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German Pages [264] Year 2016
Bonner Biblische Beiträge
Band 178
herausgegeben von Ulrich Berges und Martin Ebner
Frank-Lothar Hossfeld† / Johannes Bremer / Till Magnus Steiner (Hg.)
Trägerkreise in den Psalmen
V&R unipress Bonn University Press
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 0520-5670 ISBN 978-3-7370-0611-8 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Veröffentlichungen der Bonn University Press erscheinen im Verlag V&R unipress GmbH. © 2017, V&R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Miniatur König Davids. Unbekannter Mönch, Egbert-Psalter fol. 20v., 10. Jh.
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Frank-Lothar Hossfeld Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ulrich Berges „Singt dem Herrn ein neues Lied“. Zu den Trägerkreisen von Jesajabuch und Psalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Susan Gillingham The Levitical Singers and the Compilation of the Psalter . . . . . . . . . .
35
Martin Leuenberger Die Jhwh-König-Theologie der formativen Psalter-Redaktion und ihre Trägerkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
Beat Weber Verbindungslinien von den Psalmen Asaphs (Ps 50; 73–83) zu den Psalmen des Psalterteilbuchs IV (Ps 90–106). Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
Till Magnus Steiner Die Korachiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Corinna Körting Zion zwischen Psalmen und Jesaja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Johannes Bremer Eine „Armenredaktion“ im 1. Davidpsalter? Impulse vor dem Hintergrund sozio-ökonomischer Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . 181
6
Inhalt
Judith Gärtner Rückblick als Ausblick in Ps 135. Psalmentheologische und psalterkompositorische Überlegungen zur Funktion von Geschichte im 4. und 5. Psalmenbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Bernd Janowski Auf dem Weg zur Buchreligion. Transformationen des Kultischen im Psalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Zu den Autoren
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
Vorwort
Vom 11. bis 13. Oktober 2012 fand an der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn das Forschungskolloquium „Trägerkreise in den Psalmen“ statt, dessen Vorträge vorliegender Band versammelt. Für Frank-Lothar Hossfeld†, der zur Tagung eingeladen hatte, war die Frage nach den Trägerkreisen der Psalmen eng verbunden mit der Frage nach der Theologie des Psalters, mit der er sich in den letzten Jahren im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts zusammen mit seinen Mitarbeitern Johannes Bremer und Till Magnus Steiner beschäftigte. Sowohl das Forschungskolloquium als auch dessen Veröffentlichung im vorliegenden Band, die der weiteren Diskussion der Beiträge dienlich sei, sind Teil dieses Projekts. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft sei an dieser Stelle großer Dank ausgesprochen. Ohne ihre Förderung wäre dieser Sammelband zu „Trägerkreisen in den Psalmen“ nicht möglich gewesen. Bedanken möchten wir uns auch bei Ulrich Berges, der es ermöglicht hat, dass dieser Band in der Reihe publiziert wird, deren Herausgeber Frank-Lothar Hossfeld viele Jahre war. Ulrich Berges hat nach dem Tod von Frank-Lothar Hossfeld auch die Leitung des DFG-Projektes übernommen. Ein besonderer Dank gilt den Teilnehmern und Vortragenden des Forschungskolloquiums. Die Vorträge, die lebendigen Diskussionen und die nachfolgenden Ausarbeitungen der Beiträge sind von besonderem Wert für die weitere Forschung. Frank-Lothar Hossfeld† vermochte selbst bedauerlicherweise seinen Vortrag aufgrund seiner schweren Krankheit nicht mehr zur Veröffentlichung zu überarbeiten. Stattdessen haben wir uns nach seinem Tod dazu entschlossen, an Stelle einer Einführung in den Band die Begrüßung, welche er am Abend des 11. Oktobers zu Beginn unseres Forschungskolloquiums an die Tagungsteilnehmer gerichtet hat, zu veröffentlichen. Der Wortlaut des mündlichen Vortrages und die von ihm bewusst gewählte Form der Thesen wurden dabei soweit als möglich beibehalten. Dass unser verehrter Doktorvater Frank-Lothar Hossfeld die Veröffentlichung dieses Sammelbandes nicht mehr erlebt, ist mehr als bedauerlich. Im Gedenken
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Vorwort
an ihn und in großer Dankbarkeit haben wir uns deshalb dazu entschieden ihn als Mitherausgeber des Bandes zu benennen. Bonn/Jerusalem, im Februar 2016 Johannes Bremer und Till Magnus Steiner
Frank-Lothar Hossfeld†
Einführung1
(1) Der Titel „Trägerkreise in den Psalmen“ beschreibt eher intuitiv eine Menschengruppe, die hinter bestimmten Psalmen steht, bzw. Psalmen dichtet und aufführt, eben Tempelsänger (wie die Asafiten und Korachiter). Das führt auch zu Frage, wer für die Psalmen des dichtenden und singenden David verantwortlich ist. Und weiter, ob die drei genannten Beispiele alle an den Psalmen beteiligten Gruppen erfassen. (2) Von Trägerkreisen bzw. Gruppen ist derzeit bei den Exegeten gehäuft die Rede, die sich mit (poetischer) Literatur im Umkreis des Exils und der Zeit nach dem Exil beschäftigen (Klagelieder, die Literatur der sog. beiden Exilspropheten Deuterojesaja/Tritojesaja und Ezechiel sowie die Literatur der Nachexilszeit, wie Esra/Nehemia und die Chronik). (3) Man hat den Eindruck, dass sich das weitverbreitete Modell für den Wachstumsprozess zur Endgestalt der verschiedenen Bücher, nämlich das Modell der Fortschreibung und der Unterscheidung von Autor und Redaktor/Redaktoren oder von Prophet und Schülerkreisen verschiebt zur Rede von Gruppen/Trägerkreisen mit eigenem Schicksal und Interessen. Das hat etwas zu tun mit der veränderten geschichtlichen Situation Israels seit dem Untergang des Nord- und Südreiches und der Aufteilung Israels in Bewohner des Heimatlandes und der Diaspora, sei es in Babylonien oder Ägypten (vgl. das Echo auf die Exilierung in den Prophetenbüchern, z. B. Jes 40ff; Jer 29,4–23 [Brief an die Verbannten]; Ezechiel und die Gola-Texte). (4) Bei den „Suchbewegungen“ rückt die intertextuelle Vernetzung der o.g. Literatur in den Vordergrund – und mit ihr die jeweilige Rekonstruktion von Abhängigkeiten.
1 Bei der hier zu Papier gebrachten Einführung handelt es sich um die am Abend des 11. Oktober 2012 zur Eröffnung des Forschungskolloquiums von Frank-Lothar Hossfeld vorgetragenen und kommentierten handschriftlichen Notizen. Der Wortlaut des mündlichen Vortrags findet sich bewusst soweit als möglich beibehalten.
Ulrich Berges
„Singt dem Herrn ein neues Lied“. Zu den Trägerkreisen von Jesajabuch und Psalter
1.
Einleitung – Forschungsgeschichtliche Entwicklungen
Eine der größten Neuorientierungen in der alttestamentlichen Wissenschaft der letzten dreißig Jahre verdankt sich der Erkenntnis, dass die Bücher der hebräischen Bibel nicht einfach durch Verschriftung mündlicher Traditionen entstanden sind, sondern gezielte Kompositionen darstellen. Damit verabschiedete man sich endgültig von einer atomisierenden Exegese, die sich nur auf Einzelperikopen beschränkte und den literarischen Großkontext unbeachtet ließ. Noch 1984 musste R. Rendtorff mit Blick auf seine deutschen Kollegen feststellen: „Die Frage nach der Komposition des Jesajabuches in seiner jetzt vorliegenden Gestalt gehört nicht zu den allgemein anerkannten Themen der alttestamentlichen Wissenschaft.“1 Dieses Urteil kann nach den überragenden Studien von E. Zenger zum Psalter2 ad acta gelegt werden und auch für das Jesajabuch hat sich die Lage grundlegend gewandelt.3 Die Untersuchung der alttestamentlichen Texte muss sowohl deren Genese als auch ihre Geltung in den Blick nehmen, was man methodologisch als „diachron reflektierte Synchronie“ bezeichnen kann. Die Rückfrage nach der Entstehung der Texte ist keineswegs obsolet geworden, steht aber nicht mehr im Mittelpunkt des exegetischen Interesses. Der diachronen Analyse gehen die Untersuchungen zur Synchronie voraus und zwar mit einem besonderen Augenmerk auf die Kompositionsstrukturen, die im Falle von Jesaja und Psalter ganze Bücher oder Buchteile betreffen. Beide Korpora sind zugleich literarisches Kunstwerk, vielschichtiges historisches Zeugnis und Ergebnis einer ca. fünfhundertjährigen Geschichte der Textwerdung. Mit dem Anspruch einer diachron reflektierten Synchronie verbindet sich die Erkenntnis, dass biblische Bücher – besonders das Jesajabuch und der Psalter – als gewachsene Textwelten zu verstehen sind. Als Verfasser kommen nur geschulte Trägerkreise in Frage, die 1 R. Rendtorff, Komposition, 295. 2 Vgl. E. Zenger, Psalter; E. Zenger, Psalmenforschung; E. Zenger, Psalmenexegese. 3 Vgl. U. Berges, Buch Jesaja; U. Berges, Jesajabuch; U. Berges, Synchronie.
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Ulrich Berges
mit ihren „literarischen Kathedralen“ bestimmte Diskursansichten innerhalb des nachexilischen Israels, d. h. im perserzeitlichen Jehud vertreten. Wie einleuchtend die Trägerkreis-Hypothese auch klingen mag, so schwierig bleibt es, den Tradenten ein klar konturiertes Profil zu verleihen. Für das Jesajabuch spitzt dies R. R. Wilson folgendermaßen zu: „It is still not clear what the authors and editors who shaped Isaiah were doing, how they were doing it, or even why they were doing it.“4 Die Frage nach den Trägerkreisen wird sich nur buchübergreifend lösen lassen, d. h. mit Blick auf Schnittmengen und Kontraste zu benachbarten Schriften. In letzter Konsequenz wird die Literaturgeschichte des Alten Testaments somit zu einer Theologiegeschichte der hebräischen Bibel. In meiner vor mehr als 15 Jahren abgeschlossenen Habilitationsschrift ging ich für Jes 1–32* von einer Gruppe aus, die ich ob der prägnanten Ausrichtung auf den Zion „Zionsgemeinde“ nannte.5 Für Jes 40ff. sprach ich damals recht unspezifisch von „prophetischen Tradenten“6, ohne weitere Merkmale für diese Literaten zu benennen. Das änderte sich bei der Kommentierung von Jes 40–48 für HThKAT, bei der ich von levitischen Tempelsängern als Verfasserkollektiv ausging, die ihr Oratorium der Hoffnung im babylonischen Exil begonnen hatten und es nach ihrer Heimkehr unter Darius (ab 520 v. Chr.) in Jerusalem fortschrieben.7 Bei der Habilitationsschrift hatte ich mich noch am breiten Forschungskonsens eines in Babylon wirkenden Anonymus „Deuterojesaja“ sowie an einem perserzeitlichen Autor „Tritojesaja“ orientiert.8 Für die letzten beiden Kapitel des Jesajabuches ( Jes 65–66) brachte ich eine „Redaktion der Knechtsgemeinde“ in Stellung, die sich als die wahre Nachkommenschaft Mutter Zions und des Knechts präsentiere.9 Mehr als vorläufige Hinweise waren diese Bestimmungsversuche sicherlich nicht und so weist B. Weber zu Recht auf offene Fragen hin: „Wie die Tempelsänger mit der Gemeinde der Knechte in Verbindung zu bringen sind, lässt er unexpliziert.“10 Doch unterstützt der Schweizer Exeget generell diese Suchrichtung, wenn er ausführt: „Die Annahme einer gemeinsamen Gilde oder stark vernetzter Trägerkreise als Hort von Traditionsüberlieferung, Textproduktion und -redaktion ist eine valable Möglichkeit, die in den Textgestalten greifbaren Eigenheiten wie Gemeinsamkeiten zu erklären.“11 B. Weber hält die Asafiten für das passende Bindeglied, da diese durch ihre literarische Verarbeitung des Nordreichsendes (Ps 74; 77–78; 80; 83) schon Er4 5 6 7 8 9 10 11
R. R. Wilson, Scribal Culture, 97. U. Berges, Buch Jesaja, 542; jetzt auch in engl. Übersetzung: U. Berges, Book of Isaiah. U. Berges, Buch Jesaja, 545. Vgl. U. Berges, Jesaja 40–48, 38–43. U. Berges, Buch Jesaja, 545. U. Berges, Buch Jesaja, 545. B. Weber, Asaf, 457, Anm. 2. B. Weber, Asaf, 478.
Zu den Trägerkreisen von Jesajabuch und Psalter
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fahrungen für die literarische Katastrophenbewältigung gesammelt hatten (NeuApplikation auf die Ereignisse von 586 v. Chr. in Ps 79).12 Weitere Untersuchungen wären hier dringend erforderlich, zumal es schon seit Jahrzehnten Hinweise in diese Richtung gibt, so u. a. die von G. Wanke zu den Korachiten: „Die hier an kurzen Beispielen gezeigte gegenseitige literarische Beeinflussung der eschatologischen Texte und der korachitischen Zionspsalmen ist ebenfalls ein Beweis dafür, dass beide Textgruppen der gleichen Zeit angehören.“13 Einen wichtigen Schritt in dieser Frage setzte J. Werlitz in seiner außerordentlich informativen Habilitationsschrift aus dem Jahre 1999, in der er sich zu den Trägerkreisen folgendermaßen äußert: „Der hier entwickelten Auffassung nach handelt es sich bei den für die Komposition von Jes 40–55 Verantwortlichen um eine Gruppe von Rückwanderern, die in einer Verbindung mit der vorexilischen Tempelsängerschaft stehen und – nach ihrer Heimkehr in den dreißiger oder zwanziger Jahren des 6. Jh.s v. Chr. – in Jerusalem wohl Anschluß an diese Gruppe der Kultbediensteten gefunden haben. Diese Rückwanderer sehen sich als mit einer Tröstungsbotschaft für Zion beauftragt an, die freilich in Zion selbst auf Einwände gestoßen zu sein scheint.“14
In Aufnahme und Modifikation gehe ich selbst davon aus, dass es nicht erst die Widerstände gegen die Zionströstung waren, die zur Erstherausgabe von Jes 40ff. führten („als Selbstvergewisserung einer Gruppe im nachexilischen Jerusalem“, so J. Werlitz) 15, sondern dass sich die heimkehrenden levitischen Sänger an eine ihnen vorgegebene Jerusalemer Jesaja-Überlieferung anschlossen, die bis zur ersten Deportation im Jahre 597 v. Chr. fortgeschrieben worden war.16 So konnten sie sich zum einen auf die unbestreitbare Autorität Jesaja ben Amoz stützen und zum anderen erhielt die Jerusalemer Jesaja-Tradition eine Verlängerung bis in die nachexilische Zeit hinein, was sie gegenüber den beiden prophetischen Großrollen Jeremia und Ezechiel konkurrenzfähig machte! 17 Die Auffassung, Tempelsänger hätten als die treibende Kraft hinter dem Jesajabuch gestanden, gewinnt zusehends an Einfluss. So meint W. Dietrich in der Neubearbeitung der Smendschen Einleitung: „Die Zentrierung des Jes-Buches auf den Zion und die hohe Poetizität sehr vieler seiner Texte – speziell auch im zweiten und dritten Buchteil – lässt an eine Gilde von Tempelsängern bzw. -poeten (zugleich auch Tempelpropheten?) denken, deren Mitglieder zuerst noch am Ersten Tempel Dienst taten, dann mit den Vornehmen aus Jerusalem nach Babylon verschleppt wurden und von dort zum Dienst am Zweiten Tempel zu12 13 14 15 16 17
Vgl. B. Weber, Asaf, 458. G. Wanke, Zionstheologie, 115. J. Werlitz, Redaktion, 321; dazu jetzt auch R. Albertz, Exilszeit, 293ff. J. Werlitz, Redaktion, 321. So R. Feuerstein, Deuterojesaja. Vgl. U. Berges, Jesaja 40–48, 42; U. Berges, Jesaja, 45.
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Ulrich Berges
rückkehrten. Dies bleibt eine Spekulation – vielleicht aber eine einladende und vieles im Jes-Buch erklärende.“18
Meines Erachtens liegt der größte Fortschritt in der Prophetenforschung der letzten zwanzig Jahre in der Redimensionierung des prophetischen Einzelautors und in der gesteigerten Aufmerksamkeit für schriftkundige Tradenten. Das kann so weit gehen, dass einem – wie in meinem Fall – prophetische Autoren wie „Deutero-/Tritojesaja“ völlig entschwinden.19 Selbst Exegeten, die diesen Schritt nicht gehen, bewerten die Einzelpersönlichkeit nicht mehr als unumstößlichen Faktor ihrer Theoriebildung: „Es gibt keine durchschlagenden Argumente gegen den Propheten als Autor, aber immer bleibt ein Spielraum von Möglichkeiten. Das nötigt dazu, die Chiffre ‚Deuterojesaja‘ breiter zu fassen und sich in der Regel nicht auf die ohnedies unbekannte Persönlichkeit zu kaprizieren, sondern nach einer in Sprache und Gedanken, in Grenzen auch in der Qualität einheitlichen Textwelt zu fragen.“20
Es ist das Verdienst von O. H. Steck, dass er der Rückfrage nach den Trägerkreisen nicht ausgewichen ist, auch wenn er sich der Schwierigkeiten einer näheren Identifizierung sehr bewusst war. So schreibt er in einer Publikation mit dem Titel „Die Prophetenbücher und ihr theologisches Zeugnis“ die folgenden prägnanten Sätze: „Nicht zuletzt ist auch die Frage, wie man sich in dieser Zeit Verfasser und intendierte Leserschaft der Prophetenbücher vorzustellen hat, eine historische Frage. Sie erfährt von vornherein eine ungewohnte Antwort. Wir haben vom literatursoziologischen Rahmen der Entstehung der Prophetenbücher (noch) keine eigenständige Anschauung, die wir für die historische Rekonstruktion des Buchwerdens einsetzen könnten. Es sind dafür nur Schlußfolgerungen aus dem literarischen Rezeptionsbefund innerhalb der Bücher selbst möglich. Er muß derzeit die Beweislast tragen, scheint uns aber als solcher (!) für die Frage, von wem und für wen diese Bücher primär gestaltet sind, sprechend genug […] Ohne die Annahme von eigenartigen Tradentenschulen und -schulung, die sich mit der Pflege prophetischen Überlieferungsgutes befaßt sind, kommt man nicht aus, wenn man der eminenten Detailkenntnis von Textablauf und Textaussage in dem Verweisganzen, das Prophetenbücher darstellen, Rechnung trägt und für dessen Errichtung und intentionsgerechte Rezeption einen plausiblen Ort sucht. Daß Prophetenbücher jenseits solch spezifischer Pflegestätten in Tradentenkreisen priesterlichen oder weisheitlichen Traditionswissens damals auch anders rezipiert werden konnten und wurden, bleibt davon unberührt.“21
18 19 20 21
W. Dietrich, Hintere Propheten, 305f. Vgl. U. Berges, Propheten, 19–28; U. Berges, Farewell. H.-J. Hermisson, Arm des Herrn, 44. O.H. Steck, Prophetenbücher, 15.
Zu den Trägerkreisen von Jesajabuch und Psalter
2.
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Literatursoziologische Hintergründe
Der literatursoziologische Hintergrund, vor dem sich die Verschriftung der hebräischen Bibel grosso modo zwischen 800–300 v. Chr. abgespielt hat, bleibt zwar weiterhin größtenteils im Dunkeln. Doch zumindest zwei Faktoren scheinen hinreichend plausibel zu sein, um darauf aufbauen zu können. Zum einen ist es die begründete Annahme, dass die Literalität in Israel wohl kaum um ein Vielfaches höher lag als in den Kulturen seiner Nachbarn. So geht man für Mesopotamien von ca. 5 %, für Ägypten von 7 % und für Griechenland von etwa 10 % aus, wobei die Lese-und Schreibfähigkeit von einfachen Texten durchaus höher gewesen sein mag. Dazu führt K. van der Toorn in seiner Monographie „Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible“ folgendes aus: „‚High literacy‘ was confined to a small group. For the majority of the population, word of mouth remained the principal channel of communication […] the evidence suggests that the role of writing in Israel was about the same as elsewhere in the ancient Near East; the literacy rate was presumably similar to that in surrounding civilizations as well.“22
Es versteht sich von selbst, dass für die Frage nach den Trägerkreisen der hebräischen Bibel die veranschlagte Literalität, also die Fähigkeit, ganze Verweissysteme zu entwerfen und kreativ weiterzuentwickeln, von zentraler Bedeutung ist. Für diese hochqualifizierte Arbeit sollte man bei aller gebotenen Vorsicht allerhöchstens 5 % der Gesamtbevölkerung ansetzen. Dabei scheint es geboten, diese geschulten Literaten in der Nähe des nachexilischen Tempelbetriebes zu verorten. Aber wie hoch lag die Bevölkerungszahl Jerusalems nach der babylonischen Zerstörung bis weit in die persische Zeit der Restauration hinein? Nur von dieser Gesamtzahl her gewinnen die veranschlagten Prozentzahlen ihre wirkliche Bedeutung. Folgt man den Analysen von O. Lipschits, so reduzierte sich für Jerusalem und die unmittelbare Umgebung der besiedelte Raum von 1000 Dunam (= 100 Hektar) kurz vor der babylonischen Invasion auf 110 Dunam (= 11 Hektar) nach der Katastrophe. Bei einem Quotienten von 25 Personen pro Dunam reduzierte sich also die Bevölkerung in Jerusalem von 25.000 auf 2.750.23 Dabei ergibt sich auch nach der Heimkehr von Exulanten keine demographische Kurve nach oben: „The evidence shows that the ‚return to Zion‘ did not leave its imprint on the archaeological data, nor is there any demographic testimony of it […] The demographic figures from the Jerusalem region also attest that even at the height of the Persian
22 K. van der Toorn, Scribal Culture, 11. 23 Vgl. O. Lipschits, Demographic Changes, 363f.
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Ulrich Berges
period, the city’s population was only 3,000, which is about 12 % of the population of the city and its environs on the eve of the destruction. Even if all of the residents of the region were among the exiles who made the return to Zion, the returnees only amounted to several thousand.“24
Nimmt man also die Bevölkerungszahl von 3.000 Personen im perserzeitlichen Jerusalem und seiner unmittelbaren Umgebung (nicht etwa Benjamin mit ca. 12.500 Personen) und legt daran die 5 % hoher Literalität an, dann kommt man auf einen Kreis von ca. 150 Personen. Für E. Ben Zvi sind diese Zahlen noch viel zu hoch. Er rechnet für die zweite Hälfte der perserzeitlichen Epoche (450– 332 v. Chr.) mit 1250–1500 Bewohnern Jerusalems, von denen nur eine Handvoll zur höchsten Form der Schriftgelehrsamkeit fähig gewesen sei. Wegen der knappen Ressourcen der Provinz Jehud sei eine größere Gruppe an professionellen Schriftgelehrten auch gar nicht zu finanzieren gewesen.25 Im Wissen um die Gewagtheit, solche Richtzahlen mit biblischen Daten zu vergleichen, können einige Angaben aus nachexilischer Zeit dennoch hilfreich sein. So gibt etwa Esra 2,40f. die Anzahl der heimkehrenden Leviten mit 74 und der Sänger/Asafiten mit 128 an (in der Parallele von Neh 7,43f.: Leviten ebenfalls 74 und Sänger/Asafiten 148).26 Angesichts der völlig überhöhten Priesterzahlen (ca. 4.300) machen die Anzahl der Leviten und Sänger einen sehr viel realistischeren Eindruck. Dazu passt Esras Aktion im Hinblick auf die sehr kleine Zahl von heimkehrwilligen Leviten (Esra 8,15–20), die er scheinbar nur um wenige Männer steigern konnte,27 nämlich um 38 Personen: „Dazu eine Anzahl von Tempeldienern, die David und die Obersten dem Tempel geschenkt hatten, damit sie den Leviten dienten, im ganzen 220 Tempeldiener. Sie alle sind namentlich aufgezeichnet“ (Esra 8,20).28 Die Konzentrierung administrativer Schreibkunst auf Jerusalem war schon in vorexilischer Zeit gegeben, wie D. W. Jamieson-Drake in seiner bekannten Studie unterstrich: „It could hardly be a coincidence that every site outside Jerusalem containing direct evidence of writing was to some degree administratively dependent on Jerusalem. The conclusion to which this evidence points is that professional administrators were trained in Jerusalem, and only in Jerusalem […] Our evidence shows that even local,
24 25 26 27
O. Lipschits, Demographic Changes, 365. Vgl. E. Ben Zvi, Urban Center, 201–206. Esra 2,65: „dazu kamen noch 200 Sänger und Sängerinnen“; in Neh 7,67 sind es 245. Vgl. T. Willi, Leviten, 63f.: „Der Priester Esra hat aus allen übrigen Kreisen des Volkes Idealisten gefunden, die sich seiner Rückwanderer-Karawane anschlossen – nur keine Leviten (Esr 8,15–20)“. 28 Vgl. die Zahl der Mitglieder in Qumram. Nach H. Stegemann, Essener, 69: Höchstzahl der Vollmitglieder 60; Versammlungsraum stehend betend 200; Versammlungsraum sitzend essend 100.
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nonprofessional examples of writing are limited to sites which show the strongest evidence of professional administrative involvement through one of the several forms of dependence on Jerusalem.“29
Neben der veranschlagten Richtzahl von professionellen Literati und der Konzentrierung auf Jerusalem als den Ort schriftstellerischer Tätigkeit30 ist eine dritte Komponente in die Überlegungen zu Trägerkreisen biblischer Bücher einzubeziehen. Sie besteht in der Annahme, dass die alttestamentlichen Schriften nicht das Ergebnis von Einzelautoren sind, sondern von äußerst schriftkundigen Gruppen. Hierzu sei E.-A. Knauf ausführlicher zitiert: „In der namentlichen Angabe von ‚Autoritäten‘ im Talmud und in ihrem Fehlen in der Tora drückt sich der Unterschied zwischen hellenistischem und vor-hellenistischem Judentum aus. Traditionsliteratur, und nicht Autoren-Literatur, sind beide: Sammlungen dessen, was im Namen von Autoritäten, nicht Autoren, gelehrt und überliefert wird. Weil es nicht auf den Autor ankommt, sondern auf die Autorität, in deren Namen man denkt und weiterdenkt, können die großen Prophetenbücher recht wenige der Worte des historischen Jesaja, Jeremia, oder Ezechiel enthalten, ohne dadurch falsch betitelt zu sein. Der biblischen Abwesenheit des ‚Autors‘ korrespondiert die Abwesenheit des Buches als Artefakt, als Produkt, als Ware in der biblischen Welt […] Literatur blieb das geistige Eigentum jener Gruppe, die sie besaß und die darüber verfügen konnte.“31
Für die Prophetie bedeutet das konkret: Die prägenden Gestalten der gleichnamigen Bücher wie Jesaja, Jeremia und Ezechiel waren keine prophetischen Autoren, sondern Autoritäten und Begründer theologischer Diskurse und Diskursgemeinschaften. Diese Gruppen mit ihren idealisierten Gründungsfiguren (u. a. Jesaja, Ezechiel, Jeremia) standen miteinander in enger Verbindung, hatten große ideologische Schnittmengen, aber auch Kontrastpunkte. Die Biographisierung setzt sich in hellenistisch-römischer Zeit durch. Dann werden aus den Autoritäten auch wirkliche Autoren! So macht bereits das Buch der Chronik (um 300 v. Chr.) aus Propheten wie Jesaja verlässliche Geschichtsschreiber (vgl. 2 Chr 32,32). Josephus Flavius (37/38–100 n. Chr.) betont die Überlegenheit der biblischen Autoren gegenüber Homer, dem Urvater der griechischen Literatur, denn jene hätten ihr Wissen schriftlich fixiert, während dieser seine Dichtung nicht schriftlich hinterlassen habe. Daher habe man sie aus dem Gedächtnis reproduzieren müssen, weshalb so viele Ungereimtheiten festzustellen seien (Contra Apionem I,12).32
29 30 31 32
D.W. Jamieson-Drake, Scribes, 148. Dazu u. a. E. Ben Zvi, Observations. E.A. Knauf, Logik, 121. Siehe U. Berges, Autorschaft.
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Ulrich Berges
Das Schreibermilieu im nachexilischen Israel (ca. 100 Personen?) war keineswegs uniform, sondern pluriform und variantenreich. Diese kleinen Gruppen innerhalb der kulturellen Elite im wirtschaftlich bescheidenen Jerusalem müssen sich gekannt haben. So urteilt auch K. Schmid in seiner Literaturgeschichte des Alten Testaments: „Es legt sich nahe, mit einem homogenen Milieu von Jerusalemer Schriftgelehrten zu rechnen: Obwohl die für die Entstehung der alttestamentlichen Bücher verantwortlichen Kreise wohl sehr überschaubar und geographisch zumindest seit der Perserzeit zumeist in Jerusalem angesiedelt waren, scheinen sie doch theologisch eine vergleichsweise breite Spannbreite von Auffassungen vertreten zu haben. Darauf deuten jedenfalls die zum Teil nahezu konträren sachlichen Profile hin, die in den biblischen Büchern nun zusammenstehen.“33
Eine weitere Produktions- und Rezeptionsbedingung will mitbedacht sein, bevor die Spurensuche nach literarischen Vernetzungen zwischen Jesajabuch und Psalter beginnt. Es ist nämlich davon auszugehen, „dass die alttestamentliche Literatur über weite Strecken von Schriftgelehrten für Schriftgelehrte – seien sie nun am Tempel oder am Palast beschäftigt – geschrieben worden ist, das Publikum also im wesentlichen mit der Autorschaft zusammenfällt. Das ergibt sich vor allem aufgrund des hohen Intertextualitätsgrades der alttestamentlichen Literatur, die offenbar auf eine besonders ausgebildete Rezipientenschaft hin ausgerichtet ist.“34
3.
Literarische Spurensuche zwischen Jesajabuch und Psalter
Es versteht sich von selbst, dass in diesem Rahmen eine Spurensuche zwischen Jesajabuch und Psalter nur unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit geschehen kann. Die Aufarbeitung der literarischen Beziehungen zwischen Jesajabuch und Psalter ist und bleibt ein Desiderat der Forschung, gerade mit Blick auf die Trägerkreise beider Korpora im nachexilischen Israel.
3.1.
Themen, Motive, Epitheta
Die oben angeführte Vermutung, die Schriften des Alten Testaments seien von literarisch hoch geschulten Experten im flächen- und zahlenmäßig sehr kleinen nachexilischen Jerusalem und Jehud – in Kenntnis voneinander und zum Teil auch in Konkurrenz zueinander – verfasst worden, sollte in der alttestament33 K. Schmid, Literaturgeschichte, 46. 34 K. Schmid, Literaturgeschichte, 49.
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lichen Forschung stärker als bisher Berücksichtigung finden. Geschieht dies aber, dann gewinnt die Tatsache an Bedeutung, dass der Begriff und das Thema „Zion“ im Jesajabuch und im Psalter eine durchgehende Konstante bildet, im Ezechielbuch aber komplett fehlt! 35 Darüber hinaus findet sich „Zion“ ebensowenig in der priesterschriftlichen Tradition, die ansonsten mit Jes 40ff. durchaus enge Verbindungen aufweist (u. a. das Wechselspiel von Schöpfungs- und Geschichtstheologie). T. Willi führt zu diesem Befund aus: „Über das Fehlen von ‚Zion‘ in Hos, Jon, Nah, Hab, auch in Hi, Prov, Ruth, wird man weniger verwundert sein, wohl aber über die Tatsache, dass der Begriff und die Vorstellung weder in Hag noch in Mal, und auch nicht in Esr–Neh (in I–II Chr grade mal IChr 11,5 und IIChr 5,2) eine Rolle spielen. Die Bezeugung der Zionsvorstellung beschränkt sich somit auf die Jesaja-Schule, Sach und (Deutero-)Mi, schließlich auf ausgewählte Psalmen, also auf ein im Ganzen überraschend enges Segment.“36
Schon vor über vierzig Jahren hatte W. Zimmerli in seinem Ezechielkommentar darauf aufmerksam gemacht, dass Begriffe, die für Jes 40ff. konstitutiv sind, im priesterlichen Prophetenbuch schlichtweg fehlen: „Es fehlen […] bei Ezechiel alle weichen Züge und wärmeren Töne. Es ist nicht von der Barmherzigkeit, der Liebe, der Bundestreue, der heilschaffenden Gerechtigkeit Jahwes geredet. Dieses ganze Vokabular fehlt dem Buche Ez. חסד, רחמים, אמונה, ישׁועה, ישׁע, אהבה sucht man im Buche Ez vergeblich.“37
Das Fehlen von „Zion“ im Ezechielbuch lässt sich dadurch erklären, dass jener Begriff unweigerlich die Frage aufwirft, in welchem Verhältnis die Völker zu JHWH stehen, der als himmlischer König seine Wohnung in Jerusalem und auf dem Zion genommen hat. Zukunftsvisionen wie die in Jes 2,2–5 und Mi 4,1–5 von unbeschnittenen Völkern, die am Zion von JHWH selbst Tora empfangen oder die Ansage von Ps 87, Fremdländer würden Geburtsrecht auf dem Zion genießen (V.4), werden den priesterlichen Verfassern des Ezechielbuches ein Gräuel gewesen sein! Hieran anknüpfend kommt auch „ ָשׂשׂוֹןJubel“ ( Jes 12,3; 22,13; 35,10; 51,3.11; 61,3) in Ez überhaupt nicht vor und „ ִשְׂמָחהFreude“ ( Jes 9,2; 16,10; 22,13; 24,11; 29,19; 30,29; 35,10; 51,3.11; 55,12; 61,7; 66,5) findet sich nur negativ im Sinne von Schadenfreude auf Seiten des verhassten Brudervolkes Edom (Ez 35,15; 36,6). Während für das priesterliche Ezechielbuch die Restaurierung des Opferkultes in Jerusalem zur zentralen Erwartung gehört, hoffen die levitischen Sänger und 35 Vgl. C. Körting, Zion, 228: „In mancher Hinsicht bieten die prophetischen Schriften dem Psalter entsprechende Voraussetzungen. Auch hier läßt sich in einigen Bereichen nachweisen, daß eine an Zion orientierte Theologie die Gestaltung der Einzeltexte und das Wachstum der Bücher bestimmt hat.“ 36 T. Willi, Zion, 71f. 37 W. Zimmerli, Ezechiel 25–48, 877.
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Ulrich Berges
Dichter auf Zion als den Ort, an dem „ תּוָֹדהLoblied/Lobopfer“ und „ זְִמָרהSpiel/ Klang“ zu Hause sind ( Jes 51,3). Vom „ ִשׁיר ָחָדשׁneuen Lied“ ist bekanntlich nur im Jesajabuch ( Jes 42,10) und im Psalter die Rede (Ps 33,3; 40,4; 96,1; 98,1; 144,9; 149,1). Von allen prophetischen Büchern ist allein das Jesajabuch von Gesängen und Liedern geprägt. Nur dort (ab Jes 54,17) und im Psalter (bes. in Buch IV und V) finden sich die ֲעָבִדים „Knechte“ an markanten Stellen.38 Exklusiv in diesen beiden Korpora findet sich die Motivkonstellation „Zion“, „Arme“ und „Knechte“, wobei die Notlage der Knechte am Ende des Jesajabuches höher zu sein scheint als im Psalter. Nur im Jesajabuch und im Psalter werden die Armen und Gebeugten als Gruppe sichtbar, die unter der besonderen Zusage des befreienden Gottes stehen und auf dem Zion ihren Ruheplatz finden sollen.39 Der „Jubel“ ( )ִרנָּהbzw. das „Jubeln“ ( )רנןist im Jesajabuch geradezu das Markenzeichen der Erlösten und Befreiten, die zum Zion unterwegs sind ( Jes 12,6; 42,11; 43,14; 44,23; 48,20; 49,13; 51,11; 52,8.9; 54,1; 55,12; 65,14). Das findet sich in den übrigen Prophetenbüchern nur noch an wenigen Stellen und zwar als Echo auf Jes 40ff. ( Jer 31,7.12; 51,48; Zef 3,14.17; Sach 2,14). Anders verhält es sich im Psalter, wo der Jubel erwartungsgemäß zu Hause ist. Er findet sich nicht nur (u. a. Ps 5,12; 20,6; 30,6; 32,11; 33,1; 35,27), aber auch in den Liedern der Sängergilden (Ps 42,5; 47,2; 81,2; 84,3; 89,13) sowie gehäuft in den JHWHKönig-Psalmen (Ps 90,14; 92,5; 95,1; 96,12; 98,4.8). In den Geschichtspsalmen (Ps 105,43; 107,22) und an markanter Position im Wallfahrtspsalter (Ps 120–134), dessen zentrales Lied die Wende der Gefangenschaft Zions besingt (Ps 126,2.5), steht das Motiv ebenfalls. Insofern die Hilfe vom Zion kommt (Ps 20,6), können die Gerechten über Gottes Recht und Gerechtigkeit jubeln (Ps 32,11; 33,1; 35,27; 118,15). Am Schluss des Psalters findet sich dieser Jubel im Munde der ֲחִסיִדים „Frommen/Chasidim“ (Ps 132,9.16; 145,7; 149,5). Neben dem „Jubel“ ( )רנהkennzeichnet die „Freude“ ( )שׂמחהdie Reaktion der Befreiten. An den Stellen, wo beide Begriffe gemeinsam vorkommen, geht es immer um das nachexilisch gewendete Los Zions/Jerusalems ( Jes 35,10; 51,11; 55,12; Zef 3,17). Im Psalter ist es besonders die Gewissheit der Gottesgegenwart in seinem Heiligtum auf dem Zion, welche die „Freude“ des Beters und der betenden Gemeinde hervorruft (Ps 43,4; 45,16; 68,4; 97,11; 100,2). Die Ferne vom Ort der Freude erfüllt die „Zionsmusiker“40 mit großer Trauer und das umso mehr als die Zwingherren von ihnen „Freude“ verlangen (Ps 137,3). Die Zunge soll den Sängern am Gaumen kleben, wenn sie Zion vergessen und Jerusalem nicht zur 38 Vgl. U. Berges, Knechte; »Knechte« in Jes 54,17; 56,6; 63,17; 65,8.9.13.14.15; 66,14; im Psalter Ps 34,23; 69,37; 79,2.10; 89,51; 90,13.16; 102,15.29; 105,25; 113,1; 123,2; 134,1; 135,14. 39 Vgl. U. Berges, Armen; U. Berges / R. Hoppe, Arm, 39–44.49–56. 40 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 689.
Zu den Trägerkreisen von Jesajabuch und Psalter
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„höchsten Freude“ erheben (Ps 137,6). Danach wird von „Freude“ im Psalter nicht mehr gesprochen! Die Formulierung „höchste Freude“ in Ps 137,6 lautet wörtlich „ ַעל ר ֹאשׁ ִשְׁמָחִתיüber das Kopfende meiner Freude [hinaus]“. Es ist kaum zufällig, dass keine Stelle im AT diesem Ausdruck näher kommt als Jes 51,11 (vgl. Jes 35,10). Dort werden die Befreiten JHWHs beim Einzug in Zion „ewige Freude auf ihrem Haupt“ haben. Ein weiterer, beide Textwelten verbindender Befund besteht darin, dass das Epitheton „JHWH Zebaot“ im Psalter nach Ps 89 nicht mehr vorkommt und ebenso in den so genannten tritojesajanischen Kapiteln fehlt.41 Die 15 Belege im Psalter verteilen sich auf ganze acht Psalmen (Ps 24; 46; 48; 59; 69; 80; 84; 89), wobei fünf von ihnen den Sängergilden zugeschrieben sind (Korach 46; 48; 84; Asaf 80 und Ethan 89).42 Der Gebrauch von „JHWH Zebaot“ sagt nicht nur etwas über die Gottheit selbst, sondern auch und gerade über die Verwender dieses Epithetons. Sie verankern darin zions- und königstheologische Aspekte: „So impliziert der Name Jhwh Zebaot die Vorstellung von der Gegenwart des himmlischen Herrschers in seinem Heiligtum auf dem Zion; sowohl der solchermaßen bezeichnete göttliche König als auch der in nachexilischer Zeit erhoffte davidische König garantieren Schutz und Sicherheit gegenüber inneren und äußeren Feinden.“43 Wo keine Zionstheologie vorliegt (wie in Ezechiel) oder wo die davidisch-königliche Restaurationshoffnung nicht mehr gepflegt wird (wie in den Psalterbüchern IV–V und in Tritojesaja), kommt auch das Epitheton „JHWH Zebaot“ nicht mehr vor! Es sind besonders die verwendeten bzw. die vermiedenen Epitheta, welche die jeweiligen Schreibergilden auszeichnen und voneinander abheben. Während die Verfasser von Jes 40–54 „JHWH Zebaot“ sechsmal verwenden, überwiegend in der geprägten Wendung „JHWH Zebaot ist sein Name“ ( Jes 47,4; 48,2; 51,15; 54,5), vermeiden die Tradenten des Ezechielbuches den Titel völlig. Demgegenüber findet er sich in Jeremia 82 Mal! Im Gegenzug bietet Ezechiel 217 Mal das Epitheton „Adonai JHWH“, das in Jeremia nur ganze 8 Mal vorkommt. Eine interessante Spur bietet auch der Titel „Gott Jakobs“, der außerhalb des Hexateuchs nur noch an wenigen Stellen begegnet (vgl. 2 Sam 23,1; Jes 2,3; Mi 4,2; Ps 20,2; 24,6; 94,7; 114,7), und zwar gehäuft in den Psalmen der Sängergilden (Asaf: Ps 75; 76; 81; Korach: Ps 46; 84). Auch kommt „Jakob“ in den Psalmen 18 Mal vor und dabei zur Hälfte (9 Mal) erneut in den Sängerpsalmen:
41 Dazu U. Berges / A. Spans, Jhwh Zebaot; in Jes 1–39 dagegen begegnet JHWH Zebaot 56x; in 40–55 noch 6x. 42 „Sollte überhaupt eine Beeinflussung von außen aus dem Gebrauch dieses Epithetons zu erschließen sein, dann kommt dafür eigentlich nur die Prophetie, als der Haupttradent dieses Namens, in Frage.“ (G. Wanke, Zionstheologie, 46; siehe auch 41) 43 U. Berges / A. Spans, Jhwh Zebaot, 181.
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Ulrich Berges
„In vielen Fällen liegt auch in den Psalmen eine ähnliche Bedeutung des Wortes ‚Jakob‘ vor, wie wir sie schon seit Deuterojesaja feststellen können, oder wie sie in Gen 49, Num 23 und 24 vorliegt. Es ist einmal das gesamte Israel, und zwar ein einheitliches, man möchte fast sagen ‚ideales‘ Israel gemeint […] Das andere Mal begegnet ‚Jakob‘ als Bezeichnung für das aus dem Exil hervorgegangene Israel, das sich später um Jerusalem als eine Kultgemeinde sammelte […].“44
Diese theologische Zuspitzung des Begriffs „Jakob“ ist auch in Jes 40ff. zu beobachten, wo der Name am zweithäufigsten nach den Vätererzählungen vorkommt.45 Eine weitere Verbindung zwischen Jesajabuch und Psalter besteht im Motiv der Tora-Gabe vom Zion aus, was sich nach S. Gillingham auf den Psalter bezogen aus der Abfolge der Psalmen ergibt (u. a. Ps 19 als Mitte der Einlassliturgie von Ps 15–24; Ps 119 als Vorwort zum Wallfahrtspsalter Ps 120–134): „Indeed, as the law and Zion together compensate for the lack of a king, it could be said that the Torah in the Psalter, with the latter’s fivefold division, emanates not from Sinai but from Zion instead.“46 In der entsprechenden Fußnote ergänzt sie dann: „The only explicit reference to this idea in the Hebrew Bible is in Isa 2,3 and Mic 4,2: ‚Out of Zion shall go forth instruction (torah)‘.“47Anders als der Psalter bedenkt aber das Jesajabuch die Konsequenzen einer Zulassung von Menschen aus den Völkern zum Zion, d. h. einer Zulassung ohne Beschneidung ( Jes 56,1–8)! Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Jesajabuch und Psalter bezüglich der in Aussicht gestellten kultischen Verehrung JHWHs sind ebenfalls noch nicht aufgearbeitet. Aber die Einschätzung von S. Gillingham regt auch hier zum Weiterdenken an: „The Psalter’s interest in liturgy, in stark contrast with the priestly laws in the Pentateuch, is not so much in what is done by way of ritual and sacrifice as in what is said and sung. But this does not mean, as some have suggested, that the Psalter is an a-cultic book. It is interested in liturgy, but from a different perspective, and this perspective mirrors what we know of the role of the Levites in the post-exilic cult.“48
Auch das Jesajabuch ist nicht einfach als kultfeindlich einzustufen – in dieser Hinsicht war P. Hanson viel zu statisch49 –, sondern es formuliert Bedingungen und Abgrenzungen, sowohl nach innen als auch nach außen.
44 45 46 47 48 49
G. Wanke, Zionstheologie, 57. Dazu M. Polliack, Typological Use. S.E. Gillingham, Singers, 102. S.E. Gillingham, Singers, 102, Anm. 28. S.E. Gillingham, Singers, 113. Vgl. P.D. Hanson, Dawn; P. D. Hanson, Isaiah 40–66; dagegen bereits B. Schramm, Opponents.
Zu den Trägerkreisen von Jesajabuch und Psalter
3.2.
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Die hymnischen Responsorien in Jes 40ff. und der Psalter
Die Gemeinsamkeiten zwischen Jesajabuch und Psalter sind bei den hymnischen Responsorien in Jes 40ff. besonders eindrücklich. Die strukturierende Funktion dieser Verse gehört spätestens seit der Dissertation von F. Matheus zur opinio communis der Forschung, auch wenn es weiterhin Diskussionen um deren genaue Anzahl und Abgrenzung gibt.50 In den beiden Kommentarbänden in HThKAT zu Jes 40–48 und 49–5451 werden Jes 42,10–12; 44,23; 48,20–21; 49,13; 52,9–10 zu den hymnischen Passagen gezählt, da sie jeweils imperativische Aufforderungen zum Lob, Angaben der zum Lob Aufgerufenen und mit „kî“ eingeleitete Begründungen aufweisen. Besonders wenn man sich von Deuterojesaja als prophetischem Einzelautor verabschiedet und sich der Sänger-Hypothese zuwendet, werfen diese Verse ein erhellendes Licht auf die Trägerkreise. Sie sind kein ornamentales Beiwerk, das ab und zu den Text ein wenig auflockert, sondern sie laden die Adressaten zum begleitenden Lob innerhalb der Rezitation dieser Kapitel ein: „Diese hymnische Strukturierung kann nicht zufällig sein, sondern beruht auf einem dem Psalter nahe stehenden Kompositionswillen […] Geht man von Tempelsängern als Verfasser von Jes 40ff. aus, die über einige Jahrzehnte ab 550 v. Chr. zuerst in Babel, dann in Jerusalem ihr Oratorium der Hoffnung und des Trostes schrieben, passen diese hymnischen Passagen bestens ins Gesamtbild. Die Adressaten werden zusammen mit den Enden der Erde und der gesamten Schöpfung aufgefordert, durch die ihnen aus der kultischen Tradition bekannten Loblieder JHWHs Größe und Überlegenheit aufs Neue zu preisen.“52
Bekanntermaßen ist die Frage der Rezeptionsrichtung – vom Psalter zu Jesaja oder von Jesaja zum Psalter – weiterhin umstritten. Wie immer man sich entscheidet, so knappe Urteile wie das von J. Jeremias, „Die Folgerung ist mir unabweisbar, daß Ps 98 die Ankündigung DtJes’s […] als eingetretenes Faktum preist und aufgrund dessen zum ‚neuen Lied‘ aufruft“53, sind m. E. nicht mehr zulässig. Es bleibt auffällig, dass die Rede vom „neuen Lied“ außer in Jes 42,10 nur noch im Psalter begegnet (Ps 33,3; 40,4; 96,1; 98,1; 144,9; 149,1). Sollte der Einzelbeleg im Responsorium von Jes 42,10 eine derartige Wirkung gehabt haben, dass er gleich mehrfach in den Psalmen übernommen wurde? Und warum sollten die Psalmendichter nur das Stichwort vom „neuen Lied“ übernommen haben und keine weiteren Themen aus Jes 40ff. wie das Knechtsein von Jakob/Israel mit
50 Siehe F. Matheus, Neues Lied, mit der Maximalbestimmung von Jes 42,10–12.13; 44,23; 45,8; 48,20–21; 49,13; 51,3; 52,7–12; 54,1–3. 51 Vgl. U. Berges, Jesaja 40–48; U. Berges, Jesaja 49–54. 52 U. Berges, Jes 40–48, 63f. 53 J. Jeremias, Königtum Gottes, 134.
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seiner weltweiten Sendung zu den Völkern (vgl. 42,1ff)? Ist die Nicht-Aufnahme weiterer Themen und Motive aus Jes 40ff. im Psalter tatsächlich so zu erklären, „dass für die Psalmen die Zeit der Schmerzen und damit die Heilswende zurückliegt und damit die Thematik von ‚Trost‘ und ‚Befreiung‘ nicht mehr (in dieser Unmittelbarkeit) gegeben ist“54? M. E. bleibt die konträre Einschätzung von H. Leene weiterhin bedenkenswert: „It is difficult to imagine that a psalmist who was inspired by Deutero-Isaiah proceeded so selectively. The opposite is more likely: the composers of Isaiah 40–55 borrowed from an existent hymnic tradition for certain pivotal points of their dramatic composition, or even from these very songs passed on to us in Pss 98 and 96.“55
Erstaunlicherweise hat die ähnliche Einschätzung von C. Westermann in der Einleitung seines Kommentars zu Jes 40–55 aus dem Jahre 1966 nur wenig Beachtung gefunden: „Eines der wesentlichsten Merkmale der Prophetie Deuterojesajas besteht in der Verbindung der Prophetie mit der Psalmensprache. Der Prophet muß in ganz besonderem Maß mit den Psalmen vertraut gewesen sein. Nun haben gewiss die Psalmen in den Gottesdiensten der Exilierten eine beherrschende Rolle gespielt, so daß alle, die sich zu diesen Gottesdiensten hielten, so in den Psalmen gelebt haben können wie Deuterojesaja. Es fällt aber auf, daß bei Hesekiel davon gar nichts zu spüren ist, er vielmehr eine Fülle priesterlicher Sprachformen in seine Verkündigung verwoben hat (Zimmerli). Dann ist es immerhin möglich, daß Deuterojesaja in einem Zusammenhang mit den Tempelsängern steht, denen insbesondere die Pflege und Tradierung der Psalmen oblag.“56
Fast dreißig Jahre später geht O. Kaiser in eine ähnliche Richtung, indem er feststellt: „Sprachlich und formgeschichtlich erweisen sich die Texte der dtjes Sammlung weithin den Traditionen der Jerusalemer Tempelsänger verpflichtet.“57 Auch J. Blenkinsopp ist hier anzuführen, der zu Jes 42,10–12 ausführt: „The invitation to celebrate Yahveh in song is one of the several passages in chs. 40–55 (with 44:23; 49:13; 54:1) that are modeled on the liturgical hymns of praise […] It is a literary composition that uses material from psalms extolling Yahveh as king and creator.“58 Und B. Gosse hält in einem rezenten Aufsatz fest: „The presentation of the return from exile in the Book of Isaiah depends of the Psalms of Asaph.“59
54 55 56 57 58
B. Weber, Asaf, 477, Anm. 63. H. Leene, History, 246. C. Westermann, Jesaja, 11. O. Kaiser, Grundriss II, 49. J. Blenkinsopp, Isaiah 40–55, 214f. Vgl. auch T.N.D. Mettinger, Search 1997, 151f.; H.L. Ginsberg, Arm of YHWH, 154: Jes 52,10 sei „dependent from Ps 98,1.2.3“. 59 B. Gosse, L’usage, 66; siehe ebenfalls B. Gosse, Isaïe, 41–55.
Zu den Trägerkreisen von Jesajabuch und Psalter
3.3.
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Detailbeobachtungen aus Jes 49–54 und ihre Bezüge zum Psalter
Aus meinem Kommentar zu Jes 49–54 sollen einige Detailbeobachtungen präsentiert werden, die für die Frage nach den Autoren und Trägerkreisen des Jesajabuches und des Psalters von Bedeutung sein dürften. In monographischen Studien müssten diese und noch viele andere Verbindungen aufgezeigt, gesammelt und systematisch ausgewertet werden. Jes 49,1 „( ִמ ְמֵּעי ִא ִמּי ִהזְ ִכּיר ְשִׁמיaus dem Schoss meiner Mutter hat er meinen Namen genannt“): Die Kombination von „ ֵמֶעהLeib“ und „ ֵאםMutter“ kommt neben Jes 49,1 nur noch ein einziges Mal im AT vor, und zwar im Vertrauenspsalm 71,6: „Auf dich habe ich mich gestützt von Mutterleib an, aus dem Schoß meiner Mutter hast du, du mich entbunden, in dir ist immer mein Lobgebet“60. Jes 49,2 „( ַויָּ ֶשׂם ִפּי ְכֶּחֶרב ַח ָדּהund wie ein scharfes Schwert hat er meinen Mund gemacht“): Das „scharfe Schwert“ kommt im Zusammenhang von Sprechen und Sprache nur noch in Ps 57,5 vor. Dort klagt der Beter, er müsse sich unter Löwen, d. h. bei seinen Gegnern lagern, deren Zähne Speer und Pfeile seien und deren Zunge ein scharfes Schwert sei (vgl. Ps 55,22; 59,8; 64,4). Die Waffe des scharfen Wortes dient dem Propheten nicht nur zur Verkündigung der Gottesbotschaft, sondern bietet ihm auch Schutz vor gegnerischen Angriffen. Daher dient das Verbergen im Schatten seiner Hand in erster Linie nicht dem Überraschungseffekt, mit dem JHWH seinen Knecht zum Einsatz bringt, sondern dem Schutz vor seinen Gegnern. Während „ ֵצלSchatten“ als Metapher für Schutz und Hilfe breit belegt ist (u. a. Jes 4,6; 16,3; 25,4f.; 30,2f.; 32,2; Ps 17,8; 36,8; 57,2; 63,8; 91,1), findet sich die Kombination „Schatten“ und „ י ָדHand“ neben Jes 49,2 und der Aufnahme in Jes 51,16 nur noch im Wallfahrtspsalm 121,5: „JHWH ist dein Hüter, JHWH ist dein Schatten über deiner rechten Hand, am Tag schlägt dich die Sonne nicht, und nicht der Mond in der Nacht“61. Der Knecht ist nicht nur „wie ein scharfes Schwert“, sondern von Gott auch zu einem „spitzen Pfeil“ gemacht, versteckt in seinem „ ַא ְשׁ ָפּהKöcher“ (im Kriegskontext: Jes 22,6; Ijob 39,23; Klgl 3,13). In Ps 127,5 – erneut aus dem Wallfahrtspsalter – wird „der Mann/Held“ ( )ַה ֶגֶּברglücklich gepriesen, der seinen Köcher mit Söhnen der Jugend gefüllt hat, denn sie werden beim Rechtstreit mit ihren Gegnern im Stadttor nicht unterliegen. JHWH als „Held“ ( Jes 42,13) hat nur einen Pfeil in seinem Köcher, den Knecht! Jes 49,5 „( ֵואל ַֹהי ָהי ָה ֻעזִּיGott ist meine Stärke“): Der Wertschätzung des Knechts durch JHWH steht dessen Bekenntnis gegenüber: „mein Gott ist meine Stärke“. 60 Die Übersetzung stammt von F.-L. Hossfeld, siehe F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 5–100, 290. 61 Die Übersetzung stammt von E. Zenger, siehe F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 5–100, 428.
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Dass JHWH „ ע ֹזStärke“ ist, wird besonders im Psalter besungen (u. a. Ps 29,1; 62,12; 63,3; 68,29.35.36) und gehört zum Vertrauensbekenntnis des Einzelnen. In Jes 12,2 ist es Zion als kollektive Größe, die dies jubelnd bekennt. Der Völkerkontext, der in Jes 49,6b voll zum Tragen kommt, findet sich in Bezug auf „JHWH als Stärke“ bereits in Jes 45,24, wo es heißt, „nur in JHWH sind Gerechtigkeiten und Stärke“, und zwar als Aussage über den Gott Israels im Munde von NichtIsraeliten, die sich von ihren Götterbildern ab- und JHWH zuwenden. Jes 49,8 ָ„( ְבֵּעת ָרצוֹן ֲענִיִתיךzur Zeit des Wohlgefallens habe ich dir geantwortet“): Dass JHWH „zur Zeit des Wohlgefallens“ ( ) ְבֵּעת ָרצוֹןhilfreich eingegriffen hat, ist ähnlich nur noch in Ps 69,14 belegt („Ich aber komme mit meinem Gebet zu dir, HERR, zur Zeit deines Wohlgefallens“), ein Psalm, der auf vielfache Weise mit Jes 40ff. im Allgemeinen und mit den Kapiteln 49–54 im Besonderen in Verbindung steht („Tröster“ V 21; „Knecht“ V 18; „Spott über den Mann, den JHWH geschlagen hat“ V 27; „Knechte“ V 36; „Neuerrichtung von Zion und Umland“ V 36). So gehört Ps 69 mit seinen sukzessiven Erweiterungen in die Nähe levitischer Sängerkreise, die in nachexilischer Zeit wohl auch für die Komposition und Redaktion des Jesajabuches verantwortlich waren.62 Dafür spricht, dass ָרצוֹן „Wohlgefallen“ zum einen ein kultischer Terminus ist, der die Annahme wohlgefälliger Opfergaben durch Gott bezeichnet (u. a. Ex 28,38; Lev 1,3; 19,5; 22,19.20.21), zum anderen in der Sprache der Psalmen beheimatet ist und dort sein Wohlwollen gegenüber dem Beter anzeigt (u. a. Ps 5,13; 19,15; 30,6.8; 40,9). Jes 49,23b „( ל ֹא־יֵבֹשׁוּ ֹקָויmeine Harrenden werden nicht beschämt“): Das Possessivsuffix in „ קוָֹיmeine Harrenden“ unterstreicht, dass JHWH sich selbst als Garant der auf ihn Hoffenden in Anspruch nehmen lässt. Im Jesajabuch ist es zuerst der Prophet selbst, der auf JHWH harrt ( Jes 8,17), ihm folgen die Gerechten ( Jes 25,9; 26,8; 33,2). Zur Gruppe derer, welche gespannt auf JHWHs Eingreifen hoffen ( Jes 40,31), können auch Menschen aus fernen Gestaden („Inseln“) gehören ( Jes 51,5; 60,9). Das Verb „ קוהharren/hoffen“ ist besonders im Psalter beheimatet, wo der Begriff immer stärker Fromme und Frevler scheidet (Ps 25,5.21; 27,14; 37,34; 40,2; 52,11; 130,5). Neben Jes 49,23 gibt es nur zwei Psalmverse, in denen die Verneinung von בושׁ, also nicht „beschämt werden“, in Parallele zum Hoffen auf JHWH steht (Ps 25,3; 69,7). Jes 50,10 „( ִמי ָבֶכם יְֵרא י ְהָוהwer unter euch ein JHWH-Fürchtender ist“): Der feststehende Ausdruck „ י ְֵרא יְהָוהJHWH Fürchtender“ muss überraschen, denn er findet sich in der Prophetie nur noch in Mal 3,16 und ist ansonsten im Psalter zu Hause (Ps 15,4; 22,24; 25,12; 27,1; 115,11.13; 118,4; 128,1.4; 135,20; zudem Spr 14,2). Die Kategorisierung, die der Ausdruck „JHWH Fürchtender“ beinhaltet, lässt sich auch bei anderen Begriffsbildungen wie „JHWH Suchende“ ()ְמַבְק ֵשׁי י ְהָוה
62 Siehe A. Groenewald, Psalm 69, 70–74.
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( Jes 51,1) und „Schüler JHWHs“ ( ( )ִלמּוֵּדי יְהָוהJes 54,13) beobachten. Hier wird eine gruppenspezifische Zuschreibung ersichtlich. Jes 50,10b „( יְִבַטח ְבּ ֵשׁם י ְהָוהso vertraue er auf den Namen JHWHs“): Kein anderes Verb beschreibt die gottgefällige Haltung des Beters besser als „vertrauen“ auf JHWH, den Gott der Hilfe und Rettung (u. a. Ps 9,11; 21,8; 26,1; 28,7; 32,10; 37,3). Doch während dort das Vertrauen direkt auf JHWH liegt, richtet es sich hier auf seinen „Namen“ () ֵשׁם. Dies ist nur noch in Ps 33,21 der Fall, wobei zum Schluss dieses priesterlich-prophetischen Psalms63 ebenfalls die Definition der Beter als derjenigen steht, die JHWH fürchten und auf ihn harren. Dies passt bestens zur Gruppe von Menschen, die in Jes 50,10 gemeint und angeredet sind. Parallel zum „Vertrauen“ steht das „sich Stützen“ auf Gott (Nifal )שׁען.64 Das Verb kommt im Psalter erstaunlicherweise nicht vor, findet sich aber dreimal im ersten Teil des Jesajabuches, und zwar immer in der Alternative, sich auf JHWH zu stützen oder sich dieser Stütze zu verweigern ( Jes 10,20; 30,12; 31,1; in den beiden letzten Belegen parallel zu „ בטחvertrauen“). Dies deutet darauf hin, dass die Ergänzer und Kommentierer des dritten Gottesknechtsliedes sich sowohl an psalmistischer als auch jesajanischer Sprache orientierten. Jes 51,1 „( ְמַבְק ֵשׁי י ְהָוהihr JHWH Suchenden“): Der Ausdruck „JHWH Suchende“ meint hier nicht etwa jene, die von Gott ein Orakel bzw. Hilfe erfragen (vgl. Ex 33,7; 2 Chr 20,4) oder im Heiligtum sein Angesicht suchen (2 Sam 21,1; Ps 24,6; 27,8; 105,4 / par. 1 Chr 16,11; 2 Chr 7,14), sondern diejenigen, die quasi habituell in Gottesfurcht auf JHWH ausgerichtet sind (Dtn 4,29; Jer 29,13; Zef 1,6; Ps 105,3f. / par. 1 Chr 16,10f.; 2 Chr 20,3f.).65 In partizipialer Form sind dazu besonders die Belege aus dem Psalter zu nennen (Ps 40,17; 69,7; 70,5; vgl. Spr 28,5). Einen noch engeren Bezug lässt sich zu Ps 105,3f. / par. 1 Chr 16,10f. herstellen, denn zum einen sind es in 1 Chr 16 Asafiten, die Ps 105 rezitieren und zum anderen ist dort Abraham gleich dreifach genannt (V.6.9.42) 66, und zwar in V.42 direkt hinter der Reminiszenz an den „Felsen“, aus dem JHWH Wasser in der Wüste hervorquellen ließ (V.41) (vgl. Jes 48,21 und 51,1). Darüber hinaus kann Ps 105,28 (Plage der Finsternis) als einer der motivlichen Hintergründe für Jes 50,3 gelten. All das kann kein Zufall sein, sondern weist in die Richtung benachbarter Tradenten, die aus der heilsgeschichtlichen Rückblende auf Väterzeit und Exodus wesentliche Bausteine ihrer nachexilischen Restaurationshoffnung formten. Jes 51,3 „( ָשׂשׂוֹן ְו ִשְׂמָחה י ִ ָמֵּצא ָבּה תּוָֹדה ְוקוֹל זְִמָרהJubel und Freude wird in ihr gefunden, Danklied und Instrumentenklang“): Parallel zu „Loblied“ steht am 63 Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalm 1–50, 206. 64 In geschichtstheologischer Verwendung in 2 Chr 13,18; 14,10; 16,7f. und in weisheitlicher in Ijob 24,23; Spr 3,5. 65 Vgl. G. Gerlemann, THAT I, 335f. 66 Im Psalter sonst nur noch in Ps 47,10.
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Ende dieses Verses die Constructus-Verbindung „ ְוקוֹל זְִמָרהKlang von Musik“, die sonst nur noch in Ps 98,5 begegnet. Das Nomen „ זְִמָרהSpiel/Klang“ hat überhaupt nur vier sichere Belege ( Jes 51,3; Am 5,23; Ps 81,3; 98,5; unsicher Ex 15,2; Jes 12,2; Ps 118,4), anders als das wurzelgleiche „ ִמזְמוֹרGesang“, das im Psalter 57 Mal vorkommt und zwar ausschließlich in den Überschriften.67 Jes 51,9.17; 52,1 „( עוִּרי עוִּריwach, wach auf“) / „( ִהְתעוְֹרִרי ִהְתעוְֹרִריerwache, erwache“): Die Weckrufe mit den mythopoetischen Aufnahmen der ChaoskampfMotivik zur erneuten Sicherung der Königsherrschaft JHWHs, die in der Akklamation von Jes 52,7 kulminieren68, weisen eine große Nähe zu den Korachpsalmen auf: „ עורerwecken“ [von JHWH] Ps 44,24; „ עזKraft“ Ps 46,2; 84,6; זרוע „Arm“ [von JHWH] Ps 44,4; „ ימי קדםWasser der Vorzeit“ Ps 44,2; „ רהבRahab“ Ps 87,4; „ תהוםUrflut“ Ps 42,8 (2x); „ מיםWasser“ [als Chaoselement] Ps 46,4. Nach dieser Auflistung zieht J. Werlitz die Schlussfolgerung: „[…] so ist es denkbar, daß die Bucheditoren, die selbst – vor allem mit ihren gliedernden Texten – auf hymnische Traditionen zurückzugreifen scheinen und angesichts dessen mit der Tempelsängerschaft in Verbindung zu bringen ist, bei ihrer Rückkehr nach Jerusalem Anschluß an solche Kreise gefunden hat.“69
Diese Wahrnehmung kann weiter untermauert werden. Formgeschichtlich sind solche Weckrufe in den Klagegebeten des Psalters zu Hause (vgl. Ps 7,7; 35,23; 59,5), besonders in den Volksklagen, in denen die nationalen Katastrophen des Nord- bzw. Südreichs verarbeiten wurden (Ps 44,24 „wach auf“; 74,22 „steh auf“; 80,3 „erwecke deine Macht“). Dabei sind es in allen drei Psalmen die Asafiten bzw. Korachiten, die als Verfassergruppe dieser Klagen genannt werden. Die Einschätzung von E. Zenger, die Verfasser von Ps 80 seien „im Kreis theologisch geschulter ‚Kultfunktionäre‘ zu suchen“70, trifft auch auf die Verfasser der jesajanischen Weckrufe zu. Die liturgisch-kultischen Formeln sind ihnen berufsmäßig vertraut und so schöpfen sie aus diesem Fundus. Jes 52,7 „( ָמַלְך ֱאל ָֹהיְִךKönig [geworden] ist dein Gott“): Mit dem letzten Kolon von Jes 52,7 ist die Klimax der Königsherrschaft JHWHs erreicht, und zwar als direkte Mitteilung an „Zion“ ()ְלִציּוֹן. Die Einführung Zions als Objekt mit der Präposition „ ְלzu“ erinnert an 51,23, wo es hieß, ihre Feinde hätten „ ְלנְַפ ֵשְׁךzu dir“ gesagt: „Bück’ dich, dass wir darüberschreiten“. Eine solche Demütigung wird es für die Stadt und Braut Gottes nicht mehr geben, denn die Botschaft lautet: ָמַלְך „ ֱאל ָֹהיְִךKönig geworden ist dein Gott“! Von diesem Königtum ist im Jesajabuch mehrfach die Rede, hier aber zum letzten Mal ( Jes 6,5; 24,23; 33,22; 41,21; 43,15; 44,6). Im Alten Testament gehört das Königsein zu JHWHs Attributen (u. a. 67 68 69 70
Vgl. C. Barth, Art. זמר, 607. Siehe T.N.D. Mettinger, Search, 150. J. Werlitz, Redaktion, 317–318. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 51–100, 457.
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Ex 15,18; Num 23,21; 1 Sam 8,7; 12,12; Ez 20,33; Mi 4,7), was besonders für die Ps 93–100 gilt (93,1; 95,3; 96,10; 97,1; 99,1; dazu Ps 10,16; 24,8.10; 29,10; 47,3.8; 84,4; 89,19; 146,10; 1 Chr 16,31). Anders als in der „JHWH-König-Komposition“, wo JHWH dem Verb מלךvorausgeht, wodurch sein fortwährendes, unwandelbares Königsein betont wird, steht in Jes 52,7 das Verb an erster Stelle. Ist dies der Fall, liegt analog zu den Stellen, wo Menschen zur Königswürde gelangen (2 Sam 15,10; 1 Kön 1,11.13; 2 Kön 9,13), eine inchoative, den Beginn betonende Bedeutung vor.71 Man kann sich dieser Auslegung anschließen, ohne die vor Zeiten heftig geführte Diskussion um ein „Thronbesteigungsfest“ JHWHs neu aufleben lassen zu müssen.72 Die Verkündigung der erneuerten Königsherrschaft JHWHs in Jes 52,7 und die gesamte Strophe ( Jes 52,7–10) weisen starke Bezüge zu Ps 98,1–6 auf. Wie bei den vielfältigen Verbindungen von Jes 40ff. zu den Asafpsalmen73 ist auch hier davon auszugehen, dass die prophetischen Dichter, die in großer Nähe zu levitischen Kreisen zu vermuten sind, das ihnen bekannte Muster der JHWH-Königs-Akklamation aus dem Psalter modifiziert übernommen haben: „The acclamation ›your God reigns!‹ (malak ’elohayik) addressed to Jerusalem/Zion is a modified form of the psalmic acclamation YHVH malak (Pss 93:1; 96:10 = 1 Chr 16:31; 97:1; 99:1) of the Jerusalem liturgy from the time of the Judean monarchy.”74 Für eine Aufnahme der JHWH-König-Tradition aus dem Psalter und besonders aus Ps 98 spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass die dortigen Elemente („heiliger Arm“ V 1; „vor den Augen der Völker“ V 2; „es haben gesehen alle Enden der Erde die Rettung unseres Gottes“ V 3; „brecht aus und jubelt“ V 4) in Jes 52,7–10 in umgekehrter Reihenfolge zu finden sind: „The inversion of the verses is typical in the Bible when a later source is influenced by an earlier one.“75 Jes 54,1 „( ָרנִּי ֲעָקָרה ל ֹא יָָלָדה ִפְּצִחי ִרנָּהJuble, Unfruchtbare, die nicht geboren hat, brich aus in Jubel“): Die beiden Verben רנןund פצחstehen neben Jes 54,1 nur noch in den Responsorien von Jes 44,23; 49,13; 52,9 zusammen, sowie im Hymnus des neuen Liedes in Ps 98,4. In Jes 55,12 sollen Berge und Hügel über diejenigen in Jubel ausbrechen, die in Freude zum Zion pilgern. Das Verb „ רנןjubeln“ bezeichnet in seiner Grundbedeutung eine Lautäußerung, die zumeist freudig ist (u. a. Jes 12,6; 24,14; 42,11; 65,14; Ps 51,16; 59,17), aber auch klagend sein kann (Klgl 2,19; Ps 84,3). Die meisten Belege für Verb und Nomen ( )ִרנָּהstehen sowohl im Psalter als auch in Jes 40–66. Dabei dominiert die Nähe zum Kult, was bei den imperativischen Aufforderungen zum Gotteslob besonders deutlich ist (neben 71 72 73 74
Vgl. J.L. Koole, Isaiah 49–55, 235 mit Verweis auf Ps 47,9; Jes 24,23; Mi 4,7. Siehe C. Ehring, Rückkehr, 77–80. Vgl. B. Weber, Asaf, 456ff, B. Gosse, L’usage, 66ff. So J. Blenkinsopp, Isaiah 40–55, 342; auch H.L. Ginsberg, Arm of YHWH 1958, 154; B. Gosse, L’usage, 79. 75 S.M. Paul, Isaiah 40–66; anders F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 51–100, 689.
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den obigen Belegen auch Jer 31,7; Zef 3,14; Sach 2,14; Ps 33,1; 81,2). In großer Nähe zu Jes 54,1 stehen die Jubelaufrufe an Zion in Zef 3,14 und Sach 2,14. Damit liegt ein weiteres Indiz vor, dass die Zionstheologie der Propheten auf die Sprache der Psalmen rekurriert. Dass Zion in Jes 54,1 als „ ֲעָקָרהUnfruchtbare“ zum Jubel aufgefordert wird, stellt sie in eine Reihe mit Israels Erzmütter: Sara (Gen 11,30), Rebekka (Gen 25,21), Rachel (Gen 29,31), Manoachs Frau (Ri 13,2f) und Hanna (1 Sam 2,5). Wie diese Frauen nach langer Zeit des Wartens, der Klage und Demütigung endlich zu Nachkommen kamen, so wird es auch Zion ergehen, die durch die exilische Katastrophe kinderlos geworden war (vgl. Jes 49,20f.; Klgl 1–2). Und wie jene Kinder bekamen, die für das Gottesvolk von großer Bedeutung sein sollten – Isaak, Jakob, Josef, Simson, Samuel –, so haben auch Zions Kinder besondere Qualitäten, denn sie sind „Schüler“ (V.13) und „Knechte“ JHWHs (V.17b). Ist es reiner Zufall, dass im Schlussvers von Ps 113, dem Halleluja der „ ַעְבֵדי יְהָוהKnechte JHWHs“ (V.1), Gott als derjenige gelobt wird, der die „Unfruchtbare des Hauses wohnen lässt als fröhliche Mutter von Kindern“ (V 9)? Sowohl im Psalter als auch in der Prophetie sind dies die beiden einzigen Belege für das Wort „ ֲעָקָרהUnfruchtbare“!
4.
Fazit
Die Frage nach den Trägerkreisen des Jesajabuches und des Psalters steht in einer Linie mit der notwendigen Weiterentwicklung des Ansatzes einer „diachron reflektierten Synchronie“. Es reicht nicht mehr aus, nur literarische Verbindungen aufzuzeigen, sondern es bedarf ihrer weiteren Plausibilisierung im literatur-soziologischen Kontext des nachexilischen Jerusalem, und zwar vor dem Hintergrund immer detaillierterer archäologisch-demographischer Erkenntnisse dieser die Literaturwerdung des gesamten Alten Testaments so prägenden Zeit. Die aufgewiesenen Korrelationen von Themen und Motiven zwischen Jesajabuch und Psalter sowie die Einzelbeobachtungen aus Jes 49–54 bestätigen die Vermutung, dass die Tradenten beider Textkorpora in großer Nähe zueinander gestanden haben müssen. Die Fokussierung auf Zion, die Betonung von Freude und Gesang ob der erneuerten Königsherrschaft JHWHs und die Einbeziehung der Völker in dieses Lob lassen an levitische Sängerkreise denken.
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Susan Gillingham
The Levitical Singers and the Compilation of the Psalter1
1.
Introduction: Singing and Music in the Psalter
The Hebrew title, תהילים ספר, introduces the Psalter as a “Book of Praises” even though the description fits only about one third of its contents. Such a title is appropriate for the concluding paean of praise in Psalms 145–150, but the Psalter actually consists more of complaint than praise. Furthermore, many psalms do not even address God; rather, they speak to the (real or imagined) community of faith. For example, Ps 1 and 2 are neither laments nor hymns of praise; nor do they address God at all. Yet, as a gateway to the Psalter, announcing what is to follow, they alert us to the fact that the Psalter is a diverse collection, for which no one title can do full justice. Who might have been responsible for compiling such a miscellaneous collection? Some scholars argue that that the compilers were sages and scribes with an attachment to the wisdom and legal tradition in post-exilic Israel, and that the Psalter was originally a reflective prayer book, not in any way a hymnal of praise and lament. They argue that those psalms which are concerned with the right ordering of the world (Ps 49, 73, 112, 139, for example) exhibit the same interests as those found in wisdom books such as Proverbs and Job. Furthermore, they argue, these and other psalms which claim that the means of attaining that “right order” is through keeping the Torah (as Ps 1, 19B and 119) have been placed in strategic places in the Psalter and this echoes the concerns of the compilers.2 1 This paper is a development of a paper given at the 57th. Colloquium Biblicum Lovaniense in Leuven (2008) that was published as “The Levitical Singers and the Editing of the Hebrew Psalter” in E. Zenger (ed.) The Composition of the Book of Psalms (BEThL CCXXXVIII), Leuven 2010, 91–123. The first part of this paper is an adaptation of an article that has been published as “The Levitical Singers and the Hebrew Psalter” in W.P. Brown, The Oxford Handbook to the Psalms, New York 2014, 201–213 and is printed here by permission of Oxford University Press, USA. 2 Examples of this view include G.T. Sheppard, Theology; J. Reindl, Bearbeitung; J.C. McCann, Psalms; E. Zenger, Approaches; R.N. Whybray, Reading.
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Other scholars contend that an interest in prophecy was uppermost in the minds of the compilers, who organised the Psalter to show that, despite the failure of the monarchy and the status of the Temple under foreign rule, God’s kingdom would soon break in, and all nations would then acknowledge Him as King.3 This would thus explain the later emphasis on the psalms as prophecies. For example, Ps 2, even though it no longer applied to a living Davidic king, was nevertheless preserved because it was to be read in the light of the hope for a coming deliverer: in the Jewish tradition, it was held to be about a figure to come from the Davidic line; in the Christian community, this was Jesus Christ, Son of David.4 The problem with both of these ways of reading the Psalter is that, rather like the use of the term ספר תהיליםor ‘Book of Praises’, they cater for only a small proportion of Psalms. A more wisdom-orientated, didactic approach deals only with some thirty psalms, whilst a more prophetic-orientated reading encompasses perhaps another thirty. But because the Psalter evolved several centuries its interests are bound to be more multivalent than this. The psalms embrace two very different Temple cults, the former more focussed on the king, with national and theo-political interests, and the latter more under the authority of the priesthood and concerned with how to live as a community under foreign rule. It was the task of the compilers to preserve both these concerns, and others besides. So we are left with the question: can we find any one group who might have been interested simultaneously in all these issues and in others as well? Two clues might be found in the liturgical superscriptions to the psalms and the references to singing and musical accompaniment within the psalms. Although comparisons between the Hebrew, the Greek and the Qumran psalms suggest that the superscriptions were not a completely fixed tradition even by the second century BCE, the liturgical titles have few inconsistencies.5 They fall into four categories: the type of a psalm; the tune to accompany it; the instruments to be used; and the role of the leader of worship. Of the psalm types, the most common is ( מזמור57 times), translated in the Greek as ψαλμὸς – a song to music. It is used 35 times in psalms with Davidic headings, suggesting that even personal psalms were used in Temple liturgy. It 3 Examples of this view include J.H. Walton, Psalms; G.H. Wilson, Understanding; D.C. Mitchell, Message; C. Rösel, Redaktion. 4 In the New Testament Ps 2 is used frequently, for example in the accounts of Jesus’ Baptism and the Transfiguration as well as in speeches testifying to Jesus as Messiah in Acts 4.24–31 and Acts 13.17–41. And at Qumran, for example in 4QFlorilegium, Ps 1.1–2.1 are taken together along with parts of 2Sam 7.10–14, Isa 8.11, Ezek 44.10 and Dan 12.10 as a pesher commentary about the restoration of the Temple and the coming figure of the branch of David, the interpreter of the law. 5 See P.W. Flint, Scrolls, 118–134.
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occurs frequently in the Korahite collections (Ps 47, 48, 49, 84, 85, 87 and 88) and the Asaphite collection (Ps 50, 73, 75, 76, 77, 79, 80, 82, and 83). Another common term is ( שירalso meaning ‘song’) which occurs 30 times, 13 alongside מזמור, 15 as a title to the ‘Songs of Ascents’ and twice in the Korahite psalms (45.1 and 46.1).6 Those who argue for the Psalter as either a didactic or prophetic collection have to explain how their view fits with these indicators of the liturgical performance of psalmody. Some psalms suggest hymn tunes: these occur in Books I–III. For example, ‘Do not destroy’ ( )אל תשחתoccurs in psalms with a Davidic heading (Ps 57–59) and in one which is ascribed to Asaph (75). ‘The Lilies of the Testimony’ ( )על שושן עדותis found in psalms with a David heading (Ps 60 and 69) and also in a Korahite psalm (Ps 45) and an Asaphite psalm (Ps 80). Psalm 22, ‘On the Hind of Dawn’ (על אילת )השחרand Psalm 56, ‘To the Dove of the Distant Terebinths’ ( )על יונת אלם רחקיםalso have Davidic headings. Even if these are not hymn tunes, as many commentators contend, but, rather, unknown liturgical titles, they again illustrate that personal psalms could be adapted for musical use; most occur in Asaphite and Korahite psalms. Headings indicating musical accompaniment include references to stringed instruments ( )בנגינותin Ps 4, 6, 54, 55, 67 and 76, an eight-stringed instrument ( )בגינות על השמיניin Psalms 6 and 12, a lyre ( )על הגיתיתin Ps 8, 81 and 84, and a wind instrument ( ּעל מחלתalso in 1 Kgs. 1.40) in Ps 53 and 88. Fifty five psalms have the titles למנצח, usually translated “choirmaster” or “leader”. These occur almost exclusively in Books I–III, again in Davidic, Korahite and Asaphite psalms. The occurrence of both למנצחalongside a Davidic heading in Psalm 18, but not in the duplicate prayer in 1Sam 22, provides evidence of the musical performance of psalms – where David is viewed both as an exemplar of piety and as the founder of Temple music and song. Within the psalms themselves, the references to singing and musical accompaniment are profuse. Ps 30 offers an interesting illustration. Its several superscriptions state that it is a hymn ()מזמור, and also a song for the dedication of the Temple, in honour of David ()שיר חנכת הבית לדוד. Its form, however, suggests not a public hymn but a personal thanksgiving, and its contents reveal not so much an interest in Temple sacrifice as in singing. V.4 calls upon the congregation to ‘sing to the Lord’, and in verse 12 the psalmist vows to ‘sing and give thanks’. A psalm concerned with Temple singing is thus given authority by connecting it with David and the founding of the Temple: this is reminiscent of 1Chron 16, a text considered below. 6 Other headings which are also possibly liturgical include ‘( מכתםhidden’, in Ps 16 and 56–60,) and ( משכילprobably indicating instruction, used in 17 psalms). Again these occur predominantly in Books I–III.
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Other examples of singing and music within the psalms are in the frequent introductions addressed to the assembly to praise the Lord in song (for example, Ps 95.1–2; 96.1–2; 98.1,4–6 and 135.2–3). Often the Temple is actually mentioned: for example, ‘Sing praises to the Lord who dwells in Zion!’ (Ps 9.11); ‘Praise God in his sanctuary!’ (Ps 150.1). Furthermore, accompaniment on stringed instruments is referred to within the psalms as well as in their titles (for example, Ps 33.1–3; 71.22–23; 81.2–3; 92.1, 3). Psalm 92, whose heading shows it has been adapted as a song for the Sabbath ( )שיר ליום השבתhas, like Psalm 30, references to music and singing. Even Psalm 49, whose contents suggest a wisdom psalm about the plight of the righteous, begins with ‘I will solve my riddle to the music of the lyre’.7
2.
A Case for the influence of Levitical Singers in Individual Psalms
This interest in singing and music may well suggest the work of Levitical singers.8 But how convincing is this? When we look outside the Psalms, a supportive text is Chronicles, but more recently this has sometimes been dismissed as “fantasy literature” and thus unreliable.9 Hence initially evidence for the significance of ‘singing Levites’ should be sought elsewhere. One source is Philo, who refers explicitly to the role of the Levitical singers in psalmody.10 Most other references come from the Mishnah. Ta¯mîd 7.4 speaks of seven psalms (Ps 24, 48, 82, 94, 81, 93, 92) being sung by the Levites at the daily sacrifices of the Temple; this corresponds with the additional titles in the Greek over some of these psalms (Ψ 23, 47, 91, 92, 93). Pe˘sa¯hîm 5.7 states that during Passover the Levites sang the Hallel (Ps 113–118), and Bikûrîm 3.4, that Levites sang Psalm 30 at the first fruits of the harvest. Most importantly, in Sukâ 5.4 and Midôt 2.5 the Levites are described as reciting the Songs of Ascents (Ps 120–134) on the fifteen steps of the Temple. Josephus’ Antiquities XX, 9.6 makes a similar point. Although this evidence does not point conclusively to the Levitical singers as compilers of the Psalms, it does illustrate that a tradition about their per7 For a comprehensive account of singing and music in the psalms see J.A. Smith, Psalms. J.A. Smith concludes (that as many as 126 psalms have references to singing and the Temple [see 180f.]). 8 One of the earliest references to the Levitical singers is Saadiah Gaon in his tenth-century Prolegomenon to the Psalms: see the translation by M. Sokolow, Prolegomenon, especially 158–66. See also S. Mowinckel, Psalms (Volume II), 79–84; also 85–103 and 104–125. J.A. Smith, Psalms, 167–169 and M.S. Smith, Compilation also support this theory. 9 One example of this view is S.J. Schweitzer, Utopia. 10 De speciiabus legibus 1.156; taken from M.S. Smith, Compilation, 262.
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formance of psalms in Second Temple liturgy was well established and that at the very least they would have had some influence in any compilational process. Proposing anything about the origins and development of the Levites as singers is undoubtedly difficult, because they assume different roles in different literary traditions: the Priestly writer has a very different view from that found in Deuteronomy, for example, and that expressed in the Deuteronomistic History is again quite different from that in Chronicles or Ezra and Nehemiah. For example, Deut 33 and Gen 49 suggest the Levites were originally a secular tribe, whilst 1Sam 2–3 assumes they created a hereditary priesthood, with Eli, priest of Shiloh, being a descendant through Moses (1Sam 2.27–28). Similarly the Aaronide priesthood traced its ancestry to the Levites through the figure of Aaron (for example in Exod 4.14; 6.20; Num 26.59). Nevertheless, by the Persian period, the testimony – at least that presented by the Chronicler – is clear: the Levites are now simply Temple servants, and any purported secular or priestly status is rarely acknowledged. Their demise might have been due to the rise of the Zadokite priesthood under David (e. g. 2Sam 8.17; 15.24–35; 1Kgs 1.8–45); it could have been caused by centralising policies (e. g. 2Kgs 18.4; 22.8–9) which undermined their role in outlying sanctuaries; it might have been due to a schism with the Aaronide priesthood after the exile (suggested in the priestly legislation in Exod 28.1; 40.12–15); it might even have been due to the increased status of the Zadokite priesthood in second Temple worship, reflected for example in Ezekiel’s programme of reform (Ezek 40.46; 43.19; 44.15).11 Amongst the Levitical Temple servants, the Asaphites seem to dominate: they are the key Temple singers, according to Ezra 2.41, and although no reference is made to them there as Levites, the genealogy in 1Chron 3.33–47 shows that Asaph was a descendant of Gershom, the eldest son of Levi, and so of Levitical descent through this line (see Exod. 6.12–25). 1Chron 15.19 identifies Asaph, Heman and Ethan as singers, and 1Chron 16.4–5 refers to the Levites as singers with the Asaphites taking the lead. The lists in Ezra 3.10–11 and Neh 12.46 also recognize the Asaphites as Levitical singers. Another group of Temple servants were the Korahites: 1Chron 6.16–29 includes Korah as a descendant of Kohath, and so by implication he is also of Levitical descent (as in Num 3.17–20). However, neither Ezra, Nehemiah nor Chronicles have very much to say about the Korahites as singers; outside the genealogies, the main reference to this is in 1 Chron. 26, where they are called gatekeepers.12 However, elsewhere the ‘gatekeepers’ are not specifically named as 11 On the developing role of the Levitical singers see for example M. Goulder, Sons of Korah; id., Asaph’s History, 317–27; id., Psalms of Asaph; H. Gese, Geschichte, 222–234; T. Willi, Leviten, 75–98 and L. Jonker, Psalm Headings, 102–122. 12 See, however, 1Chron 6.22, 31–33, which notes Heman the Kohathite is a singer (Heman also
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Korahites. And although in Nehemiah there is a recognition of “Levites, gatekeepers and singers” (e. g. Neh 7.1, 73; 10.28; 13.5) neither Asaphites nor Korahites are mentioned. But if we are looking for a specific group of ‘Levitical singers’ the Asaphites do seem to be the most likely candidates. 1Chron 16 is a pivotal text. Not only does it use four psalms in its account of the bringing of the Ark to Jerusalem (v.8–22 use Ps 105.1–15; v.23–33 use Ps 96.1–13; v.34 cites Ps 106.1 and 136.1; and v.35–36, Ps 106.46–47), but it also seeks to legitimize the worship of the second Temple through the authority of the Asaphite singers alongside the priests. The authority of Moses-as-lawgiver is enhanced through priestly legislation; and the authority of David-as-psalmist is enhanced through the Asaphites’ singing of psalms.13 This is probably more about contemporary issues of Levitical authority within the Temple than any historical record of Moses or the Davidic monarchy, but it has certainly left its impact on the shaping of the Psalter.14 Furthermore, such is the Chronicler’s interest in the Levites in general that it has often been proposed that he could have been a Levite. As well as promoting the Levites as Temple singers, there is notable interest in their ancestry (1 Chron 6, 15, 23, 24, 25, 26; 2Chron 17, 23, 29, 31, 34, 35); in their authority in instructing the people (2Chron 17, 19); in their role as prophets (for example 2Chron 30.13–19); in their significance in promoting the reforms of Judah’s kings; and in their status alongside the Ark (for example in 1Chron 15.11–16.6; 2Chron 5.4–8; 35.11–19). So although the Chronicler’s view of the Levitical singers is clearly ideological, reinventing the past to make sense of the present, when it is taken alongside other references to the Levitical singers in early Jewish and rabbinical tradition, we can infer that the references to present practices are not entirely “fantastical”. So, in the light of our earlier questions about whether one group of compilers could embrace the multivalent number evident within the Psalter, I shall test this Levitical-singer-hypothesis.
appears in the title to the Korahite Psalm 88). See also 2Chron 20.19 which refers to the Korahites as singers. See T.M. Steiner, Korachiten, 133–160 (in this volume). 13 This is a repeated theme in the psalms, especially evident in the ways in which the psalms have been brought together as Collections within Books, as will be seen below. 14 See for example H.G.M. Williamson, Chronicles, 128; J.W. Kleinig, Lord’s Song, 133–148; H.N. Wallace, Chronicles, 267–291. H.N. Wallace argues that the repetition of ‘( תמידalways’) in 1 Chron. 16.6, 11, 37 and 39 is a way of authenticating present liturgical practices by referring to the past, and so legitimises the role of the Levitical singers through the role of David (see 277). Similarly A. Berlin, Psalms, 23–27 argues that in 1 Chron. 16 the presentation of ‘David-as-psalmist’ is not designed so much to promote the memory of David as to give authority to the Levites. Berlin makes the same point on the use of Ps. 132.8–10 in 2 Chron. 6.41–42, which is about Solomonic rather than Davidic legitimization: “The Chronicler used psalms very carefully, to support and illustrate his view of the Levitical personnel and their songs” (30).
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(1.) If the Levitical singers were the final compilers of the Psalter, the interesting portrayal of the figure of David makes good sense. Just as the Chronicler legitimized the Levites’ status as singers by making them appear to be cofounders with David of the Temple cult, so this legitimization is undoubtedly present in the psalms, albeit with a different twist. The Chronicler achieved this explicitly, through genealogies and a continuous narrative such as 1 Chronicles 16. In the Psalter the Levitical singers achieved this Davidic legitimization, in part, through the superscriptions. David “prays” some seventy three psalms (as seen in the superscription ;)לדודmany of them are personal complaints and laments, although a large proportion – some fifty – with their extra liturgical headings, also suggest some use in Second Temple worship. By making the figure of David an exemplar of piety, and by aligning his piety with cultic practice, the Levitical singers legitimized their own ancient authority as singers of the psalms. This recurs many times in the arrangement of the psalms, as we shall shortly see. Another example of this may be seen in the particular placing of Ps 132. The Ark was an important symbol for the Chronicler, in uniting the authority of Moses with that of David within the Temple cult. Chronicles actually only uses four psalms, each time on public occasions, and in each case this emphasizes the significance of the Ark.15 And it seems that Ps 132 would have also been most important for the Levitical singers: this composite psalm not only supported their own ancient authority, as bearers of the Ark, in laws established by Moses (e. g. Deut 10.8ff.; Deut. 31.25–26), but it was that vital link between the Mosaic cult emanating from Mount Horeb and the Davidic cult from Mount Zion. Hence the inclusion of Ps 132 into the Songs of Ascents (Ps 120–134) is not so much about David bringing the Ark to Jerusalem as about David bringing the Ark to that city, tracing back the worship at Zion to the time of Moses as well as David. In this way we are able to understand those references to David as founder of the Temple cult and paragon of piety in a different light: the figure of David supported the status of the Levites extremely well.16 (2.) If the Levitical singers were indeed the final compilers of the Psalter, this also accounts for the interest in the Torah. The Deuteronomic tradition, according to Deut 17.14–20, placed the king under the authority of the law, and the Levites were to read this law to the people (Deut 31.25–29). In Chronicles, too, the Levites are prominent in the royal reforms – of Rehoboam (2Chron 11.13ff.), Joash (2Chron 23.11ff.), Uzziah (2Chron 26.17ff.) and of course Hezekiah (2Chron 29.5ff.). It was important, given the superiority of the Zadokite priest15 Particular passages involving the role of the Ark include 1Chron 15.11–16.6; 2Chron 5.4–8; and 2Chron 35.11–19. As for the use of relevant psalms, Ps 105, 96 and 106/136 are cited in 1Chron 16 and Ps 132 in 2Chron 6.41. 16 We shall see in Section 3 how Ps 132, within the larger collection of the Songs of Ascents, serves this purpose.
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hood and its associations with the court of David, that the Levites should be seen as reformers of the court, because their authority lay not only with David but also with Moses. This is reflected again and again in the Psalter: Ps 2 has been placed after the Torah Psalm Ps 1; Ps 19 is set between Ps 18 and 20–21, all royal psalms. In Book V, the same effect is achieved by following Ps 118 by the long Torah Psalm, Ps 119. The division of the Psalter into five books, following the books of Moses, bears further witness to this more generally, in aligning the authority of David with that of Moses. The king’s responsibility to keep the law has been emphasized by placing several other royal psalms at critical points in the Psalter: again this would have served the Levites’ purpose very well. Ps 72, at the end of Book II, is ascribed to Solomon, but it is not so much about royal status as about how the king should be committed to pursuing justice and righteousness in the land: it has an interesting ‘mirror image’ with the other psalm associated with Solomon through Bathsheba, Ps 51. Ps 72 would have been an ideal psalm for the Levites’ somewhat critical royal theology. Even Ps 89, at the end of Book III, could also be read in this way. The disappointments expressed in Ps 89.38–52 should be read in the light of v.19– 37, which, taking up the traditions evident also in 2Sam 7, make it clear that the king and his descendents must keep the law: if they do not, that punishment will follow (Ps 89.30–32). The heading over the following psalm, Ps 90 “A Prayer of Moses. The Man of God” (a term also found in Deut 33.1) is another way of advancing the authority of Moses alongside (and perhaps superior to) that of the king to create a new emphasis at the beginning of Book IV.17 (3.) The Levitical singers would also have been concerned about the selection and placing of more general didactic material in the psalms. This means that rather than contending that these psalms originated from professional wisdom teachers or scribes at private, wisdom-influenced gatherings, we could imagine that the locus of such psalms could originally have been the Temple.18 The Chronicler depicts the Levites not only singing but also preaching and teaching the people (see for example Jehoshaphat’s reforms in 2Chron 17 and 19). For the Chronicler, teaching and singing were mutually dependent aspects of ministry in the Temple, and they were frequently performed by the Levites (for example 2Chron 34.12–13). This might therefore offer a different explanation as to why there is so much homiletical material not only in Chronicles but also in the Psalter. If the role of the Levites was both to teach the laws of Moses and to sing the psalms of David, it might explain why didactic psalms such as Ps 49, 73 and 78 17 These connections will all be illustrated further in Section 3 of this paper. 18 Those who see the psalms originating in private gatherings include N. Lohfink, Lobgesänge; E.S. Gerstenberger, Psalter; F.-L. Hossfeld/E. Zenger, Wege; and E. Zenger, Ort; id., Zion.
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have specific Levitical superscriptions and why other so-called wisdom psalms, such as Ps 127, 128 and 139, also have liturgical titles. The most convincing evidence of these Levitical concerns is the didactic purpose of many psalms. An obvious example, referred to at the beginning of this paper, is the horizontal discourse where God is referred to in the third person and the community is addressed instead. Ps 4, 7, 9, 12, 25, 27, 28, 31, 55, 102 and 130 (laments) and Psalms 30 and 32 (thanksgivings) are good examples of this. These psalms debate God’s retributive justice, questioning but usually affirming the more traditional (Deuteronomistic) position of reward and punishment: the Levites – who according to 1Chron 20.3–19 and Neh 9.5 participated in lament rituals – may well have been responsible for their inclusion.19 (4.) Another example of Levitical influence in the compilation of the Psalter is to be found in the attitude to the efficacy of cultic practice. Technical priestly terminology is notably minimal within the Psalms. For example, the most obvious term for sacrifice in the priestly legislation – “( מנחהoffering”) – is rarely used: the only pertinent examples are Ps 72.10 and 96.8, and even here its use in Ps 72 is hardly priestly. Other sacrificial terms occur infrequently: we read of a ‘freewill offering’ ( )נדבהin Ps. 54.6; ‘burnt offerings’ ( )עולתin Ps 20.3; 50.8; 51.19; and 66.13,15; and memorial offerings’ (להזכיר, literally, “for remembrance”) in the titles to Ps 38 and 70.20 Even the Aaronide priesthood is only referred to in a handful of psalms; usually Aaron is referred to alongside Moses without any particular priestly associations.21 The Psalter’s interest in liturgy, in stark contrast with the priestly laws in the Pentateuch, is not so much in what is done by way of ritual and sacrifice as in what is said and sung. And although some psalms do speak of God directly offering forgiveness (e. g. Ps 28.18; 32.1; 65.3; 79.19; 86.5; 99.8; 130.4) the means of attaining it are rarely described. But this does not mean, as some have suggested, that the Psalter is not interested in liturgy: it is, but it has a different perspective, namely that of singing and teaching rather than sacrifice. Calls to the congregation to sing a “new song” ( )שיר חדשare frequent, for example in Ps 33.3; 40.3; 96.1; 98.1; 144.9; 149.1. The spiritualized view of sacrifice sometimes states that God simply requires a “song of thanksgiving” (Ps 26.7; 95.2; 100.4; 147.7), or just a ( תודהPss. 50.23; 95.2; 100.4). On occasions a negative view of sacrifice is 19 See C. Mandolfo, God. 20 The word for festival ( )חגoccurs only once in the Psalter (Ps 118.27). Another reference (Ps 81.3) speaks of “blowing the trumpet at the full moon”, a festal day ( ;)ליום הגנוthis may be the “Day of Remembrance” but specific festivals are not of foremost interest to the psalmists. 21 Ps 77.20; 99.6; 105.26; 106.16; 115.10, 12; 118.3; 133.2; 135.19. Only Ps 115 and 118 (in the Hallel) and Ps 135 are cultic calls to worship which include “the house of Aaron”. This is very different from Chronicles, where Levites and Aaronides work more side by side (e. g. 1Chron 5.28, 32). On this issue see G. Knoppers, Hierodules, 49–72.
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used, but only to emphasize instead the value of a spiritual sacrifice: Ps 40.5–8; 50.7–15, 23; 51.16–18; 69.29–31; 116.17; and 141.2–3 are the obvious examples.22 Far from seeing such passages as censuring the Temple cult and originating from outside it, it is more likely that this is the influence of those concerned to reform the cult from within. The Levites were ideal cultic reformers, according to the Chronicler. (5.) To see the Levitical singers as both editors and compilers might also account for a fifth element in the psalms: the references to the psalmists as poor and needy. Sometimes this assumes a physical dimension, sometimes spiritual, and sometimes both. It is often found in those psalms questioning the value of cultic sacrifice: Ps 40 (v.18), 69 (v.34) and 140 (v.13) are the best examples. So does this suggest a disenfranchised community living far from the Temple? The personal elements in these psalms make it unlikely; it could just as easily be an appropriate term adopted by the Levitical singers, who had been divested of any priestly privileges, and hence of the opportunity to live off the offerings brought to the Temple. They had no inheritance in the land and their livelihood and lifestyle fits admirably the description of being poor and needy.23 This is not to say the Levitical singers composed such psalms, but rather that they sought to include them and set them in strategic places within the collections. For example, they may have deliberately placed royal psalms, which speak of those with power, authority and privilege, alongside psalms of the poor and oppressed. Ps 3 follows Ps 2; Ps 72 precedes Ps 73, and Ps 88 precedes Ps 89. Similarly Ps 17/18, 21/ 22, 101/102, 109/110, and 143/144 fit this pattern.24 This makes it clear that God is as much on the side of those who have no voice but simply trust in Him as he is of those in positions of power. Smaller collections whose major theme is the poor and disenfranchised might also be seen as due to the Levites. Two examples must suffice. The first is in Ps 135–37, a discrete collection in Book V whose common theme is of the longing for security in the land. Ps 135.20 is one of the few specific references to the Levites (“the house of Levi”) in the body of a psalm. Ps 136.14 (“For he is good, for his steadfast love endures for ever”) is a refrain which in Ezra 3.10–11 is ascribed to both the Levites (the “sons of Asaph”) and the priests at the time of the laying of the foundations of the second Temple. And Ps 137, with its longing for Jer22 In some cases their placing at the beginning or ending of a psalm might suggest editorial additions (e. g. Ps 50.23; 51.16–18; 69.29–31: 116.17–19; 141.2–3. Ps 69 offers a good example of this: “I will praise the name of God with a song; I will magnify him with thanksgiving. This will please the LORD more than an ox or a bull with horns and hoofs”. 23 In Deut 18.1–8 the Levites are described as those “with no portion or inheritance” and Deut 14.17,19 and 26.13 makes the same point. For a pertinent discussion of this feature in the Psalter, see J. Bremer, “Armenredaktion”, 181–206 (in this volume). 24 See S. Gillingham, Power, 25–49. This will be illustrated in Section 3 below.
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usalem, has many affinities with the beginning and ending of the more obvious liturgical collection, the Songs of Ascents.25 The second and perhaps most contentious collection is at the end of Book I. Ps 35–41 have frequently been noted for their interest in the piety of the poor, or Armenfrömmigkeit.26 However, liturgical headings are found over each psalm (except for Ps 37 – which, ironically, has perhaps the most developed sense of longing for security in the land of any of these psalms) and this suggests that even these psalms, perhaps compositions originally created far from the Temple, were brought together as a compilation to be used in Second Temple liturgy. Given that their other headings testify to David as the paradigm of piety, it might also explain why in this collection David is not so much the vindicated hero as the righteous sufferer: the Levites, in many ways deprived of privileges, gained advantage by using his piety as their example.27 (6.) Finally, if the Levitical singers did have an important role in the editing and compilation of the Psalter, it also explains the prophetic emphasis in psalmody which was later taken up in the Jewish and Christian use of many psalms. If the actual compilation had taken place in Diaspora communities, far from the Temple, it is difficult to explain not only the many musical headings to the psalms, but also how psalms which were personal reflective prayers were transformed into prophecies affecting the whole community in their eventual fulfillment. The prophetic reading of psalmody which pervades first Jewish, and then Christian tradition, is undoubtedly a more public, David-centred, Temple-centred reading, and the prophetic concerns are better understood by arguing that the Psalter as a whole emerged from the centre of Judaism, not from its periphery. The Levitical singers would have been important mediators in this respect. The Levitical connection with prophecy is given explicit expression by the Chronicler, who has an elevated view of prophecy in general and of the Levites (“prophetic singers”) in particular. The Chronicler had at least two reasons for this. In an age when the living prophetic word was long past, it was important to give the prophetic voice some present manifestation. And by emphasizing that the Levites had been endowed with a prophetic spirit, the Chronicler not only offered a new understanding of prophecy for his own age but also affirmed the contemporary authority of the Temple cult by linking its status back to prophets who worked in the royal cultus. In this agenda the Levitical singers were now the
25 See M.S. Smith, Compilation, 258–263 and especially 260–261. 26 See for example F.-L. Hossfeld/E. Zenger, Armen, 21–50. 27 See J.-M. Auwers, Composition, 150–151, on David as the righteous sufferer.
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mediators of the prophetic word, albeit no longer through living oracles, but rather through teaching and song.28 If the psalms are to be seen as ‘prophetic songs’, creating, through the ministry of the Levitical singers, a bridge between the first and second Temples, this offers an explanation for two different types of prophetic influence in the Psalms. First, it accounts for why earlier oracular material, where God speaks in the “I”-form, has been preserved, a feature explicit in at least eleven psalms and implicit in several others. The fact that the four most extensive examples of this divine speech-form occur in the Asaphite Psalms (Ps 50.5–6, 7–15, 16–23; 75.2–5, 10; 81.5c–10; 82.2–4, 6–7) again points to the influence of these Levitical singers. The fact that four other divine speeches occur in royal psalms fits with the Chronicler’s view of prophetic inspiration ratifying the king’s role in the cult and of the Levites’ role, imbued with the spirit of prophecy, within it. So in the Psalms, as in Chronicles, the promotion of prophetically inspired divine speech from the past gives meaning to the present, especially when neither prophecy nor monarchy is evident. This is hardly “fantasy” literature, even though the selection and use of earlier material might be ideological. Those most likely to communicate this through “prophetic song” are the Levitical singers.29 Secondly, as well as preserving oracular material in individual psalms, with an eye to the past, the Levitical singers brought larger collections together and shaped them with a prophetic bias which preserved not only the past but also looked to the future. It should not be surprising that the two collections where this is most apparent are those of Korah and Asaph. We shall look at the formation of each collection shortly, but it is clear that in the earlier Korahite collection of Ps 42–49 (Book II) are three psalms (Ps 46–48) which declare with the same confidence displayed by the later prophets, that God’s presence is in Zion; and in the corresponding group, Ps 84–88 (Book III) Ps 87 makes a similar proclamation. Turning to the Asaphite collection (which we have already noted has a distinctive prophetic emphasis) it is a prophetic exhortation which heads the list (Ps 50) and introduces the second Davidic Psalter; and in the other eleven psalms in Book III (Ps 73–83), Ps 75 and 76, and then Ps 81 and 82, similarly 28 A.C. Welch, Work, 42–54 saw the Levitical singers as successors to the guilds of prophets. This was developed by, for example, J.W. Kleinig, Lord’s Song, 148–157 and H.-P. Mathys, Prophetie, 281–296. S. Mowinckel. Psalms (Volume II), 93 states: “the prophetic element in the psalms […] also provides evidence that the psalms are derived from the Temple singers, who were so closely linked with the temple prophets that the latter were finally organized as belonging to the guilds and ‘families’ of the singers, as we can see from the Chronicler”. 29 For recent accounts of the relationship between psalmody and prophecy through oracular activity, see for example R. Jacobson, Function, 82–130, who examines Ps 132, 89, 2, 110; 50, 81, 95, 75; 82, 60, 108, 46, 91, 12 for their use of “God quotations”. Although I would propose only eleven such psalms (Ps 2, 89, 110, 132; 75, 82, 81, 50, 95; and Ps 12, 91), I also see the role of the Levites in their preservation and transmission: see S. Gillingham, Wine, 370–390.
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declare in prophetic speech that God is in Zion. It seems that the compilers have arranged these different collections with a clear prophetic bias – the Asaphite collection being more focused on judgement as well as restoration – with the declaration of God being in the Temple being central to each. So in these six ways – the liturgical presentation of David, the interest in the Torah (and the king’s status as it relates to the Torah), the more general didactic emphases, the redefining of cultic practice as (essentially) sacred song, the emphasis on the poor and needy, and the interest in prophecy – we might identify those who collected and edited the Psalter as Levites whose particular role was to provide music, singing and teaching for Second Temple liturgy.
3.
A Case for the Levitical Singers as Compilers of the Psalter
Thus far I have only made a case for the Levitical singers in relation to individual psalms or small collections of psalms, and yet we have noted how pervasive their influence appears to be throughout the Psalter as a whole. Is it possible to view the Levitical singers as the compilers of the entire Psalter – probably in two stages, first of Books I–III and later of Books I–V as a whole? Book I (Ps 3–41) comprises just one collection, that of the so-called First Davidic Psalter. Its most obvious feature is the interest in David as a paradigm of piety by virtue of the Davidic superscriptions which are found over all the psalms except Ps 10 (by its acrostic form, attached to Ps 9), and Ps 33. However, this piety takes on several different forms, as seen in the four different sub-groups in the collection as a whole.30 The well-established sub-group in Book I is Ps 15–24.31 This is a more specifically didactic collection, as seen by the first and the last of these ten psalms (perhaps connoting the Decalogue?) which are responsorial liturgies before entering the Temple. Some of the other psalms also have Temple associations – for example, the end of Ps 22 and 23. There seems to be a deliberate chiastic arrangement here (for example, Ps 17, a lament psalm, mirrors Ps 22, and Ps 16, a psalm of confidence, similarly mirrors Ps 23). The collection has a more public focus: David appears not only as a model of obedient faith but also as a military figure (Ps 18 and 20–21). Ps 19 is set in the heart of the collection, combining a hymn in praise of God’s ordering of nature through his creation of the sun and a didactic psalm reflecting on God’s ordering of Israel through giving her the Torah. So the typical Levitical interests in David, Torah and teaching combine in 30 See J.-M. Auwers, Composition, 43–73). 31 See, for example, F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Berg JHWHs, 166–182; also P.D. Miller, Kingship, 127–142.
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this small collection of psalms: this, then, is one example of a Levitical compilation. We referred earlier to another collection at the end of Book I – of seven psalms united by the single theme of impoverishment, both physical and spiritual. This is of Ps 35–41 at the end of Book I, where the continual concern about the poor and needy was seen to suggest Levitical concerns.32 The Levitical influence in the other two collections in Book I is admittedly less explicit. Ps 3–14 – this time a twelve-psalm collection – also has a creation Psalm (Ps 8) at the heart of it with a similar theme to Ps 19 (God’s order in creation, with humans as the primary agents for maintaining it). The importance of the Zion and the Temple is also found at the beginning and end of this collection (Pss. 3.4 and 14.7). And again other psalms have been included which affirm the importance of the Temple (Ps 5.7; 9:11,14 and 11.4) and the interest in David as the paradigm of piety – obedience in suffering, as all the psalms except Psalm 8 in this collection are lament in form – is evident by way of the psalm titles.33 The other collection in Book I is again of ten psalms: Ps 25–34 is characteristically framed by two similar psalms, although in this case they do not concern the Temple but are acrostics (Ps 25 and 34): these two psalms not only share several linguistic correspondences but they are also linked in their theme of the plight of poor and the justice of God. Ps 26–28 are laments and suggest linguistic correspondences with their counterparts, Ps 30–32 (Ps 30/28; 31/27; 32/26). And placed in the heart of this collection is another hymn to God as Creator ( this time not of the moon and stars, as Ps 8, nor of the sun, as Ps 19 A, but of the storm) this time associating his power and glory with the Temple (v.9). Ps 33, without Davidic heading, stands on its own in this collection. So the deliberate arrangement of psalms, the continued interest in the suffering figure of David, the didactic concerns and the emphasis on the poor and needy undoubtedly suggest the concerns of the Levitical singers here as well.34 These elements are far more evident in Books II and III (Ps 42–72; 73–89). They will be taken together because of the way the various groups of psalms are divided up between the two books. We have already noted that it is likely that the supposed Levitical compilers had a special affinity with the guild of Asaph, and the most significant collection here undoubtedly comprises the twelve Asaphite psalms (Ps 50, 73–83).35 It is unclear why Ps 50, with its typically Levitical pro32 See p. 45 in this paper and footnote 27. 33 For further reflections on this sub-group see F.-L. Hossfeld/E. Zenger, Armen, 34–39; and G. Barbiero Psalmenbuch, 63–188. 34 See F.-L. Hossfeld/E. Zenger, Thronsitz, 375–388); G. Barbiero, Psalmenbuch, 325–541. 35 For the earlier references to Asaph, see p. 39–40 in this paper. Seminal works on these psalms include H.P. Nasuti, Tradition; K. Seybold, Aspaph-Psalmen; M. Goulder, Asaph’s History, 71–81); and D.C. Mitchell, Message, 90–107.
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phetic discourse, has been split off so that it heads the second Davidic Psalter, but the effect is to frame these Davidic psalms with an entire Asaphite collection. Many of these psalms seem quite early, some possibly from a northern provenance; they would have been adapted into the Temple collection at a much later stage. Examples include the references to “Joseph” (Ps 77.15; 78.67; 80.1; 81.5) and “Ephraim” (Ps 78.67; 80.2); the prominence of the Exodus tradition (Ps 77.10–21; 78.11–53; 80.8–11; 81.4–7) along with another Exodus motif of God as Shepherd (Ps 74.1; 77.20; 78.52; 79.13; 80.1; 83.12); and references to “the God of Jacob” (Ps 75.9; 76.6; 81.1,4). Ps 78 is a good illustration of some adaptation, for it speaks of God’s rejection of “the tent of Joseph” and his choice of Judah, and Mount Zion, which he loves (v.67–68). The prophetic spirit, with a focus on the judgement of God, pervades this collection – not only against Israel (Ps 50; 77; 78; 80; 81), but also against Jerusalem (Ps 74; 79), other nations (Ps 75; 76; 83), the impious (Ps 73) and other gods (Ps 82). A nationalistic and military picture emerges – very different from Yehud under Persian rule – which suggests that this is one of the oldest collections in the Psalter, which the Asaphites inherited and arranged in a characteristically specific way. Ps 50 (with its distinctive use of Elohim) has been set apart to introduce the second (Elohistic) Davidic Psalter, and has a close thematic relationship (in its negation of sacrifice) with Ps 51 and, in terms of language, with Ps 80 and 81. Ps 73–83 have been arranged in two parallel collections – Ps 73 and 78 as didactic psalms, Ps 74 and 79; 80 as laments concerning the destruction of Jerusalem. Ps 75–76 and 81–82 are prophetic assurances concerning God’s abode in Zion, and Psalms 77 and 83 mirror one another as individual laments. The Asaphite collection, with its distinctive prophetic emphasis, is perhaps the most significant collection in the Psalter: it has been placed at the very heart of it and seems to include several of the oldest psalms in the overall collection. It illustrates well the adaptation of earlier (pre-exilic) psalmody into second Temple liturgy (a Temple motif is alluded to in every psalm except Ps 75 and 81); it shows a characteristically structured arrangement; and it evinces the dual (prophetic) themes of the judgement of God and yet the confidence in God’s presence in Zion – a theme which is evident in both the first psalm (Ps 50.2) and the last (for example, Ps 83.18, in the reference to “God Most High" – עליוןof Jerusalem). A second significant (albeit interrupted) collection in Books II–III is of the Korahite Psalms. Again this is a collection of twelve psalms (if Ps 42–43 are to be read as one psalm, given their shared refrain): eight (Ps 42–49) are in Book II, predominantly using the term Elohim for God, and four (Ps 84,85,87 and 88) in Book III, mainly using the name Yahweh, suggesting they actually come from two different provenances.36 The affirmation of God’s presence in the Temple is a key 36 Important works on the Korahite Psalms include J.M. Buss, Psalms of Asaph and Korah, 382–
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theme throughout both sub-groups of psalms. Each sub-group has typically been compiled to create a similar structure to the Asaphite collection, with the lament theme introducing and ending each collection (Ps 42–43 and 49; 84 and 88, each pair of which has notable linguistic correspondences) and a communal lament following the first psalms (Ps 44, 85, again with significant linguistic correspondences) and a prophetic response concerning God’s abode in Zion preceding the final psalms (Ps 46; 47; 48; 87). In the heart of each collection is a distinctive psalm focussed on the memory of David – Ps 45 is a wedding song, and Psalm 86 is a non-Korahite psalm with a Davidic heading. Psalm 89 stands outside this collection as it is not specifically labelled as Korahite, but by implication it is linked to this guild of singers through the unusual superscription of Ethan. As we shall see below, it is likely that this psalm was one of the last to be brought into Books I–III, along with Ps 2. The other large collection to consider in Books II–III is the Second Davidic Psalter. These twenty-two psalms are distinguished from the first Davidic collection by the predominant use of Elohim and by their frequent references to singing and music. The persistent use of this name for God, and the connection of these psalms with the Asaphite collection which frames it, may well suggest that this is the oldest Davidic collection in the Psalter, with some of these psalms dating back to the monarchic period, brought together by the Levitical singers by the title David. As well as additional references to “the choirmaster” in the titles, several more explicit musical references proliferate in this collection – for example, superscriptions concerning stringed instruments in Ps 54; 55; 61 and 67 and to possible hymn tunes in Ps 56; 57; 58; 59; 60 and 69. Additional titles to these psalms suggest deliberate clusters on the theme of the suffering yet faithful David. Ps 52–55, all with the additional title משׂכיל, indicate these are didactic psalms concerning betrayal and persecution; Ps 56–60, with the title מכתם, indicate a reflective type of psalm, with theme of refuge in God; most of the biographical details are in these two sets of psalms, linking David’s exemplary faith to the stories in Samuel. And yet these are also psalms to be sung, in memory of David. Ps 62–64, connected by the superscription מזמורalso reflect on the theme of refuge in God (as does Ps 61) and the title here again suggests some liturgical use; so too Ps 65–68 with the title ( ֽשׁירand )מזמורwhere the theme is about God’s rule over the nations. Ps 69–71 form another sub-group on the theme of the innocent sufferer; Ps 69 suggests again that these psalms are now intended to be sung. Ps 51 and 72 are the bookends to this collection – both connected with Bathsheba through David’s guilt and need for forgiveness (Ps 51) and through the Solomonic heading concerning the ideal king executing justice 392; G. Wanke Zionstheologie; M. Goulder, Sons of Korah; M.S. Smith, Compilation, 258– 263); and C. Süssenbach, Psalter.
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in Ps 72.37 The connection between the sufferings (whether deserved or undeserved) of “David” within this collection and the sufferings of the people (similarly whether deserved or not) in the Asaphite (and Korahite) psalms on each side indicates further the Levitical concerns in the shaping of all three collections. Much has been written over the last three decades to argue for the likelihood of Books I–III being compiled and completed some time before the addition of Books IV–V.38 The key themes in these first three books (rather like the key themes used by the Chronicler) include David the innocent sufferer, a paradigm of piety and prayer (as in the two Davidic Psalters) and the Temple as a place of God’s judgement but also a source of hope in its full restoration (as in the Asaphite and Korahite collections). Another theological layer has been introduced by the inclusion of two other older royal psalms at the beginning and ending of Books I–III. Ps 2, without a title, seems to serve as a preface, with its clear theme of the promises to David and his dynasty; Ps 89 (a composite psalm including recitations of the Davidic covenant followed by a lament questioning on why these dynastic promises were revoked) creates a negative and critical account of the monarchy as an institution. Hence David the paradigm of obedience in suffering is also, by the end of Book III, David the prototype of the failed hopes of the people: its more negative tenor fits with the similar tone of the Asaphite psalms, reflecting again the possibility of Levitical concerns throughout the entire process of the growth of Ps 2–89. If any other evidence was needed to suggest that Books I–III were compiled first, it is the very different organizational style evident in Books IV–V. The Levitical concerns and theological themes established in the first three books are still evident; but the emphasis is very different. There is more continual focus on the restoration of the people in Zion, as well as more extended attention given to teaching (again, through hymns and songs) the great Torah traditions of Exodus and Creation, with less prominence given to personal lament forms and to David’s paradigmatic piety. If the Levitical singers were indeed responsible for the compilation of the entire Psalter, those responsible for Books IV and V came along – perhaps generations – after those who were responsible for the first three books.39
37 This account has been largely influenced by C. Süssenbach, Psalter. 38 Seminal works here have been by G.H. Wilson, Editing; id. Understanding. 39 Little has been made thus far of the redactional influence in Books I–III. At this second stage some redaction would have been more likely – perhaps, for example, the inclusion of complete psalms such as Ps 33, as well as insertions of verses and phrases to draw out connections between one psalm and another – but it beyond the purpose of this paper to explore this more tenuous topic in more detail.
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The compilation of Book IV is the most difficult to comprehend of all five books in the Psalter. It has very few superscriptions and the smaller collections seem to have evolved according to subject matter. Were it not for the apparent doxology at the end of Ps 106 it might be possible to perceive Book IVending with Ps 119, thus starting and finishing with an emphasis on Moses (Ps 90) and Torah (Ps 119). It is obvious that this is a further development of the Psalter answering the more negative closure in Ps 89. The introduction to Book IV, with a superscription to Moses at the start of Ps 90, gives an alternative perspective and of course echoes the Levitical interests about the importance of the Mosaic faith alongside the Davidic covenant. Books IVand V both have several instances of the addition of three psalms sharing similar themes (and often linguistic correspondences) before or between larger collections: Ps 90–92, 104–106, 108–110 and 135–137 are obvious examples. The theme of Ps 90–92 is more didactic and pertains to the finitude of humankind, preparing the way for the theme of the eternal rule of God in the Kingship Psalms which follow. Ps 93–100 are the largest collection in Book IV. There are no superscriptions, and they are united by the theme of the Kingship of God: there are several associations here with the same theme found at the beginning of Ps 89 (v.5–18).40 Ps 93–94 introduce the collection with expressions of longing for the establishment of God’s earthly rule; Ps 95–100 imagine the outworking of this rule in reality, beginning with God’s people (Ps 95.6–7) and ending with the whole earth (Ps 100.1–3). Both these psalms share similar shepherding imagery: this evokes the same motif found in the Asaphite psalms. The four psalms in the heart of this collection have been arranged in pairs, with Psalms 96 and 98 concerned with the “new song” (Ps 96.1 and 98.1) and 97 and 99 emphasising God’s rule in Zion. The Levitical interest in Temple worship as singing (over sacrifice) is again evident here: the motif of the “new song” is scattered throughout the Psalter (see for example Ps 40.3, 133.3 and 149.1) and it is a clear focus here. Again each pair of psalms has several key linguistic correspondences, the first pair even have the same refrain (Ps 96.11 and 98.7) and the second pair both personify Zion as rejoicing in God’s coming world rule (Ps 97.8 and 99.2). Within the collection we also find references to the Exodus tradition (for example, in the references to Meribah and Massahim in Ps 95.8 and to Moses and (unusually) to Aaron in Ps 99.6). The interconnection between the Moses-Exodus tradition and the Zion tradition again suggests the Levitical interests already expressed in the Asaphite and Korahite collections, a theme which a is developed throughout the rest of Book IV. 40 See the discussion of the possible extent and purpose of the Kingship Psalms in D.M. Howard, Structure, 108–117.
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Book IVends with another group of three Psalms, each ending with “Praise the Lord” thus meriting them the title of Hallel Psalms (Ps 104–106). As in the Kingship Psalms, the traditions of Creation (Ps 104, with some affinity with Gen 1) and Exodus (Ps 105) and the Wilderness (Ps 106) are key themes here. This trio of psalms has been placed next to another trio, Ps 101–103; the Davidic heading in Ps 101 and 103 and the suggestions of the intimacy and consequences of royal authority in Ps 102 maintain a different theme (a minor theme compared with Books I–III), namely of David as a paradigm of piety. Whether in the contrast of the Exodus and the Zion traditions in the earlier Kingship collection, or in the comparison of the Davidic and Exodus traditions here, the Levitical interest in the arrangement of these psalms is evident.41 Book V similarly illustrates how collections of psalms – in this case one long collection of fifteen psalms, and three shorter ones – were gradually added to create a Psalter with five books. At the heart of Book Vare the Songs of Ascents (Ps 120–134), all marked out by the same superscriptions; the Third Davidic Psalter (Ps 138–145) is also marked out by superscriptions, in this case Davidic ones. Near the beginning and at the end of Book Vare two other Hallel Collections without any psalm titles – the first (Ps 112–118) is mainly on the theme of the Exodus and the second (Ps 146–150) is mainly on the theme of Creation. Just as the Asaphite and Koharite collections clearly show the influence of the Levitical singers, it is also clear that the Songs of Ascents reflect a similar inspiration, and it is the presence of this collection which provides the best evidence of Levitical interest throughout the whole of Book V. We noted earlier how, in later tradition, these psalms were understood to have been sung by the Levitical singers, on the Temple steps.42 The theme at the beginning of this collection, in Ps 120–122, is of “entering Zion” (where the movement is from a foreign land [Ps 120.5] to entry into the city [Ps 122.2]); the theme at the end of the collection, in Ps 133–134, is of “leaving Zion”, where the people are exhorted to remember the blessings they have received in Zion (Ps 133.3 and 134.4). The heart of the collection emphasizes God blessing his people from Zion (Ps 127– 129, made explicit in Ps 128.5 and 129.5). Psalms of lament and confidence (Ps 123–126, with calls to “bless the Lord” in Ps 124.6 and 125.4 and 126.4) and psalms of penitence and trust (Ps 130–131, with calls to Israel to “hope in the Lord” in Ps 130.7 and 131.3) have been placed on each side of the heart of this collection. Thus again we can see a process of structuring psalms which is typical 41 See D.M. Howard, Structure, 200–207 and G.H. Wilson, Understanding, 72–82 on the juxtaposition of the Moses/Exodus and David/Zion traditions in Book IV. 42 See pp. 38–39 (and footnote 10) in this paper. Significant works on the Songs of Ascents include C.C. Keet, Study; K. Seybold, Wallfahrtspsalmen, 247–268; M. Mannati, Psaumes; É. Beaucamp, L’unité; H. Viviers, Coherence; L.D. Crow, Songs of Ascent, 129–187); M. Goulder, Psalms of the return, 20–113; A.G. Hunter, Yahweh, 173–258.
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of other collections. Furthermore, as with Ps 93–100, the importance of singing (above sacrifice) is brought out in these pilgrimage psalms: they would have probably been sung on the way to and from Jerusalem as well as within the Temple courts. Only Ps 132 stands outside this collection: rather like Ps 45 and 86 in the Korahite collection, and Ps 2 and 89 at the beginning and end of Books I– III, and the odd Davidic psalms (Ps 101 and 103 in Book IV) inserted into Book IV, Ps 132 is also a psalm commemorating David. As we noted previously, Ps 132 contains many Levitical concerns about David, the Ark and the Torah, and, despite its obvious differences from the other fourteen psalms in its style and length, it actually fits with the Zion and Temple theme expressed throughout this collection.43 It is typical of the way older material was preserved and given new meaning, a feature particularly evident in the Asaphite Psalms. Here, however, the tenor is very different from the Asaphite collection: there the military (early Holy War) connotations of Zion were given prominence, whilst here the enemies are no longer violent or warring, but are those who oppose the faith of Israel; this suggests, with the exception of Ps 132, a later provenance for the Psalms of Ascents. The Davidic theme found in Ps 132 is developed further in the Third Davidic Psalter (Ps 138–145) and mirrors the shorter collection of three psalms, all with Davidic headings (Ps 108–110) at the beginning of Book V. The return to the theme of David as the model of piety – portrayed here once more as the righteous sufferer – again shows a theme continuously important to the Levites. It is interesting to see that the importance of song above sacrifice is again found in this collection (Ps 141.2–3). The two Hallel Collections (Ps 112–118 and 146–150) form a significant opening and ending to Book V; each is preceded by a small Davidic collection (Ps 108–110 and Ps 138–145), a motif which we also saw in Book IV. The first Hallel group (Ps 112–118) reflects yet again the importance of the Exodus traditions to these compilers – a theme which was seen in the Asaphite collection and in Ps 93–100 – although here the Exodus is used to emphasize restoration rather than judgement. The final Hallel group (Ps 145–150) demonstrates the importance of hymns of creation (which we noted were evident in the use of Ps 8; 19 A and 29 in the smaller collections in Book I and in the use of Ps 104 in Book IV).44 It also highlights yet again the importance of singing above sacrifice, themes prominent in the second Davidic Psalter and in Ps 93–100. The purpose of these two Hallels – emphasizing the God who rescues and the God who restores – 43 See p. 40 in this paper and also footnote 14. 44 On the significance of these two Hallels in the Psalter, especially Ps 145–150, see M. Millard, Komposition, 34–35, 108–09 and E. Zenger, Composition,77–102 and the response by P.D. Miller, End, 103–110.
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add to the more hopeful and upbeat tenor of this final book of the Psalter which contrasts starkly with the earlier ending to Books I to III in Ps 89. Another trio of psalms includes Ps 137: its theme of lament over the loss of Jerusalem links it back to the Zion theme in the Song of Ascents. However, as we noted earlier, Ps 135–137 as a whole serve a similar purpose in Book V to Ps 35–41 in Book I: these psalms are concerned with the theme of physical and spiritual poverty and the plight of being landless – again, another typically Levitical theme.45 Leaving aside two other psalms which stand outside any collection (Ps 107 and 111), the only significant psalm in Book V is Ps 119. It is unique within the Psalter in terms of its style and length, but it has some affinities with other psalms in being an acrostic, as well as in its focus on Torah (and its many synonyms), and its suitability for private teaching and reflection. It has been placed between the Ps 112–117, with their Exodus/Moses theme, and Ps 120–134, with their Zion/ David theme. Coming immediately after Ps 118, with its motif of a Davidic royal figure entering Jerusalem in victory on a festal day, its setting is hardly accidental. Exodus and Torah (Ps 112–117; 119) David and Torah (Ps 118 and 119) and Torah and Zion (Ps 119 and 120–134) are all evident here; again these complementary themes maintained throughout Books IVand V, illustrate well the concerns of the Levitical singers. This leaves only one other psalm whose position requires some explanation: this is Ps 1. This short psalm encapsulates the same themes as Psalm 119, and yet says in six verses what the Ps 119 says in one hundred and seventy six. In my view Ps 1 was placed by the Levitical singers as a prologue to the entire Psalter; it suggests several complementary themes with Ps 2 (rather like the coupling of Ps 118 and 119), not least in the way in which the Torah of Moses and the Covenant with David create a (now familiar) complementary pair. If this was indeed the final psalm to be added, its personal and more exclusivist reflections on the Jewish faith also give it a remarkable contrast with the more public and inclusivist hymnic expressions found in Ps 150. The Psalter, whose composition and compilation grew over centuries, is not about one theological theme but many. The Levitical singers, who traced their ancestry back to the time of Moses (and hence long before the beginning of the royal cult and its psalmody), and who gradually acquired some liturgical status in second Temple liturgy, also were interested in not one theological theme but many. Their particular Davidic interests, their interests in Moses and the Law, their concerns to teach and preach through music and song, their emphasis on singing above sacrifice, their identification with the poor and needy, their af45 See p. 40 of this paper and footnote 13, citing M.S. Smith, Compilation, 258–263 and especially 260–261.
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firmation of God’s promises for Zion linked to the traditions of both Creation and the Exodus, and their interest in the voice of prophecy alongside the human voices of prayer – all these interests merge and meld in the various collections in the five books of the Psalter. I can think of no more likely candidates for the complex compilation process of the Psalter than the Levitical singers.
4.
Conclusion
Perhaps one final word is necessary as to why the Levitical singers were so interested in maintaining the central use of psalmody throughout the Second Temple period. Through “Temple song” an immediate link was made with the first Temple, founded by Solomon but whose roots went back to David. And through teaching the Torah through the Temple songs this bond went back beyond David to Moses. Temple worship was a unique way of expressing the unity of the people whose covenants were expressed not only through David but also through Moses. In all these themes, the Psalter was a most important rallying point: like the Torah, it was an identity marker under foreign domination. The editors and compilers of the five books of the Psalter had, of course, a good deal to gain from this: the once marginalized Levitical singers, by claiming the authority of David as well as Moses, would have been able to maintain their own position in the Temple courts. The issue we have been considering is therefore not only about how the Levitical singers might have compiled the Psalter, but why they did it.
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Martin Leuenberger
Die Jhwh-König-Theologie der formativen Psalter-Redaktion und ihre Trägerkreise
Der methodisch und sachlich diffizilen Frage nach den Trägerkreisen des Psalters soll sich einleitend eine kurze rezeptionsgeschichtliche Betrachtung annähern (siehe 1.), um daran eine forschungsgeschichtliche Standortbestimmung und methodische Reflexion anzuschließen (siehe 2.). Entsprechend zur dort auszuführenden methodischen Grundeinsicht, dass sich nur aufgrund einer präzisen Beschreibung der theologischen Konzeptionen nach den korrespondierenden (pragmatischen) Funktionen und (soziohistorischen) Trägerkreisen zurückfragen lässt, kommt dann die im Folgenden im Zentrum stehende formative Psalter-Redaktion mit ihrer Jhwh-König-Theologie in den markantesten Umrissen zur Sprache (siehe 3.); so können schließlich im Bemühen um methodische Transparenz und sorgfältige Sachabwägung ausführlichere Überlegungen zu den Trägerkreisen angestellt werden (siehe 4.), die eine (proto)asidäische Verfasserschaft wahrscheinlich machen, während – entgegen einem beachtlichen Forschungstrend – (levitische) Tempelsänger am Tempel selbst oder in großer Tempelnähe als Trägerkreise kaum in Frage kommen (siehe 4.3. und 5.).
1.
Rezeptionsgeschichtliche Annäherungen
Wenn man sich der Frage nach den Trägerkreisen der Psalmen und des Psalters in einem einführenden Blick von frühen rezeptionsgeschichtlichen Perspektiven her annähert, so gibt ein mehrstimmiger, recht harmonischer Chor, aus dem zwei Stimmen zitiert seien, eine klare Antwort.
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(1) Zum Einen konstatiert der Midrasch Tehillim gleich zu Beginn (MTeh zu 1,1) 1: … את מוצא כל מה שעשה משה עשה דוד … משה נתן חמשה חומשי תורה לישראל ודוד נתן חמשה ספרים שבתהלים לישראל משה בירך לישראל באשריך ודוד בירך את ישראל באשרי Du findest: Alles, was Mose getan hat, hat auch David getan. […] Mose hat Israel die fünf Fünftel der Tora gegeben und David hat Israel die fünf Bücher der Psalmen gegeben. […] (Es folgen die büchereröffnenden Versanfänge Ps 1,1; 42,2; 73,1; 90,1; 107,2). Mose hat (also) Israel mit ‚Wohl dir‘ (Dtn 33,29) gesegnet, und David hat Israel mit ‚Wohl (dem, der …)‘ gesegnet.
Der frühestens aus dem 3. Jh. stammende, vermutlich aber erheblich jüngere2 Midrasch zu Psalm 1 bringt eine – bereits im Psalter selbst angelegte (siehe Ps 1 als Bucheröffnung) – kanontheologische Pointe prägnant zum Ausdruck: Der Psalter stammt von David, und er steht vor allem in gleichwertiger Entsprechung neben der Tora Moses, sodass man zuspitzend von der Tora Davids sprechen kann, als deren Verfasser eben David gilt. Vom biblischen Psalter her lässt sich ergänzen, dass die mosaische Tora weder heilsgeschichtlich noch eschatologisch verlängert, sondern im Rahmen der vielzeitigen Königsherrschaft Jhwhs auf die je alltägliche, gegenwärtige Lebenswelt der – implizit von David unterschiedenen, aber mit ihm sprechenden – Psalmentradenten und -beter hin aktualisiert wird. (2) Zum Anderen gilt es die große Psalmenrolle aus Qumran (11QPsa) zu nennen, die in der sog. David’s Composition (11QPsa 37,2–11 [Sanders: Kol. 27,2– 11] 3) stärker auf David als prophetisch inspirierten und göttlich legitimierten Verfasser von Psalmen und Liedern abhebt: 2
Und David, der Sohn Isais, war weise und ein Licht wie das Licht der Sonne, (und) ein Schriftsteller (wswpr), 3und verständig und vollkommen auf allen seinen Wegen vor Gott und den Menschen. Und es gab 4Jhwh ihm einen verständigen und erleuchteten Geist. Und er schrieb (ktb) Hymnen (thlym): 53600, und Lieder (sˇyr) zum Singen vor dem Altar über dem Brandopfer 6des täglichen Tamid-Opfers für alle Tage des Jahres: 364, 7und für die Opfergabe an den Sabbaten: 52 Lieder, und für die Opfergaben an den Monatsersten 8 und für alle Festtage und für den Versöhnungstag: 30 Lieder. 9Und (so) waren alle Lieder, die er gesprochen hatte: 446. Und Lieder 10zum Spielen an den Schalttagen (bzw. auf Saiteninstrumenten bzw. über den Besessenen): 4. Und es war (so) das Ganze: 4050. 11 Alle diese sprach er (dbr) in Prophetie (bnbwh), die ihm vom Höchsten gegeben wurde.
1 Siehe M. Buber, Midrasch, 3; W.G. Braude, Midrash 1, 5; T. Hansberger, Mose, 36f. 2 Siehe dazu knapp G. Stemberger, Einleitung, 315f. (Lit.). 3 S. zum Text M. Kleer, Sänger, 289–301 (der allerdings futurisch übersetzt); zur Rolle insgesamt siehe M. Leuenberger, 11QPsa (Lit).
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Die kompositionell (durch die vorangehende Rahmung von Ps 101/2Sam 23) und formal (als einziges Prosastück) hervorgehobene Passage formuliert als metatextlicher Kolophon die vermutlich redaktionelle Leseanweisung für den 11QPsaPsalter: Dieser stellt – zusammen mit einer Vielzahl weiterer Psalmen, darunter auch das uns als masoretischer Psalter überlieferte Buch (Z.5ff. [siehe besonders die 3600 thlym]) – das Vermächtnis und Testament Davids dar, das dieser als auf allen Wegen verständiger und vollkommener (Z.3), mit prophetischem Geist begabter (Z.4.11) Autor verfasst hat (siehe swpr Z.2; ktb Z.4; dbr Z.11). Die rezenten Psalmen-Trägerkreise, die auch die große Psalmenrolle redigieren, berufen sich also explizit auf die davidische Verfasserschaft und nehmen damit für ihre eigene Redaktions- und Editionstätigkeit zugleich die profiliert herausgestellte Autorität Davids in Anspruch. (3) Die beiden Beispiele lassen sich in einen übergreifenden Prozess der „Davidisierung“ einordnen, für den die – im Rahmen von Traditionsliteratur völlig unproblematische, ja sich geradezu aufdrängende – Orientierung an David, der immer stärker als autoritativer Verfasser erscheint, charakteristisch ist.4 Damit liegt zwar eine klare Position bezüglich des ursprünglichen Trägers qua Verfasser des Psalters vor; es tritt aber unübersehbar hervor, dass es dabei weniger um eine historische Rückführung geht als um eine theologische Legitimierung der jeweiligen Psalmen und Psalter durch die rezenten Trägerkreise, die (bes. in 11QPsa) lediglich als Zeugen der Tradition auftreten und über die nur aus der Analyse der theologischen Konzeption nähere Aufschlüsse zu gewinnen sind. Mit dieser traditionellen theologischen Antwort für den vorliegenden Psalter begnügen sich die heutigen historischen und literaturgeschichtlichen Fragestellungen, denen auch im Folgenden nachgegangen wird, nicht mehr. Mitzunehmen lohnt sich dabei die Beobachtung, dass es auch bei der Frage nach den Trägerkreisen mitentscheidend ist, den damit verbundenen Zweck, das erkenntnisleitende Interesse zu klären. Wenn wir uns nun eigenen Erkundungen nach den wahrscheinlichen Verfassern des Psalters bzw. seiner letzten Entstehungsphasen zuwenden, ist zu fragen: Was lässt sich über die entsprechenden Trägerkreise auf dem heutigen Forschungsstand mit welcher Genauigkeit und in welcher Hinsicht mit ausreichender Plausibilität erschließen?
4 Siehe zum Ganzen: M. Kleer, Sänger; jetzt auch F.-L. Hossfeld, David.
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2.
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Forschungsgeschichtliche Aspekte und methodische Einsichten
Seit dem Aufkommen der historischen Forschung auch am Psalter ist der oben illustrierte vorkritische Konsens über die davidische Verfasserschaft des Psalters bekanntlich zerfallen.5 Zugleich hat sich die Frage nach den Trägerkreisen von Psalmen und des Psalters insgesamt in methodischer Hinsicht mehrfach ausdifferenziert, wie einige forschungsgeschichtliche Schlaglichter verdeutlichen sollen.
2.1.
Grundlegende Alternativen: Hermann Gunkel und Sigmund Mowinckel
Bis heute entscheidende Alternativmodelle auch bezüglich der Trägerkreise haben – z. T. unter Aufnahme älterer Ansätze – bei H. Gunkel und S. Mowinckel pointierte Gestalt gefunden:6 (1) Auf frühe Vorstöße H. Gunkels reagierend insistierte S. Mowinckel dezidiert darauf, dass die Einzelpsalmen – in Entsprechung zum Psalter insgesamt als Gesangbuch des 2. Tempels – nahezu durchgängig kultisch-liturgische Texte darstellen. Denn wie „der Psalter uns als Gesangbuch des Kultes des Zweiten Tempels überliefert und ohne jede Frage als solches im Gebrauch gewesen ist“7, ergeben auch S. Mowinckels Analysen einzelner Texte, dass „die Psalmen ihrer Hauptmasse nach nicht private, ursprünglich nichtkultische Dichtungen, sondern wirkliche, echte Kultlieder sind“8. Und zwar gilt dies, wie er auch später noch festhält, nicht nur für die Verwendung der Psalmen, sondern auch für deren Entstehung: „It is a fact that the great majority of psalms are truly cultic psalms which were also composed to be used in the temple service“9.
Für die Trägerkreise qua Psalmenverfasser bedeutet dies: „Die meisten Psalmen des Psalters werden von den Tempelsängern gedichtet worden sein; anderer Ursprung ist seltene Ausnahme“10. Näherhin optiert S. Mowinckel aufgrund des ‚Armen-Kolorits‘ bereits für die „niederen Tempelbeamten“11. Damit liegt ein bis in die Gegenwart hinein nachwirkender Vorschlag auf dem Tisch.12 5 Vgl. dazu bereits den instruktiven Überblick von W.M.L. de Wette, Psalmen, 11ff. 6 Vgl. dazu besonders E. Zenger, Psalmenforschung; E. Zenger, Psalter als Buch. Die vorangehende Auslegungsgeschichte kann hier nicht weiter abgehandelt werden. 7 S. Mowinckel, Psalmenstudien 6, 27. 8 S. Mowinckel, Psalmenstudien 6, 28 (dort gesperrt); die Passage wird übrigens von H. Gunkel / J. Begrich, Einleitung, 442f. zitiert. 9 S. Mowinckel, Israel’s Worship 1, 202, siehe 111ff. zu den wenigen (nämlich elf) Ausnahmen. 10 S. Mowinckel, Psalmenstudien 6, 65. 11 S. Mowinckel, Psalmenstudien 6, 64.
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(2) Demgegenüber haben H. Gunkel und sein Schüler J. Begrich mit einem erheblichen Anteil an Psalmen gerechnet – es fällt die Zahl 40 –, die einen nichtkultischen Ursprung besitzen und „geistliche Dichtung“ darstellen13, auch wenn sie dann sekundär „im Tempel aufgeführt“ worden und so im Psalter „als Tempelgesangbuch erhalten“14 sind. Als wegweisend auch in Bezug auf die Trägerkreise erweist sich hier die doppelte Unterscheidung zwischen dem Einzelpsalm und dem Psalter einerseits und zwischen der ursprünglichen Funktion eines Psalms und seiner späteren Verwendung andererseits.15 Näherhin macht H. Gunkel sogar eine Doppelbewegung aus: Klar ist für ihn – und dies gilt bis heute –, „daß die älteste religiöse Dichtung Israels ein Stück des Gottesdienstes gewesen ist“16, es sich also um „kultische Dichtung“ handelt (1940), die von Priesterkreisen gepflegt worden ist (siehe 1940f.). Weil aber „die meisten der uns erhaltenen P. nicht zur Kultusdichtung [gehören]“ (1941), sind offensichtlich „aus Kultusliedern ‚geistliche Gedichte‘ geworden“ (1941), was nach H. Gunkel unter dem Einfluss der Prophetie in der mittleren Königszeit – also noch vorexilisch – stattfand (siehe 1942), während „das Exil in der Geschichte des Psalmenstils keinen, jedenfalls keinen wichtigen Einschnitt bedeutet“ (1942, dort gesperrt). Auch in nachexilischer Zeit kamen im Geist der Prophetie die „z. T. ganz individuellen und subjektiven Lieder“ (1942) hinzu; verfasst wurden sie vorab von den „Armen, Elenden, Demütigen“ (1945), die nach H. Gunkel „nicht nur […] zwei soziale Gruppen, sondern zugleich […] zwei religiöse Parteien“ darstellen (1945), weshalb sich H. Gunkel wohl mit voller Absicht kaum näher über die Trägerkreise äußert. Diese geistlichen Lieder sind in einer zweiten Bewegung „dann im Tempel aufgeführt worden und uns so als Tempelgesangbuch erhalten“ (1942) geblieben.
H. Gunkel hat also den Psalter ebenfalls als Gesangbuch des zweiten Tempelkults gefasst, sich bezüglich der Trägerkreise aber weitgehend ausgeschwiegen. Sein Schüler J. Begrich ging zumindest einen halben Schritt weiter und würdigte auch die von B. Duhm u. a. vertretene Gegenposition, dass der Psalter jenseits des Kultes zu verorten sei17 und „ein religiöses Volksbuch“ darstelle, das „zur Erbauung und Andacht der Laien“18 bestimmt gewesen sei; für die Trägerkreise 12 Siehe namentlich S. Gillingham, Zion Tradition; S. Gillinghem, Levitical Singers und S. Gillingham in diesem Band 35–59. 13 Siehe Gunkel / Begrich, Einleitung, 444.446. Im vorliegenden Rahmen spielt es keine wesentliche Rolle, dass § 13 aus der Feder J. Begrichs stammt, zumal dieser sich auch hier stark an H. Gunkel orientiert hat, der die wesentlichen Linien schon zuvor ausgezogen hat (siehe im Folgenden und zu den geistlichen Liedern H. Gunkel, Art. Psalmen, 1941ff.). 14 Gunkel, Art. Psalmen, 1942. 15 Siehe Gunkel / Begrich, Einleitung, 444f. 16 H. Gunkel, Art. Psalmen, 1940 (darauf beziehen sich die folgenden Seitenzahlen im Text). 17 Siehe B. Duhm, Psalmen, XXVI: „Ein großer Teil der Psalmen ist wahrscheinlich überhaupt niemals am Tempel gesungen worden“. 18 Gunkel / Begrich, Einleitung, 445 in Aufnahme von B. Duhm, Psalmen, XXVIf., der näherhin an die private Devotion, den häuslichen Gottesdienst oder den Gebrauch in der Synagoge denkt.
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und „letzten Herausgeber des Psalters, die ihn in die Laienwelt brachten, muß man daher nicht etwa die Priester, die Funktionäre des Tempels, sondern die Schriftgelehrten halten“19. Damit liegen die beiden mit gewissen Verschiebungen bis heute relevanten Alternativpositionen auf dem Tisch: Der Psalter gilt als kultisch-liturgisches Gesang- und Gebetbuch des zweiten Tempelkultes (und später dann des Synagogengottesdienstes), das von tempelnahen Priestern oder Sängern zusammengestellt (und später dann von den Rabbinen verwendet) wurde.20 Oder aber der Psalter stellt ein (zunächst in Abgrenzung vor allem negativ bestimmtes) nicht für den offiziellen Kult- und Liturgiegebrauch bestimmtes, sondern (positiv formuliert) ein vorab für den alltäglichen „Privatgebrauch“ konzipiertes Gebet-, Erbauungs- oder Meditationsbuch – gegenwärtig spricht man gerne pointiert von einem Lesepsalter – dar, das von (tempelunabhängigen) Schriftgelehrten geschaffen wurde.21 J. Begrich selbst hat es negativ bei einem non liquet belassen22 bzw. positiv aufgrund allgemeinerer Überlegungen zum Entstehungszeitraum des Psalters für eine kombinierende Vermittlungslösung dergestalt optiert, dass „die abschließende Sammlung der Psalmen der kultischen wie der geistlichen Psalmdichtung Rechnung getragen habe“23.
2.2.
Zwei neue Forschungstendenzen: Nachkultische Psalmen und redaktionsgeschichtliche Einbettung
Die skizzierte Alternative wirkte in der Folge schulbildend und beherrschte die Forschung des 20. Jh. über Jahrzehnte. Erst durch zwei neuere Forschungstendenzen seit den 1970er Jahren ist Bewegung in die starren Fronten gekommen und haben sich die Gewichte – m. E. nachhaltig und mit Recht – zugunsten der zweiten Position verschoben, die sich aber ihrerseits weiter entwickelt hat: (1) Zum Einen hat sich zunehmend und für eine wachsende Zahl von Psalmen und zumal Psalmensammlungen die Einsicht durchgesetzt, dass ihr genuiner Sitz im Leben jenseits von Tempel und Kult liegt. Im Gefolge H. Gunkels 19 Duhm, Psalmen, XXVII. 20 So etwa H.-J. Kraus, Psalmen, 13.29, der vom Psalter als „¸Lieder- und Gebetbuch der nachexilischen Gemeinde‘“ spricht, das wesentlich von „nachexilischen Kultkreise[n]“, genauer den Leviten, zusammengestellt wurde. 21 Siehe zu dieser heute mit Recht dominanten Position in neuerer Zeit erstmals eingehend N. Füglister, Verwendung. 22 Siehe Gunkel / Begrich, Einleitung, 446. 23 Gunkel / Begrich, Einleitung, 447, siehe aber die Überlegungen auf S. 452 in Richtung auf „ein A n d a c h t s - u n d H a u s b u c h für den frommen Laien“ (siehe auch S. 455).
Die Jhwh-König-Theologie der formativen Psalter-Redaktion und ihre Trägerkreise
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leisteten hier – um nur zwei frühe, herausragende Beispiele zu nennen – F. Stolz und J. Reindl bahnbrechende Pionierarbeiten. F. Stolz hat in einer knappen Skizze auf das „Phänomen des ‚Nachkultischen‘“24, das weniger zeitlich als vielmehr sachlich zu verstehen ist, aufmerksam gemacht und es konkret anhand der Transformationen von Kultpsalmen jenseits kultischer Wirklichkeitsdeutungen nachgezeichnet. Diese Vorgänge implizieren grundlegende Veränderungen im Blick auf den Sitz im Leben solcher Psalmen sowie deren Trägergruppen, welche Probleme auch gegenwärtig noch höchst virulent sind. Als methodisch leitend erweist sich dabei eine inzwischen weithin anerkannte Kritik am ursprünglichen Grundpostulat der Formgeschichte, dass sich jede Textform (bzw. -gattung) exakt einem einzigen Sitz im Leben zuordnen lasse. In vergleichbarer Weise hat J. Reindl argumentiert und dies für Ps 1 konkretisiert. Er hält fest: „An der Spitze des Psalters steht kein Text, der auf die Liturgie als ‚Sitz im Leben‘ hinweist, sondern ein weisheitliches Lehrgedicht“25. Hier zeigt sich also eine „Benutzung von Texten, die formal liturgische Gesänge sind […] [,] als Unterweisungs- und Meditationsbuch“26.
Derartige Neuverwendungen – und darüber hinaus auch prominente Neuschaffungen – erfolgen oft für einen literarischen Horizont; entsprechend wiesen sie einen ‚Sitz in der Literatur‘ auf und gehen auf schriftgelehrte Trägerkreise zurück. Dies betrifft nun nicht nur Einzelpsalmen, sondern mehr noch größere Psalmengruppen und Teilpsalter, womit wir bei der zweiten Forschungstendenz angelangt sind. (2) Die Rede ist vom Aufkommen weitgreifender redaktionsgeschichtlicher Modellbildungen für den Psalter und seine Teile, die F.-L. Hossfeld zusammen mit E. Zenger seit Beginn an vorderster Front vorangetrieben hat. Dieser mittlerweile einigermaßen stark verästelte Forschungszweig hat sich mit unterschiedlichen Ausprägungen zu Recht weitherum etabliert. Im vorliegenden Zusammenhang ist dabei wichtig, dass sich im engeren Sinne redaktionsgeschichtliche Fragestellungen unauflösbar mit kompositionsgeschichtlichen Zugängen verbunden haben: So rücken die vielfältigen Querbezüge und übergreifenden Strukturen ins Zentrum, die den Psalter im Gegensatz zum 24 W.M.L. de Wette, Psalmen, 18, siehe besonders 18ff.72ff.; bereits F. Stolz hat das Schlagwort des Nachkultischen problematisiert und dessen Grenzen gesehen, die jedoch der heuristischen Erschließungsleistung keinen Abbruch tun (siehe F. Stolz, Psalmen). Vgl. weiter etwa auch K. Seybold, Einführung, 29ff.77ff. 25 J. Reindl, Psalm 1, 44, wobei er im Unterschied zur heute üblichen Auffassung (siehe jetzt F. Hartenstein / B. Janowski, Psalmen, 18f.45ff. [ Janowski]) mit einem älteren Einzelpsalm rechnet. 26 J. Reindl, Psalm 1, 49; siehe zum Ganzen auch J. Reindl, Bearbeitung.
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Martin Leuenberger
klassischen Verständnis als zufälliges Arrangement von Einzeltexten27 nunmehr als kunstvolle literarische Buchkomposition erschließen28. Daraus ergibt sich eine starke Affinität zur Deutung des Psalmenbuchs als Lesepsalter, der eben keine kultisch-liturgische Funktion besitzt, sondern literarisch als Meditationsbuch (für eine relativ breite Palette von Anwendungen) verwendet wird. Mit diesem Zugang verbindet sich in aller Regel die – im Einzelnen variierende – Hypothese einer formativen Psalter-Redaktion, die den vorliegenden Psalter geschaffen hat. Während sich über Kernelemente dieser literarischen Komposition und theologischen Konzeption mittlerweile gewisse Konsenslinien abzeichnen (siehe unten 3.), ist die Diskussion über die dahinter stehenden Trägerkreise – aus guten methodischen Gründen, auf die noch zurückzukommen sein wird – über Ansätze noch nicht hinausgekommen. In diesem komplexen Problemfeld bewegen sich denn auch die folgenden Überlegungen.
2.3.
Zwischenbilanz
Zuvor will ich jedoch versuchen, die skizzierten forschungsgeschichtlichen Aspekte in inhaltlicher und methodischer Hinsicht knapp zu bündeln: (1) Es hat sich auf breitester Basis gezeigt, dass zwischen der ursprünglichen Entstehung, gegebenenfalls der sukzessiven Bearbeitung sowie der späteren Verwendung von Psalm(teil)en und Psalmengruppen sorgsam unterschieden werden muss. Auch wenn eine detaillierte Redaktionsgeschichte des gesamten Psalters erst noch zu schreiben ist, lässt sich der grundsätzliche Sachverhalt nicht bestreiten. (2) Eine entsprechende Differenzierung gilt es auch für die zugehörigen Sitze im Leben und in der Literatur vorzunehmen, wobei der Psalter nach einem soliden neueren Konsens sowohl kultische Psalmen als auch nicht- bzw. nachkultische, namentlich literarische Psalmen umfasst (dabei lassen sich der Sitz im Leben und die Form oft nicht eindeutig korrelieren, weil sowohl Gattungen als auch konkrete Textformen – wie Mehrfachverwendungen belegen – eine gewisse Situationsoffenheit und entsprechende Polyvalenz besitzen können). D. h., wir finden im Psalter die beiden klassischen Alternativen einerseits von S. Mowinckel und andererseits von H. Gunkel bzw. radikaler noch B. Duhm nebeneinander vor: Sie schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern verhalten sich komplementär zueinander. Das kann für ein und denselben Psalm gelten (prominente Beispiele finden sich etwa unter
27 Demnach wäre der Psalter schlicht „durch das allmähliche Versiegen des Traditionsstroms“ entstanden (so C. Levin, Psalm 136, 17f.). 28 Vgl. statt vieler F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Buch der Psalmen, 431ff.444ff.
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den Königspsalmen29); es trifft darüber hinaus aber vor allem auch für zahlreiche Psalmengruppen und Teilpsalter zu. Dabei lassen sich vielfältige Wandlungen und Übergänge erkennen, die man redaktionsgeschichtlich zu rekonstruieren und in Bezug auf die jeweiligen Sitze im Leben/in der Literatur mit zugehörigen Funktionen auszuwerten versuchen kann. Aufs Ganze zeichnet sich in jüngster Zeit eine breite Tendenz ab, für den werdenden Psalter zunehmend mit nicht-liturgischen, sondern auf die lebenspraktische Frömmigkeit zielenden Abzweckungen im Rahmen eines literarischen Lesepsalters zu rechnen.30
(3) Ebenso differenziert muss schließlich nach den dahinter zu erschließenden Trägerkreisen – den (meist kollektiven) Verfassen, Redaktoren und Tradenten – von Psalmen, Psalmengruppen, Teilpsaltern sowie des Gesamtpsalters gefragt werden. Dies soll im Folgenden für die Jhwh-König-Theologie der formativen Psalter-Redaktion unternommen werden; dabei gilt es, auch gängige Zuschreibungen, namentlich zu einer tempelnahen Schultheologie oder einer levitischen Tempelsängerschaft, anhand textgestützter Beobachtungen und Erwägungen kritisch und ergebnisoffen zu überprüfen. (4) Die methodische Hauptimplikation für die Frage nach den Trägerkreisen besteht entsprechend darin, dass die Trägerkreise sich nur indirekt und vermittelt über die theologische Konzeption des jeweiligen Psalter(bereich)s und über deren funktional-pragmatischen Sitz im Leben/in der Literatur erschließen lassen. Denn so unabdingbar eine historische, religions- und theologiegeschichtliche sowie sozialgeschichtliche Verortung für ein angemessenes Verständnis auch der Psalmen und des Psalter ist, so unabdingbar bleibt eine solche Kontextualisierung auf die Basis und Grundlage der überlieferten Texte angewiesen: Verorten und kontextualisieren lassen sich nur hinreichend präzis beschriebene Texte und die daraus gezogenen Folgerungen in Bezug auf Funktionen und Trägergruppen. Friedhelm Hartenstein hat diesen Sachverhalt wie folgt auf den Punkt gebracht: „Der sozialgeschichtliche Kontext der alttestamentlichen Zeugnisse ersetzt aber nicht unsere primäre Verwiesenheit an die Texte selbst, deren externer Bezug paradoxerweise
29 Vgl. dazu die Beiträge in E. Otto, Königspsalmen sowie monographisch M. Saur, Königspsalmen. 30 Siehe statt vieler F. Hartenstein / B. Janowski, Art. Psalmen/Psalter, 1769 ( Janowski); F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Buch der Psalmen 359f.367; E. Zenger, Psalter als Buch, 2ff.35ff. (Lit.). Genau umgekehrt rechnet S. Gillingham, Editing, 311 mit literarischen Einzelpsalmen, „which have been brought later into Temple liturgy by the editors, who would draw all types of psalms, whether public or private, into a Temple setting“; daher rechnet sie mit einer „central role of the second Temple liturgy in the editing of the Psalter“ (dies., Singers, 92; siehe auch 120ff.). Siehe zu dieser kultisch-liturgischen Gesangbuch-Hypothese neuerdings immer noch H. Reventlow, Art. Gebet, 487 und mit moderater Öffnung für polyfunktionale Verwendungen E.S. Gerstenberger, Perserzeit, 278.
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Martin Leuenberger
viel leichter als Geschichte JHWHs theologisch beschreibbar ist denn als hypothetische Rekonstruktion von Überlieferungsgruppen“31 oder eben Trägerkreisen.
Die Rückfrage nach den Trägerkreisen des Psalters und seiner Teilsammlungen muss also vorab vermittels der Text-Konzeptionen erfolgen; dies scheint auch mit Blick auf die Beiträge von B. Weber, J. Bremer, B. Janowski im vorliegenden Band konsensfähig zu sein. Mithin gilt es auszuloten, als wie tragfähig sich der Weg über den ‚garstigen Graben‘ zwischen den literarischen Texten und den historischen Trägerkreisen erweist. Dieses methodische Caveat birgt insofern eine gewisse Brisanz in sich, als es eine Absage an unmittelbare Rückschlüsse auf die Trägerkreise etwa aus den Überschriftsangaben impliziert und generell zur Vorsicht gegenüber entsprechenden Rückschlüssen mahnt. Unbestritten bleibt dabei, dass genuin im Kult beheimatete hymnische, dankende und klagende Gattungen im Verein mit den konkreten Inhalten für Einzelpsalmen und Psalmengruppen sehr wohl auf eine kultische Funktion und entsprechende Trägerkreise verweisen können; und dasselbe gilt für konkrete Aussagen über den Tempel und seine Vorhöfe usf., über Opfer, Prozessionen und Rituale etc., aber auch für manch zionstheologische Formulierung. Dabei ist jedoch im Einzelfall zu differenzieren, denn im Psalter finden sich eben (siehe oben 2.2.) zahlreiche sekundär-literarische Verwendungen und Umformungen der ursprünglich kultischen Gattungen, was namentlich auch für die Makrogattungen der Teilpsalter und des Psalters insgesamt gilt; und auch bei kultischliturgischen Hinweisen und zionstheologischen Aussagen sind oft gebrochene, z. B. spiritualisierende, jedenfalls den Kult und die Liturgie transzendierende Transformationen zu erheben. Diese und weitere Beobachtungen sprechen nicht nur gegen eine kultisch-liturgische Funktion des Psalters32, sondern in der Konsequenz auch gegen entsprechende Trägerkreise. Als höchst problematisch erweist sich aber vor allem der – direkte – Rückschluss auf Trägerkreise aus den Überschriftselementen der Psalmen: (1) Das betrifft weniger die sogenannten kultisch-liturgischen Gattungsangaben, vorab מזמור: „(mit Instrumenten zu begleitendes) Lied, Psalm“ und שיר: „Gesang, Lied“, sowie weitere Angaben zur gesanglichen und musikalischen Aufführung.33 Auch sie decken ein breites Spektrum ab, das sowohl den kultischen Gebrauch als auch die entsprechende literarische Stilisierung innerhalb eines Lese-/Gebetspsalms
31 F. Hartenstein, Vorüberlegungen, 10. Zum Psalter siehe M. Leuenberger, Konzeptionen, 259.389 Anm. 366. 32 Vgl. hierzu bereits die Kritik von N. Füglister, Verwendung, 329ff. 33 Siehe S. Gillingham, Singers, 103ff., die dies jedoch sofort mit der „role of the Levitical singers in the composition of the Psalter“ erklärt (siehe S. Gillingham, Singers, 106).
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umfasst.34 (2) Es betrifft aber vorab die direkte Erhebung der Trägerkreise aus den Personenangaben. Das zeigt m. E. gerade das neben den Korachpsalmen tragfähigste Beispiel der Asafpsalmen sehr deutlich, wo man von den Überschriften ausgehend sofort an Grenzen stößt:35 Es lassen sich aus den Psalmen zwar sehr wohl ein distinktes Profil erheben und entsprechende Rückschlüsse auf die Trägerkreise ziehen, eine Etikettierung als (levitische) Asafiten erfolgt jedoch lediglich mittels der Überschriften. Damit bleibt die Bezeichnung eine äußerliche, die mit der theologischen Ausprägung der Psalmen nur sehr oberflächlich verbunden ist. Insofern ist es unbefriedigend, eine Gruppenzuordnung lediglich über die Überschriften vorzunehmen36, wenn diese Trägergruppen ansonsten nur von externen Belegen her ‚gefüllt‘ werden können, ohne dass sich eine organische Verbindung zum Psalmeninhalt aufweisen lässt.37
3.
Zur Jhwh-König-Theologie der formativen Psalter-Redaktion
Die Jhwh-König-Konzeptionen prägen bekanntlich vorab den hinteren Teil des Psalters: Die von den ersten drei Büchern, dem sog. messianischen Psalter 2–89*, durch die tiefste Zäsur im gesamten Textablauf zwischen Ps 89 und 90 sehr deutlich abgehobenen Psalmenbücher IV–V (90–150) setzen mit den Jhwh-König-Psalmen 93–100* gleich einen höchst profilierten Gegenakzent: Nicht mehr der (von Jhwh eingesetzte) davidische König steht im Zentrum, sondern der Weltkönig Jhwh selbst, der nunmehr – weithin ohne irdischen Repräsentanten – seine Herrschaft unmittelbar ausübt: Diese immediate Königsherrschaft Jhwhs kennzeichnet in unterschiedlichen Ausprägungen und Konzentrationen die Bücher IV–V, weshalb man seit einiger Zeit mit Recht von den theokratischen Psalmenbüchern und (aufgrund der Verklammerungen mit und Einschreibungen in den Büchern I–III auch insgesamt) von theokratischen Psaltern spricht.38 34 Vgl. dazu B. Janowski, Hindin der Morgenröte, mit Anm. 8ff.26ff.32ff. Dies trifft namentlich für die scheinbar kultisch-liturgischen Zweckangaben v. a. in Buch V zu, die sich bei näherer Betrachtung als psalmenübergreifende Gliederungs- und Strukturierungssignale erweisen und mithin eine literarische Funktion im sich formierenden Psalterbuch besitzen. 35 Vgl. dazu jetzt B. Weber, Art. Asaf; s.a. u. Anm. 94. 36 Siehe etwa S. Gillingham, Singers, 108ff. und bereits M.S. Smith, Compilation, 259f. 37 Dies gilt namentlich auch für die angeblich levitische Psalmengruppe 135–137: Selbst wenn es sich um eine zusammengehörende Gruppe handeln sollte, lässt sich ein levitisches Gepräge (siehe M.S. Smith, Compilation, 260f.; S. Gillingham, Singers, 115) nicht erkennen – obwohl die einzige explizite Nennung Levis in 135,20 sehr beachtenswert erscheint: Die einzige determinierte Gruppe ( )לּוִיֵַה ֵבּיתsteht zwar parallel zu Israel, Aaron und den Jhwhfürchtigen, sie ist jedoch im Unterschied dazu nicht aus Ps 115,9–11 zitiert, sondern überschießender redaktioneller Zusatz. Man kann hier daher mit guten Gründen einen levitischen Verfasserkreis vermuten, wie Judith Gärtner überzeugend aufzeigt (s. in diesem Band 207–222). 38 So namentlich seit G.H. Wilson, Editing; prominent im Lehrbuchbereich besonders
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Martin Leuenberger
Dabei rechnet man in der Regel mit sukzessiven Fortschreibungen gegen hinten, die vom späten 4. bis ins frühe 2. Jh. erfolgen.39 Sehr deutlich und programmatisch zeigt sich die neue Konzeption im theokratisch-priesterlichen Psalter 2–100*40, der – nach dem (von 89 aus vermittelnden) individuellen Rettungsparadigma der weisheitlich überformten Psalmen 90–92 – mit den kollektiven Jhwh-König-Psalmen 93–100* endet. Die umfassende Königsherrschaft über den Kosmos und die Völkerwelt gipfelt hier in der priesterlich (als ֵעד ֹתund )ח ֹקgefassten Rechtsordnung Jhwhs (s. bes. 93,5; 99,6–8; s.a. 95,10) 41, innerhalb derer abschließend „alle Welt“ zum freudigen JhwhDienst aufgerufen wird (100,2), was mit der theokratischen Erweiterung des Königspsalms 2 (V.10–12a) diesen Psalter rahmt. Im aktuellen Kontext sei festgehalten, dass entsprechend dieser konzeptionellen Akzentuierung oft mit einem priesterlichen Trägerkreis gerechnet wird, der am zweiten Tempel im Rahmen der substaatlichen Verfasstheit Jehuds kurz vor oder nach 300 v. Chr. verortet wird. Am Ende der hier nicht im Einzelnen nachzuzeichnenden konzeptionellen Entwicklung steht die in Ps 145 temporal und spatial universal entschränkte, auf den Begriff gebrachte ַמְלכוּת י ְהָוה, in der sich elementare Rettungs- und Versorgungserfahrungen verdichten: Der Königsgott Jhwh sorgt vom Zion aus weltweit für gerettete, heilvolle und versorgte Lebensverhältnisse des Einzelnen in Gegenwart und Zukunft; dafür wird er im Schlusshallel Ps 146–150 ausführlich gepriesen, sodass, „[l]ike Psalm 2, their theme is that of the kingship of God over all nations and all creation“42. Verantwortlich dafür zeichnet – auch darüber gibt es eine gewisse Forschungstendenz – die formative Psalter-Redaktion, die den vorliegenden FünfBücher-Psalter als Tora Davids geschaffen hat. Bes. profiliert wird sie naturgemäß in den redaktionellen Eigenformulierungen greifbar: vorab im Gesamtrahmen des Psalterportals Ps 1–2 (Redaktion: Ps 1; 2,12b) und des Schlusshal-
39 40
41 42
F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Buch, 437f.; siehe auch M. Leuenberger, Konzeptionen, 85ff. (Lit.). Vgl. dazu ausführlich M. Leuenberger, Konzeptionen, 85ff. sowie die neueren Skizzen von F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 51–100, 34f.; dies., Psalmen 101–150, 17ff. ( je mit Lit.). Ob dieser „JHWH-König-Psalter“ 2–100* (F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 18) noch aus spätestpersischer oder (doch eher) bereits aus frühhellenistischer Zeit stammt, bleibt vorderhand strittig und hängt auch von der kontroversen Datierung des messianischen Psalters ab, der häufig erst um ca. 300 v. angesetzt wird, wogegen m. E. angesichts der nüchternen Bilanz theologiegeschichtlich am ehesten die späteste Perserzeit zu vermuten ist. Vgl. hierzu vorderhand M. Leuenberger, Konzeptionen, 231ff. (Lit.). So S. Gillingham, Editing, 331f., die allerdings mit einer breiten Forschungstendenz wie in Ps 2 einen eschatologischen Grundzug ausmacht, der m. E. abgesehen vom später ergänzten Ps 149 komplett fehlt (s. jedoch auch ihre Relativierungen 332 und ihre rezeptionsgeschichtliche Verortung ‚prophetischer‘ Lesarten [S. Gillingham, Psalms 1, 7f.]).
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lels Ps 146–150 (Tradition: nur Ps 147,12–20b; nachendredaktioneller Zusatz: Ps 148,14aa–ba; 149).43 Letzteres entwickelt sich organisch aus Ps 145,21 heraus und besitzt auch sonst zahlreiche Übereinstimmungen mit dem letzten Davidpsalter Ps 138–145, sodass dieser mit hinzuzunehmen ist (Redaktion: Ps 138; 140,13f.; 142,8; 144f.; ְלָדוִד-Überschrift).44 Zusätzlich sind weitere – wohl eher kleinräumigere – Einschreibungen im übernommenen Psalter 2–136* anzunehmen, was jedoch den hier diskutierbaren Rahmen sprengt und auch in der Forschung (noch) sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Auf der Basis der so umrissenen Jhwh-König-Konzeption lassen sich nun anhand markanter Textprofile einige Rückschlüsse auf die Trägerkreise dieser formativen Psalter-Redaktion ziehen.
4.
Folgerungen für die Trägerkreise
Unternimmt man es, die Trägerkreise der formativen Psalter-Redaktion möglichst textgestützt zu beschreiben und die Tragfähigkeit der soziohistorischen Folgerungen methodisch zu kontrollieren, ist mit einer einschränkenden Rahmenbemerkung zu beginnen (siehe 4.1), bevor einige Einzelerörterungen weiterführende Verortungen ergeben (siehe 4.2); abschließend bündelt eine Gesamtauswertung die Folgerungen und versucht, die Trägerkreise so klar wie möglich positiv zu identifizieren und negativ abzugrenzen (siehe 4.3).
4.1.
Politische und institutionelle Negativanzeige
Vorweg erscheint es mir wichtig, eine negative Beobachtung festzuhalten: Die unmittelbare Realisierung der Königsherrschaft Jhwhs in elementaren Rettungsund Versorgungserfahrungen der alltäglichen Lebenswelt stellt eine völlig unpolitische Vorstellung dar45, die keinerlei groß-, national- oder überhaupt politische Ausprägung und entsprechende Ambitionen erkennen lässt. Dazu passt, dass weder monarchische Figuren noch Repräsentanten des (Hohe-)Priestertums oder der Tempelsängerschaft hervortreten. Ganz allgemein ist im Psalter ein weitestgehendes Schweigen bezüglich jeder institutionellen Verfasstheit ‚Is43 Vgl. zu ihm statt vieler E. Zenger, Psalter, 31f.36ff.; B. Janowski, Tempel, 281ff.301ff.; M. Leuenberger, Konzeptionen, 377ff. 44 Er gehört insgesamt in den Rahmen des Schlussbogens 136–150, wo redaktionell noch Ps 137,1b.14b den älteren Ps 137 integriert (siehe M. Leuenberger, Konzeptionen, 373 ff.). 45 S. dazu unter dem Gesichtspunkt der Theokratie M. Leuenberger, Theologie, 44ff.52f.
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raels‘ oder einer seiner Teile zu konstatieren – auf die (locker organisierte) Gemeinschaft der Gerechten wird noch einzugehen sein. Dieses Schweigen dürfte nun im vorliegenden Zusammenhang insofern durchaus beredet sein, als es eine Negativanzeige bezüglich entsprechend orientierter Trägerkreise impliziert: Die elementare Gestalt der auf die alltägliche Lebenswelt bezogenen Königsherrschaft Jhwhs lässt sich allenfalls sehr indirekt und mit starken Brechungen politisch oder institutionell instrumentalisieren. Vielmehr begibt sich der Psalterbeter, der die Geschichte Israels im historisierenden Buchablauf meditierend durchschreitet, in seiner gegenwärtigen Alltagssituation direkt unter das umfassende Dach der von Jhwh immediat verwirklichten Königsherrschaft. Dies weist auf gesellschaftlich nur locker organisierte Trägerkreise, die keine etablierten oder gar institutionalisierten und einflussreichen Eliten oder Gruppen darstellen. Daher ist größte Zurückhaltung gegenüber einschlägigen Zuweisungsversuchen geboten (was im konkreten Fall vorab die priesterliche Elite betrifft, ein Stück weit aber auch für die [levitischen] Tempelsänger gilt, auch wenn über sie relativ wenig bekannt ist [siehe unten]). Einige signifikante Indizien im Psalter-Rahmen erlauben nun weiterführende Überlegungen zu den liturgischen oder nichtliturgischen Funktionen des Psalters und seinen entsprechend tempelbasierten oder tempelunabhängigen Trägerkreisen.
4.2.
Einzelerörterungen
a)
Tora-Orientierung in jeder Lebenslage (Ps 1)
Beginnen möchte ich mit einer Bemerkung zu einem Aspekt von Ps 1, der bislang vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit gefunden hat, obwohl der Psalm – zumal als Psalterportal – einer der meist behandelten Texte darstellt. Gepriesen wird bekanntlich der Mann, dessen Tun und Lassen, d. h. dessen umfassendes Verhalten, sich in doppelter Hinsicht auszeichnet: 1
Glücklich ist der Mann, der nicht gegangen ist im Rat der Frevler ()ְר ָשִׁעים und auf den Weg der Sünder ( )ַח ָטִּאיםnicht getreten ist, und auf dem Sitzplatz der Spötter ( )ֵלִציםnicht gesessen hat, 2 sondern (der) an der Weisung Jhwhs ( ) ְבּתוַֹרת י ְהָוהseine Lust hat und über seiner Weisung sinnt ( )יְֶה ֶגּהTag und Nacht ()י ְֽוָֹמם ָוָלי ְָלה
Tun:
Gerechter negativ
positiv
Ich beschränke meine Überlegungen hier auf die positiven Bestimmungen in V.2, die durch eine umfassende Orientierung an der Tora Jhwhs charakterisiert sind: Damit steht jedenfalls – wie immer man die intertextuellen Bezüge besonders
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zu Jos 1,7f. einschätzt46 – die lebensförderliche Weisung Gottes im Blick, die Teile des sich formierenden TNK umfasst und insofern „zwar nicht literarisch mit dem Psalter identisch, der Sache nach … aber transparent auf den gesamten Psalter hin“ ist.47 An ihr hat der Beter seine „Lust“, sie besitzt für ihn umfassende Attraktivität, und er hat sie ständig – meditierend, murmelnd, rezitierend (– )חגה im Sinn, hat sie sich gleichsam ‚einverleibt‘. Im Gegenüber zu den umfassenden Negativbestimmungen in V.1, die notabene durchwegs die ‚tempelfreie‘, profane Lebenswelt betreffen und jeden kultischen oder liturgischen Horizont vermissen lassen, wird namentlich die zeitliche Totalität der Tora-Meditation betont: Sie erfolgt „Tag und Nacht“ ( Jos 1,8) 48, also allezeit; analysiert man einmal – was bisher wenig Beachtung gefunden hat49 – die knapp 20 Belege des Merismus יוָֹמם ָוָליְָלהetwas näher, so zeigt sich sofort, dass es weniger um eine abstrakte Jederzeitigkeit50 geht, als vielmehr um eine Integration inhaltlich gefüllter Erfahrungsdimensionen in ihrer ganzen Breite: Wer die Tora Tag und Nacht meditiert, lässt sich, wie das vielschichtige Assoziationen evozierende Begriffspaar anzeigt, in jeder (aktiven/passiven, heilvollen/gefahrvollen, positiven/negativen usf.) Lebenslage und -situation von ihr leiten. Ohne Zweifel wird damit programmatisch formuliert, wie nach Ps 1 eine sachgemäße Psalter-Verwendung aussieht. Diese „andauernde und intensive Beschäftigung mit der Tora“51 lässt nun aber keine irgendwie kultische oder liturgische Funktion auch nur ansatzweise erkennen. Vielmehr bestimmt sie die Lebensvollzüge umfassend: im Alltag wie am Festtag, in der Welt wie im Tempel – kurz: immer und überall. Eine solche Psalter-Pragmatik läuft der Annahme eines kultisch-liturgischen Gesangbuchs diametral entgegen; vielmehr legt die von Tempel, Kult und Liturgie entschränkte Tora-Orientierung ein privates Lese- und Meditationsbuch nahe. Für die Trägerkreise, die einen solchen Psaltergebrauch pflegen, heißt das: Sie gehören kaum an den Tempel, sondern befolgen ihre Torafrömmigkeit in jeder Lebenslage. (Levitische) Tempelsänger oder -funktionäre scheiden daher vermutlich aus, wie immer man die offenbar 46 Siehe F. Hartenstein / B. Janowski, Psalmen, 13.29 (Lit.). 47 F. Hartenstein / B. Janowski, Psalmen, 30. Ähnlich R.G. Kratz, Tora, 11: „So sind Tora Jhwhs und Psalter zwar nicht dasselbe Buch, aber in der Sache kongruent, wenn nicht identisch“. 48 חגה+ ב+ תורה+ יומם ולילהnur noch hier in MT. 49 Siehe nur den kurzen Abschnitt, der Ps 1,2 nicht nennt, von M. Sæbø in W. von Soden / J. Bergman / M. Sæbø, M., Art. יום, 573; dasselbe gilt für die Hinweise von A. Stiglmair, Art. ליל/לילה, 553ff.; vgl. jetzt aber die Ausführungen von F. Hartenstein / B. Janowski, Psalmen, 27.30. 50 So könnte man geneigt sein, die kurze Bemerkung von H.-J. Kraus, Psalmen, 5 zu lesen: „Die Phrase […] heißt soviel wie ‚immerzu‘, ‚beständig‘“. Ähnlich knapp fallen die meisten Kommentare aus. 51 F. Hartenstein / B. Janowski, Psalmen, 17, siehe auch 13.
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Martin Leuenberger
tempel- und kultunabhängige Trägergruppe der sich als torafromm verstehenden Gerechten soziologisch näher verortet. Ps 1 eröffnet für den Psalter also die programmatische Perspektive einer das ganze Leben durchdringenden Tora-Meditation. Der sie praktizierende Mensch wird glücklich gepriesen (V.1a), was bekanntlich in Ps 2,12b eine kollektive Resonanz findet: „Glücklich sind alle, die sich in ihm [sc. Jhwh V.11] bergen“. Damit wird – liest man konsequent von Ps 1 her52 – der Schutzaspekt der jhwhzentrierten Torafrömmigkeit unterstrichen, und die „sich in der Psalmenrezitation vollziehende Aneignung der Tora JHWHs ist der konkrete Vollzug von “חסה ביהוה, der „nicht an den Tempel und nicht an besondere tempelkultbezogene Gebetszeiten gebunden [ist], sondern nur an die Psalmentexte selbst“53. Entsprechend ist dann auch der ehrfurchtsvolle Jhwh-Dienst in V.11 zu füllen. Beides steht nach Ps 2 nun selbst den Königen und Richtern der Erde (V.10) im Rahmen der weltweiten Königsherrschaft Jhwhs und seines Gesalbten (V.1–9) offen! Für den vorderen Psalterrahmen in Ps 1–2 lässt sich die nichtkultische Eigenart, Funktion und entsprechend auch Trägergruppe also recht scharf konturieren; darüber hinaus gelingt eine positive Charakterisierung vor allem in Bezug auf die Torafrömmigkeit im konzeptionellen Rahmen der Königsherrschaft Jhwhs sowie in Bezug auf deren alle Lebensvollzüge leitende Praktizierung, wogegen jedoch die Trägerkreise der Gerechten (Ps 1; siehe auch die Könige und Richter, Ps 2,10) – noch – reichlich unscharf bleiben. b)
Lobpreis Jhwhs durch den gesamten Kosmos (Ps 146–150)
Ein sehr ähnlicher Befund zeigt sich zunächst beim hinteren Psalterrahmen in Ps 146–150.54 Auch hier lässt sich vorweg mit E. Zenger konstatieren: Wiederum kann man „keinen gottesdienstlichen ‚Sitz im Leben‘ erkennen. Auch die Abfolge Ps cxlvi–cl macht aus dem Psalter keine Tempelkantate“55, wie immer wieder behauptet wird.56 Diese Absage lässt sich in dreierlei Hinsicht verifizieren: (1) Zunächst liegt der Grund für das Gotteslob in Jhwhs Königtum, das sich (im Anschluss an den konzeptionellem Höhepunkt des Psalters in Ps 145) 52 Dies gälte umso mehr, wenn nicht nur V.12b, wie ich meine, sondern V.10–12 insgesamt der Endredaktion entstammen (siehe besonders F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalm 1–50, 50f.). 53 E. Zenger, Heiligtum, 118. 54 S. zur Komposition M. Leuenberger, Konzeptionen, 346ff. (Lit.) und jüngst D. Scaiola, Conclusione, 281ff., die zwar für Ps 146–150 eine Paarstruktur Ps 146f./148f., aus der Ps 150 herausragt, vermutet, jedoch zutreffend vom „tema della regalità di Dio“ spricht (296); zu Ps 1f./149f. jetzt knapp K. Brockmöller, Willkommen. 55 So zu Recht E. Zenger, Psalmenforschung, 431. 56 Vgl. zu den Einzelpsalmen z. B. H.-J. Kraus, Psalmen, z. St. Ps 150 etwa ist nach E. Gerstenberger, Perserzeit, 273f. „ein einziger […] musikalischer Schlussakkord“ (siehe auch Ebd., 278 zu Ps 145–150 insgesamt).
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namentlich im Erschaffen und Erhalten des Kosmos (Ps 146,6; 147,4.8f.16f.; 148,5f.; siehe Ps 149,2), in der Aufrichtung von Recht und Gerechtigkeit (Ps 146,7f.; 147,19; siehe auch Ps 148,6), im Aufbau Jerusalems (Ps 147,2.13f.), in der Sammlung Israels (Ps 147,2) sowie in der elementaren Rettung und Versorgung Bedürftiger (Ps 146,8f.; 147,3.6.8f.) manifestiert. Diese universal-elementare Prägung weist, wie erwähnt, keinerlei priesterliche oder kultische Affinitäten auf, sondern zeigt einen dezidierten Bezug auf die alltägliche Lebenswelt, was auf kult- und tempelunabhängige Kreise deutet. (2) Entsprechend metaphorisch gebrochen und universalisiert wird der Lobvollzug dargestellt, der gleichsam aus Ps 145,21 herauswächst: „Das Lob Jhwhs verkünde mein Mund, und alles Fleisch segne seinen heiligen Namen für immer und ewig“. Der Vorgang besteht vorab darin, Jhwh zu „loben" ( ְתִּה ָלּה ;הלל. Ps 147,1; 148,14; 149,1) 57, aber auch zu „spielen" ( זמרPs 146,2; 147,1.7; siehe auch Ps 149,3) – und einmal zu „singen“ ( )שׁיר58; zusammen mit den musikalischen Angaben (siehe Ps 147,7; 149,3; 150,3–5) mag man zunächst an kultisch-liturgische Inszenierungen denken, wie es die traditionsgeschichtlichen Hintergründe nahelegen. Die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung des Lobes in der Komposition Ps 146–150(*) durchbricht diesen Vollzugsrahmen jedoch, indem die aufgenommenen realen Vorgänge zu einer imaginierten metaphorischen Liturgie des gesamten Kosmos transformiert werden, wie besonders deutlich die Musikinstrumente und deren Trägergruppen in Ps 150,3–5 zeigen, die kein reales Tempelorchester, sondern „ein imaginäres und ideales Orchester“ aus Priestern, Leviten, Frauen, Profis und Laien darstellen.59 (3) Am deutlichsten lässt sich diese Transformation anhand der Lobsubjekte nachvollziehen: Sie spannen – wiederum nach dem Lob „meines Mundes“ und „allen Fleisches“ (Ps 145,21) – den Bogen von „meiner Seele“ (Ps 146,1 als Kompositionseröffnung), über verschiedene kollektivische ‚wir‘ (Ps 147,1.5; 148,1; siehe auch Ps 149,1 sowie Israel und Zionsöhne Ps 149,2) bis hin zu „allem Odem“ ( ֹכּל ַהנְּ ָשָׁמהPs 150,6 als Kompositionsschluss). Wird schon hier der menschliche Horizont weit überschritten, so gilt dies vollends von den weiteren Lobsubjekten ‚Jerusalem‘ und ‚Zion‘ (Ps 147,12) sowie ‚alles Geschaffene im Himmel und auf der Erde‘ in Ps 148. So kann es sich bei diesem wahrhaft gigantischen Gotteslob nicht um irgendwie real am Tempel oder auf Erden vollzogene kultische oder liturgische 57 Es fällt auf, dass das sonst in Buch V wichtige „danken" ( )ידהabgesehen von ( ענה תּוָֹדהPs 147,7) fehlt. 58 So nur im mutmaßlichen Nachtrag Ps 149,1. 59 H.-P. Mathys, Psalm cl, 331, siehe H.-P. Mathys, Psalm cl, 333ff. mit der klipp und klaren Feststellung: „Nicht ein tatsächlich durchgeführter, aber ein imaginärer, idealer Gottesdienst liegt Ps. cl zugrunde“ (333).
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Vorgänge handeln, sondern um einen – jeden irdischen Kult- und Liturgievorgang eo ipso transzendierenden – universalen Lobpreis Jhwhs durch den gesamten Kosmos, wie etwa auch die parallelen Ortsangaben ְבָּקְדשׁוֹ: „in seinem [sc. Jhwhs] Heiligtum/Tempel“ und ִבְּרִקיַע ֻעזּוֹ: „in der Feste seiner [sc. Jhwhs] Macht“ andeutet.60 Dies mag etwa ein Seitenblick auf Einzelpsalmen wie Ps 15 oder 24 verdeutlichen, wo zwar (ebenfalls leicht gebrochene) literarische Formen vorliegen, die jedoch kultischen Realitäten noch ungleich näher stehen. Aufschlussreich ist diesbezüglich aber v. a. ein Vergleich von Ps 146–150 mit den nur wenig jüngeren Sabbatliedern (ShirShab) aus Qumran: Während sie eine Quartalsagenda für die Sabbatliturgie der Engel im Himmel bieten, an der zugleich die Qumrangemeinde auf Erden real partizipiert61, malen Ps 146–150(*) demgegenüber einen Lobpreis des gesamten Kosmos aus, in den die Psalmbeter im Meditieren des Psalters einzustimmen wissen.62
c)
Die Oppositions-Konstellation von Gerechten und Frevlern
Einen Schritt weiter in Bezug auf die Trägerkreise führt nun die berüchtigte Oppositions-Konstellation von Gerechten und Frevlern, die daher etwas ausführlicher zu erörtern ist. Sie prägt den Psalterrahmen, durchzieht aber auch den Psalter mehr oder weniger flächendeckend und ist entsprechend sehr wahrscheinlich auf verschiedenen Entstehungsebenen zu verorten.63 Dies legt schon die erheblich variierende Terminologie nahe, die auf der einen Seite etwa die ֲחִסיִדים: „Frommen“, ַצ ִדּיִקים: „Gerechten“, יְ ָשִׁרים: „Aufrichtigen“ (bzw. die י ִ ְשֵׁרי־ֵלב: „von Herzen Aufrichtigen“), die ֲענִיִּים/ֲענָוִים: „Elenden/Demütigen“, ֶאְבינֹ ִים: „Armen“, die ְקדוֹ ִשׁים: „Heiligen“, יְִרֵאי י ְהָוה: „Jhwhfürchtigen“ umfasst, während auf der anderen Seite namentlich die ְר ָשִׁעים: „Frevler“, ַח ָטִּאים: „Sünder“, ְמֵרִעים: „Bö60 Ob in V.1a an den Jerusalemer Tempel oder (eher) an das himmlische Heiligtum gedacht ist, bleibt strittig. So oder so wird aber der irdische Horizont durch die Himmelsfeste V.1b transzendiert (s. dazu H.-P. Mathys, Psalm cl, 337f.). 61 Siehe dazu die Edition von C. Newsom, Songs und die Behandlung von A.M. Schwemer, König (Lit.). 62 Dass Jhwh in Ps 146–150 hingegen nicht mehr direkt angesprochen wird (anders als noch in Ps 145), lässt sich in diesem Zusammenhang nicht auswerten, fehlt doch einerseits eine solche Anrede etwa auch in Ps 24 und stellt andererseits das Akrostichon Ps 145 mit seiner mehrfachen Jhwh-Anrede höchst wahrscheinlich einen für seinen jetzigen literarischen Ort geschaffenen Redaktionstext dar. 63 Angesichts der quantitativen Breite – die Konstellation tritt je nach Definitionsbreite minimal in knapp einem Drittel, maximal in ca. zwei Drittel der Psalmen auf –, der terminologischen Streuung (s. o.) und der unterschiedlichen Akzentuierungen der Oppositionskonstellation erscheint ein engumgrenzter redaktionsgeschichtlicher Fortschreibungsschub in einen Psalter, der „zur Zeit der Bearbeitung annähernd die heutige Gestalt besaß“ (C. Levin, Gebetbuch, 371, siehe auch C. Levin, Gebetbuch, 362.370f.), literarhistorisch ziemlich unwahrscheinlich.
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sen“, ֹפֲּעֵלי־ָאֶון: „Übeltäter“ hervortreten64. Neben den näher zu behandelnden Passagen aus dem Psalter-Rahmen formuliert die formative Schluss-Redaktion die Seite der Gerechten besonders prägnant in Ps 140,13f. (siehe auch Ps 145,17–20): י ַָדְע ִתּ ִכּי־י ֲַע ֶשׂה י ְהָוה ִדּין ָענִי13 Ich weiß: Jhwh führt die Rechtssache des Elenden, ִמ ְשׁ ַפּט ֶאְבינֹ ִים das Recht der Armen ָ ַאְך ַצ ִדּיִקים יוֹדוּ ִל ְשֶׁמך14 Ja, die Gerechten (werden) loben deinen Namen, ָי ֵ ְשׁבוּ י ְ ָשִׁרים ֶאת־ ָפּנֶיך die Aufrichtigen (werden) wohnen vor deinem Angesicht.
Aufs Ganze handelt es sich also um eine dichotomische Typologie, welche – bei unterschiedlichen Akzentsetzungen im Einzelnen – die soziale Welt der Psalmbeter meist in zwei sich mehr oder weniger scharf gegenüberstehende und in der Regel kollektiv gefasste Größen einteilt. Diese – anerkanntermaßen typisch weisheitliche – soziale Welt-Konstruktion reduziert die reale Komplexität der Gesellschaft radikal auf einen simplen, ‚idealen‘ Antagonismus, um dadurch ebenso radikale Lebensorientierung zu eröffnen; so wirbt ja etwa Ps 1 durchaus suggestiv und vereinnahmend für die Gerechten-Option. Trotz dieses konstruktiven Charakters der Texte, der in aller Deutlichkeit zu unterstreichen ist, lassen sich gewisse Einsichten gewinnen über die dahinter stehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und d. h. im vorliegenden Zusammenhang über die Trägerkreise der formativen Psalter-Redaktion. Auch im Psalter-Rahmen tritt die Konstellation kontextuell unterschiedlich ausgeprägt auf, wie eine mit Absicht relativ breit gefasste Übersicht zeigt. Tab. 1: Die Konstellation von ‚Gerechten‘ und ‚Frevlern‘ im Psalter-Rahmen Ps ›Gerechte‹ ›Frevler‹ 1,1f. … ַא ְשֵׁרי־ָהִאישׁ ֲא ֶשׁר ׂלא … ִכּי ִאם 4 5
)ֲעַדת( ַצ ִדּיִקים
6
ַצ ִדּיִקים
2,1f.
(sc. Jhwhs) ְמ ִשׁיחוֹ
6
(sc. Jhwhs) ַמְל ִכּי
)ֲעַצת( ְר ָשִׁעים ַח ָטִּאים ֵלִצים ָהְר ָשִׁעים ְר ָשִׁעים ַח ָטִּאים ְר ָשִׁעים גוֹיִם ְלֻא ִמּים ַמְלֵכי־ֶאֶרץ רוֹזְנִים
64 Siehe auch im Hintergrund die v. a. funktional bestimmten, inhaltlich sehr weit gefassten Feinde des Beters (vgl. zum ganzen Problemkomplex B. Janowski, Konfliktgespräche, 98ff. [Lit.]).
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Martin Leuenberger
)(Fortsetzung ‹›Frevler גוֹיִם ַאְפֵסי־ָאֶרץ ְמָלִכים שְׁפֵטי ָאֶרץ ֹ נְִדיִבים ֶבן־ָאָדם
ְר ָשִׁעים
ְר ָשִׁעים
‹Ps ›Gerechte 8 10 ָכּל־חוֵֹסי בוֹ )(sc. Jhwh )נְַפ ִשׁי(
12 146,1 3
ַא ְשֵׁרי ֶשׁ … ֲעשׁוִּקים ְרֵעִבים ֲאסוִּרים ִעְוִרים ְכּפוִּפים ַצ ִדּיִקים ֵגִּרים י ָתוֹם ַאְלָמנָה )ִציּוֹן(
5 7
)י ְרוּ ָשׁ ִַלם( נְִדֵחי י ִ ְשָׂרֵאל ְשׁבוֵּרי ֵלב ֲענָוִים י ְֵרָאיו )(sc. Jhwh ַהְמי ֲַחִלים ְלַחְסדּוֹ )(sc. Jhwhs )י ְרוּ ָשִַׁלם( )ִציּוֹן( )י ֲַעקֹב( )י ִ ְשָׂרֵאל( ָכל־ַמְלָאָכיו )(…) (sc. Jhwhs ַמְלֵכי־ֶאֶרץ ָכל־ְלֻא ִמּים ָשִׂרים שְׁפֵטי ָאֶרץ ָכל־ ֹ ַבּחוִּרים ְבּתוּלוֹת זְֵקנִים נְָעִרים ַעמּוֹ )(sc. Jhwhs ָכל־ֲחִסיָדי )(sc. Jhwhs ְבנֵי י ִ ְשָׂרֵאל ַעם־ְקר ֹבוֹ )(sc. Jhwhs )ְקַהל( ֲחִסיִדים י ִ ְשָׂרֵאל ְבּנֵי־ִציּוֹן ַעמּוֹ )(sc. Jhwhs ְֲענָוִים
8 9 10 147,2 3 6 11 12 19 )148,2(ff 11f.
12
14
149,1 2 4
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(Fortsetzung) Ps ›Gerechte‹
›Frevler‹
5 7f.
ֲחִסיִדים
9 150,6
(sc. Jhwhs) ָכל־ֲחִסיָדי ֹכּל ַהנְּ ָשָׁמה
גּוֹיִם ֻא ִמּים (sc. der Völker/Nationen) ַמְלֵכיֶהם (sc. der Völker/Nationen) נְִכ ְבֵּדיֶהם
Auf die Ausarbeitung eines detaillierten Gesamtprofils kann hier verzichtet werden, weil sie im Wesentlichen das oben skizzierte Spektrum mit punktuellen Ergänzungen und Erweiterungen abbilden würde. Vielmehr sollen gezielt zwei Zuspitzungen herausgegriffen werden, die bezüglich der Trägerkreise einen entscheidenden Schritt weiter führen. (1) Gleich Ps 1 formuliert den Antagonismus in erster Linie mithilfe der beiden Grundbegriffe der Gerechten (2x) und der Frevler (4x), denen es je entsprechend ihrem Tun ergehen wird. Zusammen mit weiteren Indizien (wie der von A [ ]ַא ְשֵׁריbis Z [תּאֵבד ֹ ] reichenden Perspektive, der Lehr-Rhetorik inklusive Makarismus, der Integration der Tora in die weisheitliche Belehrung) tritt damit das dezidiert weisheitliche Gepräge hervor. Es spricht – wie die Tora-Orientierung in jeder Lebenslage – abermals gegen einen Kultbezug und für einen weisheitlichen Schulkontext jenseits des Tempels, wobei man konkret die „Institution der Gemeindebelehrung“ vermuten kann.65 Damit ist nun das entscheidende Stichwort der Gemeinde, des Kollektivs, der Gruppe gefallen. Denn sowohl die Frevler als auch die Gerechten stehen je in einem Verbund: in der ֲעַצת ְר ָשִׁעים: „Rat der Frevler“ bzw. in der ֲעַדת ַצ ִדּיִקים: „Gemeinde der Gerechten“, welch letztere einen genaueren Blick verdient. Der im Psalter 10x als positiv (siehe absolut Ps 74,2; 111,1; von Göttern Ps 82,1) wie negativ (siehe Ps 22,17; 68,31; 86,14) konnotierte Gruppenbezeichnung belegte Begriff ֵעָדהtritt nur in Ps 1,5 in einer Konstruktusfügung mit einem der genannten Termini für die ‚Gerechten‘ als Nomen rectum auf. Es handelt sich also um eine ‚Ansammlung‘ von Gerechten66, die im Sinne von Ps 1 über ihre permanente Torafrömmigkeit charakterisiert werden. Möglicherweise ist bei der ֵעָדהbegriffsgeschichtlich ein juristischer Hintergrund auszumachen, er lässt sich für Ps 1 jedoch in keiner Weise näher bestimmen, sodass über die organi65 So F. Hartenstein / B. Janowski, Psalmen, 19. 66 So etwa kann die von יעדni. abgeleitete Grundbedeutung umschrieben werden (s. in diesem Sinn den Bienenschwarm Ri 14,8 oder die Ansammlung Ruchloser Hi 15,34 sowie die genannten negativen Psalmbelege; vgl. zum Ganzen B.B. Levy / J. Milgrom, Art. עדה, 1081f.1083f., zum juristischen Aspekt auch im Folgenden).
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satorische Verfasstheit oder institutionelle Kompetenz dieser Gerechtengemeinde textgestützt nichts weiter zu eruieren ist. Wie immer dieses Kollektiv nun strukturiert sein mag, in textpragmatischer Sicht scheint völlig klar zu sein, dass sich ihm die Psalmverfasser und -beter zugeordnet wissen (wollen): Hier wird offenkundig die für sie maßgebliche peer-group benannt, die dementsprechend in einem sehr engen Verhältnis zur realen Trägergruppe von Ps 1 und der formativen Psalter-Redaktion steht. In dieselbe Richtung weisen auch weitere, im Psalter auftretende Hinweise, von denen ich nur en passant auf den „Kreis der Aufrichtigen und der Gemeinde ( “)סוֹד יְ ָשִׁרים ְוֵעָדהin Ps 111,1 hinweise. (2) Als zweite Zuspitzung soll, gleichsam komplementär zu Ps 1, das den Psalter abschließende, noch prägnantere Profil in Ps 149 verdeutlicht werden.67 Während die zu richtenden Gegner mit (auch aus Ps 2 rezipierter) politischer Terminologie (als Völker, Nationen und deren Repräsentanten [V.7f.]) beschrieben werden, dominieren auf der positiven Seite die viermal auftretenden ֲחִסיִדים: „Frommen“ (siehe noch die Demütigen V.4). Sie nehmen die israelitische Perspektive (Israel, Zionsöhne, Volk Jhwhs) auf und bringen sie zugespitzt auf den Punkt. Dabei erscheinen sie nicht nur durchgängig im Plural, sondern dieses Kollektiv wird prägnant als ָקָהלbezeichnet, das in „der Grundbedeutung ‚Ansammlung von Menschen‘“ bedeutet.68 Damit liegt dasselbe Wort- und Vorstellungsfeld vor69, das schon die ֵעָדהaus Ps 1 andeutete. Und wie dort zeigen sich auch bei ָקָהלim Psalter (9x) negative (Ps 26,5: )ְקַהל ְמֵרִעיםund positive (Ps 22,23; 89,6) Konnotationen, im letzteren Fall vor allem als „große Versammlung" ( ָקָהל ָרב4x), einmal auch als „Volksversammlung" ( ְקַהל־ָעםPs 107,32). Dies wirkt im israelweiten Hintergrund von Ps 149 nach, doch ähnlich wie bei der ֵעָדהin Ps 1 wird auch der ָקָהלnur hier im Psalter mit einem der Gerechtenbegriffe verwendet. Es gilt zwar auch für Ps 149, dass näherhin „weder ein konkreter Anlaß noch ein konkreter Personenkreis auszumachen“70 ist, doch wiederum liegt eine sehr profilierte Qualifizierung dieses Kollektivs als Fromme vor. Und angesichts des Leitwortcharakters weist textpragmatisch erneut alles auf eine Selbstbezeichnung der Trägerkreise von Ps 149.
67 Als für die Trägergruppen besonders aufschlussreich hält auch E. Zenger, Heiligtum, 125 Ps 1 und Ps 149, wozu er noch Ps 146 ergänzt. 68 F.-L. Hossfeld / E.-M. Kindl / H.-J.Fabry, Art. קהל, 1210. 69 Siehe dazu knapp F.-L. Hossfeld / E.-M. Kindl / H.-J. Fabry, Art. קהל, 1207. 70 F.-L. Hossfeld / E.-M. Kindl / H.-J. Fabry, Art. קהל, 1218 (Hossfeld/Kindl), die dann aber doch einen terminus technicus „für die gottesdienstliche Versammlung“ annehmen (1219), was auch für die „Kultgemeinde“ von Ps 154 gelten soll (1221 [Fabry]).
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Eine solche Selbstbezeichnung legt sich auch von Ps 154,12 her nahe. Der trotz allen Unsicherheiten am ehesten „proto-Essenian, or Hasidic“ Psalm71, der in der großen ˙ Psalmenrolle aus Qumran erhalten ist (Kol. 28 [Sanders: 18]) 72, bietet bislang nämlich die einzige wörtliche Parallele zur Versammlung der Frommen. Da heißt es in V.12 (Z.10f.; siehe ְריסPs II, Z.23): מפתחי צדיקים נשמע קולה ומקהל חסידים זמרתה Von den Toren der Gerechten wird ihre Stimme [sc. der personifizierten Weisheit, s. V.5ff.] gehört, und von der Versammlung der Frommen ihr Lied. Innerhalb einer langen Reihe ähnlicher Formulierungen73, die sich durchgängig auf die Psalmbeter beziehen, lässt sich also auch hier das Selbstverständnis der Verfasser und Tradenten des Psalms als Versammlung von Hasidim greifen, womit eine zu Ps 149 wohl in ˙ etwa zeitgenössische Entsprechung vorliegt.
Entsprechend vermutet auch E. Zenger für die Hasidim von Ps 149, dass hier „der ˙ Kreis sichtbar [wird], der für die Komposition 146–150 und für die ‚Schlußredaktion‘ des Psalters überhaupt verantwortlich ist“74 und der sich hier „mit der anspruchsvollen Bezeichnung lhq ausdrücklich definier[t]“75. Ich meine zwar nach wie vor, dass in Ps 149, in dem die Frommen mit dem Schwert das Gericht an den Gegnern vollziehen (was ein seltenes und über Paralleltexte vor allem in der Zehn-, Siebent- und der Tierapokalypse außergewöhnlich genau datierbares Motiv darstellt), eher eine nachkompositionelle Einschreibung aus frühmakkabäischer Zeit (ca. 170–150 v. Chr.) und in promakkabäischer Perspektive vorliegt;76 daher würde ich im Blick auf die Trägerkreise entsprechend zwischen der Gemeinde der Gerechten in der formativen Psalter-Redaktion (Ps 1) und der Versammlung der Frommen im nachgetragenen Ps 149 differenzieren, womit sich eine parallele Entwicklung der Konzeption und der Trägerkreise ergibt. Aber wie immer man hier urteilt, im Ergebnis liegen jedenfalls beide Texte auf einer Linie, insofern sie prominent auf ein Trägerkollektiv weisen, das sich selbst als
71 So bereits J.A. Sanders, Psalms Scroll, 70, im Bewusstsein um die Datierungsschwierigkeiten (siehe 69); ebenso F.-L. Hossfeld / E.-M. Kindl / H.-J. Fabry, Art. קהל, 1221 (Fabry). 72 Vgl. J.A. Sanders, Psalms Scroll, 39.64ff.; Pl. XII. 73 Siehe J.A. Sanders, Psalms Scroll, 68, siehe auch den יחדin Z.1. 74 E. Zenger, Fleisch, 20 Anm. 54. Zumindest gilt dies für die Verfasser von Ps 149, s. im Folgenden. 75 E. Zenger, Heiligtum, 125. 76 Vgl. M. Leuenberger, Schwert, 641 mit Anm. 26 (Lit.); in diesem Zusammenhang wäre auch das erhobene Horn (Ps 148,14) mit seiner Bezeichnung von „Israel’s political and military viability“ zu beachten (A.J. Schmutzer / R.X. Gauthier, Horn, 183) und der notorisch strittige V.6 (siehe jetzt T. Booij, Psalm 149,5, 104f.). Dagegen votiert jetzt wieder D. Krochmalnik, Happy End (mit grundsätzlichem Vorbehalt, „Psalm 149 historisch zu verorten“ [170]) für eine rein ‚spiritualisierende‘ Deutung.
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(qua Toraorientierung) gerecht und (qua Gerichtsvollzug mit dem Schwert) fromm versteht. (3) So viel – oder auch: so wenig – lässt sich m. E. anhand der Einzelstellen textgestützt über die idealen und realen Verfasser- und Tradentengruppen des formativ abgeschlossenen Psalters im früheren zweiten Jahrhundert aussagen. Ob, mit welcher Genauigkeit und mit welcher Zuverlässigkeit, sich diese Zadiqim und Hasidim nun auch sozialgeschichtlich verorten lassen, gilt es – nach einigen ˙ pauschalen Ergänzungen – abschließend in einer Gesamtauswertung zu erwägen. d)
Weitere Indizien für eine nicht-kultische Verortung
Nur noch erwähnt seien an dieser Stelle weitere, sich namentlich im PsalterRahmen findende Charakteristika, die ebenfalls gegen einen kultisch-liturgischen Sitz im Leben und entsprechende Trägerkreise des Psalters sprechen. Das betrifft einerseits die weisheitlichen Aspekte, die auf einen Schulkontext weisen, der zumindest über den Tempelhorizont hinaus reicht, wenn nicht gar unabhängig davon ist. Und es betrifft andererseits die sog. Davidisierung des Psalters, die über mehrere Entstehungsphasen hin auf David als exemplarischen Menschen in den Wechselfällen des Lebens – und gerade nicht als kultischliturgischen Akteur – zuläuft77. Schließlich sei an die Spiritualisierung kultischliturgischer Rituale (inkl. Opfer) und die Metaphorisierung der Tempeltheologie erinnert sowie im Anschluss an Füglister generell auf die Vorgänge der Nomisierung, Messianisierung, Prophetisierung und Kollektivierung verwiesen.78
4.3.
Gesamtauswertung
a)
Zusammenfassung der textgestützten Charakterisierungen der Trägerkreise
Die ausgewählten Einzeluntersuchungen haben für die Abschlussphasen des Psalters – genauer für Ps 1 der formativen Psalter-Redaktion und für die nachkompositionelle Einschreibung von Ps 149 – auf kollektive Trägergruppen geführt, die sich selbst als Gemeinde der Gerechten und Versammlung der Frommen benennen und verstehen. Dabei läuft die Unterscheidung zwischen Verfassern, Tradenten und Rezipienten hier weitgehend ins Leere, wie man sehr gut nachvollziehen kann, wenn die obige literargeschichtliche Abhebung von Ps 149 zu77 Vgl. B. Janowski, Hindin der Morgenröte, Anm. 74ff.83ff.111ff.; E. Zenger, Psalmenforschung, 431; E. Zenger, Heiligtum, 120. 78 Vgl. N. Füglister, Verwendung. Diese Prozesse erforderten jedoch eine ausführlichere und kritische Erörterung, die hier nicht zu leisten ist.
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trifft: Es handelt sich um Literatur von Schriftgelehrten für Schriftgelehrte, die dann wiederum zu schriftgelehrten Autoren für ebensolche Leser werden – modern gesprochen: eine genuine Developper-User-Community. Erst für den fertigen Psalter zeichnet sich langsam ein bestimmtes Verwendungsspektrum ab, bei dem die Adressaten immer weiter über den Verfasserkreis hinausgehen, doch bleiben die Verwendungsweisen noch lange recht vage.79 Ziemlich präzis lässt sich das konzeptionelle Profil dieser Psalter-Verfasser und -Bearbeiter summieren: Sie pflegen eine auf die alltägliche Lebensführung in der Gegenwart abzielende weisheitliche Torafrömmigkeit80 im Rahmen der elementare Rettung und Versorgung bietenden Königsherrschaft Jhwhs, wodurch jeder Tempel-, Kult- oder Liturgiebezug transzendiert wird; in diesem Kontext ergänzt Ps 149 den (eschatologischen) Gerichtsvollzug an den Völkern und deren Repräsentanten (auch in Israel?) durch die Frommen selbst. Durchgehend erweisen sich die Trägerkreise dabei als in hohem Maß schriftgelehrt: Sie kennen die vorliegenden Schriften aus Tora, Nebiim und zum Teil auch Ketubim in der Breite und rezipieren diese durch Zitierungen, Kombinierungen und Transformierungen in charakteristischer Weise. Diese mit dem umrissenen theologischen Profil verbundene Schriftgelehrsamkeit scheint mir mit das markanteste Kennzeichen der Psalter-Verfasser und -Bearbeiter. Wie man sich diesen Vorgang mitsamt dem sich darin spiegelnden theologischen Diskurs verschieden[st]er Positionen81 im auch während des 2. Jh. v. Chr. doch sehr überschaubaren Jerusalem in soziologischer Hinsicht konkret vorzustellen hat, bleibt m. E. nach wie vor eines der schwierigsten Desiderate.
79 So vermutet E. Zenger, Psalter als Buch, 448f. vorsichtig: Der Psalter war „das ‚Lebensbuch‘ jener Gruppen, die in den Psalmen ‚die Armen‘, ‚die Frommen‘ und ‚die Gerechten‘ genannt werden. […] Dass sie die Psalmen selbst lesen konnten, ist wenig wahrscheinlich. Dass sie ihnen von schriftgelehrten Leviten vorgetragen und ausgelegt wurden, dass die Psalmen auch zum elementaren ‚Lernstoff‘ der Lehrhäuser (vgl. Sir 51,23) und der Synagogen gehört haben, dass sie in den ‚Genossenschaften‘ (habu¯ro¯t) der pharisäischen Bewegung Meditationstexte ˙ waren, dass sie zum alltäglichen familiären Gebet gehörten – all dies kann man sich vorstellen, ohne es mit Sicherheit beweisen zu können“. 80 Sie zielt wohl nicht nur gegen die priesterliche Tempelaristokratie (s.a. u. Anm. 90), sondern läuft überhaupt auf eine weitgehende Tempel- und Kultunabhängigkeit hinaus (s. u. IV.3.b (2)). 81 Exemplarisch kann man einerseits die diachronen theologiegeschichtlichen Entwicklungen innerhalb der Psalmenbücher IV–V, die vergleichsweise stetig verlaufen, andererseits aber auch die synchronen Alternativpositionen priesterlicher, prophetischer und weisheitlicher Bücher(-Redaktionen) zur Zeit der Psalter-Abschlussphasen nennen. Wie die dafür verantwortlichen Trägerkreise soziohistorisch und zumal in ihrem gegenseitigen Verhältnis näherhin zu verorten sind, lässt sich bislang nur – mit gehöriger Vorsicht und größter Sorgfalt – grob vermuten, sodass insgesamt eher mehr Fragen aufgeworfen, denn Antworten geliefert werden.
86 b)
Martin Leuenberger
Sozialgeschichtliche Identifikationen
Die so beschriebenen Trägerkreise des formierten Psalters werden nun in sozialgeschichtlicher Hinsicht gern mit verschiedenen anderweitig mehr oder weniger bekannten bzw. erschlossenen Gruppen in Verbindung gebracht. Von den vorliegenden Texten aus gesehen ist dies jedoch, so mein ceterum censeo, mit gravierenden Schwierigkeiten verbunden. Wie weit lassen sich diese dennoch verantwortet und sinnvoll handhaben? (1) Keineswegs neu und m. E. gut plausibilisierbar ist die – meist allerdings nur pauschal formulierte – Zuordnung der Psalter-Trägerkreise zu den sog. Asidäern. Mit ihnen bekommen wir „im 2. Jh. zum ersten Mal eine feste Gruppierung zu fassen, die primär durch ihre religiöse Haltung charakterisiert ist“82. Ihre Ursprünge liegen zwar im historischen Halbdunkel, fußen aber wohl allgemein auf den hellenismuskritischen Reaktionen und Geisteshaltungen im Juda des 3. Jh. v. Chr. und liegen speziell in der auch politisch orientierten antihellenistischen (Sammel-)Bewegung des früheren 2. Jh. v. Chr.83 vorab in Jerusalem. Klar greifbar werden die Asidäer dann bekanntlich im Rahmen des Makkabäeraufstandes, den sie zu Beginn entscheidend verstärken, um sich dann aber bald (nach der Rücknahme der Polis-Verfassung und einer Kompromisslösung in der Besetzung des Hohepriesteramts) mit einer politischen Befriedung zu arrangieren. Die Asidäer zeigen nun mehrere bemerkenswerte Konvergenzen mit den PsalterTrägerkreisen, die im Einzelnen Beachtung verdienen: (a) Bezeichnend ist schon der das hebräische ֲחִסיִדיםgräzisierende Name ‚Ασιδαῖοι‘. Und wenn 1Makk 2,42 von der συναγωγὴ Ασιδαίων: der „Gemeinschaft der Asidäer/Hasidim“ oder eben der „Versammlung der Frommen“ ˙ spricht, so liegen die engen terminologischen – und wohl auch sozialgeschichtlichen84 – Berührungen zu Ps 149,1 (und Ps 154,12) auf der Hand.85 (b) Beachtenswert ist hierbei auch die jeweils ganz ähnlich formulierte Verhältnisbestimmung zu Israel: Die Asidäer werden durchwegs als wichtiger Teil Israels, wenn nicht als wahres Israel geschildert: Bezeichnet Ps 149,4 die Frommen als Zionsöhne, so verortet 1Makk 7,12f. die Asidäer als die ersten Friedenssucher „unter den Israelsöhnen (ἐν υἱοῖς Ισραηλ)“86. 82 R. Kessler, Sozialgeschichte, 188f.; s. zu den Asidäern besonders M. Hengel, Judentum, 319ff.; R. Albertz, Religionsgeschichte, 598ff.; H. Haag, Zeitalter, 80ff. 83 M. Hengel, Judentum, 320 vermutet genauer „die Zeit zwischen 175 und 170 v. Chr.“. 84 Siehe M. Hengel, Judentum, 319.322f. 85 Siehe auch die auf die Asidäer bezogene Zitierung der „Frommen" (ֲחִסיִדים/ὅσιοι) aus Ps 79,2 in 1Makk 7,17 und später die hasmonäerkritischen ἀγαπῶντες συναγωγὰς ὁσίων: „Liebenden der Versammlungen der Heiligen“ in PsSal 17,16 (wohl späteres 1. Jh. v.; freundlicher Hinweis von C. Frevel), siehe auch Ps 17,43f. 86 Siehe auch die „tapferen Männer aus Israel“ (1Makk 2,42) und „die sich als Asidäer bezeichnenden Juden (οἱ λεγόμενοι τῶν Ιουδαίων Ασιδαῖοι)“ (2Makk 14,6).
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(c) Die gemeinsame antihellenistische Grundhaltung gewinnt hier wie dort in politisch-militärischer Militanz konkrete Gestalt: Während die Frommen in Ps 149 mit dem Schwert die Völker richten, schließen sich die Asidäer sofort der von Mattatias angeführten Revolte an (s. 1Makk 2,42; 2Makk 14,6), und „sie erschlugen Sünder in ihrem Zorn und gesetzeslose Männer in ihrer Wut (ἐπάταξαν ἁμαρτωλοὺς ἐν ὀργῇ αὐτῶν καὶ ἄνδρας ἀνόμους ἐν θυμῷ αὐτῶν)“ (1Makk 2,44). (d) Der Kampf gegen Sünder und gesetzeslose Männer entspringt der grundsätzlichen Toratreue der Asidäer, von denen „jeder treu der Tora ergeben ist (πᾶς ὁ ἑκουσιαζόμενος τῷ νόμῳ)“ (1Makk 2,42). Es genügt hier, an das Profil von Ps 1 zu erinnern. Darüber hinaus könnte sich von der Schilderung der Makkabäerbücher aus auch die konzeptionelle Entwicklung von Ps 1 und der formativen Psalter-Redaktion zum Nachtrag in Ps 149, die im Psalterablauf zu konstatieren, aber inhaltlich nicht ohne Mühe nachvollziehen lässt, besser erschließen und als – aus hasidischer Perspektive – organische Konsequenz ver˙ ständlich werden. (e) Schließlich vollzieht sich diese Toratreue im Rahmen einer breiteren Schriftgelehrsamkeit: Die explizite Zugehörigkeit der Asidäer zur „Gruppe/Gemeinschaft der Schriftgelehrten (συναγωγὴ γραμματέων)“ (1Makk 7,12) 87 entspricht der Schriftgelehrsamkeit der Gerechten und Frommen im Psalter, wie sie etwa Ps 1 und 149 profiliert illustrieren. Aufgrund dieser doch ziemlich frappanten terminologischen und konzeptionellen Übereinstimmungen lässt sich eine soziohistorische Korrelation dergestalt, dass die Psalter-Trägerkreise der asidäischen Sammelbewegung zuzuordnen sind, ziemlich wahrscheinlich machen.88 Dies trifft jedenfalls für die nachkompositionelle Einschreibung in Ps 149 im engeren Sinne zu, während die Verbindungslinien zu Ps 1 und der formativen Psalter-Redaktion nicht ganz so eng ausfallen und soziohistorisch vielleicht näherhin dem protoasidäischen Sammelbecken zugeordnet werden müssen. Diese Zuordnung bedeutet freilich keine deckungsgleiche Identifikation, denn die Asidäer umfassen auch Gruppen, die sich von den Psalter-Trägerkreisen unterscheiden: Deutlich erkennbar ist dies etwa für die landjudäische Priesterschaft um Mattatias (gegenüber den nichtpriesterlichen Jerusalemer Psalter-Redaktoren [siehe unten Anm. 90]) oder für apokalyptische Kreise (siehe etwa 1ApcHen und Dan gegenüber dem abgesehen von Ps 149 weitestgehend alltagsbezogenen, uneschatologischen Psalter); und Ähnliches ist für weitere 87 Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Stand der Tempelschreiber (s. dazu R. Albertz, Religionsgeschichte, 599). 88 So eine breitere Forschungstendenz, die etwa von O.H. Steck, Abschluß, 164 über C. Levin, Gebetbuch, 379 bis zu E. Zenger, Psalter als Buch, 46 reicht.
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‚Flügel‘ zu vermuten. Vergleichbare Spannbreiten sind auch in Bezug auf die Zuordnung zur frommen Oberschicht bzw. zu verarmten Intellektuellenkreisen (‚Arme‘, ‚Elende‘) anzunehmen, womit sich jeweils auch unterschiedliche politische Einflussmöglichkeiten verbinden. Nichtsdestotrotz weisen die signifikanten Entsprechungen der Asidäer-Schilderungen im Psalter und in den Makkabäerbüchern deutlich darauf hin, dass die Trägerkreise des Psalters einen wichtigen und prägenden Einfluss auf die Asidäer insgesamt ausgeübt haben dürften. (2) Wesentlich kritischer als die Zuordnung der Psalter-Abschluss-Redaktoren zu (proto)asidäischen Kreisen gilt es m. E. hingegen zwei weitere Thesen zur soziohistorischen Verortung der Trägerkreise des sich formierenden Psalters zu beurteilen, wie ich in knappen Strichen umreißen will. Schwer einschätzen lässt sich zunächst die Platzierung der Psalter-Trägerkreise im Bereich einer „tempelnahen Schultheologie“89; die Hypothese tritt in unterschiedlicher Nuancierung auf und kann eher die Tempelnähe akzentuieren – worauf im Folgenden der Fokus liegt – oder den Schulcharakter unterstreichen, indem etwa vermutet wird, dass der Psalter „seine Endgestalt im Milieu jener Weisheitsschule erhalten hat, die in gewisser Distanz zur Tempelaristokratie und deren hellenisierenden Tendenzen stand“90. Dabei ist weniger die Postulierung eines weisheitlichen Schulkontextes problematisch, dessen weisheitliche Komponente sich wiederum anhand von Ps 1 sowie zahlreichen weiteren Psalmen erschließen lässt und dessen Schul-Dimension durch den schriftgelehrten Charakter der späten Psalter-Redaktionen sowie durch parallele Vorgänge für weitere, zumal spät abgeschlossene Bücher der Hebräischen Bibel sehr wahrscheinlich gemacht wird. Vorbehalte sind vielmehr in Bezug auf die Tempelnähe der formativen PsalterRedaktion angebracht. Denn deren von Tempel, Kult und Liturgie unabhängige konzeptionelle und pragmatische Stoßrichtung widerrät grundsätzlich einer Ansiedlung in signifikanter Tempelnähe. Soviel lässt sich, wie oben illustriert wurde und auch breiter anerkannt ist, recht deutlich konstatieren. Von hier aus legen sich dann aber auch entsprechende Rückschlüsse in Bezug auf die Trägerkreise nahe, die ebenfalls in einiger Distanz zu Tempel und Kult (und d. h. mindestens zur priesterlichen Tempelaristokratie) zu verorten sind. Nur: Was bedeutet denn Tempelnähe bzw. -distanz im Jerusalem des früheren 2. Jh. v. Chr. de facto? Wieweit ist institutionell eigentlich ein tempelunabhängiger, schrift89 So O.H. Steck, Rezeption, 376 [Hervorhebung M. L.], dem ich zunächst gefolgt bin (siehe M. Leuenberger, Konzeptionen, 389 Anm. 366); siehe auch seinen Verweis auf „eschatologisch orientierte Tempeltheologen“ (O.H. Steck, Abschluß, 161). 90 E. Zenger, Psalter als Buch, 45 [Hervorhebung M. L.], wobei im Kontext auch die Verbindung zur levitischen Tempelsängerschaft, die natürlich große Tempelnähe bedeutet, zu beachten ist.
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gelehrter Schulbetrieb (mit dem erforderlichen Zugang zu Archiv und Bibliothek) vorstellbar? Welche Größenordnungen können unterschiedliche theologische ‚Schulen‘ oder Gruppen bei einer Gesamtbevölkerungszahl Jerusalems von vielleicht 30000 Personen überhaupt erreicht haben? Wie hat man sich den theologischen Diskurs zwischen diesen Schulen konkret vorzustellen, und auf welche Weise hat er sich literarisch in der produktiven Bücherbearbeitung niederschlagen und dauerhaft konservieren können? Dies sind nur einige der noch viel zu wenig geklärten Fragen zum schriftgelehrten Betrieb in Jerusalem im näheren und weiteren Umkreis des Tempels. Sie raten zu größter Vorsicht bei der Beurteilung der Tempelnähe/-distanz der Psalter-Trägerkreise. (3) Ähnlich ambivalent muss aus meiner Sicht auch die Einschätzung einer dritten, recht häufig (im vorliegenden Band etwa von S. Gillingham) vertretenen These ausfallen, die besagt, dass die Trägerkreise der formativen Psalter-Redaktion und z. T. auch der etwas ältereren Psalter-Redaktionen mit Schlüssen in den Büchern IV–V unter den Leviten91 oder den „Levitical Singers“92 bzw. der „levitischen Tempelsängerschaft“93 zu suchen sind. Will man nämlich nicht einfach die eine Unbekannte durch eine andere ersetzen, gilt es zu klären, wer die levitischen Tempelsänger sind bzw. welche Funktionen sie ausüben. Unabhängig von den recht unterschiedlichen Herleitungen und Konzeptionierungen der Leviten lässt sich für die nachexilische Zeit (vor allem aus Esr-Neh und Chron) erkennen, dass der Tempelgesang und die Tempelmusik eine zentrale Funktion und Aufgabe der Leviten darstellen.94 Verlängert man dies bis ins 3. und 2. Jh. – versteht man die Leviten also als Tempelsänger –, dann ergeben sich bei einer Korrelation mit den Psalter-Redaktoren notgedrungen die oben erörterten Probleme der Tempelnähe/-distanz (siehe aber Anm. 95). Hinzu kommt, dass sich für eine solche Verbindung auch von der Bestimmung der Funktion des Psalters als Lesepsalter und nicht als Tempelgesangbuch her Schwierigkeiten ergeben: Es bleibt ungeklärt, wie Tempelsänger dazu kommen,
91 Siehe bereits Kraus, Psalmen, 77; M.S. Smith, Compilation, u. a. 92 S. Gillingham, Singers, siehe besonders 103ff.120ff.; Dies., Editing, 334 vermutet sogar, dass „this group of editors and compilers [sc. of the Psalter – M. L.] belonged to the same Levitical circles as those who compiled and edited the books of Chronicles“. 93 E. Zenger, Psalter als Buch, 448; so auch noch M. Leuenberger, Theologie mit Anm. 41. 94 So mit S. Gillingham, Singers, 107f. (Lit.); siehe jetzt auch B. Janowski, Psalmenüberschriften mit Anm. 77ff. Im Psalter lässt sich dies stichhaltig an den (mit der Chronik zusammen gelesenen) Asaf- und Korach-Psalmen zeigen, ohne daraus allzu generelle Verallgemeinerungen für die übrigen Psalmengruppen zu ziehen. Und selbst innerhalb der Asafund Korach-Psalmen wird man differenzieren müssen, sprengen doch etwa die weisheitlichen Psalmen 49 und 73 sehr deutlich den kultischen Rahmen und wurden in ihrer jetzigen Form schwerlich kultisch-liturgisch verwendet.
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einen für den außerkultischen und außerliturgischen, im weitesten Sinne privaten Gebrauch bestimmten Lesepsalter zu produzieren. In neuerer Sicht werden die Leviten jedoch mitunter – und m. E. völlig zu Recht – anders (und im Einzelnen auch differenzierter) beschrieben: nämlich vorab als Schriftgelehrte. So hat J. Schaper in der zweiten Hälfte der Perserzeit eine „Amalgamierung von Levitenschaft und Sängerschaft“ rekonstruiert, die es „den eigentlichen Leviten [erlaubte], ihre neuen Funktionen (Lehrer, Richter, etc.) auszuüben und doch zugleich ihre Präsenz im Tempel aufrechtzuerhalten“95. Indem sie so „ihre neue Schlüsselstellung im religiösen ‚System‘ des spätacheminidischen Juda mit Leben erfüllten und in der hellenistischen Zeit weiter ausbauten“, wurde „[n]ach und nach […] die Schriftauslegung zur Domäne der Leviten“96. Thomas Willi hat diesen Wandel dahingehend präzisiert, dass die Legitimation der Leviten nun „nicht mehr wie einst auf einem Priesterdienst im Vollsinn [beruhte], sondern auf der Pflege der Überlieferung, auf der Anwendung des Wortes und auf der Auslegung der Schrift“97. Damit verändern sich das Profil, die Funktionen und auch die soziologische Verortung der Leviten grundlegend, sei es im Sinne einer Erweiterung oder einer Verlagerung. Derart wäre dann für den Psalter auch eine Vermittlungsposition denkbar: Die schriftgelehrten (levitischen) Psalter-Trägerkreise gehören zu den (levitischen) Tempelsängern. Die sachliche Kompetenz der Schriftauslegung, die für die späten Psalter-Redaktoren zentral ist, lässt sich so – vermittelt über die Kategorie der Leviten, die beide Grundfunktionen abdeckt, dadurch jedoch entsprechend unscharf wird – mit dem institutionellen Status der Tempelsängerschaft verbinden. Diese mögliche Kombination erscheint jedoch weder allzu plausibel noch sinnvoll: Denn selbst wenn sich Schriftauslegung und Tempelgesang als levitische Funktionen verstehen lassen, so handelt es sich um zwei weit auseinander liegende Pole der levitischen Tätigkeiten; ob sie sich auch sozialgeschichtlich – in Bezug auf die Trägerkreise – so unmittelbar gleichsetzen lassen, wäre m. E. allererst zu prüfen. V. a. aber halte ich die Bezeichnung der Psalter-Redaktoren als Tempelsänger insofern für irreführend, als der Tempelgesang nicht nur sachlich nichts austrägt für das Verständnis des schriftgelehrten Psalters, son95 J. Schaper, Priester, 305, siehe summarisch 305ff. Wenn man dieser Sicht folgt, lässt sich die im Psalter beschriebene Problematik der Tempelnähe/-distanz als doppelgleisige Strategie verstehen. 96 J. Schaper, Priester, 305f.; dabei spielt Neh 8,7f. eine zentrale Rolle. Siehe auch R. Achenbach, Art. Levit/Leviten, 294. 97 T. Willi, Leviten, 91f., nach dem vorab die Chron diese Funktionen in den Kult integriert; während dies für die spätere Perserzeit zutreffen mag, lässt sich die Schriftauslegung in der hellenistischen Zeit nicht mehr darauf beschränken. Siehe im vorliegenden Zusammenhang auch Seite 92 Anm. 56, wo er anregt, „die Frage nach der Bedeutung und dem Ort der Psalmen im Jerusalemer Gottesdienst einmal unter diesen Gesichtspunkten“ anzugehen.
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dern darüber hinaus auch falsche Signale setzt, welche die tempel- und kultunabhängigen Dimensionen und Verwendungen des Psalters konterkarieren. Daher sollten die Leviten qua Tempelsänger von den Psalter-Trägergruppen klar abgegrenzt werden, während die Leviten qua Schriftausleger98 mit einem zentralen Merkmal der Psalter-Redaktoren übereinstimmen – ohne freilich einen mit den Asidäern vergleichbaren Konvergenzgrad zu erreichen. Aufgrund der Polyvalenz des Schlagwortes der Leviten bleibt es also zumindest gefährlich und für Missverständnisse anfällig, die Psalter-Redaktoren in erster Linie als Leviten zu erfassen, denn allzu leicht verbinden sich damit die eingefahrenen Assoziationen des Tempelgesangs. Wenn man dies dennoch tun will, gilt es auf dem aktuellen Forschungsstand erstens klarzustellen, dass es sich um die Leviten qua Schriftgelehrte handelt, und zweitens zu signalisieren, dass auch innerhalb der schriftgelehrten Leviten mit sich vielfach abgrenzenden und entwickelnden Gruppen zu rechnen ist, deren Geschichte und Profil im 3. und 2. Jh. v. Chr. nur lückenhaft rekonstruiert werden kann – vor allem aus Qumrantexten99. Insgesamt bleibt somit eine Identifikation der Psalter-Redaktoren mit den Leviten höchst ambivalent. (1) Von Seiten des Psalters ist eine über den schriftgelehrten und -auslegenden Charakter hinausgehende levitische Prägung nicht zu erkennen. Gegen eine Identifikation mit den Leviten qua Tempelsänger sprechen die oben ausgeführten Gründe. Zudem bleibt es auch methodisch fragwürdig, die eine Unbekannte der Psalter-Trägerkreise durch die andere – nach wie vor sehr unscharfe – Chiffre der Leviten qua Schriftgelehrte zu ersetzen, denn jedenfalls für die theologie- und sozialgeschichtliche Kontextualisierung des Psalters und seiner theologischen Konzeptionen trägt dies nichts aus. (2) Rechtfertigen lassen kann sich ein solches Unterfangen m. E. allenfalls von Seiten der Leviten: Die im Psalter zu beobachtenden Prozesse der Schrift- und Toraauslegung in zunehmender Distanz zu und Unabhängigkeit von Tempel und Kult kann dazu beitragen, die während der hellenistischen Zeit weithin unbekannte Geschichte der Leviten in diese Hinsicht besser zu verstehen – wenn die Gleichsetzung bzw. Korrelation denn zutrifft. Man kann also von den Psalter-Trägerkreisen allenfalls gewisse (im Vergleich zu den Qumrantexten freilich sehr bescheidene) Einsichten für die historische Rekonstruktion der Leviten gewinnen, schwerlich jedoch umgekehrt.
98 So etwa N. Füglister, Verwendung, 381, siehe auch 380.384. Vgl. in diesem Zusammenhang nochmals Ps 135,20, das einzige psalterinterne, positive Indiz (siehe oben Anm. 37). 99 Vgl. hierzu die aktuelle Übersicht von U. Dahmen, Art. ( ֵלוִיLit.).
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Ergebnis
Ich fasse kurz das Ergebnis der rezeptionsgeschichtlich eingeleiteten (1.), forschungsgeschichtlich verorteten und methodisch abgesicherten (2.) Erörterungen zu den für die formative Psalter-Redaktion (3.) verantwortlich zeichnenden Trägerkreisen (4.) zusammen: Die konzeptionellen Auswertungen der wichtigsten Einzelbeobachtungen zum Psalterrahmen in Ps 1f. und 146–150 haben namentlich für Ps 1 und Ps 149 relativ markante Profilierungen ergeben. Erschließt man in dieser methodisch transparenten und inhaltlich vorsichtigen Weise sorgfältig die dahinter stehenden Psalter-Trägerkreise, so lassen sie sich mit recht großer Wahrscheinlichkeit der (proto)asidäischen Bewegung zuordnen: Denn es lassen sich signifikante und aufs Ganze erstaunlich enge Übereinstimmungen mit den v. a. aus den Makkabäerbüchern bekannten Asidäern sowohl auf terminologischer als auch auf konzeptioneller und schließlich wohl sogar auf soziohistorischer Ebene erkennen. Demgegenüber zeigt sich, dass die weitergehenden bzw. alternativen Annahmen einer tempelnahen Schultheologie problematisch und einer levitischen Verfasserschaft ambivalent (positiv bezüglich Leviten qua Schriftgelehrte, negativ bezüglich Leviten qua Tempelsänger) zu beurteilen sind (siehe oben 4.3.). Weiterführender als die Ersetzung der Psalter-Trägerkreise durch ein soziohistorisch seinereits nur unzureichend greifbares Etikett wie das der Leviten scheint es mir auf jeden Fall zu sein, wie oben unternommen, eine möglichst genaue textbasierte Profilierung der impliziten Verfasser vorzunehmen, die sich dann gegebenenfalls mit anderweitig hinreichend genau rekonstruierbaren Trägergruppen korrelieren lässt. Im weiten Rückraum der Psalmenüberlieferung hinter der formativen Psalter-Redaktion eröffnet sich dadurch ein weites Feld, das mit vereinten redaktions-, literatur-, theologie- und sozialgeschichtlichen Kräften zu bearbeiten ist.
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Verbindungslinien von den Psalmen Asaphs (Ps 50; 73–83) zu den Psalmen des Psalterteilbuchs IV (Ps 90–106). Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis1
Mit der hier vorliegenden Untersuchung knüpfe ich an meinen Beitrag bei der vorangegangenen Münchner Tagung zu „Psalmen und Chronik“ an: Dort habe ich den Versuch unternommen, einen levitisch-asaphitischen Trägerkreis mit einer langen Wirkungszeit zu etablieren und mit Texten aus einem Zeitspektrum von König Hiskia bis in die Zeit der Chronik zu verbinden.2 Mein Bonner Beitrag ist weniger ambitiös: Er verbleibt im Bereich von Psalmen und Psalter und arbeitet an einem Teilbereich des im Münchner Vortrag aufgespannten Zeitbogens. Bezüge zwischen Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83) und den Psalmen aus Teilbuch IV (Ps 90–106) wurden bisher nicht eingehend untersucht. Mein Beitrag fragt nach dem Einfluss, der von Asaph-Psalmen bzw. von einem hinter ihnen stehenden und sie überliefernden Trägerkreis (TK) bei der Gestaltung der in Teilbuch IV gesammelten Psalmen ausging. Sollte sich ein substantieller Einfluss zeigen, läge ein missing link zwischen den Asaph-Psalmen und den chr Asaphiten vor. Zudem wäre damit innerhalb des Psalters ein TK greifbar, der mit der Entstehung, Überlieferung und Edierung von Psalmen betraut ist. Ein derartiger Befund wäre überdies anschlussfähig für weiterführende Überlegungen hinsichtlich der Buchwerdung des Psalters einerseits und der Konturierung der
1 Die vorliegende Fassung ist gegenüber dem Referat mit dem Titel „Von den Psalmen Asaphs (Ps 50; 73–83) zu den ,deuteroasaphitischen‘ Psalmen im Psalterteilbuch IV (Ps 90–106). Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis“ (Bonn, 11. 10. 2012) leicht überarbeitet. Ich danke den Organisatoren der Tagung „Trägerkreise in den Psalmen“, Prof. em. Dr. FrankLothar Hossfeld† und seinem Team, für die Einladung auf die Konferenz. Ebenso danke ich den Tagungsteilnehmern für Rückmeldungen, meinem früheren Praktikanten Pfr. Elias Henny für Anpassungen beim Layout und der Formatierung sowie Dr. Benjamin Kilchör für die abschliessende Korrekturlesung. Die Studie steht im Zusammenhang mit meinem Status als „research associate“ am Department of Ancient Languages and Cultures der University of Pretoria, Pretoria, South Africa. 2 Zur Druckfassung des am 21. 08. 2012 gehaltenen Münchner Referats vgl. B. Weber, Asaph im Psalter. Wenn auch ohne Zuspitzung auf Asaphiten kommt M. A. Christian, Levitical Authorship, 236, ähnlich zu „a consistent picture of the Levites’ involvement in the preservation and transmission of Israelite traditions in sundry contexts for at least half a millenium“.
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Asaphiten andererseits – weithin auch dann, wenn man meine Datierung und Kontextuierung der Asaph-Psalmen nicht teilt.3
1.
Prolegomena: Definitionen, Methoden und Kriterien, Vorgehensweise
Diese Tagung fragt nach „Trägerkreisen“. Der damit angezielte Versuch, Literatur soziohistorisch zu verankern, ist zu begrüssen.4 Für eine Zuordnung von Texten zu geschichtlichen und institutionellen Gegebenheiten fehlt es freilich öfters an hinreichenden Informationen, so dass wir uns weithin im Bereich von Annäherungen und Plausbilitäten bewegen. Im Sinne einer methodischen Abstützung nenne ich fünf Parameter, die im altisraelitischen Kontext ein Kollektiv als „Trägerkreis“ (oder „Trägergruppe“) 5 auszeichnen: (1.) Beauftragung: Ein TK kann sich auf eine initiale und/oder wiederholte Beauftragung stützen und verfügt damit über Autorisierung. Nicht selten beruft sich ein TK auf eine Ursprungsgestalt (Eponym). (2.) Funktionsgruppe: Ein TK umfasst eine Gemeinschaft von Leuten, die funktional und allenfalls zugleich genealogisch untereinander verbunden sind und sich mit bestimmten Aufgaben identifizieren. Häufig ist die Gruppe institutionell und teils auch örtlich verankert. (3.) Traditionspflege: Ein TK hat und vermittelt Kenntnisse und Kompetenzen, die mit seinen Aufgaben in Zusammenhang stehen. Er ist in der Regel mit Entstehung, Pflege und Weitergabe von mündlichen Überlieferungen und schriftlicher Literatur betraut. Bei Bedarf werden im Prozess des Tradierens Stoffe ediert, modifiziert, fortgeschrieben oder neu verfasst. (4.) Kontinuität: Ein TK nimmt Funktionen über einen längeren Zeitraum hinweg wahr. Er garantiert damit Kontinuität, übermittelt von ihm gepflegte 3 Die von mir nicht geteilte Mehrheitsmeinung (in der kontinentaleuropäischen Forschung) lässt sich mit Blick auf die Asaph-Psalmen knapp so skizzieren (vgl. B. Weber, Asaf, 254–258): Die Asaph-Psalmen greifen vereinzelt frühe Überlieferungen auf, sind aber – jedenfalls in ihrer Mehrheit – exilisch-nachexilisch entstanden, u. a. als Exilsklagen, Rollendichtungen ( J. van Oorschot, Strukturen), nachexilische Kultprophetie ( R.J. Tournay, Dieu), geschichtstheologische Schriftauslegung (M. Witte, Exodus). Entsprechend stehen diese Psalmen und ihre Kreise in zeitlich ähnlichem Vor- oder Umfeld zur Erwähnung der Asaphiten in Esr-Neh und Chr (vgl. P. Schelling, Asafspsalmen). 4 Ähnliche, sozialgeschichtlich wie literatursoziologisch verankerte Bemühungen sind bei K. van der Toorn, Scribal Culture, und K. Schmid, Literaturgeschichte, greifbar. Damit verbunden ist die Problematisierung eines vergeistigenden Zuges im Zusammenhang literarischer Phänomene (so ist die Rede von „Deuteronomisten“ oft nicht mehr als eine Etikettierung, die ohne Zuordnung zu historisch greifbaren Gruppierungen bleibt und damit gleichsam in der Luft hängt). 5 Vgl. H. Seidel, Trägergruppen.
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Traditionen in veränderte Zeiten und „aktualisiert“ sie allein schon dadurch.6 Angestossen durch interne oder externe Momente kann ein TK über die Zeit hinweg Grösse, Zugehörigkeit und Funktion ebenso wie Umfang und Art der Textpflege verändern. Ein TK kann sich ganz auflösen oder sich mit anderen Gruppierungen vermischen bzw. in ihnen aufgehen. (5.) Vernetzung: Ein TK steht in Relation mit Institutionen, deren Träger sowie dem Volk. In solchen Kontexten und Interaktionen nimmt er spezifische Funktionen wahr und ist in Prozesse des Legitimierens und Autorisierens involviert.7 Über diese Charakteristika hinaus scheint mir folgende Differenzierung relevant: Die Tagungsausschreibung spricht von TK in den Psalmen. Diese Fragestellung verbleibt auf der literarischen Ebene und sucht in den Texten nach Evidenzen hinsichtlich eines TK. Sprechen wir dagegen von TK hinter den Psalmen oder TK der Psalmen überführen wir textliche Indizien in Folgerungen über sozio-historische Realitäten. Ein derartiger Transgress von der Textebene hin zur aussertextlichen Wirklichkeit wird oft angetrebt. Methodologisch ist er freilich nicht unproblematisch, weil damit ein Kategorienwechsel einhergeht. Hinzu kommt, dass ein ganzes Bündel von Verknüpfungen zwischen Texten und einem mit ihnen verbundenen TK denkbar ist: von Verfasserschaft über Aufgaben der oralen und skripturalen Überlieferung bis hin zu Komponierung und/ oder Edierung kleinerer oder grösserer Textkomplexe. Diese Studie geht so vor, dass zunächst Charakteristika der Asaph-Psalmen zusammengestellt und die Konturen eines TK in und hinter ihnen gezeichnet werden. Anhand dieser werden danach die Psalmen im Bereich von Teilbuch IV– mit Blick auf Gattung/Funktion, Begrifflichkeit und Motivik – rasterartig auf ihre „Asaphizität“ durchgesehen und ausgewertet. Den Schluss bildet eine Auswertung des Befunds samt weiterführenden Überlegungen.
2.
Die Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83) und ihr Trägerkreis
Hinweise auf einen TK in den Asaph-Psalmen vermittelt zunächst das Präskript. Es nennt einen (als bekannt vorausgesetzten) Asaph, wohl Ahnherr einer Gruppe. Mit ihm werden zwölf Psalmen verbunden: die aneinander gereihten 6 Vom Kollektiv eines TK würde ich Verfasser und Editoren dahingehend unterscheiden, als letztere sich lediglich kurzzeitig etablieren und nicht über einen längeren Zeitraum hinweg agieren. 7 H. Seidel, Trägergruppen, 377–386, nennt und diskutiert für das alte Israel verschiedene mögliche TK wie Priester, Leviten, Propheten (inkl. Prophetenschüler und Kultpropheten), Hofpersonal (Schreiber, Beamte, Minister) und Kultmusiker. K. van der Toorn, Scribal Culture, 118, rechnet mit einer „close association between cult singers and scribes“.
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Psalmen 73–83 (in Teilbuch III) und vorab der asaphitische Solitär Ps 508 (in Teilbuch II).9 Dem Corpus dieser Psalmen ist über Asaph direkt nichts zu entnehmen.10 Doch lässt sich anhand der Asaph-Zuschreibung ein Corpus von Psalmen sachgerecht herausschälen.11 Dieses weist trotz eines thematischen wie funktionalen Spektrums gemeinsame Konturen auf, lässt Zusammengehörigkeit annehmen und Zugehörigkeit zu einem spezifischen TK vermuten.12 Die AsaphPsalmen zeichnen sich insbesondere durch vier Charakteristika aus, die knapp zu skizzieren sind: (1.) Gerichtsbezug: Warnungen vor und Verarbeitungen von Gottesgericht (ante et post factum) 13 bilden den Hauptmodus asaphitischer Psalmenartikulation. Damit verbunden finden sich (prophetisch vermittelte) Gottesrede14 und Belehrung15. (2.) Gottesbezug: Die Häufigkeit direkter Gottesrede ist auffallend, und auch Theophanien16 finden sich mehrfach. Signifikanter Ausdruck der Präsenz Gottes sind zudem Dichte und Varianz seiner Namen.17 Wie JHWH bezeichnet, angesprochen und aufgerufen wird, lässt eine bestimmte Form von Offenbarungstheologie erkennen.18 8 Zu diesem Psalm vgl. nun B. Kilchör / B. Weber, „Unser Gott“. 9 Ob לאסףdie Entstehung der entsprechenden Psalmen markiert oder erst im Zuge der (späteren) Verwendung als Signatur dazugekommen ist, kann hier offen bleiben. 10 Die nachexilischen Bücher Chronik und – in geringerem Mass – Esra-Nehemia schildern ihn als von David beauftragten Dichter und Performer von Psalmen in der Gründungszeit des ersten Tempels und als Haupt einer am nachexilischen Tempel wirkenden levitischen Gilde von Sängern und Musikern (vgl. 1Chr 15,17–19; 16,5–7.37; 25,2.6; 2Chr 5,12f.; 29,25–30; 35,15; Esr 2,41; 3,10; Neh 7,44; 12,46). 11 Dies ist weithin Konsens in der Psalmenforschung. Vgl. dazu u. a. M. Buss, Psalms; N. Sarna, Superscriptions; P. Schelling, Asafspsalmen; H.P. Nasuti, Tradition History; K. Seybold, „Wir“; M. Goulder, Psalms of Asaph; B. Weber, Psalm 77, 265–309; B. Weber, AsaphPsalter; B. Weber, Asaf. 12 Das in Esr-Neh und Chr erkenntliche Funktionsspektrum von Asaph und den Asaphiten fügt sich freilich nur partiell zu demjenigen der Asaph-Psalmen: Gesangliche und instrumentale Psalmenaufführung zum Gotteslobpreis stehen, anders als in der Chronik, nicht im Fokus. Hinweise zu Musik (und Lobpreis) finden sich in Präskript-Angaben (vgl. namentlich Ps 75,1; 76,1; 80,1; 81,1, ausserdem Ps 50,1; 73,1; 77,1; 79,1; 82,1; 83,1) und (nur) vereinzelt in den Psalmencorpora (vgl. Ps 75,2.10; 77,7; 79,13; 81,2–4). Dies ist mit ein Grund für die Annahme der Vorzeitigkeit der Asaph-Psalmen gegenüber den nachexilischen Asaphiten (Esr-Neh; Chr). 13 Gerichtsaussagen bzw. -warnungen: Ps 50; 75; 76; 81; 82, indirekt auch Ps 73; 78 – Gerichtsverarbeitung (Volks- oder Mittlerklagen): Ps 74; 77; 79; 80; 83. 14 Vgl. Ps 50,5.7–13/15.16–23; 75,3–4/6.11; 81,7–15/17; 82,2–7. Dieses Charakteristikum hat auch Anhaltspunkte im chr Asaph-Bild (vgl. 2Chr 20,15–17, ferner 1Chr 25,1f.; 2Chr 29,30; 35,15 [?]). Dazu insgesamt vgl. B. Weber, Gottesrede. 15 Vgl. namentlich Ps 78 als Geschichtsbelehrung in Parabelform, ferner auch Ps 50,7ff.; 73; 74,1. 16 Vgl. Ps 50,2f.; 77,17–20; 83,14–16, ferner Ps 74,13–15. 17 Vgl. die Zusammenstellung bei B. Weber, Psalm 77, 282. 18 Hervorzuheben ist die Dreifach-Anrufung El, Elohim, JHWH! als Eröffnung des ersten Asaph-
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(3.) Volksbezug: Die Sammlung besteht durchwegs aus Kollektivpsalmen. Selbst dort, wo kein Volks- oder Gruppen-„Wir“, sondern ein „Ich“ spricht, äussert dieses seine Worte mit oder für eine Gemeinschaft: so in Ps 77 (Mittlerpsalm) 19 oder in Ps 73 (Paradigmapsalm) 20. Die in den Asaph-Psalmen Sprechenden handeln – nicht selten in gottesdienstlichen Zusammenhängen – für das Gottesvolk21 bzw. in dessen Interesse, und zwar selbst dann, wenn sie dem Volk insgesamt oder den Frevlern unter ihm Gericht ankündigen müssen. (4.) Traditionsbezug: K. Seybold notiert, „daß eine Mehrzahl der AsaphPsalmen sich explizit auf vorgegebene Texte oder Überlieferungen bezieht“22. Tatsächlich zeichnen sich diese Psalmen durch eine profunde Kenntnis und Aktualisierung (alt)israelitischer Überlieferungen aus. Die beiden poetischen Mose-Stücke im Pentateuch, die grundlegend auf Rettung (Ex 15) und Gericht (Dtn 32) verweisen, geniessen dabei besondere Dignität.23 Darüber hinaus spielen weitere, mit Mose verbundene Stoffe und Funktionen (Prophet, Mittler, Volksführer) in diesen Psalmen eine Rolle24 – auch wenn dessen Name expressis verbis nur einmal fällt (Ps 77,21). Dass mit Ps 78 der erste sogegannte „Geschichtspsalm“ im Psalter innerhalb der Asaph-Gruppe vorliegt, verdient ebenso Beachtung wie die Erwähnungen der mythischen Urzeit und der Frühgeschichte: vom Exodus bis zum Zion und zu David hin.25 Der überindividuelle Horizont wie der Zugriff auf ein breites Überlieferungsgut lässt hinter diesen Psalmen Funktionsträger annehmen, die mit „nationalen“, vielleicht an einem Heiligtum zu lokaliserenden Verantwortlichkeiten betraut waren. Wendet man im Sinne einer Kriteriologie die vier angeführten Wesensmerkmale auf die Asaph-Psalmen und ihre Charakteristika an, so lässt sich festhalten: Alle Momente, die einen TK konstituieren, sind erfüllt. Die Psalmen לאסףsind
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Psalms (Ps 50,1), ebenso wie das Ende des letzten (Ps 83,19): Und sie sollen (an)erkennen, dass du selbst – dein Name [ist] JHWH –, du allein [der] Eljon (Höchste) über die ganze Erde [bist]. Vgl. dazu im Detail B. Weber, Psalm 77, 191–198; B. Weber, Werkbuch Psalmen II, 42–44. Der Volks- und Gemeinschaftsbezug wird in den V.1.15 angezeigt. Mehr zu diesem Psalm in B. Weber, Werkbuch Psalmen II, 15–23. Besonders beliebt ist die (inkludierende) Rede vom Hirten und seiner Herde (vgl. Ps 74,1; 77,21; 78,52f.70–72; 79,13; 80,2). Hinter Begriffen wie „meine Begnadeten, die den Bund schliessen über dem Opfer“ (Ps 50,5), „deine Armen“ (Ps 74,19, vgl. auch V.21 sowie Ps 79,8; 82,3f.), „Söhne/Kinder des Todes“ = Todgeweihte (Ps 79,11) sind möglicherweise Selbstbezeichnungen der Gruppe bzw. des TK zu vermuten. „Wir“- bzw. „Uns“-Formulierungen finden sich in Ps 50,3; 74,9; 75,1; 78,3–5; 79,4.8–10.12f.; 80,3f.7f.19f. K. Seybold, „Wir“, 144. Ähnlich M. Goulder, Psalms of Asaph, 10: „The Asaph psalms contain, as no other body of psalms does, the elements of a continuous outline of Israelite history, beginning from the oppression in Egypt, and going on at least as far as the DavidicSolomonic Empire.“ Zur Zusammenstellung der (möglichen) Anklänge an die beiden Stücke vgl. B. Weber, Asaph-Psalter, 125. Vgl. B. Weber, Asaph-Psalter, 125f. Vgl. u. a. Ps 74,2.12–17; 75,4; 76,3–7; 77,14–21; 80,9–12; 81,6–8.11; 83,10–13.
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Asaph in dem Sinn „zugeordnet“26 als sie ihn als ihren Verfasser ausweisen oder aber – aufgrund ihrer funktionalen, thematischen und zeitlichen Spannbreite wahrscheinlicher27 – auf ihn als Ahnherrn verweisen und mit einer von ihm her ihre Autorität und Legitimität beziehenden Gilde in Verbindung zu bringen sind. Von daher darf ein hinter diesen Psalmen stehender und mit ihnen verbundener asaphitischer TK angenommen werden. Durch das Fenster ihrer Dichtkunst wird eine bedeutsame Gruppe ansichtig, die Führungsverantwortung in Israel wahrnimmt.28
3.
Asaphitische Einflüsse im Psalterteilbuch IV (Ps 90–106)
3.1.
Vorbemerkungen und Versuchsanlage
Bereits im Rahmen meiner 1995 publizierten Basler Dissertation bin ich auf Verbindungslinien von Asaph-Psalmen zu solchen aus dem Psalterteilbuch IV gestossen29 und habe dazu notiert: „Das Psalter-Buch IV ist von den Inhalten der Asaph-Psalmen bzw. Buch III wesentlich (mit)geprägt (gleicher Psalmenbestand), hat aber verstärkt eine in die Zukunft gerichtete Perspektive und wird in der Zeit zwischen dem Tempelneubau und dem chronistischen Werk anzusetzen sein (5./4. Jh. v. Chr.?). Eine Redigierung und teilweise wohl auch Verfassung der Psalmen dieses IV. Buches durch asaphitische Tempelsänger ist wahrscheinlich. Der Lobpreis Asaphs angesichts der Ladeüberführung nach Jerusalem in I Chr 16, der vom Chronisten anhand von Teilen dreier Psalmen aus Buch IV (Ps 105; 96; 106) gestaltet wurde, könnte ein Hinweis darauf sein, 26 Zur Präposition lamed und ihren Verstehensoptionen in diesem Zusammenhang vgl. E. Jenni, Präpositionen 3, 71; B. Weber, Psalm 77, 274–276. 27 Das Spektrum schliesst die Bereiche Recht/Gericht, Katastrophenverarbeitung, Kultprophetie und Weisheit ebenso wie Geschichtsaktualisierung und Gottesdienst mit ein. 28 Eine Näherbestimmung dieses TK kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. Deutlich ist jedenfalls, dass der TK ein Interesse an Gesamtisrael unter auffallendem Einbezug der Nordreichstämme zeigt, aber auch eine Verbindung zu Jerusalem aufweist. Ich halte einen levitischen TK mit Nordreich-Herkunft, der unter Hiskia an der Integration beider Reichsteile massgeblich beteiligt war und sowohl den Untergang des Nord- wie des Südreichs (720 respektive 587 v. Chr. – zur Datierung vgl. R.A. Young, Hezekiah, 12–24) klage- und geschichtstheologisch verarbeitete, für wahrscheinlich. Mehr dazu in B. Weber, Asaph im Psalter. 29 Doppelungen und ähnliche Phänomene innerhalb des Psalters lassen Entwicklungen und Beeinflussungen in den Prozessen der Psalterwerdung erkennen oder jedenfalls vermuten. Als evidente Beispiele seien die weithin identischen Ps 14 und 53 erwähnt, die in die DavidSammlungen I und II eingestellt wurden, ferner die Komposition von Ps 108 aus Teilen der Ps 57 und 60 und schliesslich die Neuverarbeitung von Ps 18 (der seinerseits in 2Sam 22 eine psalterexterne Parallele hat) in Ps 144.
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dass dieses Psalter-Buch mit den (nachexilischen) Asaphiten in Verbindung zu bringen ist und mit dem Jerusalemer Tempel(neubau) in Zusammenhang steht.“30 Weitere Studien haben diese Überlegungen bestätigt. Sie führten zur Hypothese eines asaphitischen Trägerkreises, auf dessen Einfluss auch psalter-externe Stücke wie Neh 9 und Einflüsse in Jes 40–66, namentlich Jes 63,7–64,11, zurückzuführen sein dürften.31 Ich beschränke mich hier auf den Psalter und nenne prima vista Beobachtungen, die auch von anderen Forschern festgestellt wurden und als anerkannt gelten können:32 (1.) Festpsalmen: Die sogenannten „Festpsalmen“ 50 und 81 haben in Ps 95 einen Fortläufer. Über das gottesdienstliche Setting mit Volksparänese hinaus verbinden Ps 81 und 95 die Aufnahme von Wüstentradition mit der Erwähnung von Meriba. (2.) Geschichtspsalmen: Ps 78 hat im Psalmenpaar 105 und 106 ein (späteres) Pendant.33 Gründende Volksgeschichte findet sich zudem in weiteren Psalmen innerhalb der beiden, von Kollektivpsalmen beherrschten, Psalmenkorpora. (3.) Mose-Überlieferungen und -Funktionen: Über die Geschichtspsalmen hinaus spielt Mose34 als Gestalt sowie mit ihm verbundene Funktionen und Überlieferungen in den Asaph-Psalmen wie in einer Reihe von Psalmen aus Teilbuch IV– inkl. dessen „mosaischer Rahmen“ Ps 90(–92); 105f. – eine prägnante Rolle. (4.) Gottesgericht: Die Gerichtsthematik, welche die Asaph-Psalmen nachhaltig bestimmt, zeigt sich modifiziert – in Ausweitung auf Gott als Weltenrichter und unter Einschluss der Vergänglichkeitsthematik – auch im Psalterteilbuch IV. (5.) Asaph trägt Psalmen aus Teilbuch IV vor: In 1Chr 16 trägt Asaph als Sängerhaupt ein Psalmen-Medley vor, das sich aus Teilen von Ps 96; 105 und 106 speist. Selbst wenn diese Psalmen nicht ihm selbst zuzuschreiben sind – in Psalterteilbuch IV sind sie diesbezüglich nicht markiert –, so sind sie jedenfalls als ihm zur Disposition stehend gedacht.35 Von daher werden sie auch als „deutero-asaphitisch“ bezeichnet.36 30 B. Weber, Psalm 77, 295f. 31 Vgl. B. Weber, „Asaf“, ferner B. Weber, Asaph im Psalter; E. Zenger, Psalm 82, 278 (mit Erwähnung weiterer Texte wie Mi 7,14–20; Dtn 32 und Ex 15). 32 Vgl. B. Weber, Gottesrede, 740f. 33 Zu diesen drei Psalmen (sowie Ps 135f.) vgl. nun eingehend J. Gärtner, Geschichtspsalmen. Ihrem Befund, dass zwischen Ps 78 einerseits und Ps 105f. andererseits „so gut wie keine erkennbaren Beziehungen im Wortlaut vorliegen“ ( J. Gärtner, Geschichtspsalmen, 136, vgl. auch 388), kann ich freilich nicht zustimmen, wie die nachfolgenden Analysen zeigen werden. 34 Mose wird im Psalter explizit erstmals im Asaph-Psalm 77 (V.21) erwähnt; alle anderen Belege finden sich im Psalterteilbuch IV (Ps 90,1 [Präskript]; 99,6; 103,7; 105,26; 106,16.23.32). Vergleichbares lässt sich von Aaron sagen – erstmals im Psalter Ps 77,21, im Buch IV in Ps 99,6; 105,26; 106,16 –, nur dass auch Buch V Aaron-Belege hat (Ps 115,10.12; 118,3; 133,2; 135,19). 35 Vgl. auch 2Chr 29,30, wo das Vorliegen von David- und Asaph-Psalmen erwähnt wird.
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In der nachfolgenden Untersuchung geht es darum, die genannten Phänomene zu validieren und weitere Übereinstimmungen zwischen den AsaphPsalmen und den Psalmen aus Teilbuch IV zusammenzutragen. Dazu werden sämtliche Psalmen zwischen Ps 90 und 106 gesichtet und nach asaphitischen Merkmalen abgesucht. Gemeint sind Ähnlichkeiten in den Präskripten als auch der Gattung und ihrer Formen, sowie begriffliche und motivliche Übereinstimmungen. Um die Aufgabe im Rahmen eines Essays handhabbar zu machen, wurden folgende Einschränkungen gemacht: (1.) Die Studie beschränkt sich auf gewichtigere Übereinstimmungen und eine summarisch-tabellarische Zusammenstellung. (2.) Weithin unberücksichtigt bleibt der Umstand, dass die Psalmen aus Teilbuch IV weitere Überlieferungen und Texte aufnehmen – um nur etwa die Rezeption von Pentateuchstoffen in den Psalmen 105 und 106 zu nennen. Zwar werden in der Rubrik „Übrige Belege“ weitere Bezugsstellen angeführt, aber dies geschieht selektiv und ohne den Anspruch, alle wichtigen Belege zusammengetragen zu haben.37 (3.) Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass der Fokus auf dem Aufweis von Asaphizität im Sinne einer „Milieuverwandtschaft“, verstanden als Setting sprachlich beobachtbarer Phänomene, liegt. Eine solche kann dann als Ausdruck eines gemeinsamen TK gewertet werden. Die Vergleichsparameter sind daher weiter gefasst als bei einem Untersuchungsrahmen, der ausschliesslich auf direkte Textabhängigkeit (mit der Eruierung von Spender- und Empfängertexten) abstellt.38 Mit dieser limitierten Versuchsanlage lässt sich nur ein eingegrenzter Befund testen. Dafür ist sie offen gehalten, und entsprechend dürfte ihr Ergebnis für unterschiedliche Sichtweisen und Datierungen anschlussfähig sein. Dies gilt 36 Vgl. H.P. Nasuti, Tradition History, 175; E. Zenger, Psalm 82, 278; B. Gosse, Isaïe, 43ff. (unter Einschluss von Ex 15). Das Label lässt sich aufgrund ihrer Verwandtschaft mit AsaphPsalmen auf weitere Psalmen aus Teilbuch IV, allenfalls sogar auf die Gruppenredaktion, ausweiten (vgl. B. Weber, „Asaf“, 458f.). 37 Auch die Möglichkeit, dass im Vorfeld der Asaph-Gruppe Ps 73–83 – z. B. in der QorachGruppe I (vgl. etwa Ähnlichkeiten zwischen Ps 44 und 74 sowie den Anfängen von Ps 49 und 78) oder im David-Psalter II (vgl. dazu E. Zenger, Einleitung, 445f., dem namentlich Ps 58 und 60 als „asaphitisch“ gelten) – oder in deren Nachfeld – z. B. in Ps 89 (dazu B. Weber, Psalm 77, 197.245f.295) oder im Teilbuch V – weitere Psalmen asaphitischer Prägung vorliegen könnten, bleibt unberücksichtigt. 38 Insgesamt besteht – auch aufgrund des Textbefunds aus Qumran – ein Konsens darüber, dass die Psaltervorstufe Ps 2–89* („messianischer Psalter“) und damit erst recht der darin eingebettete kleine Asaph-Psalter (Ps 73–83) als älter zu beurteilen sind als die länger fluid gebliebenen Psalterteilbücher IV und V (vgl. u. a. G. H. Wilson, Editing, 155ff.; M. Leuenberger, Konzeptionen, 85–92). Dies kann cum grano salis auch für die eingebetteten Einzelpsalmen gelten, schliesst aber freilich nicht aus, dass vorexilische Psalmen (so üblicherweise die Einschätzung etwa von Ps 93) den Weg ins Teilbuch IV und späte Psalmen (dazu rechnet die Mehrheit etwa Ps 73) in den Asaph-Bestand gefunden haben.
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Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis
sowohl für die Profilierung der Psalmen aus Teilbuch IV als auch für Einsichten zur Buchwerdung des Psalters.39
3.2.
Die Erhebung asaphitischer Prägung in den Psalmen aus Teilbuch IV (Tabelle)40
3.2.1. Psalm 90 Psalm 90 [17 Verse]
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
Präskript
תפלה Zugehörig Mose, dem Mann Gottes
– (77,21) –
Form + Funktion
Vergänglichkeitsklage Weisheitl. Imprägnierung, paradigmatische Rede
– (73)
Übrige Belege (Auswahl) Ps 17; 86; 102 (Ps 99,6; 103,7; 105,26; 106,16.23.32) (Dtn 33,1; Esr 3,2; 1Chr 23,14; 2Chr 30,16, vgl. auch Dtn 32)
(73)
Begriffe + 4.9f.15: Tage + Jahre Motive 7: „(er)schrecken“ ()בהל 7.9: Vergänglichkeit, Zorn 11: Zorn 13: Rück-/Umkehrbitte FAZIT
77,6; 78,33 Gen 47,8f.28; Dtn 32,7 83,16.18 Ps 2,5; 6,4.11; 104,29 78,33.38 78,21 Ex 32,12f. 80,15 (vgl. 77,8– Ps 92,5 (Dtn 32,4; 33,11) 11) 16: „dein Tun“ ()פעל 77,13 (74,12) Die Berührungen konzentrieren sich auf Zeit-, Zornes- und Gerichtsaussagen. Eine Signifikanz hat „Mose“, der nach Ps 77,21 im Psalter hier (Präskript) zum zweiten Mal erscheint und über den ins Buch IV hinein weitere Vergleichshorizonte angesteuert werden (vgl. auch die Omnipräsenz Moses im an Ps 77,21 anschliessenden asaphitischen Zentralpsalm 78). Beide Hinweise verstärken sich dadurch, als sowohl Ps 90 wie auch der Kern der Asaph-
39 Zum Psalterteilbuch IV bzw. zu gewichtigen Psalmen desselben liegen eine Reihe von Studien vor wie M. Goulder, Fourth Book; E. Zenger, Weltenkönigtum; K. Koenen, Jahwe; G. Brunert, Psalm 102; D.M. Howard, Structure; J. Creach, Shape; B. Gosse, Livre; F.-L. Hossfeld, Ps 89; J. Schnocks, Vergänglichkeit; E. Ballhorn, Telos, 62–146; M. Leuenberger, Konzeptionen, 125–264; U. Dahmen, „Gepriesen sei der Herr“; J. Schnocks, Bund; A. Gelston, Arrangement; M.G. McKelvey, Moses; L. Wilson, Psalm 103–106; J. Gärtner, Geschichtspsalmen, 135–290. 40 Die Abstufung an „Nähe“ wird folgendermassen notiert: Normalschrift = Ähnlichkeit, Milieuverwandtschaft; in Klammern = Teilübereinstimmung bzw. geringere Nähe; ! = auffallende Ähnlichkeit, direkte Abhängigkeit zu vermuten; Fettdruck = mit hoher Wahrscheinlichkeit direkte Abhängigkeit. 41 Vgl. mit Blick auf Ps 90 J. Schnocks, Vergänglichkeit, 176.185–191, zu Ps 77 B. Weber, Psalm 77, 221–229, zu Ps 78 B. Weber, Ps 78, 204; B. Weber, Werkbuch Psalmen III, 196f.
106
Beat Weber
(Fortsetzung) Gruppe (Ps 77f.) sich auf Ex 32–34* (Bundesbruch und -erneuerung) zurückberufen. Freilich wird in den Asaph-Psalmen der Israel-Bezug beibehalten, hier in Ps 90 aber eine Ausweitung auf menschliche Sündverfallenheit und Vergänglichkeit allgemein vollzogen.41
3.2.2. Psalm 91 Psalm 91 [16 Verse] Präskript Form + Funktion
– Vertrauenspsalm (Tempel)
Begriffe + 1.9: עליון Motive
FAZIT
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
Übrige Belege (Auswahl)
(73) 50,14; 73,11; Ps 97,9; 107,11 77,11; 78,17.35.56; 82,6; 83,19 (73,28) 50,15.23
2.9: Zufluchtsbekenntnis 15f.: Anrufung => Antwort (Gottesrede) Die finale Gottesrede (14–16) ist wahrscheinlich unter Kenntnisnahme von Ps 50 formuliert worden (die Abhängigkeitsrichtung Ps 50 => Ps 91 ist aufgrund der vereinfachenden Rezeption der Schlussaussagen beider Gottesreden aus Ps 50 naheliegend). Opferkultische und gerichtliche Aussagen sind nicht aufgenommen, vielmehr ist in diesem individuellen Zufluchtspsalm die (priesterlich übermittelte?) Schutzvergewisserung wesentlich.
3.2.3. Psalm 92
Präskript
Psalm 92 [16 Verse] מזמור+ שיר
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83) 75f. (83)
Für den Tag des Sabbats Form + Funktion Begriffe + Motive
Lobdank mit weisheitlicher Einfärbung 2–4: Lob mit Gesang/ Musik 7f.: Erkenntnis + Frevlergericht 11: Erhöhung des Horns 16: „(mein) Fels“ (von Gott)
Übrige Belege (Auswahl) Ps 30; 67f.; 87f.; 92 (48; 66; 108); (Neh 13,21f.; 2Chr 31,2f.)
73 81,2f. 73,(16–19.)22 75,5f.11 73,26; 78,(15.20.) 35
Dtn 32,4!13.15.18.30f.37; Ps 18,3.32.47
107
Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis
(Fortsetzung) FAZIT
Berührungen mit asaphitischem Kolorit sind gering (am ehesten mit Ps 73). Der nachexilische Psalm dürfte vielmehr – wie sein Präskript nahelegt – Konvergenzen mit den Leviten in Esr-Neh und Chr aufweisen.
3.2.4. Psalm 93 Psalm 93 [5 Verse] Präskript
Übrige Belege (Auswahl)
–
Form + JHWH-König-Hymnus Funktion Begriffe + 1f.: König + Motive Erdengründung 3f.: Herr über (Chaos-) Wassermächte 5: „(deine) Zeugnisse“
FAZIT
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83) 74,12ff. (innerhalb Volksklage) 74,12.17
Ex 15,18 (Dtn 33,5); Ps 29; 47; 95–99
74,13f.; 77,17 78,5.56; 80,1; 81,6 Ps 99,7; Neh 9,34; 1Chr (50,7; 81,9) 29,19; 2Chr 34,3 79,1
5: Haus (Gottes), Heiligkeit Teilübereinstimmungen zwischen Ps 93 und Ps 74 liegen vor, sind aber weniger als direkte Entlehnung denn als beidseitiger Rückgriff auf hymnische Gottkönigstraditionen einzustufen. Festzuhalten ist jedenfalls, dass die in Ps 93ff. stark zum Tragen kommende Hymnik von Gott als König im Psalter vorher nicht nur in Ps 29 erscheint, sondern auch im Kreis der Asaph-Psalmen bekannt war (vgl. zudem Ex 15,18).
3.2.5. Psalm 94 Psalm 94 [23 Verse] Präskript Form + Funktion
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
Übrige Belege (Auswahl)
–
Gerichtsklage, weisheitlich-belehrender Einschub (8–15) Begriffe + 1: Bitte an JHWH, Motive „aufzuscheinen“ ( יפעhi) 1.21: Vergeltung für vergossenes Blut 2: Gott als Richter der Erde 3: „Bis wann (noch)?“ 3ff.: FrevlerCharakterisierung 4: „Freches reden“
50; 75f.; 81f. 50,2!; 80,2! (nur 3mal in Pss!) 79,3.10
Ps 94,1; Dtn 33,2
50,6; 75,8; 82,8
Ps 96,13; Dtn 32,40–43
74,10!; 80,5; 82,2 73,3(ff.)
Ps 90,13; 6,4
75,6
Ps 31,19
Ps 149,7
108
Beat Weber
(Fortsetzung) Psalm 94 [23 Verse]
FAZIT
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
Übrige Belege (Auswahl)
5.14: Volk // Erbteil (74,2); 78,(55.) 71 6: Tod/Gerechtigkeit für 82,3 personae miserae 7: „Gott Jakobs“ 75,10; 76,7; 81,2.5 8: Aufruf zur Einsicht 50,22 13: stille sein, Ruhe 76,9; 83,2 verschaffen ()שקט (50,3.21) Asaphitische Phraseologie wird in Ps 94 greifbar, beschränkt sich jedoch weithin auf die Gerichtsklage (1–7). Asaphitische Stoffe (Gerichtsaussagen) werden in freier Weise und unter Ausgriff auf verschiedene Stücke umgearbeitet und aktualisiert. Die Psalmeröffnung lehnt sich nicht nur an die Anfänge der wohl älteren Ps 50 und 80 an, sondern ruft damit Gott als Richter (gegenüber den Frevlern) und Retter (gegenüber seinem Volk, den Bedürftigen) auf. Daneben scheint Ps 94 auch mit Ps 79; 75 und v. a. 82 zu interagieren, wobei die Art der Verarbeitung die Nachzeitigkeit von Ps 94 wahrscheinlich macht. Als „deutero-asaphitisch“ kann nur der erste Psalmteil gelten (ob sich daraus redaktionskritische Annahmen aufdrängen, steht hier nicht zur Diskussion).
3.2.6. Psalm 95 Psalm 95 [11 Verse] Präskript Form + Funktion
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
Übrige Belege (Auswahl)
– „Festpsalm“ (Hymnik, 81 (50) mit Warn- + Scheltrede als Gotteswort – Kontext: Herbstfest?)
Begriffe + 1(f.): Eröffnender Aufruf Motive zum Lobpreis ( רנןhi // רועhi) 1: JHWH/Gott als „Fels (unseres Heils)“ 2: „(instrumental begleiteter) Gesang“ ( זמרהpl) 3: „grosser Gott“ ()אל גדול 7: Herde-Metaphorik (Gottesvolk) 8: „Meriba(/Massa)“ 8: „(nicht) verhärten“ () ק ש ה 9: „versuchen“ ()נסה 9: „prüfen“ ()בחן
81,2
Ps 98,4; Jes 44,23; Zeph 3,14
(73,26; 78,35)
Dtn 32,15; Ps 18,47; 89,27 (94,22) Ps 98,5; Ex 15,2; Ps 118,14
81,3 (sg) 77,14 74,1; 79,13 (77,21; 78,52.70–72; 80,2) 81,8! (nur 3mal in Pss!) (81,13)
Dtn 7,21 (nur 3mal im AT!) Ps 100,3; Ez 34,31
78,18.41.56 81,8
Ps 106,14; 26,2; Ex 17,2.7 Ps 26,2
Ps 106,32; Ex 17,7; Dtn 33,8 Neh 9,16f.29; 2Chr 30,8
109
Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis
(Fortsetzung) FAZIT
Die als Gotteswort ergehende Warn- und Scheltrede (Ps 95,7b–11) lässt Ähnlichkeiten mit asaphitischen Stücken vermuten. Das bestätigt sich. V. a. die Analogie zu Ps 81 sticht hervor (Setting, hymnische Eröffnung, Meriba: Wüstengeneration als Negativ-Beispiel). Die Formulierung von Ps 95 unter Kenntnis von Ps 81 ist zu vermuten. Dass Ps 95 jünger ist, zeigt sich auch an der grösseren Nähe dieses Psalms zu Neh 9 (Busspredigt), der Chronik (gesteigerte Hymnik, „Ruhe“-Thema) und späten Psalmen („ekeln“, V.10).
3.2.7. Psalm 96 Psalm 96 [13 Verse] Präskript Form + Funktion
– Gottesdienstliche Hymnik (Kollektivpsalm)
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
Übrige Belege (Auswahl) 1Chr 16,23–33
Begriffe + 3: „(Gottes) 75,2 (77,12.15); Ps 98,1; 105,2.5; 106,7.22 Motive Wundertaten“ 78,4.11(f).32 4: „furchterheischend“ 76,8.13 Ps 99,3; Ex 15,11 ()נורא 8: Gabendarbringung an 76,12 (50,8–15) Gott 10: Gottkönigtum + 74,12.16f. (75,4) Weltengründung 10: „(richten in) 75,3 Ps 9,9; 98,9 (99,4) Geradheit“ ()מישרים 13: Gott kommt als 50,3(f.); 75,3; 82,8 Ps 98,9 (94,2) Weltenrichter FAZIT Trotz der Aufführung von (u. a.) Ps 96 durch Asaph in 1Chr 16 sind die Berührungen mit Asaph-Psalmen bescheiden und beschränken sich auf wenige Begriffe/Motive und den Psalmschluss. Der Psalm mit seiner Hymnik und seinem universalistischen Zug steht dem chr Milieu (und darin dem asaphitischen Gottesdienst in nachexilischer Zeit) näher als demjenigen der AsaphPsalmen. Bei den geringen Abweichungen (Begriffsaustauschungen) der chr Rezeption von Ps 96 gegenüber der Fassung im Psalter (vgl. Ps 96,6.11–13 mit 1Chr 16,27.32f., dazu auch das Präskript Ps 96,1 LXX) steht letztere den Asaph-Psalmen näher (dazu gehört auch die Abmilderung des Gerichtsaspekts am Ende in der chr Version).
110
Beat Weber
3.2.8. Psalm 97 Psalm 97 [12 Verse] Präskript
Übrige Belege (Auswahl)
–
Form + JHWH-König-Hymnus, Funktion mit Theophanie (2–7) Begriffe + 2: Gewölk (als Ort Gottes) Motive 3: Verzehrendes Feuer (Gottesgericht) 4: Blitze erleuchten die Erde 5: Berge schmelzen wie Wachs 6: Himmel verkünden Gottes Gerechtigkeit 9: Anrede Gottes ( JHWHs) als „Höchster“
FAZIT
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83) (74,12ff.) 77,17–19 77,18 (78,14)
Ex 15,18; Ps 29; 47; 95–99
50,3(f.); 83,15
Dtn 4,11; 5,22; Ps 18,12f. (99,7; 105,39) Ps 104,4; 106,18
77,19
Hab 3,10 Mi 1,4 (Ps 68,3)
50,6 (nur diese beiden Stellen!) 83,19 (50,14; 77,11; 78,17.35.56; 82,6) 10: Entreissen aus der 82,4 (in den Pss Hand der Gottlosen nur diese 2mal!) Ps 97 erweist sich als signifikant von asaphitischem Milieu geprägt. Mehr noch: Kenntnis und adaptierende Rezeption ganzer Verszeilen aus asaphitischen Psalmen (50; 77; 82f.) sind evident. Die Nachzeitigkeit von Ps 97 ist aufgrund der Mehrfachaufnahmen, des Stils (alte Trikola-Formen werden zu Bikola) und inhaltlicher Modifikationen (Abmilderung des Gerichtskontextes, Nähe zu Jes 40ff., Götterkritik: Ps 97,7.9 hat möglicherweise Ps 82 als Hintergrund) deutlich erkennbar.
3.2.9. Psalm 98 Psalm 98 [9 Verse] Präskript
מזמור
Form + JHWH-König-Hymnus Funktion Begriffe + 1: „Singt JHWH ein neues Motive Lied“ 1: „Er (Gott) hat Wundertaten getan“ 1: „(erhobene/r) Rechte/ Arm“ 3: „Er hat (an sein Volk) gedacht“
Asaph-Psalmen Übrige Belege (Ps 50; 73–83) (Auswahl) 50; 73; 75–77; 79f.; Ps 92; 100f. 82f. (74,12ff.)
Ps 96; Ex 15 ( Jes 40ff.) Ps 96,1; Jes 42,10
77,15; 78,4.12
Ps 105,5; Ex 15,11
77,11.16 (74,11; 78,54; 79,11; 80,16) 74,2.18.22; 78,39; 79,8 (77,8–10)
Ex 15,6,12.16; Ps 44,4; 89,14; Jes 63,12 Ps 105,8.42; 106,45
111
Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis
(Fortsetzung) Psalm 98 [9 Verse] 3: „das Heil (unseres) Gottes sehen“ 4–6: Aufrufe zum musik. Lobpreis 7: ( רעםBrausen des Meeres)
FAZIT
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83) 50,23
Übrige Belege (Auswahl) Jes 52,10
81,3f. (75,10) (77,19; 81,8 je Getöse des Donners) 50,3f.; 75,3; 82,8
Ps 29,3; 96,11 (104,7)
9: JHWH kommt als Ps 96,13 Weltenrichter 9: „(richten in) 75,3 Ps 9,9; 96,10 (99,4) Geradheit“ ()מישרים Eine Milieu-Verwandtschaft von Ps 98 mit den Asaph-Psalmen im Sinne einer Vertrautheit mit Begrifflichkeit und Motivik liegt vor. Eine direkte Abhängigkeit ist dagegen kaum zu erweisen. Einmal mehr zeigt sich eine gegenüber den genuinen Asaph-Psalmen verstärkte Hymnik und gemilderte Gerichtsszenerie (die im Psalter nur hier in V.6 erwähnten „Trompeten“ finden sich gehäuft in der Chronik und sind in der Regel den Priestern vorbehalten, vgl. Num 10,8–10; 31,6; 1Chr 15,24.28 u. ö.). Der Psalm dürfte zeitlich zwischen den Asaph-Psalmen und den Asaphiten der Chronik einzuordnen sein.
3.2.10. Psalm 99 Psalm 99 [9 Verse] Präskript Form + Funktion
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
– JHWH-König-Hymnus, (74,12ff.) mit Bezug auf Recht (1–5) + Heilsgeschichte (6–9)
Begriffe + 1: JHWH/Gott als Motive „Cherubenthroner“ 1: Erbeben der Völker/ Wanken der Erde 2: Zion 2.5.9: „erheben“ (= רום Leitwort) 2f.: gross/ furchterheischend/heilig 4: Rechtsordnung ( כון+ )מישרים 4: „in Jakob“ ()ביעקב 5: „Schemel seiner (deiner) Füsse“
Übrige Belege (Auswahl) Ps 93; 97
80,2 (nur diese 2 Stellen in Pss!) 77,(17.)19; 82,5 ( מוטstatt )נוט 50,2 (74,2; 76,3; 78,68) 75,5–8.11 (= רום Leitwort) (76,2; 77,14/ 76,8f.13/78,41) 75,3f.
1Sam 4,4; 2Kön 19,15
78,5.21.71
Ps 59,14 Ps 110,1; 132,7; Jes 66,1; 1Chr 28,2
Ex 15,14; Ps 18,8 Ps 97,8; 102,22; Jes 12,6 Ex 15,2; Neh 9,5 Ps 89,8; 96,4 Ps 96,10
112
Beat Weber
(Fortsetzung) Psalm 99 [9 Verse]
FAZIT
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
Übrige Belege (Auswahl)
6: Mose + Aaron (+ 77,21 (Erstbeleg Ps 105,26; 106,16; 1Sam Samuel) in Pss!) 12,6–8 7: „(nicht) bewahren 78,(10.)56 (81,5f.) Dtn 6,17; Ps 132,12 seiner Zeugnisse“ 8: Gott wegtragend/ (77,10; 78,38) Ex 34,6f. vergebend+rächend Eine asaphitische Imprägnierung von Ps 99 ist offensichtlich: Begrifflichkeit und Motivik markieren dies zu Beginn deutlich (Ladeverhaftung – bezeichnend für asaphitische Theologie – und Theophanie), ziehen sich aber nahezu durch den ganzen Psalm. Für die Eröffnung dürften asaphitische Passagen Pate gestanden haben (Amalgamat aus Ps 77,10; 80,2; 82,5). Die Schilderung von Gottes Erhabenheit und seiner Rechtsordnung weist Berührungen mit Ps 75 auf, die Erwähnung von Mose und Aaron als Fürbitter- und Führungsgestalten nimmt ihren Ausgang (auch) bei Ps 77 (selbst ein Mittlerpsalm). Auch die in Ps 99,8 durchscheinende Referenz auf Ex 34,6f. hat asaphitische Vorläufer. Allerdings enthält der Psalm auch Transformierungen asaphitischen Kolorits, die auf ein anderes bzw. späteres Milieu hinweisen (Charakterisierung von Mose und Aaron als Priester, „heilig“-Prädizierungen [dazu Jes 6,3] etc.).
3.2.11. Psalm 100 Psalm 100 [5 Verse] Präskript
מזמור
Form + Funktion
לתודה Hymus bzw. Lobdank(opferlied) (= Präskript)
Asaph-Psalmen Übrige Belege (Ps 50; 73–83) (Auswahl) 50; 73; 75–77; 79f.; Ps 92; 98; 101 82f. (50,14.23) (Ps 92,2; 100,4) (Ps 93/95–99)
Begriffe + 1f.: „Jauchzt“ ()רוע 81,2 Ps 90,14; 95,1f.; 98,4.6 Motive JHWH/Gott … 3: „Herde seiner Weide“ 74,1; 79,13! (nur Ps 95,7; Jer 23,1; Ez 34,31 ()צאן מרעתו 4mal in Pss!) 4f.: Tempeleinzug, Ps 24,7.9; 89,21f.; 103,17; Lobpreis und Gottes 136; Esr 3,10f. (Asaph!) anhaltende Gnade FAZIT Das Hirte-Herde-Motiv („asaphitisches Monogramm“) bietet den deutlichsten Bezug zu den Asaph-Psalmen. Die Aussage ähnelt dem Schlussvers von Ps 79. Ansonsten sind die Bezüge gering; der Psalm weist Berührungen mit gottesdienstlich-levitischen Passagen in Esr-Neh und Chr (sowie qorachitischer Phraseologie) auf.
113
Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis
3.2.12. Psalm 101 Psalm 101 [8 Verse] Präskript
לדוד מזמור
Form + Funktion
„Königsinvestitur, -gelübde“ (?) mit weisheitlicher Kolorierung
Begriffe + 1: Singen und spielen Motive 2: „Redlichkeit meines Herzens“ 5.8: „( צמתvernichten“ oder „zum Schweigen bringen“) 6: „dienen“ ()שרת FAZIT
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
Übrige Belege (Auswahl) Ps 86; 103 50; 73; 75–77; 79f.; Ps 92; 98; 101 82f. (Ps 93/95–99) Ps 104,33; 105,2; Ri 5,3 78,72 (nur 2mal in Gen 20,5f.; 1Kön 9,4 Pss!) 73,27 Ps 94,23
Ps 103,21; 104,4; 1Chr 16,4.37 (Asaph!) Die erste Zuweisung eines Psalms an David innerhalb des Psalterteilbuchs IV lässt nicht an Asaph denken. Das bestätigt sich aufgrund des Inhalts: Asaphitische Prägung ist kaum erkennbar. Eine Ausnahme macht die seltene Wendung „Redlichkeit meines Herzens“. Sie wird auffälligerweise in Ps 78 wie 101 mit David respektive dem (sprechenden) König in Verbindung gebracht (vgl. auch 1Kön 9,4).
3.2.13. Psalm 102 Psalm 102 [29 Verse] Präskript
תפלה לע נ י כי־יעטף
Form + Funktion Begriffe + Motive
Klagebitte, mit kollektivem Teil (Zion) 3: „Tag meiner Bedrängnis“ 2f.: schreien => hören (Ohr), antworten 4: „Vergehen der Tage“ / „Rauch“ 5.10: „Brot/Speise essen“ 9: „(Feinde/Bedränger) schmähen“ 9: „Spottende/Tobende“ ( הללPartizip) 10: „vermischen“ ()מסך
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83) (80,5) (74,19.21; 82,3) (77,4!)
Übrige Belege (Auswahl) Ps 17; 86; 90 (Ps 86,1)
(77) 50,15; 77,3 (78,42; Ps 86,7 81,8) 77,2 Ps 86,7; 99,6 78,33 / (74,1; 80,5) Ps 90,9 / Ps 18,9 (104,32) 78,25; 80,6 74,10.18(.22) (78,66; 79,4.12) 75,5 75,9! („Mischtrank, Würze“)
Ps 89,52
114
Beat Weber
(Fortsetzung) Psalm 102 [29 Verse]
FAZIT
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
Übrige Belege (Auswahl)
10: Brot essen + Tränen 80,6! (trinken) 11: Gottes Zorn ()זעם 78,49 13–15: Gedenken + Zion 74,2f. (Zerstörung und Wiederherstellung) 14: „(Gottes) Zeitpunkt“ 75,3 Ps 104,19 ()מועד 15: Steine + Schutt (74,3; 79,1) Neh 3,34 (Tempelzerstörung) 15: „deine Knechte“ 79,2.10 Ps 98,51; 90,13.16 (105,25) 16: „Könige der Erde“ => 76,13! ( Jes 59,19; Ps 47,3) Gottesfurcht 19: „künftige Generation“ 78,4.6! (nur 4mal Ps 48,14 ()דור אחרון im AT!) 20: „herabschauen“ ( )נבט80,15! (nur 2mal Jes 63,15 vom Himmel in Pss!) 21: „Stöhnen des/der 79,11 Gefangenen“ + „Söhne/ Kinder des Todes“ 22: verlautbaren ()ספר 78,4; 79,13 Jes 43,21; Ps 9,15 Gottes Lobpreis 23: „Königreiche“ 79,6 Jes 60,12; Ps 105,13 ()ממלכות 26: Gott gründete ( )יסדdie 78,69 Jes 48,13; Ps 104,5 (98,12) Erde 28: „(nicht) ein Ende 73,19 Ps 10,35 nehmen“ ()תמם Aufgrund der Zionsaussagen (und einer gewissen Nähe zu den Gebeten in Neh 1 und 9 sowie Aussagen in Jes 40ff.) ist eine (früh)nachexilische Datierung von Ps 102 gegeben. Ebenso deutlich erkennbar ist eine asaphitische Ausdrucksweise. Der Zionsteil (13–23) greift namentlich auf asaphitische Volksklagen und Ps 78 zurück, wobei zumindest von der Exilsklage Ps 79 eine direkte Abhängigkeit anzunehmen ist (Ps 75f.; 78 und 80 sind ebenfalls Kandidaten). Aufgrund seiner Verbindung von „Ich“-Rede und nationalem Horizont (Zion) hat Ps 102 (vgl. auch dessen Präskript!) überdies eine gewisse Nähe zu Ps 77 (Mittlerklage).
115
Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis
3.2.14. Psalm 103 Psalm 103 [22 Verse] Präskript Form + Funktion
לדוד Verbindung von „Lobdank“ ( )תודהund „Lobpreis“ ()תהלה, wohl mit liturgischem Ort (nachexilischer Tempel)
Begriffe + 2: (nicht) vergessen Motive Gottes Wohltaten 4: „erlösen“ ()גאל
FAZIT
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
Übrige Belege (Auswahl) Ps 86; 101 (Ps 100)
(78,7.11)
Ps 106,13(.22)
(74,2; 77,16; 78,35) (73,8) 77,13.20f. (78,7)
Ps 106,10
6: „unterdrücken“ ()עשק Ps 105,14 7: Mose (kund tun) / Ex 16,6; Ps 90,1; 99,6.8; „Taten“ ()עלילות 105,1.26; 106,16.23.32 8: JHWH: barmherzig und (77,9f.; 78,38) Ex 34,6!; Ps 86,15; 2Chr 30,9 gütig … 9: „einen Rechtsstreit (74,22) führen“ ()ריב 14: Gedenken der (78,39) Vergänglichkeit 18: „den Bund (Gottes) 78,10 (nicht) bewahren“ 21: Gottes Heerscharen (80,5.8.15.20) Ps 89,9 Im Vergleich zu dem ebenfalls David zugeschriebenen Ps 101 ist Ps 103 hinsichtlich asaphitischer Imprägnierung noch dürftiger. Der gnadentheologisch dichte Psalm steht der (levitischen) Gottesdiensttheologie im nachexilischen Schrifttum (Esr-Neh und Chr) ungleich näher.
3.2.15. Psalm 104 Psalm 104 [35 Verse] Präskript
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
Übrige Belege (Auswahl)
–
Form + Funktion
Weisheitliche Orientierung an der Erfahrungswirklichkeit (Kosmotheologie) Begriffe + 2–4 (Theophanie): Motive Wolken, Wagen, Wind … 4: „Feuer + Flamme“ (אש + )להט 5: (immerwährende) Gründung ( )יסדder Erde 5: (nicht) Wanken ()מוט der Erde
(77,17–19; 83,14– 16) 83,15
Ps 18,10–13 Ps 97,3; 106,18
78,69
Ps 89,12; 102,26
82,5
Jes 24,19; 1Chr 16,30
116
Beat Weber
(Fortsetzung) 6: „Urflut + Wasser“ (תהום + )מים 7: Gottes „Schelten/ Drohen“ (גער/)גערה 7: „Stimme deines Donners“ ()קול רעמך 9: „Grenze(n)“ ()גבול setzen/festlegen 10: „Quelle(n) + Bach(täler)“ ( מעין+ )נחל 10ff.: Tränkung und Sättigung (durch Gott) 11.13: Gottes „Tränken“ ()ש ק ה 12: „Vögel des Himmels“ ()עוף־השמים 12: „Stimme erschallen“ ()נתן קול 13–15.16.27f.: „Brot/ Speise“ ( )לחםals Gottesgabe / „Sättigung“ ()שבע 15: „Wein“ (– )יין Gottesfreude 16: „Zedern“ (Libanons/ Gottes) 19.22: Untergehen und Aufgehen der Sonne 20: „alle Tiere des Waldes“ ()כל־חיתו־יער 26: „Leviathan“
FAZIT
(77,17) 76,7; 80,17
Ps 18,16; 106,9
77,19 (nur 2mal im AT!) 74,17
Hi 37,4
74,10 (78,16)
Jo 4,18
(78,15f.20.23–29; 81,11.17) 78,13 (80,6)
Gen 1,20.26.28; 2,19f.
79,2 (nur 2mal in Ps 18,14 Pss!) 77,18 78,(20.)25 (80,6) / Gen 14,18; Ps 102,5.10; 78,25(.29; 81,17) 105,16.40 / 90,14; 103,5; 105,40 (75,9 – Gottesgericht ; 78,65) (80,11) Ps 92,13 50,1 50,10 (nur 2mal im AT!) 74,14! (nur 2mal in Pss!) 83,16.18
Jes 56,9 Jes 27,1; Hi 3,8; 40,25
29: „erschrecken“ ()בהל, Ps 2,5; 30,8; 90,7 zum Tode führend 32: Theophanie: Erde (77,19) Ex 19,18 erbebt + Berge rauchen Ps 104 verrät – überraschend – eine beträchtliche Vertrautheit mit asaphitischen Stoffen. Rezipiert werden namentlich Theophanie-Motivik, Aussagen zur Tränkung und Speisung (Israel in der Wüste) sowie Tiererwähnungen im Zusammenhang der Opferdiskussion (schwergewichtig aus den Psalmen 50; 74; 77f.). Bemerkenswert ist auch die Transformation dieser Stoffe (sie dürfte dazu geführt haben, dass die Asaphizität der Tradition bisher kaum erkannt wurde): Unter Beibehaltung, ja Verstärkung der theologischen Fokussierung ( JHWH als Handelnder in allem!) wird sein theophanes Eingreifen abgemildert und das Moment seines Richtens weitgehend getilgt (der Leviathan wird zu Gottes „Spielzeug“). Zudem wird auf Israels Frühgeschichte (v. a. die Wüstenzeit) zurückgegriffen und diese „Schöpfer-theologisch“ umgestaltet (Fruchtbarkeit, Sättigung). Israel ist nicht (mehr) im Blick; die Heilsgeschichte wird mit diesem Psalm 104 gleichsam protologisch unterlegt und damit universalisiert. Eine zeitliche Nähe zu nachexilischem Milieu (Chronik) ist zu vermuten.
117
Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis
3.2.16. Psalm 105 Psalm 105 [45 Verse] Präskript Form + Funktion
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
– 78 (77) Narrative Lyrik über Israels Gründungs- und Frühgeschichte (Wunderwirken Gottes)
Begriffe + 1: (Gottes Taten) Motive „kundtun unter den Völkern“ 2: „(Seine) Wundertaten“ ()נפלאות 4: „(Gottes) Stärke“ ()עזו 5: Gottes Wunder(taten) „gedenken“ ()זכר 5.27: Gottes „Wunderzeichen“ ()נפלאותיו 6: „Söhne Jakobs“ 8–10: „Bund“ (+ Satzung [)]חק 10: „Satzung ( )חקfür Israel (// Jakob)“ 11: „zugemessenes Erbteil“ ()חבל נחלה 13: „Völker // Königreiche“ ( גוי// )ממלכה 17(ff.): Joseph 23: Ägypten // Ham 26: Mose/Aaron 27: „Zeichen + Wunder“ ( אות+ )מופת 28–36: Sieben Plagen (9– 1–2–4+3–7–8–10) 33: „ihren Weinstock (schlagen)“ ()גפנם 36: „Erstlinge (all ihrer) Zeugungskraft“ 37: (Gottes/Israels) „Stämme“ ()שבט 39: Wolke + Feuer (Führung Gottes) 40: Wachteln
77,13.15 (78,11; 79,6.10)
Übrige Belege (Auswahl) Ps 106; 135f.; 1–15: 1Chr 16,8–22 Jes 12,4; Ps 98,2
75,2 (77,12.15); Ps 96,3; 98,1; 106,7.22 78,4.11(f.)32 77,15; 81,2 (74,13; Ps 93,1; 96,6f. 78,61) 77,12.15! Ps 106,7; Neh 9,17 78,43 77,16! (nur 2mal in Pss!) 50,(5.)16 (74,20; 78,10.37) 81,5! (78,5)
Ex 7,3; Neh 9,10
Gen 17,7; Dtn 7,9f.; Ps 89,4; 103,18; 106,45
78,55 (im AT nur Dtn 32,9; Ps 16,16 3mal!) (79,6 sg) Ps 46,7 (77,16; 78,67; 80,2) 78,51 (im AT nur 3mal!) 77,21! (Paar nur 4mal in Pss!) 78,43 (nur 3mal in Pss!) 78,44–51! (1–4– 2–8–7–5–10) 78,47 (80,9.15)
Ps 106,21f. Ps 99,6; 106,16 Jer 32,20f.; Neh 9,10 Ex 7–12 (Plagen 1–10) (≠ Ex!)
78,51 (nur 4mal im AT!) 78,55 (74,2; 78,67f.) 78,14!
(≠ Ex; Gen 49,3)
Ex 13,21f.; Neh 9,12.19
(78,20: „Fleisch“)
Ex 16,13; Num 11,31f.
118
Beat Weber
(Fortsetzung) Psalm 105 [45 Verse]
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
Übrige Belege (Auswahl)
Ex 16,4; Neh 9,15 (78,24f.: „HimmelsGetreide“) 41: Wasser „flossen“ ( )זוב78,15f.; 78,20 Ex 17,6 (≠ ;)זובJes 48,21 aus „Felsen“ ()צור 44: Landnahme (78,54f.; 80,9) Neh 9,23f. 45: „Satzungen und (50,16; 78,1.5.10; Neh 9,13f.; 2Chr 33,8 Weisungen (bewahren)“ 81,5) Asaphitisches Milieu ist gegeben, Kenntnis und Rezipierung von Ps 77f. mit Blick auf Genre und Inhalte (lyrische wie selektive Reaktualisierung von Israels Frühgeschichte) liegen vor (von Ps 77 sind die hymnischen Verse 12– 16.21, von Ps 78 die Schilderung von Gottes Heilswirken, u. a. die PlagenReihe, aufgenommen). Die Asaph-Psalmen erweisen sich gegenüber Ps 105 als Spender-, jedenfalls Vorgängertexte (allein schon die Plagenreihe in Ps 78 ist urtümlicher und eigenwilliger). Ps 105 vereinfacht bzw. korrigiert nach dem Ex-Bericht hin, hat aber zugleich asaphitisches „Sondergut“, das in Ex fehlt. Ps 105 ist insofern von besonderem Interesse, als er ein „Zwischenstadium“ repräsentiert und sowohl auf Quellentexte zurückweist (Ex; Ps 77f.), andererseits aber auch Spendertext ist (1Chr 16: gegenüber Ps 96 wird Ps 105 mit deutlich geringeren Eingriffen übernommen). Ihm zeitlich nahe steht das levitische Bussgebet in Neh 9, wobei Ps 105 mit seiner Transparenz auf Wiederherstellung und neuerliche Landnahme hin vermutlich etwas früher anzusetzen sein dürfte. 40: „Himmels-Brot/ Speise“ (Sättigung)
FAZIT
3.2.17. Psalm 106 Psalm 106 [48 Verse] Präskript Form + Funktion
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
– 78 Narrative Lyrik über Israels Gründungs- und Frühgeschichte (Freveltaten des Volkes)
Begriffe + 1: „Lobdankt JHWH, Motive denn er ist gut …“ 2.8: (Gottes) „Heldentat“ (( )גבורהzur Rettung) 2(.12.47): (Gottes) Lobpreis(tat) ()תהלה 3: Recht bewahren + Gerechtigkeit tun 4: „auf-, heimsuchen“ (( )פקדzur Rettung)
Übrige Belege (Auswahl) Ps 106; Jes 63f.; Neh 9 1.47f.: 1Chr 16,34–36 Ps 100,4f.; 107,1; 136
80,3 78,4; 79,13
Ps 100,4; 102,22 Jes 56,1; Ps 103,6
80,15
Ps 8,5
119
Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis
(Fortsetzung) Psalm 106 [48 Verse] 6ff.: Sündenbekenntnis („wir“, mit Vätern) 7: „(nicht) gedenken“ ( )זכרGottes Wundertaten 7.(43): „widerspenstig sein“ (( )מרהvom Volk) 8: „retten“ ( … )ישעum (Gottes) Namens willen 13.21: „vergessen“ ()שכח Gott(es Taten) 14: „gieren/Begierde“ (אוה/)תאוה 14: „Wüste // Einöde“ / „Gott versuchen“ ()נסה אל 16(.23.33): Mose + Aaron / „Lager“ ()מחנה 16: „eifersüchtig sein, sich ereifern“ ()קנא 18: „Feuer brennt + Flamme verzehrt“ 21f.: Ägypten + Ham 23(.5): erwählen/ Erwählter (Mose) 23: „abwenden (Gottes) Grimm vom Verderben“ 24: „(Land) verwerfen, verschmähen“ ()מאס 24(.12): „(nicht) vertrauen“ (Gott[es Wort]) 29: „Sie reizten (ihn) zum Zorn …“ ()כעס 32: „an den Wassern von Meriba“ ()על־מי מריבה 38: „(unschuldiges) Blut vergiessen“ ()שפך דם 39: „(sich) verunreinigen“ ()טמא 39: „huren, treulos sein/ werden“ ()זנה 40: „Zorn + entbrennen/ Glut“ ( אף+ חרה/)חרון 40(.5): „(Gottes) Erbteil“ ()נחלה 42: „(Feinde/Bedränger) beugen“ ()כנע
Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83)
Übrige Belege (Auswahl)
(78,8ff.17ff.30ff. 56ff.) 77,12; 78,11
Neh 9,2ff.33
78,8.17.40.56
Ps 105,28; Neh 9,26.28
Ps 105,5; Neh 9,17
79,9 (50,22; 78,7.11)
Ps 103,2; Am 8,7
78,29f.
Num 11,4
78,40f. (78,18.56)
Ps 107,4
(77,21/78,28: Ps 99,6; 105,26 (103,7) 3mal in Pss!) (73,3; 78,58: 4mal in Pss!) 83,5 Jo 1,19 (Ps 97,3; 104,4) 78,51 (im AT nur Ps 105,23 3mal!) (78,70) Ps 89,4.20 (David); 105,26 (Aaron) 78,38 (nur hier im AT!) (78,59.87) Ps 89,39; Jer 3,19 78,8.22!32.37 78,58
Dtn 32,16.21
81,8! (nur 3mal im AT!) 79,3.10 (nur 3mal in Pss!) 79,1 (nur 2mal in Pss!) 73,27 (nur 2mal in Pss!) 78,49f. (74,1; 78,21.31.38) 74,2; 78,55.62.71; 79,1 81,15 (nur 3mal in Pss!)
Dtn 33,8 Jer 7,6 Ez 23,30; Hos 5,3 Dtn 31,16; Ez 23,3ff. Ex 32,10f.; Dtn 31,17 Ps 94,5.14; 105,11 Ps 107,12; 1Chr 17,10
120
Beat Weber
(Fortsetzung) Psalm 106 Asaph-Psalmen Übrige Belege [48 Verse] (Ps 50; 73–83) (Auswahl) 45f.: (Gottes) Gnade und (78,38) Ex 34,6f.; 2Chr 30,9 Erbarmen Gegenüber dem komplementären Ps 105 ist für Ps 106 mit seiner deuteronomischen Prägung ein Zweifaches festzuhalten: 1. Ps 106 verweist häufiger und mit stärkeren Textbezügen als Ps 105 in (früh)nachexilisches Milieu (v. a. Bussgebete); 2. Ps 106 ist gegenüber Ps 105 etwas weniger stark asaphitisch und d. h. von Ps 78 geprägt. Zwar kennt und benutzt er Ps 78 (und wohl weitere Asaph-Psalmen) – am Deutlichsten V.38–42 –, im Vergleich mit Ps 105 aber tendenziell weniger und freier. Zudem orientiert er sich stärker an anderen Überlieferungen und Texten (deren Umfang zu erhellen nicht Ziel dieser Studie ist). Das Label „deutero-asaphitisch“ wird man ihm gleichwohl zubilligen dürfen. Chronistisch-asaphitisch ist er aufgrund der eher marginalen (die im Zentrum stehende Sündengeschichte wird umschifft) Rezeption in 1Chr 16 nur bedingt. Er ist (wie Ps 105) als „Nachgeschichte“ von Ps 78 einzuschätzen, sachlich in die Nähe von Busspsalmen wie Neh 9 und Jes 63f. zu rücken und damit zeitlich zwischen den genuinen Asaph-Psalmen und der Chronik mit „ihren“ Asaphiten anzusiedeln.
FAZIT
3.3.
Die Listung der „Schnittstellen“, sortiert anhand der Asaph-Psalmen
Werden die erhobenen und aufgeführten Verbindungen der Psalmen 90–106 den Asaph-Psalmen entlang sortiert, so ergibt sich der folgende, approximativ zu verstehende Befund: AsaphPsalm [Anzahl Verse] Psalm 50 [23 Verse]
Präskript
Form + Funktion
Versangaben: Begriffe und Motive [Häufigkeit an Belegen] 42
Ps 98; 100f.
Ps 94
1 – 2!2 – 3.3.3 – 4 – 6.6 – 10 – 14 – 15.15 – 16 – 22 – 23.23 [17mal, ≠ in Ps 90; 92f.; 95; 100; 103; 106]
Psalm 73 [28 Verse]
Ps 98; 100f.
Ps 92
3 – 11 – 19 – 22 – 26 – 27.27 [7mal, ≠ in Ps 90; 93; 95–100; 103–105]
42 Die Belege (Versangaben) zeigen, wie oft auf den entsprechenden Asaph-Psalm innerhalb Ps 90–106 Bezug genommen wird (Normalschrift = Ähnlichkeit, Milieuverwandtschaft; ! = auffallende Ähnlichkeit, direkte Abhängigkeit zu vermuten; Fettdruck = mit hoher Wahrscheinlichkeit direkte Abhängigkeit – die eingeklammerten [weniger deutlichen] Belege werden nicht aufgeführt). Eine (statistische) Auswertung hat über die aufgeführte Anzahl (Genre und Präskript sind nicht mitgezählt) hinaus den Umfang des Psalms zu berücksichtigen.
Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis
121
(Fortsetzung) AsaphPsalm [Anzahl Verse] Psalm 74 [23 Verse]
Präskript
Psalm 75 [11 Verse]
Ps 92; 98; 100f.
Ps 94
Psalm 76 [13 Verse] Psalm 77 [21 Verse]
Ps 92; 98; 100f. Ps 98; 100f.
Ps 94
Psalm 78 [72 Verse]
Form + Funktion
Versangaben: Begriffe und Motive [Häufigkeit an Belegen] 42
Ps 93
1.1 – 2.2.2 – 3 – 10!10.10 – 12.12 – 13 – 14.14! – 16 – 17.17.17 – 18.18 – 22 [21mal, ≠ in Ps 90–92; 97; 99; 101; 103; 105] 2.2 – 3.3.3.3.3.3 – 4 – 5.5ff.5 – 6.6 – 8 – 9! – 10 – 11.11 [19mal, ≠ in Ps 90f.; 93; 95; 97; 100f.; 103f.; 106]
Ps 97
Ps 105f.
Psalm 79 [13 Verse]
Ps 98; 100f.
Psalm 80 [20 Verse] Psalm 81 [17 Verse] Psalm 82 [8 Verse] Psalm 83 [19 Verse] FAZIT
Ps 98; 100f.
7.7 – 8 – 9 – 12 – 13.13! [7mal, ≠ in Ps 90–93; 95; 97–101; 103; 105f.] 2 – 3 – (4!) – 6 – 11.11 – 12.12 – 13.13.13 – 14 – 15.15.15! – 16.16! – 17 – 18.18 – 19.19.19 – 20 – 21.21! [26mal, ≠ in Ps 92; 94; 96; 100f.] 4.4.4.4.4.4 – 5.5 – 6! – 8.8 – 10 – 11.11.11 – 12 – 13 – 14! – 15f. – 17.17 – 18 – 20 – 21.21 – 22! – 25.25.25 – 29f. – 32.32.32 – 33.33.33 – 35.35 – 37 – 38.38 – 39 – 40 – 40f. – 41 – 43.43 – 44ff.! – 47 – 49.49f. – 51.51.51 – 55.55.55 – 56.56.56.56 – 58 – 62 – 69.69 – 71.71.71 – 72 [69mal, ≠ in Ps 97; 100] 1.1.1 – 2.2 – 3.3 – 6 – 8 – 9 – 10.10.10 – 11 – 13.13! 13.13 [18mal, ≠ in Ps 90–92; 96f.; 99; 101; 103; 105]
1 – 2!2 – 3 – 5 – 6.6! – 15.15!15 – 17 [11mal, ≠ in Ps 91f.; 95–98; 100f.; 103; 105] Ps 94f. 2f.2.2.2.2 – 3.3f. – 5.5! – 6 – 8.8.8! – 15 [14mal, ≠ in Ps 90f.; 96f.; 99; 101–103] Ps 94; 98; 2.2 – 3 – 4 – 5 – 6 – 8!8.8 100f. [9mal, ≠ in Ps 90; 92f.; 95; 99–103; 105f.] Ps 98; 100f. 2 – 5 – 15.15 – 16.16 – 18.18 – 19.19 [10mal, ≠ in Ps 92f.; 95f.; 98–103; 105] Die Tabelle macht deutlich, dass zu Ps 78 als „asaphitischem Zentralpsalm“ – auch unter Berücksichtigung seines grossen Umfangs – viele Parallelen vorliegen. Sie führen – mit Ausnahme von Ps 97; 100 – zu allen Psalmen innerhalb des Teilbuchs IV. Dabei liegen freilich beträchtliche Unterschiede vor, und die (späteren) „Geschichtspsalmen“ 105 und 106 haben besondere Affinitäten zu ihm. Auf der anderen Seite des Spektrums liegt Ps 73, der proportional zu seiner Grösse am wenigsten Schnittstellen zu den Psalmen aus Teilbuch IVaufweist (bei ihm lässt sich auch keine direkte Abhängigkeit erweisen). Ob und inwiefern sich aus dem Umstand, welche Texte oder Passagen der Asaph-Psalmen aufgenommen wurden und welche nicht, Schlüsse ziehen lassen, wäre eigens zu untersuchen.
122
Beat Weber
4.
Gesamtauswertung, offene Fragen und Forschungsdesiderata
4.1.
Tabellarische Zusammenstellung der Asaphizität
Eine Auswertung des Grades der „Asaphizität“ der Psalmen 90–106 ergibt folgendes Bild:43 A Keine bis geringe Asaphizität [3mal]
C B Geringe bis mittlere Mittlere bis starke Asaphizität [6mal] Asaphizität [6mal] Psalm 90 ()למשה 0 0!
D Starke bis sehr starke Asaphizität [2mal]
Psalm 91 (–) 1 (Ps 50) 0! Psalm 92 (–) 0 0! Psalm 93 (–) 0 0! Psalm 94 (–) 0 3! (Ps 50; 74; 80) Psalm 95 (–) 0 1! (Ps 81) Psalm 96 (–) (zitiert in 1Chr 16) 0 0! Psalm 97 (–) 4 (Ps 50; 77; 82; 83) 0! Psalm 98 (–) 0 0! Psalm 99 (–) 1 (Ps 80) 0!
43 In der Tabelle sind lediglich die Belege mit ! (= auffallende Ähnlichkeit, direkte Abhängigkeit zu vermuten) und Fettdruck (= mit hoher Wahrscheinlichkeit direkte Abhängigkeit) aufgeführt.
Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis
123
(Fortsetzung) A Keine bis geringe Asaphizität [3mal]
C B Geringe bis mittlere Mittlere bis starke Asaphizität [6mal] Asaphizität [6mal] Psalm 100 (–) 0 1! (Ps 79)
D Starke bis sehr starke Asaphizität [2mal]
Psalm 101 ()לדוד 0 0! Psalm 102 (–) 1 (Ps 79) 5! (Ps 75; 76; 78; 80bis) Psalm 103 ()לדוד 0 0! Psalm 104 (–) 3 (Ps 50; 74; 77) 1! (Ps 74) Psalm 105 (–) (teilweise zitiert in 1Chr 16) 6 (Ps 77; 78quinquies) 6! (Ps 77ter; 78bis; 81) Psalm 106 (–) (teilweise zitiert in 1Chr 16) 5 (Ps 78ter; 81; 83) 1! (Ps 81)
4.2.
Auswertung
Aufgrund des erhobenen Gesamtbefunds soll eine erste, präliminarische Auswertung vorgenommen werden. Sie wird thesenartig dargeboten und mit offenen Fragen, weiterführenden Erwägungen und Desiderata verbunden.
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4.2.1. Methodologie und Fehlertoleranz Die Beeinflussung von Textkorpora generell und ihres Grades im Speziellen lässt sich nur annähernd eruieren.44 Dies gilt bei poetischen (lyrischen) Texten aufgrund ihrer Kürze und Komplexität noch verstärkt.45 Diese Einschränkung bezieht sich auch auf die vorgelegten form-, motiv- und traditionsgeschichtlichen Untersuchungen: Zunächst wurde analytisch bei jedem Einzelpsalm aus Teilbuch IV anhand mehrerer Gesichtspunkte eine mögliche Milieuverwandtschaft zu Asaph-Psalmen eruiert und graduell eingestuft. Anschliessend wurden die Einzelergebnisse synthetisch im obigen Vergleichsraster präsentiert und in eine Staffelung von vier Graden (A–D) an Asaphizität überführt. Eine vertiefte Überprüfung und Justierung des hier erhobenen Befunds ist wünschenswert. Darüber hinaus ist eine überlieferungs- und traditionsgeschichtliche Gesamtanalyse anzustreben, in deren Rahmen das Mass des Einflusses asaphitischer Psalmen mit anderem Traditionsgut abzugleichen ist und derart ein Gesamtbild deutlicher zutage tritt. Aufgrund der genannten Limitierungen ist bei der tabellarisch dargestellten Gesamteinschätzung eine Abweichung von einer Stufe (A bis D) als Toleranzbereich in Rechnung zu stellen. 4.2.2. Der tabellarische Befund im Überblick Die „Schnittmengen“ zwischen den Psalmen aus Teilbuch IV und dem Korpus der Asaph-Psalmen haben „Verbindungslinien“ (so der Titel dieses Beitrags) bestätigt. Bei 14 der insgesamt 17 Psalmen kann eine asaphitische Beeinflussung vermutet, bei 8 (d. h. knapp der Hälfte) darf eine solche angenommen werden. Ein Forschungsdesiderat wäre die Ausweitung dieser Untersuchung auf weitere Texte im Psalter (u. a. die Teilbuch IV flankierenden Psalmen 89 und 107) sowie auf Bereiche der Prophetie (v. a. Jes46) und des Pentateuchs47.
44 Vgl. dazu der kürzlich unternommene Versuch von A. Lange / M. Weigold, Quotations, objektivierbare Ergebnisse zu erzielen. Sie haben unter Zuhilfenahme digitaler Ressourcen und Werkzeuge (Accordance) Zitate und Anspielungen innerhalb der Bibel und frühjüdischer Literatur tabellarisch zusammengestellt (zur Vorgehensweise und Methodologie vgl. A. Lange / M. Weigold, Quotations, 15ff.). Eine Durchsicht ihrer Belege zu Ps 50; 73–83 einerseits und Ps 90–106 andererseits ergab keinen einzigen Listeneintrag für eine intertextuelle Referenz zwischen den beiden Psalmgruppen. Das muss freilich noch nichts heissen, da sie lediglich mechanische Operationen durchführten und nicht wie hier jeden Text sorgsam einsahen. Zudem gaben sie die Erfordernis von mindestens drei identischen Wörtern zur Anerkennung einer „impliziten Anspielung“ vor (schwächere Bezugnahmen, welche die Autoren „Referenzen“ und „Reminiszenzen“ nennen, werden zudem aufgrund der Schwierigkeit ihrer digitalen Eruierbarkeit nicht gelistet). 45 Vgl. dazu die Erwägungen in B. Weber, Psalm 77, 203–206. 46 Namentlich zwischen den Psalmen aus Teilbuch IV und Jes 40(ff.) sind Konvergenzen zu
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4.2.3. Abhängigkeitslage Bei 7 Psalmen aus Teilbuch IV ist über eine Milieuverwandtschaft hinaus direkte Abhängigkeit von Asaph-Psalmen mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen (Anzeige durch Fettdruck). Bei 10 Psalmen (Anzeige durch Fettdruck und/oder !) ist eine solche zumindest zu vermuten. Die Detailanalyse hat zudem nahegelegt, dass praktisch durchwegs von den Asaph-Psalmen als Quellen- bzw. Spendertexte auszugehen ist. Die damit etablierte relative Chronologie sagt nichts über die jeweiligen Datierungen und die zeitlichen Differenzen aus. Sie fügt sich aber zum Sachverhalt, dass psaltereditorisch die Teilbücher I–III („messianischer Psalter“ Ps 2–89) gegenüber den Teilbüchern IV–V („theokratischer Psalter“) ein früheres Stadium repräsentieren. Auf der Stufe der Einzeltexte ist zumindest für die 7 bzw. 10 Psalmen aus Teilbuch IV mit direkten Entlehnungen eine entsprechende Abhängigkeitslage ebenfalls anzunehmen. 4.2.4. Differenzierungen hinsichtlich der Asaphizität Hinsichtlich des Grades der Asaphizität in den Psalmen aus Teilbuch IV ergeben sich u. a. folgende Einsichten: (1.) Bei einer groben Dreiteilung von Teilbuch IV48 in die Gruppen Ps 90–92, Ps 93–100 und Ps 101–10649 fallen Unterschiede der asaphitischen Tingierung auf: In der ersten Teilgruppe bewegt sie sich im geringen bis mittleren und in der Kerngruppe der JHWH-Königs-Psalmen (Ps 93–100) im mittleren bis starken Bereich. Die Schlussgruppe Ps 101 bis 106 ist diesbezüglich uneinheitlich und weist die stärksten Ausschläge auf, wobei das Spektrum von keiner bis zu sehr starker asaphitischer Beeinflussung reicht.50
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erwarten, vgl. dazu J. Creach, Shape; B. Weber, „Asaf“; B. Gosse, L’usage; B. Gosse, Ps 93– 94; B. Gosse, Isaïe. Nach Ausweis der Asaph-Psalmen sind namentlich in Mose-Überlieferungen, die herkömmlich mit den Sigla E und D bezeichnet werden bzw. wurden, Berührungen zu diesen Psalmen auszumachen. Darüber hinaus liegen namentlich zu den poetischen Texten (Ex 15 und Dtn 32[f.]) wiederholt Bezüge vor. Die Überlegungen von M. Goulder, Psalms of Asaph, 189ff., verdienen – trotz ihrer Überspitzungen – neu bedacht zu werden. So etwa auch M. Leuenberger, Konzeptionen, 129ff.172ff. U. Dahmen, „Gepriesen sei der Herr“, 10–25, problematisiert die Buchgrenze zwischen Teilbuch IV und V und plädiert für eine Psalmenkomposition Ps 105–118* (mit Schwerpunkt im Exodusgeschehen). Diese Schlussgruppe (zu der teils auch Ps 107 gerechnet wird) wirkt am wenigsten einheitlich. Entsprechend sind verschiedene, synchron wie diachron motivierte Subgliederungen vorgeschlagen worden (vgl. u. a. E. Zenger, Weltenkönigtum, 171–178; G. Brunert, Psalm 102, 255–262; J. Schnocks, Vergänglichkeit, 252–278; E. Ballhorn, Telos, 111–141; M. Leuenberger, Konzeptionen, 242–264; M.G. McKelvey, Moses, 253–277; J. Gärtner, Geschichtspsalmen, 244–290), die hier aber ausser acht bleiben können. Die Schlusstriade Ps 104–106 hat dabei freilich eine mittlere bis (sehr) starke asaphitische Einfärbung. G.J. Wenham, Palms as Torah, 125f., spricht von Einleitung (Ps 103) und „three
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(2.) Mit Blick auf Ps 104 ist die Rezeption asaphitischer Stoffe, die freilich stark umgeprägt wurden, überraschend. Umgekehrt fällt auf, dass die beiden David zugeschriebenen Psalmen 101 und 103 (zusammen mit Ps 92) keine oder nur geringe Milieuverwandtschaft zu den Asaph-Psalmen aufweisen. Prima vista sieht es danach aus, dass mit der David-Zuschreibung ein unterschiedliches Traditionsmilieu verbunden ist, hinter dem ein anderer TK steht.51 Ein solcher Befund spricht dafür, dass die „David“-Zuschreibungen kaum als zufällig einzustufen sind.52 Auch 2Chr 29,30 (vgl. Neh 12,46) kennt eine Differenzierung zwischen David- und Asaph-Psalmen. Dass mit ihrer Pflege und Weitergabe unterschiedliche Tradenten betraut sind, ist naheliegend.53 (3.) Das Label „deutero-asaphitisch“ verdankt sich dem Umstand, dass Teile von drei unpräskribierten Psalmen aus Teilbuch IV vom Sänger- und Musikerhaupt Asaph bei der Ladeüberführung in 1Chr 16 vorgetragen wurden. Die vorgenommene Analyse hat, gemessen an den Asaph-Psalmen, unterschiedliche Grade an Asaphizität für die drei involvierten Psalmen 96; 105 und 106 zutage gefördert.54 Ps 105 weist eine starke asaphitische Prägung auf. Ps 106 kommt ihm darin nahe; freilich ist er in 1Chr 16 nur geringfügig aufgenommen (Anfang und Schluss), zudem sind die rezipierten Verse nicht asaphitisch tingiert. Ps 96 dagegen weist lediglich eine geringe bis mittlere Asaphizität auf.55 Der Befund wird
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pentateuchal psalms“ (Ps 104–106), die von einem Zitat aus Ex 34 gerahmt werden und damit anzeigen, dass ihre Hoffnung auf Gottes Charakter ruht. Dies ist mit Blick auf Ps 103 insofern überraschend, als dieser Psalm nicht nur Mose erwähnt, sondern darüber hinaus besonders dicht die Offenbarungsformel Ex 34,6 aufnimmt und vermutlich auch den Gesamthintergrund von Ex 32–34 im Blick hat – Phänomene, bei denen sich Konvergenzen nicht nur zu anderen Psalmen aus Teilbuch IV, sondern auch zum Kern des kleinen Asaph-Psalters (Ps 77 und 78) ergeben (vgl. dazu die Ausführungen in B. Weber, Werkbuch Psalmen III, 151–154, ferner J. Schnocks, Vergänglichkeit, 185–191; G.J. Wenham, Golden Calf). Untersuchungen zur Davidizität der Psalmen in Teilbuch IV (und V) mit Blick auf mögliche Beeinflussungen und Trägerkreise sowie deren Verhältnis zu den David-Psalmen in den Teilbüchern I und II sind zu wünschen. Vgl. bisher M. Kleer, „Sänger“. Die aufgrund von Stichwortverknüpfungen von G. Brunert, Psalm 102, 255–262, und M. Kleer, „Sänger“, 121f., gezogene Folgerung, dass Ps 101–104 insgesamt redaktionell als davidisch zu betrachten sind, ist aufgrund des hier erarbeiteten Befunds zu überdenken. Erklärungen für das Fehlen des Labels לאסףals Präskript zu Psalmen in Teilbuch IV kommen aufgrund der e silentio-Argumentation über Vermutungen nicht hinaus. Eine mögliche Erklärung liegt darin, dass der Asaph-Psalter innerhalb der Umrisse des „Elohistischen Psalters“ (Ps 42–83) bzw. der Psaltervorstufe der Teilbücher I–III bereits autorisiert war und als abgeschlossen galt. Entsprechend erhielten neu komponierte Psalmen aus einem späteren Stadium desselben Trägerkreises fortan keine Asaph-Zuschreibung mehr. Dazu beigetragen haben mag auch eine anders gestaltete bzw. fehlende Präskribierungstradtion, was sich im diesbezüglichen Unterschied zwischen Teilbuch I–III und Teilbuch IV–Vanzeigt (Buch IV hat mit einer Mose- [Ps 90] und zwei David-Zuschreibungen [Ps 101; 103] eine auffällige Kargheit an eponymischen Präskript-Angaben). Ein Vergleich der beiden Fassungen im Psalter und in 1Chr 16 ergibt, dass Ps 96 den Asaph-
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weiter zu bedenken sein. Man kann sich etwa fragen, ob und inwieweit die Psalmen-Collage in 1Chr 16 als Zusammenspiel oder „Kompromiss“ unterschiedlicher Gilden bzw. Trägerkreise einzuschätzen ist.56 (4.) Die Annahme eines TK hinter der Formung und Überlieferung der zwölf Psalmen לאסףkonnte als plausibel erwiesen werden. Es bleibt zu fragen, inwiefern dieser auch für die Entstehung der Psalmen aus Teilbuch IV respektive deren Zusammenstellung und Anordnung zu veranschlagen ist. Folgende Überlegungen seien zur Diskussion gestellt: (a.) Die Psalmen aus Teilbuch IV atmen gegenüber den Asaph-Psalmen ein späteres Stadium. Unterschiede zwischen den Psalmgruppen hinsichtlich Gattung, Formulierung und Akzentuierung dürften einer veränderten Zeitlage und ihren Erfordernissen zuzuschreiben sein. Unabhängig von der Datierung der Asaph-Psalmen hat die Analyse für die Psalmen aus Teilbuch IV eine grössere Nähe zu exilisch-(früh)nachexilischer Literatur ergeben. Zu erwähnen sind Berührungen mit Jes 40–55/66, den „Busspsalmen“ (z. B. Neh 9), aber auch eine Nähe zur Lobpreis-Diktion der Chronik, die gegenüber dem genuin-asaphitischen Gerichtskontext eine deutlich „aufgehelltere“ Atmosphäre (Doxologisierungstendenz) hat. (b.) In Reaktion auf den in Ps 89 repräsentierten Zerbruch des davidischen Zionskönigtums greifen die Psalmen aus Teilbuch IV auf mit Mose verbundene Überlieferungen, Theologumena und Funktionen zurück und heben JHWHs Königtum hervor. Namentlich für den Rückgriff auf „Mose“-Überlieferungen und -Themen57 in der Gestaltung von Teilbuch IV sind Einflüsse des AsaphKreises und seiner Psalmen anzunehmen. (c.) Der Grad asaphitischen Beeinflussung der Psalmen 90–106 ist unterschiedlich, so dass bei der Entstehung eines Teils dieser Psalmen eine Beteiligung oder jedenfalls Beeinflussung eines asaphitischen TK, der für Bewahrung, Überlieferung und Aktualisierung der expliziten Asaph-Psalmen verantwortlich zeichnet, einiges für sich hat. Dies gilt allerdings nicht für alle siebzehn Psalmen. Psalmen näher steht als sein Pendant in der Chronik (vgl. etwa die Abmilderung des Gerichtsaspekts). 56 Dies lässt sich sowohl auf der Textebene (Vortragende sind Asaph und seine Brüder, vgl. 1Chr 16,7) als auch auf der Verfasserebene (Aufnahme von Traditionen unterschiedlicher levitischer und anderer Überlieferungen und Anliegen) diskutieren. 57 Zu denken sind an die Tradierung geformter Basistexte wie Ex 15 und v. a. Dtn 32, lyrische Geschichtsaktualisierung (Ps [77–] 78), Bundesbruch und -erneuerung (Ex 32–34) samt mosaischer Mittlerschaft und zentraler Gnadenformel Ex 34,6(f.) – man kann bei letzterem gleichsam von einer nach dem Abfall (und der Exilskatastrophe?) Gott abgerungenen und mosaisch vermittelten „zweiten Gnade“ sprechen. Auch die Betonung des Königtum JHWHs (vgl. Ps 74,12ff., ferner Ex 15,18) ist nicht ohne Anhalt in der Gruppe der Asaph-Psalmen, insbesondere wenn man die Hirte/Herde-Metaphorik (vgl. Ps 74,1; 77,21; 78,72; 79,13; 80,2) und die Präsentation Gottes als Richter (vgl. u. a. Ps 50,4–7; 74,11; 75,–9.11; 76,4.9–11; 78,65f.; 82,1.8) mit in Rechnung stellt.
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Darüber hinaus ist wahrscheinlich zu machen, dass für die Gestaltwerdung der Komposition von Teilbuch IV ein asaphitischer TK (mit)verantwortlich zeichnet, zumal die asaphitisch zu veranschlagenden „Mose“-Rezeptionen nicht nur auf der Ebene der Einzelpsalmen dieses Teilbuchs, sondern darüber hinaus in seinem Anordungsgefüge eine Rolle spielen. Die Bedeutung der nachexilischen Asaphiten, wie sie in Esr-Neh und Chr erkennbar ist, ist ein weiteres Indiz für den Einfluss dieser Überlieferungs- und Trägergruppe.58 In die Teilbuch-Komposition sind dabei auch nicht asaphitisch geprägte Psalmen, wie etwa diejenigen mit „David“-Präskribierung, adaptiert worden.59 Das Verhältnis zwischen dem vorherrschenden Mose-Bezug und dem David-Anteil in Teilbuch IV ist derzeit nicht hinreichend geklärt und bedarf weiterer Überlegungen.60 Auf den chr Hinweis (vgl. 2Chr 29,30), dass Leviten „Worte“ (Psalmen) von David und dem Seher Asaph zum Lobpreis JHWHs vortrugen, wurde bereits hingewiesen. Damit werden zwei Psalmengruppen gemeinsam genannt und verwendet, aber zugleich differenziert anhand der als Dedikationen (oder Verfasserangaben) zu verstehenden Zuweisungen an David und Asaph. Der Chronist bringt dies mit der Zeit König Hiskias in Verbindung. Wie bereits mehrfach notiert, bringt Asaph immer wieder mit „Mose“ Verbundenes ein. Nun ist auch die Relationierung von Mose und David nicht ohne Anhalt im asaphitischen TK. Mose-David-Verbindungen finden sich nämlich nur in der Chronik, sondern auch im Psalter und dort inbesondere im Teilbuch IV. Dass diese ihr Vorbild in der ersten Mose-DavidVerlinkung im Psalter, nämlich im Kernbereich des Asaph-Psalters (Ps 77–78) 61, hatte, ist gut möglich.
58 Literatur- und theologiegeschichtlich repräsentiert das asaphitisch (mit)geprägte Teilbuch IV ein Stadium zwischen den genuinen Asaph-Psalmen und den Asaphiten, wie sie in Esr-Neh und Chr zutage treten. 59 Aufgrund der vorliegenden Untersuchung ist meine, in B. Weber, „Asaf“, 459.478f., geäusserte Vermutung einer asaphitischen Verantwortlichkeit für die Gesamtgestalt von Teilbuch IV zu modifizieren. 60 Vgl. dazu u. a. G. Brunert, Psalm 102, 276–285; E. Ballhorn, Telos, 108f.138–141; M. Leuenberger, Konzeptionen, 172–174; J. Schnocks, Vergänglichkeit, 272–276. 61 Vgl. die Mose-Erwähnung am Ende von Ps 77 (V.21) und v. a. Ps 78, der mosaisch eröffnet und am Schluss zu David hinführt, dazu B. Weber, Psalm 78, 321–323. Auch der Umstand, dass der David-Psalter II (Ps 51–72) asaphitisch (mosaisch) gerahmt ist (Ps 50 | Ps 73–83), mag angeführt werden.
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Till Magnus Steiner
Die Korachiten1
1.
בני קרח
Trotz der wenig schmeichelhaften Bedeutung des Namens „Korach“, der etymologisch wahrscheinlich soviel wie „Kahlköpflein“2 bedeutet (vgl. 2Kön 2,23), finden sich zwei Psalmengruppen (Ps 42–49; Ps 84f.87f.), die in ihren Überschriften diesen Namen tragen bzw. erwähnen.3 Im Unterschied zu den sonstigen Psalmenzuschreibungen an einzelne Personen bzw. Eponyme (David, Asaf, Salomo, Mose, Jedutun, Heman und Etan) werden diese Psalmen einer Gruppe, den Söhnen Korachs, zugeschrieben. Wer sind diese ?בני קרח Die Gruppenbezeichnung בני קרחfindet sich abgesehen von den Psalmenüberschriften nur noch ein einziges Mal im Text der Hebräischen Bibel: In der genealogischen Notiz in Num 26,11 heißt es über die Söhne Korachs, dass sie beim sogenannten „Aufstand der Rotte Korachs“ (Num 16), nicht gestorben sind ()ובני קרח לא מתו.
1 Der vorliegende Aufsatz steht im Zusammenhang mit dem Status des Verfassers als Research Αssociate am Department of Old Testament Studies (Faculty of Theology) der University of Pretoria (Südafrika). 2 T. Willi, 1. Chronik 1,1–10,14, 205.; oder „kleiner Kahlkopf“ (vgl. H. Seebass, Numeri 22,2– 36,13, 191). 3 Gemäß Gen 36,5.14.16.18 (vgl. 1Chr 1,35) trug einer der Söhne Esaus den Namen Korach und gemäß 1Chr 2,43 hieß einer der Nachfahren Judas, genauer hin der Sohn Hebrons ebenso Korach. Abgesehen von diesen aufgeführten sieben Verwendungen des Namens Korach, verteilt auf zwei Personen, handelt es sich bei allen weiteren 35 Vorkommen des Namens um Korach, den Leviten bzw. die levitischen Korachiten, die Nachfahren von Korach, dem Sohn Jizhars, des Nachfahrens Kehats, des Sohnes Levis (vgl. Ex 6,21.24; Num 16–17; Num 26,9– 11.58; Num 27,3; 1Chr 6,7.22; 1Chr 9,19.31; 1Chr 12,7; 1Chr 26,1.19; 2Chr 20,19). „Es besteht aber angesichts der levitischen Herkunft m. E. kein Zweifel, daß unser Korach mit dem Korach der Psalmen (Ps 4–49 und 84f./87f.) bzw. den Korachitern der Chronik zu verbinden ist, womit die Bedeutung dieser Figur und ihrer Nachkommenschaft bereits angedeutet ist.“ (H. Samuel, Von Priestern zum Patriarchen, 202 Anm. 931).
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2.
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Num 16 als Ausgangspunkt
Kanonisch betrachtet führen die Überschriften der sogenannten „Korachpsalmen“, genauer „der Psalmen der Söhne Korachs“, zur Geschichte des Aufstands des Leviten Korach samt seiner Verbündeten gegen Aaron und Mose (Num 16). In der Forschungsliteratur zu Num 16 besteht ein weitgehender Konsens in der Annahme, dass der Aufstand gegen Mose und Aaron durch Abiram, Datan und die 250 aus dem Volk erst in seiner Endfassung ein Aufstand von Leviten, angeführt durch Korach, gegen Mose und Aaron geworden ist (vgl. Ps 106,16–18).4 R. Achenbach und H. Seebass stimmen darin überein, dass die Korachthematik die letzte grundlegende Stufe der Textentwicklung in Num 16 darstellt.5 Eine oft in älterer Forschung zu entdeckende Annahme, die besagt, dass Korach als Laie bereits in Num 16 verankert war und erst in der Endredaktion zum Leviten geworden ist,6 lässt sich nicht aufrechterhalten. E. Blum hat dies nochmals überzeugend dargelegt und kommt zu dem Schluss: „Demgegenüber [dem 4 Meiner Ansicht nach lässt sich, das Wachstum von Num 16 auch durch andere biblische Texte belegen: Es ist schon häufig bemerkt worden, dass Dtn 11,6 Zeugnis ablegt für die Selbstständigkeit der Abiram-Datan-Episode. Weniger Beachtung hat bisher jedoch Ps 106,16–18 erfahren. F.-L. Hossfeld schreibt in seiner Kommentierung zu dieser Textstelle: „Namen und Erzählstoff des dritten Abschnittes (V.16–18) stammen aus Num 16 (Aufstand der Rotte Korach). […] Die Namen Datan und Abiram tauchen nur hier im Psalter auf. Zurecht wird schon seit langem vermutet, dass der Name des Anführers der Aufständischen ‚Korach‘ aus Rücksicht auf das Tempelpersonal der Korachiter verschwiegen wird.“ (F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 131). In Bezug auf die Datierung kommt F.-L. Hossfeld zu dem Ergebnis: „Unverkennbar ist für Ps 106 die priesterliche Prägung, die deutlich die Anliegen einer aaronidischen Priestergruppe vertritt. Diese Gründe zusammengenommen empfiehlt sich eine Datierung des Psalms in die Mitte des 5. Jhs. v. Chr.“ (F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 124). Die Analyse von F.-L. Hossfeld trifft sich in der Wahrnehmung des Psalms mit der klaren Abgrenzung zwischen Laien und aaronidischem Priester, wie es der Text vor der Korachbearbeitung in Num 16 aussagt. M. E. wurde Korach nicht absichtlich „ausgelassen“, sondern die Korachbearbeitung lag dem Verfasser von Ps 106 noch nicht vor, während die Nennung der zwei verschiedenen Strafen in Ps 106,16–18 auch die 250 aus Num 16 mit andeutet. 5 Vgl. R. Achenbach, Vollendung, 40–122; H. Seebass, Numeri 22,2–36,13, 165–213; H. Samuel, Von Priestern zum Patriarchen, 224–227; vgl. auch L. Schmidt, Numeri 10,11–36,13, 60ff. H. Seebass bestimmt die Korach-Bearbeitung folgendermaßen: V.1a.5aα*.6bβ.7b– 11.16f.*19–24. Nach R. Achenbach handelt es sich bei der Korach-Redaktion um V.1.2a.3.4.5– 7.(7b.8–11).16.19–22.24b.27aβ.32b. H. Samuel definiert die zwei Fortschreibung folgendermaßen: V.1.2.5f.7b.8–11.16-.24.27.32b35. L. Schmidt vermutet, dass die Korachbearbeitung innerhalb einer selbständig existierenden Priesterschrift als Erweiterung der Erzählung von den 250 geschah, die dann erst im Zuge der Pentateuchredaktion mit der Datan-AbiramErzählung zusammengefügt wurde. Er geht von folgender Korach-Redaktion aus: V.1a.(2b?) 5*.6bβ.7b – 11.16.17.18*(nur „und Mose und Aaron“).35a.bβ. Dieser Redaktion folgte noch die Pentateuchredaktion mit der Einfügung von V.15.in 24.27a „Korach, Datan und Abiram“.in 26 „zu der Gemeinde“.28–31–32b.33bβ. 6 Vgl. S. Lehming, Versuch, 310–319.
Die Korachiten
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Umstand, dass die 250 durch ein Gottesfeuer umkommen, ohne dass Korach erwähnt wird (V.35) – TMS] setzen die von den Leviten und ihrem ‚Repräsentanten‘ Korach handelnden Komponenten inhaltlich und erzählerisch die von ‚den 250‘ und von Dathan/Abiram erzählenden Stücke voraus. Ja die komplexe vorliegende Textgestalt lässt sich dann auch in ihren Einzelheiten verstehen, wenn man die Korach/Leviten-Elemente als eine Kompositionsschicht begreift, welche die (nicht-priesterliche) Datan-Abiram-Überlieferung und eine (priesterliche) Überlieferung von den 250 Honoratioren miteinander verband und dabei die ‚neue‘ Korach/Leviten-Thematik einzuflechten verstand.“7 Zudem fällt auf: (1.) Die Forderung der 250 bezieht sich auf die Heiligkeit ganz Israels, während in Bezug auf die Forderung der Korachgruppe, die Beanspruchung von Priesterrechten für Leviten angeführt wird (vgl. V.3–7a gegen V.8–11). (2.) Der Text gibt an, dass die 250 „aus den Israeliten stammen“ (V.2), während die Gruppe um Korach als levitisch definiert wird (V.16). (3.) Korach und die 250 werden unterschiedlich bestraft (V.35). Generell anerkannt ist, dass die Korachbearbeitung nachexilisch zu datieren ist. H. Sebass beurteilt sie als Bestandteil der Endbuchkomposition8 – unter Aufnahme von J-(Abiram und Datan) und Pg-(Num 16,5*; 17,16–28)Traditionen, die in die Erzählung um die 250 eingeflossen sind und durch die Korachbearbeitung zur Endform von Num 16 geführt haben –, die er in „frühnachexilische[r] Zeit“ verortet.9 L. Schmidt sieht in der Korachbearbeitung eine sekundäre Schicht der in P vorliegenden Erzählung der 250.10 R. Achenbach verortet die Korachbearbeitung als Bestandteil der post-P Bearbeitung des Pentateuchs, der bereits eine Verschmelzung der Abiram-Datan-Erzhählung und dem Aufstand der 250 vorgelegen hat. Diese „theokratische Bearbeitung“ datiert er in das späte 4. Jhd. v. Chr.11 Die Klarstellung in Num 26,11, dass die Söhne Korachs nicht bei der Bestrafung Korachs umgekommen sind, ist dem sehr enigmatischen Charakter von Num 16,23–33 geschuldet. Gemäß Num 26,9f. gehörten Abiram und Datan zur Gemeinde Korachs (vgl. Dtn 11,6). Ohne Zweifel setzt somit V.9 die Endfassung von Num 16 voraus, die in V.1 Korach zum Anführer sowohl Abirams und Datans als auch der 250 aus dem Volk gemacht hat. Gemäß Num 26,9 ist Korach durch 7 8 9 10
E. Blum, Studien, 265. H. Seebass, Numeri 22,2–36,13, 189 Vgl. H. Seebass, Numeri 22,2–36,13, 211. Vgl. L. Schmidt, Numeri 10,11–36,13, 66. Entgegen der These von L. Schmidt scheint Num 16 nicht durch das Modell einer redaktionellen Kombination von selbständigen Quellen zustande gekommen zu sein, sondern ist entsprechend H. Seebass und R. Achenbach (vgl. auch C. Berner, Laien, 1–28.) eher durch ein Fortschreibungsmodell zu erklären; vgl. auch oben Anm. 3. 11 Vgl. R. Achenbach, Vollendung, 115.
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Gott getötet worden. Diese Klarstellung wurde innerhalb der Buchkomposition notwendig, da Num 16,32 nicht beantwortete, ob Korach selbst gestorben ist und Korachs Familie ausgelöscht wurde (analog zur Vernichtung der Familien Abirams und Datans). In Num 16,24 beauftragt Gott Mose, alle Israeliten aufzufordern, sich von den Wohnungen Abirams, Datans und Korachs zu entfernen. Um diesen Auftrag zu erfüllen, geht Mose in V.25 nur zu Abiram und Datan und verkündet dort der „Gemeinde“, was Gott ihm aufgetragen hat. Im Text steht nach der Verkündigung der Gottesstrafe durch Moses in V.27b folgender Vers: „Datan und Abiram aber waren herausgekommen und standen am Eingang ihrer Zelte mit ihren Frauen, ihren Söhnen und ihren kleinen Kindern.“ Eine vergleichbare Aussage zu Korach findet sich nicht im Text, sondern – schwer zu deuten – heißt es in V.32: „Und die Erde tat ihren Mund auf und verschlang sie und ihre Häuser und alle Menschen, die zu Korach gehörten, und ihre gesamte Habe.“ Textlogisch kann sich אותם ואת בתיהםauch nur auf die in V.27b Genannten beziehen. Über den Tod Korachs wird selbst explizit nichts ausgesagt (er wird nicht als stehend am Eingang seines Zeltes beschrieben). V.32 äußert nur, dass כל האדם אשר לקרח ואת כל הרכושmit in den Erdschlund gerissen wurden. Der Text insinuiert, dass auch Korach getötet wurde, ohne dass er es explizit erzählt. Auch lässt der Text offen, wer diese Leute sind, die zu Korach gehörten. Die 250 können es entsprechend dem Endtext nicht sein, da sie in V.35 auf eine andere Art und Weise sterben (vgl. auch Num 26,10). Durch die im Unterschied zu V.27b andere Formulierung meint der Endtext damit jedoch auch nicht die Familie Korachs. Gemäß Num 17,5 wird Korach, zu denen gerechnet, die die Rauchopfer darbrachten (vgl. den offenen Bezug in Num 16,16–19 in Verbindung mit V.5; vgl. auch Num 17,14). Num 26,11 betont, dass die Söhne Korachs mit Num 16,32 nicht gemeint sind (vgl. auch Num 27,3). Num 26,9 zählt Abiram und Datan zur Gemeinde Korachs, die mit Korach in Num 16,32 umkommen. V.32b bezieht sich wohl eher auf die Unterstützer Korachs aus der in V.24 angesprochenen „Gemeinde“ (V.26).
L. Schmidt schreibt zu der offenen Formulierung in Num 16,32b: „Die Korachiten müssen damals eine starke Stellung in der Gemeinde gehabt haben, da es der Bearbeiter nicht wagte, von einer Bestrafung Korachs zu erzählen.“12 In der Art und Weise, wie der Autor/Redaktor der Erzählung den Tod Korachs beschreibt – ohne den Tod Korachs direkt zu benennen –, zeigt sich, dass er zwar die genealogische Bezugsperson einer Gruppe negativ darstellt, die Gruppe aber als reale Gegebenheit akzeptiert oder akzeptieren muss (vgl. Num 26,11). Die Bedeutung der Gruppe der Korachiter wird besonders in der Liste der Sippen in Num 26,58a deutlich. V.57 und V.58 nennen unabhängig voneinander unterschiedliche Levitensippen. V.57 ist eine genealogische Neuordnung der vorgegebenen Liste in V.58a, die die Standardaufteilung in die Zweige Gerschom, Kehat und Merari herstellt und Korach erst in der Enkelgeneration verortet.13 H. Seebass verweist darauf, „daß 58a im Stil der Liste ‚die Sippen der Levis‘ nennt, 12 L. Schmidt, Numeri 10,11–36,13, 60ff.67. 13 Vgl. G.B. Gray, Numbers, 395f.
Die Korachiten
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57 mit ‚ פקודי הלויgemusterte Leviten‘ aber redaktionell redet“ und daher V.58a älter ist V.57.14 L. Schmidt vertritt die Ansicht, dass V.58a jünger sei.15 V.57 entspricht der Genealogie, wie sie auch in Ex 6 eingefügt wurde (vgl. auch Num 3,14–39). Das Ziel der Genealogie in Ex 6,13–16 ist die Verankerung von Mose und Aaron in der levitischen Genealogie (in Aufnahme von Ex 2,1; 4,14). Die Nennung der Söhne Rubens und der Söhne Simeons vor den Söhnen Levis ergibt sich aus der Reihenfolge der Geburt Rubens, Simeons und Levis als Söhne Jakobs. Besondere Aufmerksamkeit erfährt die Genealogie, die sich mit dem Fokus auf den Nachfahren Kehat auf Levi bezieht, aus dem einerseits die priesterliche Linie aus Amram hervorgeht (Aaron, Eleasar, Pinhas) und andererseits die Line aus Jizhar, die Korach hervorbringt. Aus dem Levitengeschlecht werden somit die aaronitische Linie und die korachitische Linie besonders hervorgehoben. Erstens ist daran auffallend, dass hier beide Linien vorgestellt werden, die in Num 16 in eine Kontraststellung gebracht werden.16 Zum Zweiten ist der Ausbau der Genealogien zu beachten. Die aaronidische Linie wird über Aaron hinausgehend geschildert mit dem Zielpunkt in Pinhas, während bei Korach drei Söhne genannt werden, die im weiteren Verlauf des Pentateuch jedoch keine Rolle mehr spielen werden.17 Insgesamt wird durch die Liste die Linie der Kehatiten hervorgehoben, wie dies auch im Buch Numeri allgemein geschieht (vgl. die hervorgehobenen Aufgaben für die Kehatiter in Num 3,31; 4,4.15.18; 7,9; 10,21). Das Buch Numeri, dass die Zurückweisung Korachs beinhaltet, teilt mit Ex 6 somit die hervorgehobene Stellung der Kehatiter. Allerdings ordnet die Erzählung in Num 16 die Leviten deutlich den Aaroniden unter. Num 16 und Num 26,11 verweisen auf einen nachexilischen Konflikt zwischen den priesterlichen Aaroniden und den levitischen Korachiten in Bezug auf Kompetenz- und Machtfragen.18 Wenn man die Spur Korachs in der Hebräischen Bibel weiter verfolgt, ergeben sich Möglichkeiten zur Erklärung bzw. zur Verortung der in den Psalmenüberschriften genannten „Söhne Korachs“, die mit L. Schmidt in der nachexilischen Zeit als eine Gruppe von größerer Bedeutung angesehen werden kann.
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Vgl. H. Seebass, Numeri 22,2–36,13, 191. Vgl. L. Schmidt, Numeri 10,11–36,13, 162. Vgl. R. Achenbach, Vollendung, 114. Besonders auffallend ist, dass die Söhne Assir, Elkana und Abiasaf als eine Generation genannt werden, während sie der Chronist in genealogischer Abfolge aufführt (vgl. 1Chr 6,8); gegen T. Willi, 1. Chronik 1,1–10,14, 172). 18 Vgl. R. Achenbach, Vollendung, 68.
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3.
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Korach in den Chronikbüchern
Innerhalb der Hebräischen Bibel tritt die Person „Korach ben Jizhar“ nur in Num 16 außerhalb von Genealogien auf. Diese wenig schmeichelhafte Episode über Korach wird innerhalb des Geschichtsentwurfs der Chronikbücher, der die geschichtliche Gegenwart reflektiert und dadurch eine schriftgelehrte Neuinterpretation der Vergangenheit bietet, nicht erwähnt. Die Chronikbücher stellen Korach positiv dar als Glied der Genealogie des Sängers Heman (1Chr 6,22) und des Torwächters Shallum (1Chr 9,19); die Korachiter ( )קרחיםwerden angeführt als militärische Unterstützer Davids (1Chr 12,7), als verantwortlich für das Tiegelgebäck (1Chr 9,31), als Torwächter (1Chr 9,19; 26,1.19) und als Sänger (1Chr 9,33; 2Chr 20,19). Die Korachiten sind gemäß den Chronikbücher Leviten und Leviten sind die Stütze, das Herz und das Konitunitätsprinzip von Ganz-Israel. Es ist von besonderer Bedeutung wahrzunehmen, dass die korachitischen-hemanitischen Sänger als auch ein Teil der Torwächter geeint sich innerhalb der KorachKehat-Linie auf Levi beziehen. Ebenso wichtig ist es wahrzunehmen, dass die Korachiten in den Chronikbüchern vorrangig als Torwächter auftreten.
3.1.
H. Geses „Die Geschichte der Kultsänger zur Zeit des Zweiten Tempels“
1963 hat H. Gese versucht – durchaus epochemachend – die nachexilische Genese der Tempelsänger durch eine Analyse der Bücher Nehemia, Esra und 1/2Chronik nachzuzeichnen. Dieser Versuch ist der unumgehbare Ausgangspunkt für jede Auseinandersetzung mit der Geschichte der Tempelsänger. Das von ihm entworfene Modell besteht aus drei Phasen: (1.) Phase I: Die Sänger gehörten nicht zu den Leviten und als Sänger werden nur die Söhne Asafs bezeichnet (Neh 7,43f/Esra 2,40f.).19 Datierung: „letzte Drittel des sechsten Jahrhunderts“20. (2.) Phase II: Die Sänger gehören zu den Leviten (die Torwächter sind keine Leviten) und es tritt neben der Sängergruppe der Asafiten eine Jedutungruppe auf (Neh 11,3–19; 1Chr 9,1b(2)–18).21 Datierung: „Mitte des fünften Jahrhunderts“22. (3.) Phase III: Sie teilt sich in zwei Abschnitte; für beide gilt, dass die Sängergruppen (wie auch die Torwächter) als Leviten aufgeführt werden:23 (a.) Es bestehen drei Sängergruppen in der Rangfolge Asaf-Heman-Jedutun 19 20 21 22 23
Vgl. H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 223. H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 223. Vgl. H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 223f. H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 224. Vgl. H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 224–227.
Die Korachiten
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(1Chr 16,4–5a; 2Chr 5,12; 29,13–14; 35,15). Datierung: „zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts“24 = „Grundbestand des chronistischen Werkes“25. (b.) Es bestehen drei Sängergruppen, wobei die Rangfolge sich zu Gunsten der Hemangruppe verschoben hat und Jedutun durch Etan ersetzt wurde: Heman-Asaf-Etan (1Chr 6,16–32; 15,16–24). Datierung: „Um die Jahrhundertwende oder bald nach 300 wäre die Tradition B anzusetzen, die sich in den sekundären Stücken I Chron. 6,16–32; 15,16–24 (und der dadurch erfolgten Umarbeitung in I Chron. 16,5b ff.) niedergeschlagen hat“26. Dieses Modell, wie es H. Gese am Anfang seines Aufsatzes kurz skizziert, wurde in vielen Veröffentlichungen rezipiert und findet sich variierend in fast jedem modernen Kommentar zu den Chronikbüchern. Allerdings wird oft übersehen, dass er am Ende seines Aufsatzes noch eine weitere Phase hinzufügt. In Bezug auf 2Chr 20,19 macht er darauf aufmerksam, dass hier als Sänger Leviten genannt werden, „die zu den Kehatiten und zwar zu den Korchiten gehörten“27. Innerhalb 2Chr 20 werden somit durch den prophezeienden Jahsiel, „von den Söhnen Asafs“ (V.14) und den singenden Korachiten (V.19), zwei Tempelsängergruppen genannt, die auch den Nennungen im Psalter entsprechen.28 Die Wahrnehmung, dass 2Chr 20 die Sänger als Leviten darstellt und keine Dreiteilung der Sängergruppen voraussetzt, führt H. Gese zu der Annahme, dass 2Chr 20 ein Stadium zwischen Phase II und Phase III darstelle. Diese Überlegungen – vor allem in Anbetracht der vorliegenden Kehat-Genealogie der Korachitergruppe – führen H. Gese im Angesicht von Num 16 zu der These, dass die Korachiter ein vom Priesterdienst ausgeschlossenes Kehat-Geschlecht darstellten, das in den levitischen Sängerstand drängte.29 Daraus schloss er, dass die Heman-Gruppe, die
24 25 26 27
H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 224. H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 225. H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 226. H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 230. Oft wird diese Stelle als die Nennung zweier Gruppen „die Kehatiter und die Korachiter“ gedeutet – bei dem vorliegenden Waw handelt es sich jedoch um ein Waw explicativum, wie es H. Gese in Anm. 30 zu recht erklärt (vgl. auch A. Ruffing, Jahwekrieg, 161.179). Da S. Japhet in V.19 kein Waw explicativum vorliegen sieht, vermutet sie, dass es sich um eine Textverderbnis handele, „etwas Dittographie von “מבני קהתים (S. Japhet, 2 Chronik, 255.). 28 H. Gese vermerkt dazu: „Geht es in 2Chron. 20 speziell um das Sängeramt, so muß man erwarten, daß auf die Einteilung der Sänger Gewicht gelegt, d. h. die erwähnte Gruppierung Asaf-Korach nicht eine zufällige ist, sondern der allgemeinen Einteilung der Sänger entspricht. Die Einteilung Asaf-Korach ist zudem nicht nur in 2Chron. 20 belegt, sondern begegnet uns auch im Psalter.“ (H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 231.) 29 Vgl. H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 233: „Das das vornehme Levitengeschlecht Korach vom Priesterdienst ausgeschlossen war, konnte ihm nur levitische Ämter offenstehen“.
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Heman über Korach von Kehat ableitete, aus den Korachiten hervorgegangen ist und dies die Zurückdrängung der Asafiten bedeutete.30
3.2.
Die Kritik an H. Geses Modell
Bevor jedoch nun hier mein Gegenentwurf zur Entwicklung der Gruppe der Korachiter anhand der Chronikbücher vorgelegt werden soll, muss das generelle Koordinatensystem, das H. Gese vorgelegt hat, neu justiert werden. Sein Entwurf blieb in der Forschungsgeschichte nicht unbeanstandet. H.G.M. Williamson, A. Laato, S. Japhet und J. Schaper kritisierten zwar das Modell, übernahmen es aber in den Grundzügen.31 R.W. Klein übernahm das Modell von H. Gese in seinem Kommentar, begrenzt es jedoch auf die Darstellung innerhalb der Chronikbücher als geschlossenes literarisches Werk.32 Die umfassendste Kritik 30 Worauf weiter unten noch zu kommen sein wird, ist folgende daraus resultierende These von H. Gese: „Die Bezeichnung der nichtasafitischen Sänger als von Korach abstammend konnte vom Chronisten als genealogische Bestimmung übernommen werden, traf sie doch für Heman ganz, für Jedutun wenigstens zum Teil (vgl. Obed-Edom) zu.“ (H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 233) – zu Obed- Edom vgl. T.M Steiner, Obed-Edom, 49–62. Auf die Frage „Wer waren die Korachiten?“ gibt H. Gese somit die Antwort, dass dies ein zurückgewiesenes Priestergeschlecht ist (Num 16), dass sich in die Tempelsänger eingliederte, indem sie sich der nicht-asafitischen Jedutungruppe anschloß bzw. diese übernahm, um später anknüpfend an die Gestalt Hemans als eigene Gruppe dazustehen. 31 H.G.M. Williamson weist in seinem Kommentar daraufhin, dass 1Chr 6 aus der Feder des Chronisten stammt. Er verortet somit den Chronisten als Verfasser von Phase IIIB, anerkennt Phase IIIA aber weiterhin, nun aber als aufgenommene Tradition (vgl. H.G.M. Williamson, 1 and 2 Chronicles, 121.). A. Laato versuchte in einem Artikel aufzuzeigen, dass Phase IIIA und die levitische Genealogie der Tempelsänger keine Erfindung der Zeit nach Nehemia sind, sondern eine vorexilische Tradition darstellen könnten, die nur entsprechend dem Modell von H. Gese jeweils revitalisiert wurden (vgl. A. Laato, Genealogies, 90.). J. Schaper übernimmt das Modell von H. Gese, verschiebt jedoch die Datierung von Phase II durch den Verweis auf den sekundären Charakter von Neh 11,3–19 im Verhältnis zur sogenannten „Nehemia-Denkschrift“ in die „erste Hälfte des vierten Jahrhunderts“ ( J. Schaper, Priester, 289). 32 „(1.) 1Chr 9:1–18 (Gese’s stage II), Asaph and Jeduthun; (2.) 2Chr 20:19, Asaph and Korah; (3.) the materials in Gese’s stage III A, Asaph, Heman, and Jeduthun; (4.) 1Chronicles 25, Heman, Asaph, and Jeduthun; (5.) the materials in Gese’s stage III B, Heman, Asaph, and Ethan.“ – und er kommentiert diese fünf Phasen mit den Worten: „I do not believe these five stages can be convincingly assigned to five separate authors or redactors by literary-critical methods. What is more, the Chronicler thus seems to be able to tolerate a considerable amount of tensions in his traditions about the Levitical singers.” (R.W. Klein, 1 Chronicles, 349.) Die vierte Phase erwähnt ebenso H. Gese: „Zunächst ist festzustellen, daß der Name Jedutun offenbar nicht schlagartig aus der Tradition verschwunden ist. In 1Chron. 25 ist zwar Heman gegenüber den beiden anderen Sängern stark herausgestrichen, so daß wir 1Chron. 25 in die Nähe der Tradition B zu stellen haben, der Name Jedutun erscheint aber noch. Das könnte für eine Einordnung unmittelbar vor IIIB sprechen, doch ist eine solche nach IIIB durch den Gebrauch des Namens Jedutun ja nicht ausgeschlossen, ja es spricht ein
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an dem Modell von H. Gese wurde von G. Steins vorgelegt.33 In vielen Kritikpunkten stimme ich mit G. Steins überein. In einem ersten Schritt ist es methodisch sauberer, wie es R.W. Klein betont hat, ein „Modell“ an dem geschlossenen literarischen Korpus der Chronikbücher allein zu entwerfen, bzw. nicht zu fragen, „Wie hat sich das Amt der Tempelsänger in nachexilischer Zeit entwickelt?“, sondern „Wie stellen die Chronikbücher das Amt der Tempelsänger dar und welche Entwicklung lässt sich darin erkennen?“. Diese andere Frage hat auch den praktischen Nutzen, dass man in einem ersten Schritt den Unsicherheiten in Bezug auf die Datierung des Nehemia- und des Esra-Buches entgeht. Während H. Gese zu seiner Zeit noch überzeugt sein konnte, dass es sich in Neh 7 um eine archivierte und glaubwürdige Liste der Rückkehrer aus dem Exil handelte – eine Position, die sich bis heute z.B im neuen Kommentar zu Nehemia von H.-D. Schunck findet34 – ist aufgrund des archäologischen Befunds zu den in der Rückkehrerliste genannten Stätten die Glaubwürdigkeit anzuzweifeln. I. Finkelstein tendiert im Angesicht der Ausgrabungen der verschiedenen genannten Orte zu einer Datierung von Neh 7 in die hasmonäische Zeit.35 Ebenso muss hinter die zweite Phase des Modells von H. Gese ein Fragezeichen gesetzt werden: Richtig wurde von ihm gesehen, dass in 1Chr 9, innerhalb der Gruppe der Leviten in V.15, Mattanja (vielleicht auch Bakbuk, Heresch und Galal?) genealogisch auf einen Asaf zurückgeführt wird. Mattanja ist nach der Auskunft der MT-Fassung des Nehemiabuches als Nachfahre Asafs ein Tem-
Vergleich der 24 Sängerklassen von 1Chron. 25 mit der Aufzählung der 14 Tempelmusiker in 1Chron. 15,18 (= V. 20f.) gegen die Annahme, daß 1Chron. 25 älter als IIIB ist.“ (H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 227.) 33 „In 1Chr 15f lassen sich im Blick auf die Kultmusiker lediglich zwei Entwicklungsstufen unterscheiden: Die erste Stufe kennt als einziges Musikerhaupt Asaf. Auf der zweiten Stufe bildet sich die Konzeption von drei Musikerhäuptern heraus; diese heißen entweder Heman, Asaf und Etan (vgl. 1Chr 6 und 15) oder Asaf, Heman und Jedutun (ab 1Chr 16).“ (G. Steins, Chronik, 278.). 34 Er datiert die Liste aufgrund sprachlicher Argumente vor 520 v. Chr. „Das ergibt sich zunächst schon daraus, daß Serubbabel und Jeschua in Neh 7,7a noch nicht mit ihren Amtsbezeichnungen פחת יהודהbzw. הכהן הגדול, die sie nach Hag 1,1 im Herbst 520 v. Chr. tragen, aufgeführt werden. Dem entspricht es, daß Neh 7,65 Jeschua noch nicht als Hohenpriester kennt, wenn hier ein Priester für Urim und Tummim erst noch erwartet wird, d. h. für eine priesterliche Tätigkeit, die nach Ex 28,30; Lev 8,8; Num 27,21 in nachexilischer Zeit allein dem Hohepriester zukam. […] Ein nur kurzer zeitlicher Abstand zwischen dem Rückkehrerzug unter der Leitung Serubbabels und der Abfassung der Rückkehrerliste ergibt sich schließlich auch daraus, daß die nach Neh 7,61 erfolgte Registrierung von Rückkehrern, die keine Angaben über ihre Herkunft aus Israel machen konnten, allein nach ihrem Exilsorten in Babylonien nur in einem kurz nach ihrer Rückkehr liegenden Zeitraum sinnvoll war.“ (K.-D. Schunck, Nehemia, 207). 35 I. Finkelstein, Geoprahical Lists, 49–69.
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pelsänger (vgl. Neh 11,22; 12,35).36 Dementsprechend liest man in der Parallelstelle zu 1Chr 9,15, in Neh 11,17, hinter der Nennung Asafs als Ahnvater die Spezifizierung ֗ר ֹאשׁ ַה ְתִּח ָלּ֙ה י ְֹהוֶ֣דה ַל ְתִּפ ֔ ָלּה. Diese Spezifizierung findet sich aber nicht in 1Chr 9,15.37 Die Annahme der Phase II (zwei Sängergruppen: Asafiten und Jedutuniten) stützt sich nach H. Gese auf den Befund in Neh 11,17 (nur MT – nicht LXX).38 Allerdings lässt sich nur Bakbukja durch die Formulierung משנה מאחיו als Sänger zweiten Rangs anführen. Die neu einsetzende Genealogie für Abda, die zurück auf Jedutun verfolgt wird, ist jedoch ebenso wie die Genealogie Schemajas am Anfang des Abschnittes über die Leviten (V.15) nicht mit einer Funktionsbestimmung versehen. Die spätere Ausbildung einer Sängergruppe, die sich auf Jedutun bezieht, ist erst ein Phänomen innerhalb der Sängertrias der Chronik (vgl. 1Chr 16,41; 25,1–6; 2Chr 5,12; 35,15).39 Für 1Chr 9 gilt hingegen,
36 Die Genealogie von Mattanja ist relativ konstant. Gemäß 1Chr 9,15; Neh 11,17.22; 12,25 ist er der Sohn Michas bzw. Michajas, der Name des Großvaters, dem Sohn Asafs, jedoch weicht in allen Stellen voneinander ab: Sichri (1Chr 9,15), Sabdi (Neh 11,17), Sakkur (Neh 12,35). 37 Noch komplizierter wird der Befund, wenn man LXX beachtet: In Neh 11,17 (LXX) wird Mattanja zwar aufgeführt, aber nicht als Nachfahre Asafs ausgewiesen (vgl. aber V.22). Hinzukommt, dass in LXX keine Genealogie, die sich auf eine Jedutun zurückführt, aufgeführt wird. Das Nehemiabuch kennt keinen Jedutun als Sängerahnherren. 38 Auch nach der Meinung von K.-D. Schunck wird in Neh 11,16–17 neben den Asafiten noch eine zweite Sängergruppe – die Sängergruppe der Jedutuniten – als levitisch eingeführt (vgl. K.-D. Schunck, Nehemia, 329). 39 Es gibt jedoch noch eine zweite Lesemöglichkeit: Gegenüber Neh 11 führt 1Chr 9 unter den Leviten noch „Berechja, der Sohn des Asa, des Sohns von Elkana, der in den Gehöften der Netofatiter wohnte“. Der Name Berechja/Berechjahu kann in 1Chr 15,17.23 sowohl einen Sänger von den Söhnen Asafs als auch einen Torwächter bezeichnen. Es ist also durchaus ein verbreiteter Name. Auch der Name Elkana bezeichnet verschiedene Personen, findet sich aber gehäuft innerhalb der Kehatiter bzw. Korachiter-Stammbäume (1Chr 6,8.10.11.12.19.20.21; 1Chr 12,7). Aber auch diese Person lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Besonders interessant ist jedoch der Zusatz zum Namen Elkana, der ihn beschreibt als jemand, der in den Gehöften der Netofatiter wohnte. Die Constructus-Verbindung חצרי נטופתי findet sich außer in 1Chr 19,15 nur noch einmal in Neh 12,28, wo der genannte Ort, die Wohnstätte der Sänger außerhalb Jerusalems benennt. Wenn man aus dieser Perspektive auf 1Chr 9,15 sieht, könnte der Text ebenso eine Dreiteilung der Sänger voraussetzen, wenn man Mattanja (vgl. Neh 11,17), Obadja (vgl. Neh 12,28–29) und Berechja (vgl. Neh 12,25 – der Name Elkana in Verbindung mit den Gehöften der Netofatiter) als Asafiten, Jedutuniten und Korachiten/Hemaniten(?) interpretieren würde. Problematisch bleibt aber bei dieser Erklärung, warum der Text Mattanja, Obadja und Berechja nicht explizit als Sänger bezeichnet, sondern allgemein einfach zu den Leviten rechnet. Als Ergebnis zu 1Chr 9,14–16 kann jedoch festgehalten werden, dass dieser Text keine Phase von zwei Sängergruppen darstellt: Entweder handelt es sich gar nicht um die Benennung von Sängergruppen, sondern um Genealogien ohne Dienstzuschreibung, oder es handelt sich um eine verdeckte Dreiteilung der Sängergruppen, wie sie 1Chr 6 entfaltet. Somit könnte im Modell von H. Gese, die Phase II ersetzt werden durch die Annahme einer Zeit, in der gemäß 2Chr 20,14.19 nur die beiden auch im Psalter erwähnten Tempelsängergruppen (Asaf und die Söhne Korachs) bestanden hatten.
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dass weder der Nachfahre Asafs noch der Nachfahre Jedutuns als Sänger benannt werden (vgl. V.33).40
3.2.1. Die singenden Torwächter Innerhalb der Einwohnerlisten Jerusalems in 1Chr 9 werden auch Torwächter genannt: Während in Neh 11 die Torwächter nur kurz mit einem Satz genannt werden (V.19), wird ihre Existenz und ihr Amt in 1Chr 9,17–29.30–33 ausführlich dargestellt und begründet; zudem werden sie „levitisiert“. Diese Verse lesen sich wie eine Skizze der Infrakstruktur des israelitischen Zentralheiligtums. Den Torwächtern kommen neben der rein beschützenden, militärischen Funktion auch zivile und wirtschaftliche Aufgaben zu. Wenn man genauer betrachtet, wer zur Gruppe der Torwächter gehört, ergibt sich innerhalb der Chronik kein einheitliches Bild (vgl. 1Chr 16,42; 26,19). Bereits 1Chr 941 gibt in sich verschiedene Antworten: Gemäß V.18 waren die Torhüter selbst nicht Leviten, sondern dienten den Leviten als deren „Domestiken“42. V.19 legt die Genealogie Shallums, des in V.17 als ersten Torwächter Angeführten, ausführlich da. „Die Filiation ‚des Sohnes Ebjasafs, des Sohnes Korach‘ entspricht exakt 1Chr 6,22, wo es sich freilich um die Ahnen des durch eine Stammreihe von 17 Generationen in die Zeit Davids angesetzten Sängers Heman aus dem Levitenstamm der Kehatiter handelt.“43 V.19 stellt die erste Stufe der Verortung der Torwächter als Leviten dar, in dem sie innerhalb der Familie der Korachiter angesiedelt werden. V.26 trägt eine weitere Differenzierung ein: Wenn man den Masoretischen Text nicht verändert, sagt dieser Vers aus, dass nur die גבורים, „d. h. die selbständig verantwortlichen, übergeordneten Torhüter, Leviten sind oder zu 40 Mit Nehemia 12,25 könnte man Annehmen, dass ein Obadja zur gleichen Zeit wie Mattanja zu den Tempelsängern gehörte. Diese Stelle ist aber in mehrerer Hinsicht schwierig: (1.) Die Namensliste geht ohne Anzeichen der Trennung in die Namensliste der Torwächter über. Vom Text her kann es sich bei Obadja somit entweder um einen Sänger oder einen Torwächter handeln (wobei es wahrscheinlicher ist, dass mit dem Namen Meschullam die Liste der Torwächter beginnt). (2.) Der genannte Obadja besitzt keine Genealogie und lässt sich somit nicht mit dem Obadja aus 1Chr 9,16 indentifizieren zumal in Neh 11,17 der Name Abda als Nachfahre Jedutuns steht. 41 Literarkritisch relevant und interessant ist die Beobachtung, dass in der Überschrift V.2 zwar die Laien-Israeliten, Priester, Leviten und Tempeldiener allgemein genannt werden, die später im Kapitel namentlich aufgeführt werden. Eine Liste von Tempeldienern jedoch nicht erscheint, sondern die Genealogie und die Aufgaben der Torwächter entfaltet werden. Es ist nicht unwahrscheinlich anzunehmen, dass ab V.18, anknüpfend an V.17, ein Redaktor einen Text eingefügt hat, der die Wichtigkeit der Torwächter entfaltet. Wie weit diese Redaktion jedoch geht, ist nicht eindeutig: bis V.29 oder bis V.33? 42 T. Willi, 1. Chronik 1,1–10,14, 299. 43 T. Willi, 1. Chronik 1,1–10,14, 300.
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den Leviten zählen“44. In diesem Sinne ist die Unterschrift in V.34a durchaus offen, wenn zur Darstellung von V.14–34 abschließend gesagt wird: „Dies sind die Stammväter für die Leviten“. 1Chr 9 besagt somit zusammenbetrachtet, dass nicht jeder Torwächter ein Levit war, aber die vier Häupter, von denen Shallum, der Korachiter, der Ranghöchste ist, zu den Leviten gehörten.45 Gleichzeitig ist die Wichtigkeit der Torhüter im Vergleich zu Neh 11,19 deutlich ausgebaut.46 Die Genealogie der Torhüter wird bewusst ausgestaltet, um die Kontinuität vom Stiftszelt zum Tempel zu betonen und daraus die Legitimation bzw. die wichtige Stellung der Torwächter abzuleiten, deren umfangreiches Aufgabenfeld in V.24–29 dargestellt wird. Aus diesen Versen wird deutlich, dass die Torwächter unter der Leitung der Leviten mit allen Aufgaben im Tempel bzw. der Bewachung und Verwaltung aller Güter im Tempel beauftragt waren – außer dem priesterlichen Opferdienst, außer der priesterlichen Herstellung der Salben für die Balsamöle (V.30) und außer der Aufsicht über die Schaubrote, die den Söhnen Kehats oblag (V.32). Appendixartig werden in V.33 zudem die Sänger als Leviten angesprochen, die von dem Dienst an den Tempelkammern freigestellt waren: שׁי ָאבֹ֧ות ַלְלוִ ֛יּ ִם ֨ ֵ ְו ֵ ֣א ֶלּה ַ֠הְמשׁ ְֹרִרים ָרא ַבּ ְלּ ָשֹׁ֖כת ְפּטיּ ִ֑רים ִכּֽי־יוֹ ָ֥מם ָו ַ ֛ליְָלה ֲעֵליֶ֖הם ַבּ ְמָּלאָֽכה. Die schwierige Syntax dieses Verses wurde von P.B. Dirksen aufgeschlüsselt. Er liest die Nennung der Sänger als Apposition zum Demonstrativpronomen und versteht פטירים47 als Prädikat (vgl. 1Chr 26,12).48 Das Demonstrativpronomen bezieht sich demnach auf die danach angesprochene Gruppe der Sänger, sowie auf die zuvor genannten Kehatiter, die in 2Chr 20,19 als Sängergruppe genannt werden. In 2Chr 20,19 wird jedoch die Gruppe der Kehatiter durch ein Waw explicativum spezifiziert als Gruppe der Korachiter („die Kehatiter, genauerhin 44 T. Willi, 1. Chronik 1,1–10,14, 302. 45 Interessant ist die Frage, wie in V.18 das עד הנהübersetzt wird. Eine Übersetzung mit „bis jetzt“ ist fehlleitend. 1Chr 12,30 als Vergleichstext verdeutlicht, dass der Bezugszeitpunkt die erzählte Zeit ist. Dies ist in Bezug auf 1Chr 9 jedoch nicht ganz so einfach zu deuten. T. Willi spricht von der Doppelgesichtigkeit des Kapitel und überschreibt 1Chr 9,1–44 mit „Epilog auf die Bürgerlisten und Präfiguration der Rückkehr“ (T. Willi, 1. Chronik 1,1–10,14, 278). Für einen Leser von Nehemia sind hier eindeutig die Rückkehrerfamilien angesprochen (Zeit der Restauration), allerdings hält der Chronist die Verortung der Liste bewusst offen. Der Begriff „ersten Ansiedler“ ist nach T. Willi ein Hinweis auf die „israelitische Erstbesiedlung der Stadt, also nicht die ‚repartition‘, sondern die ursprüngliche israelitische Bevölkerung der Stadt“ (T. Willi, 1. Chronik 1,1–10,14, 286). 46 Sie werden durch das Leitwort אמונהin V.22.26.31 qualifiziert, was einhergeht mit dem von T. Willi bemerkten oszillierenden Gebrauch der Wörter „Zelt“ und „Haus“ für das Heiligtum und in V.23 zu der Bezeichnung בית יהוה לבית האהלführt, die man wiedergeben muss mit „das Haus JHWHs, geltend als Haus des Zeltes“, anschließend an die Einsetzung durch David und Samuel in V.22 (vgl. T. Willi, 1. Chronik 1,1–10,14, 297). 47 Anstatt פטיריםist mit einigen hebräische Manuskripten und den Targumim פטוריםzu lesen; vgl. T. Willi, 1. Chronik 1,1–10,14, 282. 48 Vgl. P.B. Dirksen, 1 Chronicles 9,26–33, 96.
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die Korachiter“) 49; die im restlichen Textbestand der Chronikbücher nur als Torwächter genannt werden; außer vielleicht noch in 1Chr 9,33. Die in diesem Vers genannten Sänger, die sich anscheinend von der Gruppe der Kehatiter herleiten, werden als von ihrem Dienst an den Tempelkammern für den Gesang Freigestellte aufgeführt. Mit T. Willi, der auf 1Sam 19,10 und Neh 14,3 verweist, ist die in 1Chr 9,33 vorliegende Verbindung aus dem im Qal vorliegenden Partizip passiv von פטרmit der Präposition בals eine Freistellung vom Dienst hinsichtlich der Tempelkammern zu verstehen. Gemäß 1Sam 19,10 entzieht sich David ()פטר dem Saul und gemäß Neh 14,3 ist Eliaschab als Priester „über ( )בdie Kammer ( )לשכתdes Tempels“ eingesetzt. Die Sänger stammen 1Chr 9,33 zufolge aus der Gruppe der Leviten, die über die Kammern ( )לשכתeingesetzt, jedoch vom Dienst selbst befreit sind.50 Der Dienst bzw. die Aufsicht über ( )עלdie Kammern ()לשכות oblag den Korachitern (V.26). Trotz der unterschiedlichen Präpositionen in V.26 und V.33, scheint die gemeinte Gruppe der Sänger als Kehatiter, genauerhin Korachiter, angedeutet zu werden. V.32f. in Verbindung mit V.26 liest sich dementsprechend wie 2Chr 20,19. Die Korachiter entstammen den Kehatitern und waren zuvorderst Torwächter (vgl. 1Chr 9,17–29; 1Chr 26,1.19), doch aus ihnen rekrutierten sich auch die Sänger (vgl. die Genealogie Hemans in 1Chr 6,18–28; vgl. auch 1Chr 15,18). Somit kann 1Chr 9,33 analog zu 2Chr 20,19 gelesen werden. An beiden Stellen treten korachitische Sänger auf. In 2Chr 20,19 wird die Handlung des Lobpreises durch die Korachiten mit der Verbwurzel הללausgedrückt und ist dadurch auf das Engste mit dem levitischen Tempelsängerpersonal verbunden.51 2Chr 20 ist die Erzählung des Krieges Joschafats gegen die Moabiter und die Amoniter, die chronisitisches Sondergut darstellt, das nach der Auskunft von V.34 aus den „Worten Jehus, des Sohnes Hananis, der sie aufschrieb im Buch der Könige von Israel“ stammt.52 Das Auftreten der Korachiten, die eigentlich Torwächter sind, 49 Nicht „die Kehatiter und die Korachiter“, sondern „die Kehatiter, genauerhin die Korachiter“ – bei dem vorliegenden Waw handelt es sich um ein Waw Explicativum, wie es auch Andreas Ruffing erklärt (A. Ruffing, Jahwekrieg, 161.179ff.; vgl. auch H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 230 Anm. 3.). Da S. Japhet in V.19 kein Waw Explicativum vorliegen sieht, vermutet sie, dass es sich um eine Textverderbnis handele, „etwa Dittographie von “מבני קהתים (S. Japhet, 2 Chronik, 255). 50 T. Willi schreibt dazu in seinem Kommentar: „Ihre [die der Sänger] gottesdienstliche Funktion geht also vor und läßt es nicht zu, daß sie für den Wachdienst an den Tempelgemächern und den darin untergebrachten Geräten und Schätzen herangezogen werden.“ (T. Willi, 1. Chronik 1,1–10,14, 307) 51 Vgl. 1Chr 16,4; 23,5.30; 25,3; 2Chr 5,13; 7,6; 8,14; 29,30; 30,21; 31,2; vgl. auch 1Chr 16,26; 29,13: „They [die Korachiter – TMS] were most likely not part of the regular choir but belonged to the general company of Levites. According to 1Chron. 9.19, they were gatekeepers at the entrance to the temple, where they would have worked together with the singers. … here then we have a new group leading the praise.“ ( J.W. Kleinig, Lord’s song, 175). 52 „Wenn wir diesen Hinweis ernstnehmen, lässt sich daraus schließen, daß der Chronist eine
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als Sänger hat in diesem kriegerischen Kontext einen tieferen Sinn und könnte vielleicht die Ursprungsgeschichte der korachitischen Tempelsänger darstellen. Die Beschreibung der Torwächter in 1Chr 26 als איש חיל בכוח, בני חיל, גבור חילin V.1–11 weist nach der Meinung von J.W. Wright die Torwächter u. a. „as a paramilitary inner city security force“53 aus, was ihr Auftreten in 2Chr 20 erklärt. 3.2.2. Fazit zu den singenden Torwächtern Dem Schema der Sängertrias in 1Chr 6 vergleichend gegenübergestellt scheint 2Chr 20,19 eher einen „geschichtlichen Ausreißer“ darzustellen.54 Dieser „Ausreißer“ innerhalb der Darstellung des Chronisten entspricht der Entfaltung des korachitischen Torwächtertums, wie es sich vor allem in 1Chr 9,17–29.33 entfaltet.55 Die Verortung Korachs innerhalb der Genealogie des Sängers Heman in 1Chr 6 führt dazu, dass die singenden und nicht singenden korachitischen Torwächter auf Kehat zurückgeführt werden und damit schließlich auf den Ahnvater, über den sich auch die Aaroniden auf Levi beziehen. Diese Sicht auf die Korachiten ist eher ein Seitenstrang im Hintergrund der Geschichte, wenn man beachtet, wie gerade die Söhne Asafs als Tempelsänger schlechthin (vgl. 2Chr 35,15) dargestellt werden – aber vielleicht gewinnt gerade dadurch die Annahme einer realen Korachitengruppe, die auch Sänger waren, an Plausibilität. Auffallend ist die breite Darstellung der Torwächter56, ihre enge Verbindung zu den Korachiten und ihre vom Chronisten hervorgehobene Wichtigkeit.57 Sie,
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Art Chronik aus der Königszeit vor sich hatte, von der er annahm, daß sie über Generationen hin vom jeweiligen Propheten geschrieben worden war.“ (S. Japhet, 2 Chronik, 260.) J.W. Wright, Gates, 69. Ich glaube daher, in 2Chr 20,19 eine historische Reminiszenz an korachitische Tempelsänger herauslesen zu können (weder die am stärksten präsente Gruppe der Sänger, die Söhne Asafs, stimmen den Lobpreis an, noch wird eine Sängerschaft aus den Söhnen Hemans oder Jedutuns konstruiert). Gleichzeitig zeigt sich in der Genealogie Hemans in 1Chr 16 die Anbindung an das Levi-Geschlecht durch Kehat in Vermittlung über Korach. Der Text spiegelt meiner Ansicht nach die Schwierigkeit bzw. die Entwicklung der Verortung des Geschlechts der Korachiter wider. Gemäß V.18 sind die Korachiter keine Leviten, aber gehören in das Umfeld der Leviten. Das oberste Haupt der Torwächter wird mit seinen Brüdern als Korachiter bezeichnet. Dieser korachititische Shallum wird gemäß V.26 als Levit bezeichnet (vgl. V.34). Vielleicht spiegelt der Text in 1Chr 9 das gesellschaftliche Hineinwachsen des Geschlechts der Korachiter in das Levitentum als Torwächter wider. Dieser verschwimmenden Grenze zwischen Levitentum und Torwächtern entspricht auch V.33, wenn dieser Vers andeutet, dass die Sänger aus den levitischen Torwächtern rekrutiert wurden, wodurch sich die Gruppe der singenden Korachiten aus 2Chr 20,19 erklärt. Terminologisch sei darauf hingewiesen, dass die שערים, die Torwächter am Tempel nicht gleichzusetzen sind mit den „Hütern der Schwelle“ aus 2Kön 12,10; 2Kön25,18//Jer 52,54, die wohl priesterlich waren. Vielleicht ist auch anzunehmen, dass gemäß 1Chr 16,42 die Gruppe der Jedutuniten, wenn es sie jemals gab in der Gruppe der Torwächter aufgegangen ist. Generell lässt sich mit
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die Torwächter, sollen unter Pinhas gedient haben (vgl. 1Chr 9,20), sollen durch David und Samuel eingesetzt worden sein (vgl. 1Chr 9,22) und gelten als auserwählt zu dem Dienst ()ברורים: „Fester und gründlicher kann eine kultische Institution nicht mehr aus der Heilsgeschichte Israels begründet werden.“58 Anscheinend soll durch die gegebene Genealogie der Torwächter ein vermutlich nicht levitisches Amt in den levitischen Kultämtern verankert werden. Der Weg der Torwächter in das Levitenamt und das Tempelsängeramt führte also über eine genealogische Anbindung über Korach.
3.3.
Heman, der singende Korachit bzw. Kehatit
Das gleiche Phänomen findet sich bei der Genealogie des Sängers Heman, der über Korach an Kehat, den Sohn Levis im Levitentum verankert wird (vgl. 1Chr 6,18–23; so wie auch Asaf und Jedutun/Etan über andere Söhne an Levi angedockt wurden). Die Genealogien Shallums des Torwächters (1Chr 9,19) und Heman des Sängers (1Chr 6,22) beziehen sich beide auf Ebjasaf, den Sohn Korachs. Gleichzeitig verwundert das Auftreten einer Sängergruppe von Korachiten, die sich in der Chronik nicht explizit von Heman bzw. der Sängertrias Heman-Asaf-Jedutun/Etan ableiten (2 Chr 20,19). Daher muss im Folgenden die Darstellung der Sängergruppen allgemein in den Chronikbüchern betrachtet werden, um die Korachiten im Verhältnis zu den verschiedenen Trias der Sängergruppen zu verorten.59 M. Oeming festhalten, dass die Darstellung des Levitentum in den Chronikbüchern „ein Zeichen einer fortschreitenden Partizipation levitischer Familien an den Vollzügen des Kultes“ (M. Oeming, Israel, 202) ist, wobei jedoch auch deutlich wird, dass der Chronist nicht an der besonderen Stellung der Priester „rüttelt“, sondern eher eine Begründung und Betonung für das Levitentum abfasst. 58 M. Oeming, Israel, 203. 59 „Nach 1Chron. 6,16ff.; 15, 16ff. werden die (natürlich levitischen) Sängergruppen in der Reihenfolge Heman, Asaf, Etan aufgezählt, in der sich sichtlich die Rangfolge widerspiegelt (Heman in der Mitte, Asaf und Etan zur Rechten und Linken). Nach 1Chron. 16,4ff. haben wir dagegen Asaf und mit Abstand, Heman und Jedutun zu unterscheiden (Asaf ist an der Lade angestellt, Heman und Jedutun bleiben bei der Stiftshütte zurück). Dem entsprechen 2Chron. 5,12; 29,13f.; 35,15. Neben diesen zwei verschiedenen Traditionen haben wir in dem späten Stück 1Chron 25 eine Aufzählung der Sängergruppen Asaf, Jedutun und Heman, wobei die Reihenfolge sich nach der Nachkommenzahl bestimmt, so daß dem zuletzt Genannten, Heman, die größte Bedeutung zukommt, was sich auch in seinen Ehrentiteln (er allein trägt den ehrwürdigen Titel hoze hammäläk) widerspiegelt.“ (H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 224f.) Dieser Befund führt ihn, wie oben schon kurz angedeutet, in seinem Modell zu einer Zweiteilung der Phase III: „Darüber hinaus zeigt sich die Tradition Asaf-HemanJedutun (= A) ohne weiteres als die ältere gegenüber der Tradition Heman-Asaf-Etan (= B), da in der ersten (A) der historisch gegebene Vorrang Asafs (vgl. I und II) bewahrt ist und ebenso der in II gegebene Name Jedutun, mag seine Herleitung auch noch so schwierig sein.“
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3.3.1. Heman-Asaf-Jedutun/Etan oder Asaf-Heman-Jedutun/Etan? In einem ersten Schritt wird im Folgenden ein kurzer synchroner Durchgang durch die Chronikbücher gegeben, der die Nennungen bzw. die Reihenfolgen Hemans, Asafs und Jedutuns/Etans (respektive ihrer Söhne) betrachtet. In 1Chr 5, nachdem die levitische Genealogie mit ihren drei Zweigen (Gerschon, Kehat und Merari) in V.27 eingeführt wurde, entfaltet sich über Kehat (V.28f.) in einem ersten Schritt die aaronidische Linie (V.30–41).60 Daran schließt sich die Einführung der Sänger an (1Chr 6). Das so verfasste literarische Vorfeld der Sänger zeigt bereits eine deutliche Betonung der levitischen Kehat-Linie (sowohl in der aaronidischen Verankerung in Kehat als auch in der durch Samuel angereicherten kehatitischen-nichtaaronidischen Linie). Dieser Betonung entspricht auch, dass von den drei Sängerfamilien im Folgenden die Genealogie Hemans als erste dargestellt wird und die umfangreichste ist. Bevor die Sänger jedoch eingeführt werden, erfolgt noch eine erzählende Verortung, die es zu beachten gilt. Es wird von der Einsetzung ( עמדhif.) 61 der Sänger zum Gesangdienst am Tempel ( )בית יהוהberichtet. V.16 erklärt, dass bereits David vor dem Bau und der Einweihung des Tempels durch seinen Sohn Salomo die Ordnung der Tempelsänger aufgestellt hat.62 Die Ruhe der Lade wird erst durch den
(H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 225) Wie die bisherige Analyse gezeigt hat, ist die Bezeugung von A als ältere Stufe durch Phase I und II aufgrund des Namens Jedutun (Neh 11,7; 1Chr 9,15f.), bzw. der Nennung der Söhne Asafs (Neh 7,44) nicht aufrecht zu erhalten. Eine gewisse zeitweise Vorrangstellung Asafs lässt sich in den Chronikbüchern jedoch vielleicht ablesen: vgl. die zweifache alleinige Nennung der Söhne Asaphs (2Chron 5,12; 35,15), sowie der Nennung des Asafiten Jehesiel neben den Korachitern in 2Chr 29,13f. „Das häufige Auftauchen der Tradition A in den erzählenden Teilen von 2Chron.: 5,12; 29,13f.; 35,15 spricht zunächst für die Annahme, daß hier der Chronist zu Worte kommt.“ (H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 226). 60 Nach dieser deutlichen Vorrangstellung der Priester kehrt die Liste durch die wiederholte Nennung der drei Ahnherren der levitischen Linie zurück zu den Genealogien der Leviten allgemein, wobei die Liste ausgehend vom zweitgeborenen Kehat an zweiter Stelle erfolgt, aber deutlich am stärksten ausgebaut ist (angereichert durch die Samuel-Genealogie; V.7– 13). Innerhalb dieser Liste wird im Gegensatz zu jeder anderen aszendenten Kehat-Genealogie nicht Jizhar als Vater Korachs genannt, sondern Aminadab. T. Willi korrigiert dies: „Mit einem Teil der Überlieferung (GAN und Ex 6,18–21) sei daher ‚Jizhar‘ gelesen.“ (T. Willi, 1. Chronik 1,1–10,14, 219); vgl. aber auch J.T. Sparks, The Chronicler’s Genealogies, 105–107. 61 Vgl. T. Willi, 1. Chronik 1,1–10,14, 220. 62 S. Japhet schreibt dazu: „Bei dieser Einleitung handelt es sich um eine Zusammenfassung von 1Chr 15,1–16,43, wo die drei Sänger in ihr Amt eingesetzt werden, zunächst vorläufig, dann auf Dauer.“ (S. Japhet, 1 Chronik, 173). Allerdings: Die Liste in 1Chr 6 setzt ihre Ordnung für den Dienst am fertiggestellten Tempel voraus, dies wird angezeigt einerseits durch die Nennung des בית יהוהund der temporalen Bestimmung ממנוחה הארון. Dies zeigt sich auch daran, dass während in 1Chr 15,17 Heman, Asaf und Etan eingesetzt werde, in 1Chr 6,17 Heman, Asaf und Etan und „ihre Söhne“ genannt werden – diese jedoch im Folgenden nicht benannt werden. Dies ist ein wichtiger Unterschied zu der Lister der Priester, die bis ins Exil
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Tempelbau erlangt (vgl. 1Chr 22,9; 28,2) und, wie V.17 klarstellt, ist der Ausdruck בית יהוהauf den Tempel Salomos zu beziehen. Damit bezieht sich die folgende Ordnung in ihrer Bedeutung über die Zeit vor dem Tempel, die in 1Chr 15f. beschrieben wird, hinaus. Gleichzeitig betont V.17, dass diese Ordnung bereits vorher umgesetzt wurde. Hierbei fällt auf, dass der Dienst der Sänger in V.17 lokal vor dem Zelt, ( לפני משכן אהל מועדvgl. Ex 29,32; 40,2.6.29), verortet wird – während die Perspektive von 1Chr 16 und der Durchführung des zweigeteilten Kultes, der Abstellung der Asafiten zur Lade nach Jerusalem, nicht beachtet, bzw. die Kontinuität des Kultes beim Stiftszelt gesehen wird. Diese Perspektive zeigt auch die Vorrangstellung Hemans, der gemäß 1Chr 16,41 mit Jedutun zum Dienst am Stiftszelt auf Gibeon eingesetzt wird. Die Vorrangstellung Hemans, gegenüber den anderen beiden Sängerhäuptern drückt sich in 1Chr 6 durch mehrere Aspekte aus63: (1.) der höheren Zahl der Vorfahren; (2.) der Aufnahme der Genealogie Samuels in die Vorfahrenliste Hemans (1Chr 6,18f.); (3.) dem Bezug Hemans auf die Kehat-Linie, der auch der Hohepriester entstammt (1Chr 6,18); (4.) der Nennung Hemans als Erstem, obwohl Kehat der Zweitgeborene Levis ist (vgl. 1Chr 6,1); (5.) dem Rückbezug Hemans nicht nur auf Levi (wie bei Asaf und Etan) sondern auf Israel (1Chr 6,23); (6.) der liturgischen Beschreibung Hemans als in der Mitte stehend und Asaf und Ethan zu seiner Rechten und zu seiner Linken (vgl. 1Chr 6,14.29); (7.) der expliziten Bezeichnung nur Hemans (1Chr 6,18).64 Wie verhält es sich nun an der nächsten Stelle, 1Chr 15f., an der die Trias genannt wird? Dieser Text bietet die Vorgeschichte zur Liste in 1Chr 6. 1Chr 15,17 berichtet dargestellt wird. Die Liste der Sänger hingegen ist von der Zeit Davids bis zur Zeit Levis/Israels absteigend und bietet somit keine genealogische Anknüpfung in der nachexilischen Zeit. 63 Vgl. für eine ähnliche Liste an Argumenten S. Japhet, 1 Chronik, 175. 64 Entgegen dieser gewichtigen Vielzahl von Argumenten schreibt T. Willi: „Inwiefern seine [Hemans – TMS] Stellung gegen die Asafs ausgespielt wird, läßt sich schwer entscheiden. Asaf scheint nämlich nicht nur in außer-chr., sondern auch in chr Zusammenhängen als prominentester Sänger, wie die Überschriften der Psalmen 50.73–83 oder 1Chr 16,1–6.37–42 ausweisen. Esra 2,41//Neh 7,44 erweckt dem Eindruck, als ob ‚Söhne Asafs‘ geradezu synonym für ‚die Sänger‘ seien. Und 1Chr 16,5 tituliert Asaf geradezu als ‚das Haupt‘, ‚den Chef‘ ()הראש. Im Gegensatz freilich zu Heman kulminiert seine Stammreihe in Levi, nicht in Israel.“ (T. Willi, 1. Chronik 1,1–10,14, 227). Esra 2,41//Neh 7,44 scheint eher ein sehr später Text zu sein, so dass er für eine „Rangfolge“ nicht auswertbar ist. Allerdings ist die Beurteilung von Esra 3,10 und Neh 11,22; 12,35 in meinen Überlegungen noch nicht abgeschlossen. Eindeutig zeigt sich jedoch, dass der Autor von 1Chr 6 die Vorrangstellung von Heman gegenüber Asaf verdeutlicht.
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von der Einsetzung der Sängerhäupter – Heman, Asaf, Etan – (und der Sänger zweiten Ranges) auf Anweisung von David durch die Leviten. V.18 berichtet wie die Sängerhäupter ihre Zymbeln beim Zug der Lade nach Jerusalems erklingen lassen und damit die Musiker anführen. Mit der Installation der Lade im Zelt in Jerusalem (1Chr 16,1–4) beginnt die Phase des auf zwei Orte aufgeteilten israelitischen Kultes (Gibeon und Jerusalem). Diese Teilung des Kultes geht mit der Aufteilung der Sängergruppen einher. Gemäß 1Chr 16,5–7.37 werden Asaf und seine Brüder der Lade zugeteilt, während Heman und Jedutun (den Etan innerhalb der Trias unvermittelt ersetzt) am Stiftszelt in Gibeon stationiert sind (1Chr 16,42). Diese Einteilung stimmt mit der Sicht der Darstellung in 1Chr 6,17 überein, nach der der Dienst der Sänger vorrangig am Stiftszelt zu verorten ist. Von der synchronen Leserichtung aus 1Chr 6 herkommend, scheint es somit eigenartig, wie H. Gese es tut, in 1Chr 16 eine Bevorzugung Asafs gegenüber Heman und Jedutun zu sehen.65 Allerdings muss auch hervorgehoben werden, dass die Psalmenkomposition (aus nichtAsaf-zugeschriebenen Psalmen), die in 1Chr 16 vorliegt, Asaf in den Mund gelegt wird und er somit zum ersten aktiven Psalmensänger wird in der Darstellung des Chronisten. Dies sollte aber aus zwei Gründen nicht überbewertet werden: (1.) Der Kontext ist die Überführung der Lade, daher ist es sinnvoll, den Asafiten, die anscheinend mit der Lade verbunden sind, die Psalmenkomposition in den Mund zu legen. (2.) Während das Opfer rechtmäßig weiter am Stiftszelt (V.40) verortet ist, kann der Kult an der Lade sich nur durch Gesang und Musik ausdrücken – was der Chronist auch positiv betont. Asaf spielt am Heiligtum auf Gibeon keine Rolle – hier sind Heman und Jedutun zum Dienst eingesetzt. Die hohe Wertigkeit von Gibeon stellt der Chronist dadurch klar, dass dies der Ort ist, an dem das Opfer stattfindet, „entsprechend allem, was in der Weisung des HERRN geschrieben steht, die er Israel geboten hat …“ (V.40) – was einhergeht mit der Verortung Zadoks, als Hoherpriester in Gibeon (V.39).
Grundlegend wichtig ist, dass die Einsetzung der Sänger in 1Chr 15,17–21 zur Überführung der Lade noch entsprechend der Trias in 1Chr 6 geschieht. Mit der Zweiteilung des Kultes ist eine Trennung notwendig. Asaf kommt hierbei der Dienst an der Lade zu – vielleicht weil die Asafiten traditionell eng mit der Lade verbunden waren? – und Heman und Jedutun waren die Sängerhäupter beim Hauptopferkult in Gibeon.66 65 Asaf wird zwar in 1Chr 6,5 als ראשeingeführt, jedoch nur beim Dienst vor der Lade. Asaf ist auch nicht der erste der den Lobpreis singen darf: „ בראשist nicht mit ‚zuerst‘ wiederzugeben, da dieser Sprachgebrauch biblisch nicht belegt ist, sondern mit ‚an der Spitze, unter der Leitung‘; es bezieht sich auf Asaf und dessen Brüder, die den kultischen Lobpreis ‚an jenem Tag‘ zu leiten hatten“ (S. Japhet, 1 Chronik, 304) – an der Lade. „Asaph is both the administrative ‚head‘ ( )ראשׁof the Levitical detachment in Jerusalem and responsible for ‚sounding the cymbals‘.“ (G.N. Knoppers, I Chronicles 10–29, 642.) 66 Von besonderem Interesse in 1Chr 15f. ist, dass der Text unter der Hand während der Prozession den dritten Sänger Etan nennt, während darauffolgend am Heiligtum auf Gibeon
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Die Frage nach der Bedeutung der Reihenfolge der Sängerhäupter für die Rangfolge wird in 1Chr 25 ad absurdum geführt: V.1 nennt Asaf, Heman und Jedutun – in dieser Reihenfolge. Die Söhne werden dann jedoch in der Reihenfolge Asaf (V.2), Jedutun (V.3) und Heman (V.4f.) aufgeführt (vgl. V.6). Es ist jedoch nicht abzustreiten, dass in dieser Liste Heman der Vorrang zukommt: Heman hat 14 Söhne während Jedutun und Asaf zusammen nur 10 Söhne haben (1Chr 25,2.3.5). Während Asaf und Jedutun weissagen (2Chr 25,2.3 – bei Jedutun wird dies noch spezifiziert durch „um dem Herrn zu danken und ihm zu lobpreisen“), wird Heman dieses qua Amt zugeschrieben als „Seher des Königs“ und er wird benannt als Träger einer Verheißung „in Übereinstimmung mit den neben Heman ein Jedutun seinen Dienst tut. Dies scheint der Anweisung Davids in 1Chr 6,16.29 zu widersprechen, wo von David deutlich Etan und seine Söhne als Sänger eingesetzt vorausgesetzt werden (vgl. G. Steins, Chronik, 275). Innerhalb der Chronik gibt es in der Leseabfolge eine klare Wasserscheide zwischen der Verwendung der Namen Etan und Jedutun. Etan wird als meraritischer führender Tempelsänger nur in 1Chr 6,29 und 1Chr 15,17.19 genannt. Ab 1Chr 16,41 kommt nur noch Jedutun als führender Tempelsänger (1Chr 16,41; 25,1.3.6; 2Chr 5,12; 29,14; 35,15) vor, interessanterweise ohne eine genealogische Einordnung: „Im Gegensatz zu Etan erscheint Jedutun als άγενεαλόγητος; zwar bringt 1Chr 25,3 die aszendente Linie, Jedutun wird jedoch nicht durch eine deszendente Linie einer der Levitenfamilien zugeordnet.“ (G. Steins, Chronik, 276) Mit 2Chr 35,15 wird Jedutun de facto mit Etan gleichgesetzt, da hier ebenso wie in 1Chr 6,22 und 1Chr 15,17 sein Status durch David festgelegt wurde (vgl. 1Chr 16,41). G. Knoppers kritisiert H. Geses Phase IIIB und vermutet, dass nicht Jedutun durch Etan ersetzt wurde, sondern dass Etan durch Jedutun ersetzt wurde: „If an editor wished to supplant Jeduthun with Ethan, why would that editor insert the name Ethan only in the genealogies and in the early United Monarchy and never later? Would not such an approach amount to a faulty strategy? Even with the insertion of Ethan among the internal Levitical appointments for the Ark procession (15:16–17), it is Jeduthun who appears among the more permanent Davidic appointments (16:38, 41). Indeed, it is Jeduthun who remains the third member of the triumvirate in all of the material dealing with the later reign of David (25:1, 3, 6), the reign of Solomon, the time the Temple was actually built (2Chr 5:12), and the kingdom of Judah (2Chr 29:14; 35:15). Based on this literary evidence, one would think that Jeduthun replaced Ethan, not vice versa.” (G.N. Knoppers, I Chronicles 10–29, 658) Allerdings stimmt es nicht, dass David Jedutun unter den „more permanent Davidic appointments“ nennt. 1Chr 9 ist eindeutig mit einem höheren Anspruch zu werten. Allerdings denke ich mit G. Steins, dass es die Absicht der Chronikbücher ist, Jedutun und Etan als eine Person zu identifizieren („Etan und Jedutun werden auf der gleichen Redaktionsebene eingeführt; dies läßt sich nur damit erklären,daß im Verständnis dieses Bearbeiters beide Namen die gleiche Person bezeichnen“ [G. Steins, Chronik, 278.]. Dieses Statement gilt jedoch auch unabhängig von der Redaktionsebene) – vielleicht in dem einfach zwei traditionelle Trias ( jeweils mit Heman und Asaf) vorgelegen haben, die verarbeitet wurden. Interessant ist die Beobachtung von G. Steins, dass die vier genannten Personen „Heman, Asaf, Etan und Jedutun“ sich auch innerhalb der Psalmenüberschriften finden (neben Mose und Salomo) (siehe unten). Dennoch gilt mit S. Japhet: „Eine völlig zufriedenstellende Erklärung ist noch nicht gefunden worden. Was sich anbietet ist entweder eine ursprünglich abweichende Leseart für V.41, etwas ‚Heman und Etan‘, was dann in ‚Jedutun‘ verschrieben worden wäre …, oder aber die Annahme, daß Etan und Jedutun für den Chronisten identisch waren, weshalb er die beiden Namen alternierend verwendet.“ (S. Japhet, 1 Chronik, 309)
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Worten Gottes, sein Horn zu erhöhen“67 Die Vorrangstellung Hemans wird somit in Gott begründet, der Heman den Kinderreichtum geschenkt hat und ihn somit zahlenmäßig zur größten Fraktion unter den Sängern werden ließ. Die Nennung Asafs an erster Position könnte aus einer traditionellen Vorrangstellung (gerade mit Blick auf die Lade) resultieren.68 Wie 1Chr 25,1–6 verdeutlichen, ist durch die Nennung Asafs an erster Stelle noch keine Gewichtung vorgenommen (vgl. 1Chr 6).69 Die Nennung Asafs an erster Stelle in 2Chr 5,12 ergibt sich rein logisch aus der besonderen Beziehung der Asafiten gemäß 1Chr 16,5.7.37 zur Lade, die in 2Chr 5 feierlich in den Tempel eingesetzt wird bzw. im Allerheiligsten ihre Ruhestätte findet. Bevor die Trias – das Triumvirat – der Sänger in 2Chr 35,15 zum letzten Mal genannt wird, werden Nachfahren Asafs, Hemans und Jedutuns als Teil der Leviten erinnert, die den Tempel unter Hiskja reinigten (vgl. 2Chr 29,12–14). Von besonderer Bedeutung ist die Notiz einige Verse später in V.30: „Und Hiskija, der König, und die Obersten befahlen den Leviten, den HERRN zu loben mit den Worten Davids und Asafs, des Sehers.“70 Dem Leser der Chronik wird gesagt, dass eine Sammlung autorisierter Psalmen von David und Asaf vorliegt – diese Stelle nennt keine Psalmen „die den Söhnen Korachs“ zugeordnet sind.71 Meiner Ansicht nach – wenn man den ersten Korachpsalter als eine exilische Komposition versteht – könnte sich daraus ableiten, dass vorexilisch, die Zeit, die die Chronikbücher „erinnern“, noch keine Sammlung von sogenannten Korachpsalmen 67 In den Psalmen bezieht sich die idiomatische Verbindung להרים קרןmeistens auf ein menschliches Objekt (vgl. Ps 89,18; 148,14 u. ö.; vgl. S. Japhet, 1 Chronik, 403.) 68 Allerdings sind auch andere Möglichkeiten zu bedenken: (1.) Wenn man Jedutun und Etan als eine Person ansieht, wird auch durch die Nennung Jedutuns innerhalb der levitischen Genealogie die meraritische Linie abgedeckt. Dann könnte die Reihenfolge Asaf, Heman, Jedutun einfach die Geburtsreihenfolge der Levi-Söhne abbilden: Gerschon (→ Asaf), Kehat (→ Heman), Merari (→ Etan/Jedutun). (2.) Die Reihenfolge der Nennung könnte aber auch aus der Reihenfolge der Einsetzung zum Dienst an der Lade (Asaf) und zum Dienst am Stiftszelt (Heman und Jedutun), wie sie in 1Chr 16 dargestellt ist, erfolgt sein. 69 Allerdings sind noch zwei weitere Beobachtungen in 1Chr 25 von größerem Interesse. Die Sohneslisten haben einen eindeutig „literarisch-polemischen Charakter“ (S. Japhet, 1 Chronik, 398.). Vor allem die Namen der Söhne Hemans fügen sich nicht in das übliche hebräische onomastische Schema, sondern lesen sich aneinandergereiht wie ein Bittgebet oder eine Liste von Gebetsanfängen (vgl. G.N. Knoppers, I Chronicles 10–29, 476f.). Zudem ist die Nennung auch der Töchter Hemans in V.5 sehr auffällig, da ihnen keine Kultfunktion zukommen konnte – die Funktion ihrer Nennung soll wohl nochmals den auf Heman ruhenden Segen verdeutlichen. 70 J.W. Kleinig stellt zu dieser Aussage des Chronisten klar: „The Chronicler maintains that Hezekiah not only restored the choral rite to its proper condition (2Chron. 29.25–29; cf. 31.2), but also authorized the use of psalms by David and Asaph for the praise of the LORD (29.30).“ ( J.W. Kleinig, Lord’s song, 61.; vgl. S. 61f.68f.) 71 Zur Kanonisierung von Liedern vgl. auch 2Chr 35,25.
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vorlag. Es gibt aber auch eine Vielzahl von anderen Lesemöglichkeiten, z. B.: (1.) Die chronistische Stelle kanonisiert eine Sammlung von David- und Asafpsalmen. (2.) In chronistischer Zeit lagen in kanonisierter Form nur Psalmen Davids und Asafs vor. (3.) Es wird nur die traditionell hohe Wertschätzung gegenüber Asaf ausgedrückt. (4.) Der Chronist konnte hier nicht die Psalmen der Söhne Korachs nennen, da sie nicht in sein Sängermuster hineinpassten und gleichzeitig konnte er Heman nicht nennen, da diesem nur ein Psalm zugeschrieben wird. In Bezug auf 2Chr 29,30 ist unzweifelhaft noch vieles offen. Jedoch treffen wir hier auf die erste eindeutige Stelle, an der Asaf ein Vorrang gegenüber den anderen beiden Sängern gegeben wird. 2Chr 29,30 betont die besondere Bedeutung Asafs und zugleich scheint 2Chr 35,15 die besondere Bedeutung der Söhne Asafs als Sänger in Abgrenzung zu den restlichen Sängerfamilien zu unterstreichen.72
3.4.
Kurzes Resümee zum Befund in der Chronik
Was zeigt uns dieser Befund? In den Chronikbüchern wird in der Zeit Davids eine Trias von Sängern verankert. Innerhalb dieser Trias wird besonders die kehatitisch-korachitische Linie betont. Dabei wird besonders Heman als Nachfahre Kehats und Korach herausgehoben, wodurch ebenso wie in Bezug auf Shallum und die Torwächter, die führende Familie in derselben Genealogie wie die Priester verankert werden. Die Zeit nach der „Lebenszeit“ der Sängertrias Heman-Asaf-Jedutun/Etan wird jedoch aus der Perspektive der Chronikbücher 72 S. Japhet schreibt zu dieser Stelle: „Die Präsentierung der Sänger hier ist eigenartig. Sie heißen hier ‚Söhne des Asaf‘ und werden außerdem auf König David und die damaligen drei Obersänger Asaf, Heman und Jedutun zurückgeführt […]. Da hier die ‚Väter‘ der drei Gruppen ausdrücklich genannt sind, erscheint ’Asafiten’ hier als eine Art Oberbegriff.“ (S. Japhet, 2 Chronik, 490). Diese Verwendung der Asafiten als Oberbegriff wäre jedoch für die Chronikbücher einzigartig und daher unwahrscheinlich. Generell ist V.15 in seiner Art merkwürdig. Die Söhne Asafs werden in Apposition zur Dienstbezeichnung „Sänger“ eingeführt. Ihr Dienst wird dann im Folgenden zurückgeführt auf das Gebot Davids, sowie der drei Ahnherren der Tempelsänger. Die Wendung כמצותverweist als Gebot Davids auf 1Chr 25, wo es jedoch ein Gebot Davids ist und nicht Davids gemeinsam mit Asaf, Heman und Jedutun. O. Dyma hat darauf aufmerksam gemacht, dass כמצותnur im Kontext von göttlichen oder königlichen Geboten verwendet wird außer in 2Chr 8,13, wo es das Gebot Moses ist (vgl. O. Dyma, Wallfahrt, 150). Daraus schließt er, dass die Nennung der drei Sängerahnen, wohl literkritisch zu betrachten ist. Allerdings übersieht er, dass in 2Chr 29,25 das Aufstellen der Leviten mit ihren Instrumenten במצותDavids, Gads, dem חזה המלךund Nathan, dem Propheten geschieht – was deutlich vergleichbar ist mit 2Chr 35,15, wo auch Jedutun oder alle drei Sängerhäupter als חוזה המלךbezeichnet werden. Allerdings fällt auf, dass in 2Chr 29,25 die Leviten, die zum Dienst aufgestellt werden, nicht benannt sind. Die Benennung der Sänger in Apposition als בני אסףpasst jedoch zur Benennung der Priester als בני ארוןin 1Chr 35,14 und kann wohl ebenso nicht literarkritisch ausgewertet werden.
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eher durch die Söhne Asafs bestimmt (vgl. 2Chr 35,15). Dies könnte die geschichtliche Vorrangstellung Asafs und der Asafiten ausdrücken, der jedoch in der Zeit der Chronikbücher nur noch der zweite Rang entsprach, da die aufsteigende Gruppe der Torwächter als Korachiten in das Levitentum drängten und zu Sängern aufgestiegen waren.
4.
Wie wurde aus den „Söhne Korachs“ das Eponym „Heman“?
Mit diesen sammelnden Beobachtungen zu den Chronikbüchern kommen wir wieder zurück zu den Psalmen, die den Söhnen Korachs zugeschrieben werden (Ps 42–49; 84f.87f.). Die Chronikbücher spiegeln nach der vorgelegten Leseart eine Entwicklung einer Sängergruppe der Korachiten – neben den Asafiten – hin zu der Sängertrias Heman-Asaf-Jedutun/Etan wider, wobei Heman als korachitischer Kehatit besonders hervorgehoben wird. Wie ist nun der Zusammenhang zwischen den Psalmenüberschriften und den Chronikbüchern zu beurteilen? Zur Beantwortung dieser Frage rückt Ps 88,1 in den Fokus, mit seiner doppelten Zuschreibung an die Söhne Korachs und an Heman den Esrachiter. G. Steins schreibt zu diesem Befund, ihn mit S. Mowinckel ausdeutend:73 „Während Heman und Etan als ‚weise Männer‘ Eingang in die Psalmenüberschriften gefunden haben, sieht die chronistische Redaktion in ihnen führende Musiker in Entsprechung zu Asaf.“74 Der in Ps 89,1 genannte Etan, der Esrachiter ist durch 1Kön 5,11 ebenso wie Heman deutlich als Weiser der Zeit Salomos anzusehen, den Salomo übertrifft, was in 1Kön 5,12 klargestellt wird mit der großen Zahl an Liedern, die Salomo gedichtet hat. Die Zuschreibung Esrachiter ( )אזרחיmuss nicht unbedingt als Orts- oder Volkszuschreibung betrachtet werden, sondern könnte sich möglichweise auch von dem Begriff „ אזרחEinheimischer, Vollbürger“ herleiten, die in der Psalmenüberschrift Ps 88,1 entgegen 1Kön 5,11 von Etan auch auf Heman, den Sohn des Machol, übergegangen ist, der in den Büchern der Chronik umgedeutet wurde zu Heman, dem kehatitisch-korachitischen Sänger.75 Das Werden der uns hier besonders interessierenden Überschrift von Ps 88,1, mit der doppelten Zuschreibung an Heman, den Esrachiter und an die Söhne Korachs, hat C. Rösel genauer betrachtet und kam zu dem Schluss, dass die 73 H. Gese schreibt zum Zusammenhang der Psalmenüberschriften und den Chronikbüchern: „Ja, die elohistische Redaktion von Ps. 42–83, die schon die Existenz von Einzelsammlungen wie Ps. 42–50; 51–72; 73–83 und deren Zusammenwachsen voraussetzt, muß noch in die Zeit der Entstehung des chronistischen Werkes fallen, da im Anhang in Ps. 84f.; 87; 88 I Psalmen libne qorah auftreten , und erst Ps. 88II und 89 das Stadium III B widerspiegeln.“ (H. Gese, Geschichte der Kultsänger, 234) 74 G. Steins, Chronik, 277. 75 Vgl. aber auch 1Chr 2,6.
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Überschrift in einer zweifachen Redaktion entstanden ist.76 Auffällig ist zuerst, dass למנצחgegenüber dem üblichen Befund nicht an erster Stelle in der Überschrift steht (vgl. Ps 109,1; Ps 140,1). Zweitens ist die Verwendung der Präposition לin Bezug auf zwei verschiedene Personen bzw. Personenkreise (Heman bzw. die Söhne Korachs) ungewöhnlich. Drittens unterscheiden sich die Bezugspersonen deutlich in ihrer Genealogie: Heman wird als Esrachiter eingeführt (vgl. Etan in 1Kön 5,11; vgl. auch 1Chr 2,6), während die Söhne Korachs, nach der üblichen Genealogie Leviten aus dem Geschlecht Kehats sind. C. Rösel rekonstruiert daher die Entstehung von Ps 88,1 wie folgt: Zuerst wurde der Psalm mit einer Autorität aus der davidisch-salomonischen Zeit in Verbindung gebracht, der ein Symbol für Weisheit war. Der Einfluss der Chronikbücher soll jedoch entsprechend der Genealogie des Tempelsängers Heman, dessen Vorfahre Korach war, zur Hinzufügung von לבני קרחgeführt haben.77 Einer chronistischen Beeinflussung in Bezug auf Ps 88,1 ist jedoch klar zu widersprechen. G. Steins stellt folgende These auf: „Es liegt nahe anzunehmen, daß die in 1Chr 6,18–23 vorliegende genealogische Verbindung Hemans mit der wichtigen Levitensippe der Kehatiter über den Kehat-Sohn Korach vom Autor des chronistischen Textes auf der Grundlage des Nebeinanders der Korachiten und Hemans in Ps 88,1 entwickelt worden ist.“78 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein Psalm mit einer „Heman, der Esrachiter“-Zuschreibung in die Sammlung der Söhne Korachs aufgenommen (zumal dieser, Ps 88, zum theologischen Profil der Sammlung [vgl. Ps 44] passt) und dann sekundär aufgefasst wurde, als Bezeichnung des herausragenden Sängers der Söhne Korachs. Diese Rekonstruktion einer Sängergestalt wurde vielleicht nötig, einerseits durch die Brandmarkung „Korachs“ durch priesterliche Kreise in Num 16 und andererseits könnte es ein Zeichen des Neuentstehungscharakters dieser Tempelsängergruppe sein, dass im Kontext der Chronikbücher dieser Gruppe diese hochehrwürdige Sängerperson angedichtet wurde.79
76 Vgl. C. Rösel, Redaktion, 80f. 77 „Der einzige nachweisbare Einfluß der Chronik auf die Überschriften dieser Sammlung [Ps 2–89 – TMS] ist die Ergänzung in Ps 88,1a.“ (C. Rösel, Redaktion, 80f.) 78 G. Steins, Chronik, 277; eine von C. Rösel, G. Steins und H. Gese abweichende Meinung vertritt N. Sarna: „There can be no doubt that in respect of Asaph, the Korahites, and Heman the data to be culled from the psalms, superscriptions are totally at variance with the traditions of postexilic biblical historiography. Neither source is a reflex of the other. Each is independent of the other and both, as was shown above, contrast strongly with the realities of the restoration period as recorded in Ezra-Nehemiah.“ (N.M. Sarna, Superscriptions, 286). 79 S. Japhet hat in Bezug auf 1Chr 25,2–6 darauf hingewiesen, dass „in der vorliegenden Liste Mattanja und wohl auch Bukkija (wenn wir ihn mit Bakbukja gleichsetzen), die in Esra-Neh von Asaf abstammen (Neh 11,17.22; 12,35 und 12,8 ohne Hinweis auf Asaf), hier mit Heman in Verbindung gebracht [sind]“ (S. Japhet, 2 Chronik, 401).
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5.
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Schlussüberlegung
Die Frage der Trägerkreise der Psalmen kann man über zwei Wege erschließen. Man kann das theologische Profil einzelner Psalmengruppen eruieren und aus den Themen bzw. der Sicht auf die Themen das Gruppenprofil schärfen (z. B. für Ps 42–49: die Verarbeitung der Exilssituation durch die konservative Hinwendung zur vorexilischen Königs- und Zionstheologie) und man kann mit einer anderen Perspektive genauer betrachten, welche Gruppenzugehörigkeit die Psalmen in ihrer Überschrift selbst kanonisch angeben. Letzteres hat sich für mich bei der Nennung der בני קרחin einem ersten Schritt angeboten, dem in einem hier nicht mehr zu leistenden zweiten Schritt die Analyse des theologischen Profils der beiden Korachpsalter folgen muss.80 Als grobe These ergibt sich für mich am Ende dieses Artikels die Annahme, dass einer Gruppe, die sich auf einen Ahnherren namens Korach bezog, vielleicht bereits vorexilisch, sicher jedoch nachexilisch, aus dem niederen Tempelpersonal als Torwächter ein Aufstieg gelang. Diese Gruppe hätte z. B. im Exil durch die Sammlung von Ps 42–48 als kleiner Psalter zur Exilsbewältigung Prestige erworben. Nachexilisch festigten die Korachiten als Torwächter ihre Stellung. Gemäß den Chronikbüchern stiegen sie zu Leviten auf und waren neben den Priestern federführend im Tempeldienst. Aus ihren Reihen rekrutierte sich ebenso eine Sängergruppe, die an die Seite der Asafiten gelang, bzw. diese viel-
80 Die Zuschreibung der Psalmen an die Söhne Korachs hat in der Forschung immer wieder zu Spekulationen geführt. Aufgrund des Fundes eines Ostrakons aus dem 8. Jhd. v. Chr. in Arad, das den Namen בני קרחnennt, nahm J. Miller an, es handele sich um Priester am Heiligtum in Arad, die durch die Kultzentralisation nach Jerusalem gekommen sind (vgl. J.M. Miller, Korahites). M.D. Goulder nahm aufgrund der sprachlichen Befunde innerhalb der Psalmen an, dass die „Söhne Korachs“ Tempelsänger im nordisraelitischen Heiligutum in Dan waren (vgl. M.D. Goulder, Psalms of the Sons of Korah). M. Buss sah eher den kanonischen Befund und schrieb: „The „Songs of Zion“ attributed to the sons of Korah are approriate for a group who serve as keepers of the sacred enclosure.“ (M.J. Buss, Psalms of Asaph and Korah, 382). Besonders weist er auch auf Ps 84,11 hin, wo das Stehen an der Schwelle des Hauses Gottes erwünscht wird, was jedoch nicht explizit als Wunsch eines Torwächters aufgefasst werden kann. R. Achenbach geht gar soweit, aufgrund des kanonischen Befundes zu schreiben: „Die Zuschreibung gewisser Zionspsalmen an die Korachiten setzt die chronistische Theoriebildung voraus. Sie ist motiviert durch Assoziationen der Motivik mit der Korachlegende, wobei in Ps 46–49 und 85.88 die Erfahrung von Todesdrohung und Errettung eine Rolle spielt vgl. z. B. Ps 46,2ff.10; 47,5; 49,8ff.14–2115!; 85,3f.; 88,6–8.16; in Ps 84 das levitische Amt (vgl. Ps 84,11). Zieht man als Lehre aus der Erfahrung Korachs den Satz ( וחזר הקרב יומתNum 18,7b), so ist das Amt des Schwellenhüters auch verbunden mit der Prüfung der Reinheit und der Zulassung zum gottesdienstlichen Geschehen […]. Aus dieser Assoziation dürfte sich die Zuordnung von Ps 87 ergeben haben. Die Zuordnung zu Korach ist also ähnlich zu beurteilen wie die Zuordnung des Davidspsalters zu David. Sie ist das Ergebnis der Legendenbildung der chronistischen Zeit.“ (R. Achenbach, Vollendung, 122.; vgl. auch D.C. Mitchell, God will redeem).
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leicht zeitweise sogar verdrängte.81 Zu dieser Aufwärtsbewegung würde die klare Grenzziehung zwischen Priesterdienst und Priesteranspruch zu den Leviten in Num 16 passen; Num 16 liest sich wie ein Exempel, das an dem Ahnherren der „Korachiter / Söhne Korachs“ in literarischer Form statuiert wurde. Ein Ergebnis dieses Konflikts könnte sich in den Büchern der Chronik darin widerspiegeln, dass zwar die Torwächter sich von Korach herleiten, jedoch gemäß Ps 88,1 Heman als neuer Ahnherr/-sänger der Gruppe der Söhne Korachs rekonstruiert wurde, was sich daraus ergab, dass Ps 88,1 mit seiner Zuschreibung an Heman, den Esrachiter/den Einheimischen, in die Sammlung der Psalmen der Söhne Korachs gelangte. Mit den Augen der Autoren/Redaktoren der Chronikbücher gelesen, verweisen die Überschriften in Ps 42–49.84f.87f. somit auf „singende Torwächter“, die eine Karriere innerhalb des nachexilischen Tempelpersonals gemacht haben. Für eine „vorläufige“ Geschichte der Entwicklung der Tempelsänger schlage ich daher zum Abschluss ein dreistufiges Modell vor, das sich aus meinen Überlegungen zu den Chronikbüchern und den Psalmenüberschriften ergibt bzw. sich daran ausrichtet: (1.) Traditionell wird Asaf als der Sänger schlechthin angesehen und den Asafiten scheint eine historische Vorrangstellung zuzustehen (vgl. 2Chr 29,30; 35,15). (2.) An die Seite der Asafiten als Sänger traten später aus der Gruppe der Kehatiter die Korachiten (vgl. 1Chr 9,33; 2Chr 20,19). (3.) Als Idealkonzept der davidischen Zeit entwerfen die Chronikbücher, bzw. nehmen sie auf, eine Trias von Sängern, bestehend aus Heman und seinen Söhnen, Asaf und seinen Söhnen und Etan/Jedutun und seinen Söhnen in Analogie zu den drei Söhnen Levis. Hierbei hebt der Chronist in der theoretischen Grundlegung – vor allem in der genealogischen Vorhalle (1Chr 6) – die kehatitsch-korachitschen Sänger in der Gestalt Hemans besonders hervor.
Literatur Achenbach, R., Die Vollendung der Tora. Studien zur Redaktionsgeschichte des Numeribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch (BZAR 3), Wiesbaden 2003. Berner, C., Wie Laien zu Leviten wurden. Zum Ort der Korachbearbeitung innerhalb der Redaktionsgeschichte von Num 16–17, in: BN 152 (2012), 1–28. Blum, E., Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin / New York 1990. 81 Dies würde korrespondieren mit den Überlegungen zu einem asafitischen Trägerkreis von J. Bremer in Konversation mit H. Nasuti, vgl. J. Bremer, Gott, 442–443.
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Corinna Körting
Zion zwischen Psalmen und Jesaja
Die Psalmen und die Prophetie Jesajas zeigen, wie weithin bekannt, große Übereinstimmungen in Sprache und Motivik. Es legt sich folglich nahe, danach zu fragen, ob es nicht auch bei den Tradenten dieser Literatur Überschneidungen gibt, d. h. ob es Gruppen gibt, verantwortlich für das literarische Erbe Israels, die in verschiedenen biblischen Büchern ihre Spuren hinterlassen haben.1 U. Berges unterstreicht die Berechtigung dieser Nachfrage noch mit dem Hinweis darauf, dass ein Großteil der alttestamentlichen Literatur in verhältnismäßig kurzer Zeit und auf verhältnismäßig engem Raum, nämlich im Jerusalem in der späten persischen und der frühhellenistischen Zeit ihre abschließende Form erhalten hat.2 Ein Musterpsalm für diese enge Verbindung zwischen Psalmen und Jesaja ist Ps 102, der den Aufstieg Zions aus Staub und Asche beschwört und ihre große Zukunft aufzeigt.3 Interessanterweise wird eben diese Vorstellung von Wiederaufbau und Rehabilitation Zions bei Jesaja über das Stilmittel der Personifikation vermittelt. Zion, die Kinderlose, wird zahlreiche Kinder haben, Zion wird Braut und Königin. Dieser Bildsprache bedient sich der Psalter, anders z. B. als die Klagelieder, nicht.4 Das Gesamtbild ändert sich auch dann nicht wirklich, berücksichtigt man Ps 45 und erkennt, auf dem Hintergrund von Jes 49–66, die hier vorgestellte Braut als Zion. Um so interessanter ist dann aber die Integration der „Apostrophe to Zion“ in die große Psalmenrolle von Qumran (11Q5 22,1–15). Mit der Apostrophe wird ein Element in die Psalmensammlung aus Qumran integriert, das zumindest im 1 U. Berges, Servants, 1. 2 U. Berges, Servants, 1. 3 Im Folgenden wird für Zion die Femininform gebraucht. Nun kennen die Psalmen und Jesaja für Zion sowohl Maskulinum als auch Femininum als grammatisches Geschlecht; für die hier behandelten Texte gilt jedoch in der Regel, dass Zion als Femininum vorgestellt wird, entweder als Stadt oder als Frau. 4 Eine Ausnahme bildet Ps 87, verstärkt noch durch die Titulierung Zions als μήτηρ (V.5) in der Septuaginta-Fassung (vgl. C.M. Maier, Zion, 587–596).
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Hinblick auf Zion noch einmal eine ganz deutliche Verbindung zwischen Psalmen und Jesaja herstellt und diesen „Mangel“ aufhebt, d. h. das personifizierte Zion in die Psalmenrolle integriert. Die Ausgangsfrage ist die nach Tradentenkreisen, die für die Psalmen wie für Jesaja gleichermaßen zuständig waren. Für die Untersuchung ausgewählt sind Ps 45 und 102 sowie die Apostrophe to Zion. Diesen Texten ist gemeinsam, dass sie alle für „ihre“ Zionstheologie auf die gleichen Texttraditionen zurückgreifen. Was lässt sich also im Hinblick auf die ausgewählten Texte vor deren jesajanischem Hintergrund über die theologische Ausrichtung solcher Kreise sagen? Wo oder wie wurden, bei gleicher Motivwahl, unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt? Die so offensichtliche Zusammenführung von Psalmentradition und Prophetie in der Psalmenrolle durch die Einführung der Frau Zion über die Apostrophe scheint bereits bestehende Ansätze fortzuführen und Nähe oder Übereinstimmung von Tradentenkreisen vorauszusetzen. Den genannten Fragen soll also im Folgenden nachgegangen werden.
1.
Die Knechte lieben Zions Steine (Ps 102)
Hinführend auf das Thema sollen Anmerkungen zu Ps 102 gemacht werden. Da auf den prophetischen Hintergrund dieses Psalms, insbesondere den der V.13– 23, bereits häufiger hingewiesen worden ist, fallen diese Anmerkungen jedoch sehr kurz aus.5 Es sind vor allem drei Themenbereiche, die den Psalm mit prophetischen Texten, und hier hauptsächlich Jes 40–66, verbinden: Jhwh erbarmt sich ()רחם Zions, die Beteiligung der Knechte am Aufbau Zions und die Völkerperspektive. Das Erbarmen Jhwhs mit Zion erweist sich in Ps 102 wie auch in DeutJes als Wendepunkt des Schicksals Zions (vgl. Jes 49,13ff.). Die Kinder Zions eilen herbei, die Stadt wird aufgebaut und bevölkert. Nach Ps 102 ist es Jhwh, der Zion wiederaufbaut (Ps 102,17), doch es geschieht nicht ohne die Beteiligung der Knechte, die selbst Not und Leid erfahren haben (vgl. Jes 63,17; 65,8f.13–15; 66,14).6 Sie haben Wohlgefallen ( )רצהan den Steinen Zions (Ps 102,15). Ihre Haltung vermittelt ein deutliches „Ja“ zu der Stadt, das den Wiederaufbau erst möglich macht.7 Schließlich ist es, wie erwähnt, die Völkerperspektive, die sich aus spätjesajanischen Traditionen speist. Die Völker werden den Namen Jhwhs und seine Herrlichkeit fürchten (Ps 102,16) und kommen, um ihn zu preisen und ihm zu 5 Vgl. A. Deissler, Psalmen, 398; O.H. Steck, Eigenart, 367–372. 6 Vgl. auch U. Berges, Knechte, 158f.; 167; 176. 7 Vgl. C. Brüning, Mitten im Leben, 193.
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dienen (vgl. u. a. Jes 2,2f.; 43,21; 49,16ff; 60,3; 60,10). In dieses spätprophetische Bild der eschatologischen Endereignisse gehört jedoch auch der Einschluss israelitischer Frevler in das Endgericht. Davon sagt der Wortlaut von Ps 102 nichts. Anders sieht dies aber in der Apostrophe aus, worauf ich noch zu sprechen kommen werde. Die Verheißungen der Propheten werden in Ps 102 zu einem Bekenntnis der großen Zukunft Zions umformuliert.8 Die Bezüge sind inhaltlicher und terminologischer Art und führen den individuellen Beter nun innerhalb des Psalters zu einem Vertrauen in die Zukunft Zions, der er gewiss sein kann, selbst wenn er mit seiner eigenen Zukunft hadert.
2.
Zion als Braut in Ps 459
Die These, dass Ps 45 von Zion als Braut singt, bedarf einiger Erklärungen. Ps 45 wurde in der Forschung vorwiegend als ein Königspsalm gelesen, komponiert für eine königliche Hochzeit.10 Man hat den Bräutigam mit Joram oder Braut und Bräutigam mit Isebel und Ahab in Verbindung gebracht.11 Alternativ wurde der Text allegorisch gedeutet und die Braut mit Israel bzw. mit der Kirche identifiziert, die den Gesalbten heiratet.12 Neben Forschungs- und Auslegungstradition steht gegen eine Deutung auf Zion, dass sie nicht direkt erwähnt wird. Auch ist die Rede von Zion als Braut im Psalter außerhalb von Ps 45 nicht gegeben. Sie ist jedoch aus der Prophetie vertraut. Die Identifikation der Braut mit Zion und die Konsequenzen dieser Lesart für das Verständnis von Ps 45 wie auch für die zentrale Fragestellung nach den Tradentenkreisen ist von zwei Seiten her anzugehen, die jedoch stark ineinandergreifen. Es sind dies Ps 45 als einer der Korachpsalmen und Ps 45 in seinem Verhältnis zu Jesaja. Ps 45 ist in vielerlei Hinsicht einzigartig im Rahmen des Psalters. Während es in den Königspsalmen generell um den idealen König und seine durch Jhwh gestützte Herrschaft geht, ja, um das einzigartige Verhältnis von Jhwh und seinem König, kommt hier eine Akteurin hinzu, die Braut. Ihr besonderes Ver8 Vgl. A. Deissler, Psalmen, 398. 9 Ausführlicher noch, als es in diesem Rahmen möglich ist, habe ich meine Überlegungen zu Ps 45 in: C. Körting, Isaiah 62:1–7 and Psalm 45 – or –Two Ways to Become Queen, dargelegt. 10 Vgl. H. Gunkel, Psalmen, 189, 191; A. A. Anderson, Book of Psalms, 346; P.C. Craigie, Psalms, 337; S. Terrien, Psalms, 365. 11 Vgl. J. Vette, Palast, 211f. 12 Als Vertreter der jüdischen Tradition ist u. a. D. Kimhi zu nennen, der die Braut mit der כנסת Israel identifiziert (zu Ps 45:16; S.I. Esterton, Commentary, 333). Siehe auch A. Wünsche, Midrasch, 292; R. Zimmermann, Bräutigam, 88ff. In der modernen Exegese werden diese Konzepte u. a. von C. Schedl, Vorschläge, 318 oder A. Deissler Psalmen, 186ff. vertreten.
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hältnis zum König wird folglich genauer zu beleuchten sein, bis schließlich die Frage zu stellen ist, um wen es sich bei dem König eigentlich handelt. Bevor es also um Ps 45 im Kontext der Korachpsalmen bzw. seinen Bezügen zu Jesaja geht, soll ein Blick auf das Verhältnis von Braut und Bräutigam in Ps 45 geworfen werden.
2.1.
Braut und Bräutigam in Ps 45
Ps 45 ist klar in zwei Teile gegliedert und durch zwei zusammenfassende Verse abgeschlossen. Die V.2–10 widmen sich dem König, die V.11–16 der Braut, die V.17–18 richten sich aufgrund der Verwendung der 2. m. sg. direkt an den König, schließen die Braut allerdings nicht aus. Der König wird als eine ideale Figur dargestellt. Er ist der Schönste unter den Menschenkindern (V.3), über die Maßen stark (V.4.6) und reich (V.9.10). Andere Eigenschaften scheinen schließlich über das Menschenmögliche hinauszugehen. Er ist in Ewigkeit gesegnet (V.3), sein Thron ist ein irdisches Gegenstück des Thrones Gottes (V.7; vgl. Ps 9,8; 89,5) seine Taten sind furchtgebietend (V.5; vgl. Ps 65,6), sein Zepter ist Gerechtigkeit (V.7; vgl. Jes 11,4), er liebt das Recht (V.8; vgl. Ps 99,4) und kämpft für Gerechtigkeit. Das sind zahlreiche Aussagen, die in dieser Form auch von Jhwh gemacht werden könnten. Schließlich wird der König als אלהיםangesprochen (V.8; vgl. Jes 9,5).13 Bis einschließlich V.9 widmet sich der Text allein dem König in seiner strahlenden Macht. V.10 nennt, ebenfalls als Ausdruck der Macht des Königs, die ihn umgebenden Königstöchter, doch nun tritt an seine Seite die Königin. Der Text könnte sehr wohl mit V.17 fortfahren, wo wiederum der König direkt angesprochen wird. Doch nun kommt es in geradezu prophetischer Weise zur direkten Anrede der Braut. Mit vier Imperativen wird die Rede eröffnet: „Höre, sieh, neige dein Ohr […] und dann vergiß“.14 Die Aufmerksamkeit der Braut wird vollständig auf ihren Bräutigam gelenkt. Sie soll die alten Bindungen vergessen, die Zukunft 13 Eine derartige Art und Weise den König zu adressieren verweist u. a. auf ein Phänomen, das bereits aus dem Alten Orient vertraut ist (vgl. M.J. Seux, Königtum, 142, 170f.; C.F. Whitley, Textual, 280–282 verbindet die Anrede sogleich mit dem Akt der Salbung; J. Becker, Israel, 84 sieht den Titel auf der selben Linie wie die Sohnschaft gemäß Ps 2,6 oder 110,3; in diesen speziellen Kontext gehört auch die Qualifikation der Herrschaft des Königs als eine durch Gott gegebene gerechte Herrschaft (vgl. M. Saur, Königspsalmen, 121). Die Nähe auch zu Jes 9,1–6 und 11,1–9 ist unübersehbar. 14 Interessanterweise sind die ersten drei Imperative nur viermal in der Zusammenstellung verwendet, dreimal als Aufforderung an Gott Jerusalem/Zion zu helfen (2Kön 19,16; Jes 37,17; Dan 9,18), das vierte Mal richten sie sich an Zion direkt (Ps 45,11). Für Zion nun ist auch die Aufforderung des Vergessens hinzugefügt.
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gehört ihrem Bräutigam. Ihren Status als Königin erhält sie durch die Eheschließung. Die Braut wird dem idealen König zugeordnet, nicht nur bildlich, sondern auch durch die Gestaltung des Textes. Beiden wird Schönheit zugesprochen (V.3.12), ihre festlichen Kleider werden beschrieben (V.9.14.15), sie haben Begleitung (V.8.15). Sogar die Aufforderung an die Braut, die Vergangenheit zu vergessen, mag ihre Entsprechung darin finden, dass die Zukunft den Söhnen an Väter Statt gehört (V.17). D. h. obwohl nicht die gleiche Terminologie verwendet wird, ist von einer Abhängigkeit der V.11–16 von V.3–10 und V.17–18 auszugehen. Neben den eben genannten Argumenten der Zuordnung der Darstellung der Braut zur Darstellung des Königs spricht auch die Darstellung des Königs, die keinen Hinweis auf eine Hochzeit bietet, für eine sekundäre Erweiterung eines Liedes über den idealen König durch eine Braut. Was sie in den Text einträgt, das ist vor allem die positive universale Perspektive. Unterliegen dem König noch die Völker (V.6), so kommen sie, die reichsten der Völker, und suchen die Gunst der Braut. Selbst die Tochter Tyros kommt mit Gaben. Allein diese Hinweise mögen schon einen Anhalt für eine Datierung geben. Wie die anfänglichen Hinweise auf Ahab und Isebel zeigen, reichen die Vorschläge von der Königszeit bis in die spätnachexilische Zeit. Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem der Abschnitt über die Braut. Die spezielle Rolle von Tyros in Ps 45 und auch Ps 87 und die universalistische Perspektive, die diese Passage dem Text hinzufügt, sprechen zunächst einmal für die nachexilische Zeit.15 Die Bezüge zu den Jesaja-Texten, die noch zu diskutieren sind, werden dies bestätigen.
2.2.
Ps 45 im Kontext der Korach-Psalmen
Dass Ps 45 gemeinhin als einer der Königspsalmen betrachtet wird, ist bereits gesagt worden. Seine Funktion im Hinblick auf den Aufbau des Psalters ist anderen Psalmen dieser Gruppe jedoch nicht vergleichbar. Ps 2; 72 oder 89 eröffnen den Psalter bzw. schließen die Bücher II und III. Ihre übergeordnete strukturierende Funktion scheint noch dadurch gestützt zu werden, dass ihre Überschrift sie nicht direkt mit einer Sammlung in Verbindung bringt.16 Dies ist u. a. bei Ps 45 anders, denn seine Überschrift verbindet ihn eindeutig mit der 15 Vgl. M. Saur, Tyroszyklus, 306. 16 Sie sind zwar Teile einer Sammlung, aber ihre Überschriften sind singulär innerhalb der Sammlung. Allerdings hat Ps 110 eine Überschrift, die ihn mit einer Sammlung davidischer Psalmen verbindet, ähnlich wie Ps 45. Vgl. K. Koch, König, 28.
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Sammlung der Korach-Psalmen. Damit gehört der Text einer Sammlung an, die wie keine andere im Psalter der Sehnsucht des Einzelnen nach Zion Ausdruck gibt (Ps 42/43; 84). Die Sammlung feiert Gottes Herrschaft auf dem Zion und seine Macht über die Nationen (Ps 46–48), und sie feiert Zion selbst (Ps 87). Werden in Ps 2 oder 110 die Installation des idealen Königs auf dem Zion wie auch seine durch Gottes mächtige Hand geprägte Herrschaft direkt formuliert, so geschieht ebendies für Ps 45 durch die Einstellung von Ps 45 in die Sammlung der Korach-Psalmen. Der ideale König und Zion als Gottes Thron und Ort seiner Gegenwart werden zusammengeführt. In Gottes Stadt steht sein, d. h. des Königs bzw. Gottes, ( היכלPs 45,16; 48,10). Der Kontext stützt eine Identifikation der Braut mit Zion. D. h. in Ps 45, in Übereinstimmung mit dem Kontext, werden der ideale König und Zion zusammengeführt. Es gibt zu dieser Lesart tatsächlich wohl kaum Alternativen. Wer sonst könnte die Gemahlin des idealen Königs werden, könnte die Rolle ausfüllen, als allein Zion? Um zu verstehen, wie diese Rede von Zion überhaupt möglich ist, die Rede von Zion als königlicher Braut, muss man jedoch über die Grenzen des Psalters schauen.
2.3.
Zion als königliche Braut in Jes 49–66
Findet eine Personifikation Zions im Psalter schon kaum statt17, so legt sich der Gedanke von Zion als königlicher Braut, ja, als Königin, noch weniger nahe. Bei Jesaja sieht dies anders aus. Zion ist Witwe, Mutter18 oder Kinderlose, dann aber königliche Braut, die den nach Jerusalem einziehenden König Jhwh in Prunkkleidern erwarten soll ( Jes 52,1–12) und schließlich selbst als Krone gepriesen wird ( Jes 62,1–7). Die Parallelen zwischen Ps 45 und Jes 49–62 sind zahlreich. Die Braut in Ps 45 wird als בתangesprochen (V.11), eine Anrede, die typisch für Jesaja im Hinblick auf Zion ist, die allerdings auch für andere Städte verwendet werden kann.19 Könige und Reiche dienen der Braut und begleiten sie (Ps 45,13–14), ebenso wie sie sich gemäß Jes 49,23; 60,3.16 Zion zuwenden. Sie bringen Gaben ( Jes 60,5–7; 60,9; vgl. Ps 72,10–11) und ehren Zion als Königin. Zions Hochzeit wird in Jes 62,1–7 thematisiert. Zions zahlreiche Kinder sind von besonderer Bedeutung für die Prophetie Jesajas ( Jes 49,20; 54,1–3; 66,7–12). Wenn dieses Motiv in Ps 45 17 Eine Ausnahme stellt die Bezeichnung Zions als Μήτηρ Σιων in Ps 87 in der LXX Fassung (LXX Ps 86,5) dar. 18 Vgl. C.M. Maier, Zion, 590f. 19 Zion als „Tochter“ in Jesaja und Psalmen vgl. Jes 1,8; 3,16–17; 4,4; 10,32; 16,1; 37,22; 52,2; 62,11; Ps 9,15; andere Städte in den Psalmen als „Töchter“ wie z. B. die Städte Judas vgl. Ps 48,12; 97,8; Tyros: Ps 45,13; Babylon: Ps 137,8.
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auch mit dem König verbunden ist (Ps 45,17), so kommen die Kinder doch immerhin aus der Verbindung mit Zion. Zu nennen ist schließlich auch die Aufforderung an die Braut, ihr Volk und Vaterhaus zu vergessen. Es steht dahinter „the idea of the bride having to cut off every bond uniting her with her own family in order to be completely incorporated in that of her husband“20. So formuliert es I. Engnell. Ist die Braut mit Zion zu identifizieren, dann ergibt sich allerdings eine erweiterte Bedeutung. In Jes 54,4 heißt es, dass Zion die Schande ihrer Jugend und die Schmach ihrer Witwenschaft vergessen soll. Hinzu kommt als weiterer wichtiger Referenztext Ez 16,3. Zion wird als Kanaanäerin dargestellt, ihr Vater ein Amoriter, ihre Mutter eine Hethiterin. Niemand kümmerte sich um sie, bis Jhwh sich ihrer annahm, sie krönte (Ez 16,12–13). Die Bezüge in der Darstellung der Braut in Ps 45 zur Prophetie Jesajas sind deutlich. Neben dem Kontext bieten sie ein weiteres Argument dafür, die Braut mit Zion zu identifizieren. Eine wesentliche Frage bleibt dabei allerdings noch zu beantworten. Wen heiratet die Braut, wen heiratet Zion?
2.4.
Die Braut Zion zwischen idealem König und Jhwh
Für Jesaja ist die Frage nach den Bindungen einfach zu beantworten. Zion ist Braut, ist Königin Jhwhs. Jhwh ist König, ist Zion nahe und kehrt schließlich zu ihr zurück ( Jes 52,7–12). Zion hat in den jesajanischen Texten zudem kein besonderes Verhältnis zu dem idealen König – eine Ausnahme ist Jes 11,9, ein Text, der dem Vorstellungsmilieu entspricht, dem auch Ps 45 entstammt – , ja, es scheint so, als würde sie selbst dessen Rolle einnehmen. So wie Könige und Reiche dem König Geschenke bringen (Ps 72,10), so bringen sie diese nun Zion ( Jes 60,6). So wie die Feinde dem König den Staub von den Füßen lecken (Ps 72,9), so lecken sie den Staub von Zions Füßen ( Jes 49,23). Ja, gemäß Ps 72,5 soll der König leben, solange Sonne und Mond bestehen (vgl. Ps 89,37–38). Doch die Verheißung für Zion ist noch größer. Gott selbst wird ihr Sonne und Mond, ihr ewiges Licht sein ( Jes 60,19–20). Bei Jesaja steht das einzigartige Verhältnis Gottes zu Zion im Fokus. Auch in den Psalmen wird es auf verschiedenste Weise unterstrichen. Jhwh liebt Zion (Ps 78,68; 87,2), er begehrt sie (Ps 132,13–14), wie der König die Schönheit der Braut begehrt. Deshalb geht u. a. E. Zenger davon aus, dass es auch in Ps 45 Jhwh ist, der sich mit Zion vermählt. Es ist seiner Ansicht nach nicht nur der Kontext, d. h. Ps 46 und 48, der diese Lesart fordert, sondern auch der Einzug des Königs in den היכל, Gottes Tempel (vgl. Ps 27,4; 48,10; 65,5; 68,30). Dieser Gedankengang ist 20 I. Engnell, Studies, 147.
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verführerisch. Doch kann man Jhwh wirklich mit dem identifizieren, der als der Schönste unter den Menschenkindern bezeichnet wird? Und kann Zion als Braut in den Tempel einziehen? In Ps 48 wird Zion doch selbst mit dem Tempel identifiziert? Wie es in manchen Texten schwierig ist, zwischen Gott und seinem König zu unterscheiden, so werden auch mit Zion sehr unterschiedliche Vorstellungen verbunden, häufig sogar innerhalb eines Textes und ohne inhaltliche Widersprüche aufzulösen (vgl. Jes 54,1–8; 66,7–12). Eine eindeutige Antwort kann man auf diese Frage wohl nicht geben. Deshalb soll noch einmal der Kontext zurate gezogen werden, der auch über die theologische Perspektive einer Vermählung Zions Auskunft gibt. Im Buch Jesaja wird das Schicksal Zions mehr und mehr ins Zentrum gerückt. Ihre Schuld ist überwunden, ihr König kommt zu ihr, sie wird Erbin des davidischen Königtums.21 In den Psalmen sieht dies etwas anders aus. Während also die Jesajatradenten keine Hoffnung auf den davidischen König setzen, geschieht dies im Psalter durchaus.22 Geht man davon aus, dass in Ps 45 der ideale König und Zion zusammengeführt werden, dann wird er, wie in anderen Zusammenhängen auch, an Zion gebunden. Für Zion hingegen bedeutet die Vermählung Unterordnung unter den idealen König (Ps 45,12) und Transformation der alten Ideen von der Stadt Gottes in eine messianische Zukunft.
2.5.
Traditionswege
Ps 45 lässt sich gut vor dem Hintergrund jesajanischer Texte verstehen. Die Rolle der Braut, und das heißt die Rolle des personifizierten Zion, bedarf des prophetischen Kontextes. Allein aus dem Psalter heraus ist sie m. E. nicht zu verstehen. Die inhaltlichen und terminologischen Bezüge legen nahe, dass prophetische Traditionen in Ps 45 aufgenommen wurden, jedoch ihr spezifisches psalmentheologisches Profil erhalten haben.
21 Während Jhwh an verschiedenen Stellen in Jes 40–66 als König präsentiert wird (siehe besonders Jes 52,7–12), gilt dies für David nur in Jes 55,3. Hier allerdings wird klar gemacht, dass der Bund, den Gott mit dem Hause Davids geschlossen hat, an das Volk übergeht. Vgl. H. Williamson, Variations, 5; siehe auch 10.117–118). 22 Vgl. M. Saur, Königspsalmen, 269–282.
Zion zwischen Psalmen und Jesaja
3.
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„Apostrophe to Zion“
Der Text der Psalmenrolle (11QPsa) wird in der Regel in die erste Hälfte des 1. Jh.s n. Chr. datiert23, auch wenn frühere Redaktionsgänge wohl ins 2. Jh. v. Chr. zurückreichen.24 Damit liegt ihre Entstehung zeitlich betrachtet gar nicht so weit vom Abschluss des MT-Psalters entfernt.25 Dennoch stellt sich die berechtigte Frage, was denn die Untersuchung einer solchen Sammlung zur Erhellung der Frage nach den Tradentenkreisen alttestamentlicher Texte beitragen kann. Dazu ist anzumerken, dass die „Apostrophe to Zion“ ebenso wie Ps 102 oder Ps 45 durch prophetische Texte geprägt ist. Die Formulierungen lehnen sich eng an die biblische Überlieferung an, sind also nicht durch besonders ungewöhnliche theologische Konzeptionen oder Hinweise auf „sectarian style“26 geprägt.
3.1.
Struktur und Inhalt: kurze Einführung
Die „Apostrophe“, die „Anrede“ an Zion27, ist ein als Akrostichon gestalteter Text. Das Leitwort, das den ganzen Text durchzieht und prägt, ist זכר. Der Sänger selbst, die Propheten und Zion sind aufgefordert, sich zu erinnern, zu gedenken.28 Zentral ist sogleich die Aussage des ersten Kolons: „Ich gedenke deiner um des Segens willen.“ ציון לברכה אזכירךverbindet Gedenken und Segen, Gedenken ist Segen.29 Als Konsequenz dieses Gedenkens wird sich der erhoffte und sehnsüchtig erwartete neue Zustand Zions einstellen, der im folgenden gezeichnet wird ( תקותךin גund לrahmt den Abschnitt). Zion wird bewohnt sein, Frieden und Heil sind ihr garantiert. Unterbrochen wird dieses Bild der Hoffnung für Zion von einem ersten Zwischenstück. Zion soll von Gewalt, von Lüge und Schuld gereinigt werden ()ט. Der darauf folgende Text spricht von dem Beitrag der Reinen für die Zukunft Zions. Reinheit Zions, wie sie im ersten Zwischenstück genannt wird, ist nun aber 23 Vgl. J.A. Sanders, Psalms Scroll, 9. 24 U. Dahmen, Psalmen- und Psalterrezeption, 311 datiert den ersten Rezeptionsgang in die 2. Hälfte 2. Jh.s.; vgl. auch L.H. Schiffman, Apostrophe, 19. 25 Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 8f. 26 Vgl. M. Morgenstern, Apostrophe, 178–179. 27 Vgl. weitere „Apostrophes“ to Zion: Jes 54,1–8; 60,1–22; 62,1–8; Ps 45,11–16. 28 Die Übersetzung für זכרkann vielfältig ausfallen. B. Childs sieht die Grundbedeutung von „erinnern” auf „to praise”, „to confess” oder „to give thanks” erweitert (B. Childs, Memory, 14). Mehr dazu siehe oben im Vergleich des Textes mit Ps 137 und Jes 62. 29 Die grammatische Konstruktion לverbunden mit einem Abstractum (vgl. Spr 10,7) fällt, gemäß E. Jenni, in die Kategorie des Lamed revaluationis. „Die grundlegende Bedeutung von לbei referenzidentischen Bezeichnungen ist […] ‚x geltend als y‘” (E. Jenni, Präpositionen, 27.40).
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auch Voraussetzung für den richtigen, den süß duftenden Lobpreis in Zion, der sich über den ganzen Erdkreis30 ausbreitet, wie es im zweiten Zwischenstück ()ע heißt. Das Stichwort des Lobpreises wiederum verbindet das zweite Zwischenstück mit dem Schluss, der Zion selbst zum Lobpreis auffordert. Dem ersten Hauptteil gegenüber steht mit ס–מein zweiter Hauptteil, der die Zukunft Zions noch einmal aus anderer Perspektive reflektiert. Werden im ersten Hauptteil all diejenigen gepriesen, die Anteil haben an der strahlenden Zukunft Zions, widmet sich der zweite Hauptteil den Gegnern. Sie werden abgeschnitten werden, d. h. sie haben keinen Anteil an der großartigen Zukunft Zions. Niemand wird es vermögen, die Zukunft Zions zu zerstören. Jhwhs Gerechtigkeit wird sich durchsetzen.31 Der Text schließt nun nicht einfach mit der Aufnahme des Motivs aus dem eröffnenden Kolon, sondern mit diversen Aufforderungen an Zion, zu lobpreisen und sich an die Träume und Visionen ihrer Propheten zu halten und hoch und weit zu werden, d. h. Raum zu schaffen, für die, die da kommen. Die Struktur des Gedichtes ist folgendermaßen zu beschreiben: ב–א: Überschrift Gedenken Zions um des Segens willen ל–ג: Erster Hauptteil A) Hoffnung für Zion (die Treue ihrer Propheten) ט: erstes Zwischenstück Reinigung Zions Erster Hauptteil B) Hoffnung für Zion (Zions Kinder versammeln sich) ס–מ: Zweiter Hauptteil Wer vermag schon, die Gerechtigkeit zu zerstören? ע: zweites Zwischenstück Der Lobpreis aus Zion verteilt sich über den Erdkreis ת–פ: Schluss Gedenken Zions um des Segens willen mit der mehrfachen Aufforderung an Zion, selbst aktiv zu werden (קחי, רומי ורחבי, )שבחי
3.2.
Zion, ihre Propheten, ihre Kinder
Zion wird durchgängig in der 2. Pers. f. sg. angesprochen. Die Stadt erscheint als Person, anredefähig, geliebt, aufgefordert, hoch und weit zu werden, zu lobpreisen. Als personifizierte Stadt steht sie in der Apostrophe in einem besonders komplexen Beziehungsgeflecht. Es sind dies ihre Propheten, Generationen von Bewohnern, ihre חסידים, die sich Sehnenden nach dem Tag ihres Heils, ihre Kinder ()בנים, ihre Liebenden und ihre Reinen. Vertilgt werde ihre Gegner und diejenigen, die sie hassen. Das Possessivpronomen der 2. Pers. f. sg. ist überdeutlich eingesetzt. Alle und jeder stehen zu Zion in Beziehung, sei es nun für oder gegen 30 Vergleichbar mit dem süßen Duft des Opfers (Mal 3,4). Vgl. auch C.E. L’Heureux, Sources, 71; M. Morgenstern, Apostrophe, 190. 31 Vgl. M. Morgenstern, Apostrophe, 196–197.
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Zion. Selbst in der Lobaufforderung zum Schluss heißt es: „Preise den Höchsten, deinen Erlöser“ ()פודך. Ganz zentral ist allerdings die Verbindung, die der Sänger selbst zu Zion hat. In Einleitung und Schluss heißt es, dass er Zions gedenkt, sie mit aller Kraft liebt und mit ganzem Herzen segnet. Zion zu lieben ()אהב, wird in den Psalmen der Hebräischen Bibel mehrfach von Gott ausgesagt.32 Dass es sich hier um ein Lied Jhwhs an Zion handeln könnte, dagegen spricht die Lobpreisaufforderung in ש. Welcher Gruppe also ordnet sich der Sänger zu? Dazu später mehr. Alle genannten Gruppen haben in irgendeiner Form Anteil an der Hoffnung Zions auf eine große Zukunft. Dazu gehören diejenigen, die gewartet haben auf ihr Heil, nicht aufgegeben haben, die Reinen, die klagten um Zions willen (;)כ und diejenigen, die in Zion wohnen, ihre Straßen mit Leben und Klang erfüllen, durch sie ernährt werden ()ז. Im Zentrum des ersten Hauptteils stehen jedoch die Propheten und die חסידים.33 Ihr Anteil ist ebenfalls an anderer Stelle erwähnt, doch von besonderer Bedeutung sind sie dadurch, dass Zion nun direkt aufgefordert wird, sich ihrer Treue und ihrer Taten zu erinnern und sich damit zu schmücken ()ח. Die Reziprozität, die dieser Aufforderung zugrunde liegt, ist die eigentliche Basis für die Hoffnung Zions auf eine große Zukunft. Ganz anders ergeht es den Gegnern Zions ()ס. Sie sollen abgeschnitten werden. Die Verwendung von כרתlässt nicht auf äußere Feinde schließen, sondern eher auf Gegner und Feinde im eigenen Volk und in der Bevölkerung Zions. Gegner abzuschneiden ( )כרתist eine Formulierung, die aus der Kultgesetzgebung vertraut ist. Dort wird u. a. deutlich gemacht, dass diejenigen, die sich nicht an das Arbeitsverbot an den hohen Feiertagen halten, abgeschnitten, d. h. aus der Gemeinschaft ausgestoßen werden sollen. Im Psalter sind es die Gottlosen, denen mit כרתgedroht wird.34 Auch hier sollen die Gegner aus der Gemeinschaft ausgestoßen werden. Wer diese Gegner sind, wird aus dem zweiten Kolon deutlich. Es sind diejenigen, die Zion hassen. Die Apostrophe führt diesen Aspekt nicht weiter aus. Schaut man jedoch auf den Großkontext, so ist in שנאsicherlich das Gegenteil von dem subsumiert, was für alle anderen so positiv herausgestrichen wurde. Es sind dann diejenigen, die sich nicht einsetzen für Zion, nicht gedenken, nicht um Zion klagen. Sie alle sollen zerstreut werden. Alles in allem zeigt der zweite Hauptabschnitt, der mit zwei rhetorischen Fragen einsetzt, weisheitliche Tendenzen. Wer vermag schon, Gerechtigkeit zu zerstören? Der Mensch wird doch nach seinem Weg getestet und nach seinen Taten bezahlt. Nach der Darstellung des zukünftigen Heils für Zion hat dieser 32 Vgl. Ps 78,68; 87,2; s.a. Ps 26,8; 122,6. 33 Vgl. U. Dahmen, Psalmen- und Psalterrezeption, 300. 34 Vgl. u. a. Ps 37,28; hier sind es die רשעיםim Gegensatz zu den Frommen ( )חסידיםdie herausgeschnitten werden.
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Abschnitt auch die Funktion einer Mahnung. Niemand kann sich dem Heil Zions entgegenstellen. Wer das tut, muss die Konsequenzen tragen. Er wird schließlich aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Die Diskussion über die Identität des Sprechers habe ich bisher beiseite gelassen. Die Zentralität der Treue der Propheten und der Taten der חסידיםsowie die Wiederaufnahme der Propheten auch im Schlussteil ( )קlässt vermuten, dass der Sprecher sich als einer der ihren versteht oder ihnen zumindest nahe steht. Eindeutig ist das, allein auf der Grundlage der Apostrophe, nicht. Anders sieht das Bild aus, vergleicht man die Formulierungen der Apostrope to Zion mit den zahlreichen Parallelen aus Prophetie und Psalmen des Alten Testaments.
3.3.
Die Apostrophe to Zion zwischen Psalmen und Prophetie
Es kann in diesem Abschnitt nur darum gehen, einige wenige Referenztexte zu benennen, auf die die Apostrophe sich bezieht. C.E. L’Heureux und M. Morgenstern haben ausführliche Analysen dazu vorgelegt. Der Schwerpunkt wird deshalb, der Themenstellung gemäß, auf Jesaja und Psalmen liegen, die allerdings ohnehin die meisten Parallelen bieten. Ich spreche hier mit Bedacht ganz allgemein von Referenztexten, da es sich nicht notwendigerweise um direkte Zitate handelt, sondern auch um schlichte Anspielungen.35 Auf die Bedeutung des ersten Kolons für den Text ist bereits mehrfach hingewiesen worden. זכר, gedenken, erinnern36, wird dann im folgenden noch 3x gebraucht (ב, ח, )פ. In Zusammenhang mit Zion/Jerusalem sind vor allem zwei Texte hervorzuheben, die den Hintergrund erhellen können: Jes 62,6 und Ps 137,1.6. Interessanterweise hebt Jes 62,1.6 die Aufgabe der Propheten hervor. Sie sind als 37 מזכריםauf die Mauern Zions/Jerusalems bestellt. Sie sind diejenigen, die nicht ruhen, bis sich Zions Schicksal erfüllt hat. זכרbedeutet, für Zion aktiv zu sein.38 Genau wie es auch in Jes 62,1–7 geschieht, singt man ohne Unterlaß von Zion und ihrer Zukunft. Mit Jes 62,1–7 befinden wir uns in dem Bereich schriftprophetischer Tradition. Sie ist „literarisch wachsende Vergewisserung der Gotteszuwendung im 35 Vgl. C.E. L’Heureux, Sources, 61.73. 36 In 4QPsf ist Qal gebraucht und nicht Hif ’il. J.A. Sanders ändert dies in der Ausgabe J.A. Sanders, Dead Sea, 125. M. Morgenstern zieht ebenfalls Qal vor (M. Morgenstern, Apostrophe, 182), wobei er im Hinblick auf das Bedeutungsspektrum aber nicht nur „an etwas denken“, sondern auch „recall“ benennt. „By recalling the name for a blessing, and recounting former glories, the author hopes to ascribe these glories once again to Zion“ (M. Morgenstern, Apostrophe, 182). 37 Es sind diejenigen, die Jhwh etwas bedenken lassen, ihn drängen und mahnen (vgl. H. Eising, Art. זכר, 584). 38 C.E. L’Heureux, Sources, 62.
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Verlauf von Zeit“39. Es gilt, göttliche Verheißung lebendig zu halten. Insofern ist es dem Auftrage Gottes gemäß, wenn der Prophet sich vor Zion stellt und sich für Zion stark macht. Bezüge zu Ps 137 hingegen lehnt C.E. L’Heureux ab, M. Morgenstern oder J.A. Sanders erwähnen diesen Psalm gar nicht. C.E. L’Heureux schreibt, dass Ps 137,5–6 sich gegen das Vergessen wendet. „It is a question of the faithful Israelites’ not forgetting Zion in her affliction. This does not fit the context of the Apostrophe.”40 Doch ist es hier wirklich so anders? Das Schicksal Zions und derjenigen, die für Zion eintreten und für Zion ihre Stimme erheben, ist untrennbar miteinander verknüpft. Was also in Ps 137,6 als Schwur formuliert wird, nämlich Zion nicht zu vergessen, ist in der Apostrophe in Aktion umgesetzt. Beide wollen ja Zions gedenken.41 E. Zenger paraphrasiert Ps 137,5–6 wie folgt: „Wenn ich Jerusalem ( jetzt und in Zukunft!) nicht mehr zur Mitte meines Lebens mache, soll ich lieber tot sein!”42 Auch der Verfasser der Apsotrophe hält ohne Kompromisse an Zion fest. Die Bedrängnis, in der C.E. L’Heureux Zion in Ps 137 sieht, ist laut der Apostrophe vielleicht anders geartet, doch das Ziel, das geschmückte Zion, in deren Straßen fröhlicher Lärm herrscht, ist nach beiden Texten noch nicht erreicht. Besonders markante Parallelen bestehen zwischen der Apostrophe ( וund )ז und Jes 66,10–11. „Freut euch mit Jerusalem! Jubelt in der Stadt, alle, die ihr sie liebt. Seid fröhlich mit ihr, alle, die ihr über sie traurig wart. Saugt euch satt an ihrer tröstenden Brust, trinkt und labt euch an ihrem mütterlichen Reichtum!”43 Die Zion Liebenden (vgl. )אwerden von Zion versorgt werden. Zion wird liebevolle, zuwendende Mutter sein können für alle, die sich nach ihr sehnen. Wiederum wird die Wechselseitigkeit im Verhältnis Zions und ihrer Kinder deutlich. Sie bedürfen einander und werden Freude aneinander haben. Ps 87 mag sich der Vorstellung von Zion als Mutter vorsichtig nähern, doch der versorgende Aspekt von Zion als Stadt wird eher in Ps 132 aufgegriffen, und hier sieht die Sachlage völlig anders aus. In Ps 132 geht es um die Versorgung der Bewohner mit allem Notwendigen, mit Nahrung und Kleidung (Ps 132,15–16). In Jes 66 und der Apostrophe steht jedoch die emotionale Bindung im Vordergrund. Die Versorgung der Bewohner ist gegeben, aber in Zion wird nicht einfach Brot verteilt, die, die sich nach Zions Heil sehnten, werden an ihrer Brust gestillt ( )מזיז כבודה44, und man wird sich freuen und jubeln. 39 40 41 42 43 44
Vgl. O.H. Steck, Prophetenbücher, 181. C.E. L’Heureux, Sources, 63. Vgl. U. Dahmen, Psalmen- und Psalterrezeption, 300. Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 694. Zur Terminologie vgl. M. Morgenstern, Apostrophe, 185–186. Vgl. dazu den „Nachbartext“ in 11QPsa; Sir 51,13–30; in V.17 ist die Weisheit die Amme (עלה )היה ליPart. fem. Sg.
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Nicht nur die Zion Liebenden werden in Jes 66 genannt. Auch das Motiv der Zion-Hasser aus סkann vor allem vor dem Hintergrund von Jes 66,5 sowie Ps 129 weiter erhellt werden. Laut Ps 129,5 sollen alle, die Zion hassen, zurückweichen. Sie haben keine Zukunft und werden vergehen, wohingegen Zion ja eine große Zukunft bevorsteht. Der Rückgriff auf Ps 129 unterstreicht also die Vergeblichkeit, sich gegen Zions Glück zu stellen. Die Frage danach, wer die Zions-Hasser sind, muss jedoch für Ps 129 anders beantwortet werden als für die Apostrophe. Nach Ps 129 handelt es sich um äußere Feinde. Der Text gibt keinen Anhaltspunkt für innergemeindliche Konflikte.45 Das ist in Jes 66,5 allerdings anders. In Jes 66,5 sind die Hassenden diejenigen Brüder, die jegliche eschatologische Erwartung bestreiten.46 Die zerstörerische Kraft aus dem Inneren passt sehr gut auch in das Bild der Apostrophe. Nun sind sie in Jes 66,5 nicht direkt als Zions-Hasser bezeichnet. Der Kontext aus Jes 65 und 66 jedoch, die dort beschriebene Zukunft Zions und ihrer Bewohner, legen den Zusammenhang deutlich nahe. Während J.A. Sanders, C.E. L’Heureux oder M. Morgenstern in erster Linie auf die Parallelen der Apostrophe zur Prophetie hinweisen, gibt es einige Aspekte, die sie deutlich mit dem Psalter verbindet. Ein Aspekt ist dabei ganz besonders hervorzuheben, nämlich die Rolle der ד( חסידיםund )ח. In der Apostrophe sind deren Taten der Schmuck Zions. Sie spielen für Jesaja keine Rolle, eine sehr wichtige jedoch im Psalter. Nun sind folglich mit Propheten und חסידיםnicht nur wesentliche Akteure aus Prophetie und Psalmen genannt. Wie vielleicht bereits deutlich wurde, sind sehr viele verschiedene Gruppen benannt, die zum Heil Zions beitragen, nicht jedoch Israel als Ganzes – ganz anders als in Jes 49–66 und anders auch als im Psalter. Dennoch liegt hier m. E. eine Ausrichtung vor, die sich in Texten wie Ps 149 andeutet. In Ps 149 sind die Frommen das wahre Israel, das sich auch gegen Feinde zur Wehr setzt.47 In der Apostrophe sind es, wie auch die Passage zu den Zion-Hassern zeigt, viele verschiedene Gruppen, die Zion zu ihrer Mitte gemacht haben, und eine wichtige sind die חסידים, die sich von Gegnern im Inneren unterschieden.48 Ein augenfälliger Unterschied zu Prophetie und Psalmen ist schließlich zu benennen. Der Text bleibt ganz nah bei Zion. Allein der Lobpreis geht hinaus 45 Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 561. Sie verweisen auch auf als Hasser bezeichnete Feinde Israels (Ps 44,8.11; 105,25; 106,10.41). 46 O.H. Steck, Abschluß, 68–69. 94. 47 Das Lied wird in der Gemeinde der Frommen gesungen (Ps 149,1). 48 Die Apostrophe führt nicht näher aus, was die Taten der Frommen sein könnten, im Gegensatz zu Ps 149, der deutlich von den Lobgesängen im Mund und dem Schwert in der Hand spricht. Es lässt sich darüber allenfalls sagen, dass die Gegner aufgrund der Gerechtigkeit Gottes zuschanden werden. Ein aktives Vorgehen gegen die Zion-Hasser präsentiert die Apostrophe nicht. Zu den Frommen und ihrer richtenden Funktion nach Ps 149 vgl. M. Leuenberger, Schwert, 639–642. U. Dahmen identifiziert die חסידיםder Psalmenrolle mit der Qumrangemeinde (U. Dahmen, Psalmen- und Psalterrezeption, 310).
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über den ganzen Erdkreis ()ע. Der Text der Apostrophe knüpft hier an Mal 3,4 an: „Dann ist süß für Jhwh das Opfer Judas und Jerusalems.“ Während Maleachi noch von Opfern spricht, wendet die Apostrophe den süßen Duft auf den Lobpreis an. Das unterstreicht noch einmal, dass für die Apostrophe kultische Erwägungen im Sinne von Opferkult keine Rolle spielen.49 Wichtiger für unseren Zusammenhang ist aber die Übersetzung der Konsonanten תבל. In der Regel werden sie mit Erdkreis ( )ֵּתֵבלübersetzt50. M. Mishor schlägt hingegen „ ֶּתֶבלGewürz“ vor, wie es im Mischna-Hebräisch verwendet ist. Er liest: „Your praise, O Zion, is more pleasing to the nose than any spice.“51 M. Morgenstern geht davon aus, dass der Verfasser der Apostrophe womöglich bewusst einen mehrdeutigen Terminus gewählt hat. „On the one hand, Jerusalem’s praises are sweeter than any spice; on the other, its praises are sweeter than the entire world“.52 Diese Ambivalenz, die mit der Wahl von תבלmöglich ist, will ich gern unterstreichen, denn damit wird die Weltperspektive, die allein an dieser Stelle in den Text eingebracht wird, weiter abgeschwächt. Während u. a. nach Jes 60,5.10–12 und Ps 45,12 die Nationen kommen, um Zion zu huldigen, bleibt der Text ganz bei Zion. Auch der Segen, der nach Ps 128,5; 133,3; 134,3 von Zion ausgeht in die Welt, wird hier nahezu statisch präsentiert. Es ist ein Segen, der zuallererst Zion und ihren Bewohnern zugute kommt.
3.4.
Bedeutung der Apostrophe für Zion und Psalmen
Welche Perspektive auf Zion trägt die Apostrophe in den Psalter ein? Kurz gesagt: die prophetische Sichtweise. Doch was heißt das? Es ist ein anderer Umgang mit dem Schicksal Zions, als ihn die Psalmen kennen. Während die Psalmen grundsätzlich von der Strahlkraft Zions sprechen, von seiner/ihrer Hoheit und Schönheit, von der Gegenwart Gottes in und auf dem Zion, ist in der prophetischen Rede deutlich mehr Raum dafür, der Sehnsucht Ausdruck zu geben, einer Sehnsucht, die aus dem Bild Zions in prophetischen Träumen und Visionen und der dahinter zurückbleibenden Wirklichkeit entspringt. Nun ist der Vollständigkeit halber hinzuzufügen, dass es auch im biblischen Psalter, wie u. a. an Ps 102 gesehen, diese Ausdrucksformen gibt, wie auch die Propheten die Hoheit und Schönheit Zions preisen können. 49 Gedanken zu Ersatz von Opfer durch Lobpreis vgl. Damascus Document (CD 11:21) oder Gemeinderegel 1QS ix4–5. 50 Vgl. J.A. Sanders, Dead Sea, 77; L.H. Schiffman, Apostrophe, 20; H. Eshel / J. Strugnell, Acrostics, 452. 51 M. Mishor, Notes, 123. 52 M. Morgenstern, Apostrophe, 191.
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Die Verbindung der Frau Zion mit ihrem König Jhwh, wie sie in Jesaja so zentral ist, wird in der Psalmenrolle durch die Zusammenstellung der Texte vorgenommen. Auf die Apostrophe folgt Ps 93, der Jhwh als König und die Heiligkeit seines Hauses preist. Schließlich ist noch zu erwähnen, dass die David’s Compositions (11QPsa 27:2– 11) auch das prophetische Element für Davids Psalmendichtung hervorheben.53 In der Apostrophe erhält es in ausführlicher Form seinen Platz im Psalter und streicht sogleich die Aufgabe der Prophetie an und für Zion heraus.
4.
Tradenten
Was lässt sich nun über die Trägerkreise dieser Texte sagen? Gelesen wurden die Beispieltexte, allesamt Psalmen, vor dem Hintergrund prophetischer Traditionen. Es hat sich gezeigt, dass die prophetischen Texte bekannt waren54 und, so könnte man es im Hinblick auf Ps 45 sagen, überhaupt erst den Schlüssel für das Verständnis des Textes bieten. Weitgehende Schlüsse lassen sich aufgrund der Lektüre von nur drei Texten kaum ziehen. Einige Beobachtungen möchte ich jedoch noch einmal herausstreichen: Auffällig ist die besondere Bindung der Knechte und der Armen an Zion (Ps 102).55 In der Apostrophe sind es verschiedene Gruppen, die ihren Anteil an der Zukunft Zions haben. Sie stehen in Opposition zu den Zion-Hassern. Es lassen sich folglich in den späten Texten Tendenzen finden, die verstärkt den Beitrag einzelner Gruppen, seien es die Frommen, die Reinen oder die Propheten, für den Wiederaufbau Zions, für das Erlangen von Heil und Frieden, benennen. Sie genauer zu identifizieren, wäre anhand der gewählten Beispieltexte schwierig. Dennoch scheinen sich Schwerpunkte zu verschieben, von den Knechten und den Armen, wie sie im Psalter auch im Hinblick auf Zion eine Rolle spielen, zu den Reinen und Gerechten der Apostrophe.
53 Demnach war es das Ziel der Davids Compositions „to enhance the status of David in areas – wisdom and prophecy – that were not sufficiently documented or detailed in the biblical portraits of the king“ ( J.C. VanderKam, Compositions, 218); vgl. auch M. Leuenberger, Aufbau. 54 Was O.H. Steck über die Tradenten Jesajas sagen kann, gilt auch hier. Wir müssen an Gruppierungen mit einer intensiven Lese-, Lehr- und Lernkultur denken, an einen „engen Kreis professioneller Tradenten, die das prophetisch-literarische Textgut in der Abfolge auswendig beherrschen und in diesem Wissen redaktionelle Bezugnahmen herstellen und rezipieren können. Um abgesonderte Konventikel prophetischer Schriftgelehrsamkeit handelt es sich dabei aber offenbar nicht“ (O.H. Steck, Studien zu Tritojesaja, 275). 55 Vgl. Ps 14,6–7 denn die Hilfe für den עניkommt aus Zion, von Jhwh; Ps 69,33–37; Ps 102,15.29.
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Einen Aspekt möchte ich zudem festhalten, und der ergibt sich aus der Lektüre der Apostrophe. Handelt es sich bei Jes 62,6 (bzw. 62,1–7) und Ps 137,5–6 um Referenztexte für die zentrale, den Text rahmende Aussage, dass Gedenken Segnen ist, dann werden darüber Propheten und Sänger verbunden. Dann bedeutet schriftgelehrte Psalmenkomposition, wie sie auch mit der Apostrophe angewendet wurde, die gemeinsame Aufgabe der Propheten und Sänger fortzuführen.56
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Eine „Armenredaktion“ im 1. Davidpsalter? Impulse vor dem Hintergrund sozio-ökonomischer Entwicklungen1
1.
Hinführung
In der Einleitung zu ihrem ersten Kommentarband zum Psalmenbuch 19932 gehen F.-L. Hossfeld und E. Zenger von einem sukzessiven Wachstum des 1. Davidpsalters (Ps 3–41) und verschiedenen Redaktionsstufen aus. Näherhin unterscheiden sie einzelne „(spät)vorexilische“3 Psalmen und drei Redaktionsstufen. „Einzelne in (spät)vorexilischer Zeit unabhängig voneinander entstandene Bitt-, Klageund Dankgebete (Ps 3–4 11–14 17 18 20 21 22 26–28 30–31 35 38 41, jeweils in ihrer ‚Grundfassung‘) sind in spätexilischer/frühnachexilischer Zeit von einer Redaktion erweitert und unter Einbeziehung weiterer vorexilischer oder exilischer bzw. teilweise von der Redaktion geschaffener Psalmen (Ps 8 15 24 29 32 36) zu den vier Teilsammlungen 3–14 (noch ohne 9/10) 15–24 (noch ohne 16 19 und 23) 26–32 und 35–41 (noch ohne 37 39 40) zusammengestellt worden. […] Eine nachexilische Redaktion im Geiste der ‚Armenfrömmigkeit‘ […], die im 5.–4. Jh. anzusiedeln ist, zieht die Linien der formativen exilisch-frühnachexilischen Komposition weiter aus, einerseits durch Integration weiterer Psalmen (16 19 23 25 33 34 37 39 40) und andererseits durch ‚Fortschreibung‘ der übrigen Psalmen.“4
1 Der vorliegende Aufsatz steht im Zusammenhang mit dem Status des Verfassers als research associate am Department of Old Testament Studies der University of Pretoria, Pretoria, Südafrika. 2 Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 5–27. 3 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 14. 4 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 14–15. Vgl. auch: F.-L. Hossfeld / E. Zenger, „Selig, wer auf die Armen achtet“, 49–50. 1992 haben F.-L. Hossfeld und E. Zenger in einem gemeinsamen Aufsatz die in ihrem ein Jahr später erschienenen Kommentar postulierten drei Redaktionsstufen an den beiden Gruppen Ps 3–14 und 35–41 expliziter aufgezeigt, vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, „Selig, wer auf die Armen achtet“. Zu Bezügen des 1. Davidpsalters Ps 3–41 zum 2. Davidpsalter Ps 51–71.72, näherhin ihrer Schlüsse Ps 35–41; 69–71.72 vgl. die Ausführungen in F.-L. Hossfeld, Davidsammlungen, 64–71.
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Johannes Bremer
Eine dritte Redaktion, die sie in der hellenistischen Zeit verorten, sei u. a. in der Einfügung der Psalmen 9–10 „greifbar“5. Sowohl die „(spät)vorexilische[n]“ Psalmen als auch alle drei Redaktionsstufen sehen sie dabei als armentheologisch geprägt an. So formulieren sie für die Zusammenstellung der ersten von ihnen angenommenen Redaktion: „In diesem spätexilischen/frühnachexilischen Kompendium von ‚Laiengebeten‘ artikuliert sich das Gruppenbewusstsein von Armen und Verfolgten, die gleichwohl als ‚Gerechte‘ leben wollen. Ihre unterschiedlichen Notsituationen werden nüchtern wahrgenommen und in ihren Ursachen benannt (Verfolgung, Armut als Folge gesellschaftlicher Zerklüftung und Unterdrückung, Rechtsnot durch Verleumdung, Falschanklage und Rechtsbeugung, Machtbesessenheit und Brutalität von Mächtigen und Reichen, Krankheit, eigene Sünden).“6
Das Anliegen der zweiten Redaktion sei es „in den Psalmenbetern die typischen Armen als Vertreter des angefeindeten und angefochtenen ‚wahren Israel‘ zu sehen, die aufgrund der beiderseitigen engen Beziehungen zwischen JHWH und ‚den gerechten Knechten JHWHs‘ den Feinden im Gottesvolk Widerstand leisten können, weil sie wissen, daß JHWH und seine Weltordnung […] sich durchsetzen werden.“7
Die sich durch die Zufügung des stark armentheologischen Doppelpsalms 9/10 auszeichnende dritte Redaktion habe den „Begriff der Armen (einschließlich Synonyma) so ausgeweitet, daß damit Israel als Ganzes in seiner Bedrohung von innen und vor allem von außen bezeichnet wird“8.
Ihre Position ist im Jahre 2002 von A.T. Kuckhoff „neu systematisiert und mit Forschungen der letzten zehn Jahre [seit 1993 – J.B.] in Beziehung gesetzt“9 worden. A.T. Kuckhoff übernimmt die Gliederung des 1. Davidpsalters in die vier Gruppen Ps 3–14; 15–24; 25–34; 35–41. Auch er unterscheidet drei Redaktionsstufen:
5 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 15. 6 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 14. Zur direkten Kritik am redaktionsgeschichtlichen Entwurf von F.-L. Hossfeld und E. Zenger vgl. die Diskussion in BI 4/3 (1996), näherhin die Ausführungen M. Millards (vgl. M. Millard, Psalmenexegese, 311–328) vor dem Hintergrund seiner Monographie (M. Millard, Komposition) sowie die Anfragen R. Rendtorffs nach der Lektüre M. Millards (vgl. R. Rendtorff, Anfragen, 329–331) und die Antworten auf M. Millard und R. Rendtorff seitens F.-L. Hossfelds und E. Zengers (vgl. F.-L. Hossfeld/ E. Zenger, Wege, 332–343) sowie wiederum M. Millards Replik auf F.-L. Hossfeld und E. Zenger (vgl. M. Millard, Respons, 344–345). 7 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 14–15. 8 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 15. 9 A.T. Kuckhoff, Werden, 95.
Eine „Armenredaktion“ im 1. Davidpsalter?
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„Als früheste Redaktion lässt sich eine deuteronomistisch geprägte Redaktion annehmen. […] Schon sie legt ein besonderes Gewicht auf die Perspektive der Entrechteten Israels und steht deswegen sicherlich nicht der Oberschicht nahe; […].“10
Er vermeidet die Bezeichnung „Armenredaktion“, räumt der Redaktion hingegen ein Anliegen für die Unterdrückten ein. „Die zweite Redaktionsschicht ist die weisheitlich geprägte Armenredaktion aus nachexilischer Zeit. […] Menschen, die den Entrechteten nahe stehen und in ihnen das wahre Israel verwirklicht sehen, nahmen die ihnen vorliegende Sammlung aus exilischer Zeit auf und trugen durch bewusst redaktionell gesetzte Einfügungen von Psalmen und Versen ihre in neuer Situation entstandene Theologie ein.“11
Eine dritte Redaktion hat einen übergreifenden kompositorischen Zusammenhang geschaffen, aber auch noch einmal in Ps 3–41 eingegriffen: „Auch diese Beter, die sich in dieser Redaktion Ausdruck verschaffen, sehen sich in einer bedrängten Situation.“12 In seinem redaktionskritischen Entwurf in der „Einleitung in das Alte Testament“ geht E. Zenger selbst von alten armentheologischen Psalmen im 6. Jahrhundert aus („Teilsammlungen individueller Klage-, Bitt- und Dankgebete: Ps 3– 14 [ohne 9/10].15–24 [ohne 16 19 23].26–32.35–41 [ohne 37 39 40]“13) und rechnet danach mit einer Armenredaktion im 6./5. Jahrhundert und einer Endredaktion im 2. Jahrhundert (Schluss-Hallel, Halleluja-Redaktion), die armentheologische Akzente setzte.14 Die Endredaktion vermutet er im Milieu weisheitlich inspirierter levitischer Tempelsänger: „Die unverkennbare Nähe gerade der jüngsten Teile des Psalmenbuchs zur späten Weisheit und die Betonung der (Tempel-)Musik machen es wahrscheinlich, dass der Psalter seine Endgestalt im Milieu der weisheitlich inspirierten levitischen Tempelsängerschaft (vgl. 1 Chr 16,4f; 2 Chr 7,6; 29,30) erhalten hat, die in Distanz zur priesterlichen Tempelaristokratie stand und mit ihrer Verbindung von Tora-Weisheit, prophetischer Eschatologie und ‚Armenfrömmigkeit‘ den Psalter als ein Volksbuch für Laien ausgestaltete und verbreitete, die als Kurzfassung von Tora und Nebiim gelesen, gelernt und gelebt werden konnte.“15
Im vorliegenden Beitrag soll nunmehr die Frage nach einer „Armenredaktion“ des 1. Davidpsalters neu angegangen werden. Vermag auf die redaktionelle Arbeit eines Trägerkreises armentheologischer Ausrichtung geschlossen werden? Inwieweit kann einem Trägerkreis des 1. Davidpsalters eine besondere armen10 11 12 13 14 15
A.T. Kuckhoff, Werden, 95. A.T. Kuckhoff, Werden, 95–96. A.T. Kuckhoff, Werden, 96. E. Zenger, Buch der Psalmen, 448. Vgl. E. Zenger, Buch der Psalmen, 447–450. Vgl. E. Zenger, Buch der Psalmen, 451.
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theologische Ausrichtung zugesprochen werden? Attribute welcher Art ließen sich einem solchen Trägerkreis näherhin zuordnen? 16
2.
Zur armentheologischen Akzentuierung des 1. Davidpsalters
Impulse für die Beantwortung der Frage nach Trägerkreisen setzen die Untersuchung der armentheologischen Akzentuierung der Psalmen voraus. Daher werden nachfolgend zur Beantwortung der gestellten Fragen die armentheologischen Akzentuierungen des 1. Davidpsalter betrachtet. Hierzu werden zunächst formale Aspekte und allgemeine Kennzeichen herausgestellt; im Anschluss werden Blicke auf die armentheologisch geprägten Psalmen17 selbst geworfen, bevor auf dieser Grundlage armentheologische Dynamiken herausgearbeitet und in den zeithistorischen Kontext gestellt werden. Einbezogen werden Daten der Bibelwissenschaft, der Archäologie und der Numismatik.18 Auf diese Weise können drei Impulse zur Trägerkreisfrage des 1. Davidpsalters gegeben werden.
16 Der Analyse vorgestellt sei eine Vorbemerkung: Wenn in diesem Artikel von einer „Armenredaktion“ die Rede ist, wird nach einem Trägerkreis als Verfasser-/Redaktorengruppe gefragt. Inwieweit hierunter näherhin eine einzelne Gruppe, ggf. gleich ausgerichtete, sich ergänzende Gruppen oder nur eine Einzelperson verstanden werden, entzieht sich jedweder Beschäftigung, die am zu betrachtenden Textbestand selbst ansetzt. Soweit der nähere Kontext hier keine weiterführende Annahme zulässt, wird die Fragen des Singular oder Plural inkludierend zu Gunsten der flüssigeren Lesbarkeit von „Trägerkreis“ oder „Trägergruppe“ gesprochen. 17 Die explizite Bestimmung eines armentheologisch geprägten Psalms fällt schwer. Was macht eine solche Prägung aus? Was macht einen Psalm zu einem „Armenpsalm“? Antworten auf diese Fragen können (1.) semantisch („Ein Psalm ist als ‚Armenpsalm‘ zu bezeichnen, wenn er ‚Armut‘ oder ‚Arme‘ als Begriff nennt.“), (2.) thematisch („Ein Psalm ist ein ‚Armenpsalm‘, wenn er ‚Armut‘ oder ‚Arme‘ thematisiert“) oder (3.) soziologisch („Ein Psalm ist als ‚Armenpsalm‘ zu bezeichnen, wenn die Personenkonstellation ‚Beter – JHWH – Feind‘ zur Konstellation ‚Beter – JHWH – Feind – Armer‘ erweitert wird“) ansetzen; vgl. zu Diskussion und Kritik J. Bremer, Gott, 317–334. Zum erstgenannten Definitionsvorschlag vgl. insb. auch G.J. Botterweck, Art. ֶאְביוֹן, 31; U. Berges / R. Hoppe, Arm, 11; zum letztgenannten Definitionsvorschlag vgl. auch F.-L. Hossfeld, Profile, 66; B. Janowski, Konfliktgespräche, 56– 60. Im weiteren Verlauf werden auf Grundlage dieser Definitionsvorschläge Ps 4; 9/10; 12; 14; 18; 22; (24;) 25; 31; 34; 35; 37; 40/41 als armentheologisch geprägte Psalmen angesehen. 18 Die nachfolgenden Ausführungen stehen insofern in enger Konversation mit meiner eingehenderen Beschäftigung mit der Armentheologie der Psalmen und der Frage ihrer möglichen sozio-ökonomischen Grundlage in meiner jüngst erschienenen Dissertationsschrift „Wo Gott sich auf die Armen einlässt“, vgl. J. Bremer, Gott, 317–334.335–367.411–429.
Eine „Armenredaktion“ im 1. Davidpsalter?
2.1
185
Formale Aspekte
Hält man entgegen der Kritik M. Millards und R. Rendtorffs19 an der o.g. formalen Einteilung F.-L. Hossfelds und E. Zengers in die vier Gruppen Ps 3–14; 15– 24; 25–34; 35–41 fest, ist auffällig, dass jede Gruppe mit einem armentheologisch geprägten Psalm schließt: Für Ps 14, der alleine durch V.6 eine armentheologische Ausrichtung erhält, ist aufgrund fehlender Bezüge zu V.1–5.7 von einer sekundären Zufügung auszugehen.20 Ps 24 ist dabei nur bedingt unter Bezugnahme auf LXX als armentheologisch anzusehen.21 Für die dritte und vierte Gruppe gilt, dass nicht nur von armentheologischen Schlüssen auszugehen, sondern eine Rahmung durch Ps 25 und 34 sowie Ps 35 und 40/41 ersichtlich ist.22 Darüber hinaus beobachtet S. Gillingham eine strategische Position der „Armenpsalmen“ in unmittelbaren Verbindungen mit „royal psalms“.23
2.2
Allgemeine Kennzeichen
Der 1. Davidpsalter weist – bis auf den Doppelpsalm 9/10 – eine starke Häufung der Bezeichnung der Armen mit von ענחII („elend sein“) gebildeten Formen auf.24 Wenn sich nur in der vierten Gruppe Ps 35–40/41 die Wendung ָענִי ְוֶאְביוֹן („elend und bedürftig“) in Ps 35,10; 37,14; 40,18 sowie in Ps 40,2 der Terminus ָדּל („Hilfloser“) und auch die Nennung der personae miserae findet, deutet sich eine differenzierte Ausrichtung der Armentheologie der vierten gegenüber den ersten drei Gruppen an. Dazu treten Selbstbezeichnungen des Beters als „arm“ – erneut bis auf Ps 9/10 – nur in Ps 25,16.18; 31,8 und 40,18 auf. Jenseits dieser Selbstbezeichnungen weisen alle Psalmen eine auffallende solidarische Nähe des Beters zu den „Armen“ auf. Er solidarisiert sich mit ihnen, sich ihrer „In-Group“ zuzählend.25
19 Vgl. zur Diskussion insb. die Auseinandersetzung zw. M. Millard, R. Rendtorff mit F.L. Hossfeld und E. Zenger, vgl. oben Anm. 6. 20 Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 100; u. a. 21 Vgl. zur Diskussion J. Bremer, Gott, 350. 22 Vgl. J. Bremer, Gott, 411–412. 23 Vgl. u. a. S. Gillingham, The Levitical Singers and the Compilation of the Psalter, im vorliegenden Band: 35–59. 24 Vgl. Ps 12,6; 14,6; 22,25.27; 25,9.16; 34,3.7; 35,10; 37,11.14; 40,18; Ps 18,28 spricht vom ַעם־ָענִי („elenden Volk“); in Ps 25,18; 31,8 ist vom „( ֳענִיElend“) die Rede. 25 Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Selig, 23–26.49–51; F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1– 50, 14–15; J. Bremer, Gott, 412–413.
186
Johannes Bremer
2.3
Einzelbetrachtungen
a)
Die Gruppe Ps 3–14
Als erster armentheologischer Psalm ist Ps 4 anzusehen. Hier können jenseits des in Abschnitt 2.2 für alle Davidpsalmen herausgestellten engen Vertrauensverhältnisses zu den „Armen“, die in Ps 4 nicht im Begriff genannt werden, zwei Beobachtungen festgehalten werden: (1.) Es ist keinerlei kultisches Ansinnen des Beters,26 sondern das Interesse an einem gerechten sozialen Miteinander zu erkennen; (2.) der Beter befindet sich in einer konkreten und realen persönlichen Bedrohung.27 Dies kann auch für Ps 12 ausgesagt werden. Nach der in V.6 beschriebenen prophetischen Rede JHWHs28 will dieser wegen der gewalttätigen Behandlung der Elenden (ֲענִיִּים, V.6a) und des Stöhnens der Bedrängten (ֶאְביוֹנִים, V.6a) aufzustehen, was auf das Motiv des Richtens Gottes sowie der Rettung durch Gott verweist. Diese Motive werden als JHWHs primäre Wesenseigenschaft dargestellt.29 Beide Psalmen – Ps 4 wie Ps 12 – können begründet in die vorexilische Zeit datiert werden.30 Der Doppelpsalm 9/1031 nimmt ob seiner starken armentheologischen Ausrichtung eine Sonderstellung innerhalb der Gruppe der Ps 3–1432 und des gesamten 1. Davidpsalters ein. Zum einen ist formal die singuläre Kumulation von Armentermini zu beobachten;33 zum anderen hebt sich 26 Vgl. hierzu Anm. 94. 27 Vgl. M. Dahood, Psalms 1–50, 23; H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 169–170 (mit Verweis auf ägyptische Parallelen); P.C. Craigie, Psalms 1–50, 80 (mit Verweis auf Ps 62,9); E. Zenger, „Gib mir Antwort, Gott meiner Gerechtigkeit“, 388.394; F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 59.60; B. Weber, Werkbuch Psalmen I, 60; W. Brueggemann / W.H. Bellinger, Jr., Psalms, 40; dagegen etwa P. Casetti, Leben, 261–269; dazu auch M. Oeming, Psalmen 1–41, 68; J. Bremer, Gott, 336–338. 28 Vgl. P.C. Craigie, Psalms 1–50, 137; u. a. Zum Verständnis prophetischer Gottesrede in Ps 12 vgl. A. Doeker, Funktion, 123–135. 29 Vgl. J. Bremer, Gott, 343–346. 30 Mit F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 59.92–93. 31 Für das Lesen als Doppelpsalm sprechen (1.) seine Form des Akrostichons, wobei Ps 10,1–11 von der Form des Akristichons abweichen, (2.) die fehlende Überschrift von Ps 10 sowie (3.) Ähnlichkeiten in Form und Stil. Zur Lesart als Doppelpsalm vgl. etwa R. Gordis, Psalm 9/10, 104–110; P.C. Craigie, Psalms 1–50, 116–117; F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 81; M. Oeming, Psalmen 1–41, 90; B. Weber, Werkbuch Psalmen I, 79; H.-J. Kraus, Psalmen 1– 59, 218; P.D. Miller, Ruler, 189; F. Hartenstein, „Schaffe mir Recht, JHWH!“ 253–258; W. Brueggemann / W.H. Bellinger, Jr., Psalms, 63; sowie die Einzeluntersuchungen W. Brueggemann, Psalms 9–10; N. Füglister, „Hoffnung“; detailliert: D. Sager, Polyphonie, 23–40.128–129. Psalm 9 und 10 getrennt liest G. Barbiero, vgl. G. Barbiero, Psalmenbuch, 88–114.114–140. 32 Vgl. hierzu vgl. F. Hartenstein, „Schaffe mir Recht, JHWH!“, 253–258. 33 Hierzu zählen siebenmal ָענִיbzw. „( ֲענָוִיםElender“/„Elende“, Ps 9,13.19; 10,2.9[2mal].12.17) und einmal „( ֳענִיElend“, Ps 9,14), die innerhalb des Psalters nur in Ps 9/10 vorkommende Bezeichnung ֵחְלָכהbzw. „( ֵחְל ָכִּאיםSchwacher“, Ps 10,8.10.14), „( ַדְּךZerschlagener“, Ps 9,10; 10,18), „( ֶאְביוֹןBedürftiger“, Ps 9,19 parallel zu – ֲענָוִיםder Doppelausdruck „[ ָענִי ְוֶאְביוֹelend und
Eine „Armenredaktion“ im 1. Davidpsalter?
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die Qualität der Armentheologie von den übrigen Psalmen des 1. Davidpsalters ab, was in der Forschung durchweg zu einer Spätdatierung des Psalms in die hellenistische Zeit führt.34 Im Doppelpsalm bittet der verhasste (שׂנא, Ps 9,14) Beter, von den Toren des Todes emporgehoben zu werden (V.14), damit er alles Lob JHWHs in den Toren der Tochter Zion verkünde und sich über JHWHs Rettung freue (V.15). Inwieweit diese Rettung bereits erfolgt ist (so die Position H.-J. Kraus35) oder noch aussteht (nach F.-L. Hossfeld36) geht aus dem Psalm nicht eindeutig hervor.37 Stark gemacht wird ab V.5 das Motiv des Recht Führens und Recht Sprechens JHWHs. Auch hier changiert, ob bereits Gericht gesprochen wurde oder dies noch aussteht.38 JHWHs Handeln und Zugewandtsein gegenüber den „( ֲענִיִּיםElende“) dient zur Begründung des Lobaufrufs des Beters. Der Frevler wie alle Völker, die JHWH vergessen, mögen hingegen vernichtet werden. Das Lob des Beters, JHWHs Richten und die Rettung der Armen hängen eng zusammen.39 Für Ps 14 ist ob der inneren Geschlossenheit der V.1–5 (abgesehen von der Psalmenüberschirift in V.1) eine sekundäre armentheologische Zufügung durch V.6 zu vermuten.40
b)
Die Gruppe Ps 15–24
Die armentheologische Ausrichtung von Ps 18 grenzt sich von der der weiteren armentheologischen Psalmen ab, da hier vom „( ַעם־ָענִיelenden Volk“) die Rede ist. Die in V.28 geschilderte Wechselwirkung des Errettens des elenden Volkes (V.28a) und des Erniedrigens hochmütiger Augen (V.28b) verweist auf das sog. Revolutionsmotiv41, in dem sich JHWH als die Weltordnung verkehrender potenter Retter erweist (vgl. den Gebrauch von ישׁעim Hif ’il).42 Mit K.-P. Adam
34 35 36 37 38 39 40 41 42
bedürftig“] kommt nicht vor) sowie die Nennung des zu den personae miserae zählenden יָתוֹם („Waiser“, Ps 10,14.18). Als Referenz sei auf sämtliche in Anm. 31 Genannten verwiesen. Vgl. H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 223. Vgl. F.-L. Hossfeld/E. Zenger, Psalmen 1–50, 86–87. V.14–15 ist kein Hinweis auf eine bereits vollzogene Rettung zu entnehmen; sieht man aber das Lob des Beters in V.2–4 als Erweis der Rettung an, hat diese Rettung schon stattgefunden. Vgl. in diesem Zusammenhang insb. F. Hartenstein, „Schaffe mir Recht, JHWH!“, 253–258. Vgl. zur eingehenderen Auseinandersetzung J. Bremer, Gott, 339–343. Es ist dies ebenso für die Zionsperspektive in V.7 anzunehmen, vgl. dazu auch F.-L. Hossfeld/E. Zenger, Psalmen 1–50, 92–93. Das „Revolutionsmotiv“ geht von einer Verkehrung gesellschaftlicher Strukturen aus, die im Psalm beschrieben werden. Vgl. A. Weiser, Psalmen, 125–135; F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 126–128; M. Dahood, Psalms 1–50, 104–119; P.C. Craigie, Psalms 1–50, 127–177; B. Weber, Werkbuch Psalmen I, 107–109; M. Oeming, Psalmen 1–41, 124–130; W. Brueggemann / W.H. Bellinger, Jr., Psalms, 96–99; J. Bremer, Gott, 347–348.
188
Johannes Bremer
kann V.28 als Teil einer Fortschreibung V.21–32 angesehen werden.43 In Ps 22 erfolgt die armentheologische Aussage im Anschluss an den Lobaufruf des Beters in V.24. Ähnlich Ps 12 wird hier JHWHs Zuwendung zum Elenden als seine erste Wesenseigenschaft beschrieben. Während sich die Empathie JHWHs in Ps 12,6 im Aufstehen – und damit in der Andeutung des Gerichtsmotivs – zeigte und der Psalm auf einen Kontext körperlicher Gewalt verwies, ist es hier das Nichtverachten und Nichtverabscheuen des „Elends des Elenden“ (ֱענוּת ָענִי, V.25a) und JHWHs wahrnehmendes Hören, wenn dieser schreit (V.25b). Verbunden wird dies mit dem Motiv des Essens und Sättigens der Elenden (ֲענָוִים, V.27), welches sich innerhalb der „Armenpsalmen“ ähnlich nur noch in Ps 132 findet.44 Die schwierige armentheologische Interpretation von Ps 24, die nicht ohne weiteres und nur unter Bezugnahme auf LXX möglich erscheint, wurde in Abschnitt 2.1 angemerkt. c)
Die Gruppe Ps 25–34
Wie die vierte Gruppe Ps 35–40/41 wird die Gruppe Ps 25–34 durch zwei Psalmen mit armentheologischer Aussage – Ps 25 und 34 – gerahmt (vgl. Abschnitt 2.1). Beide Psalmen sind Akrostichoi, bei denen jeweils der der ו-Vers fehlt, und am Ende ein פ-Vers sich ergänzt findet.45 Wie Ps 34 ist Ps 25 weisheitlich konnotiert. Erstmals bezeichnet sich hier der Beter selbst als „elend“ ()ָענִי, wobei neben der Bedrängnissituation des Beters durch seine Feinde seine individuelle Schuld betont wird und nicht von einer materiell-sozialen Armut des Beters auszugehen ist. Für ihn können die Adjektive „nachdenklich“ und „reflektiert“ gefunden werden.46 Dies gilt in analoger Weise nicht vom Beter des 31. Psalms, der von seinem eigenen „Elend“ (ָענְיִי, V.8) spricht. Die hier geschilderten Notsituationen des Beters selbst werden sehr konkret geschildert;47 die Breite der Darstellung lässt Anfragen an eine tatsächliche Bedrohungen stellen und an paradigmatische Schilderungen denken, die historischen Verortungen entbehren.48 Auf die weisheitliche Konnotation von Ps 34 wurde in Bezug auf den ihm formal ähnlichen Ps 25 verwiesen. Anders als in diesem kommt es in Ps 34 nicht zu einer Selbst43 Vgl. K.-P. Adam, Held, 133. 44 Vgl. J. Bremer, Gott, 414–415. 45 Dazu tritt das wortgleich Beginnen in Ps 25,12 und 34,13; Ps 25,15 und 34,16; Ps 25,16 und 34,17; sowie Ps 25,22 und 34,23; vgl. dazu auch den Überblick in: F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 13. 46 Vgl. J. Bremer, Gott, 351–352. 47 F.-L. Hossfeld spricht bei seiner Kommentierung gar von einem „Kompendium mehrerer konkreter Nöte“, F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 191; vgl. auch B. Weber, Werkbuch Psalmen I, 155. 48 Vgl. M. Oeming, Psalmen 1–41, 183; W. Brueggemann / W.H. Bellinger, Jr., Psalms, 157; J. Bremer, Gott, 352–353.
Eine „Armenredaktion“ im 1. Davidpsalter?
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bezeichnung des Beters mit einem Armenterminus; seine Nähe zu und Solidarität mit den Armen („In-Group“) wird gleichsam deutlich zum Ausdruck gebracht.49 Unverkennbar tritt in Ps 34 das sog. Rettungsmotiv nach V.5.7 auf (vgl. die Verwendung der Verbwurzeln [ נצלHif ’il, V.5] und [ ישׁעHif ’il, V.7]).50 Indem es in Ps 34 nicht nur um die Rettung nach V.5.7 geht, sondern auch um das Darben und Hungern der Junglöwen ( ְכִּפיִרים ָרשׁוּ ְוָרֵעבוּ, V.11a, LXX übersetzt hier mit πλούσιοι [„Reiche“]) während die, die JHWH suchen, kein Gut entbehren, kommt an dieser Stelle erstmals nach Ps 18, wo es um das „( ַעם־ָענִיelendes Volk“) ging, auch das sog. Revolutionsmotiv zum Ausdruck.51
d)
Die Gruppe Ps 35–41
Wie Ps 18 und 34, zu dem er als unmittelbarer Nachfolgepsalm inhaltliche und semantische Bezüge aufweist, zeigt Ps 35 das bereits für die Psalmen 4; 12 und 22 herausgestellte Motiv der Zuwendung zu den „Armen“ als JHWHs erste Wesenseigenschaft verbunden mit dem Motiv der Rettung des „Armen“ durch JHWH (vgl. V.10). Hierzu greift der Verfasser auf das Verb נצלim Hif‘il zurück.52 Bereits angemerkt wurde, dass sich in Ps 35 erstmals der Doppelausdruck ָענִי „( ְוֶאְביוֹןelend und bedürftig“) findet, der im 1. Davidpsalter ausschließlich in der vierten Gruppe in Ps 35,10; 37,14 und 40,18 vorkommt. Ps 37 nennt ebenso wie Ps 35 wieder den Doppelausdruck ָענִי ְוֶאְביוֹן, ist in seiner Theologie aber von Ps 35 gänzlich verschieden. Sein deutlich weisheitlicher Charakter53 korrespondiert eher mit dem weisheilichen Charakter von Ps 25. Beide sind Akrostichoi. Von Ps 25 ist Ps 37 jedoch ansonsten sowohl formal als auch inhaltlich unterschieden. Hier treffen drei Strömungen aufeinander: (1.) die Überzeugung des Beters vom Tun-Ergehen-Zusammenhang, (2.) die schützende und tröstende Gottesunmittelbarkeit des Beters als Lebensschüler Gottes und (3.) die Land49 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 213; vgl. auch P.J. Botha, Setting, 184–193. 50 Vgl. dazu H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 419; J. Bremer, Gott, 353–356. 51 Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 212; W. Brueggemann / W.H. Bellinger, Jr., Psalms, 169. Vgl. auch P.J. Botha, Psalm 34, 72–75. In seiner armentheologischen Konnotation erinnert dies an Psalmen außerhalb des 1. Davidpsalters in Ps 72; 147; 149 und außerhalb des Psalters etwa im sog. Hannalied 1Sam 2,5; vgl. auch Jes 35,13; Lk 1,53 u. a. 52 Vgl. hierzu meine Ausführungen in J. Bremer, Gott, 356–358. Vgl. zum Verständnis der Armentheologie in Ps 35 darüber hinaus auch H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 427; P.C. Craigie, Psalms 1–50, 285–286; F.-L. Hossfeld/E. Zenger, Psalmen 1–50, 216; M. Oeming, Psalmen 1–41, 199–200; W. Brueggemann / W.H. Bellinger Jr., Psalms, 174. Zur Bedeutung der Verbwurzel נצלim Kontext der Armentheologie des Psalters sei verwiesen auf meine Ausführungen in J. Bremer, „Doch den ֶאְביוֹןhob er aus עוֹנִיempor“. 53 Vgl. zur näheren Auseinandersetzung mit dem Weisheitscharakter von Ps 37 N. Lohfink, Psalm 37, 85–97. Es sei Prof. Dr. N. Lohfink für die zuvorkommende Aushändigung seines Skriptes zur Vorlesung im Wintersemester 1992/93 in St. Georgen herzlichst gedankt. Vgl. auch F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 229; H. Irsigler, Quest, 260–265.
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thematik mit einem Verständnis des Landes als von Gott verheißene Heilsgabe.54 Wenn in die letztgenannte Strömung die „Armen“ innerhalb einer Gruppe von „Guten“ hineingenommen werden, verweist dies in der Auseinandersetzung zwischen „Guten“ und „Bösen“ auf einen innerisraelischen Konflikt (vgl. V.14– 15).55 Für die Auseinandersetzung zwischen den „Elenden und Armen“ und den Frevlern in V.14–15 ist hier auch das sog. Revolutionsmotiv zu beobachten.56 Von einem sozial-materiellen Verständnis der „Elenden und Bedürftigen“ ist in dem weisheilichen Ps 37 dabei abzusehen. Dies gilt ebenso für die Selbstcharakterisierung des Beters als ָענִי ְוֶאְביוֹןin Ps 40 (siehe V.18). Die Zeichnung einer konkreten Bedrohung in Ps 40,16 tritt gegenüber der Schilderung der „moralische[n] Integrität“57 des Beters zurück.58 Zu Ps 41 ist das Auftreten des „Armenethos“ nach Ps 41,2 anzumerken, welches erstmals in den Psalmen und ansonsten nur im Halleluja-Psalm 112 auftritt. Es wird der seliggepriesen, der Acht hat auf den ַדּל, d. h. den am unteren Rand der Gesellschaft Stehenden.59 Dies stellt ein doppeltes Indiz dar: (1.) für den einzelnen Adressaten des Psalms, der zum Abgeben von Almosen für andere in der Lage ist oder dem dieses Verhalten als Vorbild gegeben wird, und (2.) für ein Armenethos der Gesellschaft, das der Psalm als Leitbild zeichnet.60 Dies wird durch die Verwendung des Hif‘ils der Wurzel שׂכל unterstrichen.61 Ps 40 und 41 zusammen können mit U. Berges als „Zusammenfassung der Armentheologie des 1. Davidpsalters“62 angesehen werden, die in chiastischer Abfolge die Motive Dank (Ps 40,2–11), Klage (Ps 40,12–18), Lehre (Ps 41,2–4), Klage (Ps 41,5–11), Dank (Ps 41,12–13.14) eines Beters, der sich am
54 Nach F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 229. Vgl. auch U. Berges, Arm, 51. 55 Mit Cl. Sticher, vgl. Cl. Sticher, Rettung, 45. Vgl. darüber hinaus W. Brueggemann / W.H. Bellinger Jr., Psalms, 183–184. 56 Vgl. J. Bremer, Gott, 360. Zur näheren Auseinandersetzung mit der Armentheologie des 37. Psalms vgl. insb. N. Lohfink, Psalm 37, 47–65; Cl. Sticher, Rettung, 33–39; N.C. Tiquillahuanca, Armen, 161–305. 57 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 264. 58 Vgl. meine Ausführungen in J. Bremer, Gott, 362. 59 Die Betrachtung der Armentheologie des Gesamtpsalters weist den ַדּלals den auf, dem es unbedingt zu helfen gilt. Er tritt wie in Ps 41,2 im gesamten Psalmenbuch nicht als Subjekt, sondern stets nur in der Rolle des Objektes auf (vgl. Ps 41,2; 72,13; 82,3.4; 113,7), vgl. H.J. Fabry, Art. ַ ּדל, 211–244; S. Gillingham, Poor, 16; U. Berges / R. Hoppe, Arm, 12–13; J. Bremer, Gott, 322–323. 60 Vgl. N. Lohfink, Armen, 30. Erneut geht Dank an Prof. Dr. N. Lohfink für die freundliche Bereitstellung auch dieses Vorlesungsskriptes. Vgl. ebenso Cl. Sticher, Rettung, 257; F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 239–242. 61 Zur Bedeutung der Wurzel שׂכלin Ps 41 vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 262; N. Lohfink, Armen, 12; M. Oeming, Psalmen 1–41, 223; W. Brueggemann / W.H. Bellinger, Jr., Psalms, 201. 62 U. Berges / R. Hoppe, Arm, 51.
Eine „Armenredaktion“ im 1. Davidpsalter?
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Ende von Ps 40 selbst als „elend und bedürftig“ (ָענִי ְוֶאְביוֹן, Ps 40,18) bezeichnet, aufweist.63
2.4
Armentheologische Dynamiken im 1. Davidpsalter
Die Übersicht zur Armentheologie der Psalmen zeigt eine Reihe von Grundcharakteristika gleichwohl wie Veränderungen innerhalb des 1. Davidpsalters. Als erstes Grundcharakteristikum zeigen alle armentheologischen Akzentuierungen eine auffallende solidarische Nähe des Beters zu den Armen: indem sich der Beter selbst mit einem Armenterminus belegt (Ps 9/10; 25; 31; 40/41) oder sich den Armen implizit zurechnet (Ps 12; 14; 18; 22; 34; 35; 37). Dabei zeigt sich eine deutliche Affinität zum Gebrauch der Bezeichnung mit von ענהII gebildeten Formen. Die Selbstbezeichnungen finden sich – mit Ausnahme des Doppelpsalms 9/10 – nur in der zweiten Hälfte des 1. Davidpsalters. Sozial-materielle Armutsverständnisse wurden hier jeweils zurückgewiesen. In Ps 25 und 40/41 erscheint der Beter nachdenklich-selbstreflektiert und weist sich selbst gegenüber ein hohes Sündenbewusstsein auf. Als zweites Grundcharakteristikum kann auch die Positionierung armentheologischer Akzente an den Schlüssen der vier Gruppen angesehen werden, wobei die Armenperspektive in Ps 14,6 (wie die Zionsperspektive in Ps 14,7) ggf. sekundär zugefügt wurde und Ps 24 nur bedingt bei Hinzuziehung der LXX als armentheologisch konnotiert gelten kann. Auch hier konnten gleichsam Veränderungen wahrgenommen werden: denn die letzten beiden Gruppen haben konstitutive armentheologische Akzente nicht nur an den Schlüssen (Ps 34; 40/ 41), sondern als Rahmungen (Ps 25 und 34; Ps 35 und 40/41).64 Veränderungen zeigen auch die Vorkommen sowohl der Nomen zur Bezeichnung der Armen als auch der Verben zur Beschreibung des Handelns Gottes an den Armen. Ausgenommen dem Doppelpsalm 9/10 kommen fast ausschließlich Termini von ענהII gebildet vor (bis auf Ps 12,6, wo „[ ֲענִיּ ִיםElende“] und „[ ֶאְביוֹנִיםBedürftige“] parallel, doch nicht als Doppelausdruck zu finden sind). Der Doppelausdruck „( ָענִי ְוֶאְביוֹןelend und bedürftig“) findet sich nur in der letzten Gruppe Ps 35–40/41 und zwar dreimal in Ps 35,10; 37,14 und 40,18. Ebenfalls finden sich nur dort die Bezeichnung „( ֵגּרFremder“) als Terminus der personae miserae, hier allerdings nicht in armentheologischer Konnotation. Zudem nennt Ps 41 den ַדּלals Objekt der Fürsorge, als „Hilfloser“ verstanden, 63 Vgl. U. Berges / R. Hoppe, Arm, 51–52. Zur Verkettung von Ps 40 und 41 vgl. insb. G. Barbiero, Psalmenbuch, 613–628. 64 Vgl. oben zu 2.1.
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Johannes Bremer
womit eine ausgeprägtere materielle Konnotation von Armut verbunden wird.65 Gottes Handeln an diesen „Armen“ wird mit verschiedenen Verben wiedergegeben: es reicht von einem reinen Wahnnehmen der Nöte des und der „Armen“66 über ein aktives, in Aktion tretendes Zugewandtsein,67 explizit zum Ausdruck gebrachter Rechtshilfe68 bis zu einer konkreten Rettung aus ihren Nöten, wozu vorwiegend die Verben ישׁעund נצלgebraucht werden.69 Wesentlich ist die Unterscheidung, ob Gott sich des oder der Armen auch helfend annimmt – oder er die Not des oder der Armen nachhaltig wendet: in Ps 12; 18; 34; 35; 37 und 40/41 finden sich auf den Armen bezogene Wendungen, die auf eine nachhaltige Umkehrung des Schicksals der Armen verweisen.70 Diese Aussagen sind mit Ps 34,7; 35,10; 37,9; 40,3 bis auf Ps 12,6 und 18,28 alle im hinteren Teil des 1. Davidpsalters zu finden. Bei Ps 12,6 handelt es sich dabei um eine direkte Rede JHWHs; bei Ps 18,28 handelt es sich, wie in Abschnitt 2.3 vermutet wurde, um eine sekundäre Zufügung, die nicht zum ursprünglichen Psalm gehört. Bezogen auf die Psalmen 18; 34 und 37 kann sogar das „Revolutionsmotiv“ erkannt werden, denn hier geht es – abzugrenzen von dem Motiv der „Rettung“ – um eine Verkehrung der gesellschaftlichen Umstände.71 Ganz offensichtlich spielt die Armenfrage im hinteren Teil des 1. Davidpsalters, wesentlich in der letzten Gruppe Ps 35–41, eine veränderte Rolle. Der Doppelpsalm 9/10 fällt als Kontrapunkt auf. Als weitere Dynamik zeigt sich eine Tendenz von konkreten Bedrohungen im vorderen Teil des 1. Davidpsalters zu einem eher weisheitlichen Armutsverständnis im hinteren Teil. Nicht für alle hier besprochenen Psalmen kann dies festgestellt werden und in einigen Psalmen ist das Verständnis äußerst diskutabel. Für Ps 4 und 12 wurde hingegen eine konkrete Bedrohungs- und Notsi65 Vgl. Anm. 59. 66 Vgl. שׁמעQal „hören“ (Ps 22,25; 34,7; 40,2), ראהQal „sehen“ (Ps 31,8); ידעQal „erkennen“ (Ps 31,8). 67 Vgl. קוםQal „aufstehen“ (Ps 12,6)/Hif‘il „(ihn) aufstellen“ (Ps 40,3), עםדHif‘il „stellen“ (Ps 31,9), נצרQal „behüten“ (Ps 40,12), חשׁבQal „sorgen für“ (Ps 40,18). 68 Vgl. דרךHif‘il „im Recht leiten“ (Ps 25,9). 69 Vgl. ישׁעQal „retten“ (Ps 34,7)/Hif‘il „retten“ (Ps 18,28); „ ָא ִשׁית ְבּי ֵ ַשׁעin Rettung stellen“ (Ps 12,6); נצלHif ’il „herausreißen“ (Ps 35,10); vgl. auch die Bezeichnung „ ֶעזְָרִתי וְּמַפְלִטיmein Helfer und Retter“ (Ps 40,18 [//70,6]). 70 Vgl. Ps 12,6: „ich will den in Sicherheit stellen, gegen den man schnaubt“; Ps 18,28: „du rettest das arme Volk und erniedrigst hochmütige Augen“; Ps 34,7: „aus allen seinen Bedrängnissen rettete er ihn“; Ps 35,10b: „Der du den Elenden rettest vor dem Stärkeren und den Elenden und Bedrängten vor seinem Räuber“; Ps 37: z. B. V.9 „Denn die Übeltäter werden ausgerottet; aber die auf JHWH hoffen, die werden das Land besitzen.“; Ps 40,3: „Er hat mich heraufgeholt aus der Grube des Verderbens“. 71 Vgl. die Rettung des „elenden Volkes“ auf der einen und die Erniedrigung hochmütiger Augen auf der anderen Seite in Ps 18, die Rettung des Beters selbst und der Elenden gegenüber dem Darben der Junglöwen in Ps 34, das Besitzen des Landes durch die Elenden gegenüber dem Umkommen der sie Anfeindenden in Ps 37.
Eine „Armenredaktion“ im 1. Davidpsalter?
193
tuation beobachtet und beschrieben. Ein weisheitliches Verständnis wurde dagegen deutlich in den beiden Akrostichoi Ps 25 und 34, ebenso in Ps 31; 37 und 40. Dass aber auch im hinteren Teil des 1. Davidpsalters noch konkrete Bedrohungen zu finden sind (Ps 35; 41), zeigt, wie wenig die hier herausgestellten Dynamiken auf eine lineare Entwicklung verweisen. Vielmehr bleibt das materielle Armutsverständnis dem 1. Davidpsalter nicht nur bis zum letzten Psalm erhalten, sondern verstärkt sich noch. Die hier dargelegte Dynamik zeigte bereits eine zunehmende Intensität der Armentheologie und eine zunehmende Vehemenz der Frage nach dem Schicksal der „Armen“.
2.5
Ein Verständnis vor dem Hintergrund sozio-ökonomischer Entwicklungen?
Diese synchron beschriebenen Dynamiken deuten auf einen diachronen Entstehungsprozess des 1. Davidpsalters, der sich von der vorexilischen bis hinein in die nachexilische Zeit erstreckt. Im vorangegangenen Durchschritt durch die armentheologischen Akzentuierungen des 1. Davidpsalters (Abschnitt 2.3) wurde dabei für Ps 4 und 12 auf eine anzunehmende vorexilische Datierung verwiesen; die armentheologischen Elemente in Ps 14 und 18 sowie der Doppelpsalm 9/10 wurden als sekundäre Zufügung angesehen. Als eine Art Achsenzeit des Prozesses der diachronen Verfassung, Kompilation und Redaktion des Psalters ist die Zeit achämenidischer Herrschaft (538– 332 v. Chr.) anzusehen. Wesentliche sozio-ökonomische Entwicklungen auch der späteren hellenistischen Zeit werden hier vorgezeichnet. Ein explizites Darlegen dieser Entwicklungen im Rahmen des vorliegenden Beitrages ist nicht möglich. Zugespitzt auf die Frage nach einer möglichen „Armenredaktion“ ist es jedoch zielführend, Stationen dieser Entwicklung darzulegen. Sie weisen darauf, dass es Gründe gibt, von Dependenzen der bis hierhin herausgestellten Dynamiken innerhalb des 1. Davidpsalters und der sozio-ökonomischen Situation in der Achämenidenzeit auszugehen. Diese werden für die Rückfrage nach einem Trägerkreis armentheologischer Akzentuierungen nicht ausgeklammert; vielmehr geben sie Hinweise auf sein Agieren in Raum und Zeit. Für die frühe achämenidische Zeit ist von drei Grundcharakteristika auszugehen: (1.) eine geographische Abgeschiedenheit der Provinz, (2.) eine landwirtschaftliche Ausrichtung und (3.) politisch-militärisch friedliche Verhältnisse.72 Die Beschaffenheit des Bodens machte – wesentlich bedingt durch das die ohnehin niedrigen Niederschlagsmengen schnell abfließen lassende Cenoman und die besonders im Osten steilen Hänge – das 72 Vgl. J. Bremer, Gott, 301–305.
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Erwirtschaften landwirtschaftlicher Güter schwierig.73 Das in seinem Grundbestand am Beginn der Achämenidenzeit zu datierende Haggai-Buch74 lässt auf eine witterungsbedingte Knappheit landwirtschaftlicher Güter schließen, die zu einer Mangelsituation bei der zu Beginn der Achämenidenzeit noch sehr geringen Zahl der Bevölkerung und zu steigenden Preisen führte.75 Auf eine Diskrepanz zwischen Arm und Reich oder eine Form von Ausbeutung eines Teils der Bevölkerung durch einen anderen ist für die frühe Perserzeit noch nicht zu schließen.76 Diese wird auch im 1. Davidpsalter nicht zum Thema gemacht. Allerdings zeigen Texte wie Sach 7,8–14, die sowohl aus semantischen als auch aus inhaltlichen Gründen in nicht allzu weiter Entfernung vom Haggai-Buch datieren,77 bereits, dass die Umkehr zu JHWH an soziale Forderungen gebunden ist: In Sach 7,8–14 geht es um ethisches Verhalten gegenüber dem „Bruder“ sowie um soziale Fürsorge gegenüber den „Anderen“ und expressis verbis um das Gebot, die personae miserae nicht zu unterdrücken. Ein solches Verhalten erklärt der Textabschnitt sogar für heilsrelevant, was im Gegensatz zu dem am Tempelbau gebundenen Heil bei Haggai steht.78 Als weiteren Armenterminus 73 O. Keel und M. Küchler rechnen mit Niederschlagsmengen zwischen 55 und 80 cm im Westen und nur 1–30 cm Niederschlag im Osten des judäischen Berglandes, vgl. O. Keel / M. Küchler, Orte, 569; vgl. auch Y. Aharoni, Land, 30–31. 74 Vgl. die neueren redaktionskritischen Entwürfe von R. Lux, R.G. Kratz, J. Wöhrle und zuletzt M. Hallaschka: R. Lux nimmt für Haggai und Sacharja zwei Redaktionsstufen an, die Haggai und Sacharja 1–8 zu einem Zweiprophetenbuch verknüpft haben (vgl. R. Lux, Zweiprophetenbuch; ähnlich zu R. Lux auch R. Albertz, vgl. R. Albertz, Religionsgeschichte, 484). R.G. Kratz unterscheidet eine Wortüberlieferung der Haggai-Worte und eine sekundäre redaktionelle Rahmenerzählung, welche beide weiter sukzessive fortgeschrieben wurden (vgl. R.G. Kratz, Judentum, 68ff.). J. Wöhrle geht in seiner Studie zum Dodekapropheton von einer Grundschicht und verschiedenen Redaktionen aus (vgl. J. Wöhrle, Sammlungen, 288– 322), zum sehr detaillierten Entwurf von M. Hallaschka vgl. M. Hallaschka, Haggai und Sacharja 1–8, 123. 75 Vgl. W. Rudolph, Haggai – Sacharja 1–8 – Sacharja 9–14 – Maleachi, 34; H.W. Wolff, Dodekapropheton 6, 27. 76 So meine These nach der Exegese von Hag 1,4–11; 2,15–19. Beide Passagen konnten zuvor nach eigehender Redaktionskritik als Basis für einen „biblischen Beitrag“ zur Rekonstruktion frühperserzeitlicher Verhältnisse in der Provinz Yəhu¯d abgegrenzt werden, vgl. J. Bremer, Gott, 71–82. 77 Hier darf ich auf meine Diskussion redaktionskritischer Entwürfe in J. Bremer, Gott, 77–81 (vgl. zu Sach 7,8–14 zusammenfassend auch: 122) verweisen. Sach 7,7.9–14 gehören nach der literarkritischen Schichtung J. Wöhrles zur „Wort-Redaktion“, die entgegen dem HaggaiBuch, für das der Tempelbau die Umkehr des Schicksals des Volkes von der Not des Mangels zum Heil bringt, das erwartete Heil des Volkes an dessen soziales Verhalten bindet, vgl. J. Wöhrle, Sammlungen, 362. In dieser wird „schon die gegenwärtige Zuwendung JHWHs als Folge der Umkehr des Volkes beschrieben, und auch das künftige Heil wird von der Bereitschaft des Volkes zu sozialer Gerechtigkeit abhängig gemacht“ ( J. Wöhrle, Sammlungen, 362). M. Hallaschka sieht Sach 7,9–14 (die Wort-Ereignis-Formel sieht er als späteren Zusatz an) als Teil des paränetischen Buchrahmens, der Sach 1,1–6; 7,9–14; 8,14–17.19b umfasst. „Kennzeichen dieser Redaktion ist der paränetische Ton, der zur Umkehr von den bösen Wegen der Väter aufruft und im Epilog [Sach 7; 8 – J.B.] ethische Mahnungen hinzufügt.“ (M. Hallaschka, Haggai und Sacharja 1–8, 311). 78 Nach Sach 7,9–10 wird die Umkehr zu JHWH mit expliziten sozialen Forderungen verbunden. Sacharja spricht hier vom Richten nach wahrem Recht (ִמ ְשׁ ַפּט ֱאֶמת ְשׁפֹטוּ, V.9bα), von gegenseitigem Tun von Erbarmen und Barmherzigkeit ( ְוֶחֶסד ְוַרֲחִמים ֲעשׂוּ ִאישׁ ֶאת־ָאִחיוV.9bβ),
Eine „Armenredaktion“ im 1. Davidpsalter?
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neben den personae miserae wird hier explizit auf den „( ָענִיElender“) verwiesen, der der vorherrschende Armenterminus im 1. Davidpsalter ist. Die Sorge um die „Armen“ und ein Gottesbild, welches soziales Verhalten gegenüber den Armen als erste Wesenseigenschaft Gottes benennt, zeigte sich für den gesamten 1. Davidpsalter charakteristisch. Ethisches Verhalten im Sinne eines Armenethos, d. h. eines Ethos der Rezipienten der Psalmen selbst, konnte dabei der Seligpreisung des letzten Psalms, Ps 41,2 (vgl. auch Ps 40,5) entnommen werden. Wie in der Differenzierung der Datierung von Sach 7,8–14 gegenüber den benannten Aussagen des Haggai-Buches79 lassen sich Entwicklungen vom Beginn bis zum Ende des 1. Davidpsalters nachspüren. Im weiteren Verlaufe der Achämenidenzeit hat sich mit steigender Intensität eine Diskrepanz zwischen Arm und Reich ausgebildet, die sich auf literarischer Ebene u. a. in den Passagen der Nehemia-Denkschrift80 in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts widerspiegeln.81 Nehemia, dem eine von außen kommende Autorität zugesprochen wird (gemäß Neh 1,1–382 ist Nehemia Mundschenk des persischen Königs), kommt vom persischen Hof nach Jerusalem und stellt sich dort den lokalen Autoritäten, dem Text zufolge namentlich Sanballat und Tobija, entgegen (vgl. Neh 3,34a83). Nach
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81 82 83
Nicht-Unterdrücken der Witwe, Waise, des Fremden sowie des Elenden (ְוַאְלָמנָה ְויָתוֹם ֵגּר ְוָענִי ַאל־ ַתֲּעשׁ ֹקוּ, V.10a) und dass ein jeder seinem Bruder in seinem Herzen nichts Schlechtes ersinnen soll ( ְוָרַעת ִאישׁ ָאִחיו ַאל־ ַתְּח ְשׁבוּ ִבְּלַבְבֶכםV.10b, jeweils Vetitive), vgl. J. Bremer, Gott, 123. Haggai 1,6 beschreibt die Missstände seiner Zeit: Es wurde viel gesät, aber wenig eingebracht (ַרְע ֶתּם ַהְר ֵבּה ְוָהֵבא ְמָעט, V.6aα), Hunger und Durst können nicht gestillt werden (ָאכוֹל ְוֵאין־ְל ָשְׂבָעה ָשׁתוֹ ְוֵאין־ְל ָשְׁכָרה, V.6aβ), Kleidung vermag nicht zu wärmen (ָלבוֹשׁ ְוֵאין־ְלח ֹם לוֹ, V.6aγ), der Lohnarbeiter erwirbt seinen Lohn für einen durchlöcherten Beutel (ְוַה ִמּ ְשׂ ַתּ ֵכּר ִמ ְשׂ ַתּ ֵכּר ֶאל־ְצרוֹר נָקוּב, V.6b). Dazu treten V.9a.bγ.10aβ–11. Dies möge sich mit der Zeit des Tempelbaus ändern (vgl. V.8.9b). Die Zeit des Tempelbaus wird als eine Art Heilszeit der Zeit der Missstände gegenübergestellt und mit ( ְוַע ָתּהV.5a) explizit abgegrenzt, vgl. auch H.W. Wolff, Dodekapropheton 6, 26; I. Willi-Plein, Haggai, Sacharja, Maleachi, 20, erörternd 25. In Hag 2,15–19 wird ( ִמן־ַהיּוֹם ַהזֶּה ָוָמְעָלהV.15aβ.18aβ) die Heilszeit abgegrenzt von der Zeit vor dem Beginn des Tempelbaus (ִמ ֶטֶּרם שׂוּם־ֶאֶבן ֶאל־ֶאֶבן ְבֵּהיַכל י ְהָוה, V.15b); vgl. dazu auch H.W. Wolff, Dodekapropheton 6, 44. Vgl. oben Anm. 77 zur Ansetzung J. Wöhrles „Wort-Redaktion“ ( J. Wöhrle, Sammlungen, 362) und zur Redaktionskritik M. Hallaschkas (M. Hallaschka, Haggai und Sacharja 1–8, 311). Der Begriff „Nehemia-Denkschrift“ geht auf S. Mowinckel zurück, vgl. S. Mowinckel, Studien, 52–86. Er bezeichnet damit die in der 1. Person Singular verfassten Passagen des Nehemia-Buches, in welchen Nehemia selbst spricht. Nach breiterer formen- und gattungskritischer sowie literarkritischer Diskussion gehen insbesondere neuere Arbeiten von mehreren Berichten statt eines einzelnen Berichtes aus (vgl. H.G.M. Williamson, Ezra, Nehemiah; T. Reinmuth, Bericht; R. Rothenbusch, „… abgesondert zur Tora Gottes hin“; J.L. Wright, Identity). Damit verbunden ist die Frage, ob – sei von einem oder mehreren IchBerichten ausgegangen – von einem diachronen Wachstum auszugehen ist, in dem der oder die Berichte entstanden sind (vgl. vor allem T. Reinmuth, Bericht, 51–53; J.L. Wright, Identity, zusammenfassend: 340; R. Rothenbusch, „… abgesondert zur Tora Gottes hin“, 206–231). Für eine eingehende Beschäftigung mit der Frage nach der Historizität der biblischen Gestalt Nehemia und der „Nehemia-Denkschrift“ und den Fragen um eine zeithistorische Einordnung darf auf J. Bremer, Gott, 96–104 verwiesen werden. Zu Neh 1,1–3 vgl. J. Bremer, Gott, 132–138. Zu Neh 3,33–38 vgl. J. Bremer, Gott, 138–147.
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Neh 5,10.13–16.1984 stellt er sein eigenes Verhalten und das seiner Anhänger ( ַאִחיםund נְָעִרים, vgl. Neh 5,10) dem seiner Rezipienten kontrapunktisch gegenüber und fordert von diesen Schuldenerlasse zu Gunsten derer, die Silber leihen müssen, um die Königssteuer zahlen zu können (Neh 5,4), die ihre Felder und Weinberge verpfänden müssen, um Getreide zu erhalten (Neh 5,3) und die ihre Söhne und Töchter verpfänden müssen, um leben zu können (Neh 5,2). Was hier zum Ausdruck gebracht wird, ist ein Verhaltensethos zu Gunsten der in drei Weisen – als Abstufungen oder Phasen der Verschuldung interpretiert – unterschiedenen Verschuldeten.85 Dieses Verhaltensethos geht mit dem Armenethos nach Ps 41,2 konform, wenngleich hier – was zu betonen ist – keine direkten Bezüge auszumachen sind und Ps 41,2 weitaus allgemeiner formuliert ist als die konkreten Aussagen Nehemias. Deutet man Ps 37 als Hinweis auf einen innerisraelischen Konflikt, könnten auch Bezüge zur Auseinandersetzung zwischen Nehemia und den lokalen Autoritäten Sanballat und Tobija vorgeschlagen werden. Gegenüber der frühen Perserzeit im ausgehenden 6. Jahrhundert scheint mit Nehemia eine neue Stufe sozio-ökonomischer Verhältnisse in Jerusalem und der Provinz Yəhu¯d erreicht. Die Nehemia-Denkschrift verweist insgesamt auf eine entwickelte und sich weiter entwickelnde (Neh 5,1–19 verweisen nicht auf eine Nachhaltigkeit der Maßnahmen Nehemias) 86 strukturelle im Gegensatz zu einer durch schlechte Witterung bedingten Krise. Sie wird gemäß dem biblischen Text begründet durch die Forderung einer fixen Steuer (nach Neh 5,4 u. a. der Königsteuer []ִמ ַדּת ַה ֶמֶּלְך, vgl. auch Her. Hist. III,89ff.), die für die Bevölkerung mit sich brachte, eine fixe in Abgrenzung zu einer prozentualen Steuerabgabe leisten zu müssen. Hier wurde die nach wie vor bäuerlich geprägte und subsistenzwirtschaftlich agierende Bevölkerung veranlasst, zunächst ein Surplus zu erwirtschaften und sich gegebenenfalls zu verschulden, um eine feste Steuersumme entrichten zu können. Aus Verschuldungen konnten sich in weiteren Verläufen Überschuldungen entwickeln, in welchen die Bevölkerung nicht mehr in der Lage war, aus eigener Kraft auch in Zeiten des Überschusses Schulden zurückzuzahlen.87 In dieser Zeit sind auch die wenigen, noch vor den zahlreicheren, verkehrsfähigen Silber-Kleimünzen aufkommenden, in der Provinz Yəhu¯d gefundenen Großmünzen zu datieren. Sie waren für die Geschäfte des Alltags viel zu wertvoll und verweisen eher als auf eine einsetzende Geldwirtschaft auf Kreditaktivitäten und eine in der Gesellschaft unterschiedlich verteilte Vermögenssituation.88 In einer Zeit, in welcher 84 Zu Neh 5,1–19 vgl. J. Bremer, Gott, 148–168. 85 Vgl. H. Kreissig, Situation, 78–79; N.K. Gottwald, Expropriated; R. Albertz, Religionsgeschichte, 538; K.-D. Schunck, Nehemia, 147–148; ausführlich: H.G. Kippenberg, Religion, 54–58. Vgl. auch meine Ausführungen in J. Bremer, Gott, 153–156. 86 Die Steuerforderungen, welche die Basis der Klage nach V.4 bilden, lässt Nehemia ebenso wie die Abgaben für den Tempel unangetastet, was wohl maßgeblich seiner Kompetenz als Statthalter zuzuschreiben ist. Es ist anzufragen, inwieweit die in V.6–13 ausgedrückten Forderungen sich in der Realität ausgewirkt haben mochten, sollten sie umgesetzt worden sein. Der biblische Text lässt uns hier im Dunkeln. 87 Vgl. in diesem Zusammenhang I.L. Seeligman, Darlehen, 319–348; R. Albertz, Religionsgeschichte, 539; R. Kessler, Sozialgeschichte, 143–148; W. Schottroff, Arbeit, 116. 88 Vgl. zum Aufkommen und der Entwicklung der Münzen im philistäischen Raum wesentlich die instruktive Monographie H. Gitlers und O. Tals: H. Gitler / O. Tal, Coinage, insb.: 23. Speziell zum „earliest coin“ vgl. H. Gitler, Earliest Coin, 26. Die Frage des Aufkommens der ersten Münzen in der Provinz Yəhu¯d wirft Fragen der Hintergründe auf, die zu diesem
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die Bevölkerung hart mit Ver- und Überschuldung konfrontiert wurde, wie Neh 5,1–5 u. a. beschreiben, und die biblischen Texte wie nicht-biblischen Quellen keinen Hinweis auf eine konstruktive Hilfe seitens der Oberherrschaft geben (es ist davon auszugehen, dass auch Nehemia keine Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen ermöglichen konnte), vermochte das Motiv einer Rettung durch JHWH alleine, der aus Bedrängnissituationen befreien kann, wenngleich nicht neu aufzukommen, doch verstärkt aufzutreten. Genau dieses Motiv zeigte sich im 1. Davidpsalter stärker in den hinteren Psalmen und in den (begründet als solche angesehenen) sekundären Zufügungen, nämlich in Ps 12,689; 18,28; 34,7; 35,40; 37,9; 40,3.90 Noch stärker erscheint in diesem Kontext das in der Analyse der Psalmen herausgestellte „Revolutionsmotiv“, welches im 1. Davidpsalter in Ps 18, 34 und 37 auftaucht.91 Hierbei vermöge JHWH, die „Armen“ aus ihrer gesellschaftlichen Position zu entreißen und die Mächtigen ihrer Position zu berauben, d. h. die gesellschaftlichen Strukturen zu Gunsten der „Armen“ zu verkehren.
Bevor nun in einem dritten Schritt der Versuch unternommen wird, Antworten auf die am Ende des ersten Abschnittes gestellten Fragen nach Existenz und Attributen eines möglichen Trägerkreises armentheologischer Ausrichtung, einer „Armenredaktion“, zu finden, und Impulse für die Frage nach einer „Armenredaktion“ herausgestellt werden sollen, darf nach dem Blick auf die zeithistorischen Entwicklungen resümiert werden, dass sich – bei allen Vorbehalten, die stets mit der Frage nach der Rückbindung biblischer Texte und ihrer möglichen Redaktionen an die biblische Zeitgeschichte verbunden sind und verbunden sein müssen – Anhaltspunkte auftun, die im ersten Davidpsalter herausgestellten Dynamiken vor dem Hintergrund einer Verschärfung der armentheologischen Ausrichtung des 1. Davidpsalters zu verstehen, welche Gründe für die Annahme eines diachronen Wachstums des 1. Davidpsalters grosso modo „von vorne nach hinten“ darstellen.
Aufkommen geführt haben mögen. In meiner Monographie „Wo Gott sich auf die Armen einlässt“ bereite ich die Entwicklung des Münzgeldes und des Aufkommen des Mediums „Geld“ in Yəhu¯d auf und ordne diese in den Gesamtkontext der sozio-ökonomischen Gegebenheiten in der Provinz ein, den ich aus der historisch-kritischen Analyse ausgewählter biblischer Texte, der Archäologie und der Numismatik rekonstruiere. Vor dem Hintergrund des Aufkommens von für Alltagsgeschäfte zu hochwertigen „Großmünzen“ vor dem Aufkommen des ersten „Kleingeldes“, d. h. verkehrsfähiger Münzen, schlage ich vor, die ersten Münzen, darunter auch die 2011 publizierte „earliest known Judean issue“ (H. Gitler, Earliest Coin, 26) vor dem Hintergrund der Geldentstehungstheorie von J.M. Keynes zu interpretieren, vgl. J. Bremer, Gott, 295–301.307–311 (für die wirtschaftstheoretische Grundlegungen J.M. Keynes’ vgl. J. Bremer, Gott, 259–261 mit Verweisen auf die einschlägigen Schriften J.M. Keynes’). 89 In dieser Aufzählung zählt alleine Ps 12,6 weder zu einem „hinteren“ Psalm noch zu einer sekundären Zufügung! 90 Vgl. dazu ausführlicher meine Ausführungen in J. Bremer, Gott, 426. 91 Vgl. J. Bremer, Gott, 426. Zur weiteren Entwicklung von „Rettungs-“ und „Revolutionsmotiv“ in Konversation mit R. Albertz, D.W. Tucker, Jr. und E. Ballhorn: 454–471.
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Impulse für die Frage nach einem möglichen Trägerkreis
Entscheidend sind die beiden Vorbemerkungen, dass (1) an dieser Stelle nur Aussagen zur Trägerkreisfrage der armentheologischen Akzentuierungen getroffen werden und (2) die Frage nach Trägerkreisen an weit mehr geknüpft ist, als an sozio-ökonomische Entwicklungen92 und somit nur Impulse für die Beantwortung der Frage nach Trägerkreisen des 1. Davidpsalter gegeben werden. In der kurzen Auseinandersetzung mit Ps 40/41 am Ende des 1. Davidpsalters wurde auch auf die Ausführungen G. Barbieros in seiner Monographie zum 1. Psalmenbuch als Einheit verwiesen. Ausgehend von den Seligpreisungen in Ps 40,5 und 41,2 merkt dieser an: „Preist Ps 40 den Mann selig, ‚der sein Vertrauen auf JHWH gesetzt hat‘, so 41,2 jenen, ‚der auf den Armen [ – ַדּלJ.B.] achtet‘. Ps 41 ‚säkularisiert‘ sozusagen den Glauben. Man zeigt seinen Glauben, indem man sich des Armen annimmt. Dadurch führt Ps 41 jene Kultkritik weiter, die Ps 40 so drastisch ausgedrückt hat. Nicht an Schlacht- und Speiseopfer [sic!], nicht an Ganz- und Sündopfer [sic!] hat Gott Gefallen, sondern daran, daß man sich des Armen annimmt. Das ist für den Beter der neuralgische Punkt des Willens Gottes. Hier, am Ende nicht nur der Teilstruktur [Ps 35–41 – J.B.], sondern des ganzen ersten Psalmenbuches, setzt der kanonische Psalter einen deutlichen Akzent. Das erste Psalmenbuch erweist sich dadurch als die Stimme der Armen, die sich am Rand der Gesellschaft ausgesetzt fühlen und die gegen eine solche Situation im Namen jenes Gottes protestieren, der selbst auf die Armen achtet (40,18 vgl. 35,10).“93
Eine kultkritische Ausrichtung wurde bereits für Ps 4, in dem es nicht um den Kult, sondern um soziales Miteinander ging, beobachtet, ebenso für Ps 12. Nicht nur die Psalmen der Gruppe Ps 35–40/41, keine der armentheologisch verstandenen Aussagen des 1. Davidpsalters deuten auf eine Verbindung zum Kult! 94 Vielmehr wird wiederholt auf JHWHs Hilfe für die „Armen“ als seine erste Wesenseigenschaft verwiesen. Zuletzt wurde diese vor dem Hintergrund einer zunehmend sich zuspitzenden sozial-materiellen Verarmung mindestens eines Teils der Bevölkerung begründet. Als erster Impuls darf formuliert werden: Dem
92 Darauf verweisen nicht zuletzt die in diesem Sammelband vorgelegten Artikel. 93 G. Barbiero, Psalmenbuch, 617. 94 Vor einer zu schnellen Opposition von sozialer Ethik und Kult in den Psalmen mahnt B. Janowski in seinem Beitrag innerhalb des vorliegenden Bandes. Er insistiert, dass alle opferkritischen Passagen, auch „grundsätzlich formuliert“ (252), nicht – wie bei prophetischer Opferkritik – eine Gegenüberstellung von Kult und Ethik verdeutlichen, sondern vielmehr zu einer „Integration opferkritischer Aspekte in den Kult“ (252) führen. Als „generelle Opferkritik“ (250) sieht er dabei u. a. Ps 40,7–9 an, vgl. B. Janowski, Auf dem Weg zur Buchreligion. Transformationen des Kultischen im Psalter, im vorliegenden Band: 223–261.
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Trägerkreis95, nach dem hier gefragt wird, ist die Sorge für die Armen und ein sich für die Armen einsetzender Gott zentraler als Ausführungen von Kult oder Opfern. Diese Vermutung korrespondiert mit den wiedergegebenen Thesen sowohl G. Barbieros als auch E. Zengers.96 Ein Blick auf die zeitgeschichtliche Situation zu Beginn der achämenidischen Zeit weist auf, dass der Jerusalemer Tempel früh, und zwar bereits am Ende des 6. Jh.s v. Chr. wiederaufgebaut wurde. Dies kann nicht archäologisch, wohl aber nach literar- und redaktionskritischer Betrachtung des Haggai-Buches vermutet werden. Eine Art Tempelkult wäre also von dieser Seite seit Beginn der Achämenidenzeit möglich gewesen, ungeachtet einer vor dem Hintergrund archäologischer Forschung zu vermutenden nur marginalen Bevölkerungsquantität und der Frage nach einem Wiederaufbau von Mauer und Stadt Jerusalems gemäß den Aussagen der Nehemia-Denkschrift. Blickt man nun weiter auf die Psalmen, in denen sich der Beter selbst als „arm“ bezeichnet (Ps 9/10, 25, 31 sowie 40/41), so zeigte sich hier explizit kein Hinweis auf eine primäre materielle Armut, wenngleich diese dem Beter nicht vollends abgesprochen werden kann. Er wurde hingegen nach Ps 9/10, 25, 31 und 40/41 primär als sündenbewusst und selbstreflektiert charakterisiert, wozu wesentlich der Terminus „( ֳענִיElend“) verwendet wird, dem, wie bei der Differenzierung der Armentermini festgehalten, nicht ein sozial-materielles Verständnis zukommt. Die Psalmen des 1. Davidpsalters zeigen dazu, dass der etymologisch nah verwandte Begriff „( ֲענִיִּיםElende“) der wesentliche Armenterminus des 1. Davidpsalters ist, in Abgrenzung zum Nomen „( ַדּלHilfloser“, vgl. Ps 41,2) u. a. Bis auf den Doppelpsalm 9/10 zeigt der 1. Davidpsalter kein besonderes Interesse an Nomen, die stärker die sozial-materielle Armut zum Ausdruck bringen, wie es etwa die Asafpsalmen u. a. tun. Es ist demnach – ein zweiter Impuls – von einem Trägerkreis97 auszugehen, der eine besondere Affinität zu eben diesen ֲעִנ ִיּים („Elende“) hat und sich mit diesen identifiziert, was für den gesamten 1. Davidpsalter vermutet wird. Die sündenbewusst-selbstreflektierte gegenüber einer sozial-materiellen Konnotation der Selbstbezeichnungen fällt hier besonders ins Gewicht. Dabei müssen nicht die ֲענִיִּיםselbst eine Trägerkreisgruppe bilden, zumal dazu dem Begriff eine materielle Konnotation abgesprochen werden müsste, was der Textbestand nicht nahelegt. Es geht lediglich um einen ihnen nahestehenden Kreis, der sich ihnen bis hin zur Selbstidentifizierung (denn nur hier konnte eine primär sozial-materielle Konnotation beobachtet werden) gleichsetzt. Es gilt dies nur insbesondere vor dem Hintergrund der sozio-ökonomischen Veränderungen, auf die im Vorangegangenen schlaglichtartig verwiesen wurde. Die besondere Affinität des Beters zu den ֲענִיִּיםbleibt auch jenseits 95 Vgl. Anm. 16. 96 Vgl. meine Ausführungen in der „Hinführung“ (Abschnitt 1.) 97 Vgl. Anm. 16.
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des angenommenen Wachstums des 1. Davidpsalters grosso modo „von vorne nach hinten“ in den Psalmen der 4. Gruppe Ps 35–40/41, wo sich in Ps 35,10; 37,14 und 40,18 der Doppelausdruck ָענִי ְוֶאְביוֹןund in Ps 41,2 die Bezeichnung ַדּלfindet. Letzterer wurde – in Abgrenzung zu den ֲענִיִּיםbzw. den mit einem von ענהII abgeleiteten Termini – als Objekt der Zuwendung, ohne dass eine besondere Affinität ersichtlich wurde, ausgemacht, ging es doch in Ps 41,2 nicht um das Schicksal des ַדּל, sondern um den, der sich seiner annimmt. Eine dritte Beobachtung setzt abermals bei den Selbstbezeichnungen des Beters als „arm“ an. In der vorangegangenen Beschäftigung mit den armentheologisch ausgerichteten Psalmen wurde sie in Ps 9/10; 25; 31 und 40/41 beobachtet, d. h. bis auf den Doppelpsalm 9/10, auf dessen Sonderstellung bereits wiederholt verwiesen wurde, in der zweiten Hälfte des 1. Davidpsalters, wobei zwei von vier Belegen insgesamt in der vierten Gruppe ausgemacht wurden. Die Herausstellung der Dynamiken zeigte eben hier die mit den sich verschärfenden sozio-ökonomischen Verhältnissen einhergehenden Veränderungen der armentheologischen Ausrichtung des 1. Davidpsalters anhand der Rahmung der dritten und vierten gegenüber der ersten und zweiten Gruppe, anhand der Verteilung unterschiedlicher Armentermini, anhand dem Vorkommen von Verben, die auf ein explizites Rettungshandeln JHWHs verweisen, und anhand der weisheitlichen Armutsverständnisse. Es besteht Anlass zur Frage, ob eine Trägerkreisgruppe dort anzusetzen ist, wo sich – bis auf Ps 9/10 – die Selbstbezeichnungen des Beters als „arm“ finden. Bedenkt man die beschriebenen Veränderungen der sozio-ökonomischen Situation der „Armen“ im achämenidischen Yəhu¯d, könnte in der Konsequenz daran gedacht werden, dass zu der Zeit, in welcher sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse verschärften und bereits unterschiedliche Vermögensverteilungen, die gegenseitiges Kreditieren erst möglich machten, zu vermuten sind (und bei unterschiedlichen Vermögensverteilungen von einer strukturellen Armut auszugehen ist, die dem herausgestelltes Rettungs- oder sog. Revolutionsmotiv zu Grunde liegen mag – ggf. zur Zeit Nehemias in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts oder später), jener den ֲענִיִּיםnahestehender,98 kultkritischer99 Trägerkreis100 vermuten ließe, der den „Armen“ gegenüber die hervorgehobene besondere Affinität besitzt (Zurechnung des Beter-Ichs zu ihrer „In-Group“), die sich bis zur Selbstbezeichnung steigert und die selbst keinen Rückschluss auf eine materielle Armut zulässt. Sieht man die armentheologische Ausrichtung von Ps 14 und 18 als sekundär an, wäre die Vermutung – gleichsam der dritte Impuls – dieser
98 Vgl. den ersten herausgestellten Impuls. 99 Vgl. den zweiten herausgestellten Impuls. 100 Vgl. Anm. 16.
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Trägerkreis101 habe „von hinten“ in die gewachsene Sammlung Ps 3–40/41 eingegriffen, nicht unzulässig. Insofern wäre diese Trägergruppe als „Armenredaktion“ anzusehen, bzw. wäre einer Trägergruppe eine besondere armentheologische Ausrichtung zuzusprechen, welche die im Vorangegangenen beschriebenen Attribute aufweist. Ließe sich diesem Trägerkreis auch ein bewusstes Eingreifen zu Gunsten der ebenfalls beobachteten Strukturrelevanz der Armentheologie im 1. Davidpsalter unterstellen? Dafür sprächen vor sprachlichen und motivischen Ähnlichkeiten die beobachteten formalen Aspekte von Schließungen und Rahmungen der Einzelgruppen (vgl. Abschnitt 2.1). Vor einer eindeutigen bejahenden Antwort ist aber zu warnen. Gerade in Fragen zur Struktur des Psalters ist, wenn nicht größte Zurückhaltung, doch große Obacht geboten. Sieht man des Weiteren Ps 4 und 12, wie oben angemerkt, als bereits vorexilisch an und vermutet, wie ebenfalls mit Verweis auf den großen Forschungskonsens,102 dass Ps 9/10 nochmals später anzusetzen ist, wäre zuletzt zu klären, ob entweder verschiedene Trägergruppen zu unterschiedlichen Zeiten armentheologische Akzente setzten oder ob von einer über die Zeit hinweg agierenden Trägerkreisgruppe auszugehen ist. Wenngleich diese letzte Frage aus der hier dargelegten Betrachtung des Textes selbst nicht beantwortet werden kann, legt sich doch ein über das Exil hinweg agierender Trägerkreis nicht nahe; inwieweit er auch für die Einfügung von Ps 9/10 verantwortlich wäre, bleibt ob der sehr starken armentheologischen Ausrichtung des Doppelpsalms unklar. Auch hier muss – und dies scheint Konsens aller in diesem Band publizierten Beiträge – vor zu schnellen Thesen gewarnt werden. Beziehungen von den letzten beiden Gruppen oder der letzten Gruppe des 1. Davidpsalters jenseits der Davidzuschreibungen sind nicht ersichtlich. Gleichwohl ließe sich die Annahme eines durch die Zeit agierenden Trägerkreises verbinden mit Überlegungen zur Trägerkreisfrage der armentheologischen Ausrichtung des 2. Davidpsalters Ps 51– 71.72; Ps 86 und ggf. darüber hinaus.103
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Vermögen die in diesem Beitrag herausgestellten Implikationen abschließend zu einer These zu führen? Die eingangs zitierten expliziten und selbstbewussten redaktionskritischen Zurechnungen F.-L. Hossfelds und E. Zengers vom Beginn der 90er Jahre können hier nicht bestätigt werden. Gleichwohl ließe die Auseinandersetzung mit den 101 Vgl. Anm. 16. 102 Vgl. dazu auch F. Hartenstein, „Schaffe mir Recht, JHWH!“, 253–258. 103 Vgl. hierzu meine Überlegungen in J. Bremer, Gott, 436–437.442–443.446.470–471.
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armentheologisch ausgerichteten Psalmen des 1. Davidpsalters (Ps 3–40/41) vor dem Hintergrund sozio-ökonomischer Entwicklungen durchaus die Annahme eines Trägerkreises zu, der den hinteren Teil des 1. Davidpsalters konstitutiv geprägt und zudem „von hinten“ bewusst armentheologische Akzente im vorderen Bereich gesetzt haben könnte. Offenkundig wiese dieser Trägerkreis ein höheres Interesse an gerechtem, sozialem Miteinander als an kultischen Fragen auf, wenngleich B. Janowskis Einwand im vorliegenden Band beizupflichten ist, „Kultisches“ nicht vorschnell gegenüber „Sozialem“ auszuspielen.104 Sehr deutlich zeigte der Trägerkreis eher eine Affinität zu den ֲענִיִּיםals denen, die sich jenseits ihrer materiell-sozialen „Armut“ wesentlich durch eine Nähe zu Gott auszeichnen. Ihm ein bewusstes Eingreifen zur Herstellung einer Strukturrelevanz der Armentheologie des 1. Davidpsalters zu unterstellen, könnte nicht mit Sicherheit angenommen werden; ihm exklusives armentheologisches Interesse zuzusprechen, wäre nicht möglich. Der kurze Blick auf die Zeitgeschichte ließe ein Ansetzen dieses Trägerkreises in der fortgeschrittenen Zeit achämenidischer Herrschaft über Yəhu¯d, nicht vor der Zeit Nehemias in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, vermuten. Ihn mit levitischen Tempelsängern zu identifizieren, ist alleine aus der vorliegenden Untersuchung heraus hermeneutisch nicht möglich. Gerne schließe ich mich M. Leuenbergers Mahnung vor vorschnellen Thesen an105 und stimme mit der von ihm verbalisierten Herangehensweise voll überein, nicht vom exegisierten Text auf Gruppenbildungen schließen zu können.106
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104 Vgl. B. Janowski, Auf dem Weg zur Buchreligion. Transformationen des Kultischen im Psalter, im vorliegenden Band: 223–261. 105 Vgl. M. Leuenberger, Die Jhwh-König-Theologie der formativen Psalter-Redaktion und ihre Trägerkreise, im vorliegenden Band: 61–95. 106 So auch meine hermeneutische Argumentation in J. Bremer, Gott, 426–427. – Dem Leser dieses Sammelbandes seien zuletzt im Kontext der Fragen nach levitischen Tempelsängern innerhalb dieses Bandes gerne die Beiträge U. Berges’, S. Gillinghams, B. Janowskis, M. Leuenbergers und B. Webers zur Lektüre empfohlen.
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Eine „Armenredaktion“ im 1. Davidpsalter?
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Judith Gärtner
Rückblick als Ausblick in Ps 135. Psalmentheologische und psalterkompositorische Überlegungen zur Funktion von Geschichte im 4. und 5. Psalmenbuch
In der psalterkompositorischen Bearbeitung des vierten und fünften Psalmenbuches ist der Rückgriff auf Geschichte immer schon in besonderer Weise ins Auge gefallen. Dies liegt zum einen an den großen Geschichtspsalmen 105 und 106, die auf der Ebene des Endtextes das vierte Psalmenbuch abschließen und zugleich einen Übergang zu Ps 107 und damit ins fünfte Psalmenbuch gestalten. Zum anderen hat Ps 136 in diesem Zusammenhang stets eine exponierte Rolle gespielt. In ihm wird bekenntnisartig die Heilsgeschichte Israels zu einem Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte verdichtet.1 Darüber hinaus ist der Psalm in den jüngsten kompositionskritischen Studien zum Psalter als Abschlusspsalm eines vorläufigen Psalters angesehen worden. Denn so formulierte E. Zenger in seinem resümierenden Artikel zur Psalmenexegese und Psalterexegese: „Die litaneiartige Wiederholung der zweiten Hälfte der Hodu-Formel ‚denn in Ewigkeit währt seine Liebe‘ im sog. Großen Hallel Ps 136 markiert einen eindrucksvollen Abschluss der Psalmenfolge Ps 107–136“2. Diese lässt er im Blick auf den Gesamtpsalter mit Ps 2 beginnen. Die geschichtstheologischen Rückblicke in Ps 105–106 und Ps 136 haben daher nicht nur psalmentheologische, sondern auch psalterkompositorische Relevanz. In diesem zweifachen Sinn – psalmentheologisch und psalterkompositorisch – soll im Folgenden die Frage nach der Funktion von Geschichte im vierten und fünften Psalmenbuch erneut gestellt werden. Als Ausgangspunkt hierfür bietet sich der vermutlich jüngste Geschichtspsalm Ps 135 an. Denn auch wenn seine
1 Vgl. hierzu auch schon G. v. Rad, Problem, 2, der Ps 136 neben dem sog. kleinen geschichtlichen Credo (Dtn 26,5b–9) als einen entscheidenden Text für das geschichtstheologische Fundament des Jhwh-Glaubens ansieht. 2 E. Zenger, Psalmenexegese, 60 f. M. Leuenberger, Konzeptionen, 379–389 spricht in diesem Zusammenhang vom Stadium II der Fortschreibung zu einem universal-elementartheokratischen Psalter 2–136*, der um die Psalmen (107–)118–136 erweitert worden ist. Auch C. Levin, Psalm 136, 17–27 profiliert Ps 136 als vorläufigen Schlusspsalm.
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Judith Gärtner
psalterkompositorische Funktion an sich weitestgehend unumstritten ist,3 so bleibt doch zu fragen, welcher Zusammenhang zwischen dem Rückblick auf Geschichte und seiner psalterkompositorischen Funktion besteht: Wie wirkt sich die in Ps 135 zentral gestellte Frage nach der Einzigkeit Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart auf seine redaktionelle Funktion aus? Oder anders formuliert: Bietet Ps 135 psalmentheologisch wie psalterkompositorisch einen Rückblick als Ausblick und auf welche Weise geschieht dies?
1.
Ps 135 als Bekenntnis zu Jhwh als dem einzig wirkmächtigen Gott4
Der Psalm wird mit einem hymnischen Lobaufruf in V.1–3 eröffnet, der insbesondere in V.1 als ein dreifacher Imperativ „loben“ ( )הללgestaltet ist. Der Lobaufruf richtet sich an die Knechte Jhwhs, die in seinem Haus stehen und seinen Namen besingen sollen. Dem Lobaufruf folgt ein begründender כי-Satz in V.4, in dem die Erwählungstat Jhwhs als Fundament für das Gotteslob herausgestellt wird (vgl. Dtn 7,6).5 Der Hauptteil, der ebenfalls mit einem begründenden כי-Satz in V.5 eröffnet wird, formuliert das zentrale Thema des Psalms – das monotheistische Bekenntnis zur unüberbietbaren Wirkmacht Jhwhs: „Ja, ich weiß, dass Jhwh groß ist und unser Herr mehr als alle Götter“.6 Dieses zentrale Bekenntnis wird sodann im Hauptteil des Psalms V.6–18 in vier Perspektiven entfaltet. Erstens wird Jhwh in V.6–7 als Schöpfer des gesamten Kosmos dargestellt, dessen Herrschaftsgebiet Himmel, Erde, Meere sowie die chaotischen Elemente, die Tehemot, einschließt und von Anbeginn eingeschlossen hat.7 So formuliert 3 Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 662–664; M. Leuenberger, Konzeptionen 312–315 und E. Ballhorn, Telos 252–255.262f. 4 Die folgenden Ausführungen orientieren sich an dem Kapitel 4.B „Das Bekenntnis zu Jhwh als dem einen Gott in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart – Ps 135 als Variante zu Ps 136“ sowie an dem Kapitel 4.C „Das Bekenntnis zu Jhwh als alleinigem Gott in Ps 135 und Ps 136 als vorläufiger Abschluss des Psalters?“ aus meiner Habilitationsschrift, J. Gärtner, Geschichtspsalmen, 318–372. 5 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 661, beschreiben den Vers als Scharniervers, weil er mit seiner heilsgeschichtlichen Perspektive die Entfaltung Jhwhs als Herr der Geschichte in Ps 135,8–10 vorbereitet. Ähnlich auch schon L. Vosberg, Studien, 69. Vgl. weiter F. Delitzsch, Psalmen, 820 und M. Leuenberger, Konzeptionen, 312f. 6 Besonders auffallend ist, dass in Ps 135,5 vermutlich das Bekenntnis Jethros aus Ex 18,11 aufgenommen worden ist, in dem ein Midianiter als Vertreter der Völkerwelt anerkennt, dass Jhwh größer ist als alle Götter. Wird in Ps 135 auf diesen Kontext angespielt, klingt bereits das im folgenden Psalm entfaltete Thema der Einzigartigkeit Jhwhs in der Völkerwelt an. Vgl. hier vor allem F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 666. 7 Die Formulierung von Ps 135,6 in der Afformativkonjugation schließt das anfängliche
Rückblick als Ausblick in Ps 135
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die Einleitung zu dem Abschnitt in V.6: „Alles, was er wollte, hat er getan im Himmel und auf der Erde“8. Das schöpfungstheologische Handeln des Abschnitts umfasst durch die Formulierung in der Afformativkonjugation zwar das anfängliche Schöpfungshandeln. Der Fokus des Abschnitts liegt aber auf dem bewahrenden und versorgenden Handeln des Schöpfergottes. Dazu wird Jhwh vor dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Wettergottheiten als Herr des Wetters gezeichnet, der die Fruchtbarkeit auf der Erde garantiert (V.7). Es ist Jhwh, der Wolken / Nebel vom Rand der Erde heraufführt, Blitze für den Regen macht und den Wind aus seinen Kammern herausführt (vgl. Jer 10,13).9 Zweitens eröffnen diese schöpfungstheologisch begründeten Geltungsbereiche, die Jhwh als Herrn des gesamten Kosmos darstellen, den Raum seines Handelns in der Geschichte in V.8–12. Indem Jhwh, der Herr der Geschichte, hier als Krieger gezeichnet wird, wird der traditionsgeschichtliche Zusammenhang der Wettergottheiten aufgenommen und auf die Ebene des Geschichtlichen bzw. der sozialen und politischen Zusammenhänge transformiert.10 Das Geschichtshandeln selbst wird in zwei Etappen geschildert, die jeweils mit der Relativpartikel שׁund dem Verb „schlagen“ ( )נכהin V.8 und V.10 eingeleitet werden. Der erste Schlag richtet sich gegen die Erstgeburt Ägyptens,11 während der zweite Schlag auf die Tötung der mächtigen Könige Sichon und Og12 konzentriert ist und zur Gabe des Landes führt.13
8
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13
Schöpfungshandeln Jhwhs mit ein. Vgl. hierzu F. Hartenstein, Bedeutung, 358 und schon E. Haglund, Motifs, 41f. Vgl. A. Hurvitz, History, 266f. zum religionsgeschichtlichen und literarhistorischen Hintergrund der Formel. Nach Hurvitz gehört die Formel aufgrund aramäischer Parallelen in einen ursprünglich rechtlichen Zusammenhang, der aber in Ps 115,3; 135,6; Jes 46,10; Jona 1,14; Koh 8,3 nicht mehr im eigentlichen Sinn nachweisbar ist. Stattdessen dient sie in ihrem literarischen Kontext dazu, die uneingeschränkte Macht des Herrschers zum Ausdruck zu bringen. Zur Bedeutung der Wettergottattribute in Ps 135 vgl. F. Hartenstein, Wettergott, 79–83. Zudem bleibt wiederum auffällig, dass der Bezugstext in Jer 10,13 ebenfalls im Kontext der Auseinandersetzung mit den Göttern der Völker steht. So F. Hartenstein, Wettergott, 94. Die Formulierung aus V.9 ›( ‹אתות ומפתיםZeichen und Wunder) verweist auf eine vor allem im Deuteronomium verbreitete Formulierung, mit der die Plagen und der Auszug und damit die Errettung aus der Knechtschaft zusammengefasst werden. Vgl. Dtn 4,34; 6,22; 7,19; 26,8; 29,1f.; vgl. weiter Ex 7,3; Ps 78,43; 105,27; Jer 32,20f. Die gemeinsame Nennung von Og und Sichon stehen für die Landnahme und Landgabe des Ostjordanlandes und finden sich z. B. noch in Num 21,24f.35; Dtn 1,4; 3,2f.; 4,46f.; 29,6; Jos 2,10; 12,1–5. Im Unterschied aber zu Ps 135,10f. und Ps 136,17–20 werden in der Geschichtserzählung des Hexateuchs die Könige durch Og und Sichon von Mose / Josua bzw. den Israeliten im Auftrag Jhwhs besiegt. Beide Psalmen betonen hingegen aber, dass es sich um die Tat Jhwhs handelt und heben mit dieser Darstellung ihre theozentrische Geschichtsreflexion hervor. Vgl. hierzu schon A. Lauha, Geschichtsmotive, 102f. Vgl. hierzu K. Seybold, Psalmen, 504.
210
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Drittens folgen auf die geschichtstheologische Perspektive die Auswirkungen der alleinigen Wirkmacht Jhwhs in der Gegenwart der Beter in V.13–14. Diese werden mit zwei Bekenntnissen zum Namen Jhwhs und zu seinem Gedenken in V.13 formuliert und in V.14 mit einem כי-Satz ausgeführt (vgl. Dtn 32,6a).14 Dabei verweist das Bekenntnis zum „Namen Jhwhs“ ( )שׁם יהוהund das Erbarmen Jhwhs über „seine Knechte“ ( )עבדיוzurück zum Lobaufruf in V.1, in dem die Knechte Jhwhs aufgefordert werden, seinen Namen zu preisen. Auf diese Weise rahmen die beiden Bekenntnisaussagen die sich in Schöpfung und Geschichte manifestierende Wirkmacht Jhwhs, indem sie den Übergang vom geschichtstheologischen Rückblick zum Ausblick in die Gegenwart und Zukunft der Beter gestalten. Viertens folgt ein Abschnitt in V.15–18 über die Ohnmacht der Götterbilder, der die Bedeutung der Exklusivität Jhwhs nun im Hinblick auf die Völkerwelt illustriert.15 Die Ohnmacht der Götter zeigt sich daran, dass sie Machwerk von Menschen sind. Sie haben einen Mund und reden nicht, Augen und sehen nicht, Ohren und hören nicht. Denn als Machwerk von Menschen bleiben sie leblos und ohnmächtig, weil Lebendiges zu schaffen schöpferische Schaffenskraft ist, die allein Jhwh zukommt. Das bedeutet aber, dass diejenigen, die diesen Zusammenhang nicht erkennen, wie die Götterbilder selbst sind und damit vom Leben abgeschnitten werden. Nach dieser Entfaltung der Einzigkeit Jhwhs in den vier Perspektiven Schöpfung, Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Beter schließt der Psalm mit einem hymnischen Abgesang in V.19–21. In diesem werden das Haus Israel, Aaron und Levi16 sowie die Jhwh-Fürchtigen zum Lobpreis aufgerufen. Die Einbeziehung der Gottesfürchtigen in den Lobpreis des Hauses Israel, Aaron und Levi markiert hierbei nicht nur die umfassende Gültigkeit der Einzigkeit Jhwhs, die auch die Völkerwelt umfasst.17 Sie macht zugleich deutlich, dass diejenigen unter den Völkern, die eben dies erkennen, Anteil an der von diesem Gott gewährten Lebensfülle erhalten. Zugleich wird im letzten Vers des Psalms der Zion bzw. Jerusalem als Residenzort des Weltenherrschers betont (V.21), wodurch die
14 Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 662 und L. Vosberg, Studien, 70. 15 Vgl. zur Diskussion über die Bedeutung und Funktion der Götterbilder E. Zenger, Götterund Götterbildpolemik, 241, bes. Anm. 28. Zu dem hinter Ps 135 stehenden Symbolsystem der Kultbilder, vgl. F. Hartenstein, Die unvergleichliche „Gestalt“ JHWHs, 49–54 und A. Berlejung, Ikonophobie, 208–210.228–234. 16 Vgl. zur Bedeutung der Leviten und ihrer kultischen Funktion die Zusammenfassung bei A. Meinhold, Maleachi, 146–150. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 664, bringen diese Ergänzung des Hauses Levi in Verbindung mit der Chronik, da den Leviten dort als Teil der Priesterschaft eine bedeutende Rolle zukommt. Vgl. hierzu auch weiter C.A. Briggs / E.G. Briggs, Psalms, 478. 17 Zur Bedeutung der Jhwh-Fürchtigen als Proselyten aus der Völkerwelt vgl. den von W. Beyerlin, Licht, 85–89 herausgestellten Traditionszusammenhang von Ps 115 mit Ps 67.
Rückblick als Ausblick in Ps 135
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herausgehobene Stellung Israels in der Völkerwelt, wie sie bereits durch die Erwählung in V.4 genannt ist, am Ende des Psalms bekräftigt wird.18 Dieser Durchgang durch den Psalm zeigt, dass sein zentrales Thema die Entfaltung des monotheistischen Bekenntnisses aus V.5 in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart der Beter ist. Damit entfaltet der Psalm eine Dynamik, die den Beter von der Schöpfung über den Rückblick auf die Geschichte (V.8–12) zur Bedeutung der Einzigkeit Jhwhs in seiner Gegenwart (V.15–18) führt. Die Abschnitte über Jhwhs Handeln in der Geschichte in V.8–12 und seinem Handeln in der Völkerwelt in V.15–18 unterscheiden sich von den anderen Abschnitten durch nahezu wörtliche Übernahmen größerer Textzusammenhänge aus Ps 136 und Ps 115. Die mit diesen Zitaten verbundenen Deutungen des Handelns Jhwhs in der Geschichte und in der Völkerwelt werden im Folgenden im Hinblick auf das monotheistische Bekenntnis sowie die psalterkompositorischen Implikationen von Ps 135 genauer zu betrachten sein.
2.
Der Rückblick auf den Anfang – Die Geschichtstheologie von Ps 135
Der heilsgeschichtliche Abschnitt in Ps 135,8–12 ist nahezu wörtlich aus Ps 136,10.17–22 übernommen.19 Auffällig ist, dass Ps 135 die in Ps 136,10–22 vorgegebene Struktur der Heilsgeschichte aufnimmt und sie wie in Ps 136 als zwei große Schläge Jhwhs ( )נכהkonzipiert. In beiden Psalmen beginnt das Handeln Jhwhs in der Geschichte mit der Tötung der Erstgeburt als Schlag Jhwhs (Ps 136,10; 135,8). Der zweite Schlag beschreibt mit Landnahme und Landgabe den Zielpunkt von Jhwhs fundierenden Heilstaten (Ps 136,17–22; 135,10–12).20 Dabei konzentriert Ps 135 die Heilsgeschichte auf ihren Anfangspunkt, die Tötung der Erstgeburt, und ihren Schlusspunkt, die Landgabe, und zeichnet eben 18 Vgl. hierzu schon F. Delitzsch, Psalmen, 821 und H. Hupfeld, Psalmen II, 610. 19 Weitestgehend wird Ps 135 als der jüngere und Ps 136 bereits voraussetzenden Psalm angesehen. Nach K. Koch, Redaktionsgeschichte, 256 und M. Millard, Komposition, 78 sind Ps 135–136 an die Sammlung der Wallfahrtspsalmen angefügt worden. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 664 heben die Brückenfunktion von Ps 135 hervor. Die Redaktion, die Ps 135 geschaffen hat, konnte auf einen älteren Ps 136 zurückgreifen und mit Ps 135 und Ps 136 den Abschluss der Wallfahrtspsalmen schaffen. Ähnlich auch C. Levin, Psalm 136, 25f. Vgl. weiter M. Leuenberger, Konzeptionen, 312–315. Zur Exegese von Ps 136 vgl. vor allem C. Macholz, Psalm 136, 177–186; C. Levin, Psalm 136, 17–27 und V. Pröbstl, Rezeption, 179–205. 20 Die beiden Psalmen unterscheiden sich lediglich in der Verbform von נכה. Werden in Ps 136,10.17 die Taten Jhwhs mit dem Partizip beschrieben, liegt in Ps 135,8.10 die Relativpartikel שׁmit einem Verbalsatz in Afformativkonjugation vor. Diese Differenz liegt aber vor allem in der unterschiedlichen Struktur der beiden Psalmen begründet.
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Judith Gärtner
nicht wie Ps 136 eine Ereigniskette – zwar stark verdichtet – vom Auszug aus Ägypten bis zur Landnahme nach. Als Beginn und Ende der fundierenden Geschichte stehen die Tötung der Erstgeburt und die Landgabe daher paradigmatisch für ihre Gesamtheit, indem sie den Beter auffordern, die dazwischen liegenden, nicht erwähnten Ereignisse mitzudenken. Die Modifizierung der aufgenommenen Ereignisse aus Ps 136 lässt sich besonders deutlich an dem Abschnitt über die Landnahme zeigen, in dem Ps 135,10–11 seine Vorlage viermal verändert hat:21 Erstens trifft der Schlag Jhwhs in Ps 135,10a „viele Völker“ ()גוים רבים.22 In Ps 136,17 trifft er „große Könige“ ()מלכים גדלים. Zweitens tötet Jhwh in Ps 135,10b „mächtige Könige“ ()מלכים עצומים. In Ps 136,18 tötet er „starke Könige“ ()מלכים אדירים. Durch diese abweichende Akzentuierung übernimmt Ps 135,10 nicht die Intention von Ps 136,17–18, die Größe und Stärke der Könige herauszustellen, sondern weitet den Kreis der mächtigen Könige auf viele Völker aus, um so den universalen Machtanspruch Jhwhs als Herrscher über die Völkerwelt zum Ausdruck zu bringen. Drittens wird das Gebiet der Landnahme nicht wie in Ps 136,19–20 auf die beiden bedeutendsten ostjordanischen Könige Og und Sichon beschränkt, sondern um die Königtümer Kanaans erweitert. Dadurch wird das Geschehen von Landnahme und Landgabe auf das Westjordanland ausgeweitet. Viertens stimmen Ps 136,21–22 und Ps 135,12 in ihrer Beschreibung der Gabe des Landes zwar nahezu wörtlich überein. Allerdings variiert Ps 135,12b seine Vorlage in der Bezeichnung Israels. Ist das Land in Ps 136,22 Erbland für Israel „seinen Knecht“ ()עבדו, ist es in Ps 135,12 Erbland für Israel „sein Volk“ ()עמו. Mit dieser Bezeichnung Israels als Volk Jhwhs wird Israel als Gottesvolk aus der Völkerwelt herausgehoben und zugleich festgehalten, dass der universale Geltungsanspruch des einzigen Gottes auch die Völkerwelt umfasst. Durch diese Differenzen in Wortlaut und Funktion in Ps 135 gegenüber seiner Vorlage Ps 136,10–22 wird das Spezifische seiner Geschichtskonzeption sichtbar: Der heilsgeschichtliche Rückblick zielt darauf, auch die Geschichte – einschließlich der Völkerwelt – von ihren Anfängen an als Geltungsbereich des einzig wirkmächtigen Gottes zu skizzieren. In diesem Sinn ist der Rückblick auf die Geschichte ein Aspekt des in V.5 formulierten monotheistischen Bekenntnisses. Diese Akzentuierung wird durch die Aufnahme von Ps 115 weiter aus21 Den Differenzen in der Formulierung des ersten Schlags zwischen Ps 135,8f. und Ps 136,10 kommt keine konzeptionelle Bedeutung zu. So bleibt Ps 135,8 enger an der Pentateuchvorlage als Ps 136,10, indem das Schlagen der Erstgeburt ( בכורי מצריםohne Präposition; in Ps 136,10: )בבכוריהםbeschrieben wird. Zudem fehlt die Ergänzung in Ps 135,8 ‚vom Mensch bis zum Vieh‘ in Ps 136,10. Bei Ps 135,9 handelt es sich um eine Eigenformulierung des Psalms. 22 Zur Formulierung ‚viele Völker‘ ( )גוים רביםvgl. J. Jeremias, Propheten, 172, der auf die Exklusivität der Formulierung aufmerksam macht.
Rückblick als Ausblick in Ps 135
213
gestaltet.23 In diesem Sinn leitet der heilsgeschichtliche Rückblick den Ausblick auf die Herrschaftsräume Jhwhs in der Gegenwart der Beter ein.
3.
Vom Rückblick zum Ausblick – Die Einzigkeit Jhwhs in der Völkerwelt
Um die Einzigkeit Jhwhs in der Völkerwelt zu entfalten, greift Ps 135 dreifach auf Ps 115 zurück:24 Erstens wird die Formulierung „alles was er wollte, hat er getan“ aus Ps 115,3 in Ps 135,6 aufgenommen. Zweitens wird der Abschnitt über die Ohnmacht der Götterbilder aus Ps 115,4–8 in Ps 135,15–18 nahezu wörtlich zitiert. Und drittens findet sich die Aufteilung des Gottesvolkes in das Haus Israel, das Haus Aaron und die Jhwh-Fürchtigen in beiden Psalmen (Ps 115,9– 11.12 / 135,19–20). Wie bereits im Verhältnis zu Ps 136 zeigt sich auch hier wieder das theologisch Spezifische von Ps 135 in den Differenzen zu seiner Vorlage. Dies betrifft das Zitat aus Ps 115,3 und damit zusammenhängend die Funktion des Abschnitts über die Ohnmacht der Götterbilder in der Argumentation von Ps 135. Das Zitat „alles, was er wollte, hat er gemacht“ in Ps 115,3 und Ps 135,6 leitet in beiden Psalmen den Hauptteil der Argumentation ein, der jeweils auf die Ausgestaltung der Einzigkeit Jhwhs zielt. Dabei verändert Ps 135 den unmittelbaren Kontext aus Ps 115,3. In Ps 135,6 wird mit Himmel, Erde, Meer und Urfluten der universale Geltungsbereich des Schöpfergottes hervorgehoben, so dass der gesamte Kosmos zum Herrschaftsgebiet Jhwhs wird. In Ps 115,3 stehen nicht die Herrschaftsräume Jhwhs, sondern sein Segens- und Lebensfülle gewährendes Handeln als Schöpfergott im Vordergrund.25 Damit aber modifiziert Ps 135 seine Vorlage an dieser Stelle in demselben Duktus, der schon bei Ps 136 zu beobachten war. In dem genannten schöpfungstheologischen Sinn ist auch der nahezu wörtlich übernommene Abschnitt über die Ohnmacht der Götterbilder zu verstehen. Auch in Ps 135 dient die aus Ps 115 übernommene Kontrastierung der Götter23 Zur ausführlichen Exegese von Ps 115 vgl. E. Zenger, Gott Israels, 145–161, W. Beyerlin, Licht, 54–81 und F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 275–291. 24 Die Abhängigkeit von Ps 135 von Ps 115 wird von den meisten Exegeten bestätigt. Vgl. M. Leuenberger, Konzeptionen, 314f.; W. Beyerlin, Licht, 110–112 und F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 662–664. Anders C. Levin, Psalm 136, 24. Levin geht davon aus, dass Ps 115 jünger ist als Ps 135, weil die Abfolge in Ps 115,3–4 die Abfolge der älteren Schicht in Ps 135,6–15 aufnimmt, aber die Zusätze in Ps 135,7–14 noch nicht kannte. Da Levin zudem das Haus Levi in Ps 135,20 als eine späte Hinzufügung betrachtet, nimmt Ps 115 damit also die Trias Haus Israel, Haus Aaron und Jhwh-Fürchtige aus Ps 118 und Ps 135 auf. 25 Zur konzeptionellen Bedeutung von ‚machen / tun‘ ( )עשׂהin Ps 115 vgl. besonders F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 282–288.
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Judith Gärtner
bilder als Geschöpfe im Unterschied zur Schöpfermacht Jhwhs zunächst dazu, den Geltungsbereich Jhwhs über die Völkerwelt herauszustellen und ihn auch in der Gegenwart der Beter als einzig wirkmächtigen Gott zu profilieren.26 Allerdings ist die Ausrichtung der Argumentation in Ps 135 eine andere als in Ps 115. In Ps 115 ist der Abschnitt über die Ohnmacht der Götter in V.4–8 ein zentraler Bestandteil der Argumentation, indem die Götterbilder als wirkungsloses Machwerk von Menschen nicht Schöpfer, sondern Geschaffenes sind, und deswegen im Kontrast zum einzig Leben und Lebensfülle schenkenden Gott stehen (vgl. Ps 115,2.8.17).27 Daher erweist sich Jhwh als Schöpfergott in Ps 115 auch für die Völker und gewährt den Gottesfürchtigen unter ihnen Lebens- und Segensfülle. In Ps 135 wird dieser Aspekt zwar aufgenommen. Zugleich wird er aber geschichtstheologisch zurückgebunden. Denn zum einen geht dem Abschnitt über die Götterbilder das Bekenntnis zu Jhwh als Herrn der Geschichte voraus. Zum anderen schließt der Psalm zionstheologisch. Der Herr der Welt ist Jhwh vom Zion, der in Jerusalem wohnt. Dadurch wird die herausgehobene Stellung Israels als erwähltes Volk in der Völkerwelt auch am Schluss des Psalms bestätigt.28 Somit profilieren die Aufnahmen der beiden Psalmen 136 und 115 in Ps 135 die Entfaltung des monotheistischen Bekenntnisses aus V.5, indem der Geltungsbereich Jhwhs als einzig wirkmächtiger Gott heilsgeschichtlich entfaltet und auf die Völkerwelt ausgeweitet wird. Damit geschieht etwas Entscheidendes: Die die Völkerwelt umfassende Perspektive wird schon in den heilsgeschichtlichen Rückblick integriert und die Vorlage aus Ps 136 dementsprechend um die „vielen Nationen“ (Ps 135,10) ergänzt. Diese auch die Völkerwelt umfassende Wirkmacht Jhwhs in der Geschichte erweist sich unter Aufnahme von Ps 115,4–8 in der Gegenwart der Beter in der Ohnmacht ihrer Götterbilder. So verweisen die Bilder als Machwerk von Menschen gerade nicht auf die wahre Schöpfermacht, wie sie allein Jhwh zukommt, sondern bleiben in ihrer Geschöpflichkeit verhaftet (so auch Ps 115). Zugleich wird dieser Aspekt aber geschichtstheologisch erweitert, indem sich der Schöpfergott als Jhwh vom Zion und damit als der Gott Israels erweist, wie es der Psalm pointiert am Ende in V.21 formuliert. In diesem Sinn prägen die Aufnahmen und Modifizierungen von Ps 136 und Ps 115 das theologische Profil von Ps 135 entscheidend, indem der Rückblick auf die paradigmatische Geschichte in einen Ausblick auf die den gesamten Kosmos umfassende Herrschaft des einzigen Gottes vom Zion mündet.
26 Zum monotheistischen Gottesbild in Ps 115 sowie zur Frage der Bilder vgl. F. Hartenstein, Götter, 231–237 und E. Zenger, Götter, 230–245 und E. Zenger, Gott Israels, 145–161. 27 Vgl. hierzu schon F. Delitzsch, Psalmen, 821. 28 Vgl. hierzu auch die aus dem Pentateuch und der prophetischen Tradition aufgenommenen Bezugstexte Dtn 7,6; Ex 18,10f.; Jer 10,13 und Dtn 32,36.
Rückblick als Ausblick in Ps 135
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Im Folgenden ist die Perspektive auf die psalterkompositorische Bedeutung von Ps 135 auszuweiten. Hierfür ist entscheidend, dass Ps 135 sein theologisches Profil durch die Aufnahme von Psalmentexten schärft. Inwiefern diese konzentrierte Entfaltung des monotheistischen Bekenntnisses auch für die Psalterredaktion von Bedeutung ist, wird im Folgenden zu zeigen sein.
4.
Rückblicke und Ausblicke – der literarische Horizont von Ps 135
Neben den bereits oben ausführlich beschriebenen Aufnahmen von Ps 115 und Ps 136 weist Ps 135 eine Reihe weiterer intertextueller Bezugnahmen auf, die für die psalterkompositorische Stellung des Psalms relevant sind.29 Diese psalterredaktionellen Verknüpfungen lassen sich insbesondere für den Anfang und das Ende des Psalms aufzeigen: Bereits der Anfang des Psalms enthält deutliche redaktionelle Verknüpfungen mit anderen Psalmen: Zunächst findet sich das dreifache „( הללוlobt“), das auf Jh, den Namen Jhwhs sowie die Knechte Jhwhs bezogen ist, bereits in Ps 113,1.30 Auf diese Weise werden der Beginn von Ps 113 und der Beginn von Ps 135 kompositorisch aufeinander bezogen. Allerdings variiert Ps 135 das Zitat in der Reihenfolge von Ps 113. Nach dem Lob Jhs folgt erst das Lob des Namen Jhwhs und anschließend werden die Knechte zum Lob aufgerufen. Diese Differenz ist wiederum psalterkompositorisch begründet. Denn Ps 135,1f. nimmt nicht nur den Beginn von Ps 113 auf, sondern schlägt gleichsam einen Bogen zum letzten Psalm des Wallfahrtspsalters, indem auch hier wiederum der erste Vers, Ps 134,1, zitiert wird. Dadurch wird die kultische Situation der Knechte Jhwhs, die nun am Ende des Wallfahrtspsalters „im Haus Jhwhs stehen“ ()העמדים בבית יהוה, aufgenommen und als kultische Situation von Ps 135 adaptiert. In der Abfolge der Psalmen bedeutet dies, dass in Ps 135 das Ende der Wallfahrt bestätigt und das folgende Gotteslob im Tempel stattfinden wird. Deswegen ergänzt Ps 135,2 auch gegenüber seiner Vorlage die „Vorhöfe“ ()חצרות, um so den kultischen Ort des Gotteslobs noch einmal zu betonen. Auch der letzte Lobaufruf in Ps 135,3 ist psalterkompositorisch verknüpft, indem die Formulierung „Lobt Jh, ja / denn er (ist) gut/gütig“ ()הללו־יה כי־טוב einen Bezug zu Ps 136,1; 118,1.29 und zu Ps 107,1 herstellt, wobei sich die Be29 H. Hupfeld, Psalmen II, 608 spricht in diesem Zusammenhang davon, dass es sich bei Ps 135 um einen größtenteils fast wörtlichen Nachklang von anderen Psalmen handelt. Vgl. weiter M. Leuenberger, Konzeptionen, 313f. und darüber hinaus die Zusammenstellung der intertextuellen Bezüge bei F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 662f. und E. Ballhorn, Telos, 252–255.262. 30 Zur Aufnahme von Ps 113,1 in Ps 135,1 vgl. schon H. Gunkel, Psalmen, 574f.
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zugnahme an dieser Stelle nur auf die Kombination von Lobaufruf mit anschließendem כי-Satz ( )כי־טובrichtet.31 Darüber hinaus unterscheiden sich Ps 136,1; 118,1.29 und 107,1 aber darin, dass sie den Lobaufruf mit „preisen“ ()ידה, eben nicht wie Ps 135,1–3 mit „loben“ ( )הללbilden und als zweiten כי-Satz die liturgische Formel „ja / denn seine Güte ist bis in fernste Zeit“ anschließen.32 Da aber Ps 136 sowie Ps 118 im Folgenden von Ps 135 ausführlich aufgenommen werden, ist es wahrscheinlich, dass hier bereits auf diese beiden Psalmen angespielt wird und diese Differenz bewusst gestaltet ist. Wie der Lobaufruf von Ps 135 so ist auch der hymnische Abgesang des Psalms mehrfach redaktionell mit anderen Psalmen verknüpft. So findet sich die Einteilung Israels in das Haus Israel, das Haus Aaron und die Jhwh-Fürchtigen neben Ps 115,9–11.12 ebenso im hymnischen Anfangsteil von Ps 118,2–4.33 Gegenüber der Dreigliederung seiner Vorlagen ergänzt Ps 135 allerdings das Haus Levi und nimmt damit eine Viergliederung des Gottesvolkes vor.34 Schließlich greift der letzte Vers von Ps 135 noch einmal auf den Wallfahrtspsalter zurück. Zitiert wird nun dessen Abschluss in Ps 134,3, indem die Bitte um Segen („Es segne dich Jhwh vom Zion her“ [ )]יברכך יהוה מציוןin eine Aufforderung zum Preisen Jhwhs („Gepriesen sei Jhwh vom Zion her“ [ )]ברוך יהוה מציוןumformuliert wird.35 Damit wird die für Ps 135 theologisch wichtige Aussage von Jhwh als Gott Israels, der auf dem Zion wohnt, verstärkt. Zugleich wird psalterkompositorisch mit der zweifachen Aufnahme von Ps 134,1 und Ps 134,3 am Beginn und am Schluss von Ps 135,1.21 der Übergang von der in sich abgeschlossenen Sammlung der Wallfahrtspsalmen zu den nun folgenden Psalmen konzipiert. Überblickt man die oben genannten terminologischen Bezugnahmen bzw. Zitate und nimmt die Aufnahmen aus Ps 115 und Ps 136 hinzu, so erweist sich Ps 135 in einem hohen Maß als ein redaktioneller Text mit Kompilationscharakter, der Kompositionsbögen zu dem vorangehenden Wallfahrtspsalter sowie zu der Sammlung Ps 113–118 schlägt und zugleich den Übergang zu dem folgenden Ps 136 gestaltet. Dabei liegen die redaktionellen Bezüge aber nicht auf derselben Ebene: Während die Übernahmen aus Ps 115 und Ps 136 im Hauptteil 31 Vgl. hierzu E. Zenger, Confitemini, 119f. sowie M. Leuenberger, Konzeptionen, 295–300. 32 Zur Funktion und Bedeutung der Hodu-Formel als Kurzfassung der Jerusalemer Liturgietheologie vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 147f. 33 Zur ausführlichen Exegese von Ps 118 vgl. M. Mark, Stärke, 192–219 und E. Ballhorn, Telos, 198–204. 34 Vgl. in diesem Zusammenhang S. Gillingham, Singers, 91–123, die davon ausgeht, dass die Sammlung und Komposition des Psalters zur Zeit des zweiten Tempels auf die Leviten zurückzuführen ist. 35 Vgl. hierzu auch C. Levin, Psalm 136,23f. Levin vermutet darüber hinaus, dass der hymnische Imperativ ‚Preist Jhwh‘ ( )ברכו את־יהוהin Ps 135,19–20 an Ps 134,3 orientiert und deswegen die Formel aus Ps 118,2–4 ‚ja / denn seine Güte ist für fernste Zeit‘ ( )כי לעולם חסדוverändert worden sei.
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von Ps 135 zu finden sind und dementsprechend das theologische Profil des Psalms schärfen, kommt den Bezugnahmen im hymnischen Anfangs- und Schlussabschnitt von Ps 135 in erster Linie eine redaktionelle Funktion zu. Gleichzeitig sind letztere aber so konzipiert, dass sie das zentrale Thema der Einzigkeit Jhwhs aus Ps 135 bereits eröffnen.
5.
Rückblick als Ausblick: die psalmentheologische und psalterkompositorische Bedeutung von Ps 135 im 4. und 5. Psalmenbuch
Vor dem Hintergrund der oben dargestellten redaktionellen Bezugnahmen ist die psalmentheologische und psalterkompositorische Bedeutung von Ps 135 im vierten und fünften Psalmenbuch in fünf Schritten zu skizzieren: Erstens: Ps 135 schlägt in seinen hymnischen Stücken am Anfang (V.1–3) und am Schluss (V.19–21) einen psalterkompositorischen Bogen zur Sammlung Ps 111–118 sowie zum Wallfahrtspsalter, indem Ps 135,1–3 die Psalmen 113,1 und 134,1.3 miteinander kombiniert. Am Ende des Psalters wiederholt sich der zweifache redaktionelle Bogen einerseits zu Ps 113–118 und andererseits zum Ende des Wallfahrtspsalters in Ps 134,3. Somit verknüpft Ps 135 den Wallfahrtspsalter mit seinem vorangehenden Kontext. Zweitens: Die Beter von Ps 135 werden durch diese redaktionelle Funktion von Ps 135 in mehrfacher Hinsicht auf die Psalmengruppe 111–118 zurückverwiesen. Dabei ist dieser redaktionelle Bezug aufgrund des gegenwärtigen Stands der Forschung nicht leicht zu deuten, denn die Redaktion dieser Psalmengruppe im Kontext des fünften Psalmenbuches, und insbesondere die kompositorische Funktion von Ps 113, werden in der Forschung kontrovers diskutiert.36 F.-L. Hossfeld und E. Zenger gehen in ihrem Kommentar von einer Sammlung Ps 111–118 aus, in der Ps 113 eine zweifache Funktion einnimmt.37 Zum einen schließt er die Hallelujatriade von Ps 111–113 ab. Zum anderen leitet er zugleich das so genannte ägyptische Hallel Ps 113–118 ein.38 Setzt man diese Analyse 36 Forschungsüberblicke über die Redaktion des fünften Psalmenbuches finden sich bei M. Leuenberger, Konzeptionen, 269–276 sowie bei E. Zenger, Komposition und Theologie des 5. Psalmenbuches, 101–106. Zur Komposition der Sammlung Ps 113–118 vgl. weiter J. Trublet, Approche, 339–376 und Y. Zakovitch, Significance, 220–227. 37 Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 252–254. 38 Anders M. Leuenberger, Konzeptionen, 297, der nicht von einer Halleluja-Triade in Ps 111– 113 ausgeht. Er untergliedert die Sammlung Ps 111–117.118 nicht weiter, so dass dem Bezug von Ps 135 zu Ps 113 ein geringerer Stellenwert zukommt. Dennoch nimmt auch Leuenberger einen Einschnitt nach den beiden weisheitlichen akrostischen Psalmen 111–112 wahr. In diesem Zusammenhang betont er, dass Ps 113 dazu diene, Ps 111–112 mit den nachfolgenden Psalmen zu verbinden.
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einmal voraus, nimmt Ps 135,1 mit Ps 113,1 auf den Scharnierpsalm der Sammlung Bezug, während Ps 135,19–21 mit Ps 118,2–4 den letzten Psalm der Sammlung zitiert. Für Ps 135 würde dies bedeuten, dass der Psalm einen Kompositionsbogen konstruiert, der die gesamte Psalmengruppe in Erinnerung ruft und damit als bereits vorhanden voraussetzt.39 Drittens: Die Bezüge zu Ps 113,1 und Ps 118,2–4 sind nicht nur in redaktioneller und kompositorischer Hinsicht für das Verständnis von Ps 135 relevant, sondern auch von psalmentheologischer Bedeutung, da Ps 135 durch den Rückgriff auf Ps 113 und Ps 118 seine zentralen Themen bereits anklingen lässt. Dies gilt im besonderen Maße für Ps 113, der auf seine Weise die Einzigkeit Jhwhs im Himmel und auf Erden entfaltet und dies auf die Frage „Wer ist wie Jhwh unser Gott?“ zuspitzt. Damit schwingt durch den Rückgriff von Ps 135 auf Ps 113 das zentrale Thema von Ps 135 bereits in seinen ersten Versen mit: Jhwh als den einzig wirkmächtigen Gott zu loben. Ganz ähnlich wie in Ps 135 werden auch in Ps 113 die Herrschaftsbereiche des einzigen Gottes entfaltet, die neben Himmel und Erde (V.5) auch die Völkerwelt (V.4) mit einschließen.40 Auch in Ps 118,4 erstreckt sich die Wirkmacht Jhwhs auf die Völkerwelt, indem die Jhwh-Fürchtigen als Teil des Gottesvolkes genannt werden. Damit weist insbesondere Ps 113 eine theologische Nähe zum Profil von Ps 135 auf, in dem die Exklusivität Jhwhs anhand seiner Wirkmacht über die Völkerwelt herausgestellt wird. Im Hauptteil entfaltet Ps 135 dann sein zentrales Thema der Einzigkeit Jhwhs. Dazu greift Ps 135,15–18 wiederum auf die Psalmengruppe 111–118 zurück, und zwar auf Ps 115,4–8, um Jhwhs Geltungsanspruch als einzig wirkmächtiger Gott vor dem Hintergrund der Ohnmacht der Götterbilder zu illustrieren. Auf diese Weise hebt Ps 135 gezielt den Psalm aus der Sammlung 111–118 hervor, der wie Ps 113 auch das Thema der Einzigkeit Jhwhs im Hinblick auf die Völkerwelt ausführt. Viertens: Die psalterkompositorischen Bezüge in Ps 135 sind zudem nicht nur als Rückblick auf vorangestellte Sammlungen konzipiert. Vielmehr verknüpfen sie Ps 135 darüber hinaus mit dem folgenden Kontext, so dass sie dem Beter auch einen Ausblick auf das Kommende eröffnen. Dies gilt zunächst im besonderen Maße für die Aufnahme des geschichtstheologischen Abschnitts aus Ps 136 in 39 Zur redaktionsgeschichtlichen Einordnung von Ps 118 vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 320.332f. Auch J. Schröten, Entstehung, 106–112 stellt Ps 118 als Schlusspsalm des ägyptischen Hallels heraus. Anders M. Leuenberger, Konzeptionen, 276– 282.367–372, der aufgrund der Halleluja-Überschriften Ps 111–117 zu einer Einheit zusammenfasst, die ursprünglich aber mit Ps 118 abgeschlossen worden sei. Die Endredaktion des fünften Psalmenbuches habe durch die Hodu-Überschrift diese Struktur überlagert, so dass die mit der Formel ‚Preist Jhwh‘ ( )הודו ליהוהbeginnenden Psalmen (Ps 106,1; 107,1; 118,1.29 und 136,1.26) jeweils eine Untersammlung im fünften Psalmenbuch eröffnen. Währenddessen schließe der Halleluja-Ruf in Ps 111–117.135.146–150 jeweils eine Untersammlung ab. 40 Zur monotheistischen Theologie in Ps 113 vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 249–255.
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Ps 135,8–12. Durch sie wird der Wallfahrtspsalter mit dem folgenden literarischen Kontext verbunden. Damit hält Ps 135 durch den kompositorischen Bogen von Ps 113 über Ps 115 und Ps 118 zu Ps 136 einen literarischen Zusammenhang offen, der vermutlich vor der Ergänzung des Wallfahrtspsalters bestanden hat und der vor allem durch die Hodu-Formel in Ps 106,1; 107,1; 118,1.29; 136,1.26 bis ins heutige vierte Psalmenbuch hineingereicht hat.41 Für die Redaktion des vierten und fünften Psalmenbuches hat dies zwei Konsequenzen: Zum einen ist der Wallfahrtspsalter recht spät in seinen jetzigen Kontext eingebunden worden, wie dies auch die abweichende Abfolge der Psalmen in Qumran nahelegt.42 Zum anderen stützen diese redaktionsgeschichtlichen Beobachtungen die These, dass ein vorläufiger Psalter von Ps 2–136* ohne Wallfahrtspsalter und ohne Ps 13543 bestanden hat. Indem die geschichtstheologische Verbindung von Ps 106 über Ps 118 zu Ps 136 transparent bleibt, bleibt die besondere Stellung von Ps 136 als einstiger Schlusspsalm erkennbar.44 Deswegen akzentuiert Ps 135 gerade den Rückblick auf die Geschichte aus Ps 136 in seinem Hauptteil neu. Fünftens: Vor dem Hintergrund der gezielten Adaption von Psalmentexten bleibt auffallend, dass Ps 135 die Hodu-Formel aus Ps 136,1 und Ps 118,1.29 oder Ps 106 gerade nicht zitiert, sondern ihr ein dreifaches Halleluja entgegenstellt. Dieses wird durch den Halleluja-Rahmen in Ps 135,1.21 noch verstärkt. Dieser Halleluja-Rahmen ist aber nicht nur ein Rückblick auf das dreifache Halleluja aus Ps 113,1. Darüber hinaus verweist er auf der Ebene des Endtextes auch auf das kommende Schlusshallel mit seinem Halleluja-Rahmen, so dass in einer synchronen Ablauflesung ein Ausblick auf die letzten Sammlungen des Psalters entsteht.
41 Vgl. hier besonders R. Kratz, Sch emaʿ, 631 f. Zur psalterkompositorischen Funktion der Hodu-Formel vgl. vor allem M. Leuenberger, Konzeptionen, 276–282.369–372; F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 19 f.682 und E. Ballhorn, Telos, 262 f. 42 In 11 QPs a findet sich folgende Psalmenfolge: Ps 120–132.119.135–136 (+ die sogenannten catena Ps 118.1.15.16.8.9.29). Ps 133 steht in 11QPs a zwischen Ps 141 und Ps 144, während Ps 134 zwischen Ps 140 und Ps 151 als vorletzter Psalm der Handschrift zu finden ist. U. Dahmen, Psalmen- und Psalterrezeption, 315, geht davon aus, dass die eigenständige Komposition der Ps 120–132–119 aus einer protomasoretischen Komposition entwickelt worden ist, um als Schluss- und Zielpunkt der Wallfahrt nicht wie MT die Liturgie im Jerusalemer Tempel, sondern mit Ps 119 das Studium der Tora zu profilieren. So auch F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 120 im Anschluss an Dahmen. Zur abweichenden Abfolge der Wallfahrtspsalmen in Qumran vgl. weiter die Ausführungen bei M. Millard, Komposition, 219 f. und M. Leuenberger, Konzeptionen, 12 f. 43 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 101–150, 664 gehen davon aus, dass Ps 135 zusammen mit Ps 136 und dem ägyptischen Hallel eingefügt worden ist. Die dadurch entstandene Sammlung „Zionspsalter“ Ps 2–136 wird durch Ps 136 abgeschlossen, der durch die Redaktion bewusst als solcher platziert worden ist. Vgl. weiter M. Leuenberger, Konzeptionen, 314–320.369–372 und R. Kratz, Schemaʿ, 632. 44 So auch C. Levin, Psalm 136, 25.
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6.
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Fazit
Ps 135 hat sich als ein redaktioneller Text mit Kompiliationscharakter erwiesen, der durch seine redaktionellen Bögen in die Psalmengruppe 111–118 einerseits und zu Ps 136 andererseits den vermutlich spät ergänzten Wallfahrtspsalter in seinem Kontext verankert45. Dazu werden die redaktionellen Verbindungslinien so gestaltet, dass das eigentliche Thema von Ps 135, die Einzigkeit Jhwhs, psalmentheologisch entfalten wird. So konzipiert Ps 135 seinen Rückblick auf die vorherigen Sammlungen, indem mit Ps 113,1; 115,4–8.9–11.12; 118,2–4; 134,1.3 die Frage nach der Einzigkeit Jhwhs – auch für die Völkerwelt – bereits gestellt wird. Zugleich eröffnet Ps 135 einen Ausblick auf die folgenden Psalmen, indem zum einen die monotheistische Geschichtstheologie aus Ps 136,10–22 aufgenommen und im Hinblick auf die Völkerwelt spezifiziert wird. Zum anderen aber wird die Ps 136 prägende Hodu-Formel gerade nicht weitergeführt, sondern durch ein dreifaches Halleluja ersetzt. Dadurch entsteht in einer synchronen Ablauflesung ein Kompositionsbogen von Ps 113 über Ps 135 hin zum Schlusshallel. Auf diese Weise eröffnet Ps 135 mit seinem prägenden Thema der Einzigkeit Jhwhs einen Rückblick, der einen Ausblick auf den großen Lobpreis eben dieses Gottes am Ende des Psalters gewährt.
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45 Vgl. hierzu auch E. Ballhorn, Telos, 252–255, der Ps 135 in diesem Zusammenhang als Summe bezeichnet.
Rückblick als Ausblick in Ps 135
221
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Bernd Janowski
Auf dem Weg zur Buchreligion. Transformationen des Kultischen im Psalter H. M. Niemann zum 65. Geburtstag
1.
Vorbemerkungen
Das Thema, dem die folgenden Überlegungen gewidmet sind, ist schwieriger und komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Seine Schwierigkeit resultiert zum einen aus der Klärungsbedürftigkeit des Begriffs „Transformation“. Wie wir sehen werden, meint „Transformation“ nicht einfach Abbau oder Ablösung, sondern Umbau, d. h. die Schaffung einer neuen Form, bei der der ursprüngliche Sinn noch erkennbar bleibt, auch wenn ihre Funktion jetzt eine andere ist. Dieser Prozess soll im Folgenden am Beispiel der Transformationen deutlich gemacht werden, die das Thema „Kult“ in den Psalmen erfahren hat.1 Zum anderen ist das Thema komplex, weil es in den Zusammenhang der Schriftwerdung der alttestamentlichen Literatur und ihrer allmählichen Kanonisierung gehört.2 Entscheidend für das Werden des alttestamentlichen Kanons ist der Sachverhalt, dass das Alte Testament der Niederschlag vielfältiger Gotteserfahrungen ist, die zunächst in schwach ausgebildeter Form in das kommunikative Gedächtnis Israels und Judas eingingen (Mündlichkeit / Erstver1 Zur gegenwärtigen Forschungssituation siehe F. Hartenstein, Angesicht, 52ff. und zur Sache unten 243ff. 2 Siehe dazu K. Schmid, Literaturgeschichte, 216ff. und K. Schmid, Kanon, 523ff., ferner C. Dohmen / M. Oeming, Kanon, 97ff.; J. Assmann, Stufen, 11ff.; J. van Oorschot, Testament, 29ff.; G. Wanke, Kanon, 1056ff.; H. Frankemölle, Art. Einheit/Vielheit, 45f. und B. Levinson, Rechtsform, 162ff. Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist diejenige nach den materiellen Bedingungen für die Entstehung des biblischen Kanons. In Aufnahme neuerer Arbeiten hat K. van der Toorn, Catalogue, 5ff. die These vorgetragen, dass der Kanon „derives from the list of books available in the library, more specifically the library of the temple in Jerusalem“ (7). Danach wäre der Katalog der Bibliothek des Zweiten Tempels, auf den es Hinweise etwa in 2Makk 2,13–15 gibt (vgl. sachlich auch 1Sam 10,25 und 2Kön 22), ein Vorläufer des nachmaligen Kanons.
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schriftungen),3 ehe sie sich im Rahmen komplexer Entscheidungs- und Selektionsprozesse als institutionalisierte Formen der Mnemotechnik verfestigten (Schriftlichkeit / sukzessive Fortschreibungen) und schließlich als fixierte Bestandteile die Identität des biblischen und nachbiblischen JHWH-Glaubens konstituierten (Kanonisierung / Textfixierung). Dieser Prozess der Entstehungs-, Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte des Alten Testaments umfasst idealtypisch gesehen folgende Stufen: Vorbiblische Schriftzeugnisse Hebräische und aramäische Inschriften in Palästina / Israel und außerhalb Palästinas / Israels:4 – Wirtschafts- und Verwaltungsurkunden – Rechtsdokumente – Grab- und Votivinschriften – Segens- und Fluchformeln Erstverschriftung religiöser Texte (10.–8. Jh. v. Chr.) Entstehung der biblischen „Traditionsliteratur“ in unterschiedlichen sozialen und historischen Kontexten:5 – (Kultische und) weisheitliche Überlieferungen (Ps 24,7–10[?]; Prov *10,1–15,32 u. a.) – Annalistische und erzählende Überlieferungen (Ri 5,2–30[?]; Jos *18f.; Gen *25–35 u. a.) Entstehung normativer Texte (8./7.Jh. v. Chr.) Prozess des „Zusammen-Denkens“ der Überlieferungen durch Zusammenstellung und Fortschreibung einzelner Bücher bzw. Teilsammlungen:6 – Kultische und weisheitliche Überlieferungen (Ps 46,2–8; *48; 93,1–4; Prov *10,1– 22,16; 22,17–24,22; 25–29 u. a.) – Erzählüberlieferungen (Gen *13 + *18f [+ *21]); Ex *1–15 u. a.) – Prophetische Überlieferungen (Anfänge der Hos- und Am-Überlieferung; Jes *1,21– 11,5 u. a.) – Rechtsüberlieferungen (Ex *20,22–23,19; Dtn 6,4f.; *12,13–26,16 u. a.) 7
3 Zum „Modell einer mündlich-schriftlichen Bildung“ der altisraelitischen Literatur, das die traditionelle Dichotomie „Mündlichkeit“ vs. „Schriftlichkeit“ überwinden will, siehe D.M. Carr, Writing, und D.M. Carr, Bildung, 183ff. 4 Siehe dazu R.G. Kratz, Israel, 87ff. 5 Siehe dazu K. Schmid, Literaturgeschichte, 59ff. 6 Siehe dazu K. Schmid, Literaturgeschichte, 73ff. 7 Mit der Buchauffindungslegende 2Kön 22,8–13 erhält der Text des Deuteronomiums einen normativen Stellenwert und „löst […] die Kultreform Josias aus und bestimmt sie inhaltlich“ (K. Schmid, Literaturgeschichte, 217), vgl. K. Schmid, Kanon, 526f. Zur Frage nach dem religions- und theologiegeschichtlichem Hintergrund von 2Kön 22f siehe zuletzt M. Pietsch, Kultreform.
Auf dem Weg zur Buchreligion
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Prozess der Kanonisierung (587 v. Chr.–70 n. Chr.) Allmähliche Entstehung des Kanons als eines kohärenten Sinngefüges mittels diverser literarischer Techniken:8 – Kultische und weisheitliche Überlieferungen (Klgl; Entstehung des Psalters; Pg/Ps; Hi; Prov 1–9; Koh; Sir; SapSal u. a.) – Erzählüberlieferungen (Gen 37–50; *2,4b–8,22; Großgeschichtswerk Gen–2Kön; Esr/ Neh; 1/2Chr; Esth; 1/2Makk u. a.) – Prophetische Überlieferungen (Anfänge der Jer- und Ez-Überlieferung; DtJes; Hag/ Sach u. a.; TritJes; Dt-/TritoSach; Dan u. a.) – Rechtsüberlieferungen (Ex 20,2–17; Dtn 5,5–21; Lev 17–26 u. a.) Abgeschlossener Kanon (nach 70 n. Chr.) Abschluss des Kanons („Kanonschließung“) und Aneignung seiner Traditionsgehalte durch die jeweilige Glaubensgemeinschaft:9 – Nicht Fortschreibung, sondern Abschrift(en) – Rezeption in unterschiedlichen Kontexten
Der kanonische Text des Alten Testaments, so zeigt diese Übersicht, „geht aus seiner eigenen Rezeptions- und Interpretationsgeschichte hervor und treibt sie gleichzeitig voran“10. Dabei ist zu beachten, dass das alte Israel nicht mit der Exilszeit, also gleichsam ‚über Nacht‘ von einer „Kultreligion“ zu einer „Buchreligion“ mutierte, sondern beide Religionsformen in unterschiedlicher Ausprägung ab dem Ende des 7. Jh.s v. Chr.11 über einen Zeitraum von nahezu 700 Jahren nebeneinander existierten, bis mit der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70 n. Chr. „das Schriftstudium, zumindest funktional gesehen, an die Stelle des Tempelkults [trat]“12. Das Aufkommen der Buch- oder Schriftreligion ist demnach nicht als plötzlicher Umschlag, sondern als allmählicher Prozess zu verstehen. 8 Dazu zählen Techniken der Textfixierung wie die sog. Textsicherungsformel Dtn 4,2; 13,1 sowie Techniken innerbiblischer Markierung wie die Re-Artikulation u. a. Im Bereich der Psalmen sind die wichtigsten literarischen Techniken die Verkettung benachbarter Psalmen durch gemeinsame Stichwörter/Motive (concatenatio), die Nebeneinanderstellung von Psalmen nach thematischen Aspekten (iuxtapositio), die Schaffung von Teilsammlungen durch Überschriften und Doxologien und anderes mehr, siehe dazu E. Zenger, Psalmenexegese, 31ff.47ff. 9 Siehe dazu K. Schmid, Literaturgeschichte, 212ff. 10 B. Levinson, Rechtform, 183. 11 D. h. mit Deuteronomium in der Rezeption der Buchauffindungslegende in 2Kön 22f., siehe dazu oben Anm. 7. Zu Recht betont K. Schmid, Kanon, 526f., dass man „im 7. Jh. v. Chr. noch keineswegs von einer Schriftreligion im antiken Israel sprechen [kann], sondern erst von Ansätzen dazu. Das Deuteronomium ist eine Urkunde, die den Kult nicht ersetzen, sondern reformieren, nämlich monopolisieren und zentralisieren will“ (Hervorhebung im Original). 12 K. Schmid, Literaturgeschichte, 218 unter Aufnahme eines Dictums von S. Schreiner, Tora, 371ff. Zum Begriff „Buchreligion“ siehe B. Lang, Art. Buchreligion, 143ff. und K. Schmid, Kanon, 523.538f.
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Geht man von dem Datum 70 n. Chr. zu der in literaturhistorischer Hinsicht formativen Epoche des Zweiten Tempels (515 v. Chr. bis 70 n. Chr.) zurück und wendet sich hier dem Psalter zu, so trifft man auf ein Korpus von Texten, das in seiner heute vorliegenden Gestalt noch nicht abgeschlossen, sondern im Werden begriffen ist. Da man weder für das 8./7. Jahrhundert v. Chr. noch für die Zeit des Zweiten Tempels einfach von einer „Buchreligion“ sprechen kann, ist auch für den werdenden Psalter mit einem Neben- und z. T. Ineinander beider Aspekte – der „Kultreligion“ und der „Buchreligion“ – zu rechnen. Auf der anderen Seite ist deutlich, dass die Stilisierung des Psalters zu einem ‚literarischen Heiligtum‘ bzw. zu einem ‚Tempel aus Worten‘13 in der Epoche des Zweiten Tempels bereits fortgeschritten ist und er, wie die neuere Psalmenforschung gezeigt hat, nicht als „‚Gesangbuch des Zweiten Tempels‘ für die Teilnahme am Tempelkult“14, sondern als „‚geistliche Dichtung‘ im Umfeld des Tempels bzw. für den ‚privaten/ geistlichen‘ Tempelbesuch“15 entstanden ist. Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, wie das Phänomen des Kultischen, das in den Psalmen – wie in anderen zeitgenössischen Texten – zweifellos präsent ist,16 zu verstehen ist. Und weiter, wer die Initiatoren und Träger dieser Art kultischer Vorstellungen gewesen sind. Um diese Fragen zu beantworten, wird man sich vor einfachen Lösungen hüten müssen. Denn weil viele Redaktions- und Interpretationsvorgänge der exilisch-nachexilischen Zeit als Explikationen vormaliger, gerade auch kultischer Traditionsgehalte zu verstehen sind, sind auch „die vielfach beobachtbaren Vorgänge der Rezeption und Verarbeitung von königszeitlichen Quellen in der perserzeitlichen und hellenistischen Literatur des Alten Testaments […] als Kontinuität und Diskontinuität zu beschreiben“17. Damit ist ein methodischer Ansatzpunkt für die folgenden Überlegungen gewonnen. Wenn unter „Kult“ das religiöse Symbolsystem zu verstehen ist, wie es in den Kult- und Weisheitstraditionen der mittleren / späten Königszeit (8./7. Jh. v. Chr.) und ihren Leitdifferenzen Kosmos / Chaos, Leben / Tod, Licht / Finsternis, Fülle / Mangel und Gerechtigkeit / Sünde zu Tage tritt,18 zeigt sich in den Psalmen eine Reinterpretation dieser Leitdifferenzen, durch die diese theologisch wie anthropologisch zugespitzt und damit transformiert werden. Einige dieser Transformationen sollen im Folgenden konkretisiert werden. 13 14 15 16
Siehe dazu B. Janowski, Tempel, 279ff. und unten 255f. E. Zenger / F.-L. Hossfeld, Buch der Psalmen, 439. E. Zenger / F.-L. Hossfeld, Buch der Psalmen, 439. Siehe dazu K. Schmid, Literaturgeschichte, 217f. Speziell zu den Psalmengattungen, die einen Bezug zum Kult haben (offizieller Kult: Hymnen, Zionspsalmen, Klagelieder des Volkes, Königspsalmen; familiärer Kult: Klage- und Danklieder des einzelnen), siehe E. Zenger / F.L. Hossfeld, Buch der Psalmen, 441ff. 17 K. Schmid, Literaturgeschichte, 217f. 18 Siehe dazu B. Janowski, Ort, 363ff., ferner K. Schmid, Literaturgeschichte, 61f.63ff.77ff. und K. Schmid, Kanon, 535ff.
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2.
Themenfelder
2.1.
Zion und Tempel
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Als Ausgangspunkt wähle ich die Jerusalemer Tempeltheologie, weil diese bis auf das Interim der Exilszeit (587–515 v. Chr.) das Leben des Gottesvolks rund 1000 Jahre lang geprägt und dessen Hoffnungen auf Gottes Gegenwart genährt hat. Ihr zentraler Inhalt, wie er in den vorexilischen Texten Jes 6,1–5; Ps 93,1–4; Ps 46,2–8; 48 u. a. zu Tage tritt, ist die Vorstellung des Königsgottes vom Zion, der Jerusalem und seinen Bewohnern Stabilität, Fruchtbarkeit und Gerechtigkeit gewährt.19 Diese Vorstellung wird durch eine begrenzte Anzahl von Symbolen wie den aufragenden Gottesthron, den paradiesischen Gottesstrom und das leuchtende Angesicht JHWHs gebildet, die aufgrund ihrer Verknüpfung ein bestimmtes „Muster“ bilden und wie die Regeln einer Sprache auf innerer Kohärenz beruhen, also gleichsam eine „Grammatik“ und „Syntax“ besitzen.20 Das religiöse Symbolsystem, das auf diese Weise zustande kam, hat eine phänomenologische und eine semiotische Dimension.21 Beide Formen der Wahrnehmung verbinden sich, kognitionswissenschaftlich gesprochen, mit einer „theory of mind“22. Durch die phänomenologische Wahrnehmung – z. B. des „Angesichts JHWHs“23 – werden emotionale Reaktionen wie Geborgenheit und Dankbarkeit hervorgerufen, weil sich der Beter durch die Zuwendung des göttlichen Angesichts als gerettet/gerechtfertigt und durch seine Abwendung als verloren und dem Tod preisgegeben24 erlebt. Durch die semiotische Wahrnehmung – z. B. des „Gottesthrons“ – erfährt der Mensch die „Welt als ‚sinnvoll‘ wie einen ‚Text‘, der ihm etwas sagt“25. Sie spricht vor allem sein kognitives Vermögen an, indem sie den Dingen und Ereignissen über ihre unmittelbare Existenz hinaus einen Zeichenwert gibt: der Gottesthron im Zentrum der Jerusalemer Welt (axis mundi-Motiv) ist das Zeichen und der Garant ihrer Stabilität. So boten beide Formen der Wahrnehmung auf je ihre Weise den Menschen im alten Israel Orientierungen im Alltag und halfen ihnen, die Spannung zwischen der vorgestellten Ordnung der Welt und den faktischen Gegebenheiten, in denen Ordnungs- und Unordnungselemente immer ineinander liegen, durch wiedererkennbare „Muster“ aufzulösen und zu bewältigen. Diese Dialektik von kultischer
19 20 21 22 23 24 25
Siehe dazu ausführlich B. Janowski, Wohnung, 27ff. und B. Janowski, Ort, 363ff. u. a. Siehe dazu O. Keel / C. Uehlinger, Göttinen, 14, vgl. B. Janowski, Ort, 363ff. Siehe dazu G. Theissen, Erleben, 124ff. Vgl. G. Theissen, Erleben, 126. Siehe dazu unten 233ff. Als Beispiel s. etwa Ps 13,2 u. a. und dazu B. Janowski, Konfliktgespräche, 60ff. G. Theissen, Erleben, 126.
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Gottesgegenwart und alltäglicher Erfahrungswirklichkeit sollte sich in exilischnachexilischer Zeit grundlegend verschärfen. 2.1.1. Überblick Durch die historischen Ereignisse von 587 v. Chr. wurde das religiöse Symbolsystem der vorexilischen Tempeltheologie seiner Grundlagen beraubt und gleichsam falsifiziert.26 Das zeigt nicht nur die Klage über den Untergang der Gottesstadt in Klgl 1,4: Die (Pilger-)Wege Zions sind in Trauer weil niemand zum Fest kommt,27 alle ihre Tore sind verödet, ihre Priester seufzen, ihre Jungfrauen sind betrübt, ihr selbst bleibt Bitterkeit,28
sondern auch die erstaunte und höhnische Reaktion derer, die des Weges zogen und in Erinnerung an die einstige „Schönheit“ und „Wonne“ der Tochter Jerusalem ausriefen: 15b „Ist das die Stadt, von der man sagte: ‚Vollendung an Schönheit, Wonne der ganzen Erde‘?“ 16 Es rissen auf gegen dich ihren Mund alle deine Feinde, sie pfiffen und knirschten mit den Zähnen, sie sagten: „Wir haben verschlungen, ja, dies ist der Tag, auf den wir gehofft haben, wir haben (ihn) gefunden, gesehen.“ (Klgl 2,15b–16) 29
Hier werden die Zion-Prädikationen aus Ps 48,3 („Wonne der ganzen Erde“) und Ps 50,2 („Vollendung an Schönheit“) 30 zitiert und gleichzeitig ihr Verschwinden beklagt: 2
Groß ist JHWH und sehr zu preisen in der Stadt unseres Gottes. Der Berg seines Heiligtums (3) ist schön an Höhe, eine Wonne der ganzen Erde. Der Berg Zion, im äußersten Norden, ist die Stadt eines großen Königs.
26 Vgl. K. Schmid, Kanon, 535f. 27 Wörtlich: „ohne Festgänger/-pilger“. 28 Siehe dazu U. Berges, Klagelieder, 101f.; C. Frevel, Zier, 126ff.; O. Keel, Geschichte Jerusalems, 794 und O. Dyma, Wallfahrt, 329. 29 Siehe dazu U. Berges, Klagelieder, 155f. und A. Grund, Schönheit, 116ff. Zur Korrelation von Jerusalem als Stadt und Tempel als Wohnort JHWHs in Klgl 2 siehe besonders C. Frevel, Zier, 104ff.123f. 30 Ps 50 dürfte nachexilisch zu datieren sein, s. dazu unten 248ff.
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4
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Gott hat sich in ihren Palästen kundgetan als Zuflucht. (Ps 48,2–4)
Von Zion, der Vollendung an Schönheit, ist Gott aufgestrahlt. (Ps 50,2)
Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels, so lehrt Klgl 2, hatte weitreichende Folgen für das Gottes-, Welt- und Menschenbild.31 Gleichwohl verschwand die Jerusalemer Kulttradition nicht einfach von der Bildfläche, sondern wurde mit dem Bau des Zweiten Tempels reformuliert und dabei grundlegend transformiert. Eine dieser Transformationen ist im theologischen Programm der priesterlichen Sinaigeschichte (Ex *16,1–Lev 9,24[?]) zu greifen, wonach das Zionsheiligtum an den Sinai verlegt wurde und JHWH dort inmitten der Israeliten „Wohnung“ nahm (Ex 29,43–46).32 Am Sinai hat die in der Schöpfung grundgelegte Hinwendung Gottes zur Welt ihr Ziel erreicht, und zwar als Gemeinschaft mit Israel, mit dem „sich der Schöpfer wieder eine ‚Heimat‘ in seiner Schöpfung, eine Gemeinschaft (schafft), in deren Lebensvollzug (z. B. Speisegesetze; solidarische Ethik) und Ergehen (vgl. die Segensperspektive in Lev 26) die schöpfungswidrige Gewalttat in ihre Schranken gewiesen werden soll, die aber gleichwohl der noachitischen Menschheit angehörig bleibt“33.
2.1.2. Ausgewählte Textbeispiele „Gottesnähe“, das Leitthema der priesterlichen Komposition,34 ist auch ein zentraler Topos zahlreicher Psalmen, die tempeltheologisch imprägniert sind, deren Tempeltheologie aber anderen Parametern folgt als der Heiligtumsentwurf der Priesterschrift. Nehmen wir als Beispiel die zionstheologische ‚Sehnsuchtsklage‘ Ps 84, die fern vom Tempel gebetet wird und durch die sich der Beter der Wirkmächtigkeit des im Tempel gegenwärtigen Gottes vergewissert:35 Wohnen im Haus JHWHs 2
Wie lieblich sind deine Wohnungen, JHWH Zebaoth!
31 Ein ähnlich tiefgreifender Reflex auf die Katastrophe von 587 v. Chr. lässt sich Jer 6,22–26 und seiner „subversiven Aufnahme von Ps 48“ entnehmen, siehe dazu K. Schmid, Literaturgeschichte, 129f. und K. Schmid, Kanon, 535ff. 32 Siehe dazu B. Janowski, Einwohnung, 19ff. 33 E. Blum, Studien, 331. 34 Siehe E. Blum, Studien, 287ff. 35 Vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Ps 51–100, 511 (Zenger), zu Ps 84 siehe noch H. Spieckermann, Kosmos, 61ff.; O. Loretz, Zion-Wallfahrten, 477ff.; K. Ólason, Haus, 93ff. u. a.
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Gesehnt, ja sogar verzehrt hat sich meine næpæsˇ nach den Vorhöfen JHWHs, mein Herz und mein Leib jubeln dem lebendigen Gott zu. Sogar der Sperling hat ein Haus gefunden und die Schwalbe: sie hat ein Nest für sich, wo sie ihre Jungen hingelegt/-gesetzt hat bei deinen Altären36. JHWH Zebaoth, mein König und mein Gott.37 Glücklich die, die in deinem Haus wohnen, immerdar preisen sie dich! – Sela
Wallfahrt zum Zion 6 7
8
Glücklich die Menschen, deren Stärke in dir ist, gebahnte Wege38 in ihrem Herzen! Ziehen sie durch das Tal der Dürre, machen sie es zu einem Quellgrund, sogar mit Segnungen bedeckt es der Frühregen. Sie gehen von Kraft zu Kraft, ‹sie schauen›39 Gott in Zion. – Sela
Manifestationen der Gegenwart JHWHs 9
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JHWH, Gott Zebaoth, höre doch mein Gebet, vernimm doch, Gott Jakobs! – Sela Unseren Schild sieh an, o Gott, und blick an das Angesicht deines Gesalbten! 40 Ja, besser ist ein Tag in deinen Vorhöfen als tausend, die ich erwählt habe; (besser) stehen an der Schwelle im Haus meines Gottes, als wohnen in den Zelten des Frevels. Denn Sonne und Schild ist JHWH Gott, Gunst und Ehre gibt JHWH, nicht versagt er Gutes denen, die in Makellosigkeit wandeln. JHWH Zebaoth, glücklich der Mensch, der auf dich vertraut!
Ps 84 spricht von einer auf das Zionsheiligtum ausgerichteten Bewegung, die sowohl eine emotionale (Sehnsucht: V.2–5) wie eine reale Bewegung (Wallfahrt: 36 Oder: „auf deine Altäre“, s. dazu K. Ólason, Haus, 95. 37 V.4b dürfte ergänzender Zusatz sein. 38 Oder: „Pilgerwege“, siehe zu diesem Syntagma F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Ps 51–100, 509; H. Spieckermann, Kosmos, 68 Anm. 22 und K. Ólason, Haus, 103. 39 Zur dogmatischen Korrektur des MT (rʾh nif. + Präp. ʾl) sieh F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Ps 51–100, 509; H. Spieckermann, Kosmos, 68 Anm. 24; F. Hartenstein, Angesicht, 8 mit Anm. 22 und ausführlich O. Dyma Wallfahrt, 306ff. 40 Zur (sukzessiven?) Fortschreibung V.9f. siehe F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Ps 51–100, 512ff. und K. Ólason, Haus, 97.
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V.6–8) ist.41 Mit der Gottesschau auf dem Zion – V.8: „Sie gehen von Kraft zu Kraft, ‚sie schauen‘ Gott in Zion“ – verbindet sich nach V.(9f.)11–13 eine grundlegende Bestimmung der menschlichen Existenz, wenn in V.11 der Jerusalemer Tempel als Ort der Fülle (1 Tag :: 1000 Tage, Haus Gottes :: Zelte des Frevels), in V.12a der Gott dieses Ortes als richtende und schützende („Sonne und Schild“) wie als anziehende und königlich-herrschaftliche Macht („Gnade und Ehre“) und in V.12b die Menschen als „Gottes-Pilger“42 und Empfänger all dieses „Guten“ gepriesen werden. Die „Tempelfrömmigkeit“ von Ps 84 „ist nicht kultisch enggeführt, sondern intendiert eine umfassende Alltagsspiritualität (weisheitliche Perspektivik!)“43. Diese Interpretation lässt sich durch redaktionsgeschichliche Beobachtungen stützen.44 Ps 84 eröffnet die zweite Korachsammlung Ps 84f.87f., die wie die erste Korachsammlung Ps 42–49 durch zahlreiche Stichwörter miteinander verbunden ist. So sind die beiden äußeren Psalmen 84 und 88 kontrastiv aufeinander bezogen, denn sie präsentieren sich als „‚Bittgebete‘ (vgl. das Stichwort tplh in Ps 84,9; 88,3.14) einer ‚Seele‘ (npsˇ: 84,3; 88,4.15), die sich danach sehnt und danach schreit (84,3c; 88,2b.10b.14a), das rettende Angesicht JHWHs zu schauen (84,8b; 88,3a.15b), ihn ‚als Sonne‘ (84,12) zu erfahren, die ‚am Morgen‘ das Licht bringt und der Finsternis ein Ende setzt (88,14 im Kontext von 88,2.7.13.19). Die beiden Psalmen bilden dadurch einen kontrastiven Zusammenhang, daß Ps 84 eine ‚Seele‘ zeigt, die ‚von Kraft zu Kraft wandert‘ (84,8), während Ps 88 eine ‚Seele‘ zeigt, die von sich sagt, daß sie wie ein Mann geworden ist, in dem keine Kraft mehr ist (88,5).“45
Darüber hinaus gibt es mehrere Motive und Begriffe, die in beiden Korachsammlungen begegnen46 und die in ihrer spezifischen Verbindung von traditioneller Tempeltheologie und prophetisch-weisheitlicher Alltagsethik dieselbe Form von Theologie repräsentieren und demselben soziokulturellen Milieu angehören. Das zeigt sich nicht nur an der Formensprache der Einzeltexte,47 sondern auch an der Komposition von Ps 42–49. So ist etwa Ps 49 als Antwort auf Ps 42/43 zu lesen (vgl. Ps 49,16 → Ps 42,6.12; 43,5), so dass beide Texte als ‚Eckpsalmen‘ fungieren und die kollektiven Gebete und Hymnen Ps 44–48 rahmen. Für unsere Frage nach der Transformation des Kultischen im Psalter 41 Vgl. H. Spieckermann, Kosmos, 68 und O. Dyma, Wallfahrt, 295ff. 42 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Ps 51–100, 516. 43 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Ps 51–100, 519, vgl. B. Janowski / E. Zenger, Alltag, 75 (E. Zenger). 44 Zum Folgenden s. E. Zenger, Bedeutung, 175ff.; E. Zenger, Mythische, 233ff.; J. van Oorschot, Deus, 416ff.; M. Leuenberger, Konzeptionen, 102ff.115ff. u. a. 45 E. Zenger, Mythische, 247f. 46 Siehe dazu die Zusammenstellung bei F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalm 1–50, 266.273. 47 Siehe dazu die Hinweise bei J. van Oorschot, Deus, 419f.421ff.
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ist dabei wichtig, dass die in Ps 42/43 und 49 formulierten anopologischen Grundfragen der Anfeindung und Gottesferne „in ein Gespräch mit den großen Themen der israelitischen Zions- und Tempeltheologie“48 gebracht werden, wie sie in dem Triptychon Ps 46–48 zum Ausdruck kommen.49 Der tiefgreifende Wandel der Lebensvorgänge, der sich in diesem Prozess zeigt, lässt sich am Beispiel von Ps 42/43 verdeutlichen, der zum einen in der traditionellen Tempeltheologie verwurzelt ist (vgl. Ps 42,3.5; 43,3f.) und diese zum anderen, wie Ps 42,2–6 zeigt, signifikant verändert: Klage (Situation der trostlosen Gegenwart) 2 3 4
Wie eine Hirschkuh lechzt an Wasserbächen, so lechzt mein Leben (næpæsˇ) nach dir, Gott. Es dürstet mein Leben (næpæsˇ) nach Gott, dem lebendigen Gott: wann werde ich kommen und ‹sehen› das Gesicht Gottes? Es wurden mir meine Tränen (zu) Brot bei Tag und bei Nacht, wenn man zu mir sagt den ganzen Tag: „Wo ist dein Gott?“
Erinnerung (Blick in die heilvolle Vergangenheit) 5
Daran50 denke ich und schütte aus mein Leben (næpæsˇ) in/bei mir, dass ich ‹im Kreis der Edlen› zum Haus Gottes zog unter der Stimme des Jubels und Dankes einer feiernden Schar.
Hoffnung (Sehnsucht nach dem rettenden Gott) 6
Was zerfließt du, mein Leben (næpæsˇ), und was begehrst du auf gegen mich? 51 Harre auf Gott, denn ich werde ihm wieder danken, der Rettung ‹meines› Gesichts ‹und› meinem Gott.52
Mit V.2 wird der Grundton des Psalms, nämlich die Sehnsucht nach dem lebendigen Gott, angeschlagen – und zwar mit dem elementaren Bild der nach Wasser suchenden Hirschkuh, das mehrfach auf hebräischen Namenssiegeln des 8. und 7. Jh. v. Chr. erscheint.53 Das Besondere an Ps 42 ist, dass der Beter nach V.5f. (vgl. den Kehrvers V.12 und Ps 43,5) seiner eigenen næpæsˇ gegenübertritt. 48 J. van Oorschot, Deus, 419. 49 Allerdings enthält Ps 48 korachitische Zusätze, die in V.*9f.11a das Moment der Selbstreflexion der Gemeinschaft („wir“) einbringen, siehe dazu J. van Oorschot, Deus, 427f. 50 ʾlh hat eine kataphorische, d. h. auf den anschließenden kî-Satz verweisende Funktion. 51 Oder: „was bist du leidenschaftlich erregt gegen mich?“. 52 MT: „der Rettung seines Gesichts“ und andere Satzabgrenzung („mein Gott“ zu Beginn von V.7). 53 Siehe dazu B. Janowski, næpæsˇ, 31f.
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Zunächst wird aber die Ferne Gottes und das Dürsten des Beters bzw. seiner næpæsˇ nach Gott thematisiert (V.2–4) 54 und die Not in ein existentielles Bild gefasst, wonach sein Hunger nach einem gotterfüllten Leben durch Tränen ‚gestillt‘ wird. Mit V.5 ändert sich die Situation, weil sich der Beter jetzt an vergangene Zeiten erinnert, als er in der Gemeinschaft der Tempel-Wallfahrer die Nähe Gottes erlebt hatte. In diesem Zusammenhang ist davon die Rede, dass er seine næpæsˇ in/bei sich „ausschüttet“, d. h. sein Leben beklagt. So gelangt die lechzende (V.2), dürstende (V.3) und klagende næpæsˇ (V.5aβ) an einen Punkt oder besser: an einen Ort, nämlich den Tempel, an dem die Trostlosigkeit der Gegenwart überwunden und die Rettung durch den dort präsenten Gott erfahren wird. 2.1.3. Zwischenfazit I Ziehen wir ein kurzes Fazit: Wie in Ps 42/43, dem Eröffnungspsalm der ersten Korachsammlung (Ps 42–49), wird auch in Ps 84, dem Eröffnungspsalm der zweiten Korachsammlung (Ps 84f.87f.), die Existenz des Menschen – er erhält nach V.12 JHWHs „Gunst“ (hen) und Anteil an seiner „Herrlichkeit“ (ka¯bôd, vgl. Ps 8,6!) – auf dem Hintergrund der traditionellen Tempeltheologie beschrieben und neu bestimmt. Das Neue besteht darin, dass der Königsgott vom Zion nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 587 v. Chr. bekannt und an ihm trotz kontrafaktischer Noterfahrungen vertrauensvoll festgehalten wird. An die Seite der traditionellen Tempeltheologie tritt damit die persönliche Frömmigkeit, die die Tempeltheologie nicht einfach ersetzt, sondern anthropologisch erweitert und verändert.55
2.2.
JHWHs Angesicht
Ein ähnlicher Transformationsprozess lässt sich auch an der Gerechtigkeitsthematik ablesen. In der Religions- und Theologiegeschichte Israels tritt das Gerechtigkeitsmotiv nicht von Anfang an, sondern erst im Zusammenhang mit der ‚Theologisierung der Gerechtigkeit‘ in Erscheinung. Damit ist ein Prozess gemeint, in dessen Verlauf das Recht ins Zentrum der Gottesbeziehung rückt und Gottes Gerichtshandeln vorfindliches Unrecht – wie die Herrschaft des
54 Vom „Dürsten nach Gott“ ist, ohne die Metapher von der Hirschkuh, auch in Ps 63,2 die Rede: „Gott, mein Gott bist du, ich suche dich, / gedürstet hat nach dir mein Leben (næpæsˇ), / geschmachtet hat nach dir mein Leib“, siehe dazu B. Janowski, Konfliktgspräche, 22ff. 55 Vgl. J. van Oorschot, Deus, 429f.
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Menschen über einen anderen Menschen – durchkreuzt, um die ambivalente Wirklichkeit zur Ordnungsstruktur der Gerechtigkeit zu formen.56
2.2.1. Überblick Dieser Prozess, der offenbar in der sozialen und politischen Krise der mittleren und späten Königszeit (8./7. Jh. v. Chr.) einsetzt, gewinnt vor allem in den Psalmen an Profil, die JHWH als rettenden Richter akklamieren.57 Dazu gehören: Psalmenbuch I (1.Davidpsalter Ps 3–41) Teilsammlung I: Ps 4,2; 5,4ff.; 7,7ff.; 9,5.8ff./10,5.17f; 11,4ff.; 14,2 Teilsammlung II: Ps 17,1f.15 Teilsammlung III: Ps 26,1ff.8ff.; 31,2; 33,4f.13ff. Teilsammlung IV: Ps 35,1.22ff.; 36,7.11; 37,5f.27ff.; 40,9ff. Psalmenbuch II (Ps 42–72) Korach-Psalmen (Ps 42–49): Ps 43,1ff.; 48,12 (siehe auch unter Psalmenbuch III) 58 2. Davidpsalter (Ps 51–72): Ps 51,6; 54,3; 57,4; 58,12; 67,5; 68,2ff.; 71,2.15f.19; 72,1 Psalmenbuch III (Ps 73–89) Asaph-Psalmen (Ps 50.73–83):59 Ps 50,4ff.; 74,22f; 75,3f.7f.; 76,9f; 82,1ff.8 Korach-Psalmen (Ps 84–89 [86: Davidpsalm]): Ps 84,12;60 85,11ff. Psalmenbuch IV (Ps 90–106) JHWH-König-Psalmen (Ps 93–100): Ps 94,1f.; 96,10ff.; 97,1ff.; 98,2f.9; 99,3f.861
56 Siehe dazu E. Otto, Ethik, 18ff.83ff.; B. Janowski, Art. Gericht Gottes, 733f. u. a. 57 Siehe dazu H. Niehr, Art. ˇsa¯pat, 425ff.; B. Janowski, Richter, 97ff. und B. Weber, Werkbuch Psalmen III, 172ff. Der Ort, von dem aus JHWH richtet, ist der Himmel, der Tempel bzw. seine irdische // himmlische Wohnstatt: Himmel: Ps 7,7ff.; 9,5.8ff.; 14,2; 33,13ff.; 76,9f.; 82,1ff.8; Tempel Ps 5,4ff.; 26,1ff.8ff.; 71,1ff.; 99,3f.8; Himmel // Tempel Ps 11,4ff.; 50,4ff.; 58,12. Zum exilisch-nachexilischen Theologumenon des Aufstiegs JHWHs zum Himmelsgott siehe K. Schmid, Himmelsgott, 116ff. und F. Hartenstein, Erschaffer, 383ff. 58 Zur kompositorischen und thematischen Parallelität von Ps 42/43 und Ps 84/85 siehe E. Zenger, Bedeutung, 186ff. 59 Zu den thematischen Gemeinsamkeiten (Volksklage, Gerichtsprophetie, Weisheitsbelehrung) der Asaph-Psalmen und den hinter ihnen stehenden Trägerkreisen (kultprophetische bzw. levitische Kreise), siehe B. Weber, Psalm 77, 277ff. (besonders 281 Anm. 5); B. Weber, Asaf, 245ff. und B. Weber, Werkbuch Psalmen III, 167ff. 60 JHWH wird hier als „Sonne“ und „Schild“, d. h. als richtende und schützende Macht prädiziert, siehe dazu oben 231. 61 Dabei gehören Ps 93,1–4; 96; 97,1–9(?) und 98 zur (früh)nachexilischen Grundkomposition und Ps 93,5; 94; 97,10–12(?) und 99 zur priesterlichen Redaktion, siehe dazu M. Leuenberger, Konzeptionen, 227ff.
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Psalmenbuch V (Ps 107–150) Wallfahrtspsalmen (Ps 120–134): Ps 129,4 5. Davidpsalter (Ps 138–145): Ps 143,1.11; 145,7.17 Schlusshallel (Ps 146–150): Ps 146,3ff.; 149,4ff.
Wie diese Übersicht zeigt, tritt das Gerichtsmotiv in bestimmten Teilsammlungen gehäuft auf, während es in anderen weitgehend bzw. ganz fehlt. Obwohl es in allen fünf Psalmenbüchern vertreten ist, begegnet es besonders häufig im 1., 2. und 5. Davidpsalter, in den Korach- und Asaph-Psalmen sowie in den JHWH-König-Psalmen. Sein Kern ist der Licht/Finsternis-Gegensatz, in dem sich derjenige von Kosmos / Chaos abbildet.62 Wie „Licht“ ein Epitheton für „Gott“ (Ps 27,1) 63 und eine Metapher für „Wahrheit“ ist (Ps 43,3), so besteht auch zwischen „Licht“ und „Leben“ (vs. „Finsternis“ und „Tod“) ein elementarer Zusammenhang (vgl. Ps 13,4; 18,29f.;64 80,4 u. ö.).65
2.2.2. Ausgewählte Textbeispiele Die Licht/Gerechtigkeit-Relation verbindet sich in besonderer Weise mit der Vorstellung vom „Angesicht JHWHs“, die nicht nur im Psalter, sondern auch im Pentateuch, und zwar im Deuteronomium und in der Priesterschrift präsent ist. Dazu nur einige Hinweise. So ist nach Dtn 16,16f. das Motiv vom „Angesicht JHWHs“ nicht nur mit dem Thema „Segen“, sondern durch die redaktionelle Verknüpfung mit den anschließenden Ämtergesetzen (Dtn 16,18–18,22) auch mit dem Thema „Gerechtigkeit“ verbunden: (16) Dreimal im Jahr sollen alle deine Männer das Angesicht JHWHs (penê JHWH), deines Gottes, ‚sehen‘66 an der Stätte, die er erwählen wird: am Fest der ungesäuerten Brote, am Wochenfest und am Laubhüttenfest. Man soll das Angesicht JHWHs (penê JHWH) nicht mit leeren Händen ‚sehen‘, (17) sondern jeder gebe, was er kann, entsprechend dem Segen JHWHs, deines Gottes, den er dir gegeben hat. (Dtn 16,16f.) 67 62 Siehe dazu B. Janowski, Art. Licht und Finsternis, 330f. und B. Janowski, Licht des Lebens, 221ff. 63 Vgl. 2Sam 22,29 u. ö., zu Ps 27 siehe im Folgenden. 64 Siehe dazu K.-P. Adam, Held, 140ff. 65 Der Zusammenhang von Licht und Leben findet sich außer im Psalter noch besonders in der Weisheitsliteratur, siehe Hi 3,16.20; 24,13–17; 32,6–33,33 u. ö. und dazu R. Egger-Wenzel, Freiheit Gottes, 136ff. u. a. 66 Zur Vermeidung des Anthropomorphismus „das Angesicht JHWHs sehen“ hat MT das Verb rʾh wie auch in Ps 42,3; 84,8 u. ö. ins Nifal vokalisiert, siehe dazu die Hinweise bei B. Janowski, Konfliktgespräche, 30 mit Anm. 86; 34 mit Anm. 105 und T. Veijola, 5. Buch Mose, 328 mit Anm. 1180. 67 Siehe dazu T. Veijola, 5. Buch Mose, 328.341f., vgl. auch die lipnê JHWH-Belege Dtn 12,7.12.18; 14,23.26; 15,20; 16,11; 26,5.10.13 und 27,7 und dazu N. Lohfink, Opferzentralisation, 240.
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Die Nähe zu JHWH, der sein Volk mit seinen Gaben segnet, ereignet sich nach deuteronomischem Verständnis im Fest. Die Freude des Festes, die, wie N. Lohfink68 gezeigt hat, alle Schichten des Gottesvolks ergreift und dem Alltag Sinn und Ziel gibt, ist der Gegenpol zur politischen, gesellschaftlichen und familiären Alltagswirklichkeit: „Die Gegenwart Jahwes bleibt mit dem Heiligtum – jetzt also allein dem Zentralheiligtum – verbunden. Aber verdichtet wird sie jetzt nicht mehr erfahren, wenn die Opferriten am Altar vollzogen werden, sondern in der Aufrichtigkeit der nach der Darbringung zu sprechenden Gebete und in der Freude des auf das Opfer folgenden gemeinsamen Festmahls.“69 Die Freude, die im gemeinsamen Mahl am Heiligtum zum Ausdruck kommt und die das Deuteronomium seinen Teilnehmern anempfiehlt („du sollst fröhlich sein […]“),70 ist Ausdruck der Dankbarkeit – und zwar für den von JHWH geschenkten Segen oder mit T. Veijola: „Was der Mensch hat, verdankt er dem Segen Gottes.“71 Was dem Deuteronomium in seinem Kultverständnis gelang – nämlich die kultsymbolische Realisierung der Einheit Israels –, das ging mit der Zerstörung des ersten Tempels verloren und musste in der Literatur der exilisch-nachexilischen Zeit mühsam zurück gewonnen werden. Diese ‚Revisionen‘ geschahen allerdings unter veränderten politischen und sozialen Bedingungen und folgten deswegen anderen Parametern. Im Unterschied zum Deuteronomium entwirft etwa die Priesterschrift in ihrer Sühnetheologie eine von kultischer Reinheit geprägte Gegenwelt zur politischen, gesellschaftlichen und familiären Wirklichkeit ihrer Zeit, indem sie das Gottesvolk gedanklich an den Sinai zurückführt. Da die Welt- und Israelgeschichte nach der Priesterschrift ihr Zentrum im „Wohnen“ (sˇa¯kan) des Schöpfergottes inmitten der Israeliten hat (vgl. Ex 25,8; 29,45f.) und die – die Sinaiperspektive der Priestergrundschrift (Ex *16,1–Lev 9,24 [?]) fortsetzenden – Riten von Lev 1672 die Unreinheiten und Verfehlungen Israels beseitigen bzw. überwinden sollen, tragen sie gemäß der konstitutiven Relation von Tempel und Schöpfung73 dazu bei, den „Prozeß der partiellen Restitution der ursprünglichen Schöpfungsordnung im Heiligtum und damit in der Wirklichkeit dieser Welt fortzusetzen“74. Im Heiligtum am Sinai hat die in der Schöpfung grundgelegte Hinwendung Gottes zur Welt demnach als Gemeinschaft JHWHs mit seinem Volk ihr Ziel erreicht – allerdings erst, wenn durch das rituelle Handeln, wie es im Buch Levitikus und besonders in Lev 16 beschrieben wird, eine der ursprünglichen Schöpfungsordnung entsprechende, d. h. die kultischen und ethischen Zerklüftungen (Kosmos/Chaos, heilig/profan, rein/unrein) überwindende Welt geschaffen wird.75
68 N. Lohfink, Opferzentralisation, 240ff. mit Hinweis auf frühere Arbeiten zum Thema, vgl. auch Braulik 1988, 161ff. 69 N. Lohfink, Opferzentralisation, 240. 70 Zur deuteronomischen „Mahnung zur Freude“ siehe G. Braulik, Freude, 179ff. 71 T. Veijola, 5. Buch Mose, 342. 72 Siehe dazu B. Janowski, Geschenk, 3ff. 73 Zum Zusammenhang von Weltschöpfung und Heiligtumsbau in der Priesterschrift siehe B. Janowski, Tempel, 214ff.; B. Janowski, Schöpfung, 521 u. a. 74 J. Jürgens, Heiligkeit, 425 (Hervorhebung im Original). 75 Vgl. J. Jürgens, Heiligkeit, 426.
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Dies ist der übergreifende theologische Zusammenhang, in dem die kultischen Bestimmungen der Priesterschrift ihren Ort haben. Sie rekurrieren dabei ausgesprochen häufig auf das Motiv des „Angesichts JHWHS“, und zwar in Form der Präpositionalverbindung lipnê JHWH „(in Bezug auf das Angesicht JHWHs/die Vorderseite JHWHs) vor JHWH“, die sowohl in räumlich-statischem wie in räumlich-dynamischem Sinn verwendet wird.76 Während nach der ersten Verwendungsweise der Platz/Vorhang vor der Lade, der Schaubrottisch, der Leuchter, der Altar im und vor dem Begegnungszelt sowie der Platz vor dem Begegnungszelt „vor JHWH“ lokalisiert werden, vollzieht sich die Mehrzahl der Kulthandlungen nach der zweiten Verwendungsweise ebenfalls lipnê JHWH: das „Schwingen“ und Herbeibringen der Opfergaben, das Schlachten der Opfertiere, der Sühneritus u. a. Der Kult vollzieht sich danach coram Deo, d. h. er ist „eine mögliche Antwort auf die Frage nach der Existenz des Menschen coram Deo, vor Gottes Angesicht. An sich kann der Mensch coram Deo nicht bestehen, aber Gott selbst eröffnet die Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen und Prädispositionen die Begegnung mit Gott zu wagen“77.
Während die deuteronomischen und die priesterlichen penê JHWH/lipnê JHWHBelege auf die kultsymbolische Realisierung der Einheit Israels (Dtn) bzw. die Konstituierung einer von kultischer Reinheit geprägten Gegenwelt (P) ausgerichtet sind, sucht man kultische/rituelle Konnotationen bei den entsprechenden Belegen in den Psalmen in der Regel vergebens.78 Dennoch ist das „Angesicht“Motiv im Psalter von vergleichbarer Grundsätzlichkeit und nimmt hier, wie die folgende Übersicht zeigt, einen breiten Raum ein:79 Psalmenbuch I (1.Davidpsalter Ps 3–41) Teilsammlung I: Ps 4,7; 9,4.20/10,11; 11,7; 13,2 Teilsammlung II: Ps 16,11; 17,2.15; 18,7; 19,15; 21,7.10; 22,25.28.30; 24,6 Teilsammlung III: Ps 27,8(bis).9; 30,8; 31,17.21; 34,17 Teilsammlung IV: Ps 41,13 Psalmenbuch II (Ps 42–72) Korach-Psalmen (Ps 42–49): Ps 42,3.6.12/43,5; 44,4.25; 2. Davidpsalter (Ps 51–72): Ps 51,11.13; 56,14; 61,8; 62,9; 67,2; 68,2.3.4.5.9(bis); 69,18
76 Siehe dazu die Belegübersicht bei H. Simian-Yofre, Art. pa¯nîm, 653. 77 T. Hieke, Kult 146, vgl. 143. 78 Kontrovers diskutiert werden in diesem Zusammenhang Ps 27,6 (siehe dazu unten Anm. 80); 96,8f. und 141,2. Bei der minha¯h von Ps 96,8f. (im Kontext von V.7–10) handelt es sich m. E. ˙ nicht um ein rituelles Opfer („Speiseopfer“), sondern wie in Ps 68,30 (Gott als Empfänger der minha¯h) und in 72,10 (der König als Empfänger der minha¯h) um eine Huldigungsgabe, die die ˙ ˙ „Sippen der Völker“ JHWH in seinen Vorhöfen darbringen sollen, anders F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 51–100, 669 (Hossfeld). Und nach Ps 141,2 soll das Gebet des Bedrängten als „Räucheropfer“ (qetoræt) // das Erheben seiner Hände als „Abendgabe“ (minhat-ʿa¯ræb) ˙ gelten, s. dazu auch unten 246. 79 Siehe dazu die Tabellen bei F. Hartenstein, Angesicht, 223ff.227ff.231ff.244ff.256ff.
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Psalmenbuch III (Ps 73–89) Asaph-Psalmen (Ps 50.73–83): Ps 50,3; 76,8; 79,11; 80,4.8.17.20; 89,15.16 Korach-Psalmen (Ps 84–89 [86: Davidpsalm]): Ps 85,14; 86,9; 88,3.15; 89,15f. Psalmenbuch IV (Ps 90–106) Komposition Ps 90–92: Ps 90,8 JHWH-König-Psalmen (Ps 93–100): Ps 95,2.6; 96,6.9.13; 97,3.5; 8,6.9; 100,2 3. Davidpsalter (Ps 101–103): Ps 102,1.3.29 1. Halleluja-Triade (Ps 104–106): Ps 104,29; 105,4 Psalmenbuch V (Ps 107–150) Exoduserinnerung: Ps 114,7(bis) 3. Halleluja-Triade (Ps 115–117): Ps 116,9 Aphabetischer Torapsalm: Ps 119,58.135.169f. 5. Davidpsalter (Ps 138–145): Ps 139,7; 140,14; 141,2; 142(bis); 143,2.7
Das „Angesicht“-Motiv ist danach in allen fünf Psalmenbüchern belegt, hat aber einen Schwerpunkt in den Büchern I–III. Nehmen wir als Beispiel Ps 27 (innerhalb der Teilsammlung Ps 25–34), wo auf eine Erfahrung im Bereich des Tempels (vgl. V.4f.6) angespielt wird: Bekenntnis des Vertrauens (V.1–3) 1
JHWH – mein Licht (ʾôr) und meine Rettung ( jesˇaʿ), vor wem sollte ich mich fürchten? JHWH – Schutzburg meines Lebens, vor wem sollte ich erschrecken? […]
Wunsch nach Gottesnähe (V.4–6) 4
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Eins habe ich erbeten von JHWH, darum ersuche ich immer wieder: mein Wohnen im Haus JHWHs alle Tage meines Lebens, zu schauen die Freundlichkeit JHWHs und innig zu betrachten seinen Palast. Ja, er soll mich bergen in seiner Hütte am Tag eines Übels, soll mich verbergen im Schutz seines Zelts. Auf einem Felsen soll er mich erhöhen – so wird denn erhoben sein mein Haupt über meine Feinde rings um mich her! Dann will ich schlachten in seinem Zelt Opfer mit/unter Jubel,80 will singen und spielen für JHWH!
80 Nach R. Schmid, Opfer, 48ff. bezieht sich die Wendung zibhê-terûʿa¯h nicht auf eine Dank˙ opferzeremonie. „Es handelt sich vielmehr um Opfer der Huldigung an Gott, den König, um
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Bittgebet unter Todesanklage (V.7–13) 7
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Höre (also), JHWH, meine Stimme! Ich rufe immerfort, so sei mir gnädig und antworte mir! An dich dachte mein Herz: „Sucht auf mein Angesicht!“ Dein Angesicht, JHWH, will ich aufsuchen! Verbirg nicht dein Angesicht vor mir, weise nicht ab im Zorn deinen Knecht! Meine Hilfe warst du (doch)! Gib mich nicht auf, verlass mich nicht, Gott meiner Rettung! […]
Schlussmahnung 14
Harre auf JHWH, sei mutig, und stark sei dein Herz! Ja, harre auf JHWH! 81
Wie F. Hartenstein detailliert herausgearbeitet hat, ist dieser Text von einer „Audienzvorstellung“82 geprägt, für die mehrere, sich gegenseitig verstärkende Bedeutungsaspekte konstitutiv sind: generell die Erwartung des Schutzes bei JHWH und speziell die Hoffnung auf Rettung/Rechtshilfe durch JHWH, die Teilhabe an der von ihm gewährten Lebensfülle sowie die jubelnde Antwort darauf. Signifikant ist dabei der Sachverhalt, dass sich die Gewährung bzw. Nichtgewährung des Gebetsanliegens mit dem aufstrahlenden bzw. ausbleibenden „Leuchten“ des göttlichen Angesichts verbindet und der Beter dementsprechend Zuwendung, Rechtshilfe und Rettung oder Lebensminderung bis hin zum Tod erfährt.83 Die Wahrnehmung dieses „Leuchtens“ war nicht die Wahrnehmung von etwas ‚Geistigem‘ oder ‚Unsichtbarem‘ im Gegensatz zu etwas Opfer des festlichen Tempelkultes von Jerusalem“ (52). Dieses ‚Huldigungsopfer‘ könnte „eben das Loblied (die Loblieder) bezeichnen, das der Beter nach der Rettung ‚opfern‘ will. Auch hier muß offenbleiben, ob dieses ‚Jubelopfer‘ ein Tieropfer einschließt“ (H.-J. Hermisson, Sprache, 51). Diese Interpretation passt zur Audienzszenerie von Ps 27. Zu Ps 100,1 s. unten 244 mit Anm. 108. 81 Übersetzung F. Hartenstein, Angesicht, 66ff., siehe zu Ps 27 auch R. Feldmeier / H. Spieckermann, Gott der Lebendigen, 495ff. 82 Siehe dazu F. Hartenstein, Angesicht, 65ff. (mit dem Resümee 205ff.) und die Tabellen 244f.256ff., ferner B. Weber, Werkbuch Psalmen III, 109f.174ff. und R. Feldmeier / H. Spieckermann, Gott der Lebendigen, 210f.212f.282f.340ff. u. ö. 83 Nominal: Ps 4,7; 44,4; 89,16; 90,8; verbal: Ps 4,7; 31,17; 67,2; 80,2.4.8.20; 119,135, siehe dazu F. Hartenstein, Angesicht, 177ff. und die Übersichten 207.258, ferner B. Janowski, Licht des Lebens, 227ff. Ein locus classicus für diesen Zusammenhang ist der aaronitische Segen Num 6,24–26, siehe dazu F. Hartenstein, Angesicht, 182ff.194ff.215ff. u. ö. Zum Vergleich von Num 6,2.5f. mit Ps 13,2b.4b siehe B. Janowski, Licht des Lebens, 229ff.
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‚Materiellem‘ oder ‚Sichtbarem‘, sondern „sehr wahrscheinlich eine höchst konkrete und ‚reale‘ Begegnung mit der Gottheit“84. Das zeigt ein Text wie Ps 11, in dem ebenso wie in Ps 4; 9/10; 17; 31; 43; 50; 51; 67; 68; 76; 85; 96; 97; 98 und 143 das „Angesicht“-Motiv in Verbindung mit dem Gerichtsmotiv85 auftritt: 4
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JHWH (weilt) in seinem heiligen Tempel, JHWH – im Himmel ist sein Thron;86 seine Augen schauen, seine Wimpern prüfen die Menschen. JHWH prüft den Gerechten und den Frevler, wer Gewalt(tat) liebt, den hasst seine næpæsˇ. Er lasse regnen über die Frevler Klappnetze, Feuer und Schwefel. Und ein Glutwind sei der Anteil ihres Bechers! Denn gerecht ist JHWH, Gerechtigkeitstaten liebt er, die Gerechten werden sein Angesicht schauen! (Ps 11,4–7)
Besonders aufschlussreich für unseren Zusammenhang ist Ps 17. Mit drei einleitenden Bitten um Gehör macht der bedrängte Beter JHWH zunächst auf sein Rechtsanliegen – die „gerechte Sache“ (sædæq) – aufmerksam (V.1*) und wendet ˙ sich daraufhin seinem „Angesicht“ // seinen „Augen“ zu: 1* Höre doch, JHWH, Gerechtigkeit, merke auf mein Flehen! Vernimm mein Gebet von Lippen ohne Falsch! 2 Von deinem Angesicht gehe mein Recht aus, deine Augen mögen schauen Geradheit.
Von JHWHs Angesicht, so bittet der Beter, möge sein gerechtes Urteil (misˇpa¯t) ˙ „ausgehen“, indem JHWHs prüfende Augen seine „Geradheit, Rechtschaffen87 heit“ schauen. Der Psalm endet nach einer Unschuldsbeteuerung (V.3–5) und eindringlichen Bitten (V.6–12.13f.) in V.15 mit der Hoffnung auf eine Gottesschau, die ihm beim Erwachen am Morgen zuteil werden möge:
84 F. Hartenstein, Angesicht, 123, siehe dazu auch die grundsätzlichen Überlegungen 10ff.120ff. 85 Das Gerichtsmotiv begegnet an folgenden Stellen: Ps 4,7; 9,4.20/10,11; 11,7; 17,2.15; 31,17.21; 50,3; 51,11.13; 67,2; 68,2.3.4.5.9(bis); 76,8; 85,14; 96,6.9; 97,3.5; 98,6.9 und 143,2.7. 86 Zur Parallelität Himmel // Tempel siehe die Hinweise oben Anm. 57. Zur Vorstellung vom „himmlischen Thron JHWHs“ siehe außer F. Hartenstein, Angesicht, 142ff. u. ö. noch B. Ego, Herr, 556ff. 87 Die prüfenden Augen, die „sehen, was recht ist“ (V.2b) sind nach F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalm 1–5, 116 die des richtenden und rettenden „Sonnengottes“ JHWH, vgl. noch Ps 11,4ff. und 14,2. Das „Prüfen“ von Herz und Nieren ist ein Akt des Richtergottes, siehe Ps 7,10; 26,2; Jer 11,20; 20,17, ferner Ps 17,3; Spr 17,3 u. a. und zur Sache B. Janowski, Konfliktgespräche, 170ff.
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Ich – in Gerechtigkeit werde ich dein Angesicht schauen, ich werde mich sättigen (sa¯baʿ) beim Erwachen an deiner Gestalt (temu¯na¯h).
Die Wendung „Sättigen an der Gestalt JHWHs“ (V.15b) ist singulär und in ihrer Bedeutung umstritten. Sie lässt sich aufgrund des Parallelismus zu V.15a („das Angesicht JHWHs schauen“) aber vielleicht verständlich machen. Unproblematisch ist dabei die Redeweise vom „Sattwerden, sich Sättigen“ (s´a¯baʿ) des Beters, die wie in Ps 104,27f („Nahrung“ // „Gutes“) etwas Konkretes meint.88 Im Unterschied zu Ps 104,27f. ist das Sättigungsmittel aber nicht die leibliche Nahrung aus der Hand Gottes, sondern die „Gestalt, Erscheinung“ (temu¯na¯h) JHWHs.89 Damit muss nicht ein physiognomisch wirkender Außenreiz in Form eines anthropomorphen Kultbildes ( JHWH-Statue) gemeint sein – vorausgesetzt, dass es ein solches überhaupt gegeben hat.90 Das „Sehen“ der königlichen „Gestalt“ JHWHs meint vielmehr eine Wahrnehmung Gottes, in der sich seine rettende Gerechtigkeit (vgl. V.2f.) für den Beter sinnenfällig manifestiert, indem sie für ihn „sichtbar“ und erlebbar wird. „Gott auf diese Weise schauen bedeutet, sich in seinem ‚Raum‘ des Rechts, des Schutzes und der Lebensfülle aufzuhalten.“91 Die „Sättigung“, die dem Beter beim Sehen der „Gestalt“ JHWHs zuteil wird, ist darum die Manifestation seiner Rettung.
2.2.3. Zwischenfazit II Welche Folgerungen ergeben sich aus diesen Beobachtungen für unsere Frage nach den Transformationen des Kultischen im Psalter? Wie wir oben festgestellt haben, ist mit der Zerstörung des Zweiten Tempels „das Schriftstudium, zumindest funktional gesehen, an die Stelle des Tempelkults“92 getreten, so dass erst nach 70 n. Chr. aus der vormaligen Kultreligion eine Buchreligion wurde. Für die gesamte Zeit des Zweiten Tempels ist dagegen mit einem Neben- und z. T. auch Ineinander beider Religionsformen und überdies mit einem lebendigen Opferkult zu rechnen.93 Gleichzeitig rücken Aspekte in den Vordergrund, die die Parameter der traditionellen Kultreligion verschieben, indem sie auf eine persönliche Gottesbeziehung ohne materielle Opfer zielen.94 Als ‚literarisches Heiligtum‘ bzw ‚Tempel aus Worten‘ wirken die Psalmen dabei als Katalysator, der die 88 Zu Ps 104,27f. siehe A. Krüger, Lob, 338ff.348ff. 89 Siehe dazu besonders F. Hartenstein, Angesicht, 126ff., ferner C. Dohmen, Mensch, 39 Anm. 23. 90 Zur Diskussion um ein anthropomorphes Kultbild siehe die Hinweise bei B. Janowski, Ort, 388 Anm. 95. 91 F. Hartenstein, Angesicht, 115. 92 K. Schmid, Literaturgeschichte, 218, vgl. oben 225 mit Anm. 12. 93 Vgl. K. Schmid, Literaturgeschichte, 217f. 94 Zum Thema „Opfer“ in den Psalmen siehe unten 243ff.
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Entwicklung zur Buchreligion vorantreibt. Für diesen Prozess dürfte das Phänomen der Davidisierung des Psalters mitverantwortlich sein, wonach David zum „exemplarischen Menschen“ und damit zur Identifikationsfigur für das betende Israel wird: „Er ist verfolgter und armer Mensch (vgl. Ps 3–14). Er ist verfolgter und von Gott geretteter König, der sich als Gerechter Gott im Heiligtum nähern darf (vgl. Ps 15–24). Er ist Sünder, der auf Vergebung und Rettung durch den König JHWH hoffen darf (vgl. Ps 25–34). Er ist von Krankheit und Verfolgung geschlagener Sünder, der von Gott gerettet wird, während die hartnäckigen Feinde ihn trotz seiner Schwäche nicht überwältigen können (vgl. Ps 35–41). Der Facettenreichtum des David im ersten Davidpsalter entspricht der Charakterisierung Davids in den Daviderzählungen der Samuelbücher. Sein volles Leben von 70 Jahren, seine musikalische Begabung und sein vielschichtiger Charakter haben ihn als Integrationsfigur und anthropologisches Modell für den ersten Davidpsalter geradezu angeboten.“95
Der Kern dieses „anthropologischen Modells“ ist die personale Gottesbeziehung, wie sie in verdichteter Form in der Rahmung von Ps 17 und ihrer Inversion des „Angesicht“-Motivs zum Ausdruck kommt. Wenn, worum der Bedrängte bittet, JHWHs Angesicht ihn rechtfertigt (V.2), wird er auch das Angesicht JHWHs schauen (V.15): 1* Höre doch, JHWH, Gerechtigkeit, merke auf mein Flehen! Vernimm mein Gebet von Lippen ohne Falsch! 2 Von deinem Angesicht gehe mein Recht aus, deine Augen mögen schauen Geradheit. 15 Ich – in Gerechtigkeit werde ich dein Angesicht schauen, ich werde mich sättigen beim Erwachen an deiner Gestalt.
Da das „Sehen“ des göttlichen Angesichts auch nach Ps 17 nirgendwo anders als im Tempel geschieht,96 geht es nicht um eine Ablösung, sondern um eine Transformation tempeltheologischer Vorstellungen, die dem Primat einer direkten Kommunikation zwischen Gott und Mensch dienstbar gemacht werden. Was ehemals auf die Gottesbegegnung im Rahmen kultisch-ritueller Vollzüge gemünzt war, das ereignet sich nach den Psalmen, die vom „Angesicht JHWHs“ sprechen, im Kontext mentaler Vorgänge, die nicht weniger konkret sind als materielle Kulthandlungen.97 Die Begegnung mit dem Tempelgott erscheint da95 F.-L. Hossfeld, David, 254. 96 Das ergibst sich aus dem auf die schützende (Thron-)Sphäre Gottes – „im Schatten deiner Flügel“ – anspielenden V.8f: „(8) Behüte mich wie einen Augapfel, im Schatten deiner Flügel berge ich mich (9) vor Frevlern, die mich vergewaltigt haben, (vor) meinen Feinden bis ans Leben, (die) mich umkreisen!“, siehe dazu F. Hartenstein, Angesicht, 128f.146ff. mit der Synopse 172ff. 97 Zum „mentalen Bild JHWHs“ bzw. zur „mentalen Imagination“ siehe auch T. Podella, Rezension: es ist zu beachten, „dass kultische Sprache und Terminologie mancher Psalmen
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nach als „mentale Szenerie“98, die sogar, wie Ps 42/43 und 84 zeigen,99 fern vom Tempel stattfinden konnte.
2.3.
Feste und Opfer
Das dritte Themenfeld, das für unsere Fragestellung relevant ist, ist das Thema „Feste und Opfer“. Geht man bei der Frage nach Festtraditionen im Psalter100 von den Festkalendern des Pentateuchs aus und sucht im Psalter nach Texten, die konkrete Kultvollzüge im Rahmen von Festen schildern, so wird man, wie F.-L. Hossfeld dargelegt hat, „schnell enttäuscht“101. Außer Anspielungen auf das Herbst-/Neujahrsfest102 und vor allem die Toda-Feier103 gibt es kaum belastbare Hinweise auf Kulthandlungen und Riten in den Psalmen. Der Grund dafür dürfte der Sachverhalt sein, dass der Psalter nicht die Agende für den Kult des Zweiten Tempels war, sondern als „‚geistliche Dichtung im Umfeld des Tempels‘ bzw. für den ‚privaten/geistlichen Tempelbesuch‘“104 zu verstehen ist. Man kann deshalb nicht ohne weiteres auf eine hinter den Psalmen liegende Ebene zugreifen, um einen kultischen „Sitz im Leben“ ans Licht zu fördern. Ähnliches ergibt sich im Blick auf das Thema „Opfer“ in den Psalmen.
2.3.1. Überblick Die Psalmen verfügen neben traditionellen Opfertermini und -vorstellungen105 über eine eigene Opferterminologie und -theologie. Die folgende Übersicht stellt die wichtigsten Aspekte zusammen und unterscheidet zwischen den Belegen für Dank- und Gelübdeopfer, opferkritischen Aussagen und der Metaphorisierung von Opferaussagen/-begriffen.106 Mehrfachnennungen sind dabei beabsichtigt, weil sich die Bedeutungsaspekte z. T. überschneiden:
98 99 100 101 102 103 104 105 106
gegenständlich Konkretes […] in das Medium der Sprache und des Buches transformiert. Rezitation, Interpretation, Lehre und Hören auf biblische Texte treten an die Stelle kultischer Vollzüge; kultische Termini referieren nicht auf Gegenstände, wie Körper und Bilder, sondern evozieren deren mentale Imagination“ (255). F. Hartenstein, Angesicht, 123. Siehe dazu oben 229ff. Siehe dazu F.-L. Hossfeld, Festtraditionen, 157ff. F.-L. Hossfeld, Festtraditionen, 159, vgl. auch K. Seybold, Poetik, 38f. Siehe dazu F.-L. Hossfeld, Festtraditionen, 165ff. Siehe dazu im Folgenden. Zum Zitatnachweis s. oben 226 mit Anm. 15. Siehe dazu die Übersicht bei C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 33ff. Statt von „Metaphorisierung“ spricht C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 179ff.228ff. weiterhin von „Spiritualisierung“, siehe dazu unten 247 mit Anm. 125–126.
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Dank- und Gelübdeopfer – tôda¯h als „Dankopfer“: Ps 56,13; 116,17, ferner Ps 107,22 (?); als „Danklied“: Ps 26,7; 42,5; 50,14.23 (?);107 69,31; 95,2; 100,1.4;108 147,7 – nedær/nædær: Ps 22,26; 50,14; 56,13; 61,6.9; 65,2; 66,13; 116,14.18 Opferkritische Aussagen – gegen falsches Opferverständnis: Ps 40,7–9; 50,8–13; 51,18f.; 69,31f. – Kritik an Opfern für Fremdgötter bzw. Tote / an Kinderopfern für Dämonen // Götzen Kanaans: Ps 16,4; 106,28.37f.109 Metaphorisierung von Opferaussagen/-begriffen – im Rahmen der Opferkritik: Ps 50,14.23; 51,19 – ohne opferkritischen Hintergrund: Ps 119,108; 141,2
Wenden wir uns, bevor wir auf das zentrale Dankopfer/-lied (tôda¯h) eingehen, zunächst den opferkritischen Aussagen und der Metaphorisierung von Opferaussagen/-begriffen zu. Die opferkritischen Aussagen liegen dabei auf unterschiedlichen Ebenen. Die folgenden Texte üben Kritik an einem falschen Opferverständnis: 7
8
9 9 13
An Schlachtopfer und Speiseopfer hast du (sc. JHWH) kein Gefallen (ha¯pas) – ˙ ˙ Ohren hast du mir gegraben, Brandopfer und Sündopfer hast du nicht verlangt. Einst sprach ich: „Siehe, ich bin gekommen, in der Schriftrolle (ist) über mich geschrieben!“ Am Tun nach deinem Wohlgefallen (ra¯sôn), mein Gott, habe ich Gefallen (ha¯pas), ˙ ˙ ˙ und deine Tora (ist) inmitten meiner Eingeweide. (Ps 40,7–9) 110 Ich (sc. JHWH) brauche aus deinem Haus keinen Stier zu nehmen, noch Böcke aus deinen Hürden. Sollte ich das Fleisch von Stieren essen und das Blut von Böcken trinken? (Ps 50,9.13) 111
107 Siehe dazu unten 250.252. 108 Die Frage, ob sich das Verb rûaʿ hif. „in Jubel ausbrechen, jauchzen“ in Ps 100,1 auf den Kontext eines Danklieds (so H.-J. Hermisson, Sprache, 37 u. a.) oder eines Dankopfers (so F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalm 51–100, 710 u. a.) bezieht, wird kontrovers beantwortet. Mit H.-J. Hermisson neige ich zur Interpretation von tôda¯h in Ps 100,1.4 als „Danklied“. 109 Zur Kritik an Trankopfern von Blut für Fremdgötter (Ps 16,4), an Opfern für Tote (Ps 106,28) sowie an Kinderopfern für die Dämonen // Götzen Kanaans (106,37f.) siehe C. RadebachHuonker, Opferterminologie, 224f. mit der dort genannten Lit. 110 Siehe dazu H.-J. Hermisson, Sprachen, 43ff. Da V.10f. ausführen, was in V.9 gesagt wird, bedeutet das „Tun nach deinem Wohlgefallen“ (V.9a), „dass der Beter Jahwe (durch ein Loblied) die Ehre gibt. Dieses Loblied wäre dann wie die Opfer lrswn“ (45). ˙ 111 Siehe dazu unten 250.
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Herr, meine Lippen mögest du öffnen, und mein Mund soll verkündigen dein Lob (tehilla¯h)! Denn am Schlachtopfer hast du kein Gefallen (ha¯pas), ˙ ˙ und gebe ich ein Brandopfer – du hast kein Wohlgefallen (ra¯sa¯h) (daran). ˙ ‹Mein› Schlachtopfer,112 Gott, ist ein zerbrochener Geist, ein zerbrochenes, zerschlagenes Herz verachtest du, Gott, nicht. (Ps 51,17–19) 113 Ich will preisen (hll pi.) den Namen Gottes mit einem Lied (sˇîr), und ich will ihn groß machen mit einem Danklied (tôda¯h), ja, das gefällt JHWH besser als ein Rind (sˇôr), als ein Stier mit Hörnern und gespaltenen Klauen. (Ps 69,31f) 114
„Opferkritik“ bedeutet nach diesen Texten nicht eine generelle Ablehnung der materiellen Opfer, sondern die Kritik an einem falschen Opferverständnis – im Kontext des Opferkults! „Loblied als (oder: statt) Opfer“115 ist die Aussageintention dieser Texte. Das unterscheidet diese Form der Kritik von der prophetischen Kultkritik.116 Mit dieser haben die opferkritischen Psalmen zwar die Anrechnungsterminologie gemeinsam (ha¯pas / ra¯sa¯h in Ps 40,7; 51,18),117 die sie ˙ ˙ ˙ im Unterschied zur Priesterschrift ebenfalls nicht affirmativ verwenden.118 Dennoch „sind Propheten und Psalmen von verschiedenen Positionen aus zu einer Kritik am Opferkultus gelangt“119. Nach den Gründen dafür wird noch zu fragen sein. Jedenfalls haben die opferkritischen Aussagen der Psalmen ihr Zentrum im Gotteslob (tôda¯h) und ihren Ort im Opferkult. Dabei ist genauer auf die sprachliche Gestalt der genannten Texte zu achten, die zwischen semantischer Innovation und konventioneller Bedeutung oszilliert. Ein derartiges Oszillieren belegen nicht nur die Constructus-Verbindungen zibhê˙ sædæq „Schlachtopfer der Gerechtigkeit/rechte Schlachtopfer“ (Ps 51,21) 120 und ˙ 112 So mit H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 383; H-J. Hermisson, Sprache, 47f. u. a. 113 Siehe dazu H-J. Hermisson, Sprache, 46ff. Zur Differenz von Ps 51,18f. und Ps 51,20f. siehe unten 250f. 114 Mit der Gegenüberstellung von ˇsîr und ˇsôr dürfte ein Wortspiel beabsichtigt sein: „das ‚Lied‘ entspricht dem ‚Rind‘“ (H-J. Hermisson, Sprache, 39), vgl. dazu auch C. RadebachHuonker, Opferterminologie, 35f. mit Anm. 11. 115 H.-J. Hermisson, Sprache, 46, vgl. C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 225ff. 116 Siehe dazu unten 252. 117 Zur prophetischen Anrechnungsterminologie siehe C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 224 Anm. 6. 118 Jedenfalls nicht in Bezug auf materielle Opfer, wohl aber in Bezug auf „Schlachtopfer der Gerechtigkeit“ (Ps 51,21), vgl. unten 250f. 119 H.-J. Hermisson, Sprache 144, vgl. C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 228. 120 Vgl. Ps 4,6 („opfert Schlachtopfer der Gerechtigkeit/rechte Schlachtopfer und vertraut auf JHWH“), ferner Dtn 33,19. Im Unterschied zu Mal 3,3 (minha¯h bisda¯qa¯h „eine Opfergabe in ˙ Gerechtigkeit“) sind die zibhê-sædæq in Ps 4,6 nicht Opfer,˙ die „den Vorschriften der Tora ˙ ˙ Gesinnung bestehen“, sondern Opfer, die „in Gerechtigkeit entsprechen und in der rechten bestehen sollen, d. h. ‚die Mächtigen‘ sollen jene ‚Schlachtopfer‘ darbringen, die wirklich
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nidbôt pî „die Gaben meines Mundes“ (Ps 119,108), sondern auch die Wendungen „‹Mein› Schlachtopfer ist ein zerbrochener Geist“ (Ps 51,19), und „mein Gebet als Räucheropfer“ // „das Erheben meiner Hände als Abendgabe“ (Ps 141,2): Mit opferkritischem Hintergrund 19
‹Mein› Schlachtopfer, Gott, ist ein zerbrochener Geist, ein zerbrochenes, zerschlagenes Herz verachtest du, Gott, nicht. (Ps 51,19) 121
Ohne opferkritischen Hintergrund Die Gaben meines Mundes (nidbôt pî) nimm doch wohlgefällig an, JHWH, und lehre mich deine Rechtsentscheide! (Ps 119,108) Mein Gebet möge als Räucheropfer (qetoræt) dastehen vor dir, das Erheben meiner Hände als Abendgabe (minhat-ʿa¯ræb)! (Ps 141,2) ˙
Wie sind diese Wendungen zu verstehen? Während die Constructus-Verbindung „Schlachtopfer der Gerechtigkeit/rechte Schlachtopfer“122 auf eine Wertung zielt (genitivus qualitatis), lässt sich in Ps 51,19; 119,108 und 141,2 eine deutliche Akzentverschiebung vom Ritus zum Gebet bzw. vom Kult zur Anthropologie greifen. Das belegen die Körperbegriffe „Geist“, „Herz“, „Mund“ und „Hände“, die das Augenmerk auf den Beter und dessen persönliche ‚Hingabe‘ im Gebet bzw. im Danklied lenken:123 ‹Mein› Schlachtopfer, Gott, ist ein zerbrochener Geist, ein zerbrochenes, zerschlagenes Herz verachtest du, Gott, nicht. (Ps 51,19) Die Gaben meines Mundes nimm doch wohlgefällig an, JHWH, und lehre mich deine Rechtsentscheide! (Ps 119,108)
zum Heil führen: Sie sollen soziale Gerechtigkeit praktizieren und aufhören mit ihrer Ausbeutung der Armen (‚der Vielen‘), indem sie JHWH zum Maß und zur Mitte ihres Lebens machen. Genau dies alles heißt: ‚Vertraut auf JHWH!‘“ (F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 62 [Zenger]). Zu zibhê-terûʿa¯h „Schlachtopfer mit/unter Jubel“ in Ps 27,6 ˙ siehe oben 238 mit Anm. 80. 121 Zu Ps 50,20f. siehe unten 250f. 122 Siehe dazu Zwickel, Opfer, 386–391, der unter sædæq „das der jeweiligen Situation Angemessene“ versteht und das Syntagma zibhê-sædæq mit „angemessene Opfer“ übersetzt. Nach D. Michel, Art. Gerechtigkeit, 796f. ˙ist ˙sædæq ein Kollektivbegriff (nomen collectivum), der im Unterschied zu seda¯qa¯h (nomen˙ unitatis: „Gerechtigkeitstat“) die Normge˙ Zustand bezeichnet, der so ist, wie er sein soll oder muss: mäßheit meint und damit einen richtig, angemessen, ordnungsgemäß, vgl. auch die Wendungen „Waagschalen der Gerechtigkeit/richtige Waagschalen (moʾznê sædæq Lev 19,36; Ez 45,10; Hi 31,6, siehe dazu auch die Hinweise Ges18 1103 s. v. sædæq 1d), ˙„rechtschaffene Männer“ (ʾansˇê sædæq Sir 9,16) oder ˙ „Wagenspuren der Gerechtigkeit/rechte Bahnen“ (maʿggelê-sædæq˙ Ps 23,3) und dazu ˙ siehe oben Anm. 80. B. Janowski, Hirte, 258f. Zur Wendung zibhê-terûʿa¯h in Ps 27,6 ˙ 123 Vgl. C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 230 mit Anm. 18; 233 u. ö.
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Mein Gebet möge als Räucheropfer dastehen vor dir, das Erheben meiner Hände als Abendgabe! (Ps 141,2)
Dass diese Akzentverschiebung aber, wie die Opfertermini „Schlachtopfer“, „(freiwillige) Gaben“, „Räucheropfer“ und „Abendgabe“ deutlich machen, keinen Auszug aus dem Kult und seinem Symbolsystem bedeutet124 und deshalb auch nicht als „Spiritualisierung“,125 sondern als „Metaphorisierung“126 bezeichnet werden sollte, zeigt die für die Psalmenfrömmigkeit charakteristische Form des Toda-Opfers. Ihr wenden wir uns abschließend zu.
2.3.2. Ausgewählte Textbeispiele Die wichtigste Form des Danks im Alten Testament ist das mit dem „Danklied“ (tôda¯h) verbundene „Dankopfer“ (zæbah [hat]tôda¯h bzw. zæbah tôda¯h ˙ ˙ ˇsela¯mîm), das als Gemeinschaftsmahl dargebracht wurde (Am 4,5; Lev 7,11–15; 22,29f, vgl. 2Chr 29,31; 33,16).127 Nach den Dankliedern des einzelnen hatte der Beter in der Situation der Not die Darbringung eines Gelübdes (nedær/nædær) versprochen, das er im Rahmen eines Gemeinschaftsopfermahls einlöste (Ps 50,14; 56,13; 116,17f., vgl. Ps 22,26f. u. ö.) 128 und dessen wesentliches Element die tôda¯h war. Die Frage ist aber, ob der Begriff tôda¯h, der im Psalter 12mal belegt ist,129 ein „Dankopfer“ oder ein „Danklied“ meint. Bekanntlich kommen beide Bedeutungen in Frage. Dass eine tôda¯h als „Danklied“ das „Dankopfer“ ersetzen kann, 124 Wie H.-J. Hermisson, Sprache, 50 im Blick auf Ps 51,19 betont, „wird hier mit dem ‚Opfer‘ nicht etwas neben das bekennende Loben gestellt, denn dieses ‚Opfer‘ ist […] in strenger Weise dem Lob, der twdh, zugeordnet“. Und in Ps 141,2 ist die Explikation „als“ zu beachten: das Gebet // Erheben der Hände nimmt die Stelle des Opfers ein – aber unter Rekurs auf die Opferterminologie, vgl. H.-J. Hermisson, Sprache, 56. 125 H.-J. Hermisson, Sprache, 27 definiert „Spiritualisierung“ folgendermaßen: „Der Vorgang der Spiritualisierung ist die Lösung kultischer Begrifflichkeit und Sprache von der damit verbundenen oder bezeichneten kultischen Erscheinung“, s. dazu die kritischen Anmerkungen von F. Hartenstein, Angesicht, 53f. 126 Nach F.-L. Hossfeld, Metaphorisierung, 22f. bezeichnet die Metaphorisierung „das Ineinanderschieben mehrerer Bedeutungsebenen und Konnotationen bei einem bestimmten Begriff. Absicht ist die Offenheit für verschiedene Formen der Bedeutungserweiterung ohne Negation des Konkreten wie beim Begriff der ‚Spiritualisierung‘. Die ‚Metaphorisierung‘ muß nicht darauf festgelegt werden, dass sekundär ein Begriff von außen ausgeweitet wird, sondern kann dem Begriff von Haus aus mitschwingende Bedeutungen offenlegen bzw. explizieren“ (Hervorhebung von mir), s. zur Sache auch B. Janowski, Konfliktgespräche, 21ff.; K. Liess, Weg, 155ff. und F. Hartenstein, Angesicht, 52ff. 127 Siehe dazu H.-J. Hermisson, Sprache, 32ff. und G. Mayer / J. Bergman / W. von Soden, Art. jdh, 455ff. 128 Siehe dazu T. Tita, Gelübde, 105ff. 129 Ps 26,7; 42,5; 50,14.23; 56,13; 69,31; 95,2; 100,1.4; 107,22; 116,7 und 147,7.
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geht aus Ps 26,7; 42,5; 69,31ff. und 147,7 hervor;130 auch in Ps 95,2 und 100,1.4 dürfte eher von einem „Danklied“ als von einem „Dankopfer“ die Rede sein.131 Schwieriger zu entscheiden sind dagegen die Fälle, wo der Begriff tôda¯h jeweils in Verbindung mit dem Opferterminus za¯bah „schlachten“ belegt ist wie in ˙ Ps 50,14.23 (+ tôda¯h); 107,22 (+ zibhê tôda¯h) und 116,17 (+ zæbah tôda¯h).132 ˙ ˙ Gehen wir zur genaueren Analyse von Ps 50 aus: 1*
Ein Psalm Asaphs
Theophanieschilderung 1* El, Gott, JHWH, hat gesprochen und gerufen die Erde vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang. 2 Von Zion, der Vollendung an Schönheit, ist Gott aufgestrahlt. 3 Unser Gott komme und schweige nicht.133 Feuer frisst vor ihm her, und rings um ihn stürmte es sehr. 4 Er ruft dem Himmel oben zu und der Erde, zu richten sein Volk: 5 „Versammelt mir meine Frommen, die meinen Bund über dem Schlachtopfer schließen.“ 6 Die Himmel haben seine Gerechtigkeit verkündet, ja, Gott selbst ist Richter. – Sela
1*
Dreifachtitulierung Gottes und kosmische Dimension seines Wortes
2f.
Schilderung der Lichterscheinung Gottes
4f.
Aufruf JHWHs zur Versammlung seiner Frommen
6
Kosmische Verkündigung der Gerechtigkeit Gottes
Erster Teil der JHWH-Rede 7 „Höre doch, mein Volk, ich will reden, 7 Israel, ich will über dich Zeugnis ablegen, Gott, dein Gott bin ich! 8 Nicht wegen deiner Schlachtopfer weise ich 8ff. dich zurecht, und deine Brandopfer sind ständig vor mir. 9 Ich nehme nicht aus deinem Haus einen Stier, noch Böcke aus deinen Hürden. 10 Denn mir gehört alles Wild des Waldes, die Tiere in den Bergen zu Tausend.
Höraufruf + Selbstvorstellung Gottes Ablehnung der Tieropfer mit Begründung (10ff.)
– Eigentumsdeklaration des Schöpfers (10f.)
130 Siehe dazu G. Mayer / J. Bergman / W. von Soden, Art. jdh, 467 (Mayer) und ausführlich H-J. Hermisson, Sprache, 37ff. 131 Vgl. H-J. Hermisson, Sprache, 37, Zu Ps 100,1.4 siehe oben Anm. 108. 132 Siehe dazu auch H-J. Hermisson, Sprache, 3734ff. 133 Der Wunschsatz V.3a unterbricht die Schilderung der Theophanie V.1–6.
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Ich kenne alle Vögel der Berge, und die Insekten des Feldes sind bei mir. Hätte ich Hunger, würde ich es dir nicht – Kritik am Opfer als sagen, Nahrung Gottes (12f.) denn mir gehört der Erdkreis und was ihn erfüllt. Esse ich etwa das Fleisch von Stieren und trinke ich das Blut von Böcken? 14f. Weisung zum rechten Opfere (za¯bah) Gott Dank (tôda¯h) ˙ Opfer und erfülle (sˇlm pi.) dem Höchsten deine Gelübde (neda¯rîm) und rufe mich an am Tag der Not – ich werde dich erretten, und du wirst mich ehren!“
Zweiter Teil der JHWH-Rede 16f. Anklage (Doppelfrage) 16 Und zum Frevler sprach Gott: + Verstärkung durch „Was (erlaubst) du dir, meine Satzungen weisheitliches Ethos aufzuzählen, und nahmst meinen Bund in deinen Mund? 17 Aber du, du hasst Zucht, und warfst meine Worte hinter dich. 18 Wenn du einen Dieb sahst, hattest du Wohl- 18ff. Konkretisierung der Anklage gefallen an ihm, und mit Ehebrechern (war) dein Teil. 19 Deinen Mund hast du ausgesandt mit Bösem, und deine Zunge flicht Trug. 20 Du sitzt, gegen deinen Bruder redest du, auf den Sohn deiner Mutter legst du Makel. 21 Solches hast du getan – und ich sollte 21 Zusammenfassung schweigen? Bildest du dir ein, ich sei wie du? Ich weise dich zurecht und will es dir vor Augen stellen!“ Schluss 22 „Erkennt doch dies, die ihr Gott vergesst, damit ich nicht zerreiße und niemand da ist, der rettet!
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Weisheitliche Mahnung
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Wer Dank (tôda¯h) opfert (za¯bah), ehrt ˙ mich, 134 und wer auf den Weg achtet, den lasse ich sehen das Heil Gottes.“
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Lehrsatz über den Zusammenhang von Kult und Ethik
Dieser Psalm, der im Stil einer durch weisheitliche Elemente gebrochenen Gerichtsrede gehalten ist,135 gliedert sich in eine Theophanieschilderung (V.1–6) und eine zweiteilige JHWH-Rede, die zum einen gegen ein falsches Opferverständnis (V.7–15) und zum anderen gegen konkrete Einzelvergehen (V.16–21) gerichtet ist. Der Schluss V.23, der zusammen mit V.22 ebenfalls als JHWH-Rede stilisiert ist, fasst beide Teile zusammen, indem er in seiner ersten Hälfte V.23aα bündelt, was in V.7–15, und in seiner zweiten Hälfte V.23aβ.b bündelt, was in V.16–21 gesagt wird. Wie dabei die beiden Partizipialwendungen zobeah tôda¯h ˙ „wer eine tôda¯h opfert“ und ´sa¯m dæræk „wer auf den Weg achtet“ zeigen, sind das Opfern der tôda¯h und das Achten auf den Weg Handlungskorrelate, die das Gott/ Mensch- und das Mensch/Mensch-Verhältnis umfassend, nämlich bezogen auf Kult und Ethik, beschreiben. Die eigentliche Frage ist aber, ob das Syntagma za¯bah + tôda¯h (V.14.23aα) im ˙ Sinn der Darbringung eines Dankopfers nach dem Vorbild von Lev 7,12ff. oder eines Danklieds zu verstehen ist und ob diese zweite Darbringungsform das Ende der „materiellen“ Opfer bedeutet. Die Opferkritik von Ps 50,8–15 hat, wenn man sie mit derjenigen von Ps 40,7–9; 51,18f. und 69,31f.136 vergleicht, eine eigene Aussageintention: Schlacht- und Brandopfer sind legitim, wenn sie im richtigen, und illegitim, wenn sie im falschen Verständnis vollzogen werden. Wie in Ps 51,20f. – aber im Unterschied zu Ps 51,18f.137 – geht es auch hier nicht um generelle Opferkritik, sondern um „eine Reform des Opferkultes auf dem Zion“138. Diese Reform hat ihr Zentrum in dem Gedanken, dass das Danklied als Opfer139 dargebracht wird, was der Text mit dem Syntagma za¯bah tôda¯h aus˙ drückt. Damit ist der traditionelle opferkultische Zusammenhang, wie er in V.8 134 ´sa¯m dæræk ist wohl Breviloquenz für ´sa¯m libbô ʿal dæræk, siehe dazu die Sachparallelen bei Ges18 1284f. s. v. ´sîm/s´ûm 4. 135 Siehe dazu F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 308f. (Hossfeld) und zu Ps 50 H. Gese, Psalm 50, 149ff.; H. Spieckermann, Rede Gottes, 159ff.; C. Süssenbach, Psalter, 75ff; C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 161ff. u. a. 136 Zu diesen Texten s. oben 244f. 137 Siehe dazu im Folgenden. 138 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 310, vgl. 313ff. 139 Vgl. H.-J. Hermisson, Sprache, 34ff; H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, 534; H. Spieckermann, Rede Gottes, 161 u. a., anders H. Gese, Psalm 50, 161ff.; F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 314f, die von einem Dankopfer ausgehen. Nach C. Süssenbach, Psalter, 81f.; C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 36.162.169ff.225f. u. a. sind beide Deutungen möglich.
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unter Rekurs auf das Schlacht- und das Brandopfer vorausgesetzt wird,140 durchbrochen und zwar durch eine Theologie der Dankbarkeit, die das Gott/ Mensch-Verhältnis auf eine neue Grundlage stellt, ohne den Bereich des Opferkults zu verlassen. Diese neue Grundlage ist die tôda¯h. Als lobpreisende Antwort auf Gottes Rettung ist sie keine menschliche Leistung, sondern „Ausdruck einer Grundhaltung, die sich allein auf Gottes Gnade angewiesen weiß und in ihm den Geber aller Dinge sieht“141. Die Bedeutung der opferkritischen Aussagen von Ps 50 lässt sich durch redaktionsgeschichtliche Beobachtungen untermauern. Der Asaphpsalm Ps 50 eröffnet den 2. Davidpsalter (Ps 51–72) und verklammert dadurch diesen mit der folgenden Gruppe der Asaphpsalmen Ps 73–83.142 Dabei fällt auf, dass Ps 50 und 51 durch das Thema des rechten Opfers miteinander verbunden sind, wobei wichtige Differenzen zu beachten sind. Während Ps 51,17–19143 eine generelle Opferkritik formuliert und dem Schlacht- und Brandopfer, an denen JHWH kein Gefallen hat, den „zerbrochenen Geist“ // das „zerbrochene, zerschlagene Herz“ als Schlachtopfer des Beters – „‹Mein› Schlachtopfer“ – gegenüberstellt, spricht der sekundäre Anhang Ps 51,20f. von Opfern, die JHWHs Wohlgefallen finden („Schlachtopfer der Gerechtigkeit/rechte Schlachtopfer“): 20 21
Tue Zion doch Gutes in deinem Wohlgefallen (ra¯sôn), ˙ du mögest die Mauern Jerusalems wieder aufbauen! Dann wirst du Gefallen haben (ha¯pas) an Schlachtopfern ˙ ˙ der Gerechtigkeit/rechten Schlachtopfern (zibhê-sædæq), ˙ ˙ an Brandopfern und Ganzopfern. Dann kann man Stiere auf deinem Altar darbringen.
In der durch JHWH (!) erneuerten Gottesstadt, so verheißt dieser Text, wird dieser auch Gefallen an Opfern haben, die nicht wie diejenigen von V.18 der Kritik unterliegen. Denn sie sind „Anerkennung und Dank für die Gegenwart des ‚Gottes der Gerechtigkeit‘ inmitten seines Volkes, und zwar im doppelten Sinne: Sie sind öffentliche Anerkennung der Herrschaft JHWHs über die Gottesstadt und über ihre Bewohner“144. Dieselbe Redaktion, auf die diese Bearbeitung zurückgeht, dürfte auch für die Voranstellung von Ps 50 vor Ps 51 verantwortlich sein. Damit bildet Ps 50 ein programmatisches Vorwort zur David-Asaph-
140 Vgl. auch V.5! V.8 macht deutlich, dass Schlacht- und Brandopfer nicht der Grund für die Ablehnung der Tieropfer sind, wie sie in V.9 und V.13 zum Ausdruck kommt. Insofern bildet die tôda¯h V.14.23 nicht einen Gegensatz zu zæbah und ʿola¯h (V.5.8), ist m. E. also kein ˙ anderen, metaphorischen Ebene. Opferterminus im engeren Sinn, sondern liegt auf einer 141 C. Süssenbach, Psalter, 82, vgl. H. Gese. Psalm 50, 163ff.; C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 172 u. ö. Zur Theologie der Dankbarkeit siehe ausführlich B. Janowski, Dankbarkeit, 267ff. 142 Siehe dazu F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 310 (Hossfeld); F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalm 51–100, 56ff. (Zenger); C. Süssenbach, Psalter, 75.85ff.343f u. a. 143 Siehe dazu oben 245.246. 144 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalm 51–100, 55.
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Komposition, in der die individuelle Perspektive des 2. Davidpsalters (Ps 51–72) und die kollektive Perspektive der Asaphpsalmen (Ps 73–83) aufeinander bezogen werden.145
2.3.3. Zwischenfazit III Ziehen wir wieder ein kurzes Fazit. Die Transformation des Kultischen, die in den opferkritischen Psalmen zu Tage tritt, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Denn obwohl die relevanten Texte zahlenmäßig überschaubar sind, beziehen sie sich auf das Herzstück des altisraelitischen Kultes. Neben Aussagen mit genereller Opferkritik (Ps 40,7–9; 51,18; 69,31f) stehen dabei Aussagen, die – mit und ohne opferkritischen Hintergrund – ein metaphorisches Opferverständnis nahelegen (Ps 50,14.23; 51,19.21; 119,108; 141,2). Worin besteht deren Aussageintention? Trotz terminologischer Gemeinsamkeiten146 zwischen der prophetischen Kultkritik (Am 5,*21–24.27; Hos 6,6; Jes 1,10–17; Mi 6,6–8; Mal 1,6–29 u. a.) 147 und der Opferkritik der Psalmen fallen die Unterschiede zwischen ihnen ins Auge. Denn während in der prophetischen Opferkritik alles Gewicht auf der Gegenüberstellung von Kult und Ethik liegt,148 führt die Opferkritik der Psalmen, auch dort wo sie grundsätzlich formuliert wird, nicht zu einem Auszug aus dem Kult, sondern vielmehr zu einer Integration opferkritischer Aspekte in den Kult.149 Das veränderte offenbar auch den Kult, der „in diese neuen Welten des Menschen mit hineingenommen wird“150. Die Opferkritik der Psalmen enthält demnach zwei, aufeinander bezogene Aspekte: zum einen die Integration opferkritischer Aspekte in den Kult und zum anderen die Veränderung des Kultes durch eine bestimmte Sicht des Menschen. Der Auslöser für diesen Prozess dürfte in der Betonung der Toda-Frömmigkeit zu sehen sein, die die Möglichkeit einer direkten, nicht durch einen Priester vermittelten Gott/Mensch-Beziehung eröffnete (Ps 50,14f.23). Besonders eindrücklich ist in diesem Zusammenhang der Topos der von JHWH gegrabenen Ohren (Ps 40,7), die der Tora den Weg ins Innere des Beters weisen (Ps 40,9). „Das Tun der Tora ist die ‚Opfergabe‘, mit der der Beter für seine 145 Siehe dazu C. Süssenbach, Psalter, 86.343f. 146 Diese betreffen besonders die Anrechnungstermini, siehe dazu die Hinweise bei C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 224 mit Anm. 6; 225 mit Anm. 8. 147 Zur prophetischen Kultkritik siehe H.-J. Hermisson, Sprache, 131ff.; I. Willi-Plein, Opfer und Kult, 143ff.; I. Willi-Plein, Opfer und Ritus, 152f.; T. Krüger, Erwägungen, 37ff.; T. Hieke, Kult und Ethos, 29ff.; B. Janowski, Homo ritualis, 137ff.; C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 223ff.227f. u. a. 148 Im Umkehrschluss bedeutet das, wie C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 227 Anm. 12 zu Recht betont, nicht, dass in den opferkritischen Psalmen kein ethisches Verhalten thematisiert wird. Dagegen spricht nicht nur die Wendung zibhê-sædæq (siehe dazu ˙ ˙ oben Anm. 122), sondern auch ein Text wie Ps 50,23. 149 Vgl. C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 228.230.233.235f. u. ö. 150 H.-J. Hermisson, Sprache, 151.
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Rettung danken will.“151 So blieb der Tempelkult auch nach den opferkritischen Psalmen derjenige Lebensbereich, in dem sich die Gott/Mensch-Beziehung in einzigartiger Weise verdichtete.152 Zusätzlich zu seinen traditionellen Aufgaben gewann er jetzt aber neue Aspekte hinzu, die auf eine anthropologische Vertiefung der Gott/Mensch-Beziehung zurückzuführen sind.
3.
Zusammenfassung und Ausblick
Kehren wir von hier aus noch einmal zur Ausgangsfrage nach der Entstehung der Buchreligion und dem Beitrag der Psalmen daran zurück. Das alte Israel ist, wie wir gesehen haben, mit der Exilszeit nicht einfach von einer „Kultreligion“ zu einer „Buchreligion“ mutiert, sondern beide Religionsformen – die traditionelle Kultreligion und die beginnende Buchreligion – existierten ab der mittleren Königszeit (8./7. Jh. v. Chr.) nebeneinander, bis mit der Zerstörung des Zweiten Tempels 70 n. Chr. der Schritt zur Schriftreligion unumkehrbar wurde.153 Beschleunigt wurde dieser Prozess durch die Katastrophe von 587 v. Chr. und die nach dem Bau des Zweiten Tempels (515 v. Chr.) notwendig werdende Reformulierung der Jerusalemer Tempeltheologie. Wie weit er über diese Daten zurückreicht, ist schwer zu sagen.154 Ebenso schwierig ist die Zuweisung zu einer „geschlossenen Gruppe oder Schule. […] Es läßt sich nur angeben, in welchen Kreisen oder Bereichen wir diese Einzelnen zu suchen haben“155. Wie das Beispiel von Ps 50 zeigt, versammelt dieser Text Themen und Motive der Prophetie, der deuteronomistischen Schule und der Weisheit.156 Das bedeutet aber nicht, dass sein Verfasser im Kreis der Propheten, Deuteronomisten oder Weisen zu suchen ist. Er erweist sich vielmehr als Repräsentant einer genuinen Psalmentheologie, die prophetische, deuteronomistische und weisheitliche Traditionen rezipiert und umgeformt hat, um „an der Aufarbeitung der in exilischer Zeit umstrittenen Schuldfrage mitzuwirken“157. Deswegen dürfte auch das Theorem von 151 F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 256 (Zenger), siehe dazu auch B. Janowski, Gabetheologische Aspekte, 41ff. 152 Zum Tempel als Ort des Lebens siehe B. Janowski, Ort, 363ff. 153 Vgl. oben 225f. 154 Siehe dazu die Überlegungen von H.-J. Hermisson, Sprache, 153ff. 155 H.-J. Hermisson, Sprache, 156, siehe zur Sache auch K. Seybold, Poetik, 37ff. Hermisson und auch F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 1–50, 309f. denken an levitische Tempelsänger / Prediger, siehe dazu aber die kritischen Bemerkungen von H. Spieckermann, Rede Gottes, 161 Anm. 13. 156 Vgl. H. Spieckermann, Rede Gottes, 159ff.; C. Süssenbach, Psalter, 84f. und M. Martilla, Heritage, 76ff. Zur weisheitlichen Kultkritik und ihren Querbeziehungen zur Prophetie siehe A.B. Ernst, Kultkritik, 97ff. 157 H. Spieckermann, Rede Gottes, 160.
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klar erkennbaren Trägerkreisen in den Psalmen mit einem Fragezeichen zu versehen sein. Es mag sie – etwa in Gestalt der levitischen Tempelsänger – hier und da gegeben haben. Aber sie stehen eher am Ende eines langen Prozesses der Textentstehung (Autoren), der Textrezeption/-weitergabe (Redaktoren) und der Textverwendung/-archivierung (Editoren) 158 als an dessen Anfang. Um die Beobachtungen zur Frage nach der Transformation des Kultischen im Psalter zu bündeln, lässt sich Folgendes festhalten:
3.1.
Spuren priesterlicher Theologie?
Es fällt auf, dass priesterliche Theologen an der Abfassung des Psalters und speziell der Psalmen, in denen Fragen des Kultischen im Mittelpunkt stehen, nur am Rande und oft kritisch in den Blick kommen. Ein Beispiel dafür sind die sog. Anrechnungstermini (ha¯pas, ra¯sa¯h, ra¯sôn), die in der Priesterschrift positiv ˙ ˙ ˙ ˙ und in den Psalmen negativ verwendet werden.159 Auch die für die Priesterschrift 160 zentralen Sünd- und Schuldopfer sowie der Sühnekult spielen im Psalter keine Rolle. Wo wie in Ps 8,7–9 (vgl. Gen 1,26.28) oder Ps 93,5 (ʿedût „Zeugnis“) priesterliche Vorstellungen rezipiert werden, werden diese zugleich transformiert und ihrem neuen Kontext angepasst.
3.2.
Metaphorisierung der Kultbegriffe
Der Grund für diese Akzentverschiebung liegt darin, dass die Psalmen keine Ritualtexte, sondern poetische Gebilde sind, die nicht auf liturgisch-kultische Verwendbarkeit ausgelegt sind. Bezeichnend dafür ist die Rolle der tôda¯h, die weitgehend als Danklied verstanden wird, ohne dabei ihren Charakter als kultische Opfergabe zu verlieren. Dieser Vorgang lässt sich als Metaphorisierung von Opferaussagen/-begriffen bezeichnen.161 Das ‚Opfer‘ besteht im Dank (tôda¯h) 162 und vollzieht sich im Rahmen des privaten/öffentlichen Tempelkults. Es ist die lobpreisende Antwort auf Gottes Rettung, der sich dem Bedrängten zuwendet.
158 Ein Fall von Textarchivierung dürfte in Ps 40 vorliegen, siehe dazu K. Seybold, Poetik, 34.38. 159 Siehe dazu C. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 59ff.233f. 160 Zum singulären Beleg eines Sündopfers in Ps 40,7, wo es allerdings ebenso wie das Schlacht-, Speise- und Brandopfer abgelehnt wird, siehe oben 244.252f. 161 Siehe dazu oben 247 mit Anm. 126. 162 Siehe dazu oben 247f.
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3.3.
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Modifikation der Tempeltheologie
Die theologischen und anthropologischen Grundfragen von Gottesferne und Gottesnähe, von menschlicher Schuld und göttlicher Vergebung werden, wie die Korachpsalmen Ps 42–49 und 84f.87f. zeigen, ebenfalls im Rahmen der Tempeltheologie erörtert. Charakteristisch für diese ist die Rede vom „Angesicht JHWHs“,163 dessen Zuwendung/Abwendung auf eine personale Gottesbeziehung ohne materielle Opfer zielt. Was ehemals auf die Gottesbegegnung im Rahmen kultisch-ritueller Vollzüge gemünzt war, das ereignet sich jetzt im Kontext mentaler Vorgänge, die nicht weniger konkret sind als materielle Kulthandlungen.164
3.4.
Levitische Tempelsänger?
Inwieweit Mitglieder der Korachiten und Asaphiten an der Abfassung der ihnen zugeschrieben Texte beteiligt waren, ist eine offene Frage.165 Für die Asaphpsalmen Ps 50.73–83 hat B. Weber kultprophetische bzw. levitische Kreise als Verfasser und Tradenten vermutet.166 Sie gruppieren sich um die Themenkreise „Volksklage“, „Gerichtsprophetie“ und „Weisheitsbelehrung“, wobei ihr Proprium die nachkultische „Vergewisserung der Gottes-Präsenz im ‚Wort‘“167 ist. Man könnte diesen Vorgang auf dem Hintergrund einer Amalgamierung von Kultprophetie und Schriftauslegung verstehen, deren Ort wiederum der Tempel war.168
3.5.
Ein literarisches Heiligtum
Die Transformation des Kultischen im Psalter haben wir anhand der drei Themenfelder Zion und Tempel, Angesicht JHWHs und Feste und Opfer zu beschreiben versucht. Diese Themenfelder kommen zwar im gesamten Psalter vor, 163 164 165 166 167
Zu den Belegen siehe oben 233ff. Siehe dazu oben 241ff. Vgl. K. Seybold, Poetik, 37f. Siehe dazu die Hinweise oben Anm. 59. B. Weber, Psalm 77, 281, vgl. H. Spieckermann, Rede Gottes, 159ff. Der Ausdruck „nachkultisch“ ist allerdings nicht unproblematisch, weil er „auf das Moment der Ablösung von den alten Formen fixiert ist und das Moment der Erneuerung zuwenig in den Blick bekommt (man könnte mit gewissem Recht auch von ‚Rekultisierung‘, ‚Theologisierung / Sapientalisierung‘ und ‚Prophetie-Renaissance‘ sprechen)“ (B. Weber, Psalm 77, 281 Anm. 5). 168 Siehe dazu B. Weber, Werkbuch Psalmen III, 167ff.
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haben aber einen Schwerpunkt in den Korachpsalmen I und II (Zion und Tempel), in den Büchern I–IV (Angesicht JHWHs) und in den Büchern I–III (Fest und Opfer). Ps 50 stellt dabei so etwas wie einen „Knotenpunkt des elohistischen Psalters“ (Ps 42–83) dar, der den 2. Davidpsalter (Ps 51–72) mit den Korachpsalmen Ps 42–49 verbindet und zugleich als Leseanleitung zu diesem fungiert.169
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Zu den Autoren
Prof. Dr. Ulrich Berges ist Lehrstuhlinhaber für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Leiter des Forschungsprojektes zur Theologie des Psalters der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Dr. Johannes Bremer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum und Research Associate am Department of Old Testament Studies der Universität Pretoria. Prof. Dr. Judith Gärtner ist Professorin für Altes Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock. Prof. Dr. Susan Gillingham ist Fellow und Tutorin in Theologie am Worcester College Oxford und Professorin für Hebräisch Bibel an der Fakultät für Theologie und Religion der Universität Oxford. Prof. Dr. Frank-Lothar Hossfeld war emeritierter Lehrstuhlinhaber für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn und Leiter des Forschungsprojektes zur Theologie des Psalters der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Prof. em. Dr. Bernd Janowski ist emeritierter Lehrstuhlinhaber für Altes Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. Prof. Dr. Corinna Körting ist Professorin für Altes Testament und altorientalische Rechtsgeschichte am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg.
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Zu den Autoren
Prof. Dr. Martin Leuenberger ist Lehrstuhlinhaber für Altes Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. Dr. Till Magnus Steiner ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Benno-JacobEditionsprojekt in Jerusalem und Research Associate der Universität Pretoria im Fachbereich Altes Testament der Theologischen Fakultät. Dr. Beat Weber ist evangelisch-reformierter Pfarrer, zudem Dozent fu¨ r Altes Testament im Masterprogramm des Theologischen Seminars Bienenberg (Schweiz) und Research Associate am Department of Ancient Languages and Cultures der Universität Pretoria (Südafrika).