, und das kann ein jeder von sich sagen, „alle meine Quellen57 sind in dir". Ps 87 singt von der Mutterstadt Zion, der geistlichen Heimat nicht nur des Volkes Israel, sondern der Völker. Es ist nicht die Rede von Bedingungen, die die Völker zu erfüllen hätten. Der Text proklamiert: „Die mich kennen" (v4), denen gilt diese Heimat. Dem entspricht das bewahrende Handeln Jhwhs, sein Aufschreiben der Völker, um sie in Erinnerung zu behalten. Es handelt sich hier um eine Vision58, die Zion als Gründung Jhwhs und Zentrum der Welt preist. Sie spricht nicht von Gericht und Zerstörung, sondern verspricht in der liebenden Zuwendung Jhwhs zu Zion das Heil für die Nationen. Der Text stammt aus persischer Zeit, vielleicht sogar aus der Zeit Alexanders, d. h. ca. 500-300 v.Chr.59 Die genannten Nationen werden nicht mehr als Feinde betrachtet. Und sie werden nicht mehr einfach unter dem Aspekt „die Völker" zusammengefaßt. Auch wenn durch ihre Aufzählung die ganze Welt auf Zion hingeordnet wird, gewinnt sie in den einzeln wahrgenommenen Völkern Gestalt. 2. „ Um meiner Brüder und Freunde willen " Psalm 122 Mit Ps 122 liegt der einzige Text des Psalters vor, der sich ausschließlich dem „Thema" Jerusalem zuwendet. Der Text erweist sich geradezu als ein poetisches Spiel mit den Silben und Morphemen des Namens a^töTT und den Assoziationen, die er weckt. Die Leseanweisung des Psalms ist eindeutig. Der Text wird als Wallfahrtslied, als rn^ann t b , klassifiziert und thematisiert auch, so ein breiter Forschungskonsens, genau das, nämlich eine Wallfahrt nach Jerusalem, die bei dem Pilger Staunen und Begeisterung über das Erlebte hervorruft sowie den Wunsch, für den Frieden Jerusalems zu beten. Die einzelnen Stationen des Pilgers sind aufgezeichnet, der Entschluß zur Reise, die Ankunft in den Toren Jerusalems und schließlich das Erreichen des Zieles, nämlich des Hauses
57 Die LXX übersetzt mit xatoixia - Wohnungen. Auf diese Weise ist ein Bezug zu v 2 hergestellt. xaioima wird allerdings nur zweimal innerhalb des Psalters gebraucht, neben Ps 87,7 (LXX 86,7) auch in Ps 132,13 (LXX 131,13) für nüm1?. 58 Vgl. DAY, God's Conflict, 91. 59 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 556. WANKE (Zionstheologie, 38) datiert den Psalm ins 4. Jh. aufgrund des nachexilisch anzusetzenden Dienstes der korachitischen Tempelsänger. Für GUNKEL ist entscheidend, daß der Text von der Gegenwart und nicht von der Zukunft spricht und kommt auf diesem Wege ebenfalls zu einer Datierung ins Perserreich, seiner Ansicht nach eine Zeit, in der sich die Juden „über die Länder ausgebreitet hatten" (Psalmen, 380). Eine abweichende Position nimmt GOULDER ein, der davon ausgeht, daß der Psalm im Nordreich entstanden und nach dem Fall des Nordreiches auf Jerusalem übertragen worden sei (Psalms, 18 f.).
I. Zion, Mutterstadt der Völker - Jerusalem, Friedenshort des Volkes
23
Jhwhs. In dieser Art zeichnen viele Kommentare das Bild von Ps 122. Aber ein genauerer Blick auf den Text weist in eine andere Richtung. Die Positionierung von „Jerusalem" ist maßgeblich für die Struktur des Textes. In den vv2.3 und 6 ist die Stadt genannt60 und in den vv2.6 61 -9 in der 2.f.sg. direkt angesprochen, während in v3 von Jerusalem in der 3. Person die Rede ist. Daraus ergeben sich bereits erste Gliederungsmerkmale, die durch eine Reihe weiterer Beobachtungen gestützt werden können. Hervorzuheben ist das Vorkommen von mir rrn (v 1), T n m (v 5) und wieder mir rva (v 9), das die durch die Verteilung des Begriffes Jerusalem angedeutete Dreiteilung unterstützt.62 Berücksichtigt werden müssen auch der Gebrauch der Partikel nö (css v4 und nao v 5), die sich (in beiden Fällen) auf die Nennung Jerusalems in v 3 bezieht, und die gleichförmige Gestaltung der vv 6-9 durch den gehäuften Gebrauch von Verben in der Form der Selbst- und Fremdaufforderung: „Erbittet Frieden; es sei Frieden."63 Nicht zuletzt betont die Einleitung der vv 8 und 9 durch jan1? den Zusammenhalt des Abschnittes. Bereits aus diesen Merkmalen des Textes zeichnet sich eine Gliederung ab, die der inhaltlichen Ausrichtung der Abschnitte entspricht: Aufbruch nach Jerusalem (vv 1-2), Preis Jerusalems (vv3—5), Gebet für Jerusalem (vv6-9). 64 Psalm 122 1 Lied des Aufstiegs, von David Ich freute mich, als sie zu mir sagten 65 : „Zum Hause Jhwhs wollen wir gehen. 2 Unsere Füße sollen stehen in deinen Toren 66 , Jerusalem." 60 WOLFF behandelt die Beobachtung, daß v 2 mit der Nennung Jerusalems endet und V3 damit beginnt unter dem Aspekt der nV?s>nn "TD als Stufenlieder, wobei er hier an einen Stufenparallelismus denkt. Doch läßt sich dieses Phänomen nicht auf den gesamten Psalm übertragen, und so lehnt er denn auch eine Auslegung der Überschrift im angedeuteten Sinne ab (Psalm 122, 105 f.). 61 V 6 erweist sich diesbezüglich als Übergang. In v6a ist der Frieden Jerusalems Gegenstand einer Bitte, in v6b wird Jerusalem jedoch direkt angesprochen. 62 Vgl. dazu auch SCHÖKEL/STRUS, Salmo 122, 236 f. 63 V6: i^xü 3.m.pl. Imp. Qal; v7: "ii" 3.m.sg. Jussiv Qal. In den vv8 und 9 ist jeweils der Kohortativ gebraucht. V8: s r r r a i s l.c.sg. Impf. Pi.; v9: nöpax l.c.sg. Impf. Pi. 64 Diese Gliederung des Psalms wird in der Forschung breit vertreten, so daß Abweichungen auffallig sind. Zu diesen gehört u. a. die Analyse von DAHOOD, der folgende Struktur beschreibt: vv 1^4a „the poet describes his joy when arriving at the Holy City"; vv4b-5 „he pronounces a brief homily on why one should make a pilgrimage to Jerusalem"; vv 6 - 9 „he invokes blessings on the Holy City" (Psalms III, 204). 65 Die LXX übersetzt an dieser Stelle EJU xoig ELQT]XÖCRV ^OI. Entsprechend findet sich in vielen Übersetzungen dieser Passage die Formulierung „I was glad with them that said unto me" (KEET, Study, 31; vgl. auch MICHEL, Tempora, 242; ALLEN, Psalms, 155). Doch auch die temporale Übersetzung der Präposition N ist weit vertreten (vgl. u. a. WEISER, Psalmen 11,517;
KRAUS, P s a l m e n II, 1 0 1 5 ) . 66
Die LXX überliefert ev xatg avXalg oov.
24
A. Zion und Jerusalem
3 Jerusalem, gebaut 6 7 wie 6 8 eine Stadt, die wohl zusammengefugt ist. 4 Dorthin ziehen hinauf die Stämme, die Stämme Jahs, ein Gebot für Israel, um zu preisen den Namen Jhwhs. 5 Denn dort stehen die Throne des Rechts, die Throne des Hauses David. 6 Erbittet den Frieden Jerusalems; es sind geborgen, die dich lieben. 7 Es sei Frieden in deiner Mauer; Sicherheit in deinen Palästen. 8 Um meiner Brüder und Freunde willen sage ich doch: Frieden mit dir. 9 Um des Hauses Jhwhs unseres Gottes willen trachte ich nach Gutem für dich.
Der Psalm setzt mit einer Gemütsäußerung des Beters ein: „Ichfreute mich. " Er blickt zurück auf die Ausgangssituation für all das, was im folgenden genannt wird, und intoniert die Stimmung des Gesamttextes. Ohne daß -rinato noch einmal wiederholt würde, bleibt die freudige Grundhaltung bestehen. Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, daß der Text durchgängig aus der Sicht der 1 .c.sg. formuliert ist. An einzelnen Passagen ordnet sich dieses Individuum allerdings einer Gruppe zu (v 1 f.) bzw. spricht sie an (v 6). Individuum und Gruppe haben ein gemeinsames Interesse. Ihr Ausgangspunkt ist der Entschluß, sich auf den Weg zu machen, das Ziel ist das Haus Jhwhs (v 1). Auch v 1 legt die Situation einer Wallfahrt zum Heiligtum nahe, unabhängig von der gewählten Überschrift. Es ist ein Weg, von dem ein Einzelner berichtet, den er aber in Gemeinschaft zurücklegen will. Der Gemeinschaftsaspekt hält die vv 1 f. bzw. 6 - 9 auf unterschiedliche Weise zusammen. Während in v 2 mit „ unsere Füße sollen in deinen Toren stehen " noch auf die Gruppe im engeren Sinne Bezug genommen wird, findet zu den vv 6-9 hin eine Weitung statt. Die Aufforderung, für den Frieden Jerusalems zu bitten, ist nicht mehr auf die kleine in v 1 vorausgesetzte Pilgerschar begrenzt. Ebensowenig ist ausschließlich sie gemeint, wenn der Beter von Brüdern und Freunden spricht (v8). Die Weitung ist bedingt durch die in v 4 genannten Stämme. Ihnen, die Jahr für Jahr zum Hause des Herrn pilgern, um ihn zu preisen, weiß sich auch der einzelne Pilger und mit ihm die ganze Gruppe verbunden. Während das Ziel der Reise der Tempel Jhwhs ist, werden in v 2 die nnixd Jerusalems hervorgehoben. Sie scheinen die erste wichtige Station des Weges zu markieren. Ob die dargestellte Reise jedoch ein Unternehmen der Vergangenheit, 67 68
BRIGGS übersetzt mit „rebuild" (Psalms II, 448). Zum Gebrauch der Präposition vgl. JENNI, Präposition Kaph, 66 f.
1. Zion, Mutterstadt der Völker - Jerusalem, Friedenshort des Volkes
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der Gegenwart oder gar der Zukunft ist, hängt von der temporalen Einstufung des den Vers einleitenden Partizips ab, gefolgt von rrn (3.m.pl. Perf. Qal). Eindeutig ist der Sachverhalt an dieser Stelle nicht, wenn auch die Mehrzahl der Exegeten davon ausgeht, daß mit dieser Konstruktion ein Vorgang beschrieben wird, der in der Vergangenheit begann, aber in die Gegenwart hineinreicht. 69 Eine Partikel wie nnu, die den Sachverhalt unmißverständlich klären könnte, ist an dieser Stelle nicht vorhanden 70 , und so ist in jedem Fall Vorsicht geboten, das hier beschriebene Geschehen als genaue Wiedergabe der Gegenwart des Beters zu verstehen 71 : „This verse was sung by the pilgrims carrying their first-fruits, as they entered the gates of the city" 72 . Da die v v 3 - 5 die räumliche Distanz zwischen dem Beter und der besungenen Stadt durch die Partikel na deutlich machen 73 , ergibt sich die Möglichkeit, die Imperfektform von v 1 auch als die für v 2 maßgebliche Zeitform zu betrachten. Dann ist v 2 parallel zu v 1 b als Ausblick auf das Bevorstehende formuliert. Dafür spricht auch, daß das Verb in v 1 b in der l.c.pl. formuliert ist, die in v 2 a als Suffix wieder aufgenommen wird. Aber ganz abgesehen von der Frage des Zeitpunktes des Betretens der Stadttore, ist ebenfalls Zweifel angebracht, ob es sich hier tatsächlich um eine Station unter anderen auf dem Pilgerwege handelt. Die Stadt Jerusalem und das Haus Jhwhs sind eng miteinander verknüpft, und dies nicht nur, weil - was auf der Hand liegt - der Tempel sich in Jerusalem befindet. Stadt und Tempel werden nicht gleichgesetzt, obwohl die Übersetzung der Septuaginta mit xaig omkuc aou für " p j ® anstelle des üblichen JUIAJI auf eine motivliche Verschmelzung von Tempel und Stadt hinweist. 74 Die Tore der Stadt werden zu den Vorhöfen des Tempels. Zwar formuliert der Masoretische Text mit "p-iUEn neutraler, als es die Septuaginta tut, doch zeigt auch er enge Bezüge zwischen Tempel und Stadt 69
Vgl. u.a. KEET, Study, 31 f.; DEISSLER, Psalmen III, 148f.; MICHEL, Tempora, 242;
A L L E N , P s a l m s , 1 5 5 f.; SCHÖKEL/STRUS, S a l m o 1 2 2 , 2 3 7 . WEISER ( P s a l m e n II, 5 1 7 ) ü b e r s e t z t
hier einen Imperfekt (s.a. DUHM, Psalmen, 270; SCHREINER, Sion, 284; KRAUS, Psalmen II, 1015). 70 Die Ubersetzung MICHELS vermittelt allerdings genau dies (Tempora, 242). 71 DONNER betont, daß die Diskussionen um die temporale Auffassung der Verbindung von Partizip und einer Form von rrn im Perfekt allein auf „spekulative(n) Überlegungen zum Charakter und zur Situation des Liedes" beruhen. Er hält die Konstruktion für eindeutig und kommt mit Verweis auf weitere Belegstellen dieser Art der Verbindung von Partizip und Perfektform zu dem Schluss, daß präterital zu übersetzen sei (Psalm 122, 190 ff.). 72 Vgl. KEET, Study, 31. Eine leicht veränderte Variante bietet CROW (Songs, 43 f.), der die vv 1 und 2 in einem Satz liest und das Partizip von v2 als eine verbale Einheit mit Tinnö (l.c.sg. Perf. Qal) von v 1 versteht. „The singer rejoiced (with peers) once the city gates had been reached" (ebd., 44). 73 Auch fehlt gegenüber v 2 die direkte Anrede. 74 Die LXX gibt in der Regel naa mit m i ^ wieder (vgl. LXX Ps 9,14.15; 23,7.9; 68,13; 86,2; 99,4; 106,18; 117,19.20; 126,5; 147,2). AiiW| wird hingegen f ü r i ü n „Vorhof' verwendet und zwar den Vorhof des Tempels. Abweichungen finden sich hauptsächlich im Buche Esther. In den Psalmen wird die Ubersetzung aiiM] für "iisn aber konsequent durchgehalten (in den Ps 28,2 und 95,9 (LXX) übersetzt die LXX r m r a mit eröM), indem sie einen anderen Konsonantenbestand des MT voraussetzt).
26
A. Zion und
Jerusalem
auf. Das Motiv des Stehens in den Toren Jerusalems 75 lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Ps 134,1 und 135,2. Beide Texte rufen diejenigen zum Lobpreis auf, die im Hause des Herrn stehen,76 Was v2 folglich eröffnet, die Verknüpfung von Stadt und Tempel, greift v 9 unter einem anderen Blickwinkel wieder auf. „ Wegen des Hauses Jhwhs unseres Gottes will ich trachten nach Gutem für dich." Mit v 3 nimmt der Psalmist einen Perspektivwechsel vor. Während in v 2 Jerusalem direkt angesprochen ist77, wird nun über die Stadt berichtet. Thema ist die Bauweise Jerusalems, ein Aspekt, den die Psalmisten hauptsächlich in Klagen über das zerstörte Jerusalem oder in Zusagen des Wiederaufbaus der Stadt formulieren. 78 Hier wird indessen lobend von der Bauweise der Stadt gesprochen. Ihre Festigkeit, die von ihr ausgehende Sicherheit und ihre Fähigkeit, Schutz zu spenden, werden auf diese Weise beschrieben. Die Formulierung rfr'rrnno hat nicht erst den modernen Kommentatoren Schwierigkeiten bereitet. Die Übersetzung der Septuaginta bezieht "in nicht auf die Stadt, sondern auf die sich dort versammelnde Gemeinschaft. 79 Donner begründet die favorisierte Lesart damit, daß in den folgenden Versen die Versammlung der Stämme als Wallfahrt nach Jerusalem thematisiert wird. 80 Doch ändert Donners Vorschlag nichts daran, daß mit naa die Bauweise der Stadt zur Sprache kommt. 81 Die Reduktion auf Jerusalem als ordentlich gebauten Versammlungsort ist fragwürdig angesichts der hohen Bedeutung der sicheren Bauweise der Stadt und der Tatsache, daß sie sie wiedererlangt hat.82 Auch dieser Aspekt wird in v 7 mit der Formulierung „ Es sei Frieden in deiner Mauer; Sicherheit in deinen Palästen " wiederaufgenommen. Mauern und Paläste sind sichtbare Zeichen der mit Jerusalem verbundenen religiösen und politischen Hoffnung. Jerusalem, selbst nicht mehr schutzlos, kann Schutz bieten, und der Anblick der Stadt entspricht ihrem Status als politisches Zentrum, Sitz der Throne Davids, die Stabilität und Gerechtigkeit verheißen, und als Stadt des Hauses Jhwhs und seiner zugesagten Gegenwart. Von der Bauweise 75 Vgl. dazu auch SCHÖKEL/STRUS (Salmo 122, 240), die auf die Verschmelzung von Stadt und Tempel über die Parallelisierung der Aktionen „vamos al templo=pisamos tus puertas" hinweisen. 76 Zudem ist in beiden Fällen das Partizip gewählt. 77 Mit Blick a u f m r r rra (v 1) und cböiT (v3), die jeweils in der 3.sg. genannt werden, ändert DAHOOD (Psalms III, 204) wie vor ihm u. a. DUHM (Psalmen, 270) die Konstruktion und übersetzt einen Plural: cbüiT -ibd. Doch scheint dies angesichts der direkten Anrede der Stadt in den vv 6 - 9 unangebracht. 7 7 78 Vgl. Ps 51,20; 69,36; 102,17; 147,2. Anders sieht dies in Ps 48,13 f. aus, wo allerdings von Zion die Rede ist. S.a. S. 172f. 79 LXX: cog xölv; F|g R| |xexoxr| aiixfjg EJU xö aiixö. S. a. die Übersetzung der Lutherbibel (1984): „Jerusalem ist gebaut als eine Stadt, in der man zusammenkommen soll." S.a. GUNKEL, Psalmen, 542; WEISER, Psalmen I, 517. 80 Vgl. DONNER, Psalm 122, 194f.; DUHM, Psalmen, 270; WOLFF, Psalm 122, 109. 81 Vgl. auch SCHREINER, Sion, 284 f. 82
V g l . GOULDER, S o n g s , 4 9 ; SEYBOLD, P s a l m e n , 4 7 9 .
/. Zion, Mutterstadt
der Völker - Jerusalem,
Friedenshort
des Volkes
27
der Stadt zu sprechen steht folglich kaum im Widerspruch zu ihr als Versammlungsort der Stämme, sondern hebt diesen in seiner religiösen und politischen Dimension hervor. Es unterstreicht nochmals, daß die hier besungene Stadt nicht mehr diejenige ist, über deren Zerstörung Israel geweint hat. „ Dorthin ziehen hinauf die Stämme, die Stämme Jahs. " Innerhalb des Psalters werden die Stämme nicht häufig erwähnt. Sie scheinen in ihrer Vollzahl eher Teil der Vergangenheit Israels zu sein.83 Doch hier sind sie gegenwärtig. Die Stämme Jahs84 ziehen ohne Einschränkung nach Jerusalem, um den Namen Jhwhs zu preisen. Das Geschichtsbild, das dieser Psalm zeichnet, entspricht dem des Chronisten. „Das Volk Israel wird als ein einheitliches, umfassendes Gebilde betrachtet, das sich aus Stämmen zusammensetzt, die wiederum über die ganze israelitische Geschichte hin als lebendige Einheiten agieren."85 Das durch den Psalmisten gezeichnete Bild zeigt das Volk als ideale Größe. Nun ist nicht mehr der Einzelne im Blick, sondern das erwählte Volk, das sich gemäß der n™ 8 6 nach Jerusalem begibt, um den Namen Jhwhs zu preisen.87 Israel ist Gottesdienstgemeinde88 und zwar gerade an dem Ort, an dem „die Throne des Rechts, die Throne des Hauses David" stehen.89 Auch zu dieser Passage äußert sich Donner mit spitzer Feder. Er fragt, weshalb es wohl mehrere Throne 83
Vgl. Ps 78,55.67.6«; 105,37. Die apokopierte Form des Gottesnamens kommt in poetischen Texten häufig vor. An dieser Stelle hat sie vermutlich die Funktion, die durch die dreimalige Nennung des Gottesnamens (und anderer den Text gestaltender Motive wie C'PÖIT, RRA und CI^Ü) erzeugte Dreiteilung des Psalms nicht zu tangieren und dennoch die Stämme in ihrer Zugehörigkeit zu Jhwh zu kennzeichnen (vgl. dazu SCHÖKEL/STRUS, Salmo 122, 237 f.). 85 JAFET, Chronik 1,74. „Die Vergangenheit wird so erklärt, daß ihre religiösen Institutionen und Leitlinien für die Gegenwart relevant werden" (ebd., 78). Der Chronist kann am 12Stämme-Ideal festhalten, auch wenn die gesamtisraelitische Perspektive auf Jerusalem zentriert ist. 86 In der Forschung werden in der Hauptsache zwei Thesen vertreten. Einige lesen n n r in Übereinstimmung mit l l Q P s a c o l . III (11Q5) und auch Symmachus als ^ i n ö - m s (so u.a. CROW, Songs, 44 f.). Hier besteht allerdings das Problem, die Präposition ^ im MT zu erklären. Häufiger aber, und ohne eine Spannung im Text zu erzeugen, wird n n o als „Gesetz" gelesen (vgl. u.a. DUHM, Psalmen, 271; GUNKEL, Psalmen, 542; WEISER, Psalmen II, 517). Bestätigung findet diese Lesart ebenfalls in Qumran in 4QPs 122 (vgl. PUECH, Fragments, 551 f.). 87 SEYBOLD hält v 4 a ß b für sekundär, als einen Zusatz, der die Wallfahrt nachträglich motiviert (Psalmen, 479 f.). Ein solcher Eingriff ist meines Erachtens jedoch nicht zwingend notwendig. Wie mit den Stämmen die Gemeinschaft Israels beschworen wird, so geschieht es auch durch den gemeinsamen Gehorsam gegenüber dem Gebot zur Wallfahrt. 88 Vgl. RILEY, King, 166. 89 Das v 5 einleitende 'D ist keinesfalls als eine Begründung des Gotteslobes zu verstehen, als würde der Name Jhwhs gepriesen, weil dort die Throne Davids stehen (so aber DAHOOD, Psalms III, 206). Vielmehr begründet die Partikel gefolgt von noö das Hinaufziehen der Stämme nach Jerusalem, dem Zentrum des Kultes, denn dort befindet sich das Haus Jhwhs und dort stehen die Throne Davids (vgl. GUNKEL, Psalmen, 542f; CROW, Songs, 45). Laut ALLEN ist das "3 vielmehr emphatisch zu verstehen. Die v v 4 und 5 sind einander nebenzuordnen. Die Stämme ziehen hinauf, um Jhwh zu loben, und weil Jerusalem das politische Zentrum ist (vgl. Psalms, 156; s.a. SCHREINER, Sion, 286; DONNER, Psalm 122, 195). 84
28
A. Zion und Jerusalem
gegeben habe und ob von den Thronen Davids noch „der Sessel, auf dem sie zu richterlichen Zwecken Platz nahmen, ... unterschieden gewesen sein" soll. 90 In Anbetracht der Möglichkeit, die in den v v 4 f . gebrauchten Perfektformen präterital zu verstehen, schreibt er, daß man frommen Pilgern auf dem Tempelplatz biblische Erinnerungen darbot: „dort hatten - so sagte man - in alter Zeit die Richterstühle der Davididen gestanden". 91 Verzichtet man jedoch darauf, die dargestellte Situation zu historisieren, präsentiert sich dem Leser ein Ideal, das keiner umständlichen Erklärungen bedarf. Es ist das Ideal des davidischen Großreiches, das das Volk politisch und kultisch in Jerusalem vereint. Neben der Pluralform rnxoD92 löst zum Teil auch die Erwähnung der rnxos BDtöob Unverständnis aus. Weshalb sollte im Rahmen einer kultischen Wallfahrt das Aufsuchen der Throne des Rechts eine Rolle spielen? Wie der Hinweis auf die Stämme so weist auch diese Passage auf chronistisches Gedankengut. Für den Chronisten gehen das Königtum der Davididen und die Installation des zentralen Kultes in Jerusalem Hand in Hand. 93 Eine gerechte Herrschaft über Israel und die Durchsetzung göttlichen Rechts, eng verbunden mit den Belangen der Aufrechterhaltung des Kultes, sind Merkmale der davidischen Regierung. 94 Bewegt man sich weiterhin im Horizont chronistischer Theologie, kann auch die Pluralform ¡TIKOS keine Schwierigkeiten mehr bereiten. Die Vorstellung mehrerer Throne im Sinne von mehreren Herrschaften nebeneinander ist auszuschließen. Vielmehr spiegelt sich in der Formulierung der dynastische An90
91
V g l . DONNER, P s a l m 1 2 2 , 1 9 6 .
DONNER, Psalm 122, 196 f. Vgl. auch KITTEL, Psalmen, 391 f.; KEET, Study, 34. In llQPs a findet sich die Singularform, in 4QPs 122 jedoch der Plural (vgl. PUECH, Fragments, 552). 93 „The Chronicler's interest in the Davidic dynasty can therefore be seen as more concerned with the role of the dynasty in relation to the Temple than with the dynasty's unending rule over Israel" (RILEY, King, 75). Vgl. auch JAFET, Chronik I, 73 f. Obgleich SCHREINER den Text als ein Produkt der vorexilischen Zeit liest und versteht, betont auch er völlig zu Recht den Zusammenhang von Jerusalem als Kultstätte und dem von dort aus wirkenden Gottesrecht, durchgesetzt durch die Davididen (Sion, 287). 94 Vgl. u.a. I Chr 18,14; IIChr9,8. Auch wenn in den v v 3 - 5 das Zwölfstämmesystem Israels eine hervorgehobene Bedeutung hat, so ist der Abschnitt dennoch nicht im Sinne NOTHS zu lesen (Geschichte, 98f.; ders., Amt, 414.417). Er geht von einem Richteramt aus, dessen Aufgabe es war, das Gottesrecht bei den Zusammenkünften des Zwölfstämmeverbundes zu verkünden und auszulegen (so aber interpretieren u.a. KRAUS, Psalmen II, 1018ff.; vgl. WOLFF, Psalm 122, 109). Ganz abgesehen davon, daß sich die These der Amphiktyonie nicht halten ließ, ist auch eine Zweiteilung des Rechts, wie NOTH sie vorschlägt, kaum denkbar. Rechtsprechung im Tor und königliche Ausübung von Gottesrecht stehen einander nicht wesensfremd gegenüber, göttliches und profanes Recht sind nicht zu trennen. Und auch der Psalm sieht eine solche Zweiteilung nicht vor. Der Psalmist preist vielmehr die Herrschaft von aaöQ durch die Herrschaft der Davididen. Vgl. auch WEINBERG, Chronist, 228 f. DONNER betont die Bedeutung der Wurzel ASÖ in Verbindung mit dem König als „regieren" (Psalm 122, 196; s. a. NIEHR, Art. OSE, 416 - laut NIEHR ist das Gerichtshandeln der Könige eher selten durch QBÖ ausgedrückt; ebd. 418), was eine gerechte Herrschaftsform einschließt. WHITELAM hebt auch für Ps 122 „the concept of justice as the basis of the royal throne" hervor (King, 31 f.). 92
I. Zion, Mutterstadt der Völker - Jerusalem, Friedenshort des Volkes
29
spruch der Davididen wieder. Hier wird die Zeitschiene gesprengt. Theokratie und davidische Herrschaft sind ewige Gegenwart. Der dritte Abschnitt des Textes, eingeleitet durch einen Imperativ, bringt wiederum einen Perspektivwechsel. Spielerisch verwendet der Psalmdichter die Radikale ¡ö, b und D, um aufzufordern, für den Frieden Jerusalems zu bitten. Nomen est omen. Der ureigenste Charakter Jerusalems besteht darin, Friedensstadt zu sein. Die Verantwortung jedes einzelnen für diesen Zustand wird betont. In v6a werden die Wallfahrer angesprochen, in v6b Jerusalem direkt. Die Wechselwirkungen des Wohlergehens der Stadt und der Wallfahrer werden durch die zwei Adressaten des sechsten Verses besonders deutlich. Dennoch ist dercfrö kein Ergebnis menschlicher Tätigkeit, sondern göttliche Heilsgabe. Die Beter um den Frieden Jerusalems treten als Fürbitter vor Jhwh ein. Auffällig an der Formulierung von v6b ist aber vor allem, daß neben die Bindung des Einzelnen an Jerusalem als religiöses und politisches Zentrum die emotionale Bindung tritt (s.a. Ps 137,5). Nicht allein die kultisch korrekte Zuwendung zu diesem Zentrum Israels, sondern die liebevolle 95 Hingabe ist es, aus der schließlich auch die durch die Stadt ermöglichte Geborgenheit resultiert. Es ist der Liebende, der Schutz innerhalb ihrer Mauern und Sicherheit in ihren Palästen findet. In den folgenden Versen wird das Thema cfrtö weiter variiert, wobei zugleich inhaltliche Aspekte der vv 1-5 in den Blick geraten. Die vv6 7, ihrerseits eng verbunden durch die Verwendung gleicher Vokabeln wie auch die Voranstellung der Verben, nehmen auf die Bauweise Jerusalems Bezug (v3) und sprechen der Stadt zu: rfrer TP (v7). V8 knüpft an die vv lb.2 an, indem die Gruppe der Wallfahrer noch einmal angesprochen wird. Um der Brüder und Freunde willen wünscht der Beter Jerusalem Frieden. Nun ist es aber nicht mehr die kleine Gruppe, die sich laut v 1 aufmachen wollte, um nach Jerusalem zu gehen. Es sind auch die Daheimgebliebenen angesprochen. Sie alle sind Teil der großen Gottesdienstgemeinde Israels, Teil des Idealbildes der nach Jerusalem hinaufziehenden Stämme in Geschichte und Gegenwart. 96 Mit v 9 geht der Psalmist schließlich ganz zurück zum Ausgangs- und zum eigentlichen Zielpunkt, dem Haus Jhwhs und der Wallfahrt dorthin. Der Friedenswunsch für Jerusalem geht auf in der Sehnsucht nach dem Hause Jhwhs und seiner Gegenwart. Hieran hängt das Verlangen des Beters, und hier liegt seine Motivation, nach dem Wohl Jerusalems zu trachten. Trotz des ruhigen, gleichförmigen Stils97 liegt in diesen zwei Versen 95 Auch an dieser Stelle haben einzelne Forscher mit Rückgriff auf eine hebräische Handschrift in den Konsonantenbestand des Textes eingegriffen und "['ans zu "j'^ns emendiert (vgl. GUNKEL, Psalmen, 544). Dieser Eingriff in den Text bindet v 6b noch enger an V7, ist aber für das Verständnis nicht notwendig, wenig bezeugt und nimmt dem Text etwas von seiner Tiefe. S.a. Jes 66,10. 96 Anders u.a. KRAUS, Psalmen II, 1016. 97 Nach hymnischer Gestaltung der v v 4 f . kommt der Psalm in den vvöff. in „ruhigeres Fahrwasser", denn der Text ist gestaltet durch Wiederholungen. Die Verbformen drücken keine
30
A. Zion und Jerusalem
die Klimax des 122. Psalms. Durch die parallele Wort- und Satzstellung von jua^ ' i m "nx und m m i m juo^ verbindet der Beter die Gemeinde Israels mit dem Ziel seines Strebens, dem Haus Gottes. Der Text stammt aus spätnachexilischer Zeit. Dabei ist der Verweis auf die feste Bauweise Jerusalems zunächst einmal nur ein Indiz 98 , denn, wie die vv4—5 zeigen, vermag der Psalmist ideale Bilder zu entwerfen, die nahezu zeitlos erscheinen. Doch gehören auch diese Motive in den Rahmen der Theologie des Chronisten" und somit der spätnachexilischen Zeit an. Versuche, den Text als eine Komposition der Königszeit zu verstehen 100 , da die „ Throne Davids " einen Aspekt der Besonderheit der Stadt ausmachen, lassen sich angesichts der außerordentlichen Nähe zur chronistischen Theologie nicht halten. Diese Beobachtungen lassen es darüber hinaus als problematisch erscheinen, daß der Text Ausdruck einer aktuellen Wallfahrtssituation ist. Die Distanz zwischen dem Beter und dem von ihm in den vv 3-5 beschriebenen Jerusalem ist zu groß. Die Begeisterung, mit der der Psalmist dem Thema des Textes, Jerusalem, begegnet, ist authentisch, versteht sich jedoch eher aus der Hoffnung, sich an diesen Ort zu begeben und, dem Wallfahrtsgebot genügend, zum Haus Jhwhs zu gelangen. Nun hat Ps 122 nicht erst mit der Überschrift den Charakter eines Wallfahrtsliedes erhalten. In poetischer Weise spricht der Text in eben diese Situation hinein und qualifiziert sich für die Aufnahme in die Sammlung der Wallfahrtslieder 101 . Stationen, die der Pilger zu absolvieren hat 102 , spiegelt Ps 122 jedoch weder für sich allein betrachtet noch als Teil der Sammlung der Wallfahrtslieder wider. Das Einmalige des Psalms, so wurde es in der Einleitung des Kapitels erwähnt, ist seine alleinige Ausrichtung auf Jerusalem, wie es in keinem weiteren Text des äußere Bewegung aus, im Gegensatz zu den vorhergehenden Versen, sondern eher eine innere. V g l . SCHÖKEL/STRUS, S a l m o 1 2 2 , 2 3 7 . 98 Hier liegt ein Schwerpunkt der Analyse GOULDERS, der den Text nicht nur der Zeit, sondern auch der Person und dem Auftreten Nehemias zuordnet (Songs, 43 ff.). Seine Parallelisierung der Wallfahrtspsalmen mit den Nehemiamemoiren hat aber wenig Plausibilität. So identifiziert er den im Alten Testament häufig verwendeten Terminus rhu - jegliche Bewegung in Richtung Jerusalem kann so beschrieben werden - mit der Rückkehr der Exulanten (ebd., 47). Ps 122 ist seiner Ansicht nach eine Antwort auf die Berichte um die Ankunft Nehemias in Jerusalem (ebd., 48 f.). Dabei muß er zwischen den vv 1 und 3 einen zeitlichen Sprung annehmen, da in v 3 die sichere Bauweise der Stadt gepriesen wird, ein Zustand, den Nehemia durch seinen Einsatz erst erreicht. 99 Vgl. WOLFF, Psalm 122, 106. CROW verortet den Psalm in der Zeit Nehemias, da von bestehenden Mauern und Toren fiir Jerusalem auszugehen ist. Auch verweist er auf die deutlich chronistische Sprache, wie z. B. die Schreibweise fiir David (Songs, 47). 100
S o a b e r u . a . SCHREINER, S i o n , 2 8 3 ; WEISER, P s a l m e n II, 5 1 7 ; M O W I N C K E L , P s a l m e n -
studien II, 191. GUNKEL (Psalmen, 543) hält sowohl eine vor- als auch eine nachexilische Datierung für möglich. Vgl. auch KRAUS, Psalmen II, 1016 (mit Blick auf die These von der Amphiktyonie). 101 Zur Gruppe der Wallfahrtslieder und zum Charakter der Sammlung s. S. 132 ff. 102 Unter dem Aspekt der Wallfahrtsstation geraten häufig das Stehen in den Toren Jerusalems (v2) und das „Erreichen" des Tempels (v9) in den Blick (so u.a. KEET, Study, 31 f.).
II. Stadt, Berg und Beter
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Psalters geschieht. Die Analyse zeigt jedoch, daß diese Aussage zu präzisieren ist. Jerusalem ist das Thema des Textes, doch Jerusalem ist es nicht ohne den Tempel. Bei aller Bewunderung für die Stadt ist das eigentliche Ziel des Beters das Haus Jhwhs. Die Friedenswünsche erhält Jerusalem nicht um seiner selbst willen, sondern „ wegen meiner Brüder und Freunde " und „ wegen des Hauses Jhwhs ". Seybold erkennt hier einen Bruch in der Haltung des Beters, „Bedenken oder schlechte Erfahrung", aufgrund derer dieser nur um der Brüder willen den Friedensgruß sprechen will. Für ihn hebt erst v9 nachträglich wieder auf, was den Beter plötzlich an Zweifeln gegenüber der Stadt beschlichen haben mag.103 Diese Deutung hat jedoch keinen Anhalt am Text. Das Ziel der Wallfahrt ist von vornherein klar, es ist das Haus Jhwhs. Wenn der Beter Jerusalem um der Brüder und um des Hauses Jhwhs willen Gutes wünscht, so kommt darin die Verwobenheit von Stadt und Tempel zum Vorschein, die keine Abqualifizierung der Stadt intendiert, wohl aber das Interesse an der Kultgemeinde104 und dem Haus Gottes deutlich apostrophiert.
II. Stadt, Berg und Beter Zion und Jerusalem werden in acht Psalmen105 gemeinsam genannt, in sechs Fällen handelt es sich um die Erwähnung in einander zugeordneten Gliedern eines Parallelismus106, für die wiederum gilt, daß Zion viermal zuerst genannt wird.107 Diese kleine Statistik ist vor allem dann aufschlußreich, wenn man berücksichtigt, daß von Jerusalem häufiger in Verbindung mit Zion als von Jerusalem „allein"108 die Rede ist. Die Psalmen, die Zion und Jerusalem gemeinsam nennen, stehen im folgenden im Zentrum des Interesses. Dabei ist für eine Verhältnisbestimmung Zion und Jerusalem gerade auch ihre „Funktion" füreinander von Bedeutung. Die Arbeit von Alter109 hat gezeigt, daß die poetische Figur des Parallelismus dazu verwendet wird, semantische Modifikationen zu generieren. Es geht in der Regel gerade nicht um Synonymität, bei der häufig „a considerable degree of stasis within a poetic line"110 vorausgesetzt wird. „The predominant pattern of biblical 103
V g l . SEYBOLD, P s a l m e n , 4 8 0 .
104
V g l . GAMBERONI, D e r e i n z e l n e , 1 1 8 f.
105
Ps 51; 76; 102; 125; 128; 135; 137; 147. Dies gilt für den MT. Die LXX nennt darüber hinaus Jerusalem gemeinsam mit Zion auch in Ps 65,2. Weiterhin ist anzumerken, daß in Ps 76,3 von Salem und nicht von Jerusalem die Rede ist. 106 Ps 51,20; 76,3; 102,22; 128,5; 135,21; 147,12. 107 Ps 51,20; 102,22; 128,5; 135;21. 108 Ps 68,30; 79,1.3; 116,19; 122,2.3.6. Ps 68 erwähnt den Zion nicht namentlich, redet aber so lebhaft vom Berg Gottes, auf dem dieser seinen Thronsitz begehrt, daß vielfach ganz selbstverständlich bei Exegesen dieses Textes von Zion gesprochen wird. 109 ALTER, The Art of Biblical Poetry, Edinburgh 1990. 110 ALTER, Biblical Poetry, 10. So schreibt KUGEL: ,,,Synonymous' parallelism is rarely
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A. Zion und Jerusalem
poetry is to move from a Standard term in the first verset to a more literary or highfalutin term in the second verset." 111 Es wird sich im Verlauf der Analysen zeigen, wie sehr sich Zion und Jerusalem einerseits in ihrem Sinngehalt unterscheiden, andererseits aber, abhängig von Kontext und Leserichtung innerhalb des Parallelismus, gegenseitig bereichern. 1. Die Verbindung des Schicksals von Beter und Stadt Psalm 102 Die Überschrift des 102. Psalms umfaßt den gesamten Inhalt des Textes." 2 Es handelt sich um das Gebet eines Kranken, der vor Jhwh seine Verzweiflung ausschüttet. Unter Heranziehung einer Vielzahl von Vergleichen schildert der Beter seinen körperlichen Verfall, seine Einsamkeit und sein Gefühl, der Krankheit, den Feinden und der unaufhaltsam verstreichenden Zeit ausgeliefert zu sein. Doch hinzu kommen auch thematisch überraschende Elemente. Abrupt wendet sich der dem Tode nahe Beter dem Zion widerfahrenden Heil zu und rühmt Jhwhs Wirken an Zion vor den Augen der Völker. Schließlich ist ein dritter Motivkomplex aufgenommen: In den Schlußversen wird Jhwh als Schöpfer einer vergänglichen Schöpfung gepriesen. Die Distanz zwischen Schöpfer und Schöpfung wird nachdrücklich betont. Psalm 102 1 Gebet eines Elenden, denn er ist kraftlos, und vor Jhwh schüttet er seine Verzweiflung aus. 2 Jhwh, höre mein Gebet, mein Schreien komme zu dir. 3 Verbirg dein Angesicht nicht vor mir am Tag meiner Not, neige zu mir dein Ohr, am Tag rufe ich dich, antworte mir schnell.
synonymous, and there is no real difference between it and .antithetical' parallelism - the whole approach is wrongheaded. All parallelism is really ,synthetic'" (Idea, 57). 111 ALTER, Biblical Poetry, 13. Er beschreibt die Möglichkeiten der Bezugnahme der zwei Glieder eines Parallelismus aufeinander folgendermaßen: „In the abundant instances, however, in which semantic parallelism does occur in a line, the characteristic movement of meaning is one of hightening or intensification (...), of focusing, specification, concretization, even what could be called dramatization" (ebd., 19). Auch die Bewegung von der Ursache zur Wirkung oder eine zeitliche Abfolge mögen das Verhältnis der Glieder gestalten (ebd., 35.38). Vgl. auch KUGEL, Idea, 5 2 . 112 Die Überschrift nennt „den hebräischen Namen des Klageliedes n"pan, die Art des Redenden "1!, seine Grundstimmung ^qjj (i|>613) sowie den Hauptinhalt des Gedichtes rrö ~]Bti"
(GUNKEL, P s a l m e n , 4 3 8 ) . S. a. CULLEY, P s a l m 1 0 2 , 3 1 . BRUNERT ( P s a l m 1 0 2 , 1 0 6 f.) a n a l y s i e r t
ausfuhrlich die einzelnen Komponenten der Oberschrift.
11. Stadt, Berg und Beter
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4 Denn entschwunden im Rauch sind meine Tage, und meine Gebeine glühen wie im Feuer. 5 Getroffen (von der Sonne) wie Kräuter und vertrocknet ist mein Herz, denn ich vergesse zu essen mein Brot. 6 Von meinem lauten Seufzen kleben meine Gebeine an meinem Fleisch (bin ich Haut und Knochen). 7 Ich gleiche der Eule der Wüste; ich bin wie ein Käuzchen der Ruinen. 113 8 Ich wache, und ich bin wie ein Vogel einsam auf dem Dach. 9 Den ganzen Tag verhöhnen mich meine Feinde; die mich zum Toren machen" 4 , fluchen gegen mich, 10 denn Staub esse ich wie Brot, und meinen Trank mische ich mit Tränen 11 vor deinem Zorn und deinem Verdruß; denn du hast mich erhoben und verworfen. 12 Meine Tage sind wie ausgestreckte" 5 Schatten; und wie Kraut vertrockne ich. 13 Du aber, Jhwh, in Ewigkeit thronst du, und dein Gedenken währt von Geschlecht zu Geschlecht. 14 Du erhebst dich, erbarmst dich Zions, denn" 6 die Zeit, ihm (f.sg.) gnädig zu sein, ist (jetzt), denn es ist der Zeitpunkt gekommen. 15 Denn es haben deine Knechte Wohlgefallen an seinen (f.sg.) Steinen; und seinem Schutt sind sie gnädig. 16 Es furchten aber die Völker den Namen Jhwhs; und alle Könige der Erde deine Herrlichkeit. 17 Denn Jhwh baut Zion, (und) er erscheint in seiner Herrlichkeit, 18 er wendet sich zu dem Gebet des Entblößten, und schätzt nicht gering ihr (Suff. 3.m.pl.) Gebet.
113
Vermutlich handelt es sich bei nxp und bei 013 um verschiedene Eulenarten (vgl. Tiere, 142 f.). Die LXX übersetzt nxp mit jie^exävi. Doch besteht wenig Anlaß, dieses Verständnis zu übernehmen. Ein Wasservogel in der Wüste zeigt zwar ein erbärmliches Bild, doch machen der zweite Teil des Parallelismus wie auch v8 deutlich, daß es in dem Bild um Einsamkeit, nicht um mangelnde Nahrung geht. 114 Vgl. MANSOOR, Thanksgiving Hymns, 263 f. Er untersucht Zitate und Paraphrasen biblischer Texte in den Hodayot und betont für Vyin in Ps 102,9 die Bedeutung „deceive (betrügen)" anstelle von „deride (sich lustig machen über; zum Toren machen)". Die zweite Übersetzung ist angemessener in bezug auf den Gesamteindruck, den der Psalm vermittelt. Die Feinde sind nicht verantwortlich für das Leid. 115 Diverse Varianten ersetzten das Partizip des MT durch eine flektierte Verbform, entsprechend v 12b. Doch gerade der für den Kontext ungewöhnliche Nominalsatz unterstützt die makrosyntaktisch herausgehobene Position von v 12 (vgl. BRUNERT, Psalm 102, 86). 116 '3 causale; vgl. G U N K E L , Psalmen, 439; DEISSLER, Psalmen III, 49; BRÜNING, Mitten im Leben, 41; anders D U H M , Psalmen, 238; BRANDSCHEIDT, Psalm 102, 66; STECK, Eigenart, 363. KORNFELD,
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A. Zion und Jerusalem
19 Diese Dinge seien aufgeschrieben für ein künftiges Geschlecht, und ein geschaffenes Volk soll preisen Jah. 20 Denn er schaut herab von seiner heiligen Höhe, Jhwh blickt vom Himmel zur Erde, 21 um zu hören das Stöhnen der Gefangenen, um zu befreien die zum Tode Bestimmten, 22 damit man verkündet in Zion den Namen Jhwhs und sein Lob in Jerusalem, 23 wenn sich versammeln die Völker (zusammen), und Königreiche, um Jhwh zu dienen. 24 Er schwächt 1 1 7 auf dem Weg meine K r a f t " 8 , verkürzt meine Tage. 25 Ich spreche: N i m m mich nicht hinweg aus der Hälfte meiner Tage, durch die Geschlechter währen deine Jahre. 26 Vor Zeiten hast du die Erde gegründet, und das Werk deiner Hände ist der Himmel. 27 Sie werden vergehen, und du bleibst bestehen, und sie alle zerfallen wie ein Gewand, wie ein Kleid ersetzt du sie, und sie verschwinden. 28 Du aber bleibst bestehen, und deine Jahre laufen nicht ab. 29 Die Söhne deiner Knechte werden wohnen bleiben, und ihre Nachkommen werden Bestand vor dir haben.
Formale Akzente und thematische Schwerpunkte weisen auf eine klare Struktur des Textes hin. Der Überschrift in v 1 folgt in den vv 2 f. die Anrufung Jhwhs, geprägt durch eine Reihe von Imperativen und Jussiven, die die Aufmerksamkeit und Zuwendung Jhwhs einfordern." 9 In den v v 4 - 1 2 schließt sich die ausfuhrliche Begründung in Form einer Klage an. Durch den Vergleich mit Rauch und Schatten verdeutlicht der Beter die Flüchtigkeit seiner Tage - der die Klage dominierende Ausdruck e r findet sich in den vv4.9.12 wie auch in den vv 24.25. Nichts verleiht den D'Q' Struktur, sie entschwinden, tragen die beängstigenden Kennzeichen der Vergänglichkeit. 120 117 Die LXX geht in ihrer Übersetzung offensichtlich von der Wurzel n;s I aus und übersetzt mit ouiexpiOri. Des weiteren bleibt die LXX bei der Übernahme des Konsonantentextes für ins (anders als u. a. das Quere der Masoreten es vorsieht). Daraus ergibt sich folgende Übersetzung: „Er hat auf dem Weg seiner Kraft geantwortet". „Weg" wäre Ausdrucksmittel für den modalen Aspekt der Handlung. Allerdings nimmt die Übersetzung der LXX die Schärfe der Anklage gegen Jhwh, die in den Worten des MT steckt. Vgl. auch BRUNERT, Psalm 102, 92 f. 118 Ketib und LXX verwenden an dieser Stelle in:. Die Masoreten haben gemäß einem Suffix der 1 .c.sg. vokalisiert, wie auch einige Varianten. 119 Die Verse haben die Funktion eines Proömiums (so BRUNERT, Psalm 102, 108). 120
V g l . P s 1 4 4 , 4 ; H i 8,9; K o h 6 , 1 2 ; 8 , 1 3 ; I C h r 2 9 , 1 5 . BRUNERT v e r w e i s t z u d e m d a r a u f ,
daß Rauch auch für die Manifestation göttlichen Zorns steht (Psalm 102, 114). BRANDSCHEIDT (Psalm 102,63) betont die Anwendung der gewählten Bilderauch in der Gerichtsverkündigung. Diesen Kontext streicht sie allerdings in Ablehnung der Möglichkeit, daß es sich auch um die Darstellung eines Krankheitsbildes handeln könnte, zu stark heraus. Damit erweist sich ihre
II. Stadt, Berg und Beter
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Die Zerstörung seines Körpers illustriert der Psalmist mit Bildern von Hitze und Feuer (vv4.5.12). Sein Herz ist vertrocknet, so daß er selbst das Essen vergißt 121 . Seelischer und körperlicher Verfall sind hier direkt miteinander verbunden. V 6 schildert mit drastischen Bildern die Auszehrung des Kranken. Die hierfür gewählten Begriffe DSD und ~icn lesen sich im Zusammenhang mit ^b (v5) wie eine ganzheitliche Beschreibung der Person. Kein Aspekt seiner menschlichen Existenz ist ausgenommen. 122 Schließlich macht der Beter auch die sozialen Folgen seiner Krankheit zum Thema. Er ist einsam, isoliert, vergleichbar mit in Ruinen und unbewohnten Gegenden lebenden Vögeln. 123 Die einzigen, die seine Not wahrnehmen, sind die höhnenden Feinde. Sie werden nicht weiter beschrieben, sie zerstören nicht, greifen nicht an und tragen keine Schuld an dem Schicksal des Kranken. Im Zusammenhang der vv 7 - 9 dienen sie der Verstärkung der ohnehin schon kompromisslos dargestellten Verlassenheit des Beters. 124 V10 setzt mit deiktischem 'D neu ein. Motivisch scheint der Vers aufzunehmen, was v 5 bereits ausgeführt hat, nämlich das Unvermögen des Beters zur Nahrungsaufnahme. Doch die syntaktische Verknüpfung mit v 11 - das Kolon v 10b wird in v 1 la fortgeführt (Enjambement) - weist in eine andere Richtung. „Denn Staub esse ich wie Brot" läßt Selbstminderungsriten durchscheinen 125 , eine Reaktion des Beters auf den in v 11 a benannten Zorn Gottes. So tritt mit den vvlOf. eine Wende in der Klage ein. Der Psalmist richtet sich wieder Sichtweise als ausgesprochen einseitig. Jhwh wird vorgeworfen, den Beter verworfen zu haben. Die dargestellten Symptome physischer, psychischer und sozialer Not werden jedoch an keiner Stelle als Strafe verstanden (vgl. auch CULLEY, Psalm 102, 27). 121 GUNKEL übersetzt in v5 TTDÖ nicht mit „vergessen", sondern „ich ,magere ab'". So schließt er aus der Passage ein freiwilliges Fasten des einzelnen, um seiner persönlichen Sache willen (Psalmen, 436 f.438). Da aber der Zustand des Beters an keiner Stelle auf sein eigenes Zutun zurückgeführt wird, scheint die Abweichung GUNKELS in der Übersetzung nicht gerechtfertigt zu sein. 122
V g l . BRUNERT, P s a l m 102, 113 ff.; JANOWSKI, K o n f l i k t g e s p r ä c h e , 177 f.
BRANDSCHEIDT (Psalm 102, 56) erachtet v 6 als Einschub, der die Themen „Notschrei" und „Todesnähe" auf einen Nenner zu bringen versucht. Nun ist v6, wie auch die vv8.12, ausgesprochen kurz, doch ist eine Wiederholung zur Zuspitzung eines Motivs für diesen Psalm nicht ungewöhnlich (s.vv 7 f.), so daß eine nachträgliche Einfügung nicht ausreichend begründet werden kann. Die sinnvolle Zusammenschau der vv5f. ist oben bereits dargestellt worden. 123 Es handelt sich um Wüstenvögel, die fern von menschlichen Siedlungen in ödem, lebensfeindlichem Terrain leben. Dohle, Eule, Käuzchen und Rabe sind kulturscheue Tiere, die den Bereich des Todes, der Einsamkeit und der Isolation repräsentieren. Zudem sind Dohle und Eule unreine Tiere (vgl. Lev 11,18; Dtn 14,17). Vgl. RIEDE, Spiegel, 49-51; ders. Im Netz, 292-295; s.a. KORNFELD, Tiere, 146. So mag es gerade seine aus Krankheit bzw. Unreinheit hervorgerufene Isolation sein, die den Beter zu diesem Vergleich motiviert. Zur Symbolkraft dieser Bilder s.a. JANOWSKI, Kleine Biblia, 395f.; ders., Konfliktgespräche, 34f. BRÜNING deutet die Vergleiche als Darstellung des Todesreiches (Mitten im Leben, 140). Zur Auseinandersetzung mit der Position BRÜNINGS vgl. BRUNERT, Psalm 102, 119 ff. 124 So auch BRUNERT, Psalm 102, 128; vgl. auch BRÜNING, Mitten im Leben, 166. 125
V g l . BRUNERT, P s a l m 102, 129.
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A. Zion und
Jerusalem
direkt an Jhwh, geht über von der Darstellung seiner Not hin zu dem Vorwurf: „denn du hast mich erhoben und verworfen''. V12 scheint darauf folgend ein Rückschritt zu sein, der zudem bekannte Motive wiederholt. Doch ist daraus nicht zu schließen, daß es sich hier um einen redaktionellen Eingriff handelt. 126 V12 greift das Leitmotiv '0" des Textes, in v4a genannt, in pointierter Stellung wieder auf und gibt so, nach der Anklage von den vv 10 f., gemeinsam mit v 4 der Klage den thematischen Rahmen. 127 Der Übergang zu v 13 erscheint danach als massiver Einschnitt. Vorangestelltes Personalpronomen und Vokativ wie auch hymnisches Preisen Jhwhs leiten den inhaltlich anders gearteten Abschnitt ein. Zions Schicksal wird zum Gegenstand des Textes bis einschließlich v 23. Dieser thematische Sprung von v 12 nach v 13 baut zugleich einen Kontrast zwischen dem Ich des Beters und dem Du Jhwhs auf (nnxi), der sich als kunstvolles Stilmittel des Textes erweist. 128 In v24 wird die Klage des Beters fortgesetzt 129 , allerdings unter Schwierigkeiten der Zuordnung des Subjekts. Während in v 11 Jhwh noch in der 2.m.sg. angesprochen wird und in v 12 die Klage in der IchForm vorherrschend ist, erscheint das Subjekt in v24 wie in v23 in der 3.m.sg. ,,Er schwächt auf dem Weg130 meine Kraft, verkürzt meine Tage." Um den Übergang in die Klage nach dem hymnischen Stück weicher zu gestalten, greift Gunkel zu einer passivischen Formulierung: „Meine Kraft ist gebeugt und hält nicht stand" 131 . Diese nimmt dem Vers allerdings seine Schärfe. 132 Bleibt man bei der Annahme, daß Jhwh Subjekt für und ist, so liegt in dem Vers ein schwerer Vorwurf: Jhwh hat dem Beter Kraft und Lebenszeit genommen. Logisch konsequent schließt sich v 25 mit der Bitte um Lebensbewahrung an, gestützt durch die Aussage „durch die Geschlechter währen deine Jahre".133 126
BRANDSCHEIDT (Psalm 102, 56) gebraucht jedoch das Argument des Rückschritts und betrachtet diesen Vers als sekundär. 127
128
V g l . BRUNERT, P s a l m 102, 130. Vgl. CULLEY, P s a l m 102, 28.
129 Vgl. KOENEN, Jahwe, 82. Laut BRUNERT hat der Vers die Funktion, nach der ZionPassage die Notsituation neu zu vergegenwärtigen und zugleich die Einpassung des Psalms in das vierte Psalmenbuch zu gestalten, in Parallelität zu Ps 90,15 (Psalm 102, 184). 130 BRANDSCHEIDT bezieht "[~n auf den in den vv O f f . geschilderten Weg, den Jhwh mit Zion gehen will. Der Lebensweg des Beters wird „im Zuge des zuvor geschilderten Weges hin zur Vollendung Zions" abgekürzt (Psalm 102, 60). Die Begriffswahl in v24 läßt tatsächlich Möglichkeiten offen. Dennoch erscheint ein ursprünglicher Anschluß von v 2 4 an v 12 wahrscheinlicher. Der Weg als Lebensweg des einzelnen, als die Fülle der Lebenszeit, kann nicht weiter beschritten, soll „vor der Zeit" abgebrochen werden. V 2 4 und auch der Terminus "p~i bieten keinen Anhalt dafür, daß auf die vv 13 ff. Bezug genommen wird. Vgl. auch BRÜNING, Mitten im Leben, 245 f. DAHOOD (Psalms III, 10f.) gibt u n mit „his power" wieder. 131
132
Vgl. GUNKEL, P s a l m e n , 4 3 6 .
Auch die LXX mildert in ihrer Übersetzung den Vorwurf des Beters ab. Mit Rückgriff auf II (antworten) kommt sie zu der Lesart: „Er hat geantwortet auf dem Weg seiner Kraft". Dennoch löst auch die Variante der LXX nicht das Problem des Anschlusses des Verses an die vv 13-23. 133 BRUNERT sieht hier einen Einschnitt in der Struktur des Textes, d. h. sie faßt die v v 2 5 b 28 als eine Einheit auf, gerahmt durch zwei Bekenntnisaussagen über das Wesen Jhwhs (Psalm
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An dieser Stelle wird der zweite Ich-Du-Kontrast des Textes aufgebaut. Den fliehenden Tagen 134 des Beters stehen die nicht zu einem Ende kommenden Jahre Jhwhs kontrastvoll gegenüber. Der folgende Text bleibt in der direkten Anrede Jhwhs in der 2.m.sg. Die Klage weicht nun jedoch einer hymnischen Beschreibung des Schöpfers und seiner Schöpfung ganz in der Perspektive des den Psalm durchdringenden Spannungsfeldes von Vergänglichkeit und Ewigkeit. 135 Die Verse nehmen dazu Anleihe in Jes51,6. Der dort bereits verwendete Vergleich von vergehender Schöpfung und zerfallenden Kleidern führt auf das alles überdauernde Heil Jhwhs hin. 136 Damit erhält der Psalm einen Abschluß, der nicht nur die Unvergänglichkeit Jhwhs selbst, sondern auch die Unauflöslichkeit seiner ihm eigenen Gerechtigkeit verbürgt. 137 Unterstützt wird dies auch durch die formale Klammer des nnKi, die auf v 13, das Lob des thronenden Gottes zurückführt. Sie läßt schließlich den gesamten Psalm im Ich-Du-Kontrast erscheinen, indem sie die Zion- und die Schöpfungspassage als Aussage über den in Ewigkeit herrschenden Gott zusammenfaßt und diesen Komplex der Klage des Beters in den v v 4 - 1 2 gegenüberstellt. V29 greift noch einmal auf, was v 15 einleitet, das Wohlgefallen der Knechte an Zion. 138 In v 2 9 wird dies gemäß dem Vorhergehenden in die zeitliche Dimension transferiert. 139 Die Generationen werden Bestand haben und wohnen bleiben in Zion.
102, 161). Zu bedenken ist allerdings, daß die Bitte aus v25a durch v25b gestützt wird, und daß zudem mit v26 motivisch ein Neueinsatz stattfindet. 134 Das Leitwort der vv4.12 wird auch in v24 aufgenommen und ermöglicht so einerseits den Rückbezug auf die Klage und andererseits die thematische Vorbereitung der in v 2 5 folgenden Bitte. Vgl. dazu auch STECK, Eigenart, 359, Anm. 13. 135 Augenfällig ist in v 2 7 f . das zweifache Vorkommen des Personalpronomens 2.m.sg., einmal in Kombination mit dem der 3.m.sg. Die Personalpronomina rahmen einen zweifachen Vergleich, der bildhaft zum Ausdruck bringt, was v27aa antithetisch formuliert: „Sie werden vergehen und du bleibst bestehen. " V28b folgt mit: „ und deine Jahre laufen nicht ab. " Es liegt die Annahme nahe, daß v 28a Nahtstück zur Einfügung des zweiten und dritten Kolons des v 27 dient. Vgl. BRUNERT, Psalm 102, 185 ff. Dennoch ist zu bedenken, daß auch die vv 13 f. jeweils mit der Nennung des Personalpronomens einsetzen, was in den v 2 7 f. sein Pendant findet. 136 Vgl. BRÜNING, Mitten im Leben, 263 ff. Er hebt allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen Jes 51,6.8 und Ps 102 hervor. Während der prophetische Text die Vergänglichkeit von Himmel und Erde als Kontrastbild zeichnet, um die Beständigkeit Jhwhs zu untermauern, rechnet der Psalm mit der realen Möglichkeit des Vergehens von Himmel und Erde (ebd., 265). 137 Zu v 2 8 als ursprünglichem Abschluß des Psalms vgl. SEDLMEIER, Nominalsätze, 248 f. 138 V 2 9 greift die mit v 15 vorgegebene Ebene auf. Dabei wird deutlich, daß das „Problem" der Vergänglichkeit der Schöpfung hier keines ist. Der Vers argumentiert in anderen Kategorien und verweist so auf eine heil volle Zukunft. Es sind die Knechte und ihre Nachkommen in ihrer einzigartigen Bindung an Jhwh, denen die Zukunft in Jerusalem gilt. Vgl. auch BRUNERT, Psalm 102, 191. 139 „Lebenszeit ist das tertium" (STECK, Eigenart, 360).
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A. Zion und Jerusalem
So ergibt sich zunächst folgende Gliederung 140 des Textes: 1 Überschrift vv 2 - 3 Anrufung vv4-12 Klage vv4-6 vv 7 - 9 vv 10-11 vl2 vv 13-23
Gottes/Eingangsbitten körperlich-seelische Not (Ich-Klage) soziale Dimension der Not (Feindklage) Anklage Gottes (Gott-Klage) Zusammenschau der Klage
'Q'
Zion-Passage v 13 Überschrift - Ewigkeit des thronenden Gottes vv 14-18 Jhwh erbarmt sich vv 19-23 Lobpreis Jhwhs in Zion v24 Anknüpfung an die Klage v25 Bitte -0" v 25a Vergänglichkeit des Beters v25b Ewigkeit Jhwhs vv 2 6 - 2 9 * Lob des Schöpfers v26 Lob des Schöpfers vv 27.28 Ewigkeit des Schöpfergottes v 29 das Wohnen der Knechte
"0"
nnKT
Die vv 13-23 sind bei der Kurzvorstellung des Textes ausgeblendet worden. Sie unterbrechen die Klage der vv 4-12.24 f. und orientieren sich thematisch am Schicksal Zions. In der Forschung sind Positionen, die die Verse als Bestandteil des Psalms 141 oder aber als sekundäre Hinzufugung 142 betrachten, gleichermaßen vertreten. 140
In der Regel entsprechen die in der Forschung präsentierten Gliederungen der hier vorgestellten. Abweichungen betreffen hauptsächlich die Funktion von v 13 für die Struktur des Textes. Auch C U L L E Y (Psalm 102, 28 f.) sieht mit den vv 12.13 einen Kontrast aufgebaut zwischen dem Verfall des Kranken und der Ewigkeit Jhwhs, wie er sich in v25 wiederholt. Er nimmt v 13 allerdings letztendlich aus der Gliederung heraus mit der Begründung: „It functions well as a transition between the complaint and the announcement" (ebd., 31). Nach B R U N E R T bilden v l 3 und die vv25b-28 einen Rahmen um die Zion-Passage (Psalm 102, 137f.). Dies ist insofern von Bedeutung, als die vv 13.14 und 27.28 die Auffälligkeit der Zweifachnennung des Personalpronomens 2.m.sg. aufweisen. Als problematisch erweist sich daran jedoch, daß v25b wesentlicher Bestandteil der Bitte ist, auf den diese sich stützt. Schwierig ist nun auch die Einteilung in fünf Strophen bei B R A N D S C H E I D T (Psalm 102, 61). Der Psalm erhält eine derart gleichmäßige Struktur nur durch literarkritische Eingriffe (wie z. B. die Ausscheidung der vv6.12 (dazu s.o.)) und das Zusammenfassen formal und inhaltlich zu unterscheidender Abschnitte. So bilden ihrer Ansicht nach die vv24—28 eine Einheit unter der Überschrift „Reflexion über das Wesen Gottes". Die flehende Bitte um Lebenserhaltung in v25 wird nivelliert zu der vagen Hoffnung, daß Jhwh die Tage des Beters nicht halbieren möge. 141 Vgl. G U N K E L , Psalmen, 437; A L L E N , Psalms III, 13; B R A N D S C H E I D T , Psalm 102, 60 f.; K O E N E N , Jahwe, 83. 142 Vgl. D U H M ist von zwei selbständigen Texten ausgegangen und kommt zu folgendem Urteil: „Wer Ps 102, 1-12 und V. 13 ff. für Ein Gedicht ansieht, muß gegen Stil, Sinn und Inhalt vollkommen gleichgiltig sein oder den Verf. für geistesgestört halten" (Psalmen, 239). S.a. BRIGGS, Psalmen II, 316 ff.; B E A U C A M P , Psautier II, 142 ff. B E C K E R formuliert folgendermaßen:
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Nun ist die Hinwendung des Beters auf Zuversicht vermittelnde Größen, die außerhalb seines eigenen Schicksals liegen, eine nachvollziehbare und häufig vorkommende Regung innerhalb von Klageliedern. Erst der Blick über die eigene Begrenztheit hinaus ermöglicht die Wahrnehmung einer sich verändernden Situation. Will man noch nicht gleich von Veränderung sprechen, so aber doch davon, daß auf diese Weise eine Grundlage gegeben wird, auf die sich der einzelne zur Formulierung seiner Bitte um Änderung des Schicksals stützen kann. Kann dies auch in Ps 102 der Fall sein? In v24 setzt der Beter, nach den hymnischen Äußerungen über die Herrlichkeit Jhwhs und sein rettendes Eingreifen seine Klage fort. Er scheint unbeeindruckt von der hoffnungsvollen Zukunft Zions zu bleiben. Die in v 25 formulierte Bitte wird zumindest im Nachhinein auf ein tragfähiges Fundament gestellt. Die Unbegrenztheit der Jahre Jhwhs wird zu den Tagen des Beters ins Verhältnis gesetzt. Gottes Jahre, seine unbemessene Zeit, ermutigt den um die Hälfte seiner Lebenszeit Beraubten, die Bitte um Lebenserhaltung zu äußern. 143 Die vv26ff. fuhren dies weiter aus. V13 „Du aber, Jhwh, in Ewigkeit thronst du, und dein Gedenken währt von Geschlecht zu Geschlecht" leitet überschriftartig den Abschnitt zu Zion ein. Jhwh herrscht gegenwärtig und in Zukunft. Alles, was im folgenden über das Handeln Jhwhs und die Reaktionen der Völker gesagt wird, baut auf dieser Grundüberzeugung auf. V14 beginnt mit dem Eingreifen Jhwhs in das Schicksal Zions 144 , denn die Zeit, ihm gnädig zu sein, ist gekommen, rmn1? nJT'D145. Drei „Es dürfte aussichtslos sein, diese Verse in Einheit mit vv. 2-12 und vv. 24—25a aus der Situation des hilfesuchenden Einzelbeters heraus verstehen zu wollen" (Israel, 43; dazu bereits H. SCHMIDT, Psalmen, 184 f.). Er erachtet allerdings auch den Schlußteil des Psalms, die vv 25b-29 gegenüber der Klage als sekundär (ebd., 44). S. a. BRUNERT (Psalm 102, 139 ff.), die allerdings v 13 dem Grundbestand des Psalms zuordnet. Vgl. auch BERGES, Knechte, 165 f. 143 Im Grunde unterstützt auch die letztendlich zu einem abweichenden Ergebnis kommende Analyse von BRANDSCHEIDT diese Beobachtung. Sie schreibt: „Weil Jahwe als Schöpfer schlechthin diese Welt umgreift ... kann der Beter in Ps 102 seine Zuversicht aussprechen, daß er auch angesichts des nahen Todes nicht nur in bezug auf die Wiederherstellung des Volkes, sondern auch in bezug auf seine persönliche Restitution unerschütterlich auf die in der Macht Gottes beschlossenen Möglichkeiten hofft" (Psalm 102, 70). 144 EGO befaßt sich in einem Aufsatz ausfuhrlicher mit der Vorstellung vom Thronen Gottes im Himmel, wie es unter anderem in Ps 102,13 f. vorgestellt wird, und kommt zu dem Ergebnis: „Gottes himmlisches Thronen bildet so geradezu die Garantie für sein eschatologisches Einschreiten und die Voraussetzung für die Erbauung des Zion" (Der Herr, 560), denn „der im Himmel Thronende ist der große König, dessen Herrschaft geradezu universal die Richtungen des gesamten Schöpfungsraumes durchdringt" (ebd., 568). 145 Für Zion hat die Wende eines aussichtslos erscheinenden Geschickes bereits begonnen (vgl. BRANDSCHEIDT, P s a l m 102, 5 9 . 6 6 ) . S o a u c h WEISER, P s a l m e n II, 4 4 6 ; BRÜNING, M i t t e n
im Leben, 184. Anders noch GUNKEL, Psalmen, 436; H. SCHMIDT, Psalmen, 184; KRAUS, Psalmen II, 867; ALLEN, Psalms II, 8; SEYBOLD, Psalmen, 396.399. Ihrer Ansicht nach steht das Eingreifens Jhwhs noch aus, weil der Text die Stadt als Ruine beschreibt. Noch 1973 situierte SEYBOLD diese Zeitangabe aus rein formgeschichtlichen Erwägungen. Er ging von einem parallelen Geschehensablauf zwischen Gebet und Gottesdienst aus. Der dem Gottesdienst ferne Kranke betet zu der Zeit, „zu welcher Jahwe von seinem himmlischen Thron aufbricht und in seiner Herrlichkeit auf Zion vor der im heiligen Bezirk versammelten Ge-
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A. Zion und Jerusalem
"D-Sätze folgen auf v 14a146, wobei die Reihenfolge der Aussagen einen beachtlichen Aspekt mit sich bringt. Das Verhalten der Knechte, ihr pn gegenüber dem Staub Zions, scheint den Zeitpunkt dafür, daß Jhwh sich erhebt, mit bestimmt zu haben. 147 Der Zeitpunkt ist gekommen, „denn es haben Wohlgefallen deine Knechte an seinen (f.sg.) Steinen". Darüber hinaus wird das Verhalten der Knechte zweifach mit dem Handeln Jhwhs verknüpft. In v 14b ist für die Haltung Jhwhs gegenüber Zion der Ausdruck pn gewählt, in v 15a gilt dies für die Haltung der Knechte. Hinzu kommt die semantische Nähe von p x (v 15a) zu n:r, (v 17), das für den Aufbau Zions durch Jhwh steht. 148 In v 16 werden weitere Akteure in ihrer Haltung gegenüber der heilvollen Zuwendung Jhwhs zu Zion benannt. Es sind die Völker und Könige, die den Namen Jhwhs fürchten, denn - ein weiterer 'D-Satz - Jhwh baut Zion auf. Den thematischen Kreis der Zuwendung des thronenden Gottes schließt v 18. Dieser wendet sich auch und gerade dem Gebet des einzelnen wie der Gruppe 149 zu. Mit v 18 gelingt es dem Psalmisten, eine zweifache Bezugsebene herzustellen. Zum einen werden innerhalb der Zionspassage das Schicksal Zions und des einzelnen parallelisiert, zum anderen greift der Vers durch das verwendete Vokabular auf die Bitte von v2 zurück ("rfrsn nuns) und beantwortet sie. Der zweite Teil der Zionspassage weist ebenfalls eine Rahmenstruktur auf 150 : meinde erscheint." So „kann die eingetretene Zeit der Begegnung und Begnadigung wohl nur die festgelegte Gottesdienstzeit bedeuten" (Gebet, 140). In seinem Psalmenkommentar erwähnt SEYBOLD diese Auffassung der Zionspassage nicht mehr, sondern deutet sie als ein Gebet für Zion, in dessen Rahmen v 14 für Erbarmen und Begnadigung plädiere (Psalmen, 399). 146 In bezug auf v 14 ist häufiger auf eine „Überfüllung" des Stichos hingewiesen worden und man hat eine sekundäre Anfügung der zweiten Zeitbestimmung, des "wio angenommen (vgl. SEYBOLD, Psalmen, 397). Doch verwendet der Psalmist die Wiederholung gern als Stilmittel, wie sich auch in der Folge der drei erweiterten Infinitive in den vv21 f. zeigt. 147 So deutet BRÜNING das Verhalten der Knechte gegenüber Zion als „ein grundsätzliches Ja zu der Stadt, das ihren Wiederaufbau möglich macht" (Mitten im Leben, 193). 148 BRANDSCHEIDT erachtet v 15 als sekundär, weil „V. 15 mit seinem Blick auf die Knechte Jahwes deutlich eine neue Überlegung in den Text" einfügt (Psalm 102, 56). Ihrer Ansicht nach stellen die vv 15.29 eine spätere Rahmung des Textes dar (ebd. 56 f.). Allerdings wird die Position von v 15 unter dem Stichwort Rahmen nicht verdeutlicht - und selbstverständlich erscheint sie mir nicht. Zudem werden die Verbindungen des Verses zum Kontext außer acht gelassen. 149 BRANDSCHEIDT wertet die sich hier abzeichnenden Kollektivierungstendenzen folgendermaßen: Ps 102 steht „an einer Nahtstelle eschatologischer Theologie ..., in deren Umfeld die Einsichten der das Kollektiv betreffenden Endzeiterwartung fruchtbar gemacht werden für die Fragen im Bereich der individuellen Vollendung" (Psalm 102, 71). S.a. MOWINCKEL, Psalmenstudien I, 166; H. SCHMIDT, Psalmen, 184; BECKER, Israel, 44. DELITZSCH hingegen äußerte sich noch folgendermaßen: „So persönlich, wie es lautet, hat man's zu fassen und nicht die Person zum Volke zu machen" (Psalmen, 629). 150 Zur Zweiteilung nach v l 9 vgl. BRANDSCHEIDT, Psalm 102, 59; BRÜNING, Mitten im Leben, 212; KOENEN, Jahwe, 82. Anders wiederum SEYBOLD (Psalmen, 400), der die vv 18-23 unter der Überschrift „Anweisung zum Dankbekenntnis" zusammenfaßt.
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V 13 Überschrift — v l 4 Erbarmen für Zion vv 15-17 die Haltung der Knechte und der Völker gegenüber dem Heilshandeln Gottes an Zion — v 18 Zuwendung zum Gebet des einzelnen — v 19 Lobpreis des EB vv 2 0 - 2 2 "3-Satz und Infinitivkette zum Handeln Jhwhs und seinen Auswirkungen 1— v 23 Dienst an Jhwh durch die Völker
V19 benennt als Ziel aller in Gang gesetzten Ereignisse den Lobpreis Jhwhs. Es ist das von Gott geschaffene Volk, das ihn preisen soll. Dem werden mit v 23 Völker und Königreiche im Dienst an Jhwh zugesellt, ohne daß ihnen allerdings ähnliche Gottverbundenheit zugestanden werden könnte wie dem eigenen Volk. Auf v 19 folgt ein "3-Satz mit drei angeschlossenen Infinitivsätzen. Wie bereits im ersten Teil der Zionspassage sind es auch an dieser Stelle die Taten Jhwhs, die vorweggehen und denen eine Kette von „Reaktionen" folgt. Ziel ist auch hier das Loben und Preisen des Namens Gottes in Zion. Die Kette der Infinitivsätze läuft ebenso darauf zu wie der Rahmen des Abschnitts. In beiden Teilhälften der Zionspassage sind die gleichen Akteure vertreten, jedoch mit variierenden Rollen. Zion, in den v v l 4 und 17 derjenige, dem Gott sich zuwendet und der wieder erbaut werden soll, wird nach den v v 2 2 f . zu dem Ort, an dem der Name Jhwhs verkündet wird und wo die Völker sich versammeln. Die Völker und Könige, die den Namen Gottes furchten ( v l 6 ) , werden hierher kommen, um ihm zu dienen (v23). Auch die Knechte scheinen eine Wandlung zu durchlaufen. Ihre Erfahrung von Not und Leid 151 wird der Vergangenheit angehören. Das neu geschaffene Volk 152 wird Jhwh preisen. Etwas anders gelagert ist die Situation des "unr (v 18) im Vergleich zu der des TOX und der nmon (v21). Während v 18 unter dem Eindruck des "ün^ njr-D steht und somit dem Beter die Zuwendung Jhwhs direkt zusagt, spricht v21 auf einer anderen Ebene. Die Befreiung der zum Tode Bestimmten ist Kennzeichen einer noch ausstehenden Heilszeit. Neben der Zweiteilung der Passage, zu der kein einhelliges Urteil vorliegt, erweist sich eine Gliederung des Textes in kleinere Strophen als schwierig, da inhaltliche und formale Merkmale unterschiedliche Akzente setzen. Besonders augenfällig ist dies in den vv 19-23, da die Infinitivkette die Hinwendung Jhwhs zu den Gefangenen mit der Verkündigung seines Namens in Zion verknüpft. So sind die vv21 und 22 grammatisch verbunden, inhaltlich zeigt v22 aber Verbindungen mit v23, dem Dienst der Königreiche an Jhwh. Die formalen Akzente sollten jedoch nicht außer acht gelassen werden, denn durch die Infinitivkette ist die Zuwendung Jhwhs zu den Gefangenen nicht nur Gegenstand des Lobpreises, sondern Ziel des Handelns Gottes wie der Lobpreis selbst. 151 Nach BERGES ist es die Knechtsgemeinde, von der auch das Jesajabuch spricht (Knechte, 167). Sie sind aus den Völkern zusammengeführt, „wie ein geläutertes Israel nach der Wüstenzeit in das Gelobte Land einzog" (ebd., 158 f.; s. a. 176). 152 Wie diese Neuschaffung aussehen kann, zeigt u. a. Ps 51,12.17.
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A. Zion und Jerusalem
Damit ist zugleich ein Problem der gesamten Zionspassage angesprochen, nämlich die Frage, in welchen zeitlichen Kategorien der Text spricht und wie diese schließlich mit der Situation des Beters in Verbindung zu bringen sind. Umstritten sind vor allem die Zuordnung des rran1? r u r o (v 14) und der v 15 mit seinem Verweis auf den Schutt der Stadt. V15 trägt dabei die Argumentationslast. Die Steine und der Staub Zions ließen danach auf einen Zustand der Stadt nach 587/86 schließen, der bis in die Situation des Beters hinein anhält. 153 Es ist zweierlei zu bedenken. Zum einen bleibt v 14 in der Zeitform von v 13 und ist somit kaum Bitte, sondern Bekenntnis. Die Wende des aussichtslos erscheinenden Geschicks Zions hat bereits eingesetzt. 154 Jhwh und die Knechte erweisen sich ihm gnädig. Der Aufbau Zions ist zugesagt und wird sich nun je und je erweisen. Dennoch ist damit nicht der Schlußpunkt der Ereignisse erreicht. Alles, was sich mit der Wende des Schicksals Zions ereignet, soll aufgeschrieben werden für ein künftiges Geschlecht (v 19) 155 , denn dieses wird eine noch großartigere Stellung Zions im Zentrum der Völkerwallfahrt erleben. 156 Das schriftliche Zeugnis soll es ermöglichen, die großen Zusammenhänge des Handelns Jhwhs verstehen und verkünden zu können. 153 So u.a. SEYBOLD, Psalmen, 399. STECK arbeitet eine komplexe Zeitstruktur für die vv 14-23 unter der Prämisse „Langzeitigkeit Jahwes" heraus (Eigenart, 361). Seiner Ansicht nach zeigt v 14 den Anfang der Initiative Jhwhs, der jedoch in der Zukunft liegt (vv 16.19b haben die gleiche Zeitstufe). Von diesem Standpunkt aus blicken die v v l 7 und 18 auf die dieser Zukunft vorausgehenden - aber aus der Sicht des Beters noch immer zu erwartenden - Ereignisse zurück. Der Beter selbst befindet sich in der Zeit irgendwann nach 587. Demnach zeige „V.15b impf., daß Jerusalem in der Redegegenwart noch in Schutt" liege (ebd. 361). Die Komposition des Psalms ordnet er schließlich doch ins 3. Jh. ein. Hier zeigt sich meines Erachtens sehr deutlich, wie wenig sinnvoll es ist, von der bildhaften Darstellung Zions in Schutt und Asche auf eine Beter- oder Verfassersituation zu schließen. Zion bedarf der Zuwendung Jhwhs, denn er hat im Istzustand in den Augen des Verfassers die verheißene Größe noch nicht erreicht. Deshalb wird seine Situation in so starken Bildern geschildert. 154 Vgl. BRANDSCHEIDT, Psalm 102, 59.66. Anders STECK, der für die ganze Zionspassage von einer ausdrücklichen Fernerwartung auch in bezug auf die Heilswende spricht (Eigenart, 371). LAMPARTER (Psalmen II, 171.173 f.) formuliert: „Mit dem uralten Ruf: »Erhebe dich, Herr!«...appelliert der Fromme, der in dieser 2. Strophe als Fürsprecher für sein ins Elend gebeugte Volk in den Riß tritt, an Gottes Macht und Barmherzigkeit." Diese Deutung ist schon deshalb problematisch, da die Imperfektformen in v 14 cipn und c m n keinerlei Anlaß bieten, sie jussivisch zu lesen und zu verstehen. S. a. SEYBOLD, Psalmen, 399; SEDLMEIER, Nominalsätze, 2 4 3 f. 155 Das Demonstrativpronomen nst verbindet beide Abschnitte der Passage miteinander und stellt auf diese Weise eine Verknüpfung her, der letztlich auch das Schreiben dient. Es geht um die Erfassung des Heilshandelns Jhwhs in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 156 Gegenwärtiges und zukünftiges Geschlecht werden allein im Handeln Jhwhs miteinander verbunden. So sind diejenigen, die Jhwh lobpreisen werden, identisch mit denen, „die die künftigen Heilsvorgänge auch unmittelbarerleben werden". Sie selbst sind das neu geschaffene Volk. Aber aufgeschrieben werden die zu erwartenden Ereignisse von denjenigen, die selbst nicht daran teilhaben (STECK, Eigenart, 362). Diese Ereignisse, d.h. die Völkerwallfahrt und der Dienst der Könige, liegen auf einer anderen zeitlichen Ebene als die vv 14 ff. „The building or rebuilding of Zion is not a part of this picture" (CULLEY, Psalm 102, 30).
II. Stadt, Berg und Beter
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Die zeitliche Dimension des Handelns Gottes wird auf diese Weise weit in die Zukunft hinaus gedehnt. Seine Zusage, sich dem Schicksal Zions und auch dem des einzelnen anzunehmen, wie sie dem Psalmisten auch von prophetischen Texten her vertraut ist, wird aufgegriffen, das Erreichen des verheißenen Glanzes Zions rückt jedoch wieder in weite Ferne. Man könnte sagen, daß der Psalmist den Verheißungen zeitlich Raum schafft, damit sie sich schließlich als wahr erweisen können. Für den Beter bedeutet die Zionspassage somit Trost und zugleich Vertröstung, denn Jhwh wird sich auch ihm zuwenden (v 18). An der großartigen Heilszeit, in der die Völker zum Zion kommen werden, hat er jedoch keinen Anteil. Es ist die Diskrepanz zwischen den ins Eschatologische reichenden Heilsplänen Jhwhs und dem kläglichen Schicksal des Beters, die diesen schließlich zur vorsichtigen Formulierung seiner Bitte in indirekter Rede in v25a provoziert. 157 Mit den v v l 2 f . bzw. 25a und b wie auch mit der Zweiteilung der Zionspassage streicht der Psalmist diesen Widerspruch sogar direkt im Ich-DuKontrast heraus. Die vv26ff. ziehen schließlich den Motivkomplex Schöpfung hinzu, der nun in nicht mehr zu überbietender Weise Endlichkeit und Unendlichkeit einander gegenüberstellt. Selbst Himmel und Erde werden wie ein Gewand zerfallen, nur Jhwh bleibt bestehen. Somit zeigt sich, daß die Zionspassage unter der Perspektive der Langzeitigkeit sehr wohl ihren Platz als ursprünglicher Bestandteil des Klageliedes hat. 158 Das Problem, daß der Beter in v 2 4 die Klage fortsetzt 159 und die diesem Abschnitt innewohnenden Heilszusagen nicht aufzunehmen scheint, ja daß die Bitte allein auf dem in v 2 5 aufgebauten Kontrast beruhen könnte, scheint sich damit aufzulösen. Daß der Blick des Beters auf die Schicksalswende Zions diesem kein wirklicher Trost sein kann, weil der zeitliche Rahmen für ihn, dem in der Mitte seiner Tage der Tod droht, zu weit gesteckt ist, löst beim Leser Unbehagen aus und hat vielfach für die Aussonderung der Zionspassage als sekundär gesorgt. 160 Neben der durch den Ich-Du-Kontrast aufgebauten gleichartigen thematischen Ausrichtung von Klage- und Zionspassage gibt es noch weitere Indizien, die für die Zusammengehörigkeit der einzelnen Abschnitte des Psalms sprechen. 157
Vgl. STECK, Eigenart, 364. BRANDSCHEIDT versucht dieses Problem zu lösen, indem sie die Offenbarung der Zukunft Zions als Anstoß für eine Gerichtsklage des Beters versteht, weil dieser selbst von einem solchen Heil ausgeschlossen ist (Psalm 102, 62). 158 Dies gilt auch für v29, der die Knechte noch einmal aufnimmt. Auch dieser Vers macht die Langzeitperspektive mit Verweis auf die Nachkommenschaft deutlich. Als sekundär und in den redaktionellen Rahmen der Zionspassage gehörend betrachten diesen Vers u.a. BERGES, Knechte, 166; BRUNERT, Psalm 102, 191. 159 GUNKEL nennt eine ganze Reihe von Beispielen, die den Stimmungswechsel „aus schmerzreicher Tiefe in jubelnde Höhe" belegen sollen (Psalmen, 437). Problematisch ist jedoch nicht der Wechsel von der Klage zum Lob, sondern der mangelnde Bezug auf die Zionspassage in der sie rahmenden Klage. 160 Vgl. S. 38 Anm. 142.
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A. Zion und Jerusalem
1. Mit v 24 liegt gegenüber den vv 11 f. ein Subjektwechsel vor, der sich kaum erklären läßt. Erst aus dem Übergang von v 2 3 zu v 2 4 erklärt sich, weshalb Jhwh in der 3.m.sg. genannt wird. 2. Auch stilistische Merkmale überschneiden sich. Auffälligstes ist sicherlich die häufige Verwendung von z.T. mehreren aufeinander folgenden " - S ä t z e n ( v v 4 f . ; vv 10f.; v v l 4 f . ; s.a. vv 17.20 und die Kette von Infinitivsätzen, die eine Reihe von Aussagen nebeneinander schaltet). 3. Ebenfalls nicht zu übersehen sind Stichwortverbindungen, wie z.B. n"?sn (vv 1 f.; v l 8 ) ; "rn (vv 13.19.25) oder der prägnante Einsatz des nnx ( v v l 3 f . ; v v 2 7 f . ) . Diese mögen, für sich genommen, noch nicht die ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Klage und Zionspassage wahrscheinlich machen können, doch sprechen sie zumindest gegen die Annahme, daß die vv 13-23 eine ursprünglich selbständige Einheit gewesen sind. 161 4. Die Zionsverse und die Klage stellen zahlreiche Bezüge zur prophetischen Überlieferung her. 162 Dieses Charakteristikum wie auch die Auffälligkeit, daß der so umfassenden Klage eine über einen Halbvers formulierte Bitte folgt, legen die Vermutung nahe, daß es sich hier nicht um ein selbständiges Klageformular, sondern um eine nach anderen Gesichtspunkten 1 6 3 konzipierte Klage handelt, in der die Bitte einen fast untergeordneten, die Zionsverse hingegen einen wesentlichen Platz einnehmen. Das Muster der Verbindung von Beter und Stadt, wie es bereits in Ps 51,20 f. und 69,36 f. vorliegt, ist hier kunstvoll aufgegriffen worden, wobei jedoch nicht die Parallelisierung beider das Ziel der Aussagen ist, sondern das Eingreifen Jhwhs' in die Geschicke der Stadt und der daraus resultierende Lobpreis. D e r P s a l m i s t stellt ü b e r M o t i v - u n d W o r t w a h l e i n e V i e l z a h l v o n Q u e r b e z ü g e n z u T e x t e n i n n e r h a l b u n d a u ß e r h a l b d e s P s a l t e r s her. F ü r d e n e r s t e n Teil d e s T e x t e s , d i e K l a g e , g r e i f t er d a b e i v o r w i e g e n d a u f d i e K l a g e l i e d e r , f ü r d i e Z i o n s p a s s a g e a u f J e s 4 0 - 6 6 z u r ü c k . D i e Q u e r b e z ü g e d e s K l a g e t e i l s s o l l e n in d i e s e m K o n t e x t nicht weiter erörtert werden. Eine u m f a n g r e i c h e Z u s a m m e n s t e l l u n g und Auswertung der Belege hat u.a. Lindström v o r g e n o m m e n . 1 6 4 Ein Ergebnis seiner U n t e r s u c h u n g ist h i e r b e s o n d e r s h e r v o r z u h e b e n : S e i n e r A n s i c h t n a c h ist d e r T e x t n u r d e r F o r m n a c h e i n K l a g e l i e d d e s E i n z e l n e n . D i e I n t e n t i o n g e h t j e d o c h in e i n e a n d e r e R i c h t u n g : „ T h e s u f f e r i n g in t h e s e i n d i v i d u a l s e c t i o n s , like t h o s e w h i c h have an explicitly collective reference, refer to Israel's national affliction... E v e n t h e m o t i f o f w r a t h in v 11 h a s , t h e r e f o r e , a c o l l e c t i v e a l l u s i o n . " 1 6 5 D a r a u f w i r d i m f o l g e n d e n n o c h e i n m a l e i n z u g e h e n s e i n . Z u n ä c h s t soll a b e r d e r B l i c k a u f e i n i g e der Referenztexte der Zionspassage gelenkt werden. B e i v l 3 h a n d e l t es s i c h u m e i n n a h e z u v o l l s t ä n d i g e s Z i t a t v o n T h r 5 , 1 9 . 1 6 6 T h r 5 , 1 7 f. b e w e i n t d i e E i n s a m k e i t Z i o n s , v 19 p r e i s t d a s T h r o n e n J h w h s , u n d 161
Vgl. SEYBOLD, Psalmen, 398 f.
162
Dazu ausfuhrlicher LINDSTRÖM, Suffering, 221 ff; WEBER, Werkbuch II, 173. Zur Einbindung in den Kontext vgl. S. 48 ff.
163 164 165
166
Vgl. LINDSTRÖM, Suffering, 227. LINDSTRÖM, Suffering, 228.
Allein die Begriffe i s t (Ps 102,13) und SD2 (Thr 5,19) sind ausgetauscht. Dementsprechend folgen wenige Handschriften der Lesart von Thr 5,19. Da "Dl inhaltlich dem entspricht,
II. Stadt, Berg und Beter
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v 20 fragt daran anschließend klagend: „ Warum willst du uns für immer vergessen, verläßt du uns für die Dauer der Tage? " Die Motive stehen der Klage von Ps 102 sehr nahe. Doch gerade in diesen Übereinstimmungen zeigt sich auch das Besondere der Zionspassage des Psalms. Anders als in den Klageliedern kommt hier die Antwort. Jhwh erbarmt sich jetzt (Ps 102,14). Sein Thronen 167 in Ewigkeit wird so zum Synonym seiner Treue. Dieser Eindruck wird durch Jes 30,18.19 untermauert. Der Abschnitt Jes 30,18-26 stammt aus nachexilischer Zeit 1 6 8 und ist Teil eines Trostwortes für das in Zion/in Jerusalem lebende Volk. Gemeinsam ist Ps 102,14 und Jes 30,18.19 die Zusage, daß Jhwh dem Volk in Zion bzw. Zion selbst gnädig ist. 169 Beide Texte markieren den Zeitpunkt der Wende des Schicksals des Volkes und damit Zions. 1 7 0
Die Reaktion der Völker, wie sie in Ps 102,16.23 beschrieben wird, geht auf Jes 59,19 171 und 60,11 f.172 zurück. Es sind die Völker in Ost und West, die den Namen Jhwhs und seine Herrlichkeit furchten. Anstelle der in Jes 59,19 im Parallelismus ausgeführten Betonung der Weitläufigkeit der Jhwh-Furcht, hebt Ps 102 den Aspekt der „Furcht der Mächtigen" hervor. Diese Variante ist allerdings marginal im Unterschied zu der Feststellung, daß die Furcht der Völker nach Jes 59 auf ein Gericht folgt, im Gegensatz zu Ps 102,16, wo das Heil für Zion dies auslöst. 173 D.h. es ist nun nicht mehr das Gericht, sondern das auf das Gericht (an Zion) folgende Heil, das die Wende im Verhältnis der Völker zu Israel und seinem Gott auslöst. Auch für die Beschreibung des Heilshandelns Jhwhs greift der Psalm auf Motive aus der Prophetie zurück. Während nach Jes 60,10 jedoch die nDr-n die Mauern bauen und so in den Heilsplan Jhwhs einbezogen werden, ist es in Ps 102,17 Jhwh selbst, der Zion erbaut. Die Völker und Könige hingegen was Thr 5,19a ausdrückt, ist ein Eingreifen in den masoretischen Text nicht gerechtfertigt. Vgl. auch BRÜNING, Mitten im Leben, 174; BRUNERT, Psalm 102, 138 f. 167 3ö- ist hier parallel zu Thr 5,19; Ps 9,8f.; 29,10 im Sinne von „herrschen" zu verstehen (vgl. BRANDSCHEIDT, Psalm 102,65). S.a. BRÜNING, Mitten im Leben, 170f. 168 Vgl. u.a. WILDBERGER, Jesaja III, 1194f. 169 Vgl. u.a. die Wortwahl. In Jes 30,18 sind die Wurzeln c n ; c m und pn gewählt, in Ps 102,14 cip; nrn und ];n. 170 Ps 102,21 markiert die Wende inhaltlich. Hier wird der nur fünfmal innerhalb des Psalters verwendete Begriff TON gebraucht. So auch in Ps 69,34 und 79,11 (neben Ps 68,7; 107,10). Insbesondere der Bezug zu Ps 79 wirft nun über den Aspekt der Befreiung der Gefangenen hinaus Licht auf die Frage des Zeitpunktes für all die beschriebenen Ereignisse. Während in Ps 79,5 (s.a. Ps 89,47) gefragt wird: mir m n t , antwortet Ps 102,14 n» 'S rasn^. STECK schreibt zu Ps 79,6, daß Ps 102,23 unter Kenntnis dieser Passage die Endaussage positiv verändert. Er greift dabei erklärend auf Zeph 3,8 f. zurück (Eigenart, 366 f.). Doch läßt sich angesichts der Antwort, die Ps 102,14 auf die Frage von 79,5 hat, die positive Wendung unter der grundsätzlichen Wende zum Heil verstehen. 171 Die wesentlichen Stichworte sind NTI; TOS und KT (s. a. STECK, Eigenart, 368). 172 Nach Jes 60,11 erweisen tru und nno^n Jhwh die Ehre, indem sie Reichtümer nach Jerusalem bringen. Sie erkennen die Suzeränität Gottes an (s. a. WEINFELD, Zion, 111 f.). 173 Vgl. dazu auch STECK, Eigenart, 368.
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A. Zion und Jerusalem
sind Zeugen. Er, der thronende Gott, erschafft ein Volk' 74 , sich zum Lobpreis: „Denn siehe, ich schaffe (Part. m.sg. Qal) Jerusalem zum Frohlocken und sein Volk zur Freude" (Jes 65,18 175 /Ps 102,19), und den Völkern zum Zeugnis 176 (Jes 61,9) 177 . Ziel des göttlichen Handelns ist nach Ps 102 der Lobpreis Jhwhs in Zion. 178 Die Motivation für die Gestaltung der Zionspassage liegt jedoch in folgendem Prophetenspruch begründet: „ Gebt ihm keine Ruhe bis er aufrichtet und setzt Jerusalem zu seinem Lobpreis auf Erden " (Jes 62,7). Die Zionspassage greift die prophetische Verheißung auf, sagt die Wende im Schicksal Zions zu und bedient sich ihrer zugleich, um den Zeitpunkt der Erfüllung wieder in weite Ferne zu rücken. Auch in diesem Kontext zeigt sich, daß der Weg Gottes mit Zion noch längst nicht sein Ziel erreicht hat. Was im Blick auf den einzelnen Beter in seiner ausweglosen Situation wie eine Vertröstung erscheinen mag, zeigt sich unter der Perspektive einer kollektiven Klage als eine Suchbewegung, um die Diskrepanz zwischen Verheißung und Erfüllung 179 des Schicksals Zions und des Volkes zu überwinden und der Verheißung Raum zu schaffen - und ihm keine Ruhe zu geben. Zion ist nach Ps 102 Gegenstand des Heilshandelns Jhwhs. Er baut seine Mauern wieder auf, macht ihn sicher und wehrhaft und führt ihn schließlich seiner Bestimmung als Ort des Lobpreises Jhwhs zu. Im Parallelismus mit Jerusalem genannt, kann von Zion auch als von dem wieder Aufzubauenden gesprochen werden. 180 Diese Redeweise von Zion ist ohne den Jerusalembezug nicht möglich. 181 Zion übernimmt folglich die Züge der zerstörten und beklagten Stadt, ohne daß die verheißene Zukunft, in der die Völker zum Zion wallfahren, vergessen würde. 174 In Ps 51, der als Klagelied mit einem Ausblick auf das Schicksal Zions (51,20 f.) einige Nähe zu Ps 102 aufweist, zielt die Formulierung von v 12 auf die Neuschaffung eines einzelnen. Ein reines Herz und ein neuer Geist sollen sein Wesen ausmachen und sein Verhältnis zu Gott bestimmen. S.a. Jes 43,21. 175 Vgl. der Sache nach auch Jes 66,8. 176 „Dabei kommt dem geretteten Zionsvolk die Aufgabe zu, der in ihrem Sinnen und Trachten gewandelten Völkerwelt Jahwes Ruhmestaten zu erzählen und auf diese Weise eine prophetische Aufgabe im Heilsplan Gottes für die ganze Welt wahrzunehmen" (BRANDSCHEIDT, Psalm 102, 67). 177 Es ist besonders die Nähe Gottes zu seinem Volk, die mit N~Q ausgedrückt wird und die den Völkern und den nachfolgenden Generationen ein Zeugnis ist. S. a. Ps 78,4.6. 178 Vgl. auch Ps 9,12-15; Jes 60,3.6. 179 Wie sehr der Psalmist diesem Denkmuster verhaftet ist, zeigt auch v l 9 . Das Aufschreiben dient dem Nachweis der Erfüllung. 180 Auch hier liegt keine reine Synonymität der Glieder vor, sondern eine Form der Spezifizierung oder auch Konkretion. Dabei verlagert sich der Bedeutungsgehalt Zions in Richtung Stadt. 181 Zion ist in den Psalmen Ort der Gegenwart Gottes, nicht wankender Berg, Gottesstadt, stark und uneinnehmbar. Nur in der Verbindung mit Jerusalem wird von Zion als der zerstörten und wiederaufzubauenden Stadt gesprochen, d. h. Zion übernimmt die Züge Jerusalems.
II. Stadt, Berg und Beter
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Die Rede vom Heilshandeln Gottes an Zion wird zugleich zum Paradigma seines Handelns. Die Wende des Schicksals und die Durchsetzung der Verheißungen, wie sie Zion zugesagt sind, kann auch das Volk, kann auch der Beter für sich in Anspruch nehmen. 182 Wie problematisch der Blick auf die Verheißungen in der Gegenwart jedoch ist, da von ihrer Umsetzung noch zu wenig sichtbar wird, zeigt der Psalmist mit dem Kunstgriff, die Klage des Volkes als eine Klage des Einzelnen zu formulieren. Dieser einzelne kann nicht mehr warten. Seine Tage sind abgelaufen und deshalb soll Jhwh sich trotz oder wegen seiner von Geschlecht zu Geschlecht währenden Jahre ihm zuwenden. Die Hoffnung Zions und des einzelnen sind nicht deckungsgleich. Auch steht Zion nicht als Synonym für den Beter oder das Volk. Er ist eine eigene Größe im Heilsplan Gottes für Israel. 183 Der Beter aber weiß sich dazu aufgerufen, das, was Zion gilt, auch für sich selbst in Anspruch zu nehmen. 184 Der Psalmtext ist in seiner überarbeiteten Form zeitlich wohl im 3. Jh. anzusetzen. 185 Die Prophetie Tritojesajas ist bei der Beschreibung des Heils für die Völker und ihrer Hinwendung zum Zion in den vv 13-23 vorausgesetzt. 186 Die Stellung dieses Textes im vierten Psalmenbuch legt einen solchen Schluß ebenfalls nahe. Wichtige Übereinstimmungen der Grundfassung von Ps 102 mit Ps 90 wie auch die nahtlose Einfügung des Textes durch die Zionspassage in die Ps 101-104 stützen die Annahme. 187 Auf den Kontext von Ps 102 wird im folgenden näher einzugehen sein. Wesentlich für die Diskussion um die Datierung ist jedoch noch ein weiterer Aspekt. V 15 nennt die in Trümmern liegende Stadt. Das gibt einigen Forschern Anlaß, den Text in die frühnachexilische Zeit zu datieren. 188 Doch v 15 verfolgt zunächst das theologische Ziel, den Knechten eine wesentliche Rolle im Aufbau Zions einzuräumen. Die Spannung, die der Text aufzuheben sucht, liegt zwischen der real erfahrenen und der erwarteten Größe Zions. Auf dieser Ebene ist auch weit nach dem Exil noch von den Trümmern der 182
Vgl. STECK, E i g e n a r t , 3 6 6 ; KOENEN, J a h w e , 81; BRUNERT, P s a l m 102, 173.
CULLEY spricht von „rescue patterns". „This pattern traces the movement from a situation in which a person or persons finds themselves in difficulty to their rescue to Yahweh" (Psalm 102, 31). Seiner Ansicht nach liegt bei Ps 102 die Besonderheit, daß die menschliche Perspektive des Beters in den Kontext der göttlichen gestellt wird (ebd., 32), was die Spannung zwischen Trost und Vertröstung, die der Psalm aufbaut, erklärt. 183 Dies verhält sich in anderen Texten anders. Vgl. zu Ps 126 S. 142 ff. JANOWSKI vertritt eine solche Lesart für Ps 46,5-7 (Konfliktgespräche, 71 f.). 184 BRANDSCHEIDT sieht in dieser Verbindung weniger die Ausrichtung des Beters auf gewisses, zugesagtes Heil, sondern mehr das Ringen „um die ihm zum Problem gewordene Offenbarung der göttlichen Macht, die er in der Geschichte des Gottesvolkes als Erlösung, in seinem Leben aber als Vernichtung erfährt" (Psalm 102, 62). S.a. LAMPARTER, Psalmen II, 170. 185
186 187
188
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
SEYBOLD, P s a l m e n , 3 9 8 . STECK, E i g e n a r t , 3 6 8 . BRUNERT, P s a l m 102, 2 8 9 . MOWINCKEL, P s a l m e n s t u d i e n I, 166; BRÜNING, M i t t e n im L e b e n , 297. KRAUS g e h t
davon aus, daß die vv 14—23 in der Exilszeit gesprochen worden sind (Psalmen II, 867).
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A. Zion und Jerusalem
Stadt zu reden. So sind auch die Gefangenen und dem Tode Geweihten und ihre Befreiung letztlich Topoi 189 , die der Psalmist verwendet, um die Durchsetzung der königlichen Herrschaft Jhwhs auf dem Zion zu beschreiben. 2. Verbindungslinien: „Denn Jhwh baut Zion " Die Psalmen 51; 69 und 102 Die Psalmen 51; 69 und 102 weisen weitreichende Gemeinsamkeiten auf. Diesen ist in bezug auf die Funktion der Zionspassage für den einzelnen Klagepsalm wie auch in bezug auf die Verortung der drei Texte im Psalter nachzugehen. Zunächst soll ein Blick auf die Zionspassagen von Ps 51 und 69 geworfen werden, bevor die Ergebnisse in einen weiteren Kontext zu stellen sind. Zion in Psalm 51 Psalm 51 20 Tue Zion Gutes nach deinem Wohlgefallen, baue die Mauern Jerusalems. 21 Dann wirst du Gefallen haben an Opfern der Gerechtigkeit, Brandopfern als Ganzopfern, dann steigen von deinem Altar Stiere auf.
Die Zionsaussagen des 51. Psalms überraschen. Die Verbindung der Hinwendung Gottes zum Zion mit einem daraus resultierenden, Gott wohlgefälligen „klassischen" Opferdienst ist im Psalter singulär. 190 Die wenigen Passagen, die sich einer Opferterminologie im Sinne priesterlicher Kultgesetzgebung bedienen, lassen meist vorsichtige bis offene Opferkritik erkennen 191 , oder forcieren eine Wende vom Schlacht- oder Brandopfer hin zum min rat 192 . Doch ganz so „klassisch", wie v21 es zunächst anklingen läßt, ist auch diese Zusammen189
Anders u.a. STECK, Eigenart, 363. Auch Ps 20 nennt Zion und den Opferdienst am Tempel in direktem Zusammenhang. Doch die Aussageintention ist nicht vergleichbar mit Ps 51,20 f. In Ps 20,3 steht Zion im Parallelismus mit dem Heiligtum. Zion, der Ort der Gottesgegenwart, ist Ausgangspunkt des von Gott gewirkten Heils. Der Beter leistet nach Ps 20 Fürsprache für den König, er bittet um die Annahme seiner Opfer. 191 Vgl. Ps 4,6; 40,7; 50,8ff.l4; 51,18f. 192 Vgl. Ps 107,22; 116,17. S.a. Ps 27,6. Auffällig neutral formuliert Ps 54,8. „Die religionsgeschichtlich wichtigste Wandlung der Gattung ist, daß sie begonnen hat, sich von dem Dankopfer loszulösen. ...das bedeutet jedenfalls, daß auf dieser Stufe der Entwicklung der Psalm, der den geistigen Gehalt und die seelische Stimmung des Sängers deutlicher als das Opfer ausspricht, ebendarum auch, zumal von dem Sänger selber, bewußt oder unbewußt, höher als dieses geschätzt wurde" (GUNKEL, Einleitung, 277). SPIECKERMANN äußert sich unter Bezugnahme auf Ps 50 vorsichtiger: „Im Zentrum von Ps 50 steht... die min (V. 14.23), die hier aber spiritualisiert als Dank und Loblied verstanden wird, ohne dabei ihre Bestimmung als konkrete Opfergabe ganz verloren zu haben" (Rede Gottes, 161). 190
II. Stadt, Berg und Beter
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Stellung von Opfern, die Gott gefallen sollen, nicht. piirTQt ist kein Terminus des priesterlichen Opferkultes. 193 Daß es sich hier dennoch nicht um eine ideelle Größe handelt, sondern ein konkreter Opfervollzug vorausgesetzt wird, zeigt der zweite Teil des Stichos. „Dann steigen von deinem Altar Stiere (als Brandopfer) auf." Gleichwohl sind diese Opfer besonders qualifiziert, das Wohlgefallen Gottes zu erringen. Häufig wird p l a n n t mit „gerechte/wahre Opfer" übersetzt. Doch was diese von anderen unterscheidet, ist nicht die rechte Art und Weise der Durchfuhrung eines Rituals. 194 Auch ist die Opfergabe selbst keiner besonderen Art, die sie als wahr und gerecht qualifizieren könnte. Um v21 verstehen zu können, müssen die vv 18.19 mit in den Blick genommen werden. Ihre Opferkritik' 95 läßt keine Fragen offen. Psalm 51 18 Dir gefällt kein O p f e r und will ich Brandopfer bringen, so hast du kein Wohlgefallen (daran). 19 Opfer 1 9 6 Gottes (Opfer f ü r Gott) sind/ist ein zerschlagener Geist, ein zerschlagenes und zerschmettertes Herz wird Gott nicht verachten.
Auf diese Kritik antworten die vv 20 und 21. Es ist die Haltung des Opfernden, die den entscheidenden Unterschied ausmacht. 197 Nun ist es nicht ganz unproblematisch, von einem „Status der Gerechtigkeit" zu sprechen, aus dem heraus der Beter zukünftige Opfer darbringen will. In der Grundfassung des Psalms ist die Wurzel zweimal gebraucht (vv 6.16), um von der Gerechtigkeit Gottes zu sprechen, piir-mr sind demnach eher Opfer im Hinblick auf die Gerechtigkeit Gottes. Dies schließt aber die Haltung des Opfernden, von der in den vv 18 f. die Rede ist, mit ein. Seine Haltung muß der Gerechtigkeit Gottes, "[np-ra (v 16),
1,3
Er ist nur in Dtn 33,19; Ps 4,6 und 51,21 belegt. So aber RENDTORFF (Studien, 56) in bezug auf Ps 4,6, der diesen Ausdruck ebenfalls verwendet. Vgl. dazu auch Mosis, Mauern, 213 insb. Anm. 47. 195 WÜRTHWEIN wehrt sich gegen die Annahme einer allgemeinen Opferkritik. Seiner Ansicht nach werde in v 18 allein von der Ablehnung der Opfer eines Kranken gesprochen. Der Beter, selbst krank und damit unrein, könne kein Opfer darbringen. Dennoch hoffe er auf Annahme durch Gott (v 19) (Bemerkungen, 384 f.). Anders W.H. SCHMIDT: „Hier tritt das Danklied dem Opfer entgegen. V. 18 greift wie die Propheten bei ihrer Opferkritik priesterliche Anrechnungstheologie a u f (Eschatologie, 357). Vgl. auch HAAG, Psalm 51, 191. 196 Teilweise wird c r f r s geändert in r n ^ x "rqt (so u. a. DEISSLER, Psalmen II, 40; Mosis, Mauern, 201). Damit wird die Gabe des zerschlagenen Geistes direkt auf den Beter bezogen. Allgemeine „Opferkritik" würde eingeschränkt auf die Situation des einzelnen Beters. Zu diesem Eingriff in den MT besteht jedoch wenig Anlaß, außer das Ziel, einen glatteren Text zu erhalten. 197 Vgl. dazu die allerdings insgesamt vorsichtigen Äußerungen bei DELITZSCH, Psalmen, 376 f.; BRIGGS, Psalmen II, 9 f. und BAETHGEN, der sich äußert, „daß die wahrhaft fromme Gesinnung des Herzens den äußeren Kultus nicht ausschließt" (Psalmen, 154); eher problematisch BEYERLIN (Rettung, 87) zu Ps 4,6: „Die geforderten Opfer sind als Mittel der Übereignung des P"!5 verstanden. Bei ihrem Vollzug werden die Opfernden der Heilsgabe des p~iu teilhaftig." 194
50
A. Ziort und Jerusalem
entsprechen. 198 Die Opfer, von denen v21 spricht, werden folglich aus einem Zustand heraus erbracht, der durch das Darbringen von klassischen Sühnopfern nicht erreicht werden kann. 199 Deshalb wird trotz aller terminologischen Überschneidung mit priesterlicher Theologie zur Darstellung des sündigen Zustandes des Beters 200 hier keine nxcan dargebracht. Sie könnte ihn nicht aus seiner Situation befreien. Die vv 20.21 gehen folglich nicht hinter die vv 18.19 zurück. 201 Doch bedeutet deren „Kritik" für den Ergänzer der vv 20 f. nicht die Aufgabe des Opferkultes als Gottesdienst, sondern allein dessen rechte Einordnung. Daß damit ein besonderes Verständnis von Gottesdienst und Gotteslob ausgedrückt werden soll, zeigt auch der zweite Opferterminus V^sO) n^iu 202 . Das Brandopfer als Ganzopfer gehört Jhwh vollständig. Bei anderen Opferarten, bis hin zum Sündopfer 203 , besteht die Möglichkeit, daß die Priesterschaft oder auch der einzelne Opfernde im Rahmen einer Mahlgemeinschaft von dem Opferfleisch essen kann. Beim Ganzopfer ist dies ausgeschlossen. Es gehört allein Gott. Grundsätzlich muß man sich vorsehen, in Glaubensäußerungen wie den vv 18.19, die die Bußwilligkeit und Bußfähigkeit des einzelnen ins Zentrum rücken, eine generelle Opferkritik zu vermuten. 2 0 4 Opfer ohne ein „zerschlagenes Herz" sind nach Ps 51,18 f. keine Gott wohlgefälligen Opfer. Das bedeutet, daß der Opferkult bereichert, nicht aber, daß er aufgegeben werden soll. 198
Nach HOSSFELD/ZENGER handelt es sich bei den p - r i n n i um Opfer, die den Rechtsspruch Jhwhs anerkennen und den Gemeinschaftsfrieden zwischen Gott und Mensch sowie zwischen Mensch und Mensch wiederherstellen (Psalmen I NEB, 310). ROWLEY stellt die Bedeutung des Sündenbekenntnisses heraus (Worship, 136 ff.). Nach der Ansicht HAAGS handelt es sich hier um ein Kunstwort, das die Opfer umschreibt, die Zeichen der Heilwende sind (Psalm 51, 195). 1,9 Vgl. auch TÄTE, Psalms II, 27 f. EATON geht davon aus, daß zum Opfer die Reue, die Bußfertigkeit hinzugehören (Kingship, 72). 200 tftis, ]ir und oxn als eine Trias von Ausdrücken der Schuld und Verfehlung decken in dieser Zusammenstellung beinahe jegliche Form der Verfehlung kultischer oder rechtlicher A r t a b ( s . a . L e v 16,21; Jer 3 3 , 8 ) . V g l . d a z u u . a . HAAG, P s a l m 5 1 ,
1 8 2 ; SÜSSENBACH,
Der
elohistische Psalter, 89 f. 201 W.H. SCHMIDT spricht allerdings von einem „Ausschluß der Opfer auf Zeit" (Eschatologie, 358). S.a. RENDTORFF, Studien, 258; SEYBOLD, Psalmen, 214; Mosis, Mauern, 202. 202 Der Ausdruck wird gern als Glosse betrachtet (vgl. u. a. GUNKEL, Psalmen, 228; WEISER, P s a l m e n I, 2 7 0 ; RENDTORFF, S t u d i e n , 64; KRAUS, P s a l m e n I, 5 4 0 ; KAPELRUD, Art. ' r h o , 195),
doch ist das insofern unwahrscheinlich, als v 18 ausdrücklich rat und rfriü nennt und v 21 dementsprechend reagiert, d.h. beide Opfertermini aufnimmt und sie besonders qualifiziert, rat erhält demnach das Attribut p i s , nba hingegen das Attribut "r1?:. Ein Blick auf weitere Belegstellen für V^o stützt diese Annahme. In I Sam 7,9 wie auch in Lev 6,15 f. dient ' r t u dazu, eine Opferart zu spezifizieren. Allein in Dtn 33,10 bezeichnet der Terminus eine eigene Opferart. Erst die nachträgliche Einfügung der Konjunktion zeigt das Bestreben, den p u r ' r a t (pl.) mehr als eine Opferart beizuordnen. Vgl. dazu auch TÄTE, Psalms II, 29. 203 S. Lev 10,12 ff. 204 Vgl. GUNKEL, der über den Ergänzer der vv20.21 schreibt: „ein späterer, ängstlich=gesetzlicher Frommer, der den hohen Sinn des Psalmisten nicht zu erfassen vermochte" (Psalmen, 226). KAPELRUD schreibt über den Verfasser, daß er eine Ehrenrettung des Kultes betreiben wolle (Art. >' >^, 1 9 5 ) . Vgl. auch W E I S E R , Psalmen, 2 7 6 ; H . S C H M I D T , Psalmen, 1 0 2 ; K R A U S , Psalmen I, 547f. Zur Forschungskritik s.a. MILLARD, Komposition, 175f. L
L
II. Stadt, Berg und Beter
51
Nun darf zum Verständnis von v21 auch v20 mit der Aufforderung „baue die Mauern Jerusalems " nicht außer Acht gelassen werden. Mosis setzt sich mit der Frage nach dem Verhältnis eines Gott gefälligen Opferkultes zu dem Aufbau der Mauern Jerusalems ausgiebig auseinander. Er macht zunächst deutlich, wie wenig der Wunsch nach dem Aufbau der Mauern allein eine Umschreibung für den Wiederaufbau des Tempels ist.205 Die Argumentation Mosis' basiert auf der Betrachtung von Rückgriffen des Verfassers des 51. Psalms u. a. auf Ez 36. Das Verhältnis der beiden Texte zueinander deutet auf die nachexilische Zeit. Damit erweist sich aber die Zeitspanne zwischen dem Ende des Exils und dem Wiederaufbau des zweiten Tempels als ausgesprochen „knapp", um sie als Verfassungszeitraum in Betracht ziehen zu können. 206 Doch auch eine wörtliche Übertragung der Situation in die Zeit Nehemias ist fraglich. Der Zusammenhang von Opferkult und Bau der Stadtmauern ist nicht deutlich, zumal laut Esr 3,1-6 Brandopferdarbringung noch vor Fertigstellung des Tempels, und gewiß vor Beendigung der Stadtbefestigung stattfinden konnte. 207 So steht hinter der Wendung „ baue die Mauern Jerusalems " mehr als nur das Bedürfnis nach einem auch unter äußerer Sicherheit stattfindenden Kult. 208 Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Texten, die vom Wiederaufbau Jerusalems sprechen, liegt darin, daß Jhwh es ist, der die Mauern der Stadt errichten soll.209 Das Ziel überschreitet menschliches Vermögen. Jerusalem soll erstrahlen als gefestigte Stadt, die ihren Bewohnern Sicherheit gibt und die als Gottesstadt zum Zentrum eines Gottesdienstes wird, der Gott gefallt 210 .
205
So aber HAAG, Psalm 51, 195. Vgl. Mosis, Mauern, 204 ff. So aber DEISSLER, Psalmen 11, 42. Eine vollständig abweichende Position vertritt EATON (Kingship, 72), der den Psalm als ein königliches Gebet liest. Die vv 20 f. ordnet er dem Grundbestand des Psalms zu und erklärt die Bitte um den Aufbau der Mauern Jerusalems als eine Bitte um Stabilität. 207 Vgl. Mosis, Mauern, 208. S.a. KÖRTING, Schall, 260f. Anders MILI.ARD, Komposition, 175. STECK schreibt dazu: „Zum Verständnis der anhaltenden Erwartungen hinsichtlich der Restitution Jerusalems aus der gesamten Perser-, aber auch noch der Diadochenzeit ist zu bedenken, daß Jerusalem als Stadtanlage erst zu Zeiten der hasmonäischen Dynastie wieder ein dem spätvorisraelitischen Zustand entsprechendes Ausmaß erreicht hat" (Gottesknecht, 132). S. dazu auch OTTO, Jerusalem, 122ff".; WELTEN, Art. Jerusalem, 596 f. Dennoch ist fraglich, ob das durch Jhwh zu erbauende Jerusalem eine Größe ist, die sich mit archäologischen Daten umschreiben läßt. 208 So aber H. SCHMIDT, Psalmen, 102. Vgl. auch SEYBOLD, Psalmen, 214. Doch selbst die Darstellung des Mauerbaus im Buch Nehemia weist weit über das Ziel, eine befestigte und damit sichere Stadt zu erhalten, hinaus. Jerusalem wird mit dem Mauerbau wieder zu einem geistigen und politischen Zentrum. Ihre eigentliche Identität erhält die Stadt aber durch Verlesung und Bewahrung der Tora (vgl. KÖRTING, Schall, 223.254). 209 Hier wie auch in Ps 69,36; 102,17 und 147,2 ist es Jhwh, der Jerusalem, die Städte Judas und Zion aufbaut (s. a. Jes 54,11 f.; 62,7). Anders ist dies u. a. in Jes 49,16 f.; 58,12; 60,10; 61,4; Jer 30,18 oder 31,38 f., denn danach ist der Aufbau Ziel Gottes, aber nicht direkt sein eigenes Werk. 210 Vgl. Ps 122,3. 206
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A. Zion und Jerusalem
Erneut ist nun die Frage zu stellen, was die Zionspassage mit dem Hauptkorpus des 51. Psalms verbindet. 2 " Es steht dem tiefgreifenden Sündenbekenntnis eines einzelnen die Bitte um die Zuwendung zu Zion, dem Aufbau der Mauern Jerusalems, gegenüber. Das Schicksal des einzelnen und das Ergehen Jerusalems werden parallelisiert. „ Verbirg dein Angesicht nicht vor meiner Schuld" (v 11 a), „ lasse zurückkehren die Freude deiner Hilfe " (v 14a) sind Aussagen, die auch auf die Stadt zutreffen 212 , und die schließlich in der Bitte münden: „ Tue Gutes nach deinem Wohlgefallen " (v 20a). Doch auch auf einer anderen Ebene - und hier liegt der Schwerpunkt der Aussagen über Zion - greift die Parallelisierung von Beter und Stadt. Dem Sündenbekenntnis folgt die Aussage: „Herr, öffne meine Lippen und mein Mund verkünde deinen Lobpreis " (v 17). Dieses Ziel des einzelnen ist in v21 in bezug auf Zion komplementär formuliert. Denn hier geht es im zukünftigen Opferdienst um den Lobpreis Jhwhs. Allein darauf ist das Gebet ausgerichtet, und nur Jhwh selbst kann diesen Lobpreis verwirklichen. 213 Zion in Psalm 69 Psalm 69 35 Lobt ihn, Himmel und Erde; Meere und alles, was darin wimmelt, 36 denn Gott wird Zion retten und die Städte Judas aufbauen, und man wird sich darin niederlassen und ihn (f.sg.) besitzen.
211
Die Opferkritik, die in den vv 18 f. thematisiert ist, ist, wenn auch dem Gedankengang von Ps 51,1-17 folgend, doch anders gewichtet. Gerade die allgemeine Formulierung, die den Beter nur mittelbar einbezieht, gibt zu denken (die textkritische Änderung von -rat zu -rat scheint dem abhelfen zu wollen). Wahrscheinlicher ist, daß im Zuge der Voranstellung des Ps 50 vor Ps 51 auch diese Verse angefugt worden sind (vgl. SPIECKERMANN, Psalmen, 147); anders HOSSFELD/ZENGER (Psalmen II HThK, 45 f.), die eine zweiteilige Struktur des Psalms zugrunde legen, die sich über die v v 3 - l l und 12-19 erstreckt; s.a. LINDSTRÖM, Suffering, 353. Es läge damit eine zweifache Redaktion im Schlußteil von Ps 51 vor, die zunächst mit v 18 auf Ps 50,8 f. antwortet und in v 19 die Aufforderung zum Dankopfer aus Ps 50,23 ganz im Sinne von Ps 51 konkretisiert (vgl. SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 98). Zudem scheint die Bitte um die Ermöglichung des Lobpreises (v 17), wenn auch ungewöhnlich - zu erwarten wäre eher ein Lobgelübde (ebd., 45) - , dennoch als Abschluß des Sündenbekenntnisses Ps 51 sinnvoll zu sein. Die vv20 und 21 sind dann in einer letzten Überarbeitung angefugt worden. 212 S. u.a. Jes 40,2; 51,17. Von den neugeschaffenen Bewohnern der Stadt zu sprechen, das legt die Zufügung der vv20 und 21 an den Psalm nahe. Es zeigt sich darin das Bestreben des Redaktors, das neugeschaffene Ich des Beters auf die Bewohner Jerusalems zu übertragen. Doch ist zunächst in den betreffenden Versen von dem Aufbau der Stadt und des Gottesdienstes die Rede. Alle weiteren Überlegungen schließen sich nur mittelbar an (vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 55; SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 95 f.). Deutlicher wird in diesem Zusammenhang Ps 102,19, der von einem ¡nn; CSJ spricht, das Jhwh preisen wird. 213 Vgl. dazu SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 94 f.
II. Stadt, Berg und Beter
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37 Und die Nachkommen seiner Knechte erben ihn (f.sg.), und die seinen Namen lieben, werden in ihm (f.sg.) wohnen.
Die Ähnlichkeiten zwischen Ps 69,35 ff. und Ps 102,13 ff. sind augenfällig, mehr noch: Allen vermag die beiden Psalmen als „unrecognized twins" 214 zu bezeichnen. Auch bei Ps 69 handelt es sich um die Klage des Einzelnen, die die physischen und sozialen Ausformungen seiner Not formuliert. Der Beter ist wegen seines Eifers für Gott in Not geraten und bittet auf vielfache Weise um Errettung für sich und um Gericht für die Feinde. Anders als in Ps 102 ist die Zionspassage nun aber Teil eines umfangreichen zweiteiligen Schlußlobpreises. 215 Die vv31-34 versprechen das individuelle Lob, die vv 35-37 rufen die gesamte Schöpfung mit der Begründung der Errettung Zions zum Lobpreis auf. Die ursprüngliche Zugehörigkeit der vv 35-37 zur Grundschicht des Psalms wird diskutiert und vielfach bestritten. 216 Ähnlich abrupt wie in Ps 102 scheint die Nennung des Schicksals Zions auch in Ps 69 zu erfolgen. Anders als in Ps 102 sind die Zionsverse jedoch nicht mit dem übrigen Psalm verwoben 217 , sondern führen ihn auf einer anderen Ebene weiter. Das Heilshandeln Gottes gilt nicht mehr „nur" einem einzelnen, sondern dem ganzen Volk. Der Lobpreis wird kollektiviert. 218 Dennoch sind die vv 35-37 nicht losgelöst von ihrem Kontext zu verstehen. „Denn Gott wird Zion retten und die Städte Judas auftauen" (v36) ist nicht nur der Blick in die Zukunft der Stadt, sondern steht unter einer besonderen 214
ALLEN kann über die Zionspassagen hinaus von beiden Psalmen sagen: „Psalm 69 and Psalm 102 are hitherto unrecognized twins" (Value, 593). Er hebt folgende gattungstypische und formale Übereinstimmungen zwischen Ps 69 und 102 hervor: es handelt sich um zwei Klagelieder mit hymnischen Elementen; beide haben eine jeweils dreiteilige Struktur (wobei aber zu beachten ist, daß die Zionspassage nach seiner Einteilung der Psalmen jeweils eine andere Position einnimmt - er unterteilt Ps 69,2-14a.l4b-30.31-37 und Ps 102,2-12.1323.24-29) (ebd., 593). 215 Vgl. u.a. GUNKEL, Psalmen, 295; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 264f. 216 Es ist hier nicht der Ort, diese Debatte noch einmal ausführlich nachzuzeichnen. Vgl. dazu HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 262 ff. 217 Nach ALLEN liegt mit Ps 69,31-37 eine Einheit vor, die zweiteilig (vv31-34.35-37) aufgebaut ist und eine poetische Struktur aufweist. Es handelt sich dabei um ein Wortspiel mit den Konsonanten O und N. In v 31 und 37 ist mit rahmender Funktion von DB bzw. INTI die Rede, in v34 ist irao; in v35 c'nti und in v36 cö gebraucht. Als weitere Inklusion dienen in den vv31.36 sowie v33 und mrr in den vv32.34 (Value, 580). Die Merkmale bezüglich Jhwh und Elohim sind nicht aussagekräftig verteilt. Etwas anders verhält es sich mit dem Verweis auf co (v31) bzw. loci (v34). Man wird wohl davon ausgehen müssen, daß mit den vv35ff. eine planvolle Fortschreibung des Grundpsalms vorliegt, die wesentliche Stichwort» des vorhergehenden Abschnitts aufgreift, dem Text insgesamt aber eine neue Perspektive gibt. Das Gotteslob wird universalisiert, die Ausrichtung des Lobes gilt aber der Rettung Zions und der Zukunft der Knechte. 218 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 266 f. Dem ist hinzuzufügen, daß neben der formalen Verknüpfung der Gegensatz des Handelns Gottes am einzelnen bzw. an Zion unter dem Gegensatz von Ewigkeit und Vergänglichkeit zum Gesamtkonzept des Psalms gehört und keine schlichte Weiterführung ist.
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A. Zion und Jerusalem
Perspektive. Es geht nicht primär - auch wenn der Lobpreis der Schöpfung dies nahelegen könnte - um die Omphalosvorstellung, Zion als Nabel der Welt, oder um den Ausblick auf die Völkerwallfahrt. Die Könige, die kommen werden, um Jhwh zu dienen, sind für den ganzen Psalm genauso wenig relevant wie für seinen Abschluß durch die Zionspassage. Der Psalm gibt als zentrale Begründung für die Not des Beters an, daß ihn der Eifer um das Haus Gottes verzehrt hätte (v 10). Das Thema des rechten Gottesdienstes zieht sich durch (Ps 69,6-14.31 f.) bis in die Bitte um Rache an den Feinden, denen ihre Opfermahle zur Falle werden sollen. 219 Nun ist Zion in Ps 51,20 f. als Ort des rechten Gottesdienstes von Bedeutung, und hier wie dort ist von Opfertieren und dem Lobpreis Jhwhs die Rede (Ps 51,17 ff.; 69,31 f.). Doch gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Zionspassagen. Zum einen ist es die Besonderheit von Ps 69, daß Zion und die Städte Judas im Parallelismus genannt werden, zum anderen ist es die Zusage in diesem Psalm an die Knechte in v37. Die Städte Judas werden innerhalb des Psalters nur an dieser Stelle genannt. Ihnen wird der Aufbau zugesagt. 220 Geht man auch für diesen Parallelismus davon aus, daß das zweite Glied eine Spezifikation des ersten bedeutet, so ist die politisch-nationale Dimension dieser Aussage festzuhalten 221 , es geht um die Heimat des Volkes. Noch deutlicher wird dies im dritten Kolon des Verses. „ Und man wird sich darin niederlassen und ihn (f.sg.) besitzen ". Das Erbe des Volkes und seine Zukunft, die Zukunft der Knechte Jhwhs und ihrer Nachkommen (v37) im Lande wird zugesagt. Sie werden sich niederlassen und ihre Heimat in Zion und den Städten Judas haben. Daß auch diese Aussage letztlich auf Zion zielt, zeigt die Wahl der Suffixe. Nicht, wie auch möglich, ein pluralisches Suffix, das die Städte Judas und Zion zusammenfassen würde, sondern ein singularisches wird hier gewählt. 222 Der Zion ist die eigentliche Heimat des Volkes Gottes. Den Bogen zurück zum Gottesdienst schlägt der Psalmist durch die Formulierung: iqd -nnxi. Diejenigen, die seinen Namen lieben, sind es, die den Lobpreis Gottes anstimmen. 223 Durch die Zufügung der vv35-37 wird der Beter, der um die Durchsetzung des rechten Gottesdienstes willen Leidende, in die Gemeinschaft der Knechte 219
Vgl. zur Erklärung des Bildes vom Fangholz HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK,
277.
220
Vgl. Jes 44,26; Sach 1,12; T h r 5 , l l . Zweimal heißt es jedoch min- rraa, in Ps 48,12 und 97,8. Die Wortstellung entspricht Ps 69,36, denn in allen drei Fällen wird Zion zuerst genannt. 221 Im Unterschied zur kultisch ausgerichteten Zusammenstellung von Zion und Jerusalem in Ps 51. 222 mo-n (v36c); ir^nr (v37a); n a i n t C (v37b). 223 Daß diese Verknüpfung eher indirekt geschieht, ist ein weiteres Indiz dafür, daß der Schlußlobpreis in Ps 69 gegenüber dem Hauptkorpus sekundär hinzugekommen ist (vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 267), da der wahre Gottesdienst ansonsten durchaus Thema des Psalms ist (Ps 69,6-14.31 f.).
II. Stadt, Berg und Beter
55
gestellt. 224 Er steht nicht mehr allein. Mit der Wende des Schicksals Zions ändert sich das der Knechte und so auch sein eigenes. Diese Gemeinschaft singt nun das rechte Gotteslob. „Denn Jhwh baut Zion " Die Ps 51; 69 und 102 präsentieren sich als individuelle Klagelieder, die das Schicksal des Beters mit dem Schicksal Zions und Jerusalems verknüpfen. Die Verbindung von Beter- und Zion- bzw. Jerusalemzukunft hat Modellcharakter. 225 Es ist das Motiv der Zuwendung Jhwhs zur gebeugten, verlassenen und gedemütigten Stadt - eine Vorstellung, der Zion nur im Parallelismus mit Jerusalem entspricht - , das sich verselbständigt hat und gerade im Zusammenhang von Klageliedern verwendet werden kann. Der Klage des Einzelnen wird die Treue Jhwhs in seiner Zuwendung zu Zion gegenübergestellt. Ziel der Handlungen Jhwhs ist die Errichtung der Gottesstadt zum Lobpreis. Entsprechend soll sich die Klage des Beters in Lobpreis wandeln. Die Texte weisen jedoch neben diesen Gemeinsamkeiten Unterschiede auf, die hier noch einmal benannt und in einen Zusammenhang gestellt werden sollen. Ps 51 proklamiert die Errichtung des rechten Gottesdienstes auf dem Zion. Der Text macht deutlich, und hier zeigt sich, wie wesentlich der Kontext für das Verstehen der Zionaussagen ist, daß durch das Eingreifen Gottes Zion und Jerusalem zum Ort eines Jhwh gemäßen Gottesdienstes werden können, jenseits aller Schuldverfallenheit der Stadt wie auch des einzelnen. Ps 69 weitet diese Perspektive aus. Stärker als in Ps 51 kommt nun die Dimension des Gottesvolkes, der Knechte, in den Blick. Diese werden sich in Zion niederlassen und ihn in Besitz nehmen können (Ps 69,36). Der Psalm verweist darauf, daß es eine Zukunft gibt, für den einzelnen, für Zion und damit für das Volk. Ps 102 kann diesen heilvollen Ausblick schließlich noch einmal steigern. 226 Es ist das von Jhwh geschaffene Volk, das den Lobpreis in der von ihm errichteten Stadt anstimmt. Nun haben Völker und Könige Teil an der heilvollen Zukunft, einer Zukunft, die laut Ps 102,14 bereits angebrochen ist. Die Aufnahme der Knechte in Ps 102,15.29 schafft eine Rückbindung des Psalms an Ps 69 227 , dient aber vor allem dazu, das Gottesvolk, das Leid und Verzweiflung ertragen hat, in die auf die Fremdvölker gerichtete Vision hineinzutragen, zum Zeugnis für die Welt. Wie in Ps 69,37 wird den Knechten das Wohnrecht in Zion zugesagt. Doch anders als 224 Vgl. ALLEN, Value, 592ff".Die Verbindung von individueller und kollektiver Perspektive geschieht hier mittels der Fokussierung auf Zion. 225 Vgl. auch STECK, Eigenart, 366. 226 Die Steigerung von Ps 51 hin zu Ps 102 in der heilvollen Zukunft für Zion zeigt sich auch in der Formensprache der entsprechenden Verse. Ist Ps 51,20 f. noch als Bitte formuliert,
s t i m m e n P s 6 9 , 3 5 ff. u n d 1 0 2 , 1 3 - 2 3 e i n e n L o b p r e i s a n . 227 Auch das Motiv des C'TO« ÜQB, des Hörens auf die/den Gefangenen (Ps 69,34), das kein Bestandteil der Abschlußredaktion des Psalms ist, tritt in Ps 102,21 wieder auf.
56
A. Zion und Jerusalem
in Ps 69 sind die Knechte nun am Plan Jhwhs für Zion beteiligt (Ps 102,15). Sie haben somit ihren eigenen Anteil an der Zukunft der Gottesstadt. 228 Die Psalmen 51; 69 und 102 im Kontext des zweiten und vierten Psalmenbuches Daß die Zionspassagen nicht willkürlich an Klagelieder des Einzelnen angehängt bzw. in sie eingearbeitet worden sind, ungeachtet der Position, die diese Texte im Aufbau einer Teilsammlung des Psalters einnehmen, wird auch in Ps 51; 69 und 102 deutlich. Die Ps 51 und 69 rahmen den Kern des zweiten Davidpsalters. Ps 51, herausragend bereits aufgrund seiner Überschrift 229 , und dem zweiten Davidpsalter nachträglich vorangestellt 230 , fuhrt als programmatische Aussage „über die conditio humana vor Gott" 231 in die Sammlung ein. Die diesem Psalm zugefügte Zionspassage hebt den Aufbau Zions/Jerusalems als Ort des Gott gemäßen Gottesdienstes hervor. Zum Zeitpunkt der Einfügung der Zionspassage Ps 51,20 f. ging dem Text Ps 50 mit seiner „Opferkritik" und der Theophanieschilderung der v v 2 - 6 bereits voraus. 232 Wie aber läßt sich das verstehen? Wie kann ein Redaktor der Rede von der strahlenden Gegenwart Gottes auf dem Zion die Bitte um gnädige Zuwendung zu Zion und Jerusalem folgen lassen? Die Antwort muß mehrere Aspekte berücksichtigen: Die Texte sprechen auf verschiedenen Ebenen von Zion. Mit der Schilderung Ps 50,2 ff. geht der Sammlung des zweiten Davidpsalters und der Asaphpsalmen 233 ein Text voran, der die unbedingte Gegenwart Gottes auf seinem Berg 234 , in seiner Stadt und an seinem Heiligtum zusagt. Gott ist gegenwärtig, strahlend (as"), mächtig und gewaltig in Feuer und Sturm (v3aßb). Alles, was im folgenden zu lesen ist, steht unter diesem Eindruck. Jeder Hinweis der Sammlung auf die Gegenwart Gottes im Heiligtum (vgl. u. a. Ps 60,8; 63,3), auf die darzubringenden Opfer (vgl. u.a. Ps 56,13; 66,13.15) und die abzulegenden Gelübde (Ps 61,9) ist aus dieser Perspektive heraus zu verstehen. Auf einer anderen Ebene spricht Ps 51,20 f. von Zion. Dabei wird Zion, im Parallelismus mit Jerusalem genannt, eine Deutekategorie an die Seite 228
Vgl. Jes 61,4. Alle anderen die folgenden Psalmen historisch verortenden Überschriften sind außerhalb von Jerusalem situiert (vgl. MILLARD, Komposition, 119). Zudem weicht Ps 51 als Bußpsalm von den folgenden Klageliedern mit Feindklage ab (ebd., 116). 229
230
V g l . HOSSFELD, D a v i d s a m m l u n g e n , 6 5 .
231
V g l . HOSSFELD, D a v i d s a m m l u n g e n , 6 5 .
232
HOSSFELD/ZENGER vermuten, daß Ps 50 und Ps 51,20 f. derselben Redaktion entstammen (Psalmen I NEB, 310); s.a. ZENGER, Psalter, 14. 233
234
V g l . HOSSFELD/ZENGER, P s a l m e n I N E B , 3 1 0 .
Der Zion wird hier als Zentrum Israels präsentiert und mit Übernahme aller mit dem Sinai und der Kultgesetzgebung verbundenen Motive installiert (s.vv6.16; Anspielungen auf den Dekalog in den vv 7.18-20). Trotz Anklängen an Schöpfungsmotivik ist der Text doch auf Israel und seine Verpflichtung auf den Jhwh-Bund ausgerichtet. S.a. Jes 4,5.
II. Stadt, Berg und Beter
57
gestellt. Jetzt, in dieser Kombination, kann die Bitte um Hinwendung formuliert werden. Zion trägt die Züge des in Trümmern liegenden Jerusalem. 235 Derart verschiedene Redeweisen von Zion können nebeneinander stehen, ohne in Widerspruch zu geraten. Die Gegenwart Gottes auf dem Zion holt Ps 51,20 f. dadurch ein, daß der Beter um die Durchsetzung des Gott gemäßen Gottesdienstes auf dem Zion bittet. Diese Aussage findet nun in Ps 69, der den Abschluß der Sammlung einleitet 236 , ihr Pendant. Jetzt ist von der Gottesdienstgemeinde, von den Bewohnern Zions, die Rede, die Generation für Generation dort leben werden. Auch dem 69. Psalm geht mit Ps 68 ein Text voran, der den Ort der Gottesgegenwart in theophanen Schilderungen thematisiert. Er beschreibt Gottes Einnahme seines Wohnsitzes. Der vom Sinai (TO) zieht ins Heiligtum (¡¡npa). Auffallig ist, daß der Psalm die Bezeichnung Zion trotz der umfangreichen Aufnahme und Mischung zahlreicher Traditionen 237 vermeidet. Der Grund wird sich kaum eindeutig ermitteln lassen. Der Effekt, der damit erzielt wird, ist jedoch beachtlich. Denn neben Baschansberg und Sinai 238 , rückt nicht der Zion als weiterer Berg, sondern das Heiligtum ins Zentrum des Interesses. 239 Festzüge im und um den Tempel sollen den dort gegenwärtigen Gott feiern (vv 25-28). Ps 68 bietet somit für die Zionspassage in Ps 69 wesentliche Anknüpfungspunkte. 240 In Ps 68 steht der Ort des Gottesdienstes im Zentrum, dort in Ps 69,36 f. ist es die Gottesdienstgemeinde selbst. 241 Daß die Nichterwähnung des Zions angesichts der Thematik von Ps 68 eine Besonderheit ist, kann nicht genug betont werden. Eine weitere Auffälligkeit kommt hinzu. V 3 0 spricht von dem Tempel hoch über Jerusalem (d^oit" 1 ?« "[^nn). 2 4 2 Der Tempel als Ort der Gottesgegenwart und Jerusalem werden räumlich voneinander getrennt. Dennoch berühren sich an diesem Ort himmlische und irdische Sphäre. Die Wohnung Gottes, der 235 Dabei ist die Situation der Stadt verständlich auch aus der Gerichtsankündigung in Ps 50,6. 236 Ps 69 umgreift die Vielfältigkeit der in den Ps 51 ff. dargestellten Notsituationen (vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 268). S.a. MILLARD, Komposition, 123f. Daß die beiden Psalmen aufeinander bezogen sind, zeigt sich auch an der Haltung gegenüber Opfern in Ps51,18f. und 69,31 f. 237 Vgl. SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 226 f.; PFEIFFER, Jahwes Kommen, 238 ff. 238 Der Baschansberg (die Gegend um Baschan gilt als fruchtbar mit fetten Kühen, Bullen und Löwen; Dtn 32,14; 33,22; Ez 39,18; Am 4,1; Ps 22,13) blickt neidisch auf den von Gott gewählten Thronsitz (v 17). Der Sinai hingegen ist der Berg, von dem Jhwh ausgeht. Indem „der vom Sinai" (vgl. Jud 5,5) in den Tempel über Jerusalem einzieht, fließen Sinai, Zion und Himmel im Heiligtum ineinander (vgl. JEREMIAS, Königtum,77). 239 Vgl. Ps 68,6.11.13.18.25.30.36. Die Terminologie vereinigt Begriffe wie Hop IISJEQ (v6); Dip (vv 18.25) oder (v 30). 240 Dazu gehört auch die Hinwendung Gottes zu den Gefangenen (D-TOS; vgl. Ps 68,7; 69,34). Vgl. außerdem HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 256; PFEIFFER, Jahwes Kommen, 242 f. 241 S. a. Ps 68,36, der besonders die Zuwendung Jhwhs zu seinem Volk hervorhebt. 242 Diese Ausdrucksweise ist alttestamentlich kein zweites Mal belegt.
58
A. Zion und
Jerusalem
Tempel, ist zu lokalisieren und trotzdem nicht greifbar. Dieser Aspekt wird in Ps 69 allerdings nicht thematisiert. Die jeweils sekundär angehängte Zionspassage fügt sich dem Kontext der Ps 51 und 69 ein und unterstützt zugleich deren Rahmenfunktion für den zweiten Davidspsalter, denn in keiner Textsammlung des Psalters werden ausfuhrlicher der Kult thematisiert und der rechte Gottesdienst eingefordert. 243 Zudem spiegelt sich die im Davidspsalter vorgegebene Abfolge von Klage und Lob. 244 in der Formulierung der Zionspassage als Bitte in Ps 51,20 f. und als Lobpreis in Ps 69,36 f. wider Auch Ps 102 ist auf verschiedenen Ebenen mit seinem Kontext, dem vierten Psalmenbuch (Ps 90-106), verwoben. Dabei kommen die Schichten des Psalms - Klage des Einzelnen, Aufbau Zions mit Völkerwallfahrt und die Einbeziehung der Knechte in das Heilsgeschehen - je gesondert zum Tragen. Ps 101, der den zweiten Abschnitt des vierten Psalmenbuches einleitet 245 , ist ein Lied Davids 246 . Es ist das Lied eines Gerechten, dessen Herz frei ist von Falschheit, der auf dem Weg der Vollkommenheit (ann ~[~n) gehen will und nur denjenigen an seiner Seite duldet, der sich ihm anschließt. Die dem Text vorausgehenden Jhwh-König-Psalmen loben Jhwh in seiner Größe, Macht und Herrlichkeit. Diesem Gott will der Beter des 101. Psalms entsprechen. 247 Doch nach dem Höhenflug erfolgt mit Ps 102 der Sturz in die Tiefe. Keine eigene 243
Es ist zu verweisen auf die Opferkritik (Ps 51,18 f.20 f.) sowie weitere Opfer und Gelübde (Ps 54,8; 56; 13; 61,6.9; 65,2-6; 66,13-15). Weitere Anspielungen auf den Tempelkult beinhalten Ps 52,10 (Haus Gottes); 55,18 (Gebetszeiten); 60,8 (Orakel); 63,3 (Gott schauen im Heiligtum); 65,2-6 (Zion und seine Höfe); 68,6.11.17 ff. (Berg Gottes, Titulierungen des Tempels in Jerusalem). Vgl. HOSSFELD, Davidsammlungen, 69; PFEIFFER, Ein reines Herz, 298. 244 Klage Ps 52-64 und Lob Ps 65-68. Vgl. SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 97 f. 245 Zur Gliederung s. u. a. ZENGER, Theophanien, 177 ff.; LEUENBERGER, Konzeption, 129 ff. Anders KOENEN (Jahwe wird kommen, 50 ff.), der Ps 101 als Abschluß des ersten Teils einer Komposition von Ps 90-110 liest. 246 Ps 103 erhält die Überschrift M ^ ebenfalls. ZENGER geht davon aus, daß auch Ps 102 als Davidspsalm zu verstehen ist, aufgrund der Anspielungen auf Ps 102 in Ps 142,3 (Israel, 244). Hinzu kommt, daß Ps 102,2bß auf Ps 89,47 und v 2 4 auf Ps 89,46 antwortet (ZENGER, Weltenkönigtum, 171 f.). So auch BRUNERT, Psalm 102,257. Sie betont allerdings die Deutung des Beter-Ichs auf David hin so stark, daß wesentliche Charakterzüge des Psalms dahinter zu verschwinden drohen. Schließlich wird „durch Psalm 102 ... der David des vierten Psalmenbuches zum Heilskönig und die von ihm eingeleitete sukzessive Durchsetzung des JHWH-Glaubens zur irreversiblen und unüberbietbaren Erneuerung der Welt" (ebd., 288). Aber: es sind die Heilstaten Jhwhs an dem einzelnen wie am Volk und an Zion, die die Furcht der Völker und den Jhwh gebührenden Lobpreis begründen. Der einzelne, David und jeder andere einzelne Beter, ist aufgefordert zum Lobpreis, die Initiative liegt jedoch bei Jhwh selbst. Zudem bleibt zu fragen, ob die Nichterwähnung Davids in der Überschrift des Psalms nicht auch Programm ist. Zwei mögliche Antworten sollen genannt werden: Es ist mit Blick auf David nicht unproblematisch, von Schuldlosigkeit zu sprechen. Stärker noch wiegt aber die Rolle der Knechte in Ps 102. Sie sind Träger der Hoffnung für Zion, nicht David oder die davidische Dynastie. Nach BERGES lösen die Knechte das davidische Königtum post exilium ab (Knechte, 163 f.). 247 ALLEN betont ausdrücklich, daß es hier nicht um Selbstgerechtigkeit geht. „Underlying
II. Stadt, Berg und Beter
59
Schuld, keine Feinde haben den Beter in die dort beschriebene, nahezu aussichtslose Situation gebracht. Es ist der Zorn Gottes, der ihn getroffen hat, ohne erkennbaren Grund und erkennbares Ziel. Der Gerechte des 101. Psalms wird in Ps 102 zum leidenden Gerechten. Die Frage, die der Beter in Ps 101,2 stellt: s a n 'na, wird in Ps 102 auf erschreckende Weise beantwortet. 248 Jhwh hat sich gegen ihn gewendet im Zorn, ihn erhoben und verworfen (Ps 102,11). Was schließlich bleibt, ist nicht die Gerechtigkeit des einzelnen, sein vollkommener Wandel - hier relativiert Ps 102,24 den in Ps 101,2.6 so positiv herausgestellten Lebensweg - , sondern das Vertrauen auf den alle Zeiten überdauernden Gott. In Ps 102 schimmert die Hoffnung des Beters auf Erhörung des Gebets um Vollendung des Lebensweges nur verhalten durch. Ob dem Beter geschieht, worum er bittet, ist offen. Allein die Größe Gottes, der Bitte entsprechen zu können, steht außer Zweifel. Dieser Leserichtung schließt sich Ps 103 an, der den in Ps 102 „vermißten" Lobpreis 249 nun umfangreich ausgestaltet. Es ist die Gnade Jhwhs, die aus der Grube (nntf), den Fängen des Todes, erlöst und sie währt tfTurii) cbwa (Ps 103,17). 250 In Ps 101,8 spricht der Beter davon, alle Übeltäter (]is ''PJJS) aus der Stadt Gottes zu vertreiben. Die Zionspassage aus Ps 102 nimmt den Begriff TJJ mir 251 zwar nicht auf, geht aber dennoch darauf ein, denn Zion ist die Stadt, in der man den Namen Gottes und sein Lob verkündet (Ps 102,22). Wird dem in Vollkommenheit Wandelnden mit Ps 102 seine Abhängigkeit von der gnädigen Zuwendung Gottes vor Augen geführt, so wird dies nun auch auf die Stadt ausgedehnt. 252 Ihre Zukunft beruht auf dem Eingreifen Jhwhs. Durch die Knechte (Ps 102,15) kommt eine weitere Perspektive hinzu. Diese werden, im Gegensatz the psalm is the king's keen sense of Obligation as God's representative in the theocracy of Israel" (Psalms III, 7). 248
G U N K E L ( P s a l m e n , 4 3 2 ) , WEISER ( P s a l m e n II, 4 4 3 ) o d e r KRAUS ( P s a l m e n II, 8 5 7 f.)
ändern die Fragepartikel "na in nox: „Wahrheit komme vor mich". Doch bietet der Text zu dieser Änderung keinen Anlaß, es sei denn, man empfindet das so positiv gezeichnete Bild des Königs als gemindert. Gerade in der Bitte des Königs äußert sich die Abhängigkeit von der Königsherrschaft Jhwhs. So versteht ZENGER die Bitte "^K sinn TO als Bitte um „Rechtsbeistand J H W H s bei der Ausfuhrung des königlichen Amtes" (Israel, 243). Wie sehr die „Möglichkeiten" Jhwhs und des irdischen Königs auseinanderweichen zeigen insbesondere Ps 101,8 und der Ausblick in Ps 102,13 ff. Der königliche Beter kann die Feinde nur vertreiben, Jhwh die Völker jedoch in seinen Heilsplan integrieren. Allerdings sollte die Bitte um Beistand, die der Beter äußert, auch tatsächlich als eine Frage des Zeitpunktes und nicht als generelle Bitte aufgefaßt werden. 249
Z u m L o b g e l ü b d e b z w . z u h y m n i s c h e n E l e m e n t e n i n K l a g e l i e d e r n v g l . G E R S T E N BERGER,
Mensch, 127 ff. 250 ZENGER verweist darüber hinaus auf die Furcht des Namens Jhwhs (Ps 102,16), die in Ps 103,11.13.17 die Güte und das Erbarmen des Sinaigottes auf sich zieht (Israel, 252). Ps 103 hat sein Zentrum in der Gnadenformel (v8) (vgl. SPIECKERMANN, Barmherzig, 10). Vgl. auch K O E N E N , J a h w e , 8 6 f. 251
S.a. Jes 60,14; Ps48,9. ZENGER verweist ebenfalls auf die Verbindung zwischen Ps 101,8 und 102,13-23 insb. 15-17. Zudem hebt er die Ausdehnung des königlichen Wirkens Jhwhs hervor, wie es sich in den Psalmen 101-104 auftut. Ist es zunächst das Wirken „am (messianischen) König, so folgt 252
60
A. Zion und Jerusalem
zu Ps 101,8, zum integrativen Moment der Zukunft Zions. Sie sind Teil des Heilsgeschehens und damit Zeugnis für die Völker, die kommen werden, um Jhwh zu dienen. So findet die Zionspassage im unmittelbaren Kontext des Psalms einen Anknüpfungspunkt. Für die theologische Ausgestaltung sind jedoch auch die Ps 93 ff. von Belang. Ihre Rede von der Königsherrschaft Jhwhs (Ps 93,1; 95,3; 96,10; 97,1; 98,6; 99,1.4) und seinem gerechten Gericht, nicht nur über sein Volk, sondern über die Völker, greift Ps 102,13-23 auf. Auch wenn das Attribut "[VD in Ps 102 nicht an Jhwh vergeben wird, ist seine Königsherrschaft dennoch im Blickpunkt. 253 Jhwh thront (aö-, vgl. Ps 99,1; 102,13), ist mächtig in der Höhe (Ps 93,4; 102,20), die Völker sehen seine Herrlichkeit (Ps 97,6), ja fürchten 254 sie (Ps 102,16). Die Klagelieder Ps 102 und 90 greifen verwandte Themen auf. Der Begrenztheit des Lebens wird auch in Ps 90 die Ewigkeit Gottes gegenübergestellt. 255 Diese Übereinstimmungen wie auch das Verhältnis von Ps 101 und 102 definieren die Position, die Ps 102 in der Sammlung des vierten Psalmenbuches erhalten hat. Doch Ps 90 bietet darüberhinaus ein weiteres Motiv, das in der Zionspassage des 102. Psalms seinen Ort hat, die Knechte Jhwhs. Die Bitte in Ps 90,16: „Es zeige sich "j-DJr^x dein Werk"256 wie auch die Verheißung, daß die Nachkommen der Knechte Wohnrecht in Zion haben werden, hat zu einer Aufnahme des Motivs in Ps 102,29 geführt. 257 Es zeigt sich, daß die mit Ps 51 eröffnete Zusammenschau vom Schicksal eines einzelnen und Zions in der Zuwendung Jhwhs in Ps 102 ihren Schluß- und Höhepunkt findet. Ps 102 bietet als Klage des Einzelnen entsprechende Voraussetzungen wie Ps 51 und 69. Zudem ist der die Ps 93 ff. in Sequenz Lesende auf das den Erdkreis einbeziehende Heil für Zion vorbereitet. Jetzt können die Erretteten und die Völker gemeinsam den Namen Jhwhs in Jerusalem preisen. (in der Chronologie der Texte) das Wirken an Zion, am Volk Israel und an der Schöpfung" (Israel, 243). 253 Vgl. LEUENBERGER, Konzeption, 177 ff. Dagegen BRÜNING (Mitten im Leben, 173), der der Ansicht ist, daß in Ps 102 nur indirekt vom Königtum Jhwhs die Rede sei. Unmittelbar nach der babylonischen Gefangenschaft müsse Jhwh sein Königtum erst offenbar machen. 254 Viele Handschriften lesen an dieser Stelle IXTI, eine Version, die sich an Ps 97,6 bzw. an eine Variante von Jes 59,19 anlehnen könnte. 255 Zur Verteilung dieses Themenkomplexes auf die Ps 90-106 s. ZENGER, Israel, 254. Weiter zu Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Psalmen s. WILSON, Editing, 218; BRUNERT, Psalm 102, 263 f.; KOENEN, Jahwe, 84. Eine auffallige formale Gemeinsamkeit ist die Verwendung des Begriffes n^sn, der nur viermal im Psalter in einer Überschrift gebraucht wird (Ps 17; 86; 90; 102). D.h. die Ps 90 und 102 werden als Gebet klassifiziert. Vgl. auch WILSON, Editing, 159. 256 Die LXX übersetzt aktiv, was dann auch die Präposition erklärt, mit xai löe era xotig öoiAoug aou xal XÄ egya ooi)... ZENGER übersetzt mit: „Es erscheine an deinen Knechten dein Wirken" (Israel, 239). Mehr zur Rolle der Knechte in Ps 90 s. BERGES, Knechte, 162 ff. 257 Diese Beobachtungen stützen die Annahme STECKS, daß Ps 102 für seinen Kontext komponiert ist (Eigenart, 367).
II. Stadt, Berg und Beter
61
3. „ Wie der Berg Zion " Psalm 125 Ps 125 ist ein dreistrophiges Wallfahrtslied. Ewigkeit, Beständigkeit und Schutz durch Jhwh, wie sie sich dem Betrachter anhand des Zion und Jerusalems zeigen, erweist Jhwh auch im zur Zeit nicht Sichtbaren. Das „Zepter der Gottlosigkeit" soll nicht lasten auf dem Land der Gerechten. Deshalb, Jhwh, „ tue Gutes den Guten und vertilge die Übeltäter" (vgl. v v 4 5). Psalm 125 1 Ein Lied des Aufstiegs. 2 5 8 Die auf Jhwh Vertrauenden sind wie der Berg Zion, er wankt nicht, in Ewigkeit besteht er 259 . 2 Jerusalem, Berge umgeben sie, und Jhwh ist rings um sein Volk
von jetzt an bis in Ewigkeit. 3 Denn es soll nicht lasten 260 das Zepter der Gottlosigkeit über dem Los 261 der Gerechten, daß die Gerechten nicht nach Ungerechtigkeit ihre Hände ausstrecken. 4 Tue Gutes, Jhwh, den Guten und den Aufrichtigen in ihren Herzen. 258 m^son t d mit „Lied des Aufstiegs" zu übersetzen, ist eine etwas vorsichtigere Variante gegenüber der gebräuchlicheren, die Texte (Ps 120-134 teilen sich diese Überschrift mit leichten Variationen) als Wallfahrtslieder zu bezeichnen. Immer aber steht die Bewegung hin zu einem Ort, nämlich dem Heiligtum, hinter diesem Ausdruck. Mehr dazu vgl. Kap. B. III.2 Die Wallfahrtslieder - Die Psalmen 120-134. 259 Die LXX übersetzt: „ der, der in Jerusalem wohnt, soll niemals wanken " (oi> aoAEuSiiaexcu Big ™ v auöva 6 xaxoutiBv Iegouacdr||x). Beyerlin liest wie die LXX es tut c^ölT ao\ zieht diese Verbindung aber zu v2: „Die Bewohnerschaft Jerusalems - Berge umhegen sie" (Vergewisserung, 20ff.). Anders Dahood (Psalms III, 214f.), der ebenfalls bei der Verbindung von c^BlT und ati" bleibt, sie jedoch in den Kontext von v 1 einbindet und sie als Wendung „Enthroned of Jerusalem" versteht. Seiner Ansicht nach handelt der Text hier also von Jhwh, dem Cherubenthroner, der nicht wankt. Beide Vorschläge sind insofern problematisch, als die syntaktische Verknüpfung von aö" c ^ b i t den Vergleich in v 2 stört. Jerusalem ist von Bergen umgeben (n^), nicht die Bewohnerschaft der Stadt (vgl. auch Crow, Songs, 56). Problematischer noch ist der Vorschlag Dahoods, denn nach seiner Übersetzung würde sich das Objekt rfo nicht auf ein Subjekt, sondern ein Attribut aus dem vorhergehenden Vers beziehen. Das Objekt wäre syntaktisch nicht eingebunden. Eine Zuordnung zu Jerusalem und nicht, wie oben in der Übersetzung wiedergegeben zum Zion, entspricht nicht dem Text. Daß die LXX zu der genannten Lesart gekommen ist, erklärt sich daraus, daß DB' tatsächlich nachklappt, indem es nach c^is^ genannt wird. Es hat aber dennoch eine Funktion am Text, nti' erweitert die Aussage des Nichtwankens durch die der ewigen Beständigkeit. 260 Die LXX übersetzt hier ottpiioei,, was i r r (ruhen lassen) entspricht und den Rückbezug auf ein vorher genanntes Subjekt herstellt, auf Jhwh. 261 meint im allgemeinen das Los, mit dem das Land verteilt wird (so lesen u. a. Kittel, Psalmen, 395; Kraus, Psalmen II, 1030; Beyerlin, Vergewisserung, 58 f.).
62 5
A. Zion und Jerusalem U n d die, die sich a u s s t r e c k e n a u f g e w u n d e n e n Wegen262, die vertilge, Jhwh, die Übeltäter263.
Friede über Israel.
Die oben gezeigte und an inhaltlichen Aspekten orientierte Dreiteilung des Psalms wird durch formale und stilistische Aspekte gestützt. Die vv 1 - 2 bieten jeweils einen Vergleich, mit gleichen Begriffen gestaltet ( c n n / m und nbw). 264 Bei v 3 handelt es sich um ein Vertrauensbekenntnis, und die v v 4 - 5 nennen eine antithetisch formulierte Aufforderung zum Handeln. 265 Das Spannungsfeld, in dem sich der Text bewegt, ist mit der Wahl der zwei Partizipien, die v i aß und v 5 einleiten, umrissen. Die auf Jhwh Vertrauenden stehen denen gegenüber, die sich ausstrecken auf gewundenen Wegen. Die vv 1-2 bringen Bilder der Beständigkeit und des Vertrauens auf Jhwh vor das Auge des Beters. Dabei geht es nicht darum, den Zion oder Jerusalem in Schönheit und Größe zu beschreiben, sondern es werden umgekehrt diese beiden herangezogen, um jeweils ein drittes zu formulieren. Der Berg Zion wankt nicht, er besteht in Ewigkeit. 266 Die feste Gründung des Zion steht außerhalb zeitlich begrenzter Herrschaftsabfolgen. Mit ihm werden diejenigen verglichen, die auf Jhwh vertrauen. Damit ist etwas über den Zion und den Beter ausgesagt wie auch über Jhwh selbst, denn er ist Garant dafür, daß der Vertrauende eine solche Beständigkeit erlangen kann. Die Grundlage für die Aussagen über den Zion liegt außerhalb des Vergleichs. Sie ist als gegeben vorausgesetzt, denn der Zion ist der heilige Berg Gottes (Ps 48,2). 267 Während der Zion ein Bild der Stärke vermittelt, das sich auf den Vertrauenden übertragen läßt, geht der Vergleich, zu dem Jerusalem herangezogen wird, in eine andere Richtung. Wie Jerusalem von Bergen umgeben ist, umgibt Jhwh sein Volk. Hier wird ein Bild des Schutzes beschrieben, Jerusalem geschützt von Bergen, und Israel, geschützt durch Jhwh. Über das besondere Verhältnis von Zion und Jerusalem machen die Verse keine Angaben. Beide werden als eigenständige Größen präsentiert. In Ps 48 sind die Motive von Berg und Stadt hingegen eng miteinander verwoben. Daß dies hier nicht geschieht, muß nicht überraschen, da auf diese Weise zwei verschiedene Aspekte des Verhältnisses von Gott und Beter bzw. Gott und Volk zum Ausdruck gebracht werden können. Doch der Blick auf Ps 48 unterstreicht 262
E i g e n t l i c h d a s A d j e k t i v „ g e w u n d e n " m i t d e m S u f f i x d e r 3.m.pl. jixn •'JBSTIN klärt, w e n J h w h vertilgen w i r d , u n d indirekt b e s c h r e i b t es a u c h inhaltlich n o c h e i n m a l , w a s m i t n r r b f h p s g e m e i n t ist (vgl. CROW, S o n g s , 55 f.). 263
264
V g l . u . a . A L L E N , P s a l m s III, 1 6 7 f .
265
Z u r D r e i t e i l u n g des P s a l m s vgl. a u c h GUNKEL, P s a l m e n , 5 4 8 f.; MOWINCKEL, Tricola,
1 0 1 ; A L L E N , P s a l m s III, 168. A n d e r s DAHOOD, P s a l m s III, 2 1 4 ; SEYBOLD, P s a l m e n , 4 8 4 f . 266 c^iu'p b e z e i c h n e t die statische K o n t i n u i t ä t , U n v e r ä n d e r l i c h k e i t u n d E n d g ü l t i g k e i t , die Q u a l i t ä t des Z e i t r a u m e s (im G e g e n s a t z zu c ^ u n s , d a s v e r w e n d e t w i r d , w e n n ein zeitlicher A u s g a n g s p u n k t g e g e b e n ist; v g l . JENNI, Wort, 2 3 7 ) . 267 Vgl. a u c h Ps 6 8 , 1 7 ff. u n d 132,13 ff., die d e n Z i o n als d e n v o n J h w h e r w ä h l t e n Ort präsentieren.
II. Stadt, Berg und Beter
63
etwas anderes, die große Schutzbedürftigkeit Jerusalems. Macht in Ps 48,2.4 sowie 46,6 die Gegenwart Gottes in seiner Stadt deren Größe und Stärke aus, so wird hier das Gegenteil beschrieben. Die Stadt ist gefährdet, deshalb muß sie von außen geschützt werden. 268 Die inhaltliche und motivische Entschränkung von Zion, dem Berg, und Jerusalem, der Stadt, macht diese Redeweise möglich. Mit den Worten der vv3-5 äußert der Beter Gewißheit. Dabei ist der Sachverhalt ausgesprochen vage formuliert. Das „Zepter der Gottlosigkeit" ist keiner Besatzungsmacht und keiner den Gottesdienst unterbindenden Herrschaft zuzuordnen. 269 Die Wahl von ^"m für „Los der Landverteilung" steigert diese Unbestimmtheit noch. Nicht nbm oder p x (vgl. Ps 37,29) sind verwendet, so daß eine beabsichtigte Erweiterung des Bedeutungsspektrums nahezuliegen scheint: b n j als Los der Landverteilung und als Los im Sinne von Geschick. 270 Die Herrschaft der Gottlosigkeit soll nicht auf dem Geschick der Gerechten lasten und es bestimmen, damit diese nicht selbst Unrecht tun. Ungerechtes Handeln ist diesem Vers nach keine Möglichkeit, sondern die direkte Folge der Herrschaft von uc-n.271 Unter dieser Herrschaft müssen die Gerechten „fallen". Das ist nicht zuerst eine Frage ihres Vertrauens auf Jhwh, sondern logische Folge. Der Aspekt des Vertrauens auf Jhwh wird jedoch durch den Vergleich in v 1 in den Kontext eingebracht. Die Gewißheit des Beters, daß die in v 3 dargestellte Situation sich ändern wird, beruht auf dem in den vv 1 f. anschaulich gemachten und berechtigten Vertrauen. So kann schließlich in den vv 4 f. eine weitergehende Aufforderung formuliert werden: „ Tue Gutes, Jhwh, den Guten und den Aufrichtigen in ihren Herzen. " Nicht eine unsichere Bitte, sondern eine Aufforderung an Jhwh (atD" Imp. Hif.) zeigt die Gewißheit des Beters, daß er machtvoll eingreifen kann. Jhwhs Handeln wird dann aber in zweifacher Hinsicht Konsequenzen haben: Den Guten wird Gutes geschehen, und die Übeltäter werden vertilgt werden. Wie sich also das „Geschick" C?~ra) derü-pn^ ändert, so ist auch die Konsequenz für die Übeltäter 268 SEYBOLD reduziert das Ungewöhnliche dieses Bildes darauf, daß es aus der Perspektive der Pilger gewonnen sei (Psalmen, 484). Er verweist in diesem Zusammenhang auf Sach 2,9. Interessanterweise bietet aber gerade dieses prophetische Bild den Schutz von außen und die Gegenwart Gottes in Jerusalem. 269 Vgl. KITTEL, Psalmen, 395. KRAUS (Psalmen II, 1028) spricht ebenfalls nur von einer Periode der Fremdherrschaft und unterläßt jede weitere konkrete zeitgeschichtliche Zuordnung. Anders KEET (Psalms, 46 f.), der die Perserzeit als eine Zeit der Versuchung zur Untreue gegenüber Gott beschreibt. 270
V g l . J e r 1 3 , 2 5 ; s . a . BEYERLIN, V e r g e w i s s e r u n g , 5 9 . A n d e r s KRAUS ( P s a l m e n III, 1 0 2 9 ) ,
der die Passage auf die nachexilische Problematik gerechter Landverteilung bezieht. Auch CROW ordnet diese Formulierung allein den Problemen gerechter Landvergabe zu und zwar in der Zeit „of Babylonian or of Persian (or Greek?) domination of the Iand." ^"l; übersetzt er mit „inheritance" (Erbteil/Landbesitz) (Songs, 57 f.). 271 Vgl. zu JBO^ + Impf, mit der Konnotation der regelhaften Folge JENNI, Präposition Lamed, 293.296f. Vgl. GUNKEL, Psalmen, 549. Anders BEYERLIN (Vergewisserung, 49), wenn er formuliert: „Noch ist das Zepter des Frevels im Weg. Noch herrscht Unrecht und droht zu verfuhren, v. 3."
64
A. Zion und Jerusalem
schwerwiegend. Sie werden nicht nur aus dem Land vertrieben 272 , sie werden vertilgt werden. Hier zeigt sich, wie sehr die vv3-5 von den Aussagen in den vv 1 f. abhängig sind. Ohne die dort formulierte Gewißheit der Sorge Jhwhs um sein Volk, bleibt die Aufforderung der vv4f. ein hilfloses Aufbäumen gegen die unerträgliche Situation. Die den Psalm abschließende Formel ^KiD'^u Di^D bringt das eigentliche Ziel des gesamten Psalms auf den Punkt. Der Friedensgruß umfaßt den Wunsch nach Gerechtigkeit und Lebensfülle für den Einzelnen und für das Volk. Zudem wird mit dieser Formel eine Brücke zu den vv 1 f. geschlagen. Denn m^B geht aus vom Zion. 273 Ps 125 weist in vielfacher Hinsicht Besonderheiten auf. In v 1 wird der Zion für einen Vergleich herangezogen, um seine Attribute auf das mit ihm Verglichene zu übertragen. Es handelt sich um den einzigen biblischen Beleg für die „Verwendung" Zions in einem Vergleich. Nun ist der Vergleich ein typisches Stilmittel weisheitlicher Redeweise, der Zion jedoch ist in der Regel nicht ihr Gegenstand. Die v v 3 - 5 zeigen ebenfalls Anklänge an weisheitliches Denken. Dazu gehört nach Beyerlin der Gebrauch von Vokabeln wie p'iü, ~itti% weh und die Grundüberzeugung, daß „von gutem oder bösem Tun je entsprechende Wirkungen auf die Täter selber ausgehen" 274 . So überschreibt Beyerlin schließlich seine Studien zu Ps 125 mit „Weisheitliche Vergewisserung mit Bezug auf den Zionskult". Doch diese Zuordnung Beyerlins ist fragwürdig. Die Begrifflichkeit allein ist nicht ausreichend aussagekräftig. Was noch schwerer wiegt: Die vv4f. sind als eine Aufforderung an Jhwh formuliert, ein Stilmittel, das weisheitliche Redeweise durchbricht 275 und auch die Überzeugung, daß dem Übeltäter das seinen Handlungen gemäße Schicksal zwangsläufig ereilen wird, problematisch werden läßt. Die vv 1 f. treffen Aussagen über die Gewißheit der Zuwendung Jhwhs zu seinem Volk und die Standhaftigkeit des Einzelnen, der ihm vertraut. Das Schicksal des Übeltäters jedoch wird zunächst offen gelassen. Erst die direkte Aufforderung an Jhwh zum Eingreifen und Handeln bedenkt das Urteil über den, der „gewundene Wege " gehen will. Der Autor des Psalms ist mit weisheitlichem Denken vertraut und stellt es auch nicht in Frage, wenn er Jhwh zu konsequentem Handeln auffordert. Dennoch: Nicht die Überzeugung, daß
272
Vgl. CROW, S o n g s , 57.
273
cfxi ist auch in anderen Wallfahrtspsalmen ein wichtiges Thema: Ps 120,6.7; 122,6-8; 128,6. Somit schlägt der Friedenswunsch eine Brücke zu anderen Texten der Wallfahrtspsalmen über diesen einen Psalm hinaus. 274
275
V g l . BEYERLIN, V e r g e w i s s e r u n g , 4 8 f.
Über die Weisheitspsalmen schreibt LIMBURG (Art. Book, 533): „One does not hear the tones of either lament or praise in the Wisdom Psalms; for the most part, they are not even addressed to God. Rather, they offer reflections on the possibilities and the problems of life before God and advice on how best to live that life."
II. Stadt, Berg und Beter
65
den Übeltäter sein gerechtes Schicksal ereilen muß, treibt den Beter an, sondern das Vertrauen auf den in Ewigkeit Bestand und Schutz gebenden Gott. Die Zuordnung des Psalms zu einer Gattung „Weisheitspsalmen" ist folglich auszuschließen, denn allein Anklänge an weisheitliches Gedankengut reichen für eine entsprechende Kategorisierung nicht aus. 276 Weisheitlicher „Vergewisserungspsalm", wie Beyerlin den Text bezeichnet, ist schwerlich als Gattungsbegriff aufzufassen. 277 Doch auch die ebenfalls eher vage Angabe „Vertrauenspsalm" 278 muß wesentliche Aspekte des Textes außer Acht lassen und vermag die Zuordnung einer solchen Gattung zu einem Sitz im Leben kaum zu leisten. Somit liegt es nahe, die Angabe des Textes ni^aan t e als maßgeblich zu betrachten und keine inhaltlichen Kriterien für die Gattungsbezeichnung heranzuziehen. Die Aufnahme des Psalms in die Sammlung der Wallfahrtslieder beruht auch auf der Thematisierung des Zion und Jerusalems in den vv 1-2. 279 Hinzu kommt, daß Ps 125 das mit Ps 124 aufgeworfene Thema, die Treue und Verläßlichkeit Gottes, gerade in dem Moment, „als Menschen gegen uns aufstanden" (v2b), aufnimmt. Jhwh hat die Beter geschützt, sie nicht den Feinden preisgegeben. 280 Dies ist letztlich auch die Erfahrung, die der auf Jhwh vertrauende 276 Charakteristika einer solchen Gattung wie auch die Zuordnung einzelner Psalmen werden in der Forschung nicht einhellig festgestellt und durchgeführt. Es ist hier auch nicht der Raum, wesentliche Elemente aufzuzählen. Vgl. dazu MURPHY, Considaration, 159 ff.; KUNTZ, Wisdom Psalms, 191 ff. Doch ist im Falle von Ps 125 deutlich, daß Elemente weisheitlicher Dichtung, wie z.B. der Vergleich, zu stark vermischt sind mit Formen und Begriffen der Psalmensprache ganz allgemein, wozu letztlich auch die Termini oder i)2h zu zählen sind, als daß rein weisheitliche Prägung noch festzustellen wäre. Anders SEYBOLD, Psalmen, 484. 277 „Ein Psalm, der in der durch die Krise des Kultes bestimmten und insofern typischen Lage verunsicherte Adressaten des Heils und der Gerechtigkeit Jahwes zu vergewissern versucht" (BEYERLIN, Vergewisserung, 76). Er räumt ein, daß man „am Raster herkömmlicher Gattungen" orientiert von einem Mischgedicht sprechen müsste (ebd.,75). Dennoch scheint es ihm berechtigt, auch in bezug auf die inhaltliche Kategorisierung „Vergewisserung" von Gattung sprechen zu können, da es sich um eine „Wiedergebrauchsrede" handele, wie bereits die Aufnahme des Psalms unter die Wallfahrtslieder zeige (ebd., 77 f.). Zur Bestimmung eines Sitzes im Leben schlägt Beyerlin „konventikelhafte Versammlungen sapiential Gesonnener" vor (ebd., 79). Zwar zögert er, diese näher zu bestimmen, doch scheint auch dieser Vorschlag schon ausgesprochen vage und fiir eine Gattungsbestimmung wenig hilfreich. 278 Vgl. KRAUS, Psalmen II, 1028. DAHOOD (Psalm III, 214) betrachtet den Psalm wie bereits GUNKEL als eine Volksklage (vgl. auch ALLEN, Psalms III, 167). Wobei GUNKEL (Psalmen, 548) allerdings einräumt, daß das diese Gattung bezeichnende Merkmal, die Klage, hier verstummt wäre (ebd.). So nennt schließlich auch GUNKEL den Text ein Vertrauenslied. 279 Der Umkehrschluß, daß der Psalm ohne diese Passage nicht in die Sammlung aufgenommen worden wäre, gilt jedoch nicht, denn nicht alle Wallfahrtslieder weisen eine direkte Ausrichtung auf Zion auf. Eine Redaktionskritik auf der Prämisse aufzubauen, daß eine Erweiterung des Textes um die vv 1 f. vorgenommen wurde, um diesen zur Aufnahme in die Sammlung umzugestalten, ist nicht zu rechtfertigen (so aber CROW, Songs, 57 f.). Mehr zur Rede von Zion und anderen den Wallfahrtsliedern gemeinsamen Themen s.S. 132 ff. 280 Zur Bildmetaphorik in Ps 124 vgl. u.a. RIEDE, Im Netz, 106.351.
66
A. Zion und Jerusalem
Beter (Ps 125,1) gemäß v 3 machen wird. Eine nachträgliche Zusammenstellung der vv 1-2 und 3-5 erst für den Kontext der Wallfahrtslieder ist schon aus diesen Gründen ausgesprochen unwahrscheinlich. Zudem gilt für die vv3-5, daß sie für sich gelesen allenfalls ein Rudiment eines in sich vollständigen und verständlichen Textes ergäben.281 Es besteht ebensowenig Grund zu der Annahme, daß es sich bei den DTicn und den D'p-K um verschiedene Gruppen handeln könnte. In Ps 32,10 sind der auf Jhwh Vertrauende und der Übeltäter (ush) einander gegenübergestellt.282 In Ps 15,5; 112,6 und Prov 10,30 heißt es von dem Gerechten, daß er nicht wankt (am), wie nach Ps 125,1 derjenige nicht seinen Stand verliert, der auf Jhwh vertraut. Und auch hier treffen sich wiederum die Sprache der Psalmen und der Weisheit, denn der auf Jhwh Vertrauende ist ebenso wie der Gerechte Thema weisheitlicher Reflexion.283 Ein weiteres Argument, das für eine Zusammengehörigkeit der vv 1 - 2 und 3 - 5 spricht, ist bereits genannt worden. Es sind die Partizipien in den vv 1 und 5, die das gesamte Thema des Psalms umreißen. Ergänzend ist hinzuzufiigen, daß die Begriffe oin- (v 1) und r a n n ( v 5 ) ein Wortspiel ergeben, das die geschilderten Gegensätze umreißt. 2 8 4
Seybold sieht einen Bruch, der auf redaktionelle Tätigkeit hinweist, an anderer Stelle gegeben. Er hält v 1 gegenüber v2 für sekundär und erachtet den ersten Vers als eine Korrektur des zweiten. Seiner Ansicht nach hat v2, „Jerusalem, Berge umgeben sie ", nur wenig Anhalt an der Topographie der Stadt und ihrer Umgebung. Die Glaubensaussage von der Festigkeit des Zion soll deshalb v2 verdrängen.285 Seybolds Vorschlag ist jedoch in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. Die Aussage von v 2, „ Jerusalem, Berge umgeben sie ", bietet tatsächlich ein ungewöhnliches Motiv, gerade weil es Anhalt an der Topographie Jerusalems und nicht an seiner geglaubten Bedeutung hat.286 Ölberg und Skopusberg überragen die Stadt deutlich.287 Schutzbedürftigkeit wird hier beschrieben und nicht Hoheit 281 Dies hält CROW allerdings für wahrscheinlich. „It seems therefore most likely that vv3-5a constituted an early psalm fragment, and that this fragment was supplied with a nationalizing introduction by a redactor" (Songs, 57). Er begründet diese Ansicht inhaltlich, indem er konstatiert, daß von einer Sorge Jhwhs um sein Volk nur gesprochen werden kann, wenn die Herrschaft der Gottlosen bereits durchbrochen ist. Als formales Argument fügt er hinzu, daß die Formel Colins) nnun (v2b) erst zur Verknüpfung der beiden Abschnitte hinzugefügt wurde (Songs, 57; vgl. BEYERLIN, Vergewisserung, 28 f.). Wie sehr die Äußerungen der vv 3 ff. jedoch auf die Aussagen der vv 1 f. angewiesen sind und eine zeitliche Abfolge der Sorge Jhwhs und ihrer konkreten Umsetzung geradezu außer Kraft setzen, dazu ist bereits oben einiges gesagt worden. Formal knüpft zudem die Partikel '3 (v3) in deiktischer Funktion an die vv 1 f. an. Kritisch gegenüber einer Trennung der vv 1-2 von den v v 3 - 5 ist ALLEN, Psalms, 168. 282 Vgl. dazu auch BEYERLIN, Vergewisserung, 33; KRAUS, Psalmen II, 1029. 283
V g l . JEPSEN, A r t . -jen, 6 1 3 .
284
Vgl. ALLEN, P s a l m s , 168. V g l . SEYBOLD, P s a l m e n , 4 8 4 f.
285
286 Vgl. auch ALT (Jerusalems Aufstieg, 247), der auf das Verhältnis von Topographie und Geschichte Jerusalems eingeht. 287 Allein nach Süden fallt das Terrain ab. Der Zion liegt mit 743m bereits 66m unter dem Gipfel des Ölberges und 76m unter dem des Skopusberges und 33m unter dem Westhügel
//. Stadt, Berg und Beter
67
und Größe, wie es vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Daß dies aber in v 1 mit Bezugnahme auf den Zion geschieht, ist kein Widerspruch. Jerusalem und Zion sind keine identische Größe. Beide sind je für sich ein hohes Glaubensgut Israels, woran sich Jhwhs Zugewandtheit erweist. Über die Einordnung von Ps 125 in die Sammlung der Wallfahrtspsalmen hinaus zeichnet sich redaktionelle Tätigkeit an diesem Text durch das Eintragen von Formelgut aus. Offensichtlich wird dies am Schlußsatz des Textes, der ihn mit Ps 128 verbindet. 288 Dieser Zusatz ergänzt den im Psalm formulierten Gedanken des Vertrauens auf Jhwh zweifach. Das treue Volk, das Jhwh schützend umgibt, hat einen Namen, Israel. 289 Der Blick auf Ps 128 aber zeigt die Auswirkungen eines Lebens mit aufrichtigem Herzen, auf das der einzelne nach Ps 125 hofft. Doch auch der doppelte Verweis auf cVu? weckt Bedenken. Während in v 1 C^is/? gleich zweifach in das Satzgefüge eingebunden ist, klappt die Bemerkung cbiir im nnan (v2) nach. V2 wäre ohne die Formel deutlich kürzer als v i . Daß es sich hier um eine Ergänzung handelt, um die Länge des Verses auszugleichen und damit ein Gleichgewicht zwischen den Bildern zu schaffen, erscheint plausibel. 290 Im Gegensatz zu G*7UJ in v 1 ist die lange Formel des zweiten Verses nicht in das Bild eingebunden. Sie unterstreicht nachträglich das besondere Verhältnis Jhwhs zu seinem Volk, das nicht an große Ereignisse und festgelegte Zeiträume gebunden ist.291 Auch hier wird ein enger Zusammenhang von gerechtem Handeln und Wohlergehen überboten durch die bedingungslose Zuwendung Jhwhs. Zur Datierung von Ps 125 wird in der Regel auf v 3 verwiesen. „Denn es soll nicht lasten das Zepter der Gottlosigkeit auf dem Los der Gerechten ",292 Wenn - dem christlichen Sion (vgl. KEEL, Bildsymbolik, 102). S. a. KRAUS, Psalmen II, 1029; ALLEN, Psalms, 167; OTTO, Art. Jerusalem, 435 f. (mit einer topographischen Skizze). 288
V g l . BEYERLIN, V e r g e w i s s e r u n g , 30f; KRAUS, P s a l m e n II, 1028; CROW, S o n g s , 131.
CROW fuhrt zudem aus, daß es sich bei der Friedensformel um einen Segen des Jerusalemer Gottesdienstes handelt. Da die Formel alttestamentlich nur in Ps 125,5 und 128,6 belegt ist, schließt er dies aus der Verwendung der entsprechenden Termini in I Chr 22,9 und Jes 9,6 (Songs, 139 f.). 289 S.a. I Sam 1,17 und auch Gal 6,16. 290
291
V g l . BEYERLIN, V e r g e w i s s e r u n g , 3 0 f ; KRAUS, P s a l m e n II, 1028; CROW, S o n g s , 131.
An zwei weiteren Stellen innerhalb des Wallfahrtspsalters ist die Formel c ^ i s n s i nnüG gebraucht (Ps 121,8; 131,3) und zwar jeweils zum Abschluß des Psalms und zur Unterstreichung der besonderen Zuwendung Jhwhs zum Einzelnen wie zum Volk Israel. Diese Zuwendung kennt weder Bedingung noch einen zeitlichen Rahmen. „Von jetzt an bis in Ewigkeit" heißt nicht, daß vorher alles anders war und nun etwas Neues beginnt. Die Formel soll vielmehr das „in Ewigkeit" stärken (vgl. LOEWENSTAMM, Formula, 166; JENNI, Wort, 233). 292 So u.a. KEET, Study, 46. CROW (Songs, 58), der sich allerdings sehr vage äußert, wenn er die babylonische, persische oder sogar griechische Herrschaft in Betracht zieht. BEYERLIN ordnet den Psalm in die nachexilische Zeit ein, nennt die fortgeschrittene Perserzeit oder die Ära des Hellenismus, macht seine Datierung aber letztlich stärker von seinen Gattungsbeobachtungen abhängig (Vergewisserung, 63 f.). KRAUS ordnet den Text zwar keiner Periode der Fremdherrschaft zu, geht jedoch davon aus, daß es um Schwierigkeiten der Landverteilung in nachexilischer Zeit geht (Psalmen II, 1028 f.).
68
A. Zion und Jerusalem
der Text sicherlich nicht nur im übertragenen Sinne von der Herrschaft der Gottlosigkeit oder dem Modus der Landverteilung spricht, so sind diese Angaben doch zu allgemein, um bei der Datierungsfrage als Anhalt zu dienen. Die Hoffnung und das Vertrauen darauf, daß Gott derartige Strukturen durchbricht, hat Israel durch die Jahrhunderte tradiert. Aussagekräftiger ist der Vergleich Zions mit Jerusalem. Hier wird man davon ausgehen dürfen, daß Erfahrungen von Gefahrdung und Schutzbedürftigkeit der Stadt zugrunde liegen, wie sie vorexilisch nicht formuliert werden.293 Ewigkeitsaussagen in den Psalmen werden in nachexilischer Zeit an Zion gebunden und nicht an Jerusalem. 4. „ Siehe, die Schönheit Jerusalems " Psalm 128 Ps 128 zeichnet das Bild des Gottesflirchtigen, der auf den Wegen Jhwhs geht. Es ist das Bild desjenigen, der vom Ertrag seiner Hände Arbeit lebt, dessen Frau im Inneren seines Hauses wirkt und dessen Söhne zahlreich um seinen Tisch sitzen. „Merke auf, denn so ist gesegnet der Mann, der Jhwh fürchtet" (v4). Diese ersten Verse des Psalms bieten ein einheitliches Ganzes. Erst mit v5 wird der Kontext der ersten Verse aufgebrochen und in zwei Richtungen erweitert. Der das Leben des Gottesfürchtigen bestimmende Segen geht aus vom Zion. Diese räumliche Wahrnehmung wird durch die zeitliche zweifach ergänzt. Alle Tage seines Lebens soll der Gottesfurchtige die Schönheit Jerusalems betrachten können. In einem Nachtrag, die Generationsgrenzen überschreitend, wird dem Gottesfürchtigen verheißen, die Söhne seiner Söhne zu sehen. Psalm 128 1 Ein Lied des Aufstiegs Wohl jedem, der Jhwh fürchtet, der auf seinen Wegen geht. 2 Den Ertrag deiner Hände sollst du gewiß essen 294 . Wohl dir und Gutes. 3 Deine Frau ist, wie ein Weinstock fruchtbringend, im Innern deines Hauses. Deine Söhne, wie Sprößlinge des Ölbaums (pl.), umgeben deinen Tisch. 4 Merke auf, denn so ist gesegnet der Mann, der Jhwh furchtet.
293 ALLEN hebt für die nachexilische Einordnung des Psalms u.a. „Yahweh's protective power and faithfulness to his promises concerning the people and land" und „the discrepancy between traditional faith and contemporary experience" (Psalms III, 169) hervor. 294 So u.a. auch KEET, Study, 65.
II. Stadt, Berg und Beter
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5 Es segne dich Jhwh vom Zion her, und siehe die Schönheit Jerusalems alle Tage deines Lebens. 6 Und siehe die Söhne deiner Söhne, Friede über Israel. Ps 128 ist sicherlich nicht aus e i n e m G u ß . D i e v v l und 4 z e i g e n a u f f a l l i g e K o r r e s p o n d e n z e n . Sie f o r m u l i e r e n d a s T h e m a u n d g e b e n den A u s f ü h r u n g e n in d e n v v 2 - 3 den R a h m e n . W ä h r e n d v 1 v o n m i r K T ' b r spricht, h e b t v 4 den e i n z e l n e n k t "iiu hervor. J e d e r e i n z e l n e G o t t e s f u r c h t i g e ist g e s e g n e t . 2 9 5 Z w i s c h e n d i e s e n b e i d e n Versen w i r d k o n k r e t , w i e ein v o n J h w h g e s e g n e t e s L e b e n aussieht, d a s L e b e n d e s j e n i g e n , der auf d e n W e g e n J h w h s geht. D e r M a n n kann sich ( u n d seine F a m i l i e ) v o m Ertrag seiner A r b e i t e r n ä h r e n . Seine Frau, w i e ein f r u c h t b a r e r W e i n s t o c k , gebiert i h m viele K i n d e r 2 9 6 u n d w i r k t i m I n n e r e n des H a u s e s . Sie k a n n d a m i t e i n e n Platz e i n n e h m e n , der ihrer g e s e l l s c h a f t l i c h e n Rolle entspricht u n d z u g l e i c h v o n W o h l s t a n d zeugt, d e n n sie m u ß k e i n e s c h w e r e F e l d arbeit leisten. D i e S ö h n e , die z a h l r e i c h w i e die S p r ö ß l i n g e des Ö l b a u m s sind, sitzen u m seinen Tisch
297
D e r Text hat den C h a r a k t e r einer M o m e n t a u f n a h m e
u n d ist d o c h a l l g e m e i n g ü l t i g . D e r W e c h s e l z w i s c h e n v 1 u n d 2 v o m Part. m . s g . hin z u r direkten A n r e d e in der 2 . m . s g . stellt d i e s e A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t nicht in F r a g e u n d e r m ö g l i c h t d e n n o c h die direkte A n r e d e d e s e i n z e l n e n , w i e es in v 4 der Fall ist. D i e Wahl v o n N o m i n a l s ä t z e n in den v v 1 und 3 w i e d e r p a s s i v e n V e r b f o r m in v 4 ist e n t s c h e i d e n d f ü r d e n C h a r a k t e r d e s Textes. A u c h v 2 , in d e m mit *?son eine finite V e r b f o r m g e b r a u c h t w i r d , s p r e n g t diesen R a h m e n nicht, d a
295
Vgl. CROW, der darauf verweist, daß "löx und "na durchaus synonym gebraucht werden (Songs, 73). 296 Vgl. u.a. K E E T , Study, 65f. H E N T S C H K E trifft den Inhalt des Bildes sicherlich nicht, wenn er den Gerechten mit dem fruchtbaren Weinstock und seine Söhne mit den Stecklingen des Ölbaums (Ps 128,3) vergleicht (Art. ¡s;, 64). Die in v3 gewählten Bilder sind auf Frau und Mann verteilt. Die Frau ist wie der fruchtbare Weinstock (ja; f.). Die Kinder aber werden nun nicht als Trauben bezeichnet, was möglich wäre, sondern als Sprößlinge des Ölbaumes (rn m.). Auf diese Weise wird die Bindung der Kinder an den Vater betont (vgl. W E I P P E R T , Kinder, 168 f.). 297 W E I P P E R T befaßt sich in einem Aufsatz ausfuhrlich mit den beiden Bildern des dritten Verses. Sie zeigt die Diskrepanz auf, die sich zwischen den Pflanzenmotiven und der Verortung innerhalb des Hauses auftut. Ortsbestimmung und Bildvergleich schließen sich aus, der Vergleich greift zu kurz (Kinder, 164 ff.). Die Ortsangabe „verhindert es, daß sich das Bild nach beiden Seiten harmonisch in den Kontext einfugt" (ebd., 167). Sie widerspricht damit Ansichten, die den Vers als wundervolle Dichtung betrachten, um so zu untermauern, welchen Kreisen der Text entspringt, nämlich „kleinbäuerlichem Millieu" (ebd., 173). Hinzu kommt, in Auseinandersetzung mit dem Bild der Sprößlinge, eine ihrer Ansicht nach nicht ausgeschöpfte, aber dennoch im Bild vorhandene Tiefendimension. Junge Sprößlinge sprießen um einen alten, nicht mehr ausreichend tragenden Baum oder einen Baumstumpf (ebd., 170). Leben und Tod hängen zusammen in diesem Bild, der Beter lebt in seinen Kindern weiter, die wiederum ihre Kraft aus ihm ziehen. „Nur für einen kurzen Moment wird sichtbar, daß einem Neuanfang stets auch ein Ende vorausgeht" (ebd., 171). S.a. D A L M A N , Arbeit 4, 165.168.175.
70
A. Zion und Jerusalem
kein Handlungsfortschritt erfolgt, sondern wiederum ein Zustand beschrieben wird. Die beiden folgenden Verse sind anderer Art. Das Thema des Segens prägt auch sie, und v 5aa nimmt m i t d a s zentrale Stichwort der vorhergehenden Passage auf. Hier herrscht nun aber eine andere Sprache vor. Mit ~p~i:r (als Jussiv zu lesen) wird eine finite Verbform gewählt, gefolgt von zwei Imperativen (vv5aßb.6). Der statische Charakter der ersten Verse wird aufgehoben. In die Momentaufnahme kommen Bewegung und Leben. Die gesegnete Existenz ausgehend vom Zion wird dem Beter zugesprochen. Mit einem solchen Segenswunsch könnte der Text eigentlich schließen. 298 Zion wäre dargestellt als der Ort, von dem der Segen Gottes ausgeht. Die Ausschließlichkeit des Zion als Ort des Gottesdienstes und der von hier aus wirkmächtigen Gottesgegenwart wäre thematisiert. Mit den vv5aßb.6 greift der Text jedoch über die räumliche Ebene hinaus auch die zeitliche auf. Der Blick des Angesprochenen soll auf Jerusalem ruhen, er soll sein Leben lang die Schönheit Jerusalems sehen. Zwei Gesichtspunkte der ersten vier Verse werden hier aufgenommen und erhalten eine neue Wendung. 31Q, übersetzt mit „Schönheit", beinhaltet auch Reichtum und Wohlergehen, was in Ansätzen sicher auch auf das Leben des Gottesfürchtigen zutrifft, wie es die vv 1—4 beschreiben. Der zeitliche Aspekt, der durch "]"n -¡y zur Sprache kommt, ist im Vorhergehenden implizit gegeben, findet nun aber noch einmal gesonderten Ausdruck. V 5 hat jedoch gegenüber den v v l - 4 eine gewisse Eigenständigkeit. 299 Segen Jhwhs vom Zion her wahrzunehmen, heißt, den Blick auf Jerusalem ruhen zu lassen 300 , sich an dieser Stadt zu erfreuen, von ihrem Bild erfüllt zu sein alle Tage des Lebens. Das Befinden des Beters wird mit dem Jerusalems verknüpft. 301 Mehr noch: Im Wohlergehen dieser Stadt, ihrer Bewohner, in ihrer fest gefugten Bauweise und der Sicherheit ihrer Mauern (s. Ps 122,3.7) wird der Segen Jhwhs sichtbar. Das Thema des Psalms, das Sichtbarwerden göttlichen Segens im Leben eines Frommen, spiegelt sich auch im Verhältnis von Zion und Jerusalem. In Ps 128 stehen Zion und Jerusalem für zwei verschiedene Weisen der Wahrnehmung des 298 Vgl. GUNKEL, Psalmen, 556f. S.a. Ps 134,3 und 135,21. Wenn auch jeweils eine erklärende Partizipial-konstruktion in den entsprechenden Versen folgt, so doch kein neuer, das Bild wandelnder Verbalsatz. 299 Dies beobachtet auch LIPINSKI, kommt dann aber zu dem Ergebnis, daß die vv 1-3.5-6 durch v 4 nachträglich getrennt wurden (Macarismes, 347 f.). 300 DAHOOD übersetzt NX~i mit „to enjoy" und verweist dabei auch auf Ps 106,5 (Psalms II, 229). Er unterstreicht damit einen Aspekt des n s i , den es sicher beinhaltet. 301 Vgl. CROW, Songs, 76. KEET (Study, 68) bezeichnet diese Verknüpfung des Heils von Stadt und Beter als Patriotismus. Er verwendet damit einen Ausdruck, der den göttlichen Anspruch auf sowie die Fürsorge für diese Stadt ausblendet. VAN NIEKERK hingegen hebt hervor, daß mit dem Verweis auf Jerusalem der Blick des Beters über den eigenen Haushalt hinausgeht und er so sein Schicksal mit dem des Volkes Gottes, der ganzen Gemeinde, verbindet (Psalms, 418 f.).
II. Stadt, Berg und Beter
71
Beters oder Pilgers. Segen geht aus von Zion, dem Ort der Gottesgegenwart; doch visuell erfaßbar wird dieser Segen im irdischen Jerusalem. V 6 schließlich, parallel zu v5aß durch den Imperativ Hin eingeleitet, formuliert die Auswirkungen des göttlichen Segens noch einmal auf der familiären Ebene, indem er thematisch an v 3 anknüpft. Die zeitliche Perspektive von v 5 behält er bei. Der Gesegnete soll die Söhne seiner Söhne sehen. Die so herausgearbeitete Struktur des Psalms rahmt durch die vv 1 und 4 eine Betrachtung wahrhaft gottesfürchtigen und darum gesegneten Lebens, wie sie in den vv 2 f. vorgestellt wird. V 5 hingegen identifiziert den Ort, von dem Segen ausgeht, und benennt über die räumliche Ausdehnung hinaus auch die zeitliche Dimension göttlichen Segens. 302 mrr ¡ n - b s v1 v 2 - 3 Auswirkungen göttlichen Segens
v4
mrr k t ... p-D n;n
v5 v6
Räumliche Ausdehnung des Segens (¡Tsn) Zeitliche Ausdehnung des Segens
Einen davon abweichenden Vorschlag macht Allen. Seine detaillierten Beobachtungen am Text fuhren zu dem Schluß, daß der Psalm aus zwei gleichen Teilen komponiert ist, die auf vielfache Weise miteinander verknüpft sind. 303 Allen führt in seiner Argumentation an, daß mrr ST (vv 1.4) jeweils den Beginn einer neuen Strophe ankündigt - eine Beobachtung, die ebenso gut auf eine Rahmenstruktur hindeuten kann. 304 Der zweifache Gebrauch von (~[)"~isk (vv 1 f.) korrespondiere dem zweifachen "pa (vv4f.). Daß es sich bei dem zweifachen "pa jedoch um eine Stichwortverbindung handelt, erscheint angesichts weiterer Beobachtungen näher liegend. Auch die Verwendung von aia (v 2 und v 5) sowie ~pa (v 3 und v 6) beruht eher auf Stichwortverbindungen, denn während die vv 2 f. thematisch eng miteinander verknüpft sind, präsentieren die vv 5 f. eine Sammlung von Formeln und Segensmotiven, die erst durch ihre Bezugnahme auf die vv 1—4 zu einer Einheit werden. Sie haben zudem durch den Auftakt rum der vv5aß und 6 den Charakter einer Aufzählung. Formelgut ist in v 5aa mir "pna ,3 ° 5 und in v 6b 306 ci'ptD verarbeitet. Diese Segensformeln finden sich in den Texten an Rahmen- und Schnittstellen, was wiederum die Annahme unterstreicht, daß der Kernbestand des Textes die vv 1 - 4 umfaßt. 307
302
Zu dieser Gliederung des Textes vgl. auch CROW, Songs, 74 f.; LIMBURG, Psalms, 441;
BROYLES, P s a l m s , 4 6 3 . 303 V g l . ALLEN, P s a l m s III, 184; s . a . MILLARD, K o m p o s i t i o n , 20. 304 305 306 307
S. a. CROW, Songs, 73 f. Zudem weist p~"3 (v4) auf zuvor Gesagtes zurück. Vgl. Ps 134,3; 135,21. Vgl. Ps 125,5. Zu den priesterlichen Segensformeln vgl. u. a. LIEBREICH, Songs, 33 ff.
72
A. Zion und Jerusalem
Versuche, diesen Psalm aufgrund weisheitlicher Prägung 3 0 8 einem Sitz im Leben zuzuweisen, reichen von einem rein profanen 3 0 9 bis hin zu einem rein kultischen Kontext. Dabei spielen für die Zuordnung auch die Gliederung des Textes und die Zuweisung von einzelnen Versen zu einer Ergänzungsschicht eine wesentliche Rolle. Der Text setzt mit "idx ein und wird dennoch nicht selbstverständlich als Segen 3 1 0 oder auch „nur" als Grußwort verstanden. Der bereits vermerkte statische Charakter der vv 1 - 4 führt dazu, daß der L e h r e 3 " , der bildhaften Umsetzung „dogmatischen Schemadenkens", das Augenmerk stärker gilt, als den Auswirkungen des nicht erzwingbaren göttlichen Segens im Leben einzelner. 312 Erst die Zusammenstellung mit den vv 5 f. ermöglicht die Verortung des Textes im Rahmen einer Pilgerfahrt als Gruß oder auch als Abschlußsegen eines Priesters. 313 Doch auch Mischformen werden angenommen. So geht Keller 3 1 4 unter Beachtung des Bruches zwischen den vv 1 - 4 und 5 f. davon aus, daß weisheitliche Elemente in einen für den kultischen Gebrauch komponierten Text geflossen sind. Becker 3 1 5 hingegen verortet den Text in weisheitlicher Lehre unter Verwendung kultischer Formeln. Angesichts dieser Vielzahl von Vorschlägen erscheint es ratsam, es bei der Beobachtung der verschiedenen in den Text eingeflossenen Traditionen bewenden zu lassen und die Überschrift bzw. den Kontext der Wallfahrtslieder ernstzunehmen.
308 Im Gegensatz zu Ps 125 herrscht über die weisheitliche Prägung von Ps 128 weitgehend Einigkeit. Die einleitende Höx-Formel hat an der Beurteilung einen wesentlichen Anteil. Vgl. GUNKEL, Psalmen, 556f.; MURPHY, Considération, 161.164; KUNTZ, Canonical Wisdom Psalms, 196F.217; Ders., Rétribution Motif, 229ff.; WEIPPERT, Kinder, 166; ZENGER, Gottesmetaphorik, 612. 309 So u.a. H. SCHMIDT, der den Text als einen Gruß an der Haustür versteht (Grüße, 142). SEYBOLD (Psalmen, 490) geht davon aus, daß der Text zunächst an den "o; als eine Art Hochzeitsgruß gerichtet war und nachträglich um die vv 1.5aß erweitert wurde, „wodurch er einen belehrenden und offiziellen Charakter erhält". 310 Vgl. CROW, Songs 75. Er betrachtet den Text insbesondere aufgrund der literarkritischen Scheidung zwischen den vv 1 - 4 und 5 f. zwar als Segen, nicht jedoch als priesterlichen Segen und grenzt seine Position damit u. a. von der ALLENS (Psalms III, 184), der den Text einheitlich liest, ab. Als Segen und Teil einer Gemeindeliturgie liest GERSTENBERGER diesen Text (Psalms II, 351). Zu bedenken ist hier auch der semantische Unterschied zwischen und ~px ' l ö s verlangt Taten. Der Gläubige soll Gott furchten, rechtschaffen sein, etc. Es wird bevorzugt in der weisheitlichen Tradition und den aus dieser gespeisten Psalmen verwendet (vgl. CAZELLES, Art. -löx, 482. Anders u.a. HORST, Segen, 30). S.a. KÄSER (Beobachtungen, 236), der darauf hinweist, daß Makarismen als Gottessprüche kaum nachweisbar sind. 311 KUNTZ (Canonical Wisdom Psalms, 221 f.) betont den lehrhaften Charakter der Weisheitspsalmen, kommt jedoch nicht zu einer engen Begrenzung eines Sitzes im Leben. Er formuliert in bezug auf alle von ihm als Weisheitspsalmen bezeichneten Texte, daß sie auf der Straße ebenso wie in Kult und Synagoge ihren Sitz im Leben haben könnten. 312 In diesem Sinne übt KRAUS (Psalmen II, 1042 f.) Kritik an der vorherrschenden Exegese. So nannte bereits GUNKEL (Psalmen, 556) den Text einen „Weisheitspsalm, der die israelitischjüdische Vergeltungslehre in der dafür beliebten Form eines Segensspruches verkündet". 313 Vgl. ALLEN, Psalms III, 184; s.a. KRAUS, Psalmen II, 1041. Dabei räumen beide ein, daß der Text durchaus auch von Laien gesprochen werden kann. S. a. BROYLES, Psalms, 464. Nach BUDDE erinnern die v v 5 f . nicht nur an einen Priestersegen, sie waren seiner Ansicht nach sogar ein selbständiger Priestersegen vor der Zusammenstellung mit den vv 1-4. Er vergleicht sie mit dem aaronitischen Segen (Text, 194). Dagegen spricht allerdings die Verteilung einzelner Formeln auf die Wallfahrtspsalmen und ihre konkrete Bezugnahme auf die vv l ^ t . 314 Vgl. KELLER, Béatitudes, 93. 315 Vgl. BECKER, Gottesfurcht, 275.
II Stadt, Berg und Beter
73
Das Formelgut verbindet diesen Text mit anderen Psalmen der Sammlung. "p-D" jTün mrr schließt Ps 134 redaktionell ab. 316 Es handelt sich um den Schlußpsalm der Wallfahrtslieder, der den Beter in den Tempel zum Lobpreis Jhwhs führt. Im Kontext von Ps 128 liest sich die formelhafte Brücke zu Ps 134 zugleich als Aufforderung an den Beter zur antwortenden Bewegung auf den Zion und den Tempel zu. Gottes Segen geht aus vom Zion, der Gesegnete aber wendet sich dorthin, um zu danken, zu loben und seine Gaben darzubringen. Der Friedensgruß, der auch Ps 125 abschließt 317 , überfuhrt die Zusage, auch nachfolgende Generationen sehen zu dürfen, in die Perspektive des Volkes. 318 Denn die ungebrochene Kette von Kindern und Enkeln sichert seinen Bestand. 319 Ps 128 ist ein in nachexilischer Zeit komponierter Text. 320 Die weisheitlich geprägte Sprache und die Glückseligpreisungen weisen daraufhin.
5. „ Vergäße ich dich, Jerusalem" Psalm 137 Mit Ps 137 gehört ein weiteres Klagelied in den Themenkreis Zion und Jerusalem, welches das Schicksal des Beters und das Jerusalems miteinander verbindet. Anders als in den Ps 51 und 69 ist Gottes Handeln an Zion jedoch nicht Paradigma für seine Zuwendung zu dem einzelnen. In Ps 137 geraten Beter und Stadt in eine bedrückende Schicksalsgemeinschaft. Die Lektüre des Psalms läßt den Leser gleich bei v 1 aufmerken, denn eine „klassische" Psalmenüberschrift ist nicht gegeben. 321 V1 fuhrt unmittelbar in eine Situation ein, die abseits von üblichem Gebet und Gottesdienst liegt, in die Situation der Gemeinde im Exil. Damit ist bereits Zweifaches erreicht: Neben der Lokalisierung der Betenden an einem Ort entfernt von Zion wird auch ihre Stimmung mit wenigen Worten beschrieben. Sie ist geprägt von Trauer und Passivität. Die v v 2 ^ I bleiben beim Thema des ersten Verses und fuhren weiter aus, in welchem Spannungsfeld sich die Exilsgemeinde befindet, da sie, selbst von Trauer überwältigt, von denen, die sie gefangen halten, auch noch zu Gesang 316
V g l . SEYBOLD, W a l l f a h r t s p s a l m e n , 7 4 .
In Ps 135,21 heißt es hingegen passivisch formuliert: "i^n mir "]rn. Nun gehört der Text nicht mehr zum Kernbestand der Sammlung der Wallfahrtspsalmen, sondern ist erst später zur Erweiterung dieser Sammlung angefugt worden. V 2 1 ist wiederum Teil einer Redaktionsschicht von Ps 135, die die Nähe des Textes zu den Wallfahrtspsalmen erst herstellt (vgl. dazu S. 139). 317 Zu ^nti)--^!) e i 1 » vgl. die Ausfuhrungen zu Ps 125, S. 61 ff. 318 „The welfare of the nation depends on the piety of its individuai members" (MITCHELL, Meaning o f B R K , 119). 319
V g l . ALLEN, P s a l m s III, 186.
320
V g l . G U N K E L , P s a l m e n , 5 5 7 ; KRAUS, P s a l m e n II, 1 0 4 1 ; A L L E N , P s a l m s I I I , 1 8 4 .
321
Die LXX stellt hier xwv Aamó voran und Lucian ergänzt zudem (öia) 'IEQEHÌOU, ein Verweis, der auf Jer 49.50 und 51 hindeutet und damit auf die v v 7 - 9 rekurriert (vgl. ALLEN, Psalms III, 235; SLOMOVIC, Understanding, 361 f.).
74
A. Zion und Jerusalem
und Freude aufgefordert wird. Doch „ wie könnten wir singen das Lied Jhwhs in fremdem Land"? Bild, Stimmung und berichtender Personenkreis sind in den ersten vier Versen des Textes kohärent. Der Gebrauch der wörtlichen Rede in v3b unterbricht diesen Gesamtzusammenhang nicht. 322 Die vv 5 - 6 unterscheiden sich vom vorhergehenden Abschnitt. Der Übergang ist durch den Wechsel von der 1 .c.pl in die 1 .c.sg. gekennzeichnet. Wo vorher von Zion gesprochen wurde, ist nun Jerusalem direkter Adressat der Rede. Hinzu kommt eine formale Besonderheit des Anschnitts. Der Beter verflucht sich selbst, sollte er Jerusalem nicht höher erachten als seine eigene Freude. Ein weiterer Neueinsatz ist in v 7 durch die Aufforderung an Jhwh „gedenke " (Imp. m.sg. Qal) gegeben. Sie richtet sich nun gegen die Feinde Jerusalems und ihre Zerstörung der Stadt. „Living with the Pain of the past" 323 , die Überschrift, die Allen dem Psalm gibt, erfahrt in diesen Versen eine Umsetzung in Form des Wunsches nach Vergeltung. Psalm 137 1 A n den Flüssen Babels 3 2 4 , dort saßen 3 2 5 wir, auch weinten wir, als w i r dachten an Zion. 2 A n Weiden in ihrer Mitte h ä n g t e n w i r u n s e r e Leiern. 3 D e n n dort verlangten von uns die uns g e f a n g e n halten L i e d w o r t e und die, die unseren S c h m e r z auslösen 3 2 6 , Freude: Singt uns v o n e i n e m der Lieder Zions 3 2 7
322
Formal wird die Einheit der vv 1 - 4 durch die Verwendung der Präposition die die vv 1 f. einleitet und in v 4 b den Absatz schließt. 323
324
unterstützt,
ALLEN, P s a l m s III, 2 3 4 .
DAHOOD (Psalms III, 269) übersetzt mit „Beside the rivers in Babylon" (so auch FREEDMAN, Structure, 191) mit Bezug auf l l Q P s 3 . Dazu verweist er auch auf die „Wiederholung" der Präposition in v 2 noira. 325 MICHEL übersetzt die Perfektform präsentisch (Tempora, 83); vgl. auch ZENGER, Rache, 108. Er geht mit Hinweis auf die vv 5 f. 7 ff. davon aus, daß die geschilderte Situation noch nicht beendet ist, berücksichtigt dabei aber nicht den fiktiven Charakter der Verse (s. o.). 326 Die LXX übersetzt oi änayayövxeg f|näg, was vermutlich auf die Lesart i r r ^ i m zurückgeht. Die Textüberlieferung zeigt sich an dieser Stelle insgesamt als ausnehmend unsicher. Vgl. dazu GUILLAUME (Meaning, 143 f.), der schließlich zu dem Ergebnis kommt, daß die Lesart des MT durchaus sinnvoll und beizubehalten ist. Daraus ergibt sich u. a. eine gegenüber der LXX erheblich schärfere Ausdrucksweise. Es ist nicht nur von Wegführenden die Rede, sondern von „harsh, pitiless slavedrivers" (ebd., 144), diejenigen, die Leid und Schmerz der Exilsgemeinde zu verantworten haben. Anders u.a. ALLEN (Psalms, 235f.), der mit „Spötter" (von V77i Po.) übersetzt. HARTBERGER (An den Wassern, 205.207.212), die aufgrund des Kontrastes WeinenFreude hier eine andere Gruppe genannt findet, gibt den Text mit „unsere verweinten (Landsleute)" wieder, abgeleitet von bbri = Dauerweiner (ebd., 207). 327 Von einem partitiven Gebrauch des " 0 ist auszugehen. Das bedeutet, daß hier wohl ein kollektiver Ausdruck im Sinne von Liedsammlung (vgl. GUNKEL, Psalmen, 581; KRAUS, Psalmen II, 1082; FREEDMAN, Structure, 193; ALLEN, Psalms III, 236) vorliegt, TD ist sinn-
II. Stadt, Berg und Beter
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4 A c h , w i e k ö n n t e n w i r singen das Lied J h w h s in f r e m d e m Land. 5 Vergäße ich dich, J e r u s a l e m , es vergesse 3 2 8 m e i n e Rechte (ihre Fähigkeiten). 6 Es klebe m e i n e Z u n g e an m e i n e m G a u m e n , w e n n ich deiner nicht gedenke, w e n n ich nicht h o c h e r h e b e J e r u s a l e m über d e n Gipfel m e i n e r Freude. 7 Halte in Erinnerung, J h w h , d e n S ö h n e n E d o m s , den Tag Jerusalems. Sie sagten: entblößt, entblößt bis a u f die G r u n d m a u e r n in ihr. 329 8 Tochter Babel, Verwüstete 3 3 0 , w o h l d e m , der dir vergilt; deine Tat, die du vollbracht hast an uns. 3 3 1 9 Wohl d e m , der ergreift und der erschlägt deine Kinder a m Felsen.
voller Weise als Plural zu übersetzen. Anders die Wiedergabe bei DAHOOD (Psalms III, 269) mit „a song of Zion". 328 Die LXX übersetzt hier passivisch mit £jtiAr|A8EÍ,r|. Häufiger aber wird emendiert zu tirón mit Bezugnahme auf das ugar.tkh: „Meine rechte Hand werde schwach, verdorre" (vgl. DAHOOD, Psalms III, 271; ALLEN, Psalms III, 236). Anders HARTBERGER (An den Wassern, 208 f.), die die Form reflexiv übersetzt und das Sich Vergessen der rechten Hand als einen Akt der Selbstzerstörung, des Sich Würgens ansieht (so auch ZENGER, Rache, 110). Ein Eingriff in den Textbestand ist aber meines Erachtens nicht notwendig. Vergäße der Beter Jerusalem, so vergäße seine Rechte ihre Fähigkeiten, d. h. sie wäre unbrauchbar. 329 Die Übersetzung klingt nicht flüssig an dieser Stelle, doch läßt der Gebrauch der Präposition hier keine Alternative zu einer lokalen Wiedergabe zu (vgl. JENNI, Präposition Beth, 180 f.). 330 Der MT gibt ein Part. pass. vor. Inhaltlich ergeben sich hier jedoch Schwierigkeiten. Handelt es sich um einen Blick in die Zukunft Babylons, so scheint der zweite Teil des Verses praktisch überflüssig zu sein, denn Verwüstung ist es, was der Beter Babylon wünscht (eine umfangreiche Darstellung der Textgeschichte und der Forschungsdebatte um dieses Problem bietet RABE, Tochter Babel, 84 ff.). Viele Exegeten favorisieren die aktive Form rrrntin (so u. a. DAHOOD, Psalms III, 273; ALLEN, Psalms III, 237). Belegt ist diese Lesart u.a. durch Symmachus, die syrische Tradition und Targume. Anders äußert sich FREEDMAN. Seiner Ansicht nach werden Worte, abgeleitet von der Wurzel n o , nur für Aktionen gegen Babylon gebraucht (Structure, 202 f.). Er wählt eine Übersetzung, die das Schicksal Babylons in der Zukunft ansiedelt, die passive Form des Partizips aber beibehält: „Destined for destruction". Inhaltlich wird er der Passage auf diese Weise sicher gerecht. Die Lesart des MT (wie auch der LXX) ist somit gegenüber den oben genannten Textzeugen sicherlich die schwierigere, doch um so mehr spricht dies für ihre Originalität (vgl. EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 184). Oder man liest mit HARTBERGER (An den Wassern, 210) im Sinne von „Verdorbene"; so auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 116. 331 SPIECKERMANN (Heilsgegenwart, 116) erachtet v 8 b als sekundär, da dieser den Parallelismus membrorum von v 8 stört. Hinzu kommt, daß es sich hier um eine Anlehnung an Jes 50,15.29; 51,11.56 handelt (vgl. EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 184).
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A. Zion und
Jerusalem
Der Psalm ist in drei Abschnitte gegliedert, die aufeinander aufbauen, sich thematisch und stilistisch jedoch unterscheiden. 332 Die vv 1—4 thematisieren die Trauer über die Trennung von Zion in Form einer Klage. Die vv 5 - 6 sprechen in diese Situation hinein, indem in Form einer Selbstverfluchung des Beters Jerusalem Treue geschworen wird. Die v v 7 - 9 greifen schließlich die beschriebene Situation des Volkes mit der Formulierung des Ziels der Vergeltung implizit auf und erweitern damit das Thema „Abwesenheit von Jerusalem" um das von „Verlust und Zerstörung der Stadt". Auf diese Weise erhalten die vv 1 - 4 und 5 - 6 allerdings eine Ausrichtung, die ihnen ohne die v v 7 - 9 nicht innewohnt. 333 Die in der Forschung herausgearbeiteten Vorschläge zur Struktur von Ps 137 zeigen neben vielen Differenzen zwei Schwerpunkte. Der deutlichste Einschnitt des Textes liegt zwischen den v v 6 und 7 vor, d.h. dort, wo der Blick von Zion und Jerusalem weg zu den Widersachern gelenkt wird. Nicht weniger klar ist die Verflechtung der vv5f., die stilistisch und thematisch eine Einheit darstellen. 334 Die Differenzen beruhen häufig auf einer minimalen Schwerpunktverlagerung in der Analyse. So „entscheidet" die Gewichtung der parallelen Struktur der vv4 und 6ayb 335 wie auch der thematischen Verknüpfung von vv 1 - 4 und 5 f. darüber, ob die Entscheidung für eine Dreiteilung - vv 1^1; 5-6; 7-9 3 3 6 - oder für eine Zweiteilung des Textes in Unterabschnitte fallt. 337
332 Vgl. MAYS, Psalms 421 ff. Er bezeichnet den Text als „Song of the two Cities" (ebd., 421). Er betont, daß die ersten Verse Babylon und seine Bewohner im Blick haben und die vv 5 - 6 Jerusalem. Der dritte Teil ist zugeschnitten auf die Bitte um das aktive Eingreifen Jhwhs. Vgl. auch ALLEN, Psalms III, 240 f. 333 Vgl. dazu aber KELLERMANN (Psalm 137, 50), der mit Bezugnahme auf SCHOTTROFF (Gedenken, 145) auf die Unmöglichkeit verweist, ein den Zion preisendes Lied angesichts von dessen Zerstörung zu singen. 334 So u. a. KRAUS, Psalmen II, 1084f.; KELLERMANN, Psalm 137,43. FREEDMAN (Structure, 193 ff.) präsentiert eine Analyse, die die konzentrische Struktur des Psalms betont und die Verwobenheit der vv4—6 hervorhebt. Vgl. auch MICHEL, Gott und Gewalt, 168 ff. 175. Ebenfalls anders MOWINCKEL, Tricola, 54f.; SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 115 ff. 335 FREEDMAN verweist auf die Parallelität der Struktur der vv 4 und 6ayb (Structure, 194 f.). Dem Prädikat der 1 .P. folgt ein direktes Objekt einschließlich des Akkusativzeichens. Der Satz wird durch eine mit bs eingeleitete Ortsbestimmung abgeschlossen. Und hier liegt auch das Problem dieser eher formalen Beobachtung. Die Verwendung der Präposition in no; n m s bs „ in fremdem Land" und Tinoo OKI bs „ über meine Freude " läßt sich kaum parallelisieren, da es sich im letzteren Fall um die Ersetzung eines Komparativs handelt. Hinzu kommt, daß vöayb durch N^'CS an die chiastische Konstruktion der vv 5.6aaß angeschlossen wird und v 6aaß syntaktisch untergeordnet ist, während v 4 selbständig ist. 336 Vgl. ALLEN, Psalms III, 240f.; LORETZ, An den Wassern, 409; SEYBOLD, Psalmen, 137 ff.; SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 117; SALS, Hure Babylon, 197. 337
V g l . HARTBERGER, A n d e n W a s s e r n , 2 1 3 ; s . a . M A G N E , R é p é t i t i o n s , 1 9 4 f . ; DAHOOD
(Psalms III, 269), die allerdings keine Einteilung in Unterabschnitte vornehmen. S. a. EMMENDÖRFFER (Der ferne Gott, 186), der eine umfangreiche Ubersicht über weitere Gliederungsversuche bietet.
II. Stadt, Berg und Beter
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Die v v 7 - 9 werden durch formale Gemeinsamkeiten mit den v v l - 6 verbunden. Dazu gehören Alliterationen (wie in v 3 so auch in v 8 durch ¡ö) und der Gebrauch eines der den Text prägenden Leitworte, nämlich IDT ZU Beginn von v7. 338 Die v v h a b e n mit ihrer Ortsbeschreibung „an den Flüssen Babylons" und „an ihren Weiden" Anlaß zu vielerlei Spekulation über die konkrete Situation im Hintergrund gegeben. Seybold geht von einem einmaligen Aufenthalt der Deportierten an den Kanälen in Begleitung ihrer Bewacher aus. 339 Nach Ansicht von Kraus handelt es sich hier um die Beschreibung einer regelmäßig stattfindenden Klagefeier zum Gedächtnis der Zerstörung Jerusalems. 340 Beide Vorschläge sind Resultat der Bemühungen, den Psalm einem historischen Ort bzw. einem Sitz im Leben zuzuordnen. Doch der Text scheint nur auf den ersten Blick so fest umrissene Verhältnisse zu schildern. Gewisse Ortskenntnisse sind dem Verfasser des Psalms in keinem Fall abzusprechen 341 , doch die Informationen sind so allgemein gehalten, daß sie das Bild einer idealtypischen Szene aufkommen lassen. 342 Sie beschreibt die innere Spannung der Deportierten, sagt jedoch nichts über Aufseher 343 und Arbeitszeiten aus, und benennt ebensowenig das zerstörte Jerusalem. Thematisiert wird die Zerstörung Jerusalems erst in v7 mit dem Wunsch nach Vergeltung des schändlichen Verhaltens Edoms. Daß der Psalm später bei Klagefeiern zur Erinnerung an die Zerstörung des Tempels (586 v.Chr. und 70 n.Chr.) am 9. Ab gelesen wurde 344 , hat keinerlei Relevanz für das Verständnis der vv 1—4. Elemente von Trauer und Klage werden jedoch erwähnt. Dazu gehören das Weinen, der Verzicht auf Gesang und das demonstrative Weghängen der r,~~:~.345 Von einer ritualisierten Feier zu reden, ist aufgrund dieser Informationen aber noch nicht möglich.
338
Ausfuhrlicher vgl. MICHEL, Gott und Gewalt, 173 ff. Vgl. SEYBOLD, Psalmen, 509. So auch HARTBERGER (An den Wassern, 219), die von einer Arbeitspause in der Mittagszeit spricht. 340 Vgl. KRAUS, Psalmen II, 1084; s.a. PRESS, Hintergrund, 406f. Dagegen KELLERMANN, Psalm 137, 54ff. 341 Bei den Flüssen Babylons handelt es sich um die Kanäle, von denen die Stadt durchzogen 339
war. V g l . u . a . UNGER, B a b y l o n , 9 4 f f . ; PONGRATZ-LEISTEN, Ina, 22. 342 Vgl. ACKROYD, Exile, 225: „This is Babylon seen not historically but poetically." So bereits LAUHA, Geschichtsmotive, 124. Als „künstlich" ist sicherlich auch das Aufhängen der Harfen in die Pappeln zu betrachten. Anders HARTBERGER (An den Wassern, 219), die die doch etwas abwegige Vorstellung äußert, daß sich die Pappeln als Aufbewahrungsort für die Instrumente anboten. 343
344
V g l . u . a . KITTEL, P s a l m e n , 4 1 4 .
Sof 18,3. Vgl. ELBOGEN, Gottesdienst, 128 f.; SALS, Hure Babylon, 203. Der n m ist ein Instrument, das Wohlklang erzeugt und zu fröhlichen Anlässen gespielt wird (s. Ps. 45,9). Vgl. SENDREY, Musik, 259; GÖRG, Art. "GS, 213 f. Zu der Debatte um Gestalt und Größe von TBD vgl. ebd.; KELLERMANN bezeichnet u. a. das Sitzen als Element der Leichenklage (Psalm 137, 56). 345
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A. Zion und
Jerusalem
Die innere Spannung ergibt sich aufgrund einer äußeren, nämlich der Sehnsucht nach Zion, und der „tatsächlichen" Anwesenheit in Babylon. Sie findet ihren Ausdruck in Tränen, unbewegtem Sitzen und Schweigen und wird verstärkt angesichts eines Umfeldes, das einer solchen Haltung so deutlich entgegensteht. Die Exulanten sitzen an Flüssen, Synonym für den Reichtum der Stadt durch Handelsschiffahrt. Kultgegenstände werden hier transportiert, Wasser verspricht Nahrung. Sie haben von außen betrachtet wenig Grund zur Klage. Und das wissen wohl auch die zum Gesang auffordernden Babylonier. Da die Wasserstraßen Babylons wesentlich in die kultischen Feiern der Stadt zur Verehrung ihres Gottes eingebunden sind 346 , mag die Verweigerung von Freude und Tanz den Babyloniern ein Dorn im Auge gewesen sein. Mit ihrer Ablehnung von Gesang und Freude wehren sich die Exulanten gegen die fremde Herrschaft und den fremden Kult. Zudem wird es der Gemeinde Israels wie Hohn in den Ohren geklungen haben, angesichts der demonstrierten Macht und Pracht von Jhwh zu singen, den die Anhänger Marduks als Verlierer betrachteten. 347 Die Bewohner Babylons fordern: „Singt uns ein Lied von Zion". Dem Text lässt sich über die Eigenart dessen, was ein Lied von Zion ausmacht, zweierlei entnehmen. In v 3 heißt es „ denn dort verlangten von uns ... die unseren Schmerz auslösen, Freude". Von Zion zu singen meint, sich zu freuen, guten Mutes zu sein. Den zweiten Hinweis bietet v4. Nun wird zur Verweigerung des Gesangs nicht die Formulierung von v 3 Ttön übernommen, sondern es heißt, daß die Exulanten das „Lied Jhwhs" nicht singen können „infremdem Land". Von Zion zu singen bedeutet also, von Jhwh zu singen 348 , der auf dem Zion thront und dessen Segen von dort ausgeht. Ein solcher Gesang wird abgelehnt, und die Verweigerung wird mit der Anwesenheit in fremdem Land begründet. Wieder ist es die Distanz, die Abwesenheit von Zion, die ins Zentrum rückt. Umgekehrt ist damit auch gesagt, wohin das Lied von Zion gehört, nämlich nach Zion. Die Unreinheit des die Exulanten umgebenden Landes ist ein weiterer Grund für die Verweigerung des Gesangs. 349 Schwäche oder gar Niederlage Jhwhs sind hingegen keine denkbare Möglichkeit. 350 346 Die Götterprozessionen bewegten sich auf den Kanälen innerhalb des Stadtgebietes oder im direkten Umkreis der Stadt (vgl. PONGRATZ-LEISTEN, Ina, 4.22.70.196 ff.). Dies war eine Gelegenheit, Prunk des Tempels und Reichtum des Königs darzustellen (ebd., 65). Von den Exulanten heißt es in v 2 , daß sie „an Weiden in ihrer Mitte" ihre Leiern aufhängten. Sie saßen also an den Kanälen in der Stadt, was damit korrespondiert, daß die Götterprozessionen innerhalb der Stadt durchgeführt wurden. 347
Vgl. KRAUS, P s a l m e n II, 1084; MAYS, P s a l m s , 4 2 2 ; FOHRER, P s a l m e n , 134.
348
mn—ra kommt außer an dieser Stelle nur noch in II Chr 29,27 vor. ist ein in der Hauptsache kultisch eingesetztes Instrument. Die Unreinheit des Umfeldes ist einer der Gründe für das Weghängen der Harfe. Vgl. SENDREY, Musik, 259; SEIDEL, 349
M u s i k , 139; LANG, Art. "O;, 4 6 1 . 350 Anders ZENGER, Rache, 111. Er schreibt, daß „die Angst, JHWH habe seine Bindung an Zion aufgekündigt oder gar die Angst, die von Zion/Jerusalem aus offenbar gewordene GottesWahrheit JHWHs sei durch die Macht der Babylonier als Lug und Trug erwiesen worden",
II. Stadt, Berg und Beter
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Die vv 5 f. nennen nun nicht mehr den Zion, sondern Jerusalem. Der Beter verflucht sich selbst, für den Fall, daß er Jerusalem jemals vergessen sollte. Es ist ein Fluch, der bei seinem Eintreffen zuallererst den Lobpreis Jhwhs und den Dienst des Tempelsängers unmöglich machen würde, denn Hand und Zunge sind seine „Werkzeuge". 351 Man hat angenommen, daß hier der Aussage der vv 1 - 4 widersprochen würde 352 oder daß gar ein Zionslied formuliert sei, welches die tradierten Lieder in ihr Gegenteil verkehre. 353 Anstelle des für ein Zionslied typischen Lobpreises stünde nun die Selbstverfluchung. Der Wechsel von der 1 .c.pl. in die 1 .c.sg. wie auch die Nennung Jerusalems und nicht Zions könnte vermuten lassen, daß es sich in v 5 f. um ein eigenständiges Gebet handelte. Ein Widerspruch zu den vv 1—4 ist allerdings nicht zu erkennen, sondern eher eine Stützung der Zielaussage dieser Verse aus anderer Perspektive. Nochmals ist die Grundsituation die Ferne von Jerusalem. Reichtum und Glanz Babylons vermögen den Beter jedoch nicht zu blenden, so daß er Jerusalem vergäße. Und: Die Verweigerung des Gesangs bedeutet nicht, Jerusalem zu vergessen. Im Gegenteil: In v 3 ist ausgesagt, daß die Babylonier Freude verlangen. Der Beter aber erachtet Jerusalem höher als Freude und so kann und darf er nicht „gedankenlos" von ihr singen. Die vv 7 ff. entspringen einer gewandelten Stimmungslage. 354 Während in den beiden vorangehenden Strophen nur die Bewohner Babylons ihre Forderung formulieren, die Exulanten sich jedoch, als Gruppe wie als einzelne, passiv verhalten, wird in v 7 Jhwh angerufen. Imperativisch formuliert wird Jhwh dazu aufgefordert, zu erinnern, wie Edom sich am Tage Jerusalems verhalten hat. Zwei wichtige Stichworte der v v l - 6 nimmt v 7 auf: "Dt und c ^ ö i t . Wie das „Gedenken" Jhwhs aussehen soll, wird in den v v 8 f . in bezug auf Babylon ausformuliert. 355 Ihre Taten sollen ihr vergolten und ihre Zukunft zerstört werden, indem man ihre Kinder ergreift und erschlägt. den Versen zugrunde liege. Die Unfähigkeit zu singen beruht nach v 4 aber primär auf der Anwesenheit in fremdem Lande. 351
V g l . MAYS, P s a l m s , 4 2 3 ; SEYBOLD, P s a l m e n , 5 1 0 ; A L L E N , P s a l m III, 2 4 2 . HARTBERGER
verweist darauf, daß die rechte Hand, die Schwurhand, beim Schwur an die Kehle greift. Verliert der Schwörende bei Eidbruch die Kontrolle über die Hand, so wird diese zupacken - eine lebensbedrohliche Situation (An den Wassern, 208 f.). Die Unfähigkeit zu musizieren scheint als Konsequenz für den Eidbruch meiner Ansicht nach näher zu liegen, da diese Lesart einher geht mit der zweiten Selbstverfluchung, der Unfähigkeit zu sprechen und zu singen. Dennoch liegt tatsächlich Lebensbedrohliches in der Selbstverfluchung, denn das durch den Eidbruch heraufbeschworene Handicap schließt den einzelnen vom Lobpreis und damit vom Gottesdienst aus. 352 Vgl. KELLERMANN, Psalm 137, 49.51. Er will diesen vermeintlichen Widerspruch auflösen, indem er die Abschnitte 1-4 und 5 f. verschiedenen Zeitstufen zuordnet. 353
354
V g l . SCHOTTROFF, G e d e n k e n , 145; KRAUS, P s a l m e n II, 1085.
ALLEN (Psalms III, 242) bezeichnet es als ein Aufbäumen. KELLERMANN geht mangels einer direkten Strafandrohung für Edom davon aus, daß es sich in den vv8f. nicht um Babel, sondern um Edom handelt. Seiner Ansicht nach ist die für Babel deplazierte Androhung des Zerschmetterns der Kinder an einem Felsen ein Hinweis 355
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A. Zion und Jerusalem
Die Geschehnisse, die Edom nicht „vergessen" werden können, benennt v7. Angesichts des Schicksal, welches Jerusalem von außen drohte, haben die Edomiter die Feinde auch noch zur vollständigen Zerstörung der Stadt angefeuert.356 Im Buch Obadja wird dieses Verhalten der Edomiter angeklagt. Dabei verwendet der Prophet das Bild der Brüder Esau und Jakob. Esau, „schaue nicht verächtlich am Tag deines Bruders " (Obd 12).357 Der „Tag Jerusalems" in Ps 137,7 ist, wie der „Tag deines Bruders" und vor allem der „Tag Jhwhs", ein Tag des Zorns.358 Ein Festtag, wie Kellermann ihn voraussetzt, wird sich hinter dieser Wendung nicht verbergen.359 Wenn Kellermann diesen Tag auch sicherlich nicht als fröhlich erachtet und Klagefeiern voraussetzt, so scheinen die Rufe Edoms doch in die Situation konkreter Bedrohung und nicht nachklingender Trauer hineingeschallt zu haben. Die Imperative n a ™ 3 6 0 forderten die Gegner Jerusalems zu konkretem Handeln auf und entspringen nicht nur späterer Schadenfreude. Nach Edom wird schließlich die Tochter Babel angesprochen. Die Anrede einer Stadt als ra ist nicht ungewöhnlich, kommt auch für Babel häufiger im Alten Testament vor, wird aber in der Hauptsache auf Zion angewendet.361 Ihr, der Verwüsteten, wird zweifach Unheil und Strafe angedroht. Die Mischung darauf, daß es sich um Edom handeln muß. Im Umland Babels ist solches Felsgestein nicht zu finden. Zudem ist auch für Edom die Anrede c n s T Q belegt (Psalm 137, 46 ff.). Entsprechend argumentiert ODGEN (Prophetic Oracles, 91), daß in den vv8f. von Edom die Rede sei, denn Edom sei als ein Verbündeter Babylons gleichzeitig Tochter Babels. 356 Die Formulierung mit der Präposition n (v 7b) weist auf die Totalität der Zerstörung hin. Die Feinde dringen tief in die Stadt ein, um die Mauern in ihr niederzureißen. 357 Einige Ausleger verkürzen den MT auf "prisa (vgl. u. a. SELLIN, Zwölfprophetenbuch, 233; ELLIGER, Kleine Propheten, 182). Doch zeigt die Textüberlieferung keine solche Variante und die häufige Nennung von cvn in v l 2 entspricht durchaus dem Kontext (vgl. WOLFF, Obadja, 18). Wenn in Obadja auch nicht das wörtliche Geschrei Esaus wiedergegeben wird, so heißt es dennoch ~ps ^Trr^K. HARTBERGER (An den Wassern, 191) stellt fest, daß die Aussage des Psalms über Edom ganz im Spektrum prophetischer Edom-Texte liege, die Edom alle babylonfreundliches Verhalten vorwerfen. So u. a. Jes 34; Jer 49,7-22; Thr 4,21 f.; Ez 25,12-14; 35,1-15. Die Korrelation von „Tag deines Bruders" und „Tag Jerusalems" räumt dem Text Obd 12 jedoch einen besonderen Rang ein (die Wendung „Tag Jerusalems" kommt nur in Ps 137 vor). 358
S . O b d 15; T h r 2 , 2 1 f. V g l . a u c h WOLFF, O b a d j a , 3 5 f.; RAABE, O b a d j a h , 1 7 8 ; SPIECKER-
MANN, H e i l s g e g e n w a r t , 1 2 0 . 359
Vgl. KELLERMANN, Psalm 137, 54. Er vergleicht „Tag Jerusalems" mit Bezeichnungen wie Midian-Tag, Jesreel-Tag, Purim- oder Nikanortag. 360 Die Wahl des Verfassers, das Niederreißen der Mauern mit der Wurzel m:) wiederzugeben, mag, im Hinblick darauf, daß die Stadt vielfach als Frau vorgestellt und präsentiert wird, eine sexuelle Konnotation haben (so DAVIDSON, Vitality, 441): Jerusalem, die durch ihre Eroberer entblößte und vergewaltigte Frau (vgl. Jer 13,20 ff.). Dem steht allerdings der Befund weiterer biblischer Belege dieser Wurzel entgegen. Eine sexuelle Komponente weisen allein Lev 20,18 f. auf. Hier geht es allerdings um den Geschlechtsakt zwischen Ehepartnern und Fragen der Unreinheit ohne den Aspekt der Gewalttat. In Hab 3,13 hingegen wird vom Niederreißen eines Hauses bis auf die Grundmauern gesprochen. Gewalt gegen eine Frau mit sexueller Komponente wird häufig mit ausgedrückt (vgl. dazu BAUMANN, Liebe, 52 ff.). 361 "733 ra ist belegt in Jes 47,1; Jer 50,42; 51,33; Sach 2,11 und eben in Ps 137,8. S. dazu
II. Stadt, Berg und Beter
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eines Formelementes weisheitlicher Seligpreisung, "itöx, mit Unheilsandrohungen verschärft die Aussage beträchtlich. 362 Babylon hat keine Zukunft mehr. Für diesen Kontext erscheint ein Streit um die Richtigkeit des Masortischen Textes ausgesprochen akademisch. Auf der Ebene des Textes ist es keine Frage, ob Babylon zum Zeitpunkt der Komposition des Psalters bereits zerstört war oder ob sie selbst hier noch als Zerstörerin angeklagt wird. Aufgrund ihrer Taten ist ihr Schicksal besiegelt, wann immer es eintreffen wird. 363 Daß die v v 7 f f . einen engen Bezug zum ersten Teil des Psalms aufweisen, steht nach den gemachten Beobachtungen außer Frage. Zwar bringen die Verse neue Aspekte ein, die Zerstörung Jerusalems und die Strafe für die Feinde, aber sie sind ohne Zweifel als Reaktion auf die Situationsschilderung der vv 1 - 6 formuliert worden. 364 Dazu hat der Verfasser Motive aufgegriffen, die in der prophetischen Überlieferung weite Verbreitung gefunden hatten. Es gibt keinen inhaltlichen oder formalen Grund anzunehmen, daß die vv 7 f. sekundär angefügt worden sein könnten. 365
auch FITZGERALD, BTWLT, 167 ff. Ausführlich zu Babylon s. die Monographie von SALS, Hure Babylon. 362 Vgl. dazu SPIECKERMANN (Heilsgegenwart, 121), der daraufhinweist, daß "lös nur in bezug auf Menschen gebraucht werden kann. Er stellt in diesem Zusammenhang die Frage: „Hat er (der Beter) in dieser Hinsicht kein rechtes Zutrauen zu Jhwh?" In Anbetracht der Bitte um Eingreifen Jhwhs in v 7 sollte vielleicht nicht ganz so scharf geurteilt und dem Psalmisten ein gottloser Racheschrei unterstellt werden. Es ist jedoch nicht zu übersehen, daß das Eingreifen von Menschen in den Racheakt durchaus erwünscht und gewollt ist. Vgl. ZENGER, Rache, 112; EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 192. Zur Abwandlung von Segens- in Fluchformeln s.a. HEMPEL, Anschauungen, 67 f. 363 Vgl. auch FREEDMAN, Structure, 203. 364 LORETZ (An den Wassern, 411) kommt, von der Annahme ausgehend, daß dem Text das Qinah-Metrum zugrundeliege, zu radikalen Textkürzungen und bezeichnet den Text schließlich als ein „Zitatenpatchwork" (ebd., 412) von Frageelementen aus anderen Liedern, die durch das Thema Zion-Jerusalem zusammengehalten werden. Doch abgesehen von der Schwierigkeit eine Textanalyse allein auf den ungesicherten Erkenntnissen der Metrik aufzubauen, gibt LORETZ keinen Hinweis auf Methodik und Ziel der Vorgehensweise des Redaktors. 365 Anders MICHEL, der eine zweifache Ergänzung der vv 1-6 herausarbeitet, die zunächst v7 und dann die vv8f. betrifft. Nachdem er zunächst feststellt, daß es keine eindeutig positiven Scheidungskriterien gebe (Gott und Gewalt, 168), stellt er ausfuhrlich die syntaktische, semantische, stilistische und thematische Beschaffenheit der vv 1-6 bzw. 7.8 f. dar. Sein Ergbnis lautet, „dass 1-6 als relativ geschlossene und stärker poetische Einheit erscheint. Einerseits sind in 7 - 9 die eher prosaischen Merkmale (nx und Artikel) konsequenter gesetzt, andererseits finden sich die Merkmale Alliteration und Parallelismus besonders in V.7 kaum bzw. anders als im Kontext" (ebd., 172 f.). Nun ist oben bereits der Kontrast zwischen den vv 1-6 und 7 ff. herausgestellt worden. Daß er nicht nur inhaltlich, sondern auch stilitstisch ausgeformt ist, muß dennoch nicht zwangsläufig auf redaktionelle Tätigkeit hinweisen. Inhalt und Stil mögen gerade aufgrund der Rückbindung an prophetische Texte aneinander gebunden sein. Die geschickte Anknüpfung der vv7ff. an die vv 1-6 muß auch MICHEL konstatieren. So fugt er seiner Argumentation als weiteres Argument die Nähe von Ps 137,1-7, d.h. des Psalms in seiner ersten Überarbeitung, zu Ps 132,18a an (ebd., 178 f.). Die thematische Anknüpfung von Ps 137 an die Sammlung der Wallfahrtslieder und deren Ergänzung wird im folgenden noch zur
82
A. Zion und Jerusalem
Der Psalm erweist sich als eine Rückschau auf die Exilssituation. Eine nachexilische Komposition des Textes in Jerusalem ist wahrscheinlich. Die direkte Anrede Jerusalems in den v v 5 f . könnte ein Indiz dafür sein, zwingend notwendig ist die Annahme jedoch nicht. 366 Die fiktive Situation, die die vv 1—4 schildern, ist durchaus auf die v v 5 f . übertragbar. In der Regel geht man davon aus, daß Ps 137 entweder im Exil 367 oder kurz nach dem Exil 368 verfasst worden ist. Meines Erachtens können allerdings eher die Kompositionsgeschichte des Psalters sowie der Vergleich mit den frühnachexilischen Fremdvölkersprüchen der Propheten 369 Hinweise auf das Alter des Textes geben als die Situationsangaben der vv 1^4. Hinzu kommt, daß bisher keine Gattungszuweisung für diesen Psalm, die Hinweise auf sein Alter bieten könnte, zufriedenstellend ausgefallen ist. 370 Er läßt sich formal weder eindeutig als ein Zionslied 371 noch als eine Volksklage identifizieren. 372 Der Psalm ist auch keine aus der Notsituation heraus formulierte Klage, die die Exilssituation oder das zerstörte Jerusalem als noch gegeben voraussetzt. Wirft man einen Blick auf den Kontext von Ps 137, so ergibt sich eine Gesamtschau, die zum einen die vv 1-6 und zum anderen die vv 7 ff. betrifft. Ps 137 ist den Wallfahrtspsalmen nachgeordnet. 373 Kann man in der Zusammenstellung Sprache kommen. Sie ist zweifelsohne gegeben. Doch ist es wiederum der ganze Psalm 137, der hier eine Rolle spielt und nicht nur seine einzelnen Schichten. 366 Vgl. u. a. ALLEN, Psalms III, 239. Der Annahme einer Komposition der vv 5 f. in Jerusalem folgend, erkennt KELLERMANN zwischen den Berichten vv 1-4 und der Selbstverfluchung vv5 f. räumliche und zeitliche Differenzen (Psalm 137,49). Vgl. LORETZ, An den Wassern, 412. SEYBOLD (Psalmen, 509) datiert sehr konkret in die Zeit 598/86 und schreibt den Text (vv 1-4) einem deportierten Tempelsänger zu. Die vv 5 f. sind seiner Ansicht nach in Jerusalem verfasst. Vgl. auch MAYS, Psalms, 421; SEIDEL, Musik, 139. MICHEL hingegen macht stark, daß es dem Beter verwehrt ist, nach Jerusalem zu gelangen (Gott und Gewalt, 175). 367
S o u . a . DUHM, P s a l m e n , 4 5 4 ; KRAUS, P s a l m e n II, 1 0 8 4 f . ; FREEDMAN, S t r u c t u r e , 187;
FITZGERALD, B T W L T , 169; HARTBERGER, A n d e n W a s s e r n , 2 0 4 ; SPIECKERMANN, H e i l s g e g e n -
wart, 116. 368
S o DAHOOD, P s a l m s III, 2 6 9 ; FOHRER, P s a l m e n , 1 3 3 ; HAGLUND, M o t i v s , 7 0 ; M I C H E L ,
Gott und Gewalt, 175. EMMENDÖRFFER (Der ferne Gott, 185) bietet zudem eine umfangreichere Übersicht zu weiteren Datierungsvorschlägen. 369 Vgl. EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 186. 370
Vgl. H . SCHMIDT, P s a l m e n , 2 4 2 ; SPIECKERMANN, H e i l s g e g e n w a r t , 117; SEYBOLD, Psal-
men, 509. Beispielhaft sei dafür die Beschreibung GUNKELS genannt: „Der mit Recht gerühmte Psalm gehört seinem Hauptinhalt nach der Gattung der „Flüche" an ... Einem solchen Fluch ist hier eine poetische Geschichtserzählung als Einleitung vorausgestellt. Diese Einleitung beginnt, wie wenn ein „Volksklagelied" (...) folgen sollte, erwägt dann, ob nicht ein Hymnus (...) angestimmt werden solle, und wendet sich schließlich dem Fluche zu" (Psalmen, 580). 371
372
So KRAUS, P s a l m e n II, 1083.
Vgl. dazu EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 185. 373 Er wird durch die sekundäre Überschrift töi Aamö in der LXX mit den nachfolgenden Davidpsalmen verbunden, was wiederum zeigt, daß der Psalm sich inhaltlich und formal von den Wallfahrtspsalmen unterscheidet, wenn die Stichwortverbindungen zu diesen Texten auch eindeutig vorhanden sind.
II. Stadt, Berg und Beter
83
dieser Texte eine Bewegung hin zum Zion bis zur Anwesenheit im Allerheiligsten erkennen, so steht Ps 137, der als den einzig möglichen Ort für das Singen der Zionslieder den Zion selbst betrachtet, erst nach dem Höhepunkt der Sammlung. Bereits in Form und Struktur von den Wallfahrtspsalmen zu unterscheiden, bietet Ps 137 eine Reflexion des gesamten Korpus der Wallfahrtspsalmen. 374 Mit dem Rückgriff auf die Situation der Exilsgemeinde in Babylon wird deutlich, daß der Lobpreis Jhwhs auf dem Zion keineswegs selbstverständlich ist.375 Die in den vv5f. formulierte Selbstverfluchung unterstützt diese Lesart des Textes. Alles Denken und Streben ist auf Jerusalem ausgerichtet. 376 Auch Aspekte des Verhältnisses von Zion und Jerusalem, wie sie sich in den Wallfahrtsliedern abzeichnen, prägen Ps 137. Wahrer Gottesdienst ist nur auf dem Zion möglich. Die Sammlung der Texte mit dem Höhepunkt in Ps 134 führt den Beter darauf zu. Das Singen der Zions-, nämlich der Jhwh-Lieder 377 gehört an den Zion, nicht in unreines Land. In Ps 137, ähnlich wie in Ps 128, steht Zion für die theologische Betrachtungsweise der Situation des Beters und seiner Sehnsucht nach einem Gottesdienst auf dem Zion. Mehr noch, Zion wird zum Fluchtpunkt aller Hoffnungen Israels. Jerusalem hingegen repräsentiert die emotionale Ebene. Glück und Freude des Beters sind in Ps 128 mit dieser Stadt verbunden. Entsprechendes gilt in Ps 137. „ Vergäße ich dich, Jerusalem, vergesse meine Rechte (ihre Fähigkeiten) " (v 5). Die vv 7 ff. hingegen stellen auf andere Art eine Verbindung zum Kontext her. Die Ps 135 und 136 preisen Jhwh in der Beschreibung und Aufzählung seiner Taten. Könnte ein Text wie Ps 137,1-6 neben Aussagen stehen, die von Jhwhs rettendem Handeln und seinem Eingreifen in das Schicksal des eigenen Volkes wie auch der Völker sprechen? 378 Ohne den Schluß in Ps 137,7 ff. stünden Ps 137,1-6 und die Ps 135 und 136 einander unvereinbar gegenüber. 379 Durch 374
ZENGER
bezeichnet Ps 137 als theologischen Kommentar zu Ps 120-134 (Komposition,
112). 375 „Though the opening of the psalm refers to the exile as a completed event, it is not primarily a retrospective of the exile but rather an embodiment of its tensions, reflecting tremendous anxiety about the continued future of God's people" (LEVINE, Sing, 184). 376 Die nachexilische Prophetie und das chronistische Schrifttum zeigen, wie wenig dies häufig der Fall ist, und fordern immer wieder zum Engagement um Stadt und Tempel auf. Vgl. u.a. Hag 1,9f.; Neh 1,3; 6,1 ff. 377 Gern wird angenommen, daß mit den Zionsliedern die Wallfahrtslieder gemeint seien. Vgl. BEAUCAMP, Psautier, 266; ZENGER, Komposition, 112. Diese Deutung ist jedoch nur möglich mit Blick auf die Stellung des Textes im Psalter. Einiges spricht dagegen. Der Text selbst deutet die Lieder als Jhwh-Lieder, d. h. es geht allgemein um den Lobpreis Gottes, verortet am Zion (in diesem Sinne sind gerade die Ps 46 und 48, die zuerst von Jhwh singen und dann von Zion, tatsächlich Zionslieder). Und schließlich sind die Wallfahrtslieder schwerlich als Zionslieder zu bezeichnen. Auch wenn der Terminus häufiger vorkommt, ist Zion nicht ihr Thema. 378 S. u.a. Ps 135, 8.12.14; 136,10ff.23 379 Vgl. dazu noch einmal M I C H E L (Gott und Gewalt, 182 ff.), der allerdings Ps 136,23-24 in Zusammenhang mit Ps 137,8-9 gestaltet und eingefügt sieht.
84
A. Zion und
Jerusalem
die Anrufung Jhwhs in v 7 wird die Passivität und die Ergebenheit Israels in die Exilssituation aufgebrochen. Die Größe Jhwhs, die die Bewohner Babylons nicht erkennen, wird nun deutlich. Babylon ist die Verwüstete. Auch Ps 137 eröffnet auf diese Weise die Perspektive auf Jhwhs rettendes Handeln.
III. Zusammenfassung Der erste Teil dieser Untersuchung trägt die Überschrift „Zion und Jerusalem". Gegen die Annahme von Tsevat, daß Zion zu einem Synonym für Jerusalem geworden sei 380 , haben die untersuchten Texte ein anderes Bild gezeigt. Zion und Jerusalem werden nur in wenigen Fällen bedeutungsgleich verwendet. Sie weisen häufiger einen voneinander abweichenden Sinngehalt auf, bereichern sich gegenseitig, ohne jedoch austauschbar zu werden. Auch lassen sich die Texte nicht mittels der Kategorien Berg Zion und Stadt Jerusalem systematisieren; sowenig, wie der Zion alle Attribute Jerusalems übernimmt, wenn von der Stadt Zion die Rede ist, sowenig hat Jerusalem umfassenden Anteil am Bedeutungsgehalt Zions. 381 Die Ps 87 und 122 thematisieren Zion und Jerusalem unabhängig voneinander. Der Zion wird gepriesen als Mutterstadt der Völker. Er ist Zentrum bzw. Nabel der Welt. Jeder, der Jhwh kennt, besitzt das Bürgerrecht Zions. Zion bedeutet Schutz und Heimat, nicht nur für Israel, sondern für die Welt. Demgegenüber zeichnet Ps 122 Jerusalem als Zentrum der Stämme Israels und als Wirkungsstätte der Davididen. Der universale Charakter Zions steht der nationalen Ausrichtung Jerusalems gegenüber. 382 Das Nebeneinander beider Texte hebt noch einen weiteren Unterschied zwischen Zion und Jerusalem deutlich hervor. Dem Zion gilt die Liebe Jhwhs. 383 Er 380
381
Vgl. TSEVAT, Art.
rtrr,
9 3 1 f.
Vgl. WANKE (Zionstheologie, 35) äußert sich in anderer Richtung, was jedoch schwerlich aus den Texten zu entnehmen ist: „Die Korachitenpsalmen setzten es als selbstverständlich voraus, daß alles das, was über den heiligen Berg Zion gesagt ist, in gleicher Weise auch für die Gottesstadt Jerusalem gilt". Nun wird in den Korachpsalmen Jerusalem nicht einmal genannt, so daß ein direkter Vergleich schwierig sein dürfte. Die differenzierte Ausdrucksweise der übrigen Texte weist jedoch in eine andere Richtung. 382 In Ps 68,30 geht der Blick über die nationalen Grenzen Israels hinaus. "D cn^Q l ' r a r ~p - „Könige sollen dir Geschenke (sg.) bringen". Jerusalem ist in diesem Zusammenhang genannt, Zion hingegen nicht. Doch ist in Ps 68 nicht Jerusalem das eigentliche Ziel der Könige, sondern Gott in seinem Tempel. Auch in Ps 79,1.3 hat Jerusalem keine Funktion in bezug auf die Völker, ist nicht der Erdkreis im Blick. Es ist vielmehr eine Klage über die Entweihung des Tempels Gottes und die Zerstörung der Stadt, gesungen von seinem Volk und den Schafen seiner Weide (v 13). Ps 79 vermittelt eine nationale Perspektive auf Gott, Stadt und Tempel. Die Völker sind Feinde. Noch einmal anders Jes 30,19. Jerusalem ist die politische und Zion die theologische Größe. 383 Vgl. auch Ps 78,68.
III.
Zusammenfassung
85
ist seine Gründung. 384 Zweifach betont Ps 87 dieses besondere Verhältnis Jhwhs zu Zion (vv 1.5). Die Liebe Jhwhs zu Zion ist einzigartig. Keiner Stadt, keinem Berg oder Tempel gehört die Liebe Jhwhs in dem Maße wie Zion. 385 Umgekehrt gilt die liebende Zuwendung des Volkes Jerusalem. In Ps 122,6 heißt es: „Es sind geborgen, die dich lieben". Ähnlich äußert sich auch in Ps 137,6 die emotionale Bindung des Beters an Jerusalem, der die Stadt höher schätzt als seine Freude. Jerusalem ist nah, greifbar und erlebbar für den Pilger, der die Stadt aufsucht und dessen Blicke auf ihr ruhen dürfen. Diese enge Bindung des Beters an Jerusalem zeigt sich ebenso in der Verknüpfung des Schicksals von Beter und Stadt. Ist es in Ps 128,5 ein Bestandteil gesegneten Lebens, Jerusalems Wohlergehen sehen zu dürfen, so hängen in Ps 51; 69 und 102 das Geschick des Beters und der Stadt in Leid und Hoffnung untrennbar zusammen. Nach Ps 51 und 69 ist die heilvolle Zuwendung Jhwhs zur Stadt auch für den Beter Anlaß, auf Rettung zu hoffen. In Ps 102 hingegen bedeutet das Ergehen Zions für den Beter Hoffnung und Verzagen gleichermaßen. Würde auch er die verheißene Zukunft gern erleben wollen und bittet er vorsichtig um die Verlängerung seiner Tage, so steht diese Zukunft dennoch aus. Er wird diese Zeit nicht mehr erleben. Das Gegenüber von Beter und Zion-Jerusalem bringt das Problem des Ausbleibens der verheißenen Zukunft der Stadt anhand des Schicksals eines einzelnen auf den Punkt. Die Ferne der Verheißung wird für ihn zum Anstoß. Die genannten Texte reden aber nicht nur von Jerusalem, sondern von Jerusalem und Zion. Ein Bedeutungsunterschied zwischen den beiden ist nicht festzustellen. Es ist jedoch zu einer Schwerpunktverlagerung gekommen. Innerhalb des Psalters, anders als in der Prophetie, ist der Zion nur dann angreifbar, nur dann zerstörte und aufzubauende Stadt, wenn er gemeinsam mit Jerusalem genannt und sinnverwandt verstanden wird. In dieser Konstellation partizipiert der Zion an den Attributen der Stadt Jerusalem. Doch durch die parallele Verwendung von Zion und Jerusalem verändert sich auch das von Jerusalem vermittelte Bild. Die Stadt wächst in ihrer Bedeutung über die nationalen Grenzen hinaus. Während in Ps 51,17.20 f. und 69,31 ff. noch der einzelne Beter und die Gemeinde Israels in der von Jhwh errichteten Stadt das Gotteslob anstimmen, sind es in Ps 102,22 f. Völker und Königreiche. Ein
384 KRAUS (Psalmen II, 767) identifiziert die Liebe Jhwhs zu Zion mit der Erwählung des Heiligtums. Ganz abgesehen davon, daß das Heiligtum in Ps 87 nicht eigens thematisiert wird, weist der Ausdruck 3ns auf eine besondere Qualität der Bindung Jhwhs an Zion. Der Kern dieser Bindung liegt im Terminus in~no\ Der Zion ist die Gründung Jhwhs außerhalb zeitlicher Begrenztheit. Mit dieser Liebe gehen Schutz Jhwhs für Zion und Sorge um die Stadt einher, wie sie keinem anderen Ort gelten. Vgl. TÄTE, Psalms II, 391 f. 385 Allein dem npir jiiö (Ps 47,5) wird sie neben Zion noch zugesagt, doch nach Ps 87 liebt Jhwh die Tore Zions mehr, als die Wohnungen Jakobs (Ps 87,2).
86
A. Zion und Jerusalem
Attribut jedoch bleibt Zion in den Psalmen vorbehalten. Nur Zion ist n-n^sn t s j (Ps 87,3). 386 Die Ps 125 und 128 bestätigen auf ihre eigentümliche Weise das bisher Gesagte. In Ps 125,1 ist der Zion der nicht wankende Berg, er trägt die Züge von Unangreifbarkeit und Beständigkeit. Jerusalem hingegen ist die Beschützte, die der Zuwendung Jhwhs bedarf, und sie ist die Glückliche 387 , deren Schicksal eng mit dem Geschick des einzelnen Gerechten verbunden ist.388 Die Zusammenfuhrung Zions und Jerusalems in der Stilform des Parallelismus stellt dem Beter ein Identifikationsmotiv bereit, das die Begrenztheit seines Lebens räumlich und zeitlich sprengt. Er kann für sich in Anspruch nehmen, was Jhwh Zion und Jerusalem zusagt. Sie werden wieder aufgebaut. Und er darf darauf vertrauen, daß er nicht wanken wird, wie der Zion nicht wankt, der in Urzeit gegründet ist und in Ewigkeit besteht. Mit allen Sinnen ist dies für den Beter erfahrbar, an der Stadt Jerusalem und in seinem eigenen Leben.
386 Vgl. Ps 46,5; 48,2.9. Offen ist allein die Zuordnung von Ps 101,8. Zum Verhältnis von Ps 48; 87 und 122 s.S. 177 ff. 387 nia, an anderer Stelle übersetzt mit „Schönheit", s. S. 70. 388 Zu Ps 126 und 129 und dem Wandel des Schicksals Zions s. S. 132 ff.
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion Gott, Heiligtum und Zion werden in den Psalmen auf sehr unterschiedliche Weise zueinander in Beziehung gesetzt. Geht man von dieser Trias aus, so könnten wohl die meisten Psalmen, die Zion erwähnen, unter dieser Überschrift behandelt werden. Zum Kriterium für die Auswahl der Texte wurde somit eine grammatische Konstruktion. Zion wird vor allem in Kombination mit den Präpositionen jo und 3, einmal mit gebraucht. Zudem weisen die Lokaladverbien Dö und ns eine hohe Relevanz fiir theologische Konzeptionen rund um Zion auf. Daß dennoch nicht alle Belege2 unter diesem Aspekt behandelt werden, liegt vor allem daran, daß einzelne Texte wie u. a. Ps 2 und 110 eine Thematik behandeln, die ein eigenes theologisches Feld eröffnet. Die Fülle der Texte, die dennoch bleibt, weist trotz hoher inhaltlicher Variabilität in einer Hinsicht eine erstaunliche Kohärenz auf, die sich im Gebrauch der Präpositionen ]0 und 3 widerspiegelt. Gott ist gegenwärtig auf dem Zion, hat seinen Wohnsitz in Zion und entsendet seinen Segen von dort. Es ist eine Raum und Zeit umspannende Dynamik, die Gottes Handeln am Menschen und an der Schöpfung ebenso erfaßt, wie die Antwort des Menschen darauf. Zentrum dieses Geschehens, gleichsam ruhender Pol und dennoch selbst nicht von der Dynamik ausgeschlossen, ist Zion.
I. „Bis sie schauen
"
Die Ps 65 und 84 preisen denjenigen glücklich, der in den Vorhöfen des Herrn wohnen darf, denn hier, ]Vü3, ist Gott gegenwärtig. Hierher zieht es den einzelnen, denn im Hause Gottes wird seine Sehnsucht nach Leben gestillt.3 Die beiden Texte variieren das Thema auf je eigene Weise und verbinden es zudem mit einem Lobpreis des Gottes auf Zion, der diesen Gott als König und Schöpfer besingt und vor den der Beter ohne Schuld treten möchte.
1
Ps 2,6. ]0: Ps 14,7; 20,3; 50,2; 53,7; 110,2; 128,5; 134,3; 135,21. 3: Ps 65,2; 76,3; 84,8; 99,2; 102,22; 132,13. 2
3
V g l . u. a. JANOWSKI, K o n f l i k t g e s p r ä c h e , 3 2 6 .
88
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
Die Reihenfolge der Untersuchung der beiden Texte ergibt sich aufgrund von inhaltlichen Beobachtungen. Ps 65 ist in mancher Hinsicht eine Weiterführung von Ps 84. 1. Der Zion als Heimat des Beters Psalm 84 Ps 84 ist ein Lied der Sehnsucht, der Sehnsucht nach den Vorhöfen (rrran) Jhwhs. Der ganze Mensch mit Seele, Herz und Leib ruft zu dem lebendigen Gott. Mit Macht zieht es ihn zu Gott auf dem Zion. Selbst wenn er nur die Schwelle des Hauses Gottes erreichen könnte, ist es doch besser dort zu stehen, als in den Zelten des Feindes zu wohnen. Durch die Auslegungsgeschichte hindurch ist Ps 84 immer wieder als ein Wallfahrtslied der Pilger zum Laubhüttenfest gedeutet worden. 4 Der Lobpreis der Wohnungen Jhwh Zebaoths wird angestimmt, wenn man in Jerusalem angekommen ist. Die Betrachtung von im Mauerwerk nistenden Vögeln regt an, diejenigen glücklich zu preisen, die das Leben im Hause Gottes verbringen dürfen. Denn darin besteht das höchste Glück. 5 Die Bilder, die der Psalmist gewählt hat, werden auf diese Weise als Umsetzung konkreter Beobachtungen und Erfahrungen in poetische Sprache gelesen. Wie kann es zu so unterschiedlichen Lesarten des 84. Psalms kommen? Wie kann auf der einen Seite von der Sehnsucht nach dem Hause Gottes und auf der anderen Seite von der Freude, die Wohnungen Gottes erreicht zu haben und preisen zu können, die Rede sein? Formulierungen, die räumliche Nähe und Distanz zum Bestimmungsort der Sehnsucht, dem Hause Gottes, ausdrücken, lösen einander ab. Bereits in den ersten zwei Versen vollzieht sich dieses Wechselspiel. Auf den Preis der Wohnungen Jhwhs folgt die Formulierung des Verlangens nach den Vorhöfen Jhwhs. Zunächst muß aber der gesamte Text in seiner vorliegenden Gestalt in den Blick genommen werden: Psalm 84 1 Für den Chormeister. Auf die Gittit-Weise 6 . Von den Söhnen Korachs. Ein Psalm. 2 Wie lieblich sind deine Wohnungen, Jhwh Zebaoth! 4 Darauf weist u.a. die Verwendung des Begriffs rniü {Frühregen, v 7 ) hin. Vgl. auch BEAUCAMP, Psaumes II, 63; KRAUS, Psalmen II, 748; B o o u , Psalm LXXXIV, 441). Zur Kritik an dieser Position vgl. BAUMANN, Struktur-Untersuchungen, 132. 5 Vgl. B o o u , Psalm LXXXIV, 438; KRAUS, Psalmen II, 748 f. 6 Der Ausdruck rührt vermutlich von einem Ortsnamen her (ra) und gibt eine Spielweise an (vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 508). Die LXX übersetzt mit X.r)vög (Weinpresse - mron) und liefert damit denjenigen ein weiteres Argument, die den Psalm als ein Lied zum Laubhüttenfest lesen.
I. „Bis sie schauen
crfrirtx "
89
3 Es sehnt sich und verlangt auch meine Seele nach den Vorhöfen Jhwhs. Mein Herz und Fleisch, sie rufen zu dem lebendigen Gott. 4 Auch der Vogel findet ein Haus und die Schwalbe ihr Nest.
wo sie niedersetzt ihre junge Brut bei deinen Altären, Jhwh Zebaoth, mein König und mein Gott. 5 Wohl denen, die in deinem Hause wohnen, sie werden dich loben immerdar 7 . Sela. 6 Wohl dem Menschen, dessen Zuflucht bei dir ist 8 (denen, deren) Pilgerwege 9 in ihrem Herzen sind. 7 Durchziehende im Tal Bacha 1 0 , zu einer Quelle machen sie es.
mit Segen (pl.) umhüllt es der Frühregen.11 8 Sie gehen von Kraft zu Kraft (bis) sie schauen 1 2 den wahren Gott 1 3 zu 1 4 Zion. 7
Die LXX verwendet die in weitere Zeiträume hineinreichende Wendung dg toii? atövag
TTÜV aicüvcov. 8
Die LXX ergänzt an dieser Stelle zijoit. Der Ausdruck rrfroo bereitet inhaltliche Schwierigkeiten, die man auf unterschiedliche Weise zu lösen versucht hat. Bereits die LXX hat mit m'wo (ävaßdoeig - Wallfahrten) den gefälligeren Ausdruck gewählt (vgl. GUNKEL, Psalmen, 371: Denn „Chausseen kann man beim besten Willen nicht im Herzen tragen." TÄTE, Psalms II, 353; SPIECKERMANN, Kosmos, 68 Anm. 22). KRAUS (Psalmen II, 747) schlägt vor r r t o (pl.; „Vertrauen"; s.a. Ps 85,9; 143,9) zu lesen, was sich in den Kontext gut einfügt und nur eine leichte Änderung im Schriftbild des ersten Konsonanten voraussetzt. Nach HOSSFELD/ZENGER ist eine Konjektur unnötig, da auch in dem Ausdruck rrfrco der Eindruck von „Pilgerwegen" mitschwingt, seien sie nun geistlich oder real (Psalmen II HThK, 509.518). 10 Angesichts der Schwierigkeit, das Tal geographisch zu lokalisieren, überliefern diverse Handschriften nonn, das „Tränental". 11 Vgl. Joel 2,23; S.a. TÄTE, Psalms II, 354. Anders noch GUNKEL (Psalmen, 371), der für Ps 84,7 ebenso wie für Joel 2,23 Textverderbnis annimmt. 12 ntn im Nif. ist in der Regel mit „sich sehen lassen; erscheinen" wiederzugeben (vgl. die Formulierungen für Gotteserscheinungen in der Genesis 12,7; 17,1; 18,1; 26,2 u.a.). Diese Lesart setzt allerdings einen abrupten Subjektwechsel voraus, doch läßt sie die Aufforderung an alle Männer Israels zur Wallfahrt dreimal im Jahr anklingen (Ex 23,17; 34,23; Deut 16,16). Aber es ist aus verschiedenen Gründen fragwürdig, ob im Kontext dieses Psalms tatsächlich „nur" von der Erfüllung des Wallfahrtsgebotes die Rede ist. Die Sehnsucht nach dem Hause Gottes weist in eine andere Richtung. Auch die singularische Form läßt an dieser Stelle aufmerken, folgend auf "^n (3.m.pl. Impf. Qal). Will man aus den genannten Gründen nicht annehmen, daß mit n m (3.m.sg. Impf. Nif.) auf das Wallfahrtsgebot Bezug genommen werden soll, so muß man von einer nachträglichen Entschärfung der Form rtm (3.m.pl. Impf. Qal) ausgehen, die die aktive Suche nach einer Gottesschau formuliert (s.a. Ps 42,3). Vgl. auch SPIECKERMANN, Kosmos, 69 Anm. 24. 13 Die Präposition ist an dieser Stelle nur in Zusammenhang mit run Nif. überhaupt sinnvoll. Die Problematik dieser Form für den Kontext ist oben benannt. Geht man von einer Pluralform im Impf. Qal aus, so ist die Präposition zu streichen oder aber als Gottesbezeichnung 9
90
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
9 Jhwh, Gott der Heerscharen, höre mein Gebet, horche, Gott Jakobs. Sela. 10 Unser15 Schild, sieh an, Gott, und blicke auf das Angesicht deines Gesalbten. 11 Denn besser ist ein Tag in deinen Vorhöfen als tausend, die ich wähle. Zu stehen an der Schwelle beim Hause Gottes, als zu wohnen in den Zelten des Frevels. 12 Denn Sonne und Schild ist Jhwh, Gott ist Gnade und Herrlichkeit. Gib, Jhwh, (und) verweigere nicht Gutes denen, die in Aufrichtigkeit wandeln. 13 Jhwh Zebaoth, wohl den Menschen, die auf dich vertrauen.
Bei Ps 84 handelt es sich um ein dreistrophiges Lied 16 , das mehrere nachträgliche Ergänzungen erfahren hat. Die Strophen sind sowohl formal als auch inhaltlich akzentuiert. Das zweifache 'nox zu Beginn der vv 5 f. markiert den Beginn der zweiten wie das doppelte 'D den Anfang der dritten Strophe. In v 13 wird das Motiv der Glückseligpreisung noch einmal aufgenommen und beschließt nun den gesamten Psalm. Ein Wechsel von Ich- und Er-bezogenen Äußerungen unterstreicht die Stropheneinteilung, wobei die dritte Strophe wiederum zusammenfuhrt, was die erste und zweite gesondert behandeln.
zu lesen [vgl. Ps 50,1; vgl. auch GUNKEL (Psalmen, 371), der allerdings c r f r x als „Auffüllung" betrachtet]. Da der Text verschiedentlich den Gottesnamen um Zufugungen erweitert, sollte es auch an dieser Stelle wahrscheinlich sein. Vgl. LXX: 6 Oeog XÜJV OECDV. S. a. HOSSFELD/ ZENGER, Psalmen II HThK, 508 ("Gott der Götter"); JANOWSKI, Konfliktgespräche, 92. 14 Der MT gebraucht die Präposition n. Nun hat 3 ein Bedeutungsspektrum, das, wenn es auch auf die Frage „wo?" antwortet, doch von sich aus kein „in", „an" oder „ a u f vorgibt. JENNI schlägt aus diesem Grunde vor, auf das neutralere „zu" auszuweichen (Präposition Beth, 179). Wenn er selbst diese Stelle mit „in Zion" übersetzt, so geht er von Zion als Stadt aus. Doch Zion in Kombination mit der Präposition Beth ist nur bei drei von sechs (mit Ps 87 sind es sieben Belege, allerdings heißt es hier nicht ¡ r m sondern auf den Namen folgt die Präposition mit Suffix, die eine Zuordnung erlaubt) Belegen eindeutig als Stadt (aufgrund des synonymen Gebrauchs mit Jerusalem bzw. aufgrund des folgenden femininen Suffixes) zu identifizieren (Ps (87,5); 102,22; 132,13). Für drei Passagen ist die Frage nach dem Geschlecht und damit auch nach der Übersetzung der Präposition nicht zu beantworten (Ps 65,2; 76,3; 84,8). Allein in Ps 99,2 ist aufgrund von v 7 deutlich von dem Berg die Rede und n mit „ a u f zu übersetzen. Deshalb wurde für Ps 84,8 die altertümliche Variante „zu" gewählt. 15 Hier als Vokativ gelesen. Ein Akkusativ-Objekt liest hier u.a. SPIECKERMANN, Kosmos, 69. 16
Vgl. a u c h TÄTE, P s a l m s II, 357. WANKE ( Z i o n s t h e o l o g i e , 19); HOSSFELD/ZENGER (Psal-
men II HThK, 512) mit abweichender Verszuteilung. Anders u.a. BAUMANN (Struktur-Untersuchungen, 132), der den Text in fünf Sinnabschnitte gliedert. BOOIJ (Psalm LXXXIV, 434) favorisiert eine Zweiteilung des Textes.
I. „Bis sie schauen p'ia rnbx-^x "
91
Die erste Strophe singt von der Herrlichkeit der Wohnungen Jhwhs. Das gewählte Vokabular ist ganz auf diesen Themenkreis ausgerichtet. 17 Der Beter scheint sich selbst jedoch nicht dort zu befinden. Seine Seele sehnt sich dorthin, denn, und das macht das in v 4 gewählte Bild besonders deutlich, an jenem Ort ist seine Heimat. Wie der Vogel sein Haus hat, darin Ruhe, Schutz und Geborgenheit findet, so kann der Beter dasselbe nur im Hause Jhwhs erfahren. Eine direkte Bitte wird allerdings nicht damit verbunden. Diese Beobachtung mag zu der Annahme führen, daß der Beter bereits am Tempel angekommen sein könnte. 18 Er würde nun, aufgrund des eigenen Augenscheins, diejenigen glücklich preisen, die im Hause Gottes wohnen dürfen - formuliert als Partizipialkonstruktion zur Hervorhebung der Dauerhaftigkeit des Zustandes. Doch muß eine solche Deutung mit einer Rückschau des Beters in v 3 begründet werden. Hinzu kommt, daß auch die vv 6 - 8 von einer räumlichen Distanz zum Heiligtum, die es erst zu überwinden gilt, ausgehen. Weiterhin reflektiert v 11 eher theoretisch eine Anwesenheit im Tempel, als daß ein tatsächliches Zugegensein vorausgesetzt ist. So ist Ps 84 wohl eher als ein Ausdruck der Sehnsucht nach dem Hause Gottes als ein Hymnus, der die Schönheit der Wohnungen Jhwhs preist, zu lesen. 19 Beide Redeweisen liegen in diesem Text jedoch nahe beieinander. Die erste Strophe wurde in v4ayö ergänzt. Das Bild der nistenden Schwalbe erhielt eine zweifache Erweiterung 20 , die zum einen den Aspekt des Geschütztund Umsorgtseins unterstreicht, nämlich das Niedersetzen der jungen Brut. Sie vertraut dem „Nest" ihre Kinder und damit ihre Zukunft an. Zum anderen wird in dieses dem Bereich der Natur entnommene Bild mit dem Hinweis auf die Altäre 21 der Tempel eingetragen. V4 schließt mit einem Vokativ: „Jhwh Zebaoth, mein König und mein Gott". Das hier hervorgehobene Königtum Gottes wird innerhalb des Grundpsalms nicht weiter thematisiert. Dennoch sind Gottes Gegenwart auf dem Zion und sein Königtum eng miteinander verzahnt, und die Anrede Jhwhs als „Sonne und Schild" ( v i 2 ) ist mit dem verwendeten Königstitel eng verbunden. Von einer späteren Ergänzung von v4asb sollte man an dieser Stelle folglich nicht ausgehen, zumal die direkte Anrede in v 5 sonst ohne Anschluß wäre und über das in v 4 beschriebene Bild auf v 2 zurückgreifen müßte. 22 17
V 2 r r a ö o ; v 3 rrran; v 4 n ' 3 .
18
S o u . a . G U N K E L , P s a l m e n , 3 6 8 F . ; KRAUS, P s a l m e n II, 7 4 9 .
19
Mittels der Anrede Tfrxi wird überdies eine Brücke zu dem Klagelied Ps 5,3 geschlagen. Vgl. ZENGER, Das Mythische, 236. 20 Diese gibt dem Bild v 4 a a ß neue Aspekte. Ging es zuvor um das Finden der Heimat, geht es nun um Vertrauen und Sicherung der Zukunft. Vgl. auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 515. Anders JANOWSKI, Konfliktgespräche, 211. 21 KISSANE betrachtet dies als einen Hinweis auf das Exil und die zerstörten Altäre (Psalms 11,69). 22 HOSSFELD/ZENGER argumentieren dagegen mit einem gleichmäßigen Aufbau des Psalms, wonach die Strophen eins und drei jeweils fünf Bikola aufweisen (Psalmen II HThK, 515; so auch ZENGER, Das Mythische, 240; ders. Ort, 191 f.). Somit erachten sie nicht nur den Hinweis
92
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
In v 5 schwenkt der Beter von wehmütigen Ich-Aussagen hin zum Preis des Wohnens und Lebens im Hause Jhwhs. Dabei entzieht er sich dem Du Gottes, denn er kann sich selbst nicht zu den hier mit "lös glücklich gepriesenen Menschen zählen. 23 Anstelle einer Ich- folgt eine Er-Rede, die nicht die Situation des Beters, sondern einen Idealzustand beschreibt. Es ist die Redeweise eines frommen Beobachters. V6 fuhrt die beschreibende Rede fort, setzt jedoch auf einer anderen Ebene an. Auch für die folgenden Verse ist der Wunsch, in unmittelbarer Nähe Gottes leben zu dürfen, leitend. 24 Die Bilder sind nun aber dem Motivkomplex Wallfahrt entnommen und zeigen durch die Bewegung der Pilgerschar in Richtung Zion die innere Bewegung des Beters auf Zion zu. V 6 beginnt mit der Glücklichpreisung derjenigen, die ihre Zuflucht bei Jhwh suchen. Sie haben „Pilgerwege in ihren Herzen", d.h. sie haben ihren Weg zu Gott bereits beschritten. Gerade für diesen Abschnitt des Psalms hat die Deutung des Textes als Formulierung einer realen Pilgersituation in der Auslegungsgeschichte breiten Raum eingenommen. Unterstützt durch die Übersetzung der Septuaginta, werden die Verse als Beschreibung eines Pilgerweges anläßlich der Wallfahrt zum Zion verstanden. Das Bachatal hat man geographisch 2 5 zu verorten bzw. botanisch zu bestimmen 2 6 versucht, wenn auch mit wenig Erfolg. Den Frühregen schließlich verstand man als Indiz dafür, daß die Pilgerreise zum Herbstfest angetreten wurde. 2 7 Gegen dieses Verständnis spricht jedoch bereits der Ausdruck c n n t a (v 6). Es sind Pilgerwege in den Herzen. Sie mögen eine konkrete Umsetzung finden, doch zunächst einmal ist eine Herzenshaltung gemeint, die Hinwendung zu dem wahren Gott. Kraus, der davon ausgeht, daß der Text reale Gegebenheiten spiegelt, ist denn auch mit seiner Konjektur von mbon zu m e t a konsequent. 2 8 Das Vertrauen auf Jhwh ist seiner Ansicht nach der innere Akt, der allerdings eine äußerliche Umsetzung im Beschreiten des Pilgerweges findet. auf Brut und Altäre, sondern auch den abschließenden Vokativ als sekundär. Doch, wie oben gezeigt, erweist sich dadurch die Anbindung von v 5 als problematisch. 23 „Hier werden Menschen als Gestalten glückenden bzw. geglückten Lebens vorgestellt, die eine Beziehung zur »Gottes-Welt« haben bzw. in der »Gottes-Welt« leben, zu der das betende »Ich« unterwegs ist" (ZENGER, Ort, 193). 24 So betrachtet auch HAUGE den Makarismus in v 5 als ein „Bekenntnis" (Sheol, 47) zu einer Lebensweise der völligen Hingabe, wie es in den v v ö f . fortgesetzt wird (ebd., 42). Eine Unterscheidung zwischen dem Leben im Hause Gottes und der in den vvöf. beschriebenen Bewegung dorthin hat allerdings einige Exegeten zu der Annahme gefuhrt, daß die zweite Strophe erst mit v 6 beginnt. Vgl. u.a. H. SCHMIDT, Psalmen, 159F.; DELITZSCH, Psalmen, 5 5 5 f.; TÄTE, P s a l m s II, 3 5 7 ; HOSSFELD/ZENGER, P s a l m e n II H T h K , 5 1 7 F . . 25
V g l . GOULDER, P s a l m s , 3 9 f.
26
So GUNKEL (Psalmen, 371), der sich den Bacha als „wundervollen, wasserliebenden Baum" vorstellen will. S.a. II Sam 5,23f. 27 S.a. ROBINSON (Interpretations, 379), der in diesem Zusammenhang auf Sach 14,17, d.h. auf die Wallfahrt zum Zion anläßlich des Laubhüttenfestes, die mit der Gabe des Regens verbunden ist, verweist. GOULDER legt durchschnittliche Niederschlagsmengen zugrunde und kommt zu dem Ergebnis: „so the early rains will have fallen in significant amounts in most years by the time the procession passed this way in the second week of the eighth month" (Psalms, 45).Vgl. DALMAN, Arbeit 1,1, 148. 28
V g l . KRAUS, P s a l m e n II, 7 4 7 .
I. „Bis sie schauen "TX3 cn^x
"
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Auf der inneren Bewegung zu Gott hin liegt ein Segen, der den Weg leicht werden läßt. Auch hier bedient sich der Psalmist bestimmter Bilder aus der Natur, um zu beschreiben, was eigentlich unsichtbar bleibt. Ein trockenes Tal wird zum Quellgrund. Auf einer als schwierig, entbehrungsreich, vielleicht sogar tränenreich 29 erwarteten Reise erfährt der einzelne Gottes Nähe und Schöpfermacht. 30 In dieser Bewegung hat jeder seiner Schritte Auswirkungen auf die Umgebung. Man meint fast, Blumen sprießen zu sehen, überall dort, wo er vorüberzieht. Von „Kraft zu Kraft", immer schneller, können die Pilger ihren Weg beschreiten. Das Ziel entfaltet eine Sogwirkung. Das Stichwort Segen fallt in der Grundfassung des Psalms nicht, wird aber nachträglich hinzugefugt. 31 Daß es dem Ergänzer in der Hauptsache um diesen Terminus ging, zeigt bereits die Wortstellung des schwer verständlichen Zusatzes. Er bleibt mit der Verbindung von Segen und Regen innerhalb der von v7a vorgegebenen Bildebene und erreicht es dennoch, auf die alles belebende Macht Gottes zu verweisen. Denn Segen geht von ihm aus. Ziel der Bewegung ist es, Gott zu Zion zu schauen. Die umfangreiche Terminologie, die der Psalmist zur Verfügung hat, um den Tempel zu beschreiben, den Ort der Gegenwart Gottes, wird auf einen Namen, auf Zion, reduziert. Zion umfaßt, was mit rrasöa, rrran und rn^K ¡ r ; umschrieben werden kann. Dadurch kann kein Zweifel darüber bestehen, wo sich die Wohnungen Gottes befinden. Zion ist dies alles, das Haus Gottes und der Ort, wo das Haus Gottes zu finden ist. 32 Mit der Nennung Zions wird jedoch der Horizont erweitert. Das Motiv der Wallfahrt zum Zion, wie es innerhalb des Psalters verschiedentlich thematisiert wird 33 , liegt hier zugrunde. Nicht allein das Ziel, sondern bereits der Weg dorthin, steht unter dem Segen Gottes und seiner unmittelbaren Gegenwart. Damit ist auf spezifische Weise auch die Außenwirkung göttlicher Präsenz auf dem Zion dargestellt. Jhwh hat dort seine Wohnungen - und diese allein können Heimat für den Beter sein. Wer seine Zuflucht bei Jhwh sucht, wer Pilgerwege in seinem Herzen mit dem Ziel begeht, den Herrn auf Zion zu schauen, wird die schöpferische Machtentfaltung dieses Gottes erfahren. In den v v 9 f . werden schließlich doch Bitten formuliert. Es sind Rufe nach Aufmerksamkeit, Zuwendung und Schutz des Gottes der Heerscharen. Jetzt 29 Es ist TÄTE an dieser Stelle recht zu geben, wenn er die lautmalerische Nähe von xon und rD3 als beabsichtigt interpretiert (Psalms II, 353). 30 „Wo der Zions-Gott auftritt, verwandelt er das Chaos in Kosmos und läßt er die paradiesischen' Wasser des Lebens entspringen" (ZENGER, Das Mythische, 241; s.a. ders., Ort, 193). HAUGE nennt es „a miraculous journey" (Sheol, 45). JETTER formuliert poetisch: „Wenn man zum Gottestempel pilgert, zieht man durch Wüsten, als wären es Oasen" (Erfreuliches, 18). 31 V 7 b sticht vor allem deshalb aus dem Kontext hervor, weil v7a und v 8 die Pilger zum Subjekt haben, v 7b jedoch den Frühregen, der das in v 7a genannte Tal mit Segen umhüllt. Vgl. auch BAUMANN, Struktur-Untersuchungen, 135. 32 Vgl. SEYBOLD (Psalmen, 332), der auch das Heiligtum von Dan in Betracht zieht. 33 Vgl. zu den Wallfahrtsliedern Kap. B II.2.
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B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
gibt sich auch überraschend das betende Ich als „dein Gesalbter" zu erkennen. Das Gebet wird zum Gebet des Königs. Es geht nicht mehr um die Sehnsucht eines einzelnen oder einer Pilgerschar nach dem Hause Gottes, sondern um die Unterordnung des Königs unter den Gott Jakob-Israels, der seine Wohnung auf dem Zion hat. Das Königtum Gottes wird nur verhalten thematisiert durch den Vokativ in v 4 und die Anrede Gottes als P M DDÖ34 in v 12. Es ist kein eigenes Thema des Psalms. Die Bitte des Königs 35 um Zuwendung erweist sich als ein Zusatz 36 , der dem Psalm einen neuen Duktus verleiht und ihn in Bezug zu Ps 89 setzt. Dieser Text besingt Jhwh trotz aller Problematisierung wegen seiner Gnadentaten, seiner Macht und Herrlichkeit und seines Bundesschlusses mit David (Ps 89,4), dem Schild des Volkes (Ps 89,19). Mit v 11 beginnt die dritte Strophe des Psalms. Handelt die erste von der Sehnsucht nach dem Hause Gottes und preist die zweite Strophe die Gottesnähe der Pilger, greift die dritte Strophe beide Aspekte auf, um den Psalm in v 13 mit einem Makarismus 37 zu schließen. V11 meditiert das Verweilen in den Vorhöfen des Tempels. Die übergroße Gnade, dort zugegen sein zu dürfen, setzt alle Zeitmaßstäbe außer Kraft. Ein Tag am Tempel ist wertvoller als tausend Tage an dem schönsten Ort eigener Wahl38: Die Schwelle des Hauses Gottes allein bietet mehr 34 Vgl. STÄHLI, Solare Elemente, 42 f. NIEHR spricht sich zwar für die Vorstellung Jhwhs als Sonnengott, jedoch gegen eine Verbindung mit königlichen Attributen aus, da sich diese in Israel für den irdischen König nicht finden (Höchster Gott, 157). ARNETH hingegen kommt bei seiner Analyse von Ps 72 zu dem Ergebnis, dass es eine Verbindung von Sonnensymbol und Königtum gegeben habe (Sonne, 201). S.a. JANOWSKI, Konfliktgespräche, 92. 35 Hin (vlO) „unser Schild" ist grammatisch auf zweifache Weise lesbar, als AkkusativObjekt oder als Vokativ. Als Akkusativ-Objekt verstanden, wäre es eine Bezeichnung für den Gesalbten. Obgleich die vv9f. mit großer Wahrscheinlichkeit sekundär sind, so ist doch aufgrund der Vorgabe von v 12 anzunehmen, daß Gott auf diese Weise angesprochen wird, es sich also um einen Vokativ handelt. In Ps 89,19 ist mit po wohl nicht der Gott Israels, sondern der König gemeint, was allerdings mit der Wachstumsgeschichte dieses Textes zusammenhängt, der hier eine Nahtstelle hat und von einem Jhwh-Hymnus in eine Orakelbeschreibung zur Erwählung der Davidischen Dynastie übergeht (vgl. WANKE, Zionstheologie, 20). Alle weiteren Belege des Psalter sprechen von Gott als Schild (vgl. auch Boou, Psalm LXXXIV, 434f.). Folglich läßt auch die Nähe der Formulierung zu Ps 89,19 eine Lesart, gelöst vom Kontext, nicht zu. S. a. BECKER (Kollektive Deutung, 307), der den „Schild" auf Jhwh, den Gesalbten jedoch auf das Volk deutet. 36
Vgl. WANKE, Z i o n s t h e o l o g i e , 17; DUHM, P s a l m e n , 3 2 3 f.; HOSSFELD/ZENGER, P s a l m e n II
HThK, 514. Anders u. a. BOOIJ (Psalm LXXXIV, 441), der aufgrund seiner kultischen Verortung des Textes im Rahmen des Laubhüttenfestes dem Gebet einen Platz im Festverlauf einräumt, wobei er aber offen hält, ob das Gebet von den Pilgern oder dem König selbst gesprochen wird. Ähnlich auch KRAUS, Psalmen II, 748. TÄTE (Psalms II, 360) macht seine Deutung von der Datierung des Textes abhängig. Er sieht diese Passage entweder als ein Gebet für den König (vorexilisch), oder als ein Gebet für den Hohenpriester (nachexilisch) an. In beiden Fällen erachtet er den Text als in einer Festsituation gesprochen. 37 Vgl. dazu auch KÄSER, Beobachtungen, 240 f. Er bezeichnet den Makarismus als eine „Besiegelung der Bewegung" auf den Gott Israels zu (ebd., 241). 38 Der MT formuliert hier Tnrn, was meines Erachtens unproblematisch und d. h. kontextgemäß ist. Was der Beter zu wählen vermag, alle seine Wünsche und Vorstellungen, reichen nicht an das heran, was das Haus Gottes darstellt und vermittelt. Aufgrund ungleicher Länge
1. ,, Bis sie schauen
CTI^X'^X "
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Schutz, als „andere Zelte" es vermögen. Daß der Psalmist nun von den «ÖT-Vrix spricht, mag zunächst überraschen. Natürlich sollte der Tempel des Herrn einem Vergleich mit Zelten des Frevels standhalten. Doch haben auch sie als potentielle Orte „eigener Wahl" eine Anziehungskraft, der es zu widerstehen gilt. Die Ausrichtung des Beters auf den Tempel ist letztlich eine Ausrichtung auf den Gott zu Zion, der Sonne und Schild, Gnade und Gerechtigkeit ist. Das Heiligtum aber ist Mittler der Nähe dessen, der alles Gute denen tut, die auf ihn vertrauen. In jedem ersten Vers einer Strophe ist es genannt als "prniDtöa (v2), "[rrn (v5) und " p ü n (v 11), stets mit dem Suffix der 2.m.sg. Es ist keine eigenständige Größe, sondern das Heiligtum Gottes. Wanke zieht aus dieser engen Bindung von Gott und Heiligtum den Schluß, daß sich durch die Lokalisierung der Jhwh-Gegenwart an einem Ort die „theologischen Aspekte von Jahwe weg auf den Ort" 39 verlagern. In Bezug auf Ps 87 kann er sogar sagen, daß Jhwh Mittel zum Zweck geworden sei. 40 Dem steht jedoch entgegen, daß das Ziel des Beters die Schau des Gottes auf Zion ist. Das Heiligtum aber ist der Raum, „in dem die Beziehung Gottes zum Menschen gelebt werden kann" 41 , der Raum, wo wahres Leben möglich ist. Die Fülle der in Ps 84 verwendeten Epitheta 42 beschreibt diesen Gott auf vielfältige Weise, ohne die gleich anfangs gewählte Redeebene, Ausdruck der Sehnsucht nach den Vörhöfen Jhwhs, zu verlassen. Es werden Querbezüge geschaffen, die vor allem den Einen beschreiben, den Gott zu Zion. Ist in Ps 84 selbst eher mit knappen Worten, wenn auch in zentraler Stellung, auf die Zion-Bindung Gottes verwiesen, so geschieht dies ausfuhrlich über den Namen rroaü mn\ Er ist im Psalter im Vergleich zum übrigen Alten Testament recht selten belegt. 43 Gerade aber die Rede von msns mrr in den Korachitenpsalmen der zwei Stichen nimmt BOOIJ an, daß es sich hier um einen Überlieferungsfehler handelt und schlägt vor, dass stattdessen vmKm „in my courts" zu lesen wäre. Er betrachtet den Vers als vom König selbst gesprochen, ein demütiges Gebet, das die Bitte von vlO rechtfertigt (Royal Words, 117fr.). Anders ROBINSON (Interpretations, 380), der die Lesart -nnrn „days of my youth" vorschlägt. WANKE ist der Ansicht, daß nach ~|'~KM eine weitere Ortsangabe zu erwarten wäre und übersetzt mit „in meiner Kammer" (Zionstheologie, 17). Schließlich soll noch ein weiterer in die Diskussion eingebrachter Vorschlag genannt werden. BUCHANAN versucht eine parallele Formulierung zu uöT'^nxn zu finden und favorisiert "ix moaa „in high places of iniquity" (Courts, 231). 39
WANKE, Z i o n s t h e o l o g i e , 34.
40
Vgl. WANKE, Zionstheologie, 34.
41
SPIECKERMANN, K o s m o s , 7 0 .
42
miax mrr (vv2.13); mrr (vv3.12); -rr^x (v3); TI^XI -n^a mxnü mrr (v4); c-n^irtx (v8); rrons trrf?x mm (v9); npsr -n^x (v9); imn (vlO); crrYpn (vv 10.11); (v 11); mm pm tinü (vl2).
SCHAPER (Studien zu Ps 42/43, 27) betont die Vermittlungsfunktion der Epitheta in Ps 84 zwischen der ersten und zweiten Gruppe der Korachpsalmen. 43 Zur Statistik vgl. WANKE, Zionstheologie, 40f. Im Psalter sind die Belege allerdings auf interessante Weise verteilt. Es sind die Ps 24,10; 46,8.12; 48,9; 69,7, die die Bezeichnung mxnü mrr verwenden. Hinzu kommen Belege für nixnn DTI^X mrr bzw. mrau crfris in Ps 59,6; 80,5.8.15.20; 89,9.
96
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
46 und 48 läßt aufmerken. Auch in diesen Psalmen ist es der Titel für den auf dem Zion herrschenden Gott. 44 Das Epithton „Gott Jakobs" ist nachträglich in den Psalm eingetragen worden, parallel zu mios •-n'ps mrr (v9). Daß hier wiederum auf einen Korachpsalm, nämlich Ps 46 Bezug genommen wird, verwundert nicht. Hinzuweisen ist aber darauf, daß mit „ Gott Jakobs" nun Israel als nationale Größe in den Blick kommt, als Volk, das eine Geschichte mit diesem Gott hat. 45 Auch Israel ist gebunden an den Zion. 46 So zeigt Ps 84 wie kaum ein anderer Text des Psalters eine weitgehende Verschränkung von Aussagen über Zion und Heiligtum, Heiligtum und Gott, Gott und Zion. Was im einzelnen mit den Begriffen rruDiöD, rrnün und trn^K rra bedacht wird, kann in einem Wort zusammengefaßt werden: Zion. Die Sehnsucht des Beters ist ausgerichtet auf die Gegenwart Gottes im Heiligtum, und dieser Gott ist „Zion" steht für all das, wonach sich der Beter von Ps 84 sehnt. 47 Ps 84 formuliert als Eröffnungspsalm des zweiten Teils der Korachitensammlung (Ps 84-88*), was bereits Ps 42/43 (Eröffnungspsalm des ersten Teils der Korachitensammlung 48 ) zum Thema hat, die Sehnsucht nach dem Heiligtum Gottes. 49 Die beiden Texten gemeinsame Gottesbezeichnung ist TT^X. In Ps 42/43 ist es der die dürstende Seele 50 stillende Gott. Ps 84,2 nimmt diesen Gottesnamen auf. So eröffnet sich dem Beter des Psalms gleichermaßen das tief empfundene Leid, das Leben reduziert 51 , wie es in Ps 42/43 formuliert ist. 44 WANKE kommt allerdings zu dem Schluß, daß keine festgefügte Tradition hinter dem Epitheton steht. „Er regt offenbar zu Assoziationen an, die in verschiedener Richtung verlaufen können" (Zionstheologie, 43). Eine traditionsgeschichtliche Begrenzung auf eine „Jerusalemer Kulttradition" scheint für diesen Gottesnamen nun tatsächlich nicht sinnvoll (vgl. dazu auch die breite Streuung der Belege in der Prophetie). In Ps 84 sind verschiedene Titel gewählt, die j e für sich einer inhaltlichen Einengung zuwiderlaufen. Dennoch sind es die auf der Ebene des Psalters hergestellten Bezüge, die eine Aussageintention aufzeigen. Wie in den Ps 46 und 48 verbindet sich mit diesem Titel der Gott zu Zion. 45 Vgl. dazu besonders die Belege in Ps 81 (vv2.5.9). Andere Belege für npir •n'ps finden sich in Ps 20,2; 46,8.12; 75,10; 76,7; 94,7. ZOBEL schreibt zur Verwendung von npsr bzw. apj)" -n1?», daß trotz einer Verschiebung des Begriffsinhalts von der nationalen zur religiösen Gemeinschaft die nationale, gerade in Kombination mit Israel, wie in Ps 14,7, Bedeutung überwiegt (Art. npjr, 774.777). 46 Die Äußerung WANKES (Zionstheologie, 58), daß „Gott Jakobs" ebenso wie Jhwh Zebaoth „zu einer unreflektierten Gottesbezeichnung geworden" sei, ist unangemessen. 47 Die starke Verzahnung der drei Größen Gott, Heiligtum und Zion wird auch dadurch möglich, daß Zion ohne Artikel und ohne den Zusatz Berg gebraucht ist. In Ps 43,3 z.B. ist von „deinem heiligen Berg" die Rede. „Zion" bleibt als Terminus in Ps 84 einigermaßen unspezifisch und ist deshalb in seinem Bedeutungsgehalt nicht auf die Begriffe Berg oder Stadt einzugrenzen. So kann Zion schließlich auch als Symbol für Gottesnähe gebraucht werden. 48 Zum gleichartigen Aufbau der beiden Psalmengruppen vgl. u.a. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 520f.; SCHAPER, Studien zu Ps 42/43, 31 f. 49 Vgl. auch TÄTE, Psalms II, 356 f. 50 Zum Durst als Metapher für die Gottessehnsucht vgl. u.a. Ps 63,2; 84,3; 143,6; Jes 41,7. 51 Insbesondere in Ps 42,8 ist mit drastischen Bildern der Einbruch des Chaos, d. h. der Sog in die Sphären des Todes dargestellt.
I. „Bis sie schauen
cn^s bx "
97
D e n n o c h z e i g t der R ü c k b l i c k a u f P s 4 2 / 4 3 z u g l e i c h , daß der B e t e r v o n Ps 8 4 in s e i n e r B e t r a c h t u n g e i n S t ü c k w e i t e r a u f d e m W e g R i c h t u n g Z i o n ist. D i e b e d r o h l i c h e n C h a o s w a s s e r ( P s 4 2 , 8 ) w e r d e n zur fruchtbaren Q u e l l e ( P s 8 4 , 7 ) 5 2 , u n d der B e t e r v e r m a g bereits d i e j e n i g e n z u preisen, an deren S t e l l e er s e l b s t s e i n möchte, w o h n e n d im Hause Gottes. P s 8 4 ist e i n e späte K o m p o s i t i o n , 5 3 d i e Ps 4 2 / 4 3 v o r a u s s e t z t . Er reflektiert das T h e m a Wallfahrt h o c h t h e o l o g i s c h als „ P a r a d i g m a m e n s c h l i c h e r E x i s t e n z
coram Deo"5A. 2. D e r Z i o n als Ort der S ü h n e Psalm 65 P s 6 5 führt in m a n c h e r H i n s i c h t aus, w a s Ps 8 4 nur andeutet. H i e r w i r d klarer, w e s h a l b e s d e n B e t e r z u m H e i l i g t u m z i e h t , u n d hier w i r d d i e M a c h t e n t f a l t u n g d e s G o t t e s z u Z i o n mit k r a f t v o l l e n B i l d e r n b e s c h r i e b e n . A u c h d i e G o t t e s b e z e i c h nung
D-n^K ( P s 6 5 , 2 ; 8 4 , 8 ) u n d d i e "ffiX-Formulierung ( P s 6 5 , 5 ; 8 4 , 5 f. 13),
d i e b e i d e n T e x t e n g e m e i n s a m sind, l e g e n e i n e B e t r a c h t u n g v o n P s 6 5 i m A n s c h l u ß an P s 8 4 nahe. Psalm 65 1 Für den Chormeister; ein Psalm Davids, ein Lied 2 Dir gebührt 5 5 Lobpreis, Gott zu Zion 5 6 , und dir erfülle man Gelübde (sg.) 5 7 ,
52
Vgl. SCHAPER, Studien zu Ps 42/43, 35. Ein ausfuhrlicher Vergleich der beiden Texte ist von GOULDER (Psalms, 38) durchgeführt worden. 53 Gestützt wird diese Einschätzung auch dadurch, daß die ntix-Formulierungen vorexilisch kaum denkbar sind (vgl. dazu die Belege innerhalb der Psalmen und der weisheitlichen L i t e r a t u r ; s . a . KÄSER, B e o b a c h t u n g e n , 2 2 9 ; CAZELLES, A r t . " e x , 4 8 1 f f . ) . S . a . JANOWSKI,
Konfliktgespräche, 91. Anders noch MOWINCKEL (Psalmenstudien II, 190), der zur Datierung ein intaktes Königtum voraussetzt. S.a. GUNKEL, Psalmen, 370; KRAUS, Psalmen II, 748; KISSANE, P s a l m s II, 6 6 f. 54
SPIECKERMANN, Kosmos, 69 Anm. 27. Vgl. auch TATE, Psalms II, 362 f. Diese Übersetzung ist nicht unstrittig, r r m als „Schweigen, Ruhe" verstanden, wäre abgeleitet von c n I bzw. noi II „schweigen". Oder aber es rührt mit abweichender Punktion von HOT I „gebühren, entsprechen" her. Ahnlich übersetzt auch die LXX mit jtQÉjm. Nun ist ein stiller Lobpreis zwar nicht unmöglich, entspringt dann aber einer anderen Situation des Beters, nämlich der Not und Zerschlagenheit (vgl. Ps 62,2). Die Seele soll schweigen, d. h. ruhen und nicht klagen. Hier aber wird Gotteslob gesungen. Anders HOSSFELD/ZENGER (Psalmen II HThK, 213 f.), die die Nähe des Textes zu Ps 62 als Argument für die Variante des MT heranziehen. S.a. SPIECKERMANN, Hymnen, 98; ders., Schweigen, 577f.; SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 199. 56 Vgl. dazu Ps 84,8. 57 Die LXX ergänzt hier èv IepouacAriix. 55
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B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
3 der du das Gebet erhörst, bis zu dir alles Fleisch kommt. 4 Angelegenheiten der Sünde sind mächtig über mir 5 8 unsere Verfehlungen, du sühnst sie. 5 Wohl dem, den du erwählt hast und nahen läßt, der in deinen Vorhöfen wohnt. Sättigen wollen wir uns an den guten Gaben deines Hauses, der Heiligkeit deines Tempels. 6 (Mit) Ehrfurcht gebietenden Taten in Gerechtigkeit antwortest du uns, Gott unseres Heils, Gegenstand des Vertrauens aller Enden der Erde und des fernen Meeres 5 9 . 7 Fest gründend die Berge mit seiner Kraft, umgürtet mit Macht, 8 besänftigend das Getöse des Wassers, das Getöse ihrer Wellen, und den Lärm der Völker. 9 Da fürchteten sich die Bewohner der Enden (der Erde) vor deinen Zeichen; das Aufgehen des Morgens und des Abends läßt du jubeln. 10 Du kümmerst dich um das Land und läßt es überströmen, du machst es sehr reich. Der Bach Gottes ist voll Wasser, du richtest ihr Getreide auf, j a so richtest du es (das Land) auf. 11 Seine Furchen sättigst du, seine aufgeworfene Erde ebnest du, mit Regen löst du sie auf, sein Gewächs segnest du. 12 Du bekränzt das Jahr (mit) deinen Gütern, und deine Pfade träufeln von Fett. 13 Es träufeln die Plätze (der wilden Tiere in) der Wüste, und (mit) Jubel umgürtest du Hügel. 14 Es sind bekleidet die Auen mit Kleinvieh, und die Täler bedecken sich mit Korn, sie jubeln sich zu, j a singen auch.
Die Gliederung von Ps 65 ist verhältnismäßig unstrittig. Das Lied besteht aus drei Strophen ( v v l - 5 ; 6 - 9 ; 10 14)60, die sich in erster Linie durch ihre in58 Das Suffix der 1 .c.sg stimmt nicht überein mit dem folgenden Suffix der 1 .c.pl. Die LXX hat hier eine Angleichung vorgenommen, doch ist eine strenge Scheidung zwischen SprecherIch und Gruppe nicht notwendig (vgl. auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 213 f.). 59 Die Pluralform r p m hat Zweifel an Richtigkeit von c geweckt. Vom Konsonantenbestand abweichende Varianten sind ••n» (s) oder c - "xi (c). 60 Wie oben vorgeschlagen vgl. WEISER, Psalmen II, 314ff.; TÄTE, Psalms II, 139.142 f.; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 215 ff.; GOULDER, Prayers, 172 f. (er bezieht die Überschrift nicht mit in die Zählung ein, daher ergibt sich gegenüber anderen Gliederungen eine Verschiebung); SCHROER, Psalm 65, 288; SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 200. Anders AUFFRET (Voyez, 147 ff.), der vier Abschnitte herausarbeitet und die vv 10-11 und 12-14 separiert. Diskutiert wird dennoch die Abgrenzung in den vv 3-4. So zieht u. a. KRAUS (Psalmen II, 608) v3b zu v4a und übersetzt: „Zu dir bringt alles Fleisch der Sünden Lasten" (s. a. AUFFRET,
I. „Bis sie schauen P-M CTI'W'PN "
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haltliche Schwerpunktsetzung voneinander unterscheiden. Die Anrede Gottes erfolgt nahezu durchgängig direkt in der 2.m.sg. Hymnische Partizipien sind nur begrenzt in den vv3.6-8 eingesetzt, so daß sich auch durch derartige Gestaltungsmittel keine von der inhaltlichen Ausrichtung abweichende Struktur des Textes ergibt. Die drei Strophen sind drei Wirkungs- bzw. Herrschaftsbereichen des Gottes zu Zion zugeordnet, dem Kult am Tempel, der Völkerwelt und den Chaosmächten sowie der Mensch und Tier nährenden Schöpfung. Kein anderer Psalm stellt den Kult so umfassend und klar und mit direktem Bezug auf den Beter dar. Priesterliche Terminologie ist deutlich greifbar 61 , ohne daß der Text die Ebene persönlicher Betroffenheit verläßt. Während in Ps 84 die Sehnsucht des Beters nach der Nähe des Zionsgottes alle Äußerungen bestimmt, wird in Ps 65 zur Sprache gebracht, was der Beter erwartet - ein Leben frei von Schuld, denn nur dann ist Leben in der Gegenwart Gottes, und damit ist Leben überhaupt möglich. In der ersten Strophe wird das grundlegende Element israelitischen Gottesdienstes allem anderen vorangestellt genannt, der Lobpreis Gottes. Die Aussage ,, dir gebührt Lobpreis " ist selbst schon Lobpreis und Intonation des gesungenen Psalms. 62 Gott ist hörender (v3) und vergebender Gott (v4). Er ist seiner Gemeinde antwortend zugewandt (v 6), handelt machtvoll (v 6 ff.) und fürsorglich (vv 10 ff.). Das alles sind Attribute des Gottes zu Zion. Der Bezug zu Zion wird durch die Stellung zu Beginn der ersten Strophe zugleich für den gesamten Psalm hergestellt. Lob gebührt dem Gott zu Zion, und die Bewohner der ganzen Erde (v 9) wie auch die Natur (vv 13 ff.) stimmen ein. Die Septuaginta ergänzt in V 2 ev IEOOIXTU/UIU. Darin ist wohl zunächst einmal der Versuch zu erkennen, den Parallelismus „vervollständigen" zu wollen. Das Lob „in" Zion stünde parallel dem Gelübde in Jerusalem. Aber reicht der Voyez, 138 f.). Er fiihrt fort: „Wurden uns zu groß unsere Vergehen - du schenkst Vergebung". Nach SEYBOLD endet die erste Strophe erst mit v6a (Psalmen, 252; KRAUS (Psalmen II, 610f.) zieht v6 ganz zur ersten Strophe). Damit nimmt er den Wechsel vom persönlichen Stil der ersten Strophe hin zum hymnischen Stil der zweiten in v 6 zum Anlaß für eine solche Gliederung. Doch wenn über n a (v6a) auch ein Bezug zu v 3 (soö) hergestellt wird, so läßt sich die inhaltliche Schwerpunktsetzung, die bereits in v6a vorhanden ist, kaum mit der ersten Strophe, sondern nur mit der zweiten in Zusammenhang bringen. Die Ehrfurcht gebietenden Taten werden ab v 7 beschrieben. 61 Dazu gehören die Begriffe n : , ¡u), l a s , mp. Sie haben ihren Ort vor allem in der priesterlichen Sühnetheologie. 62 Anders u. a. DAHOOD, der den Imperfekten der vv 2-9.13-14 eine jussivische Konnotation gibt und den Psalm als ein Gebet um Regen liest (Psalms II, 109). TÄTE nimmt eine Zwischenposition ein, wenn er schreibt: „Thus the psalm is a prayer for rain and the ,bounty' which crowns a good year; it waits to become a thanksgiving". Dementsprechend versteht er auch den gesamten ersten Abschnitt als Gebet um Vergebung (Psalms II, 139). Dennoch muß auch er einräumen: „This psalm seems to move on two tracks through its three sections. One track is the hymnic praise which sets forth the power of God" (ebd., 143). In diese Beurteilung bezieht er auch die erste Strophe mit ein.
100
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
stilistische Aspekt aus?63 Auf einen weiteren verweist die Formulierung von Ps 68,30. Der Tempel ist in Jerusalem.64 Dorthin wendet sich der Beter, um Gott zu Zion zu loben. Die Septuaginta arbeitet mit dem Zusatz ev I E Q O V O C A T P den irdisch lokalen Aspekt des Topos Zion heraus, der weit über die weltlichen Gegebenheiten hinausgeht.65 Ein weiterer Bestandteil des Kultes und wiederum gleichzeitig Aussage über den Gott zu Zion ist das Leisten und Einlösen von Gelübden. Hinter einer zunächst nach pflichtgemäßer Frömmigkeit klingenden Formulierung steht das Bewußtsein, in Gott ein fursorgendes Gegenüber zu haben. Gott ist derjenige, der seinen Teil der Verpflichtung verläßlich einhält, wenn ein Gelübde geleistet wird, und so sagt nun auch der Beter das Seine zu.66 Die Septuaginta übersetzt das v 3 einführende Partizip aaö als Imperativ. Doch die Wahl des Partizips ist ungewöhnlich67 und betont gerade dadurch das für den Beter so wichtige göttliche Attribut: Gott ist ein hörender Gott. Kein an ihn gerichteter Ruf geht ungehört und unbeachtet an ihm vorüber.68 Zu diesem, dem einzelnen zugewandten Gott, kommt alles Fleisch. meint den Menschen/ die Menschen. Ein erster Blick auf die Universalität des Zionsgottes, wie er ab v6 beschrieben wird, tut sich auf. Nicht nur Israel, sondern alles Fleisch wird die Herrlichkeit Gottes erkennen und zu ihm kommen.69 Ein persönliches Bekenntnis des Beters schließt sich an. „Sündentaten" '"Ol ruir wachsen ihm über den Kopf. Doch der Beter weiß, wohin er sich wenden kann, da er selbst machtlos ist. „Du sühnst sie. " In v4 werden mit jU5, DE® und HEC wesentliche Termini priesterlicher Sühnetheologie aufgegriffen. Außerhalb des Psalters würde eine derartige Zusammenstellung keinerlei Fragen aufwerfen. Die Antwort auf und DES ist Sühne im Opferkult Israels. Das ist im Psalter nicht grundsätzlich anders. nsD ist dreimal, d.h. nicht besonders häufig, im Psalter belegt: neben Ps 65,4 noch in Ps 78,38 und 79,9. Kultische Sühne unterliegt im Psalter zudem eher 63
Es ist zu bedenken, dass die Anrede „Gott zu Zion" beiden Gliedern des Parallelismus zugehört. Damit ist die Zufugung von Jerusalem ein eher ungeschickter Versuch der Angleichung des zweiten an das erste Glied. Vgl. auch TÄTE, Psalms II, 137. 64 Ps 65 verweist auch mit der Bezeichnung "rsn (v 5) auf Ps 68,30, der viele Bezeichnungen für den Tempel kennt, aber nur an dieser Stelle "rsn verwendet. Zur Besonderheit der Formulierung c ' r o r r t j ) in Ps 68,30 s.S. 151 ff. 65 In Ps 68 werden durch die Nebeneinanderstellung der Thronbesteigung Jhwhs und des Gottesdienstes im Tempel himmlisches und irdisches Heiligtum zueinander ins Verhältnis gesetzt. 66 Neben vielen anderen Belegstellen vgl. Num 30,3. 67 In den Psalmen kommt jjdö als Imperativform der Anrufung Jhwhs 17 mal, als Partizipialkonstruktion mit Jhwh als Subjekt jedoch nur zweimal vor. 68 rfrsn meint in der Regel Klage (vgl. Ps 55,2; 61,2; Hi 16,17; Jes 38,5; darauf begrenzt an dieser Stelle auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 215), kann aber vereinzelt auch im Kontext von Lob und Dank eingesetzt werden (vgl. Neh 11,17; Hab 3,1). Vgl. TÄTE, Psalms II, 140 f.; SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 201. 69 Vgl. dazu u.a. Jes 40,5; 49,26; 66,16.23.24; Joel 3,1; Sach 2,17; Ps 136,25; 145,21.
I. „Bis sie schauen p'sa rn^x"1?!« "
101
der Kritik.70 Aus diesem Grunde geht Tate davon aus, daß in Ps 65 das "is>Geschehen als ein Vorgang ohne dazugehörige Opfer verstanden wird.71 Doch dazu bietet Ps 65 keinen Anlaß. Im Gegenteil, der Tempelgottesdienst wird in seinem ganzen Facettenreichtum wahrgenommen, und der Beter weiß sich einbezogen, sei es in Lobpreis und Gebet, sei es durch Inanspruchnahme der Sühne.72 Das Sühnegeschehen ist Teil der guten Gaben des Hauses Gottes, die für ihn bereitstehen (v 5). Das vorangestellte nnx betont, daß Gott es ist, der Sühne erwirkt, läßt jedoch offen, wie das geschieht. Zudem ist es fragwürdig, den Opferkult als menschlichen Akt der gnädigen Zuwendung Gottes entgegenzustellen. Gott selbst hat diesen als Form und Möglichkeit der Wahrung des Lebens in der Gegenwart Gottes eingerichtet. So bleibt in Bezug auf Ps 65 lediglich festzustellen, daß der Opferkult nicht genannt wird - ausgeschlossen ist er jedoch keinesfalls. Dem Nahen allen Fleisches steht kontrastreich die Aussage von v5 gegenüber. „ Wohl dem, den du erwählt hast und nahen läßt ". Es ist fraglich, inwieweit es sich hier um das Hervorheben einer einzelnen Gruppe, nämlich der der Priester, handelt oder ob der Psalmist die in v3 eröffnete universale Ebene beibehält. Für die Eingrenzung des Personenkreises auf die Priester- oder Tempeldienerschaft spricht der Aspekt der Erwählung.73 Jedoch fährt v5ayb in einer Weise fort, wie sie für jeden Pilger gültig ist. Es zeigt sich in der Kombination von "ira und mp, daß es ein Privileg ist, sich in den Vorhöfen aufhalten zu dürfen. Auch wenn es hier für gilt74, ist und bleibt der Aufenthalt im Heiligtum ein Akt der Erwählung und somit ein Akt der Gnade. V5 ist gestaltet als eine Seligpreisung desjenigen, der verweilen darf in den Vorhöfen, ähnlich Ps 84,5. Hier wie dort wird ein Idealzustand formuliert, den der Beter auch selbst anstrebt. Doch anders als in Ps 84 zweifelt der Beter von Ps 65 nicht an der tatsächlichen Umsetzung. Dabei geht es weniger um die Frage, ob er an einem Kultmahl anläßlich eines großen Festes teilnimmt.75 70
S. 48 ff.
71
TATE, P s a l m s II, 1 4 1 . S . a . SÜSSENBACH, D e r e l o h i s t i s c h e P s a l t e r , 2 0 2 . JANOWSKI s c h r e i b t :
„Wie an keiner dieser Stellen von einer Versöhnung, Beschwichtigung oder einem Gnädigstimmen Gottes durch den Menschen die Rede ist, so wird auch nirgends davon gesprochen, daß Gott vom Menschen Sühne fordert: Gott gewährt, ermöglicht Sühne (Dtn 32,43), d.h. er »vergibt« (Jes 6,7; 27,9; Ez 16,63; Ps 65,4; 78,38; Dan 9,24), während der Mensch um Vergebung bittet (Dtn 21,8a; Ps 79,9; 2Chr 30,18)" (Sühne, 134). 72 Ps 65 unterscheidet sich insofern von den zwei weiteren "iSD-Belegen, als daß hier der Tempelgottesdienst der Kontext für die Aussage vom Sühnewillen Gottes ist. Inwieweit jedoch Ps 78,38 und 79,9 ns;-Handeln jenseits des Kultes als gnädigen Akt Gottes verstehen, läßt sich auch dort kaum beantworten. 73 In Num 16 (v 5) wird die Frage des m p als Streitpunkt zwischen Aaron und Mose einerseits und den Korachiten andererseits geschildert. Nur wer erwählt ist, darf sich Gott nähern (s.a. Ex 40,12.14). 3~ip ohne Erwählung und rechte Umsetzung ist lebensgefährlich (vgl. Lev 10,1-3; 16,1 f. 12f). Vgl. auch VON RAD, Theologie, 418 Anm. 49. 74 Vgl. KRAUS, Psalmen II, 611; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 216. 75
V g l . KRAUS, P s a l m e n II, 6 1 1 ; SEYBOLD, P s a l m e n , 2 5 4 .
102
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
Die Wahl des Kohortativs zeugt jedoch von dem Wunsch und Willen 76 , sich zu sättigen „ an den guten Gaben " des Tempels, d. h. an der alles umfassenden und ermöglichenden Gegenwart Gottes. Sie ist es, die die Heiligkeit des Tempels ausmacht. Der Anfang von v 6 und damit der Beginn der zweiten Strophe des Psalms setzt einen neuen Akzent. „ Mit Ehrfurcht gebietenden Taten in Gerechtigkeit antwortest du uns. " mu knüpft zwar an ans (v3) an, "KTi: fuhrt jedoch aus der ruhigen und schutzbietenden Ordnung des Heiligtums hinaus. Gott ist der Gott des Heils in seinem Heiligtum und in der ganzen Welt. Seine Taten sind offenbar bis an die Enden der Erde und sie begründen das Vertrauen ihrer Bewohner auf diesen Gott. Sie sind ehrfurchtgebietend, aber nicht beängstigend, denn sie geschehen In den vv 7 f. werden die Taten Gottes mit hymnischen Partizipien benannt. mim: ist der Sammelbegriff, der in v 6 mit seinem überschriftartigen Charakter vorwegnimmt, wovon die ganze Strophe handelt: von Gottes schöpferischem und schöpfungsbewahrendem Tun (s.a. Ps 89,8ff.). Wie sich dies im einzelnen manifestiert, läßt sich aus dem Neben- und Nacheinander von Ps 65 und 66 ablesen. Auch der Durchzug durch das Schilfmeer ist NTi: (Ps 66,3.5 f.) 77 , der das Lob der Völker gebührt. Es ist das Handeln des „ Gottes unseres Heils ". Sein Handeln ~Ti2 ist ausgerichtet auf die Durchsetzung des Heils als rettende Gerechtigkeit (Ps 52,16), einer das Leben ermöglichenden und erhaltenden Ordnung für den gesamten Kosmos. 78 Hierin liegt das Besondere von Ps 65. Alle weiteren Belegstellen furD'n^x in Verbindung mit einer Form von BET innerhalb des Psalters 79 sind auf einen einzelnen Beter oder auf Israel ausgerichtet. Ps 65 vermittelt die Applikation theologisch hoch besetzter Termini, die zuerst das Handeln Gottes an dem einzelnen und am Volk Israel beschreiben, auf sein Handeln am Kosmos, sichtbar bis hin zu den Enden der Erde - zum Heil und nicht zum Gericht. Die vv 7 f. fuhren aus, was v 6 andeutet. Der 'n^x hat die Berge, Inbegriff von Stabilität und Massivität, selbst gegründet. 80 Er ist mit Macht umgürtet, wie ein starker Krieger bereit zum Kampf. 81 Er besänftigt das Getöse des Wassers 76 LIPINSKI unterstreicht, daß der Beter hier in ein direktes Gespräch mit Gott eintritt und es weniger um „congratulation", sondern eher um hymnisches Preisen geht (Macarismes, 337 f.). 77 S. a. Ps 106,22 sowie allgemein das Geschichtshandeln Gottes (Ps 47,3; 76,8). Vgl. Hoss-
FELD/ZENGER, P s a l m e n II H T h K , 2 1 6 ; TÄTE, P s a l m s II, 1 4 2 ; SCHROER, P s a l m 6 5 , 2 8 9 ; EGO,
Wasser, 370. 78 p-ran ist in diesem Kontext als „rettende Gerechtigkeit" zu verstehen wie u.a. in Ps 51,16 oder 40,10f. (vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 216f.). Das heißt, es geht an dieser Stelle anders als anderswo, wenn auf die Völker oder wie hier genauer auf die f i i C K p Bezug genommen wird, nicht um ein Gerichtshandeln Gottes an den Völkern (so u. a. Ps 7,9; 9,9; 96,13). 79 Vgl. Ps 7,11; 18,47; 24,5; 25,5; 27,9; 62,8; 69,36; 79,9; 85,5; 109,26. 80 Vgl. Ps 30,8; 46,4; 90,2; 96,10; 97,5; 104,5f.; s.a. TÄTE, Psalms II, 142. 81 ADAM schreibt zu diesem Bild, allerdings unter Bezugnahme auf Ps 93: „Der mit Kraft
I. „ Bis sie schauen
cn'jir'?« "
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und den Lärm der Völker - die Chaosmächte. Gott hat den Erdkreis erschaffen und er bewahrt ihn, indem er das Chaos bändigt. Der Lärm der Völker ist hier Chaosmotiv. 82 Der Psalmist nimmt damit ein Stück Tradition in sein Gotteslob auf, das sich bereits zu einem Topos verdichtet hat. Es scheint für ihn unproblematisch zu sein, den Lärm der Völker als Chaosmacht zu nennen und gleichzeitig vom Handeln des Gottes des Heils an den Bewohnern der Erde zu sprechen. Der Beginn von v 9 „ da fürchteten sich die Bewohner der Enden (der Erde) " widerspricht dem nicht. Gotteserkenntnis ist mit Furcht und Ehrfurcht verbunden. Die Bewohner der Erde loben und preisen diesen Gott. Daß an dieser Stelle narrativisch formuliert wird und nicht imperativisch oder partizipial, hat die Frage aufkommen lassen, ob das „Sich Fürchten" der Bewohner der Erde in der Vergangenheit oder der individuellen Gegenwart des Beters liegt und dann als Folge der Vergangenheit zu betrachten sei, abhängig davon, „ob man den Chaoskampf als Tat des Anfangs oder als Tat der Gegenwart einschätzt." 83 Doch die Chaosbewältigung, umschrieben mit hymnischen Partizipien, ist ein Ereignis außerhalb des zeitlich Meß- und Fixierbaren. Bedingt durch den Narrativ, zeigt sich aber, daß der Lobpreis der rnsp demgegenüber einen konkreten Anfang hat. Insofern sind Ereignisse als Geschichtstaten Gottes an seinem Volk einzubeziehen. Innerhalb einer chronologischen Erstreckung von Ereignissen sind sie nun Auslöser der Gotteserkenntnis für die Bewohner der Enden der Erde und Anlaß zum Jubel. Zugleich greift v 9 mit der Wurzel KT auf die mini] (v 6) zurück und gibt den hymnischen Aussagen einen Rahmen, der schöpferisches und heilsgeschichtliches Handeln Gottes verbindet. 84 Das zweite Kolon von v 9 hebt schließlich noch einmal die Universalität der Ereignisse hervor. Parallel zu rnüp "aö" stimmt nun mit dem Verweis auf die Himmelsrichtungen - Morgen und Abend entsprechen Osten und Westen85 - die ganze Erde in den Lobpreis Gottes ein. Daß es sich hier allein um die Angabe von Tageszeiten handeln könnte, ein Merismus zur Umschreibung des ganzen Tages, ist eher unwahrscheinlich, bezieht man auch i c n ^ D (v3) und pfr-iKp^D (v6) in die Deutung ein. Mit der dritten Strophe wechselt der Psalmist ein weiteres Mal die Perspektive. Nun singt der Text von der Fürsorge Gottes für die Schöpfung. 86 Während ,umgürtete' JHWH ist ständig bereit, als bewaffneter Kämpfer gegen die anströmenden Fluten anzutreten." (Der königliche Held, 72). 82 Vgl. Jes 17,12-14; 25,5; Jer6,23; 46,7; 50,42; 51,55; Ps 74,23. Vgl. dazu KEEL, Welt, 89ff.; SCHROER, Psalm 65, 289; DAY, God's Conflict, 88 ff. 83 HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 217. 84 Die Zeichen Gottes, die v 9 erwähnt, weisen auf die heilsgeschichtliche Ebene des Bedeutungsspektrums von ms-ra. Vgl. Ps 78,43; 105,27; 135,9. 85
V g l . HOSSFELD/ZENGER, H T h K II, 2 1 7 ; GOULDER, P r a y e r s , 1 7 6 ; SCHROER, P s a l m 6 5 ,
290. 86 DAHOOD versteht den Abschnitt als ein Gebet für Regen (Psalms II, 113 ff.). SCHROER nimmt als ersten Anlaß für eine Sonderung der vv 10-14 die häufig auftretenden Afformativformen (Psalm 65, 292). GUNKEL versteht diesen Abschnitt als einen selbstständigen Hymnus
104
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
die zweite Strophe Welterhaltung als Verdrängung von Chaos thematisiert, geht es hier darum, daß Gott die Erde 87 und alles auf ihr befindliche Leben versorgt. Die Chaosmacht Wasser wird durch sein Eingreifen zur Fruchtbarkeit spendenden Kraft. Die Erde wird überströmt, mit Feuchtigkeit versorgt, daß Getreide wachsen kann. Ihre Pfade träufeln von Fett, denn Gott gibt alles im Übermaß. Natur und Tiere jubeln Gott angesichts dieser Fülle zu. 88 In v l O bedient sich der Psalmist der Vorstellung des Gottesbaches oder Gotteskanals. Die Herleitung dieser Vorstellung im Kontext von Ps 65 wird kontrovers diskutiert. Gunkel ging davon aus, daß es sich um eine Art Rinne handele, aus der der Regen auf die Erde herabfließt. 89 Möglicherweise spielt die Formulierung jedoch auf den Strom der Gottesstadt an (Ps 46,5). 90 Dafür spricht, daß der Regen in v 11 eigens noch einmal Erwähnung findet. Speist der Gottesbach die Erde von unten, so tut es der Regen von oben. Zur Entsprechung des D T I ^ K J^B mit VJ'PS I N ] (Ps 46,5) schreibt Kraus: „Die Segensquelle befindet sich im Heiligtum, aus ihrer Fülle spendet Gott das Brotgetreide, von dem der Mensch lebt." 91 An dieser Position kritisiert Ego zu Recht, daß ein Ortsbezug dieser Art in Ps 65 nicht hergestellt wird. Der Kanal erscheint hier nicht im unmittelbaren Bereich des Tempels, sondern ist „in der Sphäre des Draußen" verortet. 92 Daß Tempel und Schöpfung dennoch nicht losgelöst voneinander verstanden werden, hat bereits der Blick auf Ps 84,6 ff. gezeigt. Die Machtentfaltung Gottes in seinem Tempel auf dem Zion läßt Landschaften unter den Füßen der Pilger erblühen. Eine solche Wirkrichtung hat auch der Gottesbach, der die Erde tränkt und Getreide wachsen läßt. Der Psalm spiegelt in seiner Gliederung drei Bereiche der Gottesherrschaft wider, die auf je eigene Weise von der Machtentfaltung des Gottes auf dem Zion geprägt sind. Der Gottesbach ist Teil dieser Machtentfaltung und steht für das Wirken Gottes in die Welt hinein. 93 Der Strom, der in Ps 46,5 die Gottesstadt erfreut, erfreut hier nun die ganze Welt. über die „neu erwachende Fruchtbarkeit des Jahres", der hier sekundär aufgenommen wurde (Psalmen, 273); s.a. KRAUS, Psalmen II, 612f. 87 Hier ist Erde nicht mehr im Sinne von Welt, sondern von Ackerland zu verstehen. 88 Vgl. dazu auch Jes 43,20. S.a. MOWINCKEL, Psalmenstudien II, 284f. 89 Vgl. Hi 38,25. GUNKEL verweist auch auf den Echnatonhymnus, der den Nil als Himmelsfluß beschreibt (Psalmen, 274). S.a. JANOWSKI, Wohnung, 55; TÄTE, Psalms II, 143; SCHROER, Psalm 65, 290 f. SEYBOLD hingegen nimmt an, daß •*n'?N nachträglich eingefugt ist und es sich hier um einen vom Regen gefüllten Wasserlauf handelt (Psalmen, 254). 90
V g l . SPIECKERMANN, S c h w e i g e n , 5 7 9 .
91
KRAUS, P s a l m e n II, 6 1 3 .
92
Vgl. EGO, Wasser, 372. 93 EGO betont in ihrer Analyse das Korrespondenzverhältnis von „die Wasser der Gottesstadt ,innen'" und „die Wasser der Bäche und des Regens ,außen'" (Wasser, 372f.). Doch bei aller Parallelität dieser Lebenswelten, deren Nebeneinander sie mit dem Verweis darauf, daß der Gottesbach nicht lokal verortet wird, betont (ebd., 371 f.), kommt auch sie nicht umhin, von einer „Korrelation zwischen ,Innen' und ,Außen'" zu sprechen. „Der göttliche Schutz, der aus der Gegenwart Gottes in seiner Stadt resultiert, ist nicht auf diese lokale Größe beschränkt,
I. „Bis sie schauen ]TS3 CTfrirtK"
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Der mit vier verschiedenen Bildern umschriebene Wasserreichtum fuhrt schließlich zu reicher Ernte. 94 V12 umschreibt dies mit den Worten „du bekränzt das Jahr mit deinen Gütern. " Höhepunkt und Abschluß eines arbeitsreichen Agrarjahres ist der Herbst 95 , da die Ernteerträge eingebracht werden und der Regen beginnt. Der Psalmist nimmt mit dieser Formulierung einen großen Zeitraum in den Blick und geht sogleich darüber hinaus. Mit dem Beginn des Regens wird die Grundlage für die nächste gute Ernte gelegt. Ein neuer Zyklus in zeitlich unbegrenzter Perspektive wird eröffnet. 96 Selbst die Wüste erwacht zum Leben (v 13), und die ganze Natur preist den Schöpfer. Auch im Lobpreis vereinen sich die drei Herrschaftsbereiche, die Ps 65 zum Thema hat. Der Beter im Tempel, die mit Nahrung reichlich versorgte Kreatur, und selbst die einst lärmenden und tosenden Völker stimmen in den Lobpreis des Gottes zu Zion ein. Ist für den Dichter von Ps 84 der Tempel Heimat und Lebensraum, so wird dies in Ps 65 die ganze Schöpfung. Die Machtentfaltung Gottes im Tempel, die ja auch nach Ps 84,7 f. in die „Außenwelt" ausstrahlt, zeigt sich in Ps 65 ebenfalls in der parallelen Anordnung der Herrschaftsbereiche Gottes, in die hinein der Gott zu Zion wirkt. Die Besonderheit von Ps 65 besteht darin, daß Machtentfaltung Gottes im Tempel ganz konkret als kultische Sühne verstanden wird. Sie gehört an den Zion ebenso wie die universale Herrschaft des Schöpfergottes. Ps 65 kann beides, d. h. Sühne- und Schöpfungstheologie, durch den Topos Zion
sondern ist auch noch da wirksam, wo die chaotischen Gegenmächte herrschen können" (ebd., 377). D.h. beide Bereiche sind durchdrungen von der Herrschaft Gottes auf dem Zion. 94 SCHROER hat Ps 65 mit einem Abschnitt des ugaritischen Keret-Epos verglichen, einem Regenhymnus (KTU 1.16 III 1-17). Als maßgeblich für diesen Vergleich erachtet sie den ähnlichen Aufbau. „In beiden Fällen wird zunächst der Segen des Regens für Erde und Getreide beschrieben, dann die Folge oder Reaktion auf diesen Segen" (Psalm 65, 294). Inwiefern man hier tatsächlich von der Aufnahme eines „alten kanaanäischen Baal-Regen-Hymnus" (ebd., 294) sprechen sollte, ist angesichts der Verzahnung des Abschnitts vv 10-14 mit den anderen beiden Strophen des Psalms fraglich. So sei noch einmal auf wiederkehrende Motive und Terminologie in den einzelnen Strophen hingewiesen, wie u.a. jiu (vv7.10); ma (vv5.12), der Jubel der Schöpfung, der Bestandteil jeder Strophe ist oder die nahezu konsequente Anrede Gottes in der 2.m.sg. Hinzu kommen Anklänge an die Sprache Dües. Daß dennoch alte Traditionen aufgenommen worden sind, steht außer Frage. SCHROER weist denn auch darauf hin, daß der Zusammenhang des dritten mit dem zweiten (und dem ersten) Teil des Psalms zu beachten ist. „Es ist der sündenvergebende JHWH in Jerusalem, von dem all das gilt, was in Vv. 6 - 1 4 gesagt wird. Der Gott auf dem Zion ist der Gott des Regens, der für die Fruchtbarkeit des Landes sorgt" (ebd., 296). 95 Anders WEISER (Psalmen II, 314.317), der hier für einen Frühlingsdank plädiert und GOULDER (Prayers, 177), der davon ausgeht, daß die Regenfalle ausblieben und man sich nun im Dezember oder Januar befindet. DAY äußert sich folgendermaßen: „This is clearly a harvest psalm associated with the Feast of Tabernacles..." (God's Conflict, 35). S. a. WEYDE, Appointed Festivals, 188 ff. 96 Davon abweichend AUFFRET (Voyez, 152), der ein Jahr außergewöhnlicher Ereignisse als Anlaß zur Komposition dieses Liedes betrachtet.
106
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
miteinander verbinden und derart das Heilshandeln des Gottes Israels auf den gesamten Kosmos übertragen. Ps 65 weist deutlicher noch als Ps 84 in die nachexilische Zeit. Dabei ist es weniger die Nähe zu prophetischer Überlieferung, die ohnehin mehr motivische als terminologische Übereinstimmungen bietet 97 , sondern vor allem die theologisch breit ausgeführte Thematisierung der Schuld, die zu dieser Einschätzung fuhrt. 98
II. Jhwh erwählt Zion Während die Ps 84 und 65 Gottes Gegenwart auf dem Zion mit seiner Anwesenheit im Heiligtum identifizieren, ja Gott, Zion und das Heiligtum als eine untrennbare Einheit verstehen, bietet Ps 132 eine sich davon unterscheidende Sicht dieser Trias. In Abhängigkeit von II Sam 6 - 7 und Ps 8 9 " schildert Ps 132 die Erwählung des Zion 100 als Wohnort für Jhwh im Kontext der Davidverheißung. Der heilsgeschichtliche Rahmen apostrophiert diese Wahl als eine Entscheidung Jhwhs gegen alle Widrigkeiten der Geschichte Israels mit seinem Gott. 1. Davidverheißung und Zionserwählung Psalm 132 Auf den beiden Stichworten Davidverheißung und Zionserwählung liegt der Schwerpunkt der Forschungsdebatte um Ps 132. In welchem Verhältnis stehen sie zueinander, auf redaktions- und auf traditionsgeschichtlicher Ebene? Durch die Analyse der Psalmen, die Zion nennen, wird deutlich, daß sich dieser mit verschiedenen theologischen Vorstellungen verbinden läßt. Das Besondere im Fall
97
SCHROER sieht dabei aber eine Wirkungsrichtung von Ps 65 zu Joel (Psalm 65, 299). Vgl. SPIECKERN!ANN, Heilsgegenwart, 246 f. Anders EGO (Wasser, 377), die auf die verwendeten Fruchtbarkeitsmotive verweist, die ihrer Ansicht nach zur Dekoration des Salomonischen Tempels gehörten. 99 Vgl. VEIJOLA, Verheißung, 72 f. Zu den übereinstimmenden Elementen gehören die Nennung Davids (132,1 - 89,4.21.36.50); der Titel „Knecht" (132,10 - 89,4.21.40.5 l(pl.)); rvtio (132,10.17 - 89,39.52); Schwur Jhwhs (132,11 ff. - 89,4.36.50); Bestätigung der Verläßlichkeit der Verheißung (132,11 - 89,34^38); Gebote (132,12 - 89,31 f.); c-Ton (132,9.16 - 89,20); "in (132,18 - 89,20.40); p p (132,17 - 89,25) (vgl. EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 241). 100 Zu Beginn des zweiten Hauptteils wurden als Kriterien für die Auswahl der Texte, die hier zusammengestellt wurden, zwei grammatische genannt, die Verwendung der Präposition a im Zusammenhang mit jvü, sowie auch der Einsatz der Lokaladverbien ne und ca. Auf Ps 132 treffen beide Kriterien zu, wobei einschränkend gesagt werden muß, daß die Präposition 3 hier keine lokale Bedeutung hat, sondern auf das Objekt der Erwählung verweist, d. h. im Zusammenhang mit nnn gebraucht ist. 98
II. Jhwh erwählt Zion
107
von Ps 132 ist jedoch die Frage nach dem Prä entweder der Davidverheißung oder der Zionserwählung. Psalm 132 1
Lied des Aufstiegs
1
Gedenke doch, Jhwh, des David
2 3 4 5 6 7 8 9
und aller seiner Mühsal. Da er Jhwh geschworen hat, ein Gelübde abgelegt hat dem Starken Jakobs. „Ich werde nicht betreten das Zelt meines Hauses; werde nicht hinaufsteigen auf meine Lagerstatt; werde meinen Augen keinen Schlaf geben, meinen Wimpern keinen Schlummer; bis ich finde einen Ort für Jhwh, Wohnungen für den Starken Jakobs." Siehe, wir haben von ihr gehört in Ephrata; wir haben sie 101 gefunden in den Gefilden von Jaar. Laßt uns hineingehen in seine Wohnungen, uns niederwerfen vor dem Schemel seiner Füße. Erhebe dich, Jhwh, zu 102 deiner Ruhestätte, du und die Lade deiner Macht. Deine Priester sollen sich kleiden mit Gerechtigkeit, und deine Frommen sollen jubeln.
10 Um deines Knechtes David willen weise nicht ab das Angesichts deines Gesalbten. 11 Es hat geschworen Jhwh dem David, wahrlich, er wird nicht davon abrücken: „Von der Frucht deines Leibes werde ich auf deinen Thron setzen. 12 Wenn deine Söhne meinen Bund bewahren und meine Zeugnisse, die ich sie lehren werde, (so) werden auch ihre Söhne für immer sitzen auf deinem Thron." 101 Hieronymus übersetzt die Suffixe an den Verformen unö und ¡«0 maskulin. Daraus ergibt sich ein direkter Bezug zu r p a von v5. Bleibt man bei den Femininsuffixen des MT, so ergeben sich einige Schwierigkeiten, denn ein feminines Bezugswort gibt es weder in v 6 noch in v5. Mehr dazu s.o. 102 Häufig wird mit bezug auf HILLERS (Ritual Procession, 50) mit „von" übersetzt. Grundsätzlich ist die Präposition b mit „in bezug a u f wiederzugeben (vgl. JENNI, Präposition Lamed, 256; HUWILER, Patterns, 204). Unter bestimmten Konstellationen kann sie aber auch richtungsweisend aufgefaßt werden, wie es hier der Fall ist (dazu ausfuhrlicher JENNI, ebd., 256 f.). Unterstützt wird diese Lesart durch die Angaben von v 14. Die Ruhestätte, die hier genannt wird, ist das bereits in v 8 angedeutete Ziel (vgl. ALLEN, Psalms III, 202 f.). HUWILER hebt mit ihrer Übersetzung einen anderen Aspekt hervor. Parallel zu "in1? (v 1) versteht sie inmin1? als „Rise up, O Yahweh, on behalf of your resting place" (Patterns, 204.210). D.h., daß Jhwh sich zum Schutz für Zion erheben möge.
108
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
13 Denn Jhwh hat Zion erwählt; er begehrt ihn (f.sg.) zu seinem Wohnsitz. 14 „Dies (f.sg.) ist meine Ruhestätte für immer; hier will ich wohnen, denn ich begehre ihn (f.sg.). 15 Seine (f.sg.) Nahrung will ich wahrlich segnen; seine (f.sg.) Armen sättige ich mit Brot, 16 Und seine (f.sg.) Priester bekleide ich mit Heil, und seine (f.sg.) Frommen sollen wahrlich jubeln. 17 Dort lasse ich sprossen ein Horn für David; ich habe bereitet ein Licht meinem Gesalbten. 18 Seine Feinde bekleide ich mit Scham, aber über ihm glänzt seine Krone."
Für Ps 132 sind eine Vielzahl unterschiedlicher Gliederungsvorschläge gemacht worden. Die Strophenzählung reicht dabei von fünf Strophen 103 bis zur generellen Ablehnung einer strophischen Einteilung. 104 Die hier präsentierte Struktur orientiert sich an folgenden Beobachtungen: Zunächst ist eine grundsätzliche Zweiteilung des Textes festzustellen 105 , die sich an den zwei Schwüren orientiert, dem Schwur Davids gegenüber Jhwh (v2) und demjenigen Jhwhs gegenüber David (v 11). Beiden folgen jeweils über sechs Kola reichende Abschnitte wörtlicher Rede ( v v 3 - 5 ; vv 1 layb.12). Ob der erste Hauptteil nun mit v 9 oder erst mit v 10 endet, ist nicht gleichermaßen offensichtlich. Zu den vielen sich innerhalb des Psalms wiederholenden Elementen gehört Tn1? (vv 1.11.17) bzw. m - R A M (v 10). Es stehen tn 1 ? in den vv 1.17 und i n T O I O in v 10 jeweils zu Beginn einer Strophe. 106 (v 11) hingegen ist parallel zu mn-1? (v2) angeordnet, da es hier jeweils um die Schwüre geht, die David und Jhwh einander leisten. 107 Unterstützt wird die Unterteilung in die vv 1 - 9 und 10-16 auch durch die Wiederholung von i;3T ~["rom jeweils zum Abschluß einer Strophe in den v v 9 und 16 (in v 16 um einen Inf. abs. von ]3"I erweitert). Diese Unterteilung ist 103 104 105
Vgl. FRETHEIM, Psalm 132, 290ff. So PIETSCH, Sproß Davids, 124. Vgl. GUNKEL, Psalmen, 565.567. Eine Teilung in zwei Abschnitte bereits nach v 9 vertritt
EISSFELDT, P s a l m 132, 4 8 3 . 106 Hinzu kommt, daß die vv 1 und 10, die den Charakter einer Überschrift fiir die jeweilige Strophe haben, zwei Bitten für David formulieren (vgl. FRETHEIM, Psalm 132, 292; s.a. DEISSLER, Psalmen III, 168 f.). Besonders deutlich zeigt sich dies in der ersten Strophe, da die vv2.5 durch 3pir T3K1? eine Klammer erhalten. Die vv2.11 setzen darauf mit dem Bericht
ü b e r d e n S c h w u r ein. A n d e r s u . a . GESE ( D a v i d s b u n d , 118F.). IN 1 ? (v 1) u n d "RAUN "IN (v 10)
rahmen seiner Ansicht nach die erste Strophe. Einen Einschnitt nach v 10 sieht die Mehrzahl der Exegeten. So auch DELITZSCH, Psalmen, 763 ff.; WEISER, Psalmen II, 539; EISSFELDT, Geschichtsquellen, 107 f.; LIMBURG, Psalms, 452 f.; EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 242; VEIJOLA, V e r h e i ß u n g , 161. 107 Der Wechsel von der Anrede Jhwhs von der 2.m.sg. in die 3.m.sg. zwischen v 10 und 11 ist, blickt man auf die vv 1 f., kein Argument zwischen diesen beiden einen Einschnitt zu sehen. Vielmehr wird auch in diesem Wechsel wiederholt, was in den vv 1 f. geschieht: Nach der Bitte um Zuwendung zu David, erfolgt der Blick auf den geleisteten Schwur.
II. Jhwh erwählt
Zion
109
schließlich auch inhaltlich sinnvoll, da sich so eine Abfolge von Strophen ergibt, die sich thematisch jeweils an David bzw. am Wohnort Jhwhs ausrichten. 108 Auch die Unterteilung der Hauptteile in Strophen ergibt sich zum Teil aus dem Sprecherwechsel. In den vv 1 - 5 ist vor allem David der Sprecher, in v 6 wechselt die Rede aber auf ein kollektives „Wir" über. In der dritten Strophe herrscht die Gottesrede vor. Sie setzt sich über die Strophengrenzen hinaus fort, mit einer Unterbrechung in v i 3 , der den Beginn der vierten Strophe markiert. Daß die vv 17 f. als fünfte Strophe anzusehen sind, beruht auf der oben bereits genannten Wiederholung von i]]~r "pTom (v 16), dem Neueinsatz mit in 1 ? (v 17) und dem damit eingeleiteten Themenwechsel. Die Bezüge der Strophen untereinander sind vielfaltig und von zahlreichen Wiederholungen gekennzeichnet. Es kristallisiert sich eine Parallelisierung der Abschnitte eins und drei, sowie zwei und vier heraus. Die Strophen eins und drei enthalten jeweils einen Schwur, der dem Bau des Hauses Gottes bzw. dem Bau des Hauses Davids, d.h. seiner Dynastie gilt. 109 Die Strophen zwei und vier ordnen die Ladeprozession und die Erwählung des Zion einander zu. Die Prozession findet ihr Ziel auf dem Zion, von dem Segen ausgeht. 110 Die v v l 7 f . liegen außerhalb dieses Schemas und sind dennoch wesentlicher Teil der Gesamtkomposition. Die in v l 4 begonnene wörtliche Rede Jhwhs wird hier fortgesetzt. Thematisch fassen die beiden Verse zusammen, was in den vorhergehenden Strophen eröffnet wurde. 111 In dem kleinen Wörtchen nö (v 17) werden der Wohnort Jhwhs (SS; v 14) und die Dynastie Davids lokal verknüpft. David wird, ausgestattet mit den Insignien von Königtum ("ITJ; V 18) und Macht ( p p ; v 17), der Bestand seines Hauses verheißen ("i]112; v 17). Die Feinde stellen 108
Die Schwüre umfassen jeweils 10 Kola, die Strophen zum Wohnort Jhwhs jeweils 8: vv 1 - 5 David (sein Schwur formuliert in der l.sg.) v v 6 - 9 Wohnort Jhwhs (Wechsel der Rede in die 1 ,pl.) vv 10-12 David (Jhwhs Schwur gegenüber David formuliert in der l.sg.) vv 13-16 Wohnort Jhwhs (Segenswirkungen der Gegenwart Jhwhs in seinem Heiligtum) vv 17.18 David (Segenstaten Jhwhs an David) 109 S. v v 2 . l l snö. 110 111
S. w 8.14 nrruD; vv.9.16 p + ( p ) + c'Ton, rab + r:n3. Dabei wird ebenfalls zuvor verwendete Terminologie noch einmal eingesetzt: vv 10.17
n-DD. Nun erachtet auch SEYBOLD die vv 17 f. nicht als später hinzugefugt, sondern als Bestandteil eines „dramatischen Gedichts". Durch Rahmung entstand seiner Ansicht nach zunächst ein Königspsalm (vv 1.10.12) und in einem letzten Schritt wurde der Text durch Zufügung der vv 13-16 zu einem Zionspsalm (Psalmen, 497). S.a. LEUENBERGER, Konzeptionen, 304. Wie wenig eine literarkritische Scheidung für diesen Text angebracht ist, zeigen sowohl Stichwortverbindungen als auch der auf den Zion zulaufende Spannungsbogen des Psalms. Ohne die Zionpassage laufen der Schwur Davids und auch die Zusage in v 17 ins Leere (das cd in v l 7 muß SEYBOLD daher als sekundär streichen (Wallfahrtspsalmen, 32)). S.a. NEL, Psalm 132, 184 f. 112 Der Ausdruck (Licht) steht für Dauer und Bestand; so in I Reg 11,36; 15,4. Vgl. GALLING (Beleuchtungsgeräte, 33 ff.), der darauf hingewiesen hat, daß ein ins Dunkle leuchtende Licht das Bestehen einer Familie anzeigt. Wenn hingegen das Licht verlischt, dann ist die
110
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
angesichts dieses Glanzes schon keine Gefahr mehr dar. Sie werden „ mit Scham bekleidet". Die dichten Querverweise schließen eine literarische Schichtung des Textes aus. Die beiden Schwüre wie auch die Strophen zur Lade und zu Zion sind vielfach miteinander verwoben. Die Aufnahme und Umgestaltung von Material aus diversen Traditionsbereichen ist noch kein Argument für Mehrschichtigkeit. Der schwierige Übergang zwischen dem Davidschwur und dem Gesang der „Wir"-Gruppe in den vv 6 - 9 wird eher mit dem Themenwechsel als mit Textwachstum zu erklären sein. 113 David hat Jhwh geschworen, keine Ruhe zu geben, sein eigenes Lager nicht anzutasten und zu ruhen, bis er eine Ruhestätte für den Gewaltigen Jakobs" 4 gefunden hat. Damit ist in äußerster Konzentration der Inhalt der ersten fünf Verse wiedergegeben. Sie werden gern auch als midraschartige Zusammenfassung von II Sam 6f. bezeichnet." 5 Die zweite Strophe ändert die Perspektive. Während David schwört, den Ort zu suchen, scheinen die „Wir" diesen Ort bereits zu kennen." 6 „Laßt uns hineingehen in seine Wohnungen " (v 7a). Um so unverständlicher erscheint der dazwischenliegende v 6. „ Siehe, wir haben von ihr gehört in Ephrata; wir haben sie gefunden (K±r.) in den Gefilden von Jaar. " Schwierigkeiten bereiten sowohl grammatisches Geschlecht als auch Numerus der Objektsuffixe, mpn und mioon (v5), auf die sie sich beziehen könnten, sind m.sg. bzw. m.pl. In der Forschung herrschen zwei Deutungen vor: der Bezug auf die Wohnungen bzw. auf Zion 117 , Wohnstatt verlassen. S. a. GUNKEL, Psalmen, 568; SCHREINER, Sion-Jerusalem, 106; SEYBOLD, Psalmen, 499. Das Licht ist Sinnbild für die Fortdauer der Dynastie und Zusage der Segnung Davids (KELLERMANN, Art. 13, 625). Mit dieser Einschätzung wendet KELLERMANN sich auch direkt gegen KRAUS (Psalmen 11,1065 f.), der als Symbolbegriff im Königskult und als Rückgriff auf ägyptische Texte versteht. 113 Zum Übergang von v 5 zu v 6, d. h. der Suche Davids nach einer Wohnung für Jhwh und der Überführung der Lade in den vv6ff. s.o. 114 Zu T3K vgl. auch Gen 49,24; Jes 49,26; 60,16. Die Jesajabelege finden sich in Abschnitten, die Aussagen über Zion bzw. Zusagen an Zion behandeln. Vgl. auch KÖCKERT, Mighty One, 573 ff. 115 Vgl. DUHM, Psalmen, 444; SEYBOLD, Psalmen, 497 ff.; EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 244. 116 Vgl. auch FRETHEIM, Psalm 132, 294; EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 245. 117 Vgl. EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 246. Gegen die Deutung der Objektsuffixe als Wohnungen Jhwhs bzw. als Zion wird gern auf XÜO (v6) hingewiesen. Während sich s m (v6) durchaus auf die Wohnungen Jhwhs beziehen läßt, ist eine Übersetzung im Sinne von „wir haben die Wohnungen gefunden in den Gefilden von Jaar" oder auch „wir haben Zion gefunden" schwer verständlich. U.U. verbirgt sich hinter iöo eher ein Prozeß sinnlicher Wahrnehmung wie hinter SQB, oder ein kognitiver Prozeß. Dann wäre auch eine Übersetzung wie „wir trafen auf Nachricht von ihr"; „wir fanden heraus über sie" möglich. CROW betont, daß X^C in den Interpretationen zu viel Gewicht bekommt und im Parallelismus mit SÜD verstanden werden muß, was zum einen den Bezug auf die Lade ausschließt, zum anderen seiner Ansicht nach aber auf ein Hören des Aufrufs zum Lobpreis (v 7) oder auch des Gelübdes Davids (vv3-5) hinweist (Songs, 102).
II. Jhwh erwählt Zion
111
dessen grammatisches Geschlecht in Ps 132 feminin ist (vv 13 ff.), oder aber auf die Lade 118 , die in v 8 genannt wird. Nicht unproblematisch ist der Bezug auf die Lade schon deshalb, weil das Objektsuffix genannt würde, bevor das dazugehörige Objekt selbst klar wäre - ein Argument, das auch gegen die Bezugnahme auf Zion anzuwenden ist. Zudem erzwingt diese Lesart inhaltliche Sprünge, da die vv 6 - 8 dann jeweils abwechselnd die Lade und die Wohnungen Jhwhs zum Thema hätten. 119 Dennoch kann es keine Lösung sein, das grammatische Geschlecht der Objektsuffixe zu ignorieren, wie es bei einer Identifikation des Suffixes mit den Wohnungen (rrason; v5) 12n bzw. dem Ort (cipo; v5) der Fall wäre. So kommt einer Gleichsetzung der Objektsuffixe mit der Lade trotz aller Schwierigkeiten die größte Wahrscheinlichkeit zu. Die sich daraus ergebenden thematischen Sprünge zwischen den vv6 und 7 bzw. 7 und 8 sind dann nicht als problematisch zu betrachten, wenn sie in nuce einen programmatischen Aspekt des Textes indizieren: die Verbindung von Wohnort Gottes und Ladetradition. Die in v 6 genannten Orte verweisen auf David- und Ladetraditionen. Ephrata und Jaar beziehen sich auf die Gegend um Bethlehem (vgl. Gen 35,19; 48,7; Mi 5,1) 121 bzw. Kirjat Jearim (vgl. 1 Sam 7,1 f.). 122 Die v v 7 f f . mit der Selbst118
V g l . D E L I T Z S C H , P s a l m e n , 7 6 3 f . ; EISSFELDT, P s a l m 1 3 2 , 4 8 3 ; L A U H A , G e s c h i c h t s m o t i v e ,
118; KRAUS, P s a l m e n II, 1056; ALLEN, P s a l m s III, 202; SAUR, K ö n i g s p s a l m e n , 2 3 0 f f . 119 In v 7 ist davon die Rede, daß die „Wir" sich aufmachen zu den oder in die Wohnungen Jhwhs. SEYBOLD übersetzt hier mit „Lagerstätte", um den Bezug zur Lade aufrecht zu halten, v^in e i n gilt ihm ebenfalls dem Kontext angepaßt als Lade, die den „Thronschemel des Königs JHWH" darstellt (Psalmen, 498). Nun handelt es sich bei Ps 132 um den einzigen Text, der eine solche Gleichsetzung von Lade und „Schemel seiner Füße" überhaupt nur nahelegen könnte
(vgl. JANOWSKI, K e r u b e n , 261 f.; SPIECKERMANN, H e i l s g e g e n w a r t , 9 4 A n d e r s n o c h GUNKEL,
Psalmen, 566). Würden mit SEYBOLD und auch PIETSCH (Sproß Davids, 132 ) dennoch die rraoöa als Lagerstätte der Lade verstanden, so fehlte dem Imperativ in v 8 die Richtung. Die Aufforderung an Jhwh, sich zu erheben, hätte kein Ziel (vgl. auch hierzu JANOWSKI, Keruben, 262).
Eine weitere Deutung bietet LAATO (Psalm 132, 63), der davon ausgeht, daß nmon in v 5 und v 7 das von David errichtete Zelt für den vorübergehenden Aufenthalt der Lade darstelle. V 8 würde seiner Ansicht nach den Umzug der Lade aus dem Zelt in den Tempel bedeuten (vgl. auch FRETHEIM, Psalm 132, 294 f.). Doch auch diese Deutung ist nicht unproblematisch, denn in v 5 geht es gerade um die dauerhafte Wohnung für Jhwh, denn daß Jhwh diese nicht habe, David aber schon, das ist es, was ihn nicht schlafen läßt. 120 Vgl. PIETSCH (Sproß Davids, 132), der allerdings unter rrastiü die Lagerstätte der Lade versteht. Dagegen sprechen nicht nur Genus und Numerus der Suffixes, sondern auch die Schwierigkeit, die Lagerstätte in den Gesamtkontext einzupassen. 121 Vgl. KRUSE (Psalm CXXXII, 293 f.), der besonders auf den Zusammenhang Bethlehems mit der Familie Davids hinweist. S. a. GESE, Davidsbund, 17. Anders SCHREINER (Sion, 48 f.), der einen Ort „in Luftlinie etwa 10 km nördlich Jerusalem, 10 km südlich Bethel, 15 km östlich Qirjath-jearim" annimmt. 122
So u . a . SCHREINER, Sion, 4 8 ; KRAUS, P s a l m e n II, 1063; SAUR, K ö n i g s p s a l m e n , 2 3 1 .
KRUSE (Psalm CXXXII, 294 ff.) hält sich an eine eher wörtliche Übersetzung von -UR—IM mit „in Woodland and Wilderness", denn seiner Ansicht nach liegt hier die Vorstellung des sich in Trümmern befindlichen Jerusalem und des zum Wald gewordenen Tempelberges zugrunde (s.a. Mi 3,12 par. Jer 16,18). ROBINSON schlägt eine Änderung im Konsonantenbestand mit
112
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
aufforderung, zu den Wohnungen Jhwhs zu gehen und dort anzubeten, setzen den Gottesdienst an dem erwählten Ort voraus. Die Lade, von der man laut v 6 gehört hatte, soll an diesem Ort ihren Platz finden. Sie wird nachgeholt. Der Text deutet eine historisch-chronologische Reihenfolge der Ereignisse, die sich aus dem Rahmen der Davidstraditionen ergibt, nur an. Das Prä der Zionserwählung klingt dennoch durch. Zion ist erwählt, und die „Wir" 123 wissen darum, machen sich deshalb dorthin zum Lobpreis auf und nehmen die Lade mit.124 Nicht redaktionell, wohl aber theologisch wird die Lade eingeholt in die Zionstradition. Die Annahme, daß die Objektsuffixe in v 6 unter Umständen auf Zion anspielen, läßt sich somit nicht als primäres, jedoch als sekundäres Ziel der in diesem Punkt wenig konkreten Formulierung verstehen, denn sie hält den Bezug zu Zion offen. Damit ist aber auch deutlich, daß die Erwählung des Zion nicht eigentlich und ursächlich an die Überführung der Lade geknüpft ist.125 Mit den vv 10-12 folgt die Hinwendung zum Schicksal Davids und der Schwur Jhwhs, der David den Bestand seiner Dynastie zusichert, allerdings geknüpft an Bedingungen: „ Wenn deine Söhne meinen Bund bewahren... "(v 12a). Hierin unterscheidet sich der Psalmist deutlich von II Sam 7, denn dort ist die Zusage über den Bestand des davidischen Königtums bedingungslos.126 Doch folgender Ubersetzung vor: „Surely, we heard it coming with their oxen! We found the ark in the field he appointed" (Ephratah, 222). 123 Die „Wir" sind die Gottesdienstgemeinde (vgl. EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 245), die im Singen des Psalms nachholt, was sie aus ihrer eigenen Geschichte weiß. Häufiger jedoch werden die „Wir" auf die Priester gedeutet, die die Lade überführen bzw. auf den „Suchtrupp Davids". Vgl. SEYBOLD, Psalmen, 498; ähnlich bereits GUNKEL, der von David und seinen Männern spricht (Psalmen, 566); s.a LAATO, Psalm 132, 63. HUWILER faßt die Rolle der „Wir" zwischen Gegenwart und Vergangenheit folgendermaßen zusammen: „The „we", the voice of the worshiping Community, functions both to bring the David story from the historical past into the liturgical present and to transport the congregants from current worship setting into that same historical past" (Patterns, 207). 124 Dieser Aspekt des Psalms hat Anlaß zu diversen Thesen um Festkult und Ladeüberführung gegeben. So schreibt u. a. WEISER von einer Festliturgie des Tempelweihfestes, das in Verbindung mit dem Thronbesteigungsfest des Königs gefeiert wurde (Psalmen II, 538). KRAUS spricht von einem Fest der Erwählung des Zion, das wohl am ersten Tag des Laubhüttenfests gefeiert wurde. Den Bezug zu einem Tempelweihfest lehnt er ab (Psalmen II, 1058 f.). 125 „Das bedeutet aber, daß es sich bei der Erwählung Sions um eine persönliche Angelegenheit Jahwes, um ein Tun aus innigster Neigung handelt. Von der erwählten Stätte sind keine Eigenschaften angegeben, die Gott hätten bestimmen können, und Davids Anteil waren nur die Mühen (Vers 1), die der Knecht Gottes (Vers 10) in der Ausfuhrung des Erwählungsgeschehens auf sich lud" (SCHREINER, Sion, 53). Anders HAYES (Tradition, 421 f.), der die Erwählung des Zion auf das Bringen der Lade zurückfuhrt. S.a. GUNKEL, Psalmen, 568. Auch die Rede von einer „Neugründung des Kultes auf dem Zion" (so PIETSCH, Sproß Davids, 133) erweist sich aus dieser Perspektive als unangebracht. Vgl. zum Thema auch JANOWSKI, Keruben, 276 f. 126 KRUSE sieht hier die Zusage einer davidischen Dynastie, die jedoch keine ungebrochene Linie impliziert (Psalm CXXXII, 285). Auch STOLZ grenzt vorsichtig ein: „Die Daviddynastie wird zwar Bestand haben, aber nicht unangefochten" (Samuel, 224). Zudem ist die Bundesaussage in v 12 weit gefaßt. Sie bezieht sich nicht nur auf die Davidverheißung, sondern auf „das Ganze der göttlichen Bestimmungen, d. h. das Gesetz, das den ,Bund' zwischen Gott und Volk regelt" (VEIJOLA, Verheißung, 73). Vgl. METTINGER, King,
II. Jhwh erwählt Zion
113
der Psalm weicht auch mit den folgenden Äußerungen vom Erzählduktus in II Sam 7 ab. Aufgrund der Vorlage würde man die Zusage erwarten, daß Davids Nachkommen Jhwh ein Haus bauen werden. In dieser Passage liegt der Ton jedoch auf dem davor liegenden notwendigen Schritt, nämlich der Erwählung Zions. Der Zusammenhang zwischen Dynastiezusage und Tempelbau, wie er in II Sam 7,13 hergestellt wird, wird in Ps 132 allein durch die Partikel "'D aufrechterhalten. 127 Die Erwählung Zions durch Jhwh, das wird auch an dieser Stelle deutlich, ist ein Geschehen, das weder an die Ankunft der Lade auf Zion noch an die Bindung der königlichen Dynastie an diesen Ort geknüpft ist.128 Sie geht all diesen Geschehnissen zeitlich und sachlich voraus. Durch den Schwur Jhwhs partizipieren die Davididen an seiner Wahl, ja sie profitieren von ihr, denn dieser Ort, an dem Jhwh wohnen will, ist der Ort, von dem Segen ausgeht, nö, dort „lasse ich sprossen das Horn Davids" (v 17).129 Die Wahl des Terminus i m stellt zu einem weiteren Text Verbindungen her, nämlich zu Ps 78,65-72. Nach einem ausführlichen Rückblick auf die Geschichte Israels, Gottes Heilstaten und Israels Aufbegehren bis hin zur Verwerfung des Nordreiches (Ps 78,60 ff.), berichten die vv 65-72 vom Aufwachen des Herrn 130 und seinem Streiten gegen die Feinde. Schließlich formuliert der Psalmist in einem dreiteiligen Schlußakkord die Verwerfung Josefs und Ephraims (v67), die Erwählung Judas und Zions (vv 68 f.) und die Erwählung Davids zum Hirten des Volkes (vv69ff.). Psalm 78 65 Und es erwachte wie ein Schlafender der Herr, wie ein Held, der betäubt war von Wein. 66 Und er schlug seine Feinde zurück, ewige Schmach gab er über sie. 67 Und er verwarf das Zelt Josef, den Stamm Ephraim erwählte er nicht. 68 Und er erwählte den Stamm Juda, den Berg Zion, den er liebt. 256; EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 246; PIETSCH, Sproß Davids, 134f.; SAUR, Königspsalmen, 229. 127 Wobei auch diese Aussage noch weiter einzugrenzen ist, da der Psalm im Grunde gar nicht vom Tempelbau spricht. Es geht allein um die Wahl des Ortes, an dem Jhwh sich niederlassen will. Die Frage, ob David den Tempel bauen darf oder aber seine Nachkommen, spielt keine Rolle. In Ps 78 ist es Jhwh selbst, der sein Heiligtum errichtet. 128 Anders NEL (Psalm 132,187), der die Errichtung der davidischen Dynastie als ein direktes Ergebnis der Überfuhrung der Lade nach Jerusalem versteht. Seine Argumentation beruht auf der Annahme, daß Jhwh im Gegensatz zu II Sam 7 in Ps 132 nicht die Initiative ergreifen würde, was allein schon angesichts des starken Terminus "ira schwer nachzuvollziehen ist. 129 Vgl. auch SAUR, Königspsalmen, 245. 130 Nach einer Phase des Rückzugs, bzw. des Zurückhaltens, erhebt Jhwh sich machtvoll, wendet sich allerdings nur Juda zu (vgl. zur Metapher des göttlichen Schlafes auch Ps 7,7; 3 5 , 2 3 ; 4 4 , 2 4 ; 5 9 , 5 f . ) . S . a . TÄTE, P s a l m s II, 2 9 4 .
114
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
69 Und er baute wie Höhenzüge 1 3 1 sein Heiligtum, wie die Erde, die er fest gegründet hat in Ewigkeit. 70 Und er erwählte David, seinen Knecht, und er nahm ihn von der Hürde der Schafe weg. 71 Von den Muttertieren holte er ihn, zu weiden Jakob, sein Volk, und Israel, sein Erbteil. 72 Und er weidete sie mit reinem Herzen, und mit seiner verstehenden Hand leitete er sie.
Die Verwerfung „ des Zeltes Josefs "132 zielt in dieser Passage auf die Erwählung Judas und des Zion, sie bietet den dunklen Hintergrund, auf dem die Entscheidung Jhwhs für den Süden besonders strahlen kann. Sehr schön wird dies durch die chiastische Struktur der vv 67 f. deutlich. Dem nicht erwählten Ephraim wird das erwählte Juda gegenübergestellt (beides mit "im formuliert). Dabei gilt die Entscheidung für Juda im Grunde Zion. 133 Schließlich wird auch in Ps 78 deutlich, daß die Erwählung Zions derjenigen Davids vorausgeht. Der Rückgriff auf denselben Terminus "im für die besondere Funktion Zions und Davids läßt ebenso in Ps 78 die Königsherrschaft Davids an der besonderen Beziehung Jhwhs zu Zion partizipieren. Angesichts des steten Wechsels Israels zwischen Hinwendung zu und Abwendung von Gott durch die Geschichte hindurch von den Anfängen an, bietet der Verweis auf die Liebe Jhwhs zu Zion 134 , die feste Gründung seines Heiligtums, die Vorstellung von Stabilität, an die auch die Erwählung Davids anknüpfen kann. 135 In denselben thematischen Kreis wie Ps 132 und 78 gehört auch Ps 76. Es geht um die Erwählung des Zion zum Wohnort Jhwhs als Teil der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Dabei stehen sich Ps 76,2 f. und Ps 78,65 ff. als eine Art Kontrastprogramm gegenüber. 131 Die Übersetzung hält sich an dieser Stelle an die Vorgabe des MT. In der Forschung wird aber mit Verweis auf Ps 148,1 gern v o n r ü i n : „wie Himmelshöhen" ausgegangen. Vgl. KRAUS, Psalmen II, 701 f.; SCHREINER, Sion, 166; TÄTE, Psalms II, 283. Daß die Begriffswahl hier in semantischer Opposition zu p x (v69b) ausgefallen ist, ist unbestreitbar. Ob des weiteren auf das himmlische Heiligtum Gottes angespielt wird, ist nicht auszuschließen. Dennoch geht es hier zunächst um majestätische Höhe und Stabilität des Heiligtums auf dem Berg Zion. S. a. Jes 33,5. 132 Vgl. dazu TÄTE (Psalms II, 295), der weitergehend aus entsprechenden Beobachtungen schließt, dass eine grundsätzliche Verwerfung des Nordens dieser Passage nicht zu entnehmen ist. Auch CLIFFORD äußert sich entsprechend und meint, daß allein Josef/Ephraim als Heimat des zentralen Heiligtums zurückgewiesen werden: „and Judah is chosen in v68 only under the same qualification: as the site of the new sanctuary, Jerusalem//Zion"(Interpretation, 137). Anders SCHREINER, Sion, 54. 133 HOSSFELD/ZENGER gewichten etwas anders. Ihrer Ansicht nach handelt es sich hier zunächst um die Erwählung Judas. „Die Erwählung von Zionsberg und Tempel V68f. steht an zweiter Stelle" (Psalmen II HThK, 429). Dagegen spricht aber, daß Zion im Parallelismus dasselbe Verb zugeordnet wird wie Juda. Die Verwerfung Schilos steht jedoch außerhalb der poetischen Figur in v60. Vgl. zur Stelle auch HAGLUND, Motifs, 98. 134 Vgl. Ps 87,2. 135 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 429.
II. Jhwh erwählt Zion
115
Nach Ps 76,3 werden Salem und Zion parallel genannt. Damit wendet der Dichter einen Kunstgriff an, der es ihm ermöglicht, die Wahl Zions zum Wohnort in der vorstaatlichen Zeit zu verorten. Salem wird innerhalb des Alten Testaments nur noch ein weiteres Mal als Name für Jerusalem gebraucht: Gen 14,18. In Ps 76,2 wird gesagt, daß Gott in Israel und Juda bekannt ist. So wird zwar nicht zwingend die vorstaatliche, wohl aber die frühstaatliche Zeit umschrieben. 136 Ps 78 schränkt diese Perspektive ein, indem er die Wahl Judas, die mit der Wahl Zions einhergeht, besingt. Ephraim, den Norden, hingegen erwählt Jhwh nicht. Nicht ganz so deutlich ist die Vergleichbarkeit des Charakters von Zion in Ps 76,3 und 132,13 ff. Zion ist in Ps 132 ganz Stadt. In Ps 76 steht Zion in einem Parallelismus mit Salem, verbunden mit der Präposition n. Das legt es nahe, hier mit „in Zion" oder vorsichtiger „zu Zion" zu übersetzen. Hossfeld und Zenger wählen hingegen die Präposition „ a u f ' und konnotieren damit den Berg. Ausgeschlossen ist diese Möglichkeit nicht. Handelt es sich in Ps 76 aber um die Stadt Zion, so werden zwei Parallelen zwischen den beiden Texten sichtbar, nämlich die Wahl des Ortes im Sinne eines geschichtlichen Vorgangs und der Stadtcharakter des Wohnortes, der eine andere Qualität von Herrschaft impliziert als der Berg. Hossfeld und Zenger ist zwar darin Recht zu geben, daß Ps 76 viele semantische und motivische Gemeinsamkeiten mit den Ps 46 und 48 aufweist. Gerade die Verbindungen, die zu Ps 78,65 ff. und 132 aufgezeigt werden können, und der Verweis darauf, daß Jhwh in Israel und Juda bekannt ist (anders in Ps 87), lassen indessen folgendes Urteil in Frage stellen: „Diese Beobachtungen (Bezüge zu Ps 46; 48) legen die Annahme nahe, daß auch Ps 76 im traditions- und theologiegeschichtlichen Kontext der Zionstheologie ausgelegt werden muß: JHWH hat sich den Zion als den Ort erwählt, von dem aus er sein Weltkönigtum ausübt und durchsetzt. Als Thronsitz JHWHs ist der Zion ein Ort des Heils, zu dem die Könige und die Völker strömen werden, um Jhwh als ihrem Großkönig zu huldigen und sich seinem Weltregiment zu unterwerfen." 137 Hossfeld und Zenger betrachten den Text innerhalb einer geschlossenen Konzeption von Zionstheologie. Die Loslösung davon eröffnet jedoch nicht nur zusätzliche Aspekte, sie kann perspektivische Verzerrungen vermeiden. In Ps 132,13 ff. w i r d d u r c h den G e b r a u c h der S u f f i x e deutlich, d a ß Z i o n f e m i n i n v e r s t a n d e n w i r d . D i e Z u o r d n u n g Z i o n s zu e i n e m g r a m m a t i s c h e n G e s c h l e c h t ist n u r an w e n i g e n Stellen i n n e r h a l b d e s Psalters so klar. 1 3 8 In d e r Regel ist m i t Z i o n , w e n n f e m i n i n konstruiert, die Stadt g e m e i n t . Ä h n l i c h Ps 87 ist a u c h hier v o n einer e m o t i o n a l e n B i n d u n g an Z i o n die R e d e . J h w h b e g e h r t sie ( m s ) als W o h n o r t . E i n s c h r ä n k e n d m u ß f e s t g e h a l t e n w e r d e n , d a ß diese b e s o n d e r e A r t d e r H i n w e n d u n g nicht z w i n g e n d a u f d e r Vorstellung v o n Z i o n als Frau beruht, d e n n a u c h v o m B e r g Z i o n (jVü ~in) k a n n g e s a g t w e r d e n , d a ß J h w h ihn liebt (Ps 78,69). D e n n o c h , Z i o n w i r d zu e i n e m G e g e n ü b e r J h w h s m i t h e r v o r r a g e n d e n Privilegien. S e i n e N a h r u n g s m i t t e l sind g e s e g n e t , seine B e d ü r f t i g e n w e r d e n gesättigt. Z w e i M o t i v e , die in den Z i o n s p a s s a g e n e i n z e l n e r P s a l m e n hervortreten, w e r d e n hier g e m e i n s a m a u f g e g r i f f e n : die F ü r s o r g e J h w h s f ü r die Stadt (vgl. Ps 51,20;
136 137 138
Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 391; s.a. WEBER, In Salem, 89.91. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 387. Vgl. Einleitung, S. 8 f.
116
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
102,14) und der Segen, ausgehend von Zion.139 Alles, was zugunsten Zions und seiner Bewohner geschieht, einschließlich der Etablierung der Daviddynastie am Zion, hat seine Auswirkungen auf ganz Israel. Die Darstellung Zions kommt der Jerusalems in den Psalmen sehr nahe. Die Versorgung der Stadt und ihrer Bewohner, verbunden mit der Wahl von Femininsuffixen, unterstützt den städtischen Charakter Zions. Daß dennoch Zion von Jhwh erwählt wird und nicht Jerusalem140, hängt eng mit der Konzeption des Psalms und seiner Position im Psalter zusammen. Zion ist der Ort, von dem Segen ausgeht, an Zion hat sich Jhwh gebunden, und an diesen Aspekten partizipiert die Herrschaft Davids und seiner Dynastie.141 Dadurch gliedert sich der Text in die Reihe der Wallfahrtslieder ein. In diesem Kontext wäre es freilich auch keine Schwierigkeit gewesen, von Jerusalem zu sprechen, wie es in Ps 122 geschieht. Indem der Text jedoch Zion nennt und nicht Jerusalem, ist jegliches Zutun Davids an den Ereignissen ausgeschlossen142. Seine Herrschaft wird eingereiht in die des messianischen Königs, wie sie in Ps 2 vorgestellt wird und wie Ps 132, den 110. Psalm korrigierend, betont.143 Die Ladetradition ist in Ps 132 das Mittel, Zionstradition und Daviddynastie miteinander zu verbinden.144 Nun ist Ps 132 kein Text, der kultische Vorgänge ignoriert und sich auf die Proklamation menschlich-königlicher und göttlicher Herrschaft auf dem Zion beschränkt. Der Wunsch, hineinzugehen in „seine Wohnungen", sich vor „dem Schemel seiner Füße " niederzuwerfen, ferner die Ausstattung der Priester mit Gerechtigkeit und Heil sowie der Jubel der Frommen - all dies läßt auf lebendige 139
Vgl. d a z u S . 132 ff. Vgl. 1 Reg 8,16 (LXX); I Reg 11,13.32.36; 14,21; II Reg 21,7; 23,27; Sach 1,17; 2,16; 3,2; I I C h r 6 , 6 ; 12,13; 33,7. 141 GESE sieht einen umgekehrten Gedankenverlauf. Seiner Ansicht nach ergreift Jhwh mit der Erwählung des Zions Besitz vom Grund und Boden Davids (II Sam 24). Indem er sich für immer an diesen bindet, bindet er sich auch an das Haus Davids (Davidsbund, 17). Das widerspricht der oben dargestellten Auffassung, daß Ps 132 gerade die Souveränität Jhwhs in seiner Wahl zur Etablierung seines Wohnortes betont. Dem Psalm nach hat David den Wohnort zwar gesucht, aber gefunden hat ihn Jhwh. Nach Ps 132 geht die Zionserwählung der Davidserwählung theologisch voraus. Die Perspektive GESES auf Ps 132 zeigt sich schließlich auch in seiner Verhältnisbestimmung von II Sam 7 und Ps 132. Seiner Ansicht nach korrigiert der Samueltext den Psalm gerade weil dem Text nach Gott selbst aktiv sein will (ebd., 26). Dem schließt sich u.a. NEL (Psalm 132, 1 8 7 ) an. 142 Vgl. auch HUWILER, Patterns, 209. S. a. SEEBASS (Art. "im, 601), der ebenfalls betont, daß Zion nicht durch den Willen des Königs erwählt wurde, sondern aufgrund des Willens Jhwhs. 143 Mehr dazu s. Kap. C. II.5. Verbindungslinien: Psalm 110 zwischen Psalm 2 und Psalm 132 . 144 SAUR schreibt, daß Ps 132 mit der Rezeption der Ladetradition auf eine Leerstelle der Gemeinde des Zweiten Tempels verweise. V 8 bringe den „schmerzlichen Verlust der Lade zum Ausdruck, wenn Jahwe und seine machtvolle Lade aufgefordert werden, sich aufzumachen" (Königspsalmen, 234). Doch wird damit die Bedeutung der Lade für den Text überschätzt. Ziel des Psalms ist, wie in den vv 17 f. klar formuliert wird, die Stabilisierung der Daviddynastie und allein, um dieses zu erreichen, wird die Ladetradition der Ziontradition eingeordnet. 140
II. Jhwh erwählt Zion
117
kultische Traditionen s c h l i e ß e n . Ü b e r ihre Praktizierung ist damit allerdings n o c h nichts gesagt. V i e l m e h r nennt der Text mit d e n Priestern und d e n F r o m m e n am T e m p e l g o t t e s d i e n s t beteiligte Gruppen und verleiht ihnen und ihrem D i e n s t Attribute w i e Gerechtigkeit. A n d e r s als in Ps 6 5 , der sehr u m f a n g r e i c h d e n Gottesdienst a m T e m p e l umschreibt und dabei die Blickrichtung des e i n z e l n e n F r o m m e n w i d e r s p i e g e l t , sind die Priester und F r o m m e n in Ps 132 w i e auch die mit N a h r u n g versorgten A r m e n Teil des „Hofstaates" des a u f d e m Z i o n thronenden Gottes. „Aus V 132 läßt sich ein Fest erschließen, das dem Gedächtnis der Stiftung des Königshauses und seines Heiligtums gewidmet war." 1 4 5 Dieser Äußerung Gunkels haben sich, mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, andere Forscher angeschlossen. Kraus geht von einem Fest der Erwählung des Zion bzw. einem königlichen Zionsfest aus, das Erwählung des Heiligtums und den König als Tempelherren feiert, und zwar am ersten Tag des Laubhüttenfestes. 1 4 6 Eine Verbindung von Erwählung der davidischen Dynastie und Erwählung des Zion im Kultakt erkennt auch Rendtorff. 1 4 7 Er sieht eine Übertragung der im Psalm geschilderten Ereignisse in kultdramatische Vorgänge als „Nachvollzug der Einholung der Lade nach Jerusalem durch David" 1 4 8 . Bereits diese Verknüpfung von Ladeüberführung und Zionserwählung im Fest ist problematisch. Ps 132 ist der einzige Psalm, der die Lade überhaupt erwähnt. Ihre Aufnahme in den Text scheint eher ein theologischer Kunstgriff zu sein, der voneinander unabhängige Traditionen miteinander verbindet, um der Verheißung des davidischen Königtums auch in nachexilischer Zeit einen Anschlußpunkt zu bieten. 1 4 9 Z u B e g i n n d e s Kapitels w u r d e festgestellt, daß Gott, Z i o n und H e i l i g t u m in den Ps 8 4 und 6 5 e i n e untrennbare Einheit bilden. W ä h r e n d Ps 8 4 mit einer großen t e r m i n o l o g i s c h e n Variationsbreite d e n T e m p e l umschreibt und Ps 6 5 ihn direkt nennt, bleibt Ps 132 in dieser Hinsicht überraschend s c h w e i g s a m . Immerhin spricht D a v i d n o c h d a v o n , a u f der S u c h e nach den rraoön des Starken Jakobs z u sein, ein Terminus, der auch in v 7 w i e d e r a u f g e g r i f f e n wird. In d e m e i g e n t l i c h e n Zionsabschnitt, v v 1 3 - 1 6 , bzw. 13 und 14, herrscht aber, v i e l l e i c h t a b g e s e h e n v o n nnijQ, e i n e andere T e r m i n o l o g i e vor, n ä m l i c h die Wurzel HD" und ihre Derivate. D i e G e g e n w a r t Gottes auf d e m Z i o n ist eine thronende, k ö n i g l i c h e Präsenz, 145 146
GUNKEL, Einleitung, 142. Vgl. KRAUS, Psalmen II, 1058ff.; so auch FRETHEIM, Psalm 132, 300.
147
V g l . RENDTORFF, K u l t , 1 2 6 .
148
RENDTORFF, K u l t , 1 2 2 .
149
„Aus PS 132 sind demnach keine Kenntnisse über die Wertschätzung der Lade (und der mit ihr verbundenen heilsgeschichtlichen Traditionen) im Tempelkult der vorexilischen Zeit zu gewinnen, viele hingegen über ihre Bedeutung bei der Überwindung der Krise des Exils und der Reformulierung der Tempeltheologie im ausgehenden 6. Jahrhundert. Für sie ist die Lade - das spezifische Kultobjekt der kanonischen Frühgeschichte des Volkes ... ein attraktiver Anhaltspunkt theologischer Neubesinnung gewesen" (SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 95). Zum Verhältnis von Lade und Zion s. EILER, der in seiner Arbeit zu Zion als einem theologischen Symbol zu dem Ergebnis kommt: „The major themes associated with Zion [...] can best be understood as developments of themes associated with the ark at the beginning of the monachy" (Origin, 330).
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B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
und der von diesem König ausgehende Segen sättigt und umsorgt. Diesem Gott soll die Herrschaft der Davididen entsprechen.' 50 Die Wahl Zions zum Sitz der königlichen Herrschaft Gottes läßt, im Unterschied zu den Ps 84 und 65, da Zion und der Gott auf Zion miteinander zu verschmelzen scheinen, eine gewisse Distanz erkennen. Beide stehen einander gegenüber, wenn auch durch große Zuneigung (ms v 14) verbunden. Doch spricht Gott von seiner (3.f.sg.) Nahrung, sowie von seinen Priestern und seinen Frommen. Zion als Ruhestätte, ja als Thron Gottes ist eine Größe eigener Art.151 Der Psalm präsentiert sich als ein Kapitel subtil komponierter Theologiegeschichte Israels, in der die Davidverheißung wie auch die Erwählung des Zions als die zentralen Elemente untrennbar miteinander verknüpft sind. Eine sekundäre Einarbeitung der Zionspassage für den Kontext der Wallfahrtspsalmen ist deshalb auszuschließen. Mit Ps 132 liegt ein nachexilisch152 formulierter, einheitlicher Text vor. Formgeschichtliche Erwägungen, der Text sei aus alten Liedern zu kultischen Großereignissen zusammengesetzt, können angesichts der kunstvollen Verschränkung der einzelnen Strophen nicht bestehen. Ps 132 setzt II Sam 6-7 voraus und wird wiederum von II Chr6,41 vorausgesetzt. Die Aufforderung an Jhwh, sich zu erheben, erscheint in II Chr 6,41 als Teil eines umfangreichen Gebetes Salomos. Es ist die Aufforderung, den Tempel in Besitz zu nehmen. In der Regel wird die Stelle in II Chr 6 als ein Zitat aus Ps 132 verstanden, womit ein Terminus ad quem gegeben ist.153 Mit nrran ist ein weiteres Leitwort des 132. Psalms, das als Bezeichnung für die Ruhestätte Jhwhs nur selten innerhalb des Alten Testaments gebraucht wird154, in der Chronik und Jes 66 aufgegriffen worden. Die deutliche Ablehnung einer irdischen Wohnstätte Gottes wie in Jes 66,1, läßt sich in Ps 132 150
"[^"KDD^ 130% auch die Nachkommen sollen auf dem Thron sitzen (v 12). Zugegeben, der Psalm bewegt sich damit im Duktus der historischen Fiktion, die er aufbaut. Doch ist die Wandlung von „deine Priester" und „ deine Frommen " in v 9 zu „seinen " i n den vv 15 f. beachtlich und nicht allein dieser Fiktion zuzuschreiben. 151
152
V g l . DUHM, P s a l m e n , 4 4 7 ; DEISSLER, P s a l m e n III, 170; POULSEN, K ö n i g , 132 f.; BECKER,
Kollektive Deutung, 314; EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 242; PIETSCH, Sproß Davids, 128. Auch PATTON spricht sich in ihrem Aufsatz in Auseinandersetzung mit LAATO (Psalm 132, 49 ff.), der den Text in die frühe Königszeit datiert, fiir die nachexilische Zeit als Abfassungszeitraum aus (Psalm 132, 643 ff.). Anders u.a. GESE (Davidsbund, 119), der durch eine andere Verhältnisbestimmung von Ps 132 und II Sam 7 in frühe vorexilische Zeit kommt; KRAUS (Psalmen II, 1059 f.) setzt ein königliches Zionfest voraus; s.a. GUNKEL, Psalmen, 568; EISSFELDT, Psalm 132, 483.485; ROHLAND, B e d e u t u n g , 121; SEEBASS, A r t . - i r n , 6 0 1 ; SPIECKERMANN ( H e i l s g e g e n w a r t , 9 5 )
äußert sich vorsichtiger und datiert exilisch. 153 Anders als in Ps 132 befindet sich die Lade zu dem Zeitpunkt, da der Aufruf noip erfolgt, bereits im Tempel. Vgl. EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 241 f.; HUWILER, Patterns, 205. 154 Neben Ps 132,8.14; I Chr 28,2 und Jes 66,1 wird nrran für die Ruhestätte Jhwhs bzw. seiner Lade nur noch in Ps 95,11 gebraucht. Interessanterweise steht in Dtn 12,9 nm:n für das Land als „Ruhe" des Volkes.
IL Jhwh erwählt Zion
119
nicht finden. Daß Gott es ist, der selbst die Initiative ergreift zur Wahl des adäquaten Ortes seiner Anbetung, ist jedoch bereits ein Schritt in diese Richtung. Ps 132 bewegt sich in großer Nähe zur chronistischen Theologie mit ihren Restaurationshoffnungen flireine davidische Dynastie 155 . Indem der Tempelbau trotz gewichtiger traditioneller Vorgaben praktisch ausgeblendet wird, kann der Text Bezüge zwischen dem Zion als Ort der Gottesgegenwart und der davidischen Dynastie herstellen, die weit über Bezeugtes hinausgehen und Zukunftshoffnungen eröffnen, die auf Gottes Erwählungshandeln beruhen. 2. Verbindungslinien: Psalm 132 im Kontext der Wallfahrtslieder Ps 132 nimmt unter den Wallfahrtsliedern eine einzigartige Stellung ein. Er ist deutlich länger als die anderen Texte der Sammlung, weist keinerlei Ähnlichkeit mit den individuellen und kollektiven Klage- und Dankäußerungen der Ps 120134 auf und thematisiert, was diesen Texten überhaupt nicht fraglich scheint, die Erwählung Zions und die Verortung der davidischen Dynastie am Zion. Der einzelne Beter weiß, wohin er sich wenden kann in seiner Not: „Ich hebe auf meine Augen zu den Bergen" (121,1), und er macht sich auf zum Hause des Herrn (122,1). Ps 132 erscheint innerhalb der Wallfahrtslieder als nachgeholte theologische Reflexion. Doch auch durch seine Verknüpfung der Erwählung des Zions mit der dauernden Herrschaft der Davididen vertieft Ps 132 ein bereits vorliegendes Thema, denn Ps 122 deutet die Bindung der Davididen an Jerusalem an (Ps 122,5). Ps 132 befindet sich somit in Parallelstellung zu Ps 122, führt jedoch das aus nationaler Perspektive formulierte Gebet - Verbindung von Herrschaft der Davididen und Lokalisierung des Hauses Gottes - in die eschatologische Dimension. Wie sehr Ps 132 somit einen Höhepunkt darstellt und eine Schlußstellung in bezug auf die Wallfahrtslieder einnimmt, zeigt llQPs 3 , denn hier steht Ps 132 tatsächlich zum Abschluß der Sammlung. Die Ps 133 und 134 werden an anderer Stelle eingeordnet. 156 Im Masoretischen Text läßt der nächste Kontext die Einfügung an dieser Stelle sinnvoll erscheinen, denn Ps 131 und seine Überschrift mit dem Zusatz 155 Die Zusage für eine dauernde davidische Dynastie hat viele Forscher dazu bewogen, den Text vorexilisch zu datieren. So u.a. GUNKEL, Psalmen, 568; EISSFELDT, Psalm 132, 485. Andere Anknüpfungspunkte für eine Datierung bietet das Verhältnis des Textes zur deuteronomistischen Theologie. So kommen GESE (Davidsbund, 119.129) und im Anschluß an ihn NEL (Psalm 132, 189) zu dem Ergebnis, daß der Psalm prädeuteronomistisch sei. PERLITT (Bundestheologie, 51), METTINGER (King, 256) oder W.H. SCHMIDT (Kritik, 446) erachten die Theologie des Psalms als deuteronomistisch. 156 Ps 133 steht in l l Q P s 2 (col. XXIII) zwischen Ps 141 und 144; Ps 134 aber in l l Q P s 3 (col. XXVIIf.) zwischen Ps 140 und 151A. Vgl. FLINT, Psalm Scrolls, 190ff.; MILLARD, Komposition, 219; FABRY, 1 lQPs a , 55 Anm. 38.
120
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
"rn1? bietet die angemessene Szenerie des demütig vor Gott tretenden David, der nun mit Ps 132 einen Dpa für Jhwh zu finden sucht. Zudem erfolgt die theologische Reflexion bevor, synchron gelesen, der Blick sich wiederum auf die Gottesdienstgemeinschaft richtet: „ Siehe, wie gut und wie schön ist es, wenn Brüder zusammen wohnen ". Und schließlich kann das Haus Gottes zum Lob Jhwhs betreten werden. Ps 132 ist durch seine Überschrift mit den Wallfahrtsliedern verbunden, verweist aber darüber hinaus thematisch auf die Ps 2 und 110. Gemeinsam ist den Texten, daß Zion Sitz des messianischen Königtums ist. Wird diese Verbindung in Ps 132 aber erst über die Verknüpfung von Ladetradition und Erwählung Zions zum Wohnsitz Gottes hergestellt, so wird nach den Ps 2 und 110 der messianische König dort direkt von Gott eingesetzt. Die Vorstellung des von Gott auf dem Zion eingesetzten Herrschers ist dem Dichter von Ps 132 bekannt. Die Herrschaftsattribute der vv 17f., besonders aber die Rede von „meinem Gesalbten", sind in dieser Hinsicht eindeutig. Dennoch stärkt Ps 132 gerade gegenüber Ps 110 die Restaurationshoffnungen auf eine davidische Dynastie und trennt zwischen „seinen Priestern", d.h. den Priestern Zions, und „meinem Gesalbten".157 Ps 132 hat nicht nur eine Funktion für die Wallfahrtslieder. Er ist jünger als die Ps 2 und 110, eingearbeitet in einen Psalter, der zu einem großen Teil bereits fest gefugt war. Deshalb ist seine Position weniger prominent als die von Ps 2. Doch mag dieser Text, darauf weisen die Qumranhandschriften, durchaus einmal eine Schlußposition innegehabt haben158, die Ps 110 korrigiert und der Hoffnung auf eine Herrschaft des Gesalbten vom Zion aus Ausdruck verleiht.
III. „Es segne dich Jhwh von Zion her" Gottes Gegenwart ist der Kern, um den herum die Ps 84; 65 und 132 ihre Theologie entwickeln. Diese Gegenwart Gottes ist auch in den Ps 14 und 53 sowie den Wallfahrtsliedern vorausgesetzt. Sie verlagern den Schwerpunkt jedoch, u. a. gekennzeichnet durch den Gebrauch der Präposition p , und thematisieren unter variierenden Gesichtspunkten Gottes Handeln von Zion aus.159 Die Wallfahrtslieder, die eine auffallende Dichte von Zionsbelegen aufweisen, machen zudem deutlich, daß Gott nicht nur von Zion aus handelt, er handelt ebenso an Zion. Auf diese Weise wird Zion selbst zum Mittler göttlicher Gaben und d. h. zuerst des göttlichen Segens. 157
Zu den Besonderheiten von Ps 110 in bezug auf die davidische Dynastie vgl. S. 210 f. Vgl. auch MICHEL, Gott und Gewalt, 178. 159 Nun ist vor allem in Ps 65 ausfuhrlich vom Wirken Gottes in der Welt die Rede, das sich als segensreich für die gesamte Schöpfung erweist. Der Tenor in Ps 65 ist jedoch ein anderer als der in den im folgenden zu betrachtenden Texten. Denn während Ps 65 hymnisch den zu Zion gegenwärtigen Gott besingt, ist besonders in den Wallfahrtliedem das von Zion ausgehende Handeln eine Zusage an den Einzelnen und das Volk. 158
III. „Es segne dich Jhwh von Zion her"
121
Die Ps 14 und 53 werden aufgrund ihrer Textgeschichte gemeinsam behandelt, den Wallfahrtsliedern ist hingegen ein gesondertes Kapitel gewidmet, da sie als Sammlung Beachtung finden sollen. 1. JRÜN und
o-DTÖN
in den Psalmen 14 und 53
Der Text von Ps 14 ist mit weitgehend wörtlicher Übereinstimmung in Ps 53 wieder aufgenommen worden, was nach Hossfeld und Zenger auf große Beliebtheit des Textes hinzudeuten scheint. Sie verweisen zur Stützung ihrer These auf andere, zweifach überlieferte Texte wie den Dekalog (Ex 20; Dtn 5) oder die Vision von der Völkerwallfahrt zum Zion nach Jesaja und Micha (Jes 2,1-5; Mi 4,1-5). 160 Wenn auch der Vergleich mit dem Dekalog etwas hoch gegriffen erscheint, so ist dennoch die Frage zu stellen, was diesen fast schon resigniert klingenden Text für die Redaktoren des Psalters so interessant sein läßt, daß sie ihn ein zweites Mal aufgenommen haben. Psalm 14 1 Für den Chormeister. Von David
Es spricht der Tor 162 in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott; sie handeln verderbt, handeln abscheulich,
Psalm 53 161 1 Für den Chormeister. Nach der Weise „machalat". Ein Weisheitslied Davids. 2 sie handeln verderbt UND tun abscheuliches UNRECHT163
es gibt niemanden, der Gutes tut. 2 JHWH schaut herab vom Himmel 3 GOTT schaut herab vom Himmel, auf die Menschen, um zu sehen, ob es einen Einsichtigen gibt, einen, der Gott sucht. 3 Sie alle (bsrr) sind abgewichen (nc), 4 E I N JEDER (/FO) IST A B T R Ü N N I G (:O) alle zusammen sind verdorben; es gibt niemanden, der Gutes tut, auch nicht einen. 164 160
Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 86. Diese Darstellung benennt nur die von Ps 14 abweichenden Passagen von Ps 53. Textabschnitte, die mit Ps 14 übereinstimmen, sind nicht wiedergegeben. Einzelne Abweichungen innerhalb gemeinsamer Passagen sind in Kapitälchen ausgewiesen. 162 Zur Übersetzung von ta; s. u. a. BENNETT (Wisdom Motifs, 16 ff.), der aufzeigt, daß im Gegensatz zu anderen weisheitlichen Begriffen für den Unverständigen oder Unwissenden auch Aspekte des Außenseiters und desjenigen, der Gesetze übertritt, trägt. MARBÖCK zieht die Bezeichnung „Narr" vor, der den „böswilligen Bruch" der Gemeinschaft mit den Menschen und mit Gott vollzogen hat (Art. ta;, 180). S.a. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 82. 163 In Ps 14,1 wird m i t r f r t i ) in Ps 53,2 mit^is formuliert. 164 Die LXX ergänzt: „Wie ein offenes Grab ist ihre Kehle, ihre Zunge betrügt, Gift von Nattern ist unter ihren Lippen, deren Mund ist voll von Fluch und Bitternis, ihre Füße vergießen 161
122
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
4 Haben keine Erkenntnis ALLE Übeltäter? Sie verschlingen mein Volk, sie essen (es wie) Brot 1 6 5 (aber) JHWH rufen sie nicht. 5 Da trifft sie ein gewaltiger Schrecken, wie noch kein Schrecken war, denn Gott ist bei dem Geschlecht der Gerechten. 6 Der Ratschluß des Armen, (an ihm) werdet ihr zuschanden werden, denn JHWH ist seine Zuflucht.
7 Wer gibt von Zion Rettung für Israel? Wenn J H W H das Geschick seines Volkes wendet, jubelt Jakob undfreut sich Israel.
5 Haben keine Erkenntnis DIE Übeltäter?
(aber) GOTT rufen sie nicht.
denn Gott zerstreut die Gebeine dessen, der dich bedrängt. du machst sie zuschanden, denn GOTT hat sie verworfen. Wer gibt von Zion RettungEN für Israel? Wenn GOTT das Geschick seines Volkes wendet,
Ps 14 setzt mit einer Klage über den bm (KollektivbegrifT) ein. Der Tor spricht in seinem Herzen: „Es gibt keinen Gott". Die Gottlosigkeit des und seine Unfähigkeit zum Guten sind Thema des ersten Teils des Psalms. Gott schaut herab auf die Menschen, doch er sieht nicht einen Einsichtigen, nicht einen, der Gutes tut. Der zweite Teil, die v v 4 - 6 , eingeleitet durch eine Frage, läßt Jhwh Anklage erheben gegen die Gottlosen (]1K -^JJS). Gott ergreift Partei, obwohl er feststellen muß, daß es niemanden gibt, der Gutes tut. Er ist mit dem i n Daraus ergibt sich folgende Gliederung des Textes: v 1 Klage über die Gottlosigkeit des v 2 Gottes Suchbewegung v 3 Gottes Resümee
v4 Not „meines Volkes" v 5 - 6 Gottes Mitsein mit den Gerechten
Gottlosigkeit der Welt -mQTlDiJ l'K
Volk Gottes
v 7 Schluß - Ausdruck der H o f f n u n g
V 7 verleiht der Hoffnung Ausdruck, daß Jhwh das Schicksal seines Volkes von Zion aus wenden möge. Die Bestandsaufnahme des ersten Verses ist bereits niederschmetternd. Nicht nur, daß der in seinem Herzen sagt, es gebe keinen Gott. Die Welt ist so gezeichnet vom Handeln der Toren, daß es niemanden mehr gibt, der Gutes tut. Blut, Zerstörung und Elend sind auf ihrem Weg, und den Weg des Friedens kennen sie nicht, es gibt keine Furcht Gottes in ihren Augen." Vgl. Ps 5,10; Rom 3,13-18. 165 Die LXX übersetzt mit ßgoxm ägxou „wie man Brot ist". Andere ziehen „Brot" und „Jhwh" zusammen und ergänzen raS. So u. a. GUNKEL (Psalmen, 231 f.), was zur Folge hat, daß das Brot als Opferbrot verstanden wird und der Vorwurf sich gegen Priester richtet, die ihre Position mißbrauchen. S. a. EERDMANS, Psalm XIV, 259.
III. „Es segne dich Jhwh von Zion
her"
123
Nun ist c n ^ s "X nicht so weit zu fassen, daß für den Gott gar nicht existierte. Doch es gibt für ihn keinen handelnden, in das Geschick des Menschen eingreifenden Gott. 166 Der übernimmt das Handeln selbst, und das ist verderbt und abscheulich. 167 Der Nachdruck des D-n^K "X ist dennoch nicht zu unterschätzen. Nicht genug, daß der Tor das Handeln von mrr nicht erkennt, er leugnet überdies jegliches göttliche Eingreifen - bezeichnet dadurch, daß der Text neben mrr auch crrfrx gebraucht. 168 Nach v 2 schaut Jhwh aus erhabener Position vom Himmel herab auf die Menschen, um zu sehen, ob nicht einer da wäre, der nach Gott sucht. Jhwh würde sich finden lassen. Doch die Blickrichtung d e r o t i c n bleibt horizontal. Niemand sucht (v 2), und niemand ruft (v4). Ein zweifaches ]-s (v 3), unter Wiederholung des bereits in v 1 genannten a w r i D D j ' X , verschärft die einleitende Klage. Gern wird im Zusammenhang mit dem Bild des vom Himmel herabschauenden Gottes, der nach einem Gerechten sucht, vom Weltenrichter gesprochen. 169 Nach v 3 zieht Jhwh eine nüchterne Bilanz, denn nicht einer tut Gutes. Darauf folgt jedoch kein Richterspruch. Der Schrecken, der die Gottlosen befallt, beruht auf der Erkenntnis, daß Gott mit den Gerechten ist. Zwischen den vv4 und 5 liegt damit ein Bewußtwerdungsprozeß. Es gibt einen Gott der Toren bezwingt und dieser handelt für die Gerechten, tritt für sein Volk ein. Darin liegt die Furcht der Toren begründet. Kein Gerichtsentscheid und keine Strafe führen dazu. Der Schwerpunkt von v 3 liegt also weniger bei dem Urteil eines Richters 170 , sondern mehr bei dem des suchenden Gottes. Diesen suchenden, den Menschen zugewandten Gott sieht und erkennt der nicht. Der Blick Jhwhs vom Himmel auf die Erde impliziert den Unterschied von mrr und D'n^x. Jhwh ist es, der vom Himmel schaut. Er hat seinen Thron im Himmel. Somit ist er nicht einer unter den D-nVx, sondern „Weltregent" 171 .
166
V g l . G U N K E L , P s a l m e n , 2 3 2 ; EERDMANS, P s a l m X I V , 2 5 8 f. K R A U S , P s a l m e n I, 2 4 8 ;
BENNETT, W i s d o m Motifs, 18. 167 nnö bezeichnet zerstörerisches und auf Vernichtung abzielendes Handeln vor allem im Krieg (vgl. CONRAD, Art. nnö, 1235). In Ps 14 aber steht e s für „ein Gesamtverhalten, durch das die B e z i e h u n g zu JHWH definitiv zerstört wird und das entsprechende Unheil von dessen Seite nach sich zieht" (ebd., 1239). 168 HOSSFELD/ZENGER bezeichnen den Wechsel der Gottesbezeichnung als theologisches Programm, daß den gottlosen Toren dazu z w i n g e n soll, seine Einstellung zu überdenken. CRÜSEMANN kommt zu d e m Schluß, daß, ausgedrückt mit TRNX alle Götter irdische Freveltaten begehen, initiieren oder zulassen, daß •vf?« also Subjekt der darauffolgenden Verben ist (Gottes Ort, 3 5 ) . S . a . MILLARD, P r o b l e m , 9 6 .
In d e m Wechsel liegt bereits ein wesentlicher Unterschied z w i s c h e n Ps 14 und 53. Ps 5 3 als Teil des Elohistischen Psalters hat nur die B e z e i c h n u n g OTI1?!«. I6< > V g l . KRAUS, Psalmen I, 2 4 8 . 170 Daß dem Text dennoch ein Grundton der Verurteilung des Verhaltens des bn: zugrunde liegt, soll nicht bestritten werden. Stärker tritt der himmlische Richter j e d o c h in Ps 53 hervor. Hier wird v o n Strafe gesprochen ( v 6 ) . 171 HOSSFELD/ZENGER, Psalmen I N E B , 102; s.a. EGO, Gottes Thronen, 5 6 1 . 5 6 8 . c n ö mit
124
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
Der Psalmist läßt es jedoch nicht bei dieser Negativbilanz bewenden. Es wäre zuviel, hier von einer Änderung der Situation zu sprechen, aber eine Verschiebung der Blickrichtung liegt in den vv 4 - 6 allemal vor. Eingeleitet wird sie formal durch eine Frage. War das abscheuliche Handeln in den ersten Versen ein eher generelles Problem, klang es wie ein distanziertes Nachdenken über die Verderbtheit der Gottlosen, sind nun konkrete Menschen betroffen: 'GU, mein Volk, wird verschlungen. Wer die Frage stellt, ist nicht ganz offensichtlich. Es ist möglich, daß der Text hier in der Gestalt prophetischer Klage fortgeführt wird, oder aber, daß es Jhwh selbst ist, der spricht, dann aber, ohne explizit eingeführt zu werden. Von -nu kann ebenso Jhwh sprechen wie auch ein Prophet. 172 Daß in v 4b Jhwh folglich in direkter Rede von sich in der dritten Person spricht, ist ungewöhnlich, aber nicht unmöglich. Eine eindeutige Gattungszuordnung, die zwingend auf prophetische Rede verweist, ist jedoch ausgeschlossen. 173 Dem Textverlauf folgend ist davon auszugehen, daß es sich hier bei aller Problematik dennoch um direkte Gottesrede handelt. Der vom Himmel schauende Gott kann nicht einfach feststellen, daß alle abtrünnig sind und dann in Distanziertheit verharren. Das Leiden seines Volkes veranlaßt ihn, Position zu beziehen. Jhwh stellt sich auf die Seite seines Volkes. p kommt mehrfach innerhalb des Psalters vor, als der Himmel, von dem Gott her schaut, antwortet, agiert. Vgl. Ps 20,7; 33,13; 53,3; 57,4; 76,9; 80,15; 102,20, 148,1. 172 'DJ) wird innerhalb des Psalters in Ps 50,7; 81,9.12.14 in direkter Gottesrede verwendet, anders ist dies in Ps 59,12; 78,1; 144,2. Inden Ps 14,4 und 53,5 ist es nicnt offensichtlich. Damit ist aber der Befund der Belegstellen (nur zwei von sechs Psalmen) keineswegs so eindeutig, wie HOSSFELD/ZENGER dies darstellen und somit von direkter Gottesrede ausgehen (vgl. Psalmen I NEB, 100). S.a. CRÜSEMANN, Gottes Ort, 36. CRAIGIE liest v4a als wörtliche Rede bis einschließlich "DJJ -tas. Den Vergleich „sie essen es wie Brot", der noch vor dem Atnah steht, zieht er zum zweiten Versteil (Psalms I, 144.147). Anders u. a. KRAUS, der hinter "OI> eine Schar von Leidenden erkennt. Ein Prophet ist es, der sie anspricht (Psalmen I, 249). Vgl. auch JEREMIAS (Kultprophetie, 115 f.), der auch in v 4 die Fortführung der prophetischen Klage sieht. 173 Die Diskussion darum, ob es sich bei dem Text eher um eine prophetische Klage oder um weisheitliche Bestandsaufnahme handelt, ist umstritten. Nach JEREMIAS handelt es sich bei den vv 1-4 um eine prophetische Klage, die sich jedoch durch starke Nüchternheit auszeichnet, auf „den Notschrei, Warum- und Wie lange-Fragen und auch auf jegliche Bitten verzichtet und nur die Not in konstatierenden Perfecta schildert" (Kultprophetie, 115). Bei v 5 handele es sich um die Wiedergabe der „Jahweantwort", die in v 6 noch einmal reflektiert werde (ebd., 116). Allerdings handele es sich um kultprophetische Sprache durchmischt von „Psalmen-, Propheten- und auch weisheitlicher Sprache" (ebd., 116). Vgl. auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen I NEB, 99. BENNETT hingegen schreibt: „For all of the mixture of forms found in psalm 14 = 53 (meditative Observation as opening; prophetic critique as lament body; and hymnic prayer and assurance as conclusión), there is a unity of thought, a unity resulting from the streng wisdom orientation of the psalm" (Wisdom Motifs, 20). KRAUS bezeichnet die vv 1-3 als „klagende Feststellungen, die aber inhaltlich durch die Prophetie und die Weisheitslehre ("73; - "raían) bestimmt sind" (Psalmen I, 2. Aufl., 105; in der jüngeren, überarbeiteten 5. Aufl. verschiebt sich seine Beurteilung des Textes hin zu prophetischer, genauer zu kultprophetischer Sprache, Psalmen I, 247). So tendiert die Forschung dahin, dem Text einen Mischcharakter zu bescheinigen. Es läßt sich vielleicht festhalten, daß eine rein weisheitlich distanzierte Betrachtung der Geschehnisse nicht möglich ist und eine auf der Bindung an sein Volk beruhende Antwort Jhwhs nicht ausbleiben kann.
III. „Es segne dich Jhwh von Zion her"
125
in* ist in v 4 ausgerichtet auf die Einsicht in das eigene Handeln und die daraus resultierenden Folgen. Jegliche Untat hat Auswirkungen nicht nur auf einzelne, sondern auf die ganze Gemeinde, das Volk Gottes. 174 Einen Widerspruch zwischen der Einsicht, daß es nicht einen gebe, der Gutes tue, und dem Volk Gottes als dem gerechten Geschlecht gibt es nicht. Die Äußerungen von v 3 als „Übertreibungen der Leidenschaft" 175 zu bezeichnen, trifft nicht den Kern. Die Feststellung Jhwhs, daß keiner zu finden ist, der Gutes tut, kein 'roisn, duldet keine Verharmlosung. Auch die Aussonderung einer innerisraelitischen Gruppierung 176 oder die Annahme, daß zwischen Israel und Fremdvölkern zu unterscheiden sei177, läßt sich nicht halten. Hossfeld und Zenger formulieren die Frage, ob hier eine Anspielung auf eine am Tempel stattfindende Scheidung zwischen Gerechten und Frevlern vorliegen könnte. 178 Doch eine Unterscheidung von Übeltätern und Gerechten ist unmöglich. Der Riß geht durch die Menschheit, das Volk Gottes, wie auch den einzelnen Menschen. 179 Wollte Jhwh sich allein daran halten, wer sich tatsächlich als ' T D B D erweise, so bliebe niemand. Doch Jhwh blickt anders auf die Menschen. Ohne die Aussagen der ersten drei Verse im mindesten einzuschränken, vermag er von seinem Volk zu sprechen, von einem gerechten Geschlecht und den Armen, denen er zugewandt ist und Zuflucht bietet. Nicht in eigener Einsicht und Gerechtigkeit, sondern in der Hinwendung Gottes zu seinem Volk besteht die Hoffnung des Beters. Die Zusammenstellung von CD, p ' i ü "in und "D, wie sie im zweiten Teil des Psalms geschieht, ist innerhalb des Psalters einzigartig. P'"K T~I kommt sogar im gesamten Alten Testament nur an dieser Stelle vor. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Begriff CD. Er bezeichnet Gottes Volk, seine Gemeinde. Der "fl lebt in ihr und ist Teil von ihr. Auch die Bezeichnung p*t:s gilt dem Volk, ohne Einzelne oder auch das ganze Volk konkret zu benennen. Hier bleiben die Äußerungen des Psalmisten absichtlich in der Schwebe. Die Rede von einem gerechten Volk ist gesamtalttestamentlich nicht möglich. Den p'-us CD gibt es nicht. 180
174 Vgl. u.a. BENNETT, Wisdom Motifs, 18. Vgl. auch Prov 29,2. Hier wird von der Bedeutung der Gerechten für das Volk gesprochen. 175 176
177 178
GUNKEL, P s a l m e n , 2 3 2 . V g l . BAETHGEN, P s a l m e n , 35 f. V g l . BRIGGS, P s a l m s I, 106 f. V g l . HOSSFELD/ZENGER, P s a l m e n 1 N E B , 102.
179 Vgl. SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 107. BUBER schreibt dazu: „Nirgends in den Psalmen ... ist, wenn ein so allgemeiner Ausdruck gebraucht wird wie hier: ,der Nichtige', der Heide zum Unterschied vom Juden gemeint" (Riß, 961). Juden wie Heiden sind gleichermaßen „nichtig". Nach BUBER beschreibt der Psalmist das entzweigerissene Israel (ebd., 962). BUBER geht dabei von einem Rest in Israel aus (ebd., 963) und bleibt somit dem Denken verhaftet, das in gerecht und ungerecht teilen will. Doch es darf nicht vergessen werden, daß das in v 3 Gesagte gilt - einen Rest gibt es nicht. 180 Vgl. auch hierzu Prov 29,2.
126
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
Daß die nach v 4 vermißte Erkenntnis unter der Oberfläche schlummert, zeigt v5. Ein gewaltiger Schrecken trifft die Übeltäter. 181 Was das im einzelnen bedeutet, bleibt in Ps 14 - im Gegensatz zu Ps 53 - offen und wirkt gerade deshalb besonders beängstigend. Die Übeltäter werden die Konsequenzen ihres Handelns tragen müssen. Doch der Psalmist ist an etwas anderem interessiert. Wie auch immer es den Toren ergehen wird, Gott ist mit dem Geschlecht der Gerechten. 182 V 6 ist parallel zu v 5 gestaltet. Die Übeltäter werden zuschanden werden, denn (wiederum ein "D-Satz) Gott ist die Zuflucht der Armen ("3JJ). Formal und inhaltlich lehnt sich v 6 somit an v 5 an. Es handelt sich nicht um eine redaktionelle Hinzufügung. Auffällig ist allerdings die Anrede 2.m.pl. in v6, ein Aspekt, den Hossfeld und Zenger hervorheben, um von dort aus zu der Annahme zu gelangen, daß der Vers sekundär angefügt sei. 183 Die Anrede der'ix ' ^ r s bleibt jedoch im Duktus des zweiten Teils des Psalms. Mit prophetischem Eifer ruft der Psalmist ihnen Scheitern und Untergang entgegen, denn alle Äußerungen sind geleitet von der Erkenntnis des Mitseins Gottes mit seinem Volk, mit dem Geschlecht der Gerechten, mit den Armen. V 7 ist inhaltlich eng am Kontext ausgerichtet und bringt dennoch neue Aspekte ein. Wie bereits v 4 beginnt auch v 7 mit einer Frage: ^ms" nüitö- ]THO ]rr 'D? Angesichts der vv4 6, die deutlich davon reden, daß Jhwh die Zuflucht ist, verwundert die Frage zunächst und läßt die Vermutung aufkommen, daß es weniger um -Q als um jvsa geht. Durch die Einkleidung des Themas in eine Frage leitet der Psalmist, in diesem Fall ein Redaktor 184 , die Aufmerksamkeit weg von dem Nachdenken über die durch den geprägte Welt, wie es in v 1 pointiert eingeleitet wird und auch den v v 4 - 6 zugrunde liegt. Nun ist allein der vom Zion sich seinem Volk zuwendende Gott im Blick. Die Frage nach dem, der Israel retten soll, greift zwar die Notsituation des Volkes auf (v4), blendet jedoch das negative Urteil Gottes aus v 3 aus. Zudem gewinnt nun ein anderer Kontrast 181
Nach JEREMIAS steht cö für die Plötzlichkeit des Geschehens (Kultprophetie, 115) Vgl. bereits EERDMANS, Psalm XIV, 259. Auch dieses Überraschungsmoment unterstreicht die Massivität des Schreckens. Anders u. a. KRAUS: „Genau dort (cö) nämlich, wo die jix 'D^s ihre gottlose Feindschaft gegen das gerechte Volk ("ÜB - p""K I N ) austragen, werden sie vom Schrecken überfallen" (Psalmen I, 2. Aufl., 107). 182 BUBER äußert dazu: „Mitten unter denen, die sie der Willkür preisgegeben wähnten, erscheint die Gegenwart Gottes, eben des Gottes, von dem sie wähnten, er bleibe dem Menschentreiben fern, der aber in Wahrheit die Zuflucht der Gebeugten ist" (Riß, 963). 183
184
V g l . HOSSFELD/ZENGER, P s a l m e n I N E B , 1 0 2 .
Auch CRÜSEMANN betrachtet v 7 als redaktionell angefügt, argumentiert aber mit dem Zeitschema, da seiner Ansicht nach v 7 perfektisch formuliertes für die Zukunft erwartetes Heilshandeln präsentiert (Gottes Ort, 37 f.). Doch sind in diesem Text gerade die generellen Aussagen, die aus einer historisch-chronologischen Ordnung herausfallen, perfektisch formuliert. So z.B. die Rede des'pn; (v 1) und das Schauen Gottes (v2). Das Zeitschema von v 7 kann also weder als Argument zur Begründung einer redaktionellen Zufugung herangezogen werden noch weist es auf zukünftiges Handeln Gottes. Erst die Reaktion des Volkes (Impf.) unterliegt einem solchen Zeitschema.
III. „ Es segne dich Jhwh von Zion her"
127
Bedeutung: der vom Himmel schauende und suchende Gott (v 2) gegenüber dem vom Zion her rettenden Gott. Gott rückt näher in diesem Vers. Der Weltenherrscher zeigt sich als Gott seines Volkes und „Jakob freut sich und Israel jubelt". Aus der Sicht Gottes vom Zion her ist das Volk nicht zerrissen.185 Ps 53 unterscheidet sich in einigen Punkten von Ps 14. Neben dem durch den Kontext bedingten Wechsel des Gottesnamens von mrr zu cnbx bietet er in v4 eine Variante: „Ein jeder (~hz) ist abtrünnig (") ". Was nach Ps 14,3 sehr pauschal klingt, „alle sind abtrünnig", wird hier pointiert ausgedrückt: „ein jeder", d.h. kein einzelner entgeht, versteckt in einer Gruppe, der Suchbewegung Gottes.186 Die größten Differenzen der beiden Psalmen tun sich jedoch zwischen Ps 14,6 und Ps 53,5 f. auf. Der Äußerung „da trifft sie ein gewaltiger Schrecken" folgt die Formulierung nns n-rrs*?, hier übersetzt mit „wie noch kein Schrecken war".lil Mit derselben Konstruktion wie in Ps 14,5, •,nL?x "D, fahrt Ps 53,6 fort. Doch anstelle des Mitseins Gottes mit den Armen folgt nun die Strafe für die jix '^as. Bilder des Krieges188 werden verwendet, um zu beschreiben, was ihnen geschieht - ihre Gebeine werden zerstreut. Hier kommt die Vorstellung des himmlischen Richters umfassend zum Tragen, die Strafe wird genannt und auch das Urteil „ denn Gott hat sie verworfen ". Zugleich verbirgt sich in der Gerichtsankündigung die Zusage für den einzelnen, daß ihm im Urteil über die jiK 'baa Recht und Gerechtigkeit geschehen wird, eingekleidet in eine hörerbezogene Sprechrichtung, denn es werden zerstreut die Gebeine dessen, „der dich bedrängt". Durch die mit v6 vorgegebene, von Ps 14,4-6 abweichende Schwerpunktsetzung erhält auch v7 eine andere Ausrichtung. In Ps 14 ist die Zuwendung Gottes zu seinem Volk Leitfaden für den zweiten Abschnitt des Psalms, woraus sich Konsequenzen für das Verständnis von v7 ergeben. Das von Zion ausgehende Heil besteht im Mitsein Gottes. Alle zerstörerische Macht wird daran zerbrechen. In Ps 53,6 steht die Zerschlagung der Feinde im Vordergrund. Somit 185 Nach BUBER ist Zion nicht topographisch zu verstehen, sondern als „das Zion der im Lande Israel erfüllten Gerechtigkeit" (Riß, 963). Dem ist entgegen zu halten, daß Zion zwar Züge trägt, die weit über das Topographische hinausgehen, doch ist die Bindung an den Ort nie ganz aufgehoben. 186 Unterstützt wird der Eindruck durch das Fehlen der Totalitätsangabe 0?D) in v5a. Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 78. 187 TÄTE übersetzt: „there where they had not been afraid" (Psalms II, 39) und betont damit weniger die Intensität des Schreckens als die veränderte Situation. Wo vorher kein Schrecken war, wird dieser nun ausgelöst „from divine attack" (ebd., 40). 188 Das Zerstreuen und Vernichten von Gebeinen ist eine schwere Strafe (vgl. Num 24,8; Ez6,5 aber auch II Sam 21,13 f.). Hinzu kommen Motive, die auch Ps 14 schon nennt. Vgl. Ps 27,2-3; 35,1-3.25, die das Kriegführen damit zusammenbringen, daß der einzelne verschlugen wird. Weiterhin steht im Hintergrund der i n s als typisches Motiv des Jhwh-Krieges. i n s steht allgemein für das Schreckliche oder die Gefahr (vgl. MÜLLER, Art. i n s , 556). Erreger kreatürlichen Schreckens ist das Numinose, so die Gottheit als Auslöser im heiligen Krieg (ebd., 557). Vgl. auch MILLARD, Komposition, 117.
128
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
impliziert rnOT" hier zuerst Vernichtung der ^us. 1 8 9 Das Heil besteht in dem gerechten Gericht des von Zion aus wirkenden Gottes.190 Das Verhältnis der Ps 14 und 53 zueinander ist durch die Forschungsgeschichte hindurch unterschiedlich gewertet worden. Gunkel behandelt beide Texte unter Ps 53. Seiner Ansicht nach kommt dieser einem ursprünglichen Psalm, aus dem beide erwachsen sind, am nächsten.191 Gegenwärtig wird das Abhängigkeitsverhältnis der beiden Texte anders gesehen. Ps 53 ist in Abwandlung von Ps 14 entstanden. Er weist sich durch die differenziertere und schärfere Redeweise als „stilistische Bearbeitung" von Ps 14 aus.192 Hinzu kommt, daß Ps 53 gegenüber Ps 14 in der Überschrift und gerade mit i n s n-rrs1? einen Überschuß hat.193 Hilfreich ist auch hier der Blick in den Kontext, der diese Entscheidung stützt. Beide Psalmen sind eng mit ihrem Kontext verwoben. Die Kriegsmotivik, wie sie Ps 53 prägt, entspricht der Thematik der Ps 52 und 54194, die eng miteinander verzahnt sind, so daß Ps 53 wohl nachträglich dazwischengeschoben wurde und durch Angleichungen das Thema der Nachbartexte reflektiert: die Verfolgungszeit Davids. In diesem Kontext wird mit Ps 53 dem, der sein Vertrauen nicht in Gott setzt (Ps 52,9), derjenige an die Seite gestellt, der Gottes Wirken gleich ganz leugnet.195 Beiden wird Vernichtung angesagt, und beiden steht schließlich der Beter entgegen, der sich Hilfe suchend an Gott wendet (Ps 54,3 f.). So gibt Ps 53 mit den Aussagen der vv5 f. den Texten Ps 52-54 einen neuen Akzent, der auf die Vernichtung der Gottlosen abhebt. Die Zionspassage hingegen will noch auf einer anderen Ebene gelesen werden. Neben Ps 51,20, wo der Ort des rechten Gottesdienstes proklamiert wird, präsentiert Ps 53,7 Zion als den Ort des rechten Gottesgerichts. Dieser Gedanke ist weniger stark mit dem Kontext des zweiten Davidpsalters verwoben.196 Er setzt als sinnvolle nachträgliche Einfügung Ps 51 voraus, will man nicht eine Angleichung von 189
Der MT sieht sogar eine Mitwirkung des einzelnen am Untergang der Übeltäter vor (nrann; v6). Die Du-Anrede bezieht sich auf den durch den Psalm Angesprochenen und nicht auf Gott. Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 74.85. Die LXX übersetzt allerdings mit xatr|axiJv9r|oav (3.p.pl. aor. ind. pass.). Auch der MT kennt keinen weiteren Beleg von Bin Hif., der aktiv formuliert, was sonst das Vorrecht Jhwhs ist, denn er läßt zuschanden werden. SEEBASS zieht aus den Schwierigkeiten die Konsequenz, die Belege von t m in den Ps 14 und 53 aus seiner Begriffsuntersuchung auszuschließen, mit der Begründung, daß eine „durchschlagende Emendation zur Zeit" fehle (Art. üm, 578). 190 HOSSFELD/ZENGER sprechen von einer alten Tradition, wonach „Zion der Ort ist, von dem aus Gott sein rettendes Richteramt ausübt" (Psalmen II HThK, 85). 191 GUNKEL kommt zu diesem Urteil, indem er davon ausgeht, daß der Text einer prophetischen Scheit- und Drohrede folgt, deren wesentlicher Bestandteil eine Drohung wie in Ps 53,6 ist (Psalmen, 232F.). S.a. SEYBOLD, Psalmen, 66. 192
V g l . HOSSFELD/ZENGER, P s a l m e n I N E B , 7 8 .
193
V g l . MILLARD, K o m p o s i t i o n , 1 1 6 f.
194
Vgl. dazu auch HOSSFELD, Davidsammlungen, 63. Vgl. dazu auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 71 f. Vgl. dazu u. a. HOSSFELD, Davidsammlungen, 69; SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter,
195 196
127 ff.
III. „Es segne dich Jhwh von Zion
her"
129
Ps 53 an Ps 14 annehmen. Da Ps 51 jedoch spät 197 dem zweiten Davidpsalter vorangestellt wurde, ist eine Ergänzung von Ps 53,7 aufgrund von Ps51,20 eher unwahrscheinlich. Es ist von einer Einfügung des 53. Psalms auszugehen, die auch v 7 umfaßt. Durch die nun mit dem Kontext vorgegebene Leserichtung wird Ps 53,7 zu einer Antwort auf Ps 51,20. Jhwh wird für sein Volk aktiv, vom Zion aus. Das bedingt die Existenz eines lebendigen religiösen Zentrums, und dementsprechend formuliert Ps 52: cn1?» r r m p m r r o "]xi (52,10); und Ps 54: •¡"mrais nrnan (54,8). Ps 14 tritt in seinem Kontext zunächst einmal als ein Fazit der Ps 11-14 auf. 198 Die Klagen über Frevler (caen) und Feinde ( C I T K ) finden in der Feststellung, daß es nicht einen gibt, der Gutes tut, ihren Höhepunkt. Und auch in der Hinwendung Gottes zu seinem Volk, dem Geschlecht der Gerechten und den Armen, faßt Ps 14 zusammen, was zuvor Teil der Klage einzelner war.199 Schließlich ist es auch die Perspektive, die Jhwh einnimmt, indem er vom Himmel schaut (Ps 11,4 und 14,2), die die Psalmengruppe inhaltlich und formal umklammert. Einen weiteren Wachstumsschritt zu einer umfassenden Teilsammlung markiert die Ergänzung von v 7. Die Verortung Jhwhs auf dem Zion ist ein Rückgriff auf die Aussagen von Ps 3. „Ich habe laut zu Jhwh gerufen, und er antwortete mir von seinem heiligen Berg " (Ps 3,5). Dort ist Jhwh gegenwärtig, und von dort aus tritt er ein für sein Volk. „Bei Jhwh ist Rettung, über deinem Volk ist dein Segen" (Ps 3,9) - „ ...von Zion aus Rettung für Israel... es jubelt Jakob und es freut sich Israel" (Ps 14,7).200 Spricht Ps 3 noch von dem heiligen Berg Gottes, so wird Ps 14 konkret. Der Berg Gottes ist Zion, und von hier aus wendet er sich seinem Volk zu.201 Schließlich muß noch ein Blick auf die Ps 9 und 10, die eine Einheit bilden, erfolgen. Dieser Text ist erst nachträglich in die Sammlung der Ps 3 - 7 (+8) und 11-14 eingeschoben worden und bietet nun, als Zentrum der Sammlung der
197
Vgl. MILLARD, Komposition, 116; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 56 f.
198
S . a . HOSSFELD, D a v i d s a m m l u n g e n , 6 4 f .
199
Zu *:B s.a. Ps 12,6; dem unterdrückten Geschlecht aus Ps 12,7 steht das gerechte Geschlecht (Ps 14,5) gegenüber. Der einzelne Beter aus Ps 13 wird zum Teil des Volkes. 200
201
V g l . HOSSFELD/ZENGER, P s a l m e n I N E B , 1 0 0 .
Nicht nur Ps 3, auch Ps 15, der in nächster Nähe zu Ps 14 steht, spricht von „deinem heiligen Berg". Während aber Ps 3 und Ps 14 die gnädige Zuwendung Gottes mit diesem Motiv verbinden, ist die Rede in Ps 15 eine deutlich andere. „ Wer darf wohnen auf deinem heiligen Berg?" (15,1). Die Blickrichtung ist nun umgekehrt, und der Psalm bewegt in jedem Vers die Frage, wer sich Gott nähern darf. Damit erweist sich die Annahme MILLARDS jedoch als fragwürdig, daß Ps 14 die Funktion eines Rahmenpsalms für die Sammlung 15-24 übernimmt (vgl. Komposition, 135.140 Anm. 382). Allein die Erwähnung Zions in Ps 14,7 und des heiligen Berges in 15,1 reicht noch nicht aus, Ps 14 aus seiner Rahmenfunktion, die er mit Ps 3 teilt, zu lösen. Die inhaltliche und terminologische Nähe hat im Gegenteil zu einem Nacheinander der Ps 14 und 15 geführt. Ausgerichtet ist Ps 15 jedoch auf die Ps 15-24, für die er „das Leitbild des Beters" entwirft (vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen I NEB, 105).
130
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
Ps 3-14, eine Zusammenfassung wesentlicher theologischer Aussagen. 202 In diesem Rahmen ist vor allem der Bezug zu Ps 14 herauszustellen. Ps 10 verwendet ein Zitat aus Ps 14,1.3 - D-nbx j'x. In Ps 14 ist diese Äußerung des *?3] kennzeichnend für die fehlende Suche nach Gott und die fehlende Einsicht in Gottes Wege, aus der schließlich böses Handeln resultiert, da sich der einzelne nicht vor Gott in der Verantwortung weiß. In Ps 10 aber ist der Frevler mit all seinem Streben auf das Böse ausgerichtet, da er zu wissen meint, daß Gott nicht eingreift. Das in Ps 14 nur indirekt erfolgende Gericht über die jiN -bss wird in Ps 10 direkt eingefordert: „ Zerbrich den Arm des Frevlers und des Bösen " (Ps 10,15). Ähnlich der Entwicklung von Ps 14 zu Ps 53 wird auch hier die Gerichtsterminologie und das Gerichtshandeln Gottes deutlich stärker ausgearbeitet. 203 Verortet wird das Gerichtshandeln Gottes auf dem Zion. Der Herr hat seinen Thron zum Gericht aufgestellt (Ps 9,8), er thront auf dem Zion (9,12). Zion ist das Zentrum seiner Macht, für den Frevler zum Gericht und für den Bedrückten zur Gerechtigkeit. Zion, für Ps 14 noch ein Randthema, ist für Ps 9 als Königsund Richterthron Gottes zentral geworden. Und noch auf einer anderen Ebene akzentuiert Ps 9 die mit Ps 14 vorgegebene Thematik. Im Gegensatz zu Ps 14 kann in Ps 9 durchaus das Urteil „Frevler" oder „Gerechter" fallen, ohne daß gleichzeitig damit die Erkenntnis einherginge, daß es im Grunde niemanden gibt, der Gutes tut. Das bedeutet aber für Ps 9, daß Feinde und Frevler deutlich stärker konturiert werden. Der Gegensatz zwischen Israel und seinen Feinden 204 wird betont, und der Gott Israels richtet vom Zion aus den Erdkreis 205 , d. h. er spricht sein Urteil über die Feinde Israels. Als König aber vertreibt Gott die Völker „aus seinem Land" (Ps 10,16). In Ps 9 wird neben dem Thronen Gottes auf Zion auch nn genannt, in deren Toren der Ruhm Gottes verkündet und über die Hilfe Gottes gejubelt werden soll. r a tritt nur an dieser Stelle innerhalb des Psalters auf. Die meisten der insgesamt 31 Belege finden sich 202
Dazu gehören u.a. Parallelen wie mrr nmp (Ps 3,8; 9,20; 10,12); die Rede vom Thron Jhwhs (9,5.8; 11,4); die Rechtsprechung (7,8; 10,5) oder die Erwartung göttlicher Hilfe vom Zion (9,12; 14,7). Weitere Verknüpfungen vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen I NEB, 82. Anders u. a. MILLARD, der von einer ursprünglichen Selbständigkeit von Ps 9 und 10 ausgeht und Ps 9 schließlich als Zielpunkt eines ersten Kompositionsbogens auffaßt (er setzt Ps 3 und 9 als „Absalom-Midrasch" zueinander in Bezug). Die Ps 2 und 10 weisen seiner Ansicht nach ebenfalls Bezüge zueinander auf und Rahmen diese Sammlung (Komposition, 127 ff.). Dieser Blickwinkel läßt allerdings die engen Bezüge übersehen, die die Ps 9 und 10 nicht nur zu den Ps 2-7, sondern auch zu den Ps 11-14 aufweisen. Zudem erweist sich die Separierung der Ps 9 und 10 (ebd., 10 f.) trotz der sicherlich lockerer werdenden Figur des Akrostichons als schwierig, zumal sie die ungewöhnliche Reihenfolge von Dankpsalm und Klagepsalm zusammenhält. Vgl. auch SEYBOLD, Psalmen, 55. MILLARD ist aber insofern recht zu geben, als die fehlende Überschrift kein Argument für die Einheit der beiden Texte sein kann. 203 Vgl. Ps 9,5.8.17.20; 10,18. 204 Dabei verschmelzen immer wieder individuelle Feinde und die Feinde des Volkes, denn die Völker sind zu richten. 205 Vgl. auch Ps 7,7 ff.; 11,4f.
IH. „Es segne dich Jhwh von Zion her'
131
bei Jesaja 2 0 6 und in den Klageliedern 207 . Häufig geht es um die personifizierte Stadt, deren Titel nach Steck zugleich Auskunft über ihr Gottesverhältnis zu geben vermag. 2 0 8 Sie ist eine Größe eigener Art, die nicht einfach aufzulösen ist als Symbol für ihre Bewohner oder für das Volk Israel. 209 In Ps 9 liegt der Sachverhalt etwas anders. Hier geht es gerade nicht um die personifinzierte Stadt. 210 Sie steht nicht als eigene Größe zwischen Gott und Volk, Gott handelt nicht an ihr. nn ist die Stadt, in der der Ruhm Jhwhs verkündet wird, sie trägt den Namen Zion als Ehrentitel, denn sie ist von Gott erwählt. Alles Geschehen in ihren Toren hat paradigmatische Ausmaße, und dennoch ist sie nicht gleichgesetzt mit Zion als dem Thron Gottes. Gerade dadurch, daß an dieser Stelle von nn die Rede ist, wird die Differenz deutlich. Während Gott von seinem Thron aus agiert, ist jvs nn der Ort, an dem das Geschehene seine Auswirkungen zeigt. Daß innerhalb des Psalters auf so unterschiedliche Weise von Zion gesprochen werden kann und dabei nicht immer das Gleiche gemeint ist, zeigt sich an dieser Stelle besonders deutlich. Auf diese Weise wird Zion in der Zusammenschau der Psalmen zu einem Gesamtkonzept, ist Gottesthron, Gottesstadt und Heiligtum. ¡vs r n hat aber innerhalb von Ps 9 vor allem die Funktion, den Kontrast zwischen den Städten des Feindes, die entvölkert sind und deren Ruhm versinkt (Ps 9,7), und dem Glanz der Tochter Zion herauszustreichen.
Weshalb dieser Text zweifach in den Psalter aufgenommen worden ist, läßt sich nicht hinreichend beantworten. Allenfalls ein Herantasten ist möglich. Der pessimistischen Weltsicht wird die Gerechtigkeit Gottes gegenübergestellt. Dennoch ist wohl eher die Funktion der Texte in ihrem Kontext ausschlaggebend als der davon gelöste Blick auf die Doppelüberlieferung. Das Alter des Grundbestandes von Ps 14 als Basis der Überlieferung der Ps 14 und 53 wird von Hossfeld und Zenger mit spätvorexilisch angegeben und mit der Nähe u. a. zu Prophetenworten des Hosea- und Zephanjabuches begründet. 211 Aufgrund des Motivs des vom Himmel schauenden Gottes ist jedoch zumindest zu erwägen, ob eine andere Einschätzung denkbar wäre. Ego beschreibt die exilisch-nachexilische Entwicklung mit folgenden Worten: „Der im Himmel Thronende greift zugunsten der Armen und Frommen ein und läßt diesen sein Rettungshandeln zukommen." 212 Zeitlich liegen diese Positionen nicht allzu weit auseinander, und dennoch markieren sie einen Perspektivwechsel, d.h. Gottes Eingreifen geschieht nicht aus der Nähe, sondern aus der Distanz heraus. Der 206
Jes 1,8; 3,16.17; 4,4; 10,32; 16,1 ; 37,22; 52,2; 62,11. Thr 1,6; 2,1.4.10.13.18; 4,22. Hinzu kommen II Reg 19,21; Jer 4,31 ; 6,2.23; Mi 1,13; 4,8.10.13; Zeph 3,13; Sach 2,14; 9,9; Hld 3,11. 208 Vgl. dazu STECK (Zion, 140) und die Kritik an dieser Position durch WISCHNOWSKY (Tochter Zion, 17 Anm. 72). Eine Sonderposition zum Titel nn nimmt DOBBS-ALLSOPP ein, die nn als göttliches Epitheton versteht (Syntagma, 463 ff.). 209 Vgl. dazu STECK, Zion, 142. 210 Vgl. WISCHNOWSKY, Tochter Zion, 18, Anm. 80. 207
211
V g l . HOSSFELD/ZENGER, P s a l m e n I N E B , 9 9 ; s. a. CRAIGIE, P s a l m s I, 147. S o a u c h KRAUS
(Psalmen I, 248), aber mit Verweis auf Bezüge zu Jer 5,1 ff.; 8,6 f.; Jes 59,4 ff. (ebd., 251). 212 EGO, Gottes Thronen, 568. Dabei ist anzumerken, daß sie sich in erster Linie auf Ps 102; 33 und 113 bezieht und auf Ps 14 nur kurz verweist (ebd., 561 Anm. 26), ohne diesen zeitlich einzuordnen.
132
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
im Himmel Thronende ist in seiner Macht und Herrschaft unbeeinträchtigt von der Zerstörung des irdischen Heiligtums. Das spricht für die nachexilische Verfassungszeit. Andererseits verbindet der Nachtrag von v 7 von Gott gewirktes Heil mit Zion. So zeigt gerade die redaktionelle Tätigkeit an Ps 14, daß die Konzeption von Gottes himmlischem Thronen schließlich doch nicht losgelöst von Zion und der göttlichen Gegenwart ausgedrückt werden kann. 213 In der Überarbeitung erweist sich zudem der gedankliche Prozeß aus, der es ermöglicht, sagen zu können, daß Gott in seiner himmlischen Erhabenheit doch irdisch nah ist. Diese Art der Auseinandersetzung um Nähe und Distanz Gottes gehört in die nachexilische Zeit. 2. Die Wallfahrtslieder Die Psalmen 120-134 Innerhalb der Sammlung der sogenannten Wallfahrtslieder 214 findet sich die für den Psalter größte Dichte von Zionsbelegen. Die Ps 125,1; 126,1; 128,5; 129,5; 132,13.15; 133,3; 134,3 nennen Zion explizit. Diese Texte sollen nun als Sammlung näher in Augenschein genommen werden. Die Wallfahrtslieder als gesonderte Psalmengruppe zu betrachten, gehört zu den weniger umstrittenen Positionen in bezug auf die Ps 120-134. Die augenfälligsten Merkmale der Gruppe, auch mit Blick auf den gesamten Psalter, sind ihre gemeinsame Überschrift und die mit Ausnahme von Ps 132 ungewöhnliche Kürze der Texte. 215 Der Umfang der Textgruppe ist hingegen stärker in der Diskussion, da auch die Ps 135-137 bzw. 138 216 große Nähe zu dieser Sammlung aufweisen. 217 Dennoch wird in diesem Kontext das Augenmerk auf die 213 METTINGER schreibt: „The classical temple theology does not distinguish terrestrial from celestial". „The theophany can occur from heaven (e.g., Ps 18:10), but also from Zion (Ps 50:2 ...). It is therefore not surprising that one and the same text can localize God both in the sanctuary (enp) on Zion and in heaven" (YHWH SABAOTH, 122). 214 In diesem Kontext sind, wenn von Wallfahrtsliedern oder Wallfahrtspsalmen die Rede ist, die Ps 120-134 gemeint. Andere Psalmen, z.B. Ps 42/43 oder 84 fallen nicht unter diese Bezeichnung. Anders u.a. MILLARD, Komposition, 63ff. Im übrigen schließe ich mich der gängigen Terminologie „Wallfahrtslieder" bzw. Wallfahrtspsalmen" an, ohne jedoch die Genese der Texte wie auch der Sammlung unter diesem formgeschichtlich geprägten Begriff verstehen zu wollen. 215 Zu den zahlreichen Wortwiederholungen der Gruppe vgl. u.a. VIVIERS, Coherence,
2 7 8 f . ; Z E N G E R , G o t t e s n ä h e , 9 6 ff. 216
217
V g l . A U F F R E T , S a g e s s e , 5 4 4 ff.
So hat die Sammlung der Wallfahrtslieder nach Qumranbelegen einen abweichenden Umfang (nach 1 lQPs a schließt die Gruppe mit Ps 132; vgl. Kap. B. II.2. zu Ps 132 im Kontext der Wallfahrtslieder). Es kommt hinzu, daß die Psalmen 120-134 sukzessive erweitert worden sind. MILLARD bezeichnet Ps 134 als „mehr als dürftig" für den Schluß einer von der Klage bestimmten Sammlung. Dies gleichen die Ps 135 und 136 aus, die das Lob auch ausfuhren (Komposition, 78). S.a. ZENGER, Komposition, 109. Vgl. dazu auch LEVIN, Psalm 136, 18ff.23ff. Schließlich ist auch Ps 137 in den Blick zu nehmen, der mit dem Terminus Zionslieder in
III. „Es segne dich Jhwh von Zion her'
133
Kerngruppe, die Ps 120-134 gerichtet. Ps 132 ist bereits in einem anderen Zusammenhang besprochen worden. 2 1 8 Die Überschrift m'puan t ö 2 1 9 , zum Teil durch die Angaben m b 2 2 0 bzw. L nn >öi7221 erweitert, hat verschiedene Übersetzungsversuche herausgefordert, die immer auch einen Versuch darstellen, den Texten einen Sitz im Leben zuzuweisen. Das betrifft die Bezeichnungen „Lied des Aufstiegs" 2 2 2 , „Wallfahrtslied" oder „Stufenlied" 2 2 3 gleichermaßen. Die Annahme, daß es sich hier um Wallfahrtslieder handelt, die zu einer einmal oder auch mehrfach im Jahr stattfindenden Wallfahrt gesungen wurden, ist die am weitesten verbreitete. 224 Diese Ansicht vertreten auch Keet und Seybold, allerdings mit einer voneinander abweichenden Schwerpunktsetzung. Keet geht davon aus, daß „the primary historical setting is to be found in the light of the offering of the Bikkurim."225 Seine Exegese ist von dieser Grundvoraussetzung geprägt. Er schreibt zu Ps 122,2: „this verse was sung by the pilgrims carrying their first-fruits, as they entered seinem jetzigen Kontext auf diese Psalmen verweist. S. a. BEAUCAMP, Psautier, 266; ZENGER, Komposition, 112; MICHEL, Gott und Gewalt, 178 f. 218 Vgl. S. 106ff. 219 N u r P s 121,1 hat rrf^n1? TS. 220 Ps 122,1; 124,1; 131,1; 133,1. 221 Ps 127,1. Die Bezugnahme auf Salomo beruht wahrscheinlich darauf, daß das besungene Haus mit dem Tempel identifiziert wurde. S.a. SLOMOVIC, Formation, 376f. 222 Zur Bedeutung der Wurzel r b s für rrfraa vgl. WILLI, Zion, 155. Die Version „Lied des Aufstiegs" im Sinne von Aufstieg bzw. Hinaufgehen als Rückkehr aus dem Exil, vertritt u. a. PRESS ( H i n t e r g r u n d , 4 0 5 ) . 223 Laut mSuk 5,4b waren Psalmen als sog. Stufenlieder von den Leviten zur Lichtfeier im Frauenvorhof zum Ausklang des ersten Tages des Laubhüttenfestes zu singen (s. a. Ps 134,1). Gefestigt hat sich die Interpretation, daß es sich um diese Psalmengruppe handelt, durch die entsprechende Anzahl von 15 Psalmen und 15 Stufen, die auf dem Weg vom Frauenvorhof in den Vorhof Israels hinaufzusteigen waren (vgl. mSuk 5,4b; mMidd 2,6e; bSuk 51b; 53b). 224 GUNKEL geht davon aus, daß sich zudem für diesen Zusammenhang eine eigene Gattung erhalten hat, von der allerdings nur noch ein vollständiges Beispiel vorhanden ist, nämlich Ps 122. Seiner Ansicht nach wurden die Lieder an verschiedenen Stationen der Wallfahrt gesungen (Einleitung, 309f.). Zur Frage einer einheitlichen Gattung Wallfahrtslieder s.a. SEIDEL, Wallfahrtslieder, 35 ff. Vgl. auch SEYBOLD (Wallfahrtspsalmen, 17), der noch weiter spezifiziert und die Gruß- und Segenssituation hervorhebt, in die hinein die Texte gesprochen wurden (ebd., 19). Nach KRAUS sind die Texte unter der Überschrift rrf?»NN TB ZU einer Art Wallfahrtsliederbuch zusammengestellt worden (Psalmen I, 18). Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der These, daß die Ps 120-134 in den Kontext einer Wallfahrt zum Tempel anläßlich des Laubhüttenfestes gehören könnten, vgl. WEYDE, Appointed Festivals, 194ff. CROW stellt sich dieser Auffassung insofern entgegen, als die Texte erst nach redaktioneller Zusammenstellung und Bearbeitung als Wallfahrtslieder zu betrachten sind (Songs, 157 f.). Im Kern handelt es sich jedoch vor allem um im Nordreich entstandene Gebete um Gottes Segen und die Vernichtung der Feinde (ebd., 186f.). Zu weiteren Lesarten mit Blick auf den Rhythmus oder die poetische Gestalt der Texte
vgl. SEYBOLD, W a l l f a h r t s p s a l m e n , 14 ff.; MILLARD, K o m p o s i t i o n , 36 ff.; CROW, S o n g s , 3 ff.
Schließlich sollte auch die Lesart von PRESS Beachtung finden, der die Wallfahrtslieder auf die Exilssituation zurückführt und sie als Ausdruck des Glaubens an die Wundermacht Gottes bezeichnet (Hintergrund, 415). 225
KEET, P s a l m s , 17.
134
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
the gates of the city."226 Auch Seybolds Exegese ist der formgeschichtlichen Einordnung der Psalmen als Wallfahrtslieder untergeordnet. Als Segensgrüße oder liturgische Formeln erkannte Zeilen beurteilt er als sekundär und beschreibt ihre Funktion weniger in bezug auf die einzelnen Texte oder die Sammlung in redaktionskritischer Hinsicht, sondern stärker auf ihre formale Funktion im Rahmen der Wallfahrt hin.227 Er kommt zu dem Schluß: „Es scheint mir die Sammlung soetwas gewesen zu sein wie eine Handreichung flir Wallfahrer, eine Art Vade mecum mit Gebeten und Liedern."228 Allenfalls das Formelgut, das einen Zionsbezug aufweist, ordnet er einer „Zionsredaktion" zu, die die ganze Sammlung unter eine Zionsperspektive stellen will. Anders als Keet beschreibt Seybold aber jenseits der Ausrichtung auf den Kontext Wallfahrt auch die Herkunft der Texte. Sie entstammen der Lebenswelt des „einfachen Menschen", des Bauern, Handwerkers oder des Familienvaters.229 Auf dieser Ebene arbeitet Crow weiter. Er blendet, im Gegensatz zu den meisten seiner Vorgänger, die Funktion der Überschrift für die Texte zunächst aus, um nach ihrem Ursprung zu fragen: „The songs exhibit such apparently different Sitze im Leben that they could hardly be expected to fit well with any theory that posits a single background for all of them." 230 Seiner Ansicht nach kreisen die Texte im Kern um das von der Landwirtschaft geprägte Arbeitsleben. „The nucleus songs pray for God's blessing, seek God's curse against enemies, and assure that it is only with God's help that prosperity can come about; the redactor asserts that God's help is primarily available at Jerusalem."231 Im Rahmen dieser Untersuchung sind in erster Linie die Zionsbelege innerhalb der Wallfahrtslieder genauer zu betrachten. Einige der betreffenden Psalmen sind bereits besprochen worden, für andere wird dies in anderem Kontext noch erfolgen232, so daß die Ergebnisse der Einzelexegesen in dieses Kapitel miteinfließen werden. Ein umfassendes traditions- und redaktionsgeschichtliches Modell der Wallfahrtspsalmen kann hier nicht erarbeitet werden, wohl aber 226
KEET, P s a l m s , 31.
227
Vgl. SEYBOLD, Wallfahrtspsalmen, 55 ff. Zur Kritik an dieser Prämisse der Arbeit SEYBOLDS vgl. auch VIVIERS, Coherence, 283; ZENGER, Gottesnähe, 89 ff. Dennoch kommt auch ZENGER schlußendlich auf die Wallfahrtssituation zurück, wenn er schreibt: „Diese Psalmen dienten nicht der Vorbereitung auf die Wallfahrt, sondern ihrer Nachbereitung. Sie sind gewissermaßen das Souvenir, das die Jerusalempilger in Jerusalem erwarben und mit nach Hause brachten, zur Verlebendigung ihrer Verbindung an den Zion zu Hause gesungen und an andere weitergegeben haben" (ebd., 111). 228
SEYBOLD, W a l l f a h r t s p s a l m e n , 73.
229
Vgl. SEYBOLD, Redaktion, 260; ders., Wallfahrtspsalmen, 42. 230 CROW, Songs, 26. Darin liegen gleichermaßen Stärke und Schwäche des Ansatzes von CROW. Er entgeht in seiner Deutung der Engführung, die die Bindung der Texte an die Wallfahrtssituation mit sich bringt, und zugleich wird die Uberschrift für ihn zu einem Kriterium der Ausscheidung als sekundär erachteter Passagen. 231
CROW, S o n g s , 186 f.
232
Vgl. zu den Ps 122; 125; 128; 132 und 133 die entsprechenden Kapitel.
III. „Es segne dich Jhwh von Zion her"
135
sollen Korrekturen an bestehenden Modellen und weitere Denkanstöße gegeben werden. Zwei Fragestellungen sind von Belang: Läßt sich eine durchgehende Zionsredaktion nachweisen? Ist es die Ausrichtung auf Zion, die die Psalmen zu einer Gruppe zusammengeschlossen hat? Die Zionsbelege in den Wallfahrtspsalmen lassen im wesentlichen drei theologische Grundkonzeptionen erkennen: Segen geht aus von Zion; Jhwhs Handeln an Zion; Zion als Paradigma des Vertrauens. Segen geht aus von Zion Das Segensmotiv kommt in Ps 128,4.5; 129,8; 132,15; 133,3 und 134,3 vor, sowie als Ausdruck des Lobpreises Jhwhs in Ps 124,6 und 134,1.2. Die Belege machen bereits deutlich, daß das Thema des Segens erst in der zweiten Hälfte der Wallfahrtslieder an Bedeutung gewinnt. Dies gilt ebenso für den Zion. Aufgrund dieser Koinzidenz zeigt sich schon ein erster Zusammenhang zwischen den beiden Motiven. 233 Segen, wie er nach den Wallfahrtsliedern verstanden wird, bedeutet für den einzelnen ausreichend Nahrung (Ps 128,2; s.a. Ps 132,15) durch die Arbeit seiner Hände, eine Frau und Söhne zu haben (Ps 128,2^1) sowie ein langes Leben (Ps 128,6; 133,3).234 Doch auch den Mangel an Segen schildern die Texte, besonders Ps 129, der einen starken Kontrast zu Ps 128 aufbaut. Die den einzelnen bedrängenden Frevler ( D " I ? E H ; v4) sollen verdorren wie Gras auf den Dächern. Sie haben keine Wurzeln, keine Möglichkeit, den trockenen Ostwind zu überstehen. Von ihnen bleibt nichts, was einem Schnitter die Hand füllen könnte (Ps 129,6 f.). Der Psalmist verharrt bis einschließlich v 8 in dem gewählten Bild der Erntevorgänge. Es war üblich, daß Vorübergehende die Erntearbeiter segneten - zur Mehrung der Ernte. 235 V8 schildert den Segen am Feldrand in dialogischer Form. Auf die Worte „ der Segen Jhwhs über euch ", würden die Erntenden antworten: ,, wir segnen euch im Namen des Herrn ",236 233
Aber auch die Ps 120-124 zeigen einen Kompositionsbogen, der in Ps 124 mit einem Danklied abschließt und den Blick des Beters dorthin lenkt, woher ihm Hilfe kommen soll: von den Bergen - dem Heiligtum in Jerusalem. Vgl. MILLARD, Komposition, 76; ZENGER, Komposition, 109. Hierin erweist sich auch aus anderer Perspektive die thematische Zusammengehörigkeit der Psalmen 125 ff. 234 Vgl. zum Zusammenhang von Segen und langem Leben auch MITCHELL, Meaning of BRK, 75f. S.a. SEYBOLD, Redaktion, 264f. 235
236
V g l . MITCHELL, M e a n i n g o f B R K , 104 f.
Eine solche Dialogsituation zeigt das Buch Ruth (2,4). Ähnliches geschieht auch in Ps 118,26, in dem einem Segenswunsch ein anderer entgegnet wird. Ps 118,26 und 129,8 sind aber die einzigen alttestamentlichen Textstellen, die den Segenswunsch in der 1 .c.pl. Perf. Pi. formulieren. Demnach ist der Vers als eine Einheit zu betrachten (vgl. MITCHELL, Meaning of BRK, 104 f.; CROW, Songs, 82 f.). Anders u. a. WEISER, der v 8b als einen liturgischen Rahmen versteht: „Der Schlußvers der Liturgie dürfte von Priestermund gesprochen sein; er spendet der Bundesgemeinde „Israel" den Segen, mit dem sie aus dem Heiligtum entlassen wird" (Psalmen II, 533). S. a. ALLEN, Psalms III, 187. Anlaß zu dieser Deutung bietet u. a. v 1 b, der auffordert: „es spreche doch Israel". Die Dialogsituation zwischen Gemeinde und Priesterschaft würde
136
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
D o c h dieser Segen bleibt für die Frevler aus. Es wird ihnen der Segen Gottes verweigert, und sie verdorren. Die Struktur von Ps 129 hat Anlaß zu Diskussionen gegeben. 237 Ungewöhnlich ist bereits v 1, der im ersten Kolon identisch ist mit v 2 und mit dem zweiten Kolon eine Redeanweisung an Israel gibt. Diese Struktur weist auch Ps 124 auf. Man wird davon auszugehen haben, daß neben einer liturgischen Einfassung des Textes für den gottesdienstlichen Gebrauch vor allem die Position beider Texte innerhalb der Sammlung der Wallfahrtslieder der Grund für diese Ergänzung 238 ist, denn beide schließen eine Teilsammlung ab. 239 So wird der Grundtext mit einer Retrospektive des einzelnen 240 eingeleitet: „ Oft haben sie mich bedrängt von meiner Jugend an, doch sie haben mich nicht bezwungen. " Diesen Tenor behält der Text bis einschließlich v 4 bei: „Jhwh ist gerecht, er hat zerschlagen die Stricke der Frevler. "241 Damit stellt sich heraus, wer die Feinde, die „Bedränger" auf die vv 1.8b (Priesterschaft) und vv2-8a (Gemeinde) verteilt. Anders als in der Einleitung wäre zum Schluß hin der Wechsel der Redenden aber nicht eingeführt und ein mit Ps 118,26 und Ruth 2,4 belegter gegenseitiger Segen auseinandergerissen. S. a. S E Y B O L D (Wallfahrtspsalmen, 57 f.), der zu einer ähnlichen Auffassung kommt wie W E I S E R unter der Prämisse, daß „die Schlußformeln der Wallfahrtspsalmen ... in einer Anzahl von Fällen echte Gruß- und Glückwunschformeln der Psalmisten, gerichtet an die zuhörende und mitfeiernde Gemeinde" sind (ebd., 57). Hiermit wird aber auch die Problematik der Analyse S E Y B O L D S deutlich. Von einem Sitz im Leben ausgehend werden einzelne Passagen eines Textes diesem zugeordnet, ohne dem Sinnverlauf des Psalms weiter zu folgen. Vgl. dazu auch C R O W (Songs, 1 3 1 ff), der verschiedene Erklärungsversuche (redaktionskritischer, formgeschichtlicher oder poetologischer Art) für die Einordnung des Formelgutes vorstellt. 237 D A H O O D (Psalms III, 230) gliedert den Text in vv 1-3 (Unterdrückung Israels) und 4—8 (Gebet um die Vernichtung der Feinde). S E I D E L (Wallfahrtslieder, 34f.) schlägt die Einteilung v 1, vv2-8a, v8b vor, wobei dieser Struktur Redeeinschnitte, d.h. „liturgische Anweisungen", zugrunde liegen. A U F F R E T (Sagesse, 479 ff.): 1-2, 3-4, 5-8a, 8b. Auch A U F F R E T stellt in seiner Gliederung die Unterdrückung und das Bestehen Israels darin dem Fokus auf das Ende der Feinde gegenüber. Die Segensformel zum Schluß wird aber aus dieser Gliederung herausgenommen. Die zentralen Punkte, um die es in der Diskussion geht, sind die Einordnung der liturgischen Redeanweisungen (vv 1.8a.b), sowie die Stellung von v4 als Teil des Rückblicks auf die Bewährung des Beters bzw. als Teil des Ausblicks auf die Vernichtung der Feinde. 238 S E Y B O L D verweist für seine literarkritischen Eingriffe auf das Fehlen von Parallelismen in den vv 1.5.8a.b (Redaktion, 250; ders., Wallfahrtspsalmen, 28). 239 Zur nachträglichen Erweiterung der Gruppe 125-128 durch 129 s.S. 133, Anm. 106. S A T T E R T H W A I T E betont ebenfalls die Übereinstimmungen zwischen den beiden Psalmen, gruppiert sie jedoch anders. So ist seiner Ansicht nach Ps 1 2 4 Mitte der Gruppe Ps 1 2 3 - 1 2 5 , Ps 1 2 9 jedoch Beginn der Gruppe 1 2 9 - 1 3 1 (Zion, 1 1 7 ff.). Eine andere, sehr kleinteilige Kompositionsstruktur präsentieren u.a. V I V I E R S , Coherence, 2 8 4 f f . ; B E A U C A M P , Psautier II, 2 5 2 - 2 5 5 . S.a. S E Y B O L D , Redaktion, 2 5 3 . 240 C R Ü S E M A N N bringt als Argument die am Individuum ausgerichtete Formulierung der Einleitung, die den Zusatz mit der Aufforderung an Israel, nun zu sprechen, ausschließt (Studien, 169.174). 241 Anders äußert sich an dieser Stelle bereits VAN DER WAL, nach dessen Ansicht die vv 1-3 ein Bild von „Israels frequent and severe oppression" (Structure, 366) gibt, während ab v4 in Motiven der Landwirtschaft das Erheben Gottes für sein Volk geschildert wird. VAN DER WAL nennt verschiedene Argumente. So erscheint die 1 .c.sg. nur in den vv 1-3, und die Feinde sind seiner Ansicht nach in den ersten Versen andere, d.h. Fremde, als in den vv4ff., wo sie mit c - söi bezeichnet werden. Doch die vv 1, bzw. 2-3 hätten ohne v4 kein Ziel und die freudige Feststellung des Beters, nicht bezwungen worden zu sein, hätte keinen Bezug außerhalb seiner
III. „Es segne dich Jhwh von Zion her'
137
und „Pflüger" sind, es sind die c"J)Eh. Erst zu Jhwh ins Verhältnis gesetzt können sie identifiziert und schließlich auch bewältigt werden. 2 4 2 Mit v 5 nimmt der Text eine neue Perspektive ein. Durch ihn wird der zweite Abschnitt des Psalms eröffnet. 2 4 3 Die Gerechtigkeit Gottes, die nach v 4 die Bedränger des einzelnen zuschanden werden läßt, setzt sich nun gegenüber allen durch, die Zion hassen. Dabei drängt sich der Verdacht auf, daß neben den einzelnen das Kollektiv gestellt wird, das heißt, daß Zion fiir das Volk Israel oder die Bewohner Zions steht. 244 Doch Zion, Volk Israel oder Bewohner Zions sind keine deckungsgleichen Größen. 2 4 5 Der Blick auf den Kontext verweist auf Zion als den Ort der Gottesgegenwart. Diejenigen, die Zion hassen, sind in letzter Konsequenz diejenigen, die Gott hassen. Seybold hält v 5 und damit die Nennung des Zion für sekundär. 246 Der Zusammenhang zwischen den v v 2 4 und 6 ff. ist in mancher Hinsicht deutlich, so auch darin, daß in v 3 wie in den v v ö f f . die Bildmotive auf Landwirtschaft und Erntezusammenhänge zurückgehen. Auch die Ausführlichkeit der Fluchworte gegen die Frevler, ohne daß eine weitere Perspektive aufgegriffen würde als die mit v 2 vorgegebene, mag nicht weiter stören. Doch die Verweigerung des Segens in v 8 benötigt einen Anknüpfungspunkt, und der ist allein mit v 5 gegeben, denn von Zion geht der Segen Gottes aus, der den Hassern Zions nicht zugute kommen darf. Neben v 5 steht nun aber auch v 8 bzw. v 8b besonders in der Kritik, als liturgischer Anhang hinzugefugt worden zu sein. 247 Anders als in v 1 ist ein Sprecherwechsel aber nicht angekündigt, und die Situation, in die hinein der Text in dieser Weise gesprochen werden sollte, erscheint widersinnig. Israel spricht von der Verweigerung des Segens und soll eigenen Person und seines eigenen Vermögens (vgl. auch VIVIERS, Trust, 72 f.). Eher geht es doch darum, wie oben ausgeführt, daß die Feinde erst im Angesicht Gottes identifizierbar werden. Das „Fehlen" der l.c.sg. erklärt sich aus dem Blick auf Jhwh und sein Eingreifen und steht nicht im Gegensatz zu den ersten Versen. Hinzu kommt, daß die Wende im Zeitschema von der Vergangenheit in die Zukunft erst mit v 5 einsetzt. Nun zeigt sich, daß es den Zionhassern ergehen wird, wie es auch den Feinden des einzelnen geschehen ist. 242 In den Psalmen treten die r»D~i als Gegner der Gerechten auf. Sie sind von Verderben erfüllt, achten weder auf die Taten Jhwhs noch auf das Werk seiner Hände. Vgl. RINGGREN, Art. »öl, 679. 243 Zu einer entsprechenden Gliederung kommt auch CRÜSEMANN, Studien, 169 ff. 244 Vgl. VAN DER WAL, Structure, 366 f. ALLEN vertritt hingegen eine Position, die nicht den einzelnen neben das Kollektiv gestellt sieht, sondern die den ganzen Psalm als Rede eines einzelnen versteht, nämlich des personifizierten Zion. So schreibt ALLEN: „All the individual-oriented references of vv 1-5 would be explicable, if Zion speaks in \\2-A. Vv2,4 would be an allusion to Yahweh's victory over the nations in conflict with Zion, celebrated in the Songs of Zion, Pss 46,48,76" (Psalms III, 189). Die in v 3 gewählte Metapher mag aus Mi 3,12 entwickelt worden sein. Doch während es in Micha um Treulosigkeit und falsche Sicherheit geht, ist hier das Gegenteil der Fall. Der einzelne besteht in der Bedrängung. Auch die Rede von der Bedrängung in der Jugend will nicht recht passen, vor allem dann nicht, wenn die Ps 46; 48 und 76 mit ins Blickfeld geraten. Dort ist es die ewige Stadt (Ps 48,9), gegen die die chaotischen Mächte vergeblich anstürmen. In Ps 129 stürmen weder Chaosmächte noch tritt Gott in der Mitte Zions zum Kampf gegen sie an. Die Themen in Ps 129 sind gänzlich andere. Der einzelne ist treu - von Jugend an - und Gott antwortet darauf in Gerechtigkeit. 245 Vgl. dazu in diesem Kapitel die Rolle von Zion in Ps 126, besonders unter der von STECK aufgeworfenen Perspektive der Mittlerfunktion Zions. 246
247
V g l . SEYBOLD, R e d a k t i o n , 2 5 0 . Vgl. SEYBOLD, R e d a k t i o n , 2 5 0 ; ALLEN, P s a l m s III, 190.
138
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
darauf als Antwort erhalten: crr.x Die A n n a h m e , daß v 8 zwei Seiten eines Dialoges im R a h m e n einer Erntesituation spiegelt, hat somit viel f ü r sich.
Ps 128 und 129 benennen die Voraussetzungen für ein gesegnetes bzw. ungesegnetes, ja verfluchtes Leben. Nach Ps 128,4 wird gesegnet, wer den Herrn furchtet. Nach Ps 129 bekommt ein anderes Kriterium Gewicht: „es sollen zuschanden werden und zurückweichen alle, die Zion hassen "(129,5). Die Haltung des einzelnen gegenüber Zion wird zum Kriterium für das Segenshandeln Gottes. 248 Die Bindung des göttlichen Segens an Zion entfaltet auf verschiedenen Ebenen ihre Wirkmächtigkeit. Neben der Verknüpfung mit der Lebensführung des einzelnen steht die ganz konkrete Verortung des göttlichen Segens auf dem Zion. Die „Ortsgebundenheit" des Segens wird durch den Gebrauch von Präpositionen und Lokaladverbien ausgedrückt. ,,Denn dort befiehlt Jhwh den Segen, Leben bis in Ewigkeit" (133,3). Sie hängt ursächlich an der Erwählung Zions zum Wohnsitz Gottes (Ps 132,13). Von hier aus (na; Ps 132,14) entfaltet der Segen Gottes seine dynamische Kraft, strahlt aus jrsn und lädt gleichzeitig zu einer Gegenbewegung ein. Denn es ist dieser Ort, an den es den einzelnen und die Gemeinde zieht, um schließlich im Heiligtum anbetend die Hände zu heben (Ps 134,2). Wie die Gruppe der Wallfahrtslieder in ihrer Komposition eine Bewegung in Richtung Zion zeigt 249 , so wird dies auch im Nebeneinander von Ps 133 und 134 deutlich. In Ps 133,3 heißt es: rD-orrrix mir ms cti. db stellt den Beter in eine Distanz zum Zion, die ihm bewundernde Betrachtung ermöglicht. Er sieht den Tau des Hermon herabfallen auf die Berge Zions. Der Tau, Bild für den Segen, benetzt den Zion reichlich. 250 In Ps 134 jedoch führt der Psalmist den Beter ins Heiligtum, denn von dort geht der Segen aus (s. a. Ps 118,26b).
248
Vgl. u.a. Ps 102,15, da die Haltung der Knechte gegenüber Zion zum Motor für das Handeln Gottes an Zion wird. Hinzuweisen ist auch auf die Formulierung von Ps 120,6: „Zu lange hat gewohnt meine Seele bei den Hassern des Friedens". Diejenigen, die den Frieden hassen, und diejenigen, die Zion hassen, stehen in den Wallfahrtsliedern nahe beisammen. Sie bedrängen das Leben des einzelnen, der sich aber auf Gott gestellt weiß. Wie in Ps 129,2 so wird bereits in Ps 120,1 deutlich, daß Gott auf der Seite des Betenden steht und die von Haß Getriebenen bereits verloren haben. Bedenkt man zudem, daß gerade im ersten Teil der Wallfahrtslieder durch Ps 122 das Thema rtti in Verbindung mit Jerusalem eine wichtige Rolle spielt, so haben wir mit den Ps 120 und 129 zwei Beispiele für die enge Verknüpfung des Schicksals von Beter und Stadt. 249 Vgl. MILLARD, Komposition, 77. BEAUCAMP gliedert dementsprechend die Gruppe in: „Montée vers Jérusalem (Ps 120-122)", „Certitudes à l'intérieur de Jérusalem (Ps 123-128)", und „Garanties d'avenir (Ps 129-134)" (Psautier II, 252 ff.). 250 Auch an anderer Stelle ist der Tau selbst ein Segen (Gen 27,28; Deut 33,13; Sach 8,13). Diese Konnotation ist hier ebenfalls nicht ganz von der Hand zu weisen, wenn es auch nicht darum geht, daß der Hermon in irgendeiner Weise Segen und Fruchtbarkeit an den Zion abgibt oder gar die Quelle des vom Zion ausgehenden Segen ist. Wie das Ol reichlich über den Bart Aarons fließt, so benetzt Tau die Berge Zions - beide Bilder sprechen von überreichem Segen.
III. „Es segne dich Jhwh von Zion her'
139
In enger Beziehung zu den Ps 128,5 und 134,3 steht die Schlußnotiz von Ps 135. Es handelt sich um einen Text, der die Sammlung der Wallfahrtslieder nachträglich erweitert. 251 In den vv 19 ff. greift er das Stichwort jviäa auf, gibt ihm jedoch eine eigene Wendung. Zion, verbunden mit der Präposition jo, beschreibt eine Bewegung weg vom Zion, stets in Kombination mit Attributen Jhwhs und mit seinen Gaben. In Ps 135 ist es jedoch der Lobpreis Jhwhs 2 5 2 , der seine Wirkung vom Zentrum, nämlich von Zion her, verbreitet. Psalm 135 21 „Gepriesen sei Jhwh vom Zion her, der Wohnende in Jerusalem, Hallelu-Jah". In den Ps 128,5 und 134,3 weist die Formel mrr •p-n* durch den mit Ps 134 gegebenen Kontext auf die Folge der Anbetung Gottes. Segen geht aus von Zion. In Ps 135,21 wird die Formel passivisch formuliert. „Gepriesen sei Jhwh vom253 Zion her". Wie der Segen so legt sich der Lobpreis vom Zion her über das von Jhwh gegebene Land (v 12). 254 Aus der Reaktion des Beters wird wirkmächtige Aktion. 255 Damit steht aber auch in der Schlußnotiz von Ps 135 der Ort des Gottesdienstes im Zentrum. Anders als in Ps 128 ist Jerusalem in diese Beschreibung einbezogen. Zu preisen ist Jhwh, der c^tirr p ö . Jhwh wohnt in Jerusalem, dort steht sein Tempel, und dort wird ihm Lob gesungen. Eine Differenzierung zwischen Zion und Jerusalem liegt hier nicht vor. Während Ps 128 den Einzelnen im Blick hat und Ps 134 mit dem Terminus ~QJJ die ganze Gottesdienstgemeinde anspricht 256 , nimmt Ps 135 diesbezüglich eine Differenzierung vor. Er nennt drei Gruppen und ruft diese zum Lob Jhwhs auf (vv 19 f.). Das Haus Israel bezeichnet alle Laien, die beiden Häuser Aaron und Levi verschiedene Gruppen im Tempeldienst. Der nachexilische Verhältnisse widerspiegelnde Psalm begründet das Lob Gottes mit seinen Heilserweisen an Israel und läßt Israel antworten. 251
Vgl. u.a. S P I E C K E R M A N N , Hymnen, 144; L E U E N B E R G E R , Konzeptionen, 312ff. Vgl. zu ~p~N mit Jhwh als Subjekt M I T C H E L L (Meaning of BRK, 146 ff.), der hier herausarbeitet, wie es durch den Subjektwechsel zu einer Bedeutungsverschiebung von „segnen" zu „loben" kommt, als Antwort auf erfahrenen Segen. S. a. F R E T T L Ö H , Theologie des Segens, 3 84 ff. 253 Die Formulierung "T^Q mrr scheint mißverständlich. K R A U S schlägt vor, stattdessen p s n zu lesen (Psalmen II, 1073). Dann wäre unzweifelhaft deutlich, daß mit der Angabe p ü eine lokale Bestimmung für den Ort des Lobpreises formuliert, nicht jedoch ein Attribut Jhwhs genannt wäre: Jhwh vom Zion. D A H O O D übersetzt denn auch „Yahweh of Zion". Er betrachtet die Formulierung als eine parallele Konstruktion zu C ' O T T pts. S.a. seine Übersetzung von Ps 128,5 (Psalms II, 262 f.). 254 H O R S T betont demgegenüber die in der Segnung Gottes innewohnende Anerkennung seines Hoheitsanspruches. „Er bekennt Gott als seinen Herrn und sich als Untertan in seinem Reich, ihm zugehörig, mit ihm in Treue verbunden" (Segen, 31). 255 In 1 lQPs a korrespondiert der Segenswunsch in v21 jedoch dem von Ps 134,3. S E Y B O L D hält diese Lesart für ursprünglich, da es seiner Ansicht nach schwierig ist, daß Jhwh als Bewohner Jerusalems vom Zion her gepriesen wird (Psalmen, 505). Abgesehen von der Annahme einer Wiederholung der Segensformel, die Ps 135 deutlicher noch mit den Wallfahrtsliedern verbinden würde, spricht jedoch viel für die Lesart von Ps 135 nach dem MT. Der gesamte Psalm ist ein Lobpreis Jhwhs und v2I fuhrt wörtlich fort, was die vv 19f. vorgeben, miT'nx iDin. Zudem liegt die Anknüpfung an die Wallfahrtslieder bereits mit den vv 1-3 unverwechselbar vor. 252
256
Vgl. u . a . KRAUS, Psalmen II, 1071.
140
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
Die Ausrichtung der Texte auf Zion und den von dort ausgehenden Segen hält Seybold für ein redaktionelles Konzept, eine Prägung, welche die als Votivgaben 257 zum Tempel gebrachten Laiengedichte im nachhinein erfahren haben. „Das eindeutigste Signum der Redaktion ist der Name ,Zion'. Die Einfügung dieses Namens bedeutet die Bindung an die kultischen und liturgischen Gegebenheiten des Zionsheiligtums. Die Einzelgedichte werden auf diesen Mittelpunkt hin ausgerichtet und insofern ,liturgisch hergerichtet'". 258 Hauptstück dieser Redaktion sei Ps 132, „ein Kompendium der Zionstheologie". 259 Doch ganz so einfach, wie es nach Seybold erscheint, ist der Sachverhalt nicht, denn nicht alle Erwähnungen Zions in den Texten sind sekundär eingefugt. Da Seybold Ps 132 als Kernstück der Redaktion bezeichnet, soll die Auseinandersetzung mit der Position Seybolds auch mit diesem Text eröffnet werden. Ps 132 ist eine kohärente Komposition 260 . Die vv2.lla.13, die Seybold als redaktionell herausarbeitet 261 , erweisen sich als wesentlicher Bestandteil des Textes, der nicht primär der Zionstheologie dient, sondern das Interesse verfolgt, die davidische Dynastie an den theologischen Grunddaten der Erwählung Zions partizipieren zu lassen, ihr also entsprechende Dauer zu verheißen. Will man hier von einer Ausrichtung auf Zion sprechen, so geschieht dies weniger im Interesse einer Stärkung der Zentralisationskraft des Zion, sondern mehr um einer Hervorhebung des davidisch-messianischen Königtums willen. Damit zeigt sich allerdings, daß Ps 132 weder in Teilen noch als ganzer Psalm einer „Zionredaktion" zuzuordnen ist. Auch in den Ps 125 und 126 ist die Erwähnung Zions Teil des Grundbestandes der Texte. Die mittels des Zion ausgeführten Vergleiche sind ohne seine Nennung nicht möglich. 262 Ps 129,5 ist bereits ausfuhrlicher diskutiert worden und so verbleiben für eine mögliche Zionredaktion Ps 128,5ff.; 133,3 und 134,3. Ps 128,5 und 134,3 weisen beide auf spezifische Weise erweitertes Formelgut auf, das zum einen in bezug auf den jeweiligen Psalm auffallig ist 263 und zum 257
V g l . SEYBOLD, W a l l f a h r t s p s a l m e n , 6 0 .
258
SEYBOLD, Wallfahrtspsalmen, 63 f. Wobei SEYBOLD in diesem Zusammenhang neben der „liturgischen Herrichtung" auch die im Grunde bereits vorhandene Ausrichtung der Lieder auf Zion beobachtet (ebd., 67). S.a. ders., Redaktion, 263. 259
SEYBOLD, W a l l f a h r t s p s a l m e n , 6 6 .
260
Vgl. dazu S. 106 ff.
261
V g l . SEYBOLD, W a l l f a h r t s p s a l m e n , 6 6 .
262
V g l . z u P s 1 2 5 S . 6 1 f f . ; b z w . SEYBOLD, R e d a k t i o n , 2 5 3 . Z u P s 1 2 6 s . o .
263
Zur Literarkritik von Ps 128 vgl. S. 68 ff. Ps 134 scheint in seinem Grundbestand hingegen weniger eigenständig gewesen zu sein. Die vv 1 f. sind ein Aufruf zum Lobpreis Gottes, ohne daß eine Begründung des Lobes folgen würde. Der Psalm scheint nach v2 regelrecht abzubrechen (vgl. ALLEN, Psalms III, 217). Dies mag eine Erklärung finden im Wechselgesang zwischen Priestern und Gemeinde. Doch ist eher davon auszugehen, daß es sich hier um eine redaktionelle Komposition zum Abschluß der Sammlung handelt, die auch Formelgut einzubauen weiß (vgl. SEYBOLD, Wallfahrtspsalmen, 74). Inhaltlich führt sie die Gottesdienstgemeinde ins Heiligtum, strukturell verbindet sie durch Formelgut Teilsammlungen der Wallfahrtslieder.
III. „Es segne dich Jhwh von Zion her'
141
anderen eine für die Sammlung der Wallfahrtslieder strukturierende Funktion hat. In Ps 134,3 steht der Segensgruß zum Abschluß der Sammlung. Er geht aus als Segensgruß der im Heiligtum versammelten Gemeinde. Zugleich greift der Segensgruß von Ps 134,3 zurück 264 auf Ps 128,5, der wiederum selbst am Schluß der kleinen Teilsammlung Ps 125-128 steht, gerahmt durch die Formel mVtö (Ps 125,5 und 128,6) 265 . Diese beiden Formeln, "THD mir "pirr (Ps 128,6; 134,3) und ^K-IB-^JJ e t ® (Ps 125,5; 128,5), bilden einen Rahmen um die mit Blick auf Zion formulierten Psalmen der Gruppe und treffen sich dabei in Ps 128, dem Text, der für die Gegenwart und die Zukunft ausfuhrt, wie ein von Gott gesegnetes Leben aussieht. Ps 125,5 bNIÖ-bSJ ClbÖ Ps 128,5Ps 128,6-
Ps 128 p - s a mrr •p-n-
Ps 134,3-
Ps 133 hingegen weist kein entsprechendes Formelgut auf. Die Erwähnung Zions gehört trotz aller scheinbarer Schwierigkeiten 266 zum Grundbestand des Psalms. Erst „Zion" erklärt das Bild des Zusammenwohnens von Brüdern, denn es geht nicht nur um friedvoll miteinander lebende Geschwister, sondern um das
264
Hinzu kommt, daß Ps 134,3 mittels der Worte p x i e n d nös eine Verbindung zur ersten Teilsammlung der Wallfahrtslieder, zu den Ps 120-124 schafft, denn Ps 124,8 schließt mit diesen Worten. 265 Die besondere Stellung von Ps 128 wird noch dadurch hervorgehoben, daß Ps 129 als inhaltliches Gegenstück zu Ps 128 vermutlich nachgetragen wurde und entsprechend Ps 124, der ebenfalls Schlußpsalm einer Teilsammlung ist, mit der Aufforderung ^ioö' s n o s ' sowie einer Wiederholung des ersten Kolons beginnt. Die zentrale Stellung, die Ps 128 für die an Zion ausgerichteten Psalmen einnimmt, wird durch Ps 129 inhaltlich gestützt, formal jedoch nicht tangiert, denn die zwei für die Sammlung wesentlichen Formeln kreuzen sich in Ps 128. M I L L A R D betrachtet die Position von Ps 1 2 9 mehrschichtig. So leitet seiner Ansicht nach „Ps 129 den makroformgeschichtlich ,reinen' Teil von Ps 130ff." ein (Komposition, 77), zudem orientiert M I L L A R D sich aber an einer je fünf Psalmen umfassenden Dreiteilung der Wallfahrtslieder, deren zweiter Teil mit Ps 129 endet (ebd., 37 Anm. 201). Auch muß er Ps 132 in diese Zählung miteinbeziehen. Zur Position von Ps 124 und 129 als Schluß von Teilsammlungen s.a. ZENGER, Komposition, 1 0 9 ; ders., Gottesnähe, 9 9 ; ders., Gottesmetaphorik, 6 0 3 . L E U E N B E R G E R präsentiert eine Reihe von Positionen und kommt schließlich, in Anlehnung an den formgeschichtlichen Ansatz von M I L L A R D , ZU einer Dreiteilung, die die erste Zäsur erst nach Ps 1 2 5 annimmt (Konzeptionen, 307 ff). 266 Interessanterweise macht einigen Auslegern die geographische und meteorologische Unmöglichkeit, daß der Tau des Hermon auf die Berge Zions herabkommen soll, besondere Schwierigkeiten. Es wurde dem zu entgehen versucht, indem man statt p s nun jvi> las, eine Bezeichnung fiir eine vulkanische Landschaft am Fuße des Hermon (vgl. GUNKEL, Psalmen, 571).
142
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
Wohnen im Hause Gottes (s. Ps 65,5; 84,5), das Zusammenkommen als Gottesdienstgemeinschaft. 267 So bleibt gegenüber Seybold festzuhalten, daß die Ausrichtung einzelner Psalmen der Sammlung auf Zion bereits vor einer redaktionellen Überarbeitung vorhanden gewesen ist268 und möglicherweise auch Ursache für eine Aufnahme einzelner Psalmen in die Sammlung war. Mit dem Ziel der Betonung des von Zion ausgehenden Segens, ein Thema, das die Sammlung ab Ps 125 beherrscht, sind jedoch nur die Ps 128 und 134 erweitert worden. Jhwhs Handeln an Zion Die Ambivalenz des Zionbildes kommt in Ps 126 besonders schön zum Ausdruck. Es bewegt sich zwischen der Identifikation des Geschickes Zions und des Volkes aus Sicht der Völker - rfriTDi: möa^ mrr (v2) - wie dem Beobachten der Geschehnisse durch Israel und der Applikation des Geschehenen auf die eigene Situation. Das Handeln Gottes an Zion wird zum Paradigma für sein heilvolles Tun, auf das sich die Beter immer wieder berufen können. Während letzteres auch im Zusammenhang mit Ps 125 noch einmal zur Sprache gebracht werden soll, steht im folgenden das an Zion geschehene Heil, wie es Ps 126 präsentiert, im Vordergrund, wiederum unter Beachtung der Position des Textes innerhalb der Sammlung der Wallfahrtslieder. Entscheidend für das Verständnis von Ps 126 ist die Frage, was m i t r a l mö bzw. PUB 310 gemeint sein könnte. 269 Die biblischen Belege führen in die Prophetie, 267
Vgl. auch CROW, Songs, 119. Anders SEYBOLD (Wallfahrtspsalmen, 65): Er weist darauf hin, daß die besondere Formulierung des Segengebietens (ms; Ps 133,3) auch in Lev 25,21 und Dtn 28,8 vorkommt. Beide Male diene die Wendung dem Versuch, die Segenserteilung als einen von Jhwh initiierten Akt zu umschreiben. Mit Rückgriff auf die von ihm erarbeitete Zionsredaktion und die Feststellung einer liturgischen Segenserteilung in Ps 121 und 128 geht er für Ps 133,3 davon aus, daß dieser sich auf „die Institution des priesterlichen Zionsegens" beziehe (ebd., 65). Wiederum läuft die Argumentation SEYBOLDS in der Hauptsache auf der formgeschichtlichen Ebene. 268 Vgl. auch ALLEN, Psalms III, 220. In einem zuvor verfaßten Artikel betont SEYBOLD noch die die Texte zusammenfassende Thematik des Segens, die wohl ausschlaggebend für die Zusammenstellung der Sammlung gewesen sei (Redaktion, 266 f.). VIVIERS, um die Reihe noch ein wenig zu erweitern, arbeitet als verbindendes Motiv der Sammlung das Vertrauen heraus (Trust, 74 f.). 269 In der Regel wird der Ausdruck n x ü XIB bzw. ¡TOD XÜ, im Deutschen mit „Geschick wenden" wiedergegeben (vgl. dazu KRAUS, Psalmen II, 1033; VIVIERS, Trust, 70; BEYERLIN, Träumende, 41). Entsprechend übersetzt auch SEYBOLD. Dennoch unterlegt er den Begriff mit einer sehr konkreten Bedeutung, und zwar in v 1 bezogen auf die Wiederherstellung des Tempels und in v4, von v i zu unterscheiden, mit der Restitution des eigenen Status (Psalmen, 486). Zwei Probleme sind zu entscheiden: Was verbirgt sich unter dem Ausdruck 31B n x o bzw. ¡rnö x ö in v i und ist in v4 der gleiche Ausdruck gemeint, d.h. liegt in v i u.U. ein Schreibfehler vor? Vgl. zur Schreibweise WILLI-PLEIN (SWB, 194), die davon ausgeht, daß kein Bedeutungsunterschied zwischen den Varianten auszumachen ist. „Die beiden Nominalformen der aufeinander bezogenen Verse 1 und 4 zeigen, daß die Vokalisierungen (einschließlich Pleneschreibung) nicht sakrosankt sind". CROW bleibt bei der Variante n x o x o und
III. „Es segne dich Jhwh von Zion her"
143
insbesondere zu Jer 31,23; 33,7 und Joel 4,1. 270 Wenn Ps 126,1 als Schicksalswende mit Bezug auf die Vergangenheit verstanden wird, dann kann nur, wie auch die prophetischen Texte es andeuten, die Wende des Exils, die Rückkehr und die Wiederherstellung der Gottesdienstgemeinde gemeint sein.271 Darauf können die Beter Bezug nehmen, um auch für ihre gegenwärtige Situation Hoffnung zu schöpfen. Liest man den Text durchgängig aus der Warte der zugrundeliegenden historischen Situation, so werden wohl am ehesten Schwierigkeiten bei der Formierung der nachexilischen Gemeinde gemeint sein.272 Allen verweist auf die Mahnung in Sach 4,10, nicht gering zu denken von der Zeit der kleinen Anfange. 273 Vor der Gefahr, das Gewonnene im Alltag wieder zu verlieren, steht nun dieses Gebet. 274 So ist der Text mit seinen starken Bildern vom Säen und Ernten, von Trauer und Freude darauf angelegt, dem Volk Zuversicht zu vermitteln. Wie Gott an Zion handelt, so auch an Israel. Steck hat in seinem Aufsatz „Zion als Gelände und Gestalt" das Besondere Zions als Größe sui generis herausgestellt. Was er in der Hauptsache für die Prophetie erarbeitet, läßt sich auch in den Psalmen finden. Zion ist nicht einfach ein Kollektivbegrifif für seine Bewohner, sondern hat „als Ort... überraschenderweise zugleich eine tätige Funktion an und für Menschen" 275 . Während dies in Ps 87 sehr konkret gefaßt ist, da die Stadt Schutz für ihre Bewohner und als Mutter Heimat und zukunftermöglichende Verwurzelung bedeutet, ist die „Funktion" in Ps 126 in den von Steck gewählten Kategorien schwieriger zu übersetzt mit „fortune", was sich auch in der Exegese niederschlägt als „restoration of Zion's prosperity" (Songs, 65). S.a. ALLEN, Psalms III, 173f. 270 Die Bezugnahme auf diese Texte setzt eine leichte Änderung im Konsonantenbestand des MT voraus, die aber v 4 entspricht. Hinzu kommt, daß Motive und Vokabular der oben genannten prophetischen Texte dem in Ps 126 vorliegenden nahekommen. Vgl. auch BEYERLIN, Träumende, 53 ff. 271
Vgl. ALLEN, P s a l m s III, 173; HÜLST, P s a l m 126, 568.
272
Vgl. auch WILLI-PLEIN (SWB, 194). VIVIERS geht über diese Zeiträume hinaus und betrachtet Ps 126 als ein eschatologisches Gebet des Vertrauens (Trust, 70). Eine zeitgeschichtliche Zuordnung kommt für ihn nicht in Frage. HÜLST macht den Vorschlag: „Diese große Wende war gleichsam nur das Angeld auf das Kommen der Heilszeit mit der Fülle ihrer geistigen und irdischen Güter" (Psalm 126, 573). S.a. PRESS, Hintergrund, 409f. 273
V g l . ALLEN, P s a l m s III, 174.
274
CROW übersetzt die in Ps 126 gebrauchten Bilder eins zu eins für die Situation der Beter. Er geht von sich abwechselnden Zeiten der Dürre und der reichen Ernte aus. Der Vergleich zum Schicksal Zions gibt der Hoffnung Nahrung, daß Zion überall sein möge. Zions Reichtum wäre das, was auch die in diesem Text betende Gemeinde möchte. „The prayer in vv.4-6 then becomes a request that Zion's prosperity be extended to the outer reachs of Zion's sphere of influence" (Songs, 65). Aus dieser Perspektive heraus betrachtet er das Weinen als ein Fruchtbarkeitsritual (Songs, 63 Anm. 53). 275
STECK, Z i o n , 127.
Anders BEYERLIN, der Zion mit „Jahwegemeinde" identifiziert und diesen Gedanken der „Personalisierung" mit Belegen aus der Prophetie Deuterojesajas untermauert (Träumende, 45). Doch handelte es sich hier um den einzigen Beleg des Psalters, wo eine derartige Identifikation stattfände - was noch kein Problem wäre. Aber BEYERLIN übersieht dabei, daß erst in den Augen der Völker das Schicksal Zions und das Israels in Beziehung gesetzt werden.
144
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
beschreiben. Sie ist weder eindeutig Gelände noch Gestalt, doch zeigen sich auch hier Gabequalität und Mittlerfunktion Zions. Zion ist Gabe Gottes. Entzug dieser Gabe durch Zerstörung ist ein ebenso starkes Zeichen, wie es die im Psalm besungene Schicksalswende Zions ist. Sie wird zum Heilserweis Gottes an seinem Volk. Erst aus dieser Perspektive - Zion als Geschenk Gottes, Zion, den Gott erbaut hat und über den das Volk keinerlei Verfügungsgewalt hat - kann Zion eine Mittlerfunktion zwischen Gott und Volk einnehmen. Das Volk selbst steht dem, was an Zion geschieht, staunend gegenüber. Der Text drückt dies noch stärker aus. „ Wir waren wie die Träumenden " (v l). 276 Erst allmählich kann das Volk wahrnehmen, was die Völker schon längst gesehen haben: „ Der Herr hat Großes an ihnen getan " (v 2). In der Äußerung der Völker wird die Mittlerfunktion Zions für Israel deutlich. Was Zion geschieht, geschieht auch Israel.277 Während in Ps 87 durch den Schutz und die Versorgung, die die Stadt dem Volk gewährt, das Handeln Gottes durch Zion am Volk ersichtlich wird, hat die Mittlerfunktion in Ps 126 einen anderen Charakter. Es ist die in v 4 formulierte Möglichkeit für Israel, in Anspruch nehmen zu dürfen, was Gott an Zion tut. Dazu gehören im Blick auf den Kontext von Ps 126 auch der von Zion ausgehende Segen (Ps 128,5; 134,3) und die dort gegebene Gegenwart Gottes (Ps 127,1 - Bezugnahme auf den Tempelbau; 132,13 ff.). Zions Mittlerfunktion für Israel umfaßt zwei wesentliche Bereiche: Zion als Paradigma für Gottes Handeln an Israel - Zion als Spender der guten Gaben Gottes an Israel, seiner Gegenwart und seines Segens. Zion als Paradigma des Vertrauens Ps 125 wird mit einem Vergleich eröffnet. „Die auf Jhwh Vertrauenden sind wie der Berg Zion, er wankt nicht, in Ewigkeit besteht er. " Fasziniert in Ps 126 die Dynamik des Bildes, das Handeln Jhwhs an Zion und die Möglichkeit der Inanspruchnahme vergleichbarer Zuwendung auch für Israel, so ist es in Ps 125 276 Viele der älteren Versionen lesen an dieser Stelle c^n II „geheilt sein". Neuere Interpretationen schlagen u. a. vor, hier c C'PRC („wie Sand der See"; so DAHOOD, Psalms III, 118) zu lesen. Doch liegt meiner Ansicht nach kein Grund vor, r o ^ r o in irgendeiner Weise als schwierig zu erachten. Inhaltlich ist der Terminus angesichts der scheinbar alle Grenzen der Realität überschreitenden Großartigkeit der Ereignisse angemessen. Zudem ergibt sich eine inhaltlich und stilistisch wohl beabsichtigte Parallelstellung zu etioö (v3), die den ersten Teil des Psalms umklammert. Anders BEYERLIN, der über einen Vergleich mit im Schlaf erhaltenen Traumbildern (vgl. u.a. Gen 20,3ff.; 37ff.; I Reg 3,5ff.) darauf schließt, daß auch hier die Träumenden ihre eigene Zukunft erfahren, die bei Gott Realität ist, sich im Alltag aber noch manifestieren muß (Träumende, 23 ff., insbes. 31). 277 In diesem Zusammenhang ist der Blick auf Jer 31,23 besonders interessant, weil quasi die Umkehrung des in den Wallfahrtsliedern gebrauchten Bildes vorliegt. Die Wende des Schicksals des Volkes fuhrt zum Segen des heiligen Berges. In v26 schließlich heißt es: „Ich bin erwacht und sah umher, und mein Schlaf war süß gewesen " - wie ein Traum. In Ps 126 hat er sich für das Volk als wahr erwiesen.
III. „Es segne dich Jhwh von Zion her"
145
die Statik der gewählten Motive. Wanken hieße, zu zweifeln, sich von Jhwh wegzubewegen, herauszufallen aus der lebenserhaltenden Gottesnähe. Doch die auf Jhwh Vertrauenden wanken nicht. Anfeindungen, Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Gegner können sie nicht erschüttern. Sie sind vergleichbar dem Berg Zion, tief verankert in der Erde, in Ewigkeit. 278 Der Text erwähnt die Heiligkeit des Berges 279 nicht explizit, doch Zion ist dadurch herausgehoben unter den Bergen. Andere können erbeben und wanken (vgl. u.a. Ps 18,8; 46,4), der Zion nicht. „ Weshalb schaut ihr neidisch, Berge, Gipfel, auf den Berg, den Gott begehrt um dort zu thronen. Ja, Jhwh wird dort wohnen für immer" (Ps 68,17). Gerade im Nebeneinander der Ps 125 und 126 zeigt sich die Varibilität des Topos Zion. Als Stadt wird er zum Paradigma des Handeln Gottes an Israel 280 , als Berg zum Paradigma der Beständigkeit. 281 Die Bezüge, in die die Wallfahrtslieder Zion einbinden, sind vielfaltig. Zion ist Ziel der Wallfahrer, denn er ist der Ort, den sich Jhwh erwählt hat und an dem er wohnen will (Ps 132,13 f.). Auf Zion ist Gott gegenwärtig. Doch es gibt nicht nur die Bewegung zum Zion hin, sondern auch die Bewegung jraa. Der Segen Gottes geht aus von Zion, erfaßt den, der den Herrn fürchtet und bleibt dem vorenthalten, der Zion haßt. Damit ist Zion nicht nur Mittler der Gaben Gottes, sondern zugleich entscheidet sich an ihm Wohl und Wehe des einzelnen. Schließlich wird Zion zum Paradigma des Vertrauens auf Gott. Versucht man, aus diesen Beobachtungen heraus eine vorsichtige Antwort auf die eingangs gestellte Frage zu geben, ob die Nennung Zions zum Kriterium für die Aufnahme der Texte in die Sammlung geworden ist, so reicht ein einfaches Ja nicht aus. Es geht nicht um Zion selbst in diesen Texten, auch die Ergänzungen in Ps 128,5 f. und 134,3 ändern daran nichts. Zion ist Orientierungspunkt und Korrektiv. Bedeutung für die Texte gewinnt Zion aber erst in der Kombination mit anderen Theologumena, mit der Gegenwart Gottes, seinem Segen, der Kraft seiner Erwählung.
278 Diese Aussage gelingt aufgrund einer geglückten Verbindung von Universal- und Individualbereich, von Makrokosmos (mythisch-götterweltliche Ebene) und Mikrokosmos (historisch-soziale Ebene). Vgl. JANOWSKI, Konfliktgespräche, 72. 279 Vgl. Ps 2,6; 3,5; 15,1; 43,3; 48,2; 99,9. 280 Das Nebeneinander von Jerusalem und Zion in den Psalmen ermöglicht es, auch im Zusammenhang mit Zion von der zerstörten und aufzubauenden Stadt zu sprechen. Ps 126 kommt dieser Konstruktion mit der Formulierung vom gewandelten Geschick Zions als einziger Text unter denen, die nur Zion nennen, einigermaßen nahe. Dennoch liegt dem Motiv von Ps 126 nicht die gleiche Vorstellung zugrunde wie u.a. Ps 102,14ff. Von der zerstörten Stadt ist nicht die Rede, wohl aber befindet sich der Zion in einer Situation, die der Umkehr bedarf. 281 Allerdings ist es in Ps 46,6 nicht der Berg, sondern die Stadt, die nicht wankt. Doch ihre Stabilität ist anders begründet als die des Berges. Sie trägt die Züge des Tempels, in dem Gott gegenwärtig ist. Der Berg hingegen hat mythische Dimensionen.
146
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
IV. Der eine Berg und die Berge Die Vorstellung von Zion als Berg nimmt innerhalb des Psalters breiten Raum ein. 282 Der Zion ist der heilige Berg (vgl. u. a. Ps 3,5), Krone der Schönheit (vgl. Ps 50,2), der Berg, der nicht wankt (vgl. u.a. Ps 125,1); auf dem Berg Zion befindet sich das Heiligtum Gottes (vgl. u. a. Ps 78,68 f.). Wo Gott thront wird Zion zum Schemel seiner Füße (vgl. Ps 99,9). Diese wenigen Aussagen über den Zion zeigen bereits, worin sich dieser von den anderen Bergen unterscheidet, die eben doch wanken (vgl. u.a. Ps 18,8) oder neidisch auf ihn schauen (vgl. Ps 68,16 f.). Zwei Berge sind mit Namen genannt, die zu Zion in enger Beziehung stehen: Sinai und Hermon. 283 Daß eine Verhältnisbestimmung von Zion, Sinai und Hermon gerade unter der Perspektive „Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion" unabdingbar ist, machen die Texte auf je spezifische Art deutlich. Bei allen Differenzen ist es zuerst die Gegenwart Gottes auf dem Zion, die diesen unter allen Bergen auszeichnet. 1. Zion und Sinai Psalm 68 „Der vom Sinai ist im Heiligtum " (Ps 68,18). In diesem kurzen Satz verbirgt sich bereits der große Bogen, den Ps 68 schlägt. Er fuhrt die Heilsgeschichte Israels einem Ziel zu, der Thronbesteigung Gottes. Ausgerechnet der Name Zion wird in Ps 68 jedoch nicht aufgegriffen. Gleichwohl ist Zion in den Gottesberg- und Heiligtumsaussagen des Psalms präsent, wie die folgende auf Schwerpunkte 284 konzentrierte Auslegung zu zeigen vermag. 285 Der Psalm ist in neun Strophen gegliedert, die sich formal und inhaltlich voneinander unterscheiden und in deren Abfolge sich bereits die Wachstumsgeschichte des Psalms abbildet. 286 Die ersten drei Strophen erscheinen als dreifache Einleitung des Psalms. Stellen die vv2^1 ein Präludium dar, das Frevler 282
Vgl. Ps 2,6; 3,5; 15,1; 24,3; 43,3; 48,2.3.12; 68,17; 74,2; 78,54.68; 99,9; 121,1; 125,1;
133,3. 283
Zum Zaphon in Ps 48 vgl. S. 165 ff. Hier sei u.a. auf die neueste ausfuhrliche Untersuchung des Psalms von P F E I F F E R (Jahwes Kommen, 204 ff.) verwiesen. 285 Der Psalm war von jeher eine große Herausforderung für die Exegese: A L B R I G H T dazu: „Psalm 68 has always been considered with justice as the most difficult of all the Psalms" (Catalogue, 7). Er erscheint einigen als zufallige Sammlung von Sentenzen, die anderen Texten und Liedern entstammen (vgl. H. S C H M I D T , Psalmen, 127) oder er wird als „Torso einer kunstvollen akrostichischen Komposition" bezeichnet (SEYBOLD, Psalmen, 262). Und er wird wegen seiner Textverderbtheit und dem hohen Anteil an „seltenen Wendungen und syntaktischen Konstruktionen" ( H O S S F E L D / Z E N G E R , Psalmen HThK II, 246) als besonders schwierig erachtet. 286 Die Stropheneinteilung ist wenig umstritten: Vv 2-4; 5 - 7 ; 8 - 1 1 ; 1 2 - 1 5 ; 1 6 - 1 9 ; 2 0 - 2 4 ; 2 5 - 2 8 ; 2 9 - 3 2 ; 3 3 - 3 6 . Vgl. dazu JEREMIAS, Königtum, 70ff.; H O S S F E L D / Z E N G E R , Psalmen II HThK, 2 4 7 ; S Ü S S E N B A C H , Der elohistische Psalter, 2 2 2 ff.; P F E I F F E R , Jahwes Kommen, 2 0 4 . 284
IV. Der eine Berg und die Berge
147
u n d G e r e c h t e e i n a n d e r g e g e n ü b e r s t e l l t (vgl. Ps 1; 97), folgt m i t B e g i n n d e r z w e i t e n S t r o p h e in v 5 ein L o b a u f r u f , d e r e i n e n n e u e n A k z e n t setzt. Gott, Jah, ist Vater d e r Waisen u n d A n w a l t d e r W i t w e n . Z u m dritten M a l setzt d e r P s a l m in den v v 8 ff. mit einer T h e o p h a n i e s c h i l d e r u n g n e u an, die - w i e a u c h in ihren Parallelstellen - d i e A n f a n g s s t e l l u n g eines Textes besetzt (vgl. Dtn 33; J d c 5; H a b 3). Die u n g e w ö h n l i c h e Position w i r d als H i n w e i s d a r a u f g e w e r t e t , d a ß die v o r h e r g e h e n d e n S t r o p h e n n a c h t r ä g l i c h v o r a n g e s t e l l t w o r d e n sind. 2 8 7 W e n n im f o l g e n d e n literar- und r e d a k t i o n s k r i t i s c h e F r a g e n im H i n t e r g r u n d bleiben, steht d e n n o c h nicht in F r a g e , d a ß sie f ü r d a s Verständnis v o n Ps 6 8 i n s g e s a m t u n v e r z i c h t b a r sind. D a s A u g e n m e r k soll sich in der H a u p t s a c h e a u f die S t r o p h e n 3 ( v v 8 - l l ) , 5 (vv 1 6 - 1 9 ) u n d 8 ( v v 2 9 - 3 2 ) richten, die n e b e n den M o t i v e n B e r g und H e i l i g t u m a u c h d e n G o t t v o m Sinai z u m T h e m a h a b e n . Psalm 68, dritte Strophe: 8 Gott, als du auszogst vor deinem Volk, als du einherschrittest durch die Wüste. Sela. 9 Da erbebte die Erde, ja die Himmel troffen 288 vor Gott, dem vom Sinai 289 , vor Gott, dem Gott Israels. 10 Regen im Uberfluß hast du ausgegossen, Gott, dein Erbteil, als es erschöpft war, hast du (es) aufgerichtet. 11 Deine Schar ließ sich darin nieder, du versorgtest in deiner Güte die Armen, Gott. V 8 b e g i n n t mit e i n e r f ü r d a s g e w ä h l t e M o t i v eher u n ü b l i c h e n F o r m u l i e r u n g . „ Gott, als du auszogst."
SS' als T e r m i n u s t e c h n i c u s f ü r den A u s z u g a u s Ä g y p t e n
hat in d e r R e g e l das Volk z u m S u b j e k t , o d e r a b e r es h a n d e l t sich u m die H i f il-
Anders u. a. G U N K E L (Psalmen, 2 8 1 ff.), der eine kleinteiligere, stärker am Versmaß orientierte Stropheneinteilung vornimmt; vgl. auch K R A U S , Psalmen II, 6 2 9 . 287 Vgl. H O S S F E L D / Z E N G E R , Psalmen II HThK, 249. Nach P F E I F F E R ist dieser Neuansatz in v 8 jedoch nicht geeignet, hier einen literarkritischen Schnitt zu setzen. Seiner Ansicht nach gehört bereits die zweite Strophe zum Grundbestand des Psalms und ist parallel zu den vv 33-36 angeordnet. So erhält der Text eine hymnische Rahmung (Jahwes Kommen, 215 ff.234 f.). Vgl. bereits JEREMIAS, Königtum, 75. 288 VOGT kommt aufgrund eines Vergleiches mit Jud 5,4b.5 und Ex 19,18 zu der Lesart nätäyü, die er für ursprünglich hält, mit dem Ergebnis „da zitterte die Erde / ja die Himmel wankten" (Himmel, 209). Doch wenn der Regen am Sinai für eine Theophanie auch ungewöhnlich sein mag, ist eine Änderung des Konsonentenbestandes dennoch nicht notwendig. Die in diesem Text miteinander vermischten Motive vom Regenspender Baal mit dem sein Volk durch die Wüste leitenden Gott Israels prägen den Charakter des Textes auch an anderen Stellen (so u. a. in v 5 der Wolken- bzw. Wüstenfahrer). 289 J E R E M I A S (Theophanie, 8 f.) und T Ä T E (Psalms II, 1 6 3 ) verweisen auf die Arbeit von A L B R I G H T (Names, 204), daß nt hier wie das arabische du („der von, der zu etwas gehörende, der Herr von") gebraucht ist. Abweichend davon u.a. G U N K E L (Psalmen, 282.288), der „der Sinai schwankt" übersetzt.
148
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
Form, die Gottes Rettungshandeln beschreibt. 290 Hier ist es aber Gott selbst, der auszieht und seinem Volk voran durch die Wüste schreitet. Damit geht die Formulierung mit ~|nx:r3 über die fürsorgende Rolle Gottes hinaus. Gott selbst verläßt den Ort, der hier nicht näher bezeichnet wird, und sein Volk folgt ihm. Die Formulierung greift Jdc 5,4 f. auf. Auch hier heißt es "[nxirn, allerdings ergänzt durch Ortsangaben. Gott verläßt nach dem Deboralied Sei'r und Edom. Die Nichterwähnung des Ausgangspunktes verlagert den Schwerpunkt der Aussage deutlich auf das „Wie", nämlich Gottes machtvolles Einherschreiten, das die Erde zum Beben bringt und die Himmel überströmen läßt. Das Auszugsgeschehen wird als mächtige Theophanie geschildert. Die gesamte Schöpfung gerät in Aufruhr vor dem Gott vom Sinai, dem Gott Israels. Mit TO nt ist aufgenommen worden, was in v 8 zunächst zu fehlen scheint, nämlich die Antwort auf die Frage, woher dieser Gott kommt. Die Termini XÜ", oa und pn-B" werden hier zusammengeführt. Der so mächtig auftretende Gott ist der des Auszugs, der sein Volk durch die Wüste führt, ja am Sinai einen Bund 291 mit ihm schließt. Er ist der Gott Israels. Die Eigenart seines Erscheinens und Wirkens zeigt Aspekte des Schaffens und Erhaltens, hier aber in besonderer Weise ausgerichtet auf die n^m Gottes und auf sein Volk. Seine n^ra, die er aufgerichtet hat (j"D), erquickt er mit Regen 292 , und in Güte versorgt er die Armen. Neben der Bezugnahme dieser Strophe auf die Theophanieschilderung des Deboraliedes ist auch die enge Verbindung zu Ps 65,10-14 immer wieder ins Blickfeld getreten. 293 Nicht nur motivisch, sondern bis in einzelne Begriffe hinein finden sich Übereinstimmungen. Hervorzuheben sind das Bild des ausgedörrten Landes (Ps 65,10), die Verwendung von nmo (Ps 65,12) zur Umschreibung der besonderen Qualität des Handelns Gottes und der Gebrauch von j"D (Ps 65,10) - dies alles im Kontext der Vorstellung vom Regen spendenden Gott (Ps 65,11). Dennoch besteht ein entscheidender Unterschied zwischen beiden Texten. Die Größe Gottes und seine schöpferische Macht werden in Ps 68,8-11 ausschließlich zum Heil Israels wirksam. Seinen Ausdruck findet dies zuerst in der Verwendung von n^n; anstelle von ' p x , das in Ps 65 auch ganz generell für Ackerland stehen kann. Die nbra ist das Israel verheißene Land, in das es nach langer Wüstenwanderung einziehen darf (vgl. u.a. Num 34,2; Dtn 26,1; Ps 79, l). 294 290 NS' ist 789 mal im Qal belegt (nach A c c o r d a n c e 4.3) und hat 18 mal (so PREUSS, Art. ¡ö", 803) J h w h zum Subjekt. A u f diese Weise wird Jhwhs H e r a u s k o m m e n als theophanes Geschehen beschrieben, das auf ein handeln zielt. Nicht der Ausgangspunkt, sondern Ziel und Absicht des Herausgehens sind von Bedeutung (ebd.). S. a. JENNI, Art. ¡or, 755 ff. 291 Vgl. hierzu auch JEREMIAS, Theophanie, 154 f. 292 Zu Baal als T a u - u n d Regenspender s . K T U 1.3 II 3 9 - 4 1 ; 1.4 V 6 - 7 ; 1.5 V 8; 1.16 III 6 - 7 ,
1 2 - 1 3 . S . a . P s 6 5 , 1 0 f f . V g l . a u c h HERRMANN, B a a l , 1 3 4 ; KRAUS, P s a l m e n II, 6 3 3 . 293 Vgl. dazu HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II H T h K , 252 f.; SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 229; PFEIFFER, J a h w e s K o m m e n , 240. 294 A u f g r u n d der unüblichen Verbindung von N^N; und ]1D macht PFEIFFER den Vorschlag,
IV. Der eine Berg und die Berge
149
Der Psalmist vermag mit den ihm vorgegebenen Traditionen kanaanäischer und heilsgeschichtlich israelitischer Provenienz frei umzugehen und sie miteinander zu verschmelzen. Auf diese Weise gelingt ihm die Darstellung eines Triumphzuges Gottes durch die Wüste, der den ganzen Kosmos bewegt, aber Israel das Heil bringt. Fünfte Strophe: 16 Berg Gottes, Baschansberg; Berg vieler Gipfel, Baschansberg; 17 Warum blickt ihr, Berge vieler Gipfel, scheel auf den Berg, den Gott für sein Thronen begehrte; ja, Jhwh wird dort ewig wohnen. 18 Die Wagen Gottes sind zehntausend, zigmal tausend, der Herr ist mit ihnen, der vom Sinai im Heiligtum. 19 Du bist aufgestiegen zur Höhe, hast mitgeführt Gefangene; hast genommen Tribute von Menschen - und auch von Empörern, um zu wohnen Jah, Gott.
Berichtet die dritte Strophe vom Auszug Gottes, benennt die fünfte Strophe sein Ziel, den Berg, den Gott zum Thronsitz begehrt. Gott hat sich entschieden, und der Baschansberg blickt scheel auf den zum Thronsitz Erwählten. Der Berg Gottes vermag Emotionen hervorzurufen. Ist andernorts von der Liebe Gottes zum Zion die Rede (vgl. Ps 78,68), sind es hier die Neidgefuhle derer, die abgewiesen werden. V16 setzt mit der Qualifizierung des Baschansberges oder auch Baschangebirges 295 - „ Berg vieler Gipfel" - als Gottesberg ein. In der alttestamentlichen Überlieferung kommt Baschan immer wieder als ein vor allem an Rindern (vgl. u.a. Dtn 32,14; Ez 39,18; Am 4,1; Ps 22,13) und Eichenholz (vgl. u.a. Ez 27,6; Sach 11,2) reiches Gebiet vor. Doch Jhwh lehnt dieses mächtige Gebirge ab, zieht an ihm vorüber. Die Frage von v 17 läßt durchschimmern, daß es für diejenigen, die Gott nicht kennen, unverständlich sein muß, weshalb er, der strahlende Sieger, sich nicht für das Baschangebirge entscheidet. Natürlich ist die Frage rhetorisch und dient allein dazu, die Verschmähten in ihrem Neid zu degradieren und den von Gott begehrten Berg, auch ohne ihn zu benennen, erstrahlen zu hier bereits den Zion zu vermuten. Der verwüstete Zion würde durch die Gabe des Wettergottes erfrischt. „Die Landnahme (V11) wird unter Vorgriff auf die Inbesitznahme des Zion durch Jahwe in V. 16-19 als Niederlassung des Volkes ,dein Getier'[V1 la] am Zion konzipiert (vgl. Ex 15,17; Ps 78,54f.)" (Jahwes Kommen, 237). Diese Sichtweise ist jedoch nicht unproblematisch. Hier wird gegen den Verlauf des Psalms argumentiert, der Strophe für Strophe den Zug Jhwhs zum Zion und seine Inbesitznahme nachvollzieht. Dazu gehört der Sieg über die Könige, der in den vv 12 ff. geschildert wird. Auch erscheint es schwierig, das Volk zum Thronsitz Gottes zu bringen, bevor er selbst ihn eingenommen hat. Der Verweis auf Ex 15,17 und Ps 78,54 f. ist dabei nicht weiter hilfreich, da das Thronen Gottes bereits vorausgesetzt und nicht erst initiiert wird. 295 Vgl. EMERTON (Mountains, 27), der deutlich macht, daß ein einzelner Berg ebenso wie eine ganze Region gemeint sein könnte.
150
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
lassen. Gerade dadurch, daß Zion nicht erwähnt wird, erscheint er über einen Konkurrenzkampf mit Baschan erhaben. Er ist fraglos der Begehrte. Ursprünglich mag sich hinter dem Berg ein anderer als Zion verborgen haben. Mowinckel und Kraus favorisieren mit Blick auf Jdc 5 den Tabor. Beide beginnen bei ihrer Suche mit der Bezeichnung ]Ö3 i n . Kraus überträgt es mit „der ,höchste Berg', ,der Olymp'" 2 9 6 und erkennt in ihm, der in v 16 als Berg Gottes angesprochen wird, den Berg, auf dem Jhwh seinen Wohnsitz wählt. „Angenommen nun, der ,Basansberg' sei der ,höchste Berg', der ,Olymp' und Gottesberg schlechthin, - um welches altisraelitische Bergheiligtum könnte es sich dann handeln?" 297 Mowinckel hingegen schlägt vor, die in v23 gebrauchte Bezeichnung jüii (Schlange, Viper) als Namen des Berges zu lesen, d. h. „Drachenberg". 298 Mit dieser von Kraus und Mowinckel vorgenommenen Identifikation des Thronsitzes Gottes mit dem Baschansberg tun sich jedoch neue Fragen auf. Der Name des Berges bleibt nach Kraus weiterhin ungenannt, denn Kraus versteht ]En nur in übertragener Deutung. Des weiteren sind die mit dem begehrten Berg in Konkurrenz stehenden vielgipfeligen Berge 299 nicht zuzuweisen. So bleibt zu fragen, weshalb ausgerechnet die Bezeichnung ]D3, die in den alttestamentlichen Texten zwar für reich und mächtig steht, aber keinesfalls immer positiv konnotiert ist, hier für den Berg des Gottes Israels gewählt worden sein soll. 300 Gerade in Bezug auf die Formulierung c n ^ x in schafft v 17 Klarheit. Der Baschansberg mag zwar ein Gottesberg sein, aber damit längst noch nicht der zum Thronsitz erwählte Berg Jahs. 301 Einen interessanten Lösungsvorschlag macht Emerton. Er liest ganz im Sinne der Frage von v 17a auch v 16 als Frage: „Is Mount Bashan a mountain of God, many-peaked mountain, Mount Bashan?" 302 Er löst damit das Problem, daß der Baschansberg, obwohl deutlich nicht der begehrte, dennoch als Berg Gottes bezeichnet werden kann.
296 297
Vgl. KRAUS, P s a l m e n II, 6 3 1 . KRAUS, P s a l m e n II, 631.
298 So fügt sich für ihn über die Verbindung von Tabor und Tammuz, der mit der Schlange verbunden gewesen sei, das Puzzle Baschansberg = Drachenberg = Tabor zusammen (vgl. MOWINCKEL, 68. Psalm, 43 f.). Vgl. dazu auch EMERTON (Mountains, 31), der zu der These Mowinckels Stellung nimmt. 299 Zudem sei hier noch angemerkt, daß die Bezeichnung e i n (v 17) auf den bereits in v l 6 genannten in zurückverweist. S.a. SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 230 Anm. 517. 300 Laut v23 ist Baschan der Zufluchtsort der vor Gott fliehenden Feinde. Baschan und die tiefen des Meeres bilden einen Merismus. Auf den höchsten Berg und in das tiefste Meer zu fliehen reicht nicht aus, um der Hand Gottes zu entgehen. Es handelt sich hier um einen „Hinweis auf seine universale Herrschaft" (HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 254). Anders SEYBOLD (Psalmen, 264; s.a. DAHOOD, Psalms II, 145), der unter "m in v23 die „Urschlange" versteht, vor der Gott die Seinen bewahrt. 301 So auch NIEHR, Höchster Gott, 112 f. 302
EMERTON, M o u n t a i n , 37.
IV. Der eine Berg und die Berge
151
Mag man zunächst an einen anderen Berg als den Zion gedacht haben, so hebt v 30 mit seinem Hinweis auf den Tempel hoch über Jerusalem jeden Zweifel auf. Der Endtext von Ps 68 redet von Zion. 303 Der Weg vom Sinai zu seinem Thronsitz, auf den Gott sich gemacht hat, ist einmalig. Ewig wird er dort wohnen. Der Aufzug zum Thronsitz gerät zu einem Siegeszug. Zahllose Wagen, Gefangene und Tributgaben fuhrt er mit sich. Gott kommt als Sieger einer gewonnenen Schlacht (vv 12-15) und steigt hinauf zur Höhe 304 . Die Termini dt6X narr in, cnp und mia ergänzen einander zur Beschreibung des Thronsitzes. Es ist der Ort, den Gott begehrt. Es ist der Ort der Begegnung des Menschen mit Gott in Anbetung und Lobpreis - dies führt die sechste Strophe aus (vv 20-24) - , und der Ort ist c n n , die Höhe. Hier treffen sich himmlische und irdische Regionen. 305 Die Verknüpfung von heilsgeschichtlichem Wirken Gottes mit seinem königlichen Herrschen über sein Volk und über die ganze Schöpfung findet hier ihren Höhepunkt, denn der Gott vom Sinai ist im Heiligtum. 306 Was der Text unausgesprochen im Raum stehen läßt, was jeder Beter nun aber für sich selbst erschließen soll, als müsse er es neu entdecken: Der auf dem Zion thronende Gott und der vom Sinai sind einer.307 Verschiedene Ausdrücke für den Tempel werden in Ps 68 gebraucht. V6 konstatiert cn^x i t ö i p ¡ran. Gott ist als Vater von Waisen und Anwalt der Witwen in seiner heiligen Wohnung gegenwärtig. V25 spricht von den Festzügen im Heiligtum ( ö n p n ) , v30 vom Tempel hoch über Jerusalem und v36 wiederum von „deinem Heiligtum" ( " j ' ö i p n ) . Hossfeld und Zenger schreiben mit Blick auf v6, daß es nicht ganz klar sei, ob mit isnp p n a DTfpx die irdische Wohnung Gottes im Tempel oder die himmlische Wohnung gemeint sei.308 Die vv 17-19 zeigen deutlich, daß hier beide Sphären ineinander übergehen. V25 steht mit dem Hinweis auf die Festzüge für das irdische Heiligtum und die darin lobende Gottesdienstgemeinde, v30 hingegen benennt den Tempel über Jerusalem, die himmlische Wohnung Gottes. Wenn es für einzelne Abschnitte des Psalms auch eine eigene Lesart gegeben haben mag, auf der Ebene des Endtextes und in der Perspektive der Gesamtkomposition sind irdisches und himmlisches Heiligtum als Wohnort und Thronsitz Gottes nicht voneinander zu trennen.
303
Vgl. auch EMERTON, Mountain, 25. Daß es sich hier nicht um einen Aufstieg aus der Unterwelt handelt, sondern um den Weg vom Sinai, sollte noch einmal unterstrichen werden. Vgl. KRAUS, Psalmen II, 635. 305 c n n ist die Höhe, in der Gott regiert (Ps 7,8), die himmlische Höhe, von der aus er die Erde überblickt (Ps 93,4; 102,20) und rettend eingreift (Ps 18,17). 306 A n d e r s als Baal wird er es auch nicht wieder verlassen, den Sieg nicht in j e d e m Jahr neu erringen müssen. 304
307
308
V g l . JEREMIAS, K ö n i g t u m , 7 7 .
Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II H T h K , 252. Sie geben zudem als Beleg für die irdische Wohnstatt Gottes die vv 17-19.25 und 36 an.
152
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
Achte Strophe: 29 Es befiehlt dein Gott deine Macht, erweise dich mächtig, Gott, der du an uns gehandelt hast, 30 von deinem Tempel über Jerusalem; wohin Könige dir Tribut bringen. 31 Bedrohe das Tier im Schilf, die Horde der Stiere unter den Kälbern der Völker. Tritt nieder, die Wohlgefallen haben an Silber, zerstreue Völker, die Schlachten lieben. 32 Es werden kommen bronzene Geräte aus Ägypten, Kusch bringt eilends Gaben zu Gott.
V29a hat in seiner vorliegenden Form deklarativen Charakter und bereitet die folgenden Bitten vor, denn der seinem Volk zugewandte Gott ist es, an den sich die Bitten richten. 309 Ähnlich den vv 20 f. wird auch an dieser Stelle eine Grundsatzaussage getroffen. Gott entbietet seinem Volk seine Macht. Ausfuhrlicher noch ist dies in v 36 formuliert: „ Gott Israels, der Macht und Kräfte gibt dem Volk". In v29a jedoch überrascht eine derartige Formulierung als Einleitung der Strophe, da sie weder vorbereitet ist noch weiter ausgeführt wird, denn in v29b ist von den machtvollen Taten Gottes die Rede. So wurde nicht selten ein Eingriff in den Bestand des masoretischen Textes vorgenommen. 310 Doch sollte folgendes nicht übersehen werden: Auf der Ebene von v29 werden die Macht Gottes und die des Volkes auf das engste miteinander verknüpft. Wie das Land unter allen Ländern von der Gegenwart Gottes profitiert (v 10), so gewinnt auch das Volk durch die Macht, die Gott ihm zuteil werden läßt. Nun ist Israel in der Auseinandersetzung Gottes mit dem „ Tier im Schilf", mit Ägypten und den nach Krieg lüsternen Völkern, nicht mehr passiver Zuschauer, sondern wird aktiv hineingenommen in das machtvolle Handeln Gottes. 3 " Sein Handeln geht aus vom Tempel, der über Jerusalem situiert ist. Was in v 19 gezeigt wurde, das Aufsteigen Gottes zur Höhe, findet in v30 in der Präposition bs seinen Ausdruck. Der Tempel ist über Jerusalem 312 , er gehört in den Bereich, wo Himmel und Erde sich treffen. Die Nennung Jerusalems dient der Konkretion, der Orientierung des Beters. Diesem wird aber mit bo die greifbare Nähe des Ortes wieder entzogen. Anders als der Zion, der das Bindeglied 309
Vgl. TÄTE, Psalms II, 183. S.a. SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 233. Eine Deutung eigener Art bietet an dieser Stelle SEYBOLD (Psalmen, 264), der diese Formulierung als einen Hinweis auf eine Ladeprozession versteht, ohne daß diese erwähnt wird. 310 Aus der Form Perf. Pi. von ms wurde in einigen Versionen ein Imp. Pi., und dementsprechend änderte man auch das folgende "pn^N zu crn^x. Die Lesart des MT ist schwierig, jedoch nicht unmöglich, wie oben weiter darzustellen ist. 311 Vgl. PFEIFFER (Jahwes Kommen, 222), der schreibt: „Das erste Kolon in V29 rekurriert - offensichtlich im Rückblick - auf die Führung der israelitischen Streitmacht („deine Macht") durch Gott". 312 Anders DAHOOD (Psalms II, 149), der^j; als „Most High" als „devine appellative" versteht.
IV. Der eine Berg und die Berge
153
zwischen irdischem Tempel und himmlischem Palast ist313, wird Jerusalem davon losgelöst dargestellt. 314 Könige bringen Gaben, nähern sich Gott, können ihn aber nicht erreichen. Ohne die Aussage in Frage stellen zu wollen, daß irdisches und himmlisches Heiligtum nicht voneinander zu trennen sind, ist in der Aussage von v30 eine deutliche Schwerpunktverlagerung weg von der irdischen Gebetsstätte zu erkennen. 3 ' 5 Gottes Thron ist in der Höhe, himmlisch und weltbeherrschend. Von v 1 bis einschließlich v 19 häufen sich geographische und topographische Angaben; für die Beschreibung Gottes werden sehr dynamische Bilder gewählt. Dem Wüstenfahrer 316 sollen Straßen geebnet werden (v 5), er schreitet durch die Wüste, „Der vom Sinai" zieht seinem Volk voran. Der Gott Israels kommt von Süden und zieht in den hohen Norden. Der jio 1 ^, Schauplatz der Kriegsführung Gottes, wird in der Regel mit Schwarzberg übersetzt; man vermutet hinter diesem Namen den Hauran im Nordosten Palästinas. 317 Von Nordosten über das Baschangebirge zieht „ Der vom Sinai" zum Zion. Dieser „Umweg" über den Norden läßt den Siegeszug Gottes durch die Wüste zu einer Thronbesteigung werden. Gegen die mächtigen Götter des Nordens und ihre hohen Berge zieht er triumphal zum Zion. Dem „Umweg" Gottes über den Norden liegen noch weitere Aspekte zugrunde. „Der vom Sinai" setzt sich nicht nur gegen die Götter des Nordens durch, sondern partizipiert auch an ihren Charakteristika. Er ist jetzt der Regenspender und Wüsten-, bzw. Wolkenfahrer. Es hat den Anschein, als wäre dem Psalmisten der Rückgriff auf Traditionen des Nordens durchaus klar und keineswegs problembehaftet, als holte „Der vom Sinai" seine Königsherrschaft aus dem Norden. 318 313
PFEIFFER, Jahwes Kommen, 247 f. bsi in Verbindung mit kommt nur in Ps 2,6 vor, zur Bezeichnung des Ortes, wo Gott seinen König einsetzen will. Die beiden Passagen sind insofern nicht miteinander vergleichbar, als die Präposition in Ps 2 die Konnotation „ a u f trägt, in Ps 68 jedoch die Konnotation „über". Dennoch bleibt festzuhalten, daß in beiden Fällen eine besondere Höhe umschrieben wird. 315 Es sollte dazu vermerkt werden, daß die Bezeichnung brrn nur hier gebraucht wird, ansonsten ist von oip, öipn, bzw. snp paa die Rede. 316 nana bezeichnet im Regelfall Wüsten- und Steppengebiete. Dennoch wird für diesen Vers häufiger die Übersetzung „Wolkenfahrer" bzw. „Wolkenreiter" gewählt. So u. a. MOWINCKEL, 68. Psalm, 26; KRAUS, Psalmen II, 633; DAHOOD, Psalms II, 136; SEYBOLD, Psalmen, 263. Der Kontext, d.h. insbesondere die vv8ff., legt es nahe, bei der Deutung „Wüste" oder „Steppe" zu bleiben. Dennoch muß man davon ausgehen, daß diesem Bild die kanaanäische Vorstellung von Baal als Gewittergott und Wolkenfahrer zugrunde liegt. Vgl. JEREMIAS, Theophanie, 186; ders., Königtum, 76; LORETZ, Ugarit, 75; WILLMES, Königtum Gottes, 113; SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 222 Anm. 490; PFEIFFER, Jahwes Kommen, 224. 317 Vgl. u.a. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 245; PFEIFFER, Jahwes Kommen, 235. Anders KRAUS (Psalmen II, 634), der den PN1», der inneralttestamentlich nur noch einmal in Jdc 9,48 genannt wird, mit dem Ebal bei Sichern identifiziert. 318 NIEHR weist berechtigter Weise auf eine Differenz zwischen P s 4 8 und 68 hin. Denn während in Ps 48,3 Zaphon und Zion identifiziert werden, stehen in Ps 68 der Götterberg Baschans und der Berg Jahs einander als Konkurrenten gegenüber. Dennoch macht auch 314
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B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
Mit v 2 0 setzen sich andere Motive durch. Der Vers beginnt mit dem Aufruf " i x ~p~o; die Begründung des Lobes wird in einer Beschreibung Gottes und seiner Taten sogleich angefugt. Verschiedene Gottesnamen werden dafür verwendet: D'n^x, "TN, bsn, bx und "nx mir. Dem schließen sich ab v22 die Darstellung der Siege Gottes über die Feinde und schließlich die Feier Gottes als König im Kult an (vv25-28) 3 1 9 . Daß dem Text des Psalms mit der Lobaufforderung in v 2 0 eine Wende gegeben wird, erfährt auch dadurch Unterstützung, daß sie noch zweimal, nämlich in v 2 7 und zum Schluß in v 3 6 wieder aufgenommen wird. 320 Beschreiben die vv2 -19 den Triumphzug Gottes zu seinem Thronsitz, so behandeln die folgenden seine königliche Herrschaft von verschiedenen Blickpunkten aus. Die Feststellung, daß Gott ewig auf seinem Berg wohnen wird, gewinnt auch im Aufbau des Psalms Gestalt. Nach dem Abschluß des Triumphzuges ziehen die Könige und Völker hinauf, um Gott zu ehren. Ps 68 schließt die Psalmengruppe ab, die mit Ps 65 beginnt. 321 Beide Texte vermitteln, was nicht durchgängig im Psalter der Fall ist: die klare Vorstellung von Zion als einem Berg, und doch verschwimmen in beiden Texten die Grenzen zwischen Berg und Heiligtum. Sie sprechen von Jhwh als einem vergebenden (Ps 65,4) und dem einzelnen in seiner Not zugewandten Gott (Ps 68,6) sowie von Gott als dem Regenspender, der trockenes Land fruchtbar macht. Gott wendet sich vom Zion aus der Welt zu (Ps 65,6), und die Welt und ihre Könige und Mächtigen kommen zu ihm, zu seinem Heiligtum (Ps 68,30). Beide Texte vereinen bruchlos Partikularität und Universalität des göttlichen Handelns. Dennoch zeigt sich gerade unter dieser Perspektive auch ein erheblicher Unterschied zwischen Ps 65 und Ps 68. Während Ps 65 das Handeln Gottes als Segen für die ganze Schöpfung beschreibt, gilt nach Ps 68 das Heilshandeln Gottes seinem Volk Israel. Der auf dem Zion thronende König, der siegreich Könige zerstreut, ist der Gott vom Sinai. In der Verbindung von heilsgeschichtlicher Theologie und Theologie des Königtums Gottes wird die universale Macht Gottes auf das Wohl seines Volkes zentriert. Damit bereitet Ps 68 zugleich die Zionspassage von Ps 69 vor. Die Verse behandeln die Ansiedlung der Knechte in Zion und den Städten Judas. Was Ps 68 beschreibt, die Sorge Gottes für das Land und seine Herrschaft von Zion aus, ist nun Grundlage für eine andere Rede von Zion, nämlich die Bitte um Hilfe und Fürsorge. Hier liegt kein Widerspruch vor. Der Beter kann auf verschiedenen Ps 68 sehr deutlich, aus welchem Kulturraum (dem auch Israel angehört) die aufgenommenen Traditionen stammen. Die Abgrenzung folgt der Identifizierung zeitlich und sachlich nach. 319 Vgl. zu einem komplexen Festgeschehen, das auch eine Ladeprozession einbezieht JEREMIAS, K ö n i g t u m , 156 f. 320
Im ersten Teil heißt es nur in v5 IDÖ NOT rrfrs 1 ? ITB. Vgl. dazu u. a. HOSSFELD, Davidsammlungen, 69; SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 238 ff.; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 256 f. 321
IV. Der eine Berg und die Berge
155
Ebenen von Zion sprechen und so den auf dem Zion thronenden Gott um Hilfe für Zion und die Gemeinde Israels bitten. Ps 68 gehört in seiner Endgestalt deutlich der nachexilischen Zeit an. 322 Der Rückgriff auf alte Traditionen ist gegeben 323 , doch werden sie zu einem Bild geordnet, das gerade in der Zusammenschau des Heils für Israel und der Verehrung Gottes durch die Völker an eschatologische Konzeptionen der Propheten erinnert. 324 2. Zion und Hermon Psalm 133 „Der Berg und die Berge": Ps 68 gibt unter dieser Perspektive bereits zwei Varianten der Verhältnisbestimmung von Zion und anderen Bergen zu erkennen. Daß es sich bei dem Sinai um einen Berg handelt, spielt in Ps 68 nur eine untergeordnete Rolle, erleichtert aber die theologische Verknüpfung. Die Berggottheit, die einen Bund mit dem Volk eingegangen ist, besteigt ihren Thron auf dem Zion. Übergeordnet ist der Aspekt, daß die Stationen der Heilsgeschichte des Volkes Israels zu Stationen der Thronbesteigung Gottes werden. „Der vom Sinai" und „der auf dem Zion" werden eins. Anders sieht dies beim Baschansberg aus. Er ist eigentlicher Konkurrent des Zion und wird in seiner Niederlage geradezu karikiert. Er blickt scheel auf den Berg, den Gott als Thronsitz begehrt. Alle Pracht und Hoheit haben ihm nicht geholfen. Wieder ein anderes Bild bietet Ps 133, der Zion und Hermon in Beziehung setzt. Psalm 133 1 Lied des Aufstiegs, von David Siehe, wie schön und wie lieblich, wenn Brüder zusammen wohnen. 2 Wie gutes Öl auf dem Haupt, das herabrinnt auf den Bart, auf den Bart Aarons, das herabrinnt über den Saum seines Gewandes 3 2 5 . 322 S.a. SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 237; PFEIFFER (Jahwes Kommen, 256f.) nimmt dies für den gesamten Psalm an. HOSSFELD/ZENGER sehen verschiedene Redaktionsschichten, von denen allein die jüngste, d. h. das Präludium, in nachexilische Zeit gehört (Psalmen II HThK, 250). S.a. TÄTE, Psalms II, 174. 323 JEREMIAS schätzt das verwendete Material als alt ein. Es weist seiner Ansicht nach ins Nordreich. Dies begründet schließlich auch seine Datierung des Textes (Königtum, 80ff.). S.a.
MOWINCKEL, 6 8 . P s a l m , 72. 324 Nach GUNKEL weist die Abhängigkeit von älteren Werken auf ein Zeitalter der Nachahmung hin. Die Übereinstimmungen insbesondere mit Deuterojesaja deuten deshalb in nachexilische Zeit (Psalmen, 286 f.). 325 Vgl. Boou (Psalm 133, 258 f.), der fragt, ob sich der Relativsatz vrvna "S"^ tatsächlich
156
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
3 Wie der Tau des Hermon, der herabfällt auf die Berge Zions. Ja, dort hat befohlen Jhwh den Segen, Leben bis in Ewigkeit.
Der Psalm setzt ein mit einem Aufmerksamkeit fordernden Ruf - narr. Einer weisheitlichen Sentenz gleich lobt er das Zusammenleben von Brüdern. Damit ist auch das Thema des Psalms genannt. Doch in welchen Kontext gehört dieses Bild? Gern wird auf Dtn 25,5 verwiesen, das Zusammenleben von verheirateten Brüdern mit ihren Familien. 326 Ein weiterer Vorschlag faßt die Wiedervereinigung von Nord- und Südreich ins Auge. 327 Beide Erklärungsversuche passen aber wenig zu den folgenden Vergleichen und auch nicht zum näheren Kontext des Psalms. Mag das Bild des ersten Verses also tatsächlich aus der Welt der Familie entnommen sein, so wird es in Ps 133 in einen neuen Kontext gestellt. Erste Hinweise bietet bereits die Terminologie von Ps 133,1. atö" kann nicht nur für das Wohnen in Häusern (vgl. Dtn 19,1), Städten (vgl. Gen 13,12; Ps 69,36) oder auch im Land (vgl. Gen 37,1; Ps68,10f.) gebraucht werden, sondern auch für das Verweilen im Tempel: „ Wohl denen, die in deinem Hause wohnen, sie werden dich loben immerdar. " (Ps 84,5; vgl. Ps 27,4). ist nicht auf die Blutsverwandtschaft begrenzt, sondern bezeichnet auch die Glaubensbrüder (Ps 122,8)328. Unterstützung findet diese Annahme durch den Kontext. 329 In Ps 134,1 sind es die ci3U, die den Herrn preisen. Der Ausdruck „Knechte Jhwhs " steht mehr für die vertikale Blickrichtung, den Stand des einzelnen vor Gott. In Ps 133,1 ist jedoch der horizontalen Ebene Ausdruck verliehen, der Verbindung der Jhwh Zugehörigen untereinander.
auf den Bart Aarons bezieht oder nicht vielmehr zurückverweist auf das Öl, über die Worte •inx ipt hinweg. Er fuhrt zur Begründung u. a. an, daß der wallende Bart nicht in entsprechender Weise für den Vergleich herangezogen werden kann wie das Öl. „If it was . . a beard ,Coming down' was not ,good' and ,pleasant' as the ,good oil' or the ,dew od Hermon' would be" (ebd., 259). Er entspricht mit der daraus folgenden Übersetzung der LXX. Die Wiederholung des ]pi mit einem nomen rectum hat hingegen eine Analogie in Ps 122,4. S. a. bereits TSUMURA, Sorites, 416 f. Anders WATSON (Hidden Simile, 108 f.). Seiner Ansicht nach ist mit dem Bart Aarons ein weiterer Vergleich eingebracht, und v 1 wird durch drei Vergleiche ausgelegt. 326
So u . a . H. SCHMIDT, P s a l m e n , 2 3 6 ; GUNKEL, P s a l m e n , 570; KRAUS, P s a l m e n II, 1068; SEYBOLD, P s a l m e n , 5 0 0 . 327
Vgl. BERLIN, Interpretation, 142 f. Dem schließt sich CROW an, auch wenn er die kultische Interpretation nicht ganz von der Hand weisen möchte (Songs, 110 ff.). NORIN hat ebenfalls die Vereinigung von Nord und Süd im Blick, aber auf der Ebene des Kultes: „Psalm 133 schlägt eine Brücke zwischen dem nordisraelitischen Kult mit dem aaronitischen Priestertum und dem südlichen Zionskult" (Ps 133, 93). 328 Vgl. auch KEEL, Brüderlichkeit, 77. 329 H. SCHMIDT, der das bäuerlich familiäre Gemeinschaftsleben im Hintergrund sieht, schreibt dazu: „So verstanden hebt sich dieses Gedicht dadurch von seiner Umgebung ab, daß es gar keine Beziehung zum Kultus, überhaupt nicht eigentlich zur Religion hat" (Psalmen, 237).
IV. Der eine Berg und die Berge
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Geht man davon aus, daß v 1 von einer Kultgemeinschaft spricht, so fügen sich auch die beiden folgenden Vergleiche in das Bild ein. 330 Öl, eine wertvolle und auch im Kult eingesetzte Substanz, fließt vom Kopf auf den Bart, den Bart Aarons. Gerade im Zusammenhang mit dem Namen Aaron werden Assoziationen an die Priesterweihe geweckt (vgl. Ex 29,7; Lev 8,12). 331 Dennoch ist zu bezweifeln, daß es hier allein um diesen konkreten Akt geht. Besonders auffällig für den Vergleich ist nämlich das mehrfache Vorkommen der Wurzel I T . Das Öl verteilt sich vom Kopf über den Bart bis zum Saum des Gewandes 332 , es hüllt die Person ein. Und als mo p o verströmt es einen guten Duft. 333 Der liebliche Duft, der die ganze Person umströmt, ist es, der den Vergleich für die zusammenwohnenden Brüder trägt. Dieser Duft steigt auf als ein Wohlgeruch zu Jhwh, wie nach Ps 134 der Lobpreis der Knechte an ihn gerichtet ist. Einen Vergleich mit dem Duft des Öls stellt auch Prov 27,9 an. In Hld 1,3 geht es nicht nur um den Duft des Öls 334 , sondern auch um den Namen des Geliebten, der mit ausgeschüttetem Öl verglichen wird, ein Bild der Sanftheit und des Überflusses. 335 In diesem Kontext gewinnt der Gebrauch des Motivs in Ps 133 Kontur. I T wird auch im zweiten Vergleich noch einmal verwendet. Der Tau des Hermon fällt herab auf die Berge Zions. Dieser Vergleich hat noch mehr Fragen aufgeworfen als der erste. Einigen erscheint die große räumliche Distanz zwischen Hermon und Zion so problematisch, daß eine Änderung des Masoretischen Textes von ]V2i zu jri? - einer Stadt am Fuße des Hermon - durchgeführt wird. 336 Doch 330 BERLIN schreibt: „In what sense do any of the associations with ,oil' relate to v. 1? Various scholars have exercised their ingenuity in making a connection, but it is unnecessary, if not harmful, to a correct understanding of the poem". Sie geht davon aus, daß die beiden Vergleiche aufeinander bezogen sind und nicht zur Erklärung von v 1 herangezogen werden sollten. Dabei läßt sie sich jedoch weniger von grammatischen oder strukturellen Erwägungen leiten, sondern eher von der Skepsis, daß ,„dwelling in unity' is like ,good oil' and like ,dew of Hermon'" keinen Sinn macht (Interpretaion, 144). 331 Vgl. DAHOOD, Psalms III, 251. Vgl. auch Sir 50,12: oxecpavos abeXtpcöv. Der Hohepriester wird als Krone seiner Brüder bezeichnet. ZENGER verweist auf die mit dem Bild Aarons heraufbeschworenen Anklänge an den aaronitischen Segen (Segen, 174; ders., Gottesnähe, 109 f. Anm. 62). RÖSEL deutet die Zusammenstellung von Ps 132 und 133 dahingehend, daß mittels Ps 133 Salbungsvorstellungen für den Hohepriester auf die Lesart von Ps 132 übertragen werden (Messianische Redaktion, 204). 332 Zum Verhältnis von Bart und Gewandsaum, bzw. Halsausschnitt des Gewandes vgl. ausfuhrlich KEEL, Brüderlichkeit, 73 ff. 333 Vgl. dazu auch ZENGER, Segen, 181. Er betont hier zudem, daß der kultische Aspekt, da es sich um wohlriechendes Öl handelt, ausgeschlossen sei. Doch Hinweise auf die Zubereitung des Salböls in Ex 25,6 oder 30,22-25 deuten zumindest an, daß auch das Salböl einen Wohlgeruch verströmte. S.a. ders. Gottesmetaphorik, 619. 334 Vgl. auch Hld 4,10. 335 So nach der Übersetzung der LXX. Vgl. auch MÜLLER, Hoheslied, 12. POPE schlägt hingegen vor, die Form p n n als nähere Bezeichnung des Öls - „trq is a term for the type of high grade cosmetic oil" (Song, 300) - zu verstehen, übersetzt es selbst aber nicht. Vgl. auch ZENGER, Segen, 180 f. 336 Vgl. GUNKEL, Psalmen, 571; SEYBOLD, Psalmen, 501; KRAUS, Psalmen II, 1067 (er übersetzt mit „dürres Bergland); ZENGER, Segen, 179.
158
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
welchen Sinn hat ein solcher Eingriff in den Text, der noch weniger verständlich erscheint, wenn man auf v3ayb blickt. „Was soll denn das enthusiastische «Ja, dorthin hat Jahwe den Segen entboten in Ewigkeit», wenn mit dem «dort» die sonst nie genannten «Berge von Ijon» oder irgendein dürres Bergland (warum ist es trotz des Segens noch dürr?) angesprochen sein sollen?" 337 Die zweite Frage betrifft den Plural , - nn. 3 3 8 Er wird noch einmal in Ps 87,1 gebraucht, und auch Ps 121,1 gehört wohl in diesen Zusammenhang. Norin versucht die Frage grammatisch zu lösen, indem er mit veränderter Vokalisation die Form als einen Singular mit hireq compaginis einstuft. 339 Eine befriedigende Erklärung wird sich kaum finden lassen. Doch da der Beleg in Ps 133 nicht der einzige innerhalb der Psalmen ist, kann man vielleicht von einer poetischen Form, die der Majestät Zions Ausdruck verleiht, sprechen. In jedem Fall stehen an keiner der Stellen die Berge mit dem einen Berg Zion in Konkurrenz. Der Vergleich in v3, der Tau des Hermon, der auf die Berge Zions fallt, verbildlicht Segen. 340 Der Tau vermittelt Feuchtigkeit und somit Fruchtbarkeit. Dabei ist es wichtig zu beachten, daß es in diesem Teil des Verses weniger darum geht, von wo der Tau ausgeht. Daß der Tau vom höheren Hermon auf den kleineren Zion fallt, ist eine rein an topographischen Gesichtspunkten orientierte Verhältnisbestimmung. 341 Wie im ersten Vergleich ist der Vorgang der Bewegung und Verteilung wichtiger. 342
337
KEEL, B r ü d e r l i c h k e i t , 76 f.
33» pjj r p O W E R i s t (j e r Plural der Ausgangspunkt, nach einer Alternative für ]Vü zu suchen. Seiner Ansicht nach ist hier ]vö zu lesen, das in leicht abgewandelter Form (¡¡cö) in Dtn 4,48 genannt wird und eine nördliche Gebirgskette bezeichnet (Sion, 346 f.). 339 Vgl. NORIN, Ps 133, 92. In diesem Punkt schließt sich auch CROW an NORIN an (Songs, 108). In 1 lQPs a ist der Singular gebraucht. 340 DALMAN (Arbeit 1,1, 95 f.) betrachtet v 3 a a ß als metaphorische Rede für den Segen Gottes, der auf Jerusalem fallt. Diese Deutung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch ist zu beachten, daß der zweite Vergleich mit dem ersten Vergleich vor allem das TT gemeinsam hat. Und erst mit v3ayb wird die Ebene des Vergleichs durchbrochen. Vgl. auch ZENGER (Segen, 175), der mit Blick auf verschiedene alttestamentliche Textstellen, in denen der Tau zum Vergleich herangezogen wird, betont, daß es auf die Wirkung des Taus ankommt, die lebensforderlich ist. Der Tau selbst ist nicht mehr als Tau. Zudem betont ZENGER, anders als DALMAN, den Zion als Ort des Segens (Gottesmetaphorik, 619). 341 GUNKEL überträgt dieses Bild dennoch: „Sie sollen also darstellen, wie lieblich es ist, wenn der besitzende Teil dem ärmeren, der neben ihm wohnt, von seinem Überfluß mitteilt" (Psalmen, 571). CROW sieht in der Nennung der beiden die Vereinigung von Nord und Süd in Jerusalem (Songs, 116). 342 Vgl. dazu auch BERLIN (Interpretation, 145). Sie setzt die beiden Bilder vom herabfließenden Öl und Tau so zueinander in Beziehung, daß sie sagen kann, daß das Land geheiligt wird, wie auch zuvor der Priester. So bestechend dies auch klingt, es bleibt bei ihrer Analyse jedoch das Problem, daß sie v 1 nicht einbinden kann und das Hauptaugenmerk auf den zwei Vergleichen liegt. Hinzu kommt, daß die Verheißung „Leben bis in Ewigkeit" sich nicht auf das Land, sondern auf Menschen bezieht, auf die Gemeinschaft der Brüder.
IV. Der eine Berg und die Berge
159
So ist noch einmal auf die Wurzel zurückzukommen, deren Bedeutung für das Gesamtgedicht noch nicht ausreichend zum Tragen gekommen ist. Die Wallfahrtslieder sind angeordnet als eine Bewegung auf den Zion und das Heiligtum zu. Sie ist als eine Aufwärtsbewegung gestaltet, wie sie auch in m^aa ausgedrückt ist. Die Texte formulieren auch die „Gegenbewegung", den von Zion ausgehenden Segen. In Ps 133 ist es die kultische Brüderlichkeit, von der in Vergleichen gezeigt wird, daß auch sie Wirkung entfaltet, daß auch sie Kreise zieht, herabfließt wie Öl oder der Tau des Hermon. 343 Erst in v 3ayb kommen die Vergleiche zum Ziel. Zion wird aus der Redeweise des Vergleichs herausgenommen. Durch die Partikel DD wird Zion als der Ort genannt, an dem der Segen Gottes wirkt. 344 Damit ist allerdings noch nicht alles gesagt. Der zweite Vergleich (der herabfallende Tau) ist mit dem zweiten Kolon von v 3 abgeschlossen. Was folgt, greift nicht nur über Dtö auf den Zion zurück, sondern auch auf v 1. Die enge Verbindung der beiden Vergleiche manifestiert sich im dreifachen "rr, wovon die erste und die letzte Zeile des Psalms ausgeschlossen sind. Dem run in v 1 entspricht hingegen das emphatische "3 in v3ayb. 345 Der von Zion ausgehende Segen 346 liegt, und damit schließt sich der Kreis 347 , auch auf der Gemeinschaft der Brüder und verheißt ihnen Leben bis in Ewigkeit. 348 v 1 Lob der Gemeinschaft von Brüdern v 2 erster Vergleich (Öl) v 3 a a ß zweiter Vergleich (Tau) v 3 a y b Segen und langes Leben
w o Brüder z u s a m m e n leben, dort (Zion) ist Segen und Leben bis in Ewigkeit
Bei Ps 133 von einem Zionslied 349 oder einem Lobpreis des Zion zu sprechen, ist schwierig, denn das Thema ist die brüderliche Gemeinschaft. Doch es handelt sich um eine eng an Zion gebundene und dort lokalisierte Gemeinschaft, wie sie schließlich in Ps 134 im Heiligtum zum Lobpreis Gottes versammelt ist. Ps 133 gibt für Datierungsfragen wenig Anhaltspunkte. Da kein Bezug auf die Vereinigung von Nord- und Südreich in der Bildwelt des Textes gegeben ist, hilft diese Annahme nicht weiter. 350 Erst „Zion" erklärt das Bild des Zusammen343
Vgl. auch ZENGER, Segen, 175. Auch in Ps 132,17 verweist Dö zurück auf Zion. 345 Vgl. dazu auch KEEL, Brüderlichkeit, 80. Darüber hinaus verweisen ALLEN (Psalms III, 214) und auch AUFFRET (Essai, 31) auf ein Wortspiel mit crnx und C"n. S.a. KRAUS, Psalmen II, 1 0 6 9 . 346 Vgl. Ps 128,5; 134,3. 347 „Sion apparait comme l'alpha et l'omega de ce cycle des bienfaits divins" (AUFFRET, Essai, 29). 348 Vgl. auch MITCHELL, Meaning of BRK, 75 f. S. a. Lev 25,21; Dtn 28,8. Beide Texte verwenden die nicht sehr häufige Wendung rD"a;vnx ms, die große Fruchtbarkeit im Zusammenhang mit dem Land verheißt. 344
349
S o u . a . ALLEN, P s a l m s III, 215.
350
Anders NORIN (Ps 133, 94), der auf die Zeit Hiskias unter Berücksichtigung von
160
B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
wohnens von Brüdern, denn es geht hierbei nicht um friedvoll miteinander lebende Geschwister, sondern um das Wohnen im Hause Gottes (vgl. Ps 65,5; 84,5). Diese Perspektive sowie die Einschätzung des Alters der Ps 65 und 84 lassen darauf schließen, daß Ps 133 das Wohnen von Brüdern am zweiten Tempel besingt.
V. Zusammenfassung Gott ist gegenwärtig in seinem Heiligtum auf dem Zion. Dies bekennen die unter der entsprechenden Überschrift betrachteten Texte auf je eigene Weise. Zu dem Gott zieht es den Beter, als einzelnen und in der Gruppe der Pilger. Die Texte besingen Jhwh und machen zugleich Aussagen über den Beter und Pilger. Er will sich Gott nähern, in seiner Gegenwart verweilen, befreit von Schuld. Er will in der Gemeinschaft von Brüdern den Segen Gottes erfahren. Orientierung bietet dem Beter der Zion. Die Pilgerwege, die ein Beter dazu beschreitet, beginnen in seinem Herzen. Es sind zuerst Wege des Vertrauens auf den Gott zu Zion. Sie münden in die Wallfahrt, dem physischen Sich-auf-GottZubewegen. Zion ist geistiges, geistliches und real faßbares Ziel 351 sowie Mittler der Begegnung zwischen Gott und Beter. Ollenburger hebt in der Einleitung seiner Untersuchung zu Zion die normativ geistige Qualität Zions hervor 352 ; doch gehört zu Zion unabdingbar auch die Möglichkeit, ihn mit allen Sinnen wahrzunehmen. Wenn der Beter diejenigen preist, die in den Vorhöfen des Hauses Gottes leben dürfen, dann ist dies nicht nur eine Umschreibung frommen und glücklichen Lebens, ohne konkreten Vollzug. Die Wallfahrer, die sich auf den Weg zum Hause Gottes machen, werden schließlich selbst im Heiligtum die Hände erheben (Ps 134). So verweist die Textsammlung der Wallfahrtslieder bereits in ihrem Aufbau auf das Ziel, die Anbetung Gottes. Als Wallfahrtslieder verbinden die Texte, was zusammengehört, das Beschreiten der Pilgerwege im Herzen - Peregrinatio als Existenzform - und das Beschreiten der konkreten Pilgerwege zum Zion. Die redaktionelle Bearbeitung von Ps 14 zeigt die Bedeutsamkeit der irdischen Verankerung und damit auch der Möglichkeit sinnlicher Wahrnehmung der Gegenwart Gottes. Nach v 2 befindet sich Gott im Himmel. Er schaut herab Cötio und fallt sein Urteil über die Menschen. Die redaktionelle Anfügung von v 7 hebt diese Distanz auf und verheißt, daß vom Zion Heil für Israel Jakob/Israel II Chr 30,1 ff", datiert. GUNKEL geht sogar noch weiter zurück und zwar ins Nordreich vor Untergang des Staates (Psalmen, 571). 351 KEEL schreibt in Bezug auf das biblische Weltbild: „Es findet eine ständige Osmose zwischen Tatsächlichem und Symbolischem, und umgekehrt auch zwischen Symbolischem und Tatsächlichem statt." Diese Aussage trifft ebenso auf die Wahrnehmung Zions zu. 352
V g l . OLLENBURGER, Z i o n , 2 0 .
V. Zusammenfassung
161
ausgehen wird.353 Ps 14 vermag im Nebeneinander von himmlischer und irdischer Präsenz Gottes zu zeigen, wie der Topos Zion diese Ebenen miteinander verbindet. Gottes Gegenwart auf dem Zion ist beides, irdischer und himmlischer Art. In dem Koordinatensystem, das durch die Präpositionen 3 und ]0 und die Lokaladverbien DB und ns erstellt wird, präsentiert sich Zion als das Zentrum einer sakralen Topographie. Auch von ferne, sei es die innerliche Ferne oder die räumliche der Diaspora, weiß der Beter, wohin er sich orientieren kann. Doch nicht nur die Ausrichtung auf das Zentrum ist von Bedeutung, sondern auch die Strahlkraft Zions nach außen. Segen geht aus von Zion, erfüllt das Land und seine Bewohner. Die Bewegungen zum Zion hin und vom Zion her bedingen einander. Davon spricht Ps 84, indem er die blühenden Landschaften beschreibt, die sich demjenigen auftun, der Pilgerwege beschreitet. Aber auch die Wallfahrtslieder zeigen dies. Die Ps 120-134, die den Pilger zum Gottesdienst auf dem Zion leiten, nennen so häufig wie sonst keine Textgruppe des Psalters den von Zion ausgehenden Segen. Ps 132 spricht von der Gegenwart Gottes auf dem Zion aus einer deutlich anderen Perspektive. Er stellt die Erwählung des Zion zum Wohnort Gottes in den Kontext der Königsherrschaft der Davididen. Dabei steht der Duktus des Psalms dem Erzählverlauf der Samuelbücher entgegen. Jhwh erwählt den Ort, an dem er wohnen will, und die Herrschaft der Davididen wird, sofern sie den Bund bewahren (Ps 132,12), in Analogie zu Zion Bestand haben. In Ps 132 partizipiert die Hoffnung auf eine davidische Dynastie an der Erwählung des Zion durch Jhwh. Doch Zion vermag weitere urspünglich unabhängige Traditionsbereiche miteinander zu verknüpfen. Nach Ps 68 zieht „Der vom Sinai" zum Zion und nimmt dort seinen Thron ein. Befreiung aus Ägypten, Theophanie auf dem Sinai und Landgabe - diese Heilstaten haben ihren Urheber in dem auf dem Zion gegenwärtigen Gott, mögen die Traditionen auch unterschiedlichen Ursprungs sein. Ps 68 trägt heilsgeschichtliche Ereignisse an den Zion heran. Ps 65 verbindet durch den Topos Zion Schöpfungs- und Sühnetheologie miteinander. Es ist zwar vor allem der eine Gott, dem Chaosbewältigung und Schöpfungsbewahrung genauso zugeschrieben werden können wie Sündenvergebung. Dennoch spielt auch hier der Ortsbezug eine eminent wichtige Rolle. Im Heiligtum auf dem Zion erfahrt der Beter Sühne und Gottesdienstgemeinschaft. Zudem ist der Zion 353 In Ps 20 verläuft die Zuordnung des von Zion ausgehenden Heils und des im Himmel thronenden Gottes aus redaktionskritischer Sicht in umgekehrter Richtung. In der ersten Strophe steht das von Zion ausgehende Heil im Zentrum, geht es um geglückten Opferdienst und erfülltes Gebet (Ps 20,2-6). Erst mit v 7 wird nachträglich auf das Thronen Gottes im Himmel verwiesen (vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen I NEB, 136). Damit verknüpft die Redaktion die Fürbitte für den König mit Ps 2, der ebenfalls vom Thronen Gottes spricht. Vermutlich ist in diesem Zusammenhang auch v6b eingefügt worden, denn auch dieser verweist auf Ps 2, wo der König nach v 8 ausdrücklich dazu aufgefordert wird zu bitten.
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B. Gott in seinem Heiligtum auf dem Zion
Herrschaftssitz des die Chaoswasser beherrschenden Königs. Durch den Topos Zion vermag der Psalmist integrative Prozesse einzuleiten, kann den Weltenherrscher auf dem Zion und den sühnenden Gott in seinem Tempel miteinander verbinden. Obwohl die Texte viel über Zion sagen, sind die Vorstellungen nicht kohärent. Zion ist dort, wo sich das Heiligtum befindet und wo Gott gegenwärtig ist. Doch Zion ist auch der nicht wankende, auf ewig bestehende Berg (Ps 125,1) und die Stadt, die ihre Bewohnernährt und schützt (u.a. Ps 48,3 f.; 132,15). Gerade darin liegt aber die Stärke des Topos Zion. Er ist sichtbarer Berg und sichtbarer Tempel und dennoch transzendente Größe. Das integrative Potential des Topos Zion ermöglicht es dem Psalmisten, Aussagen über das Heiligtum, die Stadt oder das Königtum zu formulieren, die der Erfahrung Israels zu widersprechen scheinen. Das Heiligtum kann zerstört werden ebenso wie eine königliche Dynastie, der heilige Berg Gottes jedoch nicht. Er wankt nicht. Der Rückgriff auf Zion macht Beständigkeits- und Vertrauensaussagen dort möglich, wo sie grundlos anmuten. Auf dem Zion thront Gott, hier findet Israel Hilfe und die Herrschaft der Davididen ihre Zukunft.
C. Zion in mythischer1 Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen Utopie Die Zeitspanne, die mit der Überschrift angedeutet wird, ist erheblich. Sie ist als Charakterisierung der Rede von Zion nicht unmittelbar einsichtig, da über Zion kaum zeitlich fixierbare oder gar temporal konnotierte mythische Aussagen gemacht werden. Begriffe wie m p und c^ifi sind im Kontext von Zionaussagen in den Psalmen eher selten. 2 Welche Hinweise aber geben die Texte, daß es tatsächlich zu rechtfertigen ist, von „mythischen Vorstellungen" 3 zu sprechen? Mit Blick auf diese Frage sind in erster Linie die Ps 46 und 48 zu untersuchen, die in der Forschung gemeinhin als Texte der vorexilischen Zeit gelten. Die Psalmen wissen nicht nur von der Gründung Zions zu berichten, sondern auch von der Zukunft, die darauf aufbauen kann. Diese Zukunft ist gekoppelt an den Vorstellungskomplex der Herrschaft des von Gott eingesetzten Königs auf dem Zion, untrennbar vom Gott-Königtum Jhwhs (vgl. Ps 2; 99; 110). Der Blick auf Zion in diesen Texten lädt dazu ein, diesen Vorstellungskomplex auf verschiedenen Ebenen zu betrachten. Zion ist auf der vertikalen Achse ebenso Fußschemel Gottes wie Herrschaftssitz des von ihm eingesetzten Herrschers. Auf der horizontalen Ebene ist Zion Machtzentrum des inmitten seines Volkes thronenden und über die Völker regierenden Sohnes. Ist Zion nach den Wallfahrtsliedern Ausgangspunkt göttlichen Segens, präsentiert sich in den Ps 2 und 1 IRSIGLER stellt in seinem Aufsatz „Vom M y t h o s zur Bildsprache" Grunddaten z u s a m m e n , die trotz der komplexen Diskussion u m das T h e m a M y t h o s und einer Vielzahl von Definitionsversuchen einen gewissen Konsens darstellen. Herausstreichen möchte ich für diesen Z u s a m m e n h a n g allein folgenden Aspekt der Gattung Mythos, den er mit Rückgriff auf H.P. MÜLLER (Mythos als Elemantarform, 217) benennt: „Die Handlungszeit des M y t h o s liegt außerhalb oder jenseits der als geschichtlich oder alltäglich begriffenen Menschen-Zeit, in einer ,Urzeitlichkeit', einer Vorzeit oder einer „prototypische(n) Zeit, in der eine gegenwärtige Existenz begründet w i r d " " (ebd., 14). Zu seiner Funktion ist a n z u f ü g e n , daß er „die gegenwärtige Wirklichkeit stiftet, begründet, legitimiert oder deutet" (ebd., 14). N u n handelt es sich bei „ Z i o n " nicht um einen ausgearbeiteten Mythos, sondern allenfalls u m ein mythisches Motiv und dies auch nur in sehr begrenzten R a h m e n , da Zion nicht nur jenseits der „ M e n s c h e n - Z e i t " besteht, sondern auch in der Erfahrungswirklichkeit zu finden ist. A u f der Ebene der Definition IRSIGLERS in bezug auf die Handlungszeit werden Ps 46 und 48 nach den mit Zion verbundenen mythischen Vorstellungen befragt und ihre Funktion für die Texte beschrieben. 2 m p ist im Kontext einer Zionaussage nur in Ps 74,2 zu finden und auch hier ist es kein Attribut Zions, sondern der Gemeinde. Der Ausdruck c^io hat Relevanz für Zion u . a . in Ps 48,9
und 3
133,3.
So u . a . W.H.SCHMIDT, Glaube, 293.
164
C. Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
Utopie
110 die von Zion ausgehende Macht des Königs. Daß seine Herrschaft dennoch nicht als utopische Idee verstanden wurde, sondern als konkrete Hoffnung, verdeutlichen die Positionen von Ps 2 und 110 im Psalter. Schließlich muß in diesem Zusammenhang die Ebene der Zeit in der Konstellation von Gottkönigtum, Königtum und der Geschichte Gottes mit seinem Volk bedacht werden. Daß Zion sich mit mythischen Idealen und eschatologischen Hoffnungen verbindet, prägt auch die „utopische" Idee von der Herrschaft des Königs auf Zion über alle Völker.
I. Die Gottesstadt Die Ps 48 und 46 thematisieren die Gottesstadt. Jhwh hat sie gegründet, und sie besteht in Ewigkeit. Den beiden Psalmen kommt bereits aufgrund des Inhaltes eine Sonderstellung innerhalb des Psalters zu. DTI^K ~"J ist, von Ps 87 abgesehen, kein Thema des Psalters und auch in den übrigen Schriften des Alten Testaments wenig belegt. Dieser Sachverhalt hat vielfaltige Erklärungsversuche erfahren. Sie orientieren sich entweder an dem Trauma Israels und schließen, daß eine Rede von der Gottesstadt, großartig und uneinnehmbar, nach 586 v.Chr. nicht mehr möglich gewesen ist4, oder sie deuten das Lob der Gottesstadt in eschatologischem Horizont.5 Die Sicht auf die Stadt, in der Gott gegenwärtig ist und herrscht, scheint nach Meinung der meisten Forscher durch die Härte der Gegenwart verstellt, so daß dem Beter nur noch Rückblick oder Hoffnung bleiben. Wie verhalten sich mythisches und geschichtliches Reden von Zion und Jerusalem zueinander? Wie werden Gottesberg und Gottesstadt miteinander verbunden? Ps 48 identifiziert die Gottesstadt mit Zion, ohne jedoch das Bergmotiv aufzugeben, Ps 46 nennt die Gottesstadt, ohne aber Zion oder gar Jerusalem zu nennen. Und schließlich: Kann angesichts der Beleglage überhaupt von der Gottesstadt als einem wichtigen Element der Psalmentheologie gesprochen werden6, da sich doch theologische Bedenken in der Überarbeitung der betreffenden Psalmen selbst manifestieren? Das Verhältnis von Zion und Gottesstadt, bzw. die Bedeutung von Zion als Gottesstadt stehen im Zentrum der folgenden Analysen. 4
Vgl. SCHARBERT, Umfeld, 304. Vgl. GUNKEL, Psalmen, 205; ZAPFF nimmt diesbezüglich eine Sonderstellung ein, indem er die Stadt auf die Gemeinde deutet (Feste Burg, 89). 6 Die betreffenden Psalmen gehören der Gruppe der Korachpsalmen an (Ps 42^19.8485.87-88). Da sich die Nennung der Gottesstadt mit den Ps 46.48.87 auf diese Sammlung beschränkt, könnte die oben formulierte Frage auch auf die Zionstheologie der Korachiten begrenzt gestellt werden. Doch eine solche Einschränkung hilft in diesem Kontext wenig weiter, denn es geht auch um eine Verhältnisbestimmung dieser Texte zu anderen Zionbelegen und um die Ausdrucksmöglichkeiten, die der Topos Zion den Psalmisten zur Verfugung stellt. Zu den Korachpsalmen vgl. aber VAN OORSCHOT, deus praesens, 417 ff. 5
/. Die 1. „Der
165
Gottesstadt
Berg Zion,
äußerster
Norden
"
Psalm 48 Ps 4 8 gilt als K e r n t e x t der Z i o n s t h e o l o g i e . Im U n t e r s c h i e d zu vielen a n d e r e n Texten w i r d g e g e n seine K a t e g o r i s i e r u n g als Z i o n s p s a l m kein
Widerspruch
erhoben.7 Psalm 4 8 1 Ein Lied, ein Psalm der Söhne Korachs 2 Groß ist Jhwh und sehr zu loben in der Stadt unseres Gottes 8 sein heiliger Berg; 3 (ist) ein schöner Gipfel, Freude der ganzen Erde; der Berg Zion, äußerster N o r d e n Stadt des großen Königs. 4 Gott ist in ihren Palästen, er hat sich erwiesen als Schutz. 5 Denn sieh, Könige zeigten sich, zogen heran gemeinsam. 6 Sie haben gesehen, also haben sie gestaunt, sind erschreckt worden, flohen ängstlich. 7 Beben erfaßte sie dort, Schmerzen wie die Gebärende. 8 Im Ostwind zerschmetterst du die Tarsisschiffe. 9 Wie wir es gehört haben, so haben wir es gesehen, in der Stadt von Jhwh-Zebaoth, in der Stadt unseres Gottes. Gott gründet sie fest bis in Ewigkeit. Sela 10 Wir gedenken, Gott, deiner Güte; inmitten deines Tempels. 11 Wie dein Name, Gott, so dein Ruhm bis an die Enden der Erde; von Gerechtigkeit voll ist deine Rechte. 12 Es freut sich der Berg Zion, es jauchzen die Töchter Judas wegen deiner Gerichte.
1
S o u . a . GUNKEL, P s a l m e n , 2 0 5 ; MOWINCKEL, P s a l m e n s t u d i e n II, 6 1 ; SCHREINER, Sion,
227; KRAUS, Psalmen I, 511; CRAIGIE, Psalms I, 352. Sie sprechen dabei nicht nur von seinem Inhalt, sondern von der Gattung Zionslied. SPIECKERMANN hingegen betont zu recht, daß es sich bei der Bezeichnung Zionslied nicht um eine Gattungszuweisung handeln kann, „da die Texte keine formale differentia specifica aufweisen" (Heilsgegenwart, 195). 8 Das Versende liegt vermutlich bereits hier vor, denn iBnp~nn ist das Subjekt für die in v 3 genannten Attribute.
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C. Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
Utopie
13 Umkreist Zion und umschreitet ihn (f.sg.), zählt seine (f.sg.) Türme. 14 Richtet euer Herz aus auf seine (f.sg.) Festungsmauer, durchwandelt seine (f.sg.) Paläste, damit ihr erzählen könnt einem zukünftigen Geschlecht. 15 Denn so ist Gott, unser Gott auf immer und ewig; er selbst wird uns leiten in Ewigkeit.9
Der Grundpsalm von Ps 48 besteht aus drei Strophen, die jeweils einen thematischen Schwerpunkt haben, dabei aber inhaltlich aufeinander aufbauen. Eine vierte Strophe, die vv 10-12, ist sekundär eingefügt worden. 10 Da es sich jedoch mehr um die inhaltlich theologische Perspektive dieser Strophe handelt, die zu diesem Schluß führt, als um strukturelle Abweichungen, soll näheres dazu im Anschluß an die Analyse des Grundpsalms gesagt werden. Weitere Bearbeitungen des Textes sind zu beobachten. Der Zug der Könige und ihre Reaktion beim Anblick der Stadt (vv 5-7) sind mit Perfekten formuliert. Sie zeigen auf, daß alles Berichtete der Vergangenheit angehört, Erinnerung ist. In v 8 bricht diese Kette durch den Gebrauch des Imperfekts ab. Jhwh wird hier direkt angesprochen. Auch enthält der Vers ein Motiv, das wenig in den Kontext passen will. So ist zu bedenken, daß die Könige (vv5-7) nicht angegriffen werden. Sie fliehen bereits, als sie der Macht Gottes gewahr werden. Anders sieht es in v 8 aus, wo Gott, Beherrscher auch des Windes, aktiv und zerstörend eingreift, 9 nTO'^u ist an dieser Stelle ausgesprochen schwer verständlich. Die LXX korrigiert den Text in elg toxig aitovag. Möglicherweise handelt es sich hier auch um eine redaktionelle Uberleitung auf Ps 49 (vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen I NEB, 296) oder um eine Anweisung zur Vortragsweise (so SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 187). 10 Eine Einteilung des Psalms in vier Strophen mit der Abgrenzung, wie sie oben gezeigt ist, d.h. Strophe I (vv2^1), Strophe II (vv5-9), Strophe III (vv 10-12) und Strophe IV (vv 13-15) vertritt u.a. SCHARBERT, Umfeld, 302. Häufig wird allerdings v9 der dritten Strophe zugezählt, da v 9 und den vv 10-12 die „Wir" gemeinsam sind. Inhaltlich ist er jedoch deutlich davon zu unterscheiden, da er sich rückbezieht auf das zuvor Geschilderte. Dennoch nehmen u. a. SCHREINER (Sion, 231) und KRAUS (Psalmen I, 512 f.) diese Zuordnung vor. WEBERS Einteilung weicht grundsätzlich davon ab. Er arbeitet vier Hauptstanzen heraus: I (vv2-4); II (vv5-8); III ( v v 9 - l 1); IV (vv 12-14), denen v 15 evtl. erst später hinzugefügt wurde (Werkbuch I, 219ff.). Dabei kommt es zu einer Schwerpunktverlagerung innerhalb der einzelnen Strophen. In der dritten Strophe ist nicht allein von der Gerechtigkeit Gottes und dem Lobpreis im Tempel die Rede. Mit v 9 wird der Gedanke an den Schutz, den die Stadt durch Jhwh erhält, aufgenommen und „theologisch mit JHWH in Zusammenhang" gebracht (ebd., 221). Vorteil dieser Lesart ist, daß die kognitiven Vorgänge in einer Strophe zusammengebracht werden, die im Lobpreis mündet. Dennoch ist sie thematisch weniger einheitlich. Zudem wird die Rede von der Gerechtigkeit Gottes dadurch auf die dritte und vierte Strophe verteilt, was insbesondere für die vierte Strophe problematisch ist. Hier folgt nach WEBERS Vorschlag auf den Indikativ von v 12, der von der Freude Zions und der Töchter Judas spricht, ein Subjektwechsel hin zur Gemeinde, die nun im Gegensatz zu Zion und den Töchtern Judas mit einem Imperativ zum Umkreisen des Zion aufgefordert werden. Abgesehen vom variierenden Gebrauch des Prädikats wird dadurch auch Zion in zwei verschiedenen Rollen präsentiert.
I. Die Gottesstadt
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um die feindliche Macht" zu zerschmettern. V 8 zielt auf eine Steigerung der Schreckensmacht Jhwhs 12 und erweist sich darin als sekundär. Nun könnte es sich bei v 8 um einen Einschub handeln, der v 9 als Reflexion der gerade berichteten Geschehnisse um die Stadt vom Rest der Strophe trennt. Doch in zweierlei Hinsicht erweist sich auch v 9 als nachträgliche Ergänzung, unabhängig von v 8 eingetragen. Mit dem Stichwort Reflexion ist bereits angedeutet, worin sich v 9 grundsätzlich von den vv 2 - 4 und 13 ff. unterscheidet. Es handelt sich nicht mehr um die unmittelbare Geschehens- und Erlebnisebene, die sich gerade in den vv 13 f. durch die Imperative ausdrückt. Hier wird nachgedacht über Geschehenes und über die in Ewigkeit befestigte Stadt. Dazu ist ein der Schöpfungstheologie zugehöriger Terminus verwendet (j"D), der dem Psalm sonst fremd ist. Aus den genannten Gründen liegt die Annahme nahe, daß v 9 eine sekundäre Einfügung ist. Etwas schwieriger ist die Einschätzung des in v 2 und in v9 aufgenommenen Ausdrucks irnVx TS). Die Redeebene der l.c.pl. findet sich neben diesen Versen nur noch in v 15 (ii)i tf^D irn^x). V9, der den Zug der Könige reflektiert, fuhrt durch irn'px auf v 2, auf den Lobpreis der Stadt, zurück. Er beschließt die beiden ersten Strophen, an die sich auch nach Einfügung von v 9 die Imperative in den vv 13 f. direkt anschließen konnten. Daß die l.c.pl. als Pronominalsuffix auch in v 15 gebraucht wird, und dieser Vers ohne die Passage i n irn^K unvollständig wäre, spricht eher für die Ursprünglichkeit von "irn^x Ti> auch in v2. Damit weist der Psalm einen Rahmen auf, der die zwei Größen, um die es in dem Text geht, selbst noch einmal aufeinander bezieht: Gott, in der Stadt unseres Gottes und unser Gott auf immer und ewig.'3
11 In den Psalmen ist o-chn nur zweimal belegt, neben Ps 48,8 in Ps 72,10, wo Könige, die Jhwh Ehre erweisen sollen, so bezeichnet werden. MORGENSTERN sucht noch nach einem historischen Hintergrund, auf den sich die geschilderten Ereignisse beziehen und deutet die v v 5 - 8 auf den Untergang der Armeen und Schiffe des Xerxes um 481/480 v.Chr. (Psalm 48, 7 f.). Nach LIPINSKI handelt es sich um reich beladene Handelsschiffe auf dem Weg nach Spanien. In Jes 2,16 erscheinen sie als besonders schön und werden zum Inbegriff menschlicher Überheblichkeit, wie auch in Ps 48,8, da sie sich gegen Jhwh auflehnen (Art. D-ö"in, 781). Gern wird angeführt, daß der eigentlich gefahrliche Wind im östlichen Mittelmeer der Westwind ist. V 8 wird deshalb in seiner historischen (vgl. SCHREINER, Sion, 230) und auch in seiner theologischen Bedeutung (vgl. KRAUS, Psalmen I, 513) geschmälert. Doch Jhwh hat seinen Wohnsitz auf dem Zion und „schaut" damit von Osten her auf das Mittelmeer. Bei aller schöpferischen Macht, die den Wind bewegt und die keine Grenzen kennt, hat die Verortung Jhwhs auf dem Zion für diese Form der Darstellung eine zentrale Bedeutung. 12
13
V g l . SPIECKERMANN, H e i l s g e g e n w a r t , 189.
Anders KRATZ (Reste, 30 ff.), der konsequent alle Wir-Passagen aus dem Grundpsalm ausscheidet. Der Blick auf die Umwelt Israels scheint ihm Recht zu geben. So kennen die RasSchamra-Texte keine Nennung Gottes mit Possessivpronomen (vgl. W.H. SCHMIDT, Königtum, 92 f.). Doch meines Erachtens läßt der Text eine derartige Scheidung nicht zu. Es ist eher davon auszugehen, daß hier bereits eine spezifisch israelitische Variation des traditionellen Materials vorliegt (s.a. Ps 99,5). Vgl. auch WEBER, Werkbuch I, 220.
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C. Zion in mythischer
Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
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Schließlich ist ein weiterer Teilvers in den Psalm aufgenommen worden, der die Zukunft der Stadt im Blick hat, wenn auch unter begrenzterer Perspektive als die vv9.15a. Es ist dies v 14b. V 14a ist parallel zu v 13 gestaltet: jeweils zwei Imperative fordern zur Betrachtung der Stadt auf. 14 Daran schließt sich v 15, der einen Vergleich zwischen Gott und der mit Türmen bewährten Stadt herstellt, nahtlos an. Der Grundpsalm in seiner ersten Überarbeitung 15 hat folgende Struktur: I. Strophe: Lob Gottes und seiner Stadt V 2 Lob Gottes V 3 Lob des heiligen Berges und der Stadt V 4 L o b Gottes II. Strophe: Begründung des Lobes V 5 Z u s a m m e n s c h l u ß der Könige Vv 6 - 7 Schrecken und Zittern V 9 Bekenntnis der Augen- und Ohrenzeugen
ru irnbx
III. (IV.) Strophe: Lob Gottes und seiner Stadt Vv 13-14* A u f f o r d e r u n g an die Augen- und Ohrenzeugen V 15 Z u s a m m e n f a s s e n d e s L o b Gottes
""'2 irnbx = " nbiu
Die erste Strophe gibt das Thema des ganzen Psalms an. Es ist ein Hymnus auf Jhwh, unseren Gott, und seine Stadt. Die Verbindung, die die Trias Gott, Stadt und Berg in diesem Psalm miteinander eingehen, ist einzigartig im Psalter. In der Regel ist entweder von Zion als dem Berg oder der Stadt die Rede, oder aber eine derartige Zuordnung wird gar nicht erst vollzogen. Doch zuerst ist der Blick auf die einzelnen Topoi zu lenken, bevor deren Zusammenstellung geklärt werden kann. irnbx Tv kommt nur in Ps 48 und dem davon abhängigen Ps 46 vor. In Ps 87,3 ist von TI> die Rede. Etwas anders stellt sich der Sachverhalt bei der Bezeichnung mrr TU dar, da der Ausdruck auch außerhalb des Psalters, in Jes 60,14, und innerhalb des Psalters in Ps 48,9 und Ps 101,8 gebraucht wird. Doch selbst wenn man zu den eben erwähnten Texten noch II Sam 10,12 (I Chr 19,13) hinzuzählt, wo von den Städten Gottes die Rede ist, ist der Ausdruck allemal selten belegt 16 - besonders verglichen mit den zahlreichen Belegen für Zion und Jerusalem. Das im Alten Orient verbreitete Konzept der Zugehörigkeit eines Gottes zu seiner Stadt hat im Alten Testament nie großen Erfolg gehabt. 17 Der zentrale 14 Es weist auf formaler Ebene neben der parallelen Gestaltung von v 13 und v 14a auch der Umstand, daß es sich mit v 14 um das einzige Tricolon des Psalms handelt, daraufhin, daß v 14b nachträglich eingefügt worden ist. 15 Zur Reihenfolge der weiteren Überarbeitungen s. o. 16 WANKE bringt auch die Belege für „heilige Stadt" in die Diskussion ein (Jes 48,2; 52,1; Neh 11,1.18), die allesamt der exilisch-nachexilischen Zeit angehören (Zionstheologie, 101 f.). 17 Vgl. dazu SPIECKERMANN, Stadtgott, 17 ff.
I. Die Gottesstadt
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alttestamentliche Text, der eine derartige Verbindung dennoch voraussetzt und preist, ist Ps 48. Damit wird aber eine Redeweise, wie sie im Alten Testament dem Tempel gebührt, auf die Stadt übertragen. Jetzt kann von der Gegenwart Gottes in ihren Mauern gesprochen werden. In v 3a setzt der Psalm mit einer starken Betonung des Subjekts neu ein. „ Sein heiliger Berg (ist) ein schöner Gipfel, Freude der ganzen Erde. " löip "in ist im Gegensatz zu • - N ' P X T U ein Topos, der häufig genannt wird. Gott und sein Berg bilden eine wiederholt geschilderte und theologisch hoch besetzte Einheit. 18 Dieser heilige Berg ist in seiner Schönheit die Freude der ganzen Erde19, und Jhwh, unser Gott, ist der auf ihm thronende Weltenherrscher. In der Regel ist der Berg Gottes in den Psalmen Sehnsucht und Ziel des einzelnen Frommen 20 , doch in Ps 48 wird er zum Zentrum, zur Freude der ganzen Erde. 21 Dem Berg werden noch weitere Attribute zugesprochen: er ist jis:ä T " \ Der "IS'J, hoher
Berg im Norden, steht in diesem Kontext für eine ganze Vorstellungswelt. Er ist Gottes- oder Götterberg 22 , hoch und gewaltig, er ist Thron und Herrschaftssitz, unumstößlich und unerreichbar. Dennoch ist jiaü hier nicht als Eigenname gebraucht. Der Text sagt nicht, daß der Zion der Zaphon wäre. 23 jiEö gibt auch die Himmelsrichtung an - Norden. 24 Gerade dadurch, daß Name und Himmelsrichtung in einem Wort zusammenfallen, kann der Psalmist es einsetzen, d. h. die mit dem Zaphon verbundene Vorstellungswelt auf den Zion übertragen 25 ,
18 Vgl. u.a. cnp in (z.T. mit Suffix): Jes 11,9; 56,7; 57,13; 65,11; 66,20; Joel 4,17; Ps 2,6; 3,5; 15,1; 43,3; 58,2; 87,1 (pl.); 99,9; Dan 9,16.20. Oder auch mrr nn: Num 10,33; Jes 2,3; 30,29; Mi 4,2; Sach 8,3; Ps 24,3. cn'?« in ist hingegen kaum belegt; s. dazu Ps 68,16. 19 Vgl. Ps 50,2. Die enge Beziehung zwischen Gott und dem Berg macht die Schönheit des Berges aus. Vgl. G R U N D , Schönheit, 118. 20 Vgl. Ps 3,5; 15,1; 24,3; 43,3. 21 Dahinter steht die Vorstellung von dem Weltenberg als dem Ort des Lebens und der Freude. Vgl. K E E L , Bildsymbolik, 23. K E E L verweist auch auf Ps 89,17, wo „Frohsein" (smh) und „hochsein" (rwm) synonym gebraucht werden (ebd., 104) 22 Vgl. auch Jes 14,12-15, ein Spottlied auf den König von Babylon, wonach der Sohn der Morgenröte auf dem pss t d t min nn thront. 23 So im Sinne einer Dislozierung des Zions R O B I N S O N , Zion, 1 2 0 ; W A N K E , Zionstheologie, 6 5 ; C R A I G I E , Psalms I, 3 5 1 . S.a. W I L L M E S , Königtum Gottes, 1 1 4 . 24 Das hat u. a. dazu geführt, daß man versucht hat, diesen Berg im Norden des Stadtgebietes Jerusalems zu suchen. So u.a. die Übersetzung von The RevisedPsalter, London 1963. Auch D E L I T Z S C H nimmt diesen Gedanken als zu diskutierende Möglichkeit auf, ohne ihn jedoch weiter zu verfolgen. „Der Tempelberg oder Zion im engeren Sinne bildete wirklich die Nordostecke des alten Jer." (Psalmen, 352). Eine andere Perspektive entwickelt P A L M E R aus der Nennung des ]isü in v 3. Seiner Ansicht nach verweist der Text mit v 8, mit dem hier genannten Ostwind, auf eine weitere Himmelsrichtung. Für Süden stünde "0' (v 11) und für den Westen ]T™ (14). In der Verteilung der vier Himmelsrichtungen auf die vier Strophen zeige sich Jerusalem als Nabel der Welt (Cardinal Points, 357 f.). R O H L A N D hingegen verweist darauf, daß die Doppelbedeutung und d. h. auch die Bedeutung einer Himmelsrichtung die Verbindung des Berges mit Baal verdecken würde (Bedeutung, 135). 25
Vgl. H O S S F E L D / Z E N G E R , Psalmen I N E B , 2 9 7 ; N I E H R , Höchster Gott, 1 0 7 ff. L A U H A schreibt: „Dem Berge Zion werden Attribute des mythologischen Gottesberges gegeben, um ihn
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ohne sie gleichzusetzen. Für Ps 48 ist der Zion der äußerste26 Norden, Gottes Thronsitz, mächtig, alles überragend. Auf diese Weise holt der Psalmist für den Zion ein, was er von sich aus gerade nicht ist. Er ist nicht hoch und gewaltig.27 Doch als Nordberg erhält er mythische Dimensionen, eine ideale Vorzeit; dies ist nicht allein durch die mit dem Zaphon verbundenen Vorstellungen möglich ist, sondern ebenso elementar von der räumlichen Distanz, der Unerreichbarkeit des fernen Nordens abhängig.28 Mit der Verbindung von Zion und Zaphon holt sich der Zion seine Vergangenheit aus dem Norden und weist selbst in die Zukunft. Im Norden liegt die nun mit dem Zion verbundene mythische Urzeit. Weder Ps 48 noch andere Psalmen können auf eine eigene Sprache, die derartiges auszudrücken vermag, zurückgreifen. Die mit dem Zion in Ps 48 verbundenen Vorstellungen erweisen sich so nicht nur als von ihrem kanaanäischen Umfeld abhängig, sondern mehr noch scheinen sich derartige Vorstellungen für den Zion erst spät entwickelt zu haben.29 Ps 68 vollzieht den Rückgriff auf die Traditionen des Nordens auf andere Weise. Danach geht der vom Sinai kommende Jhwh den „Umweg" über Baschan, ehe er seinen Wohnsitz auf dem Zion einnimmt.30 Schließlich heißt es in Ps 48,3 weiter: „Berg Zion, ..., Stadt des großen Königs". Wie schon festgestellt, ist eine Identifikation31 von Berg und Stadt in von einer Wunderglorie umrahmen zu lassen" (Zaphon, 44). Vgl. auch ROHLAND, Bedeutung, 133. 26 Vgl. auch CROSS, Myth, 38. ROBINSON übersetzt "flü TIDT mit „Zaphon's utmost peak". Seiner Ansicht nach soll damit die vertikale Linie, die Verbindung zwischen Himmel und Erde betont werden (Zion, 121). S.a. SCHREINER, Sion, 228. Doch ist zu fragen, ob diese Vorstellung dem Zaphon nicht ohnehin anhängt. Mit TCT wird mehr noch die Unerreichbarkeit des Berges betont, was seine mythische Dimension stärkt. S.a. MORGENSTERN, Psalm 48, 61.63; LUTZ, Jahwe, 164 f. 27 Daß beim Aufstieg vom Toten Meer nach Jerusalem ein großer Höhenunterschied zu überwinden ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Zion an sich keine herausragende Höhe hat. Vgl. KEEL, Bildsymbolik, 102. 28 Einen ähnlichen Effekt arbeitet NIEHR für die ugaritische Tradition heraus. Er betont „die große Entfernung, die sich ... zwischen der empirischen Wirklichkeit in Ugarit und dem Sitz des El auftat" (Wohnsitze, 330). 29 D.h. daß eine derartige Redeweise von Zion als Gottesberg und Herrschaftssitz entsprechend zu den Traditionen des Nordberges nicht um eine Tradition handelt, die zwingend in alte Jebusiterzeit zurückreicht. MORGENSTERN geht noch weiter, indem er sagt, daß es sich generell um eine nachexilische Tendenz handele, mythologische Attribute im Norden zu suchen (Psalm 48, 76 f.). Anders KRAUS, der eine Übertragung dieser Vorstellungen vom Zaphon auf den Zion bereits in vorisraelitischer Zeit ansetzt (Psalmen I, 104 ff.). SEYBOLD geht davon aus, daß der Text ursprünglich auf die Gottesstadt Dan im äußersten Norden bezogen gewesen sei (Psalmen, 195). Er argumentiert mit der schwierigen Satzstruktur von v3, die auf eine spätere Glossierung zugunsten Zions hinweist, und der Problematik, daß der Zion im Norden verortet wird (ebd., 196). SEYBOLD ist darin Recht zu geben, daß der Text auf eine Tradition zurückgreift, die nicht genuin an den Zion gehört. Doch gehört sie nach Dan? Auch Dan ist kein besonders hoher Berg bzw. auf einem gelegen und die wenigen Belege, die überhaupt von der Stadt Gottes sprechen, weisen auf Jerusalem. 30 Vgl. dazu Kap. B. IV. 1. Zion und Sinai - Psalm 68. 31 Gern wird von der Stadt auf dem Berg gesprochen (so u. a. KRAUS, Psalmen 1,512), doch
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den Psalmen kein weiteres Mal belegt. Hier wird sie vollzogen mit der Stadt ( m p ) 3 2 des großen Königs33. Spieckermann hat auf die Nähe von Ps 48 und Baal-Zyklus hingewiesen 34 , wobei sich durch den Vergleich auch spezifische Unterschiede feststellen lassen. Er selbst nennt als einen wesentlichen Punkt das Austauschen des Tempels durch die Stadt. Damit wird zunächst einmal gestützt, was der Text auch in seiner Struktur zeigt. Es geht hier allein um die Stadt und um die enge Verbindung Gottes mit seiner Stadt. Alles andere, gerade auch die zweite Strophe, dient nur dazu, dieses weiter auszuführen. Dementsprechend leitet v 4 über mit den Worten: „Gott ist in ihren Palästen, er hat sich erwiesen als Schutz". Es ist viel darüber geschrieben worden, welche historischen Ereignisse hinter v 4 und der diesen Vers ausfuhrenden zweiten Strophe stehen könnten. 35 Sind es überhaupt historische Ereignisse, oder handelt es sich bei den Königen um eine rein mythische, die Chaosmächte repräsentierende Größe 36 , gezähmt schon durch den Anblick der Größe Gottes und seiner Stadt?37 Daß der Text von der Stadt und nicht vom Tempel spricht, läßt eher auf eine geschichtlich faßbare Begebenheit schließen 38 , die im Rückblick, und in dieser Linie formuliert es auch die zweite Strophe mit den Perfektformen, eine nahezu mythische Dimension angenommen findet sich in Ps 48 keine Präposition, die Berg und Stadt räumlich zuordnet. Zudem wird in den vv 13 f. die Stadt mit Zion angesprochen, wie in v 3 noch der Berg. 32 MULDER schreibt, daß es sich bei m p ganz generell „um befestigte Städte mit hohen Mauern" handelt (Art. m p , 179). Nach DELITZSCH liegt dabei der Ton auf Jerusalem (Psalmen, 352). SCHREINER hingegen verweist darauf, daß mit dieser Wortwahl der Versammlungsort hervorgehoben wird. So u.a. „Sion, die »Stadt unserer Feste« (Is 33,20)" (Sion, 229). 33 Nach SPIECKERMANN ist dieser Ausdruck für Götter im Alten Orient nicht belegt (Heilsgegenwart, 192). Es ist davon auszugehen, daß hier der Ehrentitel Sarru rabbü im Hintergrund steht. Gott als „kosmopolitischer, altorientalischer Großkönig" (SPIECKERMANN, Stadtgott, 21). S . a . ROBINSON, Z i o n , 123; KRAUS, P s a l m e n 1, 5 1 2 ; VAN OORSCHOT, Stadt, 1 6 8 f . 34 SPIECKERMANN verweist hier insbesondere auf KTU 1.3 III, 29-31. „Nicht nur der .heilige Berg' und der ,Zaphon' haben in Ps 48,2bß.3ay Aufnahme gefunden, sondern man wird auch in V.3aaß ,gipfelschön, (Ort des) Entzücken(s) der ganzen Welt' das hebräische Pendant zum ugaritischen ,(Ort des) Entzücken(s)' und ,Berggipfel des Triumphes' erkennen dürfen" (Heilsgegenwart, 191 f.). 35 SCHARBERT bringt beide Großereignisse der Geschichte Israels in Anschlag, um den Psalm selbst dann aber auf die Zeit Josias zu datieren. Seiner Ansicht nach setzen die vv 13 f. ein prächtiges Heiligtum voraus, das mit Umzügen gefeiert wurde. Hören und Sehen in v 9 beschreiben danach verschiedene Begebenheiten. Hören bezieht sich auf die geschichtlichen Großereignisse, das Sehen auf die eingedämmte Assur-Gefahr (Umfeld, 305). LIWAK äußert sich nicht direkt zu Ps 46 oder 48, doch ist sein Fazit aus der Untersuchung der biblischen und außerbiblischen Quellen zum Feldzug Sanheribs ein Hinweis zum Verständnis dieser Texte, die ja gerade keine konkreten Bezüge herstellen: „Nur weil Jerusalem nicht nur einmal gerettet und auch zerstört wurde, läßt sich das Besondere des Geschehens im Jahr 701 v. Chr. recht eigentlich herausheben" (Rettung, 166). 36 Vgl. dazu SCHREINER, Sion, 230. 37 Eine rein theologische Dimension ohne jeglichen geschichtlichen Bezug sieht LACH (Versuch, 150 ff.), der die Ursache der Errettung in der hcescedGottes sieht und andere Möglichkeiten ausschließt. 38 Der Tempel als Ort der Gegenwart Gottes befindet sich in einigen Texten an der Schnitt-
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Utopie
hat. 39 Erst eine derartige Erinnerung ermöglicht die konkrete Sprache, die der Text verwendet. So heißt es in v 13: „ Umkreist Zion und umschreitet ihn " - denn auch dies ist Gott, sichtbar, faßbar, meßbar. Es ist hingegen fraglich, ob mit dem „Wechsel" vom Tempel im Baals-Zyklus zur Stadt in Ps 48 eine „Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment" 40 hinweggewischt werden sollte. Daß Jhwh als m "[^n mit weltlichen Kategorien umschrieben wird, leidet keinen Zweifel. Doch zunächst einmal trägt ihn dieser Titel über den Verdacht hinweg, Stadtgott und nur Stadtgott zu sein. Er ist mehr, Großkönig, gegenwärtig in seiner Stadt, aber Herrscher weit über ihre Grenzen hinaus. Tempel und Stadt wiederum stehen nicht für gegensätzliche oder auch nur parallele Herrschaftsbereiche. Seine Macht hat Jhwh aber an seiner Stadt erwiesen, und das besingt der Text. Ist Ps 48 mit den vv 4.13 f. in seiner Darstellung konkret, so verhüllt er anderes in Andeutungen. V 6 sagt nicht, was die Könige gesehen haben, daß sie erschraken. 41 Dies ist nur aus dem Kontext zu erschließen, der auf die Wehrhaftigkeit der Stadt hindeutet, wie sie in den vv 13 f. geschildert wird. Das größere Rätsel jedoch ist die Frage, ob die hier besungene Stadt mit Jerusalem zu identifizieren ist oder nicht. 42 Jerusalem wird nicht genannt. Nach v 13 heißt die Stadt Zion. Die femininen Pronominalsuffixe unterstreichen dies. Der Psalm bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Mythos und Historie, zwischen glaubender und sinnlicher Wahrnehmung. Ist die Stadt nach v 13 sichtbar und erfahrbar, so ist sie nach v 3 der Wahrnehmung entzogen, im äußersten Norden gelegen. Zion schafft die Brücke zwischen Mythos und Historie. Jerusalem, würde es konkret genannt, verlagerte hingegen das Gewicht zugunsten von Historie und sinnlicher Erfahrbarkeit. Insofern ist die Frage, ob sich hinter der Stadt Jerusalem verbirgt, stelle von Himmel und Erde, weshalb beim Tempel historische und glaubend überhöhte Betrachtungsweise stärker verschränkt sind, als bei der Stadt. 39 Daß hier keine konkreten Personen oder Ereignisse genannt werden, sollte zunächst nicht weiter verwundern, denn die Psalmen werden insgesamt wenig konkret und nennen kaum Namen, abgesehen von Personen der Väter- und der Richterzeit und einzelnen immer wiederkehrenden Feindesmächten, die dann aber häufig nicht mit einem konkreten Ereignis in Verbindung gebracht werden, sondern für eine generelle Gefahrdung stehen. Dennoch vermittelt die Kombination von konkreter und unspezifischer Redeweise bei der Beschreibung des Sturms der Könige den Eindruck eines Ursprungsgeschehens, das Konsequenzen für die Gegenwart hat. Die durch Gott garantierte Sicherheit der Stadt hat sich hier erwiesen und wird sich je und je erweisen. 40 Vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 192. Deshalb würde Jhwh, so SPIECKERMANN, die geistliche Sphäre gegen die weltliche, das Heiligtum gegen die Stadt austauschen (ebd.). 41 Vgl. I Sam 14,15; Jes 17,13 f.; 29,5 f.; 33,3. WANKE schlägt vor, daß es sich um eine Erscheinung Jhwhs handelt, die den Schrecken auslöst (Zionstheologie, 76). S.a. KRAUS, Psalmen 1, 513. SCHREINER (Sion, 229) verweist auf einen Gottesschrecken wie in Ex 15,15. Der Diskussion hinzuzufügen ist, daß es sich nicht um ein Völkerkampfmotiv handelt, der Text somit nicht mit Sach 12 und 14 oder Joel 4 vergleichbar ist (gegen WANKE, Zionstheologie, 77 ff.). Es kommt gar nicht erst zu Kampfhandlungen. Gegen die Annahme, daß es sich in den vv5ff. um das Völkerkampfmotiv handelt, äußert sich auch SCHARBERT (Umfeld, 303). 42 CRAIGIE identifiziert die Stadt mit Jerusalem (Psalms I, 353).
I. Die
Gottesstadt
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mit ja und nein zu beantworten. Jerusalem steht im Hintergrund, doch nur Zion, nicht gleichzusetzen mit dem historischen Jerusalem, vermag auf mythischer und historischer Ebene als Stadt unseres Gottes gepriesen zu werden. Schließlich ist aber auch die Rede von der Gottesstadt, wie Ps 48 sie fuhrt, nicht voraussetzungslos möglich - abgesehen von wahrscheinlich zugrundeliegenden, aber nicht näher faßbaren Erfahrungen der Bewahrung. In der Identifizierung von Berg und Stadt liegt der Schlüssel für die Rede von der Gottesstadt. Was dem Berg gilt, kann auch von der Stadt ausgesagt werden. 43 Nun ist sie Stadt des großen Königs, sein Herrschaftssitz, prächtige Residenz, uneinnehmbar. Geographische Gegebenheiten und terminologische Besonderheiten des Topos Zion haben einen solchen Prozeß gefördert. Zu den terminologischen Besonderheiten des Topos Zion gehört die Variabilität des grammatischen Geschlechts, die sich aus den verschiedenen Möglichkeiten der Zuordnung dessen, wer oder was Zion eigentlich ist, ergibt. Diese Möglichkeiten sind sprachlich weitergetragen und theologisch genutzt worden. So lassen einige Texte eine Unterscheidung zwischen Berg und Stadt weder auf grammatischer noch auf inhaltlicher Ebene zu (vgl. Ps 126,1 oder 129,5). Jerusalem und der Berg Zion gehören aber auch aus geographischer Perspektive zusammen. Zion war als jVü m ü a (II Sam 5,6-9), d.h. als Akropolis Teil des Stadtgebietes Jerusalems. 44 Für den Zion als Tempelberg (u. a. Ps 3,5), als tiipn "in, gilt gleiches. Der N a m e Zion als Bezeichnung für eine topographische Größe bzw. eine Siedlung ist durch die Geschichte hindurch i m m e r wieder neu zugeordnet worden. Während II Sam 5 , 6 - 9 darauf verweist, daß die jVü m a n , eine Festung auf dem Südende des Osthügels von Jerusalem, durch David erobert wurde, verschiebt sich mit dem Tempelbau Salomos die Bezeichnung. Nun kann der ganze Südosthügel, der bis in das 8. Jh. mit dem Stadtgebiet Jerusalems identisch ist, Zion genannt werden. 4 5 „Mit erneuter A u s d e h n u n g der Besiedelung auf den SW-Hügel ... konnten Belege mit syndetischem Anschluß (Jes 10,12; 24,23; Sach 1,14 u.ö.) im Sinne einer Differenzierung von sijjdn als Teil Jerusalems verstanden werden." 4 6 Schließlich aber w u r d e im frühen 4. Jh. n.Chr. Zion mit dem Südwesthügel verbunden; auch Davidsgrab und Davidspalast wurden hier lokalisiert. Erst die Grabungen Warrens (1867-70) 4 7 auf dem Südosthügel haben diese alte christliche Tradition widerlegt.
Eine Identifizierung von Berg und Stadt liegt folglich nahe. Daß dies in den Psalmen jedoch nur selten geschieht, hängt gleichermaßen am exilischen Schicksal 43 Vermittelndes Element zwischen Gott und Stadt, das eine solche Rede von der Gottesstadt überhaupt erst ermöglicht, ist der Berg (vgl. SPIECKERMANN, Stadtgott, 18). 44
V g l . d a z u OTTO, A r t . ]V:J, 1 0 0 8 f f .
45
V g l . OTTO, A r t . ]R:s, 1 0 0 9 ; s. a. FOHRER, Z i o n - J e r u s a l e m , 1 9 7 . A n d e r s n o c h W . H . SCHMIDT
(Art. jrx, 544), nach dessen Ansicht Zion für den ganzen Höhenzug steht, eine etwas erhöhte Stelle aber den Namen Ophel trug. 46
OTTO, A r t . P-U, 1 0 1 0 .
47
Vgl. dazu OTTO, Jerusalem, 15.
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C. Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
Utopie
Jerusalems 48 und an den theologischen Implikationen des ]V2$ "in. Indem beide voneinander getrennt gehalten werden, bleibt der Zion als Berg und Wohnort Gottes auch über die Grenzen Judas hinweg als theologisch eminent wichtige Größe und Orientierungspunkt erhalten. Daß die in der ersten Strophe besungene Stadt keine rein mythische Gestalt ist, die nur mit glaubendem Herzen erblickt werden kann, macht die dritte Strophe (vv 13 ff.) sehr deutlich. Nun wird die Gemeinde mit Imperativen direkt angesprochen und aufgefordert, sich von der Wehrhaftigkeit der Stadt und ihrer Bauten und Paläste zu überzeugen. 49 Die Verse tragen den Charakter von Umzügen kultischer 50 oder auch militärischer 51 Art. Aus der Perspektive von v 4 bzw. den v v 5 f f . scheint es sich um die militärische Vergewisserung der Uneinnehmbarkeit der Stadt zu handeln. Dennoch ist auch an dieser Stelle eine Kategorisierung in kultisch oder militärisch wenig zweckmäßig. Der Psalm ist ein Lobgesang auf Jhwh und die Gottesstadt und gehört somit in kultischen Kontext. Es gilt allerdings auch für diesen Text, daß er nichts darüber aussagt, wie der konkrete kultische Rahmen für eine derartige Prozession ausgesehen hat. 52 Zielpunkt der dritten Strophe ist v 15a: „ So ist Gott, unser Gott auf immer und ewig. " In verschiedenen Texten wird das Handeln Gottes an seiner Stadt zum Indikator für seinen Heilswillen der Stadt, dem Volk oder auch dem einzelnen Beter gegenüber. 53 Die Größe Gottes aber an dem zu messen, was sich den Sinnen erschließt, der Massivität der Bauwerke, der Zahl der Türme, ist aus nachexilischer Perspektive gewagt. Von den Schöpfungswerken und der Schöpfung kann in dieser Weise gesprochen werden, aber von einer Stadt? Die Stadt erhält damit tatsächlich eine Qualität, die sie über die menschlicher Bauwerke erhebt. Die Anwesenheit Gottes in ihren Palästen läßt jeden Stein sprechen: So ist Gott. 48 Einen anderen Zugang zu dieser Frage vertritt SPIECKERMANN: „Der Berggott, der aus der Wüste kam, wollte in keine Stadt, sondern in ein Land. Und wenn für ihn urbane Lebensform spätestens in Jerusalem schon unumgänglich war, dann sollte sie - dies in Übereinstimmung mit seinen orientalischen Rivalen - von Anfang an Weltmaßstab haben und sich nicht an göttlichen Lokalgrößen orientieren" (Stadtgott, 20). 49 So auch SPIECKERMANN, Stadtgott, 22 f. Anders hingegen HOSSFELD/ZENGER, die die Imperative als eine Aufforderung an die Könige sehen, „sich dem, was ihnen widerfahren ist, ernsthaft auszusetzen" (Psalmen I NEB, 298). Da die Könige jedoch längst geflohen sind, haben diese die Wehrhaftigkeit der Stadt durchaus wahrgenommen und bedürfen einer solchen Aufforderung nicht. 5,1 51
V g l . KRAUS, P s a l m e n I, 5 1 4 ; SCHREINER, Sion, 231 f.; CRAIGIE, P s a l m s I, 3 5 4 f . S o SPIECKERMANN, H e i l s g e g e n w a r t , 193 f.; HOSSFELD/ZENGER, P s a l m e n I N E B , 2 9 8 .
52 SEYBOLD versteht den Text an dieser Stelle als direkte Aufforderung an die Pilger, die Stadt konkret in Augenschein zu nehmen (Psalmen, 197). KRAUS wird noch konkreter, indem er davon ausgeht, daß der Versfolge entsprechend nach dem Gottesdienst eine Prozession stattgefunden habe. Er verweist dazu auch auf Belege aus Memphis (Psalmen I, 514). GUNKEL spricht sogar von einer Dankprozession (Psalmen, 207). Auch an dieser Stelle gilt, daß es derartige Prozessionen mit Sicherheit gegeben hat. Inwiefern sich aber Text und Kultakt direkt aufeinander beziehen, ist offen. 53 Besonders Ps 51,20 f.; 69,36 f.; 102,13 ff.
/. Die Gottesstadt
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Mit v 9 hat der Text eine erste Überarbeitung erfahren. Er reflektiert den Inhalt der ersten und zweiten Strophe. Die Wir-Gruppe bezeugt den Zug der Könige gegen die Stadt und ihre Flucht. Die Wehrhaftigkeit der Stadt, die sich im Grundpsalm aus der Gegenwart Gottes ergibt, wird in v 9 auf einen Akt Gottes zurückgeführt, der terminologisch seinem Schöpfungshandeln zugehört. 54 „ Gott gründet sie fest (yc) bis in Ewigkeit". V 9 schafft über cbiu i'J eine Klammer zu v 15 und verschiebt gleichzeitig die Perspektive des • T I ' P S HT 'D. A U S „so ist unser Gott", wird „so handelt unser Gott". Gotteserkenntnis aus der Stadt und ihren Mauern ist nicht mehr direkt, sondern nur noch indirekt möglich. Auch in v 8 wird das aktive Eingreifen Gottes zugunsten seiner Stadt hervorgehoben. Ob dieser Vers früher oder später als v 9 eingefügt worden ist, läßt sich kaum sagen. Spieckermann verweist darauf, daß ijros einen Vorgang beschreibt, der dem Auge entzogen war, d. h. man konnte die Zerstörung der Tarsisschiffe von der Stadt aus nicht mit eigenen Augen sehen. 55 Er schließt daraus, daß zumindest v9aa im Gefolge von v 8 eingetragen worden ist. Doch Hören und Sehen sind zwei Wahrnehmungsformen, die erst, wenn sie zusammenkommen, es ermöglichen, die Fülle der Ereignisse so zu erfassen, daß man sie bekennen kann. 56 Weder Ohr noch Auge haben sich täuschen lassen, und so ist nur der Schluß zu ziehen: Gott befestigt sie in Ewigkeit. Erst die vv 10-12 geben dem Text eine gänzlich neue Wendung. Gott wird nicht besungen in seiner Stadt (v2), sondern "¡^D-n mpn (vlO). Nicht Macht und Gewalt Gottes, sondern "ton, und D3ÖD sind Anlaß für den Lobpreis. Die vv 10-12 „nutzen" die durch den Psalm vorgegebene Perspektive. 57 Anstelle von Berg und Stadt rückt das Heiligtum ins Zentrum 58 , bewahrt dabei aber die zentrale Position, die dem Berg, der Freude der ganzen Erde 59 , galt. Von seinem Heiligtum aus wirkt Gott in die Welt hinein durch Recht und Gerechtigkeit. Fliehen die Könige nach den vv 5 ff. noch vor diesem Gott, erweisen sich die vv 10-12 nahezu als Einladung an die Völker, ebenfalls zu diesem Heiligtum zu 54
55
V g l . HOSSFELD/ZENGER, P s a l m e n I N E B , 2 9 8 .
Unabhängig von redaktionsgeschichtlichen Erwägungen hält HAYES v 8 für einen Hinweis darauf, daß der Text entweder auf rein mythologischer Ebene zu verstehen ist oder aber einem anderen geographischen Umfeld angehört als dem Jerusalems (Tradition, 424). 56 JANOWSKI schreibt dazu: „Das Gehörte bleibt totes Wissen, wenn es nicht im Akt des Sehens zur lebendigen, das Leben bereichernden Erfahrung wird" (Konfliktgespräche, 88). 57 Eine Sammlung von Argumenten, die darauf verweisen, daß die vv 10 ff. sekundär eingefugt worden sind, bietet auch ZENGER, Korachpsalmen, 191. 58 WANKE sieht hier eine entgegengesetzte Richtung der Theologiebildung um die Gottesstadt vorliegen. „Das Wohnen Jahwes, das ursprünglich nur für den Tempel ausgesagt wurde, wird bald auch für den Tempelberg, den Zion, und später für die ganze Stadt in Anspruch genommen (Zionstheologie, 101). 59 SCHARBERT äußert sich zur Übersetzung von ]*nx in v 3 dahingehend, daß hier „noch nicht an einen nachexilischen Universalismus zu denken" sei und übersetzt mit „Land" (Umfeld, 301 Anm. 36). Für ihn besteht die oben aufgezeigte Verschiebung hin zur nationalen Betrachtungsweise folglich nicht.
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kommen und Gott zu preisen. 60 Doch zuvorderst ist die Gegenwart Gottes im Tempel Grund zur Freude für den Berg Zion und die Töchter, d.h. die Städte Judas 61 . In der Parallelisierung mit den Städten Judas wird der Berg Zion zu einer nationalen Größe, und schließlich erhält die ganze Strophe eine nationale Ausrichtung. 62 Der Berg Zion ist nicht mehr als gepriesener Weltberg Freude der ganzen Erde, sondern erfreut sich selbst an der Rechtsprechung Gottes. Was in Ps 48,12 nur angedeutet wird, führt Ps 97 unter Aufnahme von Ps 48,12 deutlicher aus. Jhwh herrscht in Gerechtigkeit und rettet damit Zion und die Töchter Judas vor ihren Feinden. 63 Nicht die in Ewigkeit geltende Gründung der Stadt, sondern der gerecht handelnde Gott ist der wahre Schutz Zions. Schließlich ist v 14b in Ps 48 eingearbeitet worden. Auch er trägt eine neue, vom Grundpsalm abweichende Sicht der Stadt ein. Anders als das jeden zeitlichen Rahmen sprengende c^iu na wird hier durch jnnx i n eine Perspektive für die Zukunft eröffnet, in der vorsichtige Zweifel an der Beständigkeit der Mauern und Paläste mitschwingen. Was diejenigen, die die Stadt umschreiten, heute sehen, hat auch für das künftige Geschlecht Bedeutung, jedoch auf einer anderen Ebene. V I 4 b läßt die Großartigkeit der Stadt zu einer theologischen Größe werden, damit auch für spätere Generationen noch stimmt, was v i 5 a sagt: „So ist Gott".M 60
Vgl. dazu Jes 2,1-5. Anders SCHARBERT, der die Töchter als einen Hinweis auf die Frauen versteht, „denen nach einem Sieg oder anderen freudigen Ereignissen Tanz und Gesang, bei Niederlage und Katastrophen aber die Klage obliegt" (Umfeld, 301 Anm. 38; s.a. BUTTING, Töchter Judas, 35 f.). Er erklärt allerdings nicht, wie dann die Zusammenstellung von „Berg Zion" und „Töchter Judas" zustande kommen konnte und zu verstehen ist. Zu „Tochter Zion" als Metapher s. a. LABAHN, Metaphor, 58 ff. Sie stellt fest, daß ]R:Ä ra im Kontext der Zionstheologie mit Freude verbunden ist (ebd., 63). Interessanterweise läßt sich in den Psalmen beobachten, daß neben dem einen Beleg für nn (Ps 9,15) eher von der Freude der n-nrr m:a (Ps 48,12) die Rede ist. Doch es gibt noch weitere Varianten dieses Ausdrucks. In Ps 149,2 f. ist von den ins " 3 die Rede, die tanzen und Gott loben sollen. Der Ausdruck "fü " 3 wird auch in Joel 2,23; Sach 9,13 und Thr 4,2 gebraucht. Die Passage aus Joel kommt dem Psalmtext am nächsten, denn Grund des Jubels ist die in Aussicht gestellte Heilszeit. Während die min* r r a eine Größe neben Zion darstellen, die sich der Taten Gottes freuen, sind die " 3 die Kinder Zions. Zion soll Mutter vieler Kinder werden (s.a. Jes 54,1-3; 66,7-11; Ps 87,4-6). Vgl. auch FÜGLISTER, Lied, 86. Damit ist ebenfalls deutlich, daß es sich bei den Kindern Zions nicht um eine besondere Schicht oder religiöse Sondergruppe handelt, sondern um ganz Israel (vgl. ebd., 87). 62 Einen ähnlichen Ansatz zeigt auch der sekundäre Schluß von Ps 69. Auch dort sind Zion und die Städte (nicht die n m ) Judas parallel aufgeführt. Himmel und Erde preisen Gott, aber sein Heilshandeln gilt Zion und den Städten Judas und damit seinem Volk. Für Ps 48 betont FITZGERALD die politische Dimension der beiden Größen. Denn M;3 ist hier nicht schlicht als Plural von n3 zu lesen, sondern „designates the dependent cities of a capital city in the city-state system" (BTWLT, 172). 63 Vgl. dazu KRATZ, Reste, 51; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 683. 64 Auch in Ps 102,19 wird der Terminus "nra i n verwendet und weist auf ein künftiges Geschlecht, das die gegenwärtigen Verhältnisse nicht mehr kennengelernt haben wird. Der Verweis auf die Zukunft überbrückt die Diskrepanz zwischen Erwartetem und Erlebtem. Anders als in Ps 48 ist damit aber die Hoffnung verbunden, daß in der Zukunft Zion die verheißene Größe 61
I. Die Gottesstadt
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Das Alter dieses Textes, d. h. vor allem des Grundpsalms, läßt sich nur schätzen. Die historischen Bezüge sind zu wenig konkret 65 , als daß sie einen Hinweis auf das Alter, sei es die Regierungszeit Hiskias oder auch Josias 66 , geben könnten. Welche Erfahrungen hinter dem Text auch stehen mögen, sie werden erst aus einer zeitlichen Distanz 67 heraus theologisch nutzbar gemacht. Ferner reichen der Lobpreis des Berges und der Gottesstadt allein als Anhalt für eine Datierung in die vorexilische Zeit 68 , die hier favorisiert wird 69 , nicht aus. 70 Erst die Bearbeitungen des Textes, die das Motiv der Gottesstadt um das ihrer Schutzbedürftigkeit ergänzen, machen klar, daß geänderte Bedingungen eine geänderte Sprache erfordern 71 . Sie machen den Lobpreis der Gottesstadt auch in nachexilischer Zeit möglich. Die seltene und eher vorsichtige zudem unter gewandelter Perspektive stattfindende Wiederaufnahme des Motivs in jüngeren Texten unterstreicht auf eigene Weise, daß sich die Rede von der Stadt Gottes nicht von der Erfahrungsebene lösen läßt. 2. Verbindungslinien: Von Psalm 48 zu Psalm 87 Ps 48 hat innerhalb des Psalters keine breite Wirkungsgeschichte entfaltet. Der Text, der ihm abgesehen von Ps 46 am nächsten steht, ist Ps 87, ebenfalls ein Korachpsalm. Zu den Gemeinsamkeiten gehört der Hinweis auf den heiligen Berg bzw. die heiligen Berge (Ps 48,3; 87,2), die Bezeichnung Zions als AVN1?» T U bzw. D ' N ^ X N T J > ( P S 48,2.9; 87,3), die feste Gründung Zions (Ps 48,9; noch erreichen wird. Vgl. auch Ps 78,4.6. Hier sollen die nachfolgenden Generationen teilhaben an den großen Taten Gottes in der Vergangenheit. 65 Vgl. auch KRAUS, Psalmen I, 511. 66 So aber SCHARBERT, Umfeld, 305. 67 Die Angaben sind wenig konkret in bezug auf die Könige und auch in bezug auf den Schrecken. 68 So aber SCHARBERT deutlich: „Der Terminus ante quem kann nur das Jahr 587/86 sein. Nach diesem Zeitpunkt ist der Zion als »Freude des ganzen Landes« oder gar »der ganzen Erde« unvorstellbar. Auch wäre die Aufforderung, den Zion zu umwandern und seine Türme zu zählen, die Paläste zu besichtigen und die Befestigungsanlagen zu betrachten, Hochstapelei und ein Hohn gewesen" (Umfeld, 304). HOSSFELD/ZENGER argumentieren in bezug auf Ps 46 entsprechend (Psalmen I NEB, 285). 69 Daß der Text dennoch nicht weit in die vorexilische Zeit zurückreicht, unterstreicht auch die Äußerung von VAN OORSCHOT. Er schreibt: „Das Ziel der Sehnsucht des Beters stellt »dein heiliger Berg«, »deine Wohnungen« dar. Damit ist ausweislich Ps 48,2 (»sein heiliger Berg«) parallel zu 48,3aß (»Berg Zion«), Ps 2,6b und Ps 46,5; 84,2; 132,5.7 der Berg Zion und Jerusalem gemeint. Die Korachpsalmen setzten also die dtn-dtr Zentralisation selbstverständlich voraus (deus praesens, 422 Anm. 29). 70 Auch in nachexilischer Zeit bleiben beide Größen, Berg und Stadt, theologisch relevant und, darauf verweisen Belege aus der Prophetie, es kann auch dann noch von mrr TU (Jes 60,14) die Rede sein (vgl. ZAPFF, Feste Burg, 87). 71 Vgl. VAN OORSCHOT, deus praesens, 428.
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87,5) und die Integration der Völker in das Zionsthema. 72 Doch selbst bei so vielen und gewichtigen Übereinstimmungen sind die bis in die Gemeinsamkeiten hineinreichenden Differenzen beachtlich. Auffallig ist bereits, daß es kaum wörtliche Übereinstimmungen gibt. Unter diesen ist njjiD' (Ps 48,9; 87,5) die bedeutsamste. Trotz des Hinweises auf den heiligen Berg bzw. die heiligen Berge ist Zion in Ps 87 ganz Stadt. Anders als in Ps 48, wo Zion nicht durch eine Präposition in ein räumliches Verhältnis zur Stadt Gottes gesetzt und folglich als Berg mit ihr identifiziert wird, ist in Ps 87,1 von der Gründung cnp m m die Rede. Zion ist Stadt, die mythische Größe des Berges im fernen Norden hat für Ps 87 keine Relevanz mehr. 73 Allein die Zentralität des Gottesberges als Weltberg ist für Ps 87 noch bedeutsam und ermöglicht es, von Zion als Heimat der Völker zu sprechen. Sehr nahe stehen sich die beiden Texte hingegen mit ihrer Bezeichnung Zions als Stadt Gottes. In beiden Fällen ist es ein Ehrentitel, der auf sie angewendet wird und der sie unter allen Städten auszeichnet. Ps 87 geht noch weiter, indem er von der Liebe Gottes zu Zion erzählt, die größer ist als die zu den Wohnungen Jakobs. Auch im Grundpsalm von Ps 48 wäre eine solche Redeweise denkbar. Erst der Zusatz der vv 10-12 nivelliert die herausragende Stellung Zions und nennt ihn parallel zu den Städten Judas. Die Feststellung, daß Zion von Gott fest gegründet sei, präsentiert sich in beiden Texten auf entsprechende Weise. Gott ist durch einen schöpferischen Akt mit Zion verbunden und sorgt für sein Bestehen. 74 Dieser Aspekt der Gründung der Stadt Gottes ist erst sekundär in Ps 48 eingetragen worden und steht dem jüngeren Ps 87 somit besonders nahe. Zion ist als Stadt von Jhwh Zebaoth und als Mutterstadt der Völker auf das schöpferische Handeln Gottes bleibend angewiesen. Die entscheidende Wandlung liegt in der Aufnahme des Völkermotivs. Ps 48 präsentiert es auf zweifache Weise, als Zug der Könige gegen die Stadt Gottes und deren Flucht bzw. in der Möglichkeit der Völker, den Ruhm Gottes, der bis an die Enden der Erde geht, wahrzunehmen. Die Erkenntnis der Größe Gottes durch die Völker ist jedoch in v 11 nur indirekt ausgesagt und mehr eine Aussage über die Größe Gottes als über die Völker. Stärker ist in den vv 10-12 der nationale Zug zum Heil für Zion und die Städte Judas vorhanden. Ps 87 72
Vgl. auch ZENGER, Korachpsalmen, 188; ders., Zion als Mutter, 130 ff. Anders HOSSFELD/ZENUER, die zu Ps 87 schreiben: „»Die heiligen Berge« sind der kosmische Ur-Berg, der als Weltberg und Paradiesberg zugleich der Erde Festigung und Leben vermittelt" (Psalmen II HThK, 556). Diese Deutung läßt sich jedoch an Ps 87 kaum nachvollziehen. 74 Nach KOCH verbindet der Terminus 'IN urzeitliches und jetztzeitliches Schöpferhandeln (Art. p2,104). Es wird das korrekte Zurüsten von Kultstätten unter Verwendung von "13 formuliert (ebd., 101) wie auch die Gründung von Stätten der Anwesenheit Gottes auf Erden (ebd., 73
104). S . a . ZOBEL, Art. P^J), 138.
I. Die
Gottesstadt
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zeigt ein gänzlich gewandeltes Bild. Zion wird zur Heimat der Völker. Es wird jedoch nichts darüber gesagt, daß sie kommen, um Gott auf Zion zu dienen 75 . Nicht das Verhältnis Gottes zu den Völkern, sondern das Verhältnis der Stadt zu den Völkern ist das Thema. Die Völker erhalten das Bürgerrecht Zions. Zion aber wird zum Schutz und zum Versorger (zur Versorgerin [ausschließliche Verwendung fem. Suffixe] und nach der Septuaginta auch „Mutter") der Völker. Die Bindung an Zion, durch i b ' beschrieben, kann kaum enger sein. Ein jeder ist in Zion geboren. Zion sichert Existenz und Bestand der Völker (s. a. Ps 87,6). Damit wird das Verhältnis Zions zu den Völkern gegenüber Ps 48 in Ps 87 umgekehrt. Berichtet Ps 48 noch von einer wenn auch praktisch aussichtslosen Bedrohung Zions durch die Könige, ist nach Ps 87 die Existenz der Völker von Zion abhängig. An Zion entscheidet sich, ob die Namen der Völker aufgeschrieben werden oder in Vergessenheit geraten. Einen Nachhall findet Ps 48 in Ps 122. Der Blick auf Jerusalem läßt den Wallfahrer von Mauern und Palästen ( M I D I X ; vgl. v7; s.a. Ps 48,4.14) sprechen. Doch ist weder von der Uneinnehmbarkeit der Stadt 76 noch von der Erkenntnis D'n^x nt "3 die Rede. Ganz im Gegenteil resultiert das Besondere der Stadt allein daher, daß der Tempel Gottes dort steht. Gottes Gegenwart in Jerusalem im Tempel ist nach Ps 122 auf Israel und den Frieden für das Volk ausgerichtet. Die Weltherrschaft Gottes von seiner Stadt aus ist kein Thema des Psalms. Ps 122 ist ein nachexilisches Gegenstück zu Ps 48, wo die Paläste noch als uneinnehmbar gepriesen werden. Ps 122 äußert den Friedenswunsch im Bewußtsein der Zerbrechlichkeit 77 von Jerusalems Herrlichkeit. 3. „Ein Schutz ist uns der Gott Jakobs " Psalm 46 Auch Ps 46 zählt zu den „klassischen" Zionspsalmen, obwohl der Text nicht nennt. 78 Er singt von Gott und seiner helfenden Gegenwart. Dieser stand muß nicht weiter irritieren, da Zion ja auch in Ps 68 nicht genannt und dennoch im Hintergrund steht. Daß es sich dabei jedoch nicht um Marginalie handelt, zeigt vor allem der Vergleich mit Ps 48.
75
Zion Umwird eine
Vgl. aberPs 102,23. Allenfalls klingt in der Formulierung von Ps 122,3 an, wovon Ps 48 singt. 71 Die Rede von den Palästen (¡rcinx) wird von den Propheten in der Hauptsache in Drohworten gegen Hochmut eingesetzt (vgl. u.a. Jes 25,2; 32,14; 34,13; Hos 8,14; Am 1,4.10.12.14; 2,5; s. a. Thr 2,5.7). „Der Dichter scheint der Sicherheit Jerusalems nicht so unbedingt zu trauen wie der von Ps 48, er mag später geschrieben haben" (DUHM, Psalmen, 271). 78 Zur Kritik an einer Gattung Zionspsalm in bezug auf Ps 46 vgl. SPERLING, Jahwe-Überlegenheitslied, 309 ff. 76
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Psalm 46 1 D e m Sangmeister der Söhne Korachs, nach der Weise der Mädchen - ein Lied 2 Gott ist uns Zuflucht und Stärke, als Hilfe in Nöten läßt er sich finden. 3 Darum furchten wir uns nicht, wenn die Erde schwankt, da die Berge w a n k e n in die Tiefe des Meeres, 4 da toben, da schäumen seine Wasser, da zittern die Berge vor seiner Erhabenheit. 5 Ein Strom, seine Kanäle erfreuen die Stadt Gottes, die heiligste 7 9 der Wohnungen des Höchsten. 6 Gott ist in ihrer Mitte - sie wird nicht wanken, Gott wird ihr helfen im Morgengrauen. 7 Es toben die Völker, es w a n k e n die Königreiche, er hat erschallen lassen seine Donnerstimme, es bebt die Erde. 8 Jhwh Zebaoth ist mit uns, ein Schutz ist uns der Gott Jakobs. 9 Geht, seht die Taten Jhwhs, der gesetzt hat auf Erden Entsetzen 8 0 ,
10 der beseitigt Kriege bis ans Ende der Erde, der den Bogen zerbricht und den Speer zerschlägt, der Wagen verbrennt im Feuer. 11 Laßt ab und erkennt, daß ich Gott bin, ich bin erhoben unter den Völkern, erhoben auf der Erde. 12 Jhwh Zebaoth ist mit uns, eine Burg ist uns der Gott Jakobs.
Zur Beschreibung der Struktur des Psalms bieten sich verschiedene Ansätze formaler und motivischer Art81 an. In der Regel gilt der Text als ein Lied von drei Strophen ungleicher Länge.82 Die erste Strophe preist Gott als Zuflucht und Hilfe gegen alle Bedrohung durch chaotische Mächte, die das Gefüge der Erde zum Einsturz zu bringen scheinen. Die zweite Strophe wendet sich der Gottesstadt zu, die im Gegensatz zu den Bergen nicht wankt, denn Gott ist in ihrer Mitte. Der Neueinsatz ist markiert durch eine besonders akzentuierende casus-pendens 19 Vgl. ZAPFF, Feste Burg, 82; s.a. BAUER, Flüsse, 60f. Die LXX übersetzt mit f|yi,aoev tö oxrivco^a autoC 6 iii|naTos. Diese Variante ist auch von Kommentatoren übernommen worden
(vgl. SCHREINER, Sion, 2 2 3 ) . 80 Diese Pluralform von noö ist nur hier belegt. Insgesamt stehen 24 von 39 Belegen bei Jeremia. Meistens ist Jhwh Subjekt, der nco hervorruft und damit Lebensraum für Mensch und Tier „deklassiert" (vgl. MEYER, Art. noö, 247). Grundbedeutung der zugehörigen Verbalwurzel ist „staunen, erstarren, lähmen" und damit kommt man dem Bedeutungsgehalt von Ps 46,9 auch am nächsten (vgl. ebd., 241 ff.; s.a. STOLZ, Art. ccti, 970ff.). 81 Vgl. dazu EGO (Wasser, 363 ff.) und JANOWSKI (Wohnung, 44 ff.), die im Anschluß an TSUMURA (Structure, 29 ff.) die v v 2 - 8 zusammenfassen und unter den Gesichtspunkten von Religionstopographie eine konzentrische Gestalt dieser Verse herausarbeiten. 82
V g l . KRAUS, P s a l m e n 1, 4 8 5 ; SPIECKERMANN, Stadtgott, 2 4 f . ; HOSSFELD/ZENGER, Psal-
men I NEB, 285.
/. Die
Gottesstadt
181
Konstruktion. In dieser Strophe repräsentieren nun die Völker das Chaos. Sie wird abgeschlossen durch ein hymnisches Bekenntnis: „Jhwh Zebaoth ist mit uns, ein Schutz ist uns der Gott Jakobs ". Fraglich bleibt, ob der Refrain, der die zweite und dritte Strophe beschließt, wohl ursprünglich auch nach v 4 die erste Strophe beendete. Der Wunsch nach einer gewissen Symmetrie läßt zu diesem Schluß kommen. 83 Doch gerade ohne diese Zäsur ergibt sich eine sinnvolle formale Ordnung, die die besondere thematische Verschränkung der beiden Strophen deutlich macht. 84 V 8 greift dabei auf das anfangs genannte Thema des Psalms zurück: „ Gott ist uns Zuflucht und Stärke " (v 1). Die dritte Strophe hebt sich von den vorhergehenden bereits durch den Einsatz mit einem doppelten Imperativ ab. Beschlossen wird sie wie die zweite Strophe durch das hymnische Bekenntnis zu Jhwh Zebaoth. Inhaltlich ist sie jedoch zweigeteilt. V 9 spricht von dem kriegerischen Gott, der auf der Erde Entsetzen hervorgerufen hat. V 1 0 jedoch vermittelt ein anderes Gottesbild, nämlich das des Friedensstifters, der den Bogen zerbricht. Diese inhaltliche Diskrepanz läßt darauf schließen, daß v 10 nachträglich in den Psalm eingearbeitet worden ist. 85 V11, der wie v 9 durch zwei Imperative eingeleitet wird, fugt sich diesem nahtlos an. Aus dem Schauen der Taten Gottes folgt der Verzicht auf Widerstand, ja folgt Gotteserkenntnis. Dies wird mit Blick auf die in den ersten beiden Strophen noch als Chaosmächte präsentierten Völker und Naturgewalten folgendermaßen formuliert: „ L a ß t ab und erkennt, daß ich Gott bin, ich bin erhoben unter den Völkern, erhoben auf der Erde " (v 11). In Ps 46 wird gleich mit dem ersten Vers das Thema des Psalms angegeben. ,,Gott ist uns Zuflucht und Stärke".86 Diese Sequenz wird auf verschiedene Weise in den drei Strophen des Textes ausgeleuchtet. Hierzu zieht der Psalmist in erster Linie Chaosmotive heran - das Schwanken der Berge, das Schäumen 83 Vgl. SCHREINER, Sion, 219; KRAUS, Psalmen I, 495; RAABE, Psalm Structures, 53 f. Ablehnend steht einer Einfügung des Refrains nach v 4 auch PODELLA (Chaoskampfmythos, 316) gegenüber. 84 Die enge Zusammengehörigkeit der zwei ersten Strophen drückt sich auch in gemeinsamen Motiven aus. Dazu gehören u. a. m t a (vv 2.6); Bio (vv 3,6.7) und non (vv 4.7). S. a. ZAPFF, Feste Burg, 82 f.; RAABE, Psalm Structures, 66; JANOWSKI, Wohnung, 49 f. JANOWSKI erachtet den Psalm als zweigeteilt ( v v 2 - 8 und 9-12), wobei sich seiner Ansicht nach für die vv 2 - 8 eine konzentrische Struktur um die vv 5 f. ergibt (Wohnung, 44 f.). Die Darstellung JANOWSKIS hat viel für sich (besonders der beobachtete Wechsel zwischen Zentrum und Peripherie ist hervorzuheben), zumal er in der Darstellung seiner Gliederung deutlich macht, daß der Höchste in der Gottesstadt im Zentrum steht, nicht die Gottesstadt selbst. JANOWSKI läßt dabei allerdings die v v 9 - 1 2 vollständig aus dem Blick geraten, die er unter dem Thema „Gott als universaler Friedensstifter" summiert. V11 aber parallelisiert, worüber die erste und die zweite Strophe sprechen: „ ich bin erhoben unter den Völkern, erhoben auf der Erde ". Die enge Zusammengehörigkeit der v v 2 - 8 gerät auch bei einer Dreiteilung des Psalms nicht aus dem Blick, und so bleibt festzuhalten, daß im Fall von Ps 46 die dargestellten Varianten sehr nahe beieinander liegen. 85 Vgl. auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen I NEB, 285; SPIECKERMANN, Stadtgott, 25. 86 So auch SCHREINER, Sion, 220.
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C. Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
Utopie
der Wasser, das Toben der Völker. Die erste Strophe beschreibt eine bis in ihre Grundfesten erschütterte Welt. Berge, Inbegriff für Festigkeit und Beständigkeit, wanken in die Tiefe des Meeres, versinken. Doch die Beter haben ihre Zuflucht in Gott. Er ist der Ruhepol inmitten des Chaos. Allein das letzte Kolon der ersten Strophe bricht das Bild des chaotischen Wankens auf und eröffnet eine gewandelte Perspektive. Nicht widergöttliche Chaosmächte, sondern die Erhabenheit (ms:) Gottes bringt die Berge zum Erzittern. Das Chaosmotiv wird verfremdet, läßt die Größe Gottes durchscheinen, ohne daß ihm ein wirklicher Gegner gegenüberstünde. 87 Die zweite Strophe beginnt mit einem Gegenbild. Anstelle schäumender Wasser rückt nun der Strom, dessen Kanäle die Gottesstadt erfreuen 88 , ins Blickfeld. Es ist ein paradiesisches Bild, hinter dem auch die Vorstellungen eines Paradiesstromes oder der Tempelquelle stehen. Hier ist Wasser, und das bedeutet Leben. 89 Wo Gott gegenwärtig ist, da sind die Wasser keine Chaosmacht mehr, sondern Teil seiner Schöpfung. Der fünfte Vers weitet sich zu einem Lobpreis der Stadt Gottes, der heiligsten der Wohnungen des Höchsten. Sie ist gekennzeichnet durch seine Gegenwart, sie wird nicht wanken. Gott ist ihr - als Hilfe am Morgen 90 - ganz zugewandt.
87
SCHREINER (Sion, 221) deutet dies auf das Gerichtshandeln Jhwhs hin. ,„Erfreuen' besagt Gewährung von Heil im umfassenden Sinn des Wortes" (SCHREINER, Sion, 223); s.a. JANOWSKI, Wohnung, 49. 89 Vgl. KEEL, Bildsymbolik, 122. Er verweist auf die Paradiesströme wie auch auf den vom Tempel in eschatologischer Heilszeit ausgehenden Strom (Ez 47,1; Joel 4,18; Sach 14,8) gleichermaßen. Dabei will er nicht ausschließen, daß sich der Strom in Ps 46, der den tosenden Wassern gegenübersteht, auf die Gihonquelle und ihren Kanal bezieht (ebd.). S. a. LEVENSON, Sinai, 159; STOEBE, Psalm 46, 600; MOWINCKEL, Psalmenstudien II, 163 f.286; SCHREINER, Sion, 222. HAYES (Tradition, 423) lehnt jeden realen Bezug der Ströme in und um Jerusalem ab und erklärt sie mythologisch oder aber einem anderen Umfeld zugehörig. So auch ZAPFF, Feste Burg, 86. JANOWSKI (Wohnung, 55 ff.) macht hingegen die Überschneidung mit dem Symbolsystem des Tempels bzw. seiner Einrichtung stark. Eine stärker abweichende Deutung bietet BAUER. Seiner Ansicht nach ist „der Paradiesstrom, der der Stadt Gottes mitsamt Tempel üppiges Leben spendet, ... Gott selbst mit seiner Huld, in seiner Bundestreue, mag sein auch, indem er sein lebenspendendes Gesetz offenbart" (Flüsse, 65). Zur antik jüdischen und altkirchlichen Auslegung der Passage vgl. ebenfalls BAUER, Flüsse, 66 ff. Einen gänzlich anderen Zugang präsentiert EISSFELDT, indem er das Motiv nicht „auf einen physischen Wunderstrom", sondern auf die ständige Anwesenheit Jhwhs in seiner Stadt Jerusalem beziehen will (Königsprädikation, 52). 90 Der Ausdruck ~ipa nua"? ist auch in Ex 14,27 und Jdc 19,26 belegt. Die Exoduspassage erzählt, daß das Meer gegen Morgen an seinen Platz zurückflutet und das Heer der Ägypter umkommt. Gern wird aus diesem Grunde geschlußfolgert, daß die Hilfe am Morgen in Analogie zum Exodusgeschehen erfolgen wird (so ZAPFF, Feste Burg, 87). SCHREINER lehnt es ab, in der Hilfe am Morgen einen konkreten Hinweis auf den Zeitpunkt einer Heilstat Jhwhs zu sehen. So schließt er die Ereignisse um den Kriegszug Sanheribs aus, weil nach II Reg 19,35 die Ereignisse in der Passanacht und nicht im Morgengrauen stattfinden (Sion, 224). ZIEGLER fuhrt verschiedene Vorstellungen zur Deutung der Hilfe am Morgen zusammen. Dazu gehören neben den geschichtlichen Erfahrungen des Exodus und der „Assyrernot" die 88
/. Die
Gottesstadt
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Vorstellungen, die in Ps 48 noch auf zwei Redaktionsebenen anzutreffen sind, verschmelzen in Ps 46 miteinander, die von der Stadt Gottes und die vom Tempel, der Wohnung Gottes (vgl. Ps 43,3; 74,7; 84,2; 132,5.7). Der zur Tempelmetaphorik gehörende Paradiesstrom unterstützt diesen Effekt. 91 Die Heiligkeit des Tempels wird in Ps 46 auf die ganze Gottesstadt übertragen. 92 Zapff geht davon aus, daß die Verankerung der Gegenwart Gottes in der Stadt seine Gegenwart in der betenden Gemeinde betont. Diese müsse sich dafür nicht notwendigerweise im Tempel aufhalten. 93 Damit nivelliert er die Bedeutung der Stadt und des Tempels. Daß der Psalm kein reiner Lobhymnus auf die Gottesstadt ist, ist unbestreitbar. Damit ist aber die hohe Relevanz der Stadt, die durch den Paradiesstrom umflossen wird, nicht gemindert. Die Gegenwart Gottes in seiner Stadt, nicht begrenzt auf den Tempelbereich, unterstreicht die Schutzfunktion der Stadt für die Bürger, und der Leben verheißende Paradiesstrom verspricht Nahrung. 94 Was sich der Beter von Ps 84 ersehnt, ein Leben in den Vorhöfen Jhwhs, wird ihm in Ps 46 in einer umgekehrten Bewegung ermöglicht, nämlich indem Gott aus dem Tempelbezirk heraustritt. V 7 geht wieder zurück zur Chaosmotivik, unterscheidet sich aber von den v v 2 ^ darin, daß es nicht Elemente der Natur, sondern die Völker sind, die toben. Zudem wird der in den v v 2 - 6 durchgängige Gebrauch des Imperfekts durch Perfektformen abgelöst. Das Wanken der Völker und Königreiche hat einen geschichtlichen Hintergrund 95 , der aber durch keine Andeutung näher bestimmt würde. Allein die gewählte Zeitform hebt ihn aus dem Kontext heraus. Ohne jegliche zeitliche Beschränkung bleiben hingegen allein die Gottesaussagen (vv2.6aa.8.12).
Ablösung der Nacht durch das Licht und die Rechtsprechung am Morgen (Hilfe, 281 ff., insb. 2 8 4 ) . Z u r Kritik an ZIEGLER vgl. JANOWSKI, R e t t u n g s g e w i ß h e i t , 12 f.
Stärkere Beachtung sollte hingegen das Motiv der Hilfe am Morgen als Theophaniemetapher erlangen, verbunden mit der Vorstellung von Jhwh als Sonnengott, der mit seinem täglichen Aufgang die Gegner vertreibt (s. Ps 76,5; 84,12; vgl. auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 386.389; NIEHR, Höchster Gott, 155). Zum Motiv der Hilfe Gottes am Morgen im Alten Orient vgl. JANOWSKI, Rettungsgewißheit. 91
92
V g l . KEEL, B i l d s y m b o l i k , 122.
„Die Gegenwart Gottes (wird) nicht tempelorientiert, sondern ganz stadtorientiert zu denken versucht" (SPIECKERMANN, Stadtgott, 27). 93 Vgl. ZAPFF, Feste Burg, 90 f. 94 Die Stadt ist Modell des stabilen Kosmos inmitten von Chaos (vgl. JANOWSKI, Wohnung, 50). 95 Auch ZAPFF geht auf den Wechsel in der Zeitform ein, wodurch ein vergangenes Ereignis beschrieben werden soll, im Gegensatz zu einer stets latent vorhandenen Bedrohung (Feste Burg, 88). S. a. PODELLA, Chaoskampfmythos, 317. LEVENSON, der auf die zwei chaotischen Dimensionen, die natürliche und die historische, verweist, lehnt die Bezugnahme auf ein spezifisches historisches Ereignis ab. Seiner Ansicht nach zeigt der Text allein: „Nature and politics stand together in their Opposition to the one great f a c t o f r e a l i t y : that Y H W H is G o d " (Sinai, 153).
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C. Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
Utopie
Auch die zweite Strophe schließt mit einem Hinweis auf die Größe Gottes. Seine Donnerstimme erschallt, und es bebt die Erde. 96 Der Refrain in v 8 beendet die Chaosmotivik, der Psalm wird auf einer anderen Ebene fortgesetzt. Doch sind mit dem Refrain weitere „Funktionen" verbunden. Er fuhrt zurück auf das Thema des Psalms, wie v 2 es beschreibt. Er nennt den so mächtig geschilderten Gott der ersten Verse mit Namen und bringt die beiden positiv hervortretenden Subjekte der v v 2 - 7 in einen Zusammenhang - Gott und „Wir". Beide Namen, Jhwh Zebaoth und Gott Jakobs, kommen häufig in den Psalmen, die Zion thematisieren, vor. 97 In der Verbindung, wie sie in Ps 46,8.12 vorliegt, verweisen die Namen Gottes auf seine universale Größe und seine nationale Bindung gleichermaßen. Dieser Gott ist der Wir-Gruppe zugewandt als Hilfe und Schutz. Die Wahl des Begriffs rran beschreibt die von Jhwh gewährte Sicherheit zudem in einer Aussageform, die üblicherweise der Stadt gilt. Es ist schließlich anzumerken, daß das in Ps 46 gezeichnete Bild der Stadt mehrschichtig ist. Die Anklänge an den Tempel sind bereits erwähnt worden. Hinzu kommt ihre eigene Hilfsbedürftigkeit. Die heiligste der Wohnungen des Höchsten ist ganz auf seine Gegenwart angewiesen, damit sie nicht wankt. Hierin unterscheidet sich die Stadt von Ps 46 ganz erheblich von der in Ps 48. Von Wehrhaftigkeit ist in Ps 46 nichts zu spüren. Was sich in Ps 48,9 durch Redaktion andeutet - die Rückkopplung der Größe der Stadt an die Größe Gottes - liegt in Ps 46 bereits in der Grundfassung vor. Die dritte Strophe fuhrt ein neues Thema in den Psalm ein. Der Aufforderung, die Taten Jhwhs in Augenschein zu nehmen, folgt der Aufruf zur Gotteserkenntnis. Wer aber wird hier angesprochen? Es sind die Völker 98 , die kommen sollen, um zu sehen, wer der Gott Jakobs ist. Sie sollen von ihrem Treiben ablassen und Gott erkennen. Der Psalmist dehnt die Erwartungen und Hoffnungen ins Eschatologische 99 aus: Gott will erhaben sein unter den Völkern - doch eine Burg ist der Gott Jakobs uns allein. Ps 46 ist nachträglich um die Friedensmotivik von v 10 erweitert worden. Dem Gott, der durch seine machtvolle Gegenwart die Gegner zur Aufgabe zwingt, wird der Charakter des Friedensstifters verliehen. Auch in dieser Rolle agiert er machtvoll aggressiv. Er zerstört um des Friedens willen, indem er den Bogen 96 Hier handelt es sich nicht mehr um Auswirkungen des Chaos, sondern um Kennzeichen einer Theophanie, womit sich das Beben hier deutlich von dem in v 3 geschilderten unterscheidet. Vgl. auch PODELLA, Chaoskampfmythos, 317. 97 Zu npir vgl. Ps 14,7; 20,2; 53,7; 76,7; 84,9; 132,2.5; 146,5. BEAUCAMP schreibt zu dem Titel Gott Jakobs: „L'expression ... conserve ... une résonance nationaliste ancienne" (Psautier I, 202). Zu rraas vgl. Ps 48,9; 69,7; 84,2.4.9.13. Mehr zum Vorkommen dieser Gottesnamen s.
b e i SPERLING, J a h w e - Ü b e r l e g e n h e i t s l i e d , 3 4 1 f f . 98
So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen I NEB, 288; ZAPFF, Feste Burg, 85. Mehr noch wird der eschatologische Zug der dritten Strophe auf ein ewiges Friedensreich hin gedeutet, wie es v 10 anzudeuten scheint. Vgl. dazu bereits EICHRODT, Hoffnung, 124ff.; 99
STOEBE, P s a l m 4 6 , 6 0 0 .
I. Die Gottesstadt
185
zerbricht und den Speer zerschlägt. Gern wird in diesem Kontext auf Jes 2,1-5 bzw. Mi 4,1-5 verwiesen. Doch danach schmieden die Völker ihr Kriegsgerät um; in Ps 46 ist es Gott selbst, der den Bogen zerbricht 100 , ähnlich Hos 2,20. Mit der Zufügung von v 10 ist es nicht nur Jhwhs erschreckende Macht, sondern auch sein absoluter Friedenswille, der die Völker zur Gotteserkenntnis führt. Ps 46 geht somit einen umgekehrten Weg gegenüber Jes 2 und Mi 4. Während in den prophetischen Texten die von Zion ausgehende Weisung Gotteserkenntnis vermittelt und das Verhalten der Völker ändert, ist es in Ps 46 „das Verhalten" Gottes, das die Gotteserkenntnis bewirkt. Die Friedensthematik verweist auf einen Psalm, der dieses Thema eng mit Jerusalem verknüpft, Ps 122. Ps 46 hat aber die Völker im Blick, während Ps 122 allein vom Frieden Jerusalems singt, der gleichbedeutend ist mit Frieden für Brüder und Freunde, für die Gemeinde Gottes, für Israel. Die Zugänge der Texte zur Friedensthematik sind grundverschieden; sie zeigen die Diversität, in der von Frieden im Zusammenhang mit Zion und Jerusalem gesprochen werden kann. P s 4 6 bietet jedenfalls kaum eine Grundlage, auf die Ps 122 aufbauen könnte. Anders steht es mit Ps 76. Die Aufnahme des Friedensmotivs - auch in Ps 76 ist es Jhwh, der den Bogen zerbricht - und des Gottesschreckens 101 verbindet diesen Text eng mit Ps 46. So wird auch Ps 76 gern zu den Zionsliedern gezählt. 102 Während es in Ps 46 jedoch ganz generell um das Friedenshandeln Jhwhs geht, der Kriege beendet, ist es nach Ps 76 Teil seines Rettungshandelns, bezogen auf Salem und Zion (nnti). Außerdem weist die Formulierung im Perfekt auf eine abgeschlossene Handlung. 103
Das Profil der Gottesstadt verschiebt sich von Ps 48 zu Ps 46. Auch wenn in Ps 48 festzustellen ist, daß von der Stadt in bezug auf die Gottesgegenwart gesprochen wird wie sonst nur vom Tempel, sind es dennoch nicht die Heiligtumsvorstellungen, die das Bild der Stadt prägen. Sie kommen erst durch eine redaktionelle Zufugung in den Text. Anders ist es in Ps 46, in dem die Gottesstadt bereits deutlich die Züge des Tempels trägt. Zudem ist sie als Stadt nicht mehr Gegenstand des Lobpreises. Daß Zion in Ps 46 nicht genannt wird, unterstreicht das besondere Profil des Textes gerade in Absetzung von Ps 48. Der Blick auf beide Texte zeigt eine Verschiebung vom Lob der Gottesstadt hin zum Gotteslob. Dem würde eine Verortung Gottes auf dem Zion in Ps 46 noch nicht entgegenstehen. Gewichtiger 100 S.a. ZAPFF, Feste Burg, 89. WILDBERGER schreibt zu Jes 2: „Jesaja geht dabei über die Erwartung der Zionslieder, dass Jahwe den Kriegen ein Ende setzen werde, hinaus: die Völker beugen sich in freien Stücken vor Gott, besorgen das,Zerbrechen' der Waffen selbst und rüsten sich von sich aus nicht mehr für den Krieg" (Völkerwallfahrt, 81). 101 Vgl. nnti nöp Zerbrechen der Bögen (Ps 46,10; 76,4); Gottesschrecken zur Lähmung der Feinde (Ps 46,9; 48,6 f.; 76,6); Donnerstimme Jhwhs (Ps 46,7; 76,7); Gott Jakobs (Ps 46,8.12; 76,7); Könige der Erde (Ps 46,7; 76,13). S.a. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 386. 102 Vgl. u. a. GUNKEL, Einleitung, 42.80 f. 103
Vgl. BACH, Bogen, 17 f.
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Utopie
jedoch ist, was Ps 46,2 und der Refrain formulieren. Gott selbst ist Schutz und Zuflucht. Die Stadt ist „nur" noch der Ort, an dem sich der göttliche Schutz konkretisiert. In der Weglassung des Zionsnamens wird das gewandelte Profil von Ps 46 gegenüber Ps 48 deutlich. 104 In der Weiterentwicklung der Vorstellung von der Gottesstadt, die die Züge des Tempels trägt, und in der Verschiebung des Akzentes von der Gottesstadt zum Gotteslob erweist sich Ps 46 gegenüber Ps 48 als jünger. 105 Unter dieser Perspektive hat auch die Annahme, daß der Lobpreis der Gottesstadt generell vorexilisch sein müsse, kein Gewicht. 106 Die Rede von der Sicherheit der Gottesstadt ist auch nachexilisch möglich 107 , weil die Stadt Züge des Tempels trägt. Es berühren sich hier die Vorstellungen von der Stadt als realem Wohnort, der des göttlichen Schutzes bedarf, und die vom Tempel, der Wohnung des Höchsten, der unangreifbar ist. Für die nachexilische Abfassungszeit spricht auch die Ambivalenz des Textes im Blick auf Israel und die Völker. Der Text sucht die Universalität des Herrschaftsanspruches Gottes unter den Völkern mit dem Protektorat des Gottes Jakobs für sein Volk zu verbinden. Diese Verbindung wird durch die Chaosmotivik hergestellt, denn in v 7 sind die D"0 Teil der Bedrohung, in v 11 aber zur Anerkenntnis des Gottes Jakobs aufgefordert, die nicht nur Frieden für Israel, sondern Frieden bis an das Ende der Erde zur Folge hat. Diese Wahrnehmung eigener Schwäche in Verbindung mit dem universalen Heilswillen Gottes ist erst nachexilisch möglich.
II. Königtum auf dem Zion Aus thematischer Sicht sind es zwei Textgruppen, die sich unter der Überschrift „Königtum auf dem Zion" zusammenfassen lassen. Zum einen sind die GottKönig-Psalmen zu nennen, zum anderen die Ps 2 und 110, die von der göttlichen Einsetzung eines Herrschers auf dem Zion singen. In gewisser Hinsicht ist auch Ps 132 hinzuzuziehen, der das davidische Königtum mit dem Zion verbindet. 104 ZAPFF sieht in der Nichterwähnung Zions oder Jerusalems ein Indiz dafür, daß es sich hier um eine Übertragung auf die Gemeinde handelt, in deren Mitte Gott ist (Feste Burg, 90). 105 SPIECKERMANN erachtet Ps 46 ebenfalls als jünger gegenüber Ps 48, ordnet ihn aber dennoch vorexilisch ein (Stadtgott, 27). S.a. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen I NEB, 285. BAUER bringt im Anschluß an WANKE (Zionstheologie, 70) als Argument für eine nachexilische Datierung, daß es keine Belege aus vorexilischer Zeit für eine Übertragung mythischer Motive auf Zion gäbe (Flüsse, 62). Anders noch ROHLAND (Bedeutung, 123), der Ps 46 für den ältesten der Zionpsalmen hält. 106 Vgl. u.a. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen I NEB, 284f. Sie gehen davon aus, daß die geschilderten Rettungserfahrungen kaum nach der Zerstörung Jerusalems 587 v.Chr. gemacht worden sein können. Dabei räumen sie ein, daß der Text mit der „Emphase des ,Dennoch'" auch nachexilisch gesungen worden sein könnte. 107 ZAPFF (Fest Burg, 90) sieht den Text in der Nähe zur prophetischen Eschatologie.
187
II. Königtum auf dem Zion
Da es in Ps 132 aber wesentlich um das Heiligtum auf dem Zion geht, ist die ausfuhrliche Behandlung dieses Textes einem anderen Kapitel zugeordnet; in diesem Zusammenhang wird lediglich auf Varianten des Themas Königtum in Ps 132 verwiesen. Grenzt man Ps 132 aus, kristallisiert sich unter der Überschrift „Königtum auf dem Zion" eine Herrschaftsform heraus, die jegliche Erfahrung, die Israel mit seinen Königen gemacht hat, sprengt. Dies gilt nicht nur für das ohnehin nicht vergleichbare Königtum Gottes, sondern auch für das des von ihm eingesetzten Königs. Dabei wird sich die Korrelation von Machtzentrum und Macht des Herrschers als besonders aufschlußreich erweisen. 1. Das Königtum Gottes Psalm 99 Die Gruppe der Gott-König-Psalmen 93-99*, die in Ps 100 einen krönenden Abschluß findet, ist formal und thematisch einheitlich gestaltet und tritt so auch als Teilsammlung des Psalters deutlich hervor. 108 Dabei ist mit dem Namen „Gott-König-Psalmen" bereits das Wesentliche gesagt. Die Texte preisen Gott als König, der das Chaos in seine Grenzen weist und in Gerechtigkeit über Israel und die Völker herrscht. Zion wird als Stadt, als heiliger Berg und Fußschemel des Königs Jhwh vorgestellt. Beim Namen genannt wird Zion allerdings nur in Ps 99,2 und 97,8. In Ps 99 ist der Zion der Herrschaftssitz Jhwhs, in Ps 97 hingegen als Stadt Zeuge der gerechten Königsherrschaft. Von dem Berg bzw. den Bergen mit direktem Bezug zum Zion ist wiederum nur in Ps 99,9 die Rede. 109 Dieser Befund legt es nahe, unter dem Aspekt „Königtum Gottes" Ps 99 ins Zentrum zu rücken. Ein kurzer Blick auf die Komposition von Ps 93-99 ist zudem notwendig, da auch der Frage nachgegangen werden muß, inwiefern das Königtum Gottes lokal auf dem Zion zentriert vorzustellen ist. Da Ps 97 den Topos Zion anders füllt als Ps 99, soll er in diesem Kontext Beachtung finden. Psalm 99 1 Jhwh ist König 110 , es zittern die Völker der auf Cheruben Thronende, es wankt111 die Erde. 2 Jhwh ist groß zu Zion, hoch erhaben ist er über alle Völker112.
108
Vgl. dazu
SCHNOCKS,
Vergänglichkeit,
196-211,
kurzgefaßt
ZENGER,
Theophanien,
1 7 4 f . ; s . a . LEUENBERGER, K o n z e p t i o n e n , 1 2 9 f f . 109
Als Teil der Schöpfung werden die Berge zudem in Ps 95,4; 97,5 und 98,8 genannt. Zur der komplexen Forschungsgeschichte in bezug auf die Thronbesteigungspsalmen vgl. u.a. M O W I N C K E L , Psalmenstudien I I ; W . H . SCHMIDT, Königtum 74ff.; in Kürze SCORALICK, 110
T r i s h a g i o n , 2 2 f.; W E L T E N , K ö n i g s h e r r s c h a f t , 2 9 7 f f . ; L . SCHMIDT, A r t . K ö n i g t u m , 3 3 0 f f . 111 112
Die LXX übersetzt passivisch mit aa>.£v0r|Ta). Einige Handschriften bieten die Variante „über alle Götter".
HOSSFELD/ZENGER
be-
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C. Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
Utopie
3 Sie sollen preisen deinen Namen, groß und gefürchtet, heilig ist er. 4 Und die Kraft des Königs ist das Recht, das er liebt 113 , du, du hast das Recht gegründet, Recht und Gerechtigkeit sind in Jakob, du hast sie gemacht. 5 Erhebt Jhwh, unseren Gott, werft euch nieder vor dem Schemel seiner Füße, heilig ist er. 6 Mose und Aaron mit seinen Priestern"4, und Samuel mit denen, die seinen Namen anrufen, sie sind Rufende zu Jhwh, und er antwortet ihnen. 7 In der Wolkensäule redet er zu ihnen, sie bewahrten seine Satzungen und Gesetze, die er ihnen gab. 8 Jhwh, unser Gott, du antwortest ihnen. Ein (Verfehlungen) aufhebender Gott bist du und Rache übend an ihren Verfehlungen"5. 9 Erhebt Jhwh, unseren Gott, werft euch nieder vor seinem heiligen Berg, denn heilig ist Jhwh, unser Gott.
Der Psalm in seiner vorliegenden Form ist zweigeteilt. 116 Die beiden Teile werden jeweils durch den mit leichten Variationen gestalteten Refrain (vv 5.9) abge-
dachten dies als eine sekundäre Angleichung an Ps 95,3; 96,4; 97,9 bzw. als einen von daher ausgelösten Schreibfehler (Psalmen II HThK, 692). 113 Problematisch sind die Anknüpfung von v4aa an v3, wie auch die syntaktische Bestimmung der einzelnen Satzglieder von v 4aa. Zur Anknüpfung an v 3 ist zu sagen, daß mit Nin onp ein Einschnitt vorliegt, der sich auch in einem Themenwechsel in v4aa ausdrückt (anders u.a. BUBER, Buch, 146; TÄTE, Psalms II, 525 f.; SCHILLER, Bemerkungen, 79 f.). Schwerer zu beantworten ist die zweite Frage. Werden \s und BSDQ parallelisiert, indem ein Nominalsatz mit einem von obdo abhängigen Relativsatz kombiniert wird, oder liegt ein von "j*pn abhängiger Relativsatz vor? Letzteres wäre eine Aussage über den König, ersteres eine über das Recht. Daß das Recht jedoch auch im folgenden zum Thema des Psalms wird, spricht für die Annahme eines von BSÖD abhängigen Relativsatzes. Vgl. zu den verschiedenen Lösungsvorschlägen SCORALICK, Trishagion, 61. Sie selbst liest aber im Anschluß an MICHEL (Tempora, 2 2 0 ) : „Und die Stärke des Königs ist es, daß er das Recht liebt" (ebd., 16.61 ff.). 114 JEREMIAS übersetzt mit „Mose sowie Aaron als sein Priester" um auszuschließen, daß Mose auch unter die Priester gezählt würde (Königtum, 114). Dies ist jedoch vom Text her nicht notwendig und außerdem spricht der Plural TTD dagegen. 115 W H I T L E Y erachtet die nach dem MT bestehende Gegenüberstellung von Vergebung und Rache für nicht textgemäß und schlägt eine Konjektur von cpj zu np; mit pluralischem Suffix vor: „and he cleansed them" (Psalm 99,230). WHYBRAY hingegen empfiehlt, CNI'R'» als Objektgenetiv zu lesen: „the deeds which had been done to them" (Wrongdoings, 238). An beiden Positionen ist aber problematisch, daß sie sich an einem Inhalt stören, der doch die Gerechtigkeit Gottes ausmacht. Strafe und Gnade gehören beide dazu. 1,6 So bereits GUNKEL, Psalmen, 429.
II. Königtum auf dem Zion
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schlössen." 7 Im Zentrum der Passagen steht zum einen das Recht als Grundlage königlicher Macht und Herrschaft, zum anderen die Durchsetzung des Rechts bei den großen Führern Israels als kommunikativer und herrschaftlicher Akt. Um das Thema des Rechts sind Traditionsbereiche gruppiert, deren Kombination bereits auf der Ebene des Grundpsalms schwierig erscheint. Die Königsherrschaft Jhwhs als Herrschaft auch über die Völker, die zittern vor seiner Macht, steht neben der Durchsetzung des Rechts in Israel. Mose, Aaron und Samuel werden genannt als Verkünder der Satzungen Gottes in Israel, deren Nichteinhaltung Gott selbst mit Vergebung oder Strafe bedenkt. Alle nur kurz angedeuteten Traditionskreise mögen sich um einen Kern angelagert haben " x oder aber für den Kontext zusammengestellt worden sein 119 . Formale Kriterien, um zu einem plausiblen Urteil zu kommen, gibt es kaum. Auffällig ist deshalb das in v 4 zweifach auftretende nnx, das den Satz über die Liebe des Königs zum Recht weiter ausführt und auf Israel anwendet. Die Du-Anrede prägt auch den zweiten Hauptteil des Psalms, selbst wenn sie nur in v 8 direkt angewendet wird. Sie ist Teil des Kommunikationsgeschehens, das die v v 6 - 8 schildern. Die vv4aßb.6-8 sind als Auslegung von v 4 a a mit Blick auf Israel zu verstehen. 120 Eine weitere 117 Dem xin snp aus v 3 kommt auf der Ebene des Endtextes als Strukturmerkmal nicht das gleiche Gewicht zu wie dem Refrain. Anders JEREMIAS, Königtum, 115; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 695; ZENGER, Theophanien, 178. SEYBOLD hält V3 insgesamt für sekundär und erachtet den Psalm auf seiner Endstufe als dreiteilig (Psalmen, 388 f.). 118
V g l . KRATZ, R e s t e , 4 5 ff.
119
Zwei Argumente sind für HOSSFELD/ZENGER ausschlaggebend, in diesem Sinne zu entscheiden. Es sind dies die Stichwort- und Motivverkettung mit den Nachbarpsalmen und das nachexilische Kolorit (Psalmen II HThK, 697). Der Text gehört thematisch in die Reihe der Jhwh-König-Psalmen, in jedem Fall seinem Grundbestand nach. Darüber hat er seinen Platz in der Psalmengruppe erhalten. Stichwort- und Motivverkettungen mit den Nachbarpsalmen mögen bereits aus einer Überarbeitung im Kontext der Gruppe herrühren und die Gestalt als „relecture" von Ps 93 aus seiner Position innerhalb der Gruppe. Die nachexilische Theologie, d.h. die Bezüge zum Pentateuch, die besonders die v v 6 - 8 prägen, mögen ebenfalls einer solchen Überarbeitung zuzuschreiben sein. Entscheidend ist schließlich, ob sich ein Grundtext nachweisen läßt, der vollständig erscheint und seinem Platz innerhalb der Psalmengruppe als ein Jhwh-König-Psalm entspricht. Für die Einheitlichkeit von Ps 99 sprechen sich auch SCHNOCKS (Vergänglichkeit, 228 f.) und LEUENBERGER ( K o n z e p t i o n e n , 163 ff.) a u s . 120 JEREMIAS versteht die Passagen mit der Du-Anrede als Teil der strophischen Gestaltung (Königtum, 115). Allerdings scheidet er die vv 7b und 8b als Erweiterungen aus. Er nennt z. T. stilistische und z.T. inhaltliche Gründe wie einen unerwarteten Subjektwechsel und Tempuswechsel. Für gewichtiger hält er jedoch, daß beide Verse einen Ton tragen, der dem Text sonst fremd ist. „Beide Halbverse möchten vor einem Automatismus von Gebet und Erhörung warnen; sie wenden dazu das Thema der Strophe - Recht und Gerechtigkeit - auf die Situation von dritten an:... Die ursprünglichen Aussagen der Strophe betrafen eine Institution, für die Mose, Aaron und Samuel als Repräsentaten stehen; V.7b,8b zielen auf den Gehorsam jedes einzelnen" (Königtum, 119). Dazu ist zu bemerken, daß der Subjektwechsel in v 7 thematisch sinnvoll ist, die Tempora allenfalls in v 7b, nicht aber in v 8b, da auf Partizipien zurückgegriffen wird, schwierig sind. Allein der Tempuswechsel dürfte an dieser Stelle aber kaum ausreichen, v 7b auszuscheiden. Die thematischen Differenzen, die JEREMIAS anspricht, erweisen sich bei näherem Hinsehen kaum als solche. Es geht hier wohl nicht um einen Automatismus von Gebet
190
C. Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
Utopie
Du-Anrede (mittels eines Pronominalsuffixes) findet sich in v3a. Es handelt sich um den Ausdruck des Wunsches, daß die Völker Jhwhs Namen preisen mögen. Damit wird jedoch einer Hoffnung Ausdruck verliehen, die wenig zu den hymnischen Aussagen über den Gottkönig passen will, weil diese Gewißheit vermitteln. Muß man folglich davon ausgehen, daß auch v3a sekundär ist, zieht dies das gleiche Urteil über v2b nach sich. Damit entfielen aber die Aussagen über die Völker, die die rühmende Beschreibung des Königs Jhwh mehrfach unterbrechen, für die Grundfassung. Das Völkerthema wäre insgesamt als eine Explikation der Größe Jhwhs zu verstehen, die sein Weltkönigtum unterstreicht. Das muß nun aber nicht zwingend zu dem Urteil führen, daß auch Teile von v i 1 2 1 nachträglich eingefügt worden sind, denn das Völkerthema wird in anderer Weise aufgegriffen als in den vv2.3. Sie beschreiben die Auswirkungen eines Theophaniegeschehens. Gleichwohl unterbrechen auch sie die Beschreibung Jhwhs. Geht man davon aus, daß alle den Lobpreis Jhwhs unterbrechenden und zudem thematisch abweichenden Passagen des Psalms sekundär sind, so ergibt sich ein stimmiger Grundtext, der den Cherubenthroner mit einem dreifachen „heilig" preist. 122 Diese klare Dreiteilung des Grundtextes wird erst durch die Zufugungen verwischt, so daß erst mit der Endgestalt des Textes die Frage, ob der Psalm durch eine Zwei- oder eine Dreiteilung gestaltet ist, für die Forschung virulent werden konnte. 123 Jhwh ist König, der auf Cheruben Thronende, Jhwh ist groß zu Zion, heilig ist er. Und die Kraft des Königs ist das Recht, das er liebt. Erhebt Jhwh, unseren Gott, werft euch nieder vor dem Schemel seiner Füße, heilig ist er. Erhebt Jhwh, unseren Gott, werft euch nieder vor seinem heiligen Berg, denn heilig ist Jhwh, unser Gott. und Erhörung, sondern zuerst um Anrufung und Antwort. Daß die Antwort Gottes in Form einer Weisung zu verstehen ist, legt sich nicht erst mit v7b nahe. Antwort Gottes ist Gabe und Aufgabe, dies ist Israels Erfahrung mit seinem Gott und dies steckt auch in dem Bild der Wolkensäule, das mit der Wegweisung Gottes auf dem Sinai verbunden ist. Schließlich sind auch ohne die vv 7b.8b nicht nur Mose, Aaron und Samuel angesprochen, sondern alle, die den Namen Gottes rufen. Und sie stehen, da sie einen antwortenden Gott haben, in der Pflicht, dem Gehörten gemäß zu leben. Damit greift Ps 99 übrigens auf, was auch Ps 95 benennt und an Israel scharf kritisiert, nämlich nicht zuzuhören. 121 trni! urv und p x n oiün. 122 Zu einem entsprechenden Ergebnis kommt KRATZ, Reste, 45 f. 123
V g l . JEREMIAS, K ö n i g t u m , 1 1 5 ; S C H R E I N E R , S i o n , 1 9 9 f . ; H O S S F E L D / Z E N G E R , P s a l m e n II
H T h K , 6 9 4 f . ; SCORALICK, T r i s h a g i o n , 5 4 f .
II. Königtum auf dem Zion
191
Der Grundpsalm preist Jhwh als König 124 und hebt weitere daran geknüpfte Attribute hervor. Im Zentrum des Textes steht aber die Aussage: „ Die Kraft des Königs ist das Recht, das er liebt". Damit wird ein Aspekt der Königsherrschaft Gottes hervorgehoben 125 , dessen Relevanz für die preisende Gemeinde unmittelbar ist. Seine Liebe zum Recht ist konkret faßbar. Sie verheißt Gerechtigkeit und Ordnung statt Willkür. Sie bezieht sich nicht nur darauf, daß Jhwh als König gerecht regiert, sondern auch darauf, daß Rechtsprechung in Israel überhaupt möglich ist. Der Text schließt mit einem zweifachen Aufruf, Jhwh zu erheben. Besondere Merkmale des Textes neben dem Schwerpunkt Recht sind das dreifache cönp und der dreifache Bezug auf Zion. Beide Elemente werden jedoch nicht einfach wiederholt, sondern auf unterschiedliche Weise variiert. 126 Das dreifache tinp wird gesteigert, indem es auf nrrfrx mir ö n p ~ o zuläuft und damit den Psalm zum Abschluß bringt. Zudem folgt es zunächst auf eine kurze hymnische Aussage über Jhwh, wird dann dem Aufruf, vor Jhwh niederzufallen, angefugt und endet nicht mit dem Personalpronomen xin, sondern mit der Nennung des Gottesnamens. Die Variantionen von Zion, in denselben Versen genannt, sind anderer Art. Zunächst wird der Name Zion, verbunden mit der Präposition n 127 , erwähnt. Jhwh ist König und als König groß 128 und gegenwärtig Damit ist deutlich, daß Jhwh inmitten seines Landes herrscht. Doch Zion, der Ort seiner Gegenwart, der für das Volk Gottes nicht nur theologisch, sondern auch geographisch lokalisierbar ist, ist zugleich der Schemel seiner Füße 129 . Dieser Satz erhellt, wohin sich
124
-|*?o mrr findet sich auch in Ps 93,1; 96,10; 97,1. HOSSFELD/ZENGER heben hervor, daß hier gegenüber den altorientalischen Königskonzepten eine für die Jhwh-König-Psalmen spezifische Perspektive eingenommen wird. Die Kraft des Königs ist nicht sein starker Arm, sondern das Recht, das er liebt (Psalmen II HThK, 701). 126 Mit seinem dreifachen o n p steht Ps 99 Jes 6 besonders nahe, auch wenn er, selbst in seiner Grundgestalt, den Ruf der Seraphen erweitert. Inhaltlich spricht nichts dagegen anzunehmen, daß der prophetische Text dem Psalmdichter bekannt war (eine Verdichtung von Ps 99 zu Jes 6,3 ist textgeschichtlich weniger wahrscheinlich, als eine „Zerdehnung", d. h. eine Auffüllung des Grundbestandes. Gegen KAISER, Jesaja, 128). S. a. SCORALICK, Trishagion, 59 f. Nach ZENGER (Weltenkönigtum, 160) ist Ps 99 an Jes 6,1-11 inspiriert, nur daß das Trishagion nicht mehr von den Seraphen, sondern von Israel und den Völkern gesungen werden soll. 127 Vgl. zu der Problematik der Übersetzung S. 90 Anm. 14. 128 Das Königsprädikat „groß" wird auch in Ps 47,3; 48,2; 95,3; 96,4; 86,10; 135,5; 145,3 genannt. 129 Vgl. u.a. GUNKEL, Psalmen, 429; SEYBOLD, Psalmen, 390. SCHREINER, der hier eine Parallele zu Ps 132,7 zieht, welcher ebenso den oin nennt. Dort identifiziert er den „Schemel deiner Füße" mit der Lade. Für SCHREINER ist dieser Unterschied zwischen beiden Texten ein Zeichen dafiir, daß Sinaitraditionen gewandelt wurden und aus dem Gott Israels ein Gott kosmischer Größe wurde (Sion, 201). METZGER (Königsthron, 358) zieht gleichfalls die Verbindung zur Lade und erwägt, ob die vv 5.9 von zwei verschiedenen Formen der Proskynese sprechen, nämlich vor der Lade und vor dem Berg. Aber auch er neigt schließlich der Lösung zu, unter MN den Berg zu verstehen. So auch SCORALICK, Trishagion, 78. OLLENBURGER 125
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die Gemeinde zu wenden hat, um Gott anzubeten. Gleichzeitig übersteigen Gottes Größe und Herrlichkeit alle genannten geographischen Dimensionen. Die dritte Erwähnung Zions benennt Zion als „seinen heiligen Berg". Auch der Berg partizipiert an der Heiligkeit Gottes. 130 Er ist der Fußschemel Gottes. Damit macht der Psalm erneut eine Aussage über die Größe Jhwhs, aber auch über den Berg. Denn wiederum ist der Berg der Orientierungspunkt, will sich die Gemeinde Jhwh zuwenden. Der Berg als Fußschemel Jhwhs ist das faßbare Moment der Größe Gottes. Der Text verknüpft das Königtum Gottes, seine Heiligkeit und den Zion aufs engste miteinander. Die Herrschaft Gottes ist verankert am Zion. Gott thront auf den Cheruben 131 , seine Füße aber ruhen auf Zion. Gott hat sich an einen Ort gebunden. Die dreifache Erwähnung Zions wird durch den Kernsatz des Psalms unterbrochen. Auf diese Weise wird nicht nur inhaltlich, nämlich durch die Königsherrschaft Gottes, sondern auch stilistisch das Recht auf dem Zion verortet. Zion wird zum Zentrum einer lebenermöglichenden und welterhaltenden Ordnung. 132 Der Text ist zunächst mit dem Ziel überarbeitet worden, die Größe Gottes und das Zentrum seiner Macht zu den Völkern ins Verhältnis zu setzen. Dazu wurden die Aussagen über Gott ergänzt durch Aussagen über die Völker, ihr Zittern, ihren Lobpreis. Der sich innerhalb des Völkerthemas zeigende Bruch, nämlich die Herrschaft Gottes über die Völker und der Wunsch nach Verehrung durch die Völker, weist zugleich darauf hin, daß die Ergänzung nachexilisch vorgenommen worden sein muß. 133 Im zweiten Überarbeitungsschritt wird die Völkerperspektive außer acht gelassen. Der Kernsatz zur Liebe des Rechts wird ausgerichtet auf Israel. „ Recht (Zion, 49) zeichnet das Verhältnis von Fußschemel als Lade bzw. als Berg als einen Weg im Sinne von Jes 66,1-2. 130
S . a . OLLENBURGER, Z i o n , 5 0 .
131
S . a . I S a m 4 , 4 ; II S a m 6 , 2 ; II R e g 1 9 , 1 5 ; J e s 3 7 , 1 6 ; P s 8 0 , 2 ; 9 9 , 1 ; I C h r 1 3 , 6 . Z u G e s t a l t
und Funktion der Cheruben vgl. u.a. METZGER, Königsthron, 309ff. Nach GUNKEL ist mit Blick auf Ps 99 der Cherubenthron der höchste der Welt. Jhwh ist als Cherubenthroner König der ganzen Erde (Psalmen, 429). KRAUS sucht natürliche Phänomene, um den Ausdruck zu erklären und verweist auf Gewitterwolken, auf denen der Himmelskönig thront (Psalmen II, 852; s. a. METZGER, Königsthron, 316 f.). Mit dem Titel Cherubenthroner wird zunächst einmal auf die Bindung an den Jerusalemer Tempel verwiesen (vgl. METZGER, Königsthron, 362; SCORALICK, Trishagion, 49). Als religionsgeschichtlichen Hintergrund hat man sich aber, wie KRAUS es vorschlägt, die den Wettergott begleitenden Himmelswesen vorzustellen (vgl. auch SCORALICK, Trisahagion, 30 f.). OLLENBURGER erkennt in der Erwähnung des Cherubenthrons einen weiteren Beleg dafür, daß die Ladetradition zum Kern der Zionstradition gehört (Zion, 4 8 f.). 132
133
V g l . METZGER, K e r u b e n , 5 2 5 ff.
Die Wahrnehmung der Völker als eigenständige Größen unabhängig von einer Kategorisierung als Unterdrücker oder Befreier gehört in die Perserzeit. JEREMIAS nimmt diesen Aspekt zum Argument, daß der Psalm insgesamt nachexilisch sein müsse (Königtum, 116 f.).
II. Königtum auf dem Zion
193
und Gerechtigkeit sind in Jakob. " Gott herrscht als König zum Wohl seines Volkes. Die Sprache in v4aßb stellt, trotz des dem Traditionsbereich der Schöpfung zugehörigen Verbs j"D, Recht und Gerechtigkeit Jhwhs als Geschichtstaten dar. Diese Perspektive wird in den vv6- 8 konsequent weitergeführt. Es geht nun um die Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit in der Geschichte Israels. Große Namen aus Israels Frühzeit werden herangezogen, um zu zeigen, daß sie alle der Königsmacht Gottes unterstehen. 134 Dabei ist die Gesetzesverkündigung hier nicht so sehr als ein deklarativer, sondern vielmehr als ein kommunikativer Akt vorgestellt. Mose, Aaron und Samuel, alle, die den Namen Jhwhs anrufen, sehnen sich nach der Weisung Gottes, und er antwortet ihnen. Durch das Motiv der Wolkensäule verbindet der Psalmtext zwei verschiedene Vorstellungen mit der Weitergabe des Rechts. Die Wolkensäule als Verhüllung Gottes ermöglicht sein direktes Reden (vgl. Num 12,5), und die Wolkensäule weist, wie das Wort Gottes und das von ihm verkündete Recht, den Weg (vgl. Ex 13,21; Num 14,14; Neh 9,12). 135 V 8 schließt diesen Abschnitt mit einem Jhwh preisenden, aber die Situation Israels auch nüchtern einschätzenden Vers. Israel kennt Gottes Weisungen, und dennoch scheitert es immer wieder. Jhwh verfolgt diese Verfehlungen als König, der das Recht liebt, doch er hat auch die Macht und den Willen, sie aufzuheben, unwirksam zu machen. Überraschenderweise ist der Wille zur Vergebung der Aussage über die Rache vorangestellt. Jhwh ist zuallererst der xm Mit der Aufnahme der Gesetzesverkündigung in den Psalm erscheint auch der heilige Berg in einem neuen Licht. Nun trägt er die Züge des Sinai, denn der hier gegenwärtige Gott verkündet ma 1 3 6 und pn (vgl. Ex 19,23). Damit ist in Ps 99 über die großen Führungsgestalten Israels und die Anklänge an die 134 JEREMIAS deutet diese ungewöhnliche Zusammenstellung von Namen damit, daß alle drei die Rolle des Fürbitters für Israel verbindet. Für Aaron, von dem dies nur an einer Stelle (Num 16,22) und dies in Gemeinschaft mit Mose berichtet wird, ist auch seine Funktion als Sühne vollziehender Priester von Bedeutung (Königtum, 118; ähnlich bereits GUNKEL, Psalmen, 430). KRAUS nennt neben der Fürbitterfunktion der drei noch die des „Bundesmittlers", die mit dem Priesteramt verknüpft wird (Psalmen II, 2. Aufl., 685). WHYBRAY nennt sie „Appointed leaders" (Wrongdoings, 237). MOMMER versucht das Problem der Zusammenstellung gerade dieser drei zu lösen, indem er Samuel als Glosse betrachtet (Samuel, 27 ff.). BEAUCAMP äußert sich zur Rolle Aarons dahingehend, daß seine Erwähnung das Gewicht der Zusammenstellung auf die nachexilische Zeit verlagert (Psautier II, 133). LEUENBERGER ist vorsichtig und nennt die besondere Gottesnähe der drei (Konzeptionen, 165). Einen Überblick über weitere Positionen bietet SCORALICK, Trishagion, 86 ff. Meiner Ansicht nach stehen alle drei in Bezug zu dem von Jhwh durchgesetzten Recht. Mose als Verkünder des Rechts, Aaron als derjenige, der kultisches Recht umsetzt und Samuel in seiner besonderen Funktion für das Königtum und die damit verbundenen Rechtssatzungen. 135 Auch SCHNOCKS sieht die Nähe zur Sinaitradition in der Darstellungsweise des Psalms, bemerkt aber dennoch eine Verschiebung des Themas. Seiner Ansicht nach hat der Psalmist die Wolkensäule als Motiv gewählt und nicht den Sinai, weil Aaron am Sinai eine problematische Rolle spielt (Vergänglichkeit, 207). 136 Auch dieser Terminus erinnert an die Sinaitradition, nämlich an die rvns, die Bundeslade (vgl. auch SCHREINER, Sion, 202).
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Sinaiperikope durch die Wolkensäule zusammengefügt, was Ps 68 durch die Andeutung des Exodus und den Gottestitel TO nt erreicht, nämlich die Verbindung von Sinai und Zion. Die lokale Bindung Gottes an den Zion verleiht dem Zion eine geradezu magnetische Anziehungskraft, die zur Verlagerung der Heilserweise Gottes an den Zion fuhrt. Ps 99 ist ein bereits vorexilisch komponierter Text, der in nachexilischer Zeit Erweiterungen erfahren hat, die einerseits das Königtum Jhwhs mit Blick auf die Völker deuten und andererseits die enge Israelbindung unterstreichen. Zion und das Königtum Gottes sind aber bereits in der Grundschicht des Textes miteinander verknüpft. Vom Zion aus herrscht Gott, der Zion ist sein Fußschemel, sein heiliger Berg. Ps 99 gehört somit zu den wenigen vorexilischen Belegen, die diese Verbindung explizit bezeugen. 137 2. Verbindungslinien: Der Thronsitz des Königs Zion und die Psalmen 93-99* Ps 99 verkündet Zion als den Thronsitz Gottes, bleibt damit aber im Rahmen der Jhwh-König-Psalmen allein. Das Motiv des Rechts, das der König liebt, ist im Gegensatz dazu breit in den Texten vertreten und stellt eine thematische Verknüpfung zwischen Ps 99 und den anderen Texten dieser Sammlung her. 138 und QSön sind die Stützen des Thrones Gottes (Ps 97,2). 139 Er spricht Recht unter den Völkern und richtet den Erdkreis in Gerechtigkeit (Ps 96,13; 98,9). Dadurch stabilisiert er den Erdkreis, daß er nicht wankt (Ps 96,10). Der Überblick zeigt, daß es ein Gefalle hin zu Ps 99 gibt, der das Motiv des Rechts und der Rechtsprechung ganz auf Israel konzentriert. 140 Erheblich vorsichtiger ist die Israelperspektive in Ps 98,3 eingezeichnet. Mit "ion und ¡"mos gedenkt Jhwh 137
Anders u.a. SEYBOLD, Psalmen, 388. LORETZ (Ugarit-Texte, 370), der den Psalm einen Patchwork-Text nennt und HOSSFELD/ZENGER (Psalmen II HThK, 698), die in der Ausgrenzung von Ps 97 und 99 als nachexilisch und für den Kontext komponiert, die einzigen Zionbelege der Teilsammlung in die nachexilische Zeit weisen. Als (in seinem Grundbestand) vorexilisch ordnen ihn u. a. KRAUS, Psalmen II, 851; KRATZ, Reste, 32 ff.46 f. ein. Die vor- oder nachexilische Datierung ist in der Regel daran orientiert, ob der Text als Komposition für den Kontext erachtet wird, oder aber ob er auf eine Grundschicht zurückzuführen ist, die die Themen Völker und Zion-Sinaiverbindung noch nicht kennt. 138 Das Völkermotiv soll nicht übersehen werden, wenn es auch in Ps 99 im Vergleich zu den weiteren Belegen (vgl. Ps 96,3.5.7.10.13; 97,6; 98,9) eine neue Gewichtung bekommt. So ist besonders der direkte Lobaufruf an die Völker hervorzuheben (Ps 96,7) im Gegensatz zur Äußerung des Wunsches in Ps 99,3. 139 Vgl. zu diesem altorientalischen Motiv u. a. SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 205. 140 Eine ausgeprägte Israelperspektive vertritt auch Ps 95. Auch dieser Psalm greift zurück auf die Geschichte Israels mit seinem Gott. Doch Ps 95 geht genereller auf das Verhältnis von Jhwh und seinem Volk ein, einem Auf und Ab von Abfall und Umkehr. Das rechte Verhalten Israels kommt nur in Andeutungen zur Sprache, indem dazu aufgefordert wird, auf die Stimme Gottes zu hören und, anders als in Meriba, seine Wege zu erkennen. Mehr zum Verhältnis der beiden Psalmen vgl. LEUENBERGER, Konzeptionen, 167 f.
II. Königtum auf dem Zion
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des Hauses Israel, eine Zusage, die einleitet, was auch Ps 99,8 verheißt: Jhwh ist ein vergebender Gott. In Ps 97 ist die Israelperspektive über das Paar Zion und die Töchter Judas 141 in den Kontext eingetragen worden (v8), wie es ebenfalls sekundär auch in Ps 48 genannt wird. Zion und die Städte Judas werden zu Zeugen der gerechten 142 Königsherrschaft Gottes. Der Zion steht damit in Ps 97 in einem anderen Zusammenhang als in Ps 99; er wird nicht als Thronsitz Gottes proklamiert. Die den Text durchziehende Beschreibung der Theophanie, die gemeinorientalische Motive verwendet 143 , weckt auch Assoziationen an die Theophanie Jhwhs am Sinai.144 Feuer und Rauch begleiten die Theophanie, die Erde bebt (vgl. Ex 19,18; Ps 68,9). Gewölk und Wolkendunkel, die Gott einhüllen, verweisen auf den im Tempel gegenwärtigen und dennoch unzugänglichen Gott. 145 „Das Wortpaar ,Gewölk und Wolkendunkel', das rings um ihn herum ist, also ihn einhüllt, (meint) auch in Ps 97,2 nicht (mehr) JHWH als Sturmgott und Gewittergott, sondern (charakterisiert) ihn als Gott des Sinai (der Israel seine Gerechtigkeitsordnung offenbart)." 146 Ein elementarer Zug göttlichen Königtums wird auf diese Weise mit den Heilserfahrungen Israels verbunden. Trotz der Fülle an Motiven aus bekannten Traditionen ist mit Blick auf Ps 97 nur indirekt von einer Identifikation des Gottes vom Sinai mit dem vom Zion zu sprechen. 147 Die Theophaniemotive verbinden den am Sinai und in seinem Heiligtum gegenwärtigen Gott. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß Zion nicht im Sinne von Ort des Heiligtums, Thronsitz Gottes und Ausgangspunkt seiner rettenden Gerechtigkeit in Ps 97 genannt wird. Vielmehr sind Zion und die Töchter Judas selbst Heilsempfanger. Die Verknüpfung des Gottes vom Sinai und des Gottes vom Zion wird erst mit Ps 99 explizit. Dazu trägt seine Zusammenstellung innerhalb einer Komposition mit Ps 97, der ebenfalls Rechtssatzungen und Wolkensäule mit dem auf dem Zion thronenden Gott verbindet, bei. Ps 99 greift zudem das Motiv auf, das die Identifikation des Gottes vom Sinai und des Gottes vom Zion schließlich vervollständigt, das Bergmotiv. 148 Es ist nicht nur derselbe Gott, der gegenwärtig war am Sinai und der auf dem
141
Vgl. dazu Ps 69,36 f. Die Korrespondenz von der gerechten Herrschaft Gottes und dem gerechten Verhalten der Gläubigen prägt diesen Text (vgl. Ps 97, 2.6.(8) 11.12). 143 KRATZ weist auf die für Baal typischen Motive hin (Reste, 51); es sind mit Sturm- und Wettergottheiten verbundene Motive, wie das Feuer, das Leuchten der Blitze und das Beben der Erde (vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 678). 144 So bereits MOWINCKEL, Psalmenstudien II, 56; SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 227. 142
145
146
V g l . HARTENSTEIN, U n z u g ä n g l i c h k e i t , 1 4 8 ; M E T T I N G E R , D e t h r o n e m e n t , 1 1 9 .
HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 679. So HOSSFELD/ZENGER, Psalmen II HThK, 679. Dieses fehlt in Ps 97. In Ps 48,12, der in Ps 97,8 aufgenommen wurde, ist der Berg jedoch genannt. 147
148
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Zion thront. Beide Berge verschmelzen zu einem Ort göttlicher Gegenwart. Der Sinai geht ganz im Zion auf. 149 In der Psalmengruppe Ps 93-99 wird Zion zweimal in sehr unterschiedlicher Wahrnehmung erwähnt: einerseits als Zeuge der Taten Gottes und Heilsempfänger und andererseits als Thronsitz und heiliger Berg. Mit Ps 99 findet die Sammlung, abgesehen von dem sie hymnisch zusammenfassenden Ps 100150, ihren Abschluß. Sonst beendet die Aufforderung zur Anbetung des Königs und zur Niederwerfung der Gemeinde vor seinem heiligen Berg die Jhwh-KönigPsalmen. Dieser Ausrichtung, die aufgrund der besonderen Position für die ganze Sammlung gilt, entspricht auch ihr Auftakt. Über das Stichwort r r a (Ps 93,5 und 99,7) werden der erste und der letzte Text miteinander verknüpft - d.h. wiederum unter Verwendung eines Rechtsterminus. 151 Der Ton liegt jedoch auf dem Satz: ¡¿np~mx] "[rra1? (Ps 93,5). Gottes Gegenwart auf seinem heiligen Berg und in seinem heiligen 152 Haus umgreifen die Jhwh-König-Psalmen. Hier ist der gepriesene König, der die Völker erzittern läßt, gegenwärtig und für die Beter zugänglich. Das Haus Gottes und der Zion entsprechen einander, denn hier steht der Thron Gottes - im Tempel und weit über ihn hinaus in die Höhe 153 ragend.
3. ,,Du bist mein Sohn "
Psalm 2 Jhwh setzt einen Herrscher ein auf Zion, seinem heiligen Berg. War eben noch von der Herrschaft Gottes auf dem Zion die Rede, so weiß Ps 2 von der Herrschaft des Sohnes am Zion, von hier aus wirksam und gültig für alle Völker. Psalm 2 1 Warum sind unruhig 1 5 4 die Völker, und sinnen Nationen Nichtiges? 2 Es erheben sich Könige der Erde und Würdenträger beratschlagen zusammen gegen Jhwh und gegen seinen Gesalbten.
149
LEVENSON kommt zu diesem Urteil aufgrund von Ps 97 (Sinai, 90 f. 195 f.). Auch er mißachtet folglich die Konstellation „Zion und die Töchter Judas" wie auch deren Funktion im Kontext. Doch im Ergebnis ist ihm schließlich recht zu geben, blickt man auf Ps 99. 150 Vgl. ZENGER, Theophanien, 177ff.; ders., Israel, 240ff.; KRATZ, Tora, 297. 151 Dabei handelt es sich um einen Rechtsterminus, der die Gabe Gottes als Satzung, Recht und Gebot bezeichnet. Doch wird er gerade auch dort im Kontext gebraucht, wo das Volk und seine Führer an dieser Gabe Gottes scheitern. Vgl. VAN LEEUVEN, Art. m, 218f.; s.a. auch ZENGER, W e l t e n k ö n i g t u m , 158 f. 152 Z u r Ü b e r s e t z u n g v o n CNP-MX: vgl. SPIECKERMANN, H e i l s g e g e n w a r t , 181 A n m . 4. 153 Vgl. dazu Ps 93,4 aber auch Ps 68,19 und 78,69. In bezug auf Ps 93 vgl. ZENGER, Theophanien, 175. 154 Zum Tempuswechsel von v la zu v LB s. MICHEL, Tempora, 187.
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„Wir wollen zerreißen ihre Bande und wollen von uns werfen ihre Stricke." 4 Der im Himmel Thronende lacht; der Herr spottet über sie. 5 Dann spricht er zu ihnen in seinem Zorn, und in seiner Zornesglut erschreckt er sie. 6 „Ich selbst setze 155 meinen König ein auf Zion, meinem heiligen Berg 1 5 6 ." 7 Ich will kundtun den Beschluß Jhwhs. Er sagt zu mir: „Mein Sohn bist du, ich habe dich heute gezeugt. 8 Erbitte von mir, und ich will dir geben Völker zu deinem Erbe, und als deinen Besitz die Enden der Erde. 9 Du vermagst sie mit eisernem Zepter zu zerbrechen; wie Gefäße, die (der Töpfer) formt, vermagst du sie zu zerschlagen." 10 Und jetzt, Könige, habt Einsicht, laßt euch warnen, Richter der Erde. 11 Dient Jhwh mit Furcht 157 , und jauchzt mit Beben. 1 5 8 12 Küßt den Sohn159, daß er nicht zürnt und ihr nicht umkommt auf dem Wegl60, denn leicht brennt sein Zorn. Wohl allen, die bei ihm Zuflucht suchen.
Die Gestalt von Ps 2 erweist sich insofern als Besonderheit, als der Psalm von direkten und indirekten Reden durchzogen ist, deren jeweiliger Sprecher jedoch nicht immer genannt wird. Dennoch zeigt sich, daß Form und Inhalt gut aufeinander abgestimmt sind und jeder Sprecherwechsel 161 mit einem Schwerpunktwechsel verbunden ist. Die vv 1-3 berichten vom Aufstand der Völker und schlie155 Hier übersetzt als perfectum declarativum (vgl. M I C H E L , Tempora, 94 f.). Die LXX ändert diese Stelle in eine Passivvariante (eycb 6e xaxEoxdOriv ßaaAeiig), die rückübersetzt eine Nif.-Form ergeben würde. Der Konsonantenbestand bleibt damit erhalten und der schwierige Übergang zu v7, der einen Subjektwechsel ohne jeglichen Übergang in der wörtlichen Rede vollzieht, wird auf diese Weise geglättet. 156 Die LXX übersetzt an dieser Stelle flüssiger und ändert das Suffix in die 3.m.sg. 157 Einige Handschriften schlagen vor, ¡innen zu lesen. 158 S. die Anmerkungen zu v 12a. 159 Die Wendung -nnpo: in v 12a bietet den meisten Auslegern des Psalms große Schwierigkeiten, und dies nicht nur aufgrund des aramäischen ~o. Die LXX ersetzt die Aufforderung, den Sohn zu küssen durch SQd|ao0e jiouöeiag. EISSFELDT macht einen erheblich umfassenderen Vorschlag, der v 11 b und 12a gemeinsam betrifft. Er übersetzt „und in Zittern küßt seine Füße" (Königsprädizierung, 52; s.a. D I E D R I C H , Psalm 2, 31), die Konsonantenfolge wäre vollständig umgestellt gegenüber dem M T . B A R D T K E schlägt zudem im Apparat der BHS die Streichung der Wendung in v 12a vor und ändert v 1 lb, übersetzt in: „macht groß seinen Namen". In beiden Fällen sind schwerwiegende Eingriffe in den Konsonantenbestand notwendig. 160 Einige Varianten bieten noch das Suffix der 2.m.pl. 161 Anders K R A U S , der den auf Zion herrschenden König als Sprecher ansieht (Psalmen I, 144 f.). Nach E A T O N zitiert der König in den vv 7-9 ein göttliches Dekret. Auch er erachtet den ganzen Psalm als vom König gesprochen (Kingship, 111).
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ßen mit einer direkten Rede, in der sie kundtun, sich von der Herrschaft Jhwhs und seines Gesalbten befreien zu wollen. Die zweite Strophe setzt mit einem fulminanten Auftakt ein. „ Der im Himmel Thronende lacht." Jhwh selbst verkündet, wie er auf die Pläne der Völker reagieren wird. Auch die zweite Strophe schließt mit direkter Rede. Der Übergang zu den vv 7 ff. ist etwas schwieriger. V 7 beginnt bereits mit der Aussage eines Sprechers, bei dem es sich nun aber nicht mehr um Jhwh handeln kann, da dieser in der 3. Pers. genannt wird. Jetzt ist es der von Jhwh eingesetzte König, der spricht. Daß es bis einschließlich v 9 zu keinem weiteren Sprecherwechsel kommt, deutet v 7b an, der eine Jhwh-Rede ankündigt. Im Zentrum der Strophe steht die Gottessohnschaft des eingesetzen Königs. Ein weiterer Einschnitt erfolgt in v 10 durch nnui. Wiederum ist kein Sprecherwechsel angedeutet. Doch v 10 liegt inhaltlich auf einer anderen Ebene als die vorhergehenden Verse, und in v 11 ist ebenfalls von Jhwh in der 3. Pers. die Rede. 162 Die Imperative, die die Völker zur Einsicht auffordern, scheinen von einem vierten Sprecher zu kommen, einem Vertreter der Gemeinde Israels, der wohl auch hinter den einleitenden Worten der vv 1-2 steht. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, daß Ps 2 klar in vier Abschnitte gegliedert ist.163 Die Frage der literarischen Einheitlichkeit des Textes ist weniger klar zu beantworten. Viel deutet daraufhin, daß man in jedem Fall mit einer nachträglichen Anfügung von v 12b zu rechnen hat. Die Seligpreisung, die so sehr im Kontrast zu den vorhergehenden mahnenden Worten steht, schafft eine Rückbindung von Ps 2 an Ps l. 164 Auch der Hinweis auf den Sohn in v 12a überfrachtet die Strophe, ändert die Perspektive von der Ehrfurcht vor Jhwh und dem Entfachen seiner Zornesglut (s.a. v 5 ) auf den Zorn des Sohnes und ist zudem sprachlich schwierig, da anstelle von p , wie in v7, nun aramäisch ~o gewählt ist. 165 Ob die gesamte vierte Strophe als sekundär zu betrachten ist, wird diskutiert. 166 Die vv 9 und 10 scheinen im Kontrast zueinander zu stehen. Nach der Ausstattung des Königs mit der Macht, Zepter zu zerschlagen, folgt die Mahnung, Jhwh zu dienen. Bei den Verben in v 9 handelt es sich um Imperfektformen, die durchaus 162 Vgl. auch HARTENSTEIN, Himmel, 166. Anders HOSSFELD/ZENGER, die davon ausgehen, daß die mahnenden Worte vom König gesprochen werden (Psalmen I NEB, 50). Vgl. auch CRAIGIE (Psalms I, 65), der beide Varianten erwägt. 163 Vvl-3 Pläne der Könige Vv 4 - 6 Reaktion Gottes Vv7-9 Einsetzung des Königs Vv 10-12 Aufruf an die Könige Vgl. CRAIGIE, Psalms I, 65; RÖSEL, Messianische Redaktion, 99. Anders HARTENSTEIN (Himmel, 164 f.), der die vv 1-6 zu einer Strophe zusammenfaßt, da sie parallel aufgebaut sind. 164
V g l . HOSSFELD/ZENGER, P s a l m e n I N E B , 4 9 . A n d e r s KRAUS, P s a l m e n I, 145. BEAUCAMP
hält nicht nur diese Passage für „original", sondern er erachtet den ganzen Psalm als einheitlich (Psautier I, 44 f.). 165 HARTENSTEIN hält diese Passage dennoch für ursprünglich und versteht die Anrede ~o als Appellativum (Himmel, 163). 166 Vgl. u.a. RÖSEL, Messianische Redaktion, 102f.
II. Königtum auf dem Zion
199
modal übersetzt werden können. Der Möglichkeit des Königs, zu zerschlagen, kann also durchaus eine letzte Mahnung folgen. 167 Schließlich kann auch die Nennung von Königen und Richtern der Erde (v 11) anstelle von Königen und Würdenträgern (v 2) bzw. Völkern und Nationen (v 1) noch kein Argument zur literarischen Scheidung sein. Daß Könige und Richter durchaus Repräsentanten der Völker sein können, leidet wohl keinen Zweifel. Zudem ergibt sich auch aus dieser Bezeichnung eine besondere Brisanz des in v 1 angedeuteten Aufstandes. Denn die Könige stehen dem von Jhwh eingesetzten König gegenüber, und die Richter der Erde maßen sich ein Amt an, das Jhwh gebührt. So bleibt als einziges Argument zur Ausscheidung der vv 10-12 die Aufnahme von ~pn in v 12. Hossfeld und Zenger verbinden den Ausdruck auch in diesem Kontext mit der Tora und sprechen von einem König, der vom „Mann des Schwertes" zum „Mann des Wortes" wird. 168 Inwiefern das zutreffend ist, ist noch zu diskutieren. Zu beachten ist aber, daß hier, entsprechend v l 2 b , eine Verbindung zu Ps 1 hergestellt wird und der Verweis auf "[~n tatsächlich nicht in das Gesamtgefüge des Psalms passen will, da das Wort eine Qualität der Lebensführung impliziert, die nicht Thema des Textes ist. Scheidet man den Hinweis auf den Sohn in v 12 und die direkten Bezüge zu Ps 1 aus, so ergibt sich ein abschließender Vers, der die zweifache Aufforderung zum ehrfürchtigen Dienst und Lob mit einem zweifachen warnenden Hinweis auf den Zorn Gottes abschließt. Die Schlußworte gehen auf die Situationsschilderung des Anfangs ein und werden den aufständischen Völkern zu einer deutlichen Warnung. Schließlich ist auch die Zugehörigkeit von v 2b zur Grundfassung des Psalms in Frage gestellt worden. 169 V2b nehme erklärend vorweg, gegen wen sich der Aufruhr richte, indem Jhwh und sein Gesalbter genannt werden, während doch Jhwh derjenige sei, der erst in den vv4—6 reagiere. Nun läßt sich dieser Versteil aber nicht ohne weitere Eingriffe aus dem Text herauslösen, denn die Objektsuffixe in v 3 sind davon abhängig. Mit der Nennung Jhwhs und seines rrtön werden die Sprecher der beiden weiteren Strophen eingeführt. Die den Psalm durchziehende Betonung der Herrschaft Jhwhs wird hier differenziert, indem ihm der Gesalbte durch das Pronominalsuffix zugeordnet wird. Einen Mangel an Argumenten für die Zuordnung von v 2b entweder zur Grundschicht oder zur Redaktion gibt es freilich nicht. Da ein Eingriff an dieser Stelle weitere nach sich ziehen müßte, scheinen die Argumente für die Ursprünglichkeit doch 167 Das Bild vom „Zerbrechen, wie das Geschirr des Töpfers" ist im alten Vorderen Orient weit verbreitet und beinhaltet in diesem Kontext die totale Vernichtung (vgl. BECKING, Wie Töpfe, 78). 168 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 1 NEB, 50. Zu den Stichwortbezügen zwischen Ps 1 und Ps 2 vgl. auch KRATZ, Tora, 290; LIPINSKI, Macarismes, 336 f. 169 Vgl. u.a. KRAUS, Psalmen 1,148. Darüber hinaus erachtet SEYBOLD auch die vv 2b. 7aa.8aa als sekundär, d. h. als prosaische Zusätze (Psalmen, 31). Doch ist metrische Stimmigkeit immer ein schwaches Argument für literarkritisches Eingreifen. Auch MICHEL (Tempora, 94) und RÖSEL (Messianische Redaktion, 102) halten den Abschnitt für sekundär.
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zu überwiegen. 170 Die Beurteilung von Ps 2 als Teil der Eröffnung des Psalters muß diese Gegebenheiten der Grundfassung im Auge behalten. Der Psalm vermittelt den Eindruck eines Textes, der im wesentlichen aus Zitaten komponiert worden ist. Sie stehen im Zentrum der einzelnen Strophen und erheischen, wie auch immer man sie gattungsgeschichtlich einordnen mag, durch die wörtliche Rede gesteigerte Aufmerksamkeit. V 6 kommt dabei besondere Bedeutung zu, weil hier Gott selbst es ist, der spricht. Der Psalm beginnt mit einer Frage. Dieses Stilmittel ist von Bedeutung, denn es gibt dem Thema der ersten Strophe, dem Aufruhr der Völker, sogleich eine Richtung. Es wird deutlich, daß nicht eine Bedrohung durch die Völker zum Thema gemacht werden soll. So wird auch keine Antwort auf die Frage erwartet. Vielmehr gibt sie der Verwunderung darüber Ausdruck, daß die Völker überhaupt darüber nachsinnen, sich gegen Jhwh und seinen Gesalbten zu erheben. Die Überzeugung, daß ein solches Unterfangen aussichtslos ist, treibt zu dieser Frage. Dennoch wird dem Text nicht sogleich die Spannung genommen. Durch die wörtliche Rede der Völker in v 3 erreicht sie einen ersten Höhepunkt, von dem aus ein Bogen zu v 6 geschlagen wird, der Antwort Gottes. Überraschend ist an dieser Strophe weniger der Aufruhr der Völker als vielmehr der Inhalt der wörtlichen Rede. Sie wollen die Fesseln abwerfen. Jhwh wird als Bezwinger der Völker auf vielfache Weise gepriesen. Sein Schutz für das eigene Volk und die Ordnung der Schöpfung stehen im Hintergrund, nicht jedoch die Unterdrückung der Völker, aus der sie sich nun befreien wollen. Um diesen Vers zu verstehen, bedarf es des religionsgeschichtlichen Kontextes. Der Psalm verwendet Motive der Legitimation eines neuen Herrschers, wie Israel sie wohl verwendet hat und auch aus der Umwelt, insbesondere Ägypten, kennt. 171 Herrschaftswechsel sind stets Zeiten der Unsicherheit, regelmäßig genutzt zum Aufstand und deshalb gefahrvoll für die Herrscher. 172 Eine konkrete Erfahrung Israels sucht man hinter der ersten Strophe vergeblich. Der Psalm bedient sich der Motive der Erwählung und Inthronisation eines neuen Herrschers und stellt so die Herrschaftsverhältnisse dar, in die die Völker und Könige sich zu fügen haben. Nach Ps 2 ist es konkret die Zusammengehörigkeit Gottes mit seinem Gesalbten. Sie provoziert den Aufstand und macht ihn zugleich aussichtslos. Von der ersten zur zweiten Strophe ändert sich die Szene. Der Blick wird von den Völkern und Königen der Erde zum im Himmel thronenden Gott gelenkt. Das Lachen und Spotten Gottes kommt mehrfach in den Psalmen vor. 173 Es ist 170
V g l . HARTENSTEIN, H i m m e l , 1 6 2 .
171
Vgl. dazu ausfuhrlich OTTO, Politische Theologie, 33 ff.
172
V g l . SAUR, K ö n i g s p s a l m e n , 2 9 .
173
Vgl. Ps 37,17; 59,9 und anstelle des Lachens Gottes das der Gerechten in Ps 52,8. Die größte Nähe zu Ps 2,4 weist Ps 59,9 auf. Gott lacht über die vergeblichen Versuche der Frevler, aufzubegehren und zu zerstören. Ps 59 ist laut Überschrift zudem ein Psalm, der die Not Davids, der hier allerdings nicht als Gesalbter bezeichnet wird, während seiner Verfolgung durch Saul formuliert.
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Ausdruck seiner Souveränität. Wie ernst es gemeint ist, zeigt v 5. Gott ist zornig. Bei aller Nichtigkeit der Versuche der Völker, Gott zu widerstehen, verlangt der Aufstand nach Gottes Reaktion. Er wird zornig und die Völker erschrecken.174 Das Motiv des Zornes Gottes wird auch in der vierten Strophe noch einmal aufgenommen; Konsequenzen im Verhalten der Könige werden gefordert. Hier jedoch geht es zunächst einmal um die Reaktion Gottes auf das Aufbegehren der Völker: „Ich selbst setze meinen König ein auf Zion, meinem heiligen Berg. " Der im Himmel Thronende agiert. Die Übersetzung der Perfektform als perfectum declarativum, also präsentisch, hat entscheidenden Einfluß auf das Verständnis des Textes. Als Vergangenheitsaussage würde die Rede Gottes eine nachträgliche Legitimation seines Königs gegenüber den Völkern darstellen175, als deklarative Aussage ist der König jedoch Sachwalter der Herrschaft Gottes.176 Daß diese Deutung im Duktus des ganzen Psalms stimmig ist, zeigt der Blick auf die beiden folgenden Strophen, in denen der irdische König kaum selbst eigene Worte spricht oder angesprochen wird, sondern Gottesrede zitiert. In der vierten Strophe schließlich werden die Völker dazu aufgerufen, Jhwh zu dienen, nicht dem irdischen König. Will man in Ps 2 also von Motiven der Legitimation eines Herrschers sprechen, dann ist genau zu beachten, wie die Zitate eingesetzt sind. Nicht der von Jhwh eingesetzte König wird gepriesen, sondern Jhwh selbst. Jhwh thront im Himmel und setzt seinen König ein auf seinem heiligen Berg, dem Zion.177 Es klingt fast so, als hätte Gott sich zurückgezogen und den Thron auf dem Zion vakant gelassen. Daß das himmlische Thronen Gottes und sein Thronen auf dem Zion nicht als Gegensatz178 zu begreifen sind, belegen Ps 68,30 und Ps 99,5.179 Die Anwesenheit Gottes im Himmel und des Königs auf dem Zion unterstreicht vielmehr die Attribute ihrer Herrschaft, ohne daß sie 174 Vgl. Ps 48,5; 83,16.18, 90,7. Insofern zeigt sich das Lachen Gottes als ein Zeichen des Gerichts (vgl. HARTENSTEIN, Himmel, 178). ' 7 5 Die Übersetzung als Perfekt bevorzugt u. a. auch HARTENSTEIN (Himmel, 168), womit er zugleich die Redesituation impliziert, daß angesichts des Aufruhrs der Völker die an den König bei der Krönung gerichteten Einsetzungsworte wiederholt werden. Aus dieser Perspektive stellen die Worte Jhwhs jedoch weniger einen souveränen Akt dar, sondern eher eine Rechtfertigung des Königs gegenüber den Feinden. 176 Daß Jhwh und sein Gesalbter bereits in v 2 genannt werden, steht dieser Deutung nicht entgegen, da der Vers die grundsätzliche Zusammengehörigkeit beider benennt. 177 Ungewöhnlich ist hier gegenüber anderen Belegen von Zion als Berg die Präposition ^s. In der Verwendung dieser Präposition wird gegenüber n die vertikale Ausrichtung deutlicher zur Sprache gebracht. Eine vergleichbare Verwendung von s innerhalb des Psalters findet sich nur noch in Ps 68,30. 178 So schreibt MOWINCKEL: „Wenn es nun einmal dazu gekommen war, daß die eschatologische Zeit als die Realisation alles Glückes und die Verwirklichung aller Ideale galt, so begreift es sich leicht, daß man ein Gut wie den gesegneten, segensspendenden, göttlichen König im Zukunftsbilde nicht vermissen wollte, unbeachtet dessen, daß dieser König eigentlich in Widerspruch zu der Königsherrschaft Jahwä's stand" (Psalmenstudien II, 307). 179 Dennoch präsentiert sich Ps 2,4 als ein Beispiel dafür, daß der himmlische Wohnsitz Jhwhs dem „Gottesberg/Thron/Tempel-Komplex" gegenüber immer mehr profiliert wird (vgl.
HARTENSTEIN, H i m m e l , 173 f.).
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zueinander in Konkurrenz träten: Der Himmel und auch der Zion als Thronsitz stehen für unbezwingbare, beständige Weltherrschaft. Das Königtum des von Gott eingesetzten Gesalbten partizipiert zudem an der Heiligkeit des Ortes 180 , die nicht aufgegeben ist, auch wenn der Heilige selbst im Himmel thront. 181 Schließlich nimmt v 6 vorweg, was in der dritten Strophe ausfuhrlich dargestellt wird: die enge Verbindung zwischen Gott und seinem Gesalbten. Auch in Ps 2 bleibt Zion der heilige Berg Gottes, der Ort, an dem seine Gegenwart erfahrbar ist. Nur sein Gesalbter, sein Sohn, hat das Recht, von hieraus die Herrschaft treuhänderisch auszuüben. Die dritte Strophe läßt endlich den König selbst zu Wort kommen. Er verweist auf den Beschluß Jhwhs. Es folgen keine eigenen Worte zu seiner Herrschaft, sondern das Zitat des Beschlusses Gottes: „Mein Sohn bist du, ich habe dich heute gezeugt." Der religionsgeschichtliche Hintergrund zu dieser Aussage ist breit erforscht worden. 182 Auf die umfangreiche Rezeptionsgeschichte zu dieser Strophe kann nur hingewiesen werden. 183 Im Kontext unterstreicht sie die große Nähe Gottes zu seinem König. Er ist kein Vasall, sondern Sohn, heute gezeugt. Gern wird das crn betont, um deutlich zu machen, daß hier eher der Adoptionsgedanke 184 als der der Zeugung 185 im Hintergrund steht. 186 Doch in Anbetracht dessen, wie wenig die Figur des Königs oder des Gesalbten in Ps 2 Profil gewinnt, wird man diesen Satz weniger unter dem ätiologischen, sondern eher unter dem finalen Aspekt betrachten müssen. 187 Es handelt sich um eine theologische Aussage. Gott stattet den König mit Macht aus, läßt ihn teilhaben an göttlicher Macht 188 , die ihn über die Könige der Welt erhebt, ohne selbst Gott zu sein. Alle weiteren Aussagen, abgesehen von der Sohnschaft, sind also 180
Vgl. dazu S. 112 f. Die davidische Dynastie wird auf dem Zion installiert und Attribute des Ortes werden auf die Dynastie übertragen. S. a. POULSSEN, König, 58. 181 SEYBOLD (Poetik, 214 f.) verweistauf die verschiedenen Szenen oder auch Szenenbilder, d.h. Völkerwelt, Himmel und Thronbesteigung, nutzt diese Beobachtungen jedoch eher zur Beschreibung eines Stilmittels, ohne sie weiter auszuwerten. 182 Vgl. u. a. ZENGER, Völker, 506 ff.; KOCH, König, 1 ff.; OTTO, Politische Theologie, 33 ff. HARTENSTEIN (Himmel, 171) gibt eine knappe Übersicht. 183
S . a . A p g 1 3 , 3 3 ; H e b r 1 , 5 ; 5 , 5 F . V g l . u . a . K R A U S , P s a l m e n I, 1 5 5 F . ; M A I B E R G E R , V e r -
ständnis, 89 ff.; GESE, Natus ex Virgine, 130ff. 184
V g l . d a z u EISSFELDT, K ö n i g s p r ä d i z i e r u n g , 51; KRAUS, P s a l m e n I, 152; BOECKER, A n -
merkungen, 3 ff.; DIEDRICH, Psalm 2, 46; kritisch DONNER, Adoption, 60f. 185 Für den Gedanken der Zeugung wird häufiger auf Ps 110,3 verwiesen. Vgl. EATON, Kingship, 147. GESE übersetzt nicht mit „gezeugt", sondern mit „geboren". Er betont: „Jetzt, in diesem feierlichen Moment der Thronbesteigung vollzieht sich die Geburt; denn nur die zur Herrschaft kommenden, inthronisierten Davididen treten als Besitzer der nälflä ein in das Sohnesverhältnis zum nä/i°/ä-Herrn. Die Gottessohnschaft der Davididen ist nicht ausländische Mythologie, sondern die familienrechtliche Konzeption des Verhältnisses zum näh"lä-Herrn" (Natus ex Virgine, 137 f.). 186 Q t t 0 versteht es als einen Hinweis auf ein zugrundeliegendes Krönungsritual (Politische Theologie, 38). 187 Vgl. auch METTINGER, King, 262. 188 BECKING verweist darauf, daß das Bild von v 9 dazu angetan ist aufzuzeigen, „daß die
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Aussagen über Jhwh. Er teilt die Völker als Erbe zu ebenso wie die Kraft, sie mit eisernem Zepter zu zerbrechen. Das Zitat bietet in diesem Zusammenhang nicht einmal die direkte Zusage des Besitzes, sondern allein die Verheißung Jhwhs, einer Bitte entsprechen zu wollen. Der irdische Machtbereich Gottes wird zum Machtbereich des Königs, umfaßt die ganze Welt, die px~"OSN. Doch die Herrschaft, für die der von Gott eingesetzte König ausgerüstet wird, ist eine strenge, gewaltvolle und einschüchternde. Der König vermag zu zerbrechen und zu zerschlagen. Worte der Gnade und Gerechtigkeit werden in diesem Text nicht genannt. Auf dieser Ebene schließt sich die vierte Strophe an. Sie formuliert das vordergründige Ziel des Psalms, eine Warnung an die aufrührerischen Könige. Könige und Richter werden hier in ihrer Funktion als Führer von Völkern genannt. Sie sollen beispielhaft Jhwh ehren, ihm dienen mit Furcht und ihn loben mit Zittern. Der Ton dieses Verses ist ein gänzlich anderer als etwa der in Ps 102,22 f., wo die Könige kommen, um Jhwh zu dienen. Erst die Überarbeitung bringt eine versöhnlichere Note in den Text. Es ist der Ruf an die Könige, den Weg nicht zu verlassen, damit sie nicht umkommen. Die Vokabel " j n impliziert ein Wissen um den Weg, den Gott vorgesehen hat. Es ist der Weg der Tora, über die der Gerechte nachsinnt. Damit setzt der Text aber eine Herrschaftsform voraus, die mehr umfaßt als die Umsetzung königlicher Macht. Sie umfaßt das Angebot toragemäßen Lebens und hält die Voraussetzungen dazu bereit. Auch der Makarismus stützt den erweiterten Blick auf das Königtum. Dieser für Lebensermöglichung und Erhaltung eintretende König ist Zuflucht, er bietet Schutz. Nicht das Abwerfen von Fesseln, sondern die vertrauensvolle Hinwendung ist es, was dem König gebührt und wovon jeder lebt. Daß in diesem Zusammenhang überhaupt von dem König gesprochen werden kann, ist erst durch den Einschub „küßt den Sohn" möglich. Ohne diesen Satz ist in der vierten Strophe allein von Jhwh die Rede. Der Zusatz nimmt die Sohnschaft auf und zielt darauf ab, ein Gleichgewicht zwischen Gott und dem König herzustellen. Was sich über Gott sagen läßt, läßt sich auch über seinen Sohn sagen; auch sein Zorn ist zerstörerisch. 189 Ps 2 formuliert als Teil des Proömiums des Psalters auf eindrückliche Weise die Macht Gottes, die sich in der Installation und Ausstattung seines Königs auf dem Zion widerspiegelt. Der Text bedient sich der Motive orientalischer Herrscherlegitimation und bleibt dennoch ganz interpretatio israelitica. Jhwh steht trotz der gewaltigen Worte, die den König legitimieren, ganz im Vörvon Gott verliehene Macht in ganz auseinanderliegenden Lebensgebieten Geltung hat" (Wie Töpfe, 78). 189 Eine solche Differenzierung nimmt RÖSEL nicht vor. Er hebt die enge Verbindung zwischen Gott und seinem Gesalbten hervor und folgert daraus, daß „der König die feindlichen Völker in ihre Schranken weisen" kann (Messianische Redaktion, 101). Dies erscheint angesichts der Passivität des Königs jedoch als schwierig.
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dergrund. Der Sohn ist Treuhänder der Königsherrschaft Gottes. 190 Zwar wird Jhwh nicht mit "[bo betitelt, doch ist er der Thronende. Die Aussagen über die Königsherrschaft in Ps 2 stehen im Kontext eines Aufruhrs der Völker, um den weltumspannenden Anspruch der Herrschaft Gottes zu verdeutlichen. Dennoch ist der Text, und er kann als zweiter Text des Psalters auch gar nichts anderes sein, ein aufbauendes und zugleich mahnendes Wort an Israel. Insbesondere die vierte Strophe, deren Sprechersituation so umstritten ist, ist auch der Gemeinde Gottes und jedem einzelnen zugedacht. Sie richtet die Worte an die Könige und meint implizit Israel selbst. Ehrfürchtige Verehrung gebührt Gott, der seinen König eingesetzt hat auf Zion. Von dort aus herrscht er mit eiserner Hand, doch ermöglicht er auch das toragemäße Leben. Die Aufforderung, auf dem Weg zu bleiben, damit er nicht zürnt, gilt Israel. 191 Der Zion schließlich, einzig denkbares Zentrum weltumspannender Herrschaft, wird mit Ps 2 zum Orientierungspunkt für Israel. Zion ist der heilige Berg, auf dem Gott seinen König eingesetzt hat. Hier findet Israel Zuflucht, und hier hat der Gottesdienst seinen Ort. V 6 verheißt: „Ich selbst setze ein ". Der zeitliche Rahmen dieser Aussage, sei es als Drohung an die Völker, sei es als Verheißung für Israel, bleibt offen. Der König ist konkrete Hoffnung und zugleich religionspolitische Utopie, verankert am Zion. Die Bindung an den Zion gibt dem Königtum des Sohnes Halt in einer Stabilität garantierenden Vergangenheit und weist selbst in die Zukunft. Der Zion ist als Berg Gottes, ja als dessen Thron, heiliger Berg von Urzeiten an. 192 Deshalb kann von hier aus der König die Weltordnung Gottes für die Zukunft durchsetzen. Mit dieser Perspektive führt Ps 2 in den Psalter ein. 190 ADAM formuliert dies folgendermaßen: „JHWH ist als thronender König beschrieben, der irdische König hingegen als königlicher Held, mittels dessen JHWH gegen die Völker vorgeht" (Königlicher Held, 163). RÖSEL setzt einen anderen Akzent. Indem er die Herrschaft des irdischen Königs so stark betont, kommt er zu dem Ergebnis, daß Ps 2 als Einleitungstext für den ersten Teil des Psalters (Ps 2-89) folgende Perspektive vermittelt: „Hoffnung für das Volk gibt es nach Ansicht der Redaktoren nur, wenn das Königtum Davids wieder aufgerichtet wird" (Messianische Redaktion, 203). Auch EISSFELDT legt den Ton auf die Bedeutung der davidischen Dynastie, denn seiner Ansicht nach gehören die „Ehrfurcht vor Jahwe und dem Vertreter der Davidischen Dynastie" zusammen, sind Grundpfeiler der religiös-politischen Ideologie des vorexilischen Israel (Geschichtsquelle, 101 f.). 191 Zum Zusammenhang von Ps 1 und 2 schreibt BERGES, daß „der Makarismus von Ps 1, den Weg der Tora und nicht der Frevler zu gehen, ... eine Aufforderung an den Beter des Psalters (ist), auch er solle und könne Mitglied des messianischen Zionsvolkes werden" (Knechte, 156). Auch ZENGER verweist auf den Messiasglauben als Thema des Prologs des Psalters (Völker, 495 f.). Zudem stellt er auch in umgekehrter Richtung die Verbindung von Ps 2 zu Ps 1 her, denn „der Mann, der hier (Ps 1) seliggespriesen wird, ist im Sinne der Endkomposition der königliche David bzw. in kollektivierender Leseweise ist es die königliche Gemeinde der Psalmbeter(innen)" (Psalter, 37; ders., Heiligtum, 116). S.a. JANOWSKI, Kleine Biblia, 385f. 192 HARTENSTEIN verweist auf Parallelen zur Prophetie, die den Zion als heiligen Berg und als Ort des endzeitlichen Gerichts vorstellen (Himmel, 181).
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Der Text lädt besonders aufgrund der vielen wörtlichen Reden zum Nachdenken darüber ein, ob es sich hier nicht um einen Ritualtext handelt, etwa des Inthronisationsprotokolls eines Königs. Nun machen die religionsgeschichtlichen Parallelen deutlich, daß ein derartiger Akt tatsächlich hinter diesem Text steht. Dennoch ist zu bezweifeln, daß dies ausreicht, um einen solchen Akt für Israel auf der Grundlage von Ps 2 zu rekonstruieren 193 oder um den Entstehungszeitraum des Textes in neuassyrischer 194 oder gar der frühen Königszeit 195 zu vermuten. Es darf nicht verkannt werden, daß der Text stärker das Königtum Gottes als das des von ihm eingesetzten Königs im Blick hat. 196 Bedenken werden auch dadurch geweckt, daß das Volk bei der Einsetzung seines neues Königs nicht angesprochen wird. Schließlich läßt die Tatsache, daß die Zusage der Sohnschaft aus dem Munde des Königs kommt und diesem nicht direkt zugesprochen wird, es unwahrscheinlich erscheinen, daß hier ein Ritualtext zugrunde liegt. Der Psalm ist eher als eine nachexilische 197 Reflexion über das Verhältnis des göttlichen und des irdischen Königtums zu verstehen. Eine Utopie wird entworfen, in Grundzügen vorgestellt und dann durch die in die Sammlung aufgenommenen Königspsalmen elaboriert. In dem mit Ps 72 eröffneten Horizont 198 wird das Königreich 199 die Kennzeichen der Gaben Jhwhs, nämlich der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, der Lebensfülle und des Friedens tragen.
193 KRAUS will aus dem Text zwar kein Ritual rekonstruieren, schlägt aber dennoch vor, daß der Text vom König selbst gelesen worden sein könnte und daß er deshalb in die judäische Königszeit gehöre (Psalmen I, 146). S. a. BECKING, Wie Töpfe, 79. 194 So OTTO, Politische Theologie, 51. RÖSEL setzt für die Grundschicht ein bestehendes Königtum voraus (Messianische Redaktion, 105). 195 WEISER bezeichnet die Zeit als „nachdavidisch" (Psalmen I, 74). 196 SEEBASS schreibt mit bezug auf die Erwählung des Zion durch Jhwh: „Diese bedeutende Theologie hat es erreicht, daß Königshymnen wie Ps 110 und Ps 2 in Wirklichkeit zu JHWHHymnen geworden sind; Voraussetzung dafür aber war die Eigentumserklärung JHWHs auf dem Zion" (Art. nrn, 601). 197 So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen I NEB, 50. Anders allerdings in ZENGER, Alle Könige, 87. Nach HARTENSTEIN ist es der Horizont umfassender Völkerwelt, der auf die Perserzeit verweist (Himmel, 176). LORETZ nennt den Text ein „Produkt nachexilischer Schriftstellerei (...), das auch vorexilisches Material enthält" (Analyse, 26). 198 Vgl. ZENGER, Alle Könige, 90. 199 Inwiefern dieses Reich ein messianisches genannt werden kann und der Psalm als Einleitungspsalm in den sog. messianischen Psalter zu bezeichnen ist, ist umstritten. Der Terminus rröo kommt in Ps 2,2 vor und im übrigen Psalter in Ps 18,51; 20,7; 28,8; 84,10; 89,39.52; 105,15 (pl.); 132,10.17. Problematisch ist dieser Terminus insofern, als der König nicht in seiner Funktion für sein Volk gezeichnet wird (vgl. auch ZENGER, Alle Könige, 89 f.). WEINFELD geht von einem „physically" über sein Volk regierenden König aus. Der Text wurde seiner Ansicht nach erst nachträglich allegorisch interpretiert (Zion, 104). Die messianische Ausrichtung macht hingegen BECKER (Kollektive Deutung, 305f.312f.) stark. Er kommt von daher zu einer nachexilischen Einordnung des Psalms.
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4. Der Priesterkönig Psalm 110 Die Herrschaft des von Gott eingesetzten Königs auf dem Zion wird neben Ps 2 auch in Ps 110 thematisiert. Dabei zeigen die beiden Texte nicht nur verschiedene Aspekte der Herrschaft dieses Königs. Der Zion als Königssitz ist beiden Psalmen gemeinsam. Doch wird in Ps 110 durch den Topos Zion mehr und anderes ausgesagt als in Ps 2. Psalm 110 1 Für David, ein Lied, Spruch Jhwhs für meinen Herrn: sitze zu meiner Rechten, bis ich hinlege deine Feinde als Schemel deiner Füße. 2 Das Zepter deiner Macht sende 200 Jhwh aus vom Zion, herrsche inmitten deiner Feinde. 3 Dein Volk201 ist bereit am Tag deiner Macht. In heiligem Schmuck 202 aus dem Schoß der Morgenröte kommt dir der Tau deiner Jugend zu. 203 200
Es wird vorgeschlagen, hier ebenfalls einen Impt. zu lesen, wie im zweiten Teil des Verses. Doch kann mit dem Impt. rrn auch eine besondere Sicherheit darum, daß hier Wirklichkeit formuliert wird, ausgedrückt werden (vgl. A L L E N , Psalms III, 8 0 ) . Zudem haben die Verbformen unterschiedliche Subjekte. Eine Angleichung des Impf, (mit jussivischer Bedeutung übersetzt) an den Impt. in v2b ist somit nicht notwendig. 201 Gemäß der LXX übersetzen hier einige „um dich her stehen Adlige" (vgl. K R A U S , Psalmen II, 926; K I L I A N , Der Tau, 418). Ähnlich bereits G U N K E L (Psalmen, 486), der er ebenfalls als Präposition versteht. S A U R bietet eine weitere Lesart, indem er nai; von R M : „freiwilliges Opfer" ableitet. Nach seiner Übersetzung ändert sich die Perspektive dahingehend, daß nun nicht Personengruppen dem König zugeordnet werden, seine Herrschaft erwarten und stützen, sondern daß der König in seiner Haltung gegenüber Jhwh gezeichnet wird: „Mit dir [trage] freiwillige Opfer" (Königspsalmen, 205). Diese Vorschläge sind stark von der inhaltlichen Seite des Textes beeinflußt. Die masoretische Vokalisation ist somit nicht auszuschließen, wenn sie auch exegetisch schwieriger einzuordnen zu sein scheint. 202 Einige Varianten bieten die Lesart m n . Innerhalb des Alten Testaments kommt n r , wie der MT es vorsieht, nur in Ps 110,3 als Nomen im Plural vor. Zudem ist ein Schreibfehler, der auf eine Verwechslung von i und i zurückgeht, nicht unwahrscheinlich. Vgl. B O O I J , Psalm C X , 3 9 8 f.; P O U L S S E N , König, 5 8 ; G E S E , Natus ex Virgine, 1 3 8 ; K I L I A N , Der Tau, 4 1 8 . Beide Lesarten sind möglich (s.a. VAN DER MEER, Psalm 110, 228) und beide sind syntaktisch nicht fest mit dem Vers verbunden. Eine Entscheidung ist meines Erachtens vor allem aufgrund inhaltlicher Erwägungen zu treffen, da die Nähe des Textes zu Ps 2,6 wie auch Ps 87,1 und das Bild des Taus in Ps 133,3 zwar die Lesart '~NN nahelegen, der Vers jedoch den König präsentiert, „in heiligem Schmuck". Mehr dazu s.o. 203 Gern wird hier aufgrund der Nähe des Textes zu Ps 2,7 eine Verbform übersetzt. Daß von Jhwh in v2 in der 3.m.sg. die Rede ist, sollte nicht an einer solchen Lesart hindern. Die Schreibweise der Form spricht eher für die Verbform (vgl. B O O I J , Psalm CX, 398) als für das Nomen,
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4
Es hat Jhwh geschworen, und es reut ihn nicht: Du bist Priester in Ewigkeit nach der Weise Melchisedeks. 2 0 4 5 Der Herr ist zu deiner Rechten, er zerschmettert Könige am Tag seines Zorns. 6 Er richtet über die Völker, er häuft Leichen an, er zerschmettert Häupter (sg.) auf weiter Erde. 7 Vom Bach auf dem Weg wird er trinken, darum erhebt er das Haupt. 2 0 5
da das \ sollte es nicht die 1 .c.sg. kennzeichnen, für einen Plural steht, der hier sicherlich nicht intendiert ist. Eine weitere Variante bringt SCHREINER ein, der mit „am Tage deiner Geburt" übersetzt (Sion, 115). Der Kontext legt jedoch nahe, an dieser Stelle mit „Jugend" zu übersetzen, denn wenn die Bilder dieses Verses auch schwer zusammenzubringen sind, so ist zuerst von der Macht des Königs die Rede, die sich in der nicht versiegenden Kraft, dem Tau der Jugend manifestiert. Vgl. auch DONNER (Prophet, 223), der die Übersetzung der LXX für eine spätere Angleichung an Ps 2,7 erachtet. 204 Dieser Teilvers hat diverse Interpretations- und Übersetzungsversuche erfahren. Nicht nur die Frage, ob piir-D^Q als Eigenname zu lesen sei oder als Titulierung des Königs, sondern bereits das 'rrn~rti> ist umstritten. Möglich sind ein kausales Verständnis „wegen mir" oder auch nur „wegen" (hier würde die Endung von T r n T b ü als hirasq compaginis gelesen) (vgl. B o o u , Psalm CX, 402; SAUR, Königspsalmen, 205), sowie ein modales Verständnis „nach der Weise" (vgl. GUNKEL, Psalmen, 487; ALLEN, Psalms III, 79; BAIL, Psalm 110, 101). Die sich daran anschließende Übersetzung von p-ivr^Q ist nicht unabhängig von dieser Entscheidung. Die Priesterschaft des Königs bliebe mit einer Lesart im Sinne von „nach der Art des/eines Königs der Gerechtigkeit" schwer nachzuvollziehen. Erst der Name piü'-s^o gibt dieser Option einen Sinn. Umgekehrt bedingt die kausale Variante mit dem Suffix der 1 .c.sg. den Vokativ. Der von Jhwh eingesetzte König wäre der König der Gerechtigkeit. Die Lesart p i i r o ^ n entfiele. Doch grammatische Erwägungen allein helfen auch hier nicht weiter. Die kausale Variante ohne das Suffix ist letztlich für keine der beiden Varianten tauglich. „Wegen pnü'^^Q" räumt diesem einen Platz zwischen Jhwh und seinem König ein, der nicht verständlich wäre, oder aber eine Zielgerichtetheit, die allenfalls dem Volk zukäme. „Wegen des Königs der Gerechtigkeit" läßt offen, wer hinter dieser Größe steht, die das Alte Testament an keiner anderen Stelle zu vergeben hat. Die kausale Variante mit dem Suffix der l.c.sg erweist sich schließlich insgesamt als schwierig. Nun gilt hier zwar, wie auch in v3, daß die Rede von Jhwh in der l.c.sg. nicht ausgeschlossen ist, selbst wenn gleich im Anschluß daran von Jhwh in der 3.m.sg gesprochen wird. Der gesamte Psalm spricht von der Ausstattung des Königs durch Jhwh. Dieser Teilvers bliebe die einzige Stelle, an der sich die Perspektive ändert und die Rückbindung des Königs an Jhwh thematisiert wird. So problematisch die Lesart auch sein mag, besonders wenn das Verhältnis des Textes zu Gen 14 mit ins Blickfeld gerät, ist die modale Variante, verbunden mit dem Namen p i i r ^ n , noch am ehesten geeignet, dem Text nahezukommen. Zu Beginn des Verses wird die Priesterschaft erwähnt, die diese Annahme zumindest stützen kann. Auch hält der Name selbst Assoziationen mit dem semantischen Feld um "i^n und piü offen. 205 Eine umfassende Übersicht zu den „konjekturalen Versuche(n)" ist bei BECKER nachzulesen (Deutung, 18 ff.). Die Ergebnisse zielen auf eine Deutung auf das Leiden des Messias, auf einen sakramentalen Trunk während einer Inthronisationsfeier oder das Emporkommen eines Häuptlings.
208
C. Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
Utopie
Der Psalm ist in zwei Strophen gestaltet. Sie sind jeweils durch den Hinweis auf eine folgende Jhwh-Rede eingeleitet. Beide Jhwh-Reden (v laßb, v4ayb) 206 enthalten eine Zusage an den von Jhwh eingesetzten Herrscher. Dieser soll zur Rechten Gottes sitzen, denn er ist ein Priester nach der Weise Melchisedeks. Die erste Strophe fuhrt in den vv2.3 aus, wie dieser Herrscher ausgestattet ist, nämlich mit Kraft und Jugend und einem ihm willig dienenden Volk. Die zweite Strophe wendet den Blick auf die Ausübung der Herrschaft durch Vernichtung der Feinde.207 Der Text setzt ein mit der Ankündigung eines nicht näher bestimmten Sprechers, Gottesrede verkünden zu wollen. Auffällig ist allein die Formulierung die erkennen läßt, daß der Sprecher in einem engen Verhältnis zu dem von Jhwh eingesetzten Herrscher steht. Der Text erhält auf diese Weise die Gestalt eines prophetischen oder priesterlichen Orakels.208 Die auf die Einleitung folgende Gottesrede umfaßt v 1 aßb. In v 2 spricht der Text bereits wieder von Jhwh in der dritten Person. Das Gotteswort ist Zusage und Aufforderung zugleich. Es ist durch den gezielten Gebrauch des Imperativs geprägt. Der Herrscher soll zur Rechten Gottes sitzen. Eine höhere Position ist nicht denkbar. Die Rechte Gottes steht für seine machtvolle und Macht ausübende Seite.209 Jhwh selbst greift ein, um die vernichteten Feinde zum „ Schemel deiner Füße " zu machen. Der König soll herrschen über seine Feinde. Der Titel "[^n wird nicht verwendet, dennoch weist eine Anzahl von Attributen daraufhin, daß es sich um niemand anderen als den von Jhwh eingesetzten König handelt. Dazu gehören die Begriffe mn, noo und der Imperativ r m . Zwei Imperative benennen die wesentlichen Charakteristika der Herrschaft des Königs: Throne an höchster Stelle und herrsche. Die anderen Verbformen in der ersten und auch in der zweiten Strophe sind alle eingesetzt, um Aktionen Jhwhs zu umschreiben.210 Es ist Jhwh, der das Zepter des Königs aussendet von Zion.211 Der Zion, Ort der Gottesnähe und Ausgangspunkt göttlichen Segens, der 206 Diejenigen, die die Form ~|vn'r als suffigierte Verbform verstehen (so u.a. KRAUS, Psalmen II, 928 f.; SAUR, Königspsalmen, 207), betrachten auch V3 als Gottesrede. Auf diese Weise kommt KRAUS zu einer Dreiteilung des Liedes mit drei Gottesreden (ebd., 928 f.). Ein wiederum abweichendes Ergebnis präsentiert VAN DER MEER, der davon ausgeht, daß Ps 110 sich in sechs Strophen aufteile (Psalm 110, 216 ff.). 207 DONNER streicht eine Aufteilung nach Ämtern heraus, die vv 1 aß.2a für die zivile Autorität und die vv lb.2b.3a.5.6 für die militärische Autorität (Prophet, 219). 208 HOMBURG (Psalm 110, 244) geht darüber hinaus von einem Inthronisationsorakel aus, das auf den Vorgang der Thronbesteigung abzielt. S. a. SAUR, Königspsalmen, 206. Vgl. auch GERLEMANN (Psalm CX, 1 ff.), der sich kritisch dazu äußert. 209 „Und rechts sitzt der Geehrte" (WOLFF, Psalm 110, 314). HOMBURG sucht, in dieser Zusage des Sitzens zur Rechten einen konkreten Ort zu bestimmen, an den sich der König während eines Thronbesteigungsrituals zu begeben habe (Psalm 110, 244 ff). 210 Zu den besonderen Problemen zur Feststellung des Subjekts in v 7 s.o. 211 Anders Boou (Psalm CX, 397), der betont, daß das Zepter in der Hand des Herrschers liegt, und deshalb der Herrscher nicht in gleicher Weise passiv sei wie in v 1.
//. Königtum auf dem Zion
209
Leben ermöglicht und erhält, wird zum Zentrum der Macht des eingesetzten Königs. Dieser partizipiert an der Macht und Herrschaft Gottes. In Ps 2,7 heißt es: „Ich habe dich heute gezeugt". Damit spricht Ps 2 auf anderer Ebene in größter Intensität von der engen Verbindung zwischen Gott und seinem König. Ps 110 greift diesen Gedanken nicht direkt auf, ermöglicht jedoch wortspielerisch Assoziationen, indem er von Yrn'r spricht (Ps 2,7 ^'rn"?')212* wo üblicherweise m s ] zu erwarten gewesen wäre 213 . Indem Ps 110 den Gedanken der göttlichen Zeugung des Königs nicht formuliert, stärkt er jedoch das Herrscherprofil des Königs. Gott holt den König auf den Thron zu seiner Rechten. Schließlich deutet sich auch in der Verwendung von bxv (Ps 2,8) an, daß der König in Ps 2 noch bitten muß, wo er in Ps 110,2 bereits den Auftrag bekommt: rn~i - herrsche. Nach Ps 2 wird der König von Jhwh auf dem Zion eingesetzt, nach Ps 110 steht seine Herrschaft ganz im Zentrum. In dieser Hinsicht liest sich Ps 110,2 wie eine Ergänzung zu Ps 2,6. Anders als in Ps 2 sind die Feinde in Ps 110 als Feinde des Königs bezeichnet und nicht als diejenigen, die sich gegen Gott und seinen Gesalbten erheben. Obwohl Ps 110 nicht konkret wird, ist doch deutlich daß ein Herrscher mit einer derartigen Machtfülle Feinde hat. Sie sind aber immer auch Feinde seines Volkes. Daß das Volk in Ps 110, nicht aber in Ps 2, erwähnt wird, gehört zu den wesentlichen Unterschieden zwischen den beiden Texten. Ps 110,3, insgesamt mit Textproblemen durchsetzt, bezeugt am Anfang "]DJJ, was von vielen Übersetzern als schwierig erachtet wird. 214 Die Erwähnung des Volkes in v 3 läßt sich jedoch nicht wegdiskutieren, und inhaltlich erweist sie sich als bedeutsam, rn-rc "]ni? - dein Volk ist bereit. Schon die Erwähnung des Volkes verhindert, daß die Einsetzung des Königs im Zeichenhaften verbleibt. Der König ist dem Volk verpflichtet, und das Volk ist Teil seiner Macht. Es ist bereit am Tag seiner Kraft 215 , steht also hinter dem König und stärkt ihn. Auch der Schluß des Verses beschreibt die Kraft, d. h. die körperliche und geistige Stärke des Königs. Ihm k o m m t - i m m e r wieder neu - d e r Tau 216 der Jugend aus dem Schoß der Morgenröte 217 zu. Die ineinander gearbeiteten Bilder sind 212
Vgl. die textkritischen Anmerkungen zum Vers. Vgl. u.a. CRÜSEMANN (Studien, 169), der auf den Gebrauch in den Ps 25,7; 71,5.17; 103,5 verweist. 214 Vgl. dazu die textkritischen Anmerkungen. 213
215
216
WOLFF b e z e i c h n e t d e n T a g als d e n Tag d e s H e e r b a n n a u f g e b o t e s ( P s a l m 110,317).
KILIAN deutet den „Tau" mit Rückgriff auf ägyptische Vorlagen als Duft, als göttlichen Wohlgeruch, in dem der König gezeugt wurde (Der Tau, 419). 217 Vgl. auch Ps 57,9 und 108,3. KRAUS bezieht nnö auf eine Göttin (Psalmen II, 2. Aufl. 759; anders 5. Aufl. 933; s.a. HOSSFELD/ ZENGER, Psalmen II HThK, 129; ZENGER, Komposition, 107) und mutmaßt, daß wohl hier im Bereich des Mythos ein hieros gamos anzusetzen sei (Psalmen II, 759), der König gezeugt von einem Gott und geboren von einer Göttin. Dazu muß er zumindest im Sinne von Ps 2,7 die masoretische Punktation verändern. Nun geben die in v 3 so gehäuft auftretenden Bilder tatsächlich eine Menge Deutungsspielraum. Auch MOWINCKEL hat sich in ähnliche Richtung wie KRAUS geäußert, indem er annimmt, daß ein
210
C. Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
Utopie
mehrdeutig. Ihnen ist die Frühe gemeinsam, der Anfang und die darin liegende Kraft. Das gilt für die Morgenröte ebenso wie für den Tau, der sich zu Beginn der Dämmerung über die Natur zieht und sie stärkt. Jugend wird hier verbildlicht. 218 In der vorliegenden Komposition präsentieren die Bilder einen König, der sein Amt mit seiner sich immer wieder erneuernden Tatkraft ausüben kann. Schwierigkeiten bereitet zudem die Wendung Enp~—nm in v3. Dem Satzbau nach könnte das Volk ebenso Träger des heiligen Schmuckes sein wie der König. Letzteres ist wohl wahrscheinlicher, da der Vers wie die ganze Strophe von der besonderen Ausstattung des Königs spricht. Weder formal noch inhaltlich ist diese Bestimmung in den Satz eingebunden. Der König in heiligem Schmuck: töip weist auf v 4 voraus, auf ]n3~nnx. Die in v 3 zusammengestellten Bilder lassen sich dennoch zu einem Ganzen zusammenfugen, das das Volk und den König zueinander in Beziehung setzt. Das Volk am Tag „deiner Kraft" steht bereit, und der König selbst ist gegenwärtig in heiligem Schmuck, in der Kraft seiner Jugend. Dieser König ist bereit, seine Herrschaft im Krieg gegen die Feinde durchzusetzen. Die Wendung önp'—nna ist in einigen Handschriften zu E n p ' - n m verändert worden. Auch diese Variante macht v 3 nicht leichter verständlich; die damit verbundenen Aspekte sind dennoch von Bedeutung. Enp~ ,_ nra kommt auch in Ps 87,1 vor, dem Psalm, der Zion gewidmet ist. Der Tau ist in Ps 133,3 mit dem Zion motivisch verbunden. Die heiligen Berge werden zur Kraftquelle des von Gott eingesetzten Königs. Er selbst profitiert von dem von Zion ausgehenden Segen. Die zweite Strophe von Ps 110 beginnt wie die erste mit einer Zusage Jhwhs an den König. Gleich die Redeeinleitung weist einen ungewöhnlichen Aspekt auf, der die Zusage in eine besondere Perspektive rückt - am* k^i. Die alttestamentlichen Texte kennen verschiedene Zusammenhänge, in denen Jhwh sein Tun bereut, es zurücknimmt. Dies ist, aus nachexilischer Sicht Israels heraus, schon früh in der Menschheitsgeschichte der Fall, da Gott die Menschenschöpalter ägyptischer Mythos von der Geburt eines neuen Sonnengottes auf den Bergen des Ostens auf den König übertragen worden sei (Psalmenstudien III, 90). Ps 110 stünde mit dieser Verwendung von nnö jedoch allein da. Auch kennt das Alte Testament keine Königsgeburt einer Götterpaarung (vgl. WOLFF, Psalm 110, 316). GESE (Natus ex Virgine, 138) setzt Morgenröte mit Mutterleib gleich. Doch die besondere Verbindung des Königs mit Jhwh ergibt sich in Ps 110 aus dem Ruf an die rechte Seite Gottes. Dieser Auftakt bestimmt den Text stärker als eine mutmaßlich so stark verschlüsselte Botschaft der göttlichen Herkunft. Und auch Ps 2,7 zeigt, daß eine Verschlüsselung bei der Präsentation des von Gott eingesetzten Herrschers nicht das Ziel des Textes ist. Boou äußert sich auch etwas vorsichtiger, aber doch davon ausgehend, daß hier von göttlicher Zeugung die Rede ist. Angesichts dessen, daß nach hethitischen, assyrischen und babylonischen Quellen (in Jes 14,12 wird der König Babylons als Morgenstern bezeichnet) dem König Titel beigegeben werden, die diesen beschreiben „wie die Sonne", so soll auch nach Ps 110 der Bezug zur Morgenröte die Herrlichkeit des Herrschers beschreiben: „he is a brilliant son of the rising dawn" (Psalm CX, 400 f.). 218 Vgl. auch GUNKEL, Psalmen, 482 f.
II. Königtum auf dem Zion
211
fung gereut und er die Sintflut schickt (Gen 6,6 f.). Auch die Einsetzung Sauls zum König reut Gott, weshalb er ihm das Königtum nimmt (I Sam 15,11.35). Die Einsetzung dieses Königs, so Ps 110, wird er jedoch nicht zurücknehmen. Es wird ihn nicht gereuen. Damit eröffnet die Redeeinleitung bereits einen Blick in die Zukunft, die Zusage dauerhafter Herrschaft und dauerhafter Gottverbundenheit dieses Königs. Das bedingt aber auch, daß sich dieses Königtum von dem Königtum Sauls - und dessen Nachfolgern - unterscheidet. Die Besonderheit wird in der zweiten Zusage formuliert. Der Herrscher ist Priester in Ewigkeit. Er ist verantwortlich für das Wohl des Volkes als Schutzherr gegen die Feinde und in seiner Verantwortung für den Gottesdienst. Das Wohl des Volkes, das Leben Israels, kann nicht einseitig durch militärische Leistungen bewahrt werden. Es bedarf des Gottesdienstes und des Kultes, um ein Leben vor Gott und mit Gott führen zu können. Ohne diese zweite Seite gibt es keine Existenz Israels. Was durch zwei Personen garantiert werden könnte 219 , durch den König und den Hohenpriester, wird hier in einer zusammengefaßt. Gott vertraut dem König sein Volk an. Das hohe Ansehen, daß der Text von dem Priesteramt hat, zeigt sich vor allem in der nicht genannt wird, wohl aber der Titel jro. Somit Tatsache, daß der Titel fallt es schwer, noch von einer Gleichberechtigung beider Ämter zu sprechen. Der Herrscher ist zuerst Priester. 220 Er ist es nach der Weise Melchisedeks. Schaut man auf den ganzen Psalm, so gewinnt man den Eindruck, daß ein Krieger und nicht ein Tempeldiener beschrieben wird. Der Text hat mit der Verbindung von stark militärischer Präsenz des Herrschers und seinem Priesteramt hingegen keine Schwierigkeiten, er verflicht beides mit der Person Melchisedeks. Über diesen Priesterkönig ist wenig bekannt. Im Alten Testament wird er außer in Ps 110 nur noch in Gen 14,18 genannt. Erst im Neuen Testament hat dieser Name eine größere Wirkung entfaltet, die auf ein ewiges Priestertum zielt. Die militärische Seite der Herrschaft spielt hingegen keine Rolle. Der 110. Psalm hat im Neuen Testament eine breite Wirkungsgeschichte entfaltet, mehr noch als Jes 53. Dabei sind es allerdings nur einzelne Aspekte des Textes, die aufgegriffen werden. Es ist die Erhöhung des Menschensohnes zur Rechten Gottes (Mt 22,41 ff.; 26,64; Act 5,31; 7,55; Rom 8,34; Eph 1,20; Hebr 1,13; 8,1; 10,12 f.; I Petr 3,22), dem die Feinde als Fußschemel dienen sollen (Mt 22,41 ff.; I Kor 15,25; Hebr 1,13; 10,12f.), und es ist das Hohepriesteramt nach der O r d n u n g Melchisedeks (Hebr 5,6ff.; 6,20; 7,1 ff.). Die neutestamentlichen Texte beziehen sich auf die vv 1 und 4 des 110. Psalms. In Jesus Christus finden Königsherrschaft und Priestertum z u s a m m e n . Und doch füllt er die in 219 Zur Vision Sacharjas von dem Leuchter und den zwei Ölbäumen (Sach 4,1-6) schreibt GESE: „Die beiden Gesalbten repräsentieren die neue Kultgemeinde, den Priester und den davidischen Tempelbauer, den neuen Kultus, durch den Gott seine doxa in die Welt ausstrahlt" (Anfang, 29). 220 RÖSEL vermutet, daß Ps 110 allein auf einen Hohenpriester zielt (Messianische Redaktion, 186).
212
C. Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
Utopie
Ps 110 angekündigte Gestalt anders, als dies ein davidischer Jerusalemer König könnte. Nicht das Zerschmettern der Häupter, sondern Gebet für die Feinde und Sündenvergebung sind Kennzeichen seiner Herrschaft. Insofern erweist sich Jesus Christus als der in den Schriften verkündete Messias, dessen Weltherrschaft sich so ganz anders durchsetzt. „Das Neue Testament steigert die Diskrepanz zwischen dem verkündeten Wort und der geschichtlichen Wirklichkeit bis zum Skandalon: den Gekreuzigten seht ihr zur Rechten Gottes sitzen (Mk 14,62)." 221
Über Melchisedek ist nach Quellenlage wenig zu sagen. Drei Aspekte bleiben, die mit dieser Gestalt verbunden werden und die für den von Gott eingesetzten Herrscher bedeutsam sind: der Name und die damit verbundene Bedeutung König der Gerechtigkeit222, die Verankerung der Herrschaft dieses Königs in der Frühzeit Israels - Abraham trifft ihn und zehntet ihm - und die Lokalisierung der Herrschaft Melchisedeks in Jerusalem. Die Herrschaft des Priesterkönigs ist gerecht, ohne Willkür, ohne Eigennutz, sie schafft Lebensraum. Sie ist verankert in der Frühzeit. Bereits mit Blick auf Saul war festzuhalten, daß das Königtum anderer Natur ist als das Sauls und als das der Könige Israels und Judas, unter denen er der erste war. Es geht zurück in eine ideale Vorzeit, unbelastet von Blüte und Verfall der Königreiche, unbelastet von deren unrühmlichem Ende. Dennoch findet dieses Königtum seine Verankerung in der Geschichte Israels, und zwar in Jerusalem. Die Erzählung von Abraham und Melchisedek legitimiert, Ereignisse in die Frühzeit Israels projizierend, den Kult in Jerusalem und die damit verbundenen Abgaben. Ps 110 argumentiert somit auf der vertikalen wie auch auf der horizontalen Ebene, weshalb Zion und nur Zion das Herrschaftszentrum dieses Priesterkönigs sein kann. Auf der vertikalen Ebene ist es die Gegenwart Gottes auf Zion, die auch den König an diesen Ort bindet. Die Horizontale ist die Geschichte Israels mit seinem Gott. Sie zeigt, daß Gott diesen Ort erwählt und seinen Herrscher dort eingesetzt hat, verankert in der Frühzeit und gültig für die Ewigkeit. 223 Die direkte Rede Gottes wird mit v 4 abgeschlossen. Es folgen ab v 5 Worte der Zusage an den König, die von Jhwh in der 3.m.sg. sprechen. „Der Herr ist zu deiner Rechten ". Da es in v 1 noch "nx heißt und auf diese Weise der König angeredet wird, sind in bezug auf die Richtigkeit der masoretischen Punktation an dieser Stelle Zweifel aufgetreten. 224 Aber der ganze Text ist als eine Rede an den König gestaltet. Eine Veränderung der Punktation würde die Sprechrichtung ändern, sie wäre nun Gott zugewandt. Auch mit Blick auf ~["D" ist eine derartige Glättung nicht notwendig. Zur Rechten des Herrn zu sitzen, heißt nicht, daß vom Herrn ausgesagt werden müßte, er befände sich zur Linken. Es ist jeweils 221
WOLFF, Psalm 110,323.
222
Vgl. SAUR, K ö n i g s t u m , 2 1 3 A n m . 32.
223
Ähnlich geht auch der Dichter von Ps 76 vor, der Salem und Zion als Wohnort Jwhws nennt und damit auf Gen 14,18 ff. verweist. Zu Ps 76 s. a. S. 114 f. 224
Vgl. MÖLLER, T e x t z u s a m m e n h a n g , 2 8 7 f.; DE VAUX, L e b e n s o r d n u n g e n I, 178.
//. Königtum auf dem Ziort
213
die starke, machtvolle Seite betont, in v 1 wie in v5, nur daß einmal der Blick von Jhwh zum König geht und im zweiten Fall vom König zu Jhwh. Es ist eine Frage der Verhältnisbestimmung. Jhwh befindet sich zur Rechten des Königs, stützt ihn 225 , kämpft für ihn und zerschmettert Könige. Jhwh ist Subjekt der Handlungen. 226 Auch wenn der König selbst Krieg fuhrt, ist es Jhwh, der die Häupter zerschmettert. Während sich in Ps 2 durch die sekundäre Einfügung des Sohnes in v l 2 das Subjekt ändert und die Taten Gottes zu den Taten des Königs werden, bleibt Jhwh in Ps 110 Subjekt. Das Tun des einen ist vom Tun des anderen nicht scharf zu trennen. Jhwh ist aktiv, und der König ist sein Werkzeug. Allein v 7 erweist sich bei der Bestimmung des Subjekts als äußerst schwierig. Kann tatsächlich von Gott als einem Krieger die Rede sein, der vom Bach auf dem Wege trinkt? 227 Gunkel hat aus diesem Grunde eine Umstellung der Verse vorgeschlagen. Er ordnet v 7b vor v 5 an, so daß nun der König entschlossen sein Haupt hebt und kampfbereit in den Krieg zieht. 228 Aufgrund dieses Eingriffs ist aber der König Subjekt aller folgenden Taten. Kraus deutet allein v 7 auf den König und legt den Vers als einen Hinweis darauf aus, wie der König seine Macht empfängt. Er betrachtet das Trinken vom Bach als einen sakralen Akt, der seinen Ort im Inthronisationsritual hat, in dem der König aus der Gichonquelle trinkt. 229 Der Vers beschreibt das Bild eines Kriegers, der nicht von seinem Thron aus die Truppen dirigiert, sondern selbst an vorderster Front kämpft. In dieser Hinsicht stimmt der Vers mit den in v 3 gewählten Bildern überein, die die Jugend des Königs und seine nicht versiegende Kraft preisen. Das Heben seines Kopfes bezeichnet nicht nur seine Kampfesbereitschaft, sondern verbildlicht seinen Sieg. Die Häupter der anderen werden zerschlagen, er aber erhebt seinen Kopf. Die erste Strophe beschreibt die Ausstattung, die zweite Strophe die Auswirkungen der Herrschaft dieses Königs. Er wird als Sieger hervorgehen. Da kein Subjektwechsel zwischen den vv6 und 7 eingeführt wird, ist das Verständnis schwierig. Doch es zeigt sich gerade darin das Spezifische des Verhältnisses zwischen Jhwh und seinem König. Es ist nicht zu unterscheiden, wer 225
Vgl. auch GILBERT/PISANO, Psalm 110, 348 f. Vgl. auch ADAM, Königlicher Held, 84 Anm. 210. Anders u. a. GILBERT/PISANO, Psalm 110, 349 f. Es bleibt aber zu fragen, was zu dieser Entscheidung fuhrt. Ein Subjektwechsel ist nicht angedeutet, ISX'CVN deutet eher auf den Zorn Gottes hin (vgl. SAUER, Art. ^X, 223 f.), und so liegt auch dieser Deutung die Schwierigkeit der Subjektbestimmung in v7 zugrunde. 227 Nein, sagen u.a. ALLEN, Psalms, 82; KRAUS, Psalmen II, 936; WOLFF, Psalm 110, 310. Anders äußert sich u. a. Boou, der unter Heranziehung von Ex 15,3; Ps 24,8 u. a. die Vorstellung von Jhwh als einem göttlichen Krieger hervorhebt (Psalm CX, 404); s. a. BECKER, Deutung, 24. 226
228
V g l . GUNKEL, P s a l m e n , 4 8 3 . S . a . VAN DER MEER, P s a l m 110, 2 3 1 . N a c h BAUMANN ist
es nicht einmal denkbar, daß der König durstgequält einen Nottrunk zu sich nimmt. Das wäre einem Gesalbten nicht würdig. Er versteht den Satz als eine Zusage folgender Art: „Aus dem Segensstrom wird er dich trinken lassen" (Strukturuntersuchungen, 138). 229
V g l . KRAUS, P s a l m e n II, 936. S . a . WOLFF, P s a l m 110, 3 1 2 f .
214
C. Zion in mythischer
Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
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hier handelt. Die Verbindung zwischen beiden ist so eng - der König sitzt zur Rechten Gottes und Gott ist zu seiner Rechten - , daß eine präzise Identifizierung, wer Träger welcher Handlung ist, nicht erwünscht zu sein scheint. 230 Schließlich ist der Blick noch einmal auf den Zion zurückzulenken. Verschmelzen der auf dem Zion gegenwärtige Gott und der von ihm eingesetzte und von dort aus herrschende König in ihren Taten, so gilt die Integrationskraft des Zion auch für das in Ps 110 präsentierte religionspolitische Konzept. Wie auf dem Zion Königtum und Tempel zentriert sind, so wird hier vollzogen, was das neue Amt bewirken soll, die Vereinigung von König und Priester in einer Person. Die Datierung von Ps 110 ist von verschiedenen Textbeobachtungen und methodischen Prämissen bestimmt gewesen. Aus formgeschichtliche Sicht ist man davon ausgegangen, daß der Text ein intaktes Königtum in Israel voraussetzt und die Orakel des Psalms Teil eines Inthronisationsrituals sind. 231 Das dezidiert abweichende Konzept des priesterlichen Königtums und die Feststellung, daß es Gott „diesmal" nicht gereuen wird, deutet jedoch in entgegengesetzte Richtung. So stehen der vorexilischen Einordnung des Textes die Meinungen gegenüber, die in der Geschichte Israels einen Zeitraum zu finden suchen, da das königliche und das hohepriesterliche Amt miteinander unter erweiterten Machtansprüchen verbunden wurden - die Makkabäerzeit. 232 Die Analyse hat deutlich machen können, daß Ps 110 Ps 2 weiterfuhrt und in Kenntnis von Ps 89 einen Neuansatz fiir das von Gott eingesetzte Königtum bietet. 233 So sprechen sowohl die Beobachtungen in Ps 110 als auch die Komposition des Psalters für eine Datierung von Ps 110 in die nachexilische Zeit. 234 Er verheißt ein neues Königtum und droht den Völkern am Tag des Zorns ein eschatologisches Strafgericht an. 235
230
Vgl. dazu auch ADAM, der in seiner Untersuchung zu Ps 18 feststellt, daß auch hier „JHWH und irdischer König dieselbe Handlungsrolle des königlichen Helden einnehmen und (daß) ... König und Gott über ... diese Rolle miteinander identifiziert werden" (Königlicher Held, 84). Weitere Merkmale dieser engen Verbindung sind die Verwendung von "~ix für den Herrscher (v 1) bzw. für Gott (v 5) mit entsprechend gewandelter Vokalisierung und die Rede vom Tag der Kraft bzw. vom Tag des Zorns. Vgl. BAIL, Psalm 110, 108. 231
V g l . KRAUS, P s a l m e n II, 9 2 9 f.; SCHREINER, Sion, 112; HOMBURG, P s a l m 110, 2 4 3 ;
B o o u , Psalm CX, 406; unter etwas anderen Voraussetzungen auch VAN DER MEER, Psalm 110, 227. 232
233
Vgl. DONNER, P r o p h e t , 2 1 8 ff. Vgl. SAUR, K ö n i g s p s a l m e n , 2 0 6 .
234 Nachexilische Zeit ist immer noch ein weit gefaßter Zeitraum. Doch kann man sicherlich nicht so weit gehen und, wie DONNER es tut, die Makkabäerzeit in Betracht ziehen. Die Kompositionsgeschichte, insbesondere das Verhältnis von Ps 110 und 132, spricht dagegen. Mehr dazu s. im folgenden Kapitel. 235
Vgl. ZENGER, K o m p o s i t i o n , 107.
II. Königtum auf dem Zion
215
5. Verbindungslinien: Psalm 110 zwischen Psalm 2 und Psalm 132 Ps 110 ist eng in eine kleine Gruppe von Davidpsalmen eingebunden (Ps 108 HO). 236 Er antwortet auf die in Ps 108 massiv geäußerte Kritik: „Du ziehst nicht aus, Gott, mit unseren Heeren " (Ps 108,12). Doch Gott zieht aus, er ist der Krieger, der die Häupter der Könige zerschlägt (Ps 110,6). So bekommt der Beter von Ps 108 schließlich Recht, wenn er sagt: „Er ist es, der unsere Feinde zertritt" (Ps 108,14). Ps 108 ist mit wenigen Abweichungen aus Ps 57,8-12 und 60,7-14 komponiert. 237 Damit liegt nicht nur ein Zeugnis für den lebendigen Umgang mit den Psalmen vor, sondern auch ein Beweis für gezielte Komposition von Sammlungen, denn die Hinleitung auf Ps 110 ist deutlich. 238 Klagt Ps 108 das Eingreifen Gottes auf nationaler Ebene ein, tut Ps 109 dies auf individueller 239 . Die Antwort Gottes erfolgt in Ps HO. 240 Betrachtet man den Text im weiteren Kontext, so gehen ihm die Jhwh-König-Psalmen voraus. Jhwh thront auf Zion, er ist erhaben über die Völker und richtet sie in Gerechtigkeit. Doch in Ps 110 holt Jhwh seinen König auf den Thron, errichtet ihm einen Schemel für seine Füße 241 und will so auf neue Weise die Geschicke seines Volkes lenken und die Völker richten. Die religionspolitische Utopie der Herrschaft des von Gott eingesetzten Priesterkönigs versteht sich als Umsetzung der Königsherrschaft Gottes. Nun wird mit Ps 110 nicht zum ersten Mal innerhalb des Psalters von einem von Gott eingesetzten König gesprochen, der die Völker der Erde zum Erbe bekommt. Diese Perspektive eröffnet bereits Ps 2 im Proömium des Psalters. Die Durchsetzung der Königsherrschaft Gottes durch einen von ihm eingesetzten König, seinen Sohn, geht als Verheißung allen folgenden Gebeten voran. Daß dieses Thema „erst" mit Ps 110 wieder aufgegriffen wird, hängt mit dem festen Bestand der einzelnen Sammlungen zusammen, der bereits vorlag, als Ps 110 angefügt wurde. Im Vergleich mit Ps 2 zeigt Ps 110 eine Fortführung und Erweiterung des Themas. 242 Angedeutet wurde dies bereits mit dem Verweis auf die Vokabeln 'PKÖ - bitten (Ps 2,8) und m - herrschen (Ps 110,2). Liegt in Ps 2 236
V g l . ZENGER, K o m p o s i t i o n , 1 0 7 f.; LEUENBERGER, K o n z e p t i o n e n , 2 8 7 f f .
237
Vgl. dazu auch RÖSEL (Messianische Redaktion, 66 ff.), der in seiner Auslegung des Textes dann aber keine Bezüge zu Ps 110, sondern zum zweiten Davidpsalter hervorhebt. 238 Anders MILLARD, der Ps 108 als Schlußpunkt eines Kompositionsbogens betrachtet, u. a. mit der Erklärung, daß Ps 108 formgeschichtlich kaum einzuordnen sei (Komposition, 83). 239 Dadurch wird Ps 110 in die Perspektive der Armenrettung gestellt. Vgl. auch BAIL, Psalm 110, 120. 240
241
V g l . LEUENBERGER, K o n z e p t i o n e n , 2 8 8 f.
Vgl. Ps 99,5; 110,1; 132,7. Nur an diesen Stellen kommt innerhalb des Psalter die Vokabel e i n vor. 242 ZENGER äußert sich in gleicher Richtung, nur ist seine Begründung problematisch. Er schreibt: „Nicht mehr der König, sondern Jhwh selbst führt den Krieg gegen die Völker" (Komposition, 107 f.). Doch wird in Ps 2 kein Krieg geführt. Der Text ist eine Warnung an die Völker
216
C. Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
Utopie
der Ton stärker auf der Erwählung, so in Ps 110 auf der Verwirklichung der Herrschaft. Ist Ps 2 eine Warnung an die Völker, so macht Ps 110 deutlich, daß sie diese nicht gehört haben. Ob sich deshalb nahelegt, daß Ps 110 einmal das Pendant zu Ps 2 am Schluß eines früheren Stadiums des jetzigen Psalters gewesen ist, ist zu erwägen. Von vorn herein als Teil der Gruppe Ps 108-110 eingefugt, stellt er massiv alte Traditionen in Frage. Läßt Ps 2 offen, woher der König kommen wird, greift Ps 110 bewußt über die Herrschaft der Davididen243 hinaus zurück auf eine an Zion gebundene und von der negativen Geschichte dennoch unbeeinträchtigte Tradition, auf Melchisedek. Jetzt ist es ein Priesterkönig, der herrschen soll. Ps 89,36 spricht noch vom Schwur Jhwhs, der David ewigen Bestand seines Hauses zusagt, während die vv39ff. von seiner Verwerfung berichten.244 Dies soll nach Ps 110,4 nicht noch einmal geschehen. Gott wird seinen Schwur nicht brechen, seine Wahl wird ihn nicht gereuen. Hat Ps 110 jemals eine Sonderstellung als Ausklang des Psalters, als Verheißung der Herrschaft des Priesterkönigs nach der Weise Melchisedeks gehabt245, so hat er sie doch wieder verloren und dies ebenfalls aus gezieltem Gestaltungswillen heraus. Die Ps 111 und 112 lassen die furchterregenden Taten Jhwhs in einem neuen Licht erscheinen, dem der Gottesfurcht: „ Gepriesen der, der Jhwh fürchtet" (Ps 112,1). Die Wallfahrtslieder beschreiben eine andere Herrschaftsform, die von Zion ausgeht, als Ps 110, da die Herrschaft auf die Vernichtung der Feinde ausgerichtet ist. Nicht von Segen, von Kinderreichtum und Nahrung ist in Ps 110 die Rede, sondern vom Zerschmettern der Könige. Diese Form, Herrschaft durchzusetzen, kann im Großkontext nun aber als Voraussetzung für das verstanden werden, was der Beter sich wünscht, Frieden für Jerusalem (Ps 122,8) und Kinder wie Sprößlinge des Ölbaums um den Tisch (Ps 128,3). Vom Zion ausgehende Macht und Kraft hat verschiedene Facetten. Sie ist nie ungefährlich, aber schließlich doch darauf gelenkt, lebenermöglichende Gottesgegenwart auf dem Zion zu erfahren. Schließlich ist es Ps 132, der deutlich gegen Ps 110 steht. Eingesetzt auf dem Zion, sollen von dort aus David und seine Nachkommenschaft herrschen: als und Könige. Zudem ist zu differenzieren, denn auch in Ps 2 ist Jhwh deutlich der Aktive, was erst durch nachträgliche Bearbeitung verändert wird. S. a. POULSSEN, König, 58. 243 Nach RÖSEL fehlt auch jede erkennbare Anknüpfung an die davidische Dynastie (Messianische Redaktion, 187). Er schließt damit allerdings auch die Hoffnung auf eine Wiederherstellung des Königtums aus (ebd.). Dieses Urteil ist aber in seiner Pauschalität abzulehnen, und die Doppelfunktion des Herrschers als Priester und König hervorzuheben. Die Überschrift sieht RÖSEL lediglich ganz allgemein als einen Hinweis auf David als Psalmenbeter (ebd.). Durch die Aufnahme Davids in die Überschrift kommt es zudem zu der Konstellation, daß er als Sänger des Textes nun auch von „seinem Herrn" singt. Etwas vorsichtiger, aber von der Tendenz her ähnlich, äußert sich SAUR (Königspsalmen, 209). 244
245
S . a . BERGES, K n e c h t e , 1 5 7 f . 160.
Dafür spricht, daß auch andere Königspsalmen an Nahtstellen des Psalters positioniert sind, so neben Ps 2 auch die Ps 72 und 89 (vgl. MILLARD, Komposition, 4).
III.
Zusammenfassung
217
Könige und nicht als Priester. Was Ps 110 überwunden zu haben scheint, die Herrschaft der Davididen, macht Ps 132 stark, und er trennt zugleich zwischen dem König und den Priestern Zions. 246 Beide Konzeptionen der Herkunft des messianischen Königs, wie sie Ps 2 und 132 einerseits und Ps 110 andererseits präsentieren, stehen dennoch nicht unversöhnlich gegeneinander. Sie werden in einer Person vereint. So zeigt es das Neue Testament, das aus diesen Traditionen schöpft. Jesus Christus stammt aus dem Hause Davids. Er sitzt zur Rechten Gottes, seine Herrschaft ist königliche Herrschaft und ewiges Priestertum nach der Weise Melchisedeks.
III. Zusammenfassung Zion, in den Ps46; 48; 99; 2 und 110 in sehr unterschiedliche Kontexte eingezeichnet, ermöglicht es, ganz israelzentriert ein umfassendes Raum- und Zeitkonzept zu formulieren. Zion läßt sich auf einer horizontalen, vertikalen und temporalen Achse positionieren und führt die sich daraus ergebenden Perspektiven zusammen. Auf der horizontalen Achse vermittelt Zion zwischen dem weltumspannenden Königtum Gottes und der Zuwendung Jhwhs zu Israel. Der Zion, Mittelpunkt der Welt und Thronsitz dessen, der über die Völker herrscht, liegt inmitten Israels, wo der Gott Israels Wohnung genommen hat. Die Völker kommen dabei auf unterschiedliche Weise in den Blick. Sie gehören als Chaosmacht an die Ränder, oder sind als Erkennende des einen Gottes eingeladen, sich dem Zentrum Zion im Gotteslob zu nähern. Auf der vertikalen Achse ist Zion Wohnung Gottes, des Großkönigs, sein Tempel und heiliger Berg. Der im Himmel Thronende (Ps 2,4) und der in seiner Stadt Wohnende (Ps 48,4; 46,6) hat Zion zum Ort seiner göttlichen Gegenwart gemacht, wo Himmel und Erde sich berühren. Auf der vertikalen Achse wird auch das Königtum des von Gott eingesetzten Herrschers angeordnet. Er ist irdischer Herrscher und dennoch ausgestattet mit allen Vollmachten Gottes. Von Zion aus, Gottes heiligem Berg, wird sich das Königtum des Sohnes auf horizontaler Ebene erstrecken. Die Heiligkeit des Ortes, die mit der vertikalen Achse angesprochen ist, gibt der Regentschaft des von Gott eingesetzten Königs zugleich eine neue Qualität. Sie unterscheidet sich von der der Könige Israels und Judas, denn es wird Gott nicht gereuen, diesen König eingesetzt zu haben. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die durch Zion vermittelte temporale Achse Relevanz. Auf dieser sind gleich mehrere Punkte zu fixieren, die für die Art des Königtums aussagekräftig sind. Zion und die Herrschaft Melchisedeks (Ps 110,4) weisen auf die 246 S.a. RÖSEL (Messianische Redaktion, 188), der ebenfalls hervorhebt, daß Ps 132 im Gegensatz zu Ps 110 deutlich zwischen Königtum und Priestertum unterscheidet.
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C. Zion in mythischer Vorzeit und als Medium einer religionspolitischen
Utopie
Wurzeln des Königtums in vorstaatlicher Zeit, unbelastet von der Geschichte Israels. Der mythische Ursprung Zions als hoher Berg des Nordens und seine Unerschütterlichkeit vermitteln dem hier verankerten Königtum den von Gott zugesagten Bestand. Um ein einheitliches Bild zu erhalten, sind verschiedene Einzelaspekte zusammengetragen worden. Doch kennen die Texte weitere Motive, die Zion auszeichnen. In Ps 48 ist Zion Berg und Stadt. Als Berg trägt er die Züge des Zaphon, ist fern, hoch und unbezwingbar, als Stadt ist er Herrschaftssitz Gottes, des großen Königs, bietet Nähe Gottes, Raum, Schutz und Sicherheit für seine Bewohner. Daß dieses Bild der Gottesstadt nachexilisch nicht selbständig weitergetragen wurde, ohne der Rede von der Gottesstadt eine neue Perspektive zu geben, zeigt die Textgeschichte von Ps 48 sowie die Aufnahme des Themas in Ps 46. Die Gemeinde gedenkt der Gnade Gottes inmitten seines Tempels (Ps 48,10). Nun steht das Heiligtum im Zentrum. Die Tempelmetaphorik prägt die Darstellung der Stadt (Ps 46,5 f.). Schließlich ist es der Tempel, das Heiligtum Gottes, der die Besonderheit der Stadt ausmacht (so auch in Ps 122). Dieser Aspekt findet in Ps 48 über die Rede vom Tempelgottesdienst hinaus auch dadurch Ausdruck, daß in v 12 Zion als Berg bezeichnet und parallel zu den Töchtern (= Städten) Judas genannt wird. Der Zion ist in dieser Perspektive Ort des Heiligtums und als solcher Zeuge der Gegenwart Gottes und seiner gerechten Herrschaft. Gerade diesen Aspekt aus Ps 48 greift Ps 97 auf. Auch hier werden Zion und die Töchter Judas zu Zeugen der Herrschaft Gottes. In Ps 97 wird über dieses Paar die Israelperspektive in den Kontext eingetragen. Es ist der Gott Israels, der weltumspannend herrscht und dessen Zuwendung dennoch zuerst Zion und den Städten Judas gilt. Fügt sich dieser Aspekt in das eingangs skizzierte Schema gut ein, ist es mit der Wahrnehmung der Schutzbedürftigkeit der Stadt jedoch schwieriger. In Ps 48 wird sie eingetragen durch den Jubel Zions und der Töchter Judas über die gerechten Gerichte. Der Gott Israels verschafft ihnen Recht gegen ihre Feinde. Zion als Zentrum der Weltherrschaft Gottes und als bedürftige Stadt fallen nun auseinander. Auch in Ps 46 wird die Schutzbedürftigkeit der Stadt zum Thema. Hier wird deutlich gemacht, daß es die Gegenwart Gottes ist, die das Zentrum ausmacht und die trotz aller Bedrohung von der Unerschütterlichkeit der Stadt reden läßt. In Ps 99 steht Zion für den Fußschemel Gottes, er ist das Zentrum seiner Herrschaft. Dabei vermag Ps 99 wie kaum ein anderer Text die oben mit den verschiedenen Achsen dargestellten Perspektiven, in die Zion gestellt werden kann, zu konzentrieren. Der Herr ist gegenwärtig in Zion, herrscht in der Höhe, denn der Zion ist sein Fußschemel - so gerät auch der Tempel ins Blickfeld 247 - und doch für die Gemeinde wahrnehmbar, denn sie soll niederfallen vor seinem 247
S. a. die Bezüge zu Ps 93,5.
III.
Zusammenfassung
219
heiligen Berg. Seine von hier ausgehende Macht reicht über die ganze Erde, er ist erhaben über die Völker und dennoch ganz Israel zugewandt, denn er schafft Recht und Gerechtigkeit in Jakob. Die temporale Achse greift die Gesetzgebung am Sinai auf und zentriert damit die für die Existenz Israels grundlegende Heilsgabe am Zion. Die umfassende Präsentation dessen, was Zion für Israel sein kann, muß dennoch einen Aspekt ausblenden: Zion ist hier Berg und Heiligtum, nicht Stadt. Wesentliche Aspekte des Königtums des Sohnes und des Priesters nach der Weise Melchisedeks sind bereits genannt worden. Wenn der auf dem Zion lokalisierte Tempel in anderen Psalmen auch deutlicher thematisiert wird als in den zuletzt besprochenen, so ist er dennoch gegenwärtig in den Paradiesströmen, die die Stadt umfangen, wie auch in dem Ausdruck •rtrn cnn (Ps 99,5). Und in Ps 110 heißt es von dem Herrscher, daß er Priester sei in Ewigkeit. Wie sich am Zion Königsherrschaft Gottes und seine Gegenwart in seiner Gemeinde vereinen lassen, so lassen sich auch Königtum und Priestertum des von ihm eingesetzten Herrschers zusammenbringen. Jenseits des Zion ist eine derartige Verbindung nicht denkbar. Auf dem Zion muß der König einstehen als Verteidiger seines Volkes gegen die Feinde und als Repräsentant seines Volkes vor Gott.
D. Ausblick Zion ist in den Psalmen mit einer Vielzahl von Bildern, Stimmungen und Intentionen verbunden. Doch ist auch Zion selbst Ausdruck für diverse Motive und Vorstellungen. Zion ist nicht zu reduzieren auf den Berg als Osthügel bzw. Nordberg oder auf die Stadt, sei sie unbezwingbar oder zerstörte und wiederaufzubauende Stadt. Zion evoziert verschiedene Assoziationen, trägt einen Bedeutungsüberschuß in sich und verweist dennoch im Kontext des einzelnen Psalms nur auf einen Teil seines potentiellen Bedeutungsspektrums. So ist es möglich, daß Zion zwar als Konstante in der Rede von der Gegenwart Gottes oder vom Königtum Gottes auftritt, aber gleichwohl Varianzen seiner Konnotation erfährt und an den Kontext weitergibt. Der Ansatz dieser Untersuchung, die Annäherung an das, was Zion sein kann bzw. was über den Topos Zion vermittelt werden soll, auf der Grundlage von Exegesen einzelner Psalmen zu erarbeiten, trägt der Diversität des Erscheinungsbildes Zions Rechnung. Eine systematische Zusammenschau der Ergebnisse soll unter der Überschrift „Ausblick" vorgenommen werden, jedoch ohne den Anspruch, eine kohärente Zionstheologie darstellen zu wollen. Ausblick - weil Zion selbst den Blick in die Zukunft offen hält auf Basis der Zusage von Gottes Gegenwart in Israel und in der Welt.
Zion im Wechselspiel von relativer Offenheit und Konkretion Das inhaltliche Spektrum dessen, was Zion zu vermitteln vermag, ist eng gekoppelt an die topographischen Eigenheiten der Region und die geographische Überschneidung von Stadtgebiet und Berg, von Jerusalem und Zion. Daß ein Wallfahrer, der zum Zion oder nach Jerusalem will, aufsteigen muß, hat auch theologisch hohe Relevanz. 1 So haben diese Komponenten entscheidend dazu beigetragen, kanaanäische Vorstellungen vom Gottes- oder Götterberg auch am Zion anzusiedeln und ihnen eine israelitische Ausprägung zu geben. Zudem ermöglichen diese Umstände neben der relativen Offenheit dessen, was Zion sein kann, auch höchste Konkretion. Der Beter weiß, wohin er sich wenden kann. Er 1 Nun sind, das ist bereits erwähnt worden, einzelne Berge in direkter Umgebung höher als der Zion. Doch hier kommt die Überschneidung von Berg und Stadt zum Tragen, die dem relativen Eindruck des Aufstiegs auch die theologische Dimension verleiht.
222
D. Ausblick
beschreitet Pilgerwege nicht allein auf geistig-geistlicher Ebene, sondern auch sinnlich erfahrbare mit einem sichtbaren Ziel vor Augen. 2 Das Wechselspiel von relativer Offenheit und Konkretion bietet den Psalmisten auf literarischer Ebene diverse Ausdrucksmöglichkeiten, von denen an dieser Stelle zwei noch einmal genannt werden sollen: a) die Bedeutungsvarianz in der Zuordnung zu einem grammatischen Geschlecht; b) Erwähnung und Nichterwähnung von Zion. a) Zion kann als Femininum und als Maskulinum behandelt werden. In der Regel geht die Wahl des grammatischen Geschlechts mit der Rede von Zion als Berg oder als Stadt einher. Viele Texte lassen eine derartige Bestimmung jedoch gar nicht zu. Wird Zion z. B. mit der Präposition • gebraucht, würde man zunächst einmal davon ausgehen, daß mit „in Zion" zu übersetzen und folglich die Stadt gemeint ist. Das ist jedoch in Fällen wie Ps 84,8 schwer durchzuhalten. In diesem Text steht die Gegenwart Gottes in seinem Heiligtum im Zentrum. Die Offenheit in der Rede von Zion zielt auf die Verschmelzung von Zion und Heiligtum. Weder der Berg noch die Stadt stehen hier im Zentrum. In Ps 48 hingegen werden Gottesstadt und Gottesberg zueinander in Beziehung gesetzt, indem beide Varianten des grammatischen Geschlechts gebraucht werden. Zudem, und das vermag Ps 97 zu zeigen, kann Zion als Femininum eine gegenüber Gott geänderte Rolle übertragen werden. Zion wird zum Empfanger des Heilshandelns Gottes (vgl. Ps 97,8; 102,14 ff.). Nun liegt es nahe anzunehmen, daß auch die Liebe Gottes zu Zion an die Rede von Zion als Stadt und Mutter gebunden ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Während in Ps 87 die Liebe Gottes der Stadt Zion gilt (genauer den ]Vü n u ö ; v2), gilt sie in Ps 78,68 dem Berg. 3 Eine besondere Variation bezüglich der Frage des grammatischen Geschlechts bietet Ps 132. Der Text, der in der Regel unter die Königspsalmen gezählt wird und die Erwählung Zions mit der Dynastiezusage an die Davididen verknüpft, weist eine bedeutsame Abweichung auf. Die Königsherrschaft Gottes ist mit der Vorstellung verbunden, daß der Berg Thron oder gar Fußschemel Gottes ist (vgl. u. a. Ps 99). Jhwh setzt seinen messianischen König, der an der Gottesherrschaft partizipiert, "Vi! *?J? ein (Ps 2,6). Mit der Darstellung Zions in Ps 132 als Femininum, d. h. als Stadt, in der die Bewohner versorgt und geschützt werden, erhält die Installation der davidischen Dynastie an diesem Ort eine andere Ausrichtung als die des messianischen Herrschers von Ps 2, der auf dem Zion thront. Die Davididen partizipieren an der Beständigkeit und Unerschütterlichkeit Zions. Ihre Herrschaft erhält eben diese Attribute, ist aber nicht universal, sondern auf 2 Ein großes Problem der Arbeit OLLENBURGERS ist seine Ausgrenzung des „physiological pole" (Zion, 20) und seine Beschränkung auf die kognitiv-theologische Betrachtung des Symbols Zion. Beide Ebenen gehen jedoch ineinander über und sind ohne einander nicht zu verstehen. 3 Vgl. dazu SCHÜNGEL-STRAUMANN (Mutter Zion, 24), daß im Terminus nnx auch der Aspekt beinhaltet ist, daß jemand unter die Oberhoheit Jhwhs gestellt wird.
Zion - Der einzelne, der Kult und das Königtum
223
das Volk Israel ausgerichtet. Das Volk wird durch sie mit Nahrung versorgt und geschützt, wie auch die Stadt es tut. So werden die Davididen, mit den Worten der Wallfahrtslieder gesprochen, ein Segen sein, der von Zion ausgeht. b) In Ps 46 ist von der Gottesstadt die Rede, ohne daß der Name Zion erwähnt wird. Nach Ps 68,17 begehrt Gott den Berg, um auf ihm Wohnung zu nehmen, wiederum ohne Nennung von Zion. In beiden Fällen bestehen kaum Zweifel darüber, daß Zion gemeint ist. Zion ist dem Beter konkret gegenwärtig als Gottesstadt und als Gottesberg, so daß er auch ohne Namensnennung präsent ist. Durch die Nichterwähnung vermag der Psalmist jedoch Akzente zu setzen. In Ps 46 tritt das Lob der Gottesstadt auf diese Weise hinter das Lob Gottes zurück. Gott selbst ist Zuflucht und Schutz. In Ps 68 stehen sich dadurch, daß Zion nicht genannt wird, nicht jön i n und jrx ~n gegenüber, sondern cn^N in und D T I ^ K "ron i n bzw. der Berg Jahs. Der Baschansberg mag zwar ein Gottesberg sein, doch Jhwh begehrt einen anderen. Er lehnt die stolzen Berge ab, um sich seinen frei zu erwählen.
Der einzelne, der Kult und das Königtum Zion übernimmt in den Psalmen verschiedene Funktionen im Blick auf den einzelnen, den Kult und die Politik. Diese Bereiche sind untrennbar miteinander verzahnt. Dennoch kristallisieren sich Schwerpunkte heraus. Zion ist für den Beter Hoffnung und Herausforderung. Wie Jhwh sich Zion heilvoll zuwenden wird, so wendet er sich auch dem Beter zu. Darauf darf dieser vertrauen. Zion wird zum Paradigma des Handelns Gottes am einzelnen und an seinem Volk. Nach Ps 102 wird dem einzelnen die Relation von Beter und Stadt jedoch zum Problem. Die Stadt kann auf die glückliche Zukunft warten, der Beter kann es nicht. Ihm zerrinnt die Lebenszeit. Doch nicht nur als Paradigma, sondern auch in seiner Mittlerfunktion zeichnet sich Zion im Verhältnis zum einzelnen und auch zum Volk aus. Gott handelt an Zion und wirkt dadurch Segen. Das Wohlergehen Zions und Jerusalems bedeutet Nahrung und Schutz (vgl. Ps 87; 132,15), welche die Stadt dem Volk gewährt. Zion ist Mittler des Segens Gottes weit über die Stadt und das Heiligtum hinaus. Gesegnetes Leben im Wohlstand, mit vielen Kindern und hoher Lebenserwartung (vgl. Ps 128), wie die Wallfahrtslieder es repräsentieren, geht von Zion aus. So ist Zion auch nicht einfach ein Kollektivbegriff für seine Bewohner. 4 In den Fällen, in denen Zion gemeinsam mit den Töchtern Judas genannt wird und den Lobpreis Gottes anstimmt, mag eine derartige Vorstellung mitschwingen (Ps 48,12; 97,8). Es handelt sich jedoch kaum um mehr als ein Anklingen. 4 So trifft die Aussage von TSEVAT, der schreibt, daß Jerusalem u. a. für Staat oder Volk steht, wie Damaskus, Babylon und Memphis ihre Länder und Völker metonymisch vertreten, sicherlich nicht auf die Psalmen zu (vgl. Art. C^ÖIT, 932).
224
D. Ausblick
Ps 48,12 spricht von dem jrü i n , und der Berg ist kein Synonym für die Bewohner Zions. In Ps 97 wird Zion zum Heilsempfänger, was ein Hinweis darauf sein könnte, daß er an dieser Stelle als Kollektivbegriff eingesetzt worden ist. Zwingend ist dieser Schluß jedoch auch hier nicht, denn Zion kann als Stadt und Mittler des Heils für die Bewohner selbst Gottes Heil erfahren. Schließlich ist mit Blick auf den einzelnen hervorzuheben, daß Zion Orientierung bietet, weil hier das Heiligtum steht und Gott gegenwärtig ist. Zion ist Zentrum auf einer sakralen Landkarte, durch die sich Gott und Beter ins Verhältnis setzen lassen. Sich auf Zion zuzubewegen heißt, sich auf Gott zuzubewegen. Daß der Weg selbst schon gesegnet ist, zeigt Ps 84. Den Weg zu beschreiten, läßt trockene Täler fruchtbar werden (Ps 84,7). Diese Pilgerwege zum Zion sind sowohl geistig-geistlicher als auch physischer Natur. Der Pilger geht zum Zion, allein oder in der Gruppe, um Gott dort zu preisen. Orientierung heißt für den Beter von Ps 84, daß er genau weiß, wohin er sich wenden muß und wo sein Leben Erfüllung findet, auch wenn er den Weg selbst noch nicht betreten hat. Zion als Zentrum einer sakralen Landkarte gibt zudem denjenigen Halt, die diesen Ort nicht erreichen können. Ps 137 singt davon. Die Gemeinde ist fern der Heimat, fern des Zion, doch sie hat eine Heimat und verliert sich nicht in der Fremde. Ja, sie wagt in diesem Bewußtsein sogar Widerspruch und Anklage gegen die fremden Herrscher. Auch für den Kult Israels ist Zion der Mittelpunkt. Zu Zion (]VS3) befindet sich das Heiligtum, hier ist Gott gegenwärtig. Hier findet der Gottesdienst statt, werden Opfer mit Lob und Dank dargebracht. Hier erfährt der einzelne Leben ermöglichende Sühne und kultische Gemeinschaft. So wird Zion ausgezeichnet unter allen Bergen, ja den Bergen vorgezogen, die als Gottesberge bekannt sind (vgl. Ps 68,16 ff.), denn diesen Ort hat Jhwh sich erwählt, um hierzu wohnen. An diesem Ort treffen sich himmlische und irdische Sphäre. Neben Aussagen über Gottes Gegenwart in seinem Heiligtum auf dem Zion treten jedoch auch Aussagen über Gottes himmlisches Thronen. Eine Distanz wird geschaffen, die für Gottes Ubiquität und Universalität steht 5 , die sein Richteramt und sein machtvolles Einschreiten für sein Volk verbürgt (vgl. Ps 14; 53). Mit dieser Vorstellung wird der theologische Grundgedanke der Gegenwart Gottes in seinem Heiligtum jedoch nicht ausgehöhlt. Der Zion garantiert den konkreten Ortsbezug. 6 In den Ps 14 und 53 wird die Verbindung mit dem Verweis auf das von Zion ausgehende Heil hergestellt. In Ps 78,69 heißt es, daß Jhwh sein Heiligtum wie Höhenzüge gründet. Nach Ps 68,30 befindet sich das Heiligtum D ' X J I T bu. In Zion wird die spannungsvolle Distanz von himmlischer und irdischer Gegenwart Gottes aufgehoben und durch einen Topos utopisch transzendiert.
5 6
Vgl. EGO, Gottes Thronen, 561 f. Gegen EGO, Gottes Thronen, 561 f.
Zion - Magnet theologischer
Konzeptionen
225
So wird Zion schließlich zum Medium religionspolitischer Utopie. Das Königtum Gottes und das Königtum des von ihm auf dem Zion eingesetzten messianischen Herrschers werden gleichzeitig proklamiert, ohne daß sie in Konkurrenz zueinander treten. Der messianische Herrscher wird dort installiert, wo Gott thront; er partizipiert auf diese Weise an der Königsherrschaft Gottes. Das messianische Königtum wird in ein Koordinatensystem eingebunden, in dessen Zentrum der Zion steht. Das Koordinatensystem verfügt über zwei räumliche Achsen und eine zeitliche, auf denen das Königtum durch den Topos Zion positioniert wird. Herrschaft vom Zion aus bedeutet auf der horizontalen Achse Weltherrschaft, auf der vertikalen ihre göttliche Legitimation. Auf der temporalen Achse wird ihm Dauerhaftigkeit zuteil. Wie der Zion als Weltberg vor der Zeit gegründet wurde, nicht wankt und in Ewigkeit besteht, so auch das auf ihm installierte Königtum. Daß Königtum und Kult räumlich vereint werden, korrespondiert nach Ps 110 mit der Vision des Priesterkönigs. Der Zion ist der eine Thron, von dem aus derjenige herrscht, der sowohl für die Führung und den Schutz des Volkes, als auch für das Leben des Volkes vor Gott die Verantwortung trägt. Desgleichen kommt der temporalen Achse in der Konzeption von Ps 110 eine wesentliche Bedeutung zu. Der nach diesem Text auf dem Zion in Zukunft herrschende Priesterkönig knüpft an das in vorstaatlicher Zeit dort angesiedelte Königtum Melchisedeks an.
Ein Magnet theologischer
Konzeptionen
Eine Unterscheidung der Funktionen Zions für den einzelnen, den Kult und die Politik vermag wesentliche Charakteristika der Theologiebildung aufzuzeigen, kann aber nicht alle mit Zion verbundenen Themenkomplexe und deren Verschränkung abdecken. Deshalb sei an dieser Stelle auf einen weiteren herausragenden Wesenszug Zions hingewiesen. Mit Zion werden integrative theologische Prozesse eingeleitet. Dabei ist an die Übersetzung von Charakterzügen des Baal Zaphon in Attribute des Gottes zu Zion zu denken. Die Verknüpfung der Vorstellung vom Weltenherrscher mit dem im Kult Sühne wirkenden Gott ist ebenfalls unter dieser Perspektive zu verstehen. Es ist derselbe Gott, der das Brausen des Meeres stillt, Nationen besänftigt, das Land fruchtbar macht und sich doch jedem einzelnen zuwendet, seine Vergehen vergibt und damit neues Leben eröffnet. Lobpreis gebührt diesem Gott zu Zion (vgl. Ps 65,2). Heiligtum und Gottesthron gehören zusammen und finden sich an einem Ort, nämlich auf dem Zion. Heiligtum und Gottesthron in eins zu denken, ist auch eine Grundvoraussetzung für die Völkerwallfahrt zum Zion. Als Nabel der Welt wird Zion auch für die Völker zum geistlichen Zentrum. Nimmt in diesem Falle der Ort die integrative Funktion wahr, ist es im anderen Falle der Berg. Im Hinblick
226
D. Ausblick
auf den Sinai entwickelt sich Zion zum Magneten theologischer Konzeptionen. Uber den Zion wird die Sinaitradition in die Vorstellung von der Königsherrschaft Gottes integriert. In den Jhwh-König-Psalmen wird das Gotteslob des auf den Cheruben Thronenden mit seinem Reden aus der Wolkensäule zu Mose, Aaron und Samuel begründet (vgl. Ps 99; s. a. Ps 97,2). Nach Ps 68 macht sich „Der vom Sinai" auf und nimmt schließlich seinen Thron auf dem Zion ein. Die motivischen Überschneidungen sind vielfaltiger, als es hier dargestellt werden kann. Dennoch steht außer Frage, daß der Berg Zion den Integrationsprozess überhaupt erst ermöglicht und ihn bleibend trägt.
Verbindungslinien im Psalter Die Streuung der Zionbelege im Psalter läßt zum einen Gruppen erkennen, die theologisch intensiv mit dem Topos Zion arbeiten, nämlich die Korachpsalmen und die Wallfahrtslieder. Zum anderen ist Zion an für den Aufbau und die Struktur des Psalters wesentlichen Eckpunkten genannt und stellt auf diese Weise Bezüge zwischen Texten, z. T. auch über Sammlungsgrenzen hinweg, her. Ein besonders markantes Beispiel für den zweiten Aspekt sind die Verbindungslinien, die die redaktionellen Zusätze in den Ps 51,20 f. und 69,35 ff. in Kombination mit der Zionspassage in Ps 102 etablieren. Dreimal wird die Klage des Einzelnen mit einer Bitte für Zion bzw. der zuversichtlichen Äußerung zum Wandel des Schicksals Zions verzahnt. Damit erhält der Kern des zweiten Davidpsalters eine Rahmung, die programmatischen Charakter hat. Ps 51,20 f. präsentiert Zion als Ort des gottgemäßen Gottesdienstes. Ps 69,35 ff. greift diesen Gedanken auf und fuhrt ihn weiter, indem er die Gottesdienstgemeinde, die Bewohner Zions, in die Zukunftsschau aufnimmt. In Ps 102 ist es schließlich das von Jhwh geschaffene Volk, das den Lobpreis in Zion anstimmt. Völker und Könige haben daran Anteil. Ps 102 kann die universale Perspektive der Ps 93-99 aufnehmen und die in Ps 51,20 f. und Ps 65,35 ff. vorbereitete Vision vervollständigen. In der Psalmengruppe der Jhwh-König-Psalmen 93-99 wird Zion zweimal genannt, in Ps 97,8 und 99,2. Damit ist eine wichtige Verbindung zwischen diesen beiden Texten hergestellt. Bei Ps 99 handelt es sich um den Abschlußtext der Sammlung. Hier ist Zion als der heilige Berg präsentiert, vor dem die Gemeinde sich niederwerfen soll. Der Eröffnungstext Ps 93 endet mit öip'ms; "[irn1? (v5). Das Heiligtum Gottes und der heilige Berg rahmen die Jhwh-König-Psalmen. Das Haus Gottes und der Zion entsprechen einander. Damit sind zwei von vielen Möglichkeiten genannt, durch gezielte Positionierung des Topos Zion, Texte zueinander in Beziehung zu setzen. Eine einheitliche Zionredaktion, auch innerhalb der Sammlung der Wallfahrtslieder, gibt es jedoch nicht. Die Gruppe der Wallfahrtslieder läuft bereits in ihrem Aufbau auf Zion und das Heiligtum zu; die Texte sind unter dieser Perspektive zusammengestellt
Zion - Zentrum fortschreitender
Theologiebildung
227
worden. Eine nachträgliche Bearbeitung, die diese Zionsperspektive erst eintrüge (Seybold), läßt sich nicht nachweisen. Es kommt hinzu, daß nur zwei von sieben Nennungen Zions in den Wallfahrtsliedern sekundär eingefügt worden sind. Was für die relativ homogene Gruppe der Wallfahrtslieder zutrifft, gilt um so mehr für den Psalter. Es gibt keinen Anlaß, hinter den Erwähnungen Zions eine steuernde Hand zu vermuten, die eine dezidierte Ausrichtung auf Zion oder auf eine einzige mit dem Zion verbundene theologische Aussage erreichen will. Um so größere Bedeutung kommt jedoch den punktuell gesetzten Erwähnungen Zions zu, die, teils als redaktionelle Zufiigungen, teils als Bestandteil der Grundschicht eines Textes, einzelne Psalmen und Psalmengruppen auf verschiedenen Ebenen des Psalters zueinander in Beziehung setzen.
Das Zentrum fortschreitender Theologiebildung Roberts hat zwei Hauptaspekte der Zionstheologie herausgearbeitet: das Königtum Jhwhs und die Wahl Jerusalems zu seinem Wohnort. 7 Wie problematisch es ist, die Rede von Zion und Jerusalem in den Psalmen gleichzusetzen, hat der Blick in die Texte, die beide explizit nennen, gezeigt. Es sind verschiedene theologische Konzepte mit Zion und Jerusalem verbunden. Grundsätzlich läßt sich festhalten, daß Jerusalem stärker national, Zion hingegen stärker universal ausgerichtet ist. Treten beide nebeneinander, so können Charakterzüge Jerusalems auf Zion übertragen werden und umgekehrt. Es ist möglich von Zion als zerstörter und aufzubauender Stadt zu sprechen, wenn er parallel zu Jerusalem genannt wird. Jerusalem hingegen erhält die universalen Züge Zions in der Vision der zum Zion und nach Jerusalem pilgernden Völker (Ps 102,22 f.). Die zwei Hauptaspekte, die Roberts genannt hat, sind entscheidend für das Verständnis von Zion in den Psalmen. Daran läßt auch der hier gewählte Ansatz keine Zweifel aufkommen. Allerdings bleibt die eingangs gestellte Frage, ob von der Zionstheologie als einem geschlossenen Konzept gesprochen werden kann, bestehen. Es zeigt sich, daß die Möglichkeiten der Psalmen von Zion zu reden, die Vielseitigkeit der Texte, mit dem Topos „Zion" theologisch zu arbeiten, auf der Weite des Topos „Zion" beruht. Er kann Bedeutungsnuancen annehmen und andere ausblenden. Es ist der Kontext, der den Gehalt vorgibt, und kein ausgereiftes theologisches Konzept. Daß Konstanten vorhanden sind und die Rede von Zion nicht der Beliebigkeit unterliegt, ist deutlich. Dennoch: Zion ist kein systematisierbares Vörstellungssyndrom, sondern oszillierendes Zentrum fortschreitender Theologiebildung mit eigens zu nennenden Konstanten und Variablen, je nach den Erfordernissen von Kontexten und den Herausforderungen der Zeit. 7
Vgl. ROBERTS, Zion in the Theology, 94.
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D. Ausblick
Die betreffenden Psalmen stammen bis auf wenige Ausnahmen aus der nachexilischen Zeit. Die Motive und Themenkomplexe, die verknüpft werden, sind jedoch zum Teil ungleich älter und haben Parallelen in Syrien-Palästina im 2. Jt. v.Chr. Die Frage, weshalb Zion erst spät thematisch so intensiv aufgegriffen worden ist, formuliert im Grunde ein eigenes Thema. Drei Überlegungen sollen dazu geäußert werden. Zion ist für das Volk Israel eine Konstante, die das Exil und die Zerstörungen überdauert hat. Seine Gründung geht zurück in mythische Urzeit, er ist im Heute erfahr- und wahrnehmbar und Jhwh garantiert, daß es auch in Zukunft so sein wird. Zion eröffnet die Perspektive in eschatologische Dimensionen und er ist eine Brücke in die eigene Vergangenheit. Schließlich ermöglicht es der Topos Zion sogar, auch nach der Zerstörung Jerusalems und in nachexilischer Zeit die Gottesstadt zu preisen, denn in Zion fließen die Vorstellungen vom himmlischen und irdischen Heiligtum wie auch der Gottesstadt zusammen. Ein zweiter Aspekt ist die Zentralität Zions. Sie wird theologisch über das Bild des Weltberges vermittelt und kultisch umgesetzt, indem Zion einziges Wallfahrtsziel wird. 8 Dies geschieht auf dem realpolitischen Hintergrund der Reduktion Israels auf das Gebiet Judas, in dessen Zentrum der Zion sich befindet. Der dritte Gedanke betrifft das religionspolitische Klima des persischen Großreiches, das es ermöglicht, die Völker von einem neuen Standpunkt aus zu betrachten. Sie sind Fremde, aber keine Feinde, und sie werden sich, wie Israel es tut, zum Zion hin orientieren und dem dort thronenden Gott dienen. Ps 87 geht sogar noch einen Schritt weiter. Den Völkern, die Jhwh kennen, wird das Bürgerrecht Zions zugesprochen. In mancher Hinsicht bieten die prophetischen Schriften dem Psalter entsprechende Voraussetzungen. Auch hier läßt sich in einigen Bereichen nachweisen, daß eine an Zion orientierte Theologie die Gestaltung der Einzeltexte und das Wachstum der Bücher bestimmt hat. 9 Die theologische Konturierung des Topos Zion in den Psalmen unterscheidet sich jedoch in wesentlichen Aspekten von der der Prophetie und der Klagelieder. Das betrifft auch das unterschiedlich gestaltete Verhältnis von Zion und Jerusalem. Was in den Psalmen von Zion nur in Verbindung mit Jerusalem ausgesagt werden kann, prägt in der Prophetie und den Klageliedern eine ganze Reihe von Texten - Zion, die zerstörte und beweinte Stadt. 10 In diese Perspektive der Prophetie auf Zion gehört zudem der Aspekt der Personifikation Zions, der für den Psalter keine Bedeutung hat. Hier haben sich parallel zu den Psalmen Vorstellungen von Zion entwickelt, die die Frage nach den Trägerkreisen prophetischer Überlieferung und Gebetsliteratur, ihren Gemeinsamkeiten und Grenzen, virulent werden läßt. 8 9 10
Vgl. dazu u.a. FOHRER, Zion-Jerusalem, 214f. Vgl. u. a. KRATZ, Kyros im Deuterojesaja-Buch. Vgl. Jer 8,18-23; 9,9-21; Thr 1; 2. S. a. W I S C H N O W S K I , Tochter Zion.
Zion - Zentrum fortschreitender
Theologiebildung
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Der mit den Psalmen begonnene Versuch, sich Zion auf der Ebene der Einzeltexte zu nähern, um schließlich zu einer Gesamtschau zu kommen, kann auch für die prophetische Überlieferung Früchte tragen. Schließlich gilt für beide Textbereiche: „Herrliches wird gesagt von dir, Stadt Gottes" (Ps 87,3).
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